Die Eroberung von Konstantinopel als politische Forderung des Westens im Hochmittelalter

159 41 30MB

German Pages [232] Year 1969

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Eroberung von Konstantinopel als politische Forderung des Westens im Hochmittelalter

Citation preview

Die Eroberung von Konstantinopel als politische Forderung des Westens im Hochmittelalter Studien zur Entwicklung der Idee eines lateinischen Kaiserreichs in Byzanz

ABHANDLUNG

zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät I der Universität Zürich vorgelegt von

SIBYLL KINDLIMANN von Wald (Kt. Zürich)

Angenommen auf Antrag von Herrn Prof. Dr. Marcel Beck

FRETZ UND WASMUTH VERLAG AG ZÜRICH 1969

Í Bayer::· j Staatsbi; ek I München

Alle Rechte vorbehalten

© Copyright 1969 by Fretz & Wasmuth Verlag AG Zürich Satz und Druck: Juris Druck + Verlag Zürich

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

I. KAPITEL

9

DIE NORMANNEN UND BYZANZ VOR DEM ERSTEN KREUZZUG

1. Die russischen Normannen und Byzanz .....................

18

2. Die Normannen als byzantinische Söldner................. Sizilanischer Feldzug und Umsturzversuch des Geor­ gios Maniakes 24 — Herve, Robert Crispin und Ursel von Bailleul 27

24

3. Robert Guiskard und Byzanz ..................................... Superbia Grecorum 32 — Genus ignavum 34 — Genus perfidissimum 38 — Et ovri son thesaure ... 41 — Byzanz als Zuflucht aller Gegner Guiskards 44 — Die Bündnis­ politik der Byzantiner 46 — Der unrechtmäßige Kaiser 48 — Fortuna / Providentia 50

31

5

II. KAPITEL

III. KAPITEL

6

DER ERSTE KREUZZUNG UND SEINE NACHWIRKUNGEN 1. Der erste Kreuzzug ....................................................... Conchristiani 57 — Die Kreuzfahrer vor Byzanz 63 Das Prestige von Byzanz 68 — Die Belagerung von Nikaea 73 — Die Eroberung von Antiochien 76 — Das Versagen von Byzanz 79 — Imperator perfidus 86 — Das Echo im Westen 96

57

2. Die Kreuzzüge von 1101 ............................................... Der Zug der Lombarden 98 — Der Bericht des Ordericus Vitalis 100 — Die Katastrophe der Lombarden 102 Der Zug der Aquitanier und der Deutschen 104 — Die Folgen der Kreuzzüge von 1101 106

98

3. Bohemund ...................................................................... Die Normannen als «Kreuzfahrer« 110 — Der offene Bruch mit Byzanz 116 — Bohemunds Propagandareise in den Westen 119 — Die Zustimmung des Papstes 122 — Bohemunds Argumente 122 — Die Epistula 126 — Das Resultat der antibyzantinischen Propaganda 129 — Bohemunds «Kreuzzug« von 1107/1108 132

109

DER ZWEITE KREUZZUG 1. Zusammenarbeit oder Rivalität?.................................. Defensio occidentis 136 — Via Karoli Magni 138 — Le Pèlerinage de Charlemagne à Constantinople 142 - Die Endkaiserprophezeiungen 146

135

2. Die Stimmung während des zweiten Kreuzzuges .... Das Griechenbild 151 — Pläne für eine Eroberung von Byzanz 157 — Der Vertrag mit den Türken 164

149

3. Die antibyzantinische Koalition im Westen ........... Normannische Politik gegenüber Byzanz und das Urteil des Westens 169 — Byzanz als Sündenbock 176 — Peter der Ehrwürdige 177 — Bernhard von Clairvaux 178 — Ludwig VIL, Suger von Saint Denis und der Papst 181 — Das Scheitern der antibyzantinischen Koalition 183

IV. KAPITEL

168

AUSBLICK BIS 1204

1. Zeitenwende in Byzanz................................................... Die Beurteilung von Byzanz durch Wilhelm von Tyros 190 — Der Rückschlag von Myriokephalon 193

186

2. Die Reaktionen des Westens ........................................ Die Normannen 195 — Venedig 200 — Der dritte Kreuz­ zug: Richard Löwenherz 201 — Friedrich I. und Hein­ rich VI. 205

195

SCHLUSSWORT ............................................................................................

218

LITERATUR....................................................................................................

223

7

VORWORT

Die Frage nach der Stellung von Byzanz im Rahmen der Kreuzzugs­ gesschichte ist zu einem wichtigen Problem der neueren Kreuzzugsforschung geworden1, nachdem vorher die Rolle von Byzanz oft unterschätzt und verkannt worden war. Dabei hat sich gezeigt, daß jede Kreuzugsgeschichte, die erst im 11. Jahrhundert mit dem Auftauchen der Kreuzzugsidee im Westen einsetzt, ein sehr einseitiges Bild vermittelt, weil sie beinahe zwangsläufig zum Resultat gelangt, den Kreuzzugs­ gedanken als ein ausschließlich westlich-abendländisches Anliegen aufzufassen2. Die byzantinische Auseinandersetzung mit dem Islam, die weit früher stattgefunden hat, wird bei diesem Vorgehen meist übersehen. Wer aber mit byzantinischer Geschichte etwas vertraut ist, weiß, wie entscheidend gerade die Auseinandersetzung mit Persern und Arabern für das Geschichtsbewußtsein der Byzantiner war und welch echter Kreuzzugs­ geist in Gestalten wie Herakleios und Nikephoros Phokas zum Ausdruck kam3. Die Geschichte der byzantinischen «Kreuzzüge» begann 622, als Kaiser Herakleios zum heiligen Krieg gegen die Perser aufbrach und acht Jahre später als «Befreier des Heiligen Landes» im zurückgewonnenen Jerusa­ lem Einzug hielt. Die darauffolgende arabische Eroberungswelle schien sein Werk zunichte zu machen, doch nach dem tapferen Standhalten des

1 Vor allem durch die Werke von R. Grousset, Histoire des Croisades et du Royaume franc de Jérusalem, Paris 1934—36, und S. Runciman, A History of the Crusades, Cambridge 1951—54/55. 2 Vgl. z. B. A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge, Bd. I, S. 2, Anmerkung 1, der zwar das Problem sieht, aber doch ganz den westlichen Gesichtspunkt bei­ behält: «Die Kreuzzüge sind doch ein Unternehmen des Abendlandes, für das man in Byzanz nie Verständnis hatte ...» usw. 3 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, 2. Auf!. S. 81 ff. und S. 232; R. Grousset, Histoire des Croisades, Bd. I, Einleitung, S. I ff.

9

von der See her belagerten Konstantinopel 678 und 718 und nach dem gro­ ßen Sieg Leons III. in Anatolien 740, durch den Kleinasien gesäubert wurde, war die Weiterexistenz des byzantinischen Reiches gesichert und der schwerste arabische Vorstoß abgeschlagen. Von nun an war Byzanz wiederum fähig, seine Grenzen im Osten zu verteidigen, ja zeitweise sogar die Offensive zu ergreifen, wenn auch schwere Rückschläge nicht aus­ blieben. Auf die ersten Erfolge Kontantins V. folgte eine lange Zeit mili­ tärischer Schwäche während der ikonoklastischen Wirren, als die geistige Auseinandersetzung mit dem Orient im Vordergrund stand und alle Kräfte beanspruchte. Den im Verlauf dieser Periode eingetretenen Zerfall der byzantinischen Machtstellung im Mittelmeer, der sich im Verlust Kretas und Siziliens an die Araber abzeichnete, vermochte auch Basileios I. nicht mehr rückgängig zu machen, doch nahm er den Kampf gegen die Araber weitblickend und tatkräftig an allen Fronten auf, einigte sich sogar mit Kaiser Ludwig II. über ein gemeinsames Vorgehen in Italien und führte daneben ständig die seit dem Sieg von 863 begonnene Offensive im Euphratgebiet weiter. Wiederum deutliche Züge eines «heiligen Krieges« trug der Kampf im Osten unter dem Feldherrn Johannes Kurkuas, der im Triumph das heilige Mandylion von Edessa, das wundertätige, «nicht von Menschenhand gemachte« Bild Christi nach Konstantinopel bringen konnte. Als echte Kreuzzüge aber erscheinen dann vor allem die ruhm­ reichen Feldzüge des asketischen Kriegers und Mönchs Nikephoros Phokas, der von religiöser Begeisterung für den Kampf gegen den Islam erfüllt, den Krieg gegen die Araber als seine Mission auffaßte und nebst dem wich­ tigen Kreta auch Kilikien und einen Teil Syriens mit der altehrwürdigen, christlichen Patriarchatsstadt Antiocheia für das Reich zurückgewann, wie auch der siegreiche Vorstoß seines glanzvollen Nachfolgers Johannes Tzimiskes, der tief ins Heilige Land eindrang und für einige Zeit Tiberias, Nazareth und Akkon besetzen konnte. Letztes, wenn auch unerreichtes Ziel war für beide Kaiser Jerusalem! Unter Basileios II. wurden die neuen Eroberungen Kilikien, Antiocheia und Melitene fest ins Reich eingeglie­ dert, und als äußerster Erfolg kam später noch das von Georgios Maniakes eroberte Edessa hinzu. Die Regierung Basileios IL, den die Byzantiner sel­ ber neben Herakleios als ihren größten Kaiser bezeichneten, bedeutete den Abschluß jenes heroischen Zeitalters von Byzanz, das mit Herakleios begonnen hatte und dessen letzte Periode unter der makedonischen Dyna­ stie G. Schlumberger und R. Grousset so treffend «l'épopée byzantine« ge­ nannt haben. Waren nun diese imposanten Kämpfe gegen Perser und Araber nur in der Erinnerung der Byzantiner lebendig und wurden sie vom Westen nicht zur Kenntnis genommen? Die spärlichen Nachrichten in westlichen Quel-

10

len lassen es zunächst vermuten, doch wenn man näher zusieht, erkennt man, daß diese Ereignisse letzten Endes doch auch auf den Westen ihren Eindruck nicht verfehlten. Sie riefen dort zwei ganz verschiedene Reak­ tionen hervor: einerseits Anerkennung und andererseits Rivalität. Die Anerkennung wurde nicht gern offen zugegeben, doch lag sie zum Beispiel darin, daß unter dem Druck der Araber Papst Johannes VIII. (872—882) sich von den schwach gewordenen Karolingern abwandte und neuerdings um Hilfe in Byzanz nachsuchte. Immer wieder bestätigte sich, daß in der Abwehr der Araber Byzanz bis 1025 führend blieb und daß die Initiative meist von dort ausging. Diese Tatsache hatte bei vielen eine echte Bewunderung für das byzantinische Reich zur Folge, und man be­ gann in ihm den unerschütterlichen Eckpfeiler der Verteidigung der Christenheit zu sehen. Selbst der Einbruch der Türken im 11. Jahrhundert, der Byzanz zu überfluten drohte, vermochte diesen Ruhm nicht völlig zu vernichten, sondern das einmal geprägte Bild von Byzanz als dem uner­ setzlichen Vorposten der Christenheit lebte weiter und war auch zu Be­ ginn der Kreuzzugszeit noch durchaus vorhanden. Wie nachhaltig dieser Eindruck gewesen war, zeigte sich nun deutlich in den begeisterten Wor­ ten Roberts des Mönchs oder später in den großen Hoffnungen, die Peter der Ehrwürdige auf Byzanz setzte4,· ja, aus derselben Ehrfurcht heraus war ein großer Teil der Kreuzfahrer von 1096 sogar zunächst bereit, auch in den Kreuzzügen Byzanz die Führung zu überlassen. Schon früh machte sich aber auch eine Gegenströmung bemerkbar. Gegenüber dem immensen Prestige von Byzanz fühlten sich die neu aufstrebenden Kräfte im Westen genötigt, die eigene Stärke zu betonen und gleichzeitig Byzanz abzuwerten. Aus diesem Rivalisieren mit Byzanz erklären sich jene Bestrebungen, Karl den Großen sogar als Schutzherrn der Christen im Heiligen Land darzustellen5, oder auch der Versuch, die un­ bequeme Niederlage Ottos II. in Süditalien zu vertuschen6. Das Kaiser­ tum im Westen wollte nicht weniger sein als Byzanz, und für die Chro­ nisten ging es darum, diese Ebenbürtigkeit zu beweisen. Dabei scheute man sich nicht, die Byzantiner oft geradezu lächerlich und verächtlich zu machen, wie es in den Gesta Caroli des Notker Balbulus geschieht, der die Überlegenheit der Franken über die «vanissima Hellas» in jeder Be­ ziehung, selbst in bezug auf Witz und Schlagfertigkeit beweisen wollte und die Byzantiner tadelte, weil sie die Herrschaftsberechtigung Karls des 4 Vgl. unten S. 60 und S. 136 ff. 5 Vgl. unten S. 138. 6 Vgl. Otto von Freising, der Otto II. als «Pallida mors Saracenorum seu Sanguinarius» beschreibt, Chronica seu Historia de duabus civitatibus VI, 26, MG. SS. in us. schol. S. 290.

11

Großen nicht anerkennen wollten7, oder später noch ausgeprägter in den abschätzigen Bemerkungen Liudprands von Cremona, der sich zwar auf einer ersten Reise stark von Reichtum, Glanz und Macht von Byzanz be­ eindrucken ließ, im Bericht von seiner zweiten Reise jedoch alles tat, um das Ansehen des byzantinischen Kaisers zu zerstören und dafür seinen eigenen Herrn, Otto den Großen, ins hellste Licht zu rücken. Liudprand verteidigte in der bezeichnenderweise immer wieder aufgenommenen Auseinandersetzung um die Titelfrage energisch das Herrschaftsrecht Ottos als «imperator», und als während seines Besuches in Byzanz ein Schreiben des Papstes den byzantinischen Hof empörte, weil darin Otto als «imperator Romanorum» erwähnt, der byzantinische Kaiser jedoch nur als «Grecorum imperator» angesprochen wurde, erklärte Liudprand den Byzantinern recht hämisch, der Papst sei eben der Meinung gewesen, nachdem die Byzantiner ja sowohl die Sprache der Römer wie auch ihre Sitten und ihre Kleidung aufgegeben hätten, mißfalle ihnen auch der Name «Römer»!8 Liudprand betonte auch ganz besonders, wie Otto als christlicher Herrscher sich für die Kirche und den Papst eingesetzt und in Rom Ordnung geschaffen habe, während die byzantinischen Kaiser in Italien machtlos seien9. In starkem Kontrast zu der strahlenden Persön­ lichkeit Ottos entwarf Liudprand von Nikephoros Phokas eine groteske Karikatur10 und versuchte, auch dessen Kriegsruhm im Kampf gegen den Islam verächtlich zu machen, indem er behauptete, Nikephoros wage nur gegen die Araber Krieg zu führen, weil eine Weissagung ihm leichten Sieg verheiße11, und er habe nur deshalb ein Heer gegen die Araber 7 «Tum sapiens ille Francigena vanissima Hellade in suis sedibus exsuperata victor et sanus in patriam suam reversus est», Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen II, 6, MG. SS. nova series Bd. XII, S. 55. Vgl. auch die Beschreibung des byzantinischen Kaisers: «...homo torpens otio nec utilis belli negotio», ebenda II, 5, S. 53. Eine eingehende Interpretation der Einstellung Notkers zu Byzanz findet sich bei Th. Siegrist, Herrscherbild und Weitsicht bei Notker Balbulus, Diss. Zürich 1963, S. 119 ff. 8 Liudprand von Cremona, Relatio de legatione Constantinopolitana II, MG. SS. in usum scholarum S. 176; XXV, S. 188; XLVII, S. 200; LVI, S. 205; L und LI, S. 202 ff. 9 «Dormiebat, ut puto, tune potestas tua, immo decessorum tuorum, qui nomine solo, non autem re ipsa imperatores Romanorum vocantur ... Quis ex vobis imperatoribus zelo Dei ductus tarn indignum facinus vindicare et sanctam ecclesiam in statum proprium reformare curavit? Neglexistis vos, non neglexit dominus meus, qui a finibus terrae surgens Romamque veniens impíos abstulit et sanctorum apostolorum vicariis potestatem et honorem omnem contradidit», ebenda V, S. 178; vgl. auch XVII, S. 184. 10 Ebenda III, S. 177; vgl. auch X, S. 181; XL, S. 196. 11 Ebenda XXXVIIII, S. 195 ff. 12

zusammengerufen, um zu Wucherpreisen gehamstertes Getreide verkaufen zu können12. Liudprand schien es ausgeschlossen, daß Franken und Griechen je zusammen gegen die Araber kämpfen würden13, aber er erwähnte dafür eifrig Prophezeiungen, welche die Auslegung zuließen, daß die Sarazenen nicht durch die Griechen, sondern durch die Franken vernichtet werden sollten14. Deutlich spüren wir in diesen Äußerungen, wie unerträglich es für den Stolz des aus dem Westen kommenden Gesandten war, die byzantinischen Erfolge zu anerkennen. Liudprands ganzer Bericht lief darauf hinaus, die Byzantiner als Schwächlinge hinzustellen und vor al· lem schonungslos ihre Hinterlist und Treulosigkeit hervorzuheben. Diesen Behauptungen gab er einen Hintergrund, der sofort einen lebendigen, allgemein bekannten Zusammenhang herstellte. Der literarisch gebildete Bischof fand nämlich, dies Verhalten sei für die Griechen typisch, und spielte dabei wiederholt darauf an, daß die Byzantiner ja die Nachkom­ men der «Danaer» und des Odysseus seien!15 Nur mit einem Satz, aber ebenso scharf und mit Liudprands Charakterisierung übereinstimmend, beurteilte Widukind von Korvei die Byzantiner, wenn er von ihnen be­ hauptete, ihre Herrschaft über die Völker beruhe ebensosehr auf List wie auf wirklicher Stärke: «et quos virtute nequibant, artibus superabant.»16 12 Ebenda XLIIII, S. 198. 13 Ebenda XL, S. 196 ff. 14 Ebenda XLIII, S. 198. Liudprand legt sogar eine Prophezeiung so aus, daß sie seinem Wunsch entspricht, Otto möge mit seinem Sohn über Nike­ phoros Phokas siegen und ihn vertreiben, XLI, S. 197. 15 Ebenda III, S. 177, beschreibt Liudprand den Kaiser Nikephoros Phokas als «Ingenio vulpem, periurio seu mendacio Ulyxem». XXX, S. 191, zitiert er zur Charakterisierung des Verhaltens von Nikephoros aus Vergil, Aeneis II, 65: »Sed nunc, domini mei, accipite insidias Danaum et crimine ab uno discite omnes ...» und kommentiert weiter unten: «... in neutro fides, in utroque infidelitas; ...sed esto,· fecerit, ut Grecos decuit!» Ebenda LVII, S. 206, spielt er in seinem Abschiedsvers noch einmal auf die Treu­ losigkeit der Griechen an: «Argolicum non tuta fides; procul esto, Latine, Credere, nec mentem verbis adhibere memento! Vincere dum possit, quam sancte peierat Argos!» und spricht von der «Grecia mendax», ebenda LVII, S. 207. Sehr scharf fällt auch die Stelle über Konstantinopel aus, ebenda LVIII, S. 207: «ex illa quondam opulentissima et florentissima, nunc famelica, periura, mendace, dolosa, rapace, cupida, avara, cenodoxa civitate...». Liudprand vergißt auch nicht zu erwähnen, daß alle Häresien im byzantinischen Bereich aufgetreten seien, XXI, S. 186. Die Schwäche und Kampfuntüchtigkeit der «weibischen» Griechen betont Liudprand XXVIIII, S. 190; XLIIII, S. 199; LIIII, S. 204. 16 «Graeci vero ad artes patemas conversi — nam erant ab exordio fere mundi plurimarum gentium domini, et quos virtute nequibant, artibus supera-

13

Alle diese Kritiken waren geeignet, Zweifel und Mißtrauen gegenüber Byzanz zu erwecken und allmählich ein negatives, beinahe schematisch werdendes Bild entstehen zu lassen, das in Erinnerung an den listen­ reichen Odysseus und die Danaer die Byzantiner von vornherein als schwach und treulos abstempelte. In den bisher erwähnten Chronikstellen des 9. und 10. Jahrhunderts hatte dieses verächtliche Griechenbild die Aufgabe zu beweisen, daß der Westen Byzanz nicht nachstand. Die Frage war aber, ob die hier bei eini­ gen Schriftstellern hervortretende negative Einschätzung der Byzantiner nicht mit der Zeit genügend Widerhall finden würde, um das gewaltige, im Verlauf der vor angegangenen Zeit erworbene Ansehen des byzantini­ schen Reiches zu untergraben, das Bild eines starken, christlichen Byzanz zu zerstören, ja sogar den Gedanken an eine Eroberung von Konstanti­ nopel aufkommen zu lassen. Im 11. und 12. Jahrhundert, in der Zeit der Kreuzzüge, als der gegenseitige Kontakt enger wurde, mußte sich auch die Auseinandersetzung mit Byzanz viel intensiver gestalten und konnte sich nicht mehr auf vereinzelte Chronisten beschränken. Jeder Kreuzfahrer sah sich zu einer Stellungnahme gegenüber Byzanz gezwungen. Lange Zeit hindurch erschien den modernen Historikern die Eroberung von Konstan­ tinopel im Jahre 1204 und die damit verbundene Ablenkung des vierten Kreuzzuges als etwas Rätselhaftes und schwer Erklärbares*17. Untersucht man aber schon die früheren Kreuzzugschronisten auf ihre Einstellung zu Byzanz und vergleicht man im besonderen auch ihre Aussagen über die angebliche Schwäche und Treulosigkeit der Griechen, so erkennt man, daß die psychologischen Voraussetzungen, um an Byzanz zu zweifeln, wie auch die daraus abgeleitete Idee einer Eroberung von Kontantinopel tat­ sächlich schon viel früher vorhanden waren. Diese wachsenden Zweifel an der Existenzberechtigung und an der Vertrauenswürdigkeit von Byzanz anhand der Chroniken aus der Zeit der ersten Kreuzzüge zu verfolgen und vor allem auch die Begründung der byzanzfeindlichen Haltung zu er­ fassen, war das Ziel dieser Arbeit. Es sollte versucht werden, durch eine Zusammenstellung der sich darauf beziehenden Quellen texte von einer oft weniger beachteten Seite her einen Beitrag zum Verständnis des Gesche­ hens von 1204 zu leisten. Nicht zu übersehen war bei dieser Betrachtungsweise, wie stark der Ein­ fluß der Normannen ins Gewicht fiel, die sich ja bereits vor den Kreuz­

bant ..Widukind von Korvei, Rerum gestarum saxonicarum über III, 71, MG. SS. in us. schol. S. 148. 17 Vgl. die Zusammenstellung all der verschiedenen Theorien zur Erklärung des vierten Kreuzzuges bei A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire, S. 456 ff. 14

zügen in ähnlichem Sinne mit Byzanz auseinandersetzten und bei denen die Idee einer Eroberung von Konstantinopel besonders tief verwurzelt war Ihre Einstellung erfährt deshalb spezielle Berücksichtigung.

Diesem Rahmen entsprechend umfaßt diese Arbeit nebst dem vorangestellten Kapitel über die Normannen hauptsächlich den Zeitraum der ersten drei Kreuzzüge. Um dem gestellten Problem nachzugehen, war es nötig, eine große Zahl verschiedenster Quellen heranzuziehen, auch wenn diese das Thema Byzanz oft nur sehr am Rande berührten. Bei einer derartigen Vielzahl von Quellen, deren kritische Würdigung eine schwer zu erreichende Belesenheit voraussetzt, war es vielleicht nicht immer möglich, jeder einzelnen Quelle völlig gerecht zu werden. Vollständigkeit kann bei einem solchen Versuch kaum erreicht werden und würde auch dem gesetzten Ziel nicht besser entsprechen, sondern nur den Umfang der Darstellung vergrößern. Es ging uns vor allem darum, mit Hilfe der angeführten Zitate die Kontinuität einer Idee hervortreten zu lassen. War bereits die Quellenlage sehr kompliziert, so ist die darstellende Literatur zur Kreuzzugszeit heute noch viel unübersehbarer. Wir verzichten deshalb, sowohl in bezug auf die Quellen wie die benutzten Darstellungen, auf ein vollständiges Literaturverzeichnis. Standardwerke, wie dasjenige von S. Runciman und das amerikanische Gemeinschaftsuntemehmen unter Leitung von K. Setton, bieten für die Kreuzzugsgeschichte um· fassende Übersichten. Was die Normannen betrifft, so finden sich zuverlässige Angaben in dem häufig zitierten Buch von F. Chalandon. Das Manuskript zu der vorliegenden Arbeit wurde im Jahre 1960 abgeschlossen Die seither erschienene Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Es wird heute immer klarer, wie wesentlich die Kenntnis der byzantinischen Geschichte auch für das Verständnis der abendländischen Verhältnisse ist, und gerade die Untersuchung der Konflikte, die sich aus dem enger werdenden Kontakt im 11. und 12. Jahrhundert ergaben, gewährt aufschlußreiche Einblicke in jenes Problem, das wir als das WestOst-Problem des Mittelalters bezeichnen könnten und von welchem hier cin Aspekt sichtbar wird. Das Interesse für eine so verstandene Beschäftigung mit byzantinischer Geschichte wie auch die Anregung zu der vorliegenden Arbeit vermittelte mir mein Lehrer Professor Dr. Marcel Beck, dem ich dafür den herzlichsten Dank ausspreche.

15

I. KAPITEL

Die Normannen und Byzanz vor dem ersten Kreuzzug

An die Stelle der vielen Völker, die Byzanz in seiner langen, bewegten Geschichte bereits bekämpft und abgewehrt hatte, traten im 11. Jahrhundert drei neue, gefährliche Feinde: die seldschukischen Türken, die Petschenegen, die uns beide in diesem Zusammenhang nicht interessieren, und die Normannen. Den Byzantinern waren jedoch die Normannen keineswegs unbekannt, Sehon im 9. Jahrhundert war Byzanz mit jenen Normannen, die sich in Nowgorod und Kiew festgesetzt hatten, in Berührung gekommen, und seihcr war der Kontakt nicht mehr abgebrochen. Vieles an diesen Be­ zichungen ist sehr bezeichnend und wird sich in ganz ähnlicher Weise später mit den Normannen aus dem Westen wiederholen; deshalb wollen wir das spannungsreiche Verhältnis Kiew—Byzanz kurz schildern, soweit dies dazu beitragen kann, unsere Problemstellung zu verdeutlichen. Dabei interessiert uns nicht so sehr nur das rein Faktische, das heißt etwa die Geschichtlichkeit der verschiedenen Angriffe auf Konstantinopel, sondern vielmehr die Art der Darstellung durch den russischen Chronisten, auch wenn es sich dort zum Teil um erfundene Einzelheiten und Ausschmükkungen handeln mag; denn häufig wird an solch kleinen Episoden viel klarer , wie die russischen Chronisten selber das Verhältnis zu Byzanz ge-

17

sehen haben wollten. Allerdings sind wir uns bei diesem Versuch be­ wußt, daß infolge der ungünstigen Quellenlage mit einiger Sicherheit nur das Geschichtsbild des 11. Jahrhunderts erfaßt werden kann1.

1. Die russischen Normannen und Byzanz Die nach Rußland eindringenden Normannen, die nach den Worten der sogenannten Nestor-Chronik von den Slawen herbeigerufen worden waren, um Ordnung zu schaffen2, stießen begreiflicherweise auf dem al­ ten Handelswege, der «von den Varägem zu den Griechen führt«3, immer weiter vor. So mußten sie sich schließlich notwendigerweise auch mit dem natürlichen Endpunkt dieses Weges auseinandersetzen, das heißt mit dem berühmten Zargard oder Zarjagorod, wie Byzanz von ihnen genannt wurde. Die Chronik berichtet, daß bereits zu jener Zeit, da Rurik noch in Nowgorod regierte, zwei seiner Leute, Askold und Dir, um die Erlaubnis baten, nach Konstantinopel zu ziehen, von dem sie wohl viel Verlocken­ des gehört hatten4. Sicher ist, daß schon 860 ein erster Stoßtrupp von russischen Normannen in völlig überraschendem Angriff vor Byzanz stand, als Kaiser Michael III. gerade gegen die Araber zu Felde gezogen war. Der Angriff mißlang zwar, und der Kaiser konnte rechtzeitig zurück­ kehren, aber die Byzantiner erinnerten sich noch lange an den gewaltigen Angriff, den «furchtbaren Sturm aus dem Norden«. Ihre Rettung glaubten sie nur dem Eingreifen der Gottesmutter, also einem Wunder zu verdan­ ken; das zeigt uns, welch starken Eindruck diese Begegnung mit den rus­ sischen Normannen in Byzanz hinterließ5.

1 Für die Geschichte der byzantinisch-russischen Beziehungen dient als Quelle die sogenannte Nestor-Chronik, die vermutlich zwischen 1050 und 1113 in Kiew entstanden ist. Zur sehr umstrittenen Entstehungsgeschichte dieses Textes vgl. The Russian Primary Chronicle, translated and edited by S. H. Cross and O. P. Sherbowitz-Wetzor, Cambridge, Massachusetts 1953, Introduction S. 3 ff. Ob dem Chronisten ältere Aufzeichnungen für seine Arbeit zur Verfügung standen, ist unsicher. Die Darstellung der Ereignisse durch die sog. Nestor-Chronik wird von einzelnen Historikern stellenweise stark angezweifelt, der Wert der Chronik als Geschichtsbild wird durch solche Einschränkungen jedoch nicht vermindert. Für alle Zitate wurde die französische Übersetzung von L. Leger (Chronique dite de Nestor, Paris 1884) benützt. 2 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 15. 3 Ebenda S. 4. 4 Ebenda S. 15; K. Stählin, Geschichte Rußlands Bd. I, S. 36. 5 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 184; A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire S. 277; G. Laehr, Die Anfänge des russi­ schen Reiches, Berlin 1930, S. 24, und Exkurs I, S. 91. 18

Nach diesem ersten Vorstoß folgten in kürzeren oder längeren Zeitabständen immer wieder neue Züge der russischen Normannen gegen Konstantinopel; die entweder geradezu die Eroberung der Stadt zum Ziele hatten oder wenigstens Verträge zur Sicherung des Handels erzwingen sollten6. So etwa die Expedition des Fürsten Oleg im Jahre 907, die nach der Überlieferung der Nestor-Chronik siegreich verlaufen zu sein scheint. Jedenfalls «hängte Oleg zum Zeichen des Siegs seinen Schild ans Tor von Byzanz» 7. Dieser Erfolg führte zur offiziellen Aufzeichnung von zwei ausgeklügelten Handelsverträgen in den Jahren 907 und 911, wobei Byzanz seine Vorsichtsmaßnahmen gegenüber den wilden Fremden traf: Die han­ deltreibenden Normannen durften die Stadt nur unbewaffnet und unter kaiserlichem Geleit betreten, und sie mußten in einem ganz bestimmten Quartier unter Angabe ihrer Namen wohnen8. Ganz ähnliche Bestim­ mungen wird Byzanz auch gegenüber den Normannen aus dem Westen und sogar gegenüber den Kreuzfahrern anwenden, um sich vor einer stets befürchteten Überrumpelung zu sichern. Obwohl in diesem Vertrag von unerschütterlicher Freundschaft zwischen Griechen und russischen Normannen die Rede war, unternahm 30 Jahre später der Nachfolger Olegs, Igor, einen neuen Angriff auf byzantinisches Gebiet. Diesmal jedoch traten die Byzantiner den Angreifern energisch entgegen. Die Normannen wurden geschlagen, und als sie auf ihren Schiffen den Rückzug an treten wollten, lernten sie zum erstenmal das furchtbare griechische Feuer kennen, das ihre Schiffe vernichtete. Die russischen Normannen ließen sich aber dennoch nicht dauernd abschrecken, sondern schon 944 scheint Igor wieder an der Donau aufgetaucht zu sein, diesmal im Bund mit den Petschenegen. Byzanz griff zu einem andern bewährten Mittel seiner reichen politischen Erfahrung im Umgang mit Barbarenvölkem, und es gelang, die Feinde durch Geschenke und Geldzahlungen zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. In der Dar-

6 A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire S. 320 ff. 7 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 24. Diesen Zug hält H. Grégoire, La légende d'Oleg et l'expédition d'Igor, Bull, de la classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques, Bruxelles 1937, S. 80—94, für nicht historisch. Die Echtheit der Überlieferung der Nestor-Chronik vertreten dagegen über­ einstimmend G. Ostrogorsky, Gesch. des byz. Staates S. 208 und L'expé­ dition du prince Oleg contre Constantinople en 907, Annales de l'institut Kondakov 11, 1939, S. 47 und S. 296; A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire S. 320; R. J. H. Jenkins, The supposed Russian Attack on Constan­ tinople in 907, Speculum 24, 1949, S. 403; vgl. auch G. Laehr, Die Anfänge des russischen Reiches, Exkurs II, S. 95. 8 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 25; F. Dölger, Regesten der Kaiser­ urkunden des oström. Reiches, München/Berlin 1924, Nr. 549, 556. 19

Stellung der Chronik spürt man bei den russischen Normannen neben al lem Vertrauen in die eigene Kraft doch auch immer wieder eine geheime Scheu vor dem als unüberwindlich geltenden Byzanz,· jedenfalls war Igo: sofort bereit, gegen Geld und Geschenke auf den Kampf zu verzichten dessen Ausgang ihm und seinen Leuten doch sehr ungewiß schien9. Eir neuer Handelsvertrag, für die Byzantiner eher etwas vorteilhafter als der jenige von 911, regelte wieder die byzantinisch-russischen Beziehungen Dieser Friede sollte dauern «jetzt und in künftigen Zeiten, so lange die Sonne scheint und die Welt besteht«!10. Am gefährlichsten wurde für Byzanz der russische Fürst Svjatoslav, der Kaiser Nikephoros Phokas zum Krieg gegen die Bulgaren aufgeforder hatte. Svjatoslav besiegte zwar auftragsgemäß die Bulgaren, setzte sich dann aber selbst im Lande fest und richtete sich schließlich auf ein« dauernde Herrschaft in Bulgarien ein (968). Deutlich sagt die Nestor Chronik, was ihn dazu bewog: «Es gefällt mir nicht in Kiew; ich will ir Groß-Preslav an der Donau leben; da liegt der Mittelpunkt meiner Län der. Alle Reichtümer gelangen dorthin: von Griechenland Gold, Stoffe Früchte, verschiedene Weine; von Böhmen und UngarnSilber und Pferde von Rußland Pelze, Wachs, Honig und Sklaven.«11 Er wollte also seinen Reich ein neues Zentrum geben, das gefährlich nahe bei Konstantinope gelegen hätte. Einen derart starken Feind im Norden konnten aber die Byzantiner unmöglich dulden. Wie die Nestor-Chronik berichtet, sol Svjatoslav nach der Einnahme von Groß-Preslav, der Hauptstadt Ost bulgariens, den Griechen folgende drohende Botschaft geschickt haben «Ich will zu euch kommen und eure Stadt einnehmen, wie ich diese Stadt eingenommen habe.«12 Leo Diaconus, ein zeitgenössischer byzan tinischer Schriftsteller, erzählt sogar, Svjatoslav habe den byzantinischer Gesandten gegenüber geäußert, den Russen allein gebühre die Herrschaft über Byzanz und den europäischen Reichsteil. Die Byzantiner sollten sich nach Kleinasien zurückziehen!13 Hier wird also bereits ganz deutlich die Herrschaft über Konstantinopel beansprucht, es handelt sich nicht mehj nur um einen Beutezug; wenigstens glaubte dieser Byzantiner wirklich, es so auffassen zu müssen.

9 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 35; vgl. dazu G. Laehr, Die An fänge des russischen Reiches, Exkurs III, S. 99. 10 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 36. 11 Ebenda S. 53; G. Laehr, Die Anfänge des russischen Reiches S. 66. 12 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 56. 1 13 Leo Diaconus, Historiae VI, 10, Corpus Scriptorum, Historiae Byzantinae Bonn 1828, S. 105; vgl. dazu G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischer Staates S. 236. I 20

Die Nestor-Chronik berichtet weitere charakteristische Einzelheiten, die uns in ähnlicher Weise im Verhältnis der Normannen aus Süditalien zu Byzanz wieder begegnen werden: Als Svjatoslav schließlich gegen Adrianopel vorrückte, sollen die Griechen vorgegeben haben, sie seien bereit, die Gegner durch Geschenke und einen Tribut zufriedenzustellen, und ließen darum nach der Anzahl der Feinde fragen. Doch die Chronik meint dazu: «Sie sagten dies, um die Russen zu täuschen,· denn die Griechen sind bis auf den heutigen Tag verschlagene Leute.»14 Wir treffen hier zum erstenmal in diesem Zusammenhang den kategorischen Vorwurf, die Griechen seien alle verschlagen, hinterlistig und treulos,· ein Vorwurf, der später immer und immer wieder erhoben wird. Svjatoslav, der die Griechen durchschaute, gab die doppelte Zahl von Kriegern an als er wirklich bei sich hatte; der Tribut wurde aber nicht bezahlt, weshalb Svjatoslav den Vormarsch gegen Konstantinopel wieder aufnahm. Die Griechen versuchte nun sofort, ihn durch Geschenke zu beschwichtigen. Sie schickten zuerst Gold und kostbare Stoffe. Svjatoslav aber ließ diese Gaben unbesehen zur Seite schaffen. Da schickten die Griechen Waffen,· dafür zeigte nun Svjatoslav großes Interesse, worauf die Gesandten dem Kaiser erschrocken berichteten: «Das ist ein wilder, gefährlicher Mensch; er will nichts wissen von Reichtümern, sondern wählt die Waffen; zahle ihm den Tri­ but.»15 Diese Einzelheiten sind sehr bezeichnend, denn sie zeigen das ständige Bemühen des Chronisten zu beweisen, daß seine Landsleute der byzantinischen Schlauheit gewachsen seien, ein Punkt, der parallel zu den ewigen Klagen über die Verschlagenheit der Byzantiner allen Chronisten imer wieder am Herzen liegt. Sie haben das Bedürfnis, sich auf diese Weise neben der nur allzuoft deutlichen Überlegenheit der Byzantiner zu behaupten. Sie betonen auch stets nachdrücklich, wie die KriegstüchtigKeit der Normannen bei den Griechen Schrecken verbreitete, und legen Wert darauf, nicht als goldgierig und habsüchtig zu gelten. Ganz ähnlich schreiben andere Chronisten von den Stammesbrüdern in Süditalien, sie seien nicht für Geld zu haben, sondern kämpften, um zu erobern16. In Wirklichkeit nahm der Zug für Svjatoslav ein klägliches Ende, was die Nestor-Chronik zu verschleiern versucht. Die russischen Normannen wurden in einem glänzenden Feldzuge von Johannes Tzimiskes besiegt und zur Rückkehr nach Kiew gezwungen (971). Eine weitere Bedrohung von Byzanz ergab sich, als Kaiser Basileios II. dem Fürsten Vladimir seine Schwester Anna nicht, wie es versprochen 14 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 56. 15 Ebenda S. 57. 16 Vgl. unten S. 31.

21

worden war, zur Frau geben wollte. Kurz entschlossen rückte Vladimir 989 vor die Stadt Cherson auf der Krim, nahm sie ein und drohte den Byzantinern wieder einmal: «Ich werde mit eurer Hauptstadt tun, was ich mit dieser Stadt getan habe.» 17 Das wirkte, und Vladimir erzwang durch seine drohende Haltung die so bedeutungsvolle Heirat mit der byzan­ tinischen Prinzessin. Noch im Jahre 1043 versuchten die russischen Normannen einen letz­ ten Angriff auf Byzanz, der aber wiederum völlig scheiterte. Diese lange Reihe von Angriffen auf Byzanz zeigt deutlich, daß die Stadt für die russischen Normannen eine unwiderstehliche Anziehungs­ kraft besaß. Das ist nicht nur daraus zu erklären, daß Byzanz der End­ punkt des für die Normannen so wichtigen Handelsweges war, sondern wird erst recht verständlich, wenn wir uns an die begeisterte Schilderung erinnen, die einer der ausgesandten Boten dem Fürsten Vladimir über den Gottesdienst in der Hagia Sophia gab: «Wir sind nach Griechenland ge­ gangen, und man hat uns dorthin geführt, wo die Griechen ihren Gott verehren, und wir wußten nicht mehr, ob wir schon im Himmel oder noch auf Erden weilten, denn es gibt auf der Erde keinen solchen Anblick und keine derartige Schönheit. Wir sind nicht imstande, sie zu beschrei­ ben; wir wissen nur, daß dort wirklich Gott unter den Menschen wohnt; ihr Gottesdienst ist auch viel schöner als in den andern Ländern. Wir werden seine Schönheit nie vergessen, denn jeder Mensch, der einmal etwas Süßes genossen hat, kann nachher das Bittere nicht mehr ertragen. Darum können wir nicht mehr hier leben.»18 Wenn Byzanz einen der­ artigen Zauber auf die Normannen auszuüben vermochte, so verstehen wir leicht, daß sie immer wieder mit allen Mitteln versuchten, sich in den Besitz dieser Wunderstadt zu setzen. Genauso überwältigend hat aber Byzanz später auch auf die Normannen aus Italien, ja selbst auf die Kreuzfahrer gewirkt und dadurch immer die Sehnsucht, diese Stadt zu er­ obern, wachgehalten. Immerhin hatten die byzantinisch-russischen Beziehungen auch ihre für Byzanz sehr positiven Seiten. Als Kaiser Basileios II. 988 durch den Usur­ pator Bardas Phokas in äußerste Bedrängnis geriet, rettete ihn im letzten Augenblick ein russisches Hilfskorps von 6000 Mann, die sogenannte varägisch-russische Drushina, die Fürst Vladimir dem Kaiser zu Hilfe ge­ schickt hatte und die fortan als dauernde Einrichtung in Byzanz bestehen blieb. Statt als Angreifer treffen wir hier die russischen Normannen in einer ganz andern, aber außerordentlich wichtigen Funktion: als Söldner! 17 Chronique dite de Nestor, hg. L. Leger S. 91; G. Laehr, Die Anfänge des

russischen Reiches S. 83 ff. 18 Chronique dite de Nestor S. 90. 22

Schon im Vertrag von 911 war festgelegt worden, daß die russischen Nor­ mannen jederzeit das Recht haben sollten, an den Kriegszügen des byzan­ tinischen Reiches teilzunehmen19. Wir erinnern uns, daß Svjatoslav ur­ sprünglich in kaiserlichem Auftrag Bulgarien besetzt hatte. Auch hören wir oft von russischen Hilfstruppen im byzantinischen Heer20. Jetzt un­ ter Basileios II. zeigte sich, wie entscheidend die russisch-normannische Unterstützung sein konnte. Der Lohn für die Hilfe war denn auch einzig­ artig nach der Auffassung der Zeit: Vladimir erhielt eine purpurgeborene Prinzessin zur Frau! Langsam wurden aber die Beziehungen zwischen dem normannischen Rußland und Byzanz schwächer. Steppenvölker schoben sich dazwischen und lenkten das russische Interesse ab. Sehr rasch jedoch übernahmen nun die Stammesverwandten aus dem Westen die Rolle, die die russischen Normannen gegenüber Byzanz gespielt hatten. Die «Franken»21 lösten die Varäger ab, und zwar in doppelter Hinsicht, sowohl als Söldner wie als Angreifer! Wir haben diesen kurzen Überblick über die byzantinisch-russischen Be­ ziehungen vorangestellt, weil die altrussische Chronik in ihrer einfachen Darstellung klar und eindrücklich lehrt, in welchen Formen sich damals Kontakte zwischen einem fremden Kriegervolk und Byzanz ergaben. Sie läßt uns die Ausstrahlungskraft von Byzanz spüren,· sie zeigt uns, wie krie­ gerische und friedliche Beziehungen ständig abwechselten, wie Beutezüge in Handels-und Soldverträge ausmündeten und wie schließlich durch Hei­ raten Verbindungen angebahnt wurden, die gewaltige Möglichkeiten und Ansprüche in sich schlossen. Auf Seiten von Byzanz treffen wir den Stolz gegenüber den Barbaren, das geschickte Manövrieren mit allen diploma­ tischen Mitteln und die stete Angst vor einer Überrumpelung der Stadt. Auf Seiten der Normannen spüren wir ein starkes Selbstbewußtsein, ein großes Vertrauen in die eigene Kraft, das sich in Drohungen gegen die Stadt äußert, und daneben doch immer wieder die Scheu vor dem mäch­ tigen, ehrwürdigen Byzanz, das Gefühl, den gewandten Byzantinern ir­ gendwie unterlegen zu sein, das so leicht in Schmähungen gegen die «ver­ schlagenen Griechen» umschlägt. Wenn wir nun auf die komplizierteren Verhältnisse der Beziehungen zum Westen übergehen, werden wir fest­ stellen, daß es in mancher Hinsicht die gleichen Erscheinungen sind, die die Beziehungen der Normannen aus Italien zu Byzanz kennzeichnen.

19 Ebenda S. 27; F. Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des oström. Reiches, Nr. 556. 20 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 208, S. 243, S. 264. 21 Die Normannen, die über Frankreich nach Süditalien und Byzanz kamen, wurden meistens als Franken bezeichnet. 23

2. Die Normannen als byzantinische Söldner Nach dem Tode Basileios II. im Jahre 1025 verfiel unter der Herrschaft des hauptstädtischen Beamtenadels der mittelalterliche byzantinische Staat, wie er seit der Zeit des Herakleios in jahrhundertelanger Entwick­ lung aufgebaut worden war. Vor allem wurde die militärische Grund­ struktur zerstört, die Byzanz bisher seine Stärke verliehen hatte. Die Gü­ ter der angesiedelten Soldaten wurden nicht länger durch staatliche Ge­ setze geschützt und erhalten, sondern fielen den landhungrigen Groß­ grundbesitzern in die Hände. Den übrigbleibenden Stratioten wurde frei­ gestellt, sich von der Dienstpflicht loszukaufen22. Dadurch ging die Zahl der verfügbaren, eigenen Streitkräfte derart zurück, daß Byzanz wieder einmal in viel stärkerem Maße auf fremde Söldner angewiesen war. Zwar trat die alte varägisch-russische Drushina langsam in den Hintergrund, aber Normannen, die aus England, Frankreich und schließlich vor allem aus Italien kamen, füllten zusammen mit andern Hilfstruppen die leer­ gewordenen Reihen auf, und ihre Anführer begannen in der byzanti­ nischen Politik eine gewaltige Rolle zu spielen. Doch Byzanz erlebte nicht eitel Freude mit diesen neuen Soldtruppen. Zu allen Zeiten haben die für jede Zurücksetzung und Beleidigung so empfindlichen Söldner, die kein patriotisches Gefühl an das Dienstland band, ein sehr unsicheres Element jeder Armee gebildet, zwar einiger­ maßen zuverlässig, solange sie den geforderten Lohn und Beuteanteil er­ hielten, aber nur zu oft bereit, im entscheidenden Augenblick ihren Dienstherrn im Stich zu lassen, in offene Rebellion zu treten oder gar zum Gegner überzugehen, wenn sie sich davon größeren Vorteil verspra­ chen. Alle diese Varianten finden sich in besonders charakteristischer Form in den von den Chroniken überlieferten Erzählungen über die nor­ mannischen Söldner, und es läßt sich dabei vieles über deren Einstellung zu den Griechen herauslesen. Sizilianischer Feldzug und Umsturzversuch des Georgios Maniakes

Die erste größere Gelegenheit in byzantinische Dienste zu treten, er­ gab sich für normannische Söldner, als Byzanz zu einem letzten, großen Eroberungsversuch im Westen ausholte. Schon Basileios II. hatte zum Schluß noch all seine Kraft auf die Rückgewinnung Siziliens verwenden wollen, das zum Hauptstützpunkt aller arabischen Raubzüge längs der Mittelmeerküsten geworden war. Doch der Tod des Herrschers hatte die Durchführung des Feldzuges verhindert. Während der Regierung Mi­

22 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 264.

24

chaels IV. wurde nun der Plan wieder aufgenommen. Das Kommando erhielt einer der fähigsten und berühmtesten byzantinischen Feldherrn der Zeit, Georgios Maniakes, der sich bereits in Asien durch die Rück­ eroberung der für die christliche Welt so wichtigen Stadt Edessa ausge­ zeichnet hatte23. Die Armee, mit der er nun die Rückgewinnung Siziliens versuchte, zeigt deutlich das Uberhandnehmen der Söldner. In ihren Reihen kämpften neben den Truppen aus verschiedenen östlichen The­ men auch Russen und Skandinavier, unter den letzteren der Sagenheld Harald, der spätere König von Norwegen; dazu kamen die in Italien zusammengezogenen Truppen, bei denen sich eine Schar Normannen be­ fand, die Prinz Guaimar von Salerno zur Verfügung gestellt hatte, weil ihm selber diese Söldner zu unbequem geworden waren. Zu diesen Nor­ mannen gehörten bereits die älteren Söhne Tankreds von Hauteville: Wilhelm Eisenarm und Drogo, die zukünftigen Grafen von Apulien. Die normannischen Chroniken, vor allem Amatus von Monte Cassino, geben uns deutlich zu verstehen, daß die anfänglichen großen Erfolge der sizi­ lianischen Expedition nur diesen Normannen zu verdanken gewesen seien: «plus valut la hardiece et la prouesce de ces petit de Normans que la multitude de li Grex.»24 Auch Gaufredus Malaterra berichtet ausführ­ lich, wie die Normannen in der Schlacht kühn vorprellten, während die feigen Griechen jedesmal zurückwichen. Um so bitterer lauten dann seine Klagen darüber, daß die Byzantiner den normannischen Söldnern ihren wohlverdienten Beuteanteil vorenthielten, den versprochenen Sold nicht ausbezahlten und den Anführer der Normannen, Harduin, unmenschlich schlugen. Infolge dieser Behandlung fühlten sich die Normannen nicht mehr zur Treue verpflichtet. In ihrer Empörung wollten sie zuerst sich gegen die Griechen erheben, folgten dann aber dem klugen Rat Harduins und verließen kurzerhand das Lager, indem sie sich durch List eine Er­ laubnis zur Überfahrt nach Italien zu verschaffen wußten. Dort schlossen sie sich eiligst dem eben ausgebrochenen, allgemeinen Aufstand gegen die Griechen an, verwüsteten all die Gebiete, die unter griechischer Herr­ schaft standen, und setzten sich auf Kosten der Griechen endgültig in Apulien fest, indem sie die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die 23 J. Gay, L'Italie méridionale et l'empire byzantin, Paris 1904, S. 436 und S. 450; F. Chalandon, Histoire de la domination normande en Italie et en Sicile, Paris 1907, Bd. I, S. 88 ff; C. Neumann, Die Weltstellung des byzan­ tinischen Reiches vor den Kreuzzügen, Leipzig 1894, S. 43; Enzyklopädie des Islams, Leiden-Leipzig 1908—34, Artikel «Orfa», S. 1077; R. Grousset, Histoire des Croisades, Bd. I, S. XXII. 24 Aimé du Mont-Cassin, Ystoire de li Normant II, 8, hg. O. Delarc, Rouen 1892, S. 59.

25

byzantinischen Steuern und Truppenaushebungen zu ihren Gunsten aus­ nützten25. So waren aus tüchtigen Söldnern im Handumdrehen gefähr­ liche Feinde geworden. Dem Chronisten aber liegt vor allem daran, der Feigheit, Ungerechtigkeit und Treulosigkeit der Griechen die tapfere Hal­ tung der Normannen gegenüberzustellen, denen es nebenbei sogar gelang, die Griechen zu überlisten. In Süditalien behielt man Maniakes, der doch sonst als letzter Reprä­ sentant der glorrreichen byzantinischen Eroberungsepoche große Vereh­ rung genießt, in denkbar schlechtester Erinnerung. Man schrieb ihm für die Zeit, da er als Katepan Süditalien verwaltete, die schlimmsten Greueltaten zu. Sein Name wird in den Chroniken und Annalen mit pejorativen Epitheta verbunden, die uns ganz allgemein für das nun im normanni­ schen Bereich sich fixierende Griechenbild typisch scheinen, wenn auch Maniakes selber asiatischer Herkunft war. Wilhelm von Apulien schildert Maniakes als überheblich, ungerecht und überschäumend vor Wildheit. Er habe weder Kinder noch Priester geschont und sei schließlich nicht davor zurückgeschreckt, treulos den Kaisertitel an sich zu reißen26. Es sind vor allem drei Vorwürfe, die erhoben werden und die sich mit fol­ genden Ausdrücken, die fortan fast klischeehaft immer wieder zur Cha­ rakterisierung der Griechen verwendet werden, umschreiben lassen: superbus27, ignavus28 und iniquus oder stärker perfidus29. Maniakes, der offenbar den normannischen Söldnern gegenüber zu we­ nig großzügig war, hatte durch sein tatkräftiges und erfolgreiches Ein­ greifen in Süditalien die Sympathien der Normannen nicht gewonnen. Darum gelang es ihm auch nicht, die Normannen in größerer Zahl auf seine Seite zu bringen, als er sich zum Kaiser ausrufen ließ und gegen Konstantinopel marschierte. Dennoch hat vielleicht dieses Ende seiner Laufbahn auf die Normannen großen Eindruck gemacht. Maniakes gab

25 Gaufredus Malaterra, De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratris eins, I, 7, 8, R. I. SS. V, S. 10. 26 Wilhelm von Apulien, Gesta Roberti Wiscardi, I, 446, MG. SS. IX, S. 250; Lupus Protospatarius, Aimales, MG. SS. V, S. 58. 27 «Mente superbus erat...«, Wilhelm von Apulien, Gesta I, 450, MG. SS. IX, S. 251. 28 Trägheit und Feigheit werden zwar nicht dem tatkräftigen Maniakes vor­ geworfen, aber den Griechen insgesamt: «La poteste imperial se humilia a proier l'aide de Guaimere«, Aime, Ystoire II, 8, hg. O. Delarc, S. 59; «Graecis cedentibus...«, Gaufr. Malaterra, De rebus I, 7, R. I. SS. V, S. 10. Zum Ausdruck «ignavus« vgl. unten S. 34. 29 «Nulli miseratur iniquus ...«, Wilhelm von Apulien, Gesta I, 465, MG. SS. IX, S. 251; «Assumens habitum sibi perfidus imperialem, Imperii sancti non nomen adire veretur«, ebenda I, 481, S. 251; Annales Barenses, MG. SS. V, S. 55. Vgl. unten S. 38 ff.

26

ihnen ein folgenschweres Beispiel: als byzantinischer Truppenführei lehnte er sich gegen die Regierung in Konstantinopel auf und versuchte mit Gewalt, von einer Provinz aus den Kaiserthron zu gewinnen. In der byzantinischen Geschichte bedeutete dieser Usurpationsversuch ganz ge­ wiß nichts Neues, aber den Normannen war damit zum erstenmal in näch­ ster Nähe vordemonstriert worden, welche Möglichkeiten sich boten. Maniakes' Unternehmen wäre ja beinahe ein Erfolg geworden. Die Schlacht gegen die kaiserlichen Truppen war für ihn so gut wie gewon­ nen, und nur sein plötzlicher Tod ließ die Rebellion zusammenbrechen. Robert Guiskard, der wenige Jahre später nach Süditalien kam, brauchte die Idee eines Vorstoßes von Italien aus nur wieder aufzunehmen. Doch noch vor ihm haben andere seiner Landsleute von ganz andern Positionen aus Ähnliches versucht. Ihren Schicksalen wenden wir uns jetzt zu.

Herve, Robert Crispin und Ursel von Bailleul Nicht allen Normannen war es gelungen, während des AufStandes ge­ gen die Byzantiner in Apulien Fuß zu fassen und sich bei der Verteilung des Landes einen befriedigenden Anteil zu sichern. Viele zogen es vor, ihr Glück außerhalb Italiens zu suchen, und andere folgten ihnen einige Jahre später, als die sich langsam durchsetzende Herrschaft Robert Guiskards ihre Unabhängigkeit allzusehr einzuengen begann. Alle diese Aben­ teuerlustigen und Unzufriedenen konnte Byzanz in seinem Kampf gegen die Araber und gegen die nun an der Ostgrenze auftauchenden Seldschuken ausgezeichnet verwenden. Die Normannen hatten sich rasch großen Kriegsruhm erworben. Sie galten als die besten Soldaten der by­ zantinischen Armee und wurden bald unentbehrlich. Deshalb nahm man in Konstantinopel auch ihre oft außerordentlich weitgehende Anmaßung und Undiszipliniertheit in Kauf, solange diese nicht in offene Rebellion ausartete. Die normannischen Söldner wollten nur unter ihren eigenen Lands­ leuten Dienst leisten, meist unter solchen, die sich bereits bei den Kämp­ fen um Sizilien ausgezeichnet hatten. So tauchen nun normannische Na­ men, gefolgt von hohen, byzantinischen Hoftiteln, bei den Schriftstellern und auf den Siegeln jener Zeit auf. Die Laufbahn eines jeden dieser Män­ ner ist charakteristisch für die Unbekümmertheit, mit der die Normannen ganz allgemein in den byzantinischen Bereich eindrangen und versuchten, sich durch Gewalt eine möglichst einflußreiche Stellung zu sichern oder wenn immer möglich eine eigene souveräne Herrschaft auf griechischem Boden aufzubauen. Die Aussichten für entschlossene Leute waren groß, denn die sich meist in raschem Wechsel folgenden Nachfolger Basileios II.

27

waren nicht imstande, derartigen Usurpations versuchen energisch ent­ gegenzutreten. So stellte sich der normannische Söldnerführer Hervé, der bereits unter Maniakes in Sizilien gekämpft hatte, auf die Seite der unzufriedenen byzantinischen Offiziere, als der militärfeindliche Kaiser Michael VI. die Armeekommandanten ungnädig abwies und Hervé selber den begehrten Titel eines «magister« verweigerte. Er verließ den Dienst, ging nach Ar­ menien auf seine Güter und schloß ohne die geringsten Bedenken ein Bündnis mit einer gegen die Griechen kämpfenden Schar Türken. Bald aber wurde er von diesen hintergangen und gefangengenommen. Doch vermutet Schlumberger auf Grund eines Siegels, daß Hervé sich los­ kaufen konnte und unter dem inzwischen zur Macht gelangten Vertreter der Militärpartei, Isaak Komnenos, erneut ein hohes militärisches Kom­ mando bekleidete und auch den ersehnten Magister-Titel doch noch er­ hielt30. Ebensowenig Respekt gegenüber der kaiserlichen Autorität bezeigte Ro­ bert Crispin, der zuerst gegen die Sarazenen in Spanien gekämpft hatte und schließlich über Italien nach Byzanz kam, wo er durch «viele Trium­ phe und Siege« sich auszeichnete31 und den Befehl über die norman­ nischen Hilfstruppen erhielt. Als jedoch unter Kaiser Romanos Diogenes der rückständige Sold nicht ausbezahlt werden konnte, plünderte Crispin mit seinen Leuten hemmungslos byzantinisches Gebiet, statt gegen die Türken zu ziehen. Er bemächtigte sich der kaiserlichen Steuerkassen und besiegte alle gegen ihn ausgesandten Truppen. Dennoch wurde er nach einem über die Türken erfochtenen Sieg wieder in Gnaden aufgenom­ men32. Er scheint aber letzten Endes doch eines gewaltsamen Todes ge­ storben zu sein, denn eine anonyme Wundererzählung berichtet, er sei durch Gift umgekommen, wobei die Schuld bezeichnenderweise ganz selbstverständlich und ausschließlich der «invidia« der Griechen zuge­ schoben wird!33 Weitaus am bekanntesten und für unsern Zusammenhang am deutlich­ sten ist das Beispiel des dritten, großen normannischen Söldnerführers:

30 G. Schlumberger, Deux chefs normands des armées byzantines au XIe siècle, Revue historique Bd. 16, 1881, S. 292 ff. 31 Aimé, Ystoire I, 8, hg. O. Delarc S. 13. 32 L. Bréhier, Vie et mort de Byzance, Paris 1948, S. 276. 33 «Robertus Crispinus... donec Constantinopolim veniret, et ab impera­ tore cum honore susceptus, magnique nominis apud omnes effectus, ibi, ut fertur, invidia Graecorum veneno periit«, Ad opera B. Lanfranci Appendix, Migne P. L. 150, col. 737.

28

Ursels von Bailleul34. Er half zuerst Roger, dem Bruder Robert Guiskards, bei der Eroberung von Sizilien. Nach der Konsolidierung der normanni­ schen Herrschaft gehörte er wohl zu denen, die sich den Söhnen Tankreds von Hauteville nicht unterwerfen wollten,· jedenfalls diente er kurze Zeit später in Byzanz unter Robert Crispin und wurde dann dessen Nachfol­ ger. In der folgenschweren Schlacht bei Mantzikert 1071 spielte er eine sehr zweideutige Rolle, wobei sich die byzantinischen Schriftsteller nicht ganz darüber einig sind, ob er den Kaiser absichtlich im Stich ließ oder sich befehlsgemäß von der Hauptarmee trennte. Auf jeden Fall gelang es ihm, sich und seine Leute aus der Katastrophe zu retten. Seine Stellung als Söldnerkommandant schien ihn aber bald nicht mehr zu befriedigen,· so vollzog er, aus verletztem Stolz, während eines weiteren Zuges gegen die Türken seinen Abfall. Er begab sich in das Gebiet an der armenischen Grenze und bot dort allen kaiserlichen Truppen Trotz. Ja, es gelang ihm sogar eine Armee unter dem Befehl des Johannes Dukas, des Oheims des Kaisers, zu schlagen und ihren Führer gefangenzunehmen. Dieser Sieg machte Ursel zu einem äußerst gefährlichen Gegner: der Weg nach Kon­ stantinopel stand ihm nun offen! Da er doch nicht wagte, selber nach der Kaiserkrone zu greifen, ließ er Johannes Dukas zum Basileus aus­ rufen und traf seine Vorbereitungen zur Belagerung von Konstantinopel. «Et tant fu son ire contre li Grez, que la moillier, laquelle li empeor non lui vouloit rendra par sa volente, covint qu'il lui rendist contre sa volente»35, so schildert Amatus von Monte Cassino den Ernst der Lage, und tatsächlich hielt Kaiser Michael VII. die Gefahr für derart groß, daß er sich nicht scheute, die Türken zu Hilfe zu rufen. Es gelang diesen denn auch prompt, den überraschten Ursel gefangenzunehmen. Doch damit war dessen abenteuerliche Laufbahn noch keineswegs beendet; seine Frau brachte es fertig, ihn aus der türkischen Gefangenschaft loszukaufen. Ursel sah ein, daß er im Moment keine Möglichkeit mehr hatte, Konstantinopel in seine Hand zu bekommen,· so wandte er sich wieder seinem ursprüng­ lichen, bescheideneren Plane zu und zog sich in das Thema Armeniakon zurück. Immer klarer zeigte sich, daß es sein Ziel war, in Kleinasien eine normannische Herrschaft aufzubauen, wie es unterdessen Robert Guiskard ebenfalls auf byzantinischem Boden in Italien getan hatte. Wir ha­ ben es bei Ursel also nicht mit einer einmaligen Erscheinung zu tun, son­ 34 Anna Comnena, Alexiade I, i, 2 ff., hg. B. Leib, Paris 1937-45, Bd. I, S. 10 ff. Vgl. dazu G. Schlumberger, Deux chefs normands, Revue hist. Bd. 16, S. 296 ff.; L. Bréhier, Les aventures d'un chef normand en Orient au XIe siècle, Revue des cours et conférences, t. XX, 1911/12, S. 172; Marcel Beck, Anatolien, Zürich 1956, S. 127. 35 Aimé, Ystoire I, 14, hg. O. Delarc S. 16. 29

dern er ist offensichtlich in eine Linie zu stellen mit Svjatoslav, Robert Guiskard und vor allem mit dem später rücksichtslos diese Tradition auf­ nehmenden Bohemund! Louis Bréhier malt sich sogar aus, wie Ursel durch diese neue «Normandie« auf asiatischem Boden vielleicht die Erobe­ rung Kleinasiens durch die Seldschuken hätte verhindern können86. Michael VIL, der Ursel auf keine Weise beizukommen vermochte, beauf­ tragte schließlich Alexios Komnenos, der die Aufgabe mit viel Geschick erfüllte. Ursels habhaft zu werden gelang aber doch nur wiederum mit Hilfe der Türken, mit denen Ursel ein Bündnis abgeschlossen hatte, um die Griechen aus Kleinasien zu vertreiben. Die Türken ließen sich nach gutem Brauch von beiden Seiten zahlen, und da Alexios Angebot vorteil­ hafter war, lieferten sie ihm Ursel aus. Alexios hatte aber noch alle Mühe, die einheimischen Griechen von einem Eintreten für den popu­ lären Ursel abzuhalten. Die Bürger der Stadt Amasia hätten die Errich­ tung eines normannischen Fürstentums nicht ungern gesehen und woll­ ten auf den starken Schutzherrn nicht verzichten. Alexios mußte eine Blendung Ursels vortäuschen, um diesen endlich loszubekommen und nach Konstantinopel zu bringen. Ursel wurde von Michael VII. zunächst sehr schlecht behandelt und ins Gefängnis geworfen, aber in einer kurze Zeit später sich ergebenden Notlage, als die Armeen des Westens und des Ostens gegen den Kaiser rebellierten, sah sich Michael gezwungen, seinem unentbehrlichen Söldnerführer doch wieder ein Kommando zu übertra­ gen! Wenige Tage nachdem der eine Prätendent, Nikephoros Botaneiates, zur Macht gelangt war, starb Ursel, wahrscheinlich durch Gift. Amatus von Monte Cassino gibt uns eine etwas verwirrte Schilderung dieser unglaublichen Laufbahn Ursels von Bailleul, doch sein Schluß­ kommentar ist eindeutig. Es findet sich darin kein Wort einer Kritik an Ursel, der sich doch gegen den Kaiser auflehnte und griechisches Gebiet an sich reißen wollte, sondern nur der bittere Vorwurf an die Griechen, sie hätten Ursel nur durch Verrat und Hinterlist besiegt, indem sie die Türken zu Hilfe riefen: «Et que li Grex molt de foiz par maliciouz argument et o subtil tradement avoient usance de veinchere lor anemis, escristrent a li Turchi. . .«36 37 Daß Ursel ebenfalls mit den Türken in Verbin­ dung stand, stört den Chronisten nicht. Er erhebt seine Feststellung ohne Bedenken zu einer Allgemeinweisheit in der Einschätzung der Griechen, wobei er sich für den Beweis auf die geschichtlich-literarische Überliefe­ rung beruft: «Qui bien cercherà li au ter et l'ystoire especialement de 36 L. Bréhier, Les aventures d'un chef normand, Revue des cours et conférences, t. XX, S. 186; vgl. auch R. Grousset, Hist, des Croisades, Bd. I, S. XXXIV ff. 37 Aimé, Ystoire I, 15, hg. O. Delarc S. 17.

30

Troya, trovera que li Grex ont plus sovent vainchut per malice et par traison que par vaillantize.» 38 Dieser Satz kann geradezu als Leitsatz für die negative Beurteilung der Griechen in den normannischen Chroniken gelten. Unumstößlich scheint er das alte Mißtrauen gegenüber der Ver­ schlagenheit und Treulosigkeit der Griechen als richtig zu belegen. Andererseits ist sich Amatus aber doch bewußt, daß die Normannen, die ja meist die Heimat verließen, weil sie sich der dortigen Ordnung nicht anpassen wollten, nicht den idealen, gefügigen Soldnertypus dar­ stellten, den sich die byzantinische Regierung gewünscht hätte, denn er charakterisiert selber sein Volk mit diesen treffenden Sätzen: «... et non firent secont la costumance de molt qui vont par lo monde, liquel se metent a servir autre,· mes simillance de li antique Chevalier, et voilloient avoir toute gent en lor subjettion et en lor seignorie. Et pristrent l'arme, et rompirent la ligature de paiz, et firent grant exercit et grant chevalerie.” 39 Erobern und unterwerfen, dieses Programm fand nun seinen eindrücklichsten Vertreter in der Gestalt Robert Guiskards.

3. Robert Guiskard und Byzanz

Solange Robert Guiskard die normannische Politik in Süditalien be­ stimmte, war deren Blick völlig gegen Byzanz gerichtet. Das ganze Stre­ ben ging danach, immer weitere Reichsgebiete in normannischen Besitz zu bringen und immer tiefer nach Osten vorzudringen. Wir haben schon verschiedentlich darauf hingewiesen, mit welcher Unbekümmertheit die Normannen dabei vorgingen. Sehr scharf sagt etwa auch Gaufredus Malaterra von den Söhnen Tankreds von Hauteville, sie seien derart begierig nach Herrschaft gewesen, daß sie niemals dulden wollten, daß irgend jemand in ihrer Nähe Länder oder Besitzungen sein eigen nannte, ohne sie ihm streitig zu machen, sofern ihre Macht dazu ausreichte40. Die stärkste Triebkraft für den normannischen Vorstoß bildete also ganz getviß dieser durch nichts sich abschrecken lassende Eroberungswille. Den­ noch fragen wir uns, ob die normannischen Geschichtsschreiber nicht be­ stimmte Argumente anführen können, um den Kampf und die Feind­ schaft gegen die Griechen irgendwie zu rechtfertigen. Byzanz hatte ja nie 38 Ebenda I, 15, S. 17. 39 Ebenda I, 2, S. 10. 40 «Filiis denique Tancredi naturaliter hic mos insitus erat: nt semper dominationis avidi, prout illis vires suppetebant, neminem terras vel possessiones haben tes ex proximo sibi absque aemulati one habere paterentur», Gaufr. Malaterra, De rebus II, 38, R. I. SS. V, S. 48; vgl. ebenda I, 3, S. 8.

31

auf seine Ansprüche in Süditalien verzichtet, auch als Langobarden und Sarazenen seine Herrschaft auf wenige Stützpunkte an der Küste be­ schränkt hatten. Erst Robert Guiskard gelang es, die Byzantiner völlig aus Italien hinauszuwerfen. Es gilt also nachzuprüfen, ob und warum die Chronisten den normannischen Sieg als einen berechtigten, von den Grie­ chen selber verschuldeten ansehen. Tatsächlich stoßen wir auch auf eine Reihe von Vorwürfen, die immer wieder an die Griechen gerichtet werden und die das normannische Eindringen als eine rechtmäßige Ab­ lösung der zum Regieren nicht mehr fähigen Byzantiner darzustellen versuchen. Alle diese Argumente, die dann auch dazu dienen, das Aus­ greifen über Italien hinaus und den Vorstoß nach Griechenland zu legi­ timieren, sollen hier einmal ausführlicher zusammengestellt werden, nach­ dem wir einigen bereits andeutungsweise begegnet sind.

Superbia Grecorum

Wenn wir der Chronik von Monte Cassino Glauben schenken wollen, so ist schon der Grund für den ersten apulischen Aufstand unter Melo (1009) in der Überheblichkeit der Griechen zu suchen, denn es heißt dort: «Da die Apulier den Stolz und die Arroganz der Griechen ... nicht mehr ertragen konnten, erhoben sie sich endlich.» 41 In Wirklichkeit trieb wohl ebenso sehr die allgemeine Unzufriedenheit über die hohen Steuern und den ungenügenden Schutz gegen sarazenische Überfälle Melo, der als rei­ cher Bürger von Bari geschildert wird, und seine Genossen zur Rebellion. Attentate gegen einzelne griechische Beamte und lokale Erhebungen wa­ ren schon vorher nicht selten42. Doch die rückblickend vereinfachende Stellungnahme des Chronisten zeigt uns, daß man gegen Ende des 11. Jahr­ hunderts auch in Monte Cassino für die byzantinischen Ansprüche kein Verständnis mehr hegte43. Die Byzantiner ließen wohl die Normannen oft fühlen, daß sie sie nur als ungebildete Barbaren betrachteten. Wir wissen, wie empfindlich die normannischen Söldnerführer auf jede derartige Zurücksetzung reagier­ ten. In den Chroniken nun wird die Überheblichkeit der Byzantiner ge­ 41 «... sed cum superbiam insolentiamque Grecorum ... Apuli ferre non possunt, ... tandem rebellant», Leo von Ostia, Chronica Monasterii Casinensis, II, 37, MG. SS. VII. S. 652. 42 Vgl. F. Chalandon, Hist, de la dom. norm. Bd. I, S. 40; Wilhelm von Apu­ lien sagt, Melo sei landflüchtig geworden «Graeca feritate coactus«, Gesta I, 20, MG. SS. IX, S. 241. 43 Die Chronik wurde vom Archivar von Monte Cassino, Leo von Ostia, nach 1098 verfaßt. 32

radezu als eine Sünde Eingestellt, die göttliche Strafe verdiene. Diese Art, die Dinge darzustellen, treffen wir deutlich bei Amatus. Als der deutsche König Heinrich IV. Robert Guiskard vorschlug, dieser solle sich von ihm die Investitur für die von den Normannen eroberten Gebiete geben las­ sen, antwortete ihm Guiskard: «Je ai traite ceste terre de la puissance de li Grex o grant effusion de sane ... ; et a ce que je avisse l'aide de Dieu, et que proissent pour moy mon sire saint Pierre et misire saint Paul, à qui tuit li regne del monde sont subjecte, je me voloie soumetre a lor vicare lo pape avec toute la terre que je avoie conquize, et autresi la vouloie recevoir par lo main de lo pape, à ce que par la puissance de Dieu me peusse garder de la malice de li sarrazin et vainchre la superbe de li estrange.« Mit dem Ausdruck «li estrange» dürften die Griechen gemeint sein, denn Amatus fährt fort: «Car nouz savons que par rayson de anti­ quité jusque a lo nostre temps, la superbe de li Grex seignorioit Puille et Calabre...» 44 Wenn der Chronist sagt, die Griechen hätten «par rayson de antiquité« über Süditalien regiert, so anerkennt er damit die ursprüng­ liche Legitimität dieser Herrschaft. Doch die «superbia« der Byzantiner müsse bestraft werden, ihretwegen hätten sie die Herrschaftsrechte ver­ wirkt. Auch auf die Sarazenen wird etwa der gleiche Ausdruck angewen­ det; Griechen und Sarazenen sollen beide als die «superbi« gekennzeich­ net werden, die zu erniedrigen die Normannen als Gottes Werkzeuge aus­ erkoren sind. Die gleiche Auffassung vertritt Amatus noch an einer anderen Stelle, wo er das ganze Leben Robert Guiskards unter diesem Gesichtspunkt zusammenfaßt. Er stellt das Elend und die Armut Roberts in der ersten Zeit nach der Ankunft in Italien seiner späteren Erhöhung gegenüber: «... car jusques a maintenant avons dit la famé et la povreté et solitudine de Robert liquel est dit Biscart. Et maintenant devons dire comment, par la miséricorde de Dieu, o molt multiplication de molt forte gent fu exalté, et comment il soumist et doma li superbe.« 45 Jedoch, so fährt der Chro­ nist nachdenklich fort, es kann einer nur aufsteigen, wenn ein anderer fällt46. Der mit Gottes Hilfe vollzogene Aufstieg der Normannen muß darum notwendigerweise den Niedergang der stolzen Byzantiner zur Folge haben.

44 Aimé, Ystoire VII, 27, hg. O. Delarc S. 298 ff. 45 Ebenda IV, 1, S. 156. 46 «Non puet saillir un en grant estât se autre non descent», ebenda IV, 1, S. 156.

33

Genus ignavum

Es ist nicht allein die Überheblichkeit, die den Griechen zum Vorwurf gemacht wird, sondern noch viel häufiger Feigheit. Wilhelm von Apulien stellt kategorisch fest, die Normannen hätten schon in den ersten Schlach­ ten erfahren, daß die Griechen völlig kraftlos und stets zur Flucht bereit seien47. Bei Amatus von Monte Cassino fällt das Stichwort, das die ganze Verachtung ausdrücken soll, die die Normannen für das Verhalten der Griechen empfinden. Er berichtet über die Hilfe, die die ersten norman­ nischen Einwanderer dem Rebellen Melo leisteten und fährt weiter: «Et commencèrent a combatre contre li Grez, et virent qu'il estoient comme famés.»48 Die Griechen sind weibisch! Dieser Tadel wird bei der Schil­ derung der häufigen Zusammenstöße zwischen Normannen und Griechen immer wiederholt49. Ja, in der Darstellung Wilhelms nimmt sogar der griechische Katepan das Stichwort auf, als er seine eigenen Leute zum Kampf aufruft: «Eure Klugheit, die doch, weil ihr Männer seid, so groß ist, soll euch nicht erlauben, das Herz eines Weibes zu haben. Welche Feigheit zwingt euch denn immer zur Flucht?»50 Wenn die Griechen einmal ernsthaft Widerstand leisteten, wird dies als erstaunliche Aus­ nahme vermerkt,· da aber auch in diesem Fall der normannische Sieg nicht zu verhindern war, wagten die Griechen fortan nur noch hinter Mauern zu kämpfen51. Die Normannen erkannten bald, welche Über­ legenheit ihnen dieser Ruf derUnüberwindlichkeit und Stärke verschaffte; sie versuchten deshalb den Griechen durch Demonstrationen rohster Kraft noch mehr Schrecken einzujagen. So erzählt Mala terra, wie ein Normanne das Pferd eines byzantinischen Gesandten mit der bloßen Faust zu Boden schlug, damit der Grieche seinen Leuten eine neue Schreckens­ 47 «Normannis äuget validas Victoria vires, Expertis Graecos nullius roboris esse, Quos non audaces, sed cognovere fugaces», Wilhelm von Apulien., Gesta I, 77, MG. SS. IX, S. 243. 48 Aimé, Ystoire I, 21, hg. O. Delarc S. 25. 49 «... et lo duc grec se glorifia en la grant multitude des homes, qui estoient autresi cornent famés, et se pensa de humilier ceus qui puiz humilièrent son orgoill», Aimé, Ystoire II, 21, hg. O. Delarc S. 70; «... cum sit quasi foemina Graecus», Wilhelm von Apulien, Gesta I, 212, MG. SS. IX, S. 246. 50 «... prüden tia vestra virili Conditione vigens, non vos permittat habere Cor muliebre, viri! Quae vos ignavia semper Cogit inire fugam?...», Wilhelm von Apulien, Gesta I, 356, MG. SS. IX, S. 249. 51 «In isto congressu, Graecis contra usum fortiter agentibus...», «... ultra decertare cum Normannis, nisi mûris interpositis, non praesumebant», Gaufr. Malaterra, De rebus I, 10, R. I. SS. V, S. 13.

34

nachricht zu berichten habe52. Die Angst vor den Normannen wuchs denn auch derart, daß der Kaiser keine Leute mehr fand, die dem bela­ gerten Bari zu Hilfe kommen wollten53, und als die Schreckwirkung, die von den Normannen ausging, in Robert Guiskard noch eine besonders eindrückliche Verkörperung erhalten hatte, da «ließ die Furcht das ganze Reich und selbst die königliche Stadt Byzanz erzittern«54. Entsprechend fallen denn auch die Kommentare zum Tod Guiskards aus. Während man im griechischen Bereich verständlicherweise befreit aufatmet55, klagt Ro­ berts Gemahlin Sykelgaite, daß die Normannen nun alle Stoßkraft ver­ loren hätten, und «irgendein feiges Volk sie übertreffen könne» 56, womit wohl die Griechen gemeint sind. Es bleibt nun aber nicht einfach bei der bloßen Feststellung, die Grie­ chen seien feige. Auch hier wird die Konsequenz gezogen und aus diesem Vorwurf eine Berechtigung für die normannische Eroberung abgeleitet. Wilhelm von Apulien erzählt uns, wie Harduin, der Anführer der Nor­ mannen unter Maniakes, nach der Demütigung durch die Byzantiner zu den Normannen von Aversa ging und ihnen vorhielt, warum sie zu­ ließen, daß Apulien, das ein Land von großen Möglichkeiten sei, im Be­ sitz der weibischen Griechen bleibe, obwohl doch diese ein feiges Volk seien, das der Normannenherzog im Rausch zerstreuen könne. Er ver­ sicherte, die Griechen würden oft von einem schwachen Gegner in die Flucht geschlagen, denn sie trügen zwar eine eindrucksvolle Kleidung, seien aber keineswegs waffengewandt57. Der Feige und Untätige, der sein 52 «... et, ut mirabile aliquid de se sociisque suis, unde terrerentur, Graecis nunciaretur, nudo pugno equum in cervice percutiens, uno ictu quasi mortuum dejecit», Gaufr. Malaterra, De rebus I, 9, R. I. SS. V, S. 12. 53 «Et non trova qui vousist venir au Bar pour la paor que li Grez avoient prise de li fortissime Normant», Aime, Ystoire IV, 27, hg. O. Delarc S. 225. 54 «Timor autem eius totum Imperium, usque ad ipsam regiam urbem, tremere faciebat», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 29, R. I. SS. V, S. 75; vgl. Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 272, MG. SS. IX, S. 284. 55 «Graecia, hostibus recedentibus, libera, laeta quievit», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 41, R. I. SS. V, S. 82. 56 «Te quia, qui populi fueras audacia nostri, Amisso populus non audax esse valebit. Quodlibet ignavum poterit praecellere vulgus», Wilhelm von Apulien, Gesta V, 314, MG. SS. IX, S. 296. 57 «Aversam properat; Normannis omnia narrat Quae sibi contigerant, vehementer et increpat illos, Appula multimodae cum terra sit utilitatis, Foemineis Graecis cur permittatur haberi, Cum genus ignavum sit, quod comes ebrietatis Crapula dissolvat, minimo saepe hoste fugatos, Vestituque graves, non armis asserit aptos», ebenda I, 222, S. 246.

35

Land nicht verteidigen kann, hat auch kein Recht, es zu besitzen, so scheint hier der Chronist zu folgern, und mit ganz ähnlichen Argumenten erklärt er die Einfälle der Seldschuken im Osten und die Katastrophe von Mantzikert, die sich ja parallel zum normannischen Eindringen in Italien abspielten: «Die Herrschaft Kaiser Michaels VIL war für die Griechen ver­ derblich, weil man stets die notwendigen Kriegszüge hinausschob, sich dem Müßiggang hingab, und weil eine verhängnisvolle Trägheit die durch die Reize eines trügerischen Wohllebens verführten Griechen schwach machte.”58 Auch Gaufredus Malaterra sieht die Ereignisse in diesem Licht. Er berichtet, wie sehr die Byzantiner sich vor möglichen Nach­ kommen der am kaiserlichen Hof weilenden Tochter Robert Guiskards fürchteten, weil auf diesem Weg die Normannen leichter Eingang in den Palast finden würden und das griechische Volk, das seiner Sitte gemäß sich mehr dem Vergnügen und dem Nichtstun als Kriegsübungen hingebe, durch die Tüchtigkeit der Normannen unterworfen werden könnte59. Da­ mit sind die Byzantiner nun deutlich als träge, verweichlicht und feige gekennzeichnet. Die «ignavia et inertia» der Byzantiner hatten den nor­ mannischen Einfall überhaupt erst möglich gemacht, verliehen ihm aber gleichzeitig eine gewisse Rechtfertigung. Kurz und prägnant drückt auch Otto von Freising diese Ansicht aus, als er die Eroberung Süditaliens durch die Normannen schildert: «Als Robert Guiskard erkannte, daß Apu­ lien und Kalabrien, die damals den Langobarden gehörten, von einem trä­ gen Volk bewohnt waren und einer sorgsamen Verteidigung so gut wie völlig entbehrten, ließ er durch Boten in der Normandie von der Schön­ heit der Gegend und von der Trägheit des Volkes berichten und forderte seine Landsleute zur Eroberung dieser Provinzen auf. Um es kurz zu ma­ chen, durch Tapferkeit, List und Klugheit sah sich Robert schließlich als 58 «Interea Michael Romani iura regebat Imperii cum fratre suo, qui nomine dictus Constantinus erat; quorum dominatio Graecis Perniciosa fuit, quia bellis otia semper Postpositis studuere sequi, luxusque dolosi Illecebris captos foedarat inertia turpis. Horum temporibus Turchos orientis ab horis Ingressos fugit gens territa cristicolarum

Hos centra nullos equites ignavia misit Rectorum Wilhelm von Apulien, Gesta III, 1, MG. SS. IX, S. 265 ff. 59 «Timebant denique Graeci, ne si ex nostrae gentis uxore haeredes procreati in palatio subcrescerent, occasio liberius illue accedendi nostrae genti daretur; et gens, deliciis a voluptatibus, potiusquam belli studiis ex more dedita, nostrorum strenuitate subiugata conculcaretur», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 13, R. I. SS. V, S. 64.

