Die deutsche Archivwissenschaft und das »Dritte Reich«: Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre [1 ed.] 9783428554843, 9783428154845

Es ist inzwischen hinlänglich bekannt, dass Untersuchungen von ›NS-Vergangenheiten‹ sich nicht auf die Jahre 1933 bis 19

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Die deutsche Archivwissenschaft und das »Dritte Reich«: Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre [1 ed.]
 9783428554843, 9783428154845

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Die deutsche Archivwissenschaft und das ,Dritte Reich‘ Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre Von Tobias Winter

Duncker & Humblot · Berlin

TOBIAS WINTER Die deutsche Archivwissenschaft und das ,Dritte Reich‘

VERÖFFENTLICHUNGEN AUS DEN ARCHIVEN PREUSSISCHER KULTURBESITZ Herausgegeben von Ulrike Höroldt und Paul Marcus

FORSCHUNGEN Band 17

Die deutsche Archivwissenschaft und das ,Dritte Reich‘ Disziplingeschichtliche Betrachtungen von den 1920ern bis in die 1950er Jahre

Von

Tobias Winter

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Philosophische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlag: Preußisches Geheimes Staatsarchiv. Magazinraum mit Aktenkonvoluten in preußischen „Aktenschürzen“. Foto: A-B-C-Aktuelle-Bilder-Centrale, Georg Pahl (ca. 1931/1938) GStA PK, IX. HA Sammlung Personen, Ansichten und Ereignisse, VII Nr. 1496, Bl. 1 (Bildstelle GStA PK) Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISSN 2364-7973 ISBN 978-3-428-15484-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Bei vorliegendem Buch handelt es sich um die gekürzte und leicht überarbeitete Fassung einer Studie, die im Wintersemester 2016/2017 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. als Dissertation angenommen wurde. Es ist vornehmste Pflicht und größte Freude, abschließend all jenen zu danken, ohne deren Unterstützung und Zuspruch eine solche Arbeit nicht hätte verfasst werden können. Mein erster Dank gebührt Prof. Dr. Willi Oberkrome, meinem langjährigen Mentor und Doktorvater, der mich zum Verfassen dieser Arbeit ermuntert und diese in einem weit über das Erwartbare hinausreichenden Maß betreut hat. Für die Übernahme des Zweitgutachtens und manch hilfreichen Hinweis während der Entstehungszeit der Arbeit danke ich Prof. Dr. Ronald G. Asch recht herzlich. Weiterer Dank gilt Prof. Dr. Wolfgang Hochbruck für die Teilnahme an meiner Disputation. Herrn Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Brüggemeier bin ich zu großem Dank dafür verpflichtet, dass er mich nicht nur an seinem Lehrstuhl angestellt, sondern mir während dieser Zeit bereits eigene Lehrverantwortung übertragen hat. Dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem danke ich herzlich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Forschungen“. Diese Arbeit zu verfassen wäre freilich nicht möglich gewesen ohne vielfältige Archivrecherchen, bei denen ich die Unterstützung zahlreicher Archivarinnen und Archivare erfuhr. Diesen sei ebenso gedankt wie all jenen, die mir mit fachlichem Rat zur Seite standen, das Manuskript kritisch durchgesehen und hilfreiche Anregungen gegeben haben. Neben den zahlreichen Teilnehmern der Kolloquien waren dies vor allem Johanna Bichlmaier, Elena Heim, Peter Itzen, Roman Köster, Manuel Kreckel und Ralf Müller. Für die unzähligen schönen, über den Tellerrand der eigenen Thematik weit hinausreichenden Gespräche bin ich vor allem Fabian Freiseis, Sebastian Kasper, Jan Stoll und Thomas Vordermayer zu großem Dank verpflichtet. All die fachlichen und methodischen Hinweise wären jedoch nicht auf fruchtbaren Boden gefallen, hätten mir nicht zahlreiche gute Freunde ermöglicht, auch in intensiven Arbeitsphasen das richtige Leben nicht aus den Augen zu verlieren. Mein tiefster Dank hierfür gilt Alexander, Benedikt, Daniel, Lukas, Mike und Simon sowie besonders Florian und Vera, Anton und Jos.

6

Vorwort

Mein allergrößter Dank gilt meiner Familie: Meinen Geschwistern, dir mir all die Jahre zur Seite standen, vor allem aber meinen Eltern, die mir Studium und Promotion erst ermöglichten und mich in jeder erdenklichen Hinsicht unterstützten. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Freiburg im Breisgau, im März 2018 Tobias Winter

Inhalt A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik I.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellungen . . . . . . . . . 2. Forschungsstand und Quellenlage a) Forschungsstand . . . . . . . . b) Quellenlage . . . . . . . . . . 3. Methodik . . . . . . . . . . . . .

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19 23 27 27 32 34

B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte. Archivwesen und -wissenschaft über das ‚lange 19. Jahrhundert‘ bis zum Ende des Ersten Weltkriegs II.

Die Vorgeschichte bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ .

43

III.

Der Erste Weltkrieg, 1914–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Deutsche Archivare in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Deutsche Archivare in den besetzten Gebieten des Westens . . . 3. Deutscher ‚Kunstschutz‘ im Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . 4. Tätigkeit und Selbstsicht deutscher Archivare im Ersten Weltkrieg

52 53 59 61 64

C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur – Die Zwischenkriegszeit IV.

Hypotheken des Krieges, Aufschwung und interdisziplinäre Forschung. Das erste Jahrzehnt der Weimarer Republik, 1919–1929 . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Institutionelle und politische Rahmenbedingungen . . . . . . . . a) Folgen des Weltkriegs I: Die Kriegsschuldfrage und der Versailler Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgen des Weltkriegs II: Personelle und finanzielle Einbußen . 2. Disziplininterne Formation und Konstitution der Archivwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Institutionen der Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Archivarsausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Archivare – Beamte, Bildungsbürger, Gelehrte? . . . . . . . .

71 71 71 78 82 82 93 96

8

Inhalt

V.

Professionalisierung und Ausrichtung gen Osten. Der Beginn der Ära Brackmann in der späten Weimarer Republik, 1929–1933 . . . . . . . . . . . . 1. Albert Brackmann, Generaldirektor der preußischen Archivverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung 1930–1933. Gründung, Aufgaben, Personen . . a) Gründung, Struktur und Zulassungsbedingungen des IfA . . . b) Das Lehrpersonal des IfA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Teilnehmer der ersten IfA-Kurse . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte) . . . . . . . . . . a) Gründung, Struktur und Aufgaben der PuSte . . . . . . . . . . b) Die Leitung der PuSte – Brackmann, Papritz, Kohte . . . . . . 4. Die Institutionen der Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VI.

Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? Arbeiten in den ersten Jahren der Diktatur, 1933–1936 . . . . 1. Machtübernahme, Gleichschaltung und NS-Gesetzgebung . . . . 2. Verordnete Gleichschaltung oder Selbstindienststellung der Archivwissenschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Disziplininterne Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wissenschaftliche Tagungen und das PuSte-Vademecum . . . . aa) Der Warschauer Historikerkongress und das vertrauliche Vademecum der PuSte . . . . . . . . . . . bb) Die deutschen Archivtage nach der Machtübernahme 1933 b) Das IfA nach der Machtübernahme . . . . . . . . . . . . . . . 4. Institutionen und Arbeiten der Ost- und Westforschung . . . . . 5. Generationelle Veränderungen und das Ende der Ära Brackmann

VII. Radikalisierung und Mobilmachung? Vom Vierjahresplan bis zum Beginn des Weltkriegs, 1936–1939 . . . . . . . . . . . . 1. Ernst Zipfel und das deutsche Archivwesen . . . . . . . . . . . . 2. Selbstvergewisserung, Abschottung und neue Herausforderungen a) „Streben nach Zusammenarbeit mit allen Dienststellen der Partei und des Staates“. Archivtage ab 1936 . . . . . . . . . . . . b) Die Verdrängung ausländischer und ‚nichtarischer‘ Benutzer aus deutschen Staatsarchiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Auswirkungen des Vierjahresplans auf die Archivwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Archivarsausbildung unter Zipfel . . . . . . . . . . . . . . e) Der Anschluss Österreichs und die Auswirkungen auf die Archivwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

108 108 117 117 119 127 131 131 137 141

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Inhalt

9

3. Archivwissenschaft und Ostforschung, 1936–39 . . . . . . . a) Die Zeitschrift Jomsburg der PuSte . . . . . . . . . . . . . b) Gutachter- und Beratertätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 4. Gelehrte Experten in Archivwissenschaft und Ostforschung? 5. Kriegsvorbereitungen und Mobilmachung . . . . . . . . . .

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219 222 227 237 242

D. „Mit einem Schlage alle technischen Schwierigkeiten und Rücksichten beiseite geräumt“ – Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg VIII. Osteinsatz I: „Nicht wissenschaftliche oder fachliche“, sondern „vornehmlich politische Richtlinien“. Deutsche Archivare in Polen und im Baltikum, 1939–41 . . . . . 1. Eine Archivgeschichte des Zweiten Weltkriegs? . . . . . . . . . 2. Der Überfall auf Polen und die deutsche Besatzungs- und Kulturpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Deutsche Archivare in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konflikte mit konkurrierenden Dienststellen im GG . . . . . . b) Die polnischen Archivare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Archivkommission im Baltikum . . . . . . . . . . . . . . . IX.

X.

„Höhere Formen des Plünderns“? – Archivare in den besetzten Gebieten des Westens . . . . . . . . . . . . . . 1. Weserübung, Fall Gelb und Fall Rot. Der Westfeldzug 1940 . . . 2. Deutsche Archivare in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besatzungspolitik, Kulturgutraub und ‚Polykratie‘ . . . . . . . aa) Besatzungsverwaltung und Archivkommission . . . . . . . bb) Kulturgutraub in ‚polykratischen‘ Strukturen . . . . . . . . b) Die Arbeiten der deutschen Archivkommission in Frankreich . aa) Nutzen und Nachteil ‚polykratischer‘ Strukturen für die Archivkommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Moralische und wissenschaftliche Grenzverschiebungen während der Besatzungszeit? . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kulturpolitische Ambitionen – das Deutsche Institut in Paris dd) Leben und arbeiten während der Besatzung . . . . . . . . Osteinsatz II: Neue Herausforderungen und zwiespältige Erfolge im Ostkrieg, 1941–1945 . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Balkanfeldzug – deutsche Archivare in Südosteuropa . 2. Der Ostfeldzug und die deutsche Archivwissenschaft . . . . a) Unternehmen Barbarossa . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Deutsche Archivare in den besetzten Gebieten des Ostens

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280 280 283 284 284 293 302 302 310 316 323

331 331 336 336 338

10

XI.

Inhalt

Kriegsalltag in Archivwesen und -wissenschaft – Archivare an der Heimatfront . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Selbstverständnis der Disziplin in Zeiten des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Auch die Schwaben müssen Polnisch lernen.“ – Die Archivarsausbildung im Zweiten Weltkrieg . . . . . . . . . . 3. „Im Dienste der deutschen Interessen“ – Archivwissenschaft, Ost- und Westforschung im Krieg, 1940–1945 . . . . . . . . . . a) Eine Festschrift für Brackmann: Deutsche Ostforschung . . . . b) Geisteswissenschaften im ‚Kriegseinsatz‘ – Die Aktion Ritterbusch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kriegsauswirkungen an der ‚Heimatfront‘ . . . . . . . . . . . . a) Archive im Luftkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personalfragen und Kriegsopfer . . . . . . . . . . . . . . . .

351 351 356 360 373 375 380 380 393

E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau XII. Desillusionierung – Entnazifizierung – Neuformierung. Die frühe Nachkriegszeit, 1945–1949 . . . . . . . . . . . . 1. Das Jahr 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Im Fegefeuer der Entbräunung“. Entnazifizierung und berufliche Neuanfänge . . . . . . . . a) Die Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Persilscheine, Rückhalt und Kollegenschelte. Netzwerkbildung zur Bewältigung der Nachkriegszeit? . 3. Wiederaufbau und Neuanfang . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestandsanalyse und Wiederaufnahme fachlicher Arbeit . b) Institutionen der Disziplin . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stätten archivarischer Ausbildung nach 1945 . . . . . . .

. . . 399 . . . 399 . . . 409 . . . 409 . . . . .

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XIII. Ausblick: Die ‚doppelte Staatsgründung‘. Archivwesen in Bundesrepublik und DDR, 1949–1952 . . . . . . 1. Die ‚doppelte Staatsgründung‘ 1949 . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personal- und wissenschaftspolitische Herausforderungen in der frühen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entstehung des Bundesarchivs und dessen personelle Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Archivwissenschaft und Ostforschung in der frühen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

414 434 434 441 444

449 449 451 452 462

Inhalt

11

3. Archiv- und Geschichtswissenschaften in der frühen DDR und das Verhältnis zum Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Die Rezeption westdeutscher Ostforschung in der DDR . . . . 471 b) Archivwissenschaft in der DDR der 1950er Jahre . . . . . . . 476

F. Schluss XIV. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

G. Anhang Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601

Abkürzungen

AA

Auswärtiges Amt

ADV

Alldeutscher Verband

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

ARK

Archivreferentenkonferenz

AZ

Archivalische Zeitschrift

BArch

Bundesarchiv

BDC

Berlin Document Center

BDO

Bund Deutscher Osten

BGBl

Bundesgesetzblatt

BMG

Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen

BMVt

Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte

BND

Bundesnachrichtendienst

CdZ

Chef der Zivilverwaltung

CROWCASS Central Registry of War Crimes and Security Suspects DAAD

Deutscher Akademischer Austauschdienst

DDP

Deutsche Demokratische Partei

DFG

Deutsche Forschungsgemeinschaft

DHI

Deutsches Historisches Institut

DI

Deutsches Institut

DIZ

Deutsches Institut für Zeitgeschichte

DM

Deutsche Mark

DNVP

Deutschnationale Volkspartei

DStP

Deutsche Staatspartei

DVdI

Deutsche Verwaltung des Innern

DVL

Deutsche Volksliste

DVLP

Deutsche Vaterlandspartei

DVP

Deutsche Volkspartei

DWI

Deutsches Wissenschaftliches Institut

DZA

Deutsches Zentralarchiv

14

Abkürzungen

ERR

Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

GB/BHE

Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten

Gestapa

Geheimes Staatspolizeiamt

Gestapo

Geheime Staatspolizei

GFP

Geheime Feldpolizei

GG

Generalgouvernement

GStA

(Preußisches) Geheimes Staatsarchiv

GStA PK

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Berlin-Dahlem)

HA AW

Hauptabteilung Archivwesen (DDR)

HFR

Johann Gottfried Herder-Forschungsrat

HHStAW

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

HSSPF

Höherer SS- und Polizeiführer

HStA

Hauptstaatsarchiv

HZ

Historische Zeitschrift

IDO

Institut für Deutsche Ostarbeit

IfZ

Institut für Zeitgeschichte

IGL

Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande

IOW

Institut für ostdeutsche Wirtschaft

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

KVR

Kriegsverwaltungsrat

KVVCh

Kriegsverwaltungsvizechef

MBF

Militärbefehlshaber Frankreich

MdI

Ministerium des Innern

MFAA

Monuments, Fine Arts, and Archives Section (auch: MFA&A)

MfS

Ministerium für Staatssicherheit

MGH

Monumenta Germaniae Historica

NA

National Archives (Washington)

NDW

Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft

NKFD

Nationalkomitee Freies Deutschland

NKWD

Narodny Komissariat Wnutrennich Del – Volkskommissariat des Innern (sowjet. polit. Geheimpolizei)

NL

Nachlass

NOFG

Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft (teilw. auch NODFG)

Abkürzungen

NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NSDDB

Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund

NSDStB

Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund

NSKK

Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps

NSV

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

OAD

Offenbach Archival Depot

OEEC

Organisation for European Economic Co-operation (Vorgängerorganisation der OECD)

OKH

Oberkommando des Heeres

OKW

Oberkommando der Wehrmacht

OMGUS

Office of Military Government for Germany (U.S.)

OQV

Oberquartiermeister V

P.A.B.

Pariser Archivbrief

PA-AA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes

Pg

Parteigenosse

PRO

Public Records Office

PuSte

Publikationsstelle Berlin-Dahlem

RA

Reichsarchiv

RAF

Royal Air Force

RDB

Reichsbund der Deutschen Beamten

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RKB

Reichskolonialbund

RKF

Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums

RKO

Reichskommissariat Ostland

RKU

Reichskommissariat Ukraine

RLB

Reichsluftschutzbund

RM

Reichsmark

RMBliV

Reichsministerialblatt der inneren Verwaltung

RMdI

Reichsministerium des Innern

RMfdbO

Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, teilw. auch RMbO

RSHA

Reichssicherheitshauptamt

RuSHA

Rasse- und Siedlungshauptamt

SA

Sturmabteilung

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SD

Sicherheitsdienst des Reichsführers SS

15

16

SED

Abkürzungen

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SFG

Saarforschungsgemeinschaft

SHAEF

Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force

SMAD

Sowjetische Militäradministration in Deutschland

SOFG

Südostdeutsche Forschungsgemeinschaft

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SS

Schutzstaffel

StA

Staatsarchiv

StAF

Staatsarchiv Freiburg

StAM

Staatsarchiv Marburg

StAV

Staatliche Archivverwaltung

ThHStAW

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar

TNA

The National Archives (London)

UAF

Universitätsarchiv Freiburg

USAAF

United States Army Air Forces

VB

Völkischer Beobachter

VdA

Verein deutscher Archivare

VDA

Volksbund für das Deutschtum im Ausland

VDH

Verband Deutscher Historiker

VFG

Volksdeutsche Forschungsgemeinschaften

WFG

Westdeutsche Forschungsgemeinschaft

z.b.V.

zur besonderen Verwendung

ZfG

Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

ZfO

Zeitschrift für Ostforschung

ZK

Zentralkomitee

A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

I. Einleitung Der preußische Archivar Georg Winter (1895–1961), der nach dem Ersten Weltkrieg Geschichte studiert und nach der Promotion eine Archivarsausbildung absolviert hatte, wurde 1927 zum Staatsarchivrat ernannt und 1930 als Geschäftsführer an das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung berufen. Im Verlauf seiner Karriere wurde er 1938 zum Staatsarchivdirektor befördert und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs in ‚Archivschutzangelegenheiten‘ in leitender Funktion sowohl im besetzten Frankreich als auch im Reichskommissariat Ukraine. Bei einer oberflächlichen Betrachtung seiner beruflichen Laufbahn lässt sich am Ende des ‚Dritten Reiches‘ kein Bruch erkennen – Winter war weiterhin an verschiedenen Archiven tätig und wurde 1952 schließlich zum Leiter des neu gegründeten Bundesarchivs ernannt.1 Wenngleich natürlich nicht jeder Archivar in eine ähnlich hohe Position im Archivwesen aufsteigen konnte, ist die Laufbahn Georg Winters doch nicht untypisch: Es gab kaum einen Staatsarchivbeamten, der nach 1945 nicht seine Arbeitsstelle behalten konnte oder zumindest nach einiger Zeit und Mühe wieder auf vergleichbarem Posten eingestellt wurde.2 Kontinuitäten indes, die in der Archivwissenschaft in einem Umfang nachweisbar sind, der eine nähere Betrachtung erforderlich macht. Eine solche Untersuchung muss zudem Kontinuitäten über frühere potentielle Zäsuren hinaus in den Blick nehmen: Winter etwa war kein ‚NS-Archivar‘, der in der Bundesrepublik Anstellung fand, sondern war beruflich unter wiederum besonderen Umständen in der Weimarer Republik sozialisiert worden. Obwohl diese Kontinuitäten im Archivwesen der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten eher die Regel als die Ausnahme darstellten, wurde systematische historische Forschung zur Geschichte des Archivwesens und der Archivwissenschaft in der Zeit des Nationalsozialismus lange Zeit nicht betrieben. Dies liegt auch daran, dass die Archivsparte in der Geschichtswissenschaft generell ein Nischendasein fristet, in Übersichtsdarstellungen oftmals, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt wird und lange Zeit mehr der Archivkunde beziehungsweise -wissenschaft als der Geschichtswissenschaft zugeordnet war.3 Archivwesen meint hier die institutionalisierte Archivlandschaft, umfasst also Staatsarchive, Archive anderer Träger, Ausbildungsinstitute et cetera. Archivwissenschaft hingegen wird in der Definition Johannes Papritz’ verstanden 1 2 3

Vgl. Booms: Winter. Vgl. Eckert: Entbräunung. Vgl. Bayer: Wörterbuch, S. 33.

20

A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

und umfasst sämtliches Handwerkszeug des Archivars, stellt vor allem aber eine eigene wissenschaftliche Disziplin dar.4 Einen besonderen Erkenntnisgewinn verspricht die Betrachtung der Archivwissenschaft dadurch, dass diese nicht ausschließlich eine geisteswissenschaftliche Disziplin darstellt, sondern durch ihre Verortung in der Behördenstruktur einen Platz an der Schnittstelle von Wissenschaft und Verwaltung einnimmt. Diese „Janusköpfigkeit“ der Archive (Heinrich Otto Meisner)5 zeichnet die Archivwissenschaft viel stärker aus als andere Disziplinen, wie sich im Besonderen im Zweiten Weltkrieg zeigte, als die Grenzen zwischen ‚Archivschutz‘ und Aktenraub sukzessive verwischten.6 Im vorliegenden Forschungsbeitrag darf es aber nicht nur „um Wissenschaftlichkeit im engeren Sinne gehen“, sondern diese Art von Disziplingeschichte soll „als politische Geschichte des Wissenschaftssystems“, genauer: als politische Geschichte einer Subdisziplin verstanden werden, unter Berücksichtigung ihrer kulturellen Dispositionen, Pfadabhängigkeiten und sozialen Parametern.7 Statt bloßer Addition von Einzelfällen wird versucht, durch die Kombination verschiedener Methoden und Ansätze8 sowie unter Rückgriff auf bestehende Arbeiten9 eine umfassendere Geschichte der (NS-)Archivwissenschaft zu erarbeiten, als dies in den wenigen bisher existierenden Einzelstudien der Fall ist. Die institutionalisierte Archivwissenschaft stellt dabei ein organisiertes Kollektiv dar, das sich bei Archivtagen personell und fachlich konturiert, eigene Fachperiodika unterhält und aus einem speziellen Ausbildungsprogramm Nachwuchs rekrutiert. Es zeigt sich dabei schnell, dass auch für eine Archivgeschichtsschreibung der Zeit des Nationalsozialismus das Jahr 1933 nicht als Bruch gelesen werden kann, von der einsetzenden Vertreibung politisch und ‚rassisch‘ inopportuner Fachleute abgesehen. Daher kann die Studie nicht 1933 ansetzen, sondern muss den Stand der Archivwissenschaft zur Zeit vor der nationalsozialistischen ‚Machtübernahme‘ einschließen. Dabei sind nicht nur die unmittelbar vor dem Frühjahr 1933 ablaufenden Prozesse und Ereignisse bedeutsam, sondern vielfältige Entwicklungen, die bereits 4 Vgl. Papritz: Archivwissenschaft Bd. 1, S. 1–34; vgl. hierzu auch Schockenhoff : Bildungsarbeit; Brachmann: Archivwissenschaft. Zur aktuellen Diskussion innerhalb der Archivwissenschaft als Disziplin über die Archivwissenschaft vgl. Kretzschmar: Archivwissenschaft, dort auch eine Übersicht über den Forschungsstand. Wird in dieser Arbeit von Archivaren gesprochen, wird in der Regel keine Unterscheidung verschiedener Rangstufen in der Beamtenlaufbahn gemacht. Wenn an verschiedenen Stellen Archivdirektoren explizit als solche benannt werden, soll dies deren höhere Stellung betonen. Für die verschiedenen Rangstufen in der Archivarslaufbahn sowie deren Umbenennung im Laufe der Zeit vgl. Henning/Wegeleben: Archivare 1924–74, S. 156 f. 5 Zitiert nach Groß: Sachsen, S. 19. 6 Vgl. Eckert: Archive, S. 12. 7 Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse, S. 21. 8 Vgl. Kap. A. I. 3. 9 Vgl. Kap. A. I. 2.

I. Einleitung

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in der Weimarer Republik begonnen und mitunter erhebliche Bedeutung gewonnen hatten. Ereignis- und Institutionengeschichte muss dabei ebenso berücksichtigt werden wie die Genese vor allem archiv- und geschichtswissenschaftlicher Denkmuster und Forschungstrends seit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Ohne Kenntnis der Weimarer Republik in wissenschaftsgeschichtlicher Betrachtung kann eine NS-Disziplingeschichte kaum verfasst werden. Durch entsprechende Vorkenntnisse werden zusätzliche Erklärungsansätze fruchtbar; außerdem können potentielle Fehlinterpretationen verhindert werden, die sich aus einer zeitlich zu eingeschränkten Untersuchung ergeben könnten. Schon allein um die Zeit des Nationalsozialismus nicht als völlig isoliertes, ‚dunkles Kapitel‘ der deutschen Geschichte zu missdeuten, müssen neben den ‚Rändern‘ 1933 und 1945 weitere Zeitabschnitte mit jeweils eigener Binnenlogik in die analytische Betrachtung einbezogen werden. Somit bildet auch das Jahr 1945 keine allumfassende Zäsur, und verschiedenartige Hinweise wie die bereits kurz skizzierte Biografie Georg Winters belegen, dass durchaus Kontinuitäten über diese Umbruchszeit hinaus möglich waren. Wie sich die Archivwissenschaft in der Nachkriegszeit entwickelte, deutet ein Ausblick in die beiden neu gegründeten deutschen Staaten an. Die erkenntnisleitende Fixierung auf den in mancherlei Hinsicht extremen Ausnahmezustand des ‚Dritten Reichs‘ lässt hierbei erhoffen, dass auch auf den ‚Normalzustand‘ ohne solche, in diesem Falle ‚nationalsozialistische‘, Einwirkungen geschlossen werden kann. Diese Studie will somit einen Teil dazu beitragen, die Archivgeschichte aus dem Status einer „untergründigen Subdisziplin“10 zu erheben. Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass „nicht alles, was sich in der NSZeit ereignete und historisch bedeutsam war, [. . . ] nur den diktatorischen und inhumanen Herrschaftszielen des Regimes [diente]“.11 Es kann damit der Tendenz entgegengewirkt werden, sämtliche Veränderungen und Neuerungen „gänzlich unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion für die Stabilisierung dieser Herrschaft zu interpretieren“, da hierdurch erst der in vielerlei Hinsicht irreführende Eindruck des isolierten Kapitels deutscher Geschichte entstehen kann.12 Die jüngere Geschichte der Geschichtswissenschaft zeigt hier eindrücklich potentielle Fallstricke: Die Suche nach Schuld birgt, wenn sie explizit als solche angegangen wird, erhebliche Risiken, die so weit führen können, dass Historiker mitunter staatsanwaltliche Allüren entwickeln und ihre argumentativen Gegner in die Rollen von Verteidigern drängen. Eindrücklichstes Beispiel ist hierfür der oft erwähnte Frankfurter Historikertag im Jahr 1998, auf dem sich mancher Referent

10 11 12

Reininghaus: Archivgeschichte. Broszat: Historisierung, S. 384. Ebd., S. 384.

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in der Rolle des ‚Anklägers‘ gefiel und auch zuvor schon dazu aufgerufen wurde, der Historiker könne durchaus als ‚Untersuchungsrichter‘ agieren.13 Nun ist ein solches Vorgehen in mehrerlei Hinsicht problematisch. Beginnt die Beschäftigung mit den Karrieren oder allgemeiner dem Verhalten von Einzelpersonen im Nationalsozialismus mit einer bestimmten Absicht, vorgefasster Meinung oder gar Unterstellung, besteht die Gefahr, Belege ernster zu nehmen und stärker zu gewichten, welche die vorgefasste Meinung bestätigen. Zudem wird es umso schwieriger, sich durch Quellen vom Gegenteil überzeugen zu lassen, zumal diese in der Regel keine lückenlosen Rekonstruktionen von Karrieren, Persönlichkeiten oder gar inneren Einstellungen und Denkweisen zulassen. Die Legitimität von Arbeiten, die sich dezidiert mit der ‚Schuld‘ Einzelner beschäftigen und jene oftmals zu Recht ‚überführen‘, wird dabei nicht grundsätzlich infrage gestellt – wenngleich in vielen Fällen Tonfall und Absolutheitsansprüche der gefällten Urteile irritieren mögen –, da ohne die Kenntnis der Taten einzelner Personen keine übergreifende NS-Geschichte geschrieben werden kann. Bei der Bewertung solcher Arbeiten muss allerdings die Frage der Moral ebenso gestellt werden wie die der Intention.14 Genauer: Wurde die Unschuldsvermutung tatsächlich berücksichtigt oder vorschnell beiseite geschoben? Mit welcher Intention sind die entsprechenden Autorinnen und Autoren ans Werk gegangen – sollten Schuldige gesucht oder Aspekte für die Entschuldigung von ‚Verführten‘ oder ‚Mitläufern‘ gefunden werden? Liegen historischen Arbeiten solche Absichten zugrunde, ist dies unabhängig von der gewählten Ausrichtung problematisch, da in vielen Fällen Indizien für beide Argumentationen gefunden werden können, deren Interpretation und Gewichtung wiederum Urteile zulassen, die einer objektiven Betrachtung nicht immer standhalten. Inwiefern eine Analyse von Persönlichkeiten, Biografien und individuellen Entscheidungsverhalten tatsächlich objektiv sein kann, wenn Quellen nur lückenhaft zur Verfügung stehen und deren Auswahl bereits wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis nehmen kann, steht dabei auf einem anderen Blatt. Zusätzlich werden solche Untersuchungen noch durch Einschränkungen erschwert, die sich aus ihrer Art beziehungsweise ihrem formalen Aufbau ergeben: Eine möglichst lückenlose ‚Aufklärung‘ der Taten, Absichten und Denkweisen einer Einzelperson lässt sich, wenn überhaupt, nur in einer ausführlichen Individualbiografie bewerkstelligen. Doch auch hier stellt die isolierte Betrachtung einer Person keine praktikable Lösung dar, da grundsätzlich auch Weggefährten,

13 Vgl. Nonn: Schieder, S. 2 f.; vgl. Etzemüller: Suchen wir Schuld oder wollen wir Gesellschaft analysieren? Eine Anmerkung zur aktuellen Debatte um Hans Rothfels, in: H-Soz-u-Kult, 16.02.2003. 14 Vgl. ebd.

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Kommilitonen und Kollegen sowie die Familie kontextualisiert und miteinbezogen werden müssen.15 Ist eine fokussierte biografische Darstellung also nicht immer wünschenswert, ergiebig oder realisierbar, so birgt auch die umgekehrte Herangehensweise der Kollektivbiografie Gefahren. Wird beispielsweise die wissenschaftliche Karriere einer Einzelperson im Nationalsozialismus betrachtet, so mögen deren Publikationen aus dieser Zeit oftmals dazu verführen, ‚Systemkonformität‘ oder ähnliches nachzuweisen. Die Betrachtung einer ganzen Gruppe von Personen aus demselben Fachbereich könnte allerdings zeigen, dass sich die Publikationsliste vielleicht bei vielen oder gar allen recht ähnlich liest, da sich spezifische Themen oftmals aus zeitweisen Forschungstrends ergeben, die nicht zwangsweise genuin ‚nationalsozialistisch‘ sind – oder aber im Nationalsozialismus besondere Förderung erfuhren. Bis heute findet sich mitunter die problematische Ansicht, schon anhand wissenschaftlicher Publikationslisten auf Charakter, Denkstile und politische Verortung des Verfassers schließen zu können.16 Ein Vorgehen indes, das in Erkenntniswert und Aussagekraft äußerst beschränkt bleiben muss, solange nicht die weiteren Entstehungskontexte der jeweiligen Arbeiten berücksichtigt werden sowie die vorherrschenden ‚Schulen‘, Forschungstrends und disziplinären Strukturen. Ohne deren Berücksichtigung setzt sich der Forschende schnell dem Vorwurf aus, zu einseitig Belege für vorgefasste Ansichten oder Unterstellungen, in beschuldigender oder exkulpierender Weise, zu suchen. Dafür mögen sich solche isolierten Betrachtungen vorzüglich eignen – sie bieten aber keine solide Grundlage für weitreichende Bewertungen. 1. Fragestellungen Macht man sich die Untersuchung der Archivwissenschaft im Nationalsozialismus zur Aufgabe, reicht es nicht aus, personelle und institutionelle Kontinuitäten zu konstatieren, sondern deren Entstehung und Ermöglichung muss hinterfragt werden. Dann aber sind diese geradezu prädestiniert, um weitere Entwicklungen der Disziplin nachverfolgen zu können. Die Einbettung der Archivgeschichte in die Politikgeschichte ist dabei grundsätzlich vonnöten und ermöglicht zudem, nach Wechselwirkungen zu fragen sowie allgemein- und politikgeschichtliche Forschungsergebnisse auf deren Anwendbarkeit auf die Archivgeschichte hin zu untersuchen. So manche These der

15 Christoph Nonn bezieht in seiner biografischen Studie über Theodor Schieder beispielsweise 40 andere Historiker der Generation Schieders mit ein, die in unterschiedlicher Ausführlichkeit zu Wort kommen und herangezogen werden. Vgl. Nonn: Schieder. 16 Vgl. Wolffsohn: Erst kommt die Macht, dann die Moral. Konstinuität im Wandel des braunroten Deutschlands. 13 Thesen in Anbetracht der vielen 9. November. FAZ, 04.11.2013.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

(NS-)Forschung kann dabei auch anhand archivgeschichtlicher Befunde ‚überprüft‘ werden. Die Sonderstellung der Archivwissenschaft zwischen Geisteswissenschaft und Verwaltung und ihre Abhängigkeit von der politisch-administrativen ‚Großwetterlage‘ setzt voraus, dass zunächst die strukturellen Verflechtungen innerhalb des Archivwesens sowie zwischen Archivwesen und anderen, staatlichen wie parastaatlichen Organisationen und Einrichtungen beleuchtet werden müssen. Neben den offensichtlichen und grundsätzlichen Spannungsfeldern treten bei der Analyse auch singuläre Ereignisse, Kooperationen und Konkurrenzsituationen in den Mittelpunkt. Dabei wird von minutiöser Rekonstruktion einzelner Begebenheiten und Konflikte abgesehen. Den Kern der Analyse bildet vielmehr die Frage, wie sich dynamische gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen auf die wissenschaftliche Tätigkeit einer Disziplin auswirken. Die Archivwissenschaft bietet sich hierfür aufgrund ihrer ‚Janusköpfigkeit‘, der Verortung sowohl in Wissenschaft als auch Verwaltung, in besonderem Maße und mehr als andere (geistes-)wissenschaftliche Disziplinen an. Bevor mit der Untersuchung der Archivwissenschaft im ‚Dritten Reich‘ begonnen werden kann, sollte nach den Diskursen gefragt werden, welche die Disziplin vor der NS-Machtübernahme prägten, sowie nach deren Ursprüngen und Entwicklungen. Etwaige Beteiligung an revisionistischer Kriegsschuldforschung wird dabei ebenso hinterfragt wie weitere historisch-politische Forschungstrends von der Art der in den 1920er Jahren maßgeblich geförderten Volks- und Kulturbodenforschung.17 Nur so wird verständlich, warum und auf welche Weise sich die Disziplin so rasch und auf den ersten Blick nahtlos in die Wissenschaftslandschaft im Nationalsozialismus einfügen und ihre Bedeutung erheblich steigern konnte. Kontinuitäten in Forschungstrends treten dadurch neben personelle und institutionelle Kontinuitäten und verhindern manchen potentiellen Fehlschluss, in Einzelfällen von ‚nationalsozialistischer‘ Schwerpunktsetzung auszugehen, anstatt richtigerweise von der Fortführung mehr oder weniger etablierter Forschungsrichtungen. Neben Fällen struktureller Verflechtungen und kollektiver Denkstile sollen außerdem Entwicklungen betrachtet werden, die sich längerfristig auf die Archivwissenschaft auswirkten. Beispiele dafür sind die Ausbildung des fachlichen Nachwuchses oder auch die notwendige Betrachtung der Archivtage als größte Zusammenkünfte innerhalb der ‚Zunft‘. Für die Untersuchung der archivwissenschaftlichen Ausbildung muss außerdem deren Entstehungsgeschichte beleuchtet werden, um systemspezifische Transformationen nachvollziehen zu können. Anhand der Ausbildung offenbart sich schließlich noch ein weiterer Aspekt, der für die Sonderstellung der Archivwissenschaft spricht. Der Umstand, dass Archivare meist promovierte Historiker gewesen sind, muss präzisiert werden: Der Großteil 17

Vgl. Oberkrome: Volksgeschichte.

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der Archivare war – und ist bis heute – mit mediävistischem Schwerpunkt ausgebildet. Zwischen historischer Forschung einerseits sowie Archivarsausbildung und Archivwissenschaft andererseits gibt es nicht nur zahlreiche handwerkliche Gemeinsamkeiten, sondern für die Untersuchung von Forschungsprojekten und -kooperationen, vor allem in der Ostforschung, muss diese fachliche Spezialisierung berücksichtigt werden, wenn sie aus zeithistorischer Perspektive erfolgt.18 Weiter ist zu überlegen, ob für die Archivwissenschaft ein ähnliches Modell tragfähig sein könnte, wie es Mark Walker für die Physik im nationalsozialistischen Deutschland erarbeitet hat.19 ‚Nazifizierung‘ bezieht sich dabei weniger auf einzelne Personen als vielmehr auf ganze Disziplinen und darf nicht als deutliches Distinktionsmerkmal begriffen werden, anhand dessen in ‚nazifiziert‘ und ‚nicht nazifiziert‘ unterschieden oder eine ganze Disziplin zur ‚nationalsozialistischen Wissenschaft‘ deklariert werden kann. Vielmehr müssen dazwischen liegende Grauzonen in all ihren Schattierungen analysiert und die genannten strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. Solche die Archivwissenschaft betreffenden Strukturen sollen innerhalb des „polykratischen“ NS-Staates gesucht werden, den „Kompetenzkonflikte, Zersplitterung, Unübersichtlichkeit des Behördenaufbaus und Ressortpartikularismus“ zu einem „prekären Staat“20 werden ließen. Die disziplininternen Entwicklungen ab dem Frühjahr 1933 müssen vor dem Hintergrund allgemeiner ‚Gleichschaltungsprozesse‘ auch in der Wissenschaftslandschaft genau analysiert werden. Dabei gilt es zu fragen, inwieweit jüngere wissenschaftsgeschichtliche Deutungsversuche und Analyseraster auf die Archivwissenschaft anwendbar sind. Nicht zuletzt aufgrund deren Sonderstellung zwischen Wissenschaft und Verwaltung treten Fragen nach eventuell gegenseitiger „Ressourcenmobilisierung“ (Mitchell Ash) und „Kollaborationsverhältnissen“ (Herbert Mehrtens) neben solche zu Gleichschaltung oder Selbstgleichschaltung, Indienstnahme oder Selbstindienststellung.21 Die Reaktion der Archivwissenschaft auf die NS-Machtübernahme und ihr Verhalten in der Frühphase der Diktatur werden dafür eingehend analysiert. An die neuen Machthaber gerichtete Verlautbarungen sind dabei von großem Interesse, aber auch die fachlichen Diskussionen innerhalb der Disziplin und deren eventuell veränderte Schwerpunktsetzung sollen Beachtung finden. Für die Zeit des Zweiten Weltkriegs sind wiederum die archivarischen Tätigkeiten in den besetzten Gebieten zu untersuchen, bei denen archivfachliche Arbeit unter anderem 18 Vor diesem Hintergrund muss die Disziplingeschichte der Mediävistik samt Kontinuitäten über „Epochengrenzen“ hinaus in den Blick genommen werden. Vgl. u. a.: Schreiner: Mittelalter; Nagel: Schatten; Wallraff : Landesgeschichte. 19 Vgl. Walker: Nazification. 20 Vgl. Reichardt/Seibel: Radikalität; vgl. auch Hüttenberger: Polykratie. 21 Vgl. Ash: Wissenschaft; ders.: Wissenschaftswandlungen; ders.: Wissenschaftswandlungen; Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

mit Gliederungen der Wehrmacht, der SS, des Auswärtigen Amts und des SD beziehungsweise des RSHA abgestimmt und in Einklang gebracht werden musste. Regionale Unterschiede und Entwicklungen müssen dabei besonders berücksichtigt werden. Eine methodische Beschränkung auf das Altreich kommt bei einer NS-Geschichte der Archivwissenschaft schon deshalb nicht in Frage, weil die meisten Exponenten der Disziplin während des Kriegs zeitweise in besetzten Gebieten tätig waren. Hinsichtlich der Archivgeschichte im Zweiten Weltkrieg wird außerdem deutlich, dass eine umfassende Gesamtgeschichte in vorliegender Arbeit nicht geleistet werden kann und soll. Für manche Fakten und Entwicklungen, die hier nur gestreift werden können, muss auf bestehende Studien verwiesen werden. An die Stelle detaillierter Schilderungen archivischer Weltkriegsgeschichte tritt der Versuch, in Teilbereichen Erkenntnisgewinn zu erzielen – nicht nur konkret auf die Archivgeschichte bezogen, sondern auch unter Berücksichtigung etwaiger Wechselwirkungen mit und Beeinflussungen durch politische Rahmenbedingungen. Fragen nach Unterschieden in der Besatzungspolitik in Ost und West drängen sich dabei ebenso auf wie nach der generellen Einbindung archivarischer Arbeiten in die Besatzungsherrschaft, die nationalsozialistische Kulturpolitik oder auch nach etwaigen moralischen und wissenschaftlichen Grenzverschiebungen in Zeiten des Krieges. Diesbezüglich wird zudem eventuelle Beteiligung der Archivwissenschaft an nationalsozialistischen Zielen in besetzten Gebieten, etwa der ‚Germanisation‘ oder ‚De-Kulturalisation‘, eruiert. Ebenfalls bedeutsam ist die potentielle rassistisch-expansionistische Radikalisierung einer ohnehin ‚nationalen‘ Wissenschaft. Die oft vertretene These, intensive Überzeugungsarbeit für den neuen Staat sei bei den meist konservativen und deutschnationalen Archivaren gar nicht vonnöten gewesen, wird überprüft. Die Mitgliedschaft einzelner Personen in der NSDAP oder anderen NS-Verbänden darf nicht unterschlagen werden, reicht aber gewiss nicht als alleiniges ‚Nazifizierungsmerkmal‘. Allerdings muss hinterfragt werden, wie es dazu kommen konnte, dass die deutschen Archivare des ‚Westeinsatzes‘ als „Klios rabiate Hilfstruppen“ und ihre Tätigkeit im besetzten Frankreich als „höhere Form des Plünderns“ bezeichnet wurde.22 Auch auf weniger konkrete Vorwürfe, denen sich die Archivwissenschaft samt der ihr verbundenen Institutionen zumindest peripher ausgesetzt sah, muss hierbei eingegangen werden, um diese widerlegen oder bekräftigen zu können. Die indirekte Zuarbeit zu ‚Umvolkungen‘, Deportationen und Holocaust vermittels Statistiken, Karteien und Listen rückt dabei in den Fokus wie auch die Frage nach Ursachen und Motivationen für eventuelle Radikalisierungs- und Indienststellungstendenzen.23 22

Vgl. Roth: Hilfstruppen; ders.: Abschlußbericht. Vgl. Aly/Roth: Erfassung; Aly/Heim: Vordenker; Aly: Volksstaat; vgl. dagegen u. a. Wehler: Materialismus. 23

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Bei aller intensiven Untersuchung der Disziplin während des ‚Dritten Reichs‘ gilt es für die Nachkriegszeit zu fragen, welche Rolle die Entnazifizierung für die Archivwissenschaft spielte und wie in der Archivarszunft nach 1945 die „bedingten Umbrüche“24 oder „konstruierten Kontinuitäten“25 zustande kamen.26 Diese vielfältige Fragestellung, die nicht nur die Analyse komplexer Strukturgeflechte voraussetzt, sondern auch eine in gewissem Sinne übergeordnete Sichtweise einnimmt, kann in mehrerlei Hinsicht auf disziplinhistorisches Vorwissen rekurrieren. Zudem wird die einschlägige Literatur zu zahlreichen Aspekten der NS-Forschung berücksichtigt, um an unterschiedlichen Punkten der Arbeit die disziplinhistorischen Entwicklungen vor dem Hintergrund allgemein- und politikgeschichtlicher Begebenheiten zu kontextualisieren. 2. Forschungsstand und Quellenlage a) Forschungsstand Bis heute stammen die meisten der sich mit archivgeschichtlichen Themen befassenden Veröffentlichungen aus den Federn von Archivaren und unterliegen grundsätzlich einigen Einschränkungen: Es dominieren zum einen die Geschichten spezifischer Archive oder Bestände und zum anderen kurze biografische Notizen und Nekrologe. Da diese Arbeiten meist nur akzidentiell betrieben werden oder betrieben werden können, bleibt eine systematische Erarbeitung oder Einbettung der Thematik in größere Zusammenhänge in der Regel aus. Das Bonmot „Wenn es guten Archivaren gut geht, schreiben sie Bücher. Dabei ist schon viel Gescheites entstanden“.27 mag grundsätzlich zutreffen, nur hat sich dies auf archivhistorischem Gebiet noch nicht ausgezahlt. Die Relevanz von Archivgeschichte wird seitens der Archive zwar erkannt, kann dort jedoch kaum in wünschenswertem Umfang betrieben werden; seitens der Geschichtswissenschaft wurde sie bislang weitgehend ignoriert oder zumindest stiefmütterlich behandelt. Dies ist vor allem bedauerlich, da die historiografische Aufarbeitung der eigenen Disziplin eine „wissenschaftliche Selbstreflexion“28 ermöglicht, die nicht selten zu neuen Erkenntnissen über oft unhinterfragt übernommene Theorien und Praktiken führt. Etwas hinderlich ist in dieser Hinsicht der Umstand, dass bei aller Methodenreflexion und verschiedenartigsten Ansätzen, die sich entwickelt und bewährt haben, es noch keine „bündigen Aussagen [darüber gibt], was Fächer- oder Disziplingeschichten im einzelnen sind und wie sie geschrieben werden müssen“.29 24 25 26 27 28 29

Vgl. Sachse: Umbrüche. Ash: Umbrüche. Vgl. Kahlenberg: Archive; Brachmann: DDR; Schockenhoff : Vereinsamung. Karge: Grotefend, S. 355. Vgl. Eckel/Etzemüller: Schreiben, S. 19. Hausmann: Fachgeschichte, S. 4.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

Als es in den 1990er Jahren in der deutschen Geschichtswissenschaft zu einer neuen Qualität der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit der eigenen Disziplin kam, setzte dies auch in der Archivwissenschaft größeres Verlangen nach eigener Disziplingeschichte frei. Gerade die Archivgeschichte des Nationalsozialismus geriet stärker in den Blick; die Überfälligkeit der historisch kritischen Untersuchung der Disziplin wurde betont. Dennoch wurden auf dem Deutschen Archivtag 2005 in Stuttgart primär Fragen aufgeworfen, welche sowohl einzelne Themen und Betätigungsfelder innerhalb der Archivwissenschaft als auch die Methoden zur Erforschung archivhistorischer Komplexe betreffen, zu deren Beantwortung in größerem Kontext zu diesem Zeitpunkt allerdings noch kaum beigetragen werden konnte.30 Bedauerlicherweise schien das Interesse an (NS)Archivgeschichte nach dieser Tagung indes schnell wieder nachzulassen.31 Die Ergebnisse des Stuttgarter Archivtags zeigen, dass bei allen verdienstvollen Studien, die in den letzten Jahren entstanden sind, eine umfassende Untersuchung des Spannungsfeldes ‚NS und Archivwissenschaft‘ bis heute aussteht. Dass hierfür eine minutiöse Schilderung deutscher Archivgeschichte so wenig zielführend ist wie eine reine Synthese bislang publizierter Arbeiten, liegt auf der Hand. Die vorliegende Studie will deswegen über solche Herangehensweisen hinausgehend versuchen, einige der konstatierten Defizite auszugleichen, wenngleich manche lediglich aufgezeigt werden können und weiterer Untersuchungen bedürfen. Neben den Stuttgarter Tagungsbeiträgen sind in den letzten beiden Jahrzehnten zudem Arbeiten entstanden, die auf eine künftig stärkere Beachtung der Archivgeschichte hoffen lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Arbeiten, die sich ihrem jeweiligen Untersuchungsgegenstand oftmals als erste näherten, entsprechend nur spezifische Aspekte oder Organisationen und Institutionen berücksichtigen konnten.32 Wie bereits deren Titel zeigen, handelt es sich bei diesen Studien ebenso wie bei weiteren kleineren Schriften in der Regel um Personenund Institutionengeschichten im klassischen Sinne. Damit bilden jene Studien die Grundlage für weiterführende Arbeiten, die bei der Untersuchung von Verbänden oder Zeitschriften auf die Kenntnis der Rahmenbedingungen zurückgreifen müssen – eine „fachgeschichtliche Wissenssicherung“ qua Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der disziplineigenen Strukturen wird also vorausgesetzt.33 Für die Geschichte einer Disziplin im Nationalsozialismus gilt es, die bestehende Forschungsliteratur eingehend zu berücksichtigen: Arbeiten zur Verwal30 Vgl. u. a. Fritzen: Namen zu Nummern. Der Deutsche Archivtag in Stuttgart untersucht die historische Verstrickung der Zunft. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.10.2005; vgl. Kellerhoff : Unpolitische Fachleute. Die Welt, 30.09.2005; vgl. Kretzschmar: Archivtag. Ansatzweise hatte man sich dem Thema bereits 2001 zu nähern versucht, vgl. Reimann: Herrschaft. 31 Vgl. Kriese: Vorwort, S. 6. 32 Pionierarbeiten stellen in dieser Hinsicht sicherlich die Untersuchungen zum Reichsarchiv und zu den Staatsarchiven im ‚Dritten Reich‘ dar: Herrmann: Reichsarchiv; Musial: Staatsarchive. 33 Vgl. Eckel/Etzemüller: Schreiben, S. 13.

