Die Erfolge der preußischen Feldartillerie in der Campage 1870/71

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Die Erfolge der preußischen Feldartillerie in der Campage 1870/71

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VORREDE. ...
I. ...
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DIE ERFOLGE

DER PREUSSISCHEN

FELD -ARTILLERIE IN DER CAMPAGNE 1870 71

VON

ROBERT BECKER.

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LEIPZIG 1872. BUCHHANDLUNG FÜR MILITAIRWISSENSCHAFTEN .

1929

( FR . LUCKHARDT.)

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EX LIBRIS

DES DEUTSCHEN MUSEUMS VON MEISTERWERKEN DER NATURWISSENSCHAFT UND TECHNIK MONCHEN GESTIFTET v.

Grof, Hiddlberg

Bibliothek des Deutschen Museums

INNSSSSSSSSS 057002224294

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DIE ERFOLGE DER PREUSSISCHEN

FELD -ARTILLERIE IN DER CAMPAGNE 1870 71 VON

lo

ROBERT BECKER.

XIX . DEUT

BUCHHANDLUNG FÜR MILITAIRWISSENSCHAFTEN.

MUSEU

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BIBLIOTHEK

MUNCHEN

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LEIPZIG 1872 .

(FR. LUCKHARDT. )

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VORREDE .

Der Ideengang, der jetzt in der gesammten Artillerie waltet und sich so laut und häufig auch in der Militair

Litteratur ausspricht, drängt ungestüm nach vorwärts zu grossen Aenderungen in der Organisation der Waffe . Ein so günstiges Zeichen es im Allgemeinen auch sein mag , dass die so bedeutenden Erfolge uns nicht mit Ueberhebung erfüllen , eine so vortreffliche Garantie für die Zukunft in

diesem kritischen und neuerungssüchtigen Geist liegen mag, ein so gefährliches Element birgt er auch. Der Tadel der bestehenden Einrichtungen ist stets anstössig für die Disciplin und gar zu leicht werden Mängel auf organisatorische Ver hältnisse geschoben , die , wenn jeder Einzelne recht ehrlich gegen sich sein wollte , durch Fleiss und Arbeit wohl zu vermeiden wären.

So möge denn die nachstehende Er

örterung einen retrospectiven Charakter tragen und es versuchen die Frage zu lösen , welchen Umständen wir denn

in der Waffe jene Erfolge verdanken , die mit den milde ausgedrückt „bescheidenen Resultaten“ der Campagne 1866 >

in so schroffer Weise contrastiren.

Neue Ansichten, neue

Ideen kann daher die vorliegende Schrift nicht liefern und wer das von ihr verlangt, der lege sie nur gleich wieder aus der Hand , sie versucht vielmehr nur eine Erklärung 1*

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einer bekannten Thatsache zu liefern und wohl einzeln hier

und da Ausgesprochenes für alle Freunde der Artillerie im Heere wie den anderen Ständen zusammenzustellen . Wir

verwahren uns mithin ausdrücklich gegen die Muthmaassung nur für Fachmänner zu schreiben und suchen unsere Leser in grösseren Kreisen. Gebe Gott , dass der Weg der Ar

beit und des Fleisses , dessen Verfolgung uns wie wir nach zuweisen versuchen wollen , zu dem was wir geleistet ge führt hat , stets viele Anhänger finden möge zu des theuren Vaterlandes Heil .

Vermag das Schriftchen es zu zeigen , dass dieser Weg der richtige, zweckgerechte gewesen , dann ist sein Zweck erfüllt.

Leipzig , im December 1871. Der Verfasser.

I.

Von jeher haben in der Artillerie die Principien der Beweglichkeit und der Wirkung mit einander im Kampf gelegen. Was die eine vergrösserte , that der anderen Ab bruch , was jene vermehrte, verminderte diese. Jede dieser Richtungen fand naturgemäss ihre eifrigen Vertreter, die das gegnerische Princip als unwichtig und secundär hinstellten.

Die Verfechter der Beweglichkeit hielten eine möglichst grosse Manövrirfähigkeit der Waffe für das Haupterforder niss für dieselbe , die Artillerie musste nach ihnen , selbst

auf Kosten der Wirkung, befähigt werden , allen Truppen bewegungen zu folgen , musste im innigsten Zusammenhang mit den anderen Waffen verbleiben und im Stande sein

selbst mit der Cavallerie längere Zeit verbunden zu ope

riren. Die Mittel diese Beweglichkeit zu produciren liegen auf der Hand, es ist neben einer möglichst grossen Leichtig keit der Last, also des Geschützes, eine möglichste eingehende Ausbildung im Reiten und Fahren. Die Vertreter der Wirkung legten den Hauptwerth in das Vernichtungsprincip der Artillerie.

Ihnen war der

durch das Geschoss hervorgebrachte physische und mora lische Effect im Gefecht von hervorragender Bedeutung,

die Mittel das Geschütz zu befördern , nur in zweiter Linie

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wichtig.

So emancipirten sich die Anhänger dieser Rich

tung , weil sie das Positionsgeschütz vor dem Manövrir geschütz , die Vernichtungskraft vor der Fähigkeit überall schnell zu erscheinen betonten , mehr von dem Zusammen hang mit den anderen Truppen, so legten sie in das Schiessen

an sich, das Gewicht und die Sprengwirkung des Geschosses, die Schussweite und Trefffähigkeit des Geschützes den Hauptschwerpunkt der Artillerie.

Beide Richtungen haben wie es sich nicht verkennen lässt die Berechtigung neben einander zu existiren. Wie

es aber gewöhnlich zu geschehen pflegt, so sprach nur zu bald die eine der andern dieses Recht völlig ab und es bildeten sich bald jene zwei scharf ausgeprägten Katego rien der Praktiker und Theoretiker , die sich oft in nur zu

schroffer Weise gegenübertraten. Galt es dem Bauernstolz der ersten als ausgemacht, dass der tüchtige Artillerist im Reiten und Fahren zu suchen sei, dass die reitende Artillerie

allein als die echte Repräsentantin der Waffe betrachtet werden dürfe, dass der wissenschaftlich gebildete Artillerist

nie und nimmer ein tüchtiger , praktischer Offizier werden könne , betrachteten sie nur gar zu gern ihre Gegner als Stubenhocker und Bücherwürmer, ihre Geschütze als Impe diment für eine flotte Batterie, ihre Pferde als den einzig

wichtigen Bestandtheil derselben , so verirrte sich der ari stokratische, dünkelhafte Hochmuth der Theoretiker in nicht

weniger tadelnswerthen Irrthümern. Ihnen kam wie jenen das artilleristische, das militairische Element der Waffe mit der Zeit vollständig abhanden , ihnen wurde im Lauf der

Zeit die Construction und nicht die Verwendung der Waffe die Hauptsache , wie jene im Stall, so verkamen sie unter Formeln und Logarithmen in der Studirstube. Man glaube nicht, dass wir übertreiben, ist es doch noch dem Verfasser,

einem verhältnissmässig jungen Officier, begegnet, dass ein Stabsofficier der reitenden Artillerie sich rühmte, nie eine

Schusstafel angesehen zu haben und ein hoher in der Ar

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tillerie -Prüfungs -Commission sehr renommirter Herrden Spath

für eine Augenkrankheit des Pferdes hielt ! Das Jahr 1866 zeigte noch einmal so recht die klaffende Kluft. Während

das gezogene Geschütz von den Praktikern mit grossem Misstrauen angesehen wurde, jubelten die Theoretiker ihm entgegen. Im Feldzuge selbst aber wendeten die letzteren die neue Waffe so an, wie sie es nach ihren theoretischen Träumen von Schussweiten bis 6ooot sich erlauben zu können

meinten, während die reitenden Artilleristen, dem weittragen den Infanteriegewehr gegenüber, die Natur ihrer 12Pfünder soweit verkannten, dass sie mit denselben harmloser Weise auf dieselben Entfernungen schossen wie die gezogenen Batterien .

Dies Jahr mit seinen bitteren Täuschungen für fast alle Kameraden , mit seinen hämischen offenen wie ver

steckten Angriffen, vom Achselzucken der Infanterie- Offi ziere bis zur insolenten Grobheit eines Arkolay sollte uns aber wieder den rechten Weg weisen. Durch Nacht zum Licht!! Was wir seitdem gelernt , wollen wir nun in flüch tigen Zügen zu skizziren suchen. II.

Den Jahren von 1866 bis 1870 war es vorbehalten , das eigentliche Wesen der Artillerie in seiner ursprünglichen Klarheit wieder herzustellen . Präcisiren wir mit wenigen

Worten die Aufgabe, deren Lösung in der Waffe allgemein als die Quintessenz der Artilleriewissenschaften in ihrem · ganzen Umfange, als das höchste Resultat aller Ausbildung hingestellt wird , so ist dieselbe einfach : „ An richtiger Stelle das Geschütz in richtiger Weise zu verwenden

An richtiger Stelle ! Es hat nie an sonderbaren Schwär mern gefehlt und sicher wird es zumal nach 1870 nicht daran fehlen , die die Artillerie weit über ihr Niveau hinaus zu

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heben bemüht gewesen sind. Gestüzt auf einzelne Fälle der Napoleonischen Zeit (Friedland, Bautzen, Hanau) haben sie ihre Waffe als gleichberechtigt im taktischen Werth neben die Infanterie hinstellen wollen , haben ihr den ihr nun einmal nicht gebührenden Charakter der Entscheidungs

waffe aufdrängen wollen. Mit Unrecht; die Artillerie ist nur berufen als secun däre Waffe aufzutreten , sie kann nur die Entscheidung, von der Infanterie (resp. der Cavallerie) zu bringen mittelbarer ( den eigenen Anmarsch decken oder den Feindes hindern) oder unmittelbarer (Ueberschütten des

die ist, des An

griffspunkts oder der Sturmkolonnen) vorbereiten , den ge schlagenen Feind vernichten helfen oder ihn , wenn

er

siegreich ist , abwehren , die Entscheidung selbst zu geben ist nur in den allerseltensten Fällen ihre Sache.

Aus dieser

Erkenntniss aber , nur eine Hülfs waffe zu commandiren , ent springt für den Führer der Artillerie vom Commandeur

einer Brigade' bis zum Lieutenant und zugführenden Ser

geanten mit gebieterischer Nothwendigkeit die Anforderung: den Gang eines Gefechtes vollkommen beurtheilen zu können , also sowohl die Taktik der Schwesterwaffen wie die

Benutzung des Terrains gründlich zu verstehen. Auf diese beiden Erfordernisse sind wir denn auch, Dank

unseren Vorgesetzten , in den letzten vier Jahren unaus gesetzt hingewiesen worden. Nicht nur dass in unseren wissenschaftlichen Unterhaltungen und unseren Winter

arbeiten ein jährlich grösseres Gewicht auf taktische Fragen gelegt wurde, nicht nur dass in allen Artillerie-Garnisonen

durch die obligatorische Einführung des Kriegsspiels *) das Interesse an solchen Fragen geweckt und gepflegt wurde, sondern es traten diese theoretischen Erörterungen auch in Fleisch und Blut über. * ) Der Artillerie und ihrem Streben sich das theoretisch anzueignen,

was ihr praktisch vielleicht mangelte, verdankt die Armee dem Kriegsspiel.