36

Sieger über ein feiges Volk im Besitz von Kampanien, Apulien, Kalabrien und Sizilien.»60 Auch Otto sieht demnach den Hauptgrund für die nor­ mannische Eroberung im Fehlen einer wirksamen Verteidigung und in der Trägheit des Volkes, dem das Land gehörte, wenn auch sein Vorwurf in erster Linie gegen die Langobarden gerichtet sein mag. «Genus ignavum» heißt also wohl nicht nur, daß die Byzantiner in einer Schlacht den Rücken zeigten, es bedeutet nicht nur eine persönliche Beleidigung, sondern es ist in viel weiterem Sinne eine Umschreibung da­ für, daß das byzantinische Reich nicht mehr imstande war, seine Vertei­ digungsaufgabe zu erfüllen. Byzanz wehrte sich in Italien nur mit der lin­ ken Hand, wie Neumann formuliert61. Halten wir zum Vergleich daneben, wie Otto von Freising das deutsche Reich unter Friedrich I. schildert, der für ihn das Ideal eines derart starken römischen Herrschers verkörpert: «. .. daß unter seiner Herrschaft das Volk friedlich und ruhig dahinlebt, während der Barbar und der Grieche außerhalb der Grenzen zittern vor dem Gewicht der kaiserlichen Macht.»62 Uber eine derartige «auctoritas» verfügte Byzanz im damaligen Zeitpunkt in Italien keineswegs. In den normannischen Berichten ist das militärische Prestige von Byzanz auf einen gefährlichen Tiefpunkt gesunken, darum wagt man es, ihm seinen Herrschaftsanspruch streitig zu machen. Man sieht nur die augenblick­ liche Schwäche des Reiches. Jede Erinnerung an die vorangegangene, glanzvolle Eroberungsepoche unter der makedonischen Dynastie scheint geschwunden zu sein. Jener griechische Katepan, der nach dem Bericht Wilhelms von Apulien seinen Leuten Mut machen will, erinnert nicht an diese ja noch nicht weit zurückliegenden Taten, sondern spricht von den Taten Achills und Alexanders!63 Doch wie wir bereits wissen, stellte ja Amatus von Monte Cassino schon bei der Beurteilung des Trojanischen Krieges fest, daß die Griechen häufiger durch List als durch Tapferkeit gesiegt hätten64. Deshalb vermochte wohl auch dieser Hinweis auf die 60 «... quam dum a Longobardis possessam inertis plebis inhabitatione tamquam industriae defensionis vacuam inveniret, remissis in Galliam nunciis expositaque locorum ydoneitate ac gentis inertia ad expugnationem earum provinciarum consocios invitavit. Et ne multis detinear, virtute, dolo, arte ignavi populi victor existens Campaniae, Apuliae, Calabriae, Siciliae ad ul­ timum possessor inventus est», Otto von Freising, Gesta Friderici I. Imperatoris, I, 3, MG. SS. in usum scholarum, Hannover und Leipzig 1912, S. 14. 61 C. Neumann, Die Weltstellung des byzantinischen Reiches vor den Kreuz­ zügen S. 103. 62 «ut... et barbarus quique vel Grecus, extra terminos ipsius positus, auctoritatis eius pondere pressus contremiscat», Otto von Freising, Gesta Fride­ rici, Proemium MG. SS. in us. schol. S. 9. 63 Wilhelm von Apulien, Gesta I, 359, MG. SS. IX, S. 249. 64 Vgl. S. 31.

37

ruhmvollen Ahnen Achill und Alexander das Ansehen von Byzanz nicht wiederherzustellen. Weil die Griechen feige oder anders ausgedrückt mili­ tärisch schwach sind, müssen sie diesen Nachteil durch List, Verschla­ genheit und Treulosigkeit wettmachen, so behaupten wenigstens die nor­ mannischen Chronisten, und sie sehen darin einen neuen Klagepunkt.

Genus perfidissimum Schon die Nestor-Chronik sprach von der Verschlagenheit der Byzan­ tiner als von einer allgemein bekannten Tatsache. Wir haben auch ge­ sehen, wie Amatus von Monte Cassino ohne Bedenken eine Linie vom listenreichen Odysseus des Trojanischen Kriegs zu den hinterlistigen Byzantinern seiner eigenen Zeit zieht und somit den literarischen Topos in der ihn umgebenden Wirklichkeit bestätigt sieht. Auch Gaufredus Malaterra mißtraut den Griechen zutiefst, wenn er vom Verhalten der unter arabischer Herrschaft in Sizilien lebenden Griechen berichtet und scheinbar ganz selbstverständlich den schwerwiegenden Vorwurf ein­ schiebt: «semper genus perfidissimum»65. Sicher wird oft eine literarische Formel fast ohne Überlegung angewendet, doch wenn sie nicht völlig er­ starren soll, muß ihre Richtigkeit durch tatsächliche Erfahrungen immer wieder erwiesen werden. Was also bewog die Chronisten, den Byzantinern immer wieder Verschlagenheit und Treulosigkeit vorzuwerfen und ihre Anklagen sogar bis zu dem schwerwiegenden Ausdruck «perfidus» zu stei­ gern, was nicht nur ganz allgemein «wortbrüchig» und «treulos» bedeu­ tet, sondern auch noch speziell «Verräter gegenüber dem rechten Glau­ ben» heißen kann? Bevor wir konkret auf diese Fragen antworten, müs­ sen wir darauf hinweisen, daß die Normannen selber keineswegs etwa nur den offenen Kampf anerkennen. Auch sie verwenden Kriegslisten, um den Gegner zu übertölpeln; ja, sie sind stolz darauf und rühmen sich ihrer Schlauheit! Mit Befriedigung berichtet Wilhelm von Apulien, wie die «Klugheit der Gallier» die navien Bewohner Süditaliens täuschte66. Mala­ terra bringt es nicht über sich, die amüsante Schilderung zu verschwei­ gen, wie Robert Guiskard mit einem reichen Bürger von Bisignano zum Schein unterhandelte, ihn plötzlich am Kragen packte und zu seinen Leuten schleppte, um Lösegeld zu verlangen. Die Griechen hätten eben einsehen müssen, daß sie den Normannen weder in den Waffen, noch an

65 «Graeci vero, semper genus perfidissimum ...», Gaufr. Malaterra, De rebus II, 29, R. I. SS. V, S. 40; vgl. dazu auch I, 13, S. 14 und I, 28, S. 22. 66 «Decipit Ausonios prudentia Gallica», Wilhelm von Apulien, Gesta, I, 160, MG. SS. IX, S. 244.

38

Schlauheit, noch an körperlichen Kräften gleichkämen67. Ebenso lobend wird erwähnt, wie Guiskard einem rebellischen Normannen versprach, dessen Bruder aus der Gefangenschaft zu entlassen, sobald er, Robert, zum Schlosse Gargano komme. Nachdem der andere sich auf diese Zu­ sage hin unterworfen hatte, erklärte ihm Guiskard kaltblütig, er werde mindestens sieben Jahre lange nicht nach Schloß Gargano gehen!68 Am bekanntesten jedoch ist jenes «utile figmentum», das Guiskard erfunden haben soll, um sich Einlaß in eine wohlbewehrte Klostersiedlung zu ver­ schaffen. Einer seiner Leute mußte sich tot stellen, und unter seinem Kör­ per verbarg man auf der Bahre die Schwerter. Dem Trauerzug wurde na­ türlich sofort das Tor geöffnet, doch im Moment, da die Begräbnisfeier­ lichkeiten beginnen sollten, sprang der vermeintliche Tote plötzlich auf, die Normannen ergriffen ihre Schwerter und fielen über die «stolidi» her69. Diese Beispiele, von den Chronisten mit großem Stolz erzählt, be­ weisen, daß die Normannen keine besondere moralische Berechtigung be­ saßen, um den Byzantinern Verschlagenheit und Hinterlist vorzuwerfen. Auf sie selber bezogen wird aber nie ein negativ klingender Ausdruck ver­ wendet, sondern was Guiskard hilft, seine Gegner zu überlisten, ist «ingenium, calliditas, astutia» und «versutia mentis«. Diese lobenswerten Eigen­ schaften werden der Kampfestüchtigkeit durchaus gleichgestellt, denn was die Gewalt nicht fertig bringt, das soll und darf ohne Skrupel durch List erreicht werden70. So bilden sich eigentliche Wortpaare, die den vor­ bildlichen Normannen kennzeichnen sollen: «versutus et audax«71, «dux astutus et audax»72, «gens tantae astutiae tantaeque strenuitatis«73. Ro­ 67 Gaufr. Malaterra, De rebus I, 17, R. I. SS. V, S. 17. Anna Komnena erzählt mit tiefster Mißbilligung eine ähnliche Geschichte von Robert Guiskard. Alexiade I, xi, 1—8, hg. B. Leib Bd. I, S. 38 ff. 68 Gaufr. Malaterra, De rebus III, 6, R. I. SS. V, S. 60. 69 Wilhelm von Apulien, Gesta II, 338, MG. SS. IX, S. 260; die gleiche Ge­ schichte wird auch von Bohemund erzählt und ist ein Musterbeispiel für normannische Schlauheit geworden. Vgl. Otto von Freising, Gesta Friderici I, 34, MG. SS. in us. schol. S. 53. Dieselbe Anekdote findet sich bei Dudo von St. Quentin, De gestis Normanniae Ducum libri tres, Migne P. L. 149, col. 623 ff. 70 «... quia quod violentia saepe non explere potest, explet versutia mentis»», Wilhelm von Apulien, Gesta II, 303, MG. SS. IX, S. 260; «vel arte vel armis omnes exsuperat»», ebenda III, 568, S. 277; «Sic sibi Dirachium dux subdidit, atque quod armis vincere non potuit, victoria subjugat artis»», ebenda IV, 502, S. 289. Das letzte Beispiel bezieht sich darauf, daß Robert Guiskard dank dem Verrat eines Venezianers Durazzo eingenommen hat! 71 Wilhelm von Apulien, Gesta III, 570, MG. SS. IX, S. 277. 72 Ebenda III, 686, S. 279. 73 Gaufr. Malaterra, De rebus I, 6, R. I. SS. V, S. 10. 39

bert Guiskard, dessen Beiname ja mit «Schlaukopf» zu übersetzen ist, wird von Wilhelm von Apulien sogar über den listenreichen Odysseus und nebenbei auch über den klugen Cicero gestellt!74 Wir ersehen daraus, wie schwer es ist, zwischen der lobenswerten Verwendung der List und der verwerflichen Hinterlist eine klare Grenze zu ziehen, hat doch Amatus von Monte Cassino das Beispiel des Odysseus herangezogen, um die ver­ räterische Haltung der Byzantiner zu beweisen, während nun Wilhelm die eben kritisierte Eigenschaft seinem Helden zu dessen Ruhm zuschreibt. Wir halten fest, daß die normannischen Chronisten gegen eine «dop­ pelte Kriegführung» an und für sich nichts einzuwenden haben, sondern jedes Vorgehen «vel arte vel armis» billigen. Sie anerkennen sogar bei ihrem Gegner Alexios I. lobend, er habe tätig und umsichtig die vielen Feinde des Reiches »armis et arte» überwunden, um sich die Herrschaft zu sichern75. Im Moment jedoch, da sich Alexios gegen die eingedrunge­ nen Normannen wendet und gegen diese gefährlichen Feinde erst recht die List zu Hilfe nimmt, vermerkt der Chronist mißbilligend, daß Alexios den bisher unbesiegten Normannenherzog durch Überrumpelung habe überwinden wollen76. Sobald sich die List der Byzantiner gegen die Nor­ mannen richtet, wird sie nicht mehr als «astutia» anerkannt, sondern die Normannen verfallen aus einer Art Selbstverteidigung heraus ins Pole­ misieren. Das Schlagwort von der Hinterlist der Griechen ist sofort zur Hand, und die literarische Tradition genügt als Beweis völlig. Ganz be­ zeichnend ist in dieser Hinsicht, wie Amatus von Monte Cassino seine Theorie von der Treulosigkeit der Byzantiner genau in dem Moment ein­ schiebt, da Ursel von Bailleul, dem zwar selber auch jedes Mittel zum Kampf recht war, der überlegenen diplomatischen Gewandtheit der By­ zantiner erliegt77. Trotz allen gegenteiligen Beteuerungen fühlten sich die Normannen eben den Byzantinern irgendwie unterlegen. Im offenen Kampf waren sie sicher, dank ihrer Stoßkraft und Kampfestüchtigkeit selbst gegen eine wesentlich größere Zahl von Byzantinern den Sieg da­ von zu tragen. In jener andern Art der Kriegführung aber, die mit List, Überredung, Bestechung und politischen Bündnissen arbeitet, glaubten sie sich der diplomatischen Geschicklichkeit und der gewaltigen Erfah­ rung nicht gewachsen, die Byzanz in seiner langen Geschichte erworben hatte. Doch die Normannen wollten nicht als die «Barbaren», als die 74 «Cognomen Guiscardus erat, quia calliditatis Non Cicero tantae fuit aut versutus Ulixes», Wilhelm von Apulien, Gesta II, 129, MG. SS. IX, S. 256. 75 Ebenda IV, 120, S. 282. 76 Ebenda IV, 320, S. 285. 77 Vgl. S. 30.

40

«stolidi» dastehen. Darum sind die Chronisten so rasch bereit, das byzan­ tinische Vorgehen als Hinterlist und Verrat zu verschreien, und zugleich so bestrebt zu betonen, die normannische Schlauheit sei der byzantini­ schen ebenbürtig. Das literarisch fundierte Schlagwort von der Treulosigkeit der Griechen wird im propagandistischen Kampf gegen Byzanz stets wieder aufgenom­ men werden, vor allem auch von den Kreuzfahrern. Es dient immer wie­ der dazu, der feindseligen Haltung des Westens gegen Byzanz ihre Be­ rechtigung zu verleihen. Deshalb ist es wichtig abzuklären, was jeweils mit diesem Ausdruck gemeint ist. Wir haben aus dem bisher Gesagten die Erfahrung gewonnen, daß es dabei immer ein stark polemisches Ele­ ment in Rechnung zu stellen gilt, das häufig einem Gefühl der Unter­ legenheit entspringt. Das soll nun aber keineswegs heißen, daß die Chro­ nisten nicht auch reale Gründe anzuführen wüßten, um ihren Vorwurf zu belegen. Die Normannen, die ersten Kreuzfahrer, Bohemund, die Be­ fürworter der antibyzantinischen Koalition nach dem 2. Kreuzzug, sie alle haben ihre Musterbeispiele, um die Treulosigkeit der Byzantiner ihrer Meinung nach eindeutig zu beweisen. Die folgenden Abschnitte sollen deshalb noch zeigen, welche Ereignisse im besonderen die Normannen zur Zeit Guiskards veranlaßten, den Byzantinern zu mißtrauen. Et ovri son thesaure . . . Fast immer wenn ein normannischer Chronist vom byzantinischen Kaiser und seiner Macht spricht, erwähnt er in irgendeiner Form auch dessen Reichtum. Als Robert Guiskard seinen Plan, Byzanz zu erobern, bekannt gab, da ergriff die übrigen Normannen Angst vor diesem Unter­ nehmen, und der Chronist selber bemerkt dazu, wenn es noch eines Be­ weises bedürfe, um zu zeigen, welche Kühnheit Robert Guiskard besessen habe, so sei er darin zu finden, daß Guiskard es gewagt habe, mit seiner kleinen Schar ein so bevölkertes Gebiet und einen so reichen Kaiser an­ zugreifen78. Amatus verspottet den langobardischen Prinzen Gisulf, weil er mit Gold und Edelsteinen verzierte Kleider anzog, um nach Konstan­ tinopel zu gehen, und so gleichsam Wasser ins Meer trug!79 Die Ein­ wohner des von den Normannen eingeschlossenen Bari hingegen, die all­ zusehr auf ihre Mauern und auf Hilfe aus Byzanz vertrauten, leisteten

78 «... quod cum tarn populosum imperium, tamque copiosum imperatorem ... bello lacessere tentatum ire praesumebat...>>, Gaufr. Malaterra, De rebus III, 24, R. I. SS. V, S. 71. 79 «... porta lo vestement aorné de or et de pierrez preciouses, cornent se ceste cose non se trovassent en Costentinoble en la cort de lo impeor«, Aimé, Ystoire IV, 37, hg. O. Delarc S. 179. 41

sich den Spaß, all ihre Schätze und Kostbarkeiten den Normannen von der Stadtmauer aus vorzuführen, was aber natürlich nur dazu beitrug, die Belagerer noch stärker zur Eroberung der Stadt aufzureizen80. Es war jedoch nicht einfach der Besitz, der den Normannen Eindruck machte, sondern sie waren sich bewußt, daß Reichtum Macht bedeutete, daß er die Möglichkeit schuf, lange Kriege zu führen. Amatus erzählt von Kaiser Michael IV. : «Et autresi li empeor de Costentinoble combati lonctemps contre li Sarrasin de Sycille et despendi son trésor, liquel estoit acquesté de lonc-temps.»81 Die Chronisten erkannten auch deutlich, welch wichtige Rolle Geld und Geschenke aller Art in der byzantinischen Kriegführung spielten, denn sie bekamen ja die Auswirkungen sehr rasch selber zu spüren. Byzanz hatte von Anfang an versucht, die kriegstüch­ tigen Normannen durch Versprechungen und Geld auf seine Seite zu brin­ gen. So versprach Maniakes den Normannen, sie «durch große Belohnun­ gen zu entschädigen», um sie auf seinen Zug nach Sizilien mitzubekom­ men, und als er «dank ihrer Unterstützung» Messina erobert hatte, be­ gann er «sie zu schätzen und sie durch Versprechungen und Geschenke noch mehr anzuspornen»82. Doch, wie wir wissen, wurden die Norman­ nen in ihren Erwartungen schwer enttäuscht und ließen empört die sizilianische Expedition im Stich. Fortan waren sie byzantinischen Ange­ boten nicht mehr so leicht zugänglich. Wilhelm von Apulien brandmarkt zwar scharf und ungeschminkt die unersättliche Habgier der Normannen: «Gens semper Normannica prona est ad avaritiam; plus qui praebet, amatur.»83 Doch kann er befriedigt berichten, daß sie die verlockenden Vor­ schläge des Argyros ablehnten, der im Auftrag des Kaisers mit Hilfe von Gold und Silber sie dazu überreden sollte, Italien zu verlassen und in byzantinischen Diensten gegen die Türken in Kleinasien zu kämpfen. Obwohl ihnen Argyros zusicherte, der Kaiser würde sie aufs Freundlichste aufnehmen und sie reich beschenken, blieben sie fest. «Der hinterlistige Vorschlag der Griechen vermochte nicht, die Schlauheit des Volkes, das Latium überwinden wollte, zu täuschen, sondern die Normannen ant­ worteten, sie würden Apulien nicht verlassen..., wenn nicht ein Heer, das stärker sei als sie selber, sie bekämpfe und besiege.»84 Der griechi-

80 Gaufr. Malaterra, De rebus II, 40, R. I. SS. V, S. 49. 81 Aimé, Ystoire VI, 22, hg. O. Delarc S. 259. 82 «... promittens etiam multis praemiis eos remunerandos .. «... Maniacus, nostrorum causa urbem nactus, in pretio eos habere coepit, donisque et promissionibus arrigere ad militiam», Gaufr. Malaterra, De rebus I, 7, R. I. SS. V, S. 10 ff. 83 Wilhelm von Apulien, Gesta II, 44, MG. SS. IX, S. 254. 84 «Paruit Argirous; loca transit ad Appula iussus,· Francorum comités vocat, et se magna daturum

42

sehen «calliditas» setzen die Normannen wiederum ihre eigene als eben­ bürtig entgegen und berufen sich gegenüber dem Bestechungsversuch auf ihr Eroberungsrecht und ihre militärische Stärke. Argyros mußte ein­ sehen, daß er nichts ausrichten konnte, und zwar «vel fraude vel armis» 85. Mit «fraus» muß wohl der Versuch gemeint sein, die Normannen mit Gold aus dem Lande zu locken. Wenn es auch nicht gelungen war, die Normannen mit Hilfe von Geld zum Verlassen von Italien und zur Hilfeleistung gegen die Türken zu bewegen, so boten sich dem byzantinischen Kaiser noch andere Möglich­ keiten. Es galt nun einfach, das Gold gegen die Normannen zu verwen­ den. So heißt es bei Amatus: «Et ovri son thesaure et trova chevaliers pour monoie, et combatirent contre li fort Normant.»86 Die Tatsache, daß Byzanz auf Söldner angewiesen war, gibt den Chronisten neuen Anlaß, um ihrer Verachtung Ausdruck zu geben. Nach den ersten großen Schlachterfolgen der Normannen schildert uns Amatus den byzantini­ schen Kaiser in geradezu kläglicher Haltung: «Seignors, or m'entendez,· je me suis mis en euer et en volonte de laissier toute avarice, et voill mostrer a li chevalier mien toute largesce, et voil que la porte de mon trésor soit aperte et soit despendu a ceaux qui se voudront combatre contre la hardiesce et force de ceste gent de Normendie.» 87 Byzanz kämpft ebensosehr mit seinem «trésor» wie mit den Waffen! Der Chronist will uns deutlich zu verstehen geben, daß die Griechen nur dank ihres Goldes sich noch gegen die Normannen wehren konnten,· das erweckt sein Miß­ trauen und seinen Abscheu. Das Gold, der «trésor», trug aber andererseits unbestritten sehr wesent­ lich zum Ansehen von Byzanz bei, und wenn auch die Normannen glaub­ ten, die militärische Stärke der Griechen nicht mehr hoch einschätzen zu müssen, so mußten sie doch erfahren, welch gewaltiges Prestige Byzanz

Muñera promitti, si transgrediantur ad Argos Dimisso Latió, grave qui certamen habebant Cum Persis, et eos iurans promittit, ab illo Qui regit imperium gratanter suscipiendos, Et magnis opibus ditandos affore spondit. Callida Graecorum promissio calliditatem Non latuit gentis Latium superare volentis, Et dimissuros loca se non Appula dicunt, Dum conquerantur, nisi forte potentior illis Turba superveniens depellat et opprimât illos», ebenda II, 54, S. 254. 85 «... nec enim vel fraude, vel armis Posse sibi peragi videt imperialia iussa Ut Francos Latió moneat vel cogat abire», ebenda II, 269, S. 259. 86 Aimé, Ystoire I, 22, hg. O. Delarc S. 28. 87 Ebenda II, 22, S. 74.

;

43

dank seines Reichtums immer noch auszuüben vermochte. Nur um so größer war jedoch deshalb für sie der Anreiz, sich selber in den Besitz dieser Schätze zu setzen. Diesen Gedanken drückt Amatus in der sehr selbstbewußten Antwort aus, die er Richard von Aversa den belagerten Capuanem geben läßt, nachdem diese Richard Geld für seinen Abzug angeboten hatten: «Mes coment li Romain soloient dire, il respondi et dist qu'il voloit la seignorie de eil qui avoient l'argent.»88 Die schlauen Nor­ mannen wollten sich nicht einfach mit Geld und einem Soldverhältnis abspeisen lassen, wie Byzanz gehofft hatte, sondern sie wollten bis zur Quelle vordringen, das heißt die Stadt erobern, die diesen gewaltigen Reichtum in sich barg; dies um so mehr, als sie die Wirkung des byzan­ tinischen Goldes ringsum zu spüren bekamen, nicht nur weil damit Söld­ ner gegen sie geworben wurden, sondern auch weil es dazu diente, die weitreichenden diplomatischen Verbindungen der Byzantiner aufrecht­ zuerhalten und alle in Frage kommenden Gegner der Normannen in den Dienst der byzantinischen Politik einzuspannen.

Byzanz als Zuflucht aller Gegner Guiskards Die alarmierende Situation im Osten und der schlechte Zustand der Armee zwangen Byzanz geradezu, im Westen vor allem indirekt Krieg zu führen, das heißt, sich auf die Unterstützung aller bereits vorhandenen Feinde Guiskards zu beschränken. Die Regierung in Konstantinopel setzte darum alles daran, mit den unzufriedenen normannischen Baronen in Kontakt zu kommen und sie immer wieder zur Rebellion gegen das auto­ ritäre Regiment Robert Guiskards aufzustacheln. Diese Ereignisse sind von allen Chronisten nur sehr kurz erwähnt worden, doch kommt die byzantinische Einmischung jeweils darin deutlich zum Ausdruck, daß in den Quellen stets der lakonische Schlußsatz folgt, die besiegten Rebellen seien nach Konstantinopel geflohen und hätten dort freundliche Auf­ nahme gefunden89. So kommentiert Amatus den großen Aufstand gegen Guiskard 1064—68: «Et adonc fugirent li chetif devant la face de lo duc, et que non pooient recovrer la grace soe foyrent en Costentinoble a lo empereor.”90 Byzanz wurde zum eigentlichen Sammelpunkt aller Feinde Guiskards, die er aus Italien vertrieben hatte. Diese Emigranten waren aber keineswegs gewillt, ihr Exil als endgültig hinzunehmen, sondern hoff­ ten alle, mit byzantinischer Hilfe wieder nach Italien zurückzukehren. So floh schon 1064 einer der rebellierenden Barone, Gocelinus, nach

88 Ebenda IV, 11, S. 163. 89 Vgl. F. Chalandon, Hist, de la dom. norm. Bd. I, S. 179 ff. 90 Aime, Ystoire V, 4, hg. O. Delarc S. 199.

44

Byzanz, um von dort aus gegen Guiskard zu intrigieren. Er ließ sich ge­ winnen, als Anführer einer byzantinischen Flotte dem belagerten Bari, dem letzten byzantinischen Stützpunkt in Italien, Hilfe zu bringen, wurde jedoch von Roberts Bruder, Roger, zur See besiegt und gefangenommen91. Auch Robert Guiskards Neffe und hartnäckigster Gegner, Abälard, suchte nach einer langen Kette von Aufständen 1078 Zuflucht in Byzanz. Ihm gelang es wirklich, als Robert Guiskard schon gegen Byzanz zog, für kurze Zeit noch einmal nach Italien zurückzufahren und im Rücken Guiskards einen neuen Aufstand anzuzetteln, doch starb er schließlich dennoch im Exil in Konstantinopel92. Diese ständigen, von Byzanz geschürten Rebel­ lionen gefährdeten Guiskards Herrschaft ernstlich und behinderten schließlich auch den entscheidenden Eroberungszug gegen Konstantinopel. So ergießt denn auch Guiskard seinen Zorn über den langobardischen Prinzen Gisolf, der, obwohl mit Guiskard verschwägert, nichtdestoweniger nach Byzanz gereist war, um Beistand gegen die Normannen zu erbitten: «Du gingst, um mich zu vernichten zum Kaiser nach Konstantinopel und suchtest Hilfe beim Papst», wirft er ihm vor93. Daß Byzanz alle diese Ver­ räter beherbergte und unterstützte, mußte ihm von den Normannen als weitere Hinterlist ausgelegt werden. Es war klar, daß diese andauernden Revolten dank byzantinischer Hilfe nicht aufhören würden, solange Byzanz noch irgendeinen Stützpunkt in Italien besaß und solange die Rebellen nur an die illyrische Küste hinüber­ zufahren brauchten, um dort in völliger Sicherheit den günstigen Mo­ ment abzuwarten, der eine neue Verschwörung in Apulien oder Kalabrien erlauben würde. Robert Guiskards Ziel mußte es deshalb sein, die Byzan­ 91 Wilhelm von Apulien, Gesta II, 458, MG. SS. IX, S. 263,· II, 540, S. 265; III, 117, S. 268; Gaufr. Malaterra, De rebus II, 43, R. I. SS. V, S. 51. 92 Abälard war der Sohn Humfreds, des älteren Bruders Guiskards; er fühlte sich durch Guiskard um seine Herrschaftsrechte betrogen. Wilhelm von Apulien faßt sein Schicksal folgendermaßen zusammen: «Sic quia pace ducis non fungitur Abagelardus Et patrii iuris loca deserit, et Danaorum Exul adit terras, cum rector Aleius esset Imperii, clemens hunc suscipit ille benigne, Tractat honorifice, dat multa. Sed invida, nulli Parcere quae curat, iuveniles mors subit artus; Quique regressurum se credidit esse potentem Diversi generis cum fascibus atque triumphis Exul apud Danaos et mortuus est et humatus», Wilhelm von Apulien, Gesta III, 659, MG. SS. IX, S. 279; vgl. auch Gaufr. Malaterra, De rebus III, 6, R. I. SS. V, S. 60. 93 «... et tu pour moi destruire alas a lo impeor de Costentinoble», Aimé, Ystoire VIII, 26, hg. O. Delarc S. 350. 1

45

tiner völlig aus dem Land zu werfen und auch dem Treiben an der illyri­ schen Küste ein Ende zu setzen, um seine Herrschaft zu festigen94. So wurde er nur schon durch diese Verhältnisse notwendigerweise dazu ge­ führt, den Sprung übers Meer zu wagen, ganz abgesehen von allen an­ deren Motiven, die ihn dazu bewogen. Bereits 1066 scheint denn auch das Gerücht einer bevorstehenden Expedition Guiskards in Durazzo gro­ ßen Schrecken verbreitet zu haben. Eine byzantinische Flotte verhinderte aber jeden Versuch der Normannen, die Adria zu überqueren95.Nach dem Fall von Bari mußten sich die Befürchtungen noch verstärken. Wir hören denn auch, wie die Leute von Durazzo dem Normannenherzog ein Maul­ tier und ein Pferd nach Otranto schickten, scheinbar als Ehrengeschenk, in Wahrheit aber, um auszukundschaften, ob er nicht einen Angriff auf die illyrische Küste plane96. Byzanz, das ja Italien immer noch als seinen Besitz betrachtete, fühlte sich zu dieser ständigen Einmischung natürlich berechtigt. Robert Guiskard aber mußte darin nur eine weitere Begründung für seinen Kampf ge­ gen Byzanz erblicken, dies um so mehr als sich Byzanz nicht auf die Verbindungen zu den normannischen Baronen beschränkte, sondern auch viel weitergehende Bündnisse gegen Guiskard zustande zu bringen suchte.

Die Bündnispolitik der Byzantiner Die normannische Stellung in Süditalien blieb lange Zeit hindurch äußerst prekär. Die Eroberung war ja mit erstaunlich geringen Kräften durchgeführt worden, und der Nachschub aus der Normandie erfolgte zu Beginn nur stockend. Um so empfindlicher mußten die Normannen auf alle gegen sie gerichteten Koalitionsversuche reagieren. Byzanz zeichnete sich aber gerade durch das Bemühen aus, die ganze Welt gegen die Nor­ mannen in Bewegung zu setzen. Den Normannen fiel es schwer, dieser mit Gold nachhelfenden Diplomatie etwas entgegenzustellen; erst nach­ dem die Kreuzzüge ein stärkeres Interesse für den Osten geweckt hatten, konnte es gelingen, eine Front gegen Byzanz zusammenzubringen. Vor­ derhand standen die Normannen allein und mißtrauisch den drohenden 94 F. Chalandon, Hist, de la domination norm., Bd. I, S. 258. 95 «Lofredus cornes, filins Petronii, voluit ire in Romaniam cum multa gente, sed obstitit illi quidam ductor Graecorum nomine Mambrita»», Lupus Protospatarius, Annales ad an. 1066, MG. SS. V, S. 59; vgl. F. Chalandon, Hist, de la dom. norm. Bd. I, S. 183. 96 «Unde et Duracenses maxime sunt territi, ne, mare cum exercitu transmeans, eos impugnatum veniret, mulam et equum ei, quasi ad honorem, mandantes, ea occasione rem speculatum mittunt», Gaufr. Malaterra, De rebus II, 43, R. I. SS. V, S. 51.

46

Bündnissen gegenüber, die Byzanz mit allen in Frage kommenden Mäch­ ten schloß. Zu Beginn, als sich die normannisch-byzantinischen Konflikte noch auf den süditalienischen Bereich beschränkten, kommentiert Gaufredus Malaterra das Verhalten der griechischen Bevölkerung folgendermaßen: «Die an verräterischer Gesinnung unerschöpflichen Apulier luden den Papst Leo IX. ein, mit einem Heer in Apulien einzufallen.»97 Es ist offen­ sichtlich die Verbindung mit einer fremden Macht, hier mit dem Papst, die als «traditio», als Verrat aufgefaßt wird. Dieser Begriff wird denn auch in der polemischen Diskussion gegen Byzanz immer wieder auftauchen und das Mißtrauen gegen die Griechen wach halten. Auch Wilhelm von Apulien betrachtet den Angriff Leos IX. gegen die Normannen ausschließ­ lich als ein Resultat der byzantinischen Diplomatie, vertreten durch Argyros9899 . Als sich mit dem Bau der normannischen Flotte um 1071 die Konflikte auch aufs Meer auszudehnen begannen, war es die Verbindung von By­ zanz mit Venedig, die sich für die Normannen bedrohlich auswirkte, be­ sonders bei Korfu und vor Durazzo, wo die Venezianer mit Hilfe des grie­ chischen Feuers «dolose» den normannischen Schiffen schweren Schaden zufügten Schließlich wurde ja auch der Romzug Heinrichs IV. 1081 nicht zuletzt durch byzantinische Unterstützung ermöglicht und bewirkte indirekt das Scheitern der normannischen Offensive gegen Byzanz, weil Guiskard durch die Notlage des Papstes zur Rückkehr gezwungen wurde. Auch später wird es stets vor allem die byzantinische Bündnispolitik sein, die allgemein Anstoß erregt und Mißtrauen weckt, vor allem je­ doch im Hinblick auf eine spezielle Verbindung: die Verständigung mit den Türken, die Beziehung zu andersgläubigen Feinden! Doch auch die­ sen Fall treffen wir in Ansätzen bereits in den frühen normannischen Be­ richten, wenn wir uns an das Zitat aus Amatus von Monte Cassino erin­ 97 «Apulienses vero, necdum traditionibus exhausti, per occultos legatos no­ mini Leonern apostolicum, ut in Apuliam cum exercitu veniat, invitant...», Gaufr. Malaterra, De rebus I, 14, R. I. SS. V, S. 15. 98 «Veris commiscens fallacia nuntia mittit Argirous papae, precibusque frequentibus ilium Obsecrat, Italiana quod liberiate carentem Liberei ac populum discedere cogat iniquum», Wilhelm von Apulien, Gesta II, 70, MG. SS. IX, S. 255. 99 «Sed illi artificiose ignem, quem graecum appellant, qui nec aqua extinguitur, occultis fistularum meatibus sub undis perflantes, quandam navem de nostris, quam cattum nominant, dolose inter ipsas liquidi aequoris undas comburunt», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 26, R. I. SS, V, S. 73 ff.

47

nern, von dem wir ausgegangen sind und das den Kommentar zur Gefan­ gennahme Ursels von Bailleul darstellt: «Et que li Grex molt de foiz par maliciouz argument et o subtil tradement avoient usance de veinchere lor anemis, escristrent a li Turchi. . .» Amatus nennt es Verrat, daß die By­ zantiner die Türken gegen Ursel zu Hilfe riefen. Zwar hat hier der Vor­ wurf wohl noch nicht jenes Gewicht, das ihm später die jede Toleranz gegenüber Ungläubigen verdammende Kreuzzugsidee verleihen wird, doch ist es interessant, die gleiche Beschuldigung hier schon anzutreffen, die später eines der Hauptargumente der antibyzantinischen Propaganda bil­ den wird. Aus dieser Sicht erscheint es nun auch als besonders bezeich­ nend, daß Gaufredus Malaterra das Stichwort «genus perfidissimum» in einem ganz ähnlichen Zusammenhang geprägt hat, nämlich als er be­ schreibt, wie die christlichen Griechen in einer Stadt auf Sizilien in hin­ terhältiger Weise die vorübergehende Abwesenheit des Grafen Roger aus­ zunützen versuchen, um die zurückgebliebenen Normannen aus der Stadt hinauszuwerfen, und dabei Unterstützung von Seiten der Sarazenen er­ halten! 100 In diesen beiden Beispielen wird zum erstenmal andeutungsweise klar, daß im Wort «perfidus» letzten Endes wohl mehr steckt als der bloße Vor­ wurf der List und Verschlagenheit, mehr auch als wir im heutigen Sprach­ gebrauch unter dem Wort «perfid» verstehen. Erst im hier geschilderten Zusammenhang erhält «perfidus» etwas von seinem vollen Gehalt, bedeu­ tet es doch im Mittelalter nicht nur «treulos» im allgemeinen Sinne, son­ dern eben auch «treulos, verräterisch gegenüber dem rechten Glauben». Diese Verbindung mit der Glaubensfrage wird bei den Kreuzzugschronisten dann noch sehr viel deutlicher hervor treten. Der unrechtmäßige Kaiser Trotz allem verfügte aber das byzantinische Reich immer noch über ein großes Ansehen, so daß seine legitime Herrschaft schwer anzufechten war, sobald in Konstantinopel ein starker Herrscher seine Rechte zu wah­

100 Vgl. oben S. 30 und S. 38. Bei den beiden hier noch einmal in neuem Zusammenhang zitierten Stellen handelt es sich um Aime, Ystoire I, 15, hg. O. Delarc S. 17, und Gaufr. Malaterra, De rebus II, 29, R. I. SS. V, S. 39, wo es zunächst heißt: «Graeci vero, semper genus perfidissimum ...» und etwas später: «Sarraceni denique de vicinis castris quinque millia a nobis promptiores, audientes Graecos a nostris dissentire, non minimum gavisi, auxilium laturi, se iam ad illos contulerant: quorum praesidio Graeci se perplurimum tuebantur...». Auch Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 416, MG. SS. IX, S. 287 erwähnt, daß unter Alexius 1081 eine große Schar von Türken gegen die Normannen kämpfte. 48

ren verstand. Ein solcher Kaiser war Alexios I. Komnenos. Ihm gegenüber brauchten die Normannen einen offiziellen Vorwand, um seine Legitimi­ tät zu bestreiten und ihren Angriff zu rechtfertigen. Sich ohne weiteres an die Stelle eines rechtmäßigen Kaisers zu setzen, wagten auch die Norman­ nen keineswegs, wie bereits das Beispiel Ursels von Bailleul gezeigt hat. Jedoch Alexius und schon sein Vorgänger Nikephoros Botaneiates waren mit Gewalt auf den Thron gelangt; Alexius hatte seine Hauptstadt zuerst erobern müssen und überließ sie drei Tage lang seinen Soldaten zur Plün­ derung, wobei heiligste Orte mit ruchloser Hand geschändet wurden, wie die Chronisten mißbilligend vermerken101. Der legitime Kaiser Michael Dukas war gezwungen worden, sich ins Studitenkloster zurückzuziehen. Robert Guiskard hatte aber einen besonderen Grund, sich für den vertrie­ benen Herrscher einzusetzen, denn seine Tochter war als Gattin von Michaels Sohn ausersehen und nach Konstantinopel geschickt worden. Wenn auch die Heirat noch nicht vollzogen worden war, so fühlte sich Guiskard doch veranlaßt, in die byzantinischen Thronfragen einzugreifen. Wilhelm von Apulien erwähnt ausdrücklich als Motiv, Robert habe das seiner Tochter zugefügte Unrecht rächen wollen102. Als dann gar noch ein Grieche an seinem Hof erschien, der sich für den gestürzten Kaiser Michael ausgab und die Hilfe Guiskards zur Rückgewinnung des verlore­ nen Thrones erbat, waren alle Voraussetzungen gegeben. Robert Guiskard ergriff ohne Zögern die Gelegenheit, als Vorkämpfer für den «rechtmäßi­ gen Kaiser» gegen den «Usurpator» aufzutreten. Aus den Quellen wird zwar deutlich, daß Robert Guiskard sich darüber im klaren sein mußte, einen falschen Michael vor sich zu haben. Einige Normannen, die früher einmal am Hof in Byzanz gewesen waren, mach­ ten ihn darauf aufmerksam, daß dieser Michael dem wirklichen Kaiser keineswegs ähnlich sehe103. Bei der griechischen Bevölkerung Illyriens verfing die Täuschung schon gar nicht. Die Bürger von Durazzo verlang­

101 «Depraedanda tribus datur urbs invasa diebus, Dux quibus extiterat; manibus quoque sancta nephandis Atroces per se loca non violare verentur», Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 150, MG. SS. IX, S. 282; Anonymi Barensis Chronicon ad an. 1081, R. I. SS. V, S. 153. 102 «Dedecus illatum genero prolique repulsae Sedibus augustis non sollicitudine parva Cor ducis accendit. Gravis haec iniuria multis Esse videbatur ducis, hanc desiderat ultum Ire...», Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 73, MG. SS. IX, S. 281; vgl. Anna Komnena, Alexiade I, x, 1—2, hg. B. Leib Bd. I, S. 36 ff. 103 Gaufr. Malaterra, De rebus III, 13, R. I. SS. V, S. 65; vgl. auch Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 162, MG. SS. IX, S. 282. 49

ten den angeblichen Basileus zu sehen, brachen aber einstimmig in lautes Gelächter aus, als ihnen der Pseudo-Michael in kaiserlichem Pomp vor­ geführt wurde104. Guiskard jedoch hielt unbedingt an seinem Strohmann fest, wie Wilhelm von Apulien unmißverständlich sagt: «ut iustior esset causa viae», damit die Begründung seines Vorstoßes rechtmäßiger sei!105 Mit Hilfe dieses Pseudo-Michael konnte Guiskard Alexius das Odium der Illegitimität anhängen und ihn als den Usurpator hinstellen, der «frau de »auf den Thron gelangt sei. Auch der General Maniakes wurde erst in dem Moment als «perfidus» bezeichnet, da er offen nach dei Kaiserkrone strebte!106 Die gewaltsame Erhebung eines Kaisers und die Unrechtmäßigkeit seiner Herrschaft liefern also ein weiteres Argument für jene antibyzantinische Propaganda, die wir unter dem Stichwort «genus perfidissimum» zusammengefaßt haben. Wie ernst auch dieses Argu­ ment zu nehmen ist, wird klar, wenn wir bedenken, daß die Teilnehmer des vierten Kreuzzuges ebenfalls ihr Gewissen damit beruhigten, es sei ihre Pflicht, dem rechtmäßigen Kaiser wieder auf den Thron zu verhelfen.

Fortuna — Providentia Motive für den Kampf gegen Byzanz waren von Anfang an genügend vorhanden. Doch auf welcher Seite würde der Erfolg sein? Fast scheint es bisweilen, als seien die Normannen trotz aller Selbstsicherheit einiger­ maßen verblüfft gewesen, daß alle ihre Unternehmungen so leicht gelan­ gen. Auch sie, die doch ein so sicheres Gefühl besaßen für die militä­ rische Schwäche von Byzanz, für seine momentane Unfähigkeit, sich im Westen energisch zu verteidigen, auch sie standen unter dem Eindruck des jahrhundertealten byzantinischen Prestiges. Sie wunderten sich, daß der Basileus ihnen von sich aus einen so ehrenvollen Heiratsvorschlag machte und hartnäckig auf dessen Durchführung bestand; sie waren er­ staunt, daß er, dem es doch zukam, von aller Welt Tribut zu empfangen, bereit war, ihnen Tribut zu zahlen: «Et ensi li empeor, liquel devoit recevoir tribut de tout lo monde, rendi tribut a cestui duc.«107 Neben aller Befriedigung klingt hier ein Ton echter Verwunderung mit. Bezeichnend ist auch, mit welch düsteren Farben Gaufredus Malaterra den Aufbruch Guiskards gegen die illyrische Küste beschreibt: «Einige der zurückblei­ benden Freunde, denen er Apulien und Kalabrien zur Verwaltung über­

104 Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 268, MG. SS. IX, S. 284. 105 Ebenda IV, 169, S. 283. 106 «Assumens habitum sibi perfidus imperialem Imperii sancti non nomen adiré veretur», ebenda I, 481, S. 251. 107 Aimé, Ystoire VII, 26, hg. O. Delarc S. 297 ff. 50

tragen hatte, trauerten und waren zu Tränen gerührt, aus Angst, ihn und diejenigen, die mit ihm zogen, zu verlieren, während einige von denen, die mit ihm aufbrachen, aus Furcht vor dem Unternehmen, das jener im Sinne hatte, vor dem Einsteigen zitterten, wie wenn sie von einer Art Fieber befallen worden wären. Von welcher Kühnheit dieser Herzog war, geht aus all seinen Feldzügen deutlich genug hervor. Doch auch wenn all dies nicht bekannt wäre, so könnte es doch aus diesem einen Umstand unzweifelhaft erkannt werden, nämlich daß er es wagte, ein so bevöl­ kertes Gebiet und einen so reichen Herrscher, so viele Tausende von Fein­ den mit seiner kleinen Schar anzugreifen,in der Hoffnung, das Reich zu unterwerfen.« 108 Es erregte Erstaunen, daß Guiskard auch gegen den als ausgezeichneten Feldherrn anerkannten Alexius siegte. Wilhelm von Apulien erzählt, Alexius habe geweint, weil der Feind ihn besiegt habe, obwohl dieser doch weder an Truppen noch an Besitz ihm ebenbürtig gewesen sei109. Nach menschlicher Voraussicht hätten die Normannen nicht siegen sollen. Deshalb ist es verständlich, daß sie nach einer höheren Begrün­ dung und Berechtigung ihrer Herrschaft und ihrer Erfolge suchten. Der literarisch gebildete Wilhelm von Apulien glaubt, die Normannen hätten ihr Glück der alten Schicksalsgöttin Fortuna zu verdanken. Sie ist es, die zu einem bestimmten Zeitpunkt ihr Rad rollen und damit die Söhne Tankreds unaufhaltsam höher steigen läßt110. Die «actio fortunae« ist Robert Guiskard vor Palermo günstig und verhilft ihm zur Eroberung der Stadt111. Die «fortuna« hilft ihm gegen die normannischen Rebellen, 108 «Nam quantae audaciae cuiusve militaris strenuitatis dux iste fuerit, cum per multa eins exercitia satis abundeque clareat, etiam si reliqua omnia sileant, ex hoc potissimum indubitanter annotari potest: quod cum tarn populosum Imperium, tamque copiosum imperatorem, totve millia hostium pauca manu, spe subjugandi, bello lacessere tentatum ire praesumebat...», Gaufr. Malatena, De rebus III, 24, R. I. SS. V, S. 71; vgl. auch Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 128, MG. SS. IX, S. 282: «Insolitum multis iter ilhid et acre videtur ... non exercere volebant militiam talem.» 109 «... Lacrimatur Alexius, hostem Praevaluisse sibi, cui nec par copia gentis Nec par census erat...», Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 420, MG. SS. IX, S. 287. (Anna Komnena denkt allerdings anders darüber!) 110 «... curru fortuna rotato Tancredi natos sublimes reddere coepit», Wilhelm von Apulien, Gesta II, 36, MG. SS. IX, S. 254; zum Fortuna-Motiv vgl. H. F. Haefele, Fortuna Heinrici IV imperatoris, Diss. Zürich-Graz 1954. 111 «Prospera Roberto fuit et miserabilis urbi Actio fortunae...«, Wilhelm von Apulien, Gesta III, 316, MG. SS. IX, S.271. 51

zwingt diese immer wieder zur Unterwerfung und führt ihn von Erfolg zu Erfolg112. Nur als vor Durazzo die Entscheidung gegen Alexius fallen soll, drückt sich Wilhelm etwas christlicher aus, indem er Guiskard sagen läßt, allein, wem es vom Himmel beschieden sei, dem könne der Sieg zufallen113. Diese letztere Betrachtungsweise findet sich stark ausgeprägt in der Chronik des frommen Mönches von Monte Cassino, Amatus, der sich gar nicht genug tun kann zu beweisen, daß es die göttliche Vorsehung sei^ die die Normannen auf ihrem Wege führe und begleite. Er scheut sich nicht, die gewagtesten Vergleiche zu ziehen und die göttliche Verheißung an Kyrus auf die Normannenherzoge anzuwenden: «Je voi en dui, c'est en Ricchart (de Capoue) et en Robert (Guiscard), princes de Normendie, est compile la parole que Dieu dist a Cyre, roy de Persie: A lo roy mien Cyre, a loquel je ai prise la main droite, a ce que devant la face soe soient subjecte la gent, et li roy tornent l'espaule devant la soe face, je irai de­ vant lui, et lo plus gloriouz de la terre humilierai, et combatrai-je contre la porte rame, et romprai les chaînes de fer; devant lui ovrerai les portes et nulle non l'en sera cloze devant.»114 Wenn er, Amatus, nun die Ge­ schichte der Normannen schreibe, so berichte er nicht einfach, was diese Menschen getan hätten, sondern was sie mit Gottes Zustimmung voll­ bracht hätten115. Gottes Hand begleite Robert Guiskard in allen seinen Unternehmungen116. Amatus legt sogar demBasileus selber die düstere Ahnung in den Mund: «Certenement par ceste gent serai-je privé et chacié de la dignité de mon empiere.»117 Doch Konstantinopel galt seit jeher als die von Gott vor je­ der Eroberung geschützte Stadt, an deren Mauern alle Angriffe zuschan­ den werden mußten. Seine starken Befestigungen und göttliches Eingrei­ fen hatten das neue Rom bisher vor allen Barbarenstürmen bewahrt und würden es auch weiterhin bewahren, das war die tiefe Überzeugung sei­ ner Bewohner. Für die Normannen bedeutete es deshalb ein dringliches Anliegen, dieser fest verwurzelten Tradition eine neue Idee entgegen­ zustellen, die alte Prophezeiung gleichsam durch eine neue Verheißung abzulösen. Amatus von Monte Cassino, der ja seine Chronik gerade in der 112 Ebenda III, 609, S. 278; III, 675, S. 279; vgl. auch Gaufr. Malaterra, De rebus III, 25, R. I. SS. V, S. 72. 113 Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 353, MG SS. IX, S. 286. 114 Aimé, Ystoire, Rubrica, hg. O. Delarc S. 1; Jesaja 45, 1—2. 115 «Et croi que non dirai-je tant solement lo fait de li home, mes ce que fu concedut par dispensation de Dieu que fust fait par li home», Aimé, Ystoire, Rubrica, hg. O. Delarc S. 2. 116 Aimé, Ystoire IV, 17, hg. O. Delarc S. 167. 117 Ebenda II, 22, S. 72.

52

entscheidenden Zeit zwischen 1081 und 1085 vollendete, berichtet ein­ gehend von all den Visionen, in denen Gott seinen Willen kundtat, denn sie verleihen seiner Auffassung nach der normannischen Herrschaft die ihr fehlende Legitimität. So sah ein Mönch von Benevent beim Beten plötzlich zwei Haufen Menschen vor sich, von denen der eine viel größer war als der andere. Ein Unbekannter trat auf ihn zu und erklärte ihm, der kleinere Haufen von Menschen seien diejenigen, die die Majestät Gottes Robert Guiskard bereits unterworfen habe, und der größere Haufen seien diejenigen Menschen, die ihm unterworfen sein sollten, aber noch nicht unterworfen worden seien118. Noch deutlicher und bilderreicher ist der Traum eines Priesters: «... vit un bel jardin en loquel estoit un arbre molt plus bel et molt plus grant de tout li autre, et en lo plus haut de P arbre estoit une famé molt belle. Et Robert Viscart estoit au pié de cel arbre et guardoit la dame. Et subitement de une grant montaingne venoit un flume molt grant, devant loquel flume tout li pueple fuioit. Et Robert remainst tout soûl, loquel par lo commandement de la dame tout lo flume but. Et puiz vint un autre flume plus grant que lo premier, liquel flume par lo commandement de la dame, autresi corne Vautre, but. Puiz paroît que venist la tierce aigue tant grande, qu'il paroît que tout le monde en deust mener. Et Robert Viscart sain et salve toute la se but par lo commandement de la dame. Et dist cestui moine que ceste ystoire compila, que celle dame qui estoit en cel arbre estoit la Vierge Marie, et li dui flume estoient ij pueple, c'est de là et de sa de la mer, liquel Robert subjuga. Et lo tiers flume estoit lo impiere romain de Constentinoble, loquel dist cestui moine qui estoit a celui tems vif et escrist ceste cose, o l'ajutoire de Dieu encoire se lo sub­ juguera. Porroit soi entendre que la dame fust la Providence de­ vine ...»119 Dieser Traum enthält klar den Hinweis auf das byzantinische Reich, das zu erobern den Normannen durch die göttliche Vorsehung be­ stimmt sei. Auch Gaufredus Malaterra sieht die Geschichte der Normannen unter dem Vorzeichen der «providentia divina», die den Söhnen Tankreds hilft, zu einem großen Volk heranzuwachsen, ihre Herrschaft mit den Waffen weit auszudehnen und viele Völker zu unterwerfen, wie es einst Abra­ ham verheißen worden war120. Nachdem die Normannen an verschiede­ nen Orten ihr Glück versucht hatten, war es Gottes Führung, die sie nach

118 Ebenda V, 2, S. 196. 119 Ebenda V, 3, S. 196; die Zwischenbemerkungen stammen vom Übersetzer des nicht erhaltenen lateinischen Textes. 120 Gaufr. Malaterra, De rebus I, 3, R. I. SS. V, S. 9. 53

Apulien brachte121 und ihnen Erfolge zuteil werden ließ gemäß dem Bibelspruch: «Primum quaerite regnum Dei, et omnia adjicientur vobis«, den Malaterra als Kommentar zur Eroberung Palermos anführt122. Malaterra glaubt also ebenfalls an die Rechtmäßigkeit der normanni­ schen Eroberungen. Es ist den Normannen vorausbestimmt, im griechi­ schen Bereich eine neue Herrschaft aufzurichten und — dieser Gedanke tritt immer klarer hervor — die Griechen in der Regierung abzulösen, ihr Erbe zu übernehmen, so wie der Sohn dem Vater nachfolgt. x Amatus spricht sich deutlich in diesem Sinne aus: «... quar c'est ordené devant la presence de Dieu, quar quicunques sera contre li Normant pour les chacier ou tost morira, ou grant affliction aura. Quar ceste terre de Dieu est donnée a li Normant, quar la perversité de ceus qui la tenoient et pour la parenteze qu'il avoient faite avec eaux, la juste volenté de Dieu a convertut la terre a eaux,· quar la loy de Dieu et la loy de li impeor commande lo fill succédé a lo héritage de lo pere.»123 Malaterra seiner­ seits läßt Guiskard beim Betreten der illyrischen Küste im Anblick der fruchtbaren Gegend ausrufen: «Dies ist die Erbschaft, die euch angemes­ sen ist,· um sie zu erhalten, müßt ihr mit den Waffen kämpfen.«124 Die meisten Normannen waren ja aus ihrer Heimat ausgezogen, weil sie dort kein Anrecht auf eine Erbschaft besaßen,· sie waren auf der Suche nach einer neuen Lebensgrundlage, nach Land und Herrschaft. In der Nachfolge der Griechen glaubten sie nun ihr «Erbe« gefunden zu haben. Die Byzan­ tiner hatten ihre Herrschaftsrechte verwirkt, durch ihre «perversité», wie Amatus noch einmal zusammenfaßt, und der Erfolg schien den Norman­ nen recht zu geben, siegten sie doch gleichzeitig über zwei Kaiser, über die beiden Herren der Welt, wie die Chronisten triumphierend feststel­ len125. Sie waren da erfolgreich, wo der deutsche Kaiser Otto II. und der Kaiser von Byzanz, Michael IV., gescheitert waren, nämlich im Kampf Ebenda I, 5, S. 9. Ebenda II, 45, S. 53. Aimé, Ystoire III, 38, hg. O. Delarc S. 132. «Haec est enim haereditas vobis competens, pro hac adipiscenda, armis decertandum est», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 24, R. I. SS. V, S. 71. 125 «... Sic uno tempore victi Sunt terrae domini duo, rex Alemannicus iste, Imperii rector Romani maximus ille. Alter ad arma ruens armis superatur, ad alter Nominis auditi sola formidine cessit», Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 566, MG. SS. IX, S. 290; «plurimum laetabatur, et in eo maxime, quod uno in tempore duorum imperatorum fuga triumphali gloria laus sibi suisque concessa sit», Gaufr. Malaterra, De rebus III, 40, R. I. SS. V, S. 81; gemeint ist der Sieg Bohemunds über Alexius und die Flucht Heinrichs IV. aus Rom vor der Ankunft Guiskards.

121 122 123 124

54

gegen die Sarazenen in Süditalien und Sizilien!126 War also Wilhelm von Apulien nicht berechtigt zu behaupten, die Erde habe seit der Zeit Casars und Karls des Großen niemanden hervorgebracht, der sich mit Guiskard und seinen Brüdern vergleichen könne?127 Robert Guiskard hat sein Ziel, Byzanz zu erobern, mit einer unglaub­ lichen Entschlossenheit verfolgt, wenn auch die Argumente, es zu recht­ fertigen nicht in allem stichhaltig sein mochten. Immer wieder berichten die Chronisten, wie er sich durch nichts von seinem Unternehmen ab­ bringen ließ und nur höchst widerwillig schließlich dem Hilferuf des Papstes Folge leistete und nach Italien zurückkehrte128. Was Robert Guis­ kard gewollt hatte, blieb auch weiterhin normannische Politik. Wenn auch zeitweise andere Interessen in den Vordergrund traten, so fanden sich doch immer wieder Träger der imperialen Idee wie Bohemund und Roger II., die den Kampf gegen Byzanz entschlossen aufnahmen. Nur glaubte Guiskard, allein mit Byzanz fertig zu werden, während sowohl Bohemund wie Roger II. für ihren Kampf Verbündete suchten. Solche zu finden war aber erst möglich, nachdem die Kreuzzüge auch andere Völ­ ker in direkten Kontakt mit Byzanz gebracht und eine viel allgemeinere Mißstimmung gegen die Griechen geschaffen hatten. Dies soll nun am Griechenbild der Kreuzzugszeit untersucht werden.

126 Aimé, Ystoire VI, 22 hg. O. Delarc S. 258. 127 «A Caroli Magni vel tempore Caesaris umquam Nullos terra pares produxit fratribus istis«, Wilhelm von Apulien, Gesta V, 405, MG. SS. IX, S. 298. 128 Wilhelm von Apulien, Gesta IV, 158, MG. SS. IX, S. 282; IV, 184, S.283; IV, 230, S. 284; Gaufr. Malaterra, De rebus III, 33, R. I. SS. V, S. 77; Anna Komnena, Alexiade VI, v, 1, hg. B. Leib Bd. II, S. 50.

55

II. KAPITEL

Der erste Kreuzzug und seine Nachwirkungen

1. Der erste Kreuzzug

« Con chris tiani»» Der erste Kreuzzug brach auf, um die heiligen Stätten in Palästina zu befreien und, wie Papst Urban II. an den Konzilien von Piacenza und Clermont ausdrücklich betonte, um den Mitchristen im Orient Hilfe zu bringen. Die Idee, es gelte durch eine bewaffnete Pilgerfahrt das Heilige Grab zurückzugewinnen, erwies sich bald als die volkstümlichere. Sie war es, die der Kreuzzugspropaganda zu ihrem durchschlagenden Erfolg ver­ half, und «Jerusalem» wurde von vielen als das einzige Ziel des Kreuz­ zuges aufgefaßt. Der Papst aber dachte nicht nur an Jerusalem, sondern an die Gesamtheit des christlichen Orients. Für ihn stand «die Befreiung aller christlichen Kirchen des Ostens» von der Türkenherrschaft im Vor­ dergrund1. Dieser Plan zielte nicht nur auf eine Eroberung Palästinas,

1 «... cui calamitati pio contuitu condolentes Gallicanas partes uisitauimus eiusque terrae principes et subditos ad liberationem Orientalium ecclesiarum ex magna parte sollicitauimus», Epistula Urbani II papae ad omnes fideles in Flandria commorantes in: H. Hagenmeyer, Kreuzzugs­ briefe II, 3, S. 136; vgl. C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedan­ kens S. 304. Auf die Notwendigkeit, den Christen des Ostens und ganz be­ sonders dem «christlichen Imperium’» von Byzanz zu helfen, hatte schon Gregor VII. bei seinem nicht ausgeführten Orientplan hingewiesen, vgl. C. Erdmann, S. 149. Die Auffassung, daß der Papst im Namen der Kirche Kriege zum Schutz und zur «Befreiung der Christenheit’» anerkennen, ja sogar selber führen solle, vertrat bereits Papst Leo IX., vgl. C. Erdmann, S. 107 ff. 57

sondern schloß in erster Linie auch eine Hilfeleistung an Byzanz ein, denn man hatte im Westen von der bedenklichen Lage in Kleinasien er­ fahren, die den Pilgern das Reisen erschwerte oder fast verunmöglichte. Kaiser Alexios selber hatte zwar keineswegs einen «Kreuzzug« verlangt; er wurde dann ja auch durch dieses gewaltige Unternehmen eher in Ver­ legenheit gebracht. Da jedoch die Macht der Seldschuken infolge innerer Spaltungen damals deutlich im Rückgang begriffen war, hatte er gehofft, nun mit Erfolg die Offensive ergreifen zu können, und deshalb an den Westen appelliert, um Hilfe in Form von Soldtruppen zu erhalten, die seine eigene Armee verstärken konnten2. So erschien am Konzil von Pia­ cenza eine byzantinische Gesandtschaft, die im Namen des Kaisers Söldner anwerben sollte und um diesen Zweck zu fördern darauf hinwies, die Soldtruppen seien notwendig «pro defensione sanctae aecclesiae», da die Feinde schon bis vor die Mauern Konstantinopels vorgedrungen seien. Der Papst forderte denn auch nachdrücklich dazu auf, dem Kaiser gegen die Heiden beizustehen3. Ja, Urban wollte diesem Ruf noch in viel umfassenderer Weise Folge leisten, ohne sich durch die zwischen Griechen und Lateinern bestehen­ den religiösen Streitfragen abhalten zu lassen4. Bei seiner großen Rede in Clermont scheint er deshalb wiederum ganz allgemein von der Notlage der Christen im Osten gesprochen und mit bewegten Worten geschildert zu haben, wie die Türken bis zum «Georgsarm» vorgedrungen seien und die Christen der «Romania«, also des byzantinischen Kleinasiens, schwer bedrückten. Es sei dringend nötig, den Mitbrüdern im Osten zu Hilfe zu eilen5. Robert der Mönch, der die Ansprache des Papstes gehört haben 2 F. Chalandon, Alexis Comnene S. 325; R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. LVIII; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 116; G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 287; W. Holtz­ mann, Studien zur Orientpolitik des Reformpapsttums, Histor. Vierteljahr­ schrift Bd. 22, 1924, S. 190 ff. 3 Bernold von Konstanz, Chronicon a. 1095, MG. SS. V, S. 462. 4 Die Frage, in welchem Maße Urban mit dem Kreuzzug Hoffnungen auf die kirchliche Union mit Byzanz verband, diskutieren C. Erdmann, Kreuz­ zugsgedanke S. 302; W. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 49; B. Leib, Rome, Kiev et Byzance S. 319; A. C. Krey, Urbans Crusade — Success or failure?, American Hist. Review, Bd. LIII, S. 235. 5 «Necesse est enim, quatinus confratribus vestris in Orientali plaga conversantibus, auxilio vestro jam saepe acclamato indigis, accelerato itinere succuratis. Invaserunt enim eos... usque mare Mediterraneum, ad illud scilicet quod dicunt Brachium Sancti Georgii, Turci, gens Persica, qui, apud Romaniae fines, terras Christianorum magis magisque occupando, Ute bel­ lica jam septuplicata victos superaverunt, multos occidendo vel captivando, ecclesias subvertendo, regnum Dei vastando», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana I, 3, RHC. Occ. III, S. 323. 58

will, schreibt sogar ausdrücklich, Urban habe darauf hingewiesen, daß «das Reich der Griechen durch die Türken schon so verstümmelt und sei­ ner gewohnten Ordnung entfremdet worden sei, daß Reisen durch das Land beinahe unmöglich geworden seien»» °. Wir können aus diesen An­ gaben der Chronisten schließen, daß Urban neben dem Gedanken einer Wallfahrt nach dem heiligen Jerusalem wohl stets auch die Hilfe an die Christen im Orient und damit die Unterstützung der Byzantiner im Kampf gegen die Türken in den Mittelpunkt stellte6 7. Die Kreuzfahrer sahen deshalb anfänglich in den Byzantinern trotz des Schismas von 1054 ganz einfach «conchristiani»»8, denen zu helfen Chri­ stenpflicht war und gegen die man auf keinen Fall kämpfen durfte, denn es war ja mit ein Ziel der Kreuzzugsbewegung, endlich den heillosen Kämpfen zwischen Christen ein Ende zu setzen und im christlichen Be­ reich den «Gottesfrieden»» zu verwirklichen, um alle Kräfte auf den Kampf gegen die Heiden zu lenken9. Mit dieser Begründung versuchten denn auch die Führer der Kreuzzugsheere ihre Leute beim Marsch bis Kon­ stantinopel im Zügel zu halten und ihnen alle Gewalttaten und Plünde­ rungen zu verbieten. Sogar Bohemund, der ja zu Beginn des Zuges alles tat, um sich den Anschein eines vorbildlichen Kreuzfahrers zu geben, paßte sich dieser Auffassung an und ermahnte seine Normannen, sich nicht an griechischem Land zu vergreifen, weil es Christen gehöre10 und

6 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana I, 1, RHC. Occ. III, S. 728. 7 C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke S. 306, und Exkurs V: Byzanz und Jeru­ salem, S. 363; B. Leib, Rome, Kiev et Byzance S. 185; L. Bréhier, Vie et mort de Byzance S. 308. 8 «... si periclitantibus conchristianis ferrent auxilium»», Ekkehard von Aura, Hierosolymita VI, RHC. Occ. V, S. 15. 9 «Procedant contra infideles ad pugnam jam incipi dignam, et trophaeo explendam, qui abusive privatum certamen contra fideles etiam consuescebant distendere quondam. Nunc fiant Christi milites, qui dudum exstiterunt raptores. Nunc jure contra barbaros pugnent, qui olim adversus fratres et consanguíneos dimicabant»», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana, I, 3, RHC. Occ. III, S. 324; vgl. dazu C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke S. 311, S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 87 und S. 104. Vor einer Überschätzung der Bedeutung des Schismas von 1054 muß an dieser Stelle ganz entschieden gewarnt werden; die Tatsache des Schismas war wohl nur wenigen Zeitgenossen, vor allem auch nur wenigen der auszie­ henden Kreuzfahrer, wirklich bewußt, bevor sie mit den Byzantinern wäh­ rend des Kreuzzuges in näheren Kontakt kamen. 10 «Tune Boamundus ordinavit concilium cum gente sua, confortans et monens eos ut boni et humiles essent et ne depredarent terram istam que Christianorum erat et nemo acciperet, nisi quod ei sufficeret ad edendum»», Gesta Francorum I, 4, hg. L. Bréhier, S. 20.

59

weil sie selber jetzt Pilger Gottes seien11, die die «iustitia terrae», also die Unverletzlichkeit des christlichen Bodens, zu respektieren hätten12. Es gehe nicht an, die Heimat derer zu verwüsten, denen man doch zu Hilfe kommen wolle13. Auch Byzanz selber war ja eben eine christliche Stadt, und zwar nicht einfach irgendeine, sondern eine Stadt, die berechtigten Anspruch auf eine ganz besondere Verehrung von Seiten aller Christen besaß. Wo die Er­ bitterung gegen den Kaiser nicht die Oberhand gewann, ließen sich denn auch immer wieder Stimmen hören, die mit tiefer Ehrfurcht von der Stadt am Bosporus sprachen und ihre Verdienste würdigten. Ein Beispiel dafür ist Robert der Mönch, der ausführlich schildert, wie Konstantin der Große in einer Vision den Auftrag erhielt, Byzanz zu einer mächtigen Stadt auszubauen. Der Kaiser habe daraufhin Byzanz durch den Bau von starken Mauern und prunkvollen Gebäuden Rom gleichgestellt, und es auch an Ruhm und Ehre Rom ebenbürtig gemacht, denn so wie Rom das Haupt des Westens darstelle, so müsse Byzanz das Haupt des Ostens bil­ den14. Robert ist überzeugt, daß die Gründung von Konstantinopel durch göttlichen Ratschluß erfolgt sei. Gott habe die Stadt für die Aufgabe vor­ ausbestimmt, die ihr jetzt zufalle, nämlich «Gefäß» (receptaculum) für die Reliquien aller Apostel und heiligen Märtyrer zu sein, die in Byzanz Schutz und Ruhe gefunden hätten, nachdem die früher christlichen Ge­ biete von Asien und Afrika unter die Herrschaft der Heiden gefallen seien. Weil Konstantinopel diese Aufgabe eines Zufluchtsortes für die östliche Christenheit erfülle, komme es Rom an Würde als Heiligtum und an königlicher Ehre gleich; Rom sei nur darum doch noch höher zu stellen, weil es der Sitz des Papstes und deshalb zugleich das Haupt der gesamten Christenheit sei15. Robert anerkennt also deutlich, daß Byzanz eine wich-

11 Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 16, RHC. Occ. IV, S. 22. 12 Gesta Francorum II, 5, hg. L. Brehier S. 26. 13 «... nec eorum patriam depopularentur, pro quorum suffragio venisse debuerant», Guibert von Nogent. Gesta Dei III, 2, RHC. Occ. IV, S. 152. 14 «... quae sicut Roma est caput Occidentis, ita et illa civitas debet esse Orientis», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 20, RHC. Occ. III, S. 750. 15 «Hane itaque absque divino nutu conditam nemo dubitet: quoniam praevidit Deus quod erat venturum, quod nos modo videmus impletum. Nisi enim talis condita fuisset, orientalis Christianitas ubi diffugium habuisset? Ibi nunc habent receptaculum sacratissimae reliquiae sanctorum prophetarum, apostolorum et innumerabilium martyrum sanctorum, quae ibi translatae sunt a facie paganorum. Asia et Africa fuerunt olim Christianorum, quae nunc subjiciuntur ritibus immundis gentilium. Ideo igitur talis effecta est urbs regia Constantinopolis, ut sanctarum, quas supra diximus, reliquiarum foret tutissima regia. Et ideo bene debet Romae coaequari

60

tige Stellung innerhalb der Verteidigung der Christenheit gegen die Hei­ den einnehme. Mit ähnlichen Worten drückt auch der später von den Byzantinern völlig enttäuschte Guibert von Nogent seine große Vereh­ rung für die Stadt aus und erklärt zum Schluß, sie sei es wert, daß ihret­ wegen der ganze Erdkreis zur Hilfe herbeieile16. Es lag ein christlicher Glanz über Byzanz, der die Kreuzfahrer trotz allen Schwierigkeiten und Enttäuschungen immer wieder daran mahnte, daß sie in den Griechen Christen vor sich hatten, und der sie vom Äußersten zurückhielt. Als der Graf von Toulouse sich anfänglich gegen den Kaiser stellte und, wie der Chronist berichtet, schwere Drohungen gegen Byzanz ausstieß, da sollen ihm die übrigen Kreuzfahrer entgegen­ gehalten haben, «es bestehe kein Grund, daß eine so königliche Stadt und so viele Gott geweihte Kirchen zerstört und die Körper so vieler Heiliger entweder verbrannt oder von ihren Plätzen entfernt würden»17. Jedesmal, wenn die Erbitterung gegen die «treulosen» Griechen stieg und sich in einem völligen Bruch mit Byzanz Luft schaffen wollte, war eine Partei da, die aus der Kreuzzugsidee heraus den Standpunkt vertrat, man dürfe ge­ gen die Griechen nicht zu den Waffen greifen, weil sie Christen seien: «Wir sind ausgezogen, um gegen die Heiden zu kämpfen und um die Christen zu befreien; die Griechen aber sind Christen.» 18 Zu Beginn des Kreuzzuges war also sicher bei vielen eine durchaus positive Einstellung zu Byzanz möglich und auch vorhanden. Wir aber fragen uns deshalb, wie es dann zu einer derart allgemeinen Mißstim­ mung gegen die Griechen kommen konnte und warum bei den meisten Chronisten ein Stimmungsumschwung eintrat, der sie schließlich nur noch völlig negativ über Byzanz und seinen Kaiser urteilen ließ. dignitate sanctuarii et excellentia regiae dignitatis, nisi quod Roma est papali apice sublimata, et caput et summa totius Christianitatis», ebenda S. 750. 16 «Urbs enim illa, non modo sanctorum illorum monimentis excellens, sed et auctoris merito et nomine praecluens, praesertim quum ex revelatione supema, ex vetustissimo oppidulo eam toti mundo spectabilem Romamque secundam fecerit, universi, si fieri posset, orbis concursu et suffragio digna fuit», Guibert von Nogent, Gesta Dei I, 5, RHC. Occ. IV, S. 132. 17 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 18, RHC. Occ. III, S. 749. 18 «... et peregrinationem sponte aggressi sumus, ut pro amore Christi paganos confundamus, et Christianos liberemus. Graeci autem Christiani sunt», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 6, hg. A. Le Prévost, Bd. III, S. 497; «... cornes meditebatur qualiter vindictam de imperatoris exercitu habere posset. Sed dux Godefridus et Rotbertus cornes Flandrensis aliique principes dixerunt ei injustum fore contra Christianos pugnare», Gesta Francorum II, 6, hg. L. Bréhier S. 32; vgl. Guibert von Nogent, Gesta Dei III, 5, RHC. Occ. IV, S. 155. 61

Gerade weil man in den Byzantinern Mitchristen sah, denen man bei­ stehen wollte, erwartete man auch, daß diese sich für die Hilfe dankbar erweisen und die Kreuzfahrer in jeder Hinsicht unterstützen würden. Papst Urban hatte Konstantinopel als Treffpunkt der Kreuzzugsheere be­ stimmt, weil er eine enge Zusammenarbeit mit Byzanz wünschte. Ekke­ hard, in einem Abschnitt seiner Weltchronik, der geschrieben wurde, be­ vor der Chronist genauere Nachrichten über den ersten Kreuzzug erhal­ ten und selber die Reise in den Orient unternommen hatte, setzt ebenfalls das Zusammengehen mit Alexios als selbstverständlich voraus, wenn er schreibt, Gottfried von Bouillon habe sich in Konstantinopel mit dem Kaiser verbündet und unter dessen Schutz Kleinasien betreten19, und auch Lupus Protöspatarius kommentiert den Aufbruch mit folgenden Worten: «Sie gingen zur königlichen Stadt (Byzanz), um mit Hilfe des Kaisers Alexios gegen die Heiden zu kämpfen und zum Heiligen Grab nach Jerusalem zu ziehen.«20 Man rechnete offensichtlich im voraus mit der Hilfe des Kaisers. In diesen hochgespannten Erwartungen auf volle Unterstützung des Kreuzzuges durch das «christliche« Byzanz wurden nun aber die Kreuz­ fahrer ihrer Meinung nach schwer enttäuscht. Der Kaplan des Grafen von Toulouse, Raimund von Aguilers, läßt uns in drastischen Worten spüren, was für einen Empfang die Kreuzfahrer eigentlich erwartet hatten und wie empört sie bereits bei den ersten Begegnungen über das Verhalten der Griechen waren: «Wir kamen nach Dyrrhachion und glaubten uns in Freundesland zu befinden, denn wir waren überzeugt, der Kaiser Alexios und seine Untergebenen würden uns Brüder und Helfer sein. Jene aber fielen wie hungrige Löwen über uns friedliche, an keinen Kampf den­ kende Leute her,· sie mordeten im geheimen; sie raubten in den Wäldern und an abgelegenen Orten bei Nacht soviel sie konnten ... Wir erhielten Briefe vom Kaiser, in denen er Frieden zusicherte und uns als seine Brü­ der, ja sogar als seine Söhne bezeichnete; aber dies blieben leere Worte, denn vorn und hinten, rechts und links wurden uns von Türken und Kumanen, Husiern und Tanacern, Petschenegen und Bulgaren ständig neue Hinterhalte gelegt.«21 19 Ekkehard von Aura, Chronicon Universale a. d. 1097, MG. SS. VI, S. 208. 20 «Perrexerunt in regiam urbem, quatenus cum Alexii imperatoris auxilio bellandum cum paganis pergerent Hierusalem ad sanctum sepulcrum«, Lu­ pus Protospatarius, Annales ad an. 1096, MG. SS. V. S. 62. 21 «Venimus Dirachium: credidimus esse in patria nostra, existimantes impe­ ra torem Alexium et satellites suos nobis esse fratres et coadjutores. Illi vero, ritu leonum incrudescentes, pacíficos homines, nihil minus quam arma cogitantes, invadunt; per occulta trucidant; in nemoribus, in vicis remotis a castris, quae poterant per noctem furabantur... Habuimus obviam lit-

62

Es kann für uns nicht darum gehen, nun den byzantinischen Stand­ punkt darzulegen und das Vorgehen des Kaisers zu rechtfertigen, der sich von allen Seiten bedroht und die Sicherheit seines Reiches schwer ge­ fährdet sah2223 . Wir wollen nur verfolgen, wie seine Maßnahmen von den Kreuzfahrern aufgefaßt und ausgelegt wurden, und untersuchen, welche Begebenheiten es vor allem waren, die das zu Beginn doch vorhandene Vertrauen in die Griechen so sehr erschütterten, daß die Leute aus dem Westen nach dem Kreuzzug in den Byzantinern nicht mehr Brüder und «conchristiani«, sondern nur noch Feinde und Verräter zu erblicken ver­ mochten.

Die Kreuzfahrer vor Byzanz

Wenn wir nun anhand einiger Chronikstellen zeigen, wie sich die Ein­ stellung zu Byzanz während des Kreuzzuges ständig verschlechterte, so sind wir uns bewußt, daß die meisten dieser Urteile nicht im Moment selber in dieser Form entstanden sind, sondern aus der Rückschau gegeschrieben wurden. Sie sind vielfach zum vornherein von dem Eindruck geprägt, den der Kreuzzug als Ganzes hinterlassen hat; bisweilen handelt es sich sogar um spätere Interpolationen. Wir bemühen uns jedoch nicht um eine streng chronologische Ausscheidung, sondern versuchen viel­ mehr aus den Kommentaren herauszulesen, welche abschließende Inter­ pretation die Ereignisse erfahren haben und in welcher Version sie dem Westen zur Kenntnis gelangt sein mögen, denn darauf beruhte ja dann die allgemeine Haltung gegenüber dem Kaiser und das Bild, das man sich im Westen von Byzanz machte. Die Schwierigkeiten begannen schon, als der Zug Peters von Amiens Byzanz erreichte. Seine uneinheitlichen, disziplinlosen und überall plün­ dernden Scharen mußten mit den Truppen in Konflikt geraten, die der Statthalter von Nisch zu ihrer Überwachung abgeordnet hatte. Selbst westliche Chroniken geben jedoch zu, daß der Kaiser sich anfänglich Pe­ ter gegenüber sehr gnädig erwies, ihn und seine Leute reich beschenkte und ihnen dringend davon abriet, ohne weitere Verstärkung nach Klein­ asien vorzustoßen28. Die «friedlichen« Kreuzfahrer führten sich aber der­ art schlecht auf, daß Alexios sich gezwungen sah, sie rasch aus dem Umteras imperatoris de pace, de fraternitate, et, ut ita dicam, de filiatione: haec autem verbo tenus. Nam ante et retro, dextrorsum et sinistrorsum, Turci et Comani, Husi et Tanaces, Pincenati et Bulgari, nobis insidiabantur«, Raimund von Aguilers, Historia Francorum I, RHC. Occ. III, S. 236. 22 Vgl. dazu vor allem die Darstellungen von F. Chalandon, Alexis Comnene und S. Runciman, A History of the Crusades. 23 Albert von Aachen, Liber Christiana Expeditionis 1,15, RHC. Occ. IV, S. 283. 63

kreis der Stadt zu entfernen und sie über den Bosporus zu setzen, um wei­ tere Zerstörungen in den Vorstädten zu verhindern24. Auf dem asiatischen Ufer angekommen, kümmerten sie sich nicht im geringsten um die byzantinischen Mahnungen und Ratschläge, drangen ungeordnet ins Landesinnere ein und wurden denn auch prompt von den Türken auf­ gerieben. Dessenungeachtet bezeichnet Raimund von Aguilers das ganze Ereignis kurzerhand als einen «Verrat» des Kaisers, denn dieser habe die kriegsungewohnte Schar Peters, der die Gegend völlig unbekannt gewe­ sen sei, zur Überquerung des Meeresarms gezwungen und sie den Türken ausgeliefert, oder wie Ekkehard sich ausdrückt, sie zu einem Spielzeug der Türken gemacht. Dieser leichte Sieg aber habe die Türken übermütig und kühn werden lassen, weil sie nun glauben konnten, die «Franken» seien im Kampfe nichts wert25. Ähnlich erklärten wohl auch die wenigen Überlebenden vom Zug Pe­ ters den nun vor Byzanz eintreffenden Leuten Gottfrieds von Bouillon ihren Mißerfolg und schoben dabei alle Schuld auf die Verrätereien der Griechen. Solche Schilderungen trugen natürlich dazu bei, von Anfang an eine Atmosphäre des Mißtrauens gegen die Byzantiner zu schaffen. Dieses Mißtrauen war noch durch einen weiteren Vorfall verstärkt wor­ den: Hugo von Vermandois, der Bruder des Königs von Frankreich, war auf seiner Kreuzfahrt im Sturm mit ganz wenig Truppen bei Dyrrhachium gelandet. Er hatte sich zum voraus prahlerisch als «König der Könige» angemeldet und seinem Rang entsprechend auf einen triumphalen Emp­ fang gehofft. Statt dessen wurde er vom byzantinischen Statthalter zwar höflich und mit allen Ehren, aber doch mehr oder weniger als Gefange­ ner nach Konstantinopel geführt26. Ordericus Vitalis deutet immerhin an, daß der etwas schmeichlerische, eitle und leicht beeindruckbare Hugo freiwillig auf alle Vorschläge des Kaisers einging, ihm Treue schwor und sich von ihm mit Geschenken verwöhnen ließ27; andere Chroniken aber tadeln empört das hinterlistige Verhalten des Kaisers, der befohlen habe, 24 Ges ta Francorum I, 2, hg. L. Bréhier S. 6. 25 «Cognovimus tune quod Petrum Heremitam, qui longe ante exercitus nostros cum magna multitudine Constantinopolim venerat, quod imperator eum prodisset. Etenim et ipsum, qui ignarus locorum erat et totius militiae, et suos transfretare coegit, atque Turcis exposuit», Raimund von Aguilers, Hist. Francorum III, RHC. Occ. III, S. 240; «Porro cohortes Petrum sequutae, jussu Alexii dudum transpositae, paganis fuerant jam ludibrio factae», Ekkehard von Aura, Hiersolymita XIII, RHC. Occ. V, S. 21. 26 Anna Komnena, Alexiade X, vii, 1—5, hg. B. Leib, Bd. II, S. 213; Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana I, 6, RHC. Occ. III, S. 327. 27 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 4. hg. A. Le Prévost, Bd. III, S. 489.

