Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich: Eine rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung von der kanonischen Usuralehre des 13. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution [1 ed.] 9783428486014, 9783428086016

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Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich: Eine rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung von der kanonischen Usuralehre des 13. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution [1 ed.]
 9783428486014, 9783428086016

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REINER FRANKE

Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich

Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von

Heinz GrossekettIer, Münster· Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, München· Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier· Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main

Band 25

Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich Eine rechts- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung von der kanonischen Usuralehre des 13. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution

Von

Reiner Franke

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Franke, Reiner: Die Entwicklung des (Darlehens-)Zinses in Frankreich : eine rechts- und wirtschaftsgeschichtIiche Untersuchung von der kanonischen Usuralehre des 13. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution I von Reiner Franke. Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts ; Bd. 25) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08601-5 NE:GT

06 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-08601-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1995 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Betreut und gefördert wurde die Arbeit von Herrn Prof. Dr. Bernhard Großfeld, wofür ihm mein besonderer Dank gebührt. Ihm und Herrn Prof. Dr. Dieter Rückle danke ich für die Aufnahme in vorliegende Schriftenreihe. Für die Gewährung eines Stipendiums, das mir einen sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in Paris ermöglicht hat, danke ich dem DAAD. Besonders bedanken möchte ich mich bei Marion Ley für Ihre Unterstützung. Münster, im Dezember 1995 Reiner Franke

Inhaltsverzeichnis

I.

Einleitung

15

A. Die Usuralehre und ihr Stand yom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts

17

Die wirtschaftliche Situation in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Neue Entwicklungen .................................... . ........ 17

2.

Neue Bedürfnisse .............................................. 20 a) Geldnot von Handwerkern und Bauern ............................ 20 b) Geldbedarf der Händler .............................. . ........ 21 c) Geldbedarf des Klerus ........................................ 21

11.

Die Position der Kirche ............................................. 23 I.

Die Herleitung der Usuralehre ...................................... 25

2.

Die Hochscholastik ............................................. 28 a) Einfluß und Lehre der Franziskaner und Dominikaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 b) Die Argumentation ....................................... . .. 31 aa) Der Umstand des Eigentumsüberganges durch Verbrauch ............ 33 bb) Die Annahme der Unfruchtbarkeit des Geldes .................... 34 cc) Die Annahme der Unveräußerlichkeit der Zeit .................... 36 dd) Kein Gewinn ohne Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

3.

Der Sinn und Hintergrund des Zinsverbotes ........... . ................ 39 a)

Das soziale und moralische Gefüge der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

b) Die ,,montes pietatis" als frühe Form der Sozialhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Das Eigeninteresse der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 111.

Die weltlichen Herrscher und ihre Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.

Der Machtgewinn des französischen Königshauses ....................... 44

2.

König und Papst ........................................... . ... 45

3.

Gesetzgebung und Interessenwahrung ...................... . ......... 46 a)

Einzelne Gesetzgebungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46

b) Der Interessenkonflikt ....................... . ................ 49

10 IV.

Inhaltsverzeichnis Die Umsetzung von Usuralehre und Zinsverbot in der Praxis ................... 52

I.

Die Verbreitung der Lehre ............................ . .... . ...... 52

2.

Der Geschäftsmann des Mittelalters und die Religion ..................... 53

3.

Ausnahmen und Umgehungen des Zinsverbotes ...... . ..... . . .... . . . .... 55 a)

Örtliche und persönliche Ausnahmen .............................. 55 aa) Örtliche Ausnahmen ...................................... 55

bb) Lombarden und Cahorsiner ........................... . ...... 56 cc) Die Juden in den französischen Handelszentren ................... 61 (1) Die Rechtsstellung der jüdischen Bevölkerung ..... . ........... 62

(2) Jüdische Darleiher und katholische Kirche .................... 62 (3) Die jüdische Zinsdoktrin ................................ 66

(4) Willkürliche Gewährung und Entziehung von Konzessionen ....... 71 b)

Institutionelle Ausnahmen und erlaubte Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 aa) Die "Usurae recompensativae" oder kompensatorische Zinsen ......... 74 (1) "damnum emergens" und "Iucrum cessans" ................... 74 (2) Vertragsstrafen ....................................... 77

bb) Gesellschaftsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 (1) Die "Commenda" und "Societas" .......................... 81

(2) Der "contractus trinus" ................................. 83 (3) Das Seefahrtsdarlehen .................................. 86 cc) Wechselgeschäfte ........................................ 89 V.

Zusarrunenfassung ................................................. 91

B. Theorien des Merkantilismus vom 16. bis 18. Jahrhundert I.

11.

94

Das wirtschaftliche und moralische Umfeld ............................... 94

I.

Die wirtschaftlichen Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

2.

Die Anerkennung der Legitimität des Gewinnstrebens .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Die Argumentation der Reformatoren .................................... 98 I.

Luther als konservativer Verfechter einer strengen Zinspolitik ............... 98

2.

Melanchton, Calvin und Dumoulin als progressive Vertreter einer neuen Zinspolitik ..................................................... 101 a)

Melanchton ............................................... 101

b) Calvin ...... . ........................................... 101 c)

Dumoulin................................................ 105

Inhaltsverzeichnis III.

Die Haltung der katholischen Kirche und der weltlichen Machthaber Frankreichs

11 107

I.

Die katholische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107

2.

Die weltlichen Machthaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 110

IV.

Das Zinsverbot in der wirtschaftlichen Praxis ............................. 11 I

V.

John Law und die Folgen ......................... . .... . ....... . .... 114

VI.

Zusammenfassung................................................ ]]6

C. Das Zinsrecht von den Physiokraten bis zur Französischen Revolution I.

11.

III.

119

Neue Ideen in Politik und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119 I.

Politische Neuerungen .......................................... 120

2.

Eine neue Form der Wirtschaftswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122

Die Gründer der Physiokratie und ihre Einstellung zur Zinsnahme .............. 123 I.

