Die Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen bis zum Jahre 1851 [1 ed.] 9783428534142, 9783428134144

In Folge der Revolution von 1848 wurden auch in Kurhessen Geschworenengerichte eingeführt. Die Schwurgerichtsbarkeit sow

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Die Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen bis zum Jahre 1851 [1 ed.]
 9783428534142, 9783428134144

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 151

Die Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen bis zum Jahre 1851

Von

Matthias Braun

Duncker & Humblot · Berlin

MATTHIAS BRAUN

Die Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen bis zum Jahre 1851

Schriften zur Rechtsgeschichte

Heft 151

Die Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen bis zum Jahre 1851

Von

Matthias Braun

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Philipps-Universität Marburg hat diese Arbeit im Jahre 2010 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13414-4 (Print) ISBN 978-3-428-53414-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83414-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Idee zur vorliegenden Arbeit entstand vor vielen Jahren in einem rechtsgeschichtlichen Seminar an der Philipps-Universität in Marburg. Gab es bereits nähere Untersuchungen zum Thema des Kampfes um die Schwurgerichte in Deutschland allgemein oder auch für einzelne Regionen, so fehlte eine Untersuchung der Schwurgerichtsfrage für den kurhessischen Raum. Die Arbeit nahm einen langen Zeitraum in Anspruch, da insbesondere die damit verbundene Archivarbeit neben meiner beruflichen Tätigkeit bewältigt werden musste. Mein herzlicher Dank gilt meinem geduldigen Doktorvater Prof. Dr. Dieter Werkmüller, der mich stets ermuntert hat und mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Ich danke auch Herrn Prof. Dr. Ralph Backhaus für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Schließlich gilt ein besonderer Dank auch dem Hessischen Staatsarchiv in Marburg, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mich immer mit großer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unterstützt haben. Die Arbeit wurde im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation vom Fachbereich Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg angenommen. Marburg, im Frühjahr 2011

Matthias Braun

Inhaltsverzeichnis A. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überwindung des Inquisitionsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Ausgangssituation im kurhessischen Gebiet . . . . . . . . . . . . . . III. Die theoretische Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Trennung von Tat- und Rechtsfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die freie Beweiswürdigung und der Einfluss des Vorsitzenden . . . . . 3. Das Problem der „Omnipotence“ oder Allmacht der Jury . . . . . . . . . . 4. Die Zusammensetzung der Jury. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Englische oder französische Jury? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen: Erste Erfahrungen mit der Laiengerichtsbarkeit auf kurhessischem Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Errichtung eines Modellstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einrichtung und Organisation der neuen Strafrechtspflege. . . . . . . . . . 2. Die praktische Einführung der Laienbeteiligung im Strafverfahren . . 3. Die Peinliche Prozessordnung von 1808 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Praxisalltag der neuen Geschworenengerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschränkungen und Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ende des Modellstaates und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 34 36 37 39 44 55 57 68

11 11 16

C. Der Streit und die Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis zum Jahr 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Die Zeit der Restauration, der Verfassungsentwurf von 1815/16 und Entwicklungen in der Strafrechtspflege bis 1830 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 1. Der Verfassungsentwurf von 1815/16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Der Beginn der Diskussion um die Geschworenengerichte in Deutschland und kurhessische Bezüge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Feuerbachs Kritik an der französischen Jury . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 b) Das Gutachten der Immediat-Justiz-Kommission . . . . . . . . . . . . . . . 90 c) Die Schwurgerichtsfrage vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 d) Das öffentliche Leben und Zensurmaßnahmen in Kurhessen . . . . 97 3. Entwicklungen in der Strafrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831 und die Frage der Geschworenengerichte in den Verhandlungen über das Pressegesetz 125

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Inhaltsverzeichnis 1. Die Verhandlungen über die Verfassungsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufkeimende Öffentlichkeit und der Aspekt der Schwurgerichtsbarkeit bei den Verhandlungen über das Pressegesetz . . . . . . . . . . . . . . a) Politische Öffentlichkeit zu Beginn der 30er Jahre . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verhandlungen über das Pressegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Scheitern des Pressegesetzes und staatliche Repression . . . . . III. Die Schwurgerichtsfrage in den weiteren Reformbemühungen des kurhessischen Landtags bis 1846. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhandlungen über die Entwürfe eines Gesetzes, die Abstellung mehrerer in der Strafrechtspflege wahrgenommenen Mängel betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Entwürfe betreffend das Strafverfahren des Jahres 1846 . . . . . . . . IV. Reformdruck und die Schwurgerichtsfrage im Vorfeld der Gesetzgebung des Jahres 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das ungelöste Problem der freien Beweiswürdigung und der Prozess gegen Sylvester Jordan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die kurfürstlichen Proklamationen vom 7. und 11. März 1848 . . . . . . 3. Das Ersuchen der Stände um die Einführung des öffentlichen Schlussverhörs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Gesetz „wider Preßvergehen“ vom 26. August 1848 . . . . . . . . . . . . . . II. Das Gesetz „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ vom 31. Oktober 1848. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gesetzgebungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausgestaltung der kurhessischen Schwurgerichtsbarkeit . . . . . . . . III. Das Gesetz über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten vom 31. Oktober 1848 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch das provisorische Gesetz des Jahres 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Presseverfahren gegen Friedrich Oetker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das provisorische Gesetz vom 22. Juli 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Provisorische gesetzliche Maßnahmen im Vorfeld der Verfassung von 1852 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Änderungen in der Schwurgerichtsbarkeit durch das provisorische Gesetz vom 22. Juli 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die weitere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 1: Der Prozess gegen Friedrich Oetker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 2: Gesetz vom 26sten August 1848, wider Preßvergehen . . . . . . . . . . . . . Anhang 3: Gesetz vom 31ten Oktober 1848, die Umbildung des Strafverfahrens betreffend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang 4: Gesetz vom 31sten October 1848, über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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Anhang 5: Provisorisches Gesetz vom 22sten Juli 1851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Anhang 6: Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429

A. Voraussetzungen I. Überwindung des Inquisitionsprozesses Die Schwurgerichtsfrage ist eng mit der politischen Entwicklung im Zeitalter der bürgerlichen Revolution verbunden. Sie beschränkt sich nicht auf verfahrensrechtliche Probleme im Rahmen des zu reformierenden Strafprozesses, sondern ist gleichsam politisches Thema in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Mitwirkung einer Laienjury im Strafprozess war Teil der politischen Forderungen der liberalen und auch demokratischen1 Bewegung. Das zu neuem Selbstbewusstsein gelangte Bürgertum begehrte gegen den Obrigkeitsstaat auf. Der Einzelne sollte nicht länger lediglich untertäniges Objekt einer uneingeschränkten Herrschaftsgewalt sein. Teilhabe, Mitwirkung und Selbstbestimmung sollten Grundlagen des angestrebten konstitutionellen Verfassungsstaates werden beziehungsweise die Volkssouveränität gewährleisten. Der absolutistische Obrigkeitsstaat konnte sich im Kampf gegen das aufkeimende politische Leben noch des ihm gemäßen und längst als überholt erkannten Inquisitionsprozesses bedienen. Dem entspricht ein tiefes Misstrauen in das beamtete Berufsrichtertum. Im Inquisitionsprozess lag der Schwerpunkt in einem nicht öffentlichen behördlichen Vorverfahren, welches bereits das Ziel hatte, den Beschuldigten durch mindestens zwei Tatzeugen oder gegebenenfalls auch mittels eines durch Folter erzielten Geständnisses zu überführen2. So war im Zeitalter der bürgerlichen Revolution die Forderung nach Beteiligung der Bürger in einem öffentlichen Strafverfahren zur Verhinderung obrigkeitlicher Willkür beinahe zwingend, zumal die seit 1791 eingeführte Schwurgerichtsbarkeit in Frankreich einen hoffnungsvollen, aber zugleich auch einen höchst zweifelhaften Anschauungsunterricht gab. Mit der napoleonischen Gesetzgebung gelangte das Geschworenengericht auch in die linksrheinischen Gebiete und machte von dort aus auf die deutsche Öffentlichkeit großen Eindruck. Die Schwurgerichtsbarkeit wurde bald 1

Die Geschworenengerichte fanden gemeinsame Anhängerschaft in der liberalen und in der demokratischen Idee trotz unterschiedlicher Ausgangspunkte und Zielvorstellungen im Übrigen; siehe dazu Schnabel, S. 92 ff. 2 Siehe Artikel 22, 67 und 69 der Constitutio Criminalis Carolina aus dem Jahre 1532, die noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein auch praktische Bedeutung haben sollte.

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A. Voraussetzungen

zu einem Lieblingskind des deutschen Liberalismus, zumal ohne sie die letztlich entscheidende Forderung nach Pressefreiheit als nicht realisierbar erschien. Politischer Eigennutz ist dabei freilich nicht zu verkennen. Insgesamt war die Auseinandersetzung um die Einführung der Schwurgerichtsbarkeit gekennzeichnet von einem Ineinandergreifen rechtlicher, politischer und staatstheoretischer Erwägungen. Das Problem der Beteiligung einer Laienjury im Strafverfahren wurde in der Rechtswissenschaft im Rahmen der Diskussion über den zu reformierenden Strafprozess ausführlich behandelt. Insoweit vorgetragene juristische Bedenken und Einwände wurden zwar ernsthaft diskutiert, hatten allerdings vor dem Hintergrund des politischen Geschehens nicht ausreichendes Gewicht. Als Instrument der Interessenverfolgung war das Geschworenengericht grundsätzlich tauglich. Dies war am Ende wohl auch entscheidend. Die Diskussionen über die Schwurgerichtsbarkeit waren in Deutschland stets untrennbar verbunden mit den politischen Aspekten der Öffentlichkeit und Sicherung einer ungehinderten Presse3 und freien Meinungsäußerung. Die liberale Bewegung war tief überzeugt von dem Prinzip der Öffentlichkeit sowie der Macht der Bildung einhergehend mit dem Ziel der Ausbildung des Einzelnen, sich aufzuklären, zu vervollkommnen und schließlich selbst für sich und das Gemeinwesen Verantwortung wahrzunehmen. Der erzieherische Aspekt galt auch für die Beteiligung in der Strafrechtspflege als einem besonders wichtigen Bereich staatlicher Machtentfaltung. Die Geschworenengerichte galten bei alledem im Ideal nicht als öffentliches Schauspiel, an dem jeder unbeteiligt und nur neugierig zuschauend und zuhörend teilnehmen durfte. Es galt vielmehr mitzuwirken und sich und andere mit den staatlichen Dingen, wie hier dem Strafrechte, vertraut zu machen4. Die Einführung der Schwurgerichtsbarkeit auch in der überwiegenden Zahl der deutschen Länder nach 1848 stellte eher eine revolutionäre als reformerische Lösung zur Überwindung des Inquisitionsprozesses dar. Die Mitwirkung von zwölf Geschworenen ist freilich nur eine denkbare Möglichkeit der Laienbeteiligung im Strafverfahren. Allein dem Geschworenengericht wurde seinerzeit die nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit gewidmet. 3 Zur Bedeutung der Pressefreiheit nach dem Befreiungskriege siehe HRG1 /Mallmann, 4. Band, Presserecht, S. 1911 ff. und HRG1 /Werkmüller, 5. Band, Zensur, S. 1659. 4 Vgl. dazu Schnabel, S. 171 ff.; Der erzieherische Aspekt wurde bereits ausdrücklich von Justus Möser im Jahre 1770 angesprochen, wenngleich er noch von der ständischen Ausprägung einer Laiengerichtsbarkeit ausging. Es trage zur Würde des Menschen vieles bei, dass er von Jugend auf mit den Gesetzen seines Landes bekannt gemacht werde, was nicht geschähe, wo nur Gelehrte in peinlichen Sachen urteilten; Möser, S. 346 ff.

I. Überwindung des Inquisitionsprozesses

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Entsprechend den Volksvertretungen im politischen Bereich sollte die Laienjury in der Rechtspflege als Repräsentativorgan der Volkssouveränität Wirkungsmacht verleihen5. Zugleich erhoffte man sich die Wiederbelebung einer volkstümlichen Justiz. Man glaubte Verbindungen ziehen zu können zu den Volksgerichten der germanischen Zeit. An der Dingstätte versammelten sich die freien Männer der Gemeinde. Ihnen oblag die Rechtsfindung, während der regelmäßig aus adligem Geschlecht stammende Vorsitzende den Rechtsgang leitete und die Einhaltung der Formen zu beachten hatte6. Das Gericht selbst wurde also in eigener Souveränität gebildet und abgehalten. Das zu findende Recht war autonomes und nicht gesetztes, heteronomes Recht. Es war im Gewissen des Einzelnen und durch Überlieferung lebendig. Von einer Laiengerichtsbarkeit kann daher insoweit nicht gesprochen werden. Das so vorausgesetzte und dem Gewissen gleichsam angeheftete natürliche Rechtsempfinden begegnet uns dann in der Zeit der Vorherrschaft des gelehrten und beamteten Richtertums und so auch im Rahmen der Auseinandersetzung um die Geschworenengerichte in Gestalt des eingeforderten und beim gelehrten Richter oftmals vermissten „gesunden Menschenverstandes“. Von dem angenommenen Idealzustand einer Rechtsfindung durch die souveräne Volksgemeinde aus entwickelte sich durch das Mittelalter hindurch das peinliche Verfahren hin zum geheimen Inquisitionsprozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit7. Bereits im frühen Mittelalter wandelte sich die Auffassung, wonach die gesamte Volksgemeinde das Gericht bildete. Nun wurde eine bestimmte Anzahl von Urteilern aus der Mitte des Volkes bestimmt, die regelmäßig oder im konkreten Fall zur Rechtsfindung eingesetzt wurden. Den Vorsitz und die Leitung der Verhandlung hatte jetzt der Graf als königlicher Beamter inne. Die Gerichtsbarkeit war mit dem Aufkommen des königlichen Machtanspruches auch als Bestandteil herrschaftlicher Gewalt über Grund und Boden angesehen worden8. Am Ende des Mittelalters lag die Gerichtsbarkeit in den Händen der Territorialfürsten und der von ihnen eingesetzten Beamten, auch wenn weiterhin die Rechtsfindung dem Grundsatz nach bei den ungelehrten Schöffen lag. Es setzte nun aber jene bedeutsame Entwicklung ein, in deren Verlauf an Stelle der Schöffengerichte bald allein den Gelehrten die Rechtsfindung zugewiesen worden war, bis schließlich die Laienrichter vollständig aus dem Gericht verdrängt wurden. 5

Vgl. Schmidt, S. 332. Vgl. HRG2 /Weitzel, 1. Band, Ding, S. 1067 f. 7 Zum Inquisitionsprozess vgl. HRG1 /Buchda, 1. Band, Gerichtsverfahren, S. 1559 f.; HRG2 /Nehlsen-von Stryk, 9. Lief., Gerichtsverfahren, S. 187 f. 8 Bettenhäuser, Gerichtswesen, S. 51 f. 6

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A. Voraussetzungen

Die Entwicklung des aufkommenden gelehrten Richtertums beschreibt Stölzel unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in den kurhessischen Gebieten. Ursächlich war zunächst, dass mit Herausbildung herrschaftlicher Gewalt der Anspruch des Territorialfürsten einherging, eigene Beamte als von ihm verordnete Richter einzusetzen9. Deren gerichtliche Leitungsfunktion wandelte sich mit der Zeit dahin, dass sie zunächst zusammen mit den ungelehrten Schöffen und bald an deren Stelle mit der Urteilsfindung betraut worden sind10. Der Bedarf an rechtskundigen Beamten stieg. Hinzu kommt, dass bereits vor der vollen Herausbildung eines gelehrten Richterstandes die Schriftlichkeit11 im Prozessverfahren Einzug hielt. Die Schreibkunst sowie die nun unabdingbar notwendige Kenntnis des rezipierten römischen Rechts war regelmäßig Domäne der Gelehrten, was die Laien aus dem Entscheidungsprozess herausdrängen musste. Dabei verlief diese Entwicklung in der hier interessierenden peinlichen Gerichtsbarkeit durchaus anders als im zivilgerichtlichen Verfahren. In der Zivilgerichtsbarkeit hatte sich die Praxis entwickelt, auch bei auswärtigen Oberhöfen Rechtsrat einzuholen. Im 15. Jahrhundert werden nun die Gerichte angewiesen, nicht mehr die (auswärtigen) Oberhöfe, sondern allein den Landgrafen und seine Räte um Rechtsbelehrung zu ersuchen12. Später entwickelte sich zudem im 16. Jahrhundert die Aktenversendung an die juristische Fakultät der Hochschule13. Die ungelehrten Schöffen waren aber auch in Strafsachen bald mangels nun notwendiger Rechtskenntnisse überfordert. Ihnen allein oblag noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Urteilsfindung im peinlichen Verfahren14. Zudem hatte sich inzwischen in der Strafrechtspflege der noch ungeordnete und unter erheblichen Missständen leidende Inquisitionsprozess den Weg gebahnt. So war es dann auch das Ziel der bedeutenden Constitutio Criminalis Carolina von 1532, die Richter und Schöffen mit den rezipierten Grundsätzen vertraut zu machen, die nun im materiellen wie auch im prozessualen Recht zu beachten waren15. 9

Stölzel, 1. Band, S. 139. Siehe Stölzel, 1. Band, S. 596. 11 Dazu Stölzel, 1. Band, S. 175 ff. 12 Bettenhäuser, Gerichtswesen, S. 54. 13 Dazu Stölzel, 1. Band, S. 187 ff. 14 Stölzel, 1. Band, S. 354 f.; ders., 2. Band, S. 184. 15 Im Jahre 1535 hatte Philipp der Großmütige für Hessen die erste umfassende Strafprozessordnung geschaffen, die inhaltlich mit der Carolina übereinstimmte und eigenständig neben dieser keine weitere herausragende praktische Bedeutung erlangen sollte; vgl. Heuser, Handbuch, S. 2; Amrhein, S. 7, 9; Die Carolina hatte aber auch die Folter gesetzlich bestätigt und enthielt die Keime für die kommende Entartung des Inquisitionsprozesses, so HRG2 /Lieberwirth, 1. Band, Constitutio Criminalis Carolina, S. 888. 10

I. Überwindung des Inquisitionsprozesses

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Die Carolina übte jedoch an den Ungelehrten zunächst überaus deutliche Kritik und ging schließlich auch davon aus, dass weiterhin Vorsorge gegen unwissende und unfähige Richter und Schöffen getroffen werden müsse. Die ungelehrten, aus mannigfachsten ländlichen und städtischen Berufen stammenden Richter und Schöffen wurden in weitem Umfang an den Rat der Rechtsgelehrten verwiesen16. Das von den Rechtsgelehrten gefundene Urteil wurde dann auf dem endlichen Rechtstag in der feierlichen Form des gehegten Gerichts verkündet. Dem Volk wird also letztlich der Urteilsfindungsvorgang nur noch vorgespielt17. Die Strafrechtspflege wurde so für lange Jahrhunderte dem Volke aus der Hand genommen. Um 1540 erging für die Landgrafschaft Hessen die Anordnung, dass alle peinlichen Sachen des Niederfürstentums beim Stadtgericht in Kassel und alle des Oberfürstentums bei dem in Marburg zu verhandeln seien. Vor der Entscheidung sollten die fürstlichen Räte in Kassel und Marburg zu Rate gezogen werden18. Auch wenn diese Anordnung in der Folgezeit nicht immer befolgt worden ist und sich als unpraktisch erwiesen hat, so zeigt sie doch den Anspruch des Landgrafen, die Strafgerichtsbarkeit als staatliche Aufgabe an sich zu ziehen, beziehungsweise eigene rechtskundige Beamte damit zu betrauen. Der Befund der Carolina, dass die ungelehrten Richter und Schöffen ihrer Aufgabe nicht mehr gewachsen waren, galt freilich auch für den hessischen Raum. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine Eingabe des Magistrats von Kassel an den Landgrafen, der gebeten wird, zwei seiner gelehrten Räte zur Unterstützung zur Verfügung zu stellen, „aus ursachen, das der mehrteyl der scheppfen Einfeltige, schlechte leute, In solchen hohen sachen, Blut, Leib und Leben betreffend, unerfaren, Dartzu wol geschickte, gelerte und geübte leute von Nöten, sonderlich, weil die procuratores geflyssen seyn, die sachen verworren und irrig zu machen“19.

In der Folgezeit werden auch im hessischen Raum die Schöffen nicht mehr effektiv an der Urteilsfindung beteiligt. Das Urteil wurde von der fürstlichen Regierung gefertigt, so dass im Falle des Ausspruchs einer Todesstrafe die anschließende Verhandlung vor den „Schöffen“ nur noch eine „Staffage für die Urtheilspublication“20 bildete. In der peinlichen Gerichtsordnung vom 23. April 1748 wird bestimmt: „Ist nun der zur Exekution gewiß bestimmte Tag erschienen, so versammlet sich das peinliche Gericht auf dem Rathhaus, und nachdem dasselbe mit Zuziehung einiger gelehrter Scabinorum zur gehörigen Zeit auf dem öffentlichen Markt-Platz 16 17 18 19 20

Vgl. dazu Schmidt, S. 134 ff. Schmidt, S. 130. Bettenhäuser, Gerichtswesen, S. 57; Stölzel, 1. Band, S. 355. Aus dem Kasselener Kopialbuch von 1544, zitiert bei Bettenhäuser, ebd. Stölzel, 1. Band, S. 359.

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A. Voraussetzungen

an die Tafel niedergesessen, wird mit der Armen-Sünder-Glocke, wie gebräuchlich, das Zeichen gegeben, und der arme Sünder sofort aus seiner Verwahrung, unter Begleitung der darzu bestellten Prediger und einer hinlänglichen Wache vor das peinliche Gericht geführet, allwo der peinliche Richter gewöhnlichermaßen unter dem freyen Himmel das Gericht heget, und nach abgehaltenen Recessen von dem Fiscal und Defensore, das abgefaßte und bestätigte Todes-Urtheil durch den Actuarium publicieren, auch, nachdem er daruf den Stab gebrochen, und dem armen Sünder vor die Füße geworfen, diesen dem Nachrichter übergeben lässet, und ihm bey seinem Eyde gebietet, die gegebene Urtheil getreulich zu vollziehen, sofort, nebst denen peinlichen Gerichts-Assessoren, vom Gericht aufstehet.“21

Für den Bereich der Strafrechtspflege resümiert Stölzel: „Nachdem die Urtheilsabfassung dem Landesherrn und seinen gelehrten Räthen, Canzleien oder Hofgerichten in peinlichen Sachen gesichert war, waltete kein Interesse mehr ob, noch weiter die Thätigkeit der alten Schöffengerichte zu beschränken oder zu vernichten; im Gegentheil, es entsprach die äussere Feierlichkeit, mit welcher sie zu verfahren pflegten, gerade der Wichtigkeit des Actes, und man musste desshalb wünschen sie zu erhalten.“22

Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts und vor dem viel zitierten Kampf um die Geschworenengerichte finden wir also eine Strafrechtspflege vor, aus der im Laufe der Jahrhunderte jede ernsthafte Beteiligung des Volkes an der eigentlichen Urteilsfindung beseitigt worden ist, zumal diese nun in verschlossenen Amtsstuben unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Die Schwurgerichtsfrage ist schließlich auch in Kurhessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tief eingebettet in die politischen Ereignisse. Das Verlangen nach Beteiligung von Geschworenen im Strafverfahren sollte dabei nicht nur das Ziel der bürgerlichen, revolutionären Bewegung sondern auch wirksames Mittel zur Erreichung und Erhaltung bürgerlicher Freiheit sein.

II. Allgemeine Ausgangssituation im kurhessischen Gebiet Mit dem hessischen Einigungsvertrag von 1648 erfolgte die Trennung der hessischen Linien Kassel und Darmstadt. Dabei konnte die Landgrafschaft Hessen-Kassel zunächst eine günstigere Entwicklung für sich verzeichnen, was nach Demandt23 einer Reihe von hervorragenden Regenten zu verdanken war, die das Land nach den Verheerungen des 30-jährigen Krieges wieder aufzubauen vermochten. Bis zum Ausgang des 18. Jahrhun21 Peinliche Gerichtsordnung vom 23. April 1748 Titel XI § 4, Neue Sammlung, 2. Band, S. 469. 22 Stölzel, 1. Band, S. 362 f. 23 Demandt, S. 263.

II. Allgemeine Ausgangssituation im kurhessischen Gebiet

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derts gab es doch bemerkenswerte wirtschaftliche Erfolge und kulturelle Höhepunkte. Zudem hatte das relativ kleine Land in der europäischen Politik in Anlehnung an Preußen eine nicht ganz unerhebliche Rolle spielen können. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erfolgte die politische Rangerhöhung. In deren Folge erlangte Wilhelm IX. die seit geraumer Zeit erstrebte Kurwürde und regierte nun als Kurfürst Wilhelm I. ein Land von ca. 920 qkm und etwa einer halben Million Einwohner.24 Die Kurwürde allerdings wurde schon bald mit Abdankung Kaiser Franz II. im Jahre 1806 zum sinnentleerten Titel. Wilhelm I. behielt sich während seiner absolutistischen Herrschaftszeit weiterhin einen maßgeblichen Einfluss auf die Rechtspflege und insbesondere auf die peinliche Gerichtsbarkeit vor. Eine Trennung von Verwaltung und Justiz gab es auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht. Zentrale Verwaltungsbehörde war weiterhin der seit Beginn des 17. Jahrhunderts gebildete Geheime Rat. Dieses aus Geheimen und Kriegsräten gebildete Gremium hatte insbesondere in Kriegszeiten Stellvertreterfunktion für den Landgrafen. Der Geheime Rat war zudem Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Staatsministeriums und einer sich immer weiter auffächernden modernen Staatsverwaltung25. Schon früh kamen dem Geheimen Rat auch Justizaufgaben zu. Seit 1730 gehörten neben den Gnadensachen auch bestimmte Justiz- und Kriminalsachen zu seinem Geschäftskreis26. Als zentrale Lenkungsbehörde hatte der Geheime Rat aber auch die beiden Regierungen in Kassel und Marburg mit der Zeit auf eine nachrangige Position als Provinzialbehörden zurückgedrängt27. Diese waren aus dem früheren etwa seit dem 14. Jahrhundert gebildeten Rätegremium der hessischen Landgrafen hervorgegangen. Die Regierungen waren mit Verwaltungsgeschäften betraut, hatten aber auch wie das frühere Gremium „Statthalter, Kanzler und Räte“ die Stellung als Gericht eingenommen. In ihnen waren weltliche, beamtete Rechtsgelehrte tätig. In der peinlichen Gerichtsbarkeit waren die ungelehrten Richter und Schöffen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts gänzlich aus einer effektiven Beteiligung an der Urteilsfindung verdrängt worden. Die eigentliche Rechtsfindung erfolgte durch die gelehrten Räte der Regierung, so dass nachfolgend das von den beamteten Räten vorgefertigte Urteil vom Schöffengericht nur noch in feierlicher Form zu verkünden war. 24 25 26 27

Demandt, S. 544. Vgl. Borkowsky, S. 42; Demandt, S. 264; vgl. auch Hartung, S. 107 ff. Borkowsky, S. 41 f. Borkowsky, S. 15.

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A. Voraussetzungen

Mit der peinlichen Gerichtsordnung vom 23. April 1748 waren zunächst drei ständige Gerichte für Strafsachen in Kassel, Marburg und Rinteln errichtet worden; Fulda, Hanau und Schmalkalden kamen später hinzu. Besetzt waren diese Strafgerichte nur mit rechtskundigen Richtern und Beisitzern28. Dies bedeutete jedenfalls in der Strafrechtspflege aber noch nicht den Beginn einer unabhängigen Justiz auf diesem Gebiete. Die neu gebildeten Strafgerichte hatten weiterhin die Pflicht, die Fälle der Regierung zur Entscheidung vorzulegen. Im Übrigen bestimmte die peinliche Gerichtsordnung von 1748, dass keine Strafakte mehr ohne ausdrücklichen Befehl an eine auswärtige Juristenfakultät verschickt, sondern die Urteile von der Regierung selbst abgefasst werden sollten29. Des Weiteren wurden die Regierungen ihrerseits angewiesen, in schwerwiegenden Fällen (schwere Leibesoder Todesstrafe) nicht selbst zu entscheiden. Sie sollten vielmehr die Sache zur Begutachtung an den Geheimen Rat weiterleiten. Von diesem oder vom Landesherrn selbst (so im Falle der Todesstrafe) wurde dann die letzte Entscheidung gefällt30. Schließlich konnte in den übrigen Fällen ein Urteil in der Praxis auch härter ausfallen, als dies ursprünglich noch von der Regierung selbst beantragt worden war31. Bereits im Jahre 1775 war im Übrigen das noch in der Prozessordnung aus dem Jahre 1748 geregelte peinliche Anklageverfahren zu Gunsten des nun allein verbleibenden reinen Inquisitionsverfahrens abgeschafft worden32. Damit hatten die Strafgerichte nun auch die Aufgabe der vormaligen Anklagebehörde übernommen und führten nach entsprechender Entscheidung durch die Regierung selbst die Spezialinquisition durch, wobei die Generalinquisition weiterhin in die Zuständigkeit der Untergerichte fiel33. Auch die Einrichtung der Strafgerichte änderte also nichts daran, dass die Entscheidungen maßgebend von einer abhängigen Behörde getroffen wurden oder gar vom Landesherrn in eigener Person. Die Tätigkeit der Regierung als Organ der kurhessischen Strafrechtspflege blieb bis zum Organisationsedikt von 1821 erhalten. Die Aufklärung hatte aber bereits im Laufe des 18. Jahrhunderts am Ende dann in Überwindung einer absolutistischen Herrschaftsauffassung Reformbedarf auch im Strafverfahrensrecht deutlich gemacht. Insbesondere eine Humanisierung des Strafrechts stand zunächst im Vordergrund. Nach28

Siehe hierzu Amrhein, S. 75 f. Peinliche Gerichtsordnung vom 23. April 1748 Titel X § 2, Neue Sammlung, 2. Band, S. 465. 30 Ebd., S. 466 (§ 3); zum Verfahrensablauf siehe Amrhein, S. 75 ff. 31 Borkowsky, S. 29 f. 32 Verordnung vom 28. Februar 1775, Neue Sammlung, 3. Band, S. 440. 33 Hierzu Amrhein, S. 84 f. 29

II. Allgemeine Ausgangssituation im kurhessischen Gebiet

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dem Friedrich der Große die Folter bereits im Jahre 1740 abgeschafft hatte, erfolgte für die Landgrafschaft Hessen-Kassel deren erste Beschränkung nach einem Regierungsreskript vom 29. November 178534, bevor dann ausweislich eines ebensolchen vom 23. März 178635 die Folter gänzlich unterbleiben sollte. Mit Geheimratsbeschluss vom 4. Mai 1804 erfolgte schließlich noch die Ermahnung, dass keine körperliche Züchtigung des Inquisiten zur Erlangung eines Geständnisses mehr stattfinden durfte36. Neben einer Humanisierung der Strafrechtspflege stand später dann die Zurückdrängung landesherrlicher Einflussnahme auf den Prozessverlauf und insbesondere auch auf die Entscheidungsfindung im Mittelpunkt der Reformbestrebungen. Für Kurhessen ist jedoch um die Jahrhundertwende nur eine gewisse Kompetenzerweiterung zu Gunsten der Regierung insoweit zu verzeichnen, als diese nach einer Resolution im Jahre 1805 nun ermächtigt wurde, Zuchthausstrafen bis zu drei Monaten ohne vorangehende Berichterstattung zu verhängen37. Trotz der genannten Konzessionen und weiterer innenpolitischer Verbesserungen hielt Kurfürst Wilhelm I. auch nach einer zunehmenden Politisierung der Öffentlichkeit und der Verbreitung der Gedanken der Aufklärung gerade in den Kreisen des gebildeten Bürgertums und der Beamten streng an seiner spätabsolutistischen Herrschaftsauffassung fest. Die politischen Forderungen der Aufklärung, die Gedanken und Ergebnisse der Französischen Revolution lehnte er ab38. Die Beschäftigung mit der Philosophie Kants hatte er der Universität Marburg präventiv verboten39. So blieben auch in Kurhessen die Untertanen nach der Jahrhundertwende zunächst von der Mitwirkung in der Strafrechtspflege ausgeschlossen. Diese war weiterhin bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts von einer absolutistischen Herrschaftsauffassung geprägt. Selbst eine formale Unabhängigkeit der Strafrichter existierte noch nicht. Dabei gab es seit der Mitte des 18. Jahrhunderts insbesondere in der Zivilrechtspflege im Zusammenhang mit der 34

Neue Sammlung, 4. Band, S. 2.; siehe hierzu Amrhein, S. 85 f. Neue Sammlung, 4. Band, S. 16 f., „herkömmliche Befugnisse“ der Patrimonialgerichtsbarkeit sollten allerdings unberührt bleiben. In Hessen-Darmstadt kam es bereits mit einer Verordnung vom 20. August 1771 zur Aufhebung der entsprechenden Bestimmungen der Carolina betreffend die Durchführung der Folter; vgl. Amrhein, S. 20 f. 36 Neue Sammlung, 4. Band, S. 438 f. 37 Borkowsky, S. 30 und 78. 38 Demandt, S. 287. 39 Dazu Hermelink/Kaehler, S. 429; vgl. auch Sieg, S. 16 f., mit dem Hinweis auf die Popularität der kantischen Philosophie gerade bei der akademischen Jugend auch wegen der politischen Gedanken in Bezug auf ein Repräsentativsystem der Verfassung. 35

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A. Voraussetzungen

Errichtung des Oberappellationsgerichts in Kassel deutliche Tendenzen zur Herbeiführung einer jedenfalls formalen Unabhängigkeit der Richterschaft40 und zum Ende des Jahrhunderts auch Ansätze zu einer Trennung von Verwaltung und Justiz41. Doch gerade in der peinlichen Gerichtsbarkeit widersprach es dem Selbstverständnis eines absolutistischen Landesfürsten, die letzte Entscheidungsbefugnis aus den Händen zu geben42. Allerdings ist an dieser Stelle bereits auf die bedeutende Unterbrechung dieser Zustände durch die westphälische Zeit (1806–1813) hinzuweisen. Für kurze Zeit galt auch in großen Teilen Hessens das französische Recht mit seinem öffentlichen und mündlichen Verfahren und den umgehend eingerichteten Geschworenengerichten in Strafsachen. Mit dem jähen Ende des Königreichs Westphalen und der Rückkehr des Kurfürsten sollten jedoch unter Beseitigung aller westphälischen Reformen die alten Rechtszustände alsbald wieder eintreten. Es stellt sich auch hinsichtlich der Entwicklung in Kurhessen die Frage, ob und gegebenenfalls auf welche Weise die mit dem französischen Geschworenengericht ganz praktisch gemachten Erfahrungen in die kommende, weitgehend theoretisch geführte Auseinandersetzung um die Reformierung des deutschen Strafprozesses einfließen konnten.

III. Die theoretische Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte Die Einrichtung von Geschworenengerichten bildete ein bedeutendes aber auch eigenständiges Element der liberalen Reformbestrebungen zur Herstellung einer unabhängigen Strafjustiz in einem konstitutionellen Rechtsstaat. Dabei wurde seinerzeit durchaus gesehen, dass die im Kern politisch motivierte Forderung nach einer Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege getrennt werden konnte von der vornehmlich seitens der Rechtswissenschaft auch unabhängig von der Errichtung von Geschworenengerichten geforderten Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit des Strafverfahrens43. 40

Siehe Edikt Friedrich I. vom 26. November 1743, Neue Sammlung, 2. Band, S. 235; dazu Bettenhäuser, Gerichtswesen, S. 58. 41 Dazu Borkowsky, S. 22, 59. 42 Vgl. Schmidt, S. 194 f.; Charakteristisch hierfür die Ausführungen Friedrichs des Großen in seinem politischen Testament von 1752 zur Rechtspflege: „. . . Ich habe mich entschlossen, in den Gang des gerichtlichen Verfahrens niemals einzugreifen. Vor Gericht sprechen die Gesetze, der Herrscher muß schwiegen . . .“; gleichwohl blieb er weiterhin unter Inanspruchnahme seines uneingeschränkten Bestätigungsrechtes oberster Richter in Strafsachen, siehe Schmidt, S. 247 f.; Borkowsky, S. 51 ff. 43 Vgl. Schmidt, S. 327; Landau, S. 255.

III. Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte

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Den „Kampf um die Schwurgerichte“ in Deutschland hat Schwinge in seiner gleichnamigen Untersuchung eingehend dargestellt. Auf die dortigen Ausführungen zu den grundsätzlichen politischen und rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen im Streit um die Laienbeteiligung im Strafverfahren sei an dieser Stelle verwiesen. Von besonderer Bedeutung auch für die vorliegende Untersuchung ist das Resümee in der Schlussbetrachtung von Schwinge: Die französische Ausgestaltung des Schwurgerichts erfuhr in der rechtswissenschaftlichen Literatur erhebliche Kritik. Selbstständige Gestaltungsentwürfe oder eine Ausgestaltung nach englischem Vorbild lagen im entscheidenden Zeitpunkt des Jahres 1848 nicht vor. „Um die in allen Teilen Deutschlands ungestüm auftretende Forderung des Volkes auf Teilnahme an der Strafrechtspflege rasch zu erfüllen, griff man nach dem Nächstliegenden und Bequemsten, dem französischen Schwurgerichtstypus . . . Jetzt rächte es sich, daß das Streitthema stets nur prinzipieller Natur gewesen – ob überhaupt Laienbeteiligung in der Strafrechtspflege (in der Form des Schwurgerichts) oder nicht – und die Entscheidung auf der Lübecker Germanistenversammlung im Jahre 1847 zu spät gefallen war“44.

Auch in Frankreich war die Forderung nach Einführung von Geschworenengerichten zunächst im Wesentlichen politisch geprägt45. Die Erkenntnisse und Lehren Montesquieus leisteten hier bedeutende Vorarbeit. Dieser hatte in England auch das Wirken der dortigen Geschworenengerichte betrachten können. In seinem berühmten Werk Esprit de lois von 1748 stellte Montesquieu die Laienbeteiligung in einen unmittelbaren Zusammenhang mit der anzustrebenden Trennung der Gewalten zur Gewährleistung der politischen Freiheit der Bürger. Diese Freiheit gebe es nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden werde. „Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“46

Montesquieu forderte, dass die richterliche Befugnis nicht einem unabsetzbaren Senat verliehen werden dürfe. Sie sei vielmehr von Personen auszuüben, die nach einer vom Gesetz vorgeschriebenen Weise zu gewissen Zeiten im Jahr aus dem Volkskörper ausgesucht werden müssten. Dabei sei es bei schweren Anklagen auch nötig, dass der Verbrecher die Richter selbst wählen könne. Zumindest müsse er eine so große Anzahl zurückweisen können, dass die restlichen als Männer seiner Wahl angesehen werden 44 45 46

Schwinge, S. 157. Cramer, S. 9. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 217.

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können. Damit war in Frankreich die Diskussion eröffnet. Die nun folgende intensive Auseinandersetzung nahm vieles vorweg, was in Deutschland erst ein halbes Jahrhundert später auf politischem und rechtswissenschaftlichem Gebiet erörtert werden sollte. Eine gesetzliche Regelung über die Geschworenengerichte in Frankreich fand im Jahre 1791 die Zustimmung der verfassungsgebenden Versammlung. Es kam mit Gesetz vom 16.–29. September 1791 zur Einführung von Geschworenengerichten mit Anklage- und Urteilsjury. Doch schon kurze Zeit später erfolgten politisch motiviert die ersten Beschränkungen hinsichtlich ihrer Zuständigkeiten. Napoleon veranlasste, dass insbesondere die Aburteilung bestimmter Delikte gegen die öffentliche Sicherheit auf Sondergerichte übertragen wurde. Zugleich zeigte sich insbesondere in den Augen der Richterschaft, dass viele der Geschworenen mangels Bildung oder Interesse ihrem Amt und ihrer Aufgabe nicht gewachsen schienen47. In der Folge blieben die Geschworenengerichte in der Kritik und standen gar zur Disposition48. Der Ende 1808 verabschiedete und erst am 1. Januar 1811 in Kraft getretene Code d’instruction criminelle behielt die Schwurgerichtsbarkeit bei, brachte jedoch wesentliche Veränderungen. Die Anklagejury wurde abgeschafft. Weitere Änderungen betrafen die Bildung der Geschworenenbank und das Hauptverfahren und hier insbesondere die Entscheidungsfindung durch die Geschworenen49. Das französische Geschworenengericht auch in dieser näheren gesetzlichen Ausgestaltung nach dem Code d’instruction criminelle war und blieb das Vorbild und Anschauungsobjekt für die Auseinandersetzung in Deutschland und somit auch in Kurhessen. Neben politischen und staatsphilosophischen Erwägungen bei der Einführung einer Laienbeteiligung im Strafverfahren gab es freilich bedeutende rechtswissenschaftliche Diskussionen im Zusammenhang mit der Einführung der Schwurgerichtsbarkeit. Die ganz wesentlichen Streitpunkte betreffen folgende Problembereiche: – Trennung von Tat- und Rechtsfrage, – die freie Beweiswürdigung und der Einfluss des Vorsitzenden, – „omnipotence“ oder Allmacht der Jury und – die Zusammensetzung der Jury. Die genannten Streitfragen und die hierzu seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführten Diskussionen werden für das französische Schwurgericht von Cramer in ihrer gleichnamigen Abhandlung ausführlich 47 48 49

Siehe Cramer, S. 50 ff. Vgl. Schmidt, S. 326. Hierzu Cramer, S. 62 ff.

III. Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte

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dargestellt50. Die selben Streitfragen tauchen in der rechtswissenschaftlichen Diskussion in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder auf und werden teilweise auch in den Verhandlungen der deutschen Landtage wiederholt erörtert. Hierauf ist im Zusammenhang mit der Darstellung der Diskussionen im kurhessischen Landtag zurück zu kommen. Die gesetzliche Ausgestaltung der späteren kurhessischen Geschworenengerichte greift auf das französische Modell zurück. Die Einzelaspekte und Ergebnisse der rechtswissenschaftlichen Diskussion finden hier Eingang und Berücksichtigung. 1. Trennung von Tat- und Rechtsfrage Eines der umstrittensten Probleme bei Einführung der Laienbeteiligung im Strafverfahren war die Trennung der Tatfage von der Rechtsfrage. War diese der Sache nach überhaupt möglich und wer war gegebenenfalls am besten geeignet, über die Tatfrage zu entscheiden? Anders als die englische Jury, die schlicht über die Frage „schuldig oder nicht schuldig“ zu entscheiden hatte, ging man in Frankreich zunächst von der Notwendigkeit aus, die Tatfrage strikt von der Rechtsfrage zu trennen. Die Anwendung des Rechts sowie die Feststellung der Rechtsfolgen sei allein Aufgabe der gelehrten Richter. Die Erfüllung dieser Aufgabe setze aber voraus, dass zuvor ein bestimmter in der Anklage vorausgesetzter Sachverhalt festgestellt werde. Die juristische Urteilsfindung ergebe sich aus einem Syllogismus, nach welchem die Tatsachen den Obersatz, das Gesetz den Untersatz bilden und das Urteil schließlich die Schlussfolgerung darstelle51. Die Ausgangsthese, wonach sich die Tat- von der Rechtsfrage trennen lasse, wurde von Anfang an heftig bestritten. In Deutschland hatte Feuerbach in seinem grundlegenden Werk „Betrachtungen über das Geschwornen-Gericht“ aus dem Jahre 1812 anknüpfend an die Diskussionen in Frankreich und die dort bereits gemachten praktischen Erfahrungen mit den Geschworenengerichten grundlegende Bedenken gegen diese Annahme einer möglichen Trennung ausgeführt52. Bereits die Gerichtspraxis in Frankreich hatte gelehrt, dass der Tatbestand einer Strafrechtsnorm sich nicht so weit aufsplittern ließ, dass allein über atomisierte Fakten ohne die weitere Notwendigkeit einer rechtlichen Wertung durch die Jury zuverlässig zu ent50 Siehe dort insbesondere im 2. Teil zu den Grundproblemen des Geschworenengerichts, S. 85 ff. 51 Zu den Diskussionen in Frankreich in der verfassungsgebenden Versammlung siehe Cramer, S. 19 f. 52 Feuerbach, Betrachtungen, S. 201 ff.

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A. Voraussetzungen

scheiden gewesen wäre53. Fragen etwa nach dem Vorsatz, einer Schädigungsabsicht, eines qualifizierenden Tatbestandsmerkmals, oder etwa einer Teilnahmeform an einem fremden Delikt setzten bei der Entscheidung notwendig juristische Wertungen voraus54. Schließlich setzte sich allgemein die Erkenntnis durch, dass die Jury bei der Beantwortung der Tatfrage auch rechtliche Erwägungen und Wertungen anzustellen hatte55. Der Code d’instruction criminelle von 1808 als Vorbild für die rechtliche Ausgestaltung auch der kurhessischen Geschworenengerichte griff die in der Zeit seit Einführung der Jury in Frankreich gemachten Erfahrungen auf und näherte die Fragestellung dem englischen Modell wieder an. Art. 337 des Code d’instruction criminelle bestimmte: „Die aus dem Anklageakte hervorgehende Frage wird mit folgenden Worten gestellt: ‚Ist der Angeklagte schuldig, diesen oder jenen Mord, diesen oder jenen Diebstahl, dieses oder jenes andere Verbrechen mit allen Umständen begangen zu haben, welche in den die Sache kurz zusammenfassenden Schlußworten des Anklageaktes enthalten sind?“

Gegebenenfalls folgten ergänzende Fragen nach erschwerenden Umständen, Entschuldigungsgründen oder bei Angeklagten unter sechzehn Jahren nach deren Unterscheidungsvermögen. Damit sollte die Jury durchaus selbst entscheiden, ob etwa eine Handlung sich als Mord, Diebstahl oder ein anderes angeklagtes Verbrechen darstellte. Gleichwohl blieb die herrschende Auffassung in Frankreich dabei, dass die Geschworenen auch unter Geltung dieser gesetzlichen Regelung dem Grunde nach allein über Tatsachen zu befinden hätten56. Diese Problematik wurde ausgehend von den Ausführungen Feuerbachs auch in Deutschland ausgiebig erörtert. Wesentliche neue Erkenntnisse wurden nicht erzielt, so dass auch bei Einführung der Geschworenengerichte in Deutschland hinsichtlich der zu treffenden gesetzlichen Regelungen auf keine neuen befriedigenden Ergebnisse der Lehre zurückgegriffen werden konnte. Die kurhessische Regelung über die an die Jury zu richtenden Fragen sah ausdrücklich vor, dass diese auf Tatsachen gerichtet sein mussten. Allerdings sollten die Geschworenen auch im Besonderen darüber befinden, ob eine Äußerung oder Handlung als Beleidigung im Sinne der Anklage zu werten sei, was auf die Beantwortung einer Rechtsfrage hinauslief57. 53

Zu dieser Problematik in der westphälischen Zeit unter B. II. 3. Vgl. nur die Beispiele bei Feuerbach, Betrachtungen, S. 216 ff. 55 Zu den Diskussionen über die Trennung der Tat- von der Rechtsfrage siehe im Übrigen Schwinge, S. 166 ff.; Cramer, S. 85 ff. 56 Dazu ausführlich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung in Frankreich Cramer, S. 100 ff. 57 Siehe zu dieser Problematik den Prozess gegen Friedrich Oetker, der im Anhang Nr. 1 dokumentiert ist. 54

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Als Folge der für notwendig erachteten Trennung der Tat- von der Rechtsfrage ergab sich die hieran anschließende Diskussion darüber, ob zur Beantwortung der Tatfrage eher der juristische Laie oder der gelehrte Richter befähigt sei. Der abgestumpften und kalten Sichtweise des gelehrten Richters wurde mangelnde Urteilsfähigkeit sowie fehlende Bildung und Schulung bei den Geschworenen gegenübergestellt. Darüber hinaus sei der Laie den Verwirrungen und Redekünsten der Verteidiger ausgesetzt. Letztlich entscheidend war auch an dieser Stelle die Tatsache, dass dem beamteten Berufsrichter grundsätzlich misstraut und ihm eine unweigerliche Nähe und Anhänglichkeit an die Obrigkeit unterstellt wurde. Allein aus diesem Grunde war diese Frage unter den Befürwortern der Geschworenengerichte auch politisch sowohl in Frankreich als auch später in Deutschland sehr schnell entschieden. Über die Tatfrage sollten allein die Geschworenen entscheiden58. 2. Die freie Beweiswürdigung und der Einfluss des Vorsitzenden Die Forderung nach der Mitwirkung einer Jury im Strafverfahren hatte eine bedeutende Ursache in dem Zusammenbruch des alten Beweissystems nach Beseitigung der Tortur. Auch in Kurhessen wurde die Folter zum Ende des 18. Jahrhunderts gänzlich beseitigt, was die Strafgerichtsbarkeit nachfolgend vor besondere Probleme stellen sollte. Nach den überkommenen Beweisregeln der Carolina bedurfte es zur Erbringung des Vollbeweises des Geständnisses durch den Angeklagten, was gegebenenfalls durch die Tortur zu erlangen war, oder aber durch zwei unverwerfliche, tüchtige Zeugen59. Die Carolina wollte durch diese strikten Beweisregeln eine Verurteilung des Angeklagten durch die rechtsunkundigen und ungeübten Urteiler allein bei bloßen Verdachtsgründen verhindern. Der gelehrte Richter, formal auch nach Verdrängung der Laienrichter aus dem Strafverfahren noch an die alten Beweisregeln gebunden, kam nun in Bedrängnis, wenn ein gegebenenfalls erzwungenes Geständnis vom Angeklagten nicht zu erlangen war und auch nicht mindestens zwei Zeugen für die Tat vorhanden waren. Durfte der Richter nun allein oder unter wesentlicher Berücksichtigung von Indizien60 eine Verurteilung aussprechen und sollte auch der gelehrte Richter einer normierten Beweisregel unterworfen werden?61 58 Dabei wurde diese Forderung auch von der Rechtsphilosophie dieser Zeit nachdrücklich unterstützt; vgl. dazu Schwinge, S. 102 ff.; Landau, S. 251 ff. 59 So auch die Peinliche Gerichtsordnung vom 23. April 1748 Titel VIII § 2, Neue Sammlung, 2. Band, S. 460. 60 Im wesentlichen gleichbedeutend ist auch der Begriff „Anzeigen“, bzw. der künstliche, mittelbare oder indirekte Beweis. 61 Zur Entwicklung dieser Rechtsfrage in Kurhessen in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts siehe unter C. I. 3.

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In Frankreich war man zunächst zu der Überzeugung gelangt, dass es mit einer Entscheidung der Tatfrage durch eine Laienjury nicht vereinbar sei, diese an gesetzliche Beweisregeln zu binden. Dieses hätte wiederum besondere Rechtskenntnisse hinsichtlich dieser Normen vorausgesetzt. Daher entschied man sich für den Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch die Jury. Auch wenn die herrschende Auffassung im Anschluss an Beccaria62 die innere Entscheidungsfindung und so die individuelle „intime conviction“ als einen rein gefühlsmäßigen und irrationalen Vorgang unterstellte, so geht die gesetzliche Regelung des Art. 342 Code d’instruction criminelle doch von einer verstandesmäßigen Beurteilung des Ergebnisses der Beweisaufnahme aus, wenn dort den Geschworenen aufgegeben wird, „sich selbst zu fragen, und in dem Innersten ihres Gewissens zu forschen, welchen Eindruck auf ihre Urtheilskraft die wider den Angeklagten vorgebrachten Beweise und die Gründe seiner Vertheidigung gemacht haben“. Rechenschaft über die Entscheidungsfindung wurde ihnen aber nicht abverlangt63. In Deutschland wurde eine freie Beweiswürdigung bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts ganz überwiegend abgelehnt. Eine Ausnahme bildete das Gutachten der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommision vom 19. Mai 1818, welches sich für die Beibehaltung der Geschworenengerichte in den linksrheinischen Gebieten Preußens aussprach64. Die Entbindung des beamteten Richters von gesetzlichen Beweisregeln konnte man sich vor dem Hintergrund des weiter allseits bestehenden Misstrauens nicht vorstellen. Eine Entscheidung über die Tatfrage ohne jede Beweisregel setzte notwendig die Mitwirkung einer Jury voraus. Daher galt die übereinstimmende Überzeugung: entweder gelehrte Berufsrichter mit Beweisregeln oder Jury mit freier Beweiswürdigung65. Selbst die Gegner der Geschworenengerichte erkannten die Unzulänglichkeiten der alten strengen Beweisregeln. Auch erkannte man, dass der Indizienbeweis einer überzeugenden rechtlichen Regelung nicht zugänglich war. So blieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts insbesondere die sogenannte negative Beweistheorie66 in der Lehre zunächst vorherrschend. Danach wurden an die Zulässigkeit verschiedener Beweismittel und deren notweniger Beschaffenheit gesetzliche Anforderungen gestellt, die bei der Urteilsfällung zu beachten waren. Letztlich sollte der Richter den Angeklagten aber nur verurteilen, wenn er zusätzlich von der Schuld des Angeklagten überzeugt war67. Auch in der strafgerichtlichen 62

Siehe Abschnitt XIV Beccarias Abhandlung „Über Verbrechen und Strafen“. Zur Diskussion in Frankreich Cramer, S. 173 ff. 64 Siehe dazu C. I. 2. b). 65 Zu den Streitpunkten zusammenfassend Schwinge, S. 74 ff.; zu den Beweisinstruktionen für die Jury in Livingstons „Code of Evidence“ siehe Landau, S. 245 ff. 66 Siehe Feuerbach, Betrachtungen, S. 132 ff. 63

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Praxis entwickelten sich Grundsätze, nach denen beim Vorliegen nur unvollkommener Beweise oder Indizien eine Verurteilung des Angeklagten ausgesprochen werden durfte. Die Möglichkeit einer Verurteilung durch den beamteten Richter allein auf der Grundlage von Indizien blieb aber weiterhin erheblich umstritten und wirkte gerade angesichts spektakulärer Indizienprozesse68 mit politischem Hintergrund befördernd für die Einführung von Geschworenengerichten. Die theoretischen Auseinandersetzungen um das Thema der Beweisregeln und die offensichtliche Unmöglichkeit einer befriedigenden gesetzlichen Regelung insbesondere des Indizienbeweises sprachen letztlich für die Entscheidung der Tatfrage durch eine Laienjury. Schließlich bestand auch Übereinstimmung darin, dass die Jury ihre Entscheidung nicht zu begründen hatte. Man folgerte dies zunächst aus der Annahme, dass das einzelne Jurymitglied nicht verstandesgemäß, sondern allein nach seinem Totaleindruck entscheide. Dieser rein subjektive Vorgang könne nicht – dargelegt in Entscheidungsgründen – im Kettenschluss auseinandergesetzt werden69. Später setzte sich die Ansicht durch, dass auch der Geschworene durch Verstandesleistung zu seiner Entscheidung komme, es sei der Jury mangels ausreichender Bildung aber nicht gegeben, ihre Entscheidungsfindung im Einzelnen ausreichend schriftlich niederzulegen70. Eine Sicherung vor richterlicher Willkür allein durch ein öffentliches, mündliches Verfahren, mit dem Erfordernis von Entscheidungsgründen im Urteil mit der Möglichkeit von Rechtsmitteln aber ohne Beweisregeln und ohne Mitwirkung einer Jury schien noch nicht denkbar71. Im Zusammenhang mit einer freien Beweiswürdigung durch die Jury stand auch die mögliche Einflussnahme des Vorsitzenden auf die Entscheidungsfindung zur Diskussion. Der gelehrte vorsitzende Richter hatte nach dem französischen Modell des Geschworenengerichts zunächst maßgeblichen Einfluss auf den Ablauf der Verhandlung und der Beweisaufnahme. Ihm oblag nicht nur die eigentliche Zeugenvernehmung. Er durfte auch vom Angeklagten selbst alle Aufklärung verlangen, die er zur Entdeckung 67 Vgl. zu den Regelungsversuchen in Bezug auf eine gesetzliche Beweistheorie Mittermaier, S. 82 ff. 68 Zum Strafprozess gegen Sylvester Jordan siehe C. IV. 1. 69 Zur Theorie des „Totaleindruckes“ Schwinge, S. 86 ff. 70 Im Rahmen der Erörterung auf der Lübecker Germanistenversammlung kehrte auch Mittermaier wieder zur Lehre vom „Totaleindruck“ zurück; vgl. Landau, S. 264; Schwinge, S. 89. 71 So aber von Savigny, GA, 6. Band, S. 469, 479; vgl. auch Mittermaier, S. 118 ff., mit Blick auf die Gesetzgebung in Frankreich, Holland und Italien, wo man angestellten Richtern ein Urteilen nach innerer Überzeugung gleich Geschworenen zubilligte.

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der Wahrheit für erforderlich erachtete72. Nach der Beweisaufnahme hatte dann der Vorsitzende die Ergebnisse in einem Resumé zusammenzufassen und auf die notwendigen rechtlichen Gesichtspunkte hinzuweisen. Die ungelehrten und ungeübten Geschworenen waren auf diese Unterweisung angewiesen. Feuerbach sah auch hierin einen Beleg für die Widersprüchlichkeiten einer Laiengerichtsbarkeit: „Die Geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit des Präsidenten, seine Humanität oder Härte, sind von dem entscheidenden Einflusse. Ein von ihm übersehener Umstand, das Licht oder der Schatten, worin dieser oder jener Punkt von ihm gestellt wird, gibt der Ansicht der Geschworenen eine bestimmte, vielleicht der ursprünglichen ganz entgegengesetzte Richtung und macht, daß diese am Ende nur ein fremdes Urtheil aussprechen, während sie ihr eigenes ausgesprochen zu haben glauben.“73

Schließlich war es auch die Aufgabe der gelehrten Richter, die an die Geschworenen zu richtenden Fragen zu formulieren. Auch hierbei konnte bei einer Aufsplitterung des abzufragenden Sachverhalts die Aufmerksamkeit der Jury in bedenklicher Weise auf einzelne Indizien hingelenkt werden, was dann auf einen scheinbar zwingenden Schuldspruch hinführen konnte74. 3. Das Problem der „Omnipotence“ oder Allmacht der Jury Die Entscheidung über die Tatfrage durch die Jury hatte auch eine problematische psychologische Komponente. Die Schwurgerichtspraxis in Frankreich hatte gezeigt, dass die Geschworenen bei ihrer Entscheidungsfindung durchaus auch die unweigerlichen Folgen ihrer Feststellungen im Blick hatten. So war es nicht selten, dass die Jury die Schuld des Angeklagten verneint und so eine Verurteilung verhindert hatte, wenn ihr die durch das Gericht nach dem Gesetz auszusprechende Strafe als zu hart und unangemessen erschien. Daran konnte schließlich auch nichts ändern, dass der Code d’instruction criminelle in seinem Art. 342 der Jury untersagt hatte, an die Verfügungen der Strafgesetze zu denken und die Folgen ihrer Entscheidung für den Angeklagten in Betracht zu ziehen. In der Rechtslehre sah man jedoch sehr wohl die „omnipotence“ beziehungsweise die sogenannte Allmacht der Jury, aus eigenem Recht zu entscheiden, ob eine be72

Art. 319 Code d’instruction criminelle. Feuerbach, Betrachtungen, S. 193. 74 Vgl. hierzu die bereits in der westphälischen Zeit mit dem Geschworenengericht gemachten Erfahrungen, unter B. II. 3. und B. III. a. E.; siehe auch Landau, S. 277 f. 73

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stimmte Handlung strafwürdig sei oder nicht75. In der Diskussion um die Geschworenengerichte in Deutschland hatte die Lehre der Allmacht der Jury ebenfalls gewichtige Anhänger. Mitursächlich war sicherlich, dass auch hier die alten Strafrechtsnormen in vieler Hinsicht als nicht mehr zeitgemäß und als zu hart empfunden wurden76. Wenn der Gesetzgeber hier untätig blieb, so sollten die Geschworenen nach eigener Gewissensentscheidung freisprechen dürfen, wo ihnen das Gesetz als unbillig erschien. Damit stellte man die Jury über das Gesetz. Die Gegner dieser Lehre befürchteten hierbei nicht zu rechtfertigende Willkürakte einer zufällig zusammengesetzten Gruppe von Männern, die keineswegs in dieser Gestalt zuverlässig dem Volkswillen unter Verdrängung des Gesetzgebers Geltung verschaffen könnten77. Für die politisch motivierten Anhänger der Geschworenengerichte hatte die Idee der Allmacht der Jury jedoch besonderen Reiz, konnte doch mit dieser Lehre nicht nur ein Korrektiv zum abhängigen Richter, sondern sogar zum harten oder untätigen Gesetzgeber geschaffen werden. 4. Die Zusammensetzung der Jury In Bezug auf die Zusammensetzung der Jury stellte sich die Frage, wer für das Amt des Geschworenen befähigt und nach welchem Verfahren die Geschworenenbank zu bilden sei. Die Festlegung des Personenkreises, aus welchem die einzelnen Geschworenen auszuwählen waren, blieb auch in Deutschland bis 1848 umstritten. Schließlich übernahm man auch in dieser Hinsicht in den deutschen Ländern überwiegend das französische Modell mit den Grundsätzen des Zensus und der Kapazitäten78. Entscheidend für die Geschworenenfähigkeit waren danach die Zahlung einer gewissen Mindeststeuer sowie das Vorhandensein eines gewissen Bildungsniveaus. War die Befähigung zum Geschworenenamt in Frankreich zunächst vornehmlich an das passive Wahlrecht geknüpft, so wurde diese Verbindung mit der Zeit gelockert. Das Amt des Geschworenen löste sich von seiner politischen Prägung. Praktische Bedürfnisse nach kompetenten und interessierten Laienrichtern traten in den Vordergrund79. Der Code d’instruction criminelle bezeichnete in seinem Art. 382 die allein geeigneten Personengruppen, darunter die Mitglieder der 75

Zur Diskussion in Frankreich siehe Cramer, S. 114 ff. Vgl. Feuerbach, Betrachtungen, S. 152 ff. 77 Vgl. Schwinge, S. 115 f. 78 So Preußen, Bayern, Hessen-Darmstadt, Baden, Hannover, Braunschweig und Oldenburg; vgl. Landau, S. 273. 79 Zur Entwicklung dieser Problematik in Frankreich ausführlich Cramer, S. 138 ff. 76

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A. Voraussetzungen

Wahlkollegien, die 300 Höchstbesteuerten des Departements, durch den Kaiser ernannte Verwaltungsbeamte, Gelehrte oder Kaufleute. Unvereinbar mit der Aufgabe eines Geschworenen war aber die Stellung etwa eines Ministers, Präfekten, Richters, oder auch des Religionsdieners80. Die kurhessische Regelung aus dem Jahre 1848 folgte diesem Ansatz einer Auswahl nach Zensus und Kapazitäten nicht. Hier wurde die Geschworenenfähigkeit nur an das Mindestalter von 30 Jahren und an das Staats- und Ortsbürgerrecht geknüpft unter der Bedingung, dass gewisse namentlich aufgeführte Ausschlussgründe nicht vorliegen. Ebenso umstritten war die eigentliche Bildung der Jury. In der Kritik stand von Beginn an der Umstand, dass ein Beamter unter dem möglichen bedrängenden Einfluss der Obrigkeit mit der Aufstellung der maßgeblichen Listen betraut sein sollte. Auch in dieser Hinsicht gab es zahlreiche Vorschläge, das Auswahlverfahren möglichst frei von jeder Einflussnahme durch die Regierung und unter Mitwirkung von frei gewählten Vertrauenspersonen zu gestalten. Konkrete Regelungsvorschläge aber, die im entscheidenden Moment bei Einführung der Geschworenengerichte in Deutschland hier eine Lösung hätten bieten können, fehlten. Auch in Kurhessen wurde es nach französischem Muster die Aufgabe von staatlichen Beamten, die maßgeblichen Ausgangslisten der Geschworenen aufzustellen. Die Entscheidungen des kurhessischen Gesetzgebers im Jahre 1848 hinsichtlich der Geschworenenfähigkeit und der Bildung der Jury werden im Rahmen der Darstellung des Gesetzes „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ vom 31. Oktober 1848 näher zu untersuchen sein. 5. Englische oder französische Jury? Die hier angesprochenen Problembereiche waren auch Anlass für die Kriminalwissenschaft, sich näher mit der rechtlichen Ausgestaltung der englischen Jury zu beschäftigen. Ausgangspunkt waren die Ausführungen Feuerbachs in seinem Buch von 1825 mit „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“. Seine Beurteilungen resultierten aus einer Studienreise in die Rheinlande, nach Brüssel und nach Paris im Jahre 182181. Seine Beurteilungen über die französische Jury im Vergleich zu der gewachsenen Ausgestaltung nach englischem Recht fiel für jene vernichtend aus. Auch wenn Feuerbach aus politischen Gründen die Geschworenengerichte befürwortete, so kritisierte er heftig die französische Ausgestaltung. 80 Siehe die näheren Regelungen der Art. 383 bis 386; Zur Regelung im Königreich Westphalen siehe unten B. II. 3. 81 Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, S. XIV.

III. Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte

31

Als besonderen Vorzug der englischen Jury kennzeichnete Feuerbach deren Zusammensetzung und die Art und Weise ihrer Bildung. So kämen in England als Geschworene nur Untertanen in Betracht, die nicht durch besondere Dienstpflichten und persönliche Vorteile von der vollstreckenden Staatsgewalt abhingen. In Frankreich hingegen könne „ein ganzes Geschwornengericht, von dem ersten bis zum letzten Mann, aus besoldeten Agenten der Regierung, oder aus Menschen zusammengesetzt sein, welche, um in den Sold zu kommen, zu allen Diensten gefällig sind.“82 Feuerbach sah daher im französischen System nur eine „Scheinjury“. Ebenso geißelte er die Art und Weise, wie die Jury nach französischem Modell gebildet wurde. Hier sei besonders nachteilig der entscheidende Einfluss der Regierungsbeamten bei Aufstellung der Listen, wobei letztlich das ganze Verfahren im Geheimen stattfindet, während nach dem englischen System vorbildlicher Weise die Auswahl der Jury von der Aufstellung der Urlisten bis hin zur endgültigen Bildung der zwölfköpfigen Jury öffentlich und transparent ablaufe. Entscheidende Funktionen übernähmen Honoratioren, die aufgrund ihrer eigentümlichen Stellung das Vertrauen im Volk besäßen83. Vorzugswürdig erschienen Feuerbach auch die Durchführung der Beweisaufnahme sowie die Grundprinzipien in Bezug auf einzelne Beweismittel nach den englischen Regeln. Einen ersten entscheidenden Filter sah Feuerbach in der Existenz der englischen Anklagejury84. Diese sogenannte Großjury entscheide vorab darüber, ob überhaupt die ihr vorgebrachten Beweise bzw. Beweismittel für so überzeugend erachtet werden können, dass ein Verfahren wider den Angeklagten vor der Urteilsjury stattfinden soll. Dieser besondere Schutz fehle im französischen System, wo es einem Ankläger gelingen könne, durch ein „Dunstgewebe aus Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten“85 den Angeklagten vor eine Urteilsjury stellen zu lassen. Dieser werde so der Gefahr ausgesetzt, dass zwölf Urteilsgeschworene, deren Mehrheit oft nicht zu der „gebildetsten, unterrichtetsten Menschenklasse“ gehöre, sich aus allerlei Nichtigkeiten etwas zusammenhorche, das sie für einen Beweis halten, der oft im Grunde mehr nicht ist, als ihr eignes Vorurteil. Ein solches Verfahren erscheine dem Engländer als etwas unvorsichtiges und als ein unverantwortlicher, mit Schuld und Unschuld spielender Frevel86. Überhaupt gelte in England der wesentliche Grundsatz, dass ein Angeklagter bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu betrachten ist87. 82 83 84 85 86

Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, S. 436. Ebd., S. 437 ff. Ebd., S. 431 ff. Ebd., S. 433. Ebd., S. 434.

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A. Voraussetzungen

Durch zuverlässige Beweismittel, die im Übrigen zuvor durch die Anklagejury auf ihre Eignung und Zuverlässigkeit hin überprüft worden sind, müsse der Angeklagte durch eine formell geregelte Beweisaufnahme zweifellos überführt werden. Hierzu diene eine entsprechend entwickelte Beweistheorie. In dieser Hinsicht verweist Feuerbach auf die entscheidende und notwendige Differenzierung des Ansatzpunktes einer solchen Beweistheorie. Erschien es möglich, durch ein ausdifferenziertes Normensystem die Art und Weise der Überzeugungsbildung insbesondere auch in den schwierigen Fällen des Indizienbeweises rational und auch für die Laienjury nachvollziehbar zu regeln? In Frankreich und so auch in Deutschland sah man dies überwiegend als unmöglich an. Bei der Überzeugungsbildung der Geschworenen handele es sich um einen inneren Vorgang, der als nicht normierbar erachtet wurde. Feuerbach sah dies ebenso, aber mit Blick auf das englische System bejahte er gerade die Notwendigkeit einer Beweistheorie, die besonders die Beschaffenheit und Bewertung zulässiger Beweismittel zum Gegenstand habe: „Eine Beweistheorie, die nicht bloß bestimmt, welche Beweismittel zuzulassen seien, sondern auch, wie viel ein jedes der zugelassenen unter diesen oder jenen Umständen gelten solle, so daß, sobald die in dem besonderen Fall gebrauchten Beweismittel mit der gesetzlichen Regel übereinstimmen, zugleich die Überzeugung und der Grad derselben, welchen die Urteiler auszusprechen haben, im voraus geboten ist: Eine Beweislehre in diesem Sinne ist allerdings, wie überhaupt gefährlich, so insbesondere mit einem Geschwornengericht unvereinbar.“88

Es bestehe aber unbedingt die Notwendigkeit, die Zulässigkeit der Beweismittel gesetzlich zu regeln. Über deren Einführung und Verwertung entscheide der die Verhandlung leitende gelehrte Richter. Solches sei im französischen Recht nicht zu finden. Als besonderes Sicherungsmittel betrachtete Feuerbach schließlich die nach englischem Recht erforderliche Einstimmigkeit im Spruch der Geschworenen, wogegen in Frankreich eine bloße Mehrheit der Stimmen genüge89. Im Rahmen einer Gesamtbewertung betrachtete Feuerbach vor diesem Hintergrund die französische Jury als einen „plumpen Betrug“90. Im Anschluss an Feuerbach hatte auch die nachfolgende Fachliteratur das eng87

Ebd., S. 457. Ebd., S. 461; vgl. dazu auch Landau, S. 245. 89 Dabei wies Feuerbach auch auf die offensichtlich häufig zu beobachtende und missbräuchliche Praxis der französischen Jury hin, bei Zweifelsfällen in Absprache eine Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen zu treffen, so dass gemäß der gesetzlichen Regelung des Artikel 351 Code d’instruction criminelle nun die fünf Berufsrichter mitzustimmen hatten und so letztlich der Schuldspruch von diesen abhing; Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, S. 479 f. 90 Ebd., S. 431. 88

III. Auseinandersetzung um die Einführung der Geschworenengerichte

33

lische Jurysystem dargestellt und ihr allgemein den Vorzug eingeräumt91. Gleichwohl gab es bis zum entscheidenden Moment der Einführung von Geschworenengerichten in Deutschland keine entsprechenden gesetzlichen Vorarbeiten, die die Umsetzung der erkannten Vorzüge der englischen Jury hätten gewährleisten können. Es sollte am Ende bei Detailkorrekturen bleiben. Als Grund für diese Entwicklung wird allgemein das auch politische Übergewicht der rheinländischen Juristen angesehen. Eine Übernahme des englischen Schwurgerichtssystems schien letztlich daran zu scheitern, dass die dortige Jury fest eingebettet war in einer sich seit langer Zeit entwickelten eigentümlichen englischen Verfassung, deren Übernahme auf den Kontinent nicht ohne Brüche denkbar war. Das in England bestehende und sich in Nordamerika herausbildende politische System waren bekannt. Geschworenengerichte waren dort tief im politischen System und im Volksbewusstsein verankert. De Tocqueville hatte im ersten Band seines im Jahre 1835 erschienenen Werks Über die Demokratie in Amerika die dort vorzufindenden Geschworenengerichte in ihrer politischen Bedeutung gleich der allgemeinen Wahl als äußerste Folge des Dogmas der Volkssouveränität besonders hervorgehoben92. Mit Blick auf die Situation in Frankreich meinte er zugleich: „Alle Herrscher, die ihre Macht aus sich selber ableiten und die Gesellschaft regieren wollten, statt sich von ihr regieren zu lassen, haben die Institution der Geschworenenbank abgeschafft oder ausgehöhlt. Die Tudors sperrten die Geschworenen, die nicht in ihrem Sinne urteilen wollten, ins Gefängnis; Napoleon ließ sie durch seine Handlanger auswählen.“93

Eine Übernahme der englischen Jury wurde nicht ernsthaft erwogen. Die hierzu für erforderlich gehaltene notwendige innere staatliche Verfasstheit und politische Einstellung der Bürger fehlten. Bereits kurz nach Einführung der Geschworenengerichte nach französischem Muster wurden verstärkt Stimmen laut, die eine alsbaldige Reform derselben unter Beachtung der vorteilhaften englischen Ausgestaltung der Jury forderten. Es bleibt festzuhalten, dass bis zum Jahre 1848 inhaltlich keine grundlegenden Vorarbeiten zur Korrektur der am französischen Modell erkannten Mängel erfolgt waren und daher auch unter dem herrschenden Zeitdruck der unvorhersehbaren Ereignisse des Jahres 1848 das französische, beziehungsweise rheinländische Modell der Jury übernommen werden musste.

91 92 93

Vgl. dazu Schwinge, S. 134 ff. De Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, S. 176. Ebd.

B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen: Erste Erfahrungen mit der Laiengerichtsbarkeit auf kurhessischem Gebiet Lange Zeit vor der Einführung von Geschworenengerichten in Kurhessen im Zuge der Revolution des Jahres 1848 wirkten solche bereits im ephemeren Königreich Westphalen. So kamen auch die Menschen der kurhessischen Gebiete bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Kontakt mit dieser neuen Institution. Es stellt sich die Frage, ob eine solche direkte Laienbeteiligung im Strafverfahren eine vergleichbar nachhaltige Wirkung entfalten konnte, wie dies in den linksrheinischen Gebieten der Fall gewesen ist.

I. Errichtung eines Modellstaates Napoleon siegte im Oktober 1806 in den Schlachten von Jena und Auerstedt. Preußen lag am Boden. Die auch bis hierhin seitens Wilhelm I. aus Berechnung und teilweise wankelmütig geübte Neutralität im Konflikt der Großmächte konnte nicht verhindern, dass Kurhessen Anfang November 1806 von den Franzosen besetzt wurde. Der Kurfürst flüchtete aus Kassel in das schleswigsche Gottorp, um sich dann später im Jahre 1808 ins Exil nach Prag zu begeben. Die Kurhessen blieben zunächst unter einem französischen Besatzungsregime zurück. Nach der Niederlage der Russen bei Friedland verständigten sich Frankreich, Russland und Preußen im Frieden von Tilsit (7.–9. Juli 1807) unter anderem auf die Errichtung des Königreiches Westphalen. Es sollte nach dem Willen Napoleons strategisch als nördlicher Pufferstaat nach Osten hin aber auch als Modellstaat wirken. In ihm sollten die Errungenschaften der Aufklärung und die Ergebnisse der Revolution wirken und die Überlegenheit einer modernen Verwaltung und Justiz unter Beweis gestellt werden94. Die im Wesentlichen von Pariser Juristen ausgearbeitete Verfassung für diesen neuen Modellstaat wurde am 15. November 1807 in Fontainebleau in Kraft gesetzt und gilt als das älteste geschriebene monarchisch-konstitu94 Nipperdey spricht in diesem Zusammenhang von einer „moralischen Eroberung“ mit dem Ziele einer Erhöhung der Anziehungskraft des Systems und seiner Stabilität im Interesse einer Festigung und Sicherung des Imperiums; Nipperdey S. 20; Franz/Murk, S. 19; Berding, S. 20; siehe auch Knöppel, S. 21.

I. Errichtung eines Modellstaates

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tionelle Grundgesetz mit repräsentativstaatlichen Institutionen in Deutschland95. Im Dezember des gleichen Jahres hält der neue König Einzug in seine neue Residenzstadt Kassel. Es ist König Jérôme Bonaparte, der jüngste Bruder des Kaisers. Sein neues dem Rheinbund zugehöriges Königreich mit nahezu zwei Millionen Einwohnern umfasste neben hannoverschen, braunschweigischen und linkselbisch preußischen Gebieten auch die Kernlande Kurhessens nebst Rinteln und Schaumburg aber mit Ausnahme von Katzenelnbogen und Hanau. Diesem ahistorisch konstruierten Gebilde96 wurde mit der neuen Verfassung nach französischem Vorbild eine Staatsorganisation, eine Verwaltungsstruktur und im Besonderen mit der Einführung der neuen napoleonischen Gesetzgebung eine Grundlage vorgegeben, die weit in die Zukunft weisen sollte. Neben der effektiv durchgeführten Modernisierung der Verwaltung unter Trennung von der Justiz war die verfassungsmäßig vorgeschriebene Einführung des Code Napoléon von großer Bedeutung. Unter seiner Geltung sollte die überkommene feudale Gesellschaftsstruktur beseitigt und eine prinzipielle Gleichheit vor dem Gesetz hergestellt werden. Die Patrimonialgerichtsbarkeit sowie privilegierte Gerichtsstände wurden beseitigt. Das Königreich wurde in insgesamt acht Departements, diese Departements in Distrikte, die Distrikte wiederum in Kantone und diese in Munizipalitäten eingeteilt. Die Gebiete Hessen-Kassels wurden dem Departement Fulda (Distrikte: Kassel, Höxter und Paderborn) mit dem Hauptort Kassel und dem Departement Werra (Distrikte: Marburg, Hersfeld und Eschwege) mit dem Hauptort Marburg zugeteilt97. Letzteres umfasste den größten Teil der hessischen Gebiete. So fanden sich die Menschen im ehemaligen Kurhessen einer völlig neuen, fremdartigen Lebenswirklichkeit und einem neuen Rechtsgefüge ausgesetzt98. Viele der Reformansätze und Verfassungsvorgaben blieben zwar unerfüllt oder in der Ausführung mangelhaft. Dennoch bot dieser neue Staat die grundsätzliche Möglichkeit, Neues in der Praxis kennen zu lernen und zu üben. Als einen Baustein des Lernens am 95

Dazu mit positiver Bewertung und gegen die vorangehend kritisch eingestellte Geschichtsschreibung Lengemann, Parlamente, S. 13; Seier, Handbuch, S. 22; Dekret vom 7. Dezember 1808 über die Bekanntmachung der Verfassung in Bulletin des lois 1808, 1. Teil, S. 1 ff.; Text der Verfassung wiedergegeben auch bei Franz/ Murk, S 21 ff. 96 Seier, Handbuch, S. 19. 97 Siehe dazu Knöppel, S. 28. 98 Kritisch hierzu auch Franz/Murk, S. 19: „Dem Retortenstaat wurde vielmehr ein fremdes, den politischen und sozioökonomischen Gegebenheiten weit vorauseilendes Ordnungsgefüge übergestülpt“; vgl. dazu auch Seier, Handbuch, S. 24 ff. mit weiteren Nachweisen.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

lebenden Objekt finden wir die Mitwirkung von juristischen Laien in der Strafrechtspflege.

II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege Die Verfassung vom 15. November 1807 bestimmte in ihrem 46. Artikel: „Das gerichtliche Verfahren soll öffentlich sein, und in peinlichen Fällen sollen Geschworenen-Gerichte statt haben. Die neue peinliche Jurisprudenz soll spätestens bis zum Julius 1808 eingeführt sein.“

Die Bestellung der Richter erfolgte durch den König. In seinem Namen sollten die Urteile der Gerichtshöfe und Tribunale ausgesprochen werden. Artikel 49 der Verfassung bestimmte die richterliche Unabhängigkeit99. In Ausführung dieser knappen aber tiefgreifenden Vorgaben sollte auch die Strafgerichtsbarkeit gänzlich neu geordnet werden. An erster Stelle stand zunächst die Einrichtung und Organisation der neuen Gerichte und ihre Besetzung. Erforderlich war sodann die Schaffung einer eigenen Verfahrensordnung für die peinliche Gerichtsbarkeit mit der Regelung des Ablaufs eines Schwurgerichtsprozesses. Der Inkraftsetzung eines eigenen Strafgesetzbuches dagegen mit einer einheitlichen Neuregelung des materiellen Strafrechts kam das jähe Ende des Königreichs Westphalen zuvor. In materiellrechtlicher Hinsicht sollten zunächst das alte partikulare Recht und insbesondere die Normen der Carolina weiterhin Geltung für sich beanspruchen. In den grundlegenden Fragen der Organisation und der Ausgestaltung der Strafrechtspflege aber war das nachrevolutionäre französische Recht Vorbild. Die vor allem von französischen Juristen ausgearbeitete Verfassung machte diesbezüglich eindeutige Vorgaben. Die zu den Verfassungsberatungen im August und September 1807 nach Paris und Fontainebleau eingeladenen Vertreter100 der alten Stände in den Gebieten des künftigen Königreiches Westphalen hatten Vorbehalte gegen die nun verfassungsmäßig zu verankernde Modernisierung des Strafverfahrens. Sie forderten letztendlich ohne Erfolg die Beibehaltung eines in deutscher Sprache zu führenden schriftlichen Verfahrens101. Zur qualifizierten und möglichst authentischen Umsetzung des französischen Rechts in dem neuen Modellstaat traf Napoleon schließlich auch per99 Allerdings sollten die Richter zunächst auf fünf Jahre „zur Probe“ ernannt werden, bevor über ihre endgültige Ernennung zu befinden war, Art. 50. 100 Für die Kurhessischen Stände wurde als deren Vertreter in der Ständedeputation der Professor für Staatsrecht an der Philipps-Universität Marburg Georg Friedrich Carl Robert (1765–1833) entsandt; Lengemann, Parlamente, S. 178. 101 Nur die Führung der Prozesse auf deutsch wurde als selbstverständlich bewilligt, Robert, S. 9, 62.

II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege

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sonelle Vorsorge. Mit Joseph-Jérôme Siméon102 als neuem Innen- und Justizminister103 wurde ein bedeutender und allseits geschätzter Jurist mit dieser anspruchsvollen Aufgabe betraut. 1. Einrichtung und Organisation der neuen Strafrechtspflege Kurz nach Bekanntgabe der Verfassung für das neue Königreich wurde durch Dekret vom 27. Januar 1808104 die Verfassung der Gerichtshöfe veröffentlicht. Dessen zweiter Titel105 handelt von den peinlichen Gerichtshöfen. In jedem Departement wurde an dessen Hauptort ein Peinlicher Gerichtshof (Kriminalgericht) errichtet. Dieser bestand aus einem Präsidenten und zwei Richtern sowie dem Generalprokurator. Vor dem Hintergrund, dass nach Artikel 46 der Verfassung bereits ab dem 1. Juli 1808 die Geschworenengerichte tätig sein sollten, wurde bestimmt, dass bis dahin Appellationen gegen Urteile des Kriminalgerichts noch an den für das ganze Reich vorgesehenen Appellationshof nach Kassel zu richten seien. Sobald bei den Kriminalgerichten aber die schwurgerichtlichen Verfahren stattfanden, waren Appellationen gegen solchermaßen ergangene Urteile nicht mehr zulässig106. Für das Werra-Departement wurde am Hauptort Marburg und für das Fulda-Departement am Hauptort Kassel jeweils ein Kriminalgerichtshof errichtet. Sodann wurden in jedem Distrikt Tribunale erster Instanz geschaffen mit dem Sitz am jeweiligen Hauptort107. Diese bestanden aus einem Präsidenten und jeweils fünf Richtern108 sowie einem königlichen Prokurator. Jeder der hier tätigen Richter sollte dabei jeweils für die Zeit von drei Monaten hindurch das Verfahren über die im Distrikt begangenen Verbrechen vorbereiten, Beweise sammeln und sie an den Generalprokurator bei dem Kriminalgericht des Departements einreichen, damit dieser die Sache gegebenenfalls 102 Siméon (1749–1842) war zunächst Professor in Aix und wurde 1804 von Napoleon in den Staatsrat berufen. Er war maßgeblich an den Beratungen über den Code civil und dem Projet du Code criminel beteiligt; ADB, 34. Band, S. 349 f.; siehe auch Berding, S. 22; Kleinschmidt, S. 11 und 149. 103 Innen- und Justizminister bis 31. Dezember 1808 und sodann 1. Januar 1809 bis 12. Oktober 1813 Justizminister. 104 Bulletin des lois 1808, 1. Teil, S. 283. 105 Ebd., S. 371 f. 106 Zweiter Titel, Art. 24. 107 Dritter Titel, Art. 26. 108 Im Herbst 1808 wurde für Magdeburg und Kassel die Zahl der Richter auf sechs bestimmt; Bulletin des lois 1808, 1. Teil, S. 373, Fn. 1.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

weiter verfolge109. Schließlich wurde für jeden Kanton ein Friedensrichter bestellt. Die durch das Dekret vom 27. Januar 1808 errichteten Gerichtshöfe und Tribunale nahmen zum 1. März 1808 ihre Tätigkeit auf. Zuvor wurden die Mitglieder der Gerichte von König Jérôme bestimmt und auf ihn sowie auf die Verfassung vereidigt110. Für das Werra-Departement wurden für den Kriminalgerichtshof in Marburg der vormalige Regierungsdirektor Ries zu dessen Präsidenten sowie die Herren Ungewitter (für diesen ab 1811 von Dörnberg) und Scheffer, ebenfalls vormalige Regierungsräte, als dessen Richter bestimmt. Zum Generalprokurator wurde von Hanstein ernannt111. Präsident des Kriminalgerichtshofes im Fulda-Departement wurde der Kasseler Oberschultheiß und Kriminalrichter Beermann nebst den Richtern Windemuth und Buch sowie dem Generalprokurator Bode112. Die nähere Bestimmung der jeweiligen Zuständigkeiten und Verfahrensweisen blieb für die Praxis zunächst unklar. Dies betraf vor allem die Frage, welche Institution bis zu welchem Verfahrensstand die Voruntersuchungen durchzuführen hatte113. Unklar blieb insbesondere, bis zu welchem Grade der Gewissheit über die Tat und die Schuld die Voruntersuchungen durchzuführen waren. Hierbei standen die Fragen des neuen Beweisrechts im Vordergrund. Es zeichnete sich das Problem ab, dass die deutschen Richter und Prokuratoren weiterhin dem gewohnten alten Inquisitionsprozess unter anderem mit dem Ziel eines Geständnisses durch den Angeklagten verhaftet blieben. So bedurfte es gerade in dieser Anfangszeit im Allgemeinen und auch in konkreten Fällen eingehender Belehrungen durch den Justizminister114. Nähere Klärung brachte erst eine neue Prozessordnung, die im August 1808 verkündet wurde. Die ersten Verhandlungen vor Geschworenen sollten Mitte Januar 1809 stattfinden.

109

Dritter Titel, Art. 31. Dekret vom 17. Februar 1808, Bulletin des lois 1808, 1 Teil, S. 449. 111 Siehe die Anordnung des Präfekten des Werra-Departements von Reimann vom 19. Februar 1808, Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 46. 112 Siehe Königlich Westphälischen Hof- und Staatskalender auf das Jahr 1812, S. 256; vgl. im Übrigen zur Nedden, S. 19. 113 Beispielhaft sei hier auf die Anfrage des Richters Ebert aus Eschwege vom 7. April 1808 an den Generalprokurator verwiesen, der gemäß Art. 31 des Dekrets vom 27. Januar 1808 als erster beauftragter Instruktionsrichter die Voruntersuchungen zu führen hatte und sich auch im Unklaren war, welche Befugnisse ihm im Verhältnis zu den Tribunalen beim Zusammentragen der Beweise zustünden; Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 46; wiedergegeben bei zur Nedden, S. 20 f. 114 Siehe dazu nachfolgend unter B. II 2. 110

II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege

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2. Die praktische Einführung der Laienbeteiligung im Strafverfahren Die nach der Verfassung spätestens ab dem 1. Juli 1808 vorgesehene Einführung der Geschworenengerichte verzögerte sich. Als Grund hierfür wird angenommen, dass Justizminister Siméon selbst noch Vorbehalte gegenüber dem Geschworenengericht besaß. Im Mai 1804 kurz nach Proklamation Napoleons zum Erbkaiser Frankreichs war im zusammengerufenen Staatsrat der Entwurf eines neuen Strafverfahrens diskutiert worden. Siméon sprach sich hierbei gegen die Beibehaltung der Geschworenengerichte aus115. Er sah angesichts der in Frankreich in den vorangegangenen Jahren gemachten Erfahrungen die Laienrichter als nicht ausreichend befähigt und qualifiziert an und forderte die Ersetzung der Geschworenen durch Richter, die einheitlich über die Tat- und Rechtsfrage unter Beibehaltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung entscheiden sollten. Im Übrigen verwies Siméon auch darauf, dass viele der vorgesehenen Geschworenen sich vor diesem Amt drücken wollten. Von 100 Personen hätten 24 versucht, sich ihrer Aufgabe zu entziehen. Die Befürworter des Geschworenengerichts entgegneten darauf, dass bei einer Entscheidung allein durch die Richter ohne jede Beweisregel und allein nach deren innerer Überzeugung die Macht der Berufsrichter noch wesentlich ausgeweitet würde. Sie unterlägen dann noch nicht einmal den alten strengen Beweisregeln vorrevolutionärer Zeit. Wegen dieser und weiterer Unstimmigkeiten wurden die Beratungen zunächst ausgesetzt. Erst nachdem Siméon inzwischen das Amt des Innen- und Justizministers im Königreich Westphalen aufgenommen hatte, wurden in Frankreich die Diskussionen über ein neues Strafverfahrensrecht im Jahre 1808 fortgesetzt116. Noch im Frühsommer des Jahres 1808 scheint Siméon noch einmal versucht zu haben, Napoleon dazu zu bewegen, von der Einführung von Geschworenengerichten Abstand zu nehmen. Entsprechendes erwähnt der Generalprokurator des Fulda-Departements Bode in einem Brief vom 2. Juni 1808 an seinen Amtskollegen von Hanstein117. Siméon hatte schließlich die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen118. Die Präfekten wurden zunächst mit Rundschreiben des Justizminis115

Siehe den Vortrag von Siméon vor Napoleon im Jahre 1804, abgedruckt bei Nöllner, Volkstümliche Gesetzgebung, S. 412 ff. 116 Zum Verlauf der Diskussionen und den Einwendungen von Siméon siehe Cramer, S. 54 ff. 117 Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 46. 118 In einem Vortrag vor den versammelten Ständen zur Lage im Königreich kündigte er an, dass alle Sachen zum öffentlichen Verhör gebracht und in peinlichen Sachen durch Geschworene öffentlich gesprochen würde; ein entsprechendes Gesetz wurde angekündigt, vgl. dazu Mohnhaupt, S. 171.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

ters vom 8. Juli 1808119 aufgefordert, für ihr Departement binnen weniger Tage jeweils mindestens 300 Personen zu benennen, welche für das Amt des Geschworenen in ihrer Person geeignet wären. Zugleich enthielt das Rundschreiben Ausführungen zu den wesentlichen Eigenheiten des neuen schwurgerichtlichen Verfahrens, da zu diesem Zeitpunkt eine gesetzliche Regelung über das neue Strafverfahren noch nicht vorlag120. Offensichtlich gelang es den Departements, die Listen mit ausreichender Anzahl von geeigneten Personen zügig vorzulegen121. Diese Listen sollten in der kommenden Zeit zur Auswahl der Geschworenen herangezogen werden122. Der Justizminister sah sich bis zum Inkrafttreten einer neuen Strafprozessordnung parallel zur deren Ausarbeitung im Jahre 1808 und auch in der Folgezeit veranlasst, in weiteren Rundschreiben insbesondere die Zuständigkeiten und Verfahrensweisen im Vorverfahren von der ersten Kenntnisnahme einer Straftat bis zur Erstellung der Anklageschrift seinen Beamten deutlich zu machen. Des weiteren sah Siméon auch die Notwendigkeit, eindringlich auf die neuen Beweisprinzipien hinzuweisen123. In seinem Rundschreiben vom 29. Dezember 1808124 fasste Siméon die wesentlichen Kernpunkte der Aufgabe der Geschworenen nach Erlass der neuen Prozessordnung125 noch einmal prägnant zusammen: „Die Geschworenen können sich ihrer Seits mit dem Gedanken nicht genug vertraut machen, daß man von ihnen bei Ausübung des ihnen anvertrauten wichtigen und ehrenvollen Amts nicht die Einsichten und die nur zu oft überfeine wissenschaftliche Kenntnis eines Rechtsgelehrten fordert, sondern daß man von ihnen, wenn sie über das Dasein oder Nichtdasein der angegebenen Thatsachen und über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten befragt werden, nur Antworten erwartet, wie sie das Gewissen des redlichen Mannes, wie sie die gesunde Ver119 Enthalten bei der Sammlung der Listen der für das Geschworenenamt benannten Personen im Fulda-Departement, Hess. StA Marburg, 76 a Nr. 359. 120 Siehe dazu zur Nedden, S. 23. 121 Nach den für das Fulda-Departement vorliegenden Listen hatten die Maires der einzelnen Kantone jeweils zehn Personen zu benennen, die beim Distrikt eingereicht wurden; hieraus wurden für den jeweiligen Distrikt dann Listen zu je hundert Personen aufgestellt. Das Mindestalter betrug 30 Jahre, wobei es in der kurzen Zeit zum Aufstellen der Listen zum Teil notwendig war, wegen des fraglichen Alters in die Kirchenbücher Einsicht zu nehmen; vgl. im Übrigen zur Nedden, S. 101; Im Jahr 1795 wurde bereits das Mindestalter der Geschworenen in Frankreich von 25 auf nun 30 Jahre angehoben; dazu Cramer, S. 142. 122 Zur Auswahl der Geschworenen siehe nachfolgend unter 3. 123 Siehe zu den Rundschreiben des Justizministers vom 8. April und 29. Dezember 1808 zur Nedden, S. 41 ff. 124 Circularschreiben die gerichtliche Polizei und Instruction der peinlichen Sachen betreffend, abgedruckt in Codex des Verfahrens in peinlichen und correctionellen Sachen für das Königreich Westphalen, S. 105 ff. 125 Dazu sogleich unter 3.

II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege

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nunft des gebildeten Menschen ausspricht. Keine ihnen vorgeschriebene Regel leitet ihre Antworten über jene Umstände; nur die innere Überzeugung, welche die Anklage, verbunden mit den Aussagen der Zeugen und diesen gegen über geschehenen Vernehmung des Angeklagten, in ihnen hervorbrachte, darf ihre Antwort bestimmen. Das Gesetz verlangt von ihnen keine Rechtfertigung über die Gründe ihrer Überzeugung; es fordert nur, daß sie in der Stille und mit ernster Überlegung sich selbst fragen, auch gewissenhaft und aufrichtig prüfen, welchen Eindruck der unter ihren Augen geschehene Vorgang auf ihre Vernunft gemacht habe. Das Gesetz sagt ihnen nicht: Ihr sollt für wahr halten jede Thatsache, welche durch so oder so viele Zeugen bekundet wird; es sagt ihnen nicht: Ihr sollt für unerwiesen achten, was nicht durch dies oder jenes Protocoll oder Actenstück, was nicht durch eine so oder so große Anzahl von Zeugenaussagen oder Verdachtsgründen bewahrheitet wird; es legt ihnen nur einfach die Frage vor: ‚ist der Angeklagte in Euren Augen wirklich schuldig?‘126 Da demnach die Geschworenen nur über ihre Überzeugung befragt werden, und nur über Thatumstände, ohne Rücksicht auf die davon abhängigen Folgen, zu antworten haben, so dürfen sie sich mit der Strafe gar nicht beschäftigen. Die Strafe spricht das Gesetz aus; nur über deren Anwendbarkeit zieht es die Geschworenen zu Rhate, und diese würden daher ihre heiligste Pflicht verletzen, wenn sie, um den überwiesenen Angeklagten mit einer Strafe verschont zu sehen, welche ihnen zu streng scheint, ihre eigene Überzeugung verleugneten, und erklärten nicht zu sehen, was sie sehen würden, wenn die Strafe milder wäre.“

Mit diesem letzten Gesichtspunkt wird das Problem der „Omnipotence du Jury“ angesprochen. Die Geschworenen wurden ausdrücklich ermahnt, sich an die vorgegebene Entscheidung des Gesetzgebers über die Strafwürdigkeit einer Tat zu halten und sich bei der Entscheidung nicht an die Stelle des Gesetzgebers oder gar über ihn zu stellen127. Siméon legte schließlich immer größten Wert auf eine zügige Durchführung der Ermittlungen. In einem dringlichen Rundschreiben vom 29. November 1809128 stellte er nochmals klar, dass die Friedensrichter mit der Untersuchung im eigentlichen Sinne nicht beauftragt sind und im Falle einer Anzeige oder einer unmittelbaren Kenntnisnahme von einem Vergehen oder Verbrechen sich darauf zu beschränken haben, über alles, was schriftlich aufgezeichnet werden muss und kann, Protokolle aufzunehmen, sich der Werkzeuge, der Beweisstücke und der Personen, welche des Verbrechens verdächtig sind, zu bemächtigen sowie diese und an Ort und Stelle gegenwärtige Zeugen zu vernehmen. Die so gesammelten Spuren und ersten Aufklärungen müssten sodann binnen 24 Stunden an den Königlichen Pro126

So auch Art. 342 Code d’instruction criminelle. Auch der Code d’instruction criminelle enthielt in seinem Art. 342 eine entsprechende ausdrückliche Warnung an die Geschworenen; vgl. Schwinge, S. 110 ff. 128 Oesterley’s Magazin, 1810, 1. Band, S. 428 ff. 127

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

kurator des Distrikts geschickt werden, woraufhin nun der Instruktionsrichter mit der Untersuchung zu beginnen hat129. Weder das Tribunal noch der Instruktionsrichter dürften die Sache wegen gegebenenfalls weiterer notwendiger Untersuchungen wieder an der Friedensrichter zurückgeben. Der Instruktionsrichter hat grundsätzlich selbst die weiteren Ermittlungen anzustellen. Bezweckt ist hiermit nicht nur eine Entlastung der Friedensrichter, vielmehr sollen die Instruktionsrichter die Sache, über die sie schließlich ihren Vortrag bei Gericht halten müssen, selbst aus eigener Tätigkeit genauestens kennen und das Vorverfahren nicht durch Hin- und Zurückverweisungen verzögert werden. Auch die gesetzlichen Regelungen zu dem sich anschließenden Zwischenverfahren waren schließlich darauf ausgelegt, jegliche unnötige Verzögerung des Verfahrens zu vermeiden. In der Tat sollte sich die Beschleunigung der Strafverfahren als bedeutende Errungenschaft der neu gestalteten Strafrechtpflege herausstellen. Unabhängig von den genannten Rundschreiben des Justizministers gab es allgemein praktischen Bedarf an Information und Unterweisung in Fragen des neuen Rechts. Gesetze wurden im Bulletin des lois in französischer Sprache nebst deutscher Übersetzung veröffentlicht. Daneben existierte mit dem ebenfalls zweisprachigen Moniteur Westphalien eine Art periodisch erscheinender Staatsanzeiger. Er enthielt unter anderem königliche sowie ministerielle Dekrete ebenso wie vielfältige Bekanntmachungen auch über die neue Verfassungs- und Gerichtsstruktur und galt aber auch als Medium einer glorifizierenden Selbstdarstellung der französischen Herrschaft130. Von besonderem praktischen Nutzen war schließlich das seit dem Jahre 1810 erscheinende „Magazin für das Civil- und Criminalrecht des Königreichs Westphalen“, welches von den beiden Tribunalsrichtern Georg Heinrich Oesterley und Ernst Spangenberg herausgegeben wurde. Hier konnte auch ein praktischer Erfahrungsaustausch stattfinden131. Daneben sollten Schreiben des Justizministers weitere Verbreitung finden, welche den Sinn der neuen Gesetze erläuterten sowie nähere Vorschriften zur Anwendung derselben beinhalteten132. So enthielten die Ausgaben dieses Magazins auch umfassend wiedergegebene Anklageschriften in schwurgerichtlichen Verfahren 129 Das Verhältnis der Gleichrangigkeit von königlichem Prokurator und Instruktionsrichter sowie deren Zusammenarbeit erläutert ein Schreiben des Justizministers vom 23. März 1810, Oesterley’s Magazin, 1810, 2. Band, S. 597 ff. 130 Siehe Petri, S. 203. 131 Gleich im ersten Band aus dem Jahre 1810 findet sich eine als „meisterhaft“ angekündigte Anklageurkunde und Entwicklung der Verdachtsgründe in dem schwurgerichtlichen Verfahren gegen Seligmann Moses aus Dankelshausen vom Generalprokurator in Göttingen nebst Urteil und Entscheidung über das Kassationsgesuch, Oesterley’s Magazin,1810, 1. Band, S. 177 ff. 132 Siehe Vorrede im 1. Band von 1810, S. 5.

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sowie Bekanntmachungen über Entscheidungen auch französischer Gerichte, die für das Verfahren vor dem Geschworenengericht von Bedeutung waren. Schließlich konnte die Praxis auf erste deutsche Literatur zum neuen französischen Verfahrensrecht zugreifen. Zu nennen sind hier die Arbeiten von Bülow, Kulenkamp, Beermann und Bauer133. In der ersten Zeit bis zum Erscheinen dieser Werke waren jedoch im Wesentlichen allein die einzelnen Rundschreiben des Justizministers Siméon sowie alsbald die erläuternden Ausführungen des Staatsrats von Leist bei Vorstellung des neuen Strafprozessrechts vor den versammelten Ständen im Herbst 1808 maßgebend134. Schließlich wurde das neue Verfahrensrecht auch Teil der universitären Ausbildung in Marburg. Nachdem zunächst die Universität in Marburg mit den notwendigsten Werken über die Napoleonische Gesetzgebung ausgestattet worden war, erfolgten bereits ab Sommer 1810 Vorlesungen, die das neue Recht zum Gegenstand hatten. Unter anderem las Robert über das „Prozeßrecht des Westphälischen Königreiches“135. Anton Bauer wurde 1811 Prorektor und Dekan der juristischen Fakultät in Marburg. Er las Kriminalrecht und Kriminalprozessrecht136. Im Übrigen war Bauer auch als Verteidiger tätig137. Jahrzehnte später erinnerte der nun in Göttingen lehrende Professor Bauer an seine Tätigkeit vor dem westphälischen Geschworenengericht. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Vorzüge und Nachteile des französischen Strafverfahrens machte er eigene unmittelbare Kenntnis geltend: 133 Gottfried Philipp von Bülow, Erläuternde Bemerkungen über das Verfahren in Strafsachen nach westphälischen Gesetzen, Braunschweig 1811; Elard Johannes Kulenkamp, Über die gerichtliche Polizei und das Verfahren der Municipalpolizeigerichte und der Korrektionstribunale nach französischen und westphälischen Gesetzen, Braunschweig 1810; Heinrich Beermann, Handbuch zur Kenntnis des im Königreich Westphalen eingeführten Strafrechts in alphabetischer Anordnung entworfen, Kassel 1811; Anton Bauer, Abriß der Gerichtsverfassung des Königreichs Westphalen, Marburg, 1811; siehe zur juristischen Literatur und wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem neuen Recht zur Nedden, S. 34 ff. 134 Siehe sogleich unter 3. 135 Siehe Hermelink/Kaehler, S. 504. 136 Gundlach, S. 119. 137 So im Prozess gegen Bartholomäus Handschumacher und Justin Klotzbach Anfang 1809, Hess. StA Marburg, 268.8 Prokurator Marburg Nr. 12; der nach seiner Marburger Zeit später in Göttingen lehrende Professor Bauer sollte sich allerdings später explizit gegen die Einführung der Jury im deutschen Strafprozess und gar für die Beibehaltung des deutschen gemeinrechtlichen Untersuchungsprozesses bei Anerkennung einiger Verbesserungen zum Schutz des Angeklagten aussprechen, siehe Bauer, Ueber gesetzliche Beweistheorie, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 105 ff., insb. S. 129 ff., mit kritischer Anmerkung der Redaktion, ebd., S. 134 f.

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„. . . da ich, was die angebliche Unkunde anlangt, während der sechsjährigen Dauer des Königreichs Westphalen, nicht nur oft Geschworener war, und den öffentlichen Gerichtssitzungen sehr fleißig als sorgfältiger Beobachter beiwohnte, sondern auch, theils als gewählter, theils als freiwillig aus dem versammelten Publicum auftretender Defensor, mit glücklichem Erfolg Vertheidigungsvorträge gehalten habe, und daher nicht bloß durch Studium, sondern auch durch die Praxis mit jenem Verfahren genügend bekannt bin“138.

3. Die Peinliche Prozessordnung von 1808 Die gesetzliche Grundlage auch für das schwurgerichtliche Verfahren wurde mit der Peinlichen Prozessordnung (PPO) geschaffen. Ein von Siméon und dem Staatsrat von Leist erarbeiteter Entwurf für eine neue Prozessordnung wurde nach Eröffnung des Reichstages am 2. Juli 1808 von einer in diesem Zuge eingesetzten Kommission für die Kriminalgesetzgebung139 beraten. Die endgültige Fassung legte von Leist140 der Ständeversammlung am 17. August 1808 vor. Im Rahmen der Begründung des Gesetzesentwurfes betonte Leist nicht nur die Vorzüge des neuen Strafverfahrens, er versäumte auch nicht, auf die Wurzeln der modernen Geschworenengerichte in den altdeutschen Schöffengerichten hinzuweisen141: „Öffentlich war auch vormals in Germanien, wie in andern Staaten, das Verfahren in Criminalsachen, und nur erst nach und nach konnte im Mittelalter ein Zusammenschluß verschiedener Umstände diese schöne und treffliche Sitte vertilgen . . . Die Einrichtung der Geschworenen ist an sich so äußerst einfach und natürlich, daß es uns nicht befremden darf, wenn wir bereits in den früheren Zeiten die ersten Keime derselben bei mehreren Völkern, vorzüglich den germanischen, antreffen. Sind nicht die Schöffen des alten Germaniens wozu nur Freie des Gaues, wo möglich von dem gleichen Stande, durch hohe Redlichkeit, Einsichten, Erfahrung und Vermögen ausgezeichnet, genommen wurden, das Vorbild unserer Geschworenen?“142 138

Bauer, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 133. Zur Besetzung der Kommission siehe Lengemann, Parlamente, S. 69 mit weiteren Hinweisen. 140 Justus Christoph Leist (1770–1858) wurde 1802 ordentlicher Professor für Staatsrecht in Göttingen, war dann aber umgehend bereit, in westphälische Dienste zu treten und wurde hier Mitglied des Staatsrates; er war Befürworter eines engen Anschlusses an Frankreich, was ihm auch den Vorwurf des Opportunismus einbrachte; vgl. Hermelink/Kaehler, S. 495; siehe zur Person ADB, 18. Band, S. 226. 141 Die Rede wurde auch veröffentlicht im Moniteur des Jahres 1808 ab der Nr. 115 und nachfolgende. 142 Rede Leists abgedruckt in Codex des Verfahrens in peinlichen und correctionellen Sachen für das Königreich Westphalen, S. 12 f. 139

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Sodann begründet Leist die Notwendigkeit, die Geschworenen an die Stelle der beamteten Richter treten zu lassen, denen er die uneingeschränkte Gewalt über den unterworfenen Bürger nicht länger anvertraut wissen will: „Auf diese Art wird auch, wie Montesquieu sehr richtig bemerkt, die den Menschen so furchtbare Gewalt zu richten gleichsam unsichtbar, indem sie an keinen bestimmten Stand, an keine bestimmte Lebensart geknüpft ist. Man sieht bei dieser Einrichtung nicht beständig die Richter; man fürchtet das richterliche Amt, aber nicht den Richter.“143

Nach erteilter Zustimmung wurde die PPO am 19. August 1808 veröffentlicht144. Ab diesem Zeitpunkt sollten die Verfahren vor den Geschworenen stattfinden. Allerdings wurde den Gerichten noch Zeit zur Einrichtung gewährt, so dass die ersten Verfahren im Januar 1809 auf der Grundlage des neuen Gesetzes stattfinden sollten145. Der erste Teil der Peinlichen Prozessordnung (PPO) enthielt Bestimmungen über das Verfahren bis zur Beschlussfassung über die Durchführung des Strafprozesses vor den Geschworenen des Kriminalgerichts. Nach Abschluss der vorausgegangenen Untersuchungen hatte der Instruktionsrichter die Sache dem Distrikttribunal vorzutragen. Dieses musste nun durch mindestens drei Richter einschließlich des Instruktionsrichters entscheiden, ob das Verfahren an das Kriminalgericht des Departements abzugeben ist. Dies war dann der Fall, wenn das Tribunal mit Stimmenmehrheit entschieden hatte, dass „die begangene Handlung von der Art ist, um mit einer entehrenden oder schweren Leibesstrafe, oder mit mehr als zweijährigem Gefängnisse oder zweijähriger Einsperrung in ein Zucht- oder Werkhaus bestraft zu werden, auch, daß ein hinlänglich begründeter Verdacht wider den angeschuldigten vorhanden ist“146.

In einem solchen Fall hatte nun der königliche Prokurator sämtliche Aktenstücke an den Generalprokurator abzugeben, welcher binnen drei Tagen vor dem Kriminalgericht seinen Vortrag zu halten und Anträge zu stellen hatte. Die Richter des Kriminalgericht lasen auf diesen Vortrag nun alle Unterlagen durch und mussten umgehend einen endgültigen Beschluss darüber fassen, ob das Verfahren vor dem Geschworenengericht stattfinden solle147. Sofern zuvor noch weitere Untersuchungen erforderlich waren, hatten diese 143 Ebd., S. 16; vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 218; siehe auch Feuerbach, Betrachtungen, S. 6 f. 144 Bulletin de lois 1808, 3. Teil, S. 2 ff.; Der Entwurf wurde mit 83 gegen zwei Stimmen angenommen, Lengemann, Parlamente, S. 76. 145 Siehe zur Nedden, S. 26 f., mit dem Hinweis auf ein Schreiben des Justizministers vom 19.12.1808. 146 Art. 8 PPO; Bei geringerer Strafandrohung blieb die Sache vor dem Tribunal des Distrikts oder wurde bei kleineren Vergehen an das Polizeigericht abgegeben. 147 Art. 13 PPO.

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binnen kürzester Zeit zu erfolgen. Sah das Gericht also hinlängliche Verdachtsgründe zur Einleitung des Geschworenenprozesses, forderte es den Generalprokurator auf, die Anklageurkunde aufzusetzen, was innerhalb von zwei Tagen zu geschehen hatte. Hinsichtlich des Maßes der geforderten „hinlänglichen Verdachtsgründe“ enthielt Art. 18 PPO folgende Bestimmung: „Um die Einleitung des peinlichen Verfahrens zu verfügen, braucht das peinliche Gericht nicht zu untersuchen, ob der Angeschuldigte wirklich schuldig ist oder nicht, sondern nur, ob schon, so viel nach der noch unvollständigen Instruktion sich beurtheilen läßt, Beweise oder starke Anzeigen einer durch das Gesetz für ein Verbrechen erklärten Handlung wider denselben vorhanden sind.“

Mit dieser Regelung wird noch einmal deutlich, dass es im Vorverfahren nicht mehr darum gehen konnte, den Beschuldigten endgültig und sicher zu überführen. Dies war noch das Ziel des hier überwundenen Inquisitionsprozesses. Wie bereits ausgeführt, musste dieser Grundsatz im Vorverfahren den ermittelnden Beamten wiederholt ins Bewusstsein gerufen werden. Die Frage, ob letztendlich die Sache vor dem Geschworenengericht zu verhandeln war, lag nach diesen gesetzlichen Regelungen der neuen PPO in der Entscheidungsbefugnis der Richter des Distriktstribunals und des Kriminalgerichts. Damit hatte man sich entschieden, eine Anklagejury erst gar nicht einzuführen. Das französische Schwurgerichtsverfahren kannte seit 1791 die Anklage- und Urteilsjury. Nachdem dort aber mit Gesetz vom 27. Januar 1801 das Institut der Anklagejury bereits wesentlich eingeschränkt worden war, sollte es mit dem neuen Gesetzeswerk des zum Ende des Jahres 1808 verabschiedeten Code d’instruction criminelle gänzlich abgeschafft werden148. Die Beratungen zu diesem Gesetz, an denen seit 1804 auch Siméon entscheidend teilgenommen hatte, waren demnach auch von wesentlicher Bedeutung für die Ausgestaltung der neuen westphälischen Prozessordnung. Die Geschworenen fungierten also als Urteilsjury in Fällen schwererer Delikte, bei denen mit erheblichen Strafen zu rechnen war149. Bedeutsam ist hierbei, dass bezüglich des materiellen Rechts noch auf die überkommenen Bestimmungen zurückgegriffen werden musste. Nach Art. 111 PPO 148

Dazu Cramer, S. 41 f. und 59 ff. Sofern die Geschworenengerichte aufgrund einer geringeren Strafandrohung nicht zuständig waren, wurde die Sache vor dem Distriktstribunal auf der Grundlage der Gerichtsordnung für die Correctionssachen (Dekret vom 18. März 1809, Bulletin des lois 1809, 1. Teil, S. 623) in öffentlicher Sitzung verhandelt. Die Entscheidungen mussten schriftlich begründet werden. Für kleinere Delikte waren die Polizeigerichte zuständig; siehe Dekret vom 6. August 1808, Bulletin des lois 1808, 2. Teil, S. 455. 149

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hatten die peinlichen Gerichte bis zum Inkrafttreten eines neuen peinlichen Gesetzbuches die alten Gesetze, welche an dem Ort des Verbrechens galten, anzuwenden. Da dem Inkrafttreten des neuen Gesetzbuches das Ende des Königreiches Westphalen zuvorkommen sollte, waren materiellrechtlich weiterhin insbesondere die Bestimmungen der Carolina von 1532 maßgeblich150. So erfolgte im ersten Geschworenenprozess in Marburg eine Anklage wegen Verbreitung falscher Münzen auf der Grundlage des Artikel 111 der Carolina151. Der nach den genannten Voraussetzungen zustande gekommene Beschluss des Kriminalgerichts über die Einleitung des schwurgerichtlichen Verfahrens sowie die vom Generalprokurator daraufhin verfasste Anklageschrift wurden dem Angeklagten zugestellt. Bereits 24 Stunden danach wurde der Angeklagte vom Präsidenten des Kriminalgerichts vernommen. Hatte der Angeklagte noch keinen Verteidiger benannt, wurde von Amts wegen ein solcher bestellt. Sodann ergingen die Ladungen an die Zeugen und Geschworenen. Die Verhandlungen fanden nach Art. 27 PPO regelmäßig am 16. eines jeden Monats statt, sofern ein peinlicher Prozess zu entscheiden war. Die Auswahl der letztendlich aus zwölf Personen bestehenden Jury war im zweiten Teil der neuen Prozessordnung geregelt. Nach Bekanntmachung des Gesetzes sollten die Präfekten für ihr Departement Listen mit mindestens 300 Personen vorlegen. Diese mussten aus Staatsbürgern bestehen, welche sich in ihrem Departement aufhielten, mindestens 30 Jahre alt waren und in Rücksicht ihres Amtes, ihrer Einsichten oder ihrer Wohlhabenheit zu den Angesehensten zählten152. Wie oben ausgeführt waren diese Listen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits vorhanden153. Hierauf wurde ohne weiteres nun bei Auswahl der Geschworenen zurückgegriffen154. 150 Die Fertigstellung des Code penal zog sich bis zum 14. Juli 1813, so dass er erst am 17. September 1813 (Bulletin des lois 1813, Nr. 33, S. 175 ff. – Anfang des Gesetzes mit den Art. 1–28) approbiert werden konnte; siehe Rob, S. 29; Zu den Beratungen über ein westphälisches Strafgesetzbuch zur Nedden, S. 27 ff. 151 Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 12, Untersuchung gegen Bartholomäus Handschumacher und Justin Klotzbach aus Stadtlengsfeld. 152 Art. 29 PPO; Nicht in Frage kamen Minister, Staatsräte, Präfekten, Unterpräfekten, Polizeikommissare, Richter, Generalprokuratoren und deren Vertreter sowie königliche Prokuratoren und Prediger; das Amt der aufgeführten Personen galt als mit der Aufgabe eines Geschworenen unverträglich. 153 Siehe oben B. II. 2. 154 Die in den Verfahrensakten zu findenden amtlichen Ladungen der Geschworenen verweisen auf die Listen, welche bereits im Juli 1808 erstellt worden sind; vgl. Hess. StA Marburg, 265.2 Kriminalgericht Kassel Nr. 1 und Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 51.

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Künftig sollten für jeden Monat zu dessen Beginn aus der umfassenden Liste nun 36 Personen durch öffentliche Auslosung bestimmt werden, die sodann in eine neue Liste aufgenommen wurden, aus welcher im Falle eines peinlichen Verfahrens im jeweiligen Monat schließlich die zwölf Geschworenen auszuwählen waren. Der Angeklagte erhielt diese sogenannte 36-er-Liste zugestellt mit der Belehrung, dass er innerhalb von 24 Stunden ohne Begründung neun der auf dieser Liste aufgeführten Personen ablehnen konnte. Das gleiche Recht besaß der Generalprokurator155. Aus den verbleibenden Personen der Liste stellte der Präsident des Kriminalgerichts schließlich die Jury zusammen. Die so bestimmten Geschworenen wurden sodann förmlich zum anstehenden Prozesstermin geladen. Die Ladung erfolgte unter Hinweis darauf, dass sich der Geschworene im Falle des Ausbleibens strafbar mache. Nach Art. 38 PPO war das Geschäft der Geschworenen eine Pflicht gegen den Staat und das Ausbleiben ohne gesetzliche Entschuldigung strafbewehrt. Ein erstmaliges Ausbleiben führte zu einer Geldstrafe von 50 Franken. Darüber hinaus hatte sich der Ausbleibende ohne weitere Bestimmung bei der Sitzung des nächsten Monats einzufinden156. Bei weiterem Ungehorsam kam auch eine Gefängnisstrafe von acht bis zwanzig Tagen in Betracht. Nach Art. 36 PPO war der Auserwählte entschuldigt, wenn er bereits älter als 70 Jahre alt oder im selben Jahr bereits schon einmal als Geschworener tätig gewesen war157. Der dritte Teil der Prozessordnung regelte den Ablauf der Hauptverhandlung bis zur Entscheidung durch die Jury. Nachdem die Geschworenen belehrt und vereidigt worden waren, wurde die Anklageurkunde verlesen, worauf der Generalprokurator den Gegenstand der Anklage noch näher auseinander setzte. Sodann wurden die geladenen Zeugen angehört. Der Präsident konnte vom Zeugen aber auch vom Angeklagten alle Aufklärungen verlangen, die zur Entdeckung der Wahrheit als dienlich erachtet wurden. Das gleiche Recht hatten auf Ersuchen an den Präsidenten auch die anderen Richter, der Generalprokurator sowie die Geschworenen158. 155 Art. 33 PPO; Im Falle mehrerer Angeklagter konnten diese sich insgesamt oder teilweise über die Ablehnungen abstimmen; mehr als insgesamt 18 Verwerfungen konnten nur nach erfolgreicher Begründung erfolgen, so dass gegebenenfalls die Liste durch Los zu ergänzen war. 156 In den Verzeichnissen über die Eingänge beim Kriminalgericht in Marburg für das Jahr 1810 finden sich vier Fälle des „Ausbleibens“ als Geschworener; Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 8. 157 Gleiches galt für Einnehmer öffentlicher Gelder, wenn sie berufen wurden, das Geschäft des Geschworenen außerhalb ihres Wohnortes zu verrichten. 158 Art. 53 PPO.

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Grundsätzlich durften schriftliche Erklärungen der Zeugen, die der öffentlichen Sitzung nicht beiwohnten, nicht vorgelesen werden159. Schriftliche Aussagen konnten den Zeugen nur vorgehalten werden, um Widersprüche oder Verschiedenheiten aufzuzeigen. Hier wird deutlich, dass die Geschworenen einen unmittelbaren Eindruck vom Zeugen selbst und von seinen Aussagen erhalten und aus eigenem Erleben die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben beurteilen sollten. Darüber hinaus wäre bei einem bloßen Verlesen einer Zeugenaussage ungewiss geblieben, auf welche Art und Weise diese Aussage zustande gekommen war. Während der Zeugenvernehmung konnten sich die Geschworenen Aufzeichnungen anfertigen, wobei dies den Ablauf der Verhandlung aber nicht beeinträchtigen durfte. In der Beweisaufnahme vor den Geschworenen sollte es allein darum gehen, ob der Angeklagte tatsächlich nach einer offiziellen Anklage der Begehung einer bestimmten Tat überführt werden konnte. Die überkommenen und teilweise aus dem alten germanischen Rechtsgang stammenden formalen Beweismittel160 waren ausgeschlossen. So wies Siméon in einem Schreiben an einen königlichen Prokurator vom 31. Dezember 1809161 darauf hin, dass Verbrechen nur durch Protokolle, welche sie dartun, durch Berichte der zu ihrer Erforschung angestellten Beamten und schließlich durch Zeugenaussagen bewiesen werden. Dies waren nun die einzigen gesetzlich bestimmten Beweismittel, so dass auch der Reinigungseid nicht mehr als zulässiges Mittel in Frage kam, um das Vorhandensein eines Verbrechens zu beweisen oder einen Angeklagten freizusprechen. Im Strafverfahren konnte nur noch die Rede sein vom Eid der Zeugen, Dolmetscher oder von Personen, welche aufgrund besonderer Kenntnisse über Tatsachen eine Aussage machten, wie etwa Ärzte oder Wundärzte. Nach Abschluss der Beweisaufnahme hatte dann der Präsident den gesamten Gegenstand der Untersuchung in einfache Sätze gekleidet noch einmal vorzutragen. Hierbei hatte er den Geschworenen auf die hauptsächlichsten Beweise für und gegen den Angeklagten aufmerksam zu machen. In diesem Zusammenhang wurden die Geschworenen auch noch einmal auf ihre Obliegenheiten hingewiesen, wonach ihre Entscheidung weder durch Hass oder Feindschaft noch durch Furcht oder Zuneigung beeinflusst sein dürfe, sondern nach ihrem Gewissen in innigster Überzeugung und mit Unparteilichkeit und Festigkeit erfolgen solle. 159 Art. 64 PPO; Eine Ausnahme galt, wenn die Zeugen inzwischen verstorben oder durch hohes Alter oder Krankheit verhindert waren. 160 Kontinuität ist aber unsicher, vgl. HRG2 /Deutsch, 1. Band, Beweis, S. 559 ff. 161 Abgedruckt in Oesterley’s Magazin, 1811, 3. Band, S. 307 f.

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Grundlage der Entscheidung der Jury war der vom Präsidenten nach Beratschlagung mit den Richtern aufgestellte Fragenkatalog. Die Art und Weise der Fragestellung regelte Art. 72 PPO. Danach zielte die erste Frage darauf, ob überhaupt das Vorliegen eines Verbrechens erwiesen sei. Die daran anschließende Frage ging dahin, ob der Angeklagte der Begehung dieses Verbrechens schuldig sei. Schließlich erfolgten gegebenenfalls Fragen nach dem Vorliegen mildernder oder erschwerender Umstände, die sich aus der Anklageurkunde, der Verteidigung oder aus der Verhandlung ergeben konnten. Dieser Fragenkatalog wurde dem Chef der Jury162 ausgehändigt. Die Geschworenen begaben sich sodann mit den ihnen übergebenen vollständigen Aktenstücken des Prozesses in das Beratungszimmer, das sie bis zur Entscheidung nicht verlassen durften. Die gesetzliche Regelung bezüglich des Fragenkatalogs bildete freilich nur dessen Grundstruktur. Von besonderer Wichtigkeit war bei Abfassung des Fragenkatalogs, dass nach dem Grundsatz der Trennung der Tatsachen von den Rechtsfragen nur Fragen über alle erheblichen Umstände erfolgen durften und dies der Form nach nicht verfänglich oder suggestiv geschehen durfte, sondern einfach, kurz, deutlich und bestimmt sein sollte163. Wie bereits erwähnt, zählte die Trennung der Tat- von den Rechtsfragen zu den umstrittensten Problemen der Schwurgerichtsbarkeit164. Die westphälische Prozessordnung behielt dem Grunde nach die detaillierte aufspaltende Fragestellung bei, wohingegen der neue Code d’instruction criminelle nun nach dem englischen Vorbild vorsah, dass der Jury im Kern die Frage nach der Schuld oder Nichtschuld vorgelegt werden sollte165. In der Praxis konnte die nach der PPO notwendige Fragestellung dazu führen, dass der Sachverhalt in eine große Anzahl von Einzelaspekten zerlegt wurde und hierbei auch eine Reihe von Indizien mit aufgenommen wurden, die letztendlich in einer schlussfolgernden Weise zu einem bestimmten Ergebnis hinführten. Eine solche Hinführung zur letztlich endscheidenden und schlussfolgernden Frage konnte vom Zweck her die im englischen Recht vorgesehene Belehrung durch den Vorsitzenden vor der alleinigen Frage nach Schuld oder Nichtschuld ersetzen. Ein Beispiel gibt hierfür die aktenmäßige Darstellung der Gründe der Anklageurkunde des Generalprokurators Meywerth in Heiligenstadt in dem Fall des Leinewebergesellen Mügge, dem fünffacher Mord und Raub vorgeworfen wurde. Der 162 Chef der Jury war immer der erste durch das Los gewählte Geschworene oder ein durch die Geschworenen selbst Erwählter, Art. 73 PPO. 163 Siehe Bauer, S. 91 Anm. b). 164 Siehe oben A. III. 1. 165 Vgl. die Regelungen im kurhessischen Gesetz zur Umbildung des Strafverfahrens, § 320, nach dem Vorbild des Code d’instruction criminelle.

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Angeklagte hatte zwar zuvor die Taten gestanden, später dieses Geständnis jedoch widerrufen. Die Geschworenen hatten nach durchgeführter Beweisaufnahme nun insgesamt 31 Fragen zu beantworten. Diese betrafen zwar zunächst die gesetzlich vorgesehene Feststellung, ob überhaupt Personen zu Tode gekommen waren. Die weiteren Fragen betrafen aber sodann in weitem Umfange Indizien, wie etwa die Frage, ob der Angeklagte der Liederlichkeit oder dem Müßiggange ergeben gewesen sei und an Geldmangel gelitten habe. Weitere Fragen betrafen das vom Angeklagten mehrfach abgelegte Geständnis sowie die Umstände des Widerrufs. Diese Fragen wurden (mit der Ausnahme einer solchen nach einem letztlich nicht entscheidenden Indiz) zu Lasten des Angeklagten beantwortet, so dass auch die letzte Frage zur Feststellung der Jury führte, „dass also der angeklagte Georg Christian Julius Mügge des . . . an mehreren Personen verübten Mordes und des . . . begangenen Raubes für schuldig zu erklären sey, und der erwähnten beyden Verbrechen damit für schuldig erklärt werde.“166

Die Verurteilung erfolgte dem gemäß auf der Grundlage der Artikel 126 und 137 der Carolina. Mügge wurde im März 1809 zum Tode durch das Schwert verurteilt167. Die Art und Weise der Fragestellung macht deutlich, dass der Präsident zusammen mit seinen beiden Richtern den Fragenkatalog so ausgestalten konnte, dass das Augenmerk der Geschworenen auf einzelne Indizien besonders hingelenkt wurde. Dies konnte entscheidend auch den zusammenfassenden Vortrag des Vorsitzenden nach der Beweisaufnahme verstärken168. Aber auch die einfache und schlicht der Gesetzesnorm entsprechende Fragestellung war vor dem Hintergrund der eigentlich notwendigen Trennung der Tatsachen von den Rechtsfragen problematisch. In dem Verfahren gegen Seligmann Moses aus Dankelshausen wegen Mordes169 folgten auf eine sehr umfangreich ausgearbeitete und den Geschworenen vorgetragene Entwicklung der Verdachtsgründe und nach umfangreicher Zeugenanhörung schlicht folgende Fragen: „Nehmen die Geschworenen für erwiesen an, dass die Witwe Catharine Juliane Backhaus ermordet worden?“ und „Nehmen sie für erwiesen an, dass der angeklagte Jude Moses Seligmann dieselbe ermordet habe?“ 166

Oesterley’s Magazin, 1810, 1. Band, S. 543, 601. In Abweichung zur CCC bestimmte Art. 111 PPO, dass bei der Todesstrafe nur der Tod durch das Schwert und nicht etwa andere grausame Strafen in Frage kam. 168 Vgl. auch die Ausführung der Gründe in der Anklage-Urkunde in dem Verfahren gegen Wilhelm Stietz wegen zweifachen Mordes, in welchem die Geschworenen 22 Fragen zu beantworten hatten und viele der Fragen Indizien betrafen; Oesterley’s Magazin, 1810, 2. Band, S. 394 ff. 169 Oesterley’s Magazin 1810, 1. Band, S. 177, 326 f. 167

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Den Geschworenen wird also durchaus die Entscheidung abverlangt, ob das erwiesene Geschehen auch rechtlich etwa als Mord oder Totschlag, Raub oder Diebstahl zu qualifizieren ist. Daran ändert nichts, wenn ein Sachverhalt durch einen komplexen Fragenkatalog bis in das letzte Detail aufgegliedert wird. Die Beurteilung und Einordnung einzelner Tatbestandsmerkmale sowie deren Verhältnis zueinander oder auch die subjektive Einstellung des Angeklagten zu seiner Tat mit all ihren möglichen Wertungen erfordern letztlich rechtliche Erwägungen und Schlussfolgerungen. Die Entscheidung selbst bedurfte keiner Begründung. Die Geschworenen hatten sich aus innigster Überzeugung ohne feste oder gar förmliche Beweisregeln zu entscheiden. Allerdings hatten sie sich dabei auf die Beantwortung der ihnen gestellten Fragen zu beschränken. Dabei sollte es jedoch nicht zwingend sein, dass die Fragen immer vorbehaltlos mit ja oder nein beantwortet werden mussten. Sofern Fragen zu allgemein gefasst waren und mehrere erhebliche Umstände der Tat betrafen, so sollten die Geschworenen befugt sein, die Frage zwar im Allgemeinen zu bejahen, aber einzelne Umstände davon auszunehmen170. Allerdings ging aus einer im Oesterley’schen Magazin veröffentlichten Entscheidung des französischen Kassationshofes aus dem Jahre 1811 hervor, dass die Geschworenen sich in vollständiger und kategorischer Weise über die ein Verbrechen begleitenden Umstände erklären müssten171. Die Erklärung sei fehlerhaft, wenn sie abgefragte notwendige Umstände auf irgend eine Weise einschränkte oder modifizierte. In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatten die Geschworenen auf die Frage, ob der Angeklagte des gegen ihn vorgebrachten Verbrechens der Fälschung und zwar mit allen denen in der Anklageurkunde enthaltenen Umständen für schuldig zu erklären sei, geantwortet: „Ja, der Angeklagte ist für schuldig anzunehmen, das wider ihn zur Anzeige gebrachte Verbrechen der Fälschung begangen zu haben; allein es ist nicht ausgemacht, dass er dasselbe in der Absicht verübt habe, um dadurch einem Anderen, indem er sich die Summe Geld bestimmt zueignete, zu schaden.“

Die Geschworenen hatten verkannt, dass die Schädigungsabsicht notwendiges Tatbestandsmerkmal des vorgeworfenen Verbrechens einer Fälschung war. Sie hatten die allgemeine und absolute Frage nach der Schuld des Angeklagten, welche die rechtliche Bewertung der Schädigungsabsicht implizierte, nicht vollständig beantwortet, sondern Modifizierungen vorgenommen. Dieser Fall macht zugleich deutlich, dass die Geschworenen bei der Entscheidung über die Schlussfolgerung, ob sich der Angeklagte „also“ der 170 So Bauer, S. 92 Anm. d) unter Hinweis auf die Art. 345 f. des Code d’instruction criminelle von 1808. 171 Oesterley’s Magazin, 1812, 4. Band, S. 664.

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ihm vorgeworfenen Tat schuldig gemacht habe, rechtliche Erwägungen anzustellen hatten. Eine Frage an die Geschworenen hätte in diesem Fall also auch darauf abzielen können, ob erwiesen sei, dass der Angeklagte in der zuvor gefassten Absicht gehandelt habe, eine bestimmte andere Person auf eine bestimmte Art und Weise zu schädigen. Aber auch bei einer Beurteilung der erforderlichen „Absicht“ wären rechtliche Gesichtspunkte und Wertungen zu berücksichtigen gewesen172. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es eine nahezu unmögliche Aufgabe des Gerichts war, den Fragenkatalog so aufzustellen, dass jedes erforderliche Tatbestandsmerkmal und alle notwendigen Umstände detailliert abgefragt wurden, und bei deren vollständiger Bejahung ein Schuldspruch am Ende der Entscheidung als Schlussfolgerung der erkannten Einzelmerkmale gerechtfertigt sein konnte. Besonders bedenklich ist, dass bei Aufstellung des Fragenkatalogs gerade nicht nur notwendige Einzelmerkmale des Tatbestandes Berücksichtigung fanden, sondern vielmehr auch Indizien abgefragt wurden, die auf die Überzeugungsbildung hinsichtlich der eigentlichen Tatbestandsvoraussetzungen abzielten. Leist hatte in seiner Rede zur Vorstellung des neuen Strafverfahrens das französische Fragesystem gegenüber dem englischen Modell einer Beschränkung der Frage auf ein „schuldig“ oder „nicht schuldig“ verteidigt. Gleichzeitig sah er aber auch die Gefahr einer Übertreibung der Aufsplittung von Sachverhalten: „Fälle der Art, wie sie der Großrichter Frankreichs aufführt, daß nämlich in verwickelten Criminalprozessen, worin die Anzahl der Angeklagten sehr beträchtlich war, zehn-, zwanzig-, ja dreißigtausend Fragen der Jury vorgelegt worden seien, werden hoffentlich bei uns nie vorkommen.“173

Hatten die Geschworenen ihre Entscheidung getroffen, so wurde der Präsident benachrichtigt und ein Richter nahm die Erklärungen auf. Nach Art. 78 PPO fiel die Entscheidung einer jeden vom Gericht der Jury vorgelegten Frage für den Angeklagten aus, wenn fünf von den zwölf Geschworenen zu dessen Vorteil stimmten. Gegen den Angeklagten fiel die Entscheidung aus, wenn acht der Geschworenen wider den Angeklagten in ihrer Erklärung stimmten. Im Falle einer Entscheidung gegen den Angeklagten konnte die Jury aus freien Stücken den Schuldigen schließlich der Gnade des Königs empfehlen. Dies konnte auch dann der Fall sein, wenn die Jury das Vorliegen eines mildernden Umstandes annahm, nach diesem aber im Rahmen des Fragenkataloges nicht gefragt worden war174. 172 173

Vgl. Feuerbach, Betrachtungen, S. 210 ff. mit weiteren Beispielen. Zur Rede von Leist siehe B. II. 3.

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Gegen die Entscheidung der Jury war eine Appellation nicht statthaft. War jedoch das Gericht einstimmig der Ansicht, dass die Geschworenen zwar die gesetzlichen Formen beachtete, aber dennoch in der Hauptsache sich geirrt hatten, so konnte es verfügen, dass das Urteil ausgesetzt und die Sache bis zur nächsten Session verschoben werde, um einer neuen Jury vorgelegt zu werden. Dies durfte aber nur geschehen, wenn die Entscheidung der ursprünglichen Jury zu Lasten des Angeklagten ausgefallen war175. Möglich war jedoch ein Antrag auf Kassation, der binnen von drei Tagen vom Angeklagten oder dem Generalprokurator gestellt werden konnte. Als Kassationshof fungierte nach Art. 21 der Verfassung der Staatsrat. In bestimmten gesetzlich geregelten Fällen konnten Entscheidungen in Strafverfahren für nichtig erklärt werden. Nach Art. 112 Nr. 4 PPO lag ein Fall der Nichtigkeit vor, wenn in einem Verfahren eine Entscheidung durch eine größere oder geringere Zahl von Richtern oder Geschworenen getroffen wurde. Hinsichtlich der Geschworenen galt dabei, dass die Geschworenen in einer zu geringen Anzahl entschieden hätten, wenn einer oder mehrere von ihnen nicht die vorgeschriebene Eigenschaft hatte. Auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen dieser neuen PPO wurden in der Zeit von 1809 bis 1813 die schwurgerichtlichen Verfahren im Königreich Westphalen und so auch in den hier interessierenden hessischen Gebieten durchgeführt176. Auch wenn die PPO nicht die Regelungstiefe des 1808 verabschiedeten Code d’instruction criminelle oder des späteren kurhessischen Gesetzeswerkes über die schwurgerichtlichen Verfahren von 1848 besaß, so war sie doch kein Provisorium für kurzfristig und politisch motiviert vorzuführende Schauprozesse. Das knappe und in Detailfragen ergänzungs- bzw. korrekturbedürftige177, aber durchaus praxistaugliche Regelungswerk machte es dennoch möglich, dass in kurzer Zeit eine Laienbeteiligung im Strafverfahren realisiert werden konnte. Die an dieser Stelle vorzubringenden Bedenken gegen die dieser Gestalt revolutionierte Strafrechtspflege betreffen in entscheidender Weise nicht das gesetzlich gere174 Vgl. zur Nedden, S. 112 ff. zu der möglichen Berücksichtigung von strafschärfenden und strafmildernden Umständen. 175 Art. 84 PPO. 176 Im Staatsarchiv Marburg befinden sich im Bestand 265 eine Vielzahl von Verfahrensakten des Kriminalgerichts und des Generalprokurators in Marburg über die hier geführten Verfahren bis 1813. Warum dagegen nur wenige Akten aus Kassel erhalten blieben, ist ungeklärt; siehe König, Vorb. S. VI.; vgl. im Übrigen zu den noch vorhandenen Beständen der westphälischen Kriminalgerichtshöfe zur Nedden, S. 10, Fn. 9. 177 Insbesondere hinsichtlich der Art und Weise der Fragenstellung sowie die missbrauchsanfällige Stellung des Vorsitzenden bei eingeschränkter Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten sind zu nennen; dazu sogleich unter 4.

II. Die Modernisierung der Strafrechtspflege

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gelte Verfahren des Geschworenenprozesses an sich, sondern insbesondere die zielgerichteten Beschränkungen des Zuständigkeits- und Wirkungskreises der Geschworenengerichte. 4. Der Praxisalltag der neuen Geschworenengerichte Die Durchführung der ersten schwurgerichtlichen Verfahren zu Beginn des Jahres 1809 hatte sich entgegen der Vorgaben in der Verfassung um ein halbes Jahr verzögert. Dennoch erscheint es erstaunlich, dass es der neuen Regierung gelungen ist, in relativ kurzer Zeit ein völlig neues Rechtsinstitut ins Leben zu rufen, zumal hier die aktive Mitwirkung der ausgewählten Bürger gefordert war. Darüber hinaus waren alle Richter und Prokuratoren deutsche Beamte, was im Übrigen ganz der napoleonischen Überzeugungsstrategie entsprach. Die Menschen reagierten wohl allgemein auch mit Interesse und Neugier auf diese neue Einrichtung. Die öffentlichen Verhandlungen vor den Geschworenengerichten trafen regelmäßig auf große Resonanz178. Teilweise gab es wohl anfangs in einigen Departements ganz praktische Probleme überhaupt geeignete Räumlichkeiten zu organisieren179. Entsprechendes ist aber für die Hauptorte Kassel und Marburg nicht festzustellen180. Ausweislich der in den Verfahrensakten zu findenden Anschreiben an die Geschworenen wurden sie in Kassel in das dortige Altstädter Rathaus181 geladen. In Marburg fanden die Verhandlungen im Kollegienhaus182 statt. Aus den noch vorhandenen Listen der ausgewählten Geschworenen aus dem Jahre 1808183 und den noch vorliegenden 36-er-Listen ist zu entnehmen, dass in der Hauptsache Kaufleute, Ärzte oder Apotheker, Handwerker unterschiedlichster Art, Bauern sowie Beamte (oftmals Maires) als geeig178

Vgl. den Hinweis bei Rob, S. 33. Vgl. zur Nedden, S. 27. 180 In der Ständeversammlung am 7. Juli 1846 wies der Abgeordnete Schwarzenberg jedenfalls im Rahmen einer Debatte über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens darauf hin, dass es diesbezüglich nicht an geeigneten Gebäuden fehlen werde, wie dies die westphälische Zeit gelehrt habe; KhLtV 1846, 1. Band, Nr. 32, S. 4 f. 181 Erbaut 1408 und im Jahre 1837 abgebrochen; vgl. Landau, Kurhessen, S. 154. 182 Wohl am Ort des heutigen Seminargebäudes der Philipps-Universität in Marburg, Am Plan; siehe Küch/Niemeyer, Stadtplan von 1750, S. 8 und StadtansichtPlan von G. Knoch 1760, S. 13. 183 Siehe die erstellten Departementslisten mit Angaben zum Namen, Alter und Beruf der ausgewählten Bürger, Hess. StA Marburg, 76a Nr. 359; vgl. auch die Geschworenenlisten der Jahre 1810–1813, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 9. 179

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

nete Personen für das Geschworenenamt benannt wurden. In den einzelnen Verfahrensakten finden sich dabei auch immer wieder Bittschriften von einzelnen für eine bestimmte Verhandlung ausgewählten Geschworenen, welche um Entbindung von der Verpflichtung zur Wahrnehmung des Geschworenenamtes nachsuchten. Dies muss allerdings nicht bedeuten, dass die jeweiligen Bürger ihre Mitwirkungspflicht im schwurgerichtlichen Verfahren oder aber die Einrichtung der Geschworenengerichte überhaupt ablehnten184. Das Amt des Geschworenen war eine Bürgerpflicht, der man ohne Anspruch auf Aufwandsentschädigung nachzukommen hatte185. Angesichts des doch im Einzelfalle anzunehmenden erheblichen Zeit- und Kostenaufwandes dürfte es verständlich sein, wenn etwa ein Landwirt oder ein Apotheker die gegebenenfalls lange Anreise und längere Abwesenheit von seiner täglichen Arbeit zu vermeiden suchte. Die Verhandlungen fanden allein in den jeweiligen Hauptorten des Departements statt und begannen regelmäßig in den frühen Morgenstunden ab neun Uhr, so dass für den einzelnen Geschworenen unter Umständen eine rechtzeitige und längere Anreise von seinem Wohnort im Departement nach dem Hauptorte (also in den hier interessierenden Gebieten nach Marburg beziehungsweise Kassel) erforderlich wurde. Die schwurgerichtlichen Verfahren betrafen überwiegend Alltagskriminalität, was aber seinen wesentlichen Grund auch darin hatte, dass politisch bedeutsame sowie die öffentliche Ordnung betreffende Verbrechen in erheblichem Maße den Geschworenengerichten entzogen worden waren186. Dem Verzeichnis über die Eingänge beim Kriminalgericht des Werra-Departements in Marburg für das Jahr 1810 ist zu entnehmen, dass etwa die Hälfte aller Verfahren solche wegen Diebstahls in unterschiedlichen Formen betrafen. Hinzu kommen Delikte wegen Vagabundenlebens, Gewaltverbrechen und anderes, aber auch einige Fälle des Ausbleibens als Zeuge oder als Geschworener187. Der Schwerpunkt mit den Diebstahls- und Raubdelikten sowie die Verfahren wegen Vagabundenlebens deckt sich mit dem Befund, dass in dieser Zeit die Bevölkerung unter den weiteren Kriegsfolgen und Aushebungen zum Kriegsdienst erheblich litt und in zunehmende wirtschaftliche Bedrängnis kam188. 184 In Einzelfällen mag eine Verweigerungshaltung feststellbar sein; vgl. dazu nachfolgend unter III. 185 Im Gegensatz zu den geladenen Zeugen erhielten die Geschworenen keine Entschädigung für ihren Zeit- und Kostenaufwand. 186 Dazu sogleich unter III. 187 Siehe die monatlichen Verzeichnisse der entschiedenen Sachen von Januar 1810 bis Januar 1811, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 8. 188 Die neue Strafrechtspflege führte aber zugleich zu einer sehr effektiven Verfolgung der Räuber und Diebe, was zu einer erheblichen Steigerung der Häftlings-

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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III. Beschränkungen und Einflussnahme Die Schwurgerichtsbarkeit der westphälischen Zeit hatte ebenso ungünstige Grundvoraussetzungen wie die Geschworenengerichte im nachrevolutionären Frankreich. Die politischen Verhältnisse waren unruhig. Nicht zuletzt die kriegerischen Auseinandersetzungen hatten auch im Königreich Westphalen Einfluss auf das Regierungshandeln. Wie vorangehend in Frankreich wurde schon bald den Geschworenengerichten die Zuständigkeit für Delikte entzogen, welche in besonderem Maße die Sicherheitsinteressen der Monarchie berührten und politisch für Aufsehen sorgten. Der Modellstaat kam insbesondere im Zuge der wieder aufflammenden Kriegshandlungen im Jahre 1809 in Bedrängnis. Zum Ende des vorausgegangenen Jahres hatte Österreich den Entschluss zum Angriff auf Frankreich gefasst, unter anderem ermutigt durch die Schwierigkeiten Napoleons auf seinem Feldzug in Spanien. Propagandistisch begleitet suchte Österreich auch, seinen Krieg zugleich zu einem nationalen Krieg der Deutschen für Befreiung und Wiedergeburt des Reiches zu machen189. In diesem Zuge sollten regionale Aufstände organisiert werden, nicht zuletzt unter Ausnutzung bestehender Sympathien für die alten Dynastien. Dies galt auch für das Gebiet HessenKassel, wo es bereits seit dem Frühjahr 1809 insbesondere im Werra-Departement wiederholt zu kleineren Unruhen kam190. Der entflohene Kurfürst wirkte von seinem Exil in Prag aus an den Umsturzplänen mit, gab aber wohl den beabsichtigten regional begrenzten Aufständen ohne militärische Unterstützung keine großen Erfolgsaussichten191. Bedrohlich wurde die Lage dann auch für das Königreich Westphalen durch die von dem preußischen Premierleutnant von Katte angezettelten Aufstände in Magdeburg, Stendal und Wolmirstedt Anfang April 1809. Hierbei kam es zu räuberischen Handlungen gegen staatliche Güter, wobei aber städtisches und privates Eigentum bewusst unangetastet blieb, was den Aufständischen die Bezeichnung als „politische Räuber“ eintrug192. Jérôme sah sich auch durch die vorangegangen bedrohlichen Anzeichen und nach Hinweisen auf bevorstehende Aufstände zum Handeln gezwungen. Mit Dekret vom 5. April 1809193 errichtete er zunächst zeitlich begrenzt für zwei Monate drei Militärgerichte in Kassel, Braunschweig und Magdeburg. Den Vorsitz in dem aus weiteren sechs Offizieren bestehenden zahlen führte; siehe die Verzeichnisse der Gefangenen im Marburger Turm und Stockhaus, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 4. 189 Nipperdey, S. 23. 190 Siehe Hartmann, S. 173. 191 Seier, Handbuch, S. 30 f. 192 Kleinschmidt, S. 226. 193 Bulletin des lois 1809, 2. Teil, S. 4 ff.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

Militärgericht hatte jeweils der örtliche kommandierende Divisionsgeneral. Aufgabe dieser Gerichte war die Herstellung der Sicherheit gegen Störer der öffentlichen Ruhe einmal gegen bewaffnete Räuber und auch gegen Deserteure und falsche Werber. Nach dem genannten Dekret war es das Ziel, ein schnelleres Verfahren als das bei den gewöhnlichen Gerichten einzuführen. Gegen die Störer sollte mit aller Härte vorgegangen werden. Die Todesstrafe war die Regel. Das Dekret lieferte auch gleich den einschlägigen Tatbestand des strafwürdigen Komplotts. Nach Art. 4 des Dekrets vom 5. April 1809 sollte jeder zum Tode verurteilt und unverzüglich hingerichtet werden, der mit den Waffen in der Hand als Teilnehmer eines wider die öffentliche Ordnung bewaffneten Komplotts betroffen wird. Ein Komplott setzte voraus, dass sich drei bewaffnete Personen verbinden, um Gewalttätigkeiten zu begehen194. Durch die so kurzfristig eingerichteten Sondergerichte wurden bald die ersten Todesurteile gegen die Aufständischen gesprochen. Damit war also bereits kurz nach Aufnahme ihrer Tätigkeit zu Beginn des Jahres 1809 den Geschworenengerichten ein bedeutender und politisch brisanter Bereich entzogen. Zum einen war für den in Bedrängnis geratenen Monarchen ein schnelles und effektives Reagieren auf die Aufstände von besonderem Interesse. Zum anderen musste der französische Herrscher davon ausgehen, dass die hessischen Geschworenen vor allem vor dem Hintergrund der aufwallenden patriotischen Gefühle und den durch die Kriegszustände sich zusehends verschlechternden Lebensumständen im hessischen Gebiet Verständnis für die Aufständischen zeigten. Jedenfalls konnte erwartet werden, dass die Geschworenen vor einem unweigerlich nach einem Schuldspruch auszusprechenden Todesurteil zurückschreckten. Hier tritt wieder die politische Dimension des Geschworenengerichts zu Tage, jedoch in dem Sinne, dass eine Beteiligung des Volkes verhindert werden musste, wenn politische Machtinteressen oder gar der schlichte Machterhalt in Frage standen. Als es noch im April 1809 zu dem berühmten Dörnbergschen Aufstand kam, war also bereits rechtliche Vorsorge getroffen, um die Aufständischen nicht vor ein reguläres Geschworenengericht, sondern vor ein Militärgericht stellen zu können. Auf die Kriegserklärung Österreichs an Frankreich folgten lokale Aufstände, was auch den Obersten von Dörnberg veranlasste, seine schon lange geplanten Insurrektionspläne in die Tat umzusetzen. Sein Ziel war die Gefangennahme des Königs und die Wiederherstellung der kurfürstlichen Herrschaft. Die Mitverschwörer Dörnbergs, der Frielendorfer Friedensrichter Martin sowie der Oberst Emmerich sollten gleichzeitig Aufstände der Landbevölkerung in der Schwalm und in der Umgebung von 194

Art. 5 des Dekrets vom 5. April 1809.