64

alle Kreuzfahrer gefangenzunehmen, um nach Belieben über sie ent­ scheiden und ihnen seinen Willen aufzwingen zu können!28 Nachrichten dieser Art verbreiteten sich rasch. Als Gottfried von Bouil­ lon auf dem Weg nach Konstantinopel von der Lage Hugos erfuhr, war dies für ihn sofort ein Vorwand, den Frieden mit dem Kaiser nicht länger zu respektieren und ohne Bedenken das umliegende Land zu plündern, um die Freilassung Hugos zu erzwingen; zum mindesten führt der Chro­ nist diese Begründung für die durch Gottfrieds Truppen angerichteten Verwüstungen an29. Die häufigen Zusammenstöße und kleineren Gefechte mit den byzan­ tinischen Ordnungs trupp en in der Umgebung Konstantinopels verbesser­ ten die Stimmung nach der Ankunft nicht. Gottfried und vor allem sein Bruder Balduin waren bereits sehr stark gegen die Griechen voreingenom­ men und bereit, jeder antigriechischen Propaganda Gehör zu leihen. Unversehens taucht nun in den Chroniken das literarische Klischee von den «verschlagenen» Griechen in allen möglichen Spielarten wieder auf. Albert von Aachen berichtet, im Lager Gottfrieds seien einige Fremde er­ schienen, die ihn mahnten, «sich vor der Verschlagenheit des Kaisers ... und seinen trügerischen Worten in acht zu nehmen». Er solle auf keinen Fall auf bloße blendende Versprechungen hin zu Alexios gehen30. Gottfried, der die Ankunft der übrigen Kreuzfahrer abwarten wollte, bevor er Entscheidungen traf, weigerte sich denn auch beharrlich, den wiederholten Einladungen des Kaisers für eine Zusammenkunft Folge zu leisten, obwohl er gern die Schätze des Kaiserpalastes gesehen hätte. Wie Albert behauptet, ließ ihn all das Schlechte, das er über Alexios gehört hatte, vor einem Zusammentreffen zurückschrecken, und alle «honig­ 28 «Fecit ergo eos sub excubanti custodia Constantinopolim sollerter deduci, quatinus imperator pro libitu suo super eos decerneret, sique vellet, hominium et fidelitatem ab eis reciperet», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 13, RHC. Occ. IV, S. 21; vgl. Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 6, RHC. Occ. III, S. 742. 29 «... ubi nuncia illi allata sunt quoniam Imperator Hugonem Magnum, fratrem regis Franciae, ... in vinculis et carcere tenuisset. Hoc audito, Dux Imperatori legationem misit, quatenus hos principes terrae suae, quos tenebat captivos, libertati restitueret alioquin fidem et amicitiam se illi servare non posse... Statimque, ex preaecepto Ducis, omnis terra illa in praedam data est Peregrinis et advenis militibus: qui, per dies octo illic moram facientes, totam regionem hanc depopulati sunt», Albert von Aachen, Li­ ber Christianae Expeditionis II, 7, 8, RHC. Occ. IV, S. 304. 30 «... et ecce quidam advenae de terra Francorum occulte in castris Duci affuerunt, qui plurimum eum monuerunt ut caveret versutias et venenatas vestes ipsius Imperatoris ac verba dolosa, et nequaquam ad eum intraret aliqua blanda promissione, ebenda II, 10, RHC. Occ. IV, S. 305.

65

süßen» Beteuerungen des Kaisers vermochten ihn nicht davon zu über­ zeugen, daß nur Neid und Haß diese Beschuldigungen erlogen hätten!31 Hinter dieser Weigerung Gottfrieds steckte wohl wirklich auch die stän­ dige Befürchtung, wie Hugo von dem gewandten Kaiser übervorteilt zu werden. .Bezeichnend für dieses tiefe Mißtrauen der Lateiner ist auch ein kleiner Vorfall, den Anna Komnena erzählt: Als einmal einige Unter­ händler Gottfrieds infolge der «allen Lateinern eigenen Geschwätzigkeit» etwas länger im Palast verweilten, habe sich im Lager der Kreuzfahrer sofort das Gerücht verbreitet, sie würden vom Kaiser gefangen gehalten32. Da Alexios unter diesen Umständen mit Gottfried zu keiner Verständi­ gung kommen konnte, versuchte er es auf andere Weise und sperrte dem Heer den Nachschub an Lebensmitteln. Doch Gottfried blieb auf Betrei­ ben Balduins hin die Antwort nicht schuldig. Er, der später in Jerusalem aus Ehrfurcht den Königstitel nicht annehmen wollte, kannte gegenüber dem christlichen Byzanz keine Rücksicht! Seine Truppen verwüsteten die Vorstädte und rückten schließlich am Gründonnerstag (!) gegen die Mauern der Stadt selber vor33. Mochte es sich bei diesem Überfall auch nur um eine momentane Vergeltungsmaßnahme handeln, so war doch da­ mit das Beispiel gegeben, und die Idee eines Vorstoßes gegen Konstanti­ nopel tauchte fortan bei den Chronisten immer wieder auf. Sobald sich Schwierigkeiten im Verkehr mit dem Kaiser ergaben, war von nun an die Anwendung von Gewalt die sofortige Reaktion von Seiten der Kreuzfahrer oder sie wurde zum mindesten als Druckmittel erwogen34. Ob Gottfried wirklich im Sinne hatte, Konstantinopel in seine Gewalt zu bringen, ist zweifelhaft; jedenfalls mißlang sein Angriff völlig. Für die Byzantiner aber war es ein schreckensvoller Augenblick, besonders weil der Überfall an einem so heiligen Tag stattfand und weil sie sich erin­ nerten, daß an ebendiesem Tag vor 16 Jahren die Stadt von den gegen

31 In einem Antwortbrief Gottfrieds auf eine kaiserliche Einladung heißt es bei Albert von Aachen: «Godefridus Dux Imperatori magnifico fidem et obsequium. Libenter et optato ad te ingrederer, honores et divitias domus tuae considerarem,· sed terruerunt me plurima mala quae auribus meis de te innotuerunt; nescio tarnen si vel invidia aut odio tui haec adinventa et vulgata sint. Rex siquidem haec audiens, plurimum se de omnibus excusavit, dicens numquam opörtere Ducem, vel aliquem de societàte, quicquam fallaciae de eo timere aut credere, sed eum suosque quasi filium et amicos servare et honorare... Verum Dux adhuc minime mellifluis illius promissis credens ...», ebenda II, li, S. 307. 32 Anna Komnena, Alexiade X, ix, 3, hg. B. Leib Bd. II, S. 221. 33 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 12, RHC. Occ. IV, S. 307; S. Runciman, A History of the Crusades, Bd. I, S. 151, R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. 17. 34 Vgl. unten S. 99. 66

Kaiser Nikephoros Botaneiates revoltierenden Komnenen erobert und einer grauenhaften Plünderung ausgesetzt worden war. Sollte die Stadt nun da­ für die Strafe treffen? Jedenfalls herrschte innerhalb der Mauern große Panik35. Der Kaiser selber blieb zwar ruhig; wahrscheinlich aber fürch­ tete auch er ernstlich für seine Hauptstadt, denn er stand immer noch unter dem Eindruck seiner Erfahrungen mit den Normannen Robert Guiskards, und die Zügellosigkeit der Kreuzfahrerheere war nicht geeig­ net, ihn in dieser Hinsicht zu beruhigen. AnnaKomnena, seine Tochter, arg­ wöhnt dauernd, hinter dem «Kreuzzug» stecke nur die geheime Absicht, den Kaiser zu entthronen und Konstantinopel zu erobern36. Den west­ lichen Chroniken waren die Befürchtungen des Kaisers bekannt37. Sie berichten eingehend, wie ängstlich Alexios die Tore der Stadt verschlos­ sen hielt und die Kreuzfahrer immer nur, wie einst die Normannen aus Rußland38, in kleinen Gruppen und unter Bewachung einließ, damit sie die Kirchen besichtigen konnten39, weil ihm «die militärische Tüchtig­ keit der Franken besonders gefährlich schien»40 und weil er stets einen Anschlag gegen die Stadt fürchtete. Der Kaiser tat wirklich alles, was er konnte, um Truppenansammlungen in der Umgebung der Stadt zu ver­ hindern und hatte darum auch die wenigen Anhänger Peters von Amiens, die sich aus der Katastrophe hatten retten können, sofort entwaffnen lassen41. Die Chronisten sind aber nicht etwa bereit, diese Besorgnisse des Kaisers als berechtigt zu anerkennen und deshalb für die von ihm getroffenen Maßnahmen Verständnis aufzubringen. Sie sehen in der ganzen Ausein­ andersetzung mit Gottfried von Bouillon nur bösen Willen auf Seiten der Byzantiner, die die Leute Gottfrieds in ihrer Bewegungsfreiheit be­ hindert und ihnen nach dem Leben getrachtet hätten42. Dem Kaiser wird vorgeworfen, er habe ständig gegen die Pilger Böses im Schilde geführt43. 35 Anna Komnena, Alexiade X, ix, 4, hg. B. Leib Bd. II, S. 221. 36 Ebenda S. 220. 37 «Optimates enim regiae civitatis sibi praecaventes, ne forte Franci congregati in eos insurgerent bonisque suis eos privarent...»», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 20, RHC. Occ. IV, S. 25. 38 Vgl. oben S. 19. 39 Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana I, 8, RHC. Occ. III, S. 331. 40 «... quia virtutem Christianae militiae et maxime Francorum suspectam semper habuit», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana I, 6, RHC. Occ. in, S. 732. 41 Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 11, RHC. Occ. IV, S. 20. 42 Vgl. die Darstellung der Gesta Francorum I, 3, hg. L. Brehier, S. 12 ff. 43 «Audiens hoc imperator Alexius, valde iratus, malum exercitui Christi in corde suo indesinenter machinabatur», Balderich von Dol, Historia Jero­ solimitana I, 15, RHC. Occ. IV, S. 22. 67

Robert der Mönch beschuldigt ihn der Heuchelei44 und erklärt zusam­ menfassend, in der Art, wie der Kaiser Hugo von Vermandois und Gott­ fried von Bouillon begegnet sei, habe sich zum erstenmal sein heim­ tückisches Vorgehen deutlich enthüllt45. Wenn nicht die Klugheit Herzog Gottfrieds über die «Herde des Herrn» gewacht hätte, behauptet schließlich Ekkehard, so hätte der Kaiser alle durch seine Hinterlist töten lassen46. Die erste Begegnung mit Byzanz versprach also bereits nicht viel Gutes. Die Kreuzfahrer waren über die strenge Bewachung durch die fremd­ artigen Petschenegentruppen verärgert und über den Druck, den Alexios mit der Verweigerung des Nachschubs ausübte, empört. In ihrer Ver­ stimmtheit zeigten sich die Führer einzelner Heerhaufen stets äußerst rasch bereit, zu den Waffen zu greifen47. Doch hinter dieser ablehnen­ den Haltung stand oft noch etwas anderes: das Bedürfnis, sich gegenüber Byzanz zu behaupten. Das Prestige von Byzanz

Die Kreuzfahrer, die nun den kaiserlichen Hof kennenlernten, fühlten sich, wie die Normannen, im Grunde den hoheitsvollen, gewandten Byzantinern unterlegen. Es kostete sie eine gewisse Überwindung, zur Audienz zu erscheinen und dem Kaiser von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten48. Dieses Bewußtsein verletzte jedoch ihren Stolz! Sie wollten um keinen Preis die Überlegenheit der Griechen zugeben, son­ dern sie im Gegenteil für ihren «Hochmut» zurechtzuweisen. Auch nach der Auffassung der Kreuzfahrer mußte die «superbia», die Überheblich­ keit der Byzantiner, bestraft werden49. Die Fürsten beriefen sich deshalb trotzig auf ihre Unabhängigkeit und ließen sich keinerlei Ratschläge er­ teilen50. Sie bemühten sich, den Griechen möglichst stolz entgegen­ zutreten. Wir erinnern uns, daß Hugo von Vermandois sich sogar als «König der Könige» bezeichnete, um zu zeigen auf welchen Rang er An­ spruch erhebe!51 Als er sich dann später doch völlig dem Willen des 44 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 15, RHC. Occ. III, S. 747. 45 «In his duobus viris primo denudatae sunt fraudes imperatoris», ebenda II, 7, S. 743. 46 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XIII, RHC. Occ. V, S. 21. 47 Anna Komnena X, x, 1, hg. B. Leib Bd. II, S. 227. 48 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 15, RHC. Occ. IV S. 310. 49 «... ut vel sic saltem Imperatoris suorumque superbia humiliari videretur», ebenda II, 14, S. 309. 50 Anna Komnena, Alexiade XI, vi, 3, hg. B. Leib Bd. III, S. 28. 51 Vgl. oben S. 64.

68

Kaisers beugte, machte Gottfried ihm deswegen heftige Vorwürfe: «Du, der du als mächtiger König mit großem Reichtum und einem starken Heer aus deiner Heimat ausgezogen bist, hast dich von diesem hohen Rang zum Sklaven erniedrigt.«52 Es erschien vielen als eine Demütigung, Lehensleute des Kaisers zu werden, darum antworteten sie, als der Kaiser den Eid von ihnen verlangte, sehr stolz, sie schuldeten niemandem als Gott, dessen Soldaten sie seien, einen Eid!53 In diesem Pochen auf die eigene Kraft und Machtstellung manifestiert sich deutlich eine offene Rivalität zu Byzanz,· es ist der alte Wunsch der Fürsten im Westen und auch der Normannen, sich Byzanz ebenbürtig zu erweisen. Es wird denn auch keine Gelegenheit verpaßt, um den Griechen zu beweisen, daß man ebensoviel wert sei wie sie und auch an Pracht und Reichtum keineswegs zurückstehe. Ja, diese Rivalität wird bis in alle Äußerlichkeiten spürbar. Selbst mit der Kleidung will man die Griechen beeindrucken, deren Ele­ ganz ja stets Neid erweckte. Darum verwendet Albert von Aachen soviel Sorgfalt auf die Beschreibung der prächtigen Gewänder, die die Kreuz­ fahrerfürsten bei der Audienz trugen und die, wie er erzählt, auch die Byzantiner bewunderten54. Ganz einfach den Griechen imponieren und ihnen beweisen, daß er sich ihnen gewachsen fühle, wollte auch jener Franke, der sich bei einer Audienz herausfordernd auf den kaiserlichen Thron setzte, weil er es nicht für richtig hielt, daß allein der Kaiser sitzen dürfe, während so viel ruhmreiche Krieger stehen müßten!55 Dieses re­ spektlose Benehmen löste natürlich bei den an strenges Zeremoniell ge­ wohnten Höflingen begreifliche Empörung aus. Doch alle diese Versuche, den Byzantinern zu zeigen, daß man ihre kulturelle und politische Überlegenheit nicht anerkenne, muten etwas linkisch, grob und unbeholfen an, denn wenn es auch die Kreuzfahrer nicht wahrhaben wollten, im Grunde waren sie doch ungemein beein­ druckt. Allein schon diese Stadt zu sehen, mit ihrem Reichtum und Handel, ihrer sichtbaren Macht und ihrem Glanz, war ein überwältigen­ des Erlebnis. Sogar der objektive und nüchterne Fulcher von Chartres staunte wie einst die ersten Normannen aus Rußland über die riesige Zahl von Kirchen und Palästen, über all die unglaublichen Schätze, die es zu sehen gebe und die er gar nicht alle aufzählen könne56. Die stets bewun­

52 Anna Komnena, Alexiade, X, ix, 10, hg. B. Leib Bd. II, S. 225. 53 Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 20, RHC. Occ. IV, S. 25. 54 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 16, RHC. Occ. IV, S. 310. 55 Anna Komnena, Alexiade X, x, 6, hg. B. Leib Bd. II, S. 229. 56 «O quanta civitas nobilis et decora! quot monasteria, quot palatia sunt in ea, opere miro fabrefacta! Quot etiam in plateis vel vicis opera ad spectandum mirabilia! Taedium est magnum recitare quanta sit ibi bonorum

69

derte Kaiserstadt verfehlte ihre Wirkung auch auf die Kreuzfahrer nicht, und die großzügigen Geschenke, die der Kaiser freigebig verteilen ließ, trugen das Ihre dazu bei, die trotzigen Ritter gefügig zu machen57. Sie hatten schließlich nichts mehr dagegen einzuwenden, daß allein der «gloriosissimus et potentissimus imperator« bei der Audienz saß, und beugten gemäß Hofzeremoniell ebenfalls ihr Knie58. Alexius verstand es bald ausgezeichnet, mit den Fürsten umzugehen und auf sie als erhabener und kluger Herrscher zu wirken. Der zuletzt angekommene Stephan von Blois wurde von der Persönlichkeit des Kaisers völlig in Bann geschlagen. Er schrieb seiner Gattin Adele nach Hause, es gebe keinen zweiten sol­ chen Menschen wie den Kaiser auf Erden; niemand könne sich mit ihm an Ehre und allseitiger Bildung messen. Adeles Vater59 sei zwar ein groß­ zügiger und freigebiger Mann gewesen, aber im Vergleich zum Kaiser sei er nichts60. Stephan spricht in seinem Brief stets lobend vom «pius>> und «venerabilis imperator«, Bezeichnungen, die in den Kreuzzugschroniken später ganz anderen, weniger schmeichelhaften Epitheta weichen mußten61. Wenn auch nicht alle Kreuzfahrer den Kaiser so uneingeschränkt und vertrauensvoll bewunderten wie Stephan, so war es doch Alexius wirklich gelungen, sich gegenüber den vor Byzanz eingetroffenen Kreuzfahrern durchzusetzen und dank seiner diplomatischen Gewandtheit das Prestige von Byzanz in den Augen der vorher sehr von sich selber eingenomme­ nen westlichen Herren wiederherzustellen. Nachdem die anfänglich so selbstsicheren Truppen Gottfrieds von Bouillon nach ihrem mißlungenen Angriff auf die Stadt noch außerhalb der Mauern eine Niederlage gegen die Byzantiner erlitten hatten, war es Gottfried klar geworden, daß er zu schwach sei und gegen den Kaiser nichts ausrichten könne. Byzanz hatte dank seiner festen Mauern seine Stärke bewiesen,- der Besitz dieser ein­ zigen Stadt machte den Kaiser unbesiegbar, und die Kreuzfahrer erkann­ ten, daß sie auf eine Zusammenarbeit mit dem noch immer mächtigen byzantinischen Reich einfach nicht verzichten konnten, solange diese

57

58 59 60 61

70

omnium opulentia, auri scilicet, argenti, palliorum multiformium, sanctorumque reliquiarum. Omni etiam tempore navigio frequenti cuncta hominum necessaria illuc afferunt negotiatores», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana, I, 9, RHC. Occ. III, S. 331. Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 16, RHC. Occ. IV, S.311. Ebenda S. 310. Wilhelm I., der Eroberer von England, gest. 1087. Epistula I Stephani comitis Carnotensis ad Adelam uxorem suam, IV, 3, 4 in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe S. 138. Vgl. unten S. 87.

Stadt nicht in westlicher Hand war. Fulcher von Chartres stellt denn auch einsichtig fest, es habe sich als notwendig erwiesen, mit dem Kaiser Frie­ den zu schließen, denn ohne seinen Rat und seine Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, den Kreuzzug weiterzuführen und den Weg auch für nachfolgende Heere offen zu halten62. Die Zusammenarbeit, die die Kreuzfahrer anfänglich bei den «conchristiani» als selbstverständlich vorausgesetzt hatten, sollte nun, nach den ersten Reibereien und Zusammenstößen, durch Vertrag festgelegt werden. Die Fürsten leisteten mit Ausnahme Raimunds und Tankreds dem Kaiser den geforderten Eid. Sie anerkannten damit voll die Oberhoheit des Kaisers und verpflichteten sich feierlich, den byzantinischen Rechts­ standpunkt zu respektieren, das heißt, dem Reich alle Gebiete zurück­ zuerstatten, die ihm vor noch nicht allzulanger Zeit angehört hatten63. Da die christliche Solidarität allein nicht ausgereicht hatte, um Übergriffe von Seiten der Kreuzfahrer zu vermeiden, wurde sie in dieser Weise durch einen Eid ergänzt; «contra Christianos pugnare nolumus»64 und «perjuri vivere nolumus»65, diese beiden Sätze bedeuteten fortan eine Bar­ riere, die jeden Bruch mit Byzanz verhindern sollte! Dafür erwarteten aber die Kreuzfahrer als Gegenleistung, daß Byzanz den Kreuzzug nach besten Kräften fördern werde, denn aus diesem Grunde hatte es ja Fulcher für notwendig erachtet, mit dem Kaiser Frie­ den zu schließen66. Byzanz hatte seine Macht bewiesen, es sollte sie nun in den Dienst des Kreuzzuges stellen. Nach Auffassung der Chronisten verpflichtete sich der Kaiser für wegkundiges Geleite, offene Märkte, sowie genügenden Nachschub zu sorgen und in militärischen Angelegen­ heiten persönlichen Beistand und Truppenhilfe zu leisten. Weiter ver­ sprach er, für alles aufzukommen, was die Kreuzfahrer an Waffen und Kleidern nötig hätten, und nie mehr einem Pilger auf der Reise nach dem Heiligen Grab Hindernisse in den Weg zu legen oder ihm Schaden zu­ fügen zu lassen67. 62 «Erat enim ómnibus hoc necesse ut sic cum imperatore amicitiam consolidarent; sine cujus consilio et auxilio, nostrum iter nequivimus expe­ diré, ñeque illi qui nos erant subsecuturi eodem tramite», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana I, 9, RHC. Occ. III, S. 332. 63 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XIV, RHC. Occ. V, S. 22. 64 Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 20, RHC. Occ. IV, S. 25. 65 Ebenda II, 19, S. 55. 66 Vgl. Anmerkung 62 und Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 21, RHC. Occ. IV, S. 25; Ekkehard von Aura, Hierosolymita XIV, RHC. Occ. V, . S. 22. 67 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana, II, 17, RHC. Occ. III, S. 748 und II, 19, S. 749. 71

Man hoffte also auf tatkräftige Unterstützung, ja viele waren jetzt, da sie die Macht und Stärke von Byzanz erfahren hatten, sogar bereit, dem Kaiser recht eigentlich die Oberleitung des ganzen Kreuzzugsunterneh­ mens zuzubilligen und damit den alten Führungsanspruch in allen poli­ tischen Angelegenheiten des Ostens, den Byzanz immer geltend gemacht hatte, zu anerkennen! Sogar der Graf von Toulouse, der sich vorher am hartnäckigsten geweigert hatte, den Eid zu leisten, willigte ein, sich zu unterwerfen, «wenn der Kaiser selber mit den Kreuzfahrern nach Jeru­ salem ziehe»68. Während man eben noch auf die eigene Kraft gepocht und sich Byzanz ebenbürtig gefühlt hatte, zeigte man sich jetzt gewillt, die Führerrolle dem Kaiser zuzuweisen! Byzanz hatte sich bei vielen wie­ der ein Ansehen verschafft, das lange nachwirkte. Noch nach der Erobe­ rung von Antiochien, als bereits der Streit zwischen Bohemund und Rai­ mund ausgebrochen war, schien es manchen am besten, auf den Kaiser zu warten, denn unter seiner Führung würde sich die Rivalität der Für­ sten ausschalten und die Eintracht wieder finden lassen! Wenn der Kaiser den Zug anführe, würden sich auch alle Städte ihm freiwillig ergeben69. Liegt nicht in diesen Worten Raimunds von Aguilers eigentlich eine An­ erkennung der Tatsache, daß seit Jahrhunderten die Initiative und die Erfolge im Kampf gegen die Ungläubigen Byzanz zukamen? Immer wieder hatte der Westen versucht, Byzanz auch in diesem Punkt auszustechen und seinerseits die Führung zu übernehmen70. Mit dem Kreuzzug schien die Initiative nun wirklich an den Westen überzugehen. Alexios hatte es jedoch erreicht, daß viele der Teilnehmer des ersten Kreuzzuges, unter denen sich ja keine Könige und schon gar nicht der deutsche Kaiser be­ fanden, noch einmal den Vorrang und die Tradition des oströmischen Reiches anerkannten und sich seiner Leitung unterstellen wollten. Doch ein solcher Anspruch hatte schon immer nur durch sichtbare Erfolge legitimiert werden können. Wenn der Kaiser sein Prestige auf­ rechterhalten wollte, so mußte er es aufs neue durch Taten rechtfertigen und durfte den Kampf nicht einfach den Kreuzfahrern überlassen. Anna Komnena schreibt denn auch, der Kaiser hätte es für gefährlich gehalten, 68 «Et tarnen fore, si Imperator cum exercitu iret Iherosolimam, quod se et suos et sua omnia illi committeret», Raimund von Aguilers, Historia Francorum II, RHC. Occ. III, S. 238. Raimund sträubte sich gegen den Eid, weil er fürchtete, der Kaiser könnte seinen Rivalen Bohemund mit dem Ober­ befehl beauftragen. Sich dem Kaiser zu unterwerfen, dazu war Raimund bereit. Vgl. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 163. 69 «Exspectemus imperatorem... et sub ipso domino concordabimus. Omnes civitates se dabunt ei, et ille vestiet quas voluerit, et quas voluerit destruet», Raimund von Aguilers, Historia Francorum XVIII, RHC. Occ. III, S. 286. 70 Vgl. Vorwort.

72

nicht auch selber irgendeine kriegerische Tat zu vollbringen, während die Kreuzfahrer gegen Nikaea zogen. Er habe diese Stadt nicht einfach von ihnen geschenkt erhalten wollen!71 Die Kreuzfahrer hofften sogar, der Kaiser werde selber am Kreuzzugteilnehmen; sie wünschten seine per­ sönliche Anwesenheit und seine militärische Hilfe72. Alexios aber er­ klärte, er könne im Augenblick die Hauptstadt nicht verlassen73. Doch es sollte wenigstens ein kaiserliches Heer mit den Kreuzfahrern ausziehen und der Feldherr Tatikios den Kaiser vertreten. Man erwartete aber be­ stimmt, daß der Kaiser sobald als möglich selber nachfolgen und sich dem Kreuzzug anschließen werde. Um den Respekt und die Achtung von Sei­ ten der Kreuzfahrer zu bewahren, mußte Byzanz auch im Kampf gegen die Türken seine Stärke unter Beweis stellen. Wie sich diese Erwartun­ gen, die die Kreuzfahrer in den Kaiser setzten, erfüllten, oder nach Auf­ fassung der Chronisten eben nicht erfüllten, läßt sich an zwei markanten Ereignissen ablesen: an der Belagerung von Nikaea und der Eroberung von Antiochien.

Die Belagerung von Nikaea Nach der für viele langen Wartezeit vor Konstantinopel konnten die Kreuzfahrer nun endlich zur Tat schreiten. Es war von besonderer Wich­ tigkeit, das für Christen verehrungswürdige Nikaea den Seldschuken zu entreißen, die gewagt hatten, daraus ihre Hauptstadt zu machen. Die Kreuzfahrer begannen die Belagerung mit großem Eifer, doch muß­ ten sie schließlich erkennen, daß ein Erfolg sich nur einstellen konnte, wenn die Stadt auch von der Seeseite her eingeschlossen wurde. Ein sol­ ches Vorgehen bedingte jedoch das Eingreifen des Kaisers, denn nur er konnte Schiffe zur Verfügung stellen. Alexios ließ sich bitten! Es war ihm ganz recht, auf diese Weise klar machen zu können, daß es ohne ihn nicht ging74. Sobald seine Schiffe auf dem See auftauchten, erkannten die Türken die Aussichtslosigkeit ihrer Lage. Sie begannen, Verhandlungen aufzunehmen, wandten sich jedoch zu diesem Zweck nicht etwa an die Kreuzfahrer, sondern an den Kaiser! Die Kreuzfahrer sahen zu ihrem Er­

71 Anna Komnena, Alexiade X, xi, 10, hg. B. Leib Bd. II, S. 235. 72 «... et ipse conduceret eis per desertas regiones, quas ingressuri erant, forum omnium rerum venalium, et in omnibus bellicis negotiis sui praesentiam et suae gentis auxilium», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 17, RHC. Occ. Ill, S. 748. 73 Raimund von Aguilers, Historia Francorum II, RHC. Occ. Ill, S. 238. 74 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 180. 73

staunen eines Tages plötzlich auf den Mauern Nikaeas byzantinische Fah­ nen wehen! Der Kaiser hatte seine Stadt zurückgewonnen. Das Ziel war somit erreicht. Man konnte es als Resultat gemeinsamer Anstrengung auffassen, wie das Radulf von Caen tat: «Gallia certavit, Graecia adjuvit, Deus perpetravit.» 75 Es gab jedoch viele, die diese «Zu­ sammenarbeit» nicht in so positivem Sinne zu sehen vermochten, sondern mit dem Ausgang höchst unzufrieden waren76. Die Kreuzfahrer fühlten sich um ihren Sieg betrogen. Sie hatten die Mühseligkeiten und Entbehrungen einer langen Belagerung auf sich genommen, und nun war die verdiente Belohnung, nämlich die Besetzung und Plünderung der Stadt ausgeblie­ ben! Das gab ihnen den Eindruck, die Stadt gar nicht wirklich erobert zu haben, denn sie durften mm ja nicht nach Kriegsrecht mit ihr verfah­ ren77. Auch für den Kreuzfahrer, wie für jeden mittelalterlichen Krieger, gehörte zu einem echten Sieg die Beute; die Enttäuschung war darum groß. Raimund behauptet, Alexios habe vorher den Fürsten alles Gold und Silber und die ganze bewegliche Habe in der Stadt versprochen; nur des­ halb seien sie einverstanden gewesen, daß ihm Nikaea übergeben werde7879 . Doch der Kaiser hatte begreiflicherweise kein Interesse daran, die Stadt, die gemäß dem mit den Kreuzfahrern abgeschlossenen Vertrag ja mit Recht wieder zu seinem Reich gehören sollte, den Schrecken einer Plün­ derung auszusetzen. Er bemühte sich, die Kreuzfahrer auf andere Weise zufriedenzustellen, indem er großzügig von seinen eigenen Schätzen ver­ teilen ließ 7Ö. Doch selbst seine Freigebigkeit konnte nicht verhindern, daß viele sich benachteiligt fühlten. Jeder glaubte, zu kurz gekommen zu sein, und Raimund von Aguilers bemerkt bitter dazu, der Kaiser habe sich auf eine solche Weise dankbar erzeigt, daß das Volk ihn, solange er lebe, ver­ fluchen und ihn einen Verräter (proditor) nennen werde!80 Doch es war nicht allein die entgangene Beute, die mit einem Mißton den Erfolg der Eroberung von Nikaea trübte. Für die Kreuzfahrer war das Verhalten des Kaisers gegenüber den Türken schlechthin unbegreiflich.

75 Radulf von Caen, Gesta Tancredi XVI, RHC. Occ. Ill, S. 617. 76 «... alii cum benevolentia, alii aliter recesserunt», Ep is tula I, Anselmi de Ribodimente VIII, 6, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe S. 145. 77 «Poenitebat igitur eos longae obsidionis, quandoquidem non dominati sunt urbi more subjugatae civitatis»», Balderich von Doi, Historia Jerosolimitana I, 27, RHC. Occ. IV, S. 30. 78 Raimund von Aguilers, Historia Francorum III, RHC. Occ. Ill, S. 239. 79 Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana I, 10, RHC. Occ. Ill, S. 333. 80 «Alexius itaque, accepta civitate, tantam gratiarum actionem exercitui dedit, ut, quamdiu vixerit, populus semper ei maledicat, et proclamet eum proditorem», Raimund von Aguilers, Historia Francorum III, RHC. Occ. Ill, S. 240. 74

Sie, die ausgezogen waren, um wo immer es auch sei, gegen die Ungläubi­ gen zu kämpfen, konnten nicht verstehen, wieso der Kaiser nun die Tür­ ken schonte, sie nach Konstantinopel brachte und sie dort in keiner Weise als Gefangene, sondern im Gegenteil mit allen Ehren behandelte81. Daß die Türken dem Basileus die Stadt ohne Kampf übergeben hatten und nun offensichtlich seine Gunst genossen, mußte bei den Kreuzfah­ rern den Eindruck erwecken, es bestehe zwischen Byzantinern und Tür­ ken ein heimliches Einvernehmen. Balderich von Dol läßt in seinem Be­ richt die Türken dem Kaiser eine lange Rede halten, in der sie um seinen Schutz gegen die blutgierigen Kreuzfahrer bitten und sich anerbieten, fortan für ihn zu kämpfen und als treue Diener sein Reich zu schützen und zu verteidigen82. Der Chronist beschreibt damit ein Verhältnis, das ja in Wirklichkeit auch durchaus bestand. Türkische Soldtruppen waren zwar für die Kreuzfahrer ein Greuel, für die Byzantiner aber längst eine Selbstverständlichkeit. Die Komnenen waren nur dank türkischer Unter­ stützung an die Macht gekommen, und ein Abbruch dieser guten Bezie­ hungen war für sie undenkbar. Byzanz sah sich gezwungen, mit seinen östlichen Nachbarn einen modus vivendi zu finden, denn in seiner expo­ nierten Mittelstellung zwischen Westen und Osten, zwischen Norman­ nen und Türken, war es auf türkische Söldner angewiesen, um sich gegen eventuelle Angriffe aus dem Westen im Stile Robert Guiskards verteidi­ gen zu können83. In jener Zeit fühlten sich ja eben die Byzantiner stets ebensosehr von Westen her bedroht wie von Osten! Die Kreuzfahrer aber konnten für diese Zwangslage von Byzanz kein Verständnis aufbringen, erst später lernten diejenigen, die sich in Syrien und Palästina ansiedel­ ten, ebenfalls, mit ihren türkischen und arabischen Nachbarn in fried­ liche Beziehungen zu treten. Für die «echten Kreuzfahrer» aber war eine Verständigung mit den Ungläubigen unannehmbar. Sie erblickten in dem Einvernehmen des Kaisers mit den Türken ein verwerfliches Doppelspiel, und ihr Vertrauen in die Zuverlässigkeit des «christlichen Partners» er­ hielt einen neuen Stoß! Die Chronisten zögern denn auch nicht, den Kaiser heftig zu beschimpfen. Sie nennen ihn «plenus vana et iniqua 81 «... gensque gentilium ad urbem regiam indemnis deducta est: quam, ut dictum est, non modo captivitatis, sed honorificentia libertatis suscepit Imperator, magnisque dapsilitatibus educatam honoravit», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 27, RHC. Occ. IV, S. 30. 82 «... ex inimicis praepara nos servos tibi devotos», ebenda I, 26, S. 30. 83 Zur Lage von Byzanz vgl. Anna Komnena, Alexiade III, ix, 1, hg. B. Leib Bd. I, S. 130. Sein Mißfallen über die zusammengewürfelte byzantinische Söldnerarmee drückt zum Beispiel Raimund von Aguilers aus, vgl. oben S. 62. 75

cogitatione»84, sprechen von seinen «fraudulentos mores»85 und suchen für sein Verhalten die böswilligste Auslegung. Sie behaupten nämlich, Alexios habe die Türken nur geschont, um sie bei Gelegenheit gegen die Kreuzfahrer wieder verwenden zu können!86 Der Verdacht, Byzanz stehe mit den Türken gegen die Christen im Bund, verschwand fortan nie mehr ganz, sondern verstärkte sich zusehends. Das Erlebnis von Nikaea hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Balderich von Dol sieht darin geradezu die Wurzel für das tiefe Mißtrauen und den Haß der Lateiner gegen Byzanz. Alexios habe unrecht gegen die Kreuzfahrer gehandelt, darum hätten diese nun ihrerseits angefangen, an Rache zu denken!87 Die Eroberung von Antiochien

Nach einem unendlich mühseligen und durch größere Kämpfe wie bei Doryläum noch erschwerten Marsch durch Kleinasien war das Kreuz­ fahrerheer schließlich vor Antiochien angelangt. Wiederum konzentrierte sich das Geschehen auf eine Stadt, und wiederum handelte es sich dabei um eine Stadt, deren Name allein schon aufhorchen ließ. Antiochien als einer der drei großen Patriarchensitze des Ostens nahm in der christ­ lichen Hierarchie eine Ehrenstellung ein, konnte es doch wie Rom seine christliche Tradition auf den Apostel Petrus zurückführen, der hier ge­ lehrt hatte, noch bevor er nach Rom kam. Der Verlust Antiochiens im Jahre 638 war für die Byzantiner schmerzlich gewesen, um so größer je­ doch ihr Triumph, als 969 die Stadt in einem eigentlichen «Kreuzzug« für Byzanz zurückgewonnen wurde, als Krönung und Höhepunkt jener glanzvollen Zeit der Eroberungen88. Daß Antiochien 1085 neuerdings 84 Gesta Francorum II, 8, hg. L. Bréhier S. 40; «Sed et inde mente concipit fraudem, ut deinceps parturiat iniquitatem», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana III, 5, RHC. Occ. Ili, S. 758; «Cujus infidae menti per omnia principalis in hoc opere subjacebat intentio», Guibert von Nogent, Gesta Dei III, 9, RHC. Occ. IV, S. 159. 85 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 6, hg. A. Le Prevost, Bd. III, S. 506. 86 «Quod studiose servabat ut illos ad Francorum nocumenta et obstacula paratos haberet», Gesta Francorum II, 8, hg. L. Bréhier, S. 42. Im gleichen Sinne: Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana III, 5, RHC. Occ. III, S. 758, und Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 27, RHC. Occ. IV, S. 30. 87 «Hic primum patuit odiorum seminarium, hic compertum est inimicitiarum fomentum, hic discordiarum coeperunt incentiva pullulare, hic simultatum simulacra visa sunt succrescere: nam, quoniam Alexius non recte contra eos egerat, ipsi contra eum de ultione cogitabant», Balderich von Dol, Hi­ storia Jerosolimitana I, 27, RHC. Occ. IV, S. 31.

76

verlorengegangen war, konnte nichts daran ändern, daß es unbestreit­ bar als byzantinische Stadt galt, und man hatte die Hoffnung auf seine Rückgewinnung nicht aufgegeben. Die Kreuzfahrer, die ja nur 13 Jahre später vor der gewaltigen Festung eintrafen, waren zur Rückerstattung aller eroberten Städte verpflichtet, die früher dem Reich angehört hatten. Sollte sich nun das Spiel von Nikaea hier einfach noch einmal wieder­ holen? Im Vergleich zur Situation von Nikaea hatte sich Entscheidendes ge­ ändert, und die Eroberung verlief völlig anders. Diesmal waren Byzanz und sein Kaiser weit weg. Alexios hatte zwar seiner Verpflichtung gemäß dem Kreuzzug Truppen mitgegeben und deren Führer Tatikios zu seinem Vertreter bestimmt. Doch gerade als Hunger, Not und Entbehrungen bei den Belagerern ins Unerträgliche wuchsen und alle am Erfolg verzweifel­ ten, verließ Tatikios das Heer. Anna Komnena bemüht sich, ihn zu recht­ fertigen; er sei durch die Intrigen Bohemunds dazu gezwungen worden und sei weggegangen, um Alexios davon zu unterrichten, daß Bohemund die Eroberung der Stadt nicht für den Kaiser, sondern für sich selber be­ treibe 88 89. Die Kreuzfahrer aber konnten seiner Abreise nur eine Auslegung geben: sie sahen darin eine schmähliche Flucht und fühlten sich in höch­ ster Gefahr im Stich gelassen90. Man hoffte, Tatikios werde zurückkeh­ ren, doch er kam nicht mehr und wurde deshalb von allen verflucht91. Die Einnahme der Stadt gelang also diesmal nicht dank byzantinischer Hilfe, sondern war ausschließlich als ein Erfolg der Kreuzfahrer zu bu­ chen. Wenn auch dieser Erfolg hauptsächlich der Gewandtheit Bohe­ munds und einem Verrat zugeschrieben werden mußte, so war es doch eine wirkliche Eroberung. Die darauffolgende Plünderung der Stadt und das Gemetzel unter der Bevölkerung gaben den Kreuzfahrern — im Gegen­ satz zu Nikaea — das Bewußtsein ihres Sieges!,, Doch sofort galt es, die eroberte Stadt gegen das nahende Heer Kerboghas zu behaupten. Die erschöpften, ausgehungerten Kreuzfahrer wuß­ ten nach den erhaltenen Berichten, daß sie einer gewaltigen Übermacht gegenüberstehen würden. Doch immer noch hatte man die Hoffnung auf Byzanz nicht aufgegeben. Vor allem die einfacheren Leute warteten in dieser gefährlichen Lage ungeduldig auf den Kaiser, der ja versprochen

88 Vgl. R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. XIV. 89 Anna Komnena, Alexiade XI, iv, 3, hg. B. Leib Bd. III, S. 20. 90 Ges ta Francorum VI, 16, hg. L. Bréhier S. 78 ff.; Raimund von Aguilers, Historia Francorum VI, RHC. Occ. III, S. 246. 91 «Abiit autem, sed male perjurus nunquam rediit», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana II, 13, RHC. Occ. IV, S. 45. 77

hatte, dem Kreuzzug sobald als möglich zu folgen. Diese Erwartung auf Entsatz durch den Kaiser beweist sehr anschaulich eine kleine Episode, die vielleicht einer, der es selber miterlebt hatte, dem Chronisten erzählte: Als die verzweifelten Kreuzfahrer von den Türmen Antiochias Ausschau hielten, sahen sie in der Ferne eine ungeheure Staubwolke aufsteigen. Sofort atmeten einige erleichtert auf und glaubten, es sei der Kaiser mit seinem Heer, der ihnen zu Hilfe eile. In Wirklichkeit aber handelte es sich um die Scharen Kerboghas, die rasch die Stadt einschlossen!92 In der nun folgenden Schlacht fehlte also Byzanz wiederum. Hatte Anna Komnena noch die Schlacht bei Doryläum als einen Sieg der «römischen und keltischen Armee» 93 hinstellen können, so waren diesmal die Kreuzfahrer eindeutig auf sich allein angewiesen. Unter Aufbietung der letzten Kräfte und im Vertrauen auf die Heilige Lanze, deren Auffindung als Wunder empfunden wurde, schlugen sie die Türken in die Flucht und errangen einen glorreichen Sieg. Als nach dieser schweren Bewährungsprobe die Kreuzfahrer zum Wei­ termarsch nach Jerusalem bereit waren, stellte sich unvermeidlich die längst in der Luft liegende Frage, was nun mit Antiochien zu geschehen habe. Uber dieser Streitfrage bildeten sich sofort zwei Parteien94. Die einen erklärten klipp und klar, man habe sich an den Vertrag mit dem Kaiser zu halten und diesen durch eine Gesandtschaft aufzufordem, die Stadt in Besitz zu nehmen, wenn man nicht den geleisteten Schwur bre­ chen und meineidig werden wolle. Doch Byzanz war ja, dank den Intrigen Bohemunds, nicht vertreten. Niemand war da, der den kaiserlichen Anspruch verteidigen konnte, und so begannen sich andere zu fragen, ob denn der Kaiser seinerseits den Vertrag eingehalten habe und wirklich seinen Verpflichtungen nachge­ kommen sei. Dabei zeigte sich deutlich, daß bei vielen ein Stimmungs­ umschwung eingetreten war. Der Kaiser hatte durch sein Fernbleiben das in Byzanz gewonnene Prestige zu einem großen Teil wieder verloren. Die Kreuzfahrer hingegen hatten ihr Selbstvertrauen wiedergefunden und die alte Rivalität zu den Griechen flammte erneut auf. Aus den Kommen­ taren der Kreuzzugschronisten läßt sich von neuem ein sehr negatives Griechenbild rekonstruieren, das eine lange Reihe von Vorwürfen ent­ hält und viele Züge wiederaufnimmt, die wir schon in der frühen nor­ mannischen Kritik an Byzanz festgestellt haben. Als Stichwörter gelten wiederum die beiden Begriffe «Feigheit» und «Treulosigkeit». 92 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana VI, 7, RHC. Occ. III, S. 808. 93 Anna Komnena, Alexiade XI, iii, 5, hg. B. Leib Bd. III, S. 18. 94 Gesta Francorum X, 31, hg. L. Brehier, S. 168. 78

Das Versagen von Byzanz Wir haben im ersten Kapitel darauf hingewiesen, daß die Normannen nach ihren militärischen Erfolgen in den Byzantinern nur noch ein «genus ignavum» zu sehen vermochten, das zum Herrschen nicht mehr be­ rechtigt sei. Diese Einschätzung der Griechen ist auch den Kreuzfahrern nicht fremd. Auch sie übernehmen das Klischee von den «weibischen Griechen». So läßt Albert von Aachen die Gesandten dem Türken Kerbogha berichten, das Heer des Kaisers, das verweichlichte und weibische Geschlecht der Griechen, «gens mollis et effeminata», das sich selten in kriegerischen Übungen anstrenge, könne leicht besiegt und unterworfen werden95. Robert der Mönch erzählt mit ähnlichen Worten, nach der Niederlage vor Antiochien hätten die Türken vorgeschlagen, die Kreuz­ fahrer als Pilger nach Jerusalem ziehen zu lassen. Diese aber hätten ihnen stolz geantwortet, die Türken besäßen überhaupt kein Recht auf das Land; sie hätten keinen Grund sich zu rühmen, nur weil sie das wei­ bische Geschlecht der Griechen, «effeminatam gentem Graecorum», über­ wunden hätten,· mit Gottes Hilfe werde nun das fränkische Schwert für eine gerechte Vergeltung sorgen!96 In seiner Beschreibung des Krieges zwischen Bohemund und dem Kaiser nimmt der Dichter Radulphus Tortarius das Stichwort ebenfalls auf: «Est enim Graecus femina mollitie.» Sie sollten nicht glauben, daß sie gegen Männer kämpfen müßten, so feuert einer der Anführer seine Leute, denn die Griechen seien weibisch, und zudem gebe es unter ihnen viele kraftlose Eunuchen9798 . Der gleiche Vorwurf findet sich in breiter Ausmalung auch bei Guibert von Nogent wieder,· ja, er dient bei ihm geradezu als Erklärung für die Schwäche und Dekadenz des byzantinischen Reiches, das darum bei andern Völkern Hilfe gegen seine Feinde suchen müsse ".

95 «Imperatoris exercitus, gens Graecorum mollis et effeminata, bellorum exercitiis raro vexata, in virtute robustorum facile potuit superari, supe­ rata decollari», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis IV, 6, RHC. Occ. IV, S. 392; vgl. auch XII, 15, S. 698. 96 «Nec glorietur gens vestra, quia superaverit effeminatam gentem Graeco­ rum, quoniam, divina suffragante potentia, in cervicibus vestris meritum recompensabitur gladio Francorum», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana V, 2, RHC. Occ. Ill, S. 792. 97 «Istorum plures cognoscas esse spadones, Lubrica quem morem Graecia semper habet. Nolo viros tecum credas confligere ferro, Est enim Graecus femina mollitie», Radulphus Tortarius, Ad Gualonem v. 177 ff., hg. A. Jenal, Histor. Jahrbuch Bd. 37, S. 340. 98 Guibert von Nogent, Gesta Dei, I, 5, RHC. Occ. IV, S. 133. 79

Dieses allgemeine Klischee von der Feigheit der Griechen schien im Verhalten des Kaisers angesichts der vor Byzanz eintreffenden Kreuz­ fahrerheere seine Bestätigung zu finden. Es entging den Kreuzfahrern ja nicht, daß Alexios diese Truppenansammlung vor den Toren der Stadt nur mit großer Besorgnis mitansah. Die Chronisten übertreiben seine Ängstlichkeit und zögern nicht, ihn deswegen verächtlich zu machen: Alexios sei durch die Ankunft so vieler mächtiger Fürsten in höchsten Schrecken versetzt worden ". Guibert von Nogent nennt den Kaiser einen «timidus princeps»99 100 und behauptet, als die Ankunft Hugos von Vermandois angekündigt worden sei, hätten gleichsam die Fundamente ganz Griechenlands erbebt. Es habe zwar Fürsten gegeben, deren Ansehen bei den Kreuzfahrern höher im Kurs gestanden habe als dasjenige Hugos, aber bei anderen Völkern, vor allem bei den «inertissimos Graecos», bei den äußerst trägen Griechen, sei dem Bruder des Königs von Frankreich ein ungeheurer Ruhm vorausgegangen101. Das sind Töne, die stark an die Be­ schreibung der Expedition Guiskards erinnern!102 Ein Musterbeispiel, um den Byzantinern Feigheit vorzuwerfen, stellte für die Chronisten der Feldherr Tatikios dar. Er war ein bewährter, treuer General im Dienst des Kaisers, doch für die Chronisten zählte nur sein Verhalten bei der Belagerung Antiochiens. Albert von Aachen stempelt ihn gleich als «semper fugae intentus» ab, weil er bereits beim Aufstellen des Lagers sein Zelt etwas weiter von der Stadt entfernt aufschlug103. Tatikios habe vorgegeben, er wolle beim Kaiser für Nachschub sorgen und den Kreuzfahrern Getreide, Wein, Fleisch, Mehl und Pferde ver­ schaffen, also Dinge, die sie bitter nötig gehabt hätten; aber all dies seien nur falsche Vorspiegelungen gewesen,· in Wirklichkeit habe Tatikios ganz einfach Angst vor dem durch Gerüchte angekündigten Türkenheer ge­ habt. Deshalb bezeichnet ihn der anonyme Autor der Gesten als «inimicus»104. Auch Raimund von Aguilers weiß von Tatikios nur zu er­ 99 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 6, hg. A. Le Prevost, Bd. III, S. 497. 100 Guibert von Nogent, Gesta Dei II, 12, RHC. Occ. IV, S. 148. 101 «... totius Graeciae, ut ita dixerim, fundamenta tremuerant. Et licet aliorum procerum multo maior quam ipsius apud nos reputaretur auctoritas, apud tarnen exteros, praesertim apud inertissimos hominum Graecos, de regis Francorum fratre praevolarat infinita celebritas», Guibert von Nogent, Gesta Dei II, 19, RHC. Occ. IV, S. 150. 102 Vgl. oben S. 35. 103 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis III, 38, RHC. Occ. IV, S. 366. 104 «Ivit ille inimicus et omnia sua dimisit in campo et in perjuro manet et manebit”, Gesta Francorum VI, 16, hg. L. Bréhier S. 80.

80

zählen, er habe sich durch feige Flucht entzogen, nachdem er nicht nur erfindungsreiche Lügen, sondern auch Schädigung des Heeres, Verrat an den Bundesgenossen und Meineid auf sein Gewissen geladen habe105. Doch auch der Kaiser handelte in den Augen der Kreuzfahrer nicht bes­ ser als sein Untergebener. Alexios war ja zwar wirklich aufgebrochen, um sich seinem Versprechen gemäß, dem Kreuzzug anzuschließen. Auf Grund der Berichte, die ihm fliehende Kreuzfahrer nach Philomelion brachten, mußte er jedoch annehmen, er sei zu spät gekommen und das Kreuz­ fahrerheer sei bereits vernichtet. Daraufhin kehrte er um, denn er konnte es sich nicht leisten, sein Heer und seine Hauptstadt aufs Spiel zu setzen, besonders weil er nach der vermeintlichen Katastrophe der Kreuzfahrer einen heftigen Gegenstoß der siegreichen Türken befürchtete und glaubte, sich dagegen vorsehen zu müssen. Als die Kreuzfahrer in Antiochien spä­ ter erfuhren, daß der Kaiser den Rückzug angetreten habe, war ihre Em­ pörung groß. Die Kritik der Chronisten richtet sich weniger gegen Ste­ phan von Blois und seine Mitläufer, obwohl doch diese durch ihre Flucht und durch ihre übertriebene Berichterstattung die Schuld am Entschluß des Kaisers trugen, als vielmehr gegen den Kaiser selber, dessen Verhalten ihnen feige und verächtlich erschien. Zitternd und bebend vor Angst habe der Kaiser die Umkehr befohlen, behauptet Albert von Aachen106, und auch die Gesten erzählen, der Kaiser habe nur aus Furcht vor dem Tode durch die Türken den schnellen Rückzug angeordnet107. Der ano­ nyme Verfasser schließt noch eine ergreifende Klagerede von Bohemunds Bruder Guido an, der sich ebenfalls im Gefolge des Kaisers befand und mit vielen Nachzüglern aus dem Westen gegen seinen Willen zur Rück­ kehr gezwungen wurde. Gerade dies erregte den besonderen Unwillen der Chronisten, daß der Kaiser nicht nur sich selber «feige» zurückzog, son­ dern auch noch nachfolgende Kreuzfahrer hinderte, den Kreuzzug einzu­ holen und dadurch der christlichen Sache die bitter nötigen frischen Kräfte entzog108. Man nahm ihm auch besonders übel, daß er auf dem Rückweg durch Kleinasien die Gegend verwüsten ließ, um einen even­ tuellen Einfall der Türken zu erschweren, eine begreifliche, aber in den Augen der Kreuzfahrer ebenfalls nur von der Furcht diktierte Maßnahme,

105 «Hic non solum commentis, verum etiam maximis impendiis, proditione sociorum et perjurio cumulatis, per fugam lapsus est», Raimund von Aguilers, Historia Francorum VI, RHC. Occ. III, S. 246. 106 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis IV, 41, RHC. Occ. IV, S. 418. 107 Gesta Francorum, IX, 27, hg. L. Brehier S. 142. 108 Raimund von Aguilers, Historia Francorum XIV, RHC. Occ. III, S. 267. 81

die dem Kaiser für ewig den Ruf eintrug, den Pilger- und Kreuzzugsweg durch Anatolien absichtlich erschwert und zerstört zu haben109. Gerade die zuletzt genannten Vorwürfe zeigen klar, daß auch in den Berichten des ersten Kreuzzuges hinter der Feigheit und Schwäche, deren die Byzantiner ständig beschuldigt werden, eine weit umfassendere Kritik steht. Für die Kreuzfahrer konnte das Fazit ihrer Beziehungen zum Kaiser nur dahin lauten, daß Byzanz völlig versagt hatte. Statt den Kreuzzug durch Truppen und durch die Anwesenheit des Kaisers zu unterstützen, hatte der byzantinische Feldherr das Heer im Stich gelassen und der Kai­ ser selber war auf halbem Wege umgekehrt; statt den aus dem Westen kommenden Kreuzfahrern keine Hindernisse in den Weg zu legen, hatte sie der Kaiser gezwungen, mit ihm umzukehren, und statt den Weg durch Kleinasien offen zu halten, hatte er durch Verwüstung des Landes den wichtigen Nachschubweg durch Kleinasien in Frage gestellt. So faß­ ten die Kreuzfahrer das Verhalten von Byzanz auf. Für den Standpunkt des Kaisers, dessen strategische Entschlüsse aus der berechtigten Besorg­ nis um seine stets gefährdete, unersetzliche Hauptstadt durchaus zu recht­ fertigen sind und für den die Politik der verbrannten Erde ein in Asien seit jeher übliches, legitimes Kriegsmittel bedeutete, hatten die Kreuz­ fahrer wenig oder gar kein Verständnis. Die Kreuzfahrer hatten sich verpflichtet, den Rechtsstandpunkt des byzantinischen Reiches zu anerkennen, doch sie hatten verlangt, daß der Kaiser seinerseits sein Versprechen einhalte. Immer wieder war der Wunsch ausgesprochen worden, der Kaiser möge kommen und sogar die Führung übernehmen. Nach der Einnahme Antiochiens, als man vom Rückzug des Kaisers noch nichts wußte, hatten diejenigen, die für eine Zusammenarbeit mit Byzanz eintraten, noch einmal eine Gesandtschaft an Alexios gerichtet, um ihn aufzufordem, er solle möglichst rasch kom­ men, um die Stadt in Empfang zu nehmen, und er solle die Bedingungen ihnen gegenüber erfüllen110. Doch der Kaiser war nicht gekommen! In diesem Punkt schien das Versagen von Byzanz am offensichtlichsten. Je länger die Kreuzfahrer in Antiochia warteten, um so mehr festigte sich in ihnen die Überzeugung, der Kaiser werde auch nicht kommen. Hatte er aber in diesem Fall überhaupt noch ein Anrecht auf die Stadt? Hatte es

109 Gesta Francorum IX, 27, hg. L. Bréhier S. 144; Radulf von Caen, Gesta Tancredi LXXII, RHC. Occ. Ili, S. 659; Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis IV, 41, RHC. Occ. IV, S. 418. Vgl. unten S. 125. HO «... miserunt nobilissimum comitem Hugonem Magnum imperatori Contantinopolim ut ad recipiendam civitatem veniret et conventiones quas erga illos habebat, expleret», Gesta Francorum X, 30, hg. L. Bréhier S. 160. 82

noch einen Sinn, ihm die Stadt auszuliefern? Raimund gibt uns diese Überlegungen, die wohl viele Kreuzfahrer anstellten, genauestens wieder: «Was wird mit Antiochien geschehen? Wer wird es schützen und be­ wahren? Der Kaiser wird nicht kommen. Als er die Nachricht erhalten hat, daß die Türken uns belagern, ist er geflohen, weil er weder in die Tap­ ferkeit noch in die große Zahl seiner Leute Vertrauen gehabt hat. Was also sollen wir ihn erwarten? Ganz bestimmt wird der uns nicht zu Hilfe kommen, der unsere Brüder, die zur Unterstützung der Sache Gottes und unserer selbst herbeieilten, zur Umkehr zwang.»111 War der Kaiser über­ haupt noch imstande, die Verteidigung Antiochiens zu übernehmen? Radulf von Caen läßt einmal Tankred sagen, es habe keinen Sinn, die er­ oberten Städte wieder unter den Schutz der Griechen zu stellen, denn die Franken allein seien imstande, wirksamen Schutz zu garantieren. Städte und Dörfer den Griechen zurückgeben, heiße soviel wie sie den Türken zurückgeben!112 Später wird denn auch Ekkehard — obwohl fälschlicher­ weise — behaupten, der Kaiser habe Nikaea wieder in türkische Hände fallen lassen, ja es schien ihm nicht unglaubwürdig, daß der Kaiser es geradezu den Türken übergeben habe113. Wenn man solche Zweifel an der militärischen Stärke und Zuverlässigkeit der Byzantiner hegen mußte, war da der Christenheit nicht besser gedient, wenn ein Franke in die Lücke trat, der die wichtige Stadt Antiochien auch sofort zu schützen im­ stande sein würde, statt zu warten, bis es dem Kaiser endlich genehm sein würde, nach Syrien zu kommen? Das Ausbleiben des Kaisers bewirkte, daß die Führer des Kreuzzuges, außer Raimund von Toulouse, schließlich gewillt waren, sich Bohemunds Auffassung anzuschließen und ihm, dem man ja die Eroberung der Stadt verdankte, die Herrschaft über Antiochien zu überlassen!114

111 «Quid fiet de Antiochia? Quis servabit eam? Imperator non veniet. Etenim accepto nuntio quod Turci obsiderent nos, non confidens virtuti suae neque hominum multitudini, quam secum habebat, aufugit. An adhuc exspectabimus eum? Certe non veniet in auxilium nostrum, qui fratres nostros ad auxilium Dei et nostrum venientes, ut reverterentur coegit», Rai­ mund von Aguilers, Historia Francorum XIV, RHC. Occ. Ill, S. 267. 112 «... porro Graecis ereptas (urbes) talibus non oportere reddi tutoribus,· Francos esse qui hujusmodi tutelae soli sufficerent; alioquin urbes et oppida restitui Graecis, id esse restitui Turcis», Radulf von Caen, Gesta Tancredi XVII, RHC. Occ. Ill, S. 618. 113 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXXIII, RHC. Occ. V, S. 37. 114 Zum Streit um Antiochien vgl. Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis V, 2—3, RHC. Occ. IV, S. 433; Anna Komnena, Alexiade XI, ix, 1, hg. B. Leib Bd. Ill, S. 39; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 224, 249, 262. 83

Wenn wir uns jetzt noch einmal die Frage stellen, wie es wohl um den Anspruch von Byzanz stand, Verteidigerin der Christenheit und Vor­ macht im Kampf gegen die Türken zu sein, so müssen wir feststellen, daß wahrscheinlich manche bereits der Meinung waren, Byzanz habe nichts getan, um diese Titel weiterhin zu verdienen und es sei nicht mehr im­ stande, diese Aufgabe zu erfüllen. Wilhelm von Tyrus wird später klar behaupten, seit der Katastrophe von Manzikert von 1071 sei eine Wende eingetreten. Byzanz habe seine führende Stellung im Vorderen Orient für immer eingebüßt, und diese verhängnisvolle Schlacht rechtfertige das Eingreifen des Westens115. Solche Zusammenhänge waren den Chronisten des ersten Kreuzzuges noch nicht völlig klar, doch immer wieder lassen sich Ansätze zu einer ähnlichen Auffassung der Rolle von Byzanz fest­ stellen. So schildert etwa Radulf von Caen die Lage, die Tankred in Kili­ kien an traf, mit folgendem Vergleich: «In jener Zeit war es den Türken bestimmt, zu herrschen, den Griechen, zu dienen, und den Armeniern, in den Bergen die Freiheit zu schützen!»116 Sehr eindeutig drückt sich Ekkehard in diesem Sinne aus, wenn er berichtet, der Kaiser selber habe dem Papst geschrieben, er sei der Aufgabe, die Kirche des Ostens zu ver­ teidigen, nicht mehr gewachsen117, und an einer anderen Stelle faßt der gleiche Chronist noch einmal eindrücklich all das zusammen, was in den Augen des Westens die Größe und das Prestige von Byzanz ausmachte, um dann festzustellen, daß all dies, worauf die Byzantiner so stolz seien, nicht ausgereicht habe, um ihre Hauptstadt zu schützen; nur Gottes Hilfe habe Byzanz vor einer Verwüstung durch die Türken, wie sie Nikaea er­ fahren habe, verschont: «Vor ihren Schwertern hat dich, du edles Kon­ stantinopel, weder die tausendfache List deines Herrschers geschützt, noch haben dich deine unendlich zahlreichen Bürger, die Häufigkeit deiner Märkte oder die unerschöpflichen Goldschätze gerettet; und auch die große Menge der Varäger, Turkopolen und Petschenegen hat dich nicht verteidigt, sondern allein der dazwischenliegende Meeresarm hat dich 115 Wilhelm von Tyrus, Historia Rerum in Partibus Transmarinis gestarum, I, 9, RHC. Occ. I, S. 29 und I, 11, S. 33; R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. IV ff.; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 64: «To the later Crusaders ist seemed that the Byzantines had forfeited on the battlefield their title as the protectors of Christendom. Manzikert justified the intervention of the West.» 116 Radulf von Caen, Gesta Tancredi XXXIV, RHC. Occ. Ill, S. 630. 117 «Praedictus etiam Alexius... non paucas epistulas Urbano papae direxit, quibus in defensionem orientalium ecclesiarum se non sufficere deploravit», Ekkehard von Aura, Hierosolymita V, RHC. Occ. V, S. 14; ähnlich auch im «Brief des Alexios an den Grafen von Flandern», vgl. dazu unten S. 126 ff.

84

beschützt, das heißt, die Hand Gottes hat dich bewahrt.»118 Fast alle Züge dieses Portäts haben wir bereits in dem Bild vorgefunden, das die norman­ nischen Chroniken von Byzanz entwarfen. Auch Ekkehard betont die List und Verschlagenheit des Kaisers, erwähnt nicht ohne Neid den Reichtum der Stadt und spricht besonders verächtlich von der «multitudo», die das byzantinische Söldnerheer kennzeichne und die stets in Gegensatz zur «fortitudo» der Franken gestellt wird119. Auch er zweifelt an der Verteidi­ gungsbereitschaft von Byzanz. Immer wieder berufen sich die Kreuzfahrer gegenüber den Griechen auf ihre Kriegstüchtigkeit und Kampfesbereitschaf112°. Die siegreiche Behaup­ tung Antiochiens gegen Kerbogha hatte den Stolz der Kreuzfahrer auf ihre eigenen Leistungen gewaltig anschwellen lassen. Anna Komnena schien zu spüren, daß sie diesen großen Erfolgen der Franken etwas entgegen­ setzen mußte, um das Ansehen von Byzanz zu wahren. Sie berichtet des­ halb ausführlich und mit höchstem Lob von den Feldzügen, die der Kaiser inzwischen im westlichen Kleinasien unternahm und die einen großen Teil Anatoliens wieder byzantinisch werden ließen121. Für die Kreuzzugs­ chronisten aber zählte allein «ihr» Kreuzzug, und hier hatte Byzanz versagt. Nachträglich freuten sie sich beinahe darüber, daß die Byzantiner nicht dabei gewesen waren, denn «sonst hätte man den Sieg nur der griechi­ schen Übermacht (multitudo!) statt der fränkischen Tapferkeit (forti­ tudo!) zugeschrieben», meint Balderich von Dol122, und Ordericus Vitalis nimmt denselben Gedanken auf: Weil der Kaiser umgekehrt sei, gebühre der Siegesruhm allen denen, «qui legitime certaverant», die wirklich ge­ 118 «His te gladiis, o nobilissima Constantinopolis! nec régis tui tutavit milleformis astutia, nec civium populositas innumera, non te frequentia nundinarum, vel infinita congeries auri redemit; non te Waringorum, non te Turcopolorum tuorum, vel Pincinatorum classiumve multitudo défendit; solum tibi stagni praedicti interstitium praesidio fuit: immo sola te Creatoris operatio munivit», Ekkehard von Aura, Hierosolymita III, RHC. Occ. V, S. 13. 119 Vgl. «Imperator... non confidens virtuti suae neque hominum multitudini, quam secum habebat, aufugit», Raimund von Aguilers, Historia Francorum XIV, RHC. Occ. III, S. 267. 120 Man erinnere sich an jenen Franken, der es wagte, sich auf den kaiserlichen Thron zu setzen und der sich dem Kaiser gegenüber rühmte, er sei noch nie im Zweikampf besiegt worden, vgl. oben S. 69. 121 Anna Komnena, Alexiade XI, v, 1, hg. B. Leib Bd. III, S. 23 ff. 122 «Si enim Alexius imperator advenisset Turcosque superasset, triumphus gentis suae non exercitui Dei ascriberetur; et Graecorum multitudini deputaretur, non Francorum fortitudini», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana III, 13, RHC. Occ. IV, S. 73.

85

kämpft hätten, also den Franken!123 Die Byzantiner waren dem Kampf mit den Türken feige ausgewichen, die Kreuzfahrer aber hatten an ihrer Stelle die Aufgabe übernommen. Wenn die Ereignisse im Westen in die­ ser Beleuchtung dargestellt wurden, dann brauchte es nicht mehr viel, um die Idee wachzurufen, die Franken hätten im Orient die Griechen zu «ersetzen»». Bei vielen Kreuzfahrern hatte der bisherige Verlauf des Zuges zum min­ desten den Eindruck erwecken müssen, es sei besser, sich nur auf die eigene Stärke zu verlassen und nicht mit byzantinischer Unterstützung zu rechnen. Diese negative Einstellung wurde aber noch dadurch verstärkt, daß für die Kreuzfahrer in dem Versagen von Byzanz nicht nur Feigheit und Schwäche zu liegen schien, sondern darüber hinaus deutlich schlech­ ter Wille, ja sogar offener Verrat von Seiten des Kaisers. Wir haben deshalb noch zu zeigen, welche Interpretation der Vorwurf, die Griechen seien «perfidi»», im Zusammenhang des Kreuzzuges erfährt.

«Imperator perfidus»»

Der Topos, der die Griechen allesamt als listig und verschlagen charak­ terisierte, wurde auch von den Kreuzzugschroniken ohne weiteres über­ nommen. Wir haben bereits erwähnt, wie mißtrauisch sich Gottfried von Bouillon von Anfang an dem Kaiser gegenüber verhielt, weil er «soviel Schlechtes über ihn gehört»» und auf die Hinterlist und Treulosigkeit der Byzantiner aufmerksam gemacht worden war124. In allen möglichen Varianten, die deutlich an die Ausdrücke erinnern, die wir bereits in den normannischen Chroniken vorgefunden haben, taucht derselbe Vorwurf immer wieder auf. Die Gesta Francorum kennzeichnen das Verhalten des Kaisers gegen die Kreuzfahrer bei Konstantinopel als «callide fraudulenterque»»125. Albert von Aachen warnt nachdrücklich vor den «versutias»» und den «verba dolosa»» der Byzantiner126; sogar der kluge Bohemund habe die Unterredung mit dem Kaiser gescheut, weil dieser als ein «vir callidus et subdolus»» gelte127. Uber die «dolositates»» des Kaisers beklagt 123 «Imperator, nimis credulus verbis Carnotensis, Constantinopolim reversus est, et gloria victoriae et triumphi de Turcis divinitus aliis, qui legitime certaverant, reservata est»», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 10, hg. A. Le Prévost, Bd. Ill, S. 553. 124 Vgl. oben S. 65. 125 Gesta Francorum II, 6, hg. L. Bréhier S. 28. 126 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 10, RHC. Occ. IV, S. 306. 127 Ebenda II, 18, S. 312.

86

sich auch Robert der Mönch128, und sehr wortreich schildert Ordericus Vitalis, wie Alexius die Kreuzfahrer zu täuschen versucht habe, denn er sei «callidus et facundus, largus, et fallendi artifex ingeniosus»»129. Ekke­ hard faßt alle diese verschiedensten Bezeichnungen in einem beispielhaf­ ten Ausdruck zusammen, wenn er von der «milleformis astutia»» des Kai­ sers spricht130. Es finden sich nun aber auch in den Kreuzzugschroniken noch weit schwerwiegendere Bezichtigungen, so etwa wenn vom «iniquus imperator«131 oder «nequissimus imperator« 132 die Rede ist und wenn gar Guibert von Nogent seine Anklagen so weit steigert, daß er häufig vom «perfidus imperator»» und vom «impius Imperator»» berichtet133. Wir haben also auch hier wieder zu untersuchen, warum die Chronisten die Gewandtheit und Verschlagenheit der Byzantiner nicht einfach als eine unter Umständen im Krieg nützliche und auch nach westlicher, jedenfalls normannischer Auffassung lobenswerte Eigenschaft erwähnen, sondern immer deutlicher einen negativen Sinn hineinlegen und schließ­ lich ihre Kritik steigern bis zum Vorwurf der vollendeten Treulosigkeit und des Verrats an der christlichen Sache. Wenn die Chronisten Alexios als einen gewandten, einfallsreichen Herrscher charakterisieren, so haben sie damit ja gar nicht unrecht. Anna Komnena selber nennt ihren Vater einen erfindungsreichen, listigen Men­ schen134. Immer wieder stoßen wir in ihrer Schilderung auf ihre Bewun­ derung für seine Gewandtheit, seine Verstellungskunst, seine Beredsam­ keit und seine Kriegslisten, also gerade für die Eigenschaften, die bei den Kreuzzugschronisten schließlich nur noch in negativem Lichte erscheinen. Sie rühmt die vorgetäuschte Blendung Ursels von Bailleul135,· sie erwähnt, Alexios habe klugerweise im Kampf gegen Bryennios mehr auf den Er­ folg seiner Kriegslisten gerechnet als auf die Stärke seiner Truppen136,· sie schildert begeistert, wie Alexios und sein Bruder es verstanden hätten, ihre wahren Absichten gegenüber Nikephoros Botaneiates zu verheim­ lichen137; sie behauptet, Alexios habe Robert Guiskard an Klugheit und

128 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 9, RHC. Occ. III, S. 744. 129 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 6, hg. A. Le Prévost Bd. III, S. 496. 130 Ekkehard von Aura, Hierosolymita III, RHC. Occ. V, S. 13. 131 Gesta Francorum I, 3, hg. L. Bréhier S. 14 und S. 16. 132 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana I, 13, RHC. Occ. III, S. 736. 133 Guibert von Nogent, Gesta Dei II, 11, RHC. Occ. IV, S. 146; II, 12, S. 147; III, 4, S. 154; V, 26, S. 200. 134 Anna Komnena, Alexiade, X, x, 2, hg. B. Leib Bd. II, S. 227. 135 Ebenda I, iii, 4, Bd. I, S. 16. 136 Ebenda I, v, 1, S. 19. 137 Ebenda II, ii, 4, S. 68. 87

Gewandheit noch übertroffen138, und sie lobt den Kaiser, weil er auf den offenen Kampf verzichtete und Bohemund durch eine List besiegte139. Oft vergleicht sie Alexios mit dem einfallsreichen Palamedes aus dem Trojanischen Krieg140, und aus ihrer ganzen Darstellung läßt sich heraus­ lesen, daß sie trotz aller Anerkennung kriegerischer Erfolge ihren Vater noch mehr bewunderte, wenn es ihm gelang, den Kampf zu vermeiden und durch diplomatische Gewandtheit zum Ziel zu gelangen. Für das wilde, unbesonnene Dreinschlagen der «Franken» hatte sie nicht viel übrig, wenn sie auch deren militärische Stoßkraft anerkannte. Ihre Ein­ stellung entsprach einer in Byzanz seit langem spürbar werdenden Abnei­ gung gegen den Krieg. Auf die große Zeit Basileios II. war eine eigent­ liche Kriegsmüdigkeit gefolgt, und man hatte gehofft, nun werde eine Friedensära beginnen. Immer mehr hatte sich in den hauptstädtischen Kreisen die Tendenz durchgesetzt, wenn möglich alle auswärtigen Pro­ bleme durch geschickte Verhandlungen oder Geldzahlungen zu lösen und nur Krieg zu führen, wenn es sich wirklich nicht umgehen ließ141. Da diese Politik für die Verteidigung des Reiches katastrophale Folgen gehabt hatte, war nun zwar mit Alexios Komnenos wieder ein echter Feldherr Kaiser geworden, doch infolge der schlechten Zustände in der Armee griff auch er häufig zu den Mitteln der «Diplomatie», für die er großes Ge­ schick bewies. Gerade diese dem Krieg abgeneigte und nach andern Wegen suchende Haltung aber war es, die den westlichen Chronisten als feige erschien. Sie sahen darin ein Zeichen von Schwäche und folgerten daraus, Byzanz sei gezwungen, diese Schwäche durch Hinterlist wettzumachen. Zwar ver­ schmähten die Kreuzfahrer selber keineswegs immer jegliche Anwendung von Kriegslisten, wie das Beispiel der Eroberung Antiochiens deutlich zeigt! Bezeichnenderweise war es ein Normanne, nämlich Bohemund, der den Ausweg fand, die Stadt durch List und Verrat zu erobern, als alle Tapferkeit und alle Belagerungskünste nicht zum erwünschten Erfolg führten142, aber Robert der Mönch erzählt ohne den geringsten Tadel, ja sogar mit echter Bewunderung, daß der gemeinsame Beschluß gefaßt wurde, die Stadt «non virtute, sed ingenio,· arte, non Marte; machinaEbenda IV, vi, 1, S. 157. Ebenda V, v, 5, Bd. II, S. 25. Ebenda I, iii, 1, Bd. I, S. 15; II, ii, 4, S. 68. Vgl. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 83; C. Neumann, Weltstellung des byzantinischen Reiches S. 79; vgl. oben S. 38 ff. 142 «Restat ergo ut ad consiliorum divertamus experimenta, quandoquidem nobis non prosunt vel armorum, vel congressuum machinamenta», Balderich von Doi, Historia Jerosolimitana II, 19, RHC. Occ. IV, S. 54.

138 139 140 141

88

mento, non conflictu bellico« in die Gewalt der Kreuzfahrer zu bringen, wie er sich rhetorisch ausdrückt143. Auch er anerkennt damit den Grund­ satz, daß dort, wo Tapferkeit und Gewalt nichts ausrichten, das «mensch­ liche Ingenium« eingreifen dürfe! In erster Linie aber zählt für die west­ lichen Chronisten der Kampf. Was sie bewundern, ist militärische Tüch­ tigkeit. Byzanz aber suchte nach ihrer Auffassung jeden Kampf zu um­ gehen, und zwar auf «hinterlistige« Art und Weise. Durch die Ankunft der Heere aus dem Westen erschreckt, habe der Kaiser, um der Gefahr zu entrinnen, versucht, die Kreuzfahrer durch Listen zu täuschen, meint Ordericus Vitalis144, und Robert der Mönch stempelt Alexios zu einem «subdölus imperator«, der verzweifelt nach einem Ausweg gesucht habe; wer wie Alexios ständig auf hinterhältigen Betrug sinne, werde stets von Angst verzehrt, denn er müsse immer befürchten, daß das Böse, das er gegen andere im Schilde führe, ihm auf gleiche Weise heimbezahlt werde145. Das Musterbeispiel für die «fraudulentos mores» aber bildete natürlich das Verhalten der Byzantiner bei Nikaea146. Ganz deutlich stellt uns auch Radulf von Caen den Gegensatz zwischen westlicher Kampf­ bereitschaft und byzantinischer «Diplomatie«, die alle Mittel verwende, vor Augen. Er beschreibt, wie Tankred sich überlegt, ob er Alexios stra­ fen könne, sich dann aber seine Unterlegenheit eingestehen muß: «Confert autem hinc vires, inde dolos; hinc audaciam, inde potentiam; hinc milites, inde divitias; hinc paucitatem, indem multitudinem.« 147 An erster Stelle steht auf Seiten des Westens die Tapferkeit, auf Seiten von Byzanz die List! Zunächst einmal hat also wohl der Eindruck, Byzanz wende List und Verschlagenheit an, um jedem Kampf auszuweichen, zur nega­ tiven Einschätzung der byzantinischen Haltung beigetragen. Daß jedoch die Steigerung der Vorwürfe bis zum Ausdruck «perfidus« möglich wurde, läßt sich damit allein nicht ausreichend erklären. Im Wort «perfidus» steckt ja, wie wir bereits festgestellt haben, mehr als der bloße Vorwurf der List und Verschlagenheit, und in der Kreuzzugszeit erhielt ein Wort wie «perfidus« erst recht eine sehr ernste Bedeutung.

143 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana IV, 1, RHC. Occ. Ill, S. 775. 144 «Alexius... audito adventu tantorum baronum nimis territus est, et perspecta arte per quam periculum evaderet, sub specie pacis eos dolo decipere conatus est», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica IX, 6, hg. A. Le Prévost Bd. Ill, S. 497. 145 «... Mens enim fraude plena semper anxiatur et est sollicita; et quod machinatur alteri, pertimescit semper sibi machinari», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 17, RHC. Occ. Ill, S. 748. 146 Vgl. oben S. 73. 147 Radulf von Caen, Gesta Tancredi XI, RHC. Occ. Ill, S. 612.

89

Die Chronisten beurteilten eben alles Geschehen nur danach, ob es der «Sache Gottes», also dem Kreuzzug, förderlich sei oder nicht. Die Kreuzfahrer selber fühlten sich als Heer Gottes, als «populus Dei»148, das dazu bestimmt war, seinen Auftrag auszuführen und die Ungläubigen zu besiegen. «Perfidus» war jeder, der dieses Werk hinderte oder im Stich ließ. Gerade diese Beschuldigung glaubten aber die Kreuzfahrer mit Recht gegen die Byzantiner erheben zu dürfen,· darum schien ihnen deren Ver­ halten so verwerflich, daß sie sich nicht scheuten, in ihren Anklagen so schwerwiegende Ausdrücke wie «proditio» und «perjurium» anzuwenden. Byzanz hatte ihrer Meinung nach die Sache Gottes verraten! Der Eindruck, Byzanz hindere den Kreuzzug, rührte schon von den Schwierigkeiten vor Konstantinopel her. Die Kreuzfahrer, besonders die einfacheren Leute, hatten einen ungeheuren Drang voranzukommen, um endlich das ersehnte Ziel Jerusalem zu erreichen. Jede Verzögerung ließ sie ungeduldig werden. Daß die Heere so lange vor der Stadt liegen blei­ ben und sich die Überfahrt über den Bosporus durch mühsame und lang­ wierige Verhandlungen erkämpften mußten, enttäuschte viele. Sie hat­ ten ja gehofft, in Byzanz einen Stützpunkt und nicht ein Hindernis vor­ zufinden! Es empörte sie, daß der Kaiser die Verweigerung der Überfahrt und des Lebensmittelnachschubs als Druckmittel gebrauchte, um den Lehenseid zu erzwingen. Zeigte das nicht deutlich, daß es allein an By­ zanz lag, wenn man nicht weiterkam?149 Das gleiche galt für Kleinasien. Die Kreuzfahrer hatten die Überzeu­ gung, daß es in vielem von Byzanz abhing, ob der Weg zum Heiligen Grab offen blieb. Nach der Katastrophe der Scharen Peters des Eremiten, für die man den verräterischen Byzantinern die Schuld gab 15°, hatte man dem Kaiser die Unterstützung der Kreuzfahrer- und Pilgerzüge zur Pflicht gemacht. Nach Auffassung der Chronisten sollte Byzanz eine ähnliche Aufgabe erfüllen wie ein Rastort an einem Wallfahrtsweg. Es hatte den Durchziehenden Schutz, Obdach und Geleite zu gewähren und sie mit Lebensmitteln, Kleidern und Geld zu versorgen. Stets wird betont, der Kaiser habe zusichern müssen, «er werde nie mehr einem Pilger Schaden zufügen oder zufügen lassen»!151 Gerade weil die vom Kaiser organisierte Verpflegung und Bewachung der Kreuzfahrerheere auf dem Weg bis Kon­ 148 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis V, 3, RHC. Occ. IV, S.434. 149 «Angustiabantur Franci, juramentum facere renuentes, praesertim quum Graeci aliter eis meatum nequáquam consen tiren t. Quid facerent? Contra Christianos pugnare nolebant; transitum habere pacific! non poterant: 150 Vgl. oben S. 64. 151 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana II, 17, RHC. Occ. Ill, S. 748.

90

stantinopel relativ gut geklappt hatte, nachdem einmal die Anfangsschwie­ rigkeiten überwunden waren, glaubte man, auch in Kleinasien hänge es nur vom guten Willen des Kaisers ab, das Heer ebenso ausreichend zu verproviantieren. Als sich die Hoffnungen nicht erfüllten, vermutete man dahinter nicht Unvermögen, sondern schlechte Absicht. Tatikios, von dem man ja vergeblich gehofft hatte, er werde mit Nachschub und fri­ schen Truppen zurückkehren, wird nicht nur als Feigling, sondern als «perjurus” und «inimicus» bezeichnet152. Er ging «cum Dei maledictione»153 weg, weil er die Sache Gottes im Stich gelassen hatte. Dieser Vorwurf traf jedoch nach der Meinung der Kreuzfahrer noch in viel höherem Maße auf den Kaiser selber zu, der ja bei Philomelion um­ gekehrt war und den Kreuzzug seinem Schicksal überlassen hatte. Das ver­ ziehen ihm die Kreuzfahrer nie, denn für sie war es ein Verrat an der Christenheit, der all ihr Mißtrauen und ihre Abneigung gegen die Byzan­ tiner zu rechtfertigen schien. Ihrer Meinung nach hätte der Kaiser, auch wenn die Lage noch so aussichtlos scheinen mochte, doch versuchen müs­ sen, ihnen in Antiochien zu Hilfe zu kommen. Sie ließen keine Entschul­ digung gelten, obwohl der Kaiser auf jeden Fall zu spät eingetroffen wäre154. So schien der ganze Verlauf des ersten Kreuzzuges den Kreuzfahrern zu beweisen, daß Byzanz überall da, wo es den Kreuzzug hätte unterstützen sollen, nur schlechten Willen zeigte: «Immer hat der Kaiser uns gescha­ det, immer hat er sein Wort nicht gehalten, immer hat er Böses gegen uns ersonnen.«155 Mit diesen Worten gibt Raimund die Meinung der anti­ byzantinischen Partei im Streit um den Besitz Antiochias wieder, nach­ dem die Kunde von Alexios Umkehr dorthin gedrungen war. Der Kaiser versprach zwar, als die abgeschickte Gesandtschaft ihn in Konstantinopel endlich erreichte, neuerdings, er werde bald kommen, und verlangte, man solle auf ihn warten. Doch nun glaubte man, ihn nicht mehr nötig zu haben, und sah in dieser Forderung nur einen neuen Versuch des Kaisers, den Kreuzzug aufzuhalten: «Jetzt, da der Kaiser einsieht, daß er nichts vermag, wir aber durch Gott stark sind, versucht er uns vom Weiter­ marsch abzuhalten, damit nicht andere, die von unserm Erfolg hören werden, unserem Beispiel folgen. Jene, denen er schon so oft durch Worte und Taten geschadet hat, sollen sich hüten, ihm noch einmal Glauben

152 153 154 155

Vgl. oben S. 80. Raimund von Aguilers, Historia Francorum VI, RHC. Occ. Ill, S. 246. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 240. «Semper nocuit nobis imperator, semper mentitus est, semper adversum nos cogitavit”, Raimund von Aguilers, Historia Francorum XVIII, RHC. Occ. Ill, S. 286.