Quesnay.................................................... 125

2.

Mirabeau ................................................... 130

Pothier als harter Gegner der Zinsnahrne ................................ 132 I.

Die Definition des Verbrauchsdarlehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132

2.

Die Belegung des Zinsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 133

3. Das Problem des Handelsdarlehens ................................. 134 IV.

Turgot als wahrer Neuerer ................... . ...................... 136 I.

Die Erlaubnis des Darlehenszinses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 a) Die Widerlegung der Scholastiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 138 aa) Die Widerlegung des ,,Eigentumsarguments" .................... 139 bb) Die Widerlegung der "Unveräußerlichkeit" der Zeit .... . .......... 141 cc) Die Widerlegung der Sterilität des Geldes ...................... 142 dd) Die Widerlegung der Bibelauslegung .......................... 142 b) Die wahren Gründe des Zinsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 144 c) Der Zins als Preis des Geldes .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145

2. V.

Die ,,Fruktifikationstheorie" ........................... . .......... 146

Zusammenfassung........ . . .... . .......... . ..... . ..... . ...... . ... 150 D. Schluß

153

Literaturverzeichnis

159

Abkürzungsverzeichnis Art.

Artikel

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

C.civ.

Code civile

CIC

Codex juris canonici

Ders.

Derselbe

Diss.

Dissertation

Dt.

deutsch

Evang.

Evangelium

f.

folgende Seite

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff.

folgende Seiten

hrsg.

herausgegeben

Hrsg.

Herausgeber

Ibid.

Ibidem

Jh.

Jahrhundert

Mio.

Millionen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

O.P.

Ordinis Praedicatorum

p.a.

per annum

q.

quaestio

S.

Seite

Vgl.

vergleiche

WG

Wechselgesetz

ZVgIRWiss.

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

ZVolksw.

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung

Einleitung Gegenstand dieser Arbeit ist die historische Entwicklung des Zinsrechts in Frankreich. Ausgehend von der kanonischen Wucherlehre des Mittelalters, nach der grundsätzlich jede Zinsnahrne verboten war, soll das Wechselspiel zwischen kirchlicher, weltlicher und wissenschaftlicher Einflußnahme einerseits und den Erfordernissen der wirtschaftlichen Praxis andererseits dargestellt werden. In Frankreich, dessen wirtschaftliche Entwicklung nach langem Stillstand im Verlauf des Mittelalters wieder kräftig voranschritt, stellten sich im Zusammenhang mit dem Ertrag des Geldes zwei Fragen: was ist der Grund des Zinsertrages und ist er in seinen Folgen zu dulden? Die moderne Ökonomik fragt ausschließlich nach den theoretischen Grundlagen des Zinses und ist so schon zu den verschiedensten Ansätzen gekommen. Im Mittelalter stand jedoch lange allein die Frage nach der Zulässigkeit der Zinsnahme im Vordergrund der kirchlichen und, ihr getreu folgend, der weltlichen Stellungnahmen. Die Kirche nahm für sich in Anspruch, die verbindlichen moralischen Grundwerte für die gesamte Gesellschaft zu bestimmen. Dazu gehörte auch das Verbot der Zinsnahrne, die als sozialschädlich und unvereinbar mit der Nächstenliebe galt. Mit den Mitteln der Scholastik und dem Rückgriff auf alte Zinsverbote bearbeitete die Kirche das sich mit dem Wiederaufleben der Wirtschaft stellende Problem der Zinsnahme. Dabei stand als Ergebnis das Zinsverbot von vornherein außer Frage. Die Entwicklung der katholischen Zinsdoktrin, die ihren Höhepunkt im 13. Jahrhundert hatte, soll in ihren Auswirkungen auf die weltlichen Machthaber und die Gesellschaft des Mittelalters untersucht werden. Weiter wird der Weg verfolgt werden, den das Zinsverbot in Frankreich während des Merkantilismus und später unter dem Einfluß der Physiokraten nahm. Die Zeitspanne, die diese Untersuchung behandelt, wird durch die Französische Revolution begrenzt. Nachdem Karl der Große im Jahr 789 das erste weltliche, auf französischem Boden wirksame Zins verbot ausgesprochen hatte, behielt dieses, zumindest offiziell, für exakt 1.000 Jahre seine Gültigkeit.

16

Einleitung

Am 12. Oktober 1789 wurde durch ein Dekret der "Assemblee constituante" das verzinsliche Darlehen erlaubt und ein gesetzlicher Zinsfuß bestimmt. Danach stand nicht mehr die Frage nach der Erlaubnis der Zinsnahme im Vordergrund, sondern die nach dem theoretischen Ursprung des Geldertrages. Der erste Ökonom, der dieses Problem schon vor der Französischen Revolution behandelte, war der Physiokrat Turgot mit seiner "Fruktifikationstheorie". Die Erkenntnisse der nachfolgenden Theoretiker sind nicht mehr Gegenstand dieser Abhandlung. Im folgenden soll vielmehr der Weg gezeigt werden, den die freie Zinsnahme bis zu diesem Wendepunkt zurückzulegen hatte.

A. Die Usuralehre und ihr Stand vom 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts Unter Usuralehre ist die dogmatische Stellungnahme der katholischen Kirche des Mittelalters zur Zinsfrage zu verstehen. Die heute gebräuchliche Übersetzung des lateinischen Wortes "usura" lautet: " ... 1. Gebrauch, Nutzung, Genuß ... 2. Zinsen ... "l. Die Bedeutung, die ihm im 13. Jahrhundert zukam, ist dagegen nach heutigen Maßstäben zweideutig, da die "usura" sowohl für ,,zinsen" als auch für "Wucher" stand. Es wurde noch nicht zwischen erlaubten Zinsen und verbotenem Wucher unterschieden. Diese Differenzierung war aus Sicht der Kirche überflüssig, weil sie jede Form der entgeltlichen Geldüberlassung strengstens verbot.