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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Marburg entfachen. Dieser Plan scheiterte völlig, insbesondere mangels näherer Koordination und schließlich an der hoffnungslosen Unterlegenheit des aufgestellten Bauernheeres195. Am 23. April 1809 kam es zum Zusammenstoß der Aufständischen mit Gardetruppen des Königs an der Knallhütte bei Kassel. Der ungeübte Insurgentenhaufen unterlag und löste sich beim Rückzug auf. Dörnberg floh nach Böhmen196. In der darauffolgenden Propaganda versuchte der König die Aufständischen als kriminelle Räuber und Verräter dazustellen, wobei politische Motive verschwiegen wurden197. Durch die bereits vorhandenen Militärgerichte wurden daraufhin zahlreiche Todesurteile ausgesprochen, jedoch nur zwei davon vollstreckt. Zum Teil kam es allerdings auch zu Freisprüchen198. Andere Aufständische wurden in Kassel in das dort als sogenannte westphälische Bastille dienende Kastell eingeliefert. Per Dekret vom 29. April 1809 sollten von Dörnberg, von der Malsburg, von Butlar und von Dalwigk, als Anstifter der Rebellion und als Verräter an König und Vaterland zum Tod durch Pulver und Blei durch die Spezialmilitärgerichte auf der Grundlage des Dekrets vom 5. April 1809 verurteilt werden. Zugleich wurde den übrigen Teilnehmern des Aufstandes Straflosigkeit zugesagt, wenn sie sich binnen acht Tagen in ihre Wohnung zurückbegeben sollten. Davon ausgenommen waren aber alle im Dienst befindlichen Offiziere und Soldaten und vormalige Soldaten sowie öffentliche Beamte, welche sich an dem Aufstand wenn auch nur anstiftend beteiligt hatten199. Letztere sollten ebenfalls durch die Militärgerichte abgeurteilt werden. Dem durch diese Regelung betroffenen Friedensrichter Martin gelang die Flucht nach Berlin. Ihm sollte nach seiner Rückkehr im Jahre 1810 der Prozess allerdings dann vor einem normalen Geschworenengericht gemacht werden. Folge des Aufstandes im April 1809 war eine verstärkte Wachsamkeit der Polizeibehörden, nachdem bereits im September 1808 im Königreich eine Geheimpolizei geschaffen wurde, als die ersten Anzeichen für Umsturzpläne unter Mitwirkung des im Exil befindlichen Kurfürsten bekannt wurden. Spionage stand nun auf der Tagesordnung200. Jérôme fürchtete einen erneuten Ausbruch im Falle militärischer Erfolge Österreichs sowie beim Herannahen des Majors von Schill mit seinem Streifkorpsunternehmen, welchem sich einige Bürger seines Königreichs angeschlossen hatten201. Österreich gelang in der Schlacht von Aspern am 2. Mai 1809 ein 195 196 197 198 199 200 201

Seier, Handbuch, S. 29 ff. Hartmann, S. 170 f.; Muras, S. 43 ff. Siehe dazu Hartmann, S. 173 f. Kleinschmidt, S. 251 ff. Bulletin des lois 1809, 2. Teil, S. 26 ff. Kleinschmidt, S. 258. Hartmann, S. 174.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

Sieg über Napoleon. Mit Dekret vom 29. Mai des Jahres202 wurde das Dekret über die Einsetzung der Spezialkriegsgerichte nun auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Verfahren sollten nach den Regeln für Militärkommissionen aus dem militärischen Strafkodex vom 23. Juli 1808 geführt werden. Somit standen auch die gesondert eingerichteten Militärgerichte bereit, als es im Juni 1809 zum Marburger Aufstand unter Führung des bereits am Dörnbergschen Aufstand beteiligten Oberst Andreas Emmerich und dem Marburger Professor der Medizin Heinrich Sternberg kommen sollte203. Der bereits siebzigjährige Emmerich besetzte mit einem Haufen am 24. Juni 1809 Marburg unter Überwältigung der allerdings schwachen westphälischen Präfekturgarde. Doch das kurz darauf zurückkehrende Militär beendete rasch die Revolte. Die Unterstützung der Aktion durch die Bevölkerung Marburgs blieb aus. Die Schüler Sternbergs gar verschliefen mangels ausreichender Abstimmung die Schießerei204. Die Aufständischen wurden festgenommen mit Ausnahme insbesondere der Hauptbeteiligten Ludwig Koch, Johannes Stoll und Johannes Moog, die erst im darauffolgenden Jahre festgenommen und vor ein reguläres Geschworenengericht gestellt werden sollten205. Mit Schreiben vom 28. Juni 1809 ordnete Justizminister Siméon an, die Gefangenen nach Kassel zu bringen, damit sie dort vor das mit Dekret vom 5. April des Jahres geschaffene Militärgericht gestellt werden206. In Reaktion auf die Ereignisse des Marburger Aufstandes erklärte der Präfekt des Werra-Departements von Berlepsch207 in einem Schreiben vom 25. Juni 1809 unter anderem: „Die Hauptabsicht des Obersten Emmerich ist, plündern und rauben zu wollen. Er ist eine Vereinbarung mit den alten hessischen Soldaten eingegangen, hat viele Bauern durch allerlei Vorspiegelungen betrogen und auf die üble Stimmung eines Teils der hiesigen Bürger, die aus dem Finanz- und Steuersystem entstanden ist, kalkuliert.“208

Auch bei dieser Gelegenheit werden wiederum die Aufständischen als schlichte Kriminelle dargestellt. Wie in den vorangeschilderten Fällen wer202

Bulletin des lois 1809, 2. Teil, S. 368. Eingehende Darstellung bei Muras, S. 52 ff.; Varges, ZHG, 17. Band, 1892, S. 350 ff. 204 Seier, Handbuch, S. 32; siehe die Darstellung der Ereignisse bei Muras, S. 139 ff. 205 Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 48. 206 Siehe auch zu den weiteren Ermittlungen Muras, S. 154 ff. 207 Friedrich Ludwig von Berlepsch (1749–1818) war vom September 1808 bis September 1809 Präfekt des Werra-Departements und wirkte danach bis 1813 als Staatsrat der Finanzen im Königreich Westphalen; siehe Lengemann, Parlamente, S. 117 f. 208 Erklärung vom 25. Juni 1809, teilweise abgedruckt bei Hartmann, S. 175. 203

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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den die Beteiligten des Aufstandes mit landschädlichen Räubern gleichgestellt. Im Hinblick auf die allgemeine Zuständigkeit der Geschworenengerichte konnte dieser Bewertung auch grundsätzliche Bedeutung zukommen. In einem Schreiben des Justizministers an einen seiner Gerichtspräsidenten vom 29. Januar 1809 ließ Siméon bereits erkennen, dass auch hinsichtlich der Verfahren gegen Vagabunden und Landstreicher eine Beschränkung der Zuständigkeit der Geschworenengerichte beabsichtigt war. Um die Gefängnisse nicht mit Betrügern und Landstreichern anzufüllen, müssten die Verfahren gegen sie lebhaft betrieben und ihr Urteil bei der nächsten Jury gesprochen werden. „Wenn das peinliche Gesetzbuch entworfen wird, so wird man sehen, ob man die fremden, auf der That betroffenen Spitzbuben nicht dem Geschworenen Gericht wird entziehen, und ihr Urtheil sofort vom Criminalgericht wird fällen lassen können.“209

Hier werden die „fremden“ Kriminellen angesprochen, also zunächst sicherlich auch die von den linksrheinischen Gebieten in westphälisches Territorium eindringenden Räuberbanden. Eine entsprechende gesetzliche Regelung, wie vom Justizminister hier angesprochen, konnte aber auch dazu dienen, politisch motivierte Eindringlinge oder Aufständische strafrechtlich als gewöhnliche Kriminelle zu verfolgen und sie gerade nicht von einem Geschworenengericht aburteilen zu lassen. Die jederzeitige Gewährleistung der öffentlichen Ordnung wäre auch in dieser Hinsicht Motiv für eine Beschränkung der Zuständigkeit der Jury. Die festgenommenen Aufständischen des Marburger Aufstandes wurden jedenfalls vor das Militärgericht in Kassel gestellt. Neun von ihnen wurden zum Tode verurteilt. Neben Emmerich und Sternberg wurden zwei weitere Verschwörer erschossen. Die übrigen fünf Beteiligten wurden begnadigt210. Nachdem mit der Erschießung der Haupträdelsführer des Marburger Aufstandes am 18./19. Juli 1809 ein Exempel statuiert worden war, schien sich die Lage für die Regierung zunächst zu entspannen. Der königliche Begnadigungsbrief bezüglich der fünf anderen Verurteilten wurde in öffentlicher Sitzung des Kriminalgerichts in Marburg vor großer Menschenmenge verlesen211. Inzwischen hatte auch Napoleon in der Auseinandersetzung mit Österreich wieder die Oberhand bekommen. Im Juli 1809 unterlagen die Österreicher bei Wagram. Am 14. Oktober des gleichen Jahres schlossen sie mit Napoleon den Frieden von Schönbrunn. Mit Dekret vom 27. Oktober 1809 wurden die im April dieses Jahres eingerichteten Militärtribunale wieder 209 210 211

Oesterley’s Magazin 1811, 3. Band, S. 311. Die Begnadigungsurkunde ist abgedruckt bei Muras, S. 192 ff. Muras, S. 194.

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

aufgehoben212. Die kommenden Verfahren konnten daher wieder vor den Geschworenengerichten stattfinden. Die nach dem Marburger Aufstand entflohenen Beteiligten Koch und Stoll wurden zu Beginn des Jahres 1810 gefasst. Der im Januar festgenommene Koch wurde zunächst nach Kassel verbracht, wohl um ihn dort vor das Militärgericht zu stellen. Nach Auflösung der gesondert eingeführten Spezialmilitärgerichte im Oktober des vorangegangenen Jahres aber fehlte nun die Rechtsgrundlage. Koch wurde wieder nach Marburg verbracht. Im März 1810 wurde dann auch Stoll aufgegriffen. Nach den alsbald abgeschlossenen Voruntersuchungen gab das Distrikttribunal in Marburg die Sache an das Kriminalgericht in Marburg ab, das Ende März 1810 verfügte, dass das peinliche Verfahren einzuleiten sei und der Generalprokurator die Anklageurkunde zu verfassen habe, da beide Angeschuldigten geständigermaßen mit dem Säbel bewaffnet an dem Aufstand teilgenommen hätten und ihr Verbrechen daher peinlich sei213. Dennoch wurde das Verfahren zunächst auf Anweisung des Justizministers bis auf weiteres gestoppt. Man wartete wohl noch auf die Verhaftung des weiterhin flüchtigen Moog, der dann erst im August 1810 aufgegriffen werden konnte214. Nun konnte der peinliche Prozess gegen alle drei Verschwörer vor dem Kriminalgericht in Marburg eröffnet werden. Am 25. September des Jahres erfolgte die Anklage wegen Aufruhr und Hochverrat. Am 29. Oktober 1810 fand der Geschworenenprozess im Kollegiengebäude in Marburg unter reger Anteilnahme der Bevölkerung statt. Die drei Angeklagten wurden wegen erwiesener Taten zum Tode verurteilt. Grundlage des Urteils bildeten das bekannte Dekret vom 5. April 1809 sowie eine Verordnung aus kurhessischer Zeit vom 14. Februar 1795 gegen Hochverrat215, welche seinerzeit aus Sorge vor dem Eindringen französisch geprägter revolutionärer Bestrebungen erlassen worden war. Diese Verordnung konnte aufgrund der Regelung in Art. 111 PPO als Grundlage für eine Verurteilung herangezogen werden. Die Geschworenen hatten die Verurteilten jedoch der Gnade des Königs empfohlen. Dieser wandelte die Todesstrafen schließlich in Eisenstrafen um. Die Begnadigungsurkunde wurde öffentlich am 8. Dezember 1810 verlesen216. 212

Bulletin des lois 1809, 3. Teil, S. 390 ff. Beschluss des Kriminalgerichts in Marburg vom 28. März 1810, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 3. 214 Siehe hierzu die Darstellung bei Muras, S. 222 ff. 215 Neue Sammlung, 4. Band, S. 216 f.; Diese strafrechtliche Bestimmung war im Jahre 1843 auch Grundlage für die Verurteilung des Staatsrechtlers Sylvester Jordan und war noch 1848 Gegenstand von Reformforderungen im Bereich des materiellen Strafrechts, siehe unter C. IV. 2. 216 Begnadigungsurkunde vom 25. November 1810, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 25. 213

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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Im Zusammenhang mit der Bildung der Jury im Prozess gegen die drei Beteiligten des Marburger Aufstandes wird betont, man habe Probleme gehabt, überhaupt die erforderliche Zahl der Geschworenen zusammen zu bringen217. In der Tat hatten sich einige der zu Beginn des Monates Oktober 1810 ausgelosten Geschworenen entschuldigen lassen, einer von ihnen war verstorben218. Gleichwohl wird man hieraus und auch bei Berücksichtigung ähnlich gelagerter Fälle nicht zwingend den Schluss ziehen dürfen, die Bürger hätten der ihnen abverlangten Teilnahme an peinlichen Prozessen grundsätzlich ablehnend gegenüber gestanden219. Oft werden persönliche oder rein wirtschaftliche Erwägungen der Grund dafür gewesen sein, die Übernahme des Geschworenenamtes im konkreten Fall zu vermeiden zu suchen. Dass die Geschworenen im Übrigen nicht davor zurückschreckten, Landsleute auch wegen politisch bedeutsamer Delikte der Todesstrafe auszusetzen, zeigen zwei weitere Verfahren, in denen jeweils die Schuld der Angeklagten festgestellt wurde. Der erste Fall betrifft den Frielendorfer Friedensrichter Martin220, der am Dörnbergschen Aufstand beteiligt war und der daraufhin nach dem Dekret vom 29. April 1809 von dem seinerzeit noch vorhandenen Spezialmilitärgericht abgeurteilt werden sollte. Nach seiner Flucht nach Berlin kehrte er freiwillig in der Hoffnung auf die Milde des Königs zurück. Gleichwohl wurde er verhaftet und wegen Hochverrats vom Kriminalgericht zum Tode verurteilt und erst in letzter Stunde durch Jérôme begnadigt221. Sein Vater schilderte sicherlich geprägt von väterlicher Zuneigung das Auftreten vor den Geschworenen wie folgt: „Unser Sohn verteidigte sich selbst in einer Rede, von der man allgemein sagte, dass sie ein Meisterstück sei. Leider verfehlte dieselbe ihren Zweck; sie machte zwar allgemein Sensation und tiefen Eindruck, dennoch ward er des Verbrechens des Hochverrats von den Geschworenen schuldig erklärt und zum Tode des Schwertes verurteilt.“222

Der zweite Fall im politisch ruhigeren Jahr 1810 brachte ebenfalls einen Schuldspruch durch die Geschworenen, was offensichtlich selbst für den 217

Vgl. Varges, S. 382; Muras, S. 233 f. Siehe die Entschuldigungsschreiben Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 28. 219 Vgl. hierzu zur Nedden, S. 98 f. 220 Siegmund Peter Martin (1780–1834) wurde 1808 zum Friedensrichter bestellt, suchte aber aus Hass gegen die Unterdrücker Anschluss an die Aufständischen um Emmerich; zur Person siehe Schnack, 2. Band, S. 255 ff. 221 Kleinschmidt, S. 256; Wachter, S. 226. 222 Handschriftliche Lebensbeschreibung des Vaters, zitiert bei Martin, ZHG, 18. Band, 1893; S. 455, 487; Martin warf später den Geschworenen vor, sie hätten sich „durch Drohungen und Versprechen“ dazu verleiten lassen, gegen ihn das Todesurteil auszusprechen, Müsebeck, S. 88. 218

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

Justizminister überraschend kam. Der wohl wegen seiner groben Art bekannte Gendarm Carl Eskuchen hatte anlässlich einer Auslosung von Wehrpflichtigen in Kirchhain, bei der es zu Auseinandersetzungen gekommen war, den Konskribierten Joseph Eif getötet. Die Behörden meinten zunächst, dieser Fall gehöre vor ein Militärgericht, weil grundsätzlich die Gendarmerie dem Kriegsminister unterstand. Dennoch beschloss der Staatsrat, die Sache vor ein normales Geschworenengericht zu bringen. In dem entsprechenden Dekret vom 23. Mai 1810 wird darauf verwiesen, dass der Beschuldigte die Tat bei Ausübung von rein polizeilichen und nicht militärischen Angelegenheiten verübt habe223. Das Kriminalgericht in Marburg verurteilte Eskuchen schließlich am 30. Juni 1810 zum Tode224. Für Siméon, der sich zuvor dafür eingesetzt hatte, dass der Fall nicht vor ein Militärgericht kommen sollte, schien das Urteil wohl zu hart. Auf seine Verfügung hin wurde die Hinrichtung zunächst verschoben225. Am Ende wurde Eskuchen begnadigt. Die Strafe wurde in eine zweijährige Gefängnisstrafe abgemildert226. Allerdings ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass insbesondere in den oben genannten Fällen der Beteiligung an einem Komplott auch die Art der Fragestellung es den Geschworenen bereits dem Grundsatz nach nicht leicht machte, die Schuld zu verneinen. Die Fragestellung orientierte sich an der einschlägigen Strafnorm, also hier insbesondere an den Definitionen des Dekrets vom 5. April 1809. Für die Todesstrafe genügte es, dass jemand bewaffnet an einem Komplott gegen die öffentliche Ordnung teilgenommen hat. Auf die Motive oder näheren Ziele kam es nicht an. Einfache historische Wahrheiten waren nur schwer zu leugnen. Wie oben bereits ausgeführt war es den Geschworenen auch nicht erlaubt, Fragen inhaltlich im Rahmen der Beantwortung zu modifizieren227. So blieb ihnen in solchen Fällen nichts anderes übrig, als den Verurteilten der Gnade des Königs zu empfehlen, was in der Tat in vielen Fällen geschah. Andererseits ist doch zu betonen, dass die westphälische Regierung offensichtlich keine Bedenken hatte, den Geschworenengerichten die Verfahren gegen die berüchtigten Räuberbanden dieser Zeit anzuvertrauen, obwohl auch hier in erheblichem Maße die öffentliche Sicherheit betroffen war. Bereits in den linksrheinischen Gebieten zeitigte die straff zentralisierte und militärisch organisierte Gendarmerie erheblichen Verfolgungsdruck auf die dortigen Räuberbanden, die bald über den Rhein auch in die 223

Dekret vom 23. Mai 1810, Bulletin des lois 1810, 1. Teil, S. 62 ff. Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 60. 225 Siehe Schreiben des Justizministers vom 8. Juli 1810, Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Nr. 4. 226 Begnadigungsschreiben vom 26. August 1810, Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 60. 227 Siehe unter B. II. 3. 224

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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hessischen Gebiete auswichen228. Im Königreich Westphalen hatte man aber recht schnell die marodierenden Banden durch die neue effektive Strafrechtspflege wirksam in den Griff bekommen, so dass alsbald schon für das Jahr 1815 der Schluss gezogen werden konnte, dass die Zeit der vagabundierenden Banden vorbei gewesen sei229. Die Geschworenengerichte der westphälischen Zeit scheinen hierbei erheblichen Anteil gehabt zu haben. Sie zeigten sich in der Lage, auch komplexe Fälle mit zahlreichen Angeklagten zu bewältigen und bei ihrer Entscheidungsfindung sorgsam und differenziert vorzugehen230. Unabhängig von diesen politisch brisanten Fällen gab es jedoch auch Beschränkungen und Einflussnahmen in Fällen, bei denen davon ausgegangen werden musste, dass die Jury vor den harten unweigerlichen Folgen ihres Schuldspruches zurückschreckte. Dies betraf insbesondere Fälle der Kindstötung, bei denen die Wahrscheinlichkeit bestand, dass die Geschworenen Mitleid mit der Angeklagten hatten. Auch wurde die Erfahrung gemacht, dass in solchen Fällen ohne ein Geständnis der Angeklagten eine Verurteilung unwahrscheinlich erschien. Entsprechende Verfahren wurden daher alsbald eher vor dem Distrikttribunal angeklagt, wo mit entsprechend geringerer Strafe ein Urteil allein wegen verheimlichter Schwangerschaft und Geburt zu erwarten war231. Auch bei anderer Gelegenheit konnte der Verdacht entstehen, dass die Geschworenen zu übergroßer Milde neigten. Ende März 1810 fand vor dem Kriminalgericht in Marburg die Verhandlung vor der Jury gegen den MaireAdjunkt Herman Range aus Röllshausen statt. Er wurde angeklagt wegen des Verfassens aufrührerischer Schriften im vorausgegangenen Jahr. Die Geschworenen sprachen ihn wegen Unzurechnungsfähigkeit frei232, wobei Generalprokurator von Hanstein bereits im Vorfeld der Verhandlung diese Befürchtung gegenüber dem Justizminister geäußert hatte233. Dieser zeigte sich nach dem Freispruch verärgert und forderte den Generalprokurator auf, ihm die Namen der beteiligten Geschworenen zu benennen. Die weiteren Konsequenzen für die Geschworenen waren hier nicht zu ermitteln. Allerdings wird im Zusammenhang mit diesem Verfahren vermutet, dass der Freispruch Anlass für den Justizminister war, die Verfahren gegen die im März 1810 verhafteten Aufständischen Koch und Stoll zunächst aufzuschieben234. 228

Bettenhäuser, Räuberbanden, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 310, 329 f. Bettenhäuser, ebd., S. 342 f. 230 Siehe etwa das Verfahren gegen Conrad Schreiner und Konsorten, Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg Nr. 20. 231 Siehe hierzu zur Nedden, S. 76 und 118. 232 Hess. StA Marburg, 265.8 Prokurator Marburg, Nr. 45. 233 Ebd., Bericht von Hanstein vom 11. Februar 1810. 234 Zur Nedden, S. 98. 229

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

Der Justizminister sah aber auch in weiteren Einzelfällen Anlass, in Verfahrensabläufe gegebenenfalls auch auf gesonderte Nachfrage einzugreifen. Ein Generalprokurator hatte über ein Verfahren gegen einen Prediger berichtet, der von drei Dienstmägden unter anderem der Unkeuschheit denunziert worden war. Der Generalprokurator befürchtete, dass nach Zulassung des peinlichen Verfahrens die dann stattfindende öffentliche Verhandlung ein Ärgernis bereiten und dem ganzen geistlichen Stande nachteilig sein werde. Siméon liess seinen Beamten in einem Schreiben vom 21. August 1809235 wissen, dass er das öffentliche Verfahren für eine der vorzüglichsten Schutzwehren der den peinlichen Gerichtshöfen überlieferten Bürger halte und daher auch wegen des Gegenstandes der Untersuchung keinen Anlass sehe, das Verfahren hinter verschlossenen Türen stattfinden zu lassen. Dennoch ordnete der Justizminister an, dass die Sache dem zuständigen Consistorio zu übergeben sei, da hier kein schweres Verbrechen vorliege, welches vor das Geschworenengericht gehöre. Der Prediger sei im Falle seiner Schuld allenfalls mit einer Disziplinarstrafe zu belegen oder auch abzusetzen236. Unabhängig von etwaigen Eingriffen in die laufenden Verfahren und Beschränkungen der Zuständigkeit der Geschworenengerichte ist schließlich noch auf die Rolle des Vorsitzenden und die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten einzugehen. Der Vorsitzende des Geschworenengerichts hatte entscheidenden Einfluss auf den äußeren Ablauf der Verhandlung und der Beweisaufnahme. Er bestimmte nach Art. 51 PPO die Reihenfolge der zu vernehmenden Zeugen. Darüber hinaus konnte er gemäß Art. 53 Abs. 3 PPO selbst vom Angeklagten alle Aufklärungen verlangen, die er zur Entdeckung der Wahrheit als dienlich erachtete. Damit konnte der so mit Nachfragen und Vorhaltungen konfrontierte Angeklagte vor den Augen und Ohren der Geschworenen in erhebliche Bedrängnis gebracht werden. Zur Nedden schildert anschaulich in dem von ihm zur Darstellung des westphälischen Strafverfahrens aufbereiteten Verfahren gegen den Zitronenhändler Claus aus Braunschweig den vom Vorsitzenden des Kriminalgerichts in Wolfenbüttel gewählten Ablauf der Zeugenvernehmung. Mit der planmäßigen Bestimmung der Reihenfolge der zu vernehmenden Zeugen verfolgte Präsident Hurlebusch erkennbar das Ziel, „die Geschworenen zu beeindrucken und ihnen eventuelle Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu nehmen oder sie zumindest zu verdrängen.“237 Des Weiteren wurden in diesem 235

Oesterley’s Magazin 1811, 3. Band, S. 417. Der Justizminister bekräftigte seine Ansicht, dass in diesem Falle kein peinliches Verfahren stattfinden solle auch mit der Begründung: „es seien Dienstmägde, welche den Prediger anklagen – Weibspersonen auf deren Wahrheitsliebe man eben so wenig bauen kann, als auf ihre Sitten. Sie haben für ihre Anklage keine anderen Zeugen als sich selbst“; ebd., S. 421. 237 Zur Nedden, S. 103. 236

III. Beschränkungen und Einflussnahme

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Verfahren dem Angeklagten vielfach die detaillierten Aussagen der Zeugen unmittelbar vorgehalten. Es dürfte zweifelsfrei sein, dass ein schlichtes Leugnen an dieser Stelle für den Angeklagten sehr nachteilig gewesen ist und dies weitere unmittelbare Wirkung auf die „innigste Überzeugung“ jedes einzelnen Geschworenen zu haben vermochte238. Schließlich oblag es gemäß Art. 70 PPO dem Präsidenten, den ganzen Gegenstand der Untersuchung in einfache Sätze gekleidet vorzutragen und hierbei die Geschworenen auf die hauptsächlichsten für und wider den Angeklagten vorhandenen Beweise aufmerksam zu machen. Es liegt auf der Hand, dass der Präsident insbesondere an dieser Stelle großen Einfluss auf die Entscheidungsfindung der Jury auszuüben vermochte. Die Notwendigkeit eines Verteidigers für den Angeklagten sah die Prozessordnung erst zu einem relativ späten Zeitpunkt vor. Mit Zustellung der Anklageschrift erfolgte auch der Hinweis an den Angeklagten, dass er einen Verteidiger wählen könne. Gegebenenfalls wurde ein solcher von Amts wegen bestellt, Art. 20, 21 PPO. Die Verteidiger sollten nach Art. 45 PPO vom Präsidenten zu Beginn der Verhandlung darüber belehrt werden, dass sie nichts gegen die den Gesetzen schuldige Achtung sagen dürften und sich mit Anstand und Mäßigung auszudrücken hätten239. Die Advokaten haben sich offenbar schnell mit ihrer neuen und mit Öffentlichkeitswirksamkeit verbundenen Rolle zurecht gefunden240. Insgesamt ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die wesentlichen Bedenken hinsichtlich der westphälischen Geschworenengerichte in den jederzeit möglichen Einschränkungen ihrer Zuständigkeit sowie in den unmittelbaren Eingriffen der Regierung in laufende Verfahren zu sehen sind. Die vor den Geschworenengerichten durchgeführten Verfahren gaben offenbar selbst keinen erkennbaren Anlass, an diesem neuen Rechtsinstitut zu zweifeln. Der in Marburg auch das Kriminalrecht lehrende Professor Anton Bauer war selbst als Verteidiger vor dem Geschworenengericht tätig und besaß daher unmittelbare Erfahrungen. In seinem Abriss über die westphälische Gerichtsverfassung aus dem Jahre 1811 findet er nur wohlwollende Worte für die Laienbeteilung im Strafverfahren. Er führt zwar die allgemein vertretenen Bedenken an, wonach die Laien mangels Rechtskunde nicht in der Lage sein sollen, über Erfordernisse des Tatbestandes und die Kraft der Beweise richtig zu urteilen und sie durch die Redekunst des Verteidigers in ihrer Entscheidung beeinflussbar seien. Allein für die Beurteilung von Tat238

Ebd., S. 104. Diese Ermahnung an die Verteidiger sah auch Art. 311 des Code d’instruction criminelle vor. 240 Zu den positiven Wertungen vgl. zur Nedden, S. 121 ff.; siehe auch Oesterley’s Magazin 1810, 1. Band, S. 593 und 2. Band, S. 438 ff. 239

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

sachen genüge aber ein gesunder Verstand, allgemeine Bildung und guter Wille. Hierfür bürge die Art der Wahl der Geschworenen und ihr lebhaftes Interesse, welches sie bei Erhaltung der allgemeinen Rechtssicherheit haben und schließlich die Publizität der gerichtlichen Verhandlung. Auch komme der Präsident der Jury durch eine getreue Darstellung der Sache dem Urteil der Geschworenen zu Hilfe241. Die eigentliche Gefahr für die Einrichtung des Geschworenengerichts kam daher von außen. Eine willkürliche Beschränkung dessen Zuständigkeitsbereiches oder jederzeit mögliche Eingriffe durch die Regierung stellten das Rechtsinstitut dem Grunde nach in Frage. Missbrauchsanfällige Einzelaspekte des Verfahrens selbst waren durch Entwicklung der gesetzlichen Regelungen heilbar oder zumindest in ihrer nachteiligen Wirkung begrenzbar. Hierzu kam es wegen des alsbaldigen Endes des Modellstaates allerdings nicht.

IV. Ende des Modellstaates und Wirkungen Vor dem Hintergrund der weiteren Kriegsereignisse und dem bald beginnenden Russlandfeldzug Napoleons sollte sich auch die Lage des Königreichs drastisch verschlechtern. Westphalen war nicht nur allein Modellstaat. Es war zugleich abhängiger Satellit des französischen Imperiums und als solcher hatte er den Machtinteressen Napoleons zu dienen. Von Anfang an war es erheblichen Forderungen ausgesetzt. Zudem war das Verhältnis des Königs zu seinem kaiserlichen Bruder angespannt. Jérôme dachte gar an Entbindung von seiner deutschen Aufgabe. Seit 1811 verschärfte sich die politische Situation. Das Königreich wurde mit immer weitergehenden Forderungen konfrontiert: „mehr Geld, mehr Soldaten, mehr Souveränitätsbeschränkung“242. Innenpolitische Folge war wachsende Ablehnung gegen das fremde Regime insbesondere in der Landbevölkerung243, auch wenn weitere Aufstände vergleichbar mit den Ereignissen des Jahres 1809 ausblieben244. Napoleon war schließlich mit seinem russischen Abenteuer gescheitert. Seine Grande Armee wurde auf dem Rückzug vollständig vernichtet. Es blieb aber nicht nur bei einem Scheitern dieses groß angelegten Feldzuges. Der Krieg sollte weiter geführt, Frankreich hinter den Rhein zurückgeschlagen werden. Erreicht wurde dies letztlich durch den Beitritt Österreichs zum bereits zuvor geschmiedeten Bündnis zwischen Russland und Preußen 241 242 243 244

Bauer, S. 34 f. Seier, Handbuch, S. 33 f. Vgl. Hartmann, S. 177 ff.; Heitzer, S. 199 ff. Heitzer, S. 202.

IV. Ende des Modellstaates und Wirkungen

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im Frühjahr 1813. Die Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober des Jahres 1813 brachte den Zusammenbruch des napoleonischen Machtsystems. Auch die Auflösung des Rheinbundes und mit ihm des Königreichs Westphalen waren unmittelbare Folgen dieses letztentscheidenden Aufbegehrens gegen die französische Herrschaft in Europa. Was als Befreiungskrieg in die deutsche Geschichte einging, war geprägt von unterschiedlichen Motiven, deren innere Gegensätze in den Bestrebungen Metternichs und des Freiherrn vom Stein ihren personalen Charakter fanden. Mit der sich durchsetzenden Restaurationspolitik Metternichs sollten auch in Kurhessen bald die alten Zustände wieder einkehren. Bereits Ende September 1813 war ein Kosakenstreifkorps unter General Tschernyschew vor Kassel erschienen. Jérôme floh, kehrte aber wenige Tage später noch einmal zurück, um dann nach der Niederlage seines Bruders in der Schlacht bei Leipzig Ende Oktober endgültig sein Königreich zu verlassen und nach Paris zurückzukehren245. Der alte Kurfürst zog feierlich am 21. November 1813 wieder in Kassel ein, drei Wochen, nachdem sein Sohn der Kurprinz in die angestammte Heimat zurückgekehrt war. Der Modellstaat und seine neuen Einrichtungen einschließlich des Geschworenengerichtes sollten kurzerhand von ihm wieder beseitigt werden. Die allgemeinen Wirkungen der westphälischen Zeit werden sehr kritisch gesehen. Das Verdikt der „Fremdherrschaft“ überlagert die positiven Ansätze246. In der Tat musste eine „moralische Überzeugung“ der Bevölkerung daran scheitern, dass der Modellstaat Westphalen den überragenden Machtinteressen Napoleons ausgeliefert war und ein großer Teil insbesondere der Landbevölkerung in den noch immer vom Krieg geprägten Zeiten nicht zuletzt unter großer persönlicher Not litt247. Berding resümiert: „Der Satellitenstaat überlagerte den Modellstaat; der ‚fortschrittliche‘ Charakter des napoleonischen Zeitalters verblaßte zunehmend vor den militärdiktatorischen und ausbeuterischen Seiten der französischen Machtexpansion. Kriegskontributionen, Zwangsrekrutierungen, Truppenstationierungen und die Folgen der Kontinentalsperre bedrückten das Land.“248

Nipperdey sieht gar Tendenzen zu einem diktatorischen Unrechtsstaat gerade im Königreich Westphalen vor dem Hintergrund der dort herrschenden Zensur, der politischen Polizei und der Allmacht der Verwaltung249. 245

Seier, Handbuch, S. 35; siehe auch Hartmann, S. 178 ff. Vgl. Seier, Handbuch, S. 36 f. 247 Viele hessische Soldaten des aus 28.000 Mann bestehenden westphälischen Korps verloren auf dem russischen Feldzug ihr Leben. Nur 600 Mann überlebten; siehe Heitzer, S. 229 ff. 248 Berding, S. 109; abwägend mit positiven Wertungen Grothe, Reform, S. 125 ff.; vgl. auch Hartmann, S 168 ff. 249 Nipperdey, S. 78. 246

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B. Das Geschworenengericht im Königreich Westphalen

Allerdings ist für den Bereich der Rechtspflege eine solche umfassend negative Gesamtbeurteilung nicht festzustellen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass gerade die neue Strafrechtspflege durchaus positive Ergebnisse erzielt hatte. Neben einer Beschleunigung der Verfahren trat eine effektive Strafverfolgung insbesondere angesichts der marodierenden Räuberbanden wohltuend in den Vordergrund. Von Bedeutung war insbesondere, dass nun wieder die Strafverhandlung aus den Amtsstuben hinaus in die Öffentlichkeit getragen wurde. Dies hatte auch bleibenden Eindruck bei den nach dem Ende des Königreichs weiterhin tätigen hessischen Beamten und Juristen hinterlassen250. Bemerkenswert ist aber insbesondere, dass, wenn auch mit einiger zeitlicher Distanz, die westphälische Strafrechtspflege und hier besonders das öffentliche und mündliche Verfahren vor den Geschworenengerichten sehr positive Erwähnung im Rahmen der Verhandlungen des kurhessischen Landtages in den vierziger Jahren fanden. Auch die Peinliche Prozessordnung von 1808 galt durchaus als geeignete rechtliche Grundlage, auf welcher das in Aussicht genommene schwurgerichtliche Verfahren basieren konnte251. Leist hatte in seiner Rede vor der Ständeversammlung am 17. August 1808 zur Vorstellung der neuen Peinlichen Prozessordnung ausgeführt, das Geschäft eines Geschworenen gehöre zu den öffentlichen, im höchsten Grade ehrenvollen Lasten und ein jeder dazu Berufene müsse dadurch in einem vorzüglichen Grade sich geehrt fühlen und die Eigenschaft eines westphälischen Staatsbürgers doppelt lieb gewinnen252. Diese Voraussage hatte sich nicht erfüllt. Allein die hier positiv bewertete neue Strafrechtspflege und die Mitwirkung einer Jury konnten nichts daran ändern, dass das Gesamtmodell des künstlichen Staates Westphalen zunächst als Fremdherrschaft verdammt wurde. Das Erleben einer modernisierten Strafrechtspflege und hier insbesondere die öffentliche und mündliche Verhandlung sowie die Einrichtung von Geschworenengerichten für die Fälle schwererer Kriminalität hinterließen aber einen positiven Eindruck, der bis zu den Diskussionen anlässlich der Landtagsverhandlungen über die Reformierung der Strafrechtspflege in den vierziger Jahren des Jahrhunderts lebendig blieb. Dabei kam gerade der Schwurgerichtsbarkeit zu Gute, dass diese ausdrücklich als alte germanische Einrichtung erkannt wurde und so vom vermeintlichen Makel des Fremden befreit werden konnte.

250

Siehe hierzu unter C. I.; vgl. kritische Anmerkungen bei Mohnhaupt, S. 188 f. Hierzu D. I. 252 Rede Leists abgedruckt in Codex des Verfahrens in peinlichen und correctionellen Sachen für das Königreich Westphalen, S. 25. 251

C. Der Streit und die Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis zum Jahr 1848 Ausgehend von den Arbeiten Feuerbachs und den Ergebnissen des Gutachtens der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission über das Geschworenengericht vom 19. Mai 1818 entfaltete sich im gesamten Deutschland eine intensive Auseinandersetzung um die Einführung von Geschworenengerichten. Von Kurhessen gingen insoweit keine besonderen Impulse aus. Allerdings gab es auch hier erheblichen Reformbedarf in der Strafrechtspflege, die noch bis zur Mitte des Jahrhunderts trotz einiger Verbesserungen in einem vorrevolutionären und absolutistisch geprägten Zustand verharren sollte. Die Abschaffung der Folter253 hatte zwar eine wesentliche Humanisierung gebracht, führte aber auch zum Zusammenbruch des alten Beweissystems der Carolina. Dies hatte im Zusammenhang mit dem nun dringlich gewordenen Problem der umstrittenen freien Beweiswürdigung durch den beamteten Richter unmittelbaren Einfluss auf die Frage nach der Einrichtung von Geschworenengerichten, nachdem dieses Institut mit dem Untergang des Königreichs Westphalen wieder verschwunden war. Die allgemeine Auseinandersetzung um die Einführung von Geschworenengerichten in Deutschland hatte auch in Kurhessen ihre spezifischen politischen Grundlagen und auslösenden Momente. Eine Zäsur brachte die Verfassung von 1831 und die daran anknüpfenden politischen Forderungen nach Erneuerung der Strafrechtspflege unter Einführung eines öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens, des Anklagegrundsatzes und der Errichtung von Geschworenengerichten. Diese Diskussionen standen dabei stets in unmittelbarem Zusammenhang mit der eingeforderten Presse- und Meinungsfreiheit und waren insbesondere Gegenstand der folgenden Landtagsverhandlungen in den 30er und 40er Jahren. Bis zum Jahre 1830 war allerdings das öffentliche Leben insbesondere in Kurhessen nur schwach ausgeprägt, eingeschüchtert durch staatliche Repression und Zensur. Erwartungen auf eine rasche Verfassungsgebung wurden sehr bald enttäuscht. Die Politik des zurückgekehrten Landesherrn und seines Nachfolgers ab 1821 war in vielen Bereichen rückwärts gewandt. Nur vereinzelt erhoben sich Stimmen und machten Mitbestimmung und Mitwirkung der Bürger in öffentlichen Sachen geltend. Gleichwohl sind 253

Siehe A. II.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

nicht zuletzt in dieser Zeit die Erfahrungen entstanden, die sich später zur Gewissheit über die Notwendigkeit zur Erneuerung der Strafrechtspflege verdichtet haben.

I. Die Zeit der Restauration, der Verfassungsentwurf von 1815/16 und Entwicklungen in der Strafrechtspflege bis 1830 Die Jahre nach dem Untergang des napoleonischen Imperiums und des Modellstaates Westphalen waren geprägt durch Restitution alter Machtansprüche und Restauration im Inneren. Wilhelm I. war es nach seiner Heimkehr gelungen, sein Kurfürstentum einschließlich Hanau und der Exklaven Schaumburg und Schmalkalden wieder herzustellen. Im Jahre 1816 folgte der Erwerb der ehemaligen Fürstabtei Fulda, so dass Hessen-Kassel nun mit seinen etwa 570.000 Einwohnern eine nicht unbedeutende Regionalmacht unter den verbliebenen Einzelstaaten und Freien Städten des Alten Reichs wurde254. Die eigentlich sinnentleerte Kurwürde blieb erhalten. Kurhessen wurde Mitglied des Deutschen Bundes. Mit Unterzeichnung der Bundesakte im Rahmen des Wiener Kongresses am 8. Juni 1815 reihte es sich in den neuen Staatenbund bei Aufrechterhaltung seiner Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit ein. Bedeutsam wurde der auch für den hessischen Kurfürsten als Konzession unvermeidbare Art. 13 der Bundesakte, wonach in allen Bundesstaaten eine landständische Verfassung stattfinden sollte. Kurfürst Wilhelm I. ging nun daran, seine weitgehend uneingeschränkte Herrschaftsmacht im Inneren wieder herzustellen. Er erneuerte das Ancien Régime unter Wiederbelebung einer althessischen Staatsverwaltung unter anderem mit ihren Institutionen Geheimer Rat und den vormaligen Regierungen mit ihren wiederhergestellten Rechtsprechungsaufgaben255. Seine Restaurationspolitik galt bereits den Zeitgenossen als besonders abschreckend. Die Aufklärungsskepsis des Kurfürsten, seine Ablehnung aller französischen Reformen und revolutionären Ansichten und schließlich sein „ahnenstolzer Herrschaftswille“ prägten die kommenden Jahre256. In einer Proklamation vom 12. Dezember 1813 wurden die Untertanen zunächst aufgefordert, den bestehenden staatlichen Institutionen bis zur Til254 Seier, Handbuch, S. 40; zu den territorialen Veränderungen und Erwerbungen siehe Speitkamp, Restauration, S. 42 ff. 255 Vgl. Seier, Restauration, ZHG, 94. Band, 1989, S. 295. 256 Seier, ebd.; ein arg trübes Bild der Herrschaftspolitik dieser Jahre wird insbesondere gezeichnet bei von Treitschke, S. 348 ff.; zu den Entwicklungen in der Zwischenzeit seit Rückkehr des Kurfürsten bis zum Wiener Kongress siehe Speitkamp, Restauration, S. 53 ff.

I. Zeit der Restauration, Verfassungsentwurf und Strafrechtspflege

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gung der fremdartigen Einrichtungen und der angekündigten Wiederherstellung der alten vaterländischen Verfassung Folge zu leisten257. Kurz darauf wurden mit Bekanntmachung eines Regierungsausschreibens vom 10. Januar 1814 die eingeführten fremden Prozessordnungen ohne Übergangsregelung aufgehoben. Die inländischen sollten wieder in Kraft treten, so dass der alte Rechtszustand vom 1. November 1806 hergestellt worden war258. Damit lag die Entscheidung in peinlichen Sachen wieder bei den kurhessischen Regierungen in Kassel, Marburg, Fulda, Hanau und Rinteln, wobei die Untersuchungen von den Kriminalgerichten nach altem Verfahrensrecht geführt werden sollten. Die öffentlichen Strafverfahren waren damit abgeschafft. Funktionell zuständig für Strafsachen war innerhalb der bedeutendsten Regierung in Kassel bezeichnenderweise der erste oder Regierungssenat, während der zweite oder Justizsenat mit zivilrechtlichen Entscheidungen befasst war. Ebenfalls wiederhergestellt war der Vorbehalt allerhöchster Bestätigung in peinlichen Fällen, bei denen auf höhere als dreimonatige Zuchthaus- oder Eisenstrafe259 erkannt werden sollte. Zugunsten der Regierung in Kassel erfolgte im Jahre 1817 eine Kompetenzerweiterung insoweit, als diese nun Zuchthausstrafen bis zu sechs Monaten und Eisenstrafen der vierten Klasse ohne vorherige Bestätigung aussprechen durfte260. Hiervon blieb die eingeschränkte Kompetenz der übrigen Regierungen beziehungsweise des Obergerichts in Fulda unberührt261. Eine vorübergehende Besonderheit galt für das Großherzogtum Fulda. Hier wurde mit Verordnung vom 28. Dezember 1816 unter anderem für die Strafgerichtsbarkeit eine vorläufige Regelung getroffen „bis für sämtliche Staaten gleichförmige Gesetzbücher gegeben werden“262. Das neue Obergericht sollte alle Strafen, welche dreimonatige Zuchthaus- oder Eisenstrafe (mit Einschluss der Anstellung an den Pranger) nicht übersteigen, entscheiden und ohne weitere Anfrage vollziehen dürfen. Bei höheren Strafen musste das Urteil auch hier zuvor mit dem „allerunterthänigsten Bericht“ zur Genehmigung eingeschickt wer257

SG, 1. Band, 1814/15, S. 1. Regierungsausschreiben die Wiederherstellung der vaterländischen Rechtsverfassung betreffend, SG, ebd., S. 8; abgeschafft blieb die Patrimonialgerichtsbarkeit, vgl. Speitkamp, Restauration, S. 102 f. 259 Zu den Arten und Klassifizierungen der Eisenstrafen siehe Heuser, Handbuch, S. 30 f. 260 Siehe Borkowsky, S. 78 f. 261 Siehe Kurhessischen Staats- und Adresskalender auf das Jahr 1819, I/S. 107 (Kassel), II/S. 92 (Marburg), II/S. 137 (Fulda), II/S. 173 (Hanau) und II/S. 218 (Rinteln). 262 Verordnung vom 28. Dezember 1816 verschiedene Gegenstände die Ausübung der Gerichtsbarkeit in dem Großherzogtum Fulda betreffend, SG, 1. Band, 1816, S. 139. 258

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

den263. Dieses Obergericht wurde allerdings bereits im Jahr 1819 wieder mit der ersten Abteilung der Regierung in Fulda zusammengelegt. Diese bildete nun eine aus zwei Senaten bestehende Behörde, die wie die Kasseler Regierung in einen Regierungs- und einen Justizsenat aufgeteilt wurde264. Damit war eine erste Maßnahme zur Herbeiführung einer Trennung von Verwaltung und Justiz auch im Hinblick auf die Strafgerichtsbarkeit nach kurzer Zeit wieder zurückgenommen worden265. Nachdem die westphälische Peinliche Prozessordnung vom 19. August 1808 außer Kraft gesetzt worden war, mussten die Strafverfahren wieder nach dem alten Recht der Peinlichen Gerichtsordnung vom 23. April 1748 geführt werden. Dabei war zunächst umstritten, ob die bereits eingeleiteten Verfahren noch nach den westphälischen Regelungen zu Ende geführt werden sollten. Auf eine Anfrage des Geheimen Regierungsrates von Porbeck266 erging die kurfürstliche Bestimmung, dass entstandene Rechtsfälle nach den westphälischen Gesetzen entschieden werden sollten. Hiergegen wandte sich aber erfolgreich die Regierung in Kassel und erreichte die sofortige Beseitigung der „eingeführten fremden Prozessordnungen“267. Die rechtliche Grundlage der Geschworenengerichte war entfallen, so dass auch bereits eingeleitete Verfahren nun nach altem hessischen Recht fortgesetzt wurden. Zur Nedden verweist in diesem Zusammenhang exemplarisch auf das Verfahren gegen Andreas Fischer und Konsorten268, in dem bereits die Einleitung des peinlichen Verfahrens beschlossen worden war und noch im Dezember 1813, also bereits nach Rückkehr des Kurfürsten, die Ladungen an die zwölf ausgewählten Geschworenen abgesandt wurden. Aufgrund des Regierungsausschreibens vom 10. Januar 1814 war jetzt ohne 263 § 159 der Verordnung vom 28. Dezember 1816, a. a. O., S. 161; vgl. auch den Auszug des Geheimen Ratsprotokolls vom 2. September 1814 die Herstellung der Fürstlich-Rotenburgischen Gerichtsbarkeit in der niederhessischen Quart betreffend, wonach bei allen Erkenntnissen auf Todes- oder lebenslängliche Gefängnisstrafe jederzeit die Sanktion des regierenden Landesherrn einzuholen war, SG, 1. Band, 1814/15, S. 83. 264 Kurfürstliches Reskript vom 6. März 1819, SG, 2. Band, 1819, S. 18. 265 Zu den Hintergründen dieser Maßnahmen siehe Speitkamp, Restauration, S. 352 ff.; für Hanau war ebenfalls die Einrichtung eines Obergerichts vorgesehen, wobei ein im Jahre 1817 erarbeitetes Edikt jedoch nicht umgesetzt worden ist; vgl. dazu Theisen, S. 76. 266 Otto von Porbeck (1764–1841) war in westphälischer Zeit Präsident des Distrikttribunals in Kassel und arbeitete nach der Rückkehr des Kurfürsten an einer „behutsamen Modernisierung des Ancien Régime“ (Speitkamp); er war von 1821 bis 1833 Oberappellationsgerichtspräsident und 1830/31 Landtagskommissar; siehe auch Speitkamp, Restauration, S. 76. 267 Siehe Anfrage von Porbeck, Hess. StA Marburg, 5 Nr. 13108 fol. 13 und Hess. StA Marburg, 17 II Nr. 3120 fol. 1, 4 f. 268 Hess. StA Marburg, 265.3 Kriminalgericht Marburg Nr. 57 und 55.

I. Zeit der Restauration, Verfassungsentwurf und Strafrechtspflege

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weiteres die Regierung in Marburg zuständig, die am 1. Juni 1814 ihre Entscheidung in dieser Strafsache fällte269. Hierbei fungierte der vormalige westphälische Generalprokurator beim Kriminalgericht in Marburg von Hanstein bei der Entscheidungsfindung nun als Regierungsrat der wiederbelebten Marburger Regierung270. Der geheime Inquisitionsprozess war damit wieder dauerhaft restituiert. Darüber hinaus sollte noch einmal die alte Form der Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts aufleben. Am 15. Juli 1817 wurde der wegen Raubmordes vom Kurfürsten zum Tode verurteilte Jakob Roßbach in Kassel hingerichtet271. Die Regierung hatte dabei die Anweisung erhalten, dass der Verurteilte entsprechend altem Brauch mit einer Schleife, die Beine in eine Kuhhaut eingewickelt und in einem Kasten sitzend, zur Richtstätte geschleift, mit dem Schwert vom Leben zum Tod gebracht und sein Leichnam danach vom Henkersknecht auf das Rad geflochten werden sollte. Die Regierung beauftragte daraufhin das Kriminalgericht in Kassel mit der Vollziehung der Hinrichtung. Dem Gericht wurde aufgegeben „dabei die ehemals in solchen Fällen üblich gewesenen Förmlichkeiten zu beachten“. So sollte die Hegung des Halsgerichts nach den Bestimmungen der Peinlichen Gerichtsordnung von 1748 vorbereitet und ausgeführt werden272. Kriminalrichter Hausmann traf die notwendigen organisatorischen Vorbereitungen. Ein neuer Pfahl, auf den das Rad gesteckt werden sollte, ein Schafott (noch aus westphälischer Zeit vorhanden), ein neues Rad, auf den der Leichnam geflochten werden sollte und ein langer Nagel zum Aufstecken des Hauptes wurden besorgt. Nachdem dem Delinquenten acht Tage vor der Hinrichtung das Urteil bekannt gemacht worden war, wurde das hochnotpeinliche Halsgericht auf dem Marktplatz vor dem Altstädter Rathaus, umgeben von den herbeigeschafften Schranken, an einem üblichen Markttage gehegt. Die Bürgerglocke läutete das Gericht morgens um halb acht Uhr ein. Innerhalb der Schranken versammelten sich um einen Tisch der Kriminalrichter mit seinen beiden Gerichtsassessoren, die beiden hinzugezogenen Ratsschöffen und zwei Stadtdiener sowie der Protokollant. Nachdem das Urteil publiziert worden war, brach Kriminalrichter Hausmann zwei bereitgelegte Stäbchen und warf die Stücke dem Delinquenten vor die Füße. Im Übrigen war das Kriminalgericht angewiesen worden, dem Delinquenten keine Fragen mehr in bezug auf sein Verbrechen zu stellen. Seine Bitte um Gnade wurde zu269

Dazu zur Nedden, S. 135 f. Zur Kontinuität des Beamtentums siehe unter C. I. am Ende. 271 Die Anweisungen zur Vorbereitung sowie ein Protokoll der Hinrichtung befinden sich in den Akten des Kriminalgerichts, Hess. StA Marburg, 260 Kriminalgericht Kassel Nr. 20; Protokoll auch wiedergegeben bei Pechacˇek, S. 160 f. 272 Peinliche Gerichtsordnung vom 23. April 1748, Titel XI § 4, zitiert unter A. I. 270

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

rückgewiesen. Sodann wurde er entsprechend den Maßgaben des Kurfürsten zur Richtstätte geschleift und hingerichtet. In dieser Form soll zum letzten Male das Halsgericht in Kassel gehegt worden sein273. So diente das öffentliche Publikum in peinlichen Sachen zunächst wieder zur Staffage für die Kundmachung des hinter verschlossenen Türen verfassten und vom Landesherrn gegebenen Urteils. Allerdings wurde die vorgeschilderte Hegung des hochnotpeinlichen Halsgerichts nach alter Form im Jahre 1826 abgeschafft. Nunmehr sollte der Verurteilte am Morgen des Tages der Hinrichtung in weißleinenem Kleide mit schwarzen Schleifen, weißbaumwollener Mütze mit schwarzer Umfassung, auf einem gewöhnlichen Leiterwagen sitzend und in Begleitung der mit seiner Vorbereitung zum Tode beauftragten Prediger und unter Gendarmeriebedeckung auf den Richtplatz geführt und am Schafott von dem mit der Leitung der Exekution beauftragten Gerichtsbeamten nebst einem Aktuar empfangen werden. Nachdem die Prediger auf dem Schafott mit dem Delinquenten ein kurzes Gebet gesprochen hatten, sollte die Hinrichtung vollzogen und über alles ein Protokoll gefertigt werden274. Damit war auch der Anschein einer Beteiligung der Öffentlichkeit an der gerichtlichen Entscheidung beseitigt. Im Übrigen wurden auch in Kurhessen aber bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch wenige Todesurteile vollstreckt, bis die Hinrichtungen schließlich ganz der Öffentlichkeit entzogen und in den Gefängnissen vollzogen werden sollten275. Das Wiederinkrafttreten der alten Rechtsregeln und Verwaltungs- und Regierungsstrukturen sowie das Wiederaufleben alter Formen – Wilhelm I. hatte seinen Staatsdienern sogar wieder den verhassten Zopf ans Haupt gehängt – traf dabei jedoch auf eine Fortführung staatlichen Handelns mittels Inanspruchnahme eines durch wechselhafte Zeiten gegangenen Personals. Die Staatsdiener kehrten in ihre alten Funktionen zurück, die sie vor der westphälischen Zeit inne gehabt hatten276. Die personelle Kontinuität in der westphälischen Beamtenschaft war beachtlich. Nicht zuletzt aus rein praktischen Gründen konnte auf das westphälische Personal nicht verzichtet werden277. So hatten nahezu sämtliche Mitglieder der nunmehrigen Regierungen in Kassel und Marburg sowie des Oberappellationsgerichtes zuvor in 273

Vgl. Stölzel, 2. Band, S. 200. Vgl. Heuser, Handbuch, S. 30, unter Hinweis auf einen entsprechenden Beschluss vom 4. Oktober 1826. 275 Dazu Pechac ˇ ek, S. 321 f.; zwischen 1826 und 1837 sind in Kurhessen lediglich zehn Todesurteile ausgesprochen und nur sieben vollstreckt worden, ebd., S. 317. 276 Vgl. hierzu Speitkamp, Restauration, S. 66 f. 277 Hingewiesen sei aber auch auf Jacob Grimm, der erst auf wiederholte Bitte 1816 zum 2. Bibliothekar bestellt worden war, Briefe der Brüder Grimm, S. 236. 274

I. Zeit der Restauration, Verfassungsentwurf und Strafrechtspflege

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westphälischen Diensten gestanden. Sie hatten nachhaltige Erfahrungen mit dem auf Rationalität, Effizienz, partieller Egalisierung und Entfeudalisierung basierenden französischen Reformmodell gesammelt278. So traten auch namhafte Juristen aus westphälischer Zeit wieder in den kurhessischen Beamtendienst ein. Der vormalige Generalprokurator beim Kriminalgericht in Kassel Johann Conrad Bode nahm seinen Dienst in der dortigen Regierung auf. In Marburg wurde der frühere Präsident des Kriminalgerichts Franz Benjamin Ries jetzt Regierungsdirektor. Regierungsräte wurden hier neben anderen der frühere Richter am Kriminalgericht Henrich Christian Scheffer und der in westphälischer Zeit als Generalprokurator fungierende Carl Philipp Emil von Hanstein279. Für die weitere Entwicklung sollte von Bedeutung sein, dass die in westphälischer Zeit gemachten positiven aber auch negativen Erfahrungen nicht auszulöschen waren und Einfluss auf das weitere staatliche Handeln nahmen. Es kam allerdings hinzu, dass die Beamten nun eine ambivalente Haltung zu ihrem Landesherrn auf der einen und den untertänigen Bürgern auf der anderen Seite einnahmen, selbst abgehoben vom Bildungs- und Besitzbürgertum, und sich als herausragender neuer Stand zwischen Kurfürst und Bevölkerung schoben280. Speitkamp resümiert für die Jahre der Restauration: „Die Beamtenschaft zeigte sich liberal nur in festen Schranken, weil sich die Beamten zwar der aufklärerischen Reform, allerdings in ihrer absolutistischen Variante, als Reform von oben, verpflichtet fühlten. Diese Einstellung, die den monopolistischen Anspruch auf die Intelligenz einschloss, ließ wenig Raum für Forderungen nach gesellschaftlicher Autonomie und Partizipation, sie ließ wenig Raum für eine staatsungebundene Intelligenz, für politisierende Rechtsanwälte, Burschenschaftler und Redakteure.“281

Diese Feststellungen treffen auch auf die weitere Entwicklung der Strafrechtspflege zu. Mit Ausnahme einer Bittschrift von 21 Regierungsprokura278 Speitkamp, Fürst, ZHG, 91. Band, 1986, S. 133, 136; ders. (ebd., S. 137) weist darauf hin, dass die westphälischen Beamten auf Misstrauen aus der Bevölkerung stießen, welche sich von der zugesagten Herstellung „der ideologisch fast zum Heilsbild verklärten alten Verfassung“ nicht nur die Beseitigung aller Repressionen aus westphälischer Zeit, sondern auch die Bestrafung der hierfür verantwortlichen Beamten erwartete. Dieses sollte schließlich auch durch eine beschränkte Amnestie erreicht werden, indem nach einem Regierungsausschreiben vom 7. Februar 1815 (SG, 1. Band, 1815, S. 101 f.) eine innere politische Befriedung dergestalt eintreten sollte, dass ein gegen die vaterländische Verfassung verstoßendes Handeln der Staatsdiener während der westphälischen Zeit bis auf schwerwiegende Ausnahmen nicht mehr zu verfolgen war. 279 Carl Philipp Emil von Hanstein (1772–1861) war in der Zeit von 1817–1820 zugleich Polizeidirektor in Marburg und später von 1837–1841 kurhessischer Innenminister; siehe hierzu und zu weiteren Personalien Speitkamp, Restauration, S. 76 f. 280 Vgl. Nipperdey, S. 259 f. 281 Speitkamp, Restauration, S. 432.

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toren im Sommer 1819282, mit welcher eine Verbesserung der Rechtspflege in peinlichen Sachen unter anderem auch durch Einführung von Geschworenengerichten begehrt worden war, blieben die Reformbestrebungen auf diesem Gebiet zurückhaltend. Die Forderung nach einer Laienbeteiligung im Strafverfahren wurde in der Zeit bis 1830 in Kurhessen mit der eben genannten Ausnahme nicht ernsthaft erhoben. Dass Wilhelm I. seine oberste Strafrechtsgewalt freiwillig beschränken oder gar an eine Laienjury abgeben sollte, daran war nicht zu denken. Die Beamten in den Regierungen, zum Teil in westphälischer Zeit unmittelbar in schwurgerichtlichen Verfahren tätig, hatten noch bis zur Trennung von Justiz und Verwaltung mit dem Organisationsedikt von 1821 selbst die Kompetenz, in peinlichen Sachen die Urteile zu fällen. So erscheint es jedenfalls nachvollziehbar, dass sie nicht das vordringliche Ziel verfolgt haben, ihre Rechtsprechungsbefugnis auf strafrechtlichem Gebiet einzuschränken oder gar aufzugeben. Die Bürger und selbst die wenigen liberalen und freimütigen Schriftsteller ergriffen in dieser Hinsicht keine Initiative. Dies erklärt sich wohl nicht zuletzt aus dem Umstand, dass die allgemeine Debatte um die Geschworenengerichte in Deutschland noch in den ersten Anfängen lag und diese Institution noch nicht in untrennbarem Zusammenhang mit revolutionären politischen Forderungen eines liberalen Bürgertums stand. An solche konfrontative Begehren war in diesen Jahren der zum Teil romantisierenden Wiederherstellung alter Zustände und nach langen erschöpfenden Kriegsjahren im kurhessischen Lande ohnehin nicht zu denken. Die Geschworenengerichte der westphälischen Zeit waren Resultate einer Revolution außerhalb Deutschlands. In Kurhessen wirkten sie als neues Institut in der vom französischen König und seiner Regierung beherrschten Strafrechtspflege, ohne selbst Gegenstand oder Begehren einer revolutionären Bewegung in den hiesigen Gebieten gewesen zu sein. Hierauf hatten die Geschworenengerichte dieser Zeit noch nicht einmal Anspruch erhoben oder den Anschein gegeben. Mit dem Modellstaat waren sie daher auch fast geräuschlos verschwunden. 1. Der Verfassungsentwurf von 1815/16 Im Gegensatz zu den süddeutschen Ländern Bayern, Baden und Württemberg blieb in Kurhessen das Versprechen auf eine Verfassung zunächst unerfüllt283. Nach dem Scheitern einer Konstitution nach den Entwürfen der Jahre 1815/16 folgten in den kommenden Jahren Gesetze zur Regelung ele282

Dazu C. I. 2. c). Auch Hessen-Darmstadt hatte am 17. Dezember 1820 eine Verfassung erhalten, siehe dort insb. Art. 31 ff.; abgedruckt bei Franz/Murk, S. 168 f. 283

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mentarer Grundsatzfragen im Kurstaat. Hierzu zählten insbesondere das Haus- und Staatsgesetz vom 4. März 1817284 sowie das Organisationsedikt vom 29. Juni 1821285, welches unter anderem auch die hier interessierende Strafgerichtsbarkeit betraf286. Eine einheitliche Verfassung konnten diese Einzelbereichsregelungen freilich nicht ersetzen. Die Diskussionen um den Verfassungsentwurf in den Jahren 1815/16 zeigten jedoch den erkannten und nicht mehr zu leugnenden großen Reformbedarf in der Strafrechtspflege nach Beseitigung des modernen französischen Strafverfahrens. Die erste Landtagssession wurde auf Einladung des Kurfürsten von März bis Juli 1815 abgehalten. Der Verlauf war enttäuschend, man stritt über Alltagsrealien287, so dass der Landtag nach dem Urteil von Berlepsch nur ein „Geldtag“ alter Sitte gewesen sei288. Parallel zu den Landtagsverhandlungen in Kassel war es zum Ende des Wiener Kongresses zur Einigung über ein Verfassungsgebot gekommen, ohne dass weitergehende inhaltliche Vorgaben erfolgt wären. Der Landtag wurde Anfang Juli 1815 vom Kurfürsten wegen erheblicher Unstimmigkeiten auf unbestimmte Zeit vertagt289. Die enttäuschten Stände hatten gleichwohl die Hoffnung, dass der Landtag baldmöglichst wieder zusammentreten und unter ihrer Mitwirkung eine neue, auf liberalen Grundsätzen gebaute Konstitution eintreten werde, da doch die alte in ihrer Grundlage erschüttert und als aufgelöst zu betrachten sei290. Im Oktober 1815 beauftragte Wilhelm I. eine vierköpfige Kommission zum Entwurf einer Verfassung. Zu dieser Kommission gehörten Carl Otto von der Malsburg, Ferdinand Carl Freiherr Schenck zu Schweinsberg, Otto von Porbeck und Georg von Schmerfeld291. Der erste Entwurf dieser Verfassungskommission wurde am 27. Dezember 1815 an den Kurfürsten übermittelt292. 284 SG, 2. Band, 1817, S. 29; das Gesetz enthielt Bestimmungen zur Dynastie und Erbfolge und sah eine dauerhafte Territorialintegration sowie eine Absicherung der Staatsdiener gegen fürstliche Willkür vor; dazu Speitkamp, Restauration, S. 438 f. 285 SG, 3. Band, 1821, S. 29. 286 Dazu unter C. I. 3. 287 Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Einleitung, S. XXXVIII. 288 von Berlepsch, S. 5. 289 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 227. 290 Promemoria der Stände zur Landtagsvertagung, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 31, S. 120. 291 Dazu Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Einleitung, S. XLI ff.; zu den Personen der Kommission und ihrer Arbeitsweise siehe Speitkamp, Restauration, S. 230 ff. 292 Konstitutionsentwurf der Verfassungskommission, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 43, S. 155 ff.; zur Übermittlung an den Kurfürsten, siehe ebd., S. 155, Fn. 2.

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Das achte Kapitel des Entwurfs handelte von der Justizpflege. Nach dem dortigen Art. 1 sollte jedem ohne Unterschied der Person schnelle und unparteiische Gerechtigkeit geleistet werden. Die Kommissionsmitglieder, selbst erfahrene Praktiker der Verwaltung und Justiz, hatten offenbar die Vorzüge einer raschen Rechtspflege schätzen gelernt. Die westphälische Strafrechtspflege hatte nach einschlägigen gesetzlichen Vorgaben das Ziel, für eine zügige Durchführung der Ermittlungen und Gerichtsverfahren Sorge zu tragen. Dies lag durchaus auch im Interesse des Beschuldigten, dem so eine oftmals übermäßige Untersuchungshaft bei verschleppten Ermittlungen erspart werden konnte293. In Art. 4 des Entwurfs war bestimmt, dass im Falle der Verhaftung die betroffene Person innerhalb von 24 Stunden294 verhört und von der gegen ihn vorhandenen Anschuldigung in Kenntnis gesetzt werden müsse. Die Verwaltung der Justiz sollte überhaupt gänzlich von der Administration getrennt werden295. Die Richter und Gerichtshöfe sollten als solche unabhängig sein296. Sodann bestimmte Art. 8, dass alle Urteile in peinlichen und bürgerlichen Sachen von den Gerichten ausgesprochen werden und die Hauptentscheidungsgründe enthalten sollten. Wenn auf Todesstrafe oder eine längere als einjährige Gefängnis-, Zuchthaus- oder Eisenstrafe erkannt worden sei, müsse das Urteil an den Landesherrn eingesandt werden, um das Begnadigungsrecht ausüben zu können. Da auf alle das Verbrechen erschwerende Umstände bereits vor Abfassung des Urteils Rücksicht genommen werden muss, könne keine weitere Erschwerung stattfinden. Schließlich ordnete Art. 11 des Konstitutionsentwurfs an, dass ein neues allgemeines bürgerliches und ein neues allgemeines peinliches Gesetzbuch, auch eine neue Prozess- und Sportelordnung zu entwerfen seien, deren Abfassung möglichst befördert werden sollte. Der Verfassungsentwurf hatte damit in Bezug auf die Strafrechtspflege im Wesentlichen die grundsätzliche Trennung der Verwaltung von der Justiz und die richterliche Unabhängig293 Auch nach Scheitern des Verfassungsentwurfs blieb dieser Gesichtspunkt aktuell, was etwa in den gesetzlichen Bestimmungen bezüglich des für Fulda vorgesehenen Obergerichts zum Ausdruck kommen sollte, siehe unter C. I. 3. 294 Die Frist wurde später in „48 Stunden“ abgeändert, Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, S. 162, Fn. 38. 295 Art. 6 des Entwurfs. 296 Art. 7 des Entwurfs. In Kapitel X. des Entwurfs mit allgemeinen Bestimmungen war in Art. 2 bestimmt, dass kein Staatsdiener ohne Urteil und Recht seiner Stelle oder seines rechtmäßigen Diensteinkommens verlustig erklärt, noch ohne vollständige Entschädigung wider seinen Willen auf eine andere Stelle versetzt werden könne. Damit sollte unter anderem der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit vor willkürlichen Entlassungen gestärkt werden; siehe Speitkamp, Restauration, S. 270.

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keit sowie die Notwendigkeit der Schaffung eines neuen Strafgesetzbuches und einer einheitlichen Strafprozessordnung im Blick. Weitergehende inhaltliche Vorgaben fehlten297. Ein ganz grundlegendes Anliegen der Kommission war es aber wohl, noch vor dem Inkrafttreten neuer Gesetzbücher das landesherrliche Recht zur Strafverschärfung ergangener Urteile zu beseitigen. In seinem Votum über die Justiz- und Strafrechtsbestimmungen in der Konstitution führte Freiherr Schenck zu Schweinsberg folgendes aus: „In dem Kapitel von der Justizpflege verdiente vor allem die peinliche Justizverwaltung und die Form ihrer Entscheidungen einen Platz. Die peinlichen Urteile müßten bloß in gewissen, nach dem Maß der Strafe zu bestimmenden Fällen höchsten Ortes und nur zu dem Ende eingeschickt werden, um dem Begnadigungsrechte Raum zu geben. Sie wären in jedem Fall namens der einschlagenden Behörde (höchstens nur mit Erwähnung der Landesherrlichen Bestätigung) zu eröffnen. Es müssten Rechtsmittel gegen dieselben zugelassen und bestimmt werden, wodurch der vorangegangenen Landesherrlichen Bestätigung kein Eintrag geschähe, wenn sie – als das, was sie wirklich nur sein soll – als eine Gelegenheit zur Ausübung des Begnadigungsrechts angesehen würde.“298

Der Kurfürst sollte demnach nicht weiter selbst in schwerwiegenden Fällen Recht sprechen, sondern dies den Gerichten zur alleinigen Entscheidung überlassen. Sein Strafverschärfungsrecht sollte wegfallen, so dass ihm allein das Begnadigungsrecht geblieben wäre299. Zur Überraschung der Kommission akzeptierte der Kurfürst diesen Entwurf in den Grundzügen, legte jedoch bereits am 30. Dezember 1815 zahlreiche Einzelkritikpunkte vor300. Nach weiteren Änderungswünschen und 297 Charakteristisch für diese Ausgangslage sind die Ausführungen in der Denkschrift des Ritterschaftsdeputierten und Mitglieds der Verfassungskommission von der Malsburg vom 13. April 1815, wo darauf verwiesen wird, dass die alten mit Blute geschriebenen Gesetze größtenteils nicht mehr anwendbar seien und aus Mangel eines anderen vollständigen Gesetzbuches müssten manche Verbrechen oft willkürlich nach der einseitigen Ansicht des Richters bestraft werden. „Ebensosehr würde die peinliche Gerichtsordnung einer Revision bedürfen und das, was über den Kriminalprozeßgang durch einzelne Verordnungen bestimmt ist, in ein Ganzes gebracht, vorzüglich aber auch die Kriminaljustiz nicht als eine Nebensache behandelt werden müssen“; abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 11, S. 68, 71; Carl Otto von der Malsburg (1742–1821) war im Königreich Westphalen Mitglied des Staatsrates und Deputierter der Ritterschaft auf dem Landtag von 1815/16, vgl. ebd., S. 68, Fn. 1. 298 Votum Schencks zu Schweinsberg über Justiz- und Strafrechtsbestimmungen in der Konstitution (November/Dezember 1815), abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 42, S. 154. 299 Siehe zu den Begründungen der Kommission zu diesem antiabsolutistischen Begehren, Speitkamp, Restauration, S. 268 f. 300 Speitkamp, Restauration, S. 274.

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Verhandlungen mit seinen Beratern ließ Wilhelm I. einen revidierten Entwurf301 anfertigen, der den Ständen am 16. Februar 1816 vertraulich mitgeteilt wurde, nachdem diese tags zuvor zur Wiedereröffnung des vertagten Landtags erneut zusammengetreten waren. Die revidierte und nun den Ständen vorgelegte Fassung enthielt auch im Abschnitt über die Justizpflege eine Änderung. Wilhelm I. war bei den Beratungen zum vorausgegangenen ersten Entwurf nicht bereit gewesen, ganz auf sein Recht zur Strafschärfung zu verzichten. Insoweit bestimmte Art. 8 des X. Kapitels nun: „Die in peinlichen Sachen ergangenen Urteile müssen in den durch die bestehenden Gesetze bestimmten Fällen an den Landesherrn eingesendet werden, um das Begnadigungsrecht ausüben zu können. Die Verhängung einer schärfern als durch das eingesandte Urteil ausgesprochenen Strafe findet nur auf den Antrag eines andern Justizkollegii302 statt, an welches die Sache zur gutachtlichen Äußerung in dem Fall abgegeben wird, wenn von dem Geheimen Ministerium einstimmig die in dem ersten Urteil festgesetzte Strafe zu gelinde gefunden wurde.“303

Die Stände diskutierten den ihnen vorgelegten Verfassungsentwurf und legten am 17. März 1816 ihre abgestimmten Bemerkungen304 hierzu der Landtagskommission vor. Zum Abschnitt der Justizpflege wurde zunächst angemerkt, dass die peinliche von der bürgerlichen getrennt werden solle. Hinsichtlich Art. 8 wurde der Wunsch geäußert, dass der Punkt „von Verhängung einer schärferen Strafe“ ganz wegbliebe. Sollte aber hierin nicht nachgegeben werden können, so dürfte doch wenigstens von einem auswärtigen Rechtskollegium darüber zu erkennen sein. Im Übrigen hatte wohl allein die Bauernkurie305 im Rahmen der Beratungen verlangt, dass nicht nur alle privilegierten Gerichtsstände verschwinden, sondern auch die Rechtspflege durchweg öffentlich sein sollte306. Ausweislich der letzten Fassung des Konstitutionsentwurfs blieben aber die Änderungswünsche ohne Erfolg307. Diese letzte Fassung berücksichtigte die ständischen Einwände vom 301 Der Konstitutionsentwurf der Regierung abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 49a, S. 180. 302 In der letzten Fassung des Entwurfs ersetzt durch „Justizbehörde“. 303 Der erste Satz dieses Artikels, wonach die Urteile von den Gerichten ausgesprochen werden und die Hauptentscheidungsgründe enthalten sollten, blieb unverändert. 304 Bemerkungen der Stände zum Konstitutionsentwurf abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 51a, S. 207. 305 Zum für das Jahr 1815 einberufenen Landtag hatte Wilhelm I. erstmals die Bauern als dritte Kurie geladen, vgl. hierzu Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Einleitung, S. XXXI. 306 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 298. 307 Im Rahmen ihrer Bemerkungen legten die Stände auch Wert darauf, dass mit den Arbeiten an den neuen Gesetzbüchern schon im laufenden Jahre 1816 begonnen werden sollte und hierfür eine diesem Geschäfte ausschließlich gewidmete Kommission eingesetzt werde, siehe Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, S. 211. Auch

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17. März 1816, wobei aber die Bestimmungen über die Justizpflege im Wesentlichen unverändert blieben308. Die hier angesprochenen Verfassungsbestimmungen über die Justizpflege hatten bei den Beratungen wohl keine herausragende Rolle gespielt. Die inhaltlich in vieler Hinsicht doch zurückhaltenden Vorgaben stellten das Verfassungsprojekt auch aus der Sicht des Kurfürsten sicherlich nicht in Frage. Dieses scheiterte an ganz anderen gewichtigen Fragen und Konflikten zwischen dem Kurfürsten und den Ständen. Letztlich wurde der Landtag am 10. Mai 1816 wieder aufgelöst. Wilhelm I. verzichtete in der Folge auf das Verfassungsprojekt309. Die Forderung nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Strafverfahren und gar die Einführung von Geschworenengerichten war in den Jahren 1815/16 noch kein Thema, welches ganz oben auf der politischen Tagesordnung gestanden hätte. Die peinliche Gerichtsbarkeit stand noch immer in einem sehr engen Zusammenhang mit einem absolutistisch geprägten Herrschaftsanspruch. Allein hinsichtlich der Zivilgerichtsbarkeit bestand sehr viel früher die Bereitschaft, eine unabhängige Justiz zu gewähren. Die bürgerliche und die peinliche Gerichtsbarkeit sollten noch lange Zeit in Hinblick auf rechtsstaatliche Formen getrennte Wege gehen. Auch das Kommissionsmitglied Freiherr Schenck zu Schweinsberg hatte in seinem oben bereits erwähnten Votum über die Justiz- und Strafbestimmungen in der Konstitution die zurückhaltend formulierte Forderung hinsichtlich gerichtlicher Urteile erhoben: „Sollen in Zivilsachen – und vielleicht selbst in peinlichen – Entscheidungsgründe mitgeteilt werden.“310 Immerhin konnte sich der Kurfürst mit den in den Entwürfen zur Verfassung enthaltenen Bestimmungen auch in Bezug auf die Strafrechtspflege einverstanden erklären. Weitergehende grundlegende Reformen in der peinlichen Gerichtsbarkeit mit Ausnahme der grundsätzlichen Trennung von Justiz und Verwaltung wurden in der Folgezeit nicht konkret angesprochen, wobei bezüglich der in Aussicht gestellten Strafprozessordnung im Wesentlichen argumentiert worden ist, dass der durch einzelne Verordnungen geregelte Prozessgang in ein „Ganzes“ gebracht werden sollte311. Letztlich kam die Verfassungsinidieser in weiser Voraussicht gehegte Wunsch blieb unerfüllt. In der Tat sollten künftige Gesetzesvorhaben dadurch erheblich verzögert werden, dass die hierzu beauftragten Juristen diese Arbeiten neben ihren eigentlichen Geschäften wahrnehmen mussten, ohne gesondert freigestellt zu werden. 308 Siehe letzte Fassung des Konstitutionsentwurfs, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 62, S. 251. 309 Zu den Gründen des Scheiterns vgl. Speitkamp, Restauration, S. 338 f.; Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Einleitung, S. XLVIII, insb. Fn. 84. 310 Wegen der später für Zivilsachen angeordneten Angabe von Entscheidungsgründen siehe die Verordnung vom 19. November 1816, SG,1. Band, 1816, S. 111.

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tiative und ihr Scheitern in dieser Hinsicht zu früh. Die entsprechenden Verhandlungen über eine Reform der Strafgerichtsbarkeit in Zusammenschau mit einer neuen Pressegesetzgebung wurden in Bayern, Baden und Württemberg in den Jahren 1818/19 unter anderen politischen Umständen geführt. Sie standen im Zeichen der Ereignisse in Folge des Wartburgfestes von 1817 und den später folgenden Karlsbader Beschlüssen. Diese Ereignisse bestimmten auch die Einstellung des Kurfürsten in den letzten Jahren seiner Regierungszeit. Im Jahr 1818 verfasste er noch drei Vorüberlegungen und Rohkonzepte einer Verfassung, die letztlich folgenlos blieben312. Die Politik Wilhelm I. wurde zu seinem Ende hin auch angesichts der gärenden Unruhe in Deutschland verbittert repressiv. Charakteristisch sind seine Worte gegenüber dem preußischen Gesandten von Hänlein im Jahre 1819 anlässlich eines Gesprächs über den bayerischen Landtag, dass er von den Ständen nichts mehr hören wolle und er „kenne als von Gott eingesetzter Regent nur zwey Worte: Befehlen und Gehorchen“313. Bis zu seinem Tode im Jahr 1821 blieb das Verfassungsversprechen damit unerfüllt. Aber auch sein Nachfolger sollte am Ende die insoweit in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschen. Was folgte, waren die viel zitierten Jahre der Ruhe bis 1830, gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not und einem durch Repression und Zensur nieder und eingeschüchtert gehaltenen politischen öffentlichen Leben. Hierauf wird zurückzukommen sein. 2. Der Beginn der Diskussion um die Geschworenengerichte in Deutschland und kurhessische Bezüge Den Grundstein für die inhaltlichen Auseinandersetzungen um die Schwurgerichtsbarkeit in Deutschland setzten die „Betrachtungen über das Geschworenengericht“ von Paul Johann Anselm Feuerbach314 aus dem 311

Siehe die oben genannte Denkschrift des Ritterschaftsdeputierten von der Malsburg vom 13. April 1815, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 11, S. 71. 312 Siehe die „Gedanken“, „Kollektaneen“ und die „Richtschnur“ Wilhelms I. zur Verfassungsgebung aus dem August 1818, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 68–70, S. 274 ff.; In seinen „Gedanken“ zur Verfassungsgebung führt der Kurfürst an, dass Alles der Souveränität Nachteilige umschifft werden müsse. Die Verfassung müsse in allen billigen Stücken so viel wie möglich liberal sein. Das Zivil- und Kriminalgesetz müsse neu gegründet und ohne Anstand dazu geschritten werden; ebd., S. 274 f.; siehe im Übrigen Speitkamp, Restauration, S. 463 ff. 313 Zitiert bei Speitkamp, Restauration, S. 469. 314 Feuerbach (1775–1833) studierte zunächst Philosophie in Jena und war begeisterter Anhänger Kants. Nach seinem anschließenden juristischen Studium wurde er 1801 Professor für Lehnrecht in Jena und wechselte noch im gleichen Jahr nach

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Jahre 1812315. Dieses Werk, veröffentlicht zu einer Zeit, als Deutschland noch unter napoleonischer Herrschaft stand, beschäftigte sich eingehend mit dem französischen Geschworenengericht unter politischen und strafverfahrensrechtlichen Aspekten. Auf diese getrennte Betrachtungsweise baute die weitere Diskussion in den kommenden Jahrzehnten in Deutschland auf. So wie bereits Feuerbach konnte dem gemäß die inhaltliche Auseinandersetzung zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen und dabei das Geschworenengericht einerseits als politisch erwünscht oder gar für unverzichtbar erachten, aber andererseits dieses Institut aus strafverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten erheblich in Zweifel ziehen und sogar für unbedingt zu verhindern erachten316. a) Feuerbachs Kritik an der französischen Jury Feuerbach stellt dem Geschworenengericht, so wie es im englischen und französischen Recht vorzufinden war, die Gegenwart des deutschen geheimen inquisitorischen Gerichtsverfahrens mit drastischen Schilderungen gegenüber: Die Geschworenengerichte „stehen da als ein herrliches Kunstwerk, einfach und groß, von der Freiheit selbst erfunden, von der Weisheit vollendet; diese jenen gegenüber, als ein düsteres, ängstigendes Zwinghaus, das in finsteren Zeiten die Tyrannei für ihre Sclaven gegründet und erst späterhin ein besserer menschlicher Sinn in einzelnen Theilen zu lichten und auch für Freie erträglich und bewohnbar zu machen versucht hat. . . . Hier ist nicht die Rede von Richtern, in deren Hände der Angeklagte selbst sein Schicksal legt; ein Corps von Blutrichtern, die von ständigen Amts wegen über alle Unterthanen richten, halten in jedem Augenblicke das Schwerdt über den Häuptern Aller empor; stets drohend und doch in die Finsternis des Geheimnisses gehüllt, läßt die schreckliche Criminalgewalt aus verschlossenen Kammern jene Urtheile hervorgehen, welche über das Höchste entscheiden, um dessen Erhaltung willen die Bürger sich dem Staate gegeben. In dieser Form der Ausübung erscheint die Criminalgewalt mehr als Eigenmacht, denn als Handlung der Gerechtigkeit; mehr als Werkzeug, wodurch der Souverain seine eigenen Beleidigungen rächt, denn als das Versöhnungsmittel der Beleidigung aller, als parteiloses Vertheidigungsmittel der Freiheit eines jeden.“317 Kiel, bevor er 1804 den Ruf an die bayerische Universität in Landshut annahm. Schon bald darauf wechselte er in das Münchner Ministerial-Justiz- und Polizeidepartement und vollendete hier seinen Auftrag zur Ausarbeitung eines Bayerischen Strafgesetzbuches; siehe Schmidt, S. 232 ff.; HRG2 /Lüderssen, 1. Band, Feuerbach, S. 1118 f. 315 Erschienen unter der Jahresangabe „1813“; vgl. dazu Schwinge, S. 6. 316 Die strafverfahrensrechtlichen Problembereiche wurden unter A. III. bereits angesprochen. 317 Feuerbach, Betrachtungen, S. 36 f.

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Auch Feuerbach sah in der Strafgewalt die furchtbarste und gefährlichste aller Gewalten im Staate. Ihre Ausübung dürfte dem Machthaber nicht nach eigener Willkür überlassen werden, auch wenn das Strafrecht von der vollstreckenden Macht im Staate eigentlich untrennbar sei. Ohne das Strafrecht wäre sie nur unmächtiger Wille, eine bloße Schattenmacht, die nur wollen, aber nicht vollbringen könnte. Zu suchen sei also eine vom Machtwillen des Gewalthabers unabhängige Vorbedingung zur Ausübung des Strafrechts318. Diese Vorbedingung sollte sein, dass die Entscheidung über die Frage „schuldig oder nicht schuldig“ der Entscheidungsmacht des Machthabers entzogen wurde. Einer der Willkür desselben so weitgehend wie möglich unzugängliche Behörde sollte diese Aufgabe übertragen werden. Damit wurde als selbstverständlich vorausgesetzt, dass auch die ordentlichen Richter als dem Machthaber „zugänglich“ angesehen wurden und gleichsam als entscheidende Institution ausschieden319. Damit war der wesentliche politische Aspekt der Schwurgerichtsbarkeit angesprochen. Das Vertrauen in die vom Regierenden abhängige Strafrechtspflege, namentlich in die beamteten Richter, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits nachhaltig erschüttert. Dies wurde insbesondere durch die politisch bedeutsamen Prozesse im Verlauf der ersten Jahrhunderthälfte gerade angesichts der öffentlichkeitswirksamen Demagogenprozesse noch wesentlich verstärkt. Der Kampf galt nun jeder Richterwillkür und Kabinettsjustiz. Der beamtete Richter erschien als unweigerlich abhängig und jederzeit beeinflussbar. Ihm drohten persönliche beamtenrechtliche Konsequenzen bei einem unbotmäßigen Verhalten wider seinen Landesherrn. Eine zuverlässige richterliche Unabhängigkeit erschien den meisten Zeitgenossen bei allen gesetzlich angeordneten Garantien unvorstellbar. Vor diesem Hintergrund erlangte das Geschworenengericht seine überragende Bedeutung als politisches Institut gegen obrigkeitliche Willkür und als „Palladium der bürgerlichen Freiheit“320. So kam Feuerbach zu der Überzeugung, dass vor dem Hintergrund der zu verwirklichenden Gewaltenteilung die vollstreckende Gewalt über keinen Untertanen eine Freiheits- oder Lebensstrafe verhängen dürfe, „außer über denjenigen, welcher zuvor von seinen unparteiischen Mitunterthanen der angeklagten That für schuldig erkannt worden ist.“321 Damit hatte er sich 318

Ebd., S. 4 f. Ebd., S. 5 f. 320 Diese Bezeichnung gebrauchte der rheinpfälzische Abgeordnete Köster bei seinem Antrag auf dem bayerischen Landtag 1819 auf Einführung von Geschworenengerichten nach dem Vorbild der Rheinlande, vgl. Schwinge, S. 54; Landau, S. 255; Das „Palladium“ war in dieser Zeit ein häufig gebrauchtes Schlagwort im Zusammenhang mit erstrebten Freiheitsrechten. 321 Feuerbach, Betrachtungen, S. 8 f. 319

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auch der Auffassung seines Vorbilds Kant angeschlossen, der bereits zum Ende des vorausgegangenen Jahrhunderts ausführte, dass sich das Volk selbst richten solle durch diejenigen ihrer Mitbürger, welche durch freie Wahl, als Repräsentanten desselben, und zwar für jeden Akt besonders, dazu ernannt würden. Und weiter: „Denn der Rechtsspruch (die Sentenz) ist ein einzelner Akt der öffentlichen Gerechtigkeit (iustitiae distributivae) durch einen Staatsverwalter (Richter oder Gerichtshof) auf den Untertan, d. i. einen, der zum Volk gehört, mithin mit keiner Gewalt bekleidet ist, ihm das Seine zuzuerkennen (zu erteilen). Da nun ein jeder im Volk diesem Verhältnisse nach (zur Obrigkeit) bloß passiv ist, so würde eine jede jener beiden Gewalten in dem, was sie über den Untertan, im streitigen Falle des Seinen eines jeden, beschließen, ihm unrecht tun können; weil es nicht das Volk selbst täte, und, ob schuldig oder nichtschuldig, über seine Mitbürger ausspräche; auf welche Ausmittelung der Tat in der Klagsache nun der Gerichtshof das Gesetz anzuwenden, und, vermittelst der ausführenden Gewalt, einem jeden das Seine zu Teil werden zu lassen die richterliche Gewalt hat. Also kann nur das Volk, durch seine von ihm selbst abgeordnete Stellvertreter (die Jury), über jeden in demselben, obwohl nur mittelbar, richten.“322

Die Jury erschien so nicht nur als wünschenswerte Institution zur Verhinderung richterlicher oder staatlicher Willkür, sondern war in diesem Sinne notwendige Voraussetzung zur Verwirklichung der angestrebten Gewaltenteilung im Staat. Diese als elementar herausgestellte Unverzichtbarkeit taucht in späteren staatsphilosophischen Betrachtungen wiederholt auf. Es war sodann Hegel, der die Einrichtung der Jury aus dem Recht des freien Selbstbewusstseins ableitete. Als das Moment der subjektiven Freiheit sei dieses der substanzielle Gesichtspunkt in der Frage über die Notwendigkeit von Geschworenengerichten. Andere Gründe seien wie alle Gründe des Räsonnements sekundär und nicht entscheidend. Die Leitung der Verhandlung und die Subsumtion des Falles unter das Gesetz könne beim juristischen Richter liegen. Die Erkenntnis des Falles in seinen unmittelbaren Einzelheiten und seine Qualifizierung enthalte für sich kein Rechtsprechen und stehe dagegen jedem gebildeten Menschen zu. Das Recht des Selbstbewusstseins finde in dem Vertrauen zu der Subjektivität der Entscheidenden seine Befriedigung. Dieses Vertrauen gründe sich vornehmlich auf die Gleichheit der Partei mit denselben nach ihrer Besonderheit, dem Stande und dergleichen323. Die Philosophie324 zeigte neben den rein strafverfahrensrechtlichen und politischen Argumentationslinien zur Befürwortung von Geschworenengerichten tiefgreifend und grundsätzlich formulierte Begründungen auf. Allein sie konnte sich in dieser absoluten Beurteilung in der Folgezeit nicht 322

Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 436 f. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820/21, §§ 225–228. 324 Zu den philosophischen Betrachtungen siehe die zusammenfassende Darstellung bei Schwinge, S. 102 ff.; vgl. auch Landau, S. 251 ff. 323

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eigenständig durchsetzen. Im Vordergrund stand auch in den kurhessischen Landtagsverhandlungen in den 30er und 40er Jahren die politisch für notwendig erachtete Schutzfunktion gegen die Obrigkeit und richterliche Willkür vor allem bei politisch relevanten Strafverfahren in Bezug auf Meinungsäußerungen und Presseveröffentlichungen. Das Schicksal der gewöhnlichen, unpolitischen Betroffenen im Inquisitionsprozess blieb in kommenden Debatten oft genug ganz ausgeblendet. Allerdings ist doch festzustellen, dass die Philosophie der Zeit den Einzelnen aus seiner reinen Untertanenrolle herausgelöst, ihn als selbstbewusstes und eigenverantwortliches Subjekt erkannt und ihm auch im Strafverfahren eine mit unveräußerlichen Rechten verbundene Position zugewiesen hatte. Die Äußerungen anlässlich der Landtagsverhandlungen lassen erkennen, dass auch die Politik grundsätzlich nicht mehr hinter diesem Erkenntnisstand zurück bleiben konnte und wollte325. Kommen wir zurück zu Feuerbach. Von seinem Standpunkt aus konsequent warf er in seinen Betrachtungen die Frage auf, in welchen Verfassungen die Jury notwendig sei und unter welchen Regierungsformen sie ihrem politischen Zweck entsprechen könne326. In demokratischen Staaten sei die Jury unverzichtbares Element der Verfassung. Eine dem Einzelnen oder einem ständigen Kollegium anvertraute Kriminalgewalt würde der reinen Demokratie geradezu widersprechen327. Sodann sieht Feuerbach im Anschluss an die von Montesquieu vorgestellte Regierungsform mit ausgewogener Gewaltenteilung die Geschworenengerichte als Schlussstein der ganzen Verfassung oder vielmehr als ihren Grundstein, mit welchem sie selbst stehe oder falle328. Unter politischen Gesichtspunkten kommt Feuerbach trotz aller strafverfahrensrechtlicher Bedenken und der Ablehnung der französischen Ausgestaltung zu einer positiven Bewertung der Geschworenengerichte als notwendige Institution der rein demokratischen oder auch einer konstitutionellen Staatsverfassung. Feuerbach erlebte jedoch in seiner Zeit gerade auch die Ausprägung der napoleonischen Auffassung einer jederzeit beeinflussbaren Schwurgerichtsbarkeit. Die Möglichkeiten jederzeitiger Einflussnahmen und Beschränkungen hatten wir auch bei Betrachtung der westphälischen Geschworenengerichte kennen gelernt. So folgerte Feuerbach, dass die Jury nicht im Geiste einer Regierungsform liege, „welche, indem sie alle Gewalt in einem von dem Volke verschiedenen Regenten vereinigt, diesen zum alleinigen Depositar aller Rechte der Nation erhoben hat.“329 325 326 327 328 329

Vgl. C. III. 1. Feuerbach, Betrachtungen, S. 47 ff. Ebd., S. 48. Ebd., S. 60. Ebd., S. 64.

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Das Institut der Jury entspreche daher nicht einer wenn auch aufgeklärten absoluten Monarchie. In ihr könne das Geschworenengericht seine Aufgabe auch als Beschränkung herrschaftlicher Willkür nicht erfüllen, da die Gewährleistung bürgerlicher Freiheit allein vom Willen des Monarchen abhinge. Die Jury könne zwar durchaus zweckmäßiges Mittel zur Bewahrung der persönlichen Freiheit des Einzelnen sein. Jedoch: „Allein, daß sie bestehe, oder nicht mehr bestehe, hängt unter einer solchen Regierungsgewalt entweder mittelbar oder unmittelbar von eben dem Willen ab, gegen welchen sie die Schutzwehr ist, sie vertheidigt also gegen die höchste Gewalt nur so lange, als diese will, daß gegen sie solche Vertheidigung bestehen solle, mithin nur dann, – wenn es des Vertheidigungsmittels nicht bedarf.“330

Am Ende hatte Feuerbach, wie auch der zur gleichen Zeit im Königreich Westphalen als Justizminister tätige Siméon, die französische Form der Geschworenengerichte einer deutlichen Kritik unterzogen. Im Unterschied zu Siméon erklärte er sich jedoch gleichwohl zu einem Anhänger dieser politisch-konstitutionellen Institution als eines heiligen Schutzmittels der bürgerlichen Freiheit331. Feuerbach hatte sich schließlich in seinem zweibändigen Werk mit „Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege“ aus den Jahren 1821 und 1825 noch einmal intensiv mit dem französischen Modell der Geschworenengerichte unter Vergleichung mit der englischen Ausgestaltung der Jury beschäftigt. Er gelangte erneut zu dem Ergebnis, dass dem englischen Vorbild der Vorzug zu geben sei. Die französische Ausgestaltung der Geschworenengerichte leide im Wesentlichen an einer mangelhaften Regelung des Beweises und den Einflussmöglichkeiten der Regierung auf die Besetzung der Geschworenenbank. In diesem Zuge gelangte Feuerbach zu der Ansicht, dass im Falle eines Verzichts auf nähere gesetzliche Beweisregeln nur eine Entscheidung durch die Jury unter gleichzeitiger Anwendung der negativen Beweistheorie in Frage käme332. Diese Auffassung sollte in den kommenden Jahren in der Lehre herrschend werden333.

330

Ebd., S. 65 f. Vgl. dazu Schwinge, S. 16 f., der darauf verweist, dass Feuerbach auch dem süddeutschen Konstitutionalismus skeptisch gegenüber stand und trotz der Verfassungsgebungen in Bayern, Baden und Württemberg in den Jahren 1818/19 auch dort die Zeit für die Geschworenengerichte wohl noch nicht als gekommen ansah. 332 Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, 2. Band, S. 420 ff.; vgl. auch Schwinge, S. 18; Landau, S. 246. 333 Vgl. dazu C. IV. 1. 331

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b) Das Gutachten der Immediat-Justiz-Kommission Hatte zunächst Feuerbach das Institut der Geschworenengerichte auch in politischer Hinsicht als ungeeignet für die zeitgenössischen Staatsverfassungen angesehen, so wurde ihm auch hierin im Gutachten der preußischen Immediat-Justiz-Kommission über das Geschwornengericht vom 19. Mai 1818 widersprochen. In den Rheinlanden war bereits im Jahre 1798 das Geschworenengericht eingeführt worden und wirkte dort außerordentlich erfolgreich334. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft – Preußen erhielt als Ausgleich für das an Russland gefallene Kongresspolen neben Teilen Sachsens die Rheinlande335 – war der preußische Justizminister von Kircheisen bestrebt, in den neu erworbenen, von einer katholischen Bevölkerung und einem städtischen Bürgertum geprägten, Rheinlanden das altpreußische Recht einzuführen. Nachdem sich hiergegen erheblicher Widerstand erhoben hatte, wurde durch königliche Kabinettsordre vom 20. Juni 1816 einer hierzu eingesetzten Immediat-Justiz-Kommission aufgegeben, die rheinischen Rechtszustände vergleichend mit dem altpreußischen Recht einer kritischen Überprüfung zu unterziehen336. Diese legte unter anderem ihr Gutachten vom 19. Mai 1818 vor, welches sich für die Beibehaltung der eingeführten Geschworenengerichte in den Rheinlanden ihrem vorgefundenen Wesen nach aussprach337. Dieses Gutachten hatte sich eingehend mit den von Feuerbach gegen die Geschworenengerichte vorgebrachten juristischen und politischen Bedenken auseinander zu setzen. Im Gegensatz zu Feuerbach sah die Kommission die Laienrichter sehr wohl als befähigt an, zuverlässig über die ihnen vorgelegten Tatfragen zu entscheiden. Auch werde ihnen vom Volke ein größeres Vertrauen entgegengebracht als den beamteten Richtern, trotz aller gesetzlicher Vorkehrungen zur Gewährleistung der richterlichen Unabhängigkeit. 334

Einführung durch ersten Germinal des sechsten Jahres (1798) für die Rheinprovinzen; vgl. Landsberg, S. 170. 335 Vgl. Nipperdey, S. 91. 336 Die Tätigkeit der Kommission ist eingehend dargestellt worden von Landsberg in den einleitenden Ausführungen in der Abhandlung „Die Gutachten der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission“, S. I. ff.; das Gutachten ist abgedruckt daselbst, S. 119 ff.; vgl. hierzu auch Schwinge, S. 19 ff.; Landau, S. 242 ff. 337 Landsberg, S. 170; „Das Wesen der hier befindlichen Jury setzen wir darin: 1. daß in eigentlichen peinlichen Sachen für die Regel die Entscheidung über die Thatfrage, von der Entscheidung über das anzuwendende Gesetz getrennt; und 2. die erstere nicht einem, aus blos rechtsgelehrten Richtern bestehenden, ständigen Beamtenkörper, sondern einem, möglichst aus allen fähigen Classen der Staatsbürger, für jeden einzelnen Fall, theils durch das Loos, theils durch das Vertrauen des Gemeinwesens und des Angeklagten gewählten Geschwornengerichts überlassen werde.“

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Die Jury wird endlich auch als vorzugswürdige Einrichtung einer nachhaltigen Erziehung und einer tatkräftigen Mitwirkung in öffentlichen Angelegenheiten verstanden. Sie stärke das Selbstwertgefühl und die Würde des Einzelnen, indem dieser als Staatsbürger mit der Ausübung wichtiger Pflichten betraut werde. Betont wird in diesem Zusammenhang auch die besondere Bindung zu anderen Mitbürgern und schließlich auch zum Staat, die mit der Übertragung des Geschworenenamtes entscheidend hervorgehoben und gestärkt werde: „Indem er so die ehrwürdigen Formen des Rechts, ohne Unterschied des Reichthums, des Ranges und der Macht nicht bloß täglich öffentlich, unter seinen Augen sich erneuern sieht; sondern auch als Urtheiler den thätigsten Antheil nimmt, und durch seinen Ausspruch erst die Anwendung des Gesetzes bedingt; so muß auch jeder um so mehr seinen Werth schätzen, seine Stellung im Staate lieb gewinnen, und muß sich selbst für etwas halten lernen.“338

In Konsequenz auch dieser politischen Vorstellungen hatte die Kommission in Bezug auf die von Feuerbach als notwendig vorausgesetzte Verfassung im Staate entgegengehalten, die Jury sei entweder eben so sehr oder eben so wenig für die Monarchie geeignet, als für jede andere Regierungsform339. Die Kommission führte an, dass der Monarch sehr wohl die von ihm freiwillig durch Zuteilung richterlicher Gewalt an unabhängige Richter der eigenen Macht gesetzte Schranken beachten werde und er durch die öffentliche Meinung an deren Einhaltung erinnert werde. Allein es gelte, die Freiheit des Einzelnen vor Willkürmaßnahmen und Übergriffen seitens der Beamten zu bewahren. Auch diese Funktion könne die Jury erfüllen. Sie sei daher eben so sehr in einer Monarchie geeignet, wie die von Feuerbach vorgeschlagenen ständigen Richterkollegien. Auch diese stünden unter den gleichen Einflüssen seitens des Herrschers wie die Geschworenengerichte. Letztlich komme es entscheidend darauf an, ob die Jury in kriminalrechtlicher Hinsicht den ständigen Gerichtshöfen gleichzusetzen oder diesen vorzuziehen sei. Die politischen Gesichtspunkte traten damit für die Kommission hinter die strafverfahrensrechtlichen Aspekte zurück340.

338

Landsberg, S. 180. Ebd., S. 193: „Die Geschichte zeigt uns auch in Monarchien Geschworne, und in Republiken ständige Gerichte. England ist eine konstitutionelle Monarchie. Napoleon herrschte mit despotischer Gewalt. Die gegenwärtige Regierungsform in Frankreich ist eine monarchische. Allein wenn auch hiervon abgesehen wird, so waren die Germanen zu der Zeit der alten Schöppengerichte von Monarchen beherrscht.“ 340 Landsberg, S. 196 f.; vgl. dazu Schwinge, S. 26; Landau, S. 242 f. 339

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c) Die Schwurgerichtsfrage vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse An die Arbeiten Feuerbachs und die Ergebnisse der Immediat-JustizKommission schloss sich in den nachfolgenden Jahrzehnten eine intensive Auseinandersetzung über die Grundsatz- und Detailfragen der Schwurgerichtsbarkeit an, die eine wahre Flut von literarischen Beiträgen mit ganz unterschiedlichen Ansatzpunkten und von unterschiedlicher Ausstrahlungskraft hervorbrachte. Ihre Grundlinien wurden von Schwinge eingehend nachgezeichnet. Auf seine Arbeit sei hier verwiesen. Die breit gefächerte Auseinandersetzung brachte letztlich aber nur das Ergebnis der erfolgreichen Durchsetzung des Instituts der Geschworenengerichte. Eine wesentliche inhaltliche Neugestaltung der oft kritisierten französischen Form der Laiengerichtsbarkeit vermochte sie nicht hervorzubringen. Besondere Bedeutung kam bei allen theoretischen Debatten über die Jury der Tatsache zu, dass im Anschluss an das Gutachten der Immediat-JustizKommission die Geschworenengerichte in den preußischen Rheinlanden nicht abgeschafft wurden und so weiter allein durch ihre zum Teil spektakuläre Öffentlichkeit eine nachhaltige Anziehungskraft bis zum Zeitpunkt der allgemeinen Einführung der Schwurgerichtsbarkeit in ganz Deutschland ausübten. Nachdem es innerhalb der preußischen Regierung zu Meinungsunterschieden341 über die Ergebnisse des Kommissionsgutachtens gekommen war, hatte man sich am Ende doch entschieden, bis zu einer Gesamtrevision des preußischen Rechts von dessen Einführung in den Rheinlanden Abstand zu nehmen und die dort bestehende Gerichtsverfassung vorerst beizubehalten342. So dienten die rheinischen Geschworenengerichte in der Folgezeit als Anschauungs- und Studienobjekt von politisch Interessierten, Wissenschaftlern, aber auch praktischen Juristen. Die als beeindruckend geschilderten Erfahrungen hatten nicht unwesentlichen Anteil daran, dass sich der Wunsch nach Einführung der Jury im Strafverfahren am Ende durchsetzen sollte343. Schließlich unternahmen später auch die kurhessischen Richter nach Einführung der Geschworenengerichte Bildungsreisen in die Rhein341 Entschiedener Gegner der Geschworenengerichte war insbesondere Karl von Kamptz (in dieser Zeit Leitender Direktor des Polizeidepartements), der sich in der bald einsetzenden „Demagogenverfolgung“ als besonders eifriger Akteur erweisen sollte; vgl. Wehler, 2. Band, S. 335. Aber auch Justizminister von Kircheisen hatte sich in einem Votum aus dem Juli 1818 gegen die Beibehaltung der Jury ausgesprochen; Votum abgedruckt bei Landsberg, S. 281 ff. 342 Kabinetts-Ordre und Instruktion an den Minister für die Revision der Gesetzgebung Karl Friedrich von Beyme vom 19. November 1818, abgedruckt bei Landsberg, S. 367 ff.; vgl. dazu Schwinge, S. 32. 343 Vgl. Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit, 2. Band, S. 420; Mittermaier, Mündlichkeit, S. 4.

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lande um sich über die praktischen Gegebenheiten und näheren Verfahrensabläufe ein eigenes Bild zu machen344. Die im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts beginnende Auseinandersetzung um Einführung von Geschworenengerichten war unmittelbar verknüpft mit den weitreichenden politischen Entwicklungen dieser Jahre. Die Ereignisse des Wartburgfestes der deutschen Burschenschaftler im Herbst des Jahres 1817 – das studentische Verbrüderungsfest sollte in Gedenken an die Reformation und die Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober stattfinden345 – und das politisch motivierte Attentat des Jenaer Burschenschaftlers und Theologiestundenten Karl Ludwig Sand auf den als Reaktionär verhassten Schriftsteller und russischen Staatsrat August von Kotzebue am 23. März 1819 hatte Metternich zum Anlass genommen, der um sich greifenden Revolutionsbewegung deutlich entgegenzutreten und die politischen Entwicklungen wieder umzukehren. Es folgten die bedeutungsvollen Beschlüsse in Folge der Konferenz in Karlsbad vom 6. bis 31. August 1819. Zugleich war es das Ziel Metternichs, dem Streben nach einer Verfassungsgebung in den einzelnen Staaten Einhalt zu gebieten346. In den süddeutschen Ländern Bayern, Baden und Württemberg waren die Zusagen einer Verfassungsgebung aber bereits erfüllt worden347. Die bayerische Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 sah vor, dass der König weiterhin Oberhaupt des Staates sei und sich in ihm alle Rechte der Staatsgewalt vereinigten, die er unter den von ihm gegebenen Verfassungsbestimmungen auszuüben habe348. Die Verfassung enthielt aber zugleich einen bedeutenden Grundrechtekatalog mit Gewährleistungen in Bezug auf Gewissens-, Meinungs- und Pressefreiheit349. Die Gerichtsbarkeit ging vom König aus. Die Gerichte sollten aber innerhalb ihrer amtlichen Befugnis unabhängig sein. Der König konnte nach den Verfassungsbestimmungen in strafrechtlichen Sachen Gnade erteilen, die Strafe mildern oder erlassen; er durfte aber in keinem Falle irgend eine anhängige Streitsache oder angefangene Untersuchung hemmen350. Auch der Zähringer Karl gab unter großem Jubel der Bevölkerung in Karlsruhe seinem Großherzogtum Baden die Verfassung vom 22. August 1818 nach dem Vorbild der bayerischen Konstitution. Dem entsprechend vereinigte auch der Großherzog nach der Verfassung weiterhin 344

Siehe D. II 1. Vgl. von Treitschke, S. 296. 346 Vgl. Nipperdey, S. 282 ff.; Wehler, 2. Band, S. 337 ff. 347 Zum Versuch Metternichs, die bereits gegebenen Verfassungen wieder abzuschaffen, Nipperdey, S. 283. 348 Titel II, § 1 der Verfassung vom 26. Mai 1818, Verfassungstext abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 155. 349 Siehe Titel IV. der Verfassung vom 26. Mai 1818. 350 Siehe Titel VIII., §§ 1 ff. der Verfassung vom 26. Mai 1818. 345

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alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Person351. Wie in Bayern unterteilten sich die Landstände in zwei Kammern. Der Abschnitt der Verfassungsurkunde betreffend „staatsbürgerliche Rechte und Pflichten der Badener und besondere Zusicherungen“ enthielt Gewährleistungen für die Freiheit der Person und der ungestörten Gewissensfreiheit. Die Pressefreiheit sollte nach den künftigen Bestimmungen der Bundesversammlung gehandhabt werden. Die Verfassung bestimmte nach Festlegung der Unabhängigkeit der Gerichte sodann in ihrem § 15, dass niemand in Kriminalsachen seinem ordentlichen Richter entzogen werden dürfe. Der Großherzog könne erkannte Strafen mildern oder ganz nachlassen, aber nicht schärfen. Die beiden erwähnten Verfassungen aus dem Jahre 1818 begründeten zusammen mit dem Verfassungsvertrag des Königreiches Württemberg im September 1819 den „Entwicklungsvorsprung der süddeutschen konstitutionellen Staaten.“352 Insbesondere badische Gesetzesinitiativen und Debatten in Bezug auf Strafrechtsreformen und Fragen der Pressefreiheit sollten in den 30er und 40er Jahren unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung in Kurhessen nehmen. Badische aber auch bayerische Gesetzesentwürfe dienten als Vorbild und Verhandlungsgrundlagen. Vor dem Hintergrund der auf die „studentischen demagogischen Umtriebe“ einsetzenden Reaktion des Bundes war schon im Jahre 1818 anlässlich der Landtagsverhandlungen in Bayern und Baden die Forderung nach Einführung von Geschworenengerichten erhoben worden. Der rheinpfälzische Abgeordnete Köster stellte am 21. März 1819 den Antrag, die Geschworenengerichte als „Palladium bürgerlicher Freiheit“ auch in Bayern einzuführen. Die politischen Verhandlungen hierzu erfolgten auf der Grundlage der „Betrachtungen“ Feuerbachs und den darauf erwidernden Stellungnahmen der Immediat-Justiz-Kommission in ihrem Gutachten vom 19. Mai 1818. Im Mai des Jahres 1819 fasste die bayerische Abgeordnetenkammer nach intensiven Debatten den Beschluss, den König um die Einführung der Geschworenengerichte zu ersuchen. Dieser Wunsch blieb jedoch unerfüllt353. 351 I. § 5 der Verfassung vom 22. August 1818, Verfassungstext abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 172. 352 Wehler, 2. Band, S. 330; Im Großherzogtum Hessen kam es in Folge „von einer durch burschenschaftlich geprägte Jungakademiker angeheizten Volksbewegung“ (Franz/Murk, S. 11) im Jahre 1820 zu einer entsprechenden Verfassungsvereinbarung; Verfassungsurkunde des Großherzogtums Hessen vom 17. Dezember 1820, abgedruckt bei Franz/Murk, S. 168 ff. 353 Vgl. hierzu Schwinge, S. 54 f.; Landau, S. 254 ff., mit dem Hinweis, dass die bayerische Regierung gerade in dieser Zeit der restaurativen Politik erwogen hatte, die Verfassung wieder zu beseitigen und nicht geneigt war, repräsentative Institutionen zu befördern.

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Auch in Baden wurde im April des Jahres 1819 auf dem ersten Landtag über die Einführung der Schwurgerichtsbarkeit debattiert. Der Abgeordnete Deimling hatte unter Verweis auf die zahlreichen Gebrechen und Mängel in Verwaltung und Gesetzgebung den Antrag gestellt, seine königliche Hoheit untertänigst zu bitten, den Ständen einen Gesetzentwurf über die Einführung von „geschwornen Gerichten“ zur Entscheidung in Kriminal- und Injuriensachen sowohl als in Pressvergehen unter Zurücknahme der bisher bestandenen Zensurverordnungen zur Beratung vorlegen zu lassen354. In der gleichen Sitzung forderte der Abgeordnete von Liebenstein die Trennung von Verwaltung und Justiz sowie die Öffentlichkeit und Mündlichkeit in bürgerlichen und peinlichen Rechtssachen. Auch er wies auf den schlimmen Zustand der badischen Justiz hin und forderte, die Rechtsprechung aus den verschlossenen Stuben wieder hinaus auf den freien Markt zu führen355. Im Rahmen der Debatte über die Zensur und Pressvergehen begründete er die Unentbehrlichkeit von Geschworenengerichten zum effektiven Schutz der Pressefreiheit. Bereits im vorangegangen Jahr 1818 war aus der Professorenschaft der Universität in Jena das Dogma „Keine Preßfreiheit ohne Schwurgerichte“ hervorgegangen356. Hieran knüpfte von Liebenstein357 an. Er verwies darauf, dass gerade in Bezug auf Presseäußerungen das Gesetz nicht sicher festlegen könne, was im Einzelfall erlaubt sei und was nicht. Eine gesetzliche Bindung des Richters sei unzulänglich. Die Einräumung einer geistigen Bewegungsfreiheit begründe aber gerade in Fällen von Presseäußerungen mit politischem Hintergrund die Gefahr von Willkür und Parteilichkeit des zur Entscheidung berufenen Richters. Hier stehe die Regierung dem Angeklagten als Partei gegenüber. Und weiter: „In solcher Lage der Dinge muß es für die Bürger des Staats im höchsten Grade bedenklich sein, die Strafgewalt gegen den Mißbrauch der Presse in der Hand von Männern zu sehen, mit deren Stellung zu der Regierung die öffentliche Meinung nie die Idee der vollkommenen Unabhängigkeit verbinden wird, nämlich in der Hand von Richtern, welche die Regierung anstellt und besoldet. Der Gerichtshof, welcher berufen ist, über Preßvergehen zu entscheiden, daher oft in den Fall kommen kann, zwischen der Regierung und ihren Gegnern im Volke zu richten, muß aus vollkommen unabhängigen Männern zusammengesetzt sein; er muß aus dem Volke selbst hervorgehen, er muß ein Tribunal von Geschworenen sein. Nur einem solchen Tribunal wird in einem konstitutionellen Staat die Strafgewalt über Preßvergehen mit vollem Vertrauen auf seine Unparteilichkeit übertragen werden können.“358 354

Hahn, S. 29. Ebd., S. 30. 356 Vgl. Schwinge, S. 55 f. 357 Ludwig von Liebenstein (1781–1824) war Mitglied der zweiten badischen Kammer und galt als einer der herausragenden Liberalen dieser Zeit; siehe zu seiner großen rednerischen Begabung in den Landtagsverhandlungen Schnabel, S. 226 f. 355

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Die Forderung nach der Einrichtung von Geschworenengerichten wurde in den späteren Landtagsverhandlungen in Kurhessen ebenfalls in direkten Zusammenhang mit der begehrten Presse- und Meinungsfreiheit gestellt. Auch der Aspekt einer unvermeidbaren Unklarheit von Tatbeständen betreffend Pressvergehen und Beleidigungsdelikten sollte bei der Umbildung des Strafverfahrens in Kurhessen im Jahre 1848 zu besonderen Diskussionen und gesetzgeberischen Sonderregelungen führen. Die insoweit ergriffenen politischen Initiativen und Debatten der süddeutschen Landtage in Bayern und Baden im Jahre 1819 blieben aber zunächst ohne Erfolg, da die noch im Herbst dieses Jahres mit den Karlsbader Beschlüssen einsetzende Repression und Zensur solchen Forderungen Einhalt gebot359. Die auf den Landtagen in Bayern und Baden im Frühjahr 1819 erhobenen Forderungen nach Einführung eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens auch in Strafsachen bei Einführung einer Laienjury wurde nach Publikation auch in Kurhessen aufgenommen. Es waren hier 21 Regierungsprokuratoren, die mit einer Eingabe vom 8. Juni 1819360 die Erneuerung der Strafrechtspflege forderten. Sie richteten sich unmittelbar an den Justizminister von Schmerfeld361 und eröffneten ihre Bitte mit dem Hinweis, dass das nun durchdringende Prinzip der Öffentlichkeit auf die Rechtswissenschaft eine ebensolche Wirkung entfalte, wie die Reformation seinerzeit auf die Theologie. Eine mündliche und öffentliche Rechtspflege in allen und Geschworenengerichte in peinlichen Sachen erleichterten die Justizanstalt im Staate und förderten den raschen Gang der Rechtspflege, ohne dass hierdurch ihre Gründlichkeit Schaden nähme, so sehr, dass überall in Deutschland der Wunsch nach Wiedereinführung dieser uralten deutschen Einrichtungen geäußert werde. Die Öffentlichkeit der Rechtspflege möge daher wieder in das Leben zurückgerufen werden. Diese Bittschrift an den Justizminister wurde sodann der Regierung in Kassel zur Stellungnahme vorgelegt. In ihrem kommentierenden Bericht vom 26. Juni 1819362 wurde zunächst darauf hingewiesen, dass die hier in Anregung gebrachte Einführung der öffentlichen Rechtspflege und das Institut der Geschworenen in peinlichen Sachen zu den viel besprochenen Materien der neueren Zeit gehörten und es zeigten die öffentlichen Blätter, 358

Aus der Rede von Liebensteins über die Pressefreiheit, zitiert bei Schwinge,

S. 56. 359 Zu den eher zurückhaltenden Debatten in Württemberg vgl. Schwinge, S. 55; Landau, S. 261 f. 360 Eingabe von 21 Regierungsprokuratoren, Hess. StA Marburg, 18 Nr. 3954. 361 Georg von Schmerfeld (1758–1823) war 1813 bis 1823 kurhessischer Staatsminister für Justiz und Inneres und Mitglied der Verfassungskommission der Jahre 1815/16; zur Person siehe auch Speitkamp, Restauration, S. 71 f. 362 Hess. StA Marburg, 18 Nr. 3954.

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was hierzu bei den landständischen Versammlungen in München und Karlsruhe verhandelt worden sei, ohne dass jedoch bislang in beiden Staaten diese Formen der Rechtspflege in Ausübung gekommen wären. Diese Formen, wie man sie aus Frankreich kennen gelernt habe, setzten aber voraus, dass die ganze Staatsverwaltung damit in Übereinstimmung stehe und nur unter dieser Bedingung seien sie nützlich. Nachdem auch hinsichtlich der Zivilrechtspflege Reformbedarf anerkannt worden war, beschäftigte sich der Bericht der Regierung auch mit dem Bereich der Strafrechtspflege. In dieser Hinsicht sei das Erfordernis eines neuen Strafgesetzbuches ebenso wenig in Zweifel zu ziehen wie die Notwendigkeit einer vollständigen Kriminalgerichtsordnung. In peinlichen Sachen könne die Öffentlichkeit anzuordnen sein, ohne dass es deswegen des Instituts der Geschworenen bedarf. Die Regierung sprach sich an dieser Stelle gegen die Mitwirkung einer Laienjury aus. Die in die Meinung der Geschworenen gelegte Beantwortung der Frage über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten setze eine richtige Beurteilung des Grades des Beweises und schlussmäßige Vermutungen voraus. Die deshalbige Urteilsfähigkeit sei mehr von wissenschaftlich gebildeten Richtern als von Leuten zu erwarten, denen nach ihrer Bestimmung und nach ihren bürgerlichen Geschäften die hierzu nötigen Kenntnisse abgingen. Selbst französische Schriftsteller könnten die in mehreren Fällen von den Geschworenen abgegebenen unrichtigen Beurteilungen nicht in Abrede stellen. Schließlich bestätigte die Regierung das grundsätzliche Bedürfnis einer verbesserten Einrichtung der Rechtspflege. Hierzu bedürfe es jedoch der Einsetzung einer Kommission zur Entwerfung der nötigen Verordnungen. Die Mitglieder der Kommission könnten diese Aufgabe jedoch nicht als Nebengeschäft erledigen und müssten daher auf ein Jahr von allen übrigen Arbeiten entbunden werden. Die Bittschrift der Regierungsprokuratoren sowie der darauf eingehende Bericht der Regierung in Kassel hatten keine unmittelbaren Folgen. Insbesondere das Thema der Schwurgerichtsbarkeit trat in den nächsten Jahren jedenfalls in Kurhessen in den Hintergrund und wurde auch von den wenigen hervortretenden Schriftstellern bis zum Ende der zwanziger Jahre nicht aufgegriffen. Landtagsverhandlungen, bei denen diese Frage hätte aufgeworfen werden können, fanden in dieser Zeit in Kurhessen ebenfalls nicht mehr statt. d) Das öffentliche Leben und Zensurmaßnahmen in Kurhessen Das öffentliche Leben unter Wilhelm I. und seinem Nachfolger blieb im Vergleich zu anderen deutschen Ländern bemerkenswert ruhig. Dies war zunächst auch ganz im Sinne der Restitutionspolitik des Kurfürsten nach seiner Heimkehr aus dem Prager Exil. Veranlasst durch die Nachricht der

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Rückkehr Napoleons von Elba auf das französische Festland im März 1815 und auf Drängen der Verbündeten in Preußen und Österreich363 war nach Zustimmung durch die Kasseler Regierung die Verordnung vom 11. April 1815 die öffentliche Sicherheit in Hinsicht auf die aus Frankreich kommenden oder dahin gehenden Reisenden und die Anhänger des Feindes betreffend ergangen364. Sie sollte die Sicherung der öffentlichen Ruhe gegen jede verräterische Unternehmen im kurhessischen Lande gewährleisten. Deren § 3 bestimmte: „Wer öffentlich Reden führt, oder Handlungen begeht, welche Anhänglichkeit an Napoleon Bonaparte oder die in Hessen bestandene usurpatorische Herrschaft und Teilnahme an deren Sache zeigen, ist als der Sicherheit des Staates gefährlicher Mensch zu betrachten, dem zufolge auf der Stelle zu verhaften, von der obrigkeitlichen Behörde vollständig zu verhören und darauf unter sicherer Bedeckung und mit Beifügung der Akten an die kompetente Regierung abzuliefern, welche alsdann gegen den Verbrecher nach den Gesetzen zu verfahren hat.“365

Es ist nicht davon auszugehen, dass diese Verordnung nun der Grund gewesen war, warum das Thema der Schwurgerichtsbarkeit in der Öffentlichkeit nicht erörtert worden ist. Der Reformbedarf in der Rechtspflege war unstreitig und die Geschworenengerichte konnten als alte germanische Institution betrachtet werden, was in den kommenden Jahren auch tatsächlich weiterhin nachdrücklich immer wieder betont worden ist. Das schwache und zurückhaltende öffentliche Leben lag wohl viel grundsätzlicher am Wesen der kurhessischen Bevölkerung. Bemerkenswert sind in dieser Hinsicht auch die Diskussionen um die Einführung einer zentralen Polizeidirektion zur Überwachung und Auskundschaftung der öffentlichen Stimmung im Lande in den Jahren 1814/15. Die Mitglieder der Kasseler Regierung widersprachen letztlich sogar mit Erfolg der Errichtung einer Landespolizeidirektion, die nach ihrer Auffassung auch zu sehr an die verhasste westphälische Einrichtung erinnern müsste. In diesem Zusammenhang wurde auch seitens der Regierungsmitglieder darauf hingewiesen, dass bei aller Widersetzlichkeit und Steuerverweigerungen eine ernste Gefahr für die öffentliche Ruhe und Sicherheit „bey dem biedern Charakter der Hessen“ nicht existiere und, dass „ein Hesse nichts unternehmen wird, was der Person seines rechtmäsigen angebohrenen Landesfürsten gefährlich werden, oder eine Umwälzung der Staats Verfassung beabsichtigen könnte“366. 363

Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 69; Nipperdey, S. 98. SG, 1. Band, 1815, S. 108 f. 365 Zu den Verhaftungen in Folge dieser Verordnung siehe Speitkamp, Restauration, S. 69 ff. 366 Aus den Voten der Regierungsmitglieder, zitiert bei Speitkamp, Restauration, S. 96; zu den Diskussionen um die Einführung einer Landespolizeidirektion siehe ebd., S. 96 ff. 364

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Die Beamten der Regierung zeigten auch an dieser Stelle eine nicht zuletzt aus westphälischer Zeit übernommene moderne und liberale Grundtendenz in Bezug auf bürgerliche Freiheiten, die sie hier, wie auch an anderer Stelle, mehr oder weniger verdeckt auch dem Landesherrn gegenüber offenbarten. Die Fragen der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der staatlichen Zensur sollten jedoch in den Jahren nach 1816 noch besondere Bedeutung erlangen, was nicht zuletzt auch unmittelbare Auswirkungen auf die Debatten um die Schwurgerichtsbarkeit haben sollte. Das Begehren nach einer freien Presse hatte den bedeutenden politischen Aspekt, dass sie zunächst eine Ersatzfunktion für eine fehlende effektive Repräsentation des Volkes entfaltete und der öffentlichen Meinung auch und gerade bei Kritik am Regierungshandeln zum Ausdruck verhelfen konnte. Nicht nur der Kurfürst, auch seine Regierungsbeamten betrachteten insbesondere das sich seines neuen Selbstbewusstseins und Selbstverständnisses allmählich gewahr werdende Bildungsbürgertum misstrauisch. Auf die insoweit elitäre Einstellung der überdauernden Regierungsbeamten wurde bereits hingewiesen. Besonderer Argwohn bestand gegenüber den akademischen Oppositionellen und den (Untergerichts-)Advokaten, die sich im Vormärz zum Teil als Verkünder radikal-revolutionärer Ansichten hervortun sollten und in Gegnerschaft zu Adel und Beamtentum das öffentliche Leben mit dem Rechtsgedanken durchdringen wollten. Dabei waren es nach deren Verkündung gerade die Bücher, die „für die Laufbahn des Staatsmannes eine bessere Vorbereitung sein können, als edle Geburt oder eine frühzeitige Übung in untergeordneten Stellen und der ermüdende Dienst in den Kanzleien.“367

Auf die wenn auch wenigen öffentlich agierenden Oppositionellen in Kurhessen in der Zeit bis 1830 wird zurückzukommen sein. In dem Entwurf der Verfassungskommission aus dem Dezember 1815368 war die Pressefreiheit im letzten Kapitel über „Allgemeine Bestimmungen“ behandelt worden. Nach Art. 4 des zehnten Abschnitts sollte in den Kurhessischen Staaten eine vollkommene Druck- und Pressefreiheit stattfinden. Die Verfasser, Drucker, Verleger und Verkäufer der Schriften seien aber für alles verantwortlich, was darin gegen die Religion, die guten Sitten, die Staatsverfassung und die dem Regenten schuldige Ehrerbietung enthalten ist369. Diese Bestimmung wurde jedoch sogleich gestrichen und war bereits im revidierten Kommissionsentwurf vom Februar 1816 nicht mehr enthalten370. Dabei hatte der erste Entwurf durchaus im Wesentlichen Zweck367

Schnabel, S. 203. Siehe C. I. 1. 369 Konstitutionsentwurf der Verfassungskommission, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 43, S. 163. 368

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mäßigkeitserwägungen im Sinne eines effektiven Regierungshandelns zum Ausdruck gebracht. In den Begründungen der Kommission hieß es zu der entsprechenden Bestimmung des Art. 4 des Konstitutionsentwurfs, dass sie mehr Sicherheit als die Anordnung einer Zensurbehörde erzeuge, weil es doch nicht möglich sei, dass diese alles mit der gehörigen Genauigkeit prüfen kann. „Bei der Vorschrift einer vorgängigen Zensur ist der Verkäufer einer schädlichen Schrift sofort gedeckt, sobald solche die Zensur passiert hat und außerdem kann das Einbringen verbotener Schriften aus dem Ausland durch die Zensur nicht verhindert werden. Die Erfahrung hat auch gelehrt, daß jedes Buch, dessen Verkauf untersagt worden, den größten Absatz erhalten habe, weil durch dieses Verbot die Menschen auf das Buch aufmerksam geworden und zu Befriedigung ihrer Neugierde Mittel gefunden haben, solches sich heimlich zu beschaffen.“371

Der Kurfürst hatte sich jedoch an Stelle der aus Zweckmäßigkeitsgründen vorgeschlagenen justiziablen Nachzensur für die Beibehaltung der präventiven Vorzensur entschieden. Die von ihm durch Reskript vom 10. Februar 1815 eingesetzte Zensurkommission erhielt im Sommer 1816 eine nach preußischem Muster von der Kasseler Regierung entworfene Instruktion. Bei der Vorlage ihres Entwurfes hatte die Regierung allerdings darauf hingewiesen, dass eine solch scharfe Einschränkung des Druckens und Lesens besonders im Ausland keinen guten Eindruck mache und auf der Grundlage des Art. 18 der Bundesakte ohnehin alsbald gleichförmige Verfügungen über die Pressefreiheit zu erwarten seien. Da der Trieb der Menschen zur steten Ausbildung der Geisteskräfte zu stark sei, dürften gesetzliche Verfügungen, welche sie hemmen oder hindern könnten, Missmut erregen372. Die gleichwohl vom Kurfürsten gebilligte und nun erlassene Instruktion bedeutete dabei in der Tat noch eine Verschärfung der relativ milden hessischen Zensur des vorausgegangenen Jahrhunderts373. Mit Regierungsausschreiben vom 14. Juni 1816 wurde kund getan, es sei durch Verfügung vom 11. April des Jahres befohlen worden, dass in hiesigen Landen keinerlei Art von Büchern und Schriften ohne vorherige Zensur gedruckt werden dürften. Auch die im Auslande erschienenen, den kurhessischen Staat betreffenden Bücher dürften ohne vorgängige Erlaubnis der 370

Ebd., S. 180 ff., 189; siehe dort auch Einleitung, S. XLVI. Kommentar der Kommission abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, S. 163 f., Fn. 48. 372 Zum Bericht der Regierung Kassel vom 9. Mai 1816, siehe Speitkamp, Restauration, S. 421; Art. 18 der Bundesakte vom 8. Juni 1815 lit. b: Die Bundesversammlung wird sich bei ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über die Preßfreiheit und die Sicherstellung der Rechte der Schriftsteller und Verleger gegen den Nachdruck beschäftigen; Huber, Dokumente, S. 90. 373 Vgl. Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 458. 371

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Zensurkommission nicht an das Publikum ausgegeben werden. Buchdrucker und Händler wurden ermahnt, dieses bei Meidung strenger Strafe zu befolgen374. Die Zensurkommission wurde instruiert, darüber zu wachen, dass alle und jede Druckschriften, welche im Lande besorgt werden, überall nichts enthalten, was den Lehren der christlichen Religion, den Sitten und der Staatsverfassung Nachteil verursachen, oder die guten Verhältnisse mit auswärtigen Staaten beeinträchtigen könnte. Auf fremde Druckschriften war mit Sorgfalt zu achten. Anhand der durchzusehenden Messe-Bücherverzeichnisse sollten die darin angezeigten Bücher, welche schädlich oder nachteilig erscheinen, inhaltlich überprüft und gegebenenfalls der Absatz untersagt sowie die Exemplare konfisziert werden. Schließlich galt den in Deutschland erscheinenden Journalen und Zeitungen die vorzügliche Aufmerksamkeit. Es waren diejenigen Zeitschriften und Tagesblätter ausfindig zu machen und in Beschlag zu nehmen, deren Herausgeber und Teilnehmer die Absicht offenbarten, schädliche Ideen in Umlauf zu bringen, Unzufriedenheit bei den Untertanen gegen die bestehenden Staatseinrichtungen zu erwecken, anmaßliche Urteile und Kritiken über Handlungen der Fürsten und Gegenstände des Staatshaushaltes zu verbreiten, oder überhaupt auf die Gesinnungen der Menschen zum Nachteil der allgemeinen Wohlfahrt böslich einzuwirken. Gleichwohl sollte aber dem freien Streben nach geistiger Ausbildung sowie der Verbreitung wissenschaftlicher und nützlicher Kenntnisse, die des Staates Wohl hauptsächlich befördern helfen, nicht der geringste Eintrag geschehen375. Zu den vier berufenen Zensoren gehörte neben dem Regierungsrat Burkhard Wilhelm Pfeiffer376 auch der zu dieser Zeit als Hofbibliothekar in kurhessischen Diensten stehende Jacob Grimm377. Nachdem Letzterem der Text der Instruktion vom 14. Juni 1816 zugeleitet worden war, wandte er sich in Abstimmung mit den anderen Mitgliedern der Kommission in einer am 20. August 1816 abgesandten Denkschrift378 an den Kurfürsten und seinen Geheimen Rat. Grimm betrachtete die Zensur einheimischer Schriften für praktisch ausführbar, Bedenken äußerte er jedoch im Hinblick auf vom Ausland eingeführte Schriften. Deren Zensur würde lediglich den ohnehin schon dürftigen inländischen Buchhandel noch mehr herunterbringen. Hes374

Regierungsausschreiben vom 14. Juni 1816, SG, 1. Band, 1816, S. 73. Ebd., S. 74 f. 376 Zu den Mitgliedern der Kommission siehe Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 457. 377 Jacob Grimm (1785–1863) war seit 1816 zweiter Bibliothekar der Bibliothek in Kassel bis er 1829 dem Ruf an die Universität in Göttingen folgte, HRG/Erler, 1. Band, Jacob Grimm, S. 1806 ff. 378 Abgedruckt bei Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 470 ff. 375

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sen habe, was ihm halb zum Lob gereicht, keine Kaffeehaus-Literatur und viel weniger innere literarische Regsamkeit als die meisten übrigen deutschen Länder379. Unabhängig von der Frage, ob eine Zensur ausländischer Bücher überhaupt praktikabel sei und eine solche nicht sogar noch mehr Neugierde an solchen Werken wecken dürfte, wird in diesem Zusammenhang deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das öffentliche Leben und die literarische Tätigkeit in Kurhessen arg rückständig geblieben war. Ohnehin könne das hessen-kasselsche Volk durch keine Schriften und Schreibereien irgend einer Art von seiner vielfach geprüften und bewährten Anhänglichkeit an Religion, Sitten und seine angestammten Fürsten abgebracht, oder jemals in seiner Treue wankend gemacht werden. Schließlich wird im Bericht der Kommission auch auf folgenden Umstand hingewiesen: „In Kurhessen wird bekanntlich wenig gedruckt. Außer den zu Marburg, Cassel und Hanau befindlichen Pressen, so daß z. B. in der einen Stadt Göttingen jährlich das drei- oder vierfache mehr erscheinen dürfte, als in ganz Hessen, gibt es an andern inländischen Orten nur noch sogenannte Winkeldruckereien.“380

Die von Grimm niedergelegte Denkschrift wurde sogleich der Kasseler Regierung zur Begutachtung vorgelegt. Sie bestätigte die vorgetragenen Bedenken und sprach sich für Milderung aus381. Dabei plädierte Regierungsrat Friedrich Krafft382 in einem Sondervotum sogar für die Gewährung von Pressefreiheit bei Aufhebung der Vorzensur. Der Schutz der Religion, der Sitten und des Staates sowie der gute Ruf des Einzelnen sollte nach seiner Auffassung allein durch eine angemessene, aber strenge Strafgesetzgebung erreicht werden383. Eine kurfürstliche Entscheidung blieb aus384. Im Jahre 1819 wurde die Zensurordnung des Jahres 1816 in Folge der Karlsbader Beschlüsse aber ohne Einschränkung bestätigt. Die Beschlüsse der Ministerkonferenz in Karlsbad in der Zeit vom 6. bis 31. August 1819 wurden auf der darauf folgenden Bundesversammlung vom 20. September 1819 für den deutschen Bund in Kraft gesetzt. Beschlossen wurde dabei auch das Bundes-Preßgesetz („Provisorische Bestimmungen hinsichtlich der Freiheit der Presse“), nach dessen § 1 379

Vgl. ebd., S. 459. A. a. O., S. 470 ff.; vgl. zu dem vergleichsweise hohen Anteil der stadtbürgerlichen Oberschicht an der Gesamtzahl der Einwohner der Stadt Göttingen, Wehler, 2. Band, S. 182. 381 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 423. 382 Friedrich Krafft (1777–1858) war im Königreich Westphalen Richter am Tribunal I. Instanz und von 1814 bis 1820 Regierungsrat in Kassel und danach Ministerialrat im Staatsministerium; vgl. Keller, S. 220. 383 Siehe Speitkamp, Restauration, S. 423. 384 Vgl. Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 460. 380

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„Schriften, die in der Form täglicher Blätter oder heftweise erscheinen, deßgleichen solche, die nicht über 20 Bogen im Druck stark sind, in keinem deutschen Bundesstaate ohne Vorwissen und vorgängige Genehmhaltung der Landesbehörden zum Druck befördert werden“

durften385. Die übrigen Schriften sollten weiterhin nach den in den Bundesstaaten bestehenden oder noch zu erlassenden Zensurbestimmungen behandelt werden. Mit Regierungsausschreiben vom 22. November 1819 wurde kundgetan, dass die Karlsbader Beschlüsse und damit die Bestimmungen des Bundes-Preßgesetzes auch für Kurhessen nun Gesetzeskraft besaßen. Sämtlichen Behörden wurde deren strenge Befolgung nach Maßgabe der Zensurordnung vom 14. Juni 1816 aufgegeben386. Nach dem Bundes-Untersuchungsgesetz vom 20. September 1819387 war schließlich eine Zentraluntersuchungskommission in Mainz eingerichtet worden. Ihre Aufgabe war die Untersuchung und Feststellung des Tatbestandes, des Ursprungs und der mannigfachen Verzweigungen der gegen die bestehende Verfassung und innere Ruhe, sowohl des ganzen Bundes, als auch der einzelnen Bundesstaaten, gerichteten revolutionären Umtriebe und demagogischen Verbindungen, über welche nähere oder entferntere Indizien bereits vorliegen, oder sich im Laufe der Untersuchung noch ergaben388. Dabei war die Kommission mit erheblichen Befugnissen ausgestattet, unter anderem mit Weisungsbefugnissen gegenüber einzelstaatlichen Behörden, denen sie die Durchführung von Verhaftungen und auch die Verbringung des Beschuldigten nach Mainz aufgeben konnte389. Trotz erheblichen Aufwandes blieb der Erfolg dieser Zentralbehörde gering, so dass sie im Jahre 1828 wieder aufgelöst worden ist390. Die in Kurhessen bereits vorhandene Zensurkommission führte ihre Tätigkeit auf der weiteren hinzugekommenen bundesgesetzlichen Grundlage fort, wobei allerdings nur eine unwesentliche Zunahme des Zensurgeschäfts in Kurhessen zu verzeichnen war. Auch wenn die Karlsbader Beschlüsse inhaltlich keine Verschärfung der ohnehin bereits seit 1816 bestehenden Zensurvorschriften bedeuteten, so sollten die Vorschriften nun doch kon385 Bundes-Preßgesetz vom 20. September 1819, abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 102; Die zunächst auf fünf Jahre befristeten Bestimmungen des Gesetzes wurden durch Beschluss der Bundesversammlung vom 16. August 1824 auf unbestimmte Zeit verlängert und erst mit dem Bundesbeschluss über die Pressefreiheit vom 3. März 1848 praktisch aufgehoben, siehe Huber, Dokumente, S. 130 und 329. 386 Regierungsausschreiben vom 22. November 1819, SG, 2. Band, S. 74 ff. 387 „Beschluß betreffend die Bestellung einer Centralbehörde zur näheren Untersuchung der in mehreren Bundesstaaten entdeckten revolutionären Umtriebe“ vom 20. September 1819 abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 104. 388 Siehe Art. 2 des Bundes-Untersuchungsgesetzes. 389 Siehe Art. 7, 8 des Bundes-Untersuchungsgestzes. 390 Huber, Dokumente, S. 105, Fn. 6 zu Art. 10; vgl. Wehler, 2. Band, S. 340 f.

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sequenter gehandhabt werden391. Hatten die Zensoren im Jahre 1817 sieben und 1818 vier oder fünf Manuskripte zu begutachten, so stieg die Zahl bis zum Jahr 1821 nun auf rund 30 zu überprüfende Schriften392. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, dass für die kurhessischen Zeitungen eigene Zensoren eingesetzt worden waren. Im Übrigen bestand weiterhin die seit langer Zeit eingerichtete Eigenzensur an der Universität in Marburg393. Die Zensurkommission hatte sich bis zum Ende der zwanziger Jahre wohl auch nicht durch besonders großen Eifer hervorgetan. Grimm äußerte sich im Jahr 1823 noch einmal kritisch zur Tätigkeitsaufgabe der Kommission. Er beanstandete, dass die von den Regierungen installierte Zensur vor allem den Druck und die Verbreitung freier und ausgelassener Meinungen über Gebrechen der Staatverfassung hemmen und den gefürchteten schädlichen Einfluss derselben plötzlich ersticken solle. Die in den Zensurvorschriften immer wiederkehrende Sorge um Religion und gute Sitten sei bloß prätextiert und das Zensorenamt rein politisch394. Schließlich ließ der Kurfürst politisch kritische Schriften selbst konfiszieren und verbieten. Betroffen waren unter anderem die „Beiträge zu den Hessen-Kassel’schen Landtagsverhandlungen der Jahre 1815 und 1816“ von Friedrich Ludwig von Berlepsch aus dem Jahre 1817. Der Verfasser entwickelte im Rückblick auf die Landtagsverhandlungen der vorausgegangenen Jahre demokratische Ansätze und führte dabei aus: „Die Menschen denken nicht mehr, wie sie vor 1789 und 1816 gedacht haben. Es ist eine Masse von Kenntnissen, selbst in Hessen, durch die westphälische Regierung verbreitet worden, welche das Eigentum der höchsten Staatsgewalt und des geringsten Unterthan geworden ist. Sie hat richtige und mächtige Ideen, falsche und wahre Ansichten der Dinge verbreitet; zu ihr haben sich Erfahrungen gesellet, oft traurige, welche aber das Wissen und das Urtheil der Menschen verbessert und berichtigt haben. Aus beiden entstehen täglich Vergleichungen des Alten und des Neuen, die jeder anstellt. Hierdurch hat sich eine öffentliche Meinung gebildet, welche uns Teutschen fehlte.“395 391 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 427, mit dem Hinweis auf die Äußerung Grimms, wonach man im Zweifelsfalle sich an das Bundesgesetz und nicht an die restriktivere kurhessische Instruktion von 1816 halten sollte; anders Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 462, der eine Verschärfung durch das Bundes-Preßgesetz annimmt. 392 Vgl. Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 462; siehe zur Arbeit der Kommission Speitkamp, Restauration, S. 424 ff. 393 Die der Universität zustehende Zensur wurde erst mit Beschluss des Ministeriums des Innern vom 11. August 1832 auf die Schriften wissenschaftlichen Inhalts beschränkt, dagegen die dort erscheinenden oder noch herauskommenden Zeitschriften politischen Inhalts der Zensur der örtlichen Polizeidirektion unterworfen, vgl. dazu Sirges/Müller, S. 112 f. 394 Franz, Zensurkommission, ZHG, 75/76. Band, 1964/65, S. 455, 463. 395 von Berlepsch, S. 51.

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Und sodann aus der Sicht des Jahres 1817 noch hoffnungsvoll: „Gegenwärtig ist die Kunst zu herrschen und zu regieren weit schwerer, als sie vor 30 Jahren war. Sie wird beständig durch die öffentliche Meinung bewacht und controlliert.“396

In diesen Ausführungen werden erste Weckrufe für ein öffentliches politisches Leben in Kurhessen gesehen397. Dem standen jedoch alsbald die Folgen der Karlsbader Beschlüsse entgegen. Dabei verfügten die kurhessischen Lande auch ohne staatliche Zensurmaßnahmen nur über ein sehr dürftiges öffentliches Leben. Das städtische Bürgertum war schwach ausgebildet. Politisch wirksame Zeitungen fehlten in diesen Jahren398. Bis 1830 herrschte tiefe politische Ruhe399. Symptomatisch für diesen Befund sind auch die kurhessischen Anteile am Wartburgfest400 des Jahres 1817. Von den rund 500 Teilnehmern kamen elf aus der erst im Dezember 1816 gegründeten Marburger Burschenschaft401. Unter ihnen befand sich der Student Heinrich Henkel402, der später im Jahre 1830 aktiv in das politische Leben drängen und bald darauf als Abgeordneter im kurhessischen Landtag einer der profiliertesten Befürworter von Pressefreiheit und grundlegenden Reformen auch in der Strafrechtspflege werden sollte. Die Grundlegung seiner Freiheitsidee ging dabei auf die Zeit seiner Mitgliedschaft in der Marburger Burschenschaft zurück, deren Sprecher er bereits mit 17 Jahren geworden war. Mit seiner Bereitschaft zu spontaner Erregung bis hin zu einer wenngleich begrenzten Radikalität zeichnete sich Henkel zunächst durch seine publikumswirksame, bisweilen grobe, aber doch klare Wesensart aus. Später sollte er sich allerdings mäßigen und vielen gar als „serviler Ministerieller“ gelten403. So ist es nicht verwunderlich, dass Henkel trotz aller Freiheitsideen zunächst kein glühender Verfechter der Geschworenengerichte wurde und sich später sogar im 396

Ebd., S. 52. Vgl. hierzu Iseler, S. 31 ff., der bei aller positiven Würdigung der Schrift kritisiert, dass ohne eine Mitwirkung der Regierung die formulierten Ansätze nicht zu verwirklichen seien; es fehle an realer Macht. 398 Iseler, S. 16 ff.; zu den kurhessischen Zeitungen in dieser Zeit, vgl. Speitkamp, Restauration, S. 428 ff. 399 Iseler, S. 42. 400 Zum Ablauf und den Ereignissen des Wartburgfestes vom 18. Oktober 1817 siehe von Treitschke, S. 296 ff. 401 Grothe, Neigung, S. 82. 402 Heinrich Henkel (1802–1873) war Obergerichtsanwalt in Marburg und Kassel 1825–1830 und danach Mitglied der Stände 1833, 1845–50, 1862–66. 403 Siehe Brief von Wilhelm Bang an seinen Vater, abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 80, S. 225; vgl. Grothe, Neigung, S. 90 f.; Schnack/Losch, 2. Band, S. 204 ff. 397

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Rahmen der Debattenbeiträge im kurhessischen Landtag gegen die Entscheidungsfindung in Strafsachen durch eine Laienjury aussprach404. Der Marburger Burschenschaft fehlte im Übrigen jene Radikalität, wie sie in der Zeit des Wartburgfestes und danach an den deutschen Universitäten insbesondere in Jena und Gießen anzutreffen war. Es waren allerdings die Anhänger des Turnvaters Jahn, die die Eskalation auf dem Wartenberge bei Eisenach herbeiführten und die Verbrennung der Makulaturbögen „undeutscher“ Bücher, darunter auch des Code Napoléon, und neben anderen Symbolen absolutistischen Machtanspruchs, wie des „hessischen“ Zopfes, organisiert hatten405. Trotz allen Argwohns seitens des Kurfürsten fanden die radikalen Ansichten und Handlungen bei den Marburger Studenten wohl wenig Anklang406. Auch das Attentat auf Kotzebue am 23. März 1819 in Mannheim407 stieß in Marburg auf Unwillen. Jedenfalls war der seit dem Herbst des Jahres 1817 auch mit der politisch-polizeilichen Überwachung der Universität in Marburg beauftragte Polizeidirektor von Hanstein bestrebt, die Stimmung in der Marburger Studentenschaft, wie auch der Marburger Bevölkerung insgesamt als ruhig und ungefährlich erscheinen zu lassen und mahnte zu einem besonnenen Vorgehen408. Aber auch in dieser Hinsicht des Umganges mit der aufkommenden burschenschaftlichen Bewegung wurde die Landespolitik durch die Karlsbader Beschlüsse überlagert409. In deren Folge erging auch das Bundes-Universitätsgesetz vom 20. September 1819410. Danach sollte an den deutschen Universitäten jeweils ein landesherrlicher Bevollmächtigter angestellt werden. Seine Aufgabe war es unter anderem, über die strengste Vollziehung der bestehenden Gesetze und Disziplinarvorschriften zu wachen und die akademischen Lehrer bei ihren öffentlichen und Privatvorträgen sorgfältig zu beobachten. Alle Universitäts- oder andere öffentlichen Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufes, 404 Siehe C. III. 2.; Ende des Jahres 1847 sollte er jedoch gleichwohl für die Einrichtung der Geschworenengerichte eintreten. 405 Vgl. Wehler, 2. Band, S. 335; von Treitschke, S. 297. 406 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 414. 407 Zum Hergang des Attentats siehe von Treitschke, S. 302 f. 408 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 414 ff.; siehe auch den Bericht von Polizeidirektor von Hanstein an den Kurfürsten über die polizeiliche Stimmung in Marburg vom 30. August 1819, abgedruckt bei Seier, Kurhessischer Verfassungsentwurf, Dok. Nr. 72, S. 285 ff. 409 Vgl. zu den Umständen dieses sog. „Bundes-Staatsstreichs“ Wehler, 2. Band, S. 339 f.; Kurhessen konnte mangels ernsthafter Einbeziehung in die vorausgehenden Verhandlungen keinen effektiven Einfluss auf die Beratungen und deren Ergebnisse nehmen. Die Beschlüsse wurden aber trotz ihres souveränitätsverletzenden Charakters strikt umgesetzt; vgl. Speitkamp, Restauration, S. 419 f. 410 Abgeduckt bei Huber, Dokumente, S. 101.