91

zu schenken. Im Vertrauen auf Christus, der uns über alles Erwarten aus so vielen Gefahren errettet und uns gegen alle Intrigen und Anschläge des Kaisers geschützt hat, wollen wir den Weg fortsetzen, und der gött­ lichen Verheißung gemäß, werden wir unser Ziel leicht erreichen. Wenn dann der Kaiser hört, daß Jerusalem befreit und der Weg offen ist, wird er mit Taten beweisen können, was er jetzt nur mit Worten verspricht.«156 Deutlich kommt in dieser Rede zum Ausdruck, daß der Kaiser in den Augen der Kreuzfahrer nicht nur wegen seiner Feigheit und Schwäche, sondern ebensosehr wegen seiner Treulosigkeit und wegen seiner feind­ seligen Haltung gegenüber den Kreuzfahrern jedes Anrecht verloren hatte, weiterhin die Führung des Kreuzzuges zu beanspruchen. Viel kürzer, aber nicht weniger scharf drückt Albert von Aachen die Meinung aus, der Kaiser habe Verrat an der Sache Gottes geübt, wenn er die zu Alexios geschickte Gesandtschaft den Kaiser fragen läßt, warum er «tarn impie«, so ruchlos, so unchristlich gegen das «Volk Gottes» ge­ handelt habe!157 Wenn noch Stephan von Blois in seinen Briefen vom «pius et venerabilis Imperator» geschrieben hatte158, so erscheint in den späteren Chroniken Alexios geradezu als der «impius imperator»159 und, wie wir bereits nach Nikaea gesehen haben, als der «proditor». Die Chronisten sahen das Verhältnis zu Byzanz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Kreuzzugsidee. Sie verlangten, daß Byzanz eben­ falls alles dieser Idee unterordne und die gleiche Begeisterung für die «Be­ freiung des Heiligen Grabes» zeige wie sie selber, denn Jerusalem war unterdessen immer klarer zum Hauptziel ihres Zuges geworden. Byzanz aber hatte seine eigentliche Kreuzzugszeit bereits früher erlebt, unter Kaiser Heraklius, bei der Verteidigung Konstantinopels gegen die Araber und am eindrücklichsten unter Nikephoros Phokas160. Damals war By­ zanz der Kreuzzugsbegeisterung, die jetzt den Westen erfüllte, am näch­ sten gewesen, und diese Ereignisse hatten sich in das Geschichtsbewußt­ 156 «Et nunc quia videi se nihil posse, et nos valere per Dei gratiam, ex studio agit quatinus a proposito itineris nos retrahat, ne hi qui audierint, exemplo nostri venire disponant. Sed jam quos ipse multo tiens laesit verbis et opere, fidem ei frustra adhibere caveant. Fidentes igitur Christo duce qui nos de tam multis, praeter spem, liberavit periculis, et contra omnia molimina imperatoris et fraudes ejus nos contutatus est, viam pro qua venimus ingrediamur; et facile ex Dei promissione, quod volumus consequemur», ebenda. 157 «... direxerunt in legationem ad ipsum impera torem Graecorum, ut cau­ sam ab eo investigarent cur tam impie gesserit erga populum Dei», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis V, 3, RHC. Occ. IV, S. 434. 158 Vgl. oben S. 70. 159 Guibert von Nogent, Gesta Dei II, 12, RHC. Occ. IV, S. 147. 160 R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. XI. Vgl. Vorwort S. 10.

92

sein der Byzantiner tief eingeprägt. Doch die Kirche des Ostens stellte sich grundsätzlich eher gegen den Heiligen Krieg und berief sich dabei auf die frühchristlichen Kirchenväter und vor allem auf den großen Basi­ lius161. Sie lehnte es ab, aus den im Kampf gefallenen Soldaten Märtyrer zu machen, und Erscheinungen, wie sie im Westen hie und da vorkamen, daß sogar Priester zu den Waffen griffen und sich an der Schlacht betei­ ligten, erregten bei den byzantinischen Beobachtern Erstaunen und tiefen Abscheu162. Der Unglaube der Türken blieb zwar für die Byzantiner stets ein irritierendes theologisches Problem, aber der Kampf gegen die Un­ gläubigen wurde mit der Zeit für Byzanz viel eher zu einer vorwiegend staatlichen Aufgabe und verschmolz mit der alten Idee des Römischen Reiches, dessen Pflicht es war, die erreichten Grenzen gegen außen zu verteidigen, die «Barbaren« ringsum von Angriffen auf das Reich abzu­ halten und verlorene Provinzen zurückzugewinnen. Dieser Auffassung entsprechend hatte Alexios im Westen «Söldner« verlangt und versucht, die Kreuzfahrer durch den Lehenseid auf die byzantinische Staatsidee zu verpflichten. Da das oströmische Reich auf eine so lange und ruhm­ reiche Tradition zurückblicken konnte, glaubte er, Anspruch darauf er­ hebe zu dürfen, daß auch die Kreuzfahrer diese Tradition respektierten163. Die Kreuzfahrer zeigten indessen wenig Verständnis für die damaligen Nöte des Reiches und für die Situation des Kaisers, der stets verschiedene Fronten im Auge behalten mußte und sich nicht so ausschließlich auf die eine Richtung Jerusalem konzentrieren konnte. Sie schienen nur zu spü­ ren, daß zwischen ihrer Kreuzzugsbegeisterung und der byzantinischen Haltung ein Unterschied bestand, und begegneten darum den kaiserlichen Forderungen mit Mißtrauen. Nach Balderich von Dol erklärten ja die Kreuzfahrer, sie seien nur Gott allein, als dessen Soldaten sie sich fühlten, einen Eid schuldig164, und auch andere Chronisten betonen in ihrer nachträglichen Darstellung, die Kreuzfahrer hätten dem Kaiser den Eid nur unter Zwang geleistet: Niemand solle sich wundern, daß so viele und so edle Franken notgedrungen in den Eid eingewilligt hätten, denn wenn 161 Vgl. dazu: G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 287; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 83; Μ. Canard, La guerre sainte dans le monde islamique et le monde chrétien, Revue africaine LXXVIII, 1936, S. 605-623; V. Laurent, L'idée de guerre sainte et la tradi­ tion byzantine, Revue historique du Sud-Est Européen 23, 1946, S. 71—98; H. Leclercq, Dictionnaire d'archéologie chrétienne et de liturgie, article militarisme, Bd. 11, col. 1119. 162 Anna Komnena, Alexiade X, viii, 7—9, hg. B. Leib, Bd. II, S. 218. 163 L. Bréhier, Vie et mort de Byzance, S. 310; Μ. Canard, La guerre sainte, S. 620. 164 Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 20, RHC. Occ. IV, S. 25. 93

man die Sache vernünftig überlege, so werde man lierausfinden, daß sie wirklich dazu gezwungen gewesen seien165. Die Kreuzfahrer hatten also hinterher das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, daß sie sich in dieser Weise auf die Interessen des byzantinischen Kaisers hatten fest­ legen lassen, und sie empfanden es als eine Hinterlist des Alexios, sie dazu gezwungen zu haben. Es schien ihnen fast, als hätten sie sich dadurch von ihrem eigentlichen Ziel ablenken lassen. Nach Nikaea verstärkte sich in ihnen der Eindruck, der Kaiser denke nur an sein Reich und stehe über­ haupt dem ganzen Kreuzzugsunternehmen feindselig gegenüber. So schreibt etwa Balderich von Dol, der Kaiser habe den Kreuzfahrern den Erfolg mißgönnt und darum mit den Türken verhandelt166. Gerade die für die Kreuzfahrer so unverständliche Haltung des Kaisers gegenüber den Türken mußte in ihnen die Überzeugung festigen, der Kaiser habe die Kreuzzugsidee gar nicht verstanden und arbeite ihr in allem entgegen. Immer wieder betonen sie, auch gegenüber einzelnen Kreuzfahrern, sich mit den Türken einzulassen, sei Verrat an der Christenheit167. Nikaea war für sie nur das offenkundigste und eindrücklichste Beispiel für die Treulosigkeit der Griechen, die ihnen auch bei anderen Gelegenheiten erwiesen schien168. Ja, in manchen Chroniken wird als eigentlicher Topos immer wieder die Behauptung aufgestellt, der Kaiser habe sich über jede Niederlage der Kreuzfahrer und über jeden Sieg der Türken gefreut, er sei sogar jeweilen vor Freude ganz außer sich gewesen!169 Mit diesem Vor­ wurf geben die Chronisten am anschaulichsten ihrem tiefen Mißtrauen und ihren Zweifeln an der christlichen Haltung der Byzantiner Ausdruck. Guibert von Nogent fühlt sich denn auch gerade an den Stellen, da er diesen Topos von der Schadenfreude des Kaisers aufnimmt, besonders be­

165 Gesta Francorum II, 6, hg. L. Brehier S. 30. 166 «His imperator auditis, Christianorum profectui, ut postea rei probavit eventus, occulte invidens ...», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 27, RHC. Occ. IV, S. 30. 167 Vgl. z. B. «... si Gentilibus vis sociari et nostris moliri insidias, nequaquam frater Christianorum poteris remanere», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis XI, 22, RHC. Occ. IV, S. 673; «... cum barbaris in fratrem pugnare, id est apostare«, Radulf von Caen, Gesta Tancredi XXXVIII, RHC. Occ. III, S. 633. 168 Vgl. Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis III, 54, RHC. Occ. IV, S. 376, und auch die Vermutungen wegen Beziehungen von Byzanz zu Ägypten, unten S. 125, sowie Raimund von Aguilers, Historia Francorum XVI, RHC. Occ. III, S. 277. 169 «Audiens imperator quod Turci sic dissipassent nostros, gavisus est valde», Gesta Francorum I, 2, hg. L. Brehier S. 12; «Imperator quidem valde cum Graecis suis de victoria Turcorum exsultavit», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana I, 13, RHC. Occ. III, S. 736. 94

rechtigt, Alexios einen «perfidus», ja sogar einen «perfidissimus impera­ tor» zu nennen170. Der erste Kreuzzug schien also die alte Weisheit, daß die Griechen feige, hinterlistig und treulos seien, in neuer Form vollauf zu bestätigen und verdrängte langsam das Bild von den «conchristiani», denen man hel­ fen wollte. Das Selbstgefühl der Kreuzfahrer hatte sich stark gesteigert und manche hegten bereits die Überzeugung, die Griechen als Verteidiger der Christenheit im Osten ersetzen zu müssen. Byzanz schien abseits zu stehen und sich am Kreuzzug zu desinteressieren. Die Normannen in Ita­ lien hatten geltend gemacht, daß Byzanz dort seine staatliche Aufgabe nicht mehr erfülle; die Kreuzfahrer erhielten den Eindruck, daß Byzanz auch seiner christlichen Rolle, die ihm noch ein Robert der Mönch zu­ gewiesen hatte, nicht mehr gewachsen sei, ja daß es die Christenheit geradezu verrate. Byzanz hatte viel von seinem Prestige verloren, und das Vertrauen war schwer erschüttert. Noch befürwortete jedoch — außer Bohemund — niemand einen offe­ nen Bruch mit Byzanz,· die Griechen galten trotz allem als Christen, und es war verwerflich, gegen sie zu kämpfen. Die Anhänger Raimunds von Toulouse und andere fühlten sich durch den feierlichen Eid gebunden und weigerten sich, Bohemund rechtsgültig als neuen Besitzer Antiochiens zu anerkennen171. Doch viele gaben wohl bereits jenen recht, die behaupteten, der «vulpinus imperator» habe seinerseits die Vereinbarungen nicht ein­ gehalten 172173 , darum seien nun auch die Kreuzfahrer dem Kaiser gegenüber zu nichts mehr verpflichtet178. Jedenfalls wurde die Herrschaft Bohemunds stillschweigend geduldet, und die Frage nicht eindeutig ent­ schieden. Der Drang nach Jerusalem weiterzuziehen und endlich zum Heiligen Grab zu gelangen, war bei den einfachen, echten Kreuzfahrern viel zu 170 «At perfidus imperator, comperto fidelium infortunio, nequam elatus laetitia...», Guibert von Nogent, Gesta Dei II, 11, RHC. Occ. IV, S. 146, und ähnlich V, 26, S. 200. 171 Gesta Francorum IX, 31, hg. L. Bréhier S. 168; Raimund von Aguilers, Histo­ ria Francorum XIV, RHC. Occ. Ili, S. 267. 172 «Constantinopolitanus autem imperator vulpinus pro receptu tantae urbis non praesumpsit venire, quoniam recognoscebat fidem et sacramenti jura et data pignora Francis se violasse, et nequáquam custodisse», Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana VII, 20, RHC. Occ. IH, S. 837. 173 «Injunctum est etiam illis ut eidem imperatori indicarent quomodo ab omni promissione et sacramento principes exercitus soluti haberentur, eo quod omnia quae promiserat auxilii ex timidorum et fugitivorum sugge­ stione menti tus est», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis V, 3, RHC. Occ. IV, S. 434. 95

groß: «Keiner von uns ist aus dem Ehrgeiz, Antiochien zu besitzen, von zu Hause weggegangen», meint dazu Robert der Mönch174. Die Kreuz­ fahrer schauten vorwärts nach Jerusalem und glaubten, sich nicht mehr um Byzanz kümmern zu müssen. Doch der Kreuzzug sollte ja kein ein­ maliges Ereignis bleiben und bei jedem weiteren Zug mußten sich die­ selben Fragen von neuem stellen, denn Byzanz war nicht zu umgehen, solange man den Landweg nach Palästina benutzte. Verhängnisvoller­ weise waren aber bereits Gerüchte von den Mißhelligkeiten mit Byzanz in den Westen gedrungen. Das Echo im Westen Nur wenige der bisher zu Wort gekommenen Chronisten konnten aus eigener Erfahrung erzählen. Die anderen waren auf die Schilderungen heimkehrender Kreuzfahrer angewiesen. Deren Berichte fielen natürlich nicht immer sehr objektiv aus. Raimund von Aguilers schrieb denn auch seine Chronik, wie er selber sagt, um all diese falschen und übertriebenen Darstellungen zu berichtigen175. Byzanz kam in diesen Berichten sicher besonders schlecht weg, denn die ersten, die heimkehrten, waren ja Fahnenflüchtige, die selber den Kreuzzug im Stich gelassen hatten und nun einen Vorwand suchten, um ihre Flucht zu entschuldigen. Für sie war es am einfachsten, die Schuld auf die Griechen zu schieben und vorzugeben, diese hätten ihnen so viele Hindernisse in den Weg gelegt, daß sie zur Umkehr gezwungen worden seien! Schon früh zeigte sich Kaiser Alexios über diese antibyzantinische Pro­ paganda im Westen ernsthaft beunruhigt und versuchte, ihr durch Berich­ tigungen entgegenzutreten. So schickte er bereits im August 1097 eine Gesandtschaft an Abt Oderisius von Monte Cassino,· dieses Kloster hatte ja die guten Beziehungen zu Byzanz nie ganz abbrechen lassen, und da es in Italien über großen Einfluß verfügte, war es für den Kaiser wichtig, dafür zu sorgen, daß hier sein Verhalten gegenüber den Kreuzfahrern rich­ tig beurteilt wurde. So schreibt denn Alexios, er wisse zwar, daß er, Oderi­ sius, schon von anderen über den Verlauf des Kreuzzuges unterrichtet worden sei, aber er solle nun noch von den kaiserlichen Gesandten Ge­ naueres darüber hören!176 Daraufhin erhielt wohl Alexios ein Schreiben

174 Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana V, 11, RHC. Occ. III, S. 799. 175 Raimund von Aguilers, Historia Francorum, Einleitung, RHC. Occ. III, S. 235. 176 Epistula I Alexii Komneni ad Oderisium, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugs­ briefe V, 4, S. 141.

96

des Abtes, das ihn ermahnte, den Kreuzfahrern mit seiner ganzen Kraft beizustehen. Der Kaiser beeilte sich, auf die in dieser Mahnung versteck­ ten Vorwürfe zu antworten und sich zu verteidigen: Oderisius könne ver­ sichert sein, daß er, Alexios, bereits alles so angeordnet habe und den Kreuzfahrern in jeder Hinsicht helfen, sie beraten und mit ihnen Zusam­ menarbeiten werde so gut es ihm möglich sei, und dies nicht nur wie ein Freund und Verwandter, sondern wie ein Vater! Auch habe er bereits so­ viel Geld für sie ausgegeben, daß es nicht mehr zu zählen sei! Am Schluß des Briefes kann es Alexios nicht unterlassen, etwas verstimmt darauf hinzuweisen, daß außer Gott ja schließlich nur er, der Kaiser, in Frage komme, um den Kreuzfahrern zu helfen177. Ein weiteres Anzeichen dafür, daß im Westen viele negative Gerüchte über Byzanz zirkulierten, findet sich in dem Brief, der angeblich von den Führern des Kreuzzuges von Antiochien aus an alle Gläubigen gerichtet wurde. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Fälschung, die von einem heimkehrenden Kreuzfahrer hergestellt wurde, um seine verfrühte Rückkehr zu legitimieren; es ist aber auch möglich, daß der Brief über­ haupt in Frankreich entstand. Er wurde vom Bischof von Grenoble als Mahnschreiben verwendet und hatte den Zweck, neue Begeisterung für den Kreuzzug zu wecken und weitere Kreuzfahrer zum Aufbruch nach Jerusalem aufzurufen. Doch die vielen, in Umlauf befindlichen Berichte über die Schwierigkeiten, die die Kreuzfahrer vor Byzanz angetroffen hat­ ten, waren geeignet, die Leute vor der Reise zurückschrecken zu lassen. Der Brief bemüht sich deshalb, diese Bedenken zu zerstreuen und zu ver­ sichern, daß man nun Frieden mit dem Kaiser geschlossen habe und der Weg offen sei! Der Kaiser habe sich feierlich verpflichtet, fortan keinem Pilger auf dem Weg zum Heiligen Grab mehr Schaden zuzufügen!178 177 «Sit inde certa uestra unenerabilis sanctitas, quoniam ita dispositum fuit super eos Imperium meum et ita omnibus modis adjuuabit atque consiliabit eos et secundum posse suum cooperatum est in eis, non ut amicus uel cognitus sed ut pater, et tale expendium fecit in eis, quem non potest aliquis numerare. Et nisi Imperium meum ita operatum fuisset in eis et adjuuasset eos post Deum, quis alter adjutorium praebuisset eis?»», Epistula II Alexii Komneni, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe XI, 3, 4, S. 153. 178 «Ut notum sit omnibus, qualiter inter nos et imperatorem facta sit pax ... dirigimus ad uos hunc nostrum legatum, qui omnia, quae apud nos facta sunt, uobis per ordinem diligenter edisserat. Primum dicendum est, quod imperator medio mense Maio dedit nobis fiducias atque securitatem cum iuramento, dando etiam nobis obsides, scilicet nepotem suum atque generum suum, adjungensque in his quod nemini peregrinorum S. Sepulcri contumeliam amplius se inferre conaretur. Postea misit protopatronum suum per omnem terram suam, dirigens eum usque ad Duratium iussitque, ut aliquem peregrinum tangere in malo nemo ausus esset; quod si quis

97

Die Tatsache, daß eine solche Klarstellung überhaupt nötig war, be­ weist, wie stark bereits die Mißstimmung gegen die Byzantiner im We­ sten um sich gegriffen hatte. Bei vielen hatte sich wohl schon die Vorstel­ lung gefestigt, Byzanz sei nichts als ein unbequemes Hindernis auf dem Weg nach Jerusalem, und man war geneigt, alles Negative zu glauben, was man über die Griechen und ihren Kaiser zu hören bekam. Wenn aber bereits der letzten Endes doch erfolgreiche erste Kreuzzug ein für Byzanz derart ungünstiges Echo fand, so kann man sich leicht vorstellen, welche Reaktion dann erst die so vollkommen mißglückten Kreuzzüge von 1101 hervorrufen mußten!

2. Die Kreuzzüge von 1101

Die Nachricht von der siegreichen Eroberung Jerusalems rief im Westen sofort neuen Kreuzzugsenthusiasmus wach und ließ alle Bedenken wegen der Mühseligkeiten und Gefahren der Reise in den Hintergrund treten. Viele, die die Aussichten des ersten Kreuzzuges skeptisch beurteilt hatten und dem Unternehmen darum femgeblieben waren, fühlten sich jetzt zum Aufbruch verpflichtet*179. So machten sich denn nach 1100 neue Heere auf den Weg180.

Der Zug der Lombarden

Eine buntzusammengewürfelte Schar von Lombarden mit Frauen und Kindern betrat im Herbst des Jahres 1100 byzantinisches Gebiet. Ihre Füh­ rer, der Erzbischof von Mailand und der Graf von Biandrate, waren nicht imstande, die Leute im Zaume zu halten, und so wiederholten sich die Szenen, wie wir sie aus dem ersten Kreuzzug zur Genüge kennen, bis in alle Einzelheiten. Der Kaiser versuchte, die Lombarden in drei getrennten Lagern zu verpflegen, aber sie waren nicht fähig, Frieden zu halten, son­ dern plünderten und «fouragierten» ohne Maß, ja sie verzehrten sogar an hoc infringeret, suspendii poenam ilico digne subiret», Epistula Boemundi ad universos Christi fideles in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe XII, 2, 3, S. 154 und Einleitung S. 81. 179 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXII, RHC. Occ. V, S. 28. 180 Vgl. die klare Darstellung von S. Runciman, The Crusades of 1101, in Jahr­ buch der österr. byzant. Gesellschaft Bd. I, 1951, S. 3—12, und A History of the Crusades Bd. II, S. 18—31.

98

den Fastentagen das gestohlene Vieh, wie der Chronist zu seiner Empö­ rung berichten muß181. Die Kreuzfahrer machten selbst vor den Kirchen nicht halt, sondern brachen auch dort ein, um die darin verborgenen Schätze zu rauben. Von irgendwelcher Rücksicht gegenüber den Mit­ christen ist nichts mehr zu spüren! Der Kaiser ließ schließlich die wilde Schar nach Konstantinopel kommen, wodurch die Dinge aber nicht besser wurden, denn die Lombarden fuhren fort, «wie sie gewohnt waren, den Kaiser durch Gewalttaten zu erzürnen». Alexios mußte wieder einmal ernsthaft für seine Stadt fürchten182, denn seit dem Beispiel, das Gottfried von Bouillon gegeben hatte, lag ein plötzlicher Vorstoß gegen die Stadt jederzeit im Bereich des Möglichen. Er war nicht mehr eine grundlose, von normannischen Erinnerungen beeinflußte Befürchtung des Kaisers, son­ dern ein Gedanke, mit dem nun auch die Kreuzfahrer spielten, wie die Ereignisse bald zeigten. Alexios versuchte wie üblich, das Heer so rasch als möglich über das Meer zu schaffen. Doch man hatte das Schicksal der Leute Peters von Amiens noch nicht vergessen! Ekkehard bemerkt sarkastisch, der von Gott verfluchte Kaiser habe sich jeweilen sehr beeilt, den Kreuzfahrern diese «Wohltat» zu erweisen! Für ihn bedeutet über den Bosporus gesetzt werden soviel wie sich den Pfeilen der Türken ausliefern lassen183. Die Lombarden weigerten sich denn auch, vor der Ankunft weiterer Kreuz­ fahrer ans andere Ufer hinüberzuwechseln, weshalb der Kaiser ihnen die Zufuhr sperrte, um sie zu zwingen. Darauf folgte von Seiten der Kreuz­ fahrer eine spontane, schon fast selbstverständliche Reaktion: Sie stürmten gegen die Stadtmauern, stießen bis zum Blachernenpalast vor, brachen in den Hof ein und töteten dort einen zahmen Löwen, der dem Kaiser ge­ hörte. Erst dann konnten der Erzbischof von Mailand und der Graf von Biandrate die wilde Schar zur Vernunft bringen und zum Rückzug bewe­ gen. Ihnen fiel auch die heikle Aufgabe zu, den Kaiser nach diesem Vor­ fall wieder zu besänftigen184. 181 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 3, RHC. Occ. IV, S. 560. 182 «Imperator vero, plurimis illorum injuriis saepius concitatus, timens ne tot ac tantis copiis amplior vis diversarum nationum augeretur, et sic audaciores facti, aut avaritia aut aliqua occasione assumpta insurgentes, civitatem Constantinopolim debellarent...», ebenda VIII, 4, S. 561. 183 «... tandemque Constantinopolim pervenientes, in alteram ripam (illud enim beneficium maledictus Alexius peregrinis accelerare solet) transpositae sunt, immo paganorum sagittis expositae», Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXIII, RHC. Occ. V, S. 29. 184 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 4, 5, RHC. Occ. IV, S. 561.

99

Der Bericht des Ordericus Vitalis

Um den Ruf zu kennen, den Byzanz im Westen genoß, ist es sehr auf­ schlußreich, die Darstellung dieser Ereignisse bei Ordericus Vitalis nach­ zulesen. Sein Bericht gibt zwar die Wirklichkeit nur in sehr verzeichneter Form wieder, auch bringt er die verschiedenen Kreuzzüge von 1101 völlig durcheinander. Doch seine ganze Art, das Vorgefallene zu beurteilen, zeigt klar, in welch verzerrten Versionen die Menschen im Westen von der Haltung des Kaisers Kenntnis erhielten und wie stark bei ihnen eine klischeehafte Vorstellung von Byzanz mit ganz bestimmten Einzelzügen überhandnahm. Zunächst schilderte Ordericus, wie der verschlagene Kaiser, als er von der Ankunft der so außerordentlich tapferen Abend­ länder hörte, zutiefst erschrocken sei und ihnen auf schlaue Weise schmei­ chelnd alles zugestanden habe, was sie forderten185. Nach den Angaben des Chronisten verließen darauf die Kreuzfahrer den «infidus imperator» und seine Leute, denen sie tief mißtrauten186. Doch angesichts der gefährlichen Wegstrecke, die vor ihnen lag, entschlossen sie sich, vom Kaiser den in Byzanz weilenden Raimund von Toulouse als Führer zu verlangen, da er mit den Verhältnissen vertraut sei. Als diesem Wunsche nicht sofort entsprochen wurde, soll Wilhelm von Aquitanien, den Orde­ ricus irrtümlich beim Lombardenzug vermutet, ohne Zögern gesagt ha­ ben: «Greift zu den Waffen, kehrt um und belagert Konstantinopel; wir wollen die Stadt kühn erobern und nicht zurückweichen, bis wir ent­ weder den treulosen Kaiser getötet oder gegen seinen Willen und mit Ge­ walt erreicht haben, was wir fordern!»187 Von Ehrfurcht gegenüber dem christlichen Byzanz ist hier nichts mehr zu spüren! Es erschien bereits als Selbstverständlichkeit, Gewalt anzuwenden und an eine Eroberung Konstantinopels zu denken, sobald sich der Kaiser und seine Stadt als Hindernis erwiesen und die Wünsche der Kreuzfahrer nicht sofort erfüllt wurden! Nach der Ansicht des Chronisten begann nun eine förmliche Belage­ rung von Byzanz, wobei der Kaiser seine Stadt auf eine sehr eigenartige Weise schützte. Er ließ nämlich drei wilde Löwen und sieben Leoparden im Graben zwischen dem ersten und zweiten Mauerring aussetzen; da­ durch hoffte er, die Kreuzfahrer abzuschrecken und die Stadt «ohne 185 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 19, hg. A. Le Prevost, Bd. IV, S. 120. 186 Ebenda S. 121. 187 «Velociter arma sumite, et redeuntes Constantinopolim obsidete,· viriliter expugnantes urbem, non recedemus, donec aut perfidum Imperatorem perimamus, aut ab invito quod petitum est, viribus extorqueamus», ebenda S. 123. 100

Menschenhand» zu verteidigen188. «Ast hominum nil valet versuta cogitatio, nisi quantum divina decernit dispensatio», kommentiert philoso­ phisch unser Chronist. Die eindringenden Kreuzfahrer ließen sich durch diese seltsamen Verteidiger nicht abhalten; wohl wurden einige Lombar­ den verwundet, aber nach kurzem Kampf triumphierten sie über die wil­ den Tiere! Der Kaiser mußte sich herablassen, die Kreuzfahrer um Frie­ den zu bitten und ihnen große Versprechungen machen, damit sie sich endlich zurückzogen! Wir erkennen unschwer, was sich hinter dieser Greuelgeschichte ver­ birgt, wenn wir uns an die Stelle bei Albert von Aachen erinnern, wo er erzählt, daß die Kreuzfahrer bei ihrem tumultuarischen Vorstoß gegen den Kaiserpalast von Blachemae einen zahmen Löwen, der zum kaiser­ lichen Haushalt gehörte, töteten189. Diese kleine Episode bauscht nun Ordericus zu seiner oben wiedergegebenen Fabel auf. Sie veranlaßt ihn, zu behaupten, der Kaiser habe wilde Tiere auf die ahnungslosen Kreuz­ fahrer gehetzt! An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie unaustilg­ bar das Mißtrauen und die Voreingenommenheit gegen Byzanz bereits waren! Jedes noch so harmlose Vorkommnis wurde der Vorstellung, die man sich nun einmal gemacht hatte, angepaßt und in das Klischee ein­ gefügt. Weil der Kaiser im Rufe stand, mit Vorliebe den offenen Kampf durch andere Mittel zu ersetzen, traute man ihm offensichtlich jedes Mit­ tel zu! Selbst der Kampf mit wilden Tieren schien als neue List des Kai­ sers ohne weiteres glaubwürdig, und der ganze Zwischenfall läßt spüren, wie fremdartig Byzanz auf die Kreuzfahrer und durch sie auf die Chro­ nisten wirkte. Und doch hat auch Ordericus Vitalis noch ein anderes Bild von Byzanz; auch bei ihm wird plötzlich eine Erinnerung an die Macht und den Glanz des byzantinischen Reiches wach, aber diese Zeiten waren «früher». Jetzt konnte sich Alexios nur noch bei seinem Gast Raimund über die Unver­ schämtheit der Franken beklagen, die es gewagt hätten, «die königliche Stadt, die doch das Haupt des Ostens sei, mit frecher Hand anzugreifen und die Erhabenheit des Reiches zu verletzen». Der Kaiser, der es einst gewohnt gewesen sei, den Bewohnern des Reiches und den Fremden Ge­ setze zu geben, sei nun gezwungen worden, von widerspenstigen Pilgern

188 «Imperator ... tres ferocissimos leones et septem leopardos inter medium murum et antemurale dimitti praecepit... Sic nimirum per feras opinatus est Gallos subsannando deterrere, urbemque regiam sine humana manu defendere», ebenda S. 123. 189 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 4, RHC. Occ. IV, S. 561. 101

auferlegte Bedingungen anzunehmen!190 Diese Worte, die ja der Chro­ nist selber dem Kaiser in den Mund legte, zeigen, daß auch er sich im Grunde noch bewußt war, welche Stellung Byzanz zukam und welcher Respekt der «Augustalis Majestas» eigentlich gebührte. Wie die andern Chronisten schwankt auch Ordericus ständig zwischen Achtung und Ver­ achtung gegenüber Byzanz und seinem Kaiser! In seiner Darstellung überwiegt jedoch das Bild vom «Imperator perfidus», denn wie Ordericus weiter berichtet, befolgte nun Alexios den Rat Raimunds, mit den Kreuzfahrern scheinbar Frieden zu schließen und die Rache für den Angriff auf Konstantinopel auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Damit hat Ordericus das Stichwort für die weitere Beurtei­ lung des Zuges gefunden: er vermutet hinter allem, was geschieht, nur noch die rächende Hand des Kaisers.

Die Katastrophe der Lombarden In Wirklichkeit war Alexios durchaus damit einverstanden, daß Rai­ mund von Toulouse, dem er jetzt völlig vertraute, den Oberbefehl über die durch französische Kreuzfahrer verstärkten Lombarden übernahm, denn so konnte er hoffen, daß der ihm ergebene Raimund den Zug im byzantinischen Interesse lenken werde191. In Kleinasien erklärten jedoch die Lombarden plötzlich, ihr Hauptziel sei, Bohemund zu befreien, der sich damals in Gefangenschaft des Danischmandiden-Emirs in Nordanatolien befand. Da sie sich durch nichts von ihrem gefährlichen Vorhaben abbringen ließen, bog der Zug nach Osten ab und geriet bald in unwegsames, verwüstetes Gelände. Rai­ mund von Toulouse versuchte schließlich durch einen Durchbruch ans Schwarze Meer das Heer zu retten, doch die Lombarden bestanden eigen­ sinnig auf dem Vorstoß nach Paphiagonien, bis die Kreuzfahrer an einer ungünstigen Stelle von den Danischmandiden und ihren Verbündeten überrascht wurden. In der Nacht nach einer verlustreichen Schlacht floh Raimund mit den byzantinischen Begleittruppen und leitete damit die völlige Auflösung des Heeres ein. Das ganze Lager und die meisten der Fliehenden fielen den Türken in die Hände.

190 «Ecce insolentia Franco rum regiam urbem, quae caput Orientis est, pro­ caci manu cum armis impugnare ausa est. Celsitudinem sancii Imperii vio­ lavi t, et ne pejora fierent, ad sui supplicationem inclinavit, effusoque fidelium sanguine clientum, omnipotentis Sophiae iracundiam provocavit. Augustalis Majestas, quae leges olim advenis et incolis dare solita est, heu! modo a contumacibus peregrinis impositas conditiones subire coacta est”, Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 19, hg. A. Le Prévost Bd. IV, S. 124. 191 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 21. 102

Nur wenige Chronisten waren selbstkritisch genug, um die Schuld an diesem Ausgang den Kreuzfahrern selber, vor allem den unbelehrbaren Lombarden, zuzuschreiben192. Albert von Aachen sieht den Schuldigen in Raimund von Toulouse, der sich von den Türken habe bestechen lassen, das Heer in die Einöde zu führen193. Die meisten aber vergaßen nicht, welch enge Verbindung seit einiger Zeit zwischen Raimund und Alexios bestand, und gaben die Schuld allein dem Kaiser! Sofort war auch der Verdacht wieder da, der Kaiser habe mit den Tür­ ken im Bund gestanden. Ordericus Vitalis nimmt für seine Beweisführung den alten Vorwurf auf, der uns schon in der Nestor-Chronik begegnet ist, wonach der durchtriebene Kaiser sich jeweilen nur deshalb so freigebig zeige, um anhand der verteilten Gaben genau festzustellen, wie groß die Zahl der Empfänger sei!194 Alexios habe dann, so behauptet Ordericus, die auf diese Weise bekanntgewordene genaue Zahl der Kreuzfahrer den türkischen Fürsten gemeldet, damit sie alle verfügbaren Streitkräfte ver­ einigten und gemeinsam den Kreuzfahrern, die natürlich von dieser List des verräterischen Kaisers nichts geahnt hätten, in Paphiagonien entgegen­ träten 195. Doch nicht nur Ordericus, auch andere Berichterstatter, waren der Meinung, Raimund habe auf Befehl des Kaisers den Kreuzzug ins Ver­ derben geführt196. Diese Vorwürfe der Chronisten waren wirklich ungerechtfertigt, denn der Kaiser hatte an diesem Abenteuer im Osten, das allein der Starrköp­ figkeit der Lombarden zu danken war, überhaupt kein Interesse, und schon gar nicht an einer Befreiung Bohemunds. Ihm wäre viel mehr daran gelegen gewesen, die Straße nach Syrien wieder zu öffnen, und der Rück­ schlag der Kreuzfahrer hatte auch für Byzanz ernste Folgen. Doch die Chronisten hatten zu oft zu hören bekommen, wie unzuver­ lässig und treulos die Byzantiner als Führer durch Kleinasien seien, und

192 Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana II, 16, RHC. Occ. III, S. 398. 193 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 9, RHC. Occ. IV, S. 564. 194 Vgl. oben S. 21. Es handelt sich dabei wohl um ein allgemein geläufiges Beispiel. 195 «Indigentes peregrini avide susceperunt xenia Imperatoris, nescientes dolum versutasque malignitates pessimi traditoris. Vafer enim explorator numerum eorum hoc tenore indagavit, computans quantitatem ^uscipi'entium per mensuram pecuniae quam singulis donaverit. Deindei descriptionem quantitatis eorum Dalimanno et Solimanno aliisque principibus Turcorum direxit, eisque ut coadunatis viribus totius Paganismi bello illos exciperent in Paphlagonia, mandavit», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 19, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 126. 196 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 46, RHC. Occ. IV, S. 584. 103

dieser katastrophale Marsch nach Osten paßte ausgezeichnet in dieses Bild. Guibert von Nogent meint sogar, der Kaiser habe den Kreuzfahrern geradezu verboten, genügend Lebensmittel mitzunehmen197, und Ordericus Vitalis behauptet wieder einmal ausdrücklich, der Kaiser habe sich über das Unglück der Christen «gefreut»198. Ja, um sein negatives Porträt des Kaisers abzurunden und dessen Verrat an der Christenheit ganz klar zu machen, fügte er hinzu, die Türken hätten Alexios die ganze Summe zurückerstattet, die dieser aus scheinbarer Mildtätigkeit den Christen ver­ teilt habe. «In diesem Sinne nämlich», so schließt er seinen Bericht, «hatte der treulose Verräter mit den Türken einen Vertrag geschlossen,- unter die­ ser Bedingung hatte er die Gläubigen den Ungläubigen verkauft, und nun frohlockte er über den Preis dieses Verrates: den ungeheuren Haufen von Goldstücken, den er für das Blut der getauften Christen erhalten hatte!»199 Der Kaiser steht als ein Judas da, der um elendes Geld seine Christen­ brüder verraten hat, und wieder ist die vermeintliche Verbindung mit den Türken das Hauptargument, das dem Chronisten seiner Meinung nach das Recht gibt, den Kaiser einen «perfidus traditor» zu nennen.

Der Zug der Aquitanier und der Deutschen

Noch bevor dieser weitere große Kreuzzug Konstantinopel passierte, hatte bereits das kleine Heer des Grafen von Nevers die Folgen des Lombardenzuges zu spüren bekommen und war von den siegestrunkenen Türken in Anatolien vernichtend geschlagen worden. Der Graf selber ge­ langte zwar auf der Flucht nach Syrien, jedoch zu Fuß und ausgeraubt, was dem einzigen Chronisten dieses Zuges Gelegenheit gibt, mit seiner Kritik über die byzantinischen Turkopolen herzufallen, denn diese «milites Imperatoris» und «viri perfidi», die ein byzantinischer Statthalter im Taurus dem fliehenden Grafen gegen hohe Bezahlung als Schutz mitgab, hätten ihn in die Einöde geführt und ausgeplündert!200 Ein weiteres Bei­ spiel für die Unzuverlässigkeit, Habgier und Treulosigkeit byzantinischer 197 Guibert von Nogent, Gesta Dei VII, 24, RHC. Occ. IV, S. 243 und S. 244. 198 «... et tristi eventu Christianorum relato, magnum Imperatori gaudium intulerunt», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 19, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 128. 199 «Sic enim perdius traditor cum Turcis pactum fecerat, talique tenore Fide­ les Infidelibus vendiderat, preciumque proditionis: immensum videlicet acervum tartaronum, pro cruore baptizatorum nanciscens, stolide tripudiat», ebenda. 200 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 32, RHC. Occ. IV, S. 578. Die Turkopolen, die Albert einmal eine «gens impia» nennt, erreg­ ten wegen ihrer halbtürkischen Abstammung stets das Mißtrauen der Kreuzfahrer.

104

Truppen als Führer durch Kleinasien! Wenigstens lautete so die nun schon allgemein verbreitete Meinung aller Kreuzfahrer. Für ähnliche Beschwerden ergab sich bald weitere Gelegenheit, denn unterdessen war das Heer Wilhelms von Aquitanien und einiger deut­ scher Kreuzfahrer herangerückt. Ekkehard von Aura, der diesen Zug mit­ machte, bricht zunächst in die üblichen Klagen über die byzantinischen Polizeitruppen aus, die «bald im Rücken, bald vorn, bald von der Seite das Heer angriffen und während der Nacht über das Lager herfiel en»201. Von besonderer Spannung erfüllt aber war wie jedesmal der entschei­ dende Moment, da das Heer vor der Stadt Konstantinopel selber lag, denn immer dann war die Gefahr eines offenen Ausbruchs der Feind­ schaft gegen Byzanz am größten. Alexios befolgte seine bewährten Vor­ sichtsmaßnahmen und ließ nur unter genauester Kontrolle wenige Kreuz­ fahrer die Stadt betreten202. Wie berechtigt das Mißtrauen des Kaisers auch diesmal war, beweist Ekkehard selber, wenn er beschreibt, wie sich ganz plötzlich unter den Kreuzfahrern eine antigriechische Stimmung verbreitete. Es ging nämlich mit einem Mal das Gerücht um, «der Kaiser stehe mehr auf Seiten der Türken als auf Seiten der Christen»»! 203 Dieses Gerücht rief auch gleich all die andern Vorwürfe wach, die man gegen die Griechen zu erheben pflegte. Die einen sahen in Alexios wieder den Usurpator, der auf unrechtmäßige Weise auf den Thron gelangt sei, und nannten ihn auch deshalb «ille perfidus Alexius»». Andere, die versuchen wollten, auf Schiffen nach Palästina zu fahren, bekamen zu hören, daß der Kaiser den Pilgern auch auf dem Meere nachstelle und die Schiffe zum Sinken bringe204. «Deshalb verwünschten und verfluchten ihn alle»», so fährt Ekkehard fort, «und sie nannten ihn nicht Kaiser, sondern Verräter: non imperatorem sed traditorem appellabant!»»205 Mit diesem kleinen Wortspiel bringt Ekkehard eigentlich die so vielschichtige, negative Ein­ stellung der Kreuzfahrer zu Byzanz auf eine einfache, prägnante Formel, die die ganze Enttäuschung der Kreuzfahrer über dieses Reich und diesen Kaiser ausdrückt, der so gar nichts von dem erfüllte, was sie von ihm als «imperator»» immer wieder erwarteten, und dessen Versagen sie sich nur als Verrat erklären konnten. 201 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXIII, RHC. Occ. V, S. 29. 202 Ebenda. 203 «Sed ecce subito murmur exoritur invisum imperatorem Turcorum potius quam Christianorum parti favere»», ebenda XXIV, S. 30. 204 «Cum autem navigia quisquam conducere tentaret, audivit Caesarem insidias peregrinis etiam in mari posuisse, multasque dudum eodem facinore naves eum submersisse»», ebenda. 205 «Quapropter omnes eum maledicabant et anathematizabant, omnes illum linguae non imperatorem sed traditorem appellabant», ebenda.

105

Nach Ekkehard herrschte unter den Kreuzfahrern in jenem Moment größte Ratlosigkeit, denn jeder habe sich verzweifelt gefragt, wie er am besten den Anschlägen der Griechen entrinnen könne. Noch nie habe unter seinen Freunden solche Aufregung um sich gegriffen. Väter, Söhne und Brüder hätten sich trennen müssen, weil die einen den Landweg, die andern den Seeweg als die sicherere Möglichkeit ansahen. Die etwas gefühl­ volle Beschreibung Ekkehards bringt uns einmal mehr zum Bewußtsein, wie sehr den Kreuzfahrern Byzanz als ein Hindernis erschien und wie wenig es in ihren Augen die Aufgabe erfüllte, Schutz und Sicherung durch Kleinasien zu gewährleisten. Ekkehard wählte denn auch für sich den Seeweg und gelangte heil nach Palästina. Das Hauptheer aber schlug die gewohnte Landroute über Konya ein und stieß auf große Schwierigkeiten, weil das Land ringsum verwüstet und ausgeplündert dalag. Ekkehard schrieb diesen Umstand weder der bekannten Taktik der Türken, noch dem vorausgezogenen Heer des Grafen von Nevers zu, sondern machte allein den Kaiser dafür verantwortlich. Er nahm damit eine alte Anklage, die ihm aus den Gesta Francorum bekannt sein mochte, wieder auf206. So ist es weiter nicht ver­ wunderlich, daß er auch hinter der völligen Katastrophe des vom Durst erschöpften Heeres, das bei Heraklea von den Türken aus dem Hinterhalt überfallen wurde, die «machinamenta» des verräterischen Alexios ver­ mutet207. Ordericus Vitalis seinerseits kann nicht umhin, tief betrübt festzustellen, daß der mächtige Aquitanierherzog, der «vor Konstanti­ nopel den Kaiser in Schrecken versetzt hatte», nun arm und als Bettler Antiochien betrat208, doch ging es damit Wilhelm immer noch besser als andern hochgestellten Teilnehmern dieses Kreuzzugs, die wie der Erz­ bischof von Salzburg und die Markgräfin Ida in die Hände der Türken fielen oder in der Schlacht umkamen. Die Folgen der Kreuzzüge von 1101

Alle drei Kreuzzüge des Jahres 1101 hatten mit einem vollständigen Fiasko geendet, und die verhängnisvollen Auswirkungen wurden sofort spürbar. Das gewaltige Prestige, das der erste Kreuzzug den Kreuzfahrern verschafft hatte, war wieder verlorengegangen. Die Türken gewannen ihr 206 «Loca quippe Romaniae, quae circa stratam publicam erant, perjurus Ale­ xius devastaverat, dum nostris in Antiochia dudum obsessis auxilium ferre non auderet, ut juraverat», ebenda XXV, S. 31. Albert von Aachen urteilt objektiver, Liber Christianae Expéditions VIII, 37, RHC. Occ. IV, S. 580. 207 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXV, RHC. Occ. V, S. 31. 208 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 19, hg. A. Le Prévost Bd. IV, S. 129. 106

Selbstvertrauen zurück und festigten erneut ihre Stellung in Anatolien. Der seldschukische Sultan wählte als neue Hauptstadt Konya, also einen Ort, der direkt an der Hauptstraße nach Syrien lag! Die Nachschubslinie nach Palästina war unterbrochen; neue Heere mit den so bitter notwen­ digen frischen Kräften hatten das Heilige Land nicht erreicht und schie­ nen es auch nicht mehr erreichen zu können. Der Landweg durch Klein­ asien blieb so unsicher und gefährlich wie je. Die Schuld an diesem totalen Mißerfolg aber lag nach dem Urteil der Kreuzfahrer einzig und allein beim »imperator perfidus» in Byzanz. Es läßt sich nicht übersehen, daß die Vorwürfe nach 1101 an Schärfe bedeu­ tend zunahmen und daß die feindselige Einstellung gegen Byzanz immer weitere Kreise ergriff. Die Beziehungen zwischen dem Kaiser und den Kreuzfahrern hatten sich entscheidend verschlechtert, wozu das damals doch relativ gute Verhältnis des Kaisers zu den Türken wohl maßgebend beitrug. Die wenigen Überlebenden der drei Züge, die nach und nach auf den verschiedenen Inseln an der Westküste und später in Palästina auf­ tauchten, erweckten Mitleid durch ihren erbarmungswürdigen Anblick209 und stempelten überall Byzanz zum Sündenbock für alles ihnen wider­ fahrene Unglück. Albert von Aachen berichtet, wie in Palästina sich nun rasch das Gerücht verbreitete, das Heer der Lombarden sei vom Grafen von Toulouse und von den Turkopolen auf geheimen Rat des treulosen Kaisers in die Einöden von Paphiagonien geführt worden, damit es durch Hunger und Durst geschwächt von den Türken um so leichter habe niedergemacht werden können210. Albert selber hielt diese Anklage zwar für unbegründet211 und billigte Alexios zu, daß dieser die Kreuzfahrer stets vor den drohenden Gefahren gewarnt habe. Zu solcher Vorurteils­ losigkeit waren jedoch nicht mehr viele fähig. Sogar ein so besonnener und nüchterner Mann wie Fulcher von Chartres, der, obwohl selber Teil­ nehmer am ersten Kreuzzug, bisher nie ein negatives Urteil über Byzanz gefällt und nie in die allgemeinen Klagelieder über die Treulosigkeit der Byzantiner eingestimmt hatte, änderte nach den Ereignissen des Jahres 1101 seine Haltung und übernahm in den spätem Partien seiner Chronik das uns bereits geläufige Klischee, sobald er auf Alexios zu sprechen kam: 209 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXVI, RHC. Occ. V, S. 32. 210 «Fuit enim fama in populo catholico quod, ipsius Imperatoris occultis et perfidis consiliis, a comite Reimundo et militibus Turcopolis, conductus sit exercitus Longobardorum per deserta et invia et solitudines Flaganiae, ut illic a Turcis facile prae fame et siti exhaustus, superatus Decidere tur»», Al­ bert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis Vili, 46, RHC. Occ. IV, S. 584. 211 Ebenda. 107

«Es war dieser Kaiser», so schreibt er nun, «unsem Leuten damals sehr feindlich gesinnt, und er erwies sich gegenüber den nach Jerusalem zie­ henden Pilgern durch heimliche Tücke und offene Gewalttat zu Wasser und zu Lande als Störenfried und Tyrann.»212 Alle Vorwürfe, die während des ersten Kreuzzuges jeweilen nur von einzelnen angetönt worden waren, wurden jetzt offen ausgesprochen und von der Mehrheit akzeptiert. Ja, die öffentliche Meinung von Jerusalem verlangte von König Balduin, daß er durch eine Gesandtschaft den Kaiser auf das Unglück der Christen hinweise und ihn auffordere, er möge davon ablassen, die Christen zugrunde zu richten und zu verraten,· er solle der Kirche von Jerusalem zu Hilfe kommen und nicht auf die Türken und Sarazenen hören, sondern pflichtgetreu reichlichen Nachschub an allen notwendigen Dingen von den Inseln und Gegenden seines Reiches nach Jerusalem senden213. Der Brief war in höflichem Ton gehalten, aber die in dieser Aufzählung der kaiserlichen Pflichten enthaltenen Vorwürfe waren deshalb nicht weniger deutlich. Kaiser Alexios empfing den Bischof, der diese Botschaft aus Jerusalem überbrachte, freundlich und versuchte, sich durch einen Eid von dem Verdacht zu reinigen, er sei für den Untergang des Lombardenheeres verantwortlich. Er versprach auch, er werde sich fortan allen Kreuzfah­ rern gegenüber gnädig zeigen und König Balduin ehren214. Alexios glaubte, damit den Bischof überzeugt zu haben, doch darin täuschte er sich sehr. Seine Beteuerungen fanden keinen Glauben mehr. Von feindseligen Ge­ fühlen gegen Byzanz erfüllt, reiste der Bischof nach Rom weiter und klagte den Kaiser vor dem Papst öffentlich an. Paschalis II., der nicht die Weitsicht und die versöhnliche Haltung seines Vorgängers Urban II. be­ saß, ging bereitwillig auf diese antibyzantinische Auffassung ein, ja er schickte sogar Briefe über die Alpen nach ganz Frankreich, die über die Haltung des Kaisers schwere Klage führten215. 212 «Erat quidem imperator Constantinopolitanus, Alexis nomine, genti nostrae tune valde contrarius, et Iherosolymam peregrinantibus vel fraude clandestina vel violentia manifesta tarn per terram quam per mare perturbator et tyrannus», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana II, 38, RHC. Occ. Ili, S. 418. 213 «... ut a perditione et traditione Christianorum cessaret, et Hierosolymitanae ecclesiae subveniret, Turcos et Sarracenos non audiret, sed pleniter ac fideliter omnem mutuationem necessariorum ab insulis et locis regni sui fieri usque in Iherusalem non negaret», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VIII, 45, RHC. Occ. IV, S. 584. 214 Ebenda VIII, 47, S. 584. 215 «Sed episcopus aliquantulum renisus est Imperatori, propter infidelitatem erga Gallos quam ab eo extorsit. Quapropter in amaritudine animi Romam

108

Damit war auch im Westen der Boden für eine gegen die Griechen gerichtete Propaganda vorbereitet. Der Erfolg des ersten Kreuzzuges hatte die damals schon deutlichen Anklagen gegen die Byzantiner in den Hin­ tergrund treten lassen. Nun aber hatte der völlige Mißerfolg der Kreuz­ züge von 1101 der allgemeinen Auffassung nach klar erwiesen, daß der Kaiser sich nicht voll in den Dienst des Kreuzzuges stellte, ja daß er ihm entgegenarbeitete. War es in diesem Fall nicht notwendig und auch ge­ rechtfertigt, den Kaiser zu einer anderen Haltung zu zwingen oder über­ haupt sein Reich in andere Hände zu geben, damit die Macht und Stärke von Byzanz, die ja die Kreuzfahrer trotz aller Verachtung für die Griechen immer wieder bewunderten, ganz dem Kreuzzug zugute kommen konn­ ten? Der Mann, der es wagte, diese Fragen nun offen zu stellen und die Berechtigung der griechischen Herrschaft in Konstantinopel in Zweifel zu ziehen, war durch seine Herkunft und durch sein Ansehen dazu prä­ destiniert: es war Bohemund!

3. Bohemund

Die Feindschaft der Kreuzfahrer gegen Byzanz trat immer spontan her­ vor, sobald konkrete Schwierigkeiten im Verkehr mit den Byzantinern ihnen Anlaß zu Ärger und Unwillen gaben. Die literarische Tradition von der Treulosigkeit der Griechen wurde stets dann wieder aufgenom­ men, wenn für die Menschen aus dem Westen eine bestimmte Handlungs­ weise des Kaisers unverständlich war, und auch die Idee einer Eroberung Konstantinopels tauchte vor allem in jenen Augenblicken auf, da die Heere vor der Stadt selber lagen und diese ihnen den Weg zu verstellen schien. Erst in jenen kritischen Momenten begannen die meisten Kreuz­ fahrer sich über ihr Verhältnis zum Kaiser Rechenschaft zu geben, und erst dann wurde ihnen die zwiespältige Stellung von Byzanz eigentlich bewußt. Viel grundsätzlicher, eindeutiger und begründeter aber war die gegen Byzanz gerichtete Einstellung, sobald normannisches Denken Einfluß auf sie gewann. Die antibyzantinische Haltung wuchs dann über momentane Verärgerung hinaus, und die Eroberung Konstantinopels wurde zu einer politischen Idee, die die Chronisten nicht mehr losließ. Immer wieder

tendens, ipsum Imperatorem criminatus est in ecclesia Beneventana; et ideo, assumptis litteris ipsius Apostolici, querimonia gravis apud omnes principes Galliae super ipso Imperatore facta est», ebenda VIII, 48, S. 585. 109

können wir feststellen, daß die schärfsten Urteile über Byzanz und die schwersten Vorwürfe gegen den «imperator perfidus» bei denjenigen Chronisten zu lesen stehen, die selber Normannen waren oder norman­ nische Quellen für ihre eigene Darstellung benützten. So sind die Gesta Francorum, die ja vermutlich von einem Kreuzzugsteilnehmer aus der engsten Umgebung Bohemunds verfaßt wurden, durchweg antibyzanti­ nisch, und der sich in ihnen wiederspiegelnde Haß gegen Byzanz ging auf die meisten anderen Kreuzzugsberichte über. Fast alle verwendeten ja die vielgelesenen Gesta als Grundlage, so etwa Ekkehard von Aura, der sie in Jerusalem zu Gesicht bekam, oder andere Chronisten wie Balderich von Dol, Robert der Mönch und Guibert von Nogent, die es sich geradezu zum Ziel setzten, durch ihre Darstellung den Text der Gesta in verbesser­ tem und gehobenerem Stil wiederzugeben216. Auch Radulf von Caen, der vor allem Tankred überall in den Mittelpunkt stellte, und Ordericus Vita­ lis, der in seiner «Historia ecclesiastica» der normannischen Geschichte besondere Aufmerksamkeit schenkte, kannten die Gesta Francorum. Bei vielen Chronisten wirkte sich die normannische Tradition bis in die ein­ zelnen Formulierungen aus und lieferte ihnen Beispiele und Argumente, um die Haltung der Griechen zu tadeln. Die Erinnerung an den Kampf der Normannen gegen Byzanz beein­ flußte immer wieder das Denken der Kreuzfahrer und Chronisten und verschärfte die ohnehin gespannten Beziehungen zum Kaiser. Die durch diese Erinnerung stets wachgehaltene Idee einer Eroberung Konstanti­ nopels wurde zu einem Problem, das auch die Kreuzfahrer ernsthaft zu beschäftigen begann. Dazu trug jedoch am allermeisten der Hauptexpo­ nent der normannischen Politik, Bohemund, bei.

Die Normannen als «Kreuzfahrer» Bohemund war für seine Zeit nicht einfach der kleine Fürst von Tarent, der keine große Macht besaß, weil sein Stiefbruder Roger Borsa Apulien und Kalabrien geerbt hatte. Niemand konnte vergessen, daß Bohemund aus einem ruhmvollen Geschlecht stammte, daß er der Sohn Robert Guiskards war und an dessen gewaltigen Plänen teilgehabt hatte. Sobald die Chronisten die Gestalt Bohemunds in ihrer Erzählung einführen, fällt auch der Name des berühmten Vaters, dem ja der Sohn keineswegs nach­ stand, und es wird an die glorreichste Tat Guiskards erinnert: an seinen Sieg über zwei Kaiser! Wie es die Grabinschrift festhielt, und wie es die Chronisten nicht müde wurden zu wiederholen, hatte ja Robert Guiskard 216 Zum Verfasser der Gesta und zu ihrer Verbreitung vgl. Histoire anonyme de la première Croisade, hg. L. Bréhier, Einleitung S. VIII und S. XIV.

110

beinahe gleichzeitig Heinrich IV. zur Flucht aus Rom gezwungen und Alexios bei Dyrrhachium geschlagen217. Diese Tat blieb unvergessen und verhalf auchBohemund zu einem Ruf, der bis weit in den Osten drang. So erzählt etwa Albert von Aachen, als Tankred und Balduin das Hauptheer der Kreuzfahrer verließen, um Städte in Kilikien zu erobern, hätten die armenischen Bürger einer Stadt zur großen Empörung Balduins sofort das Feldzeichen Tankreds auf ihren Mauern aufgepflanzt, «weil sie schon immer einen Einfall Bohemunds befürchtet hatten, denn lange vor dem ersten Kreuzzug erstrahlte der Ruhm Bohemunds in Griechenland, Romanien und Syrien, und die Nachricht von seinen Kriegstaten verbreitete Schrecken, während der Name Gottfrieds von Bouillon nun zum ersten­ mal bei ihnen bekannt wurde» 218. Wie Radulf von Caen stolz berichtet, wandte sich der Armenier, der Antiochien verriet, an Bohemund, da sein Ruf alle Völker Asiens in Schrecken versetzt habe219, und auch Raimund von Aguilers erwähnt, Bohemunds Name «sei groß unter den Heiden» 220. Mit besonderer Betonung aber weisen die Chronisten stets darauf hin, daß Bohemund, der ja einmal auch ohne seinen Vater gegen die byzan­ tinischen Truppen siegreich gewesen war221, sich bei den Griechen ein von Furcht und Entsetzen geprägtes Ansehen erworben hatte. Anna Komnenas ganze Darstellung ist auch wirklich von der Erinnerung an den schrecklichen Normanneneinfall und von der Angst vor einer Wieder­ holung erfüllt. Anna selber empfand zwar trotz ihres Abscheus gegen die Normannen eine gewisse Bewunderung für den kühnen Bohemund, und sie konnte sich dem Charme, den seine Persönlichkeit ausübte, nicht ganz entziehen. Doch gleichzeitig spürte sie, daß etwas Erschreckendes von 217 Vgl. oben S. 54 und Anmerkung 125 zu Kapitel I. Guibert von Nogent, Gesta Dei, III, 2, RHC. Occ. IV, S. 152, spielt wörtlich auf die Grabinschrift Guiskards an, als er zum Lob Bohemunds ausholt. Vgl. dazu: «Quis enim Wiscardi probitatem non probet, cujus signa sub uno, ut aiunt, die Graecus Alemannusque imperator tremuerunt victricia? Romam namque praesens ab Alemanno liberavit; Graecorum autem, in Boamundi prole bellica, vincendo regem, subjugavit regionem», Radulf von Caen, Gesta Tancredi I, RHC. Occ. III, S. 605. Vgl. auch Suger von St. Denis, Vita Ludovici Grossi Regis IX, hg. H. Waquet, S. 46. 218 «Dicebant enim hoc, non ex cordis devotione, sed ex Boemundi, quam semper habebant, invasionis suspicione. Nec mirum, cum longe ante hanc expeditionem in partibus Graeciae, Romaniae et Syriae Boemundi semper fama claruit, bellum inhorruit; Godefridi ducis nunc primum nomen scintillabat», Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis III, 8, RHC. Occ. IV, S. 344. 219 Radulf von Caen, Gesta Tancredi LXIII, RHC. Occ. III, S. 652. 220 Raimund von Aguilers Historia Francorum XIV, RHC. Occ. III, S. 267. 221 Radulf von Caen, Gesta Tancredi II, RHC. Occ. III, S. 606.

111

diesem Mann ausging, dessen Lächeln allein schon die Byzantiner erzit­ tern ließ!222 Sie wußte, daß sie in ihm den Hauptfeind von Byzanz zu fürchten hatte, der mit einer unbezähmbaren Energie alles daran setzte, «‘das Römerreich zu stürzen und seine Lanze im Herzen von Byzanz auf­ zupflanzen» 223. Sie anerkannte ihn als derart gefährlichen Gegner, daß ihr sogar die feige Flucht ihrer Landsleute vor Bohemund entschuldbar schien!224 Mit einem gewissen Recht durften sich also die westlichen Chronisten rühmen, daß der Kaiser die Ankunft Bohemunds mit dem Keruzzug zutiefst fürchtete, weil er schon so oft von seiner Klugheit und Kühnheit gehört hatte und zweimal von ihm überwunden worden war225. Immer wieder spüren wir, daß diese normannischen Erinnerungen in star­ kem Maße dazu beitrugen, das Selbstgefühl der Kreuzfahrer zu heben und ihre Verachtung für die schwachen Byzantiner zu verstärken. Von einem Mann mit der Vergangenheit und der Erfahrung Bohe­ munds, der auch unter den Kreuzfahrern ungeheures Ansehen genoß226 und den eine Chronik respektvoll als «sapiens» bezeichnet227228 , erwartete man fast selbstverständlich große Politik im Orient. Es schien undenkbar, daß Bohemund nicht die Frage von Byzanz neu aufnehmen werde. Bohe­ mund gab sich aber zu Beginn des Zuges alle erdenkliche Mühe, um als einfacher, echter Kreuzfahrer zu gelten und den Byzantinern nicht den geringsten Anlaß zu geben, ihm zu mißtrauen. Doch es hielt schwer, die Normannen als glaubwürdige Kreuzfahrer erscheinen zu lassen. Schon der Zug bis Byzanz glich eher einem feind­ lichen Einfall als einem friedlichen Durchmarsch und weckte in der er­ schreckten Bevölkerung trotz allen Beteuerungen Bohemunds nur zu deutliche Erinnerungen an die Expedition Guiskards. Man vermochte in den Normannen keine friedfertigen Pilger zu erblicken2^ und verhielt sich darum ihnen gegenüber feindselig. Die Bewohner lieferten keine Anna Komnena, Alexiade XIII, x, 4—5, hg. B. Leib Bd. III, S. 122 ff. Ebenda XI, xii, 5-6, S. 51. Ebenda XII, ix, 1, S. 82. «Imperator audiens, quem nimium verebatur, advenisse Boamundum (fre­ quenter enim de prudentia et audacia eius audierat,· ipseque semel et iterum cum patre suo Guischardo pugnaverat et superaturs fuerat) honorifice suscepit eum», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana, I, 20, RHC. Occ. IV, S. 24. 226 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 22, RHC. Occ. IV, S.315. 227 Raimund von Aguilers, Historia Francorum XIV, RHC. Occ. III, S. 267. 228 «... eo quod valde timebant nos, non putantes nos esse peregrinos, sed veile populari terram et occidere illos»», Gesta Francorum I, 4, hg. L. Brehier S. 22.

222 223 224 225

112

Lebensmittel und verschlossen ihnen alle Dörfer und Städte229. Die nor­ mannischen Chronisten hatte Mühe, sich dem von Bohemund geforder­ ten Kreuzzugsstil anzupassen. Radulf sah hinter einem Überfall auf die normannische Nachhut sofort wieder den Konflikt zwischen «Griechen und Lateinern” 23°. Er fiel stellenweise unwillkürlich in das normannische Klischee zurück und meldete stolz die glorreichen Siege der Normannen über die «plebs invalida» der Griechen231. Von friedlicher Pilgerfahrt ist bei ihm nicht viel zu spüren; die Rivalität zu den Byzantinern bricht immer wieder durch. Bohemund selber aber betonte damals stets, er wolle keinen Streit mit dem Kaiser und habe nicht im Sinn, diesen auf irgend­ eine Weise zu schädigen 232. Auch in der engeren Umgebung Bohemunds verstanden viele seine be­ reitwillige Haltung gegenüber dem Kaiser nicht. Tankred, der Neffe Bohe­ munds, hielt an der traditionellen, ablehnenden Einstellung gegen Byzanz fest. Er verabscheute, nach der Darstellung Radulfs, wie ein Fisch den Angelhaken, die trügerische Freundschaft mit den Griechen233. Mit dem Angelhaken aber meint Radulf die «divitiae Constantinopolitanae«, denn mit diesem Gift habe der Kaiser Bohemund auf seine Seite gebracht und zum Gehorsam verpflichtet. Tankred selber überquerte mit seinen Leu­ ten heimlich den Bosporus, um auf diese Weise der Eidesleistung zu ent­ gehen234. Als er nach der Eroberung von Nikaea doch noch aufgefordert wurde, dem Kaiser zu huldigen, zeigte er sich keineswegs unterwürfig, sondern verlangte als Gegenleistung für den Schwur, daß ihm das über alle Maßen prächtige und imposante, mit den kaiserlichen Abzeichen geschmückte Zelt des Alexios übergeben werde! Der Kaiser sei über diese Unverschämtheit empört gewesen, berichtet Radulf, denn er habe deut229 Ebenda II, 5, S. 26. 230 «Tune Graeci, qui missi fuerant Latinorum insidiari vestigiis...«, Radulf von Caen, Gesta Tancredi V, RHC. Oec. III, S. 608. Radulf machte später den Zug Bohemunds von 1107 mit. Seine Darstellung ist von daher be­ einflußt. 231 «Sternitur plebs invalida, et docetur non ultra deFrancorum raritate praesumere; sed in uno centum formidare. Tancredus viam gladio aperit», ebenda imperfecto ad quod ierant negotio, ad propria regredi abominabantur», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 20, RHC. Occ. IV, S. 25. IV, S. 608. 232 «Quare, miseri, occiditis gentem Christi et meam? Ego cum vestro imperatore nullam altercationem habeo», Gesta Francorum I, 4, hg. L. Brehier S. 24. 233 «Nam qua sedulitate accipiter laqueos, aut hamum piscis, et is fraudulentam Graecorum familiaritatem horrebat», Radulf von Caen, Gesta Tancredi X, RHC. Occ. III, S. 612. 234 Gesta Francorum II, 7, hg. L. Brehier S. 32; Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 19, RHC. Occ. IV, S. 313. 113

lieh erkannt, was Tankred mit diesem Wunsch nach «regalia» habe aus­ drücken wollen; den normannischen Anspruch auf die Kaiserkrone! Denn wenn Tankred bereits kaiserliche Abzeichen führe, dann bleibe ja nichts übrig, als auch das Diadem ihm, dem Kaiser, wegzunehmen und es Tankred aufs Haupt zu setzen! 235 Für das Mittelalter war eine solche Zeichensprache unmißverständlich! Als der Kaiser darauf Tankred heftig schalt und ihm erklärte, er halte ihn für unwürdig, sowohl sein Freund wie auch sein Feind zu sein, soll ihm der stolze Tankred unverfroren ge­ antwortet haben, er halte zwar Alexios nicht für würdig sein Freund, wohl aber sein Feind zu sein!236 Diese kleine Episode zeugt wieder ein­ mal höchst anschaulich für die normannische Überheblichkeit gegen­ über Byzanz! Dazu stand Bohemunds Haltung in völligem Gegensatz. Albert von Aachen hat unrecht, wenn er behauptet, Bohemund habe schon damals vor Byzanz offen seine Feindschaft gegen den Kaiser gezeigt und Gottfried von Bouillon vorgeschlagen, gemeinsam gegen Alexios Krieg zu führen und in sein Reich einzufallen237. Doch diese fälschliche Annahme zeigt nur, wie wenig man sich vorstellen konnte, Bohemund werde nicht die traditionelle normannische Politik fortsetzen! In Wirklichkeit ging Bohemund auf alle Forderungen des Kaisers ein, und er hatte seine Gründe dafür. Balderich von Dol erklärt nicht unge­ schickt, Bohemund habe eingesehen, daß seine Kräfte augenblicklich zu schwach seien, darum habe er seine Absichten verschwiegen und seinen Ärger über die Schwierigkeiten, die die Byzantiner den Kreuzfahrern be­ reiteten, nicht offen gezeigt. Die Klugheit gebiete, diejenigen Pläne zu ver­ schieben, die sofort auszuführen man nicht die Macht habe238. Bohe-

235 «Ergone Marchisides confert se mihi, regalia petendo insignia? Soldent vero ei communia, nisi singulare meum in toto orbe affectet palatium? qua impetrato, quid restât ultra, quin capiti diadema meo detrahat, suo imprimât?», Radulf von Caen, Gesta Tancredi XVIII, RHC. Occ. III, S. 619. Von Robert Guiskard wird in ähnlicher Weise erzählt, er habe nach der Flucht des Alexios bei Dyrrhachium sofort das kaiserliche Zelt für sich be­ schlagnahmen lassen, vgl. Gaufredus Malaterra, De rebus III, 27, R. I. SS. V, S. 74. 236 «Hostem mihi te dignor, nec amicum», Radulf von Caen, Gesta Tancredi XVIII, RHC. Occ. III, S. 620. 237 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis II, 14, RHC. Occ. IV, S. 309. 238 «Nos transituri per imperatorem, tumorem animi compescamus... porro prudentiae modus est potestativum hominem se ipsum dissimulare, ubi potentiae suae nequit satisfacere. Prudentia est in tempus differre quod continuo non possis explere», Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana I, 18, RHC. Occ. IV, S. 23. 114

mund hatte beim Vorstoß von 1081 die wirkliche Stärke von Byzanz er­ fahren. Darum dachte er zunächst nicht daran, die Pläne Guiskards weiter zu verfolgen. Wie alle seine normannischen Vorgänger sah auch er stets die beiden Möglichkeiten, die sich Byzanz gegenüber boten: Entweder Er­ oberer — oder Söldner! Solange das Reich schwach schien, traten die Nor­ mannen immer als Eroberer auf, zeigte es sich aber stark und mächtig, so waren sie bereit, in seinen Dienst zu treten. Da das Unternehmen Guis­ kards gescheitert war, nahm Bohemund die Idee Ursels von Bailleul wie­ der auf und versuchte, im Orient ein normannisches Fürstentum zu grün­ den 239. Er hatte sofort erkannt, daß der Kreuzzug ihm die Chance gab, im Osten einzugreifen, weil er damit wieder ein starkes Heer in die Hand bekam, wenn er es verstand, die Führung an sich zu reißen 24°. Bohemund vertrat am markantesten jene Kreuzfahrer, die wie Balduin, Tankred und andere hauptsächlich auszogen, um sich im Orient ein neues Herrschafts­ gebiet zu erobern. Er hatte von Anfang an im Sinn, den Kreuzzug für seine Ziele auszunützen. Doch war er zunächst gewillt, die byzantinische Oberhoheit und die Ansprüche des Reiches zu anerkennen. Er verlangte deshalb, daß Alexios ihm den Titel eines Domestikos des Ostens ver­ leihe. Dadurch hätte er als kaiserlicher Vertreter den Ob er fehl über den Kreuzzug erhalten und sich für sein Vorhaben die Legitimierung durch das byzantinische Reich gesichert241. Wie sehr es Bohemund im Grunde um eine solche Legitimierung zu tun war, zeigt sich daran, daß er später bei seiner Propaganda gegen Byzanz behauptete, der Kaiser habe ihm da­ mals in einem geheimen Vertrag ein Gebiet von 15 Tagereisen in der Länge und 8 Tagereisen in der Breite um Antiochien übertragen, sich dann aber nachher nicht an dieses Versprechen gehalten242. Auch Bohe­ mund stand stets vor der großen Schwierigkeit, daß für seine Zeit der Rechtsstandpunkt des byzantinischen Reiches seine volle Gültigkeit im­ mer noch besaß. Es hielt schwer, diesen anzufechten und eine überzeu­ gende Rechtfertigung für ein Vorgehen gegen Byzanz zu finden. Darum

239 R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. 21. Vgl. oben S. 29. 240 Vgl. dazu die bezeichnende Schilderung von Bohemunds überstürztem Aufbruch, nachdem er die ersten Nachrichten von der Kreuzzugsbewe­ gung und ihrem ernsthaften militärischen Charakter erhalten hatte, Gesta Francorum I, 4, hg. L. Brehier S. 18. 241 L. Brehier, Vie et mort de Byzance S. 312; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 158; W. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 60. 242 Gesta Francorum II, 6, hg. L. Brehier S. 30. Der Passus ist erst nachträglich in den Text eingefügt worden. Vgl. dazu S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 159. Die gleiche Behauptung findet sich auch bei Radulf von Caen, Gesta Tancredi X, RHC. Occ. Ill, S. 612. 115

versuchte Bohemund zuerst, die kaiserliche Zustimmung für seine Pläne zu gewinnen. Doch Alexios, durch frühere Erfahrungen mißtrauisch geworden, ging nicht auf Bohemunds Vorschläge ein und gab ihm keinerlei bindende Zusicherungen. Dadurch wurde Bohemund zu einer Änderung seiner Haltung gezwungen. Er ging nun offen darauf aus, sein Ziel auch gegen den Willen des Kaisers zu erreichen. Als er Antiochien in seiner Gewalt hatte, fiel die Maske des frommen Kreuzfahrers ab. Wenn die anderen meinten: «Keiner von uns ist um Antiochiens willen von zu Hause weg­ gezogen»» 243, so stimmte das für Bohemund nicht. Er blieb in Antiochien und pilgerte erst viel später, nach der Eroberung Jerusalems, auch noch zum Heiligen Grab, um der öffentlichen Meinung Genüge zu tun und sich den Ruf eines untadeligen Kreuzfahrers zu erhalten.

Der offene Bruch mit Byzanz

Bohemund war sich darüber im klaren, daß der Kaiser niemals frei­ willig auf Antiochien verzichten würde. Er zog die Konsequenzen und ließ es nun in allem auf einen klaren Bruch mit Byzanz ankommen. Mit derselben Leichtigkeit wie einst der Söldner Ursel von Bailleul setzte sich auch Bohemund über seinen Eid hinweg und wurde wieder zum offenen Gegner des Kaisers. Die Entscheidung war eindeutig. In dem Brief, den die Kreuzfahrer 1098 aus Antiochien an den Papst richteten, steht ein vermutlich von Bohemund allein veranlaßter Nachsatz: «Du aber, hoher Vater, mußt uns Söhne, die wir Dir in allem gehorsam sind, von dem ungerechten Kaiser trennen, der uns viel Gutes versprochen, aber nichts gehalten hat. Wann immer er uns Böses zufügen und uns behindern konnte, so hat er es ge­ tan.»»244 Bohemund verlangte also deutlich vom Papst, daß er alle Ver­ pflichtungen der Kreuzfahrer gegenüber dem Kaiser für ungültig erkläre und im Streit um Antiochien zu seinen Gunsten Stellung nehme. Um seinen Standpunkt zu untermauern, betonte er nun all das, was Griechen und Lateiner trennte. Das seit 1054 bestehende religiöse Schisma zwischen Konstantinopel und Rom hatte auf den Kreuzzug zunächst keine spürbare Auswirkung gehabt. Papst Urban hatte die Hoffnung auf eine Union der Kirchen nicht aufgegeben, und die meisten Kreuzfahrer waren

243 Vgl. oben S. 96. 244- «Tu uero nos filios per omnia tibi oboedientes, pater piissime, debes separare ab iniusto imperatore, qui multa bona promisit nobis, sed minime fecit. Omnia enim mala et impedimenta quaecumque facere potuit, nobis fecit”, Epistula Boemundi, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe XVI, 16, S. 165. Vgl. W. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 62 ff. 116

sich der Existenz eines Schismas gar nicht bewußt. Sie wollten ja in den Griechen «conchristiani« sehen und bewunderten und verehrten das christliche Byzanz mit seinen vielen prächtigen Kirchen und Klöstern. Bohemund aber wies jetzt offen auf diesen heiklen Punkt hin. Im oben erwähnten Brief an den Papst werden die Griechen ausdrücklich unter den «haeretici« genannt, die der Papst nun überwinden müsse245, und im Jahre 1100 gab er dieser Auffassung sichtbar Ausdruck, indem er den seinerzeit vom päpstlichen Legaten Adhemar von Puy feierlich bestätigten griechischen Patriarchen von Antiochien, Johannes IV., seines Amtes entheben und durch einen Lateiner ersetzen ließ! Der abgesetzte Patriarch klagte in Byzanz über das ihm widerfahrene Unrecht, und fortan standen sich eine griechische und eine lateinische Linie von Patriarchen von Anti­ ochien unversöhnlich gegenüber. Dieser Konflikt, der einen so ehrwürdi­ gen Patriarchensitz betraf, zeigte plötzlich klar, daß eine kirchliche Span­ nung zwischen Griechen und Lateinern bestand, und trug viel dazu bei, die Kirchentrennung unheilbar werden zu lassen 246. Doch Bohemund schreckte auch vor dem letzten Schritt nicht zurück, das heißt vor dem offenen Kampf gegen die «conchristiani«. 1101 ent­ schloß er sich zur Belagerung von Latakia, denn diese wichtige Hafenstadt an der syrischen Küste war von Raimund von Toulouse ordnungsgemäß den Byzantinern ausgehändigt worden und stellte für das Fürstentum Antiochia eine stete Bedrohung dar. Besonders schwerwiegend war, daß Bohemund für diese Belagerung die Hilfe einer eben gelandeten pisanischen Flotte gewann, die den Erzbischof Dagobert von Pisa mit sich führte. Die Pisaner, die unterwegs byzantinische Inseln geplündert hat­ ten, waren deswegen bereits bei der Überfahrt mit einer byzantinischen Flotte in Kampf geraten! Nun stellte ihnen Bohemund die Griechen als «falsos Christianes« hin, die stets den Kreuzfahrern Schaden zugefügt und sie den Türken und Sarazenen verraten hätten!247 Er wandte also bereits 245 «Nos enim Turcos et paganos expugnauimus, haereticos autem Graecos et Armenos, Syros, Jacobitasque expugnare nequiuimus, mandamus igitur... ut tu pater et caput ad tuae patemitatis locum uenias, et qui beati Petri es uicarius, in cathedra eius sedeas et nos filios tuos in omnibus recte agendis oboedientes habeas, et omnes haereses, cuiuscumque generis sint, tua auctoritate et nostra uirtute eradices et destruas«, Epistula Boemundi, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe XVI, 14, S. 164. 246 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 320. 247 «... qui cives Laodiciae falsos esse Christianos asseruit; eosdem etiam sem­ per christianis confratribus adversari, et traditores Peregrinorum apud Turcos et Sarracenos fuisse illos summopere referebat«, Albert von Aachen, Liber Christianae Expedítionis VI, 57, RHC. Occ. IV, S. 502,· vgl. auch schon vorher VI, 55, S. 500.

117

die Begründung an, die später das Hauptargument seiner antibyzantini­ schen Propaganda bilden sollte. Die Pisaner samt dem Erzbischof ließen sich überzeugen und willigten in die Belagerung ein, genauso, wie 100 Jahre später die Kreuzfahrer des vierten Kreuzzuges von den Venezianern überredet werden konnten, zuerst die christliche Stadt Zara an der dalma­ tinischen Küste248 und schließlich das christliche Konstantinopel selber zu erobern! Doch Bohemunds Spiel wurde durchkreuzt. Der Chronist Albert von Aachen geißelt ohne Rücksicht Bohemunds unersättliche «avaritia aggregandi et acquirendi» und läßt keinen Zweifel darüber bestehen, daß er die Belagerung Latakias als «iniusta”, als ein Unrecht gegenüber der christlichen Einwohnerschaft und als einen Bruch des dem Kaiser gegebe­ nen Versprechens betrachtete249250 . Ebenso empört über Bohemunds Vor­ gehen und über die Beihilfe des Erzbischofs waren die zu jenem Zeit­ punkt von Jerusalem zurückkehrenden Kreuzfahrer Robert von Flandern, Robert von der Normandie und Raimund von Toulouse. Trotz allen Ent­ täuschungen fühlten sie sich doch noch durch ihren Eid an den Kaiser gebunden. Zudem gedachten sie mit ihren Truppen über Konstantinopel heimzureisen und brauchten die Unterstützung des Kaisers. Sie veran­ laßten Dagobert und die Pisaner jede weitere Hilfe zu verweigern und zwangen dadurch auch den widerspenstigen Bohemund zum Nachgeben. Was sich vor Latakia abgespielt hatte, war charakteristisch für die allge­ meine Lage, wie sie sich nun immer deutlicher im Osten abzeichnete. Die im Orient gebliebenen Kreuzfahrer lebten sich allmählich in die neuen Verhältnisse ein. Das Königreich Jerusalem war weit genug von Byzanz entfernt, um von dorther keine Beeinträchtigung und keine Einmischung zu erfahren. Darüber hinaus sah man die Notwendigkeit und sogar die Vorteile einer Zusammenarbeit mit dem Kaiser ein, dies ganz besonders, seit Alexios zahlreiche Kreuzfahrer aus der Gefangenschaft losgekauft hatte und sich gegenüber den über Konstantinopel heimreisenden Kreuz­ fahrern als äußerst liebenswürdiger Gastgeber erwies. Alle diese Beweise seiner Macht und seines guten Willens verfehlten ihren Zweck nicht, und vermochten das Ansehen von Byzanz und das Vertrauen in den Kaiser im Osten einigermaßen wiederherzustellen 25°.