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tungsgeschichte34 sind dabei ebenso zu nennen wie zur nationalsozialistischen Besatzungs-, Kultur- und Wissenschaftspolitik35 sowie zur (NS-)Geschichte der Geisteswissenschaften im Allgemeinen36 und der Geschichtswissenschaft im Speziellen.37 Vor allem Letztere spielt durch die enge Verzahnung mit der Archivwissenschaft für die vorliegende Studie eine wesentliche Rolle. Kooperationen innerhalb des Bezugsrahmens Ostforschung sind für die Seite der Geschichtswissenschaft recht gut erforscht. Zu den oft wichtigen Beiträgen der Archivwissenschaft hingegen stellen Untersuchungen, die über die Erwähnung personeller Verstrickungen hinausgehen, ein Desiderat dar. Dass auch während des ‚Dritten Reichs‘ solide Wissenschaft betrieben werden konnte, ist genauso unumstritten wie die Herausforderung für Wissenschaftler, sich auf die eine oder andere Weise mit der NS-Diktatur auseinanderzusetzen und zu arrangieren. Freilich war auch der Nationalsozialismus auf wissenschaftliches Expertenwissen angewiesen und ermöglichte damit so manchem Forschungszweig, Institut oder auch Einzelpersonen gewisse Handlungsspielräume. Die Annahme älterer Forschung, der Nationalsozialismus sei genuin wissenschaftsfeindlich gewesen, kann mittlerweile als widerlegt gelten.38 Stattdessen lassen sich die Erkenntnisse neuerer wissenschaftsgeschichtlicher Forschungen dahingehend zusammenfassen, dass in beinahe jeder Disziplin, wenngleich mit graduellen Unterschieden, ‚Selbstmobilisierung‘ anstatt gezielten ‚Missbrauchs‘ durch die Politik vorherrschend war.39 Erkenntnisse beispielsweise aus der jüngeren Forschung zu Natur- und Technikwissenschaften im Nationalsozialismus können herangezogen werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit und zur Archivwissenschaft zu erarbeiten. Betätigungsfelder, die sich durch den Zweiten Weltkrieg ergeben oder ausgeweitet hatten, treten dabei besonders in den Vordergrund. Die Frage drängt sich auf, ob auch für Archivare gelten kann, was für manche Naturwissenschaftler und Techniker konstatiert wurde: Diese arbeiteten bewusst an kriegswichtigen Projekten mit und verstanden sich dabei nicht selten als „unpolitische Fachleu-

34 Rebentisch: Führerstaat; Reichardt/Seibel: Radikalität. Vgl. hierzu auch Finger: Eigensinn; die Arbeit Fingers beruht auf einer 2010 unter dem Titel Das ‚nationalsozialistische Wollen‘ zur Volksgemeinschaft. Schule, Polykratie und der deutsche Südwesten 1933–1945 eingereichten Dissertation. 35 Zur Wissenschaftspolitik vgl. Grüttner: Wissenschaftspolitik; Mertens: Forschungspolitik; Hammerstein: Wissenschaftssystem. Bei Kultur- und vor allem Besatzungspolitik muss nicht nur zwischen West und Ost unterschieden, sondern jeweils auch eine Binnendifferenzierung vorgenommen werden, vgl. u. a. Dahm: Grundlagen; div. Beiträge in Pfeil: Hübinger; Kilian: Besatzungsherrschaft; Lehnstaedt: Okkupation. 36 Eckel: Geist; Hammerstein: Wissenschaftssystem; Hausmann: Ritterbusch. 37 Vgl. u. a. Cornelißen: Deutungsversuche; Eckel: Rothfels; Lerchenmueller: Geschichte; Schreiner: Führertum; Wolgast: Geschichtswissenschaft. 38 Vgl. Grüttner/Hachtmann: Wissenschaftler; Grüttner: Wissenschaftspolitik; ders.: Verlust. 39 Vgl. Orth: Selbstmobilisierung.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

te“, wobei „unpolitisch“ keineswegs bedeuten musste, mit der NS-Ideologie nicht konform zu sein.40 Einige weitere Aspekte der Archivgeschichte stellen, gerade für die Zeit des ‚Dritten Reichs‘, Desiderate dar. Sowohl eine genaue Untersuchung der Ausbildungssituation des archivarischen Nachwuchses, welche die Erkenntnisse in den größeren Kontext der Archivwissenschaft einzubetten vermag, fehlte lange Zeit, wie auch eine institutionsgeschichtliche Betrachtung der Ausbildungsstätten, die über die Darstellung der formalen Entwicklung hinausreicht.41 Resümierend lässt sich festhalten, dass es inzwischen zwar Ansätze gibt, welche die disziplingeschichtliche Betrachtung der Archivwissenschaft voranbringen, die aber in der Regel noch isoliert stehen. Eine solche Einzelaspekte umfassende, aber auch übergreifende Geschichte der NS-Archivwissenschaft, die außerdem über die oft angenommenen Epochengrenzen von 1933 und 1945 hinausreicht, ist noch nicht existent.42 Es wäre vermessen zu glauben, mit der vorliegenden Studie diese Lücke gänzlich schließen zu können. Es wird jedoch versucht, unter Berücksichtigung bestehender Ergebnisse und mit hierfür bislang nicht erprobter Herangehensweise einen Beitrag zu leisten, der sowohl manch offene Frage zu beantworten vermag als auch aufzeigen soll, in welchen Kontexten weitere Untersuchungen erforderlich sind. Es wird entsprechend keine reine Fachgeschichte im klassischen Sinne verfasst, stattdessen der Versuch unternommen, sich der Geschichte der Archivwissenschaft auf eine Weise zu nähern, die vor allem danach strebt, Befunde der Forschungen zu allgemeinpolitischen Entwicklungen auf die Archivwissenschaft zu übertragen beziehungsweise an dieser Disziplin zu überprüfen und Wechselwirkungen zu analysieren.43 Das neue kultur- und medienwissenschaftliche Forschungsparadigma, das in den letzten Jahren enormen Zulauf gewonnen hat, ist hierfür nicht von Bedeutung.44 Denn dabei wird Archiv meist nicht als Institution verstanden, sondern es 40 Vgl. König: Ingenieure; Maier: Forschung; Schieder: Komplex; vgl. Orth: Selbstmobilisierung, S. 218. 41 Die lange Zeit einzige Studie hierzu besteht zu großen Teilen aus Teilnehmerlisten der jeweiligen Ausbildungsjahrgänge, vgl. Leesch: IfA. Selbst die jüngst vorgelegten verdienstvollen Ausführungen Pauline Puppels können zentrale Forschungslücken benennen, nicht aber in Gänze bearbeiten, vgl. Puppel: Ausbildung. Ähnliche Befunde lassen sich für die Untersuchung von Archivtagen und Fachperiodika konstatieren. 42 Auch in dem Ende 2015 erschienenen Sammelband zu einer 2013 im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) abgehaltenen Tagung über Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus konnten lediglich einzelne Aspekte aufgegriffen und deren Bedeutung herausgestellt werden. Es sollten, wie der Herausgeber Sven Kriese zurecht darlegt, Ausschnitte dargeboten werden, die zu einer weiteren Beschäftigung mit Archivgeschichte anregen. Vgl. Kriese: Vorwort. 43 Beispiele für die hier als ‚klassisch‘ bezeichneten Fachgeschichten finden sich u. a. in Hausmann (Hrsg.): Geisteswissenschaften; vgl. ders.: Einführung; vgl. ders.: Fachgeschichte. 44 Mitunter wurde gar von einem archival turn in den Kulturwissenschaften gesprochen, vgl. Stingelin: Archivmetapher.

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liegt ein erweiterter und unscharf definierter Archivbegriff zugrunde, der unter anderem auf Michel Foucault und Jacques Derrida rekurriert und „als Archive institutionelle Sammlungen von Akten, aber auch Bibliotheken, Museen, semi-, sub- oder kontra-institutionelle Wissensbestände“45 und somit Archive auch als Orte kollektiver Erinnerung versteht.46 Auch das 2016 erschienene Handbuch Archiv vergibt aus archivgeschichtlicher Perspektive bedauerlicherweise eine große Chance. Gewiss, in den einleitenden Ausführungen wird dargelegt, dass das Handbuch weder Archivführer noch Lehrbuch archivwissenschaftlicher Ausbildungsgänge sein will; vielmehr soll „das Archiv als Forschungsinstitution und als Forschungsgegenstand [. . . ] nach Idee und Institution, Theorie und Praxis, Begriff und Metapher perspektiviert werden“.47 Dafür wird die angesprochene Entwicklung seit des kulturwissenschaftlichen archival turns konstatiert und breit rezipiert.48 Die Archivgeschichte hingegen nimmt mit nicht einmal 50 von rund 270 Seiten nur wenig Raum ein – vom Altertum bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert wohlgemerkt. Der äußerst knapp gehaltene Beitrag zur Archivgeschichte des 20. Jahrhunderts weist aus naheliegenden Gründen entsprechend eklatante Lücken auf und kommt dennoch nicht umhin, die kulturwissenschaftliche Deutung des Archivbegriffs in die Betrachtung einfließen zu lassen.49 Da selbst die offensichtlichsten Forschungsdesiderate der Archivgeschichte keine Erwähnung finden, wird hiermit sicherlich nicht dazu beigetragen, die ‚klassische‘ Archivgeschichte aus ihrem Nischendasein zu befreien. Ohne die Bedeutung solcher Studien über Gebühr schmälern zu wollen, muss in jüngster Zeit zwischen zwei grundlegenden Arten von ‚Archivgeschichte‘ unterschieden werden: Zwischen einer Archivgeschichte, die sich aus verschiedenen Richtungen der Geschichte von Archivwesen und -wissenschaft nähert – sei es durch entsprechende Personen-, Institutionen-, Technik-, Bau- oder Rechtsgeschichte – und der neueren „Archiv“-Geschichte mit dezidiert kulturwissenschaftlichem Hintergrund. In Bibliografien oder Bibliothekskatalogen nicht selten undifferenziert vermischt, offenbaren sich diese beiden Kategorien oftmals erst bei genauerer Betrachtung der Untertitel entsprechender Beiträge.

45 So formuliert im Forschungsprogramm Bielefelder Graduiertenkollegs (DFG GK 1049), vgl. http://www.uni-bielefeld.de/geschichte/forschung/gk1049/forschungsprogramm.html, Zugriff am 07.12.2015. Vgl. Horstmann/Kopp: Archiv – Macht – Wissen. 46 Vgl. auch Müller: Positionierung; Ernst: Sammeln; Wimmer: Archivkörper; Weitin/Wolf (Hrsg.): Gewalt. 47 Lepper/Raulff : Vorwort, S. VIII f. 48 Vgl. u. a. ders.: Idee; Stingelin: Archivmetapher; Raulff : Gedächtnis; Ebeling: Medium. 49 Vgl. Berg: Geschichte. Damit steht das Handbuch allerdings nicht allein; auch jenes zur Bibliothek widmet sich der Fachgeschichte nicht in allzu breitem Umfang, vgl. Umlauf /Gradmann (Hrsg.): Bibliothek.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

In vorliegender Studie findet vielmehr ein eng gefasster, klassischer Archivbegriff Verwendung, der sich historisch konkret auf das Archivwesen, vor allem aber die Archivwissenschaft als wissenschaftliche Disziplin bezieht.50 b) Quellenlage Archivgeschichte anhand ausführlichen Studiums archivalischer Quellen zu erarbeiten ist naheliegend, sinnvoll und verlockend, aber auch nicht unproblematisch. Einige Archive und deren Bestände drängen sich für die Archivgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts förmlich auf: Im Bundesarchiv sind die Bestände des Reichsinnenministeriums sowie des Reichs- und des Bundesarchivs von besonderem Interesse, um institutionelle Strukturen und Entwicklungen der Disziplin nachvollziehen und untersuchen zu können. Dies gilt auch für die dort verwahrten Bestände zu genuin nationalsozialistischen Organisationen, die mit dem Archivwesen verschiedentlich und vor allem zu Kriegszeiten in Berührung kamen; der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg ist dafür das beste Beispiel. Für andere Organisationen mussten Aktenbestände des BundesarchivMilitärarchivs in Freiburg herangezogen werden: Der Bestand zum Sonderkommando Künsberg kam ebenso zur Auswertung wie der Bestand Chef der Heeresarchive zu den zeitweisen ‚Widersachern‘ ziviler Archivare; die in besetzten Gebieten eingesetzten Archivkommissionen fanden ihren archivalischen Niederschlag in den Akten der jeweiligen Militärbefehlshaber. Das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) in BerlinDahlem wiederum verwahrt die Bestände der Generaldirektion der preußischen Staatsarchive sowie des Preußischen Geheimen Staatsarchivs – Institutionen, welche das Archivwesen im Untersuchungszeitraum prägten. War die preußische Archivverwaltung reichsweit von maßgeblicher Bedeutung, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die anderen Länder eigene Archivverwaltungen hatten. Der Bestand Direktor der thüringischen Staatsarchive des Hauptstaatsarchivs Weimar etwa wurde für manche Entwicklung im thüringischen Archivwesen herangezogen. Die dezidierte Berücksichtigung der Lebensläufe einer Gruppe von Archivaren, anhand derer die offensichtlichen Kontinuitäten über politische Zäsuren analysiert werden sollen, machte die Auswertung verschiedener Nachlässe nötig, die sich in unterschiedlichen Archiven befinden: Ausgewertet wurden die Nachlässe Albert Brackmanns (GStA PK), Georg Winters, Wolfgang A. Mommsens und Wilhelm Rohrs (Bundesarchiv), Willy Flachs (Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar), Georg Santes (Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden), Martin Wellmers (Staatsarchiv Freiburg), Heinrich Büttners (Universitätsbibliothek Basel) sowie Ludwig Dehios, Karl Ernst Demandts, Johannes Papritz’ und Kurt Dülfers (Staatsarchiv Marburg). An dieser Auflistung wird bereits ersichtlich, dass 50

Schenk: Theorie.

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eine Auswahl getroffen werden musste, um das Vorhaben praktisch realisierbar zu machen. Gewiss setzt man sich damit dem Vorwurf aus, Nachlässe weiterer Exponenten der Disziplin unberücksichtigt gelassen zu haben. Mit vorliegender Auswahl wurden sowohl wichtige, das Archivwesen ihrer Zeit prägende Archivare herangezogen neben solchen, anhand derer Viten sich bestimmte Frage- und Problemstellungen aufzeigen lassen. Weiter war für die Auswahl bestimmend, Archivare verschiedener Generationen heranzuziehen, um die Entwicklungen der Archivwissenschaft über mehrere Alterskohorten hinweg nachzuvollziehen. Für einzelne Aspekte des deutschen Archivwesens im Zweiten Weltkrieg und der frühen Nachkriegszeit konnten zudem Akten der National Archives in Washington, D.C. und London herangezogen werden. Unter anderem sind dies die Akten des Office of Military Government for Germany (U.S.), aber auch Berichte über das deutsche Archivwesen, die der emigrierte Archivar Ernst Posner für die Alliierten angefertigt hatte. Unbestreitbar ist die Tatsache, dass vermutlich beinahe jedes deutsche Archiv seinen Beitrag zu einer allgemeinen, umfassenden Archivgeschichte leisten könnte – sei es über die eigene Geschichte oder die der jeweiligen Bestände, des Personals, der Entwicklung über potentielle Umbruchzeiten hinweg oder weitere Aspekte, über welche die verwahrten Unterlagen Auskunft geben. Nicht allein, aber auch aufgrund der Quellenlage offenbart sich deshalb die Herausforderung, statt einer Gesamtgeschichte von Archivwesen und -wissenschaft gezielt Schwerpunkte zu setzen und vom unrealistischen Anspruch abzusehen, sämtliche Entwicklungen und Begebenheiten des Betrachtungszeitraumes nachzeichnen zu wollen. Wenngleich nicht sämtliche ausgewerteten Bestände an dieser Stelle ausführlich benannt werden sollen,51 verdeutlicht deren ansatzweise Benennung bereits, wie komplex sich die Quellenlage zur Archivgeschichte im Untersuchungszeitraum gestaltet und zeigt die Unmöglichkeit einer allumfassenden Betrachtung. Dies gilt zudem für die vorgenommene Auswertung der Fachperiodika der Disziplin. Neben der Archivalischen Zeitschrift war dies das Mitteilungsblatt der preußischen Archivverwaltung, das sowohl ‚Sprachrohr‘ des jeweiligen Generaldirektors war als auch die Archivwissenschaft betreffende Rundschreiben sowie Verlautbarungen anderer Institutionen in Umlauf brachte und über Preußen hinaus rezipiert wurde. Für die Nachkriegszeit und die Archivwissenschaft im geteilten Deutschland wurden Der Archivar der Bundesrepublik und die Archivmitteilungen der DDR ausgewertet. Sämtlich Periodika, in denen auch von den Tagungen der Disziplin berichtet und mitunter dort begonnene Diskussionen fortgeführt wurden.

51 Eine genaue Auflistung der für die vorliegende Arbeit genutzten Archivbestände findet sich im Anhang.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

3. Methodik Grundsätzlich will diese Arbeit zwar einen Beitrag zur allgemeinen Wissenschaftsgeschichte leisten, ist aber dennoch in erster Linie disziplingeschichtlich angelegt. Diese Vorbemerkung ist durch die Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte in den letzten Jahrzehnten notwendig geworden, die zunehmend multidisziplinär – häufig stark philosophisch und soziologisch ausgerichtet – betrieben wurde und auch deshalb keine genuin geschichtswissenschaftliche Disziplin darstellt.52 Die Kenntnis der Fachgeschichte leistet einen wesentlichen Beitrag für das grundsätzliche (Selbst-)Verständnis der jeweiligen Disziplin, setzt diese aber auch in Beziehung zur allgemeinen politischen Entwicklung und sich daraus ergebenden Veränderungen, Einschränkungen und Möglichkeiten.53 Disziplingeschichte setzt in vielen Fällen die Anwendung einer Kombination verschiedener Methoden voraus, um sich einerseits den zentralen Fragen aus mehreren Richtungen nähern zu können, und andererseits, um durch zu einseitiges Vorgehen entstehende argumentative Lücken zu vermeiden. Die Quellen zur geisteswissenschaftlichen Disziplingeschichte seien, so Frank-Rutger Hausmann, gemäß einer Alliteration unter folgenden Gesichtspunkten zu erfassen: „Individuen, Institutionen, Ideologien oder Inhalte. Träger der Geisteswissenschaften sind demnach Individuen (die Gelehrten, die Forscher, die Lehrer, die Kritiker und Rezensenten, und mit Einschränkungen auch die Studenten, die Verleger und die Journalisten) und Institutionen (Universitäten, Fakultäten, Seminare/Institute, Akademien, Forschungszentren und -institute, Forschungsförderungsorganisationen, Ministerien usw.), und diese produzieren Ideologeme, Primär- (wissenschaftliche Publikationen in unterschiedlicher Form und Länge) wie Sekundärquellen [. . . ], die sich ergänzen oder einander widersprechen“.54

Es treten dabei in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Erkenntnisinteressen in den Mittelpunkt, die wiederum verschiedene methodische Ansätze erforderlich machen. Unter anderem findet ein spezifischer, ‚neuerer‘ institutionsgeschichtlicher Ansatz Berücksichtigung55: Der traditionelle institutionsgeschichtliche Ansatz untersucht die historische Entwicklung einzelner Institutionen, deren Strukturen und strukturelle Verbindungen zu und Interaktionen mit anderen Institutionen. Der hier zur Anwendung kommende Ansatz hingegen ermöglicht es, „institutionelle Gegebenheiten“56 wie Zeitschriften oder Tagungen als Rahmenbedingungen dahingehend zu analysieren, welchen Einfluss deren Veränderungen auf die in ihnen ausgeübte wissenschaftliche Tätigkeit haben. 52 Als Beispiele seien hierfür genannt: Daston: Kultur; Canguilhem: Wissenschaftsgeschichte; Kuhn: Geschichte; Lepenies: Disziplingeschichte, S. 448; sowie zuletzt Müller/Schmieder: Begriffsgeschichte, S. 512–614. 53 Vgl. Hausmann: Fachgeschichte. 54 Ebd., S. 4, Hervorhebungen im Original. 55 Vgl. Lingelbach: Rahmenbedingungen. 56 Eckel/Etzemüller: Schreiben, S. 15.

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Institution darf, um den Ansatz nutzbar zu machen, hier nicht im engen Sinne analysiert werden als „faktologisch beschreibbare materielle Dimension“ einer Organisation und ihrer Struktur,57 sondern es muss der Aspekt ihres Einflusses auf die sich in ihr entwickelnden „wissenschaftlichen Denkkollektive“58 und deren Forschungspraxis berücksichtigt werden. Der Fokus verschiebt sich demnach von der einschränkenden Betrachtung der Institution als Einrichtung hin zur Analyse der Struktur einer Institution und der daraus unter Umständen resultierenden internen Konventionen, Divergenzen und Binnenlogiken der Disziplin.59 In vorliegender Studie sind entsprechende Institutionen die deutschen Archivtage, die einschlägigen Fachperiodika und die archivarische Ausbildung. Allerdings können diese nicht vollständig dargestellt und analysiert, aber in verschiedenen Kontexten und eventuellen Umbruchszeiten herangezogen werden. Problematisch ist bei diesem Ansatz, dass die Tendenz entstehen kann, „die Entscheidungsfreiheit und Kreativität einzelner [Forscher] unterzubelichten“ sowie „Innovativität zugunsten eines institutionell bedingten Konformitätszwanges zu vernachlässigen“.60 Dieser berechtigte Hinweis muss jedoch um das andere mögliche Extrem ergänzt werden, das nicht minder problematisch sein kann: Werden Entscheidungen und Veränderungen, die sich nachhaltig auf die Disziplin auswirken, vorschnell einem ‚Wissenschaftsmanager‘ zugeschrieben, kann mitunter die Verflechtung mehrerer Personen, Institutionen und somit Interessen übersehen werden, die möglicherweise hinter der nur anscheinend individuellen Entscheidung stehen. Um diese Probleme zu vermeiden, bietet es sich an, den Institutionenansatz um weitere methodische Ansätze zu ergänzen. Bei der Betrachtung einer Institution erscheint es sinnvoll, deren Leiter biografisch miteinzubeziehen, um Entscheidungen weder aus rein institutioneller noch rein personalisierter Sicht erklären zu wollen, sondern diese Aspekte nach Möglichkeit zu verknüpfen. Bei der Ausweitung des Untersuchungsgegenstandes, sei es über einen längeren Zeitraum oder verschiedene Institutionen und der damit einhergehenden Betrachtung mehrerer Personen, bietet sich eine punktuelle Erweiterung des biografisches Vorgehens an. Doch dabei offenbart sich eine der Biografik inhärente Gratwanderung: Die Biografie darf sich weder in Details der untersuchten Person und ihres Lebens verlieren, noch die sie umgebenden Strukturen so stark hervorheben, dass das Individuum dahinter verblasst. Vor allem gilt es den Fehler zu vermeiden, der untersuchten Person aus bereits bekannten oder neu erarbeiteten Strukturmerkmalen ein zu enges Korsett zu schnüren, das den Realitäten des beschriebenen Lebens 57 58 59 60

Lingelbach: Rahmenbedingungen, S. 115. Vgl. Fleck: Tatsache. Vgl. Lingelbach: Rahmenbedingungen, S. 110, 115. Ebd., S. 133.

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

nicht gerecht wird.61 Die Biografie stellt vielmehr ein Werkzeug dar. Man könnte sie, um die wirkmächtige Metapher Hagen Schulzes zu bemühen, „wie eine geologische Bohrsonde anwenden, wobei die untersuchte Person gewissermaßen die Rolle des Bohrkerns zu übernehmen hätte, von dessen Analyse der Geologe auf die umliegenden Formationen und, mit Hilfe zusätzlicher Theorien, darauf schließen kann, ob in der Umgebung Öl zu erwarten sei oder nicht“.62

Um die potentielle Ergiebigkeit der Ergebnisse und deren im Idealfall weitreichender Gültigkeit gewährleisten zu können, müssen – um bei der Metapher zu bleiben – mehrere Bohrungen im selben Gebiet vorgenommen werden. Konkret: Der biografische Ansatz dieser Untersuchung beschränkt sich nicht auf eine Biografie, wenngleich keine umfassende Kollektivbiografie der gesamten Disziplin geboten werden kann. Dass eine Studie, die eine Personengruppe untersucht, dem Einzelnen nicht die gleiche Aufmerksamkeit zuteil werden lassen kann wie eine Individualbiografie, erklärt sich von selbst. Minutiöse Schilderungen ganzer Lebensabschnitte können so wenig realisiert werden wie eine völlige Gleichbehandlung aller Mitglieder eines Kollektivs. Zugleich ergibt sich hieraus aber auch ein Vorteil dieses Ansatzes, da so der Vorwurf der Heroisierung einer Einzelperson zu Lasten der Kontextualisierung entkräftet werden kann; ein Vorwurf, dem sich Individualbiografien oft ausgesetzt sehen.63 Dafür notwendige Kontextualisierung von Lebensläufen bedeutet aber auch, diese im Zeithorizont zu verorten. Gerade bei der Betrachtung größerer Zeiträume und längerfristigen Entwicklungen hat sich dafür die Differenzierung nach Lebensalter in verschiedene Alterskohorten bewährt. Diese Kategorisierung dient dazu, „Zäsuren zu schaffen [und] altersspezifische Handlungsmuster bereitzustellen“.64 Doch auch hierbei sind gewisse Hürden zu überwinden und Einschränkungen darzulegen, ohne deren Berücksichtigung der Erkenntniswert erheblich leiden würde. Dafür kann ein generationsanalytischer Zugang an Studien anknüpfen, die in der jüngeren Vergangenheit gerade für die Geschichte des ‚Dritten Reichs‘ nicht selten zu erhellenden Erkenntnissen führten, wie vor allem die Befunde zur „Generation der Sachlichkeit“ beziehungsweise „des Unbedingten“ in Untersuchungen Ulrich Herberts und Michael Wildts zu NS-Funktionseliten zeigen.65 Aber das Konzept der Generation ist in der Geschichtswissenschaft keineswegs unumstritten; sei es durch grundsätzliche Skepsis gegenüber der Generationenforschung schon aufgrund des unspezifischen und im schlimmsten Fall belie61 62 63 64 65

Vgl. Szöllösi-Janze: Haber, S. 12 f. Schulze: Biographie, S. 513. Vgl. Harders/Schweiger: Ansätze, S. 194. Voges: Sozialforschung, S. 9; vgl. Pyta: Geschichtswissenschaft, S. 333 f. Herbert: Best; Wildt: Generation.

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bigen Begriffs der ‚Generation‘66 oder die „Verwirrung“ über die „Hochkonjunktur von Generationsforschungen in vielen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen und in solchen zur deutschen Geschichte“.67 Trotz aller Vorbehalte muss diese Konjunktur anerkannt werden, in einem Maße, „wie die Zuordnung nach Klassen- oder Schichtzugehörigkeit in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verlor“.68 Um Generationen aber vergleichbar und somit für historische Untersuchungen nutzbar zu machen, bietet sich im Gegensatz zum genannten familialen vielmehr ein gesellschaftlicher Generationenbegriff an. Hier bestimmt nicht das Verhältnis zu anderen Generationsgruppen oder die Verortung in einer bestimmten Lebensphase die Zugehörigkeit zu einer Generation, sondern vielmehr der historische Zeitpunkt, beispielsweise der Geburt zu einer bestimmten Zeit oder das Erleben bestimmter historischer Ereignisse. Wird Generation auf einen solchen Fixpunkt oder eindeutige zeitliche Verortbarkeit hin konstruiert, bleibt die Zugehörigkeit zu einer Generation im Laufe des individuellen Lebenslaufs konstant. Die Termini „Altersgruppe“ oder „Kohorte“ sind grundlegend für diese Art des Generationsverständnisses, wenn „Generation“ neben der quantitativen Erfassung von Gleichaltrigen auch qualitative Annahmen einschließt.69 Somit bezeichnet ‚Generation‘ „ein Aggregat von Individuen, die in einem bestimmten sozialen System während eines gleichen Zeitraums ein bestimmtes Eingangserlebnis zusammen erleben und den gleichen zeitlichen Abstand zu diesem Ereignis aufweisen“.70

Nicht nur als Erleichterung, sondern in gewisser Hinsicht als Bestätigung der Tragfähigkeit des generationellen Ansatzes erweisen sich für die Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts die Selbstzuschreibungen so mancher Protagonisten zu einer bestimmten Generation.71 Das auf den Ersten Weltkrieg bezogene Generationenmodell, das unter anderem von Detlev Peukert maßgeblich forciert wurde und das sich in zahlreichen Studien bewährt hat, empfiehlt sich in besonderem Maße für die vorliegende Untersuchung. Peukert unterschied für die in der Weimarer Republik maßgeblichen 66

Lepsius: Anmerkungen, S. 47, 51; vgl. auch Fogt: Generationen, S. 2. Niethammer: Konstruierbarkeit, S. 16. 68 Reulecke: Generationen, S. 28. 69 Die grundsätzliche Differenzierung von Kohorte und Generation war nicht immer selbstverständlich. Gerhard Schmied plädierte (unter Rückgriff auf Norman Ryder) dafür, das Wort Generation durch Kohorte zu ersetzen, nicht zuletzt, weil letzteres in der Alltagssprache weniger gebräuchlich und damit besser operationalisierbar sei. Nicht nur Ulrich Herrmann hat dem widersprochen und argumentiert, dass der Begriff der Generation über den Kohortenbegriff hinausgehe. Vgl. Schmied: Generationsbegriff, S. 242; vgl. Ryder: Cohort; vgl. Herrmann: Generation, S. 368. 70 Fogt: Generationen, S. 18; vgl. Daniel: Kulturgeschichte, S. 331. 71 Vgl. Gründel: Sendung; Matzke: Jugend; Dingräve: Generation. Für das auf den Ersten Weltkrieg bezogene generationelle Modell vgl. Peukert: Weimar, S. 25–31; vgl. Mayer: Generationsdynamik; vgl. Schulz: Individuum; vgl. Herbert: Generationen. Für weitere Deutungsversuche und deren kritische Hinterfragung vgl. Reulecke: Generationalität; vgl. Bude: Generationen; vgl. Bebnowski: Generation. 67

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

Akteure insgesamt vier Generationen: Von den „Wilhelminern“, den Altersgenossen Wilhelms II., über die in den 1870ern geborenen Vertreter der „Gründerzeitgeneration“ und die in den 1880er und 1890er Jahren geborenen Angehörigen der „Frontgeneration“ bis hin zur „überflüssigen Generation“ der in den Jahren nach 1900 Geborenen. Ein Modell, das mehrfach in Details präzisiert und erweitert, nicht aber widerlegt werden konnte.72 Die bloße Zuordnung einer Person oder Gruppe zu einer bestimmten Generation samt derer allgemeinen Erfahrungshorizonte und Prägungen erklärt freilich keineswegs deren Empfindungen und Handlungen. Allerdings kann die generationelle Zuschreibung zur Vergleichbarkeit mit Altersgenossen genauso beitragen wie zur vorhergehenden oder nachfolgenden Generation, vermag mitunter Devianzen aufzuzeigen und somit einen weiteren Deutungsvorschlag ermöglichen. Idealiter kann somit eine „Annäherung an die subjektive Selbst- oder Fremdverortung von Menschen in ihrer Zeit“ ermöglicht werden.73 In Ergänzung hierzu wird peripher und zumindest experimentell der Ansatz historischer Netzwerkforschung herangezogen, um Binnendynamiken einer Gruppe, hier deutscher Archivare, in besonderen Situationen aufzuzeigen und nachzuvollziehen. Die Netzwerkforschung blickt selbst auf eine recht überschaubare Geschichte zurück, galt vielen in den 1990er Jahren mehr als ‚Hobby‘ denn als anerkannte Methode und gewann erst in den Jahren nach 2000 an größerer Anerkennung und Verbreitung, und dennoch existieren auch ältere historiografische Arbeiten, die – wenngleich nicht explizit als solche benannt – netzwerkanalytische Verflechtungsgeschichten schrieben.74 Die Möglichkeit, solche Ansätze mit nur marginaler theoretischer Fundierung zu nutzen, liegt mitunter daran, dass zentrale Punkte sowohl netzwerktheoretischer als auch vieler historischer Arbeiten deckungsgleich sind, vor allem die „Strukturanalyse mit ihrer Grundannahme der sozialen Einbettung des Menschen durch soziale Bindungen“.75 Auch aus diesem Grund entstanden in den letzten Jahren unzählige historiografische Arbeiten, die sich im weitesten Sinne mit sehr unterschiedlich definierten ‚Netzwerken‘ beschäftigten oder sich mit der Verwendung netzwerkanalytischer Methoden rühmten, deren Nutzen längst nicht immer offensichtlich war. Gewiss hat sich die Forschung in vielerlei Hinsicht wichtige Ansätze angeeignet und hinsichtlich jener Methodik „verdichtet, ausdifferenziert und elaboriert“, doch ist sie 72

Vgl. Peukert: Weimar, S. 25–31; vgl. Herbert: Generationen. Reulecke: Einführung, S. VIII. 74 Vgl. Straus: Erfahrung; zur Geschichte der Methode und Georg Simmel als einer deren Väter siehe Hollstein: Strukturen. Als eine der ersten historiografischen Netzwerkuntersuchungen wird meist die verflechtungsanalytische Studie Wolfgang Reinhards zur römischen Oligarchie um 1600 genannt. Reinhard: Freunde. 75 Düring/Eumann: Netzwerkforschung, S. 371. Auch aus diesem Grund muss sich die Netzwerkanalyse immer wieder mit dem Vorwurf der Theorieferne auseinandersetzen. Vgl. Bernhard: Feldtheorie, S. 121; vgl. Granovetter: Theory-gap. 73

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durch die häufige und eben oftmals undifferenzierte und teils metaphorische Verwendung des Netzwerkbegriffs „von inflationären Blähungen nicht frei“.76 Wenn prosopografische oder kollektivbiografische Forschungen die Basis für Verflechtungsgeschichten bilden, muss klar definiert werden, weshalb der jeweilige Kontext als Netzwerk definiert werden kann und soll. Die Gefahr, in beliebigen Kontexten Netzwerke erkennen zu wollen, ist allgegenwärtig – wie auch Netzwerke in der Gesellschaft grundsätzlich ubiquitär sind.77 Ein wichtiger Punkt ist trotz aller Vorzüge, welche die Netzwerkanalyse bieten mag, zu beachten. Ergebnisse sui generis vermag sie nicht zu generieren, sondern bietet lediglich die Grundlage weiterführender Interpretationen – und birgt entsprechend die Gefahr von Fehlinterpretationen beziehungsweise von irrtümlichen Annahmen aufgrund überstrapazierter Netzwerkdefinitionen.78 Viel gravierender erscheint das Problem – vor allem für die vorliegende Arbeit, die sich mit Kontinuitäten und Brüchen über längere Zeiträume befasst –, dass Netzwerke in der Regel Momentaufnahmen darstellen und sich die Dynamiken der Netzwerke kaum adäquat darstellen lassen.79 Es sollte deutlich geworden sein, dass netzwerkanalytische Ansätze – vor allem für die Untersuchung wissenschaftlicher Einrichtungen, Disziplinen und Institutionen – mitunter vielversprechend zu sein scheinen, aber dennoch nicht die eine Methode darstellen, mit der die gestellten Fragen umfassend beantwortet können. Da dies bei historischen Untersuchungen eher die Regel als die Ausnahme ist, wurde bereits gefordert, dem Rechnung zu tragen und statt von Netzwerkanalyse im strengen Sinne lieber von Netzwerkansätzen zu sprechen, aus deren Pluralismus sich Historiker „je nach Bedarfslage pragmatisch und eklektisch“ bedienen.80 Deshalb kann in dieser Arbeit keine umfassende netzwerkanalytische Untersuchung der Archivwissenschaft betrieben werden. Allerdings soll die potentielle Nutzbarkeit der Netzwerkanalyse für die Archivgeschichte hinterfragt werden. Kommt der Ansatz zur Anwendung, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob im Einzelfall überhaupt von einem Netzwerk gesprochen werden kann, wie sich dieses entwickelt hat und welchen Gewinn eine entsprechende Betrachtung mit dieser Methode verspricht. Konkret wird hinterfragt, welche Rolle informelle persönliche Netzwerke und Bekanntschaften in Zeiten spielten, in denen ein jeder Vertreter der Disziplin die ‚Entnazifizierung‘ zu durchlaufen hatte und sich mit seiner jüngsten Vergangenheit auseinandersetzen musste – auch und gerade in 76

Boyer: Netzwerktheorien, S. 47; vgl. Gorissen: Netzwerkanalyse, S. 159 f. Vgl. Düring/Eumann: Netzwerkforschung, S. 374 f.; vgl. Bommes/Tacke: Netzwerk, S. 37; zum Zusammenhang von Biografik und Netzwerkanalyse vgl. Lenger: Netzwerkanalyse. 78 Vgl. Düring/Keyserlingk: Netzwerkanalyse, S. 347 f. 79 Vgl. Heidler: Evolution, S. 359 f.; vgl. Schönhuth/Gamper: Netzwerkforschung, S. 25. 80 Reitmayer/Marx: Netzwerkansätze, S. 869, 873. Dieser Ansatz wurde zuletzt berücksichtigt von Vordermayer: Bildungsbürgertum. 77

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A. Einleitung, Fragestellung, Forschungsstand, Methodik

Vergleich und Kontrast zu seinen Fachkollegen. Inwieweit netzwerkanalytische Herangehensweisen dabei ertragreich sind, hat sich zu zeigen, wie zudem die Frage geklärt werden muss, ob und warum in diesem Fall von einem ‚archivarischen Netzwerk‘ gesprochen werden kann. Erst das Zusammenspiel aller genannten methodischen Ansätze erscheint vielversprechend, um sich der Disziplin der Archivwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu nähern und deren Reaktionen auf verschiedene Systemumbrüche und damit einhergehende Herausforderungen betrachten und bewerten zu können.

B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte. Archivwesen und -wissenschaft über das ,lange 19. Jahrhundert‘ bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

II. Die Vorgeschichte bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘ Eine Betrachtung der Archivwissenschaft im ‚Dritten Reich‘ und darüber hinaus, die Kontinuitäten und Brüche an den Rändern der Epoche deuten möchte, muss Aspekte archivischer ‚Vorgeschichte‘ berücksichtigen. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, in einem knappen Exkurs Entwicklungen der Geschichte von Archivwesen und -wissenschaft über das lange 19. Jahrhundert1 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kursorisch zu erfassen. Dabei wird hinterfragt, ob und auf welche Weise in dieser Zeit Weichenstellungen stattfanden, welche die Archivwissenschaft nachhaltig beeinflussten und deren Kenntnisse vonnöten sind, um sich der Archivgeschichte der Weimarer Republik und des ‚Dritten Reichs‘ zu nähern. Deutlich früher setzt Markus Friedrich seine Wissensgeschichte über die Geburt des Archivs an und erzählt Archivgeschichte auf erhellende Weise „durch Archivgeschichten“.2 Eine dieser „Archivgeschichten“ dient als Beleg dafür, wie früh sich die nachhaltige Bedeutung erster Archive offenbarte: Als ein „Schlüsselereignis“ europäischer Archivgeschichte wird das Gefecht von Fréteval 1194 angeführt, bei dem Richard Löwenherz seinen Kontrahenten, Philipp Augustus, besiegte und dessen mitgeführten königlichen Archivalien und damit das Gros des französischen Urkundenbestandes erbeutete.3 Wenngleich später einige der Urkunden wieder zurückgegeben wurden, zeitigte schon der temporäre Verlust Konsequenzen, die sich ohne Akteneinsicht oder vorübergehenden Besitzwechsel der Archivalien nicht ergeben hätten; das Hinterfragen des Umgangs mit königlichen Dokumenten war allerdings die bedeutendste Konsequenz.4 Mit dem zunehmenden Verständnis von Archivalien als Instrumenten zur Legitimation von Besitzansprüchen und Herrschaftssicherung gewannen sie Potential als Druckmittel, zumal in Konfliktsituationen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Bildung von Staaten als territorial klar definierten Herrschaftsgebieten lieferte hierfür erst die entsprechenden Rahmenbedingungen.5 Aktenraub, gewaltsame Aneignung von Archiven, deren Zerstörung oder Entführung sind 1 Zum langen 19. Jh. siehe Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 222–225; sowie die grundlegenden Arbeiten Eric Hobsbawms, vgl. Hobsbawm: Revolution; ders.: Capital; ders.: Empire. 2 Friedrich operiert jedoch mit einem nicht eindeutig definierten Archivbegriff. Er wechselt zwischen dem archivfachlich korrekten und einem sehr weit gefassten, kulturwissenschaftlichen Archivbegriff. Friedrich: Geburt. 3 Vgl. Vismann: Akten, S. 134 f. 4 Vgl. Baldwin: Philip Augustus, S. 408–410; vgl. Friedrich: Geburt, S. 51. 5 Vgl. Fitschen: Schicksal, S. 50.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

keineswegs Phänomene der neueren Archivgeschichte, sondern lassen sich über die Jahrhunderte häufig belegen. Spätestens seit dem 17. Jahrhundert wurden bereits theoretische Überlegungen angestellt und Traktate verfasst, die sich mit Rahmenbedingungen und Anforderungen an Archive und Archivare auseinandersetzten.6 Viel diskutiert wurden die Thesen und Ordnungsgrundsätze, die Philipp Ernst Spieß 1777 formuliert hatte. Vom Archivar forderte Spieß eine lange Liste an Kenntnissen und umfangreiche Vorbildung. Dies sei vonnöten, um den Missstand zu beheben, „daß manche Archive ehehin mit den erbärmlichsten Subiekten besetzt worden sind, die sonst nirgends [. . . ] zu gebrauchen waren“.7 Die Ansicht, so manche Archivarsstelle diene als Abstellgleis für gescheiterte Akademiker, hielt sich hartnäckig und wurde noch im 19. und 20. Jahrhundert des Öfteren thematisiert. Mithin wurden Archive bereits als „zweischneidige Einrichtungen“ wahrgenommen, da zum verwaltungsmäßigen Nutzen auch frühe Formen von Benutzung für historiografische Arbeiten hinzutraten.8 Die Möglichkeiten, die Archive der Historiografie und der Genealogie bieten, blieben nicht unerkannt, und Zugang zu Archiven wurde von verschiedenen Seiten immer wieder beantragt. Die Archivbesitzer der Frühen Neuzeit behandelten ihre Archive in der Regel als Arcana, und Antragsteller mussten sich grundsätzlich dem Verdacht aussetzen, nicht im eigenen, wissenschaftlichen Interesse zu handeln, sondern für dynastische Rivalen zu spionieren. Deshalb waren Patronage- und Klientelbeziehungen häufig Voraussetzung, um Einblick in Archive zu bekommen.9 Doch alle theoretische Fundierung, ansatzweise Professionalisierung und Etablierung von Archivtheorien und Archiven änderten an einem Umstand wenig: Weiterhin hatten kriegerische Auseinandersetzungen und deren Folgen besonderen Einfluss auf die Archive der jeweiligen Besitzer und Territorien. Dennoch durchlebte das europäische Archivwesen um 1800 eine Phase des Umbruchs, als sich mit dem Ende des Ancien Régime und des Alten Reichs Herrschaftsverhältnisse und Rechtsordnungen veränderten, wodurch aus vielen eben noch juristisch relevanten Archiven plötzlich nur noch historisch interessante Archive wurden. Französische Revolution, Reichsdeputationshauptschluss und die „große Flurbereinigung“10, die Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress, beeinflussten die Archivgeschichte und veränderten die Archivlandschaft nachhaltig. 6 Vgl. Friedrich: Geburt, S. 24; vgl. Rumschöttel: Archivwissenschaft, S. 7–10; so etwa Rammingen: Registratur. 7 Spieß: Von Archiven, S. 16; vgl. Enders: Archivgeschichte, S. 65. 8 Friedrich: Geburt, S. 101–106; wissenschaftliche Arbeit der Archivare bei Spieß heißt aber in erster Linie, auf Fehler in historischen Werken hinzuweisen, die sie durch Kenntnis der Archivalien berichtigen können, vgl. Brenneke: Archivkunde, S. 50. 9 Vgl. Friedrich: Geburt, S. 239–244. 10 Sante: Geschichte, S. 173.

II. Die Vorgeschichte bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘

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Die Kenntnis von Entwicklungen dieser Zeit sind für das Verständnis späterer deutsch-französischer Auseinandersetzungen über Archivalien und Kunstgüter vor allem im Kontext der beiden Weltkriege unabdingbar. Kunst- und Kulturgutraub lässt sich bis in die Antike zurück belegen und hatte somit eine noch längere Tradition als die Aneignungen fremder Archivalien in Kriegen. Für den Raub gab es dabei unterschiedliche Motive. In den Kreuzzügen war ‚religiös‘ argumentiert und mit Verweis auf den eigenen rechten Glauben gerechtfertigt worden, die Kunstgüter der ‚Ungläubigen‘ zu requirieren. Der unkontrollierte Kunstraub im Dreißigjährigen Krieg hingegen entstand oftmals aus der Situation einzelner Soldaten und Söldner heraus und folgte dem Zweck, das Raubgut gegen Nahrung oder andere Güter einzutauschen. Aber auch die Demütigung des Gegners durch Beschlagnahme von dessen Kulturgütern war ebenfalls lange Zeit eine wichtige Motivation.11 Im späten 17. und im 18. Jahrhundert war Kunstraub und gewaltsame Enteignung allerdings seltener geworden. Diese Phase der Ruhe war nicht von allzu langer Dauer, und an ihrem Ende stand zunächst „Kunstraub der schlimmsten Art“, die Vernichtung von Kunstgegenständen in der Zeit der Französischen Revolution, um Spuren und Zeugnisse des Ancien Régime zu vernichten.12 Hiernach setzte mit dem napoleonischen Kunst- und Kulturgutraub eine Entwicklung ein, die ein neues Vorgehen etablierte und deren Folgen noch im 20. Jahrhundert spürbar waren. Die wesentliche Neuerung im napoleonischen Kulturgutraub war, dass dieser nicht mehr von den Truppen und entsprechend unkoordiniert und planlos durchgeführt wurde, sondern unter Anleitung ausgewiesener Experten – vor allem Dominique-Vivant Denons, später Direktor des Musée Napoléon, dem heutigen Louvre. Denon begleitete Napoleon bei den meisten Eroberungszügen, um vor Ort Kunstgegenstände für französische Museen zu requirieren.13 Nach der Absetzung Napoleons bestanden Preußen und andere deutsche Provinzen sofort auf der Herausgabe ihres Kulturguts, doch selbst nach langwierigen Verhandlungen behielt Frankreich einen nicht unwesentlichen Teil der Beutekunst ein. Noch vor den die Kulturgüter betreffenden Rückgabeverhandlungen war 1814 im Pariser Frieden festgehalten worden, wie mit Archivalien zu verfahren sei: „Die Archive, Karten, Pläne und Documente, welche den abgetretenen Ländern gehören, oder ihre Verwaltung betreffen, sollen zugleich mit den Ländern selbst,

11 Vgl. Haase: Kunstraub, S. 9–19; für einen historischen Abriss von der Antike bis ins 18. Jh. vgl. Wescher: Kunstraub, S. 11–25. 12 Haase: Kunstraub, S. 20 f. 13 Vgl. Wescher: Kunstraub, S. 38–57; vgl. Heuss: Kulturgutraub, S. 251.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

treulich zurück gegeben werden“.14 Eine komplette Bereinigung der Ansprüche und Rückgabe sämtlicher verlagerten Kulturgüter war dennoch nicht erreicht worden. Die Auseinandersetzungen um geraubte Kunst- und Kulturgüter dauerten beinahe das gesamte lange 19. Jahrhundert über an; eine Zeit, in der sich auch das deutsche Archivwesen maßgeblich entwickelte. Bereits in die Zeit nach den Befreiungskriegen fiel, wenngleich es das eine zutreffende Gründungsdatum nicht gibt, die Entstehung der preußischen Archivverwaltung als der Institution, die das deutsche Archivwesen für beinahe 150 Jahre maßgeblich beeinflussen sollte.15 Als Gründungsmoment wird meist die Verordnung über die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie vom 27. Oktober 1810 angesehen, welche die Archive Hardenberg als dem amtierenden Staatskanzler unterstellte.16 Die Neuordnung des preußischen Archivwesens in der Zeit nach den territorialen Veränderungen durch den Wiener Kongress konnte somit zentral gesteuert werden, wodurch Hardenberg zum „Begründer des modernen deutschen Archivwesens“17 wurde. Bereits zu dieser Zeit gab es das Bedürfnis, sich über eine disziplineigene Fachzeitschrift austauschen sowie Probleme und Fragen der entstehenden und sich transformierenden Wissenschaft erörtern zu können. Obwohl nur wenige Ausgaben erschienen, kommt der Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte erhebliche Bedeutung zu.18 Die Zeit nach Hardenbergs Tod 1822 wird in der Archivgeschichtsschreibung gemeinhin als Phase der Stagnation bezeichnet. Wissenschaftliche Aspekte fanden kaum Resonanz und die Archivverwaltung wurde in erster Linie als Teil der Verwaltungsbürokratie verstanden. Benutzung der Archive durch externe Antragsteller war weiterhin nicht planmäßig vorgesehen und wurde diesen oft erschwert. Ein Antrag des Polen Graf Eduard Raczynski beispielsweise, im Geheimen Staatsarchiv in Berlin die Gesandtschaftsberichte aus Warschau der Jahre 1673–1733 einsehen zu dürfen, wurde 1841 negativ beschieden – aus dem einfachen Grund, „daß der Antragsteller als Pole in seinem Urteil nicht unbefangen sein kann“.19 14 Hauff : Verträge, S. 142; zu anderen Archivklauseln in Friedensverträgen vor allem dieser Zeit, z.B. denen zwischen Frankreich und Österreich – Campofino 1797, Luneville 1801, Pressburg 1805, vgl. Eder: Archivfragen. 15 Vgl. Kehr: Jahrhundert, S. 4; vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 5. 16 Vgl. Zimmermann: Reform, S. 72–81. 17 Weiser: Archivverwaltung, S. 6; vgl. u. a. die Schriftwechsel in den Jahren 1819–1821, siehe Koser: Neuordnung. 18 Siehe die Diskussionsbeiträge von Medem: Zusammenhang; Erhard: Zusammenhang; Hoefer: Zusammenhang; sowie die zusammenfassende Analyse von Medems in der zweiten Ausgabe der Zeitschrift, vgl. Medem: Zusammenhang. Ausführlich wird die Kontroverse dargestellt bei Brenneke: Archivkunde, S. 53–59. 19 Zit. nach Fiechtner: Öffnung, S. 21 f. Auch im ‚Dritten Reich‘ wurde es zunächst vor allem Polen erheblich erschwert, Zugang zu deutschen Archiven zu erlangen – noch einige Zeit vor dem

II. Die Vorgeschichte bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘

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Nach längerer Stagnation nahm die Entwicklung Fahrt auf, und innerhalb der Disziplin bildeten sich die Konturen heraus, die uns heute noch vertraut sind. Archivwesen und -wissenschaft trugen so in ihrem kleinen Teilbereich dazu bei, dass die Jahrzehnte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum „Zeitalter der Wissenschaft par excellence“ werden konnten.20 Als Bismarck 1862 Ministerpräsident Preußens wurde, unterstand ihm auch das Archivwesen, für dessen Interessen er sich nachhaltig einsetzte – so mancher Interpret sieht in Bismarck gar den nach Hardenberg zweiten großen Erneuerer des preußischen Archivwesens.21 Mitte der 1870er Jahre wurde die Leitung der preußischen Archivverwaltung erneut vakant. Die maßgeblichen Stellen in Politik und Verwaltung waren diesbezüglich übereingekommen, dieses Amt erneut mit einem ‚Gelehrten‘ zu besetzen; zu Beginn des Jahrhunderts war dies noch undenkbar und das Amt für einen Verwaltungsbeamten ‚reserviert‘ gewesen. Zur Debatte standen zunächst die Historiker Heinrich von Treitschke, Johann Gustav Droysen und Karl Wilhelm Nitzsch.22 Erst als diese etablierten Professoren sämtlich ablehnten, wurde Heinrich von Sybel23 nachnominiert, der sofort bereit war, dieses Amt zu übernehmen. Vier Faktoren lassen sich ausmachen, die Sybels große Bedeutung Bedeutung für den Aufschwung der Archivwissenschaft unterstrichen: Die enorm ansteigende Zahl der Veröffentlichungen, die ansteigende Zahl wissenschaftlich vorgebildeter Beamter, die nochmals verbesserten Benutzungsmöglichkeiten sowie die Einführung des Provenienzprinzips in den preußischen Archiven.24 Mit Letzterem wurde ein Ordnungsprinzip eingeführt, das bereits mehr als hundert Jahre zuvor formuliert worden war und bis heute Gültigkeit besitzt. Diesem Prinzip folgend werden Archivalien nach ihrer Provenienz, das heißt ihrer Entstehung und somit Herkunft nach geordnet, und nicht, wie in Bibliotheken, nach Sachbetreffen. Zwar war das Herkunftsprinzip zu dieser Zeit grundsätzlich schon bekannt, aber als neue Aktenmassen unterschiedlichster Art in die preußischen Archive, namentlich das Geheime Staatsarchiv in Berlin, flossen, „geschah nun das Verhängnisvolle. Bei der Frage nach der Gliederung dieser Aktenmassen, bei der Frage namentlich nach der organischen Verbindung der Akten erweiterten Benutzungsverbot für weitere Ausländer und Juden. Siehe Kap. C. VII. 2. b) und Kap. C. VII. 3. 20 Vgl. Fisch: Europa, S. 312–320. 21 Vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 47. 22 Vgl. Kehr: Jahrhundert, S. 14. 23 Heinrich von Sybel, 1817–1895; Geschichtsstudium in Berlin; Promotion zum Dr. phil. 1938; Habilitation in Bonn 1840; Dozentur und apl. Prof. ebd.; 1845 o. Prof. in Marburg; Mitglied im Frankfurter Vorparlament und im Erfurter Unionsparlament; 1856 Prof. München; HZ-Gründer und -Leiter; 1861 Prof. Bonn; Mitgliedschaften u. a. in Bayer. Akademie der Wissenschaften, Preuß. Akademie der Wissenschaften. Vgl. u. a. Berthold/Keßler: Jünger. 24 1881 wurde das Provenienzprinzip am Geheimen Staatsarchiv in Berlin eingeführt, 1896 unter Reinhold Koser auf die Archive in den preußischen Provinzen ausgeweitet. Vgl. Schultze: Provenienzgrundsatze, S. 227; vgl. Kehr: Jahrhundert, S. 14–16; vgl. Neitmann: Provenienzprinzip.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