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durch Missbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabenden Lehren, ihre Unfähigkeit zu Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, sollten ohne weiteres von den Universitäten entfernt und in keinem anderen Bundesstaat mehr eingestellt werden411. Darüber hinaus sollte auch ein zu Recht von der Universität verwiesener Student an keiner anderen deutschen Universität mehr Aufnahme finden. Schließlich wurden die nicht autorisierten Verbindungen, namentlich die Burschenschaften, verboten. Umgesetzt wurden diese Bundesvorgaben im kurhessischen Gesetz für die Studierenden auf der Universität Marburg vom 10. Dezember 1819412. Nach dessen § 22 wurde jede Verbindung von Studenten, so insbesondere unter dem Namen der Burschenschaft, verboten. Des Weiteren bestimmte § 27 dieses Gesetzes, dass seitens der akademischen Obrigkeit hinsichtlich der Teilnehmer an einer Verbindung mit politischer Tendenz die Relegation ausgesprochen werden sollte, jedoch in diesem Fall dieselben nicht selbst betraft werden sollten. Vielmehr waren die Teilnehmer an einer politisch motivierten Verbindung zu verhaften und an das Kriminalgericht abzuliefern, damit sie nach den gemeinen peinlichen Gesetzen wegen Hochverrat und Meuterei betraft werden413. Die Marburger Burschenschaft hatte bereits in Befolgung der Bundesbestimmungen am 3. November 1819 ihre Auflösung erklärt, ohne dass sie selbst etwa wegen eigener aufsehenerregender politischer Aktivitäten hierzu Grund und Anlass gegeben hätte414. War in Kurhessen die Schwurgerichtsbarkeit schon bis hierhin kein bedeutsames Thema, so verstummte nach den Karlsbader Beschlüssen auch in den anderen deutschen Ländern die politische Debatte um eine unmittelbare Mitwirkung des Volkes in der Strafrechtspflege weitgehend415. Dies sollte sich erst mit der Julirevolution des Jahres 1830 ändern416. Erwähnenswert 411 Vgl. zu den sogleich vorgenommenen Entlassungen von missliebigen Professoren, Wehler, 2. Band, S. 341. 412 SG, 3. Band, 1819, S. 83 ff. 413 Vgl. hierzu Woeste, S. 137 f.; nach § 26 des Gesetzes sollten gegen Teilnehmer einer Verbindung von der akademischen Obrigkeit die Relegation sowie eine dreimonatige Gefängnisstrafe, zu verbüßen im Kastell zu Kassel, ausgesprochen werden, wenn ein politischer Zweck der Verbindung nicht festzustellen war. 414 Vgl. Grothe, Neigung, S. 83; Speitkamp, Restauration, S. 420; Zu dem kurzzeitigen Wiederaufleben der Burschenschaften in Marburg und an der Forstlehranstalt in Fulda in der Zeit von 1820 bis 1824, siehe Speitkamp, Restauration, S. 578. 415 Vgl. Schwinge, S. 58; Landau, S. 259; Hahn, S. 42 f.

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ist allerdings die Schrift des nun in Homberg amtierenden Amtsadvokaten Siegmund Martin mit dem Titel „Über landständische Verfassung mit besonderer Anwendung auf Kurhessen“, die 1824 erschienen war417. Martin hatte in westphälischer Zeit vor einem Geschworenengericht gestanden, war von diesem zum Tode verurteilt, jedoch kurz vor der Hinrichtung von König Jérôme begnadigt worden. Nun forderte er zur Verwirklichung einer landständischen Verfassung die hierzu notwendige Erweckung, Belebung und Stärkung des öffentlichen Geistes und Gemeinsinnes, denn die bloße Form der Verfassung, ohne diesen Geist, der sie lebendig macht, sei nichts als ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. So wenig der einzelne Mensch richtig und verständig reden könne, ohne richtig und verständig zu denken, so wenig vermöge ein Volk eine Verfassung richtig und verständig zu üben, ohne die allgemeine Gesinnung, die ihr zu Grunde liegt, und von der sie ausgehen muss418. Mit Blick auf eine moderne Gemeindeverfassung befürwortete er unmittelbare Mitwirkung der Bürger an öffentlichen Dingen. So könne man der Gemeinheit ohne Nachteil etwa die Aburteilung der Feldrügen und kleinerer Polizeivergehen und sogar geringere bürgerliche Rechtshändel übertragen419. Allerdings sah Martin in der kurhessischen Wirklichkeit die Bildung eines öffentlichen Lebens und die inneren Verhältnisse im Vergleich zu anderen Ländern zurückgefallen. So kritisiert er nachdrücklich das Fehlen der öffentlichen Rede und mangelnde Wirkungsmöglichkeiten des Volkes: „Es werden ihrer viele sein, die durch langjähriges Aktenlesen und Schreiben in einseitiger, beschränkter Ansicht befangen, vermeinend, nichts könne klar und ins richtige gestellt werden, als durch Geschreibe langgedehnter geschriebener Schriften, und im Berichten und Rescribieren des Schneckenganges der Instanzen . . . Die Erfahrung wird bald eines andern sie überzeugen. Der Mann aus dem Volke, der ein thätig wirkendes, practisches Lebensgeschäft treibt, hat eine weit klarere, richtigere Ansicht von den Verhältnissen und Bewegungen des wirklichen Lebens, 416

Siehe aber zu den Diskussionen um die Schwurgerichtsbarkeit mit strafrechtlichem Hintergrund im Jahre 1822 in der badischen Kammer nachfolgend in Fn. 422. 417 Zur Person und dem Wirken Martins in dieser Zeit sowie zu den Reaktionen der kurhessischen Zensur auf seine Schriften, Speitkamp, Restauration, S. 553 ff.; bereits anlässlich seiner Rheinreise schrieb Martin in einem Brief vom 13. Februar 1815 nieder: „. . . sowie denn überhaupt in dem ganzen System der französischen Verfassung, wie sie zuletzt vollendet dastand, große Gedanken und Erfahrungen niedergelegt waren, die aus dem Geiste unserer Zeit hervorgingen. Es ist daher wirklich eine unbegreifliche Halsstarrigkeit und Philisterei, wenn viele Menschen und selbst Verwaltungen, wie das hauptsächlich im Hessischen und Hannöverschen der Fall ist, dieses ganz zu verkennen sich anstrengen und das wieder herbeizerren wollen, was sie die gute alte Zeit nennen, . . .“, abgedruckt bei Müsebeck, S. 98. 418 Martin, Landständische Verfassung, S. 41 f. 419 Ebd., S. 47.

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als wir, die Alt- und Jungmeister, die Gesellen und Lehrlinge des edeln Schreiberordens.“420

Für den Zustand der Rechtspflege gelte entsprechendes421. Das Volk in Kurhessen sieht Martin wohl letztlich noch nicht ganz reif für eine umfassende Hinwendung zur in jedem Falle anzustrebenden Öffentlichkeit, wenn er ausführt: „Die Mündlichkeit möge dann in das Leben treten, wenn das Volk das Gefühl gewonnen, in der Redekunst solche Reife erlangt zu haben, daß es sich ihrer im ernsten Lebensberufe mit Leichtigkeit und ohne Übereilung bedienen könne.“422

Schließlich wandte er sich aber gegen jede Radikalität bei der Verfolgung der angestrebten Erneuerungen. Er richtete sich gleichermaßen gegen Jakobiner und Servile, die beide nur Eigennutz und schmutzige Habsucht verfolgend alle Bande des Gesetzes und der Ordnung verabscheuten. Servile wie Jakobiner, jene gekennzeichnet durch wilden Despotismus, diese durch wilde Empörung, hassten beide den Fürsten wie das Volk und alles außer sich selbst423. Iseler sieht in dieser Schrift Martins den Versuch, die liberale Bewegung in Fluss zu bringen und zugleich einen Brückenschlag von den Anschauungen und Forderungen des Landtags von 1815/16 zu der Zeit nach der Julirevolution424. Allerdings muss er für die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts feststellen: „Solchen Gedankengängen freilich stand die große Masse des Volkes noch ziemlich fremd gegenüber. Sie seufzte unter der schweren Last der wirtschaftlichen Not und des absoluten Regiments ruhig die Jahre hindurch, dem Tag der Freiheit entgegen.“425

Die von den Ideen der Volkssouveränität und der Partizipation durchdrungenen Gedanken Martins erregten zwar argwöhnisches Misstrauen bei der Obrigkeit, konnten aber in dieser Zeit keine weitergehende Wirksamkeit entfalten und entsprechende öffentliche Debatten entfachen. 420

Ebd., S. 48. Ebd., S. 51. 422 Ebd., S. 73. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die Äußerungen im Rahmen der badischen Landtagsverhandlungen zu Beginn der 20er Jahre, wo in Bezug auf die dortige Bevölkerung auch von Befürwortern der Jury bemerkt worden war, dass die Zeit für deren Einführung noch nicht reif erschiene und diese Einrichtung dem Volke dem Namen nach kaum und dem Wesen nach überhaupt nicht bekannt sei, siehe hierzu Hahn, S. 34; Schwinge, S. 57 f. 423 Martin, Landständische Verfassung, S. 75 f.; zur Beurteilung der Schrift durch die Zensurkommission siehe Speitkamp, Restauration, S. 425. 424 Iseler, S. 51. 425 Ebd., S. 52. 421

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Der seit dem Jahr 1821 an der Marburger Universität lehrende Staatsrechtler Sylvester Jordan426 sollte erst im Zuge der Verhandlungen über die Verfassungsgebung im Jahre 1830 in die Öffentlichkeit treten. Ohnehin standen Jordan die Vorstellungen einer direkten Beteiligung der breiten Masse an öffentlichen Sachen sowie eine Beschneidung der Souveränität des Monarchen grundsätzlich fern. Er befürwortete die konstitutionelle Monarchie. In seiner 1828 erschienen Schrift „Versuche über allgemeines Staatsrecht“ stellte Jordan die Grundzüge seiner Vorstellung der Staatsverfassung dar, wonach der Monarch alleiniger Inhaber der staatlichen Gewalt sein sollte. Die nach seiner Auffassung dem Monarchen zur Seite gestellte Volksvertretung sollte ihn bei der Ausübung seiner Macht kontrollieren, gegebenenfalls bei Übertretungen intervenieren und ihm die Meinung des Volkes vermitteln427. Die Richter sollten nach Ansicht Jordans allein vom Monarchen eingesetzt werden, da auch die richterliche Gewalt neben der gesetzgebenden Gewalt nur Akte des regierenden Willens und somit als Zweige der Regierung zu betrachten seien. Der Monarch dürfe aber in die Tätigkeit der einmal eingesetzten Richter nicht mehr eingreifen. Die Rechtspflege sollte von allen anderen Geschäften der Staatsregierung sorgfältig getrennt werden. Jordan befürwortete schließlich die Öffentlichkeit der peinlichen Verfahren für das ganze Volk. Dabei sollte eine gesetzliche Regulierung des Strafverfahrens und insbesondere der Beweismittel erfolgen428. Für die Beurteilung der Tatsachen seien in peinlichen Fällen Schwurgerichte aus den Standesgenossen des Angeschuldigten festzusetzen429. Diese eher einschränkend formulierte Forderung im Rahmen einer Laiengerichtsbarkeit ist im Lichte der eigentlich skeptischen Einstellung Jordans gegenüber der Beteiligung der breiten Masse an öffentlichen Aufgaben zu sehen, unterschied er doch Untertanen von den Bürgern, beziehungsweise den Staatsbürgern430. So ist davon auszugehen, dass Jordan, indem er gerade diesen Gesichtspunkt herausstellt, in Abwehr demokratischer Grundgedanken auch in der Schwurgerichtsbarkeit die Wahrung der ständischen Unterschiede beachtet wissen wollte. Die Frage der Geschworenengerichte wurde in der Schrift des Jahres 1828 schließlich nicht näher behandelt. Angesichts der eingeforderten Bildung der Jury aus den Standesgenossen des Angeschuldigten bleiben die 426 Sylvester Jordan (1792–1861) wurde 1821 an die Universität Marburg berufen und wurde als deren Vertreter in die Ständeversammlung des Jahres 1830 entsandt, vgl. zum Werdegang Jordans Frotscher, S. 132 f.; Schnack/Bovensiepen, 4. Band, S. 163 ff. 427 Die Grundzüge der Schrift „Versuche über allgemeines Staatsrecht, in systematischer Ordnung und mit Bezugnahme auf Politik“ aus dem Jahr 1828 sind dargestellt bei Kleinknecht, S. 6 ff.; vgl. auch Kaiser, S. 29 f. 428 Jordan, Versuche, S. 415. 429 Ebd., S. 229. 430 Vgl. dazu Kleinknecht, S. 12.

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pauschalen Ausführungen aber hinter dem bereits damals bekannten Stand der Diskussionen um die Schwurgerichtsbarkeit zurück. Jordan hatte bei alledem den liberalen Rechtsstaat vor Augen, der nicht im Wege der Revolution, sondern durch Entwicklung anzustreben war. Mit solchen Auffassungen und Lehren hatte Jordan sich seinerzeit wohl in den Grenzen des politisch Unverdächtigen gehalten, zumal seine Schrift in dieser Zeit nur wenig beachtet wurde und kein größeres öffentliches Interesse erregt haben soll431. Die Beteiligung einer Laienjury in Strafsachen war vor diesem Hintergrund unter keinem Aspekt in der Zeit bis 1830 ein bedeutendes Thema. Es besteht weitgehend Einigkeit, dass das öffentliche Leben in Kurhessen nicht zuletzt wegen der repressiven Politik und wohl auch wegen des so oft beschriebenen „biederen Charakters“ der hessischen, ländlich geprägten Bevölkerung nicht aufzublühen vermochte. Die Forderung nach einer unmittelbaren Beteiligung des Volkes in der Strafrechtspflege hätte eine erhebliche Beschränkung staatlichen Handelns bedeutet, was nach der weiterhin gerade bei Wilhelm I. und auch bei seinem Nachfolger beibehaltenen absolutistischen Staatsauffassung nicht denkbar erschien. Auch die Kasseler Regierung hatte in ihrer Stellungnahme zu der Eingabe der Regierungsprokuratoren im Juni 1819 darauf verwiesen, dass die Staatsverfassung eine andere sein müsste, um das Institut der Geschworenengerichte einzurichten und wirken zu lassen. Auch war die Schwurgerichtsbarkeit in dieser Zeit noch keine aus politischen Motiven formulierte Forderung. Die Jury galt in der öffentlichen Wahrnehmung noch nicht als Garantin einer von staatlicher Beeinflussung zu schützenden Meinungs- und Pressefreiheit und schließlich auch noch nicht als Ziel bürgerlicher Freiheit bei effektiver Teilhabe an öffentlichen Sachen. Dies alles sollte erst in den 30er und 40er Jahren in den Vordergrund treten. 3. Entwicklungen in der Strafrechtspflege In der kurhessischen Strafrechtspflege gab es in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts einige wichtige Entwicklungen, die jedoch den allgemein kritikwürdigen Zustand auf diesem Gebiet nicht wesentlich zu verbessern vermochten. Bereits im Zusammenhang mit den Verfassungsdiskussionen in den Jahren 1815/16 wurde festgestellt, dass das vollständige Fehlen eines zeitgemäßen Strafgesetzbuches und einer modernen Strafprozessordnung zu beklagen waren. Dieser unbefriedigende Zustand sollte noch viele Jahre andauern. 431 Kleinknecht, S. 18; vgl. auch Speitkamp, Restauration, S. 564 f.; Frotscher, S. 138 f.

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Kurfürst Wilhelm I. hatte sich zum Ende seiner Herrschaftszeit zunehmend isoliert und geriet in Distanz zu seinen nicht wenigen reformwilligen Regierungsbeamten432. Als er am 27. Februar 1821 verstarb, richteten sich die Hoffnungen nun auf seinen Nachfolger Wilhelm II433. Dieser hatte sich schon seit einigen Jahren mit einer möglichen Umgestaltung von Militärund Zivilstaat nach preußischem Muster beschäftigt. Es bestand Aussicht auf grundlegende und liberal geprägte Reformen. Unter anderem der Wegfall des berühmten Zopfes war eine der populären und hoffnungsvollen Gesten434. Die Erwartungen wurden aber enttäuscht. Insbesondere die Hoffnungen in Bezug auf ein erneuertes Verfassungsversprechen blieben unerfüllt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Metternich es kurze Zeit zuvor geschafft hatte, seine Restaurationspolitik auf den Wiener Ministerialkonferenzen in der Zeit vom 25. November 1819 bis 20. Mai 1820 zu vollenden. Aus diesen Verhandlungen resultierte die Wiener Schlussakte, die am 8. Juli 1820 von der Bundesversammlung in Frankfurt als zweites Bundesgrundgesetz neben der Bundesakte aus dem Jahr 1815 verabschiedet worden ist435. Die Wiener Schlussakte legte in ihrem Art. 56 zwar fest, dass die bereits bestehenden Verfassungen nur auf verfassungsmäßigem Wege wieder abgeändert werden könnten. Der Art. 57 bestimmte jedoch sodann, dass der deutsche Bund aus souveränen Fürsten bestehe und daher nach dem hierdurch gegebenen Grundgebriff die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben müsse. Der Souverän könne durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden. Damit war das monarchische Prinzip festgeschrieben. Dies blieb in weiten Teilen auch die Grundauffassung des neuen Kurfürsten, der es im Übrigen entgegen bestehender Tradition bereits unterlassen hatte, nach seinem Regierungsantritt die Stände einzuberufen436. Auch in der Folgezeit wurde deutlich, dass er nicht gewillt war, seine fürstliche Macht zu Gunsten der Stände zu beschränken und die Verfassungsfrage wieder neu aufzunehmen437. 432

Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 481. Wilhelm II. (1777–1847) war Sohn Wilhelms I. und seiner dänischen Gemahlin Caroline; bei Seier, Handbuch, S. 52, findet sich folgende Charakterisierung: „Dieser zweite Träger der Kurwürde war von unstetem Naturell, als Jüngling nicht ohne gewinnende Züge, jetzt ohne Sinn für Sparsamkeit, Fleiß und Bildung. Bei aller Schwäche teilte er mit dem Vater jedoch das Streben, die zurückgewonnene fürstliche Souveränität möglichst ungeschmälert zu bewahren.“; vgl. auch Speitkamp, Restauration, S. 491. 434 Vgl. zu den Erwartungen an den neuen Kurfürsten, Speitkamp, Restauration, S. 491 ff. 435 Vgl. dazu Wehler, 2. Band, S. 342 f.; Schlussakte der Wiener Ministerkonferenzen abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 91. 436 Vgl. Seier, Handbuch, S. 52 f. 433

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Einen erheblichen Fortschritt im Verwaltungsaufbau des Kurstaates brachte jedoch das kurz nach dem Regierungsantritt von Wilhelm II. erlassene Organisationsedikt vom 29. Juni 1821438. Dieses umfassende Regelungswerk basierte auf den Arbeiten einer vom neuen Kurfürsten eingesetzten Kommission, bestehend aus drei ehemals westphälischen Beamten, unter anderem des Regierungsrates Friedrich Krafft439. So war das Organisationsedikt eine Kombination aus preußischen, französisch-westphälischen und althessischen Elementen440. Hinsichtlich der hier interessierenden Strafrechtspflege war von besonderer Bedeutung, dass nun nach französischem Vorbild endgültig die Justiz und so auch die Strafgerichtsbarkeit von der Verwaltung getrennt wurde. Der § 36 des Edikts bestimmte: „Die Gerichte erkennen nach den Gesetzen in den verschiedenen Instanzen allein und ohne Einwirkung irgend einer anderen Behörde.“

Die vormaligen Regierungen verloren damit ihre Rechtsprechungskompetenz in peinlichen Sachen. Das Land wurde in die vier Provinzen Niederhessen, Oberhessen, Fulda und Hanau gegliedert. Für die mit peinlicher Strafe bedrohten Verbrechen waren nun die in den jeweiligen Hauptstädten Kassel, Marburg, Fulda und Hanau eingerichteten Kriminalsenate der dortigen Obergerichte zuständig441. Für Schaumburg war zuständig das Obergericht in Rinteln. In den Isenburgischen Gebieten hatte die Justizkanzlei in Meerholz die Funktion des Obergerichts zu übernehmen442. Nach § 39 des Edikts war als oberstes Gericht auch für Strafsachen das Oberappellationsgericht in Kassel bestimmt. Die Oberaufsicht über die bürgerliche und Strafrechtspflege lag beim Justizministerium443. Die umfassende Verwaltungsreform des Jahres 1821, die am 1. Januar 1822 in Kraft trat, brachte manchen Fortschritt und Anpassung an die Erfordernisse des 19. Jahrhunderts, aber eine Verfassung mit ihren Absicherungen und Garantien konnte sie trotz allem nicht ersetzen. Nach Ansicht von Speitkamp wollte Wilhelm II. die Reform, 437

Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 492 f. SG, 3. Band, 1821, S. 29 ff.; vgl. zu den weitergehenden Reformen die Darstellung bei Speitkamp, Restauration, S. 496 ff.; Klein, S. 25 ff. 439 Zur Besetzung der Kommission und zu den einzelnen Mitgliedern siehe Speitkamp, Restauration, S. 495 f. 440 Speitkamp, Restauration, S. 496. 441 §§ 41, 46 des Organisationsedikts; wegen der Zuständigkeiten siehe Amrhein, S. 89 f.; zu den Obergerichtsbezirken vgl. die Karte bei Theisen, S. 103; vgl. auch zu den Einwohnerzahlen im Jahre 1827, aufgeschlüsselt nach Orten, Demandt, S. 550; vgl. auch Keller, S. 12 ff. 442 § 48 des Organisationsedikts. 443 § 22 des Organisationsedikts. 438

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„um die Effizienz seines Apparates zu steigern, um die Regierungskräfte zusammenzufassen und hierüber seine eigene Macht zu erhöhen, letztlich somit, um die Restauration des monarchischen Absolutismus in Kassel zu vollenden.“444

Das Organisationsedikt des Jahres 1821 zeitigte eine organisatorische Modernisierung der Strafrechtspflege bei Trennung der Justiz von der Verwaltung, was augenfällig bereits dadurch wurde, dass die Rechtsprechung in peinlichen Fällen nun nicht mehr Aufgabe der Regierungen445 war, sondern in schwereren Fällen allein bei den Kriminalsenaten der Obergerichte lag. Des Weiteren hatte man bereits zuvor auch vor dem Hintergrund der in westphälischer Zeit gemachten Erfahrungen erkannt, dass eine Beschleunigung der Strafverfahren von Vorteil war. Dies wurde bereits im Rahmen der Einrichtung eines Obergerichts in Fulda mit Rechtsprechungskompetenz auch in peinlichen Sachen deutlich zum Ausdruck gebracht, wenn im Organisationsedikt vom 28. Dezember 1816446 in Bezug auf die Strafrechtspflege hierzu angeordnet wird, dass der Deputierte des Obergerichts für die Durchführung der Spezialinquisition nicht nur die ihm selbst obliegenden Geschäfte möglichst beschleunigen solle, sondern auch darüber zu wachen habe, dass die Instruktion von den Beamten mit größter Schnelligkeit vorgenommen werde447. Alles dies änderte aber nichts daran, dass die Strafverfahren weiterhin hinter verschlossenen Türen mit sehr eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten und einer fehlenden Kontrolle des Verfahrensablaufes durch die Öffentlichkeit stattfanden448. Dieser zunehmend in Kritik kommende Zustand sollte bis zur Gesetzgebung des Jahres 1848 anhalten. Aber nicht nur eine durch Verfassungsgarantien untermauerte moderne Verfahrensordnung fehlte. In materieller Hinsicht blieb weiterhin die Carolina aus dem Jahre 1532 wesentliche Grundlage der Strafbarkeit der einzelnen Delikte. Hieran änderte sich bis zur Annexion Kurhessens durch Preußen im Jahre 1866 nichts. Dabei hatte zu Beginn der 20er Jahre der hierzu beauftragte Regierungsrat und das spätere Mitglied am Oberappellationsgericht Johann Conrad Bode449 den umfassenden Entwurf eines Strafgesetz444

Speitkamp, Restauration, S. 511. Zum Ende der Rechtsprechungskompetenz der Regierungen in Strafsachen siehe auch Borkowsky, S. 68 ff. 446 SG, 1. Band, 1816, S. 139 ff. 447 Ebd., S. 161. 448 Zu der grundsätzlichen Möglichkeit auch auf der Basis dieser bestehenden Rechtslage gleichwohl ohne weiteres die Öffentlichkeit der Verfahren herstellen zu können, vgl. die Erörterungen über die Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs im Jahre 1848 unter C. IV. 3. 449 Johann Conrad Bode war in westphälischer Zeit im Justizdienst tätig als Generalprokurator beim Kriminalgericht in Kassel. 445

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buches450 vorgelegt. Der Entwurf wurde jedoch nicht umgesetzt. Spätere Initiativen insbesondere nach 1830 zur Kodifizierung eines zeitgemäßen und umfassenden Strafgesetzbuches blieben ohne Erfolg. Auch der vollständig neue Entwurf aus dem Jahre 1849 wurde nicht in Kraft gesetzt, so dass Kurhessen außer einiger spezieller materiell-rechtlicher Regelungen dem Grunde nach bis zu seinem Ende hinsichtlich des materiellen Strafrechts dem gemeinen Recht verhaftet blieb451. Die peinliche Gerichtsordnung vom 23. April 1748 bildete auf verfahrensrechtlichem Gebiet weiterhin die gesetzliche Grundlage für den Gang der Untersuchung und des Strafprozesses452. Es wurde bereits erwähnt, dass die Abschaffung der Folter zum Ende des 18. Jahrhunderts die Gerichte vor erhebliche Probleme stellen konnte, wenn der Überführungsbeweis nicht durch den vorgesehenen formellen direkten Beweis geführt werden konnte. So verlangte ebenso wie die Carolina auch die Peinliche Gerichtsordnung aus dem Jahre 1748 die Überführung durch den direkten Beweis mittels zweier unverwerflicher, tüchtiger Zeugen453, sofern ein Geständnis des Angeklagten nicht zu erlangen war. Das Vorhandensein nur eines Zeugen stellte dagegen einen nur unzureichenden halben Beweis dar. Damit bestand die Frage, ob eine Verurteilung des Angeklagten auch erfolgen konnte, wenn nur ein Zeuge beziehungsweise allein Anzeigen, auch künstlicher, indirekter oder mittelbarer Beweis genannt, vorlagen. In dieser Hinsicht hatte sich in Kurhessen zu Beginn und im Laufe der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts eine bedeutungsvolle Entwicklung in der Rechtsprechung ergeben. Die nun wirkenden gelehrten Richter durften zunächst davon ausgehen, dass das Motiv der Carolina bei der Formulierung des formalen Beweiserfordernisses (Geständnis oder zwei Zeugen) bei ihnen nicht verfangen sollte. Die Carolina hatte noch die rechtsunkundigen und ungelehrten Urteiler vor Augen. Hier bestand die Gefahr, dass mangels vorgegebener formaler Beweisregel bloße Verdachtsgründe genügt hätten, um eine Verurteilung auszusprechen. Die Peinliche Gerichtsordnung von 1748 hatte das Erfordernis einer Beweisführung durch zwei Zeugen übernommen. Standen diese aber nicht zur Verfügung, so blieb auch nach dieser Verfahrensordnung das Mittel der Tortur, um ein ausreichendes Geständnis zu erlangen454. Nach450 Siehe Entwurf eines Strafgesetzbuches mit Anmerkungen und Motiven in Hess. StA Marburg, 250 Nr. 644, 645 und 893. 451 Vgl. zu den Entwürfen eines Strafgesetzbuches für Kurhessen, Schubert, Entwurf, S. X ff. mit Abdruck des Entwurfs aus dem Jahre 1849 nebst Motiven. 452 Zur Regelung der Rechtsmittel in Strafsachen im Zuge des Organisationsedikts, siehe Amrhein, S. 90 ff. 453 Titel VIII § 2 der PGO vom 23. April 1748, Neue Sammlung, 2. Band, S. 460. 454 Vgl. Titel VIII § 1 der PGO vom 23. April 1748, Neue Sammlung, 2. Band, S. 460.

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dem die Folter zur Erzwingung eines Geständnisses nicht mehr zulässig war, bestand nun die Frage, ob auch Anzeigen ausreichen konnten, um eine Verurteilung auszusprechen, oder ansonsten eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinzunehmen sei, die daraus resultierte, dass Angeklagte bei noch so erheblichen Indizien ihrer Täterschaft mangels ausreichendem formalen Beweises freizulassen waren. Konnte dem Strafrichter die Verurteilung des Angeklagten bei nur unvollständigem Beweise oder auf der Grundlage allein von Indizien zur eigenen Entscheidung überlassen werden455? Die im Laufe der 20er Jahre erfolgte festigende Neuorientierung in der Rechtsprechung zu dem aufgeworfenen Problem hat Pfeiffer456 anhand dreier einschlägiger Entscheidungen zu diesem Rechtsproblem in einem Band der Reihe „Praktische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft“ des Jahres 1828457 dargestellt. In einem ersten Fall aus dem Jahre 1816 hatte der Angeklagte einen Knecht angestiftet, seinen Herrn zu ermorden. Der Knecht war geständig und bezichtigte den Angeklagten, der mit der Frau des Ermordeten ein Verhältnis gehabt haben soll, der Anstiftung und Mittäterschaft. Dieser leugnete hartnäckig, obwohl alle Umstände der Tat und die Aussage des einzigen Zeugen und Mitangeklagten (nur halber Beweis) gegen ihn sprachen. Die Regierung in Kassel hielt die aus den zahlreichen, der Tat vorausgegangenen und ihr nachfolgenden Anzeigen hervorgehenden Verdachtsgründe für genügend, um dasjenige zu ergänzen, was der mit allen erwiesenen Umständen in Einklang stehenden Aussage des Mitschuldigen an der Vollständigkeit des Beweises abging458. Allein es bestand innerhalb der Regierung bei Erstattung ihres Gutachtens in dieser Strafsache an den Landesherrn vom 3. April 1820 Unstimmigkeit darüber, ob der somit vorliegende nur künstliche Beweis die Kraft eines direkten Beweises habe und ob auf dieser Grundlage die gesetzliche Todesstrafe ausgesprochen werden konnte. Die Meinungen waren zweigeteilt. Die einen waren der Ansicht, es sei auf die gesetzliche Todesstrafe zu erkennen. Nach der anderen Auffassung komme nur eine außerordentliche Strafe in Be455

Vor dem Hintergrund der in der Praxis untauglich gewordenen formalen Beweisregeln wurden insbesondere im badischen Landtage nun im Jahre 1822 Verhandlungen über die Vorteile der Schwurgerichtsbarkeit geführt. Im Vordergrund stand die Frage der möglichen Entbindung der Richter von starren Beweisregeln und die strittige Übertagung der Entscheidungsfindung auf juristische Laien; vgl. dazu Hahn, S. 32 ff. 456 Burkhard Wilhelm Pfeiffer (1777–1852) war in der Zeit von 1821 bis 1843 Oberappellationsgerichtsrat in Kassel und 1830 bis 32 Mitglied der Stände („Pfeiffer 1“ oder aufgrund seiner literarischen Tätigkeit unter anderem als Autor der Reihe „Praktische Ausführungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft“ auch der „praktische Pfeiffer“ genannt), vgl. Lengemann, MdL, S. 292. 457 Pfeiffer, Praktische Ausführungen, 2. Band, S. 421 ff. 458 Ebd., S. 446 f.

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tracht. Erstere machten geltend, die Lage der peinlichen Rechtspflege habe sich in neuerer Zeit dergestalt verändert, „daß die Theorie der Carolina und der damit übereinstimmenden hessischen Verordnungen über das Beweisverfahren nicht mehr anwendbar sei, nachdem zwei ihrer wesentlichen Bestandteile – die Folter und die Kraft des unfreiwilligen Geständnisses – aus dem Gebiet des neueren und auch in den hiesigen Landen geltenden Kriminalrechts verschwunden seien; auch stimme mit dieser Meinung der Gerichtsgebrauch überein, und namentlich wären auch von vaterländischen Gerichten in unzähligen Fällen auf künstliche Beweise Strafurteile gegründet, und selbst sehr schwere peinliche Strafen, auf erstattete Gutachten der Regierungen, durch landesherrliche Entscheidungen erkannt worden, so daß man also diesen Gerichtsgebrauch als von dem Landesherrn selbst anerkannt ansehen könne; unter dieser Voraussetzung sei aber um so weniger Grund vorhanden, bei Todesstrafen eine Ausnahme von dieser Regel eintreten zu lassen, da gerade bei so schweren Verbrechen höchst selten auf ein Geständnis des Inquisiten zu rechnen oder eine Überführung durch Zeugen möglich sei.“459

Die Gegenauffassung erkannte sehr wohl die missliche Lage, in der sich die Strafrechtspflege befand, wenn sie den Angeklagten, etwa durch Geständnisse der Mittäter oder anderer eingreifender Vermutungen, als überführt betrachten musste, ihn aber wegen Fehlen des direkten Beweises nicht der verdienten Todesstrafe zuführen durfte. Man erkannte aber an, dass die bestehenden Gesetze dem künstlichen Beweis noch nicht die gehörige Kraft zusprachen, um eine Todesstrafe auszusprechen. Erst ein künftiges Kriminalgesetzbuch müsse ausdrücklich bestimmen, dass auch auf einen künstlichen Beweis, durch welchen der Richter die Überzeugung erhalten habe, der Tatbestand sei nach allen dargetanen Nebenumständen für erwiesen zu halten, die gesetzliche Strafe und auch die Todesstrafe zu erkennen sei. Der Landesherr hatte sich dieser Auffassung angeschlossen, worauf hin der Angeklagte zu lebenslänglicher Eisenstrafe erster Klasse verurteilt worden ist. In einem weiteren Fall hatte die Justizkanzlei zu Meerholz460 im Jahre 1822 gegen einen Tagelöhner eine außerordentliche Strafe von acht Jahren Zuchthaus sowie nachherige lebenslange Beibehaltung in einem Zwangsarbeitshaus ausgesprochen. Der so Verurteilte sollte im Jahre 1810 bei Hanau eine Handelsfrau erschlagen haben. Gegen den Angeklagten lagen stärkste Indizien vor, unter anderem wurde sein bisheriger Lebenswandel herangezogen. So ergäbe sich moralisch für eine außerordentliche Strafe die genügende Gewissheit461. Auf die Berufung des Angeklagten entschied das Oberappellationsgericht am 13. März 1823 nun aber auf Bestrafung wegen 459

Pfeiffer, Praktische Ausführungen, 2. Band, S. 446 f. In den Isenburgischen Gebieten hatte die Justizkanzlei in Meerholz die Funktion des Obergerichts wahrzunehmen, § 48 des Organisationsedikts vom 29. Juni 1821. 461 Ebd., S. 447 ff. 460

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Raubmords zu 15 Jahren Eisenstrafe zweiter Klasse. Sodann sollte der Verurteilte bis zu gegebenen Beweisen einer Besserung in ein Zwangsarbeitshaus eingewiesen werden462. Das Gericht begründete diese Entscheidung damit, dass durch Zusammentreffen so vieler, gehörig beschaffener und erwiesener Anzeigen eben so gut, wie durch die natürlichen Beweismittel, ja öfters noch in höherem Grade, dem Richter die erforderliche Überzeugung verschafft werden könne. Möglichkeiten des Trugschlusses seien bei beiden Beweisarten gegeben. Daher seien der Natur der Sache nach keine rechtlichen Gründe vorhanden, welche dagegen sprechen, bei zureichenden Indizien auf die gesetzliche Strafe zu erkennen. Gleichwohl wurde auch hier die oben ausgeführte Einschränkung hinsichtlich einer möglichen Todesstrafe bestätigt. Wegen der Schwierigkeiten mit dem künstlichen Beweis und da der Schluss von den erwiesenen Tatsachen auf das zu erweisende Verbrechen dem Richter allein überlassen sei, könne auf die Todesstrafe nicht so leicht erkannt werden. Diese Rechtsprechung wurde im Jahre 1828 noch einmal ausdrücklich bekräftigt. In dem dritten von Pfeiffer geschilderten Fall463 war im Jahre 1820 in Wahlershausen ein Landwirt tot aufgefunden worden. Der Verdacht fiel auf dessen Hausgenossen, der schließlich gegenüber einem Mithäftling und auch gegenüber seiner Mutter unter ausführlichen Schilderungen die Tat gestanden hatte. Feststellungen am Tatort belasteten ihn zusätzlich. Obwohl der Angeklagte seine Tat vor Gericht leugnete, wurde er vom Obergericht am 20. Januar 1826 zu lebenslanger Eisenstrafe erster Klasse verurteilt. Dies wurde vom Oberappellationsgericht mit Urteil vom 29. Februar 1828 bestätigt. Als Beweisgründe gegen den Angeklagten existierten drei Geständnisse, unter anderem gegenüber einem Mithäftling und der Mutter. Diese seien für sich genommen nur ein halber Beweis, vereinigten sich aber mit weiteren, sehr dringlichen Anzeigen. Daraus resultierte am Ende dann die juristische Schlussfolgerung des Gerichts, dass jenes dreifache Geständnis des Inquisiten in Verbindung mit den anderen Indizien, deren Beweiskraft um so größer erschiene, als sie unter sich in einem engen Zusammenhang stünden und sich gegenseitig unterstützten, einen vollständigen juristischen Beweis der begangenen Tat liefere. Dieser Beweis sei auch als genügend anzusehen, um darauf die Erkennung einer Strafe zu gründen, da hierzu nach dem durch hinreichende Gründe unterstützten Gerichtsgebrauches das Hinzutreten eines gerichtlichen Eingeständnisses des Inquisiten nicht erfordert werde. Wegen des nur künstlichen Beweises aber sei nach Gerichtsgebrauch keine Todesstrafe, sondern die am nächsten liegende Freiheitsstrafe anzuwenden464. 462 463 464

Ebd., S. 450 f. Ebd., S. 451 ff. Ebd., S. 455 f.

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Entgegen den formal weiterhin bestehenden gesetzlichen Beweisregeln der Peinlichen Gerichtsordnung aus dem Jahre 1748 war damit endgültig den peinlichen Gerichten durch Bestätigung der Rechtspraxis seitens des Oberappellationsgerichts die Möglichkeit eröffnet, eine Verurteilung des Angeklagten auf der Grundlage von indirekten Beweisen, wozu auch die Aussage nur eines Tatzeugen oder etwa ein außergerichtliches Geständnis zählten, auszusprechen. In solchen Fällen kam allerdings nach einem sich hierzu ausbildenden Gerichtsgebrauch die Verhängung der Todesstrafe nicht in Betracht. Dieser Gerichtsgebrauch blieb bis zur Umbildung des Strafverfahrens auf der Grundlage der entsprechenden Gesetze aus dem Jahre 1848 gültig465. Zugleich war mit dieser Rechtsprechung der Weg geebnet für eine umfassende eigenständige Beweiswürdigung durch die Strafrichter, die nun ausdrücklich nicht mehr auf die Berücksichtigung allein der zuvor gesetzlich normierten direkten Beweise beschränkt waren. Dies wurde gerade in politisch brisanten Strafverfahren zunehmend kritisch betrachtet. Eine solch freie Beweiswürdigung in der Hand der beamteten Richter musste in politisch aufgeheizten Zeiten auf Ablehnung stoßen. Die hier beschriebenen Entwicklungen bildeten das unvollkommene und mangelbehaftete Rüstzeug, mit welchem die kurhessische Strafjustiz in die kommenden Jahre bis 1848 ging. Die Auswirkungen auf politisch brisante Verfahren werden noch gesondert zu betrachten sein466. 465 Vgl. Heuser, Handbuch, S. 29 f.; In der Lehre blieb lange Zeit umstritten, ob nach dem Verbot der Folter die Bestimmung des Art. 22 der Carolina in Gänze und damit auch das Verbot einer Verurteilung auf Anzeigen weggefallen war, oder Letzteres gleichwohl vorbehaltlich einer gesetzlichen Neuregelung Bestand hatte; vgl. hierzu Bauer, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 3. Band, S. 331 ff., insbesondere zum aufgekommenen Gerichtsgebrauch S. 342 ff. 466 Mittermaier hat in seinem im Jahre 1834 erschienen Buch „Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse“ eine Verurteilung des Angeklagten auf der Grundlage von Indizien ohne gesetzliche Grundlage kritisiert, nachdem die Regelung des Art. 22 der Carolina nicht mehr anwendbar sein sollte. Man könne nicht sagen, dass die Ratio der genannten Vorschrift, wonach eine Bestrafung nach Indizien verboten sei, nach allgemeiner Rechtsansicht weggefallen sei. Und weiter: „In den Partikularrechten der Länder, in welchen über diese Lehre keine neuen Gesetze vorkommen, bemerkt man ein nachtheiliges prinzipienloses Schwanken, je nachdem eine oder die andere der herrschenden wissenschaftlichen Meinungen Einfluss erhielt. Daher muss man in Bezug auf das gemeine Recht noch jetzt behaupten, dass keine Art von Strafe auf Indizien, auch wenn sie in der größten Harmonie zusammentreffen, gebaut werden dürfe, und zwar kömmt dies gesetzliche Verbot zur Anwendung 1) wenn die Gewissheit, dass jemand Urheber oder Theilnehmer eines Verbrechens sey, oder 2) wenn die Gewissheit des Thatbestandes nur durch künstlichen Beweis hergestellt werden soll“, ebd., S. 449 f.; auch in Kurhessen fehlte eine gesetzliche Regelung in Bezug auf eine strafrechtliche Verurteilung nach Indizien.

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Theisen hat in seiner Arbeit „Zwischen Machtspruch und Unabhängigkeit“ auch die Strafrechtspflege in Kurhessen in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts untersucht. Als besonders kritikwürdig betrachtet er die Errichtung von Sondertribunalen im Zuge der berühmten Drohbriefaffäre. Seit Juni 1823 waren beim Kurfürsten anonyme Drohbriefe eingegangen, mit denen Forderungen nach Errichtung einer Verfassung, der Entfernung der Gräfin Reichenbach467 sowie Androhungen von Brandanschlägen bis hin zu Morddrohungen gegen den Landesherrn selbst ausgesprochen wurden468. Ende des Jahres 1823 wurden daraufhin zwei Sonderkommissionen zur Verfolgung der Verantwortlichen und Untersuchung der Vorgänge eingerichtet. Eine Kommission wurde zunächst zur Untersuchung der an den Kurfürsten gerichteten Drohbriefe installiert. Durch Verordnung vom 29. Dezember 1823469 wurde eine weitere Kommission zur Untersuchung staatsgefährlicher Verbindungen errichtet. Mitglieder dieser beiden personenidentischen Kommissionen waren jeweils Johann Conrad Bode, Carl Philipp Theodor Schwenken und Marcus Martin Günste470. Sie standen in unmittelbarem Kontakt mit der Mainzer Zentraluntersuchungskommission und unter unmittelbarem Einfluss des Kurfürsten, obwohl nach § 5 der genannten Verordnung bei den Verfahren eigentlich die Vorschriften für die ordentlichen Strafgerichte beachtet werden sollten471. Im Laufe der Untersuchungen gerieten auch Siegmund Peter Martin und Friedrich Murhard472 ins Visier der Ermittler473. Am Ende wurden sogar unter direkter Einflussnahme Metternichs nahezu die gesamten Mitglieder der Oberpolizeidirektion in Kassel einschließlich des Oberpolizeidirektors Ludwig von Manger verhaftet. Letzterem wurde vorgeworfen, sogar selbst an den Vorgängen der „Drohbriefaffäre“ teilgenommen und die Ermittlungen nur sehr zurückhaltend geführt zu haben474. Manger wurde von 467 Emilie Ortlöpp (1791–1843) war Tochter eines Berliner Goldschmieds und wurde 1812 Mätresse des späteren Kurfürsten Wilhelm II.; 1821 erfolgte die Standeserhöhung zur Gräfin Reichenbach; vgl. Demandt, S. 551. 468 Siehe zur „Drohbriefaffäre“ die Darstellung bei Speitkamp, Restauration, S. 566 ff. 469 SG, 4. Band, 1823, S. 84, mit Erwähnung der ersten Kommission vom 5. September 1823. 470 Der Verbindungs-Untersuchungskommission wurden bei Entscheidungen über Zivilpersonen zwei Mitglieder eines Obergerichts und bei Entscheidungen über Militärangehörige ein oder zwei Offiziere beigeordnet, § 4 der Verordnung. Siehe im Übrigen zu den Mitgliedern der Kommissionen Speitkamp, Restauration, S. 569 f., Fn. 230. 471 Nach § 7 der Verordnung vom 29. Dezember 1823 war gegen Entscheidungen der Kommission die Appellation an das Oberappellationsgericht zulässig. 472 Friedrich Murhard (1778–1853) war Privatgelehrter und Schriftsteller in Kassel und Verfasser einer Kommentars zur kurhessischen Verfassung des Jahres 1831. 473 Vgl. dazu Speitkamp, Restauration, S. 571 f. 474 Vgl. Theisen, S. 256; Speitkamp, Restauration, S. 573 f.

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der Kommission zu fünfjähriger Festungshaft verurteilt. Dem Kurfürsten genügte dies nicht und er verlängerte die Strafe auf Lebenszeit. Manger wurde schließlich erst im Jahre 1831 wieder freigelassen475. Mit den eingerichteten Sondertribunalen wurden die angestrebten politischen Prozesse den ordentlichen Gerichten entzogen. Die Verfahren sollten dabei nach dem Willen des Landesherrn auch nicht einmal dem Anschein nach in verfahrensrechtlich geordneten Bahnen verlaufen. Er betrachtete sie zunächst als rein polizeiliche Maßnahmen. So sollten etwa in einzelnen Verfahren gar keine förmlichen Urteile gesprochen werden, die den Angeklagten von den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen freigesprochen hätten, worüber es auch zu Unstimmigkeiten mit den Kommissionsmitgliedern gekommen war. Der Verdacht willkürlich durchgeführter Untersuchungen sollte erst gar nicht öffentlich aufkommen476. Theisen führt zum Nachweis der allen rechtsstaatlichen Maßstäben Hohn sprechenden Verfahrensweise des Kurfürsten bei Anordnung der besonderen Kommissionen die Untersuchungen und Urteile gegen die drei Fuldaer Forststudenten Hodes, Förster477 und Stöhr an478. Mit Urteil vom 10. März 1826 wurden diese wegen angeblicher Beteiligung an einer Jenaer Verbindung wegen Hochverrats zu mehrjähriger Festungshaft bei Verlust aller staatsbürgerlichen Rechte verurteilt479. Als materielle Grundlage diente Art. 124 der Carolina, der allerdings für diesen Fall die Vierteilung als Strafe vorgesehen hatte. Nach dem seinerzeitigen Gerichtsgebrauch sollte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nur eine Freiheitsstrafe verhängt werden. Darüber hinaus hatte die Kommission angeordnet, dass nach Verbüßen der Haft die Verurteilten unter weiterer polizeilicher Beobachtung stehen und hierzu die Akten an die zuständige Polizeibehörde abgegeben werden sollten. Theisen sieht hinsichtlich der Entscheidung der Kommission das Hauptproblem in einem Verstoß gegen den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“480. Dem ist allerdings zu widersprechen. Das Oberappellationsgericht hatte die Verurteilung mit Entscheidung vom 31. Januar 1828 bestätigt481. Als materielle Grundlage führte das Gericht ebenfalls den nach gemeinem Recht weiterhin zur Anwendung gelangenden Art. 124 der Caro475

Siehe Speitkamp, Restauration, S 574, Fn 252; Theisen, S. 259 f. Speitkamp, Restauration, S. 570; Theisen, S. 296. 477 Johann Adam Förster (1796–1890) fungierte später im Jahre 1832 als Präsident des „Volksfestes“ in Wilhelmsbad, siehe dazu C. II. 2. a); zur Person vgl. Seier, Akten und Briefe, S. 191, Fn. 10. 478 Theisen, S. 258 ff. 479 Urteil der Kommission vom 10. März 1826, Hess. StA Marburg, 24g Nr. 355. 480 Theisen, S. 260 f. 481 Urteil des Oberappellationsgerichts in den Sachen „Hodes“ und „Förster“ vom 31. Januar 1828, Hess. StA Marburg, 24g Nr. 355. 476

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lina an. Des weiteren zog das Gericht die uns bereits bekannte Verordnung vom 14. Februar 1795 als Rechtsgrundlage heran. Der angeführte Gerichtsgebrauch bezog sich auf den Umstand, dass das Strafmaß der Carolina nicht mehr zur Anwendung kommen sollte und im Übrigen bei Abwägung der Gesamtumstände ein angemessenes Maß unterhalb der eigentlich vorgesehenen Todesstrafe zu finden war. So milderte das Oberappellationsgericht die Strafen erheblich ab (im Falle „Hodes“ von sechs auf nun zwei Jahre Festungshaft) und entschied im Übrigen, dass die Anordnung der weiteren polizeilichen Aufsicht nach Entlassung aus der Haft aufzuheben war482. Das Gericht begründete die Abmilderung der Strafe damit, dass die Tat noch weit von der Ausführung des hochverräterischen Vorhabens entfernt gewesen und keinem der Staaten bereits ein Schaden entstanden sei. In den darüber hinaus angeordneten Sicherungsmaßnahmen nach dem Ende der Haft erkannte das Gericht die eigentliche Kompetenzüberschreitung der Kommission. Die Abgabe sämtlicher Untersuchungsakten sei insofern überflüssig, als schon durch Mitteilung der in beiden Instanzen erteilten Erkenntnisse die Polizeibehörde in den Stand gesetzt worden war, von der Lage der Sache sich die nötige Kenntnis zu verschaffen. Auch dürfe die polizeilich zu ergreifende Sicherheitsmaßregel sich nicht so weit erstrecken, um die Appellanten nach überstandener Strafe noch weiter in polizeilicher Verhaft zu lassen, sofern sich nicht eine neue Veranlassung hierzu ergeben sollte. So kritikwürdig das Fehlen einer eindeutigen Strafnorm mit geregeltem Strafrahmen und das völlig veraltete, nicht mehr zeitgemäße Strafrechtssystem waren, so lag doch der entscheidende Schwachpunkt der kurhessischen Strafrechtspflege in der dem Landesherrn jederzeit eröffneten Möglichkeit, Sondertribunale insbesondere in Situationen einzurichten, in denen der uneingeschränkte herrschaftliche Machtanspruch in Frage stand oder in Gefahr zu geraten drohte. Die im Zuge der „Drohbriefaffäre“ eingerichtete Sonderkommission urteilte wie ein Strafgericht, handelte zugleich aber auch wie eine reine Polizeibehörde, wenn sie präventiv weitere Sicherungsmaßregeln und Überwachungen anordnete. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kommission jederzeit bei allen ihren Maßnahmen dem unmittelbaren Einfluss der Obrigkeit ausgesetzt war. Theisen kritisiert schließlich zu Recht die im Zuge der „Drohbriefaffäre“ von Wilhelm II. praktizierte Kabinettsjustiz, wenn er darauf hinweist, dass die im Organisationsedikt nun vorgesehene Trennung von Gerichtsbarkeit und Administration zunächst nur auf dem Papier stand483. In der Tat fehlte es an einer wirksamen öffentlichen Kontrolle. Auch die zur Loyalität ver482 Urteil des Oberappellationsgerichts vom 31. Januar 1828 in der Sache „Hodes“ und gleichlautend in der Sache „Förster“, Hess. StA Marburg, 24g Nr. 355. 483 Theisen, S. 302.

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pflichteten Richter wagten es nicht, sich den herrschaftlichen Willkürmaßnahmen zu widersetzen. In diesem Zusammenhang wirft Theisen dem damaligen Oberappellationsrichter Pfeiffer vor, die kurhessische Justiz zu positiv zu betrachten, wenn dieser in den im Jahre 1831 erschienen „Praktischen Ausführungen“ behauptete, dass von einer Kabinettsjustiz in Kurhessen weder aus der älteren noch aus der neueren Zeit durchaus kein Beispiel aufzuweisen war484. In Bezug auf die beiden Kommissionen in der „Drohbriefaffäre“ meinte Pfeiffer, hier lägen nur objektive485 Ausnahmen von der regelmäßigen Gerichtskompetenz vor, welche minder nachteilig wären als gegen bestimmte Personen gerichtete Kommissionen. Darüber hinaus sei rücksichtlich der Erkenntnisse beider Behörden (!) die Berufung an das Oberappellationsgericht in letzter Instanz ausdrücklich vorbehalten worden. Man wird Pfeiffer zu Gute halten können, dass er die seinerzeit allgemein durchaus in gutem Ruf stehende kurhessische Justiz in Schutz nehmen und die landesherrliche Willkür in diesem Bereich von der Tätigkeit der ordentlichen Gerichte formal getrennt wissen wollte. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass er die Kommissionen ausdrücklich als Behörden bezeichnete. Dabei hatte er sich unter Bezugnahme auf Jordan486 gerade gegen spezielle Kommissionen in Strafsachen ausgesprochen, deren Einrichtung bewiesen, dass man entweder den gewöhnlichen Richter fürchte oder wollte, dass die außergewöhnlichen ihre Pflicht nicht tun möchten487. Im Hinblick auf die neue Rechtslage nach dem Organisationsedikt führte Pfeiffer aus, dass Beispiele der Ernennung besonderer Kommissionen zur Verfolgung einzelner Personen aus besonderem Anlass entweder unmittelbar von Seiten des Landesherrn oder auch von Seiten der Staatsregierung in früherer Zeit nicht ganz selten waren. Damals habe das strafgerichtliche Verfahren wegen der möglichen Einwirkung der obersten Staatsgewalt auch noch einen sehr administrativen Charakter gehabt. Seit 1821 seien derartige Fälle488 nicht mehr vorgekommen489. Der eigentliche Mangel auch nach dem Organisationsedikt des Jahres 1821 bestand in der fehlenden Absicherung der Unabhängigkeit der Ge484

Pfeiffer, Praktische Ausführungen, 3. Band, S. 457. Pfeiffer unterschied zwischen den objektiven und den besonders kritikwürdigen subjektiven Ausnahmen von der Gerichtskompetenz, wobei letztere dadurch gekennzeichnet waren, dass aus besonderem Anlass spezielle Tribunale gegen konkrete einzelne Personen eingerichtet wurden. 486 Jordan, Versuche, S. 414. 487 Pfeiffer, Praktische Ausführungen, 3. Band, S. 425 ff. 488 Gemeint sind hier subjektive Ausnahmen von der regelmäßigen Gerichtskompetenz; die objektive Ausnahme im Zuge der „Drohbriefaffäre“ wurde von Pfeiffer sodann eingeräumt. 489 Pfeiffer, Praktische Ausführungen, 3. Band, S. 534. 485

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richte durch eine Verfassung mit entsprechenden Garantien. Dies hatte Pfeiffer sodann nach der kurhessischen Verfassungsgebung des Jahres 1831 ausdrücklich hervorgehoben, wenn er ausführt, dass das Organisationsedikt „den höchst wesentlichen, durch den vortrefflichen materiellen Gehalt nicht zu ersetzenden Mangel hatte, dass es ihm an allen inneren und äußeren Garantien seiner Festhaltung und Beobachtung von Seiten dessen fehlte, welcher dasselbe als freies Werk seiner Machtvollkommenheit gegeben hatte, und es daher auch in all seinen Bestimmungen als nur von seinem Willen abhängig behandeln zu können glaubte.“490

Solange die Unabhängigkeit der Gerichte nicht durch eine Verfassung mit entsprechenden Sicherungen und Garantien gewährleistet wurde, blieb die jederzeitige Gefahr unmittelbarer Eingriffe des Landesherrn in die Strafrechtspflege, wann immer seine Interessen auf dem Spiel standen. Kurhessen galt in dieser Hinsicht als besonders gefährdet491. Erst die Verfassungsurkunde von 1831 brachte jedenfalls eine formale Absicherung. Die hier betrachtete Möglichkeit der Einrichtung von insbesondere politisch motivierten Sondertribunalen zeigt, dass auch die Kompetenz der ordentlichen Gerichte mit ihren beamteten und gelehrten Richtern trotz formal bestehender Unabhängigkeit jederzeit in Gefahr geraten konnte, wann immer die Obrigkeit aus eigenen Interessen eine Einflussnahme oder Beschneidung der Zuständigkeit für opportun hielt. In dieser Hinsicht waren die Berufsrichter ebenso möglichen Beschränkungen und Eingriffen ausgesetzt wie die zur Verhinderung obrigkeitsstaatlicher Willkür gedachte Schwurgerichtsbarkeit. Dass die unter Napoleon und im Königreich Westphalen bestehenden Geschworenengerichte jederzeit durch Errichtung von Sondertribunalen in ihrer Wirksamkeit entscheidend beschnitten werden konnten, wurde bereits festgestellt492. Das Gutachten der Immediat-JustizKommission vom 19. Mai 1818 hatte in Entgegnung auf Feuerbach, der die Jury bereits dem Geist der Monarchie als widersprechend ansah, aber den eigentümlichen kriminalrechtlichen Gesichtspunkt der Geschworenengerichte betont und ausgeführt, diese Einrichtung könne auch im monarchischen Staat höchst wohltätig wirken493. Hervorgehoben wurde hierbei der auch strafverfahrensrechtliche allgemeine Wert der Jury, ohne die positiven Aspekte dieses Instituts allein auf politische Verfahren zu beschrän490

Pfeiffer, Geschichte, S. 263. Vgl. die drastischen Ausführungen bei von Treitschke, S. 352: „Die zwecklose Nichtigkeit des politischen Lebens hatte der kurhessische Kurstaat mit allen deutschen Kleinstaaten gemein; eigentümlich war ihm eine gewissenlose Tyrannei, die von der wohlmeinenden Beschränktheit der meisten andern deutschen Höfe häßlich abstach und fast an Neapel oder Modena erinnerte.“ 492 Siehe B. III. 493 Siehe Landsberg, S. 196 f. 491

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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ken494. Gleichwohl hatte die nun auch in Kurhessen zu Beginn der 30er Jahre einsetzende Debatte um die Geschworenengerichte im Wesentlichen den politischen Sicherungsaspekt der Mitwirkung einer Laienjury im Blick, wenn diese zunächst allein in politischen Verfahren oder bei Pressedelikten beteiligt werden sollten. Grund dieser Betrachtungsweise waren aber nicht allein befürchtete Einflussnahmen und Beschränkungen durch die Obrigkeit, sondern auch der Umstand, dass in solchen Verfahren bei einem Urteilen im Wesentlichen auf der Grundlage von Indizien die freie Beweiswürdigung bei fehlender gesetzlicher Regelung und ohne gegebenenfalls gesetzlich konkretisierter Beweisregeln den beamteten, im Lager der Obrigkeit vermuteten, Richtern nicht überlassen werden sollte.

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831 und die Frage der Geschworenengerichte in den Verhandlungen über das Pressegesetz Im Juli des Jahres 1830 war es in Paris nach Auflösung der oppositionellen Kammer durch Karl X. und nach Aufhebung der Pressefreiheit zu politischen Unruhen und Barrikadenkämpfen zwischen den unter wirtschaftlicher Not leidenden Pariser Bürgern und der königlichen Armee gekommen. Der Palast des Bourbonenherrschers wurde gestürmt. Kurz darauf dankte Karl X. ab. Die revolutionären Ereignisse von Paris griffen auch auf andere europäische Länder und die deutschen Staaten über. Sie bewirkten hier insbesondere in den nord- und mitteldeutschen Staaten eine neue Phase der Konstitutionalisierung495. So erhielt auch Kurhessen schon Anfang des Jahres 1831 eine Verfassung, die im Ruf stand, die liberalste ihrer Zeit gewesen zu sein496. Die kurhessische Konstitution brachte inhaltlich verfassungsrechtliche Sicherungen und Garantien auch für den Bereich der Strafrechtspflege, obgleich in der Folge die Schaffung eines neuen, zeitgemäßen Strafgesetzbuches sowie eine moderne Strafprozessordnung zunächst ausbleiben sollte. Die Meinungs- und Pressefreiheit sollten garantiert werden. In diesem Rahmen wurde auch die Schwurgerichtsfrage im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Verfassung und anlässlich der späteren Landtagsverhandlungen über das in Aussicht genommene Pressegesetz zur Sprache gebracht.

494 Siehe auch das Nachtragsgutachten der Kommission das Geschworenengericht betreffend vom 3. Juli 1818, abgedruckt bei Landsberg, S. 202 ff. 495 Vgl. Nipperdey, S. 366 f. 496 Zu den zeitgenössischen Wertungen, aber auch Kritiken und Enttäuschungen, siehe Kleinknecht, S. 70 ff.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

1. Die Verhandlungen über die Verfassungsurkunde Die Stoßwellen der französischen Julirevolution trafen in Kurhessen auf eine Gemengelage kritischer Entwicklungen497. Waren bei den Herbstunruhen insbesondere in Kassel und Hanau zunächst wirtschaftliche Problemlagen auslösend, so kamen bald politische Aspekte hinzu, die den Kurfürsten Mitte September 1830 veranlasst hatten, nicht zuletzt unter Druck des Bundes und seiner Führungsmächte Österreich und Preußen zur Beilegung der Krise die Stände nach langen Jahren wieder einzuberufen. Die Verfassungsfrage stand faktisch wieder auf der Tagesordnung. Durch die beschwichtigende Ankündigung versuchte der in Bedrängnis geratene Kurfürst, seine Macht zu erhalten, war er doch in dieser Zeit selbst mit seinem nach Höherem strebenden Sohn in Konflikt geraten und mahnten ihn die Vorgänge in Braunschweig, wo soeben der dortige Herzog Karl abgesetzt und aus dem Lande getrieben worden war, zum Handeln. Wilhelm II. beauftragte den Oberappellationsgerichtspräsidenten Otto von Porbeck und den Ministerialsekretär Karl Michael Eggena498 als Landtagskommissare mit der Vorlage eines Verfassungsentwurfes. Grundlage sollten die Ergebnisse der Verhandlungen von 1815/16 sein, wobei allerdings einige Anpassungen insbesondere vor dem Hintergrund des mit der Wiener Schlussakte bestätigten Monarchischen Prinzips vorzunehmen waren. Anfang Oktober 1830 wurde von der Landtagskommission der Entwurf als „landesherrliche Proposition“ vorgelegt499. Im sechsten Abschnitt betreffend die Rechtspflege findet sich in Bezug auf das Strafverfahren nichts, was über den Stand der Verfassungsdiskussionen der Jahre 1815/16 und über den Stand der Gesetzgebung, insbesondere durch das Organisationsedikt von 1821, wesentlich hinausgegangen wäre. Die Problematik der im Einzelfall willkürlich eingerichteten Sondertribunale klingt allerdings in 497 Siehe die zusammenfassende Darstellung zu den Ursachen und Entwicklungen, die letztlich zur Entstehung der Verfassung geführt haben bei Seier, Akten und Briefe, Einleitung, S. XXXV ff.; Neben den wirtschaftlichen Krisensituationen gilt als wesentlicher Umstand auch die Frontstellung weiter Bevölkerungskreise gegen die kurfürstliche Mätresse, die Gräfin Reichenbach, die sich zunehmend politische Einflussnahmen angemaßt hatte, was erhebliche Opposition hervorrief. Der Kurfürst, die Gräfin Reichenbach und ihr Umfeld waren zunehmend in Gegnerschaft zu dem sich herausbildenden sogenannten Schönfelder Kreis geraten, benannt nach einem Schloß bei Kassel, das der Kurfürstin gehörte und in dem sich regelmäßig deren Anhänger, eine „vorwiegend bürgerliche, halb romantisch-idealistische, halb konservativ-liberale Oppositionsgruppierung“ traf; siehe Seier, Handbuch, S. 54; vgl. dazu auch Speitkamp, Restauration, S. 589 ff. 498 Karl Michael Eggena (1789–1840) war 1821 bis 1830 Generalsekretär im Staatsministerium, 1830 bis 1832 Landtagskommissar und 1832 Innenminister, danach bis 1840 Regierungsdirektor in Fulda, vgl. Lengemann, MdL, S. 115. 499 Abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 14, S. 27 ff.

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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§ 52 der Proposition vage an, wenn dort vorgesehen war, dass die Gerichte nach den Gesetzen in den verschiedenen Instanzen allein und ohne Einwirkung irgendeiner anderen Behörde erkennen und sie in ihrem gesetzmäßigen Verfahren, namentlich auch in der Vollziehung ihrer Urteile, geschützt werden, unberührt allerdings von dem landesherrlichen Begnadigungs- und Milderungsrecht in Strafsachen500. Zugleich kam es in dem vorgelegten Entwurf zu deutlichen Rückschritten, wenn dort von einem Grundrechtekatalog keine Rede mehr sein konnte. Dies musste auf die Kritik der Stände stoßen501. Am 16. Oktober 1830 versammelten sich die insgesamt 29 landständischen Deputierten. Die Landtagskommissare übergaben die von ihnen erarbeitete Proposition. Die Landstände bestimmten sodann eine Landtagskommission, bestehend aus sieben Mitgliedern, die mit der weiteren Bearbeitung des Verfassungsentwurfes auf der Grundlage dieser vorgelegten Proposition beauftragt wurde502. Den Vorsitz dieses Gremiums übernahm Sylvester Jordan, der maßgeblichen Einfluss auf die folgenden Verhandlungen nehmen sollte. Er übernahm die Bearbeitung der Präambel, der Untertanenrechte und der allgemeinen Bestimmungen. Für den Bereich der Rechtspflege war der in den Ausschuss gewählte Bürgermeister von Kassel Karl Schomburg503 zuständig. Die Kommission kam am 20. Oktober 1830 zu einer zweiten Sitzung zusammen, in der Jordan eine Grundsatzrede504 hielt, in der er die Notwendigkeit zeitgemäßer Reformen betonte, um die Revolution, dieses größte Übel, zu verhindern. Die Verfassung sei Ausdruck des Reformwillens. In ihr müssten unter anderem die gemeinsame Gesetzgebung von Landesherr und Volk sowie eine unabhängige Rechtspflege festgelegt werden. Die Volkserziehung, die Sprech- und Pressfreiheit seien ebenso wie eine Städte- und Gemeindeordnung Garantie für ein verfassungsgemäßes Volksleben505. Er betonte den herausgehobenen Wert der 500

Ebd., S. 36 f. Vgl. dazu Seier, Akten und Briefe, Einleitung, S. XXXVIII f. 502 Zu den Mitgliedern der Landtagskommission und deren Zuständigkeiten siehe Seier, Akten und Briefe, S. 73, Fn. 3; zu den Mitgliedern und deren politischen Standort vgl. Seier, Kurhessische Verfassung, S. 24; Grothe, Verfassungsgebung, S. 83. 503 Karl Schomburg (1791–1841) war seit 1816 Regierungsprokurator und in der Zeit von 1822 bis 1835 Bürgermeister und anschließend bis 1841 Oberbürgermeister von Kassel; 1830 bis 1841 Mitglied der Stände und 1833 bis 1838 Präsident des Landtages. An der Spitze des Magistrats von Kassel hatte Schomburg 1830 dem Kurfürsten eine Bittschrift vorgetragen und überreicht, in der angesichts der Not in Stadt und Land die Einberufung der Stände begehrt worden war; vgl. dazu Schnack/ Friderici, 5. Band, S. 360. 504 Grundsatzrede Jordans wiedergegeben bei Murhard, 1. Abteilung, S. 18 ff. 505 Vgl. Jordan, Versuche, S. 425 ff. 501

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

Meinungs- und Pressefreiheit, wenn er diese als untrüglichste Kennzeichen der politischen Mündigkeit sowie das sicherste und kräftigste Palladium der bürgerlichen und politischen Freiheit bezeichnet. Jordan betonte nicht zuletzt das Erfordernis einer Volksbildung und Volkserziehung, um die Bürger in den Stand zu setzen, ihre Aufgaben im Staate verantwortungsvoll wahrzunehmen. Prozessverfahren sollten möglichst öffentlich durchgeführt werden. Überhaupt sollte die Rechtspflege als Palladium der Freiheit und Sicherung der Person von der regierenden Gewalt unabhängig sein und von Männern ausgeübt werden, die entschiedene Proben ihrer intellektuellen Kenntnisse und ihrer moralischen Willenskraft abgegeben hätten506. Am 20. Oktober 1830 legten zugleich die Kasseler Obergerichtsprokuratoren einen eigenen umfassenden Verfassungsentwurf vor, der sich durch ein hohes Maß liberaler und zukunftsweisender Inhalte auszeichnete507. Dessen IX. Abschnitt handelte von der Ausübung der Staatsgewalt und insbesondere von der Gesetzgebung und Gerichtsverfassung. Hervorzuheben ist zunächst § 100 dieses Entwurfs, wonach niemand in der Betretung des Rechtsweges gehindert und seinem gesetzlichen Richter, sei es in bürgerlichen oder in peinlichen Fällen, entzogen werden könne. Außerordentliche Kommissionen oder Gerichtshöfe, unter welcher Benennung es auch sein mag, dürften demnach nie eingeführt werden. In § 105 des Entwurfs wird ein neues allgemeines bürgerliches und peinliches Gesetzbuch gefordert. Ebenso soll eine Zivil- und Kriminalprozessordnung entworfen und deren Abfassung möglichst befördert und in diesem Jahre noch der Anfang gemacht werden. Betont wird schließlich auch das Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit. Im Rahmen der zu gewährenden Grundrechte sprachen sich die Prokuratoren für eine unbeschränkte Meinungs- und Pressefreiheit aus. Nach § 26 des Entwurfs sollte in Kurhessen jeder das Recht haben, seine Meinung öffentlich bekannt zu machen und drucken zu lassen. Dies sei eine durch Zensur nie zu beschränkende Freiheit und Verstöße dürften nach dem Gesetz nur durch den ordentlichen Richter bestraft werden. Hinsichtlich der Ausgestaltung des Strafverfahrens hatten sich also die Prokuratoren auf die Forderung nach einer möglichst schnell ins Werk zu setzenden Strafprozessordnung beschränkt, wie dies bereits bei den Verfassungsdiskussionen der Jahre 1815/16 formuliert worden war. Zu erwähnen ist schließlich noch ein Entwurf mit dem Titel „Ansichten über die schriftliche Abfassung einer Urkunde, der althessischen Verfassung, 506

Vgl. dazu Grothe, Verfassungsgebung, S. 80. Abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 21, S. 59 ff.; Es wird vermutet, dass unter den 25 Verfassern auch die als liberal geltenden Friedrich Hahn, Friedrich Wilhelm Beste und Ludwig Schwarzenberg waren, vgl. Seier, ebd., S. 59, Fn. 5; Grothe Verfassungsgebung, S. 80 und zu weiteren Entwürfen, ebd., S. 71 ff. 507

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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nebst Verbesserungen und Abänderungen“, der sich in den Handakten des Mitglieds des ständischen Verfassungsausschusses Schomburg befindet508. Der Entwurf ist undatiert, anonym und umfasst 162 Artikel509. Bemerkenswert sind die Bestimmungen über die Justizordnung. Danach sollten die Richter vom Kurfürsten ernannt und eingesetzt werden. Sie sollten in seinem Namen Recht sprechen. Der Kurfürst dürfe eigenmächtig keine anderen als die gesetzlich vorgesehenen Gerichtshöfe schaffen510. Sodann sah Art. 136 vor, dass die Stände der Regierung Vorschläge über die öffentlichen Verhandlungen der Prozesse und einer zweckmäßigen Prozessordnung sowie über die Einführung „geschworner Gerichte“ machen sollten, so dass „in diesem Falle ein jeder Staatsbürger durch Seinesgleichen gerichtet werden“ könne. Dieses sollte möglichst durch den Kurfürsten besondere Förderung erfahren. Jedenfalls müsse aber eine bessere Gerichtsverfassung als die bestehende eingeführt werden511. Diese Formulierung erinnert an die Auffassung von Jordan, wonach auch im Rahmen der Schwurgerichtsbarkeit die Standeszugehörigkeit zu berücksichtigen sein sollte. Der Urheber dieses anonymen Entwurfs war nicht zu ermitteln. Die hier angeführten Bestimmungen fanden in dieser Form auch keinen Eingang in den landständischen Entwurf. Der landständische Verfassungsausschuss präsentierte nach eingehenden Beratungen am 25. November 1830 seinen Entwurf mit dem Titel „Gutachtliche Bemerkungen und Anträge zur landesherrlichen Proposition vom 7ten Oktober 1830“512. Im Gegensatz zur Proposition enthielt der landständische Entwurf einen beachtlichen Grundrechtekatalog, der deutlich die Handschrift Jordans trug513. Neben anderen bedeutenden Freiheitsrechten sollte die Freiheit der Presse und des Buchhandels in ihrem vollen Umfange stattfinden. Gegen Pressvergehen sollte ein besonderes Gesetz erlassen werden und die Zensur war nur in den durch die Bundesgesetze bestimmten Fällen zulässig514. Niemand sollte wegen der freien Äußerung bloßer Mei508

Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1390, fol. 88v–111r. Vgl. dazu Grothe, Verfassungsgebung, S. 73. 510 Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1390, fol. 106r. 511 Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1390, fol. 107v.; Nach Art. 138 dieses Entwurfs konnte in besonderen Fällen wegen zu befürchtender Gefährdung der Sittlichkeit die Gerichtsverhandlung nicht öffentlich durchgeführt werden. Dies musste besonders gerechtfertigt werden, wobei auf ausdrücklichen Wunsch die Stände bei der Entscheidung über die Nichtöffentlichkeit zu beteiligen sein sollten, ebd., fol. 107r. 512 Abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 24, S. 73 ff. 513 Die §§ 17–40 handelten von den allgemeinen Rechten und Pflichten der Untertanen, ebd., S. 76 ff.; Die Verfassungen des 19. Jahrhunderts verwandten generell den Begriff der „Grundrechte“ nicht. Die sog. Untertanenrechte ergaben sich nicht aus dem Prinzip der Volkssouveränität, sondern wurden als vom Staate gewährt aufgefasst, Seier, Kurhessische Verfassung, S. 33, Fn. 113. 514 § 36 des landständischen Entwurfs. 509

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

nungen zur Verantwortung gezogen werden können, außer im Falle einer dadurch begangenen Rechtsverletzung515. Besonders bemerkenswert aber sind die hier interessierenden Bestimmungen in § 110 des landständischen Entwurfs, wo es heißt: „Jeder wegen eines politischen und Preßvergehens Angeschuldigte soll, insofern solches nicht als Kapitalverbrechen anzusehen ist, gegen Stellung einer durch das Gericht zu bestimmenden Kaution seiner Haft sofort entlassen werden. Alle gerichtlichen Verhandlungen über politische und Preßvergehen sollen öffentlich geschehen und über die Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten ein Geschwornengericht (Jury) entscheiden.“

Diese Sonderregelungen in Bezug auf politische Strafverfahren waren wohl auch innerhalb des Landtagsausschusses umstritten. Jedenfalls hatte Schomburg516, der im Übrigen für die Erweiterung der landesherrlichen Proposition durch einen Grundrechtekatalog eingetreten war, das Institut der Geschworenengerichte aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt und keinen Anlass gesehen, sich ohne Not auf die Einführung der Öffentlichkeit in peinlichen Sachen festzulegen. Dieses lässt sich aus seinen handschriftlichen Bemerkungen517 zum Verfassungsentwurf entnehmen. Schomburg führte an, dass in Bezug auf eine öffentliche Rechtspflege mit dem Institut der Geschworenengerichte von der Lehre noch so wenig zur Entscheidung gebracht worden sei, dass bisher kein Staat, welcher nicht schon etwa diese durch die französische Okkupation überliefert bekommen habe, sich zu einer solch umfassenden Reform entschlossen hätte. Es bestünde keine Veranlassung und kein Druck, in Kurhessen in dieser Hinsicht gleich mit der Verfassung voranzugehen, zumal sich hier die Gerichtshöfe durch ihre Unparteilichkeit ausgezeichnet hätten. Die Landstände würden in Zukunft immer ein Auge auf mannigfaltige Verbesserungen im Gerichtswesen und besonders im Prozessgang haben können, ohne jetzt zu einer plötzlichen Einführung eines neuen Instituts genötigt zu sein. Die in dem Verfassungsentwurf erwähnten Fälle würden gewiss selten eintreten und es möchte wohl ein unverhältnismäßiger Aufwand sein, in Bezug auf sie die Formen und Anstalten des Rechtsgangs umzugestalten. Im Übrigen sei die Integrität der Gerichte durch die vorgesehenen Bestimmungen noch stärker als früher gesichert, so dass diese eine hinlängliche Bürgschaft für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit darböten und wohl eine genügendere als eine Zahl ungeübter Laien. Schließlich wäre das Wegfallen des Instanzenzugs ein Verlust für den Beteiligten. Hierfür biete die immer von Parteimeinungen abhängige Milde der 515

§ 38 des landständischen Entwurfs. Zur Zusammenarbeit zwischen Jordan und Schomburg im Rahmen des Verfassungsausschusses siehe Kaiser, S. 89. 517 Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1390. 516

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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Geschworenen keinen Ersatz. Die Besorgnis vor zu großer Strenge bei politischen und Pressvergehen könne durch die Gesetzgebung, welche ja zur Mitwirkung der Stände gehöre, behoben werden518. Die Auffassung Schomburgs hinsichtlich der Öffentlichkeit der Rechtspflege an sich verwundert, da der landständische Entwurf auch nach den programmatischen Grundsätzen, wie sie von Jordan formuliert worden waren, von Mitwirkung der Bürger und liberalen Freiheitsrechten gekennzeichnet war. Die Öffentlichkeit der Strafverhandlungen wäre bereits nach den Vorschriften des Organisationsedikts von 1821 herzustellen gewesen, ohne dass tiefgreifende Eingriffe in die Verfahrensordnung nötig gewesen wären519. Bei aller Anerkennung der Unparteilichkeit und Integrität der kurhessischen Gerichte hätte sich auch für Schomburg angesichts der seinerzeit kurz zuvor eingerichteten Sondertribunale zur Verfolgung politisch Verdächtiger weitergehender Handlungsbedarf nicht nur in politischen oder Pressverfahren ergeben müssen. Schließlich sprach sich Schomburg auch anlässlich der folgenden Landtagsverhandlungen für ein öffentliches Verfahren, wenn auch zunächst nur bei Pressvergehen aus. Das Verbot von jeglichen außerordentlichen Kommissionen oder Gerichtshöfen mag ihm im Rahmen der Verfassung genügt haben, wie er dies unter Hinweis auf die Sicherungen und Garantien des Abschnitts über die Rechtspflege zum Ausdruck gebracht hatte. Es ist ihm aber auch zuzugestehen, dass die Einrichtung von Geschworenengerichten allein für politische oder Pressverfahren einen Fremdkörper im seinerzeit bestehenden Strafverfahren darstellte. Es mangelte gänzlich an konkreten Vorstellungen für die Ausgestaltung eines speziell für politische oder Pressdelikte zuständigen Geschworenengerichts in Abgrenzung zu gewöhnlichen Strafverfahren. So blieb das Institut des Geschworenengerichts eher Schlagwort, zumal das materielle und Strafverfahrensrecht entgegen dem Vorschlag der Prokuratoren im Entwurf des landständischen Verfassungsausschusses keine Erwähnung fanden. Trotz der von Schomburg geäußerten Bedenken wurden die „gutachtlichen Bemerkungen“ mit den vorgesehenen Geschworenengerichten den Ständen zur abschließenden Beratung vorgelegt. Sie wurden mit Schreiben vom 28. November 1830 den Landtagskommissaren übermittelt. Diese forderten gegenüber der Ständeversammlung, an deren Plenarsitzungen und Beratungen teilnehmen zu können, was ihnen schließlich auch gelang520. 518

Ebd., fol. 45r–46v. Vgl. hierzu die Verhandlungen über die Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs in peinlichen Verfahren im Jahre 1848, C. IV. 3. 520 Wegen des Teilnahmerechts war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Jordan und Schomburg gekommen. Die von Jordan abgelehnte Teilnahme der Landtagskommissare hatte die Position der Ständeversammlung geschwächt und stellte 519

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

Von Porbeck und Eggena berichteten am 4. Dezember 1830 dem Kurfürsten, dass es ihnen gelungen sei, zur Teilnahme an den Plenarsitzungen eingeladen zu werden, welches ihnen „notwendig erschien, um die Fixierung der Landstände bei manchen überspannten Ansichten und die demnächst entstehenden Verlegenheiten infolge der Darbringung eines vollständigen Entwurfes zur Verfassungsurkunde zu verhüten . . . In diesen Sitzungen, welchen noch fast täglich vorbereitende Zusammenkünfte vorhergegangen sind, haben wir stets mit tätigstem Eifer und in den meisten Fällen nicht ganz ohne Erfolg die Rechte des Thrones und die zur Erstickung aller Keime der Anarchie höchst wesentliche Macht der Staatsregierung nach besten Kräften gegen manche offenen und verdeckten Angriffe beharrlich verteidigt.“521

Zum Zeitpunkt dieses Berichts war auch der Abschnitt über die Rechtspflege bereits, wenn auch noch nicht abschließend, beraten worden. Tatsächlich war es der Landtagskommission gelungen, auf die Beratungen entscheidend einzuwirken. Dies wurde noch dadurch befördert, dass am 3. Dezember 1830 zur Beschleunigung der Beratungen ein Vermittlungsausschuss errichtet worden war, dem neben sieben Mitgliedern der Ständeversammlung, darunter Sylvester Jordan, auch der Landtagskommissar Eggena angehörte522. Die weiteren Verhandlungen erfolgten dabei unter erheblichem äußeren Druck, war es im Lande doch verstärkt zu Unruhen gekommen, die einen baldigen Abschluss der Beratungen über die angekündigte Verfassung erforderten. So wandte sich das Staatsministerium am 29. Dezember 1830 an den Kurfürsten und brachte ihm zur Kenntnis, dass zufolge der eingegangenen Nachrichten im Lande selbst, auch unter dem Militär eine solche unruhevolle Erwartung sich zeige, dass ein Aufschub bei der Bekanntmachung der Verfassungsurkunde die allernachteiligsten Folgen haben könne523. Am Ende hatte der landständische Verfassungsentwurf hinsichtlich der hier interessierenden Bestimmungen erhebliche Änderungen erfahren. Die Landtagskommission hatte sich in entscheidenden Punkten durchgesetzt, so dass letztlich weder das öffentliche Verfahren in peinlichen Sachen, noch gar das Geschworenengericht durchgesetzt werden konnten. Auch hinsichtlich der Pressefreiheit gelangen gravierende Beschränkungen524. Der revidie erste schwere Niederlage für Jordan dar, vgl. Müller, ZHG, 59/60. Band, 1934, S. 194; Kleinknecht, S. 49; Seier, Kurhessische Verfassung, S. 25. 521 Bericht der Landtagskommission an den Kurfürsten vom 4. Dezember 1830, abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 25, S. 93 f. 522 Zur Zusammensetzung des Vermittlungsausschusses siehe den Bericht der Landtagskommission vom 4. Dezember 1830 (siehe vorstehende Fn.) sowie Seier, Akten und Briefe, S. 94 f., insb. Fn. 10 ff.; zur Arbeit des Vermittlungsausschusses vgl. Müller, ZHG, 59/60. Band, 1934, S. 196 f. 523 Bericht des Staatsministeriums an den Kurfürsten vom 29. Dezember 1830, abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 28, S. 99 f.; vgl. Seier, Kurhessische Verfassung, S. 25; Kleinknecht, S. 50.

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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dierte landständische Verfassungsentwurf datierte auf den 31. Dezember 1830. Er wurde in den ersten Januartagen des Jahres 1831 noch einmal beraten, schließlich am 3. Januar 1831 von der Ständeversammlung als Verfassung für den Kurstaat einstimmig gebilligt und von Wilhelm II. am 5. Januar 1831 unterzeichnet und damit in Kraft gesetzt525. Die bereits mit dem Organisationsedikt vorgesehene Trennung von Justiz und Verwaltung wurde nun durch die Verfassung garantiert526. Die Gerichte für die bürgerliche und Strafrechtspflege waren innerhalb ihres richterlichen Berufes in allen Instanzen unabhängig und sollten ohne jede fremde Einwirkung nach den bestehenden Rechten und den verfassungsmäßigen Gesetzen entscheiden527. Das Edikt Friedrich I. aus dem Jahre 1743 bezüglich der Selbstständigkeit der Rechtspflege wurde nun ausdrücklich auf die Strafrechtspflege ausgedehnt528. Das Recht auf den gesetzlichen Richter in bürgerlichen und peinlichen Fällen wurde bestätigt. Insbesondere durften nach § 114 außerordentliche Kommissionen oder Gerichtshöfe, unter welcher Benennung es sei, nicht eingeführt werden. Murhard betrachtete diese Bestimmung als einen wesentlichen Bestandteil der gesamten Verfassung, wenn er in seinem Kommentar zur Verfassungsurkunde bemerkt, dass von allen Satzungen der Verfassungsurkunde keiner als heiliger und unantastbarer zu halten sei529. Dabei sei daran erinnert, dass auch Murhard im Zuge der „Drohbriefaffäre“ im Jahre 1824 in Haft und im Kasseler Kastell festgehalten worden war, bevor er schließlich mangels näherer Beweise wieder freigelassen wurde530. Ferner garantierte § 118 der Verfassungsurkunde, dass keinem Angeschuldigten das Recht der Beschwerdeführung während der Untersuchung, das Recht der Verteidigung oder der verlangte Urteilsspruch versagt werden konnte531. Schließlich sollte der Landesherr nur noch befugt sein, Strafen zu erlassen oder zu mildern. Derselbe sollte dabei bei der Ausübung des 524

Vgl. Seier, Kurhessische Verfassung, S. 35; Grothe, Verfassungsgebung, S. 91. Verfassungsurkunde für das Kurfürstentum Hessen vom 5. Januar 1831, SG, 6. Band, 1831, S. 1 ff.; abgedruckt bei Franz/Murk, S. 235 ff.; der revidierte landständische Entwurf vom 31. Dezember 1830 ist abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 30, S. 101 ff. 526 § 112 im IX. Abschnitt über die Rechtspflege in der Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831. 527 § 123; Zur Bekleidung des Richteramts wurde ein Alter von 24 Jahren und in der höchsten Instanz von mindestens 30 Jahren gefordert, § 122; zur Besetzung der Gerichte siehe das Gesetz vom 1. Juli 1831, SG, 6. Band, 1831, S. 112a. 528 Vgl. dazu A. II. am Ende. 529 Murhard, 2. Abteilung, S. 483. 530 Vgl. Speitkamp, Restauration, S. 571 f. 531 Das Oberappellationsgericht hat auch unter Bezugnahme auf diese Bestimmung am 14. Februar 1835 entschieden, dass dem Angeschuldigten nach geschlos525

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

Rechts der Begnadigung oder Abolition darauf Rücksicht nehmen, dass dem wirksamen Ansehen der Strafgesetze nicht zu nahe getreten werde532. Trotz weiterer Garantien und Sicherungen im Bereich der Strafrechtspflege konnte das Ziel der Gewährleistung eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens in peinlichen Sachen und das Institut der Geschworenengerichte noch nicht einmal in politischen und Pressverfahren von der Ständeversammlung durchgesetzt werden. Auch hier hatte sich die Landtagskommission durchgesetzt. Es blieb so nur die Regelung in § 116 der Verfassungsurkunde, wonach jeder Angeschuldigte, sofern nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens wider ihn vorliegen, der Regel nach gegen Stellung einer angemessenen, durch das Gericht zu bestimmenden Kaution aus seiner Haft ohne Verzug entlassen werden sollte. Alle Urteile über politische und Pressvergehen sollten schließlich mit Entscheidungsgründen öffentlich bekannt gemacht werden, soweit nicht etwa eine Begnadigung der Verurteilten erfolgte, oder ein Privatbeleidigter dagegen Widerspruch einlegt, auch nicht, wenn daraus ein öffentliches Ärgernis entstehen würde. Damit war hinsichtlich der angestrebten Öffentlichkeit gerade in politisch relevanten Verfahren nur ein Minimum erreicht worden. Ebenso erfolgreich war die Landtagskommission in ihrer Abwehrarbeit in Bezug auf das bedeutende Thema dieser Zeit, nämlich bei Formulierung der begehrten Pressefreiheit. So lautete § 37 der Verfassung am Ende: „Die Freiheit der Presse und des Buchhandels wird in ihrem vollen Umfange stattfinden. Es soll jedoch zuvor gegen Preßvergehen ein besonderes Gesetz alsbald erlassen werden. Die Zensur ist nur in den durch die Bundesgesetze bestimmten Fällen zulässig.“

Damit hatte die Regierung erreicht, dass die zu gewährende Pressefreiheit an die fatale Bedingung eines zuvor zu erlassenden Pressegesetzes geknüpft worden war. So hatte es die Regierung in der Hand durch Verhinderung eines entsprechenden Gesetzes die Pressefreiheit entscheidend zu beschneiden, was ihr auch tatsächlich bis zum Jahre 1848 gelingen sollte533. Letztlich hat die Ständeversammlung angesichts der zunächst knappen Vorlage der landesherrlichen Proposition am Ende gleichwohl einiges erreichen können. Insbesondere findet sich in der Verfassungsurkunde ein besener Untersuchung das Recht zustehe, einen förmlichen Urteilsspruch zu erhalten, siehe Heuser, Entscheidungen, 2. Band, S. 396 f. 532 § 126; ausgenommen von dem landesherrlichen Recht der Begnadigung und Abolition waren aber Fälle, in denen eine Verletzung der Verfassung oder eine auf Umsturz gerichtete Unternehmung vorlag. 533 Am 3. Dezember 1830 war der Presseparagraf mit knapper Mehrheit (16 : 14) verabschiedet worden und war bereits in dieser Version ein Sieg der Regierungsvertreter, Grothe, Verfassungsgebung, S. 91; vgl. auch Müller, ZHG, 59/60. Band, 1934, S. 220 ff.; Kaiser, S. 89 f.

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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deutender Katalog von Grundrechten, der auch materiell durch die Bestimmungen über die Rechtspflege ergänzt worden ist, so dass die Stände in keinem Falle als Verlierer aus dem Ringen um die Verfassung hervorgegangen waren. Hinsichtlich der hier interessierenden Öffentlichkeit der Strafverfahren und Entscheidung der Tatfrage durch eine Jury in politischen und Pressverfahren spricht Seier gar von nur „marginalen Rückbildungen, derentwegen fast schon erwirkte antiabsolutistische Sicherungen zuletzt doch Luftschlösser blieben, eine Abwehr, die den Regierungsvertretern kurz vor Toresschluß glückte.“534 Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass zur gleichen Zeit in Bayern und in Baden die Einführung des Instituts der Geschworenengerichte jedenfalls in Pressverfahren konkret auf der Tagesordnung stand und in Bayern fast geglückt wäre. Hier hatte die Regierung die Initiative zur Einführung der Jury ergriffen. Im Zuge der Ereignisse der französischen Julirevolution war es im Jahre 1831 zu Auseinandersetzungen zwischen dem seit 1825 regierenden Ludwig I. und dem liberal gesinnten Landtag über die Presse- und Zensurvorschriften gekommen. Der König verband in den von ihm vorgelegten Gesetzentwürfen die Regelungen über die Pressefreiheit und Zensur mit Bestimmungen über die Strafverfahren im Falle eines Missbrauchs der Pressefreiheit. Dabei war in den Entwürfen vorgesehen, dass die entsprechenden Verfahren ausschließlich vor den neu zu bildenden Geschworenengerichten stattfinden sollten. Die bayerische Regierungskommission hatte die Gesetzesvorlage mit den Worten eingeleitet, dass die Verfolgung der Pressvergehen und Pressverbrechen durch Staatsanwälte, Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens und die Urteilsschöpfung durch Geschworene die Schlusssteine seien, welche dem ganzen System der Gesetzgebung über die Presse das Siegel der Vollendung aufdrücken würden535. Die Kammer der Reichsräte war bereit gewesen, die Entwürfe des Königs einheitlich zu akzeptieren. Nicht aber die Abgeordnetenkammer, die den Verfahrensvorschriften mit der vorgesehenen Schwurgerichtsbarkeit zustimmen wollte, jedoch weiterhin die völlige Abschaffung der Zensur forderte. Hieran scheiterte das Projekt, da Ludwig I. an der Verbindung von Zensurregelungen und den vorgesehenen Verfahrensvorschriften unter Einbeziehung des Geschworenengerichts festhielt536. Auch in Baden war die Frage der Schwurgerichtsbarkeit bei den Verhandlungen über das neue Pressegesetz, mit welchem die Zensur grundsätzlich beseitigt werden sollte, ausführlich behandelt worden. Beide badischen Kammern beantragten, in das zu verabschie534

Seier, Akten und Briefe, Einleitung, S. XLII f. Siehe Bericht von Pfeiffer I. als Vorsitzendem des Rechtspflegeausschusses im Rahmen der Verhandlungen über den Entwurf eines Pressegesetzes vom 24. April 1832, enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 536 Landau, S. 256 f.; vgl. zu den Verhandlungen auch Schwinge, S. 59 ff. 535

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dende Pressegesetz das Geschworenengericht in den Verfahren wegen Pressdelikten vorzusehen. Dies wurde jedoch von der Regierung abgelehnt, da rücksichtlich des Gesamtbaus des Strafprozesses die Einführung der Jury allein für den speziellen Fall der Pressdelikte sich verbiete537. Die Einführung der Geschworenengerichte sollte noch ausgesetzt bleiben, weil vor der Ausbildung eines allgemeinen Strafverfahrens eine Anstalt, die nur einen Teil des Ganzen, aber den wesentlichen Teil, ausmache, in ihrer isolierten Stellung ein reifes, im Zusammenhang durchdachtes, Werk nicht sein könne538. So blieb nicht nur in Kurhessen die Forderung nach den Geschworenengerichten den künftigen Debatten über die Pressefreiheit und grundsätzliche Reformen im Strafverfahren vorbehalten. 2. Aufkeimende Öffentlichkeit und der Aspekt der Schwurgerichtsbarkeit bei den Verhandlungen über das Pressegesetz So wie in Bayern und Baden wurden die Aspekte der Gerichtsöffentlichkeit und der Schwurgerichtsbarkeit im Zusammenhang mit den Verhandlungen über das im Rahmen der Verfassungsurkunde in Aussicht genommene Pressegesetz zur Sprache gebracht. Wie bereits die vorangegangenen Verfassungsverhandlungen fanden die diesbezüglichen Landtagsdebatten vor dem Hintergrund einer politisierten Öffentlichkeit statt. a) Politische Öffentlichkeit zu Beginn der 30er Jahre Die revolutionären Ereignisse der Pariser Revolution erschienen als Initialzündung für ein bedeutendes Aufkeimen des öffentlichen Lebens auch in Kurhessen zu Beginn der 30er Jahre, wenngleich es bereits wenige Jahre später insbesondere wegen verstärkter Maßnahmen des Bundes gegen die aufgekommenen „demagogischen Umtriebe“ wieder abzusterben begann. Die ersten öffentlichen Regungen besaßen noch im Wesentlichen soziale und wirtschaftliche Hintergründe, begleitet durch akute Notlagen des Alltags. Der noch immer schwelende Hauskonflikt trat als politischer Anlass hinzu. Der besondere Groll galt weiterhin der Anhänglichkeit des Kurfürsten an die Gräfin Reichenbach. Die Unruhen waren dabei über ganz Kurhessen verbreitet mit den Schwerpunkten in Kassel und Hanau. Seier539 beschreibt die Situation im Vorfeld der kurfürstlichen Verfassungsankündigung: 537

Vgl. Schwinge, S. 58 f.; Hahn, S. 45; Landau, S. 260. Siehe den Bericht von Pfeiffer I. vom 24. April 1832, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 539 Seier, Akten und Briefe, Einleitung, S. XXXV f. 538

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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„ein massenhafter Sozialprotest, wenn auch in vormärznotorischer Form, also spontan, ohne Lenkung, ohne greifbares Ziel, vordergründig gerichtet gegen Reichtum im Sichtbereich, hintergründig gegen Hochgestellte mit BösewichtImage.“

Einen anderen, nämlich deutlich politisch fordernden Charakter hatten die öffentlichen Ereignisse in Marburg zum Ende des Jahres 1830. Noch bevor die Ständeversammlung mit den eingehenden Verhandlungen über die landesherrliche Proposition einer Verfassung begann, wurde am 22. Oktober 1830 eine von der Regierung vorgelegte „Verordnung zur Sicherstellung der öffentlichen Ruhe“ erlassen540. Weitere Unruhen und Einwirkungen auf die Verfassungsberatungen sollten so verhindert werden. Bei Gefahr einer Ruhestörung sollten die örtlichen Behörden eine Ausgangssperre verhängen, Wirtshäuser schließen und jede Zusammenrottung von mehr als vier Personen untersagen dürfen. Als aufrührerisches Verbrechen galt bereits eine gegen die Behörden gerichtete Demonstration, die das Ziel verfolgte, eine Rücknahme oder Herbeiführung einer Entscheidung zu erwirken. Entsprechende Versammlungen und gar Lärm wurden unter Strafe gestellt. Diese Maßnahmen führten zu arger Enttäuschung, hatte man doch nach Einberufung der Stände und der auf der Tagesordnung stehenden Verfassungsgebung mehr politischen Freiraum erwartet. Die Marburger Bürger wandten sich an die Landstände und kritisierten scharf die verordnete Unterbindung öffentlicher Aktionen und Debatten. Der Regierung wurde vorgeworfen, sie wolle wie 1815/16 eine Verbesserung der Zustände verhindern und namentlich das freie Sprechen und die Zusammenkunft zur Beratung der gemeinsamen Wohlfahrt unterdrücken541. Die Marburger Bürger kämpften weiter um die Erlaubnis, Bürgerversammlungen im Rathaus abhalten zu dürfen und gerieten hiermit in Konflikt mit den örtlichen Behörden. Verständnisvoll und mäßigend wirkte allerdings der seit dem Jahr 1821 in Marburg als Regierungsdirektor amtierende Ferdinand Schenck zu Schweinsberg. Er hatte sich bereits am 22. Oktober 1830 an seine „geliebten Mitbürger“ gewandt und bat um Vertrauen in die Arbeit der versammelten Landstände542. Die Regierung hatte zuvor am 18. Oktober 1830 ein Verbot allgemeiner Versammlungen angeordnet. Allein die Zunftmeister und die Vertreter der Bürger ohne Zunftzugehörigkeit sollten nach schriftlicher Einladung im Rathaus zusammenkommen dürfen. Die Bürger blieben aber bei ihrer Forderung nach allgemeinen Bürgerversamm540 SG, 5. Band, 1830, S. 135; allein Sylvester Jordan hatte sich gegen diese Verordnung ausgesprochen; es fehle nach seiner Auffassung an Mitteln zu deren Vollziehung und zugleich vermisse er Strafandrohungen gegen „bedrückende Beamte“, siehe Kleinknecht, S. 35. 541 Dazu Kleinknecht, S. 35 f. 542 Dazu Krafft Schenck zu Schweinsberg, S. 91 f.

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lungen. Der diesbezügliche Konflikt mit der Regierung führte zu den berühmten „Verwahrungen der Stadt Marburg“543. Federführend war der in Marburg als Obergerichtsanwalt fungierende Heinrich Henkel, der seit Anfang Dezember 1830 den Vorsitz in den regelmäßigen Bürgerversammlungen übernahm544. In diesen Schriften wurde das natürliche Menschenrecht auf Versammlungsfreiheit geltend gemacht545. Hier interessieren die Ausführungen zu den Mitwirkungsrechten und die unmittelbare Teilhabe des Volkes an öffentlichen Aufgaben. Sie erinnern zunächst an die Überlegungen von Siegmund Peter Martin in seiner Schrift „Über landständische Verfassung mit besonderer Anwendung auf Kurhessen“, in der die Notwendigkeit der Ausbildung und Erziehung der Menschen zur effektiven Mitwirkung im Staate herausgestellt worden ist546. Martin hatte allerdings hinsichtlich der Befähigung der Bürger zur unmittelbaren Teilhabe ob deren Erziehungs- und Bildungsstand und mangelnder Übung in der Redekunst Bedenken vorgetragen. In den Verwahrungen an das kurhessische Innenministerium vom 26. November 1830 wird nun das Recht auf freie Versammlung der Bürger geltend gemacht. Der Staat sei dazu da, durch Sicherstellung des Eigentums und der Freiheit einem jeden Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, nach eigener Überzeugung zu tun und zu lassen, was er glaube. Es stehe dem Staat nicht zu, den Untertanen die Mitteilung ihrer Gedanken und deshalbige Zusammenkünfte zu verwehren, denn dadurch geschehe niemand, weder an seiner Person noch an seinem Eigentum ein Schaden. „Das Ding will Übung haben“547. Sodann wurden das Defizit an unmittelbaren Beteiligungsmöglichkeiten bei der staatlichen Meinungsbildung und mangelndes Verständnis in Bezug auf die Bedürfnisse und Ansichten der Bürger auf Seiten der Regierung herausgestellt: „Wir würden wohl zu manchen guten Gedanken und mancher Kenntnis gelangen und mitunter von unrichtigen Ansichten der Maßregeln der Behörden zurückgebracht werden, diese aber würden dagegen auch uns und unsere Bedürfnisse besser kennen lernen; die Wirkungen der Gesetze auf das Volk aus der ersten Hand empfangen und besonders sich überzeugen, daß das Volk keineswegs eine vernunft- und kenntnislose Herde sei, welche sich nur durch Gewalt regieren 543 „Verwahrungen der Stadt Marburg“ sowie „Die Stadt Marburg an den Landtag in Cassel“, gedruckte Exemplare in den Akten Hess. StA Marburg, 340 Henkel Nr. 17. 544 Grothe, Neigung, S. 86. 545 Vgl. dazu Bullik, S. 52 ff.; Kleinknecht, S. 42 ff. 546 Vgl. zu den skeptischen Ansichten Jordans zu diesem Aspekt in Bezug auf die „beweglichen Massen“, Kleinknecht, S. 13 f. 547 Verwahrungen der Stadt Marburg, Hess. StA Marburg, 340 Henkel Nr. 17.

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lasse, sondern daß viel gutes Urtheil, gar manche Kenntnis und sehr viel guter Wille unter uns verbreitet, und daß man uns nur gute Einsicht und ein redliches Herz zeigen brauche, um uns zu gewinnen und alle Wege der Vernunft zu leiten.“

Die Marburger Bürger richteten sich schließlich an den Landtag. In ihrer Schrift vom 18. Dezember 1830548 betonten sie, dass die unbedingte Schreib- und Sprechfreiheit das beste Mittel zur Fortbildung des Menschen in jeder Hinsicht und die beste Schutzwehr der bürgerlichen Freiheit sei549. Hinsichtlich des Zustandes der Justiz wurde moniert, dass die äußere Beschaffenheit der Gesetze der Kenntnis derselben hinderlich sei. Besonders fühlbar sei der Mangel angemessener Strafgesetze. Da die älteren nicht mehr beachtet würden, entscheide Willkür550. Überall bestehe erhebliche Arbeitsüberlastung. Das Personal sei zum Teil unfähig. Daher wurden die Forderungen nach einem neuen Gesetzbuch, besserer Gerichtsverfassung, vollzähliger Besetzung der Gerichte, Entfernung der untauglichen Gerichtspersonen und angemessenen Gerichtslokalen erhoben. Diese zuletzt genannten Begehren betrafen allerdings in der Hauptsache die Zivilgerichtsbarkeit. Schließlich noch als demokratisches Element die Forderung, dass jeder Einzelne wählen und gewählt werden dürfe. Einzelne Volksklassen dürften nicht besonders repräsentiert werden551. Diese Petition wurde am 7. Januar 1831 in der Sitzung der Ständeversammlung verlesen und stieß dort auf Unverständnis insbesondere auch deshalb, weil die Darlegungen und Forderungen der Marburger Bürger öffentlich verbreitet worden waren und die Schrift „dem Vernehmen nach höchst nachtheilig auf die niederen Classen eingewirkt habe“552. Die Marburger Petitionen ragten durch ihr frei und unverhüllt vorgetragenes Selbstbewusstsein über die übrigen Eingaben und Schriften in dieser auch wirtschaftlich sorgenvollen Zeit hinaus. In einem persönlichen Brief wandte sich Ferdinand Schenck zu Schweinsberg direkt an Heinrich Henkel und kritisierte bei allem bis dahin gezeigten Verständnis und bei Zustimmung in Teilfragen, dass dessen Schrift einen Geist der Ungebundenheit rücksichtlich der bestehenden Gesetze und der Auflösung der bestehenden Rechtsverhältnisse atme, der zu den nachteiligsten Folgen führe, eine Neigung zur Widersetzlichkeit und zum Aufruhr erregen könne553. Grothe sieht in der Schrift aus dem Dezember 1830 nur eine „begrenzte Radikalität“554. Die Marburger Petitionen blieben als frühe provokant-programmatische Lebensäußerung 548 549 550 551 552 553 554

Die Stadt Marburg an den Landtag in Cassel, 1830. Ebd., S. 19. Ebd., S. 20. Ebd., S. 22. Zitiert bei Kleinknecht, S. 45. Dazu Krafft Schenck zu Schweinsberg, S. 92. Grothe, Neigung, S. 90 f.

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aus den Anfängen des kurhessischen Liberalismus Episode555. In der Tat standen die Freiheitsgedanken, die Beseitigung wirtschaftlicher Hemmnisse unter Abschaffung des Zunftzwangs und der Privilegien der Hochgestellten im Vordergrund. Eine unmittelbare Beteiligung an staatlichen Einrichtungen, wie insbesondere in der Strafrechtspflege, fand keine Erwähnung. Jedenfalls in dieser Hinsicht fehlte es noch an einem gehörigen Selbstbewusstsein. Auch nach Verkündung der Verfassung Anfang des Jahres 1831 kehrte in Kurhessen keine Ruhe ein. Die seit dem Vorjahr eingetretene Politisierung der Öffentlichkeit änderte ihren Charakter und ihre Ausdrucksformen. Der zunächst im Wesentlichen durch wirtschaftliche und soziale Not geprägte Protest schwenkte um auf vornehmlich nationale und liberale Bestrebungen. Die Debatten erhielten nun mit den zusammengetretenen Ständeversammlungen, dem sich entwickelnden Vereinswesen und nicht zuletzt durch die sich herausbildende liberale Presselandschaft neue wirkmächtige Foren. Pflegte man politische Debatten der Bürger untereinander vornehmlich im Wirtshaus zu führen, so ging man wegen der Restriktionen des Vereinsrechts dazu über, größere politisch motivierte Veranstaltungen als sogenannte Volksfeste abzuhalten. Den Höhepunkt bildete das Hambacher Fest am 27. Mai 1832 bei Neustadt in der Pfalz, bei dem sich 20.000 bis 30.000 Teilnehmer zum „Nationalfest der Deutschen“ trafen556. Hauptakteure waren die beiden Publizisten Johann Georg Wirth aus München und Philipp Jakob Siebenpfeiffer aus der Pfalz557. Es gab einen Festzug und Fahnen, darunter das „Schwarz-Rot-Gold“ der Burschenschaften. Die Reden waren zum Teil radikal. Man kritisierte das Erreichte als ungenügend. Gegen den etablierten Liberalismus ertönte der Ruf nach „Volkssouveränität gegen monarchische Legitimität und jede Vermittlung“558. Gleichwohl war dies nicht der ernsthafte Auftakt zum Umsturz. Nipperdey resümiert: „Und trotz der radikalen Rhetorik war die Mehrheit der Festteilnehmer und Redner nicht revolutionär, niemand hatte eine politische Strategie, und es gab noch keine kritische Masse der Revolution. Es war mehr radikal-liberaler Protest als der Beginn einer Revolution.“559

Die Reaktionen in Kurhessen waren ablehnend. Iseler verweist darauf, dass weder „Der Verfassungsfreund“ noch die „Neue Kasseler Zeitung“ als die bedeutendsten Pressorgane sich mit den Rednern des Hambacher Festes 555

Ebd., S. 96. Vgl. zum Ablauf Nipperdey, S. 369 ff.; Wehler, 2. Band, S. 365 f.; von Treitschke, S. 426 f.; Auch aus Kassel, Marburg und Hanau waren Bürgerabordnungen angereist, vgl. dazu Grothe, Verfassungsgebung, S. 208. 557 Vgl. von Treitschke, S. 424, mit abschätziger Charakterisierung. 558 Nipperdey, S. 370. 559 Ebd., S. 371. 556

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identifizierten560. In seiner Ausgabe vom 13. Juni 1832 verwies „Der Verfassungsfreund“ auf die doch überspannten Reden von Wirth und Siebenpfeiffer. Gleichwohl wird aber grundsätzlich die Nützlichkeit solcher Festveranstaltungen und öffentlicher Beratungen herausgestellt, von denen man ebenso „freisinnigen, als gesetzmäßigen Gebrauch“ machen solle561. Nach dieser bis zum Jahr 1848 größten Massenveranstaltung wurden noch einige weitere kleine Feste veranstaltet. Unter anderem lud die Hanauer Sektion des von Wirth und Siebenpfeiffer gegründeten Preß- und Vaterlandsvereins zu einem Volksfest in Wilhelmsbad ein562. Trotz erheblicher Bedenken auf Seiten des kurhessischen Regenten wurde die Veranstaltung nicht untersagt. Das Innenministerium setzte darauf, dass radikale Exzesse unterblieben. Bereits am 19. Februar 1832 hatte in Gießen ein „Fest der Freunde Hessischer Eintracht“ mit rund 300 Teilnehmern stattgefunden. Es verlief in geordneten Bahnen. Die Verfassung und die notwendige Fürstentreue wurden dabei nicht offen in Frage gestellt563. So beschränkte man sich auch bei dem angekündigten „Mittagsmahl“ in Wilhelmsbad auf polizeiliche Überwachung564. Zunächst verlief die Versammlung mit rund 8.000 Teilnehmern ohne größere Aufregung565. Zum Präsidenten der Gesellschaft wurde der Fuldaer Journalist Johann Adam Förster566 gewählt. Etwa dreihundert Teilnehmer hatten sich in Stuben zum Speisen und Debattieren versammelt, was für Missmut bei den draußen Gebliebenen sorgte. Jedenfalls entwickelte sich dann doch noch einiger Tumult. Nach einer aufregenden Rede eines Heidelberger Burschenschafters, der schon in Hambach zu den radikaleren Rednern gehört hatte, wurde eine allegorische Lithografie zum Kauf angeboten, die die Reaktion der anwesenden Obrigkeit hervorrufen musste. Beim Versuch des Polizeidirektors, die Bilder zu konfiszieren, kam es zu erheblicher Unruhe und Auflehnung gegen die Polizei. Besonnene Teilnehmer der versammelten Gesellschaft verhinderten die Eskalation. Der Lithografie567 mit dem Titel „Der Sieg des Bürgerthums“ war ein Blatt mit Erläuterungen beigefügt, welche die abgebildete Szenerie beschrieben: 560

Iseler, S. 95 f. Der Verfassungsfreund, Nr. 47, 13. Juni 1832, S. 397 f. 562 Dazu ausführlich Tapp, S. 158 ff. 563 Vgl. dazu Bullik, S. 279 f. 564 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Regenten und dem Innenminister Hassenpflug im Vorfeld des Festes, Grothe, Verfassungsgebung, S. 210. 565 Über den Ablauf der Versammlung berichtete Gendarm Brandes am gleichen Tage an das Innenministerium, abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 62, S. 190 ff. 566 Förster war wegen Teilnahme an staatsgefährlichen Verbindungen und Hochverrats im Jahre 1826 zu Festungshaft verurteilt worden, siehe dazu unter C. I. 3. 561

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„Der als Lenker der Staaten und Völker dargestellte und personifizierte ‚Weltgeist‘ führt mittelst der freien konstitutionellen ‚Verfassungen‘, (welche durch die Inschrift einer Standarte angedeutet sind) den politischen ‚Staatenwagen der 5 Grossmächte Europas‘, die – trotz allem Sträuben und Zurückhalten der ‚Absolutisten und Aristokraten‘, (angedeutet durch 10 verschiedene Individuen) – zum ‚Tempel des Heils und des Friedens‘, dessen Säulen das ‚Gesetz‘ die ‚Gerechtigkeit‘ und ein wechselseitiges Vertrauen zwischen Fürst und Volk sind, und der von oben geschirmt ist durch den ‚Dom des wahren Christenthums‘, welches auf ‚Aufklärung‘ und ‚Gewissensfreiheit‘ beruht. – Unaufhaltsam eilen die Rosse des Staatenwagens, geleitet an den ‚Zügeln der Schwurgerichte, Volksvertretungen, Pressfreiheit und Bürgerbewaffnung‘, dem erhabenen Ziele näher, und damit der Wagen auf seiner aufwärts gehenden Bahn nicht wieder zurückrolle in das hinter ihm liegende Grauen eines verfinsterten Zeitalters, – wo nur die drückenden Formen des ‚Feudalismus‘, der Zwinger der ‚Inquisition‘, die ‚Geissel des Despotismus‘, und das ‚Erz der rohen Gewalt‘ die Völker beherrschte und zu Boden schlug – wälzt der ‚Genius der Freiheit‘ (unser Zeitgeist) durch seine gefeierten Organe (v. Rotteck, Jordan, Welker, und von Raumer) 4 gewaltige Steine hinter die Räder . . .“568.

Hier erscheint die Schwurgerichtsbarkeit mit implizierter Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Strafverfahren als ganz wesentliche Voraussetzung für die Erreichung der liberalen Ziele und ein Obsiegen des Bürgertums. Und in der Tat sollte dies bald eindrucksvoll unter Beweis gestellt werden. Die Organisatoren des Hambacher Festes Wirth und Siebenpfeiffer569 mussten sich im Jahre 1833 wegen ihrer dort gehaltenen Reden vor einem Geschworenengericht in Landau verantworten. Sie nutzten die Gunst der Stunde. Der Öffentlichkeit wurde die besondere Bedeutung der Schwurgerichtsbarkeit vor Augen geführt. Dabei wurden die politischen Auffassungen der sich nun alsbald trennenden liberalen und demokratischen Bewegungen vor dem Publikum entwickelt und auf Flugblättern verbreitet. Beeindruckt durch den Schwung und die ehrliche Begeisterung der Protagonisten wurden die Geschworenen, wie auch die anwesende Öffentlichkeit, mitgerissen und gar zu lärmendem Beifall verleitet. Die Angeklagten wurden freigesprochen, obwohl die Rechtslage eigentlich dagegen sprach570. In seiner Ausgabe vom 27. August 1833 berichtete der „Verfassungsfreund“ über die Freisprechung der Hambacher Akteure. Diese habe im ganzen Rheinkreise große Freude erregt. Überall seien Feste veranstaltet 567 Siehe die Abbildungen Nr. 12 und 13 bei Seier, Akten und Briefe, nach S. 192; vgl. auch Tapp, S. 168 ff. 568 Zur Herkunft der Lithografie siehe Seier, Akten und Briefe, S. 192, Fn. 23. 569 Wirth und Siebenpfeiffer waren noch auf der Anreise zum Fest in Wilhelmsbad verhaftet worden, vgl. Seier, Akten und Briefe, S. 190, Fn. 4. 570 Vgl. dazu Schwinge, S. 49; siehe auch Wehler, 2. Band, S. 366, mit dem Hinweis, dass anschließend doch noch eine Verurteilung durch das Zuchtpolizeigericht erfolgte.

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und Reden gehalten worden, die allerdings schon wieder manchen Enthusiasten den Kerker geöffnet haben. Die Stimmung sei um so bedenklicher, als die Herren Wirth und Siebenpfeiffer nicht gegen Kaution in Freiheit gesetzt worden seien571. Sie wurden nun zuchtpolizeilich angeklagt und nach Frankenthal (Siebenpfeiffer) und Kaiserslautern (Wirth) abgeführt572. Die überragende öffentliche Wirkung der Auftritte vor den Geschworenen in Landau blieb jedoch ungebrochen. Die Vorgänge seit 1830 und die öffentliche Wirksamkeit der organisierten politisch motivierten Versammlungen waren freilich Wasser auf die Mühlen Metternichs. Der Bund reagierte zunächst mit dem Erlass der Sechs Artikel vom 28. Juni 1832, mit denen die Volksvertretungen der Länder zur Aufrechterhaltung der gesetzlichen Ordnung in ihren Rechten beschränkt werden sollten. Es folgten sodann die weiteren Zehn Artikel des Bundes vom 5. Juli 1832573. Vereine, welche politische Zwecke verfolgen, sollten in allen Bundesstaaten verboten werden. Volksversammlungen und Volksfeste durften ohne vorherige Genehmigung nicht mehr stattfinden. Wurden sie genehmigt, so durften jedenfalls keine politischen Reden mehr öffentlich gehalten werden. Zensur und Maßregelungen bezüglich der Burschenschaften wurden bekräftigt. Die Zehn Artikel wurden mit Verordnung vom 21. Juli 1832 in Kurhessen bekannt gegeben574. Bereits mit Verordnung vom 7. Juli 1832 war ein allgemeines Versammlungsverbot ausgesprochen worden. Die Erfahrungen der neueren Zeit hätten hinlänglich bewiesen, dass eine auf die allgemeine Empörung Deutschlands und des Umsturzes der gesetzlichen Ordnung hinarbeitende Partei danach trachte, ihre Zwecke hauptsächlich auf besonders veranlassten, vorgeblich zur Kräftigung des deutschen Sinnes und dergleichen Vorwände, Versammlungen zu erreichen. Es seien durchgängig öffentliche, Unzufriedenheit erregende, selbst auf Hochverrat abzielende Reden gehalten worden. Diese erfüllten die Strafbestimmungen des § 24 der Verordnung vom 22. Oktober 1830575 und würden daher nicht mehr geduldet. Alle öffentlichen Versammlungen und sogenannten Volksfeste würden daher untersagt. Die Behörden hätten dies zu überwachen und notfalls die Versammlung mit bewaffneter Macht auseinander zu treiben576. In Folge dieser 571

Der Verfassungsfreund, Nr. 114, 27. August 1833, S. 624. Der Verfassungsfreund, Nr. 116, 29. August 1833, S. 632. 573 Abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 134 f. 574 SG, 6. Band, 1832, S. 221 ff.; Die Sechs Artikel wurden am 18. Juli 1832 bekannt gegeben, SG, 6. Band, 1832, S. 217 f.; zu den Reaktionen in Kurhessen siehe Grothe, Verfassungsgebung, S. 220. 575 Mit einer Verordnung vom 22. Oktober 1830 mit weitreichenden Strafbestimmungen sollte die öffentliche Ruhe gewährleistet werden; SG, 5. Band, 1830, S. 135, 139. 572

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restriktiven Maßnahmen insbesondere des Bundes sollte das öffentliche Leben alsbald wieder absterben. Auf dem Wollenberg bei Wetter hatte noch am 2. Juli 1832 eines der letzten Volksfeste in Deutschland stattgefunden577. Die öffentlichen Debatten fanden in den kommenden Jahren im Wesentlichen in den Ständeversammlungen statt578. b) Die Verhandlungen über das Pressegesetz Vor diesem Hintergrund und beeinflusst durch diese Ereignisse fanden auf dem kurhessischen Landtag die Verhandlungen über das in der Verfassung vom 5. Januar 1831 vorgesehene Pressegesetz statt. Nach dem Landtagsabschied vom 9. März 1831 sollten zum nächsten Landtag Entwürfe von Gesetzen vorgelegt werden, auf welche die Verfassungsurkunde hinweist, so unter anderem in § 37 in Bezug auf die in Aussicht gestellte Pressefreiheit579. Noch vor Beginn dieser Verhandlungen und einen Tag nach dem genannten Landtagsabschied hatte jedoch Kurfürst Wilhelm II. Kassel am 10. März 1831 verlassen. Erhebliche Unzufriedenheit wegen seiner umstrittenen Personalpolitik zu Beginn des Jahres580 und erheblicher Protest der Kasseler Bürger wegen des Erscheinens der kurfürstlichen Mätresse581 hatten ihn bewogen, nach Hanau zu reisen und seine Residenz schließlich im April 1831 nach Wilhelmsbad zu verlegen. Wilhelm II. kehrte bis zu seinem Tode im Jahr 1847 nicht mehr nach Kassel zurück. Erst Ende September 1831 sollte die herrscherlose Übergangszeit in Kurhessen ihr Ende finden. Kurprinz Friedrich Wilhelm582 wurde als Mitregent eingesetzt. Der 576 SG, 6. Band, 1832, S. 181 f.; siehe auch Seier, Akten und Briefe, Dok Nr. 64, S. 195 f., wegen der entsprechenden Anordnungen des Innenministeriums an die Regierungen. Ein Verbot des Tragens der schwarz-rot-goldenen Kokarde war bereits am 26. Juni 1832 angeordnet worden, ebd., Dok. Nr. 63, S. 194 f. 577 Grothe, Verfassungsgebung, S. 215. 578 Zur Entwicklung der Presselandschaft siehe nachfolgend unter c). 579 Siehe § 4 des Landtagsabschiedes vom 9. März 1831, SG, 6. Band, 1831, S. 92, 94 f. 580 Vgl. zu den umstrittenen Personalveränderungen durch den Kurfürsten vom 4. Januar 1831 und den weiteren Neubesetzungen insbesondere in den kurhessischen Ministerien, Grothe, Verfassungsgebung, S. 116 ff.; vgl. auch Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 36 und 37, S. 137 ff. 581 Die Gräfin Reichenbach war am 10. Januar 1831 in Kassel erschienen und reiste wegen erheblicher Proteste bereits am nächsten Tage wieder ab; vgl. Grothe, Verfassungsgebung, S. 119 f.; siehe auch Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 34, S. 135. 582 Friedrich Wilhelm (1802–1875) war einziger Sohn des Kurfürsten mit Prinzessin Auguste von Preußen und bemühte sich nach Übernahme der Regentschaft um Annäherung an Preußen; vgl. dazu Grothe, Verfassungsgebung, S. 160 ff.; dort, S. 161, findet sich auch die wenig schmeichelhafte Charakterisierung des Kurprin-

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Kurfürst hatte sich jedoch mit seiner Abreise aus Kassel auch in sein politisches Abseits begeben, so dass sein Sohn nun faktisch die alleinige Regentschaft übernahm583. Mit Gesetz vom 30. September 1831584 war die Stellung des Kurprinzen formell bekannt gemacht worden. Danach wurde er als Mitregent dergestalt angenommen, dass alle die Staatsregierung betreffenden, landesherrlichen Beschlüsse und Verfügungen gemeinsam mit dem Kurfürsten erlassen und unterzeichnet werden sollten. Bis zu dem Zeitpunkt allerdings, zu dem der Kurfürst seine Residenz wieder in Kassel aufnehmen werde, sollte seinem Sohn die alleinige und ausschließliche Besorgung aller Regierungsgeschäfte übertragen sein585. Da der Kurfürst nicht mehr nach Kassel zurückkehren sollte, wurde das Jahr 1831 zum Beginn der Regentschaft des letzten kurhessischen Kurfürsten. Zugleich wurde mit dem Weggang des Kurfürsten Wilhelm II. der politische Aufstieg des bald in das Amt des Staatsministers berufenen Ludwig Hassenpflug586 ermöglicht. In den Beginn seiner Amtszeit fielen die zum nicht unerheblichen Teil erfolgreichen gesetzgeberischen Aktivitäten, aus denen die in der Verfassungsurkunde vorgesehenen und im Landtagsabschied vom 9. März 1831 angekündigten sogenannten organischen Gesetze hervorgehen sollten587. Die hier besonders interessierenden Gesetzesvorhaben scheiterten jedoch. Das Pressegesetz wurde nicht verwirklicht. Eine Strafprozessordnung oder ein Strafgesetzbuch wurden zunächst überhaupt nicht ernsthaft in Angriff genommen. Bei den Verhandlungen über das in Aussicht genommene Pressegesetz war insbesondere streitig, ob die Strafverfahren bei Verstößen gegen Pressevorschriften öffentlich durchgeführt werden sollen. Nachdem ein erster Entwurf vom 3. Mai 1831 hinsichtlich des Strafverfahrens keine besonderen zen „als ungebildet und geistig desinteressiert, unsicher und verschlossen, schroff und eigenwillig“; vgl. auch Seier, Handbuch, S. 76; ADB, 7. Band, S. 528 ff. 583 Vgl. Grothe, Verfassungsgebung, S. 147 ff. 584 Gesetz wegen der Mitregierung, SG, 6. Band, 1831, S. 127; auch abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 46, S. 156 f. 585 § 2 des Gesetzes über die Mitregierung vom 30. September 1831. 586 Hans Daniel Ludwig Hassenpflug (1794–1862) war nach seinem Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen von 1821–1831 Assessor beim Oberappellationsgericht in Kassel, seit März 1832 Referent und Mitglied des Gesamtstaatsministeriums und ab Mai 1832 zunächst provisorischer Innen- und Justizminister; nach zwischenzeitlicher Ablösung als Justizminister sodann wirklicher Innen- und Justizminister bis 1837 und noch einmal 1850–1855, vgl. Seier, Akten und Briefe, S. 132, Fn. 2. Zur Person Hassenpflugs und seinem Verhältnis zu Kurprinz Friedrich Wilhelm siehe Grothe, Verfassungsgebung, S. 197 ff.; vgl. auch Ham, Verfassung, S. 145 f. 587 Zu den einzelnen Gesetzeswerken und den Anteilen Hassenpflugs siehe die kritische Würdigung bei Grothe, Verfassungsgebung, S. 425 ff. und 477 ff.

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Vorschriften enthielt, ordnete ein der Ständeversammlung vorgelegter erweiterter Regierungsentwurf vom 19. Dezember 1831 in seinem § 41 an, dass bei Untersuchungen der im Gesetz bezeichneten Verbrechen und Vergehen das gewöhnliche, tunlichst zu beschleunigende Verfahren Statt haben sollte588. Weiter heißt es: „Nach geschlossener Untersuchung erkennen die Obergerichte zuerst über die Schuld, und sodann, wenn der Angezeigte für schuldig erklärt wird, über die Strafe. Über die Schuld sollen die Richter, gleich Geschwornen, nur nach der, durch die Verhandlungen in ihnen begründete, freien Überzeugung stimmen.“

In § 42 war schließlich vorgesehen, dass in zweiter Instanz das Oberappellationsgericht hinsichtlich des Schulderkenntnisses nur im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde wegen Mangels der Form zu entscheiden habe. Hinsichtlich des Erkenntnisses über die Strafe sollte die gewöhnliche Berufung stattfinden. Nach § 43 sollte entsprechend der Regelung in § 116 der Verfassungsurkunde von der Veröffentlichung des Urteils abgesehen werden, wenn eine Begnadigung erfolgte. Die Regelung in § 41 des Entwurfs muss schon als Provokation bezeichnet werden, war es doch nach Wegfall formaler Beweisregeln unbedingtes Ziel der Kritiker des Inquisitionsprozesses, eine Entscheidung durch beamtete Richter allein aufgrund deren „innerer Überzeugung“589 zu vermeiden590. So hatte bereits Obergerichtsanwalt Schwarzenberg591 in einem Beitrag für den „Verfassungsfreund“ vom 4. Januar 1832 die in § 41 des Regierungsentwurfes vorgesehene Regelung kritisiert592. Er ließ dabei zunächst die Frage offen, ob Geschworenengerichte in Kurhessen grundsätzlich nützlich seien. Für diese spräche die Unabhängigkeit von der Regierung. Es gebe aber auch Nachteile. In keinem Falle jedoch böte die vor588 Vgl. dazu Hitzeroth, S. 99; Der Regierungsentwurf sowie die nachfolgend erwähnten Berichte des Landtagsausschusses sowie die Stellungnahme des Landtagskommissars Eggena sind enthalten in den Akten StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band; die Regierungsentwürfe sind auch abgedruckt bei Hitzeroth, S. 146 ff. 589 Siehe dazu unter A. III. 2. 590 Vorbild für dieses Konzept scheinen allerdings die Regelungen in Holland, Italien und im Königreich Neapel gewesen zu sein, wo das französische Kriminalverfahren eingeführt worden war, die Einrichtung der Geschworenengerichte aber nicht beibehalten werden sollte; vgl. in diesem Zusammenhang zur Problematik einer Urteilsfällung durch rechtsgelehrte Richter ohne gesetzliche Beweistheorie Mittermaier, S. 118 ff.; zu einer vergleichbaren Problematik in der preußischen Gesetzgebung siehe von Savigny, GA, 6. Band, S. 469, 483. 591 Johann Daniel Wilhelm Ludwig Schwarzenberg (1787–1857) war seit 1814 Obergerichtsanwalt in Kassel und 1833–1850 Mitglied der Ständeversammlung und mehrmals dessen Präsident bzw. Vizepräsident; 1809 Teilnehmer am Dörnbergschen Aufstand, vgl. Lengemann, MdL, S. 352. 592 Der Verfassungsfreund, Nr. 1, 4. Januar 1832, S. 6.

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gesehene Regelung einen Ersatz für Geschworene. Der Richter dürfe nur nach den Akten und den Gesetzen, niemals aber nach seiner individuellen moralischen Überzeugung urteilen. Letztere müsse ganz in den Hintergrund treten, wenn das zur Bestrafung zu ziehende Faktum nicht juristisch erwiesen sei. Wenn man daher auch das Urteil über den faktischen Tatbestand des Verbrechens nach den Erfordernissen der Gesetze von dem Urteil über die zu erkennende Strafe trennen wolle, so dürfe doch jedenfalls eine Abweichung, wie dies die vorgesehene Regelung zu beabsichtigen scheint, von jener allgemeinen Richtschnur eines juristischen Beweises dem Richter weder empfohlen noch gar zur Pflicht gemacht werden können. Schwarzenberg befürchtete durch die vorgesehene Regelung schrankenlose richterliche Willkür. Dies auch deshalb, weil die im Entwurf vorgesehene alleinige Nichtigkeitsbeschwerde dem Erfordernis einer unbeschränkten Verteidigung des Angeklagten nicht entsprechen könne. Auch der am 22. Dezember 1831 vom Landtag eingesetzte Gutachterausschuss593 übte Kritik an dem im Regierungsentwurf vorgesehenen strafgerichtlichen Verfahren. In seinem Bericht vom 2. April 1832 werden die im Entwurf vorgeschlagenen Bestimmungen als völlig ungenügend bezeichnet, wenn dort vorgesehen ist, dass die Richter wie Geschworene über die Schuld entscheiden sollten. Der Ausschuss wolle sich im Übrigen an den entsprechenden strafprozessualen Regelungen im badischen Pressegesetz orientieren. Der Ausschuss wies darauf hin, dass er selbst auch die Geschworenengerichte gerne aufgenommen hätte. Hiervon habe man aber abgesehen wegen der Schwierigkeiten, die mit Einführung dieses Instituts für eine einzelne Gattung von Vergehen untrennbar verbunden gewesen wären. Des Weiteren wurde die gewisse Aussicht angeführt, dass das ganze strafprozessrechtliche Verfahren in Kürze eine völlige und zeitgemäße Umgestaltung erführe und damit die Geschworenengerichte für die gesamte Strafrechtspflege ins Leben treten werden. Das Geschworenengericht dürfe im vollendeten konstitutionellen Staatsgebäude nicht fehlen. Diesbezüglich sollte beim nächsten Landtag der entsprechende Abschnitt im Gesetz hinsichtlich der Geschworenengerichte einer Revision unterzogen werden. Schließlich befürwortete der Landtagsausschuss ausdrücklich das öffentliche und mündliche Verfahren. Hierin sah man zunächst eine zureichende Garantie für die Durchführung der Presseverfahren. Auch die Staatsregierung würde nicht die geringsten Bedenken tragen, eine ursprünglich deutsche Prozessart zu sanktionieren, welche Recht und Politik nach dem einstimmigen Urteile aller unbefangenen Sachkundigen gleichmäßig empfehlen und, 593 Mitglieder des Ausschusses waren Sylvester Jordan (Sprecher), die Oberappellationsräte Moritz Ernst Baumbach (1789–1871) und Burkhard Wilhelm Pfeiffer, der Obergerichtsrat in Rinteln Valentin Joseph Werthmüller (1799–1882) und der Theologe August Vilmar (1800–1868).

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welche bereits von der großherzoglich badischen Regierung in Folge eigener Proposition in dem neuen Pressegesetz sanktioniert worden sei. Der eigene Entwurf der Landtagskommission sah daher in dessen § 46 vor, dass der Anklageprozess stattfinden müsse und das Verfahren öffentlich und mündlich ist594. Die Regierung und für sie Landtagskommissar Eggena reagierten kompromisslos. Eggena nahm zum Bericht der Landtagskommission in schroffer Weise Stellung. Einige Abgeordnete wollten den Anklageprozess mit Öffentlichkeit und Mündlichkeit, „ja sogar Geschworenengerichten, dessen Gebrechen, Gott Lob (!) noch vielen im Volke von der Fremdherrschaft erinnerlich“

seien595. Wenn jetzt Geschworenengerichte eingeführt würden, für welches Verfahren sollte dies dann noch bedenklich sein, wenn jetzt beiläufig bereits ein öffentliches und mündliches Anklageverfahren mit Geschworenengerichten eingeführt werde. Eggena sprach sich vehement gegen eine Öffentlichkeit des Strafprozesses aus. Die Staatsregierung wolle sich nicht zu einer unvorbereiteten Umgestaltung des Strafprozesses fortreißen lassen. Und weiter: „Daß unsere Gerichtslokale nicht zu den öffentlichen Schauspielen der Strafrechtspflege, am wenigsten zu den uns angedroheten Volksfesten der Preßprozesse, eingerichtet, und deshalb zuförderst bedeutende Baukosten aufzuwenden seyen, daß zu den Geschäften der öffentlichen Ankläger noch besondere Staatsbeamte mit sehr ansehnlichen Besoldungen (entsprechend ihrer nothwendigen vielseitigen Ausbildung und ausgezeichnete Rednergabe, auch der Gehässigkeit ihres Berufs in den Augen der politisch Exaltierten, die gern einem ganzen gesunden Volke ihr Fieber mitteilen möchten) angestellt werden müssten, und andere wesentliche Bedürfnisse schienen ganz außer Acht geblieben zu sein, zu deren Befriedigung die Versammlung gewiss nicht die Gelder bestimmen möchte, mit welchem die Quelle so mancher wahren Noth im Lande zum Versiegen gebracht werden könnte.“

Sodann griff Eggena den Umstand auf, dass die Regierung teilweise Probleme hatte, ausreichend Zensurbeamte zu finden. Er äußerte unverhohlen die Drohung, dass an Orten, wo sich keine Zensurbeamten finden ließen, das Erscheinen der Blätter und Schriften den Bundesvorschriften unterläge und polizeiliche Verbote auszusprechen wären596. 594 Siehe den Entwurf des Ausschusses in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 595 Druck der Stellungnahme in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 596 Bereits am 28. Februar 1832 hatte die Regierung öffentlich eingestanden, dass keine geeigneten Zensoren mehr zu finden waren. Auch Polizeirat Bernhardi ersuchte um Entbindung von seinem Amt als Zensor, weil er wegen Streichungen in

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Am 10. April 1832 begannen die Landtagsverhandlungen über das Pressegesetz597. Sylvester Jordan eröffnete als Referent die Beratungen unter Vortrag des Ausschussberichts. Er verwies nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer genauen Regulierung der Verfahren wegen Verstößen gegen das Pressegesetz als eine Hauptgarantie der Pressefreiheit. Das Begehren nach öffentlicher und mündlicher Verhandlung wurde vom erwidernden Landtagskommissar Eggena schroff zurückgewiesen: „Statt einer Emendierung der landesherrlichen Proposition erscheine hier eine Arbeit des Ausschusses nach dessen eigenem Ideal eines Pressgesetzes. Die Ständeversammlung habe jedoch nicht die Aufgabe, sich mit Arbeiten von bloß literarischem Werte zu beschäftigen oder Projekte zu erörtern, zu deren Verwirklichung auch nicht die mindeste Aussicht sei.“

In den weiteren Beratungen am 17. April 1832 wurde eingehend über die begehrte Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verfahren bei Prozessen wegen Pressevergehen diskutiert598. Die Verhandlungen standen dabei auch deshalb unter großem politischem Druck, weil die Regierung zu erkennen gegeben hatte, das Pressegesetz für den Fall scheitern zu lassen, dass die Ständeversammlung nicht auf die begehrte Öffentlichkeit und Mündlichkeit verzichtete. Ohne das notwendige Pressegesetz war schließlich die in § 37 der Verfassungsurkunde zugesicherte Pressefreiheit verhindert. Auch die liberalen Abgeordneten im Landtag vertraten zum Verdruss Jordans keine einheitliche Linie. Während die einen der Auffassung waren, dass angesichts der starren und kompromisslosen Haltung der Regierung auf ein öffentliches und mündliches Verfahren vorerst verzichtet werden könne, um überhaupt ein Pressegesetz ins Werk setzen zu können, bestanden Jordan und andere auf der Durchsetzung dieser für unverzichtbar erachteten Verfahrensgarantien in Pressesachen. So wurde auch von liberalen Abgeordneten im Gegensatz zu Jordan vertreten, dass hinsichtlich der Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens die in Aussicht gestellte Gesamtreform des Strafverfahrens abgewartet werden sollte. Schomburg stand auf der Seite Jordans. Auch er hielt übereinstimmende Grundlagen für eine bürgerliche und Strafprozessordnung für wünschenswert, allein er zweifelte daran, dass hierüber in absehbarer Zeit bereits ein Konsens erzielt werden könne. In jedem Falle aber müsse das öffentliche und mündliche Verfahren in politischen und Pressesachen eingeführt werden: liberalen Blättern zunehmend an öffentlichem Ansehen verliere. Bereits in den 20er Jahren war das Amt des Zensors nicht immer mit größter Energie ausgeübt worden; vgl. hierzu Kleinknecht, S. 85; Hitzeroth, S. 97 f. 597 KhLtV 1832, S. 1839 ff. 598 KhLtV 1832, S. 1886 ff.; Auszüge der Verhandlungen sind auch abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 54, S. 171 ff.

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„Es sei zwar mit Recht erinnert worden an die Selbständigkeit der kurhessischen Gerichte, an deren lauteren und graden Sinn, welcher sie von jeher geleitet habe; deren Unabhängigkeit sei gegenwärtig durch die Verfassung und das Staatsdienstgesetz noch mehr sichergestellt599. Indessen genüge es auf dem Standpunkte der heutigen Bildung nicht, anzunehmen, daß wirklich die Einrichtungen und Formen der Rechtspflege so beschaffen seien, um eine gesetzmäßige Urteilssprechung erwarten zu lassen; vielmehr fordere die Zeit, die Stimme der Gebildeten im Volke, solche Einrichtungen, welche geeignet seien, auch den Glauben daran, daß Gerechtigkeit geübt werde, zu begründen, das Vertrauen auf deren durchgängige unparteiische Handhabung zu befestigen. Diese für das Ansehen und die Wirksamkeit der Justiz wie für den Staat überhaupt höchst beachtungswerte Rücksicht stelle sich als besonders wichtige Forderung dar bei Anklagen wegen Preßvergehen.“600

Auch in weiteren Debattenbeiträgen wurde die grundsätzliche Befürwortung eines öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens betont. Allerdings erachtete man es aufgrund der eindeutig ablehnenden Haltung der Regierung für ratsam, die endgültige Revision des Strafverfahrensrechts abzuwarten. Die entscheidenden Ausführungen kamen sodann vom Abgeordneten Burkhard Wilhelm Pfeiffer. Dieser wies zunächst darauf hin, dass sich der Ausschuss, dessen Vorsitzender er war, einstimmig für öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren ausgesprochen habe. Entsprechend der badischen Gesetzeslage hätte man auch die Einrichtung von Geschworenengerichten vorläufig aussetzen können. Er halte jedoch an dieser Stelle das Prinzip der Öffentlichkeit für den zur Debatte stehenden Zweck für nicht entscheidend. „Er könne nämlich nicht dafürhalten, daß dadurch der Genuß der Preßfreiheit soweit er bis jetzt, der bestehenden Bundesgesetzgebung gemäß, vergönnt werden könne wesentlich gefährdet werde, wenn wir die Öffentlichkeit nicht erhielten. Er glaube auch nicht, daß ein entscheidender Grund dafür angeführt werden könne, daß die Öffentlichkeit des Verfahrens in der Tat wesentlich für die Preßfreiheit sei.“601

Pfeiffer betonte auch, dass die Ständeversammlung schließlich die Regierung nicht zwingen könne, jedem Antrag derselben zuzustimmen. Daher könne er auf nichts anderes antragen, als dass das öffentliche Verfahren auf gleiche Weise, wie es im § 46 des Pressegesetzentwurfs hinsichtlich der Ge599 Auch der Abgeordnete Georg Heinrich Scheuch (1791–1863, zunächst Advokat in Gudensberg, 1833 Landrichter in Fulda, 1831/32 und 1836–38 Mitglied der Ständeversammlung; „Scheuch 2“) hatte in seiner Rede in der selben Sitzung die kurhessische Justiz gelobt. Man könne nicht behaupten, dass eine unparteiische Justizpflege in Kurhessen von der Öffentlichkeit des Verfahrens abhänge; für eine solche bürge die Selbständigkeit und die bewährte Unparteilichkeit der hiesigen Gerichte; Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 54, S. 172; vgl. auch die lobende Erwähnung der Unparteilichkeit der kurhessischen Justiz in den Bemerkungen Schombergs zum Verfassungsentwurf, siehe unter C. II. 1. 600 Zitiert nach Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 54, S. 173. 601 Zitiert nach Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 54, S. 175.

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schwornengerichte geschehen sei, nämlich bis dahin aufgeschoben bleiben solle, bis eine Revision dieses Gesetzes erfolge. Nach einem entsprechenden Antrag des Abgeordneten Scheuch stimmte die Mehrheit dafür, dass eine gesetzliche Regelung über ein öffentliches und mündliches Verfahren bei Pressevergehen ebenso wie die Frage nach Einrichtung von Geschworengerichten bis zum nächsten Landtag aufgeschoben werden sollte602. Damit hatte die Regierung auch in dieser Hinsicht den entschieden Liberalen in der Ständeversammlung eine Niederlage zugefügt603. Jordan sah mit dieser Entscheidung die in Aussicht gestellte Pressefreiheit und gar die Verfassung selbst in Frage gestellt. Er trat aus dem Landtagsausschuss aus604. An seine Stelle traten der Obergerichtsrat George Dedolph und der Marburger Bürgermeister Wilhelm Duysing. Die Niederlage Jordans auf der Ständeversammlung am 17. April 1832 sorgte für große öffentliche Empörung. Man sah hierin eine Kapitulation vor der starren und unnachgiebigen Haltung der Regierung. Die Freiheit der deutschen Presse, die durch Standhaftigkeit errungen werden konnte, sei durch Nachgiebigkeit verloren worden605. Besonderer Kritik sah sich Burkhard Wilhelm Pfeiffer ausgesetzt. In einem Beitrag zum „Verfassungsfreund“ vom 18. April 1832 kritisierte Schwarzenberg die zu nachgiebige Haltung Pfeiffers und setzte schließlich die Hoffnung auf die künftigen Landtagsverhandlungen: „Von dem nie verkannten guten Willen der Mitglieder der Ständeversammlung erwartet daher auch die öffentliche Stimme des Volkes nicht ohne Grund, daß man bei der Revision des Gesetzes, das bisher nur ausgesetzte Verfahren über Preßvergehen einer neuen Prüfung unterwerfen und dann, wo nicht alle Mitglieder, doch sicher alle die, zu deren Freisinnigkeit man gerechtes Vertrauen haben kann, mit entschiedener Mehrheit auf die Öffentlichkeit und Mündlichkeit als das eigentliche Lebensprinzip eines Preßgesetzes zurückkommen werden, und diesem Grundsatz, so wie in der badischen Ständeversammlung, so auch bei uns, der chinesischen Mauer zum Trotz, hinter welcher man das Tageslicht bannen möchte, einen glänzenden Sieg erringen wird.“606 602 Der Beschluss hatte eine Mehrheit von 25 zu 15 Stimmen. Dagegen hatten mit Jordan unter anderen die Abgeordneten und Ausschussmitglieder Schomburg und Werthmüller gestimmt; siehe hierzu die Wiedergabe des Verzeichnisses der Namen der Abgeordneten, die an der Abstimmung teilgenommen hatten bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 55, S. 177, Fn. 3, mit dem Hinweis auf die sich so zeigende „Fraktionierung“ in Liberale und Liberaldemokraten. 603 Grothe, Verfassungsgebung, S. 451. 604 Vgl. Kleinknecht, S. 87. 605 Der Verfassungsfreund, Nr. 31, 18. April 1832; vgl. zu den Reaktionen in Kurhessen Grothe, Verfassungsgebung, S. 451 f.; Kleinknecht, S. 87 f. 606 Der Verfassungsfreund, Nr. 31, 18. April 1832, Beilage, S. 269 f., abgedruckt bei Seier, Akten und Briefe, Dok. Nr. 55, S. 176, 178 f.

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In der nächsten Landtagssitzung am 1. Mai 1832 scheiterte Jordan mit einem Antrag, den Beschluss vom 17. April aufzuheben und erneut zu beschließen607. Der Landtagsausschuss, nun unter Leitung Pfeiffers, hatte inzwischen einen abgeänderten Entwurf vorgelegt, in welchem auch in Bezug auf die Verfahrensvorschriften dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit vorerst nicht in vollem Umfange durchsetzbar waren. Im Bericht des Ausschusses vom 24. April 1832 werden die abgeänderten Verfahrensvorschriften vorgestellt und begründet. In § 46 blieb es bei dem vorgesehenen Anklageprozess. Der gesamte Abschnitt über die Verfahrensregelungen in Presseprozessen sollte auf dem nächsten Landtag mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens sowie insbesondere auf das Institut der Geschworenengerichte einer Revision unterworfen werden. Nach § 67 des vorgelegten Entwurfs durfte ein jeder Beschuldigter in der Gerichtssitzung drei Freunde oder Verwandte zur Seite haben und auch den bei den Obergerichten angestellten Anwälten sollte der Zutritt nicht zu versagen sein. Darüber hinaus wurde vorgesehen, dass das gesamte Verfahren einschließlich der Zeugenvernehmung im Beisein des Angeklagten und gegebenenfalls seines Verteidigers abzuhalten war. Das anschließende Urteil war entsprechend den Vorgaben in der Verfassung mit Entscheidungsgründen öffentlich bekannt zu machen. Im Ausschussbericht wird hierzu ausgeführt, dass bei fehlender vollständiger Öffentlichkeit des Verfahrens andere Sicherungen vorgesehen werden müssten, die vorerst die augenblickliche Entbehrung derselben kaum fühlbar machten608. Der Ausschuss fand in den vorgeschlagenen Verfahrensregeln „eine zweckmäßige Vorbereitung der Einführung der Öffentlichkeit des Verfahrens in ihrem vollen Umfange für eine, hoffentlich nicht fern liegende Zeit, wo man es ganz unbedenklich finden wird, auch dem größeren, an eine gemäßigte Benutzung der konstitutionellen Freiheit alsdann mehr gewöhnten, Publikum die Gerichtssäle bei der Verhandlung zu öffnen.“609

Schließlich wurde ein Pressegesetz in der Sitzung vom 3. Mai 1832 mit der Mehrheit von 29 zu 11 Stimmen beschlossen, das hinsichtlich der Verfahrensvorschriften die Vorschläge des Ausschusses zum Teil umsetzte610. Der Anklageprozess sollte stattfinden. Dem Angeklagten und seinem Vertei607 Vgl. dazu Kleinknecht, S. 88.; Der Antrag Jordans wurde mit 25 gegen 18 Stimmen zurückgewiesen. 608 Ausschussbericht des Abgeordneten Pfeiffer vom 24. April 1832, enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band, S. 2; Teile der Änderungen der Ständeversammlung in Bezug auf die Verfahrensvorschriften sind auch abgedruckt bei Hitzeroth, S. 158 ff. 609 Ebd., S. 3. 610 KhLtV 1832, S. 1960.

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diger sollte das Recht auf Akteneinsicht gewährt werden. Die Anklageschrift hatte die erhobenen Vorwürfe genau zu bezeichnen. Das Verfahren einschließlich der Beweisaufnahme sollte unter vollständiger Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers durchgeführt werden. Auch hatten der Angeklagte und sein Verteidiger ein eigenes Fragerecht, das sie über den Vorsitzenden ausüben durften. In seinem § 67 wurde der Gedanke einer eingeschränkten Öffentlichkeit aufgenommen: „In der Gerichtssitzung darf ein jeder Betheiligter drei Verwandte oder Freunde zu Seite haben, auch ist den bei den Obergerichten angestellten Anwälten der Zutritt nicht zu versagen, und zu diesem Zwecke der Tag der Sitzung durch Anschlag im Gerichstlocal denselben bekannt zu machen.“

Die Einführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie die Einrichtung von Geschworenengerichten in Pressesachen blieb aber einer Entscheidung auf dem nächsten Landtag vorbehalten. Zugleich wurde beschlossen, die hinsichtlich zur Erstellung eines Entwurfs einer Strafprozessordnung einzusetzende Kommission entsprechend zu instruieren, dass diese Gesichtspunkte auch allgemein in der Strafrechtspflege Einzug halten sollten611. Das so beschlossene Pressegesetz sollte jedoch nicht in Kraft treten. Noch während der laufenden Landtagsverhandlungen hatte sich Friedrich Wilhelm bereits Anfang Mai 1832 entschlossen, das Gesetz nicht zu erlassen612. Im Jahre 1833 wurde seitens der Regierung der Ständeversammlung eine neue Ausarbeitung eines Pressegesetzes vorgelegt. Der in der Sitzung vom 19. Dezember vorgelegte Entwurf wurde zurückgezogen. In der Darstellung der Beweggründe zu diesem Entwurf wurde darauf verwiesen, dass dieser sowohl den Bundesvorschriften als auch der kurhessischen Verfassung Rechnung trage. Es fehlte nicht der Hinweis auf die Vorgänge in Baden, wo auf Druck des Bundes das liberale Pressegesetz zurückgenommen worden war613. Der Entwurf sah in seinem § 52 vor, dass die vor den Obergerichten stattfindenden Strafverfahren nach den für dasselbe geltenden Vorschriften durchzuführen waren. Es sollte demnach auch bei Presseverfahren das alte Inquisitionsverfahren durchgeführt werden. Die Staatsregierung sah keinen Grund, besondere Verfahrensvorschriften aufzustellen. Eine solche Anomalie sei nicht gerechtfertigt614. In Bezug auf die Regelungen in § 41 des Regierungsentwurfs aus dem Jahre 1831, wonach die Richter wie 611 Siehe Schreiben der Ständeversammlung an Eggena vom 3. Mai 1832, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 612 Grothe, Verfassungsgebung, S. 453. 613 Darstellung der Beweggründe des Entwurfes eines Gesetzes über die Vergehungen durch die Presse und den Buchhandel in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 614 Ebd., S. 5 des Berichtes.