I. Die wirtschaftliche Situation in Frankreich Um die Hintergründe und Ursachen der kirchlichen Doktrin aufzudecken, muß man das kanonische Zinsverbot vor dem Hintergrund der Konjunkturlage des 13. Jh. betrachten. Nur in Kenntnis der Lebensbedingungen, denen sie gerecht werden sollte, läßt sich der Sinn der Usuralehre erhellen. Diese Epoche ist gekennzeichnet vom Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft, der die Kirche zwang, ihre Doktrin den neuen Gegebenheiten anzupassen.

1. Neue Entwicklungen

Von entscheidender Bedeutung ist die Wirtschaftsexpansion gegen Ende des 13. Jh., deren Ausgangspunkt die Einführung neuer Landwirtschaftstechniken war. Der Anbau einer neuen Getreidesorte, des Hafers, erlaubte dank eines höheren Energiegehaltes die bessere Ausnutzung der Pferdekraft zur Landbe-

I

Georges. S. 2983; Langenscheidt. S. 648.

2 Franke

A. Die Usuralehre

18

stellung2 • Außerdem verbesserte eine neue Technik des Anspannens, nicht mehr um den Hals, sondern um die Schultern des Pferdes3, und der seit dem 12. Jh. immer häufigere Einsatz von genagelten Hufeisen4 die Effizienz der Gespanne. Die hierdurch bedingte Verwendung schwererer Pflüge erlaubte die Vergrößerung der Anbaufläche und führte zu einer deutlichen Abnahme der Hungersnöte. So wuchs die Bevölkerung Mitteleuropas in den ersten drei Jahrhunderten nach der Jahrtausendwende um das Drei- bis Vierfache ihrer Ausgangszahl 5. Nach den Steuerlisten Frankreichs von 1328 ("Etat general des feux") läßt sich die damalige Bevölkerung auf eine Zahl von 20 bis 23 Mio. in den heutigen Grenzen bzw. auf 15 Mio. Einwohner in den damaligen Grenzen hochrechnen; ein Stand, der vielerorts erst in der Neuzeit übertroffen werden sollte6 • Durch die Urbarmachung vormals bewaldeter Flächen, verbunden mit immer neuen Ansiedlungen der wachsenden Bevölkerung verbesserte sich die Kommunikation unter den einzelnen Produktionsstätten von Nahrungsmitteln7 • Die dank der neuen Agrartechnik erwirtschafteten Überschüsse konnten auf den Märkten der Region verkauft oder gegen andere Konsumgüter eingetauscht werden. Die Produktion machte somit über die Deckung des Eigenbedarfs für die Wintermonate hinaus einen Sinn; das Prinzip der reinen Bedarfsdeckung begann langsam zu wanken. Allerdings schritt diese Entwicklung nur langsam und in begrenzter Ausdehnung voran. Zunächst wurde der Handel noch beeinträchtigt durch die politische Aufteilung der Länder in jeweils zoll berechtigte Bereiche einzelner Lehnsherren 8• Ungünstig waren auch die Kommunikationsschwierigkeiten und die unzulänglichen Garantien gerichtlicher und gesetzlicher Art gegenüber Ausländern9 • So führte der Verkauf oder Tausch von Überschüssen zwar in den Städten zu einer Arbeitsteilung, blieb aber in der Regel begrenzt auf die jeweilige

2

[banes, S. 8.

J

Lefebvre des Noettes, S. 125.

4

Ibid., S. 146.

S

Perroy, S. 253.

• Ploetz, S. 94 und 99. 7

Bloch, S. 111.

R Le

Gof!, S. 12.

• Brants, S. 7.

I. Die wirtschaftliche Situation in Frankreich

19

Ansiedlung und ihr Hinterland lO • Dennoch entstanden schon große Handelszentren wie die Weinanbaugebiete der französischen Atlantikküste mit ihren Exporthäfen La Rochelle und BordeauxlI. An der Mittelmeerküste Frankreichs entwickelte sich Marseille zu emem großen Seehandelszentrum. In seinen Wirtschaftspraktiken wurde es stark von den norditalienischen Umschlagsplätzen beeinflußt 12 • In diesem Zusammenhang sind ebenso die großen Handelsstädte Nordeuropas, also der Hanse, zu nennen, wie die Messeplätze der Champagne und Flanderns, die über lange Zeit als Verbindungsstelle und Umschlagsplatz der Vorgenannten dienten 13 • Insbesondere die sechs Champagne-Messen erlangten überregionale Bedeutung für den Handels- und Geldverkehr. (Lagny im Januar, Provins mit zwei Messen im Mai und September, Bar-sur-Aube ab dem Dienstag vor Mittfasten, Troyes mit zwei Messen im Juni und Oktober I4). Dies galt umso mehr, als ihre Besucher seit 1209 unter dem Schutz des französischen Königs standen l5 . Der Aufschwung dieser Handelsplätze beruhte in erster Linie auf den veränderten Geschäftsbeziehungen zum Orient. Noch um die erste Jahrtausendwende stand der Einfuhr von gewinnträchtigen Luxusgütern aus dem Orient kaum mehr als die Ausfuhr von Sklaven aus dem Okzident entgegen l6 • Welchen negativen Einfluß der Mangel an hochwertigen Waren auf die Handelsbilanz Europas hatte, verdeutlicht ein Vergleich der bloßen Transportkosten über Land. Diese machten bei teuren und seltenen Waren wie Gewürzen und Tuchwaren nicht mehr als 20 bis 25 % des Grundpreises aus. Dagegen betrugen sie bei voluminösen und schweren Waren wie Getreide und Wein bis zu 100 oder gar 150 %17. Die Transportkosten auf dem Seeweg waren zwar insgesamt deutlich niedriger, die Relation zum Grundpreis der Waren war aber auch hier für Luxusgüter mit ca. 2 % deutlich günstiger als für Getreide (ca. 15 %) oder Alaun (ca. 33 %)18. Im Verlauf des Mittelalters kamen aber im Gegenzug im-

10

Ruth, S. 337.