älteren und neueren Ursprungs siegte über das historisch-archivalische Prinzip der Ordnung nach den Registraturen, nach dem Ursprung, nach der Provenienz der Akten, das unhistorische bibliothekarische oder physiographische Prinzip, das Prinzip der Ordnung nach dem Inhalt“.25

Nicht nur für die Empfänger von Archivalien nach territorialen Veränderungen ergaben sich somit Probleme, sondern auch für diejenigen, die Gebiete und entsprechende Archivalien abtreten mussten. Als Preußen auf dem Wiener Kongress – nach langwierigen und zähen Verhandlungen26 – Teile von Sachsen zugesprochen wurden, erhielt die preußische Archivverwaltung die Akten der in den entsprechenden Gebieten ansässigen Behörden, zusätzlich jedoch auch auszugsweise darauf bezugnehmende Akten der Zentralverwaltung. Preußen bekam somit „naturgemäß nur ein lückenhaftes Material, der abgebende Staat verlor Zeugnisse seiner eigenen zentralen Verwaltungstätigkeit und der Geschichte seines Staatswesens“.27 Wäre an dieser Stelle bereits das Provenienzprinzip in strenger Auslegung zur Anwendung gekommen, hätte sich dessen völkerrechtliche Bedeutung gezeigt, denn hiernach können „bei Gebietsabtretungen von vornherein auch nur die in dem betreffenden Gebiete entstandenen Registraturen der Abtretung unterliegen. Die Akten einer außerhalb liegenden Zentralverwaltung bleiben stets unangetastet“.28

Die Nachteile des Ordnungsprinzips nach dem Inhalt, dem Pertinenzprinzip, waren nun offensichtlich geworden – nicht nur im deutschen Archivwesen: Auch in Frankreich war schon 1841 mit dem Grundsatze des respect du fonds ein dem Provenienzprinzip vergleichbarer Ordnungsgrundsatz etabliert,29 der ebenfalls aufgrund der Problematik entstand, „wie man der ungeheuren in den Archiven angehäuften Stoffmassen Herr werden wollte“,30 welche sich vor allem seit den tiefgreifenden Umwälzungen am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ergeben hatten. Die stetig vorangetriebene Öffnung der Archive für die Wissenschaft, die verstärkte Publikationstätigkeit, neue Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, historischen Vereinen et cetera – kurz: die zunehmende Verwissenschaftlichung des Archivwesens – hatte einen Nebeneffekt, der bereits zeitgenössisch positiv rezipiert wurde, die verstärkte ‚Gelehrsamkeit‘ der Archivare: „Sybel war der Überzeugung, daß wissenschaftliche Befähigung die beste Vorbedingung für einen guten Archivar sei und er hat nicht nur hervorragende Kräfte zu 25

Bailleu: Provenienzprinzip, S. 193. Zum 200jährigen Jubiläum des Wiener Kongresses erschien eine Vielzahl an Publikationen, bei denen auch die Verhandlungen zu Sachsen teils eingehend beleuchtet werden, vgl. u. a. King: 1814; Lentz: 1815; Zamoyski: 1815. 27 Schultze: Provenienzgrundsatze, S. 234. 28 Ebd., S. 233. 29 In der Abwendung vom Pertinenzprinzip gleichen sich die beiden Ordnungsgrundsätze, unterscheiden sich in der Frage, wie die neue Ordnung der entstehenden Bestände im Detail zu erfolgen habe, was an dieser Stelle aber nicht weiter diskutiert werden soll. Vgl. u. a. Kaiser: Provenienzprinzip. 30 Ebd., S. 126. 26

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gewinnen, sondern auch dem Durchschnittstypus eine früher nicht erreichte Höhe zu sichern verstanden“.31

So rühmte sich die Archivwissenschaft, ausgewiesene Fachmänner und Mandarine – um das Diktum Fritz K. Ringers zu bemühen – der historischen Zunft vom Schlage etwa eines Friedrich Meinecke hervorgebracht zu haben. Ringer hat in seiner Pionierstudie die deutschen Akademiker im Zeitraum von 1890 bis 1933 untersucht und dabei herausgearbeitet, dass diese im Selbstverständnis recht homogene Gruppe sich als „Elite von ‚Kulturträgern‘“ verstand, aber von den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen seit dem späten Kaiserreich bedroht sah. Mit der staatlichen Verwaltung und Bürokratie sei dieser „Geistesadel“, so Ringer, auf die eine oder andere Art verbunden. Da gerade jener Aspekt auf die Archivare offensichtlich zutrifft, muss deren Zugehörigkeit zu dieser gesellschaftlichen Gruppe vor allem vor dem Hintergrund einer eventuellen Binnendifferenzierung hinterfragt werden.32 Dass auch ohne Archivschule bereits gewisse Auswahlkriterien bestanden beziehungsweise einschlägige Fähigkeiten den Eintritt in den Archivdienst erleichtern konnten, zeigt der Fall Adolf Warschauers.33 Dieser 1855 geborene Historiker wollte nach seiner Promotion 1881 zunächst die erforderlichen Staatsexamina ablegen, um in den Schuldienst einzutreten, wandte sich dann auf Rat seines Lehrers Jakob Caro an Sybel, um für den Eintritt in die Archivlaufbahn vorsprechen zu dürfen. Nicht zuletzt aufgrund seiner Russischkenntnisse und dem Versprechen, sich möglichst schnell Polnischkenntnisse anzueignen, wurde er als Volontär aufgenommen und mit einer Zwischenstation in Breslau 1882 an das erst 1869 gegründete Staatsarchiv Posen versetzt.34 Warschauer war nicht nur der einzige Archivar unter Sybel, der Russisch- oder Polnischkenntnisse vorweisen konnte, sondern sollte auch der einzige jüdische Archivar seiner Zeit bleiben, der in der preußischen Archivverwaltung Karriere machte.35 Aber Sybel legte auch dezidiert Wert auf die Professionalität und generelle Vor- beziehungsweise Ausbildung seiner Beamten. So äußerte er zu dieser Zeit, dass kein Aspirant mehr angenommen würde, „der nicht die Habilitation als Privatdozent einer Universität bestehen könnte“.36 Neben den Bestrebungen auf publikatorischem Gebiet entwickelte sich in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Idee einer Ausbildungsin31

Loewe: Archivwesen, S. 28. Vgl. Ringer: Gelehrten, S. 12–21; siehe auch Kap. C. IV. 2. c). 33 Adolf Warschauer, 1855–1930; Studium in Breslau, 1881 Promotion zum Dr. phil. ebd.; ab 1881 im preuß. Archivdienst; 1882 Staatsarchiv Posen; 1903 Prof., Posen; 1912–1918 Staatsarchiv Danzig; im Ersten Weltkrieg Leiter der dt. Archivverwaltung im GG; Mitgründer des Gesamtarchivs der deutschen Juden. Vgl. Walk: Kurzbiographien. 34 Vgl. Warschauer: Kulturarbeit, S. 11 f. 35 1912 folgte die Versetzung an das 1900 gegründete Staatsarchiv Danzig, wo er als erster Jude preußischer Staatsarchivdirektor wurde. 36 Zit. nach Blöß: Archivschule, S. 53. 32

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

stitution zu neuer Reife, nicht zuletzt unter dem Eindruck des nach Pariser Vorbilds 1854 geschaffenen Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Begründet wurde jenes von Theodor Sickel, einem Absolventen der Pariser École des Chartes, und als Absolvent des Wiener Instituts trug Paul Fridolin Kehr, späterer Generaldirektor der Archivverwaltung,37 die Idee nach Preußen. Daraus ergab sich eine Art „französisch-österreichisch-preußische[r] Kulturtransfer, der gewisse Gemeinsamkeiten über nationale Grenzen hinweg etablierte“.38 Der Versuch, angehende Archivare nicht nur aufgrund ihrer Vorbildung auszuwählen, sondern ihnen eine spezielle fachliche und vor allem vereinheitlichte Ausbildung zukommen zu lassen, fügte sich nahtlos in das Bild der Wissenschaft des späten 19. Jahrhunderts, welchem Ernst Troeltsch das Spezialistentum als zentrales Merkmal zuschrieb.39 Nach dem Tode Heinrich von Sybels 189540 wurde der profilierte Historiker Reinhold Koser zu Sybels Nachfolger ernannt.41 Allerdings war die Berufung Kosers keineswegs unumstritten und erneut war debattiert worden, aus welchem Kreise der höchste preußische Archivar rekrutiert werden sollte, ob er Archivar, Professor oder Verwaltungsbeamter sein müsse. Heute kaum mehr nachvollziehbar ist die Intensität, mit der diese Diskussion nicht nur innerhalb der preußischen Bürokratie und der Archivverwaltung geführt wurde, sondern auch in den großen preußischen Zeitungen teils heftig polemisiert, immer aber unterschiedlich Stellung bezogen wurde.42 Koser konnte dabei letztendlich zugute gehalten werden, dass er sowohl Archivar als auch angesehener Historiker war und die preußische Archivverwaltung aus früherer Tätigkeit kannte. Karl Alexander von Müller lobte ihn als eine „unverkennbar preußische Gestalt, aber vom alten Schlag: straff zwar, tatkräftig, etwas spröde vielleicht, des Führens gewohnt, ein Gelehrter, der zugleich ein hoher Beamter war“.43 Die schon unter seinen Vorgängern begonnene Liberalisierung des Archivwesens hinsichtlich der Benutzbarkeit der Archivalien durch Außenstehende für wissenschaftliche Zwecke führte Koser entschieden voran: Revolutionär war et37

Paul Fridolin Kehr, 1860–1944; Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien 1884; 1889 Privatdozent; 1893 Prof. in Marburg; 1895 Prof. in Göttingen; 1903 Direktor des Preußischen Historischen Instituts in Rom; 1915 Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive; 1919–1934 Präsident der MGH. 38 Schenk: Archive, S. 109; vgl. auch Papritz: Archivwissenschaft Bd. 1, S. 4 f.; Rumschöttel: Archivarsausbildung; Schubert: Kehr; Burkardt: Hilfswissenschaften. 39 Troeltsch: Jahrhundert, S. 625. 40 Zur vielfältigen Würdigung seiner Verdienste vgl. u. a. Meinecke: Sybel; Oldenbourg: Sybel. 41 Reinhold Koser, 1852–1914; Philologie- und Geschichtsstudium in Berlin, Wien und Halle; Promotion zum Dr. phil. 1874; Mitarbeit an den Publikationen der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin; 1880 Privatdozent in Berlin; 1882 Geh. Staatsarchivar ebd.; 1884 a.o. Prof. und Ausscheiden aus dem Archivdienst; 1890 o. Prof. in Bonn; 1896 Direktor der Preuß. Staatsarchive; 1897 Geh. Oberregierungsrat; 1898 Historiograf des preußischen Staates. 42 Vgl. Henning: Koser, S. 261–263. 43 Müller: Historikerprofile, S. 29.

II. Die Vorgeschichte bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘

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wa die Aufhebung des Verbots, Benutzern Findmittel vorzulegen.44 Diese Neuerung war in den Jahren zuvor mehrfach ausdrücklich gefordert worden; nicht zuletzt, um den Anschluss an andere westeuropäische Standards nicht zu verlieren.45 Als weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Institutionalisierung der Archivwissenschaft lässt sich die Einrichtung eines regelmäßigen Archivtags als diszplininterne Fachtagung sehen. Vom ersten Archivtag 1899 in Straßburg an sollten deutsche Archivare dabei bis zum Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit beinahe jährlich zusammentreten, wenngleich zunächst noch am Rande der Versammlungen des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. Fachliche Diskussionen waren hier ebenso intendiert wie eine frühe Ausprägung der disziplininternen Netzwerkbildung. Die Etablierung des deutschen Archivtags fand zwar zur Zeit Kosers statt, doch weder er noch sein Nachfolger Kehr nahmen an den Archivtagen teil, „vielleicht standen sie noch im Banne der Politik, die seinerzeit Bismarck dem Frankfurter Fürstentag gegenüber befolgt hatte“, wie gemutmaßt wurde. Koser und Kehr wurde aber auch nachgesagt, dass sie „glaubten die Formen der Obrigkeit wahren zu müssen, die sich nicht öffentlich von Untergebenen in Frage stellen läßt“.46 Der Bruch mit dieser „seltsamen Zurückhaltung“ der preußischen Generaldirektoren sollte erst unter Albert Brackmann 1930 erfolgen.47 Gegründet wurde der Archivtag in erster Linie für den Erfahrungsaustausch und die gemeinsame Erörterung fachlicher und dabei zunächst verstärkt archivtechnischer Probleme. Die Konsolidierung der Archivwissenschaft als homogene Disziplin war damit einen weiteren Schritt vorangeschritten und verfolgte diesen Kurs in den folgenden Jahren kontinuierlich. Neben der schrittweisen Öffnung der Archive für die Wissenschaft war Institutionalisierung einer der wichtigsten Aspekte in der archivgeschichtlichen Entwicklung bis zum Ende des ‚langen 19. Jahrhunderts‘. Eine Entwicklung, die zu diesem Zeitpunkt freilich nicht abgeschlossen war. Kann dem deutschen Archivwesen und der Archivwissenschaft in diesen Jahrzehnten eine Blütezeit attestiert werden, stellten sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ganz neue Herausforderungen, die Koser aber nicht mehr erleben sollte – er verstarb am 23. August 1914, kurze Zeit nach Kriegsausbruch.48

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Vgl. Henning: Koser, S. 282 f. Vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 82. Dahm: Archivtage, S. 14. Sante: Archivtage, S. 277. Klinkenborg: Koser.

III. Der Erste Weltkrieg, 1914–1918 Die erschwerten Bedingungen während des Krieges fielen in die Zeit, in der Paul Fridolin Kehr das Generaldirektorat über die preußischen Staatsarchive innehatte. Wie viele andere wissenschaftliche Institutionen auch, verlor die Archivverwaltung nicht nur zahlreiche Mitarbeiter im Krieg, sondern musste zudem mit erheblich gekürztem Etat zurechtkommen. Der Stellenabbau in der Verwaltung nach dem Ersten Weltkrieg zeigte sich im Archivwesen, das sich, „wie alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens dem einen Gedanken unterzuordnen [hatte], dem Sieg,“ wodurch es zu einem „ganz gewöhnliche[n] Glied in der Kette der allgemeinen Einschränkungen, Entbehrungen, Vernichtungen“ wurde.1 Gerade die Vernichtungen und Zerstörungen waren erheblich, wenngleich auf unterschiedliche Weise. Im Reich gab es auch fernab der Fronten so manches Archiv, das durch Altpapiersammlungen Schaden genommen hatte. In den Kampfgebieten waren die Archive in erster Linie von den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges bedroht gewesen, wobei vor Bomben- und Brandschäden nur Flüchtungen, das heißt die Verlagerung von Archivalien an sicherere Orte, Schutz geboten hätten, die meist zu spät oder gar nicht durchgeführt worden waren. Die drastischen Auswirkungen des Krieges können an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden; stattdessen wird exemplarisch auf einen Aspekt eingegangen, der erst durch den Kriegsverlauf ermöglicht wurde und für spätere Entwicklungen und Entscheidungen maßgeblich geworden ist – der ‚Auslandseinsatz‘ von Archivaren, denn „während des Weltkrieges war es der preußischen Archivverwaltung vergönnt, auch außerhalb der deutschen Grenzen sich betätigen zu können“.2 Bezeichnend ist dabei die Sichtweise, es sei geradezu ein Glücksfall gewesen, außerhalb des eigenen Landes arbeiten zu können. Eine Deutung indes, die nachvollziehbar wird, sobald man sich die Möglichkeiten vor Augen führt, die Archivare in Archiven hatten, die ihnen zuvor versperrt oder nur eingeschränkt zugänglich waren: nicht bloß Nutzer, sondern ‚Herren‘ über die Bestände waren sie in Kriegszeiten in den Archiven der besetzten Gebiete; sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg, was in manchem Fall einen diachronen Vergleich ermöglicht.

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Riedner: Archivwesen, Sp. 205. Loewe: Archivwesen, S. 30.

III. Der Erste Weltkrieg, 1914–1918

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1. Deutsche Archivare in Polen Bei Kriegsausbruch 1914 war Adolf Warschauer seit wenigen Jahren Staatsarchivdirektor in Danzig, wo seine „vornehmste Sorge natürlich die möglichste Sicherstellung unserer Archivalien“3 war, da das Archivgebäude an exponierter Stelle lag und sich durch eventuelle Beschießungen bedroht sah. Als im weiteren Kriegsverlauf im August 1915 Warschau eingenommen und das Generalgouvernement Warschau unter Hans von Beseler4 eingerichtet wurde, kam Adolf Warschauers große Stunde als Archivar im besetzten Gebiet. Ungefähr einen Monat nach der Besetzung richtete Generaldirektor Kehr die Anfrage an Warschauer, ob er geneigt sei, sich „nach Warschau zum Schutze und zum Studium der dortigen Archive zu begeben. Das letztere sollte vornehmlich die Materialien für die preußische und deutsche Geschichte berücksichtigen“ – Warschauer sagte sofort zu, da ihm diese Tätigkeit „die Krönung“ seines bisherigen Schaffens zu werden schien.5 Von der Einnahme Warschaus bis zum Eintreffen Warschauers vergingen circa zwei Monate, „ein Zeitraum, der viele von den Russen hüterlos zurückgelassene Geschäftsregistraturen gefährdete“.6 Diese recht große Zeitspanne bis zum Eintreffen deutscher Fachleute zeigt aber auch, dass für einen solchen Fall keineswegs ausgereifte Pläne bestanden, die nur noch ihrer Umsetzung harrten, sondern dass sich durch die Gelegenheit und die erst wenige Jahre zuvor ratifizierte Haager Landkriegsordnung eine Situation ergab, auf die sich die Archivare zunächst improvisierend einstellen mussten. Artikel 56 der Haager Landkriegsordnung besagte, dass „das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und der Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, [. . . ] als Privateigentum zu behandeln [ist]. Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden“.7

Da hierunter auch Archive und Archivalien fielen, musste zunächst der Schutz dieser Kulturgüter gewährleistet werden, weshalb die deutsche Feldpolizei zwar nach dem Einmarsch die Archive versiegelt hatte, viel mehr aber auch nicht zu leisten vermochte. Veranlasst hatte die Entsendung eines Archivars von Beseler, der die Archive einem des Polnischen mächtigen preußischen Archivar unterstellen wollte, 3

Warschauer: Kulturarbeit, S. 266. Hans von Beseler, 1850–1921; preuß. General; ab 1912 Abgeordneter im preuß. Herrenhaus für die Freikonservative Partei; zu Beginn des Krieges Einnahme Antwerpens unter von Beseler; 1915 Verlegung an die Ostfront, August 1915 Ernennung zum Generalgouverneur. Vgl. Hecker: Beseler. 5 Warschauer: Kulturarbeit, S. 269. Kongresspolen war in zwei Generalgouvernements geteilt worden. Ungefähr ein Drittel des Territoriums wurde von einem österreichischen Geenralgouverneur mit Sitz in Lublin verwaltet, das weitaus größere Gebiet vom deutschen Generalgouverneur Hans von Beseler mit Sitz in Warschau. Vgl. Borodziej: Polen, S. 80. 6 Warschauer: Kulturarbeit, S. 269. 7 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, RGBl. 1910, S. 107–151. 4

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

„dem die doppelte Aufgabe zufallen sollte, die in den polnischen Staatsarchiven befindlichen Archivalien aus den Provinzen Posen und Westpreußen zu durchforsten und dafür Sorge zu tragen, daß nicht für die Wissenschaft unersetzliche Schriftstücke durch Eigennutz oder Unachtsamkeit während der deutschen Besetzung verloren gingen“.8

Stand hier zwar die Sorge um den Schutz der Archive gemäß der Landkriegsordnung im Vordergrund, trat doch der Aspekt hinzu, auch im Interesse der deutschen Geschichtsforschung tätig zu werden. Dass sich von Beseler nicht nur der Bedeutung der polnischen Archive bewusst war, sondern zudem die rechtlichen Rahmenbedingungen respektierte, zeigte sich sogleich: In der ersten Unterredung mit Warschauer machte er diesem klar, er dürfe „unter keinen Umständen auch nur ein Stück aus den polnischen Archiven entnehmen und in die Heimat [. . . ] senden, auch dann nicht, wenn [Warschauer] der Ansicht sein sollte, daß das Deutsche Reich Anspruch darauf habe“.9 Einige Zeit später betonte von Beseler im Vorwort einer Publikation „mit Stolz, daß die deutsche Verwaltung eines im Kriege eroberten und besetzten Landes auch die Gelegenheit zur Lösung wissenschaftlicher, durch die Zustände des Landes bedingter oder angeregter Arbeiten zu erfassen gewußt hätte“.10 Die Vorgaben von Beselers entsprachen der politischen Leitlinie, die deutscherseits im Generalgouvernement Warschau verfolgt wurde und welche die zweischneidige Besatzungspolitik bestimmte – die sich wiederum von der rigiden Politik der deutschen Militärverwaltung in Ober Ost, dem Besatzungsgebiet an der Ostfront, deutlich unterschied. Wirtschaftlich wurde im Generalgouvernement eine rigorose Ausbeutung betrieben, die sich vor allem in der Demontage von Industrieanlagen zeigte und zu einer erheblichen Deindustrialisierung führte. Allerdings sollte dieses Gebiet nicht völlig ‚ausgeblutet‘ werden. Gerade von Beselers Zivilverwaltung hatte den Auftrag, für Ruhe und Ordnung zu sorgen und überfällige Reformen durchzuführen. Dafür wurden Kooperationen mit polnischen Kräften eingegangen und diesen entsprechender Spielraum gewährt. Die Einrichtung einer Universität und einer Technischen Hochschule in Warschau sowie Reformen im Schulwesen waren dabei offensichtliche Erfolge. Die Polonisierung des Schulwesens durch Wiedereinführung des Polnischen als Unterrichtssprache wurde von den deutschen Besatzern toleriert, und auch in anderen Belangen versuchte von Beseler, den polnischen Eliten entgegenzukommen. In dieser Hinsicht unterschied sich die deutsche Zivilverwaltung deutlich von der österreichischen, die weitaus negativer wahrgenommen wurde.11 Bei allem Entgegenkommen sahen sich die Deutschen bereits als „Kulturträger“ und den als rückständig und unmodern angesehenen Polen deutlich überlegen, wo8

Archiv-Verwaltung des Deutschen Generalgouvernements Warschau (Hrsg.): ArchivVerwaltung, S. 6 f. 9 Warschauer: Kulturarbeit, S. 271. 10 Ebd., S. 271. 11 Vgl. Alexander: Polen, S. 262 f. Borodziej: Polen, S. 80–83; Leonhard: Weltkrieg, S. 286.

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bei wiederum eine Binnendifferenzierung der Bevölkerung vorgenommen und verschiedene Gruppen unterschiedlich behandelt wurden.12 Die deutsche Besatzungspolitik im Generalgouvernement ging in einigen Punkten, vor allem der Kultur-, Bildungs- und Sprachenpolitik, auf eine ‚Polenpolitik‘ zurück, die sich im Kaiserreich entwickelt hatte.13 Bezog sich diese zunächst auf die auch von ethnischen Polen besiedelten Gebiete der preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, wurde sie spätestens mit der Jahrhundertwende auf alle als Polen kategorisierten Einwohner ausgeweitet. In der Kultur- und Bildungspolitik war ab 1871 die „Homogenisierung“ der östlichen Territorien ein zentrales Anliegen – was in der Regel „Germanisierung“ der Polen bedeutete. Als seit den 1890er Jahren verstärkt wirtschaftspolitisch interveniert worden war, wurde „nun bestenfalls Kapital, das hier vor allem aus landwirtschaftlich nutzbarem Boden bestand“, „germanisiert“.14 Zu dieser Zeit sollte das Deutschtum im Osten bereits vermittels der preußischen Ansiedlungskommission und Ansiedlungsgesetzen gestärkt, sowie der verstärkten Abwanderung aus den Provinzen Posen und Westpreußen entgegengewirkt werden. Die ‚Germanisierung‘ war zugunsten ökonomischer Schwächung der Polen weitgehend aufgegeben worden. Statt Akkulturation oder gar Assimilation wurde auf bevölkerungspolitische Maßnahmen gesetzt. Diese Bemühungen waren aber nicht von Erfolg gekrönt, brachten vielmehr zusätzliche Probleme mit sich. Für Beamte, die zur Verwaltung im Osten eingesetzt wurden und die eine entsprechende Versetzung oftmals als Strafe empfanden, sollte mit der Ostmarkenzulage ein Anreiz, zumindest aber eine Entschädigung geschaffen werden.15 Die Auswirkungen jener (besatzungs-)politischen Vorarbeit zeigte sich entsprechend während des Ersten Weltkriegs in der Kombination wirtschaftlicher Auspressung, nur ansatzweiser Germanisierung und gleichzeitiger Hinnahme der Polonisierungstendenzen. In diesem Spannungsfeld hatten die deutschen Archivare tätig zu werden. Die wissenschaftliche Erschließung der Archive und insbesondere der eigene Interessen betreffenden Bestände wurde von Warschauer und seinen Mitarbeitern zwar in starkem Maße vorangetrieben, zugleich bemühten sie sich aber auch um ein möglichst gutes Verhältnis zu den polnischen Archivaren. Bei der Erfassung kirchlicher Archive ergab es sich beispielsweise, dass die Archivverwaltung beim kaiserlich-deutschen Generalgouvernement Warschau – so die offizielle Bezeichnung – vom Erzbischof von Warschau ein Empfehlungsschreiben an die Geistlichen der Erzdiözese ausgestellt bekam.16 Im Nachhinein 12

Vgl. Stempin: Zivilbevölkerung. Vgl. Volkmann: Polenpolitik; vgl. Walkenhorst: Nationalismus, S. 250–280. 14 Zit. nach Müller: Maßnahmen, S. 39 ff. vgl. Broszat: Zweihundert Jahre, S. 96–105; vgl. Kleßmann/Frackowiak: Polenpolitik; vgl. Makowski: Polen. 15 Vgl. Müller: Maßnahmen, S. 55 ff.; vgl. Frackowiak: Einführung, S. 10 f. zur Ansiedlungskommission vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte III, S. 963 f. sowie ausführlich Baier: Osten, S. 1– 148. 16 Vgl. Warschauer: Archivverwaltung, S. 101. 13

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

wurde von polnischer Seite die Tätigkeit der deutschen Archivare überwiegend positiv bewertet, vor allem die Öffnung für Benutzer und die Erstellung von Katalogen, die noch Jahre später intensiv genutzt wurden.17 Denn die deutschen Archivare gerierten sich in mancher Hinsicht weniger als Besatzer denn als Befreier, wenn sie, nachdem die erste Sichtung und Erschließung abgeschlossen war, auf Drängen potentieller polnischer Archivbenutzer einige Archive für die wissenschaftliche Benutzung freigaben. Das Warschauer Finanzarchiv und das der inneren Verwaltung wurden der Benutzung „rückhaltlos geöffnet“,18 was insofern ein Novum darstellte, als die Archive zur Zeit der russischen Herrschaft nur in Ausnahmefällen für die Wissenschaft zugänglich waren „und die Erteilung der Erlaubnis vielfach von der politischen Überzeugung des Bittstellers abhängig gemacht worden war“.19 Doch nicht nur polnischen Wissenschaftlern wurde Zugang zu den Archiven gewährt, sondern auch deutschen Gelehrten, welche die Gunst der Stunde nutzten, um zu Forschungszwecken nach Warschau zu kommen und hier sowohl Archivalien einsehen als auch Kontakte zu polnischen Forschern knüpfen konnten. In der Annäherung der deutschen und polnischen Geschichtswissenschaft sah die Archivverwaltung einen bedeutenden Aspekt ihres Daseins und nutzte dies in gewissem Maße als Selbstrechtfertigung. Den deutschen Interessenten konnten nun Archivalien vorgelegt werden, deren Existenz in den Warschauer Archiven mitunter noch nicht bekannt gewesen war. Der immense organisatorische und archivarische Aufwand, der in der Archivverwaltung des Generalgouvernements Warschau zu leisten war, konnte von Warschauer nicht allein bewältigt werden; gleich zu Beginn seiner Tätigkeit traten ihm zwei weitere Archivare mit entsprechenden Sprachkenntnissen zur Seite – Walther Recke und Hans Bellée, deren weitere Karrieren noch zu betrachten sein werden. Insgesamt hatte die Warschauer Archivverwaltung ihren personellen Höchststand 1917 erreicht, als sie 19 Personen umfasste.20 Im November 1916 hatte sich allerdings durch die Proklamierung des polnischen Staates eine wesentliche Veränderung in der Stellung der deutschen Archivverwaltung im Generalgouvernement Warschau ergeben: Bislang war jene als Okkupationsmacht aufgetreten, die im Sinne der Haager Landkriegsordnung die Archive als früheres Eigentum des russischen Staates verwaltete, um sie nach einem Friedensschluss zurückzugeben. Nun war der neue polnische Staat als Akteur entstanden, der wiederum Eigentumsansprüche an eben jene Archive stellen konnte, und die deutsche Verwaltung „war geneigt, diese Ansprüche im allgemeinen anzuerken17

Vgl. Bachulski: Staatsarchive, S. 244. Warschauer: Archivverwaltung, S. 98. 19 Archiv-Verwaltung des Deutschen Generalgouvernements Warschau (Hrsg.): ArchivVerwaltung, S. 55 f. 20 Vgl. Warschauer: Kulturarbeit, S. 284. 18

III. Der Erste Weltkrieg, 1914–1918

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nen“.21 Aber die deutschen Archivare fühlten sich dadurch nicht nur im Nachteil, denn mit dem neuen Akteur war eben auch ein staatlich legitimierter Ansprechpartner aufgetreten, an den man künftige Ansprüche stellen und Wünsche äußern konnte, beispielsweise die Zurückerlangung von Archivalien, die als provenienzmäßig den preußischen Archiven zugehörig erachtet wurden.22 Die Absicht, Archivalien nach Preußen zu überführen, hatten die deutschen Archivare anfangs vor den polnischen Archivaren verheimlicht und sich im Wesentlichen auf die Sichtung der Bestände beschränkt. Allerdings hatte Kehr Warschauer gegenüber schon früh signalisiert, dass zwar „nicht napoleonischen Spuren“ gefolgt werden sollte, aber im Zweifelsfalle doch „die preußischen Interessen den polnischen vorgehen“ müssten.23 Hierfür sollte Warschauer (Rück)Forderungslisten erstellen; eine mit Archivalien, die er glaubte berechtigterweise fordern zu können, und eine weitere Liste mit Archivalien, für deren Forderung keine rechtliche Grundlage bestand. Da zur Zeit des Wiener Kongresses, als Posen und Westpreußen Preußen zugesprochen worden waren, das Pertinenzprinzip zur Anwendung kam, ging Warschauer diesem Ordnungsprinzip folgend vor. Kehr hingegen legte daraufhin fest, dass stattdessen das Provenienzprinzip als Grundlage genommen werden sollte – jedoch weniger aus rein fachlichen Gründen, sondern vielmehr deshalb, weil dadurch die Archivalien Süd- und Neuostpreußens gefordert werden konnten, ein wesentlich größerer Aktenbestand. In die im Frühjahr und Sommer 1918 schließlich beginnenden Verhandlungen ging Warschauer ebenso wie Kehr recht zuversichtlich, zumal die polnischen Verhandlungspartner die deutschen Forderungen teilweise anerkennen, vor allem aber keinen „fanatischen Widerstand“ leisten würden. Eine Einschätzung indes, die alsbald enttäuscht wurde.24 Die aufgrund der sehr konträren Haltungen bald ins Stocken gekommenen Verhandlungen wurden durch das Kriegsende ergebnislos unterbrochen. Sowohl die deutsche wie die polnische Delegation hatten bei den Verhandlungen mit der Bedeutung der Akten für die jeweilige Verwaltung argumentiert. Man wird aber Stefan Lehr in seiner Bewertung folgen müssen, dass dieses Argument vorgetäuscht war und instrumentalisiert wurde, um die gewünschten Bestände zu erlangen.25 Wenn die Tätigkeit der deutschen Archivare im Generalgouvernement ex post von polnischen Fachvertretern als positiv bewertet wurde, mag dies zunächst verwundern. Um dies nachvollziehen zu können, muss bedacht werden, wie sich den polnischen Archivaren ihre Situation in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg darstellte: Sie waren die Herren über ihr beinahe vollständig gebliebenes Archiv21 Archiv-Verwaltung des Deutschen Generalgouvernements Warschau (Hrsg.): ArchivVerwaltung, S. 66. 22 Vgl. ebd., S. 66 f. 23 Zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 29. 24 Vgl. ebd., S. 31–35. 25 Ebd., S. 38 f.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

wesen, in welchem die deutschen Besatzer keine gravierenden Schäden angerichtet hatten, und mussten so gut wie keine größeren Verlagerungen von Archivgut mühsam revidieren. Die wissenschaftliche Leistung Warschauers und seiner Mitarbeiter fand ebenso Würdigung wie die Tatsache, dass die deutschen Archivare ihre polnischen Kollegen stets respektiert hätten, auch wenn in mancher Hinsicht Uneinigkeit geherrscht habe – meist jedoch in rein wissenschaftlicher Hinsicht.26 Gewiss war die Archivverwaltung nicht die einzige wissenschaftliche Einrichtung im Generalgouvernement Warschau, sondern stand auch in personeller Hinsicht mit weiteren Organisationen in Verbindung. So etwa mit der landeskundlichen Kommission im Generalgouvernement, einer 1916 auf von dem Berliner Geografen Albrecht Penck27 erdachten Grundlagen basierenden Organisation, die unter Leitung des ausgewiesenen Russlandexperten Max Friederichsen den Auftrag hatte, eine Übersicht über die besetzten Gebiete Russisch-Polens zu erarbeiten. Warschauer vertrat in dieser Kommission „das Fach der historischsiedlungsgeographischen Forschung“, zumal er mit der entsprechenden ‚Kulturlandschaft‘ als ausgewiesener Experte polnischer Landesgeschichte bestens vertraut war.28 Schon in diesem Krieg – bei dem in vielerlei Hinsicht Neuland betreten wurde, gerade im wissenschaftlichen beziehungsweise wissenschaftsorganisatorischen Bereich in besetzten Gebieten – agierten die Archivare nicht isoliert, sondern beteiligten sich an der disziplinübergreifenden Erfassung und Erschließung der Gebiete, auch im Rahmen der „Kulturmission“, mit der die Besatzung in amtlichen Verlautbarungen mitunter begründet wurde.29 Diese wissenschaftliche Betätigung wurde vielerorts gepriesen und vehement die Redlichkeit des Ansinnens betont: „Dieses Wirken deutscher Wissenschaft, das dem besetzten Lande und der ganzen Welt zugutekommt, ist vorbildlich wie so vieles andere, was deutsche Kraft und deutscher Geist in diesem Krieg hervorgebracht. Auch darauf dürfen wir stolz sein“.30

Wenn an dieser Stelle das Warschauer Beispiel näher betrachtet wurde, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in anderen, westlichen besetzten Gebieten Wissenschaftler zum Einsatz kamen, denn „allenthalben in den besetzten Gebieten sind heute deutsche Gelehrte, Geographen und Geologen, Physiologen und Architekten an der Arbeit“.31

26

Lehr: Osteinsatz, S. 43. Zu Penck vgl. auch den Exkurs in Kap. C. IV. 2. a). 28 Warschauer: Kulturarbeit, S. 301; vgl. Tilitzki: Albertus-Universität, S. 461 f.; vor allem zur späteren Entwicklung der Siedlungsgeografie vgl. Denecke: Forschungsansätze. 29 Vgl. Liulevicius: Besatzung, S. 379. 30 Deutsche Archivverwaltung in Polen, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 64 (1916), Sp. 247. 31 Ebd., Sp. 246. 27

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2. Deutsche Archivare in den besetzten Gebieten des Westens In Nordfrankreich waren ebenso Archivare eingesetzt und vornehmlich beschäftigt mit dem Schutz der Archive in Kampfgebieten wie in Belgien, wo neben dem Archivschutz die Auswertung von Akten sowohl zu wissenschaftlichen als auch aktuellen politischen Aspekten auf der Tagesordnung stand. Die in Belgien tätigen Archivare waren zudem in die erst seit Kriegsbeginn entstandene deutsche Flamenpolitik eingebunden und vollzogen so einen beachtlichen Rollenwechsel; „sie handelten im faktischen Rang hoher Ministerialbeamter als vor allem außenpolitische Akteure der deutschen Kriegszielpolitik in Europa“.32 Während in den deutsch besetzten Gebieten Nordfrankreichs eine „Praxis der administrativen, kulturellen und ökonomischen Germanisierung“33 betrieben wurde, stellte sich die Situation in Belgien anders dar. Im Unterschied zum besetzten Nordfrankreich waren weite Teile Belgiens besetzt und zugleich Kampfgebiet zwischen deutschen und französischen, britischen sowie belgischen Truppen. Aufgrund dieser speziellen Lage war die deutsche Besatzung Belgiens administrativ zweigeteilt. Rigide militärische Verwaltung kennzeichnete den frontnahen Bereich, während auf dem restlichen, größeren Gebiet mit dem Generalgouvernement Belgien eine Mischung aus ziviler und militärischer Verwaltung errichtet worden war.34 Wie im Generalgouvernement Warschau wurde auch im Generalgouvernement Belgien eine zweigleisige Besatzungspolitik betrieben. Einerseits wurden Belgier, welche die deutschen ‚Sicherheitsbelange‘ bedrohten, drakonisch bestraft sowie 1916/17 vorübergehend Zwangsarbeitsmaßnahmen eingeführt und dafür Deportationen ins Reich vorgenommen, um dem deutschen Arbeitskräftemangel entgegenzutreten. Andererseits wurde auch hier versucht, die Loyalität zumindest der flämischen Bevölkerung zu gewinnen. Eine deutschfreundliche Haltung wurde zwar eingefordert, aber auch den flämischen Nationalisten entgegengekommen, beispielsweise durch die Förderung der flämischen Sprache.35 Die deutsche Flamenpolitik bezog sich auf diese einseitige Stellungnahme und Unterstützung im flämisch-wallonischen „Nationalitätenkampf“, dem deutscherseits bis zum Einmarsch in Belgien noch keine Bedeutung zugemessen worden war. Im Hinblick auf eine dadurch eventuell erleichterte Verständigung mit Holland wollte man „in Belgien die kulturelle vlämische Bewegung, die ja auch eine Bewegung zugunsten der holländischen Sprache ist, nach Möglichkeit sichtbar unterstützen“.36 Vor allem die Sichtbarkeit war demnach von besonderer Bedeutung; es ging weniger um die flämische Sache als um die Außenwirkung der 32

Roolf : Belgien, S. 142. Leonhard: Weltkrieg, S. 282. 34 Vgl. Ypersele: Belgien. 35 Vgl. Leonhard: Weltkrieg, S. 282 f.; vgl. Kramer: Besatzung; zur Zwangsarbeit belgischer Arbeitskräfte im Reich vgl. Thiel: Menschenbassin. 36 Wende: Belgische Frage, S. 76. 33

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

deutschen Parteinahme. Dennoch kam es durch die deutsche Unterstützung und administrative Eingriffe in die erstmalige Zweiteilung der Verwaltung Belgiens in einen flämischen und einen wallonischen Teil. Anders als in Warschau waren in Belgien auch Archivare eingesetzt, die nicht der preußischen Archivverwaltung angehörten. Neben dem Archivar der Fürsten von Salm in Anholt, Wilhelm Kisky,37 und Otto Cartellieri38 war dies der Augsburger Stadtarchivar und „stramme alldeutsche Annexionist“39 Pius Dirr.40 Interessant am ‚Auslandseinsatz‘ der Archivare in Belgien ist, dass diese eben nicht nur mit rein fachlichen Arbeiten betraut wurden, sondern auch in politische Dienststellen eingebunden waren. Der „Multifunktionär Dirr, eine der bestgehassten Personen innerhalb des deutschen Besatzungsapparats“, beispielsweise wurde als persönlicher Beauftragter für Flamenpolitik des Generalgouverneurs Moritz von Bissing eingesetzt und war an diversen innerbehördlichen Ausschüssen und Kommissionen beteiligt; auf archivarischem Gebiet galt er als der Entdecker von Geheimakten, denen sogleich politische Bedeutung zugemessen wurde.41 Für die Auswertung belgischer Archivalien wurde bei der Politischen Abteilung eine spezielle Sektion ins Leben gerufen und weitere Historiker und Archivare nach Belgien geholt, darunter der Archivar Otto Cartellieri, die Historiker Karl Spannagel, Alfred Doren sowie Bernhard Schwertfeger als Leiter der Archivabteilung.42 Zuvor schon war der Journalist und Historiker Gustav Mayer von Dirr zur Auswertung der Akten herangezogen worden, welche dieser „wie ein Argus“ hütete, wie Mayer seiner Frau schrieb, und weiter: „Die neuesten diplomatischen Berichte der belgischen Gesandten in Berlin, Paris, London usw. hatten wir vorhin in Kästen fein säuberlich vor uns. Es wäre ungemein wichtig, dass dieses politisch hoch bedeutsame Material sofort für den Reichskanzler durchgearbeitet würde!“43

Er war sich dabei nicht nur der politischen Brisanz, sondern auch der wissenschaftlichen Bedeutung bewusst: „Welcher Historiker würde mich gegenwärtig 37 Wilhelm Kisky, 1881–1953; Studium Geschichte und hist. Hilfswissenschaften in Freiburg, Berlin und Bonn; 1906 Promotion in Bonn; danach Bearbeitung der Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter; ab 1913 Archivar der Fürsten von Salm; von Juni 1916 bis November 1918 in Belgien; 1920–24 Reichsarchiv Potsdam; ab 1928 Leiter der Archivberatungsstelle der rheinischen Provinzialverwaltung. 38 Otto Cartellieri, 1872–1930; 1897 Promotion in Berlin; 1898–1904 Mitarbeiter der MGH; 1904 Habilitation in Heidelberg; ab 1910 a.o. Prof. ebd.; ab 1924 am Generallandesarchiv Karlsruhe tätig. 39 So der ebenfalls in Belgien eingesetzte Historiker Gustav Mayer, zitiert nach Lademacher: Neutralität, S. 27. 40 Pius Dirr, 1875–1943; 1900 Promotion; ab 1901 im bayer. Archivdienst; 1903 Stadtarchivar in Augsburg; von Januar 1915 bis November 1918 in Belgien; 1919 Leiter des Münchener Stadtarchivs; 1912–24 MdL in Bayern (Liberaldemokrat. Fraktion, ab 1919 DDP). 41 Roolf : Belgien, S. 142. 42 Vgl. ebd., S. 143. 43 Brief Mayers an seine Frau, 25. April 1915, zit. nach Niedhart (Hrsg.): Mayer, S. 362.

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nicht beneiden?“44 Und tatsächlich: Dem sich nur einige Wochen zum Aktenstudium in Brüssel aufhaltenden Mediävisten Karl Hampe schrieb der Münchener Historiker Erich Marcks, dass er „mich um meine politische Tätigkeit hier beneidet“.45 Dass die politische Bedeutung der Akten, die Mayer durchsehen konnte, deren wissenschaftliche Bearbeitung zunächst verdrängen könnte, dessen war er sich sicher und versuchte dementsprechend intensiv, die ihm zustehende Zeit zu nutzen. „In der Wilhelmstrasse ahnt man von unserem Fund noch nichts. [. . . ] Denn wenn man in Berlin davon hört, so bin ich sicher, dass man dort sofort wünschen wird, die Bearbeitung selbst in die Hand zu nehmen. Bis dahin hoffe ich noch manches Geheimnis gelüftet zu haben“.46

Er äußerte damit explizit die Befürchtung, die Akten könnten das Interesse politischer Ämter wecken, was, darüber war er sich im Klaren, diese der rein wissenschaftlichen Nutzung zumindest bis auf Weiteres entziehen würde. Offenbar ergab sich in diesem Zusammenhang für Mayer ein moralisches Dilemma, mit dem er allerdings allein zu sein schien. An seine Frau gerichtet monierte er, dass sich so manche seiner Kollegen – explizit benannte er Dirr – private Exzerpte anfertigten, um auch außerhalb der Verwaltung später wissenschaftliches Kapital schlagen zu können, „aber mir scheint das unstatthaft. Was ich da finde, gehört dem Reich und kann unter Umständen bei den Friedensverhandlungen und früher sich sehr nützlich erweisen. Denn da steht auch vieles drin, was für die Behandlungen bestimmter ausländischer Staaten und Persönlichkeiten unmittelbar verwertet werden kann!“47

Die anderen Historiker und Archivare schienen diese Bedenken entweder nicht zu teilen oder zogen es zumindest vor, auf spätere Publikation ihrer Rechercheergebnisse hinzuarbeiten, die aufgrund der Brisanz durchaus ihr Publikum zu finden versprachen. Auch schien es weitestgehend Konsens zu sein, dass es sich bei der aktuellen Situation um eine Gelegenheit handelte, die es zu nutzen galt, solange sie in den fremden Kulturinstitutionen ungehindert und unter dem Schutz der deutschen Besatzung arbeiten konnten.48 3. Deutscher ‚Kunstschutz‘ im Ersten Weltkrieg Vor dem Hintergrund der noch zu betrachtenden Ereignisse und Maßnahmen im Zweiten Weltkrieg wurde von manchen Beteiligten konsensuell festgehalten, dass es im Ersten Weltkrieg einen solchen „groß angelegten offiziellen Kunstraub“ nicht gegeben habe. Vielmehr seien von deutschen Vertretern in Frankreich dortige Kunst- und Kulturgüter bestmöglich geschützt worden; Bemühungen, die 44 45 46 47 48

Brief Mayers an seine Frau, 27. April 1915 früh, zit. nach ebd., S. 363. Eintrag vom 18. November 1915, in: Reichert/Wolgast (Hrsg.): Kriegstagebuch, S. 315. Brief Mayers an seine Frau, 27. April 1915, zit. nach Niedhart (Hrsg.): Mayer, S. 367. Brief Mayers an seine Frau, 27. April 1915 früh, zit. nach ebd., S. 363 f. Vgl. Roolf : Belgien, S. 151.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

von den Franzosen „fast durchweg als versuchter Kunstraub interpretiert“ worden waren.49 Und das, nachdem in den Jahren vor dem Krieg reger deutschfranzösischer Austausch in Kunst- und Museumskreisen geherrscht hatte. Dieser jedoch schlug mit Kriegsbeginn schnell um in einen „rücksichtslosen Kulturkrieg“. Vor allem die Zerstörung der Löwener Universitätsbibliothek und der Beschuss der Kathedrale in Reims sorgten für einen internationalen Aufschrei, der sicherlich einen Gutteil zur Wahrnehmung beitrug, der preußische Militarismus habe die deutsche Kultur zu Barbarei und Vandalismus mutieren lassen. Die Deutschen hingegen versicherten sich der eigenen Liebe zur Kunst, betonten aber auch den „Vorrang des militärischen Sieges vor der Erhaltung eines Kunstwerkes“.50 Als sich bereits im August und September 1914 der Museumsfachmann Wilhelm von Bode für eine deutsche Abordnung zum Schutz des Kulturguts in umkämpften beziehungsweise besetzten Gebiet stark machte, geschah dies gewiss nicht nur aus Sorge um den Erhalt von Kunstwerken. Schon als er sich an das preußische Kultusministerium wandte, hatte er betont, es handle sich bei den bedrohten, also zu ‚schützenden‘ Kunstwerken um Millionenwerte. Dass er dabei auch potentielle Möglichkeiten zur Rückführung noch ‚fehlender‘ Kulturgüter vor allem aus Frankreich erwähnte, mochte ihm die Unterstützung Wilhelms II. einbringen. Er argumentierte dabei sehr geschickt, indem er nicht direkt von Rückführungen beanspruchter Gegenstände sprach, sondern vielmehr ausführte, dass Situationen entstehen könnten, in denen „die zeitweise Überführung der wertvollsten Kunstschätze nach Deutschland zu ihrer Rettung in Betracht gezogen werden“ müssten.51 Die gleichen Grundsätze galten, wie Bode ausführte, nicht nur im Westen, sondern auch in der neu eingerichteten Zivilverwaltung in Polen. Auf die „Entführung der Kunstschätze der Bibliothek und des Archivs in Lemberg durch die Russen“ hätte seiner Meinung nach mit „Repressalien“ reagiert werden können. Wenn darauf verzichtet worden war, lag dies darin begründet, dass „dadurch Polen, nicht Russland“ geschadet worden wäre. Deshalb würde, meinte Bode absehen zu können, auch so verfahren werden, „wenn Warschau besetzt werden sollte“.52 Dies waren Abwägungen, die darlegten, dass im Ersten Weltkrieg auf kulturellem Gebiet keinesfalls ‚verbrannte Erde‘ hinterlassen werden sollte, sondern den deutschen Experten wie auch der militärischen Führung daran gelegen war, die Regierungen und die Bevölkerung der besetzten Gebiete nicht zu verprellen. Die Kehrtwende in dieser Haltung nur wenige Jahrzehnte später bedarf eines diachronen Vergleichs der Besatzungs- und Kulturpolitik der beiden Welt49 50 51 52

Kott: Museumspolitik, S. 5. Ebd., S. 5 ff. Zit. nach ebd., S. 9; vgl. Heuss: Kulturgutraub, S. 254. Bode: Aufgaben, S. 64.