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Geschworene über die Schuld des Angeklagten entscheiden sollten, wurde die frühere Kritik der Stände aufgenommen. Es sei unverkennbar, dass die in § 41 zunächst vorgesehene Bestimmung weit entfernt sei, diejenigen Vorteile nur einigermaßen zu gewähren, die man durch das Institut der Geschworenengerichte erreichen wolle, vielmehr dazu führen müsse, den Gerichten den sicheren Boden zu entziehen, auf dem ihre Tätigkeit sich bewege und ihnen eine schwankende Haltung aufnötige. Der bisherige Vorschlag werde daher nicht erneuert. Dieser Entwurf eines Pressegesetzes scheiterte ebenfalls. Der hiermit befasste Ausschuss für Preßangelegenheiten sprach sich in seinem Bericht vom 15. Oktober 1833 dafür aus, auf diesen Entwurf nicht näher einzugehen. Er entspreche entgegen der Auffassung des Innenministeriums nicht den Vorgaben des § 37 der Verfassung615. Trotz weiterer Erinnerungen blieb das Versprechen auf Erlass eines Pressegesetzes zur Gewährleistung der in der Verfassung in Aussicht gestellten Pressefreiheit unerfüllt. Nach den großen Erwartungen und teilweisen gesetzgeberischen Erfolgen in anderen Bereichen trat hinsichtlich des begehrten Pressegesetzes zur Verwirklichung der Pressefreiheit Ernüchterung im Landtag ein. Bis zum Revolutionsjahr 1848 sollte ein liberalen Grundsätzen genügendes Pressegesetz mit den Garantien eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens und der Einrichtung der Geschworenengerichte auf sich warten lassen. c) Das Scheitern des Pressegesetzes und staatliche Repression Seit dem Jahr 1830 begann sich nun die „außerparlamentarische“ oppositionelle Demokratiebewegung deutlicher von den vornehmlich in den Landtagen agierenden Liberalen abzuspalten. Wie bereits im Jahr 1830 bildete Marburg neben Hanau ein Zentrum der oppositionellen demokratischen Bewegung in Kurhessen. Hier hatte im Anschluss an Heinrich Henkel der Universitätsapotheker Döring die Führung dieser Bewegung in Marburg seit dem Jahr 1832 übernommen. Dieser stand in Kontakt zum Butzbacher Rektor Friedrich Ludwig Weidig, als einem der Wortführer der oppositionellen Bewegung im Großherzogtum Hessen und der Freien Stadt Frankfurt. Man strebte nach Revolution. Sylvester Jordan war gar als Präsident einer kommenden deutschen Republik ausersehen. Eine in diesem Zuge am 3. April 1833 in Frankfurt ausgeführte Attacke scheiterte jedoch kläglich. Dieses als „Frankfurter Wachensturm“ ausgeführte Attentat616 bot vergleichbar mit den Ereignissen des Hambacher Festes Gelegenheit zur Reaktion. Der Bun615 Siehe Ausschussbericht durch den Abgeordneten Ludwig Gerling (1788–1864) vom 15. Oktober 1833 in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 616 Vgl. HRG1 /Erler, 5. Band, Wachensturm, S. 1073 f.

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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destag beschloss am 20. Juni 1833 die Einrichtung einer Bundeszentralbehörde für politische Untersuchungen in Mainz, die zur Aufgabe hatte, alle schon vorhandenen Spuren revolutionärer Umtriebe zu verfolgen, aus den vorhandenen und nach und nach eingehenden Notizen ein möglichst vollständiges Bild der angelegten Verschwörung und ihrer geheimen Fäden zusammenzustellen, durch die gegenseitige Mitteilung dieser Aufschlüsse die Regierungen in den Stand zu versetzen, ohne Zeitverlust die etwa dringenden Vorkehrungen zu treffen, über jeden, mit dem allgemeinen Zweck im Zusammenhange stehenden Punkt auf Verlangen die nötigen Erhebungen zu pflegen und vielleicht auch den Instruktionsrichtern bei dem Frankfurter Prozesse Aufschlüsse zu verschaffen, welche großen Einfluss auf den Gang und das Resultat der Untersuchung haben dürften617. Diese Kommission hatte bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1842 gegen mehr als 2.000 Personen Ermittlungen durchgeführt, letztlich nur mit mäßigem Erfolg618. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Länder und so auch Kurhessen bereits im Vorfeld Bedenken dahingehend geäußert hatten, bei Einrichtung dieser Zentralkommission dürfe die eigene Souveränität in Bezug auf polizeiliche und gerichtliche Kompetenzen nicht erneut beschnitten werden. Hassenpflug vertrat in einem Schreiben an das Außenministerium im Mai 1833 die Auffassung, Anordnungen, „mittelst welcher eine Kommission des Bundestags oder einzelne Kommissare einzelner Bundesstaaten eine Beaufsichtigung und Leitung der ordentlichen Untersuchungsgerichte eingeräumt werden wolle, [seien] in Rücksicht auf den §. 114 unserer VerfassungsUrkunde in jeglicher Weise zu verhüten.“619

So verweist Grothe darauf, dass man auch später zur Bundeszentralbehörde eine widerstrebende Haltung beibehielt und sich im Übrigen auch hinsichtlich der Ermittlungen nach dem „Wachensturm“ nur wenig um die Frankfurter Untersuchungskommission gekümmert hatte620. Unter der Ägide Hassenpflugs konzentrierte sich Kurhessen auf die konsequente und weitgehend eigenständige Verfolgung revolutionärer oder revolutionsverdächtiger Unternehmungen im Kurstaat621. In diesem Zuge geriet auch Sylvester Jordan ins Visier der polizeilichen Ermittlungen und wurde im August 1839 verhaftet. Auch wenn Kurhessen nur an der Peripherie der revolutionären Bewegungen lag, so sollte der gegen Jordan geführte Inquisitionsprozess zu 617 Siehe den Brief Metternichs an den Wiener Polizeioberkommissär Noé vom 20. April 1833, abgedruckt in Deutsche Geschichte, Dok. Nr. 15, S. 105. 618 Vgl. dazu Wehler, 2. Band, S. 366 f.; Nipperdey, S. 372. 619 Schreiben Hassenpflugs vom 15. Mai 1833, zitiert bei Grothe, Verfassungsgebung, S. 287; Theisen, S. 429. 620 Grothe, Verfassungsgebung, S. 288 ff. 621 Grothe, Verfassungsgebung, S. 291; vgl. auch Ham, Verfassung, S. 148 ff.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

einem der spektakulärsten politischen Prozesse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden. Zusammen mit dem Untersuchungsverfahren gegen Weidig bildete er erneut bedeutenden politischen Anstoß zur Abschaffung des geheimen Untersuchungsverfahrens und zur Einforderung von rechtsstaatlichen Sicherungen gerade in politischen Verfahren durch die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit und durch Schaffung der Geschworenengerichte. Hierauf ist unten noch näher einzugehen622. Nachdem in Kurhessen das Pressegesetz am landesherrlichen Unwillen gescheitert war und so auch die in der Verfassung versprochene Pressefreiheit unerfüllt blieb, fielen nun auch die neuen öffentlichen Blätter und Zeitungen der verstärkten Repression durch Bund und Landesherrn zum Opfer. Ausgelöst durch die revolutionären Ereignisse des Jahres 1830 hatte sich auch in Kurhessen sehr schnell eine aufblühende Presselandschaft herausgebildet, die ein öffentliches politisches Forum darbot623. Weiteste Verbreitung fand das vom Kasseler Anwalt Friedrich Hahn624 ins Leben gerufene Blatt „Der Verfassungsfreund“. Herausgeber war der Druckereibesitzer Dietrich Albrecht Geeh625. Bereits kurz nach Beginn des Erscheinens gab Hahn sein Amt auf. Nachfolger wurde nun der Redakteur Christian Feldmann. Auch der Kasseler Bibliothekar Karl Bernardi sowie Obergerichtsassessor Karl Pfeiffer und der Anwalt Ludwig Schwarzenberg veröffentlichten Artikel in diesem liberalen Blatt, das zuletzt zwei bis dreimal wöchentlich erschien. Der Herausgeber Geeh kam in der Folgezeit wiederholt mit staatlichen Polizei- bzw. Zensurbehörden in Konflikt626. Im Oktober 1834 wurde er verhaftet. Die seit Mitte 1832 eintretende verstärkte Zensur führte schließlich auf Grund zahlreicher Verbote und Zensurmaßnahmen zu einem baldigen Absterben der politischen Presse insgesamt. Grothe verweist mit Blick auf die Presselandschaft des Kurfürstentums zu Beginn der 30er Jahre auf vier grundsätzliche Phänomene627. Zunächst habe sich das kurze Aufleben einer breiteren Publizistik auf die Jahre 1831/32 beschränkt. Nach dem faktischen Verbot des „Verfassungsfreunds“ dominierten seit Ende 1834 erneut die „Kasselsche Allgemeine“ und die „Hanauer Zeitung“ als die beiden längerlebigen politischen Blätter in Kurhessen bis 1848. Dabei habe sich in dieser Zeit „Der Verfassungsfreund“ als die konkurrenzfähigste 622

Siehe C. IV. 1. Einen Überblick über die kurhessische Presselandschaft gibt Grothe, Verfassungsgebung, S. 262 ff.; vgl. auch Hitzeroth, S. 110 ff. 624 Friedrich Jacob Hahn (1784–1858) war Obergerichtsanwalt in Kassel und 1834/35 Mitglied der Stände, vgl. Lengemann, MdL, S. 163. 625 Dietrich Albrecht Geeh (1800–1871) war Buchdrucker in Kassel und in den Jahren 1831 bis 1834 Verleger des Blattes „Der Verfassungsfreund“. 626 Dazu Hitzeroth, S. 108 ff. 627 Grothe, Verfassungsgebung, S. 269 f. 623

II. Die Verfassungsurkunde des Jahres 1831

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liberale Zeitung in Kurhessen erwiesen. Sie habe im Gegensatz zu anderen freisinnigen Blättern immerhin dreieinhalb Jahre eine strenge Zensur überlebt. Grothe weist des Weiteren darauf hin, dass ausgerechnet die Universitätsstadt Marburg kein politisches Organ hervorgebracht hatte. Wie auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens lasse sich schließlich ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle in der politischen Publizistik erkennen. Die in der Verfassung versprochene Pressefreiheit wurde am Ende nicht verwirklicht. Erst im Revolutionsjahr 1848 sollte die Tätigkeit der Zensurkommission enden. Die rechtlichen Grundlagen ihrer Tätigkeit blieben unbefriedigend und unsicher. Ein Pressegesetz, welches auch in strafverfahrensrechtlicher Hinsicht eine den liberalen Vorstellungen eindeutige und zuverlässige Handhabe lieferte, ließ weiter auf sich warten628. In der kommenden Zeit ab Mitte der 30er Jahre konzentrierte sich die öffentliche politische Auseinandersetzung allenfalls noch auf die Debatten zwischen Regierung und Ständeversammlung629. Iseler beschreibt die Stimmung in Kurhessen in den Jahren nach den verschärften Bundesmaßnahmen und landesherrlicher Reaktionen zur Unterdrückung eines öffentlichen Lebens: „Die große Menge aber schritt acht- und gedankenlos mit der Zeit dahin, zufrieden, die drückende Hand des Staates nicht selbst im täglichen Leben zu spüren und keine grob-materielle Not zu empfinden. Denn das war jetzt wie auch anderwärts das Bestreben der Regierung, das Volk durch eine gewisse Fürsorge für sein materielles Wohlergehen aus dem geistig-politischen Kampfe auszuschalten.“630

So trat auch die Schwurgerichtsfrage in kurhessischen Landen für einige Jahre in den Hintergrund. Die grundsätzliche Abwehrhaltung der Regierung gegen ein öffentliches und mündliches Strafverfahren mit der Einrichtung von Geschworenengerichten in Pressesachen hatte jedoch auch in Kurhessen den Nebeneffekt, dass die Schwurgerichtsbarkeit nun unweigerlich ein bedeutendes Element der vollständigen Strafprozessrechtsreform insgesamt 628 Vgl. Hitzeroth, S. 103 ff. mit Darstellung der im Jahre 1842 bestehenden Zensurvorschriften in Kurhessen; Das Oberappellationsgericht hatte sich in einer Entscheidung vom 11. August 1846 mit dem Konkurrenzverhältnis des Regierungsausschreibens vom 14. Juni 1816 zu den Bundesgesetzen und dem § 37 der Verfassungsurkunde auseinander zu setzen. Gegenstand der Entscheidung war die „Dritte Schrift zur Vertheidigung des Herrn Professors Jordan in Marburg wider seine Gegner“ von August Bode, siehe Heuser, Entscheidungen, 2. Band, S. 702 ff.; vgl. auch die Entscheidung des Obergerichts in Kassel vom 16. Juni 1833, Der Verfassungsfreund, Nr. 53, 16. Juni 1833, S. 379 f. 629 Vgl. Seier, Handbuch, S. 84 f., der darauf hinweist, dass in der ersten Zeit nach 1835 der Landtag kein herausragender Schauplatz der Landespolitik mehr war. 630 Iseler, S. 108.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

wurde. Eine isolierte Installation dieses Instituts allein für Pressesachen sollte ja auch nach Auffassung der Regierung untunlich sein.

III. Die Schwurgerichtsfrage in den weiteren Reformbemühungen des kurhessischen Landtags bis 1846 Die kurhessische Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831 hatte keine Festlegungen zur Notwendigkeit der Modernisierung des Strafgesetzbuches und des Strafverfahrens getroffen. Auch im Rahmen der Bestimmungen über die Pressefreiheit in § 37 der Verfassungsurkunde hatte man letztlich davon abgesehen, konkrete Bestimmungen hinsichtlich des Strafverfahrens mit aufzunehmen. In seinem Ausschussbericht vom 24. April 1832 verweist Pfeiffer im Rahmen der Verhandlungen über das Pressegesetz darauf, dass mehrere Mitglieder der Ständeversammlung bei Zustimmung zu der Formulierung des § 37 versichert hätten, dass entsprechende strafverfahrensrechtliche Bestimmungen für geeigneter zur Aufnahme in das auf kurze Zeit verschobene Pressegesetz erachtet werden631. Auch diese Erwartung wurde enttäuscht. Grundlage für die Forderungen nach Schaffung eines neuen Strafgesetzbuches und eines modernen Strafverfahrensrechts blieb aber letztlich der Landtagsabschied vom 9. März 1831. Hier wurde die Vorlage von Entwürfen hinsichtlich der sogenannten organischen Gesetze, auf welche die Verfassungsurkunde in ihren einzelnen Bestimmungen hinwies, zum nächsten Landtag vorgesehen. In seinem § 7 hielt der Landtagsabschied auf Antrag Jordans632 die Erklärung der Ständeversammlung fest, „es stelle der gegenwärtige Rechtszustand, – dessen Grundlagen ohne inneren Zusammenhang fremden Völkern von den verschiedensten Bildungsstufen und Rechtsansichten entlehnt wurden, – sich als so unzureichend dar, daß eine umsichtige Revision der noch geltenden Rechts- und Prozeßnormen ein dringendes Bedürfnis (welches schon von früheren Landesfürsten vielfältig erkannt worden) erschiene; weshalb die Staatsregierung ersucht werde, eine Sichtung, Umarbeitung und Ergänzung der gedachten Normen zu veranstalten, und einem der künftigen Landtage die Entwürfe 1) einer Strafprozessordnung, 2) eines Strafgesetzbuches, 3) einer bürgerlichen Prozessordnung, und 4) eines bürgerlichen Gesetzbuches zur Berathung und Annahme vorlegen zu lassen, ohne Verzug aber den zu diesen Arbeiten nöthigen Auftrag mehreren Männern zu ertheilen, welche eben so mit der Theorie, als mit den Verhältnissen und Bedürfnissen des Volkes vertraut sind, daher zu der Erwartung berechtigen, daß die Entwürfe dieser Gesetzbücher den ge631

Bericht des Ausschusses zur Begutachtung des Pressegesetzentwurfs das Verfahren bei Pressevergehungen betreffend vom 24. April 1832, S. 5, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band. 632 Vgl. dazu Kleinknecht, S. 77.

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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läutertsten Rechtsansichten und Bedürfnissen der Zeit entsprechen, auch sich durch materielle Vollständigkeit, wie durch formelle Zweckmäßigkeit, auszeichnen werden.“633

Die Landtagskommission hatte erklärt, dass die Staatsregierung es sich zur angelegentlichsten Pflicht machen werde, die Wünsche der Ständeversammlung zu berücksichtigen und namentlich die angetragenen Gesetzesentwürfe mit jeder tunlichen Beschleunigung ausarbeiten und nach Möglichkeit dem nächsten Landtage vorlegen zu lassen634. Justizminister Schenck zu Schweinsberg berichtete am 6. April 1831 dem Gesamtstaatsministerium, dass in Folge des Landtagsabschiedes besondere Kommissionen eingesetzt worden sind. Für die Ausarbeitung einer Strafprozessordnung wurden Obergerichtsrat Schwenken, Oberauditeur Günste und Landgerichtsassessor Ruppersberg bestimmt635. In der Sitzung der Ständeversammlung vom 7. April 1832 gab der Landtagskommissar Koch636 bekannt, dass die genannte Kommission eingesetzt worden ist. In der Sitzung vom 3. Mai 1832 beantragte Pfeiffer im Rahmen der Verhandlungen über das Pressegesetz, diese seitens der Staatsregierung dahingehend zu instruieren, dass sie ihren Arbeiten das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des gerichtlichen Verfahrens in Kriminalsachen zugrunde legen möge. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Die Ständeversammlung betonte darüber hinausgehend, dass das Prinzip der Öffentlichkeit mit der von der Staatsregierung im Landtagsabschied in Aussicht gestellten neuen Strafprozessordnung unzertrennlich sei und die Kommission alsbald dahingehend instruiert werden solle, dass sie bei ihrem Entwurf nicht nur jenes Prinzip, sondern auch die etwaige Einführung des Instituts der Geschworenengerichte berücksichtigen solle637. Eine Bestätigung der Regierung blieb aus. So hatten mit Eingabe vom 25. Juli 1833 die Kasseler Obergerichtsanwälte die Ständeversammlung auf die weiterhin unbefriedigenden Zustände in der Strafrechtspflege aufmerk633

Landtagsabschied vom 9. März 1831, SG, 6. Band, 1831, S. 92, 97 f. Siehe § 18 des Landtagsabschiedes vom 9. März 1831. 635 Auszug aus dem Hauptprotokoll vom 6. April 1831, Hess. StA Marburg, 250 Nr. 373; Carl Schwenken (1785–1847) war ab 1831 Oberappellationsrat in Kassel, Marcus Martin Günste (1794–1877) war ebenfalls Oberappellationsgerichtsrat ab 1837 bis zu seiner Absetzung im Zuge des Jordan-Prozesses 1845; er war 1851 bis 1863 Direktor des Kriminalgerichts in Rotenburg; Heinrich Wilhelm Karl Ruppersberg (1794–1834) war Assessor beim Landgericht in Kassel. 636 Carl Georg Koch (1785–1847). 637 Vgl. Amrhein, S. 94 f.; siehe auch zum Bericht des Landtagskommissars Koch und zum Schreiben der Ständeversammlung an die Staatsregierung vom 3. Mai 1832 den Bericht des Abgeordneten Hahn in KhLtV 1833/35, Beilagen, 6. Band, Anlage 382, S. 5 f. 634

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

sam gemacht. Sie forderten, auf die Anfertigung entsprechender Gesetzbücher verstärkt hinzuwirken und einer neuen Prozessordnung die versprochene Sorgfalt zu widmen638. Nach entsprechender Anfrage an das Justizministerium erfolgte in einer Auskunft vom 26. Juli 1833 der Hinweis an die Ständeversammlung, dass die eingesetzte Kommission anderweitig beschäftigt gewesen sei und die Erfüllung ihres Auftrages davon abhängig gemacht habe, dass die Mitglieder auf geraume Zeit von ihren übrigen Geschäften dispensiert werden. Vorrangig sei eine schleunige Rechtspflege. Daher könne eine Entbindung der Kommissionsmitglieder erst erfolgen, wenn die Rückstände beim Oberappellationsgericht und Obergericht in Kassel erledigt seien639. Erst im Jahre 1835 kam der Abgeordnete Hahn auf diese Eingabe der Obergerichtsanwälte zurück. Diese war an den Rechtspflegeausschuss des Landtags überwiesen worden. Hahn berichtete für den Ausschuss am 27. März in der Ständeversammlung640. Er betonte zunächst die Notwendigkeit eines neuen und verständlichen Strafgesetzbuches, da die Carolina nicht mehr zeitgemäß und von der Philosophie überholt sei. Es müsse auch als ein sehr großer Übelstand angesehen werden, dass die verbotenen Handlungen nicht bekannt gemacht würden. Noch dringender sei aber eine neue Prozessordnung im Sinne der Verfassung: „Fortwährend bestehen namentlich noch die Schlupfwinkel der geheimen Justiz; unser Verfahren in Kriminalfällen aber ist nichts anderes, als ein Privilegium geheimer Willkür, welches, der wesentlichen Merkmale eines Rechtsverfahrens entbehrend, mit der altspanischen Inquisition, außer der Tortur, alles gemein hat; und auch diese letztere darf durch Schärfung der Gefängnisqual mitunter auch wohl durch Stockprügel und moralische Daumenschrauben ungestraft ergänzt werden. Auch das nach geschlossener Untersuchung eintretende Verfahren verdient den Namen eines ordentlichen Prozesses nicht. Statt einen solchen eintreten zu lassen, wird, in dazu geeigneten Fällen, eine sogenannte Spezialinquisition (Hauptuntersuchung) erkannt, nachdem auch diese für geschlossen erklärt worden, gestattet man die Einsicht der Akten dem Vertheidiger, welcher in ihnen aber das wesentlichste vermißt, nämlich die Anklage, die er widerlegen soll; er wird dadurch genöthigt, das Phantom derselben sich zu bilden, und schwebt dabei in Gefahr, dem Beschuldigten auf doppelte Art zu schaden, indem er entweder Momente der Untersuchung hervorhebt, welche der Berichterstatter vielleicht nicht 638

Siehe Amrhein, S. 95. Auskunft des Justizministeriums an die Ständeversammlung vom 26. Juli 1833, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974; mit Schreiben vom 25. Juli 1833 hatten die Kommissionsmitglieder wegen anderer dringlicher Geschäfte um Dispension gebeten; sie erneuerten später diese Bitte mit Schreiben vom 22. Juli 1834, Hess. StA Marburg, 250 Nr. 373. 640 KhLtV 1833/35, 6. Band, Nr. 115, S. 41 ff. und Beilagen, 6. Band, Anlage 382, insbesondere S. 4 ff.; Der handschriftliche Bericht ist enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 639

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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als wesentlich aufgefasst haben würde, oder, indem er Momente der Untersuchung übergeht, die nachher hervorgehoben werden. Dieser Übelstand tritt insbesondere alsdann hervor, wenn von dem häufig vorkommenden Beweise durch Anzeigen die Rede ist. Erst, nachdem die Vertheidigungsschrift übergeben worden, hat der Berichterstatter die betrogenen Funktionen des Anklägers, des Vertheidigers und des Richters in einer Person zu übernehmen, und zwar vermittelst in geheimer Sitzung stattfindender Verlesung der Anklage, das seiner Ansicht angepasste Resumé der Verteidigung und das projectierte Urtheil (votum) enthaltenden Relation. Dem Angeschuldigten aber bleibt das alles ein ewiges Geheimnis, ihm ist nicht einmal gestattet, seinen Richtern ins Auge zu sehen. Ich gestehe nicht begreifen zu können, dass es noch Menschen geben kann, welche ein solches Verfahren gegen den Vorwurf der Widersinnigkeit in Schutz nehmen, und die von der Staatsregierung sowohl, als von der Ständeversammlung als nothwendig erkannte Reform unserer Strafrechtspflege als das allerdringendste Bedürfnis der Zeit nicht anerkennen wollten.“641

Sodann wurde die Forderung nach öffentlichen Verfahren im Zivil- und Strafrecht erhoben. Diese sei Schutz vor Willkür und Gewährleistung richterlicher Unabhängigkeit. Unter Bezugnahme auf die Erklärung des Landtagskommissars vom 7. April 1832, wonach bereits eine Kommission ernannt worden ist, wurde darauf hingewiesen, dass das weitere Schicksal dieser Kommission ungewiss sei. Im Anschluss an den Bericht des Rechtspflegeausschusses beschloss die Ständeversammlung daher einstimmig, die Staatsregierung um Auskunft zu ersuchen. Die Regierung solle mitteilen, ob die zur Entwerfung der bürgerlichen und Strafprozessordnung ernannte Kommission entsprechend dem Schreiben der Ständeversammlung vom 3. Mai 1832 dahin instruiert worden sei, dass sie dieselben mit Rücksicht auf das Prinzip der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des gerichtlichen Verfahrens sowie auf die etwaige Einführung des Instituts der Geschworenengerichte zu entwerfen habe. Die Ständeversammlung verlangte Auskunft, wie weit die Arbeiten gediehen seien und gegebenenfalls welche Hindernisse sich denselben entgegenstellten. Die Mitwirkung der Ständeversammlung wurde angeboten. Schließlich sollten in den anstehenden Landtagsabschied die erforderlichen Bestimmungen aufgenommen werden. Gleichwohl nahm die Staatsregierung in ihren Entwürfen zum Landtagsabschied die Wünsche der Ständeversammlung nur eingeschränkt auf. Sie versprach allein, die Vorarbeiten zur Ausarbeitung einer Zivilprozessordnung tunlichst zu beschleunigen und den gedachten Antrag einer näheren Prüfung zu unterwerfen. Erst auf weiteres Drängen der Ständeversammlung wurde dann im Landtagsabschied mit aufgenommen, dass dem nächsten Landtag auch eine auf Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens ge641 Entsprechende Forderungen hatte Hahn bereits in einem Beitrag in der Zeitschrift „Der Rechtsfreund“ mit dem Titel „Ueber Oeffentlichkeit der Strafrechtspflege“ vom 25. April 1832 erhoben; vgl. dazu Theisen, S. 406.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

baute Strafprozessordnung vorgelegt werden soll642. Auch dieses Versprechen blieb wiederum unerfüllt. Im Rahmen der Sitzung der Ständeversammlung am 7. Dezember 1837 erfolgte durch den Landtagskommissar Koch die Mitteilung, dass bei den hiesigen oberen Gerichten noch immer erhebliche Geschäftsrückstände vorlägen. Daher habe die Kommission sich noch nicht ihrer Arbeit zur Entwerfung der erforderlichen Gesetzbücher und Prozessordnungen widmen können643. 1. Verhandlungen über die Entwürfe eines Gesetzes, die Abstellung mehrerer in der Strafrechtspflege wahrgenommenen Mängel betreffend In den Jahren 1841 bis 1843 wurden in der kurhessischen Ständeversammlung mehrere Vorlagen der Regierung über ein Gesetz diskutiert, mit welchem mehrere in der Strafrechtspflege wahrgenommene Mängel abgestellt werden sollten. Bereits aus dem Titel der Vorlage wurde deutlich, dass die Regierung nicht daran dachte, bei dieser Gelegenheit bereits ein neues Strafgesetzbuch und ein modernes Strafverfahrensrecht vollständig zu kodifizieren. Die Gesetzesinitiative der Regierung folgte dabei nicht der eigenen Ankündigung im Landtagsabschied des Jahres 1831. Praktische Bedürfnisse der Strafrechtspflege standen im Vordergrund. In der Begründung zum vorgelegten Gesetzentwurf des Jahres 1840 verwies die Regierung darauf, dass trotz einiger Veränderungen in der Strafrechtspflege es gerade die Untersuchungsgeschäfte seien, welche in neuerer Zeit gewiss mehr als die Hälfte der Zeit der Justizbeamten in Anspruch nähmen644. So sei seit dem Jahre 1823 ein stetiger, erheblicher Anstieg der zur Untersuchung gekommenen Verbrechen und Vergehungen zu verzeichnen gewesen. Als Ursache wurde die mit steigender Population einhergehende Vermehrung von Straftätern angeführt. Die wachsende Bevölke642 Siehe KhLtV 1833/35, 6. Band, Nr. 115, S. 19 und Beilage 384 sowie Nr. 117, S. 52: beschlossen wurde nach § 6 des Landtagsabschiedes eine auf Mündlichkeit und Öffentlichkeit gebaute Strafprozessordnung und bürgerliche Prozessordnung. 643 Vgl. Amrhein, S. 95 f. 644 Die Begründung (enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 1. Band) verwies auf folgende Zahlen, die für das Gericht in Kassel ermittelt worden waren: „Während im Jahre 1823 bei dem hiesigen Landgerichte, dem größten unserer Untersuchungsgerichte, 356 Verbrechen und Vergehungen zur Untersuchung gekommen waren und bis 1829 jene Anzahl nicht um 100 überstiegen war, ist die Zahl derselben im Jahre 1830 bereits auf 597 und von da an jährlich dergestalt gewachsen, daß sie in jedem der Jahre 1835 bis 1838 sich durchschnittlich auf beinahe 1000 einzelne Fälle beläuft. Aehnliche verhältnismäßige Zunahme hat die Menge der Untersuchungen auch bei den übrigen Landgerichten und Aemtern gehabt.“

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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rungszahl habe nicht gleichzeitig in entsprechendem Maße weitere Erwerbsquellen hervorgebracht, so dass neben dem bekannten Mangel an Sittlichkeitsgefühl und geistiger Ausbildung auch die entstandene Armut oftmals das Wachsen der Verbrechen befördert habe. Bemerkenswert ist, dass sodann als eine der bedeutendsten Quellen vermehrter Untersuchungen gerade die bisherige Untersuchungsmethode gesehen wurde. In den Motiven zum vorgelegten Gesetz wurde vorangestellt, dass der Staatszweck eine völlige Herrschaft des Rechtsgesetzes verlange und daher eine Bestrafung jedes Verbrechens verlange, welches sich als einen im weitesten Sinne Bruch der vom Staate durch Strafgesetze geheiligten Rechtsverfassung darstelle. Eine konsequente Durchführung dieses Prinzips führe aber dazu, dass die untersuchenden Gerichte alles denkbare zu unternehmen hätten, um selbst in unwahrscheinlichen oder zweifelhaften Fällen zu einem Untersuchungsergebnis zu gelangen. Hierbei würde eine nicht mehr zu bewältigende Anzahl von Protokollen und umfangreichen Untersuchungsakten angefertigt. Die Verfahren würden sich so auch nicht zuletzt zu Lasten der in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten über Jahre verzögern. Aufgabe des vorgelegten Gesetzes sei es daher, das eigentlich nicht unrichtige System in seine gehörigen Grenzen zurückzuführen und Übertreibungen zu beseitigen. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthalte so eine Reihe einzelner Bestimmungen, durch die eine zweckmäßige Vereinfachung und Abkürzung des Untersuchungsverfahrens erreicht werden soll. Der insgesamt 27 Paragrafen enthaltende Gesetzentwurf wurde mit Begründungen in der Sitzung der Ständeversammlung am 7. Juli 1840 durch den Landtagskommissar Scheffer645 vorgelegt. Am gleichen Tage wurde er dem Rechtspflegeausschuss überwiesen. Nöllner hatte sich bereits in einem Beitrag für die Zeitschrift für deutsches Strafverfahren eingehend mit dem vorgelegten Gesetzentwurf beschäftigt646. Dabei kritisierte er eingangs scharf eine nur unzureichende Partikularverbesserung. Jeder Versuch, auf das morsche Fundament des deutschen Inquisitionsprozesses fortzubauen, stelle sich von vornherein als verfehlt dar647. Aber selbst die vorgeschlagenen Regelungen im Entwurf seien nicht geeignet, die festgestellten Übel auch nur zu lindern. Nöllner widersprach auch der Auffassung, dass die bisherige und auch von der Regierung kritisierte Untersuchungsmethode mitursächlich dafür sei, dass die Zeit der durchgeführten Untersuchungen so erheblich angestiegen ist. Er verwies auf die Zustände im Ausland: 645 Friedrich Heinrich Ernst Leopold Scheffer (1800–1879) 1822 bis 1834 Advokat in Treysa und 1836 bis 1841 Obergerichtsrat in Kassel; 1833/34 Mitglied der Stände und 1836 bis 1848 Landtagskommissar; 1847/48 Innenminister, vgl. Schnack/Losch, 1. Band, S. 240 f. 646 Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 1. Band, S. 229 ff. 647 Ebd., S. 231.

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„In Frankreich, in England, ist der Prozeß gegen den Angeklagten kurz, die innere Überzeugung der Richter erspart gar vieles an Papier, Zeit, Kosten u. s. w. was die äußere und durch actenmäßige Gründe unterstützte der Deutschen verlangt. Dennoch mehrt sich in gleichem und wo möglich in noch größerem Maaße die Zahl der Verbrecher.“648

Nöllner sah im überkommenen Inquisitionsprozess das wesentliche Übel der Strafrechtspflege. Mit kritischem Blick auf den kurhessischen Regierungsentwurf betonte er, nur ein Gesamtkonzept mit Anklagegrundsatz, den Instituten der Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie einer wohlgeordneten Gerichtsorganisation könne die Missstände beseitigen. Wolle man sich nicht dazu entschließen, alle zu Tage getretenen Probleme mit Sachkenntnis zu lösen, so „werden alle Unternehmungen, auf Umwegen die beklagenswerten Folgen des Inquisitionsprocesses und der in den Gefängnissen erzeugten moralischen Verderbnis zu beseitigen, stets Flickwerk bleiben und genau berechnet, den Staat mehr Geld kosten, als eine durchgreifende Verbesserung nötig gemacht haben würde.“649

Die Beratungen über den Gesetzentwurf in der Ständeversammlung begannen am 9. Januar 1841650. Schwarzenberg berichtete für den Rechtspflegeausschuss und begründete eine Reihe von Änderungsvorschlägen651. Grundsätzlich war die Ständeversammlung im Anschluss an den Bericht des Rechtspflegeausschusses bereit, vorläufige Detailregelungen unter Berücksichtigung eigener Änderungsvorschläge zu akzeptieren. Auch wenn in dem vorgelegten Gesetzentwurf noch nicht die Erfüllung des in Aussicht gestellten Kriminalgesetzbuches und einer Strafprozessordnung erblickt werden könne, so wollte der Ausschuss dem Gesetz nicht die Zustimmung versagen, welches noch vor der Ausführung der versprochenen umfassenderen Reform der Rechtspflege die Mängel einzelner Teile derselben zu beseitigen anstrebte. Der Ausschuss verkannte nicht, dass der Entwurf manche nützliche Anordnungen enthielt, welche ein beschleunigtes und zweckmäßigeres Prozessverfahren zur Folge haben würden. Die von der Ständeversammlung eingeforderten Änderungen am vorgelegten Entwurf führten jedoch nach weiteren Beratungen, die sich über zwei Landtagsperioden hinzogen, zum Scheitern des vorgelegten Entwurfes. Die Regierung war am Ende nicht bereit, die Änderungen zu akzeptieren. Besonders umstritten waren insbesondere das im Gesetz vorgesehene Kontumazialverfahren bei 648

Ebd., S. 235. Ebd., S. 239. 650 Siehe dazu Amrhein, S. 99 f. 651 Siehe KhLtV 1841, 2. Band, Nr. 91, S. 2 und Beilagen 288, 303, 306, 322 und 329; Entwürfe und Berichte in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 1. Band. 649

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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Ausbleiben des Angeklagten in der Verhandlung652, die grundsätzliche Beibehaltung der körperlichen Züchtigung653, die weiterhin bestehende Möglichkeit einer Entbindung von der Instanz anstatt einer Freisprechung654 sowie die Frage der reformatio in peius655. Umstritten blieb schließlich auch die Kompetenz der Polizeikommissionen in der Strafrechtspflege656. In der Sitzung vom 23. Januar 1841 wurde der auf der Grundlage der Änderungswünsche revidierte Entwurf mit 32 zu 9 Stimmen angenommen. Dieser fand jedoch nicht die Sanktion von Seiten der Staatsregierung. Am 4. Juni 1841 wurde ein weiterer Gesetzentwurf vorgelegt. In den Motiven hierzu wurde angeführt, dass die Gründe fortdauerten, welche die Vorlage des ersten Entwurfes veranlasst hätten. Auch dieser zweite Entwurf wurde nur mit den bereits zuvor vorgebrachten Modifikationen und mit der gleichen Stimmenzahl in der Ständeversammlung angenommen. Die Regierung war wiederum nicht bereit, das Gesetz in dieser Ausgestaltung zu akzeptieren, so dass der Landtagsabschied vom 19. August 1841 verlautbarte, 652

Nach § 1 des vorgelegten Entwurfes sollte bei gehörig begründeter Anzeige im Falle geringerer Vergehen – Androhung einer Geldbuße, bis zu dreimonatiger Gefängnisstrafe, bis zu zweimonatiger Zwangsarbeitshausstrafe oder Strafarbeit – der Angeschuldigte unter Androhung des Eingeständnisses vorgeladen und bei Ausbleiben entsprechend verurteilt werden können; kritisch bereits zur Vorlage Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 1. Band, S. 240 ff.; zu den Verhandlungen nach Vorlage des Ausschussberichts ders. in Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 3. Band, S. 60 ff. 653 Zur umstrittenen grundsätzlichen Beibehaltung der körperlichen Züchtigung in den §§ 13 ff. des Gesetzentwurfs siehe Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 1. Band, S. 264 ff. und 3. Band, S. 72 ff. 654 Nach § 19 des Regierungsentwurfs sollte außer dem Falle der Verurteilung ein Freispruch erfolgen, wenn kein Verdacht vorliege oder der vorhanden gewesene widerlegt worden ist. Nur eine Entbindung von der Instanz sollte aber erfolgen, wenn ein Verdacht begründet bliebe. In diesen Fällen sollte eine Wiederaufnahme der Untersuchung statthaft sein, wenn sich weitere Indizien ergeben sollten. Nach Auffassung des Rechtspflegeausschusses sollte allein eine Verurteilung oder ein Freispruch zulässig sein; vgl. dazu Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 1. Band, S. 275 ff. und 3. Band, S. 76 ff. 655 Nach § 24 des Entwurfes der Regierung sollte die Befugnis der Obergerichte beibehalten werden, das gegen den appellierenden Angeklagten ergangene Urteil zu dessen Nachteil abzuändern. Dieses sollte nun auch bei Restitutionen und Nichtigkeitsbeschwerden der Fall sein dürfen; vgl. hierzu Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 1. Band, S. 284 f. und 3. Band, S. 79 f. 656 Wippermann hatte in der Sitzung vom 23. Januar 1841 beantragt, dass die Justizämter und Landgerichte für alle Sachen zuständig sein sollten, die bisher den Polizeikommissionen oblagen; vgl. Amrhein, S. 99; Diesem, auch auf die Verwirklichung des § 112 der Verfassungsurkunde abzielenden, Begehren entsprach die Regierung auch im späteren dritten Entwurf nicht; zu dem umstrittenen Einfluss der Polizeidirektionen auf die Durchführung gerichtlicher Untersuchungen vgl. Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 3. Band, S. 66 ff.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

eine Sanktion des Gesetzes über die Abstellung mehrerer in der Strafrechtspflege wahrgenommener Mängel habe in den darüber abgegebenen landständischen Erklärungen Hindernisse gefunden657. In der Ständeversammlung vom 17. Dezember 1842 wurde der Gesetzesentwurf ein weiteres Mal vorgelegt. Erneut wurde aber den landständischen Forderungen insbesondere in den umstrittensten Punkten in keiner Weise Rechnung getragen. In den Motiven zu dieser Vorlage wurde darauf hingewiesen, dass sich die Gründe für das Gesetzesvorhaben seither nicht geändert hätten. Der Entwurf wurde dem Rechtspflegeausschuss überwiesen. Für diesen berichtete der Abgeordnete Schenk zu Schweinsberg am 31. März 1843. Dabei war der Rechtspflegeausschuss durchaus bereit, sich mit der Vorlage inhaltlich auseinander zu setzen, um im Sinne einer Verbesserung in der Strafrechtspflege wenigstens ein Mindestmaß zu erreichen, wenn auch die begehrte Gesamtreform dauerhaft auszubleiben schien658. In der folgenden Debatte begründete Schwarzenberg seine ablehnende Haltung. Seit dem Landtagsabschied vom Jahre 1831 seien nun zwölf Jahre verflossen. Gesetzbücher hätten entworfen werden sollen, die dem Bedürfnisse der Zeit entsprächen, wobei praktische Männer hätten zu Rate gezogen werden sollen, die mit den Verhältnissen und Bedürfnissen des Volkes vertraut sind. Durch Annahme des Entwurfs würde der Wunsch nach neuen Gesetzbüchern in weite Ferne gerückt. Notwendig sei die Einführung des Anklageprozesses, die Abschaffung des geheimen Inquisitionsverfahrens sowie das öffentliche und mündliche Verfahren. Solches bestünde bereits in großen Teilen Deutschlands. Jeder, welcher dessen Vorteile kennen gelernt habe, sei ihm mit Liebe zugetan und würde es als Unglück betrachten, wenn dasselbe einer anderen Rechtsverfassung Platz machen sollte. Die sächsische Kammer habe sich fast einstimmig für diesen Grundsatz ausgesprochen, die Erfahrungen aus der Westphälischen Zeit bewiesen, wie gut und vortrefflich eine solche Justiz sei659. Nachdem Wippermann660 die Ausführungen Schwarzenbergs unterstützte661, entgegnete von Buttlar662, dass das gegenwärtige Strafverfahren ebenfalls der Praxis entsprungen sei und befürwortete die vorgesehenen 657

§ 3 des Landtagsabschieds vom 19. August 1841, SG, 9. Band, 1841, S. 45 f. Siehe im Einzelnen die Berichte des Rechtspflegeausschusses vom 23. März 1843, 9. Mai 1843 und 27. Mai 1843 – Beilagen 99, 127 und 147 enthalten in den Akten des Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 2. Band. 659 KhLtV 1842/44, Nr. 1, S. 3 f. 660 Carl Wilhelm von der Wipper (1800–1857), genannt Wippermann; gilt als einer der prominentesten Führer der Liberalen in der Ständeversammlung, der er in den Jahren 1833 bis 1847 und 1849/50 angehörte, vgl. Lengemann, MdL, S. 415. 661 Ebd., S. 7. 658

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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Verbesserungen. Der Streit um eine endgültige Strafprozessordnung könne an dieser Stelle nicht ausgetragen werden. Der Grund, so von Buttlar weiter, warum man hauptsächlich Öffentlichkeit und Mündlichkeit wünsche, den man jedoch nicht ausspreche, liege in der Hoffnung, bei politischen Vergehen durch die sogenannte öffentliche Stimme auf den Richter einwirken zu können. Eine große Menge habe sich für die Öffentlichkeit und Mündlichkeit ausgesprochen, eine noch größere Menge habe in das Geschrei mit eingestimmt, ohne eigentlich zu wissen, was die Absicht sei und ohne die eigentlichen Gründe zu kennen663. Auch der Landtagskommissar entgegnete Schwarzenberg, es wundere ihn nicht, wenn dieser bei jeder Gelegenheit seine Lieblingsideen vortrage. Anklageprozess, Mündlichkeit und Öffentlichkeit, Pressefreiheit und dergleichen gehörten zu den Dingen, die man täglich in den Tagesblättern lesen könne. Dass diese Sachen eine wahre und eine richtige Seite hätten, könne zugegeben werden, dass aber damit ein unendlicher Unfug und ein großer Missbrauch getrieben werden könne, lasse sich nicht bezweifeln. Soviel stehe fest, dass eine wohlwollende und vorsichtige Regierung, der die Wohlfahrt des Landes wahrhaft am Herzen liege, solche Dinge nicht einführen werde, ohne zugleich die Garantien gegen die Missbräuche, welche die Erfahrung anderer Staaten lehre, damit verbunden seien, gefunden zu haben, was bisher noch nirgends gelungen sei664. In der Ständeversammlung am 10. Juni 1843 wiederholte Wippermann zum Schluss der Verhandlungen die vorgetragenen Bedenken und forderte die Schaffung einer neuen Strafprozessordnung. Das alte Gesetz sei nun hundert Jahre alt. Es sei natürlich, dass nach einem solchen Zeitraum die Bestimmungen dieses Gesetzes größten Teils unanwendbar werden mussten, da in diesem Zweige der Jurisprudenz seitdem ein bedeutender Umschwung stattgefunden habe, die Systeme der Philosophie, die auf den Kriminalprozess so wesentlichen Einfluss übten, sich so bedeutend geändert haben665. In der folgenden Abstimmung sprach sich die Ständeversammlung mit 21 zu 19 gegen die Gesetzesvorlage aus666. Darauf beantragte Wippermann, an die Regierung ein Ersuchen zur Vorlage eines Entwurfs einer Kriminalprozessordnung zu richten. Schwarzenberg verwies auf das der Ständeversammlung gegenüber abgegebene Versprechen. Viele andere Staaten seien 662 Freiherr Rudolf von Buttlar (-Elberberg) (1802–1875) war Kammerherr, Gutsbesitzer und Unternehmer und Mitglied der Stände 1833 bis 1848, vgl. Lengemann, MdL, S. 96. 663 Ebd., S. 9 f. 664 Ebd., S. 11. 665 KhLtV 1842/44, Nr. 47, S. 7 ff. 666 Ebd., S. 9.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

in dieser Gesetzgebung vorangeschritten. Es gebe im Strafrecht viele Bestimmungen, die wohl von einem Staat auf den anderen übertragen werden könnten. Man könne alles prüfen und das Beste behalten667. Dem entgegnete der Abgeordnete Nebelthau668, die Regierung werde sich mit der heute herausgestellten Majorität nicht einmal vereinigen können, wenn in Frage komme, ob das Untersuchungsverfahren oder der Anklageprozess einzuführen sei, ob ein Richterkollegium Recht sprechen solle, oder man eine andere Einrichtung wählen wolle669. Der im Übrigen nicht auf der Tagesordnung stehende Antrag wurde dann auch nach Widerspruch des Landtagskommissars, der die formelle Unzulässigkeit desselben geltend machte, abgelehnt670. Damit sollte in der kurhessischen Strafrechtspflege zunächst alles beim alten bleiben. Nöllner hatte bereits in einem Beitrag zum gescheiterten Gesetzentwurf des Jahres 1841 die kritikwürdigen kurhessischen Zustände angeprangert: „Niemals kann der wissenschaftliche und practische Sinn, welcher in der Jurisprudenz eines Staates enthalten ist, besser erkannt werden, als gerade durch die genaue Bekanntschaft mit solchen, in verschiedenen Richtungen angeregten Verhandlungen und wenn es wahr ist, daß der Criminalprozeß eines Staates, den Stand dessen öffentlichen Lebens am sichersten beurkundet, so bieten Darstellungen der neuesten Gesetzgebung aus unserem deutschen Vaterland noch überdies Betrachtungen dar, welche mehr, als gewöhnlichen juristischen Werth haben müssen.“671

Und nach seiner Betrachtung der Auseinandersetzungen der Ständeversammlung mit der Regierung in Bezug auf die einzelnen partikularen Reformen blickt Nöllner weiter pessimistisch in die Zukunft, wenn er ausführt: „Wie ist es aber möglich, erlauben wir uns hinzuzufügen, ein ganzes Gesetzbuch zu Stande zu bringen, wo über einzelne Theile der Strafrechtspflege noch so verschiedenartige und mit allen übrigen neueren wissenschaftlichen Erscheinungen fast in directem Widerspruche stehende Ansichten, welche zugleich mit solcher Entschiedenheit festgehalten werden, bestehen? Für die Codification in dem Kurfürstenthume Hessen stellt sich hiernach eine sehr ungünstige Prognose und es ist namentlich zu befürchten, daß jene allen andern deutschen Staaten gegenüber am weitesten zurückbleiben werde.“672 667

Ebd., S. 9. Friedrich Nebelthau (1806–1875) war Obergerichtsanwalt und Oberposthalter, Oberbürgermeister von Kassel sowie mehrfach Mitglied des Landtages in der Zeit von 1836 bis 1866, Lengemann, MdL, S. 277 f. 669 Ebd., S. 10. 670 Ebd., S. 11. 671 Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 3. Band, S. 58. 672 Ebd., S. 83. 668

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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2. Die Entwürfe betreffend das Strafverfahren des Jahres 1846 Im Jahre 1846 legte die Regierung zwei weitere Gesetzentwürfe vor betreffend zum einen die Zuständigkeit der Ober- und Untergerichte sowie das Verfahren in Strafsachen und zum anderen betreffend die Zulässigkeit und Wirkung der Rechtsmittel in Strafsachen. Die Begründung zu diesen Gesetzesentwürfen sowie deren wesentlicher Inhalt blieben allerdings die gleichen wie in den vorausgegangenen Jahren673. Die Regierung verwies auf die fortwährend im Anwachsen begriffenen jährlich anhängig werdenden und abzuurteilenden Untersuchungssachen und die dadurch zunehmende Geschäftsüberhäufung der Gerichte. Zu einer Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches und einer modernen Strafverfahrensordnung sah sich die Regierung jedoch weiterhin nicht veranlasst. Im Gegenteil verwies sie in der Begründung674 zu den vorgelegten Entwürfen auf die angeblich drohenden Gefahren: „Man möchte nun wohl als das wirksamste Mittel, um dem zur Sprache gebrachten Übelstande zu begegnen, und gleichzeitig etwaige sonstige in der Strafrechtspflege wahrgenommenen Mängel zu beseitigen, eine von Grund aus neue Strafprozeßordnung betrachten und deren Erlaß als einen von der Zeit und den Umständen geforderten Akt der Legislation für notwendig erklären wollen. Indessen darf man sich der vielfachen, mit einer so tief eingreifenden, Veränderung bestehender Zustände verbundenen, Schwierigkeiten nicht zu gedenken, die Gefahren nicht verhehlen, welche für das gemeine Beste daraus erwachsen können und den, in auswärtigen Staaten, wo die Einführung eines neuen Strafkodex und einer damit verbundenen neuen Strafprozeßordnung stattgefunden, gesammelten Erfahrungen zu Folge zum Teil wirklich erwachsen sind. Über gewisse, dabei in Betracht kommende, leitende Grundsätze, wie z. B. vor allem über die Form des Strafverfahrens, über die Notwendigkeit einer Beweistheorie und über die hiermit in Verbindung stehende Trennung der Tatfrage von der Rechtsfrage hat man sogar in der Doktrin noch nicht einmal ein völlig überzeugendes Resultat gewonnen, um so viel weniger läßt sich, auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit, zum voraus bestimmen, welcher Erfolg, und ob namentlich einen, das Wohl des Landes fördernden, diese oder jene von Grund aus neue Einrichtung im Leben haben werde und ob nicht die Nachteile dieser Neuerung die von ihr gewährten Vorteile überwiegen. Zu einem bloßen Experiment aber, dessen nächste Folgen möglicherweise zu der Notwendigkeit einer abermaligen Abänderung der neuen Einrichtung führen würde, kann man seitens der Regierung auf keine Weise die Hand bieten, vielmehr erblickt man eine weit sicherere Garantie für die Handhabung einer tüchtigen und allen Zeitanforderungen entsprechenden Strafrechtspflege darin, dass man auf den Grund der dermal bestehenden Einrichtungen und an die selbige sich unmittelbar anschließend, zeitgemäße Reformen ins Leben treten und dadurch eine, der Folgezeit vorbehaltene, Grundreform des Strafprozesses vermitteln 673 Die Gesetzesvorlagen mit Begründungen sind enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 2. Band. 674 In den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 2. Band.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

lässt, welche dann mit um so größerer Sicherheit und mit einer um so begründeteren Hoffnung auf einen heilsamen Erfolg vorgenommen werden kann.“

Nöllner hatte sich in einem weiteren Beitrag für die Zeitschrift für das deutsche Strafverfahren wiederum kritisch mit den Regierungsvorlagen auseinandergesetzt675. Dabei kritisierte er bereits die kaum überzeugenden Begründungen zu den vorgelegten Gesetzesentwürfen, mit denen lediglich unbefriedigende Reparaturarbeiten an den nicht mehr zeitgemäßen und unhaltbaren Rechtszuständen im Kurfürstentum Hessen vorgenommen werden sollten. Für die angeblichen Gefahren einer grundlegenden Neuordnung der Strafrechtspflege sah er keinerlei Anhaltspunkte. In der Tat wurden in der Gesetzesbegründung seitens der Regierung hierzu keine weiterführenden nachvollziehbaren Ausführungen gemacht. Nöllner erblickte sogar in der Regierungsbegründung die Rücknahme der im Landtagsabschied vom 9. März 1831 gegebenen Zusicherung des Entwurfs einer neuen Strafprozessordnung676. Die von Landtagskommissar Scheffer am 10. März 1846 vorgelegten Gesetzentwürfe wurden dem Rechtspflegeausschuss überwiesen677. Für diesen erstattete Schwarzenberg zu beiden Gesetzesvorhaben seinen Bericht vom 17. Juni 1846678. Der Rechtspflegeausschuss sah sich danach veranlasst zu beantragen, die vorgelegten Entwürfe abzulehnen und die Staatsregierung zu ersuchen, die im Landtagsabschied vom 9. März 1831 erteilte Zusicherung zu erfüllen und den Forderungen nach der Einführung des Anklageprozesses, verbunden mit einer öffentlichen und mündlichen Verhandlung Rechnung zu tragen. Es wurde eingeräumt, dass die besonderen Einrichtungen einer Strafprozessordnung zwar weniger unmittelbar auf die Minderung der Verbrechen selbst einwirken könnten, „verkennen läßt es sich indessen nicht, daß das geheime Untersuchungsverfahren, wo meist erst nach Jahren die Strafen auf die Verbrechen folgen, deren Erkennung auch, so wie die vorausgegangenen Verhandlungen in der Regel gar nicht einmal zur Kenntnis des Publikums gelangen und die Unkenntnis der Strafgesetze selbst, deren Bestimmungen in vielen, oft dunkeln, selbst untereinander nicht in Einklang stehenden Verordnungen zerstreut und begraben sind, ebenso wenig geeignet scheinen, die Mehrheit des Volks über Recht und Unrecht zu belehren, als von Verbrechen abzuschrecken und daß schon hierin eine dringende Aufforderung zu einer gänzlichen Umgestaltung der Strafgesetzgebung und des Strafprozesses liegt.“679 675 Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 3. Band, S. 292 ff. 676 Ebd., S. 297. 677 KhLtV 1846, 1. Band, Nr. 1, S. 9 (Beilagen 10 und 11). 678 Beilage 111 auch enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 2. Band. 679 Ebd.

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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Bemängelt wurde insbesondere auch, dass keine der früheren Forderungen und Änderungswünsche von Seiten der Ständeversammlung aufgenommen worden seien. Zu diesen übergangenen Vorschlägen gehörten die Einführung einer allgemeinen Appellationsbefugnis in Strafsachen, die Abschaffung der bloß von der Instanz entbindenden Erkenntnisse, die Abschaffung des Reinigungseides sowie die Übertragung der Gerichtsbarkeit der Polizeikommissionen und Deputationen auf die Untergerichte. Zu den übergangenen Verbesserungsvorschlägen gehörten des Weiteren der Antrag, die Befugnis der Gerichte auf eingelegte Appellation des Angeschuldigten die Strafe zu schärfen, aufzuheben sowie der Antrag auf Erlass umfassender gesetzlicher Bestimmungen über die Zulässigkeit von Verhaftungen. Gegen die Mehrheit des Ausschusses wandte sich jedoch das Ausschussmitglied Wagner680, der sich für die Beibehaltung des Untersuchungsverfahrens und ausdrücklich gegen die Öffentlichkeit und Mündlichkeit aussprach. Er warnte davor, sich auf solche gefährlichen Experimente und Neuerungen einzulassen, für deren Erfolg so wenig Garantie vorhanden sei. So sprach nach seiner Auffassung gegen ein öffentliches Verfahren, dass hierdurch die arbeitenden Volksklassen verleitet würden, die ihnen zu ihrem Broterwerbe so unentbehrliche Zeit auf solche Schauspiele zu verwenden. Hierdurch würden sie dann auch gar zu oft zur Nachahmung der ihnen vorgeführten, gewöhnlich durch die Verteidigungsreden der Anwälte beschönigten bösen Beispiele verführt werden. Auch würde sich nicht nur der Angeklagte schwerer dazu bequemen lassen, in einer öffentlichen Sitzung Geständnisse abzulegen, als vor einem einzelnen Richter. Auch die Zeugen würden oft Abstand nehmen, vor dem gesamten Publikum mit der vollen Wahrheit herauszugehen. Die Verhandlungen über die vorgelegten Gesetzentwürfe begannen in der Ständeversammlung am 7. Juli 1846681. Landtagskommissar Scheffer wies noch einmal auf die Gefahren der begehrten neuen Institute hin und auf den behaupteten Umstand, hierzu seien noch keine völlig überzeugenden wissenschaftlichen Resultate erzielt worden682. Dem widersprach allerdings Wippermann. Die angesprochene Doktrin werde wohl nur in mathematischen Wissenschaften absolut überzeugende Resultate bringen. In der Jurisprudenz allerdings müsse Gesetzgebung und Doktrin stets Hand in Hand gehen. Beide ständen in enger Wechselwirkung. Schließlich gebe es bereits 680 Siehe Separatvotum des Abgeordneten Wagner zu dem von Schwarzenberg erstatteten Ausschussbericht, Anlage zur Beilage 111, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1354, 2. Band. 681 KhLtV 1845, 1. Band, Nr. 32, S. 1 ff.; auszugsweise abgedruckt bei Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 144, S. 397 ff. 682 Ebd., S. 6.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

bedeutende Resultate insbesondere durch die Arbeiten von Mittermaier683. Nachdem Wippermann ausdrücklich die Öffentlichkeit der Verfahren befürwortete, ging er auch auf den Aspekt der Geschworenengerichte ein. Ihm sei es angenehm gewesen, dass der Rechtspflegeausschuss das Institut der Geschworenengerichte unerörtert gelassen habe. Es müsse anerkannt werden, dass die Doktrin über die Rätlichkeit der Einführung noch am meisten in Zweifel sei. Es hänge im Übrigen sehr mit den politischen Institutionen zusammen, so dass er jetzt noch kein Urteil geben wolle684. In der nun leidenschaftlicher geführten und ins Grundsätzliche gehenden Diskussion entgegnete der Abgeordnete von Buttlar und verwies auf das übelgewählte Beispiel Baden, wo in der Tat ein wenig beneidenswerter Zustand herrsche. Die gepriesene Öffentlichkeit führe dahin, dass das Volk Recht spreche und die Unabhängigkeit der Richter untergrabe, denn auch diese seien Menschen, auf die die irregeleitete öffentliche Meinung von Einfluss sein könne. Gerade in politischen Prozessen müsste die Regierung gegen die Einführung der Öffentlichkeit Bedenken haben685. Wippermann wies dagegen noch einmal darauf hin, dass seit 1748 die Beweisregeln weggefallen seien. Die Richter wären nun lediglich auf ihre eigene Überzeugung zurückgeführt hinsichtlich der Beurteilung dessen, was sie durch ihre eigene Untersuchung ermittelt haben, in der sie allein zur Erhebung der Beweise tätig gewesen sind. So habe man in Wahrheit in unseren Richtern, da dieselben immer nach ihrer Überzeugung und nicht nach objektiven Beweisregeln zu erkennen hätten, das Institut der Geschwore683

Ebd., S. 10. Ebd., S. 18. 685 In einer Denkschrift vom 23. Dezember 1845 mit der Überschrift „Die Zeitverhältnisse“ hatte sich von Buttlar bereits entschieden gegen liberale und demokratische Bestrebungen ausgesprochen und durchgreifende Abwehrmaßnahmen gefordert. Dabei sprach er auch die begehrten Strafprozessreformen an: „Sehen wir die ungemessen wiederholten Anforderungen nach Preßfreiheit, Geschworenengerichten, Öffentlichkeit und sonstigen in den Kram des Liberalismus passenden Institutionen, alles unter dem Deckmantel der Wohlfahrt für das Volk, und das Zetergeschrei, wenn die Regierungen im wohlverstandenen Interesse für die ihrer Sorgfalt Anvertrauten solche Bitten unberücksichtigt lassen, weil sie nicht durch die Preßfreiheit den Preßunfug herstellen, nicht durch Geschworene, Öffentlichkeit etc. den letzten Rest der Unabhängigkeit des Rechtes durch den Richterstand vernichten wollen, indem (dies) unausbleiblich (ist), wenn erst durch Öffentlichkeit die Leiter der demokratischen Prinzipien nach ihrer gewohnten Taktik durch die von ihr beherrschte öffentliche Meinung, durch die Popularität, auch ihren Einfluß auf die Richter und Geschworenen erstrecken und nach ihrem Gefallen freisprechen und verurteilen lassen können und sie dann eigentlich regieren; so erklärt sich die Tatsache leicht, denn wenn man nur noch die sonstigen Verdächtigungen hinzufügen kann, alle gerechten Bitten, alle Wünsche des Volkes bleiben unberücksichtigt, dann werden wieder viele gewonnen, sich den Führern zu dem vermeintlichen Heil anzuschließen“; zitiert nach Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 134, S. 359, 364. 684

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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nen, aber in seiner schlechtesten Form686. Einer Laiengerichtsbarkeit widersprach der Abgeordnete von Baumbach687. Es spräche nicht zu Gunsten der schon seit 1688 in England und seit 1792 in Frankreich eingeführten Geschworenengerichte, dass diese nur im Zuge von Revolutionen eingerichtet worden seien. In diesem Zusammenhang verwies Schwarzenberg darauf, dass die Gefahr einer Revolution gerade in der Untätigkeit bestehen könne. Revolutionen würden herbeigeführt, wenn wesentliche Gebrechen in der Gesellschaft beständen und die Regierung bei dem Veralteten beharre. Suche man alte Einrichtungen, die sich überlebt, zu erhalten, dann fühle sich jeder in der Gesellschaft unwohl. Revolutionen seien an sich ein großes Übel, aber die Folgen derselben oft wohltätig wie die eines Gewitters, das habe die Französische Revolution gelehrt, der man unendlich viel zu verdanken habe. Deshalb wolle er zwar nicht einer Revolution das Wort reden, aber mit der Zeit müsse man fortschreiten, wenn man Revolution vermeiden wolle. Der Abgeordnete Rehm688 wiederum sah in seinem Beitrag die Öffentlichkeit und Mündlichkeit als einen Erbteil des germanischen Volkes. Dem germanischen Verfahren sei jenes Rechtsinstitut eigen gewesen und erst im 13. und 14. Jahrhundert wäre dasselbe verdrängt worden. Es habe bestanden, bis durch kirchliche Institutionen der Inquisitionsprozess eingeführt worden, es sei nichts, was durch Revolution entstanden wäre, es sei ein deutsches Eigentum. Auch Heinrich Henkel689 wandte sich dagegen, alles eine Revolution nennen und für unrecht und sündhaft erklären zu wollen, was eine wesentliche Veränderung in den bürgerlichen Zuständen hervorbringe. Dann sei jedem Fortschritt das Todesurteil gesprochen. Auch vorliegend wolle man zurückkehren auf das altdeutsche Gerichtsverfahren. Dies sei nichts unrechtes, nichts sonderbares und nichts, was den Namen einer Revolution verdiene. Im Übrigen hatte sich Henkel ebenfalls ausdrücklich dagegen ausgesprochen, auf den vorgelegten Gesetzesentwurf einzugehen. Er sprach sich ausdrücklich für den Anklageprozess und ein öffentliches Verfahren aus. Der Schwurgerichtsbarkeit stand er allerdings skeptisch gegenüber. Insbesondere zweifelte er an der Befähigung der Laien: „Nicht jeder aus dem Volke sei geeignet, verwickelte, schwierige Verhältnisse gehörig aufzufassen und sich ein klares Urteil darüber zu bilden. Er würde sich daher dafür entscheiden, daß die eigentlichen Richter sich auch über das Schuldig oder Unschuldig aussprächen. Aber für den Anklageprozeß und für die Öffentlich686

KhLtV 1845, 1. Band, Nr. 32, S. 32. Ebd., S. 33. 688 Ebd.; S. 34 f.; abgedruckt auch bei Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 144, S. 400. 689 KhLtV 1845, 1. Band, Nr. 32, S. 35; Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 144, S. 400 f. 687

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

keit und Mündlichkeit des Verfahrens stimme er von Grund seines Herzens, ohne daß er glaube, sich dadurch eines Leichtsinns schuldig zu machen.“690

Die Verhandlungen wurden in der Sitzung am 10. Juli 1846 fortgesetzt. Erneut wurden die Institute des öffentlichen und mündlichen Verfahrens sowie der Geschworenengerichte im historisch-politischen Kontext erörtert. Nebelthau verwies mit Blick auf England, so etwas könne man hier nicht nachmachen. So etwas müsse gewachsen sein. Das Beste beruhe nicht auf Gesetzgebung, sondern im eigensten Wesen, im Blute des dortigen Staatsund Volkslebens. Dies habe Frankreich in vollem Maße erfahren. Wolle Deutschland sich derartiges aneignen, könnten hundert Jahre darüber hingehen, eben weil jene großartigen Institutionen weit über dem Horizonte des geschriebenen Rechts lägen. Vor zehn und zwanzig Jahren habe man verhältnismäßig weit mehr Stimmen für die Einführung der Geschworenengerichte gehört als jetzt. Eine Stimme nach der anderen sei verstummt und jetzt in diesem Saale, bei dieser Gelegenheit auch nicht eine laut geworden, für uns, für unser Vaterland die Einführung der Geschworenengerichte zu begehren. Gewiss sei man zu einer tieferen Überzeugung gelangt, aber entweder habe man die gewonnene Einsicht noch nicht vollständig ausgebeutet, oder man halte zurück, sie in ihrer Ganzheit auszusprechen. Auch der Sinn der Forderungen nach Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Anklageprozess liege im Dunkeln. Das eigentliche Problem sei die Frage nach dem künstlichen Überführungsbeweis, mithin das Recht des Richters auf Inzichten oder Indizien zu verurteilen. Wolle man sich gegen die Jury aussprechen, bestünde die Problematik weiter. Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Anklageprozess böten keine Lösung für dieses Problem691. In einer zunehmend emotional geführten Debatte ergriff Henkel noch einmal das Wort. Er sprach sich noch einmal ausdrücklich für ein öffentliches Verfahren aus. Es gebe keine bessere Legitimation für den Staat, wenn er seine Verfahren vor dem Publikum offen vor Augen lege. Was insbesondere die politischen Vergehen betreffe, von deren Beurteilung man bei öffentlichen Verfahren durch die öffentliche Meinung einen besonders nachteiligen Einfluss fürchte, so sei er der Meinung, dass man diese eigentlich gar nicht durch die Landesgerichte aburteilen sollte, da der Inhaber der Gewalt hierbei persönlich beteiligt sei. Dies gelte zum Beispiel bei Pressvergehen oder Aufruhr. Solche Fälle sollten zum Spruche an ein ausländisches und unparteiisches Gericht gesandt werden. Wolle man dies nicht, so müsse man wenigstens das Publikum sehen lassen, wie verfahren wird. Schließlich beschwert er sich noch einmal bitter, dass seit 1831 hinsichtlich des Rechtszustandes und der bürgerlichen Freiheit ein Rückschritt erfolge. Viele Ver690 691

Zitiert nach Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 144, S. 399. KhLtV 1845, Nr. 33, S. 8 f.

III. Die Schwurgerichtsfrage des kurhessischen Landtags bis 1846

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sprechen würden nicht eingehalten, von der in der Verfassungsurkunde zugesagten Pressefreiheit sei keine Spur, allenthalben fühle man Einschüchterung durch die Polizei sogar in der Ständeversammlung692. Am Ende beschloss die Ständeversammlung, mit 21 zu 19 Stimmen auf die einzelnen Bestimmungen der Gesetzentwürfe erst gar nicht einzugehen693. Das Ausbleiben eines neuen Strafgesetzbuches sowie einer modernen Strafprozessordnung und nicht zuletzt des ersehnten Pressegesetzes waren symptomatisch für die enttäuschten Reformerwartungen nach der verheißungsvollen Verfassungsgebung und des Landtagsabschiedes des Jahres 1831. Die Reformansätze der Regierung in der Strafrechtspflege waren rein pragmatisch motiviert. Die begehrte Öffentlichkeit und Mündlichkeit wurden von Regierungsseite und sogar von Teilen der Stände offen abgelehnt. Die Geschworenengerichte schließlich stießen auch bei vielen Liberalen auf Misstrauen und gar Ablehnung. Die Prinzipien der Öffentlichkeit und Mündlichkeit aber waren in Kurhessen, wie auch in allen anderen konstitutionellen Staaten Deutschlands, in den politischen Verhandlungen von den fortschrittlich Gesinnten ganz überwiegend als unbedingt notwendig zur Überwindung des furchterregenden Inquisitionsprozesses erachtet worden. Auch versprach man sich mit dem Hinweis auf die Erfahrungen mit dem französischen Rechtssystem, wie es noch in den Rheinlanden praktiziert wurde, eine effektive und rasche Rechtspflege auch im Strafverfahren. Bei alledem wäre eine bedeutende Reform des Strafprozesses auch ohne die Einrichtung der Geschworenengerichte möglich gewesen. Zu Recht wurde die Erneuerung des Strafverfahrens auch nicht von der gleichzeitigen Einführung der Schwurgerichtsbarkeit abhängig gemacht. In den kurhessischen Landtagsverhandlungen der 40er Jahre wurde in dieser Hinsicht auch deutlich, dass hier die Geschworenengerichte in ihrer politischen Bedeutung außerhalb des Themenbereiches der Pressefreiheit wieder deutlich in den Hintergrund getreten waren. Bis zum Jahre 1848 wurden so die Geschworenengerichte in keinem deutschen Staate, sofern sie in den Rheinlanden nicht bereits eingeführt und noch wirksam waren, eingerichtet, obwohl sie zum Teil bedeutende politische und leidenschaftliche Befürworter hatten. Aber auch unabhängig von diesem Befund waren die Ergebnisse der Reformbemühungen in Kurhessen insgesamt mangelhaft und blieben hinter den gesetzgeberischen Maßnahmen anderer deutscher Staaten zurück. Dies konnte die Regierung kaum beeindrucken. Landtagskommissar Scheffer hatte anlässlich der Verhandlungen am 7. Juli 1846 provokant geäußert, wenn man glaube, durch die Ablehnung der von der Regierung vorgelegten Reform692 693

Ebd., S. 12 ff. Ebd., S. 18.

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vorschläge den Ansichten, die der Rechtspflegeausschuss verfolge, irgend etwas genützt zu haben, so irre man sich sehr; „die Regierung werde auch bei dem dermaligen unveränderten Zustande noch länger ganz gut ausharren können“694.

Im Großherzogtum Hessen wurde bereits seit der Verfassung des Jahres 1820 um ein neues Strafverfahren und ein Strafgesetzbuch gerungen, nachdem Artikel 103 der Verfassung vom 17. Dezember 1820 bestimmt hatte, dass für das ganze Großherzogtum neben einem Bürgerlichen Gesetzbuch auch ein Strafgesetzbuch und ein Gesetzbuch über das Verfahren in Rechtssachen eingeführt werden sollte. Die hierzu eingesetzte Gesetzgebungskommission kam mit ihrer Arbeit jedoch nicht voran und wurde schließlich am 12. Juni 1830 aufgelöst. Nunmehr sollte Anton Mittermaier eine Strafprozessordnung ausarbeiten. Dieser kündigte an, einen Entwurf abfassen zu wollen, der neben dem Anklageverfahren auch die Prinzipien der Mündlichkeit und Öffentlichkeit enthalte. Zudem sollten die Geschworenengerichte im Großherzogtum eingeführt werden. Eine entsprechende Ausarbeitung unterblieb jedoch, da die Regierung zunächst die Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches in den Vordergrund stellte. Die weitere Entwicklung und die Auseinandersetzungen in den Landtagsverhandlungen hat Amrhein in seiner Untersuchung über die Entwicklung des hessischen Strafprozessrechts im 18. und 19. Jahrhundert dargestellt695. Hierauf sei an dieser Stelle verwiesen. Festzuhalten bleibt, dass es im Großherzogtum Hessen gelungen war, ein neues Strafgesetzbuch sowie ein Gesetz zur Neuordnung der Rechtsmittel in Strafsachen vom 17. September 1841 einzuführen. Diese Gesetze traten mit Wirkung zum 1. April 1842 in Kraft696. In den weiteren Ständeverhandlungen in der Zeit bis 1847 blieben die Forderungen nach einer Erneuerung der Strafprozessordnung jedoch ebenfalls ergebnislos. Immerhin war jedoch mit der Kodifizierung des materiellen Strafrechts ein Teil der Verfassungsvorgaben erfüllt. In Kurhessen wurde ein neues Strafgesetzbuch schmerzlich vermisst. In seiner Kritik an den legislatorischen Maßnahmen in Kurhessen verwies Nöllner auch auf den Umstand, dass Kurhessen noch zu dem verbleibenden kleinen Teil Deutschlands gehöre, in dem weiterhin das gemeine Recht zur Anwendung gelange697. Diese unbe694

Zitiert nach Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 3. Band, S. 304. 695 Amrhein, S. 38 ff.; vgl. dazu auch die Darstellungen bei Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 268 ff. und 382 ff. 696 Amrhein, S. 48 f. 697 Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 3. Band, S. 292 f.; Nach den Feststellungen von Wächter in dessen Untersuchung über das gemeine Recht Deutschlands sei dieses bei etwa 35 Millionen Deutschen aufgehoben und gelte nur noch für etwa 4 Millionen (ebd., Fn. 1); Nöllner weist des wei-

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friedigende Gesetzeslage im Bereich des materiellen Strafrechts war zusätzlich bedeutender Anlass der Befürworter der Geschworenengerichte, diese als Korrektiv für die in keiner Hinsicht mehr als zeitgemäß und angemessen empfundenen Strafrechtsbestimmungen der Carolina zu fordern. Auch vor diesem Hintergrund wurde das Institut der Geschworenengerichte eher holzschnittartig und aus politischer Perspektive erörtert. Zu juristischen Fragen der inhaltlichen Ausgestaltung drang man angesichts der kompromisslosen Gegnerschaft insbesondere auf Seiten der Regierung erst gar nicht vor. Letztlich hatten die Geschworenengerichte etwas Revolutionäres. Und Revolution galt es in dieser Zeit zu vermeiden. Dies sahen auch viele liberal Gesinnte so. Allein die Prinzipien des Anklageprozesses und des öffentlichen und mündlichen Verfahrens waren in der Politik und nach Angaben von Nöllner wohl auch in der Richterschaft weitgehend unumstritten698. Bedeutendere Vorarbeiten, die dann im Jahre 1848 eine zügige Umsetzung der Reformgedanken ermöglichten, wurden andernorts geleistet699. Dies gilt vor allem hinsichtlich der gesetzgeberischen Maßnahmen in Baden und Preußen. Aber auch die in anderen deutschen Staaten im Laufe der 40er Jahre geführten zum Teil sehr leidenschaftlichen Debatten, in denen um Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie die Einrichtung von Geschworenengerichten gerungen worden war, zeigten nachhaltige öffentliche Wirkung. Zu erwähnen sind insbesondere die Verhandlungen im sächsischen Landtag des Jahres 1845700. Wenn auch letztlich ohne Erfolg wurde hier vor allem um das Prinzip der Öffentlichkeit der Strafverfahren gestritten. Dabei wurde auch der Hintergrund für die große Abneigung auf Seiten der Regierung gegen eine solche populäre Forderung deutlich. Die Öffentlichkeit wurde als politisches Recht des Volkes und als Vorstufe zur eingeforderten Schwurteren darauf hin, dass mit dem in Kurhessen so weiter geltenden gemeinen Recht ein ganz partikuläres, aus der Zeit der vollkommenen Geltung des Abschreckungsprinzips herrührendes, die Infamie überallhin verbreitendes Strafensystem mit mangelhaft eingerichteten Strafanstalten in Verbindung stehe und dieser ganzen, von der Wissenschaft, von der neuesten Legislation, von der sachverständigen öffentlichen Meinung und daher auch von allen ausgezeichneten kurhessischen Praktikern verworfenen gesetzlichen Grundlage, das geheime Strafverfahren mit allen seinen Mängeln und Auswüchsen zur Stütze diene, ebd., S. 293. 698 Vgl. Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 381. 699 Siehe insbesondere Hepp, Der Gerichtssaal, 2. Band, S. 271 ff. und 506 ff. mit einem Rückblick auf die Strafprozessgesetzgebung der letzten fünf Jahre vor 1851; vgl. zu den Verhandlungen über Reformen in der Strafrechtspflege in den einzelnen deutschen Staaten Schwinge, S. 53 ff.; Hahn, S. 50 ff. (über die Diskussionen über die Einführung der Schöffengerichte in Strafsachen in Baden) und S. 68 ff. (über die Schwurgerichtsfrage). 700 Vgl. die Darstellung bei Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 380, 400 ff.

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gerichtsbarkeit angesehen. Dies war die Besorgnis der Regierenden nicht nur in Sachsen, wo entsprechend einer Regierungsvorlage das Inquisitionsverfahren grundsätzlich beibehalten werden sollte701. Am Ende konnte man sich hier seitens des Ministeriums für die zukünftige umfassende Reform nur das Anklageverfahren und das Prinzip der Mündlichkeit, also unmittelbare Verhandlung vor dem Richter aber ohne Publikum, vorstellen. So hatte Württemberg bereits 1843 nur ein öffentlich-mündliches Schlussverfahren bei schwereren Deliktsfällen eingeführt. Auch hier wurde die Forderung nach Öffentlichkeit harsch zurückgewiesen702. Im Großherzogtum Baden hingegen kam es 1845 bereits zur Kodifizierung eines öffentlichen und mündlichen Strafverfahrens unter Geltung des Anklagegrundsatzes zusammen mit dem gleichzeitigen Erlass eines neuen Strafgesetzbuches, was am 6. März 1845 publiziert wurde. Hinzu kamen weitere Verbesserungen, um die man in Kurhessen in dieser Zeit vergeblich gerungen hatte703. Die gelehrten Richter sollten allerdings bei ihrer Entscheidung an eine kodifizierte Beweistheorie gebunden werden. Hiervon hatte man in der preußischen Reformgesetzgebung des Jahres 1846 abgesehen. Auch hier wurde wie in Baden die Jury nicht eingeführt. Die entscheidenden Berufsrichter wurden jedoch an keine gesetzlichen Beweisregeln gebunden. Bereits im Jahr 1847 konnte so der erste vor vollem Publikum stattfindende Hochverratsprozess, der sogenannten Polenprozess, zügig durchgeführt werden704. In seiner Denkschrift des Jahres 1846 hatte sich der preußische Justizminister von Savigny im Rahmen der vorbereitenden gesetzgeberischen Arbeiten unter anderem mit der Frage der Einführung von Geschworenengerichten und den bis dahin entwickelten Beweistheorien, namentlich der positiven und negativen Beweistheorie auseinandergesetzt705. Er kam zu dem Ergebnis, dass letztlich die Bindung des Berufsrichters an gesetzliche Beweisregeln nicht die hierdurch erwarteten Garantien böte. Vor allem sei es nicht möglich, gesetzestechnisch zuverlässige Regeln über den Indizienbeweis aufzustellen, dessen grundsätzliche Zulässigkeit man nicht in Abrede stellen könne. Die Gerichtspraxis hatte in den vorausgegangenen Jahrzehnten seit Beseitigung der Tortur versucht, regelmäßig zu befolgende Grundsätze über die Voraussetzungen einer Verurteilung auf Anzeigen aufzustellen. Dass diese unsicher blieben, sah auch von Savigny. Allein er stellte die Frage, 701 Vgl. dazu Hepp, Der Gerichtssaal, 2. Band, S. 282; Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 3. Band, S. 85. 702 Vgl. dazu Hepp, Der Gerichtssaal, 2. Band, S. 273 f. 703 Siehe Hepp, Der Gerichtssaal, 2. Band, S. 283; zu den Verhandlungen der Landstände über den badischen Entwurf einer Strafprozessordnung vgl. Nöllner, Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 136 ff. und 204 ff. 704 Hepp, ebd., S. 285 f. 705 Von Savigny, GA, 6. Band, S. 469, 471 ff.

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„ob denn wirklich die Angeschuldigten, wie das Gemeinwesen, weniger als dies bisher bei zugelassenem Indizienbeweise der Fall war, geschützt sein werden, wenn im mündlichen Verfahren beiden Theilen zu vollständiger Erörterung und den Richtern selbst zu vollständiger Erschöpfung der Erkenntnisquellen Gelegenheit gegeben wird; wenn dieses öffentlich, Angesichts der Betheiligten und des Publikums geschieht; wenn die Richter ihren Ausspruch rechfertigen, also alle vorgebrachte Anschuldigungs- und Vertheidigungsmomente nach verständigem Ermessen würdigen müssen; wenn das Urtheil, nach wie vor, der höheren Prüfung des Appellationsrichters unterworfen werden kann, und im Interesse des Staats ein Rechtsmittel gestattet wird.“706

Einen wesentlichen Rechtfertigungsgrund für die Gewährung einer freien Beweiswürdigung durch den Berufsrichter sah er in der Pflicht derselben, bei Abfassung der Entscheidungsgründe die eigene Beweiswürdigung überzeugend und durch die höhere Instanz nachprüfbar offen zu legen, wodurch er sich wesentlich von den Geschworenen unterscheide, die „ohne alle Rechenschaft nach ihrer nicht weiter zu begründenden intime conviction, und ohne Zulassung eines Rechtsmittels in Betreff der Thatfrage zu erkennen hätten.“707 Auch wenn in Preußen im Jahre 1846 nach Auffassung seines Justizministers die Zeit noch nicht reif für die Einführung von Geschworenengerichten erschien708, so erhielt die Gewährung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Strafverfahren eine andere, beinahe politisch neutrale, Qualität. Unter den genannten Bedingungen sollte der Berufsrichter von Beweisregeln befreit werden können. Es konnte ihm so „selbst die Auffindung und Anwendung der Beweisregeln, welche die allgemeinen Denkgesetze, Erfahrung und Menschenkenntnis an die Hand geben, überlassen“709 werden; eine Auffassung, die bis heute wirkt. Damit hatte Preußen neben Baden eine Vorreiterrolle übernommen. In seinem Beitrag für den „Gerichtssaal“ im Jahre 1851 wies Hepp unter Herausstellung der preußischen Gesetzgebung darauf hin, dass man angesichts dieser Reformen nun auch in anderen konstitutionellen Staaten Deutschlands, wo die Regierungen seither Nichts oder nur Unwesentliches geleistet hätten, neue Hoffnungen geschöpft habe, wenigstens ins Schlepptau des absolutistischen Preußens genommen zu werden, obwohl es auch dann nicht an Leuten, wie namentlich dem kurhessischen Landtagskommissar Scheffer, gefehlt haben würde710.

706 707 708 709 710

Ebd., S. 491. Ebd., S. 484. Ebd., S. 480 f. Ebd., S. 484. Hepp, Der Gerichtssaal, 1851, 2. Band, S. 292.

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IV. Reformdruck und die Schwurgerichtsfrage im Vorfeld der Gesetzgebung des Jahres 1848 Unter Nachvollziehung der repressiven Bundesgesetze gelang es dem Kurprinzen, nach den Ereignissen im Sommer des Jahres 1832 wieder die Oberhand zu bekommen. Zu einem „Rückfall in eine förmliche Restauration“ kam es allerdings nicht. Es folgte die Zeit des konservativen Doppelministers Hassenpflug und die Ära seines gemäßigten Nachfolgers im Amte des Innenministers Hanstein. Die durch die Verfassungsgebung verheißene Aufbruchstimmung schien Ende der 30er Jahre wieder völlig verloren gegangen zu sein. Die Pressefreiheit ließ weiter auf sich warten. Wie in anderen Bereichen wirkten bei den Reformbemühungen in der Strafrechtspflege die konservativen Beharrungskräfte711. Es kam hinzu, dass man mit den in den 30er Jahren gegen Hassenpflug und Hanstein angestrengten Ministeranklagen gescheitert war712. Nach § 100 der Verfassungsurkunde hatten die Landstände das Recht und gar die Pflicht, diejenigen Vorstände der Ministerien oder deren Stellvertreter vor dem Oberappellationsgericht anzuklagen, die sich einer Verletzung der Verfassung schuldig gemacht haben würden. Doch die „mit hohen Erwartungen bedachte Traumwaffe des Liberalismus“713 hatte versagt. Die Versuche, Ministerialvorstände wegen Verletzung oder Nichtbeachtung der Verfassung auf strafrechtlichem Wege zur Verantwortung zu ziehen und aus dem Amt zu entfernen, erwiesen sich als untauglich, so dass die Liberalen auch in dieser Hinsicht in die Defensive gerieten714. Trotz einiger Unruhe in der Bevölkerung wegen anhaltender obrigkeitsstaatlicher Überwachung und Repression und zudem wiederholten wirtschaftlichen Notlagen und Hungersnöten entwickelte sich auch in der Folgezeit keine wirkliche Revolutionsgefahr. Staatliche Hilfsmaßnahmen hielten die Stimmung in der Bevölkerung im Zaum. „Politische Sammlung mit 711 Exemplarisch ist das von Justizministerium am 7. Juni 1844 gegenüber den Obergerichtsanwälten ausgesprochene Verbot der Teilnahme an einer Advokatenversammlung in Mainz. In ihrer Eingabe von Anfang Juni 1844 wiesen die Anwälte darauf hin, dass ein solches Treffen entgegen der Auffassung des Ministeriums keineswegs gegen das bundesgesetzliche politische Vereinigungsverbot verstoße. Letztlich auf Druck Österreichs wurde die Versammlung abgesagt. Allerdings trafen sich privat rund 80 Anwälte aus ganz Deutschland und forderten unter anderem eine grundlegende Reform des Strafverfahrens und die Einführung von Geschworenengerichten; siehe Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 124, S. 334, insb. Fn. 2. 712 Siehe dazu die ausführliche Untersuchung von Popp, Ministerverantwortlichkeit und Ministeranklage im Spannungsfeld von Verfassungsgebung und Verfassungswirklichkeit; vgl. auch Grothe, Verfassungsgebung, S. 248 ff. 713 Seier, Handbuch, S. 83. 714 Zu den Anklagen gegen Hassenpflug und Hanstein siehe Popp, S. 211 ff.

IV. Schwurgerichtsfrage im Vorfeld der Gesetzgebung des Jahres 1848

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intendierter revolutionärer Zuspitzung brachte der Krisendruck bis 1847 indessen nicht hervor.“715 Als Wilhelm II. am 20. November 1847 starb, war die Macht des seit 1831 faktisch allein regierenden und nun letzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. bei aller Krisenhaftigkeit und politischen Unzufriedenheit noch nicht akut bedroht. Der politische Umsturz, wie auch die Umsetzung der seit der Germanistenversammlung des Jahres 1847 neu belebten Schwurgerichtsfrage, standen jedoch kurz bevor. Die Entwicklung der kurhessischen Strafrechtspflege in der Zeit nach 1831 war insbesondere geprägt durch die von wirtschaftlichen Notlagen hervorgerufene Sozialkriminalität einerseits und die seit den Ereignissen der Julirevolution auch bundesstaatlich vorangetriebenen politischen Prozesse andererseits. Theisen verweist im Zusammenhang mit der zum erheblichen Teil aus sozialer Not geborenen Kriminalität auf den großen Anteil von Diebstahlsdelikten und Forstfreveln716. Die Taten wurden nach seiner Auffassung von den Gerichten mit Härte bestraft, ohne dass auf soziale Hintergründe besondere Rücksicht genommen worden wäre. An der wirtschaftlichen und sozialen Not konnte freilich eine harte Verurteilung nichts ändern. Im Gegenteil führte sie oft zu deren Verschärfung. Die Rückfallquote war hoch717. Hinsichtlich der politischen Prozesse dieser Jahre kommt Theisen zu der Beurteilung, dass Kurprinz und Regierung die Verfahren zur Durchsetzung und Erhaltung staatlicher Machtbefugnisse intensiv verfolgt haben. Die Gerichte spielten nach seiner Auffassung in diesen Prozessen, oftmals unbewusst, nur eine Handlangerfunktion des Staates. Zuzustimmen ist Theisen auch, wenn er auf die Vehemenz hinweist, mit der die kurhessischen Gerichte die Untersuchungen betrieben haben. Unter stetiger Beeinflussung führten sie am Ende das aus, „was der Intention der Regierung sowie der Frankfurter Behörde entsprach.“718 1. Das ungelöste Problem der freien Beweiswürdigung und der Prozess gegen Sylvester Jordan Der nicht allein in Kurhessen herausragende politische Prozess dieser Zeit war das Verfahren wegen Hochverrats gegen Sylvester Jordan. Eine besondere Bedeutung kam diesem oft als politischem Schauprozess empfunde715

Seier, Handbuch, S. 99. Theisen, S. 409 ff. 717 Ebd., S. 418 f. 718 Theisen, S. 448; er verweist aber auch zu Recht darauf, dass dieses Urteil einer wenn auch oftmals unbewussten Willfährigkeit jedenfalls dem Kasseler Oberappellationsgericht nicht gemacht werden könne. 716

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nen Verfahren nicht zuletzt deshalb zu, weil hier die gravierenden Schwächen und Gefahren einer möglichen Verurteilung allein auf Indizien, zumal in einer geheimen Untersuchung, öffentlichkeitswirksam zu Tage traten. Noch immer war es weder in der Lehre noch in der Praxis gelungen, allseits überzeugende Regeln für den Indizienbeweis aufzustellen719. Die kurhessischen Gerichte orientierten sich weiterhin an den vom Oberappellationsgericht seit den 20er Jahren entwickelten Grundsätzen720. So hatte das Oberappellationsgericht in seiner Entscheidung vom 8. Oktober 1836 die Grundsätze der Erfordernisse des künstlichen Überführungsbeweises, so wie sie die Wissenschaft festgestellt und das entscheidende Gericht in allen vorgekommenen Fällen als leitend betrachtet habe, zusammengestellt721. Das Gericht stellte zunächst darauf ab, dass bereits die Römer unzweifelhaft eine Verurteilung auf künstliche Beweisführung für zulässig erachtet haben. Auch wenn ein konstanter Gerichtsgebrauch in Kurhessen die Grundsätze des römischen Rechtes wieder anerkenne, so dürfe doch diese Abweichung von einem völlig klaren deutschen Gesetze, der Carolina, dessen Geist nicht vollständig dergestalt verdrängen, dass der Richter sich für berechtigt halten dürfte, in der Rechtsprechung auf künstlichem Beweis seiner bloß subjektiven oder moralischen Überzeugung, einem leicht täuschenden Fürwahrhalten, zu folgen. Er sei vielmehr verpflichtet, sich streng an gesetzliche Erfordernisse einer künstlichen Beweisführung zu halten. Das Gericht verwies sodann auf die Inkonsequenz, wonach aufgrund des Gerichtsgebrauchs in Kurhessen auf bloß künstlichem Beweis keine Todesstrafe ausgesprochen werden dürfe. Der Grund hierfür liege darin, dass nach dem eigenen Anerkenntnis der Richter ihre Schlussfolgerungen, auch wenn sie noch so bündig erscheinen, doch fehlbar und trüglich blieben, weil sie menschlichen Ursprungs und darum unvollkommen sind. Das Oberappellationsgericht argumentierte sodann unter Bezugnahme auf die seinerzeitig veröffentlichte Strafrechtsliteratur dahingehend, dass zunächst eine jede Tatsache, die als Anzeige dienen soll, an sich vollständig bewie719 So verwies Hepp in seinem Rückblick auf die Strafgesetzgebung der letzten fünf Jahre vor Einführung der Geschworenengerichte in Deutschland darauf, dass in Bezug auf die Frage einer gesetzlichen Beweistheorie eine verwirrende Zahl ganz unterschiedlicher Lösungsansätze in den Partikulargesetzen zu finden seien. Trotz der hinter den Normierungsversuchen zu entdeckenden begrüßenswerten Motivation eines Schutzes des Angeklagten vor willkürlichen Entscheidungen beurteilt er doch die Bemühungen als untauglich: „unnatürlich und willkürlich sind doch alle solche Beschränkungen der richterlichen Ueberzeugung, welche nicht nach abstracten Regeln bestimmt werden, sondern nur das Product der gewissenhaften Würdigung und Prüfung der besondern Thatumstände, die immer andere sind, sein kann“; Hepp, Der Gerichtssaal, 1851, 2. Band, S. 522. 720 Siehe unter C. I. 3. 721 Siehe Heuser, Entscheidungen, 2. Band, S. 509, 550 ff.

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sen sein müsse722. Des Weiteren sei eine Mehrheit bündiger Anzeigen erforderlich. Diese Anzeigen müssten mit dem Beweisgegenstande in einer speziellen Kausalverbindung stehen und einen so deutlichen Zusammenhang der Tat mit dem Angeschuldigten offenbaren, dass nach dem gewöhnlichen und natürlichen Laufe der Dinge auf jenen, als den Täter, mit Notwendigkeit geschlossen werden müsse. Schließlich dürften sich durch die Untersuchung keine erheblichen Gegenanzeigen, das heißt keine positiven Gründe auch nur als wahrscheinlich herausstellen, durch welche der Zusammenhang der die Anzeigen bildenden Tatsachen mit der Tat zu Gunsten der angeschuldigten Person gerechtfertigt oder aufgehoben werde. Sodann beschäftigte sich das Gericht noch mit zu beachtenden Grundsätzen, die bei der Prüfung des Wertes der einzelnen Anzeigen und des sich aus denselben abzuleitenden Beweises beschäftigten. Die so insgesamt vom Gericht aufgestellten und zu beachtenden Grundsätze belegen, dass dem entscheidenden Richter ein hohes Maß an Selbstdisziplin und emotionsloser, vorurteilsfreier und logischer Denkarbeit abverlangt werden musste. Die bloße „innere Überzeugung“ genügte nicht, zumal das Gericht im Rahmen der Entscheidungsgründe die Beweisführung nachvollziehbar und widerspruchsfrei darzulegen hatte. Auch im Prozess gegen Jordan, in dem direkte Beweise einer Täterschaft oder Mitwisserschaft gegen den Angeklagten fehlten, mussten die genannten Grundsätze des Indizienbeweises herangezogen werden. Nach langwierigen Ermittlungen im Zuge des Frankfurter Wachensturms wurde Jordan schließlich am 28. August 1839 verhaftet und ins Marburger Schloß abgeführt. Die Vorgänge und Umstände der Untersuchungen und die Verurteilung Jordans durch das Obergericht Marburg vom 14. Juli 1843 werden bei Kleinknecht näher dargestellt. Hierauf sei verwiesen723. Jordan wurde wegen Beihilfe zum versuchten Hochverrat durch Nichthinderung hochverräterischer Unternehmungen unter Prozessleitung des Obergerichtsdirektors Bickell724 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt725. Materielle Grundlage war 722

Dieser Aspekt sollte im Prozess gegen Jordan besondere Relevanz erhalten. Aus der Entscheidung des Oberappellationsgerichts aus dem Jahre 1836 ergab sich bereits, dass auch Anzeigen, die in ihren tatsächlichen Prämissen ungewiss seien, nicht jeder Wert abgesprochen werden könne, was das Obergericht in Marburg aber in seiner Entscheidung gegen Jordan zu Fehlschlüssen verleiten sollte; vgl. Heuser, Entscheidungen, 2. Band, S. 557. 723 Kleinknecht, S. 123 ff.; siehe auch Theisen, S. 431 ff. 724 Johann Wilhelm Bickell (1799–1848) war zunächst Professor in Marburg, seit 1832 Oberappellationsgerichtsrat und ab 1841 Direktor des Obergerichts in Marburg. Ab 1846 stand er bis zu seinem Tod dem Justizministerium vor. 725 Das Obergericht ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass der Frankfurter Wachensturm auf den Umsturz aller deutschen und damit auch der kurhessischen Verfassung gerichtet gewesen sei, Jordan hiervon Kenntnis gehabt hatte und gleich-

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die altbekannte Verordnung vom 14. Februar 1795. Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle die im Rahmen dieses Verfahrens aufgekommene Problematik der Beweisführung unter Verwertung allein von Anzeigen. Im Ausgang dieses Verfahrens kulminierten die Beweggründe für die unbedingte Abschaffung des geheimen Inquisitionsprozesses. Das Strafverfahren gegen Sylvester Jordan machte deutlich, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des Indizienbeweises keineswegs gesichert und zumal im geheimen Inquisitionsverfahren zuverlässig gehandhabt wurden. Das Hauptproblem in diesem Verfahren vor dem Obergericht in Marburg bestand darin, dass der Überführungsbeweis insbesondere durch Aussagen von „Mitschuldigen“ gelingen sollte. Hier war unter anderem die Aussage des Mitschuldigen Döring von zweifelhafter Bedeutung, zumal ihm bei seiner eigenen Vernehmung das Versprechen der Begnadigung gemacht worden sein soll. Auch das Obergericht hatte erkannt, dass die belastenden Aussagen in vieler Hinsicht unstimmig und die aussagenden Personen zum Teil unglaubwürdig erschienen. Dies sollte aber das Obergericht nicht daran hindern, Jordan unter Verwertung dieser Aussagen am Ende zu verurteilen. So hieß es im Urteil vom 14. Juli 1843726 unter Würdigung der Aussagen des Mitschuldigen Döring: „So wie aber überhaupt die unmittelbaren Beweisquellen, aus welchen nach dem positiven Rechte unter bestimmten Voraussetzungen volle juristische Überzeugung geschöpft wird, bei einem Mangel an diesen Voraussetzungen, als Anzeigen zu berücksichtigen sind, bei deren Zusammentreffen mit anderen Beweisgründen die richterliche Überzeugung von der Wahrheit einer Thatsache durch Schlußfolgerungen vermittelt wird, so können auch die Aussagen der Zeugen, denen persönliche Glaubwürdigkeit abgeht, bei der indirecten Beweisführung gebraucht werden; ihr relativer Werth kann aber alsdann nur nach denjenigen Momenten sich bestimmen, von welchen der Werth eines Indiziums im s. g. künstlichen Beweise abhängig ist. Dies gilt auch in der vorliegenden Sache von dem Zeugnisse des Döring und es ist in dieser Beziehung hervorzuheben, daß dessen Aussagen nicht bloß im allgemeinen und im wesentlichen mit den sonstigen Untersuchungsergebnissen im Einklange stehen, sondern auch hinsichtlich vieler einzelnen Umstände als wahr oder doch als wahrscheinlich sich ergeben haben. Der Gegenstand der Beweisführung ist im vorliegenden Falle nicht eine einzelne verbrecherische That, sondern eine ganze Kette von Handlungen, die in Raum und Zeit verschieden hervorgetreten sind. Durch die Untersuchung ist eine Menge einzelner Thatsachen erwiesen, welche durch die Aussagen Dörings Zusammenhang gewinnen und darin ihre Erklärung finden. Schon wegen dieses Verhältnisses, in welchem die Aussagen des Döring zu dem Gesammtergebnisse der Untersuchung überhaupt sich darstellen, wohl eine Anzeige desselben unterlassen habe. Hinsichtlich des Vorwurfs eines versuchten Hochverrats durch aktive Teilnahme an der Aktion erfolge lediglich eine Entbindung von der Instanz. 726 Urtheil in der Untersuchungssache gegen den Bürgermeister Dr. Scheffer u. a. nebst Entscheidungsgründen, 1843.

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muß denselben ein Einfluß auf die richterliche Überzeugung hinsichtlich der Thatfrage im allgemeinen eingeräumt werden; welches Gewicht aber im besonderen ihnen beizulegen sei, ist mit Rücksicht auf die bei jeder einzelnen Thatsache in Betracht kommenden Umstände und ihr Kausalverhältnis zum Beweisgegenstande zu messen.“727

Jordan hatte sich im Verfahren damit verteidigt, dass ein Umstand so lange nicht als eine Anzeige juristisch aufgefasst werden könne, als dieselbe auf eine andere unverdächtige Weise erklärt werden könne. Hier entgegnet das Obergericht in seinem Urteil, dass es durchaus dem Wesen und der Natur des Indizienbeweises entspreche, indem jede Anzeige der Natur der Sache nach eine andere Erklärungsweise zulässt und aus jeder einzelnen Anzeige für sich nur die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit der Schuld sich ergebe. Es würde sonst mit der Gewissheit einer einzigen Anzeige schon der Beweis geführt sein können. Und weiter: „Die Voraussetzungen, welche die Doctrin zu einem vollständigen Anzeigenbeweise erfordert, sind im vorliegenden Falle unzweifelhaft vorhanden, indem die bewiesenen Umstände in ihrer Verbindung nach den Gesetzen des Denkens und nach der gemeinen Erfahrung zu der Gewißheit der zu erweisenden Thatsache (Mitwissenschaft) hinführt, ohne daß dabei die, unter Voraussetzung einer ganz ungewöhnlichen Verkettung der Umstände gedenkbare Möglichkeit des Gegenteils berücksichtigt werden kann.“728

Nach seiner Verurteilung hatte Jordan während seiner Festungshaft eine Denkschrift verfasst, in welcher er sich unter anderem mit dem hier aufgeworfenen Beweisproblem befasst. Im Wesentlichen kommt Jordan zu dem Schluss, dass im Falle eines Anzeigenbeweises die Schuldfrage nur dann vollständig bejaht werden könne, wenn die einzelnen Anzeigen als die faktischen Prämissen der Schlussfolgerung vollständig sein müssen, das heißt in derselben Weise, wie die Beweisthematatsache bei dem vollständigen Beweise bewahrheitet sein muss, also durch gesetzlich zulässige und genügende Beweismittel erwiesen. Zudem müssten sie auf eine, mit Hinsicht auf die Aktenlage nach Vernunft und Erfahrung nötigende Weise schlüssig und schließlich in Bezug auf die einzelnen, dem gesetzlichen Begriff der Schuld in concreto bildende Momente vollständig erschöpfend sein729. Auch verweist er auf den Umstand, dass bekanntlich die Gesetze des gemeinen und des kurhessischen Rechts keine besonderen Bestimmungen enthalten. Wolle man die hier aufgestellten Anforderungen an den Indizienbeweis nicht zwingend beachten, so würde man die Rolle des deutschen, an eine strenge Beweistheorie gebundenen, Richters mit der eines Geschworenen vertauschen. Der Angeschuldigte, auf welchen durch ein un727 728 729

Ebd., S. 44. Ebd., S. 141. Jordan, Selbstvertheidigung, S. 149.

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glückliches Zusammentreffen von Umständen der Verdacht des Verbrechens geworfen wurde, würde hinsichtlich seiner heiligsten Rechte völlig schutzlos und bloß von dem durch keine positiven Schranken gebundenen Ermessen des Richters abhängig, der sodann hinsichtlich der Schuld lediglich als Geschworener und zugleich hinsichtlich der Bestimmung der Strafe als Richter auftrete und entscheiden würde730. Auf die Berufung Jordans hat das Oberappellationsgericht in seiner Entscheidung vom 17. Oktober 1845 die Auffassung Jordans bestätigt und ihn freigesprochen731. In Bezug auf die hier angesprochene Problematik eines Überführungsbeweises durch Verwertung von Aussagen Mitschuldiger hat das Gericht die näheren einzuhaltenden Grundsätze noch einmal zusammengefasst732. Danach müssten die Anzeigen mit dem Beweisgegenstande in einer speziellen Kausalverbindung stehen und einen so deutlichen Zusammenhang der Tat mit dem Angeschuldigten offenbaren, dass nach dem natürlichen und gewöhnlichen Gange der Ereignisse auf jenen, also den Täter, mit Notwendigkeit geschlossen werden müsse. Auch die Indizien bedürften eines entsprechenden vollständigen Beweises ihrer selbst. Unter Verweis auf Artikel 31 der Carolina, wonach Aussagen von Mitschuldigen nur als Indizien zu werten waren, entwickelte das Gericht sodann die näheren Anforderungen an eine beweiskräftige nahe oder aber entferntere Anzeige. So habe der Richter bei der rechtlichen Entwicklung und Herstellung des Indizienbeweises namentlich die Persönlichkeit des Angeschuldigten zu berücksichtigen und diesen Standpunkt bei der Beurteilung der Handlungen desselben zu beachten. Bei Vorliegen der von der Rechtsprechung entwickelten Erfordernisse hinsichtlich der einzelnen Indizientatsachen dürfe der Beschuldigung und der deshalbigen Aussagen eines Mitschuldigen die Kraft einer nahen Anzeige beigelegt werden. Fehlten einzelne Erfordernisse, so könne zwar durch die Aussage des Mitschuldigen eine entfernte Anzeige begründet werden, das Urteil über die größere oder geringere Erheblichkeit derselben werde sich aber danach richten, in welcher größeren Zahl und Ausdehnung die genannten Erfordernisse vorhanden seien oder fehlten und könnte bei Mängeln in den wesentlichsten Punkten bis zur völligen Nichtberücksichtigung der Aussage herabsinken. Es verstehe sich von selbst, dass bei Beurteilung der Beweiskraft der Aussage des Mitschuldigen dessen Lebenswandel, dessen bei seinen sonstigen Angaben gezeigten Wahrheitsliebe sowie insbesondere dessen Interesse, was er bei den von ihm gemachten Aussagen hat oder haben könnte, in Betracht komme. 730

Ebd., S. 145 f. Siehe Erkenntnisse zweiter Instanz in der Untersuchungssache gegen den Bürgermeister Dr. Scheffer zu Kirchhain und Genossen mit Anmerkungen von Eggena, Marburg 1846. 732 Ebd., S. 4 ff. 731

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Diese überzeugenden Ausführungen des Oberappellationsgerichtes haben zwar letztlich zur Freisprechung Jordans geführt. Allerdings wird deutlich, dass die entscheidenden Berufsrichter auch bei Beachtung dieser Grundsätze weiterhin über einen großen Wertungs- und Beurteilungsspielraum verfügten. Die innere Entscheidungsfindung musste selbst bei gewissenhafter Beachtung der Rechtsprechungsgrundsätze unvorhersehbar und letztlich von der individuellen Fähigkeit und Einstellung des untersuchenden und anschließend selbst entscheidenden Richters abhängig bleiben. Dies war nicht zuletzt in Prozessen mit politischem Hintergrund untragbar. Die größte Gefahr bestand weiterhin darin, dass die entsprechenden Verfahren unter völligem Ausschluss der kontrollierenden Öffentlichkeit stattfinden sollten. Das gegen Jordan geführte Strafverfahren und dessen Ausgang wurden in ganz Deutschland mit großem Interesse verfolgt. Für die Verfechter einer Schwurgerichtsbarkeit war dieses politische Verfahren zusätzlich Grund, die Entscheidung über die Tatfrage allein in die Hände einer Laienjury zu geben. Hervorzuheben ist die Schrift eines der leidenschaftlichsten Befürworter der Geschworenengerichte mit dem Titel „Die geheimen Inquisitionsprozesse gegen Weidig und Jordan“. Carl Theodor Welcker733 behandelte hier die deutschlandweit Aufsehen erregenden Verfahren gegen Sylvester Jordan und den Pfarrer Friedrich Ludwig Weidig. Letzter war wegen Verbreitung revolutionärer Schriften734 im Jahr 1835 verhaftet worden und verstarb noch vor Beendigung seines Prozesses nach langer Haft und unter psychischer und körperlicher Misshandlung 1837 im Darmstädter Gefängnis. Welcker verurteilte scharf die auch in diesem Verfahren zu Tage getretenen unmenschlichen Zustände in der deutschen Strafrechtspflege. Hinsichtlich der erstinstanzlichen Verurteilung Jordans stellte er zunächst überhaupt die Anwendbarkeit der kurhessischen Strafnorm gegen den Hochverrat vom 14. Februar 1795 in Abrede735 und vertrat sodann die Auffassung, dass unabhängig davon nach den noch immer bestehenden gesetzlichen Regelungen der Carolina eine Verurteilung allein auf Indizien unzulässig sei. Selbst der von der Rechtsprechung grundsätzlich akzeptierte Indizienbeweis sei jedenfalls in diesem Verfahren juristisch nicht geführt worden736. Auch Welcker verwies auf die Tatsache, dass die angeblich überführenden Aussagen von Mitschuldigen und in ihrer Person völlig unglaubwürdigen Subjekten stammten. Welcker geißelte an dieser Stelle die hier erneut zu Tage getrete733 Carl Theodor Welcker (1790–1869) zählt zu den einflussreichsten Staatsrechtlern und Politikern des Vormärz; zur Person siehe HRG1 /Welker, 5. Band, Welcker, S. 1252 ff. 734 Unter anderem hatte er zusammen mit Georg Büchner den „Hessischen Landboten“ verfasst. 735 Welcker, S. 10. 736 Ebd., S. 14.

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nen Schrecken einer schrankenlosen Justiz und des überkommenen Inquisitionsverfahrens. Er forderte für ganz Deutschland die Einführung der Geschworenengerichte: „Kann es denn wohl etwas unsern deutschen Vaterlandsstolz niederschlagenderes geben, als daß wir diesseits rheinischen Deutschen noch immer mit Neid unsere Blicke auf diejenige Strafgesetzgebung richten müssen, welche unsere rheinischen Brüder nur ihrer Einverleibung mit Frankreich verdanken?“737

Man sehe alle Rheinländer beharrlich und einmütig wie ein einziger Mann diese Gesetzgebung gegen die ihnen angebotene Vertauschung mit unserer besten deutschen juristischen Weisheit und Gesetzgebung, als ihr edelstes Besitztum, als ihr Palladium der Freiheit und Zivilisation verteidigen. Die erneut offen zu Tage getretenen Missstände in der Strafrechtspflege machten deutlich, dass wirksamer Schutz vor richterlicher Willkür ohne ein öffentliches und mündliches Verfahren undenkbar war. Wehe dem, der in die Fänge eines schrankenlosen (Untersuchungs-)Richters geriet, mochte auch das Oberappellationsgericht in nächster Instanz eine unter Beachtung der geltenden, aber als mangelhaft erkannten Gesetze maßvolle und zufriedenstellende Entscheidung treffen. Die Ausführungen in Jordans „Selbstvertheidigung“ belegen dies eindrucksvoll: „Im August 1840 wurde die Generalinquisition geschlossen, bei welcher der Inquirent, der Jordan oft die Versicherung gab, daß man Alles anwenden würde, um seine Schuld durch Ueberweisung zu begründen, in der That kein Mittel unversucht ließ, daß er hierzu geeignet hielt. Denn der Herr Inquirent war schon bei dem Beginne der Untersuchung so sehr von Jordans Schuld überzeugt, daß er nicht nur gegen diesen selbst unumwunden äußerte, daß seine Popularität in Deutschland in Folge der Untersuchung verschwinden werde, sondern auch zu Jordans Ehegattin und sämmtlichen Kindern sogleich nach verfügter Verhaftung sagte: ‚Den Professor hat Eitelkeit zum Falle gebracht, für ihn gibt’s keine Hoffnung‘ “738.

Und schließlich drängte ein weiterer Aspekt zur weitergehenden Forderung nach Geschworenengerichten. Auch ein um Maß und Gerechtigkeit bemühter Richter hatte die bestehenden oftmals freiheitsunterdrückenden und nicht mehr zeitgemäßen materiellen Strafbestimmungen anzuwenden. Als Korrektur für diese unbefriedigende Lage im Strafrecht konnte seinerzeit allein die Jury mit ihrer Kompetenz zum Ausspruch eines nicht näher zu begründenden Spruches „nicht schuldig“ (contra legem!) dienen. Der Jordanprozess fiel in die Zeit der Landtagsverhandlungen über die Reform des Strafverfahrens. Diese hatten letztlich zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt. Die Eingabe von 102 Marburger Bürgern von Anfang November 1846 an die Ständeversammlung wirft ein bezeichnendes 737 738

Ebd., S. 27. Jordan, Selbstvertheidigung, S. 48; vgl. auch Kleinknecht, 140 ff.

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Licht auf die enttäuschten Reformhoffnungen dieser Jahre739. Seit der Zusammenrufung der Stände im November 1845 sei man nun voll Hoffnung auf die Erledigung einer Menge von Übelständen, von Bedrückungen, von Rechtsverkümmernissen. Selbst Wippermann und Henkel hätten als Ständemitglieder ohne Scheu ausgesprochen, wie traurig die öffentlichen Zustände in Kurhessen seien740. Neben weiteren Problemfeldern der kurhessischen Politik wird auf die hiesige Strafrechtspflege unter Hinweis auf den Prozess gegen Jordan eingegangen: „Im Vereine mit unseren Bruderstämmen sind wir nun schon Jahrzehnte im Kampfe mit den Rechten einer vergangenen Kulturperiode, mit dem heimlichen Gerichtswesen und seinem finsteren Verbündeten, der Zensur. Ja, unser Land, vorzugsweise war, nächst dem Großherzogtume Hessen741, dasjenige in Deutschland, dessen Inquisitionsverfahren die Aufmerksamkeit der gebildeten Welt auf sich gezogen, nachdem in einem leider nur zu berühmten Prozesse das ganze Wesen des Inquisitionsverfahrens in greller Nacktheit sich gezeigt hatte, nachdem hessische Staatsbeamte dem Urteile der öffentlichen Meinung anheimgefallen sind, nachdem ein edler, der hohen Versammlung so wohl bekannter Mann kaum den künstlich verschlungenen Irrgängen des Indizienbeweises entronnen war. Man musste also glauben, daß gerade bei uns das heimliche Gerichtsverfahren, mit den modernen Torturen eines ewigen Untersuchungskerkers und peinlichster Überwachung und raffinierter Quälerei eines armen Angeklagten, – daß dies Gerichtswesen, welches selbst den edelsten Richter, der Kläger, Verteidiger und Urteilssprecher in einer Person sein soll, verwirren muß, das aber einem gewissenlosen Richter tausende Ausflüchte und Krümmungen darbietet, sich der Rechtfertigung, ja selbst der Anklage über Suggestion, Härten und Mißhandlungen zu entziehen, daß, sagen wir, die aus dunklen Zeiten überlieferte Inquisition in unserer hohen Ständeversammlung einen empfindlichen Stoß erhalten würde.“742

Es folgte sodann der hoffnungsvolle Hinweis auf die Verhandlungen in der Ständeversammlung im Juli 1846, in denen nachdrücklich die Einführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit sowie die Geschworenengerichte gefordert worden waren. Auch wenn dies letztlich erfolglos war, wurde hier die Ständeversammlung angehalten, diese Ziele weiterhin mit Nachdruck zu verfolgen743. Einen entscheidenden Durchbruch erzielten die Anhänger der Schwurgerichtsbarkeit auf der Germanistenversammlung in Lübeck im Herbst des 739 Eingabe von 102 Marburger Bürgern, gekürzter Abdruck bei Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 158, S. 440 ff. 740 Vgl. auch Seier, Akten und Eingaben, Dok. Nr. 158, S. 440, Fn. 3. 741 Der Hinweis auf das Verfahren im Großherzogtum Hessen zielt sehr wahrscheinlich auf das Verfahren gegen Weidig; vgl. auch Seier, Akten und Eingaben, S. 441, Fn. 5. 742 Ebd., S. 441. 743 Ebd., S. 442.

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Jahres 1847744. Besondere Beachtung erhielten die Ausführungen Mittermaiers, der sich nun zu einem ausdrücklichen Befürworter der Geschworenengerichte erklärte, nachdem er Anfang der 40er Jahre mehr zu beamteten Richterkollegien unter Beachtung der negativen Beweistheorie tendierte. Nach seiner geänderten Auffassung sei die Aufstellung einer Beweistheorie nicht möglich. Auch das Erfordernis der Aufstellung von Entscheidungsgründen biete keine Garantie. Der letztlich einer Entscheidung über das Beweisergebnis maßgebliche Totaleindruck erschien als irrationaler Faktor und als solcher einer strengen Deduktion einzeln, rationell aufzählbarer Gründe verschlossen745. Dies führe zur unweigerlichen Einführung der Jury. Diese habe das Vertrauen des Volkes, ihr konnte im Sinne der Gerechtigkeit die Entscheidung über die Tatfrage anvertraut werden. Schließlich wurde auch ausdrücklich betont, dass der Jury als „Stimme des Landes“ im Gegensatz zu beamteten Richtern die Kompetenz zustehe, „das Gesetz rein menschlich auszulegen und einen Ausspruch zu tun nach den im Volke gewöhnlichen und sittlichen Vorstellungen.“746 Die anlässlich der Germanistenversammlung in Lübeck eingesetzte Kommission sprach sich am Ende einheitlich für die Einführung von Geschworenengerichten aus. Der Schulterschluss von Wissenschaft und Politik war hergestellt. Noch vor Ende des Jahres 1847 nahm sich Heinrich Henkel dieses Themas an. Nachdem er anlässlich der Landtagsverhandlungen im vorausgegangenen Jahr der Laiengerichtsbarkeit noch skeptisch gegenüberstand, wurde er nun zu einem offenen Befürworter auch der Schwurgerichtsbarkeit. Er formulierte einen Antrag wegen „Einführung beziehungsweise Erweiterung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Gerichtsverfahren“ vom 16. Dezember 1847747. Im ersten Teil beschäftigte sich der Antrag zunächst mit der Zivilgerichtsbarkeit. Im folgenden Teil zeichnete Henkel noch einmal zusammenfassend die Gebrechen des bestehenden Strafverfahrens nach. Er kritisierte zunächst die Stellung des Untersuchungsrichters zugleich als Ankläger und Verteidiger, dem allein ein Aktuar als Protokollführer beigegeben ist. Akteneinsicht erhalte der Angeklagte erst nach abgeschlossener Untersuchung. Der dann entscheidende Oberrichter bekomme in der Regel weder den Angeklagten noch die Zeugen zu sehen. Es beruhe daher eigentlich die ganze Rechtlichkeit, Wahrhaftigkeit, Gründlichkeit und Umsicht der Untersuchung lediglich auf dem Fleiß, der Einsicht und Rechtlichkeit des Unterrichters und zum Teil des Aktuars, welcher aber heutzutage oft 744 Dazu die Darstellung der Ergebnisse bei Schwinge, S. 146 ff.; vgl. auch Landau, S. 263 ff. 745 Schwinge, S. 148. 746 Zitiert nach Schwinge, S. 151. 747 Handschriftlich enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974.

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durch einen bloßen Praktikanten ersetzt werde. Weitere Kontrolle bestehe nicht. So stehe der Angeklagte fast ganz wehrlos da und „wird vom Untersuchungsrichter nach einem entworfenen Plan so zu sagen mit einem Netz umsponnen, mehr blind als sehend seinem Schicksal entgegengeführt. Der erkennende Oberrichter entbehrt aller unmittelbaren Anschauung, er sieht u. hört nur durch den Unterrichter oder liest vielmehr nur, u. wie viel/oder wie wenig jener gehört u. gesehen haben will.“

Henkel verwies auch auf das bedenkliche Interesse der Regierenden im Falle politischer Verbrechen, wo gerade die Inhaber der Gewalt persönlich beteiligt und gereizt seien und diesen der Genuss der Rache zukomme. In anderen Ländern habe man erkannt, dass es gefährlich sei, dass die eigenen Diener des Staats oder die Inhaber der öffentlichen Gewalt den Ausspruch über Schuld oder Unschuld tun und hätte daher diese Verrichtung unbescholtenen Männern aus dem Volke, sogenannten Geschworenen übertragen. Schließlich habe man es für zweckmäßig gehalten, nach der Verhandlung und Beweisaufnahme in Gegenwart des Anklägers und Angeklagten, der Zeugen, der Geschworenen, der Richter sowie des Publikums auch das Urteil öffentlich auf die Verhandlung auszusprechen. Henkel zweifelte am Ende selbst, ob eine so grundlegende Reform zu dieser Zeit möglich war. In seinem Antrag formulierte er eine nach seiner Auffassung praktikable Zwischenlösung im Anschluss an die von ihm zuvor dargestellte Idealvorstellung: „Daß uns alle diese Garantien auf einmal zu Theil werden möchten, so hoch wagen sich meine Wünsche, bei den mir bekannten Ansichten unserer jetzigen Minister748, nicht zu versteigen; allein wenigstens etwas, wenigstens einen Anfang zu verlangen, dessen kann ich mich nicht enthalten und das bestünde etwa in Folgendem: Sobald die Untersuchung geschlossen ist, erstattet der Referent beim Obergericht seine Relation mit Gutachten, wie zu erkennen sei und trägt dasselbe in Gegenwart des Gerichts, sowie des Angeklagten u. dessen Rechtsbeistandes, dem vorher Acteneinsicht gestattet ist, auch der Zeugen und unter Zutritt des Publikums, soweit es der Raum gestattet, vor. Alsdann darf der Angeklagte oder sein Defensor seine etwaigen Bemerkungen über die Wahrheit oder Unwahrheit der Thatsachen und über rechtliche Folgen derselben vortragen und soweit er die Wahrheit deren Aussagen bestreitet, die wiederholte Abhörung der Zeugen in seiner Gegenwart verlangen. Auch den Zeugen steht es frei, Bemerkungen in Beziehung auf ihre Aussagen zu machen. Das Urtheil wird demnächst in einer eben solchen Sitzung publiciert.“

Den greifbaren Wert einer solchen Verfahrensweise sah Henkel darin, dass das 748 Seit 1846 war Johann Wilhelm Bickell Vorstand des Justizministeriums. Er hatte als Direktor des Obergerichts Marburg den Prozess gegen Sylvester Jordan geführt. Als Innenminister fungierte 1847/48 der erzkonservative Landtagskommissar Scheffer.

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„erkennende Gericht den Angeklagten u. die Zeugen selbst von Angesicht zu Angesicht sähe, deren Verhalten mit eigenen Augen beobachten, ihre Aussagen mit eigenen Ohren hören könnte, welches alles zur umsichtigen Behandlung und Erlangung einer gründlichen Ueberzeugung, sowie zur Controlle des Untersuchungsrichters wesentlich beitragen würde. Die Zulassung des Publikums würde zum Beleg dienen, und das Zutrauen bestärken, daß hier nichts zu verheimlichen, nichts mit Leidenschaft getrieben, sondern alles mit rechten redlichen Dingen zugegangen sei. Auch würde die Kenntnis u. Fortbildung des Strafrechts und des Strafverfahrens dadurch befördert werden“.

Der Antrag Henkels blieb am Ende erfolglos. Die Regierung verwies auf bereits getätigte Zusagen749, obwohl diese seit langen Jahren unerfüllt geblieben waren. Am Ende hatte es die Regierung grundsätzlich abgelehnt, auf diesen und weitere entsprechende Anträge überhaupt einzugehen. In der Sitzung am 4. Februar 1848 hat man die Ständeversammlung über die Landtagskommission wissen lassen, dass man bedauerlicherweise das Ersuchen wegen eines Verstoßes gegen die Geschäftsordnung und fehlerhafter Beschlussfassung dem Ministerium nicht habe vorlegen können750. 2. Die kurfürstlichen Proklamationen vom 7. und 11. März 1848 Die Lösung der Schwurgerichtsfrage auch in Kurhessen erfolgte mit der Revolution des Jahres 1848. Der auslösende Funke kam ein weiteres Mal aus Frankreich. Hier führten die Aufstände und Barrikadenkämpfe im Februar 1848 zur Abdankung des seit 1830 regierenden Bürgerkönigs Louis Philippe751. Wenn auch nicht vorhersehbar, kam nun viel in Bewegung, auch in Preußen und Österreich, wo Metternich zurücktrat und nach England fliehen musste. Es kam zu den bekannten Märzforderungen752. Neben der Volksbewaffnung verlangte die revolutionäre Bewegung sogleich die uneingeschränkte politische Öffentlichkeit, unter anderem die Abschaffung der Zensur und Gewährung der Pressefreiheit sowie nicht zuletzt die Einführung der Schwurgerichtsbarkeit. Wie auch andernorts in Deutschland war es in Kurhessen nun zu Unruhen im Lande mit den Schwerpunkten Kassel, Marburg und vor allem Hanau gekommen, wo am 28. Februar 1848 die erste revolutionäre Volksversammlung abgehalten worden war753. 749 Nach einer Aktennotiz sollte der Antrag Henkels ob der landesherrlichen Zusicherungen ad acta gelegt werden; siehe Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 750 KhLtV 1847/48, 1. Band, Nr. 35, S. 1 f.; vgl. auch Amrhein, S. 104 f. 751 Nipperdey, S. 595. 752 Dazu Nipperdey, S. 600 ff. 753 Vgl. dazu Tapp, S. 255 ff.; Seier, Akten und Dokumente, Einleitung, S. XXXVIII f.

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Es folgten Versammlungen, Kundgebungen und zahlreiche Desiderien und Beschwerdeschriften. In Hanau dachte man gar an die Loslösung vom Kurstaate754. Friedrich Wilhelm I. reagierte auf die Unruhen mit einer Proklamation vom 7. März 1848755. Unter Hinweis auf die eingegangenen Wünsche und Anträge wurde zunächst die Zensur als aufgehoben erklärt. Unter anderem wurden Gesetzentwürfe über die in Gemäßheit der Verfassung und den Bundesgesetzen gegen den Missbrauch der Presse zu gewährenden Garantien und bezüglich der Einführung des öffentlichen und mündlichen Gerichtsverfahrens, des Anklageprozesses und des Instituts der Geschworenen angekündigt. Der Kurfürst verband diese Versprechen mit der Erwartung, dass hierdurch im Lande wieder Ruhe und Ordnung einkehren möge. Insbesondere in Hanau zeigte man sich jedoch nicht zufrieden. Von dort folgte die weitergehende Petition vom 9. März 1848. An diesem „Hanauer Ultimatum“ hatte auch der Bürgermeister Eberhard selbst aktiv mitgewirkt und die aufgestellten Forderungen an den Kurfürsten mit seiner Unterschrift unterstützt756. Nachdem der Kurfürst zudem von Preußen bezüglich seiner Bitte nach militärischer Hilfe eine Absage757 erhalten hatte, sah er sich zu der weitergehenden Proklamation vom 11. März 1848758 veranlasst, mit welcher die Hanauer Forderungen erfüllt wurden. Die vollständige Pressefreiheit wurde ebenso bestätigt, wie die vollständige Religions- und Gewissensfreiheit. Die Beschlüsse, durch welche das Versammlungsrecht beschränkt worden war, sollten aufgehoben sein759. Eine umfassende Amnestie wurde ausgesprochen. Die bereits in Aussicht gestellten Gesetzentwürfe sollten der dermaligen Ständeversammlung vorgelegt werden. Bei Besetzung der Ministerien sollten nur Männer berufen werden, die das Vertrauen des Volkes genießen. Nachdem kurz zuvor Justizminister Bickell verstorben und zudem Innenminister Scheffer bereits entlassen war, kam es nun in Befolgung der Proklamation zur vollständigen Neubesetzung der Ministerialvorstände. In das Märzministerium760 wurden populäre Männer berufen, so zunächst an dessen Spitze und als Vorstand des Innenministeriums Bernhard Eberhard, der 754

Ebd., S. XXXIX f. SG, 11. Band, 1848, S. 31. 756 Vgl. Tapp, S. 267 f. 757 Losch, Kurfürst, S. 73. 758 SG, 11. Band, 1848, S. 32. 759 Siehe das Gesetz zur Regelung von öffentlichen Versammlungen in SG, 11. Band, 1848, S. 53 f. 760 Zur Zusammensetzung des Märzministeriums und dessen Charakter vgl. Seier, Handbuch, S. 109, ders., Akten und Dokumente, Einleitung, S. XLI; vgl. auch Losch, Kurfürst, S. 73 f. 755

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wenige Tage zuvor noch als Hanauer Oberbürgermeister die Petition vom 9. März mit unterzeichnet hatte. Justizminister wurde Moritz von Baumbach761. Die neue Regierung schickte sich nun an, die erzielten Ergebnisse, wie sie unter anderem in den genannten Proklamationen zum Ausdruck gekommen waren, umzusetzen. In der am 13. März 1848 wieder zusammengetretenen Ständeversammlung gab zudem nun verstärkt die liberale Seite den Ton an, unter anderem Heinrich Henkel, der dafür plädierte, nicht zu früh Ruhe zu geben und die Dinge weiter voranzutreiben762. Gleichwohl schien die Mehrheit der Ständeversammlung bereits im April 1848 die Revolution für abgeschlossen zu halten763. Jedenfalls war man sich hier einig, die konstitutionelle Monarchie und ihre Verfassung unangetastet zu lassen. Bezüglich der angekündigten Gesetzesentwürfe wurden im April entsprechende Kommissionen gebildet. Ausweislich des Protokolls des Innenministeriums vom 28. April 1848764 wurden die Regierungsräte Sezekorn und von Wintzigerode sowie der Oberfinanzassessor Harnier eingesetzt, um die notwendigen Gesetzesvorlagen in Folge der Zusagen vom 7. und 11. März 1848 zu erarbeiten. Noch im darauffolgenden Monat legte die Kommission einen Entwurf eines Gesetzes „wider Preßvergehen“ vor, in dem auch die kurzfristige Einführung von Geschworenengerichten vorgesehen war765. Die Bildung der Kommission für den Entwurf eines neuen und vollständigen Strafverfahrensrechts ließ noch bis Mitte Mai 1848 auf sich warten. Überhaupt war der nach außen scheinbar nur zögerliche Fortgang der Reformarbeiten Anlass für wiederholte Kritik und teilweise wieder aufkommende Unruhe im Lande766. Auf Widerspruch stieß die Regierung mit ihrem Ansinnen, hinsichtlich der Strafverfahrensreform die alsbald anstehende Bundesgesetzgebung abzuwarten. Das Justizministerium argumentierte gegenüber der Ständeversammlung, die entsprechenden Gesetze, welche den vorbenannten Gegenstand erschöpfen, würden in vollständigen Prozessordnungen bestehen. Damit sei auch eine teilweise neue Organisation der Gerichtsverfassung verbunden. Es habe sich aber seit den Märzverkündigungen als nicht zweifelhaft herausgestellt, dass die demnächstige Reichsgesetzgebung auch auf die Erteilung gleichförmiger für die sämtlichen deutschen 761 Moritz von Baumbach (1789–1871) war zunächst Oberappellationsrat und ab 1834 Direktor des Obergerichts in Rinteln. 762 „Ruhe und Ruhe ist zweierlei. Durch reine Passivität kommt die Welt nicht vorwärts . . .“, so Henkel in der Ständeversammlung am 25. April 1848, siehe Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 4, S. 11. 763 So Seier, Akten und Dokumente, Einleitung, S. XLII. 764 Zur Zusammensetzung der Kommission vgl. Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 5, S. 13 (Fn. 7).; Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387. 765 Dazu D. I. 766 Vgl. dazu Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 5, 6 und 7.

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Staaten gültigen Prozessordnungen sich erstrecken werde, wodurch dann die neuen Prozessordnungen, wenn solche auch vorher mit einem nicht unbedeutenden Aufwand von Arbeitskräften zu Stande gebracht werden sollten, sofort wieder außer Kraft gesetzt werden würden767. Die Auffassung des Justizministeriums scheint bereits zuvor bekannt geworden zu sein. So hatten sich bereits die Hanauer Strafrichter mit einem Schreiben vom 18. April 1848 an das Ministerium gewandt und gefordert, man solle nicht auf eine einheitliche Gesetzgebung der Nationalversammlung warten. Man erwarte eine rasche Einführung der Verfahren in Strafsachen, wie in den Rheinpreußischen, – hessischen und – bayrischen Landen, vielleicht mit Modifikationen. Es könne aber nicht gewartet werden, da das Volk der bisherigen unhaltbaren Verfahrensordnung misstraue. Ziel sei es, möglichst bald das Recht auf volkstümlichem Wege zu verwalten768. In ähnlicher Weise argumentierte der Volksrat in Marburg in einer Eingabe an die Ständeversammlung vom 25. April 1848. Man erkenne es mit Dank an, dass eine Reihe wichtiger Gesetze von der Regierung teils erlassen sind und teils zum Beschlusse vorliegen. Aber es gebe noch andere Bedürfnisse von besonderer Dringlichkeit. Der wohlgeordnete Staat und freie Staat bedürfe am meisten einer Rechtspflege und Verwaltung, welche durch das Vertrauen des Volkes stark sind. Man habe die alte Gerichtsverfassung, von der das Volk nichts wissen will. Neben volkstümlicher Verwaltung bitte man um schleunige, jedoch nur vorläufige Einführung des ehemaligen westphälischen oder jetzigen rheinischen Gerichtsverfahrens. Öffentlichkeit, Mündlichkeit und die Geschworenengerichte seien zugesagt, jetzt heiße es, man wolle warten, bis die Nationalversammlung sie in ganz Deutschland einführe. Das rheinische Verfahren könne kurzfristig eingeführt und später noch verbessert werden. Es gehe darum, nicht durch langes Nachdenken das Beste aufzusuchen. Zur Sicherung der gewonnenen Freiheit müsse schnell gehandelt werden769. Auch der Rechtspflegeausschuss hatte sich mit der Argumentation des Justizministeriums auseinander zu setzen. Er lehnte ebenfalls ein Zuwarten ab. Er vertrat die Ansicht, dass man das Gerichtsverfahren der westphälischen Zeit ohne weiteres sofort wieder einführen könne. Die damalige Peinliche Prozessordnung sei eine sehr gute Grundlage. Seit Jahren hätten Gelehrte aller deutschen Länder so viel hierüber gestritten und gefragt. Die westphälische Prozessordnung sollte daher vorerst genügen. Unter Berufung 767 Beschluss des Justizministeriums vom 27. April 1848 in Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 768 Schreiben von mehreren Richtern aus Hanau vom 18. April 1848, Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387. 769 Eingabe des Volksrates Marburg, zitiert in einer beitretenden Eingabe des Volksrates der Stadt Rauschenberg vom 7. Mai 1848, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974.

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auf diesen Bericht forderte die Ständeversammlung in einem Schreiben an das Ministerium vom 5. Mai 1848 die unverzügliche Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens, des Anklageprozesses und des Instituts der Geschworenen. Die Gesetzgebung des Jahres 1808 biete eine sehr gute Grundlage und man schlug die unverzügliche Bildung einer Kommission vor, an welcher praktische Juristen der westphälischen Periode und einige Mitglieder der Ständeversammlung teilnehmen sollten, um der Arbeit die Vorteile der Erfahrung und der Verständigung alsbald zu sichern770. Das Justizministerium lenkte ein und beschloss am 13. Mai 1848 die Bildung einer entsprechenden Kommission. Ihr gehörten die Oberappellationsräte Schotten und Exter sowie die beiden Obergerichtsräte Frölich und Kersting an. Sie wurden gemeinschaftlich mit dem vortragenden Rate im Justizministerium, dem Obergerichtsrat Gleim mit der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe beauftragt und hierzu möglichst von ihren sonstigen Berufsgeschäften erleichtert771. Sodann wurde die Ständeversammlung gebeten, ihrerseits Mitglieder zur Besetzung der Kommission auszuwählen772. Der Landtagskommission wurden darauf von der Ständeversammlung die Mitglieder des Rechtspflegeausschusses Nebelthau, Baumbach, Vietor und von Schenk benannt773. Im Zuge der Vorarbeiten begaben sich die Kommissionsmitglieder Schotten und Kersting auf eine Reise ins Rheinland, die sie nach Mainz und Koblenz führen sollte. Dort konnten sie sich vor Ort ein eigenes Bild von stattfindenden Verhandlungen vor einem Geschworenengericht machen und von Praktikern Erfahrungen und Rat einholen774. Des weiteren verschaffte sich das Ministerium Informationsmaterial unter anderem aus Baden und Bayern. Schließlich verfügte man über die westphälische Prozessordnung, mit der man bereits praktische Erfahrungen gesammelt hatte und nicht zuletzt über den französischen Code d’instruction criminelle. Die Gesetzesarbeiten konnten daher recht zügig durchgeführt werden. Bereits mit dem Pressegesetz vom 26. August 1848 wurde vorläufig das schwurgerichtliche Verfahren nach dem Grundmodell der Peinlichen Prozessordnung der westphä770 Siehe Schreiben der Ständeversammlung vom 5. Mai 1848 mit Bericht des Rechtspflegeausschusses durch Nebelthau (Beilage 207) in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387. 771 Beschluss des Justizministeriums vom 13. Mai 1848 in Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974; zugleich wurden die Kommissionsmitglieder für den Bereich der Zivilrechtspflege benannt. 772 Beschluss des Justizministeriums vom 16. Mai 1848, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 773 Mitteilung der Ständeversammlung vom 18. Mai 1848, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 774 Siehe Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387.

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lischen Zeit eingeführt. Die Beratungen über das vollständige neue Strafverfahrensrecht konnten im Oktober 1848 nach nur kurzen Verhandlungen in der Ständeversammlung abgeschlossen werden, so dass das Gesetz „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ bereits am 31. Oktober 1848 verkündet werden konnte775. Von Vorteil war dabei sicherlich, dass die Gesetzesvorlagen aufgrund der Zusammenarbeit in der Kommission von Mitgliedern des Ministeriums und des Rechtspflegeausschusses weitgehend vorberaten und abgestimmt waren. Im September 1848 wurde schließlich die Frage der Schaffung eines neuen Strafgesetzbuches thematisiert. In diesem Zusammenhang stand auch die Aufhebung der umstrittenen Verordnung vom 14. Februar 1795 zur Debatte. Der Abgeordnete Nebelthau formulierte einen entsprechenden Antrag vom 19. September 1848. Er verwies auf den in Kürze zu erwartenden Gesetzentwurf zum Strafverfahren und zur Gerichtsorganisation. Die Ankläger werden sich an das neue Verfahren gewöhnen müssen. Insbesondere aber würden sie bei der Antragstellung Schwierigkeiten bekommen, weil es an einem Strafgesetzbuch mangelt. Man könne sich an die westphälische Zeit erinnern, wo bei gleichem Mangel das Anklageverfahren in Strafsachen zur Zufriedenheit durchgesetzt worden sei. Man könne aber die damalige Zeit nicht mit den aktuellen Zuständen vergleichen. Wenn die Ankläger mit dem Gerichtsgebrauch der Kriminalsenate hinlänglich vertraut seien, so werde es ihnen allerdings nur in seltenen Fällen an den nötigen Anhaltspunkten für die Rechtfertigung ihrer Strafanträge fehlen. Eine ganz andere Frage sei es aber, ob dies auch dem Publikum gegenüber die wünschenswerte Anerkennung findet. Und doch komme es sogar sehr darauf an, dass der öffentliche Ankläger nicht als Rächer des Unrechts, sondern als der Arm des Gesetzes erscheine. Das Anklageverfahren setze seinem Wesen nach ein Strafgesetzbuch voraus. Die Ständeversammlung sollte prüfen, ob nicht ein in Deutschland bestehendes Gesetz übernommen werden könnte. Die Ständeversammlung stimmte dem zu und ersuchte die Regierung um Übernahme des Großherzoglich Darmstädtischen oder des Königlich Sächsischen Strafgesetzbuches oder irgend eines anderen, das sich in Deutschland bereits bewährt habe776. Die Regierung wies in Reaktion auf die entsprechende An775 Gleichwohl gab es zwischenzeitlich weitere Äußerungen der Ungeduld. Mitglieder des Politische Vereins (vgl. zum nämlichen Verein der „Besonnenen“, Tapp, S. 310 f.) beschwerten sich in einem Schreiben vom 28. September 1848 darüber, dass die versprochenen Gesetze auf sich warten ließen. Es gäbe Anlass zur Eile, da auch in Kurhessen jüngst Untersuchungen wegen politischer Vergehen eingeleitet worden seien. Die Ständeversammlung möge daher auf alsbaldige Erfüllung der Zusagen hinwirken; in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974. 776 Antrag des Abgeordneten Nebelthau in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974.

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frage vom 19. September 1848 darauf hin, dass diesbezüglich bereits eine Kommission eingesetzt worden sei. Von besonderem Interesse war auch die umstrittene Verordnung vom 14. Februar 1795 gegen den Hochverrat. Am 5. September 1848 wurde in der Ständeversammlung durch den Abgeordneten Vietor die Forderung des Volksrates von Hersfeld nach Aufhebung dieser Verordnung bekannt gegeben. Der Ausschussantrag wurde einstimmig gebilligt777. Im Bericht des Rechtspflegeausschusses hieß es hierzu, dass die Verordnung vom 14. Februar 1795 nicht mehr, beziehungsweise niemals zeitgemäß gewesen sei, „indem sie nur durch Furcht und Schrecken erregende Bestimmungen allen Freiheitsgelüsten, welche die französische Revolution verbreitet haben könnte, entgegenzutreten sucht – Freiheitsgelüste, welche trotz Ketten und Banden (Dank sei es dem Zeitgeiste) zum Durchbruche gekommen sind.“778

Erst auf wiederholte Nachfrage erklärte Justizminister von Baumbach am 10. Oktober 1848, das neue Strafgesetzbuch werde selbst eine Aufhebung der genannten Verordnung zur Folge haben. Eine gänzliche Aufhebung vorab hätte die Konsequenz, dass dann das gemeine Recht an deren Stelle träte. Es sei zweifelhaft, ob dies der Ständeversammlung als angemessen erscheine779. Die Kommission zur Entwerfung eines Strafgesetzbuches wiederum berichtete diesbezüglich dem Justizministerium gegenüber am 25. Oktober 1848, dass eine gesonderte Behandlung unterbleiben und eine gesetzliche Neuregelung in das zu erwartende Strafgesetzbuch eingearbeitet werden sollte, um auch eine einheitliche Regelung hinsichtlich der Strafarten herzustellen780. Nach weiterem Drängen von Seiten der Ständeversammlung teilte Landtagskommissar Duysing am 26. Oktober 1848 am Ende mit, dass die begehrte gesonderte Revision der Verordnung nicht in Frage käme, da die Arbeiten am Strafgesetzbuch selbst tunlichst zu beschleunigen seien. Schließlich ist festzuhalten, dass weder das angekündigte Strafgesetzbuch noch eine Revision der Verordnung vom 14. Februar 1795 in den nächsten Jahren erfolgten, so dass letztere auch weiterhin Gültigkeit besitzen sollte781.

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KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 95, S. 16 f. KhLtV 1847/48, 3. Band, Beilage Nr. 351. 779 KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 105, S. 9. 780 Protokoll des Justizministeriums vom 25. Oktober 1848, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974; der Bericht der Kommission für ein neues Strafgesetzbuch war unterzeichnet durch Günste, Kersting und Rothe. 781 Siehe zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1849 Schubert, Entwurf, S. XIII f. 778

IV. Schwurgerichtsfrage im Vorfeld der Gesetzgebung des Jahres 1848

199

3. Das Ersuchen der Stände um die Einführung des öffentlichen Schlussverhörs Noch während der laufenden Vorarbeiten der eingesetzten Kommission zur Erarbeitung eines neuen und umfassenden Strafverfahrensrechtes wurde angesichts der politischen Situation und aufkommender Ungeduld die Frage einer kurzfristigen Übergangsregelung in Strafverfahren aufgeworfen. Am 14. Juli 1848 wurde von einem Mitglied der Ständeversammlung an die Landtagskommission die Anfrage gerichtet, ob bis zur Einführung eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens zunächst wenigstens alsbald ein öffentliches Schlussverhör in Untersuchungen wegen peinlicher Fälle durchgeführt werden könne782. Dies sei wichtig vor allem bei politischen Vergehen, „besonders dienlich aber bei dem obschwebenden Prozesse wegen des von Mitgliedern der ehemaligen Garde-du-Corps verübten Attentats783“.

Es wurde daraufhin einstimmig beschlossen, der Staatsregierung hiervon Mitteilung zu machen mit dem Ersuchen, der Ständeversammlung eine entsprechende Gesetzesvorlage zukommen zu lassen, sofern eine gesetzliche Regelung zur Erreichung der beabsichtigten Zwecke überhaupt für notwendig erachtet werden sollte. Dieses Begehren der Ständeversammlung legte die Regierung daraufhin sämtlichen Kriminalsenaten der einzelnen Obergerichte vor. Diese sollten hierzu Stellung nehmen und zudem ihre Auffassung mitteilen, ob eine gesetzliche Grundlage für die Einführung des begehrten Schlussverhörs notwendig sei. Die ablehnenden Stellungnahmen der Obergerichte lassen erkennen, dass man davor zurückschreckte, die Verfahrensweisen des längst als kritikwür782 Die nachfolgend geschilderten Erörterungen über die kurzfristige Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs sind nachvollzogen anhand der Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974 und 250 Nr. 387. 783 Die zweite sogenannte Garde-du-Corps-Nacht ereignete sich am 9./10. April 1848 in Kassel (in Anspielung auf die Ereignisse der ersten Garde-du-Corps-Nacht in Kassel am 7. Dezember 1831; vgl. dazu Losch, S. 49 f.). Es kam dabei zu einer offenen, gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen etwa 80 Gardisten einerseits und Bürgern sowie Bürgergardemitgliedern aus Kassel andererseits. Viele wurden verletzt. Man vermutete den Kurfürsten hinter der Attacke. Zum Teil wurde unterstellt, die Gardisten seien für ihre Taten von hoher Stelle belohnt worden. Man drängte zur Kaserne der Garde und wollte sie stürmen. Eberhard selbst ermöglichte deren Ausmarsch. Dennoch wurde in der Folgezeit das Zeughaus gestürmt. Konsequenz der Ereignisse war die für den Kurfürsten demütigende Auflösung der Garde-du-Corps als seiner Leibwache. Eine kriegsgerichtliche Untersuchung mit öffentlichem Verfahren sollte angeordnet werden, um jede Verdächtigung in Bezug auf eine Einwirkung seitens des Kurfürsten zu beseitigen; vgl. dazu Eberhard, Hanauer Geschichtsblätter, Neue Folge, Nr.1, S. 49 ff.

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

dig erkannten und zum Teil leidenschaftlich abgelehnten Inquisitionsprozesses vor einem zum Schlussverhör zugelassenen Publikum offen zu legen. Der Kriminalsenat des Obergerichts Kassel vertrat zunächst in seiner Stellungnahme vom 25. Juli 1848 die Auffassung, dass es zur Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Allerdings sahen die Mitglieder keine Vorteile von Erheblichkeit einer solchermaßen beschränkten Öffentlichkeit. Das Publikum würde hierdurch in keiner Weise befriedigt. Auch der Kriminalsenat in Hanau verwies in seiner Stellungnahme vom 26. Juli 1848 darauf, es sei ungenügend, wenn im Schlussverhör lediglich die Ergebnisse der vorangegangenen Zeugenanhörung und etwaige Geständnisse bekannt gegeben würden. Beeindruckend ist sodann die Liste der vom Kriminalsenat in Hanau vorgetragenen Bedenken, wonach zunächst das Publikum Anstoß daran nehmen würde, dass der Richter zugleich Ankläger, Verteidiger und Untersuchungsrichter ist. Des Weiteren könnten die Zuhörer nicht erkennen, welcher Gestalt die Aussagen der Beweiszeugen abgegeben worden sind und ob die Verteidigung des Angeklagten gehörig gewürdigt worden sei. Die Zuhörer stünden auf ganz anderen Standpunkten als die Richter, so lange Letztere nicht nach ihrer individuellen Überzeugung, sondern nach strengen Beweisregeln entscheiden müssten, so dass also ein absolutorisches Erkenntnis in Fällen, wo Geschworene ihr „schuldig“ ausgesprochen haben würden, der im Volke lebenden Rechtsidee nicht entsprechen könne. Darüber hinaus könnte der Angeklagte sein Geständnis im Schlussverhör widerrufen und behaupten, zu seinem Geständnis verleitet oder gezwungen worden zu sein. Dies begründe ein Misstrauen in das bisherige Untersuchungsverfahren, zumal nach derzeitiger Gesetzeslage der Widerruf des Geständnisses für nicht genügend begründet erklärt und auf Strafe erkannt werden müsste. Auch könne der Angeklagte durch Lügen im Schlussverhör Neues einführen und so dasselbe selbst vereiteln und Wiederholungen bewirken. Das Publikum sei auch nicht dadurch befriedigt, wenn ein Schlussverhör öffentlich durchgeführt werde, die Urteilsveröffentlichung aber erst später nach den alten Regeln folge. Schließlich fehle es an den notwendigen Lokalitäten. Das begehrte öffentliche Schlussverhör sei daher abzulehnen und die in Kürze einzuführende Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verfahren abzuwarten. Auf die fehlenden Lokalitäten verwies auch der Kriminalsenat in Marburg in seiner Stellungnahme vom 31. Juli 1848. Auch hier wurde die kurzfristige Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs ausführlich abgelehnt. Es bestünde ohnehin bereits eine große Arbeitsbelastung der Gerichte. Auch hier erfolgte der Hinweis, dass der größte Fehler des Inquisitionsverfahrens bei unnatürlicher Vereinigung der Rollen des Anklägers, Verteidigers und Richters in einer Person für das Publikum offen sichtbar würde. Nachdem sich am Ende alle Kriminalsenate gegen die Einführung des öf-

IV. Schwurgerichtsfrage im Vorfeld der Gesetzgebung des Jahres 1848

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fentlichen Schlussverhörs aussprachen, erfolgte am 19. August 1848 der Regierungsbeschluss, das entsprechende Ersuchen der Ständeversammlung abzulehnen784. Auch der Rechtspflegeausschuss785 hatte sich mit der Frage der Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs auseinandergesetzt. Auf den ablehnenden Ministerialbeschluss vom 19. August 1848 entgegnete er, dass die angeblichen Nachteile nicht angegeben und daher nicht näher überprüfbar seien. Die von der Regierung hervorgehobene Unausführbarkeit sei nicht überzeugend. Es wurde verwiesen auf einen Erlass des Justizministeriums vom 4. September 1847, wo ausgeführt worden war: „Da nach dem jetzigen Hauptverfahren in den, vor die Obergerichte gehörigen Strafsachen der erkennende Richter zu wenig Gelegenheit erhält, die Persönlichkeit des Angeklagten durch eigne Anschauung kennenzulernen, gleichwohl aber eine solche Kenntnis in den meisten Fällen von unverkennbarem Nutzen sein muß, so haben das Obergericht zu Rinteln, sowie die Kriminalsenate der übrigen Obergerichte, welchen durch §. 46 der Verordnung vom 29. Juni 1821 die Führung der Hauptuntersuchung zusteht, die Anordnung zu treffen, daß in schwereren Fällen, jedoch vorzugsweise nur in solchen, wo es auf eine künstliche Beweisführung ankommt, ein auf das Wesentlichste sich beschränkendes Schlußverhör der Hauptuntersuchung vor dem beauftragten Hauptuntersuchungsrichter, unbeschadet der demselben nach §. 15 des Regulativs vom 9. Januar 1822 zukommenden Selbständigkeit, in Gegenwart des Collegs vorgenommen werde, wobei in Betreff des Verhaltens der einzelnen Mitlieder auf die peinliche Gerichtsordnung von 1748, § 3 hingewiesen und außerdem bemerkt wird, daß die Einrichtung insbesondere auch zu dem Zwecke zu benutzen sei, um bei demnächstiger Aburtheilung der Sache den Vortrag des Referenten wesentlich abzukürzen und dadurch zu der so sehr zu befördernden größeren Beschleunigung der Erledigung weitläufiger Kriminalsachen beizutragen.“

Des Weiteren sei auf Remonstration des Obergerichts zu Kassel wegen der Geschäftslage der Justizministerialbeschluss vom 13. Oktober 1847 erfolgt, wonach jedenfalls zuvor in einigen für geeignet gehaltenen Fällen das angeordnete Verfahren zu beachten sei. Dies sei von den Gerichten auch weitgehend beachtet worden. Der Rechtspflegeausschuss bemerkte hierzu, dass es doch nur ein kleiner Schritt gewesen sei, durch Zulassung des Publikums und nicht nur des Collegs die gewünschte Öffentlichkeit herzustellen. Man halte auch eine gesetzliche Regelung nicht für erforderlich, da die Öffentlichkeit jedenfalls nach der bestehenden Gesetzeslage nicht verboten 784

Auch vom Kriminalsenat in Fulda war unter dem 25. Juli 1847 eine ablehnende Stellungnahme erfolgt. In Rinteln hielt man laut Stellungnahme vom 27. Juli 1847 eine gesetzliche Regelung für die Einführung des öffentlichen Schlussverhörs für erforderlich, Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387. 785 Bericht des Rechtspflegausschusses durch den Abgeordneten Vietor in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 974 (mit Druck der Beilage 347).