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Ein jeder Batteriechef hatte den Manövern seiner

Batterie , wenn sie mit der Elementarausbildung geendet hatte , eine taktische Idee unterzulegen , hatte seine Zug führer in dem Führen ihrer Züge nach diesem Gesichts

punkt hin auszubilden . Das Vorbrechen und der Aufmarsch aus Defileen in seinen verschiedenen Arten, die Bewegungen,

um sich auf die Flügel oder vor die Front einer Truppen stellung zu begeben , das Aufsuchen einer selbstständigen Position oder die Verstärkung einer feuernden Abtheilung, echelonweises Vor- und Zurückgehen wurde immer und immer wieder geübt , so dass endlich auch die Führer der kleinsten Abtheilungen es lernten, einer gegebenen Sachlage und dem Terrain nach rasch und sicher das Richtige zu finden . So wurde das Schematische des Exerzir -Reglements,

das Squelett der Commandos und Elementarbewegungen zum lebenskräftigen organischen Ganzen. Hierher gehören auch die häufigen Uebungen mit den Kriegsbatterien , das Exerziren wenn andere Waffengattungen markirt waren (wie beim Capitains- Examen) und endlich jene seit einiger

Zeit so fleissig vorgenommenen kleinen Uebungen d. h. eben Exerziren in schwierigem Terrain. Und wie im Kleinen, so im Grossen auch bei den grossen

Manövern und den denselben vorhergehenden kleineren Uebungen mit gemischten Waffen wurde ein höherer Werth

auf die innige Verbindung und das strikte Ineinandergreifen aller drei Waffen gelegt als früher. Aeltere Kameraden wissen sich sicher sehr wohl noch

der Zeit zu erinnern, in der die Artillerie bei Manövern

mehr als Staffage der Landschaft denn als handelnder Acteur diente , in der sie ziemlich unberücksichtigt und

theilnahmlos auf dem Gefechtsfelde Stellung nahm und hier und da nach eigenem Ermessen ihres Commandeurs in un passenden Momenten ihre Manöverkartuschen verknallte. Wie anders jetzt , wo sie sich beständig der Berücksich tigung und Verwendung von Seiten des höheren Comman

IO

deurs zu erfreuen hat , wo ihre Leistungen auch in den

Kritiken wirklich hervorgehoben resp. getadelt werden , während sie früher stets mit einem düstern, achtungsvollen Stillschweigen beglückt wurde. Es lässt sich eben nicht leugnen , wir haben in der Artillerie in den letzten vier Jahren einen bedeutenden Theil

unseres alten, technischen Zopfes, unseres schweren Tross und Zunftwesens abgestreift, wir sind eine Waffe geworden, im ächten, vollen Sinn des Worts. Das zeigt sich im Grossen wie im Kleinsten.

Ohne Pedant zu sein , wollen wir hier

nur an die jetzige militairische Eintheilung der Batterien in leichte und schwere erinnern . Mit dieser glücklichen

Umänderung sind wir mit einem Mal aus jener trostlosen Kaliber -Bezeichnung heraus , die, wir finden keinen andern Ausdruck mit ihren 4- und 6pfündig noch so recht nach Prüfungs -Commission und Giesserei schmeckte und die Ad jutanten der Infanterie und Cavallerie denn auch zu den

aberteuerlichen Schöpfungen der sechsten 5pfündigen und vierten 3pfündigen Batterie verleitete ! Selbst solche Kleinigkeiten erleichtern eben mehr wie man denken mag das Nähertreten der einzelnen Waffen.

Und dieseAnnäherung ist etwa noch nicht zum wünschens werthen Abschluss gediehen . Gilt das Wort vox populi vox dei wirklich etwas , dann werden sich trotz der mo

mentan ungünstigen Aussichten doch über kurz oder lang jene drei grossen Wünsche der Feldartillerie vollziehen , von deren Erfüllung man mit Recht eine noch höhere Stärkung und Hebung des militairischen Elements erwartet. Wir können auf die Vor- und Nachtheile dieser drei grossen Reformen :

1) Trennung der Feld- von der Festungs-Artillerie, 2) Zutheilung der Feld - Artillerie an die General-Com mandos,

3) Gestellung von Chargenpferden an die Offiziere der Feld- Artillerie,

II

hier nicht näher eingehen , nur das wollen wir constatiren,

dass die Anzahl der Anhänger derselben sehr bedeutend ist, dass eben das militairische Element der Artillerie, nach

dem es einmal geweckt worden , neue Zugeständnisse ge >

bieterisch verlangt, eben nur den Zug zu einer noch innigeren Verbindung mit den andern Waffen wollten wir feststellen . Eins können wir hier nicht unterlassen im Hinblick auf das, was in der Einleitung gesagt ist. Caveant consules, dass das militairische nicht ganz dem artilleristischen Element die Lebensfähigkeit, Luft und Licht raubt !

III.

Denn nicht allein an richtiger Stelle soll man das Geschütz zu brauchen verstehen , nein auch in richtiger Weise. Dazu gehört aber vor allen Dingen, dass man das

zu verwendende Instrument genau kennt, dass die Einrich tungen , Natur , Leistungsfähigkeit und Behandlungsweise desselben einem Jeden ganz klar sein müssen , der damit zu thun hat . Und darin waren wir 1866 leider noch sehr weit

zurück , ohne das ausschliesslich den Artilleristen zur Last legen zu dürfen .

Erinnern wir uns zunächst daran , dass in diesem Jahr das gezogene Geschütz noch wenig bekannt in der Truppe war , es hatte eine entscheidende

robe seiner Brauch

barkeit noch nicht abgelegt und man besass nur wenige unzureichende Erfahrungen ; das Widerstreben einiger zum Theil sehr hochgestellter Artilleristen (von Hahn , General

Inspecteur , Oberst Otto ) die theilweise überspannten Er wartungen , die andere Offiziere hegten und aussprachen, hatten ein gewisses Misstrauen in der Truppe entstehen und bewahren lassen .

Viele Batterien erhielten die neue

Waffe erst während oder nach der Mobilmachung, ein volles Drittheil war während der Campagne noch mit glatten Ge

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schützen ausgerüstet , kurz die Ansichten über Gebrauch

und Behandlung des neuen Materials waren noch sehr aus einandergehend und verschwommen . So huldigte man , um nur ein Beispiel anzuführen , ziemlich allgemein der Ansicht, dass es in gewissen , weit gegriffenen Grenzen gleichgültig >

wäre , auf welche Entfernungen eine gezogene Batterie schösse. Die Trefffähigkeit bliebe bis zu Distancen von 2500+ dieselbe. Ein grosser , ein verhängnissvoller Irrthum. Er bewog die meisten Batteriechefs dazu, auf zu grossen Ent

fernungen Position zu nehmen , wo abgesehen von der in Wahrheit geringeren Trefffähigkeit Beobachtung und Cor rectur sehr erschwert sind, er setzte uns dem harten Urtheil der Kameraden von der Infanterie, dem Geifer eines Arkolay aus : die Artillerie scheute das feindliche Feuer. Solcher Missverständnisse und Irrthümer gab es mehr. Aber wie lernten wir in den kommenden vier Jahren dieselben einsehen und verbessern ! Haben wir eben das militairische Element stärker her

vortreten sehen , so hütete man sich doch demselben auf an deren Gebieten einen allzu grossen Raum einzuräumen. Alles hat seine Zeit , seinen Ort , sagte man mit Salomo. So schaffte man denn andererseits den Drill ab wo er

nicht hingehörte , setzte an die Stelle von Tritt und Griff, von Ruck und Muck beim Geschützexerziren ein ruhiges, verständnissvolles Eingehen auf die Natur und die Behand lung des Geschützes. Jene aus den Zeiten der glatten Periode

uns überkommene Exerzirwuth , der zufolge alle Wischer in der Batterie mit gleichem Tempo aus den Röhren heraus und wieder in dieselben hineinfliegen mussten , machte einer

instruirten , sachgemässen Bedienung Platz. Richtübungen, Behandlung des Verschlusses und der Züge , Functioniren der Zündvorrichtung , Verhalten bei Klemmungen u. S. W.

wurden mit Recht die Hauptpunkte der Ausbildung. Eben so wurde mit Strenge darauf gehalten , dass mindestens ein

jeder Unteroffizier einen richtigen Begriff von der Leistungs

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fähigkeit seines Rohres bekam , d . h . die bis 1866 nur zu

sehr vernachlässigte Kenntniss der Schusstafeln wurde ein Gegenstand besonderer Sorgfalt. Die Begriffe von Treff fähigkeit , Steigungen , Fallwinkel , bestrichener Raum u. s. w. wurden Gemeingut der Truppe. Noch im Jahre 1867 ward der Verfasser von seinen Kameraden bei der

Schiessübung für ein unheimliches Monstrum von Gelehr samkeit gehalten , weil er mit der Berechnung von Ladung und Elevation beim indirecten Schuss vertraut war , schon

1869 hätte ich es keinem der Avancirten der Batterien , bei

denen jene Herren standen , rathen wollen sich in kleinen

Aufgaben aus der Schusstafel wie Berechnung des indirecten Schusses , Verlegung des Treffpunktes u. s. w. als nicht genügend instruirt zu erweisen . Allein „ grau, theurer Freund , ist alle Theorie Und grün allein des Lebens goldner Baum “ .

Alle Kenntnisse helfen wenig , wenn sie nicht praktisch >

verwerthet werden .

Dass man diesem Satz die Artillerie

Schiessschule mit ihren so segensreichen Folgen verdankt, darauf wollen wir gleich zurückkommen , für jetzt nur

wenige Worte über die Schiessübungen in den Brigaden . Viel Schiessen und Schiessensehen lehrt Schiessen.

In

diesem Sinne wurde den Brigaden ein grösseres Munitions Quantum zu Gebote gestellt und die Commandeure wussten dies Quantum in möglichst instructiver Weise auszunutzen .

Wer an die Schiessübungen der 50er Jahre zurückdenkt und sich an das genaue Abschreiten der Distancen , das viele Signalisiren und die allgemeine Anschauung „ immer

raus mit Dingern , damit wir bald nach Haus kommen, wenns nur knallt“ erinnert und diese Reminiscenzen mit dem Bild einer jetzigen Schiessübung zusammenhält , der wird sich des enormen Fortschritts in der Waffe wohl be

wusst werden .

Zunächst wurde stets auf unbekannte Ent

fernungen geschossen und da wo die genaue Kenntniss des Schiessplatzes die Ausführung dieser Absicht sehr proble

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matisch , wenn nicht ganz illusorisch machte , suchte man sich durch einen Wechsel in der Stellung der Scheiben zu helfen .

So gelang es , dadurch zweierlei zu erreichen , erstens nämlich eine genügende Sicherheit in der Beobachtung des Schusses und zweitens eine Fertigkeit in der Correctur , im Ein schiessen , die bis dahin in das Reich der Fabeln gehört hatte. Dabei blieb man nicht allein bei einem Ziele stehen,

den vertical aufgestellten Scheiben , sondern man näherte die Uebung so viel wie möglich der Wirklichkeit , machte sie mannigfaltig und instructiv. So wechselte man in den Uebungen , schoss bald gegen verdeckte , bald gegen hori zontale Ziele , namentlich gewann man an Sicherheit gegen

bewegliche Ziele in hervorragender Weise. Wie wichtig es für die Feld - Artillerie sein muss, auch in der Bewegung

begriffene Truppen mit Erfolg beschiessen zu können , ist jedem , selbst dem Laien , wohl ebenso einleuchtend, als es leider wahr ist , dass bis zum Jahr 1866 an diese Uebung nicht einmal gedacht wurde. Aber nicht genug dass man nun sowohl gegen Scheiben die sich sowohl senkrecht zum

Geschütz wie auch gegen solche , die sich auf dasselbe zu oder von demselben weg bewegten, übte, man suchte der Wirklichkeit noch näher zu treten , man stellte sich die

Aufgaben , auch durch den Pulverdampf der feindlichen Batterien hindurch dieselben wurden durch unbrauchbare,

mit elektrischer Zündung abgefeuerte Geschütze markirt) günstige Ergebnisse zu erhalten . Doch nicht nur alle Fälle der Wirklichkeit bemühte

man sich zu erschöpfen, auch durch die Ausbildung eines Jeden wollte man die Kenntniss der Schiesskunst verall

gemeinern und erweitern. Schon oben haben wir das Be streben gekennzeichnet , das die Verwendung der Waffe zum geistigen Eigenthum auch des jungen Offiziers zu machen suchte , auch hier finden wir dies Bestreben wieder.