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kriege; ebenso muss diesbezüglich, gerade im Zweiten Weltkrieg, ein synchroner Vergleich der besetzten Gebiete im Westen mit denen im Osten erfolgen. Im Ersten Weltkrieg sah sich Bode zudem gezwungen, auf die französischen und belgischen Vorwürfe der deutschen Barbarei und des mangelnden Kunstverständisses zu reagieren; es erschien ihm „als unsere Pflicht, nachzuweisen“, wie sehr die „deutsche Heeresverwaltung um die Schonung der Monumente besorgt ist, und wie die Zivilverwaltung in den okkupierten Provinzen die Kunstdenkmäler und Kunstsammlungen zu schützen sucht“.53 In gewisser Hinsicht spiegelten sich deutsch-französische Selbst- und Fremdzuschreibungen der Zeit des Ersten Weltkriegs in den Vorwürfen und Rechtfertigungen der Kulturgutfragen wider. Nahm man französischer- und auch belgischerseits Zerstörungen und Kriegsschäden als Beleg des deutschen Militarismus und daraus resultierender Barbarei, hielt man deutscherseits die eigene große, überlegene Kultur entgegen. Der Bonner Kunsthistoriker und erste deutsche ‚Kunstschützer‘ im Ersten Weltkrieg, von Bode, führte diesbezüglich aus, dass es „der deutsche Geist [sei], der diesen Krieg führt, nicht der deutsche Militarismus“.54 Dem sich schnell verbreitenden Bild der Deutschen als Barbaren und ‚Hunnen‘ sollte keine weitere Nahrung oder gar Bestätigung geliefert werden. Deutschland, immerhin „das klassische Land der Denkmalpflege“, habe außerdem „noch zwischen den Schlachten“ eine Organisation für die Kunst- und Denkmalpflege eingerichtet und dies als „Ehrenpflicht“ angesehen: „Kann man wirklich glauben, dass ein Volk, das von soviel Bewunderung und Eifer um eine fremde Kunst erfüllt ist, sich tempelschänderisch an fremdem Heiligtum vergreifen könnte?“55 An ‚fremdem Heiligtum‘ wollten sich die deutschen Fachmänner zunächst offiziell nicht vergreifen. Dies lag freilich auch daran, dass sie so manche Kulturgüter vor allem in Frankreich eben nicht als ‚fremd‘ ansahen, sondern als preußisches oder deutsches Eigentum, das es zurückzuholen galt. Da deren Erfassung Teil des Auftrags des 1916 nach Frankreich entsandten Theodor Demmlers war, des stellvertretenden Direktors der Berliner Museen, zeigt sich an dessen Aufgabenstellung die Zwiespältigkeit deutschen ‚Kunstschutzes‘ im Ersten Weltkrieg. Vor allem, da noch ein weiterer Aspekt hinzutrat: Demmler sollte Kunst- und Kulturgüter suchen, um sie als „Faustpfänder“ auszuwählen und eventuell sogleich in „Sicherheit“ zu bringen. „Evakuierungen“ solcher Stücke und Verlagerungen kamen nur auf französischem Boden infrage; gegen eine widerrechtliche Überführung in das Reichsgebiet sperrte sich eine maßgeblich zuständige Behörde kategorisch: Das Auswärtige Amt verweigerte im Ersten Weltkrieg seine Zustimmung zu Abtransporten von Kulturgütern. Diesem Standpunkt schloss sich 53 Ebd., S. 62 f.; zur Bestandsaufnahme der Schäden in Belgien und Nordfrankreich vgl. Falke: Bericht. 54 Clemen: Kunstdenkmäler, S. 94. Clemen sollte zunächst nur die Schäden begutachten; ‚aktiver‘ Kunstschutz wurde in den westlichen besetzten Gebieten erst 1916 eingeführt, vgl. Heuss: Kulturgutraub, S. 255. 55 Clemen: Kunstdenkmäler, S. 94 f.

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

Erich Ludendorff als Stabschef der dritten Obersten Heeresleitung unter Paul von Hindenburg an.56 Somit stellten sich die außenpolitisch und militärisch maßgeblichen Stellen den widerrechtlichen Abtransporten entgegen, was umso mehr verwundern mag, als diese Instanzen im Zweiten Weltkrieg gänzlich anders agieren und sich zu Katalysatoren des ‚Kunst- und Kulturgutraubes‘ entwickeln sollten. Ein zunächst banal erscheinender Umstand machte den deutschen ‚Kunstschützern‘ im Ersten Weltkrieg zusätzlich zu schaffen und stellte ein Problem dar, das sich im Zweiten Weltkrieg aufgrund der stark veränderten Besatzungspolitik und der komplexen Kompetenzstruktur in besetzten Gebieten noch erheblich verschärfte: Ihrem Status nach waren die deutschen ‚Kunstschützer‘ in den im Ersten Weltkrieg besetzten Gebieten Angehörige des Militärs, allerdings fehlten ihnen entsprechende Rangstufen, um sich die erforderliche Autorität im militärischen Besatzungsapparat zu verschaffen. Dabei war es nicht nur Mangel an Respekt, mit dem sich die Experten ihrer Fachgebiete auseinandersetzen mussten, sondern die fehlende Autorität machte sich vor allem in jenen Fällen bemerkbar, in denen sie Verfehlungen, Diebstählen oder gar Plünderungen von Soldaten und Offizieren machtlos gegenüberstanden.57 4. Tätigkeit und Selbstsicht deutscher Archivare im Ersten Weltkrieg Die deutschen Archivare, Historiker und Kunstexperten waren sich demnach bewusst, dass ihre Arbeit momentan vorrangig politische Zielsetzungen verfolgte; sei es ihre Teilnahme an Kommissionen und Ausschüssen, ihr Beisteuern von Gutachten oder ihre Auswertung von Archivalien, die in naher Zukunft politisch nützlich zu werden versprachen. All das spielte sich zwar unter wissenschaftlichen Vorzeichen ab, war aber unverhüllte Auftragsforschung für politische Dienststellen, die sich von den zuarbeitenden Wissenschaftlern „gezielt organisiertes Expertenwissen“58 versprachen. Die Vermischung wissenschaftlicher Redlichkeit einerseits mit propagandistischer Absicht andererseits zeigte sich bald in Veröffentlichungen wie denen der Belgischen Aktenstücke 1905–1914 des Auswärtigen Amts und anderen frühen Publikationen. Im weiteren Kriegsverlauf wurde primär zu bestimmten Themen gezielt recherchiert und in Denkschriften, teils ‚nur für den Dienstgebrauch‘, die Ergebnisse zusammengefasst. Beispielsweise in einer frühen rechtfertigenden Darstellung, in welcher ohne Berücksichtigung der deutschen Völkerrechtsverletzungen eingehend ‚belegt‘ wurde, dass in erster Linie der kurz nach Kriegsbeginn ausgebrochene „wilde Volkskampf gegen die deutschen Truppen“ die eigentliche „flagrante Verletzung des Völkerrechts“ bildete; deutscherseits habe man lediglich reagiert: „Die Kaiserlich Deutsche Regierung glaubt durch die Veröffentlichung des vorliegenden Materials überzeugend dargetan zu haben, daß das Vorgehen der deutschen Truppen gegen die belgische Zivilbevölkerung durch deren völkerrechtswid56 57 58

Kott: Museumspolitik, S. 13; vgl. Heuss: Kulturgutraub, S. 255 f. Vgl. Kott: Museumspolitik, S. 14. Roolf : Belgien, S. 148.

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rigen Freischärlerkrieg herausgefordert und durch die Kriegsnotwendigkeit geboten war“.59

Diesen und ähnlichen Publikationen zugrunde liegendes ‚Expertenwissen‘ sollte zwei Jahrzehnte später in einem Maße an Bedeutung gewonnen haben, wie es während des Ersten Weltkriegs noch nicht vorstellbar war. Ohne späteren Entwicklungen vorauszugreifen, kann auf einen Aspekt eingegangen werden, der für archivarisches Expertenwissen und die ‚Politikberatung‘ im Ersten Weltkrieg prägend war. Betrachtet man die deutschen Archivare im Generalgouvernement Warschau, so stellt deren Tätigkeit eine Möglichkeit der archivarischen Arbeit im besetzten Gebiet dar. Bis auf wenige kleinere Ausnahmen widmeten sie sich hier der Sichtung, Erfassung und Erschließung von Registraturen und Archivalien und versuchten, diese möglichst umfassend der Geschichtswissenschaft zugänglich zu machen. Das Beispiel Belgiens zeigt jedoch einer weitere Möglichkeit, wenn hier Archivare neben ihrer Archivtätigkeit zusätzlich und in gewisser Hinsicht auch unabhängig vom Alltagsgeschäft in politische Kommissionen und Ausschüsse involviert wurden. In jedem Falle war zwar die Durchforstung fremder Archive nach Archivalien, die eigene Belange betrafen oder potentiell politisch nützlich zu sein versprachen, grundsätzlich eine wichtige Aufgabe. Dennoch schien die Verquickung beider Herangehensweisen, also der Versuch, gezielt archivische Erkenntnisse für politische Entscheidungen zu instrumentalisieren, noch nicht flächendeckend zur Anwendung zu kommen. Selbst wo dies geschah, ging die Initiative hierfür fast ausschließlich von den politischen Instanzen aus, die sich durch Aktenfunde eine bessere Verhandlungsposition für spätere Zeitpunkte erhofften. An den Gelehrtendiskussionen der Historikerschaft um die deutschen Kriegsziele ließen sich zu Kriegsbeginn Lagerbildungen ausmachen, die sich vor allem über die verschiedenen Vorgehensweisen in Ost und West konturierten.60 Ohne die Diskussion der Professorenschaft um Kriegsziele Polen beziehungsweise Belgien betreffend ausführlich beleuchten zu wollen, müssen einige wenige Aspekte erwähnt werden, die auch für die spätere Beteiligung der Archivare und Historiker bedeutsam sind. In Bezug auf Polen entstand schnell nach 1914 die hitzige Diskussion um die Germanisierung des Ostens, die Ideen des Ostmarkenvereins um Kolonisierungsmöglichkeiten und andere alldeutsche Annexionskonzeptionen, die sich mitunter bereits seit Jahrzehnten entwickelt hatten.61 In den Alldeutschen Blättern war bereits 1894 gefordert worden, der „alte Drang nach Osten soll[e] wieder leben59

Auswärtiges Amt (Hrsg.): Volkskrieg, S. 1, 6. Vgl. Schwabe: Kriegsmoral, S. 83 f. Dass die strenge Lagerbildung Schwabes mitunter kritisch zu sehen ist, wurde in der Forschung wiederholt geäußert. Unter anderem betont Steffen Bruendel, dass die Ideen von 1914 durchaus von beiden politischen Extremen anschlussfähig waren. Vgl. Bruendel: Volksgemeinschaft. 61 Vgl. Schwabe: Kriegsmoral, S. 77–80. 60

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B. Rahmenbedingungen, Weichenstellungen und Wendepunkte

dig werden“, im Osten müsse man „Ellbogenraum gewinnen“, selbst wenn dabei „solch minderwertige Völklein wie Tschechen, Slovenen und Slovaken [. . . ] ihr für die Zivilisation nutzloses Dasein einbüßen sollten“.62 Was aber die Historikerschaft spaltete, schien die in Polen eingesetzten deutschen Archivare zumindest nicht professionell zu beschäftigen. In Belgien hingegen wurden auch die Archivare vor Ort sogleich in stärkerem Maße in politische Fragen solcher Art involviert. An der die Kriegszielpolitik gegenüber Belgien betreffenden Frage schieden sich die Geister der Gelehrten auf andere Weise als in Bezug auf die östlichen Gebiete. Gab es in der Frage der Annexion Belgiens und der Schaffung eines Schutzgebietes zwar konträre Meinungen, so hingen im Diskurs um die Flamenpolitik auch dezidierte Annexionsgegner wie Max Weber und Hans Delbrück dem Glauben nach, dass sich bezüglich der „stammverwandten“ Flamen „der deutschen Politik hier die Gelegenheit böte, einer bisher unterdrückten Nationalität zu ihrem Recht zu verhelfen“.63 Nur wenige Historiker wie der erwähnte Gustav Mayer oder auch der spätere Archivar am Reichsarchiv Veit Valentin traten dieser „Flamenromantik“ skeptisch entgegen – was ihrer Karriere nicht nur förderlich sein sollte. Eine Selbstindienststellung der Archivare, die mit dem Argument der politischen Nutzbarmachung für ihre Arbeit warben, schien noch nicht zu existieren. Ganz im Gegensatz zu den Natur- und vor allem Technikwissenschaften, wo sich eine „gegenseitige Mobilisierbarkeit“ der „Ressourcenensembles“ Wissenschaft und Politik bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts abzeichnete und im Ersten Weltkrieg Hochkonjunktur hatte.64 Wenige Jahre später sollte sich in dieser Hinsicht eine Trendwende abzeichnen. Zunächst machte das Ende des Ersten Weltkriegs jedoch die meisten bisherigen Pläne zunichte. Im Generalgouvernement Warschau war der Entschluss gefasst worden, bis Ende 1918 die Archivverwaltung in polnische Hände zu übertragen – ein Plan, der durch die Novemberereignisse dieses Jahres abrupt durchkreuzt wurde. Nachdem Józef Piłsudski die deutsche Garnison in Warschau entwaffnet hatte, wurden noch am selben Tag die Archive wieder übernommen. Die deutschen Archivare mussten ihre Schlüssel übergeben, an den Türen wurden provisorische Plakate angebracht mit der Auf-

62 G.K.: Weltstellung; vgl. Walkenhorst: Nationalismus, S. 207 f. An die alldeutschen Konzepte der 1890er Jahre konnte im Nationalsozialismus teils nahtlos angeknüpft werden, vgl. Mommsen: Weimar, S. 284; vgl. Rothfels: Ostraum. Zum Alldeutschen Verband (ADV) und dessen späterer Bedeutung für den Zusammenbruch der Weimarer Republik siehe Jungcurt: Extremismus; vgl. dagegen Christoph Nübels kritische Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 20. Dezember 2016, S. 6. 63 Schwabe: Kriegsmoral, S. 85. 64 Vgl. Ash: Wissenschaft, S. 32 f. ein Fallbeispiel für die naturwissenschaftliche Expertenkultur im Ersten Weltkrieg bietet Lehmann: Experten; ausführlicher in seiner Dissertation, vgl. ders.: Kriegseinsatz.

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schrift Archiwum pa´nstwa Polskiego (Polnisches Staatsarchiv).65 Auch in den westlichen besetzten Ländern hatte die Arbeit der Archivare ein abruptes Ende, mit unterschiedlichen Auswirkungen: Einerseits mussten sie zunächst hinnehmen, dass nicht nur die ungestörte Arbeit in den Aktenbeständen vorbei war, sondern auch die bisherigen Früchte ihrer Arbeit in nächster Zeit nur schwerlich zu ernten sein würden. Andererseits traten diese Aspekte in den Hintergrund, als sich unter den an der Flamenpolitik beteiligten Wissenschaftler die hartnäckigen Gerüchte verbreiteten, dass sie auf der belgischen Liste der auszuliefernden Kriegsverbrecher stehen könnten.66 Die Arbeit deutscher Archivare in besetzten Gebieten konnte demnach – abgesehen von den überall stattfindenden Sichtungs- und Archivschutzmaßnahmen – recht unterschiedlich ausgestaltet werden, wie sich, wenngleich nicht in allen Belangen direkt vergleichbar, im Zweiten Weltkrieg erneut zeigen sollte. Allen deutschen ‚Besatzern‘ beider Weltkriege ist gemein, dass sie zumindest in Zeiten deutschen Kriegsglücks ihrer Rolle und Situation entsprechende positive Aspekte der neuen Aufgabenbereiche und Einsatzorte zu würdigen wussten. Wie diese Vorgeschichte von Archivwesen und Archivwissenschaft bis zum Untersuchungszeitraum zum einen zeigen sollte, haben sowohl theoretische als auch praktische disziplininterne Fragen, die bis weit ins 20. Jahrhundert diskutiert wurden, oftmals eine lange Vorgeschichte und blicken auf Diskurse und methodische Reflexionen vergangener Jahrhunderte zurück beziehungsweise entstanden durch historisch-politische Entwicklungen. Zum anderen konnten mit der Fokussierung auf die schrittweise Öffnung der Archive, die Institutionalisierungsprozesse sowie die Vorgeschichte von Kulturgutraub und möglicher Politisierung archivarischer Arbeit wesentliche Aspekte der Archivgeschichte in den Blick genommen werden. Denn theoretische Fragen nach Ordnungsgrundsätzen, innerem Archivaufbau und Selbstverständnis der Archivwissenschaft wurden in der Disziplin – ebenso wie praktische Fragen nach Vor- und Ausbildung von Archivaren und rechtlicher Stellung von Archiven bei Gebietsveränderungen – sowohl vor, während, als auch nach ‚Drittem Reich‘ und Zweitem Weltkrieg diskutiert, jeweils in völlig unterschiedlichen historischen Rahmenbedingungen und dennoch von oftmals denselben Personen. Um die Archivgeschichte des ‚Dritten Reichs‘ verstehen zu können, müssen die Entwicklungen zur Zeit der Weimarer Republik berücksichtigt werden. Auch wenn deren Archivgeschichte an dieser Stelle nicht erschöpfend untersucht werden kann, sollen einige Weichenstellungen Erwähnung finden, um zur Erklärung etwaiger Pfadabhängigkeiten beizutragen. 65 Vgl. Archiv-Verwaltung des Deutschen Generalgouvernements Warschau (Hrsg.): ArchivVerwaltung, S. 72; zu den hektischen diplomatischen Bemühungen in den Wochen vor dem 11. November 1918 vgl. auch Borodziej: Polen, S. 92–96. 66 Vgl. Roolf : Belgien, S. 146 ff.

C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur – Die Zwischenkriegszeit

IV. Hypotheken des Krieges, Aufschwung und interdisziplinäre Forschung. Das erste Jahrzehnt der Weimarer Republik, 1919–1929 1. Institutionelle und politische Rahmenbedingungen a) Folgen des Weltkriegs I: Die Kriegsschuldfrage und der Versailler Vertrag Die auf das Kriegsende folgenden Pariser Vorortverträge wurden auch in der Archivwissenschaft als schwere Demütigung wahrgenommen, zumal sich deren Auswirkungen in mehrerlei Hinsicht auf archivisches Gebiet erstreckten – so etwa die Verträge von Versailles und Saint Germain 1919 und Trianon 1920. Mit den hierin kodifizierten territorialen Veränderungen gingen die Übertragungen der entsprechenden Archive einher. Die Auswirkungen auf das deutsche Archivwesen wurden im Versailler Vertrag festgelegt.1 Die grundsätzliche Heraus- oder Rückgabe von Archivalien an Frankreich wurde dabei in Artikel 52 geregelt: „Die deutsche Regierung hat der französischen Regierung unverzüglich die Archive, Register, Pläne, Urkunden und Schriftstücke aller Art zu übermitteln, welche die Zivil-, Militär-, Finanz-, Gerichts- und sonstige Verwaltung der unter die französische Souveränität zurückfallenden Gebiete betreffen. Schriftstücke, Archive, Register, Urkunden oder Pläne, die etwa entfernt worden sind, hat die deutsche Regierung auf Ersuchen der französischen Regierung zurückzuschaffen“.2

Auffällig ist dabei, dass damit die Rückgabe bezüglich der Archive geregelt wurde wie noch im Jahrhundert zuvor; der angeführte Artikel entsprach in seinem Wortlaut beinahe dem korrespondierenden dritten Artikel des Frankfurter Friedens aus dem Jahr 1871.3 Schon nach dieser Bestimmung waren deutsche Archivare an Bismarck mit dem Anliegen herangetreten, vom unterlegenen Frankreich Archivalien zu fordern, die nicht erst in diesem Krieg verschleppt wurden, sondern sich seit den napoleonischen Kriegen in Frankreich befanden und dennoch die deutsche Geschichte betrafen. Der Überlieferung zufolge schmetterte Bismarck dieses Ansinnen jedoch mit den Worten ab, dass es doch deutschen Professoren nicht schaden könne, „zeitweise nach Paris zu fahren, um die Akten an Ort und Stelle zu studieren“.4 Hatten die deutschen Archive damals also kei1 Zur Entstehungsgeschichte des Versailler Vertrags vgl. Schwabe: Einleitung. Einen konzisen Überblick über die Vertragsbedingungen und die sich daraus entwickelnde deutsche Außenpolitik bietet Kraus: Versailles. 2 RGBl. 140 (1919), S. 805. 3 „Die Französische Regierung wird der Deutschen Regierung die Archive, Dokumente und Register übergeben, welche die bürgerliche, militairische oder gerichtliche Verwaltung der abgetretenen Gebiete betreffen. Sollten einige dieser Aktenstücke fortgeschafft worden sein, so wird die Französische Regierung dieselben auf Verlangen der Deutschen Regierung wieder zurückgeben.“ RGBl. 26 (1871), S. 623 f. 4 Eder: Archivfragen, S. 16; vgl. Meyer-Landrut: Völkerrecht, S. 60.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

ne Aktengewinne vertraglich zugesprochen bekommen, wurden sie durch eine Bestimmung des Versailler Vertragswerks diesbezüglich zusätzlich „in Mitleidenschaft gezogen“,5 da innerhalb von sechs Monaten „die deutsche Regierung der französischen Regierung gemäß einem von dieser ihr zuzustellen Verzeichnis die Trophäen, Archive, geschichtlichen Erinnerungen und Kunstwerke zurückzugeben [hatte], die von den deutschen Behörden im Laufe des Krieges 1870/71 und des letzten Krieges aus Frankreich weggeführt [worden] sind“.6

Von großer Bedeutung war zudem die Frage, wie im Hinblick auf die Entschädigung für im Kriege beschädigte oder zerstörte Kulturgüter zu verfahren sei. Für solche Fälle wurde zwar Entschädigung verlangt, allerdings in Form von Geldzahlungen im Rahmen der Reparationsforderungen – die von manchen Beteiligten geforderte Herausgabe deutscher Archivalien zur Entschädigung wurde nicht umgesetzt. Lediglich bei der „Wiedergutmachung“ für die zerstörte Löwener Bibliothek wurde in Artikel 247 Belgien gegenüber eine materielle Beteiligung zugesprochen, zu der preußische Staatsarchive beigetragen haben.7 Die vertragliche Regelung der Archivalienfragen nach dem Ersten Weltkrieg stand also noch ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Waren die erzwungenen territorialen Veränderungen zwar schmerzhaft, wurde dennoch eingeräumt, dass die Archivalienregelungen keineswegs einem Diktat der Sieger gleichkamen, sondern erprobtem Recht entsprachen. Aber nicht nur Archivalienabgaben und -rückforderungen trafen die deutsche Archivwissenschaft ins Mark, sondern erst recht der Verlust ganzer Archive durch die territorialen Veränderungen. Als Folge des Artikels 256 des Versailler Vertrags betraf dies sowohl die 1871 von Frankreich übergebenen Archive in Straßburg, Colmar und Metz, als auch die als äußerst wichtig und wertvoll betrachteten Staatsarchive in Posen und Danzig, die an die Provinz Posen beziehungsweise an die Freie Stadt Danzig übergingen.8 Dass diese Aspekte des Friedensvertrags die Archivwissenschaft und ebenso die Geschichtswissenschaft besonders betrafen, liegt auf der Hand. Aber unabhängig von den unmittelbaren Auswirkungen auf das eigene Betätigungsfeld stellte der Friedensvertrag ein Ereignis dar, das in der gesamten deutschen Gesellschaft Empörung hervorrief, was sich in der Rede von der Kriegsschuldlüge, vom Schmachfrieden und den als unsäglich empfundenen Bedingungen des Versailler Diktats äußerte.9

5

Posner: Vorträge, S. 32. RGBl. 140 (1919), S. 1047 ff. 7 Vgl. Meyer-Landrut: Völkerrecht, S. 62; vgl. Posner: Vorträge, S. 32 f. 8 Vgl. Riedner: Archivwesen, Sp. 215. Eine weitere Verkleinerung, wenngleich aus anderen Gründen, erfuhr die preußische Archivverwaltung 1924 durch die Auflösung des Staatsarchivs Wetzlar, vgl. Henning: GStA Berlin-Dahlem, S. 164. 9 Generell sind die Kriegsfolgen für die Entwicklung der Weimarer Republik kaum zu unterschätzen und deshalb zu recht weiterhin in vielerlei Hinsicht Gegenstand der Forschung, vgl. zuletzt Gerwarth: Vanquished. 6

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Die Historiografie der Weimarer Republik zeigte sich besonders nachhaltig beeindruckt, nachdem bereits die Übergabe der Friedensbedingungen unter Historikern „blankes Entsetzen“10 hervorgerufen hatte – so etwa bei Gerhard Ritter, der schon vor der eigentlichen Unterzeichnung von „entsetzlichen Friedensbedingungen, die einem fürchterlicher werden, je mehr man sich in die Einzelheiten vertieft“ sprach, und den Vertragsbedingungen zuschrieb, dass diese das Deutsche Reich zu einer „ausgebeuteten Kolonie“ herabzustufen vermögen, wenn nicht gar der Versuch unternommen werde, „einem Siebzigmillionenvolk planmäßig das Lebensblut auszusaugen“.11 Ähnlich konnotierte Äußerungen finden sich bei unzähligen anderen Historikern, und dies nicht nur, wie im erwähnten Beispiel Ritters, zur Zeit des der Vertragsverhandlungen beziehungsweise deren Abschluss, sondern noch einige Jahre später. In der Folgezeit änderte sich in erster Linie die Form, in der die ablehnende Haltung dargebracht wurde; von mehr oder weniger spontanen Äußerungen, fassungslosen Briefen, Reden und Zeitungsartikeln hin zur schon bald entstehenden wissenschaftlichen Diskussion auf Tagungen sowie in Periodika und Monografien. In die akademische Ausbildung fand diese Haltung Einzug zum einen durch die lehrenden Historiker, zum anderen aber auch durch Handbücher, die bald an den weitgehenden Konsens in der Bewertung der Geschehnisse angepasst worden waren. In einem 1923 in sechster Auflage erschienenen Band des Gebhardt, des Handbuchs der deutschen Geschichte, hieß es entsprechend: „Das Friedensdiktat bedeutete nichts mehr und nichts weniger als die kaltblütige Erdrosselung Deutschlands. Gallische Rachsucht, angloamerikanische Geschäftsgier und italienische Raubinstinkte feierten hier wahre Orgien“.12

Neben dem argumentativen Kampf gegen den Versailler Vertrag – dessen Bedingungen im Übrigen auch recht schnell im Ausland kritisiert wurden13 – widmete sich die deutsche Geschichtswissenschaft in erster Linie der Kriegsschuldfrage. Schon nach wenigen Kriegsmonaten hatten Historiker begonnen, sich gegen die Schuldzuschreibungen am Weltkrieg heftig zur Wehr zu setzen, suchten nach Erklärungen und erarbeiteten Verteidigungsstrategien. Bereits im Januar 1915 sprach Albert Brackmann, späterer Nestor der deutschen Archivwissenschaft, in einer Königsberger Festrede: „Seitdem dieser Brand die Welt erleuchtet, haben wir Deutschen kaum etwas anderes mit größerer Erbitterung empfunden, als daß uns von Gegnern und Neutralen die Schuld an ihm aufgebürdet wurde. Bis zum Überdruß haben wir es gehört, daß dieser Krieg das Werk einer deutschen Kriegspartei sei, die sich um das militaristische Kaisertum schare“.14 10

Cornelißen: Deutungsversuche, S. 237. Schwabe (Hrsg.): Ritter, S. 209 f. 12 Hoffmann, Otto: Vom Abschluß der deutschen Bundesakte (1815) bis zum Ende des Weltkrieges, Stuttgart 1923, hier zitiert nach Cornelißen: Deutungsversuche, S. 238. 13 Hierbei handelte es sich zumeist um (angelsächsische) Sachkritik an den ‚undurchführbaren‘ wirtschaftlichen Bedingungen des Vertrages, Schwabe: Einleitung, S. 1; prominentestes Beispiel hierfür ist die Schrift Keynes’, vgl. Keynes: Folgen. 14 Brackmann: Militarismus, S. 29 f. 11

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Die, laut Brackmann, irrige Annahme und falsche Deutung des deutschen Militarismus’ und Kaisertums sei durchaus als politisches Problem zu erkennen, da dieses Bild sich sowohl bei Gegnern als auch bei Neutralen propagandistisch durchgesetzt habe, weswegen er konstatierte, es sei, „als ob die ganze Welt die Urteilskraft verloren habe“.15 In den Jahren nach dem Krieg versuchte das Gros der deutschen Historiker, eine Deutung zu etablieren, nach der zunächst langfristige Vorbedingungen erkannt werden müssten, welche das deutsche Kaiserreich in der Zeit des europäischen Imperialismus in seiner Entfaltung und Expansion gehindert, wenn nicht in eine Verteidigungsrolle gebracht hätten.16 Grundsätzlich drängte die Kriegsursachenforschung – und damit einhergehend meist der Versuch einer Widerlegung der Kriegsschuldthese – als nationale Aufgabe andere Themen der Historiografie etwas in den Hintergrund, wobei sich dies für verschiedene Akteursgruppen unterschiedlich auswirkte. Neben die tagespolitisch engagierten publizistischen Historiker, die meist stark in die angeführte Richtung argumentierten und nicht selten polemisierten, traten einige wenige Universitätshistoriker wie beispielsweise Dietrich Schäfer in Berlin und Johannes Haller in Tübingen, die ebenfalls „im nationalen Fahrwasser mitfuhren und die Weimarer ‚Kriegsunschuld‘-Kampagne mittrugen“.17 Insgesamt fällt eine merkliche Zurückhaltung eines großen Teils der universitären Historikerschaft in der wissenschaftlichen Bearbeitung der Kriegsschuldfrage auf. Bemerkenswerterweise war dies kein rein deutsches Phänomen, sondern auch das Ausland tat sich mit einer wissenschaftlich fundierten, zeitnahen Aufarbeitung durch die eigene Geschichtswissenschaft merklich schwer.18 Dennoch wandte sich die deutsche Historiografie zunehmend zeitgeschichtlichen Themen zu, die in der Regel als politische Geschichte verstanden und betrieben wurden und denen vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Kriegsschuldfrage eine – manchmal mehr, manchmal weniger stark ausgeprägte – apologetische Tendenz innewohnte, zumal sich der „Krieg in den Köpfen“ gewissermaßen als „Krieg nach dem Krieg“ fortsetzte.19 Politisch ließ sich die Dolchstoßlegende zwar ‚rechts‘ verorten, doch trugen auch liberale und linke Exponenten zur „verhängnisvollen ‚Kriegsunschuldlegende‘“ bei. Ein notwendiger historischer Bruch mit der jüngeren Vergangenheit wurde damit verhindert, stattdessen vielmehr zur „moralischen Kontinuität“ zwischen Kaiserreich und Republik beigetragen.20 15

Brackmann: Militarismus, S. 31. Vgl. Krumeich/Hirschfeld: Geschichtsschreibung, S. 306. 17 Ebd., S. 306. 18 Eine Deutungsmöglichkeit hierfür liegt in der generellen Scheu der Historiker vor der allzu nahen Zeitgeschichte, vgl. ebd., S. 305 f.; vgl. Heinemann: Niederlage, S. 105 f. 19 Hirschfeld: Geschichtsschreibung, S. 5; vgl. Dülffer: Frieden; vgl. Faulenbach: Niederlage, S. 41–42. 20 Vgl. Hirschfeld: Geschichtsschreibung, S. 3 f. 16

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In den internationalen Beziehungen der Geschichtswissenschaft wurde die deutsche Isolierung damit verstärkt. Vor allem das vor dem Ersten Weltkrieg sehr enge Verhältnis zwischen deutschen und französischen Historikern stand nach Kriegsende vor einer Zerreißprobe. Der französische Historiker Henri Pirenne beispielsweise wurde nach 1918 „zum unnachgiebigen Warner vor den barbarischen Konsequenzen ‚deutscher Wissenschaft‘“ und geißelte die engen Verbindungen von Geschichtswissenschaft und Politik.21 Allerdings warnte er seine Fachkollegen davor, in einen „Kreuzzug“ gegen die deutsche Geschichtswissenschaft zu ziehen; ein Vorhaben, das für viele, vor allem französische und belgische Historiker nahegelegen haben mochte.22 Freilich waren Äußerungen der Empörung über Schuldzuschreibung und die als unerträglich empfundenen Vertragsbedingungen, wenngleich in verschieden scharfer Ausprägung, in der Weimarer Republik nicht nur unter Politikern und Historikern Legion; dass die deutschen Archivare in diesen Chor einstimmten, kann kaum verwundern. So schrieb 1929 der am Reichsarchiv tätige Ernst Müsebeck: „Wie sah es doch in jenen Monaten des Zusammenbruchs in der Seele der deutschen Archivare aus! Ging es nicht den meisten so wie uns am preußischen Geheimen Staatsarchiv, daß uns das Gefühl der geistigen Heimatlosigkeit, des Beraubtseins des natürlichen Grundes und Bodens, auf dem unsere Tätigkeit, unser ganzes amtliches Leben der Zukunft, von unserem eigenen zukünftigen Leben abzuschneiden drohte? – Leben und Arbeit schienen ihren Wert für uns verloren zu haben, wenn Leben und Arbeit eines Beamten Dienst an dem Staat, an der Gemeinschaft bedeutet“.23

In mehrerlei Hinsicht standen die Archivare in einer Reihe mit der Historikerschaft, welche sich gegen die Interpretation der Alleinschuld der Mittelmächte am Ersten Weltkrieg wandte. Für die Archivwissenschaft war die Beschneidung des eigenen Tätigkeitsfeldes durch die territoriale Veränderung und daraus resultierende Archivalien- und Archivabtretungen von Beginn an in hohem Maße virulent. Für manchen Historiker traten diese territorialen Auswirkungen zunächst hinter die Frage der deutschen „Ehre“ zurück, die durch die „Erniedrigung“ der Vertragsbedingungen stark in Mitleidenschaft gezogen worden sei und die es wiederherzustellen gälte. Dabei rückte beispielsweise Hermann Oncken den Kampf gegen die vermeintliche moralische Überlegenheit der „Feinde“ in den Mittelpunkt, die neben den materiellen und territorialen Beschneidungen des Reichs nicht nur „das Gedächtnis unserer Taten vergiften“, sondern auch „unsere Führer entehren und alle Werte unserer Vergangenheit verfälschen“ würden.24 Oncken sah in seinem Kampf gegen die Versailler Bestimmungen und gegen den „uns aufgezwungenen 21

Schöttler: Annales-Historiker, S. 85. Zur Haltung der französischen ‚Annales-Historiker‘ gegenüber der deutschen Geschichtswissenschaft im und nach dem Ersten Weltkrieg vgl. ebd., S. 77–93. 23 Müsebeck: Einfluß, S. 136. 24 Oncken: Gedächtnisrede, S. 10; vgl. auch Cornelißen: Deutungsversuche, S. 242 f. 22

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Schuldparagraphen“25 außerdem die Möglichkeit gekommen, die als kollektiv erlittene Bürde wahrgenommene Auswirkung der Friedensverträge als sinnstiftendes Moment zu instrumentalisieren, beziehungsweise in einen neuen, erstarkten gemeinschaftlichen Willen zu kanalisieren: „Es hat der furchtbaren Heimsuchungen bedurft, denen deutscher Staat und deutsches Volkstum nach dem Zusammenbruch gleichmässig unterlagen, um nunmehr die Ahnung einer gesamtdeutschen Schicksalsgemeinschaft zu erzeugen, wie wir sie in den Tagen des Glücks niemals besessen hatten“.26

Oncken verwies dabei zufrieden auf die in den Jahren nach 1919 verstärkt erfolgte Beschäftigung mit dem Auslandsdeutschtum, das durch Krieg und Friedensvertrag ganz erheblich getroffen worden sei. Es reichte seiner Meinung nach nicht aus, die veränderten Bedingungen – und daraus entstandenen ‚neuen‘ Auslandsdeutschen – zu bedauern, sondern die Historiografie hätte vielmehr ihren Teil zu neuen Revisionsansprüchen beizutragen; unter anderem durch das Anlegen von „Kulturkarten für den gesamten deutschen Boden“, wodurch deutsche Ansprüche auf östliche Gebiete legitimiert werden sollten.27 Unter anderem auf diese Weise wurde der Grundstein für Arbeiten gelegt, die nicht zuletzt aufgrund ihrer landeshistorischen und quellenkundlichen Expertise den Archivaren aufgetragen wurden, und für jene in den 1930er Jahren zu einem zentralen Forschungsund Betätigungsfeld werden sollten. Dass dem Osten besondere Aufmerksamkeit zuteil werden sollte, war weitgehend Konsens, sowohl in Politik als auch Wissenschaft, wobei man sich gerade zu Polen mitunter eindeutig positionierte – nicht zuletzt bedingt durch die Abtretungen ohne vorhergehende Volksabstimmungen.28 Der Reichstagsabgeordnete der DNVP, Historiker und Ostforscher Otto Hoetzsch sprach im Juli 1920 im Reichstag wohl vielen aus der Seele, als er „ein Wort über Polen“ verlor und sich dabei auf eine Äußerung des Außenministers Walter Simons bezog, der zuvor betont hatte, Polen könne eine Brücke zwischen Deutschland und Russland bilden. Hoetzschs Meinung war eindeutig: „Eine Brücke kann Polen erst dann bilden, wenn auch für unsere Seite die ethnographische Basis dieses Polentums wieder erreicht ist, wenn das Selbsbestimmungsrecht der vergewaltigten Deutschen in Westpreußen und Posen wieder hergestellt ist, wenn nach Zurückdrängung des Polentums auf seine ethnographische Basis dann die Verständigung gesucht wird. [. . . ] Bis dahin besteht Todfeindschaft zwischen uns und Polen“.29

Wenn sich auch die Archivwissenschaft auf Arbeiten einlassen sollte, die in erster Linie durch die Kriegsfolgen bestimmt waren, so hatte sie sich vor allem in den 1920er Jahren ansatzweise auch an Arbeiten zur Erforschung der 25 26 27 28 29

Oncken: Versailles, S. 99. Ders.: Kulturbedeutung, S. 134 f. Vgl. Cornelißen: Deutungsversuche, S. 243. Vgl. Gill: Staatsgrenze, S. 22 ff. Stenographischer Bericht des Deutschen Reichtags, 11. Sitzung, 27. Juli 1920, Bd. 344, S. 301.

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Kriegsursachen zu beteiligen, die vornehmlich vom Reichsarchiv und vom Auswärtigen Amt (AA) initiiert worden waren. Veit Valentin, Archivar am Reichsarchiv, hatte schon 1921 prognostiziert, in welchem Ausmaß der Erste Weltkrieg die deutsche Historiografie in der Folgezeit beeinflussen werde: „Für den Geschichtsschreiber wird er noch lange Zeit das große Ereignis bleiben, auf das alle Linien des Geschehens schon lange hinzuführen scheinen, und von dem aus unabsehbare Neuanfänge ihre Ursprung nehmen“.30 Den Arbeiten zur Großen Politik31 lag der Impetus zugrunde, sowohl die deutsche Unschuld am Kriegsausbruch wie auch die fatalen Folgen der „Einkreisung“ des deutschen Kaiserreichs nachzuweisen. Eingebunden in eine „breit angelegte Propagandaoffensive“ des Auswärtigen Amts sollte die deutsche Revisionspolitik fundiert werden; andererseits veranlasste die deutsche Quellenveröffentlichung auch andere Kriegsparteien dazu, ihrerseits Dokumente offenzulegen, was der historischen Forschung längerfristig von großem Nutzen sein sollte, trotz aller politischen Intentionen, die bei der jeweiligen Publikation zugrunde lagen.32 Ein Archivar war im Herausgebergremium um Johannes Lepsius, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Friedrich Thimme zwar nicht vertreten, doch arbeiteten zum einen Archivare des AA den Bearbeitern zu, und andere junge Historiker leisteten hier als Hilfsarbeiter erste Archivarbeiten, die sie später dazu veranlassen sollten, diesen Beruf zu erlernen.33 Stärker jedoch als den Publikationen des AA war die Archivwissenschaft dieser Zeit den Arbeiten des Reichsarchivs verbunden. Mit dem Reichsarchiv war eine Institution entstanden, die mehr neben statt in dem staatlichen Archivwesen existierte und tatsächlich in gewissem Maße außerhalb jener Archivwissenschaft entstanden war, die sich als Disziplin spezifischer Ausprägung und mit strengem Anspruch an sich und ihre Akteure verstand.34 Kurz: Sowohl die Abkehr vieler universitärer Historiker als auch die Erarbeitung der wesentlichen Publikationen durch das Auswärtige Amt und das Reichsarchiv als in erster Linie militärgeschichtlicher Instanz zeigen die weitestgehende Abwesenheit der Archivwissenschaft bei der zeitnahen Bearbeitung von Kriegs-

30

Valentin: Außenpolitik, S. 1. Die vierzigbändige Große Politik der Europäischen Kabinette, 1871–1914 erschien zwischen 1922 und 1927. 32 Vgl. Jäger: Debatte, S. 46–50; vgl. Krumeich/Hirschfeld: Geschichtsschreibung, S. 306. 33 So etwa der spätere Archivar im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts Johannes Ullrich sowie Otto Vehse, die 1930 beide den ersten Lehrgang des Instituts für Archivwissenschaft in BerlinDahlem besuchten. Siehe Kap. C. V. 2. c). 34 Auf Entstehungsprozesse, Gründung und Arbeiten des Reichsarchivs kann in dieser Studie nicht näher eingegangen werden. Vgl. hierfür u.a. Herrmann: Reichsarchiv; Demeter: Reichsarchiv; Meisner: Reichsarchiv; Nissen: Reichsarchividee; Vogel: Kampf. 31

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schuldfrage und Revisionsgrundlage zugunsten einer noch stark den Traditionen des 19. Jahrhunderts verpflichteten „Generalstabshistoriographie“.35 Die Stunde der Archivwissenschaft schlug in dieser Hinsicht erst einige Jahre nach dem Ende des Weltkriegs, als die Revisionsansprüche mehr oder weniger Konsens geworden waren, deren wissenschaftliche Legitimation aber noch mit neuen, das heißt bislang kaum oder gar nicht genutzten Methoden auszugestalten war. b) Folgen des Weltkriegs II: Personelle und finanzielle Einbußen Waren durch die Vertragsbedingungen nach 1919/20 zwar wichtige Archive schweren Herzens abgetreten worden, so zeigten sich die Auswirkungen des Krieges auf personeller Ebene erst recht unmittelbar. Denn nicht nur, dass die Archivverwaltungen während des Krieges bis zu zwei Drittel ihrer Bediensteten durch freiwilligen Kriegsdienst, Einberufungen und Hilfsdienstpflichten entbehren mussten – zahlreiche Archivare kehrten aus dem Krieg nicht mehr zurück; „den Heldentod für das Vaterland“ starben „mindestens 21 staatliche, städtische und ständische [deutsche] Archivare“, darunter allein 14 Archivare der preußischen Archivverwaltung, die damit besonders schwer betroffen war.36 Neben den grundsätzlich tragischen Auswirkungen, die der Verlust von Kollegen mit sich brachte, trat nach dem Ersten Weltkrieg der Umstand hinzu, dass der alltägliche Betrieb zunächst mit weniger Personal wieder aufgenommen werden musste. Zudem galt es einerseits viel Liegengebliebenes aufzuarbeiten, andererseits strömten in der Nachkriegszeit neue Aktenmassen in erheblichem Ausmaß in die Staatsarchive. Zum einen lag dies daran, dass unzählige Verwaltungsstellen vor dem Krieg noch „auf Jahrhunderte zurückreichende Registraturen“ verwahrten, die sie aus Platzmangel möglichst loszuwerden versuchten; zum anderen waren durch den „Staatsumsturz“ und damit einhergehende legislative Reformen, Veränderungen in der Verwaltung et cetera viele Akten „entbehrlich“ und damit historisch geworden, wobei die Archivverwaltungen sowohl vor ein quantitatives Problem gestellt wurden als auch die Aktenausscheidungen seitens der Verwaltung wachsam verfolgen mussten.37 Hinzu kamen weiter die Akten, die erst im Krieg entstanden waren, vor allem militärische und Wirtschaftsakten etwa der Kriegs- und Rohstoffgesellschaften, die den Weltkrieg für die Archivwissenschaft zu einem „Papierkrieg“ werden ließen – „wir wissen alle, daß während des Krieges furchtbar viel geschrieben wurde“.38 An den Akten der Kriegsgesellschaften, die bald im neuen Reichsarchiv bearbeitet wurden, zeigt sich eine neue Herausforderung: Erfahrungen im Umgang mit Archivalien solcher Provenienz 35 36 37 38

Vgl. Krumeich/Hirschfeld: Geschichtsschreibung, S. 305 ff. Riedner: Archivwesen, Sp. 205. Ebd., Sp. 213. Ebd., Sp. 213.

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waren nicht vorhanden und mussten erst gesammelt werden; die Zuständigkeit für Archivalien kriegsbedingt entstandener Einrichtungen wollte ebenso geklärt werden – hinzu kamen bald zahlreiche Anträge auf Einsichtnahme in eben jene Akten, die zusätzlich bearbeitet werden mussten.39 Neben diese Herausforderungen traten als weitere Probleme die finanziellen und zusätzlichen personellen Einschnitte, die das Archivwesen der Nachkriegszeit ins Mark trafen. Die wenige Jahre nach Kriegsende eingetretene „vertagte Krise“ machte sich im Archivwesen durch Etatkürzungen von bis zu 50 % bemerkbar; angesichts der anstehenden Aufgaben ein denkbar schlechter Zeitpunkt für weitere Beschneidungen der Handlungsfähigkeit der Archivverwaltungen.40 Sichtbare Belege für den aus der Not heraus erfolgten allgemeinen Verwaltungsabbau lieferte die Auflösung des Wetzlarer Staatsarchivs, die per Erlass im August 1924 erfolgte und bereits bis Ende des Jahres durchgeführt werden musste, ohne dass zunächst Klarheit darüber herrschte, auf welche Weise und in welche Archive dessen Bestände überführt werden sollten.41 Aber nicht allein die Etatkürzungen führten in den Archiven zu Stellenstreichungen; allgemein wurde damals das in Kriegs- und Krisenzeit zunächst stark angewachsene Beamtentum zutiefst erschüttert. Denn durch die Personal-AbbauVerordnung vom 27. Oktober 192342 wurden harte Maßnahmen ergriffen, um die öffentlichen Finanzen in der damals desaströsen Lage ansatzweise wieder in Ordnung zu bringen.43 Zu den erlassenen Maßnahmen zählten eine Einstellungssperre für Beamte und Beamtenanwärter sowie die Möglichkeit der Entlassung oder aber einer vorzeitigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand.44 Abgesehen von der mitunter prekären wirtschaftlichen Lage der Entlassenen, markierte diese Verordnung auch für die im Amt verbliebenen Beamten eine Zäsur. Zum ersten Mal mussten sie die Erfahrung machen, dass ihre Anstellung auf Lebenszeit, die in Artikel 129 der Weimarer Reichsverfassung ebenso festgeschrieben worden war wie ihre wohlerworbenen Rechte, unter gewissen Umständen eben doch zur Disposition stehen konnte; das Bangen um den eigenen 39

Vgl. Zipfel: Akten, S. 51, 55; Herrmann: Reichsarchiv, S. 48. Zur vertagten Krise als typischer Nachkriegskrise aufgrund des problematischen Übergangs von Kriegs- zur Friedenswirtschaft vgl. Winkler: Weimar, S. 145; zu den Etatkürzungen vgl. u. a. Herrmann: Reichsarchiv, S. 48. 41 Vgl. Korrespondenzblatt 73 (1925), Sp. 70 f. 42 Verordnung zur Herabminderung der Personalausgaben des Reiches, RGBl. 1923 S. 999– 1010. 43 Zur wirtschaftlichen Lage in der Weimarer Republik vgl. u. a. Petzina: Wirtschaft, S. 75–107; speziell zur wirtschafts- und sozialpolitischen Problematik, die sich aus der Demobilmachung ergab, vgl. Feldman: Weltwirtschaftskrise, S. 84–99; überblickshaft zum Beamtentum der frühen Republik vgl. Püttner: Dienst. 44 Dass die Entlassungen sich mitunter durchaus an politischen Einstellungen und Fragen der Republiktreue orientieren konnten, wurde verschiedentlich erörtert. Vgl. Schütz: Standesbewusstsein, S. 248; vgl. Sühl: SPD, S. 96. 40

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Arbeitsplatz war ein Novum im deutschen öffentlichen Dienst.45 Die Rigorosität dieser Verordnung war der Reichsregierung durchaus bewusst, wurde aber als notwendig erachtet. Reichskanzler Stresemann verteidigte den harten Kurs mit den Worten: „Wir werden in dieser Beziehung ganz entschieden – und ich sage das auch mit aller Offenheit – vielleicht mit Brutalität gegenüber dem einzelnen vorgehen müssen. Aber hier handelt es sich darum, den Staat zu erhalten, der nicht zu retten ist, wenn auch diese Währung in den Abgrund versinkt“.46

Im deutschen Archivwesen war der Personalabbau zwar durchaus spürbar, dennoch war man hier verhältnismäßig glimpflich davongekommen: Im österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien hingegen war nach Kriegsende die Zahl der wissenschaftlichen Beamten auf weniger als ein Drittel gesunken, und noch 1922 wurde lediglich die Hälfte des Personalbestands vor dem Krieg erreicht. Auch hier wurde das dezimierte Personal mit arbeitsintensiven Neuerungen konfrontiert: Einerseits durch die stark ansteigende Nutzung aufgrund des erleichterten Zugangs in die Archive, andererseits durch die unvermittelt archivreif gewordenen Akten der Monarchie.47 Im Vergleich dazu war der Personalabbau im deutschen Archivwesen weit weniger drastisch, wo die Einbußen „geradezu gering [seien], denn sie betragen beim akademischen Personal nur rund 10 %!“48 Trotzdem sprach Riedner 1925 in diesem Zusammenhang von der „Todesursache: Beamtenabbau“, da die absolute Zahl vielleicht niedrig ausfallen und der Prozentsatz der Entlassenen vergleichsweise gering sein mochte, in Kombination mit den anwachsenden Aufgaben und der ohnehin geringen Personaldecke aber zu verheerenden Auswirkungen führen müsse: „Für uns, die wir die Verhältnisse genau überblicken, sind allerdings 10% schmerzlich genug, denn unsere Arbeitslast ist aus Gründen, die mit dem Krieg und dem Staatsumsturz zusammenhängen, unvergleichlich stärker gewachsen als die aller anderen verwandten Behörden. [. . . ] Mit der Hälfte der Friedensmittel mußten wir Ansprüchen genügen, die gegenüber der Friedenszeit stark gesteigert waren, auch von hier aus blickten wir oft mit Sehnsucht zurück in die mit manchem Glanz übergossene, unglaublich weit in ferner Vergangenheit zurückliegende Zeit vor dem Jahre 1914“.49

Diese Sehnsucht nach der Zeit vor 1914 wurde auch in der Archivwissenschaft der folgenden Jahre immer wieder formuliert. War eine weitere Verschlechterung der Lage während des Kriegs noch unvermeidbar, aber letztendlich hinnehmbar erschienen, übertraf die Lage in den 45

Vgl. Fattmann: Bildungsbürger, S. 38. 392. Reichstagssitzung am 22. November 1923. Verhandlungen des Reichstags Bd. 361, S. 12185. 47 Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 180 f. 48 Riedner: Archivwesen, S. 212. 49 Ebd., S. 212. 46

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Nachkriegsjahren die schlimmsten Erwartungen. Statt einer Anpassung der Bezüge zumindest auf Vorkriegsniveau war es dem finanziell ‚ausgebluteten‘ Staat nicht einmal möglich, den Kaufkraftverlust durch die Inflation auszugleichen. Gleichzeitig kam es zu einer Angleichung der Nominaleinkommen der unterschiedlichen Berufsgruppen, welche die Tendenz des subjektiven Bedeutungsverlusts der Beamten im Vergleich zu anderen Berufen noch verstärkt negativ beeinflusst haben dürfte.50 Nach inflationsbedingten Vermögensverlusten und der deutlichen Verminderung des Realeinkommens betrug die Kaufkraft der höheren Beamten am Höhepunkt der Krise, im Jahr der Hyperinflation 1923, ungefähr ein Drittel des Vorkriegsstandes, der wie aufgezeigt bereits Anlass zur Unzufriedenheit gewesen war.51 Nicht nur höhere Beamte, sondern auch andere Angestellte bekamen die wirtschaftliche Krise zu spüren. Der Hilfsarchivar Otto Korfes hielt bereits 1919 fest: „Die Bezahlung ist schlecht, sie erreicht nicht das Einkommen eines Straßenbahnschaffners und bleibt gegen die Monatseinnahmen eines Berliner Müllkutschers um 400 Mark zurück“.52 Betrafen diese negativen wirtschaftlichen Entwicklungen vor allem die beamteten Archivare und die angestellten Hilfsarbeiter, so wirkten sich die unvorhergesehenen Nachkriegszustände auch auf den potentiellen archivarischen Nachwuchs aus. Denn nach Kriegsende bahnte sich, trotz der enormen Anzahl Gefallener in studierfähigem Alter, durch das Zurückströmen demobilisierter Soldaten an die Universitäten eine ‚Überfüllungskrise‘ an, die in vielen akademischen Berufszweigen die Anstellungschancen der Absolventen erheblich verringerte; der Verband akademisch gebildeter Lehrer verfasste 1919 eine Warnung vor dem Eintritt in unsern Beruf, um „nachdrücklich darauf aufmerksam zu machen, wie schlecht die Aussichten für die sind, die [den Lehrerberuf, T.W.] jetzt ergreifen“.53 Das Archivwesen mit seinem überschaubaren Bedarf an Nachwuchs machte keine Ausnahme, und einige Jahre lang wurden potentielle Anwärter ausdrücklich gewarnt, dass ihnen keine allzu große Hoffnung auf baldige Festanstellung gemacht werden könne, bevor sich die Lage auch in dieser Hinsicht wieder stabilisierte.54 Erst in der Phase der „relativen Stabilisierung“ von 1924 bis circa 1929/30 verbesserte sich allmählich die Einkommenssituation auch der Beamten.55 Die Gehälter der im Staatsdienst verbliebenen Beamten wurden ab 1924 schrittweise aufgebessert auf ungefähr drei Viertel, durch die Besoldungsreform des Jahres 1927 auf bis zu vier Fünftel der Vorkriegskaufkraft. Doch diese Besoldungsreform, so willkommen die Einkommenssteigerung auch sein mochte, machte den 50

Vgl. Hattenhauer: Beamtentum, S. 314; vgl. Fattmann: Bildungsbürger, S. 113. Vgl. Büttner: Weimar, S. 467; vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 298; zur Entwicklung der Reallöhne vgl. Holtfrerich: Inflation, S. 224–245. 52 Wegner-Korfes: Korfes, S. 43. 53 Zit. nach Jarausch: Not, S. 286. 54 Zur Ausbildungssituation siehe Kap. C. IV. 2. b). 55 Vgl. Kolb: Weimar, S. 37, 74. 51

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höheren Beamten deutlich, dass ihr am ökonomischen Status gemessener Bedeutungsverlust gegenüber manchen freien Berufen sowie weiten Teilen des Wirtschaftsbürgertums endgültig unaufholbar war; auch blieben die Einkommenszuwächse der Beamtenschaft hinter denen anderer von der Besoldungsreform betroffener Gruppen zurück und waren nur von kurzer Dauer, da in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 die Beamtengehälter schrittweise wieder um nominell etwa ein Viertel gekürzt wurden.56 Für das Archivwesen der Weimarer Republik lag die bittere Konsequenz aus der Kombination von potentiell in die Archive strömenden Aktenmassen und für deren Bewältigung nicht ausreichendem Personalstand nicht zuletzt darin, dass eine angemessene Sicherung neuer Aktenzugänge oftmals nicht möglich war, was in so manchen Fällen dazu führte, dass durch unsachgemäße (Zwischen)Lagerung größere Bestände dem Verfall und somit der Zerstörung preisgegeben waren.57 Doch die Erfahrung jener Einschränkungen und die daraus resultierenden Missstände führten auch zu einer verstärkten Selbstvergewisserung innerhalb der Archivwissenschaft, die ihre eigene Bedeutung hinterfragte und neu zu definieren suchte. Zwar seien die Folgen des Weltkriegs auch für das Archivwesen „verhängnisvoll und fürchterlich“ gewesen, dennoch fragte man sich, ob die Archive immer nur zum passiven Leiden verurteilt seien: „Müssen sie immer Amboss bleiben? Können nicht auch sie tätig und wirkend werden? Können nicht auch sie als Hammer das Schicksal ihres Staates und Volkes mit schmieden helfen?“ Die Antwort hierauf schien auf der Hand zu liegen, denn „sie können es nicht nur, sie müssen es sogar. Heute mehr als je. Sie sind ja die Rüstkammern der Staatsverwaltung, die Bergwerke der Geschichtsforschung, die Jungbrunnen der Heimatpflege. Indem sie diesen dreien dienen, leisten sie politische Arbeit, Kulturarbeit, Wiederaufbauarbeit. So tragen auch sie dazu bei, die schweren Folgen des Weltkriegs zu heilen“.58

Diese Selbsteinschätzung war der Archivwissenschaft grundsätzlich immanent, sollte in den Jahren der Weimarer Republik hingegen noch erheblich an Bedeutung gewinnen. In den folgenden Kapiteln wird daher der Frage nachgegangen, wie sich die Archivwissenschaft in der Republik und den folgenden Jahren konstituierte, rekrutierte und in die verschiedenen, oft revisionistischen historisch-politischen Fragestellungen ihrer Zeit einbrachte. 2. Disziplininterne Formation und Konstitution der Archivwissenschaft a) Die Institutionen der Disziplin Da bislang nur die Rahmenbedingungen untersucht wurden, sollen nun die disziplininternen Institutionen, die Ausbildungssituation sowie die Archivare ei56 Besoldungsgesetz vom 16. Dezember 1927, RGBl. S. 349–355; vgl. Fattmann: Bildungsbürger, S. 123–126; vgl. Büttner: Weimar, S. 467; vgl. Hattenhauer: Beamtentum, S. 348. 57 Vgl. Herrmann: Reichsarchiv, S. 48. 58 Riedner: Archivwesen, S. 224.