248 Vgl. G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates S. 331. 249 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis VI, 55—58, RHC. Occ. IV, S. 500. 250 Anna Komnena, Alexiade XII, i, 3—5, hg. B. Leib Bd. Ill, S. 54; vgl. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 46; vgl. auch Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis X, 39, RHC. Occ. IV, S. 649. 118

Bohemund, für den es als unabhängigen Fürsten von Antiochien keine Versöhnung mit dem Kaiser gab, sah sich in seiner antibyzantinischen Politik immer mehr isoliert. Er befand sich mit Byzanz in offenem Kriegs­ zustand. Dabei war er gezwungen, gleichzeitig gegen die Türken an der Ostgrenze und gegen die Byzantiner, die in Kilikien Städte zurückerober­ ten, zu kämpfen. Nach Radulf von Caen fühlte sich Bohemund von den stärksten Mächten der Welt bedroht: von «Konstantinopel» und «Per­ sien», von «Orient und Okzident»!251 Damit gab er seinem Kampf ge­ gen Byzanz größtes Ausmaß! Er brauchte dringend Unterstützung, konnte solche aber bei den Kreuzfahrerstaaten nicht finden. Darum entschloß er sich, angesichts dieser Lage, im Westen Hilfe zu suchen, und zwar nicht in erster Linie gegen die Türken, sondern ausdrücklich gegen Byzanz252. Bohemund glaubte, nur er selber und kein anderer sei imstande, den Westen gegen das byzantinische Reich in Bewegung zu setzen, und darum ging es jetzt für ihn wieder, nicht mehr nur um die Behauptung des Fürstentums Antiochiens. Die Worte, die ihn der Chronist zum Abschied an seine Leute richten läßt, erinnern ganz an die kühnen Prophezeiungen vor dem Aufbruch Robert Guiskards. Sie zeugen indirekt für die hohe Geltung, die das Kaiserreich auch bei den Normannen doch immer noch besaß und andererseits für ihre feste Überzeugung, sie seien berufen, diese «hohe Eiche» zu stürzen: «Magna est res, de qua agitur, magno volumine tractanda, severae vix cuiquam personae impetrabilis. Propositi est nostri graves excire potestates: hoc non cuivis hominum contigit; non potest gravia movere nisi gravis,· magno opus est flatu, ut possit quercus alta radicibus evelli.»253

Bohemunds Propagandareise in den Westen Als Bohemund nun seine Propagandareise in Italien und Frankreich an­ trat, sah man jedoch dort in ihm nicht so sehr den skrupellosen, ehr­ geizigen Normannen, der den Kaiserthron von Byzanz an sich reißen

. 251 Radulf von Caen, Gesta Tancredi CLII, RHC. Occ. III, S. 712. 252 «...Boemundo non solum Italiam sed et Galliam profecto ad acquirendas vires et commovendos principes adversus Alexium regem Graecorum», Al­ bert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis IX, 47. RHC. Occ. IV, S. 620; Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana II, 26, RHC. Occ. III, S. 408. 253 Radulf von Caen, Gesta Tancredi CLII, RHC. Occ. III, S. 713. Auch Anna Komnena war sich bewußt, was der neue Versuch Bohemunds bedeutete, der durch «Himmelserscheinungen» angekündigt wurde und in Griechen­ land großen Schrecken verbreitete, Alexiade XII, iv, 1, hg. B. Leib Bd. III, S. 64 und XII, ix, 7, S. 85. 119

wollte. Zwar trug die Erinnerung an Robert Guiskard auch jetzt zu sei­ nem Ruhm bei, doch vor allem war es der erste Kreuzzug, der seine Be­ rühmtheit unermeßlich gesteigert hatte. Mit Recht nennt ihn Louis Brehier eine der populärsten Persönlichkeiten der damaligen Christenheit254. Die Gesta Francorum, der erste für die Leute im Westen zugängliche Kreuzzugsbericht, stellten Bohemund als den großen Kreuzzugshelden bei jeder Gelegenheit ins hellste Licht. Auch war allgemein bekannt, daß die erfolgreiche Eroberung Antiochiens nur seiner Klugheit und seinem An­ sehen zu danken war. Die drei Jahre, die Bohemund in Gefangenschaft des DanischmandidenEmirs verbracht hatte, erhöhten nur noch seinen Ruf. Die Lombarden, im Kreuzzug von 1101, wichen ja nur nach Osten ab, um ihn zu befreien! Wie sehr man ihn allgemein verehrte, wird am schönsten aus dem Be­ richt des Ordericus Vitalis über diese Zeit der Gefangenschaft ersichtlich. Alle Christen hätten ihn beweint, schreibt Ordericus, und die gesamte Kirche habe für seine Befreiung gebetet255. Mit lebhafter Mißbilligung berichtet der Chronist hingegen von der Haltung des Kaisers, der sich über das Mißgeschick Bohemunds «gefreut» und versucht habe, ihn von den Türken loszukaufen, aber nicht etwa, um ihm «die frühere Freiheit wiederzugeben, damit er weiterhin die Christenheit schützen könne», son­ dern um ihn auf ewig in Fesseln zu halten256. Es ergab sich hier für den Chronisten eine ausgezeichnete Gelegenheit, dem Kaiser vorzuwerfen, er habe aus egoistischem Interesse der Christenheit einen nützlichen Ver­ teidiger vorenthalten wollen, und auf diese Weise den guten Eindruck zu zerstören, den sich der Kaiser durch den Loskauf von gefangenen Kreuzfahrern erworben hatte! Das Verhalten des Kaisers erschien um so empörender, als sogar die Heiden Bohemund im Kerker ehrenvoll behan­ delten und ihn «parvum Deum Christianorum» nannten!257 Die schließ­ lich erfolgte Befreiung Bohemunds schmückt Ordericus zu einer rühren­ den Legende aus: Gott, der Herr, komme stets denen zu Hilfe, die auf ihn hofften; dies hätten Abraham und Joseph und viele andere erfahren. So wie der Herr den Aposteln unter den Heiden geholfen habe, so habe er schließlich auch Bohemund befreit, und zwar durch Melaz, die Toch­ ter des Danischmandiden-Fürsten, die Ordericus mit Judith vergleicht 254 Histoire anonyme de la première croisade, hg. L. Bréhier, Einleitung S. XVI. 255 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica X, 23, hg. A. Le Prevost, Bd. IV, S. 143. 256 «Hoc nimirum egit, non ut vinctum ducem liberarci, ac ad tutandam Christianitatem pristinae libertati restauraret, sed ut suis eum vinculis per­ petuo illaqueatum coartaret», ebenda S. 141. 257 Ebenda S. 143 und S. 141.

120

und die er zum Christentum übertreten und Bohemund nach Antiochien begleiten läßt!258 Solche Legenden verliehen der Gestalt Bohemunds eine geheimnisvolle Anziehungskraft, die er dadurch verstärkte, daß er aus Antiochien alle verfügbaren Schätze und Reliquien mitbrachte, um damit sein Publikum zu beeindrucken. Seine Propagandareise wurde zu einem einzigen Triumph. Man riß sich darum, den «verus miles martyrque Christi»259 zu sehen und von seinen Taten erzählen zu hören. Viele Vornehme brachten ihre Kin­ der, damit er selber sie auf seinen Vornamen Marcus taufe260. Das Volk strömte zusammen, wie wenn es käme, «um Christus selber zu sehen», berichtet ein anderer Autor261262 , und Bohemund als frommer Kreuzfahrer suchte das Grab des heiligen Leonhard auf, um ein in der Gefangenschaft geleistetes Gelübde zu erfüllen. Die mit soviel Raffinement in Szene gesetzte Propagandareise erzielte denn auch das gewünschte Resultat. Bohemund wurde am Hof König Philipps freundlich empfangen; er erhielt sogar dessen Tochter Konstanze zur Frau, und schließlich erteilte ihm Philipp auch die Erlaubnis, Trup­ pen anzuwerben. Heinrich I. von England versprach ebenfalls seine Unter­ stützung, doch traf er bezeichnenderweise mit Bohemund in der Norman­ die zu einer Unterredung zusammen und hielt ihn davon ab, nach Eng­ land zu kommen, damit er ihm nicht die besten Leute wegnehme!202 Dies ein deutlicher Hinweis darauf, welch starkes Echo Bohemunds Wer­ bung offenbar fand. Dieser gewaltige Erfolg und auch Bohemunds Renommee als vorbild­ licher Kreuzfahrer waren zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß es Bohemund gelungen war, die päpstliche Autorität für seine Sache zu ge­ winnen.

258 In Wirklichkeit mußten für die Freilassung Bohemunds 100 000 Byzantii bezahlt werden. Vgl. Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis IX, 33-37, RHC. Occ. IV, S. 610 ff. 259 Historia Peregrinorum Euntium Jerusolymam (seu Tudebodus imitatus) CXL, RHC. Occ. Ili, S. 228. 260 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 12, hg. A. Le Prévost, Bd. IV, S. 212. 261 «Sed et omnes per quoscumque transiturus esset, ac si ipsum Christum essent visuri, certatim illum intueri inhiabant», Historia Peregrinorum Eun­ tium Jerusolymam CXL, RHC. Occ. Ili, S. 228. 262 Odericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 12, hg. A. Le Prévost Bd. IV, S. 211.

121

Die Zustimmung des Papstes

Schon immer hatten ja die Normannen versucht, für ihre Eroberungen die päpstliche Legitimation zu erhalten und seit Nikolaus II. das iuramentum fidelitatis der Normannen entgegengenommen hatte, war die Verbin­ dung zum Papsttum stets wieder zur Auswirkung gekommen. Bereits Ro­ bert Guiskards Kampf gegen Byzanz hatte die Billigung durch Papst Gre­ gor VII. gefunden und dadurch viel an Rechtfertigung gewonnen263. Papst Paschalis II., mit dem sich Bohemund in Italien besprach, war ja schon durch frühere Berichte gegen Byzanz beeinflußt worden264. Er ging anscheinend ohne weiteres auf Bohemunds Auffassung ein und erteilte ihm für seinen geplanten Krieg gegen das byzantinische Reich die päpst­ liche Sanktion, ja er gab seiner Zustimmung sichtbaren Ausdruck, indem er Bohemund zum «signifer Christi exercitus» ernannte und ihm das «vexillum sancti Petri» überreichte265. Zudem sollte Bruno von Segni als päpstlicher Legat Bohemund nach Frankreich begleiten und ihn bei sei­ nem «Kreuzzug» unterstützen266. Diese offene Stellungnahme des Papstes war von weitreichender und folgenschwerer Bedeutung. Der Kaiser war dadurch endgültig zum Sünden­ bock gestempelt. Auch der Papst hatte sich sein Bild von Byzanz trüben lassen, auch er schien das Vertrauen in das christliche Byzanz und seinen Kaiser verloren zu haben. Damit gab der Papst all den immer wieder vor­ gebrachten Klagen der Kreuzfahrer recht. Fortan konnte man sich gegen die Byzantiner stets auf seine Entscheidung berufen. Die Rivalität zu By­ zanz und die aktive Politik gegen den Kaiser schienen durch Rom ge­ rechtfertigt267. Bohemunds Argumente

Bohemund war sich darüber im klaren, daß eine überzeugende, auf sein Ziel hin abgestimmte Darstellung der Rolle von Byzanz nötig war, um den Westen zu gewinnen. Wie heftig er seine Kampagne führte, weiß so­ 263 Vgl. C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke S. 159 und W. Norden, Das Papsttum und Byzanz S. 40. 264 Vgl. oben S. 108. 265 «Boamundum vero trans Alpes in Gallias et partes Occidentis, ut contra imperatorem sibi adjutoria quaereret, legavit, atque signiferum Christi exercitus eum constituit, vexillumque sancti Petri ei tradens, in pace dimisit», Bartulf von Nangis, Gesta Francorum Iherusalem Expugnantium LXV, RHC. Occ. III, S. 538. 266 Suger von St. Denis, Vita Ludovici Grossi Regis IX, hg. H. Waquet, S. 44. 267 Anna Komnena, Alexiade XII, viü, 5, hg. B. Leib Bd. III, S. 80; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 48; A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire, S. 410.

122

gar Anna Komnena zu berichten, die erzählt, Bohemund habe den Kaiser einen Heiden und einen Feind der Christen genannt268. Bohemund ging auch wirklich darauf aus, das Bild von den «conchristiani» gründlich zu zerstören. Was ihm vor Latakia mit den Pisanem gelungen war, das ver­ suchte er nun in Frankreich und Italien zu erreichen. Er stellte die Grie­ chen unmißverständlich als «falsos Christianos» hin und bediente sich geschickt aller Argumente, die sich aus den Kreuzzugserfahrungen und auch aus der altüberlieferten Vorstellung von den schwachen und ver­ schlagenen Griechen ableiten ließen. In einem Brief an Paschalis II. verteidigte sich Bohemund zunächst ge­ gen die «pecunie pocius quam iustitiae amatores», die behaupteten, er führe «iniuste» Krieg gegen den christlichen Kaiser269. In seiner Beweis­ führung nahm er den alten Vorwurf wieder auf, daß Alexios den Thron usurpiert habe, und Ordericus Vitalis berichtet entsprechend dazu, daß Bohemund in Frankreich den Zorn gegen Alexios dadurch zu wecken verstand, daß er einige Griechen als Begleiter mit sich nahm, die gegen den «unrechtmäßigen Kaiser» Klage führten270. In der populären Propa­ ganda scheint dieser Vorwurf eine gewisse Rolle gespielt zu haben,· auf den Papst aber konnte wohl dieses abgedroschene Argument keinen Ein­ druck mehr machen, denn Alexios Herrschaft war längst gefestigt und anerkannt. Bohemund ging darum in seinem Brief nun gleich auf den Hauptpunkt ein. Dem Papst gegenüber war dies für ihn: das Schisma! Wie bereits in jenem Schreiben aus Antiochien bezeichnete er auch jetzt wieder die Grie­ chen und ihren Kaiser klar und deutlich als Schismatiker, die sich von der römischen Kirche getrennt hätten271. Er rief den Papst zum Schieds­ richter auf und erklärte unter Berufung auf den Korintherbrief, wenn

268 Anna Komnena, Alexiade XII, i, 2, hg. B. Leib Bd. III, S. 54. 269 Bohemunds Brief an Papst Paschalis, hg. W. Holtzmann, Bohemund von Antiochien und Alexios I, Beilage in: Neues Archiv, Bd. 50 (1935), S. 281. 270 «Filium Diogenis Augusti aliosque de Graecis seu Thracibus illustres secum habebat, quorum querela de Alexio Imperatore, qui per proditionem illis antecessorum stemmata suorum abstulerat, magis ad iram contra eum feroces Francos incitabat», Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 12, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 212; vgl. Guibert von Nogent, Gesta Dei I, 5, RHC. Occ. IV, S. 133. Dieselbe Begründung hatte ja schon Robert Guiskard als Vorwand gedient, vgl. oben S. 49. In ähnlicher Weise wird auch wäh­ rend des vierten Kreuzzuges das Auftauchen des Prinzen Alexios Angelos, der im Namen seines mit Gewalt gestürzten und geblendeten Vaters um Hilfe gegen Kaiser Alexios III. bat, bei der Wendung des Zuges nach By­ zanz eine Rolle spielen! 271 «... unde eum et suos a Romana ecclesia dissentire manifestum est», Bohemunds Brief, hg. W. Holtzmann, Neues Archiv Bd. 50, S. 281. 123

dieser «alte Sauerteig»» der Griechen aus dem Wege geschafft und diese «Hefe»» von Ungehorsam, Auflehnung, Abtrünnigkeit und Verrat ent­ fernt werde, so wäre dies ein Anlaß zu großer Freude für die ganze christ­ liche Kirche! 272 Der Vorwurf der Haeresie lieferte Bohemund auf diese Weise eine neue Rechtfertigung für das so häufig auf die Griechen ange­ wandte Schlagwort «perfidus»». Schließlich stellte Bohemund in seinem Brief noch die Beziehung zum Kreuzzug her und zählte dem Papst eindringlich auf, was sich der Kaiser gegenüber den Kreuzfahrern alles habe zuschulden kommen lassen, denn daß dieser befohlen habe, die Pilger auszurauben, zu töten und ihre Schiffe zum Sinken zu bringen, das müsse nun doch «mit Gottes Hilfe gerächt»» werden273. Die Byzantiner verdienten nicht mehr Hilfe, sondern Strafe, und Bohemund stellte dem Papst, der ja als «vicarius beati Petri»» zur Wachsamkeit aufgerufen sei, mit der biblischen Frage: «Simon dor­ mís?»» seine Pflicht in dieser Hinsicht eindrücklich vor Augen. Dieses letztere Argument, der Kaiser behindere willentlich den Kreuz­ zug, stand im Mittelpunkt der volkstümlichen Propaganda, die Bohemund in Italien und Frankreich betrieb. Alle Quellen wiederholen fast stereotyp immer wieder diese Klage, denn in ihr kam die große Enttäuschung über das Versagen des christlichen Byzanz zum Ausdruck. Bartolf von Nangis berichtet, Bohemund habe ganz besonders vom Weg nach Jerusalem ge­ sprochen, und darauf hingewiesen, daß niemand mehr wage, die Reise dorthin zu unternehmen, weil der Kaiser den Weg zu Wasser und zu Lande besetzt halte274.

272 «Si enim vetus fermentum Grecorum expurgari valeret et fex inobedientie et rebellionis et scismatum et diversarum tradicionum abluí, mirabilis leticia esset toti ecclesie Christi et exaltatio Romane ecclesie et tarn spiritualibus quam corporalibus utilitas»», ebenda S. 282 (vgl. 1. Kor. 5, 7). 273 «Quoniam vero hec iniuria in omnes filios matris nostre Romane ecclesie redundare dinoscitur, hanc cum multis aliis (que) lerosilimitanis sua rapiendo, interficiendo, spoliando, in mare mergendo, in exilium trudendo nequitur ab ipso et suis facte sunt, ulcisci Deo auxiliante desideramus»», ebenda S. 281 274 «... insuper etiam de itinere Iherosolymitano, quod idem imperator terra marique sic occupaverat, ut nemo peregrinus Iherusalem ausus jam ire foret, pro se et peregrinis proclamationem faciens», Bartulf von Nangis, Gesta Francorum Iherusalem Expugnantium LXV, RHC. Occ. III, S. 538. Vgl. Fulcher von Chartres, Zitat S. 83. Die ebenfalls stets wiederholte Klage, Alexios behindere die Pilger auch auf dem Meer, mochte davon herrühren, daß Alexios sich gezwungen sah, gegen die Schiffe der italienischen See­ städte, die byzantinische Inseln plünderten, mit seiner Flotte vorzugehen, vgl. oben S. 117. Vgl. auch die Nachricht der Translatio S. Nicolai V, RHC. Occ. V, S. 257, der Kaiser habe die Venezianer von der Fahrt nach Jeru­ salem abhalten wollen. 124

Als die zwei Hauptvorwürfe erwähnt auch Ekkehard die Behinderung der Pilger und das Bündnis mit den Türken, und seine Worte zeigen, wie damals etwa die Lage im Osten geschildert wurde: «Alexios, der von Neid erfüllte, heimliche Verfolger der Kirche, hat dem lange zurückgehaltenen, von Gift erfüllten Durchbruch seiner verräterischen Treulosigkeit (per­ fidia!) freien Lauf gelassen. Er hat mit den Türken, denen schon fast keine Hoffnung mehr geblieben war, im Osten weiterhin zu regieren, ein Bünd­ nis geschlossen und den Söhnen Suleimans — oh, welche Schandtat — Nikaea zurückgegeben, das doch durch das Blut vieler Christen für unsern Glauben zurückgewonnen worden war. Er hat den Kalifen von Ägypten häufig durch Boten gegen uns aufgehetzt und Wachen zu Wasser und zu Land ausgestellt, um den Pilgern den Weg zu versperren.»275276 Bohemunds Argumentation zog also mit aller Deutlichkeit die Konse­ quenzen, die sich nach westlicher Auffassung aus dem ersten Kreuzzug und vor allem aus den Kreuzzügen von 1101 ergaben: Byzanz war das Haupthindernis für das Gelingen der Kreuzzüge, weil der Kaiser ihnen absichtlich Schwierigkeiten bereitete und sich gegen die Kreuzfahrer mit den Türken verbündete! Doch darüber hinaus wußte Bohemunds außerordentlich vielseitige Propanganda auch schriftliche Dokumente als Beweise vorzulegen! So verbreitete er zum Beispiel in Frankreich Abschriften der Gesta Francorum, die ja den Kreuzzug ganz aus normannischer Sicht kommentierten und in deren Text Bohemund den erwähnten Abschnitt eingeschoben hatte, wonach ihm der Kaiser die Herrschaft über Antiochien zugesichert habe. Diese korrigierte Darstellung gestattete ihm nun, den Krieg, den der Kai­ ser gegen das Fürstentum Antiochien führte, als ungerecht und als Bruch jenes Versprechens hinzustellen, und auch damit wiederum zu zeigen, daß der Kaiser ein Feind der Kreuzfahrer und der von ihnen begründeten Staaten in Syrien und Palästina sei27e. 275 «Invidus et occultus eatenus ecclesiae persecutor Alexius, diu tectam perfidiae suae toxicatam rabiem evaginat, Turcis, quibus jam nulla vel rara in Oriente regnandi spes remanserat, se tutissime conciliât, et, o turpissimum facinus! Nicaeam, quam olim fidei nostrae turrim, dudumque multo christianorum sanguine redemptam praescripsimus, Solomanni tyranni filiis reddidit, Babylonicum regem contra nostros frequentibus nuntiis animavit, custodias ad prohibendum transitum peregrinis terra marique constituit», Ekkehard von Aura, Hierosolymita XXXIII, RHC. Occ. V, S. 37. Die Beschuldigung, Alexios habe Nikaea den Türken zurückgegeben, ist falsch. 276 «Boamundus enim de principatus sui detrimento, quod ab impera tore susceperat... proclamationem faciens», Bartulf von Nangis, Gesta Fran­ corum Iherusalem Expugnantium LXV, RHC. Occ. III, S. 538; vgl oben S. 115.

125

Recht charakteristisch für die nun im Westen sich verbreitende Einstel­ lung zu Byzanz ist aber noch ein anderes Dokument: die sogenannte «Epistula» des Kaisers Alexios an Robert von Flandern, die in der drasti­ schen Sprache eines Kreuzzugsexzitatoriums die Rolle von Byzanz um­ schreibt und deren Argumente geschickt auf die verschiedensten Bevölke­ rungsschichten abgestimmt sind277. Die Epistula

Es ist möglich, daß dieser Epistula ein echter, vor dem ersten Kreuzzug geschriebener Brief des Kaisers zugrunde lag, in dem Robert von Flandern, der Alexios von einer früheren Pilgerfahrt her gut bekannt war, aufge­ fordert wurde, mit einem Söldnerheer dem Kaiser zu Hilfe zu kommen. Doch bei der heute erhaltenen Form der Epistula handelt es sich wohl um ein zum größten Teil frei erfundenes Kreuzzugsexzitatorium, und es ist sehr gut denkbar, daß der Text als Ergänzung von Bohemunds Propa­ gandakampagne gegen Byzanz eine gewisse Rolle spielte. Jedenfalls lassen das der Epistula vorangestellte «Argumentum» und der Kommentar Guiberts von Nogent eine solche Möglichkeit offen 278. Die Epistula beginnt, wie es sich für einen Kreuzzugsaufruf gehört, mit einer Schilderung der Türkengefahr vor dem ersten Kreuzzug. Eine über­ triebene Beschreibung der Schandtaten, die sich die Türken gegenüber den Christen und den heiligen Stätten der Christenheit erlaubten, sollte alle diejenigen anspornen, die dem eigentlichen Kreuzzugsgedanken ge­ mäß den Kampf gegen die Ungläubigen aufnehmen wollten, denn «wer bräche nicht in Klagen aus über diese Zustände? Wer empfände nicht Mitleid und Entsetzen?» 279 Dann geht der Verfasser aber sofort auf die verzweifelte Lage des byzantinischen Reiches über. Ganz Kleinasien sei bereits an die Türken gefallen, und nur Konstantinopel allein sei übriggeblieben, befinde sich aber ebenfalls in höchster Not, ja es sei verloren, «wenn nicht die Hilfe Gottes und der glaubenstreuen lateinischen Christen raschestens ein­ 277 Epistula Alexii I Komneni imperatoris ad Robertum, in. H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe I, S. 129; vgl. dazu F. Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen Reiches von 1025—1204, Nr. 1152, S. 39; C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke, S. 365; Einar Joranson, The Problem of the Spurious Letter of Emperor Alexius to the Count of Flanders, in American Historical Review, Bd. 55, S. 811-32, der auch die gesamte frühere Literatur zu dieser Frage anführt und diskutiert. 278 C. Erdmann, Kreuzzugsgedanke S. 365, Anm. 7; E. Joranson, The Spurious Letter S. 822 und S. 831. 279 Epistula, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe I, 13, S. 132. 126

treffe « 280. Alexios sagt in dem Brief von sich selber, obwohl er der Kaiser sei, wisse er keinen Rat und keinen Ausweg mehr. Er könne nichts an­ deres tun, als ständig vor den Türken und Petschenegen fliehen281. Ein­ mal mehr wird hier das Versagen des Reiches hervorgehoben, dessen Kaiser nicht mehr fähig sei, seine Verteidigungsaufgabe zu erfüllen. Äußerst demütigend ist auch das eigentliche Hilfsgesuch abgefaßt: Robert solle um Gottes willen mit allen Kriegern, gleichgültig welchen Standes, die er in Flandern auftreiben könne, Alexios zu Hilfe eilen und das Reich der Griechen befreien. Er, der Kaiser, wolle sich lieber den Lateinern unterwerfen als dem Übermut der Heiden!282 Damit war nun offen der Gedanke einer lateinischen Herrschaft in Konstantinopel ausgesprochen ! Infolge der Schwäche des Reiches schien es notwendig und gerechtfertigt, die Griechen zu ersetzen und die Herrschaft den Lateinern zu übergeben! Auch Guibert von Nogent unterstreicht in seinem Kommentar die «né­ cessitas«, die den Kaiser gezwungen habe, um fremde Hilfe zu ersuchen und die sich durch Würde, Bescheidenheit ( !) und Waffengeübtheit auszeichnen­ den Franken herbeizurufen, deren Unbesiegbarkeit ja dann der erste Kreuz­ zug erwiesen habe!283 Er betont ebenfalls die Stärke der Franken gegen­ über den Byzantinern und berichtet, schon bevor Bohemund gegen By­ zanz aufgebrochen sei, habe er gehört, daß die Mutter des Alexios diesem prophezeit habe, es werde ein Franke sein, der ihm Reich und Leben rau­ ben werde284. Bohemund, der ja von den Chronisten als der starke Ver­ teidiger der Christenheit geschildert worden war, erschien aus solcher Sicht dazu berufen, den schwächlichen Kaiser der Byzantiner abzulösen!

280 «... nisi auxilium Dei et fidelium Christianorum Latinorum uelociter nobis subuenerit«, ebenda S. 133. 281 «... cum ego, quamuis imp er a tor, nullum tarnen mihi remedium neque idoneum consilium scio inuenire, sed semper a facie Turcorum et Pincinatorum fugio et tamdiu in singula ciuitate maneo, donee aduentum eorum prope sentio ...«, ebenda I, 16, S. 133. 282 «... melius esse subjectus uestris Latinis cupio, quam paganorum delubriis”, ebenda I, 16, S. 134. 283 «Qui Francos quidem, et quam diximus necessitate compulsus, expetiit, sed postquam tantae dignitatis convenisse proceres, adeo instructos modestia et armis equites vidit, multitudini multum, sed multo amplius prudentiae eorum invidit. At ubi ad effectum eorum pervenit intentio, crevit hujus contra nostrorum efficaciam invidentiae magnitudo: dum post Iherosolimitanam victoriam veretur ne victricia in se arma retorqueant, praesertim quum eo potiorem sibi aemulum inter nationes nequaquam esse didicerant«, Guibert von Nogent, Gesta Dei, I, 5, RHC. Occ. IV, S. 133. 284 «Auditu tarnen nobis constat ante hujus viae compertum primordia, ma­ ttem hunc habuisse sortilegam, quae sibi saepe praediceret, quia ex Francis originem ducerei, qui ei imperium vitamque adimeret«, ebenda S. 133. 127

Wurde bisher hauptsächlich die Schwäche von Byzanz hervorgehoben, so fehlt doch auch die Argumentation gegen den treulosen Kaiser nicht. Die Epistula stellt ja die Lage so dar, als habe der Kaiser selbst die Latel· ner beschworen einzugreifen und Konstantinopel Hilfe zu bringen. Auf diese Stelle nimmt das an den Beginn der Epistula gesetzt «Argumentum« Bezug. Während die Epistula den Eindruck erweckt, als sei sie vor dem Kreuzzug geschrieben worden, ist das Argumentum als Kommentar eines Mannes gemeint, dem der Verlauf des ersten Kreuzzuges bekannt war. Er schreibt, der Kaiser habe sich wirklich, wie der Brief berichte, in großer Bedrängnis befunden, und zwar infolge der Angriffe Kilidsch Ars­ lans; doch hätten dann die Kreuzfahrer diesen in der Schlacht besiegt und in die Flucht geschlagen. «Darum«, so fährt er fort, «wundem wir uns nicht wenig, weshalb der genannte Kaiser den Kreuzfahrern stets so schlecht gesinnt war und sich nicht scheute, ihnen Gutes mit Bösem zu vergelten.« 285 Obwohl die Kreuzfahrer den schlimmsten Feind von Byzanz aus dem Weg geräumt hatten, waren sie doch vom Kaiser feindselig be­ handelt worden! Diese Ergänzung zur Epistula sollte jedermann davon überzeugen, daß dem Kaiser schwärzester Undank und offener Wortbruch vorzuwerfen sei286. Wenn man die Epistula für echt hielt, und das taten wohl viele, so schien, gestützt auf diese ergänzende Vorrede, der Vorwurf der Treulosigkeit des Kaisers durch diesen «eigenhändigen« Brief des Alexios einmal mehr gerechtfertigt! Wir finden also auch in dieser vieldiskutierten Epistula das Bild von den schwachen und treulosen Griechen bestätigt, doch nun immer deut­ licher zu einer Darstellung ausgebaut, die die alte Rivalität des Westens zu Byzanz rechtfertigen und eine Eroberung Konstantinopels durch die Lateiner begründen sollte. Die Argumentation der Epistula ist damit jedoch noch nicht erschöpft. Sie erwähnt nebenbei auch die materiellen Vorteile. Immer wenn es um Byzanz ging, spielten ja Glanz und Reichtum dieser Stadt eine entschei­ dende Rolle. Im Schlußteil der Epistula werden deshalb zunächst die vie­ len wertvollen Reliquien Christi und der großen Märtyrer aufgezählt, die alle in Konstantinopel aufbewahrt wurden. Der Wunsch, solche Reli­ quien zu besitzen, wa ja schon seit langem im Westen übermächtig287. Man unternahm weite Reisen, ja man wandte List und Gewalt an, um einen solchen «desiderabilis thesaurus« zu erwerben; der Bericht über die

285 «Unde non parum miramur, cur saepedictus imperator tarn uenenosum animum contra nostros semper habuerit et reddere malo pro bonis non formidauerit«, Epistula, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe I, 4, S. 130. 286 E. Joranson, The Spurious Letter S. 287. 287 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 41.

128

«Translatio Sancti Nicolai» aus Myra durch die Venezianer legt davon be­ redtes Zeugnis ab288, nachdem ja früher schon Kaufleute aus Bari Reli­ quien des heiligen Nikolaus geraubt und nach ihrer Heimatstadt Bari in normannisches Gebiet gebracht hatten. Darum war auch dieser Abschnitt über die Reliquien mit kluger Berechnung in die Epistula eingefügt worden, ja, er enthielt sogar wiederum eine direkte Aufforderung an die Lateiner: «Es ist besser, daß ihr Konstantinopel besitzt als die Heiden, denn in die­ ser Stadt liegen die kostbarsten Reliquien des Herrn!» 289 Mit diesen Wor­ ten wurde der Schutz des «receptaculum sacratissimarum reliquiarum», wie Robert der Mönch Byzanz genannt hatte, und damit auch die Ver­ teidigung der östlichen Christenheit den Franken übertragen!290 Doch die Epistula spricht nicht nur von Reliquien. Sie wendet sich auch an jene, die dafür kein Interesse haben, und weist zum Schluß ganz unverhüllt auf die gewaltigen Schätze Konstantinopels hin. Alle diejeni­ gen, so versichert sie, deren Liebe zum Gold größer sei als die Sehnsucht nach Reliquien, würden in Byzanz mehr Gold finden als in der ganzen übrigen Welt291. Die Schätze der Kirchen, der Vornehmen, der byzanti­ nischen Kaiser und dazu aller früheren römischen Kaiser seien da zu fin­ den, und was für die Augen der Menschen sichtbar sei, bilde nur einen kleinen Teil gegenüber dem, was verborgen liege! Wenn auch ganz am Schluß ein Hinweis auf die Belohnung, die die Kreuzfahrer im Himmel finden würden, nicht fehlt, so hat doch wohl auch dieser Hinweis auf die irdischen Schätze nicht wenig Nachhall gefunden! Das Resultat der antibyzantinischen Propaganda

Ordericus Vitalis beschreibt sehr anschaulich den Verlauf und das Er­ gebnis einer Ansprache, wie sie Bohemund damals überall in Frankreich hielt: «Dann schritt der Herzog, aus allen Vornehmen herausstechend, zur Kirche und stellte sich vor dem Altar der Muttergottes auf. Dort er­ zählte er der ungeheuren Menge, die gekommen war, seine Taten und

288 Translatio Sancti Nicolai, RHC. Occ. V, S. 253—81. Die Venezianer begrün­ deten ihr Vorgehen mit der Überlegung, nachdem der Heilige solange im Osten gewesen sei, müsse er nun auch den Westen besuchen: «dignare tuam Venetiam et Occidentem visitare», XIII, S. 262. Die Griechen aber brechen in die Klage aus: «Quamvis Turci civitatem istam destruxerunt, magnam spem salutis adhuc nobis dimiserunt, sed vos, qui christiani estis, nos et totam Graeciam mortificastis», XXIV, S. 268. 289 «Nam melius est, ut uos habeatis Constantinopolim quam pagani, quia in ea habentur pretiosissimae reliquiae Domini», Epistula, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbriefe I, 17, S. 134. 290 Vgl. oben S. 60. 291 Epistula, in H. Hagenmeyer, Kreuzzugsbiefe I, 20, S. 135.

129

Erlebnisse; er forderte alle Waffenfähigen auf, sich mit ihm gegen den Kaiser zu erheben und versprach ihnen reiche Städte und Dörfer. Durch seine Worte wurden viele angefeuert und, sobald sie das Kreuz des Herrn empfangen hatten, ließen sie alles, was ihnen gehörte, zurück, und traten den Weg nach Jerusalem an, wie wenn sie zu einem Festmahl eilten.«!292 Diese wenigen Sätze zeigen klar, wie Bohemunds Propaganda beschaf­ fen war. Sie betonte einerseits all das, was eine Eroberung von Konstan­ tinopel als verlockend erscheinen ließ und was schon immer die Nor­ mannen magisch angezogen hatte. Bohemund stachelte den alten Neid auf den im Westen längst sprichwörtlich gewordenen Reichtum von By­ zanz wieder auf und gewann dadurch für seine Sache alle diejenigen, die um materieller Interessen willen als «Kreuzfahrer« auszogen. Diese Aben­ teurer machten sich die normannische Auffassung zu eigen und began­ nen das schwache byzantinische Reich beinahe als Kolonialland zu be­ trachten, wo jeder für sich ein Gebiet erobern und reich werden könne. Bohemund versprach ihnen ja ausdrücklich reiche Städte und Dörfer als Belohnung! Diese verlockenden Aussichten waren es, die eine Stimmung aufkommen ließen, als gelte es, nicht zu einem beschwerlichen Kreuz­ zug aufzubrechen, sondern zu einem fröhlichen Gelage zu eilen! Doch diese Beschreibung macht auch noch etwas ganz anderes deut­ lich. Das Entscheidende war, daß ein Zug gegen das christliche Byzanz nun als «Kreuzzug« gelten konnte! Bohemund rief klar zu einem Kampf gegen den Kaiser auf, aber diejenigen, die seinem Ruf Folge leisteten, hefteten das Kreuzeszeichen an ihre Schulter und nahmen den «iter in Jerusalem« unter die Füße! Nicht nur dem Papst gegenüber, sondern auch in der populären Propaganda war es Bohemund offenbar gelungen, die Idee eines Zuges gegen Byzanz völlig mit der Kreuzzugsidee zu ver­ schmelzen und auf diese Weise auch die echten Kreuzfahrer, die als Ziel wirklich Jerusalem im Auge hatten, von der Notwendigkeit eines Vor­ gehens gegen Byzanz zu überzeugen293. Im ersten Kreuzzug hatte sich immer wieder gezeigt, wie schwer es hielt, die Kreuzfahrer, die von der steten Ungeduld erfüllt waren, möglichst rasch nach Palästina zu gelan­

292 «Tune idem dux, inter illustres spectabilis, ad ecclesiam processit, ibique ante aram Virginis et Matris in orcistram conscendit, et ingenti catervae, quae convenerat, casus suos et res gestas enarravit, omnes armatos secum in Imperatorem ascendere commonuit, ac approbatis optionibus urbes et oppida ditissima promisit. Unde multi vehementer accensi sunt, et accepta Cruce Domini, omnia sua reliquerunt, et quasi ad epulas festinantes, iter in Jerusalem arripuerunt«, Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 12, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 213. 293 Vgl. Anton Jenal, Der Kampf um Durazzo 1107/1108, Histor. Jahrbuch Bd. 37, S. 302.

130

gen, unterwegs zu längeren Aufenthalten zu bewegen, wie sie für die Be­ lagerung einer Stadt nötig waren. Bohemund aber verstand es jetzt auch den einfacheren Kreuzfahrern, die von den geographischen Verhältnissen nur eine unklare Vorstellung hatten, zu beweisen, daß es unmöglich sei, sich nicht um Byzanz zu kümmern und den Blick nur auf Palästina zu richten. Man gewöhnte sich an den Gedanken, daß es auf dem Wege dort­ hin Hindernisse zu beseitigen gab! Die stets wiederholten Klagen über den bösen Willen und den Verrat der mit den Türken verbündeten By­ zantiner hatten ihre Wirkung getan. Byzanz und sein imperator perfidus erschienen klar als ein Hindernis, das nicht zu umgehen war, wenn man zum Heiligen Grab gelangen wollte, wie Radulphus Tortarius eindrück­ lich feststellt: «En fragilis saepes, quae tibi saepit iter. Hac caesa divis poteris propiare sepulcris.»294

Der Kampf gegen Byzanz wurde damit offensichtlich zu einer notwen­ digen Voraussetzung, um den Zugang nach Palästina wieder zu öffnen und das Heilige Land zu behaupten. Bohemund hatte mit dem den Nor­ mannen stets eigenen Blick für die großen Zusammenhänge die Erobe­ rung Konstantinopels in die Kreuzzugsidee hineingestellt. Wie einst die Normannen Byzanz als strategischen Punkt ihrer Handelswege erkannt hatten, so bewiesen sie nun, daß die Stadt unentbehrlicher Stützpunkt auf dem Kreuzzugswege sei und darum unter zuverlässiger, lateinischer Ob­ hut stehen müsse. Die Kreuzzugsidee schien die Eroberung Konstanti­ nopels zu rechtfertigen. Wie sehr diejenigen, die mit Bohemund aufbrachen, aus der Kreuz­ zugsidee heraus handelten, zeigt sich daran, daß die meisten nach dem Mißerfolg gegen Byzanz doch den «iter in lerusalem» vollendeten und zum Heiligen Grab pilgerten295. Bohemund selber hatte während des er­ sten Kreuzzuges noch deutlich zwischen einem Kampf gegen Byzanz und einem Kreuzzug unterschieden296. Nun aber bemühte er sich, jede Unter­ scheidung zu verwischen. Die beiden Ideen gingen völlig ineinander über, und diese Verquickung wird eigentlich in der Gestalt Bohemunds selber am deutlichsten sichtbar, denn er wird uns ja zwar einerseits als hab­ 294 Radulphus Tortarius, Ad Gualonem v. 163, hg. A. Jenal, Hist. Jahrbuch Bd. 37, S. 339. 295 Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana II, 39, RHC. Occ. III, S. 418; Historia Peregrinorum Euntium Jerusolymam CXLII, RHC. Occ. III, S. 229; Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 24, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 242. 296 Vgl. oben S. 59.

131

gieriger, eroberungssüchtiger Normanne geschildert297 und hat doch an­ dererseits als idealer Kreuzzugsheld in die Chroniken und Kreuzzugsexzitatorien Eingang gefunden298.

Bohemunds «Kreuzzug» von 1107/1108

Radulphus Tortarius hatte das Hindernis Byzanz mit der üblichen Ver­ achtung für die Griechen nur als «fragilis» bezeichnet; doch war Bohe­ munds Vorstoß nicht mehr Erfolg beschieden als demjenigen Robert Guiskards. Zur See durch die byzantinische Flotte von der Verbindung mit Italien abgeschnitten und zu Land von den Truppen des Alexios ein­ geschlossen, geriet Bohemund bald in eine ausweglose Lage. Das «exercitus Christi» 299 mußte sich geschlagen geben. Ordericus wollte zwar den Mißerfolg der List des Alexios zuschreiben, der die nächsten Freunde Bohemunds durch riesige Geschenke auf seine Seite gezogen habe300. Andere Chronisten versuchten, die Niederlage zu vertuschen und in einen Erfolg Bohemunds umzuwandeln301. Doch es blieb unbestreitbar, daß das byzantinische Reich seine Stärke bewiesen hatte. Alexios' Sieg über den berühmten und bewunderten Bohemund kam einem gewaltigen Triumph gleich, und das Ansehen von Byzanz war mit einem Schlag wiederhergestellt; ja das ganze Prestige, das Bohe­ mund besessen hatte, ging nun auf das Reich über, denn wer konnte es noch wagen, sich gegen den Kaiser zu erheben, wenn Bohemund dabei gescheitert war? Im Vertrag von Devol mußte sich Bohemund demütig 297 Vgl. oben S. 118. 298 Vgl. oben S. 120 und als Beispiel eines Kreuzzugsexzitatoriums: «In toto mundo non est homo par Boemundo De cujus gestis cognoscere pauca potestis ... Per totum mundum fert fama boans Boemundum, Et reboet mundus quia tanta facit Boemundus», Marbodi Redonensis Episcopi, Carmina varia, Migne PL 171, col. 1672. 299 Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 24, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 240. 300 Ebenda; vgl. Anna Komnena, Alexiade XIII, iv, 2—9, hg. B. Leib Bd. III, S. 100 ff. 301 Albert von Aachen berichtet, Bohemund habe sich mit dem Kaiser «ver­ söhnt» und dieser habe ihn reich beschenkt: «et sic Imperatori in magnitudine et pondere ineffabilis auri et argenti, ostri pretiosi reconciliatus est», Liber Christianae Expeditionis X, 45, RHC. Occ. IV, S. 652; vgl. auch Histo­ ria Peregrinorum Euntium Jerusolymam CXLII, RHC. Occ. III, S. 229. Ra­ dulphus Tortarius ist über den Vertrag von Devol gut unterrichtet, ver­ kehrt aber alle Vertragsbestimmungen in ihr Gegenteil und betrachtet die Geschenke als «Tribut», ad Gualonem v. 523 ff., hg. A. Jenal, Histor. Jahr­ buch Bd. 37, S. 351. 132

als Lehensmann des Kaisers bekennen und schwören, daß er sich nie mehr an griechischem Gebiet vergreifen werde. Alexios unterstrich seinen Triumph noch dadurch, daß er bei der Unterzeichnung des Vertrags vor allem Lateiner zugegen sein ließ, und zwar teils Kreuzfahrer, die sich auf dem Weg nach Jerusalem befanden und die Nachricht dorthin tragen würden, und teils normannische Verwandte Bohemunds und andere Män­ ner aus dem Westen, die in kaiserlichen Diensten standen!302 Unter dem Eindruck der Macht des Kaisers begannen die Normannen selber an der Berechtigung ihres Kampfes gegen Byzanz zu zweifeln. Ordericus Vitalis sieht nachträglich in Bohemunds Vorhaben ein vermessenes Unternehmen und er brandmarkt scharf die Eroberungssucht und Hab­ gier, die die Beweggründe dafür gewesen seien. Er läßt die normannischen Barone zu Bohemund sagen: «Wir erleiden die Strafe für unsere Kühn­ heit, weil... wir es wagten, uns gegen das heilige Reich zu erheben. Zu einem solchen Unterfangen berechtigte uns weder ein Erbrecht noch eine göttliche Prophezeiung und Bestimmung, sondern es war die Begierde, in fremdem Gebiet zu herrschen, die dich dazu verleitete; uns aber hat nicht weniger die Gewinnsucht dazu verführt, die unerträgliche Last und Müh­ sal dieses Feldzuges auf uns zu nehmen.»» 303 Bohemund selber kehrte als gebrochener Mann nach Italien zurück und starb dort einige Jahre später, ohne noch einmal etwas versucht zu haben und ohne je in den Osten zurückgekehrt zu sein. Jene, die in Bohemunds Unternehmen einen echten Kreuzzug gesehen hatten, versuchten den Ausgang doch positiv zu beurteilen. Fulcher von Chartres, der ganz aus dieser Auffassung heraus schrieb, vergaß nicht, daß ja das Ziel darin bestanden hatte, den Pilgern und Kreuzfahrern freien Durchzug durch das Reich zu verschaffen, und er glaubt, behaupten zu können, daß dieses Ziel auch erreicht worden sei: «Der Kaiser mußte Bohemund schwören, daß er von diesem Tage an und für immer, den Pilgern, von denen schon oft die Rede war, zu Wasser und zu Lande hel­ fen und sie schützen werde; er versprach auch dafür zu sorgen, daß kei­

302 Anna Komnena, Alexiade XIII, xii, 1—28, hg. B. Leib Bd. Ill, S. 125; vgl. dazu Marquis de la Force, Les Conseillers latins du basileus Alexis Comnène, Byzantion XI, 1936, S. 153. 303 «Nostrae temeritatis poenas luimus, qui... contra sanctum Imperium manus levare praesumpsimus. Ad tantos ausus nec hereditarium jus nos illexit, nec prophetarum aliquis, a Deo destinatus, coelesti nos oraculo excivit; sed cupiditas in alterius ditione dominandi ardua te incipere per­ suasif et nos nihilominus appetitus lucrandi ad intolerabilem sarcinam laborum et discriminum sustinendam pertraxit..Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica XI, 24, hg. A. Le Prevost Bd. IV, S. 241.

133

ner von ihnen beraubt oder schlecht behandelt werde.» 304305 Auch die Histo­ ria Peregrinorum berichtet, es sei zwischen dem Kaiser und den Jerusalempilgem, und zwar den jetzigen und zukünftigen, ein ewiger Frieden beschlossen worden805, und Albert von Aachen bestätigt, daß Alexios den Teilnehmern an Bohemunds Zug, die nach der Niederlage die Fahrt nach Jerusalem vollenden wollten, keine Hindernisse in den Weg legte306. Byzanz schien nicht nur den Respekt, sondern sogar das Vertrauen der Kreuzfahrer zurückgewonnen zu haben. Man war wieder bereit vom «sanctum Imperium» 307 zu sprechen und zu glauben, daß es seine Auf­ gabe im Rahmen der Kreuzzugsbewegung erfüllen werde. Es mußte einige Zeit vergehen, bevor man es von neuem wagen konnte, die Berechtigung der griechischen Herrschaft anzuzweifeln. Doch der Kampf gegen Byzanz blieb trotz allem ein Wunschtraum der normannischen Politik und wurde von dem nun aufsteigenden norman­ nischen Königtum in Sizilien als politische Linie unverändert beibehalten. Weil jedoch die Eroberung Konstantinopels in so enge Verbindung mit der Kreuzzugsbewegung gebracht worden war, lebte die Idee auch außer­ halb des rein normannischen Bereichs weiter. Für den Augenblick schien der Kaiser zwar wieder als «imperator christianus» anerkannt zu werden. Doch gerade der Kampf gegen Bohemund hatte ihn gezwungen, offen tür­ kische Hilfe in Anspruch zu nehmen. In der Schlacht bei Durazzo kämpf­ ten auf byzantinischer Seite wirklich türkische Hilfstruppen mit, die der Kaiser auf seine Bitte hin vom Sultan von Konya erhalten hatte’308 Die Stellung von Byzanz blieb so zwiespältig wie bisher und mußte im We­ sten weiterhin Kritik und Mißtrauen erregen, sobald neue Kreuzzüge das Interesse wieder auf den Osten lenkten. 304 «Juravit enim Boamundo imperator super reliquias pretiosissimas, pere­ grinos, de quibus jam saepe fatum est, tarn in terra quam in mari, quanto latius Imperium ejus extendebatur, ab illo die et deinceps se salvaturum et conservaturum, ne quis eorum diriperetur, vel male tractaretur», Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana II, 39, RHC. Occ. III, S. 418. 305 «... postulabat eum, ut... securitate alterutrum renovata ínter se et illum et cunctos Jerusolymipetas, praesentes et futuros, pax perpetua conservaretur. Placuit itaque hoc Boamundo», Historia Peregrinorum Euntium Jerusolymam, CXLII, RHC. Occ. III, S. 229. 306 Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis X, 45, RHC. Occ. IV, S. 652. 307 Vgl. Anmerkung 303. 308 «Adsunt et Turci Christi famulis inimici», Radulphus Tortarius, ad Gualonem v. 121, hg. A. Jenal, Histor. Jahrbuch Bd. 37, S. 337; R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. I, S. 416. Der Sultan von Konya stand nach dem ersten Kreuzzug beinahe in einer Art Vasallenverhältnis zum Kaiser von Byzanz,· vgl. dazu Μ. Beck, Anatolien, S. 155.

134

III. KAPITEL

Der zweite Kreuzzug

1. Zusammenarbeit oder Rivalität!

Immer wieder standen sich in den bisher angeführten Quellentexten zwei verschiedene Bilder von Byzanz gegenüber: Einerseits ein byzanti­ nisches Reich, das durch seinen Glanz, durch seine Macht und seine christliche Tradition stets von neuem das ehrfürchtige Staunen und die tiefe Bewunderung aller Kreuzfahrer und Chronisten aus dem Westen erweckte, und andererseits ein byzantinisches Reich, das völlig einer ver­ ächtlichen Schwäche und verräterischen Treulosigkeit verfallen zu sein schien und deshalb eine Eroberung Konstantinopels durch den Westen als notwendig und berechtigt erscheinen ließ. Wie wenig es brauchte, damit die letztere Vorstellung die Oberhand gewann und die erstere verdrängte, ist bereits während und nach dem ersten Kreuzzug deutlich geworden. Denselben Gegensatz und dieselben Argumente finden wir nun aber auch in der Zeit des zweiten Kreuzzuges unverändert wieder. Bevor wir jedoch auf die eigentlichen Kreuzzugsberichte eingehen, lassen wir die beiden verschiedenen Auffassungen noch einmal in besonders extremer Ausprägung zu Worte kommen.

135

«Defensio Occidentis»

Unter den Briefen Peters des Ehrwürdigen befindet sich ein Schreiben an Kaiser Johannes IL, das Peter wohl in den ersten Jahren nach seiner 1122 erfolgten Wahl zum Abt von Cluny verfaßt hat1. Er bittet darin den byzantinischen Kaiser um die Rückgabe eines in Civitot am Marmara­ meer gelegenen, lateinischen Klosters, das einst Alexios den Kluniazen­ sern gestiftet hatte und das unterdessen von fremden Mönchen in Be­ schlag genommen worden war. Doch bevor der Abt in seinem Brief die­ sen Wunsch ausspricht, dankt er Gott, «der den Kaiser von Byzanz über alle anderen christlichen Herrscher erhoben und ihn zum Schutz seiner Kirche auf dem ganzen Erdkreis gleichsam in die Mitte zwischen Osten, Westen und Norden gestellt hat». So hätten zwar einst die Barbaren aus dem Norden und später neue Feinde des christlichen Namens, die Ara­ ber, in die westlichen und südlichen Gebiete einfallen können, aber Gott habe nicht zugelassen, daß sie diese Teile des Reichs endgültig erober­ ten, sondern er habe Ruhm und Namen des Römischen Reiches auf die byzantinischen Kaiser übertragen. Sein Wille sei es gewesen, daß sowohl die Macht als auch der Titel auf Byzanz übergegangen sei, und so wie einst Rom von dem Heiden Romulus den Namen erhalten habe, so werde nun, da sich die Religion geändert habe und die Herrschaft übertragen worden sei, die Stadt Byzanz nach dem Christen Konstantin Konstanti­ nopel genannt. Peter der Ehrwürdige übergeht damit völlig den längst er­ hobenen Anspruch des westlichen Kaisertums auf die Bezeichnung «Rö­ misches Reich» und läßt den ganzen Rivalitätskampf zwischen Westen und Byzanz, der gerade im Streit um diesen Titel am deutlichsten zum Ausdruck kam, unerwähnt. Er anerkennt ohne Einschränkung die durch Konstantin vollzogene «translatio imperii Romani» nach Byzanz und sieht dementsprechend im byzantinischen Reich die unmittelbare und einzige Fortsetzung des alten römischen Reiches! «Diese Stadt», so fährt er in seinem Lob von Byzanz weiter, «hat die göttliche Vorsehung den heidnischen Königen und barbarischen Völkern als unveränderlichen Grenzstein, als unüberwindliches Hindernis und als festen Endpunkt, den zu überschreiten niemandem erlaubt ist, entgegengestellt, um den Osten in Schrecken zu versetzen, den Norden zu unterwerfen und den Westen zu verteidigen.»2 Mit diesen Worten anerkennt Peter die Stadt Byzanz voll

1 Vgl. dazu J. Gay, L'abbaye de Cluny et Byzance au début du XIIe siècle, Echos d'orient Bd. 30 (1931), S. 84-90. 2 «Gratias omnipotenti Regi regum..., qui imperatoriam majestatem vestram super omnes Christian! nominis principes exaltavit, et ad tuendam toto orbe Ecclesiam suam, velut in medio Orientis, Occidentis, Aquilonis constituit... Sed in vos magni illius Romani imperii gloriam nomenque trans-

136

und ganz als unerschütterliche Verteidigerin der Christenheit und billigt ihr im weiteren zu, daß sie wie in der Vergangenheit so auch jetzt gegen die Türken ihre Aufgabe kraftvoll erfülle. Alle nach dem ersten Kreuz­ zug lautgewordenen Zweifel und Vorwürfe, alle Rivalität sind vergessen, und selbst das Schisma scheint auch für den Abt von Cluny und einfluß­ reichen Vertreter der Kirche keine entscheidende Rolle zu spielen, drückt er doch in einem gleichzeitigen Brief an den Patriarchen von Konstan­ tinopel seine tiefe Verehrung für das byzantinische Christentum und seine feste Hoffnung auf eine unauflösliche Union aus3. Deshalb glaubt er auch an machtvolle Unterstützung durch Byzanz und bittet den Kaiser, aus Liebe zu Christus dem König von Jerusalem, dem Prinzen von Anti­ ochien und «allen Franzosen», die die heiligen Stätten verteidigen, die Treue zu halten und sich ihnen gegenüber großzügig zu erweisen, indem er sie unterstütze, sie fördere und ihnen helfe, damit nicht das, was mit solcher Mühe erobert worden sei, wieder verlorengehe4. Kaiser Johannes, so fügt er im Schreiben an den Patriarchen bei, möge, so wie er seinem Vater Alexios in der Regierung nachfolge, ihm auch an «iustitia et pietas» nicht nachstehen. Selbstverständlich handelt es sich bei diesem Brief an den Kaiser um einen stark panegyrischen Text. Peter der Ehrwürdige versucht ohne Zweifel, durch sein überschwängliches Lob den Kaiser seiner Bitte gün­ stig zu stimmen; und doch ist der Brief auch Ausdruck für jene unein­ geschränkte und echte Bewunderung, die Byzanz immer wieder entgegen­ gebracht wurde, solange ein starker Kaiser dem Prestige des Reiches An­ erkennung zu verschaffen wußte und solange nicht das Klischee von den «treulosen Byzantinern» das Urteil trübte. Peter von Cluny gehörte in der

fudit... Hane (= die Stadt Konstantinopel), ut dixi, velut metam intransmeabilem, velut invictum obicem, velut praefixum, quem nunquam liceat transgredí, terminum, omnia providens supernus oculus paganis regibus, barbaris gentibus posuit, quo Oriens terreatur, Boreas subdatur, Occidens defendatur», Peter der Ehrwürdige, Briefe II, 39, Migne PL. 189, S. 260 ff. 3 «Quamvis et terrarum remotio et linguarum divisio, nobis invicem et vultus invideant et verba subducant, tarnen unus Dominus, una fides, unum baptisma, una charitas et divisa conjungere, et affectus unire, et sermones debent aliquando communicare. Debemus eo glutine uniri in terris, quo nunquam dissociandi cohaerere exspectamus in coelis», ebenda II, 40, S. 262. Vgl. oben S. 59, im besonderen Anm. 9. 4 «Praeter haec pro Hierosolymitano rege, pro Antiocheno principe, pro universis denique Gallis nostris, fidem vestram et nobilitatem rogamus, ut... vos ejusdem Christi amore eos sustentetis, foveatis, juvetis ne tanto zelo fidei, tantisque laboribus parta pereant»», Peter der Ehrwürdige, Briefe II, 39, Migne PL. 189, S. 261.

137

Zeit der Entspannung zwischen den Kreuzzügen zu jenen, die noch nicht in die so verbreitete Abwertung von Byzanz einstimmten, sondern noch immer große Erwartungen in das byzantinische Reich und seinen Kaiser setzten und in einem Zusammengehen von Kreuzfahrern und Byzanz die beste Gewähr für eine gedeihliche Entwicklung der christlichen Staaten im Heiligen Land sahen. Solche Hoffnungen waren damals auch durch­ aus wieder berechtigt, denn nachdem das Reich bereits unter Alexios viel von seiner Bewegungsfreiheit zurückgewonnen hatte, war nach 1130 Kaiser Johannes II. wiederum in der Lage, den Kampf gegen die Seldschuken in Kleinasien erfolgreich aufzunehmen, ja sogar in Kilikien und Syrien einzugreifen, einen Vorstoß nach Aleppo zu versuchen und schließ­ lich 1138 feierlich Einzug in Antiochien zu halten, dessen Fürst Raimund von Poitiers die kaiserliche Oberhoheit unterwürfig anerkennen mußte. Byzanz schien seine traditionelle Stellung als christliche Vormacht im Osten in vollem Umfange zurückzugewinnen und somit den hohen Er­ wartungen Peters des Ehrwürdigen recht zu geben. Doch obwohl dieses Anwachsen der Macht und Autorität des byzan­ tinischen Reiches unter der glanzvollen Regierung der Komnenen unver­ kennbar war, verschwanden im Westen weder das Mißtrauen gegen die Griechen noch die Rivalitäts- und Eroberungsgedanken völlig, sondern fanden immer wieder ihren Niederschlag; zwar nicht sosehr in offiziellen Dokumenten, aber dafür, in ihrer Popularität um so faßbarer, in allerlei merkwürdigen Legenden und Prophezeiungen, die häufig mit der Idee einer Nachfolge Karls des Großen in Zusammenhang standen. «Via Karoli Magnv»

Die Teilnehmer am ersten Kreuzzug, die unter der Führung Gottfrieds von Bouillon durch Ungarn nach Konstantinopel marschierten, wählten diese Route zum Teil in der Überzeugung, damit der «via quam jamdudum Karolus Magnus, mirificus rex Franciae, aptari fecit usque Constantinopolim» zu folgen5. Diese Stelle ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß zur Zeit des ersten Kreuzzuges jene Legende bereits große Verbreitung gefunden hatte, die aus Karl dem Großen einen Kreuzfahrer machte und zu erzählen wußte, er habe persönlich eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternommen6. 5 Gesta Francorum I, 2, hg. L. Bréhier, S. 4; Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana I, 5, RHC. Occ. III, S. 732. 6 Zum Folgenden vgl. R. Folz, Le souvenir et la légende de Charlemagne, S. 134-142.

138

Den historischen Kern dieser Legende bildeten die guten Beziehungen, die Karl der Große gemäß dem Bericht der Annales Regni sowohl zum Kalifen Harun al-Raschid unterhalten haben soll wie auch zum Patriar­ chen von Jerusalem, von dem erzählt wird, er habe Karl im Jahre 800 den Schlüssel zur Kirche des Heiligen Grabes, vielleicht auch die Schlüs­ sel der Stadt Jerusalem und ein Banner zugeschickt. Auch lebte die Erin­ nerung an großzügige Stiftungen Karls zugunsten der Christen in Jeru­ salem und an seine rege Anteilnahme für Palästina lange weiter. Einhard und noch ausführlicher Notker von St. Gallen deuteten in ihrem Bericht an, der Kalif habe Karl die Schutzherrschaft über die heili­ gen Stätten überlassen, ja ihm sogar das Heilige Land abtreten wollen. Der Glaube an eine solche Schutzherrschaft Karls über Palästina wurde mit der Zeit bei vielen zur festen Überzeugung, und die Annales Elnonenses verkündeten schließlich ohne Bedenken, Karl habe sein Reich bis Jerusalem ausgedehnt7. Orientalische Quellen schweigen darüber jedoch vollständig und erwähnen nicht einmal die verschiedenen Gesandtschaf­ ten Karls nach Bagdad, so daß es schwer hält, irgend etwas Beweisbares über die Beziehungen Karls zum Kalifen auszusagen. Ob die gemein­ samen Interessen gegenüber Byzanz zu engeren freundschaftlichen Be­ ziehungen führten, ob Karl vielleicht diese Beziehungen zugunsten einer von ihm besonders geförderten Kirche der Lateiner in Jerusalem auszu­ nützen versuchte, wie Runciman vermutet, oder ob gar Harun al-Raschid — wie F. W. Buckler meint — Karl den Großen als einen ihm unterstellten Vasallen betrachtete und darum den Partriarchen gestattete, sich an Karl zu wenden, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Doch wenn auch Karl der Große nur für einen kurzen Augenblick die traditionelle Rolle des byzantinischen Kaisers als ferner Schirmherr der Christen in Palästina zu übernehmen versucht haben mag und von eigentlichen Herrschafts­ rechten keine Rede war, so konnte man doch später mit Leichtigkeit an diese vagen Erinnerungen anknüpfen und daraus eine unanfechtbare Legitimation für das Eingreifen der Franken in die Angelegenheiten des Heiligen Landes, ja für die Kreuzzugsbewegung überhaupt, ableiten8. Sogar noch in neuerer Zeit wurde die Diskussion um dieses umstrittene «Protektorat« Karls des Großen über Palästina von französischer Seite nicht ohne einen starken Einschlag eines «westlichen Patriotismus» ge­ führt, und nur ungern verzichtete man auf eine allzu weit gehende Aus­

7 «Hic est Karolus imperator, filius Pipini parvi, qui acquisivit regnum usque Hierusolimis», Annales Elnonenses minores, MG. SS. V, S. 18. 8 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. I, S. 28 und S. 147.

139

legung der Protektoratstheorie!9 Für die Kreuzfahrer aber bestand dank dieser Reminiszenz kein Zweifel an der Berechtigung ihrer Herrschaft in Jerusalem. Viele waren, wie das zu Beginn angeführte Zitat zeigt, der festen Überzeugung, Karl der Große sei persönlich als Kreuzfahrer ins Heilige Land gezogen, und fühlten sich deshalb wirklich als seine recht­ mäßigen Nachfolger. Mit dem Bild eines byzantinischen Kaisers als Schirmherr des Orients, wie es Peter der Ehrwürdige zeichnete, konnte demnach sehr leicht das Bild eines westlichen Kaisers, der dieselbe Auf­ gabe übernahm, in Konkurrenz treten ! Nicht nur den Kreuzzug nach Jerusalem und die Herrschaft über das Heilige Land konnte man jedoch in diesem Lichte sehen und durch die Berufung auf Karl den Großen rechtfertigen. Mit der Legende von Karls Orientfahrt war von Anfang an der Name Konstantinopels eng verbun­ den. Einhard berichtete ja, um den Glanz der Regierung Karls zu betonen nicht nur von Gesandtschaften Harun al-Raschids, sondern auch von sol­ chen aus Byzanz. Die Kaiser Nikephoros, Michael und Leo, so erzählte er, hätten, nachdem Karl den Kaisertitel angenommen habe, befürchtet, er werde ihnen ihr Reich entreißen. Um ja keinen Anlaß zu einem Zerwürf­ nis bestehen zu lassen, habe darauf Karl ein festes Bündnis mit Byzanz geschlossen10. Wenn auch Einhard hier Karl nur die Gleichstellung mit Byzanz anstreben und jeden Gedanken an eine Eroberung des byzantini­ schen Reichs zurückweisen läßt, so war eben doch dadurch Karls Name mit einem solchen Plan in Zusammenhang gebracht worden, um so mehr da Einhard den für die Kreuzzugschronisten später vorbildlich werdenden Satz beifügte: «Erat enim semper Romanis et Graecis Francorum suspecta potentia.» Die Erinnerung an die Rivalität, die durch die Begründung des neuen westlichen Kaiserreichs notwendigerweise ins Leben gerufen wor­ den war und unter den Nachfolgern Karls des Großen schärfer hervortrat,

9 Die These vom Protektorat Karls des Großen vertrat vor allem L. Bréhier, Les origines des rapports entre la France et la Syrie, Congrès français de Syrie 1919, Bd. II, S. 36—38, und: Charlemagne et la Palestine, Revue his­ torique Bd. 157, S. 277—91. Zur Auffassung Bucklers vgl. F. W. Buckler, Harunu'l-Rashid and Charles The Great, Cambridge, Massachusetts 1931. Eine scharfe Kritik all dieser Artikel gibt S. Runciman, Charlemagne and Palestine, English Historical Review Bd. 50 (1935), S. 606—19. Neueste zu­ sammenfassende Darstellung: W. Björkman, Karl und der Islam, in: Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben, hg. von W. Braunfels Bd. I, Düssel­ dorf 1965, S. 672 ff. Zu Notker vgl. noch speziell Th. Siegrist, Herrscherbild und Weitsicht bei Notker Balbulus, Zürichs 1963, S. 117 ff. und S. 140. 10 Einhard, Vita Karoli Magni 16, MG. SS. in us. schol. S. 19 ff. Zur Einstellung Karls des Großen und zum Konflikt um den Vorrang der Kaiserreiche vgl. W. Ohnsorge, Das Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter S. 28 und S. 41.

140

blieb wach. Die Episode mit Byzanz im Leben Karls wurde nicht mehr vergessen, sondern im Gegenteil weiter ausgeschmückt, wenn auch zu­ nächst nur mit dem frommen Zweck, auf solche Weise die Herkunft wertvoller Reliquien zu legitimieren. In dieser Absicht hielt der Mönch Benedikt aus dem Kloster St. Andreas am Monte Soracte in seiner gegen Ende des 10. Jahrhunderts verfaßten Chronik die damals wohl bereits ver­ breitete Legende fest: er ließ Karl den Großen persönlich aus Jerusalem über Konstantinopel heimkehren und von dort für sein Kloster wertvolle Reliquien mitbringen11. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts übernahmen dann die Mönche aus St. Denis dieselbe Darstellung und beriefen sich in ihrer «Descriptio» ebenfalls auf Karls Orientfahrt, um dem Kloster St. Denis durch das Prestige Karls zu noch größerem Ruhm zu verhelfen12. Die Idee einer «Reise Karls des Großen nach Konstantinopel» war da­ mit lanciert, und die Berühmtheit des Klosters St. Denis verlieh ihr das nötige Gewicht. Wie sehr das Verhältnis Karls zu Byzanz die Geister auch in der Kreuzzugszeit immer wieder beschäftigte, zeigt sich schon darin, daß damals Abt Suger in einem Médaillon der prachtvollen Glasfenster von St. Denis die Szene festhalten ließ, da nach der Legende die beiden Kaiser sich in Konstantinopel gegenübertraten!13 Durch die Kreuzzüge war eben die Auseinandersetzung mit Byzanz erneut äußerst aktuell ge­ worden. Es ist deshalb verständlich, daß nun die Zeitereignisse auf die alte Legende einzuwirken begannen und sie in einer neuen Form wieder aufleben ließen. Dies geschah in einer für unsere Themastellung inter­ essanten Weise in dem vieldiskutierten altfranzösischen Gedicht «Le Pèlerinage de Charlemagne à Constantinople»14. Wir können selbstver­ ständlich weder auf die schwierigen Datierungsfragen noch auf die übrige reichhaltige Forschung zu diesem Thema eintreten. Es scheint jedoch heute erwiesen, daß der Text erst nach 1109 geschrieben wurde, und der Versuch Theodor Heinermanns, das «Pèlerinage» in lebendige Beziehung zum zweiten Kreuzzug zu setzen, wirkt außerordentlich überzeugend15.

11 Benedicti S. Andrei Monachi Chronicon 23, MG. SS. III. S. 711. 12 Descriptio qualiter Karolus magnus clavum et coronam domini a Constantinopoli Aquisgrani detulerit qualiterque Karolus calvus hec ad sanctum Dyonisium retulerit, hg. G. Rauschen, Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahrhundert, S. 103 ff. 13 B. de Montfaucon, Les Monumens de la monarchie française Bd. I, S. 277, Tafel XXIV. 14 Karls des Großen Reise nach Jerusalem und Konstantinopel, hg. E. Koschwitz, 5. Auflage; vgl. dazu J. Bédier, Les legendes épiques Bd. IV, S. 122 ff. 15 T. Heinermann, Zeit und Sinn der Karlsreise, Zs. f. Rom. Phil. Bd. 56 (1936), S. 497—562. Ebenso: R. C. Bâtes, Le Pèlerinage de Charlemagne, a Baroc Epie, Yale Romanic Studies Bd. 18, S. 1-47, und A. Adler, The Pèlerinage 141

Deutlich spiegelt sich jedenfalls in dieser ungewöhnlichen Darstellung der Begegnung Karls und seiner Franken mit den Griechen das gespannte Verhältnis zu Byzanz wider, wie es damals sowohl bei den französischen wie bei den deutschen Kreuzfahrern, und von vornherein bei den Norman­ nen, vorhanden war. Wir fühlen uns deshalb berechtigt, das «Pèlerinage» in den Zusammenhang dieses Kapitels zu setzen, und fassen es als einen Versuch auf, an der sagenhaften Reise Karls nach Konstantinopel das Rivalisieren der Kreuzfahrer mit Byzanz zu illustrieren und die aktuelle Auseinandersetzung Ludwigs VII. mit Manuel in die Gestalt Karls des Großen zurückzuprojizieren. Das «Pèlerinage» ist ein Anzeichen dafür, daß die durch das Kaisertum Karls des Großen aufgeworfene Problematik der Stellung des Westens zu Byzanz nicht nur in der Umgebung der deutschen Kaiser, sondern auch in Frankreich immer noch lebhaft emp­ funden wurde. Unter diesem Gesichtspunkt greifen wir die folgenden Zitate aus diesem «eigenartigsten aller chansons de geste»16 heraus.

«Le Pèlerinage de Charlemagne à Constantinople» Die Rivalität zu Byzanz kommt gleich in den ersten Versen zum Aus­ druck, denn der Sinn der ganzen Karls-Reise ist ja, die Überlegenheit Karls des Großen über den Hugo genannten König von Konstantinopel zu zeigen, das heißt zu beweisen, daß die Kaiserkrone «plus belement li siet»17, da Karls Stolz verletzt worden war, als seine Gemahlin den «Emperere de Grice et de Costentinoble» mehr als ihn selber lobte. Sofort spüren wir also die Absicht, sich den Griechen ebenbürtig, ja überlegen zu erweisen. Doch der Dichter selber, der in geschickter Weise Heroisches und Komisches mischt, nimmt dieses Bestreben nicht ganz ernst. Er stellt, fast ähnlich wie Anna Komnena, den derben und plumpen Franken die eleganten, in Hermelin gekleideten Griechen gegenüber und läßt mit un­ verkennbarem Spott Karl auf seinem Maultier mitten in die vornehme byzantinische Gesellschaft hineintrotten18, in dieser Weise auf den kul­ turellen Vorrang der Byzantiner anspielend. Auch in jenem Moment, da der geheimnisvolle Kaiserpalast sich plötzlich zu drehen beginnt, wirken die zu Boden purzelnden Franken unbestreitbar komisch, während Hugo seine stolze Ruhe bewahrt19. Doch wenn auch der Dichter sich nicht

16

17 18 19

142

de Charlemagne in new light on Saint-Denis, Spéculum Bd. 22 (1947), S. 550-61. G. Paris, La chanson du Pèlerinage de Charlemagne, Romania Bd. IX (1880), S. 1. Karlsreise Vers 16, hg. E. Koschwitz, S. 3. Ebenda v. 262 ff., S. 17. Ebenda v. 385 ff., S. 23.

scheut, seine Helden stellenweise etwas zu karikieren, ja sie fast lächerlich zu machen, so trägt er daneben dennoch der Eitelkeit der Franken — und damit seiner Zuhörer — Rechnung und läßt zum Schluß, wie es sich gehört, trotz allem Karl und seine Paladine triumphieren. Obwohl der Dichter mit seiner Ironie also über der Sache steht, bringen seine Verse doch unmißverständlich den alten Wunsch der Franken, die Griechen zu übertrumpfen, zum Ausdruck. Bei der Schilderung der Byzantiner, die nicht einmal allzu negativ aus­ fällt, stoßen wir auf einige vertraute Züge. Darunter fehlt natürlich auch ein Hinweis auf die Verschlagenheit der Griechen nicht: Hugo wird als «sages et pleins de maleviz«20 charakterisiert, und weil er durch einen verborgenen Spion die Franken in ihrem Palastzimmer belauschen läßt, spricht Karl unverhohlen von «felonie«!21 Besonders betont aber werden wie stets der märchenhafte Reichtum und Glanz von Konstantinopel, wo man, wie die Franken zu ihrem Er­ staunen erfahren, sogar einen goldenen Pflug stehen lassen kann, ohne befürchten zu müssen, daß er gestohlen werde!22 Selbst Karl ist über­ wältigt von soviel Pracht:

«Charles vit le palais et la richece grant, La soe manantise ne priset mie un guant.»23 und unter seinen «Franceis« taucht die Sehnsucht auf, all dies zu besitzen oder durch eine Schlacht mit Waffen zu erobern: «Veez com gent palais et com fort richetet! Ploüst al rei de gloire, de sainte maiestet, Charlemaignes, mis sire, l'oüst ore achatet O conquis par ses armes en bataille champel!«24 Neben der üblichen Bewunderung für den sprichwörtlichen Reichtum von Byzanz mag in diesen Versen, wenn wir uns für einen Augenblick die Wirklichkeit des zweiten Kreuzzuges in Erinnerung rufen und hinter der Figur Karls des Großen Ludwig VII. sehen, auch ein ironischer Seiten­ hieb auf die chronischen Geldsorgen des französischen Königs stecken, die ja in allen Briefen an den Reichsverwalter Suger zur Sprache kamen. Vor allem aber ist interessant, daß in dem wehmütigen Ausruf auch die Idee einer Eroberung von Konstantinopel wieder anklingt und als große 20 21 22 23 24

Ebenda v. 438, S. 25. Ebenda v. 689, S. 39. Ebenda v. 320 ff., S. 19. Ebenda v. 362, S. 21. Ebenda v. 449, S. 27.

143

Verlockung vor den Paladinen Karls aufsteigt. An Stimmen, die dem Kö­ nig die Einnahme der Stadt nahelegten und auf die daraus erwachsenden Vorteile hinwiesen, wie es hier geschieht, fehlte es ja in der Umgebung Ludwigs VII. wahrlich nicht!25 Doch als zum Schluß, nach dem Text des «Pèlerinage», Hugo bereit ist, den Besuchern von seinen Schätzen zu ge­ ben, soviel sie wollen, da wehrt Karl stolz ab26. Der Ruhm der Franken gründe sich nicht auf Reichtum, sondern vielmehr auf Kraft und Mut. Dem byzantinischen Gold wird einmal mehr die fränkische Tapferkeit gegenübergestellt! Deshalb hieß es schon zu Beginn mit einer Anspielung auf die Feigheit der Griechen in einem Vergleich über Hugo: «Plus est riches d'aveir, et d'or et de deniers, Mais n'est mie si proz ne si bons chevaliers Por ferir en bataille ne por ost enchalcier.»27

und die fränkische Überlegenheit erweist sich denn nun auch schlagend in den Kraftproben, die Karl und seine Paladine vor den Augen Hugos ausführen. Schon als die Franken nur untereinander prahlten — und zwar etwa mit der gleichen Überheblichkeit wie jener Franke unter den Kreuz­ fahrern, der es wagte, sich auf den kaiserlichen Thron zu setzen —, meinte der Spion, der die gegen seinen Herrn gerichteten Herausforderungen mit­ anhörte, voll schlimmer Vorahnungen zu sich selber: «Quel fols fist li reis Hugue, quant vos prestat ostel·»28, und sein Wort könnte auch auf die unbequemen Gäste Anwendung finden, als die sich die Kreuzfahrer jeweilen in Wirklichkeit entpuppten ! Doch als nun die Paladine ihre Scherze wahr machen, als ein Teil der Palastmauer durch den Wurf Wilhelms von Orange wirklich einstürzt und das von Bernart abgeleitete Wasser in die Stadt einströmt — wir denken unwillkürlich an die Zerstörungen, die die Kreuzfahrer jedesmal vor Konstantinopel anrichteten —, erhalten die Fran­ ken volle Genugtuung für die vorangegangene Herabsetzung und Karika­ tur, denn König Hugo muß jetzt seine Unterlegenheit offen zugeben und Karl den Großen ausdrücklich als seinen Herrn anerkennen:

«A feit, dreiz emperere, jo sai que Deus vos aimet, Tis hoem voeil devenir, de tei tendrai mon regne»29, und Karl der Große selber bestätigt:

25 Vgl. unten S. 160; in Vers 11, S. 3, sagt Karl selber, er wolle Städte erobern: «Encor conquerrai jo citez od mon espiet.» 26 Ebenda v. 838 ff., S. 49. 27 Ebenda v. 27 ff., S. 3. 28 Ebenda v. 466, S. 27. 29 Ebenda v. 796, S. 47, vgl. auch v. 787, S. 45.

144

«Sire, dist Charlemaignes al rei Hugon le Fort, Ore estes vos mis hoem, veant trestoz les voz.»»30 Hugo wird damit zum «Lehensmann»» Karls des Großen degradiert, und wie in der Epistula, jenem verfälschten Brief an den Grafen von Flandern, wird auch hier vorgegeben, der Kaiser von Byzanz habe sein Reich der fränkischen, das heißt lateinischen Herrschaft unterstellt. Auch diese Verse des «Pèlerinage» sind wohl ironisch gemeint, denn die Realität des zweiten Kreuzzuges sah ja so ganz anders aus, mußte doch der franzö­ sische König seine Zustimmung dazu geben, daß seine Barone dem byzan­ tinischen Kaiser Manuel den Lehenseid leisteten!31 Gerade für diese Zu­ mutung aber, der sich die französischen Herren, wenn auch mit Wider­ streben, fügen mußten, soll wohl die geschilderte Szene des «Pèlerinage» eine Kompensation darstellen. Die dreimal wiederholte Formulierung, der «König» von Konstantinopel sei nun ein «hoem» Karls geworden, bleibt ein deutlicher Hinweis auf die Ansprüche und Wunschträume des We­ stens ! Karl war eben in der Erinnerung späterer Zeiten, wie der Patriarch im «Pèlerinage» sich ausdrückt, «Charles Maignes sor toz reis coronez»!32 Karls Gemahlin hatte zu unrecht behauptet, dem Kaiser von Byzanz stehe die Krone besser, denn als sich nun Karl neben Hugo mit aufgesetzter Krone in Konstantinopel zeigte, da trug Hugo die seine «plus bassement un poi», und die Franceis konnten mit Stolz feststellen:

“Ja ne vendrons en terre, nostre ne seit li los.»33 Wenn auch das «Pèlerinage de Charlemagne» nicht die Wirklichkeit widergibt, sondern zu einem großen Teil historische Satire ist, die in ihrer amüsanten Art durch den Vergleich mit Karl dem Großen das klägliche Versagen Ludwigs VII. parodieren will, so beweist es trotz aller dichte­ rischen Freiheit deutlich, wie lebendig die Erinnerung an Karl den Gro­ ßen war und wie sehr die Vorstellung einer Ausdehnung lateinischer Herrschaft nach Konstantinopel in Nachahmung seiner vermeintlichen Taten im Osten noch zur Zeit des zweiten Kreuzzuges die Gemüter be­ wegte! 30 Ebenda v. 802, S. 47; vgl. auch v. 858, S. 49: «Molt fut liez et joios Charlemaignes li ber Qui tel rei at conquis sens bataille champel.» 31 Vgl. unten S. 161 und dazu R. C. Bâtes, Le Pèlerinage, Yale Romanic Studies Bd. 18, S. 20; A. Adler, The Pèlerinage, Spéculum Bd. 22, S. 551. 32 Karlsreise v. 158, hg. E. Koschwitz, S. 11. 33 Ebenda v. 815, S. 47 («In kein Land werden wir kommen, ohne daß uns das höchste Lob zufällt»»).

145

Karl der Große war ja nun zwar längst tot, aber konnte nicht er oder vielleicht auch ein anderer Kaiser auferstehen und diese sagenhafte Herr­ schaft antreten? Bereits vor dem ersten Kreuzzug waren, wie Ekkehard von Aura erzählt, allerlei Gerüchte in Umlauf, die berichteten, Karl der Große sei von den Toten ins Leben zurückgekehrt84. Ein Kaiser aber, der aus dem Grabe zurückkam, mußte das nicht jener längst vor ausgesagte, letzte Kaiser vor dem Weitende sein, an dessen Erscheinen man immer wieder glaubte? Ekkehard zitiert bezeichnenderweise unmittelbar vorher die Weissagung über die kommende Endzeit nach Matthäus 24, 4 und Markus 13,21. Wir stoßen hier neben der besonders in Frankreich so starken karolingischen Tradition auf eine weitere Überlieferung, die eben­ falls den Blick nach Konstantinopel und dem Orient zu lenken ver­ mochte. Deutlicher jedoch als in diesem knappen Hinweis Ekkehards be­ gegnet uns die Sage vom Endkaiser kurz vor dem zweiten Kreuzzug.

Die Endkaiserprophezeiungen In die altüberlieferten, eschatologischen Vorstellungen baylonischer oder jüdisch-christlicher Prägung, die wie die berühmte Vision im Buch Daniel 2, 31—45 den gesamten Ablauf der Menschheitsgeschichte zu über­ blicken und vorauszusagen suchten, hatte später auch das römische Reich als ein wichtiges Glied in der Kette Eingang gefunden und sein Schicksal war eng mit den älteren Prophezeiungen über den «Weltenbrand« und den «Weltensabbath« verbunden worden. Man faßte das römische Reich als das angekündigte letzte Weltreich auf, dessen Ende den Beginn des neuen «goldenen Zeitalters« 34 35 oder nach christlicher Auffassung den An­ bruch des ewigen Gottesreiches bedeuten mußte. Vor allem war es die Periode unmittelbar vor dem Ende der Zeiten, die immer wieder zu neuen Weissagungen und Deutungen anregte. Zwei Gestalten sollten zu diesem Zeitpunkt eine wichtige Rolle spielen: Mit dem Weitende und dem Niedergang des römischen Reiches hatte das Auftreten eines feindlichen Herrschers, des «Antichrists«, zusammenzufal­ len, dem nach und nach die Züge Kaiser Neros verliehen wurden36. Doch noch bevor es dem Antichrist gelänge, alle Macht an sich zu reißen, würde ein letzter römischer Kaiser noch einmal das ganze Reich vereini­ gen und eine allgemeine Friedenszeit einleiten. Diese Sage vom siegreichen Endkaiser, vom «ultimus imperator«, ging auf alte orientalische Vorstel­ 34 Ekkehard von Aura, Hierosolymita XI, RHC. Occ. V, S. 19. 35 Vgl. Vergil, Bucolica IV. 36 Vgl. den Artikel «Antichrist« im Reallexikon für Antike und Christen­ tum Bd. I, S. 450.