Hielt man auch das Princip fest, dass hauptsächlich der Batteriechef in allen Regeln und Finessen des Schusses

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erfahren sein müsste , so wollte man doch auch den Lieute

nants Gelegenheit geben , selbst zu schiessen , selbst zu be obachten , selbst zu corrigiren . Daraus entstand dann das

zugweise Scharfschiessen , wobei der junge Offizier selbst ständig verfahren durfte und erst nachdem er abgeschossen aus der Kritik seiner nächsten Vorgesetzten seine Fehler erfuhr. So hatte er denn nun im Frieden vollständig Ge legenheit seinen Zug in allen Situationen des Gefechts

wirklich zu führen , die jüngeren Herren ritten nicht mehr wie früher vor dem Zuge spazieren , nein , sie führten ihn eben wirklich , auch sie lernten ihre beiden Geschütze zu verwenden .

„ An richtiger Stelle, in richtiger Weise “ . IV .

Vor dieser Anforderung, die eben das Verdienst hat, das Wesentliche der Artillerie, ihren Kern energisch zu be tonen , mussten natürlich gemäss die Vertreter jener extremen

Richtungen , deren wir in der Einleitung gedacht haben, zurücktreten , kann doch eine extreme Richtung nie das Centrum einer Sache treffen .

So wurden nicht nur die

alten Praktiker , die sich nur mit Reiten und Fahren also

der Frage : wie bringe ich das Geschütz an den Ort seiner Wirkung , sondern auch die Theoretiker, die noch eine Stufe tiefer auf der Leiter der Wichtigkeit nur gefragt

hatten : wie gebe ich dem Geschütz überhaupt eine genü

gende Wirkung, inne , dass diese Fragen eben der Natur der Sache nach nur nebensächliche sein können.

Aber wenn

auch nur in zweiter Reihe , wichtig genug bleiben sie immer um berücksichtigt zu werden ; auch hier jedoch muss das Wesentliche vor dem Zufälligen , das Nothwendige dem nur schön und zierlich Aussehenden vorangehen. So ist es wiederum ein Verdienst der vergangenen

Jahre , die Reitfertigkeit in der Artillerie auf die Stufe

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zurückgeführt zu haben , die ihr dem Wesen der Sache nach nun einmal nur gebührt. Jede Waffe hat eine ihr

eigenthümliche Fortbewegungsweise und je reiner sie diese erhält , um so mehr bleibt sie sich selbst treu. Der Infanterist geht, der Cavallerist reitet , der Artillerist fährt, das Reiten darf stets nur als Vorstufe zum Fahren , nie als unab

hängiger , selbstständiger

Ausbildungszweig

betrachtet

werden. Wird , wie es vor 1866 namentlich durch die An

hänger und Vertreter der reitenden Artillerie geschehen, diese Werthschätzung vergessen , will man die Pferde und Reiter der Artillerie zu Centauren und Kunstreitern aus

bilden , lässt man Pferdedressur und Pferdeausbildung den ersten Rang einnehmen , so absorbirt bald die Reitkunst alles Interesse und der Cavallerist verdrängt den Artilleristen,

das Epitheton das Substantivum , der reitende Artillerist wird ein artilleristischer Reiter.

Wir sind ferne davon,

der Schwesterwaffe die grossen Verdienste absprechen zu

wollen , die sie um die Hebung des Ganzen durch den Schneid , der ihr innewohnt , hat , wir möchten sie trotz ihrer Theuerkeit und des geringeren taktischen Werths , den sie seitdem man den Gebrauch der grossen Cavalleriecorps be

schränkt hat , als Nacheiferungs-Beispiel für die Fussartillerie stets erhalten wissen , wir können aber nicht umhin , speciell der reitenden Artillerie einen grossen Theil der Schuld zu

schreiben zu müssen , dass man das eigentliche Wesen der Waffe zu lange verkannt. Dem Artilleristen muss ein für allemal das Pferd nur Transportmittel sein , kann ihm nie Kampfmittel werden. So ist denn das Fahren die Haupt

sache und nur dies darf der Reitunterricht im Auge be halten , nur darauf darf er hinarbeiten , was darüber ist , ist vom Uebel. Das wurde in richtiger Weise erkannt und

man gab sich Mühe diese Erkenntniss zur allgemeinen zu machen. War es früher geradezu verboten gewesen , dass ein Offizier als Fahrer auf ein Paar Pferde gesetzt wurde, so griff nun nach dem Beispiel der Garde-Artillerie das

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Fahren der Offiziere immer mehr Platz und wir haben unter bewährten Lehrern Leistungen von den Offizieren gesehen , die sich dem Besten in diesem Fach dreist an die Seite stellen durften . Auch im Fahren übrigens wurde

eine scharfe Sicht getroffen, Alles das was gekünstelt und überflüssig für den Kriegsgebrauch erschien , fiel fort und nur die einfachsten elementaren im Krieg wirklich an

gewandten Evolutionen bildeten von nun an das Reglement. So bei den Leuten ; etwas anders stellt sich allerdings

die Sache beim Offizier. Mag es paradox erscheinen , es ist doch richtig, das Reiten ist zu sehr Nebensache, als dass nicht grade hierin der Offizier der Feldartillerie vollständig ausgebildet sein müsste. Im Ernstfalle hat er mit der Be

aufsichtigung seines Zuges so viel zu thun , von ihm hängt für die Gefechtsthätigkeit und den Erfolg des Ganzen so viel ab , dass seine Aufmerksamkeit unter keinen Umständen durch das Pferd welches er reitet , absorbirt werden darf.

Mag er ein rittiges Pferd reiten , dann darf er selbst ein weniger guter Reiter sein , nie aber darf ihm , der sich stets einzeln präsentirt während der Cavallerist mehr oder minder in der Masse der Escadron steckt , sein Pferd die geringste

Schwierigkeit bereiten. Und wie wird man diesen Grad der Vollkommenheit am besten erreichen ? Man gebe den

Offizieren Chargenpferde und mache sie so verantwortlich für ihre Pferde !

V.

Will man alles das, was wir im Vorangegangenen auf

gezählt haben , noch einmal zusammenfassend recapituliren , so ist es am besten ," einen Blick auf die Bildungsstätten der Offiziere : die Artillerie- und die Artillerie-Schiess- Schule zu

werfen . Hier kann man am Klarsten inne werden , welches

im Gegensatz zur früheren Zeit die leitenden, heilvollen Prin cipien der Artillerie sind , hier sammelt der Offizier seine >

Becker , Die Erfolge der preuss. Feld-Artillerie.

2

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Kenntnisse , die er dann in der Truppe verwerthen , mit denen , durch die er den Geist der Waffe beleben und kräf tigen soll . Das erste dieser beiden Institute ist in dem Sinne, der unsere ganze Waffe seit 1866 beseelt , von Grund aus reorganisirt, das zweite in demselben Geiste neu geschaffen worden.

Suchen wir uns im Folgenden den Bildungsgang

eines Artillerie -Offiziers, wie derselbe jetzt normirt ist , zu

vergegenwärtigen. Nachdem die Fähnriche von der Kriegs schule, die sie nach einjähriger Dienstzeit besuchen und wo sie (ungleich dem früheren Modus , nach dem sie in zunft

ähnlicher Abgeschlossenheit sich auch dies Jahr der Vorbe reitung zum Offizier in der Artillerieschule aufhielten ) mit

den Kameraden aller anderen Waffen zusammen die zum Offizier nöthigen Kenntnisse erwerben sollen , zurückgekehrt sind , traten sie, zu Offizieren befördert, nach den vor 1866 gültigen Bestimmungen auf ein Jahr in den Dienst der Truppe und bezogen dann nach Verlauf desselben zwei Jahre lang die Artillerieschule . Die Lehrgegenstände des unteren Coetus waren mit Ausnahme der elementaren Mathematik und

der Anfangsgründe der Physik nur militärische, nur Recapi tulationen und Erweiterungen des auf der Kriegsschule Er lernten. Der obere Coetus dagegen beschäftigte sich ausser

den weiter vorgeschrittenen , für den praktischen Dienst werthlosen Capiteln der Mathematik und der Fortführung

des artilleristischen Vortrags mit Chemie , Pferdekenntniss und Geschichte der Kriegskunst. Wohl wurde in beiden Coeten so Manches vorgetragen , was , weit entfernt den

Truppenoffizier als solchen zu interessiren , ihm im Gegen theil nur als unnöthiger Ballast erscheinen und, da wir Alle die Neigung haben aus dem uns wiederstrebenden Theil gern

das Ganze zu verurtheilen , auch mit Abneigung gegen seine Waffe erfüllen musste . Ausserdem gingen dem Artillerie offizier, der schon des Materials und der Zusammengehörig keit der Feldartillerie mit der Festungsartillerie halber mehr

zu lernen hat wie der Armeeoffizier, zwei volle schöne Jahre

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praktischen Dienstes verloren ; ja oft seine Carriere, denn erst kurze Zeit ins Leben getreten, aus einer kleinen Gar nison kommend , scheiterten sehr viele an den Klippen, die das grosse Berlin so zahlreich bietet. Alle diese Uebelstände

beseitigte die Reorganisation der Artillerie - Schule. Von der Kriegs- Schule zurückgekehrt müssen die Offiziere zwei Jahre bei der Truppe bleiben und verbringen dann nur eins auf der Schule. Hier lernen sie das Wenige , was der Artil lerie - Offizier, der sich nur dem praktischen Dienst widmen will, vor dem Armeeoffizier wissen muss , die Constructions

principien unseres Materials, die Grundsätze des Festungs Krieges und vom Feldkriege so viel , dass ihnen wenigstens

Gelegenheit geboten wird, den Mangel an praktischer Uebung, den der Artillerie - Offizier den anderen Waffen gegenüber dem Wesen derselben nach nothwendiger Weise haben muss,

durch gründliche Vorstudien für die wenigen Stunden prak tischer Uebung einigermaassen zu ersetzen. Auch Mathe matik , Chemie und Physik werden in vielleicht für den an

gegebenen Zweck noch immer zu ausgedehnter Weise in den Anfangsgründen in diesem einjährigen Cursus gelehrt.