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C. Streit und Verhandlungen über die Geschworenengerichte bis 1848

sei. Das Schlussverhör sei geeignet, das Vertrauen in die Strafrechtspflege zu stärken und darüber hinaus einen angemessenen Übergang von der verhassten Heimlichkeit zu der in Kürze zu erwartenden vollen Öffentlichkeit und Mündlichkeit zu bilden. Gleichwohl nahm der Rechtspflegeausschuss von einer Wiederholung des Antrags vom 14. Juli 1848 Abstand. Zum einen schien es dem Ausschuss nicht glücklich gewesen sein, diesen Antrag mit dem speziellen Fall des erwähnten Attentats zu begründen. Entscheidend war schließlich, dass die Arbeiten der Kommission für die Kriminalgesetzgebung in Kürze vor dem Abschluss stünden. Die Obergerichte sollten daher vor Einführung des alsbald zu erwartenden Strafverfahrens die älteren, bereits instruierten Sachen soweit wie möglich noch abarbeiten, was aber schwierig sein würde, wenn bei den Obergerichten durch weitläufige Prozeduren hinsichtlich der nach altem Stil geführten Untersuchungen die Zeit der Richter noch mehr zersplittert werden würde. Daher sollte unter diesen Umständen die Sache auf sich beruhen. Die Forderung nach kurzfristiger Einführung eines öffentlichen Schlussverhörs wurde daher nicht weiter verfolgt.

D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848 Noch im Revolutionsjahr 1848 wurden bedeutende Gesetze zur völligen Neugestaltung des Strafverfahrens und der notwendigen Schaffung einer entsprechenden Gerichtsorganisation erarbeitet und erlassen. Diese Gesetzgebungsarbeiten wurden unabhängig von den parallelen Ausarbeitungen und Vorlagen zur Paulskirchenverfassung vorgenommen. Letztere sah in ihrem Abschnitt über den „Rechtsstaat“ ebenfalls im Rahmen einer Laienbeteiligung die Einführung der Schwurgerichtsbarkeit für bestimmte Strafsachen vor. Zu einer inhaltlichen Debatte war es in der Paulskirche hierzu allerdings nicht mehr gekommen, so dass sich für unsere Betrachtung an dieser Stelle keine weitergehenden Gesichtspunkte ergeben786. Mit dem Pressegesetz vom 26. August 1848 und den Gesetzen über die Umbildung des Strafverfahrens sowie der Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten jeweils vom 31. Oktober desselben Jahres wurden in Kurhessen die gesetzlichen Voraussetzungen und Grundlagen zur Einführung der Schwurgerichtsbarkeit geschaffen787.

I. Das Gesetz „wider Preßvergehen“ vom 26. August 1848 Bereits am 26. August 1848 wurde ein Gesetz „wider Preßvergehen“ erlassen788. Damit war eine erste gesetzliche Maßnahme zur alsbaldigen Durchführung schwurgerichtlicher Verfahren in Kurhessen vollzogen, noch bevor das vollständige Gesetzeswerk zur umfassenden Neugestaltung der Strafrechtspflege geschaffen werden konnte. Binnen vierzehn Tagen nach Erscheinen dieses Gesetzes sollten die ersten Vorarbeiten zur Erstellung der Geschworenenlisten aufgenommen werden. Bis zur endgültigen Neuorganisation des Gerichtswesens waren die Kriminalsenate der Obergerichte bzw. das Obergericht zu Rinteln in Verbindung mit den Geschworenen zuständig für die Durchführung von Presseverfahren. 786 Zur Schwurgerichtsbarkeit im Rahmen der Frankfurter Reichsverfassung siehe Kühne, S. 359 ff. und 610 f.; vgl. auch Schwinge, S. 153 ff. 787 Im Rahmen der Arbeiten des Verfassungsausschusses über die Ministerverantwortlichkeit wurde ebenfalls die Mitwirkung von Geschworenen in Staatsprozessen erwogen, siehe hierzu Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 24, S. 47 ff., insb. S. 55; vgl. zu diesem Aspekt auch Kühne, S. 360 f. 788 SG, 11. Band, 1848, S. 74 ff.; siehe auch Anhang, Nr. 2.

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

Bereits am 10. Mai 1848 hatte das Innenministerium beschlossen, die Landtagskommission zu beauftragen, einen Gesetzentwurf nebst Begründung der Ständeversammlung vorzulegen. In den mitgeteilten Motiven zum Entwurf wurde zunächst grundsätzlich darauf abgestellt, dass § 37 der Verfassungsurkunde die Freiheit der Presse und des Buchhandels in ihrem vollen Umfange garantiere. Die Verwirklichung der Pressefreiheit sei jedoch bis zu dem Zeitpunkte verschoben worden, in dem ein Gesetz gegen Preßvergehen erlassen sein würde. Ein solches Gesetz könne jedoch nicht die Bestimmung haben, den Grundsatz der Pressefreiheit selbst zu beschränken. Ein solches Gesetz dürfe daher nur Maßregeln enthalten, welche sich auf Richtungen der Presse beziehen, in denen ein Vergehen zu erblicken sei. Der Gebrauch der Presse an sich könne niemals als ein eigenes Vergehen betrachtet werden. Im Übrigen hätten die jüngsten Beschlüsse der Bundesversammlung es jedem Staate freigestellt, selbst zu entscheiden, wie weit die Zensur fortbestehen solle. Diese sei nun aufgrund der Regelung in § 37 der Verfassungsurkunde in Kurhessen überhaupt nicht mehr zulässig. Am Ende bliebe als durchgreifende Maßregel gegen Preßvergehen nur eine gerichtliche Bestrafung, deren Androhung schon als wirksames Vorbeugemittel betrachtet werden müsse. Konzessionen oder Kautionen wurden daher abgeschafft. In Bezug auf das anzuwendende Strafverfahren hieß es in den Motiven789: „Durch landesherrliche Verkündigung vom 7. März 1848 ist Anklageprozeß mit Mündlichkeit und Öffentlichkeit vor Schwurgerichten zugesichert. Nichts hindert, diese Zusicherung sofort in Beziehung auf die Preßvergehen zur Erfüllung zu bringen, die ohnehin von einfacherer Beschaffenheit zu sein pflegen und eine geringere Zahl von Gerichtshöfen in Anspruch nehmen werden. Darum ist in dem Entwurfe alsbald auf die erwähnte prozeßualische Form Bedacht genommen worden. Hinsichtlich der Schwurgerichte hat derselbe sich an die Gesetzgebung vom Jahre 1808 angeschlossen. Die Elemente, aus denen dieselben gebildet werden sollen, sind in den zur Ausübung der politischen Rechte befähigten Bürgern gesucht worden.“

Der vorgelegte Entwurf erhielt sogleich die grundsätzliche Zustimmung seitens des mit der Begutachtung beauftragten Rechtspflegeausschusses. In seinem Bericht vom 6. Juni 1848 verwies der Abgeordnete von Baumbach zunächst darauf, dass faktisch seit dem 11. März 1848 die Zensur aufgehoben worden sei. Seitdem bestünde die Pressefreiheit faktisch in so vollem Maße, dass auch Überschreitungen derselben, welche vorgekommen seien, ungeahndet geblieben sind. Es gebe jedoch lebhaftes Verlangen nach einem Preßgesetz, teils um das Erlangte gesetzlich fester zu begründen, teils um in dem in Aussicht gestellten Institute von Geschworenengerichten für die 789 Gesetzentwurf und Motive sind enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band.

I. Gesetz „wider Preßvergehen“ v. 26.8.1848

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Aburteilung etwaiger Preßvergehen diejenige Gewährleistung zu erhalten, welche dieses Institut verspricht. Es wurde begrüßt, dass unter Zugrundelegung der westphälischen Gesetzgebung Geschworenengerichte angeordnet werden sollten, während im Jahre 1832 seitens der damaligen Landtagskommission bereits die Öffentlichkeit des Verfahrens für etwas nimmermehr Zuzugebendes und die damalige Arbeit des Ausschusses für etwas nur nach dem Ideale eines Preßgesetzes Geschaffenes erklärt worden sei, zu dessen Verwirklichung auch nicht die mindeste Aussicht vorhanden wäre. Der Rechtspflegeausschuss empfahl daher, die Beratungen zum vorgelegten Entwurf aufzunehmen790. Es gab eine Vielzahl zu diskutierender praktischer Verfahrensfragen. Einige hiervon seien nachfolgend dargestellt. In der landesherrlichen Proposition war vorgesehen, dass jede strafgerichtliche Verfolgung der durch die Presse verübten Vergehen im Wege des Anklageprozesses vor den Schwurgerichten zu erfolgen habe. Hiergegen hatte der Rechtspflegeausschuss Bedenken. Eine Ausnahme sollte gemacht werden zunächst für die Vergehen, die lediglich eine geringe Ordnungsstrafe nach sich ziehen konnten. Dies betraf insbesondere die Regelungen über die Nichtangabe des Verlegers oder Druckers bzw. entsprechender anderer geringfügiger Übertretungen. Unangemessen für die Durchführung aufwendiger schwurgerichtlicher Verfahren hielt man auch Vergehen, bei denen es nur um Ehrenkränkungen von Privatpersonen ging. Auch in solchen Fällen seien die Strafen regelmäßig nur gering. Für solche Fälle jedes Mal eine Schwurgerichtssitzung abhalten zu wollen, müsse für bedenklich gehalten werden: „Abgesehen davon, daß häufig mehr Kosten entstehen würden, als die Strafe beträgt, muß besonders berücksichtigt werden, daß das ganze Institut der Schwurgerichte leicht in seiner Würde und in seinem Ansehen bei dem Publikum herabgesetzt, letzterem wohl gar verleidet werden würde, wenn man dasselbe bei so geringfügigen Gegenständen in Anwendung bringen wollte.“

In Folge dieser Einwendungen wurde schließlich in der endgültigen Fassung des Preßgesetzes aufgenommen, dass die strafgerichtliche Verfolgung anderer, als der vorerwähnten Vergehen, nur auf Antrag des Staatsanwaltes im Wege des Anklageprozesses vor den Schwurgerichten erfolge. Das Verfahren sei dabei öffentlich und mündlich. In den übrigen Fällen, so auch auf Antrag eines Privatklägers wegen einer durch Druckschrift zugefügten Ehrenkränkung, sollte das gewöhnliche Strafverfahren vor den Strafgerichten stattfinden. Weitere Verbesserungsvorschläge des Rechtspflegeausschusses bezogen sich insbesondere auf die Verfahrensabläufe. Zum Beispiel sah der Gesetz790 Bericht des Abgeordneten von Baumbach vom 6. Juni 1848 in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band (Beilage 254).

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

entwurf vor, dass als Vorstand der Geschworenen die Person fungieren sollte, deren Name bei der Auswahl der Geschworenen durch das Los zuerst gezogen worden sei. Hier konnte der Rechtspflegeausschuss letztlich erfolgreich durchsetzen, dass die Geschworenen selbst unter sich einen Vorstand wählen und anschließend über die ihnen vorgelegten Fragen beratschlagen sollten. Hintergrund war, dass nach dem vorgelegten Entwurf ein Mitglied des Gerichts dafür zuständig sein sollte, das Geschäft der Leitung der Fragenbeantwortung und die Feststellung des Resultats zu übernehmen. Unter Verweis auf einen entsprechenden Gesetzentwurf im Großherzogtum Baden sollte dagegen vorgesehen werden, dass diese Aufgabe dem selbst gewählten Vorstand der Geschworenen obliege. Ansonsten hätte das Gerichtsmitglied jedenfalls die Möglichkeit, auf die Fragenbeantwortung und Feststellung des Resultats Einfluss zu nehmen. Bemerkenswert sind auch die Erörterungen zu § 64 des Entwurfes, wonach die Geschworenen nach ihrer abgegebenen Erklärung den Schuldigen auch der Gnade des Landesherren empfehlen können sollten. Dies wurde vom Rechtspflegeausschuss für bedenklich gehalten, „weil dadurch die Geschworenen nur in eine falsche Stellung gesetzt werden würden. Eine Bestimmung der fraglichen Art passet, wie in den Motiven zu dem schon angeführten badischen Gesetzentwurf mit Recht hervorgehoben wird, nur da, wo, wie in Frankreich und England, Strafgesetze mit dergestalt bestimmter Strafandrohung vorhanden sind, dass die Geschworenen bei Ausspruch ihres Schuldig gleich wissen können, welche Strafe den Schuldigen treffe, und dass diese Strafe in gerade vorliegenden Falle besonderer Umstände wegen zu hart sein wird. Diese Voraussetzung tritt bei uns nicht ein. Die Strafen sind bei uns, besonders für solche Vergehen, wie die durch die Presse begangen werden, regelmäßig dergestalt arbiträr, daß die Geschworenen unmöglich im voraus das Strafmaaß, welches das Gericht verhängen, und ob dieses unverhältnismäßig hart sein wird, wissen können: Es wird auch eine solche unverhältnismäßige Härte nicht leicht eintreten können, eben weil bei uns die Gerichte weniger an ein bestimmtes Strafmaaß gebunden sind, sondern auf alle Milderungsgründe billige Rücksicht nehmen dürfen.“791

In der endgültigen Fassung des Gesetzes wurde daher bestimmt, dass das Gericht selbst befugt sein sollte, den Angeklagten der landesherrlichen Gnade zu empfehlen, wenn in besonderen Ausnahmefällen eine härtere Strafe zu verhängen sein sollte, als nach den Umständen für angemessen gehalten werden sollte. Nach weiteren Verhandlungen erstattete der Rechtspflegeausschuss am 10. Juli 1848 einen weiteren Bericht792. Hinsichtlich der Auswahl der Ge791

Ebd., S. 17. Bericht des Abgeordneten von Baumbach vom 10. Juli 1848 in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 1234, 1. Band (Beilage 287). 792

I. Gesetz „wider Preßvergehen“ v. 26.8.1848

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schworenen hatte man sich inzwischen darüber geeinigt, dass bis zu einer endgültigen Regelung vorläufig Geschworener sein könne, welcher an der zuletzt vorausgegangenen Wahl der Landtagsdeputierten unmittelbar teilgenommen habe793. Neben weiteren Einzelaspekten kam schließlich noch die Frage auf, ob für die Geschworenen eine Entschädigung vorzusehen sei. In diesem Zusammenhang wies der Rechtspflegeausschuss darauf hin, dass auch zu westphälischer Zeit die Geschworenen keine Vergütung erhalten hätten. Jedenfalls habe eine Durchsicht der vorhandenen Verfahrensakten nicht darauf hingedeutet, dass Vergütungen geleistet worden wären. Auch gelte das Amt des Geschworenen als Ehrenamt und sei zugleich staatsbürgerliche Pflicht, so dass jedenfalls es für bedenklich gehalten werde, erhebliche Vergütungen zuzusagen. Die Beantwortung dieser Frage sollte daher einer allgemeinen Regulierung dieser Sachfrage außerhalb des vorliegenden Preßgesetzes vorbehalten bleiben. Die Erörterungen zum Pressegesetz und hier zur Regelung des schwurgerichtlichen Verfahrens machen deutlich, dass über praktische Detailfragen sinnvoll diskutiert worden ist. Grundlegende Änderungen oder gar eine völlige Abkehr vom französischen Grundmodell des Geschworenengerichts kamen nicht in Frage. Schließlich hatte das im Pressegesetz geregelte schwurgerichtliche Verfahren nur Übergangscharakter, da mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Umbildung des Strafverfahrens zum 1. Februar 1849 eine vollständige und einheitliche Ausgestaltung der Geschworenenprozesse für alle Verfahren erfolgen sollte. Mit dessen Inkrafttreten wurden die Bestimmungen der §§ 23 ff. des Pressegesetzes betreffend die schwurgerichtlichen Verfahren wieder aufgehoben794.

793 Die letzten Wahlen zum kurhessischen Landtag hatten im April 1847 stattgefunden; vgl. hierzu Bullik, S. 416 ff.; Nach § 29 des Gesetzes vom 26. August 1848 hatten binnen 14 Tagen nach Erscheinen desselben die ritterschaftlichen Obervorsteher und Stromsdeputierten, die Vorstände des wahlberechtigten Adels in den Provinzen Fulda und Hanau, die Landesuniversität und die Wahlkommissionen der Städte und Landgemeinden diejenigen Personen, welche bei ihnen als Wähler bei der jüngsten Wahl mitgewirkt haben, bei dem Kriminalsenat des Obergerichts des Wohnortes derselben zu bezeichnen; zu den Modalitäten der Wahlen der Ständeversammlung siehe Bullik, S. 101 ff. 794 Siehe § 343 des Gesetzes vom 31. Oktober 1848; zu beachten waren auch die besonderen Übergangsbestimmungen in den §§ 451 ff., insb. 462. Unter der Geltung des „Gesetzes wider Preßvergehen“ sollte jedoch noch der Aufsehen erregende Prozess gegen die Redakteure des radikalen Blattes „Hornisse“ stattfinden, siehe dazu unter D. III.

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

II. Das Gesetz „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ vom 31. Oktober 1848 Kernstück der Gesetzgebung in der Strafrechtspflege war das am Ende 468 Paragrafen umfassende Gesetz „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ vom 31. Oktober 1848795. 1. Die Gesetzgebungsarbeiten Landtagskommissar Duysing796 übergab am 29. September 1848 den Entwurf eines Gesetzes, durch welches eine umfassende Umbildung des Strafverfahrens herbeigeführt werden sollte. Der Entwurf wurde sogleich dem Rechtspflegeausschuss zur weiteren Beratung überwiesen797. Am 26. Oktober 1848 wurde nach Vorlage des Ausschussberichtes über den Gesetzentwurf beraten798. In seinen einleitenden Worten berichtete der Abgeordnete Nebelthau in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rechtspflegeausschusses über die erfolgreiche gemeinsame Zusammenarbeit zwischen den von der Regierung bestellten Kommissionsmitgliedern und den auserwählten Fachleuten aus dem Kreis der Abgeordneten. Mitglieder der Regierungskommission hätten sich in den Rheinlanden mit der Praxis der Schwurgerichtsbarkeit bekannt gemacht. Sie hatten dort Erfahrungen gediegener Richter, Staatsprokuratoren und Anwälte in unmittelbarem Kontakt gesammelt und eine Vergleichung der bis jetzt vorhandenen deutschen Gesetzgebung vom Stande der Wissenschaft aus vornehmen können. Nachdem in weit gehender gemeinsamer Abstimmung in kürzester Zeit ein umfassender Entwurf erstellt werden konnte, fehle es nun aber an der nötigen Zeit und Ruhe zu einer umfassenden Berichterstattung und wohl auch an einer umfassenden Beratung jeder einzelnen gesetzlichen Regelung im Entwurf. „Es verbleibe nur noch wenige Tage Zeit“.799 Das wichtigste sei jedoch die Umgestaltung nach den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, hinsichtlich derer Beachtung nur wenige Ausnahmen im Gesetzentwurf zugelassen würden. Insbesondere für alle mit schweren Strafen bedrohten Vergehen (die 795

SG, 11. Band, 1848, S. 177 ff.; siehe auch Anhang Nr. 3. Wilhelm Duysing (1796–1855) war 1822 bis 1833 Bürgermeister in Marburg und später Geheimer Oberfinanzrat in Kassel sowie 1848 Landtagskommissar, vgl. Lengemann, MdL, S. 113. 797 KhLtV 1847/48, 2. Band, Nr. 54, S. 2 f. 798 KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 3 und Ausschussbericht vom 23. Oktober 1848 als Beilage 402. Nebelthau bedankte sich bei dieser Gelegenheit besonders bei Obergerichtsanwalt Hahn, der sich als profunder Kenner der Materie bereits seit vielen Jahren für Reformen in der Strafrechtspflege eingesetzt hatte. 799 Siehe Beilage 402, S. 2. 796

II. Gesetz „die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ v. 31.10.1848

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man Verbrechen nenne), an deren Aburteilung der Staat um seiner Sicherheit und Freiheit Willen ein besonderes Interesse habe, sollten Geschworenengerichte eintreten. Dieses sei nur in einem wirklich freien und der Freiheit würdigen Volke möglich. Die Zeit sei gekommen, dass es für beide Voraussetzungen nur noch des redlichen Willens bedarf. Für die in Aussicht genommenen Geschworenengerichte habe man die vorzüglichsten Muster gewählt. Nebelthau räumt sodann jedoch auch ein, dass grundsätzliche Streitfragen nicht abschließend gelöst und geregelt werden konnten, obwohl die Bereitschaft hierzu sicherlich vorhanden gewesen war. Der Entwurf wolle überhaupt nur den Gang des Verfahrens regeln. Daher habe man auch viele Regelungen aufgenommen, die eigentlich nur in Ausführungsverordnungen oder Dienstanweisungen enthalten sein sollten. Das „materielle Strafprozessrecht“ bleibe weitgehend unverändert800. Sodann ging die Ständeversammlung zur Beratung einzelner Detailregelungen über. Eine Vielzahl von Bestimmungen im Gesetzentwurf wurde überhaupt nicht erörtert. Zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen kam es nicht. Im Gegenteil wurden viele Korrekturwünsche des Rechtspflegeausschusses auch vom anwesenden Landtagskommissar Kersting, zum Teil nach kurzer Diskussion, akzeptiert. Meinungsverschiedenheiten bestanden allein in praktischen Detailfragen, die unter anderem ihre Ursache darin hatten, dass auch der Umbau der Verwaltungsorganisation durch Schaffung der neuen Verwaltungsbezirke noch in der Schwebe war. So wurde näher darüber debattiert, welche Bezirksräte konkret für die Erstellung der Geschworenenlisten örtlich zuständig sein sollen801. Einigkeit bestand im Rahmen der Erörterungen zu § 244 des Entwurfes, dass die Bezirksräte diese Listen aufzustellen hatten. Nebelthau sprach sich dafür aus, es solle konkret der Bezirksrat des Ortes zuständig sein, wo sich auch das jeweilige Obergericht befindet. So wäre der Bezirksrat in Kassel mit Sitz eines Obergerichts auch zuständig für die Erstellung der Geschworenenlisten der Verwaltungsbezirke Fritzlar und Eschwege. Nebelthau sah bei diesem Vorschlag kein Problem darin, dass die Bezirksräte bei Aufstellung der Listen Personen auszuwählen hatten, die sie allein aufgrund örtlicher Entfernung nicht näher kennen konnten. Er verwies dabei auf die Umstände in anderen Ländern, wo oftmals die Gebiete, innerhalb derer die einzelnen Geschworenen auszuwählen waren, noch größer waren, als der Kurstaat insgesamt an Fläche habe. Dem widersprach bemerkenswerter Weise der Regierungskommissar Kersting: „In anderen Ländern wird aber nach Maximen verfahren, welche bei uns Seitens der Regierung und der Ständeversammlung verworfen wurden. Im vorhinnigen 800 801

Beilage 402, S. 3. KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 18 ff.

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

Frankreich und Westphalen wurden die Leute nach den Grundsätzen des Polizeistaates eigentlich ausgesucht; soll das aber nicht geschehen, soll wirklich eine volksthümliche Wahl stattfinden, dann muß man auch engere Grenzen ziehen, innerhalb deren die Leute einander kennen.“802

Man einigte sich darauf, dass die jeweils örtlichen Bezirksräte für die Aufstellung der Listen in ihrem eigenen Verwaltungsbezirk zuständig sind. Kernpunkt der weiteren Debatte war die Regelung in § 10 des Entwurfes803. Zur Diskussion stand die umfassende Verwirklichung des einzuführenden Anklagegrundsatzes. Im Entwurf des § 10 war vorgesehen, dass in der gerichtlichen Hauptverhandlung nach Erhebung der Anklage deren Zurücknahme durch den Ankläger für das Gericht nicht bindend sei. Diskutiert wurde über das Rechtsverhältnis nach erhobener Anklage und der Vermittlung zwischen dem Anklageprinzip und dem Gedanken der richterlichen Unabhängigkeit. Die abschließende Regelung in § 10 sah sodann vor, dass der Ankläger jederzeit, auch in der mündlichen Gerichtsverhandlung die Anklage noch zurücknehmen konnte, so lange ein endliches Urteil noch nicht ergangen war804. Eine Beurkundung der Rücknahme war einer Freisprechung gleich zu achten. Im Übrigen war aber das Gericht an die Anträge des Anklägers insoweit nicht gebunden, als dieselben die rechtliche Beurteilung derjenigen Tatsachen805 betreffen, auf die der Ankläger seine Anklage gegründet hat. Dies galt auch für die Bestimmung der Strafe. Nach Diskussion weiterer Einzelpunkte wurde die Sitzung dann auf den 28. Oktober 1848 vertagt. Im Mittelpunkt standen nun noch die in Frage kommenden Obergerichtsbezirke und Kostengesichtspunkte806. Am Ende wurde der Gesetzentwurf nach abschließender Beratung in geheimer Abstimmung mit 41 zu 3 Gegenstimmen angenommen807. Das Gesetz konnte am 31. Oktober 1848 verkündet werden. Im Rahmen der abschließenden Beratungen hatte man auch Einigkeit dahingehend erzielt, dass das Gesetz erst am 1. Februar 1849 in Kraft treten sollte. Für die Bestellung des notwendigen Personals, die Beschaffung der notwendigen Gerichtslokale und auch für die Vorbereitung der Erstellung 802

KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 21. KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 29 ff. 804 Mit endlichem Erkenntnis war das Erkenntnis erster Instanz gemeint, so dass eine Rücknahme hiernach nicht mehr möglich war; Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 10. April 1851, Heuser, Entscheidungen, 5. Band, S. 772 f. 805 Man war sich auch einig, dass zu den Tatsachen auch die Willensrichtung des Täters, mithin der subjektive Tatbestand, gehörte, KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 38 f. 806 KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 115, S. 8 ff. 807 KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 115, S. 28. 803

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von Geschworenenlisten sah man einen angemessenen Bedarf an Zeit zur Vorbereitung. In dieser konnten im Übrigen in Pressesachen weiterhin die Verhandlungen vor den Geschworenengerichten auf der Grundlage des Pressegesetzes vom 26. August 1848 stattfinden. Für das Gesetz zur Umbildung des Strafverfahrens ergab sich am Ende derselbe Befund wie im Falle des vorausgegangenen Pressegesetzes. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit war man faktisch genötigt, im Wesentlichen die französische Gerichtsverfassung zu übernehmen. So sah man bereits wenige Monate nach Wirksamwerden der Schwurgerichtsbarkeit nach französischem Modell einen grundsätzlichen Verbesserungsbedarf. Ende des Jahres 1849 ging der Abgeordnete Nebelthau im Rahmen der Landtagsverhandlungen auf diesen Punkt ein: „Ohne daß wir Vorarbeiten vor uns hatten, ohne Vorstudien im Verhältnisse zu der Wichtigkeit und Schwierigkeit der Aufgabe machen zu können, sollten wir im Sommer 1848 binnen kürzester Frist ein Gesetz zur Umbildung des ganzen Strafverfahrens entwerfen. Als Muster stand uns eben nur die französische Gesetzgebung zu Gebot. Empfohlen war sie als Vorbild, weil sie doch schon auf weiten Gebieten deutscher Staaten in Geltung und Übung war, und sodann, – so glaubten wir wenigstens, weil bei den Rheinländern fast nie Klage oder Tadel in bezug auf jene Institutionen laut geworden war. Nachdem wir, wenn auch nur erst ein Jahr lang, eigene Erfahrungen zu machen Gelegenheit gehabt haben, müssen wir uns die letztere Thatsache, welche wir für eine entscheidende genommen hatten, wohl einigermaßen anders auslegen. Die Rheinländer betrachten ihren Antheil an der Napoleonischen Gesetzgebung als ein Palladium, an dessen ungeschmälerten Besitzthum ihnen viel zu sehr gelegen ist, als daß sie vergleichsweise unerhebliche Ausstellungen an einzelnen Theilen des Gerichtsverfahrens machen sollten. Wir müssen auch jetzt noch zugeben, daß dies französische Gerichtsverfahren viel besser als irgend eins auf dem rechten Rheinufer ist, obwohl es, genau betrachtet, doch nur eine schlechte Übersetzung des englischen Gerichtswesens ist. Nach England wird sich der Blick der jüngeren deutschen Rechtsgelehrten richten müssen, dort ist der Schlüssel zu finden, welcher den Weg zu dem Schatze des deutschen Gerichtswesens erschließt . . .“808

Noch im Jahr 1849 erschien die Untersuchung von Gneist über „Die Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland“. Er entwickelte hierin eine vorzugswürdige Ausgestaltung der Schwurgerichtsbarkeit unter Würdigung der englischen Jury und unter Ablehnung des französischen und mithin auch des rheinischen Modells. Letztere betrachtete er, so wie es seinerzeit eingeführt werden sollte, allenfalls als Durchgangsstadium. Bei deutlicher Ablehnung der Bereitschaft in der Politik zur kritiklosen Übernahme vieler französischer Einrichtungen forderte er: 808 Antrag des Abgeordneten Nebelthau, die Besetzung des Gerichts bei den schwurgerichtlichen Verhandlungen betreffend, vom 7. Dezember 1849, in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 469 (Beilage 58).

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

„Das Schwurgericht muß als eine dauernde Institution eine gesunde Grundlage haben; es kann und soll das Resultat eines politischen Princips aber nicht einer politischen Krankheit sein.“809

Auch in der Folgezeit fehlte es nicht an Vorschlägen zu grundlegenden Verbesserungen in der Schwurgerichtsbarkeit, allein sie kamen zu spät810. Kurhessen erhielt das Geschworenengericht nach französischem Grundmodell. Die allgemeine fachliche Kritik, wie sie in den kommenden Jahren immer wieder formuliert worden ist, änderte hieran nichts mehr. Der Politik fehlte es zudem an Kraft und Motivation nach 1849 noch grundlegende Änderungen durchzusetzen. 2. Die Ausgestaltung der kurhessischen Schwurgerichtsbarkeit Die in Kurhessen eingerichtete Schwurgerichtsbarkeit hatte in den wesentlichen Zügen keine Besonderheiten aufzuweisen. Mangels eigener Vorarbeiten und der auch aus Zeitgründen bestehenden Notwendigkeit auf schon bestehende Formen zurückgreifen zu müssen, war dies konsequent. Hinsichtlich des äußeren Verfahrensablaufes eines schwurgerichtlichen Verfahrens von der Verweisung der Sache nach Abschluss der vorbereitenden Untersuchung an die auswärtige Anklagekammer bis hin zum Spruch des Urteils sei verwiesen auf die Darstellung des Verfahrens gegen Friedrich Oetker. Dieses auf eigene Veranlassung Oetkers ausführlich protokollierte und anschließend veröffentlichte Verfahren mag als plastische Darstellung dienen (siehe Anhang Nr. 1). An dieser Stelle soll sich der Blick richten auf einige besondere Gesichtspunkte, die das kurhessische Geschworenengericht geprägt und im Übrigen auch die Rechtsprechung der folgenden Jahre beschäftigt haben. Sie betreffen zunächst die grundsätzliche Frage, wer überhaupt als Geschworener in Betracht kam und wie eine Jury gebildet worden ist. Des Weiteren sind die Stellung des Vorsitzenden des Geschworenengerichts sowie die besonderen Probleme bei der Aufstellung der an die Jury zu richtenden Fragen zu betrachten. Dies alles betrifft Grundsatzprobleme, die seit langer Zeit in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion behandelt wurden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass mit der Gesetz809

Gneist, S. 160. Siehe hierzu Landau, S. 271 ff.; Schwinge, S. 131; In seinem Buch „Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrhundert“ aus dem Jahr 1849 unterzog Köstlin die Entstehung der Geschworenengerichte einer vergleichenden historischen Betrachtung. Als Schüler Hegels bemängelte er dabei, dass es in Deutschland an einer eigenständigen Entwicklung und der grundlegenden Beschäftigung mit dieser Frage fehle; siehe dort insbesondere S. 138 ff., auch mit kritischen Anmerkungen zur englischen Jury. 810

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gebung des Jahres 1848 in Kurhessen eine neue Verwaltungsstruktur geschaffen worden war. Unter Aufhebung der Provinzen und Kreise waren nun neun Verwaltungsbezirke gebildet worden. Die Verwaltung dieser Bezirke erfolgte unter Aufsicht des Innenministeriums durch einen vom Kurfürsten ernannten Bezirksvorstand zusammen mit einem gewählten Bezirksrat und einem aus letzterem hervorgehenden Bezirksausschuss811. Jedem Obergericht war mindestens ein Verwaltungsbezirk zugeordnet812. Die Mehrzahl der deutschen Länder hatte bei Einführung der Jury das in Frankreich entwickelte Grundmodell des Zensus und der Kapazitäten übernommen. Es verlangte für die Fähigkeit, das Amt eines Geschworenen ausüben zu können, zum einen ein bestimmtes Maß an Einkommen oder aber Steuerzahlungen (Zensus). Zum anderen war hiernach ein besonderes Maß an persönlichen Fähigkeiten (Kapazitäten) vorausgesetzt, die präsumtiv auch durch eine gewisse soziale Stellung gewährleistet erschienen813. Kurhessen wählte jedoch einen anderen Ansatz. So wie in Württemberg, Nassau und Thüringen wurde die Fähigkeit zum Geschworenenamt nur vom Besitz des Staats- oder Ortsbürgerrechts sowie vom Erreichen des Mindestalters von 30 Jahren abhängig gemacht814. In den Bemerkungen zur Gesetzesvorlage findet sich hierzu die Begründung: „Der Entwurf verschmäht die Aufstellung von Klassen, aus denen die in der Urliste einzutragenden Geschworenen genommen werden müssen, insbesondere einen Census, da aus einem gewissen Vermögen nicht mit Sicherheit auf die für einen Geschworenen erforderliche Bildung geschlossen werden kann.“815

Für das Ausscheiden der Unfähigen genügten die besonderen gesetzlichen Regelungen über die Ausschließungsgründe. Diesem Ansatz wurde auch insofern Rechnung getragen als entgegen den Regelungen in anderen Ländern die Geschworenen in Kurhessen ein Tagegeld für die Zeit ihrer Amtsausübung erhalten sollten. In den Verhandlungen über den entsprechenden § 57 des Gesetzes über die neue Gerichtsorganisation wurde dies ausdrücklich befürwortet. Schon in der Gesetzesbegründung wurde betont: „Während in anderen Gesetzgebungen das Ehrenamt der Geschworenen ohne alle Vergütung, als die der Reisekosten verwaltet werden muß, hat man in § 57 auch die Auszahlung von Tagegeldern an diejenigen, welche solches verlangen, bewil811 Siehe das Gesetz „die Bildung neuer Verwaltungsbezirke und die Einführung von Bezirksräten betreffend“, SG, 11. Band, 1848, S. 237; Klein, S. 30 f. 812 Siehe § 21 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. 813 Vgl. hierzu Zachariae, 1. Band, S. 307 mit Nachweisen zu den einzelnen Ländern. 814 Siehe § 232 des Strafverfahrensgesetzes; vgl. auch Zachariae, 1. Band, S. 309, Fn. 5. 815 Bemerkungen zu dem Gesetzentwurf die Umbildung des Strafverfahrens betreffend, S. 6, in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387.

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ligen zu müssen geglaubt, weil nach dem Gesetze über den Strafprozeß die Geschwornen nicht nach einem Zensus bestimmt werden, mithin sehr wohl auch solche Personen dazu genommen werden können, welchen das Opfer, das man ihnen bei Entziehung aller Vergütung zumuthen würde, zu beschwerlich sein müßte. Bei Feststellung des Satzes der Vergütung ist man indessen dabei stehen geblieben, daß dieselbe nur die nothwendigsten Auslagen zu decken hinreichen soll.“816

Die §§ 233 bis 236 des Strafverfahrensgesetzes enthielten sodann Bestimmungen darüber, in welchen Fällen eine Person vom Amt des Geschworenen ausgeschlossen war oder dasselbe ablehnen durften. Nach § 233 waren Personen mit körperlichen oder geistigen Gebrechen unfähig, überhaupt Geschworener sein zu können. Hierzu zählten des Weiteren diejenigen, über deren Vermögen etwa ein Konkursverfahren eingeleitet worden war, oder die wegen einer schweren Straftat oder einer bestimmten Straftat, die sie in der öffentlichen Achtung zu beeinträchtigten vermochte, verurteilt worden waren. Für die jeweilige Dauer des Dienstverhältnisses waren ausgeschlossen die Geistlichen aller Konfessionen sowie höhere Staatsdiener; siehe § 234. Zu Letzteren gehörten auch Polizeibeamte. Das Justizministerium sah sich im Jahre 1850 diesbezüglich veranlasst klarzustellen, dass die Bürgermeister damit ebenfalls für die Dauer ihrer Dienstzeit nicht als Geschworene in Frage kamen, da sie zugleich als Polizeibeamte fungierten817. Der Gesetzentwurf hatte ursprünglich vorgesehen auch Offiziere und Soldaten zu den Personen zu zählen, die während der Dauer des Dienstverhältnisses vom Amt des Geschworenen ausgeschlossen waren. Im Rahmen der Ständeverhandlungen wies der Abgeordnete Nebelthau darauf hin, dass in Baden gerade die Offiziere explizit als geeignete Personen für das Geschworenenamt aufgezählt wurden. Der Rechtspflegeausschuss hatte daher empfohlen, die Nennung der Offiziere und Soldaten bei Aufzählung der Personen, die nach § 234 während ihrer Dienstzeit als Geschworene ausgeschlossen waren, zu streichen, was mit Blick auf die Regelung des § 235 Nr. 3 in der Ständeversammlung seine Zustimmung fand818. In der Bestimmung des § 235 waren die einzelnen Ablehnungsgründe aufgeführt. Das Geschworenenamt ablehnen konnten danach diejenigen, die das 65. Lebensjahr vollendet hatten. Des weiteren fanden Fälle Berücksichtigung, in denen der besonderen Belastung oder auch Verantwortung in der 816

KhLtV 1847/48, 3. Band, Beilage Nr. 389, S. 26 f. Bekanntmachung des Justizministeriums vom 22. August 1850 unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 5. August 1850; in dem entschiedenen Falle musste wegen eines entsprechenden Verstoßes auf die Nichtigkeitsbeschwerde eine neue Verhandlung durchgeführt werden; Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2572. 818 KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 16 f. 817

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beruflichen Tätigkeit Rechnung getragen werden musste819. So besaßen Staatsdiener und andere Personen, deren Unabkömmlichkeit die vorgesetzte Behörde bezeugte, ein Ablehnungsrecht; ebenso Verwalter öffentlicher Kassen oder Hofbedienstete. Gleiches galt für diejenigen, die das Amt eines Geschworenen verrichtet hatten, für die nächstfolgenden vier Urteilssitzungen. Schließlich gab es Sonderregelungen für Ärzte und Apotheker; siehe § 235 Nr. 5820. In einzelnen Fällen bestanden Ausschließungsgründe, die etwa das Verwandtschaftsverhältnis oder eine besondere Interessenlage im Verhältnis zum Angeklagten oder zu dem zur Verhandlung stehenden Gegenstand berücksichtigten, § 236. Das Verfahren zur Bildung der Geschworenenlisten, aus denen letztlich die konkrete Jury gebildet werden musste, war in den §§ 237 bis 252 geregelt. Danach hatte jeder Bürgermeister Anfang September für seine Gemeinde eine Liste (Urliste) aufzustellen, in der alle zum Geschworenenamt geeigneten Männer aufgeführt sind. Diese Urliste war sechs Tage lang im Rathaus zur öffentlichen Einsichtnahme auszulegen. Bei Beschwerden wegen der Aufnahme Unbefähigter oder Übergehung geeigneter Personen, konnte binnen sechs Tagen nach Bekanntmachung Gegenvorstellung eingereicht werden. Das weitere Beschwerdeverfahren war in den §§ 239 bis 242 geregelt. Nach Ablauf der einzuhaltenden Fristen hatten die Bürgermeister die Urlisten dem Bezirksvorstand zu übersenden. So kam den Bürgermeistern eine wichtige Funktion gleich zu Beginn bei Aufstellung der Urlisten zu. Fehler, die hier gemacht und trotz öffentlicher Auslegung der Listen nicht entdeckt und beanstandet wurden, konnten unter Umständen später nach Durchführung der schwurgerichtlichen Verhandlung nicht mehr korrigiert werden. So hatte das Oberappellationsgericht im Jahre 1855 einen Fall zu entscheiden, in dem in einer Sache ein Geschworener mitgewirkt hatte, der wegen eines Vergehens verurteilt worden war, welches ihm nach § 233 Nr. 4 die öffentliche Achtung entzogen hatte. Auf eine entsprechende Nichtigkeitsbeschwerde entschied das oberste Gericht, dass die Beurteilung der Verhältnisse, welche nach §§ 232 bis 234 (und § 42 des provisorischen Gesetzes von 1851) die Fähigkeit einer Person zur Ausübung des Geschworenenamtes bedingen, allgemein nur den Behörden zukomme, denen die Bildung der Geschworenenlisten, insbesondere auch auf deshalbige Anfechtung, zukomme. Vor Gericht könnten seitens der Parteien nach 819

Vgl. dazu allgemein Zachariae, 1. Band, S. 316 f. Im Rahmen der Landtagsverhandlungen wurde erwogen, auch den Bezirksräten und den Beamten in den Bezirksbehörden ein Ablehnungsrecht einzuräumen, was jedoch gerade aufgrund deren angenommener besonderer Eignung abgelehnt wurde; siehe KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 17 f. 820

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§ 281 nur solche Einwendungen geltend gemacht werden, die sich nach § 236 auf die Fähigkeit eines Geschworenen zur Ausübung seines Amts in der vorliegenden Sache beziehe821. Aus den so erstellten und eingesandten Urlisten hatte sodann der Bezirksvorstand jeweils im November aus sämtlichen Urlisten die Hauptliste des Verwaltungsbezirks zusammenzustellen, § 245. Dabei waren wiederum die für unfähig Gehaltenen auszuschließen. Der Bezirksrat konnte auch ergänzend Personen aufnehmen. Es folgte darauf die Wahl der Geschworenen zur Aufnahme in die sogenannte Hauptliste, wobei gewissenhaft darauf zu sehen war, dass diejenigen ausgesucht werden, die sich durch geistige Fähigkeit, Ehrenhaftigkeit und Charakterfestigkeit besonders eigneten. Auf je 400 Seelen eines ganzen Verwaltungsbezirks war ein Geschworener zu wählen. Diesbezüglich erfolgte seitens des Innenministeriums Anfang 1849 die Anweisung an die Bezirksräte, bei Aufstellung der Hauptlisten die Ergebnisse der Volkszählung im Dezember 1846 zu Grunde zu legen822. So ergaben sich etwa für die gezählten 128.427 Seelen im Bezirk Kassel insgesamt 321 in die Hauptliste aufzunehmende Personen, die zum Geschworenenamt geeignet waren823. Obwohl von den Gesichtspunkten des Zensus und der Kapazitäten Abstand genommen worden war und die Urlisten öffentlich bekannt gemacht wurden, hatten die Behörden bei der Auswahl der Geschworenen entscheidenden Einfluss, zumal bei Aufstellung der Hauptlisten doch „Kapazitäten“ maßgebend zu beachten waren. War dies an sich plausibel, so bot es doch Gelegenheit zu Einflussnahmen und Möglichkeiten zum Missbrauch824. Die so an die jeweiligen Obergerichte zu übergebenden Hauptlisten bildeten dann die Grundlage für die Juryauswahl des kommenden Kalenderjahres, § 251. Dem Obergericht stand eine ergänzende Überprüfung und gegebenenfalls Aktualisierung der Listen zu, § 252. Bevor aus den Hauptlisten für die konkret abzuurteilenden Fälle die endgültige Jury gebildet werden konnte, musste für jedes Kalendervierteljahr der Präsident des Oberappellationsgerichts den Präsidenten für die schwurgerichtlichen Verhandlungen jedes Obergerichtsbezirks bestimmen. Diese waren zu entnehmen aus dem Kreis der Mitglieder der Kriminalkammer 821 Siehe die Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 10. März 1855, Heuser, Annalen, 3. Band, S. 138 f.; zu ähnlicher Problematik vgl. auch Heuser, Annalen 3. Band, S. 136 ff. und 4. Band, S. 402. 822 Protokoll der Innenministeriums vom 31. Januar 1849, enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2574. 823 Entsprechende Listen finden sich in den Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2574. 824 Vgl. auch Zachariae, 1. Band, S. 298 ff.

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(einschließlich deren Vorstandes) beim Oberappellationsgericht und der Räte der einzelnen Obergerichte, siehe § 254. Die vier Beisitzer dagegen wurden vom jeweiligen Obergerichtsdirektor ausgewählt. Das Oberappellationsgericht hatte mit Dekret vom 3. Juli 1849 insoweit klargestellt, dass nach § 256 die vier Beisitzer aus der Zahl der Obergerichtsmitglieder, also aus dem Plenum des Obergerichts einschließlich dessen Zivilkammern zu wählen waren. Im Gegensatz dazu wurde der Präsident des Geschworenengerichts aus den Mitgliedern der Kriminalkammer des obersten Gerichts ausgewählt. Im Übrigen vollziehe der Richter im Geschworenengericht nur einen für den einzelnen Fall ihm erteilten Auftrag. Sein Kollegium löse sich auf, sobald der Fall abgeurteilt ist825. Aus der gemäß § 252 gegebenenfalls berichtigten Hauptliste wurden sodann nach Vorankündigung und in einer vom Obergerichtsdirektor öffentlich gehaltenen Sitzung 36 Personen für die bevorstehende Urteilssitzung mittelst Ziehung aus einer Urne ausgewählt, § 262. Zusätzlich wurden acht am Sitzungsort wohnende Ergänzungsgeschworene gezogen. Diese Personen waren auch dem Angeklagten acht Tage vor Eröffnung der Sitzung bekannt zu geben. Binnen gleicher Frist wurden die Hauptgeschworenen zum Termin geladen, die Ergänzungsgeschworenen über ihre Ziehung benachrichtigt. Die Bildung der eigentlichen Jury erfolgte im Sitzungstermin durch Ziehung der Namen aus einer Urne, wobei sowohl der Angeklagte als auch der Staatsanwalt je neun Personen ohne Begründung verwerfen konnten, §§ 283 ff. Die Jury war gebildet, wenn zwölf nicht verworfene Personen aus der Urne gezogen und öffentlich ausgerufen worden sind. Die weitere Verhandlung vor der so gebildeten Geschworenenbank erfolgte unter Leitung des Präsidenten, dem eine bedeutende Stellung im ganzen Verfahren zukam. Wir hatten bereits gesehen, dass die Art und Weise der Verfahrensleitung einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidung der Geschworenen haben konnte. Nicht zuletzt das Resumé des Präsidenten konnte durch besondere Hervorhebungen oder auch durch Weglassen einzelner Aspekte manipulierend wirken. Auf diese Problematik hatte Nebelthau bei den Gesetzesberatungen hingewiesen. Man habe in England keinen Begriff von einem Resumé wie in den Rheinlanden. Dort werde mit diesem zuweilen großer Missbrauch betrieben. Auf Anregung des Rechtspflegeausschusses wurde daher § 316 dergestalt ergänzt, dass auf Antrag die Verhandlung erneut zu eröffnen war, wenn der Präsident in seinem zusammenfassenden Vortrag nicht nur neue Tatsachen einführt, sondern auch für den 825 Dekret des Oberappellationsgerichts vom 3. Juli 1849, Heuser, Annalen, 4. Band, S. 597.

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Fall, dass er „wesentliche Tatsachen“ übergeht826. Hier lag eine besondere Aufgabe des Verteidigers darin, entsprechende Fehler beim Resumé sofort und noch in der Verhandlung zu rügen. So hatte das Oberappellationsgericht sich im Jahre 1856 mit der Rüge eines fehlerhaften Präsidialvortrages zu befassen. Der Präsident soll in seiner die Verhandlungsergebnisse zusammenfassenden Darstellung zu Unrecht versucht haben, bereits hier eine Widerlegung der Ansicht der Verteidigung vorzunehmen. Im konkreten Fall war eine solche Überschreitung nicht festzustellen. Das Gericht wies aber auch darauf hin, dass die Behauptung eines Fehlverhaltens des Präsidenten nicht ausreiche. Die Verteidigung hätte nach § 316 Wiedereröffnung der Verhandlung beantragen müssen und bei Ablehnung eine Versagung rechtlichen Gehörs geltend machen können827. Eine besondere Herausforderung für die Richter war jedoch die ihnen obliegende Formulierung der an die Jury zu richtenden Fragen. Dies galt allgemein als die schwierigste Aufgabe im schwurgerichtlichen Prozess828. Es galt nach § 318 oftmals sehr komplexe Sachverhalte in einfache und verständliche Fragen zu kleiden. Diese durften sich nur auf Tatsachen beziehen, wobei weiterhin die Frage der Trennung von Tat- und Rechtsfragen problematisch war829. Für einzelne Begriffe hatte sich eine abschließende Überzeugung bilden können. So galten die Tatbestandsmerkmale wie die „betrügerische Absicht“ oder auch das „Entwenden“ als allgemeinverständlich und einer Beurteilung durch Geschworene nicht verschlossen830. Schwierig war es in der Praxis auch, Sachverhalte in ihrer Komplexität umfassend und dergestalt in ihre Einzelaspekte zu zergliedern, dass die Jury allein auf der Basis abgefragter Tatsachen eine abschließende Antwort über den Tatvorwurf abgeben konnte. Diese Problematik hatte ein Fall deutlich gemacht, in dem die Frage eines Notwehrexzesses im Raum stand. Das Oberappellationsgericht hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1857 hervorgehoben, dass die den Geschworenen vorzulegenden Fragen nur auf die tatsächlichen Voraussetzungen des dem Angeklagten zur Anschuldigung gemachten Ver826

KhLtV 1847/48, 3. Band, Nr. 113, S. 26. Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 27. Mai 1856, Heuser, Annalen, 4. Band, S. 403 f.; Nach dieser Entscheidung war auch eine Unterbrechung des Resumés von etwa 24 Stunden zulässig. 828 Siehe dazu den Beitrag eines Oberrichters über praktische Fragen der Verhandlungsleitung in Heuser, Annalen, 3. Band, S. 522 ff. 829 Die Regelung in § 318 enthielt in Bezug auf Beleidigungen eine Ausnahme. Ob eine solche vorliege, hatten die Geschworenen zu beantworten; siehe zu dieser besonderen Problematik den Fall „Oetker“, Anhang Nr. 1; vgl. zur Problematik der Fragestellung nach den gesetzlichen Regelungen in den einzelnen Ländern Zachariae, 2. Band, S. 483 ff. 830 Vgl. Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 7. September 1854, Heuser, Annalen, 3. Band, S. 482. 827

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brechens, beziehungsweise die einzelnen erschwerenden oder mildernden Umstände der Tat, nicht aber auf die faktischen Momente gerichtet sein dürften, welche nur als Grundlage zu einem Schlusse auf die Existenz der hiernach in die Fragstellung aufzunehmenden Tatumstände dienen können. Diese stellten sich so nur als Indizien für den Tatbestand des fraglichen Verbrechens dar831. So lassen sich auch in Kurhessen in den 50er Jahren eine Fülle von Entscheidungen finden, die sich mit dieser Problematik zu beschäftigen hatten832. Besonderheiten im Vergleich zur Schwurgerichtsbarkeit in anderen Ländern, die das französische Modell dem Grunde nach übernommen hatten, sind nicht festzustellen. Auch hat Kurhessen letztlich für die Entscheidung der Jury über die Schuldfrage eine Mehrheit an Stelle einer Einstimmigkeit genügen lassen. Nach § 324 fiel die Entscheidung gegen den Angeklagten aus, wenn mindestens acht der zwölf Geschworenen zu seinem Nachteil in ihrer Erklärung übereinstimmten. Trotz aller Leitungskompetenzen des Vorsitzenden und seiner Verantwortung für die abschließend korrekte Formulierung der Fragen lag die letztlich entscheidende Aufgabe bei den einzelnen Geschworenen. Die Bestimmungen des § 320 hatten sie in die Pflicht genommen, nach dem Gewissen eines redlichen Mannes zu handeln. Sie sollten nach innerer Überzeugung und nach ernster Überlegung entscheiden. Entscheidungsgründe wurden der Jury nicht abverlangt. Diesen Gesichtspunkt hatte das Oberappellationsgericht auch in einer Entscheidung vom 28. Juli 1853833 hervorgehoben, indem es darauf hinwies, dass die Frage, ob einer der Urteilsgeschworenen alle Teile der öffentlichen Verhandlung mit Aufmerksamkeit angehört habe, nach den §§ 295 und 320 von gerichtlicher Überwachung unabhängig sei und nur die eigene Gewissenhaftigkeit des Geschworenen selbst betreffe. Im konkreten Falle sei es zur Begründung der Nichtigkeit eines Urteils nicht geeignet, dass der Obmann der Geschworenen während der Verhandlung teilweise geschlafen habe834. Schließlich hatte das Inkrafttreten des Gesetzes über die Umbildung des Strafverfahrens vom 31. Oktober 1848 am Ende auch für die hier mehrfach 831 Entscheidung des Oberappellationsgerichts vom 12. März 1857, Heuser, Annalen, 4. Band, S. 633, 637. 832 Vgl. auch Geisel, S. 107 f.; Heuser, Annalen, 1. Band, S. 326 ff., 528 ff., 821 ff. und 3. Band, S. 603 ff.; Heuser, Entscheidungen, 5. Band, S. 364 ff., 761 ff. und 769 ff.; vgl. auch die Fragestellung im Fall „Oetker“, Anhang Nr. 1, S. 284 f. 833 Heuser, Annalen, 1. Band, S. 199. 834 Siehe hierzu auch die Entscheidung des Oberappellationsgerichtes vom 7. Februar 1850, Heuser, Entscheidungen, 5. Band, S. 198 ff. Nach dem Gesetz sei nur die persönliche Anwesenheit des gehörig qualifizierten Geschworenen erforderlich. Der Zustand des Schlafens sei auch kein Gebrechen, welches die Unfähigkeit des Geschworenen begründe. Im Übrigen sei durch das Gesetz eine richterliche Kontrolle der geistigen Tätigkeit des Geschworenen nicht vorgesehen, ebd., S. 205 f.

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D. Die Reformgesetzgebung des Jahres 1848

angesprochenen Indizienprozesse weitreichende Bedeutung. In diesen Verfahren hatte sich der Gerichtsgebrauch gebildet, dass die Todesstrafe nur auf geführten direktem Beweis ausgesprochen werden konnte. Dies beruhte auf Unsicherheiten im Hinblick auf die Bestimmungen in Artikel 22 der Carolina. In einer Entscheidung vom 25. Juni 1851 stellte das Oberappellationsgericht fest, dass die vorgenannte Bestimmung, wenn sie zur Zeit des Erscheinens des neuen Strafprozessgesetzes überhaupt noch in unbeschränkter Gültigkeit bestanden hätte, durch dieses und namentlich durch die §§ 120 und 295 unzweifelhaft gänzlich aufgehoben wurde835. Dementsprechend sei der fragliche Gerichtsgebrauch mit dem neuen Prozessgesetz völlig in Wegfall geraten. Hiermit stimme auch die Regelung im § 335 überein, welcher ohne Einschränkung in Bezug auf die Strafe vorschreibe, dass auf die Schuldigsprechung der Geschworenen das Straferkenntnis zu erteilen sei. Die überkommene Beweistheorie war hinfällig geworden, da die Geschworenen nur aufgrund ihrer inneren Überzeugung ohne Pflicht zur Angabe von Gründen zu entscheiden hatten. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen direkten und indirektem Beweis war weggefallen836. Mit dieser Entscheidung wurde das Todesurteil in der Strafsache gegen den Verurteilten Johann Heinrich Hildebrand aus St. Ottilien bei Lichtenau bestätigt. Auch ein an den Kurfürsten gerichtetes Gnadengesuch blieb ohne Erfolg. Hinsichtlich des nicht geringen Grades von Rohheit, der sich in der Mordtat des Hildebrand offenbarte, seien keine Umstände ersichtlich, die die Sache in einem milderen Licht erscheinen ließen. Auch daraus, dass bei der Entscheidung des vorliegenden Falles in oberster Instanz die Statthaftigkeit der Todesstrafe auf künstlichem Beweis von zwei Gerichtsmitgliedern bestritten, von den anderen fünf Richtern aber angenommen worden sei, könne man keinen Grund entnehmen, den Verurteilten der landesherrlichen Gnade zu empfehlen. Am frühen Morgen des 5. September 1851 wurde Hildebrand zum Schafott geführt und die Todesstrafe vollzogen.

835

Heuser, Entscheidungen, 6. Band, S. 165 ff., 234. Vgl. auch Heuser, Entscheidungen, 5. Band, S. 220 ff., 244 f.: In dem hier mitgeteilten Fall hatte das Gericht nach dem Schuldspruch der Jury den Angeklagten wegen Raubmordes nach Art. 137 der Carolina noch unter Beachtung des bisherigen Gerichtsgebrauchs statt zum Tode zur schwersten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Angeklagte hatte gegen das Urteil appelliert und geltend gemacht, die Todesstrafe sei durch die Grundrechte abgeschafft worden. Da nach dem Gerichtsgebrauch auf Indizienbeweis die härteste Strafe – früher die Todesstrafe – nicht erkannt werden könne, müsse entsprechendes nun auch für die jetzt härteste Strafe, nämlich lebenslängliche Eisenstrafe gelten. Diese sei daher auf 15 Jahre Eisenstrafe zu mildern. Hier hatte das Oberappellationsgericht am 8. April 1850 noch darauf abgestellt, dass der genannte Gerichtsgebrauch gerade nur die Strafart der Todesstrafe bei künstlichem Beweise ausschließen wollte. 836

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III. Das Gesetz über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten vom 31. Oktober 1848 Neben dem „Gesetz die Umbildung des Strafverfahrens betreffend“ war ein gesondertes Gesetz über die neu zu schaffende Gerichtsorganisation auszuarbeiten. Am 14. Oktober 1848 hatte die Regierung einen entsprechenden Entwurf vorgelegt. In der Begründung zu diesem Entwurf wurde vorangestellt, dass die einzuführende Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens als das erstrebte Hauptziel betrachtet werden müsse, nachdem die Unabhängigkeit der Rechtspflege grundgesetzlich bereits anerkannt worden sei. Die Ausgestaltung des Gesetzes sollte dabei dem Ziel dienen, dem Richteramte nach allen Seiten hin das Vertrauen in seine Unbefangenheit zu sichern837. Die Verhandlungen über den Gesetzentwurf konnten ebenfalls in kürzerer Zeit zu einem Abschluss gebracht werden, so dass das Gesetz am 31. Oktober 1848 erlassen und mit Wirkung zum 1. Februar 1849 in Kraft treten konnte838. Im Rahmen der Erörterungen standen praktische Fragen im Vordergrund. Insbesondere die Wahl der einzurichtenden Obergerichte sorgte für Diskussionen. So hatte man sich letztlich für Rotenburg als Standort für ein Obergericht entschieden und Schmalkalden in dessen Obergerichtsbezirk inkorporiert, was dort für einigen Unmut gesorgt hatte. Für den Standort Rotenburg sprach die Mittellage zwischen Kassel und Fulda. Rotenburg besaß Anbindung an die Eisenbahnstrecke. Zudem waren auch Straßenzüge bereits im Bau befindlich839. Bei der Wahl der Standorte der Obergerichte standen vor allem Kostengesichtspunkte im Vordergrund. So hatten die Rechtssuchenden oder die zum Erscheinen in einem Strafprozesse verpflichteten Personen, wie Zeugen oder Geschworene, oft ein erhebliches Maß an Zeit und Kosten aufzuwenden, was die jeweiligen Bezirks- bzw. Gemeindevorstände im Interesse ihrer Bürger zu minimieren versuchten. So kamen insbesondere aus Schmalkalden und Eschwege in der Folgezeit Gesuche um Einrichtung von Obergerichten in ihrem Orte840. Die provisorischen Gesetze des Jahres 1851 sollten auch in dieser Hinsicht erhebliche 837 Siehe Gesetzentwurf und Begründung in den Akten Hess. StA Marburg, 73 Nr. 962; vgl. dazu Amrhein, S. 107 ff. 838 SG, 11. Band, 1848, S. 163 ff.; siehe auch Anhang Nr. 4. 839 Siehe Begründung zum Gesetzesentwurf, Hess. StA Marburg, 73 Nr. 962. 840 Siehe den Antrag des Abgeordneten Lieberknecht auf Errichtung eines Obergerichts in Eschwege vom 25. Januar 1850 in Hess. StA Marburg, 73 Nr. 962 (Beilage 82) und Bericht des Abgeordneten Wiedemann wegen des gleichgerichteten Begehrens der Stadt Schmalkalden vom 22. Dezember 1848 (Beilage 16), ebd.

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Veränderungen bringen, in deren Folge die Stadt Rotenburg bereits nach kurzer Zeit ihr Obergericht wieder verlieren sollte841. Das Gesetz über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten vom 31. Oktober 1848 bestimmte hinsichtlich der hier interessierenden Strafrechtspflege die alleinige Zuständigkeit der Untergerichte, der Obergerichte und der Schwurgerichte. Oberste Instanz war auch insoweit das Oberappellationsgericht in Kassel. Ausnahmegerichte waren grundsätzlich nicht vorgesehen842. Darüber hinaus sollten die richterlichen Geschäfte, welche bisher vor die Polizeikommissionen gehörten, auf die betreffenden Untergerichte übergehen. Damit war auch insoweit die vollständige Trennung von Justiz und Verwaltung gewährleistet. Als Obergerichte waren die Standorte Kassel, Rotenburg, Marburg, Fulda, Hanau und Rinteln für ihre jeweiligen Verwaltungsbezirke bestimmt. Bei den Obergerichten und für die jeweiligen Schwurgerichte des Obergerichtsbezirks wurde ein Staatsprokurator bestellt843. Das Gesetz regelte des Weiteren auch die jeweiligen Zuständigkeiten der Gerichte. So waren die Untergerichte in Strafsachen zuständig für alle Gesetzesübertretungen, welche mit einer Geldstrafe von zwanzig Talern, oder mit vierzehn Tagen Gefängnisstrafe oder mit achtundzwanzig Tagen Arbeitsstrafe oder einer geringeren Strafe gleicher Art zu belegen sind. In besonders aufgeführten Fällen bestand darüber hinaus die Zuständigkeit bei Vergehen, die mit einer Geldstrafe von fünfzig Talern oder dreimonatiger Gefängnis- oder zweimonatiger Zwangsarbeitshausstrafe oder einer geringeren Strafe zu ahnden waren, so etwa bei Vergehen gegen die Staatsfinanzgesetze oder gegen Forst-, Jagd- und Fischereiordnungen. Zudem hatten die Untergerichte in den obergerichtlich oder schwurgerichtlich abzuurteilenden Strafsachen bei der jeweiligen Untersuchung auf die im Gesetz über den Strafprozess bestimmte Weise mitzuwirken844. Die Obergerichte wiederum waren in Strafsachen in erster Instanz zuständig hinsichtlich der Vergehen der Glieder des kurfürstlichen Hauses und der standesherrlichen Personen, welche mit einer zur untergerichtlichen Zuständigkeit gehörigen Strafe zu ahnden waren. Darüber hinaus waren die Ober841

Die recht beschauliche Arbeit in der kleinen Stadt Rotenburg beschreibt der in dieser Zeit in kurhessischen Diensten stehende Jurist Viktor von Meibom (1821–1892) in seinen Lebenserinnerungen. Die Stadt sei so klein, dass das neue Obergericht mangels an Familienwohnungen nur mit Junggesellen besetzt worden war; Vortmann, S. 68 f. 842 Siehe aber § 1 des Gesetzes in Bezug auf Ausnahmegerichte „für einzelne Klassen von Personen“. 843 § 66 Nr. 2 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. 844 § 11 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation.

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gerichte zuständig hinsichtlich der Übertretungen der Strafgesetze, welche weder zur Zuständigkeit der Untergerichte noch zu derjenigen der Schwurgerichte und des Oberappellationsgerichtes gehörten. Schließlich waren sie zuständig in zweiter Instanz hinsichtlich der von den Untergerichten abgeurteilten Sachen845. Der Katalog über die Zuständigkeiten der Schwurgerichte fand sich in § 54 des Gesetzes. Das schwurgerichtliche Verfahren war danach durchzuführen bei Gesetzesübertretungen, welche mit dreijähriger Gefängnisoder Festungsstrafe, mit zweijähriger Zuchthaus- oder Zwangsarbeitshausstrafe sowie mit anderthalbjähriger Eisenstrafe zu ahnden waren. In den Zuständigkeitsbereich fielen des Weiteren Verfahren, in denen die Dienstentsetzung eines landesherrlich angestellten Dieners in Frage kam oder bei allen Anklagen wegen Hoch- und Landesverrats, Majestätsbeleidigung, Aufruhr sowie wegen der besonderen Bestimmungen des Reichsgesetzes vom 10. Oktober 1848 zum Schutze der verfassungsgebenden Reichsversammlung846. Schließlich waren die Schwurgerichte zuständig für die von der Staatsbehörde wegen Pressevergehen erhobenen Anklagen. Wegen der schwurgerichtlichen Verfahren wurden bei den Obergerichten neben der Kriminalkammer und der Ratskammer zusätzlich gesonderte, mit fünf Richtern besetzte Anklagekammern errichtet847. Die Anklagekammern hatten auf der Grundlage der Bestimmungen über den Strafprozess die Entscheidung darüber zu treffen, ob nach Abschluss der Untersuchung ein Angeklagter vor das Schwurgericht zu verweisen war. Nach § 25 des Gesetzes hatten die entsprechenden Entscheidungen für die Schwurgerichte eines jeden Obergerichtsbezirks durch die Anklagekammer eines anderen Obergerichts zu erfolgen. So hatte etwa die Verweisung eines Angeklagten vor das Schwurgericht in Kassel durch die Anklagekammer in Marburg zu erfolgen. Die Anklagekammer beim Obergericht in Fulda wiederum entschied über die Verweisung der Angeklagten vor ein Schwurgericht im Obergerichtsbezirk Hanau848. In jedem Obergerichtsbezirk sollte in der Regel am Sitz desselben in jedem Kalendervierteljahr ein Schwurgericht gehalten werden849. Das Ober845

§ 24 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. Die Zuständigkeitsregelung in Bezug auf die Artikel I. bis IV. des Reichsgesetzes vom 10. Oktober 1848 wurde nachträglich auf Veranlassung des Innenministeriums mit Beschluss vom 19. Oktober 1848 aufgenommen, siehe Hess. StA Marburg, 73 Nr. 962. 847 § 28 Nr. 2 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. 848 Zur Begründung der Schaffung einer gesonderten Anklagekammer siehe die Bemerkungen zum Gesetzentwurf, enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 387, S. 4 f. und KhLtV 1847/48, 3. Band, Beilage 375, S. 78 f. 849 § 56 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. 846

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appellationsgericht in Kassel bildete schließlich die zweite Instanz der vor die Obergerichte in erster Instanz und vor die Schwurgerichte gehörigen Sachen. Das Gesetz über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten musste kurzfristig umgesetzt werden, damit spätestens am 1. Februar 1849 die Arbeit aufgenommen werden konnte. Die jeweiligen Richter850 und Prokuratoren mussten bestellt und insbesondere die Lokalitäten für die öffentlichen, zumal die schwurgerichtlichen Verhandlungen bereitgestellt werden. Letzteres war mit erheblichem Aufwand verbunden und gelang oft erst in befriedigender Weise nach vielen Jahren. In Kassel musste unter Zeitdruck das Gebäude des Obersteuerkollegiums, auch unter der Bezeichnung „Kadettenhaus“ wegen seiner vormaligen Verwendung bekannt, zur Aufnahme der Räume für die schwurgerichtlichen Verhandlungen umgebaut werden851. In Marburg wurden insoweit die Räume in der landgräflichen Kanzlei unterhalb des Schlosses genutzt. Noch im Jahre 1851 musste Hassenpflug auf einer Inspektionsreise, die ihn unter anderem nach Fulda geführt hatte, feststellen, dass die hier vorhandenen Lokalitäten nicht in gehöriger Weise für die öffentlichen Justizgeschäfte nutzbar waren: „Außerdem fand sich der weitere Uebelstand, daß die Schwurgerichte in einem Wirtshaus gegen sehr hohe Miete gehalten werden mußten“.852

Ein anderes Problem sollte in Hanau auftreten. Die dortigen Räumlichkeiten des Kriminalgerichts waren beengt, so dass für größere Verfahren ein Saal im Neustädter Rathaus in Anspruch genommen werden musste. Dies 850

Vgl. hierzu Vortmann, S. 67 f.; Der in Rotenburg als Assessor in das dortige Obergericht eintretende Meibom hatte zuvor die Gelegenheit genutzt, um sich noch im Dezember 1848 beim Landgericht in Koblenz mit dem neuen Verfahren rheinischer Prägung selbst vertraut zu machen. 851 Siehe die Akten über die Beschaffung einer Lokalität im Obersteuerkollegium ab Februar 1849 in Hess. StA Marburg, 190a Kassel Nr. 28; Im Jahre 1854 begehrte die Finanzbehörde die Rückgabe der Räumlichkeiten, so dass sich Hassenpflug auf die Suche nach einer neuen Lokalität zur Aufnahme des Schwurgerichts machte. Er wählte hierzu das Gebäude im Renthof aus, welches nach umfangreichen Umbauarbeiten nach 1855 unterhalb des im oberen Stock ausgebauten Schwurgerichtssaals auch das Oberappellationsgericht aufnehmen sollte, worüber es zwischen Hassenpflug und dem Kurfürsten zu erheblichen Verstimmungen gekommen war, siehe Grothe, Hassenpflug, S. 336 ff., 360 und 387 f. 852 Grothe, Hassenpflug, S. 186 f.; Der Mangel an geeigneten Lokalitäten nach Einführung der öffentlichen Verfahren war übrigens deutschlandweit. So verwies auch Nöllner im Jahre 1854 auf diese Missstände, wonach öffentliche Sitzungen mangels tauglicher Lokale in angemieteten Salons von Gasthäusern stattfinden mussten, so dass am Sonntag ein Ball und am folgenden Montag eine Verhandlung über ein todeswürdiges Verbrechen stattfinden konnte, Nöllner, Volkstümliche Gesetzgebung, S. 390 f.

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war etwa im spektakulären Turnerprozess des Jahres 1857 mit einer Vielzahl von Angeklagten der Fall. Da das Sitzungszimmer des Gerichts zu klein war, musste der Rathaussaal genutzt werden853. Aber bereits im Jahre 1854 war diese Praxis dem Ministerpräsidenten Hassenpflug ein Dorn im Auge, der die Abhaltung der Schwurgerichte durch Inanspruchnahme des Sitzungssaals des städtischen Magistrats kritisierte, da der ganze Zuschnitt danach war, „diese neue Form der gerichtlichen Thätigkeit so recht durch einen unmäßig ausgedehnten Zuhörerraum zu einem allgemeinen Schauspiel auszubilden.“854

Unabhängig von den zu beschaffenden Lokalitäten waren bereits umgehend nach Erlass des Gesetzes auch erste Maßnahmen zu treffen, damit rechtzeitig zum Inkrafttreten die Geschworenenlisten aufgestellt werden konnten. Dies hatte nach den Maßgaben des gleichzeitig erlassenen Gesetzes über die „Umbildung des Strafverfahrens“ zu geschehen. Im Dezember erfolgte die Anweisung des Innenministeriums, sämtliche Regierungen sollten dafür Sorge tragen, dass die Bürgermeister Vorbereitungen zur Aufstellung der Geschworenenlisten, insbesondere die Aufstellung und öffentliche Auslegung der Urlisten noch im Laufe des Monats Januar 1849 treffen855. Dabei erging zudem die Weisung, dass die Personen, die in abgesonderten Gebäuden, Höfen oder Rittergütern lebten, bei der Aufstellung der Urliste in derjenigen Gemeinde zu berücksichtigen waren, welche diese Gebäude in Ansehung der örtlichen Verwaltung mit einverleibt hatten856. Wo solches noch nicht geschehen sei, habe die Regierung zur Vermeidung von Verzögerungen eine der nächstgelegenen Gemeinden auszuwählen. Die Bürgermeister waren daher zur Ausdehnung der Urlisten auf diese Örtlichkeiten anzuweisen857. Schließlich wurden noch vor Inkrafttreten des Gesetzes umfangreiche Dienstanweisungen und Formularvordrucke erstellt und Anfang Februar 1849 an die Gerichte verteilt858. Mit Ausnahme der zum Teil aufgetretenen Schwierigkeiten in bezug auf die Beschaffung geeigneter Räumlichkeiten für die öffentlichen Sitzungen und insbesondere die schwurgerichtlichen Verhandlungen konnten die Gerichte offensichtlich ohne größere Probleme ihre Arbeit aufnehmen, so dass zum Ende des ersten Jahres der neuen Gerichtspraxis eine positive Beurtei853

Siehe Geisel, S. 121. Zitiert nach Grothe, Hassenpflug, S. 333. 855 Beschluss des Innenministeriums vom 28. Dezember 1848 in den Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2574. 856 Vgl. § 238 des Gesetzes die Umbildung des Strafverfahrens betreffend. 857 Siehe die Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2572. 858 Druck der Dienstanweisung und der Formularvordrucke in den Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2572. 854

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lung vorgenommen werden konnte859. Allerdings schien bereits der erste schwurgerichtliche Presseprozess die Gegner der Geschworenengerichte zu bestätigen. Auch viele Liberale waren entsetzt. Im Januar 1849, also noch vor Inkrafttreten des neuen Verfahrensrechts und auf der Grundlage des Pressegesetzes vom 26. August 1848, fand in Kassel der spektakuläre Prozess gegen die verantwortlichen Redakteure des radikalen Blattes „Hornisse“ statt860. Den Ablauf der öffentlichen Verhandlung bewerteten Anhänger und Gegner der (radikalen) Demokraten jeweils aus ihrer politischen Sichtweise, wobei sich exemplarisch die sich verfestigende Trennung von Liberalen und Demokraten abbildete. So berichtete die „Hornisse“ über den ersten Prozess vor einem Geschworenengericht in Kassel, in dem gegen ihre eigenen Redakteure verhandelt worden war: „Ein Geschwornenprozeß, ein öffentliches Gericht, ein politischer Prozeß, ein Tendenzprozeß, eine Anklage ohne allen Halt und Boden, eine Anklage der Anklage wegen, bei der nichts zu verwundern ist, als daß sich ein Staatsanwalt gefunden hat, der sie auf seine Schulter nahm . . . Versuchter Hochverrat, Aufruhr, Majestätsbeleidigung, Beleidigung des Heeres, die ganze Hexenküche der politischen Verbrechen an einem Tage, in einer Sitzung! – Ein pikanteres Schauspiel konnte nicht gegeben werden; es war eine Komödie, eine Hetzjagd, eine Komödie ohne Geld, es wäre Verschwendung gewesen, wenn ein Familienvater seine Jungen nicht ins Gericht gesandt hätte. Das erste Schwurgericht eine Komödie! Man hatte keinen Prozeß, sondern ein Hazardspiel arrangiert . . . Die Zuschauer drängten sich, man provozierte den Andrang, man hing die Türen aus, man versprach also den Außenstehenden, daß sie das Spiel mit ansehen, schließlich die Worte hören sollten: „Rot, Grad und Getroffen!“ Man versprach, und – konnte nicht halten. Was Wunder, daß Lärm entstand, daß man nach Luft schrie . . . Dem Volke war ein Spiel versprochen, das ganze Arrangement, die Einführungsworte, waren die eines Spiels, eines politischen Spiels, das Spiel war schlecht arrangiert, das Gericht schlug Türen mit Äxten ein, die schaulustige Menge war auf einen Platz von hundertsechzig n – Fuß invitiert, man spielte hinter den Schranken, während die Zuschauer ersticken mußten, und nun rufen die Frösche und Unken, nun quakt’s aus den Sümpfen des Servilismus: ‚Das Volk ist nicht reif!‘ “

Der Prozess endete mit einem Freispruch. Die Umstände dieses Prozesses stießen auch bei Befürwortern der Schwurgerichtsbarkeit auf Unver859

Vgl. zur allgemeinen positiven Bewertung auch Mittermaier, Der Gerichtssaal, 1852, 1. Band, S. 10. 860 Vgl. dazu Jacob, ZHG, Neue Folge, 37. Band, 1914, S. 180 f.; Die radikale „Hornisse“, galt als führendes demokratisches Oppositionsorgan mit überörtlicher Wirksamkeit, Seier, Akten und Dokumente, S. 102, Fn. 5 und 6 (zu den Redakteuren Gottlieb Theodor Kellner und Heinrich Heise); vgl. auch Hitzeroth, S. 116 ff.

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ständnis und scharfe Kritik. Zudem verweist Jacob861 auf den Umstand, dass im Ablauf und Ausgang dieses Verfahrens der schroffe Gegensatz der liberalen und demokratischen Revolution zu Tage getreten sei. Er unterstellt, dass die konstitutionell Eingestellten mit diesem Prozess versucht hätten, die ihren Anteil an der Beute fordernden Genossen unschädlich und in der Öffentlichkeit unmöglich zu machen. Man habe darauf gebaut, dass nur die Elite der eigenen Partei im Zuschauerraum zugegen sei. Wegen der vorangegangenen Reklame hatte sich diese Erwartung angesichts der herandrängenden Zuschauermenge jedoch als Fehleinschätzung erwiesen. Dieser erste Aufsehen erregende Prozess vor einem Geschworenengericht wurde dann auch entsprechend in einem Beitrag der „Neuen Hessischen Zeitung“ kommentiert, deren Herausgeber Friedrich Oetker862 und Adam Pfaff im Übrigen von der „Hornisse“ spöttisch als Organ der „Heuler“ bezeichnet wurden. Mit Verbitterung und scharfer Ablehnung beurteilte die konstitutionell eingestellte „Neue Hessische Zeitung“ das tumulthafte Geschehen im Gerichtssaal als nicht den ersten, aber wohl ärgsten Skandal seit den Märztagen des Jahres 1848863: „Das öffentliche Verfahren, eine der herrlichsten Einrichtungen, eines der herrlichsten Kleinode, die wir errungen haben, so dem Hohn und der Lächerlichkeit preiszugeben! . . . In der Leitung Taktlosigkeit und Unentschlossenheit, unter den Zuhörern Unruhe und Verhöhnung, im Vorzimmer Lärm und Gedränge, auf den Treppen keine Zurechtweisung, an der Thür keine Zurückhaltung, im Hause keine Achtung vor dem Gericht und draußen keine Achtung vor dem Gesetz! . . . Hatte man nicht wenigstens soviel Überlegung und Besonnenheit, daß man einsah, wie alles daran gesetzt werden mußte, am nächsten Tage, ja in den nächsten Stunden die Sitzung wieder zu eröffnen? . . . Es ist wahr, das gewählte Lokal ist klein und man hat Zeit genug gehabt, ein besseres zu beschaffen . . . Es müsse aber ausreichen . . . sobald wunderliche Ansicht beseitigt, als setze der Begriff der Öffentlichkeit eine zahlreiche Zuhörerschaft voraus. An so etwas denkt man nirgends, weder in England noch in Frankreich; eine Gerichtssitzung ist keine Volksversammlung, kein Schauspiel, wo man lärmt und klatscht; die lautloseste Stille muß herrschen, sonst hat der Vorsitzende die Öffentlichkeit sofort auf die Theilnahme Solcher zu beschränken, die wissen, was Würde des Gerichts erheischt und was die Gesetze schuldig sind.“864 861

Ebd., S. 182. Friedrich Oetker (1809–1881) war Begründer und Redakteur der „Neuen Hessischen Zeitung“, die in den Jahren 1848 bis 1850 erschien und kurhessenweit zu den bedeutendsten liberalen Tagesblättern gehörte; zur Person Oetkers siehe Schnack/Mommsen, 3. Band, S. 308 ff. 863 Siehe Oetker, Lebenserinnerungen, S. 130 ff. 864 Bei Losch, Geschichte, S. 247 f., ist noch zu lesen, dass Fensterscheiben zertrümmert, die Schranken des Gerichts zerbrochen wurden und der Staatsanwalt gar mit Schneebällen bombardiert worden war. 862

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Trotz dieses unrühmlichen Auftakts wurde das neue schwurgerichtliche Verfahren aber nicht sofort wieder ernsthaft in Frage gestellt. Der Abgeordnete Nebelthau hatte im Rahmen seiner Begründung eines Antrages auf Verbesserung einiger Umstände auch in der Strafrechtspflege Anlass gesehen, nach Ablauf des ersten Jahres ein kurzes Resümee der neuen Schwurgerichtsbarkeit zu ziehen. Ganz grundsätzlich habe er der Entwicklung der neuen Einrichtungen in der Rechtspflege seine Aufmerksamkeit zugewendet. Längere Zeit hindurch sei er täglicher Besucher solcher Gerichtshöfe gewesen. Er hatte sich insgesamt eine sehr gute Meinung von der Entwicklung bilden können: „Nicht hoch genug kann ich den Gewinn für die materielle Gerechtigkeit anschlagen, welcher sich darin zeigt, daß der Urtheilsrichter den Angeklagten unmittelbar vor Augen hat, und daß dieser sich seinen Richtern unmittelbar gegenüber befindet. Besonders aber sind es die Schwurgerichte, welche nicht nur meiner eignen Erfahrung, sondern nach allem, was ich darüber von Freunden und sonst mir nahe stehenden Personen gehört habe, Recht und Gerechtigkeit mit einer ganz eigenen, vielen gelehrten Richtern unerwarteten Sicherheit üben. Einzelne, jedoch sehr wenige Verdikte sind freilich vorgekommen, für welche sich so wenig eine äußere als innere Rechtfertigung finden mag; allein da liegt das Übel tiefer, nicht in der Gerichtsverfassung, nicht in dem Spruche, sondern in den verkehrten und entarteten Begriffen eines ziemlich großen Theils der bürgerlichen Gesellschaft, welcher, hier gereizt und verhetzt, dort erschlafft und eingeschüchtert, so oft s.g. politische Fragen aufgeworfen werden, einen Anblick der Verwirrung darbietet. Der Spruch der Geschwornen kommt dann nur als Symptom dieses Übels in Betracht, die Aufgabe bezieht sich lediglich darauf, wie diesem Übel beizukommen ist; gewiß nur durch sittliche, das Bewußtsein des Bürgers hebende Mittel, denn entsittlichende Anschauungen und Erfahrungen haben es soweit gebracht.“865

Mit dieser am Ende auch kritischen Beurteilung spielte Nebelthau sicherlich auch auf den Prozess der Redakteure der „Hornisse“ an, dessen öffentlichkeitswirksamer Ablauf geeignet erschien, das Institut der Geschworenengerichte in Misskredit zu bringen und als anfällig für die Inszenierung politischer Spektakel erscheinen zu lassen. Dies hatte ja bereits Eggena im Zusammenhang mit der in Pressesachen geforderten Schwurgerichtsbarkeit zu Beginn der 30er Jahre unterstellt. Aber auch ohne solch skandalöse Ereignisse wie im erwähnten Prozess konnte die Schwurgerichtsbarkeit die bald unter dem Einfluss des zurückkehrenden Ministers Hassenpflug wieder erstarkende Obrigkeit reizen und herausfordern. Dies sollte der Prozess gegen Friedrich Oetker, den Herausgeber der „Neuen Hessischen Zeitung“ im Jahre 1850 zeigen, auf den noch näher einzugehen sein wird. 865 So die einleitenden Ausführungen im Antrag des Abgeordneten Nebelthau, die Besetzung des Gerichts bei den schwurgerichtlichen Verhandlungen betreffend, vom 7. Dezember 1849, in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 469 (Beilage 58).

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Wie aber bereits für die westphälische Zeit festgestellt werden konnte, erfuhren die Geschworenengerichte sehr schnell ihren unpolitischen Alltag, den sie auch nach den Aussagen von Nebelthau recht gut zu bewältigen vermochten. Eine von Generalstaatsprokurator Kersting für die Zeit vom 1. Februar 1849 bis zum 1. Januar 1850 erstellte Statistik über die Strafrechtspflege in Kurhessen866 wirft ein beeindruckendes Licht auf die in dieser Zeit bereits abgewickelten Verfahren867. Bei einer Einwohnerzahl Kurhessens von rund 754.000 gab es in diesem Zeitraum gut 234.000 Anzeigen, von denen allerdings nur ein Zehntel Prozent in die Zuständigkeit der Geschworenengerichte fiel. Von diesen wurden 148 Verurteilungen ausgesprochen und in 28 Verfahren auf einen Freispruch erkannt. Von den insgesamt 25 gegen weibliche Angeklagte geführten Verfahren endeten allerdings nur zwei mit einem Freispruch. Überhaupt stieg mit der Schwere der Anklagen auch die Rate der Freisprüche. Lag deren Rate in den untergerichtlichen Verfahren in diesem Zeitraum bei sechs Prozent und bei den obergerichtlichen Verfahren bei neun Prozent, so betrug sie in schwurgerichtlichen Sachen immerhin 15 Prozent868. Besonders auffällig und typisch für die Zeit war wiederum die große Zahl von Diebstahlsdelikten869. Unter den 148 von Geschworenengerichten Verurteilten befanden sich nicht weniger als 117 Diebe. Von diesen wiederum waren 99 Rückfällige. Die Rückfallquote lag insgesamt bei etwa 70 Prozent und bei den Diebstahlsdelikten bei rund 85 Prozent. Im Übrigen waren unter anderem 22 Verurteilungen wegen Tötungsdelikten und vier wegen Staatsverbrechen zu verzeichnen. Todesurteile wurden in diesem Zeitraum nicht ausgesprochen. Gegen schwurgerichtliche Entscheidungen wurden 25 Berufungen zum Oberappellationsgericht eingelegt. In seinen Erläuterungen wies Kersting insbesondere auf die Tatsache hin, dass von 108 durch die Geschworenengerichte zu zeitlicher Eisen- oder Zuchthausstrafe Verurteilten insgesamt 91 mit bis zu fünfjähriger Strafe und nur 17 mit höherer Strafe belegt wurden. Würde man also die Kompetenz der Geschworenengerichte auf ein Strafmaß über fünf Jahren beschränken, so würde dies, so Kersting, die schwurgerichtlichen Sachen ganz außerordentlich mindern.

866 Statistischer Bericht des Generalstaatsprocurators Hermann Kersting auch enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2572. 867 Siehe Auszüge des statistischen Berichts im Anhang, Nr. 6. 868 Die allgemein hohe Zahl der Freisprüche in Pressesachen stieß freilich auch außerhalb Kurhessens in konservativen Kreisen auf Kritik; vgl. dazu Landau, S. 288 f.; vgl. hierzu auch Mittermaier, Der Gerichtssaal, 1852, 1. Band, S. 11 f. 869 Vgl. zu diesem allgemeingültigen Befund die Nachweise bei Landau, S. 287 f.

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Der Aspekt der Kostensenkung war in diesem Zusammenhang auch Gegenstand der Verhandlungen im Landtag im Dezember 1849. Nebelthau hatte mit seinem Antrag vom 7. Dezember 1849 die Reduzierung der für die Strafrechtspflege aufzuwendenden Kosten durch Verminderung der für die Geschworenengerichte notwendigen Zahl der beamteten beisitzenden Richter von vier auf zwei angeregt870. In der Verhandlung am 11. Dezember 1849 wurde auch die Frage erörtert, ob es sinnvoll sei, die Kompetenz der Geschworenengerichte hinsichtlich der Eigentumsdelikte und insbesondere im Falle wiederholter Diebstähle zu beschränken. Präsident Schwarzenberg merkte hierzu an, dass eine Beschränkung der schwurgerichtlichen Kompetenz ausschließlich auf politische Verbrechen und Anklagen wegen Mord und Totschlag eine wesentliche Vereinfachung dieses Instituts zur Folge hätte, ohne dieses selbst in irgend einer Weise zu beeinträchtigen871. Der Antrag wurde auf Wunsch Nebelthaus dem Rechtspflegausschuss überwiesen. Die hiermit konfrontierte Staatsregierung versicherte, es seien bereits Vorarbeiten zu einer Revision des Strafverfahrensgesetzes eingeleitet worden. Die Anregungen des Landtags würden Berücksichtigung finden. In der Erwartung, dass diese Zusicherung, wie sie zur Ersparnis der Kosten und Verminderung der Lasten der Staatsangehörigen allgemein für nötig erachtet werde, recht bald in Erfüllung gehen möge, wurde am 25. Januar 1850 der Beschluss gefasst, die Sache zunächst auf sich beruhen zu lassen872. In der Tat sollten nicht zuletzt Kostengesichtspunkte bereits im Jahre 1851 zu einer erheblichen Beschränkung der Zuständigkeit der Jury führen. Andererseits hatte Hassenpflug auch frühzeitig zu erkennen gegeben, dass er dem politischen Aspekt der Geschworenengerichte ablehnend gegenüberstand. So hatte er bereits im Hinblick auf das neue Pressegesetz die Kompetenz der Geschworenengerichte bei politischen Verfahren ohne Rücksicht auf das zu erwartende Strafmaß als ein Privilegium bezeichnet. Dass er dies nicht akzeptieren konnte, belegen seine Aussagen zu den Motiven und Gewährleistungen des neuen Pressegesetzes, dessen erster Paragraf bestimmte, dass Missbräuche der Presse nur nach diesem Gesetz beurteilt werden. Hassenpflug meinte, es sei doch ein enormer Satz, „wenn man behaupten wolle, sobald ein Erzeugnis der Presse keine strafbare Handlung darstellt, hat der Staat nicht das Recht, es zu unterdrücken. Diese Be870 Zur Begründung des Antrages siehe Beilage 58, KhLtV 1849, 1. Band; sowie Hess. StA Marburg, 250 Nr. 469. 871 KhLtV 1849, 1. Band, Nr. 21, S. 6. 872 KhLtV 1849, 2. Band, Nr. 32, S. 26 und Beilage 84; nachfolgende Anfragen seitens der Stände blieben aber ohne konkrete Beantwortung, KhLtV 1849, 2. Band, Nr. 53, S. 2, Nr. 54 und Nr. 55, S. 20 (Der Landtagskommissar teilte hier mit, ein Strafgesetzbuch und eine Revision der Strafprozessordnung seien in Vorbereitung).

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fugnis könne man wohl den Verwaltungsbehörden entziehen und auf die Gerichte übertragen, aber dem Staatsorganismus könne man sie doch nicht absprechen, so wenig wie das Recht, den Verkauf der Gifte zu überwachen oder zur Verhütung von Ansteckung krankes Vieh zu tödten, sonst besitze ja jeder Uebelwollende in der Presse ein Mittel, die allerverderblichsten Lehren zu verbreiten, den Staat in seinen Grundvesten anzugreifen, alle Verbrechen als erlaubt darzustellen, wenn er nur die unbedeutende Form wahre, nicht direct dazu aufzufordern.“873

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Zitiert nach Grothe, Hassenpflug, S. 18.

E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch das provisorische Gesetz des Jahres 1851 Die Revolution des Jahres 1848 gilt als gescheitert, die folgenden Jahre allgemein als eine Zeit des Stillstandes874. Dennoch wurden bleibende Veränderungen erzielt875. So hatte die Mehrzahl der deutschen Staaten die Schwurgerichtsbarkeit eingeführt und beibehalten876. Dies galt auch für Kurhessen. Dennoch sollten auch hier bereits nach kurzer Zeit bedeutungsvolle und politisch geradezu symbolhafte Beschränkungen durch die provisorischen Gesetze des Jahres 1851 eintreten. Die auch unabhängig von diesen Veränderungen laufende praktische Arbeit der Geschworenengerichte und die damit einhergehende Entwicklung und Ausdifferenzierung in der Rechtsprechung betreffend das schwurgerichtliche Verfahren der folgenden Jahre sind bereits nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung. Besonders bedeutsam für das hier interessierende Thema der Entwicklung der Schwurgerichtsfrage in Kurhessen ist jedoch noch das im Jahre 1850 in Kassel stattfindende schwurgerichtliche Verfahren gegen Friedrich Oetker in seiner Eigenschaft als Herausgeber der „Neuen Hessischen Zeitung“. Inhaltlich ging es dabei um eine kritische Auseinandersetzung des Blattes mit den aktuellen Zuständen in Kurhessen nach der Rückkehr der Reaktion in Gestalt des neuen Ministerpräsidenten Hassenpflug. Das hier angesprochene Verfahren ist für unsere Betrachtung auch deshalb von besonderem Interesse, weil in ihm nicht zuletzt in Anbetracht der beteiligten Akteure viele entscheidende Aspekte der politischen Bedeutung der Geschworenengerichte zusammentrafen. Hassenpflug, der aus eigener persönlicher Betroffenheit die Anklage gegen Oetker erwirkt hatte, sollte ein Jahr später, nachdem Oetker freigesprochen worden war, die Kompetenz der Geschworenengerichte für Pressesachen durch die von ihm initiierten provisorischen Gesetze des Jahres 1851 beseitigen. Die politische Bedeutung der Jury begann, symptomatisch für die Zeit der erschlaffenden revolutionären Stimmung, in den Hintergrund zu treten. 874

Dazu Nipperdey, S. 663 ff. Vgl. Hartung, S. 217; zum Gesichtspunkt der Pressefreiheit vgl. HRG1 /Werkmüller, 5. Band, Zensur, S. 1661. 876 Zur Einführung der Schwurgerichtsbarkeit in Hessen-Darmstadt bzw. in den Provinzen Starkenburg und Oberhessen, siehe Amrhein, S. 55 ff.; vgl. im Übrigen Landau, S. 268 f. 875

E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit des Jahres 1851

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Schon kurze Zeit nachdem für die neu in das kurhessische Rechtsleben eingetretenen Geschworenengerichte ein positives Zwischenfazit gezogen werden konnte, kam es zur Auflösung der Märzregierung. Innenpolitisch hatten sich Finanzprobleme in den Vordergrund gedrängt, die am Ende auch die Einrichtung der Geschworenengerichte treffen sollten. Der zuletzt glücklose Ministerpräsident Eberhard wurde vom Kurfürsten im Februar 1850 entlassen. Der Wechsel an der Regierungsspitze war dramatisch. Am 22. Februar 1850 übernahm die Symbolfigur des repressiven Obrigkeitsstaates der 30er Jahre Ludwig Hassenpflug erneut das Innen- und Justizministerium und wurde zur prägenden politischen Person der kommenden Jahre. Was innenpolitisch von der neuen Regierung unter Hassenpflug zu erwarten war, ergab sich andeutungsweise schon aus der Erklärung vor der Ständeversammlung am 26. Februar 1850. Noch bevor Hassenpflug in der Versammlung erschien, hatte der demokratisch gesinnte Abgeordnete Bayrhoffer877 entgegen der zunächst abwartenden Haltung der Konstitutionellen im Landtag ein Misstrauensvotum eingebracht. Er verwies auf die landesherrliche Proklamation vom 11. März 1848, wonach der Kurfürst erklärt hatte, bei der Auswahl der Minister nur Männer zu berufen, welche das Vertrauen des Volkes genießen. Dies sei bei dem gegenwärtig in das Amt des Ministerpräsidenten berufenen Geheimrat Hassenpflug nicht der Fall878. In seiner darauf folgenden Regierungserklärung betonte letzterer jedoch, dass als Grundlage der Tätigkeit der neuen Regierung sich keine andere darbiete, als die Verfassung und die bestehenden Gesetze. Mit Festigkeit wolle man auf die Beobachtung jener sehen und die Ausführung letzterer bewirken. Zugleich betonte er aber auch die in der Verfassung verankerte monarchische Regierungsform. Man werde daher „jeder Bestrebung, welche an die Stelle dieser fundamentalen Regelung unseres öffentlichen Lebens Volkssouveränität zu setzen beabsichtigen möchte, nach allen Seiten hin mit allen Kräften entgegentreten.“879

Hassenpflug erwähnte sodann aber auch ausdrücklich die heilsamen Prinzipien der Mündlichkeit und Öffentlichkeit, die es gelte, auch dort durch entsprechende Gesetzesvorlagen noch einzuführen, wo sie noch entbehrt würden, womit die Zivilgerichtsbarkeit angesprochen war880. Trotz lobender Erwähnung nämlicher Prinzipien und keiner grundsätzlichen Infragestellung 877 Carl Theodor Bayrhoffer (1812–1888) war Professor für Philosophie in Marburg und Abgeordneter in der Ständeversammlung seit 1848 (1850 deren Präsident), bevor er im Jahr 1850 nach Amerika floh, vgl. Lengemann, MdL, S. 65. 878 Siehe Debatte der Ständeversammlung über die Einstellung zum Ministerium Hassenpflug, abgedruckt in Auszügen bei Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 50, S. 108; vgl. auch Ham, Hassenpflug, S. 276 f. 879 Ebd., S. 111. 880 Ebd.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

der Geschworenengerichte hatte Hassenpflug diesen gegenüber, wie wir gesehen haben, eine ablehnende Haltung, was deren Zuständigkeit gerade in politischen und Pressesachen betraf. Die später im Jahre 1851 erfolgenden Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit in diesem Sinne wurden öffentlich allerdings vor allem mit Erwägungen des Staatshaushaltes begründet. Dies deutete sich bereits in der Erklärung Hassenpflugs in der genannten Landtagsversammlung am 26. Februar 1850 an, wobei aber sicherlich die Kosten der Geschworenengerichte im Verhältnis zum Gesamthaushalt und zum eingetretenen Defizit nicht entscheidend im Vordergrund gestanden haben dürften881: „Die Art und Weise, wie neue Einrichtungen in das Leben gerufen, die vorhandenen weiter ausgebildet werden, kann den durch die finanziellen Kräfte des Landes gegebenen Maßstab nicht übersehen lassen, und die möglichste Verhütung der Auflegung neuer Lasten muß als Aufgabe sich uns darstellen.“882

Die Regierungserklärung wurde dem Rechtspflegeausschuss zur Beratung überwiesen. Dem Antrag Bayrhoffers über ein Misstrauensvotum wurde am Ende mit großer Mehrheit entsprochen. Die Linken in der Ständeversammlung wollten allerdings darüber hinausgehend aus Prinzip jegliche Kooperation mit der neuen Regierung verweigern, während die sich in dieser Frage letztlich durchsetzenden Liberalen dafür aussprachen, jede einzelne Regierungsvorlage zu überprüfen, um zum Wohle des Landes eine völlige Blockade zu vermeiden. Allerdings hatten auch die Liberalen in der Folgesitzung am 5. März 1850 für ein wiederholtes Misstrauensvotum gestimmt. Darauf mussten sie feststellen, dass sich die Regierung überhaupt weigerte, auch diese Erklärung des Landtags auch nur entgegenzunehmen, geschweige denn, darauf inhaltlich einzugehen883. Einen weiteren Ansatz, den verhassten Ministerpräsidenten aus dem Amt zu entfernen, sollte daher ein gegen Hassenpflug laufendes Strafverfahren bieten. Die Staatsanwaltschaft in Greifswald, wo Hassenpflug bis zu seiner Rückkehr zuletzt als Präsident des dortigen Oberappellationsgerichtes fungierte, erhob im Februar 1850 gegen ihn Anklage884. Ihm wurde vorgeworfen, die Summe von elf Talern aus öffentlichen Mitteln zu Unrecht für ei881 Zum Defizit in der Staatskasse im Jahr 1850 vgl. den Bericht des Regierungskommissars Duysing in der Debatte über die Bewilligung eines außerordentlichen Kredits für die Regierung vom 15. März 1850, wonach in der Hauptkasse 700.000 Taler fehlten, abgedruckt bei Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 52, S. 122; vgl. Losch, Geschichte, S. 262. 882 Ebd.; Kostensparende Maßnahmen in Bezug auf die Geschworenengerichte hatte allerdings schon Nebelthau in einem Antrag vom 7. Dezember 1849 formuliert. 883 Vgl. dazu Popp, S. 301 ff. 884 Grothe, Hassenpflug, S. 30, Fn. 127.

I. Das Presseverfahren gegen Friedrich Oetker

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gene private Zwecke verwendet zu haben885. Die Versetzung in den Anklagestand war nun Grund, die persönliche Eignung Hassenpflugs zur Bekleidung des Ministeramtes öffentlich in Frage zu stellen. Nach erhobener Anklage konnte er doch noch nicht einmal Bürgergardist, wahlberechtigter Ortsbürger oder Geschworener sein886. Da Ansehen und Ehre der kurhessischen Rechtspflege gefährdet schienen, wurde in der Ständeversammlung nähere Aufklärung verlangt887. In der Versammlung am 22. Mai 1850 gab Hassenpflug, der die Unschuldsvermutung für sich in Anspruch nahm, den Abgeordneten zu verstehen, dass er nicht beabsichtigte, auf die Vorwürfe inhaltlich einzugehen und die Sache nach seiner Auffassung ohnehin bald erledigt sein würde. Schließlich handele es sich nicht um eine Landessache. Der Landtag wurde ein weiteres Mal brüskiert und gereizt. Dabei hatten die Regierungsmitglieder die angespannte politische Lage im Lande sehr wohl erkannt, zumal der Landtag die Bewilligung eines außerordentlichen Kredits anlässlich der Sitzung am 15. März 1850 versagt hatte und so die Regierung in weitere erhebliche Finanznöte geriet888. Sie machten dies mit Schreiben vom 20. Mai 1850 auch dem Kurfürsten deutlich. Die Lage im Innern sei eine sehr kritische, die finanzielle Situation eine äußerst betrübende und besorgliche. Eine Auflösung des Landtages sei unvermeidlich. Die Regierungsmitglieder hielten es daher für ihre Pflicht, „beizeiten auf diejenigen Mittel Bedacht zu nehmen, welche einen Umschwung in der öffentlichen Stimmung den Verhältnissen nach hoffen lassen. Hierbei kann nicht unerwähnt bleiben, daß die Hauptstadt, E. K. H. Residenz und Sitz der Regierung, von besonderer Wichtigkeit ist und eine besondere Beachtung verdient, da sie den Zentralpunkt alles politischen Lebens für den gesamten Kurstaat abgibt und durch die in ihr erscheinenden Tagesblätter die öffentliche Meinung im ganzen Lande geleitet wird.“889

I. Das Presseverfahren gegen Friedrich Oetker Die sich eintrübende politische Situation und die Wiederkehr des verhassten Ministers Hassenpflug waren Anlass für die von Friedrich Oetker herausgegebene „Neue Hessische Zeitung“, am 27. Mai 1850 unter dem Ti885 Seier, Akten und Dokumente, S. 136, Fn. 10; Nach Verurteilung in zwei Instanzen wurde Hassenpflug 1852 auf seine Nichtigkeitsbeschwerde vom Obertribunal Berlin am 13. Juli 1852 freigesprochen, Grothe, Hassenpflug, S. 216 ff.; Ham, Hassenpflug, S. 251 ff. 886 Popp, S. 306; siehe auch Anhang Nr. 1. 887 Dazu Popp, S. 306 ff. 888 Vgl. Debatte über Bewilligung eines außerordentlichen Kredits für die Regierung (Auszug), abgedruckt bei Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 52, S. 121 ff. 889 Siehe Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 53, S. 129.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

tel „Unsere Lage“ einen deutlich regierungskritischen Artikel zu veröffentlichen890. In ihm wurde die kurhessische Politik der letzten Jahre in den bedeutenden Punkten besprochen und er zog hinsichtlich des Verhaltens der Regierung den Schluss: „Ihr Charakter ist also mit einem Wort ausgesprochen: es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl.“

Damit war Hassenpflug auch als Person direkt angesprochen. Verfasser des Artikels war der Marburger Professor Heinrich von Sybel891, der pikanterweise später im Prozess gegen Oetker als einer seiner Verteidiger auftreten sollte. Hassenpflug reagierte sofort. Er erwirkte mit Ministerialbeschluss vom 28. Mai 1850 die Einleitung der gerichtlichen Verfolgung der Verantwortlichen. Da von Sybel als Verfasser des Artikels nicht kenntlich gemacht worden war, richtete sich die Anklage gegen Friedrich Oetker als den verantwortlichen Herausgeber des Blattes. Das Verfahren fiel in die Kompetenz des Geschworenengerichts. Die Anklagekammer in Marburg bestätigte den Verdacht eines Pressevergehens durch den Beschuldigten Oetker und verwies ihn zur Aburteilung vor das Schwurgericht in Kassel. In seinen Lebenserinnerungen bekundete Oetker, er habe entgegen dem unwürdigen Schauspiel des „Hornisseprozesses“ zeigen wollen, dass „selbst bei der lebendigsten Teilnahme und erregtesten Stimmung des Publikums eine öffentliche Gerichtsverhandlung recht wohl mit vollster Ruhe und Würde vor sich gehen könne.“892 Der Prozess, der am 25. Juli 1850 in Kassel stattfand, machte eindrucksvoll sichtbar, dass das öffentliche Verfahren vor einer Jury weit über eine bloße Verteidigung gegen eine Anklage hinausgehen konnte. Die Verhandlung wurde von Oetker und seinen Verteidigern genutzt, um die Berechtigung der Angriffe auf die politische und persönliche Ehre der Regierungshandelnden öffentlich zu debattieren und am Ende gar nachzuweisen. Dies sollte durch die Einrede der Wahrheit gelingen893. Die Verteidigung berief sich auf das Zeugnis namhafter Persönlichkeiten aus der Ständeversammlung, darunter die Abgeordneten Schwarzenberg und Nebelthau. Auch die Regierungsmitglieder selbst sollten als Zeugen aussagen. Während sich die 890

Der Artikel ist wiedergegeben bei Oetker, Redlichkeit, S. 3 ff. Oetker, Lebenserinnerungen, S. 129; Heinrich von Sybel (1817–1895) war als Historiker in der Zeit von 1846 bis 1856 Professor an der Universität in Marburg und 1848/49 Mitglied des Landtages. 892 Ebd., S. 130. 893 Oetker schildert in seinen Lebenserinnerungen auch, dass er vor dem Prozess noch Broschüren verteilt habe, um damit die Verfehlungen Hassenpflugs in den 30er Jahren und in neuerer Zeit darzulegen. Dies konnte eine breite Öffentlichkeit und auch die potentiellen Geschworenen erreichen, was durchaus in der Absicht Oetkers gelegen hatte, ebd., S. 134. 891

I. Das Presseverfahren gegen Friedrich Oetker

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Minister Lometsch, von Baumbach und Abée sowie der Referent im Innenministerium Vilmar894 auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht beriefen, ließ Hassenpflug über den Ankläger mitteilen, dass er abgesehen von allen anderen Gründen wegen eines in Frankfurt zu vollziehenden Auftrags am Erscheinen verhindert sei. Hassenpflug schien durch die persönlichen Vorwürfe und die Ereignisse in der Ständeversammlung im Zusammenhang mit der Steuerverweigerung in arge Bedrängnis gekommen zu sein und hatte den Kurfürsten gebeten, ihn vor Ort in Kassel zu entlasten. In seinen „Denkwürdigkeiten“ schilderte er die missliche Lage mit Blick auf die Ereignisse seit der Landtagsverhandlung am 15. März 1850: „In dieser setzte sich sodann das vorherige wüste Treiben fort, Auskunftserbittungen und Anschuldigungen lößten sich einander ab . . . Allein eine große Rolle in diesem Drama nahm der Greifswalder Prozeß gegen mich ein, es fehlte an Auskunftserbittungen nicht, und da ließ ich mich bewegen, in dieser rein persönlichen Angelegenheit selbst in der Ständeversammlung zu erscheinen und die nöthige Auskunft zu ertheilen. Man kam zu dem Majoritätsbeschluß, mir Urlaub zu ertheilen, um meinen Prozess zu Ende zu bringen. Der Ständeversammlung wurde ein Antrag wegen Forterhebung der Steuern vorgelegt, und nachdem der Ausschußbericht darüber verfaßt und dieser, während die übrigen Mitglieder der Versammlung der Ausschußsitzung beigewohnt hatten, auf Ablehnung gerichtet war, wurde am 12t[en] Juni die Versammlung aufgelöst, worüber die näheren thatsächlichen Verhältnisse bei diesem Revolutionstreiben der Ständeversammlung . . . ersehen werden können895. Es schien mir nach Lage der Sache ganz unthunlich, es jetzt schon zu einer formellen Steuerverweigerung kommen zu laßen.“896

Über die Steuerfrage sollte noch im Herbst 1850 die politische Lage in Kurhessen eskalieren. Zur Zeit des Prozesses gegen Oetker standen zumal die deutschlandpolitischen Problemfelder zur allgemeinen Debatte. Auch sie wurden in der öffentlichen Verhandlung vor den Geschworenen offensiv angesprochen. Damit bot die Schwurgerichtsverhandlung eine politische Bühne, auf der die politischen Freunde Oetkers auftreten und ihre regierungskritischen Aussagen machen konnten. Nennenswerte Gegenwehr war nicht zu erwarten. So blieb dem Ankläger nichts anderes übrig, als die Fest894 August Friedrich Christian Vilmar (1800–1868) galt als ultrakonservativ und war 1848 bis 1853 Herausgeber des „Hessischen Volksfreundes“. In einem in diesem Blatt erschienenen Aufsatz schilderte er die revolutionären Ereignisse seit 1848 aus konservativer Sicht und erhob schwere Vorwürfe gegen Eberhard, der durch seine Teilnahme an den Aktionen der Hanauer Volkskommissionen der Revolution Gewicht und Ansehen verliehen und so die Bürger verleitet habe; wiedergegeben bei Grothe, Hassenpflug, S. 7 ff. (S. 9 f.). 895 Zur beschlossenen Landtagsauflösung bei Ablehnung der Finanzvorlage siehe Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 54, S. 132 f. 896 Zitiert nach Grothe, Hassenpflug, S. 66 f.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

stellung der Unzulässigkeit einer Führung des Wahrheitsbeweises zu beantragen. Dies wurde vom Gericht nach eingehender Erörterung abgelehnt. Das Gericht konnte sich dabei auf die besondere Vorschrift für den Fall einer Beleidigung im Sinne des § 318 des Strafverfahrensgesetzes stützen. In seinem Beschluss führte das Gericht aus, dass es zur Beurteilung der Geschworenen gehöre, ob in den fraglichen Äußerungen nicht nur an und für sich nach deren Form oder Inhalt eine Beleidigung gefunden werden müsse, sondern auch, ob dieser Äußerung der Charakter der Beleidigung durch die Wahrheit der zu ihrer Begründung angeführten tatsächlichen Umstände etwa benommen werde897. Die darauf durchgeführte Beweisaufnahme durch Anhörung prominenter Zeugen führte am Ende zu einem raschen Freispruch Oetkers. Insbesondere aber der Ablauf dieses Verfahrens musste für die Regierung bedrohlich erscheinen. Anders als die tumultartigen Ereignisse im Prozess gegen die Redakteure der „Hornisse“, welche den Geschworenenprozess auch bei Wohlmeinenden grundsätzlich in Misskredit zu bringen vermochte, war der Prozess gegen Oetker eine eindrucksvolle politische Demonstration. Die öffentliche Verhandlung vor den Geschworenen war nun nicht mehr nur Schutzmittel gegen Beeinträchtigungen und Verfolgungen der Presse oder politischer Meinungen. Die öffentlichen Ankläger oder der politisch Angegriffene mussten sehr wohl überdenken, ob man überhaupt das Risiko eingehen sollte, eine gerichtliche Verfolgung des Provozierenden anzustrengen898. Die Geschworenengerichte erhielten so unter Berücksichtigung der gerichtlich bestätigten Zulässigkeit eines Wahrheitsbeweises einen offensiven politischen Charakter. Da der Prozess gegen Friedrich Oetker vor diesem Hintergrund von besonderem Interesse ist, wird er hier im Anhang zum Haupttext899 in den wesentlichen Passagen wiedergegeben. Dabei wird nicht nur der äußere Ablauf einer Verhandlung vor den Geschworenen anschaulich. Besonders eindrucksvoll sind vor allem die in den Aussagen und Plädoyers der Verteidiger sich herauskristallisierenden Verknüpfungen zwischen den Problemfeldern eines repressiven Regierungshandelns, einer freien, regierungskritischen Presse und den Wirkungen eines öffentlich abgehaltenen Gerichtsver897

Oetker, Redlichkeit, S. 18. Noch vor der Verhandlung gegen Oetker war ein Erlass des Innenministeriums vom 13. Juli 1850 gegen die Übergriffe der politischen Tagespresse ergangen, wonach die Staatsprokuratoren angehalten wurden, sich bei ihrer Tätigkeit nicht etwa wegen zu erwartender Schwierigkeiten im Hinblick auf die folgenden Verfahren vor den Geschworenengerichten beeinträchtigen oder gar abhalten zu lassen; siehe Hitzeroth, S. 118 f. 899 Anhang Nr. 1. 898

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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fahrens vor Geschworenen. In dieser Hinsicht stellt der Prozess „Oetker“ den Höhepunkt unserer Betrachtung dar. In seinem Plädoyer hatte Verteidiger von Sybel auch den Blick nach England gerichtet. Ein Prozess, wie der vorliegende, sei in England unmöglich und undenkbar. „Sie fänden schwerlich einen Richter, schwerlich eine anklagende, schwerlich eine verurtheilende Jury dafür. Im Gelächter der Nation würde der Prozeß zu Grunde gehen, ehe er noch begonnen wäre. In England weiß die Regierung, welchen unerschöpflichen Schatz sie an der freien Presse besitzt, an diesem niemals trügenden Barometer der Wünsche und Ansichten des Volkes, der öffentlichen und sittlichen Gesetze, nach welchen das Staatsleben sich regeln muß. Seit dem letzten Preßprozesse, den man in England versucht hat, ist mehr als ein halbes Jahrhundert verflossen, und dieser kann die Analogie geben für eine andere Behauptung des Anklägers, der sich nicht billigend darüber ausgesprochen hat, daß vor Ihren Augen das Bild der Geschichte unseres Staates von den letzten zwei Jahren in Fragen und Antworten entrollt worden ist. So lange es politische Prozesse in England gegeben, hat niemand darin eine Gefahr gefunden; die Regierung ist erfreut, jeden Falls verpflichtet gewesen, die betreffende Lehre, die sie durch das Verdikt der Geschworenen erhalten hat, zu danken. Es ist kein anderer Grund zu finden, der das freie Volksleben in jedem Staate so fest verkittet hat mit der unverbrüchlichen Ordnung seit undenklichen Zeiten.“900

Mit Blick auf die besondere Bedeutung der Presse und ihren Flankenschutz durch die Geschworenengerichte hatte Verteidiger Pfaff, der im Übrigen neben Oetker Redakteur der „Neuen Hessischen Zeitung“ war, auf den rücksichtslosen Abwehrkampf der Obrigkeit hingewiesen. Er war jedoch zuversichtlich, dass einer Vernichtung der Presse die Wirksamkeit der unabhängigen Geschworenengerichte entgegenstünde. Und die Presse ihrerseits hielte der Regierung bei lebendigem Leibe das Totengericht901. Trotz des erzielten Freispruches erfüllte sich diese Erwartung allerdings nicht. Die Lage in Kurhessen verschärfte sich in der Folgezeit dramatisch. Die von Hassenpflug mit den Septemberverordnungen ergriffenen Maßnahmen hatten erneut ein Absterben der oppositionellen Presse zur Folge. Hiervon war freilich auch Oetkers „Neue Hessische Zeitung“ betroffen902.

II. Das provisorische Gesetz vom 22. Juli 1851 Die nach der Auflösung des Landtages am 12. Juni 1850 durchgeführten Neuwahlen hatten zu einem Zuwachs bei den Linken geführt. Der Demokrat Bayrhoffer wurde nun Landtagspräsident. Der Streit zwischen Landtag 900 901 902

Oetker, Redlichkeit, S. 39. Oetker, Redlichkeit, S. 45 f. Vgl. dazu Hitzeroth, S. 119 ff.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

und Regierung eskalierte, nachdem die Stände wiederholt der Regierung das Misstrauen ausgesprochen und die begehrte Steuererhebung verweigert hatten903. Hassenpflug sah sich zur schnellen Reaktion legitimiert und löste noch am 2. September 1850 den Landtag erneut auf. Mit Notverordnung vom 4. September sollte die weitere Steuererhebung gewährleistet werden. Der nach Landtagsauflösung bleibende landständische Ausschuss904 ließ jedoch nach weiteren Verhandlungen erkennen, dass er nicht Willens war, sich dem Druck der Regierung zu beugen, warf ihr Verfassungsbruch vor und drohte mit Ministeranklage. Nachdem der Ausschuss die Verwaltung angewiesen hatte, der Verordnung vom 4. September die Gefolgschaft zu verweigern, wozu sich neben den Behörden auch die Gerichte tatsächlich bereit erklärten, verhängte der Kurfürst unter Berufung auf § 95 der Verfassung den Kriegszustand905. Wesentliche Grundrechte, wie Presse- und Versammlungsfreiheit wurden außer Kraft gesetzt. Im Rahmen der Septemberverordnungen wurden faktisch wieder Sondertribunale errichtet, die man mit der Gesetzgebung des Jahres 1848 endgültig überwunden zu haben glaubte. Nach der Verordnung vom 7. September 1850906 waren Volksversammlungen und Versammlungen von Vereinen verboten. Die Herausgabe von Zeitungen politischen Inhalts wurde von der vorherigen Genehmigung des Innenministeriums abhängig gemacht. Dem gemäß musste von jedem politischen Blatte eine Stunde vor dessen Herausgabe ein Exemplar dem Kommandanten des betreffenden Orts oder einem eingesetzten Kommissar vorgelegt werden. Diese hatten Blätter, welche Schmähungen gegen den Kurfürsten, die Staatsregierung und deren Organe oder Aufreizungen zum Ungehorsam oder zur Widersetzlichkeit gegen die Obrigkeit enthielten, sofort in Beschlag zu nehmen. Dies betraf auch politische Flugschriften, Plakate und bildliche Darstellungen. Die Staatsbürger wurden sodann den Militärgerichten und Militärgesetzen unterworfen. Die später folgende Verordnung vom 28. September 1850 regelte die Zuständigkeiten der nun auch über Zivilpersonen richtenden Kriegsgerichte907. Sie waren zuständig für jeden Ungehorsam und jede Widersetzlichkeit gegen die erlassenen Verordnungen. Dabei wurde auch die Verordnung aus dem Oktober 1830 zum Schutz der öffentlichen Ruhe wieder herangezogen. Somit waren Störungen durch Zusammenlaufen und Lärm, die Aufforderung 903

Zu den Steuerverweigerungen siehe Popp, S. 308 ff. Siehe § 102 der Verfassungsurkunde. Dem Ausschuss gehörten die Demokraten Bayrhoffer, Gräfe und Kellner sowie die Liberalen Henkel und Schwarzenberg an. 905 Vgl. Popp, S. 315. 906 SG, 12. Band, 1850, S. 45 ff.; zu den Septemberverordnungen siehe Popp, S. 314 ff.; siehe auch Ham, Hassenpflug, S. 298 ff. 907 SG, 12. Band, 1850, S. 53 ff. 904

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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zur Störung der öffentlichen Ruhe mittels Äußerungen bei einer versammelten Volksmenge sowie Hausfriedensbruch und Landfriedensbruch strafrechtlich zu ahnden. Dies sollte allerdings vorläufig nicht nach kriegsrechtlichen Strafbestimmungen, sondern nach dem Zivilstrafrecht und insbesondere dem gemeinen Recht erfolgen. Eine Verordnung vom 29. April 1851 stellte klar, dass die Kriegsgerichte bei Aburteilung der Verstöße gegen die Verordnung vom 28. September 1850 entsprechend der Bestimmungen für das Stand- und Kriegsgericht vom 31. Oktober 1848 die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abzuhalten hatten908. So diente die Verhängung des Kriegszustandes auch dazu, politische Vergehen der Aburteilung durch Sondergerichte in einem nicht öffentlichen Verfahren zu unterwerfen. Damit waren gerade die politischen und Pressevergehen kurzerhand der Zuständigkeit der Geschworenengerichte faktisch entzogen. Diese Maßnahme fand schließlich auch in der Verfassung des Jahres 1852 Berücksichtigung. Deren § 88 bestimmte zwar dem Grundsatz nach, dass keine besonderen Gerichte beziehungsweise Ausnahmegerichte stattfinden sollten. Etwas anderes galt allerdings im Kriegs- oder Belagerungszustand. Damit waren die Beschränkungen der zivilen Strafgerichte auch durch die Verfassung des Jahres 1852 sanktioniert. Das Kriegsrecht und die damit einhergehende Zuständigkeit der ständig eingerichteten Kriegsgerichte sollten erst mit Verordnung vom 19. Dezember 1854 beendet werden, durch die zugleich die Verordnungen vom 7. und 28. September 1850 aufgehoben wurden. Die bei den ständigen Kriegsgerichten eingeleiteten unbeendeten Untersuchungen sollten wieder auf die ordentlichen Gerichte übergehen909. Die Septemberverordnungen hatten jedoch bemerkenswerter Weise zunächst nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Das Oberappellationsgericht erkannte die Nichtigkeit der Steuernotverordnung910. Auch der Oberbefehlshaber des Militärs Bauer911 bezweifelte die Rechtmäßigkeit der ergriffenen Notmaßnahmen und agierte zum Ärgernis der Regierung nur zurückhaltend912. Am 13. September hatte der Kurfürst samt der Regierung Kassel verlassen, um sich ins Schloss Wilhelmsbad zu begeben. Der seit 908

SG, 12. Band, 1851, S. 11 f. SG, 13. Band, 1854, S. 77. 910 Siehe Protokoll des Oberappellationsgerichtes vom 12. September 1850, abgedruckt bei Huber, Dokumente, S. 618 f. und Beschluss desselben über die Verfassungswidrigkeit der Verordnung vom 28. September 1850, ebd., S. 625 f.; siehe auch Ham, Hassenpflug, S. 298 ff. 911 Generalleutnant Johann Philipp Bauer (1777–1851). 912 Seier, Handbuch, S. 131; Siehe auch Grothe, Hassenpflug, S. 86, wonach Hassenpflug besonders verärgert darüber war, wie defensiv Bauer bei der Schließung der Druckereien der „extremen“ Blätter „Hornisse“ und Oetkers „Neuhessi909

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

Anfang September 1850 restituierte Rumpfbundestag wurde um Hilfe gebeten. Die Bundesintervention wurde beantragt. Der Bund forderte die Rücknahme der Steuerverweigerung durch den Landtag. Die Notmaßnahmen mussten mit der Verordnung vom 28. September 1850 verschärft und Bauer durch den neuen Oberbefehlshaber von Haynau913 ersetzt werden. Aber auch dies erzielte kaum die erwünschte durchschlagende politische Wirkung. Die überwiegende Zahl der Offiziere verweigerte nun den bedingungslosen Gehorsam und entschied sich für den Abschied914. Die Vorgänge im Kurstaat hatten bei alledem auch zu Spannungen und Interessenkonflikten zwischen Preußen und Österreich geführt, die erst mit der Punktation von Olmütz am 29. November 1850 ihre Vermittlung fanden. Beide Großmächte wurden hierdurch Partner einer gemeinsam dirigierten Kurhessenpolitik, „nicht ohne Einschlag von Revolutionsprophylaxe“.915 Vereinbart wurde die Einsetzung einer gemeinsamen Kommission, der auf preußischer Seite zunächst der ehemalige Reichskriegsminister von Peucker und ab März 1851 der ehemalige Justizminister von Uhden sowie auf österreichischer Seite der kaiserlich-königliche Feldmarschallleutnant Graf von Leiningen angehörten916. Während dessen wurde die innerstaatliche Opposition nun im Zuge der Bundesintervention und insbesondere mittelst der sogenannten „Dragonaden“ zur Räson gebracht. Dabei wurden vor allem bei missliebigen Oppositionellen sowie liberal eingestellten Beamten und Richtern in deren Privaträumen mehrere Tage lang jeweils bis zu 25 Soldaten mit der gleichzeitigen Verpflichtung zu deren Verköstigung (sogenannte „Strafbayern“) untergebracht917. Das öffentliche Leben wurde drastisch beschränkt. Gegen die Presse wurde kriegsgerichtlich vorgegangen. Es kam zu einer erheblichen Anzahl von disziplinarischen und sondergerichtlichen Maßnahmen gegen Justiz- und Verwaltungsbeamte918. Dies alles zeigte Wirkung. Der Widerstand erlahmte zusehend, so dass Kurfürst und Regierung Ende Dezember 1850 wieder nach Kassel zurückkehren konnten. Am Ende hatte sich im Frühjahr 1851 keines der fünf Mitglieder des ständischen Ausschusses mehr dauerhaft im Kurstaate oder in Freiheit befunden. Bayrhoffer, Gräfe, Henkel schen Zeitung“ vorging; zu den Maßnahmen gegen die Presse vgl. Hitzeroth, S. 119 ff. 913 Generalleutnant Wilhelm Karl von Haynau (1779–1856) war unehelicher Sohn des Kurfürsten Wilhelm I., Grothe, Hassenpflug, S. 26, Fn. 102. 914 Vgl. Seier, Handbuch, S. 133. 915 Seier, Handbuch, S. 134 f. 916 Seier, Akten und Dokumente, S. 161, Fn. 1. 917 Vgl. Vortmann, S. 72 ff.; Meibom war als Mitglied des Obergerichts in Rotenburg selbst von den Einquartierungen betroffen. 918 Seier, Handbuch, S. 136.

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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und Schwarzenberg waren verhaftet worden. Kellner war ins Ausland geflohen919. In einer Gesamtschau dieser Ereignisse weist Seier darauf hin, dass schließlich die Renitenz am Ende gebrochen war, nicht aber ihre Gesinnung. Der Großteil der Offiziere, des Verwaltungs- und Justizpersonals hatte sich disziplinieren und zum Gehorsam zurückführen lassen. „Kontinuität also im Staatlichen und im Privaten, aber kein Wandel im Denken.“920 1. Provisorische gesetzliche Maßnahmen im Vorfeld der Verfassung von 1852 Die Regierung unter Hassenpflug ging nun daran, die Verhältnisse in Kurhessen im Sinne einer Neupositionierung innerhalb des Bundes zu ordnen, beziehungsweise die revolutionären Errungenschaften des Jahres 1848 zu großen Teilen wieder abzubauen. Mit der den Kurhessen im Jahre 1852 oktroyierten Verfassung921 sollten gar die einst von den Liberalen gepriesene Verfassung von 1831 und mit ihr wesentliche Grundsicherungen beseitigt werden. In seinen „Denkwürdigkeiten“ schilderte Hassenpflug das Problem, vor welchem er bei dieser Aufgabe stand. Zwischen allen Tagesgeschäften beschäftigte ihn vor allem die Frage, wie es mit der kurhessischen Exekutionssache weitergehen solle922. Der Landtag war aufgelöst, der Kriegszustand noch lange nicht beendet. Es existierte kein Beispiel, „wie weit in solcher Hinsicht ohne Benutzung der gesetzlichen Organe des Landes durch Commissare des Bundes sich eingreifen lasse.“923

Er verfiel daraufhin auf die Idee, man müsse autorisiert werden, provisorische Gesetze zu machen, „um die revolutionären Grundlagen der actuellen Staatsbewegungen, die durch die neue Gesetzgebung seit 1848 eingeführt worden, durch anderweite provisorische Gesetze umzugestalten und durch anderweite Einrichtungen zu ersetzen.“924

Sogleich begann Hassenpflug mit der Ausarbeitung einer umfassenden Schrift zur Vorlage bei den Bundeskommissaren925. Darin wurden unter anderem umfassende Maßnahmen zur Beschränkung der Versammlungs- und 919

Zu den Verfahren gegen die Mitglieder des ständischen Ausschusses siehe Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 66–68, S. 156 ff. 920 Seier, Handbuch, S. 137. 921 Teilweise abgedruckt bei Franz/Murk, S. 279 ff. 922 Grothe, Hassenpflug, S. 140. 923 Ebd. 924 Ebd., S. 141; vgl. Ham, Hassenpflug, S. 362 ff. 925 Mit Kürzungen abgedruckt bei Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 69, S. 161 ff.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

Pressefreiheit und der Beamtenrechte dargelegt. Die Beschränkungen des Regierungshandelns durch die neuen Gesetze und Einrichtungen wurden scharf kritisiert. Unter anderem beklagte er die Übertragung einer umfassenden Gerichtsbarkeit auf willkürlichst gewählte Geschworenengerichte und schließlich, „daß ein Petitions-, Einigungs- und Versammlungsrecht der ausgedehntesten Art allen subversiven Elementen die breiteste Laufbahn eröffnet und mit der so gut wie schrankenlosen Preßfreiheit verbunden, die Entfaltung eines Terrorismus der ganzen und halben Demagogie heraufbeschworen hat, der alle konservativen Elemente voraussichtlich nicht zum rechten Ausdruck kann kommen lassen.“926

Am Ende enthielt das Schreiben die Bitte zur Erteilung einer Ermächtigung zur Umsetzung entsprechender provisorischer Gesetze, die nachträglich durch eine dann allerdings anders zusammengesetzte Ständeversammlung genehmigt werden sollten. Das Schreiben fand die Billigung des Kurfürsten. Im Juni 1851 erteilten die mit diesem Vorschlag Hassenpflugs konfrontierten Kommissare ihre Genehmigung927. Es folgte die Ausarbeitung entsprechender Einzelgesetze nach den von Hassenpflug in seinem Schreiben dargelegten Gesichtspunkten. So kam es zu einer umfassenden Änderung des Gerichtswesens mit dem provisorischen Gesetz vom 22. Juli 1851928. In der Zivilrechtspflege wurde die seit langem von Hassenpflug befürwortete Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verfahren eingeführt. Wesentlicher Grundgedanke der Veränderungen der Strafrechtspflege sollte unter anderem durch Reduzierung der Anzahl der Obergerichte eine Verminderung des Kostenaufwandes sein. In Anbetracht der schlechten Haushaltslage schien dies unter diesem Gesichtspunkt vertretbar. So konnte bereits im Rahmen der Vorlage zur Beschaffung der Mittel zur Deckung des Finanzdefizits der Jahre 1853 und 1854 der Kostenansatz für die Geschworenengerichte auf 4.000 Taler im Vergleich zum Vorjahre halbiert werden929. Von besonderer Bedeutung war jedoch die Beschränkung der Kompetenz der Geschworenengerichte. Alle Anklagen wegen Majestätsbeleidigung, Aufruhrs, Pressvergehens sowie wegen der im ersten und zweiten Rückfalle verübten und der gefährlichen Diebstähle fielen nun ohne Rücksicht auf das 926

Ebd., S. 166 f. Grothe, Hassenpflug, S. 168. 928 SG, 11. Band, 1851, S. 163 ff.; siehe Anhang Nr. 5. In seinen „Denkwürdigkeiten“ berichtete Hassenpflug, wie er mit seinem Referenten morgens um neun Uhr begann und am Abend des selben Tages den vollständigen Entwurf mit 69 Paragrafen zu Stande gebracht habe; mit dem Kurfürsten kam es allein zu Auseinandersetzungen über den Sitz des zweiten Obergerichts, Grothe, Hassenpflug, S. 173. 929 KhLtV 1852, Beilage 8 mit dem Bericht des Finanzausschusses vom 21. Oktober 1853, dort Titel D, die Rechtspflege betreffend, S. 19. 927

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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zu erwartende Strafmaß in die Kompetenz der neu eingerichteten Kriminalgerichte und wurden so der Schwurgerichtsbarkeit ausdrücklich entzogen930. Aus den bekannten Gründen dürfte dies ein besonderes Anliegen Hassenpflugs gewesen sein. In seiner Schrift an die Bundeskommissare hatte er generell in Bezug auf die neuen Einrichtungen, die das Jahr 1848 hervorgebracht hatte, ausgeführt, dass diese „nicht bloß für die Richtungen, durch welche sie ins Leben gerufen wurden, unterstützend, sondern daß sie vielmehr diese selbst zu immer sich erneuender Geltung bringend sind.“931

Der Prozess gegen Friedrich Oetker hatte belegt, dass das Geschworenengericht außerhalb des Landtags eine weitere öffentliche Bühne für die politische Auseinandersetzung darstellte und die Pressefreiheit zusätzlich beförderte. Für solches sollte in der nahen Zukunft kein Platz und schon gar keine rechtliche Gewährleistung mehr geboten werden. Die Revolution war vorbei. Einige Verbesserungen blieben, so auch die grundlegende Reform in der Strafrechtspflege und die Geschworenengerichte, wenn auch mit Rücknahmen in deren Kompetenzen. 2. Änderungen in der Schwurgerichtsbarkeit durch das provisorische Gesetz vom 22. Juli 1851 Die provisorischen Gesetze des Jahres 1851 führten zunächst auch zu einer Veränderung der Verwaltungsstrukturen. Mit Verordnung und Gesetz vom 7. Juli 1851 erfolgte die Aufhebung der erst kurz zuvor geschaffenen Organisation und stellte die frühere Einteilung in Provinzen und Kreise mit Regierungen und den neuen Landratsämtern wieder her932. Die provisorische Gesetzgebung des Jahres 1851 sollte sodann eine wesentliche Neuorganisation in der Rechtspflege herbeiführen, „da das im Jahre 1848 eingeführte Strafprozeßverfahren zu einer nutzlosen Geschäftsüberhäufung der Gerichte geführt“ habe und eine Verminderung des Richterpersonals und eine Ermäßigung der Staatsausgaben erforderlich sei. Auch die Strafrechtspflege war wesentlich hiervon betroffen. So wurde insbesondere die Zahl der Obergerichte reduziert. Zugleich wurden die neuen Kriminalgerichte geschaffen. Diese wurden eingerichtet in Kassel, Eschwege, Rotenburg, Fritzlar, Marburg, Rinteln, Fulda, Schmalkalden und Hanau. Obergerichte bestanden nur noch in Kassel und Fulda933. Sie fungierten als zweite Instanz in Strafsachen. Die Zuständigkeit der Schwurgerichte wurde 930 931 932

Siehe §§ 5 Nr. 1 und 12 des provisorischen Gesetzes vom 22. Juli 1851. Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 69, S. 167. SG, 11. Band, 1851, S. 27 ff., 31 ff.; vgl. dazu Klein, S. 32.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

beschränkt. Sie hatten nun nur noch zu erkennen über alle Verbrechen, welche an und für sich zur Zuständigkeit der Kriminalgerichte gehörten, aber entweder mit einer mindestens fünfjährigen Festungs-, Zwangsarbeitshausoder Zuchthausstrafe, beziehungsweise mit einer mindestens vierjährigen Eisenstrafe oder aber mit der, eine den Verlust der Dienst- und Standesehre nach sich ziehende, Dienstentsetzung eines landesherrlich bestellten oder bestätigten öffentlichen Dieners zu belegen waren. Zuständig waren sie darüber hinaus für Diebstahlsdelikte ab dem dritten Rückfall. Lag ein vollständiges Geständnis des Angeklagten vor, sollte nur die Zuständigkeit des Kriminalgerichts gegeben sein. Hierüber hatte der Anklagesenat des Obergerichts die erforderliche Entscheidung zu erteilen. Grundsätzlich sollten die Schwurgerichte in jedem Kalendervierteljahr für einen jeden Kriminalgerichtsbezirk an dessen Hauptorte abgehalten werden. Entsprechend dem Ziel der gesetzlichen Neuorganisation wurde insoweit auch die Zahl der mitwirkenden Richter reduziert. Der Obergerichtsdirektor hatte zum Vorsitzenden eines Schwurgerichts entweder ein Mitglied des Kriminalsenats oder den Dirigenten eines Kriminalgerichts im Obergerichtsbezirk sowie die sonst erforderlichen zwei weiteren Richter aus der Zahl der Mitglieder des Kriminalgerichts zu bestimmen. Damit wurde die erforderliche Zahl von Berufsrichtern in schwurgerichtlichen Verhandlungen von fünf auf drei reduziert934. Des weiteren ergaben sich auch wesentliche Änderungen hinsichtlich der Geschworenen. War nach der gesetzlichen Regelung des Jahres 1848 die Befähigung zum Geschworenenamt nur an das bestehende Staats- und Ortsbürgerrecht sowie an das Mindestalter von dreißig Jahren gebunden, so wurde nun ein Zensus eingeführt. Zusätzlich zu den vorgenannten Voraussetzungen musste der in Aussicht genommene Geschworene auch mindestens ein Jahr in der Gemeinde, in welcher er sich aufhält, seinen Wohnsitz haben und entweder zwölf Taler Klassensteuer oder neun Taler Grundsteuer oder sechs Taler Gewerbesteuer oder bei Verbindung mehrerer Arten von Steuern nach entsprechendem Verhältnis bezahlt haben, § 42 des provisori933 Hierüber war es zu einer Auseinandersetzung zwischen Hassenpflug und dem Kurfürsten gekommen, der sich Hanau als den Sitz des zweiten Obergerichts gewünscht hatte, siehe Grothe, Hassenpflug, S. 173. 934 Vgl. auch Vortmann, S. 75 f.: Meibom notierte hierzu, dass die Besetzung der Kriminalgerichte dem Ministerium Hassenpflug Gewähr dafür bot, dass „in seinem Sinne erkannt werde. Ständig besetzt waren nur die Stellen des Direktors und eines Assessors, das zur kollegialen Erkenntnis nötige dritte Mitglied wurde für die einzelnen Sitzungen nach Belieben des Direktors aus den Unterrichtern des Bezirks zugezogen. Durch die Verminderung der höheren Richterstellen ergab sich die Möglichkeit, die vorzugsweise missliebigen Mitglieder der Obergerichte mit ¾ ihres Gehalts zur Disposition zu stellen.“

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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schen Gesetzes. In Konsequenz hierzu wurde bestimmt, dass Geschworene keine Tagegelder mehr erhielten. Auch das Verfahren zur Bildung der Jury wurde abgeändert. Zunächst hatte ein jeder Ortsvorstand die von ihm festgestellte Urliste an das betreffende Landratsamt einzusenden. Dieses hatte sodann die gesammelten Urlisten der Regierung der Provinz vorzulegen. Diese wiederum hatte die Urlisten definitiv festzustellen und daraus für einen jeden Kriminalgerichtsbezirk eine besondere Liste zu fertigen. Aus dieser waren für den jeweiligen Bezirk diejenigen Personen auszuwählen, die zu dem Amte eines Geschworenen für das bevorstehende Geschäftsjahr als geeignet erachtet wurden. Daneben sollte von der Regierung eine Liste geeigneter Ergänzungsgeschworener aus den Personen zusammen gestellt werden, welche an den Hauptorten der Kriminalgerichte oder in deren nächster Umgebung wohnten und deren Zahl nach Ermessen zu bestimmen war. Vierzehn Tage vor dem Beginn einer Schwurgerichtsperiode des betreffenden Kriminalgerichts hatte die Regierung ein Verzeichnis von sechzig in der Jahresliste aufgeführten Personen an den Direktor des betreffenden Obergerichts zu senden. Diesem war auch die Ergänzungsliste mitzuteilen. Der Obergerichtsdirektor hatte dann aus diesem Verzeichnis sechsunddreißig geeignete Personen nach seinem Ermessen auszuwählen und diese zu Geschworenen bei dem Geschworenengericht für die bevorstehende Sitzungsperiode zu berufen. Das Innenministerium hatte noch im September 1851 angeordnet, dass sich die Regierungen auf die neuen Vorschriften bei Aufstellung der Urlisten unter Berücksichtigung des eingeführten Zensus einrichten sollten, damit die Auswahl der Geschworenen für das kommende Jahr entsprechend stattfinden konnte935. In Bezug auf die Auswahl der Geschworenen ist noch auf eine Anweisung Hassenpflugs hinzuweisen, die im Jahre 1852 an die Regierungen ergangen ist936. Danach sollte die Zulassung von Juden zu dem Amte eines Geschworenen nicht mehr als statthaft angesehen werden können, da nach deren religiösen Wertvorstellungen ein Eid, wie er nach der Strafprozessordnung zu leisten sei, von ihnen als nicht verbindlich gehalten werde. Dieses sei in letzter Zeit mehrfach in Erfahrung gebracht worden. Daher sollte eine Aufnahme von Juden in die nach § 42 Absatz 6, 7 und 8 des provisorischen Gesetzes zu bildenden Listen künftig unterbleiben. Ob dies in der Folgezeit tatsächlich eingehalten worden ist, war nicht festzustellen. 935

Protokoll des Innenministeriums vom 15. September 1851, Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2574. 936 Beschluss des Innenministeriums vom 19. März 1852, Hess. StA Marburg, 18 Nr. 2574.

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E. Beschränkungen der Schwurgerichtsbarkeit durch Gesetz des Jahres 1851

3. Die weitere Entwicklung Das provisorische Gesetz vom 22. Juli 1851 blieb für die Strafrechtspflege in den kommenden Jahren maßgeblich, auch wenn trotz langjähriger Beratungen eine endgültige Beschlussfassung hierzu nicht erfolgen sollte. Erst das Jahr 1863 brachte eine erneute Änderung im Strafverfahren mit dem Gerichtsverfassungsgesetz und der Strafprozessordnung vom 28. Oktober 1863937. Die gesetzlichen Regelungen, mit denen die Bestimmungen des provisorischen Gesetzes von 1851 rückgängig gemacht und das Strafverfahrensgesetz des Jahres 1848 aufgehoben wurde, und insbesondere wieder die vormalige Gerichtsorganisation unter Wegfall der Kriminalgerichte herbeiführte, werden bei Amrhein näher dargestellt. Hierauf sei verwiesen938. Bedeutende politische Auseinandersetzungen zur Schwurgerichtsfrage wurden nach der Rückkehr der Reaktion seit 1850 nicht mehr geführt. Die Geschworenengerichte blieben aber weiterhin wesentlicher Bestandteil der kurhessischen Strafrechtspflege, die durch die Gesetzgebung des Jahres 1863 auch hinsichtlich der Geschworenengerichte einige Verbesserungen erfahren sollte939. An eine gänzliche Abschaffung hatte auch Hassenpflug seinerzeit nicht gedacht. Nach Anweisung der Regierung hatte Staatsprokurator Möli940 am 7. August 1852 einen Entwurf einer neuen Strafprozessordnung auf der Grundlage der provisorischen Gesetze vorgelegt. Er sah die Beibehaltung der Schwurgerichtsbarkeit ausdrücklich vor und nahm in dieser Hinsicht Detailveränderungen vor941. Eine Zuständigkeit für Pressevergehen war auch hier nicht vorgesehen. Schließlich war die kurhessische Reaktion dem Bundespreßgesetz von 1854 zuvorgekommen. Dort war in § 22 vorgesehen, dass eine vorzugsweise Verweisung der durch die Presse begangenen strafbaren Handlungen vor das Geschworenengericht nicht stattfinden solle942. In 937

SG, 16. Band, 1863, S. 97 ff., 124 ff. Amrhein, S. 112 ff. 939 Ebd., S. 114 f.; In die Zuständigkeit der Geschworenengerichte fielen nun aber wieder alle Anklagen wegen Hoch- und Landesverrats und Majestätsbeleidigungen, es sei denn, diese waren unmittelbar gegen den Landesherrn gerichtet. Ferner waren sie zuständig für Anklagen wegen Aufruhr, Meineid, Tötung, Notzucht und Schändung, Brandstiftung und Raub, sofern eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr in Betracht kam. Bei sonstigen Vergehen war die Zuständigkeit begründet, wenn auf eine längere als fünfjährige Freiheitsstrafe zu erkennen war, § 23 des Gerichtsverfassungsgesetzes. 940 Ludwig Möli (1817–1894) war 1850 bis 1856 Staatsprokurator in Kassel und 1863 Landtagskommissar. 941 Der Entwurf mit Anmerkungen ist enthalten in den Akten Hess. StA Marburg, 250 Nr. 395. 942 Die Verfassung des Jahres 1852 bestimmte in § 26, dass über die Verhältnisse der Presse und des Buchhandels die bundesgesetzlichen Regelungen entscheiden sollten; zu den Veränderungen in der Verfassung im Verhältnis zu der Verfassungs938

II. Das provisorische Gesetz vom 22.7.1851

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vielen Staaten wurden in dieser Zeit die politischen und Pressedelikte der Schwurgerichtsbarkeit entzogen. In den süddeutschen Staaten Baden, Württemberg und Bayern blieben sie erhalten943. Mit der Annexion durch Preußen erhielt Kurhessen im Jahr 1867 das preußische Strafgesetzbuch und die preußische Strafprozessordnung, bevor 1877 nach der Gründung des deutschen Reichs die Reichsstrafprozessordnung auch in den vormals kurhessischen Gebieten in Kraft treten sollte. Eine Darstellung der weiteren Entwicklungen auch unter Berücksichtigung der Abschaffung der Schwurgerichtsbarkeit durch die Emminger-Verordnung im Jahre 1924 findet sich bei Hadding in seiner Untersuchung über den Schwurgerichtsgedanken seit 1848, worauf verwiesen werden darf. Schon in den 70er Jahren war eine zunehmend kritische Einstellung zu den Geschworenengerichten festzustellen944. Das Geschworenengericht sollte keine bleibende Einrichtung im deutschen Rechtsleben werden. Es blieb Episode und letztlich auch in der kurhessischen Geschichte eine Einrichtung mit vornehmlich politischem Charakter.

urkunde des Jahres 1831 siehe Promemoria der kurhessischen Staatsregierung aus dem September 1851, teilweise abgedruckt bei Seier, Akten und Dokumente, Dok. Nr. 70, S. 169 ff. 943 Vgl. den Überblick bei Landau, S. 286 f. 944 Vgl. dazu Hadding, S. 61 ff.

F. Schlussbetrachtung Die Schwurgerichtsfrage hatte in Kurhessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen weit überwiegend politischen Charakter. Ihre jeweilige Aktualität zeichnet die politische Fieberkurve in dieser Zeit nach. Das Geschworenengericht galt auch hier nicht nur als Schutzeinrichtung gegen obrigkeitsstaatliche Willkür, sondern zugleich als förderndes Instrument zur Ausübung bürgerlicher Freiheitsrechte. Die uneingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit schienen ohne den Flankenschutz der Schwurgerichtsbarkeit undenkbar. So wurde sie gerade dann am leidenschaftlichsten eingefordert, als das öffentliche Leben, angestoßen durch revolutionäre Ereignisse, aufzublühen begann. Dies belegen die hierzu geführten Diskussionen in den Jahren 1831 und 1848 eindrucksvoll. Freilich hatten die Geschworenengerichte auch ihre Bedeutung in der Diskussion um eine grundlegende Reform in der Strafrechtspflege zur Überwindung des gefürchteten Inquisitionsprozesses. Das Für und Wider in Bezug auf die Wahrheitsfindung und Schuldigsprechung durch eine Laienjury wurde insbesondere mit Blick auf die Situation in den Rheinlanden und in Frankreich umfassend diskutiert. Die Geschworenengerichte galten in bedeutenden Teilen der Rechtswissenschaft und der strafrechtlichen Praxis als nicht unverzichtbar. Eine sinnvolle und zunächst befriedigende Strafrechtsreform schien auch ohne sie machbar. Ein ungelöstes Problem stellte jedoch bei Allem der Indizienprozess dar. Eine Beweisführung auf Anzeigen und ohne direkte Beweise war auch nach Abschaffung der Folter in Kurhessen nach einem sich herausbildenden Gerichtsgebrauch zulässig. Die Rechtsprechung der kurhessischen Gerichte hatte hierfür die Grundlagen geschaffen. Nicht zuletzt das Oberappellationsgericht hatte sich bemüht, nachvollziehbare und zuverlässige Kriterien für den Indizienbeweis aufzustellen und sie den Strafgerichten an die Hand zu geben. Diese Kriterien hatte das oberste Gericht im Rahmen des Freispruchs im Verfahren gegen Sylvester Jordan bestätigt. Allein es wurde deutlich, dass sie im Gerichtsalltag nicht sicher zu handhaben waren, ebenso wie es unmöglich erschien, eine überzeugende Beweistheorie aufzustellen. Der Indizienbeweis war unzweifelhaft missbrauchsanfällig. Aber es bedurfte schon eines aufsehenerregenden politischen Prozesses, um aus diesem Gebrechen des strafrechtlichen Alltags eine lautstarke Forderung nach unbedingter Einführung der Geschworenengerichte abzuleiten, der sich am Ende auch die Rechtsgelehrten nicht mehr verschließen konnten.

F. Schlussbetrachtung

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Die Schwurgerichtsbarkeit blieb trotz der unmittelbaren Erfahrungen aus der westphälischen Zeit in Kurhessen ein vornehmlich abstraktes, grundsätzliches Thema. Mit der näheren inhaltlichen Ausgestaltung hatte man sich weder hier noch im restlichen Deutschland außerhalb der Rheinlande näher beschäftigt. Hierzu hatte man wohl auch keine nähere Veranlassung gesehen, da das französische Geschworenengericht als moderne effektive Einrichtung vor Augen und ohne weiteres zur Übernahme bereit stand. Es war für die Schwurgerichtsfrage nachteilig, dass die Jury im Wesentlichen aus dem Blickwinkel einer Abwehrhaltung gegen den Obrigkeitsstaat gesehen wurde und nicht im positiven Sinne als ein wesentlicher Bestandteil der lebendigen Verfassung. Die westphälische Zeit und die mit Hassenpflug zurückgekehrte Reaktion haben zudem eindrucksvoll belegt, dass die Schwurgerichtsbarkeit jedenfalls, um ihrer Bedeutung als Schutzeinrichtung gerecht werden zu können, selbst des unbedingten verfassungsrechtlichen Schutzes vor Eingriffen und Beschränkungen bedarf.