146

lungen zurück und gewann besonders durch die Gestalt Alexanders des Großen an Relief37. Die Römer ihrerseits glaubten an ein letztliches Re­ giment Apollos über alle Reiche der Welt, wobei sie Apollo später mit ein­ zelnen römischen Kaisern wie Augustus und Konstantin identifizierten3839 . Quelle all dieser ineinander übergehenden Weissagungen waren die sibyl­ linischen Orakel, auf die sich ja auch Vergil in seiner 4. Ekloge berief und die selbst im Mittelalter noch nicht völlig in Vergessenheit geraten waren. Trägerin des Ideenkreises um Endkaiser und Antichrist war im besonderen die Tiburtinische Sibylle, ein Text, dessen Wurzeln bis in die Antike zurück­ reichen30. Sehr wahrscheinlich wurde er im 4. Jahrhundert nach Christi verfaßt40, zu der Zeit, als der Glaube, Konstantin der Große selber sei der letzte Friedenskaiser, sich als Illusion erwiesen hatte und man unter dem arianischen Kaiser Konstantin I. sehnsüchtig auf einen christlichen Frie­ denskaiser, vielleicht sogar auf die Wiederkehr des toten Bruders des Konstantinus, mit Namen Konstans, hoffte. Die Tiburtinische Sibylle ver­ hieß deshalb ausdrücklich einen Griechenkönig mit dem Namen Con­ stans, der König über Römer und Griechen sein werde, groß an Gestalt, herrlich anzuschauen, strahlenden Angesichts und zierlich gebaut. Seine Regierung werde 112 Jahre dauern und es werde unter ihm Reichtum und Überfluß auf der Erde herrschen. Er selber werde das Wort vor Augen haben: «Rex Romanorum omne sibi vindicet regnum chris tianorum.» Er werde alle Inseln und Städte der Heiden zerstören und schließlich seine Krone in Jerusalem niederlegen. Darauf erst würden das Erscheinen des Antichrists, der Zerfall des römischen Reichs und der Anbruch des Gottes­ reiches folgen41. Die Erinnerung an diese Prophezeiungen blieb im Mittelalter beson­ ders in Byzanz lebendig, und der angekündigte Endkaiser wurde denn auch stets auf einen König der Griechen, das heißt auf einen byzantini­ schen Kaiser gedeutet. Doch auf dem Weg über das immer noch stark byzantinisierte Süditalien und durch eschatologische Schriften wie den im 8. Jahrhundert in Gallien ins Lateinische übersetzten Pseudo-Methodius wurden diese Vorstellungen auch dem Westen wieder vertraut und mit

37 F. Kämpers, Alexander der Große und die Idee des Weltimperiums in Pro­ phetie und Sage, S. 16, 25 ff. 38 E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen, S. 153 und S. 163 ff. 39 Ebenda S. 117; F. Kämpers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage, S. 1 ff.; Artikel «Sibyllinische Orakel·» in Pauly-Wissowa, RE, S. 2103 (Texte und Erläuterungen in guter Auswahl bei A. Kurfeß, Sibyllinische Weissagungen, Tusculum-Bücher). 40 E. Sackur, Sibyllin. Texte, S. 162. 41 Text ebenda S. 185.

147

starkem Interesse aufgenommen42. Nach der Neubegründung des Kaiser­ tums im Westen lag es jedoch nahe, daß man den alten Spruch der Sibylle umzudeuten begann und kühn nach einem westlichen Endkaiser Aus­ schau hielt. So tröstete der Mönch Adso von Montier-en-Der in seinem «Libellus de Antichristo« um das Jahr 954 die Königin Gerberga mit der Versicherung, die Zeit des Antichrists sei noch nicht angebrochen, denn solange es Frankenkönige gebe, könne das römische Reich nicht völlig untergehen, und es sei überliefert: «Quod unus ex regibus Francorum Romanum imperium ex integro tenebit, qui in novissimo tempore erit; et ipse erit maximus omnium regum et ultimus, qui postquam regnum suum fideliter gubernaverit, ad ultimum Hierosolymam veniet, et in monte oliveti sceptrum et coronam suam deponet.«43 Für Adso ist also der letzte Kaiser der Römer und Griechen unmißverständlich ein Franken­ könig! Der Verfasser selber erwähnt zwar die sibyllinischen Orakel nicht, sondern spricht nur von den «doctores nostri» als seinen Quellen; doch ein späterer Interpolator Adsos stellte durch ein «sicut ex sibyllinis versibus habemus« deutlich den Zusammenhang zur Tiburtinischen Sibylle her, deren uns erhaltene Redaktion im 11. Jahrhundert in der Lombardei auftauchte, und der erwartete Endkaiser erhielt hier wieder nach sibylli­ nischer Tradition den Anfangsbuchstaben C (= Constans)44. Mit diesem Wiederaufleben der alten Prophezeiung war die Möglichkeit zu neuen Identifizierungen gegeben, und daß solche nun auch im Zusammenhang der Kreuzzüge erfolgten, ist nicht weiter verwunderlich, war doch dem Endkaiser geweissagt, er werde nach Jerusalem ziehen und dort die Krone niederlegen!45 Für uns ganz besonders aufschlußreich ist eine Deutung, die das sibyl­ linische Orakel kurz vor dem zweiten Kreuzzug in Frankreich erfuhr46. Wie Otto von Freising berichtet, wurde dort nämlich in jener Zeit ein Brief verbreitet, der an König Ludwig VII. gerichtet war. Darin wurde ihm verheißen, er werde «Byzanz und Babylon erobern und als ein neuer Her­ kules und Kyros über den ganzen Orient triumphieren«!47 Die sibyllini42 Vgl. die große Zahl älterer Handschriften,· E. Sackur, S. 7 und 55 ff. 43 Adso von Montier-en-Der, Libellus de Antichristo, Migne PL 101, S. 1295. 44 Ebenda S. 1296; zu Datierung und Herkunft der tiburtinischen Sibylle vgl. E. Sackur, S. 125; Text S. 185. 45 Vgl. C. Erdmann, Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhun­ dert, Zs. f. Kirchengeschichte Bd. 51, S. 384-414. 46 Vgl. G. Zeller, Les rois de France candidats a l'Empire, Revue historique Bd. 173, S. 276 ff. 47 «In cuius scripturae tenore sub quodam verborum involucro de expugnatione regiae urbis necnon et antiquae Babylonis et ad instar Cyri regis Persarum vel Herculis totius orientis triumphus prefato Ludewico Fran­ corum regi promittebatur«, Otto von Freising, Gesta Friderici, prologus, 148

sehen Weissagungen wurden also, wie die Annalen von St. Jakob in Lüt­ tich sehr weise feststellen, völlig den eigenen Träumen und Wünschen gemäß ausgelegt!4849 Der Anfangsbuchstabe L in Ludwigs Name werde sich in das C verwandeln, von dem das Orakel spreche40, so behauptete man und identifizierte damit offenkundig Ludwig VII. mit dem geweissagten glorreichen und friedenbringenden Endkaiser, der «über Römer und Grie­ chen herrschen» und also auch Konstantinopel erobern werde! Von hier aus gesehen wirkt es noch viel einleuchtender, daß auch das «Pèlerinage de Charlemagne» wirklich Ludwig VII. auf Korn nimmt und gerade diese weitreichenden, in ihn gesetzten Hoffnungen, die sich dann nicht erfüllten, persifliert. Es scheinen durchaus nicht wenige gewesen zu sein, die solch kühnen Voraussagen ernsthaft Beachtung schenkten, denn Otto betont ausdrücklich, sie seien «a probatissimis et religiosissimis Galliarum personis» geglaubt worden! Auch diese willkürlichen Inter­ pretationen der immer noch hohes Ansehen genießenden sibyllinischen Orakel trugen also mit dazu bei, die westlichen Aspirationen auf die Herr­ schaft eines Franken in Byzanz wachzuhalten und die Idee einer Erobe­ rung von Konstantinopel nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland50 stets wieder auftauchen zu lassen. Wir sind den Spuren dieser ehrgeizigen Hoffnungen in dichterischen Parodien und scheinbar abliegenden Prophezeiungen nachgegangen, weil sie gerade dort oft viel klarer zu erfassen sind und an solcher Stelle auch als ein gewisser Beweis für ihre Popularität gewertet werden dürfen.

2. Die Stimmung während des zweiten Kreuzzuges Die Nachricht von der Eroberung Edessas durch den Atabeg Zengi im Jahre 1144 weckte im Westen nach langer Zwischenzeit mit einem Schla­ ge wieder das Interesse für die Ereignisse im Osten, und der Schock war MG. SS. in us. schol. S. 10; der Hinweis auf die Prophezeiung findet sich auch in den Annales Corbeienses, MG. SS. III, S. 14, Anmerkung, die hin­ zufügen: «Hee littere dicuntur divinitus missae Loudhuwico regi Francorum». Vgl. dazu den Artikel «Himmelsbriefe» im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. IV, S. 21. 48 «Ex libris Sibillinis ad Votum interpretatis regi Franciae ituro lerusolimam magnifice false promittuntur», Annales S. Jacobi Leodinensis, MG. SS. XVI, S. 641. 49 «Tuum ergo L vertetur in C...», Otto von Freising, Gesta Friderici, prologus, MG. SS. in us. schol. S. 10. 50 Vgl. unten S. 206 und C. Erdmann, Endkaiserglaube, Zs. f. Kirchen­ geschichte Bd. 51, S. 406 ff.

149

stark genug, um einen neuen, allgemeinen Kreuzzug auszulösen. Wenn wir die nach dem Kreuzzug eintretende Reaktion begreifen wollen, so müssen wir uns erinnern, daß dieser zweite große Kreuzzug, an dem die Könige von Frankreich und Deutschland persönlich teilnahmen, der durch die unwiderstehliche Beredsamkeit eines Bernhard von Clairvaux feurig befürwortet wurde und über dessen Aussichten vielerlei prophezeit wor­ den war51, mit ganz ungeheuren Erwartungen auf einen glücklichen Aus­ gang begonnen wurde. Um das Ausmaß des durch den Kreuzzug bewirk­ ten Umschwungs zu erkennen, brauchen wir nur bei Otto von Freising nachzulesen, der erschüttert die «inaudita mutatio» beschreibt, die dem von Kriegslärm erfüllten Europa plötzlich Frieden gebracht und den Sinn aller nur noch auf das Heilige Land gelenkt habe. Otto sah darin über­ haupt den einzigen Lichtblick jener von ihm als so dunkel geschilderten Zeit52, und die Hoffnung ließ ihn seinen Ekel vor dem Leben vergessen. Der Westen raffte sich zu einem neuen Vorstoß in den Orient auf, während Byzanz, das von Raimund von Antiochien um Hilfe angegangen worden war, keine sofortige Unterstützung leisten konnte. Unter der be­ sonnenen und kraftvollen Regierung Johannes II. hatte zwar das byzan­ tinische Reich eben noch den mohammedanischen Herrschern, vor allem AtabegZengi, Respekt eingeflößt, und Johannes II. war in den letzten fünf Jahren seiner Regierung nahe daran gewesen, echten Einfluß in Syrien zurückzugewinnen und die fränkischen Prinzen in Antiochien und Edessa unter Anerkennung seiner Oberhoheit zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die mohammedanischen Nachbarn zu zwingen. Sein überraschen­ der Tod im Jahre 1143 hatte jedoch all diesen Unternehmungen ein plötz­ liches Ende gesetzt, denn sein Nachfolger Manuel sah sich zur Rückkehr nach Konstantinopel gezwungen, um zunächst einmal während einiger Zeit seine Herrschaft nach allen Seiten zu konsolidieren, bevor er für einen späteren Zeitpunkt an die Wiederaufnahme der syrischen Pläne sei­ nes Vaters denken konnte. Der byzantinische Kaiser war deshalb im damaligen Augenblick nicht in der Lage, das Bild, das Peter der Ehrwürdige von ihm gezeichnet hatte, durch tatkräftiges Eingreifen zu bestätigen. Er verpaßte, wie Brehier meint, die Gelegenheit, die Führung des Kreuzzuges zu übernehmen!53 Eine Situation also, die keineswegs dazu angetan war, die westliche Überheb­ lichkeit gegenüber den Griechen zu dämpfen!

51 Annales Herbipolenses, MG. SS. XVI, S. 3. 52 Otto von Freising, Gesta Friderici, I, 30, MG. SS. in us. schol. S. 48; I, 34, S. 54; I, 42, S. 60; I, 44, S. 63. 53 L. Bréhier, Vie et mort de Byzance, S. 329.

150

Beim Versuch, die Stimmung der Kreuzfahrer gegenüber Byzanz auf­ zuzeigen, sind wir fast ausschließlich auf den Bericht Odos von Deuil an­ gewiesen, der zwar als zuverlässiger Augenzeuge, aber auch als etwas allzu rabiater Griechenfeind zu gelten hat. Immerhin zeigt jedoch die Reaktion nach dem Kreuzzug, daß er mit seinem scharfen Urteil keineswegs völlig allein stand. Das Griechenbild

Fragen wir uns, welches Griechenbild die Chronisten aus der Zeit des zweiten Kreuzzuges uns präsentieren, so stoßen wir nun wirklich auf Schritt und Tritt auf ein festgefahrenes Klischee, das die altbekannten Vorwürfe enthält. Man beruft sich sogar ausdrücklich auf die früher ge­ machten Erfahrungen, die man nachlesen könne. So erzählt Odo von Deuil, bei der Versammlung in Etampes seien einige dabei gewesen, «qui Grecos dicerent, sicut lectione et experientia noverant, fraudulentos»45, und das Stichwort von der »dolositas Graecorum»55 taucht allenthalben wieder auf. Otto von Freising erwähnt zwar in seiner eigentlichen Kreuz­ zugsschilderung die Griechen kaum, doch an anderer Stelle berichtet er von der «sollertia Grecorum»56, und in seiner Chronik übernimmt er, der ja selber einleitend gesagt hatte, echte Geschichtsschreibung bestehe in einer strengen Auswahl des Richtigen und in der Ausscheidung des Un­ wahren54 57, aus Ekkehards Darstellung des ersten Kreuzzuges all jene Stel­ 56 55 len als glaubwürdig, an denen von den «dolis Alexii imperatoris» die Rede ist und wo es heißt, der «perfidissimus imperator» habe die Kreuz­ fahrer von 1101 den Türken ausgeliefert und sogar Nikaea wieder den Türken überlassen58. Auch der Mönch Wilhelm, der in seinem Dialog all die Gefahren aufzählt, die seinem Abt Odo von Deuil auf dem Kreuz­ zug begegneten, nennt an erster Stelle die Listen der Griechen: «Quis hunc per Trachiam in ter Grecorum dolos sanum perduxit?» 59 Das gegenseitige Vertrauen fehlte schon von Anfang an, wenn auch allen Warnungen zum Trotz die traditionelle Route über Konstantinopel gewählt wurde. Odo äußert sich rückblickend darüber, bis Bulgarien sei die Reise ein Kinderspiel gewesen, weil sie weder die «malicia hominum» 54 Odo von Deuil, De Ludovici VII profectione in orientem I, hg. H. Waquet, S. 23. 55 Vita Sugerii III, hg. A. Lecoy de la Marche, S. 397. 56 Otto von Freising, Gesta Friderici, I, 32, MG. SS. in us. schol. S. 50. 57 Otto von Freising, Chronica, Brief an Regenald, MG. SS. in us. schol. S. 5. 58 Ebenda VII, 2, S. 311; VII, 7, S. 317; VII, 10, S. 322. 59 Wilhelm, Dialogus apologeticus, 14, hg. A. Wilmart, Revue Mabillon 1942, S. 106.

151

noch die «astutia subdolorum» zu fürchten gehabt hätten. Dann aber, als sie griechischen Boden betreten hätten, sei alles anders geworden60. Ein kleiner Zwischenfall beim Durchmarsch der Deutschen zeigt deutlich, wie sehr die Atmosphäre von Mißtrauen vergiftet war: In Philippopel waren die Kreuzfahrer freundlich empfangen und mit allem Notwendigen versorgt worden. Als einige sich nun von den Strapazen der Reise in der Schenke eines Vorortes erholten, trat ein harmloser Gaukler ein und be­ gann den Fremden, deren Sprache er nicht verstand, seine Künste vorzu­ führen. Unter anderm zog er eine Schlange aus seinem Kleid hervor und wollte sie beschwören. Doch da sprangen die Deutschen empört auf, fie­ len über den armen Gaukler her und behaupteten, die Griechen hätten sie vergiften wollen! Es entstand ein großer Lärm und eine Schlägerei, und zuletzt ging die Vorstadt in Flammen auf!61 Ähnliche Verdächtigun­ gen tauchten auch später in Byzanz wieder auf, und Kaiser Manuel konnte sich von der ihm von den Deutschen zugeschriebenen «malivolencia» und dem Vorwurf, man habe die Kreuzfahrer durch Gift umbringen wol­ len, erst dadurch reinigen, daß er persönlich sich als Arzt um den kran­ ken Konrad III. kümmerte und ihn heilte62. Zahlreich sind, wie früher schon, die Klagen über die Unaufrichtigkeit und Verstellung der Griechen,· Odo scheut sich nicht, den Kaiser gemäß den Worten des Psalmisten mit einer für allen Zuspruch tauben, aber von Gift strotzenden Viper zu vergleichen! Manuel habe sein wahres Wesen zuerst heuchlerisch versteckt und sich verstellt, um nachher um so mehr schaden zu können63. Wenn doch jeweilen die Worte des Kaisers aufrichtig gemeint gewesen wären, seufzt der Chronist64; doch die Grie­ chen hätten zwar immer nur Gutes angekündigt, es aber nie wahrge­ macht65. Die allzu gewandte Beredsamkeit der Byzantiner ist den Fran­ zosen ein Greuel. Odo empfindet die stets sich wiederholende, über­ schwängliche Schmeichelei der Griechen auch gegenüber König Ludwig geradezu als unerträglich und durchschaut bald die Hohlheit dieser Phra­ sen. Verachtung erfüllt ihn angesichts dieser verlogenen, heuchlerischen Art der «Captatio benevolentiae» 66, wie auch gegenüber der griechischen Sitte, sich vor Höhergestellten zuerst zu Boden zu werfen und nachher Odo von Deuil, De Ludovici prof. III, hg. H. Waquet, S. 35. Ebenda III, S. 36. Annales Palidenses XI, MG. SS. XVI, S. 83. «... simulât ut amplius noceat«, Odo von Deuil, De Ludovici prof. IV, S. 50. Vgl. Psalm 58,5. 64 Odo von Deuil, De Ludovici prof. III, S. 44. 65 Ebenda III, S. 43. 66 «... tarn inepte humiliter captabat benivolentiam .. .»>, ebenda II, S. 29.

60 61 62 63

152

in ihrer Gegenwart immer zu stehen67. Er könne gar nicht alles wieder­ geben, was die Griechen jeweilen gesagt hätten, «quia Franci adulatores, etiam si velint, non possunt Grecos equare»68. Die Zeit, da französischer Charme und Esprit sich in Komplimenten zu überbieten trachten, ist noch fern! Nach solchem Tadel darf es uns nicht wundern, daß auch Odo, wie seine Vorgänger, die Griechen als Schwächlinge einschätzt und ihnen jede «virile robur et verborum et animi» abspricht69. Doch auch andere folgen dem üblichen Schema, wenn sie behaupten, ganz Griechenland habe vor der Ankunft der an Zahl zwar unterlegenen, an Kraft und Mut aber über­ legenen Deutschen gezittert70. Odo seinerseits fügt hinzu, man dürfe nicht etwa glauben, daß er aus Haß Unwahres über die Griechen erfinde, sondern jeder der die Griechen kenne, müsse eingestehen, daß sie sich zwar maßlos erniedrigten, solange sie jemanden fürchteten, aber hochmütig die Besiegten unterdrückten, sobald sie selber die Oberhand gewännen71. Auch die Zuverlässigkeit der Byzantiner als Führer durch Kleinasien wird stets wieder angezweifelt. Odo schreibt die Schuld an der Katastrophe des deutschen Heeres ganz dem Verrat des byzantinischen Führers zu72 und macht sich geradezu ein Vergnügen daraus, mit immer neuen iro­ nischen Wortspielen diesen zu verunglimpfen. So spricht er von einem »duce itineris, immo potius erroris et mortis»73, behauptet, Manuel habe den Deutschen einen «vie conductorem et traditorem» gegeben74 und diese hätten sich «a duce, immo a truce suo» in die Irre leiten lassen75. Odos Urteil tönt vernichtend, aber es muß wohl den Byzantinern zugute gehalten werden, daß die Ratschläge ihrer Führer von Deutschen und Franzosen äußerst selten befolgt wurden, und man kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie vor den beständigen Drohungen seitens der Kreuz­ fahrer schließlich die Flucht ergriffen76.

67 68 69 70 71

72 73 74 75 76

Ebenda II, S. 28 und III, S. 43. Ebenda II, S29. Ebenda III, S. 43. Annales Herbipolenses, MG. SS. XVI, S. 4. «Requisitus enim quicumque Grecos noverit fatebitur quia, quando timent, nimia sui dejectione vilescunt, et, quando prevalent, gravi subditorum oppressione superbiunt», Odo von Deuil, De Ludovici prof. Ili, hg. H. Waquet, S. 43. «Imperator enim Alemannorum, a duce suo proditus» ..., ebenda V, S. 53. Ebenda III, S. 39. Ebenda V, S. 56. Ebenda V, S. 56. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 274.

153

Am unermüdlichsten jedoch klagt Odo von Deuil darüber, daß die By­ zantiner den Kreuzzugsheeren nicht genügend Lebensmittel zur Verfü­ gung gestellt hätten. Alles Unheil habe damit begonnen, daß die Truppen nicht mehr ausreichend versorgt worden seien, denn vorher hätten sie alle Gegenden friedlich durchzogen; bei den Griechen aber, die ihre Dör­ fer und Städte vor ihnen verschlossen und ihnen die Lebensmittel nur an Seilen über die Stadtmauern herunterließen, hätten sich sofort Reibe­ reien ergeben77. Empört berichtet Odo über die unverschämten Preise und über die rapide Verschlechterung des Kurses 78, was beides in der Handels­ welt des Ostens, vor allem in so unruhigen Zeiten, nichts Seltenes war, von Odo aber allein der Habgier, der «cupiditas« der Griechen zugeschrie­ ben wird79. Die Byzantiner hätten die Notlage der beiden Heere scham­ los ausgenützt und ihnen nicht nur alles Geld abgenommen, sondern sie auch von Waffen und Kleidern entblößt80. Seine Beschwerden vermehren sich nach dem Übergang über den Bosporus, um sich dann zu bewegten Klage über die Skrupellosigkeit der griechischen Einwohner von Antalya (Attaleia) zu steigern: «Hec enim nostra fuit cum Grecis conditio; vendere sine pretio et care emere sine modo!«81 Odo, der ja seinen Reise­ bericht erst nach der Ankunft im Heiligen Land zu schreiben begann, fand nachträglich beinahe kein gutes Wort für die Griechen. Hinter allen Schwierigkeiten sah er nur schlechten Willen und behauptete, die Grie­ chen hätten sich des Meineids schuldig gemacht, da sie ja zu Beginn aus­ reichende Märkte und einen annehmbaren Kurs versprochen hätten82. Er war offensichtlich der Meinung, daß es nur von den Griechen abgehan­ gen hätte, die unbefriedigenden Verhältnisse zu ändern. Das mag damit Zusammenhängen, daß Manuel, wie Odo erwähnt, schon in Regensburg durch seine Gesandten die Drohung hatte aussprechen lassen, er werde die vorhandenen Vorräte zerstören, falls Ludwig nicht auf seine Forde­ rungen eingehe83, und daß er in der Folge auch wirklich die Marktsperre anwandte, um die Kreuzfahrer zum Nachgeben zu zwingen84. Odo wurde dadurch in der Meinung bestärkt, die Griechen wären stets und überall in der Lage gewesen, die Heere zu versorgen, wenn sie nur gewollt hätten.

Odo von Deuil, De Ludovici prof. III, S. 35. Ebenda IV, S. 46. Ebenda VI, S. 63. «... ut penitus nudarent exercitum«, ebenda V, S. 58; VI, S. 63. Ebenda VII, S. 75. «... Greci perjurio maculantur. Debetis enim jam dicta reminisci, illos scilicet pro suo imperatore forum idoneum et concambium nostris jurasse», ebenda III, S. 35. 83 Ebenda II, S. 30. 84 Ebenda V, S. 58; III, S. 40.

77 78 79 80 81 82

154

Wir spüren hier wieder einmal deutlich, wieviel eigentlich die westlichen Kreuzfahrer trotz aller leidenschaftlichen Kritik dem byzantinischen Reich doch immer noch zutrauten, denn die Verpflegung zwei so großer, durch­ marschierender Heere befriedigend zu organisieren, war im Mittelalter ein beinahe unlösbares Problem. Auch das wohlorganisierte und in dieser Be­ ziehung den westlichen Staaten sicher überlegene byzantinische Reich war dazu nicht immer imstande, schon gar nicht in jenen Gegenden Kleinasiens, die ständig durch türkische Überfälle verheert wurden, oder in der Küstenebene von Anatalya (Attaleia), wo Lebensmittel und Schiffe im Winter schwer aufzutreiben waren85. Doch die Kreuzfahrer setzten derart hohe Erwartungen in die Möglichkeiten der byzantinischen Ver­ waltung, daß sie ein Versagen nur als schlechte Absicht auslegen konn­ ten. Auch Romuald von Salerno schreibt deshalb, auf Anstiften und Be­ fehl des Kaisers hin, sei den Deutschen die Versorgung entzogen worden und «suggestione Graecorum et malicia» hätten zwei so mächtige Könige beinahe ihre ganzen Heere verloren und so wenig für die Ehre des christ­ lichen Namens erreicht, denn auch Ludwig wurde seiner Meinung nach von den Byzantinern auf gleiche Weise empfangen und hintergangen, «receptus et deceptus»»!86 Wie schon in den Chroniken des ersten Kreuz­ zuges kommt auch hier wieder in den anklagenden Worten eine tiefe Enttäuschung zum Ausdruck, die wir nur begreifen, wenn wir uns an die großen Hoffnungen eines Peter Venerabilis auf Byzanz erinnern! Manchmal bemüht sich zwar Odo, den Byzantinern doch in gewissem Sinne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, indem er zum Beispiel zugibt, die vorausziehenden Deutschen hätten den nachrückenden Franzosen noch mehr geschadet als die Griechen87. Ja, einen Augenblick lang, als Kaiser Manuel und König Ludwig sich persönlich gegenüberstehen, scheint es fast, als könne Odo sich von all seinen Vorurteilen befreien. Er anerkennt, daß Ludwig mit der schuldigen Ehrerbietung empfangen woren sei, und er sieht die beiden Herrscher beim Vergleichen einander eben­ bürtig, «fere coevi et coequales», nur durch Kleidung und Sitte sich von­ einander unterscheidend. Sie seien auseinandergegangen wie zwei Brüder, setzt er hinzu88. Ohne Zweifel wäre ja auch der seinen ganzen Interessen und Neigungen nach so westlich eingestellte Manuel, an dessen Hof La­ teiner einen maßgebenden Einfluß ausübten, die geeignete Persönlichkeit gewesen, um die tiefe Kluft zwischen Griechen und Lateinern zu über­ brücken und ihre Beziehungen wieder zu normalisieren. Doch die Verbit­ 85 86 87 88

S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 274. Romuald von Salerno, Annales MG. SS. XIX, S. 424. Odo von Deuil, De Ludovici prof. III, S. 35 ff. Ebenda III, S. 44.

155

terung, die Vorurteile und das Mißtrauen waren auf beiden Seiten fast unüberwindlich geworden, ja wir stellen in Odos Bericht eher eine Ver­ schärfung als eine Milderung des früheren Urteils fest. So sagt er an an­ derer Stelle unter Berufung auf die Bibel vom gleichen Kaiser Manuel, er kenne dessen Namen nicht, «quia non est scriptum in libro vite!«89. Das deutet an, daß gerade auch in bezug auf die religiöse Trennung die Span­ nung sich eher verstärkt hat. Zwar beschreibt Odo ausführlich, wie die Franzosen gemeinsam mit den Griechen das Fest des für den Mönch aus St. Denis besonders verehrungswürdigen Dionysius gefeiert und sich über den wunderbaren Gesang der griechischen Priester gefreut hätten, doch nennt er es andererseits Blasphemie, daß die Griechen, nachdem ein lateinischer Priester die Messe gelesen hatte, die benutzten Altäre «reinig­ ten« und daß sie lateinische Christen noch einmal tauften, bevor sie ihnen die Ehe mit griechischen Christen gestatteten. Auch noch von an­ dern «Häresien« der Griechen hätten sie vernommen, fügt er hinzu, und deshalb seien die Griechen den Lateinern verhaßt geworden, denn auch die Laien hätten schließlich davon erfahren und aus diesem Grunde die Griechen nicht mehr für Christen gehalten, ja sogar das Töten eines Griechen nicht mehr als Schuld angesehen!90 So endet auch hier die Be­ gegnung vor Konstantinopel damit, daß man die Griechen nicht mehr als Christen anerkennen wollte. Odos ganze Einstellung kennzeichnet die spannungsgeladene Atmo­ sphäre des zweiten Kreuzzuges. Sein Griechenbild ist aufs stärkste durch Enttäuschung und Verbitterung geprägt und verleitet ihn sogar zu dem Ausspruch, die Griechen hätten zwar eine Liebe geheuchelt, wie man sie nur den besten Freunden entgegenbringe, aber ihr Haß habe nur durch den Tod der Kreuzfahrer gestillt werden können! Niemand kenne die Griechen «nisi experimento vel spiritu prophetiae«!91 Darum ist jenes Zitat aus Vergil, das wie Odo erzählt, auch unter den Nichtgebildeten ständig in aller Mund war, nicht einfach spielerische, literarische Remi­ niszenz, sondern echter Ausdruck für das tiefste Mißtrauen, das die ganze Haltung der Kreuzfahrer bestimmt: «Timeo Danaos et dona ferentes!«92

89 90 91 92

156

Ebenda I, S. 22; Offenbarung Joh. 20,15. Odo von Deuil, De Ludovici prof. Ill, S. 42. Ebenda IV, S. 47. Ebenda II, 29; vgl. Vergil, Aeneis II, 49; ähnlich auch: «Siculus rex timens insidias Danaorum», Joh. von Salisbury, Historia Pontificalis 28, hg. R. L. Poole, S. 61.

Pläne für eine Eroberung von Byzanz Bei einer derart von Vorurteilen beeinflußten Einstellung unter den Kreuzfahrern kann es nicht überraschen, daß im kritischen Moment, das heißt wie immer vor Konstantinopel, eine Eroberung der Stadt sowohl durch die Deutschen wie durch die Franzosen in den Bereich des Mög­ lichen rückte. Mit dem deutschen König unterhielt zwar damals Byzanz sehr gute Be­ ziehungen. Bereits Kaiser Johannes hatte durch Gesandtschaften den Ver­ kehr aufnehmen lassen. Zwischen seinem Nachfolger Manuel und Kon­ rad III. wurden die Verhandlungen erfolgreich fortgesetzt und führten schließlich sogar zur schon durch Johannes verabredeten Heirat Manuels mit Konrads Schwägerin Bertha von Sulzbach. Die Einigung zwischen den zwei Reichen richtete sich gegen den Erzfeind beider Herrscher, Ro­ ger von Sizilien, und war ein Versuch, die süditalienische Frage gemein­ sam zu lösen, weil keiner der beiden Herrscher allein dazu imstande war. In einem Brief, den Konrad in dieser Sache an Kaiser Johannes schrieb, betonte er deshalb das Verbindende zwischen den beiden Reichen und er­ klärte, alle Staatsangelegenheiten sollten fortan für beide Teile in gleicher Weise gelten; der Freund des einen solle auch der Freund des andern sein, und der Feind des einen auch der Feind des andern!93 Ein gemeinsamer Feld­ zug in Süditalien war bereits geplant, wurde dann jedoch durch Konrads plötzlichen Entschluß zur Beteiligung am zweiten Kreuzzug verhindert. Doch wenn auch momentane, gemeinsame Interessen die beiden Herr­ scher in dieser Weise zusammenführten, vermochten sie doch die seit langem bestehende Rivalität der beiden Reiche nicht völlig zu verdecken. Der universale Herrschaftsanspruch des Römischen Reiches, den zum mindesten ideell jedes von ihnen erhob, machte letzten Endes eine voll­ ständige Übereinstimmung unmöglich. Obwohl sich Konrad infolge seiner augenblicklichen Schwäche zum Zusammengehen mit Byzanz bereit fand, vertrat er doch diesen Anspruch gegenüber Byzanz sehr klar. Zwar war er ja noch nicht einmal in Rom zum Kaiser gekrönt worden,· dennoch beanspruchte er im bereits erwähnten Brief an Johannes für sich selber stolz den schwerwiegenden Titel «Romanorum imperator» und bezeich­ nete Johannes in deutlich abwertender Weise nur als «Constantinopolitanus imperator»!94 Als Manuel später dagegen protestierte, beharrte 93 Otto von Freising, Gesta Friderici I, 25, MG. SS. in us. schol. S. 38. 94 «Conradus Dei gratia Romanorum imperator augustus Johanni eadem gratia Constantinopolitano imperatori salutem», ebenda S. 37 und der zweite Brief S. 41. Vgl. dazu den Aufsatz «Kaiser» Konrad III. in W. Ohnsorge, Abendland und Byzanz, bes. S. 374, und derselbe, das Zweikaiserproblem S. 96; E. Caspar, Roger II., S. 360 ff.

157

Konrad darauf, der «vere Romanorum imperator» zu sein. Er lehnte also die Ansicht Peters des Ehrwürdigen ab, der ja das wahre «Imperium Romanum» in Byzanz gesehen hatte. Mit der Wiederaufnahme des alten Streites um die Titulaturen, in dem die gegensätzlichen Auffassungen von Ost und West unmißverständlich zum Ausdruck kamen, pochte der deutsche König trotz seiner Bündnisbereitschaft auf den hierarchischen Vorrang des westlichen Römischen Reiches gegenüber der «nova Roma» in Byzanz, das nur die Tochter des alten Roms darstelle und deshalb der höheren «auctoritas» der Mutter Ehrerbietung schulde95. Bei dieser von Konrad wieder neu eingeleiteten Auseinandersetzung ging es wohl vor allem um den ideellen Anspruch in bezug auf die hierarchische Einordnung der Reiche im Rahmen der mittelalterlichen Weltordnung, wobei dem «Römischen Reich» eben allein der höchste Rang zukam, ohne daß damit in jener Zeit unbedingt auch der Gedanke an eine unmittelbare Ausübung einer tatsächlichen Herrschaft des west­ lichen römischen Kaisers in Byzanz verbunden sein mußte. Uns inter­ essieren aber besonders jene Anzeichen, die darauf hindeuten, daß über den ideellen Anspruch hinaus an eine tatsächliche Eroberung Konstan­ tinopels gedacht wurde. Diese Gefahr lag natürlich während des Kreuz­ zuges sehr nahe, und Manuel schien auch Ähnliches zu befürchten. Er verlangte deshalb auch vom deutschen König eine eidliche Bekräftigung, daß er in keiner Weise ihm, dem Kaiser oder dem Reich, Schaden zu­ fügen werde. Seine Vorsicht erwies sich als wohlbegründet, denn Kon­ rads Armee zeichnete sich keineswegs durch gute Disziplin aus. Dadurch noch mehr beunruhigt ließ Manuel Konrad ersuchen, auf seinem Marsch Konstantinopel nicht zu berühren, sondern schon vorher abzuschwenken und nach Kleinasien überzusetzen. Konrad aber lehnte dieses Ansinnen schroff ab und zog trotzig dennoch über Konstantinopel. Seine Ankunft vor der Stadt führte zu einer genauen Wiederholung der Geschehnisse von 1097 und 1101. Die Deutschen plünderten rücksichtslos die Vor­ städte und verwüsteten einen lieblichen Tierpark des Kaisers! Ja, die Lage spitzte sich derart zu, daß eine persönliche Aussprache zwischen Manuel

95 «Non est gens, regnum aut populus, qui non noverit nostrae Romanae rei publicae vestram novam Romam et dici et fore filiam, ex huius radice ramos et fructus eius processisse; propter quod hereditatem, quae a matre debetur filiae, constituimus, aeternamque volumus et eo amplius, quod, quae matri debetur, filiam veile cernimus, scilicet ut auctoritas materna precinat consilio, auxilio respondeat autem gloria et honore filiastina dilectio», Otto von Freising, Gesta Friderici I, 25, MG. SS. in us. schol. S. 37 ff. Vgl. dazu auch R. Holtzmann, Der Weltherrschaftsgedanke des mittelalter­ lichen Kaiserstums, Hist. Zeitschrift Bd. 159 (1939).

158

und Konrad überhaupt nicht zustande kam,· keiner habe es gewagt, sich zum andern zu begeben96. Nach Kinnamos kam es sogar zu eigentlichen kriegerischen Zusammenstößen. Voll Anmaßung verlangte Konrad das kaiserliche Schiff für die Überfahrt über den Bosporus und schließlich drohte er offen, falls nicht sofort alle seine Forderungen bewilligt wür­ den, werde er im nächsten Jahr wiederkommen, um Konstantinopel zu erstürmen!97 Dieser Bericht des Kinnamos darf sicherlich nicht einfach als bloße, auf nationalen Vorurteilen beruhende Übetreibung gewertet werden98, sondern er beweist, wie leicht die ohnehin vorhandene Rivali­ tät verbunden mit der Besorgnis um den Fortgang des Kreuzzuges, den Byzanz zu hindern schien, auch Konrad an eine Eroberung von Konstan­ tinopel denken ließ. Noch viel offensichtlicher lassen sich jedoch ähnliche aggressive Ten­ denzen im französischen Heere feststellen, ja hier tritt uns recht eigent­ lich eine von allem Anfang an vorhandene und durch Argumente begrün­ dete antibyzantinische Ideologie entgegen, aus der die Konsequenzen zu ziehen man sich nicht scheute. Bereits an der Kreuzzugsversammlung von Etampes waren ja die Stichworte der seinerzeit von Bohemund betriebe­ nen griechenfeindlichen Propaganda wieder in die Diskussion geworfen worden, und die Darstellung Odos von Deuil ist ein eindrückliches Zeug­ nis für die damit erzielte Wirkung. Die antibyzantinische Partei in der Umgebung König Ludwigs nahm unter ihrem Wortführer, dem Bischof von Langres, das ganze Repertoire der Anklagen und Vorwürfe gegen Byzanz wieder auf. Die erste Kontroverse ergab sich bereits in Regensburg, als byzantini­ sche Gesandte, wie schon 50 Jahre früher, verlangten, daß alles einst rö­ mische Land, welches die Kreuzfahrer erobern würden, der Oberhoheit des Kaisers unterstellt werde. Die Franzosen waren zwar bereit, sich zu 96 Odo von Deuil, De Ludovici prof. III, hg. H. Waquet, S. 38 ff.; Annales Herbipolenses, MG. SS. XVI, S. 4. 97 « Καί εί μή Θάττον άφίκοντο προς αυτόν, ήπείλει πολλαϊς ές νέωτα μυριάσι τήν πόλιν περιβαλεϊν », Job. Kinnamos, II, 16, Migne PG. 133, S. 401; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 267; R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. II, S. 232. 98 Dies stellen mit Recht fest: B. Kugler, Studien zur Geschichte des zweiten Kreuzzuges, S. 36 und S. 128; F. Chalandon, Les Comnene Bd. II, S. 279 ff.; G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 303, Anm. 1. Kin­ namos Glaubwürdigkeit wurde hie und da in Zweifel gezogen, weil seine Gesamteinstellung darauf hinausläuft, zu behaupten, für die Abendländer sei der Kreuzzug nur ein Vorwand, um das Land der Griechen auszuplün­ dern, II, 12. Migne PG. 133, S. 388, und er offen von einem Einfall der abendländischen Völker in das griechische Reich spricht, II, 19, S. 413.

159

einer friedlichen Haltung gegenüber Byzanz zu verpflichten; doch die dem byzantinischen Reich verlorengegangenen Gebiete, so erklärten sie, müß­ ten die Byzantiner schon selber «vel precio, vel ratione, vel viribus» — man beachte die für die Einschätzung der Griechen typische Reihen­ folge — von den Türken zurückgewinnen. Von den Kreuzfahrern habe Byzanz nichts zu fordern!" Nach langem Hin und Her wurde die end­ gültige Entscheidung verschoben. Bezeichnenderweise ließen sich die Franzosen ebenfalls nicht dazu be­ wegen, einige Tagereisen vor der Hauptstadt abzubiegen und den Bosporus schon dort zu überqueren. Der Marsch über Konstantinopel und damit auch die Auseinandersetzung mit Byzanz gehörten bereits zur unumstöß­ lichen Tradition!99 100 Als dann die ersten Gerüchte laut wurden, die Byzantiner hätten den vorausgezogenen Lothringern Schwierigkeiten bereitet, trat die griechen­ feindliche Partei offen hervor und riet dem König, er solle das reiche Land ringsum besetzen, die Burgen und Städte einnehmen und mit Roger von Sizilien, der damals bereits im Kriege mit Byzanz stand, ein Bündnis abschließen, um mit normannischer Flottenhilfe Konstantinopel zu er­ obern !101 Ganz selbstverständlich stellt sich hier die Reaktion wieder ein, bei den geringsten Schwierigkeiten mit den Griechen Gewalt anzuwenden. «Weh uns!», fügt Otto in seinem Rückblick schmerzlich hinzu, «daß dieser Vorschlag nicht befolgt wurde!», und er bedauert den Verzicht auf die Eroberung als einen Nachteil für die Kirche Petri aufs tiefste. König Ludwig aber ließ sich, obwohl ihm ja die Einnahme der königlichen Stadt geweissagt worden war, von der Voreingenommenheit seiner Umgebung nicht beeindrucken, sondern suchte Kaiser Manuel sogar persönlich auf; mäßigend wirkte auch der Einfluß des Bischofs von Lisieux, des Rivalen seines Kollegen von Langres,· zudem sprach Godfroy von Langres ohne päpstliche Vollmacht und deshalb hielt die Scheu vor einem Kampf ge­ gen Christen schließlich die Franzosen zurück. Daß es aber nicht, wäh­ rend das Heer vor der Stadt lag und kleinere Konflikte wie immer unver­ meidlich waren, doch noch zu einem Ausbruch der Feindseligkeiten kam, war vor allem der Gewandtheit Manuels zu danken, der die Gefahr einer Koalition der Franzosen mit Roger von Sizilien von Anfang an voraus­

99 Odo von Deuil, De Ludovici prof. II, S. 29. 100 Ebenda III, S. 43. 101 «... qui regi consulerent retrocedere et terram opulentissimam cum Castel­ lis et urbibus capere et interim regi Rogério, qui tune imperatorem maxime impugnabat, scriberet, et, ejus adjutus navigio, ipsam Constantinopolim expugnaret», ebenda.

160

gesehen hatte und darum alles daran setzte, das französische Heer rasch über den Bosporus zu schaffen. Wie ernsthaft jedoch im französischen Heer damals viele an eine Ein­ nahme der Stadt dachten, erhellt aus der Bemerkung Odos von Deuil, der Bischof von Langres hätte im Rat mit seinem wiederholten Vorschlag wirklich beinahe die Oberhand gewonnen. Nur weil die Griechen wieder einmal durch List gesiegt und die Franzosen auf Grund falscher Gerüchte zur Überfahrt nach Kleinasien bewogen hätten, habe man den Plan nicht in Tat umgesetzt102. Mit dem Übergang über den Bosporus hatten die Franzosen die Mög­ lichkeit verspielt, einen Druck auf Byzanz auszuüben. Als ihnen dies klar wurde und sie zudem dem byzantinischen Kaiser doch noch den Lehens­ eid leisten mußten, steigerte dies ihre Erregung gewaltig. Zwar meinten einige, man könne ohne weiteres neben dem französischen König auch noch den byzantinischen Kaiser als Lehensherrn anerkennen, doch die meisten betrachteten den Eid als Zumutung, und selbst der König soll sich dadurch verletzt gefühlt haben103. Wenn wir die von Bitterkeit erfüllten Worte des Bischofs von Langres lesen, der es für äußerst schimpflich hielt, einem Treulosen den Lehenseid zu leisten, da man selber in Ludwig einen «tarn gloriosum dominum» besitze, so verstehen wir, warum gerade diese für den Stolz der Franzosen so beschämende Episode ihren Niederschlag und ihre «Revanche» im «Pelerinage de Charlemagne» finden mußte!104 Die bittere Erinnerung an die verpaßte Gelegenheit zur Eroberung von Konstantinopel färbt auf Odos ganze Schilderung der berühmten Stadt ab. Selbst ihr Anblick, der doch sonst die Kreuzfahrer ganz einfach zu überwältigen pflegte, vermochte sein negatives Urteil nicht zu mildern. Zwar staunt auch er über die Pracht der Kirchen und Paläste und spricht von «Constantinopolis Grecorum gloria, fama dives et rebus dicior»105, doch mischt sich in seine Bewunderung stets eine Spur von Ekel. Neben dem Glanz der Großstadt sieht er auch ihre Schattenseiten und übt Kri­ tik an der Dunkelheit und dem Schmutz dieser Stadt, in der man ohne Recht lebe. Es gebe so viele Herren wie Reiche und so viele Diebe wie Arme, denn wo kein Verbrechen gerächt und ans Licht gezogen werde, kenne der Verbrecher keine Schranke. In allem, so faßt Odo seinen Ein­

102 «Credo tarnen quod vicisset episcopus, nisi Greci magis prevalerent dolis quam viribus», ebenda IV, S. 48. 103 Ebenda IV, S. 51 ff. 104 Vgl. oben S. 144. Die Worte des Bischofs von Langres bei Odo von Deuil, De Ludovici prof. IV, S. 51. 105 Ebenda IV, S. 44.

161

druck zusammen, überschreite diese Stadt das Maß! Wie sie an Schätzen alle andern Städte übertreffe, so auch an Lasterhaftigkeit!106 Zwei Hauptzüge sind es, die auch Odo von Deuil in seinem Gesamtbild von Konstantinopel noch einmal hervorhebt und die seiner Meinung nach die Eroberung von Byzanz gerechtfertigt hätten: Treulosigkeit und Schwä­ che! Die Stadt setze, so meint er zum ersten Punkt, ihres Reichtums we­ gen alle in Erstaunen, doch ihrer Listen und ihrer Untreue wegen sei sie auch von allen zu fürchten,· Konstantinopel bleibe «superba diviciis, moribus subdola, fide corrupta»!107 Ebenso eindeutig fällt das Urteil über die Schwäche von Byzanz aus: Die Befestigungen seien nicht wirklich stark, sondern die Stadt vertraue nur auf die große Zahl ihrer Einwohner (multitudine!) und auf die traditionelle Ungestörtheit108; ja Odo behauptet sogar, die Mauern seien so brüchig gewesen, daß sie vor seinen Augen teilweise einstürzten109. Es ist ein Bild völliger Dekadenz, das Odo hier entwirft. Schonungslos tadelt er das träge Volk (populus iners), das sich nicht mehr aus eigener Kraft verteidigen könne, sondern ganz auf durch Gold angeworbene Söldner angewiesen sei. Ohne fremde Hilfe hätte By­ zanz schon längst alles wieder verloren, was die tapferen Franken wäh­ rend des ersten Kreuzzuges zurückgewonnen hätten, und auch so, trotz der Söldner, verliere es ständig an Boden. Nur weil es unendlich viel be­ sitze, könne es nicht alles zugleich verlieren! Doch vermöchten fremde Kräfte da nicht auszureichen, wo eigene völlig fehlten. Symbol dieses Niedergangs sind für Odo die von Dornen und Gestrüpp überwucherten Ruinen von Nikomedien, die vom früheren Ruhm und von der Trägheit der jetzigen Herrn so beredtes Zeugnis ablegten110.

106 «In omnibus modum excedit; nam sicut diviciis urbes alias superat, sic etiam viciis», ebenda IV, S. 45. 107 «Sicut propter suas divicias omnes timet, sic est dolis et infidelitate omni­ bus metuenda», ebenda V, S. 54. 108 «Hic nec robore firmus est nec turres in altum subrigi t, sed urbis, sicut estimo, in sua multitudine et antiqua quiete confidit«, ebenda IV, S. 45. 109 «Muros fragiles, quorum magna pars ante nostros oculos corruit«, ebenda IV, S. 47. 110 «Tali servicio retinent quod Francorum virtus, quia lerusolimam conquisierunt, liberavit et perdidisset omnia populus iners,· sed aurum auro redimens, diversarum gentium conductis militibus se défendit. Semper tarnen perdidit; sed, multa possidens, non potest omnia simul. Non enim sufficiunt aliéné vires propriis destitute. Quod nobis Nichomedia prima monstravit, que, sentibus et dumis consita, ruinis sublimibus antiquam sui gloriam et presentium dominorum probat inerciam«, ebenda V, S. 54. Vgl. auch die ganz ähnlich klingende Schilderung der Ruinen von Ephesus, die dieselben Schlußfolgerungen nahelegt, ebenda VI, S. 63.

162

Wie einst Bohemund sieht nun auch Odo in diesem Bild von Byzanz die Begründung für seine Überzeugung, daß die Byzantiner in der Herr­ schaft abgelöst und ersetzt werden müßten. War schon 1106 die Tendenz der Propaganda dahin gegangen, Byzanz als das einzige Hindernis für das Gelingen der Kreuzzüge hinzustellen, so läßt nun Odo den Bischof von Langres betonen, solange Manuel in Byzanz regiere, gebe es keine Sicher­ heit für das Kreuz und Grab Christi, sobald er aber beseitigt sei, gebe es auch kein Hindernis und keine Gefahr mehr: «Quo regnante cruci Christi et sepulchro nil tutum, quo destructo nichil contrarium!»111 Das heißt doch wohl mit andern Worten, es gehe darum, den Byzantinern die Herr­ schaft über Byzanz wegzunehmen und die wichtige Stadt an andere zu übergeben. Kritik und Bewunderung münden auch hier wieder in den einen Schluß, von Byzanz aus könnte das Kreuzzugsproblem mühelos ge­ löst werden, wenn nur die Stadt in den richtigen Händen wäre! Es steckt in diesen Worten eine erstaunlich fest verankerte Überzeugung, Byzanz sei der Angelpunkt des ganzen christlichen Orients, von dem aus sich bei rechter Leitung die gesamte Situation im Osten würde beherrschen las­ sen! Es wäre nicht einmal nötig, so heißt es in der Rede des Bischofs, auch die übrigen Städte des Reiches zu erobern, denn Konstantinopel sei das Haupt, dem alle andern sich widerspruchslos unterordneten112. Die­ ses unbegrenzte Vertrauen in die Geschlossenheit des byzantinischen Staates und in die Leistungsfähigkeit seiner zentralen, von der Hauptstadt aus gelenkten Verwaltung mußte natürlich eine Eroberung von Byzanz ganz außerordentlich begehrenswert erscheinen lassen, denn erst damit schien man die notwendige strategische Ausgangsposition für den Kreuz­ zug zu gewinnen! Sicher haben in dieser Hinsicht die Kreuzfahrer die tatsächlichen Möglichkeiten des damaligen byzantinischen Reiches etwas überschätzt und die auf ihm lastenden Aufgaben und Schwierigkeiten verkannt. Doch ihre Illusion dauerte weiter bis 1204, und nur von ihr aus gesehen begreifen wir, weshalb die Gründe für die enttäuschende Wirk­ lichkeit immer und immer wieder nur im treulosen Verhalten der byzan­ tinischen Herrscher gesucht wurden. Zur Erhärtung dieser Vorstellung trugen nun aber auch während des zweiten Kreuzzuges die Beziehungen der Byzantiner zu den Türken ent­ scheidend bei. Diese Verhältnisse sollen deshalb noch speziell erwähnt werden.

111 EbendalV, S.47. 112 «... capta illa civitate, non esset necessarium alias expugnare, quia gratuitum possidenti caput earum preberent obsequium», ebenda. 163

Der Vertrag mit den Türken Die Türkenfrage war ja von Anfang an ein stets wiederkehrendes Leit­ motiv der Anklagen gegen Byzanz gewesen. Sie gab auch jetzt wieder den letzten Ausschlag für Odos Einschätzung der Griechen als «perfidi» und für sein Bedauern darüber, daß Byzanz erneut von einer Eroberung ver­ schont geblieben war. Die Türkenpolitik der byzantinischen Kaiser war ja dem Westen schon vorher oft sehr fragwürdig erschienen. Während des zweiten Kreuzzuges nahmen aber die Vorwürfe in dieser Richtung an Schärfe deutlich zu, denn auch Beweise für ihre Berechtigung schienen offenkundiger vorhanden zu sein. Den Hauptbeweis bildete der Vertrag, den Manuel kurze Zeit vor dem Herannahen des zweiten Kreuzzuges mit dem Sultan Mas-ud von Konya abgeschlossen hatte. Zwar hatte Manuel vorher versucht, die Macht von Byzanz gegenüber dem Sultanat von Rum zu festigen, und zwei Kriegszüge gegen Konya unternommen, aber im Hinblick auf den heranrückenden Kreuzzug und die damit verbundene Gefährdung von Byzanz hielt er es für notwendig, sich mit den Seldschuken zu verständigen. Odo von Deuil nennt es bezeichnenderweise ein «Verbrechen», daß der Kaiser mit den Türken Frieden habe. Vor Kon­ stantinopel, so berichtet er, hätten die Kreuzfahrer zu ihrer Empörung er­ fahren müssen, daß derselbe Manuel, der dem französischen König vor­ her einen glorreichen Sieg über die Türken gemeldet und ihm versichert habe, er werde mit ihm zusammen ausziehen, um die Ungläubigen zu schlagen, nun einen Waffenstillstand auf 12 Jahre eingegangen sei113. Für Odo ist damit die Lage eindeutig gekennzeichnet, und zwar ist es seine Überzeugung, daß die Byzantiner auf Grund dieses Vertrags sich nicht einfach auf eine neutrale Haltung beschränkten, sondern für ihn steht Byzanz eindeutig auf Seiten der Türken. Danach richtet sich denn auch seine Terminologie bei der Beurteilung des Zuges der beiden Heere durch Kleinasien. Die Katastrophe der Deutschen bei Doryläum schreibt er von vornherein der «proditio» der Griechen zu und findet einen Ver­ gleich nur im Verrat Christi durch Judas, denn wie damals habe sich auch in diesem Augenblick die Sonne zur Hälfte verhüllt. Ludwig und Konrad seien eben, so wird die Sonnenfinsternis interpretiert, zusammen die eine Sonne der Rechtgläubigkeit, die nur noch halb soviel Licht habe ausstrahlen können, da durch den Verrat der Griechen der christliche

113 «Esset nunciis satisfactum nisi probarent scelus ex scelere. Didicerunt enim eum cum Turcis pacem habere. Et qui regi scripserat ad debellandas gentes incrédulas secum ire et se de illis novam et gloriosam victoriam habuisse, certum erat cum eisdem inducías duodecim annorum firmasse», ebenda III, S. 42.

164

Glaube derart geschwächt und dafür das Heidentum gestärkt worden sei!114 Ebenso offensichtlich erscheint ihm die Komplizität der Griechen mit den Türken beim Durchmarsch des französischen Heeres, sei es im Mo­ ment, da Kaiser Manuel in Ephesus Ludwig mitteilen ließ, eine große Schar Türken sammle sich gegen ihn115, sei es als einige Türken, wie Odo behauptet, Zuflucht in einer griechischen Festung im Mäandertal fanden116, oder als der Befehlshaber von Laodikaea, der schon einige Zeit vorher die Beute vom Überfall auf die Pilger Ottos von Freising mit den Türken geteilt habe, seine Stadt völlig räumte, damit die Kreuzfahrer für den zweiwöchigen Marsch nach Pamphylien sich nirgends mehr ver­ proviantieren konnten!117 In jener Gegend, setzt Odo bitter hinzu, liege die Grenze zwischen byzantinischem und türkischem Gebiet,· sie aber hätten stets Griechen und Türken vereint zu Feinden gehabt118. Ja, die Verbindung «Turci et Greci» wird für ihn überhaupt zu einem unzer­ trennbaren, ständig wiederholten Wortpaar119. Am unverfrorensten ging seiner Meinung nach die Zusammenarbeit zwischen Griechen und Tür­ ken in der Küstenstadt Antalya (Attaleia) vor sich: Der dort eingetroffene kaiserliche Vertreter habe sogar zugegeben, einen Teil des Weges in tür­ kischer Begleitung gemacht zu haben120; später hätten die griechischen Einwohner den Türken verraten, daß die Kreuzfahrer über keine Pferde mehr verfügten121, und schließlich seien die Türken überhaupt offen in der Stadt ein- und ausgegangen!122 Nach Odos Auffassung vom byzantinischen Reich war es undenkbar, daß solche Dinge ohne Wissen und Zustimmung des Kaisers geschehen konnten. Darin stimmt ihm diesmal sogar König Ludwig selber bei, wenn er an Suger schreibt, die Türken seien mit kaiserlicher Erlaubnis, «permissione Imperatoris», in byzantinisches Territorium eingedrungen, um ihn

114 Ebenda IV, S. 53 und V, S. 55 und S. 56. 115 Ebenda VI, S. 63. 116 «... quedam civitatula ... que paganis fugientibus patuit ad refugium», ebenda S. 65. 117 Ebenda VI, S. 66. 118 «In nostra via habebant Turci cum Grecis terrarum terminos, et nos utrosque sciebamus unanimes inimicos», ebenda. 119 «... Turcos et Grecos habentes in nostro itinere previos et sequentes», ebenda S. 67; «... Turci vero et Greci.. .», ebenda S. 68; «... sed Turci et Greci modis pluribus de nostro interitu cogitabant», ebenda VII, S. 72. 120 Ebenda VII, S. 73. 121 Ebenda VII, S. 76. 122 «Deinde Turci urbi appropiant, intrant et exeunt et aperte Grecis comunicant», ebenda VII, S. 78.

165

anzugreifen123. Odo hält es grundsätzlich nicht für nötig, bei seinen Kla­ gen über griechisch-türkisches Einverständnis zwischen regulären kaiser­ lichen Truppen und griechischen Bewohnern Kleinasiens zu unterschei­ den, obwohl ja der Kaiser auf die letzteren nicht den geringsten Einfluß ausüben konnte und für deren Verhalten im voraus jede Verantwortung abgelehnt hatte124. Für Odo schien jedoch das Vorgefallene beweiskräftig genug, um Manuel endgültig zu einem Verräter an der Christenheit zu stempeln. Hatte nicht schon Manuels Vater mit türkischer Unterstützung den Fürsten von Antiochien angegriffen, um die lateinischen Christen auszurotten, wie der Bischof von Langres behauptete?125 Hatte nicht selbst der Papst jenes Vorgehen des «Königs von Konstantinopel·» (!) aufs Schärfste verurteilt und den lateinischen Söldnern verboten, sich daran zu beteiligen?126 War also nicht der Bischof von Langres im Recht, wenn er Manuel «impius» und «infidelis»» nannte127 und erklärte, Byzanz sei nicht mehr in Wahrheit christlich, sondern nur noch dem Namen nach?128 Der Separatfriede Manuels mit Mas-ud war für Odo nur eine neue Be­ stätigung der Zusammenarbeit zwischen Byzantinern und Türken und veranlaßte ihn, den alten Vorwurf wieder aufzunehmen, daß es den By­ zantinern eben nur um ihr eigenes Reich, nicht aber um die Kreuzzugs­ 123 Brief Ludwigs VII. an Suger, Nr. 39, Migne PL. 186, S. 1365. 124 B. Kugler, Studien zur Geschichte des zweiten Kreuzzuges, S. 166,· S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 271 ffzur Haltung Manuels vgl. seinen Brief an Ludwig, Odo von Deuil, De Ludovici prof. VI, S. 63. 125 «Cumque deberet, sumptis Christianorum copiis, paganorum viciniam pro­ pulsare, illorum auxilio nisus est Christianos exterminare»», ebenda IV, S. 47. 126 «Innocentius episcopus ... universis Dei fidelibus Latinis, qui sunt in exercitu regis Constantinopolitani vel in terra sua habitant... Nunc autem, sicut accepimus, rex Constantinopolitanus, qui se ab unitate Ecclesiae dividit et beato Petro, coelorum clavigero, qui princeps est apostolorum et Ecclesiae post Christum caput et fundamentum, inobediens est, Antiochiam caeterasque proximas civitates nititur occupare et suae dominationi subjicere. Quia igitur nostrum est cunctos fideles ad sinum matris suae Ecclesiae recolligere et ab illicitis prohibere, universitatem vestram rogamus, monemus atque praecipimus, et in peccatorum remissionem injungimus quatenus, si praefatus rex jam dictam Antiochiam vel alia loca, quae fideles Christiani possident, occupare vel impugnare praesumpserit, vos ab ipsius societate et servitio omnimodis subtrahatis, nec in tam praesumptuosa invasione opem ei et consilium praebeatis,· alioquin damnationis suae vos noveritis esse participes»*, Innozenz IL, Epistola Nr. 309 (28. März 1138), Migne PL. 179, S.354ff. Vgl. W. Norden, Das Papsttum und Byzanz, S. 75. 127 Odo von Deuil, De Ludovici prof. IV, S. 51. 128 «... quod ipsa (= Konstantinopel) rem christianitatis non habet sed no­ men»», ebenda IV, S. 47.

166

idee gehe12°. Solange es für das «sacrum imperium» geschehe, behauptet er, betrachteten die Byzantiner auch Meineid und Wortbruch nicht als Sünde129 130. Immer noch urteilen also die Kreuzfahrer ganz einseitig aus ihrer Kreuzzugsideologie heraus. Für sie gibt es ganz schematisch nur Christen und Ungläubige, und die Griechen passen weder in die eine noch in die andere Kategorie. Odo beneidet einmal seufzend die Kreuz­ fahrer des ersten Kreuzzuges, weil sie in Kleinasien sofort auf Türken ge­ stoßen seien und damit von Anfang an klare Verhältnisse vor sich gehabt hätten. Sie aber seien auch in Kleinasien den Griechen begegnet, die sie zu ihrem Schaden für Christen gehalten hätten!131 Odo spürt also zwar das Zwiespältige in der Stellung der Byzantiner, aber er will nicht ein­ sehen, daß die Griechen in Kleinasien zu lokalen Verständigungen mit den Türken gezwungen waren. Mit der Intoleranz des Kreuzfahrers for­ dert er auch von Byzanz eine ebenso eindeutig nur auf den Kreuzzug ausgerichtete Stellungnahme. Andere Aufgaben, die das byzantinische Reich gleichzeitig zu bewältigen hat, werden nicht zur Kenntnis genom­ men, und falls Byzanz sich darauf beruft, gelten sie nicht als Entschuldi­ gung, sondern es wird dem Kaiser gerade daraus ein Vorwurf gemacht und die Sorge um das Reich ihm als Egoismus angekreidet. Die Kreuz­ fahrer sahen auch jetzt wieder keineswegs ein, daß Byzanz sich ständig von Westen her ebenfalls bedroht fühlen mußte, sei es von Seiten der Kreuzfahrer oder damals noch viel klarer von Seiten Rogers von Sizilien. Dieser Faktor fehlt völlig in Odos Argumentation, darum begreift er nicht, daß der Waffenstillstand mit Mas-ud als eine notwendige Rückendeckung gegen den erwarteten sizilianischen Angriff verstanden werden mußte. Bereits Kugler und Chalandon, und neuerdings vor allem Runciman, haben die Engstirnigkeit von Odos Auffassung gezeigt, seine Anklagen entkräftet und dem byzantinischen Standpunkt Gerechtigkeit widerfahren lassen132. Doch wenn noch in unserer Zeit ein René Grousset schreiben konnte: «Il est inutile d'ergoter sur la plus ou moins grande responsa­ bilité de la cour de Constantinople en tout cela. La paix séparée grécoturque, précipitamment conclue à la nouvelle de l'arrivée des Croisés, montre assez les sentiments véritables de Manuel Comnène. Quel que soit 129 «Augebatur etiam ex hoc et declarabatur perfidia, quod per regnum ejus sola incedebat multitude secura»», ebenda III, S. 42. 130 «Generalis est enim eorum sententia non imputari perjurium quod fit propter sacrum imperium»», ebenda III, S. 43. 131 Ebenda VII, S. 75. 132 B. Kugler, Studien, S. 116; F. Chalandon, Les Comnéne, S. 296 und S. 312 ff.; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 266 und S. 274 ff.

167

le jugement d'ensemble qu'on doive formuler sur la différence des points de vue latin et grec en présence de l'Islam, on ne peut se dissimuler que la conduite des Byzantins au cours de la traversée de l'Anatolie par les Français de la Deuxième Croisade ne justifie que trop l'hostilité des Ray­ mond de Poitiers et des Renaud de Châtillon contre l'Empire des Comnènes, sans parler — après tant de griefs accumulés et sournoise hostilité, patiemment supportée — de la terrible vengeance de 1204»133, und der­ selbe Verfasser von der «criminelle entente gréco-turque contre les Occi­ dentaux» und von der «trahison évidente» spricht134, so verstehen wir ohne weiteres, daß für alle jene, die die Ereignisse des zweiten Kreuzzuges nur in der Version Odos von Deuil und anderer Kreuzfahrer hörten, an Byzanz für ewig das Odium eines Verrates an der Christenheit hängen blieb, und die Idee einer Eroberung von Konstantinopel gewaltigen Auf­ trieb erhielt. Wer sollte denn überhaupt den Griechen je verzeihen kön­ nen? fragt Odo135, und er schreibt seinen Bericht einerseits, um die ganze Welt über die «dolosa facinora »der Griechen aufzuklären, andererseits aber in der Hoffnung auf Rache136. Die heftige Reaktion auf das kläg­ liche Scheitern des zweiten Kreuzzuges brachte denn auch wirklich bei­ nahe zustande, was schon Bohemund einst versucht hatte, eine anti­ byzantinische Koalition im Westen.

3. Die antibyzantinische Koalition im Westen

Der zweite Kreuzzug hatte, wenn wir an jene kühnen Prophezeiungen zurückdenken, mit ganz unbegrenzten Hoffnungen auf eine vollständige Neuordnung der unbefriedigenden Verhältnisse im Vorderen Orient be­ gonnen. Um so stärker war die Welle tiefster Enttäuschung, die nachher durch den Mißerfolg ausgelöst wurde. Otto von Freising vergaß völlig die freudige Erregung, die ihn zuvor erfüllt hatte, und brachte es nicht einmal mehr über sich, den Verlauf des Kreuzzuges aufzuzeichnen137.

133 R.Grousset, Histoire des Croisades Bd.II, S. 245. 134 Ebenda S. 234; vgl. auch das eher negative und einseitige Urteil über Byzanz bei A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge Bd. I, S. 173 und S. 175. 135 «Sed Greco quomodo parcet justus judex, Deus vel homo, qui dolosa crudelitate tot Christianos occidit utriusque exercitus?», Odo von Deuil, De Ludovici prof. VII, S. 76. 136 «Dat autem nobis, qui pertulimus Grecorum scelera, divina iusticia spem vindicte et quod nostre gentes non solent verecundas injurias diu ferre. His interim mestos animos consolamur, et, ut sciant posteri Grecorum dolosa facinora, nostra infortunia prosequemur...», ebenda V, S. 59. 137 Otto von Freising, Gesta Friderici, I, 47, MG. SS. in us. schol. S. 65. 168

Da man ja, wie wir feststellen konnten, doch immer noch in Byzanz den Angelpunkt der Geschicke des Orients und der Kreuzzüge sah, war es nur natürlich, daß man jetzt auch die Ursache des Unglücks dort suchte und sich nachträglich noch einmal mit dem Problem Byzanz auseinan­ dersetzte. Daß aber die sich gegen Byzanz richtende Einstellung über das Stadium bloßer Hetzreden hinaus zu einem tatsächlichen politischen Projekt führte, war wie schon mehrere Male in erster Linie der konse­ quenten Politik der Normannen zu danken, deren Einfluß auch während des zweiten Kreuzzuges von Anfang an spürbar war. Man stand damals in jener «Epoche einer allgemeinen europäischen Politik, deren Fäden im Mittelmeerbecken zusammenliefen»»138 und in der das normannische Königreich von Sizilien eine entscheidende Rolle spielte. Immer deutlicher rückten für den Westen die Normannen ins Zentrum des Interesses. Da aber das eine große Problem ihrer Politik damals in ihrem Verhältnis zu Byzanz lag und sich also hierin mit den allgemeinen Kreuzzugsinteressen überschnitt, läßt sich aus der Einstellung der andern Mächte zur Existenz und Politik des normannischen Staates gleichzeitig auch bis zu einem ge­ wissen Grade deren Einstellung zu Byzanz ablesen, denn ganz parallel zum steigenden Ansehen der Normannen fiel das Ansehen von Byzanz auf einen Tiefpunkt. Normannische Politik gegenüber Byzanz und das Urteil des Westens

Normannische Ausgangsposition war damals nicht mehr wie für Ro­ bert Guiskard ein noch ungefestigtes Herzogtum Apulien oder gar wie für Bohemund nur das kleine Fürstentum Tarent, sondern es war Roger II. unterdessen gelungen, Sizilien und Süditalien zu einem mächtigen Reich zu vereinigen. Die Königskrönung zu Palermo von 1130 hatte die neu entstandene Macht allen Zeitgenossen zum Bewußtsein gebracht und zu­ gleich in ganz Europa einen entrüsteten Protest wachgerufen139. Papst Innozenz II., die kirchlichen Kreise Frankreichs, einzelne italienische Seestädte, der deutsche Kaiser und aus der Feme Byzanz fanden sich in der normannischen Frage, die ja, weil Roger den Gegenpapst unterstützte, auch noch eng mit dem damaligen abendländischen Kirchenschisma zusammenhing, als Gleichgesinnte zusammen, und das normannische Königreich stieß zunächst einmal beim ganzen «europäischen Staaten­ system»», das sich gerade damals immer deutlicher abzuzeichnen be­

138 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 303. 239 Zum Folgenden vgl. E. Caspar, Roger II. und die Gründung der normannisch-sicilischen Monarchie, S. 133 ff. 169

gann 14°, auf geschlossene Ablehnung. Wortführer der antinormannischen Richtung war der sich sehr aktiv in die Politik einmischende Bernhard von Clairvaux, der auf die öffentliche Meinung seiner Zeit unglaublichen Einfluß besaß. In heftiger Polemik forderte er wiederholt alle zur Besei­ tigung des «Schismatikers», «Räubers» und «Usurpators» auf140 141 und pries die Raubzüge der Pisaner gegen die normannische Küste als höchst ver­ dienstvolle Tat142. Doch obwohl sich Kaiser Lothar weigerte, den «halb­ heidnischen Tyrannen» mit Süditalien zu belehnen143, vermochte er auf seinem Italienzug das neue Königreich nicht zu erschüttern. Der norman­ nische «Emporkömmling» konnte sich behaupten, blieb aber noch bei allen verfehmt. Infolge dieser Situation war Roger II. gezwungen, seine Politik gegen­ über Byzanz vorläufig allein ins Werk zu setzen. Diese Politik und die Ansprüche der Normannen überhaupt waren sich in jeder Beziehung gleichgeblieben, und zwar sowohl was die Normannen in Süditalien wie auch diejenigen in byzantinischen Diensten betraf! So erlebte zum Bei­ spiel Byzanz gleich zu Beginn der Regierung Kaiser Manuels (1143) durch einen normannischen Söldner eine erstaunlich ähnliche Bedrohung wie einst durch Ursel von Bailleul. Auch die straffe Regierung Rogers II. veranlaßte nämlich, wie früher schon, viele normannische Barone zur Flucht nach Konstantinopel, das ihnen die gewohnte freundliche Auf­ nahme bereitete. Einer dieser normannischen Emigranten, mit Namen Roger, über dessen Herkunft weiter nichts bekannt ist, gelangte am byzan­ tinischen Hof zu hohen Ehren. Er wurde mit dem Titel eines Caesars ausgezeichnet und erhielt sogar eine Tochter Kaiser Johannes II. zur Ge­ mahlin. Nach dem plötzlichen Tod des Kaisers aber versuchte Caesar Roger sofort die Abwesenheit des Nachfolgers Manuel auszunützen und mit Hilfe seiner normannischen Landsleute den Kaiserthron für sich zu gewinnen! Die Verschwörung wurde zwar rasch niedergeschlagen, doch sie bleibt ein Zeugnis für den unausrottbaren Ehrgeiz der Normannen, sich an die Stelle der byzantinischen Kaiser zu setzen144. Den alten Traditionen ebenso getreu blieb auch die Politik des norman­ nischen Königs selber! RogerII. hatte zwar das gleiche Interesse für Afrika 140 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 305; W. Ohnsorge, Abendland und Byzanz, S. 366, Anm. 13. 141 Bernhard von Clairvaux, Briefe Nr. 139, Migne PL. 182, S. 294; 129, S. 285; 127, S. 282; 130, S. 285. 142 Ebenda 140, S. 295. 143 «... semipagano tiranno tradere provinciam omnino recusavit», Annalista Saxo, MG. SS. VI, S. 774. 144 Job. Kinnamos, II, 4, Migne PG. 133, S. 354; vgl. F. Chalandon, Histoire de la domination normande Bd. II, S. 127 ff. und Les Comnene, S. 197.

170

wie schon sein Vater, doch war es von Anfang an klar, daß er im Gegensatz zu Roger I. auch die gegen Byzanz gerichtete Politik Robert Guiskards und Bohemunds wiederaufnehmen würde. Manuel und die Griechen seien ihm tief verhaßt gewesen, berichtet über ihn eine Quelle145, und so äußerte sich denn die wachsende Macht seines Staates nicht nur in Streif­ zügen gegen die afrikanische Küste, sondern schon bald auch wieder in Übergriffen der beweglichen sizilianischen Flotte gegen byzantinisches Gebiet146. Roger versuchte sogar, sich erneut an die strategische Kon­ zeption Bohemunds von Tarent zu halten, das heißt Byzanz gleichzeitig von Italien und Antiochien her zu umklammern. Mit dieser Absicht er­ hob er nach dem Tode Bohemunds II. im Jahre 1131 in seiner Eigen­ schaft als neuer Herr des Fürstentums Tarent, zu welchem seiner Auf­ fassung nach Antiochien gehörte, und zudem als naher Verwandter des verstorbenen Fürsten Erbanspruch auf die Herrschaft über Antiochien147. Seine Absichten wurden jedoch durchkreuzt, und auch spätere Versuche des normannischen Königs, sich in Antiochien Anhänger und Einfluß zu verschaffen, blieben ohne Erfolg148. Doch für Byzanz war dieses Ein­ greifen Rogers in die heikle antiochenische Frage ein deutliches Anzei­ chen für die Gefahr, welche ihm von Sizilien her drohte! Im Hinblick auf seine sehr angefochtene und stets von einem Bündnis der beiden Kaiser bedrohte Stellung bemühte sich Roger zwar eine Zeitlang um gute Beziehungen zu Byzanz. Seine Haltung gegenüber der grie­ chischen Kirche war schon immer äußerst tolerant gewesen, und wäh­ rend der Streitigkeiten mit dem Papst scheint man in des Königs Umge­ bung sogar den Gedanken erwogen zu haben, die Kirche Süditaliens wie­ der dem Patriarchat von Byzanz zu unterstellen!149 Auch von solchen Fragen aus war also ein Anknüpfungspunkt für Verhandlungen gegeben. So ließ denn Roger 1143 dem byzantinischen Kaiser ein Heiratsprojekt 145 «Is quidem Rogerius rex, cum predictum Manuelem imperatorem et Gre­ cos admodum haberet exosos, Romaniam sepius offendebat»», Historia ducum Venetorum, MG. SS. XIV, S. 75. 146 «Qui partem Romani inperii et terram Grecorum nimis vexaverat», Annalista Saxo, MG. SS. VI, S. 769. 147 «... Rogerus ... Antiochiam cum omnibus pertinentiis suis, quasi jure sibi debitam hereditario, tanquam domino Boamundo consanguíneo suo volens succedere, vindicabat», Wilhelm von Tyrus, Historia rerum XIV, 9, RHC. Occ. I, S. 619; E. Caspar, Roger II., S. 166. 148 E. Caspar, Roger II, S. 359. 149 Vgl. E. Caspar, Roger II., S. 346 ff., und die dort angegebenen Zitate aus der Geschichte der fünf Patriarchate von Nilus Doxapatrius. Vgl. dazu J. Deer, The dynastic porphyry tombs of the Norman period in Sicily, Cambridge Mass. 1959, S. 5. 171

vorlegen und bat um eine byzantinische Prinzessin für einen seiner Söhne150, ein Vorschlag, wie er zur Zeit Guiskards schon einmal von Byzanz ausgegangen war. Doch selbst bei diesen Verhandlungen trat das eigentliche Ziel der Normannen klar hervor: Roger brachte durch Gold und Überredung den byzantinischen Unterhändler dazu, Bedingungen an­ zunehmen, von denen eine höchst bezeichnenderweise lautete, Roger II. solle künftig den gleichen Rang einnehmen wie der Basileus der Rhomäer!151 Auch hier wieder kommt in der beanspruchten Titulatur die Ri­ valität zu Byzanz sichtbar zum Ausdruck! Doch das ist bei weitem nicht das einzige Anzeichen. J. Deer hat gezeigt, wie der Wunsch des Norman­ nenkönigs, den Nachfolgern Konstantins des Großen ebenbürtig zu sein, sich in einer «bewußten Nachahmung des Kaiserhofes von Byzanz auf allen Gebieten der monarchischen Repräsentation» geltend machte. Ro­ ger versah sich bis in alle Einzelheiten mit den äußerlichen Vorrechten und Abzeichen der kaiserlichen Macht. In der Einführung eines streng byzantinischen Hofzeremoniells und der Proskynese, in der Anpas­ sung des Königstitels an denjenigen des Basileus, in der Verwen­ dung von Purpurfarbe und Goldbullen, in den kostbaren Insignien und Gewändern, in Mosaiken und Skulpturen, im strahlenden Glanz der Bauten von Palermo, Cefalü und Monreale äußerte sich überall derselbe kühne Ehrgeiz und der Wille nach Gleichstellung mit Byzanz152. Mit begreiflicher Empörung vermerkte der byzantinische Chronist Kinnamos den von Roger erhobenen Ranganspruch, und Kaiser Manuel ver­ weigerte selbstverständlich seine Zustimmung zu dieser Anmaßung, ja er ließ sogar die normannischen Gesandten, die seinen Unterhändler zurück­ begleitet hatten, ins Gefängnis werfen. Roger, der nun eine Verständigung über die beiderseitigen Prestigeansprüche für aussichtslos hielt, nahm dies als Vorwand, um die Rivalität in offene Feindschaft übergehen zu lassen und gegenüber Byzanz den Krieg zu eröffnen153. Gelegenheit dazu bot der zweite Kreuzzug, der die politische Lage sehr stark zugunsten Rogers veränderte, indem er ihm endlich offizielle Aner­ kennung verschaffte und die andern Staaten dazu brachte, die Norman­ nen in ihre Projekte miteinzubeziehen, ja schließlich sogar auf die nor­ mannische Politik gegenüber Byzanz einzugehen. Der Versuch, schon zu Beginn des Kreuzzugs eine Koalition im Interesse der normannischen

150 E. Caspar, Roger IL, S. 362 ff. 151 «Άλλ’ έκεϊνος χρυσίφ κλαπεις παρ αύτοΰ άλλόκοτά τινα ώμολόγει, ών δέ κεφάλαιον ήν τό έν ισω μεγαλείου βασιλέα τε του λοιπού και ’Ρογέριον εσεσΘαι», Joh. Kinnamos, III, 2, Migne, PG. 133, S. 420. 152 Vgl. J. Deer, Der Kaiserornat Friedrichs IL, Bern 1952, S. 13 ff. 153 Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 424.

172

Pläne im Osten aufzubauen, schlug zwar fehl. Als in Frankreich über den Reiseweg verhandelt wurde und Roger nicht ohne eigennützige Absichten bereitwillig versprach, seine Flotte und Proviant zur Verfügung zu stellen, ja selber am Kreuzzuge teilzunehmen, falls Ludwig sich entschließe, über Süditalien zu reisen, überwog noch das Mißtrauen gegen die Normannen und wohl auch die Tradition des ersten Kreuzzuges: man entschied sich für den Landweg. Doch bereits begann sich am französischen Hof eine den Normannen gewogene, antibyzantinische Partei zu bilden, und die gezielte Propaganda von Rogers Gesandten, die, um das Gedächtnis der Franzosen aufzufrischen, nachdrücklich an die notorische Treulosigkeit und Hinterlist der Griechen erinnerten154 und düstere Erfahrungen mit «dolis Grecorum»155 prophezeiten, blieb nicht ohne Erfolg. Roger war jedoch immer noch gezwungen, allein zu handeln. Da man seinen Beitrag als «Kreuzfahrer» abgelehnt hatte, gab er diese Rolle auf, die einst Bohemund mit viel Geschick gespielt hatte. Er spekulierte auf die griechenfeindliche Partei im französischen Heer und schlug los, so­ bald der kritische Augenblick gekommen war, das heißt, als die byzan­ tinische Abwehr durch das vor Konstantinopel liegende Kreuzfahrerheer gelähmt wurde. In raschem Zuge besetzte die sizilische Flotte die Schlüs­ selstellung von Korfu, umschiffte den Peloponnes und drang bis Euböa vor156, dies genau zu dem Zeitpunkt, da Gottfried von Langres und seine Anhänger den französischen König drängten, mit Roger ein Bündnis ab­ zuschließen und gemeinsam Konstantinopel anzugreifen! Die Unterstüt­ zung durch die normannische Flotte hätte dem Unternehmen entschie­ dene Aussichten auf Erfolg verliehen, und Konstantinopel wäre bereits 60 Jahre früher in lateinische Hand gefallen! Doch der Plan scheiterte an der diesmal festen Haltung Ludwigs VII., und auf die Nachricht hin, daß die Franzosen den Übergang nach Kleinasien vollzogen hätten, kehrte Rogers Flotte um, nicht ohne auf dem Rückweg noch die reichen Städte Korinth und Theben zu plündern und sich durch eine starke Besatzung in Korfu ein Einfallstor für einen vierten Invaisonsversuch gegen Grie­ chenland zu sichern. Kaiser Manuel hatte seit langem den Krieg gegen RogerII. kommen se­ hen und hauptsächlich aus diesem Grunde den Waffenstillstand mit dem

154 Odo von Deuil, De Ludovici prof. I, S. 23. 155 «Tunc viri nobiles, régis Rogeri nuncii, confusi abeunt, dolentium habitu domini sui satis expresse monstrantes affectum, de dolis Grecorum predicentes nobis quod postea sumus experti», ebenda S. 24. 156 E. Caspar, Roger IL, S. 376 ff.; F. Chaiandon, Les Comnène, S. 318 ff. und Histoire de la domination norm. Bd. II, S. 135.