11

[banes, S. 8.

12

Sayous, S. 2.

13

Le Gaff, S. 11 und 16 f.

14

Pirenne, S. 86.

IS

Ploetz, S. 96 f.

'" Bloch, S. 107. 17

Le Gaff, S. 13.

IR

Ibid., S. 15.

2'

20

A. Die Usuralehre

mer mehr hochwertige Handelsgüter aus Europa in die byzantinische Welt, den Osten und den Maghreb. Die wichtigsten dieser Exportprodukte waren Tuchwaren aus Flandern, der Picardie, Bourges, dem Languedoc und der Lombardei 19 • Der mit dem Export erzielte Gewinn führte zu einer erheblichen Vermehrung der Geldmenge, da ausländische Münzen und Edelmetalle nach Europa zurückflossen. Nun prägte man neben dem seit Beginn der Karolinger Epoche üblichen Silberheller auch wieder Goldmünzen. Im Jahr 1252 begann in Genua die Herstellung von Goldhellern, in Florenz die der Florentiner. Seit 1266 prägte man in Frankreich den Goldtaler (ecus d'or) und den sou tournois 20 • Diese Anhäufung von Zahlungsmitteln beschleunigte wiederum den Aufschwung des Handels, der mit wachsender Geldmenge immer umfangreichere Geschäfte unternehmen konnte.

2. Neue Bedürfnisse

Neben dem Aufschwung des Handels, der zu einer Erhöhung der verfügbaren Geldmenge führte, wuchs im 13. Jh. auch die Geldnachfrage. Die Konzentration der Zahlungsmittel auf den Handel versetzte diesen in die Lage, einen Teil des Gewinns in verzinsliche Darlehen zu investieren, während die Gründe, die die Aufnahme eines Darlehens erzwangen, zahlreich waren.

a) Geldnot von Handwerkern und Bauern In Fällen von Krankheit, Geschäftsausfall oder Neuanschaffung von Geräten blieb den Handwerkern, die keine Rücklagen hatten, nur der Weg zum Geldverleiher. Die gleiche Notlage traf auch die Bauern21 , die ihre Abgaben an die Lehnsherren unabhängig von ihren tatsächlichen Einnahmen zahlen mußten. Die Register der Notare aus Perpignan gegen Ende des 13.Jh. zeigen 22 , daß 65 % der Schuldner, die bei den ansässigen Geldverleihern Darlehen aufgenommen hatten, Bauern waren und sich zu 40 % im Herbst, also bei Fälligkeit der

19

Bloch, S. 112.

20

Le Goff, S. 28 f.; Piettre 1., S. 20.

21 Zu den ähnlichen Zwangslagen, denen die Bauern im Deutschen Reich noch nach 1880 ausgesetzt waren, vgl. Bauer, S. 70 ff. 22

[banes, S. 11.

I. Die wirtschaftliche Situation in Frankreich

21

Lehnsgebühren, das Geld geliehen hatten. 53 % dieser Schuldner zahlten die erhaltenen Darlehen im folgenden August und September, also nach Ernte und Weinlese, zurück.

b) Geldbedarf der Händler

Wollte ein Händler heimische Produkte auf dem Seeweg in andere Länder verkaufen, erforderte dies einen erheblichen finanziellen Einsatz, wenn der Gewinn den damals hohen Risiken und Gefahren einer solchen Reise entsprechen sollte. Da aber die Seehändler in der Regel nicht über genügend Geld verfügten, wandten sie sich an lokale Darleiher, um den Erwerb der Fracht zu finanzieren. Selbst wenn ein Kaufmann über die notwendigen Mittel verfügte, schien es günstiger, das Risiko einer solchen Reise über die Beteiligung von Finanziers aufzuteilen. Da die Epoche noch von einem eklatanten Geldmangel geprägt war23 , konnte das eigene Geld sinnvoller für andere gewinnversprechende Transaktionen verwandt werden. Im Frankreich des 13. Jh. tat sich insbesondere Marseille als großes Seehandelszentrum hervor. Von hier aus steuerten die Handelsschiffe die italienische Mittelmeerküste, Sizilien, Syrien und Tunis bis hin nach Ceuta an 24 • Für Geldverleiher ergab sich deshalb ein breites Betätigungsfeld.

c) Geldbedarf des Klerus

Neben Landbevölkerung und Handel geriet auch der Klerus in Finanznöte, die ihn zwangen, seinen Geldbedarf durch Fremdmittel zu decken. Die Geldnot der Geistlichkeit hatte mehrere Gründe. Bei gleichbleibenden Pachtzinsen für die von den Klöstern vergebenen Ländereien stiegen die Lebenshaltungskosten rapide an 25 • Beispielsweise stiegen die Preise in der Normandie von 1180 bis 1260 um 50 %26. Zunehmende weltliche Bedürfnisse und die Simonie bei der Vergabe niederer geistlicher Ämter taten ein Übriges, um die Geldnot des Klerus zu vergrößern. Welch verheerende Auswirkung die Geldleihe für kirch-

23

Ruth, S. 331.

24

Sayous, S. 4.

25

[banes, S. 11.

21>

Perroy, S. 363.