Mit Absolvirung desselben ist sein Zweck , den praktischen Offizier mit für seinen Dienst genügenden Kenntnissen aus zurüsten , gewiss mehr denn ausreichend erfüllt und die theoretische Ausbilduug des Artilleristen im Ganzen und Grossen vollendet. Es lässt sich jedoch nicht leugnen , dass wir Leute nöthig haben , die mehr wissen müssen , wenn die Artillerie auf der Höhe erhalten werden soll , auf der sie

steht, dass wir Leute nöthig haben , die kenntnissreich genug sein müssen , um die Erfindungen der Naturwissenschaften ,

die von Tag zu Tag an Umfang gewinnen , der Waffe dienst bar zu machen und in ihrer Brauchbarkeit für dieselbe zu

beurtheilen , dass wir mit einem Wort Leute nöthig haben , die unser Material fortbilden können. Wie verhängnissvoll

eine Vernachlässigung in dieser Beziehung werden kann, zeigt uns das Beispiel Frankreichs. Wenn sein Artillerie

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Comité nicht in jener ächt gallischen , arroganten Verblen dung die Augen gegen das Bessere verschlossen hätte , wenn

sie gewarnt , wie sie es durch Oberst Stoffel waren , uns mit einem ebenbürtigen Artillerie -Material entgegentraten, wahrlich es wäre des deutschen Blutes unendlich mehr ge

flossen und nur geringere Erfolge dadurch erzielt worden. Aber sie besassen eben keine Männer die mit umfassendem

Blick und emsigem Fleiss ihr ganzes Leben in edler Selbstlosig

keit der Ausbildung und Durchführung einer Idee widmeten , wie wir sie in den Offizieren mit Stolz rühmen , die von 1859 bis 1870 die Artillerie Prüfungs-Commission bildeten. Gewiss auch ihnen gebührt ein voller Zweig des Lorbeers von Sedan !

Sei es uns vergönnt nur einen Namen hier zu nennen , den eines Mannes , der „standhaft und treu ", unbekümmert

um seinen Vortheil mit eiserner Energie und unnachahm lichem Fleiss an der Durchbildung unseres gezogenen so

prächtigen Gussstahl - Geschützsystems gearbeitet hat , wir meinen Excellenz von Neumann .

Mag die Anerkennung,

die ihm die gesammte Artillerie zollt und zu deren schwachem Dolmetscher wir uns hier machen , ihm ein Ersatz sein für

Vieles, was ihn betroffen hat , für so Manches was ihn noch treffen könnte , schwer treffen würde wie die drohende Ver >

bannung des Gussstahls. Solcher Männer wie er war brau chen wir jetzt mehr denn je, denn auf allen Gebieten unseres Materials stehen drängende , gewichtige Fragen : Bronze

oder Gussstahl ? Schrapnel oder Granate ? Vier- oder Sechs pfünder und wie die Devisen alle heissen mögen , um die sich die Autoritäten der Artillerie schaaren . Wir brauchen

Techniker , wollen wir nicht zurückbleiben hinter den an deren Nationen ! :

Doch auch dafür ist durch unsere General - Inspection * gesorgt !

* Bei Durchsicht dieser Zeilen überrascht uns die Nachricht von dem

plötzlichen Tode des General-Inspecteurs, sein Wirken gehört der Geschichte

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Haben die Officiere den unteren Coetus der Artillerie

Schule absolvirt, dann gehen die , die Talent und Neigung dazu haben , in eine Selecta über, in der sie gleichfalls wieder

in einem einjährigen Cursus Alles das vorgetragen erhalten, was sie zur Entscheidung über technische Fragen später befähigen kann . So ist denn in dieser heilsamen Reorganisation der Ar tillerie - Schule beiden in der Einleitung angeführten Ele menten der Waffe gleichmässig Rechnung getragen . Nicht minder in der segensreichen Institution der Ar tillerie- Schiessschule , deren Früchte ein aufmerksamer Be obachter in jedem Auftreten der Artillerie 1870-71 nicht

verkennen kann. Ins Leben gerufen von Excellenz v. Hin dersin , hat sie unter den Directoren v. Bröcker und Rib

bentrop durch Lehrer wie v. Werder und Neumann den

hervorragendsten Antheil daran , dass unsere Offiziere und Unteroffiziere im Schiessen selbst so Ausgezeichnetes ge leistet.

Bisher standen wir leider in diesem wichtigsten

unserer Dienstzweige dem Endzweck aller anderen Bestre

bungen nur zu fühlbar hinter der Infanterie zurück , die ausser dem ihr bei ihren Uebungen zu Gebote stehenden grösseren Munitionsquantum in ihrer vortrefflichen Schiess

Schule in Spandau ein Mittel besass , die Würdigung und musterhafte Verwendung der Handfeuerwaffe in der Truppe zu verbreiten . Jetzt dürfen wir in dieser Beziehung getrost mit einander rivalisiren . Schon der Vortheil der Artillerie Schiessschule, dass die Offiziere im reiferen Lebensalter und *

mit praktischen Kenntnissen mancher Art ausgerüstet (in der Regel werden ältere Premierlieutenants und Hauptleute zur Schiess - Schule commandirt) Gelegenheit finden , sich wieder einmal mit der Natur des Geschützes zu beschäftigen , dass der Waffe an und nicht wir dürfen über sie urtheilen , die aufrichtige An erkennung aber, dass er immer das Beste gewollt hat, wird ihm auch über das Grab hinaus folgen.

22

sie Praxis und Theorie in einer glücklichen Verbindung in sich aufnehmen , schiessen lernen , durch schiessen sehen und

selbst schiessen unter Verhältnissen , die dem Feldkrieg möglichst angepasst werden , schon dass sie in den Discus sionsstunden nicht nur die neuesten Fragen der Waffe kennen lernen , sondern auch ihre Ansichten darüber austauschen ,

schon das sind nicht hoch genug anzuschlagende Vortheile. Unsere Kameraden von der Garde werden es vielleicht über

trieben finden , wenn wir dieser Neuerweckung des artille ristischen Geistes einen so grossen Werth beilegen , aber es stehe Einer nur erst einmal Jahre lang in Graudenz oder Wunsdorf und er wird mit Schrecken gewahr werden , dass

er bald an alle dem , was die Waffe interessirt und bewegt, unschuldig wird wie ein neugebornes Kind. Auch der tac

tischen Ausbildung wird Rechnung getragen durch die Pflege des Kriegsspiels und in den Discussionsstunden , ja wir ver danken dem Institut die Erfindung des Festungs-Kriegs spiels. Jedoch vor Allem heilsam und wichtig erscheint uns wenigstens die Schule durch die Ausbildung der Unter

offiziere, erstens weil dies so wichtige Glied der Waffe deren leider sehr bedürftig ist und dann weil durch die Unter offiziere die Resultate ihres Aufenthalts in vollster Unmittel

barkeit in die Truppe übergehen. Der Offizier wird – we nigstens bei den jetzigen Organisationsverhältnissen der Feld und Festungs - Artillerie -- hin und hergeworfen von einer Truppe zur andern , von einem Commando zum andern, von einer Garnison zur andern

der Unteroffizier bleibt dem

Truppentheil Jahre hindurch. Wenn wir einst dahin kommen können - und wie viel hülfe schon die Einrichtung eines Un teroffizier -Parallel -Cursus! — dass sämmtliche Geschützführer der Batterien , die Schiessschule besucht hätten , unsere Re

sultate auf den Schiessübungen und den Schlachtfeldern würden noch um Vieles erstaunenerregender werden. Doch auch jetzt haben wir alle Ursache den Offizieren , die die Schiess-Schule organisirt, geleitet und an ihr gelehrt, unsern

23

vollen , innigen Dank zu zollen . Möge es dem theuren Va

terlande nie an solchen Männern wie die oben genannten mangeln. VI.

Wir haben im Vorangegangenen ein Bild von dem zu entwerfen gesucht, was die Artillerie im Frieden gethan, um

sich kriegsbrauchbar zu machen , betrachten wir jetzt wie sie das Gelernte verwendet , wir haben das Handwerkzeug zusammengestellt , werfen wir jetzt einen Blick darauf, was man mit ihm geschaffen.

Zunächst die Eintheilung des mobilen Artillerie -Regi ments und seine Zutheilung zu den Gefechtskörpern des mo bilen Armeecorps. Zweierlei fällt uns bei dem Vergleich der Ordre de bataille vor und nach 1866 auf, erstens der ver änderte Name der Reserve -Artillerie, die jetzt Corpsartil

lerie heisst und die geringere Anzahl der reitenden Batterien. Was die Corps-Artillerie betrifft so ist in der Sache selbst

Nichts geändert, sie besteht wie früher die Reserve-Artillerie aus den nicht zu den Infanterie- resp. den Cavallerie -Divi sionen eingetheilten Batterien.

Auch ihre Personal- und

Ressort-Verhältnisse sind dieselben geblieben. Der verän derte Name hat mithin nur einem aus der Bezeichnung ent

springenden Irrthum vorbeugen sollen. Und welchem ? Dem, dass man die Reserve -Artillerie wie die Reserven der In fanterie und Cavallerie für eine Gefechts -Reserve hielt und

ihr nur unter denselben Bedingungen wie diesen ein Ein greifen in den Kampf gestattete. So sind denn auch im Feldzuge von 1866 diese Batterien häufig nur nachdem die Entscheidung gegeben war, verwandt worden, um den Erfolg auszunutzen und die österreichischen Gefechts -Reserven zu

beschiessen oder wie bei Trautenau und Langensalza ein feindliches Nachdrängen abzuhalten. So entzog man einen grossen Theil der Artillerie den eigentlich entscheidenden

24

Stadien des Gefechts und trug so nicht wenig dazu bei , die Kameraden der Infanterie über Mangel an Unterstützung

unsererseits klagen zu lassen . Dieser irrigen Auffassung sollte die Aenderung des Namens entgegentreten. Die Corps Artillerie sollte sich nur dadurch von der Divisions-Artillerie

unterscheiden , dass sie speciell zur Verfügung des Corps Commandeurs steht , doch nicht weniger wie jene an der >

Vorbereitung und Durchführung des Kampfes Theil nehmen. Anstatt eine Gefechts -Reserve zu sein , ist die Corps-Artil

lerie sogar nicht minder als die Divisions- Artillerie als eine recht eigentliche Avantgarden - Truppe zu betrachten. Ihre Zwecke sind auch die der Avantgarde ; ist die Avantgarde damit beauftragt den Feind zuerst zu sehen und mit ihm

in Contact zu treten , so ist es Aufgabe der Artillerie ihn zuerst zu erreichen , soll jene den eigenen Truppen Gele

genheit und Deckung zum Aufmarsch gewähren , so theilt sie diese Verpflichtung mit der Artillerie , soll sie wichtige Positionen der Benutzung des Gros freihalten , so ist die Artillerie nicht weniger berufen solche zu sichern . Nichts ist mithin fehlerhafter, als die Artillerie , auch die Corps

Artillerie, die Rolle einer Gefechtsreserve spielen zu lassen . Grade die Vorbereitung, die unmittelbare wie mittelbare, des Hauptangriffs ist ihre Sache. Bei der jetzigen Wich

tigkeit des Feuergefechts, der Nothwendigkeit, die Wirkung auf entscheidende Punkte zu concentriren, kann es sich ausser dem nicht empfehlen, nicht von allen Mitteln in jedem Mo ment Gebrauch zu machen , die das Feuergefecht zu gün

stigem Resultate zu führen vermögen ; die einzelne Batterie ja das einzelne Geschütz ist viel zu wichtig unter den jetzigen

1

Verhältnissen , als dass seine Wirksamkeit auch nur für einen

1

Augenblick als überflüssig zu bezeichnen wäre. Die Artillerie

muss vollständig bis aufs Aeusserste ausgenutzt werden , erst dann darf sie sich sagen , dass sie ihren Zweck nicht ver fehlt hat. Dem Umstande , dass sämmtliche vorhandenen

24981139$

Batterien sobald als möglich in die Gefechtslinie gezogen wor HES MUS !