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ner näheren Betrachtung unterzogen werden. Dies stellt den Versuch dar, sich der Archivwissenschaft als eigener Disziplin zu nähern und deren Eigenheiten nachzuvollziehen. Von der Begründung des Deutschen Archivtags mit der ersten Tagung 1899 in Straßburg bis zur Zusammenkunft in Breslau 1913 hatte es beinahe jährlich einen Archivtag gegeben. So mancher Veranstaltungsort dieser frühen Archivtage lag im deutschsprachigen Ausland (Wien 1906, Graz 1911) oder aber im – damals noch nicht – „verlorenen Land“, namentlich die Archivtage in Straßburg 1899, in Danzig 1904, in Posen 1910 und in Breslau 1913, und „der Archivar und Historiker weiß, daß diese Verluste auch einen grausamen Eingriff in die deutsche Geschichte bedeuten“.59 Nach der Unterbrechung, die der Weltkrieg in der Abfolge der Archivtage verursacht hatte, fand 1920 in Weimar eine erneute Zusammenkunft statt, terminlich gekoppelt an die Hauptversammlung des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine. Vorträge mit allgemein- und landesgeschichtlicher Schwerpunktsetzung standen auf der Tagesordnung neben solchen zu archivwissenschaftlichen und archivgeschichtlichen Themen.60 In einem Vortrag betonte der Weimarer Archivdirektor Armin Tille, „daß das Archivwesen nicht mehr immer das Aschenbrödel der Staatsverwaltung sein darf, an das man erst denkt, wenn alles andere in Ordnung ist“.61 Tille nahm dabei zwar Bezug auf die besondere Situation des Archivwesens im erst wenige Monate zuvor gegründeten Land Thüringen, doch kann seine Mahnung sicherlich auf die archivische Gesamtsituation bezogen werden. Ein weiterer Vortrag wurde von dem Neustrelitzer Archivrat Hans Witte gehalten, der damit einen Aspekt historischer Arbeit in den Mittelpunkt rücken wollte, welcher schon lange auf der Tagesordnung stünde, aber immer noch zu wenig gewürdigt werde – die Erforschung der Germanisation unseres Ostens. Bereits 1904 hätte Adolf Warschauer „die beschämende Unwissenheit geschildert, mit der wir damals trotz aller schon geleisteten Arbeit der gewaltigsten Volksleistung des deutschen Mittelalters gegenüberstanden“. Als Witte bei der Posener Gesamtvereinstagung 1910 auf Methoden und Fortschritte der Nationalitätenforschung zu sprechen gekommen war, habe er festhalten können, dass bislang in der Erforschung „unserer östlichen Ausbreitung“ lediglich an der Oberfläche gekratzt worden sei und man zwar die Rahmenbedingungen der Entstehung kenne, aber die „innere Struktur“ des Ostens noch fremd bliebe. Am unangenehmsten müsse jedoch die Unwissenheit empfunden werden, die zu bekennen sei, „wenn wir nach dem eigentlichen ethnischen Vorgang gefragt werden, wenn wir die ein59

Sante: Archivtage, S. 277. Auf die erstgenannten wird an dieser Stelle nicht näher eingegangen: Neue Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen Universitäten (Müsebeck) und Die Geschichtsvereine in dem südlichen Teile der Rheinprovinz 1916 bis 1918 (Hirschfeld). 61 Tille: Thüringen, Sp. 222. 60

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zelnen Etappen im Ringen der Völker um die Scholle angeben sollen“.62 Später resümierte Witte, dass „abschließende Ergebnisse in unserer Ostforschung“ nur durch gezielte, planvolle und koordinierte Zusammenarbeit verschiedener Institutionen unterschiedlicher Regionen ermöglicht werden könnten63 – Forschungsverbünde also, die wenig später tatsächlich in großem Umfang etabliert werden sollten. Auf der angeführten Tagung von 1920 war demnach bereits ausdrücklich von Ostforschung die Rede gewesen, wenngleich der Terminus noch nicht so präzise verwendet wurde wie einige Zeit später, als sich die Ostforschung als interdisziplinäre Forschungsrichtung konturiert hatte. Dennoch wird deutlich, dass die Begrifflichkeit bereits unmittelbar nach Kriegsende und dann angefeuert durch die territoriale Neuordnung infolge der Versailler Verträge sehr wohl im wissenschaftlichen Diskurs Verwendung fand, sei es auch zunächst vor allem als Sammelbegriff für Bemühungen, die noch verstärkt in Angriff zu nehmen seien – eine politische und in erster Linie antislawische Zielsetzung lässt sich auch zu dieser Zeit an Wittes Formulierungen bereits erkennen.64 Schon dies macht deutlich, dass sich die Archivwissenschaft nach dem Ersten Weltkrieg – zumindest was disziplininterne Diskussionen um aktuelle Fragestellungen angeht – keineswegs in einer Art Schockstarre befand oder sich auch nur annähernd auf traditionelle Themen der Landesgeschichte zurückzog. Vielmehr wurden, immer vor dem Hintergrund der beschriebenen personellen und finanziellen Einschränkungen, aktuelle und innovative Themenstellungen, Aufgabenbereiche und Vorgehensweisen diskutiert. Schnell wurde in aller Deutlichkeit betont, dass es sich bei mancher Betätigung eben nicht nur um rein wissenschaftliche, sondern auch um ‚vaterländische‘ Aufgaben handelte, an denen es mitzuwirken galt. Das wiederum bedeutet, dass bereits in der Archivwissenschaft der 1920er Jahre eine bewusste Anwendungsorientierung gefordert wurde; nicht zuletzt, um die Sichtbarkeit der Disziplin in der Wissenschaftslandschaft zu erhöhen. In weiten Teilen der Archivwissenschaft war man sich zudem der steigenden Bedeutung wissenschaftlicher Bearbeitung von Gegenwartsfragen bewusst geworden, sei es durch zeitgeschichtliche Arbeiten mit revanchistischer Ausrichtung im Reichsarchiv oder mit der Aufnahme von Nationalitäten-, Grenz- und Volkstumsforschung. Wenn es nun galt, die Archive neben der Wahrnehmung ihrer formalen behördlichen Verwaltungsaufgabe auch wissenschaftlich „in den Dienst des Staates und des Volkes zu stellen“, was entsprechend bedeutete, „in rechter Weise [. . . ] Staat und Volk der Gegenwart [zu] bejahen“, stieß dies kei62

Witte: Nationalitätenforschung, Sp. 75. Ders.: Erforschung, Sp. 63 f. 64 Der Befund Jörg Hackmanns, der Begriff Ostforschung sei im Wissenschaftsbetrieb vor 1940 kaum greifbar, besitzt entsprechend nur eingeschränkte Gültigkeit. Hackmann: Geschichtswissenschaft, S. 29. 63

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neswegs auf Missfallen, wie bei mehreren Gelegenheiten auf verschiedenen Archivtagen betont wurde.65 Auch der Heimatgeschichte, die in vielen Archiven und von Archivaren betrieben wurde, bescheinigte man dezidiert „nationale“ Ziele, etwa das der „Versöhnung und Einigung der Gemüter auf dem Boden der gemeinsamen Vergangenheit,“ wobei es nicht nur in der „schweren Gegenwart“ Trost zu spenden galt; vielmehr sollte Heimatgeschichte auch „den politischen Blick für das [schärfen], was dem Deutschen Unglück gebracht hat“.66 Die Kriegsniederlage und die Wahrnehmung der Nachkriegsfolgen führten in vielen Zweigen der Geschichtswissenschaft zur Erfahrung eines „kollektiven Sinnverlustes“,67 der zum abrupten Ende einer „langlebigen Epoche historiographischen Selbstbewußtseins“ führte und für viele Wissenschaftler – keineswegs nur Historiker – den Kampf gegen Versailles wie selbstverständlich nach sich zog, um der unerwartet durchlebten und als Provokation empfundenen „nationalen Demütigung“ mit wissenschaftlich legitimierten Erklärungsversuchen und Ansprüchen entgegenzutreten.68 Man stieß damit in das gleiche Horn wie weite Teile von Öffentlichkeit, Wissenschaft und Politik – für die eindeutige Haltungen bezüglich Kriegsschuldfrage und Versailler Vertrag zur „Integrationsklammer der politischen Kultur“69 wurden – und stellte sich ausdrücklich hinter revisionistische Forschungsvorhaben, wie sie etwa für das Reichsarchiv in Planung und in Arbeit waren. Die Archivwissenschaft reihte sich ein in die Riege der Disziplinen, die nicht nur die Bedeutung des Grenz- und Auslandsdeutschtums erkannt zu haben glaubten, sondern sich für eine interdisziplinär zu betreibende wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik einsetzte. Denn „der deutsche Mensch der abgetretenen und gefährdeten Rand- und Inselgebiete unseres Volks- und Kulturbodens“ sehe einer ungewissen Zukunft entgegen und stelle „als Träger eines politischen Selbsterhaltungskampfes und als umkämpftes Objekt politischer Strebungen und Mächte, die auf ihn eindringen, ein Problem dar, das geistig erfaßbar und erfassungswürdig“ sei.70 Es sollte nicht jede Disziplin isoliert arbeiten, sondern alle gemeinsam für die eine einigende Aufgabe, „die Geschichte des Vaterlandes und des deutschen Volkstums aufzuhellen und ihre einheitliche Entwicklung herauszuarbeiten“.71 Wie diese Arbeit aussehen konnte, illustriert ein knapper Exkurs.

65 66 67 68 69 70 71

Stellvertretend Müsebeck: Einfluß, S. 136. Huyskens: Heimatgeschichte, Sp. 31. Mommsen: Auflösung, S. 290. Oberkrome: Landesgeschichtsschreibung, S. 4; vgl. auch Schwabe: Kriegsmoral. Heinemann: Last, S. 385. Boehm: Auslandskunde, S. 170. Ebd.

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Exkurs: Archivare und die Fragen des deutschen Volks- und Kulturbodens Ein Beispiel dafür, wie und auf welche Weise sich Archivare spätestens ab Mitte der 1920er Jahre in die politisch motivierte und interdisziplinär betriebene Forschung zu Fragen des Grenz- und Auslandsdeutschtums sowie des ostdeutschen ‚Volksbodens‘ einbrachten, liefert ein 1926 erschienener Sammelband. Herausgeber war der Leiter der Leipziger Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung, der Geograf Wilhelm Volz. Diese Stiftung war 1926 aus der ebenfalls von Volz initiierten Deutschen Mittelstelle für Volks- und Kulturbodenforschung hervorgegangen, stellte das von AA und RMdI finanzierte institutionelle Zentrum des vor allem seit 1920 intensiv betriebenen und seitdem „wissenschaftlich salonfähig“ gewordenen Forschungsparadigmas der Volks- und Kulturbodenforschung dar und hatte „wesentlichen Anteil an der Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des interdisziplinären Ansatzes der Volkstumsforschung“.72 Auch und gerade die hieran beteiligte geschichtliche Landeskunde hatte wenig zuvor im Zuge von alliierter Rheinland- und Ruhrgebietsbesetzung 1923 und dem damit einhergehenden wissenschaftlichen „Abwehrkampf“ ihre Fähigkeit bewiesen, „‚feindliche‘ Anfechtungen mit gewetzter Klinge zu retournieren“, was zu ihrer Reputation auch außerhalb enger akademischer Disziplingrenzen maßgeblich beizutragen vermochte.73 Eines der zentralen Vorhaben der Stiftung war das kulturgeografisch angelegte Großprojekt eines Handwörterbuchs des Grenz- und Auslandsdeutschtums, in welchem die interdisziplinär betriebenen Arbeiten kulminieren sollten.74 Volz legte unter Rückgriff auf die vom Schutzbund-Geografen Albrecht Penck hervorgebrachte Definition75 im einleitenden Kapitel den Untersuchungsgegenstand dar: Volksboden sei „der Boden, den [ein Volk] der Natur abgerungen hat und dem es den Stempel seiner Kultur in zäher Arbeit aufgeprägt hat“.76 Bei Penck hatte die Formel vereinfacht gelautet: „Wo deutsches Volk siedelt, ist deutscher Volksboden, da hört man deutsche Sprache und sieht man deutsche Arbeit.“ Deshalb sei aber nun das „Reich der Weimarer Verfassung [. . . ] nur ein Teil des geschlossenen deutschen Sprachbodens. Die vielen Verluste an allen Grenzen ha72

Fahlbusch: Stiftung, S. 264; vgl. Haar: Historiker, S. 25–36, 50–56; vgl. ders.: Stiftung. Oberkrome: Historiker, S. 83. 74 Vgl. ders.: Geschichte. 75 Der Schutzbund für das Grenz- und Auslandsdeutschtum war 1919 gegründet worden, um vor den Volksabstimmungen über die staatliche Zugehörigkeit die Bedeutung der grenz- und auslandsdeutschen Bevölkerungsteile hervorzuheben und zu betonen, dass jene Auslandsdeutschen aufgrund ihrer großen Opfer mindestens als gleichwertige Volksgenossen anzusehen seien; die „Erhaltung seiner gefährdeten Teile im Grenz- und Auslande ist seine eigentliche Aufgabe.“ Der Schutzbund wurde somit zu einer Art ‚Keimzelle‘ der entstehenden ‚volksdeutschen Bewegung‘; Pencks Vorarbeiten trugen weiterhin zur Gründung der Leipziger Stiftung bei. Loesch: Schutzbund, S. 9; vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 25–30; speziell zur Leipziger Stiftung vgl. Fahlbusch: Stiftung, S. 49–173; zu Pencks ‚völkischen Entwürfen‘ für den Schutzbund vgl. ebd., S. 207–218. 76 Volz: Einführung. 73

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ben ihm seinen Grenzverlauf nicht günstiger gestaltet“.77 Größtes Dilemma war nach Penck, dass die neue Grenzziehung nun auf deutschem Sprachboden verlief und nicht an dessen äußeren Rändern; großer Vorzug des „Bismarckreiches“ sei eben gewesen, dass dieses „wenigstens in den Vogesen bis an den französischen Sprachboden heranreichte, [und] nördlich davon in Lothringen sogar ein kleines Stück weit in denselben übergriff“.78 Der weit nach Osten reichende deutsche Kulturboden sei mithin „die größte Leistung des deutschen Volkes“ und trete grundsätzlich überall dort in Erscheinung, „wo immer auch Deutsche gesellig wohnen und die Erdoberfläche nutzen“; unabhängig davon, „ob es daneben zur Entwicklung eines Volksbodens kommt oder nicht“.79 Um die daraus erwachsende Problematik zu vermitteln, wurden in dem genannten Volzschen Sammelband „die Aufsätze berufenster Sachkenner“ zusammengefasst.80 Zu diesen ‚Sachkennern‘ zählten neben den Exponenten einer volkstumszentrierten (Landes-)Historiografie, Hermann Aubin und Rudolf Kötzschke, Vertreter verschiedener Disziplinen. Hinzu kamen Prähistoriker, Mediävisten, (mediävistische) Germanisten und Skandinavisten sowie Slawisten, (Siedlungs-)Geografen – und eben auch Archivare: Christian Krollmann (seit 1924 Leiter von Stadtbibliothek und Stadtarchiv in Königsberg und 1926 Mitbegründer der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung), Hermann Gollub (Königsberg, später u. a. Direktor des Staatsarchivs Stettin), Karl-Josef Kaufmann (Danzig) und der bereits angeführte Hans Witte (Neustrelitz) trugen zu diesem Gemeinschaftswerk ebenso bei wie Erich Keyser, der zu dieser Zeit noch im Danziger Staatsarchiv beschäftigt war, aber schon wenige Jahre später dort eine Professur für mittelalterliche Geschichte, Landesgeschichte und Historische Hilfswissenschaften antreten und sich noch stärker ‚bevölkerungspolitischen‘ Fragen der Ostforschung widmen sollte.81 Jene Archivare trugen auf verschiedentliche Weise, aber mit einheitlicher Stoßrichtung und Argumentation zu den Absichten des Sammelbandes bei.82 In ihren Beiträgen versuchten sie zu belegen, dass in verschiedenen östlichen Gebieten lange zurückliegende deutsche Siedlungsbemühungen, jahrhundertealte deutsche Kultur et cetera historisch nachgewiesen werden könne, um somit deutsche Ansprüche auf jene Gebiete zu legitimieren; man bemühte sich darzulegen, dass polnische Ansprüche noch viel weniger legitim seien als deutsche – die antislawische Stoßrichtung der Ostforschung sollte sich in den folgenden Jahren noch erheblich verschärfen. Die Beiträger widmeten sich Aspekten ihrer 77 78 79 80 81 82

Penck: Kulturboden, S. 62, 64. Ebd., S. 63. Ebd., S. 69. Volz: Einführung. Vgl. Keyser (Hrsg.): Weichsel; vgl. Pinwinkler: Keyser. Vgl. u.a. Witte: Mecklenburg; Krollmann: Politik; Keyser (Hrsg.): Weichsel; Gollub: Masuren.

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Forschungsschwerpunkte und konnten deshalb meist auf frühere eigene Arbeiten oder Archivstudien zurückgreifen, deren Synthesen sie hier zweckgebunden und entsprechend ergänzt und angepasst vorlegten. Anhand solcher Aufsätze wird außerdem ersichtlich, wie sehr die historische Schwerpunktsetzung gerade der genannten Archivare eindeutig auf der mittelalterlichen Geschichte lag, was einerseits durch deren akademische Aus- und Vorbildung begründet werden kann, andererseits aber auch in das Schema jener Auseinandersetzung zeigt. Denn bei der Beschäftigung mit ‚Ostfragen‘ im weiteren Sinne, die nach Weltkrieg und Versailles Konjunktur hatten, muss ungefähr ab Mitte der 1920er Jahre zwischen zwei Strömungen differenziert werden. Während sich die Ostforschung mit ihrer Konzentration auf prähistorische, vor allem aber mittelalterliche Entwicklungen eher einer Langzeitperspektive widmete, entstanden innerhalb der interdisziplinären Osteuropaforschung vermehrt (sozial-)politische und gesellschaftliche Gegenwartsanalysen.83 Diese Langzeitperspektive der Ostforschung, die sich seit dem Kriegsende und der „Geburtsstunde des volksdeutschen Gedankens“84 in aktuelle Problemstellungen einbringen konnte, ermöglichte es unter anderem den Archivaren, sich mit ihren generellen Forschungsinteressen zu profilieren. Neu eingerichtete Institutionen traten auf das Feld der Forschungsförderung, deren teils subtile, teils überdeutlich politische Anliegen durch wissenschaftliche Beiträge untermauert werden sollten. Ein weiteres Beispiel für eine derartige Verflechtung wissenschaftlicher Arbeiten mit politischer Ausrichtung bietet das Ostland-Institut in Danzig, dessen Leiter von 1927 bis 1939 der Archivar – Nachfolger Karl-Josef Kaufmanns als Direktor des Danziger Staatsarchivs –, Historiker und Professor an der Technischen Hochschule Danzig Walther Recke war.85 Nicht zuletzt durch seine Stellung als Leiter des Ostland-Instituts entwickelte Recke sich zu einem der „organisatorisch einflussreichsten Ostforscher“,86 der sich schwerpunktmäßig des „polnischen Problems“ annahm und kurz nach Erscheinen des Volzschen Sammelbands eigene Forschungen publizierte und darin auf Interpretationsmuster des 19. Jahrhunderts rekurrierte und diese an die neue Situation anpasste. Die Bismarcksche Formel des Jahres 1863, Polens Unabhängigkeit sei „gleichbedeutend mit einer französischen Armee in der Weichselposition. [. . . ] Wir können den Rhein nicht halten, wenn wir Polen im Rücken haben“, sei durch die Erfahrungen der Nachkriegszeit erneut virulent geworden.87 83

Vgl. Burleigh: Germany, S. 26. So K. C. von Loesch, zit. nach Fahlbusch: Stiftung, S. 29. 85 Walther (teilw. Walter) Recke: 1887–1962; Promotion 1910; ab 1911 in der preuß. Archivverwaltung; Habilitation 1922; Prof. TH Danzig 1937. Zum Ostland-Institut in der Ost(europa)forschung der Weimarer Republik vgl. auch Kleßmann: Osteuropaforschung. 86 Hahn: Ostforschung, S. 396. 87 Recke: Problem, S. XII. 84

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Hohe Bedeutung wies Recke dabei der von polnischen Historikern verfassten und von deren Sachverständigenkommission in Versailles vorgelegten Denkschrift Questions relatives aux territoires polonais sous la domination prussienne zu, da in dieser die Polen versucht hätten zu zeigen, „daß Preußen alle die von Polen beanspruchten Gebiete zu Unrecht besitze, Polen dagegen nicht nur historische, sondern auch moralische Anrecht[e] auf sie habe.“ Recke sprach der Denkschrift allerdings jeglichen wissenschaftlich-objektiven Charakter ab und unterstellte, dass die Publikation nach der Devise verfasst worden sei: „Our country, right or wrong“.88 Es ging ihm dabei vor allem um die Tatsache, dass wissenschaftliche Analysen und Darstellungen – seien sie nun objektiv und korrekt erhoben oder einseitig und tendenziös verfasst – dazu verwendet worden waren, politische Forderungen von großer Tragweite zu untermauern und zu legitimieren: Man müsse „mit tiefer Bitterkeit erkennen, auf wie leichtfertige und geradezu böswillige Weise unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Objektivität mit dem Geschick der deutschen Ostmarken in Paris verfahren worden ist“.89 In der Beurteilung Reckes findet sich somit eine doppelte Legitimation für die deutsche revisionistische Ostforschung politischen Zuschnitts. Zum einen der grundsätzliche Ausgang der Friedenskonferenz, der das Reich zu Unrecht beschnitten habe und der zu breit angelegten revisionistischen Bemühungen führte, die es wissenschaftlich zu belegen galt, wie unzählige Forschungsvorhaben, etwa des Reichsarchivs und diverser Kommissionen, zeigten. Zum anderen aber wurde die wissenschaftliche Begründung der polnischen Absichten auch als Herausforderung verstanden, eben jene als nicht zutreffend gewerteten Darstellungen zu widerlegen. Reckes Schlussfolgerung, in welcher er die Unrechtmäßigkeit der Versailler Beschlüsse ebenso betonte wie er die Unmöglichkeit der Handhabung der Nationalitätenfrage innerhalb des neu entstandenen Polens prophezeite, spricht für sich: „Es ist geradezu eine groteske Erscheinung, daß ein Staat, dessen Begründung angeblich unter Beobachtung moderner, gerechter Grundsätze erfolgt ist, fast bis zu 40 Prozent fremder Nationalitäten gewaltsam in sich aufgenommen hat. Die Leiter der polnischen Politik befinden sich auf einem bedenklichen Wege, wenn sie glauben, diese nationalen Minderheiten durch Gewalt und Unterdrückung in den Rahmen des polnischen Staates hineinpressen zu können. Dieser so um die nationalen Expansivkräfte der Minderheiten gelegte eiserne Ring kann im Falle des Berstens zerstörende Wirkungen von ungeahnter Ausdehnung haben. Die heutige polnische Politik leidet an dem Kardinalirrtum, daß man aus einem Nationalitätenstaat durch Zwang und Gewaltmaßregeln einen Nationalstaat machen könne“.90

Diese Argumentation mutet nicht nur aus heutiger Sicht und mit Kenntnis der deutschen beziehungsweise deutsch-polnischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs gewagt an, sondern zeigt auch die mitunter äußerst aggressive antipolnische Stoßrichtung der Ostforschung auf. 88 89 90

Ebd., S. 326. Ebd., S. 342. Ebd., S. 360.

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In Publikationen vergleichbaren Zuschnitts wie des angeführten Volzschen Sammelbandes hingegen lässt sich erkennen, dass nicht wenige Beiträge rein sachlich und fachlich einwandfrei erarbeitet und formuliert und nur an wenigen Stellen, meist im zusammenfassenden und weiterblickenden Fazit, die politischen Anliegen mehr oder weniger verhüllt formuliert wurden. Für weite Kreise der Archivare und Historiker, deren nationale Gesinnung durch Krieg und Versailles meist gestärkt worden war, boten viele der neuen Institutionen samt ihrer Publikationsorgane und Forschungzusammenhänge Möglichkeiten zur Betätigung. Und dies nicht nur für eine Sache, die so manchem Herzensangelegenheit geworden war, sondern eben auch generell zur wissenschaftlichen Tätigkeit und Publikation, was zusätzlich willkommen gewesen sein dürfte, zumal eben nicht jeder Ostforscher der 1920er Jahre eine Professur oder feste Archivarsstelle innehatte. * Doch zurück zu den Archivtagen der 1920er Jahre. Dass in der Archivwissenschaft dieser Zeit, wie in der deutschen Wissenschaft generell, eine großdeutsche Gesinnung vorherrschend war, zeigte sich auch an der Handhabe, „selbstverständlich“ mit den österreichischen Archivaren zusammen zu tagen – 1911 (Graz) und 1930 (Linz und Wien) sogar in Österreich –, denn „im Sinne des Volkstums und des Nationalbewußtseins sind es deutsche Institute, die sie vertreten; mögen auch staatsrechtliche Grenzen sie zunächst von den reichsdeutschen trennen“, aber, und darauf komme es an, „Sprache und Sitte, Kultur und geschichtliche Schicksalsverbundenheit schließt uns fest aneinander“.91 Von österreichischer Seite aus wurde diese Verbundenheit und die daraus resultierende Zusammenarbeit durchaus begrüßt. Der Direktor des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, Ludwig Bittner, bedankte sich auf dem Archivtag in Linz und Wien 1930 dafür, dass die Volksgenossen „trotz der Not der Zeit“ so zahlreich erschienen seien, und führte aus: „Uralter deutscher Heimatboden ist es, auf dem Sie sich hier befinden, mit einer Bevölkerung, die sich als Ihresgleichen fühlt und Ihnen brüderliche Liebe entgegenbringt“.92 Diese politischen Aspekte traten nicht absolut in den Vordergrund, sondern wurden grundsätzlich flankiert von archivfachlichen Erörterungen, zu deren Zweck der Archivtag vormals gegründet worden war, auf die an dieser Stelle jedoch nicht in extenso eingegangen werden kann. Unter anderem kam die Frage auf, wie mit Benutzungsanträgen von Ausländern zu verfahren sei. Prinzipiell einigte man sich diesbezüglich auf den Aspekt der Gegenseitigkeit und strebte einvernehmliche Lösungen mit ausländischen Archivverwaltungen an, allerdings 91 Eröffnungsansprache des Archivtags 1928 in Danzig, in: Korrespondenzblatt 76 (1928), Sp. 166. 92 Eröffnungsansprache des Archivtags 1930 in Linz/Wien, in: Korrespondenzblatt 78 (1930), Sp. 234.

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auf unterschiedliche Weise: In Bayern versuchte man den Grundsatz der Gegenseitigkeit zu wahren, in Wiesbaden wurden „neutrale Ausländer [. . . ] wie vor dem Kriege behandelt“, am Reichsarchiv wurden vor allem Franzosen und Polen „auf den diplomatischen Weg“ verwiesen, „womit man sie in der Regel los wurde.“ Gerade vor polnischen Benutzern warnte der sächsische Archivar Woldemar Lippert bereits eindringlich.93 Es zeigte sich, dass bereits auf den ersten größeren Zusammenkünften nach Kriegsende die Frage nach der Verortung der eigenen Disziplin und ihrer Aufgaben, eben dezidiert auch politischer Aufgaben, diskutiert wurde. Ab dem Danziger Archivtag 1928, der im „wider den Willen der Bevölkerung vom Reiche losgerissene[n] Land“94 abgehalten wurde, war die politische Ausrichtung zwar unübersehbar geworden, aber bereits auf den Archivtagen zuvor waren nach und nach die Grundsteine gelegt worden, derer man sich in den Folgejahren bedienen konnte. Dass die Archivtage dabei in besonderem Maße als Orte der Vernetzung durch Förderung der „innerfachlichen Kommunikation“ verstanden wurden, ist offensichtlich und war beabsichtigt, wie schon deren Gründungsintentionen zeigten.95 In der Betrachtung der Institutionen der Archivwissenschaft der Weimarer Republik fällt zwar auf, dass der Archivtag der Ort war, an dem sich die Disziplin konturierte und neue Entwicklungen angestoßen wurden, dennoch muss ein Blick auf jene Periodika der Zeit geworfen werden, die sich Archivwesen und -wissenschaft verschrieben hatten, in erster Linie die Archivalische Zeitschrift. Von dieser Institution, 1876 gegründet und eine der ältesten Fachzeitschriften der Welt, waren im Ersten Weltkrieg zwei Bände erschienen. Herausgegeben wurde die AZ zu dieser Zeit noch vom Königlichen Bayerischen Allgemeinen Reichsarchiv in München. Damit erklärt sich, dass ein Schwerpunkt auf der bayerischen Archiv- und Landesgeschichte lag. Neben diesen Aspekt traten hilfswissenschaftliche Studien, in erster Linie der Diplomatik, aber auch der Sphragistik und Numismatik. Aus diesen beiden Bereichen setzte sich die AZ bis zum Ersten Weltkrieg zusammen und trug somit vor allem zur bayerischen Archivwissenschaft bei, lieferte dadurch auch Beiträge, die für entsprechende Landeshistoriker, aber mitunter auch für Archivare anderer Regionen von Interesse sein konnten. Eine Zeitschrift genuin ‚deutscher‘ Archivwissenschaft hatte sich in ihr jedoch nicht etabliert. Der weitere Kriegsverlauf sowie die Umstände der Nachkriegszeit hatten dafür gesorgt, dass die AZ ein Jahrzehnt lang nicht erscheinen konnte. Erst als 93 Protokoll der 3. Tagung der Vereinigung deutscher staatlicher Archivare, Regensburg, 31. August 1925, BArch B 198/785. 94 Eröffnungsansprache des Archivtags 1928 in Danzig, in: Korrespondenzblatt 76 (1928), Sp. 165. 95 Vgl. Middell/Lingelbach/Hadler: Institute, S. 29; vgl. auch Becker: Netzwerke, S. 332; sowie Bommes/Tacke: Netzwerk, S. 37.

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1924/25 wieder Mittel zur Verfügung standen und auch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft (NDW)96 Zuschüsse gewährte, konnte an einer Wiederaufnahme gearbeitet werden – nun mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv als Herausgeber.97 Inhaltlich vollzog sich ein Bruch, da es „für die Aufnahme in unsere archivalische Zeitschrift [. . . ] fortan nicht mehr [genügt], daß ein Beitrag auf Archivalien beruhe, er muß sich vielmehr ganz oder doch in erster Linie auf Archive, Archivalien und deren Nutzbarmachung beziehen“.98 Was, und dies ist im vorliegenden Kontext von besonderer Bedeutung, zu einem wesentlichen Teil den Bruch mit der Vorkriegs-AZ ausmachte, wurde ebenfalls programmatisch verkündet: Die AZ strebte nun „heraus aus der landschaftlichen Einseitigkeit, die man unserer Zeitschrift zeitweise nicht ganz mit Unrecht zum Vorwurf gemacht hat.“ Statt dem durch bayerische Archivare als Verfasser bedingten engen regionalen Themengebiet sollten jetzt „alle Länder deutscher Zunge [. . . ] fortan gleichmäßig berücksichtigt“ werden.99 Nicht nur, dass auch preußische, sächsische und andere deutsche Archivare zu Wort kommen sollten bezüglich ihrer Anliegen sowie überregionalen und die gesamte Disziplin betreffenden Themen, sondern auch das ausländische Archivwesen sollte in den Blick genommen werden, zumindest soweit es für deutsche Belange von potentiellem Interesse war. Dieses Vorhaben war auf dem Münsteraner Archivtag 1924 vorgetragen und „beifällig begrüßt“ worden, zumal die deutsche Archivwissenschaft zu jener Zeit kein explizit diziplineigenes Fachorgan vorzuweisen hatte.100 Die erste Nachkriegsausgabe 1925 war natürlich noch stark vom Ersten Weltkrieg und dessen Folgen beeinflusst, was sich in erster Linie in Bestandsaufnahmen und Rückblicken manifestierte. Daneben traten sogleich – und dieser Befund gilt auch für die folgenden Ausgaben, wenngleich in unterschiedlicher Gewichtung – regelmäßige Berichte zum ausländischen Archivwesen, Vorstellungen einzelner deutscher Archive, Berichte über Neu- und Umbauten sowie landesgeschichtliche und hilfswissenschaftliche Aufsätze. Letztere waren zwar kontinuierlich vorhanden, traten ab 1925 aber merklich in den Hintergrund. Für die hier zu betrachtende Genese der Disziplin von besonderer Bedeutung ist der Umstand, dass mit dem Wiedererscheinen der AZ ab Mitte der 1920er Jahre ein weiteres Forum entstand, in welchem disziplinspezifische, das heißt sowohl technische als auch fachwissenschaftliche Frage- und Problemstellungen ausführlich behandelt werden konnten. 96 Die NDW war 1920 gegründet worden, um die ‚durch die gegenwärtige wirtschaftliche Notlage erwachsene Gefahr völligen Zusammenbruchs‘ der deutschen Wissenschaft durch finanzielle Förderung abzuwenden, wie es in der Satzung hieß. Vgl. Nipperdey/Schmugge: Forschungsförderung, S. 108; vgl. Wagner: Reservat; vgl. Flachowsky: Werkzeug. 97 Dies war allerdings keine große Neuerung, sondern durch eine Namensänderung bedingt. 98 Riedner/Striedinger: Einführung, S. 1. 99 Ebd., S. 2. 100 Ebd., S. 2; vgl. Striedinger: AZ.

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Zum einen wurden hier den Zeitumständen geschuldete Fragen erörtert,101 zum anderen generelle fachliche Themen zur Diskussion gestellt.102 Grundsatzfragen der Disziplin fanden ebenso ihren Platz wie konkretere Problemstellungen, beispielsweise der Schädlingsbekämpfung in Archiven oder der Diebstahlprävention in Lesesälen.103 In der AZ wurden somit Neuerungen vorgeschlagen, die sich später in der Archivwissenschaft durchsetzen sollten, oder aber nach begründeten Einwänden keine Auswirkungen auf die Disziplin zeigten; die wissenschaftliche Diskussion war um eine institutionalisierte Plattform erweitert worden. Um zu verstehen, wie sich die Archivwissenschaft als Disziplin auf dem Weg ins ‚Dritte Reich‘ und dann vor allem während des Nationalsozialismus verhalten und verändern sollte, müssen zunächst weitere Vorbedingungen dargestellt und analysiert werden. Sowohl die Frage der Ausbildung wie auch die personelle Zusammensetzung der Disziplin werden dafür nachfolgend näher betrachtet. b) Die Archivarsausbildung Der Mediävist Paul Kehr, der 1915 das Amt Reinhold Kosers übernommen hatte und der in den folgenden Jahren auch in der Geschichtswissenschaft zu großem Einfluss gelangte,104 richtete sein Augenmerk speziell auf die Ausbildung des archivarischen Nachwuchses. War er zwei Jahrzehnte zuvor noch Heinrich von Sybel unterlegen mit seiner Meinung, dass die Art der hilfswissenschaftlichen Ausbildung angehender Archivare, wie sie an Universitäten umgesetzt werde, nicht ausreichend sei, so konnte er in seiner neuen Stellung gerade hierauf Einfluss nehmen.105 Er hatte deshalb mit den Direktoren der preußischen Staatsarchive eine zweijährige postgraduale Ausbildung entwickelt, die 1917 Gültigkeit erlangte und deren erfolgreicher Abschluss zum Eintritt in den Archivdienst bei den Königlichen Staatsarchiven befähigte – aber natürlich keinen Anspruch darauf beinhaltete. Kehr, der als Schüler Theodor von Sickels106 selbst die Ausbildung am Institut für Österreichische Geschichtsforschung absolviert hatte, reformierte damit 101 Allen voran der bereits angeführte zentrale Aufsatz Müsebecks. Vgl. Müsebeck: Einfluß; vgl. Zipfel: Akten; ders.: Z.E.G. 102 Müller: Kassationsbestimmungen; Richter: Archivpflege; Kaiser: Archivkunde; Müller: Recht; Lippert: Archivausstellungen. 103 Striedinger: Bibliotheksgut; Katterbach: Schädlinge; Meisner: Diebstähle. 104 Noch 1917 hatte er die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte in Berlin übernommen, 1919 wurde er einstimmig zum Vorsitzenden der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica gewählt. Vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 102 f. vgl. Schieffer: Kehr. 105 Kehr brachte seine Meinung über die unzureichende hilfswissenschaftliche Ausbildung an Universitäten 1921 in einem Schreiben an den Vorsitzenden des Verbands der wissenschaftlichen Beamten an den preußischen Staatsarchiven zum Ausdruck. Vgl. hierzu Weiser: Archivverwaltung, S. 106. 106 Theodor von Sickel (1826–1908), hatte nach seiner Dissertation die Pariser École des Chartes besucht, lehrte in Wien Historische Hilfswissenschaften und leitete das IÖG von 1869 bis 1891.

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die deutsche beziehungsweise preußische Archivarsausbildung in Abkehr von den französischen und österreichischen Vorbildern. Im Vergleich mit der französischen Ausbildung an der École des Chartes wird besonders deutlich, wo der deutsche Ausbildungsgang Defizite aufgewiesen hatte. Eine archivarische Ausbildung nach französischem Vorbild schien in den regulären deutschen Universitätsbetrieb nicht integrierbar zu sein, zumindest nicht auf einem vergleichbaren Niveau; allerdings wollte Kehr auch nicht auf die solide universitäre Ausbildung in Geschichte zugunsten der archivfachlichen Ausbildungsschwerpunkte verzichten.107 Mit der postgradualen archivfachlichen Ausbildung nach einem Geschichtsstudium, bei dem idealerweise bereits hilfswissenschaftliche Vorkenntnisse erworben wurden, entstand der Versuch, die Vorteile der französischen und österreichischen Vorbilder zunutze zu machen und mit dem bewährten deutschen Geschichtsstudium zu kombinieren. Weitere Aspekte sprachen dafür, ein Studium mit den beiden Examina zu fordern, bevor der Volontärdienst aufgenommen werden konnte. Zum einen ergab sich daraus die Möglichkeit, Bewerber von zweifelhafter Eignung aus dem Vorbereitungsdienst zu entlassen, ohne dass diese vergeblich eine jahrelange Ausbildung betrieben hatten, denn der Eintritt in den Schuldienst war durch das geforderte Staatsexamen weiterhin möglich. Diese Möglichkeit, für das Archivwesen ungeeignete Personen in die Studienratslaufbahn ‚abzuschieben‘, existierte keineswegs nur formal, sondern wurde von Kehr mehrfach genutzt.108 Zum anderen fügte sich der postgraduale zweijährige Vorbereitungsdienst beamtenrechtlich nahtlos in die Riege anderer wissenschaftlicher Beamtenlaufbahnen ein, indem er zum archivfachlichen Pendant der Assessorenausbildungen in den höheren Diensten von Schulwesen und Justiz wurde; die aus bürokratischer Sicht „fatale Lücke“ in der Amtslaufbahn konnte durch den Vorbereitungsdienst geschlossen werden, auch wenn die praktische Ausbildung im Justiz- und Schuldienst nicht wirklich mit dem wissenschaftlichen Graduiertenstudium der angehenden Archivare gleichzusetzen war.109 Die Anforderungen an die Vorbildung künftiger Archivare hatten sich drastisch verschärft, denn aufgrund des geringen Bedarfs an Nachwuchskräften ergab sich aus der Zulassung zur Ausbildung oder auch aus deren erfolgreichem Bestehen noch längst kein automatischer Eintritt in die Archivarslaufbahn. Vielmehr behielt sich die Archivverwaltung ausdrücklich vor, nach den erfolgten Prüfungen aus denjenigen Anwärtern auszuwählen, die sowohl „tüchtige Leistungen“ im Vorbereitungsdienst erbracht als auch gute Prüfungen abgelegt hatten und dadurch „die sichere Gewähr“ boten, ihre späteren Amtsobliegenheiten „ersprießlich“ erfüllen zu können – „sowohl in bezug auf die Verwaltung der Archive wie in bezug auf wissenschaftliche Leistungen“. Die polnische Sprach107 108 109

Vgl. Papritz: Archivwissenschaft Bd. 1, S. 10 f. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 11.

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prüfung beispielsweise war zwar fakultativ, aber gerade bei der Stellenbesetzung in den genannten östlichen Archiven disqualifizierten sich diejenigen Anwärter ohne Polnischkenntnisse fast automatisch, wenn ein entsprechend qualifizierter Mitbewerber des Polnischen mächtig war.110 Auf ein gutes Doktor- und Staatsexamen hatten demnach ordentliche praktische Leistungen, das Bestehen anspruchsvoller und umfangreicher Prüfungen und idealiter der Erwerb zusätzlicher Sprachkenntnisse zu folgen. Nur wer all dies vorweisen konnte, hatte in Abhängigkeit von der Anzahl und der Qualifikation der Mitbewerber und der vakanten Stellen die Chance, zunächst unentgeltlich als Archivhilfsarbeiter in den Staatsarchivdienst eintreten zu können, bis die Ernennung zum bezahlten Archivassistenten ermöglicht wurde. Dies galt zwar ausdrücklich nur für den Staatsarchivdienst, doch gerade größere und traditionsreiche Stadtarchive konnten durchaus hohe Anforderungen an potentielle Mitarbeiter stellen. Als es in der Wirtschaftskrise der frühen Weimarer Republik 1923 zum erwähnten Personalabbau gekommen war, betraf dies auch die Ausbildung und Anstellung junger Archivare. Der erst im Jahr zuvor promovierte junge Historiker Johannes Papritz hatte sich im November 1923 in Berlin-Dahlem um Aufnahme als Archivarsanwärter beworben. Doch der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, Kehr, musste ihm zu seinem Bedauern eröffnen, „dass durch einen Beschluss des Staatsministeriums bis auf weiteres Anwärter nicht angenommen werden dürfen,“ und es sei auch „nicht abzusehen, ob und wann und in welchem Umfange diese Sperrmassregel aufgehoben werden wird.“ Allerdings würden in Dahlem dennoch Archivkurse abgehalten werden, an denen er „trotz der verringerten Aussicht auf Unterkommen in der Archivlaufbahn“ teilnehmen könne.111 Vor diesem Hintergrund kam der Anforderung des Nachweises, über gesicherte Mittel zum ‚standesgemäßen Unterhalt‘ zu verfügen, besondere Bedeutung zu. Trotz des enormen Anstiegs der Studentenzahlen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs und einer erneuten ungefähren Verdopplung im ersten Jahrzehnt der Weimarer Republik war der gesellschaftliche Kreis, der sich zu dieser Zeit ein Universitätsstudium leisten konnte, recht überschaubar und keineswegs so heterogen wie die Gesamtgesellschaft.112 In der Archivwis110 Verordnung vom 28. August 1917, betr. die Zulassung zum wissenschaftlichen Archivdienst bei den Königlichen Staatsarchiven, Ministerialblatt für die preußische innere Verwaltung, 78 (1917), S. 235–238. 111 Kehr an Papritz, 27. November 1923, HStA Marburg, 340 Papritz, C12a, 3.In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass Aspekte der ‚Überfüllung‘ oder andere, potentielle Archivare von einer (Archiv-)Karriere abhaltende Umstände zwar dargelegt, betroffene Personen aber nicht in die Untersuchung aufgenommen werden können, da der untersuchte Personalbestand eben jene umfasst, die den Sprung in den höheren Archivdienst geschafft und hier überwiegend in gehobene, höhere und höchste Positionen aufrückten. 112 Vgl. Jarausch: Studenten, S. 72, 129 f. Bspw. kamen 1911 nicht einmal 2 % der Studenten in Preußen aus Arbeiterfamilien; die Söhne kleiner Angestellter machten lediglich weitere 3 % aus. Vgl. Ringer: Gelehrten, S. 61.

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senschaft trat ein weiterer Ausbildungsabschnitt hinzu, den es zu finanzieren galt, obwohl er keineswegs eine gesicherte Zukunft versprechen konnte, und der die Zusammensetzung der Disziplin maßgeblich beeinflusste. Denn die Betrachtung der Anforderungen und der Ausbildung lässt eine gewisse Homogenität der Fachvertreter vermuten, kann aber nur die Rahmenbedingungen deren individuellen Backgrounds vermitteln. Wie sich jene in den verschiedenen Gesellschafts- und Statusgruppen verorten lassen und auch selbst verorteten, muss anhand verschiedener Faktoren analysiert werden, um sich dieser Disziplin einen weiteren Schritt zu nähern. c) Archivare – Beamte, Bildungsbürger, Gelehrte? An dieser Stelle wird der Versuch unternommen, eine Art Typologie des Archivars dieser Zeit zu erstellen, um eventuelle Veränderungen in Selbst- und Fremdzuschreibungen während und nach dem ‚Dritten Reich‘ greifbar zu machen. Zu fragen ist hierbei in erster Linie, ob und wie sich die Archivare verschiedenen Kategorien zuordnen lassen und welche Einschränkungen oder Ergänzungen dabei vorgenommen werden müssen. Es soll untersucht werden, inwiefern sich die Kategorien der Beamten, der Bildungsbürger und der Gelehrten auf die Archivwissenschaft anwenden lassen. Die Auswirkungen von Nachkriegswirren, Wirtschaftskrise und Personalabbau auf das Archivwesen der 1920er Jahre sind bereits geschildert worden.113 Dass Archive und Archivare hiervon mitunter stark betroffen waren, liegt in ihrer Einbettung in die bürokratische Verwaltungsstruktur und das Beamtentum begründet. Bereits am 9. November 1918 hatte Friedrich Ebert an die Beamten der deutschen Bürokratie appelliert, weiter in ihren Dienstzimmern zu bleiben und ihren Dienst zu versehen, doch er forderte nicht, dass der Beamte sich auf den Geist der Republik umstellen müsse, was für so manchen Beobachter zu einer fatalen Kontinuität führte – Ernst Troeltsch konstatierte bereits Ende Januar 1919 irritiert: „Die Beamtenwelt ist so gut wie ohne alle Personalveränderungen geblieben. Die Beamten, auch die konservativsten, stellten sich auf den Boden der neuen Tatsachen und blieben im Amt, regieren, sprechen und benehmen sich ganz im alten Stil. Das erzeugt immer neues Mißtrauen und neue Reibungen. Nur ein gründlicher Beamtenwechsel kann hier helfen“.114

Sowohl im Beamtentum allgemein als auch im Archivwesen hatte es „keine totalitär einheitliche Ausrichtung“ gegeben, doch wie sah der „vorherrschende Geist“ im Beamtentum aus?115 113 114 115

Siehe Kap. C. IV. 1. Zit. nach Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 361. Vgl. Nipperdey: Machtstaat, S. 134.