22

A. Die Usuralehre

liche Einrichtungen haben konnte, verdeutlicht eine von Cesarius berichtete Legende des 13. Jh. 27 : "Das Geld eines Wucherers, in dieselbe Schatulle mit dem Geld eines Klosters gelegt, frißt dieses wie eine Beute auf, so daß innerhalb kurzer Zeit die Schatulle leer ist." Auch die päpstliche Finanzwirtschaft führte zur Verschuldung der Geistlichkeit in ganz Europa. Von neu ernannten Bischöfen und Äbten wurden Servitien gefordert, die regelmäßig 1 / 3 der Jahreseinkünfte betrugen 28 • Für ein Bistum oder eine Abtei waren mindestens 100 Goldgulden zu zahlen 29 • So war schon bei der Amtsübernahme eine erhebliche Geldsumme zu beschaffen. Dabei konnte unter normalen Umständen nur ein Darlehen helfen. Daß die römische Kurie ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen wußte, zeigt die Tatsache, daß unter Papst Johannes XXII. am 5. Juli 1328 anläßlich der Audientia publica gegen einen Patriarchen, fünf Erzbischöfe, 30 Bischöfe und 46 Äbte die Exkommunikation, Suspension und das Interdikt ausgesprochen wurden, weil diese der Servitienzahlung nicht nachgekommen waren 30 • Die Gesamteinnahmen allein aus den Servitia communia betrugen in den 18 Regierungsjahren Johannes XXII. für die apostolische Kammer und die Kardinäle 1.123.003 Goldgulden 31 • In Ermangelung von Bankhäusern waren die Geistlichen gezwungen, sich an die großen Handelshäuser zu wenden, die als einzige über die notwendigen Geldmittel verfügten. Diese aber legten ihr Geld nur dann in Darlehen an, wenn dies einen ebensogroßen Gewinn versprach wie der Einsatz im erblühenden Handel, was erhebliche Zinsforderungen bedingte 32 • Die wirtschaftliche Situation Frankreichs war also ab dem 13. Jh. von einer Wirtschaftsexpansion gekennzeichnet, die freilich noch auf wenige Handelszentren begrenzt war, und von einer erheblichen Zunahme des Geldbedarfs, der sich in einer Vervielfältigung der Darlehensaufnahmen widerspiegelte.

27 Zitiert nach Sombart, S. 623: "I'on voit I'argent d'un usurier mis dans un coffre avec I'argent d'une abbaye le devorer comme une proie; de sorte qu'au bout de peu de temps on ne trouve plus rien dans le coffre.... ".

" Ruth, S. 327. 2.

Gäller, S. 43.

)0

Ibid., S. 45.

31

Ibid., S. 46.

J2

Ruth, S. 330.

11. Die Position der Kirche

23

11. Die Position der Kirche Die Kirche als moralisch und gesellschaftlich bestimmende Macht des Mittelalters nahm sich verstärkt des massiv auftretenden Phänomens des verzinslichen Darlehens an 33 • Sie mußte sich dazu in zweifacher Hinsicht genötigt sehen. Zum einen galt es, das Gebot der Brüderlichkeit aufrechtzuerhalten. In weiten Teilen der Gesellschaft herrschte noch das Prinzip der Naturalwirtschaft und der reinen Bedarfsdeckung. Geriet in einem solchen System ein Mitmensch in eine Notlage, die die darlehensweise Anschaffung lebensnotwendiger Verbrauchsgüter erzwang, gebot es die Nächstenliebe auszuhelfen, ohne dafür Zinsen zu verlangen. Diesem Grundsatz stand aber die Übung der Geldverleiher entgegen, erhebliches Entgelt zu verlangen. König Philipp 11. Augustus begrenzte den maximalen Zinssatz in den Jahren 1206 und 1218 auf immer noch eindrucksvolle 43 % p.a. 34 . Eine von Philipp IV., dem Schönen angeordnete Untersuchung ergab 1289, daß die Lombarden Darlehenszinsen von 34 bis 266 % verlangten 35 . Selbst der durchschnittliche Zinssatz lag während des gesamten Mittelalters mit 20 bis 25 % recht hoch36 . Dabei ist allerdings zu bedenken, daß bei einem Handelsdarlehen den hohen Zinsen in der Regel ein erheblicher Gewinn gegenüberstand 37 . Dennoch galt es dem Umstand Rechnung zu tragen, daß es sich oftmals um reine Konsumtivdarlehen handelte, die zum sofortigen Verbrauch bestimmt waren 38 . Wegen der dabei "von vornherein ungünstigen Ausgangsposition des Schuldners"39 blieb seine Behandlung bis in die heutige Zeit umstritten. Das Verbrauchsdarlehen mußte die um das Wohl des einfachen Volkes bemühte Kirche sehr viel mehr stören als ein Produktivdarlehen, das von einem Kaufmann zur Erwirtschaftung eines Geschäftsgewinns aufgenommen wurde. Unzulässig war nach der kirchlichen Doktrin allerdings jedes verzinsliche Darlehen in der Form des ,,mutuum". Die Kirche hatte das Zinsverbot ursprüng-

33

Guibert, S. 94.

34

Ibid., S. 120.

35

Aubenas, S. 102.

36

Sombart, S. 626.

37

Kuliseher, S. 65, Pn. l.

38

Dumas, S. 1475 f.; Ashley, Bd. 11., S. 513.

39

Wesseis, S. 30.