1

25

den sind , haben wir nicht zum kleinsten Theil unsere Siege zu danken, der veränderten Stellung der Corps - Artillerie die ge >

sammte Waffe nicht zum kleinsten Theil die veränderten Erfolge. Ja wir möchten weiter gehen und fragen : wozu über

haupt noch eine Corps-Artillerie ? Mag man dem Kind einen Namen geben , welchen man wolle , diese Batterien bleiben stets eine Gefechtsreserve in der Hand des commandirenden

Generals, eine Bestimmung , die nun einmal der Natur der

Waffe nicht entspricht.

Ist denn nicht der Hauptvortheil

der Gefechtsreserve der , dass der Feldherr eine Karte in

der Hand behält , die er nicht mit ins Spiel bringt , eine Truppe besitzt , die geschlossen das Gefecht herzustellen oder den Erfolg auszubeuten vermag ?

Wäre unsere Gefechtsdisciplin auf der für Menschen allerdings wohl schwer erreichbaren Stufe, ein Bataillon nach Belieben ein Gefecht abbrechen zu lassen und dasselbe

als ein Ganzes aus dem Kampf zu ziehen , besässen unsere Führer nicht die allerdings relativ so lobenswerthe Eigen schaft der Selbstständigkeit undden Wunsch miteigenen Kräf ten selbstständige Erfolge zu erzielen , müssten wir uns nicht leider eingestehen , dass die einmal aus der Hand gegebene Truppe überhaupt keinen Factor mehr bildet , den der Feld

herr bei ferneren Dispositionen in Rechnung ziehen darf – dann , ja dann – brauchten wir keine Gefechts -Reserve..

Wenn wir sie aber irgendwo zu entbehren vermögen , so ist es bei der Artillerie. Die Natur des Artilleriekampfes als auschliessliches Feuer- und Ferngefecht, die Nothwendigkeit der ruhigen Beobachtung und steten Correctur erhält Geist

und Körper geneigt dem Befehl zu gehorchen und der höheren Anordnung mit kaltem Blut zu folgen. Der ein zelne Mann hört überhaupt als Artillerist auf ein Individuum , ein Mensch zu sein , er wird ein Theil einer Maschine , die an seine Intelligenz im Gefecht selbst , während der Aus

HE , X

O PERS

NA

übung seiner ihm in Fleisch und Blut übergegangenen Func tionen keinen ungewöhnlichen Anspruch mehr erhebt, er

26

wird ein Theil des Individuums Geschütz.

Es liegt dies

unbewusst auch im Sprachgebrauch ; der Offizier der Infan terie commandirt Leute , der Cavallerist Pferde, aber der Artillerist Geschütze ; er braucht naturgemäss weniger auf die menschliche Natur und all die Veränderungen , denen sie im Kampfe unterliegt, Rücksicht zu nehmen, ein Batterie

Chef, der seine Batterie aus der Hand verliert , gehört vor ein Kriegsgericht , der Compagniechef der Infanterie, dem das passirt , der theilt sein Loos mit den grössten Feldherren. Und sollte wirklich

einmal in

einer Batterie durch

irgend welche Umstände die Führung momentan aus der Hand des Chefs gleiten , so besitzt die Artillerie trotz ihrer

anhaltenden unausgesetzten Thätigkeit während der Schlacht doch auch Ruhepausen, so z. B. während des Avancirens der eigenen Infanterie , die sie recht wohl benutzen darf, um etwa in dieser Beziehung verloren Gegangenes wieder einzu bringen. Aber selbst die Nothwendigkeit einer Gefechtsreserve der

Artillerie zugegeben, welche Gründe lassen sich selbst dann dafür finden , dass man dieselbe als einen besonderen Truppen körper formirt und sie als besondere administrative und orga nisatorische Einheit betrachtet ?

Die Infanterie des gesammten Armee-Corps befindet sich in den Händen der beiden Divisions -Commandeure, die we

nigen Schwadronen Cavallerie , die dem Armee - Corps als solchem verbleiben und nicht vielmehr in selbstständigen Cavallerie - Divisionen , bald dem einen bald dem andern

commandirenden General zugetheilt, eigene Zwecke verfolgen, stehen gleichfalls unter der Division , nur die arme Artillerie geniesst den mindestens zweifelhaften Vorzug , noch beson ders einen Vorgesetzten zu besitzen. Warum das ? warum giebt man nicht auch die gesammte Artillerie in den Be fehl der Divisionen ?

Wir dächten wenn der

comman

dirende General im rangirten Gefecht seines Corps kein Bedenken findet von der Infanterie einer Division einen

27

Theil zur Gefechtsreserve abzuzweigen und ihn zu seiner eignen speciellen Disposition zurückzuhalten, welcher Grund lässt sich denken , warum er es bei der Artillerie nicht

gleichfalls thun sollte, wenn , und wir stellen das häufige Vorkommen dieses wenn entschieden in Abrede , wenn er es für nöthig hält. Fechten aber , wie dies im letzten Feldzuge

sowohl gegen die Nordarmee unter Faidherbe wie gegen die Loire-Armee sehr häufig vorgekommen ist , die Divisionen mehr oder minder mit selbstständigem Gefechtszweck, dann ist der Commandeur des Armee-Corps doch in der Lage, die Corps-Artillerie theilen und den Divisionen unter

stellen zu müssen und die Corps-Artillerie wird dann nur zur Colonnen-Abtheilung, ähnliche Verhältnisse ergeben sich, wenn starke Detachirungen von Armee -Corps eintreten . Als z. B. die Ite Armee im December 1870 den Auftrag erhielt :

die nördlichen Departements zu entwaffnen , Requisitionen auszuführen und Contributionen zu erheben , wurden von

Seiten des Sten Armee-Corps starke fliegende Colonnen aller Waffen gebildet , deren Artillerie fast ausschlieslich

der Corps- Artillerie entnommen wurde. So bildet dieser unglückselige Truppentheil ebenso das Reservoir des Ar mee-Corps an Geschützen wie seinen Ablagerungsort an Colonnen. (Schlacht an der Hallue am 23. December 1870. Artillerie der 22ten Division.) Anmerkung. Beinahe gewinnt für den mit der Geschichte der Ar tillerie Unkundigen es den Anschein , als ob die ganze Institution der Corps Artillerie ihren Ursprung dem Wunsche verdankt, die Person des Comman deurs des Feld-Regiments passend unterzubringen. Die höheren Vorge setzten unserer Waffe haben ja überhaupt das beneidenswerthe Loos , im Kriege eine Stellung einzunehmen , die ihrer Friedensstellung an Wichtig keit und Einfluss sehr bedeutend nachsteht. Ueber die Position, die die Inspecteure und selbst der General -Inspecteur einnehmen , hat eine

ge

schicktere Feder als die unsre leider in einer Form geschrieben, die allein der Wahrheit der Sache Abbruch thuen kann , aber theilt denn nicht auch der Brigade -Commandeur , der nun plötzlich ein Regiment statt zweier com

mandirt oder vielmehr beaufsichtigt, denn seine Commandeurbefugnisse sind auf Andere übergegangen , ihr Loos ? Und der Regiments-Commandeur ? Die grössere Hälfte seiner Batterien sind seiner Einwirkung entzogen , nicht ein

28

mal inspiciren darf er sie, ohne die Erlaubniss des Divisions - Commandeurs eingeholt zu haben , dafür treten nun allerdings die Munitions - Colonnen

unter seinen Befehl, mitunter auch wunderliches Spiel des Schicksals die Ponton-Colonne , Sanitäts - Detachements und Proviant - Colonnen , so dass

die Corps-Artillerie ein eigenes Gemisch ist von Batterien und Colonnen, ein Ablagerungsort alles dessen, was den Divisionen nicht passt. Doch wir medisiren , man braucht bloss , wie es wohl häufig geschieht , auch die Ge schütze dem schweren Tross zuzuzählen und die generelle Einheit ist wieder hergestellt .

Fügen wir der Vollständigkeit wegen hinzu , dass die Corps-Artillerie jetzt auch eine Particularbedeckung, die die Infanterie einer Division abgeben muss, sowohl zur Sicherung auf dem Marsch , wie im Cantonnement braucht, während, träten auch ihre Batterien zu den Divisionen , dies nicht

nöthig wäre , so ergiebt sich als natürliches Resultat die ser Betrachtung wie wünschenswerth z. B. folgende Dis

position über die Artillerie des Armee-Corps sein dürfte : 6 Fussbatterien à 2 Abtheilungen zu 3 Batterien zu jeder Division unter je einem Regiments-Commandeur. Wir sind weit entfernt davon , mit dem Ebengesagten

eines jener vielen Organisationsprojecte auf den Markt

bringen zu wollen , fehlt uns in unserer Stellung doch völlig >

der Blick für die enormen Schwierigkeiten , mit denen

unsere Vorgesetzten bei jeder Reform zu kämpfen haben, geht uns vor Allem doch das Verständniss für die finanzielle

Seite dieser Fragen vollständig ab. Auf das Eine müssen wir aber hinweisen , dass über Kurz oder Lang sicher die Zeit kommt , in der sich unser Staat einer bedeutenden Vermehrung der Feld -Artillerie nicht mehr wird entziehen

können. In der jetzigen Zeit ist das Verhältniss von zwei Geschützen auf 1000 Mann resp. 3 reitenden auf 1000 Pferde durchaus nicht mehr ausreichend , es gehören diese Zahlen

der Zeit des glatten Infanteriegewehrs an und entsprechen der jetzigen Gefechtskraft der Artillerie in keiner Weise mehr.

Frankreich hat bereits mit einer bedeutenden Ver

mehrung seiner Batterien bei der Neuorganisation seines

1

29

Heeres begonnen und wir werden ihm wohl oder übel auf

diesem Wege um so mehr folgen müssen , als die endgültige Entscheidung über die Bewaffnung unserer Infanterie noch nicht getroffen ist. Um so mehr setzt uns deshalb ein kürz lich aufgetauchtes Gerücht in Erstaunen , das von dem Er satz des grösseren Theils der reitenden Batterien durch

eine gleiche Anzahl schwerer Fussbatterien erzählt. wäre ,

Das

wir berufen uns dabei auf das im ersten Theil

unserer Arbeit Gesagte , um uns gegen den Vorwurf einer besondern Zuneigung für die reitende Artillerie zu ver wahren

zum Mindesten kein Schritt Vorwärts zur Stär

kung der Armee an Geschützen, eher einer auf dem mitunter so theuren Pfad der Ersparnisse.

VII.

Der veränderten Bestimmung gemäss , die der Corps Artillerie nach 1866 gegeben wurde , änderte sich auch ihr

Platz in der Marschordnung, wie auch der der Divisions Artillerie ein anderer wurde.

Während und noch selbst

nach der Campagne gegen Oesterreich war es fast allge mein üblich gewesen , die als Gefechtsreserve zu verwen

denden Truppen auch auf dem Marsch räumlich und in Bezug auf den Befehl vom Gros zu trennen , fast überall findet man eine besonders formirte Reserve , die unter

einem eignen Commandeur dem Gros in einer grösseren Distance folgt. In diesen Gefechtskörper sah man nur zu häufig die Artillerie verwiesen. Vergegenwärtigt man sich nun , dass bei dem Marsch eines Armee- Corps die Entfernung der Tête also des Commandirenden und der Avantgarde zu

dieser Reserve 2 " , bei dem Marsch der einzelnen Division 3/4 Meilen beträgt und rechnet man hinzu , dass bei einem 22

nothwendigen Eingreifen dieser Batterien einmal der den Befehl überbringende Adjutant, ein zweites Mal die Batterien

selbst diesen Weg zurücklegen müssen , so wird man sich

30

nicht wundern dürfen , wenn die letzteren im Jahre 1866 mit grosser Regelmässigkeit zu spät kamen . Auch dieser Uebelstand ist in dem vergangenen Feld zuge vollkommen beseitigt gewesen .