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Die Erblast des Kaiserreichs zeigte sich auf vielfältige Weise; die wehmütige Sehnsucht nach nationaler Größe und Überlegenheit wurde durch die verdrängte Niederlage verstärkt, die improvisierte Demokratie der Weimarer Verfassung von großen Teilen der deutschen Bevölkerung „mehr hingenommen als angenommen“.116 Die Einstellung weiter Teile der deutschen Beamtenschaft zur Republik changierten zwischen grundsätzlich negativer Meinung und feindseliger Ablehnung. Dies führte dazu, dass sich ein rechtsnationalistischer, oft auch völkischer Radikalismus im öffentlichen Dienst in der Zeit der Weimarer Republik zu einem Problem entwickelte, das zumindest in diesem Maße zuvor nicht bekannt gewesen war.117 Sah es nach dem Ersten Weltkrieg zunächst danach aus, als könnte die Beamtenschaft sich mit einem Lippenbekenntnis zur Republik mit eben jener arrangieren, ohne alte Gewohnheiten, Traditionen und Ansichten abzulegen, wies der drastische Personalabbau in eine andere Richtung und war Wasser auf die Mühlen der republikskeptischen und erst recht der republikfeindlichen Beamten. Und dies, nachdem es bei den Reichstagswahlen 1920 zu einem ‚Rechtsruck‘ gekommen war, die Weimarer Koalition ihre Mehrheit verlor, DVP und DNVP hingegen stark zulegen konnten. Letztere war mit einem außergewöhnlich hohen Anteil an Beamten unter ihren Mitglieder und in innerparteilichen Führungszirkeln für viele bereits die Beamtenpartei schlechthin.118 Die Unterzeichnung des Versailler Vertrags stellte einen weiteren Schritt dar, der von großen Teilen der Bevölkerung und der Beamtenschaft mindestens ablehnend aufgenommen wurde. Die auszugsweise dargestellten Archivtage boten keine Plattform für Äußerungen gegen die Republik, allerdings ließen vor allem die revanchistischen Diskussionen bezüglich der Gebietsabtretungen durchaus darauf schließen, wie sehr so manchem Aspekt des Kaiserreichs nachgetrauert wurde. Eben jene fachlichen Bemühungen, die wenn nicht eine Wiedereingliederung der entsprechenden Gebiete in das Reich so doch das Aufrechterhalten der Kontakte zu den dortigen ‚Volksgenossen‘ beabsichtigten und deren Zugehörigkeit zum Reich wissenschaftlich belegen sollten, zeigen das „Doppelgesicht“ der deutschen Beamten, hier der Archivare. Denn diese waren sowohl „in den politisch konservativen Obrigkeitsstaat eingeordnet (und sein Instrument)“, als auch „an Sachlichkeit, Leis-

116 Winkler: Weimar, S. 108; vgl. Heinemann: Niederlage, S. 219–259; vgl. Eschenburg: Demokratie; vgl. Wirsching: Weimarer Republik, S. 1. 117 Hierzu und zur Entwicklung von Radikalismus, Disziplinierung und Treuepflicht im öffentlichen Dienst insbesondere seit den Karlsbader Beschlüssen vgl. Fenske: Radikale, S. 100–112. Zu den Völkischen in der DNVP und anderen Parteien der Weimarer Republik vgl. Breuer: Völkische, S. 172–193. 118 Vgl. Hattenhauer: Beamtentum, S. 333; vgl. Liebe: DNVP, S. 16; zur Sozialstruktur der Führungsgruppen vgl. Striesow: DNVP, S. 86–96; zum Deutsch-Nationalismus in der Weimarer Republik, insbesondere der DNVP, vgl. Sontheimer: Antidemokratisches Denken, S. 114–118.

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tungsfähigkeit, ja Innovationen orientiert, sie waren autoritätsbewußt und waren modern effektiv“.119 Diese Zuschreibungen Thomas Nipperdeys galten zwar den Beamten des Kaiserreichs, trafen aber grundsätzlich auch auf die Beamten der Weimarer Republik zu. Die Einordnung in das staatliche Verwaltungsgefüge war schon institutionell gegeben und durch den Zweck und die Aufgaben der Archive bedingt. Sachlichkeit und wissenschaftliche Leistungsfähigkeit lassen sich auch für die Archivare der Weimarer Republik nicht in Abrede stellen, wie unter anderem die Entwicklungen zeigten, die auf den Archivtagen initiiert und diskutiert wurden. Inwieweit der Archivwissenschaft Innovationsfreude zugeschrieben werden kann, muss differenzierter betrachtet werden. Den innerfachlichen, mitunter auch das ‚Handwerkszeug‘ betreffenden Fragen, die in der frühen Weimarer Republik durch die Nachkriegssituation virulent waren, wurden zeitnah und effektiv angegangen – die Diskussionen bezüglich Aufbau, Struktur und Aufgaben des Reichsarchivs belegen dies beispielhaft. Anders mag es um die Innovationskraft bezüglich der historischen Forschungen bestellt gewesen sein. Zumindest bis zum Ersten Weltkrieg waren die Archivare, auch ihrer Ausbildungswege geschuldet, überwiegend mediävistisch und regional- und landesgeschichtlich forschend und publizierend tätig. Hierfür mögen die Auswirkungen von Weltkrieg und Versailles neue Impulse gebracht haben, doch wirkten sich diese zunächst mehr auf die politische Zielsetzung als auf die Herangehensweise aus. In der späten Weimarer Republik und vor allem in den 1930er Jahren sollte sich dies ändern, als Archivare beispielsweise in neu gegründeten Einrichtungen, Forschungsstellen und -verbünden aktiv wurden, die nicht nur zielgerichtet politischen Intentionen zuarbeiteten, sondern auch methodisch über ihren vormals eher eingeschränkten Betätigungsrahmen hinausreichten. All diese Punkte sprechen dafür, dass die Archivare der Weimarer Republik sich in das Schema der Beamten einfügen, von wenigen regelbestätigenden Ausnahmen abgesehen. Im Hinblick auf ihre soziale Herkunft lässt sich die Beamtenschaft der 1920er Jahre als eher homogene, sicherlich aber „exklusive und privilegierte Sozialgruppe“120 bezeichnen. Diese Homogenität muss aber in verschiedene Beamtengruppen differenziert werden, zwischen denen es hinsichtlich des Prestiges deutliche Unterschiede gab.121 Bereits im Kaiserreich hatten die hohen Anforderungen „die Beamtenlaufbahn eigentlich nur für die Söhne der höheren und vermögenden Klassen des Bürger119

Nipperdey: Machtstaat, S. 138. Fattmann: Bildungsbürger, S. 59. Natürlich war diese Homogenität nicht mehr ganz so stark ausgeprägt wie im Kaiserreich, wo einzelne Gruppen (Sozialisten, Katholiken etc.) zeitweise zugunsten anderer Gruppen benachteiligt oder ausgeschlossen wurden. Vgl. u. a. Pikart: Beamtenpolitik, S. 120. 121 So rangierten die höheren Verwaltungsbeamten, Richter und evtl. die Professoren am oberen Ende der Prestigeskala, die große Gruppe der Philologen eher am unteren Ende. Vgl. Fattmann: Bildungsbürger, S. 60. 120

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tums und den Adel zugänglich“122 gemacht. Dieser Zustand hatte sich seit den letzten Jahren vor dem Weltkrieg nicht grundsätzlich geändert, und auch wenn es beispielsweise in Preußen zu Reformbemühungen gekommen war, vermochten diese die grundsätzliche soziale Zusammensetzung der Beamtenschaft nicht grundlegend zu verändern. Weiterhin gab es im höheren Dienst, der die Beamtenschaft seit dem Kaiserreich prägte, insgesamt eine enorme Selbstrekrutierungsquote aus Beamtenfamilien von circa 50 %; generell entstammten die höheren Beamten überwiegend den oberen Mittelklassen.123 Fügen sich die Archivare der Weimarer Republik also beinahe nahtlos in das skizzierte Bild der Beamtenschaft ein, so bleibt in einem nächsten Schritt zu fragen, inwieweit sie sich auch zum Bildungsbürgertum zählen ließen. Wird die allgemeine definitorische Eingrenzung des Bildungsbürgertums auf jene gesellschaftliche Gruppe betrachtet, die Bildung statt ökonomischen Interessen als konstitutive Merkmale aufweist, lassen sich die Archivare ohne Frage hierzu zählen. Wenn Bildung als internes Verbindungsglied verschiedener Berufsgruppen und Abgrenzungsmerkmal nach außen dienen konnte, lag dies darin begründet, dass Bildungsunterschiede „eine der allerstärksten [. . . ] sozialen Schranken“ ausmachten, „vor allem in Deutschland, wo fast sämtliche privilegierten Stellungen innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes nicht nur an eine Qualifikation von Fachwissen, sondern außerdem von ‚allgemeiner Bildung‘ geknüpft sind und das ganze Schul- und Hochschulsystem in deren Dienst gestellt ist“.124

Wie klein diese Gruppe, gemessen an der Gesamtbevölkerung, und in sich dennoch äußerst heterogen war, zeigt Hans-Ulrich Wehlers statistische Berechnung des Bildungsbürgertums der frühen Weimarer Republik. Wehler schließt neben den „unstreitig“ dazugehörenden Richtern, protestantischen Pfarrern, Gymnasiallehrern, Professoren, Privatdozenten, Ärzten, Rechtsanwälten und – in geringerer Anzahl – katholischen Priestern, Journalisten, Schriftstellern und Künstlern auch die große Gruppe der akademisch ausgebildeten höheren Beamten ein. Dennoch machte das Bildungsbürgertum, auch unter Einbezug eines Familienkoeffizienten, lediglich etwa 0,8 % der Gesamtbevölkerung aus.125 Dass selbst innerhalb dieses äußerst kleinen Teils der Bevölkerung weitere Binnendifferenzierungen vorzunehmen sind, erscheint offensichtlich: Neben das Prestigegefälle innerhalb dieses Gesellschaftsteils traten weitere Aspekte wie Einkommensunterschiede oder auch unterschiedliche Klassenlagen der Selbständigen, Angestellten und Beamten. Zentrales verbindendes Merkmal dieser Gruppen untereinander war die allseits anerkannte Bildung, welche sie außerdem von den größten Teilen der Gesamtbevölkerung unterschieden.126 122 123 124 125 126

Nipperdey: Machtstaat, S. 131. Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 370. Winckelmann (Hrsg.): Schriften, S. 235 f. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 294; vgl. auch Nipperdey: Arbeitswelt, S. 382–388. Vgl. Kocka: Bildungsbürgertum, S. 9.

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Nach dem Ersten Weltkrieg fand sich das Bildungsbürgertum als vormals „selbstbewußtes Ensemble von Berufsklassen und Funktionseliten“ allerdings mit neuen Realitäten konfrontiert, die jene gesellschaftliche Gruppe ins Mark getroffen haben mussten.127 Die höhere Beamtenschaft mag wieder als Beispiel dienen, die nicht nur heftige finanzielle Einbußen erlitt, sondern deren vermeintlich sichere Verortung im Staatsdienst infrage gestellt werden konnte, was mithin sowohl zu einer Sinnkrise führte als auch die ablehnende Haltung gegenüber der Republik verstärkte. Friedrich Meinecke beschrieb bereits 1925 das „Ressentiment einer gestürzten Klasse“, das die politische Situation in der jungen Republik erschwere, denn die „deutschen bürgerlichen Schichten, deren Gemüt an der Monarchie hängt, haben in ihrem politischen Denken von jeher in der Gefahr gestanden, Gefühlswerte über Vernunftwerte zu stellen“.128 Als ‚Vernunftrepublikaner‘ war Meinecke sich dieser Gefahr bewusst und ‚begrüßte‘ die Republik in erster Linie aus rein rationalen Gründen.129 Er lieferte damit einen treffenden Erklärungs-, aber mitnichten Rechtfertigungsversuch für die Anfälligkeiten großer Teile des Bildungsbürgertums, auch aufgrund der Krisenerfahrungen die Republik abzulehnen, sich nationalistischen und revanchistischen Tendenzen hinzugeben und somit „Gemütswerte über Vernunftwerte zu stellen“; es sei „die Lust [gewachsen], die alte Zeit wieder zurückzuführen“.130 Wurde während des Krieges noch auf vieles verzichtet und Einbußen und Erschwernisse stillschweigend hingenommen, so geschah dies doch in der zuversichtlichen Erwartung, nach dem Kriege an die Vorkriegssituation anknüpfen zu können. Die negativen Erfahrungen der Nachkriegsrealität ließen somit zumindest für die ehemals prosperierenden Gesellschaftsschichten das Kaiserreich in neuem Glanz erscheinen. Für die Verortung der Archivare im Bildungsbürgertum mögen mehrere der angeführten Aspekte sprechen, wenngleich sie die Krisenerfahrungen mit sämtlichen Vertretern des Bürgertums teilten. Die Ablehnung der Versailler Vertragsbestimmungen verband sich im Zuge einer bald einsetzenden schrittweisen Politisierung der eigenen Arbeit mit revanchistischen Tendenzen, wobei gerade Fragen zu ‚Auslandsdeutschtum‘, ‚Volk‘ und ‚Volkstumskampf‘ zumindest konzeptionell an Tragweite gewannen, wie an den Archivtagen gezeigt werden konnte. In besonderem Maß sprechen die formalen Anforderungen an Vor- und Ausbildung der Archivare und die „Fachgeschultheit“131 in spezifischem Expertenwissen ebenso für eine eindeutige Verortung im Bildungsbürgertum wie die Versuche, die Konturen der Disziplin zu bewahren, wie sich an den Auseinander127 128 129 130 131

Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 294. Meinecke: Bürgertum, S. 370 f. Vgl. Wehrs: Meinecke; vgl. Möller: Meinecke. Meinecke: Bürgertum, S. 373, 376. Wehler: Bildungsbürgertum, S. 215.

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setzungen um berufsständische Organisationen und Vertretungen und deren Abschottung nach außen zeigte. Letzteres war mithin ein Phänomen, das sich auch in anderen Bereichen zeigte, in denen Berufsverbände oder -vertreter die Ausbildung und Zulassung zum Beruf reglementieren und somit die Binnenkonstitution des Berufsstands fast monopolisiert beeinflussen konnten.132 Als 1922 mit Paul Bailleu der zuletzt stellvertretende Direktor der preußischen Staatsarchive verstarb,133 wurden in seinem Nachruf nicht nur seine archiv- und geschichtswissenschaftlichen Leistungen als „Meister seines Fachs“ hervorgehoben, sondern auch Aspekte seiner Karriere betont, die über eine bildungsbürgerlich-wissenschaftliche Laufbahn hinauswiesen. So habe Bailleu zwar über patriotische Ereignisse geschrieben, politische Tendenzen aber immer von sich gewiesen. Dennoch sei er „eifriges Mitglied“ des Vereins für das Deutschtum im Ausland gewesen und habe auch in seinen letzten Lebensjahren seine patriotische Gesinnung zeigen wollen: „Mit dem Gedanken, daß auch er für den Wiederaufbau unseres Vaterlandes schaffen wolle und müsse, schlummerte er in die Ewigkeit hinüber“.134 Spricht all dies für einen typischen Vertreter des Bildungsbürgertums, das im Kaiserreich sozialisiert und ausgebildet wurde, so lassen weitere Zuschreibungen aufhorchen. Nicht nur der Verfasser des Nachrufs bezeichnete Bailleu als Gelehrten mit höchsten Qualitäten, sondern auch Heinrich von Sybel soll Bailleu als eben solchen und potentiellen „ersten Essayisten Deutschlands“ beschrieben haben.135 Es bleibt deshalb zu fragen, inwieweit die Kategorisierung der Archivare als Gelehrte zutreffend sein mochte, gerade vor dem Hintergrund, dass dies für viele Vertreter der Archivwissenschaft bis weit in das ‚Dritte Reich‘ hinein nicht nur eine Selbstbezeichnung war, sondern mitunter auch der Selbstvergewisserung und -abgrenzung diente und dennoch durch so manche Entwicklung in der Wissenschaft der 1920er und vor allem 1930er Jahre wiederholt infrage gestellt wurde. Dabei ist zu beachten, dass für Archivdirektoren wie Bailleu oder Koser, die sich nicht nur in der Tradition von emblematischen Fachvertretern wie Sybel sahen, sondern diesen in Ämtern und Würden oft nicht nachstanden, nicht zwangsläufig dasselbe gelten musste wie für den ‚gemeinen‘ Archivar, der zeit seines Lebens ‚nur‘ das Amt eines Archivars erreichte, von einer Professur oder einem leitenden Posten in Forschungseinrichtungen aber weit entfernt blieb. 132 Vgl. Wunder: Bürokratie, S. 16. Prototypisches Beispiel sind die Ordinarien an den Universitäten, vgl. Jansen: Karriereverläufe, S. 8; vgl. ders.: Professoren. 133 Paul Bailleu, *1853, ab 1870 Studium Philologie und Geschichte in Göttingen und Berlin, Sekretärsdienst bei Leopold von Ranke, 1874 Promotion, 1876 Archivar am Geheimen Staatsarchiv in Berlin, mehrere Beförderungen, zuletzt 1906 als stellv. Direktor der preuß Staatsarchive, 1921 pensioniert. 134 Klinkenborg: Paul Bailleu. 135 Zit. nach ders.: Bailleu, S. 8.

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Weiterhin stellt sich die Frage, inwieweit diese Zuschreibung zum Gelehrtentum in einer Zeit noch zutreffen mochte, als der Weg in die Archivwissenschaft nicht mehr überwiegend für bewährte Historiker, die sich in Quelleneditionen einen Namen gemacht hatten, offen stand, sondern durch eine fachliche Ausbildung formalisiert und standardisiert worden war. Aus diesem Grund muss zunächst beleuchtet werden, was Fachleute verschiedener Disziplinen in Kaiserreich und Weimarer Republik zu Gelehrten machte, um die Selbstzuschreibung auf diese Grundlagen zurückführen zu können. Zur Zeit der Reichsgründung waren namhafte Historiker sowohl Spezialisten ihrer Disziplin als auch Vertreter einer „Führungswissenschaft“; als die Geschichtwissenschaft höchsten Ruhm erlangte, galt Geschichte als „Wissenschaft und Lebensmacht“ zugleich, nachdem sie sich in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von einer Art Literaturgattung zur etablierten akademischen Disziplin entwickelt hatte.136 Neben Fachzeitschriften galten auch Großdarstellungen und Editionsprojekte wie die Monumenta Germaniae Historica als „Orte“ der zunehmenden Institutionalisierung der Geschichts- und gerade letztere eben auch der Archivwissenschaft, in der sich Fachvertreter besonders hervortun und für weitere Tätigkeiten und Posten empfehlen konnten.137 Dass sich akademisch gebildete, mindestens promovierte Historiker in Diensten von Universitäten, Editionen oder Archiven in dieser Zeit zu einer gelehrten, kulturellen Elite zählten, ist so wenig zu bestreiten wie der Umstand, dass sich eben jene Elite von „Kulturträgern“ durch Umwälzungen und Transformationen auf dem Weg in eine industrialisierte Moderne zunehmend bedroht sah, erst recht durch die Erfahrungen in Weltkrieg, Revolution und früher Republik.138 Den Kern dieser Gruppe bildeten die Universitätsprofessoren, welche die Zugangsmöglichkeiten zu ihrer eigenen Disziplin – sei es durch Aufnahmeprüfungen oder Einfluss auf Ausbildungsgänge und -zulassungsverordnungen – kontrollieren konnten, oder allgemeiner: „Da das Mandarinentum das Erziehungssystem kontrolliert, beherrscht es selbst die Sprache seiner Nation“.139 Reduziert sich der Anspruch darauf, statt der Nation eine Disziplin und deren „Sprache“ beherrschen zu wollen, wird dies umso deutlicher. Je kompakter, homogener und institutionell überschaubarer die Disziplin, desto leichter fällt es den jeweiligen Gatekeepern über die Eintrittsmöglichkeiten, die Disziplin zu beeinflussen und nach außen abzugrenzen. Dieser Aspekt hatte durch Entwicklungen im späten Kaiserreich – dem Anstieg der Studentenzahlen sowie der begrenzten sozialen 136 Nipperdey: Arbeitswelt, S. 633 f. Deutliches Zeichen der Verwissenschaftlichung war unter anderem die Gründung dezidiert wissenschaftlicher Fachzeitschriften wie etwa Sybels HZ, vgl. Stern/ Osterhammel (Hrsg.): Historiker, S. 233–236. 137 Zur Institutionalisierung der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert und deren ‚struktureller Verankerung und diskursiver Kanonisierung‘ vgl. Metzger: Geschichtsschreibung, S. 141–155. 138 Vgl. Ringer: Gelehrten, S. 12 f. 139 Vgl. ebd., S. 21. Zu Ringers Begriff des Mandarinentums siehe S. 49.

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Öffnung, institutionellen Differenzierung und demografischen Heterogenisierung des Bildungsbürgertums – bis hin zur Überfüllungskrise akademischer Berufe zu Beginn des 20. Jahrhunderts beachtlich an Bedeutung gewonnen, vor allem bei der „sozial defensive[n] Mehrheit der Gebildeten“.140 Im staatlichen Archivwesen, dessen quantitative personelle Zusammensetzung durch die jeweiligen Stellen- und Haushaltspläne festgelegt war, musste in dieser Hinsicht abgewogen werden zwischen wissenschaftlichen, verwaltungstechnischen und finanziellen Begehren und Möglichkeiten und war entsprechend ein Verwaltungsakt, der seitens der Archivare meist nur durch argumentativ gestütztes Bitten beeinflusst werden konnte. Auf die qualitative Zusammensetzung ihrer Zunft hingegen konnten sie durchaus Einfluss nehmen. Da so die Lehre während der Ausbildung, die Abschlussprüfung und letztendlich die Entscheidung über weitere Verwendung in den Händen von Fachvertretern lagen, konnten diese die Entwicklung der Zunft auf personeller Ebene steuern und die an den Nachwuchs gestellten Maßstäbe ebenso variieren, wie sie besonders empfohlene Kandidaten vorzuziehen in der Lage waren. Wer eben jene Archivare waren, die in den 1920er Jahren an maßgeblichen Stellen in Staatsarchiven tätig waren und auf den Archivtagen neben Forschungsfragen auch die Genese ihrer Zunft beeinflussten, zeigt ein erster kurzer kollektivbiografischer Versuch. Einbezogen werden 16 Staatsarchivare und Staatsarchivdirektoren, die sich als Teilnehmer auf dem Weimarer Archivtag 1920 einfanden, austauschten und verschiedenen Archivverwaltungen entstammten.141 Es handelt sich um folgende Archivare: Paul Bailleu (1863–1922), (E.W.) Paul Zimmermann (1854–1933), Paul Fridolin Kehr (1860–1944), Woldemar Lippert (1861–1937), Julius Reinhard Dieterich (1864–1952), Hans Witte (1867– 1945), Armin Tille (1870–1939), Ernst Müsebeck (1870–1939), Hans Beschorner (1872–1956), Melle Klinkenborg (1872–1930), Otto Grotefend (1873–1945), Fritz Frankhauser (1874–1937), Hermann Krabbo (1875–1928), Josef Knöpfler (1877–1963), Reinhard Lüdicke (1878–1947) und Otto Riedner (1879–1937).142 Die Geburtsdaten dieser Gruppe liegen zwar teils zweieinhalb Jahrzehnte auseinander, wodurch sich generationelle Unterschiede bereits bemerkbar machen dürften, aber auf eine weitere Binnendifferenzierung dieser Gruppe oder auch auf die Frage nach möglichen Lehrer-Schüler-Beziehungen muss an dieser Stelle verzichtet werden. Diese Auswahl umfasst denn auch zwei Generationstypen – die wilhelminische Generation der Altersgenossen Wilhelms II. und die Gründerzeitgeneration der im Jahrzehnt der Reichsgründung Geborenen. Die Angehöri140

Jarausch: Krise, S. 182 f., 190. Vgl. Anwesenheitsliste des Archivtags, Korrespondenzblatt 69 (1921), Sp. 2–5. Die Übersicht mag statistisch nicht repräsentativ sein, vermittelt aber dennoch einen stimmigen Eindruck. 142 Die biografischen Eckdaten wurden größtenteils der prosopografischen Arbeit Wolfgang Leeschs und denen Eckart Hennings und Christel Wegelebens entnommen und werden nicht einzeln angeführt. Vgl. Leesch: Archivare II; Henning/Wegeleben: Archivare 1874–1924; ders.: Archivare 1924–74. 141

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gen ersterer Generation nahmen in den letzten Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg einflussreiche Ämter ein beziehungsweise durchlebten die Höhepunkte ihrer Karriere. Die Angehörigen der Gründerzeitgeneration hingegen wurden nach dem Regierungsantritt Wilhelms II. sozialisiert und ausgebildet, rückten entsprechend nach der Jahrhundertwende in höhere Ämter auf und waren oft erst in der frühen Weimarer Republik auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.143 Die konfessionelle Zusammensetzung dieser Gruppe spiegelt den für die gesamte höhere Beamtenschaft des Reichs gültigen Umstand einer starken protestantischen Überrepräsentation wider.144 Mindestens zwölf der 16 Archivare entstammten protestantischen Familien, wobei zu beachten ist, dass die drei katholischen Vertreter aus Baden und Bayern, also stärker katholisch geprägten Ländern kamen, womit – in dieser beschränkten Auswahl – sämtliche preußischen Archivare Protestanten waren. Dies mag der Auswahl geschuldet sein, deutet aber bereits die Tendenz der konfessionellen Zusammensetzung in der preußischen Bürokratie an, in der protestantische Beamte weitaus stärker vertreten waren, als es ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprach; katholische Beamte hingegen waren stark unterrepräsentiert.145 Werden die Familienverhältnisse respektive die Berufe der Väter betrachtet, bestätigt sich die hohe Rekrutierungsrate aus höheren gesellschaftlichen Schichten beziehungsweise dem Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum; unter den Vätern finden sich drei Priester (Dieterich, Witte, Tille), drei Lehrer oder Schuldirektoren (Frankhauser, Riedner, Kehr), ein Arzt (Beschorner), ein Richter (Zimmermann), ein Kaufmann (Krabbo) sowie ein Eisenbahndirektionspräsident (Lüdicke). Ein Beispiel für die Selbstrekrutierung in der Archivwissenschaft bietet der aus der berühmten Archivars- und Historkerfamilie stammende Otto Grotefend, dessen Sohn ebenfalls in den Archivdienst eintrat.146 Zwei der Archivare stammten aus Landwirtsfamilien (Müsebeck und Klinkenborg),147 zwei weitere aus kleineren Verhältnissen; der Vater Lipperts war Fabrikant in kleinbürgerlichen Verhältnissen, der Vater Bailleus war Handwerker.148 Mochten die familiären Voraussetzungen sich auch unterscheiden, so ergibt sich ein erster gemeinsamer Nenner in der Schulbildung, da es jedem der genannten späteren Archivare ermöglicht wurde, sein Abitur an einem klassischen Gymnasium abzulegen – die Realgymnasien waren gerade erst im Entstehen be-

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Vgl. Peukert: Weimar, S. 26 f. Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte III, S. 1027; etwas detaillierter Nipperdey: Machtstaat, S. 131 f. 145 Vgl. Fattmann: Bildungsbürger, S. 68 ff. für Preußen vgl. Grunenberg: Religionsbekenntnis. 146 Vgl. Ulrich: Grotefend. 147 Müller: Klinkenborg, S. 281; vgl. Herrmann: Müsebeck. 148 Der Beruf des Vaters von Josef Knöpfler konnte nicht ermittelt werden. 144

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griffen – und sich einige bereits in der Schulzeit durch besonderen Ehrgeiz, besonderes Talent und geschichtliches Interesse hervortaten.149 Was zudem alle Genannten einte, war das Universitätsstudium meist der mittelalterlichen Geschichte, das in zwei Dritteln der hier genannten Fälle durch ein philologisches Fach ergänzt wurde; oftmals wurden zusätzlich Historische Hilfswissenschaften oder Fächer wie Geografie, Philosophie oder Kunstgeschichte studiert. Ausnahmslos jeder schloss eine Promotion ab; die später erforderliche Staatsprüfung für das höhere Lehramt war in dieser älteren Generation bereits verbreitet. Lippert und Beschorner waren zudem kurze Zeit im Schuldienst tätig gewesen. Andere hingegen versuchten sich zunächst an einer universitären Karriere und arbeiteten an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen, bevor sie in den Archivdienst eintraten, wie etwa Kehr, dessen Werdegang bereits kurz umrissen wurde; Krabbo, der erst mit 43 Jahren und als außerordentlicher Professor die Archivlaufbahn einschlug; Dieterich, den ebenfalls die schwindende Aussicht auf ein Ordinariat zu einem Wechsel veranlasste.150 Der ‚klassische‘ Weg zur Archivarskarriere führte nach der Promotion entweder direkt über ein Volontariat in einem Archiv oder nach deren Einrichtung über die ältere Marburger Archivschule. Flankiert wurde dieser Ausbildungsweg oftmals, sei es vor oder nach der Archivausildung, von Tätigkeiten bei Editionen (MGH, Regesta imperii), historischen Kommissionen und Gesellschaften oder, hier in zwei Fällen, auch Stationen am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Die beiden bayerischen Archivare unterschieden sich von den anderen genannten dadurch, dass sie – gemäß der bayerischen Tradition, bevorzugt juristisch vor- oder ausgebildete Anwärter für die eigene Ausbildung an- beziehungsweise in den Archivdienst aufzunehmen – neben Geschichte auch Rechtswissenschaften studierten; Otto Riedner war in dieser Gruppe der einzige Dr. iur. In den (gattungsgemäß würdigenden) Schilderungen ihrer wissenschaftlichen Leistungen in Nachrufen sticht heraus, dass mehr als jeder Zweite explizit als Gelehrter und Meister seines Fachs bezeichnet oder besonders hervorgehoben wird, dass er ganz in der Tradition seiner Gelehrtenfamilie stehe. Wo dies nicht der Fall ist, war mindestens von „bahnbrechenden Leistungen“ die Rede oder der Fachvertreter und Kollege wird zum „hochverdienten“ Geschichtsforscher und Wissenschaftler beziehungsweise zum „ausgezeichneten Beamten“ erhoben.151 Inwiefern diese Zuschreibungen im Einzelfall zutreffen mochten oder vorsichtig 149 So zumindest der Tenor in den Nachrufen, die aus naheliegenden Gründen mit Vorsicht zu genießen sind, allerdings auch wertvolle Hinweise auf die Lebens- und Karrierewege der Einzelpersonen liefern können. Allzu tendenziöse Lobreden und Bewertungen werden an dieser Stelle geflissentlich ausgespart. 150 Vgl. Müller: Krabbo; Abb: Krabbo; vgl. Clemm: Dieterich, S. 155 f. 151 Vgl. u. a. Brackmann: Klinkenborg; Müller: Klinkenborg, S. 281; Neitmann: Klinkenborg, S. 73; Meinecke: Bailleu, S. 373; Hintze: Koser; Ulrich: Grotefend, S. 368; Clemm: Dieterich, S. 154; Beschorner: Lippert, S. 377; Vogel: Krabbo, S. 85; Voges: Zimmermann, S. 408 ff. Beck: Lippert, S. 124; Flach: Tille, S. 442; Kretzschmar: Beschorner I, S. 62.

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zu revidieren wären, kann und soll an dieser Stelle nicht näher untersucht werden. Von Interesse ist jedoch, dass die (Selbst-)Zuschreibung innerhalb der Archivwissenschaft als relativ überschaubarer Disziplin eindeutig zum Gelehrtentum tendierte, dieses Selbstbild sich aber meist nicht aus der reinen Archivtätigkeit dieser Gelehrten zu ergeben schien, sondern weitere Forschungen, Leistungen, Tätigkeiten und Ämter einschloss.152 Melle Klinkenborg mag als Ausnahme gelten, für den festgehalten wurde, dass er „seine größte wissenschaftliche Wirkung [. . . ] statt auf historiografischem Gebiet auf klassischen archivischen Feldern in Beständeübersichten und Quelleneditionen [erzielte]“ – und doch ist auch Klinkenborg keineswegs nur dem Archiv verhaftet gewesen, sondern tat sich auch als einflussreicher Wissenschaftsorganisator hervor.153 Die Archivare dieser Generation hatten den universitären Teil ihrer Ausbildung mit einer Dissertation zu einem meist mittelalterlichen oder aber frühneuzeitlichen Thema abgeschlossen. Auf diese Weise vorgebildet und unter fast grundsätzlich vorauszusetzender Beherrschung der Historischen Hilfswissenschaften lag es nahe, innerhalb dieses Bereichs der Geschichtswissenschaft tätig zu bleiben – sei es in den genannten Editionen oder aber in Archiven, in denen direkter Zugriff auf die entsprechenden Quellen möglich war. Für fast sämtliche genannten Archivare war die landesgeschichtliche Forschung die Grundlage ihrer Forschungen oder wissenschaftsorganisatorischer Betätigung. Ein weiteres einigendes Moment stellte die Arbeit in historischen Kommissionen und Vereinen dar, die so gut wie jeder vorweisen konnte – sei es ‚nur‘ als aktives Mitglied oder aber in einigen Fällen als jahrzehntelanger Vorsitzender; auch die Herausgabe entsprechender Periodika oblag oftmals dem Archivar, der in so manchen Fällen „in erster Linie ein Diener der Wissenschaft“154 gewesen sein soll. Für diejenigen, die aus einer mehr oder weniger festgefahrenen Hochschulkarriere in den sichereren Archivdienst wechselten (Dieterichs, Krabbo), mag die bürokratische Verwaltungstätigkeit in den Archiven zeitweise befremdlich vorgekommen sein, was aber die reichen Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Betätigung wieder wettgemacht haben dürften. Auch der über den Umweg des Schuldiensts in den Archivdienst eingetretene Lippert widmete sich den Archivverwaltungsaufgaben „mit Ernst und Interesse, obwohl er wissenschaftlicher Historiker war und blieb“.155 Es zeigt sich also, dass diese Archivarsgeneration die wesentlichen Merkmale des Bildungsbürgertums aufwies und in ihrer wissenschaftlichen Ausbildung sowie der Ausrichtung der wissenschaftlichen Interessen recht homogen war, wo152 Archivtätigkeit meint hier vor allem die Aufgaben, die sich aus der Stellung und Aufgabe der Archive in der Verwaltung ergeben; natürlich gehört, bedingt durch die Janusköpfigkeit der Archivwissenschaft, auch die wissenschaftliche Forschung zum Aufgabenfeld des Archivars. 153 Neitmann: Klinkenborg, S. 75 f.; vgl. Schultze: Klinkenborg. 154 Ders.: Koser, S. 271. 155 Beck: Lippert, S. 124.

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bei vor allem das Primat der Landesgeschichte hervorsticht. Allerdings kann auch festgehalten werden, dass diese Homogenität nicht allein für die Staatsarchivare galt, sondern auch so manche Stadtarchivare – zumindest größerer Städte – sich nahtlos in diese Reihe einfügten.156 Es kann demnach kaum verwundern, wenn sich die städtischen Archivare von der berufsständischen Abgrenzung der staatlichen Archivare irritiert zeigten, aber auch selbstbewusst eine eigene ständische Vereinigung entgegensetzten, auch wenn die Auseinandersetzung primär fachlichen Fragen zu verdanken war. In der Selbstsicht der Archivare dieser Generation war Gelehrsamkeit somit weniger die besonders hervorzuhebende Eigenschaft einzelner Vertreter ihrer Zunft, sondern vielmehr einigendes Element der Disziplin. Zweifelsohne brachten die dargelegten archivarischen Alterskohorten bedeutende Wissenschaftler von Rang hervor; dass sie in der höheren Verwaltung mit zu den am besten ausgebildeten Beamtengruppen gehörten, ist unstrittig. Durch Engagement in historischen Kommissionen erweiterten viele Archivare zum einen ihren Tätigkeitsbereich und erschlossen sich zum anderen auch neue Möglichkeiten der außeruniversitären und in der Regel landesgeschichtlich geprägten historischen Forschung. Die Tatsache, dass es sich in dieser Disziplin um einen überschaubaren Kollegenkreis handelte – deutschlandweit gab es vor dem Ersten Weltkrieg rund 140 staatliche Archivare157 –, in den vorzudringen zudem mit einigen Hürden verbunden war, mochte das Selbstbild als Zunft von Gelehrten und Hütern der für die Geschichtswissenschaft wichtigen Akten eher noch bestärkt haben. Inwieweit das Bild des Archivars als Gelehrtem traditionellen Typs vor allem in den 1930er Jahren und darüber hinaus noch Bestand haben sollte, bleibt im Folgenden zu untersuchen. Dabei wird zu differenzieren sein zwischen der meist eindeutigen Selbstsicht und einer neutralen Bewertung von außen, auch unter Berücksichtigung eventueller generationeller Brüche. Dass Generationswechsel im untersuchten Zeitraum stattfinden mussten, ist offensichtlich. Wie sich diese auf die Verortung und Selbstsicht der Archivare auswirkten, muss zunächst offen bleiben.

156 157

Exemplarisch sei der Frankfurter Stadtarchivar Rudolf Jung genannt, vgl. Ruppersberg: Jung. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 15.

V. Professionalisierung und Ausrichtung gen Osten. Der Beginn der Ära Brackmann in der späten Weimarer Republik, 1929–1933 1. Albert Brackmann, Generaldirektor der preußischen Archivverwaltung Als Heinrich von Sybel 1895 verstorben war und es das Amt des Leiters der preußischen Archivverwaltung neu zu besetzen galt, war diskutiert worden, welche Vorbildung und welche Eigenschaften sein Nachfolger mit in das Amt bringen müsse, ob ein Mann der Wissenschaft oder ein Mann der Verwaltung der Aufgabe eher gewachsen sei. Diese Diskussion wurde nicht nur in den überschaubaren Kreisen von Archivverwaltung und Ministerium, sondern über geraume Zeit auch in überregionalen Zeitungen geführt: Der Hannoversche Courier empfahl, vor der Besetzung zunächst gründliche Informationen darüber einzuholen, „was dem Archivwesen Noth thut.“ Im Hamburgischen Correspondent wurde festgehalten, es sei doch üblich, dass „ein hervorragender Gelehrter“ die Archivverwaltung leite, woraufhin die National-Zeitung entgegnete, dass bei der Neubesetzung „weniger der wissenschaftliche Name als die Kenntnis und Bewährtheit im Verwaltungsdienst in Rücksicht gezogen werde[n]“ müsse.1 Letztere Forderung fand Unterstützung durch einen anonymen Universitätsprofessor, der in der Berliner Post über Missstände in den Archiven berichtete und gegen jene als bloße „Verwaltungsstelle[n] für Aktenstücke“ polemisierte. Die KreuzZeitung verurteilte diese Angriffe eines „unzufriedenen Archivbenutzers“ und hielt dagegen: „Ob der künftige Direktor der Staatsarchive Professor oder Archivar oder höherer Verwaltungsbeamter ist, ist völlig gleichgültig. Unerläßlich aber ist es, einen Mann an die Spitze zu stellen, der in der wissenschaftlichen Welt einen Namen hat, wobei wir es als ein günstiges Accidenz bezeichnen wollen, wenn er zugleich archivalische Erfahrung mitbringt“.2

Eine Entscheidung sollte wenige Monate später, im Februar 1896, fallen. In Reinhold Koser wurde eine Persönlichkeit gefunden, die sowohl universitäre Lehr- und Forschungserfahrung vorweisen konnte als auch Erfahrung im Beruf des Archivars. Denn nach seiner Habilitation 1880 war Koser 1882 zunächst in den Archivdienst eingetreten, „da die Aussichten auf eine Professur trotz aller Anerkennung nicht eben günstig waren“.3 Sybel hatte diesem Wechsel in seinen Zuständigkeitsbereich wohlwollend zugestimmt, kam mit Koser doch ein auch an 1 Hannoverscher Courier vom 18. August 1895, Hamburgischer Correspondent vom 7. August 1895, National-Zeitung vom 16. August 1895, zit. nach Henning: Koser, S. 135. 2 Post vom 29. August 1895 und vom 8. Oktober 1895, Kreuz-Zeitung vom 19. Oktober 1895, zit. nach ebd., S. 135 f. 3 Hintze: Koser, S. 72.

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der Neuzeit interessierter Historiker in die von Mediävisten dominierte Archivverwaltung – die er bald wieder für eine Professur verließ, um 1896 schließlich zum Generaldirektor ernannt zu werden.4 Kosers Nachfolger Kehr hielt knapp 30 Jahre nach Sybels Tod fest, dass eine solche Diskussion nunmehr hinfällig sei: „Es handelt sich heute nicht mehr um die lächerliche Stammtischstreitfrage, die noch einmal nach Sybels Tod erhoben wurde, ob Archivar oder Professor, Gelehrter oder Verwaltungsfachmann. Die Aufgaben der Archivverwaltung und der Wissenschaft sind vollkommen identisch“.5

Ganz so lächerlich scheint dies allerdings nicht gewesen zu sein, denn als Kehr 1929 in den Ruhestand trat, war bereits einige Zeit genau diese Frage diskutiert worden. Mitte des Jahres 1928 hatten sich einige Archivare an den Vorstand des Verbandes der wissenschaftlichen Beamten der preußischen Staatsarchive gewandt. Es ging ihnen in erster Linie darum, zu betonen, „dass ein Universitätsprofessor, geschweige denn ein politischer Parteimann oder ein Verwaltungsbeamter, nicht als archivarischer Fachmann angesehen werden kann.“ Da aber bereits gerüchteweise Namen „aus akademischen wie auch aus politisch parlamentarischen Kreisen“ kursierten, müsse dringend und schnell der eigene Standpunkt verdeutlicht werden.6 Man wollte zwar keinen Einfluss auf die Personalfrage beanspruchen, aber nachdrücklich darauf hinweisen, dass es von enormer Bedeutung sei, dass, „wie bisher, nur Gelehrte von überragendem Rufe und zugleich Kenner des Archivwesens für diesen Posten in Betracht kämen“.7 Mit Albert Brackmann wurde 1929 schließlich ein Historiker von Rang und Namen zum Nachfolger Kehrs als Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive und erster Direktor des Preußischen Geheimen Staatsarchivs ernannt, der sich des Zuspruchs des Ministerpräsidenten Otto Braun gewiss sein konnte. Die Forderung nach einem Facharchivar als Generaldirektor war demnach zurückgestellt worden zugunsten eines profilierten Ordinarius. Dessen Biografie soll, um seiner exponierten Stellung im deutschen Archivwesen der folgenden Jahre gerecht zu werden, einer kurzen Betrachtung unterzogen werden.8 Brackmann wurde 1871 in Hannover geboren und teilte seine generationellen Erfahrungen demnach mit der Archivarskohorte der älteren hier betrachteten Archivare – im Gegensatz zu den jüngeren Archivaren, die von eben jenen ausgebildet wurden und oftmals in deren Ämtern nachfolgten. In der präziseren Unterscheidung gehört Brackmann der Gründerzeitgeneration an, wofür auch sein 4

Vgl. Henning: Koser, S. 143 f. Kehr: Jahrhundert, S. 20. 6 Geschäftsstelle an die Herren Vorstandsmitglieder des Verbandes der wissenschaftlichen Beamten der preußischen Staatsarchive, Berlin-Dahlem 3. Juni 1928, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 32. 7 Aktennotiz Grotefends und Lüdickes, undatiert [Juli 1928], GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 32. 8 Biografische Details und Würdigungen seines Schaffens liefern u. a. die zahlreichen Nachrufe auf Brackmann, welche naturgemäß kritisch zu hinterfragen sind. Vgl. Meinert: Brackmann; ders.: Erinnerung; Büttner: Brackmann; Baethgen: Brackmann; ders.: Brackmann II; Santifaller: Brackmann; vgl. ders.: Brackmann. 5

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akademischer Werdegang und seine außeruniversitäre Karriere spricht, die zur Jahrhundertwende begonnen hatte und mit seiner Ernennung zum Generaldirektor einen weiteren Höhepunkt erreichte. Aufgewachsen war Brackmann in einer „braunschweigischen Patrizier-, Gelehrten- und Geistlichenfamilie“.9 Nach dem Besuch der Gymnasien in Hannover und Göttingen, wohin die Familie nach dem Tod des Vaters 1878 umgezogen war, studierte Brackmann in Tübingen, Leipzig und Göttingen, zunächst allerdings, der Familientradition folgend, von 1889 bis 1893 Theologie mit einem kirchengeschichtlichen Schwerpunkt. Mehr als zum geistlichen Beruf schien sich Brackmann aber schon während des Theologiestudiums zur Geschichte hingezogen zu fühlen, nachdem er in frühen Jahren „starke, wenngleich noch unbestimmte Eindrücke“ durch den ‚etablierten Außenseiter‘, ‚Propheten des Deutschtums‘ und Verfechter einer expansionistischen Grenzkolonisation Paul de Lagarde10 und den Theologen Hermann Reuter erfahren hatte, wie er sich gern zurückerinnerte. Von Lagarde „mag er die Begeisterung für vaterländische Dinge, die ihn sein Leben lang beseelte, empfangen haben,“ Reuter hingegen „dankte er die erste Begegnung mit seinem späteren Arbeitsgebiet, der großen Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Kaisertum“.11 So kam es, dass Brackmann 1895, mit 24 Jahren „schon einigermaßen in fortgeschrittenem Alter stehend“ und nicht gerade unter Wohlwollen seiner Verwandten, erneut an die Universität ging, um Geschichte und Philologie zu studieren.12 Zu seinen akademischen Lehrern in Göttingen zählte neben den Archivaren und Historikern Max Lehmann und Paul Fridolin Kehr, zu dessen Nachfolger er 1929 wurde, mit Gustav Roethe auch ein entschiedener Gegner der Weimarer Republik und in den 1920er Jahren Parteigenosse Brackmanns in der DNVP.13 Nachdem er die gymnasiale Lehrbefähigung für die Fächer Geschichte, Deutsch, Religion und Hebräisch erworben und am Göttinger Gymnasium den schulischen Vorbereitungsdienst geleistet hatte, wurde Brackmann 1898 bei Kehr promoviert. Auf dessen Anraten begann er noch im selben Jahr zunächst seine Tätigkeit für die MGH, wo er sich zu Kehrs „reifstem und fähigstem seiner bisherigen Gehilfen“ entwickelte und deshalb bald mit der Bearbeitung der Germania Pontificia im Großprojekt der Regesta Pontificum Romanorum betraut wurde, der er sich zeit seines Lebens widmen sollte.14 In den Vorarbeiten hierzu kam er durch intensive Bereisung und Benutzung in „fast alle deutschen und die meisten

9 10 11 12 13 14

Lebenslauf Brackmanns, BArch Berlin, R 153/1039. Vgl. Sieg: Lagarde. Brackmann: Antrittsrede, S. 520; Meinert: Brackmann, S. 127. Santifaller: Brackmann, Sp. 318; vgl. Meinert: Brackmann, S. 128. Vgl. Grüttner: Universität, S. 150. Zit. nach Santifaller: Brackmann, Sp. 320.

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österreichischen Archive“ und machte sich außerdem mit dem schweizerischen, italienischen und dem Archivwesen der nordischen Länder bekannt.15 Neben der Arbeit an diesem Projekt trat Brackmann 1901 in den Schuldienst ein, zunächst in Berlin, ab 1902 in Hannover und von 1905 bis 1913 in Marburg, wo er ebenfalls 1905, ohne habilitiert zu haben, zum außerordentlichen Professor ernannt und mit der Leitung des Seminars für Historische Hilfswissenschaften betraut wurde. In dieser Position kam Brackmann mit Gustav Könnecke und der gerade nach Berlin verlegten Archivarsausbildung in Kontakt, die er ein Vierteljahrhundert später selbst prägen sollte.16 Dieser Mehrfachbelastung setzte er sich für einige Jahre aus, bis er 1913 zum ordentlichen Professor an der Königsberger Universität berufen wurde. Weitere universitäre Stationen absolvierte er als ordentlicher Professor ab 1920 in Marburg und ab 1922 als Nachfolger Dietrich Schäfers in Berlin, bevor er die Generaldirektion der Staatsarchive übernahm und lediglich noch als Honorarprofessor tätig war. Von Brackmanns Studium über die Promotion bis zur Tätigkeit in Berlin, Hannover und Marburg stellte die mittelalterliche Geschichte sein zentrales Beschäftigungsfeld dar, in welchem er sich einen respektablen Namen zu erarbeiten vermochte. Dies sollte sich jedoch ändern, als er 1913 dem Ruf nach Königsberg folgte, der, wie er selbst festhielt, einen starken Einschnitt bedeutete, denn es „traten jetzt die Verhältnisse des Ostens in den Vordergrund“, welchen er sich in den folgenden Jahrzehnten bevorzugt widmen sollte und die durch den Ersten Weltkrieg an Virulenz gewannen.17 Da Brackmann bei Beginn des Krieges für dienstuntauglich erklärt „und auch bei nochmaliger Meldung im Anfang des Krieges abgewiesen wurde,“ trat er zuerst in den Lazarettdienst ein und wechselte bald in die Flüchtlingsfürsorge.18 Die Beschäftigung mit dem Osten war zunächst Auftragsarbeit, da er sich mit der Geschichte des „Russeneinfalls“ auseinandersetzen sollte, woraus die von ihm 1915 und 1916 herausgegebenen Ostpreußischen Kriegshefte entstanden. Die mediävistische Auseinandersetzung mit den Osten betreffenden Fragen wurde damit ergänzt um neuere Aspekte deutschslawischer Beziehungen, denen er sich in der Folgezeit intensiv widmen sollte, oder, wie es in einem mehr als würdigenden Nachruf hieß: „Je mehr diese Kontroversen von der aktuellen Politik Besitz ergriffen, desto notwendiger und wichtiger wurde ihre wissenschaftliche einwandfreie und zugleich aktiv wirksame Führung von deutscher Seite her durch einen Mann, in dem sich überragende Kennerschaft mit Aufrichtigkeit der Gesinnung, Liebe zur Sache und heißes vaterländisches Bemühen vereinigt fanden“.19

Der Mediävist Brackmann forderte zudem eine Politisierung der Geschichtswissenschaft, die sich eben nicht nur in der Kriegsursachenforschung niederschlagen, sondern sich – gerade in Fragen des deutschen Ostens – noch in viel 15 16 17 18 19

Brackmann: Antrittsrede, S. 520. Vgl. Menk: Brackmann, S. 121 f. Lebenslauf Brackmanns, BArch Berlin, R 153/1039. Ebd. Meinert: Brackmann, S. 130.