173

Sultan von Ikonion geschlossen, aber er hatte wohl doch nicht erwartet, daß der normannische König derart unverfroren den Kreuzzug für seine eigenen Pläne ausnützen würde. Wenn die Kreuzfahrer Manuel wegen seiner Haltung gegenüber dem Kreuzzug einen Verräter an der christ­ lichen Sache nannten, so konnte der byzantinische Kaiser mindestens mit ebensoviel Berechtigung den «Tyrannen von Sizilien», den «Drachen aus dem Westen», der hinterhältig das römische Reich mit Feuer und Schwert überfallen habe, einen «Feind der Christenheit» nennen, und wie einst Josua vor den Mauern Jerichos durch die Posaunen nun durch die Ge­ bete seiner Bischöfe die Gnade Gottes für den Kampf gegen Roger er­ flehen157. Doch wie zum Spott auf diese gerechte Empörung der Byzan­ tiner holte Roger 1149 zu einem weiteren verwegenen Schachzug aus. Während Manuel noch mit der Rückeroberung Korfus beschäftigt war, konnte eine zu Ablenkungsmanövern ausgeschickte normannische Flotte unter ihrem berühmten Admiral Georg von Antiochien durch byzan­ tinische Schiffe nicht aufgehalten werden, sondern stieß herausfordernd bis in die Gewässer von Konstantinopel vor! Einige Vororte wurden ein­ geäschert, ja der kühne Admiral ließ sogar Früchte aus den kaiserlichen Gärten rauben und Brandpfeile bis in den Kaiserpalast schießen!158 Nichts zeigt deutlicher als diese erste normannische Flotte, die von Westen her drohend vor Konstantinopel erschien, daß das Endziel Rogers II. das glei­ che geblieben war wie dasjenige seiner Vorgänger Robert Guiskard und Bohemund. Auch auf ihn wirkte trotz seiner afrikanischen Pläne die un­ widerstehliche Anziehungskraft von Byzanz, das die Normannen immer wieder dazu reizte, ihre Kraft an ihm zu messen. Zwar erreichte Roger sein letztes Ziel nicht, aber sein Raubzug blieb ungestraft, und entscheidend war, daß im Gegensatz zu der hellen Em­ pörung in Byzanz sein Vorgehen im Westen auf keinerlei Kritik stieß. 157 «ώσπερ τινά τείχη καθελείν έπειγομένη ίεριχούντεια τάς του κοινού τών χριστιανών έχθρού οχυρώσεις, του δυτικού λέγω δράκοντος, τού τής σικελικής κατατυραννούντος γής, κάκεΐθεν κατα τής τών φωμαίων έπικρατείας λάθρα έρπύσαντος, άναλόγως οία πνευματικός τινας σάλπιγγας τάς τών τον θεόν έξιλεουμένιον καθ’ έκάστην ύπέρ ήμών αρχιερέων εύχάς προς εκείνου καθαίρεσιν συνεργούσας έδέησεν», Urkunde Manuels, Februar 1148, in: C. Zachariae von Lingenthal, Jus Graeco-Romanum Bd. III, S. 443. 158 «Hic Constantinopoli pergens, in palacium regium sagitas ígneas iniectit, et, incensis suburbanis, de fructibus ortorum regis violenter abstulit», An­ drea Dándolo, Chronicon, R. I. SS. Neue Ausgabe Bd. XII1Z S. 243. Ein an­ derer Chronist spricht bezeichnenderweise nicht von Brandpfeilen, sondern von «saggittas aureas» (!), Sigeberti Continuatio Praemonstr. MG. SS. VI, S. 454; vgl. Joh. Kinnamos, III, 5, Migne PG. 133, S. 429; E. Caspar, Roger II., S. 393 ff., F. Chalandon, Les Comnene, S. 331.

174

Der dort inzwischen erfolgte Umschwung läßt sich deutlich an der verän­ derten Einstellung zu Roger ermessen. Als der unglückliche Ausgang des zweiten Kreuzzuges bekanntgeworden war und jedermann die Griechen dafür verantwortlich machte, fand sich kein Chronist, um die Plünderung Korinths zu tadeln. Bei denjenigen, die den normannischen Raubzug ge­ gen die Byzantiner überhaupt zur Kenntnis nahmen, hatte der Krieg gegen Griechenland im Gegenteil Rogers Stellung gestärkt und ihm neue Sym­ pathien erworben. Führende Vertreter der Kirche wie Bernhard von Clair­ vaux, Suger von St. Denis und Peter von Cluny standen nun mit ihm in freundschaftlichem Verkehr. Von Empörung über den Emporkömmling war nichts mehr zu spüren. Sogar Otto von Freising sprach nur von der Schmach für den byzantinischen Kaiser und vom Ruhm des normanni­ schen Königs159. Odo von Deuil nannte Roger einen «rex potens et sa­ piens« und betonte mit Stolz, er sei «nostrarum partium oriundus«!160 Wie die ihm zuteil werdende Einschätzung durch Bernhard von Clairvaux und Peter den Ehrwürdigen beweist161, war der einstige «Schismatiker, Räuber und Usurpator» Roger auf dem besten Wege, wie früher Bohemund, für seinen Krieg gegen Byzanz mit der Gloriole des «Kreuzfahrers« umgeben zu werden und im Urteil des Westens als «verus miles Christi« zu gelten162. Deutlicher als die erhaltenen Dokumente über die nun sich formende Koalition zeigt diese Umbewertung des normannischen Kö­ nigs, wie stark im Westen von neuem die Zweifel an der Lebensberech­ tigung von Byzanz waren. Als es zudem normannischen Schiffen gelang, den aus Palästina heim­ kehrenden französischen König vor einem Zusammenstoß mit den Byzan­ tinern zu bewahren, fand diese Tat ein für die Normannen äußerst gün­ stiges Echo in Frankreich und Italien und verstärkte die Mißstimmung gegen die Griechen. Der Hergang dieses Zwischenfalls ist nicht völlig klar. Wie westliche Chronisten behaupten, lauerten die Byzantiner ab­ sichtlich Ludwig VII. auf, um ihn zu einer Unterredung mit seinem «Freund« Manuel zu zwingen, und der französische König konnte sich nur mit Mühe auf ein normannisches Schiff retten, das ihn heil nach Kala­ brien brachte, während einiger seiner Leute längere Zeit von den Grie­

159 «... ob ignominiam imperatoris illius suique principis gloriam«, Otto von Freising, Gesta Friderici, I, 33, MG. SS. in us. schol. S. 53; ebenfalls ohne Tadel wird der Krieg von Odo von Deuil erwähnt, De Ludovici prof., IV, S. 53. 160 Ebenda I, S. 24. 161 Vgl. unten S. 178 und 177. 162 Vgl. oben S. 121.

175

chen zurückgehalten wurden163. Der anschließende Besuch Ludwigs im normannischen Süditalien, wo er offiziell mit Roger zu Besprechungen zusammentraf, stand in deutlichem Kontrast zum beinahe gleichzeitigen Aufenthalt Konrads III. in Konstantinopel. Gegenüber der erneuten An­ näherung zwischen dem deutschen Reich und Byzanz waren nun offen­ sichtlich auch Voraussetzungen für eine gegen Byzanz gerichtete Koalition vorhanden. Die konsequent antibyzantinische Politik der Normannen fand endlich den gesuchten Rückhalt bei all denen, die unter dem Ein­ druck des unerwarteten Fiaskos des Kreuzzuges standen. Wieder einmal verschmolzen normannische Aspirationen und Kreuzzugseifer zu einer Einheit, und es zeichnete sich das Projekt eines neuen Kreuzzuges ab, der mit einem Angriff auf Byzanz beginnen sollte.

Byzanz als Sündenbock

Die meisten westlichen Chronisten fühlten sich verpflichtet, irgendeine Erklärung für den Mißerfolg des zweiten Kreuzzuges, für die «numquam audita tanta infelicitas tanti exercitus»164 und den «dampnum tarnen irreparabile illatum Christiane religioni»165 zu geben. Was lag da näher, als sich an die Version Odos von Deuil zu halten166, die wohl auch von andern Kreuzzugsteilnehmern bestätigt wurde! Wirklich läuft denn auch die alte Klage über die Hinterhältigkeit der Griechen wie ein roter Faden durch alle Chroniken, und unfehlbar taucht bei der Schilderung des Marsches durch Kleinasien das Stichwort «dolus Grecorum»» auf. Wir fin­ den es sowohl in der Historia pontificalis des Johannes von Salisbury167, in den verschiedenen Fortsetzungen der Chronik Siegeberts von Gem-

163 «Sed redeunti galee imperatoris Constantinopolitani tetenderunt insidias... Rex eciam conuentus ut rediret ad fratrem suum et amicum Constantinopolitanum...»», Johannes von Salisbury, Historia Pontificalis, 28, hg. R. L. Poole, S. 61; vgl. Wilhelm, Dialogus apol. 16, Revue Mabillon 1942, S.109; Andrea Dandolo, Chronicon, R. I. SS. Neue Ausgabe Bd. XII1Z S. 243; und dazu S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 286. 164 Sigeberti Auctarium Aquicinense, MG. SS. VI, S. 395. 165 Johannes von Salisbury, Historia Pontificalis, 5, S. 12; vgl. dazu auch G. Constable, The Second Crusade as seen by Contemporaries, Traditio IX (1953), S. 213-279. 166 Odo selber berichtete in Rom dem Papst, der ihm mit großem Interesse zuhörte, von seiner Reise, vgl. Wilhelm, Dialogus apol. 16, Revue Mabillon 1942, S. 109. 167 «.. .dolo Constantinopolitani imperatoris»», Johannes von Salisbury, Histo­ ria Pontificalis 24, S. 54.

176

bloux168 als auch in Helmolds Chronik der Slaven169. Gerhoh von Rei­ chersberg weiß davon zu erzählen170, und sogar venezianische und pisanische Berichterstatter stoßen ins gleiche Horn171. Ja, selbst ein Mann wie Wilhelm von Tyrus, der selber im Osten lebte, spricht mit Bezug auf jene Ereignisse von der «innata malitia» der Griechen172. Abgesehen von den Chronisten gaben aber auch führende Persönlichkeiten der Zeit ihrer Empörung über Byzanz Ausdruck und schreckten vor den Konsequenzen dieser Haltung nicht zurück.

Peter der Ehrwürdige Am krassesten wirkt der Stimmungsumschwung bei Peter dem Ehr­ würdigen. Der gleiche Abt von Cluny, der einst in so überschwänglichen Worten Byzanz als unersetzliche Verteidigerin der Christenheit gepriesen hatte, erging sich jetzt in den heftigsten Anklagen. Schon immer hatte er die byzantinische Auffassung abgelehnt, wonach Antiochien dem Kai­ ser gehören müsse, um eine wirksame Verteidigung des byzantinischen Reiches zu ermöglichen. Er war im Gegenteil der festen Meinung, die Kreuzfahrerstaaten stellten einen nicht geringen Schutz für Byzanz dar, weil sie einen großen Teil der Angriffe aus dem Osten auffingen173. Um so unbegreiflicher war es deshalb für ihn, wieso Byzanz sich nun derart undankbar für diesen Schutz erweisen und einen so «schändlichen, uner­ hörten und beklagenswerten Verrat» an den Kreuzfahrern begehen konnte. Nur ein Gedanke beseelte ihn und, wie er an Roger schreibt, auch bei­ nahe alle anderen Franzosen in jenem Augenblick: der Gedanke, sich an 168 «... dolo et astu Grecorum», Sigeberti Cont. Praemonstr. MG. SS. VI, S. 453; «... dolo Grecorum» und «fraude Manuelis», Sigeberti Cont. Valcellensis, MG. SS. VI, S. 460. 169 «... dolo legati regis Greciae», Helmold, Cronica Slavorum, I, 60, MG. SS. in us. schol. S. 117. 170 «... a Grecis callide circumventus», Gerhoh von Reichersberg, De investigatione Antichristi I, 59, MG. Lib. de lite III, S. 375. 171 «... dolo et astucia Grecorum», Andrea Dandolo, Chronica, R. I. SS. Neue Ausgabe Bd. XII1Z S. 242; «Lonperadore de Gostantinopoli propter multitudinem Curradi imperatoris de Alamannia fecit eum tradere et menare per la terra del Turchi», Notae Pisanae, MG. SS. XIX, S. 266. 172 «Verum Graeci innata usi malitia, et consueto in nostros ducti odio, sive de mandato domini sui, sive hostium corrupti pecunia, studiose et ex industria per devia coeperunt trahere legiones», Wilhelm von Tyrus, Hi­ storia Rerum, XVI, 20, RHC. Occ. I2, S. 739. 173 «... sed etiam tutela non parva imperii vestri, quando sicut vos Aquilonis, sic et illi impetus Orientis obtundent», Peter der Ehrwürdige, Briefe, II, 39, Migne PL. 189, S. 261

177

den Griechen dafür zu rächen, daß «durch einen so elendiglichen Be­ trug die Blüte Galliens und Germaniens vernichtet worden war«174. Nie­ mand aber schien ihm für dieses heilige Werk der Rache an Byzanz, für dieses «opus tarn sacrum, tarn coelo et terrae optabile«, berufener als eben Roger von Sizilien, dessen Name mit denjenigen anderer Könige und Freunde des Kluniazenserordens im Kapitel der Mönche erwähnt wurde. Ihn, den normannischen König, rief Peter der Ehrwürdige auf, jetzt als Rächer «so vieler Schandtaten und soviel Unrechts, so vieler Toter und soviel ruchlos vergossenen Blutes« offen hervorzutreten175, und der in seinen Hoffnungen so schwer enttäuschte Abt bot sich dem normannischen König als Vermittler in allen Schwierigkeiten an, die sich dieser Vergeltung in den Weg stellen könnten. Peter, der nur selten in die Politik eingriff und sich hauptsächlich seiner Ordensarbeit wid­ mete, gab wohl vor allem seiner persönlichen Erregung Ausdruck in die­ sem Brief, doch unterdessen arbeitete bereits Bernhard von Clairvaux mit ganzer Energie, um wirklich eine starke Koalition und zu diesem Zweck ein politisches Bündnis zwischen Roger und Konrad III. zustande zu bringen und damit die Voraussetzung für den neuen «Kreuzzug« zu schaffen.

Bernhard von Clairvaux Die politische Haltung Bernhards von Clairvaux erscheint uns heute oft sehr zwiespältig; für ihn selber aber war sie wohl in jedem Augen­ blicke klar und eindeutig, weil er immer nur aus einer bestimmten augen­ blicklichen Situation heraus urteilte. Zunächst hatte für sein politisches Denken nur das abendländische Schisma existiert und sein einziges Ziel war, Innozenz, für den er sich entschieden hatte, zur Anerkennung zu verhelfen. Da Roger sich diesem Ziel widersetzte, war er der Erzfeind, gegen den mit allen Mitteln zum Kampfe aufgerufen werden mußte. Das Schisma lieferte den Maßstab, nach dem Bernhard jedermann politisch 174 «Est et aliud quod longe magis accendit animos nostros, et animos pene omnium Gallorum nostrorum, ad amandam et quaerendam pacem vestram, illa scilicet pessima, inaudita et lamentabilis Graecorum, et nequarn regis eorum de peregrinis nostris, hoc est exercitu Dei viventis, facta proditio. Ut enim juxta quod in mente mea video loquar, si necesse esset, quantum ad monachum pertinere potest, non recusarem mori, si mortem tantorum, tarn nobilium, imo pene totius Galliae et Germaniae miserabili fraude exstinctum florem, justitia Dei per aliquem suorum dignaretur ulcisci», ebenda VI, 16, S. 424. 175 «Exsurge in adjutorium populo Dei, zelare sicut Machabaei legem Dei, ulciscere tot opprobria, tot injurias, tot mortes, tantum tarn impie effusum sanguinem exercitus Dei«, ebenda.

178

einschätzte, lobte oder verdammte. Mit der Beseitigung des Schismas fiel deshalb auch dieser Maßstab dahin, und es bestand für Bernhard nicht mehr das geringste Hindernis, nun mit dem Feind von gestern in enge Beziehung zu treten. Wenn er auch dem deutschen König gegenüber weiterhin betonte, wie sehr ihn die Schädigung des Reichs durch die Normannen schmerze176, so anerkannte er nun trotzdem Roger voll und ganz als König von Sizilien, dessen Ruhm die ganze Welt erfülle, schrieb ihm in tiefster Ergebenheit, wie sehr er sich freue, vor des Königs Antlitz Gnade gefunden zu haben, und verehrte in ihm den gütigen Wohltäter der Zisterzienser177. Dann rückte der zweite Kreuzzug ins Zentrum von Bernhards Inter­ esse und bestimmte seine neue politische Blickrichtung. Mit derselben Intensität und Ausschließlichkeit wie vorher der Aufhebung des Schis­ mas widmete er jetzt seine Kraft dem Kreuzzug und beurteilte alles Ge­ schehen nur noch unter diesem Gesichtspunkt. Er hatte sein ganzes Pre­ stige eingesetzt, als er schließlich sogar Konrad III. trotz dessen Wider­ streben zum Aufbruch bewog. Der Kreuzzug war deshalb so eng mit Bern­ hards Person verbunden, daß sich unweigerlich nach dem Scheitern des Unternehmens auch die Vorwürfe gegen ihn richteten178 und er sich ge­ zwungen sah, sich zu verteidigen179. Ihn vor allem mußten deshalb Pläne für einen neuen Kreuzzug interessieren, denn allein ein durch­ schlagender Erfolg konnte das Versagen des zweiten Kreuzzugs gutmachen und Bernhards geschädigtes Ansehen wiederherstellen. So wurde er be­ greiflicherweise zum treibenden Element in den nun folgenden Ver­ handlungen. Schon zu seiner eigenen Zeit hat man Bernhard Übereifer und Leicht­ gläubigkeit vorgeworfen180. Im damaligen Augenblick schien er über­ haupt nicht mehr zu erfassen, was hinter Rogers Plänen steckte. Er, der früher so unerbittlich den rücksichtslosen sizilianischen Usurpator ge­ tadelt hatte, sah jetzt wie Peter der Ehrwürdige in Roger nicht mehr den nach Ausdehnung seiner Macht strebenden Normannen, sondern nur noch den Vorkämpfer der Christenheit, der vorbildlicherweise zu einer sofortigen Erneuerung des Kreuzzuges bereit war. Als daher Rogers Ini­ tiative Widerhall fand, und sich allen Ernstes die Möglichkeit eines neuen 176 Bernhard von Clairvaux, Brief 183, Migne PL. 182, S. 345; E. Caspar, Ro­ ger II., S. 367 ff. 177 Bernhard von Clairvaux, Briefe Nr. 207, 208, 209, Migne PL. 182, S. 374 ff.; E. Vacandard, Leben des hl. Bernhard von Clairvaux Bd. II, S. 68 ff. 178 S. Bernardi Vita, III, 4; Migne PL. 185, S. 308. 179 Bernhard von Clairvaux, De Consideratione, II, 1; Migne PL. 182, S. 741 ff. 180 Otto von Freising, Gesta Friderici, I, 49, MG. SS. in us. schol. S. 68.

179

Unternehmens abzeichnete, warf sich Bernhard mit gewohnter Leiden­ schaftlichkeit auf die neue Aufgabe und begann ohne Bedenken überall für Rogers «Kreuzzug« zu werben. Leider sind Bernhards eigene Briefe zu dieser Frage verlorengegangen. Doch Wibald, der einflußreiche Berater am Hofe Konrads in., läßt uns deren ungefähren Inhalt erahnen,· wir müssen uns zu seinen kurzen Worten nur die unerschöpfliche Beredsam­ keit Bernhards hinzudenken! Wibald berichtet, der Abt von Clairvaux habe an den deutschen König Briefe geschickt, in denen er den König von Sizilien außerordentlich lobe und empfehle, weil dieser für die Kir­ che «in multis utilis et necessarius« sei und in naher Zukunft noch viel nützlicher werden könne, wenn er nicht durch den deutschen König in seinem Vorhaben gehindert werde181. Bernhard versuchte also offenkun­ dig, Roger für seinen Krieg gegen die Griechen völlig freie Hand zu ver­ schaffen. Wieweit sich Bernhard wirklich bewußt war, daß der neue Kreuzzug unter normannischem Einfluß in erster Linie ein «Kreuzzug« gegen By­ zanz sein würde, ist schwer zu sagen. Sicher ging es ihm vor allem um einen erfolgreichen neuen Kreuzzug, und er gehörte wohl zu jenen, für die die Auseinandersetzung mit Byzanz nur die erste, wenn auch not­ wendige Etappe auf dem Weg nach Jerusalem war. Doch es ist nicht zu übersehen, daß der Griechenfeind Gottfried von Langres sein vertrautester Freund und Anhänger war, und in seiner nicht genau datierbaren Schrift «De Consideratione« ermahnt Bernhard selber den Papst ausdrücklich, etwas zu unternehmen gegen die «pertinacia Graecorum, qui nobiscum sunt et nobiscum non sunt, iuncti fide, pace divisi, quanquam et in fide ipsa claudicaverint a semitis rectis«!182 Deutlich spricht aus diesen Wor­ ten wieder das Mißbehagen über die zweideutige Stellung der Byzantiner, die nach der bitteren Erfahrung des zweiten Kreuzzuges erst recht nicht mehr länger erträglich schien. Ein Kreuzzug, der eine Neuordnung der Verhältnisse in Byzanz zum Ziele hatte, erschien darum wohl Bernhard als das geeignete Mittel, um dem unbefriedigenden Zustand ein Ende zu setzen, denn auch Bernhard akzeptierte nur zu gern Byzanz als Sünden­ bock für alles erlittene Unheil. 181 «... domnus abbas Clarevallensis misit domno regi litteras per episcopum Frisingensem, in quibus collaudabat dominum ilium Siciliae; eo quod in multis utilis et necessarius fuisset catholicae aecclesiae, futurus utilior, si non prohiberetur virtute et potentia nostri principis; de quorum pace et concordia se libenter acturum promittebat, si sciret, domino nostro non fore ingratum«, Wibald, Briefe Nr. 252; P. Jaffé, Bibl. rerum germanicarum Bd. I, S. 377. 182 Bernhard von Clairvaux, De Consideratione III, 1, Migne PL. 182, S. 760.

180

Zunächst sah es auch aus, als würde alles nach Wunsch verlaufen. Dank der Bemühungen Bernhards und Rogers standen eine Zeitlang die einflußreichsten Persönlichkeiten dem Projekt positiv gegenüber.

Ludwig VII., Suger von St. Denis und der Papst Ludwig VII., der sich zu Beginn des zweiten Kreuzzuges von den Hetz­ reden gegen Byzanz nicht hatte beeindrucken lassen, war seither in sei­ ner Meinung schwankend geworden. Wenn er auch sein Mißgeschick zur Hälfte der eigenen Schuld zuschrieb, so sprach doch nach dem Zug durch Kleinasien auch er von «fraude Imperatoris»» und von geheimem Einver­ ständnis zwischen Griechen und Türken183. Der Zwischenfall zur See auf der Heimreise, der als weitere Hinterhältigkeit der Byzantiner aufge­ faßt wurde, hatte ihn wohl vollends verärgert. Roger versäumte nicht, diesen psychologisch günstigen Moment auszunützen. Um Ludwig für seine Pläne zu gewinnen, ließ es Roger an keiner Aufmerksamkeit feh­ len184. Der nach den Mißhelligkeiten der Kreuzfahrt vom Empfang in Kalabrien angenehm überraschte König ging schließlich auf ein franzö­ sisch-sizilianisches Bündnis ein und scheint für den Kreuzzug gegen By­ zanz seine volle Unterstützung versprochen zu haben185. Nicht so einfach war es, die Zustimmung des Reichsverwalters und Abtes von St. Denis zu erreichen. Zwar empfand auch Suger tiefe Ent­ täuschung über den Ausgang des Kreuzzuges, und auch er spürte, daß es nötig war, das verlorene Prestige der Kreuzfahrer im Osten wieder­ herzustellen. Er schmiedete sogar selber Pläne für einen dritten Kreuz­ zug, um die erregte Stimmung in Frankreich sinnvoll auszunützen. Doch sollten weder der König noch die hohen französischen Adligen, deren Anwesenheit in Frankreich ihm dringend notwendig erschien, an dem neuen Versuch teilnehmen, sondern Suger dachte vor allem an eine finan­ zielle Hilfeleistung der Kirche an das Heilige Land, mittels welcher dann Soldtruppen hätten ausgerüstet werden können186. Als Suger von Bern­ hards Plänen erfuhr, war er wohl sehr überrascht. Schließlich aber scheint

183 «In quibus sane partibus, tum pro fraude imperatoris, tum pro culpa nostrorum, non pauca damna pertulimus et graviter quidem in multis periculis vexati sumus. Non defuerunt quippe nobis assiduae latronum insidiae, graves viarum difficultates, quotidiana bella Turcorum, qui permissione imperatoris in terram suam militiam Christi persequi vénérant»», Brief Lud­ wigs an Suger Nr. 39, Migne PL. 186, S. 1365. 184 Ebenda Nr. 94, S. 1394. 185 R. Hirsch, Studien zur Geschichte König Ludwigs VIL, S. 61 ff. 186 Vita Sugeri III, hg. A. Lecoy de la Marche, S. 398.

181

auch er sich dazu verstanden zu haben, seinen eigenen Plan mit der allgemeinen Koalition gegen Byzanz zu verschmelzen. Für einige Zeit scheint selbst beim Papst das Mißtrauen gegen die Grie­ chen das Übergewicht erhalten zu haben. Eugen III. befürchtete, der Ver­ trag, den Konrad bei seiner Rückkehr über Byzanz mit Manuel abgeschlos­ sen hatte, enthalte auch Bestimmungen über Italien und richte sich gegen die Interessen der römischen Kirche. Diese Bedenken der Kurie kamen in einem Brief des päpstlichen Kanzlers Guido an Abt Wibald deutlich zum Ausdruck187. Da der Papst zudem im Kampf gegen die Römer auf nor­ mannische Unterstützung angewiesen war, lenkte auch er vorübergehend in Rogers Politik ein. Als Ludwig VH. ihn auf dem Heimweg in Tusculum besuchte, erteilte er wohl dem französisch-normannischen Projekt seine Billigung. Wie Bernhard von Clairvaux verwandte sich in der Folge auch Kardinalbischof Dietwin für Roger beim deutschen König, wenn auch vor­ sichtigerweise nur in seinem eigenen Namen, nicht im Namen des Papstes188. So hatte nun nach Robert Guiskard und Bohemund auch Roger es er­ reicht, daß der geplante Vorstoß gegen Byzanz als ein rechtmäßiges, von der Kirche gebilligtes Unternehmen gelten konnte. Für kurze Zeit ließen sich sowohl der französische König wie der Papst von ihm in seine poli­ tischen Pläne einspannen. Wie stark auch diesmal die ausgelöste Bewe­ gung in ganz Frankreich um sich griff und wie offenkundig sie gegen Byzanz gerichtet war, illustrieren eindrücklich die Worte, die Kon­ rad III. darüber nach Byzanz schrieb: «Nunciatur nobis quod omnis Francorum populus cum ipso rege suo contra Imperium precellentissimi germani nostri conspiraret et arma movere, auctore et incentore Sicilye tyranno, cum omni virtutis suae conatu disponeret.« 189 Von neuem er­ wies sich die durch Prophezeiungen und Rivalität, Mißtrauen und Kreuz­ zugsärger hervorgerufene antibyzantinische Stimmung als tragfähige Grundlage, sobald ein zielbewußter politischer Wille ihr die Richtung wies!

187 «... rumores etiam increverunt... rex Conradus ... cum Constan tinopolitano imperatore sanctam Romanam aecclesiam... graviter si poterit affligere et infestare disponit», Wibald, Briefe Nr. 198, Bibl. rer. germ. Bd. I, S. 316; vgl. auch N. 252, S. 377, wo es heißt, Konrad III. sei «fastu et inobedientia Grecorum aliquantulum corruptus» ! Vgl. auch W. Bernhardi, Konrad III., S. 681. 188 Wibald, Briefe Nr. 252, Bibl. rer. germ. Bd. I, S. 377; W. Bernhardi, Kon­ rad III., S. 809 ff., R. Hirsch, Studien, S. 63 ff. 189 Wibald, Briefe Nr. 243, Bibl. rer. germ. Bd. I, S. 365.

182

An einem Punkt jedoch versagte Rogers diplomatische Kunst und dies­ mal auch Bernhards vielbewunderte Uberredungsgabe: Konrad III. verwei­ gerte seine Zustimmung zu dem Plan.

Das Scheitern der antibyzantinischen Koalition 1150

Nach seinem kläglichen Mißerfolg in Kleinasien hatte Konrad III. seine etwas herausfordernde Haltung gegenüber Byzanz völlig abgelegt und war in ein enges Freundschaftsverhältnis zum byzantinischen Kaiser getreten. Dazu bewogen ihn verschiedene Faktoren: Einmal war Konrads Interesse für die Verhältnisse im Orient von Anfang an eher gering gewesen; an­ dere Aufgaben im Westen standen für ihn im Vordergrund, und nur die Beredsamkeit Bernhards von Clairvaux hatte ihn gegen seine eigene Ein­ sicht für ein Kreuzzugsuntemehmen gewonnen. Zudem hatte ihm nun wohl die Erfahrung gezeigt, daß die Macht des byzantinischen Reiches eine Realität darstellte, mit der er im Osten nicht erfolgreich in Konkur­ renz zu treten vermochte, die aber für seine Politik in Italien eine wert­ volle Unterstützung bedeuten konnte. Gemeinsamer Feind beider Reiche war und blieb ja eben der neu aufgestiegene Normannenstaat in Süditalien. Roger II., der die politischen Konstellationen seiner Zeit sehr klar durch­ schaute und ausnützte, hatte schon vor dem zweiten Kreuzzug ein ener­ gisches Eingreifen Konrads III. in Italien zu verhindern versucht, indem er dessen Gegner in Deutschland, d. h. die Weifenpartei, unterstützte. Es war zu erwarten, daß er es weiterhin tun würde. Tatsächlich verbündete sich Roger II. auch nach dem zweiten Kreuzzug neuerdings mit dem über Italien heimkehrenden Welf VI., der versprach, den Kampf gegen den Staufer wieder aufzunehmen. Konrad III. war deshalb sehr daran gelegen, in Manuel einen Verbündeten gegen Roger II. zu finden, da er wohl nur bei einem Zusammengehen mit Byzanz darauf hoffen konnte, einen er­ folgreichen Feldzug in Süditalien führen zu können. Daß der byzantinische Kaiser seinerseits an einem Bündnis gegen Roger II. und dessen geschickte diplomatische Schachzüge interessiert war, braucht wohl nicht mehr wei­ ter belegt zu werden. Aus diesen Gründen ist es zu verstehen, daß Konrad III., von seiner persönlichen Begegnung mit Manuel stark beeindruckt, auf dem Rück­ weg über Konstantinopel das gegen Roger gerichtete Bündnis mit Manuel erneuerte und einen eigentlichen Vertrag für einen gemeinsamen Feld­ zug in Italien abschloß. Offenbar war Konrad bereit, dem byzantinischen Kaiser sogar territoriale Zugeständnisse in Italien zu machen und damit, zum mindesten für einige Zeit, ein Nebeneinander der beiden Reiche in

183

Italien zu akzeptieren19°. Er trug damit den damaligen, für ihn etwas pre­ kären Machtverhältnissen Rechnung. Der geplante Feldzug nach Süd­ italien mußte allerdings schließlich verschoben werden, da Rogers diplo­ matische Gegenmanöver teilweise erfolgreich waren und Konrad nach seiner Rückkehr durch neu auftauchende Auseinandersetzungen mit der Weifenpartei in Deutschland festgehalten wurde. An eine Versöhnung zwischen Konrad und Roger war aber unter die­ sen Umständen keineswegs zu denken und damit fiel die von Peter dem Ehrwürdigen, Bernhard von Clairvaux, Ludwig VII. und dem Papst als unumgänglich angesehene Voraussetzung für die Realisierung ihres «Kreuzzugsprojektes» dahin. Rasch setzte eine allgemeine Ernüchterung ein. Der durch den zweiten Kreuzzug ausgelöste Schock und der Wunsch nach Vergeltung verloren an Intensität, das Interesse für den Orient flaute wieder ab und man wandte sich näher liegenden politischen Fragen zu. Der Papst besann sich auf seine alten Streitigkeiten mit den Normannen, rückte deutlich von Rogers Politik ab und begann mit einem Italienzug des deutschen Königs zu rechnen, der ihm Unterstützung gegen die stets unbequemen Nachbarn bringen werde. Jedes Einverständnis mit Roger und Bernhard von Clair­ vaux wurde nun von Seiten der Kurie bestritten190 191. Die veränderte Hal­ tung des Papstes hatte sofortige Rückwirkungen auf Frankreich, wo sich der Enthusiasmus spürbar abkühlte. Die französischen Adligen hatten ohnehin keine sehr große Begeisterung gezeigt, und auch Ludwig VII. empfand wohl die Verpflichtung zu einem neuen Kreuzzug längst als lästig. Er war froh, infolge der Weigerung Konrads und der Meinungs­ änderung des Papstes sein Versprechen nicht einlösen zu müssen. Suger von St. Denis hatte von Anfang an einem völlig anders gearteten Plan den Vorzug gegeben und nahm ihn jetzt wieder auf. Nur Bernhard von Clairvaux hielt unerschütterlich an dem neuen Kreuzzugsplan fest; doch auch er mußte sich eingestehen, daß der zuletzt noch zustandegekommene Beschluß, ihn, Bernhard, zum Führer zu wählen, völlig verfehlt war. Das Unternehmen verlief im Sande; die großangelegte antibyzan­ tinische Koalition scheiterte — ohne sich konkret ausgewirkt zu haben — an der ablehnenden Haltung Konrads. 190 Ebenda, Nr. 237, S. 355 ff.; Armales Palidenses, MG. SS. XVI, S. 83. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 285; W. Ohnsorge, Abendland und Byzanz, S. 420. 191 «Illud vero, quod a domno Conrado serenissimo rege per quasdam reli­ giosas personas perquisitum fuisse significastis, sciatis de volúntate domni papae vel conscientia nullatenus processisse», Wibald, Briefe Nr. 273, Bibl. rer. germ. Bd. I, S. 401.

184

Doch gerade die Zukunft dieses Bündnisses zwischen dem deutschen Reich und Byzanz, das Konrad als «amiciciae nostre nexus indissolubilis» bezeichnete192, blieb trotz allen Freundschaftsbeteuerungen fragwürdig. Auch nach seiner Rückkehr aus Byzanz beanspruchte Konrad weiterhin für sich allein den umstrittenen Titel «Romanorum imperator». Der darin liegende Anspruch wurde also aufrechterhalten, und die Ambitionen bei­ der Reiche konnten auch in Zukunft wieder, z. B. schon in Süditalien, aufeinanderprallen. Da Konrad jedoch starb, bevor er den geplanten, ge­ meinsamen Italienfeldzug antreten konnte, stellte sich für ihn diese Frage nicht mehr konkret. Auch der zweite Kreuzzug und sein Nachspiel hatten im ganzen ge­ sehen in keiner Hinsicht eine klare Lösung der byzantinischen Frage ge­ bracht, sondern bedeuteten nur eine weitere wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zu den Ereignissen von 1204. Wenn auch der französische, stär­ ker von der eigentlichen Kreuzzugsidee her bestimmte Einfluß von jetzt an etwas zurücktrat, so blieb doch in der normannischen Tradition und in den aus dem Kaisertitel sich ergebenden Ansprüchen die Problematik des Verhältnisses zu Byzanz lebendig und neue Kreuzzugsunternehmen konnten jederzeit die Idee einer Eroberung von Byzanz aus kreuzzugs­ strategischen Erwägungen wieder in den Vordergrund treten lassen.

192 Ebenda Nr. 243, S. 366. 185

IV. KAPITEL

Ausblick bis 1204

Der zweite Kreuzzug hatte erneut Ansprüche und Vorwürfe des We­ stens gegenüber Byzanz scharf hervortreten lassen, aber wiederum nur beinahe zur Eroberung von Konstantinopel geführt. In dem nun folgenden und für Byzanz so entscheidenden halben Jahrhundert blieben weitere Versuche und Kritiken nicht aus. Dieses Kapitel soll die bisher verfolgte Entwicklungslinie in einem Überblick weiterführen und zeigen, daß die­ selben Traditionen und Auffassungen weiterhin ihre Gültigkeit behielten und schließlich doch noch zur Realisierung des längst vorhandenen Pla­ nes führten.

1. Zeitenwende in Byzanz Das völlige Versagen des zweiten Kreuzzuges, die Tatsache, daß «nihil utile, nihil memorandum, nihil Franciae dignum» vollendet worden war1, hätte eigentlich der Überheblichkeit des Westens einen Dämpfer aufsetzen und das so sehr gesteigerte Gefühl der eigenen Überlegenheit etwas erschüttern sollen. Mußte sich nun nicht allen Ernstes die Frage stellen, ob nicht doch Byzanz, das schon seit so langer Zeit alle Angriffs­ wellen aus dem Osten abgewehrt hatte, besser imstande war, diese Auf­ gabe auch in Zukunft zu erfüllen, als die stets uneinigen, mit den öst-

1 Chronicon Mauriniacense, R. H. F. XII, S. 88.

186

liehen Verhältnissen nicht vertrauten und unbelehrbaren Kreuzfahrer, die die Durchschlagskraft des ersten Kreuzzuges nicht wieder aufzubrin­ gen vermochten?2 Eine solche Überlegung hätte sich um so mehr aufdrängen können, als Byzanz ja gerade in den nächsten Jahren einen Höhepunkt seiner komnenischen Glanzzeit erlebte. Zum erstenmal seit Basileios II. war es dem byzantinischen Kaiser wieder möglich, in Italien zur Offensive über­ zugehen und, nachdem 1151 bereits Ankona besetzt worden war, in kür­ zester Zeit die ganze Ostküste von Ankona bis Tarent der byzantinischen Herrschaft zu unterwerfen (1155). Die Verwirklichung des alten Traumes der Byzantiner, das Reich Justinians und Konstantins wiederherzustellen, schien einen Augenblick lang in den Bereich des Möglichen gerückt zu sein, wenn auch sehr bald von neuem die Kräfte fehlen sollten, um die errungenen Positionen zu halten, da Manuel den Vorstoß ohne die frü­ her geplante Unterstützung durch den westlichen Kaiser unternommen hatte 3. Noch überwältigender waren für einige Zeit die Erfolge, die Byzanz im Osten erzielte. Kaiser Manuel führte den von Johannes II. begonnenen Vorstoß gegen Kilikien und Antiochien nachdrücklich weiter mit dem Ziel, die byzantinische Souveränität über das nördliche Syrien endlich wieder herzustellen. Als die Kreuzfahrer sich gezwungen sahen, die un­ haltbar gewordenen Überreste der Grafschaft Edessa zu liquidieren, ließ sich der Kaiser diese Gebiete in der Hoffnung auf eine spätere Rück­ eroberung formell übertragen (1150). Desgleichen beeilte er sich, auf das Begehren der Konstanze von Antiochien für sie einen Gatten vorzuschla­ gen, um sich auf diese Weise weitere Rechtstitel gegenüber Antiochien zu sichern. Schließlich aber brach Manuel, der alten Tradition folgend, persönlich zu einem großangelegten Zug nach Syrien auf (1158). Sowohl der Fürst der Armenier wie auch der neue Herr von Antiochien, Rainald von Chätillon, mußten sich demütig als Vasallen der Oberhoheit des byzantinischen Reiches unterwerfen, und auch König Balduin III. von Jerusalem, der die wachsende Gefahr erkannt hatte, die den lateinischen Staaten von Seiten des unaufhaltsam seine Macht ausdehnenen Nur edDin drohte, sah die Notwendigkeit einer engeren Verbindung mit Byzanz ein. Diese Einsicht bewog ihn, sich mit einer Nichte Manuels zu ver­ heiraten und eine direkte Intervention des Kaisers im Kampf gegen Aleppo zu befürworten4. 2 S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 277. 3 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 306. 4 R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. II, S. 395 ff. 187

Als dann der Basileus wirklich, mit allen kaiserlichen Insignien ge­ schmückt, feierlich in Antiochien einritt, während Rainald den Steig­ bügel haltend zu Fuß neben ihm herging und König Balduin in Abstand und ohne Ehrenabzeichen ihm folgte, sollte dieser Einzug symbolisch zum Ausdruck bringen, daß Byzanz im Begriff sei, seine überragende Vor­ machtstellung im Osten wie zur Zeit der Kaiser Nikephoros Phokas und Johannes Tzimiskes zurückzugewinnen. «Es war ein eigenartiges Schau­ spiel, das die Hierarchie der Mächte in eindrucksvoller Weise veranschau­ lichte.«5 Das byzantinische Reich erstrahlte wieder im alten Glanze! Wiederholt bekamen denn auch die Kreuzfahrerstaaten in der Folge zu spüren, daß Nur ed-Din, der Nachfolger Zengis, nur aus Rücksicht auf die hinter Rainald stehende Macht des Kaisers vor einem vernichtenden Angriff auf Antiochien zurückschreckte. Der Basileus schien nun also endlich die so oft von ihm erwartete Stellung eines Beschützers der latei­ nischen Staaten voll zu erfüllen, und auch die Lateiner waren wieder be­ reit, ihn als Führer der Kreuzzugssache zu anerkennen. Die lang ersehnte Zusammenarbeit zwischen Byzantinern und Lateinern schien Wirklich­ keit geworden zu sein. Doch der entscheidende, letzte Beweis, der jeden Zweifel an der Stärke und Einsatzbereitschaft des byzantinischen Reiches beseitigt hätte, blieb aus. Dieser Beweis hätte nur durch einen eindeutigen und vollständigen Sieg über Nur ed-Din erbracht werden können, und allein ein solcher Sieg hätte auch im Westen den nötigen Nachhall finden können, um endlich das frühere Ansehen von Byzanz wiederherzustellen und jene Stimmen zum Verstummen zu bringen, die immer wieder für eine Eroberung von Byzanz plädierten. Doch auf die Demonstration in Antiochien folgte kein eklatanter Triumph über die Ungläubigen. Statt unverzüglich mit seinem imposanten Heer gegen Aleppo zu marschieren und durch die Vernich­ tung der Macht Nur ed-Dins das auszuführen, was sich der zweite Kreuz­ zug ursprünglich zum Ziel gemacht, aber dann nicht in Tat umgesetzt hatte, ließ sich Manuel bald auf Verhandlungen ein, und als Nur ed-Din sich bereit erklärte, alle Gefangenen freizugeben, trat Manuel den Rück­ zug an! Sein Verhalten war von den allgemeinen Erfordernissen des Reichs aus gesehen, durchaus begreiflich6. Für die enttäuschten Kreuzfahrer je­ doch stand dieses unerwartet rasche Zurückweichen in allzu drastischem Gegensatz zu dem laut mit Trompetenschall und Hörnerklang angekün­ digten Aufbruch zur Belagerung von Aleppo, der Großes hatte erwarten 5 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 308. 6 Vgl. dazu die Schilderung der politischen Situation bei S. Runciman, A History of the Crusades Bd. II, S. 354 ff.

188

lassen!7 In den Augen der Lateiner bewies der rühmlose Ausgang des Feld­ zuges nur einmal mehr, daß hinter dem äußeren Pomp und Glanz des kaiserlichen Auftretens doch keine entsprechende reale Macht mehr stehe und die sprichwörtliche Schwäche und Feigheit der Byzantiner sich auch jetzt wieder bewahrheite. Wilhelm von Tyrus macht zwar dem Kaiser keinen direkten Vorwurf, aber aus seinem Hinweis, Manuel habe «revocantibus eum curis domesticis» die Kampagne in Syrien abgebrochen, läßt sich unschwer auch jener andere, so oft wiederholte Vorwurf ab­ lesen, Byzanz sei eben nicht von echter, alles aufs Spiel setzender Kreuz­ zugsbegeisterung erfüllt, dem Kaiser gehe es nur um sein Reich und er stelle stets die Interessen des byzantinischen Staates über diejenigen der Kreuzfahrer! Es lag nahe, auch diesmal wieder von Verrat an der Christen­ heit zu reden89und zu behaupten, der Kaiser sei gar nicht gekommen, um den bedrängten Lateinern zu helfen, sondern nur um ihre verzwei­ felte Lage für seine Zwecke auszunützen. Die byzantinische Balance­ politik, die nach einem Kräfteausgleich in Syrien strebte und darauf aus­ ging, die Mohammedaner zwar in Schach zu halten, aber sie doch auch auch als Gegengewicht gegen die Franken zu benutzen, konnte die La­ teiner nicht befriedigen. Selbst diese Glanzzeit der Komnenen-Herrschaft und die unbestreitbar großen Erfolge von Manuels Politik im Osten, die für weitere zwanzig Jahre Präsenz und Einfluß von Byzanz in Syrien sicherten, vermochten deshalb nicht, die alten Zweifel an der Berechtigung der byzantinischen Vorherrschaft über Syrien und Palästina vollends zu zerstreuen. Zwar be­ kamen die Kreuzfahrerstaaten die Vorteile der Verbindung mit Byzanz deutlich zu spüren: Dank dem zwischen dem Kaiser und den Seldschuken in Kleinasien nach 1160 abgeschlossenen Frieden, der nach einer Macht­ demonstration von Byzanz zustande kam und den Sultan von Rum prak­ tisch zum Vasallen von Byzanz machte, stand den Pilgern endlich der Landweg durch Kleinasien wieder offen. In manchen kritischen Augen­ blicken, wie etwa nach der Gefangennahme Bohemunds III. von Anti­ ochien, rettete nur die Angst der Mohammedaner vor einem Eingreifen

7 «... praecipit Imperator, et voce praeconia notum fieri mandat primiceriis legionum, ut certa die versus Halapiam acies dirigant, et machinas cum bellicis instrumentis ante se faciant deportari. Ipse vero cum domino rege et utriusque principibus, cum tubis et tympanis, et praeliorum incentoribus lituis, urbe postmodum egressus...», Wilhelm von Tyrus, Historia Rerum, XVIII, 25, RHC. Occ. I2, S. 864. 8 Vgl. das Zitat aus der armenischen Chronik des Priesters Georg bei R. Grousset, Histoire des Croisades Bd. II, S. 418. 9 Wilhelm von Tyrus, Historia Rerum, I, 1, RHC. Occ. I, S. 10.

189

der Byzantiner das gefährdete Fürstentum (1164). Die Könige von Jeru­ salem ihrerseits zogen angesichts der bedrohlich voranschreitenden Eini­ gung des Islams ebenfalls großen Nutzen aus dem Bündnis mit dem Kaiser; byzantinische Flottenhilfe führte 1169 beinahe zur Eroberung von Ägypten, und in höchster Not reiste König Amalrich persönlich nach Konstantinopel, um den Kaiser auf die Lage in Palästina aufmerksam zu machen (1171). Doch trotz all diesen segensreichen Auswirkungen der byzantinischen Allianz ist aus der Chronik eines Zeitgenossen wie Wil­ helm von Tyros das alte Klischee von den schwachen und treulosen Byzantinern und ihrem den Lateinern stets feindlich gesinnten Kaiser nicht verschwunden. Die Beurteilung von Byzanz durch Wilhelm von Tyros Wilhelm von Tyros, dessen Kreuzzugsgeschichte klugerweise mit der Zeit des Kaisers Heraklius einsetzt, legt gleich zu Beginn dar, wie Heraklius, der doch als Kaiser den bedrohten Bewohnern von Palästina hätte Schutz bieten sollen, sich ohne Kampf zurückzog, weil seine Kräfte nicht ausreichten9, und wie dann später nach der Schlacht von Mantzikert unter Romanos Diogenes vollends jede Hoffnung auf Befreiung Jeru­ salems durch den Kaiser schwand10. Von Anfang an stellt der Chronist auch in dem legendären Gespräch zwischen dem Patriarchen von Jeru­ salem und Peter von Amiens die abnehmenden Kräfte von Byzanz, die zum Verlust des halben Reiches geführt hätten, in Gegensatz zu den «vires integrae» der Franken, die darum allein zur Rettung des Heiligen Landes berufen seien!11 Auch Wilhelm sieht also deutlich in den Kreuz­ fahrern den notwendigen Ersatz für die zerfallende Macht von Byzanz! Vom Reich der Griechen sei nichts mehr zu erhoffen. Für die gesamte Schilderung des ersten Kreuzzuges nimmt er im wei­ teren die auf frühere Chronisten zurückgehende, anklägerische Darstel­

10 Ebenda I, 9, S. 29. 11 «Sed si vester verus Dei cultor populus, cujus per superabundantem Do­ mini misericordiam vires sunt adhuc integrae, et nostris hostibus formi­ dabile longe lateque floret imperium, praesentibus fraterna cantate compati vellet et remedium procurare his quae nos premunì calamitatibus, aut saltern pro nobis apud Christum vellet intercedere, spes esset nobis afflictionem nostram in proximo finiri. Nam de Graecorum imperio, licet et consanguinitate et loco nobis sint propinquiores et divitiis abundent amplius, nulla nobis spes est de caetero ut inde nobis aliquam habeamus consolationem. Sibi enim vix sufficiunt, omnisque eorum ... virtus emarcuit, ita ut infra paucos annos plus quam dimidium amiserint imperii», ebenda I, 11, S. 33. 190

lung ohne jede Einschränkung auf. Das bereits durch die Kreuzzugs­ chronisten geprägte Geschichtsbild ist für ihn maßgebender als die Er­ fahrung mit Byzanz in seiner eigenen Zeit. Er spricht von der «debilitas imperii» und von der «mollities» der Griechen12, die zum Verlust von Provinzen führe, wiederholt all die Vorwürfe gegen die feindselige Hal­ tung der Byzantiner13, gegen ihre «malitia», «nequitia», «astucia» 14 und betont ihren Haß gegen die Lateiner. Ebenso düster ist das von Kaiser Alexius entworfene Bild; er wird oft ein «vir nequam et subdolus»15 und «Latinorum maximus persecutor»16 genannt, der den ersten Kreuzzug im Stich gelassen und den Erfolg der Kreuzfahrer stets mit Neid gesehen habe17. «Graecorum dolus et fraus Imperatoris» bleibt auch für Wilhelm von Tyros das charakteristische Stichwort18. Die Rechtsfrage in bezug auf Antiochien ist für ihn kein Problem, da ja der Kaiser durch sein Nicht­ erscheinen-als'erster den Vertrag'gebrochen habe, wie Wilhelm wieder­ holt betont19. Er ist stolz, daß sich die Kreuzfahrer nicht mehr in des Kaisers «labyrinthis et ambagibus» verfingen 20 und auch allein den Ruhm der Befreiung Antiochiens und Jerusalems davon trugen21. Als später Kaiser Johannes auf Grund seines neuen Vertrages mit Raimund, wie Wil­ helm zugeben muß, rechtmäßig die Auslieferung Antiochiens fordert, da empfindet es der Chronist als hart, daß nun die von den Kreuzfahrern eroberte Stadt dem «effeminatum populum» der Griechen überlassen wer­ den soll22, da ja — wie er an anderer Stelle erwähnt — durch dessen «ignavia» schon so manche Stadt wieder in Feindeshand gefallen sei23. Gemäß der aus seinen Quellen unkritisch übernommenen Beurteilung scheint auch für ihn sowohl bei der Belagerung von Nikaea24 wie vor allem während des Kreuzzuges von 1101 unbestreitbar ein Einverständ-

Ebenda II, 4, S. 77. Ebenda II, 8, S. 84. Ebenda II, 10, S. 86. Ebenda II, 5, S. 79; II, 8, S. 85; II, 13, S. 91. Ebenda XII, 5, S. 517. Ebenda II, 21, S. 105. Ebenda II, 20, S. 103; II, 19, S. 101. Ebenda VII, 1, S. 277; VII, 20, S. 307; XIV, 24, S. 641 ff. Ebenda VII, 20, S. 308. Ebenda VI, 12, S. 254. Ebenda XV, 3, S. 660. «Illi vero post multam deliberationem unanimiter convenientes, nullatenus arbitrantur expedire statui regionis, quod urbs tarn nobilis, tarn potens, tarn munita, in manus aliquo pacto tradatur Imperatoris: futurum enim esse, ut per ignaviam Graecorum, sicut non semel ante contigit, civitas in manus hostium deveniret, simul cum universa regione», ebenda XV, 20, S. 690. 24 Ebenda III, 12, S. 127.

12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

191

der Byzantiner mit den Türken vorzuliegen, und er vergleicht deshalb die Griechen, welche seiner Meinung nach Route und Anzahl der Kreuz­ fahrer den Türken meldeten, in seinem lebendig-anschaulichen Stil mit Skorpionen, die man zwar von vom nicht zu fürchten brauche, deren Schlag mit dem Schwanz von hinten dafür um so gefährlicher sei!25 Aus diesem Grunde stellt er auch Bohemunds Zug von 1107 als berechtigte Rache an Byzanz dar und wiederholt bei dieser Gelegenheit seinerseits das vielzitierte: «Timeo Danaos et dona ferentes!»26 Fühlt sich demnach Wilhelm in seinem historischen Rückblick keines­ wegs zu einer Revision des traditionellen Griechenbildes bewogen, so än­ dert sich seine Einstellung auch nicht allzu stark, als er vom 16. Buch an auf jene Zeit zu sprechen kommt, die er selber miterlebt hat und über die er aus eigener Erfahrung berichten kann. Er stimmt in die Klagen über das heimtückische Verhalten der Griechen anläßlich des zweiten Kreuz­ zuges ein27, und als die Byzantiner Teile der Grafschaft Edessa überneh­ men wollen, erwähnt er Bedenken über ihre Verteidigungsbereitschaft28 und behauptet, Nur ed-Din sei auf die Nachricht hin, daß die Festungen von den Franken verlassen und den «Graecis effeminatis et mollibus» übergeben würden, sofort kühn eingefallen29. Der nun anbrechenden Zeit der Allianz mit Byzanz, da Manuel als ferner Beschützer der Lateiner auftrat, trägt Wilhelm zwar offensichtlich Rechnung, aber nur insofern, als nun das Klischee vom schwachen und treulosen Kaiser völlig zurück­ tritt. War schon die Charakterisierung des Kaisers Johannes bedeutend milder ausgefallen30, so wird nun Manuel häufig als der «princeps potissimus et inter mortales locupletior» erwähnt31, dessen Wohltaten und außerordentliche Freigebigkeit beinahe die ganze Welt zu spüren bekom­ men habe und dankbar anerkenne32. Seine Bevorzugung der Lateiner gegenüber den schlaffen, verweichlichten «Graeculi” wird mit großer Be­ friedigung vermerkt33 und sein Tod aufrichtig bedauert34. Doch wenn auch das Bild vom schwachen und treulosen Kaiser hier eine deutliche 25 «... vicem scorpionis agens, cui cum non sit in facie quod formides, prudenter feceris si caudae posterioris declinare poteris maleficium«, ebenda X, 13, S. 417. 26 Ebenda XI, 6, S. 460 ff. 27 Ebenda XVI, 21, S. 740; vgl. oben S. 176. 28 Ebenda XVII, 16, S. 784 ff. 29 Ebenda XVII, 17, S. 786. 30 Ebenda XII, 5, S. 517. 31 Ebenda XVIII, 16, S. 846; XVIII, 33, S. 878; XX, 22, S. 981. 32 Ebenda XXI, 12, S. 1024. 33 Ebenda XXII, 10, S. 1079. 34 Ebenda XXII, 5, S. 1069. 192

Korrektur erfährt und geradezu ins Gegenteil umschlägt, besteht doch da­ neben das Mißtrauen gegen die Griechen als Volk, gegen die «fallax et pérfida Graecia» unvermindert fort35. Zwischendurch wird immer wieder kritisiert, daß die Griechen stets unendliche Ausflüchte und Spitzfindig­ keiten bereit halten36 und nur «more suo amphibologice» antworten37. Sobald dann der den Lateinern günstig gesinnte Kaiser Manuel nicht mehr da war, brach nach der Meinung Wilhelms bei den Griechen, die ein «populus impius” seien38 und sich als Ketzer «per insolentiam» von der römischen Kirche getrennt hätten, sofort wieder das «odium insatiabile», der unauslöschliche Haß gegen die Lateiner durch39, und mit Kaiser Andronikos Komnenos, der schon bei seinem Besuch in Jerusalem einen unrühmlichen Eindruck hinterlassen hatte40, war auch der «vir perfidus et nequam» als Kaiser wieder da!41 Die Untersuchung von Wilhelms Beurteilung von Byzanz zeigt, daß zwar während der Zeit, da die fränkischen Kreuzfahrerstaaten so sehr auf das byzantinische Reich angewiesen waren und seine Unterstützung er­ fahren durften, für einige Zeit dank der Persönlichkeit Manuels und sei­ ner ausgesprochenen Vorliebe für die Lateiner eine spürbare Entspannung im Verhältnis zum byzantinischen Kaiser ein trat, daß aber das negative Urteil über die Griechen im allgemeinen trotzdem nur wenig revidiert wurde und im Hintergrund bestehen blieb42. Alle im Verlauf jener zwan­ zig Jahre immerhin errungenen Prestigeerfolge Manuels wurden aber durch die zu Ende seiner Regierung hereinbrechende Katastrophe von Myriokephalon (1176) wieder völlig vernichtet. Der Rückschlag von Myriokephalon

Manuels Plan war es gewesen, die Seldschuken endlich wieder aus dem für Byzanz lebenswichtigen Anatolien hinauszuwerfen oder sie zum min­ destens ganz unter seine Botmäßigkeit zu bringen und damit die Entschei35 Ebenda XXII, 10, S. 1079. 36 «... post innumeras dilationes, et verborum aenigmata, qualia Graeci, quaelibet Gavillantes, perplexis ambagibus responderé solent», ebenda XVIII, 22, S. 857. 37 Ebenda XVIII, 31, S. 875. 38 Ebenda XXII, 12, S. 1084. 39 Ebenda XXII, 10, S. 1080. 40 Ebenda XX, 2, S. 943. 41 Ebenda XXII, 11, S. 1081. 42 In all den während jener Zeit aus dem Heiligen Land an Ludwig VII. ge­ richteten Hilfsgesuchen wird stets die Gefahr einer Herrschaft der Grie­ chen oder der Türken auf eine Stufe gestellt, vgl. die betreffenden Briefe in RHF. XVI, S. 39 (Nr. 126); S. 62 (Nr. 197) und S. 79 (Nr. 244).

193

düng, die hundert Jahre früher bei Mantzikert gefallen war, rückgängig zu machen. Er hatte sein Unternehmen als entscheidende Vorbereitung für neue Züge ins Heilige Land angekündigt, denn was die Kreuzzüge nicht erreicht hatten, das heißt Kleinasien wieder christlicher Herrschaft zu unterwerfen und dadurch die Verbindung mit Palästina zu sichern, das wollte jetzt der Kaiser vollbringen. Doch bei diesem Feldzug, der den Ruhm von Byzanz als christlicher Macht hätte erneuern sollen, ereilte ihn ein ähnliches Schicksal wie einst Romanos Diogenes. Manuel kam zwar mit dem Leben davon und blieb noch vier Jahre an der Regierung, aber sowohl seine eigene Kraft als auch diejenige seines Reiches waren durch die Niederlage gebrochen und es gelang ihm nicht mehr, den Rückschlag auszugleichen. Myriokephalon hätte nun eigentlich den Lateinern zeigen können, wie ungerechtfertigt jeweilen ihre Vorwürfe gegen Byzanz gewesen waren, wenn eine ähnliche Katastrophe einem Kreuzfahrerheer zugestoßen war! Doch solche Überlegungen wurden nicht angestellt. Das Ausmaß und die Folgen dieser Niederlage, die die kaiserliche Operationsarmee zerstört hatte und einen eigentlichen Wendepunkt für Byzanz bedeutete, wisch­ ten nur endgültig hinweg, was an Respekt und Bewunderung für das Byzanz Manuels vorhanden gewesen war. Als nach dem Schlag von Myrio­ kephalon und dem Tod Manuels (1180) die Großmachtstellung des byzan­ tinischen Reiches überall zu wanken begann, unter dem Schreckensregi­ ment des Andronikos der byzantinische Einfluß auf dem Balkan zusam­ menbrach und die Normannen tief ins Land eindrangen, ja schließlich das Reich unter den mit Bestechungen und Geldzahlungen regierenden Angeloi einen immer kläglicheren Anblick bot, mußte bei den Lateinern das Bild eines dekadenten, für eine Ablösung reifen Byzanz erneut die Oberhand gewinnen, nachdem nicht einmal die glanzvolle Periode unter Manuel imstande gewesen war, diese Vorstellung völlig zu verdrän­ gen. Da das Reich nun wieder gänzlich auf eine nur mühsam aufrecht­ erhaltene Verteidigung beschränkt war, konnte der Westen mit mehr Berechtigung die stets behauptete Überlegenheit der Lateiner betonen. Diese «Überlegenheit der abendländischen Kräfte»43 war auch in ge­ wissem Sinne während dieser ganzen Epoche tatsächlich immer spür­ barer geworden und äußerte sich im Übergang der Seeherrschaft von By­ zanz an die italienischen Stadtrepubliken, in der starken Durchsetzung von Heer und Beamtenschaft mit Lateinern und in den ausgesprochen westlichen Neigungen Manuels. Es ist begreiflich, daß diese Situation mit der Zeit den heftigen Unwillen der Byzantiner hervorrief und sie nach

43 G. Ostrogorsky, Geschichte des byzantinischen Staates, S. 283.

194

dem Tode Manuels eine eigentliche lateinische «Machtergreifung» be­ fürchten ließ44. Niketas Choniates schreibt dazu, zwischen den Lateinern, die hemmungslos nach byzantinischen Gütern und Provinzen strebten, und den Griechen bestehe eine unüberbrückbare Kluft des Hasses,- eine seelische Verbindung zwischen ihnen sei unmöglich, selbst wenn sie im gleichen Hause zusammenwohnten45. Doch auch das Blutbad von 1182, in dem sich dieser Unwille gegen die Präsenz der Lateiner in einer Art «Byzantinischer Vesper» entlud und in dessen Verlauf die Volksmenge in blinder Wut plündernd und mordend in die Häuser der Lateiner in Kon­ stantinopel einbrach, vermochte an der eingetretenen Entwicklung nichts mehr zu ändern, sondern im Westen nur neben der Verachtung für die Schwäche der Byzantiner auch die Erregung über ihre Treulosigkeit weiter zu steigern und damit das alte Bild vollumfänglich zu bestätigen! Wie die Reaktionen des Westens vor und nach jener Zeitenwende in Byzanz im einzelnen ausfielen, soll nun noch angedeutet werden.

2. Die Reaktionen des Westens

Die Normannen

Die eindrucksvolle Erneuerung seiner Großmachtstellung, die das by­ zantinische Reich unter Kaiser Manuel erlebte, führte zu einer unmittel­ baren Bedrohung für das normannische Königreich von Sizilien, denn die von Manuel erträumte Restauration des Imperiums Justinians sollte ja mit der Wiederherstellung der byzantinischen Herrschaft über Süditalien beginnen. Zunächst bestand sogar für Wilhelm L, den Nachfolger König Rogers, immer noch die Gefahr, vom byzantinischen und vom deutschen Reich zugleich angegriffen zu werden. Doch die Verwirklichung dieses zwi­ schen Konrad III. und Manuel verabredeten Projekts scheiterte jetzt an dem selbstbewußten Reichsdenken Friedrich Barbarossas. Friedrich wurde zwar zunächst vor allem durch seine Herrscheraufgaben in Deutschland und Norditalien und durch Schwierigkeiten mit seinen Va­ sallen von einem Feldzug nach Süditalien abgehalten, aber er lehnte be­ reits zu diesem Zeitpunkt die byzantinischen Ansprüche auf Italien ener­ 44 Eustathios, Narratio de Thessalonica urbe a Latinis capta, 28, Migne PG. 136, S. 33; übersetzt von H. Hunger, Die Normannen in Thessalonike, Byzantinische Geschichtsschreiber Bd. III, S. 41. 45 Niketas Choniates, De Andronico Comneno liber I, 7, Migne PG. 139, S. 656 ff.

195

gisch ab und gedachte den Kampf gegen die Normannen nur im eigenen Interesse und nicht für Byzanz zu führen. Er war sich zwar bewußt, daß im Kräftespiel des 12. Jahrhunderts eine gewisse Balancepolitik notwendig war und führte darum längere Zeit Verhandlungen mit Byzanz, aber zu einer wirklichen Verständigung kam es nicht mehr. Manuel begann deshalb schließlich allein seine Offensive gegen Wil­ helm I. Die raschen Erfolge, die dank dem Abfall vieler normannischer Vasallen und einiger Städte erzielt wurden und den ganzen östlichen Küstenstreifen an der Adria wieder byzantinisch werden ließen, über­ trafen alle Erwartungen. Manuel, der bereit war, anstelle Friedrichs die Rolle des Beschützers der Kirche zu übernehmen, und der sogar hoffte, um den Preis der Kirchenunion die römische Kaiserkrone zu erhalten, trat auch in zunächst erfolgreiche Verhandlungen mit dem Papst, der seiner­ seits die normannischen Rebellen unterstützte. Doch die vollständige Nie­ derlage der Byzantiner gegen die Truppen des normannischen Königs vor Brindisi (1156) setzte der ganzen byzantinischen Rückeroberung Italiens mit einem Schlag ein Ende46. Plötzlich zeigte sich, daß von byzantinischer Seite nur äußerst geringe militärische Kräfte eingesetzt worden waren, das heißt daß Byzanz einmal mehr nur mit Diplomatie und Geld, statt mit Truppen kämpfte. Dies ist denn auch der Eindruck, den die Chro­ niken beim Bericht über diesen nach außen so glanzvollen Restaurations­ versuch Manuels übereinstimmend und nachdrücklich festhalten. Sie alle sprechen nicht von einer imposanten Invasionsarmee, sondern erwähnen in erster Linie, daß die Bevollmächtigten Manuels «cum multa pecunia» in Ankona angekommen seien47. Auch Otto von Freising berichtet, die Byzantiner hätten «auro corrumpendo» das Land in ihre Gewalt ge­ bracht48, und in der Fortsetzung seiner Chronik wird ebenfalls darauf hin­ gewiesen, daß man sich auch später wieder von byzantinischer Seite be­ mühte, «largitione pecuniae» Söldner gegen Wilhelm zu werben und die normannischen Vasallen «spe lucri» auf Seite der Griechen zu locken. Das ganze Unternehmen wird charakterisiert als ein neuer Versuch gleich früheren, Süditalien «seu vi seu dolo» wieder byzantinisch zu machen, 46 F. Chalandon, Histoire de la domination normande Bd. II, S. 204 ff. 47 «... imperator... virum quendam nobilem cum multa pecunia ad comitem Robbertum et barones Apulie transmisit, ut de ea milites retinerent, et Guillelmo regi guerram inferrent», Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 428; «Imperator ... nobilissimos ac praepotentes viros cum maxima pecunia mittit Brundusium», Hugo Falcandus, Historia Sicula, R. I. SS. alte Ausgabe Bd. VII, S. 265; «... imperator Grecorum maximam de thesauro pecuniam ... misit Anconam», Vita Hadriani, Liber pontificalis, hg. L. Duchesne Bd. II, S. 394. 48 Otto und Rahewin, Gesta Friderici II, 49, MG. SS. in us. schol. S. 157.

196

wobei natürlich der Akzent auf dem zweiten Ausdruck liegt!49 Wilhelm sah sich offenbar zeitweise geradezu gezwungen, mit der gleichen Waffe zu kämpfen und dem Papst ebensoviel Geld anzubieten, wie ihm die Grie­ chen versprochen hätten!50 Beim Sieg von Brindisi wird wiederum, selbst von Wilhelm von Tyros erwähnt, daß auch alle Schätze der Byzantiner, «gazas valde multiplices», in die Hände des Königs gefallen seien51. Die ganze Offensive in Italien, die das Wiedererstarken des byzan­ tinischen Reiches und seine Bereitschaft zur Erneuerung des Imperium Romanum hätte beweisen sollen, konnte deshalb die Normannen, und wohl den Westen überhaupt, letzten Endes nicht davon überzeugen, daß im Byzanz der Komnenen wirklich neue, Respekt einflößende Kräfte er­ wacht seien, sondern mußte vielmehr die längst verbreitete Vorstellung bestätigen, daß das geschwächte Byzanz nur noch mit Geld und Verrat Krieg führen könne! Man scheint in Italien tatsächlich erkannt zu haben, auf welch fragwürdiger Grundlage die Weltherrschaftspläne Manuels be­ ruhten und wie unzureichend seine Mittel waren. Wilhelm I. spricht diese Überzeugung im Friedensvertrag mit Papst Hadrian deutlich aus, wenn er seinen Sieg über die Griechen erwähnt, die «nulla eorum vi», nicht durch ihre Stärke, sondern nur durch die List von Verrätern in sein Reich hätten eindringen können52. Das Resultat des byzantinischen Vorstoßes nach Italien war darum nicht geeignet, die Normannen einzuschüchtem und sie künftig vor An­ griffen auf Byzanz zurückschrecken zu lassen, sondern bestärkte sie wohl eher in der Überzeugung, dazu stark genug und auch berechtigt zu sein. Wilhelm L, im Bewußtsein seines Sieges — hatte ihm doch der Papst be­ stätigen müssen, daß der Ruhm seines Namens jetzt in alle Welt gedrun­ gen sei53 —, dachte deshalb sogleich an Rache und ging von der Vertei­ digung wieder zum Angriff gegen Byzanz über. 1157 schickte er eine starke Flotte «in Romaniam»54, die die Insel Euböa und verschiedene Küstengebiete verwüstete und nach einem Sieg über die byzantinische Flotte «cum magno honore et triumpho et ingenti gloria» nach Sizilien

49 Otto und Rahewin, Gesta Friderici III, 20, MG. SS. in us. schol S. 192. 50 «... post recuperatam domni pape et Ecclesie gratiam tantundem pecunie quantum Greci obtulerant largietur», Vita Hadriani, Liber pontificalis, S. 394. 51 Wilhelm von Tyros, Historia Rerum XVIII, 8, RHC. Occ. I, S. 831; vgl. auch Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 428. 52 «... Grecis et barbaris nationibus, que regnum nostrum nulla eorum vi set proditorum nostrorum dolositate intraverant...», Pactum Beneventanum, MG. Const. I, S. 589. 53 Privilegium Hadriani, MG. Const. I, S. 591. 54 Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 429. 197

zurückkehrte 55. Nach Niketas Choniates sollen die normannischen Schiffe auch diesmal wieder sogar bis nach Konstantinopel selber vorgedrungen sein!56 Jedenfalls zeigte sich Wilhelm I. hier durchaus bereit, in die seit Robert Guiskard traditionelle normannische Politik einzulenken. Manuel, der immer deutlicher in Barbarossa den Hauptgegner für seine Ansprüche auf Italien zu sehen begann, sah sich schließlich veranlaßt, mit dem Königreich Sizilien einen Frieden auf 30 Jahre abzuschließen. Wilhelm I. konnte in den ihm verbleibenden Jahren seiner Regierung keine größeren außenpolitischen Unternehmungen mehr ins Auge fassen, da er alle Kräfte auf den stets drohenden Kampf gegen Barbarossa konzen­ trieren mußte. Doch wurde wohl der Frieden mit Byzanz nur als ein durch die politische Situation aufgezwungener Waffenstillstand betrachtet, der alle Ansprüche der Normannen gegenüber Byzanz für die Zukunft offen ließ. Wilhelm I. verhinderte weiterhin mit Erfolg jede Intervention Ma­ nuels in Italien, und unter seinem Nachfolger wurden die normannischen Eroberungspläne im alten Stil wieder aufgenommen. Wilhelm II. (1166—1189) ging zwar zuerst wieder einmal auf ein von Byzanz vorgeschlagenes Heiratsprojekt ein, denn die Aussicht einer Hei­ rat mit der zu Beginn der Verhandlungen noch einzigen Erbin Manuels, die Wilhelms Nachkommen den Zugang zum byzantinischen Thron ge­ sichert hätte, war allzu verlockend. Plötzlich jedoch, nachdem bereits alles geregelt war, rückte Manuel von seiner Annäherung an Sizilien ab. Diese brüske, für Wilhelm beleidigende Wendung veranlaßte den nor­ mannischen König, sich wieder offen gegen Byzanz zu stellen. Der Vertrag von Venedig (1177), der Wilhelm auf 15 Jahre Frieden mit Friedrich Bar­ barossa sicherte und durch die folgenschwere Heirat seiner Tante Kon­ stanze mit Heinrich VI. noch untermauert wurde, verschaffte ihm endlich wieder die nötige Bewegungsfreiheit. Wilhelm II. ging es keineswegs nur um einen Raubzug gegen Byzanz, sondern er verfolgte im gesamten Mittelmeer eine eigentliche Großmacht­ politik und versuchte mehr und mehr, in diesem Bereich Byzanz die be­ herrschende Stellung streitig zu machen, die es bisher eingenommen hatte. Gerade zu jenem Zeitpunkt, da in Byzanz mit Myriokephalon der Umschwung einzutreten begann, sandte der normannische König seine Flotte nach Ägypten, um den Kampf gegen Saladin aufzunehmen (1174, 1175, 1177), und unterstützte nach Möglichkeit die gefährdeten Kreuz­

55 Annales Pisani, MG. SS. XIX, S. 243 ff. 56 Niketas Choniates, II, 8, Migne PG. 139, S. 436; vgl. F. Chalandon, His­ toire de la dom. norm. II, S. 247; G. B. Siragusa, Il regno di Guglielmo I, S. 98. 198

fahrerstaaten. Beides waren Aufgaben, die eben noch Kaiser Manuel erfüllt hatte. Wenn Wilhelm sie jetzt übernahm, so mußte dieses Eingreifen den normannischen König anstelle des Kaisers als neuen Protektor der orien­ talischen Christen erscheinen lassen. Dies war auch wirklich die Rolle, die Wilhelm vorschwebte und die ihm von manchen Chronisten bestä­ tigt wurde57. Sie bedeutete jedoch nur einen Teil seines Versuchs, sich an die Stelle des byzantinischen Kaisers zu setzen. Als dann 1185 das nor­ mannische Heer auf der üblichen Route über Durazzo in das seit dem Tode Manuels erschütterte byzantinische Reich einbrach, geschah es, wie die Annales Ceccanenses feststellen, ausdrücklich mit dem Ziel, nun end­ lich auch den Kaiserthron zu gewinnen: «Ad acquirendum Imperium Constantinopolitanum!»58 Als Legitimierung führten die Normannen je­ doch auch diesmal zwei byzantinische Prätendenten, den Neffen und den angeblichen Sohn Manuels, mit sich. Die beiden wurden aber wohl wie einst der Pseudo-Michael von Robert Guiskard, nur vorgeschoben, um den Einfall zu rechtfertigen, wie es auch 1204 wieder geschah. Erzbischof Eustathios vertritt jedenfalls die Auffassung, daß der normannische König das Reich für sich selber zu erobern gedachte5960 , und er berichtet, daß die Eroberer von Thessalonike der Meinung gewesen seien, für die Lateiner und die Byzantiner sei gleichzeitig kein Platz auf dieser Welt!00 Ein­ drücklich schildert der Bericht über die Einnahme von Thessalonike, bis

57 «... Willelmus, pie memorie rex Apulie, christianorum transmarinorum protector et defensor», Sigeberti Continuado Aquicinctina, MG. SS. VI, S. 425; «... non parcit pecunie, non indulget expensis, set singulis annis biremes suas preparat, et cum eis armatam militiam destinat, ut hostes Christiane fidei devincat pariter et confundat et euntibus ad sepulcrum Domini securum iter preparet et expediat», Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 456; vgl. F. Chaiandon, Histoire de la dom. norm. Bd. II, S. 393. 58 Annales Ceccanenses, MG. SS. XIX, S. 287; Estoire de Eracles, XXIV, 5, RHC. Occ. II, S. 112. 59 «Τέλος δέ ό μέν Σικελός, εί καί έπέγνω, φασί,τό αληθές, δμως πεισμονήν ιδίαν εχων, καί του θρόνου Κωνσταντινουπόλεως έφιεμενος », Eustathios, Narra­ do de Thessalonica urbe a Latinis capta 51, Migne PG. 136, S. 57 (über­ setzt von H. Hunger, Die Normannen in Thessalonike, byzantinische Ge­ schichtsschreiber Bd. Ill, S. 64). Vgl. auch die Stelle, an der es heißt, der König von Sizilien wolle die Herrschaft über Sizilien an andere ab treten und selber in die Hauptstadt ( = Konstantinopel) übersiedeln, ebenda 50, Migne PG. 136, S. 56 (Byzantinische Geschichtsschreiber Bd. Ill, S. 62). 60 « οι μή χωρητόν αύτοϊς καί ήμϊν τον κόσμν είναι κρίνουσι, συναντώντες γοΰν κατέπτυον, ώθουν, έσκέλιζον, κατέβρεχον ύβρεις », Eustathios, Narrado de Thessalonica urbe a Latinis capta 117, Migne PG. 136, S. 116, und ähnlich 116, S. 116 (Byzantinische Geschichtsschreiber Bd. Ill, S. 122 und S. 121). 199

zu welchem Grad die Feindschaft zwischen Griechen und Normannen gestiegen war. Daß die Eroberung von Konstantinopel, wo die Panik an­ gesichts der vor der Stadt auftauchenden normannischen Flotte bereits einen Höhepunkt erreicht hatte, auch diesmal wieder scheiterte, war mehr der Sorglosigkeit der normannischen Heerführer als einer wirklichen Widerstandskraft des byzantinischen Reiches zu danken. Auch Wilhelm II. war in jener für die Normannen so charakteristischen Art zugleich Eroberer und Kreuzfahrer. Pläne zum Sturz des byzantini­ schen Kaisers vermischten sich mit Kreuzzugsprojekten, und auch nach 1185 unterstützte die normannische Flotte sowohl die Erhebung Isaaks auf Cypern gegen Byzanz wie auch die Verteidigung der Kreuzfahrerstaaten gegen Saladin. Durch den Tod des kinderlosen Wilhelm wurde aber die Existenz des normannischen Königreichs selber in Frage gestellt. Der starke Impuls, den der Kampf gegen Byzanz und für eine lateinische Herrschaft in Konstantinopel und im ganzen östlichen Mittelmeergebiet durch die Normannen immer wieder erhalten hatte, ging jedoch mit dem Untergang des normannischen Reiches nicht verloren, sondern vererbte sich auf den Staufer Heinrich VI. Die erneute Bedrohung von Byzanz durch Wilhelm II. hatte zudem den byzantinischen Kaiser Andronikos zu einem Bündnis mit Saladin, dem Gegner der vom Normannenkönig unterstützten Kreuzfahrerstaaten, veranlaßt und Byzanz dadurch wie schon früher in jene zweideutige Stellung hineinmanövriert, die die öffentliche Meinung des Westens schockierte und eine schlechte Voraus­ setzung für den dritten Kreuzzug bedeutete.

Venedig Suchen wir außerhalb des normannischen Bereichs nach Hinweisen, wie es um das Prestige von Byzanz bestellt war, so tritt nun auch die Hal­ tung der Republik Venedig in den Vordergrund. Der Versuch Manuels, Byzanz in Italien wieder als Großmacht zur Geltung zu bringen, und sein Eingreifen auf beiden Seiten der Adria bedrohten Venedigs Interessen, und die wachsende Spannung führte schließlich zur Auflösung der seit der Zeit Guiskards bestehenden Allianz. Schon als Byzantiner und Venezianer noch zusammen gegen die Flotte Rogers H. um Korfu kämpften, hatten sich die ersten Reibereien ergeben, und die Venezianer erlaubten sich damals einen bedeutungsvollen Scherz, der keinen großen Respekt vor der kaiserlichen Majestät verriet: sie be­ mächtigten sich der kaiserlichen Galeere, brachten einen Äthiopier in das für den Kaiser bestimmte Gemach und erwiesen ihm, auf diese Weise

200

Manuel und das byzantinische Hofzeremoniell verspottend, die Ehren, die dem Kaiser von Byzanz zukamen!61 Zwar wurden die guten Beziehungen der Republik zum byzantinischen Reich noch einige Zeit aufrechterhalten, doch 1171 trat der völlige Bruch ein, als Kaiser Manuel auf einen Schlag sämtliche Venezianer in seinem Reich verhaften und ihre Güter beschlagnahmen ließ. Mit Recht konn­ ten diesmal die Venezianer ein Geschrei erheben, die Byzantiner hätten sie «dolose» ins Reich gelockt und «impie» gegen sie gehandelt; das Miß­ trauen gegen Byzanz verstärkte sich weiter62. Der Gegenschlag der Vene­ zianer ließ denn auch nicht auf sich warten, und eine vom Dogen ge­ führte Flotte eroberte einige griechische Städte an der dalmatinischen Küste, verwüstete Euböa und stieß bis zur Insel Chios vor! Darüber hinaus schloß Venedig auch ein Bündnis mit dem Normannenkönig ab, ein Schritt, der in Byzanz besonders alarmierend wirken mußte! Wenn auch Manuel daraufhin die Venezianer wieder in ihre alten Rechte einsetzte, so war doch bereits klar geworden, wozu die Venezianer bereit waren, so­ bald es um die Sicherheit ihres Handels ging. Die Interessenpolitik Ve­ nedigs konnte in Zukunft durchaus jene Rolle übernehmen, die bisher die normannische Politik gespielt hatte, das heißt eine zufällige Koalition von Kreuzfahrern, die vom alten Mißtrauen gegen die Griechen erfüllt waren, auf das konkrete Ziel einer Eroberung von Byzanz hinlenken.

Der dritte Kreuzzug: Richard Löwenherz

Ein weiteres Streiflicht auf die allgemeine Einstellung zu den Griechen wirft, wenn auch nur am Rande des Geschehens, die Haltung von Richard Löwenherz während seiner Kreuzfahrt. Immer wieder waren es ja vor allem die Kreuzzüge, die den Westen zu einer Stellungnahme gegenüber Byzanz nötigten. Während des dritten Kreuzzuges, der durch die Nachricht vom Fall Jerusalems 1187 veranlaßt wurde, gewann jedoch die sonst unvermeidbare Auseinandersetzung mit Byzanz für den französischen und den englischen König keine unmittelbare Aktualität, weil beide, entgegen der bisherigen Tradition, den Seeweg über Sizilien einschlugen. Die Wahl dieser Route ließ zwar jenen dringlichen Wunsch zur Tatsache werden, den Roger II. schon anläßlich des zweiten Kreuzzuges ausgesprochen und Wilhelm II. später wieder aufgenommen hatte,· doch im Moment, da sich endlich die 61 Niketas Choniates II, 5, Migne PG. 139, S. 421 (Manuel besaß einen sehr dunklen Teint). 62 Historia ducum Venetorum, 6, MG. SS. XIV, S. 78, und ebenda 7, S. 79; Andrea Dandolo, Chronicon, R. I. SS. Neuausgabe Bd. XII1Z S. 250.