Die Abzweigung einer besonderen Marsch - Reserve schien mit Recht keinen anderen Vortheil zu gewähren,

als etwaige Stockungen im Marsch sich nicht auf die ganze Länge der Colonnen ausdehnen zu lassen , dagegen war

sie von dem entschiedenen Nachtheil begleitet, dass z. B. bei einer Distance von . Meile zwischen Gros und Reserve das Eingreifen eines Theils der fechtenden Truppen des

Armee-Corps bei einem etwaigen Aufmarsch um mindestens eine halbe Stunde verzögert wurde. Schon durch den Weg fall solcher besonders formirten Marschreserven erhielt die

Artillerie einen mehr nach vorn gelegenen Platz.

In Folge bitterer Erfahrungen aber und schwerer Ver luste brach sich die schon vorhin erwähnte Ansicht mit un

widerstehlicher Gewalt Bahn , dass die Artillerie , da sie

den Feind zuerst erreicht , auch zuerst ihn angreifen soll und mithin sowohl in der Avantgarde als auch im Gros , in der einzelnen Division wie im Armee -Corps an die Tête ge hört. Wir sehen mithin auch im Jahre 1870 die Avant

garden auf das Reichlichste mit Artillerie versehen , deren Stärke sich bei den Märschen einzelner Armee-Corps wohl nicht unter 5 Batterien belaufen haben wird , wir sehen dieselben in diesem Verbande

hinter

dem

ersten

ge

schlossenen Infanterie - Bataillon, wir sehen die Corps -Artillerie gewöhnlich hinter dem ersten Regiment , sicher aber hinter der ersten Brigade des Gros , während die frühere Reserve Artillerie sich nur noch von einem Bataillon des Gros ge folgt sah , ja mitunter harmlos hinter Proviant - Colonnen verwiesen wurde . Beim Marsch in möglichst breiter Front , also beim Parallelvormarsch eines Corps auf mehreren

Strassen hat man auch wohl noch in diesem Feldzug die

Praxis befolgt, die Corps- Artillerie mit den Trains der

31

einen oder andern Division manchmal in ihren Abtheilungen

getrennt auch beiden auf dem besten Wege folgen zu lassen. Vielleicht empfiehlt es sich, ihr, so lange die jetzige

Organisation noch fortbesteht, eine mittlere Strasse selbst ständig zwischen den Divisionen anzuweisen , damit man bei einem eventuellen Aufmarsch auch auf diese Batterien nicht einen so oft von unserer Infanterie nur zu schwer

empfundenen Augenblick zu warten nöthig hat.

Wie gross der Vortheil ist, den unsere Waffe aus dieser veränderten Stellung ziehen durfte und wie sehr sie dieser einen Hauptantheil ihrer Erfolge vindiciren muss , mag ein einfaches Zahlenbeispiel am besten beweisen. Die nach stehenden Signaturen geben beide die Marschordnungen zweier Divisionen , die mit a bezeichnete ist im Feldzuge 1866 thatsächlich in Anwendung gekommen, die andere, b, in der

letztverflossenen Campagne. Die erstere ist die des V. Armee Corps bei seinem Anmarsch zum Schlachtfelde von König grätz. (Generalstabswerk Seite 309. Auf derselben Seite

ist eine ähnliche Marschordnung des I. Armee-Corps mit getheilt.)

a)

Westpreussisches Ulanen-Regiment No. I. I. Schlesisches Dragoner -Regiment No. 4 . 10. Division.

die Regimenter 6, 46, 47, I. u. II. Bataillon 52.

4 . Batterien 3. Fuss-Abtheilung. V. Regiment. 2. leichtes Feldlazareth , Krankenträger - Section. 9. Division .

Regimenter 7, 37, 58. Jäger -Bataillon No. 5 . 4 Batterien 1. Fuss-Abtheilung : 1. leichtes Feldlazareth.

Krankenträger-Section. 6 Batterien der Reserve - Artillerie. Füsilier - Bataillon 52.

Es betragen die Marschtiefen (nach R. v. B's. Truppen führung im Felde) :

32

1. Regiment à 4 Escadrons incl. Stab und 3 Escadrons 5507

Intervallen à 6+

Regiments-Distance Dragoner Regiment

.

40 * 5507

o

бот

Divisions-Distance

Divisions -Länge 11 Bataillone .

32501

.

4 Batterien

1200 *

Brigade- Distance 2 Regimenter Distance

60+ 801

Distance zwischen Infanterie 404

und Artillerie

901

3 Batterien Distancen

Distancen zum Feldlazareth , dieses selbst und Krankenträger - Section

120 *

48401

48401

Divisions -Distance

601

10 Divisions 9 Bataillone sonst wie die gte. . O

47907

Mithin die Entfernung bis zur Tête der Reserve Artillerie

· 10,8901

Würde hingegen die in den Jahren 1870 und 71 so häufig angewendete Marschordnung angewendet worden sein , wie sie die Signatur b zeigt : 2 Cavallerie - Regimenter I Bataillon

4 Batterien 5 Bataillone

Corps-Artillerie berechnete sich so die Entfernung bis zur Tête der Corps Artillerie wie folgt Cavallerie wie oben

.

.

4 Batterien 5 Bataillone

11401

250 *

1 Bataillon

1200 '+ .

.

1350+ 39407

33

Die Differenz beträgt also 6,950 *. Welcher Zeiterspar niss entspricht dieser Raumgewinnst der Corps-Artillerie nach Vorn ? Nehmen wir zuerst die möglichst günstigen Verhältnisse d. h. dass der der Corps-Artillerie den Befehl zum Vorrücken bringende Adjutant neben der Strasse , also ungehindert von der auf derselben marschirenden Truppe zu seinem Ziel gelangt, so gebraucht derselbe zur Zurück

legung jener 6950 †* 10X69 Sekunden = 11-12 Minuten , wo bei wir annehmen , dass er nur 10 Secunden für je root nöthig hat. Ohne die Zeit zu berücksichtigen , die immer hin zum Aussprechen des Befehls für den athemlosen Reiter

ebenso nöthig sein wird , wie für die Weitergabe durch den Commandeur , brauchen die Batterien wenn sie mit auf gesessenen Mannschaften theils im Galopp , theils im Trabe vorgehen (400+ pro Minute) doch immer 18—19 Minuten um vor die Tête der Colonne zu kommen. Es geht mithin die

Einwirkung von 6 Batterien eine volle halbe Stunde lang dem Armee-Corps für den betreffenden Zweck verloren. Nehmen wir dagegen ungünstige Verhältnisse an , wie sie uns die Wirklichkeit wohl häufiger bieten wird und auf

die wir uns mit jenem gesunden Pessimismus des Soldaten stets gefasst machen müssen , so verdoppelt , ja verdreifacht sich der Verlust an Gefechtskraft. Können der Adjutant, ebenso wie die voreilenden Batterien kein anderes Terrain benutzen wie die marschirende Truppe (wie dies z. B. in

einem Hohlwege mit hohen Rändern der Fall ist) , so wird jener kaum weniger wie 40 Sekunden zu je 100+ gebrauchen, zumal wenn die Truppe schon längere Zeit marschirt ist und die gelockerten Sectionen die ganze Breite der Strasse bedecken. Er hat mithin 46 Minuten , also etwa 3/4 Stunden nöthig und die Batterien werden selbst wenn , wie nun wohl anzunehmen , die Truppen nun auf ihr Vortraben vorberei tet sind , unter ebenso viel Zeit ihrer Aufgabe keinesfalls genügen können. Also I1/2 Stunden sind verloren und mit ihnen vielleicht der Sieg ! Becker , Die Erfolge der preuss. Feld-Artillerie.

3

34

Aehnliche Verhältnisse im kleineren Maassstab ergeben sich beim Marsch einzelner Divisionen , es genügt aber wohl

an dem eben angeführten Beispiel , um die segensreichen Vortheile gegen früher, die aus diesem Vorziehen der Corps Artillerie in das Gros erwachsen mussten, vollständig wür digen zu können. Demselben Grundsatze , dem Feind von vornherein mit einer möglichst starken Artillerie entgegenzutreten , ent

spricht nicht nur, wie oben bemerkt, die reichliche Dotirung der Avantgarde mit dieser Waffe, sondern auch die vor zugsweise Verwendung der schweren Batterien in derselben .

Es gilt selbst Autoritäten wie Verdy'nicht für endgültig entschieden , welches Kaliber sich zu diesem Zweck am

besten eignet und bei der grossen allzu nahen Verwandt schaft des 8 und 9cm. Geschützes ist die Frage , welche Batterie verwende ich nun zu dem oder dem Zweck auch

eine äusserst schwierige , sogar , wie wir bei aller Hoch achtung vor unseren gewiegtesten Truppenführern glauben ,

auch für diese. Wir möchten deshalb auch dem Drängen einem Einheitsgeschütz gegenüber, was bei uns in letzter Zeit laut geworden ist , eher ein weiteres Auseinanderrücken der beiden Feldkaliber betonen wie ja auch fast alle andern

Feld -Artillerien eine bei Weitem grössere Verschiedenheit aufweisen oder, allerdings ebenfalls dem Strom entgegen, dann jedenfalls die gcm. Kanone lieber als Einheitsgeschütz adoptirt sehen , wie ihre leichtere Nebenbuhlerin. Uns ist kein Fall im Feldzug bekannt, wo schwere Batterien da stecken geblieben wären , wo leichte durchkamen , die Fälle

aber, wo schwere Batterien sofortige Wirkung erzielten , nachdem leichte sich längere Zeit mit demselben Ziel ab gemüht , wird jeder Artillerist mehr denn einmal erlebt

haben. So würden wir auch im Avantgardengefecht wenn es eben das und nicht der Kampf eines selbstständigen Detachements, das lange Zeit den Kampf selbstständig zu führen berufen sein kann , ist

die schweren Batterien ent

35

schieden vorziehen , ihr Munitionsquantum ist zu dem Zweck

genügend , sie nur gewähren ausreichende Wirkung gegen Geschütze hinter feldmässigen Deckungen , sie nur vermögen mit französischen oder österreichischen Achtpfündern oder gar Zwölfpfündern den Kampf mit Erfolg zu führen und dies Kaliber müssen wir namentlich beim Vormarsch unsrer seits in feindlichen Positionen zweifelsohne erwarten . Wa

rum nicht von vornherein mit einer Ueberlegenheit auftreten ,

die sich in den ersten Stadien des Gefechtes, das sich ja dann immer noch in kleinen Verhältnissen bewegt, besonders fühlbar machen wird ? >

VIII.