Anhang 1 Der Prozess gegen Friedrich Oetker Vorbemerkung Im Jahr 1850 fand vor dem Geschworenengericht in Kassel der bedeutende Presseprozess gegen Friedrich Oetker statt. Er endete mit einem Freispruch. Während der Verhandlung waren wohl auf Veranlassung Oetkers Stenographen anwesend, die ihren Ablauf dokumentierten. So konnte bereits kurze Zeit später die Schrift „Die Redlichkeit und das Ehrgefühl des Ministeriums Hassenpflug vor dem Schwurgerichte zu Kassel“ veröffentlicht werden. Diese ist nachfolgend mit Hinweisen auf die einschlägigen gesetzlichen Verfahrensbestimmungen und unter Vornahme einiger Kürzungen wiedergegeben. Von der Wiedergabe des vollständigen Beitrages aus der Neuen Hessischen Zeitung, der Anlass zur Einleitung des Verfahrens gegen Oetker als Herausgeber des Blattes gegeben hatte, wurde abgesehen. Sein wesentlicher Inhalt erschließt sich aus den protokollierten Verhandlungen, insbesondere der Beweisaufnahme. Der in diesem Anhang mitgeteilte Text soll insbesondere den Ablauf eines Prozesses vor einer Jury anschaulich und die bedeutenden Äußerungen der Verfahrensbeteiligten zur politischen Bedeutung der Schwurgerichtsbarkeit in diesem Kontext nachvollziehbar machen. Daher erschien es zulässig, einige Passagen der Schrift aus dem Jahre 1850 weg zu lassen, die zu dem hier verfolgten Zweck nicht unbedingt erforderlich sind. Anlass für die strafrechtliche Verfolgung von Friedrich Oetker war ein Artikel in Nummer 243 der Neuen Hessischen Zeitung vom 27. Mai 1850 mit der Überschrift „Unsere Lage“, dessen vorletzter Absatz lautete: „Andere Dinge hat unsere Regierung bisher nicht an das Licht befördert. Ihr Charakter ist also mit einem Worte ausgesprochen: es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl.“ Verfasser des Beitrags war der Marburger Professor von Sybel, dessen Urheberschaft jedoch seinerzeit nicht bekannt gemacht worden war, so dass sich die strafrechtliche Verfolgung gegen den Herausgeber der Zeitung richtete. Auszug1 aus „Die Redlichkeit und das Ehrgefühl des Ministeriums Hassenpflug vor dem Schwurgerichte zu Kassel“: Durch Ministerialbeschluß vom 28. Mai 1850, unterzeichnet vom Herrn Staatsminister Hassenpflug, wurde bei der Staatsprokuratur zu Kassel die gerichtliche Verfolgung des verantwortlichen Herausgebers der Zeitung wegen des vorletzten Absatzes, veranlaßt. Am 7. Juni erfolgte die Vernehmung vor dem Instruktionsrichter; un1

Oetker, Redlichkeit, S. 5 ff.

Der Prozess gegen Friedrich Oetker

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term 24. Juni ertheilte die Rathskammer den Verweisungsbeschluß2, und am 1. Juli erfolgte von der Anklagekammer zu Marburg3 folgendes Anklageerkenntniß4: „Nach Verlesung des Beschlusses der Rathskammer des Obergerichts zu Kassel vom 24. Juni d. J., durch welchen wider den verantwortlichen Herausgeber der Neuen Hessischen Zeitung, Obergerichtsanwalt Friedrich Oetker zu Kassel, 40 Jahre alt, wegen Preßvergehens, die Sache an die hiesige Rathskammer5 verwiesen worden ist; nach Vorlesung ferner aus den wider den Vorgenannten geführten Instruktionsakten, nach erfolgter Verzichtleistung des Angezeigten auf Einreichung einer Denkschrift, und des schriftlichen Antrages des hiesigen Staatsprokurators; nach Anhörung mündlichen Vortrages des letzteren; nach erfolgter Berathung in Abwesenheit des Staatsprokurators; in Erwägung: Daß nach den begründeten Annahmen des vorerwähnten Verweisungsbeschlusses hinreichender Verdacht wider den Beschuldigten vorliegt, sich eines Preßvergehens dadurch schuldig gemacht zu haben, daß er als verantwortlicher Herausgeber der Neuen Hessischen Zeitung in die Nr. 243 vom 27. Mai 1850 dieses Tageblattes politischen Inhalts einen, „Unsere Lage“ überschriebenen, Aufsatz, dessen Verfasser nicht benannt ist, aufgenommen habe, worin eine Stelle folgenden, an sich beleidigenden Inhalts: „Ihr (der kurhessischen Regierung) Charakter ist also mit einem Worte ausgesprochen: es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl“ vorkommt; daß dies angezeigte Preßvergehen nicht unter die Bestimmung des §. 22 des Gesetzes wider Preßvergehen vom 26. August 1848 fällt und daher solches nach §. 54 pos. 6 des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 31. Oktober 1848 von einem Schwurgerichte abzuurtheilen ist; nach Ansicht des Strafproceßgesetzes vom 31. Oktober 1848, §. 189, wird gegen vorgenannten Obergerichtsanwalt Friedrich Oetker zu Kassel, wegen des bezeichneten Preßvergehens die Anklage erkannt, die Sache vor das Schwurgericht in dem Bezirke des Obergerichts zu Kassel verwiesen und die Anfertigung des Anklageaktes verordnet. Dies Erkenntniß nebst den Akten wird unter Beifügung einer Abschrift des ersteren dem hiesigen Staatsprokurator zugefertigt. Marburg, am 1. Juli 1850. (gez.) Becker, Völker, Baumgard, Ende, Ganslandt.“6 Am 6. Juli fand das s. g. Direktorialverhör von Seiten des Schwurgerichtspräsidenten, Obergerichtsraths v. Haynau, Statt, wobei die s. g. Einrede der Wahrheit 2 § 179 des Gesetzes die Umbildung des Strafverfahrens betreffend; Die nachfolgend angeführten Paragrafen ohne nähere Bezeichnung sind solche des vorgenannten Gesetzes. 3 Siehe § 25 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation. 4 § 189. 5 Richtigerweise musste es „Anklagekammer“ heißen, vgl. § 179. 6 Die Anklagekammer bestand nach § 28 Nr. 2) b. des Gesetzes über die Gerichtsorganisation aus fünf Richtern des Obergerichts.

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Anhang 1

als Strafausschließungs- und eventuell Strafmilderungsgrund vorgeschützt und die Vorladung folgender Zeugen beantragt wurde: 1) des Geheimraths Lometsch zu Kassel, 2) des Obersteuerdirektors Pfeiffer daselbst, 3) des Professors Dr. Wetzell zu Marburg, 4) des Staatsministers Hassenpflug, 5) des Legationsraths v. Baumbach, 6) des Obergerichtsraths Abée, 7) des Obergerichtsanwalts Schwarzenberg, 8) des Oberpostmeisters Nebelthau, und 9) des Landsyndikus Dircks, sämmtlich zu Kassel. – Am 7. Juli lehnte Hr. v. Haynau die Präsidentschaft in der Sache ab, weil er mit dem mitbetheiligten Kriegsministerialvorstand v. Haynau verwandt sei; der Angeklagte erklärte jedoch, daß er gegen die Leitung der Verhandlung durch Hrn. v. Haynau Nichts zu erinnern habe. Das Oberappellationsgericht beließ Herrn v. Haynau die Sache. Unterm 17. Juli gab dieser in Betreff der Zeugenvorladung folgende Verfügung: „Der Antrag des Angeklagten, dermalige Mitglieder des kurhessischen Ministeriums als Entlastungszeugen zum öffentlichen Verhandlungstermine vorzuladen, wird in Betracht, daß die gedachten Ministerialmitglieder im untergebenen Falle, nach der eigenen Darstellung des Angeklagten, als unzulässige Zeugen erscheinen, indem dieselben solche Thatsachen bekunden sollen, wodurch der Angeklagte das in der inkriminierten Druckschrift enthaltene, von der Staatsbehörde als beleidigend bezeichnete Urtheil als gerechtfertigt, eventuell wenigstens seine Strafbarkeit als gemildert betrachtet wissen will, sodaß also die gedachten Zeugen, wenn sie nach der Intention des Angeklagten aussagen würden, ein Zeugniß über ihre eigene Schande (de propria turpitudine) abgeben müßten; daß außerdem dieselben beim Ausgange dieses Strafprozesses unmittelbar interessirt erscheinen, da sie die angezeigten Träger der, nach der Anklageakte beleidigten Regierung sind, nach Ansicht des §. 73 des Strafprozeßgesetzes vom 31. Oktober 1848, zurückgewiesen. Kassel am 17. Juli 1850. Der Sitzungspräsident Haynau, Obergerichtsrath.“ Eine Beschwerde hiergegen blieb ohne Erfolg. Das Oberappellationsgericht erkannte die einstweilige Kompetenz des Sitzungspräsidenten zu dergleichen Aussprüchen durch Dekret vom 19. Juli an. Dagegen wurde von Seiten der Staatsprokuratur in Gemäßheit des §. 47 der Strafprozeßordnung auf Verlangen des Angeklagten die Vorladung sämmtlicher Zeugen bei Strafe vorgenommen. Ebenso wurde eine nachträglich benannte Auskunftsperson, Konsistorialrath Vilmar zu Kassel, noch vorgeladen. Hierauf bestimmte der Präsident den 25. Juli zu den mündlichen Verhandlungen, welche von Morgens 9 Uhr bis 1 Uhr und Nachmittags von 3 bis 8 in folgender Weise Statt fanden. Präsident: Obergerichtsrath v. Haynau. Richter: Obergerichtsräthe Rohde und Bähr und Obergerichtsassessoren Martin und Ledderhose. Staatsprokurator: Amtsaktuar Hille von Bockenheim. Vertheidiger: Obergerichtsanwalt Dr. Karl Oetker7, Dr. A. Pfaff von Kassel und Professor Dr. v. Sybel von Marburg. 7 Karl Oetker (1822–1893) war Bruder von Friedrich Oetker und Obergerichtsanwalt in Kassel.

Der Prozess gegen Friedrich Oetker

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Nachdem 30 Geschworne anwesend sind, erklärt der Präsident die Sitzung für eröffnet8. Die Sache wird aufgerufen und der Angeklagte tritt ein. Der Präsident: Ich habe mich zunächst zu überzeugen, ob einer oder der andere der anwesenden Geschwornen verhindert ist, in dieser Strafsache das Amt eines Geschwornen auszuüben9. Ehe ich dies thue, muß ich indessen eines Umstandes erwähnen, der auffallend erscheinen könnte, nämlich, daß ich mich bei der Verhandlung dieser Strafsache betheilige, obwohl ich mit einem der Mitglieder des gegenwärtigen Ministeriums verwandt bin. Ich habe die Sache dem Oberappellationsgericht vorgelegt und will das von demselben ertheilte Dekret verlesen: Der Präsident verlas sodann die Entscheidung der Kriminalkammer des Oberappellationsgerichts, wonach das Gesuch des Sitzungspräsidenten zurückgewiesen worden war. Die betreffende Stelle des der Anklage zugrunde liegenden Aufsatzes richte sich weder ausdrücklich gegen den dermaligen Vorstand des Kriegsministeriums, noch trete derselbe als Privatkläger oder Beleidigter auf. Ein Misstrauen gegen die unbefangene Verwaltung des Richteramtes sei aus den Gesamtumständen und den eigenen Bekundungen des Angeklagten nicht abzuleiten. Der Präsident überzeugt sich sodann durch Befragung des Staatsprokurators, des Angeklagten und der Geschwornen, daß keiner derselben unfähig ist, in dieser Sache das Amt eines solchen auszuüben. Es werden hierauf die Namen gezogen und folgende Personen zu Geschwornen bestimmt10: 1) Hutfabrikant Vogt von Kassel; 2) Rentier Vogeley von Eschwege; 3) Kaufmann Bretthauer von Karlshafen; 4) Tapezier Klingelhöfer von Kassel; 5) Blankschmied Lange von Bernawahlshausen; 6) Oekonom Neutze von Niedermeiser; 7) Bäckermeister Bierner von Kassel; 8) Kaufmann Breda von Kassel; 9) Schreinermeister Lücken von Kassel; 10) Tuchmachermeister Heinemann von Eschwege; 11) Konduktor Vaupel von Niederhohne; 12) Kaufmann Möller von Kassel. Der Präsident vernimmt sodann den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse11, verliest das Leumundszeugnis des Oberbürgermeisters, nach welchem derselbe in sehr gutem Rufe steht, beeidigt die Geschwornen12 und fordert den Angeklagten zur Aufmerksamkeit auf sämmtliche nunmehr folgenden Verhandlungen und zum Freimuth in der Vertheidigung nach jeder Richtung auf, ermahnt aber auch den Angeklagten, wie seine Vertheidiger, diesen Freimuth in keiner Weise zu übertreiben. Der Präsident läßt das Anklageerkenntnis und den Anklageakt verlesen13. Der letztere lautet: „Anklageakt wider den Obergerichtsanwalt Friedrich Oetker zu Kassel, wegen Preßvergehens. 8

§ 279. § 281, wonach allerdings nur die in §236 aufgeführten relativen Ausschließungsgründe grundsätzliche Berücksichtigung fanden. 10 § 283. 11 § 294. 12 Siehe die Eidesformel in § 295. 13 § 298. 9

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Anhang 1

Die am 27. Mai d. J. in Kassel erschienene Morgenausgabe der Neuen Hessischen Zeitung (Nr. 243) enthält einen Artikel, überschrieben: „Unsere Lage“, dessen vorletzter Absatz also lautet: ‚Andere Dinge hat unsere Regierung bisher nicht an das Licht befördert. Ihr Charakter ist also mit einem Worte ausgesprochen: es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl.‘ Verantwortlicher Herausgeber der Neuen Hessischen Zeitung ist Obergerichtsanwalt Friedrich Oetker dahier, 40 Jahre alt, vermögend und sehr guten Rufes. Er hat eingestanden, den bezeichneten Artikel, welcher in den angeführten Worten eine unverkennbare Beleidigung der Regierung enthält, aufgenommen zu haben, und ich beantrage daher, unter Bezugnahme auf §. 16 des Gesetzes vom 26. August 1848, ihn nach gepflogener öffentlicher Gerichtsverhandlung wegen des bezeichneten Preßvergehens zu einer angemessenen Geldstrafe und in die Kosten des Verfahrens zu verurtheilen. Kassel, am 4. Juli 1850. Der Staatsprokurator: Brauns v. c. Der Ankläger erhält hierauf das Wort zur weiteren Entwicklung des Anklageaktes14. Der Staatsprokurator: Ich beabsichtige von der mir durch das Strafprozeßgesetz ertheilten Befugnis Gebrauch zu machen, von Vornherein Einwendungen gegen den aufzunehmenden Entschuldigungsbeweis zu erheben. Der Angeklagte hat im Vorverfahren Das, was er zu seiner Vertheidigung vorzubringen hat, der öffentlichen Gerichtsverhandlung vorbehalten und dagegen in dem mit ihm von dem Sitzungspräsidenten abgehaltenen Verhör auf die Frage, ob er zu seiner Vertheidigung noch neue Umstände und Beweismittel anzugeben habe, folgende Erklärung abgegeben: „Er bitte den Staatsminister Hassenpflug, Legationsrath Alexander v. Baumbach, Geheimerath Lometsch, Obergerichtsrath Abée, Obersteuerdirektor Pfeiffer, Professor Dr. Wetzell, Obergerichtsanwalt Schwarzenberg, Landsyndikus Dircks, Oberpostmeister Nebelthau, sämmtlich mit Ausnahme des (Prof. Dr.) Wetzell dahier, letzterer zu Marburg wohnhaft, als Entlastungszeugen vorzuladen und demnächst darüber zu vernehmen, daß die ausgesprochenen Urtheile wahr seien und auf erhebliche Thatsachen sich stützen und daß ihm jede Absicht zu beleidigen fremd gewesen sei. Auf die Wahrheit der Thatsachen wolle er Bezug nehmen, indem sie, wenn auch vielleicht nicht als strafausschließend, jeden Falls als strafmildernde Umstände in Betracht kommen würden. Für den Fall, daß es nöthig sein sollte, alsbald besondere Thatsachen anzuführen, über welche die benannten Zeugen vernommen werden sollten, wolle er beispielsweise bemerken: 1) daß Kurhessen dem am 26. Mai 1849 zwischen Preußen, Hannover und Sachsen abgeschlossenen Bündnisse in allen Stücken und ohne Vorbehalt beigetreten sei, daß weiter die kurhessische Regierung sich ohne Grund von diesem Bündnisse eigenmächtig getrennt habe und ihren vertragsmäßigen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, ohne auf die Mahnungen der Volksvertretung und die Stimme der Ehre, sowie der öffentlichen Meinung zu achten; 14

§ 299.

Der Prozess gegen Friedrich Oetker

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2) daß die Ständeversammlung wiederholt und einhellig Misstrauensvoten gegen die dermaligen Minister und Rathgeber der Krone beschlossen hätte, hierauf aber von Seiten der Regierung nicht wie es dem konstitutionellen System und der wahren politischen Ehre entsprechend gewesen, die nöthige Rücksicht genommen sei.“ Hieraus wird es deutlich und klar, daß das in dem inkriminierten Artikel der Neuen Hessischen Zeitung enthaltene Urtheil nicht bloß gegen einzelne, sondern gegen sämmtliche Mitglieder des Ministeriums gerichtet war. Der Angeklagte hat also anerkannt, was ich ihm sonst gegenüber zu behaupten und nachzuweisen gehabt haben würde, was und wen er unter dem in der betreffenden Stelle enthaltenen Ausdruck „Regierung“ verstanden wissen will. Sodann ergibt sich, daß der Angeklagte die ihm drohende Strafe durch den Beweis der Einrede der Wahrheit wenn nicht auszuschließen, doch zu mildern beabsichtigt . . .. Der Staatsprokurator führte zunächst grundsätzliche rechtliche Erwägungen an, die gegen die Zulässigkeit eines solchen Beweises sprächen. . . . Der Angekl. hat mittelbar zugestanden, daß in der inkriminirten Stelle an sich ein herabwürdigendes Urtheil enthalten sei, er will das dadurch nur rechtfertigen, daß er behauptet es sei wahr, und will zu dem Ende gewisse politische Akte der Regierung, die seine Behauptung rechtfertigen sollen, beweisen. Dabei setzt er voraus, daß mit dem Beweis dieser Akte auch die Immoralität derselben bewiesen sei – Doch nein – die Zeugen, die ihm die fraglichen Akte erhärten sollen, sollen auch urtheilen und beweisen, daß diese Akte den Gesetzen der Ehre, Redlichkeit und Zuverlässigkeit widersprechen, sie sollen gewissermaßen des Angeklagten Eideshelfer sein, mit denen er den Geschworenen einen Fall aus der politisch-moralischen Kasuistik klar und wahr machen will. Zunächst also müßten jene politischen Akte der Regierung, die der Geschichte angehören werden, durch Zeugen dargethan werden, dann aber müssen, – die Möglichkeit einer solchen Wahrmachung unterstellt – die Geschworenen ein sittliches Verdikt fällen, ob jene politischen Thatsachen auch ein solches Verdammungsurtheil verdienen. Ich bin weit davon entfernt, erörtern zu wollen, ob in der Politik, namentlich der höheren, in der nationalen Politik, ganz derselbe Maßstab hinsichtlich der Moral und der Ehre angelegt werden müsse, als im bürgerlichen Leben; aber erwähnen muß ich, daß in Bezug auf Moral und Ehre in der Politik noch weit mehr als im bürgerlichen Leben die höchste Vorsicht im Urtheile zu empfehlen ist. Wer getraut sich namentlich in den chaotischen Zuständen, in denen sich jetzt die Politik Deutschlands befindet, ein solches Urtheil zu fällen, ein Urtheil, das doch stets ein individuelles bleiben würde? Der Ausspruch der Geschworenen über die Immoralität politischer Akte ist notwendig, wenn die Einrede der Wahrheit zugelassen werden soll, ein Ausspruch ohne Gehör der Betheiligten, ohne genügende Kenntniß der Verhältnisse, der Verträge, der diplomatischen Aktenstücke, des dermaligen Standes der deutschen und kurhessischen Politik überhaupt. – Es scheint mir auch, als ob die Einrede nicht unter dem Gesichtspunkte zugelassen werden könnte, daß der Angeklagte durch die fraglichen Akte der Regierung in den Glauben versetzt sei, diese seien aus einem Defizit an Ehrgefühl und Redlichkeit entsprungen, denn auf die inneren Motive, auf die innere Veranlassung, durch welche Jemand bestimmt wird, eine Beleidigung auszustoßen, kommt es nicht an. Der Beleidiger mag noch so sehr davon überzeugt sein, daß sein ungünstiges Urtheil Wahrheit enthalte, den Richter kann das nicht kümmern, der Richter hat das verletzte Recht herzustellen und darf es

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dem Verurtheilten überlassen, sich in sein Bewußtsein zurückzuziehen. Ließe man die Einrede unter dieser zuletzt erwähnten Auffassung zu, so würde man zur Hinterthür hereinlassen, was zur Vorderthür hinausgeworfen worden. Es käme dann auf den ungeheuerlichen Beweis hinaus, ob der Angeklagte in seinem Innern ihn rechtfertigende innere Gründe zur Fällung jenes Urtheils gehabt habe. Aber nicht allein juristische, und, Sie erlauben mir dieses Wort, sittliche Gründe, sondern auch ein seltsamer faktischer Grund machen den Beweis der Einrede unzulässig. Es kann dieselbe doch nur zugelassen werden, wenn sie auf Strafausschließung oder Milderung gerichtet ist. Die Einrede muß also nach Vorschrift des §. 318 des Strafprozeßgesetzes geeignet sein, den Geschworenen zur Verantwortung vorgelegt zu werden; mir scheint es aber, als ob eine Fragestellung, in welcher die Einrede mit ihren nöthigen Abtheilungen und Unterabtheilungen faktischen, moralischen und staatsrechtlichen Inhalts untergebracht würde, nicht aufzufinden wäre. Ich glaube hiernach, die Verwerfung des Beweises der Wahrheit als unzulässig und unerheblich beantragen zu dürfen. Entscheidet das Gericht nach meinem Antrage, so würde es eine Besprechung, in wie weit die vom Angeklagten zur Erhärtung vorgeschlagenen Beweismittel unzulässig seien, nicht weiter bedürfen; entscheidet das Gericht gegen meinen Antrag, so behalte ich mir meine Einwendungen bei der Abhörung jedes einzelnen Zeugen vor . . . Der Ankläger wandte sich gegen eine Zeugenvernehmung zum Nachweis der fehlenden Beleidigungsabsicht. Es genüge die allgemeine Zurechnungsfähigkeit und das sicherlich vorhandene Bewusstsein der Rechtswidrigkeit. . . . Ich bitte auch in dieser Beziehung die Beweisaufnahme zu verwerfen und brauche wohl nicht zu bemerken, daß bei inneren Thatsachen nach unzweifelhaftem Rechte der Beweis durch Zeugen nie zulässig und nie möglich ist, namentlich wenn die Negative eines inneren Faktums bewiesen werden soll. Meine Herren Geschwornen! Die Sache, um die es sich hier handelt, ist klar und einfach. Der Angeklagte hat die Thatfrage, ob er den inkriminirten Artikel zu vertreten habe, selbst entschieden. Die Rechtsfrage, ob in dem Artikel eine Beleidigung enthalten sei, kann ebenwohl unzweifelhaft nur zum Nachtheile des Angeklagten entschieden werden. Ihr Schuldig wird für denselben eine Geldstrafe von mäßigem Betrage zur Folge haben, und trotz dieser einfachen Lage der Dinge sehe ich ein so außerordentlich zahlreiches Publikum und doch sind Stenographen da – eine unerhörte Erscheinung in diesem Saale – und doch hat der eine Angeklagte drei Vertheidiger und zwar Notabilitäten aus dem Bereiche juristischer, publizistischer und parlamentarischer Beredtsamkeit; auch hat diese Angelegenheit seit Wochen eine Besprechung in den öffentlichen Blättern erfahren, welche sehr geeignet ist, diese höchst bescheidene Sache zu einer cause celèbre, zu einem politischen Prozesse erster Größe zu erheben. Es will mir scheinen – und ich glaube Gründe dafür zu haben – daß die Vertheidigung die Sache auf den Partheistandpunkt ziehen werde; Ihnen will ich es überlassen, ob Sie es mit ihrer beschworenen Richterpflicht übereinstimmend halten, dem Angeklagten auf diesen Standpunkt zu folgen. – Der Staatsprokurator überreicht zugleich die Bescheinigungen über die geschehenen Vorladungen. Der Präsident: Auf den Grund des §. 300 des Strafproceßgesetzes ist es dem Angeklagten gestattet, über die Ausführung der Staatsbehörde, welche gegen die Zulässigkeit des Beweises gerichtet ist, das Wort zu ergreifen. Oder will er solches den Vertheidigern überlassen?

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Der Angeklagte: Ich will zunächst selbst einige Worte erwidern und vor Allem die Aufmerksamkeit darauf zu lenken suchen, daß der Herr Ankläger fortwährend die bürgerlichen Beziehungen, die bürgerliche Ehre, die Privatstellung der Minister etc. in die Begründung der Anklage gebracht hat. Ich halte das für eine durchaus unrichtige Auffassung der Sache. Wir haben es hier nicht zu thun mit der bürgerlichen Stellung bestimmter Personen, auch nicht mit einzelnen Ministern, sondern mit der Regierung als einer moralischen Person, einer Behörde. Wir haben nicht die bürgerlichen und Privatverhältnisse in das Auge zu fassen, sondern die öffentlichen, und wenn die Rede davon ist, daß die Zuverlässigkeit Derer, welche die öffentliche Stellung einnehmen, in Zweifel komme, so ist das nicht die Zuverlässigkeit, die wir von einer Privatperson fordern, sondern es ist die Zuverlässigkeit und Redlichkeit, die wir von der Regierung des Landes erwarten. Es ist auch nicht von Privatehre hier die Rede, sondern von der politischen Ehre. Der fragliche Artikel kann darüber Niemanden in Zweifel lassen. Es sind darin ausdrücklich die Wendungen „politische Entwickelung“ und „stumpfe Unempfindlichkeit gegen politische Ehre“ etc. gebraucht. Die Anklage geht sodann davon aus, daß der Artikel eine sog. formelle Injurie enthalte. Ich muß das bestreiten. Eine formelle Injurie könnte nur vorhanden sein, wenn sich Schimpfworte in jener Stelle fänden, oder wenn die Veröffentlichung des Artikels von der Art gewesen wäre, daß schon darin eine Beleidigung läge, Keins von beiden ist aber der Fall. Es handelt sich um einfache Thatsachen und Behauptungen. Wer den Artikel gelesen hat, der wird überzeugt sein, daß der Verfasser nicht darauf ausgegangen ist, irgend eine Beleidigung zu sagen; der Artikel enthält ein ernstes Urtheil in einer ernsten Sache, und wenn dieses scharf gefaßt ist, so ist diese Sprache nicht gewählt worden, um Jemanden zu kränken, sondern aus sittlicher Entrüstung über einen Zustand, der wahrlich tief zu beklagen ist . . . Oetker berief sich sodann näher auf die Wahrheit der im Artikel aufgeführten Tatsachen. . . . Ich will nun Einiges anführen, um das „Defizit an Ehrgefühl“ zu begründen. Als das neue Ministerium eingesetzt wurde, hat alsbald (am 26. Februar) die Ständeversammlung fast einstimmig erklärt, es besitze nicht das Vertrauen des Volks. Dieses Mißtrauensvotum ist am 6. März nach ausführlicher Prüfung und Berathung ausdrücklich und zwar einstimmig wiederholt worden mit dem Zusatze, die Ständeversammlung erwarte, daß das Ministerium einen Platz verlassen werde, den es zum Wohl des Landesfürsten und des Vaterlandes nicht auszufüllen vermöge. Beschlüsse von gleicher Wichtigkeit und Bedeutung sind weiter gefaßt worden am 15. März, am 7. Juni und am 12. Juni. Aber die Regierung hat sich daran nicht gekehrt. Ich frage Sie, meine Herren! Wenn die Landesvertretung so spricht, wenn sie wiederholt und mit solcher Einhelligkeit beschließt, die Minister haben kein Vertrauen, sie müssen von ihrer Stelle zurücktreten, es gereiche ihre Verwaltung zum Verderben des Landes, und wenn doch die Regierung davon keine Notiz nimmt, ob das nicht Mangel an politischem Ehrgefühl ist? Ein weiterer Umstand, worauf ich mich stützen will, ist der, daß einer der Minister durch Richterspruch wegen des gemeinen Vergehens der Fälschung in Anklagestand versetzt ist. Es ist dieser Gegenstand wiederholt in der Ständeversammlung zur Sprache gekommen, es sind die schärfsten Anfragen und Anträge dieserhalb gestellt worden, und doch hat die Regierung sich nicht veranlaßt gesehen, während die Anklage noch in der Schwebe war, den betreffenden Herrn zu erntfernen. Meine Herren! Wenn sich Jemand wegen Fälschung im

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Anklagestande befindet, so kann er nach unsern Gesetzen nicht in die Bürgerwehr eintreten, er kann kein Gemeindewahlrecht ausüben, er kann nicht Geschworener sein15, und die kurhessische Regierung hat einen solchen Mann als Justizminister in Thätigkeit gelassen. Das Verbrechen, wegen dessen er angeklagt und jetzt verurtheilt worden ist, wird allgemein als ein ehrenrühriges betrachtet; ich frage Sie, m. H., liegt unter solchen Umständen nicht Mangel an Ehrgefühl vor? – Der Herr Ankläger hat gesagt, es komme auf den Beweis der Wahrheit Nichts an; ich bin anderer Ansicht. Der geehrte Herr hat eine Stelle aus dem römischen Recht angeführt, er hat aber unterlassen, den Nachsatz hinzuzufügen, welcher folgender Maßen lautet: „peccata enim nocentium nota esse et oportere et expedire“, das heißt zu deutsch: es ist nothwendig und heilsam, daß die Uebelthaten verderblicher Menschen bekannt werden. Wenn das aber die Rechte besagen, dann glaube ich nicht, daß in der Veröffentlichung wahrer Thatsachen und Behauptungen eine strafbare Handlung liegt. – Wären die Thatsachen und Angaben indessen auch nicht wahr, so bin ich doch genugsam veranlaßt gewesen, sie für wahr zu halten; denn, m. H. H., was ich angenommen habe, das hat fast ganz Deutschland angenommen. Es läßt sich nachweisen, und ich werde es nöthigen Falls nachweisen, daß alle, auch die konservativsten Organe Deutschlands meine Ansicht getheilt haben und noch theilen. Vertheidiger Dr. Pfaff: . . . Die ganze, gegen diese Abhörung gerichtete Deduktion des Hrn. Staatsprokurators geht fortwährend von der Verwirrung und Vermischung von Thatsachen und von Urtheilen aus, über welche die Zeugen aussagen sollen. Ich verlange nur, daß die Zeugen über Thatsachen, nicht, daß sie nach ihrem Urtheile gefragt werden. Der Verth. Dr. Oetker: Ich mache noch darauf aufmerksam, daß der Hr. Ankläger von der Ansicht ausgeht, daß wenn ein Umstand nicht zur Ausschließung der Schuld geeignet sei, derselbe auch einen Milderungsgrund nicht abgeben könne. Dies ist eine durchaus irrige Ansicht. Namentlich enthält vorliegend der Beweis der Wahrheit der betreffenden Thatsachen, wenn keine völlige Entlastung, doch ohne Zweifel einen Strafmilderungsgrund. Präsid.: Das Gericht zieht sich zur Berathung der Vorfrage zurück. Nach Verlauf einer Stunde tritt dasselbe wieder ein. Der Präsident verkündet folgenden Beschuß des Gerichts: „In Erwägung, daß nach §. 318 des Strafprozeßgesetzes, wenn es sich, wie vorliegend, um das Vergehen der Beleidigung handelt, die Geschworenen auch darüber zu entscheiden haben, ob eine Beleidigung in Aeußerungen des Angeklagten enthalten sei, daß es mithin zur Berurtheilung der Geschworenen gehört, nicht nur, ob in den gedachten Aeußerungen an und für sich nach deren Form oder Inhalt eine Beleidigung gefunden werden müsse, sondern auch, ob dieser Aeußerung der Charakter der Beleidigung durch Wahrheit der zu ihrer Begründung angeführten thatsächlichen Umstände etwa benommen werde, und deshalb das Gericht, in sofern nicht etwa die fraglichen Thatsachen völlig zweifellos mit der zur Anklage gebrachten Aeußerung außer Zusammenhang stehen, nicht befugt erscheint, jene den Geschworenen zuste15

Siehe § 233 Nr. 5.

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hende Beurtheilung dadurch abzuschneiden, daß es die Instruktion der betreffenden Beweisaufnahme versagt, daß daher, und da auch die vorliegend vom Angeklagten vorgebrachten Thatsachen nicht als solche sich darstellen, welche mit dem Gegenstande der Anklage völlig zweifellos außer Zusammenhang stehen, der Antrag der Staatsbehörde der Zurückweisung unterliegen muß; wird der Antrag der Staatsbehörde gegen die Zulassung der vom Angeklagten beantragten Beweisaufnahme zurückgewiesen.“ Hierauf wird zur Beweisaufnahme geschritten16. Der Präsident: Außer den Zeugen, welche das von mir unterzeichnete Verzeichniß enthält, dem Obersteuerdirektor Pfeiffer, Professor Dr. Wetzell, den Obergerichtsanwälten Schwarzenberg und Nebelthau und dem Landsyndikus Dircks, sind noch auf den Antrag des Angeklagten durch die Staatsbehörde nachträglich vorgeladen worden: die Herren Staatsminister Hassenpflug, Legationsrath v. Baumbach, Geheimerath Lometsch, Obergerichtsrath Abée und Konsistorialrath Vilmar. Diese Zeugen fallen unter den §. 301 des Strafprozeßgesetzes, und es würde sich fragen, ob von Seiten der Staatsbehörde in die Vernehmung dieser nachträglich vorgeschlagenen Zeugen eingewilligt wird. Der Ankläger: Einverständlich mit der vorhin von mir gegebenen Ausführung, die für mich durch die Entscheidung des Gerichts nicht widerlegt ist, protestire ich gegen die Abhörung dieser Zeugen, lasse sie also nach den Worten des Gesetzes nicht zu. Präsident: Haben Sie noch andere Gründe, der Abhörung der Zeugen zu widersprechen? – Der Ankläger: Ich enthalte mich deren Entwickelung; sie finden sich in dem Dekrete ausgesprochen, wodurch der Hr. Präsident die Vorladung dieser Zeugen verweigert hat; damit übereinstimmend erkläre ich die Zeugen auch für unzulässig. Der Angeklagte: Die Gründe passen jeden Falls nicht auf die Zeugen Vilmar und Abée; denn Ersterer ist nicht Mitglied des Ministeriums, Letzterer war wenigstens zur Zeit, als der Artikel geschrieben wurde, nicht im Ministerium. Der Ankläger: Ich überlasse diese Frage dem Gericht und bemerke nur, daß Hr. Abée gegenwärtig notorisch Vorstand des Ministeriums des Innern und Hr. Vilmar vortragender Rath im Ministerium des Innern ist. Angekl.: Das Verfahren würde sich vielleicht sehr kürzen lassen, wenn ich wüßte, ob jene Zeugen erschienen sind. Präsident: Das weiß ich nicht; ich habe noch keine Veranlassung gehabt, danach zu fragen. Ankläger: Es ist an die Staatsprokuratur ein Schreiben des Staatsministeriums, unterzeichnet: Lometsch, v. Baumbach und Abée, gelangt, worin dieselben nach §. 82 des Strafprozeßgesetzes erklären, ihre Aussagen verweigern zu müssen. Dieselbe Erklärung ist von Hrn. Dr. Vilmar abgegeben worden. 16

§§ 306, 68 ff.

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Angekl.: Ich glaubte Veranlassung nehmen zu müssen, diesen Herren sämmtlich Gelegenheit zu geben, sich über Das, was ich zu meiner Vertheidigung vorzubringen habe, hier öffentlich selbst zu äußern. Da sie ein Zeugniß verweigern, so ist mir diese Erklärung, deren Begründung ich jedoch bestreite, so sprechend und bedeutungsvoll, daß ich nunmehr auf ihre Abhörung verzichten will. Präsident: Es fragt sich, ob auch Hr. Staatsminister Hassenpflug eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Ankläger: Von der Hand des Staatsmin. Hassenpflug habe ich die Bemerkung, daß er, abgesehen von allen andern Gründen, wegen eines in Frankfurt zu vollziehenden Auftrags zu erscheinen verhindert sei. (Murren im Publikum.) – Präsident: Ich erinnere daran, daß im Publikum kein Zeichen von Beifall oder Mißfallen gegeben werden darf. Ich werde so Etwas nie dulden. Angekl.: Was von den übrigen Herren gilt, gilt von Hrn. Hassenpflug doppelt; ich verzichte auch auf diesen Zeugen. Die Zeugen werden aufgerufen. Es sind die Zeugen Pfeiffer, Wetzell, Schwarzenberg, Nebelthau und Dircks erschienen. Nachdem der Präsident sie davon in Kenntniß gesetzt, daß der Angeklagte sich zu seiner Entschuldigung auf ihr Zeugniß berufen habe und sie an die Wichtigkeit des von ihnen zu leistenden Zeugeneides erinnert hat, entläßt er sie vorläufig wieder in das Zeugenzimmer. Präsident: Es wird nun zur Vernehmung des Angeklagten und der Zeugen geschritten werden. Ich fordere den Ersteren auf, meine Fragen zu beantworten: Sind Sie verantwortlicher Redakteur der „Neuen Hessischen Zeitung“? – Angekl.: Verantwortlicher Herausgeber, ja. Präsid.: Ist die Neue Hess. Zeitung ein periodisches Blatt politischen Inhalts? – Angekl.: Ja. – Präsid.: Ist in Nr. 243 der Morgenausgabe vom 27. Mai 1850 folgender Aufsatz, überschrieben: „Unsere Lage“ enthalten? (Der Präsident verlieset den ganzen Aufsatz.) Angekl.: Ja. – Präsid.: Ist diese Nr. mit dem Aufsatze in Umlauf, in Verkehr gesetzt worden? – Angekl.: Ja. – Präsid.: In dem Satze: „andere Dinge hat unsere Regierung bisher nicht an das Licht befördert. Ihr Charakter ist also mit einem Worte ausgesprochen, es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl,“ ist nach der Behauptung des Anklageakts eine Beleidigung der kurhessischen Regierung enthalten. – Angekl.: Das bestreite ich. – Präsid.: Es würde nunmehr anzugeben sein, über welche einzelnen Thatsachen die einzelnen Zeugen abgehört werden sollen. Angekl.: Die Zeugen sind nun so zusammengeschmolzen, daß ich wünschen muß, daß jeder Zeuge über den Inhalt des Aufsatzes und die von mir vorhin angegebenen Thatsachen vernommen werde. Die besonderen Fragen werde ich stellen, wenn mir’s verstattet wird. Es tritt auf Antrag des Angeklagten zuerst ein: der Zeuge Fr. Georg Pfeiffer, Obersteuerdirektor, 66 Jahr alt, mit dem Angeklagten nicht verwandt und ohne Interesse bei dem Ausgange der Sache. Derselbe wird beeidigt17.

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Präsid.: Ich habe Sie nach Vorschrift des Gesetzes darauf aufmerksam zu machen, daß Sie über Umstände, von denen Sie glauben, daß eine Aussage darüber Ihr Dienstgeheimnis nicht gestatte, das Zeugniß verweigern können. Sie sind von dem Angeklagten vorgeschlagen worden, um über Thatsachen abgehört zu werden, welche in dem Artikel „Unsere Lage“ in Nr. 243 der Neuen Hessischen Zeitung enthalten sind. Kennen Sie diesen Artikel? Zeuge: Ich habe ihn gelesen, allein er ist mir im Einzelnen nicht mehr genau erinnerlich. Angekl.: Ich bitte den Zeugen darüber zu vernehmen18, ob Kurhessen dem bekannten Bündniß vom 26. Mai v. J. beigetreten ist, ob im Verwaltungsrathe am 8. Febr. d. J. der Beschluß gefaßt worden und zwar unter Zustimmung Kurhessens, daß der Verfassungsentwurf vom 28. Mai der vertragsmäßig übernommenen Verpflichtung gemäß, dem erfurter Reichstage unverändert vorgelegt werden solle. Präsid.: Können Sie Auskunft darüber geben? Zeuge: Ich glaube eine Auskunft darüber nicht verweigern zu dürfen. . . . Der Zeuge führte näher aus, dass die wesentlichen Fakten bereits durch entsprechende Veröffentlichungen bekannt seien. Präs.: Sie haben erwähnt, daß die Ratifikation des Anschlusses erfolgt sei. Haben Sie sich davon aus den Akten überzeugt? Zeuge: Nein. Präsident: Ist sie Ihnen officiell bekannt geworden? Zeuge: Nein. Ich erfuhr aber im Ministerium des Aeußern, daß, weil ich zu der Zeit noch keine Vollmacht hatte, um im Verwaltungsrath die Ratifikation selbst zu übergeben, dieselbe vorläufig dem Hrn. v. Dörnberg geschickt worden sei, um sie dem Verwaltungsrathe vorzulegen. Ich konnte auch nur in Folge dieser Ratifikation in den Verwaltungsrath eintreten; indem nur die Staaten, welche dem Bündnisse beitraten, die Befugniß erhielten, einen oder mehrere Bevollmächtigte in den Verwaltungsrath zu schicken. In den veröffentlichten Protokollen des Verwaltungsrathes bin ich fortwährend bis zu dem bekannten Ministerwechsel als kurhessischer Bevollmächtigter im Verwaltungsrathe aufgeführt worden. Präsident: In welcher Weise haben Sie Kenntniß von den angeführten Vorgängen, die nicht durch Sie selbst Statt fanden, erhalten? Der Angeklagte: Ich erlaube mir die Bemerkung, daß die Ratifikation des Anschlusses nicht bezweifelt werden kann, weil sie aus dem kurhessischen Gesetzblatte und zwar aus der landesherrlichen Verordnung vom 25. Oktober 1849, wodurch die Bestimmungen über das Bundesschiedsgericht veröffentlicht worden sind, hervorgeht. Ich bitte nun, den Zeugen zu befragen, ob nicht unter den Bestimmungen des Bündnisses auch die enthalten sei, daß sich die verbündeten Regierungen „verpflich17

In schwurgerichtlichen Verhandlungen wurden die Zeugen grundsätzlich immer vereidigt, § 88. 18 Der Angeklagte und die Verteidiger durften nur unter Vermittlung des Präsidenten Fragen an die Zeugen richten, § 91.

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ten“, dem deutschen Volke eine Verfassung zu geben, wie sie dem Bündnißvertrage im Entwurfe beigefügt war. Präs.: Verhält sich das so? – Zeuge: Ja. Im Art. IV. des Bündnißvertrags ist diese Bestimmung enthalten. Präs.: Es war dies also der Zweck des Bündnisses. – Zeuge: Ja. Der Angeklagte: Ich bitte die weitere Frage zu stellen, ob in einer Sitzung des Verwaltungsrathes vom 8. Februar d. J. beschlossen worden, den erwähnten Verfassungsentwurf der vertragsmäßig übernommenen Verpflichtung gemäß dem Reichstage unverändert vorzulegen? Zeuge: Ich erinnere mich, daß dieser Beschluß gefaßt worden ist. Den Tag kann ich jedoch nicht genau angeben. Präs.: Waren Sie Bevollmächtigter zur Zeit, als dieser Beschluß gefaßt worden ist? – Zeuge: Ja. Präs.: Haben Sie Ihre Einwilligung dazu erklärt. – Zeuge: Ja. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen zu befragen, ob nicht vom Parlament in Erfurt der Beschluß gefaßt worden ist, daß dieser Entwurf im Ganzen unverändert angenommen werde? Präs.: Was ist Ihnen davon bekannt? Zeuge: Nachdem ich von der hiesigen Ständeversammlung zum Abgeordneten in das Staatenhaus gewählt worden war, nahm ich an den Sitzungen desselben Theil. Es wurde beschlossen 1) die Verfassung, wie sie vom Verwaltungsrath vorgelegt war, anzunehmen, dann wurde weiter beschlossen, 2) daß eine Berathung über einzelne Abänderungen Statt finden sollte, daß aber 3) diese Abänderungen wenn sie von den Regierungen nicht genehmigt werden würden, von keiner Wirksamkeit sein und daß dann der erste Beschluß, die unbedingte Annahme des ganzen Entwurfs, in Kraft treten sollte. Präs.: Dieser Beschluß ist im Staatenhause gefaßt worden? Zeuge: Ja. Präs.: Haben Sie Kenntniß davon, daß auch im Volkshause ein solcher Beschluß gefaßt worden ist? – Zeuge: Ja. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen weiter zu befragen, ob ihm bekannt ist, daß Hr. Hassenpflug im Verwaltungsrath als Bevollmächtigter der Regierung am 27. März erklärt hat, daß trotz der bezeichneten Momente keine Regierung verpflichtet sein werde, den Weg der Annahme der Verfassung im Ganzen mitzugehen, daß vielmehr ein solches Vorgehen des Parlaments ein rechtlich ungültiger Akt sein würde, dem Seitens der Regierungen keinerlei Folge zu geben sei. Der Ankläger: So viel ich mir erinnere hat der Zeuge gesagt, der Reichstag zu Erfurt habe die endliche Annahme der Unionsverfassung in das Belieben der Regierungen gestellt. Zeuge: Das Staatenhaus hat sich vorbehalten: die von ihm vorgeschlagenen Abänderungen sollten nicht als definitiv beschlossen betrachtet werden, damit, sobald die Regierungen diese nicht annehmen würden, auf den ursprünglichen Beschluß zu-

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rückgegangen werden könne, womit, wie man es damals nannte, die Annahme en bloc erfolgt war. Der Ankläger: Das Bundesstaatsgesetz hätte hiernach von den Unionsregierungen publicirt werden können? – Zeuge: Ja. Der Ankläger: Ist das von irgend einer Regierung geschehen? Zeuge: Wenn der Herr Staatsprokurator fragt, ob in irgend einem Lande die Verfassung publicirt sei, so kann ich das nicht wissen, weil es im Innern dieses Landes geschehen sein müßte; in Erfurt ist eine solche Publikation nicht erfolgt. Der Ankläger: Die Publikation der Reichsverfassung ist also nicht erfolgt? Zeuge: Mir ist davon nichts bekannt. Der Ankläger: Der Bundesstaat ist also nicht zu Stande gekommen? Zeuge: Ob der Bundesstaat zu Stande gekommen ist, oder nicht? Das würde eine Frage juristischer Beurtheilung sein. Ich habe nur faktische Fragen zu beantworten. Präs.: Ist Ihnen Etwas von der Aeußerung des Hrn. Ministers Hassenpflug, die der Angeklagte zuletzt angeführt hat, bekannt? Zeuge: Ich war damals nicht mehr Mitglied des Verwaltungsrathes, und kann also aus eigener Wissenschaft nichts sagen, inzwischen war die Sache Gegenstand des allgemeinen Stadtgesprächs, auch erinnere ich mir, mit einzelnen Mitgliedern des Verwaltungsraths, mit denen ich in kollegialischer Beziehung gestanden hatte, darüber gesprochen zu haben. Soviel ich mir erinnere, ging die öffentliche Stimme dahin: Hr. Hassenpflug hatte geäußert, die Annahme der Verfassung en bloc würde die Sache in die Lage bringen, daß alsdann die Regierungen, welche dem Bündniß beigetreten seien, nicht mehr verpflichtet wären, bei dem Bündnisse zu bleiben; namentlich hat er für Kurhessen zur Bedingung des Verbleibens bei dem Bündnisse gemacht, daß die Annahme der Verfassung en bloc nicht Statt habe. Der Präsident: Ist Ihre Kenntniß auf Aeußerungen Ihrer früheren Kollegen gegründet? Zeuge: Ja, im Allgemeinen auf die Aeußerungen meiner Kollegen, der öffentlichen Blätter und des Publikums . . .. . . . Verth. v. Sybel: Ich bitte, dem Zeugen ferner die Frage vorzulegen, ob ihm die thatsächlichen Gründe seiner plötzlichen Abberufung bekannt geworden sind? Der Präsident: Ist Ihnen davon etwas bekannt geworden? Der Zeuge: Als Grund meiner Abberufung war angegeben, daß ich bei dem Obersteuerkollegium nicht länger entbehrt werden könne. Andere Gründe sind officiell nicht zu meiner Kenntniß gekommen, und was ich vermuthe, das gehört nicht hierher. Verth. v. Sybel: Sodann möchte ich dem Zeugen die Frage vorgelegt sehen, ob ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsrathes oder als Abgeordneter zum Staatenhaus, oder durch befreundete Mitglieder des Verwaltungsrathes etwas davon bekannt geworden sei, daß vor dem Auftreten des Hrn. Hassenpflug sich Symptome der Spaltung des Bündnisses kundgegeben, ob ein anderer deutscher Staat, außer Sachsen und Hannover, Miene gemacht habe, sich vom Bündniß zu trennen?

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Der Präsident: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß im Verwaltungsrath vor dem Auftreten des Hrn. Ministers Hassenpflug von einzelnen Regierungen Neigung bewiesen worden ist, daß sie aus dem Bündniß ausscheiden wollten, oder auszuscheiden wünschten? Der Zeuge: So lange ich in dem Verwaltungsrathe war, ist nur von dem Bevollmächtigten von Mecklenburg-Strelitz in den Abstimmungen viel Hinneigung zu der Ansicht von Sachsen und Hannover gezeigt worden. Die übrigen haben kein Schwanken bewiesen. Was die Küstenstaaten und namentlich die Hansestädte betrifft, so haben sie zwar ihre Partikularinteressen gewahrt, von Wanken in der Treue zum Bündniß aber war keine Rede . . . . . . Verth. v. Sybel: Ich bitte den Hrn. Präsidenten, meine Frage nochmals an den Zeugen zu richten und zwar in Beziehung auf den Bevollmächtigten von HessenDarmstadt. Präs.: Ist Ihnen etwas davon bekannt, daß von Seiten des großherzoglich hessischen Bevollmächtigten die Aeußerung von einer Lostrennung gemacht worden ist? Zeuge: Nein! Dieser Bevollmächtigte (Geh. Rath v. Lepel) ist, so lange ich Mitglied des Verwaltungsrathes war, mit mir stets Hand in Hand gegangen. Ich weiß auch nichts davon, daß nachher von seiner Seite eine abweichende Erklärung abgegeben worden ist; so viel mir bekannt geworden ist, ist er fortwährend bei seiner Erklärung, also dem Bündniß, treu geblieben. Ich kann, da ich nur bis zum Februar d. J. im Verwaltungsrath gewesen bin, von dem, was in den späteren Sitzungen erklärt worden ist, keine Auskunft geben. Dr. Pfaff: In einer unter dem 5. Juli d. J. verbreiteten landesherrlichen Verkündigung, einem Aktenstück, welches zwar nicht von den verantwortlichen Ministern unterzeichnet, aber doch als Aeußerung der Regierung zu betrachten ist, weil es durch die allerhöchste Person – Präs.: Dergleichen Deduktionen sind bei der Stellung einer Frage nicht zulässig. Dr. Pfaff: Nun denn: in diesem als Regierungsäußerung zu betrachtenden Aktenstück befindet sich folgende Stelle: „Am Wenigsten entsprachen die auf eine neue Verfassung Deutschlands gerichteten Bestrebungen, welche auch Wir, beseelt von dem innigsten Wunsche, Unseren von Gott Uns verliehenen Beruf nicht allein als hessischer, sondern auch als deutscher Fürst nach Kräften zu erfüllen, Uns angeschlossen hatten, Unsern gerechten Erwartungen. Wir schlossen Uns denselben einzig und allein in der zuversichtlichen Voraussetzung an, es werde eine, die gesammten Staaten des deutschen Bundes umschließende Verfassung Deutschlands zu Stande kommen, mußten jedoch zu Unserem lebhaften Schmerze sehen, daß der bisher eingehaltene Weg nicht geeignet war, die erwünschte befriedigende und dauernde Einheit Deutschlands zu erreichen, daß vielmehr auf demselben eine Gefahr der Zwietracht für Deutschland herbeigeführt werde, welche weiter zu fördern Wir Uns nicht entschließen konnten, noch jemals entschließen werden.“ . . . Verteidiger Pfaff ergänzte, dass man vor dieser Verkündigung allgemein davon ausgegangen war, dass das Dreikönigsbündnis vom 26. Mai 1849 keineswegs in der Hoffnung abgeschlossen worden war, dass auch Österreich hinzutreten werde.

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Präs.: Ich werde die Sache wohl dahin zusammen fassen können, ob früher bei Erklärungen des kurhessischen Abgeordneten im Verwaltungsrath zugleich auch erklärt worden ist, es bedürfe des Eintritts Oesterreichs in die Union nicht. Dr. Pfaff: Die Frage an den Zeugen wünsche ich dahin gerichtet: Ob er jemals Aufträge erhalten habe, oder ob ihm jemals Aeußerungen der Regierung bekannt geworden sind, welche als aus der in jener Verkündigung dargelegten Absicht der Regierung hervorgegangen betrachtet werden können. Präsident: Welche Auskunft können Sie über die eben gehörte Frage geben? Zeuge: Unter den Druckschriften, welche uns, den Mitgliedern des Staatenhauses, damals vom Verwaltungsrath mitgetheilt wurden, befindet sich auch ein Bändchen, betitelt Aktenstücke, betr. das Bündniß vom 26. Mai. Darin sind u. A. die Verhandlungen des Verwaltungsrathes vom 5. Oktober enthalten. In diesen Verhandlungen kommt eine Erklärung des kurhessischen Bevollmächtigten, welche diesen Gegenstand umfaßt, vor. Ich habe sie damals, als die Frage aufgeworfen wurde, ob es Zeit sei, den Reichstag zu berufen, oder ob es darauf ankomme, zu warten, bis Oesterreich und die andern Staaten eingetreten seien, mit voller Ueberzeugung selbst abgegeben. Ich bin im Stande, diese Erklärung vorzulesen. Präsident: Es kommt darauf an, ob die Druckschrift, aus der Sie vorlesen wollen, authentisch ist. Zeuge: Sie ist mir als Mitglied des Staatenhauses von Seiten des Verwaltungsrathes officiell mitgetheilt worden und meine darin enthaltene Erklärung stimmt mit meiner Erinnerung vollkommen überein. Der Zeuge berichtete sodann, dass vom Verwaltungsrat die erbetene Zusicherung erfolgt war, es sei das ernsthafte Bestreben der beigetretenen Staaten, die Einberufung des Reichstages möglichst zu beschleunigen. Die Gesamtheit der seinerzeit beigetretenen Staaten schließe die befürchtete Lebensunfähigkeit aus. Der deutsche Bundesstaat, wie er aus den bis jetzt verbündeten deutschen Staaten hervorgehen solle, trage die Fülle des Lebens in sich. Er umfasse in seinen 30 Einzelstaaten einige rund zwanzig Millionen Einwohner, schließe die mächtigsten deutschen Seestädte ein, beherrsche die Ost- und Nordsee, werde von den größten schiffbaren Strömen durchschnitten und dehne seine Gränzen im Osten bis nach Rußland, im Westen bis nach Frankreich. So mangele einer Seits überall der Grund, die Gewährung des Zugesagten länger zu verschieben, während auf der andern Seite die Bevollmächtigten es ihren Kommittenten und der Nation schuldig seien, auf dieser Gewährung entschieden zu bestehen.“ Präs.: Hatten Sie zu dieser Erklärung speciellen Auftrag? Zeuge: Den hatte ich insofern, als ich die Instruktion bei dem Eintritt in den Verwaltungsrath erhalten hatte, darauf zu dringen, daß ein Termin zur Berufung des Reichstages baldmöglichst bestimmt werde. Ankläger: Ich bitte, die Frage an den Zeugen zu stellen, ob, als ihm die Vollmacht zu Theil geworden, Sachsen und Hannover bereits ihren Austritt erklärt oder Anstalten getroffen hatten, diesen Schritt zu thun. Präs.: Ist Ihnen davon Etwas bekannt?

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Zeuge: Ich will die Sache noch einmal chronologisch vorführen. Im Juli wurde ich nach Berlin geschickt, um die Verhandlungen einzuleiten. Schon damals habe ich die baldigste Berufung des Reichstags für nothwendig erklärt. Nachher habe ich als Mitglied des Verwaltungsraths am 5. Okt. die vorgelesene Erklärung abgegeben; im Laufe des Oktobers wurde sodann von Seiten des hannöverschen und sächsischen Bevollmächtigten in mehreren Sitzungen die bekannte Behauptung aufgestellt: es sei bei Schließung des Bündnisses die Ansicht gewesen, dasselbe müsse sich auf ganz Deutschland erstrecken, was jedoch von mir, wie von den übrigen Bevollmächtigten fortwährend bekämpft wurde. Dr. Pfaff: Noch eine letzte Frage wünsche ich gestellt zu haben, nämlich: Hat die kurhessische Regierung, abgesehen von der in der erwähnten Instruktion liegenden Erklärung, etwa auf irgend eine sonstige Weise dem Herrn Zeugen zu erkennen gegeben, daß die von ihm im Oktober im Verwaltungsrath abgegebene Erklärung ihren Absichten und Ansichten nicht entspreche, hat sie, auch nachdem die Schwierigkeiten von Sachsen und Hannover zum Ausbruch gekommen, dem Herrn Zeugen irgend ein Bedenken zu erkennen gegeben und ist ihm ins Besondere bei den Verhandlungen, welche dem Beschluß über Einberufung des Reichstages vorangegangen sind, irgend ein Bedenken aus jenem Anlaß bekannt geworden? Präs.: Ist Ihnen von Seiten der Regierung etwas der Art bemerkt worden? Zeuge: Es ist niemals eine mißbilligende Aeußerung von Seiten der kurhessischen Regierung erfolgt, die fortwährend bis zu dem Wechsel im Ministerium bei ihrer Erklärung beharrlich geblieben ist. Präs.: Ich frage den Angeklagten, ob er nach der Vornehmung des Zeugen noch Etwas vorzubringen hat? Der Angeklagte: Nein. Präs.: Dann will ich hiermit die Sitzung bis diesen Nachmittag 3 Uhr aussetzen. Wiedereröffnung der Sitzung Nachmittags 3 Uhr Der Präsident eröffnet die Sitzung. Es tritt auf den Wunsch des Angeklagten zunächst ein und wird beeidigt: der Zeuge G. W. Wetzell, Dr. und Professor der Rechte an der Universität zu Marburg, 35 Jahr alt, mit dem Angeklagten nicht verwandt und nicht interessirt bei dem Ausgang der Sache. Der Präs. macht den Zeugen darauf aufmerksam, daß er seine Aussage verweigern könne, sobald er glaube, daß ihm das Dienstgeheimnis eine Auskunftsertheilung nicht erlaube. Der Präsid.: Sie sollen über Thatsachen Zeugniß ablegen, die in dem Artikel der Nr. 243 der N. H. Zeitung enthalten sind und zwar sollen Sie, als Mitglied des Verwaltungsrathes und des Staatenhauses in Erfurt angeblich davon unterrichtet sein. Sind Sie von Seiten der kurhess. Regierung nach Erfurt gesandt worden? – Zeuge: Ja. – Präs.: Waren Sie beauftragt als Mitglied des Verwaltungsrathes, an dessen Sitzungen Theil zu nehmen? – Zeuge: Ja. – Verth. v. Sybel: Ich wünsche den Zeugen darüber zu befragen, ob er bei den Berathungen des Verwaltungsrathes zugegen gewesen sei, als der Minister Hassenpflug

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persönlich erschienen und über die künftige Stellung der kurhess. Regierung zu der Union Aeußerungen gethan und Anträge gestellt hat? Präs.: Haben Sie die Erklärungen des Hrn. Ministers Hassenpflug mit angehört, welche derselbe in Beziehung auf die Union abgegeben hat? – Zeuge: Ja. – Verth. v. Sybel: Ich bitte den Zeugen ferner zu befragen, ob Hr. Hassenpflug in dem Verwaltungsrath die Erklärung abgegeben habe, daß, wenn der Reichstag die von den verbündeten Regierungen und auch von der kurhessischen, demselben zur Annahme vorgelegte Unionsverfassung unverändert annehme, dann die betreffenden Regierungen an diese Verfassung nicht mehr gebunden seien? Präs.: Haben Sie diese Erklärung mit angehört? Zeuge: Ich halte diese Frage für eine derjenigen, die ich vermöge meiner früheren Stellung nicht beantworten zu dürfen glaube. Die Verhandlungen des Verwaltungsrathes liegen gedruckt vor und auf meine Erinnerung allein bauend, kann ich nicht sagen, ob diese Erklärung des Hrn. Ministers Hassenpflug mit in diese Verhandlungen aufgenommen worden ist oder nicht. Verth. v. Sybel: Ich muß mir erlauben, gegen eine solche Anwendung des Dienstgeheimnisses Verwahrung einzulegen. Nach Dem, was vom Hrn. Obersteuerdirektor Pfeiffer an diesem Morgen über das Verhältniß des Verwaltungsrathes und des Staatenhauses gesagt ist, scheint mir kein Zweifel obzuwalten, daß ein Anlaß zu fernerer Beibehaltung des Dienstgeheimnisses nicht vorliegt. Zudem glaube ich nicht, daß der Zeuge damals im Falle einer Amtsführung gewesen ist; es war nur ein vorübergehender Auftrag; auch würde ein Interesse, die Verhandlungen geheim zu halten nur dann vorliegen, wenn dieselben noch pendent wären und die Publikation eine Frage wäre, die das allgemeine Staatsinteresse berührte. Davon kann bei jetziger Lage der Dinge keine Rede sein. Ich bezweifle, daß der Zeuge das Recht hat, in diesem Falle die Vertheidigung durch Entziehung des Materials mit Berufung auf das Amtsgeheimnis zu hemmen. Präsident: Es unterliegt der eigenen Beurtheilung des Zeugen, wo und in wie weit er das Dienstgeheimniß zu beobachten habe. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen zu fragen: Ob er angelobt hat, ein Dienstgeheimniß zu bewahren oder ob ihm deshalbige Instruktion ertheilt ist. Präs.: Haben Sie ein Gelöbnis abgelegt, bei ihrer Stellung Stillschweigen zu bewahren? Zeuge: Nein; es liegt aber in der Natur der Sache, daß solche Gegenstände nicht der Oeffentlichkeit übergeben werden dürfen, welche das anvertraute Gut Anderer sind. Es würde das eine Verletzung des Vertrauens sein, eines Vertrauens wie es z. B. auch der Anwalt seinem Klienten gegenüber zu bewahren verpflichtet ist. Der Angeklagte: Dies Beispiel paßt nicht. Die Anwälte müssen die Bewahrung anvertrauter Geheimnisse eidlich geloben. Auch sonst darf freilich bewiesenes Vertrauen nicht mißbraucht werden; allein, von der Pflicht, vor Gericht die Wahrheit zu sagen, kann das nicht entbinden. Präs.: Der Zeuge hat sich nach seiner Angabe damals in einer amtlichen Stellung befunden. Er wird also allein zu beurtheilen haben, inwieweit das, was er dabei erfährt, zur Geheimhaltung sich eignet.

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Der Angeklagte: Dagegen muß ich doch protestiren und bitten, daß das Gericht darüber entscheide. Präs. (zum Zeugen): Sind Sie kurhessischer Staatsdiener und haben Sie den Staatsdienereid geleistet? Zeuge: Ja, als ich meine akademische Thätigkeit als außerordentlicher Professor antrat. Das Gericht zieht sich zur Berathung der aufgenommenen Frage zurück. Nach Verlauf einer halben Stunde beginnt die Sitzung wieder. Präs.: Ich eröffne folgenden Beschluß des Gerichts: „Das Gericht tritt der Ansicht des Vorsitzenden bei, indem es davon ausgeht, daß mit Rücksicht auf das besondere Vertrauensverhältniß, welches zwischen dem Zeugen und der Staatsregierung durch die Natur des dem erstern ertheilten Auftrages in Verbindung mit der allgemeinen Staatsdienereigenschaft desselben begründet werde, es der diskretionären Beurtheilung der Zeugen überlassen bleiben müsse, inwieweit er hiernach verpflichtet, demgemäß auch berechtigt sei, sein Zeugniß zu verweigern.“ Verth. v. Sybel: Ich verzichte auf die weitere Abhörung des Zeugen und begnüge mich damit, die Gleichförmigkeit dieses Falles mit dem, welchen wir heute Morgen schon erlebt haben, zu konstatiren. Der Angeklagte: Ich bitte, den Zeugen noch zu befragen: Ob er in der Sitzung des Verwaltungsrathes vom 16. März d. J. Namens der kurhessischen Regierung die Erklärung abgegeben habe, daß dieselbe nach wie vor dieselbe Stelle einnehme, da solche auf der Heiligkeit der übernommenen Verpflichtungen begründet sei? Präs.: Haben Sie diese Erklärung abgegeben? Zeuge: Ja, sie steht gedruckt im Protokoll, aus dem sie, wenn ich nicht irre, wörtlich entnommen ist. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen weiter zu befragen: Ob er speciellen Auftrag zur Abgabe dieser Erklärung gehabt habe? Zeuge: Eine Auskunft hierüber glaube ich verweigern zu müssen. (Lachen im Publikum, welches der Präs. mit Entrüstung rügt.) Der Angeklagte: Ich will dann keine Frage mehr stellen. Zeuge: Ich sehe mich veranlaßt, noch die Erklärung abzugeben, daß ich über den Inhalt meiner Deposition zuvor mit Niemand, der bei der Sache irgend betheiligt sein könnte, gesprochen, vielmehr geglaubt habe, meine Aussage überall so abgeben zu müssen, wie es die Pflicht eines ehrlichen Mannes erheischt. Der Angeklagte: Ich bitte nunmehr den Zeugen Nebelthau zu vernehmen. Es tritt ein: Der Zeuge Friedrich Nebelthau, 44 Jahre alt, Oberpostmeister und Obergerichtsanwalt, mit dem Angeklagten nicht verwandt, ohne Interesse bei der Sache. Er wird beeidigt. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen zu befragen: Ob Herr Minister Hassenpflug und Hr. Legationsrath v. Baumbach in der Sitzung des Verfassungsausschusses der Ständeversammlung vom 7. März d. J. folgende Erklärung über die ihnen vorgelegte

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Frage in Betreff des Verlängerns des Interims abgegeben haben: Die Verlängerung des Interims in Beziehung auf die Staaten, welche den Reichstag zu Erfurt beschicken, werde von der dort tagenden Volksvertretung berathen und abgemacht werden müssen. Präs.: Waren Sie Mitglied der letzten aufgelösten Ständeversammlung, auch Mitglied des Verfassungsausschusses? Zeuge: Ja, ich war Vorsitzender des letztern. Der Präsident eröffnet dem Zeugen, daß er das Recht habe, das Zeugniß zu verweigern, insofern er sich durch seine ständische Wirksamkeit für verpflichtet halte, Zeugniß über Gegenstände, welche in vertraulichen Sitzungen des Ausschusses zu seiner Kenntniß gekommen seien, zurückzuhalten. Zeuge: Eine solche, die Pflicht zum Zeugniß ausschließende Bestimmung gibt es für Mitglieder der Ständeversammlung überall nicht und es kann hier um so weniger die Rede davon sein, als das, was ich hier aussagen soll, in den öffentlichen Akten der Ständeversammlung steht. Ich weiß nicht, ob die fragliche Sitzung am 7. März d. J. Statt gefunden hat; es kann aber über die Identität kein Zweifel sein, denn eine Berathung bei der Art hat nur ein Mal Statt gefunden und zwar in Folge des Programms, welches vom Ministerium den Ständen übergeben worden ist. Der Verfassungsausschuß, der sich über dies Programm zu äußern hatte, hatte den Herrn Vorstand des Gesammtstaatsministeriums zu einer Konferenz eingeladen. Es mag dies am 7. März gewesen sein, da das Programm in den letzten Tagen des Februar vorgelegt worden war. In jener Konferenz ist die Erklärung des Hrn. Ministers Hassenpflug in Bezug auf das Interim nicht ganz so ausgefallen, wie der Angeklagte angegeben hat. Irre ich nicht, so war die Rede davon, daß eine Verlängerung des Interims nicht Statt finden könne ohne Betheiligung der Volksvertretung, und Hr. Minister Hassenpflug erklärte: Die Ständeversammlung werde um die Zeit, wo von einer Verlängerung des Interims die Rede sein könne, wegen des Parlaments in Erfurt wahrscheinlich vertagt sein. Ueberdies sei die Versammlung in Erfurt allein zuständig, diese Sache in die Hand zu nehmen. Sie würde über die Verlängerung des Interims zu bestimmen haben. Der Angeklagte: Ich bin im Stande, die fragliche Stelle aus den gedruckten Landtagsverhandlungen zu verlesen, es kann alsdann über die Worte kein Zweifel mehr obwalten. Sie lautet: „Schließlich erklärt die Regierung, daß sie rücksichtlich einer Fortsetzung des Interims nach Ablauf der ursprünglich bestimmten Frist nicht ohne Mitwirkung der Stände zu handeln gedenke. Sie ist jedoch der Ansicht, daß die Frage wegen Verlängerung des Interims in Beziehung auf die Staaten, welche den Reichstag zu Erfurt beschicken, von der dort tagenden Volksvertretung werde berathen und abgemacht werden etc.“ Präs.: Ist diese Erklärung vom Herrn Minister Hassenpflug abgegeben? Zeuge: Ja, und von mir zu Protokoll genommen worden. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen zu befragen: ob ihm bekannt sei, daß in der Note der Regierung vom 13. April im Widerspruch hiermit erklärt worden ist, daß die Vertagung des Parlaments eintreten müsse, um vor dem Abschluß des Verfassungswerkes der Union Verhandlungen in Frankfurt eintreten zu lassen, welche

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sich, nachdem durch die münchener Uebereinkunft neue Vorschläge gemacht worden, als unabweisbar herausgestellt hätten? Präs.: Ist dem Zeugen dies bekannt? Zeuge: Es ist das eine Stelle aus der berüchtigten, vom Herrn Alex. v. Baumbach unterzeichneten Note. Präs.: Dergleichen Ausdrücke halte ich vor Gericht nicht für passend. Haben Sie von den vorgelesenen Worten selbst Kenntniß? Zeuge: Ja, wie Jedermann. Der Angeklagte: Sie ist officiell bekannt geworden. Die Regierung hat sie der Ständeversammlung zur Notiz mitgetheilt, als über den Stand der deutschen Angelegenheit interpellirt wurde. Präs.: Ist diese Note der Ständeversammlung mitgetheilt worden? Zeuge: Ja. Präs.: Haben Sie in derselben auch die fragliche Stelle gefunden? Zeuge: Das kann ich nicht gerade auf meinen Eid versichern. Ich habe die Abschrift nicht speciell durchgegangen, weil die Aktenstücke damals schon zu genau bekannt waren. Der Angeklagte: Ich bitte an den Zeugen die Frage zu richten: Ob ihm bekannt sei, daß Kurhessen nach dem 13. April von der Union zurückgetreten ist? Zeuge: Mir, wie Jedermann! Es geht dies auch auf das Sprechendste aus der landesherrlichen Verkündigung vom 28. Juni d. J. hervor. Der Angeklagte: Ich habe an den Zeugen sonst keine Frage zu richten. Zeuge: Der Herr Präsident hat mich wegen eines Ausdrucks gewisser Maßen zur Ordnung gerufen. Ich weiß nicht, ob ein Zeuge dergleichen hinnehmen muß. Ich werde befragt und ich habe zu antworten, aber zu antworten ganz nach meiner Art. Präs.: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß dem Präsidenten des Gerichtshofs im Strafprozeßgesetz die Befugniß eingeräumt worden ist, sämmtliche vor Gericht auftretende Personen zu unterbrechen und zur Ordnung zu verweisen. Zeuge: Ich habe meine Erklärung abgegeben. Es wird hierauf vorgerufen und beeidigt: der Zeuge Johann Daniel Wilhelm Ludwig Schwarzenberg, 62 Jahre alt, Obergerichtsanwalt von hier, mit dem Angeklagten nicht verwandt und bei der Sache nicht interessirt. Präs.: Waren Sie Mitglied der letzten aufgelösten Ständeversammlung? Zeuge: Ja, ich war Präsident derselben. Präs.: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie über Thatsachen, die Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Mitglied der Ständeversammlung bekannt geworden sind und von denen Sie glauben, daß Sie ein Dienst- und Amtsgeheimniß dabei zu bewahren haben, eine Auskunft verweigern können. Zeuge: Der Fall tritt nicht ein.

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Der Angeklagte: Ich will die Aussage dieses Zeugen benutzen, um das Deficit an Ehrgefühl festzustellen, von welchem in dem fraglichen Artikel die Rede ist. Ich bitte ihn zunächst über die Mißtrauensvoten, welche dem Ministerium von der Ständeversammlung wiederholt ausgesprochen worden sind, zu befragen. Präsid.: Wollen Sie Auskunft über das dem Ministerium ertheilte Mißtrauensvotum geben? Was ist Ihnen davon bekannt? Zeuge: Vor allen Dingen ist mir bekannt, daß unter den März-Verheißungen die wichtigste die war, daß der Kurfürst zu Ministern Männer wählen wollte, die das Vertrauen des Volkes genössen. Ueberraschend war es daher, daß, nachdem ein Ministerium das Amt geführt hatte, welches das Vertrauen des Landes im vollsten Maße besaß, plötzlich der Minister Hassenpflug, von dem man nach der Vergangenheit nicht annehmen konnte, daß er das Vertrauen des Volkes besitze, und von dem man eine heilsame Thätigkeit nicht erwarten durfte, diesen Platz einnahm. Es bildete sich in diesem Sinne eine allgemeine Meinung in der Ständekammer, und als der Abgeordnete Bayrhoffer den Antrag stellte, zu erklären, daß man in der Berufung des gegenwärtigen Ministeriums keine Bethätitigung der Märzverheißungen erblicke und sich verwahre gegen die Folgen, die diese Berufung nach sich ziehen könnte, wurde dieser Antrag, wie ich glaube, einstimmig angenommen, mit Ausnahme des Abg. Eberhard, der sich der Abstimmung enthielt. In derselben Sitzung erschien der Hr. Hassenpflug und die anderen Minister. Es wurde ihnen von mir als Präsidenten angekündigt, daß ein solcher Antrag gestellt sei, um ihnen Gelegenheit zu geben, das, was namentlich dem Herrn Hassenpflug in Beziehung auf seine Vergangenheit zur Rechtfertigung dienen könnte, der Ständeversammlung zu eröffnen. Hr. Hassenpflug hielt diese Rechtfertigung jedoch nicht für erforderlich und es wurde nach seinem Abtreten der Beschluß dann gefaßt. In derselben Sitzung wurde auch das Programm über das Verfahren, welches Hr. Hassenpflug und die anderen Minister bei ihrer ministeriellen Wirksamkeit einhalten wollten, veröffentlicht. Dieses wurde dem Verfassungsausschuß überwiesen und Hr. Abg. Pfeiffer erstattete darüber Bericht. Es wurden darin die Verheißungen des Programms in vielen Punkten für höchst ungenügend und unzeitgemäß gefunden und dann der Antrag gestellt, zu erklären, daß man sich in dem Mißtrauen, welches man dem Ministerium klar und deutlich zu erkennen gegeben, durch die gemachten Eröffnungen nur bestärkt fühlen könne und erwarten müsse, das Ministerium werde einen Platz aufgeben, den es zum Wohl des Landes und des Landesherrn nicht ausfüllen könne; dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. Angekl.: Der Zeuge beschränkt seine Aussage nur auf die eigentlichen direkten Mißtrauensvota; es sind aber später noch Beschlüsse gefaßt worden, die, wenn auch nicht direkt, sehr bedeutungsvolle Mißtrauensäußerungen enthalten. Der nächste Beschluß betraf einen vom Ministerium geforderten außerordentlichen Kredit. Die Ständeversammlung beschloß darauf, daß, da die Beschaffung der geforderten Summe nach dem Vorschlage des Ministeriums (Entnehmung aus dem Laudemialfonds) eine Verfassungsverletzung enthalte und gegen eine ganze Reihe von Gesetzen anstoßen würde, auch politische Gründe die Verwilligung widerriethen, darauf nicht einzugehen sei. Die Vorlage wurde verworfen. Der Präsident (zum Zeugen): Ist die Vorlage aus andern als materiellen Gründen verworfen worden?

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Zeuge: Der Vorgang war im Allgemeinen, wie der Angeklagte ihn angegeben hat; der Einzelheiten erinnere ich mich nicht genau mehr. Angeklagter: Ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß, wenn das Ministerium eine Vorlage macht und die Ständeversammlung solche zurückweiset, weil sie verfassungswidrig sei, darin ein Beschluß gegen das Ministerium liegt, wie er kaum stärker sein kann. – Ein weiterer Beschluß betraf eine Vorlage über Emittirung von Kassenscheinen und Aufnahme eines verzinslichen Darlehens im Betrage von 760,000 Thlr. Ich bitte den Zeugen zu befragen, ob nicht in dem über diesen Gegenstand erstatteten Bericht des Budgetausschusses (in Folge dessen der Vorschlag abgelehnt wurde) ausgesprochen worden ist, daß man eine so große Summe einer Verwaltung nicht zur Verfügung stellen könne, in der man das Unglück des Landes und das Verderben der Regierung erblicke? Präsid.: Was ist Ihnen über diesen Gegenstand bekannt? Zeuge: Die Thatsachen sind gegründet. Man hielt es für ungeeignet, daß ein solches Kapital verwilligt werde. Präsid.: Ist Ihnen ins Besondere erinnerlich, daß im Bericht des Budgetausschusses der Satz enthalten war, man wolle einen so großen Betrag nicht einer Verwaltung anvertrauen, in der man das Unglück des Landes und das Verderben der Regierung erblicke? Zeuge: Der Worte kann ich mich nicht genau erinnern. Präsid.: Erinnern Sie sich, daß der Sinn der Worte im Bericht enthalten war? Zeuge: Mein Gedächtniß ist nicht so getreu; allein bestreiten kann ich es nicht. Angekl.: Wenn es zulässig ist, bitte ich auf den noch anwesenden Zeugen Nebelthau zu rekurriren, da dieser den fraglichen Bericht verfaßt hat. Präsid.: Ich ersuche den Zeugen Nebelthau, vorzutreten. (Zu diesem Zeugen:) Ist Ihnen Etwas davon bekannt, daß in dem Bericht des Budgetausschusses als Grund, warum man den geforderten Betrag der Regierung nicht verwilligte, angegeben ist, die Ständeversammlung erblicke in der jetzigen Verwaltung das Unglück des Landes und das Verderben der Regierung? Zeuge: Ich bin der Verfasser des Berichts und ich weiß genau, daß diese Stelle darin vorkommt. Wenn ich mich nicht sehr irre, so heißt es vorher oder nachher: „Das Vertrauen zu der Regierung habe sich seit dem Beschluß über den Bayrhofferschen Antrag nicht gehoben, sondern, wo möglich, noch vermindert.“ Angekl.: Das ist richtig; der Zeuge hat die von mir angeführte Stelle im Auge. Ich wünsche nun durch die weitere Vernehmung des Zeugen Schwarzenberg konstatirt zu sehen – soweit dies nicht schon notorisch ist – daß die Regierung auf diesen und die anderen Beschlüsse keine Rücksicht genommen hat. Präsid.: Was ist Ihnen davon bekannt? Zeuge: Es lag eine Anfrage des Abg. Henkel vor, die Frage an das Ministerium zu stellen, ob in Beziehung auf das Mißtrauensvotum Etwas geschehen, ob es dem Landesherrn mitgetheilt worden sei? Diese Frage ist von Seiten des Ministeriums trotz mehrmaliger Erinnerung nicht beantwortet worden; es ist also anzunehmen, daß der Beschluß der Ständeversammlung unberücksichtigt geblieben ist.

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Präsident: Ist diese Anfrage an das Ministerium gerichtet und abgegeben worden. Zeuge: Es war eine Anfrage, die in Form einer gewöhnlichen Interpellation dem Landtagskommissar übergeben, und wie sich voraussetzen läßt, an das Ministerium gelangt ist; denn das ist der gewöhnliche officielle Weg. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen weiter zu befragen, was er im Allgemeinen von der bekannten Fälschungsangelegenheit des Hrn. Hassenpflug weiß, und insbesondere, ob Hr. Hassenpflug zur Beantwortung einer entsprechenden Interpellation in der Ständeversammlung erschienen ist und zugegeben hat, daß er sich wegen Fälschung im Anklagestand befinde? Präsident: Wollen Sie angeben, was Sie davon wissen? Zeuge: Die Anfrage ist gestellt und durch die bürgerlichen Rechtsnachtheile, die nach unsern Gesetzen an das Verbrechen der Fälschung geknüpft sind, motivirt worden. Das Ministerium wurde aufgefordert, über die Lage der Sache Auskunft zu ertheilen. Sie erfolgte sehr spät, während man sie mit Recht in der folgenden Sitzung erwarten konnte. – Diese Auskunft wurde von Seiten der Ständeversammlung für ungenügend gehalten, weil sie sich nicht auf die Sache selbst, sondern nur auf die processualische Lage derselben bezog. Weitere Schritte sind jedoch nicht gethan. Präsident: Ist es wahr, daß der Hr. Minister Hassenpflug in der Ständeversammlung erklärt hat, er sei wegen Fälschung in Anklagestand gesetzt worden? Zeuge: Ueber die Natur der Sache hat Hr. Hassenpflug einen zweifelhaften Ausdruck gebraucht, doch hat er erwähnt, wenn ich nicht irre, daß von der vorschriftswidrigen Verwendung von Baugeldern die Rede gewesen sei, und daß er sich deshalb in Untersuchung befinde. Präsident: Hat Hr. Hassenpflug ausdrücklich eingestanden, daß wegen Fälschung eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet worden sei. Zeuge: Dessen erinnere ich mich nicht. Angeklagter: Ich bitte den Zeugen zu befragen, ob in der Ständeversammlung eine Anfrage gestellt worden ist, welche wörtlich so lautet: „Ist es wahr, daß der Herr Staatsminister und Vorstand des Justizministeriums Hassenpflug von dem Strafgerichte zu Greifswalde, seinem vormaligen Wohnorte, mit einer Anklage wegen Fälschung verfolgt wird?“ Präsident: Ist diese Anfrage gestellt und an die Regierung abgegeben worden? – Zeuge: Ja. Der Angeklagte: Ich bitte, weiter zu fragen, ob der erschienene Minister die Frage verneint, ins Besondere die Anklage wegen Fälschung bestritten habe? Zeuge: Das ist meines Wissens nicht geschehen. Der Angeklagte: Ich bitte den Zeugen zu vernehmen, ob nicht gleichzeitig die weitere Frage an die Regierung gerichtet ist: „hält es die Staatsregierung mit der Ehre des Landes, mit der Würde der Regierung, dem Ansehen und der hohen Bedeutung makelloser Justiz für vereinbarlich, daß ein also Angeklagter und Verfolgter Minister und ins Besondere Vorstand des Justizministeriums sei?“ Präsident: Ist die Frage gestellt worden? – Zeuge: Ja.

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Der Angeklagte: Ich wünsche ferner, daß der Zeuge darüber gehört werde, ob in Folge der Antwort des Hrn. Hassenpflug, die er persönlich in der Ständeversammlung ertheilte, nicht folgender Antrag gestellt und durch Beschluß der Ständeversammlung in Erwägung gezogen und einem Ausschusse zur Begutachtung überwiesen sei: „Die Ständeversammlung erklärt, daß sie es mit der Ehre des Landes, mit der Würde der Regierung und mit dem unbefleckten Ansehn der Justiz nicht für vereinbarlich hält, daß ein wegen Fälschung in Anklagestand Befangener als Minister und ins Besondere als Vorstand des Justizministeriums fungire; die Ständeversammlung erwartet daher, daß der Staatsminister und Vorstand des Justizministeriums nicht länger in einer Stellung verbleibe, welche dem ganzen Lande zum größesten Aergerniß gereicht.“? Präsident: Welche Folgen wollen Sie daran knüpfen, wenn ein Einzelner einen Antrag stellt und dieser einem Ausschusse überwiesen wird. Wollen Sie behaupten, daß die Ueberweisung an einen Ausschuß den Beschluß der Ständeversammlung enthalte, daß sie den Antrag für erheblich erkläre? Angeklagter: Ja gewiß. Präsident: Ist über den Antrag diskutirt worden? Angeklagter: Ja, sehr heftig! Präsident (zum Zeugen): Ist Ihnen von der Stellung und Ueberweisung eines solchen Antrags an einen Ausschuß etwas bekannt? Zeuge: Ja, obgleich ich mich der einzelnen Worte nicht mehr erinnere. Präsident: Ist es gegründet, daß, wenn von Seiten der Ständeversammlung ein Antrag an einen Ausschuß verwiesen wird, darin der Ausspruch der Versammlung liegt, der Antrag sei erheblich? Zeuge: Dieser Ausspruch liegt ganz gewiß darin. Die Ueberweisung an den Ausschuß entscheidet die Vorfrage; ist Etwas erheblich, so kommt es an den Ausschuß zur Berathung und Prüfung, später folgt dann die definitive Entscheidung. Die Erheblichkeit ist mit der Ueberweisung an den Ausschuß ausgesprochen. Präsident: Was ist das Schicksal des fraglichen Antrags gewesen? Zeuge: Ich entsinne mich dessen nicht gleich. Angeklagter: Ich kann diese Frage wohl selbst erledigen. Es ist nicht zur Berichterstattung und Verhandlung über den Antrag gekommen, weil die Versammlung einige Zeit nach der Ueberweisung aufgelöst wurde. Ich bitte den Zeugen – soweit dies bei der Notorietät noch erforderlich ist – darüber zu vernehmen, ob Hr. Hassenpflug, trotz aller dieser Vorgänge, nicht doch im Ministerium geblieben. Präsident (zum Zeugen): Haben Sie davon Kenntniß? Zeuge: Es ist über die Entsagung des Hrn. Hassenpflug an die Ständeversammlung keine Kenntniß gelangt und ich weiß auch nicht anders, als daß er noch in seinem Amte ist. Präsident: Haben Sie über die jetzige Stellung Hassenpflugs amtliche Kenntniß, oder stützt sich Ihre Aussage auf Notorietät?

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Zeuge: Hr. Hassenpflug ist Minister nach wie vor; daß er in Frankfurt beschäftigt ist, hindert ihn augenblicklich hier thätig zu sein. Daß er aus dem Ministerium entlassen ist, davon ist mir nichts bekannt. Der Angeklagte: Ich erlaube mir darauf aufmerksam zu machen, daß nicht sowohl die jetzige Stellung, als die Stellung zur Zeit der Veröffentlichung des Artikels in Betracht kommt. Präs.: Das ist richtig. (Zum Zeugen): Ist Ihnen in Ihrer Eigenschaft als Präsident der Ständeversammlung bekannt, daß bis zum 27. Mai d. J. Hr. Hassenpflug im Amte gewesen ist? Zeuge: Ja; doch ist mein Gedächtniß nicht so getreu, daß ich den Tag genau bezeichnen könnte. Angekl.: Ich bitte zur Vernehmung des Zeugen Dircks zu schreiten. Der Zeuge H. Fr. Dircks, Landsyndikus, 47 Jahre alt, tritt ein, wird beeidigt und, wie die bisher Vernommenen, darauf aufmerksam gemacht, daß er, wo sein Dienstgeheimniß ihm Veranlassung zur Geheimhaltung gebe, das Zeugniß verweigern dürfe. Angekl.: Die bisherigen Aussagen sind so vollständig, daß ich den Zeugen nur über zwei Punkte zu befragen bitte, welche der nicht vernommene Zeuge etwas ungenau bekundet hat, und zwar zunächst darüber: Ob in der Ständeversammlung eine Interpellation folgenden Inhalts gestellt worden ist: „Ist es wahr, daß der Hr. Minister Hassenpflug in der Ständeversammlung erklärt hat, er sei wegen Fälschung in Anklagestand gesetzt worden?“ Präs.: Ist Ihnen dies bekannt? Zeuge: Diese Interpellation ist gestellt worden, und so viel ich weiß, war der Landtagskommissar anwesend. Ich bezweifle nicht, daß die Worte richtig sind, indessen kann ich das auf meinen geleisteten Eid nicht versichern. Präs.: Ist in der Ständeversammlung speciell wegen einer gegen den Minister Hassenpflug wegen Fälschung eingeleiteten Untersuchung interpellirt worden? – Zeuge: Ja. Angekl.: Ich bitte den Zeugen weiter zu fragen, ob vom Hrn. Hassenpflug bestritten worden ist, daß er sich wegen Fälschung in Untersuchung befinde? Präs.: Wollen Sie die eben gestellte Frage beantworten? Zeuge: Es hat eine Erklärung des Hrn. Hassenpflug Statt gefunden, und ich entsinne mich nicht, daß darin irgend etwas vorgekommen wäre, was die Behauptung, er befinde sich wegen Fälschung in Untersuchung, bestritten hätte. Die Erklärung wurde in ziemlich allgemeinen Ausdrücken abgegeben, es wurde der Gegenstand umgangen und die formelle Seite mehr hervorgehoben; deshalb kann ich die Frage des Angeklagten verneinen. Angekl.: Ich möchte den Zeugen weiter befragt sehen, ob folgender Antrag in der Ständeversammlung gestellt und durch Beschluß in Erwägung gezogen worden ist: „Die Ständeversammlung erklärt, daß sie es mit der Ehre des Landes, mit der Würde der Regierung und mit dem unbefleckten Ansehn der Justiz nicht für verein-

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barlich hält, daß ein wegen Fälschung in Anklagestand Befangener als Minister und ins Besondere als Vorstand des Justizministeriums fungire; die Ständeversammlung erwartet daher, daß der Staatsminister und Vorstand des Justizministeriums nicht länger in einer Stellung verbleibe, welche dem ganzen Lande zum größten Aergerniß gereicht?“ Präs.: Ist das wahr? Zeuge: Ja, es geht aus den Landtagsverhandlungen hervor. Präs.: Erinnern Sie sich dessen auch genau? Zeuge: Mit so voller Bestimmtheit, wie es hier verlangt wird, kann ich die Auskunft ohne die Landtagsverhandlungen nicht geben. Präs.: Entsinnen Sie sich des Umstandes, daß ein Antrag dieser Art gestellt und in Erwägung gezogen worden ist? – Zeuge: Ja. Präs.: Wenn die Ständeversammlung einen Antrag in Erwägung zieht und einem Ausschuß überweist, liegt darin der Beschluß, daß sie denselben für erheblich halte? Zeuge: Es liegt darin der Beschluß, daß eine nähere Prüfung Statt finden soll. Präs.: Wenn ein Antrag einem Ausschuß überwiesen wird, liegt darin die Erklärung, daß die Ständeversammlung von Haus aus der Ansicht sei, der Antrag werde nicht zu einer definitiven Entscheidung kommen? Zeuge: Nein, der Beschluß einer Ueberweisung eines Antrags an einen Ausschuß sagt davon gerade das Gegentheil. Angekl.: Ich bitte, die Frage bestimmter auf die Erheblichkeit zu richten. Präs.: Ich habe danach gleich gefragt. (Zum Zeugen.) Hat die Inbetrachtnahme und Ueberweisung eines Antrages an einen Ausschuß die Bedeutung, daß die Ständeversammlung den Gegenstand für erheblich halte? Zeuge: Ueber den Begriff von erheblich kann ich mich nicht gleich so bestimmt aussprechen; ein Beschluß der fraglichen Art hat die Bedeutung, daß eine Berichterstattung Statt finden soll. Präs.: Sind Ihnen Fälle bekannt, wo die Ständeversammlung Anträge sofort und ohne Berichterstattung verworfen hat? Zeuge: Deren sind mir viele bekannt. Der Präsident ließ hierauf den Zeugen Schwarzenberg nochmals vortreten und fragt ihn: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, so haben Sie gesagt, der Beschluß der Ständeversammlung über das Mißtrauensvotum sei einstimmig, nur mit Ausnahme des Abg. Eberhard, der sich der Abstimmung enthalten, gefaßt worden. Es steht mir vor, als habe, nach den Zeitungsnachrichten und Landtagsverhandlungen, eine Stimme sich dagegen erklärt, und zwar die des Abg. Lieberknecht. Zeuge: Ich kann darüber keine bestimmte Auskunft geben. Herr Lieberknecht hat sich von einigen Abstimmungen ausgeschlossen und ich weiß nicht, ob das auch bei der hier in Rede stehenden der Fall war. Der Angekl.: Ich kann, wenn meine Erklärung erheblich ist, in dieser Hinsicht Folgendes bemerken. Bei der ersten Abstimmung, nämlich bei der Frage, ob der

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Antrag in Erwägung gezogen werden solle, fand Einstimmigkeit Statt. Bei der definitiven Abstimmung aber (welche in Folge besondern Beschlusses alsbald nachfolgte) stimmte Hr. Lieberknecht allerdings gegen den Antrag. Bei dem zweiten Mißtrauensvotum sodann herrschte völlige Einstimmigkeit, da Hr. Lieberknecht nicht anwesend war. Zeuge: Ja, so kann es gewesen sein. Präs.: Hat der Angeklagte oder einer der Vertheidiger noch Etwas zu fragen oder zu bemerken? – Nein! von allen Seiten. Präs.: Die Verhandlungen über die Beweisaufnahme sind hiermit geschlossen19. Der Ankläger: Nachdem das Gericht meinen Antrag von heute morgen, die verlangte Beweisaufnahme zu verwerfen, durch seinen Spruch zur formellen Erledigung gebracht hat, so hat der Gang dieser Beweisaufnahme mich von der Richtigkeit meiner Gründe nur noch mehr überzeugt. Wir haben das gefährliche Schauspiel erlebt, daß die ganze Politik einer Regierung mittels eines Zeugenverhörs vorgenommen, zum Theil mit Dienern derselben Regierung einer gerichtlichen Prüfung unterworfen ist, und diejenigen, die der Regierung diese Politik zum Vorwurf machen, sind angehört worden. Es ist aber durch die Beweisaufnahme nichts dargethan, sie hat kein Resultat gehabt, so wie sie, meines Erachtens, auch kein Resultat haben konnte. Wenn die Herren Geschworenen in dem Labyrinth unserer Politik den Faden gefunden zu haben glauben, der sie zu einem gegründeten Urtheil, zu einem Urtheil, wie es ein Richter zu fällen hat, führt und dieses Urtheil fällt zum Nachtheil der Regierung aus, so sprechen Sie Ihr „Nichtschuldig“, wo nicht, so haben Sie gegründete Veranlassung, den Angeklagten nach der Anklage schuldig zu sprechen. Meine Herren! Sie sind Geschworene, Männer aus dem Volke, das Gesetz überträgt Ihnen ausnahmsweise das Recht und die Befugniß Ihr Urtheil zu sprechen, ob in einer Anklagesache wegen Beleidigung wirklich eine Beleidigung vorliegt20, ob sie hier in der oft angegebenen Stelle jenes Artikels der Neuen Hessischen Zeitung enthalten sei. Sie sind Männer aus dem Volke und die Bestimmung, daß Sie selbst Urtheil und Recht sprechen sollen, ist getroffen worden, weil man voraussetzt, daß Sie der Volkssitte, den Ansichten des Volkes von Ehre, den wahren Ausdruck zu geben vermöchten. Sie werden entscheiden können, ob in der Stelle des inkriminirten Artikels, dessen Inhalt ich nicht wiederholen will, eine Beleidigung liegt. Ich beantrage bei Ihnen, den Angeklagten schuldig zu sprechen der Beleidigung der Regierung, der jetzigen Mitglieder des Ministeriums, begangen durch die Presse. Der Verth. Dr. Oetker: . . . Diese Thatsachen sind die der Regierung ertheilten, unberücksichtigt gebliebenen Mißtrauensvota der Ständeversammlung, der Fälschungsproceß gegen Hrn. Hassenpflug und der Bruch des Unionsbündnisses. Aus diesen Thatsachen wird die Folgerung gezogen: der Charakter der Regierung ist ein Deficit an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl. Es fragt sich, kann in dieser Schlußfolgerung aus wahren Thatsachen die Absicht zu beleidigen gefunden werden? Ge19

§ 313. Im Falle der Beleidigung sah § 318 ausdrücklich vor, dass über deren Vorliegen die Geschworenen zu entscheiden hatten. In allen anderen Fällen hatten sie allein über Tatsachen und nicht über Rechtsfragen zu befinden. 20

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wiß nicht! – Es fehlte jedes Motiv zu beleidigen. Die Presse, namentlich die konstitutionelle, findet ihren Beruf nicht in Beleidigungen der Personen; sie hat es mit wichtigeren Dingen, mit der Kritik der öffentlichen Angelegenheiten, der Handlungen der Personen zu thun. Die Neue Hessische Zeitung, die sich als Organ der konstitutionellen Partei ankündigt, hat es stets verschmäht, einen persönlichen Kampf zu führen; sie hält es unter ihrer Würde, ein Ministerium Hassenpflug zu beleidigen. Sie hat den Plan verfolgt, und wird ihn unablässig verfolgen, dieses Ministerium aus dem Lande zu bringen, und zwar so schnell als möglich, aber niemals hat sie die Absicht verrathen, dasselbe zu beleidigen . . .. . . . Verth. v. Sybel: Erlauben Sie mir, den Worten meines Kollegen einige Bemerkungen anschließen zu dürfen. Das Recht der freien Presse, der freien politischen Meinungsäußerung, das Recht, ein Urtheil über politische Dinge zu fällen, ist in Kurhessen gewährleistet. Darin liegt von selbst, daß das Urtheil, die thatsächliche Aufstellung als solche straflos sein muß; gleichviel ob sie günstig oder ungünstig für die Staatsgewalt, ob sie in milder oder scharfer Form aufgetreten ist, ob die Auffassung auf Wahrheit oder auf Irrthum beruht, wenn nur nicht eine böswillige Erfindung nachgewiesen werden kann. In der Politik kommt man nicht zur Wahrheit ohne Streit, ohne Diskussion, und keine Diskussion ist denkbar ohne Irrthum. Selbst wenn das vorhin Statt gefundene Zeugenverhör Ihnen nicht die Ueberzeugung von der Wahrheit der angefochtenen Behauptungen gegeben haben sollte, selbst dann würden Sie nicht schuldig sprechen können, so lange nicht die böswillige Absicht bei der Aufnahme des Artikels nachgewiesen ist. Nur das Hinzutreten eines gesetzwidrigen Willens, eines verbrecherischen Vorsatzes, kann die vernichtende Thätigkeit des strafenden Richters gegen ein Erzeugniß der freien Presse herbeiführen. Dieser Grundsatz folgt aus dem innersten Wesen der Dinge, er ist so alt, wie die freie Meinung in politischen Dingen, und gebe Gott, daß in Kurhessen und in Deutschland die Wahrheit dieses Grundsatzes noch lange unwiderleglich feststehen möge . . .. . . . In welcher Weise, frage ich Sie, soll die Presse durchkommen, vorhandene Thatsachen konstatiren und sich darüber aussprechen, wenn nicht einmal ein negativer und vorsichtig gewählter Ausdruck gestattet sein soll? Mir ist es unklar, wie da die Presse ihrer Aufgabe soll nachkommen können ohne daß sie in die Lage geriethe, auf ihre erhabene Mission verzichten zu müssen. Es träte dann der ungeheuerliche Fall ein, daß, je schärfer und krasser die Schlechtigkeit der Regierung sich gestaltete, desto ohnmächtiger die Presse wäre, daß es desto unmöglicher würde, den Werth oder Unwerth der Handlungen der Regierung vor dem Volke zu besprechen. Die Presse hat nach dem Gesetze das Recht, den Beruf und die Pflicht, eine strenge unbestechliche Wacht zu halten über den Verlauf der öffentlichen Angelegenheiten . . .. . . . Verth. Dr. Pfaff: Ich habe in dieser Sache als Vertheidiger der Neuen Hess. Zeitung, die unter meiner Mitwirkung erscheint, das Wort ergriffen, nicht etwa, weil ich eine Vertheidigung für nöthig hielt. Auch entspricht es meiner Neigung wenig, noch einmal auf alle die Dinge zurückzukommen, die ich nicht ohne Ekel, Schaam und Verachtung vor Ihren Augen habe enthüllen sehen. Präs.: Ich muß Ihnen den Rath geben, sich zu mäßigen. Dr. Pfaff: Noch habe ich keine specielle Veranlassung zu dieser Verwarnung gegeben.

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Präs.: Ich wollte Sie auch blos vorsorglich warnen. Der Vertheidiger fährt fort: Es macht uns gewiß kein Vergnügen, uns gegen die Anklage einer Regierung hier vertheidigen zu sollen, an deren Spitze ein Mann steht, der nach den Gesetzen unseres Landes selbst nicht würdig sein würde, mich zu richten, der, meine Herren Geschworenen, nicht in Ihrem Kreise würde sitzen dürfen, der wegen eines Verbrechens gerichtlich bestraft und noch nicht wieder freigesprochen worden ist, welches nach unseren Gesetzen für ehrenrührig gehalten wird. Das ist eigentlich genug gesagt und wenn ich noch einige Worte hinzufüge, so geschieht es nur, um Ihnen die Stellung des Ministeriums Hassenpflug zur Presse im Allgemeinen zu charakterisiren. Es wird uns als ein Verbrechen zum Vorwurf gemacht, daß wir dem Ministerium ein Deficit an Geld, Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl vorgeworfen hätten. Ich weiß nicht, ob die kurhessische Regierung auch das Deficit an Geld für eine Injurie hält. Es gibt wenig Dinge in der Welt, über welche man so allgemein einverstanden ist, als über das Gelddeficit und die Geldverlegenheit des gegenwärtigen kurhessischen Finanzministers. Er würde es selbst für eine Absurdität halten, wollte man wegen dieser von ihm täglich officiell proklamirten Thatsache eine Injurienklage erheben. Aber wie mit diesem Deficit, so verhält es sich auch mit den Anderen. Es gibt gewiß noch ganz andere Deficite als das an Geld. Es leidet z. B. die kurhessische Regierung notorisch an einem Deficit an Kräften, an Freunden, an Männern, die mit ihm arbeiten und auf den Pfaden seiner Politik wandeln wollen. Sie können das aus dem Ministerialblatt, aus den unaufhörlichen Schmähungen ersehen, womit unsere gesammte Staatsdienerschaft darin überschüttet wird; Sie wissen es außerdem aus bekannten Vorgängen. Die Regierung leidet auch eben so notorisch an einem Deficit an Kredit, jede Seite der Verhandlungen des letzten Landtags bezeugt dieses und die bekannte mit Zustimmung des landständischen Ausschusses gegebene Verordnung gibt diesem Deficit sogar einen gesetzlichen Ausdruck. Die Presse ist bei Besprechung unserer öffentlichen Angelegenheiten genöthigt, auch wenn sie nicht wollte, immer wieder von diesem allenthalbigen Regierungsdeficit auszugehen. Wenn Sie ihr das wehren wollen, so machen Sie ihr ihre Aufgabe unmöglich . . .. . . . Verth. Dr. Pfaff: . . . . . . – Meine HH. Geschworenen! Ich komme auf einen Punkt, welcher mir der wichtigste von allen zu sein scheint, auf die besondere Aufgabe, welche die Presse jetzt hat. In diesen Tagen, wo die Parlamente untergegangen, wo die Ständekammern vertagt und aufgelöst sind, wo das Volksleben in Vereinen und Versammlungen erschlafft am Boden liegt, in diesen Tagen ist die freie Presse die letzte Position, welche die öffentliche Meinung sich erhalten hat, und sie hat die Pflicht, diese Position mit aller Entschiedenheit zu bewahren. Meine HH. Geschworenen! Wollen Sie gerade jetzt, wo eine Krisis bevorsteht, die auf unabsehbare Zeit hin das Schicksal Deutschlands entscheiden wird, wollen Sie gerade in diesem Augenblicke die Presse niederdrücken, sie nöthigen, nur über kleine Unglücksfälle zu berichten, und von dem großen Unglück des Landes, von den großen Fehlern und Verbrechen derer, die es ins Unglück stürzen wollen, zu schweigen? Wenn Sie sich auf solche Zumuthungen einließen, dann wäre freilich der Regierung ihr letzter Zweck gelungen. Es ist meine Ueberzeugung, daß es der Regierung im vorliegenden Falle, den der Hr. Staatsprok. selbst für sehr geringfügig erklärt, gar nicht darum zu thun gewesen ist, eine Injurie zu bestrafen. Wenn sie Injurien verfolgen wollte, dann hätte sie vor

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allen Dingen das Ministerialblatt, in dem die verletzendsten Schmähungen gegen die abgetretenen Minister, gegen die Beamten des Staates, gegen die Volksvertretung etc. enthalten sind, wegen Beleidigung anklagen müssen; dann würde sie nicht tausend ärgere gegen sie gerichtete Angriffe übergehen und diesen sehr gemäßigten verfolgen. Aber ich glaube, es ist der kurhessischen Regierung darum zu thun, den Kampf, den sie gegen die öffentliche Meinung und zunächst gegen die Vertreter des Landes unternommen hat, jetzt auf die Presse zu übertragen. Es ist dahin gekommen, daß die kurhess. Regierung und die freie Presse nicht mehr neben einander bestehen können; beide sind zu zwei ganz unverträglichen Dingen geworden; es ist dahin gekommen, daß eines dem andern weichen muß. Der Regierung fällt es bekanntlich nicht ein, um der öffentlichen Meinung, um der Stände, um der Presse willen ihrer Seits ihren Platz zu verlassen, es bleibt ihr also nichts übrig, als einen Kampf auf Tod und Leben gegen die Presse zu eröffnen. Ob ihr das gelingen wird, das weiß ich nicht; es ist einer durch ihre augenblicklichen Erfolge ganz toll und übermüthig gewordnen Reaktion allerdings sehr Vieles gelungen. Einiges wird ihr jedoch nicht gelingen und Eines weiß ich gewiß: daß ihr die Vernichtung der freien Presse mit Hülfe der Schwurgerichte in diesem Lande niemals gelingen wird. Meine Herren Geschworenen! Es ist etwas Großes um das öffentliche Schwurgericht. Wo es in Kraft besteht, da wird es dem Gewaltigen im Staate unmöglich, die Wahrheit und den Freimuth als ein Verbrechen zu verfolgen. Und wenn durch augenblickliche beklagenswerthe Verwirrung der Verhältnisse und durch eine ungewöhnliche Verwegenheit es auch einer schlechten Regierung vorübergehend gelingt, das Land ins Unglück zu stürzen, dann wird es doch diese Regierung, so lange ein unabhängiges Schwurgericht besteht, nicht wehren können, daß die Presse über sie zu Gericht sitzt und ihr bei lebendigem Leibe das Todtengericht hält. Meine Herren Geschworenen! Wenn Sie auch auf die Ansicht der Regierung eingehen wollten, wenn Sie den Satz, den die Neue Hess. Ztg. in dem inkriminirten Artikel ausgesprochen hat und dessen Wahrheit bewiesen ist, als strafwürdig verdammen und es als ein Vergehen betrachten wollten, daß sie berichtet hat, der Charakter der Regierung sei ein Deficit an Ehrgefühl, Redlichkeit und Zuverlässigkeit, – der Satz wird doch stehen bleiben, den Satz hat die Geschichte längst verzeichnet, der ist wahrhaftig keine Kasuistik, womit wir, die Angeklagten, nach der Meinung des Herrn Staatsprokurators, die Fakten der Geschichte zu unseren Zwecken zusammenstellen und es dann der Zukunft überlassen, ob sie historisch werden. Die Fakten, worauf dieser Satz fest und sicher ruht, sie sind wirkliche Geschichte, sie sind vor unseren Augen passirt. Meine Herren Geschworenen! Ministerien und Regierungen, zumal solche, wie die kurhessische, sind heut zu Tage sehr vergängliche und flüchtige Dinge. Aber die ewige Wahrheit der Geschichte, welche die Thatsachen in ihr Buch verzeichnet, sie bleibt über dem Wechsel der Dinge bestehen und auf diese Wahrheit wollen wir uns stützen. Ich empfehle die Neue Hessische Zeitung Ihrem Urtheile. Der Präsident (zum Angeklagten): Haben Sie persönlich zu Ihrer Vertheidigung noch Etwas vorzubringen?21 Angekl.: Ich habe nur Weniges hinzuzufügen. Es ist zu Anfange der Verhandlungen von mir bemerkt worden, daß ich zu meiner Vertheidigung die Wahrheit aller 21

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in dem zur Anklage gebrachten Artikel enthaltenen Angaben und Behauptungen nachweisen wolle. Weiter habe ich angeführt, daß, wenn die Behauptungen auch wirklich nicht wahr sein sollten, ich doch mindestens die genügendste Veranlassung gehabt habe, sie für wahr zu halten. Diesen Punkt habe ich im Laufe der Verhandlungen und der Beweisaufnahme nicht weiter verfolgt, weil die volle Wahrheit so unumstößlich von mir dargethan worden ist, wie nur je eine Beweisführung Statt gefunden hat. Auch jetzt will ich diesen Gegenstand nicht ausführlicher berühren, obwohl ich die schlagendsten Zeugnisse für meinen guten Glauben anführen könnte. Nur auf Eins erlauben Sie mir noch aufmerksam zu machen. Es gibt einen Mann, der von Kassel aus bisher fortwährend den Vertheidiger Hassenpflugs und seines Ministeriums gemacht hat. Bis auf die letzten acht Tage hat er sich bemüht, alle seine Handlungen zum Besten auszulegen und öffentlich (namentlich in der Deutschen Zeitung) dafür aufzutreten. Aber vor einigen Tagen hat sich dieser Mann folgender Maßen ausgesprochen: „Referent hat sich bemüht, alle Schritte Hassenpflugs in der deutschen Sache zum Besten zu deuten. . . . Jetzt verkündet die kurfürstliche Proklamation die definitive Lossagung Kurhessens von der Union. Was soll man sagen von einer solchen Politik, die sich ihrer göttlichen Inspiration rühmt und dem rothen Pessimismus augenscheinlich in die Hände arbeitet? Was soll man sagen zu einem solchen Bankerott an Ehrlichkeit und Treue von Seiten Derer, die einen göttlichen Beruf zur Rettung des Vaterlandes für sich in Anspruch nehmen? So viel weiß ich, daß unsere hessische Ehre nicht gerettet, sondern geschändet ist“ . . . Meine Herren Geschworenen, wenn so ein Freund Hassenpflugs spricht, was sollen dann seine Widersacher sagen? Der Hr. Ankläger hat zu Anfange der Verhandlungen hervorgehoben, es sei offenbar die Absicht, diesen Fall zu einem sehr wichtigen zu machen, während es sich doch nur um eine geringfügige Geldstrafe handle. Meine Herren! Wichtig ist der Fall; es kommt aber nicht auf die Strafe und das Geld an, sondern auf das Schuldig und das Nichtschuldig. Sprechen Sie das Eine oder das Andere nach Ihrer Ueberzeugung aus! Ankläger: Was den juristischen Theil der Vertheidigung betrifft, so beziehe ich mich auf Das, was ich in meinem Vortrage von heute Morgen gesagt habe. Im Uebrigen beharre ich auf dem Standpunkte, den ich ebenfalls heute Morgen eingenommen habe, wonach die Anführung und Erörterung politischer Theorien, mit denen wir uns den ganzen Tag über beschäftigt haben, zur Sache selbst nicht gehört. Ich erwähne nur Eins noch. Es ist von dem Wechsel in der Politik der Regierung die Rede gewesen; Alles dreht sich fast nur um diesen Punkt. Wenn auf diesen Umstand ein so bedeutendes Gewicht gelegt wird, dann stelle ich an sämmtliche Anwesende die Frage, wie oft haben sich seit 2 ½ Jahren Ihre eigenen politischen Ansichten geändert? Ich erkenne das Verhältniß Derer, die sich jetzt für die Union so warm interessiren, zu der in Frankfurt beschlossenen und – wie gesagt worden ist – leider nicht zu Stande gekommenen Reichsverfassung an, und bin weit entfernt, Jemandem aus einem Wechsel seiner Ansichten einen Vorwurf zu machen; aber was von uns gilt, das muß im Nothfall auch von einer Regierung gelten können. Wenn bei der Regierung der Wechsel der Politik mit „einem Mangel an Ehrgefühl“ bezeichnet wird, dann können wir sammt und sonders uns desselben Deficits bezichtigen. M. HH. Geschworenen! Wenn Sie die politischen Ansichten des Angeklagten und der HH. Vertheidiger noch so innig theilten, wenn Sie auch allesammt politische Gegner des jetzigen Ministeriums wären, das darf – ich brauche wohl kaum daran

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zu erinnern – auf Ihre richterliche Ueberzeugung, auf Ihren Spruch keinen Einfluß haben, und wenn es durchaus darauf ankommen soll, politische Gründe vorzuführen, nun dann ist es bekanntlich eine historische Wahrheit, daß jede Freiheit in ihrem Uebermaß sich selbst ihr Grab gräbt. Hr. v. Sybel: Eine Bemerkung erlaube ich mir noch zu machen. Ueber den juristischen Theil der Sache will ich nichts hinzusetzen, das mag der öffentliche Herr Ankläger für sich ausfechten mit dem hohen Gericht, welches den Verhandlungen ihren Weg vorgezeichnet und die Ansichten gehört hat. Wohl aber drängt es mich mit einem Wort, etwas zu der weitern Bemerkung über die allgemeine Unzuverlässigkeit unserer politischen Bestrebungen hinzuzufügen. Wer könnte es bezweifeln, der den gewaltigen Stürmen vom Jahre 1848 gefolgt ist, daß allerdings gar mancher redliche Mann seine Ansichten mit Redlichkeit gewechselt, daß mancher ehrliche Patriot Etwas hinzugelernt, daß mancher zuverlässige Mensch, dem Drange der Nothwendigkeit folgend, sein Ziel auf anderm Wege zu erreichen gesucht hat, nachdem der zuerst betretene Weg durch unwiderstehliche Fluthen zerrissen und vernichtet worden war; aber ich frage Sie, können Sie es für recht und billig finden, diese zwei Fälle auf eine Linie zu stellen, den einen Fall: daß unsere konstitutionelle Partei, die mehr als in irgend einem deutschen Lande das Ihrige gethan hat, um die Reichsverfassung verwirklichen zu helfen, nachdem ihr Weg durch preußische Waffen einer Seits und durch demokratische Aufstände anderer Seits verschüttet worden, sich freute, daß ein jenem im Wesentlichen ähnliches Unternehmen, die Union mit der parlamentarischen Regierung, in die Hand genommen wurde, und den andern Fall, daß unser Ministerium seiner Seits bis jetzt Alles, und, ich darf es nach den notorischen Thatsachen aussprechen, allein Alles gethan, um diesen Weg zu verderben, das Werk zu zerstören? Zwischen diesen beiden Fällen besteht doch begreiflicher Weise ein Unterschied, ja ein großer Unterschied besteht zwischen unserm Verhältniß zur deutschen Rechtsverfassung und dem Verhältniß des Ministeriums zur Union. Der Vertheidiger Dr. Oetker erklärt sich beauftragt, noch Verwahrung gegen die zweite dem Vertheidiger Dr. Pfaff ertheilte Rüge einzulegen, in welcher er einen Eingriff in das freie Vertheidigungsrecht erblicke. Nachdem der Präsident sodann die Verhandlung in kurzen Sätzen zusammengefaßt hat22, zieht sich das Gericht zur Berathung der den Geschworenen vorzulegenden Fragen zurück23. Nach etwa einer Stunde tritt es wieder ein, und der Präsident verlieset folgende Fragen24: 1) Ist in der am 27. Mai l. J. unter Verantwortlichkeit des Angeklagten erschienenen und in Umlauf gesetzten Nr. 243 des politischen Tagblattes „Neue Hessische Zeitung“ ein Artikel unter der Ueberschrift: „Unsere Lage“ veröffentlicht worden, welcher ins Besondere folgende Stelle enthält: „Andere Dinge hat unsere Regierung bisher nicht an das Licht gefördert. Ihr Charakter ist also mit einem Worte ausgesprochen, es ist das Deficit, Deficit wie an Geld, so an Zuverlässigkeit, Redlichkeit und Ehrgefühl.“? 22 23 24

§ 315. § 317. § 318.

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2) Ist durch die hervorgehobene Stelle jenes Artikels eine Beleidigung der dermaligen kurhessischen Staatsregierung verübt worden? 3) (Für den Fall der Bejahung der zweiten Frage, rücksichtlich der Einrede der Wahrheit als Milderungsgrund) War der Angeklagte in der Lage, die zur Begründung jenes Ausspruches von ihm in der Verhandlung geltend gemachten thatsächlichen Verhältnisse für wahr zu halten und durch solche den fraglichen Ausspruch veranlaßt zu finden? Ankläger und Vertheidiger haben gegen die Art der Fragstellung Nichts zu erinnern25. Der Geschworene Vogt wünscht dagegen, daß zwischen der 2ten und 3ten Frage noch eine weitere des Inhalts eingeschaltet werde: Haben die dermaligen Träger der Staatsgewalt zu jener Aeußerung Veranlassung gegeben? weil die Geschworenen der Ansicht sein könnten, daß durch diesen Umstand die Strafwürdigkeit des Angeklagten nicht nur vermindert, sondern völlig ausgeschlossen werde. Der Präsident gibt aber die Erläuterung, daß nach der Ansicht des Gerichtes Das schon in der zweiten Frage enthalten sei, indem die Geschworenen, Falls sie die vom Angeklagten zur Entschuldigung vorgebrachten Thatsachen für wahr und erwiesen hielten und glaubten, daß dadurch der angeschuldigten Aeußerung der beleidigende Charakter genommen werde, die zweite Frage zu verneinen haben würden. Durch diese Erläuterung erklärt der Geschworene seine Bedenken für beseitigt. Der Angeklagte hält die gegebene Erläuterung, mit Rücksicht auf die Fassung der zweiten Frage, für so nothwendig und bedeutungsvoll, daß er beantragt, sie den Geschworenen schriftlich mit in das Berathungszimmer zu geben, was indessen der Präsident ablehnt, da die Geschworenen die Erläuterung verstanden zu haben erklärt hätten. – Der Präsident verliest hierauf den Geschworenen ihre im Strafproceßgesetze vorgeschriebene Instruktion26 und entläßt sie mit dem Anklageakte, den gestellten Fragen und den sonstigen Urkunden in ihr Berathungszimmer27. Nach Verlauf von zehn Minuten kehren sie, nachdem der Angeklagte zuvor abgetreten ist und der Präsident das Publikum ernstlich aufgefordert hat, den Ausspruch der Geschworenen, er möge ausfallen, wie er wolle, mit Ruhe aufzunehmen, in den Sitzungssaal zurück. Der erwählte Obmann28 der Geschworenen, Herr Vogt, tritt vor, legt die Hand aufs Herz und verliest den Ausspruch, wodurch die erste Frage einhellig bejaht, die zweite einhellig verneint, die dritte somit erledigt ist29. Der Angeklagte wird hierauf wieder vorgerufen und der Sekretar verkündet ihm den Ausspruch der Geschworenen; worauf der Präsident alsbald dessen Freisprechung eröffnet und die Sitzung schließt30.

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§ 319. Ausführlich dargestellt in § 320. 27 § 321. 28 Nach § 322 wählten die Geschworenen im Beratungszimmer einen Obmann. Wegen der weiteren Beratungen der Jury über die ihnen gestellten Fragen siehe §§ 323 ff. 29 § 329. 30 § 334. 26

Anhang 2 Gesetz vom 26sten August 1848, wider Preßvergehen Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Wilhelm der Iste, Kurfürst etc. etc. ertheilen zu Vollziehung des §. 37 der Verfassungsurkunde, nach Anhörung Unseres Gesammtstaatsministeriums und mit Zustimmung der getreuen Landstände folgendes Gesetz. §. 1. Die Freiheit der Presse und des Buchhandels findet in vollem Umfange Statt, ohne durch Censur, Cautionen, Concessionen oder überhaupt in anderer Weise, als durch die Vorschriften gegenwärtigen Gesetzes beschränkt zu seyn. §. 2. Hinsichtlich des Büchernachdrucks jedoch bleiben die bisherigen Bestimmungen bestehen. §. 3. Was in diesem Gesetze über Druckschriften verfügt wird, gilt insbesondere auch von allen gedruckten einzelnen Blättern, desgleichen von allen durch sonstige mechanische Mittel, namentlich Steindruck, Kupferstich oder Holzschnitt vervielfältigten Schriften und bildlichen Darstellungen. §. 4. Keine Druckschrift darf im Kurstaate herausgegeben oder verbreitet werden, welcher nicht der Name des Verlegers oder des Druckers nebst der Angabe des Ortes und der Zeit des Druckes beigesetzt ist. Zeitungen und Zeitschriften politischen Inhaltes müssen außerdem den Namen des Herausgebers angeben. Die Uebertretung dieser Vorschrift hat für den Verleger, Drucker oder Verbreiter, auch wenn der Inhalt der Schrift nicht strafbar seyn sollte, eine Geldstrafe von 1 bis 10 Thalern zur Folge. Wer wissentlich eine falsche Angabe macht, oder, bekannt mit der Falschheit, eine solche Angabe enthaltende Druckschrift verbreitet, unterliegt einer Geldstrafe von 10 bis 20 Thalern. Der Verbreiter wird durch die Nachweisung des inländischen Verlegers oder Druckers, und der Drucker durch die Nachweisung des inländischen Verlegers von der Strafe befreiet. Der Drucker unterliegt jedoch jedenfalls einer Ordnungsstrafe von 1 bis 5 Thalern.

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§. 5. Der Herausgeber einer politischen Zeitung oder eines anderen periodischen Blattes politischen Inhaltes ist bei Meidung einer Geldbuse und nöthigenfalls Zwangsmaaßregeln, selbst persönlicher Haft, verbunden, jede amtliche Berichtigung der darin mitgetheilten Thatsachen, sowie jede andere thatsächliche Berichtigung von Seiten des darin Angegriffenen in ihrem ganzen Umfange in eins der auf den Eingang der Berichtigung zunächst folgenden Blätter aufzunehmen und zwar unentgeltlich bis zum Raume von einer Seite, oder bei gespaltenen Seiten von einer Spalte. Für das Übrige können die gewöhnlichen Einrückungsgebühren verlangt werden. §. 6. Vorstehende Bestimmung ist auch auf Zeitschriften politischen Inhaltes, welche heftweise erscheinen, anzuwenden, dagegen sind Blätter oder Zeitschriften rein wissenschaftlichen, artistischen oder technischen Inhaltes von derselben ausgenommen. §. 7. Die Inhaber von Leihbibliotheken sind verpflichtet, über die zu ihrem Geschäfte gehörigen Schriften und Bildwerke ein vollständiges treues Verzeichniß zu führen und solches, sowie die Schriften und Bildwerke selbst, der Polizeibehörde auf Verlangen im Geschäftslocale der Leihbibliothek zur Einsicht vorzulegen, bei Meidung polizeilicher Geldbusen und geeigneter Zwangsmaaßregeln. §. 8. Wegen der durch Druckschriften verübten Vergehungen findet ein Strafverfahren nur nach den Bestimmungen dieses Gesetzes Statt. §. 9. Die Einleitung dieses Strafverfahrens kann nicht mehr stattfinden, wenn sechs Monate von dem Zeitpunkte der Vollendung des Vergehens an abgelaufen sind. Auch der Fortsetzung stehet Verjährung entgegen, wenn durch die Schuld des Gerichtes oder des Anklägers das Strafverfahren sechs Monate lang beruhen blieb. §. 10. Der Inhalt einer Druckschrift kann nur dann Gegenstand strafgerichtlicher Verfolgung werden, wenn die Schrift in Verkehr gesetzt, oder auf andere Weise in Umlauf gebracht ist. §. 11. Die Beschlagnahme einer Schrift gesetzwidrigen Inhaltes lediglich Behufs der Unterdrückung kann schon vor vollendetem Drucke bei dem Untersuchungsgerichte beantragt werden.

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§. 12. Ein solcher Antrag von Seiten eines Privatklägers ist dann statthaft, wenn derselbe 1) genügend bescheiniget, daß ihm durch die Verbreitung der Schrift eine Rechtsverletzung würde zugefügt werden, und 2) zugleich, wenn es erforderlich erscheint, für etwaige Schaden und Kosten Sicherheit leistet. §. 13. Der Staatsanwalt kann auf eine solche Beschlagnahme antragen, wenn er genügend bescheinigt, daß der Inhalt der Schrift von der Art ist, daß deren Verbreitung ein im öffentlichen Interesse von Amtswegen zu verfolgendes Vergehen begründen würde. §. 14. Das angegangene Gericht verfügt über das Gesuch um Beschlagnahme sogleich nach dessen Empfang. Gegen diese Verfügung stehet sowohl dem Antragsteller, als demjenigen, gegen welchen der Antrag gerichtet ist, die Beschwerdeführung an den Criminalsenat des Obergerichtes zu, welcher alsbald nach deren und der Acten Eingang auf dieselbe erkennt. §. 15. Von den Personen, welche zum Erscheinen einer sträflichen Druckschrift mitgewirkt haben, haftet 1) 2) 3) 4)

der Drucker, der Verleger, der Herausgeber, der Verfasser, Letzterer aber nur unter der Voraussetzung, daß Druck und Herausgabe mit seinem Wissen und Willen erfolgt sind.

Sobald der Verfasser vor ein Kurhessisches Gericht gestellt werden kann, sind alle übrigen Personen ihrer Verantwortlichkeit überhoben; eben so Verleger und Drucker, wenn jenes in Bezug auf den Herausgeber, und der Drucker, wenn es in Bezug auf den Verleger der Fall ist. Es können daher die betreffenden Personen die Einstellung eines gegen sie gerichteten Verfahrens begehren, sobald sie denjenigen nachgewiesen haben, dessen Verantwortlichkeit die ihrige beseitigt. Einer solchen Nachweisung stehet gleich, wenn die nachgewiesene Person nach dem Erscheinen der angeschuldigten Druckschrift verstorben oder unzurechnungsfähig geworden, oder sonst, ohne daß solches vorausgesehen werden konnte, unangreifbar geworden ist.

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§. 16. Bei Zeitungen und Zeitschriften politischen Inhaltes haftet stets der Redacteur. Wenn nicht etwa schon der Inhalt der angeschuldigten Stelle an sich (objectiv), oder der darin gebrauchte Ausdruck ein Vergehen begründet, so wird auch der Redacteur dadurch seiner Verantwortlichkeit überhoben, daß er den Verfasser (vergl. §. 15, Satz 4) oder die Quelle nachweiset, der er die angeschuldigte Stelle entnommen hat. §. 17. Die Buchhändler sind als Theilnehmer verantwortlich, wenn sie eine sträfliche Druckschrift verbreiten, 1) welche ihnen außer dem Wege des ordentlichen Buchhandels zugekommen, oder 2) auf welcher nicht der Name entweder des Verlegers oder Druckers nebst der Bezeichnung des Ortes und der Zeit des Druckes angegeben, 3) deren Beschlagnahme ihnen amtlich bekannt gemacht ist. Jeder andere Verbreiter haftet, wenn ihm der Inhalt der Schrift bekannt war, unbedingt als Theilnehmer an der durch die sträfliche Druckschrift verübten Vergehung. Für Hausirer fällt bei außerhalb des Kurstaates gedruckten Schriften der von der Nichtkenntniß des Inhaltes der Schrift zu entnehmende Befreiungsgrund weg. Ausländer, welche eine sträfliche Druckschrift auf was immer für eine Weise im Kurstaate verbreiten, können deshalb ebenfalls von den inländischen Gerichten zur Strafe gezogen werden. §. 18. Die Strafen wegen Vergehungen durch die Presse werden nach dem bestehenden Rechte festgesetzt, aber nur als Geldstrafen erkannt, wenn es sich nicht um Hochoder Landesverrath, um Vergehen gegen den Landesherrn, um Aufforderung zu Aufruhr, sowie um Schmähschriften handelt, welche ein entehrendes Laster oder Verbrechen andichten. §. 19. Die Freiheitsstrafe darf, den Fall des Hoch- oder Landesverrathes und der Anreizung zum Aufruhr ausgenommen, nur in Gefängniß- oder Festungsstrafe bestehen. §. 20. Jedes verurtheilende Erkenntniß kann zugleich die Unterdrückung oder Vernichtung der für strafbar erklärten Schrift oder des für strafbar erklärten Theiles derselben in Bezug auf die mit Beschlag belegten und alle noch im Besitze des Verfassers, Herausgebers, Verlegers, Buchhändlers oder Druckers vorfindlichen oder sonst hinterlegten und noch nicht verkauften Exemplare aussprechen. §. 21. Geldstrafen, die nicht erlegt werden können, werden in Gefängnißstrafen verwandelt, wobei für je zwei Thaler ein Tag Gefängniß gerechnet wird.

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§. 22. Wegen Uebertretungen der Bestimmungen in den §.§. 4,5,6 und 7, sowie auf den Antrag eines Privatklägers wegen durch eine Druckschrift zugefügter Ehrenkränkung findet das gewöhnliche Verfahren vor den Strafgerichten Statt. §. 23. Die strafgerichtliche Verfolgung anderer durch die Presse verübter Vergehungen auf den Antrag des Staatsanwaltes erfolgt im Wege des Anklageprocesses vor Schwurgerichten. Das Verfahren hierbei ist öffentlich und mündlich. §. 24. Die Staatsanwälte oder ihre Stellvertreter verfolgen dergleichen Preßvergehungen von Amtswegen. Bei Beleidigungen gegen andere deutsche Regenten oder Regierungen erhebt der Staatsanwalt die Klage auf eine durch das Justizministerium ihm zugekommene Beschwerde der betreffenden Regierung. Auch bei Beleidigungen gegen inländische Behörden oder einzelne Staatsbeamten als solche kann der Staatsanwalt, auf Antrag des Beleidigten oder der diesem vorgesetzten Behörde, Klage erheben. §. 25. Die Klage, sie mag vom Staatsanwalte oder von einem Privatkläger angebracht werden, muß die genaue Bezeichnung der Schrift oder der Stellen, worin die Vergehung liegen soll, enthalten und dem zuständigen Untersuchungsgerichte übergeben werden. Das Gericht erkennt längstens binnen der nächsten drei Tage nach Ueberreichung der Klage, ob Grund zur gerichtlichen Verfolgung der angezeigten Vergehung vorhanden sey. §. 26. Mit der Klage kann der Antrag auf vorläufige Beschlagnahme der Druckschrift verbunden werden. Es finden alsdann die Bestimmungen der §.§. 12 bis 14 einschließlich Anwendung. Alle auf diese Beschlagnahme bezüglichen Beschlüsse hat das Gericht den Parteien bekannt zu machen, insoweit und sobald dies ohne wesentlichen Nachtheil für die Erreichung des Zweckes der Beschlagnahme und die Führung der Voruntersuchung geschehen kann. §. 27. Das Untergericht, bei welchem vom Staatsanwalte eine Klage in Gemäßheit der §.§. 23 und 24 angebracht ist, hat die Voruntersuchung zu führen, durch welche die nachherige förmliche Anklage (s. §. 35) vorbereitet und begründet werden soll.

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Die urtheilenden Gerichte über dergleichen Preßvergehungen sind die Criminalsenate der Obergerichte beziehungsweise das Obergericht zu Rinteln, in Verbindung mit Geschworenen. §. 28. Geschworener kann, bis zu anderweiter Bestimmung bei allgemeiner Einführung der Schwurgerichte, Jeder seyn, welcher an der zuletzt vorausgegangenen Wahl der Landtagsdeputirten unmittelbar Theil genommen hat. §. 29. Binnen vierzehn Tagen nach dem Erscheinen dieses Gesetzes und künftig nach vorgenommener neuer Landtagswahl, haben die ritterschaftlichen Obervorsteher und Stromsdeputirten, die Vorstände des wahlberechtigten Adels in den Provinzen Fulda und Hanau, die Landesuniversität und die Wahlcommissionen der Städte und Landgemeinden diejenigen Personen, welche bei ihnen als Wähler bei der jüngsten Wahl mitgewirkt haben, bei dem Criminalsenate des Obergerichtes des Wohnortes derselben zu bezeichnen. §. 30. Hiernach hat jedes Obergericht eine Liste aufzustellen und dieselbe nicht nur im Gerichtslocale anzuschlagen, sondern auch durch das Provinzialwochenblatt bekannt zu machen. Etwaige unabsichtliche Nichtmitaufnahme einer oder der anderen Person begründet keine Nichtigkeit des Verfahrens. §. 31. Der untersuchende Richter sowohl, als die urtheilenden Gerichtspersonen, können nach den für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten bestehenden Normen abgelehnt (recusirt) werden. Die Ablehnung der Geschworenen findet nur in Gemäßheit der §.§. 38 und 40 Statt. §. 32. Die Voruntersuchung ist nach den Regeln des bestehenden Untersuchungsverfahrens, jedoch ohne Beeidigung der Zeugen und etwaigen Sachverständigen und mit Hinweglassung des Schlußverhörs, vorzunehmen. Während derselben kann der Staatsanwalt bei dem Untersuchungsrichter geeignete Anträge jeder Art stellen. Wenn die Besorgniß eintritt, daß ein Zeuge wegen Krankheit oder sonstiger Verhinderung in der Sitzung vor dem Obergerichte nicht werde erscheinen können, so kann auf den Antrag des Angeklagten dessen Beeidigung schon jetzt erfolgen, unbeschadet der nochmaligen Vernehmung vor dem Obergerichte unter Erinnerung an den abgelegten Eid, falls alsdann diese Vernehmung sich doch als thunlich ergeben sollte.

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§. 33. Am Schlusse der Voruntersuchung sind die Untersuchungsacten an den Staatsanwalt abzugeben mit der Aufforderung, binnen einer Frist von acht Tagen entweder weitere Anträge zur Vervollständigung der Untersuchung zu stellen, oder die Anklageschrift nunmehr auf den Grund der Voruntersuchung gehörig zu formuliren. Der unbenutzte Ablauf dieser Frist gilt als Verzicht auf die Anklage. Sowohl der Kläger als der Angeschuldigte kann zu jeder Zeit Abschrift der Untersuchungsacten oder einzelner Theile derselben auf seine Kosten begehren. §. 34. Die formulirte Anklage ist vom Staatsanwalte mit so vielen Abschriften, als Angeklagte sind, sammt den Acten bei dem Obergerichte einzureichen. §. 35. Dieselbe muß enthalten 1) die genaue Bezeichnung der Druckschrift und der Stellen, auf welche die Anklage gegründet wird, 2) die Benennung des Verbrechens oder Vergehens, wegen welches die Anklage erhoben wird, 3) die Benennung der angeschuldigten Personen, 4) die Benennung derjenigen Zeugen und Sachverständigen, deren Erscheinen in der Gerichtssitzung der anklagende Theil für nothwendig hält, und 5) den Antrag auf Schuldigerklärung und auf das Maaß der Strafe. §. 36. Das Obergericht setzt, sobald die Anklageschrift sammt den Acten eingekommen ist, einen Gerichtstag zur Verhandlung an. Es erläßt zugleich an den anklagenden Theil und die von diesem vorgeschlagenen Zeugen und Sachverständigen die erforderliche Vorladung und theilt dem Angeklagten, beziehungsweise jedem einzelnen Angeklagten, eine Abschrift der Anklageschrift mit der Auflage mit, an dem angesetzten Gerichtstage persönlich und, nach Belieben, mit einem Vertheidiger zu erscheinen, auch wenigstens acht Tage vor der angesetzten Tagefahrt diejenigen Zeugen und Sachverständigen, deren Vorladung verlangt wird, und den etwa gewählten Vertheidiger zu benennen. Außerdem kann das Gericht auch von Amtswegen Zeugen und Sachkundige vorladen, sobald es deren Gegenwart am Gerichtstage für nothwendig erachtet. §. 37. Zu gleicher Zeit wird eine in den nächsten drei Tagen abzuhaltende öffentliche Gerichtssitzung angesetzt und dem Ankläger und Angeklagten bekannt gemacht, in welcher durch den Secretar des Gerichtes mittelst des Looses aus der Geschworenenliste 36 gezogen werden, aus welchen diejenigen auszuwählen sind, welche an der Urtheilsfällung Theil nehmen sollen.

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§. 38. Der Ankläger sowohl als die Angeklagten sind befugt, neun dieser Personen zu verwerfen, ohne Gründe anzugeben, können diese Befugniß aber nur binnen zwei Tagen, nachdem ihnen die Namen der erwähnten 36 Personen mitgetheilt sind, ausüben. §. 39. Von den nach erfolgter Verwerfung übrig bleibenden Personen haben die zuerst im Loose gezogenen zwölf als Geschworene an der Verhandlung und Aburtheilung Theil zu nehmen. Die nach ihnen zunächst gezogenen werden im Falle der Verhinderung eines jener zwölf nach der Reihenfolge als Ersatzmänner herangezogen. §. 40. Nach Feststellung der Liste sind die gedachten zwölf Personen zur Sitzung vorzuladen. Ergiebt sich das Ausfallen eines oder mehrerer Geschworenen so spät, daß Ersatzmänner nach §. 39 nicht mehr zur Sitzung vorgeladen werden können, so erfolgt durch Loosziehung die Bestimmung der erforderlichen Ersatzmänner aus den am Gerichtsorte wohnhaften Personen der nach §. 30 aufgestellten Liste, und werden dieselben alsbald zur Sitzung vorgeladen. Eine Ablehnung eines solchen Ersatzmannes von Seiten des einen oder des anderen Theiles findet nur aus besonderen Gründen Statt, über deren Erheblichkeit das Gericht alsbald zu entscheiden hat. §. 41. Die Verrichtung eines Geschworenen darf von Niemanden abgelehnt werden. §. 42. Als Verhinderungsgrund gilt nur genügend bescheinigte Krankheit oder Abwesenheit. §. 43. Die im §. 36 erwähnte Vorladung zu der für die Verhandlung bestimmten Gerichtssitzung ist dem Angeklagten wenigstens vierzehn Tage vor dem Gerichtstage zuzustellen. §. 44. Da, wo der Staatsanwalt auf peinliche Strafe anträngt, wird ein Vertheidiger unter den Anwälten von Amtswegen angeordnet, wenn der Angeklagte einen solchen zu wählen unterläßt. Bei der Wahl des Vertheidigers ist der Angeklagte nicht an die Advocaten oder Anwälte gebunden.

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§. 45. Dem Angeklagten sowie seinem Vertheidiger stehet die Einsicht der Untersuchungsacten frei. §. 46. Die Gerichtssitzung ist öffentlich. Das Gericht kann jedoch ausnahmsweise eine geheime Sitzung anordnen, wenn dasselbe dafür hält, daß aus der Oeffentlichkeit der Verhandlung Verletzung der sittlichen Schicklichkeit entstehen würde, und es sich nicht um ein Vergehen gegen den Staat oder gegen die Staatsbehörden handelt. §. 47. Die Verhandlung beginnt mit der Beeidigung der Geschworenen. Der Vorsitzende des Gerichtes hält an dieselben folgende Anrede: „Geschworene! Sie sollen eidlich geloben, mit der genausten Aufmerksamkeit alle die Beweisgründe zu prüfen, welche wider die angeklagte Partei werden vorgebracht werden, und, ohne über Ihre Entscheidung bis zu deren Abgabe mit irgend Jemanden, außer Ihren Mitgeschworenen, Rücksprache zu nehmen, lediglich nach den vorhandenen Anzeigen und Vertheidigungsgründen Ihrem Gewissen und Ihrer innigsten Ueberzeugung gemäß mit der Unparteilichkeit und Festigkeit, welche dem redlichen und freien Manne geziemt, zu entscheiden, ohne sich dabei weder durch Abneigung, noch durch Zuneigung, noch durch Furcht bestimmen lassen.“ Ein jeder der Geschworenen wird hierauf von dem Vorsitzenden einzeln aufgerufen, und antwortet mit aufgehobener Hand: „Ich schwöre dies, so wahr mir Gott helfe.“ Alles dies ist bei Strafe der Nichtigkeit zu beobachten. §. 48. Hierauf werden unter Leitung des Vorsitzenden des Gerichtes zuerst die formulirte Anklageschrift (s. §.§. 34 und 35), sodann, wenn der Angeklagte nicht schon vorher etwas vorzutragen verlangt, die nöthigen Urkunden verlesen, die Zeugen und Sachverständigen vernommen, Beweiseinreden erörtert, und die Parteien und der Vertheidiger mit ihren Ausführungen und ihren etwa nach Maaßgabe der Verhandlung modificirten Anträgen gehört. Der Staatsanwalt darf jedoch seinen früheren Antrag nicht schärfen. Dem Angeklagten und seinem Vertheidiger ist immer das letzte Wort zu gestatten. Der Vorsitzende und die Mitglieder des Obergerichtes sind befugt, an die Parteien, Zeugen und Sachverständigen Fragen zu stellen, die Geschworenen und die Parteien selbst nur, indem sie sich an den Vorsitzenden wenden. §. 49. Die Zeugen und Sachverständigen werden in der Gerichtssitzung vor ihrer Vernehmung beeidigt.

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Sollte ein bei der vorausgegangenen Instruction vernommener Zeuge inmittelst verstorben seyn, oder aus einem sonstigen Grunde die nochmalige Vernehmung und die Beeidigung desselben nicht zu bewirken stehen, so wird dessen frühere Aussage auf Verlangen des einen oder des anderen Theils oder auf Verfügung des Gerichtes verlesen. Dem Ermessen der Geschworenen bleibt es überlassen, welche Beweiskraft sie einer nur verlesenen Zeugenaussage beizulegen haben. Von den Aussagen, welche die gegenwärtigen Zeugen und der Angeklagte in der Voruntersuchung abgegeben haben, wird bei der Verhandlung nur so viel vorgelesen, als erforderlich ist, um den Zeugen oder den Angeklagten und den Geschworenen die etwaigen Abänderungen, Widersprüche und Verschiedenheiten bemerklich zu machen. §. 50. Die auf gehörige Vorladung und ohne hinreichende Entschuldigung ausbleibenden Zeugen und Sachverständigen werden in die Kosten der etwa vereitelten Gerichtssitzung und in eine Strafe von 5 bis 20 Thalern verurtheilt und alsdann unter Androhung einer härteren Strafe und einer wiederholten Verurtheilung in die Kosten zu einer weiteren Gerichtssitzung vorgeladen. Nach Ermessen des Gerichtes kann auch alsbald die Vorführung zwangsweise stattfinden. §. 51. Bleibt ein gehörig vorgeladener Geschworener ohne Entschuldigung aus, so wird er, neben den dadurch etwa verursachten Kosten, das erste Mal in eine Strafe von 25 Thalern, das zweite Mal in eine solche von 50 Thalern, das dritte Mal zum Verluste der Staats- und ortsbürgerlichen Rechte verurtheilt. Das Gericht kann auch die alsbaldige zwangsweise Sistirung des ausgebliebenen Geschworenen verfügen. §. 52. Das Nichterscheinen des Anklägers in der Gerichtssitzung ohne Entschuldigung wird als Verzicht auf die Anklage angesehen und hat gleiche Folgen, wie die Zurücknahme der Anklage nach §. 66, pos. 2. Bleibt der gehörig vorgeladene Angeklagte in der Gerichtssitzung aus, so hat die Verhandlung in der angeordneten Weise ihren Fortgang und es erfolgt darauf die endliche Entscheidung. Im Falle der Anklage auf peinliche Strafe kann indessen das Gericht die Verhandlung zu einer anderen Sitzung verstellen und dazu den Angeklagten zwangsweise vorführen lassen. §. 53. Sind die Verhandlungen vom Gerichte für geschlossen erklärt, so trägt der Vorsitzende den ganzen Gegenstand der Untersuchung in einfachen Sätzen vor und macht die Geschworenen auf die hauptsächlichsten, für und wider den Angeklagten vorhandenen, Beweise aufmerksam.

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§. 54. Der Vorsitzende stellt nach vorgängiger deshalbiger Berathung und Beschlußnahme des Gerichtes im Berathschlagungszimmer die Fragen auf, welche aus der Anklage und aus der nachherigen Verhandlung, sich ergeben, und welche die Geschworenen entscheiden sollen. §. 55. Diese Fragen müssen auf die strafbare That mit den Erschwerungs- und Milderungsgründen, auf den Antheil des Angeklagten an derselben, und auf die von diesem etwa vorgebrachten besonderen Entschuldigungsgründe gerichtet seyn, dergestalt, daß zunächst die Fragestellung dahin geht, ob das Vergehen, welches den Gegenstand der Anklage ausmacht, erwiesen ist, oder nicht? dann, ob der Angeklagte dieses Vergehens schuldig ist oder nicht u. s. w. Der Vorsitzende setzt alle diese Fragen getrennt in der Ordnung auf, in welcher die Geschworenen darüber berathschlagen sollen. §. 56. Derselbe verliest nach der Rückkehr des Gerichtes in das Gerichtszimmer die aufgestellten Fragen. Gegen deren Stellung können sowohl die Geschworenen, als der Staatsanwalt und der Angeklagte, beziehungsweise dessen Vertheidiger Bemerkungen vorbringen, worüber das Gericht sofort entscheidet. §. 57. Der Vorsitzende übergiebt die schriftlich aufgestellten Fragen nebst der Anklageurkunde und sämmtlichen Actenstücken des Processes den Geschworenen, und erinnert dieselben an die Obliegenheiten, welche sie zu erfüllen haben. §. 58. Die Geschworenen begeben sich in das zu ihrer Berathschlagung bestimmte Zimmer, wählen daselbst unter sich einen Vorstand und berathschlagen über die Entscheidung der ihnen vorgelegten Fragen. §. 59. Vor vollendeter Beschlußnahme über diese Fragen ist es ohne besondere Ermächtigung des Vorsitzenden des Gerichtes weder einem Geschworenen erlaubt, das Berathungszimmer zu verlassen, noch einem Dritten, sich in dasselbe zu begeben. §. 60. Die Erklärungen geschehen auf folgende Weise: Jeder Geschworene erklärt zu förderst, ob das Vergehen, welches den Gegenstand der Anklage ausmacht, erwiesen ist oder nicht. Fällt diese erste Erklärung bejahend aus, so giebt jeder Geschworene über den Angeklagten eine zweite Erklärung ab, um zu entscheiden, ob derselbe des Vergehens schuldig ist oder nicht.

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Der Geschworene, welcher nicht dafür hält, daß das Vergehen erwiesen sey, hat keine weitere Erklärung zu thun, und seine Stimme wird, in Ansehung der übrigen Fragen, zu Gunsten des Beklagten gezählt. Ebenso braucht der Geschworene, welcher zwar findet, daß das Vergehen erwiesen sey, aber den Angeklagten desselben nicht für schuldig hält, keine weitere Erklärung zu thun, und seine Stimme wird, in Rücksicht der folgenden Fragen, gleichfalls zum Vortheile des Angeklagten gezählt. Der Geschworene, welcher das Vergehen für erwiesen und den Angeklagten desselben für schuldig erklärt hat, giebt hierauf seine Erklärung über das Vorhandenseyn eines jeden in eine Frage eingekleideten mildernden oder erschwerenden Umstandes ab. §. 61. Die Entscheidung einer jeden, den Geschworenen vorgelegten Fragen fällt für den Angeklagten aus, wenn fünf von den zwölf Geschworenen zu seinem Vortheile, hingegen wider den Angeklagten, wenn acht derselben zu seinem Nachtheile in ihrer Erklärung mit einander übereinstimmen. §. 62. Der Vorstand der Geschworenen zählt die Stimmen, welche sich für und gegen die Bejahung jeder Frage ergeben, und schreibt danach neben jede Frage „Ja“ oder „Nein“, mit Angabe zugleich des jedes Mal zu Grunde liegenden Stimmenverhältnisses. Das Ganze wird von ihm und von zwei anderen Geschworenen unterschrieben. Die Geschworenen kehren hierauf in das öffentliche Gerichtszimmer zurück und nehmen ihre Plätze wieder ein. §. 63. Der Vorsitzende fragt dieselben, welches das Resultat ihrer Berathschlagung in Ansehung einer jeden der ihnen vorgelegten Fragen sey. Der Vorstand der Geschworenen tritt hervor, legt die Hand auf das Herz und sagt: „Auf meine Ehre und mein Gewissen versichere ich vor Gott und den Menschen, daß die Erklärung der Geschworenen folgende ist.“ Diese Erklärung liest er so, wie sie in dem Zimmer der Geschworenen abgefaßt worden ist, vor, und übergibt sie dem Vorsitzenden, welcher sie unterschreibt und von dem Secretar unterschreiben läßt. §. 64. Im Falle die Geschworenen einer von den in den §.§. 60, 61, 62 und 63 enthaltenen Vorschriften zuwider gehandelt haben, so ist das Gericht verbunden, ihre Erklärung ganz zu verwerfen, und sie anzuweisen, sich wieder in ihr Zimmer zurück zu begeben, um eine neue Erklärung abzugeben.

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§. 65. Das Obergericht hat die von den Geschworenen abgegebene Erklärung zur Grundlage seines Urtheils zu nehmen, und wenn danach nach Maaßgabe des §. 61 der Angeklagte als schuldig anzusehen ist, die Strafe gegen denselben auszusprechen. §. 66. Das Gericht kann auf keine höhere Strafe erkennen, als auf welche von dem Staatsanwalte angetragen wurde. So lange das Urtheil nicht verkündet ist, kann dieser in jeder Lage des Verfahrens gegen Vergütung aller Kosten und Schaden aus der Staatskasse die Klage wieder zurücknehmen. Dem Angeklagten stehet indesssen, wenn die Verhandlung in der Sitzung bei dem Obergerichte schon begonnen hat, das Recht zu, eine Entscheidung zu verlangen. §. 67. Das Urtheil wird, nöthigenfalls nach vorgängiger Berathung des Gerichtes in einem besonderen Zimmer, durch Stimmenmehrheit gefaßt. Bei Stimmengleichheit in Ansehung einer Meinungsverschiedenheit über das Strafmaaß wird auf das geringere erkannt. Es ist nicht nur über die Kosten des Verfahrens, sondern auch über die Verbindlichkeit zu der etwa in Anspruch genommenen Entschädigung mit zu erkennen. Die erforderliche Liquidation der letzteren bleibt dem Civilverfahren vorbehalten. Das beschlossene Urtheil wird vom Vorsitzenden durch Verlesung verkündet. §. 68. In besonderen Fällen, in welchen sich etwa das Gericht durch ein bestehendes Strafgesetz genöthigt sehen sollte, eine härtere Strafe zu erkennen, als welche dasselbe den Umständen nach für angemessen hält, ist es befugt, den Angeklagten der landesherrlichen Gnade zu empfehlen. Und ist dies alsdann durch einen Anhang zum Erkenntnisse auszudrücken. §. 69. Ueber die in der Gerichtssitzung vor dem Obergerichte gepflogenen Verhandlungen ist von dessen Secretar ein Protocoll zu führen, welches den Verlauf des Verfahrens im Allgemeinen und das Wesentlichste der Aussagen der hier zuerst vernommenen Zeugen oder die Abweichungen in den Aussagen früher schon vernommener Zeugen enthält. §. 70. Gegen den Ausspruch der Geschworenen findet ein Rechtsmittel nicht statt; derselbe kann nur beseitigt werden, wenn wegen wesentlicher Mängel des Verfahrens oder in Folge von Restitution oder Wiederaufnahme der Untersuchung ein neues Verfahren eingeleitet werden muß.