24

A. Die U suralehre

lich eingeführt, um den Schwachen vor der Unterdrückung durch den wirtschaftlich Stärkeren zu schützen4o . Andererseits drohte sich die Kirche durch die eigene Finanzpolitik in eine gefährliche Abhängigkeit von ihren Geldgebern zu manövrieren. Wie dargestellt waren auch Geistliche der Gefahr der Verschuldung ausgesetzt. Eine solche SchuldnersteIlung gefährdete aber den geistig-moralischen Führungsanspruch der Kirche. Um sich nicht in der Abhängigkeit von säkularen Einflüssen zu verstricken, durfte die Kirche nicht in den Würgegriff ihrer Gläubiger geraten und mußte versuchen, ihr Vermögen zu erhalten, das ihre starke Position in der Gesellschaft zumindest absicherte41 • Die Möglichkeiten ihrer einflußreichen Stellung mußten der Kirche geradezu die Überlegung aufdrängen, das bereits geltende Zinsverbot doktrineIl zu bestätigen und in seiner Wirksamkeit auszuweiten. Die Kirche erwarb mit der Wucherlehre und deren Umsetzung durch ihre eigenen Gerichte eine wichtige Waffe im Kampf um die gesellschaftliche Vorrangstellung gegen die weltliche Macht42 • Gerade in Frankreich waren die Voraussetzungen für die Umsetzung einer so verschärften Lehre günstig, da keine weltliche Macht den Ansichten des Klerus williger folgte als das französische Königshaus 43 • Eine strenge Zinsdoktrin scheint also ganz im Interesse der Kirche gelegen zu haben. Allein durch diese konnte sich am Geldbedarf des Klerus jedoch nichts ändern. Auch waren ohne Gewinnaussicht für den Gläubiger keine Geldmittel zu erhalten. Außerdem weichte das Prinzip der reinen Naturalwirtschaft immer weiter auf, und machte der Geldwirtschaft Platz. Tatsächlich verträgt sich eine prosperierende Wirtschaft nicht mit einer unnachgiebigen Doktrin, die die Zinsnahme einschränkungslos verbietet. Deshalb errichtete die Kirche unter dem Dach des generellen Zinsverbotes für Darlehen ein verschachteltes System von Ausnahmen, zu dem sie eigene Bedürfnisse und Zugeständnisse an das Wirtschaftsleben zwangen. Ob die daraus resultierenden Vorwürfe der Wirtschaftsfeindlichkeit 44 und der mangelnden Systematik45 gerechtfertigt sind, wird sich im Verlauf der Untersuchung herausstellen.

40

Ashley, Bd. 11., S. 517.

41

Ruth, S. 331.

42

Endemann, Bd. 1., S. 12; Bauer, S. 24.

43

Dumas, S. 1486 .

.. So Endemann, Bd. I. S. 23; Bd. 11. S. 418 und 420. 45

Ibid., Bd. 11. S. 422.

11. Die Position der Kirche

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1. Die Herleitung der Usuralehre

Das Zinsverbot ist keine Entwicklung der christlichen Lehre des Mittelalters. Die Auffassung, daß jegliche Zinsnahme auf eine Darlehensforderung zu unterbleiben habe, ist bereits in früheren Gesellschafts- und Kulturformen vertreten worden. Schon Aristoteles entwickelte die Theorie von der Unfruchtbarkeit des Geldes. Für ihn stand naturgesetzlich fest, daß eine Fruchtbildung des Geldes nicht möglich sei. Indem er das griechische Wort "tokos" auslegte, das sowohl für die tierische Nachkommenschaft als auch für Zins benutzt wurde, kam er zu dem Schluß, der Zins sei zu verurteilen, weil Geld keine Jungen zeugen könne46 : "Denn nur zur Erleichterung des Tausches kam es (das Geld) auf, der Zins (tokos) aber vermehrt es an sich selber. Daher denn auch der Name für "Zins" soviel wie "Junges" bedeutet, denn das Junge pflegt seinen Erzeugern ähnlich zu sein, und so ist auch der Zins wieder Geld vom Gelde. Und diese Art von Erwerbskunst ist denn hiernach die widernatürlichste von allen. ,,47 Wenn aber das Geld nach Aristoteles' Ansicht nicht aus seiner eigenen wirtschaftlichen Kraft Früchte tragen kann, muß der aus ihm gezogene Gewinn aus der Übervorteilung des Schuldners stammen48 • Der Ausspruch "pecunia pecuniam non parit" - "Geld bringt kein Geld hervor" wurde noch 1516 vom Fünften Laterankonzil wörtlich reproduziert und lediglich ins Lateinische übertragen49 • Eine Frucht des Geldes sollte nur aus der Arbeit und dem Geschick dessen resultieren können, der es einsetzt. Ein mit dem Geld erwirtschafteter Gewinn war danach das Ergebnis menschlicher Tätigkeit und entsprang nicht dem Geld als solchem S0. Auch nach römischem Recht war das Verbrauchsdarlehen in der Form des "mutuum" grundsätzlich gratis. Nur das Geld war ohne Zinsaufschlag zurückzuerstatten. Denn mit der Übergabe der Valuta an den Darlehensnehmer ging auch das Eigentum am Geld über!. Ohne das Eigentum hatte der Darleiher keinen Titel mehr in Händen, der ihm eine Beteiligung an dem mit dem Geld

4ti Aristoteles latinus, 1., 1258 b, 5 : "Translationis enim gratia factum est, tokos autem seipsum facit amplius, unde et nomen istud accepit. Similia enim parta generantibus ipsa sunt, tokos autem fit numisma numismatis; itaque et maxime preter naturam ista pecuniarum acquisitio est."

47

Aristoteles, (Susemihl), 1., 1258 b, 5.

48

Bähm-Bawerk, S. 12 f.

., Llau, S. 68; Piettre 1., S. 27. 50 Dumas, S. 1483. 51

[banes, S. 21.

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A. Die Usuralehre

erwirtschafteten Gewinn hätte vennitteln können. Nach römischem Recht konnte dem Vertrag des "mutuum" aber eine Zusatzvereinbarung hinzugefügt werden, nach der ausdrücklich eine Zinsschuld für das Darlehen vereinbart wurde. Diese stellte allerdings einen eigenständigen, vom "mutuum" völlig getrennten Vertrag dar 2 • Mit dem Zusatz dieser "stipulatio usurarum" wurde das "mutuum" zum "foenus"s3. Auf die Konzeption des römischen Rechts wird später noch im Zusammenhang mit der Argumentation der Scholastiker zurückzukommen sein. Eine wichtige Quelle für das kirchliche Zinsverbot ist auch die Bibel. Schon im Alten Testament finden sich Stellungnahmen zur Zinsproblematik. Im fünften Buch Moses steht der Ausspruch: "Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen: weder Zinsen für Geld noch Zinsen für Getreide noch Zinsen für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt. Von einem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, ..."S4. Danach war es untersagt, von einem Angehörigen des eigenen (hebräischen) Volkes Zinsen, in welcher Form auch immer, zu verlangen, während diese von einem Fremden verlangt werden durften. Im dritten Buch Moses steht: "Wenn dein Bruder verarmt und sich neben dir nicht halten kann, sollst du ihn, auch einen Fremden oder Halbbürger, unterstützen, damit er neben dir leben kann. Nimm von ihm keinen Zins und Wucher!"ss. Im Buch Ezechiel finden sich die Aussprüche: "Ist jemand gerecht, so handelt er nach Recht und Gerechtigkeit. Er leiht nicht gegen Zins und treibt keinen Wucher." und: "... der gegen Zins leiht und Wucher treibt - soll der dann am Leben bleiben? Er soll nicht am Leben bleiben.", schließlich: "Er nimmt keinen Zins und treibt keinen Wucher... Dieser Sohn wird nicht wegen der Schuld seines Vaters sterben; er wird bestimmt am Leben bleiben."s6. Die zentrale Stelle, auf die sich die kirchliche Doktrin des 13.Jh. stützte, findet sich im Neuen Testament, wo zur Zinsnahme ausgeführt wird: "Ihr sollt