Der Cardinalpunkt auch der heutigen Taktik liegt immer noch in demselben uralten Grundsatz, dem Napoleon der Erste seine Siege dankte und den schon Jomini ir seiner

Heerführung immer und immer wieder betont : „ Anhäufung überlegener Massen auf schwache Punkte des Gegners." Weit entfernt seine unbedingte Gültigkeit verloren zu haben hat die unausgesetzte Ausbildung der Feuerwaffen nament lich seit Einführung der schnellschiessenden Hinterlader diesem Princip eine womöglich noch erhöhte Wichtigkeit gegeben ; die jetzige auch in der Offensive so bedeutende Feuerwirkung hat dem ganzen Verlauf des Gefechtes einen rapideren Charakter verliehen und die einzelnen Momente

der Entscheidung in ihrer Zahl verringert, weil sie sie blutiger gemacht hat. Um so wichtiger ist es für diese Momente, dem Gegner mit einer absoluten , überwältigenden

Ueberlegenheit gegenüberzutreten , um so unerlässlicher ist es, die Feuerwirkung energisch zu concentriren , eine jede wenn auch noch so geringfügige Zersplitterung des Feuers zu vermeiden . Die Infanterie hat 1866 durch die

Wiedereinführung der Linie als Gefechtsformation , in der jedes Gewehr zur Verwendung kommt bewiesen , dass sie 3*

36

das eben Gesagte richtig erkannte , wir haben erst durch unsere damaligen Fehler gelernt. Einige Mittel die Gefechts

kraft unserer Waffe vollständig auszunutzen haben wir be reits kennen gelernt, es ist die Einführung der Corps Artillerie aus der Reserve in das Gros und die Zutheilung sämmtlicher Batterien an die Stellen der Marschordnung ,

von denen aus sie von Anfang an bereits mitzusprechen vermögen. Ein ferneres Mittel liegt in der Concentration der Artilleriewirkung , in ihrer Aufführung als Masse , in

der Abtheilung , im Regiment. Betrachten wir mit einem unparteiischen Auge die früheren Gefechte, so sehen wir die Thätigkeit der Artillerie auf die Wirksamkeit in der einzelnen Batterie beschränkt,

der einzelne Batteriechef sucht meist auf seine eigne Faust Positionen , aus denen er etwas leisten zu können vermeint, wenig bekümmert ob er auch das für den Gang des Ge

fechtes Günstigste erreichte. So gelang es den einzelnen Batterien sehr wohl , dem Feind empfindliche Verluste an Material und Personal beizubringen , ob dies aber grade auf der Stelle und in dem Moment geschah , in dem es für den strategischen oder taktischen Endzweck des Gefechtes am nützlichsten war , glauben wir nur ausnahmsweise be

jahen zu dürfen . Das Ganze der Gefechtskraft der Artillerie nutzbar zu machen ist eben nur möglich , wenn man die Intentionen des Commandeurs genau kennt , nicht nur für

die Einleitung, sondern auch für jeden einzelnen Moment (hier etwa in dem Sinn gebraucht, in dem es bei unsern

Winteraufgaben angewandt wird) und wenn man dann in der Lage ist mit allen Mitteln energisch für die Erreichung jenes höheren von oben angegebenen Zweckes einzutreten. Das zu thun ist aber naturgemäss bei der Division nur der Commandeur der Abtheilung, beim Armee -Corps der

Brigade -Commandeur (der Commandeur der Corps-Artillerie in seiner Stellung als Abtheilungs- und Colonnen - Comman deur ist schon oben abgehandelt) , im Stande.

Nur für

37

einen Artilleristen ist es möglich im beständigen ein greifenden Rapport mit dem Truppenführer zu bleiben,

von ihm nur darf die Leitung des ihm untergebenen Kör pers ausgehen . Zweierlei ergiebt sich mithin als unerbitt liche Anforderung : I) Der Commandeur der Artillerie muss stets vollkommen informirt sein über den Gefechtszweck und die Intentionen

des Truppen - Commandeurs und nur durch ihn und von ihm dürfen die Batterien Befehle empfangen und 2) muss er sämmtliche ihm untergebenen Batterien un bedingt in seiner Hand haben , um mit ihnen zugleich

für jenen Zweck, jene Intentionen mit Kraft und Nach druck eintreten zu können. Es ist das ja auch so na

türlich ; wo 12,000 Mann Infanterie einen Zweck anstreben, alle Kraft an ein Ziel setzen und durch eine Hand dirigirt werden , da darf sich der einzelne Batteriechef nicht ein bilden mit seinen 6 Kanönchen besondere hohe Zwecke ver

folgen zu wollen. Der Fluch der Special -Waffe, die spe cielle Zwecke verfolgend in der Verwendung von den andern

Waffen geschieden sein wollte , darf nicht mehr auf uns lasten . Als dienender Zweck an das Ganze uns anzuschliessen, das wollen wir zu Gott hoffen , werden wir in getreuer

Unterordnung wie im letzten Feldzug auch für die Zukunft als unsere höchste , edelste Aufgabe erkennen , und so möge denn der übrigens so oft und besonders an höchster Stelle praktisch anerkannte Grundsatz hier seinen Ausdruck finden. Das Auftreten einzelner Batterien kann nur Ausnahme

sein , die Artilleriemasse in der Hand des höheren Truppen führers ist und muss möglichst allgemein gültige Regel bleiben. Dürfen wir es noch prägnanter fassen , so möchte der Grundsatz lauten :

„ Nicht die Batterie mehr, sondern

die Abtheilung ist die taktische Einheit der Artillerie.“ Das Auftreten einzelner Batterien kann nur als Detachirung betrachtet werden . Wie wünschenswerth nach diesem Prin

cip die Anerkennung der Abtheilung auch als organisa

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torische Einheit erscheint , wollen wir hier nicht weiter er örtern.

Die wenigen Erfolge des Feldzuges von 1866, die unsere trotz aller Verkennung und Missachtung so heissgeliebte Waffe in die Tafeln der Geschichte verzeichnen darf, sie

entspringen der Befolgung jenes Grundsatzes , die Ehre und das Lob , das wir 1870171 geerntet , sie rühren grossen theils eben daher.

In der Campagne gegen Oesterreich wurde die Ar tillerie der 11. Division ausnahmsweise gelobt , die Garde Reserve- Artillerie besonders hervorgehoben , weil die ge sammten Batterien nach den Anordnungen der Truppen Commandeure einheitlich in das Gefecht eingriffen. Dies

mal die Befolgung dieses Grundsatzes und seine so glän zenden Resultate nachzuweisen, erscheint uns überflüssig, wir erinnern nur an das Auftreten der Sten Artillerie

Brigade am Bois des Cusses bei Gravelotte , der Vorführung der sämmtlichen 15 Garde-Batterien bei St. Privat , wir ge denken nur der einheitlichen Wirkung der Batterien des iten Corps bei Noisseville, des zten bei Mars la Tour und aller betheiligten bei Sedan. Ihre Artillerie hat die Schlacht gewonnen , die preussische Artillerie ist die beste der Welt, sagte der gestürzte Kaiser, wohl noch unter dem fürchter

lichen Eindruck jener 700 einem Ziele zuarbeitenden Ge schütze, am Tage nach Sedan und ertheilte uns damit ein

aus dieses Feindes Mund gewiss nicht hoch genug anzu schlagendes Lob . Und wie ernst , wie würdig , wie beschei den und nachahmungswerth ist nicht das Wort unseres Heldenfürsten auf jene Bemerkung :

Wir haben uns bemüht zu lernen : Ja wir haben ge lernt -- aber seien wir nicht ungerecht gegen uns selbst ;

nicht alle Schuld an den Misserfolgen unserer Waffe im vorigen Feldzuge trifft uns , nicht alles Verdienst an ihren glänzenden Resultaten an der letztvergangenen Campagne dürfen wir uns anrechnen.

Wenn damals die Infanterie

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im Bewusstsein ihres weit überlegenen Gewehrs unsere Unterstützung entrathen zu können vermeinte und unseren Batterien nicht die Zeit liess , ihren Gegner vorher zu er

schüttern , so sprach es sich jetzt mit grosser Deutlichkeit aus , dass einem besseren oder gleichen Gewehr gegenüber ein energisches Vorarbeiten der Artillerie ganz unentbehr lich wäre. Ein Durchbrennen nach Vorn , wie wir das den

Oesterreichern gegenüber von der Infanterie gewohnt waren, wo dasselbe ja auch vorzügliche Erfolge erzielt hatte , stellte sich schon in den ersten Schlachten des Jahres 1870 als völlig unmöglich heraus und wo es versucht wurde, wie vom Garde-Corps bei St. Privat, waren die schwersten Opfer

resultatlos gebracht. Die überaus bedeutende Wirkungs sphäre des Chassepots , verbunden mit seinem schnellen Feuer , liess unsere Infanterie schon da von empfindlichen Verlusten betroffen werden , wo sie ihrerseits den Gegner

nicht einmal zu sehen , geschweige denn zu erreichen ver mochte und so musste denn wohl oder übel die Artillerie

mit ihrem weittragenden Geschütz in die Lücke springen. Freilich schoss dieselbe in Folge dieser Verhältnisse fast immer im wirksamen Infanteriefeuer , aber wir sind über

zeugt , dass eben das allen unseren Kameraden wenn auch nicht gerade sehr angenehm , so doch ein willkommenes

Uebel war , um die seit 1866 so oft geltend gemachten Vor würfe mit unserem Blut zu widerlegen. Das Gefecht an und für sich gewinnt jedoch durch das Zurücktreten der Infanterie in seinen ersten Stadien ein durchaus anderes Ansehen. Fanden wir früher die Artillerie meist nur auf

den Flügeln postirt , von wo aus sie den als Hauptsache betrachteten Kampf der anderen Waffen möglichst wenig zu stören vermochte , wo sie dem Avanciren derselben nicht

in den Weg trat und ihr Feuer nicht maskirte , so wird sich jetzt unsere Front in fast jedem Gefecht in den ersten

Stunden von vorn gesehen als eine Artillerielinie präsen tirt haben , deren Erfolg die Infanterie in gedeckten

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Stellungen abwartete , um dann weniger mit Elan als mit altpreussischer Ruhe und Sicherheit den erschütterten Feind

aus seinen Stellungen zu werfen. Hierdurch hat sich denn auch eine Frage erledigt , die nach 1866 selbst dem sonst

so erfindungsreichen Verfasser der taktischen Rückblicke noch gewaltige Kopfschmerzen verursachte, die der Parti cularbedeckung. Für die Divisionsartillerie , die in engster

Verbindung mit ihren Kameraden stets gefochten hat , hat sich dieselbe als vollkommen überflüssig herausgestellt,

für die unglückliche sich selbst genügsame Corps-Artillerie, die ja, selbst ein Truppenverband, zu keinen gehört, nur auf dem Marsch und im Cantonnement als nothwendig er

wiesen . Die ganze Frage der Particularbedeckung gehört eben einer Zeit an , in der die Artillerie höchstens die

äussersten Punkte des Tableaus abgab, zwischen denen das Gefecht sich ohne ihre wesentliehe Hülfe und Mitwir

kung allein abspielte.

Aber noch einmal, seien wir gerecht, wir haben nicht ganz allein von uns , durch uns diese Verbesserung erlangt. Unsere höheren Führer , in deren Händen ja doch nun ein mal unser Wohl und Wehe liegt , sie haben nicht den ge

ringsten Antheil an dem Lob , das uns so reichlich gewor den.

Alle Ausbildung des Materials und Personals wäre

ebenso unnütz geblieben , wenn die Waffe falsch verwandt worden wäre , wie das beste Gewehr in den Händen des

ungeübten Bauernjungen. Den Heerführern , commandiren den Generalen und Divisions-Commandeuren müssen wir da

her vor Allem dankbar sein und nicht in übermüthiger

Ueberhebung uns selbst ein Lob zollen , was Ihnen gebührt ; für uns können wir nur wünschen , dass bald alle Artillerie offiziere die Selbstständigkeit und Sicherheit in ihren An

sichten erreichten , um selbst, wenn es nöthig sein sollte, einem höheren Führer gegenüber die Vortheile der Waffe >

zu wahren .

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IX.