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§. 71. Gegen jedes obergerichtliche Urtheil steht übrigens sowohl dem Angeklagten, als dem anklagenden Theile die Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde an das Oberappellationsgericht zu. Die erstere sowohl als die letztere ist bei dem Obergerichte in einer Nothfrist von drei Tagen nach Eröffnung oder Einhändigung des Urtheils anzuzeigen und längstens innerhalb zehn Tagen zu rechtfertigen. §. 72. Bei Eröffnung des Urtheils sind diese Fristen bekannt zu machen. §. 73. Durch die innerhalb der Nothfrist geschehene Appellationsanzeige wird die Vollziehung des Urtheils aufgehalten. §. 74. Auf die mitzutheilende Rechtfertigung der Beschwerde hat die Gegenpartei binnen acht Tagen ihre Erklärung bei dem Obergerichte abzugeben. §. 75. Nach Ablauf dieser Frist werden die Acten an den Criminalsenat des Oberappellationsgerichtes eingesendet. §. 76. In öffentlicher Sitzung desselben wird durch einen Referenten ein schriftlicher Vortrag gehalten. In den im §. 46 genannten Fällen kann jedoch die Verhandlung in geheimer Sitzung vom Oberappellationsgerichte angeordnet werden. §. 77. Der schriftliche Vortrag enthält das Thatsächliche des Rechtsstreites, die Anträge der Parteien, die Ergebnisse der Beweisführung, die Aufstellung der die Entscheidung der Sache umfassenden Rechts- und Thatfragen, nebst der Erläuterung derselben ohne allen Antrag des Referenten. §. 78. Nach Erstattung dieses Vortrages werden die Parteien, welche in Person oder durch Bevollmächtigte auf ergangene Vorladung zu erscheinen haben, mit ihren etwaigen weiteren mündlichen Ausführungen gehört, auf ihr Verlangen auch die bei dem Obergerichte verlesenen Urkunden und das obergerichtliche Sitzungsprotocoll wörtlich verlesen. Das Urtheil erfolgt nach Maaßgabe der Bestimmungen des §. 67.

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§. 79. Wenn wesentliche Formen des Verfahrens verletzt sind, oder die Vorschriften über die Bildung des Schwurgerichtes hintangesetzt wurden, ist das Verfahren als nichtig aufzuheben und hiermit die Sache an das Obergericht zur neuen Verhandlung, welche, so weit thunlich, nur von der nichtigen Handlung an wieder aufgenommen werden muß, zurückzusenden. §. 80. Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ist dem verurtheilten Angeklagten zu ertheilen, welcher nachweiset, daß er verhindert war, in der Gerichtssitzung zu erscheinen (s. §. 52) und zugleich Beweismittel für seine Schuldlosigkeit angiebt. §. 81. Das Gesuch um Wiedereinsetzung ist mit sämmtlichen zur Begründung erforderlichen Angaben und Nachweisungen binnen einer Nothfrist von 14 Tagen, von der Zeit der Eröffnung oder Behändigung des Strafurtheils an den Angeklagten an, oder falls die Verhinderung länger gedauert hat, von der Zeit ihrer Beseitigung an schriftlich oder mündlich bei dem Obergerichte anzubringen. §. 82. Wiederaufnahme der Untersuchung kann vom verurtheilten Angeklagten in Anspruch genommen werden, wenn er durch entdeckte neue Beweismittel die Falschheit der Anschuldigung oder deren Beweises darzuthun vermag. §. 83. Das deshalbige Gesuch ist in gleicher Weise, wie dasjenige um Wiedereinsetzung (s. §. 81), binnen 14 Tagen seit Entdeckung der neuen Beweismittel anzubringen. §. 84. Wird das eine oder das andere Gesuch nach Feststellung des Restitutionsgrundes beziehungsweise der neuen Auffindung der betreffenden Beweismittel als begründet gefunden, so ist die Verhandlung bei dem Obergerichte nach Maaßgabe das §. 46 und folgende von Neuem vorzunehmen. §. 85. Wegen Verfügungen des Untersuchungsgerichtes, wodurch dieses die vorläufige Beschlagnahme (s. §. 26) verfügt oder versagt, beziehungsweise aufhebt, die Voruntersuchung einleitet oder erkennt, daß kein Grund zur gerichtlichen Verfolgung vorhanden sey, oder wodurch persönliche Verhaftung erkannt wird, findet die einfache Beschwerde des Angeklagten oder des Anklägers an den Criminalsenat des Obergerichtes Statt, ohne weitere Instanz. Die Rechtfertigung dieser Beschwerde und die Entscheidung über dieselbe geschieht nach den Regeln des gewöhnlichen Strafprocesses.

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Gleiches findet Statt bei der Beschwerde an den Criminalsenat des Oberappellationsgerichtes gegen das Erkenntniß eines Obergerichtes, durch welches dieses das Gesuch um Wiedereinsetzung oder um Wiederaufnahme der Untersuchung gewährt oder abschlägt. Die Entscheidungen höherer Instanz auf Beschwerden der vorstehenden Art erfolgen, wenn dieselben den Antrag auf vorläufige Beschlagnahme betreffen, oder gegen die Verfügung persönlicher Verhaftung gerichtet sind, spätestens binnen drei Tagen, außerdem binnen vierzehn Tagen. Der Vollzug einer unterrichterlichen Verfügung wird durch die dagegen ergriffene Beschwerde nicht aufgehalten, wenn Gefahr auf dem Verzuge haftet. Urkundlich Unserer allerhöchsteigenhändigen Unterschrift und des beigedrückten Staatssiegels gegeben zu Cassel am 26sten August 1848. Friedrich Wilhelm (St. S.)

Anhang 3 Gesetz vom 31ten Oktober 1848, die Umbildung des Strafverfahrens betreffend Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Wilhelm Iste, Kurfürst etc. etc. ertheilen behufs Einführung des Anklageverfahrens, der Öffentlichkeit und Mündlichkeit, sowie der Schwurgerichte, nach Anhörung Unseres Gesamtstaatsministeriums und mit Zustimmung der getreuen Landstände, nachfolgendes Gesetz. Erster Theil. Allgemeine Bestimmungen. §. 1. Abgesehen von den Fällen der Militär- und Universitätsgerichtsbarkeit unterliegt jedes Strafverfahren den Bestimmungen dieses Gesetzes und des Gesetzes vom 31sten Oktober 1848 über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei denselben. Erster Abschnitt. Von den Anklägern und der Anklage. §. 2. Jedes strafgerichtliche Verfahren bedarf der Mitwirkung eines öffentlichen Anklägers. §. 3. Derselbe kann, mit Ausnahme der nach §.§. 12 und 13 eintretenden Obliegenheiten, bei den Ober- und Untergerichten in den im §. 199 bezeichneten Straffällen von einem Mitgliede derjenigen Behörden oder von denjenigen Personen vertreten werden, an welche nach §. 200 die Anzeigen abzugeben sind. §. 4. Diejenigen Vorschriften des seitherigen Rechtes, wonach die Einleitung einer gerichtlichen Untersuchung oder deren Aburtheilung nur erfolgen durfte, nachdem Genehmigung oder Antrag einer öffentlichen Behörde bei dem Gerichte eingegangen war, sind, vorbehaltlich der besonderen Bestimmungen hinsichtlich der Majestätsbeleidigung, aufgehoben. Der öffentliche Ankläger hat jedoch vor Stellung seiner Anträge, durch welche er eine solche Behörde vertritt, sich mit letzterer, ohne daß es deshalbiger Nachweisung bei dem Gerichte bedarf, zeitig in geeigneter Weise zu benehmen.

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§. 5. Auch hinsichtlich der Rechtsmittel vertritt der öffentliche Ankläger diejenigen Behörden, welchen nach den seitherigen Bestimmungen ein solches zustand. Nur in Strafsachen, welche Zoll- und indirecte Steuern, sowie den Forst-, Jagd- und Fischereischutz betreffen, kann der Oberzoll- oder Steuerinspector, beziehungsweise der Oberförster für den öffentlichen Ankläger (Staatsprocurator) auch in zweiter Instanz auftreten. §. 6. Wegen einfacher Privatbeleidigung – unter Ausschluß der Beleidigung öffentlicher Diener, als solcher, der Privatbeleidigung unter Störung der öffentlichen Ordnung, der Schlägereien und Körperverletzungen und der thätlichen Beleidigung der Eltern oder Schwiegereltern – findet ein Strafverfahren nur alsdann Statt, wenn der Beleidigte als Privatankläger auftritt und handelt. Derselbe kann jedoch vom öffentlichen Ankläger unterstützt werden; auch bedarf es zur Erkennung der öffentlichen Strafe vorgängigen Gehörs des öffentlichen Anklägers. Diese Bestimmungen leiden auch Anwendung auf Privatbeleidigungen, welche durch eine Druckschrift zugefügt sind. §. 7. Wegen Ehebruchs, Nothzucht, einfachen Familiendiebstahls, sowie wegen Unterschlagung und Betrugs, insoweit diese Vergehen dem einfachen Familiendiebstahle rechtlich gleich stehen, findet die Anklage durch den öffentlichen Ankläger, jedoch nur auf vorgängig gestellten Bestrafungsantrag der Verletzten, Statt. Dieser Bestrafungsantrag ist vor der Gerichtsverhandlung durch den untergerichtlichen Ankläger beziehungsweise den Instructionsrichter protokollarisch aufzunehmen und dem Gerichte vorzulegen. §. 8. Auch die Ansprüche Desjenigen, welcher in seinem Privatrechte durch ein Vergehen verletzt ist, werden auf Verlangen desselben vom öffentlichen Ankläger im gerichtlichen Strafverfahren verfolgt. Es steht jedoch dem Verletzten, insbesondere den Privatwaldeigenthümern, frei, in dem vorbereitenden Verfahren und in der darauf folgenden Gerichtsverhandlung nicht nur dem öffentlichen Ankläger zu assistiren, sondern auch selbstständige Anträge zu stellen. In den im §. 202 erwähnten tabellarischen Anzeigen ist auch ohne ausdrückliches Verlangen des Beschädigten Antrag auf Entschädigung zu stellen. §. 9. In dem die Gerichtsverhandlung vorbereitenden Verfahren verfährt der öffentliche Ankläger rücksichtlich Anzeige und Verfolgung der Vergehen, sowie Beruhenlassen der Anzeigen nach den im zweiten Theile dieses Gesetzes folgenden Bestimmungen.

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§. 10. Der öffentliche Ankläger kann jederzeit, auch in der mündlichen Gerichtsverhandlung, noch die Anklage zurücknehmen, so lange ein endliches Erkenntniß nicht ergangen ist. Es kann aber der Angeklagte in solchem Falle die Erstattung der gehabten Kosten und eine Beurkundung über die Zurücknahme verlangen; diese Beurkundung ist einer Freisprechung gleich zu achten. An die Anträge des öffentlichen Anklägers, insoweit dieselben die rechtliche Beurtheilung derjenigen Thatsachen, auf welche eine Anklage gegründet ist, oder insoweit sie die Bestimmung der Strafe betreffen, ist das Gericht nicht gebunden. §. 11. In den Fällen der §.§. 6, 7, 8 ist, wenn nicht der Angeklagte ein Urtheil verlangt, das Verfahren wegen Bestrafung oder Privatentschädigung alsdann einzustellen, wenn vor eröffnetem Enderkenntnisse die Privatanklage, der Bestrafungsantrag, oder der Antrag auf Entschädigung zurückgenommen ist. Die Anklage oder der Entschädigungsantrag werden in diesem Falle als nicht erfolgt betrachtet und der Verletzte in die betreffenden Kosten verurtheilt. Der öffentliche Ankläger ist in den Fällen der §.§. 7 und 8 zur Zurücknahme legitimirt, darf solche nur auf Verlangen der Verletzten erklären und ist in solchem Falle rechtlich dazu verbunden. §. 12. Insoweit Verfügungen eines Gerichts oder des Instructionsrichters, insbesondere Vorladungen, Behändigungen, Vorführungen, Verhaftungen und Aufnahme in das Untersuchungsgefängniß, sowie im Laufe des Verfahrens und durch endliche Urtheile erkannte Strafen zu vollziehen sind, geschieht dieses durch Vermittelung des öffentlichen Anklägers, welcher auch die erforderlichen Vollziehungsbescheinigungen an die verfügende Behörde gelangen läßt. §. 13. Die vorgeschriebenen Benachrichtigungen von Vorladung, Einleitung des Strafverfahrens, Verhaftung und Verurtheilung erfolgen ebenwohl durch den öffentlichen Ankläger. §. 14. Der öffentliche Ankläger ist dienstlich verpflichtet, in allen Terminen des Gerichtsverfahrens, in welchen er zu handeln hat, zu erscheinen, oder sich in gesetzlicher Weise vertreten zu lassen (§.§. 3, 5). Im Fall seines dennoch etwa eintretenden Ausbleibens wird der Termin nicht abgehalten, der öffentliche Ankläger aber in die durch die Versäumniß erwachsenen Kosten (§. 126) verurtheilt. Ohne Gegenwart des öffentlichen Anklägers dürfen jedoch Termine abgehalten werden, welche das erkennende Gericht außerhalb des Gerichtslocals zur Aufnahme einzelner Beweismittel ansetzt, sowie die in zweiter Instanz eintretenden Verhandlungstermine, oder Termine zur Feststellung des Neuauffindens eines Beweismittels,

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wenn der öffentliche Ankläger Gegner des Beschwerdeführers oder Nachsuchenden ist (§.§. 389, 428). §. 15. Der Staatsprocurator darf, wenn er auch vor einem Gerichte, einschließlich der Raths- und Anklagekammer, gehandelt hat, doch der Berathung nicht beiwohnen, welche das Gericht zum Zwecke einer Urtheilsfällung, oder überhaupt einer Beschlußfassung im Berathungszimmer zu pflegen hat. Zweiter Abschnitt. Von der Zuständigkeit der Gerichte. §. 16. Die Strafgerichte verfahren und entscheiden innerhalb der ihnen durch Gesetz vom 31sten Oktober 1848, die Gerichtsverfassung betreffend, bestimmten Zuständigkeit. §. 17. Auftragsertheilungen durch die vorgesetzten Gerichte können auch ohne Antrag der Betheiligten, jedoch niemals in der Art stattfinden, daß ein höheres Gericht die vor dasselbe gehörige Vornahme der Gerichtsverhandlung (s. jedoch §. 74) auf ein unteres Gericht überträgt. §. 18. Das Gericht des begangenen Verbrechens ist das regelmäßig zuständige. §. 19. Das wegen eines Vergehens zuständige Gericht ist auch wegen anderer Vergehen desselben Angeklagten, sowie wegen der Betheiligungen und der mit dem Hauptvergehen in Zusammenhang stehenden Vergehen anderer Personen insoweit zuständig, als es sich um Vergehen handelt, die im Inlande zu ahnden und nicht vor ein anderes Gericht ausschließlich verwiesen sind, auch die zu erkennende Strafe nicht die Strafbefugniß des Gerichtes überschreitet. §. 20. Ist das Strafverfahren wegen eines oder mehrerer Vergehen bei verschiedenen an sich zuständigen Gerichten eröffnet, so ist – abgesehen von denjenigen Vergehen, welche lediglich mit Geldstrafen zu ahnden sind, – dasjenige Gericht zur Aburtheilung ausschließlich zuständig, bei welchem zuerst wegen eines dieser Vergehen eine vorbereitende Gerichtshandlung vorgenommen, oder der Anklageantrag im mündlichen Gerichtsverfahren vorgebracht ist.

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§. 21. Die Handlungen des vorbereitenden Verfahrens Seitens des andern Gerichts, welches ohne solche Prävention (§. 20) an sich zuständig gewesen wäre, sind nicht als ungültig anzusehen; wird aber eine Strafsache von einem Gerichte an ein anderes abgegeben, nachdem bei ersterem bereits die mündliche Verhandlung Statt gehabt hatte, so kann letzteres niemals auf deren Grund, sondern nur auf die vor ihm vorgenommene Verhandlung erkennen. §. 22. Eine Erstreckung des Gerichtsstandes hinsichtlich der im Inlande zu bestrafenden, nicht ihrer Gattung nach vor bestimmte andere Gerichte verwiesenen, Vergehen wird angenommen, insoweit die Zuständigkeit nicht während der Verhandlung und in schwurgerichtlichen Sachen nicht in der gegen das Anklageerkenntniß zustehenden Beschwerde (§. 196) bestritten worden ist. §. 23. Alle Entscheidungen der Gerichte, einschließlich der Raths- und Anklagekammer, durch welche eine Strafsache von einem Gerichte an ein anderes verwiesen wird, gehen dem öffentlichen Ankläger bei ersterem zur Abgabe an den betreffenden anderen Ankläger zu. §. 24. Competenzconflicte unter den verschiedenen Gerichten werden auf Beschwerden der Betheiligten oder Antrag der betreffenden Gerichte von den höheren Gerichten entschieden. Das Obergericht, als ein auf die Gerichtsverhandlung erkennendes Gericht, kann jedoch ohne Weiteres abweichend von einem Beschlusse der Rathskammer rücksichtlich seiner Zuständigkeit entscheiden. Hat die Anklagekammer eine Sache an ein Obergericht verwiesen, so ist letzteres an diese Entscheidung gebunden. Ergeben sich jedoch durch die Gerichtsverhandlung neue Umstände, welche nach der Ansicht des Obergerichts dessen Zuständigkeit ausschließen, so hat dasselbe die Sache an die Anklagekammer zur etwaigen anderweiten Entscheidung zurück gelangen zu lassen. Dritter Abschnitt. Von der Ablehnung der Gerichtspersonen. §. 25. Die Ablehnung der Richter und Protokollführer findet nach den bisher geltenden Bestimmungen Statt. Geschworene können nur in Gemäßheit der deßhalbigen besonderen Vorschriften abgelehnt werden.

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§. 26. Die Anträge auf Ablehnung der Unterrichter und der Instructionsrichter sind bei diesen, ebenso wie hinsichtlich ihrer Protokollführer, anzubringen und von ihnen dem Obergerichte zur Entscheidung vorzulegen. §. 27. Ablehnungsanträge gegen ein Mitglied oder den Secretar eines Obergerichts und des Oberappellationsgerichts sind von diesen Gerichten zu entscheiden. §. 28. Der Antrag auf Ablehnung des Präsidenten sowie der anderen vier Richter eines Schwurgerichts erfolgt bei dem Obergeríchtsdirector im Bezirke des Schwurgerichts spätestens acht Tage nach erfolgter Bekanntmachung (§.§. 255 und 261). Dieser veranlasst hinsichtlich der vier Richter eine Entscheidung des Obergerichts und legt hinsichtlich der Ablehnung des Sitzungspräsidenten die Verhandlungen dem Präsidenten des Oberappellationsgerichts vor, welcher Entscheidung dieses Gerichts eintreten lässt. §. 29. Die in den §.§. 26, 27, 28 erwähnten Entscheidungen erfolgen nach Anhörung des Abgelehnten, welcher sich im Falle des §. 26 bei der Actenvorlage zu äußern hat, des bei dem entscheidenden Gerichte bestellten Staatsprocurators, sowie, wenn der Ablehnungsantrag vom Ankläger ausgeht, des Angeklagten. In schwurgerichtlichen Sachen ist letzterer deßhalb vom Obergerichtsdirector zu Protokoll zu vernehmen. §. 30. Jeder Richter oder Protokollführer ist verpflichtet, die ihm bekannten, seine Person betreffenden Ablehnungsgründe selbst zur Anzeige zu bringen, worauf das Gericht ohne Verhandlung entscheidet. §. 31. Gegen den öffentlichen Ankläger ist Ablehnung nicht zulässig. Derselbe hat jedoch bei ungeeigneten persönlichen Verhältnissen, welche zwischen ihm und dem Angeklagten bestehen, seine Vertretung durch einen anderen Beamten der Staatsbehörde zu veranlassen. Vierter Abschnitt. Gemeinsame Bestimmungen über die mündliche Gerichtsverhandlung. §. 32. Mit Ausnahme des Mandatsstrafverfahrens (§. 215 fg.), sowie des Falls, wo eine Berufung wegen mangelnder Förmlichkeit zurückgewiesen wird (§. 375), muß jedem endlichen Erkenntniß in Strafsachen eine mündliche Verhandlung vor dem erkennenden Gerichte vorangehen.

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§. 33. Die deshalbigen Sitzungen der Unter- und Obergerichte sollen in der Regel an ein für alle Mal hierzu bestimmten Wochentagen Statt finden. Diejenigen Anklagen jedoch, welche einer schleunigeren Erledigung, insbesondere wegen Verhaftung, bedürfen, sind wo thunlich früher, als an dem nächsten regelmäßigen Gerichtstage zur Erledigung zu bringen. §. 34. Die mündliche Gerichtsverhandlung ist öffentlich, jedoch wird nur erwachsenen Personen der Zutritt gestattet. §. 35. Eine Ausnahme von dieser Regel tritt für die ganze Verhandlung oder einen Theil derselben ein, wenn durch die Öffentlichkeit der Verhandlung ein Aergerniß in Bezug auf die sittliche Ordnung entstehen könnte, sowie nach richterlichem Ermessen bei Fälschung von Münzen oder Papiergeld. Auch kann das Gericht bei etwa eintretender Störung der Verhandlung einzelne oder sämmtliche Zuhörer auf eine bestimmte Zeit aus der Sitzung sich entfernen lassen. §. 36. Über die Ausschließung der Öffentlichkeit entscheidet das Gericht auf den Antrag des Anklägers, des Angeklagten, oder des Beschädigten, oder auch von Amtswegen in geheimer Sitzung. §. 37. Diese Entscheidung mit deren Gründen und ebenso demnächst der Wahrspruch der Geschworenen und das Urtheil sind in öffentlicher Sitzung zu verkündigen. §. 38. Der Gerichtsverhandlung in der geheimen Sitzung können einzelne Personen auf besondere Gestattung, sowie die Privatbetheiligten, die Gerichtsangehörigen und die bei dem Gerichte angestellten Anwälte beiwohnen. Ebenso ist der Angeklagte befugt, zu derselben mehrere Verwandte oder Freunde, deren Zahl der Gerichtsvorstand nicht unter drei herabsetzen darf, mitzubringen. §. 39. Gegen eine die Verhandlung in öffentlicher Sitzung ausschließende Entscheidung findet von keiner Seite irgend ein Rechtsmittel Statt. Es kann jedoch das demnächstige Endurtheil in Folge der Beschwerde eines Betheiligten aufgehoben werden, wenn die Ausschließung der Öffentlichkeit nicht durch öffentlich verkündigte Entscheidung, oder wenn sie in offenbarer Ermangelung eines nach §. 35 statthaften Grundes erfolgte.

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§. 40. Jedem, aus mehreren Richtern gebildeten, Gerichte steht ein Sitzungspräsident vor, dessen gesetzliche Befugnisse und Obliegenheiten auch für den Unterrichter bestehen. Derselbe hat die Ordnung und die Ruhe im Sitzungssaale zu handhaben, zu welchem Behufe ihm neben den Gerichtsdienern die erforderlichen Falles beizugebende Polizeimannschaft und bewaffnete Macht untergeordnet ist. §. 41. In der Sitzung vorfallende Beleidigungen des Gerichtspersonals, insofern sie nicht mit einer härteren als fünftägigen Gefängnißstrafe zu ahnden sind, sowie eines anderen öffentlichen Dieners oder einer Privatperson, der letzteren auch ohne Antrag derselben, und andere in der Sitzung verübte Vergehen können von dem Gerichte auf Antrag des öffentlichen Anklägers alsbald innerhalb des seiner Zuständigkeit entsprechenden Strafmaaßes geahndet werden. Auch können Disciplinarstrafen sofort erkannt und einzelne Zuhörer aus der Sitzung weggewiesen werden. Sämmtliche vor dem Gericht auftretende Personen, einschließlich des öffentlichen Anklägers, kann der Präsident, wenn sie sich in unangemessener Art äußern, oder zur Sache nicht Gehöriges vorbringen, sofort unterbrechen und zur Ordnung verweisen. Wird gegen eine solche Maaßregel Widerspruch eingelegt, so entscheidet das Gericht. §. 42. Zur Gerichtsverhandlung müssen der Privatankläger (§. 6), der Angeklagte, die Auskunftspersonen und der Privatbeschädigte vorgeladen werden. §. 43. Eine jede Vorladung (s. auch §. 129) muß angeben: Ort, Tag und Stunde des Erscheinens; die Eigenschaft, in welcher eine Person vorgeladen wird; dem Angeklagten, Privatankläger und Beschädigten gegenüber das angeschuldigte Vergehen, sowie, wo thunlich, die Zeit des letzteren; den Auskunftspersonen gegenüber die Bezeichnung der Strafsache; die im Falle des Ausbleibens eintretenden Rechtsnachtheile und Strafen. §. 44. Die Ladung muß dem Angeklagten und Privatankläger schriftlich nach den Vorschriften über Behändigung im Zivilprocesse zugestellt werden. Den Auskunftspersonen und dem Beschädigten, sowie in den Fällen des §. 129 den Angeklagten, darf sie mündlich unter Vorzeigung bekannt gemacht werden.

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§. 45. Es können auch die Vorladungen bei Anberaumung eines anderweiten Termines vom Gerichte an die in der Sitzung Anwesenden verkündigt werden. §. 46. Bei den Obergerichten muß die Vorladung acht Tage, bei den Untergerichten drei Tage vor dem Termine vollzogen werden. Kürzere Fristen sind jedoch nach richterlichem Ermessen für solche Fälle statthaft, welche der Beschleunigung bedürfen. §. 47. Die Parteien können auch ohne Vorladung zur Verhandlung erscheinen und nicht vorgeladene Auskunftspersonen zu derselben sistiren. Ebenso können die öffentlichen Ankläger, nachdem sie die Vorladungen zu der Gerichtsverhandlung bereits haben vornehmen lassen (§.§. 209, 224, 267, 377), weitere Vorladungen verfügen. Eine solche Verfügung darf auf zeitig erfolgenden Antrag des Angeklagten, Privatanklägers oder Beschädigten nicht abgelehnt werden. Vorbehaltlich der abweichenden Bestimmungen für das schwurgerichtliche Verfahren erfolgt in jenen Fällen die Verhandlung, beziehungsweise die Abhörung der Erschienenen. §. 48. Der Termin, zu welchem vorgeladen worden, kann alsdann verlegt werden, wenn der Angeklagte oder Privatankläger nachweisen, daß sie wegen Krankheit, oder aus sonst erheblichen Gründen am Erscheinen in der Sitzung verhindert sind. §. 49. Wegen Vergehen, welche nur Geldstrafe nach sich ziehen, sowie überhaupt vor den Untergerichten und in der zweiten Instanz, kann der Angeklagte durch einen Bevollmächtigten sich vertreten lassen. Die Gerichte sind aber in beiden Instanzen befugt, auf dem persönlichen Erscheinen des Angeklagten zu bestehen, wenn sie dieses für erforderlich halten. §. 50. Der Angeklagte kann auch zu seiner Vertheidigung eines oder mehrerer Rechtsbeistände (Vertheidiger), welche neben ihm auftreten, sich bedienen. Im Falle der Verhaftung muß ihm die Unterredung mit demselben jederzeit, und, sobald der Beschluß der Rathskammer erfolgt ist, durch welchen seine Sache zur mündlichen Gerichtsverhandlung (§. 178) oder an die Anklagekammer (§. 179) verwiesen ist, auch ohne Beiseyn einer Gerichtsperson gestattet werden. §. 51. Bei nachgewiesener Armut ist dem Angeklagten in erster Instanz ein neben ihm auftretender Officialanwalt aus der Zahl der Anwälte oder der dazu für geeignet ge-

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haltenen Referendare und Rechtspracticanten beizuordnen, wenn das angeschuldigte Vergehen nach dem seitherigen Rechte peinlich zu bestrafen ist. Behufs der Verhandlung in zweiter Instanz findet unter den vorerwähnten Voraussetzungen Beiordnung eines aus denselben Personen zu entnehmenden Rechtsbeistandes oder Vertreters, und die Ernennung des letztern, vorbehaltlich der Bestimmung im §. 49, auch alsdann Statt, wenn der nicht verhaftete Angeklagte weiter, als fünf Meilen von dem Sitze des höheren Gerichtes entfernt wohnt. §. 52. Die vor die Schwurgerichte gehörigen Sachen, mit Ausnahme solcher Preßvergehen, welche mit einer geringeren, als einjährigen Gefängnißstrafe, oder dieser gleichstehenden Strafe, zu ahnden sind, können ohne daß neben dem Angeklagten ein Vertheidiger auftritt, nicht verhandelt werden (§. 196). §. 53. Wegen der in Krankheit oder in sonstigen erheblichen Umständen liegenden Verhinderung des vom Angeklagten bestellten Vertreters oder zuzuziehenden Rechtsbeistandes kann eine Verlegung des Termins nur verlangt werden, wenn die Abbestellung der vorgeladenen Auskunftsperson thunlich und das Hinderniß dem Angeklagten zu spät bekannt geworden ist, um einen anderen Anwalt bestellen zu können. §. 54. Dem Privatankläger und Beschädigten steht die Zuziehung eines Rechtsbeistandes und, insofern sie nicht als Auskunftspersonen zu vernehmen sind, die Vertretung durch einen Bevollmächtigten zu. Beiordnung eines Officialanwaltes für diese Personen findet nicht Statt. §. 55. Wenn der Angeklagte auf gehörige Vorladung (§.§. 43, 44, 45) im ersten Verhandlungstermine nicht erschienen, oder nicht in zulässiger Weise vertreten ist, so wird derselbe in untergerichtlichen Strafsachen, sowie rücksichtlich obergerichtlich zu ahndender Vergehen, welche nicht peinlich zu bestrafen sind, ohne weitere Verhandlung auf erfolgenden Antrag als der angeklagten That schuldig verurtheilt. §. 56. Bleibt der gehörig vorgeladene Angeklagte in einem nach der ersten Verhandlung angesetzten weiteren Termine aus, so werden in den vorgedachten Sachen auf den Antrag des Anklägers ohne weiteres Verfahren diejenigen Umstände, über welche noch verhandelt werden sollte, insofern sie zur Belastung des Angeklagten dienen, auch wenn er sie bereits früher geläugnet haben sollte, für bewiesen, und insofern sie zu seiner Entlastung gereichen, für widerlegt gehalten.

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§. 57. Die Vorschriften in den beiden letzten Paragraphen leiden auf schwurgerichtliche Sachen insofern Anwendung, als die Anklage ein Preßvergehen zum Gegenstande hat, welches nach §. 52 ohne Anwesenheit eines Vertheidigers verhandelt werden darf. Im übrigen findet gegen einen nicht erschienenen Angeklagten ein schwurgerichtliches Verfahren niemals Statt. §. 58. Bleibt der Privatankläger (§. 6) im angesetzten Termine aus, so wird der Angeklagte auf seinen etwaigen Antrag freigesprochen und ersterer in die Kosten verurtheilt. §. 59. In dem Verfahren zweiter Instanz treten die Rechtsnachtheile im Falle des Ungehorsams nach deshalbigen besonderen Bestimmungen des §. 389 ein. §. 60. Diejenigen Angeklagten, gegen welche nicht nach §.§. 55 und 56 in ihrem Ungehorsam zu erkennen steht, werden auf Antrag des öffentlichen Anklägers im Falle ihres Ausbleibens in eine angemessene Strafe, sowie in die Terminskosten verurtheilt und bei härterer Strafe vorgeladen. Sie können auch auf vorgängige Androhung zwangsweise vorgeführt werden. §. 61. Wird nicht auf den Grund des Ausbleibens der Partei endlich erkannt, so tritt das weitere Gerichtsverfahren nach Maaßgabe der nachfolgenden, sowie der für die verschiedenen Gerichte und Instanzen ertheilten Bestimmungen ein. §. 62. Das Gerichtsverfahren muß alles für die Entscheidung der Sache Erhebliche befassen, und zwar, neben Erhebung der Anklage und Stellung der erforderlichen Anträge, durch Verhandlung selbst, oder wenigstens durch Vorlesung von Actenstücken, insoweit dieselbe statthaft ist (§. 104 fg.). §. 63. Hinsichtlich mehrerer Mitangeklagten ist die Verhandlung einer Sache erforderlichen Falles zu trennen; der Sitzungspräsident bestimmt, gegen welchen derselben sie vorangehen solle. §. 64. Der Angeklagte, welcher aus etwaiger Haft stets fesselfrei vorzuführen ist, muß vor einer Beweisaufnahme über den Gegenstand der Anklage, geeigneten Falles un-

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ter Vorhalt der Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens und seiner dermaligen Angaben, vernommen werden. Nach Ertheilung des Wortes durch den Präsidenten können auch die Mitglieder des Gerichts, sowie der öffentliche Ankläger Fragen an den Angeklagten richten. §. 65. Auch gegen Diejenigen, welche für die von Andern zu leistenden Strafen, Entschädigung und Kosten zu haften haben, muß ebenso, wie nach den Vorschriften dieses Gesetzes gegen die des Vergehens selbst Beschuldigten, verfahren werden. §. 66. Zwangsmittel jeder Art, durch welche der Angeklagte zu irgend einer Angabe genöthigt werden soll, sowie Bestrafung wegen einer Unwahrheit, finden in der Gerichtsverhandlung ebenso wenig, als in dem dieselbe vorbereitenden Verfahren Statt. §. 67. Dem richterlichen Ermessen bleibt es überlassen, inwieweit es neben einem Eingeständnisse, insbesondere zur Prüfung der Wahrheit desselben, einer weiteren Beweisaufnahme bedarf. §. 68. Findet neben dem Eingeständnisse, oder wider den läugnenden Angeklagten Beweisaufnahme Statt, so erfolgt solche in Gegenwart des Angeklagten. §. 69. Wenn jedoch der Angeklagte die Ordnung der Verhandlung stört und der Androhung der Abführung ungeachtet dies nicht unterlässt, so kann er auf Beschluß des Gerichts eine Zeit lang oder für die ganze Sitzung entfernt, ihm auch demnächst das Urtheil durch einen Gerichtsdeputirten verkündigt werden. Es ist ihm aber alsdann, und zwar im Falle der Zahlungsfähigkeit auf seine Kosten, ein Anwalt zu bestellen, welcher ihn bei der Verhandlung vertritt. §. 70. Auch kann der Präsident ausnahmsweise den Angeklagten, oder bei mehreren Mitangeklagten einen oder mehrere derselben, während der Abhörung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten aus dem Sitzungssaale entfernen lassen. Er muß aber denjenigen, welchen er entfernen ließ, sobald er ihn nach seiner Wiedereinführung über den in seiner Abwesenheit verhandelten Gegenstand vernommen hat, von Allem unterrichten, was in seiner Abwesenheit verhandelt ist, namentlich von den Aussagen, welche von anderen Personen inzwischen gemacht worden sind.

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§. 71. Die Reihefolge in Aufnahme der einzelnen Beweismittel bestimmt der Präsident, doch stehen den Parteien deßhalbige Anträge frei. In der Regel soll zuerst der Anklagebeweis aufgenommen werden. §. 72. Der Präsident darf vermöge seiner Amtsgewalt die Aufnahme einzelner Beweise, selbst die Abhörung unzulässiger Zeugen anordnen, in zweiter Instanz jedoch nur alsdann, wenn hierselbst Wiederholung der Beweisaufnahme eintritt. Zeugen und Sachverständige werden in diesem Falle nur auf übereinstimmenden Antrag beider Theile, sowie auf deßhalbigen Beschluß des Gerichts und stets nach der Abhörung beeidigt. §. 73. Ebenso kann der Präsident die Aufnahme einzelner Beweise wegen deren Unzulässigkeit oder Unerheblichkeit versagen. Bei erfolgendem Widerspruch eines der Streittheile bedarf es aber deßhalbiger Entscheidung des Gerichts. §. 74. Stellt sich im Verhandlungstermine die Notwendigkeit der Beweisaufnahme außerhalb des Gerichtslocals heraus, so geschieht diese bei den Ober- und Schwurgerichten sowie in zweiter Instanz durch Beauftragung eines Gerichtsmitgliedes oder Unterrichters, beziehungsweise Protokollführers. Muß eine Vernehmung, oder sonstige Handlung, außerhalb des Gerichtsbezirks Statt finden, so wird sie unter Vermittlung der öffentlichen Ankläger durch Requisition an den betreffenden Unterrichter erledigt. §. 75. Über die Zulässigkeit der einzelnen Beweismittel bleibt das seitherige Recht bestehen. §. 76. Die Auferlegung eines Reinigungseides findet jedoch nicht mehr Statt. §. 77. Unzulässige Zeugen, zu welchen auch diejenigen gehören, welche den Bestimmungen des §. 86 zuwider der Verhandlung der Sache vor ihrer Abhörung beigewohnt haben sollten, können auf Beschluß des Gerichts mit Einwilligung des Anklägers und Angeklagten vernommen, auch, wenn sie nicht eidesunfähig sind, beeidigt werden.

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§. 78. Der durch ein Vergehen Verletzte ist nicht als ein unzulässiger Zeuge zu betrachten. Insofern derselbe als Privatankläger, oder wegen Geltendmachung seines Civilanspruches im Verhandlungstermine auftritt, darf er zwar als Auskunftsperson vernommen, aber nur unter den Voraussetzungen des §. 77 beeidigt werden. Es bleibt indessen auch für den Fall dieses Auftretens, wenn es sich um einen Diebstahl handelt, Abnahme des Entfremdungs- und Würderungseides statthaft. §. 79. Die Pflicht zur Ablegung eines Zeugnisses in der mündlichen Verhandlung ist in der Regel unbeschränkt. Jeder Zeuge kann alsbaldige Anweisung auf eine öffentliche Kasse zur Empfangnahme einer Gebühr verlangen, welche nach richterlichem Ermessen, mindestens auf 5 Sgr., zu bestimmen ist. §. 80. Personen, welche ihr Zeugniß verweigern dürfen, sind hinsichtlich dieser ihrer Befugniß vor ihrer Abhörung zu belehren. §. 81. Militärpersonen, sowie die beim Heere angestellten Beamten und Diener werden, wenn sie im Felde stehen, zur mündlichen Hauptverhandlung nicht vorgeladen. Ihre Abhörung erfolgt, insoweit sie nicht bereits im vorbereitenden Verfahren geschehen ist, durch die zuständige Militärgerichtsbehörde. §. 82. Ausgebliebene Zeugen, welche zeitig genug, um erscheinen zu können, vorgeladen sind, werden auf Antrag des öffentlichen Anklägers, wenn sie weder das Zeugniß verweigern dürfen, noch ihr Nichterscheinen mit erheblichen Ursachen entschuldigen, in eine Strafe bis zu 20 Thalern oder vierzehn Tage Gefängniß, und, wenn das Gericht auf den Grund ihres Nichterscheinens die Verhandlung ausgesetzt hat, außerdem in die Kosten des vereitelten Termins verurtheilt. Die Strafe ist bis zu 50 Thalern und sechs Wochen Gefängniß im Falle wiederholten Ungehorsams zu steigern. §. 83. Diese Bestimmungen leiden auch Anwendung, wenn ein erschienener Zeuge ohne statthaften Grund die Zeugnißablage weigert. §. 84. Der gestrafte Zeuge kann bei dem erkennenden Gerichte durch Nachweisung eines erheblichen Verhinderungsgrundes nach vorgängigem Gehör des öffentlichen Anklägers Zurückziehung der Strafe, und, wenn er darthut, daß er nicht zeitig vor

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dem Termine seine statthafte Verhinderung dem öffentlichen Ankläger habe anzeigen können, auch Zurückziehung der Kostenverurtheilung auswirken. §. 85. Das Gericht kann auch zwangsweise Vorführung eines ungehorsamen Zeugen verfügen. §. 86. Die abzuhörenden Zeugen müssen in anderen, als untergerichtlichen Strafsachen vor der Vernehmung des Angeklagten in der Gerichtsverhandlung (§. 64) bis zu ihrer eigenen Abhörung aus dem Sitzungszimmer abtreten. §. 87. Der Präsident kann Trennung einzelner Zeugen vor ihrer Abhörung anordnen. §. 88. In schwurgerichtlichen Sachen sind alle, in obergerichtlich abzuurtheilenden Sachen aber nur diejenigen Zeugen zu beeidigen, welche im vorbereitenden Verfahren noch nicht beeidigt worden waren. Es geschieht dies, nachdem der Zeuge über seine persönlichen Verhältnisse, sowie über seine Beziehungen zum Angeklagten und der angeschuldigten That befragt worden ist, und nur insofern als nicht ein gesetzliches Hinderniß obwaltet. Für das untergerichtliche Verfahren gelten die besonderen Bestimmungen des §. 211. §. 89. Mit Ausnahme der schwurgerichtlichen Sachen können jedoch öffentliche und Gemeindediener, welche bereits auf die Wahrhaftigkeit ihrer Aussagen beeidigt sind, über Wahrnehmungen innerhalb ihres Berufes mit Hinweisung auf ihren Diensteid vernommen werden. §. 90. Jeder Zeuge ist einzeln in das Sitzungszimmer zu rufen und abzuhören. Derselbe hat seine Kundschaft soviel, als thunlich, in freier fortlaufender Erzählung abzugeben und die außerdem an ihn zu richtenden Fragen zu beantworten. §. 91. Solche Fragen stehen, unter Benutzung der Ergebnisse des vorbereitenden Verfahrens, selbst mittelst Unterbrechung des Vernommenen, dem Präsidenten und, sobald der Vernommene ausgesprochen hat, nach Ertheilung des Worts durch den Präsidenten, jedem Mitgliede des Gerichts, sowie dem öffentlichen Ankläger zu, der gleichzeitig den Beschädigten zu vertreten hat. Der Angeklagte und dessen Vertheidiger können in gleicher Weise, aber nur durch die Vermittelung des Präsidenten, Fragen an die Zeugen richten.

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§. 92. Der abgehörte Zeuge bleibt, insofern nicht der Präsident an Anderes anordnet, im Sitzungszimmer und kann nicht nur wiederholt vernommen, sondern auch mit anderen Zeugen und dem Angeklagten zusammengestellt werden. §. 93. Zeugen dürfen einander, auch unter Vermittlung des Präsidenten, Fragen nicht vorlegen. §. 94. Stellt sich Gewißheit oder Verdacht heraus, daß ein Zeuge absichtlich falsch ausgesagt habe, so kann das Gericht, auch wenn es zur Aburtheilung einer solchen Fälschung nicht zuständig ist, auf Antrag des öffentlichen Anklägers die alsbaldige Verhaftung dieses Zeugen behufs Einleitung des weiteren Verfahrens wider ihn anordnen. §. 95. Die Abhörung Sachverständiger in der Gerichtsverhandlung soll nur auf ausdrückliches Verlangen des Angeklagten, des Anklägers oder des Beschädigten eintreten, und in der Regel die Vorlesung ihres im vorbereitenden Verfahren erfolgten Ausspruchs (§. 163) genügen. §. 96. Auch können, wo kein vorbereitendes Verfahren Statt gefunden hat, Abschätzungsurkunden öffentlich bestellter Sachverständiger, sowie Fundscheine und Gutachten der Gerichtsärzte, statt Vernehmung dieser Personen, vorgelesen werden. §. 97. Sind Sachverständige zur Sitzung vorgeladen, so werden sie in schwurgerichtlichen Sachen immer, in anderen Sachen aber, wenn die Beeidigung nicht bereits erfolgt war (§. 163), oder sie ihr Gutachten nicht kraft öffentlichen Amts abgeben, nur auf Verlangen des Angeklagten, des Anklägers oder Beschädigten beeidigt. §. 98. Es können auch mehrere Sachverständige gemeinschaftlich abgehört werden, und Abtreten derselben vor der Verhandlung ist nicht erforderlich. §. 99. Im Übrigen leiden die Bestimmungen in §. 81 und 91, sowie, wenn die Sachverständigen zur Abgabe ihres Gutachtens amtlich verpflichtet sind, oder andernfalls dieselbe nicht innerhalb einer in der Vorladung zu bezeichnenden Frist vor dem Termine abgelehnt haben, auch die Vorschriften in §.§. 82, 83, 84 Anwendung.

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§. 100. Während der Beweisaufnahme sind den abgehörten Personen behufs ihrer Vernehmung darüber, insbesondere zur Anerkennung, die in Beschlag genommenen Gegenstände, welche in das Sitzungszimmer zu schaffen stehen, sowie etwa aufgenommene Handrisse und derartige Urkunden, vorzuzeigen, auch Urkunden, welche Gegenstand der Anklage bilden, oder zu deren Beweise dienen, neben der Vorzeigung vorzulesen. §. 101. Spricht der Angeklagte oder eine zu vernehmende Auskunftsperson die deutsche Sprache nicht, oder eine am Gerichtsorte, beziehungsweise dem Angeklagten unverständliche Mundart derselben, so ist ein Dolmetscher zuzuziehn. §. 102. Derselbe ist eidlich zu verpflichten und darf aus den Verwandten des Angeklagten oder aus den bei dem Gerichte handelnden oder zu vernehmenden Person nicht genommen werden. §. 103. Ist der Angeklagte oder ein Zeuge taubstumm, und versteht er nicht zu schreiben, so wird, wo thunlich, ein der Zeichensprache der Taubstummen kundiger Dolmetscher ernannt, und geeigneten Falls daneben, oder in Ermangelung eines Dolmetschers, diejenige Person, welche am meisten geübt ist, sich mit dem Taubstummen verständlich zu machen, zugezogen. Hinsichtlich des Dolmetschers leiden die Bestimmungen in §. 102 Anwendung. Eine anderweit zugezogene Person ist Ebenwohl zu beeidigen, insofern sie nicht wegen persönlicher Beziehung zum Angeklagten eine Vernehmung als Zeuge würde ablehnen können. Versteht der Taubstumme zu schreiben, so schreibt der Secretar die an denselben gerichteten Fragen und Mittheilungen über das Verhandelte auf, und ersterer giebt seine Antworten und Erklärungen schriftlich ab. Das Ganze wird von dem Secretar vorgelesen. §. 104. Von zulässiger und erheblicher Vernehmung einer Auskunftsperson oder zeitig beantragter sonstiger Beweisaufnahme in dem Verfahren vor dem erkennenden Gerichte darf in Ermangelung eines beiderseitigen Verzichtes nur dann abgestanden werden, wenn dieselbe in der Sitzung nicht thunlich, oder eine Bezugnahme auf anderweite Verhandlungen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes gestattet ist. §. 105. Deshalb dürfen die Aussagen eines nicht erschienenen Zeugen aus den Acten des vorbereitenden Verfahrens nur in dem Falle vorgelesen werden, wenn der Zeuge inmittelst verstorben, oder sein Aufenthaltsort unbekannt ist, oder seiner Sistirung

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nach dem Ermessen des Gerichts erhebliche Hindernisse für längere Zeit entgegenstehen. Die Vorlesung erfolgt alsdann von Amtswegen. §. 106. Über Widersprüche zwischen den Aussagen in der Gerichtsverhandlung und dem vorbereitenden Verfahren ist aus den Acten des letzteren, wie dem Angeklagten, so auch den Auskunftspersonen Vorhalt zu machen, und das Ergebniß der Voruntersuchung zum Zwecke der Ergänzung der Angaben in der Hauptverhandlung zu benutzen. §. 107. In Übrigen tritt neben den Vorlesungen, welche nach Maaßgaben der Bestimmungen in den §. §. 74, 81, 95, 96 und 100, beziehungsweise statt Vernehmung in der Gerichtsverhandlung, erforderlich und zulässig sind, die Vorlesung der Leumundszeugnisse, der Verzeichnisse früherer Strafen des Angeklagten oder der früheren Urtheile, der Augenscheinsprotokolle, der Obductions- und Sectionsprotokolle, sowie der Protokolle über andere ärztliche oder technische Untersuchungen von Amtswegen ein. §. 108. Über das in der Sitzung durch Vernehmung oder Vorlesung Verhandelte, sowie über die vorgezeigten Gegenstände ist stets der Angeklagte zu vernehmen. §. 109. Vor dem Schlusse einer Verhandlung muß der öffentliche Ankläger mit seinen Anträgen, welche sich für den Fall der Verurtheilung auch auf die zu erkennende Strafe zu erstrecken haben, sowie der Angeklagte mit seiner Vertheidigung gehört werden. Erfolgen hierüber Gegenerklärungen der Parteien, so erhält stets der Angeklagte das letzte Wort. §. 110. Das mündliche Gerichtsverfahren darf außer den im Gesetze erwähnten Fällen durch keine fremden Geschäfte unterbrochen werden. §. 111. Das Gericht kann zur Erholung der handelnden Personen die Verhandlung zeitweise unterbrechen, nach Befinden auch gänzlich aussetzen und auf einen weiteren Termin verschieben, oder zu deren Fortsetzung einen anderen Termin anberaumen. Die deshalb erforderlichen Vorladungen sind an die Anwesenden alsbald zu erlassen. §. 112. Außer den aus den §.§. 74 und 81 sich ergebenden Fällen soll die Aussetzung, beziehungsweise Fortsetzung der Sache in einem anderen Termine namentlich dann eintreten: wenn der Angeklagte, ohne daß in dessen Ungehorsam endlich erkannt

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werden kann, nicht erschienen ist (§. 60), oder in der Sitzung erkrankt, oder aus derselben entfernt wurde (§. 69) und im letzteren Falle ohne seine persönliche Vernehmung die erforderliche Aufklärung nicht zu beschaffen steht; – wenn in den nicht ausgenommenen schwurgerichtlichen Sachen der Vertheidiger nicht gegenwärtig ist (§. 52); – wenn der öffentliche Ankläger, abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmsfällen, nicht anwesend ist (§. 14); – wenn Zeugen, ohne daß beide Theile auf dieselben verzichtet haben, oder das Gericht die deshalbige Beweisaufnahme für unerheblich erklärt, oder die Vorlesung ihrer früheren Aussagen statthaft ist, ausgeblieben sind, oder ohne statthaften Grund ihre Abhörung weigern (§.§. 73, 82, 83 u. 105); – wenn ein nach §. 95 abzuhörender Sachverständiger, ohne daß er zu erscheinen für immer verhindert ist, oder die Abgabe des Gutachtens weigern darf (§. 99), oder auf ihn verzichtet war, nicht erschienen ist; – wenn sich im Falle eines für die Aburtheilung der Sache erheblichen Zeugnisses der Verdacht der Fälschung desselben herausstellt (§. 94); – wenn sich im Laufe der Verhandlung Thatsachen ergeben, welche weiterer Ermittelungen, ohne daß Erledigung in dem nämlichen Termine thunlich ist, bedürfen; – wenn sich in anderen, als schwurgerichtlichen Sachen der Verdacht anderweiter, in der Anklage nicht begriffenen, Vergehen, auf welche dieselbe ausgedehnt wird, ergibt, ein deshalbiger Einfluss auf die Bestrafung des Angeklagten nach den Grundsätzen über concurrenz der Strafen sich herausstellt, und die weitere Anklage nicht in demselben Termine zu erledigen stehet. §. 113. Über die mündliche Gerichtserhandlung ist vom Secretar, in dessen Verhinderung bei den Untergerichten vom Unterrichter, ein Sitzungsprotokoll zu führen, und zwar in den im §. 202 erwähnten Fällen in tabellarischer Form. §. 114. Dieses Protokoll hat die anwesenden Gerichtspersonen und Parteien zu benennen, den Lauf der ganzen Verhandlung summarisch zu beschreiben, den erheblichen Inhalt der Aussagen des Angeklagten und der Auskunftspersonen, soweit sie nicht schon bei den Ober- und Schwurgerichten in den vorbereitenden Verfahren protokollirt sind, und soweit sie von den bereits Protokollirten abweichen, kurz aufzuzeichnen, die im Laufe des Verfahrens ergangenen richterlichen Entscheidungen, die Anträge der Betheiligten und die Vernehmung des Angeklagten über Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichts, sowie die Verkündigung oder Aussetzung des Endurtheils anzugeben. Dasselbe wird vom Secretar unterschrieben. §. 115. Sämmtlichen Richtern, dem Ankläger, dem Angeklagten oder seinem Verteidiger, und den Geschworenen sind zwar Aufzeichnungen gestattet, doch darf durch dieselben das Verfahren nicht aufgehalten werden.

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Fünfter Abschnitt. Von der richterlichen Entscheidung. §. 116. Die Richter müssen mit leiser Stimme berathen und abstimmen; sie können sich zu dem Ende in das Berathungszimmer zurückziehen, es dürfen aber dort der Privatkläger, der Angeklagte, der Beschädigte und die Geschworenen nicht gegenwärtig seyn. §. 117. Erkenntnisse über Anträge und Einwendungen in der Gerichtsverhandlung, welche sich auf dessen Fortgang beziehen, werden von dem Gerichte alsbald ertheilt und verkündigt. §. 118. Das endliche Erkenntnis darf ausnahmsweise nach Maaßgabe der für die verschiedenen Gerichte ertheilten Bestimmungen ausgesetzt werden. §. 119. Jedes endliche Erkenntniß darf nur auf Dasjenige gegründet werden, was Gegenstand der mündlichen Gerichtsverhandlung gewesen ist (§. 62). §. 120. Die auch über den Beweis erkennenden Gerichte haben bei ihren Urtheilen lediglich ihre durch die Beweisaufnahme gewonnene innere Ueberzeugung zur Richtschnur zu nehmen. §. 121. Insoweit nicht ein Gericht seine Unzuständigkeit ausspricht, oder die Entscheidung eines höheren Gerichts ein weiteres Verfahren zur Folge hat, muß das endliche Urtheil entweder Verurtheilung des genau zu bezeichnenden Angeklagten oder dessen Freisprechung enthalten. §. 122. Im Falle einer Verurtheilung sind das Vergehen, wegen dessen, und die rechtlichen Bestimmungen, nach welchen eine Strafe erkannt ist, anzuführen. §. 123. Wird eine Geldstrafe erkannt, so ist stets zugleich die im Falle ihrer Unbeitreiblichkeit eintretende Gefängniß- oder Arbeitsstrafe auszusprechen.

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§. 124. Das Endurtheil muß ferner Entscheidung über die geltend gemachten Privatansprüche und über die Kosten enthalten. §. 125. Im Falle der Freisprechung eines Angeklagten wird jedoch, statt der Entscheidung über den Entschädigungspunkt, dem Beschädigten die Verfolgung seiner Ansprüche vor dem Civilrichter, für welchen ein freisprechendes Erkenntniß in Bezug auf Privatansprüche nicht bindend ist, vorbehalten. Auch kann bei eintretender Verurtheilung die Feststellung der Entschädigungsverbindlichkeit überhaupt, oder eines bestimmten Entschädigungsbetrages in den Civilrechtsweg verwiesen werden, wenn ein deshalbiges Erkenntniß nicht gleichzeitig mit der strafrechtlichen Erledigung der Sache zu ertheilen steht. §. 126. Wer zur Tragung der Kosten verurtheilt wird hat auch diejenigen zu tragen, welche für die Handlungen des öffentlichen Anklägers zu verwenden sind. Der öffentliche Ankläger kann nur in diejenigen Kosten verurtheilt werden, welche nach den seitherigen Bestimmungen von der Staatskasse zutragen sind. §. 127. Das endliche Urtheil ist in öffentlicher Sitzung mit den Entscheidungsgründen, welche namentlich über die Beurtheilung des Beweisergebnisses sich zu verbreiten haben, und unter Vorlesung der zur Anwendung kommenden Gesetzesvorschriften an sämmtliche Betheiligte zu verkündigen. Im Falle der Aussetzung oder im Falle der Abwesenheit Betheiligter kann auch dessen Behändigung, welche nach den Vorschriften des Civilprocesses zu bewirken ist, eintreten; dem öffentlichen Ankläger gegenüber genügt einfache Zufertigung, insbesondere diejenige, welche zur Vollziehung der Behändigung an andere erfolgt. §. 128. Stehet ein Urtheil weder zu verkündigen, noch zu behändigen, so kann dasselbe auf Verfügung des Gerichts statt dessen zweimal durch Einrückung in drei Zeitungen von dem öffentlichen Ankläger bekannt gemacht werden. Acht Tage nach dem Datum desjenigen Blattes, in welchem die zweite Einrückung zuletzt erfolgte, gilt dasselbe als publicirt. §. 129. In Forst-, Jagd- und Fischereistrafsachen, sowie bei Feld-, Garten- und Hutefreveln, welche nach §. 203 und 208 zur periodischen Aburtheilung kommen, soll weder Behändigung noch öffentliche Bekanntmachung der nicht verkündigten Urtheile eintreten. Es ist vielmehr in diesen Fällen, wie bei der Vorladung ausdrücklich bekannt zu machen ist, das Strafregister nach der Aburtheilung acht Tage lang im Gerichtslocale zur Einsicht aufzulegen, und nach Ablauf dieses Zeitraums die Verkündigung als bewirkt, sowie die Vorschrift im §. 133 als befolgt, anzusehen.

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§. 130. Die Verkündigung kann auch vor schriftlicher Abfassung des Urtheils geschehen. §. 131. Die schriftliche Abfassung eines jeden endlichen Urtheils muß, ebenso wie die im §. 179 u. 189 erwähnten Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer, die mitwirkenden Richter bezeichnen, die Entscheidungsgründe enthalten und von den gedachten Richtern, sowie dem Secretar unterschrieben werden. §. 132. In den Fällen des §. 202 wird das Urtheil in die betreffende Spalte der tabellarischen Anzeige gesetzt. §. 133. Mit der Verkündigung eines jeden Endurtheils, dessen Behändigung und öffentlichen Bekanntmachung ist zugleich, insoweit solche an andere Personen, als an öffentliche Ankläger erfolgt, die Erklärung der zustehenden Berufung, beziehungsweise der Einsprache (§. 400 fg.), insbesondere hinsichtlich der Fristen, zu verbinden.

Sechster Abschnitt. Von der Vollziehung der Urtheile. §. 134. Die den öffentlichen Anklägern obliegende Vollziehung sämmtlicher Strafen (§. 12) geschieht, abgesehen von den nach §.§. 135, 136 bestehenden Ausnahmen, durch deren unmittelbare Verfügung. §. 135. Geldstrafen und Confiscate, welche Geld zum Gegenstand haben, werden von den öffentlichen Kassen, in welche sie fließen, auf Ersuchen des öffentlichen Anklägers erhoben. Die Kosten sind von öffentlichen Kassen gleichergestalt zu erheben und an die etwa berechtigten Privatpersonen, beziehungsweise zur Verwendung an das Gericht, abzuliefern. §. 136. Arbeitsstrafen werden von dem öffentlichen Ankläger den betreffenden Behörden zur Vollziehung überwiesen. §. 137. Das Secretariat des erkennenden Gerichtes hat behufs der Urtheilsvollziehungen den öffentlichen Anklägern nach eingetretener Rechtskraft der Erkenntnisse Urtheilsauszüge, welche zugleich die statt einer Geldstrafe eventuell eintretende andere Strafe enthalten, zuzustellen.

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§. 138. Einer solchen Mittheilung bedarf es jedoch alsdann nicht, wenn das Endurtheil im Ungehorsam des Angeklagten oder nach den Bestimmungen im §. 216 ergangen und durch Vermittlung das öffentlichen Anklägers zu behändigen ist. §. 139. Die vom öffentlichen Ankläger an die Erhebungskassen mitzutheilenden Urtheilsauszüge werden von diesen im Falle etwaiger Unbeitreiblichkeit mit deshalbiger Bescheinigung an die öffentlichen Ankläger zur Vollziehung der eventuellen Strafen zurückgesendet. §. 140. Die Verfolgung zuerkannter Privatentschädigung, mit Ausnahme der in Forst-, Jagd- und Fischereistrafsachen von den öffentlichen Kassen zu erhebenden, kann nur im Civilrechtswege erfolgen. §. 141. Die von einem Gerichte verfügte oder vermöge gesetzlicher Vorschrift erforderliche öffentliche Bekanntmachung von Urtheilen, welche neben der Verkündigung oder Behändigung eintritt, geschieht gleichfalls durch die öffentlichen Ankläger. Zweiter Teil. Von dem die mündliche Gerichtsverhandlung vorbereitenden Verfahren. §. 142. Die zur Anzeige strafbarer Handlungen bestellten öffentlichen Diener und Behörden, sowie Privatpersonen, insbesondere solche, welche als Privatankläger auftreten wollen, oder denen wegen gewisser Übertretungen eine Privatanzeigepflicht obliegt, haben ihre Anzeigen entweder bei dem Ortspolizeibeamten, oder bei demjenigen öffentlichen Ankläger, welchem die Verfolgung der strafbaren Handlung obliegt, mündlich zu Protokoll oder schriftlich abzugeben. §. 143. Die Ortspolizeibeamten müssen die bei ihnen eingehenden Anzeigen, geeigneten Falls nach deren Vervollständigung, sowie ihre etwa anderweit erlangte Kenntniß von strafbaren Gesetzesübertretungen ohne Verzug dem betreffenden öffentlichen Ankläger mittheilen, und im Falle einer vom Obergerichte zu bestrafenden Übelthat Abschriften an den Unterrichter des Bezirks alsdann gelangen lassen, wenn nicht in diesem Bezirke ein Obergericht seinen Sitz hat. §. 144. Die erwähnten Polizeibeamten sind, ebenso wie die öffentlichen Ankläger, befugt und verpflichtet, behufs Entdeckung von Vergehen und Sicherung ihrer Bestrafung

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insoweit auf gesetzliche Weise polizeilich einzuschreiten, als der Zweck dieses Einschreitens durch die zu erwartenden richterlichen Handlungen nicht erreicht werden kann und das Ergebniß des Strafverfahrens nicht gefährdet wird. §. 145. Insbesondere haben dieselben in einem solchen Falle vorläufige Vernehmungen, Sicherung der Spuren einer Übelthat, Beschlagnahme von Sachen, sowie, unter den gesetzlichen Voraussetzungen, Verhaftungen eintreten zu lassen. §. 146. Eine solchergestalt verhaftete Person ist jedoch, wenn nicht frühere Entlassung eintritt, binnen vier und zwanzig Stunden, ausschließlich des zum Transporte nöthigen Zeitaufwandes, an den Unterrichter des Bezirks, oder insofern in diesem ein Obergericht seinen Sitz hat und die Sache zur Aburtheilung des letzteren gehört, an den Instructionsrichter behufs Vornahme das Verhörs in Gemäßheit des §. 115 Abs. 2 der Verfassungsurkunde abzuliefern (§.§. 149, 153, 165). Die Ortspolizeibeamten handeln hierbei unter Vermittelung der öffentlichen Ankläger. §. 147. Die öffentlichen Ankläger haben die an sie gelangenden Anzeigen beruhen zu lassen, sobald in der angezeigten Handlung ein Vergehen, oder erheblicher Verdacht gegen eine bestimmte Person als Thäter nicht vorliegt, oder gegen diesen ein Strafverfahren nicht eröffnet werden kann. Auf Ermittelung des Thäters und Einleitung des Verfahrens wider denselben haben jedoch die öffentlichen Ankläger, unter Mitwirkung sämmtlicher Polizeibehörden, fortwährend ihr Augenmerk zu richten. §. 148. Liegt ein zur Entscheidung des Obergerichts sich eignender Fall vor, und stand die zu demselben erforderliche Grundlage durch statthafte polizeiliche Ermittlungen genügend zu beschaffen und zu sichern, so ist alsbald von dem Staatsprocurator nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf Abhaltung das Verhandlungstermines hinzuwirken. §. 149. In untergerichtlichen Strafsachen findet ein vorbereitendes Verfahren nicht Statt. Der Unterrichter, oder in dessen Verhinderung der Actuar, ist jedoch verpflichtet, das verfassungsmäßige Verhör (§. 146) eintreten zu lassen, wenn nicht vor Ablauf der für dasselbe bestimmten Frist die mündliche Gerichtsverhandlung erfolgt (§.§. 22, 207). Entlassung eines Verhafteten kann auch vor der gerichtlichen Verhandlung gerichtsseitig verfügt werden. Auch entscheiden die Unterrichter in den zu ihrer Aburtheilung gehörigen Fällen über die nach §. 11 fg. des Gesetzes vom 26sten August 1848 wider Preßvergehen gestatteten Beschlagnahmen.

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§. 150. Ist das angezeigte Vergehen ein schwurgerichtlich zu bestrafendes, oder liegen hinsichtlich eines von dem Obergerichte zu ahndenden Vergehens die Voraussetzungen des §. 148 nicht vor, so hat der Staatsprocurator die Thätigkeit des Instructionsrichters zu veranlassen. §. 151. Der Staatsprocurator stellt zu diesem Behufe unter Mittheilung sämmtlicher Actenstücke, bei dem Instructionsrichter die geeigneten Anträge, ohne deshalb der Verpflichtung überhoben zu seyn, fortwährend nach dem erforderlichen Stoffe zu forschen und solchen dem Instructionsrichter mitzutheilen. Auch während der Voruntersuchung kann er unter den Voraussetzungen des §. 144 polizeilich einschreiten. §. 152. Ebenso ist der Staatsprocurator befugt, bei den Handlungen des Instructionsrichters, mit Ausnahme der Verhöre von Angeschuldigten oder Zeugen, zugegen zu seyn, und hierbei, sowie überhaupt rücksichtlich des Fortgangs der Voruntersuchung, deren Acten er stets einsehen und geeigneten Falls sich mittheilen lassen kann, Anträge zu stellen. §. 153. Die Thätigkeit des Instructionsrichters tritt, vorbehaltlich des von Amtswegen zu bewirkenden verfassungsmäßigen Verhörs eines Verhafteten (§. 146), nur auf Ersuchen des Staatsprocurators ein. In Eilfällen jedoch und wenn der Instructionsrichter, während er in Amtsthätigkeit begriffen ist, ein Vergehen wahrnimmt, hat derselbe, auch ohne den Antrag des Staatsprocurators abzuwarten, die zur Feststellung des Thatbestandes nöthigen Handlungen, sowie die, zur Sicherung der demnächstigen Bestrafung etwa erforderlichen Vorkehrung zu treffen, und das Erhobene alsbald dem öffentlichen Ankläger mitzutheilen, einen etwa Verhafteten aber alsbald zu vernehmen und von dem Haftgrunde in Kenntniß zu setzen. Der öffentliche Ankläger verfährt nach Mittheilung jenes Protokolls wie auf eine eingegangene Anzeige. §. 154. Sobald der Staatsprocurator es beantragt, muß der Instructionsrichter das Verfahren einstellen; umgekehrt aber kann auch der Letztere den Staatsprocurator zur Zustimmung auffordern, wenn er seinerseits die Einstellung des Verfahrens für gerechtfertigt hält. §. 155. Differenzen zwischen ihm und dem Staatsprocurator rücksichtlich des einzuschlagenden Verfahrens entscheidet auf den Antrag eines von ihnen die Rathskammer. Bis zum Beschlusse der letztern hat der Widerspruch des Staatsprocurators gegen eine vom Instructionsrichter beschlossene Haftentlassung aufschiebende Wirkung.

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§. 156. Auch kann der Instructionsrichter jederzeit, wenn er wegen der Wichtigkeit einer vorzunehmenden Handlung Beschluß der Rathskammer auszuwirken nöthig findet, derselben Vortrag erstatten. Der Staatsprocurator ist zuvor, geeigneten Falls unter Actenvorlage, behufs Abgabe etwaiger Anträge hiervon zu benachrichtigen. §. 157. In dem vorbereitenden Verfahren ist: 1) die Veranlassung des Verfahrens actenmässig zu machen; 2) der objektive Thatbestand festzustellen (vgl. §. 162); 3) im Übrigen insoweit vorzuschreiten, als es die Sicherung und Vorbereitung der demnächstigen mündlichen Verhandlung erforderlich macht. Insbesondere ist die Ermittlung, Überführung und beziehungsweise Entlastung des, unter Beobachtung des §. 66 jedenfalls zu vernehmenden, Verdächtigen und des für den Thäter Haftenden, sowie die Erhebung der die Zurechnung zur Strafe begründenden Umstände zu beschaffen, auch unter den geeigneten Voraussetzungen (§. 8) das Privatinteresse eines Verletzten, insoweit dies ohne Benachtheiligung der Untersuchung im Übrigen thunlich ist, zu ermitteln. §. 158. Rücksichtlich der Zulässigkeit und formellen Erfordernisse der einzelnen Handlungen des Instructionsverfahrens bleibt das seitherige Recht bestehen. Die Bestimmungen des §. 79 gelten auch für das vorbereitende Verfahren. §. 159. Insbesondere hat der Instructionsrichter und zwar regelmäßig auf den Antrag des Staatprocurators, sowohl über Verhaftung, als, im Einverständnisse mit demselben (§. 155), über Haftentlassung zu verfügen. Auch gehört die nach §. 11 folg. des Gesetzes vom 26. August 1848 wider Preßvergehen eintretende Beschlagnahme in den nicht untergerichtlich abzuurtheilenden Fällen zur Zuständigkeit des Instructionsrichters. §. 160. Vorladungen an Auskunftspersonen, an die des fraglichen Vergehens, sowie der Betheiligung Verdächtigen, und an Haftbare dürfen auch ohne Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung und der Eigenschaft, in welcher eine Person vorgeladen wird, und in Fristen nach richterlichem Ermessen erlassen werden. Im Übrigen gelten für Vorladungen die Bestimmungen in den §.§. 43 bis 45. §. 161. In allen Fällen ist ein Protokollführer zuzuziehen, wenn nicht eine unaufschiebbare Handlung vorzunehmen ist, zu welcher ein solcher nicht zu beschaffen steht.

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§. 162. Auskunftspersonen werden nur alsdann beeidigt, wenn Verdacht vorliegt, daß dieselben, obwohl zum Zeugnisse verpflichtet, mit vollständiger Angabe ihrer Wissenschaft zurückhalten, oder wenn zu befürchten ist, daß die Vernehmung und Beeidigung in dem Gerichtsverfahren nicht erfolgen könne. Im letzteren Falle sind auch die Angaben der Auskunftspersonen möglichst umständlich zu protokolliren. §. 163. Sachverständige geben ihr Gutachten in der Regel schriftlich ab, sie werden in schwurgerichtlichen Sachen erst in der Gerichtsverhandlung, sonst aber im Vorbereitungsverfahren, jedoch nur dann beeidigt, wenn sie nicht öffentlich bestellte Sachverständige sind und nicht bereits ihren Diensteid abgeleistet haben. Die etwaige Einziehung eines Gutachtens des Obermedicinalcollegiums ist auch im vorbereitenden Verfahren statthaft. §. 164. Der Instructionsrichter kann die Unterrichter seines Bezirkes um die Vornahme von vorbereitenden Handlungen ersuchen. §. 165. Die Unterrichter haben nicht nur diesen Requisitionen unter Beobachtung der erforderlichen Förmlichkeiten zu entsprechen, sondern auch von Amtswegen das verfassungsmäßige Verhör eines verhafteten Angeklagten vorzunehmen (§. 146), sowie auf den Grund der nach §. 143 an sie gelangenden Anzeigen, oder anderweit erhaltener Kunde, mit dem vorbereitenden Verfahren vorzuschreiten, wenn Gefahr mit dem Verzuge verbunden ist. Von diesem Vorschreiten ist dem Instructionsrichter alsbald Nachricht zu ertheilen. §. 166. Das gedachte Vorschreiten soll stets eintreten, wenn es um Tödtung, schwerere Körperverletzung, Raub, Diebstahl unter Gewaltanwendung oder mittelst Einsteigens, ausgebrochenen Brand, und um solche Übelthaten sich handelt, deren Spuren in objectiver oder subjectiver Hinsicht zu verschwinden drohen. Insbesondere hat der Unterrichter, ohne eine deßhalbige Requisition abzuwarten, die erforderlich werdende Obduction und Section eines menschlichen Leichnams nach den bestehenden Vorschriften zu bewirken. §. 167. Die Vorschriften in den §.§. 158 bis 164 leiden geeigneten Falls auch auf das Verfahren des Unterrichters von Amtswegen Anwendung. Eine Haftentlassung darf derselbe jedoch nur alsdann vor eingeholter Zustimmung des Instructionsrichters eintreten lassen, wenn die offenbare Unzulässigkeit längerer Hafthaltung vorliegt.

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§. 168. Das Verfahren des Unterrichters von Amtswegen hört auf, sobald der Instructionsrichter ihn von der seinerseits erfolgten Übernahme der Sache benachrichtigt. §. 169. Hiernächst hat der Unterrichter nur die einzelnen bereits begonnenen Handlungen, insofern ihm nicht der Instructionsrichter Kenntniß gibt, daß er die nämliche Handlung vornehme, zu vollenden und außerdem nur alsdann ohne Requisition zu handeln, wenn eine unaufschiebbare Handlung erforderlich wird, ohne das deßhalbige Thätigkeit des Instructionsrichters zu beschaffen stände. §. 170. Die aufgenommenen Protokolle, sowie die etwa verhafteten Personen und in Beschlag genommenen Gegenstände übersendet der Unterrichter an den Instructionsrichter. Dieser hat sofort dem Staatsprocurator Nachricht, geeigneten Falls unter Actenmittheilung, zu ertheilen und letzterer, falls dies nicht schon früher geschehen seyn sollte oder nicht auf alsbaldige Anberaumung des Verhandlungstermins anzutragen steht (§. 223), nach §. 150 und 151 zu verfahren. §. 171. Sowohl dem Instructionsrichter, als dem Unterrichter stehen disciplinarische Zwangsmaßregeln und die Erkennung von Disciplinarstrafen zu. Auch können diese Beamten die wider sie selbst während ihrer Dienstausübung vorkommenden Beleidigungen, insoweit sie nicht mit einer härteren, als dreitätigen Gefängnißstrafe zu ahnden sind, bestrafen. §. 172. Hält der Instructionsrichter das vorbereitende Verfahren für vollständig, worüber er sich mit den Staatsprocurator soviel als thunlich kurzer Hand zu verständigen hat, so hat er mit dem Angeklagten ein umfassendes Schlußverhör zu halten, auch eine kurze übersichtliche Zusammenstellung des Ergebnisses anzufertigen und mit dieser, spätestens innerhalb acht Tagen nach der letzten Handlung, die Acten dem Staatsprocurator zuzustellen. §. 173. Wird sodann nicht auf den Antrag des Staatsprocurators das vorbereitende Verfahren noch fortgesetzt, so erfolgt Vortrag der Sache in der Rathskammer des Obergerichts. §. 174. Zu diesem Ende lässt der Staatsprocurator spätestens binnen acht Tagen die Acten mit schriftlichem Antrage an den Instructionsrichter zurückgelangen, und dieser hat den Beschluß der Rathskammer auszuwirken.

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§. 175. Hält die Rathskammer das vorbereitende Verfahren noch nicht für vollständig, so verordnet sie dessen Fortsetzung. §. 176. Ist die That durch kein Strafgesetz verboten, oder fehlt es an hinlänglichem Anschuldigungsbeweise, oder ist vollständiger Entlastungsbeweis unzweifelhaft vorhanden, so spricht sie aus, daß gegen den Beschuldigten kein weiteres strafgerichtliches Verfahren stattfinde. Dieser Ausspruch hat die Wirkung gerichtlicher Freisprechung. §. 177. Findet sie, daß ein nicht mit einem schwereren Vergehen zusammentreffendes, nur zu untergerichtlichen Zuständigkeit gehöriges, oder daß ein von einem andern Obergerichte abzuurtheilendes Vergehen vorliegt, so verweiset sie die Sache zur Abgabe an den betreffenden anderen öffentlichen Ankläger. §. 178. Hat sich hinreichender Verdacht eines vom Obergerichte abzuurtheilenden Vergehens ergeben, so wird dies ausgesprochen und der Staatsprocurator hat wegen Abhaltung des mündlichen Verhandlungstermines das Erforderliche einzuleiten. §. 179. Hält dagegen die Rathskammer dafür, daß eine begangene Handlung als ein schwurgerichtlich zu bestrafendes Vergehen zu betrachten, auch ein hinlänglich begründeter Verdacht gegen den Angeschuldigten vorhanden sey, so verweiset sie die Sache an die Anklagekammer, bestätigt die seitherige Verhaftung, oder verfügt die Einziehung des etwa noch nicht verhafteten Beschuldigten, insofern nicht ausnahmsweise, namentlich bei einem lediglich mit Dienstentsetzung bedroheten Verbrechen, oder bei Preßvergehen, besondere Umstände gestatten, die Verhaftung aufzuheben, oder von derselben abzustehen. Hatte das Verfahren mehrere strafbare Handlungen desselben oder mehrerer Angeklagten zum Gegenstande, so kann gleichzeitig hinsichtlich einzelner derselben Einstellung des Verfahrens nach §. 176, sowie hinsichtlich einzelner Angeklagten Verweisung der Sache an ein anderes Gericht erfolgen. §. 180. Alle Beschlüsse der Rathskammer müssen die Entscheidungsgründe enthalten, die Personen der Beschuldigten genau bezeichnen und die Vergehen, deren sie beschuldigt sind, beziehungsweise verdächtigt erscheinen, sowie die Strafgesetze, um deren Verletzung es sich handelt, angeben. §. 181. Die Verweisung an die Anklagekammer kann auch vom Obergerichte als erkennendem Gerichte ausgesprochen werden, insofern die Voraussetzungen schwurge-

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richtlicher Aburtheilung erst im Verhandlungstermine sich ergeben, oder das Obergericht von der Ansicht seiner Rathskammer abweicht (§.§. 24, 178). Hinsichtlich des weiteren Verfahrens stehet dieser Ausspruch der nach §. 179 eintretenden Verweisung gleich. §. 182. Abschrift des an die Anklagekammer verweisenden Beschlusses (§. 179) hat der Staatsprocurator sofort dem Beschuldigten behändigen zu lassen, und nach Eingang der deshalbigen Bescheinigung die Acten dem Staatsprocurator bei der Anklagekammer zu übersenden. §. 183. Dem Beschuldigten steht frei, binnen unerstrecklicher Frist von acht Tagen nach jener Behändigung eine Denkschrift bei der Anklagekammer zu Überreichen. §. 184. Nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist, oder nach vorgängiger Mittheilung der Denkschrift an den bei der Anklagekammer bestellten Staaatsprocurator, stellt dieser alsbald, spätestens vierzehn Tage nach Eingang der Acten (§. 182), schriftlichen Antrag unter Überreichung sämmtlicher ihm zugegangenen Actenstücke bei der Anklagekammer. §. 185. Der Vorstand der Anklagekammer theilt die Sache einem Mitgliede derselben zum Vortrage zu und beraumt einen, nach Maaßgabe des Umfangs der Sache auf möglichst nahe Zeit anzusetzenden, Termin an, von welchem dem Staatsprocurator Nachricht zu ertheilen ist. §. 186. Der Vortrag in diesem Termine muß die Vorlesung der Vehörs- und sonstigen Protokolle, insoweit sie für das Ergebniß des vorbereitenden Verfahrens wesentlich sind, des Beschlusses der Rathskammer, der etwa eingegangenen Denkschrift des Beschuldigten, sowie des schriftlichen Antrags des Staatsprocurators befassen, und letzterer hält sodann mündlichen Vortrag. §. 187. Die Anklagekammer kann, wenn sie das Vorbereitungsverfahren nicht vollständig findet, dessen Fortsetzung in genau zu bezeichnenden Punkten anordnen. §. 188. Ebenso kann sie unter den Voraussetzungen des §. 176 und mit der hier gedachten Wirkung gänzliche Einstellung des Verfahrens verfügen, oder, wenn nach ihrer Ansicht ein nicht schwurgerichtlich, oder ein vom Schwurgerichte eines andern Bezirks abzuurtheilendes Vergehen vorliegt, die Sache zur Aburtheilung Seitens des zustän-

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digen Gerichts, beziehungsweise zum Verfahren im betreffenden Obergerichtsbezirke, verweisen. §. 189. Findet sie aber, daß die Aburtheilung einer angezeigten strafbaren Handlung zur Zuständigkeit des Schwurgerichts im Obergerichtsbezirke, wo das vorbereitende Verfahren erledigt ward, gehöre, und daß hinreichender Verdacht wider den Beschuldigten sich ergeben habe, so erkennt sie die Anklage, verweist die Sache vor das Schwurgericht im gedachten Obergerichtsbezirke, verordnet die Anfertigung des Anklageactes, sowie die Ablieferung des verhafteten Beschuldigten in das für peinlich Angeklagte bestimmte Gefängniß und bestätigt entweder, insofern die Rathskammer von Verhaftung abgestanden hat (§. 179), deren Ausspruch, oder verfügt die Einziehung des Beschuldigten in das vorgedachte Gefängniß. §. 190. Dieses Erkenntniß muß ebenwohl den im §. 181 aufgezählten Erfordernissen entsprechen, und kann, wenn der Verweisungsbeschluß der Rathskammer mehrere Vergehen des nämlichen oder mehrere Angeklagten befasste, hinsichtlich einzelner derselben zugleich gänzliche Einstellung des Verfahrens (§. 188), sowie hinsichtlich einzelner Angeklagter Verweisung der Sache vor ein anderes Gericht Verfügen. §. 191. Mit dem Originale des Erkenntnisses oder Beschlusses werden sodann die Acten dem Staatsprocurator bei der Anklagekammer zugefertigt, welcher sie dem Staatsprocurator der Rathskammer übersendet. §. 192. Letzterer hat im Falle eines nach §.§. 187, 188 erfolgten Beschlusses das Geeignete zu verfügen, im Falle der erkannten Anklage aber das Erkenntniß dem Beschuldigten sofort in Abschrift behändigen, Solches bescheinigen zu lassen und den Anklageact anzufertigen. §. 193. Der Anklageact muß die Person das Beschuldigten genau bezeichnen, Angabe der Thatsachen, welche demselben zur Last gelegt werden, Übersicht des Beweisergebnisses, Bezeichnung des Verbrechens, sowie der zur Anwendung kommenden Gesetze, und angemessenen Schlußantrag, enthalten, doch braucht der letztere eine bestimmte Strafe nicht anzugeben. Ist eine Sache nach §. 336 oder in Folge eines Rechtsmittels, insbesondere wieder aufgenommenen Verfahrens, einer Einsprache oder Restitution, zur schwurgerichtlichen Verhandlung verwiesen (§.§. 431, 432, 406, 413), so ist Auseinandersetzung des in Betracht kommenden Sachverhältnisses zu liefern.

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§. 194. Binnen achttägiger Frist nach Eingang der Acten (§. 191) hat der Staatsprocurator letztere und den Anklageact bei dem Obergerichtsdirector einzureichen. Diese Frist darf zwar bei besonderem Umfange der Sache angemessen ausgedehnt werden, doch ist jedenfalls nach Ablauf der gesetzten acht Tage bei dem Obergerichtsdirector hiervon Anzeige zu machen. §. 195. Dieser, oder ein von ihm zu beauftragendes Obergerichtsmitglied, welches jedoch an den Beschlüssen der Rathskammer nicht Theil genommen haben darf, hat dem Angeklagten, dem für sich und seinen Vertheidiger auch Acteneinsicht freisteht, sobald als thunlich, Abschrift des Anklageacts, sowie auf Verlangen der erheblichen, in den Acten zu verzeichnenden, Vernehmungs- und sonstigen Protokolle des vorbereitenden Verfahrens zustellen zu lassen. §. 196. Binnen vier und zwanzig Stunden nach Mittheilung des Anklageacts vernimmt derselbe sodann, unter Zuziehung eines Protokollführers, den Beschuldigten über seine persönlichen Verhältnisse, den Grund des eingeleiteten Strafverfahrens, beziehungsweise der Verhaftung, sowie über die etwaige Wahl eines Vertheidigers, giebt ihm, wenn er einen Vertheidiger nicht selbst bestellt, einen solchen von Amtswegen bei (§. 52), und belehrt ihn, daß, wenn er Beschwerde gegen das Anklageerkenntniß erheben wolle, die deshalbige Einführung binnen acht Tagen nach dieser Vernehmung erfolgen müsse. §. 197. Sollte der Beschuldigte bei dieser Vernehmung noch Angaben zu seiner Vertheidigung machen, welche weiterer Beweisaufnahme bedürfen, so bewirkt diese der Obergerichtsdirector oder dessen Deputirter zu den Acten des vorbereitenden Verfahrens. Es kann diese Beweisaufnahme auch dem Instructionsrichter, jedoch nur alsdann übertragen werden, wenn das Erforderniß der weiteren Ermittlungen nicht Beziehung auf eine unstatthafte Vernachlässigung oder sonstige Pflichtwidrigkeit im seitherigen Verfahren hat. Die Acten gehen sodann an den Staatsprocurator, welcher weiteres Verfahren bei der Anklagekammer (§. 185 fg.) veranlaßt. Diese ist befugt, geeigneten Falls das Anklageerkenntniß zurückzuziehen und nach §. 187, 188 zu entscheiden. Erfolgt die Zurückziehung nicht, so gelangen die Acten durch die Staatsprocuratoren an den Obergerichtsdirector, welcher die Entscheidung dem Angeklagten zu eröffnen hat, zurück. §. 198. Wird eine Beschwerde weder vom Staatsprocurator noch vom Angeklagten erhoben, und sind beziehungsweise die weiteren Ermittelungen erledigt, so sendet der Obergerichtsdirector, oder dessen Deputirter Abschrift des Anklageerkenntnisses und des Anklageactes unter Bezeichnung derjenigen Obergerichtsmitglieder, welche

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an dem vorbereitenden Verfahren, oder an dem Beschlusse der Rathskammer Theil genommen haben, an den Präsidenten des Oberappellationsgerichts (§. 253 fg.). Ebenso verfährt derselbe nach Erledigung eines Rechtsmittels, zufolge deren schwurgerichtliche Verhandlung ohne vorgängiges vorbereitendes Verfahren (§. 399) erforderlich wird, sowie auf erfolgte Einsprache (§. 406) und ertheilte Restitution (§. 413). Nach Eingang der nach §. 399 bei ihm einzureichenden Erkenntnisse erfolgt vor der Einsendung Vernehmung des Angeklagten nach §. 196. §. 199. Hinsichtlich der Abgabe der Anzeige und Vorbereitung der Hauptverhandlung soll in nicht etwa schwurgerichtlich abzuurtheilenden Fällen ein besonderes Verfahren eintreten: 1) bei den mit Strafe bedroheten Zuwiderhandlungen gegen die Staatsfinanzgesetze, einschließlich deren über die Postverwaltung; 2) in Forst-, Jagd- und Fischereistrafsachen; 3) bei Übertretungen der Ufer-, Wege- und sonstigen baupolizeilichen Bestimmungen; 4) bei Feld-, Garten- und Hutefreveln; 5) bei den nach §. 75 der Gemeindeordnung zu ahndenden Übertretungen, und 6) bei Schulversäumnissen. §. 200. Die dashalbigen Anzeigen sind in den Fällen unter 1, 2 und 3 an diejenigen, für die betreffenden Dienstzweige bestellten Behörden, welche nach den seitherigen Bestimmungen die Anzeigen bei Gericht zu machen hatten, sowie in den Fällen unter 4 und 5 lediglich an die Ortsvorstände abzugeben. §. 201. Diese Behörden und die Ortsvorstände haben den zur Hauptverhandlung erforderlichen Stoff im administrativen Wege thunlichst zu sammeln. §. 202. Die Anzeigen sind sodann, ebenso wie die Schulversäumnißfälle von den Lehrern, soweit dies thunlich, in tabellarischer Form auszustellen und in der betreffenden Spalte Anträge auf Strafe und Nebenpunkte zu stellen. §. 203. Bei untergerichtlich zu ahndenden Übertretungen sind, insoweit nicht ein Straffall schleunige Erledigung erheischt, die Anzeigen zu sammeln und periodisch bei dem untergerichtlichen Ankläger einzureichen.

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§. 204. Übersteigt aber das angezeigte Vergehen die untergerichtliche Zuständigkeit, so ist die tabellarische Urkunde über jeden einzelnen Anzeigefall alsbald an den Staatsprocurator bei dem Obergerichte abzugeben und dieser hat geeigneten Falls ein vorbereitendes Verfahren zu veranlassen. §. 205. Die nach §. 48 der Verordnung vom 5ten October 1848 aufzustellenden Verzeichnisse der nach §.§. 68 und 69 des Rekrutirungsgesetzes vom 29sten September 1848 zu bestrafenden Militärpflichtigen sind von der betreffenden Verwaltungsbehörde an den Staatsprocurator bei dem Obergerichte abzugeben. Dritter Theil. Von dem Strafverfahren vor den Untergerichten. §. 206. Bei jedem Untergerichte werden die zur öffentlichen Verhandlung in Strafsachen zu bestimmenden Wochentage (§. 33) nach vorgängiger Vereinbarung mit dem öffentlichen Ankläger festgesetzt und öffentlich bekannt gemacht. §. 207. Gehen Anzeigen bei dem öffentlichen Ankläger ein, welche, insbesondere wegen Verhaftung, der Erledigung vor dem nächsten ordentlichen Sitzungstage bedürfen, so hat derselbe unter Vorlegung der betreffenden Actenstücke einen näheren Termin bei dem Unterrichter auszuwirken. §. 208. Zur Verhandlung über die periodisch eingehenden tabellarischen Anzeigen (§. 203), und zwar erforderlichen Falls für eine Gattung derselben ausschließlich, ist in jedem Monate ein bestimmter Tag, für Forst-, Jagd- und Fischereivergehen in Übereinstimmung mit der Forstinspection, ein für alle Mal festzusetzen. §. 209. Im ordentlichen Verfahren läßt der öffentliche Ankläger, und zwar regelmäßig zum nächsten Sitzungstage nach Eingang der Anzeige, vorladen. §. 210. Wird nicht im Ungehorsame des Angeklagten erkannt, so findet im Verhandlungstermin folgendes Verfahren Statt: der Ankläger bezeichnet den Gegenstand der Anklage; der Angeklagte wird hierüber, sowie über den etwa erhobenen Civilanspruch, vernommen;

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beide Theile und der etwa auftretende Beschädigte beantragen die danach erforderliche Beweisaufnahme; letztere erfolgt, soweit es deren noch bedarf; der Ankläger, sowie geeigneten Falls der Beschädigte, stellen hierauf ihre Anträge und der Angeklagte wird gehört. §. 211. Beeidigung von Zeugen und Sachverständigen findet nur auf ausdrückliches Verlangen des Anklägers, des Angeklagten oder des Beschädigten Statt. §. 212. Zu einem etwaigen, vom Gerichte zu bestimmenden, anderweiten Termine (§. 111, 112) hat der öffentliche Ankläger die noch erforderlichen Vorladungen zu besorgen. §. 213. Sind Untersuchungshandlungen außerhalb des Gerichtslocals oder Gerichtsbezirkes vorzunehmen, so geschieht dies erst nach dem ersten Verhandlungstermine entweder durch das Gericht oder durch Requisition. Die deshalb aufgenommenen Protokolle sind in einem demnächstigen Verhandlungstermine vorzulesen. §. 214. Wird ausnahmsweise das Erkenntniß ausgesetzt, so muß dasselbe binnen drei Tagen ertheilt und entweder behändigt oder spätestens in der nächstfolgenden Sitzung verkündigt werden. §. 215. Beruht die Anzeige auf der eignen amtlichen Wahrnehmung eines zur Anzeige und auf die Wahrhaftigkeit derselben Verpflichteten öffentlichen oder Gemeindedieners, so findet, jedoch mit Ausnahme der Forst-, Jagd- und Fischereistrafsachen, sowie der Feld-, Garten- und Hutefrevel, das Mandatsstrafverfahren Statt. §. 216. In solchen Fällen hat der öffentliche Ankläger die Anzeige mit den geeigneten Anträgen, falls diese nicht bereits in der tabellarischen Urkunde enthalten sind, bei dem Unterrichter einzureichen und dieser spricht alsbald die verwirkte Strafe mit dem Bedeuten aus: daß, wenn der Angeklagte durch das Urtheil sich beschwert halten sollte, binnen unerstrecklicher Frist von acht Tagen auf Anberaumung eines Verhandlungstermines anzutragen oder die Vollziehung des Urtheils, unter Ausschluss eines devolutiven Rechtsmittels (§. 354), zu gewärtigen sey.

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§. 217. In diesem Urtheile muß, insoweit nicht aus der schriftlichen Anzeige, neben welche dasselbe gesetzt wird, das Erforderliche erhellt, angegeben seyn: 1) die Beschaffenheit des Vergehens, sowie Zeit und Ort seiner Verübung; 2) Namen, Stand und Wohnort des Anzeigers und des Angeklagten; 3) die Straffestsetzung, sowie Entscheidung über die Kosten und geeigneten Falls den Entschädigungspunkt, unter Anführung der Strafvorschrift, auf welche erstere sich gründet. §. 218. Das Strafmandat ist dem Verurtheilten nach den Vorschriften des Civilprozesses zu behändigen. §. 219. Wird mit einer der im §. 215 gedachten Anzeige der Angeklagte als verhaftet vorgeführt, so ist ihm das Strafmandat neben Entscheidung über Fortdauer der Haft alsbald zu eröffnen. §. 220. Beruhigt sich der Verurtheilte bei dem Strafmandate nicht, so hat er den Antrag auf Anberaumung eines Verhandlungstermines bei dem Gerichte zu stellen und seine etwaigen Beweismittel zu bezeichnen. Das Gericht verfügt die noch erforderlichen Vorladungen zu dem für die Verhandlung zu bestimmenden Gerichtstage und theilt diese Verfügung, sowie die über den Antrag des Verurtheilten aufgenommene Registratur dem öffentlichen Ankläger mit, welcher, neben den vom Gerichte verfügten, die noch seinerseits für erforderlich gehaltenen Vorladungen besorgen läßt. §. 221. Im Verhandlungstermine wird ebenso, wie im ordentlichen Verfahren vorgeschritten und das ertheilte Strafmandat nach Maaßgabe der Verhandlungen entweder abgeändert, oder, wie jedes Mal geschiehet, wenn der gehörig vorgeladene Angeklagte ausbleibt, bestätigt. §. 222. Hat ein Untergericht seine Unzuständigkeit ausgesprochen, weil eine Sache seine Strafbefugniß übersteige, so kann der Staatsprocurator bei dem Obergerichte für einen solchen Fall Entscheidung der Rathskammer auswirken. Verweist diese, oder das Obergericht nach stattgehabter Verhandlung, ein Vergehen zur untergerichtlichen Aburtheilung, so kann das Untergericht seine Unzuständigkeit nicht aus dem Grunde aussprechen, daß das Vergehen nicht zur untergerichtlichen Cognition gehöre.

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Anhang 3 Vierter Theil. Von dem Strafverfahren vor den Obergerichten.

§. 223. Bedarf eine bei dem Staatsprocurator eingegangene Anzeige, oder ein vom Unterrichter eingesandtes Protokoll ein weiteres Verfahren Seitens des obergerichtlichen Untersuchungsrichters nicht (§.§. 148, 170), oder hat die Raths- oder Anklagekammer ein zur obergerichtlichen Aburtheilung geeignetes Vergehen angenommen (§. 178, 188), so legt der Staatsprocurator sämmtliche bei ihm eingegangene Actenstücke dem Obergerichtsdirector, oder dem für die Strafrechtspflege bei dem Obergerichte bestellten Vorstande, unter Bezeichnung der vorzuladenden Personen mit dem Antrage vor, eine Sitzung zur Verhandlung der Sache zu bestimmen. §. 224. Mit der deshalbigen Bestimmung gelangen die Akten an den Staatsprocurator zurück, welcher sie nach bewirkten Vorladungen an das Obergerichtssecretariat abgibt. §. 225. Hier sind dieselben dem Angeklagten oder seinem Vertreter auf Verlangen zur Einsicht vorzulegen. §. 226. Die Verhandlung in der Sitzung soll, insoweit nicht ein Contumacialerkenntniß erfolgt, in nachfolgender Weise stattfinden: der Beschuldigte und die Zeugen werden aufgerufen; der erstere wird über seine persönlichen Verhältnisse vernommen; der Staatsprocurator gibt mit kurzen Worten den Gegenstand der Anklage an und der etwa auftretende Beschädigte stellt seinen Antrag; die Zeugen werden aufgerufen und in das für sie bestimmte Zimmer gewiesen (§. 86); der Angeklagte wird vernommen (§. 64); die noch erforderliche Beweisaufnahme erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften (§. 68 folg.) dergestalt, daß der Angeklagte nach dem Ermessen des Präsidenten entweder nach Erhebung einzelner Beweismittel oder nach Schluß der Beweisaufnahme hierüber gehört wird; die Parteien erklären sich schließlich (§. 109) und zwar, vorbehaltlich des letzten Wortes für den Angeklagten, in der Regel der Staatsprocurator unter Stellung seiner Anträge nach der Vertheidigung des Angeklagten. §. 227. Die Bestrafung nach §.§. 68 u. 69 des Rekrutirungsgesetzes vom 29sten September 1848 erfolgen in der Art, daß der Staatsprocurator die im §. 205 erwähnten Ver-

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zeichnisse dem Gerichte in öffentlicher Sitzung übergibt, und dieses die Veurtheilung, wenn deren Vorraussetzungen vorliegen, ausspricht, solche vom Secretar im Verzeichnisse bemerken lässt und Ausfertigung des, nur vom Sitzungspräsidenten zu unterschreibenden, Urtheils anordnet. §. 228. Der Antrag auf eine nach §. 71 des Rekrutirungsgesetzes statthafte Zurückziehung eines solchen Urtheils ist bei dem Staatsprocurator anzubringen, welcher den hierzu erforderlichen Termin für die mündliche Hauptverhandlung, geeigneten Falls nach zu veranlassendem vorbereitenden Verfahren, auszuwirken hat. §. 229. Die Ertheilung eines obergerichtlichen Erkenntnisses darf auf höchstens acht Tage ausgesetzt werden. §. 230. Findet das Gericht, daß die Anschuldigung ein untergerichtlich abzuurtheilendes Vergehen betrifft, so hat dasselbe, wenn die Verhandlung in dem angesetzten ersten Termine erschöpfend erfolgt ist, oder erfolgen kann, die Sache dennoch selbst abzuurtheilen und sie an das Untergericht nur alsdann zu verweisen, wenn der Angeklagte, der Staatsprocurator, oder der Beschädigte dieses beantragen. §. 231. Eine solche Verweisung kann zwar bei dem im §. 19 erwähnten Zusammentreffen eines obergerichtlich abzuurtheilenden Vergehens mit solchen Vergehen anderer Personen, welche an sich zur untergerichtlichen Cognition gehören, hinsichtlich dieser letzteren Platz greifen; dieselbe ist aber, selbst wenn erschöpfende Verhandlung im ersten Termine nicht thunlich ist, unstatthaft in Rücksicht auf Ansicht untergerichtlich abzuurtheilende Vergehen, wenn dieselben dem nämlichen Angeklagten neben einer Handlung zur Last gelegt werden, für welche nachdem Ergebnisse der Verhandlung eine Strafe vom Obergerichte wirklich erkannt werden muß.

Fünfter Theil. Von den Schwurgerichten. Erster Abschnitt. Von Aufstellung der Geschwornenlisten. §. 232. Geschworner kann ein Jeder seyn, welcher das dreißigste Lebensjahr zurückgelegt hat, das Staats- und Ortsbürgerrecht besitzt und durch keine der nachfolgenden Bestimmungen ausgeschlossen wird.

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Anhang 3 §. 233.

Geschworne können nicht seyn: 1) Diejenigen, welche wegen körperlichen Gebrechen (wie namentlich Taube, Stumme oder Blinde), oder wegen geistiger Gebrechen zu der Verrichtung eines Geschworenen untauglich sind; 2) alle unter Curatel stehende Personen; 3) Diejenigen, über deren Vermögen ein Concurs, oder ein nach §. 14 des Gesetzes vom 24sten Juli 1834 eingeleitetes Vertheilungsverfahren besteht oder bestanden hat, bis zur völligen Befriedigung der Gläubiger; 4) diejenigen Personen, welche eine Zwangsarbeits- oder noch härtere Strafe erlitten haben, oder wegen eines, die öffentliche Achtung entziehenden Vergehens, insbesondere wegen Diebstahls, Unterschlagung, Betrugs, Fälschung, Banquerots zu Strafen rechtskräftig verurtheilt sind; 5) Diejenigen, gegen welche wegen eines der vorgenannten Vergehen, oder wegen eines peinlichen Verbrechens ein Beschluß der Rathskammer nach §.§. 178 und 179 ergangen ist, bis zu ihrer etwa eingetretenen Freisprechung. §. 234. Wegen ihres Dienstverhältnisses sind für die Dauer desselben vom Amte eines Geschworenen ausgeschlossen: 1) Geistliche aller Confessionen; 2) Solche, welche ein Richteramt oder Gerichtssecretariat bekleiden, Vorstände und Referenten der einzelnen Ministerien, Mitglieder des Gesammtstaatsministeriums, Directoren der oberen Behörden, alle öffentlichen Ankläger und deren Substituten, Polizeibeamte einschließlich der Gendamerie, Zollbeamte. §. 235. Ablehnen können das Amt eines Geschworenen: 1) Diejenigen, welche das fünfundsechzigste Lebensjahr zurückgelegt haben; 2) Mitglieder des Landtags, sowie Landtagscommissare und Landsyndicus während der Dauer der Sitzungen; 3) Staatsdiener und andere Personen, deren Unabkömmlichkeit die vorgesetzte Behörde bezeugt; 4) Diejenigen, welche das Amt eines Geschworenen als Hauptgeschworene oder Ersatzmänner (§. 290) verrichtet haben, für die nächstfolgenden vier Urtheilssitzungen; 5) Ärzte, welche an einem Orte die allein zur Praxis Berechtigten sind, sowie Ärzte in bedeutenderen Epidemiefällen, und Apotheker, welche keinen verpflichteten Gehülfen haben; 6) Verwalter öffentlicher oder Gemeindekassen; 7) die im Hofdienste stehenden Personen.

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§. 236. Für eine einzelne Sache sind zu dem Amte eines Geschworenen unfähig: 1) alle Blutsverwandten, sowie alle im rechtlichen Sinne Verschwägerte des Angeklagten; 2) Diejenigen, welche aus der angeschuldigten Handlung ein Privatinteresse für sich, ihre Blutsverwandten oder Verschwägerten, oder für ihre Verlobte, oder für ihre Pflegebefohlenen herleiten können; 3) Diejenigen, welche als Privatanzeiger, als Ankläger, als Untersuchungsrichter oder Protokollführer, sowie als Anwälte rücksichtlich des abzuurtheilenden Verbrechens thätig waren, oder als Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher abgehört oder abzuhören sind. §. 237. Zum Zweck der Bildung der Geschworenenliste des nächsten Jahres hat jährlich am Anfange des Monates September der Bürgermeister einer jeden Gemeinde ein Verzeichniß (Urliste) der in derselben wohnenden, zu den Verrichtungen eines Geschworenen befähigten, Personen (§.§. 232, 233, 234) aufzustellen, und spätestens vom 15ten des gedachten Monats an sechs Tage lang auf dem Rathhause (Gemeindehause) zu Jedermanns Einsicht aufzulegen, auch daß die Auflegung geschehen, auf gewöhnliche Weise öffentlich bekannt zu machen. §. 238. Die auf abgesonderten Gebäuden und Höfen, einschließlich der Rittergüter, Wohnenden sollen, soweit diese Sitze nicht bereits mit einer Gemeinde verbunden sind, alsbald durch das Ministerium des Innern behufs Aufstellung jener Liste bestimmten einzelnen Gemeinden zugewiesen werden. §. 239. Jeder in der Gemeinde wohnberechtigte Staatsbürger ist befugt, gegen das aufgelegte Verzeichniß wegen Übergehung gesetzlich befähigter, oder wegen Eintragung unbefähigter Personen binnen sechs Tagen nach der öffentlichen Bekanntmachung (§. 237) mündlich oder schriftlich bei dem Bürgermeister Gegenvorstellung zu erheben. Der Bürgermeister hat, wenn er die letztere begründet findet, das Erforderliche sogleich in der Liste zu berichtigen. §. 240. Findet die Gegenvorstellung keine Abhülfe, so findet binnen drei Tagen Beschwerdeführung bei dem Untergerichte des Bezirkes Statt. Dieses hat geeigneten Falles eine thunlichst zu beschleunigende Sachuntersuchung eintreten zu lassen und spätestens binnen drei Tagen nach deren Erledigung zu entscheiden.

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§. 241. Gegen diese schriftlich mit Gründen zuzufertigende Entscheidung kann bei dem Untergerichte binnen acht Tagen Beschwerde an das Obergericht ausgeführt werden, und dieses entscheidet innerhalb acht Tagen nach Eingang der ihm vom Untergerichte vorzulegenden Acten, erforderlichen Falles nach Anordnung weiterer Ermittelungen, mit fünf Richtern in letzter Instanz. §. 242. Wird vom Obergerichte Aufnahme eines Übergangenen in die Urliste beschlossen, so giebt dasselbe dem Bezirksvorstande davon Nachricht. §. 243. Das nach §.§. 240 bis 242 eintretende Verfahren ist stempel- und gebührenfrei. §. 244. Nach Ablauf der in den §.§. 239 bis 241 erwähnten Fristen sendet der Bürgermeister die aufgestellte Urliste an den Bezirksvorstand. §. 245. Letzterer veranlaßt dann, daß regelmäßig in der alljährlich im Monat November stattfindenden Versammlung des Bezirksraths aus sämmtlichen Urlisten des Verwaltungsbezirkes die Hauptliste der Geschworenen zusammengestellt werde. §. 246. Zunächst werden aus den Urlisten die Namen derer ausgeschieden, welche nach den Bestimmungen der §.§. 232, 233 und 234 unfähig sind. §. 247. Aus den auf den Urlisten stehen gebliebenen Namen, welche der Bezirksrath auch zu ergänzen ermächtigt ist, wird sodann auf je 400 Seelen des ganzen Verwaltungsbezirks ein Geschworener erwählt. Gehört ein Verwaltungsbezirk zu verschiedenen Obergerichtsbezirken, so ist für jeden, zu einem andern Obergerichtsbezirke gehörigen Theil des erstern, nach Verhältniß der Einwohnerzahl, eine besondere Hauptliste aus den Einwohnern diese Theils aufzustellen. §. 248. Dabei ist gewissenhaft darauf zu sehen, daß die, welche in die Hauptliste aufgenommen werden, durch geistige Fähigkeit, Ehrenhaftigkeit und Charakterfestigkeit zu dem Amte eines Geschworenen sich eignen. §. 249. Im Übrigen ist die Wahl ganz unbeschränkt und das Verfahren dabei der Bestimmung des Bezirksraths völlig überlassen.

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§. 250. Die aufgestellte Hauptliste sendet der Bezirksvorstand binnen acht Tagen an das Obergericht, welches, wenn sich sein Bezirk über mehrere Verwaltungsbezirke oder Theile eines solchen erstreckt, die Liste für den ganzen Obergerichtsbezirk zusammentragen, auch sämmtlichen Unterrichtern Verzeichnisse der aus ihrem Bezirke Gewählten zukommen läßt. §. 251. Diese Liste bildet jedes Mal für das nächste Kalenderjahr die Grundlage für die eintretenden Ziehungen (§.§. 262 und 263). §. 252. Im Laufe dieses Jahres haben vier Wochen vor dem Beginne eines jeden Kalendervierteljahrs die Unterrichter, nach vorgängiger Vernehmung der Bürgermeister am Wohnorte sämmtlicher in der Hauptliste Eingetragenen, an das Obergericht einzuberichten, ob einer der gewählten Geschworenen inmittelst gestorben, oder nach §. 233 unfähig geworden sey. Gleichzeitig stellt das Obergericht Ermittlungen über eingetretene Unfähigkeit auf den Grund seiner Acten an. Das Obergericht hat hierauf die Verstorbenen, sowie Diejenigen, welche es mit mindestens fünf Stimmen für unfähig zum Amte eines Geschworenen erklärt, in der Hauptliste zu streichen. Zweiter Abschnitt. Anordnung und Vorbereitung der periodischen schwurgerichtlichen Sitzungen. §. 253. Der Präsident des Oberappellationsgerichts bestimmt für jeden Obergerichtsbezirk die Anfangszeit der schwurgerichtlichen Sitzung im Laufe des Kalendervierteljahrs mindestens vier Wochen vorher, und verweist diejenigen einzelnen Untersuchungssachen, hinsichtlich deren ihm vor oder nach dieser Bestimmung, selbst während der Dauer der periodischen Sitzung, die betreffenden Entscheidungen zeitig genug zugegangen sind (§.§. 198, 336) zur Verhandlung. §. 254. Zugleich ernennt derselbe den Präsidenten für die schwurgerichtlichen Verhandlungen jedes Obergerichtsbezirkes aus den Mitgliedern sammt dem Vorstande der Criminalkammer des Oberappellationsgerichtes, welche nicht in einer der zu verhandelnden Sachen auf eine Beschwerde mit entschieden haben, oder aus den Räthen irgend eines Obergerichtes, welche als Untersuchungsrichter oder Mitglieder der Raths- oder Anklagekammer in den fraglichen Fällen nicht täthig gewesen sind.

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§. 255. Diese Verfügungen (§.§. 253, 254) teilth er dem Obergerichtsdirector des Bezirkes mit, welcher sie alsbald im Provinzialwochenblatte öffentlich, und die Person des Präsidenten dem Angeklagten noch besonders, bekannt machen läßt. §. 256. Sodann ernennt der Obergerichtsdirector aus der Zahl der Obergerichtsmitglieder und hülfsweise der Unterrichter die weiteren vier Richter des Schwurgerichtes, von denen keiner als Instructionsrichter oder als Mitglied der Raths- oder Anklagekammer in der abzuurtheilenden Sache darf gehandelt haben. §. 257. Fällt einer der Richter während der schwurgerichtlichen Sitzung aus, so ersetzt ihn der Obergerichtsdirector durch einen andern. An die Stelle des Präsidenten tritt bei dessen während der Sitzungen eintretenden Verhinderung der im Dienste Höchststehende der übrigen Richter. §. 258. Stehen für die Urtheilssitzungen mehrere Spruchsachen zur Verhandlung, so kann der Obergerichtsdirector für verschiedene Sachen verschiedene Richter bestimmen. §. 259. Ebenso steht unter dieser Voraussetzung dem Präsidenten des Oberappellationsgerichts die Ernennung verschiedener Sitzungspräsidenten zu. §. 260. Auch können, wenn eine Sache voraussichtlich mehrere Tage in Anspruch nimmt, zwei Ersatzrichter ernannt werden, welche den Verhandlungen ununterbrochen beiwohnen und erforderlichen Falls die Zahl der Richter zu ergänzen haben. §. 261. Die vom Obergerichtsdirector ernannten Richter sind ebenwohl dem Angeklagten und außerdem dem Staatsprocurator alsbald bekannt zu machen. §. 262. Drei Tage nach Eingang der Verfügung des Oberappellationsgerichtspräsidenten und nach zuvor bewirkter Berichtigung der Hauptliste (§. 252) hält der Obergerichtsdirector unter Zuziehung zweier Obergerichtsmitglieder und des Staatsprocurators eine, acht und vierzig Stunden vorher durch Gerichtsanschlag bekannt zu machende, öffentliche Sitzung, in welcher von den in eine Urne zu legenden Namen der in die Hauptliste des Obergerichtsbezirkes eingetragenen Geschworenen für die bevorstehende Urtheilssitzung sechs und dreißig Hauptgeschworene gezogen werden.

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§. 263. Nach Beendigung dieser Ziehung werden auf gleiche Weise aus dem Hauptverzeichnisse acht am Sitzungsorte wohnende Ergänzungsgeschworene gezogen. §. 264. Die Hauptgeschworenen werden mindestens acht Tage vor Eröffnung der Sitzung mittelst schriftlicher Verfügung des Obergerichtsdirectors, welche durch das Untergericht des Wohnortes nach den Vorschriften des Civilprocesses behändigen zu lassen ist, vorgeladen. Die Verfügung muß Ort, Tag und Stunde der Sitzungseröffnung, sowie die für den Fall des Ausbleibens eintretende Strafe erhalten. Die Ergänzungsgeschworenen werden von der erfolgten Ziehung schriftlich benachrichtigt. §. 265. Unter Einhaltung der nämlichen Frist hat der Obergerichtsdirector das Verzeichniß der gezogenen Haupt- und Ergänzungsgeschworenen den Angeklagten, wider welche in den Sitzungstagen wird verhandelt werden, sowie dem Staatsprocurator zufertigen zu lassen. §. 266. Ebenso hat der Obergerichtsdirector sofort nach Anberaumung der Urtheilssitzungen die Acten sämmtlicher zum Spruche stehenden Sachen, einschließlich der Anklageerkenntnisse und Anklageacte, sowie die Protokolle über die vom Obergerichtsdirektor abgehaltenen Verhöre (§.§. 196, 198), dem bestellten Sitzungspräsidenten mit dem vom Staatsprocurator aufgestellten Verzeichnisse der vorzuladenden Belastungs- und Entschuldigungszeugen, beziehungsweise der Sachverständigen, zukommen zu lassen, nachdem letzteres auf den einzuziehenden etwaigen Antrag des Angeklagten und seines Vertheidigers vervollständigt worden ist. §. 267. Der Sitzungspräsident bestimmt die Sitzungstage für die einzelnen Spruchsachen, verfügt die erforderlichen Vorladungen, läßt durch den Staatsprocurator solche zur Vollziehung bringen und das Verzeichniß der vorzuladenden Personen dem Angeklagten spätestens drei Tage vor Verhandlung der betreffenden Sache behändigen. §. 268. Die Bescheinigungen über die in den §.§. 265, 267 vorgeschriebenen Mittheilungen an die Angeklagten müssen zu den Acten jeder einzelnen Spruchsachen genommen werden. §. 269. Geht während der Dauer der periodischen Urtheilssitzung eine zur Verhandlung stehende schwurgerichtliche Sache bei dem Obergerichtsdirector ein (§.§. 194, 198), so

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gibt Letzterer sie an den Sitzungspräsidenten ab. Dieser vernimmt statt des Obergerichtsdirectors nach den Vorschriften der §.§. 196, 198 den Angeklagten und hat auf den übereinstimmenden Antrag des Letzteren und des Staatsprocurators, wenn kein weiteres Verfahren erforderlich wird (§. 197), auch die Vorladungen während der Sitzungsperiode erfolgen können, die Verhandlung der Sache während der dermaligen Urtheilssitzungen anzuordnen. In diesem Falle wird Verzicht auf die Beschwerde gegen das Anklageerkenntniß angenommen und die in §. 46, sowie die in §.§. 265, 267 für die Vorladungen und für die Mittheilungen an den Angeklagten gesetzten Fristen fallen weg. Die im §. 265 angeordnete Zufertigung besorgt der Sitzungspräsident. Dritter Abschnitt. Von den Verhandlungen vor dem Schwurgerichte. §. 270. Am Eröffnungstage der Urtheilssitzungen entscheidet zunächst das Gericht auf die, spätestens Tags zuvor bei dem Präsidenten schriftlich einzureichenden und zu bescheinigenden, Entschuldigungen (§. 271) und Ablehnungen (§. 235), sowie auf eingegangene Gesuche um zeitweisen Urlaub Seitens der Hauptgeschworenen. §. 271. Der Geschworene gilt als genügend entschuldigt, wenn er nachweißet, daß er durch Krankheit oder höhere Gewalt am Erscheinen gehindert sey. Über die Zulänglichkeit der Entschuldigung entscheidet dergestalt das Gericht, daß dasselbe namentlich auch auf den Grund von Familien- und Vermögensverhältnissen das Vorhandenenseyn einer höheren Gewalt geeigneten Falles annehmen kann. §. 272. Jeder Geschworene, welcher gehörig vorgeladen ist und nicht erscheint oder sein Nichterscheinen auf hinreichende Weise nicht entschuldigt, wird auf den Antrag des Staatsprocurators von dem Gerichte das erste Mal in eine Geldstrafe von 25 Thalern verurtheilt und ohne Weiteres auf die Liste der Geschworenen für die nächste vierteljährige Sitzung gesetzt. Ist derselbe zu dieser Sitzung vorgeladen und erscheint ohne Entschuldigung abermals nicht, so findet eine Verurtheilung in eine Geldstrafe von 50 Thalern Statt, und es erfolgt wiederholt die Aufzeichnung auf die Liste der Geschworenen zu der folgenden vierteljährigen Sitzung. Im Falle des weiteren Ungehorsams tritt Verurtheilung in eine Geldstrafe von 75 Thalern, neben dem Verluste der Staats- und ortsbürgerlichen Rechte auf die Dauer von 2 bis 4 Jahren, oder die alsbaldige zwangsweise Sistirung des ausgebliebenen Geschworenen ein. Mit der Erkennung einer dieser Strafen ist stets die Verurtheilung in die entstandenen Kosten zu verbinden. Zugleich ist die für den Fall der Unbeitreiblichkeit einer Geldstrafe eintretenden Gefängnißstrafe auszusprechen.

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§. 273. Die erkannte Strafe kann auf den Antrag des Verurtheilten nach vorgängigem Gehör des Staatsprocurators von dem dermaligen Gerichte oder von dem der nächstfolgenden Vierteljahrssitzung zurückgezogen werden: wenn der Gestrafte nachweiset, das ihm die Ladung gar nicht, oder nicht zeitig (§. 264) behändigt sey, oder daß ihm ein statthafter Entschuldigungsgrund (§. 271) zur Seite stehe, oder daß er die Wahl hätte ablehnen können (§. 235). In den beiden letzteren Fällen kann jedoch wegen nicht gehörig beigebrachter Nachweisung (§. 270) eine Ordnungsstrafe von 1 bis 5 Thlrn. neben Zurückziehung der Strafe im Übrigen erkannt werden. Ist die Zurückziehung der Strafe nicht vor dem Gerichte, welches sie erkannt hat, nachgesucht, so findet Sistirung der Strafvollziehung nur alsdann Statt, wenn der Gestrafte nachweiset, daß er ein Gesuch um Strafzurückziehung an den Obergerichtsdirector zur Abgabe an den Präsidenten des demnächstigen Schwurgerichts übergeben habe. §. 274. Die obigen Bestimmungen (§.§. 271 bis 273) leiden auch Anwendung, wenn ein Geschworener an einem späteren Verhandlungstage der Urtheilssitzungen (§. 292) ausbleibt, oder sich zwar eingefunden, aber der Übernahme seiner Obliegenheiten ohne statthaften Grund entzogen hat. §. 275. Sind an dem für die Verhandlung einer einzelnen Sache bestimmten Sitzungstage weniger, als dreißig der vorgeladenen Geschworenen erschienen, so haben für die an dieser Zahl Fehlenden auf Vorladungsverfügung des Sitzungspräsidenten, welcher sofortiges Erscheinen in der Sitzung anzubefehlen hat, die nach §. 263 bestimmten Ergänzungsgeschworenen, und zwar nach der unter diesen durch die Ziehung geordneten Reihenfolge, einzutreten. §. 276. Ist die Zahl der Letzteren zur Ergänzung des Abgangs unzureichend, so hat der Präsident die noch Fehlenden durch Ziehung aus dem Hauptverzeichnisse der am Sitzungsorte Wohnenden und durch Vorladung (§. 275) zu ersetzen. §. 277. Ungehorsam gegen diese Vorladungen des Präsidenten (§.§. 275 u. 276) wird mit einer Geldstrafe von 50 Thalern von dem Gerichte geahndet; auch kann dasselbe zwangsweise Vorführung des Geladenen anordnen. §. 278. Die erkannte Strafe kann bei dem Vorhandenseyn statthafter Entschuldigung oder einer Ablehnungsbefugniß (§.§. 271 u. 235) zurückgezogen werden.

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§. 279. Wenn die Zahl der erschienen Geschworenen dreißig befaßt, wird die Sitzung für eröffnet erklärt, die Sache aufgerufen, der Angeklagte unter geeigneter Bewachung in den Sitzungssaal geführt und demselben eröffnet, welche Ergänzungsgeschworenen außer den ihm bereits mitgeteilten (§. 265) etwa zugetreten sind. §. 280. Der Vertheidiger (§. 52) muß von diesem Zeitpunkte an ebenwohl anwesend seyn. Die nach den §.§. 71, 72, 73, 77, 95, 97, 104, 281, 284, 286, 291, 300 bis 303, 316, 319 und 333 eintretenden Erklärungen des Angeklagten kann er für diesen abgeben. §. 281. Zunächst wird sodann durch Befragung des Staatsprocurators, des Angeklagten und der Geschworenen ermittelt, ob hinsichtlich eines der Letzteren ein Umstand vorliege, welcher ihn nach §. 236 als unfähig zum Amte eines Geschworenen für die zu verhandelnde Sache erscheinen lässt, und für die betreffende Sache jeder Unfähige entlassen. Geschworene, welche ein diese Unfähigkeit ergebendes Sachverhältniß mit Vorbedacht verschweigen, verfallen, nach eingeleitetem besonderen Strafverfahren, in eine arbiträre Strafe bis zu Einhundert Thalern oder einer gleichstehenden Gefängnißstrafe. §. 282. Erforderlichen Falles wird nach Ausscheidung der Unfähigen die Zahl der Geschworenen nach Vorschrift der §.§. 275 und 276 ergänzt. §. 283. Die Namen der hiernach vorhandenen Geschworenen werden in eine Urne gelegt, vom Präsidenten gezogen und jedesmal laut verlesen. §. 284. Bei Jedem derselben hat zuerst der Staatsprocurator und sodann der Angeklagte zu erklären, ob er den Geschworenen verwerfe. §. 285. Dieses Verwerfungsrecht stehet dem Staatsprocurator und dem Angeklagten nicht weiter als hinsichtlich je neun Geschworenen, jedoch ohne Angabe von Gründen, zu. §. 286. Haben sich ein oder mehrere Beschädigte dem Strafverfahren angeschlossen, so haben sie ihr Verwerfungsrecht gemeinschaftlich mit dem Staatsprocurator, ebenso mehrere Mitangeklagte dasselbe gemeinschaftlich miteinander auszuüben, ohne daß dadurch die Zahl der Verwerfungen vermehrt werden darf.

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§. 287. Insoweit nicht über diese gemeinschaftliche Ausübung ein Übereinkommen stattgehabt hat, wird die Reihefolge, in welche solche eintritt, durch das Loos bestimmt. §. 288. Der von einem Angeklagten Abgelehnte erscheint auch als abgelehnt in Ansehung der übrigen Mitangeklagten. §. 289. Sobald die Namen von zwölf nicht verworfenen Personen aus der Urne gezogen und öffentlich ausgerufen worden sind, ist das Schwurgericht, welches stets zwölf Geschworne befassen muß, gebildet. §. 290. Nimmt eine einzelne Spruchsache voraussichtlich einen längeren Zeitraum in Anspruch, so kann das Gericht außer den zwölf Hauptgeschworenen noch einen oder zwei Ersatzgeschworene aus der Urne ziehen lassen, damit diese der Verhandlung beiwohnen, und nach der Reihefolge der Ziehung für denjenigen Geschworenen eintreten, welcher in der Sitzung auszuharren verhindert seyn würde. §. 291. Auch bei Ziehung der Namen der Ersatzgeschworenen stehet den Staatsprocurator und dem Angeklagten das Recht der Verwerfung nach Maaßgabe der in den vorhergehenden §.§. enthaltenen Bestimmungen zu, jedoch hört dasselbe auf, wenn nur noch die Namen von zwei Ersatzgeschworenen in der Urne sind. §. 292. Der Präsident entläßt hierauf die Verworfenen oder nicht gezogenen Geschworenen, nachdem er diese, sowie sämmtliche anderen Geschworenen zur Sitzungszeit für eine etwaige anderweite Spruchsache mündlich vorgeladen hat. §. 293. Über die Ziehung der Geschworenen für jede einzelne Spruchsache ist ein vom Präsidenten und Secretar zu unterzeichnendes besonderes Protokoll zu führen. §. 294. Der Präsident vernimmt nunmehr, geeigneten Falls nach Verkündigung und Vollziehung des die Öffentlichkeit ausschließenden Erkenntnisses, den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse und etwaige früheren Bestrafungen.

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§. 295. Nachdem der Präsident durch Aufruf der Geschworenen sich vergewissert hat, daß diese sämmtlich, einschließlich der etwaigen Ersatzgeschworenen, auf ihren Plätzen anwesend sind, liest er denselben stehend folgende Eidesformel vor: Sie sollen schwören und geloben vor Gott und den Menschen, daß Sie in der Anklagesache gegen N. N. wegen u. s. w. der gerichtlichen Verhandlung mit sorgsamer Aufmerksamkeit folgen, die vorkommenden Anschuldigungs- und Entschuldigungsbeweise gewissenhaft prüfen, über den zu ertheilenden Ausspruch sich mit Niemandem, außer Ihren Mitgeschworenen, benehmen, und diesen Ihren Ausspruch lediglich auf den Grund der vorliegenden Beweise und nach Ihrer freien vollen Überzeugung, wie Sie es vor Gott und Ihrem Gewissen verantworten können, ohne Haß, Gunst oder Ansehen der Person abgeben wollen. So wahr Ihnen Gott helfe! §. 296. Nach Ablesung der Eidesformel wird jeder Geschworene und Ersatzmann einzeln vom Präsidenten aufgerufen und spricht mit emporgehobener Rechte die Worte aus: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe!“ §. 297. Den zur Amtsverrichtung eines Geschworenen berufenen Mennoniten ist gestattet, diesen Eid in der, nach ihren religiösen Vorschriften zulässigen, Bekräftigungsformel zu leisten. §. 298. Der Präsident, welcher den Angeklagten zur Aufmerksamkeit auf sämmtliche nunmehr folgende Verhandlungen auffordert, läßt sodann durch den Secretar das Anklageerkenntniß und den Anklageact vorlesen und wiederholt dem Angeklagten den wesentlichen Inhalt des letzteren. §. 299. Der Staatsprocurator setzt hierauf den Anklageact in Näherem auseinander, verbreitet sich über die zur Verhandlung kommenden Beweise und übergibt dem Präsidenten das Verzeichniß der Überführungs- und Entlastungszeugen, so wie der Sachverständigen mit Bescheinigung über geschehene Ladung. §. 300. Hat der Staatsprocurator in diesem Vortrage Ausführungen wider den aufzunehmenden Entschuldigungsbeweis vorgebracht, so kann dem Angeklagten ausnahmsweise gestattet werden, Gründe für dessen Erheblichkeit schon jetzt geltend zu machen. §. 301. Das Verzeichniß der Zeugen und Sachverständigen (§. 299) muß mit dem dem Angeklagten mitgetheilten (§. 267) übereinstimmen. Hat der Staatsprokurator noch andere Zeugen oder Sachverständige laden lassen, oder der Angeklagte solche sistirt

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(§. 47), so findet deren Abhörung nur alsdann Statt, wenn das Gericht die Abhörung für erheblich erklärt (§. 73), der Angeklagte und der Staatsprocurator diese beiderseits zulassen, oder die Einwendungen Eines von ihnen durch das Gericht verworfen werden. §. 302. Gleiches soll für den Fall, daß die Vorladung innerhalb der Sitzungszeit noch thunlich, eintreten, wenn im Laufe der weiteren Verhandlung die Abhörung einer in der gedachten Liste nicht verzeichneten Personen beantragt wird. §. 303. Nach Aufruf der Zeugen müssen die Parteien ihren etwaigen, vom dem Secretar zu protokollierenden, Verzicht hinsichtlich der nicht erschienenen Zeugen ausdrücklich erklären. In Ermangelung einer solchen Erklärung entscheidet das Gericht über Aussetzung der Sitzung (§.§. 111, 112), oder über die Vorlesung etwaiger früherer Aussage (§. 105). §. 304. Nachdem die Zeugen vorläufig abgetreten sind, vernimmt der Präsident den Angeklagten umständlich und unter Vorhalt der aus der Voruntersuchung sich ergebenden Beweise über den Gegenstand der Anklage. §. 305. Auch befragt er ihn, sowie den Vertheidiger und den Staatsprocurator über etwaige Einwendungen gegen die Zulässigkeit oder Glaubhaftigkeit der Zeugen und Sachverständigen. Über Einwendungen in ersterer Hinsicht entscheidet nach Gehör des Gegners und geeigneten Falles nach den erforderlichen Vernehmungen alsbald das Gericht, und entläßt die Personen, deren Abhörung für unzulässig erklärt ist; die Einwendungen gegen die Glaubhaftigkeit aber werden im Laufe des Verfahrens zum Gegenstande der Ermittelung gemacht. §. 306. Die Aufnahme der Beweismittel erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften (§. 68 fg.). §. 307. Die den Auskunftspersonen oder dem Angeklagten zur Anerkennung oder Vernehmung darüber vorzulegenden Gegenstände, sowie Handrisse und derartige Urkunden sind geeigneten Falls auch den Geschworenen genau vorzuzeigen. §. 308. Nach einer jeden Aussage fragt der Präsident den Zeugen, ob der gegenwärtige Angeklagte derjenigen sey, von welchem er geredet habe.

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§. 309. Ebenwohl nach jeder Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen wird der Angeklagte und der Vertheidiger aufgefordert, auf die Aussage des Abgehörten sich zu erklären. §. 310. Die Geschworenen, einschließlich der Ersatzmänner, sind befugt, nach Ertheilung des Worts durch den Präsidenten Fragen an die abgehörten Personen zu richten (s. auch §. 91). §. 311. Werden Sachverständige abgehört, so hat der Präsident die Geschworenen, insofern es auf wissenschaftliche, aus Thatsachen zu ziehende Folgerungen ankommt, zu veranlassen, alle Zweifel vorzubringen, welche das Gutachten in ihnen erweckt oder nicht gelöst haben möchte, damit dieselben noch erörtert und von den Sachverständigen aufgeklärt werden können. §. 312. Die Geschworenen können den Präsidenten zur Vornahme von Handlungen auffordern, welche die Aufklärung von Punkten bezwecken, die ihnen für die Berurtheilung des Straffalls erheblich erscheinen. §. 313. Nach geschlossener Beweisaufnahme setzt der Staatsprocurator deren Ergebniß auseinander und gründet darauf seine Anträge. Der etwa aufgetretene Beschädigte kann sodann ebenwohl besondere Anträge stellen. §. 314. Hierauf erfolgt die Vertheidigung des Angeklagten. Der Staatsprocurator kann zwar Gegenbemerkungen wider dieselbe vorbringen, doch muß darnach dem Vertheidiger nochmals das Wort gegeben werden. §. 315. Nachdem der Angeklagte persönlich befragt worden, ob er noch Etwas vorzubringen habe, faßt der Präsident die ganze Verhandlung in einer gedrängten Darstellung zusammen und entwickelt in einfachen Sätzen, ohne die geringste Andeutung seiner persönlichen Ansicht, das Ergebniß der aufgenommenen Beweise für und wider den Angeklagten. §. 316. Sollte der Präsident sich bei der Darstellung der Sache nicht an Dasjenige halten, was bei der öffentlichen Verhandlung vorgekommen ist, sondern neue Thatsachen anführen oder wesentliche Thatsachen übergehen, so hat sowohl der Staatsprocura-

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tor als der Angeklagte das Recht, an das Gericht den Antrag zu stellen, rücksichtlich dieser Thatsachen die Verhandlungen wieder zu eröffnen und fernere Erörterungen zu veranlassen. Das Gericht entscheidet hierüber und es findet geeigneten Falles weitere Beweisaufnahme, sowie Verhandlung nach den Bestimmungen der §.§. 313 bis 315 Statt. §. 317. Nachdem sodann die von den Geschworenen zu beantwortenden Fragen von dem Gerichte, erforderlichen Falls nach dessen abtreten in das Berathungszimmer, aufgestellt und vom Präsidenten unterschrieben sind, verliest letzterer dieselben. §. 318. Diese Fragen müssen sich jedenfalls über die strafbare That, über deren Erschwerungs- und Milderungsgründe, über den Antheil des Angeklagten an derselben und über die vorgebrachten Entschuldigungsgründe erstrecken. Sie müssen auf Thatsachen gerichtet seyn; handelt es sich jedoch um das Vergehen der Beleidigung, so sollen darüber, ob eine solche in Äußerungen oder Handlungen, welche Gegenstand der Anklage sind, enthalten sey, die Geschworenen ebenwohl entscheiden. Nur was im Anklageact von strafbaren Handlungen des Angeklagten enthalten, und in der mündlichen Verhandlung vorgekommen ist, kann Gegenstand der Fragestellung seyn. Die einzelnen Umstände einer That, namentlich Erschwerungs- und Milderungsgründe, sind thunlichst zum Gegenstande abgesonderter Fragen zu machen. Es können auch eventuelle Fragen gestellt werden. §. 319. Gegen die Fragestellung, können der Staatsprocurator und der Angeklagte, sowie jeder Geschworene Bemerkungen machen, worüber das Gericht entscheidet. §. 320. Werden keine Bemerkungen gemacht, oder sind dieselben erledigt, so liest der Präsident den Geschworenen folgende Instructionen vor: Die Geschworenen können sich mit dem Gedanken nicht genug vertraut machen, daß man von ihnen bei Ausübung des ihnen anvertrauten wichtigen und ehrenvollen Amtes lediglich Antworten erwartet, wie das Gewissen des redlichen Mannes, wie sie die gesunde Vernunft gebildeter Menschen ausspricht. Keine ihnen vorgeschriebene Regel leitet ihre Antworten; nur die innere Überzeugung, welche die Anklage, verbunden mit der Beweisaufnahme und der dieser gegenüber geschehenen Vernehmung des Angeklagten, in ihnen hervorbrachte, darf ihre Antwort bestimmen. Das Gesetz verlangt von ihnen keine Darlegung der Gründe ihrer Überzeugung, es fordert nur, daß sie mit ernster Überlegung sich selbst fragen, auch gewissenhaft

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und aufrichtig mit Berücksichtigung aller vorgekommenen Belastungs- und Entschuldigungsbeweise prüfen, welchen Eindruck der unter ihren Augen geschehende Vorgang auf sie gemacht habe. Das Gesetz sagt ihnen nicht: Ihr sollt für wahr halten jede Thatsache, welche durch so oder so viele Zeugen bekundet wird; es sagt ihnen nicht: Ihr sollt für unerwiesen achten, was nicht durch dieses oder jenes Protokoll oder Actenstück, was nicht durch eine so oder so große Anzahl von Zeugenaussagen oder Verdachtsgründen bewahrheitet wird; es legt ihnen nur einfach die Frage vor: Ist der Angeklagte in Euren Augen einer Handlung schuldig oder nicht? §. 321. Den Geschworenen werden die aufgestellten Fragen, der Anklageact, die in der Verhandlung vorgelegten Gegenstände und sämmtliche Protokolle, welche in der Sitzung vorgelesen sind (§. 104 fg.), eingehändigt. Es begeben sich sodann dieselben in ihr Berathungszimmer, worauf der Angeklagte aus dem Sitzungssaale abgeführt wird. §. 322. In dem Beratungszimmer, in welchem die im §. 320 erwähnten Instruction angeschlagen seyn soll, wählen die Geschworenen aus ihrer Mitte dergestalt einen Obmann, daß einfache Stimmenmehrheit und bei Stimmengleichheit das höchste Lebensalter entscheidet. §. 323. Die Berathung und Abstimmung der Geschworenen geschieht unter Leitung des Obmannes. Die Erklärungen geschehen auf folgende Weise: Jeder Geschworene beantwortet, wenn über den Beweis des Vergehens an sich eine abgesonderte Frage gestellt ist, diese zunächst. Fällt diese erste Erklärung bejahend aus, so gibt jeder Geschworene eine zweite Erklärung über die darauf gerichtete Frage ab, ob der Angeklagte des Vergehens schuldig ist oder nicht. Der Geschworene, welcher nicht dafür hält, daß das Vergehen erwiesen sey, hat keine weitere Erklärung zu thun, und seine Stimme wird in Ansehung der übrigen Fragen zu Gunsten des Angeklagten gezählt. Ebenso braucht der Geschworene, welcher zwar findet, daß das Vergehen erwiesen sey, aber den Angeklagten desselben nicht für schuldig hält, eine weitere Erklärung nicht abzugeben, und seine Stimme wird in Rücksicht der folgenden Fragen gleichfalls zum Vortheile des Angeklagten gezählt. Der Geschworene, welcher das Vergehen für erwiesen und den Angeklagten desselben für schuldig erklärt hat, gibt hierauf seine Erklärung über das Vorhanden seyn eines jeden weiteren in eine Frage eingekleideten Umstandes ab.

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§. 324. Die Entscheidung einer jeden, den Geschworenen vorgelegten Fragen fällt für den Angeklagten aus, wenn fünf von den zwölf Geschworenen zu seinem Vortheile, hingegen wider den Angeklagten, wenn acht derselben zu seinen Nachtheile in ihrer Erklärung mit einander übereinstimmen. §. 325. Der Obmann der Geschworenen zählt die Stimmen, welche sich für und gegen die Bejahung jeder Frage ergeben und schreibt danach neben jede Frage „Ja“ oder „Nein“, mit Angabe zugleich des jedes Mal zu Grunde liegenden Stimmenverhältnisses. Tritt Bejahung oder Verneinung einer Frage nur theilweise ein, so ist dieses genau auszudrücken. Das Ganze wird von ihm und von zwei anderen Geschworenen unterschrieben. §. 326. Die Geschworenen dürfen ohne Ermächtigung des Präsidenten das für sie bestimmte, auf Anordnung des Präsidenten zu bewachende, Zimmer nur alsdann früher, als bis sie ihren Ausspruch beschlossen haben, verlassen, wenn sie zu der etwa erforderlichen Aufklärung über den Sinn einer Frage an das Gericht im Sitzungssaale sich zu wenden haben. Auch steht während der Berathschlagung Niemandem, aus welcher Ursache es auch sey, der Eintritt in das Zimmer offen, wenn er nicht dazu eine schriftliche Erlaubniß von dem Präsidenten erhalten hat. §. 327. Sollte es für Einen der Geschworenen unthunlich werden, bis zum Schlusse der Berathschlagung in dem Zimmer gegenwärtig zu bleiben, so muß dem Präsidenten davon Anzeige geschehen, um an dessen Stelle einen der in der öffentlichen Gerichtssitzung gegenwärtig gebliebenen Ersatzgeschworenen eintreten zu lassen. War ein Ersatzgeschworener nicht zugezogen, so findet nunmehr die Ziehung und Beeidigung eines für den Ausfallenden eintretenden Geschworenen Statt, und es muß die ganze Verhandlung (§. 294 folg.) vor diesem und den anderen Geschworenen, welche letzteren jedoch nicht nochmals zu beeidigen sind, wiederholt werden. §. 328. Sobald die Geschworenen nach ertheiltem Wahrspruch das Berathungszimmer verlassen haben, kann kein Geschworener eine wiederholte Berathschlagung fordern. §. 329. Wenn die Geschworenen auf ihre Plätze im Sitzungszimmer zurückgekehrt sind, fragt der Sitzungspräsident dieselben, welches das Resultat ihrer Berathschlagung in Ansehung einer jeden der ihnen vorgelegten Fragen sey.

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Anhang 3

Der Obmann der Geschworenen tritt hervor, legt die Hand auf das Herz und sagt: Auf meine Ehre und mein Gewissen versichere ich vor Gott und den Menschen, daß die Erklärung der Geschworenen folgende ist: Diese Erklärung liest er so, wie sie in dem Zimmer der Geschworenen abgefaßt worden ist, vor, und übergibt sie dem Präsidenten. §. 330. Findet das Gericht wegen Formwidrigkeit, Dunkelheit, inneren Widerspruches oder Unvollständigkeit das Wahrspruches einen Anstand bei der Beantwortung einzelner Fragen, so eröffnet der Präsident dies den Geschworenen und veranlaßt sie, sich wieder in das Berathungszimmer zu begeben und die nöthige Verbesserung eintreten zu lassen. Wenn die Geschworenen zur Berichtigung der Antwort auf eine der gestellten Fragen veranlaßt worden sind, so können sie die Antwort auf die übrigen, von der Antwort auf jene Frage unabhängigen Fragen gar nicht, und die Antwort auf die eine Frage nur in dem vom Präsidenten bezeichneten Punkte abändern. Der Präsident hat ihnen dieses zu eröffnen. §. 331. Nachdem die Beantwortung der Fragen von dem Präsidenten, sowie dem Secretar unterschrieben und der Angeklagte in den Sitzungssaal zurückgeführt worden, wird letzteren der Wahrspruch der Geschworenen vorgelesen. §. 332. Hierauf stellt der Beschädigte, wenn ein solcher aufgetreten ist, desgleichen der Staatsprocurator seinen Antrag und richtet letzteren, wenn er Verurtheilung beantragt, auf eine bestimmte Strafe. §. 333. Dem Angeklagten stehen Ausführungen gegen diese Anträge zu. §. 334. Ging der Ausspruch der Geschworenen dahin, daß der Angeklagte des Verbrechens nicht schuldig sey, so verkündigt der Präsident ohne weitere Berathung sofort dessen Freisprechung. §. 335. Andernfalls hat das Gericht das Straferkenntniß alsbald zu ertheilen und zu verkündigen. Aussetzung desselben, es sey denn bis zum folgenden Tage in öffentlicher Sitzung, sowie Behändigung sind unstatthaft. Tritt Verkündigung des Urtheils nach der Bestimmung im §. 69 ein, so muß solche daneben in öffentlicher Sitzung erfolgen.

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§. 336. Wenn jedoch das Gericht einstimmig der Ansicht ist, daß die Geschworenen den Angeklagten mit Unrecht des Verbrechens für schuldig erkannt haben, so kann dasselbe von der Erlassung des Urtheils Umgang nehmen und die Sache auf die nächstfolgenden Urtheilssitzungen zur wiederholten Verhandlung verweisen. Die Acten sind deßhalb dem Staatsprocurator zuzustellen, welcher dieselben, nachdem in den Anklageact das Erforderliche aufgenommen ist (§. 193), an den Präsidenten des Oberappellationsgerichts einsendet (§. 253). Bei der weiteren Verhandlung kann keiner der Geschworenen, welche an der früheren Verhandlung Theil nahmen, zugelassen werden. Findet das Gericht, daß nur in Ansehung eines von mehreren Mitangeklagten das ergangene Urtheil irrig ist, so ist nur in Beziehung auf diesen die Sache an eine der nächstfolgenden Sitzungen zu verweisen; das hierauf ergangene Urtheil hat keinen Einfluß auf die übrigen Mitangeklagten. Sind durch den Wahrspruch der Geschworenen bei der ersten Urtheilssitzung einzelne in der Fragestellung begriffene Thatumstände günstig für den Angeklagten entschieden, so sind diese Thatumstände in den für die spätere Verhandlung bestimmten Anklageact so, wie sie früher entschieden sind, aufzunehmen und dem zu ertheilenden Urtheile ebenso zu Grunde zu legen, als wären sie in der zweiten Urtheilssitzung zu Gunsten des Angeklagten entschieden worden. Wird im Übrigen bei der zweiten Verhandlung der Geschworenen im gleichen Sinne, wie bei der ersten Verhandlung entschieden, so muß das Gericht sogleich zum Urtheile schreiten. §. 337. In besonderen Fällen, in welchen sich etwa das Gericht durch ein bestehendes Strafgesetz genöthigt sehen sollte, eine härtere Strafe zu erkennen, als welche dasselbe den Umständen nach für angemessen hält, ist es befugt, den Angeklagten der landesherrlichen Gnade zu empfehlen. Es ist dies alsdann durch einen Anhang zum Erkenntnisse auszudrücken. Diese Empfehlung an die landesherrliche Gnade kann auch von den Geschworenen, welche der Präsident nach jeder Urtheilsverkündigung dieserhalb zu belehren hat, ausgehen. Dieselben haben zu dem Ende nach Verkündigung des Urtheils auf den Antrag eines von ihnen, nach vorgängiger deshalbiger Anmeldung beim Präsidenten, in das Berathungszimmer sich zurückzuziehen, und ihren nach einfacher Stimmenmehrheit zu fassenden Beschluß unter Angabe des zu Grunde liegenden Stimmenverhältnisses durch den Obmann dem Gerichte anzuzeigen. §. 338. Wenn wider den Angeklagten, welcher von dem den Gegenstand der Anklageschrift ausmachenden Verbrechen freigesprochen worden ist, aus den in der Verhandlung vorgekommenen Beweisen Verdachtsgründe wegen eines Vergehens sich ergeben, welches in anderen Handlungen des Angeklagten, als den im Anklageacte demselben zur Last gelegten besteht, so kann das Gericht auf Antrag des Staatsprocurators von der alsbaldigen Haftentlassung des freigesprochenen Abstand nehmen.

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§. 339. Das Gericht kann die Verhandlung eines durch rechtskräftiges Anklageerkenntniß vor dasselbe verwiesenen Straffalles nicht wegen Unzuständigkeit ablehnen, und hat, wenn nach seiner Ansicht in den Fällen, welche nur wegen des Straafmaßes vor die Schwurgerichte gehören, eine geringere als eine schwurgerichtliche Strafe zu erkennen ist, diese, selbst wenn bei theilweiser Freisprechung der Angeklagte nur wegen geringerer Vergehen zu bestrafen ist, auszusprechen. §. 340. Muß eine Sache ausgesetzt, oder in einem anderen Termine fortgesetzt werden (§.§. 111, 112), so ist dieselbe, wo thunlich, noch innerhalb der nämlichen Sitzungsperiode und vor denselben Geschworenen zu erledigen. Muß aber die Sache vor eine spätere periodische Urtheilssitzung verwiesen werden, so bedarf es vor dieser auch der Wiederholung des in früherer Sitzung bereits verhandelten. §. 341. Sollte im Ungehorsam des Angeklagten zu erkennen seyn (§.§. 57, 407), so wird ohne Mitwirkung von Geschworenen nach §.§. 55, 56 verfahren. §. 342. In dem zu führenden Sitzungsprotokolle (§. 113 fg.) hat der Staatsprocurator die Registraturen über sämmtliche von ihm gestellten Anträge zu unterzeichnen. §. 343. Die Bestimmungen des Gesetztes vom 26sten August 1848 wider Preßvergehen sind, was das nach §. 23. fg. des genannten Gesetzes eintretende Strafverfahren betrifft, aufgehoben. Sechster Theil. Von den Rechtsmitteln. Erster Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen. §. 344. Im Strafverfahren finden folgende Rechtsmittel Statt: 1) Berufung; 2) Einsprache gegen im Ungehorsame des Angeklagten ertheilte Erkenntnisse; 3) Restitution gegen versäumte Fristen und Termine; 4) Wiederaufnahme des Verfahrens, und 5) einfache Beschwerde. Hinsichtlich der devolutiven Rechtsmittel bestehen nur zwei Instanzen.

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§. 345. Rechtsmittel können erheben: 1) der öffentliche oder Privatankläger (§. 6); 2) der Angeklagte und Derjenige, welcher in Anspruch genommen ist, für Strafe oder Schaden zu haften; 3) der durch das fragliche Vergehen Beschädigte, welcher im Hauptverfahren der ersten Instanz aufgetreten war, hinsichtlich seines Privatinteresse; 4) die außerdem in einem Strafverfahren auftretenden Personen, insoweit es sich um deren rechtliches Interesse handelt. §. 346. Für einen Minderjährigen kann, vorbehaltlich der Bestimmung in §. 49, bei dem höheren Gerichte dessen Vater oder Vormund handeln, auch einen Vertreter bestellen. §. 347. Der vom Angeklagten in erster Instanz bestellte oder der beigegebene Vertreter oder Vertheidiger (§. 49 folg.) ist als solcher ohne Weiteres auch für die zweite Instanz legitimirt und, wenn er gerichtlich beigeordnet ist, auch verpflichtet, in dieser den Angeklagten zu vertreten. Im letzteren Falle soll ihm jedoch auf Nachsuchen ein am Sitze des höheren Gerichtes wohnhafter Officialanwalt behufs der mündlichen Verhandlung substituirt werden. §. 348. Eine endliche Entscheidung verliert durch den Tod des Angeklagten vor eingetretener Rechtkraft in Ansehung der Strafe ihre Wirksamkeit. Es kann jedoch hinsichtlich des gleichwohl bestehen bleibenden Kosten- und Entschädigungspunktes von den Erben oder sonst Betheiligten, sowie wider dieselben ein Rechtsmittel ergriffen werden. §. 349. Ein Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens (§. 418 folg.) stehet nach dem Tode des Verurtheilten auch dessen Erben oder Ehegatten zu. §. 350. Sollten die bei Einbringung der Rechtsmittel zu wahrenden Fristen nicht bekannt gemacht seyn (§. 133), so beginnen die letzteren erst mit dem Zeitpunkte der Bekanntmachung zu laufen. §. 351. Erhellt über diesen Zeitpunkt nichts, so wird die Einführungsfrist von dem Tage an berechnet, an welchem das Rechtsmittel angezeigt wird.

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Anhang 3 Zweiter Abschnitt. Von dem Rechtsmittel der Berufung.