52

Ashley, Bd. 11., S. 504 f., Fn. 3.

S3 Dumas, S. 1475; zur Ableitung des Wortes "foenus" von "foetus" (das Erzeugte) oder von "felix" (fruchtbar, glücklich) vgl. Bauer, S. 18, Fn. 18. S4 Deuteronomium XXIII, 20-21: ,,Non foenerabis fratri tuo ad usurarn pecuniarn, nec fruges, nec quarnlibet aliarn rem, sed alieno, ......

55

Levitikus XXV, 35-36.

56

Ezechiel XVIII, 5-8, 13 und 17.

11. Die Position der Kirche

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aber eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt."s7 - "Mutuum date, nihil inde sperantes". Es erscheint danach zumindest als Moralgebot, einem in Bedrängnis geratenen Mitmenschen mit einem Darlehen zu helfen, ohne auch nur von der Rückzahlung der Darlehenssumme, also erst recht nicht von einer Zinsgewährung, auszugehen. Von entscheidender Bedeutung für dieses Verständnis des Zinsverbotes ist der im Neuen Testament benutzte Begriff der Nächstenliebe. Das biblische Gebot der Nächstenliebe und die Definition des "Nächsten" finden sich im Beispiel vom barmherzigen Samariter58 • Hier erfolgt die Einbeziehung eines jeden, auch des "ungastlichen S amariters "59, in den Kreis derer, die der Liebe wert sind. Diese schrankenlose Ausdehnung des Liebesgebotes mußte natürlich erheblichen Einfluß auf die Zinsnahme haben. Dem Bibelwort entsprechend lassen sich zahlreiche Beschlüsse des Papstes und verschiedener Konzilien anführen. Schon dem Konzil von Elvire, das um das Jahr 300 in Spanien zusammentraf'60, lag die Frage vor, wie der grassierenden verzinslichen Darlehensvergabe durch Angehörige des Klerus zu begegnen sei. Der 20. Kanon dieses Konzils hielt fest, daß die Kleriker, die in besonderem Maße den christlichen Maximen zu folgen hätten und dennoch dem Zinsverbot zuwider handelten, ihrer Ämter zu entheben seien. Den zinsnehmenden Laien war dagegen unter Erteilung eines Verweises zu verzeihen, wenn sie sich der Zinsnahme in Zukunft enthalten wollten; hielten sie dennoch daran fest, waren sie zu exkommunizieren61 : "Wenn einer der Kleriker ertappt ist, Zinsen zu nehmen, ist beschlossen, daß er degradiert wird: Wenn ferner ein Laie überführt wird, Zinsen genommen zu haben, und er, wenn er zurechtgewiesen ist, verspricht, er werde sich [dessen] enthalten, ist beschlossen, daß ihm Verzeihung gewährt wird; wenn er aber in dieser Ungerechtigkeit verharrt, [ist beschlossen], daß er aus der Kirche auszuschließen ist." Nachfolgende Konzilien übernahmen dieses Sanktionssystem allerdings nur in bezug auf die Kleriker, während die Exkommunikationsandrohung für Laien

Evang. Lukas VI, 35. Evang. Lukas X, 25-37. ~. Vgl. Evang. Lukas IX, 51-56. ~7

~.

60

Llau, S. 115.

61 Zitiert nach Pothier, S. 68: "Si quis Clericorum detectus fuerit usuras accipere, placuit eum degradari: si quis etiam Laicus accepisse probetur usuras, et promiserit correctus se cessaturum, placuit ei veniam tribui; si vero in ea iniquitate perseveraverit, ab ecclesia esse projiciendum."

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A. Die Usuralehre

nicht aufrechterhalten wurde62 . So zum Beispiel das Konzil von Arles im Jahr 314, das sämtliche Bischöfe des Abendlandes vereinigte, in seinem 12. Kanon63 : "Hinsichtlich der kirchlichen Amtsträger, die auf Zinsen ausleihen, ist beschlossen, daß diese, gemäß der von Gott her gegebenen Ordnung, von der Kommunion ferngehalten werden." Die gleiche Regel wiederholten das Konzil von Nizäa im Jahr 325 im 17. Kanon und das Konzil von Tours im Jahr 461 im 13. Kanon 64 • Im 5. Jh. verurteilte Papst Leo 1., hl. die Zinsnahrne auf das Heftigste, indem er sich auf das göttliche Wort berief. Danach käme derjenige in den Genuß der ewigen Ruhe, der neben anderen Voral:lssetzungen einer frommen Lebensführung niemals Geld gegen Zinsen verliehen habe. Derjenige aber, der sich auf Kosten anderer bereichere, verdiene ewige Strafe. Diese Ausführungen bezogen sich zwar auf alle Christen, unabhängig davon ob Kleriker oder Laie 65 , dennoch stellten sie nur eine Ermahnung für denjenigen dar, der sein Leben in absolutem Einklang mit den christlichen Maximen führen wollte, und waren keine Regel des kanonischen Rechts 66 . Auch eine andere eingängige Formel geht auf Papst Leo 1., hl. zurück: "fenus pecuniae, funus est animae"67 - "Des Geldes Zinsgewinn ist der Seele Tod."