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stärkerem Maße auch unter seiner Ägide etablieren sollte. Das von Hermann Meinert angeführte „heiße vaterländische Bemühen“ Brackmanns zeigte sich in jener Rede allzu deutlich, wie eine längere Passage anschaulich macht: „Jedes große Volk hat eine ganz bestimmte Überzeugung von seiner besonderen Eigenart. Unsere Überzeugung ist, daß unsere deutsche Art reicher und tiefer ist als die der anderen Nationen, weil uns unsere Empfindungs- und Vorstellungswelt tiefer und reicher dünkt als die ihre. [. . . ] Es beherrscht uns ein starkes Streben nach vorwärts und aufwärts und die felsenfeste Gewißheit, daß wir der Welt etwas zu bieten haben, was kein anderes Volk ihr bieten kann. Als am 2. August des vergangenen Jahres der Krieg über uns hereinbrach, haben wir es alle im Innersten empfunden, daß wir nicht nur deutsches Land, sondern deutsche Art zu schützen haben. [. . . ] Niemals haben wir es klarer empfunden als jetzt, daß wir uns behaupten müssen, weil wir ein unvergleichliches Gut zu schützen haben: die gute deutsche Art, die trotz der Freude am blanken Schwert tiefstes Verständnis hat für alles Schöne und alles Große in der Welt“.20

Mit diesen Ausführungen, die weit über ein spontanes euphorisches Augusterlebnis hinausreichen, stellte sich Brackmann in die Reihe der Apologeten eines überlegenen Deutschtums, das es zu verteidigen und dessen Überlegenheit, dessen Ansprüche und dessen Weltgeltung es historiografisch zu untermauern galt, um zunächst den ‚Verleumdungen‘ der Kriegsgegner entgegentreten zu können. Dass die Geschichtswissenschaft dazu beitragen könnte, schien für Brackmann nicht nur selbstverständlich, sondern auch umso wünschenswerter zu sein, da sie „in einem Zeitalter, in dem die Naturwissenschaften die Führung gewonnen haben, [. . . ] in gewisser Weise in den Hintergrund getreten“ sei.21 In ihrer Funktion als Legitimationswissenschaft22 würde sie aber in der Lage sein, aus diesem Schatten anderer Wissenschaften herauszutreten, und Brackmann wollte vorangehen und „in seiner Person beweisen“, dass auch der Historiker als „ein integrierendes Glied im Volksganzen“ dienen könne.23 Wurde Brackmann bereits als Vertreter der im Kaiserreich sozialisierten Gründerzeitgeneration benannt, lieferte er in jener Rede einen eindrucksvollen Beleg für diese Zuschreibung, der – zumal im frühen Ersten Weltkrieg – so mancher publizistischen oder wissenschaftlichen Feder hätte entspringen können: „Gerade dieser Krieg hat es uns aber auch deutlicher als je zuvor gezeigt, daß Deutschland und sein Kaiser zusammengehören. Nicht nur weil jetzt auch der Blödeste einsieht, daß dieses gehaßte und umneidete Deutschland ein starkes, wehrhaftes Kaisertum braucht, um sich zu behaupten im Kreise der Nationen. Nein, die ganz persönliche Art unseres Kaisers hat uns alle aufs engste zusammengeschlossen“.24

Dieser enge Zusammenschluss, der sich gegen die Deutschland umringenden feindlich gesonnenen Nachbarn zur Wehr setzen musste, wurde von Brackmann 20 21 22 23 24

Brackmann: Militarismus, S. 43. Ders.: Antrittsrede, S. 519. Vgl. Schöttler: Legitimationswissenschaft. Ohnsorge: Brackmann. Brackmann: Militarismus, S. 44.

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auch in den Kriegsheften beschworen, die er nicht nur herausgab, sondern um eigene Beiträge ergänzte, etwa zum ersten und zweiten „Russeneinfall“ in Ostpreußen sowie zur Fluchtbewegung.25 Die Ereignisse von August 1914, allen voran die Schlacht bei Gumbinnen, die eine kurzzeitige russische Besetzung weiter Teile Ostpreußens zur Folge hatte, hätten deutlich gezeigt, so Brackmann, „daß ein Volk, mit dem wir bisher in Frieden und Freundschaft gelebt hatten, im Kriege völlig entartete, indem es den Versuch machte, nicht nur das Heer, sondern die ganze Nation zu vernichten“.26 Er zog unter den Eindrücken des erst wenige Monate zurückliegenden „Russeneinfalls“ weiter über jene vom Leder, die sich „nicht wie Angehörige einer regulären Armee, sondern wie richtige Marodeure“ verhielten, und konstatierte, dass „seit den Tagen vor 100 Jahren, in denen die Kosaken unseren Urgroßeltern das Geld aus der Tasche stahlen, [. . . ] wenigstens ihr Bildungsgrad nicht um einen Bruchteil besser geworden [sei]“.27 Mögen diese Ausführungen im Krieg gewiss auch propagandistischen Zwecken gedient haben, so ging Brackmann noch einen Schritt weiter, indem er nicht nur antirussische Ressentiments bediente, sondern auf die Bedeutung der Provinz für das gesamtdeutsche Volk einging, die es zu verteidigen und zu bewahren gelte: „Wir befinden uns hier auf altem deutschen Boden. In heißem Kampfe haben ihn einst die Deutschen erstritten, in tiefster Not und Bedrängnis ihn gegen Tataren und anderes Volk gehalten. Es ist eine Ehrenpflicht des lebenden Geschlechtes, ihn ungeschmälert der Nachwelt zu bewahren. [. . . ] Daß dieses fruchtbare Land mit seinen weiten Äckern und Wiesen, mit seiner kernhaften Bevölkerung ein Juwel bleibe, dazu mitzuwirken hat jeder die Pflicht, der Ostpreußen als seine Heimat oder als Deutscher liebt. Möchten auch diese Hefte dazu beitragen, solche Überzeugung in ganz Deutschland zu stärken“.28

In seinen Ausführungen und der Gesamtkonzeption der Kriegshefte wurden bereits Aspekte angesprochen, die durch den Kriegsverlauf und die folgenden Versailler Vertragsbestimmungen von besonderer Bedeutung werden und die wissenschaftliche Landesgeschichtsforschung, die Ostforschung und damit sein späteres Betätigungsfeld prägen sollten. Noch zehn Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs betonte er, dass er „in der gründlichen Erforschung unserer geschichtlichen Vergangenheit einen ganz unentbehrlichen Faktor für den Wiederaufbau unseres zusammengebrochenen Vaterlandes“ sehe, denn „eine objektive Betrachtung der Dinge setzt für unser deutsches Volk an die Stelle der Selbstverurteilung den freudigen Stolz auf eine große Vergangenheit und die zuversichtliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft“.29 Brackmann betätigte sich seit seiner Königsberger Zeit politisch, hatte zur Gründung einer ‚Nationalen Partei‘ aufgerufen und war 1919 der DVP beige25 26 27 28 29

Vgl. ders.: Einfall; ders.: Fluchtbewegung; ders.: Russeneinfall. Ders.: Einfall, S. 9. Ebd., S. 12 f. Ebd., S. 29. Ders.: Kaiserpolitik, S. 38.

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treten.30 In den Nachkriegsjahren gewann seine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Osten, die er seit dem Wechsel nach Königsberg verstärkt betrieben hatte, durch die territorialen Veränderungen an Bedeutung. Direkt involviert war er dabei als Berater Wilhelm von Gayls, des Reichskommissars für das Gebiet Allenstein, während der Abstimmungskämpfe im Vorfeld der eigentlichen Volksabstimmungen 1920: Eine Aufgabe, zu der vermehrt Landeshistoriker sowie Geografen herangezogen wurden. Brackmann verfasste in diesem Zusammenhang Denkschriften zur Lage und Einschätzung der litauischen und polnischen Minderheiten in Ostpreußen.31 Nachdem Brackmann 1920 einen Ruf nach Marburg erhalten hatte, blieb er dem Osten verbunden und verfasste Artikel zur politischen Lage in der Königsberger Allgemeinen Zeitung. Auch in der Lehre erörterte er „Fragen des deutschen Ostens“ und versuchte, seine Studenten dafür zu sensibilisieren, diese Fragen „nicht als isolierte Spezialprobleme, sondern stets im Zusammenhang mit den Daseinsfragen des ganzen Volks, des ganzen Reiches anzufassen“.32 Im prinzipiell liberalen Marburg gehörte das DVP-Mitglied Brackmann zumindest im Umfeld der reaktionären universitären Historikerschaft, das die „deutschnational bis scharf antisemitisch“ eingestellten Karl Robert Wenck und Edmund Stengel umfasste, „noch eher zu den Waisenkindern auf der politischen Rechten“.33 Der Republik stand er nicht allzu wohlwollend gegenüber, sondern bevorzugte, wie er 1931 ein einem Brief erwähnen sollte, die Herrschaft der Wenigen ähnlich des römischen Senats, beziehungsweise „noch besser, in der venezianischen Form des Rates der Zehn“.34 Die zweite Marburger Zeit Brackmanns war nur von kurzer Dauer, da er bereits 1922 die Nachfolge Dietrich Schäfers in Berlin antrat. Dort konnte er weitere Impulse setzen und wissenschaftliche Auszeichnungen erlangen: Ab 1925 – dem Jahr seines Übertritts von der DVP zur DNVP – gab er die Jahresberichte für deutsche Geschichte heraus und 1928 trat er neben Friedrich Meinecke als Herausgeber der Historischen Zeitschrift. Ebenfalls 1925 wurde er korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen sowie ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und rückte endgültig in die erste Riege der deutschen Historiker auf. In den folgenden Jahren wurde er Mitglied der Zentraldirektion der MGH, erhielt weitere Auszeichnungen, wurde Mitglied in anderen wissenschaftlichen Akademien, Ehrenmitglied in diversen historischen Vereinen und Kommissionen und erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Königsberg. 30

Lebenslauf Brackmanns, BArch Berlin, R 153/1039. Vgl. Fahlbusch: Geographie, S. 229; vgl. Haar: Historiker, S. 107. 32 Albert Brackmann und die deutsche Ostforschung. Zum 70. Geburtstag des verdienten Gelehrten, Nordostberichte der Publikationsstelle Nr. 55, 16. Juni 1941, BArch R 153/1039. 33 Menk: Brackmann, S. 144 f. 34 Zit. nach Burleigh: Brackmann, S. 69. 31

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Die Ernennung Brackmanns zum Generaldirektor war allerdings kein lange geplantes Vorhaben des Ministeriums, sondern dieses hatte sich zunehmend schwer getan, einen Nachfolger für Kehr zu finden. Brackmann schien dies ausgenutzt und sich in eine Position gebracht zu haben, die es ihm erlaubte, Forderungen zu stellen. Den ohnehin sehr gut bezahlten Posten des Generaldirektors konnte er durch diverse Zulagen ergänzen, wodurch er „in die höchsten Höhen der Entgeltpyramide im preußischen Kultusbereich“ vordrang. Die wichtigere Zusicherung aber, die er sich einholte, war die der Einrichtung eines neuen Ausbildungsinstitutes unter seiner Ägide.35 Jenes 1930 gegründete Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung (IfA) sollte die fachmännische Archivarsausbildung vereinheitlichen und fortentwickeln sowie besonders begabte Historiker mit Archivwesen und -wissenschaft vertraut machen und im Quellenumgang schulen. Die Gründungsintentionen des IfA werden im folgenden Kapitel ebenso einer genaueren Betrachtung unterzogen wie hinterfragt werden muss, ob dem „sorgfältig durchkonstruierten Gebäude“ die Realisierung der ursprünglichen Ziele gelingen konnte.36 Als Brackmann den Posten in der Archivverwaltung antrat, sah er sich veranlasst, „die wissenschaftliche Arbeit stärker politisch zu aktivieren“, als er es anfangs beabsichtigt hatte: „Als ich nämlich bemerkte, dass sowohl die Russen die Schätze der Preussischen Staatsarchive für ihre Landesinteressen ausnutzten und ebenso die Polen, [. . . ] habe ich nach der Kündigung des Archivvertrages mit Sowjet-Russland die wissenschaftliche Arbeit der Archivbeamten in den Abwehrkampf gegen Polen eingegliedert“.37

In den 1920er Jahren hatte eine Entspannung im Verhältnis zu den Archivverwaltungen der ehemaligen Kriegsgegner eingesetzt, denen jedoch – wie anhand der Archivtage gezeigt werden konnte – in unterschiedlichem Maße mit Misstrauen begegnet wurde. Seit dem Vertrag von Rapallo 1922 führte die Annäherung zum russischen Archivwesen dazu, dass das Geheime Staatsarchiv und das Moskauer Zentralarchiv Publikationen ausgetauscht hatten und in engere Verbindungen traten, die zu gegenseitigen Benutzungsgesuchen führten. Vor allem das Moskauer Marx-Engels-Institut schickte Historiker zur Erforschung der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung in diverse westeuropäische Archive und wollte hierfür auch preußische Archivbestände nutzen.38 Die neu entstandene Beziehung war keine einseitige, sondern auch umgekehrt fanden Archivreisen statt. Der Berliner Archivar Heinrich Otto Meisner beispielsweise reiste 1927 mit einem Forschungsauftrag nach Moskau und Leningrad und sollte sich dort einen Überblick über das russische Archivwesen verschaffen. Die sich kontinuierlich verbessernden Beziehungen führten 1928 zur Abhaltung der 35 36 37 38

Menk: Brackmann, S. 115 f.; vgl. Leesch: IfA, S. 219 f. Papritz: Archivwissenschaft Bd. 1, S. 12. Lebenslauf Brackmanns, BArch Berlin, R 153/1039. Vgl. Franz/Groß: Beziehungen, S. 83.

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russischen Historikerwoche in Berlin sowie zur Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen der preußischen Archivverwaltung und dem russischen Zentralarchiv über die gegenseitige Ausleihe von Archivalien.39 Dass wechselseitiges Entgegenkommen zwischen Archivverwaltungen vertraglich fixiert wurde, war – zumal im deutsch-russischen Verhältnis – keineswegs selbstverständlich, und so wird diese Regelung des Gegenseitigkeitsprinzips mitunter als „Höhepunkt in den Beziehungen zwischen deutschen und sowjetischen Archiven“ gewertet.40 Gerade die russischen Benutzer aber bekamen den neuen Wind und den „energischen Ruck nach Osten“, der mit Brackmann in die Archivverwaltung eingezogen war, als erste zu spüren.41 Noch in seinem ersten Amtsjahr revidierte Brackmann dieses Abkommen und verweigerte russischen Benutzern den Zugang zu den preußischen Archiven.42 Als noch gravierender schätzte Brackmann die Gefahr ein, die durch polnische Nutzer entstand, welche sich in deutschen Archiven Munition für ihren vermeintlichen Kampf sammeln könnten. Da in diesem Falle nicht einfach ein Abkommen außer Kraft gesetzt werden konnte, wurden entsprechende Maßnahmen und Möglichkeiten länger, aber nicht weniger intensiv diskutiert. Eine generelle Sperrung polnischer Benutzer wie im russischen Fall wurde erwogen, aber 1931 zunächst wieder verworfen, denn „die Front gegen Polen“ sollte „beweglich gehalten werden.“ Die Archivwissenschaft sah sich außerdem im Vorteil, da sie die Akten in der Hand hielt, auf die es die polnischen Forscher abgesehen hatten, und betrachtete eine vollständige Benutzungssperre demnach als Ultima Ratio. Brackmann formulierte das Dilemma: „Wenn die generelle Benutzungssperre für Polen vermieden werden sollte, so müßte doch ein Mittel gefunden werden, das erlaubte, die Ablehnung polnischer Benutzungsgesuche zu motivieren, ohne sich den Ruf der Illiberalität zuzuziehen“.43 Der ‚Abwehrkampf‘ gegen Polen sollte sich in den Folgejahren zu einem der zentralen Aspekte entwickeln, denen sich die preußische Archivverwaltung in Kooperation mit teils eigens hierfür gegründeten Institutionen widmete. Die Terminologie bezüglich der ‚Abwehr‘ polnischer ‚Angriffe‘ findet sich nicht nur in Äußerungen Brackmanns, sondern entspricht durchaus dem Wesen der zeitgenössischen Sicht auf die geografische und (geo-)politische Konstellation seit dem Versailler Vertrag. Der Preußische Ministerpräsident Otto Braun hatte sich bereits 1931 an Reichsinnenminister Joseph Wirth gewandt mit dem Hinweis, „angesichts der sich steigernden geistigen Offensive der Polen“ erscheine es „drin39 Cgl. Vereinbarung vom 15. Juli 1928, gez. M. Pokrowsky, V. Adoratzky, P. Kehr. Zit. nach Franz/Groß: Beziehungen, S. 85. 40 Ebd., S. 85. 41 Weiser: Archivverwaltung, S. 112; vgl. Wöllhaf : Brackmann. 42 Vgl. Schöbel: Publikationsstelle, S. 229; vgl. Burleigh: Germany, S. 42. 43 Bei jener Konferenz waren lediglich drei Universitätsprofessoren und vier Abgeordnete von Außen- und Staatsministerium vertreten, aber neun Staatsarchivare – Michael Burleigh bezeichnete es als eine Art Treffen in Telgte preußischer Archivare. Konferenz im Preuß. Staatsministerium, Protokoll, 15. Juli 1931, BArch R153/1; vgl. ebd., S. 42.

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gend nötig, ihr von deutscher Seite eine Abwehr entgegenzusetzen“, weshalb er Brackmann mit der Aufgabe betraut habe, durch die Archivverwaltung entsprechende Publikationen vorzulegen, „in denen in objektiver Form den polnischen Behauptungen die Wahrheit gegenübergestellt werden soll“. Das Innenministerium wurde dabei um Hilfe bei der „Beschaffung der Mittel“ gebeten, zumal die Ansinnen so nachvollziehbar wie notwendig erschienen.44 Natürlich muss die Begrifflichkeit aus heutiger Sicht kritisch bewertet werden, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ‚Abwehr‘ hier meist einen deutschen Gegenangriff oder zumindest offensive Verteidigung als Reaktion darauf impliziert.45 Sowohl die Ausbildung am IfA sollte von diesen Bemühungen beeinflusst werden als auch die ebenfalls von Brackmann initiierte und dem Geheimen Staatsarchiv angegliederte Publikationsstelle Berlin-Dahlem. Jene war laut Brackmann nötig geworden, als er erkannt hatte, dass die polnischen „Angriffe“ auf dem Argument beruhten, „dass das ganze Gebiet der deutschen Ostmark alter polnischer Besitz sei“ und deshalb argumentativ mit historischen Arbeiten zu „diesen frühesten Zeiten zu beginnen“ sei.46 Da dies aber nicht in die Zuständigkeit der Archivverwaltung falle, sei die Gründung eines neuen Institutes hierfür unumgänglich geworden, das Historiker und Archivare mit solchen spezielleren Aufgaben betrauen konnte. Auch diese neue Einrichtung ohne historisches Vorbild muss näher beleuchtet werden. 2. Das Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung 1930–1933. Gründung, Aufgaben, Personen a) Gründung, Struktur und Zulassungsbedingungen des IfA Die Gründung eines Ausbildungsinstituts für Archivare hatte Brackmann zur Bedingung für seine Amtsübernahme gemacht, weswegen in den Nachrufen einhellig gelobt wurde, dass der archivarische Nachwuchs und dessen fachlich einwandfreie Ausbildung ihm eine besondere Herzensangelegenheit gewesen sei. Dies mag gewiss zutreffen, doch ein wesentlicher Punkt, der ausschlaggebend für die Einrichtung des IfA gewesen ist, war der, dass Brackmann für den Archivar der Zukunft ein verändertes Aufgabenfeld im Entstehen begriffen sah: „Die Zeiten sind vorbei, in denen der Archivar sich darauf beschränken konnte, sein Archiv in Ordnung zu halten, und die weitere Entwicklung wird ihn voraussichtlich

44 Der Preußische Ministerpräsident an den Reichsminister des Innern, 19. September 1931, in: PA AA, R 60311. 45 Der Vorschlag Jörg Hackmanns, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Mächtekonstellation bevorzugt die polnische Haltung als Abwehr zu bezeichnen, erscheint allerdings wenig hilfreich, zumal der Begriff in den Quellen eindeutig, wenngleich mit zu beachtender legitimatorischer Intention, Verwendung findet. Vgl. Hackmann: Geschichtswissenschaft, S. 34. 46 Lebenslauf Brackmanns, BArch Berlin, R 153/1039.

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in steigendem Maße in die Welt hineinziehen. Diesen Verhältnissen gilt es, schon bei der Ausbildung des Nachwuchses Rechnung zu tragen“.47

Dieses Hineingezogenwerden „in die Welt“ prägte Brackmanns Amtszeit in hohem Maße, wobei nicht nur eine bessere Sichtbarkeit der Archivwissenschaft in der historiografischen Landschaft ebenso wie der Öffentlichkeit bewirkt, sondern auch neue Aufgabenfelder angegangen werden sollten, die sich durch die Zeitläufte ergeben hatten. Im Mittelpunkt stand dabei das IfA, welches das Personal für die neuen Herausforderungen zeitgemäß ausbilden, sich dabei aber nicht allein auf archivarischen Nachwuchs beschränken sollte: „Errichtet zu dem Zwecke, die fachmännische Ausbildung der Archivbeamten zu erzielen, hat das Institut zugleich die Aufgabe, auch andere besonders befähigte Historiker, die bereits zu Doktoren promoviert sind oder das Staatsexamen bestanden haben, mit dem Archivwesen, den Quellen im weitesten Umfange ihrer wissenschaftlichen Behandlung und mit den Problemen der Geschichtsforschung vertraut zu machen“ (§ 1, 1).48

Der eineinhalbjährige Vorbereitungskurs, der im Geheimen Staatsarchiv in Berlin abgehalten wurde, umfasste die Vermittlung von Kenntnissen in den Historischen Hilfswissenschaften, eine Einführung in die Probleme der Geschichtsforschung des Mittelalters und der neuen Geschichte sowie Lehrveranstaltungen zur Verfassungsgeschichte, zur brandenburg-preußischen Geschichte, Wirtschaftsund Sozialgeschichte, Kunstgeschichte sowie der Geschichte der Heeresverfassung; vorausgesetzt wurden Sprachkenntnisse in Mittellatein, Mittelhochdeutsch, Französisch und Englisch, sehr erwünscht waren Kenntnisse in der italienischen, der spanischen sowie in den slawischen Sprachen, vor allem Polnisch und Russisch (§ 2). Die Lehre am IfA hatten zum einen die wissenschaftlichen Beamten des Geheimen Staatsarchivs zu leisten und zum anderen Dozenten der Berliner Universität, wobei das Lehrpersonal in bestimmten Fällen um „sonstige dazu geeigneten Persönlichkeiten“ ergänzt werden konnte (§ 3, 3). Die Leitung des IfA fiel dem Generaldirektor der preußischen Staatsarchive zu, der sich die Oberhoheit über die Zusammensetzung des Personals, den Lehrplan sowie die Aufnahme der Kursteilnehmer vorbehielt (§ 3, 2; § 6, 1). Für die Kursteilnehmer, deren Anzahl pro Lehrgang im allgemeinen nicht mehr als 20 betragen sollte, galt die neue Verordnung über die Zulassung zum wissenschaftlichen Archivdienst bei den Preußischen Staatsarchiven vom 27. Juni 1930, welche die unter Kehr eingeführte Zulassungsverordnung hinfällig machte.49 Weiteste Teile der bisherigen Zulassungsverordnung waren teils wörtlich, teils nur geringfügig umformuliert und mit marginalen Veränderungen über47

Brackmann: Institut, S. 1. Satzung des Preußischen Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin vom 30. September 1930, zit. nach ebd., S. 14 ff. 49 Verordnung über die Zulassung zum wissenschaftlichen Archivdienst bei den Preußischen Staatsarchiven vom 27. Juni 1930, zit. nach ebd., S. 9–13; auch: HStA Marburg, 156e/649. 48

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nommen worden.50 Eine der kleineren Änderungen betraf die erweiterte Befugnis des Generaldirektors, bei der Auswahl der Bewerber Ausnahmen machen zu können. Für besonders vielversprechende Bewerber, die aber keine erste Staatsprüfung vorweisen konnten, war nun in Ausnahmefällen die Möglichkeit vorgesehen, sich durch das Bestehen eines Tentamens vor der Prüfungskommission die Zulassungsvoraussetzung zu schaffen (§ 5).51 Auch wenn die Anforderungen an die Voraussetzungen der Kursteilnehmer kaum verändert wurden, sollte die Archivarsausbildung auf eine neue Stufe gehoben werden; Brackmann sah zu Beginn die Ausbildung „unter neue systematische und pädagogische Gesichtspunkte gestellt, gekennzeichnet durch eine straffe Leitung, durch Zusammenwirkung der Lehrkräfte [. . . ] und durch Fühlungnahme der Dozenten untereinander“.52 Ein Aspekt, der die Bedeutung des neuen Instituts aufzeigt, ist der Umstand, dass das IfA in den folgenden Jahren nicht nur in vielerlei Hinsicht Vorbild und Impulsgeber für andere Ausbildungsinstitute wurde, sondern auch über die Grenzen Preußens hinaus Wirksamkeit entfaltete. Mancher Mittelstaat, der seine Archivare nicht selbst ausbilden konnte, rekrutierte seinen archivarischen Nachwuchs aus den Absolventen meist der preußischen oder bayerischen Archivschulen oder entsandte potentiellen Nachwuchs an eben jene Institute. Der Volksstaat Hessen beispielsweise machte schon 1930 „den Besuch des Berliner Instituts und die Ablegung der Abschlussprüfung zur Vorbedingung für den Eintritt in den hessischen Archivdienst“.53 Aus diesem Grund liegt es nahe, nicht nur die Personen zu betrachten, die durch diese Schule gingen und in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die deutsche Archivwissenschaft prägen sollten, sondern eben auch jene Personen, die für die Ausbildung des archivarischen Nachwuchses verantwortlich zeichneten. b) Das Lehrpersonal des IfA In den ersten IfA-Kursen lehrten als Professoren neben Brackmann selbst weitere Archivare des GStA sowie die Historiker Meinecke, Holtzmann und Hartung sowie der Kunsthistoriker Kauffmann, dazu kamen die beiden kurz vor der Habilitation stehenden Doktoren Reicke und Flügge. Brackmann vermittelte sowohl Kenntnisse in seinen angestammten Forschungsgebieten (kritische Untersuchungen an Papsturkunden sowie Editionstechniken am Beispiel der Germania 50 Aufgrund der weitgehenden Übereinstimmung wird an dieser Stelle auf die neue Zulassungsverordnung nicht näher eingegangen. Siehe hierzu Kap. C. IV. 2. b). 51 Zu Ausbildungsverordnung und Inhalten der ersten Kurse vgl. Puppel: Ausbildung, S. 339– 353. 52 Brackmann: Institut, S. 8. 53 Hauptstaatsarchiv Darmstadt an hess. Minister für Kultus und Unterricht, 30. Januar 1946, betr. die Vorbildung der Anwärter für den wissenschaftlichen Archivdienst in Großhessen, HStA Marburg, 156e/649.

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Pontificia) als auch überblickshafte Darstellungen der Archivwesen verschiedener Länder. Die Professoren übernahmen Vorlesungen, die für sie kaum mehr als Fingerübungen dargestellt haben dürften, handelte es sich doch meist um eher grundsätzliche Fragestellungen ihrer Fachgebiete. Das Handwerkszeug der künftigen Archivare, von allgemeinen Grundbegriffen der Archivwissenschaft über Urkundenwesen bis hin zu Ordnungs- und Repertorisierungsaufgaben, lehrten die Staatsarchivräte des Hauses, die auch Exkursionen, etwa an das Potsdamer Reichsarchiv, durchführten und um Vorträge ergänzten.54 Mehr als die genaue Zusammensetzung der Lehrpläne und Unterrichtsinhalte und die Umsetzung durch den entsprechenden Dozenten interessiert an dieser Stelle allerdings die Zusammensetzung des Lehrkörpers. Die Vertreter der wilhelminischen und der Gründerzeitgeneration, also alle zwischen den späten 1850er und den 1870er Jahren geborenen Archivare, die sich zu Beginn der Weimarer Republik bereits in den höheren und höchsten Ämtern und Laufbahngruppen der Archivverwaltungen befanden und die Archivwissenschaft etwa über die Nachkriegsarchivtage nachhaltig geprägt hatten, wurden bereits betrachtet.55 Diese Archivare, vor allem die Wilhelminer, waren zwischenzeitlich überwiegend in den Ruhestand getreten oder auf den letzten Posten ihrer Karrieren angelangt. Letzteres galt in der Mehrzahl auch für die Archivare der Gründerzeitgeneration, für die Brackmann stellvertretend angeführt werden kann, der bei der Übernahme des Generaldirektorats 58 Jahre alt war und am Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein schien. Freilich muss immer berücksichtigt werden, dass einzelne Personen aus ihrer Gruppe oder Generationenzuschreibung herausfallen können oder trotz formaler Zugehörigkeit zu der einen Generation aus diversen Gründen beispielsweise der nachfolgenden Generation zugerechnet werden müssen, wohingegen andere Exponenten geradezu prototypische Vertreter ‚ihrer‘ Generation darstellen. Der auf dem beschriebenen Generationenmodell der Alterskohorten basierende Versuch muss „zeitliche Sequenzierungen“ konstruieren, um die aufeinander folgenden Altersgruppen zu differenzieren und vergleichbar machen zu können.56 Hierbei können gerade an den ‚Rändern‘ der Zeitabschnitte Überschneidungen auftreten. Dementsprechend hatten die meisten Vertreter dieser beiden älteren Generationen den Ersten Weltkrieg passiv an ihrer jeweiligen Arbeitsstätte erlebt, und diejenigen, die aktiv am Kriegsgeschehen teilgenommen hatten, waren in der Regel nicht an vorderster Front gewesen. Diese Fronterfahrung konnten aber jüngere Fachvertreter vorweisen, die erst später maßgeblich in den Archivdienst eintraten und sich bemerkbar machten, eben die in den 1880er und 1890er Jahren 54 Bericht Brackmanns über den ersten Kurs des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung während des Sommersemesters 1930 vom 3. September 1930, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243; auch: HStA Marburg, 156e/651. 55 Siehe Kap. C. IV. 2. c). 56 Vgl. Brakensiek: Erfahrungen, S. 44.

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Geborenen der Frontgeneration. Jene um die Jahrhundertwende oder dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Jugendlichen erlebten in frühem oder auch schon fortgeschrittenem Stadium ihrer schulischen Ausbildung „die Aufschwungseuphorie wie die Zukunftsängste der Vorkriegsjahre“.57 Diese Alterskohorte war die letzte, die noch maßgeblich im späten Kaiserreich sozialisiert wurde und deren frühes Erwachsenenleben von den Umbruchszeiten und der politischen Instabilität nach dem Ersten Weltkrieg geprägt war.58 Generationsstiftendes Moment war bei jener vielmehr der Erste Weltkrieg und dabei der Umstand, dass die männlichen Mitglieder der Altersgruppe die meisten und am längsten eingezogenen Soldaten an den Fronten des Weltkriegs stellten und die Kohorte entsprechend dezimiert wurde. Zudem verursachten die Kriegsjahre Brüche in den beruflichen Laufbahnen, und so manche Berufswahl konnte erst in der Nachkriegszeit getroffen werden. Genau dieser Aspekt lässt sich an den Archivaren belegen, welche die ersten IfA-Kurse unterrichteten und sämtlich dieser Frontgeneration angehörten. Sowohl Ludwig Dehio (*1888) als auch Heinrich Otto Meisner (*1890) hatten im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts das Abitur abgelegt und ein Studium begonnen, und beide promovierten noch im Jahr vor Kriegsbeginn, 1913. Meisner, Sohn des Abteilungsdirektors der Preußischen Staatsbibliothek Prof. Dr. Heinrich Meisner, hatte in Berlin unter anderem bei Otto Hintze Geschichte, Staats- und Verwaltungsrecht und Germanistik studiert und trat noch im Jahr der Promotion59 in den preußischen Archivdienst ein, war Volontär am Staatsarchiv in Stettin und dann am Geheimen Staatsarchiv in Berlin, wo er ebenfalls noch vor dem Krieg die Archivarsprüfung ablegen konnte. Stationen als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und Archivassistent führten 1921 zur Ernennung zum Staatsarchivar und Tätigkeiten im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv und als Lehrbeauftragter für Archivkurse im Geheimen Staatsarchiv. 1927 wurde er für einen Forschungsauftrag in Moskau abgeordnet, um an einer ersten Darstellung des russischen Archivwesens zu arbeiten, was durch die beschriebene Annäherung der preußischen und der russischen Archivverwaltung ermöglicht worden war.60 Mit Gründung des IfA wurde er neben seiner Archivarstätigkeit in dessen Lehrkörper übernommen.61 Dehio war in Königsberg als Sohn des Kunsthistorikers und Universitätslehrers Georg Dehio, welcher „der geistigen Elite des wilhelminischen Bürgertums“ zugerechnet wurde, geboren und in einem Gelehrtenhaushalt aufgewachsen, in dem er früh mit Kunstgeschichte in Berührung kam, der er sein Leben lang Inter57 58 59 60 61

Peukert: Weimar, S. 27. Vgl. Bessel: Front generation, S. 122. Meisner: Prinzip. Vgl. ders.: Archivwesen. Vgl. Leesch: Meisner; ders.: Meisner-Nachruf.

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esse schenken sollte.62 Nach dem Umzug der Familie nach Straßburg 1892 hatte er später eben dort Geschichte, Kunstgeschichte und Nationalökonomie sowie Philosophie und Philologie studiert und bei Harry Breslau über Innozenz IV. promoviert.63 Nach Abschluss des Studiums war er zunächst bei Paul Fridolin Kehr am Deutschen Historischen Institut in Rom als Volontär beschäftigt, bis der Krieg ausbrach und Dehio zu dem Infanterie-Regiment eingezogen wurde, bei dem er bereits seinen Militärdienst geleistet hatte. Nach erster Verwundung im August 1914 und längerem Lazarettaufentahlt nahm er an der Schlacht bei Ypern teil und wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet – die Fronterfahrung schilderte er hernach seinen Eltern als „ungemein reizvoll“.64 Eine weitere Verwundung schränkte seine Einsatzfähigkeit ein und sorgte für seine Versetzung in die Etappe. Seinen Kriegserfahrungen konnte er rückblickend durchaus positive Seiten abgewinnen: „Ich habe mich im ganzen im Heer wohlbefunden, der Kontrast zu meinem Gelehrtendasein berührte mich überwiegend wohltätig [. . . ] mit seiner Kameradschaft, Freiheit und Gefahr“.65 Für Dehio stellten Kriegsende und -ausgang einen stärkeren Einschnitt dar als für Meisner. Dehios Familie musste Straßburg verlassen, er hatte an den Folgen seiner Verwundungen zu leiden und musste sich bald mit der Republik arrangieren, der er skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. In der Spätphase des Krieges hegte er Sympathien für die radikalnationalistische Deutsche Vaterlandspartei (DVLP), die „erste rechtsradikal-protofaschistische Massenpartei“,66 die vor allem für einen Sieg- und gegen einen Kompromissfrieden agitierte, aber auch annexionistische und kolonialistische Ziele absteckte. Ihre Mitgliederschaft rekrutierte sich in erster Linie aus besitz- und bildungsbürgerlichen nationalkonservativen Kreisen, welche nach der (Selbst-)Auflösung der DVLP meist zur DNVP strebten.67 Nach dem Krieg zog Dehio nun sein „Gefühl [. . . ] nicht zu Demokratie und Parlamentarismus, eher zu den Rechtsparteien“,68 was in einer kurzen DNVP-Mitgliedschaft Mitte/Ende der 1920er Jahre resultierte. Direkt nach dem Krieg hatte er sich aus finanziellen und wohl auch aus gesundheitlichen Gründen dagegen entschieden, eine akademische Karriere anzustreben, und trat stattdessen in den Archivdienst ein. Nach der Archivarsprüfung wurde er nach kurzer Zeit in Münster wieder nach Berlin versetzt, wo er als Dozent in der Archivarsausbildung arbeitete. Mit seiner Abwendung von der Universität und der Archivarsausbildung zu Beginn der Weimarer Republik begannen für Dehio „drei Jahrzehnte relativer und während der Hitler-Zeit schließlich völliger Zurückge62

Berghahn: Dehio, S. 97. Dehio: Innozenz Zum Lebensweg Dehios vgl. Beckers: Dehio, S. 14–21; Dülfer: Dehio; Papritz: Dehio; Schieder: Dehio. 64 Zit. nach Beckers: Dehio, S. 15. 65 Ebd., S. 15. 66 Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 108. 67 Vgl. Hagenlücke: Vaterlandspartei; vgl. ders.: 1919. 68 Zit. nach Beckers: Dehio, S. 16. 63

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zogenheit im Preußischen Archivdienst“,69 bevor er zu einem der wichtigsten Historiker der zweiten Nachkriegszeit werden sollte.70 Seine Zurückgezogenheit war gewiss nicht Resultat gewollten Rückzugs, sondern prekären Anstellungsverhältnissen geschuldet, die er als ‚Vierteljude‘ durchleben musste. Meisner und Dehio verband somit der parallele Ausbildungsweg bis zur Promotion, und nach Ablegung des Archivarsexamens glichen sich ihre Karriereverläufe in den folgenden Jahren wieder an. Der Krieg hatte, wenn man die formalen Lebensläufe betrachtet, lediglich Einfluss auf den unterschiedlichen Zeitpunkt, an welchem sie sich der postgradualen Archivausbildung widmeten.71 Diese beiden IfA-Dozenten lassen sich bei einer Binnendifferenzierung ihrer Generation zur älteren Frontgeneration der etwa bis 1889 Geborenen zählen, der neben den genannten Meisner und Dehio auch der ebenfalls am IfA lehrende Fritz Hartung (*1883) ebenso angehörte wie die Historiker Heinrich Ritter von Srbik (*1878), Hans Hirsch (*1878), Karl Alexander von Müller (*1882), Martin Hobohm (*1883), Willy Andreas (*1884), Hermann Aubin (*1885) oder auch Siegfried Kaehler (*1885) und Gerhard Ritter (*1888).72 Weitere Archivare dieser Generation waren Adolf Brenneke (*1875), Ludwig Bittner (*1877), Johannes Schultze (*1881), Veit Valentin (*1885), Bernhard Vollmer (*1886), Erich Randt (*1887), Walther Recke (*1887) und Karl Demeter (*1889). Anders sieht es hingegen bei den drei weiteren Archivaren der entsprechen jüngeren Frontgeneration der in den 1890er Jahren Geborenen aus, die in den ersten Kursen am IfA lehrten, bei Ernst Posner (*1892), Eugen Meyer (*1893) und Georg Winter (*1895). Diese konnten ihr Studium nicht mehr vor Kriegsbeginn abschließen, sondern mussten es für ihren Kriegseinsatz unterbrechen und konnten somit erst in den frühen Nachkriegsjahren – alle drei 1920 – promovieren und weitere Schritte ihrer Laufbahn planen und in Angriff nehmen. Sowohl der einer saarländisch-luxemburgischen Familie entstammende Eugen Meyer, der Sohn eines Berliner Medizinprofessors Ernst Posner als auch der in Neuruppin geborene und in Berlin aufgewachsene Sohn eines Ministerialbeamten Georg Winter hatten sich in den Jahren vor Kriegsbeginn für ihr Geschichtsstudium und die klassischen ergänzenden Fächer Germanistik (Meyer, Winter), Latein (Meyer) und Historische Hilfswissenschaften (Posner) immatrikuliert.73 Im Ersten Weltkrieg machten alle drei einschneidende Erfahrungen: Posner wurde bereits im Herbst 1914 schwer verwundet, Meyer diente als Artillerieoffizier und Winter, der sich als Neunzehnjähriger bereits am dritten August 1914 69 Letzteres v.a. auch wegen seiner Stigmatisierung als ‚Vierteljude‘, worauf aber noch gesondert eingegangen wird. Vgl. Berghahn: Dehio, S. 97. 70 Vgl. Kienast: Dehio; Schieder: Dehio. 71 Natürlich ist es vorstellbar, dass sich Ludwig Dehio ohne die Probleme der Nachkriegszeit nicht der Archiv-, sondern der Universitätslaufbahn gewidmet hätte, aber solch kontrafaktische Überlegung soll an dieser Stelle nicht betrieben werden. 72 Vgl. Cornelißen: Frontgeneration, S. 316 f. 73 Vgl. u. a. Becker: Meyer; Brachmann: Posner; Skalweit: Posner; Rohr: Nachruf.

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freiwillig gemeldet hatte, kämpfte 1914/15 unter anderem an der Aisne und bei Soissons. Nach einem Kriegsjahr wurde Winter im August 1915 zum Leutnant der Reserve befördert und diente bis Kriegsende in einem Infanterieregiment in verschiedenen Abschnitten der Ostfront, wofür er mit dem Eisernen Kreuz zweiter (1915) und erster Klasse (1917) ausgezeichnet wurde. Solche Auszeichnungen wie auch Beförderungen stellten keineswegs nur beiläufig zur Kenntnis genommene Alltäglichkeiten des Krieges dar, sondern wurden sowohl als verdiente Auszeichnung wahrgenommen wie auch nicht selten erhofft und herbeigesehnt. Die Historiker der jüngeren Frontgeneration waren sich weitgehend einig, dass die Chance auf das Erleben der Fronterfahrung genutzt werden müsse, wie auch der gesundheitlich angeschlagene Fritz Hartung während eines Lazarettaufenthalts Mitte des Jahres 1915 festhielt: „Wer den heroischen Charakter der allgemeinen Wehrpflicht in seinen Vorlesungen gepriesen hat, der soll sich nicht ohne zwingenden Grund der Erfüllung dieser Pflicht entziehen.“ Dies gelte eben auch für den Historiker, der sich von „dem stärksten Erlebnis, das er haben kann, nicht fernhalten“ dürfe.74 Auch Georg Winter schien von seinen Fronterfahrungen nachweislich geprägt worden zu sein, wie der später enge Vertraute Winters, Wilhelm Rohr, in einem Nachruf vermerkte: „Alles spricht dafür, daß Georg Winter in der mehr als vierjährigen Soldaten- und Kriegszeit sich hervorragend bewährt hat, ja daß während dieser Zeit und in dieser Betätigung als Soldat und Offizier gerade erst Eigenschaften in ihm freigelegt worden sind, die sein ganzes weiteres Leben bestimmt haben, nämlich einmal das, was ich seine praktische Begabung nennen möchte, seine ganz ungewöhnliche Fähigkeit, mit den Erfordernissen des Lebens selbständig und selbsttätig fertig zu werden, und andrerseits sein Drang, sich nach vorn zu stellen, Führer und Vorbild zu sein“.75

Auf diese oder andere Weise vom Krieg geprägt, hatten die jüngeren Frontkämpfer in den Nachkriegswirren ihr Studium zu beenden und sich für einen Berufsweg zu entscheiden, der alle drei Genannten fast unmittelbar nach der Promotion nach Berlin und in den preußischen Archivdienst führte: Posner und Meyer legten 1921 ihr Archivarsexamen ab, Winter im Jahr darauf. Das Geheime Staatsarchiv sollte in den 1920er Jahren ihre Lehr- und Wirkungsstätte bleiben, Posner wurde bereits 1922 zum Archivrat ernannt, Winter 1927. Meyer wurde neben seiner Archivarstätigkeit ab 1922 zur Redaktion des Korrespondenzblattes des Gesamtvereins herangezogen, dessen Schriftleitung er 1925 übernahm. Auch als Meyer 1932 als Direktor an das Staatsarchiv in Münster versetzt wurde, blieben Posner und Winter weitere Jahre in Berlin. Hierhin kehrte Meyer erst 1939 wieder zurück, als ihm die Universität die Übernahme der Professur für Histori-

74 75

Zit. nach Schulin: Weltkriegserfahrung, S. 174. Rohr: Nachruf, S. 180.

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sche Hilfswissenschaften seines akademischen Lehrers Michael Tangl angeboten hatte.76 Neben den drei genannten IfA-Dozenten gehörte auch der ebenfalls dort lehrende Walther Holtzmann (*1891) zur jüngeren Frontgeneration wie die Historiker Friedrich Baethgen (*1890), Leo Santifaller (*1890), Hans Rothfels (*1891), Hans Herzfeld (*1892), Wilhelm Mommsen (*1892), Erich Keyser (*1893), Percy Ernst Schramm (*1894) oder auch Ernst Kantorowicz (*1895), Otto Brunner (*1898) und Clemens Bauer (*1899).77 Archivare der jüngeren Frontgeneration, die im weiteren Verlauf noch zur Geltung kommen sollen, sind Ernst Zipfel (*1891), Helmuth Rogge (*1891), Hellmut Kretzschmar (*1893), Erich Weise (*1895), Georg Sante (*1896), Georg Schnath (*1898) sowie Johannes Papritz (*1898) und Wilhelm Rohr (*1898). In welcher Weise auch immer der Weltkrieg erlebt wurde – und hierbei gab es natürlich gravierende Unterschiede, abhängig von Zeit und Ort des Einsatzes78 –, eindrückliche Erinnerungen sollten allen Kriegsteilnehmern bleiben, und nicht wenige gewannen der Kriegszeit positive Seiten ab, sei es ex post in einer verklärenden Erinnerung oder noch unter den unmittelbaren Eindrücken des Krieges. Konnten die aktiven Teilnehmer des Weltkrieges Auszeichnungen und Eindrücke mit in das zivile Nachkriegsleben nehmen, die sichtbare Zeichen ihres generationellen Erlebens darstellten und sich mitunter als äußerst nützlich erweisen konnten,79 blieb genau diese Erfahrung der nachfolgenden Alterskohorte verwehrt. Für diese Kriegsjugendgeneration80 oder auch die „im mehrfachen Sinne überflüssige Generation“81 der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts Geborenen stellte der Erste Weltkrieg eine Kindheits- und Jugenderfahrung dar, die große Teile dieser Generation depravierte und altersbedingt vom „legitimierenden Mythos der Fronterfahrung“ ausschloss.82 Diese Fronterfahrung führte unweigerlich zu einer nachhaltigen Generationenscheide: „Elementare Gefühlsregungen bei sich und bei anderen erleben, Aggression und Angst, aber auch Mitgefühl und Anstand – und angesichts all dessen unerschüttert bleiben?“83 Mögen die Erfahrungen des Krieges psychologisch noch so schwer auf dem Einzelnen gelastet haben, verband diese Last doch all diejenigen, die lebend in 76 Rzihacek/Egger: Tangl, S. 23. Auf Tangl, Lehrer so manch eines späteren Archivars, kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Vgl. hierzu, u. a. Schaller: Tangl. 77 Vgl. Cornelißen: Frontgeneration, S. 316 f. 78 Vgl. Bessel: Front generation, S. 125. 79 Ludwig Dehio blieb 1933 durch seinen Status als Frontkämpfer beispielsweise seine sofortige Entlassung erspart, wie noch zu zeigen ist. 80 Vgl. Herbert: Best, S. 43; ders.: Generationen, S. 97. 81 Vgl. Peukert: Weimar, S. 25; vgl. auch Peukert: Generationserfahrungen. 82 Peukert: Weimar, S. 30. 83 Stern: Historiker, S. 121.

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die Nachkriegszeit zurückkehrten und meist nur schwerlich Worte fanden, jene Erfahrungen weiterzugeben an eine jüngere Generation, die gerade ihre Schulzeit beendete oder sich in Ausbildung befand. Weiterhin wurde aber gerade diese jüngere Kriegsjugendgeneration von den Spätfolgen des Krieges und der Weltwirtschaftskrise in besonderem Maße getroffen; die Massenarbeitslosigkeit stellte ein existenzbedrohendes Phänomen dar, das wiederum viele dazu veranlasste, sich – auch bedingt durch eine Art trotziger Aufbruchsstimmung – an den extremen Rändern des politischen Spektrums zu positionieren, wenn schon das neue republikanische System sich ihrer nicht angemessen annehmen und sie nicht besser integrieren konnte.84 Die Erfahrungswelt dieser Jugend war das „Deutschland der Ohnmacht, der außenpolitischen Abhängigkeit, der Wehrlosigkeit“.85 Die Erfahrung jenes anderen Deutschland, des stolzen Kaiserreichs, für das ihre großen Brüder und Väter in den Krieg gezogen waren, blieb ihr verwehrt, sie musste sich stattdessen in einer „Republik ohne Gebrauchsanweisung“ (Alfred Döblin) zurechtfinden.86 Durch jene Rahmenbedingungen desillusioniert, trug diese Jugend „eine Haltung der Voraussetzungslosigkeit und Bindungslosigkeit zur Schau, die der älteren Generation Schrecken einflößt“, sie „schaudert nicht vor einer Barbarisierung des Lebens. Ihr Radikalismus greift zutiefst an die Wurzeln“.87 Für das Verständnis dieser generationellen Einteilung der angeführten Alterskohorten muss vergewissert werden, dass die Bezeichnungen von Front- über Kriegs- hin zu Nachkriegsjugend und -generation keineswegs Zuschreibungen ex post darstellen, sondern bereits zeitgenössisch existierten und reflektiert wurden. Als sicherlich einflussreichster Apologet dieses Generationenmodells kann der „nationalsozialistische Autor“88 und Mitglied des Tat-Kreises Ernst Günther Gründel mit seinem Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise89 aus dem Jahr 1932 gelten, der selbst im Ausland als „erster überzeugender Sprecher“ eines bis dahin „stummen, unartikulierten Geschlechts in Deutschland“ wahrgenommen wurde.90 Doch auch andere zeitgenössische Vertreter stimmten seinem Konzept in ihrer jeweiligen Auslegung solch generationeller Selbstbeschreibung weitestgehend zu. Übereinstimmend wurde dabei erachtet, dass man durch den Weltkrieg in der ungleichmäßigen Abfolge von Jugendreihen eine Zäsur oder „Wende“ erlebte, eines Einschnitts gewahr wurde, an dem „sich das Neue schärfer vom Alten sondert“, als dies in den Jahrzehnten zuvor der Fall gewesen war.91 84 85 86 87 88 89 90 91

Vgl. Peukert: Weimar, S. 30; Mommsen: Generationenkonflikt, S. 116–119. Niekisch: Tragödie, S. 41. Zit. nach Lethen: Verhaltenslehren, S. 64. Niekisch: Tragödie, S. 43 f. Reulecke: Männerbünde, S. 133. Gründel: Sendung. New Yorker Staatszeitung über Gründel, zit. nach Anhang in ders.: Überwindung. Wechssler: Jugendgemeinschaft, S. 98.