Zur Erhöhung der Feuerwirkung unsererseits diente aber nicht allein das gleichzeitige Vorführen aller Batterien und zwar schon in den ersten Abschnitten des Gefechtes, sondern auch durch die näheren Distancen und das bessere

Schiessen auf denselben wurde gleichfalls eine bedeutende Erhöhung der Wirksamkeit erzielt. In dieser Beziehung in der Wahl der Stellung , die der einzelne Führer für seine Geschütze aussuchte , in der , wir möchten sagen ,

kunstgemässen Leitung des Feuers trat vor Allem der personelle Gewinn der letzten vier Jahre, wie wir denselben m ersten Theil unserer Skizze zu detailliren versucht haben, auf das Eclatanteste hervor. So leicht es beim ersten Blick

wohl scheinen mag und so einfach es sich in den meisten Lehrbüchern liest , so schwierig ist es doch in Wahrheit für den Artillerieoffizier gerade die Entfernung, gerade das Ziel im Gefecht zu wählen , die in dem Moment des Ab

protzens in den kurzen Augenblicken , die der vorausge sprengte Führer vor seinen Geschützen voraus hat , die

günstigsten sind. Es giebt eben nur einen Superlativ und so auch nur eine Wahrheit neben vielen , unzähligen Irr thümern , deren jeder einen mehr oder minder bedeutenden

Verlust an Gefechtskraft repräsentirt.

Allgemein gültige

Regeln lassen sich dafür eben nicht aufstellen und die An sichten darüber sind auch je nach den Zeitströmungen so verschieden , dass eben nur tüchtige praktische Uebung das jedesmal Richtige finden wird. So z. B. welchen Wechsel zeigen nicht die verschiedenen

Ansichten , auf welchen Entfernungen man hauptsächlich unsere Batterien verwenden müsste. Wie schon oben be

merkt machte sich bei der Einführung des gezogenen Systems die Meinung geltend, dass die Trefffähigkeit seiner Geschütze bis zu 2500+ nur wenig in den einzelnen Entfernungen dif ferire. Zum Unglück für uns hatte man uns damals in

unseren Schusstafeln noch für 600ot die betreffenden Ele

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vationen und Seitenverschiebungen angegeben und im Verein mit jener Theorie war es denn auch natürlich, dass unsere Batterien stets sehr bedeutende Distancen

unter 2500+

wählten .

wohl selten

Wie der Infanterist im schnell

schiessenden Gewehr nur zu leicht die Verführung zum allzu eiligen Schuss ohne genaues Zielen findet, so auch der Artillerist im weittragenden Kanon die Verleitung zum zu

frühen Beginn seines Feuers. Die Resultate jenes Irrthums sind bekannt genug, nicht allein dass unsere Infanterie, die nur von der österreichischen Artillerie zu leiden hatte, leicht zu dem Gedanken kommen musste , die eigenen Geschütze

thäten dem Feind, der ihnen so unangenehm wurde, keinen Abbruch , so führten auch die grossen Distancen mit ihren bedeutenden Einfallwinkeln unserer Granaten in dem regne

rischen Wetter des 7tägigen Feldzugs eine grosse Anzahl von Versagern herbei, weil die Geschosse tief in das lehmige Erdreich eindrangen und der sich zwischen Zündpille und Nadelbolzen einschiebende Schmutz das Funktioniren der

Zünder verhinderte. Wie gross im Gegentheil zu der eben angeführten Ansicht der Verlust an Treffern mit zuneh

mender Entfernung für unsere Feldkaliber ist , mögen fol gende Zahlen darthun : Ziel 36 ' breit, 6 ' hoch.

Auf 1000+ hat das 8cm. Kanon 1500+ 2000+

>

9

84 % Differenz 31°% 53 % 19 %

34 % Auf 1000+ hat das gcm . Kanon 99 % >

79

17 % >

15007 2000+

>

>>

82 % 59 %

>

72

Ziel 36 ' breit,

' hoch.

Auf 1000+ hat das 8cm. Kanon 1500+ 2000 *

96 % Differenz 35 % 13 % 48 % 61°%

22

>

92

23°%.

>

43

Auf 1000+ hat das gem . Kanon 100°. Differenz 4 % 1500 * >

2000 *

22

>

>

96% 78 %

18°%

Es liegt ausserhalb der Aufgabe, die wir uns gestellt,

hier noch manche Erläuterungen einzufügen, die jene Zahlen etwa fordern möchten ; für den angegebenen Zweck scheinen

sie zu genügen. Diese Zahlen gelten aber nur für die Voraussetzung , dass Geschütz , Munition und Bedienung

tadellos und keine Fehler in der Höhen- und Seitenrichtung eintreten.

Je weiter aber die Distance ist auf die man

schiesst , um so weniger ist natürlich diese Voraussetzung

zutreffend, um so schwieriger werden Beobachtung und Correctur, um so grösser stellen sich mithin die Differenzen in den Trefferprozenten heraus. Rechnet man nun hierzu die Einbusse, die bei jeder Waffe die Resultate des Gefechts gegen die im Frieden erzielten erleiden , so wird man nur

zu gerechtfertigt es finden , wenn jene Theorie des Weit schiessens alle Anhänger verlor.

So ging man denn unter dem Druck der Nachtheile, die auf uns Allen jenes Fehlers halber Jahre lang gelastet , in

diesem Feldzug von Seiten derBatterie -Chefs mit dem bestimm en fest ausgesprochenen Vorsatz „ nahe heran “ und seiner stricten Durchführung, der in den letzten Jahren erworbenen Fertigkeit im Schiessen , sowie unserer verbesserten Zündvor

richtung dankte man es denn auch , dass unsere Feinde, selbst einer geringen Anzahl preussischer Geschütze gegenüber, ts den Eindruck einer überlegenen Artillerie - Masse er

hielten. In allen gegnerischen Gefechtsberichten treten mit grosser Regelmässigkeit am Schluss der Action stets les formidables masses d'artillerie auf, so dass man es der unglück lichen französischen Journalistik nicht verdenken konnte, dass sie endlich nach dem blutigen Gefecht von St. Cloud am

19. Januar schmerzlich ausrief: „ Haben wir denn gar keine Geschütze , wo sind denn alle die prachtvollen Kanonen , die der bewundernswerthe Patriotismus unserer Mitbürger dem

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Staate geopfert ?" O ja , Geschütze hatten sie wohl , mehr als genug, aber es fehlte ihnen eben die personelle Aus bildung der Offiziere, fehlte ihnen der echt deutsche sitt liche Ernst, mit dem unsere Artillerien in jeder Beziehung an

ihrer Vervollkommnung gearbeitet. Die Fertigkeit in der Verwendung unserer Feldbatterien war denn auch so gewach sen , dass man auch auf weitere Distancen diesmal Resultate zu erreichen vermochte , die denen der Friedensübungen

nichts nachgaben und so machte sich denn zur Bestätigung des Wortes : Nichts Neues unter der Sonne am Ende in diesem Feldzuge wiederum eine gewisse Modification des

Satzes: „ nur nahe heran “ geltend, weil nahe Entfernungen , dem Chassepot gegenüber freilich sehr verlustreich waren . Wir glauben nicht zu irren , wenn wir die Distancen von

1200 bis 2000+ als diejenigen bezeichnen, die von fast allen Artilleristen jetzt als die usuellen und vortheilhaften ge halten werden .

Doch auch in diesem Punkt gebührt wieder wie in fast allen anderen nicht den einzelnen Persönlichkeiten der Waffe,

so brav dieselben sein mögen, sondern der Oberleitung das erste Verdienst. Gewiss hat die Ansicht , wie schimpflich es für einen Batteriechef, wenn von den ihm anvertrauten Geschützen welche in die Hand des Feindes fielen, stets zu einer übergrossen Aengstlichkeit, diese Eventualität zu ver

meiden, geführt. Man war ja gewöhnt, die Geschütze ebenso als Trophäen zu betrachten wie Fahnen und Standarten und an ihren Verlust knüpfte sich fast unauslöschliche Schande.

Und doch ist der Unterschied zwischen Geschütz

und Fahne so bedeutend, so in die Augen fallend ! Während diese nur ein Symbol ist, aber als solches die Ehre des

Truppentheils repräsentirt , ist das Geschütz Kampfmittel, das, wenn bis zum letzten Augenblick richtig verwendet seinen Zweck erfüllt hat.

So ist denn bei uns von Aller

höchster Stelle her die Ansicht durchgedrungen in die Armee : dass die Wegnahme einer Batterie, die bis zum

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letzten Augenblick ihre Schuldigkeit gethan , nur ehrenvoll sein kann , so ist befohlen worden , dass eine Stellung nie und nimmer verlassen werden darf der Verluste halber,

sondern nur mangelnder Wirkung wegen , dass das Feuer einer gut wirkenden Batterie fortgesetzt werden muss , so lange noch ein Mann Bedienung vorhanden und dass die anderen Waffen in jedem Fall zum Schutz und zur Hülfe

leistung in solchen Fällen verpflichtet sind. So ist denn auch diese Last von uns genommen und jeder Batteriechef kann frei, muthig ohne Nebenrücksichten sein ganzes Sein und Wesen nur auf das eine Ziel, den einen einheit lichen Zweck des Kampfes richten : Wie nütze ich dem Ganzen ? Möchten wir denn auch im Frieden diesen Endzweck

nie aus dem Auge verlieren , möchten wir stets der innigen,

tiefen Frage an uns eingedenk sein , deren Erfüllung Feld >

marschall von Moltke so schön als die Lebensaufgabe des

Offiziers schildert, der ernsten Frage „Wie zahlen wir dem Könige unsere Schuld ? Unser Leben freudig zu lassen, dazu ist ein jeder Preusse gewiss gern bereit , nicht das ist es also, was den Offizier auszeichnen kann , womit er

seine hohe Stellung im Staat dem Könige vergilt. Nur der emsige Fleiss nur das fortwährende Streben im Hin

blick auf Kampf und Sieg auch jeder Anforderung des Friedens gerecht zu werden , kleine mitunter drückende Verhältnisse gern und freudig zu ertragen , nur das Be

wusstsein ganz dem Staat anzugehören und in diesem Be wusstsein treu und fleissig für die Ausbildung aller Kräfte in jedem Moment Sorge zu tragen, nur das kann den Offizierstand vor den Leuten erheben , nur das kann ihn

völlig berechtigen zu sein was er jetzt ist : der erste, höchste, edelste Stand im Staat.

Jeder der die Pflichten seines Stan

des ausser Augen setzt , maasst sich die Rechte desselben >

nur an .

Und so möge denn auch unsere theure Waffe weiter

1

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fortarbeiten ohne Ueberhebung auf ihre Leistungen mit der demüthigen und doch stolzen Unterordung unter den höch

sten Zweck, der uns ja alle beseelt, pro Gloria et patria, sie weiss. ja, dass eine gute und gerechte Hand über ihr waltet und vertrauensvoll kann sie dieser Führung folgen, dann wird sie , wenn in ächter Bescheidenheit in sich ein Jeder die Ursache alles Uebels sucht, was ihn bedrückt und in dem Geist der Arbeit, die wir von 1866-70 nach zuweisen gesucht haben, das alte Wort im nächsten Krieg,

in neuen Siegen bestätigt finden: Werdet selbst besser , dann wird's besser sein !

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Wir erlauben uns auf diese Bibliographie besonders aufmerksam

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FELDZUG DES

FRANZÖSISCHEN NORDHEERES 1870-71. VON

L. FAIDHERBE .

Deutsche, vom Verfasser ermächtigte Uebersetzung . MIT KARTE.

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