2. Die Hochscholastik

Auch wenn die Kirche schon frühzeitig Vorbehalte gegen die Zinsnahme äußerte, läßt sich doch erst seit dem Hochrnittelalter eine Verschärfung ihrer Haltung feststellen. Diese beruhte auf den dargestellten Änderungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Situation. Das bis zu dieser Zeit praktizierte Zinsverbot in seiner recht einfachen Form entsprach nicht mehr dem komplexeren Wirtschaftsleben. Es war deshalb nötig, ein der neuen Situation angepaßtes Regelwerk zu schaffen, ohne mit den hergebrachten christlichen Werten zu brechen.

62

Dumas, S. 1478.

Zitiert nach Pothier, S. 68: "Oe ministris qui foenerant, placuit eos, juxta fonnarn divinitus datarn, a conununione abstineri." 63

64

Guibert, S. 88 f.

65

Ibanes, S. 15.

66

Dumas, S. 1478.

67

Le Goff, Wucherzins, S. 31.

11. Die Position der Kirche

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Wenn zuvor das Verbot der Zinsnahme in erster Linie für den Klerus galt, so erfolgte nun eine ausdrückliche Einbeziehung auch der Laien. Denn die Beschlüsse der Konzilien und Äußerungen der Päpste fanden Eingang in das um 1140 erschienene Dekret Gratians (Concordantia discordantium canonum), dessen Inhalte auch für Laien gelten sollten68 . In einem Anhang desselben ist folgender Satz zu finden: "Homo mercator nunquam aut vix potest Deo pI acere"69 - "Ein Kaufmann kann Gott nicht oder nur schwer gefallen." 1179 bekräftigte das Dritte Laterankonzil das Zinsverboeo. Die Kirchenbeschlüsse von Avignon (1209), Beziers (1255), Albi (1254), Sens (1269), Poitiers (1280), Treves (1310), Avignon (1457) bis zur ersten Versammlung des französischen Klerus in Toulouse (1579) hielten an der strengen Regelung fese l .

Im 13. Jh. entwickelte sich darüber hinaus eine religiöse Strömung, die den Zustand der Armut als den gottgefälligsten proklamierte. Nach dieser Doktrin war das Streben nach Reichtum als Selbstzweck verwerflich. Der gottgefällige Mensch lebte nach ihrer Moralvorstellung in Armut, während der Reiche in Verdammnis geriet. Habsucht und Geldgier standen danach der inneren Vervollkommnung entgegen72 • In diesem Sinne läßt sich schon das Wort Jesu anführen: "Denn eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher in das Reich Gottes gelangt,m. An der Kraßheit dieses Zitats scheinen jedoch Zweifel angebracht. So wird vertreten, daß bei der Übersetzung aus dem Hebräischen ein Buchstabe verwechselt worden sei, der aus dem ursprünglich gemeinten "Tau" ein "Kamel" gemacht habe74 • Zwar verurteilt das so entschärfte Gleichnis immer noch den Makel des Reichtums, relativiert ihn aber doch in seiner Härte .

•8

Ibanes, S. 15; Endemann, Bd. 1., S. 11.

•• Zitiert nach Le Gof!, S. 70. 70

Ploetz, S. 96.

7I

Puyo, S. 62.

72

Guibert, S. 95; Ruth, S. 336.

73

Evang. Lukas XVIII, 25.

74

Lapide, S. 19.

30

A. Die Usuralehre

a) Einfluß und Lehre der Franziskaner und Dominikaner Der scharfe Gegensatz zwischen dem vorherrschenden Bedarfsdeckungsprinzip und der Armut des größten Teils der Gesellschaft einerseits und dem großen Reichtum der Handelshäuser und Geldverleiher andererseits führten zur Heilssuche in der Armut. So gründete der aus reicher Familie stammende Franz von Assisi nach seiner Bekehrung 1209 den "Orden der Minderen Brüder" und der Spanier Dorninikus 1216 den "Predigerorden". Diese im allgemeinen Sprachgebrauch jeweils nach ihren Gründern benannten Bettelorden erlangten außerordentliche Bedeutung für die doktrinelle Ausarbeitung der Usuralehre. Denn ihre Mitglieder gaben sich in Abkehr vom Kommerz nicht nur der Armut hin, sondern stellten gleichzeitig die geistige Elite der Hochscholastik des 13. Jh. Der Dominikaner Thomas von Aquin und der Franziskaner Bonaventura lehrten beispielsweise an der Universität von Paris, die neben der Universität von Bologna die hervorragendsten Gelehrten der Epoche hervorbrachte75 . Der Umstand, daß die von dem Ideal der Armut überzeugten Wissenschaftler Lehrstühle in Städten besetzten, die gleichzeitig auch Hochburgen des Handels und des mit ihm verbundenen Gewinnstrebens waren, dürfte sie einerseits in ihren Auffassungen noch bestärkt haben. Andererseits konnten sie sich aber nicht den tatsächlichen Bedürfnissen der prosperierenden Wirtschaft verschließen, zumal sie selbst häufig der Klasse der Händler und Geschäftsleute entstammten76. Man würde den kirchlichen Wissenschaftlern auch nicht gerecht, wollte man sie als weltfremde Doktrinäre zugunsten eines unpraktikablen Gewinnverbots bezeichnen. Um eine solch uneinsichtige Haltung einzunehmen, kannten sie sich aufgrund ihrer Herkunft und Ausbildung viel zu gut in Handelstechniken und der scholastischen Methodik aus. Tatsächlich hatte die Kirche vor allem das Verbrauchsdarlehen oder "mutuum"77 im Auge, "das in den meisten Fällen zur Überwindung vorübergehender Existenzschwierigkeiten diente.'