§. 352. Das Rechtsmittel der Berufung findet sowohl wider freisprechende als verurtheilende Erkenntnisse Statt. §. 353. Außerdem ist dasselbe nur zulässig: 1) Seitens des Angeklagten gegen das Anklageerkenntniß der Anklagekammer (§. 189) oder die verweigerte Zurückziehung desselben (§. 197); 2) Seitens des Staatsprocurators gegen Entscheidungen der Rathskammer, sowie der Anklagekammer, wenn diese die Einstellung des Verfahrens verfügt, oder statt der Verweisung vor die Anklagekammer, beziehungsweise der Ertheilung eines Anklageerkenntnisses, eine Sache zu anderer, als schwurgerichtlicher Aburtheilung verwiesen haben (§. 176 fg., 188, 190), oder von der Anklagekammer ein Anklageerkenntniß zurückgezogen ist (§. 197); 3) Seitens beider Theile gegen ein Erkenntniß, durch welches ein Wiederaufnahmegesuch auf den Grund eingetretener Verhandlung (§. 429) zurückgewiesen ist. §. 354. Gegen das im Ungehorsame des Angeklagten, oder bei dem Ausbleiben des Privatanklägers ertheilte Erkenntniß (§. 55 folg.), sowie gegen ein Mandatsstraferkenntniß (§. 216) steht niemals dem Verurtheilten, wohl aber dem öffentlichen Ankläger die Berufung zu. Diese Vorschrift leidet auch auf diejenigen Entscheidungen Anwendung, welche die gedachten Erkenntnisse im abermaligen Ungehorsame des Angeklagten (§. 407), beziehungsweise im Falle des §. 221 wegen Ausbleibens des Angeklagten bestätigen. §. 355. Die Berufung gegen ein schwurgerichtliches Urtheil, insoweit nicht lediglich die Anwendung des bestehenden Rechtes auf den Wahrspruch der Geschworenen zum Gegenstande der Beschwerde gemacht wird, ist nur dann statthaft, wenn dieselbe auf eine Nichtigkeit gegründet ist. §. 356. Eine Nichtigkeit ist alsdann vorhanden, wenn eine Vorschrift über Zusammensetzung und Zuständigkeit der Gerichte, oder eine andere wesentliche Bestimmung, welche das Strafverfahren betrifft, verletzt ist. §. 357. Die dem Angeklagten nach §. 353, 1, zustehende Berufung ist nur statthaft, wenn die Beschwerde entweder auf eine Nichtigkeit des Verfahrens, oder aber darauf ge-

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gründet ist, daß die Anklage eine Handlung zum Gegenstande hat, die nicht bei Strafe verboten ist. §. 358. Ausgeschlossen wird das Rechtsmittel durch Anerkennung des Urtheils. Diese ist auf den Grund eines Gesuchs um Wiederaufnahme des Verfahrens ohne Vorbehalt der Berufung, sowie alsdann im Falle freiwilligen Antritts der Strafverbüßung anzunehmen, wenn nicht das Rechtsmittel ausdrücklich vorbehalten ist und die Beschwerde, ohne Anfechtung der Schuldigerkennung und Art der Strafe, lediglich das Maaß der letzteren zum Gegenstande hat. §. 359. Unbeschadet der Bestimmungen in §. 22 stehet es der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen, daß der Anfechtungsgrund mit etwaigen eigenen Anträgen des Beschwerdeführers in erster Instanz im Widerspruche stehet, oder daß Einwendungen gegen den angefochtenen Theil des Verfahrens in erster Instanz nicht vorgebracht waren. §. 360. Von Amtswegen findet eine Aufhebung gerichtlicher Erkenntnisse nicht mehr Statt. §. 361. Für die Berufung besteht eine Nothfrist von drei Tagen zur Anzeige und eine solche zur Einführung der Beschwerden, welche letztere 1) wenn die Anzeige des Rechtsmittels eine Fortdauer der Haft des freigesprochenen Angeklagten zur Folge gehabt hat (§. 369), auf acht Tage, 2) in sonstigen Fällen a. bei der Anfechtung von Untergerichtserkenntnissen auf 8 Tage, b. bei der Anfechtung anderer Urteile auf drei Wochen, bestimmt wird. Diese Fristen laufen, vorbehaltlich der Bestimmungen in den §.§. 350 und 351, vom Tage der Urtheilseröffnung, ohne Mitzählung desselben. Hinsichtlich derjenigen Entscheidungen, welche dem Staatsprocurator nicht verkündigt sind, beginnt der Lauf der Fristen acht Tage nach dem Tage der ertheilten Entscheidung. §. 362. Bei der Anzeige bedarf es nur der Erklärung, gegen welche Entscheidung das Rechtsmittel erhoben werde. Die Einführung muß den Beschwerdegegenstand mindestens insoweit bezeichnen, daß erhellt, ob derselbe in behaupteter Hintansetzung von Proceßvorschriften und

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welcher, in der Beurtheilung des Beweisergebnisses, oder in der Anwendung des Strafgesetzes beruhe. In Ermangelung dieser Bezeichnung ist das Rechtsmittel zurückzuweisen. §. 363. Anzeige und Einführung können verbunden werden und erfolgen bei dem Gerichte erster Instanz durch Erklärung zu Protokoll im Secretariate. Nur Seitens öffentlicher Ankläger, bevollmächtigter Vertreter, welche dem Anwaltstande angehören, und der Officialanwälte (§. 51) ist schriftliche Eingabe im Secretariate zulässig. §. 364. Die Einführungsfrist, nicht aber die Anzeigefrist, kann auf schriftliches oder zu Protokoll gegebenes (§. 363) Gesuch in erster Instanz und zwar nur einmal auf die Zeit ihrer ursprünglichen gesetzlichen Dauer, in den im §. 361 gedachten Haftsachen aber nur aus besonders erheblichen Gründen erstreckt werden. Rücksichtlich der schwurgerichtlichen Erkenntnisse wird von dem für die Strafrechtspflege bei dem Obergericht bestellten Vorstande, und rücksichtlich der obergerichtlichen Erkenntnisse von dem Vorstande der Criminalkammer, welche erkannt hat, auf die Erstreckungsgesuche verfügt. §. 365. Eine Ausnahme hinsichtlich der Anzeige- und Einführungsfrist, sowie des deshalbigen Verfahrens (§.§. 361 bis 364) tritt bei der nach §. 353, 1 statthaften Berufung des Angeklagten gegen Entscheidungen der Anklagekammer ein. Die in dieser Beziehung im §. 196 erwähnte Frist läuft auch für die Berufung gegen die versagte Zurückziehung des Anklageerkenntnisses von der Zeit deren Eröffnung (§. 197) und ist unerstreckbar; es bedarf einer Anzeige des Rechtsmittels nicht, die Einführung muß aber specielle Aufstellung und Begründung der einzelnen Beschwerden, sowie bestimmte Anträge enthalten und vor dem Obergerichtssecretar, insofern nicht schriftliche Einführung gestattet ist (§. 363), erfolgen. §. 366. Für die Rechtsmittel des Staatsprocurators gegen die Entscheidung der Rathskammer und Anklagekammer (§.§. 353, 2 u. 3) gelten die in den §.§. 361 bis 364 ertheilten Vorschriften mit der Bestimmung, daß gegen Entscheidungen der Anklagekammer die Rechtsmittel bei dem Obergerichte der Voruntersuchung und durch den bei diesem bestellten Staatsprocurator anzuzeigen und einzuführen sind. §. 367. Hat aber die Raths- oder Anklagekammer gleichzeitig mit einem Verweisungsbeschlusse oder Anklageerkenntnisse (§.§. 179 u. 190) die Einstellung des Verfahrens in einzelnen Punkten verfügt, so hat der Staatsprocurator eine Berufung gegen diese Verfügung, insbesondere auch gegen eine solche der Rathskammer, innerhalb

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der für den Angeklagten nach §. 196 bestehenden, achttägigen Frist einzuführen. Der Obergerichtsdirector hat ihm deshalb den Tag der Vernehmung des Angeklagten, sofort nach deren Beendigung, bekannt zu machen. Im Übrigen kommen die Vorschriften des §. 365 auch hinsichtlich der Berufung des Staatsprocurators zur Anwendung. Ist indessen auf den Verweisungsbeschluß der Rathskammer ein Anklageerkenntniß nicht erfolgt, so läuft die Frist gegen die vorerwähnte Verfügung der Rathskammer vom Tage der Entscheidung der Anklagekammer (§. 361) ohne Anwendbarkeit der Bestimmungen im §. 365. §. 368. Gegen schwurgerichtliche Erkenntnisse werden die Rechtsmittel im Secretariate desjenigen Obergerichtes angezeigt und eingeführt, in dessen Bezirke das Schwurgericht abgehalten worden ist. §. 369. Die Wahrung der Anzeigefrist, und ebenso der Einführungsfrist hat aufschiebende Wirkung; jedoch erfolgt bei Berufung des Anklägers auf freisprechende Urtheile und die im §. 353 erwähnten Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer die Freilassung des verhaftet gewesenen Angeklagten, wenn nicht sofort die Publication des Urtheils, beziehungsweise am Tage des Eingangs der Entscheidung, vom Ankläger eines dieser Rechtsmittel angezeigt und auf Beibehaltung der Haft angetragen ist. Diese Bestimmung greift auch für die im §. 367 erwähnten Fälle, wenn die Entlassung des seither verhafteten Angeklagten angeordnet seyn sollte, dergestalt Platz, daß jene Anzeige am Tage des Eingangs desjenigen Beschlusses, welcher zuerst die theilweise Einstellung des Verfahrens unter Haftentlassung verfügt, erfolgen muß. §. 370. In schwurgerichtlichen Sachen ist das Obergericht des Bezirks, in allen andern Sachen das Gericht erster Instanz befugt, zulässige Sicherheitsmaaßregeln, insbesondere die Verhaftung des verurtheilten Angeklagten, eintreten zu lassen. §. 371. Das Secretariat des Gerichtes erster Instanz (§.§. 363 bis 368) gibt mit dem Anzeige- und Einführungsprotokolle oder den deßhalbigen schriftlichen Eingaben, sowie mit den Verhandlungen über Fristerstreckung, die Acten erster Instanz an den bei dieser bestellten Ankläger, in Haftsachen sofort und in anderen Sachen binnen drei Tagen nach geschehener Einführung, ab. §. 372. Ist vom öffentlichen Ankläger oder vom Beschädigten die Berufung gegen ein Endurtheil eingeführt, so verfügt das Gericht erster Instanz abschriftliche Mittheilung der Einführung an den Gegner, unter Belehrung über die ihm zustehenden Befugnisse (§. 381 fg.). Diese Verfügung wird gleichzeitig mit Abgabe der Acten dem öffentlichen Ankläger zur Vollziehung überwiesen.

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§. 373. Unter Einhaltung einer Frist, welche für Haftsachen auf drei Tage und in anderen Sachen auf acht Tage nach Eingang der Acten bestimmt wird, sendet der öffentliche Ankläger sämmtliche Acten an die Staatsbehörde des Gerichtes zweiter Instanz. §. 374. Bei dem höheren Gerichte werden die Acten unter Wahrung derselben Fristen, wie sie im §. 373 bestimmt sind, mit den Anträgen auf Vorladungsverfügung an den für die Strafrechtspflege bestellten Vorstand abgegeben, welcher zunächst einen Referenten bestellt. §. 375. Handelt es sich um Berufung gegen ein endliches Erkenntniß, so kann der Referent unter angemessener, thunlichster Beschleunigung, wenn das Rechtsmittel nach seiner Ansicht aus formellen Gründen zurückzuweisen und eine etwa nachgesuchte Restitution gegen Fristversäumung nicht zu gewähren ist, die Sache in öffentlicher Sitzung vortragen, und das Gericht entscheidet hierüber ohne Gehör der Parteien. §. 376. Wider eine solche zurückweisende Entscheidung ist Gegenvorstellung Seitens des Beschwerdeführers statthaft, welche binnen acht Tagen nach Behändigung der Entscheidung im Secretariate des unteren Gerichts zu Protokoll erklärt, oder, insofern schriftliche Eingabe nach §. 363 statthaft ist, schriftlich eingereicht werden muß. Nach deren Eingang wird, jedoch ohne aufschiebende Wirkung, nach den Vorschriften der §.§. 371 bis 375 dergestalt verfahren, daß der Vortrag auch im Falle begründeter Gegenvorstellung über diese zunächst ohne Vorladung und Gehör der Parteien erfolgt. §. 377. Wird auf die Gegenvorstellung zu Gunsten des Beschwerdeführers entscheiden, oder hat der Referent formelle Mängel nicht gefunden, so legt er die Acten mit Anträgen auf Vorladung dem für die Strafrechtspflege bestellten Gerichtsvorstande vor, welcher Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, die erforderlichen Vorladungen, sowie geeigneten Falls Abführung des Angeklagten in das Gefängniß am Gerichtsorte der zweiten Instanz verfügt, und die Bestellung eines Officialanwaltes, soweit es deren noch bedarf, beziehungsweise eines Substituten für denselben (§.§. 51 und 347) bewirkt. §. 378. In der mündlichen Verhandlung wird der Verurtheilte oder Freigesprochene, wenn er erschienen, über seine persönlichen Verhältnisse vernommen, oder die Bevollmächtigung seines Vertreters geprüft, sodann Vortrag vom bestellten Referenten gehalten, von den Parteien, zuerst vom Beschwerdeführer, unter Stellung ihrer Anträge verhandelt, und, nachdem dem Verurtheilten oder Freigesprochenen das letzte Wort ertheilt worden, vom Gerichte erkannt.

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§. 379. Der Vortrag des Referenten soll den bisherigen Verlauf der Sache, insoweit er nach Maaßgabe des Beschwerdegegenstandes erheblich ist, die (im Verhandlungstermine der Prüfung noch unterliegenden) Förmlichkeiten des Rechtsmittels, die Beschwerden und die sich hieraus ergebenden Streitpunkte befassen, ohne eine Ansicht über die zu ertheilende Entscheidung zu äußern. §. 380. Mit Ausnahme der in §. 355 gedachten Berufung ist, insoweit dies der Beschwerdeführer beantragt, die Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu wiederholen, auch die Beibringung neuer Beweismittel zulässig. §. 381. Dem Gegner des Verurtheilten, als Beschwerdeführers, stehen zwar gleiche Befugnisse zu, jedoch nur behufs Aufrechterhaltung des angefochtenen Erkenntnisses. Abänderung des Urtheils zum Nachtheile des beschwerdeführenden Verurtheilten kann dessen Gegner, als solcher, niemals auswirken; dasselbe ist vielmehr dem letzteren gegenüber, insofern er nicht selbstständig die Berufung eingeführt hat, rechtskräftig. §. 382. Unbeschadet der in §. 47 zugelassenen Sistirung und nachträglichen Vorladung von Auskunftspersonen sind die Anträge auf Vorladungen behufs Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu stellen: 1) vom Beschwerdeführer bei Einführung der Berufung; 2) von dessen Gegner, a. falls er der Verurtheilte ist, in Haftsachen binnen drei Tagen, und in anderen Sachen binnen acht Tagen nach der im §. 372 angeordneten Mittheilung, b. falls er aber öffentlicher Ankläger ist, innerhalb der im §. 374 angeordneten Fristen. §. 383. Die vorgedachten Anträge des Gegners erfolgen bei dem für die Strafrechtspflege bestellten Vorstande des Gerichts zweiter Instanz, und die gesetzten Fristen können von diesem, jedoch nur nach den hinsichtlich der Einführungsfrist ertheilten Bestimmungen (§. 364), erstreckt werden. §. 384. Wird in zweiter Instanz über den Beweis verhandelt, so kann das höhere Gericht nach Abhaltung des ersten Verhandlungstermins auch von Amtswegen auf Wiederholung der Beweisaufnahme erkennen und es steht alsdann beiden Theilen frei, in dem hierfür zu bestimmenden Termine noch neue Beweismittel beizubringen, oder Wiederholungen der Beweisaufnahme noch in anderen, als den vom höheren Gerichte verfolgten Richtungen zu verlangen.

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Anträge auf deshalbige Vorladung sind so zeitig, daß dieselbe noch ausgeführt werden kann, vor dem Termine einzubringen. §. 385. Die Beweisaufnahme in höherer Instanz erfolgt nach den deßhalbigen allgemeinen Vorschriften dieses Gesetzes. §. 386. Die im §. 74 erwähnte Beauftragung zu Beweisaufnahme außerhalb des Gerichtslocals darf auch an den Richter erster Instanz erfolgen. §. 387. Wenn sich eine behauptete Nichtigkeit aus den Acten nicht ergibt, sondern es darüber noch eines Beweises bedarf, so sind die deshalbigen Beweismittel bei Strafe des Verlustes mit der Beschwerdeeinführung anzugeben, und es ist hierauf von dem Gerichte erster Instanz, bei den Obergerichten von den Instructionsrichtern, unter Mitwirkung des Gegners die Aufnahme dieser Beweise vorzunehmen und das deshalbige Protokoll dem Secretariate zum weitern Verfahren nach §. 371 zuzufertigen. Dem Beschwerdeführer steht auch frei, die Beauftragung eines andern Richters behufs dieser Beweisaufnahme bei dem höheren Gerichte auszuwirken. §. 388. Sind mit Anträgen auf Beweisaufnahme andere Beschwerden verbunden, deren Begründetseyn erstere überflüssig machen würde, so wird die Sache zunächst in geheimer Sitzung vorgetragen und von dem Gerichte beschlossen, ob für den anzusetzenden Verhandlungstermin zugleich Vorladungen rücksichtlich der Beweisaufnahme erfolgen sollen, oder nicht. §. 389. Bleibt im Verhandlungstermine der Beschwerdeführer oder dessen Vertreter aus, so wird das Rechtsmittel zurückgewiesen, im Falle des Ausbleibens seines Gegners aber die Sache unter Ausschließung des letzteren verhandelt. §. 390. Das höhere Gericht hat nach erfolgter Verhandlung das angefochtene Urtheil zu bestätigen, oder definitiv abzuändern, oder unter Anordnung weiteren Verfahrens dasselbe aufzuheben. §. 391. Eine Aufhebung unter Anordnung weiteren Verfahrens soll namentlich im Falle einer Nichtigkeit eintreten, insofern nicht die letztere durch Wiederholung des Verfahrens, oder durch Beseitigung eines nur bei Ertheilung des Erkenntnisses begangenen Verstoßes, in zweiter Instanz geheilt werden kann. Außerdem soll die Sache, wenn

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1) die Aufhebung wegen Unzuständigkeit des Gerichts erfolgt, an das zuständige Gericht, 2) wenn wegen ungehöriger Besetzung des Gerichtes eine Nichtigkeit ausgesprochen wird, an das gehörig zu besetzende Gericht erster Instanz, 3) wenn wegen Verletzung der Formen das Verfahren aufgehoben wird, nach Befinden an ein anderes mit dem vorigen Gerichte in gleicher Ordnung stehendes Gericht zur wiederholten Verhandlung und Aburtheilung, sowie erforderlichen Falls zum vorbereitenden Verfahren verwiesen werden. §. 392. Wird ein vom Gegner des Verurtheilten eingebrachtes Rechtsmittel zurückgewiesen, so ist, wenn der Angeklagte inzwischen verhaftet geblieben war, zugleich die Anrechnung dieser Haft auf die erkannte Strafe und die deshalb erforderliche Modification, wo dies thunlich ist, auszusprechen. §. 393. Ebenso hat das Gericht, an welches in Folge einer Anordnung weiteren Verfahrens eine Sache verwiesen ist, bei seinem demnächstigen Erkenntnisse die Haft vor dem Urtheile zweiter Instanz geeigneten Falls in Anrechnung zu bringen. §. 394. Ein Erkenntniß zweiter Instanz darf auf höchstens vierzehn Tage ausgesetzt werden. §. 395. Rücksichtlich der in §. 353 unter 1 und 2 erwähnten Berufung, sowie des daselbst unter 3 erwähnten Rechtsmittels, insoweit ein nach §. 418 statthaftes Wiederaufnahmegesuch des Staatsprocurators gegen Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer zurückgewiesen ist (§. 432), wird, abweichend von den Bestimmungen in §. 374 folg., in der Art verfahren, daß gleichzeitig mit Bestellung des Referenten (§. 374) eine geheime Sitzung anberaumt wird. In dieser wird zunächst Vortrag des Referenten gehalten (§. 379), dann der Staatsprocurator gehört, und nach dessen Abtreten in der Sache entschieden. Bei der vorerwähnten dem Staatsprocurator nach §. 353, 3) zustehenden Berufung ist auch Beweisaufnahme, welche die neue Entdeckung betrifft, in geheimer Sitzung zulässig. Auf die Berufung des Staatsprocurators kann das Oberappellationsgericht unmittelbar, je nach dem dieselbe gegen eine Entscheidung der Raths- oder Anklagekammer gerichtet ist, eine Sache an die Anklagekammer (§. 179), beziehungsweise zur obergerichtlichen oder untergerichtlichen Aburtheilung verweisen, oder die Anklage (§. 189), beziehungsweise die Wiederaufnahme des Verfahrens (§. 427) erkennen.

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§. 396. Auf die im Übrigen nach §. 353 zulässige Berufung wird in Gemäßheit der Vorschriften in §. 374 fg. Verfahren und insbesondere nach mündlicher Verhandlung, jedoch ohne Zulassung anderer, als derjenigen Beweise erkannt, welche rücksichtlich der Entscheidung über Wiederaufnahme des Verfahrens in Betracht kommen. §. 397. Sämmtliche Entscheidungen der obern Instanz werden abschriftlich mit den Acten durch die dabei bestellte Staatsbehörde an den öffentlichen Ankläger der unteren Instanz befördert. §. 398. Letzterer hat nach Maaßgabe der höheren Entscheidung die erforderliche Einleitung zu treffen, insbesondere dieselbe, falls nicht Verkündigung in öffentlicher Sitzung erfolgt war, dem Beschwerdeführer oder dessen Gegner behändigen zu lassen, und mit der deshalbigen Bescheinigung die Acten im Falle ergangener endlicher Entscheidung an das Secretariat zurückzugeben. §. 399. Ist in einer schwurgerichtlichen Sache eine höhere Entscheidung ergangen, wodurch jene eine endliche Erledigung nicht gefunden hat, so muß, wenn ein vorbereitendes Verfahren erforderlich ist, solches durch den Staatsprocurator veranlaßt, demnächst aber von der Anklagekammer die nöthige Entscheidung ertheilt werden. Bedarf es eines vorbereitenden Verfahrens nicht mehr, ist insbesondere die Anklage nach §. 395 erkannt, dann hat der Staatsprocurator die Acten mit dem Anklageacte (§. 193, Abs. 2) an den Obergerichtsdirector (§. 198) abzugeben. Dritter Abschnitt. Von der Einsprache gegen im Ungehorsam des Angeklagten ertheilte Erkenntnisse. §. 400. Gegen verurtheilende Enderkenntnisse, welche in erster Instanz auf den Grund des Ungehorsams des Angeklagten im Verhandlungstermine ertheilt sind (§. 55 fg.), steht diesem das Rechtsmittel der Einsprache zu. §. 401. Der Entschuldigung des Ungehorsams bedarf es zur Begründung der Einsprache nicht. §. 402. Das deshalbige Gesuch ist binnen einer unerstreckbahren Frist von 10 Tagen seit Behändigung des Urtheils bei dem Gerichte, welches erkannt hat, mit Bezeichnung der im Verhandlungstermine aufzunehmenden Beweise mündlich im Secretariate zu Protokoll oder in den nach §. 363 statthaften Fällen schriftlich anzubringen.

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§. 403. Das Gericht sistirt auf das Gesuch die Vollziehung des Erkenntnisses und theilt das Gesuch dem bei ihm bestellten öffentlichen Ankläger mit. §. 404. Dieser hat in untergerichtlichen Strafsachen wegen Vorladung des Angeklagten und der von diesem, wie von ihm selbst zur Abhörung zu bringenden Personen das Erforderliche zu verfügen. (§. 209.) §. 405. Der Staatsprocurator bei dem Obergerichte wirkt, erforderlichen Falls nach veranlaßter Voruntersuchung und dem hierauf ergangenem Beschlusse der Rathskammer (§. 173 folg.), Termin zur Verhandlung aus (§. 223, 224). §. 406. In schwurgerichtlichen Sachen (§. 57, 341) erfolgt die Einsprache bei demjenigen Obergerichte, in dessen Bezirke das schwurgerichtliche Erkenntniß ertheilt ist. Nachdem das Obergericht die Vollziehung des letzteren sistirt hat, gibt es das Gesuch an den Obergerichtsdirector ab (§. 198). §. 407. In dem weiteren Termine wird nach den Bestimmungen dieses Gesetzes verhandelt und geeigneten Falls das Contumacialerkenntniß durch Substituirung eines andern, wenn auch dem Einsprechenden nachtheiligeren, Erkenntnisses zurückgezogen, dasselbe aber, wenn der Angeklagte abermals nicht erscheint, oder Gründe zur Aufhebung des im früheren Urtheile enthaltenen Ausspruchs sich nicht ergeben haben, bestätigt. §. 408. Gegen diese Bestätigung, insofern sie wegen abermaligen Ungehorsams eintritt und ebenso gegen ein wegen Ungehorsams bestätigendes Erkenntniß im Mandatsstrafverfahren (§. 221), findet Einsprache nicht Statt.

Vierter Abschnitt. Von der Restitution gegen Versäumung von Fristen und Terminen. §. 409. Denjenigen, welche im Strafverfahren eine Frist versäumt haben, stehet gegen die in Folge der Versäumung eintretenden processualischen Nachtheile das Rechtsmittel der Restitution zu.

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§. 410. Gegen Versäumung eines Termins ist Restitution nur alsdann zulässig, wenn 1) der Privatankläger in einer Injuriensache (§. 6, 58), 2) bei dem Rechtsmittel der Berufung der Beschwerdeführer oder dessen Gegner (§. 389), 3) auf erfolgte Einsprache (§. 407), oder bei dem Mandatsstrafverfahren im Falle des §. 221 der Angeklagte, und 4) bei nachgesuchter Wiederaufnahme des Verfahrens der Nachsuchende oder dessen Gegner (§. 428), im Verhandlungstermine ausgeblieben waren. §. 411. Das Restitutionsgesuch muß die Nachweisung des Restitutionsgrundes, sowie die Nachholung des Versäumten, soweit diese thunlich ist, oder die Angabe der deshalbigen Beweismittel, beziehungsweise ein auf die Bewirkung der Nachholung gerichtetes Gesuch, enthalten und binnen unerstrecklicher Frist von 30 Tagen bei dem Gerichte, wo die versäumte Handlung vorzunehmen war, oder, wenn die Sache in höherer Instanz vorliegt, bei dieser eingebracht werden. §. 412. Diese Frist läuft vom Tage des Ablaufs der versäumten Frist, ohne daß der Nachsuchende mit der Behauptung später erlangter Kenntniß von der Versäumung gehört werden kann. §. 413. Die Entscheidung auf das Restitutionsgesuch stehet demjenigen Gerichte zu, welches auf die Handlung, gegen deren Versäumung Restitution bezweckt wird, zu erkennen hat. Restitution gegen ein schwurgerichtliches, im Ungehorsame des Angeklagten ertheiltes Erkenntniß (§.§. 341, 407, 410) ist jedoch bei der Anklagekammer nachzusuchen. Ertheilt diese die Restitution, so ist die Entscheidung nebst den Acten durch die Staatsprocuratoren nach Behändigung der ersteren an den Obergerichtsdirector (§. 198) gelangen zu lassen. §. 414. Der processualische Nachtheil ist bei der Versäumung einer unter Fristwahrung vorzunehmenden Handlung oder eines Termines als vorhanden anzunehmen, ohne daß es vorerst darauf ankömmt, ob durch das Unterlassen der Handlung der Nachsuchende eine materielle Verletzung erleiden würde. §. 415. Wenn inmittelst eine endliche Entscheidung nach mündlichem Verhandlungstermine ergangen ist, so findet die Restitution wegen Fristversäumung nicht mehr

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Statt. Als eine solche Entscheidung ist die im §. 375 erwähnte Zurückweisung nicht zu betrachten. §. 416. Dem eingebrachten Restitutionsgesuche kann das angegangene Gericht nach seinem Ermessen auch aufschiebende Wirkung beilegen. §. 417. Gegen die Versäumung der Frist für die nach §. 409 u. 410 statthafte Restitution kann ebenwohl, jedoch nur aus einem andern, als dem im ersten Restitutionsgesuche geltend gemachten Grunde, Restitution nachgesucht werden. Für das deshalbige Gesuch gelten die Bestimmungen in §. 411, 412.

Fünfter Abschnitt. Von der Wiederaufnahme des Verfahrens. §. 418. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund neu entdeckter Thatsachen oder Beweismittel findet Seitens des Anklägers und des Angeklagten gegen verurtheilende oder freisprechende Erkenntnisse, selbst nach bewirkter Vollstreckung, Seitens des Angeklagten aber nur alsdann Statt, wenn die Verurtheilung nicht in dessen Ungehorsam erfolgt ist. Dem Staatsprocurator steht dieses Rechtsmittel auch gegen Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer, durch welche ein Verfahren eingestellt wurde (§.§. 176, 179, 188, 190), zu. Der Beschädigte kann die Wiederaufnahme nicht nachsuchen. §. 419. Der Widerruf eines Geständnisses kann bei diesem Rechtsmittel nur alsdann beachtet werden, wenn durch neu entdeckte Thatsachen oder Beweismittel die Falschheit des Geständnisses und der dasselbe bestätigenden Aussagen dargelegt werden soll. §. 420. Für die Staatsbehörde gelten Thatsachen oder Beweismittel als neu entdeckte, wenn diejenigen öffentlichen Ankläger, welche in den den Urtheilen vorausgegangenen mündlichen Verhandlungen beziehungsweise vor den Entscheidungen der Rathsund Anklagekammer täthig gewesen sind, dieselben vor den Urtheilen nicht gekannt haben. §. 421. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ist binnen einer unerstrecklichen Nothfrist von 60 Tagen, von der Zeit der Entdeckung der neuen Beweismittel an, anzubringen.

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Diese Frist läuft nicht für den öffentlichen Ankläger, wenn er zu Gunsten des Angeklagten die Wiederaufnahme beantragt. Wider ein freisprechendes Erkenntniß kann vom anklagenden Theile die Wiederaufnahme nicht mehr beantragt werden, wenn seit der Verübung der strafbaren Handlung die Verjährungszeit abgelaufen ist. §. 422. Mit dem Gesuche um Wiederaufnahme des Verfahrens ist die Nachweisung des Neuauffindens und der Zeit, wo diese stattgefunden hat, oder Angabe der Beweismittel vorzulegen und zugleich in demselben auszuführen, welchergestalt durch die neu aufgefundenen Beweismittel im Zusammenhalt mit den schon benutzten die Behauptungen des Nachsuchenden genügend dargethan, bezüglich die wider ihn vorliegenden Beweise widerlegt werden sollen. §. 423. Der Antrag erfolgt durch Erklärung zu Protokoll im Secretariate, oder in den nach §. 363 ausgenommenen Fällen durch schriftliche Eingabe bei demjenigen Gerichte, welches die zu beseitigende Entscheidung ertheilt hat. §. 424. Ist letztere in zweiter Instanz erfolgt, so kann das höhere Gericht das Gericht erster Instanz mit der nach den folgenden Bestimmungen Platz greifenden Verhandlung und Entscheidung beauftragen. Es tritt dies regelmäßig in allen Fällen ein, wo ein bestätigendes Erkenntniß beseitigt werden soll. §. 425. In schwurgerichtlichen Sachen soll jedoch das Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn vom Schwurgerichte bereits endlich erkannt war, stets bei der Anklagekammer, welche das Anklageerkenntniß ertheilt hat, vorgebracht werden. §. 426. Das angegangene Gericht hat auf das gegen eine endliche Entscheidung gerichtete Gesuch, wenn nicht dasselbe, insbesondere wegen Unerheblichkeit der angeblich neuen Beweismittel, alsbald zurückzuweisen ist, einen Verhandlungstermin behufs Feststellung der Thatsache und der Zeit des Neuauffindens anzuberaumen, die hierzu nöthigen Vorladungen zu verfügen und das Gesuch dem Gegner des Nachsuchenden, dem Staatsprocurator auch die Acten, mitzutheilen. §. 427. In dem Termine wird unter Gehör beider Theile nach den über die Beweisaufnahme geltenden Vorschriften verfahren, und für den Fall, daß die im §. 426 gedachte Feststellung eintritt, die Wiederaufnahme des Verfahrens erkannt. Gegen dieses Erkenntniß findet keinerlei Rechtsmittel Statt.

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§. 428. Bleibt der Nachsuchende im Termine aus, so wird das Gesuch, vorbehaltlich dessen Wiederholung innerhalb etwa noch laufender Frist, zurückgewiesen, der Gegner im Falle des Ausbleibens aber ausgeschlossen. §. 429. Ergibt sich die Thatsache des Neuauffindens nicht, so erfolgt ebenwohl Zurückweisung des Gesuchs. §. 430. Nach erkannter Wiederaufnahme wird die Sache dem öffentlichen Ankläger überwiesen, welcher das weiter erforderliche Verfahren zu veranlassen hat. §. 431. Wird gegen ein schwurgerichtliches Enderkenntniß Wiederaufnahme des Verfahrens erkannt, so sind die Acten jedesmal durch den Staatsprocurator dem obergerichtlichen Untersuchungsrichter zuzustellen, und es wird alsdann nach den Vorschriften dieses Gesetzes, namentlich nach erfolgter Entscheidung der Rathskammer und Anklagekammer, gegen welche die Rechtsmittel nach §. 353 Statt finden, weiter verfahren. Es muß jedoch stets eine anderweite schwurgerichtliche Aburtheilung eintreten, selbst dann, wenn die neu entdeckten Thatsachen und Beweismittel die Entlastung des Angeklagten ergeben sollten. §. 432. Auf Gesuch des Staatsprocurators gegen Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer (§. 418) wird von diesen Behörden in geheimer Sitzung nach vorgängigem Gehör des Staatsprocurators und Beweisaufnahme über die neue Entdeckung entschieden. Wird das Gesuch nicht zurückgewiesen, sondern die Wiederaufnahme erkannt, so tritt Abgabe an den Instructionsrichter und deßhalbiges weiteres Verfahren, einschließlich Entscheidung der Raths- und Anklagekammer, ein. §. 433. Das Gericht ist befugt, in dem Wiederaufnahmeerkenntnisse, oder auch schon mit der Anberaumung des Termins (§. 426) aufschiebende Wirkung namentlich für den Fall eintreten zu lassen, daß die Vollziehung der Strafe einen unersetzlichen Nachtheil für den Nachsuchenden mit sich führen würde. §. 434. Sollten zwischen dem letzten Verhandlungstermine und dem statthafter Weise ausgesetzten Erkenntnisse neue Beweismittel entdeckt seyn, so vermag dieses die endliche Entscheidung nicht aufzuhalten, vielmehr ist erst nach Ertheilung derselben das Wiederaufnahmegesuch statthaft.

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Anhang 3 Sechster Abschnitt. Von der einfachen Beschwerde.

§. 435. Gegen Verfügungen und Handlungen der im vorbereitenden Verfahren tätigen Personen, gegen andere, als verurtheilende oder freisprechende Entscheidungen der Gerichte, und gegen pflichtwidrige Unterlassungen findet einfache Beschwerde, einschließlich derjenigen wegen Justizverweigerung, Statt. §. 436. Daß der angefochtenen Entscheidung eine Verhandlung vorangegangen ist, steht der Beschwerde nicht entgegen; dieselbe ist daher namentlich nicht ausgeschlossen gegen Entscheidungen der Gerichte, wodurch diese nach eingetretener Gerichtsverhandlung ihre Unzuständigkeit aussprechen, oder auf Ablehnungsanträge (§.§. 29, 30) erkannt haben. §. 437. Unzulässig aber ist das Rechtsmittel wider diejenigen Entscheidungen, welche mit der Berufung anfechtbar sind (§. 353). §. 438. Ebenso steht dasselbe dem Angeklagten wider die in den §.§. 175 bis 178, 187, 188 erwähnten Entscheidungen der Raths- und Anklagekammer, und beiden Theilen gegen eine nach den Bestimmungen in §. 428 erfolgte Entscheidung nicht zu. §. 439. Wegen Verhaftung oder deren Beibehaltung kann in schwurgerichtlichen Sachen die Beschwerde niemals gegen den Verweisungsbeschluss der Rathskammer (§. 179), sondern erst gegen die deßhalbige Verfügung der Anklagekammer (§. 189) vorgebracht werden. §. 440. Wegen Ausbleibens gestrafte Zeugen und Geschworene können nur gegen diejenigen Entscheidungen, durch welche Gesuche um Zurückziehung der Strafe abgeschlagen sind (§.§. 84, 273), Beschwerde führen. §. 441. Für die einfache Beschwerde läuft eine Nothfrist von sechzig Tagen. §. 442. Dieselbe ist an das vorgesetzte Geicht, gegen den Instructionsrichter aber und den für ihn handelnden Unterrichter an die Rathskammer zu richten.

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§. 443. Die letztere kommt jedoch nicht als eigene Instanz in Betracht, vielmehr findet gegen deren Entscheidung weitere Beschwerde an das Oberappellationsgericht Statt. §. 444. Das höhere Gericht entscheidet auf einfache Beschwerde nach Anhörung des Staatsprocurators und, insofern nicht Verfügungen, Handlungen und Unterlassungen während des vorbereitenden Verfahrens Gegenstand der Beschwerde sind, in öffentlicher Sitzung. Im Übrigen kommen die Bestimmungen des seitherigen Rechts zur Anwendung. Siebenter Abschnitt. Von den Kosten. §. 445. Die Kostenverurtheilung auf ein ergriffenes Rechtsmittel erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen wider den nicht durchlangenden oder unterliegenden Theil. §. 446. Findet jedoch bei dem höheren Gerichte Wiederholung der Beweisaufnahme Statt, so kann dasselbe auch den Obsiegenden in die Kosten der von ihm beantragten Beweisaufnahme, oder in einen Theil derselben, nach Maaßgabe der Unerheblichkeit der Beweismittel verurtheilen. §. 447. Derjenige, welcher in zweiter Instanz neue Beweismittel beibringt, ist jedesmal, auch im Falle des Obsiegens auf den Grund derselben, in die durch die Beweisaufnahme entstandenen Kosten zu verurtheilen, wenn er nicht im Beweisverhandlungstermine darthut, daß die vorgebrachten Beweismittel ohne sein Verschulden erst nach dem Erkenntnisse erster Instanz entdeckt seyen. §. 448. Die Kosten bis einschließlich zu demjenigen Erkenntnisse, wider welches Einsprache erhoben wird, bleiben dem Einsprechenden zur Last, es müßte denn derselbe sein früheres Ausbleibens genügend entschuldigen. §. 449. Die Kosten des Restitutionsverfahrens wegen Versäumung von Fristen und Terminen hat stets der Nachsuchende zu tragen. §. 450. Wird ein Verfahren wieder aufgenommen, so kann in dem demnächstigen anderweiten Erkenntnisse auch die in dem früheren Urtheile ausgesprochene Kostenverurtheilung abgeändert werden.

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Anhang 3

Die Kosten des Verfahrens über Feststellung des Neuauffindens und weiterer Beweisaufnahme trägt der Nachsuchende, wenn er nicht Schuldlosigkeit hinsichtlich des späteren Auffindens der Beweismittel nachweiset. Siebenter Theil. Vorübergehende Bestimmungen. §. 451. Die in diesem Gesetze enthaltenen Bestimmungen treten vom 1sten Februar 1849 an in Wirksamkeit (s. jedoch §. 465). §. 452. Die vor diesem Zeitpunkte von den bisher zuständigen Behörden gefällten Urtheile sollen nach den seitherigen Bestimmungen verkündigt werden, auch wenn jene ihre Zuständigkeit inzwischen verloren haben. §. 453. Ebenso findet ein devolutives oder nicht devolutives Rechtsmittel gegen Urtheile, welche vor dem Zeitpunkte der Wirksamkeit dieses Gesetzes erlassen sind, und das deshalbige Verfahren nur nach dem seitherigen Rechte Statt. §. 454. Die Vollziehung der vorerwähnten Urtheile erfolgt ebenwohl nach den früher bestandenen Vorschriften. §. 455. Auf diejenigen Untersuchungssachen jedoch, in welchen vor dem 1sten Februar 1849 noch keine endliche Entscheidung ergangen ist, kommen die Vorschriften dieses Gesetzes auch alsdann zur Anwendung, wenn die bis dahin geführte Untersuchung bereits geschlossen ist. Es sollen indessen die bis dahin von den seither zuständigen Gerichten geführten Untersuchungen dieselbe Gültigkeit haben, als wenn sie nach den Bestimmungen dieses Gesetzes §. 150 folg. geführt wären. §. 456. Die Acten in diesen Untersuchungssachen, sowie sämmtliche unerledigte Anzeigen sind schleunigst an diejenigen öffentlichen Ankläger abzugeben, welchen fortan die Verfolgung der angezeigten Handlungen obliegt. §. 457. Die öffentlichen Ankläger verfahren in diesen Sachen wie nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf die bei ihnen eingegangenen Anzeigen (§. 142 folg., §. 209).

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§. 458. Ist rücksichtlich der zur obergerichtlichen Zuständigkeit gehörigen Vergehen nicht von Verfolgung der Sache gänzlich abzustehen (§. 147), oder Verhandlungstermin vor dem Obergerichte alsbald auszuwirken (§. 148, 223), so tritt Abgabe der Sache an den Instructionsrichter zur Fortsetzung der Untersuchung ein (§. 150 folg.). §. 459. In denjenigen schwurgerichtlichen Sachen, welche weder alsbald beruhen zu lassen, noch zur Fortsetzung des vorbereitenden Verfahrens abzugeben sind, ist Beschluß der Rathskammer auszuwirken (§. 173 folg.) §. 460. Diese Auswirkung stehet dem Staatsprocurator auch alsdann frei, wenn er Bedenken findet, von Verfolgung obergerichtlicher oder schwurgerichtlicher Sachen seinerseits alsbald abzustehen (§. 147, 176). §. 461. Die Stelle des Instructionsrichters in der Rathskammer (§. 174) vertritt in den Fällen der §.§. 459, 460 ein anderes, vom Vorstande für die Strafrechtspflege zu bestellendes, Obergerichtsmitglied. §. 462. Auf die wegen Preßvergehen anhängigen Untersuchungen, in welchen nach Gesetz vom 26. August 1848, §. 23 folg. verfahren ist, leiden die Bestimmungen in §. 457 folg. dergestalt Anwendung, daß, wenn nach §. 33 des genannten Gesetzes die Anklageschrift bereits überreicht ist, die Sache alsbald an den bei der Anklagekammer bestellten Staatsprocurator zur Auswirkung der Entscheidung der letzteren (§. 182 folg.) abzugeben und der Angeklagte hiervon zu benachrichtigen ist. Der Angeklagte kann binnen acht Tagen nach dieser Benachrichtigung die ihm nach §. 183 zustehende Denkschrift überreichen, auch kann die bereits überreichte Anklageschrift die Stelle des in §. 189, 192, 193 erwähnten Anklageakts vertreten. §. 463. Den im §. 455 erwähnten Untersuchungssachen stehen diejenigen gleich, in welchen ein vor dem 1sten Februar 1849 ertheiltes Erkenntniß vom höheren Gerichte nach diesem Zeitpunkte in der Art aufgehoben wird, das eine Fortsetzung des Verfahrens erforderlich wird. §. 464. Bis zum Erscheinen eines Strafgesetzbuches ist die in §. 127 angeordnete Vorlesung der zur Anwendung kommenden Gesetzesvorschriften auf die Bestimmungen dieses Gesetzes zu beschränken.

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Anhang 3

§. 465. Die Aufstellung der Geschworenenlisten für das Kalenderjahr 1849 soll statt in den, in den §.§. 237 und 245 vorgeschriebenen, Monaten im Monat Januar 1849 vorgenommen werden. §. 466. Sollte bis dahin der Bezirksrath noch nicht gebildet seyn, so dient bis die, sofort nach seinem Zusammentritt vorzunehmende Aufstellung der Hauptliste erfolgt ist, die, nach dem Gesetz vom 26. August 1848 wider Preßvergehen bestandene, Geschworenenliste dem in den §.§. 262 fg. vorgeschriebenen Verfahren zur Grundlage. §. 467. Hinsichtlich der, in solchen Bezirken verübten Vergehen, in welchen bisher die Gerichtsbarkeit mit auswärtigen Gerichten gemeinschaftlich ausgeübt wurde, soll bis zum Erscheinen eines deshalbigen besonderen Gesetzes das seitherige Verfahren bestehen bleiben. §. 468. Die Bestimmungen über das, bei den Anklagen gegen Ministerialvorstände zu beobachtende, verfahren bleiben einem besonderen Gesetz über Ministerverantwortlichkeit vorbehalten. Urkundlich Unserer allerhöchsteigenhändigen Unterschrift und des beigedrückten Staatssiegels gegeben zu Cassel am 31sten Oktober 1848. Friedrich Wilhelm. (St. S.)

Anhang 4 Gesetz vom 31sten October 1848, über die Einrichtung der Gerichte und der Staatsbehörde bei den Gerichten Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Wilhelm Iste, Kurfürst u.u. erlassen behufs Anordnung derjenigen Veränderungen in der Gerichtsverfassung, welche zur Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Anklageproceß und Schwurgerichten geeignet erscheinen, nach Anhörung Unseres Gesammtstaatsministeriums und mit Zustimmung der getreuen Landstände, folgendes Gesetz. I. Von der Einrichtung hinsichtlich der Geschäfte der Rechtspflege. 1) Allgemeine Bestimmungen. §. 1. Als richterliche Behörden sollen künftig nur bestehen 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Justizämter, Landgerichte (s. jedoch § 14), das Stadtgericht zu Cassel, die Weserzollgerichte zu Beckerhagen und Rinteln, Obergerichte, Schwurgerichte, das Oberappellationsgericht zu Cassel.

Neben diesen werden ferner zwar als Ausnahmsgerichte für einzelne Klassen von Personen noch das Universitätsgericht, die Bürgergarde- und Militärstrafgerichte, und besondere Austrägalgerichte für Standesherren beibehalten; auf dieselben leiden aber die Bestimmungen dieses Gesetzes keine Anwendung. Die bisher mit auswärtigen Gerichten gemeinschaftlich geübte Rechtspflege in einzelnen Bezirken, insbesondere in den mit dem Königreiche Baiern gemeinschaftlichen Condominatsbezirken, ist in der dafür bestehenden Einrichtung ferner zu versehen. §. 2. Die richterlichen Geschäfte, welche bisher vor die Polizeicommissionen gehörten, gehen auf die betreffenden Untergerichte über. Über die Zunftgerichtsbarkeit bestimmt der §. 5 des Gesetzes vom 29sten October 1848, die Polizeiverwaltung, Polizei- und Zunftgerichtsbarkeit u. betreffend.

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Anhang 4

Die streitigen Ehesachen der Katholiken sollen künftig ebenso, wie die aller anderen Glaubensgenossen zur Entscheidung der betreffenden Obergerichte gehören. Die Abhaltung von Ganggerichten findet nicht mehr Statt. §. 3. Bei jedem der unter 1 bis 7 im §. 1 genannten Gerichte soll eine Staatsbehörde bestellt werden, welcher, neben der Mitwirkung bei sonstigen Geschäften der Gerichte, in Gemäßheit der deßhalbigen Bestimmungen der Proceßgesetze die gerichtliche Verfolgung der mit Strafe bedroheten Gesetzübertretungen, und die Vollziehung der strafgerichtlichen Erkenntnisse obliegt. §. 4. Für jeden Obergerichtsbezirk wird ein Staatsanwalt bestellt. Der Wirkungskreis der verschiedenen Staatsanwälte richtet sich künftig nach den Obergerichtsbezirken. In Rechtssachen, welche einen, in verschiedenen Obergerichtsbezirken gelegenen, Gebietstheil betreffen, steht es in der Wahl des Klägers, gegen den einen oder den anderen Staatsanwalt dieser Bezirke aufzutreten. Die im ersten Absatze des §. 3 des Gesetzes vom 11ten Juli 1832 angeordnete besondere Ausdehnung des Geschäftskreises des Staatsanwaltes zu Fulda hinsichtlich der das Großherzogthum Fulda betreffenden Angelegenheiten wird aufgehoben. §. 5. Die Verhältnisse der Hülfsbeamten der Justiz, und der Notare zu den Gerichten bleiben, wie bisher, bestehen. §. 6. Wo sich ein deshalbiges Bedürfniß ergiebt, können durch das Justizministerium genügend geeigenschaftete Personen als Beglaubigungsnotare für bestimmte Bezirke mit der Befugniß bestellt werden, Unterzeichnungen von Urkunden mit voller Beweiskraft zu beglaubigen. 2) Von den Untergerichten. §. 7. Vor die Justizämter, die Landgerichte und das Stadtgericht zu Cassel gehören die Angelegenheiten der streitigen bürgerlichen Gerichtsbarkeit, welche durch das zu erlassende Civilprozeßgesetz ihnen werden zugewiesen werden. Bis dahin bleibt ihre Zuständigkeit wie bisher. §. 8. Dieselben verwalten die gesammte freiwillige Gerichtsbarkeit, einschließlich des Vormundschaftswesens, in ihrem Bezirke, unbeschadet des, dem Gerichtspersonal

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anderer Gerichte, wie bisher, verbleibenden Rechtes zur Ausstellung von Beglaubigungen, und der, jeder Gerichtsbehörde zustehenden, Befugniß zur Ertheilung von Bescheinigungen. Die Hinterlegung letztwilliger Verfügungen kann auch bei den Obergerichten und dem Oberappellationsgerichte vorgenommen werden. §. 9. Die Untergerichtsactuare haben innerhalb ihres Bezirkes auf deshalbigen Antrag von Privaten alle Notariatsgeschäfte vorzunehmen, namentlich Urkunden über Wechselproteste aufzustellen; auch haben sie Behändigungen offener Schriften und Urkunden an Personen, welche sich in ihrem Bezirke aufhalten, durch die Gerichtsdiener bewirken, und deßhalbige Bescheinigungen ertheilen zu lassen. §. 10. Die Depositare eines, am Sitze eines Obergerichtes befindlichen, Untergerichtes haben nach deshalbiger Bestimmung des Justizministeriums, sobald diese erfolgt seyn wird, auch das Depositenwesen des Obergerichtes zu verwalten. §. 11. In der Strafrechtspflege haben die gedachten Untergerichte – namentlich auch das Stadtgericht zu Cassel innerhalb seines Bezirkes – die Untersuchung zu führen und zu erkennen: 1) über alle Gesetzübertretungen, welche mit einer Geldstrafe von 20 Thalern, oder mit 14 Tagen Gefängnißstrafe, oder mit 28 Tagen Arbeitsstrafe, oder einer geringeren Strafe gleicher Art zu belegen sind, 2) über die mit einer Geldstrafe von 50 Thalern (einschließlich eines etwaigen Confiscates), oder dreimonatlicher Gefängnis-, oder zweimonatlicher Zwangsarbeitshausstrafe, oder einer geringeren Strafe zu ahndenden Übertretungen a. der Staatsfinanzgesetze (einschließlich derjenigen über die Postverwaltung), b. der Forst-, Jagd- u. Fischereiordnungen, c. der Gesetze über Ufer-, Wege und sonstige Baupolizei, d. der Gesetze über Feld-, Garten und Hutefrevel, e. der wegen Sicherung gemeinheitlicher Abgaben nach §. 75 der Gemeindeordnung vom 23sten October 1834 erlassenen Anordnungen, f. der Gesetze über Landstreicherei, Betteln und Völlerei. In allen unter 1 und 2 genannten Fällen sind dieselben unter den geeigneten Voraussetzungen befugt, zugleich auch auf Stellung unter Polizeiaufsicht, auf Abbitte und auf öffentliche Bekanntmachung des Urtheils, sowie bei Gefängnißstrafe auf zeitweise eintretende Entziehung der warmen Kost zu erkennen. Daneben steht es ihnen zu, über die bei einer Strafsache gleichzeitig geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüche, ohne Beschränkung auf eine Summe, zu entscheiden, wenn die Verhandlungen über solche Ansprüche im Strafverfahren die Ertheilung eines Enderkenntnisses möglich gemacht haben.

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In den obergerichtlich oder schwurgerichtlich abzuurtheilenden Strafsachen haben sie bei der Untersuchung auf die in dem Gesetze über den Strafproceß bestimmte Weise mitzuwirken. §. 12. Die Weserzollgerichte haben nach Maaßgabe ihrer in dem Ministerialausschreiben vom 30sten Januar 1824, §. 52, bestimmten Zuständigkeit, ohne Beschränkung auf ein gewisses Maaß der Strafe, oder auf einen bestimmten Werth des Streitgegenstandes, zu erkennen. §. 13. Die in den §. §. 7 bis 12 enthaltenen Bestimmungen erleiden insoweit eine Ausnahme, als der nach dem bisherigen Rechte für den Landesherrn und die Glieder des Kurfürstlichen Hauses, sowie für die Häupter und Glieder der standesherrlichen Familien bestehende bevorzugte Gerichtsstand in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, ein solcher auch nach Maaßgabe der §. §. 23, 24 und 59 dieses Gesetzes bei Vormundschaftsangelegenheiten und in Strafsachen beibehalten wird. Jeder sonstige bevorzugte Gerichtsstand ist aufgehoben, sobald die neue Civilprozeßordnung erschienen seyn wird. §. 14. Die Landgerichte sollen aufgehoben, und in einzelne Justizämter getrennt werden. Aus besonderen Gründen können jedoch eines oder mehrere derselben vorläufig beibehalten werden. §. 15. Die bei den Landgerichten und dem Stadtgerichte angestellten Richter haben in den einzelnen Rechtssachen das Richteramt als Einzelrichter zu verwalten. §. 16. Durch eine im Gesetzblatte bekannt zu machende Anordnung des Justizministeriums soll für eintretende Fälle der Erledigung einer Unterrichterstelle, sowie der Beurlaubung oder Verhinderung eines Unterrichters, der jedesmalige Richter eines benachbarten Untergerichts, und hülfsweise, für den Fall einer bei diesem eintretenden Verhinderung, noch ein weiterer Unterrichter zum Stellvertreter bestimmt werden, welcher auf deshalb erhaltene amtliche Nachricht als solcher einzutreten hat. §. 17. Mehrere Einzelrichter bei demselben Gerichte sind einander gegenseitig zur Stellvertretung verpflichtet. §. 18. Bei längerer Dauer der Erledigung, Verhinderung u. s. w. hat das Obergericht des Bezirkes eine besondere Stellvertretung durch Auftragsertheilung anzuordnen.

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Sind im betreffenden Obergerichtsbezirke keine Unterrichter verfügbar, denen ein solcher Auftrag zu ertheilen stände, so werden dem Obergerichte auf deshalbige Anzeige durch das Justizministerium Unterrichter eines anderen Bezirkes behufs der gedachten Beauftragung zur Verfügung gestellt. §. 19. Die bei den Untergerichten angestellten Practicanten können in geeigneter Weise bei den Gerichtsgeschäften, insbesondere für die Protokollführung und sonstige Besorgung von Actuargeschäften verwendet werden. §. 20. Wenn bei einem Untergericht die Actuarstelle erledigt, oder der Actuar nicht anwesend, oder verhindert ist, so kann der Unterrichter die Actuargeschäfte auch selbst besorgen. 3) Von den Obergerichten. §. 21. Obergerichte sollen künftig bestehen 1) zu Cassel für die Verwaltungsbezirke Cassel, Eschwege und Fritzlar, mit Ausnahme der Ämter Ziegenhain, Treysa, Neukirchen, 2) zu Rotenburg für die Verwaltungsbezirke Hersfeld und Schmalkalden, 3) zu Marburg für den Verwaltungsbezirk Marburg und die Ämter Ziegenhain, Treysa, Neukirchen, 4) zu Fulda für den Verwaltungsbezirk Fulda, 5) zu Hanau für den Verwaltungsbezirk Hanau, 6) zu Rinteln für den Verwaltungsbezirk Rinteln. §. 22. Die Obergerichte erkennen in bürgerlichen Rechtsstreiten: als erste Instanz über die von der untergerichtlichen Zuständigkeit ausgenommenen Sachen; als zweite Instanz über die in erster Instanz vor die Untergerichte gehörigen Sachen nach näherer Bestimmung der Proceßgesetze. §. 23. Die freiwillige Gerichtsbarkeit stehet den Obergerichten in erster Instanz nur hinsichtlich der Annahme hinterlegter letztwilliger Verfügungen, (s. §. 8) und hinsichtlich der Vormundschaften über standesherrliche Personen nach Maaßgabe der hierüber bestehenden Bestimmungen zu. Dieselben bilden auch die zweite Instanz für die vor die Untergerichte gehörigen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

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§. 24. In Strafsachen sind die Obergerichte in erster Instanz zuständig hinsichtlich derjenigen Vergehen der Glieder des Kurfürstlichen Hauses und standesherrlicher Personen, welche mit einer zur untergerichtlichen Zuständigkeit gehörigen Strafe zu ahnden sind, und im Übrigen hinsichtlich der Übertretungen der Strafgesetze, welche weder zur Zuständigkeit der Untergerichte, noch zu derjenigen der Schwurgerichte und des Oberappellationsgerichts gehören, und in zweiter Instanz hinsichtlich der vor die Untergerichte gehörigen Sachen. Zur Aburtheilung der in erster Instanz vor ihnen zur Verhandlung gekommenen Strafsachen sind sie nach näherer Bestimmung des Strafproceßgesetzes auch dann befugt, wenn nach dem Ergebniß der gerichtlichen Verhandlung nur eine zur untergerichtlichen Zuständigkeit gehörige Strafe zu erkennen ist. §. 25. Die Entscheidungen über die Verweisung der Angeklagten vor die Schwurgerichte, und die weiteren, nach den Bestimmungen über den Strafproceß den Anklagekammern zugewiesenen, Entscheidungen werden für jeden Obergerichtsbezirk durch ein anderes Obergericht erteilt, und zwar für den Obergerichtsbezirk zu 1) 2) 3) 4) 5) 6)

Cassel durch das Obergericht zu Marburg, Rotenburg durch das Obergericht zu Cassel, Rinteln durch das Obergericht zu Cassel, Hanau durch das Obergericht zu Fulda, Marburg durch das Obergericht zu Hanau, Fulda durch das Obergericht zu Rotenburg.

§. 26. Die Zahl der stimmführenden Mitglieder der Obergerichte wird dahin bestimmt, daß einschließlich des Directors deren seyn sollen: 1) 2) 3) 4) 5) 6)

bei bei bei bei bei bei

dem dem dem dem dem dem

Obergericht Obergericht Obergericht Obergericht Obergericht Obergericht

zu zu zu zu zu zu

Cassel Rotenburg Marburg Hanau Fulda Rinteln

17 9 8 8 7 4

bis bis bis bis bis bis

21 11 11 10 8 5

§. 27. Zur Versehung der Secretar-, Repositar-, Calculator-, Kanzlisten- und Pedellengeschäfte wird den Obergerichten das erforderliche Personal beigegeben.

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§. 28. In jedem Obergerichte, mit Ausnahme desjenigen zu Rinteln, werden für die einzelnen Geschäftszweige, außer der für die Angelegenheiten der Dienstordnung bestehenden Ordnungskammer, (s. §. 87) folgende Abtheilungen gebildet: 1) für die Civilsachen eine Civilkammer aus wenigstens drei Richtern; 2) für die Strafsachen: a. eine Rathskammer aus drei Richtern für die im Vorbereitungsverfahren zu ertheilenden Entscheidungen, b. eine Anklagekammer aus fünf Richtern für die nach §. 25 zu ertheilenden Entscheidungen, c. eine Criminalkammer aus wenigstens fünf Richtern in peinlichen, und aus wenigstens drei Richtern in anderen Fällen, für die in erster und zweiter Instanz auf die mündliche Verhandlung zu ertheilenden Entscheidungen. §. 29. Ein Mitglied des Obergerichts hat die Geschäfte des Instructionsrichters zu versehen. Für die bei demselben vorkommenden Protocollführungs- und Secretariatsgeschäfte wird das erforderliche Personal aus dem Obergerichte entnommen. §. 30. Im Falle eintretenden Bedürfnisses werden bei einem Obergerichte mehrere Civil-, Criminal- und Rathskammern gebildet, auch mehrere Instructionsrichter bestellt. Es bedarf hierzu der Genehmigung des Justizministeriums. §. 31. Der Director hat die Leitung der das Obergericht im Allgemeinen betreffenden Angelegenheiten, so wie auch der sämmtlichen Civilsachen. Er ist immer Vorstand der ersten Civilkammer, und hat den Vorsitz in jeder Kammer, sobald er darin erscheint. §. 32. Vorstände der anderen Kammern werden auf Vorschlag des Directors vom Justizministerium bestellt; eben so die Instructionsrichter. Der Vorstand der ersten Criminalkammer hat zugleich die Leitung der Strafsachen überhaupt, soweit nicht specielle dahin einschlagende Geschäfte dem Director und dem Vorstande der Rathskammer zustehen. §. 33. Für die einzelnen Rechtssachen, in welchen dies nach Vorschrift der Proceßgesetze erforderlich, oder geeignet erscheint, werden von dem Vorstande der betreffenden Kammer Referenten bestellt. Diesen, oder sonstigen Mitgliedern kann der Vorstand der Kammer die auf die Leitung der einzelnen Sache bezüglichen Ge-

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schäfte des Sitzungspräsidenten bei der mündlichen Verhandlung überweisen; die Polizei in den Sitzungen hat er jedoch selbst zu handhaben. §. 34. Die Vertheilung der übrigen Mitglieder in die Kammern bestimmt der Director. §. 35. Der Director, die Vorstände der Kammern und die Mitglieder können zugleich mehreren Kammern vorstehen, und beziehungsweise deren Mitglieder seyn. §. 36. Der Director soll indessen in schwurgerichtlichen Sachen nicht Vorstand der Rathskammer seyn, und niemals der Vorstand der Criminalkammer zugleich der Rathskammer vorstehen. §. 37. Mitglieder der Rathskammer sollen, wenn dies die regelmäßige Besetzung des Obergerichts gestattet, in denjenigen Sachen, in welchen sie in der Rathskammer mitgewirkt haben, nicht zugleich Mitglieder der Criminalkammer seyn. §. 38. Der Instructionsrichter kann in den Sachen, in welchen er als solcher täthig gewesen ist, niemals Mitglied der Criminal- oder Anklagekammer seyn. §. 39. Dagegen ist derselbe regelmäßig Mitglied der Rathskammer, hat jedoch aus dieser abzutreten, wenn über Beschwerden gegen ihn zu berathen und zu entscheiden ist. §. 40. Mit dem Anfange jedes Jahres tritt nach einer vom Director anzuordnenden Reihefolge ein Wechsel der Mitglieder dergestalt ein, daß ein oder mehrere Mitglieder der Civilkammer in die Criminalkammer, und eben so ein oder mehrere aus dieser in jene übertreten, auch, soweit dies hiernach erforderlich wird, auf deshalbige besondere Anordnung des Directors die Raths- und Anklagekammer anderweit zusammengesetzt werden. §. 41. Die aus einer Kammer ausgeschiedenen Mitglieder können indessen zur Theilnahme an der Entscheidung derjenigen Sachen, bei welchen sie früher mitgewirkt haben, wieder herangezogen werden.

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§. 42. Einzelnen Mitgliedern kann aus besonderen Gründen vom Justizministerium die Verpflichtung zum Wechsel erlassen werden. §. 43. Über den Wechsel der Vorstände der Kammern und der Instructionsrichter wird vom Justizministerium besonders verfügt. §. 44. In dem Obergerichte zu Rinteln führt der Direktor die Vorstandsgeschäfte in allen Sachen, außer bei den vor die Rathskammer gehörigen Verhandlungen und Beschlüssen in schwurgerichtlichen Strafsachen, so wie er auch bei solchen Verhandlungen und Beschlüssen der Rathskammer nicht mitzuwirken hat. Alle Mitglieder dieses Gerichtes haben, – mit eben gedachter Ausnahme, und mit Ausschluß des Instructionsrichters hinsichtlich der Strafsachen, welche er instruirt hat, – an allen Berathungen und Entscheidungen Theil zu nehmen. Bei Aburtheilung peinlicher Strafsachen findet die Ergänzung der erforderlichen Zahl der Richter nach Maaßgabe des §. 49, beziehungsweise der deshalbigen Bestimmungen über die Bildung der Schwurgerichte statt. §. 45. Für den Bezirk des Obergerichtes zu Rinteln kann auch ein daselbst wohnender Unterrichter zum Instructionsrichter bestellt werden, welcher bei den obergerichtlichen Geschäften nur hinsichtlich der an die Rathskammer gehörigen Sachen mitzuwirken hat. §. 46. Im Falle der Erledigung der Stelle des Dirigenten des Collegs, oder seiner Abwesenheit, oder sonstigen Verhinderung ist dessen Stellvertreter: 1) hinsichtlich des Vorsitzes in einzelnen Kammern der älteste Rath derselben; 2) hinsichtlich der, mehrern Civilkammern gemeinsamen Angelegenheiten der Älteste unter den Vorständen dieser Kammern; 3) hinsichtlich der dem Director allein in Civil- und Criminalsachen zugewiesenen besonderen Geschäfte, – Vernehmungen, Entscheidungen u. s. w. – der Älteste unter den Vorständen der Civilkammern, und, in Ermangelung eines solchen Vorstandes, der älteste Rath derselben; 4) hinsichtlich der das Obergericht im Allgemeinen betreffenden Angelegenheiten der Älteste unter den Vorständen sämmtlicher Kammern, und in dessen Ermangelung der älteste Rath. Bei dem Obergerichte zu Rinteln ist jedesmal der älteste Rath Stellvertreter des Dirigenten. Der Instructionsrichter kann nicht Stellvertreter des Directors seyn. Ist er der älteste Rath, so tritt statt seiner der im Dienstalter zunächst Stehende ein.

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§. 47. Für die anderen Vorstände der Kammern haben, wenn nicht der Director den Vorsitz selbst übernimmt, die ältesten Räthe der betreffenden Kammern als Stellvertreter einzutreten. Ist die Kammer außer dem Vorstande nur aus Assessoren gebildet, so hat der Director einen anderen Rath mit der Stellvertretung zu beauftragen. §. 48. Kammern, welche durch Ausfall, Abwesenheit oder Verhinderung einzelner Mitglieder unvollzählig sind, werden auf Anordnung des Directors durch Heranziehung anderer Mitglieder des Collegs ergänzt. Über die gegenseitige Aushülfe der Mitglieder in den verschiedenen für die Strafrechtspflege bestehenden Kammern bestimmt der Vorstand der ersten Criminalkammer. §. 49. Wenn eine genügende Ergänzung der Kammern durch andere Mitglieder des Collegs nicht zu beschaffen steht, so wird bei längerer Dauer eines solchen Zustandes die nöthige Aushülfe durch das Justizministerium in derselben Weise, wie im Falle des §. 114, Absatz 3 der Verfassungsurkunde, gewährt. In eiligen Fällen, und zur einstweiligen Aushülfe haben aber auf Anordnung der Directors Unterrichter des Bezirkes, welche in den betreffenden Sachen nicht schon täthig gewesen sind, in der erforderlichen Anzahl an einzelnen Sitzungen Theil zu nehmen. Der Obergerichtsdirector hat diese Unterrichter aus der Zahl derjenigen auszuwählen, welche das Obergericht für hierzu befähigt im Voraus bezeichnet hat (s. §. 92, Nr. 2). §. 50. Die solchen Unterrichtern zukommenden Tagegelder und Reisekosten werden aus der Staatskasse bezahlt. Die Parteien, deren Angelegenheiten durch sie mit entschieden werden, sind zum Ersatze dieser Kosten, oder zu einem deshalbigen Beitrage nicht verpflichtet. §. 51. Sind mehrere Instructionsrichter bei demselben Obergerichte bestellt, so wird inem derselben die Geschäftsleitung und Vertheilung zugewiesen. Dieselben sind einander gegenseitig zur Stellvertretung verpflichtet. Sonstige Stellvertreter der Instructionsrichter bestellt der Obergerichtsdirector aus den Mitgliedern des Obergerichtes, oder den Unterrichtern des Bezirkes. §. 52. Die bei den Obergerichten angestellten Referendare und zugelassenen Practicanten können nach Anweisung des Directors in geeigneter Weise bei gerichtlichen Geschäften, insbesondere zur Vorbereitung richterlicher Arbeiten verwendet werden.

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§. 53. Bei eintretender Erledigung von Secretarstellen oder Verhinderung einzelner Secretare werden deren Stellvertreter aus der Zahl der übrigen Secretare, oder der Referendare und Practicanten durch den Director bestellt. Einzelne dazu geeignete Secretariatsgeschäfte können auf Anordnung des Directors auch durch Repositare und Kanzlisten besorgt werden.

4) Von den Schwurgerichten. §. 54. Schwurgerichte erkennen über die Gesetzesübertretungen, welche 1) 2) 3) 4)

mit dreijähriger Gefängniß- oder Festungsstrafe, mit zweijähriger Zuchthaus- oder Zwangsarbeitshausstrafe, mit anderthalbjähriger Eisenstrafe, mit Dienstentsetzung eines landesherrlich angestellten Dieners, einschließlich der nach §. 57 des Staatsdienstgesetzes vom 8ten März 1831 eintretenden Entfernung aus dem Staatsdienste, oder mit einer sonstigen härteren Strafe bedroht sind, ferner 5) auf alle Anklagen, wegen Hoch- und Landesverrath, Majestätsbeleidigung, Aufruhr, sowie wegen der in den Artikeln I. bis IV. des Reichsgesetzes vom 10ten October 1848 zum Schutze der verfassungsgebenden Reichsversammlung und der Beamten der provisorischen Centralgewalt bezeichneten Verbrechen und Vergehen, wenn auch eine geringere, als eine der oben unter 1, 2, 3 und 4 bezeichneten Strafen auszusprechen ist, endlich 6) auf die von der Staatsbehörde wegen Preßvergehen erhobenen Anklagen, welche nicht unter die Bestimmung des §. 22 des Gesetzes vom 26. August 1848 über Preßvergehen fallen. §. 55. Die Zusammensetzung derselben wird nach den deshalbigen Bestimmungen des Gesetzes über die Umbildung des Strafverfahrens bewirkt. Können die außer dem Präsidenten zum Schwurgerichte nöthigen Richter nicht aus dem Obergericht des Bezirks entnommen werden, so erfolgt die Heranziehung von Unterrichtern nach den Bestimmungen in §. 44 durch den Obergerichtsdirector, oder es sind auf Anweisung des Präsidenten des Oberappellationsgerichts Mitglieder eines anderen Obergerichtes durch dessen Director abzuordnen. Das erforderliche Personal für die Secretar-, Repositar-, Kanzlisten- und Pedellengeschäfte wird aus demjenigen des Obergerichts nach Anordnung des Obergerichtsdirectors entnommen.

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§. 56. Im Bezirke eines jeden Obergerichtes, in der Regel am Sitze desselben, ausnahmsweise auf Anordnung des Präsidenten des Oberappellationsgerichtes außerhalb dieses Sitzes, wird in der Regel in jedem Kalendervierteljahr ein Schwurgericht gehalten. §. 57. Die Geschworenen, welche außerhalb ihres Wohnortes am Schwurgerichte Theil nehmen, erhalten auf Verlangen für die Dauer der Sitzung und der Reise täglich 20 Sgr. Tagegelder, und für jede Meile der Hin- und Zurückreise zusammen 15 Sgr. Reisekosten. §. 58. Hinsichtlich dieser Tagegelder und Reisekosten, sowie derjenigen des Präsidenten und der etwa hinzugezogenen auswärtigen Obergerichtsmitglieder und Unterrichter, und der besonderen Kosten, welche durch Abhaltung eines Schwurgerichtes außer dem Sitze des Obergerichtes entstehen, gelten die Bestimmungen des §. 50.

5) Vom Oberappellationsgericht. §. 59. Das Oberappellationsgericht hat zu erkennen: 1) in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten als höchste Instanz auf die gegen Entscheidungen der Obergerichte angebrachten devolutiven Rechtsmittel; 2) in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit als letzte Instanz, auf die gegen Verfügungen der Obergerichte erhobenen Beschwerden; 3) in der Strafrechtspflege als erste Instanz auf Anklagen gegen Vorstände der Ministerien nach §. 81 und 100 der Verfassungsurkunde, und gegen Glieder des Kurfürstlichen Hauses und der standesherrlichen Familien, über deren Vergehen, welche mit einer das Maaß der untergerichtlichen Strafbefugniß übersteigenden Strafe zu ahnden sind, und als zweite Instanz hinsichtlich der vor die Obergerichte in erster Instanz und vor die Schwurgerichte gehörigen Sachen auf die von den Betheiligten eingelegten Rechtsmittel. Bei demselben können auch letztwillige Verfügungen hinterlegt werden (s. §. 8.). §. 60. Das Oberappellationsgericht bestehet aus einem Präsidenten und aus zwölf bis achtzehn Räthen. Demselben werden die nöthigen Secretare, Repositare, Kanzlisten und Pedellen beigegeben. §. 61. Auf Anklagen gegen Vorstände der Ministerien erkennt dasselbe nach §. 100 der Verfassungsurkunde in voller Versammlung.

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Im Übrigen sind für die Geschäfte folgende Abtheilungen zu bilden: 1) eine oder mehrere Civilkammern, jede aus wenigstens fünf Richtern, für die Civilsachen; 2) eine Criminalkammer aus wenigstens fünf Richtern für die Strafsachen. §. 62. In den vor das Oberappellationsgericht in erster Instanz gehörigen Strafsachen haben nach Anordnung des Präsidenten ein oder mehrere Mitglieder des Collegs mit einem Secretar als Protocollführer die erforderliche Untersuchung zu führen. §. 63. Der Präsident hat die Geschäftsleitung in allen Civilsachen, und ist immer Vorstand der ersten Civilkammer. §. 64. Für die Criminalkammer soll vom Justizministerium ein Vorstand bestellt werden, wenn der Präsident nicht selbst derselben vorsteht. §. 65. Hinsichtlich der Bildung mehrerer Civil- und Criminalkammern, der Bestellung der Vorstände weiterer Kammern, der Stellvertretung und der Ergänzung sind bei dem Oberappellationsgerichte die einschlagenden Bestimmungen der §. §. 30, 32, und 46 bis 48 zur Anwendung zu bringen.

6) Von der Staatsbehörde bei den Gerichten. §. 66. Zur Versehung der, der Staatsbehörde bei den Gerichten obliegenden, Geschäfte wird bestellt: 1) bei den Untergerichten ein unterer Verwaltungsbeamter, oder der Bürgermeister am Sitze des Gerichtes, oder eine sonst geeignete Person; 2) bei den Obergerichten, und zugleich für die Schwurgerichte des Obergerichtsbezirkes, ein Staatsprocurator, welcher den Obergerichtsräthen im Range gleichsteht; 3) bei dem Oberappellationsgericht ein Generalstaatsprocurator mit dem Rang eines Oberappellationsgerichtsrathes. §. 67. Diesen Beamten der Staatsbehörde werden, soweit es erforderlich ist, Secretare und Kanzlisten beigegeben.

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§. 68. Bei eintretendem Bedürfniß werden mehrere solche Beamte bei demselben Gerichte bestellt. Einem derselben wird alsdann die allgemeine Leitung und Vertheilung der Geschäfte zugewiesen. §. 69. Zugleich werden für jeden derselben, außer den nach den Proceßgesetzen zu ihrer Stellvertretung hinsichtlich bestimmter Arten von Vergehen berufenen Beamten, Stellvertreter vom Justizministerium bestellt. §. 70. Tritt auch eine Verhinderung des Stellvertreters ein, so wird regelmäßig ein in gleicher Ordnung stehender Beamter der Staatsbehörde durch den zunächst Vorgesetzten mit der Geschäftsversehung beauftragt, und in Eilfällen durch den Vorstand des Gerichts oder der Gerichtsabtheilung, vor welchen die betreffende Sache zu verhandeln ist, bei den Untergerichten ein Practicant oder Actuar, bei den Obergerichten ein Referendar oder Secretar, auch nach Befinden ein Mitglied des Collegs, und bei dem Oberappellationsgericht ebenfalls ein Mitglied des Collegs, mit der Stellvertretung beauftragt. Ein solcher Auftrag darf an Gerichtspersonen, welche als solche bereits in der betreffenden Sache thätig gewesen sind, nicht ertheilt werden. §. 71. Die Hülfsbeamten der Gerichte, die Pedellen, Gerichtsdiener und Gefangenenwärter haben die ihnen obliegenden Geschäfte auch für die Beamten der Staatsbehörde in ihrem Bezirke zu versehen. §. 72. Alle Behörden, welchen eine polizeiliche Mitwirkung für die Zwecke der Strafgerichtsbarkeit obliegt, haben den deshalbigen ersuchen der Staatsbehörde zu entsprechen. Auch haben ihnen alle Civil-, Bürgergarde- und Militärbehörden auf deshalbiges Ersuchen den gebührenden Beistand zu leisten. §. 73. Hinsichtlich aller vor die Staatsbehörde gehörigen Geschäfte in Strafsachen, und in Betreff der deshalbigen Dienstordnung, insbesondere der Aufsicht und Disciplin ist einem jeden Beamten der Staatsbehörde das ihm beigegebene Personal untergeordnet und stehen ferner 1) unter den bei den Untergerichten bestellten Beamten der Staatsbehörde die Hülfsbeamten, Gerichtsdiener und Gefangenenwärter ihres Bezirkes, sodann 2) unter den Staatsprocuratoren: sämmtliche bei den Untergerichten bestellten Beamten der Staatsbehörde, und die Obergerichtspedellen in ihrem Bezirke, weiter

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3) unter dem Generalstaatsprocurator dessen Gehülfen, die Staatsprocuratoren und deren Untergebene, und die Pedellen des Oberappellationsgerichtes, endlich 4) unter dem Justizministerium: sämmtliche Beamte der Staatsbehörde. §. 74. Jeder Beamte der Staatsbehörde ist befugt, in einzelnen Sachen die Geschäfte des ihm untergeordneten Beamten, mit Ausschließung desselben, selbst zu übernehmen, oder dieselben einem anderen, mit dem Ausgeschlossenen in gleicher Dienstordnung stehenden Beamten, oder dem Stellvertreter eines solchen, zu übertragen. §. 75. Bei ihren Verfügungen, bei Erhebung der Anklagen, und bei Stellung weiterer Anträge haben die Beamten der Staatsbehörde nach den bestehenden Gesetzen zu verfahren, ohne zu Einholung von Verhaltungsvorschriften verpflichtet zu seyn. Durch Anordnungen ihrer Vorgesetzten, welche ihnen die gerichtliche Verfolgung einer Strafgesetzübertretung untersagen, werden sie, außer dem Falle einer Abolition, nicht gebunden. Im Übrigen haben sie die in einzelnen Sachen ergehenden Weisungen der ihnen dienstlich vorgesetzten Behörde zu befolgen. Auch sind sie gehalten, die von den Landständen oder deren Ausschusse nach §. 61 der Verfassungsurkunde beschlossenen Anklagen zum gerichtlichen Verfahren zu bringen. Von den sonstigen Geschäften der Gerichte und der Beamten der Staatsbehörde. §. 76. Die in Strafsachen erforderlich werdenden Ersuchen an Behörden des Auslandes um Rechtshülfe werden durch den betreffenden Beamten der Staatsbehörde besorgt. §. 77. Über die Zulässigkeit der Gewährung der von Behörden des Auslandes in Strafsachen begehrten Rechtshülfe, wenn es sich nicht blos von einfachen Behändigungen handelt, entscheiden die betreffenden Staatsprocuratoren, an welche die deshalbigen Ersuchen zu richten, beziehungsweise abzugeben sind. §. 78. Sollte es sich hierbei um eine, nicht durch Staatsverträge zugesicherte, Vollstreckung von Strafurtheilen, oder Sistierung diesseitiger Unterthanen als Angeklagter oder Auskunftspersonen handeln, so hat der Staatsprocurator die Entscheidung des Generalstaatsprocurators, und dieser, wenn er es für geeignet hält, eine Entschließung des Justizministeriums einzuholen. §. 79. Der Staatsprocurator ist befugt, die unteren Beamten der Staatsbehörde und die Untergerichte seines Bezirkes allgemein zu ermächtigen, auf Ersuchen bestimmter

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Gattungen aus einzelnen Ländern, statt seiner nach den ihnen mitzutheilenden Grundsätzen zu verfügen. §. 80. In Civilsachen werden die in der Verordnung vom 25sten April 1826 den Obergerichten zugewiesenen, auf die Rechtshülfe bezüglichen Geschäfte durch die Ordnungskammer des Obergerichtes (siehe §. 87) besorgt. §. 81. Hinsichtlich der unter verschiedenen Behörden des Inlandes zu gewährenden Rechtshülfe bleibt das bisherige Verfahren bestehen. Die nur auf Behändigungen gerichteten Ersuchen sind von den Secretaren oder Actuaren der requirirten Gerichte zu erledigen. §. 82. Die Leitung sämmtlicher Strafanstalten soll künftig lediglich dem Justizministerium zustehen, welches die deshalbigen Geschäfte einem oder mehreren Beamten der Staatsbehörde zuweisen wird. §. 83. Wegen Beschaffung der Localitäten, des Inventars und des zur Geschäftsführung erforderlichen Materials, sowie wegen der hierbei vorkommenden Rechnungsführung haben die Untergerichte und die bei diesen bestellten Beamten der Staatsbehörde, die letzteren auch hinsichtlich der Untersuchungsgefängnisse, durch Vermittelung der Staatsprocuratoren, und diese, sowie die oberen Gerichte und der Generalstaatsprocurator unmittelbar ihre Anträge an das Justizministerium zu richten, und von diesem in gleicher Weise Verfügung zu erhalten. §. 84. In einzelnen Rechtssachen gehört den Gerichten oder deren einzelnen Kammern, vor welchen jene verhandelt werden, die Aufsicht und Disciplin über die ihnen dienstlich untergeordneten Personen, mit Beobachtung der den einzelnen Behörden eingeräumten Disciplinarstrafbefugniß. Die Untergerichte haben in Fällen, die eine höhere Disciplinarstrafe erfordern, die Sachen an die Ordnungskammern der Obergerichte (s. §. 87) einzusenden. §. 85. Die Aufsicht und Disciplin über die Untergerichtsactuare steht dem betreffenden Unterrichter unter Ausschließung einer Mitwirkung der Staatsbehörde zu. §. 86. Ebenso sind die Angelegenheiten, welche in Bezug auf die Bestellung der Hülfsbeamten, Gerichtsdiener und Gefangenenwärter, der Verpflichtung und Dienstanwei-

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sung derselben, der Ertheilung allgemeiner Dienstvorschriften an dieselben, der Pensionirung, Suspension, Einleitung gerichtlicher Untersuchung, der Entlassung, und der Disciplin im Allgemeinen bei den Untergerichten vorkommen, von dem Unterrichter allein zu besorgen. §. 87. Alle nicht vor die volle Versammlung des Obergerichtes gehörenden Geschäfte in allgemeinen Dienstangelegenheiten (s. §. 92), insbesondere die Aufsichtführung und Disciplin über die dem Obergerichte untergebenen Beamten und Diener, sowie die Vorbereitung der in voller Versammlung zu fassenden Beschlüsse gehören bei jedem Obergerichte vor eine Ordnungskammer, welche aus dem Obergerichtsdirector, einem vom Justizministerium zu bestimmenden Obergerichtsrath einer Civilkammer, und dem leitenden Staatsprocurator bestehen soll. §. 88. Der zur Ordnungskammer gehörende Obergerichtsrath ist dem regelmäßigen Wechsel (§. 40) nicht unterworfen. §. 89. In der Ordnungskammer ist der Staatsprocurator in allen die Strafrechtspflege betreffenden, und der Obergerichtsrath in allen übrigen Sachen ständiger Referent. Dieselben haben auch nach dieser Geschäftstheilung den Vortrag in der vollen Versammlung in den dahin gehörigen Sachen. §. 90. Diesen Referenten sind auch die gemäß §. 84 gefaßten Beschlüsse anderer Kammern des Obergerichtes vor der Ausführung zur Kenntnißnahme, und damit sie etwaige Bedenken zur nochmaligen Berathung bringen können, vorzulegen. §. 91. In der Ordnungskammer bedarf es einer Berathung und Beschlußfassung durch deren sämmtliche Mitglieder nicht, wenn der Referent die von ihm beantragte Verfügung für unbedenklich hält, und der Obergerichtsdirector sich hierin, und auf die Verfügung einverstanden erklärt. Die Suspension eines geringeren Dieners kann jedoch nur auf deßhalbige Berathung sämmtlicher Mitglieder der Ordnungskammer beschlossen werden. §. 92. Über folgende Angelegenheiten der Dienstordnung in Betreff der dem Obergericht untergeordneten Beamten und Diener wird in voller Versammlung des Collegs, an welcher auch die Staatsprocuratoren mit Stimmrecht Theil zu nehmen haben, beschlossen:

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1) über die Feststellung von Dienstqualificationen und Aufstellung deshalbiger Tabellen; 2) über die nach §. 49 erforderliche Bezeichnung der zur Aushülfe in die Obergerichte heranzuziehenden Unterrichter; 3) über Dienstanstellungen und Vorschläge zu Ernennungen; 4) über Ertheilung von Dienstanweisungen und allgemeinen Dienstvorschriften; 5) über die Einleitung des Besserungsverfahrens in jedem Grade; 6) über die Einleitung einer Disciplinaruntersuchung auf den Grund des §. 47 des Staatsdienstgesetzes vom 8ten März 1831; 7) über die Einleitung gerichtlicher Untersuchung gegen Staatsdiener; 8) über die Erklärung der Unbrauchbarkeit von Staatsdienern gemäß §. 53 des Staatsdienstgesetzes; 9) über die Suspension landesherrlich rescribirter Diener; 10) über Pensionirung und Entlassung geringer Diener; 11) über allgemeine, den Geschäftsgang im Colleg betreffende Bestimmungen, und 12) über besonders vom Justizministerium dahin verwiesene und von der Ordnungskammer dahin gebrachte Angelegenheiten. §. 93. Die Dienstordnung hinsichtlich der Secretare, Repositare, Kanzlisten und Pedellen des Oberappellationsgerichtes ist von diesem und dem mit Stimmrecht an den deshalbigen Berathungen und Beschlüssen Theil nehmenden Generalstaatsprocurator zu handhaben. §. 94. Die vorbereitenden Verhandlungen hinsichtlich der Begnadigungen, sowie der, dem Landesherrn oder dem Justizministerium zustehenden, Dispensationen und ähnlichen Entschließungen in Rechtsangelegenheiten, welche bisher durch die Gerichte besorgt wurden, gehören in Strafsachen künftig zu den Geschäften der Staatsbehörde, in allen übrigen Fällen aber vor die Civilkammern der Obergerichte, welche die etwa weiter erforderliche Instruction durch die Untergerichte aufnehmen lassen. In gleicher Weise kann bei sonstigen Geschäften auf Anordnung des Justizministeriums eine Vorbereitung durch die Gerichte oder die Staatsbehörde eintreten. §. 95. Die Visitationen der Gerichte und der Beamten der Staatsbehörde bei den Gerichten werden durch das Justizministerium besonders angeordnet.

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III. Vorübergehende Bestimmungen. §. 96. Für die Zeit bis zum 1sten Januar 1852 können zur Versehung der Geschäfte des Generalstaatsprocurators und der Staatsprocuratoren Mitglieder der Obergerichte oder Unterrichter vom Justizministerium beauftragt werden. Während der Dauer dieses Auftrages werden solche Mitglieder der Obergerichte in der im §. 26 bestimmten Zahl derselben nicht mitgerechnet. §. 97. Bis zu demselben Zeitpuncte ist das Justizministerium befugt, Unterrichter zur Theilnahme an den Geschäften der Obergerichte zu beauftragen, insbesondere auch wenn die sämmtlichen Geschäfte dieser Obergerichte, selbst bei vollständiger Besetzung derselben mit der gesetzlich höchsten Zahl der Mitglieder, durch diese nicht erledigt werden können. §. 98. Ferner soll bis dahin der im §. 40 bestimmte regelmäßige Wechsel der Mitglieder der Obergerichte nur auf besondere Anordnung des Justizministeriums eintreten. §. 99. In Betreff der Bearbeitung der nach den bisherigen Proceßgesetzen zu verhandelnden Sachen ist bis zu deren Erledigung nach der bisherigen Geschäftseinrichtung zu verfahren. Bei den Obergerichten und dem Oberappellationsgerichte kann mit Genehmigung des Justizministeriums diese Bearbeitung besondern Abtheilungen zugewiesen werden. §. 100. Die in diesem Gesetze enthaltenen Bestimmungen treten vom 1sten Februar 1849 an in Wirksamkeit. Urkundlich Unserer allerhöchsteigenhändigen Unterschrift und des beigedrückten Staatssiegels gegeben zu Cassel am 31sten Oktober 1848. Friedrich Wilhelm (St. S.)

Anhang 5 Provisorisches Gesetz vom 22sten Juli 1851, abändernde Bestimmungen über Organisation der Rechtspflege und das Verfahren in Strafsachen sowie in bürgerlichen Rechtsstreiten enthaltend. Von Gottes Gnaden Wir Friedrich Wilhelm der 1ste, Kurfürst etc., etc. erlassen da das im Jahre 1848 eingeführte Strafprozeßverfahren zu einer nutzlosen Geschäftsüberhäufung der Gerichte geführt hat, eine entsprechende Vertheilung der richterlichen Geschäfte auch eine wesentliche Verminderung des Richterpersonals und eine Ermäßigung der Staatsausgaben zulässig macht, sowie endlich die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit der Civilrechtspflege zur Ausführung kommen kann, nach Anhörung Unseres Gesammtstaatsministeriums und mit Zustimmung der beiden Commissare von Oesterreich und Preußen, als der durch Bundesbeschluß vom 11ten v. M. dazu bevollmächtigten hohen Regierungen, nämlich des Kaiserl. Königl. Oesterreichischen Feldmarschalllieutenants Grafen von Leiningen-Westerburg und des Königl. Preußischen Staatsministers Uhden, unter dem Vorbehalte der demnächst einzuholenden landständischen Zustimmung, folgendes provisorische Gesetz: I. Bestimmungen hinsichtlich der Gerichtsorganisation. §. 1. Als Gerichtsbehörden sollen bestehen: das Oberappellationsgericht, Obergerichte, Criminalgerichte und Justizämter, welchen das Stadtgericht zu Cassel überall gleichsteht. Es soll hierdurch in den besonderen Gerichtseinrichtungen keine Aenderung eintreten, deren im §. 1 des Gesetzes vom 31sten October 1848, über die Einrichtung der Gerichte etc., Erwähnung geschieht. §. 2. Mündliches und öffentliches Gerichtsverfahren bildet in Strafsachen, wie in bürgerlichen Rechtsstreiten hinsichtlich der zum Zweck der Entscheidung stattfindenden Verhandlungen, die Regel.

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In unterer Instanz soll die Strafrechtspflege von den Justizämtern und Criminalgerichten, sowie von Schwurgerichten, die bürgerliche Gerichtsbarkeit von den Justizämtern ausgeübt werden. Die Ausnahme von dieser Regel bestimmt dieses Gesetz. §. 3. In Strafsachen haben die Untergerichte zu erkennen: ohne Beschränkung des Strafmaßes über die im §. 11 des oben §. 1 bezeichneten Gesetzes unter 2, b bis einschließlich e erwähnten Gesetzesuebertretungen, und außerdem hinsichtlich solcher Vergehen, welche mit einer Geldstrafe von 50 Thalern (einschließlich eines etwaigen Confiscates), mit dreimonatlicher Gefängniß- oder zweimonatlicher Zwangsarbeitshausstrafe, mit Arbeitsstrafe, oder mit einer geringeren Strafe gleicher Art im betreffenden Falle zu belegen sind (vergl. jedoch unter §. 5, pos. 1). In untergerichtlichen Strafsachen sind auch die erforderlichen Ersuchen an Behörden des Auslandes (vergl. §. 76 des eben gedachten Gesetzes) durch das Gericht zu erlassen. §. 4. Criminalgerichte sollen zu Cassel, Eschwege, Rotenburg, Fritzlar, Marburg, Rinteln, Fulda, Schmalkalden und Hanau ihren Sitz haben und die in der Anlage bemerkten Untergerichtsbezirke umfassen. Ein Criminalgericht besteht aus einem geschäftsleitenden Vorstande (Criminalgerichtsdirector oder Criminalrichter), sämmtlichen Unterrichtern des Criminalgerichtsbezirkes und dem, nach Bedürfniß etwa jenem Gerichte beigegebenen ständigen Assessor. Für die Protokollführung wird ein Secretar bestellt. Die Dienergeschäfte sind in der Regel von einem Unterbedienten am Sitze des Criminalgerichts zu besorgen. Der Vorstand des Criminalgerichts übt bei diesem die in den §. §. 85. und 86 des oben §. 1 bezeichneten Gesetzes den Unterrichtern, wozu in dieser Hinsicht auch der Stadtgerichtsdirector gehört, übertragenen Befugnisse aus. Ein Stellvertreter für den Vorstand eines Criminalgerichts wird, in der Regel aus der Zahl der übrigen Mitglieder desselben, durch das Justizministerium bestimmt. Das Criminalgericht übt seine Gerichtsbarkeit in einem aus dem Vorstande und zwei weiteren Gerichtsmitglieder bestehenden Collegium aus. Der zu einem Criminalgerichte bestellte ständige Assessor hat auch auf Requisition des Staatsprocurators in schwurgerichtlichen Sachen Untersuchungshandlungen vorzunehmen.

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Anhang 5

Ein Unterrichter, welcher in einer von dem Criminalgerichte abzuurtheilden Sache die Voruntersuchung geführt hat, kann in dieser Sache an den Verhandlungen und an der Entscheidung bei dem gedachten Gerichte nicht Theil nehmen. Die Vornahme einzelner Untersuchungshandlungen schließt dagegen von dieser Theilnahme nicht aus. §. 5. Die Criminalgerichte haben zu erkennen auf mündliche Verhandlungen in erster Instanz: 1) hinsichtlich aller Anklagen wegen Majestätsbeleidigung, Aufruhrs, Preßvergehens (vergl. jedoch §. 22 des Gesetzes vom 26sten August 1848 wider Preßvergehen), sowie wegen der im ersten und zweiten Rückfalle verübten und der gefährlichen Diebstähle, – und zwar ohne Rücksicht auf das Maas der verwirkten Strafe. 2) außerdem hinsichtlich der nicht zur Competenz der Untergerichte gehörigen Strafsachen, insoweit für dieselben nicht eximirte Gerichtsstände (vergl. §. 24 und §. 59, pos. 3 des oben §. 1 erwähnten Gesetzes) eintreten, oder die Schwurgerichte (vergl. §. 14 dieses Gesetzes) zuständig sind. §. 6. Zur Ausübung der Rechtspflege im zweiter Instanz für die aus der Anlage ersichtlichen Justizämter und Criminalgerichtsbezirke bestehen Obergerichte zu Cassel und Fulda. Dieselben haben innerhalb ihres Bezirks ausschließlich die Rechtspflege in erster Instanz nach den Bestimmungen des §. 5, pos. 2 und §. 54 dieses Gesetzes zu verwalten. Auch bildet eine aus Mitgliedern des Obergerichts bestehende Abtheilung den Anklagesenat für Schwurgerichtssachen. Die Obergericht werden mit einer, dem Umfang ihrer Geschäfte entsprechenden, Anzahl von Mitgliedern besetzt. §. 7. Die Geschäfte der Civilrechtspflege werden bei den Obergericht von einem Civilsenate und die der Strafrechtspflege von einem Criminalsenate besorgt. Die öffentlichen Sitzungen des Obergerichts, sowie die Sitzungen des obenerwähnten Anklagesenats müssen von fünf Gerichtsmitgliedern abgehalten werden. Ausnahmsweise bedürfen Sitzungen, in welchen auch ergriffene Rechtsmittel gegen strafrechtliche Entscheidungen der Untergerichte verhandelt und entschieden wird, nur der Mitwirkung von drei Richtern.

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§. 8. Jeder Senat eines Obergerichts hat einen Vorstand, dessen Bestellung für den Criminalsenat durch Uns erfolgt. §. 9. Die Stellvertretung des Obergerichtsdirectors in den allgemeinen Geschäften richtet sich nach dem Range der Obergerichtsmitglieder überhaupt, hinsichtlich der speziellen Vorstandsgeschäfte in einem Senate aber nach dem Range der dem letzteren angehörenden Mitglieder. §. 10. Die im §. 29 des oben §. 1 erwähnten Gesetzes getroffene Einrichtung wird aufgehoben. §. 11. Den Obergerichtsdirectoren werden die im §. 87 des vorgedachten Gesetzes aufgeführten Geschäfte als Directorialfunctionen übertragen. Auch wird von ihnen Namens des Collegs die Bestellung der Unterbedienten bei den Gerichten des Obergerichtsbezirkes bewirkt. Ihnen stehet die Befugniß zu, sich dabei des Beiraths und der Unterstützung eines oder mehrerer Mitglieder des Collegs zu bedienen. §. 12. Schwurgerichte haben zu erkennen über alle Verbrechen (mit Ausnahme der im §. 5, pos. 1, genannten), welche an und für sich zur Zuständigkeit der Criminalgerichte gehören, aber entweder 1) mit einer mindestens fünfjährigen Festungs-, Zwangsarbeitshaus- oder Zuchthausstrafe, beziehungsweise mit einer mindestens vierjährigen Eisenstrafe, oder 2) mit, den Verlust der Dienst- und Standesehre nach sich ziehender, Dienstentsetzung eines landesherrlich bestellten oder bestätigten öffentlichen Dieners, zu belegen sind, sowie hinsichtlich aller in einem weiteren als dem zweiten Rückfalle (vergl. §. 5, pos. 1 dieses Gesetzes) verübten Diebstähle. Die Zuständigkeit des Schwurgerichts wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß sich nach dem Ergebnisse der Verhandlung eine geringere Strafe als angemessen darstellt. Statt der schwurgerichtlichen Aburtheilung eines Straffalles soll jedoch die Zuständigkeit der Criminalgerichte eintreten, wenn ein vollständiges Geständniß des Angeklagten vorliegt, mit welchem keine der ermittelten Thatsachen im Widerspruch stehet. Der Anklagesenat des Obergerichts hat hierüber die erforderliche Entscheidung zu ertheilen.

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Anhang 5

§. 13. Der Anklagesenat ist befugt, die mit einem vor das Schwurgericht zu verweisenden Verbrechen eines Angeklagten im Zusammenhange stehenden, aber an sich selbstständigen und ihrer Beschaffenheit nach nicht schwurgerichtlich zu behandelnden Vergehen andere Angeklagten von Erkennung der Anklage (vergl. §. 189 des Gesetzes vom 31sten October 1848, die Umbildung des Strafverfahrens betreffend) auszunehmen und an das sonst zuständige Gericht zu verweisen. §. 14. Schwurgerichte sollen in der Regel in jedem Kalendervierteljahr für einen jeden Criminalgerichtsbezirk an dessen Hauptorte abgehalten werden. Der Anklagesenat des Obergerichts hat jedoch die Befugniß, auf Antrag des Staatsprocurators die Abhaltung des Schwurgerichts an einem anderen, auch außerhalb des betreffenden Criminalgerichtsbezirkes belegenen Orte anzuordnen, wenn von der Verhandlung der Sache an dem obigen Hauptorte des Criminalgerichts eine Störung der öffentlichen Ordnung zu befürchten steht. §. 15. Der Obergerichtsdirector hat zum Vorsitzenden des Schwurgerichts entweder ein Mitglied des Criminalsenats, welches bei Ertheilung des Anklageerkenntnisses nicht mitgewirkt hat, oder den Dirigenten eines Criminalgerichts im Obergerichtsbezirke und die sonst erforderlichen zwei Richter aus der Zahl der Mitglieder des Criminalgerichts zu bestimmen. Derjenige Richter jedoch, welcher die Voruntersuchung geführt hat, kann im Schwurgericht nicht mitwirken. Das erforderliche Personal für die Secretar-, Repositur-, Kanzlisten- und Pedellengeschäfte wird in der Regel aus demjenigen des Criminalgerichts oder eines Untergerichts am Orte der Abhaltung nach Anordnung des Sitzungspräsidenten entnommen. §. 16. Die Geschworenen erhalten keine Tagegelder. §. 17. Das Oberappellationsgericht (§. 59 des oben §. 1 erwähnten Gesetzes) wird mit einer, nach Maaßgabe des Umfanges seiner Geschäfte zu bestimmenden, Anzahl von Räthen besetzt. §. 18. Die Geschäfte desselben werden in Civilsachen von einem Civilsenate und in Strafsachen von einem Criminalsenate besorgt. Die Vertheilung der Mitglieder in die Senate wird von dem Justizministerium angeordnet.

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Bei Entscheidungen des Oberappellationsgerichts, welche auf vorausgegangene öffentliche Verhandlungen ertheilt werden, ist die Mitwirkung von sieben Gerichtsmitgliedern erforderlich. Alle sonstigen Geschäfte werden von einem aus fünf Mitgliedern bestehenden Collegium erledigt. Einer gleichen Anzahl bedarf es auch nur bei den öffentlichen Verhandlungen und den darauf erfolgenden Entscheidungen über erhobene Nichtigkeitsbeschwerden wegen Verletzung von Förmlichkeiten des Processes (vergl. §. 356 des oben §. 13 angeführten Gesetzes und §. 48, pos. 1 dieses Gesetzes). §. 19. Der Präsident des Oberappellationsgerichts behält die Geschäftsleitung in allen Civilsachen. Auch ist von demselben die Dienstordnung hinsichtlich der Subalternbeamten und Diener des Gerichts zu handhaben. Für den Criminalsenat wird von Uns ein Vorstand bestellt werden, wenn der Präsident nicht selbst demselben vorsteht. §. 20. Bei dem Oberappellationsgerichte leiden hinsichtlich der Stellvertretung die Bestimmungen des §. 9 dieses Gesetzes Anwendung. §. 21. Die Geschäfte eines öffentlichen Anklägers werden bei den Untergerichten versehen: 1) in dem im §. 199 des oben §. 13 citirten Gesetzes unter 1,2 und 3 bezeichneten Strafsachen von einem durch seine Oberbehörde zu beauftragenden Finanz- beziehungsweise Baubeamten; 2) in den anderen Fällen des erwähnten §. 199 vom dem Ortsvorstande, in dessen Bezirke die angezeigten Vergehen verübt sind, oder von dessen Stellvertreter; 3) in allen übrigen Sachen von dem Landrathsamte des Bezirks (vergl. übrigens §. 3, Absatz 2 der Verordnung vom 7ten Juli d. J.), welches befugt ist, für die einer augenblicklichen Erledigung bedürfenden Geschäfte an den außerhalb seines Sitzes belegenen Gerichtshauptorten den Ortsvorstand oder einen anderen geeigneten öffentlichen Diener sich zu substituiren. Außerdem ist in einzelnen Sachen Jeder, der vom Staatsprocurator hierzu schriftlich bevollmächtigt worden, für die Geschäfte des untergerichtlichen Anklägers zuständig. §. 22. Der bei dem Obergerichte bestellte Staatsprocurator hat auch die Geschäfte der Staatsbehörde bei den Schwurgerichten, sowie bei den Criminalgerichten des Obergerichtsbezirkes zu besorgen, zu welchem Zweck er sich jedoch der ihm beigege-

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benen, am Criminalgerichshauptorte wohnenden Gehülfen oder Substituten bedienen kann. Diese Substituten können auch aus dem an diesem Orte befindlichen Unterrichterpersonal genommen werden. §. 23. Die Beamten der Staatsbehörde sind in ihrer Amtsführung der Aufsicht des Generalstaatsprocurators, sowie dieser der des Justizministeriums unterworfen und erleidet hiernach der §. 75 des oben §. 13 citirten Gesetzes die entsprechende Abänderung. II. Bestimmungen für das Verfahren in Strafsachen. §. 24. Die Thätigkeit der Untergerichte tritt in den zu ihrer Competenz gehörigen Strafsachen nur ein: 1) im Falle der eigentlichen Anklage durch den öffentlichen Ankläger, 2) im Falle der Anklage durch den Verletzten, 3) im Falle eines Antrags des untergerichtlichen Anklägers wegen Vornahme von Ermittelungen, um über die Person des Thäters oder das Vorhandenseyn eines Vergehens Gewißheit zu erhalten. Die Anklage kann bei den Untergerichten schriftlich und mündlich angebracht werden. §. 25. In dem vorbemerkten Falle unter 1 ist eine schriftliche Anklage erforderlich, in welche ein wenn auch nur allgemeiner Strafantrag (vergl. jedoch §. 202 des oben §. 13 erwähnten Gesetzes aufzunehmen ist. Bei dem Falle unter 2, in welchem die Anklage stets von dem Actuar zu Protokoll zu nehmen ist, braucht vor Erkennung einer öffentlichen Strafe (§. 6 a. a. O.) der öffentliche Ankläger nicht gehört zu werden. In dem Falle unter 3 endlich hat der Unterrichter eine Ermittelung zum Zweck der Vorbereitung einer Anklage eintreten zu lassen, auch ist, wenn es sich um die im §. 7 des eben citirten Gesetzes erwähnten Fälle handelt, der dort gedachte Antrag in solchem Verfahren aufzunehmen. Wird dem Richter beim Eingange der Anklage zugleich der Angeklagte vorgeführt, und gesteht derselbe die ihm angeschuldigte That, oder sind die Beweismittel für die Anklage und Vertheidigung zur Hand, so hat der Richter in der Regel auf der Stelle die Untersuchung zu führen und das Urtheil zu fällen. Ist der Angeklagte verhaftet, so muß dessen Vorführung beim Eingange der Anklage sofort geschehen.

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§. 26. Die Untergerichte können ein Erkenntniß, wodurch sie sich für incompetent erklären oder die Zurückweisung der Anklage überhaupt verfügen, auch ohne vorgängige mündliche Verhandlung aussprechen. §. 27. Die von dem Untergerichte verfügten Vorladungen sind von diesem, gleich allen richterlichen Verfügungen und Benachrichtigungen, selbst zum Vollzuge zu bringen. §. 28. Bei den Untergerichten wird der Verhandlungstermin abgehalten auch wenn der öffentliche Ankläger nicht erscheint und findet im Uebrigen das Verfahren in der bisherigen Weise ohne weiteren Strafantrag statt. Ueber Privatansprüche ist indessen nur alsdann zu verhandeln und zu erkennen, wenn die Anzeige einen deshalbigen Antrag enthält, oder der Beschädigte im Verhandlungstermine einen solchen vorbringt. §. 29. Das Mandatsstrafverfahren (vergl. §. 215 des oben §. 13 citirten Gesetzes), dessen Anwendung von einem darauf gerichteten Antrag des öffentlichen Anklägers nicht abhängig ist, soll auch in Schulversäumnißfällen und bei den zur Competenz der Untergerichte gehörigen Vergehen gegen die Rekrutirungsgesetze eintreten. Außerdem soll die glaubhafte Nachweisung eines außergerichtlichen Geständnisses den im §. 215 a. a. O. erwähnten Anzeigen gleichstehen. Wird von dem Verurtheilten auf Abhaltung des Verhandlungstermins angetragen, so verliert das Mandat seine Wirksamkeit. §. 30. Die Befugniß, eine Anzeige nach den Bestimmungen des §. 147 des oben §. 13 citirten Gesetzes beruhen zu lassen, soll nur den im §. 21 unter pos. 1 und 3 dieses Gesetzes erwähnten Beamten zustehen. §. 31. Den Untergerichten liegt die Vollziehung aller von ihnen ertheilten Straferkenntnisse ob. §. 32. Alle Anzeigen, welche sich nicht zur untergerichtlichen Verfolgung eignen, gehören an den Beamten der Staatsbehörde bei dem Criminalgerichte des Bezirks. §. 33. Der Beamte der Staatsbehörde kann jedes Untergericht im betreffenden Criminalgerichtsbezirke um Vornahme der etwa erforderlichen Voruntersuchung (vergl.

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§. 150 folg. des oben §. 13 angeführten Gesetzes) ersuchen; in der Regel ist aber dieses Ersuchen an den Unterrichter, in dessen Bezirke das Verbrechen verübt wurde, zu richten. In schwurgerichtlichen Sachen ist jener Beamte befugt, auch den etwa bei dem Criminalgerichte bestellten Assessor um Vornahme des Instructionsverfahrens zu requiriren. Sämmtliche Untergerichte haben auf Begehren des gedachten Staatsbeamten einzelne Ermittelungen (vergl. §. 148 a. a. O.) vorzunehmen. §. 34. Auf die von der Staatsbehörde an den Vorstand des Criminalgerichts mit den Acten abzugebende Anklage hat der letztere entweder 1) solche Punkte, deren Erledigung durch das Terminsverfahren nicht thunlich erscheint, zum Zweck vorgängiger Erledigung unter Rückgabe der Acten der Staatsbehörde zu bezeichnen, oder 2) sofort den Verhandlungstermin unter Erlaß der entsprechenden Vorladung anzusetzen, auch die von ihm für erforderlich gehaltenen weiteren Zeugen vorzuladen, oder 3) eine geheime Sitzung des Criminalgerichts zum Zweck der sofortigen Zurückweisung der Anklage als rechtlich nicht begründet, oder wegen Unzuständigkeit des Gerichts als dahin nicht gehörig anzusetzen; der dieser Voraussetzung entsprechende Beschluß ist als ein Erkenntniß den Parteien schriftlich zuzufertigen. §. 35. Zur Aburtheilung einer vor dem Criminalgerichte zur Verhandlung gekommenen Strafsache ist jenes nach näherer Bestimmung des Strafprozesses auch befugt, wenn nach dem Ergebnisse der gerichtlichen Verhandlung nur eine zur untergerichtlichen Zuständigkeit gehörige Strafe zu erkennen ist. §. 36. Zum ZweckE der Auswirkung des Anklageerkenntnisses hat der Staatsprocurator die Acten mit seinem deshalbigen Antrage dem Vorstande des Anklagesenats des Obergerichts vorzulegen. In einer geheimen Sitzung des Anklagesenats, welcher der Staatsprocurator beizuwohnen hat, ist, nachdem letzterer vor der Berathung mit seinem Antrage gehört worden, über jenes Erkenntniß zu beschließen. §. 37. Der Anklagesenat hat, insofern er nicht zunächst eine Vervollständigung der Voruntersuchung für erforderlich erachtet, entweder die schwurgerichtliche Anklage, jedoch ohne Mittheilung von Entscheidungsgründen, zu erkennen, Anfertigung des Anklageacts anzuordnen und die Sache vor das gesetzlich bestimmte Schwurgericht zu verweisen, oder den Antrag auf Erkennung der Anklage mit Wirkung der Freisprechung zurückzuweisen oder die Verweisung vor ein anderes Gericht auszusprechen.

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Die Verweisung vor ein Criminalgericht oder Untergericht ist für dieses nach den Bestimmungen des §. 24 des §. 13 citirten Gesetzes bindend. §. 38. Das Anklageerkenntniß wird mit den Acten dem Staatsprocurator zum Zweck der Anfertigung des Anklageacts mitgetheilt und hiervon dem bestellten Vorsitzenden des Schwurgerichts Nachricht gegeben. Der Anklageact ist vom Staatsprocurator unter Anschluß eines Zeugenverzeichnisses und der Acten bei dem erwähnten Vorsitzenden einzureichen. Letzterer läßt das Anklageerkentniß sowie den Anklageact durch einen von ihm zu beauftragenden Sekretar oder Unterrichter dem Beschuldigten vorlesen, denselben über Vollständigkeit des Zeugen- u. Verzeichnisses, von welchem ihm eine Ausfertigung zuzustellen ist, sowie über Bestellung eines Vertheidigers vernehmen und Anträge auf Vervollständigung des Zeugen- u. Verzeichnisses zu Protokoll geben. Dem Angeklagten ist auf Verlangen Abschrift des Anklageacts zuzufertigen. §. 39. Mit der Ladung eines nicht verhafteten Angeklagten zum Verhandlungstermine ist die Warnung zu verbinden: daß im Falle seines Ausbleibens mit der Entscheidung in contumaciam verfahren werden solle (vergl. §. 43 dieses Gesetzes). §. 40. Nachdem der Obergerichtsdirector die Anfangszeit der schwurgerichtlichen Sitzungen festgesetzt hat, bestimmt der Vorsitzende des Schwurgerichts die Sitzungstage für die einzelnen Spruchsachen, giebt dem Angeklagten in den erforderlichen Fällen einen Vertheidiger bei, welcher aus den Anwälten oder Vorbereitungsdienern am Orte des Schwurgerichts zu entnehmen ist, macht vor der Verhandlung dem Beschuldigten die bestellten Richter bekannt und verfügt die von beiden Theilen beantragten Vorladungen. §. 41. Die Geschäfte, welche in abgeurtheilten Schwursachen während der Sitzungsperiode nicht zur Erledigung gekommen, – wie Entscheidungen wegen Kosten und Gebühren, Zurückziehung von Strafen gegen ausgebliebene Zeugen oder Geschworene, – sollen, unbeschadet jedoch der fortdauernden Gültigkeit der Bestimmungen der §.§. 425 bis 431 des oben §. 13 citirten Gesetzes, vor das betreffende Criminalgericht, beziehungsweise dessen Dirigenten oder Secretariat gehören. Ebenso liegt dem Criminalgericht das vorbereitende Verfahren für zulässige Rechtsmittel in schwurgerichtlichen Sachen, sowie die Vollziehung der von ihm und von dem Schwurgerichte erkannten Strafen ob (vergl. §. 368 fg. a. a. O.).

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§. 42. Zum Geschworenen kann nur derjenige berufen werden, welcher nicht nur die in dem §. 232 des vorgedachten Gesetzes bezeichneten Eigenschaften besitzt, sondern auch wenigstens ein Jahr in der Gemeinde, in welcher er sich aufhält, seinen Wohnsitz und entweder 12 Thlr. Klassensteuer oder 9 Thlr. Grundsteuer oder 6 Thlr. Gewerbesteuer oder bei Verbindung mehrerer Arten von Steuern nach entsprechendem Verhältniß bezahlt hat. Hinsichtlich der Bildung der Geschworenenliste soll folgendes Verfahren stattfinden: Ein jeder Ortsvorstand sendet die von ihm festgestellte Urliste an das betreffende Landrathsamt ein. Die §.§. 240 bis 242 des oben §. 13 citirten Gesetzes werden aufgehoben. Das Landrathsamt legt die gesammelten Urlisten der Regierung der Provinz (vergl. jedoch Verordnung vom 7ten Juli d. J., §. 21) vor. Die Letztere, bei welcher wegen Uebergehung oder Aufnahme von Personen in den Urlisten Beschwerde geführt werden kann, stellt die Urlisten definitiv fest und fertigt daraus für einen jeden Criminalgerichtsbezirk eine besondere Liste derjenigen von ihr auszuwählenden Personen aus diesem Bezirke an, welche sie zu dem Amte eines Geschworenen für das bevorstehende Geschäftsjahr geeignet erachtet. Wo Theile eines Criminalgerichtsbezirkes in verschiedenen Provinzen liegen, ist für jeden dieser Theile eine besondere Liste aufzustellen. Außerdem wird von der Regierung eine Liste geeigneter Ergänzungsgeschworener aus den Personen zusammengestellt, welche an den Hauptorten der Criminalgerichte oder in deren nächster Umgebung wohnen und deren Zahl nach Ermessen zu bestimmen ist. Vierzehn Tage vor dem Beginn jeder Schwurgerichtsperiode des betreffenden Criminalgerichts sendet die Regierung ein Verzeichniß von 60 in der Jahresliste aufgeführten Personen an den Director des betreffenden Obergerichts, welchem auch die Ergänzungsliste vor dem Beginne des Geschäftsjahres zum Gebrauche während des Laufes desselben mitzutheilen ist. In dem obenbemerkten Falle, wo sich ein Criminalgerichtsbezirk in mehrere Provinzen erstreckt, hat jede Regierung nach Verhältniß der Seelenzahl des zu ihrer Provinz gehörigen Theiles des Criminalgerichtsbezirkes eine entsprechende Anzahl von jenen 60 Personen zu bezeichnen. Der Obergerichtsdirector wählt aus jenem Verzeichnisse sechs- und dreißig nach seinem Ermessen geeignete Personen aus, und diese sechs- und dreißig sind zu Geschworenen bei dem Schwurgerichte für die bevorstehende Sitzungsperiode berufen. Ergänzungsgeschworene sind eintretenden Falls (vergl. §.§. 275 u. 276 a. a. O.) von dem Sitzungspräsidenten aus der Ergänzungsliste durch das Loos zu entnehmen.

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§. 43. Das im §. 55 des oben §. 13 citirten Gesetzes vorgeschriebene Contumacialverfahren soll ohne Rücksicht auf das Strafmaaß auch bei den Criminal- und bei den Schwurgerichten zur Anwendung kommen. Abwesende und flüchtige Angeklagte sind überall im Strafverfahren auf den Antrag der Staatsbehörde mittelst Edictalen vorzuladen. §. 44. Außer den Fällen des §. 352, §. 353, pos. 3 und §. 354 des oben §. 13 erwähnten Gesetzes soll das Rechtsmittel der Berufung nur dem öffentlichen Ankläger zustehen: gegen erkannte Zurückweisung der Anklage (§. 34 und §. 37 dieses Gesetzes) und gegen Verweisung der Sache vor ein anderes Gericht (§. 37). Die vorerwähnten Rechtsmittel des öffentlichen Anklägers sind künftig in allen Fällen nach den Bestimmungen der §.§. 361 bis 364 des oben §. 13 citirten Gesetzes anzuzeigen und einzuführen. §. 45. Der Appellant kann dasjenige, was vom Richter erster Instanz als thatsächlich feststehend angenommen worden ist, nur mittelst neuer Thatsachen oder neuer Beweismittel anfechten, und das Gericht zweiter Instanz hat zu beurtheilen, ob diese neuen Thatsachen und neuen Beweismittel erheblich sind. In allen anderen Fällen findet die Wiederholung der Beweisaufnahme in zweiter Instanz nicht statt. §. 46. Das Rechtsmittel der Wiederaufnahme das Verfahrens soll dem öffentlichen Ankläger auch gegen die Entscheidung eines Criminalgerichts, wodurch die Anklage zurückgewiesen worden ist (vergl. §. 34, pos. 3, dieses Gesetzes), zustehen. §. 47. Einfache Beschwerden (vergl. §. 435 des oben §. 13 angeführten Gesetzes) gehören vor den Criminalsenat des Obergerichts. §. 48. Gegen Erkenntnisse der Obergerichte in zweiter Instanz auf erhobene Beschwerden gegen criminalgerichtliche Entscheidungen soll die Nichtigkeitsbeschwerde an den Criminalsenat des Oberappellationsgerichts stattfinden: 1) wegen Verletzung wesentlicher Förmlichkeiten im Verfahren, und 2) wegen Verletzung eines Strafgesetzes (vergl. §. 52, Abs. 2, dieses Gesetzes).

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§. 49. Dieses Rechtsmittel muß binnen einer peremtorischen Frist von 10 Tagen, vom Tage der Verkündigung oder Behändigung des angefochtenen Erkenntnisses bei dem Gerichte, welches in erster Instanz erkannt hat, mündlich oder schriftlich unter Angabe der Beschwerdepunkte angebracht werden. §. 50. Das Gericht theilt die Beschwerde des Angeklagten dem betreffenden Staatsprocurator und die des letzteren dem Angeklagten zur Gegenerklärung innerhalb einer peremtorischen Frist von 10 Tagen in Abschrift mit und sendet nach Ablauf dieser Frist die Acten, unter Benachrichtigung der Parteien, an den Criminalsenat des Oberappellationsgerichts. §. 51. Die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde erfolgt auf mündlichen Vortrag eines Gerichtsmitgliedes in öffentlicher, den Parteien bekannt zu machender Sitzung, in welcher der Oberstaatsprocurator sowie der Angeklagte oder dessen etwa erschienener Vertreter zu hören sind. §. 52. Ist die Nichtigkeitsbeschwerde auf Verletzung von Förmlichkeiten gegründet, so vernichtet das Oberappellationsgericht, wenn es die Beschwerde für gerechtfertigt erkennt, das angefochtene Urtheil und ordnet die anderweitige Verhandlung und Entscheidung vor dem durch ihn zu bezeichnenden Gerichte an. Ist dagegen die Beschwerde auf unrichtige Anwendung oder auf Nichtanwendung eines Strafgesetzes (§. 48, Nr. 2) gegründet, und erachtet das Oberappellationsgericht dasselbe für gerechtfertigt, so vernichtet es das angefochtene Urtheil und erkennt selbst, was Rechtens, oder verweist, wenn es noch auf thatsächliche Ermittelung ankommt, die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht der betreffenden Instanz. §. 53. Die im §. 79, Abs. 2, des oben §. 13 erwähnten Gesetzes angeordnete Gebühr findet nur zur Entschädigung für an sich angemessene Auslagen und sonstige Vermögensnachtheile, insbesondere für Benachtheiligung im Erwerbe statt. . . . §§ 54 bis 67 . . . (betr. Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreiten) IV. Vorübergehende Bestimmungen. §. 68. Der Tag, von welchem an dieses provisorische Gesetz in Kraft treten soll, werden Wir durch eine zu erlassende Verordnung bestimmen.

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§. 69. Dasselbe leidet Anwendung auf alle Strafsachen, in welchen bis zu jenem Tage ein endliches Erkenntniß noch nicht ergangen ist. Die öffentlichen Ankläger haben solche Sachen vor diejenigen Gerichte zu bringen, welche nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zuständig sind, auch wenn Verweisung vor ein anderes Gericht bereits erkannt seyn sollte. Diejenigen Sachen jedoch, in welchen das Anklageerkenntnis bereits ertheilt ist, sind dem Anklagesenate des Obergerichts vorzulegen, welcher nach den Bestimmungen dieses Gesetzes entweder bei der Anklage es zu belassen und zugleich das dermalen zuständige Schwurgericht zu bezeichnen, oder das Erkenntniß zurückzuziehen und anderweite Aburtheilung anzuordnen hat. Wenn die angefochtenen Erkenntnisse oder Verfügungen vor dem durch die erwähnte Verordnung bekannt gemachten Tage ergangen sind, so bleiben hinsichtlich der Rechtsmittel der Berufung, der einfachen Beschwerde, der nach den §.§. 410 2 und §. 413 des oben §. 13 citirten Gesetzes eintretenden Restitution, sowie hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens in Schwursachen (§.§. 425 und 431 a. a. O.) die seither zuständig gewesenen Gerichte sowie sämmtliche Bestimmungen des Strafprozeßgesetzes bestehen. Die Criminalsenate der Obergerichte sind in diesen Fällen für ihren gesammten dermaligen Bezirk zuständig; auch erkennen dieselben auf Beschwerden gegen den Voruntersuchungsrichter statt der seither bestandenen Rathskammer, ohne daß weitere Beschwerde beim Oberappellationsgerichte stattfindet. Dagegen sind die Rechtsmittel der Restitution und Wiederaufnahme in Uebrigen, sowie die Einsprache bei denjenigen Gerichten anzubringen, welche nach diesem Gesetze für die Entscheidung, gegen welche das Rechtsmittel ergriffen wird, zuständig seyn würden. Wird von einem Gerichte zweiter Instanz ein vor dem obenerwähnten Tage ertheiltes Erkenntniß unter Anordnung weiteren Verfahrens aufgehoben, so hat dasselbe zugleich zu bestimmen, vor welchem, nach diesem Gesetze zuständigen, Gerichte dieses Verfahren stattfinden solle. Urkundlich unserer Allerhöchsteigenhändigen Unterschrift und des beigedrückten Staatssiegels gegeben zu Cassel am 22sten Juli 1851. Friedrich Wilhelm. (St. S.) Die folgende Anlage enthält die Einteilung der Gerichtsbezirke.

412

Anhang 5 Eintheilung der Gerichtsbezirke. A. Obergerichtsbezirk Cassel. I. Criminalgericht Cassel für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)

des Stadtgerichts zu Cassel. „ Justizamts I „ – „ – II „ – „ – III „ – „ – Oberlaufungen. „ – Hofgeismar. „ – Grebenstein. „ – Carlshafen. „ – Sababurg. „ – Zierenberg. „ – Volfmarsen. II. Criminalgericht Eschwege für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10)

„ Justizamts I zu Eschwege „ – II „ – „ – Abterode. „ – Wannfried. „ – Bischhausen. „ – Netra. „ – Witzenhausen. „ – Allendorf. „ – Lichtenau. „ – Großalmerode. III. Criminalgericht Rotenburg für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

„ Justizamts I zu Rotenburg. „ – II „ – „ – Nentershausen. „ – Gontra. „ – Melsungen. „ – Spangenberg. „ – Raboldshausen.

Das provisorische Gesetz v. 22.7.1851 IV. Criminalgericht Fritzlar für die Bezirke 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11)

„ Justizamts Fritzlar. „ – Gudensberg. „ – Jesberg. „ – Wolfhagen. „ – Homberg. „ – Borken. „ – Felsberg. „ – Raumburg. „ – Ziegenhain. „ – Treysa. „ – Neukirchen. V. Criminalgericht Rinteln für die Bezirke

1) 2) 3) 4)

„ Justizamts Rinteln. „ – Obernkirchen. „ – Oldendorf. „ – Rodenberg. VI. Criminalgericht Marburg für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14)

des „ des „ „ „ „ „ „ „ „ „ „ „

Justizamts – Justizamts – – – – – – – – – – –

I zu Marburg. II „ – III zu Marburg. Wetter. Fronhausen. Treis a. L. Kirchhain. Amöneburg. Neustadt. Rauschenberg. Oberaula. Frankenberg. Frankenau. Rosenthal.

413

414

Anhang 5 B. Obergerichtsbezirk Fulda. VII. Criminalgericht Fulda für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13)

„ Justizamts I zu Fulda. „ – II „ – „ – III „ – „ – Neuhof. „ – Großenlüder. „ – Hünfeld. „ – Burghaun. „ – Eiterfeld. „ – I zu Hersfeld. „ – II „ – . „ – Friedewald. „ – Schenklengsfeld. „ – Niederaula. VIII. Criminalgericht Schmalkalden für die Bezirke

1) 2) 3) 4)

„ Justizamts Schmalkalden. „ – Brotterode. „ – Herrenbreitungen. „ – Steinbach=Hallenberg. IX. Criminalgericht Hanau für die Bezirke

1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9) 10) 11) 12) 13) 14) 15) 16)

„ Justizamts I zu Hanau. „ – II „ – „ – Bergen. „ – Bockenheim. „ – Nauheim. „ – Langenselbold. „ – Windecken. „ – Gelnhausen. „ – Bieber. „ – Birstein. „ – Meerholz. „ – Wächtersbach. „ – Schlüchtern. „ – Steinau. „ – Salmünster. „ – Schwarzenfels.

sonstige Verbrechen

andere Fleischesverbrechen

Notzucht

20

83 67

2

Erpressung

Zahl der Diebstähle darunter Rückfällige

2

Raubes

5

3 2

1 7 7

1

1

5

1

15 14

1

1

3

2

6 6

3

Kindesmordes

Brandstiftung

1

1

3

4

4

Hanau

1

1

Fulda

Totschlags

4

Marburg

Morde

1

Rotenburg

1

Kassel

Münzvergehen

Pressevergehen

Landfriedensbruchs

Aufruhrs

Majestätsbeleidigung

Hochverrat

Bezeichnung des schwurgerichtlichen Bezirks

7

3 3

1

1

Rinteln

40

3

117 99

3

4

1

1

16

5

1

4

Summa

Statistik über die schwurgerichtlichen Verfahren in Kurhessen in der Zeit vom 1. Februar 1849 bis 1. Januar 1850

Fundstelle: Kersting, Statistischer Bericht des Generalstaatsprokurators über die Strafrechtspflege in Kurhessen aus der Zeit vom 1. Februar 1849 bis 1. Januar 1850

Zahl der Verurteilten, welche bestraft wurden wegen

Anhang 6 Statistik

Anhang 6

1 1 3 7 4 14 6 3

2 1 4

1

16

78 3

32

82 4

15

3 7 3 10 14 9 2

Rotenburg

1

Kassel

4 1 5

2

24 3

9

17

3

Marburg

4 2 8 7 1

2

36 8 1 1

14

60

10

Fulda

2 5 5

1 1

4

21 6

9

26

5

Hanau

1 1

1

5

3

1

7

2

1

1

Rinteln

0 6 11 9 20 33 26 3

182 3 1 28

69

195 9

39

3

3

0

Summa

Fundstelle: Kersting, Statistischer Bericht des Generalstaatsprokurators über die Strafrechtspflege in Kurhessen aus der Zeit vom 1. Februar 1849 bis 1. Januar 1850

Todesstrafen Lebenslängliche Zuchthaus o. Eisenstrafe männlichen Geschl. weiblichen Geschl. summa Zeitl. Eisenstrafe Zahl der Verurteilten Gesamtbetrag in Jahren Monaten Zeitl. Zuchthausstrafe Zahl der Verurteilten Gesamtbetrag in Jahren Monaten Dienstentsetzungen Andere Strafen Zeitl. Zuchthausstrafe über 20 Jahre von 10 bis 20 incl. von 5 bis 10 incl. von 4 bis 5 incl. von 3 bis 4 incl. von 2 bis 3 incl. von 1 bis 2 incl. unter 1 Jahr

Bezeichnung des schwurgerichtlichen Bezirks

Überblick über die erkannten Strafen der Schwurgerichte in Kurhessen in der Zeit vom 1. Februar 1849 bis zum 1. Januar 1850 416 Anhang 6

Literatur- und Quellenverzeichnis I. Literatur Amrhein, Fritz: Die Entwicklung des hessischen Strafprozessrechts im 18. und 19. Jahrhundert, Diss., Würzburg 1955. Bauer, Anton: Abriß der Gerichtsverfassung des Königreichs Westphalen, Marburg 1811. – Noch einige Worte über die Schuldigsprechung auf Anzeigenbeweis, in: Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, 3. Band, S. 331–354, Karlsruhe 1843. – Ueber gesetzliche Beweistheorie, mit besonderer Rücksicht auf die vorherrschende Richtung des deutschen Strafverfahrens, in: Zeitschrift für deutsches Strafverfahren, Neue Folge, 2. Band, S. 105–135 (mit Anmerkung der Redaction) Darmstadt 1844. Berding, Helmut: Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807–1813, Göttingen 1973. Bettenhäuser, Hermann: Die Entwicklung des Gerichtswesens in Hessen, in: JustizMinisterial-Blatt für Hessen 1964, S. 51–62 (zitiert: Bettenhäuser, Gerichtswesen). – Räuber- und Gaunerbanden in Hessen, in: ZHG, 75/76. Band 1964/65, S. 275–348 (zitiert: Bettenhäuser, Räuberbanden). Borkowsky, Christian: Die Kurhessische Regierung als Gericht vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis zur Reform von 1821, Diss., Frankfurt am Main 1955. Bullik, Manfred: Staat und Gesellschaft im hessischen Vormärz, Wahlrecht, Wahlen und öffentliche Meinung in Kurhessen 1830–1848, Diss. Köln/Wien 1972. Cramer, Doris: Das französische Schwurgericht, Geschichte und Problematik, Diss., Marburg 1968. Demandt, Karl E.: Geschichte des Landes Hessen, revidierter Nachdruck der zweiten, neubearbeiteten und erweiterten Aufl. 1972, Kassel 1980. Eberhard, Bernhard: Aus meinem Leben, Erinnerungen des † Oberbürgermeisters von Hanau und Kurhessischem Staatsrates Bernhard Eberhard, in: Hanauer Geschichtsblätter, Neue Folge, Nr. 1, S. 1–71, 1911. Feuerbach, Paul Johann Anselm: Betrachtungen über das Geschwornen – Gericht, Landshut 1813 (zitiert: Feuerbach, Betrachtungen). – Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, 2. Band, Giessen 1825. (zitiert: Feuerbach, Öffentlichkeit und Mündlichkeit).

418

Literatur- und Quellenverzeichnis

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Personenregister Bauer, Anton 43, 67 Bauer, Johann Phillip 241 f. Baumbach, Moritz Ernst 147 (Fn. 593), 194, 198 Bayrhoffer, Carl Theodor 233 f., 239, 240 (Fn. 904), 243 Beccaria 26 Berlepsch, Friedrich Ludwig von 60, 79, 104 Bernardi, Karl 156 Beste, Friedrich Wilhelm 128 (Fn. 507) Bickell, Johann Wilhelm 183, 191 (Fn. 748), 193 Bode, Johann Conrad 114, 120 Buttlar, Rudolf von 166, 172 Dedolph, George 151 Duysing, Wilhelm 151, 208 Eberhard, Bernhard 193, 199 (Fn. 783), 233, 237 (Fn. 894) Eggena, Karl Michael 126, 132, 148, 228 Feldmann, Christian 156 Feuerbach, Paul Johann Anselm von 23 f., 28, 30 ff., 71, 84 ff., 90 f. Förster, Johann Adam 121, 141 Friedrich der Große 19, 20 (Fn. 42) Friedrich Wilhelm I. 144, 181, 193 Geeh, Dietrich Albrecht 156 Gräfin Reichenbach (Emilie Ortlöpp) 120, 126 (Fn. 497), 136, 144 Grimm, Jacob 76 (Fn. 277), 101 f., 104 Günste, Marcus Martin 120, 159

Hahn, Friedrich 128 (Fn. 507), 156, 160 Hanstein, Carl Philipp Emil von 38 f., 65, 75, 77, 106, 180 Hassenpflug, Ludwig 145, 155, 180, 224 f., 228, 230, 232 ff., 240 ff., 246 (Fn. 933 f.), 247 f. Haynau, Wilhelm Karl von 242 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 87 Henkel, Heinrich 105, 138 f., 154, 173 f., 189 ff., 194, 240 (Fn. 904), 243 Jérôme Bonaparte 35, 38, 57, 59, 63, 68 f. Jordan, Sylvester 62 (Fn. 215), 110, 123, 127 ff., 131 (Fn. 520), 132, 137 (Fn. 540), 142, 147 (Fn. 593), 149, 151 f., 154 f., 157 (Fn. 628), 158, 181 ff. Kant, Immanuel 19, 84 (Fn. 314), 87 Kersting, Hermann 209, 229 Koch, Carl Georg 159, 162 Krafft, Friedrich 102, 113 Leist, Justus Christoph 43 ff., 53, 70 Liebenstein, Ludwig von 95 Malsburg, Carl Otto von der 79, 81 Manger, Ludwig von 120 Martin, Siegmund Peter 58 f., 63, 108, 120, 138 Metternich, Clemens Fürst von 69, 93, 112, 120, 143, 192 Mittermaier Carl Joseph Anton 27 (Fn. 70), 119 (Fn. 466), 172, 176, 190

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Personenregister

Möli, Ludwig 248 Montesquieu 21, 45, 88 Möser, Justus 12 (Fn. 4) Murhard, Friedrich 120, 133 Napoleon Bonaparte 22, 34, 36, 39, 57, 60 f., 68 f., 91 (Fn. 339), 98 Nebelthau, Friedrich 168, 174, 197, 208 f., 211, 214, 217 f., 228 ff., 236 Oetker, Friedrich 212, 227, 232, 235 ff. Pfaff, Adam 227, 239 Pfeiffer, Burkhard Wilhelm 101, 116, 123, 147 (Fn. 593), 150, 152, 158 f. Pfeiffer, Karl 156 Philipp der Großmütige 14 (Fn. 15) Porbeck, Otto von 74, 79, 126, 132 Robert, Georg Friedrich Carl 36 (Fn. 100), 43 Ruppersberg, Heinrich Wilhelm Karl 159 Savigny, Friedrich Carl von 178 Scheffer, Friedrich Heinrich Ernst Leopold 163, 170 f., 175, 179, 191 (Fn. 748), 193 Schenck zu Schweinsberg, Ferdinand Carl Freiherr 79, 81, 83, 137, 139, 159

Scheuch, Georg Heinrich 150 (Fn. 599), 151 Schmerfeld, Georg von 79, 96 Schomburg, Karl 127, 129 ff., 149, 151 (Fn. 602) Schwarzenberg, Ludwig 128 (Fn. 507), 146 f., 151, 156, 164, 166 f., 170, 173, 230, 236, 240 (Fn. 904), 243 Schwenken, Carl Philipp Theodor 120, 159 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob 140 ff. Siméon, Joseph-Jérôme 37, 39 f., 43 f., 46, 60 f., 64, 66, 89 Sybel, Heinrich von 236, 239 Toqueville, Alexis de 33 Vilmar, August 147 (Fn. 593), 237 Weidig, Friedrich Ludwig 154 f., 187 Welcker, Carl Theodor 142, 187 Werthmüller, Valentin Joseph 147 (Fn. 593), 151 (Fn. 602) Wilhelm I. (IX.) 17, 19, 34, 72, 76, 78 f., 82 ff., 97, 111 ff. Wilhelm II. 112 f., 122, 126, 133, 144, 181 Wippermann, Carl Wilhelm 165 (Fn. 656), 166 f., 171 f., 189 Wirth, Johann Georg 140 ff.

Sachregister Ablehnung von Geschworenen, Verwerfung von Geschworenen 48, 217 Aktenversendung 14, 18 Anklagegrundsatz, Anklageprozess, Anklageverfahren 18, 148, 152, 164, 166, 168, 173, 176 ff., 193, 204 f., 210 Anklagejury, Urteilsjury, Großjury 22, 31 f., 46 Anklagekammer 223, 236 Anklageschrift, Anklageurkunde 40, 42 (Fn. 131), 46 ff., 50, 51 (Fn. 168), 52, 62 Appellation 37, 54, 171 Aufklärung 18 f. Ausschließungsgründe 213 Außerordentliche Strafe 116 f. Baden, badischer Landtag 29 (Fn. 78), 78, 84, 93 ff., 109 (Fn. 422), 116 (Fn. 455), 135, 153, 172, 177 ff., 196, 206, 249 Bayern 29 (Fn. 78), 78, 84, 93 f., 96, 135, 196, 249 Beleidigung 24, 85, 238 Beratungszimmer 50 Berufsrichter, beamtete Richter, gelehrte Richter, rechtskundige Richter 11, 13 ff., 17 f., 23, 25 ff., 39, 45, 71, 86, 90, 115, 119, 124, 146, 178 f., 190, 230, 246 Bestätigungsrecht 20 (Fn. 42), 73, 81 Beweismittel 31 f., 49, 110 Beweisregel 25 f., 39, 52, 89, 115, 119, 146, 172, 178 f. Beweistheorie, negative Beweistheorie 26, 32, 89, 169, 178, 182 (Fn. 719), 185, 190, 220

Bildung der Jury, Bildung der Geschworenenbank 22, 29 ff., 63, 110, 212, 216 f., 247 Bundesakte 72, 100, 112 Bundesintervention 242 Bundes-Preßgesetz 102 f. Bundes-Universitätsgesetz 106 Bundes-Untersuchungsgesetz 103 Bundeszentralbehörde 155 Burschenschaft, Burschenschaftler, Verbindung 93, 105 ff., 140, 143, Carolina, Constitutio Criminalis Carolina 11 (Fn. 2), 14 f., 19 (Fn. 35), 25, 36, 47, 51, 71, 114 f., 117, 119 (Fn. 465 f.), 121 f., 160, 177, 182, 186 f., 220 Chef der Jury, Vorstand der Geschworenen 50, 206 Code d’instruction criminelle 22, 24, 26, 28 f., 32 (Fn. 89), 41 (Fn. 126 f.), 46, 50, 52 (Fn. 170), 54, 67 (Fn. 239), 196 Code Napoléon 35, 106 Deutscher Bund 72, 112 Diebstahl, Diebstahlsdelikte 24, 52, 56, 181, 229 f., 244, 246 Dingstätte 13 Dörnbergscher Aufstand 58, 63 Dragonaden 242 Drohbriefaffäre 120, 122 f., 133 Einflussnahme durch Vorsitzenden 22, 25, 27, 66 Emminger-Verordnung 249 Endlicher Rechtstag 15 Entbindung von der Instanz 165, 171

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Sachregister

Entschädigung, Aufwandentschädigung, Tagegeld 56, 207, 213, 247 Entscheidungsgründe 27, 46 (Fn. 149), 80, 82 (Fn. 303), 83, 134, 152, 179, 190, 219 Ergänzungsgeschworene 217 Eschwege 35, 38 (Fn. 113), 209, 221, 245 Folter, Tortur 11, 14 (Fn. 15), 19, 25, 71, 115 ff., 160, 178 Fragenkatalog 50 ff. Fragestellung, Formulierung der Fragen 28, 50, 54 (Fn. 177), 218 Frankfurter Wachensturm 154 f., 183 Freie Beweiswürdigung 22, 25 f., 39, 71, 119, 179 Friedensrichter 38, 41 f. Fritzlar 209, 245 Fulda 18, 72 ff., 107 (Fn. 414), 113 f., 221 ff., 245 Fulda-Departement 35, 37 ff., 40 (Fn. 119, 121) Garde-du-Corps-Nacht 199 Geheimer Rat 17 f., 72, 101 Gemeines Recht 115, 176, 185, 198, 241 Generalinquisition 18, 188 Generalprokurator 37 f., 45, 48, 54, 62, 65 f., 77 Gerichtsgebrauch 117, 119, 121 f., 182, 220 Germanistenversammlung, Lübecker Germanistenversammlung 21, 27 (Fn. 70), 181, 189 f. Geschworenenamt, Befähigung zum Geschworenen 29, 212 ff., 246 f. Geständnis 11, 19, 25, 38, 51, 65, 115 ff., 171, 200, 246 Gewaltenteilung, Trennung Verwaltung und Justiz, unabhängige Justiz 17 f., 20 f., 35, 74, 78, 80, 83, 86 ff., 95, 113 f., 122, 133, 222

Gnade, Begnadigung, Begnadigungsrecht 53, 61 f., 64, 75, 80 ff., 93, 127, 134, 146, 206, 220 Großherzogtum Hessen 94 (Fn. 352), 154, 176, 189 Halsgericht 75 f. Hambacher Fest 140, 142, 154 Hanau 18, 35, 72 f., 74 (Fn. 265), 113, 117, 126, 136, 144, 154, 192 f., 195, 222 f., 245 Hanauer Ultimatum 193 Hanauer Zeitung 156 Hersfeld 35 Hessen-Darmstadt 19 (Fn. 35), 78 (Fn. 283) Hinrichtung 75 f. Hochverrat 62 f., 107, 121, 183, 187, 198, 223, 248 (Fn. 939) Hornisse 207 (Fn. 794), 226 ff., 242 (Fn. 912) Humanisierung 18, 71 Immediat-Justiz-Kommission 26, 71, 90 f., 124 Indizien, Anzeigen, künstlicher, mittelbarer, indirekter Beweis 25 ff., 32, 46, 50 f., 53, 115 ff., 174, 178, 182 ff., 219 f. Inquisitionsprozess, Inquisitionsverfahren 11 f., 14, 18, 38, 46, 75, 88, 146, 153, 163 f., 173, 175, 178, 184, 189 Instruktionsrichter 42, 45 Intime conviction, innere Überzeugung 26, 27 (Fn. 71), 39, 41, 49, 52, 67, 146, 164, 179, 183, 219 f. Isenburgische Gebiete 113, 117 (Fn. 460) Juden 247 Julirevolution 1830 107, 109, 125 f., 135

Sachregister Jury, Laienjury, Laienrichter 11 ff., 22 ff., 25 ff., 28, 31 f., 46 f., 50, 53 f., 65, 67, 87 ff., 90 f., 97, 110 f., 124, 130, 135 f., 173, 178, 187 f., 190, 211, 215, 218 f., 239 Kabinettsjustiz 122 f. Kapazitäten 29 f., 213, 216 Karlsbader Beschlüsse 84, 93, 96, 102 f., 105 f. Kassation 54 Kassel 15, 18, 20, 34 f., 37, 55 ff., 59 ff., 73 f., 75 f., 79, 96, 113, 126, 127 (Fn. 503), 136, 144 f., 160, 162 (Fn. 644), 192, 209, 216, 221 ff., 236, 245 Kindstötung 65 Königreich Westphalen 20, 34 ff., 57 Kontumazialverfahren 164 Kriminalgericht, peinlicher Gerichtshof 37 f., 45 ff., 56, 61 ff., 65, 75 Landtag, Landtagsverhandlungen, Ständeversammlung 23, 70 f., 79, 82, 88, 94, 96 f., 104 ff., 131, 137, 139 f., 144 ff., 149, 153, 157 ff., 194, 197, 209, 230, 233, 237 Linksrheinische Gebiete, Rheinlande, Rheinpreußen 26, 30, 34, 61, 64, 90, 92, 175, 188, 195 f., 208, 211, 217 Liste, Geschworenenliste, Ausgangsliste, Hauptliste, Urliste 30 f., 40, 47 f., 55, 209 ff., 215 ff., 225, 247 Marburg 15, 18, 35, 37, 47, 48 (Fn. 156), 54 (Fn. 176), 55 f., 59 ff., 64 f., 67, 73, 75 f., 106, 113, 137, 154, 157, 183 f., 192, 222 ff., 236, 245 Marburger Aufstand 60 f., 63 Märzministerium 193 Meerholz 113, 117 (Fn. 460) Meinungsfreiheit, freie Meinungsäußerung 12, 93, 99, 128

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Militärgericht, Kriegsgericht, Spezialmilitärgericht 59 ff., 63 f., 240 f. Mindestalter 30, 40 (Fn. 121), 47, 213, 246 Ministeranklage 180, 240 Monarchisches Prinzip 112, 126 Mord 24, 50 ff., 230 Mündlichkeit, mündliches Verfahren 20, 27, 70, 83, 95, 109, 134 f., 142, 147 ff., 159, 161, 164, 166 f., 173 ff., 193, 195 f., 204, 208, 221, 233, 244 Neue Hessische Zeitung 227, 232, 235, 241 (Fn. 912) Oberappellationsgericht 20, 76, 113, 117 ff., 133 (Fn. 531), 146, 157 (Fn. 628), 160, 180 ff., 186, 215 ff., 222 f., 229, 241 Oesterley’s Magazin 42, 52 Öffentlichkeit, öffentliches Verfahren 12, 19 f., 27, 44, 70, 73, 76, 82 f., 92, 95 ff., 109 f., 114, 129 f., 132, 134 f., 140, 142, 145, 147 ff., 159, 161, 164, 166 f., 172 ff., 192 f., 195 f., 200 ff., 208, 221, 233, 236, 241, 244 Omnipotence, Allmacht der Jury 22, 28 f., 41 Organisationsedikt 18, 78 f., 113 f., 123 f., 126, 131, 133 Patrimonialgerichtsbarkeit 19 (Fn. 35), 35, 73 (Fn. 258) Paulskirchenverfassung 203 Peinliche Prozessordnung 1808 38, 44 ff., 50, 54, 70, 195 Pressefreiheit 12, 93 ff., 99 f., 102, 105, 125, 127 ff., 134, 144, 157 f., 167, 175, 192 f., 204, 240, 244 Pressegesetz 84, 134, 136, 144 ff., 158, 204, 211, 230 Pressevergehen, Pressedelikte 95, 129 ff., 174, 204 f., 236, 241, 244, 248

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Sachregister

Preußen 17, 26, 29 (Fn. 78), 34, 68, 90, 98, 114, 126, 144 (Fn. 582), 177, 179, 192 f., 242, 249 Provisorische Gesetze 232, 243 ff., 248 Ratskammer 223 Raub, Räuber 51 f., 56 f., 59, 61, 64, 70, 248 (Fn. 939) Räumlichkeiten, Gerichtslokal, Gerichtssaal, Lokalitäten 55, 139, 148, 152 f., 200, 210, 224 f., 227 Regierung, Regierungen Kassel, Marburg und Fulda 17 ff., 72 ff., 102, 113 f., 116 Reinigungseid 49, 171 Restauration 72, 114 Resumé 28, 217 f. Richterliche Unabhängigkeit, unabhängige Gerichte 19 f., 36, 80, 83, 86, 90 f., 93 ff., 124, 128, 133, 172, 210, 221 Rinteln 18, 35, 73, 113, 203, 222, 245 Rotenburg 221 f., 224 (Fn. 850), 245 Schaumburg 35, 72, 113 Schlussverhör, öffentliches Schlussverhör, öffentlich-mündliches Schlussverfahren 178, 199 ff. Schmalkalden 18, 72, 221, 245 Schöffen, Schöffengericht, Ratsschöffen 13 ff., 17, 44, 91 (Fn. 339) Schriftlichkeit, schriftliches Verfahren 14, 36 Septemberverordnungen 240 f. Sondergericht, Sondertribunal, Sonderkommission, Polizeikommissionen, außerordentliche Kommissionen 22, 58, 120 ff., 126, 128, 131, 133, 165, 171, 222, 240, 242 Spezialinquisition 18, 114, 160 Statistik 229 Strafgesetzbuch, Kriminalgesetzbuch, peinliches Gesetzbuch 36, 47, 61,

80 f., 97, 111, 114 f., 117, 125, 128, 145, 158, 160, 162, 164, 169, 176 ff., 197 f., 230 (Fn. 872), 249 Strafschärfung 81 f., 94, 171 Tatfrage, Rechtsfrage, Trennung von Tat- und Rechtsfrage 22 ff., 39, 50 f., 169, 218 Todesstrafe, Todesurteil 15 f., 18, 51, 58 f., 62 ff., 74 (Fn. 263), 76, 80, 116 ff., 122, 182, 220 Totaleindruck 27 Universität Marburg 19, 43, 104, 106 f., 110 Urteiler 13, 25, 115 Verfassung von 1831 71, 124 ff., 133, 144, 158 Verfassung von 1852 241, 243, 248 (Fn. 942) Verfassungsentwurf von 1815/16, Kommissionsentwurf 78 ff., 99 Verfassungsfreund 140 ff., 146, 151, 156 Verteidiger, Verteidigung 47, 67, 133, 152 f., 160, 189 f., 200, 218, 236, 238 Verwahrungen der Stadt Marburg 138 Volksfest 121 (Fn. 477), 140 f., 143 f., 148 Volksgericht 13 Volksrat Hersfeld 198 Volksrat Marburg 195 Volkstümliche Justiz 13 Volkszählung 216 Wahrheitsbeweis, Einrede der Wahrheit 236, 238 Wartburgfest 84, 93, 105 f. Werra-Departement 35, 37 f., 56 f., 60 Wiener Kongress 79

Sachregister Wiener Schlussakte 112, 126 Württemberg 78, 84, 93 f., 96 (Fn. 359), 178, 213, 249 Zensur 69, 71, 95 f., 99 ff., 128 f., 135, 143, 156 f., 189, 192 f. Zensurbehörde 100, 156

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Zensurkommission 100 f., 103 f., 157 Zensurverordnung, Zensurordnung 95, 101 ff. Zensus 29 f., 213 f., 216, 246 Zentraluntersuchungskommission 103, 120 Zusammensetzung der Jury 22, 29 f.