201

gewünschte Konstellation ergab, war der damalige normannische König, Tankred von Lecce, der seine Herrschaft gegenüber dem Erbanspruch Heinrichs VI. zu behaupten hatte, nicht mehr in der Lage, die Leitung des Kreuzzuges an sich zu reißen und diesen zugunsten der normannischen Expansionspläne im östlichen Mittelmeer, das heißt vor allem gegen By­ zanz, auszunützen, wie es sich Roger und Wilhelm erträumt hatten. Zu­ dem wäre der französische König für eine solche Wendung kaum zu ha­ ben gewesen, obwohl sich Frankreich bisher so lebhaft an der Ausein­ andersetzung um die umstrittene griechische Herrschaft beteiligt und im Bewußtsein seiner großen Leistungen für die Kreuzzüge mit gesteigertem Selbstgefühl sogar Ansprüche auf das «Imperium Romanum» geltend ge­ macht hatte!63 Unter Philipp August, dem Nachfolger Ludwigs VII., war die französische Politik ganz nach Westen orientiert. Der König nahm nur aus Rücksicht auf die öffentliche Meinung am Kreuzzug teil und war be­ strebt, so rasch als möglich nach Hause zurückzukehren, um den Krieg gegen England zu Ende zu führen und Frankreichs «atlantische« Stellung zu festigen. So beschränkte sich diesmal die «griechische Frage» auf den Konflikt des englischen Königs mit der vorwiegend griechischen Bevölkerung von Messina und auf die ebenfalls durch ihn unternommene Eroberung Cypems. Beide Episoden ließen die negative Einschätzung der Griechen spontan wieder aufleben. Die «Griffones», wie die in und um Messina lebenden Griechen ge­ nannt wurden, waren von vornherein verdächtig, weil viele von ihnen «patribus Saracenis progeniti» seien64. Man brachte sie also sofort wieder tadelnd in Verbindung mit den Gegnern des Kreuzzuges, obwohl im kos­ mopolitischen Sizilien dieser Vorwurf etwas unrealistisch anmutet. Bei der Beschreibung der Zusammenstöße der Engländer mit der griechischen 63 Vgl. dazu auch noch den indirekten Hinweis im Ludus de Antichristo, hg. F. Wilhelm, S. 5, wo der französische König es ablehnt, sich dem Impera­ tor Romanorum zu unterwerfen und stolz antwortet: «Historiographis si qua fides habetur, non nos imperio sed nobis hoc debetur, Hoc enim seniores Galli possederunt atque suis posteris nobis reliquerunt», und etwas weiter unten: «Ecce Franci superbi nimium elati proterve se opponunt tue maiestati. Immo et imperii tui ius infirmant» ... 64 Itinerarium Peregrinorum et gesta regis Ricar di, II, 12, hg. W. Stubbs, Chronicles and memorials of the reign of Richard I, London 1864, Bd. I, S. 155.

202

Bevölkerung ist die Rede von deren «malicia» und «nequitia«65, und die Chronisten lassen König Richard seine Leute ermahnen, doch auf keinen Fall vor diesem «genus ignavum«, den «vilibus et effeminatis Grifonibus« zurückzuweichen66. In diesen wenigen Stichwörtern sind bereits wieder die beiden Komponenten des üblichen Griechenbildes beisammen, und wie andere vor ihm hielt auch Richard Löwenherz im Hochgefühl der eigenen Stärke mit seiner Verachtung für die Griechen nicht zurück, son­ dern gab ihr noch symbolisch Ausdruck, indem er, um seinen Sieg über die «arrogantia« der Griechen zu betonen, das von ihm für die Über­ wachung Messinas erbaute Kastell zum Spott «Mategrifun«, das heißt soviel wie «Griechenbändiger«, nannte!67 Ebenso charakteristisch ist die Schilderung der Eroberung Cyperns, die wegen der «mollities« der Griechen keine großen Schwierigkeiten berei­ tete68. Isaak Komnenos, der dort als «Kaiser« regierte, paßte ohne weiteres in das Schema des «imperator perfidus«! Er wird als tyrannischer Usur­ pator dargestellt69, dessen Arroganz die Engländer erbitterte70 und der sie durch Wortbruch71 und durch «blanditiis« und «fallaciis« auf hinter­ listige Weise, «in dolo«, zu betrügen versuchte72. Die heftigsten Vorwürfe aber fallen aus einem andern Grunde: Isaak, so heißt es, übertreffe die Perfidie des Judas und den Verrat Ganelons, weil er die christlichen Pil­ ger, die Zuflucht in Cypem suchten, hartnäckig verfolge und mit Saladin im Bunde stehe, ja sogar Blutsbrüderschaft mit ihm geschlossen habe73. 65 Ebenda; vgl. auch Ex Gestis Henri ci II. et Ricardi I., MG. SS. XXVII, S. 122. 66 Richard von Devizes, De rebus gestis Ricardi primi, in Chronicles, hg.

R. Howlett Bd. Ill, S. 397. 67 «... castellum... quod ad opprobrium Grifonum «Mategrifun« nominavit. Glorificata est fortitudo regis valde, et siluit terra in conspectu eius«, ebenda S. 402; Itinerarium Peregrinorum et gesta regis Ricardi, II, 20, hg. W. Stubbs, S. 168. 68 Wilhelm von Newburgh, Historia rerum Anglicarum, IV, 20, Chronicles, hg. R. Howlett Bd. I, S. 350. 69 Brief Richards I., Epistulae Cantuarienses, hg. W. Stubbs, Chronicles and memorials of the reign of Richard I, London 1864/65, Bd. II, S. 347. 70 Itinerarium Peregrinorum et gesta regis Ricardi, II, 32, hg. W. Stubbs, S. 189. 71 Ebenda II, 38, S. 199; Richard von Devizes, De rebus gestis Ricardi primi, Chronicles, hg. R. Howlett Bd. Ill, S. 424. 72 Itinerarium Peregrinorum et gesta regis Ricardi, II, 31, .hg. W. Stubbs, S. 187; vgl. auch II, 30, S. 186: «... quia ... imperatoris formidabant saevitiam vel perfidiam«. · 73 «Hie Cursac nomine, omnium malorum nequissimus, Judam exsuperans perfidia, Guenelonem proditione, quoscunque Christianae religionis professores pertinaciori persequebatur protervia. Salahadino dicebatur familiaris, et mutuum singuli hausisse cruorem, in signum et testimonium in-

203

Diese Begründung ist es denn auch, die Richard Löwenherz selber gel­ tend machte, um seine Eroberung der Insel zu rechtfertigen. Cypem war seit dem ersten Kreuzzug den Kreuzfahrern als reiches Versorgungs­ zentrum in bester Erinnerung, da sie während der Belagerung Antiochiens allein von dort her Nachschub erhalten hatten. Der Raubzug, den später Rainald von Chätillon gegen die friedliche Insel unternommen hatte, war allgemein verurteilt worden. Doch als jetzt Philipp von Frankreich durch Boten Richard Vorwürfe machen ließ, wieso er mit einer unnötigen Erobe­ rung soviel Zeit verliere und gegen unschuldige Christen, statt gegen die Sarazenen kämpfe, da antwortete ihm Richard Löwenherz mit Überzeu­ gung, die Griechen seien nicht ohne Schuld und er betrachte die Erobe­ rung der Insel als eine entscheidende Tat für das Gemeinwohl und die Sache des Kreuzzuges!74 Weil Cypern unter Isaak seine Aufgabe, den Verteidigern des Heiligen Landes den Nachschub zu sichern, nicht mehr erfüllte75, fühlte sich Richard ohne die geringsten Skrupel berechtigt, die griechische Insel in seine Gewalt zu bringen und unter lateinische Herr­ schaft zu stellen. Die zur Belagerung von Akkon versammelten Kreuz­ fahrer empfingen denn auch Richard einstimmig und mit großer Freude als Triumphator, weil er einen für den Erfolg des Kreuzzuges so wichtigen Gewinn erzielt habe76. Doch dieselbe Aufgabe wie Cypem kam ja in den Augen der Kreuz­ fahrer immer auch dem byzantinischen Reich als Ganzem zu, und wir dürfen wohl annehmen, daß Richard vor einer Eroberung Konstantinopels ebensowenig gezögert hätte wie vor der Eroberung Cyperns, wenn er vor diese Situation gestellt worden wäre. Sein Kreuzzug hatte ihn jedoch nicht über Konstantinopel geführt, und seine Erfahrungen im Heiligen Land machten ihn zu einem Verfechter jener andern Theorie, die als strate­ gischen Ausgangspunkt für die Rückeroberung Palästinas nicht mehr Byzanz empfahl, sondern Ägypten. Die «ägyptische Variante», die schon während des ersten Kreuzzuges die Gemüter bewegt hatte und seit der Zeit, da König Amalrich, die Byzantiner und die Normannen dort Vor­ vicem initae confoederationis, tanquam ex commixtione sanguinis exterius revera fierent consanguinei», ebenda II, 29, S. 183. 74 «Negotiosus satis erat, qui Graecos ita non immerito vexasset: plurimum enim videbatur ad rem publicam pertinere insulam Cyprum terrae Jerosolimitanae tarn necessariam subjugasse», ebenda II, 38, S. 199. Vgl. S. Runciman, A History of the Crusades Bd. III, S. 46. 75 Vgl. Estoire de Eracles, XXV, 23, RHC. Occ. II, S. 165. 76 «Accessit in augmentum laetitiae, quod Cyprum, insulam tarn commodam, tarn necessariam, rex Ricardus nostrae subjugasset ditioni, quae tarn oppor­ tune tanto serviret exercitui», Itmerarium Peregrinorum et gesta regis Ricardi, III, 2, hg. W. Stubbs, S. 212.

204

Stöße versuchten, immer weiteres Interesse fand, hätte für Byzanz, das da­ durch in den Hintergrund trat, das Aufhören der Bedrohung durch west­ liche Kreuzzüge bedeuten können, doch viele hielten trotz allem an der hergebrachten Landroute und an der traditionellen Auffassung von der Aufgabe des byzantinischen Reiches fest, wie der vierte Kreuzzug zeigen sollte. Auch schon während des dritten Kreuzzuges schlug ja aber eines der Heere den Weg über Konstantinopel ein, und mit Friedrich Barbarossa blieb Byzanz deshalb eine scharfe Auseinandersetzung nicht erspart.

Friedrich I. und Heinrich VI. Friedrich Barbarossa hatte schon als Teilnehmer am zweiten Kreuzzug Gelegenheit erhalten, Byzanz aus eigener Erfahrung kennenzulernen und sich über die Ziele der Politik Manuels Rechenschaft zu geben. Er war sich wohl schon früh bewußt, was der feste Wille Manuels, das justinia­ nische Reich zu erneuern für das westliche Reich bedeutete. Während sein Vorgänger Konrad in. nur in der Titelfrage deutlich den westlichen Standpunkt zur Geltung gebracht hatte, für Süditalien aber offenbar in realistischer Einschätzung der eigenen schwachen Stellung um des Bünd­ nisses willen zu Konzessionen an den Basileus bereit gewesen war, zeigte sich Friedrich nicht gewillt, irgendwelche Ansprüche des byzantinischen Kaisers auf Süditalien zu anerkennen, um dafür ein Bündnis gegen Si­ zilien einzuhandeln. Er trat vielmehr den Versuchen Manuels, im We­ sten wieder Fuß zu fassen und Italien in seine universalen Projekte mit­ einzubeziehen, mit Entschiedenheit entgegen, wie schon die Bestimmun­ gen des Vertrages von Konstanz 1153 beweisen. Jede Abtretung von Land in Italien an den «rex Grecorum» (!) wurde in diesem Vertrag mit dem Papst ausdrücklich abgelehnt77. An dieser grundsätzlichen Haltung schei­ terten letzten Endes alle immer wieder angebahnten Bündnisverhandlun­ gen zwischen den beiden Reichen, obwohl auch Friedrich angesichts der Mächtekonstellation seiner Zeit eine Zusammenarbeit der beiden Reiche in mancher Hinsicht für wünschenswert hielt und zu verschiedenen Zeit­ punkten versuchte, mittels einer Erneuerung des Freundschaftsverhält­ nisses zu Byzanz die Unterstützung all seiner Gegner in Italien durch den Basileus auszuschalten. Die Periode, da die beiden Reiche gemeinsam nach

77 «Graecorum quoque regi nullam terrain ex ista parte maris concedet. Quodsi forte ille invaserit, pro viribus regni, quantocius poterit, ipsum eicere curabit», Pactum Constantiense, MG. Const. I, Nr. 144, S. 201. Zur Ablehnung der byzantinischen Reconquista in Italien 1156 vgl. Otto von Freising, Gesta Friderici II, 30, MG. SS. in us. schol S. 136 ff.

205

einer Lösung für Süditalien gesucht hatten, ging nun eben doch zu Ende, und Friedrich nahm jeweilen auch den Mißerfolg der Bündnisverhand­ lungen in Kauf, als Manuel auf seine Ansprüche auf Italien nicht verzich­ ten wollte78. Doch damit ist erst festgestellt, daß Friedrich, dem es ja so sehr darum ging, die frühere Macht des Kaisertums in Deutschland und Italien wiederherzustellen, die alleinige Zuständigkeit des westlichen Kaisers für Italien auch gegenüber Byzanz betonte und das westliche Reich in voller Autonomie neben das byzantinische Reich gestellt sehen wollte. Für uns gilt es nun aber noch zu prüfen, ob nicht darüber hinaus auch in der Zeit Friedrichs wieder dem westlichen Imperium ausdrück­ lich der höhere Rang zugesprochen und auf Grund des römischen Kaiser­ titels eine Art Oberhoheit über Byzanz beansprucht wurde, ja ob nicht sogar in letzter Konsequenz auch eine Eroberung von Konstantinopel in Betracht gezogen wurde. Sicher waren jedenfalls solche Gedanken seiner Zeit nicht völlig fremd. Wie in Frankreich unter Ludwig VII. stolze, wenn auch etwas vage Träume von einer Herrschaft über den ganzen Orient in Prophezeiungen und Legenden sichtbare Gestalt erhielten, so fand die Auseinander­ setzung mit Byzanz und dem Osten überhaupt auch in Deutschland in ähnlicher Weise Ausdruck, und zwar geschah dies besonders anschaulich in einem literarischen Gegenstück zum «Pèlerinage de Charlemagne«, im «Ludus de Antichristo«79. Dieses Spiel überträgt in eindrücklichen For­ mulierungen die Endkaiserprophezeiung auf den deutschen König, wenn auch Friedrich Barbarossa nicht ausdrücklich genannt wird, und läßt ihn vor dem Auftreten des Antichrists als den letzten «Imperator Romanorum« erscheinen, dem alle Könige, darunter auch der «rex Grecorum», sich unterwerfen müssen und der zum Schluß sogar den Sieg über den «König von Babylon«, also wohl Saladin, gewinnt. Bezeichnend für das Griechenbild ist dabei, daß der französische König, der «rex Francorum«, dessen Volk «in militia valet« 80, erst durch einen Kampf besiegt werden muß und nachher dem Kaiser Kriegsdienst zu leisten hat, während der rex Grecorum sich ohne den geringsten Widerstand fügt und zu einem Tribut verpflichtet wird: ein Unterschied der Charakterisierung, der dem alten Klischee entspricht! Äußerst nachdrücklich und unzweideutig wird

78 Vgl. dazu W. Ohnsorge, Zu den außenpolitischen Anfängen Friedrich Bar­ barossas, in Abendland und Byzanz, S. 427 ff., und Das Zweikaiserproblem, S. 99 ff. 79 Der Ludus de Antichristo, hg. F. Wilhelm, Münchner Texte Heft 1, 1912. Vgl. dazu Μ. Bloch, L'Empire et l'idee de l'empire sous les Hohenstaufen, Revue des cours et Conferences 30 (1929), Nr. 14—16, S. 585 ff. 80 Ludus de Antichristo, hg. F. Wilhelm, S. 5.

206

durch den römischen Kaiser der Anspruch auf Weltherrschaft vertreten und mit den scripta hystoriographarum und dem jus romanum begrün­ det81. Dieser Autorität des Kaisers kann sich auch der rex Grecorum nicht entziehen. In der hierarchischen Struktur des Stückes gibt es für einen zweiten Kaiser keinen Platz; darum nimmt der alleinige Imperator Romanorum, der ja eben zugleich der rex Teutonicorum ist, feierlich den Lehenseid des rex Grecorum entgegen: «eum in hominem suscipiens»!8283 Als Imperator Romanorum ist ihm die Führung der ganzen Christenheit übertragen und alle haben sich ihm unterzuordnen. Ein ganz ähnliches Bild entwarf in jener Zeit auch der «Archipoeta« von der Stellung Friedrich Barbarossas, wenn er ihn als «dominus mundi« und als «princeps terre principum« ansprach, der über alle anderen Kö­ nige gestellt sei8S. Der Dichter feierte ihn als einen neuen Karl den Gro­ ßen84 und vergaß nicht zu erwähnen, daß der «imperator Grecus« vor dem Kaiser zittere!85 Einen weiteren Hinweis auf die Auseinandersetzung mit Byzanz in der Zeit Friedrichs liefert eine der Deutungen einer alten Weissagung, die wahrscheinlich um 1173 wieder zirkulierte und neu ausgelegt wurde, als Friedrichs Kanzler Christian von Mainz gegen das byzantinisch gesinnte Ankona vorging. Die Weissagung spricht von einem Kampf zwischen dem Löwen, worunter Friedrich zu verstehen ist, und einem fetten Waldesel, womit Manuel gemeint sein soll, der — wie es heißt — in Gold und Silber und vielen Schätzen «fett« geworden sei und nun ohne Waffentaten und echte Kräfte sich in Sicherheit fühle86. Der Löwe Friedrich werde aber über den Appenin und Brindisi nach Epirus übersetzen, um gegen den

81 «Sicut scripta tradunt hystoriographarum quicquid habet mundus, fiscus est Romanorum», ebenda S. 7; vgl. auch S. 4 und S. 5. 82 Ebenda, S. 8. 83 Archipoeta, Gedichte, hg. von Μ. Manitius, 2. Aufl., München 1929, Nr. VII, Strophen 1, 2, 3, S. 38. 84 Ebenda, Strophe 16, S. 41. 85 Ebenda, Strophe 31, S. 44. 86 Die Verse des Vaticiniums lauten: «Montibus excedunt onager atque leo. Sydere Pollucis fraternum corruet astrum. Et Babel Archadie perfusa cruore rubebit», De fine schismatis vaticinium, MG. Libelli de lite, Bd. Ili, S. 566, und dazu die Interpretation S. 570: «... onager, qui est silvestris asinus et arvinosus in corde multeque pinguedinis, significet regem Grecorum, qui quasi in crassicie et pingue­ dine sui cordis ita in auro et argento multisque suis thesauris incrassatus, inpinguatus sine ullo armorum labore vel virium fervore securus quiescit.»

207

Waldesel zu kämpfen87. Aus diesem Kampf, der sich im vom Blut ge­ röteten Arkadien abspielen solle, werde Kaiser Friedrich strahlend und siegreich hervorgehen, so wenigstens ist wohl die Prophezeiung zu ver­ stehen, denn sie sagt voraus, durch den Aufstieg von Friedrichs Gestirn werde der Stern des griechischen Reiches niederstürzen und in Finsternis untertauchen88. Hier wurde offenbar an einen entscheidenden Endkampf der beiden Reiche gedacht. Sicher gehören die Darstellung im Ludus de Antichristo, die Verse des Archipoeta, die erwähnte Prophezeiung und noch andere ähnliche Zeug­ nisse in den Rahmen der mannigfachen, schon auf die Karolinger- und Ottonenzeit zurückgehenden Bemühungen, das neue Imperium im We­ sten ins Weltbild einzuordnen, ihm in der Staatenhierarchie seinen Platz zu geben und seine Herrschaftsberechtigung und Macht vor allem gegen­ über Byzanz zu beweisen und zu betonen 89. Sie stehen aber auch deutlich in Zusammenhang mit der eigentlichen westlichen Kaisertradition, d. h. mit dem im Titel «Imperator Romanorum»» enthaltenen Anspruch auf Weltherrschaft, auf das «dominium mundi», das als universaler Anspruch gerade auch gegenüber Byzanz vertreten wurde und in der Reichsidee der Stauferzeit deutlicher hervorzutreten begann90. Damit braucht nicht unbedingt eine tatsächlich auszuübende Herrschaft gemeint zu sein, son­ dern es geht, wie schon einmal angedeutet91, mehr um das größere An­ sehen und die höhere Autorität des römischen Kaisers gegenüber allen andern Herrschern92. 87 «Leo autem, id est imperator Fridericus, monies Appenninos, Brundusium et Epyrei montes marina vectatione in onagrum bellaturus transibit»», ebenda. 88 «Potestate Romani imperii, qua Pollux, id est Fridericus Romanorum imperator, imperiali diademate coruscat, ipsa inquam potestate et alaris­ simo iubare sui exercitus atque gladii, astrum fratemum corruet, id est potestas et dominium, qua Grecorum regnum lucebat, id est regnum Castoris, fratris quondam Pollucis, imperiali inquam armorum robore contrita corruet et a propria luce sue potestatis qua dudum lucebat in obscuritatis mirabiles tenebras contrito regno Grecorum deveniet», ebenda; vgl. W. Ohnsorge, Das Zweikaiserproblem, S. 115, und Abendland und Byzanz, S. 480. Die Prophezeiung erinnert an die bereits von Liudprand von Cremona erwähnte Weissagung, Relatio de legatione const. XL, MG. SS. in us. schol. S. 196; vgl. oben S. 13 und Anmerkung 13 und 14. 89 Vgl. oben im Vorwort S. 11 ff. 90 Vgl. z. B. «Quia divina dementia Urbis et Orbis gubernacula ten emus ...»>, MG. Const. I, S. 224. 91 Vgl. oben S. 158. 92 Vgl. in diesem Sinne: R. Holtzmann, Der Weltherrschaftsgedanke des mit­ telalterlichen Kaisertums, Histor. Zeitschrift Bd. 159 (1939), S. 251 ff., und

208

Hat Friedrich selber den Anspruch in diesem Sinne gegenüber Byzanz geltend gemacht? Sicher standen für ihn seine Herrscheraufgaben in Deutschland und in Italien durchaus im Vordergrund, aber die Ausein­ andersetzung mit Byzanz hat ihn doch immer wieder beschäftigt. In den Gesta Friderici, in denen der byzantinische Kaiser stets nur als imperator Constantinopolitanus bezeichnet wird, berichtet Rahewin, daß Friedrich mit der Begrüßung durch die byzantinischen Gesandten unzufrieden ge­ wesen sei und verlangt habe, daß sie ihm ohne überflüssige Tiraden die Ehrerbietung erweisen sollten, die ihm als römischem Kaiser und Herr der Stadt Rom und des Erdkreises gebühre!93 In der abschließenden Würdi­ gung Friedrichs erwähnt Rahewin, um die Macht des Kaisers darzutun, nicht nur daß zahlreiche Herrscher ihn ihrer Ergebenheit versichert hät­ ten, sondern auch daß Friedrich den Kaiser Manuel bewogen habe, sich nicht Kaiser von Rom, sondern von Neurom zu nennen94. Noch deut­ licher wird jedoch die übergeordnete Stellung und die höhere Autorität des römischen Kaisertums gegenüber Byzanz in einem Schreiben von Friedrich selber vertreten, allerdings erst nachdem die Niederlage bei Myriokephalon dem Prestige des byzantinischen Reiches den entscheiden­ den Schlag versetzt hatte. In diesem an Manuel gerichteten Brief, der zum Teil stark an den früher erwähnten Brief Konrads III. erinnert9596 , bezeich­ net sich Friedrich nicht nur als Imperator Romanorum, sondern zusätzlich als «Grecorum moderator»98. Ihm sei die von seinen Vorgängern erwor­ bene Herrschaft über Rom in ununterbrochener Reihenfolge übertragen worden, so betont er, und deshalb solle nicht nur das Römische Reich seiner Leitung unterstehen, sondern auch das «regnum Grecie» mit sei­

93

94 95 96

Dominium mundi und imperium merum, Zs. f. Kirchengeschichte Bd. 61 (1942), S. 192. «... imperator veniam super his donavit, accepta sponsione, quod deinceps spernentes ampullosa, nonnisi eam quam deceret Romanum principem et orbis ac Urbis dominatorem, reverentiam suis salutationibus apportarent», Otto und Rahewin, Gesta Friderici III, 6, MG. SS. in us. schol S. 171. Ebenda IV, 86, S. 345. Vgl. oben S. 157. «F. divina favente clementia imperator inclitus triumphator a deo coronatus sublimis in Christo fidelis magnus pacificus gloriosus cesar Greco­ rum moderator semper augustus nobili et illustri regi Grecorum et imperatori...», Brief Friedrichs an Manuel, abgedruckt bei H. von Kap-Her, Die abendländische Politik Kaiser Manuels, Straßburg 1881, S. 156. Vgl. auch Annales Stadenses, a. D. 1179, MG. SS. XVI, S. 349, wo berichtet wird, Fried­ rich sei sehr zornig gewesen, weil Manuel ihn in einem vorausgehenden Brief nicht mit den ihm zukommenden Titeln angesprochen habe, und einige Sätze aus dem Brief Friedrichs im Wortlaut zitiert werden.

209

ner Zustimmung regiert und unter seiner Oberhoheit verwaltet werden. Gott habe das Römische Reich als Oberhaupt des ganzen Erdkreises ein­ gesetzt, so wie die römische Kirche als Mutter, Herrin und Lehrerin über allen Kirchen stehe,· nur diese beiden Schwerter könne es geben, wie Chri­ stus selber dargetan habe. Darum fordere er, Friedrich, Manuel auf, ihm und dem Imperium Romanum die schuldige Ehrerbietung zu erweisen wie auch dem Papst den schuldigen Gehorsam97. Dies waren Formulierungen, die Manuel, der ja selber einer der glänzendsten Repräsentanten der uni­ versalen Tradition von Byzanz war, aufs tiefste verletzen mußten. Im ideellen Bereich erhob also auch Friedrich ganz bewußt die im römi­ schen Kaisertitel enthaltenen Ansprüche und wies dem byzantinischen Reich gegenüber dem römischen Reich eine untergeordnete Stellung zu. Immerhin ließ er auch in diesem Brief Manuel durchaus als rex Grecorum et imperator gelten. Lag demnach Friedrich Barbarossa der Gedanke an eine direkte lateinische Herrschaft in Konstantinopel völlig fern? Diese Frage stellte sich konkret erst im Rahmen des Kreuzzuges und hier begin­ nen nun, deutlicher als seinerzeit bei Konrad III., westliche Kaisertradi­ tion und kaiserliche Kreuzzugspolitik sich zu vermischen und zusammen­ zuwirken. Friedrichs Kreuzfahrt als Kaiser stand am Ende seiner Regierungszeit und sollte sein ganzes Leben als Kaiser gleichsam krönen und abschließen. Sein glanzvoller Rivale in Byzanz, Manuel, war zu diesem Zeitpunkt längst tot, und den Kreuzfahrern schien es, als nähmen die Kräfte des

97 «Predecessorum nostrorum dive memorie inperatorum urbis Rome monarchiam divino munere et felix obtinuit victoria eamque nobis usque ad hec tempora successive potenterque transmisit, ut non solum Romanum inperium nostro disponatur moderamine, verum etiam regnum Grecie ad nutum nostrum regi et sub nostro gubernari debeat inperio. Sicut autem ille rex regum, a quo omnis potestas, Romanum inperium caput totius orbis constituit, ita etiam sedem Romane ecclesie omnium ecclesiarum matrem unicam dominamque et magistram ordinavit, quod utique duorum gladiorum numero, quos quidem sufficere perhibuit, ipse auctor fidei Christiane patenter prefiguravit. Quapropter fraterni amoris pretextu, quem tue gerimus excellentie, prudentiam tuam scriptis presentibus dignum commonere duximus, quatinus nobis et inperio Romano debitum honorem recognoscas et summo pontifici... reverenter obedientiam exhibeas»», Brief Friedrichs an Manuel, abgedruckt bei H. von Kap-Herr, Die abendländische Politik Kaiser Manuels, S. 156 ff. Vgl. auch Annales Stadenses, a.D.ll79, MG. SS. XVI, S. 349. — Am Schluß des Briefes äußert sich Friedrich noch verächtlich über die byzantinische Diplomatie, die durch Bestechung kaiserliche Untertanen abspenstig zu machen versuche; ein Hinweis, der ins übliche Griechenbild paßt!

210

byzantinischen Reiches unter den Angeloi ständig ab9899 . Friedrich ließ sich darum durch «den Hochmut und die Arroganz» der Byzantiner nicht beeindrucken", sondern trat der Anmaßung Isaaks II. sehr selbstbewußt entgegen, als jener «Greculus» es wagte, in seinen Briefen für sich selber den Titel Imperator Romanorum zu «usurpieren» und Friedrich nur als König von Deutschland anzureden. Ausführlich begründete Friedrich neuerdings seinen alleinigen Anspruch auf das römische Kaisertum100. Isaak dürfe sich höchstens moderator «Romaniorum» nennen, nicht aber moderator «Romanorum», fügt die Historia Peregrinorum in einem Wort­ spiel hinzu101. Doch trotz dieser energischen Zurückweisung der byzan­ tinischen Rangansprüche und der betont «imperialen» Haltung war es doch nicht in erster Linie die Kaiseridee, die Friedrich wirklich an eine Eroberung von Konstantinopel denken ließ, sondern den Anstoß gab auch für ihn das Kreuzzugsinteresse. Sein Ziel war Jerusalem, und für den 98 «Attamen regni Grecorum vires de die in diem pessumdabant et iuxta veritatis testimonium: ,omne regnum in se ipsum diVisum desolabitur', quadrifariam regnum ipsum divisum omnimodis erat attenuatum et inminutum ipsis diebus, quibus illic transiebamus», Hist, de expeditione Friderici Imperatoris, in Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I., hg. A. Chroust, MG. SS. nova series V, S. 32. 99 «... litteras Greci imperatoris Ysaakii fastu et arrogantia plenas ...» und «illius infronite superbie ...», ebenda S. 39. 100 «... denique solito fastu idem Greculus se mendose impera torem Roma­ norum, ipsum vero domnum nostrum serenissimum augustum non imperatorem Romanorum sed regem tantum Alamannie nuncupavit. Qua epí­ stola recitata et expósita domnus imperator divina se illustrante gratia ulterius dissimulare non valens temerarium fastum stulti regis et usurpativum vocabulum falsi imperatoris Romeon, hec inter cetera exorsus est: Omnibus qui sane mentís sunt, constat, quia unus est monarchos impera­ tor Romanorum, sicut et unus est pater universalis pontifex videlicet Romanus; ideoque cum ego Romani imperii sceptra plus quam triginta annos absque omnium regum vel principum contradictione tranquille tenuerim et in Romana urbe a summo pontífice imperiali benedictione unctus sim et sublimatus, quam denique monarchiam predecessores mei imperatores Romanorum per plus quam quadringentos annos mihi gloriose transmiserint, utpote a Constantiopolitana urbe ad pristinam sedem imperii caput orbis Romam acclamatione Romanorum et principum imperii, auctoritate quoque summi pontificis et sánete katholice ecclesie translatam propter tardum et infructuosum Constantinopolitani imperatoris auxilium contra tyrannos ecclesie, mirandum est admodum, cur frater meus domnus vester Constantinopolitanus imperator usurpet inefficax et sibi indebitum vocabu­ lum et glorietur stulte alieno sibi prorsus honore, cum liquido noverit me et nomine dici et re esse Fridericum Romanorum imperatorem semper augustum», ebenda S. 49 und S. 68. Vgl. Historia Peregrinorum, ebenda S. 140 und S. 144, und Dietpolds Brief, MG. SS. XVII, S. 510. 101 Historia Peregrinorum, MG. SS. nova series V, S. 144.

211

Augenblick spielte Byzanz nur insofern eine Rolle, als es den Kreuzzug förderte oder hinderte102. Gerade in dieser Hinsicht entsprachen jedoch die Erfahrungen des dritten Kreuzzuges sehr genau den früheren Klagen. Die Deutschen waren bald überzeugt, daß die Byzantiner sie am Durch­ marsch verhindern wollten, und so fiel denn auch die Beurteilung der Griechen in altbekannter Weise aus. Die beiden Hauptchronisten berich­ ten mit dem bereits zur Gewohnheit gewordenen Vokabular über die Griechen und ihren «subdolus», «nequissimus» und «perfidus Impera­ tor» 103. Sie sind nicht erstaunt, daß «doli et periuria» der Griechen immer offener zutage treten104, denn für sie ist die «perfidia Grecorum» eine längst feststehende Tatsache, zu deren Beweis auch von ihnen der stereo­ type Danaerspruch in Erinnerung gerufen wird105. Die Schuld des Kaisers an allen Verzögerungen und Behinderungen, die das Heer beim Durchzug erlebte, scheint ihnen von Anfang an erwiesen106, und die ganze, von Mißtrauen gefärbte Darstellung ist auf das vor der griechischen Verschla­ genheit warnende Sprichwort abgestimmt: «Gebrannte Kinder fürchten das Feuer!»107 Neben den Klagen über die doppelzüngige Diplomatie der Griechen108 und der Entrüstung über die widerrechtliche Zurückhaltung 102 «... respondit: se pro amore Christi peregrinationem laboriosam contra oppressores terre lerosolimitane suscepisse nullumque se malum fastu alicuius ambitionis adversus quemlibet christianum regem machinan, similiter nec adversus regem Grecie, ita tarnen, si ipse fidum conductum, utsepe promiserat, et bonum forum exercitui prepararet, alioquin contra fal­ sos christianos insidiatores peregrinorum Christi eque ut contra paganos se armari et viam ferro cum suis facturum», Historia de exped. Friderici, ebenda S. 31 und S. 59; Historia Peregrinorum S. 135. 103 Vgl. z. B. Historia de exped. Friderici, S. 27, S. 48; Historia Peregrinorum, S. 132, S. 142. 104 «... tuncque liquido doli et periuria Greci imperatoris et suorum coeperunt patescere», Historia de exped. Friderici, S. 37; vgl. Historia Peregrinorum, S. 138. 105 «... Greci sólita perfidia pacis pacta violantes», Historia de exped. Fride­ rici, S. 72; «... O nefanda et innata Grecorum perfidia, de quibus non ab re legitur: timeas Dañaos et dona ferentes», Historia Peregrinorum, S. 132; vgl. auch «... nulla in Grecis fide reperta», Epistola de morte Friderici imperatoris, MG. SS. nova series V, S. 173. 106 Historia de expeditione Friderici, MG. SS. nova series V, S. 28; vgl. auch S. Runciman, A History of the Crusades Bd. III, S. 12 ff. 107 «Verum quia vulgari proverbio dicitur: ,ustus timet uri', Grecorum iuramentis et simulationibus nullam prorsus habentes fidem...», Brief Fried­ richs an Heinrich, Historia de expeditione Friderici, MG. SS. nova series V, S. 42; vgl. auch S. 48. 108 «... tándem post multas ambages et dolosa figmenta...», Historia de ex­ peditione Friderici, S. 47.

212

von Friedrichs Gesandten als Geiseln war es auch jetzt wieder das dies­ mal tatsächlich vorhandene Einverständnis der Byzantiner mit dem Feind, das heißt Isaaks Bündnis mit Saladin, das Ärgernis erregte und in jenem Moment, da sich der Kreuzzug gegen Saladin richtete, als «perfidia» empfunden wurde10°. Man nahm an, der byzantinische Kaiser ver­ suche aus Freundschaft zu Saladin, den Kreuzfahrern den Weg zu ver­ legen, und stand dieser Haltung empört und verständnislos gegenüber. Die Chronisten gaben sich keine Rechenschaft darüber, wie gefährlich die von Friedrich geführten Verhandlungen mit den Serben und Bulgaren wie auch mit dem Sultan von Ikonion aus byzantinischer Perspektive er­ scheinen mußten, und sie waren sich nicht bewußt, daß es einmal mehr die in Byzanz als sehr bedeutend eingeschätzte Bedrohung durch den west­ lichen Kreuzzug war, die den byzantinischen Kaiser zu seinem Verhalten, d. h. diesmal nun zum Bündnis mit Saladin, veranlaßt hatte. Die aus diesen Zusammenhängen sich ergebende Gefährdung des Kreuzzuges durch Isaak, der dem Heer die Überfahrt über den Bosporus verweigerte, bewog schließlich Friedrich, die Besetzung des Gebietes um Adrianopel und einen eventuellen Vorstoß gegen Konstantinopel in aller Schärfe als Druckmittel zu verwenden. Deutlich äußerte er sich in seinem Brief an Heinrich VI., er sehe keine Möglichkeit, den Kreuzzug weiter­ zuführen, «nisi... totam Romaniam nostro subiciamus imperio»», und er bat ihn, eine Flotte der italienischen Seestädte zu schicken, damit er, Friedrich, gleichzeitig vom Land und vom Meer her Konstantinopel be­ lagern könne!109 110 Ja, Friedrich verlangte sogar, Heinrich solle den Papst auffordem, Prediger für diesen Kreuzzug gegen die Griechen zu bestim­

109 «Post miserandorum vero et inexplicabilium malorum narrationem idem episcopus subiunxit de perfidia Grecorum, de confederatione scilicet imperatoris Ysachii cum Saladino, de predicatione patriarche, quomodo Grecis iniunxerat in remissionem peccatorum peregrinos occidere et delere de terra..Historia Peregrinorum, ebenda S. 143; Historia de expeditione Friderici, S. 39. Zu den Bedingungen des Bündnisses vgl. R. Grousset, Hist, des Croisades Bd. III, S. 11. Byzanz erhielt dafür die Rückgabe der heiligen Orte in Jerusalem an die Orthodoxen zugesichert! 110 «Quoniam igitur impossibilis est transitus noster per brachium sancti Georgii, nisi ab imperatore Constantinopolitano electissimos atque omni exceptione maiores obtineamus obsides et totam Romaniam nostro subicia­ mus imperio, regie nobilitatis tue commonentes rogamus prudentiam, quatenus idoneos serenitatis tue legatös lanuam, Venetias, Anchonam atque Pisam et ad alia loca pro galearum atque vascellorum transmittas presidio, ut Constantinopolim circa medium martium nobis occurentes ipsi per mare, nos vero per terram civitatem oppugnemus»», Historia de expeditione Friderici, MG. SS. nova series V, S. 42.

213

men111. Damit wird nun für uns deutlicher als je bisher erfaßbar, aus welcher Situation heraus ein verantwortlicher christlicher Herrscher, der nicht Normanne war, eine Eroberung von Konstantinopel und eine Unter­ werfung des byzantinischen Reiches ernsthaft in Erwägung ziehen konnte. Zwar scheint der damals beinahe siebzigjährige Friedrich die Schwierig­ keiten einer Belagerung von Konstantinopel, zu der ihn die Serben und Bulgaren wie auch die byzanzfeindliche Kriegspartei im eigenen Heer drängten, nicht unterschätzt zu haben und persönlich eher zögernd und widerwillig (invitum!) auf dieses Projekt eingegangen zu sein, da für ihn durchaus Jerusalem im Vordergrund stand; doch immerhin faßte er doch offenkundig diese Möglichkeit ins Auge und traf ungescheut vorberei­ tende Maßnahmen112. Noch viel weniger Bedenken trug man bezeich­ nenderweise in seiner Umgebung. Schon lange war die Erbitterung über die Griechen unter den Kreuzfahrern wieder gefährlich angestiegen113, eine starke und entschiedene Kriegspartei, ja ein eigentliches «Byzanz­ fieber« 114 machten sich bemerkbar, und — wie die Historia Peregrinorum berichtet — schließlich lechzte das ganze Heer nach der Eroberung der Stadt!115 Dieser Hinweis zeigt erneut, wie spontan in jener Lage auch die einfacheren Kreuzfahrer zu einem solchen Vorstoß bereit gewesen wären, selbst wenn die Führer wie Friedrich eher Zurückhaltung übten, und wie rasch die Vorstellung, Byzanz sei ein lästiges Hindernis statt eine Hilfe, in einem Kreuzfahrerheer die Oberhand gewinnen konnte. Auch während des dritten Kreuzzuges erschien vielen Kreuzfahrern Byzanz

111 «Ad haec domno pape scribere non omittas, quod aliquos religiosos per diversas provincias destinet, qui populum dei contra inimicos crucis exhortentur, precipue contra Grecos, quia presentibus legatis nostris... in ecclesia sancte Sophie patriarcha Constantinopolitanus publice predicavit, quod quicumque Grecorum centum peregrinos occideret, si decem Grecorum (homicidii) reatum incurrisset, indulgentiam consequeretur a domino», ebenda S. 43. 112 Vgl. zu dieser Frage K. Zimmert, Der deutsch-byzantinische Konflikt vom Juli 1189 bis Februar 1190, Byzantin. Zs. Bd. XII (1903), S. 63 und S. 72; W. Norden, Das Papsttum und Byzanz, S. 117 ff. 113 «Exinde amplius ampliusque nostrorum erga Grecos efferbuit indignatio», Historia de expeditione Friderici, MG. SS. nova series V, S. 58; Historia Peregrinorum, S. 141. 114 K. Zimmert, Der deutsch-byzantinische Konflikt, Byz. Zs. Bd. XII, S. 63. 115 «Ad cuius videlicet urbis expugnationem omnis Christi exercitus adspirabat, ad cuius etiam obsidionem, si invitum admodum piissimum Romanorum imperatorem obstinatio et pertinacia Constantinopolitani imperatoris perduxisset, naves, etiam galeas ab Italia et Apulia et maritimis idem providus imperator per litteras et nuntios preparaverat, exercitum quoque auxiliariorum Servorum et Blacorum ultra sexaginta milia in promptu habebat...»», Historia de expeditione Friderici, MG. SS. nova series V, S. 68.

214

plötzlich wieder als der einzige «Stein des Anstoßes«116, den es aus dem Weg zu räumen gelte, um den richtigen Ausgangspunkt für den Kreuz­ zug zu gewinnen! Nur Isaaks unvermitteltetes Nachgeben, das den Weg nach Jerusalem frei machte, verhinderte schließlich, daß die Belagerung Konstantinopels in Angriff genommen wurde. Alle schon bisher gegen Byzanz wirksam gewordenen Motive galten aber in verstärktem Maße für den Nachfolger Friedrichs, Heinrich VI. Zu den aus der westlichen Kaisertradition sich ergebenden Ansprüchen und den weiterhin im Vordergrund stehenden Kreuzzugsinteressen trat nun noch zusätzlich die normannische politische Konzeption. In den Augen der Zeitgenossen schien bereits seine noch zur Zeit Friedrichs vereinbarte Heirat mit Konstanze, der Tochter Rogers IL, eine deutliche Spitze gegen Byzanz zu enthalten 117. Das normannische Erbe, das dann Heinrich durch diese Heirat schließlich zufiel, konnte selbstverständlich nicht ohne Ein­ fluß auf ihn bleiben. Er erhielt in Sizilien nicht nur die materielle Grund­ lage für seine weitreichenden Pläne, sondern erbte auch die ganze nor­ mannische Tradition einer die Eroberung von Byzanz einschließenden Orientpolitik. Ausdrücklich in seiner Eigenschaft als neuer Herr des Nor­ mannenstaates erhob er denn auch gegenüber Isaak in einer Drohbotschaft Anspruch auf das byzantinische Gebiet von der Adria bis Thessalonike! Nur durch listigen Betrug hätten ja die Byzantiner die Normannen aus diesem nach Kriegsrecht eroberten Land wieder vertrieben, wurde von ihm geltend gemacht118. Selbst aus dem Bericht des byzantinischen Chronisten tritt uns also hier, wenn auch unter Protest, das Bild von den verschla­ genen Byzantinern noch einmal entgegen! Heinrich soll auch im beson­ deren die «Ränke« Kaiser Manuels, mit deren Hilfe jener Friedrich I. zum Rückzug aus Italien gezwungen habe, als weiteren Beweggrund für seine feindselige Haltung gegen Byzanz genannt haben. Noch mehr als Fried­ rich I. mußte sich zudem Heinrich VI. als «Imperator Romanorum« füh­ len, und er scheint sich auch der Verpflichtung dieser Stellung sehr be­ wußt gewesen zu sein: Unablässig habe er darüber nachgedacht, wie er sich zum einzigen Herrscher aufschwingen und alle andern Reiche unter­ werfen könne, berichtet Niketas, und das Verhalten Heinrichs VI., der feierlich die Lehenseide der Könige von England, Cypern und Armenien 116 «Cur autem subdolus imperator contra omnem christianitatem se exhibens petram offensionis et scandali...«, Historia Peregrinorum ebenda, S. 129. 117 «Deinde imperator regno Grecorum infestus, filiam Ruotgeri régis Siciliae filio suo copulare procurât«, Annales Colonienses maximi, MG. SS. XVII, S. 791. 118 Vgl. zu dieser Stelle und zum folgenden: Niketas Choniates, De Alexio, I, Migne PG. 139, S. 849 ff.

215

entgegennahm und den Kreuzzug als seine Aufgabe ansah, zeugt auch wirklich von einer solchen Auffassung seiner Stellung. Gegenüber By­ zanz schuf sich Heinrich darüber hinaus noch einen weitern Anspruch, indem er die byzantinische Kaisertochter Irene mit seinem Bruder Phi­ lipp verheiratete! Nicht zuletzt spielte auch das Kreuzzugsinteresse wieder mit. Da der Papst für Byzanz eintrat und von Heinrich VI. statt eines Angriffs auf das oströmische Reich einen Kreuzzug ins Heilige Land ver­ langte, bot Heinrich Kaiser Isaak und nach dem Thronwechsel auch Kaiser Alexios einen Frieden an, forderte aber dafür einen gewaltigen Tribut und die Entsendung einer byzantinischen Flotte nach Palästina. Die schon immer als so wichtig erachtete Unterstützung des Kreuzzuges von Seiten von Byzanz wurde nun also nicht mehr nur erhofft und erwar­ tet, sondern von Heinrich, der sich berechtigt glaubte, über das «kraft­ lose« byzantinische Reich als «der König der Könige und der Herr aller Herrscher« zu verfügen, in scharfen Worten befohlen. Falls der Aufforde­ rung nicht Folge geleistet werde, ließ Heinrich hinzufügen, werde er auf der Stelle mit seinem Heer gegen Byzanz marschieren! Damit war die Dro­ hung wieder ausgesprochen, und Heinrich betrachtete wohl auch den Kreuzzug nur als einen im Augenblick notwendigen Aufschub seiner Pläne gegen Byzanz110. Trotz der eindeutigen Aussage des Niketas Choniates haben zwar einzelne moderne Historiker bezweifelt, ob Heinrich selber wirklich ernsthaft an eine Eroberung von Byzanz gedacht und Pläne für eine Weltherrschaft gehegt habe119 120, doch sprechen seine ultimativen Drohbotschaften wohl doch eine zu deutliche Sprache, und seine Hal­ tung gegenüber Cypern und Armenien läßt darauf schließen, daß der Kreuzzug nur ein Teil seiner umfassenderen Orientpläne war, die eine Eroberung des oströmischen Reiches miteinschlossen. Nicht nur Niketas Choniates, sondern auch Papst Innozenz III. beurteilte rückblickend die Situation in diesem Sinne, wenn er 1202 in einem Brief an Alexios schrieb: «... sicut Henricus olim imperator . . . per Siciliam tuum proposuerat Imperium occupare«121. Nur der frühe Tod Heinrichs verhin­ derte die Verwirklichung jener Pläne. 119 Vgl. in diesem Sinne: W. Norden, Das Papsttum und Byzanz, S. 122; A. Vasiliev, History of the Byzantine Empire, S. 448; G. Ostrogorsky, Ge­ schichte des byzantinischen Staates, S. 328; S. Runciman, A History of the Crusades Bd. III, S. 108; W. Ohnsorge, Das Zweikaiserproblem, S. 116; F. Dölger, Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen Reiches, I, Nr. 1619, S. 101. 120 Vor allem W. Leonhardt, Der Kreuzzugsplan Kaiser Heinrichs VI., Leipzig 1913, und neuerdings A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge Bd. I, S. 222. 121 Regesta Pontificum Romanorum 1198—1304, hg. A. Potthast Bd. I, S. 154, N. 1763.

216

Damit stehen wir unmittelbar vor 1204; die byzantinische Frage blieb weiterhin offen! Nach allem, was vorausgegangen war, kann es nicht mehr völlig überraschen, daß der vierte Kreuzzug zu einem Kreuzzug gegen Konstantinopel wurde. Die Idee einer Eroberung von Konstanti­ nopel war zu diesem Zeitpunkt keineswegs gänzlich neu und unbegrün­ det, sondern beruhte auf einer ganz bestimmten Auffassung von der Rolle von Byzanz im Rahmen der Kreuzzugsbewegung. Es ist nicht mehr un­ sere Aufgabe, den Ablauf des vierten Kreuzzuges zu schildern; doch um den Kreis zu schließen, seien hier noch zwei Belege aus den Quellen zum vierten Kreuzzug angeführt, welche die in dieser Arbeit dargestellte Kon­ zeption des Westens im Hinblick auf die Byzanz zugedachte Aufgabe be­ stätigen. So berichtet etwa Villehardouin, während der Diskussionen, ob man gemäß dem Wunsch der Venezianer gegen Konstantinopel fahren solle, seien die Befürworter dieser Route der Meinung gewesen, eine di­ rekte Rückeroberung Palästinas sei unmöglich; nur über Byzanz oder Ägypten führe ein Weg zum Erfolg: «Bel seignor, en Surie ne poez vos rien faire,· .. . sachez que par la Terre^de Babiloine ou par Grece ert recovree la Terre d'oltremer, s'ele jamais est recovree.»122 Noch deutlicher tritt uns jedoch die von den Lateinern vertretene Auffassung von der Bedeutung von Byzanz in jenem Brief entgegen, den Balduin von Flan­ dern nach der Eroberung von Konstantinopel an den Papst richtete. Da heißt es, bei der Krönung Balduins zum lateinischen Kaiser in Byzanz seien auch Vertreter der Kirche und Ritter aus dem Heiligen Land dabei gewesen, die erklärten, die Eroberung Konstantinopels mache sie glück­ licher als selbst die Eroberung von Jerusalem, weil nun endlich diese königliche Stadt, die solange Zeit hindurch eine feindliche und wider­ sprüchliche Haltung eingenommen habe, sich dem Dienst für die römi­ sche Kirche und für das Heilige Land widmen werde!123

122 Geoffroi de Villehardouin, La conquête de Constantinople, hg. E. Bouchet, Bd. I, S. 65. 123 «Aderant incolae Terrae Sanctae, ecclesiasticae militaresque personae, quorum prae omnibus inaestimabilis erat et gratulabunda laetitia, exhibitumque Deo gratius obsequim asserebant quam si civitas sancta christianis cultibus esset restituta, cum ad confusionem perpetuam inimicorum Crucis, sanctaeque Romanae ecclesiae, terraeque Hierosolymitanae, sese regia civitas devoverit, quae tamdiu potenter adversaria stetit et contradixit utrique», Balduinus imperator Constantinopolitanus, De expugnata se­ cundo urbe Constantinopoli, RHF XVIII, S. 523.

217

SCHLUSSWORT

Wir sind ausgegangen von einer Beurteilung der Byzantiner, die uns aus den westlichen Chroniken als eine Art Klischee, als ein literarischer Topos entgegentrat. Auf den ersten Anhieb mochte dieses Klischee oft als ein plumpes, gehässiges, nur der Rivalität entspringendes Vorurteil er­ scheinen. Im Verlauf dieser Arbeit haben wir zu zeigen versucht, daß die Chronisten sich zwar der literarischen Reminiszenz aus der Antike be­ wußt waren, wenn sie so selbstverständlich von den treulosen Griechen sprachen, zu deren Charakter es gehöre, Schwäche durch List wettzu­ machen, daß aber ihrer Überzeugung nach dieses Urteil in der Wirklich­ keit ihrer eigenen Begegnung mit Byzanz seine Bestätigung fand und darum zu recht stets von neuem wiederholt wurde. Vieles an Byzanz war ihnen fremd, unerwartet und unbegreiflich; darum fiel es ihnen schwer, darüber zu schreiben, und ihre Äußerungen wirken oft sehr unbeholfen. Gerne griffen sie zu dem altbekannten Schlagwort, um darin eine Erklä­ rung zu suchen. Doch dahinter steckte eine echte Auseinandersetzung, und immer mehr schien ihnen diese schematische Charakterisierung der Griechen nicht nur ihrer eigenen Erfahrung im unmittelbaren Umgang mit den Byzantinern wirklich zu entsprechen, sondern in viel weiterem Sinne auch auf die Weltstellung und Politik des byzantinischen Reiches überhaupt zuzutreffen. Was zuerst nur ein Vorwurf menschlicher Schwä­ chen gewesen war, wurde in übertragener Bedeutung zur Kritik am byzan­ tinischen Staat als Ganzem. Halten wir noch einmal die Hauptzüge dieser Entwicklung fest. Jenes Klischee, das sich aus zwei verschiedenen, aber eng miteinander in Zu­ sammenhang stehenden Komponenten zusammensetzte, warf zunächst den Byzantinern mangelnde «virtus», mit andern Worten Schwäche und Feigheit vor. Die Normannen erlebten das militärische Ungenügen der Byzantiner in Süditalien; die Kreuzfahrer ihrerseits erblickten den Beweis darin, daß Byzanz sich nicht aktiv am Kreuzzug zu beteiligen vermochte. Diese Erfahrungen ließen Normannen und Kreuzfahrer, die an dem bis-

218

her so mächtigen Byzanz ihre eigene Kraft und Vitalität maßen, sich ihrer Stärke bewußt werden und gaben ihnen das Gefühl, den Griechen über­ legen zu sein. Daher die ständigen Behauptungen, die Byzantiner vertrau­ ten mehr auf ihre «multitudo»», statt auf echte «fortitudo»», und sie seien träge, weibisch und dem Müßiggang ergeben. Die Schreckensbilder, die eine übertreibende Propaganda von der Türkengefahr verbreitet hatte, schienen zu beweisen, daß Byzanz der neuen Aufgabe nicht mehr ge­ wachsen sei und daß die Zeit byzantinischer Vormacht zu Ende gehe. Die domenüberwucherten Ruinen von Nikomedien wurden zum Symbol die­ ses Versagens, und aller Glanz der Komnenenzeit vermochte diesen Ein­ druck nicht mehr zu verwischen. Schon vor 1096 fühlten sich die Nor­ mannen berufen, an die Stelle der Byzantiner zu treten. Das erfolgreiche .Eingreifen des Westens in bisher byzantinische Bereiche in Form der Kreuzzüge ließ erst recht den Gedanken erwachsen, die Zeit sei reif für eine Ablösung der Byzantiner in der Herrschaft und somit für ein latei­ nisches Regiment in Konstantinopel. Ein charakteristisches Anzeichen für diese Überzeugung bildeten nicht zuletzt die an vielen Stellen auftau­ chenden Prophezeiungen. In der Stauferzeit fand die Idee zudem in Deutschland noch neue Nahrung in dem gesteigerten Anspruch des west­ lichen Kaisertums auf Universalherrschaft. Der zweite Teil jenes Klischees erinnerte an die Listen des Odysseus gegenüber stärkeren Gegnern und etikettierte demgemäß die Byzantiner als durchtrieben, hinterlistig und treulos. Hierin lag insofern ein wahrer Kern, als Anna Komnena selber deutlich werden läßt, wie stolz sie war, wenn es ihrem Vater, dessen Ruhm als Feldherr sie zwar daneben hoch einschätzte, gelang, den Gegner zu überlisten und, den Kampf umgehend, mit andern Mitteln zum Ziel zu kommen. Diese Haltung entsprach der in Byzanz oft hervortretenden Neigung, das Kriegführen auf das not­ wendige Minimum zu beschränken und, wo immer es möglich war, diplo­ matischen Verhandlungen den Vorzug zu geben. Der in dem Klischee enthaltene Vorwurf richtet sich also letzten Endes gegen die Gewandtheit der byzantinischen Diplomatie, der sowohl die zwar selber als listig be­ kannten Normannen wie auch die Kreuzfahrer sich unterlegen fühlten und die sie verachteten, weil für sie noch völlig der echte Kampf im Mittelpunkt stand. Die ständigen Versuche, durch Bestechung Anhänger zu werben, die Unterstützung der normannischen Rebellen, die Konfis­ kation aller Güter der ins Reich gelockten Venezianer, die Intrigen gegen Barbarossa in Form von Subventionen an die oberitalienischen Städte, kurz, die ganze das Gold als «Trojanisches Pferd»» benutzende Diplomatie trug dazu bei, die Byzantiner in Mißkredit zu bringen, und noch Barba­ rossa und Heinrich VI. drückten in Briefen ihre Verachtung und Empö­

219

rung über diese gewundenen Wege byzantinischer Politik aus. Noch viel tieferen Gehalt erhielt jedoch der Vorwurf der Treulosigkeit im Zusam­ menhang der Kreuzzüge. Schon das in den Augen der Kreuzfahrer nur von egoistischen Interessen diktierte Abseitsstehen von Byzanz, für des­ sen gegenüber früher sehr veränderte politische Situation die Kreuzfahrer kein Verständnis hatten, wurde als Treulosigkeit aufgefaßt. Noch schwer­ wiegender aber erschienen die oft zu Unrecht vermuteten, zum Teil aber tatsächlich vorhandenen Beziehungen von Byzanz zu den Türken. Da die Byzantiner den Einbruch der Seldschuken nach Kleinasien nicht hatten verhindern können, waren sie gezwungen, mit den neuen Nachbarn einen modus vivendi zu finden, und versuchten diese in einer Art Vasal­ lenverhältnis ungefährlich zu machen und in die byzantinische Reichs­ politik miteinzubeziehen. Wir können heute rückblickend diese Politik durchaus verstehen, um so mehr als wir erkennen, daß das Zusammengehen mit den Türken, wo es wirklich bestand, zum großen Teil durch die gleichzeitige ernste Bedrohung des byzantinischen Reiches von Westen her bedingt war. Damals aber neigte man unter dem Einfluß der simpli­ fizierenden Kreuzzugspropaganda allzusehr dazu, das Verhältnis der Chri­ sten zu den Ungläubigen nur in intoleranter Schwarz-Weiß-Malerei zu se­ hen, was ja sogar die vor die gleiche Frage gestellten fränkischen Siedler in Palästina von Seiten ihrer neu aus dem Westen ankommenden Lands­ leute erfahren mußten. Man empfand deshalb die zweideutige Haltung des zudem schismatischen Byzanz, die Bernhard von Clairvaux mit sei­ nem «nobiscum sunt et nobiscum non sunt» so treffend kennzeichnete, als offenen Verrat. Die Frage nach der Komplizität der Byzantiner mit den Türken, die die Kreuzfahrer nach jedem Kreuzzug so schwer beschäftigte, gab den letzten Ausschlag für das immer schärfere Herauskristallisieren einer eigentlichen Ideologie von einem «Imperator perfidus» in Byzanz, welche diesem die Schuld an den Mißerfolgen der späteren Kreuzzüge zu­ schob und schließlich Odo von Deuil und viele andere mit der Nach­ drücklichkeit eines «Ceterum censeo» die Eroberung von Konstantinopel fordern ließ. Byzanz erschien seit langem als der Stein des Anstoßes, als das entscheidende Hindernis auf dem Weg nach Jerusalem, und die Teil­ nehmer am vierten Kreuzzug empfanden es nicht mehr als schwierig, ihre Tat zu rechtfertigen, wie der Brief Balduins von Flandern an Papst Inno­ zenz III. zeigt. Das rasch um sich greifende Mißtrauen gegenüber Byzanz und die «Er­ klärung», die in dem von altersher den Griechen anhaftenden und nun in neuer Weise interpretierten Ruf der Treulosigkeit zu liegen schien, ver­ mochte auch in jenen, die anfänglich so unbedingt die alte Kreuzzugs­ tradition des byzantinischen Reiches anerkannt und in der «königlichen

220

Stadt» die Gewähr für die Verteidigung der Christenheit erblickt hatten, den Glauben an Byzanz zu erschüttern. Das Bild eines starken, christ­ lichen Byzanz ging unter und machte einer grenzenlosen Enttäuschung Platz, aus der heraus man ebenfalls die Ideologie vom «Imperator perfidus» akzeptierte. Doch es war nur das Vertrauen in die Byzantiner und ihren Kaiser, das verlorenging. Die Vorstellung von der Funktion, die das byzantinische Reich nach Auffassung der Kreuzfahrer hätte erfüllen sol­ len, behielt weiter ihre Gültigkeit. Immer noch sah man in Byzanz den Angelpunkt, von dem aus das Kreuzzugsproblem zu lösen war, die Schlüs­ selstellung für die Rückeroberung des Heiligen Landes. Es galt nur jetzt, da die Byzantiner derart versagten, sie zu ersetzen. Mit der Eroberung der Stadt hofften die Kreuzfahrer, das ganze historische Prestige von Byzanz auf sich zu übertragen und mit ihren frischen Kräften aus einem lateinischen Reich von Konstantinopel wieder das zu machen, was früher für sie das byzantinische Reich verkörpert hatte. Diese Illusion sollte aller­ dings nicht in Erfüllung gehen. Wir sind uns bewußt, daß schließlich 1204 noch viele andere auslösende Faktoren mitgespielt haben, doch hätten diese wohl nicht so rasch die entscheidende Wendung herbeiführen können, wenn sie nicht auf die längst vorhandene Grundlage einer byzanzfeindlichen Ideologie gestoßen wären, die bereits im Zusammenhang des ersten Kreuzzuges zu der glei­ chen Schlußfolgerung geführt und vielen die Idee einer notwendigen Eroberung von Konstantinopel seit langem vertraut gemacht hatte. Hinter dieser Ideologie stand nicht etwa ein «Nationalhaß», sondern nur das Bemühen, im Blick auf das im Mittelpunkt stehende Jerusalem mit dem beunruhigenden Problem von Byzanz fertig zu werden, das sich so gar nicht mehr gemäß den früheren Vorstellungen in die Kreuzzugsbewegung einbeziehen ließ. Wir glauben die Chronisten jener Zeit richtig verstan­ den zu haben, wenn wir die Auseinandersetzung mit Byzanz, das doch im Mittelalter so lange als Vorbild und Maßstab gegolten hatte, als eine der sie wirklich bewegenden Fragen angesehen und in der Intepretation jener Formel von der Treulosigkeit und Schwäche der Griechen den Schlüssel zum Verständnis ihrer Auffassung gesucht haben.

221

LITERATURVERZEICHNIS

(Verzeichnis der wichtigsten benutzten Quellen und Darstellungen. Aus­ führliche Bibliographien zur gesamten Kreuzzugsgeschichte finden sich in den zitierten Standardwerken von S. Runciman, A History of the Crusades; R. Grousset, Histoire des Croisades; K. Μ. Setton, A History of the Crusades oder in den bibliographischen Zusammenstellungen von A. Atiya, The CrusadeHistoriography and Bibliography und von H. E. Mayer, Bibliographie zur Ge­ schichte der Kreuzzüge.)

Abkürzungen für Quellenwerke

RHF

Bouquet, Martin, Recueil des Historiens des Gaules et de la France.

Paris 1738 ff.

CSHB

Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae. Bonn 1828 ff.

Migne PL.

Migne, Jacques-Paul. Patrologiae cursus completus.

Paris 1844 ff. Series latina

Migne PG. MG. SS.

Series graeca Monumenta Germaniae Histórica. Scriptores.

Hannover 1826 ff. R. I. SS.

Muratori, Ludovico Antonio. Rerum Italicarum Scriptores.

Alte Ausgabe, Mailand 1723 ff. Neue Ausgabe, Citta di Cast. 1900 ff. RHC. Occ.

Recueil des Historiens des Croisades. Historiens occidentaux.

5 Bde. Paris 1844 ff.

223

Quellen

Adso von Montier-en-Der, Libellus de Antichristo ad Gerbergam Reginam,

Migne PL. 101, S. 1291-98. Aimé du Mont-Cassin, Ystoire de li Normant, Hg. O. Delarc, Rouen 1892. Albert von Aachen, Liber Christianae Expeditionis pro Ereptione, Emundatione

et Restitutione Sanctae Hierosolymitanae Ecclesiae, RHC. Occ. IV, S. 271-713. Andrea Dandolo, Chronica per extensum descripta, R. I. SS, Neue Ausgabe, Bd. XII1Z S. 3—327, und Chronica brevis, ebenda S. 351-373. Anna Komnena, Alexiade, hg. B. Leib, 3 Bde., Paris 1937-45. Annales Herbipolenses, A. 1125-1158, 1202-1204, 1215, MG. SS. XVI, S. 1-12. Archipoeta. Die Gedichte des Archipoeta, hg. von Μ. Manitius, 2. Auflage, München 1929. Balderich von Dol, Historia Jerosolimitana, RHC. Occ. IV, S. 9-111. Bartulf von Nangis, Gesta Francorum Iherusalem Expugnantium, RHC. Occ. III, S. 491-543. Bernhard von Clairvaux, Briefe, Migne PL. 182, S. 67—715. — De consideratione libri quinque ad Eugenium III pap am, Migne PL. 182, S. 727-808. — Vita prima, Migne PL. 185, S. 226—468. Chronique dite de Nestor, übersetzt von L. Leger, Paris 1884. Chroust, A., Quellen zur Geschichte des Kreuzzuges Kaiser Friedrichs I. MG. SS. nova sériés V, Berlin 1928. Ekkehard von Aura, Chronicon Universale, MG. SS. VI, S. 33—265. — Hierosolymita, De oppressione, liberatione ac restauratione Jerosolymitanae ecclesiae, RHC. Occ. V, S. 11-40. Estoire de Eracles Empereur et la conqueste de la terre d'outremer, RHC. Occ. It, I2 und II. Eustathios von Thessalonike, Narratio de Thessalonica urbe a Latinis capta. Migne PG. 136, S. 9-140. — Die Normannen in Thessalonike, übersetzt und eingeleitet von H. Hun­ ger, Byz. Geschichtsschreiber, Bd. III, Graz 1955. Fulcher von Chartres, Historia Iherosolymitana, Gesta Francorum Iherusalem

Peregrinantium, RHC. Occ. III, S. 319—485. Gaufredus Malaterra, De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae comitis et

Roberti Guiscardi Ducis fratris eius, R. I. SS., Neue Ausgabe, Bd. Vlz S. 3-108. Gerhoh von Reichersberg, De investigatione Antichristi liber I, MG. Libelli de

lite imperatorum et pontificum, Bd. III, S. 304-395.

224

Gesta Francorum et alionan Hierosolymitorum, hg. Louis Bréhier, unter dem

Titel: Histoire anonyme de la première Croisade, Paris 1924. Guibert von Nogent, Gesta Dei per Francos, RHC. Occ. IV, S. 119—263.

Hagenmeyer, Heinrich, Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088—1100, Inns­

bruck 1901. Historia de expeditione Friderici hnperatoris, hg. A. Chroust, MG. SS. nova

series V, S. 1—115. Historia Peregrinorum, hg. A. Chroust, MG. SS. nova series V, S. 116—172. Historia Peregrinorum Euntium Jerusolymam ad liberandam sanctum sepul-

crum de potestate ethnicorum, seu Tudebodus imitatus et continuatus, RHC. Occ. Ill, S. 172-229. Howlett, Richard, Chronicles of the reigns of Stephen, Henry II and Richard I. 4 Bde., London 1884—89. Hugo Falcandus, Historia de rebus gestis in Siciliae regno, R. I. SS., alte Aus­ gabe, Bd. VII, S. 249-314. Innocentius II Pontifex Romanus, Epistolae et privilegia, Migne PL. 179, S. 21 bis 686. Johannes von Salisbury, Historia Pontificalis, hg. R. L. Poole, Oxford 1927. Itinerarium Peregrinorum et gesta regis Ricardi, hg. W. Stubbs, Chronicles and memorials of the reign of Richard I, Bd. I, London 1864. Karlsreise, Karls des Großen Reise nach Jerusalem und Constantinopel. Ein alt­ französisches Heldengedicht, hg. Eduard Koschwitz, 7. Auf!., Leipzig 1923. Kinnamos, Johannes, Historiarum libri VII, Migne PG. 133, S. 310-678. Leo von Ostia, Chronicon monasterii Casinensis, MG. SS. VII, S. 574—727.

Liber Pontificalis, hg. L. Duchesne, 2 Bde., Paris 1886—92. Liudprand von Cremona, Relatio de legatione Constantinopolitana, MG. SS. in

us. schol., Hannover und Leipzig 1915. Ludus de Antichristo, hg. F. Wilhelm, Münchener Texte, Heft 1, München 1912.

Lupus Protospatarius, Annales 855—1102, MG. SS. V, S. 52—63.

Niketas Chômâtes, Historia, Migne PG. 139, S. 319—1038.

Notker der Stammler, Taten Kaiser Karls des Großen, hg. Hans F. Haefele,

MG. SS. nova series 12, Berlin 1959. Odo von Deuil, De Profectione Ludovici VII in Orientem, hg. Henri Waquet,

Paris 1949. Ordericus Vitalis, Historia Ecclesiastica, hg. A. Le Prévost, 5 Bde., Paris 1838—55.

Otto von Freising, Chronica sive Historia de duabus civitatibus, MG. SS. in

us. schol., Hannover 1912. Otto von Freising und Rahewin, Gesta Friderici I Imperatoris, MG. SS.in us.

schol., Hannover 1912.

225

Peter der Ehrwürdige, Briefe, Migne PL. 189, S. 61-486. Radulf von Caen, Gesta Tancredi in Expeditione Hierosolymitana, RHC. Occ.

Ill, S. 603-716. Radulphus Tortarius, Ad Gualonem, hg. Anton Jenal, Histor. Jahrbuch, Bd. 37,

München 1916, S. 331-352. Rahewin = Otto von Freising und Rahewin, Gesta Friderici I Imperatoris, MG. SS. in us. schol., Hannover 1912. Raimund von Aguilers, Historia Francorum qui ceperunt Iherusalem, RHC. Occ. Ill, S. 235-309. Richard von Devizes, De rebus gestis Ricardi primi, Chronicles of the reigns of Stephan, Henry II and Richard I, hg. R. Howlett, Bd. Ill, London 1886. Robert der Mönch, Historia Iherosolimitana, RHC. Occ. Ill, S. 721-882. Romuald von Salerno, Annales, MG. SS. XIX, S. 387—461. Stubbs William, Chronicles and memorials of the reign of Richard I, 2 Bde., London 1864/65. Suger von Saint Denis, Œuvres complètes, hg. A. Lecoy de la Marche, Paris 1867. The Russian Primary Chronicle, Translated and edited by Samuel Hazzard Cross and Olgered P. Sherbowitz-Wetzor, Cambridge, Massachusetts 1953. Villehardouin, Geoffroi de, La Conquête de Constantinople, hg. Emile Bouchet, Bd. I, Paris 1891. Wibald, Briefe, hg. Philipp Jaffé, Bibliotheca rerum germanicarum, Bd. I, Ber­ lin 1864. Widukind von Korvei, Rerum gestarum Saxonicarum libri très, MG. SS. in us. schol., Hannover 1935. Wilhelm, Dialogus apologeticus, hg. A. Wilmart, Revue Mabillon 1942. Wilhelm von Apulien, Gesta Roberti Wiscardi, MG. SS. IX, S. 241-298. Wilhelm von Newburgh, Historia Rerum Anglicarum, Chronicles of the reigns of Stephen, Henry II and Richard I, hg. R. Howlett, Bd. I, London 1884. Wilhelm von Tyrus, Historia Rerum in Partibus Transmarinis gestarum, RHC. Occ. I, S. 3 ff. Zachariae v. Lingenthal, Carl, Jus Graeco-Romanum, 7 Bde., Leipzig 1856—1884.

Darstellungen

Adler, Alfred, The Pèlerinage de Charlemagne in new light on Saint-Denis,

Speculum, Bd. 22 (1947), S. 550-561. Alphandéry, Paul, La chrétienté et l'idée de croisade, Bd. I, Paris 1954 (seither

ebenfalls erschienen: Bd. II, Paris 1959).

226

Andrieu-Guitrancourt, Pierre, Histoire de l'empire normand et de sa civilisa­

tion, Paris 1952. Bâtes, Robert C., Le Pèlerinage de Charlemagne: A Baroc Epie, Yale Romanic

Studies, Bd. 18, New Haven 1941, S. M7. Beck, Marcel, Alexios Komnenos zwischen Normannen und Türken, Akten des

— —

XI. Internat. Byzantinisten-Kongresses 1958, Verlag C. H. Beck, München 1960. Anatolien, Gedanken und Beobachtungen von Fahrten in die Levante, Zürich 1956. Die geschichtliche Bedeutung der Kreuzzüge, Jahrheft der Ritterhaus­ gesellschaft Bubikon 1952, Wetzikon 1952.

Bédier, Joseph, Les légendes épiques, Recherches sur la formation des chansons

de geste, Bd. IV, Paris 1913. Bernhardi, Wilhelm, Konrad III., 2 Bde., Leipzig 1883.

Björkmann, Walther, Karl und der Islam, in Karl der Große, Lebenswerk und

Nachleben, hg. W. Braunfels, Bd. I, Düsseldorf 1965. Bloch, Marc, L'Empire et l'idée de l'Empire sous les Hohenstaufen, Revue des

cours et conférences, Bd. 30 (1929), Nr. 14—16, S. 481 ff. Bréhier, Louis, Charlemagne et la Palestine, Revue historique, Bd. 157 (1928),



— — —



S. 277-291. Histoire anonyme de la première croisade (Gesta Francorum et aliorum Hierosolymitorum), Paris 1924. L'église et l'orient au Moyen Age. Les Croisades, 5. Aufl., Paris 1928. Les aventures d'un chef normand en Orient au XIe siècle, Revue des cours et conférences, Bd. 20 (1911), S. 172r-188. Les origines des rapports entre la France et la Syrie,· le protectorat de Charlemagne, Congrès français de Syrie, Marseille 1919, Bd. II, S. 33. Vie et mort de Byzance, Le monde byzantin, Evolution de l'humanité, Bd. 32, Paris 1947.

Buckler, F. W., Harunu'l-Rashid and Charles The Great, Cambridge, Massa­

chusetts 1931. Canard, Μ., La guerre sainte dans le monde islamique et dans le monde chrétien,

Revue africaine, Bd. 78 (1936), S. 605-623. Caspar, Erich, Roger IL und die Gründung der normannisch-sizilischen Monar­

chie, Innsbruck 1904. Chalandon, Ferdinand, Essai sur le règne d'Alexis I Comnène, Paris 1900.





Histoire de la domination normande en Italie et en Sicile, 2 Bde., Paris 1907. Les Comnène, Jean II Comnène et Manuel I Comnène, Paris 1912.

Constable, Giles, The Second Crusade as seen by Contemporaries, Traditio IX

(1953), S. 213-279.

227

Cross, Samuel Hazzard and Sherbowitz, O. P., The Russian Primary Chronicle,

Cambridge, Massachusetts 1953. Deér, Josef, Der Kaiserornat Friedrichs IL, Bern 1952.



The dynastie porphyry tombs of the Norman period in Sicily, Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts 1959.

Diehl, Charles, Oeconomos, L.; Guilland, R.; Grousset, R., L'Europe orientale

de 1081 à 1453, Histoire générale, begründet von G. Glotz, Histoire du Moyen Age, Bd. IX, Paris 1945. Enzyklopädie des Islams, Geographisches, ethnographisches und biographisches

Wörterbuch der muhammedanischen Völker, hg. von Μ. Th. Houtsana und A. Schaade, Leiden-Leipzig 1908—1934, Nouvelle édition, Leiden 1960 ff. Erdmann, Carl, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Forschungen, zur Kir­



chen- und Geistesgeschichte 6, Stuttgart 1935. Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhundert, Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 51 (1932), S. 384-414.

Folz, Robert, Le souvenir et la légende de Charlemagne dans l'Empire germa­

nique médiéval, Paris 1950. Frolow, A., Recherches sur la déviation de la IVe croisade vers Consta.ntinople,

Paris 1955. Gay, Jules, L'abbaye de Cluny et Byzance au début du XIIe siècle, Echos



d'Orient, Bd. 30 (1931), S. 84-90. L'Italie méridionale et l'empire byzantin depuis l'avènement de Basile Ier jusqu'à la prise de Bari par les Normands, Paris 1904.

Grégoire, H., La légende d'Oleg et l'expédition d'Igor, Bull, de la classe des

Lettres et des Sciences Morales et Politiques, Bruxelles 1937, S. 80—94. Grousset, René, Histoire des Croisades et du Royaume Franc de Jérusalem,



3 Bde., Paris 1934-36. L'Empire du Levant, Paris 1949.

Haefele, Hans F., Fortuna Heinrici IV Imperatoris. Diss. Zürich-Graz 1954. Haenssler, Fred, Byzanz und Byzantiner, Diss. Bern 1960.

Hagenmeyer, Heinrich, Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088—1100. Inns­

bruck 1901. Heinemann, Lothar von, Geschichte der Normannen in Unteritalien und Si­

zilien. Leipzig 1894. Heinermann, Theodor., Zeit und Sinn der Karlsreise, Zeitschrift für romanische

Philologie, Bd. 56 (1936), S. 497-562. Hirsch, Richard, Studien zur Geschichte König Ludwigs VII. von Frankreich,

Leipzig 1892.

228

Holtzmann, Robert, Der Weltherrschaftsgedanke des mittelalterlichen Kaiser­



tums und die Souveränität der europäischen Staaten, Historische Zeit­ schrift, Bd. 159 (1939), S. 251 ff. Dominium mundi und Imperium merum. Zeitschrift für Kirchen­ geschichte, Bd. 61 (1942), S. 191 ff.

Holtzmann, Walther, Bohemund von Antiochien und Alexios I., Neues Archiv

der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 50, Berlin 1935, S. 270-282. — Studien zur Orientpolitik des Reformpapsttums und zur Entstehung des ersten Kreuzzuges, Historische Vierteljahrschrift, Bd. 22 (1924), S. 167 bis 199. Jenal, Anton, Der Kampf um Durazzo 1107—1108, mit dem Gedicht des Tortarius, Histor. Jahrbuch, Bd. 37, München 1916, S. 285—352. Jenkins, R. J. H., The supposed Russian Attack on Constantinople in 907. Spe­

culum, Bd. 24, 1949. Joranson, Einar, The inception of the Career of the Normans in Italy. Legend



and History. Speculum, Bd. 23 (1948), S. 353—396. The Problem of the Spurious Letter of Emperor Alexius to the Count of Flanders. American Historical Review, Bd. 55 (1950), S. 811—832.

Kampers, Franz, Alexander der Große und die Idee des Weltimperiums in Pro­



phetie und Sage. Freiburg i. B. 1901. Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage, München 1896.

Kap-Herr, Hans von, Die abendländische Politik Kaiser Manuels mit besonderer

Rücksicht auf Deutschland. Straßburg 1881. Krey, A. C., Urbans Crusade — Success or failure? American Historical Review,

Bd. LUI (1947/48), S. 235-250. Kugler, Bernhard, Studien zur Geschichte des zweiten Kreuzzuges, Stuttgart

1866. Laehr, Gerhard, Die Anfänge des russischen Reiches, Politische Geschichte im

9. und 10. Jahrhundert, Berlin 1930 (Historische Studien, hg. von E. Ebe­ ring, Heft 189). Langosch, Karl, Politische Dichtung um Kaiser Friedrich Barbarossa, Berlin 1943. Laurent, V., L'idée de guerre sainte et la tradition byzantine, Revue du Sud-Est Européen, Bd. 23 (1946), S. 71—98. Leib, Bernhard, Rome, Kiev et Byzance à la fin du XIe siècle, Paris 1924.

Leonhardt, W., Der Kreuzzugsplan Kaiser Heinrichs VI. Gießen 1913.

Longnon, Jean, L'empire latin de Constantinople et la principauté de Morée,

Paris 1949. Neumann, Carl, Die Weltstellung des byzantinischen Reiches vor den Kreuz­

zügen, Leipzig 1894.

229

Norden, Walter, Das Papsttum und Byzanz, Berlin 1903. Ohnsorge, Werner, Abendland und Byzanz, Gesammelte Aufsätze zur Ge­

schichte der byzantinisch-abendländischen Beziehungen und des Kaiser­ tums, Darmstadt 1958. — Das Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter, Die Bedeutung des by­ zantinischen Reiches für die Entwicklung der Staatsidee in Europa. Hil­ desheim 1947. Ostrogorsky, Georg, Geschichte des byzantinischen Staates, 2. Aufl., München 1952 (Byz. Handbuch im Rahmen des Handbuches für Altertumswissen­ schaft). — L'expédition du prince Oleg contre Constantinople en 907. Annales de l'institut Kondakov 11, 1939. Paris, Gaston, La chanson du Pèlerinage de Charlemagne, Romania, Bd. IX (1880), S. 1 ff. Rauschen, Gerhard, Die Legende Karls des Großen im 11. und 12. Jahrhundert, Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde VII, Leipzig 1890. Runciman, Steven, A History of the Crusades, 3 Bde., Cambridge, 1951—54. — Charlemagne and Palestine. English Historical Review, Bd. 50 (1935), S. 606-619. — The Crusades of 1101, Jahrbuch der österreichischen byzantinischen Ge­ sellschaft, Bd. I, Wien 1951, S. 3-12. — The eastern schism., Oxford 1955. Sackur, Ernst, Sibyllinische Texte und Forschungen, Pseudomethodius, Adso und die tiburtinische Sibylle, Halle a. S. 1898. Schlumberger, Gustave, Deux chefs normands des armées byzantines au XIe siècle, Revue historique, Bd. 16 (1881), S. 289—303. Setton, Kenneth Μ., A History of the Crusades, Bd. I, Philadelphia 1955 (seit­ her ebenfalls erschienen Bd. II, Philadelphia 1962). Siegrist, Theodor, Herrscherbild und Weitsicht bei Notker Balbulus, Diss. Zü­

rich 1963. Siragusa, G. B., Il regno di Guglielmo I in Sicilia, Palermo 1929.

Stählin, Karl, Geschichte Rußlands, Bd. I, Berlin-Leipzig 1923. Toeche, Theodor, Kaiser Heinrich VI., Leipzig 1867. Vacandard, Elphegius, Leben des heiligen Bernhard von Clairvaux, übersetzt

von Μ. Sierp, 2 Bde., Mainz 1897/98. Vasiliev, Alexander A., History of the Byzantine Empire, Madison 1952.

Waas, Adolf, Geschichte der Kreuzzüge, 2 Bde., Freiburg i. B. 1956. Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters,

Studien zu ihrer geschichtlichen und dichterischen Wirklichkeit, Berlin 1960.

230

Zeller, Gaston, Les rois de France candidats à l'Empire, Revue Historique,

Bd. 173 (1934), S. 273-311. Zimmert, K., Der deutsch-byzantinische Konflikt vom Juli 1189 bis Februar

1190, Byzantinische Zeitschrift, Bd. XII (1903), S. 42—77.

LEBENSLAUF Am 16. September 1933 wurde ich als Tochter des Fabrikanten Caspar Kindlimann und der Ida geb. Blümer in Zürich geboren. Die Primarschule durchlief ich in Schwanden GL, die ersten vier Klassen des Gymnasiums an der Höheren Stadtschule in Glarus und die Abschlußklassen an der Töchterschule in Zürich, wo ich im Herbst 1952 die Maturität Typus B bestand. Darauf studierte ich an der philosophischen Fakultät I der Universität Zürich Geschichte und Roma­ nistik. Ich besuchte vor allem die Vorlesungen und Übungen der Herren Pro­ fessoren Marcel Beck, Reto R. Bezzola, Gerold Hilty, Anton Largiader, Emst Meyer, Leonhard von Muralt, Georges Poulet, Max Silberschmidt, Theophil Spoerri und Arnald Steiger. Das Wintersemester 1955/56 verbrachte ich in Paris und belegte Vorlesungen und Übungen an der Sorbonne, vor allem bei Professor Robert Fawtier, sowie an der Ecole des Hautes Etudes. Am 9. Juli 1960 bestand ich das Doktorexamen in den Fächern Allgemeine Geschichte, Fran­ zösische Literatur und Geschichte der französischen Sprache. Vom Herbst 1960 bis zum Frühling 1961 ordnete ich den schriftlichen Nachlaß von Professor Max Huber, Zürich. Seither unterrichte ich als Lehrerin für Geschichte und Französisch am Gymnasium Winterthur.