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Die Haltung seiner Generation, der Kriegsjugendgeneration der zwischen 1900 und 1910 Geborenen, versuchte er recht präzise zu beschreiben und unter dem Schlagwort der Sachlichkeit zu subsumieren, wobei er auf kurz zuvor erschienene Schriften gleicher Stoßrichtung – aber von erheblich geringerer Reichweite – rekurrieren konnte.92 Diese Sachlichkeit, dieser „Ernst, unsere wortkarge Verschlossenheit und Zurückhaltung, ja manchmal fast schroffe Kälte“ sei durch ihre Stellung in der „harten Welt“ bedingt, in der sie „stützen- und führerlos“ seien und „auf ganz eigenen Füßen“ zu stehen hätten.93 Nun hatten schon in den 1920er Jahren Verhaltenslehren zwar Konjunktur, allerdings schlug sich dies nicht nur in reflektierenden Selbstbeobachtungen wie denen Gründels, Matzkes und anderen oder auch in autobiografischen Romanen nieder,94 sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs fand solche Betrachtungsweise Beachtung; Max Weber legte in seiner berühmten Schrift von der Wissenschaft als Beruf 1917/1919 bereits dar, dass „‚Persönlichkeit‘ auf wissenschaftlichem Gebiet [. . . ] nur der [habe], der rein der Sache dient“.95 Auch in Politik als Beruf konstatierte Weber die sich in der Nachkriegszeit absehbaren Herausforderungen: „Nicht das Blühen des Sommers liegt vor uns, sondern zunächst eine Polarnacht von eisiger Finsternis und Härte, mag äußerlich jetzt siegen welche Gruppe auch immer“.96 Dass die Zuschreibungen vor allem der Kriegsjugendgeneration auch der Selbstvergewisserung dienten und nicht zuletzt in der Unsicherheit begründet waren, welche dieser Generation aufgrund der Zeitumstände auferlegt wurde, liegt auf der Hand. Besondere Beachtung muss dieser Generation schon dadurch zuteil werden, dass sich aus ihr die spätere Kerngruppe des Genozids im ‚Dritten Reich‘ rekrutierte und als Generation der Sachlichkeit (Ulrich Herbert) beziehungsweise Generation des Unbedingten (Michael Wildt) maßgeblich an NS-Verbrechen beteiligt war.97 c) Die Teilnehmer der ersten IfA-Kurse Die dargestellten IfA-Dozenten der ersten Lehrgänge waren die letzten Vertreter des Archivwesens, die noch aktiv am Ersten Weltkrieg teilgenommen oder diesen zumindest bewusst erlebt hatten. Die IfA-Leitung und das Lehrpersonal setzte sich somit überwiegend aus Vertretern der Frontgeneration zusammen. Mit

92

Matzke: Jugend; Dingräve: Generation. Gründel: Sendung, S. 81–83. 94 Glaeser: 1902; Süskind: Jugend. Zur zeitgenössischen Generationsliteratur vgl. auch Morat: Intellektuellenkultur; Kurzlechner: Gestapo-Elite. 95 Der 1919 veröffentlichte Aufsatz Webers basiert auf einem 1917 gehaltenen Vortrag. Weber: Wissenschaft, S. 84. 96 Ders.: Politik, S. 251. 97 Vgl. Herbert: Generation der Sachlichkeit; Wildt: Generation, S. 23–29. 93

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

den 1930 beginnenden Kursen drangen erstmals Angehörige der Kriegsjugendgeneration in Archivwesen und -wissenschaft vor. Zu Beginn des ersten IfA-Kurses Anfang Mai 1930 hatten sich zwölf Teilnehmer eingefunden, deren Zahl sich bis Ende Juni auf 15 erhöhte. Elf dieser 15 Lehrgangsteilnehmer waren Preußen, zwei Sachsen, ein Braunschweiger sowie ein ausländischer Teilnehmer („Tschechoslowake, d.h. Deutschböhme“); die konfessionelle Zusammensetzung des Kurses war nicht ungewöhnlich, neben 13 Protestanten waren lediglich zwei Katholiken vertreten. Auch die soziale Herkunft der angehenden Archivare fügte sich nahtlos in das bereits gezeichnete Bild des akademischen Nachwuchses der höheren Beamtenlaufbahn ein: neun Teilnehmer waren Söhne höherer Beamter beziehungsweise eines Rechtsanwalts, fünf Söhne mittlerer Beamter sowie ein Sohn eines Fabrikdirektors. Entsprechend war ihre wirtschaftliche Lage „im allgemeinen zufriedenstellend“. Auch die schulische Ausbildung entsprach den Erwartungen, nur drei Absolventen von Realgymnasien waren im ersten Kurs vertreten, sämtliche anderen hatten eine humanistische Gymnasialbildung hinter sich, und, wie Brackmann feststellte, „Mängel an der Erziehung sind von keiner Seite gerügt und festgestellt worden.“ Der Altersdurchschnitt von 26,5 Jahren war laut Brackmanns Bericht „verhältnismäßig hoch“, die Teilnehmer waren bei Eintritt in den Kurs zwischen 22,5 und 32,5 Jahre alt.98 Das heißt, dass bis auf einen, der somit eine die Regel bestätigende Ausnahme darstellt, alle Teilnehmer des ersten IfA-Kurses von Mai 1930 bis September 1931 im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts geboren wurden und entsprechend der Kriegsjugendgeneration angehörten. Der älteste Kursteilnehmer, Joachim Lachmann, war 1897 geboren und hatte, wie Brackmann in seinem Bericht darlegte, „schon früher Lehrtätigkeit ausgeübt“, was sein fortgeschrittenes Alter erklären mochte; alle anderen Teilnehmer waren zwischen 1901 und 1907 geboren. Sie waren sämtlich Anwärter für die wissenschaftliche Archivarslaufbahn, brachten aber unterschiedliche Erfahrungen mit, nachdem sie ihre Studien in den typischen Fächern absolviert und promoviert hatten – lediglich ein Mitglied, Hermann Kleinau, war „nicht Philologe, sondern Dr. jur. und Gerichtsreferendar“, ein anderer Kursteilnehmer, Theodor Ulrich, hatte zuvor bereits Theologie bis zu den ersten Vorexamen (Philosophicum und Biblicum) studiert. Die meisten der Kursteilnehmer hatten bereits in verschiedenen Institutionen oder Projekten eine Tätigkeit ausgeübt; einige bekamen über das IfA weitere Forschungsaufträge.99

98 Bericht Brackmanns über den ersten Kurs des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung während des Sommersemesters 1930 vom 3. September 1930, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243; auch: HStA Marburg, 156e/651. 99 Bericht Brackmanns über den ersten Kurs des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung während des Sommersemesters 1930 vom 3. September 1930, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243; auch: HStA Marburg, 156e/651.

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Karl Bruchmann und Herbert Deus beispielsweise waren zuvor Assistenten am Institut für geschichtl. Landeskunde von Hessen und Nassau in Marburg, Johannes Ullrich und Otto Vehse waren Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt und dort an der großen Aktenpublikation beteiligt gewesen. Ullrich war außerdem Mitarbeiter der historischen Reichskommission, Vehse war zeitweise am Preußischen Historischen Institut in Rom angestellt gewesen und hatte an der Germania Pontificia mitgearbeitet, wo auch Werner Ohnsorge – dessen Promotion von Brackmann angeregt wurde, welcher ihm auch den Weg zum IfA geebnet hatte100 – ebenso tätig war wie bei der Hispania Pontificia. Vehse hatte außerdem 1930 seine Habilitation abgeschlossen und sollte einige Jahre später aus dem Archivdienst ausscheiden, um in Hamburg eine Professur zu übernehmen. Emil Schieche war vor seiner Kursteilnahme bereits als Archivar am Böhmischen Landesarchiv in Prag sowie als Mitglied des tschechoslowakischen historischen Instituts tätig und sei nun nach Preußen „übergetreten“ und betrieb „z.Z. seine Naturalisation“.101 Dass die Teilnehmer des ersten Kurses bereits einschlägige Erfahrungen in Forschungs- und Editionsprojekten oder ähnlichen Einrichtungen gesammelt hatten oder noch machten, schien nicht nur durch die formale Qualifikation ihre Auswahl und Aufnahme begünstigt zu haben, sondern stellte weiterhin nachdrücklich gewünschte Betätigungen dar, wie Brackmann im Bericht des IfA-Jahres 1930/31 festhielt: „Die Hauptaufgabe des Instituts muß aber auch künftig die wissenschaftliche Ausbildung der späteren Archivare bleiben mit dem Ziele, sie zu brauchbaren Mitarbeitern der provinzialen historischen Kommissionen und gegebenenfalls auch anderer Publikationsinstitute zu machen“.102 Es ging hierbei nicht darum, Arbeitsfelder für diejenigen Kursteilnehmer zu schaffen, die nicht im Archivwesen unterkommen sollten, sondern die preußischen Archivare sollten eben sowohl archivarisch tätig sein, als sich auch verstärkt im wissenschaftlichen Betrieb Gehör verschaffen und sich unverzichtbar machen, weswegen die Archivarsausbildung am IfA in das „Zeichen einer deutlich erkennbaren Umgestaltung der Aufgaben der Archivverwaltung“ gestellt und ein neuer Archivarstyp hervorgebracht werden sollte.103 Der zweite Kurs wies bereits zwei Besonderheiten auf. Zum einen gab es drei weibliche Kursteilnehmer, und zum anderen wurde ein obligatorischer Polnischkurs eingeführt. Mit Anneliese Birch-Hirschfeld (*1903, nach ihrer Hochzeit Anneliese Triller), Herta Mittelberger (*1904) und Katharina Weber (*1906, nach ihrer Hochzeit Katharina Looz-Corswarem) wagten drei Frauen die Teilnahme an dem Ausbildungskurs für angehende Archivare, obgleich ihnen der Eintritt in 100

Vgl. Wirth: Ohnsorge. Bericht Brackmanns über den ersten Kurs des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung während des Sommersemesters 1930 vom 3. September 1930, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243; auch: HStA Marburg, 156e/651. 102 Bericht Brackmanns über das IfA-Jahr 1930/31 vom 15. April 1931, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243, Hervorhebung im Original. 103 Ebd. 101

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ein beamtetes Arbeitsverhältnis in der preußischen Archivverwaltung verwehrt war. Mit der erfolgreichen Kursteilnahme dieser drei Frauen war allerdings noch keine neue Ära im Archivwesen angebrochen, die Teilnahme weiblicher angehender Archivare war weiterhin eine Seltenheit, lediglich einige wenige Frauen sollten die IfA-Kurse bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs absolvieren. Die während des Nationalsozialismus weiter verringerten Anstellungschancen trugen erheblich dazu bei, dass nicht mehr Frauen eine Archivarskarriere anstrebten.104 Dieser Umstand sollte sich noch bis einige Jahre nach 1945 kaum und auch dann nur langsam zum Besseren verändern.105 Eine weitere Neuerung, die mit dem zweiten IfA-Kurs Einzug hielt, war der obligatorische Polnischkurs, der die angehenden Archivare des Polnischen mächtig machen und sie weniger auf ihren potentiellen Einsatz in östlichen Staatsarchiven vorbereiten als sie vor allem für Aufgaben der Ostforschung nutzbar machen sollte, denn „die Ostfragen gewinnen für die nächste Zeit eine Bedeutung, der die Archivverwaltung [. . . ] ebenso wie jeder jüngere preußische Historiker heute schon Rechnung tragen müssen“.106 Dies stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem angesprochenen Vorhaben, die Archivare in hohem Maße in Forschungvorhaben der historischen Kommissionen et cetera einzubinden, welche sich wiederum verstärkt ‚Ostfragen‘ zuzuwenden hätten. Brackmanns Vorgänger Kehr hatte die Polnischkenntnisse der Archivare bereits 1917 auf der Agenda, damals noch im Hinblick auf deren Einsatz in den östlichen deutschen Staatsarchiven. Brackmanns Umsetzung dieser früher schon verlauteten Forderung stand nun im Zeichen der erstarkten Ostforschung. Dass es zu einem Mangel an wissenschaftlichem Nachwuchs mit slawischen, vor allem polnischen Sprachkenntnissen kommen konnte, verwunderte kaum. Die Gründe dafür wurden weniger in fachlichen als vielmehr in materiellen Problemen gesehen. Das Fehlen einer Professur für polnische Geschichte schloss aus, dass Anwärter auf eine akademische Karriere sich entsprechender Forschung längerfristig widmeten, und „Stipendien, Arbeitsaufträge oder berufliche Stellungen, die zur Beschäftigung mit der deutsch-polnischen Frage hätten anhalten können, gab es nicht oder nur in verschwindend geringer Zahl“.107 104 Den vierten IfA-Kurs belegten Edith Ennen und Klothilde von Olshausen, den fünften Kurs Charlotte Knabe und den neunten, bei Kriegsende zunächst abgebrochenen Kurs Lisa Kaiser. 105 Der Thematik widmete sich 1973 der amerikanische Archivtag, vgl. Werner: Frauen; einen knappen Zwischenstand zur Thematik im deutschen Archivwesen bietet Vollmer: Frauen. Dass auch geraume Zeit später noch Defizite bei der Geschlechterverteilung des höheren Archivdienstes bestanden, zeigen Langbrandtner/Scheeben/Stüber: Frauen. 106 Bericht Brackmanns über das IfA-Jahr 1931/32 vom 10. Mai 1932, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 243. 107 Jahresbericht über die Ostmarkenforschung der Preuss. Archivverwaltung. PuSte Nr. 536/33, 01. Januar 1932 bis 31. März 1933, gez. Brackmann. BArch R 1501/3444.

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Allerdings konnte der generell zu absolvierende Polnischkurs nicht lange als obligatorisch aufrecht erhalten werden, was nicht zuletzt an der enormen Zusatzbelastung liegen mochte, die das Erlernen einer zusätzlich Fremdsprache neben den Kursveranstaltungen darstellte. Schon bald war der Polnischkurs fakultativ, wurde aber von den Kursteilnehmern der östlichen Provinzen erwartet.108 Eine „geradezu unerhörte Neuheit“, als welche die Polnischkurse in einer Würdigung Brackmanns bezeichnet wurden, sind sie wohl weniger gewesen als vor allem Konsequenz aus der Entwicklung der Ostforschung der Jahre zuvor sowie Zeugnis von Brackmanns Willen, den Archivaren einen ihnen nicht abzusprechenden Platz in aktuellen Forschungsvorhaben zu sichern.109 Brackmann selbst führte die MGH als Beispiel einer Institution an, welche auf Archivare und deren Kenntnisse angewiesen sei, da sie ihren Personalbedarf nicht allein aus den Universitäten rekrutieren könne; die wissenschaftliche Betätigung der Archivare werde sich in steigendem Maße auf die Arbeiten historischer Kommissionen niederschlagen – „auch das liegt in den Zeitverhältnissen begründet“. 110 Für die Kursteilnehmer der ersten Lehrgänge mochte diese Zielsetzung Brackmanns willkommene Chancen bedeuten, zumal ihre wissenschaftliche Betätigung nicht nur gefördert, sondern oft noch forciert wurde, wie Brackmann für den ersten Lehrgang bestätigte, von dem die meisten Teilnehmer Forschungsaufträge erhielten, und weitere angehende Archivare der folgenden Lehrgänge wurden recht bald in die Ostforschung der Archivverwaltung einbezogen, indem sie für die 1932 eingerichtete Publikationsstelle beim Geheimen Staatsarchiv arbeiteten beziehungsweise von dieser Forschungsaufträge erhielten.111 Von einer Institution also, die in enger Verbindung mit der Archivverwaltung stand und sich rasch zu einer zentralen Schaltstelle der deutschen Ostforschung entwickelte. 3. Die Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte) a) Gründung, Struktur und Aufgaben der PuSte Die Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte),112 deren Begründung und Entwicklung Brackmann wesentlich förderte, war keineswegs aus dem Nichts entstanden, sondern ging aus dem Publikationsfonds des Geheimen Staatsarchivs hervor. Dieser Fonds war von Brackmann eingerichtet worden, um die Abwehrar108

Vgl. Leesch: IfA, S. 235 f. Albert Brackmann und die deutsche Ostforschung. Zum 70. Geburtstag des verdienten Gelehrten, Nordostberichte der Publikationsstelle Nr. 55, 16. Juni 1941, BArch R 153/1039. 110 Brackmann: Institut, S. 5. 111 Bericht Brackmanns über den ersten Kurs des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung während des Sommersemesters 1930, HStA Marburg, 156e/651; vgl. auch Leesch: IfA, S. 230. 112 Ist im Folgenden von Publikationsstelle oder PuSte die Rede, ist immer die Einrichtung in Berlin-Dahlem gemeint. Andere Publikationsstellen (Wien, Frankfurt am Main usw.) werden mit Ort genannt. 109

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beit der preußischen Archivverwaltung zu stützen. Bei einer Konferenz im Preußischen Staatsministerium im Juli 1931, bei der Brackmann zur Diskussion gestellt hatte, wie mit den Benutzungsanträgen polnischer Historiker in preußischen (Staats-)Archiven umgegangen werden solle, zeichnete er ein bedrohliches Bild der polnischen Historiografie, denn an diese sei „ein offener Appell [. . . ] ergangen, sich in den Dienst des Vaterlandes zu stellen.“ Zu diesem Zweck seien in Polen Institutionen wie 1926 das Baltische Institut in Thorn (Toru´n) sowie 1930 ein ähnliches Institut in Danzig gegründet worden, um „durch einheitliche Leitung den Mängeln ‚der wissenschaftlichen Arbeit und der mit ihr verbundenen propagandistischen Arbeit auf dem Gebiete der [. . . ] polnisch-deutschen Probleme‘ ab[zu]helfen“, wobei es konkret um das ginge, „was wir ‚angewandte Wissenschaft‘ nennen.“ Diesem polnischen „betriebsamen und offensichtlich planmäßigen Vorgehen“ könne von deutscher Seite nur wenig entgegengesetzt werden, weshalb man der von „Jahr zu Jahr verstärkten geistigen polnischen Offensive“ schutzlos ausgeliefert sei.113 Brackmann war zunehmend bemüht, diese Gefahren zu betonen und sogleich dafür zu werben, dass sich die preußische Archivverwaltung aus verschiedenen Gründen prädestiniert dafür sehe, diesen Problemen entgegenzutreten, wie er in einem Jahresbericht später ausführlich wiederholte: „Gegen diese polnischen Verleumdungen, die dem Deutschenhass stets neue Nahrung zuführen, vorzugehen, ist von beträchtlicher politischer Bedeutung, und niemand ist auf deutscher Seite mehr dazu berufen, als die Preuss. Archivverwaltung, die in ihren Archiven das Quellenmaterial bewahrt. Schon vor dem Kriege hatte die Preuss. Archivverwaltung Publikationen zur Geschichte der preussischen Ostgebiete in Angriff genommen und weitere geplant. Der Weltkrieg und die politische Umwälzung hat ihre Inangriffnahme immer wieder hinausgeschoben, und es fehlte auch in den Jahren nach 1918 vielfach das rechte Verständnis für die Bedeutung der Sache, obwohl Sachkundige schon seit der Begründung des polnischen Staates immer wieder die Abwehr gegen die geistige Offensive der Polen verlangten. Erst als der Unterzeichnete am 1. Oktober 1929 sein jetziges Amt übernahm, wurde die Möglichkeit gegeben, an wissenschaftliche Publikationen größeren Stils heranzugehen“.114

Zuspruch hatte Brackmann von Otto Hoetzsch erhalten, der zwar die Schwierigkeiten des Vorhabens betonte, aber dennoch für die Federführung der Archivverwaltung votierte, auch, da diese „in der Person ihres Generaldirektors zudem mit der Universität genügend verknüpft sei“.115 Die Pläne der Archivverwaltung konnten also davon profitieren, dass der neue Generaldirektor in der universitären Welt nicht nur bestens vernetzt und auch weithin als Forscher sowie, wahrscheinlich nicht weniger wichtig, als Wissenschaftsorganisator anerkannt war.

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Konferenz im Preuß. Staatsministerium, Protokoll, 15. Juli 1931, BArch R153/1. Jahresbericht über die Ostmarkenforschung der Preuss. Archivverwaltung. PuSte Nr. 536/33, 01. Januar 1932 bis 31. März 1933, gez. Brackmann. BArch R 1501/3444, S. 2. 115 Konferenz im Preuß. Staatsministerium, Protokoll, 15. Juli 1931, BArch R153/1. 114

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Mochte zwar das Argument, die entsprechenden Quellen zu hüten, durchaus für deren Auswertung unter den Auspizien der Archivverwaltung beziehungsweise ihr zugeordneter Stellen sprechen, so betraf ein generelles Problem nicht nur die deutsche Historikerschaft allgemein, sondern in weitem Maße auch die Archivwissenschaft der Weimarer Republik: Doch das Problem, dass es wesentlich weniger des Polnischen mächtige deutsche Historiker und Archivare gebe als Deutsch sprechende Polen, hatte sich wie gezeigt bald in den IfA-Kursen niedergeschlagen, in denen entsprechender Nachwuchs ausgebildet werden sollte. Als noch dringlicher wurde die Frage eingestuft, wie den polnischen Forschungen entgegenzutreten sei, da die Möglichkeit einer generellen Benutzungssperre noch offen gehalten wurde. Zunächst wurde das Grenzmarkarchiv Posen-Westpreußen beim Geheimen Staatsarchiv – zuständig für diese 1922 aus den ehemaligen Provinzen Posen und Westpreußen hervorgegangene preußische Provinz und ab 1931 vor Ort in Schneidemühl, dem Sitz des Oberpräsidenten, mit einer Zweigstelle vertreten – von Brackmann dazu auserkoren, als Grundlage für eine einheitliche Behandlung der polnischen Anträge beziehungsweise der Gesuchsteller „Nachrichten (in Form einer Kartothek)“ über eben jene anzulegen, um sich einen Überblick über Herkunft, Anzahl und Forschungsrichtung der Antragsteller verschaffen zu können.116 In der Grenzmark Posen-Westpreußen beziehungsweise deren archivischer Vertretung sollten also die Grundlagen für die Ab- und Gegenwehr gelegt werden, was in einer gewissen Binnenlogik durchaus nahelag, hatte doch bereits 1919 der damalige Bromberger Regierungspräsident (und spätere Oberpräsident der Provinz) Friedrich von Bülow festgehalten, die Regierung der Grenzmark habe als „eine Art Aufnahmestellung zur Wiederbesitznahme des verlorengehenden Landes“ zu fungieren.117 Das erst im Jahr Brackmanns Amtsantritts 1929 geschaffene Grenzmarkarchiv hatte unter anderem die Aufgabe, Archivalien aus an Polen abgetretenen deutschen Gebieten, auf welche polnische Ansprüche geltend gemacht wurden, nach Möglichkeiten zu Gunsten deutscher Forscher zurückzuhalten. Das Archiv entsprach somit der „archivalische[n] Verkörperung der deutschen Ansprüche am verlorenen Gebiet“, wie dessen Leiter Johannes Papritz im April 1929 in einer Denkschrift formulierte.118 Nun war aber mit dem Publikationsfonds ein weiteres Instrument geschaffen worden, das den ‚Abwehrkampf‘ der Archivverwaltung unterstützen sollte. Konnten polnische Forscher nicht komplett von der Benutzung ausgeschlossen werden, mussten andere Wege gefunden werden, um dem Vorwurf der Illiberali116

Ebd. Zit. nach Hassel: Grenzmarkarchiv, S. 214. 118 Zit. nach ebd., S. 215. Erste Überlegung zur Einrichtung eines Archivs für die archivalischen Bestände dieser ehemals preußischen Provinzen gab es bereits 1921, also bereits vor der Schaffung der Grenzmark Posen-Westpreußen 1922, vgl. Musial: Staatsarchive, S. 22. 117

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

tät zu begegnen, wie Brackmann das Dilemma zusammenfasste. Vor diesem Hintergund fand man „den Ausweg, eigene Publikationspläne vorzuschützen, wodurch nach allgemeinem Brauch der Wissenschaft die betreffenden Bestände für Benutzung von anderer Seite gesperrt wurden.“ Den polnischen Forschern und ihren „nationalistisch-antideutschen Tendenzen“ zu begegnen, sei laut Brackmann die preußische Archivverwaltung geradezu auserkoren, die die entsprechenden Akten verwahre und zudem „schon vor dem Kriege [. . . ] Publikationen zur Geschichte der preussischen Ostgebiete in Angriff genommen und weitere geplant [hatte]. Es galt also nur, diese alte Vorhaben wieder aufzunehmen und auszubauen“.119 Brackmann gelang es dadurch, weitere Vorhaben der Archivverwaltung zu legitimieren und deren Verwantwortungsbereich zu erweitern: Polnische Forschung wurde erschwert, eigene (Ost-)Forschung forciert und die Kompetenzen der Archivverwaltung fundiert, die mit den angehenden Polnisch sprechenden Archivaren auch das entsprechende Personal stellen wollte. Oder, im Duktus der Zeit: „Die Darstellung der preussischen Politik und Verwaltung in den abgetretenen Gebieten wird nicht nur polnische Verleumdungen entkräften, sie wird auch unverjährbare deutsche Ansprüche klarstellen und stützen helfen. Schliesslich wird eine grössere Zahl neuer Kräfte mit polnischen Sprachkenntnissen ausgerüstet, und da die von der Archivverwaltung gestellten Themen sich gleichmässig über den ganzen deutschpolnischen Fragenkomplex verteilen, wird für jedes wichtigere Teilgebiet auf deutscher Seite in Zukunft ein mit allem wissenschaftlichen Rüstzeug versehener Spezialreferent dauernd bereit stehen, der die polnischen Erzeugnisse seines Interessenkreises ständig kontrolliert“.120

Gleichzeitig wurde aber festgehalten, dass die Förderung wissenschaftlicher Unternehmungen solcher auch politischer Zielsetzungen durch Instrumente wie dem nun geschaffenen Fonds zwar erleichtert werde, aber immer noch in einem wesentlichen Punkt der polnischen Wissenschaft hinterher hinke, da „eine einheitliche Organisation der deutschen Forschung zur polnischen Geschichte“ nicht bestehe und die hierin engagierten Institute und Gesellschaften nicht mit-, sondern lediglich nebeneinander wirken würden.121 Dies mag einer der wesentlichen Gründe gewesen sein, die bald darauf zur Schaffung der Publikationsstelle geführt haben, die 1932122 aus dem Publikationsfonds hervorging und sich in das Geflecht der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften (VFG) einreihte, in welche unter anderem auch die Leipziger Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung 1931 aufgegangen war. Diese VFG entstanden in den Jahren ab 1930, „um die Erforschung der landesund volksgeschichtlichen und landes- und volkskundlichen Fragen in den deut119

Aufgaben des Publikationsfonds [undatiert, wohl Juli 1931], BArch R 153/1. Ebd. 121 Aufgaben des Publikationsfonds [undatiert, wohl Juli 1931], BArch R 153/1. 122 In der einschlägigen Literatur wird mitunter 1933 als Gründungsjahr genannt, da die Bezeichnung von Forschungsfonds über Forschungsstelle, Publikationsfonds und schließlich Publikationsstelle bis 1933 mehrmals wechselten. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 23. 120

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schen Grenzlanden zu fördern“, wobei von Beginn an die Aufgabe der wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Vernetzung hinzutrat, da in den VFG die Vertreter der beteiligten Institutionen „mit Vertretern der betreffenden Volksgruppen und der an Volkstumsfragen interessierten Reichsbehörden“ zusammengeführt werden sollten.123 Ihrer Intentionen entsprechend, gliederten sich die zwischen 1930 und 1934 gegründeten VFG in einzelne Forschungsgemeinschaften, die sich jeweils einem geografische Bereich widmeten; neben der Rheinischen (später Westdeutschen) Forschungsgemeinschaft waren die Alpenländische, die Südostdeutsche, die Nord- und Ostdeutsche, die Osteuropäische sowie die Überseedeutsche Forschungsgemeinschaft entstanden.124 Die VFG sollten als Instrument dienen, um den „wissenschaftlichen Angriffen der Gegner auf deutsches Volkstum und deutsches Volksland“, welche seit dem Versailler Vertrag „an allen Fronten“ erfolgen würden, entgegenzutreten. „Aus örtlicher Abwehr“ und „um dieser Frontstellung zu begegnen“, entstanden deshalb die VFG als gezielt interdisziplinär angelegte Forschungsverbünde „zu gemeinsamer Verteidigung deutschen Volkstums im Grenz- und Ausland und des Reiches.“ Dabei lag allen Gründungsintentionen der zentrale Gesichtspunkt zugrunde, dass sich die Arbeit der VFG „nicht auf die Kenntnis und Abwehr gegnerischer Angriffe beschränken dürfe, sondern die eigene Frontstellung in positiver Leistung“ aufgezeigt werden müsse, also das wissenschaftlichen Schaffen mit offensiven Absichten betrieben werden sollte.125 Die räumlich gegliederten VFG wollten für das entsprechende geografische Forschungsgebiet die Wissenschaftler verschiedener Disziplinen vereinen und durch Tagungen, Veranstaltungen, Stipendien sowie durch Publikationen eine Bündelung der Kräfte für ihre Aufgabenstellungen erreichen sowie die „volksdeutschen Wissenschaftler in ihrem völkischen Kampf [. . . ] stärken“.126 Zusammen mit den nach und nach gegründeten Publikationsstellen (Berlin-Dahlem, Frankfurt am Main, Innsbruck, Stuttgart, Wien) bildeten sie eine Einheit; den weniger institutionalisierten VFG wurden somit Institute zur Seite gestellt, die das entsprechende Schrifttum beobachten, gegebenenfalls übersetzen, aufbereiten und interessierten auch staatlichen Stellen zur Verfügung stellen sollten.127 123

Eder-Stein/Hartisch: PuSte; zur Geschichte der VFG unumgänglich ist die materialreiche Studie Michael Fahlbuschs, vgl. Fahlbusch: Wissenschaft. 124 In der vorliegenden Arbeit wird lediglich auf die 1934 gegründete Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft näher eingegangen, da diese von Brackmann geleitet wurde, die institutionell ‚am meisten durchgebildete‘ VFG war und am engsten mit der Archivverwaltung in Verbindung stand. Vgl. Eder-Stein/Hartisch: PuSte; einführend vgl. Haar: NOFG; Fahlbusch: NSVolkstumspolitik; Müller/Freund: WFG; vgl. Tätigkeitsberichte verschiedener VFG u. a. in: PA AA, R 60271, 60273. 125 Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften. Ein Zehnjahresbericht. In Zusammenarbeit mit den Forschungsgemeinschaften gegeben von E. Meynen, 01. April 1941. HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 6. 126 Ebd. 127 Vgl. Schaller: Publikationsstelle, S. 201.

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Das Konglomerat der VFG samt den Publikationsstellen hatte also dezidiert wissenschaftliche Aufgaben ebenso wahrzunehmen wie für eine Vernetzung einzelner Wissenschaftler, Disziplinen und Einrichtungen zu sorgen unter der Prämisse, ihre Arbeiten sowohl dem „Abwehrkampf“ gegen ausländische „Angriffe“ auf wissenschaftlichem Gebiet zur Verfügung zu stellen als auch aktiv gegen vermeintliche Verleumdungen ins Felde zu ziehen, kurz: „Die wissenschaftlichen Fundamente für die Volksgruppenpolitik des Reiches zu schaffen“.128 Wenn in einem vorherigen Exkurs bereits auf die Volks- und Kulturbodenforschung der 1920er Jahre anhand eines beispielhaften und interdisziplinär angelegten Sammelbandes eingegangen wurde, fallen in der Zielsetzung der VFG durchaus Parallelen auf.129 Nicht nur, dass die Aufgaben der VFG es erforderten, sich über mehrere Disziplinen zu erstrecken und unter Anwendung unterschiedlicher Methoden zu arbeiten; es sollte vielmehr eine „politisch ausgerichtete Volksund Landesforschung“ entstehen, die sich aus einem nochmals erweiterten Set an Disziplinen zu ergeben hatte, denn auch Rassenkunde, Volksbiologie, Siedlungskunde und unzählige weitere Disziplinen sollten für ihre Ziele vereint werden.130 Der in Angriff genommene Publikationsplan, der sowohl einen großen Teil preußischer Archivalien für ausländische Nutzer „sperren“ als auch zur als lange vernachlässigt bewerteten und nun energisch zu betreibenden Beschäftigung mit dem (deutschen) Osten beitragen wollte, sollte „sich sachlich analog den verschiedenen Beziehungen des Deutschtums und Preussens zum slavischen Osten“ gliedern.131 Außer auf publikatorischem Gebiet hatte die PuSte verschiedene Projekte einzurichten, auszubauen und kontinuierlich zu pflegen: Eine polnische Handbibliothek, eine Kartothek polnischer Forscher und wissenschaftlicher Literatur, die „Danziger Bibliographie“, Presseübersetzungen aus dem Polnischen sowie weitere „kleinere Unternehmungen“. Hieran wird deutlich, dass die Archivverwaltung mittels der Publikationsstelle keineswegs nur mehr oder weniger eindeutig in ihren Aufgabenkreis fallende Forschungsvorhaben in Angriff nahm beziehungsweise einschlägig qualifizierten Archivaren qua entsprechender Förderung die Übernahme von Einzelaufträgen ermöglichte, sondern darüber hinausgehend ein Instrumentarium entwickelte, das der ‚Abwehr‘ der polnischen Forschung auf wissenschaftlichem Gebiet diente. Außerdem wurden in der Kartothek mit der politischen Einschätzung polnischer Persönlichkeiten auch Daten erfasst und systematisiert, die – begünstigt durch das enge Verhältnis zwischen der PuSte 128 Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften. Ein Zehnjahresbericht. In Zusammenarbeit mit den Forschungsgemeinschaften gegeben von E. Meynen, 01. April 1941. HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 6. 129 Siehe Kap. C. IV. 2. a). 130 Die Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften. Ein Zehnjahresbericht. In Zusammenarbeit mit den Forschungsgemeinschaften gegeben von E. Meynen, 01. April 1941. HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 6. 131 Jahresbericht über die Ostmarkenforschung. BArch R 1501/3444, S. 6 f.

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und dem RMdI – in späteren Jahren in größerem Umfang anderen, politischen Stellen zur Verfügung gestellt werden konnten. Historiker und Archivare haben im Publikationsplan und den anderen Projekten der Publikationsstelle Hand in Hand gearbeitet. Maßgeblich für die Auswahl der Forscher waren in den meisten Fällen bisherige Arbeiten zu einschlägigen Themen, wobei sowohl habilitierte Historiker und Professoren zum Zuge kamen als auch bestimmte Dissertationsthemen als Qualifikationsarbeiten für Aufträge von Archivverwaltung und PuSte dienlich sein konnten. Dass aus dem IfA entsprechender Nachwuchs rekrutiert wurde, zeigen nicht nur die Beispiele, in denen Absolventen des Instituts zumindest zeitweilige Verwendung fanden beziehungsweise mit befristeten Projekten eventuelle Wartezeiten auf Anstellung überbrücken und sich wissenschaftlich profilieren konnten, sondern auch der Fall, dass sich ein Lehrgangsteilnehmer noch während des laufenden IfA-Kurses einbringen konnte. Diese mannigfaltigen Arbeiten wurden weitestgehend von Brackmann als dem Leiter der Publikationsstelle initiiert beziehungsweise deren Inangriffnahme im Rahmen des Ostprogramms der Archivverwaltung koordiniert, das 1931 entwickelt wurde und im Wesentlichen aus den angeführten Punkten des Publikationsplans sowie den genannten PuSte-Projekten bestand.132 Doch Brackmann musste eingestehen, dass er diese „ungeheure Arbeit nicht [hätte] leisten können, wenn ihm nicht unsere Beamten des Geheimen Staatsarchivs unermüdlich zur Seite gestanden hätten“, wobei sich der Staatsarchivrat und Leiter des Grenzmarkarchivs Johannes Papritz als überaus qualifiziert gezeigt habe, gerade „durch seine frühere Tätigkeit in Danzig und durch seine Vertrautheit mit der Sprache und den Verhältnissen Polens“.133 Jener Papritz und sein Stellvertreter Wolfgang Kohte leiteten die PuSte und waren weit mehr als bloße Adlaten des Generaldirektors. b) Die Leitung der PuSte – Brackmann, Papritz, Kohte Brackmann, der durch Einrichtung des Publikationsfonds die Grundsteine für die Publikationsstelle gelegt hatte, stand dieser Einrichtung formal bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1936 vor, wurde dabei aber, wie er selbst betonte, von seinen Mitarbeitern tatkräftig unterstützt. Allen voran Johannes Papritz, dem die Leitung der PuSte übertragen worden war und der 1931 in einer Denkschrift hatte verlauten lassen, dass sich durch die geplanten Arbeiten der PuSte eine „Einmischung in die Arbeitsgebiete der historischen Kommissionen und örtlichen Vereine nicht vermeiden lasse“, dass sich vielmehr „gerade die örtlich fixierten Arbeiten [. . . ] gleichfalls in den größeren Zusammenhang einordnen“ müssten, um der

132 133

Ostprogramm der preußischen Archivverwaltung, 1931. BArch R 153/1. Jahresbericht über die Ostmarkenforschung. BArch R 1501/3444, S. 24.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

Förderung der gemeinsamen Absichten eine „Zentralstelle für sämtliche Themen des deutschen Ostens“ zur Seite zu stellen.134 Dass in der Archivverwaltung die Fäden der Ostforschung zusammenlaufen sollten, war spätestens seit der Konferenz des Jahres 1931 nicht mehr nur hehres Ziel, sondern, auch bedingt durch die Vorarbeiten Brackmanns, wie etwa der Einrichtung des IfA, beschlossene Sache und fand von universitärer wie ministerieller Seite Zustimmung. Wenn die entsprechenden Vorhaben eine Einmischung in Arbeiten historischer Kommissionen nötig machten, sollte dies folgerichtig auch durch Archivare geschehen, da diese, wie dargelegt, explizit auf eine Mitarbeit in den Kommissionen und Vereinen hin ausgebildet und entsprechend gefördert wurden. Wie nun aber der gerade einmal 33-jährige Papritz in die PuSte-Leitung berufen wurde und diese Absichten so selbstbewusst formulieren konnte, zeigt ein Blick auf seinen bisherigen Werdegang. Papritz wurde 1898 als protestantischer Kaufmannssohn in Berlin geboren, wo er das humanistische Kaiserin Augusta-Gymnasium besuchte, bis er 1916 eingezogen wurde und als Frontsoldat sowohl an der Ost-, als auch der Westfront eingesetzt war.135 Nach seiner Entlassung im Range eines Unteroffiziers Anfang 1919 holte er das Abitur nach, sodass er bald nach dem Ersten Weltkrieg ein Universitätsstudium der Geschichte und Germanistik beginnen konnte. Den größten Teil seines Studiums verbrachte er in Berlin, lediglich ein Semester hielt er sich an der Universität Jena auf, und seine ihm „am nächsten stehenden Lehrer waren Gustav Roethe, Dietrich Schäfer, Rudolf Häpe und Michael Tangl“.136 Bei Dietrich Schäfer promovierte er 1922 mit einer Arbeit über Das Stettiner Handelshaus der Loitze im Boisalzhandel des Odergebietes – die Handelsgeschichte sollte über lange Jahre sein wissenschaftliches Interesse bestimmen. Im darauf folgenden Jahr legte er das Studienreferendarexamen ab.137 Die akademische Sozialisation in der Berliner Geschichtswissenschaft teilte er mit so manchem Kollegen und teils auch mit seinem Vorgesetzten Brackmann. Hatte Papritz nun im wohl ungünstigsten Jahr der noch jungen Republik seinen universitären Abschluss erworben und war theoretisch bereit, ins Berufsleben einzusteigen, so wählte er dennoch den zunächst schwierigeren Weg: Trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage und der Nachricht seitens des GStA, dass er sich auf eine Archivarskarriere keine allzu großen Hoffnungen zu machen brauche, ging Papritz dieses Wagnis ein und absolvierte von 1923 bis 1925 die Ausbildung der preußischen Archivverwaltung – „nebenher war ich genötigt, mir durch Lehrtätigkeit am Deutsch-Russischen Gymnasium in Berlin meinen Lebensun134 Denkschrift Papritz’ über die Ostpläne der preußischen Archivverwaltung. Zit nach Musial: Staatsarchive, S. 23 f. 135 Militärpapiere, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 30. 136 Wissenschaftlicher Lebenslauf Papritz’, 1948. BArch R 153/2121, S. 1; auch: HStA Marburg 340 Papritz C 12 a, 11; vgl. auch Wolff : Papritz. 137 Universitätspapiere, HStA Marburg 340 Papritz C 12 a, 2.

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terhalt zu verdienen“.138 Nach Abschluss der Archivausbildung (Gesamtergebnis: „genügend“)139 kam Papritz zunächst für kurze Zeit im GStA unter, bevor er 1927 an das Brandenburg-Preußische Hausarchiv in Berlin-Charlottenburg versetzt wurde. Hiernach folgte ein zweijähriger Aufenthalt am Danziger Staatsarchiv, wo er – wie er sich zumindest selbst zuschrieb – „archivtechnische Neuerungen“ einführen konnte, die „eine wesentliche Beschleunigung des Ordnungsverfahrens ermöglichten“.140 Außerdem erwarb er polnische Sprachkenntnisse und war wissenschaftlich tätig, was sich in seinem Beitrag zur Bedeutung des Danziger Archivs für die Handelsgeschichte und weiteren Studien zu ähnlichen Themen niederschlug.141 Aus dem Danziger Dienst schied er mit Ernennung zum Staatsarchivrat im Frühjahr 1929 aus und kam, noch auf Veranlassung Melle Klinkenborgs, zurück an das GStA. Dort war er mit der „Neuorganisierung des seit 1919 in arge Verwirrung geratenen Archivwesens der vormals preußischen Provinzen Westpreußen und Posen“, also mit dem Aufbau des Grenzmarkarchivs Posen-Westpreußen sowie dessen Zweigstelle in Schneidemühl betraut.142 Die Intentionen, die dieser Einrichtung zugrunde lagen, waren zwar auch archivalischer Natur, aber eben nicht ausschließlich; das Grenzmarkarchiv sollte zudem die politische Aufgabe wahrnehmen, die deutschen Ansprüche im Osten zu dokumentieren und zu unterstützen und somit der immer stärker etablierten Ostforschung zuarbeiten.143 Papritz war somit nur wenige Jahre, nachdem ihm nicht gerade Hoffnungen auf eine Archivarskarriere gemacht wurden, dennoch im Archivdienst untergekommen, hatte bereits mit 33 Jahren beachtliche Erfahrungen sammeln können und war mit Leitungsfunktionen beauftragt worden, die ihn – soviel sei vorweggenommen – in den Folgejahren zu einem zentralen Wissenschaftsorganisator im Rahmen der deutschen Ostforschung machen sollten. Im Gegensatz zu Brackmann, der die PuSte ins Leben gerufen hatte, war Papritz in starkem Maße in deren Tagesgeschäft involviert; die „Organisation und laufende Überwachung“ der Übersetzungen aus dem Polnischen kostete ihn „erheblichen Arbeitseinsatz“, wie auch die Mitarbeit in der kartografischen Abteilung oder die Bücherbestellungen „auf Grund eigener Lektüre der polnischen und schwedischen Zeitschriften und bibliografischen Hilfsmittel“.144 Sich selbst sah Papritz ganz als Mann der Wissenschaft, er sei der Forschung ergeben gewesen, „vor 1933 der Politik ziemlich fern[gestanden]“, und habe sich

138 139 140 141 142 143 144

Lebenslauf Papritz’, BArch R 153/2121, S. 1. Siehe auch Kap. C. IV. 2. b). Ergebnis der Prüfung vom 29. Juli 1925. HStA Marburg, 340 Papritz C 12 a, 3. Lebenslauf Papritz’, BArch R 153/2121, S. 2. Vgl. Papritz: Handelsgeschichte. Lebenslauf Papritz’, BArch R 153/2121, S. 2. Vgl. Brübach: Papritz, S. 27; vgl. Burleigh: Germany, S. 41 f. Lebenslauf Papritz’, BArch R 153/2121, S. 6.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

keiner „der alten Parteien [. . . ] angeschlossen oder genähert“.145 Unabhängig vom schwerlich überprüfbaren Wahrheitsgehalt Papritz’ Aussagen bezüglich seiner unpolitischen Haltung ist nicht uninteressant, dass er – zumindest ex post – eindeutig trennt zwischen der wissenschaftlichen Welt und der Politik, da er sich ja nur in ersterer betätigt habe. Angesichts der Anlässe und Intentionen, die zu Publikationsplan und -fonds und letztlich zur Publikationsstelle geführt hatten und deren Verortung im Komplex der deutschen Ostforschung mit sich brachten, mutet diese strikte Trennung recht unglaubwürdig an; zumal die dezidiert politischen Absichten immer wieder benannt und ausdrücklich betont wurden – eben auch von Mitarbeitern der PuSte. Zu diesen Mitarbeitern gehörte Wolfgang Kohte, der Papritz als dessen Stellvertreter zuarbeitete. Kohte, Jahrgang 1907, war Teilnehmer des ersten IfAKurses und somit Vertreter der Kriegsjugendgeneration, die nun nach und nach in den Archivdienst einzog. Sein Studium der Geschichte, Germanistik und Nationalökonomie absolvierte Kohte in den Jahren nach 1925 in Berlin, Marburg und Wien, wobei sein Studium bei Erich Marcks „von lebensbestimmender Auswirkung sowohl auf wissenschaftlichem wie auf beruflichem Feld“ werden sollte.146 In der Tat erwies sich seine Dissertation über Deutsche Bewegung und preußische Politik im Posener Lande 1848/49147 als wegweisend für sein Forschungsinteresse zu Fragen des ‚deutschen Ostens‘ und der Ost- und Osteuropaforschung, denen er sich sein Leben lang widmen sollte. Die Thematik seiner wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit und die Teilnahme am IfA-Kurs ebnete ihm ebenso seinen beruflichen Weg wie die Tatsache, dass er sich Kenntnisse des Russischen, Polnischen und Tschechischen aneignete.148 So kam er noch während seiner Ausbildung am IfA in den Genuss eines Forschungsauftrags, der aus Mitteln des Publikationsfonds finanziert wurde und der ihn „geradewegs an die Seite von Johannes Papritz“ führte.149 Es bleibt zu fragen, wie das Triumvirat Brackmann, Papritz und Kohte mittels der PuSte Einfluss auf die deutsche Ostforschung nehmen konnte und wie sich diese Einflussnahme in den letzten Jahren der Republik sowie in der folgenden Diktatur entwickelte. Die besonders interessierenden Wechselwirkungen und Kooperationen zwischen institutionalisierter Ostforschung und Archivwissenschaft machen es zunächst erforderlich, das Verhalten und Selbstverständnis der Disziplin am Ende der Weimarer Republik zu untersuchen. 145 Politischer Lebenslauf Papritz’, undatiert [vermutlich 1945/1946]. BArch R 153/2121, S. 2; auch: HStA Marburg 340 Papritz C 12 a, 11. Die Aussagen sind aufgrund ihres Entstehungskontextes der frühen Nachkriegszeit beziehungsweise der Entnazifizierung entsprechend kritisch zu hinterfragen. 146 Booms: Kohte, Sp. 328. 147 Kohte: Bewegung. 148 Vgl. Booms: Kohte, Sp. 328. 149 Ebd., Sp. 329. Kohtes Forschungsauftrag war in Gruppe 1 des Publikationsplans verortet, siehe Kap. C. V. 3. a).

V. Die späte Weimarer Republik, 1929–1933

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4. Die Institutionen der Disziplin In Linz und Wien hatte sich 1930 die Zunft zum deutschen Archivtag versammelt, und „nicht als Politiker zu politischen Demonstrationen sind wir zusammengekommen, sondern als Gelehrte zu den Männern gleicher Art im deutschen Österreich“. Doch bei aller Betonung des Wissenschaftlichen konnte sie sich kollektiv des einigenden Gefühls nicht erwehren, „dass wir alle hier Deutsche sind“.150 In der eigentlichen Tagungsarbeit, den Vorträgen und Diskussionen, widmete man sich dann auch tatsächlich überwiegend rein disziplininternen fachlichen Themen: Unter anderem berichtete Albert Brackmann von der Einrichtung des IfA in Berlin.151 Zahlreiche Vorträge widmeten sich, wie auch in den vorhergehenden Tagungen, der Geschichte einzelner Archive und ihrer Bestände. Nun schien genau dies aber überhand genommen zu haben beziehungsweise zu großen Raum im Vergleich zu konkreteren fachlichen Erörterungen eingenommen zu haben. Es wurde in Linz/Wien deshalb der Wunsch geäußert, künftig die Zahl solcher Vorträge zu reduzieren, auch um sich verstärkt Grundsatzfragen zuwenden und Platz für Diskussionen aktueller(er) Probleme schaffen zu können.152 Bereits auf dem folgenden Archivtag in Stuttgart 1932 war diesem Wunsch Rechnung getragen worden.153 Zwischen den beiden Archivtagen in Linz und Wien 1930 und Stuttgart 1932 bekam auch das Archivwesen die drastische Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im Zuge der Weltwirtschaftskrise erheblich zu spüren.154 Warf die Krise nach dem New Yorker Börsencrash 1929 auf dem Archivtag 1930 schon „erste Schatten“ voraus, so hatte die deutsche Archivwissenschaft damals noch nicht geahnt, „daß die wirtschaftliche Depression [. . . ] ein so katastrophales Ausmaß auf allen Gebieten öffentlichen und privaten Lebens annehmen würde, daß selbst wichtige kulturelle Belange in schwerster Form durch sie in Mitleidenschaft gezogen werden würden“.155 Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise in den Jahren um 1931/32 soll es sogar dazu gekommen sein, dass eine Auflösung der Archivverwaltung ebenso zur Debatte stand wie eine Aufteilung in separate Behördenarchive.156 Abgesehen von finanziellen Einschränkungen, welche das Archivwesen und seine Einrichtungen hinnehmen mussten wie alle anderen staatlichen 150 Eröffnungsansprache der Gesamtvereinstagung 1930 in Linz/Wien, in: Korrespondenzblatt 78 (1930), Sp. 4. 151 Abgedruckt in der AZ, Brackmann: Institut. 152 Vgl. Korrespondenzblatt 80 (1932), Sp. 149. 153 Vorträge zu den württembergischen Staatsarchiven sowie zum Archiv der Stadt Stuttgart, in: Korrespondenzblatt 80 (1932), Sp. 141–150. 154 Vgl. u. a. Hesse/Köster/Plumpe: Weltwirtschaftskrise, S. 53–77; Clavin: Depression, S. 88– 146; Kindleberger: Weltwirtschaftskrise, S. 111–208. 155 Ansprache Müsebecks in Stuttgart 1932, in: Korrespondenzblatt 80 (1932), Sp. 138 f. 156 Vgl. Posner: Vorträge, S. 36.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

(Verwaltungs-)Stellen auch, machten die Beamten erneut die Erfahrung wirtschaftlicher Einbußen und Infragestellung ihrer wohlerworbenen Rechte, was ihr ohnehin in vielen Fällen angespanntes Verhältnis zur Republik nicht gerade positiv beeinflusste.157 Nach den harschen Einschnitten im Umfeld der Personal-Abbau-Verordnung ab 1923 hatte sich wie dargelegt erst 1927 mit der Besoldungsreform die Lage einigermaßen gebessert; nun wurde jedoch angekündigt, dass zum ersten Februar 1931 die Bezüge der Beamten erneut um sechs Prozent gekürzt werden würden – was allerdings nur die erste von mehreren noch folgenden Maßnahmen darstellte.158 Im Juni 1931 folgte dann auch schon eine Notverordnung, durch die erneut auch die Beamtenbezüge gekürzt wurden.159 Zwei Aspekte waren es, die Brackmann auf dem Stuttgarter Archivtag in den Vordergrund rücken wollte mit seinen Ausführungen – zum einen der der Zukunftsaussichten der IfA-Absolventen und zum anderen die Frage nach Sinn und Zweck einer einheitlichen Fachausbildung. Denn die „Überfülle des akademischen Nachwuchses“ mache sich auch in Dahlem bemerkbar, wo sich deutlich mehr potentielle Anwärter bewürben als letztlich aufgenommen werden könnten, und dies, „trotzdem ich [Brackmann, T.W.] die sich meldenden Bewerber immer wieder vor allem optimistischen Hoffen auf ein späteres Unterkommen warne.“ Es falle zwar immer schwer, gute Bewerber abzulehnen, aber dies habe auch positive Effekte, da nun die Leiter der Archivverwaltungen „unter den Besten eine Auslese geistig schaffender und regsamer Persönlichkeiten treffen können.“ Vor diesem Hintergrund plädierte Brackmann wiederholt eindrücklich dafür, dass auch Stadtarchive sich der IfA-Absolventen bedienen sollten, statt, wie es immer noch geschehe, fachlich nicht entsprechend ausgebildete Kräfte einzusetzen.160 Daran anknüpfend plädierte Brackmann für eine geregelte Fachausbildung, da mit der Einheitlichkeit der Ausbildung „der Aufstieg jedes Standes“ auf das Engste zusammen hinge, und außerdem eine solche Aubsildung „dem Staate wie der Wissenschaft Männer liefer[e], die mit den neuen großen Problemen der Geschichtsforschung wie des Archivwesens im weitesten Sinne vertraut wären“.161 Mochten Brackmanns Argumente noch so einleuchtend sein, muss dennoch bedacht werden, dass gerade die Stellenbesetzungen bei Stadtarchiven teilweise nicht aus mangelnder Einsicht so gehandhabt wurden, wie Brackmann anpran157

Vgl. Caplan: Government, S. 102–130. Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen, 01. Dezember 1930, RGBl. I S. 517–604, hier S. 522 f.; vgl. Hattenhauer: Beamtentum, S. 348 f. Fattmann: Bildungsbürger, S. 129. 159 Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen, 5. Juni 1931, RGBl. I S. 279–314, hier S. 282. Es folgten im selben Jahr noch die dritte und die vierte Notverordnung vom 6. Oktober 1931 bzw. 8. Dezember 1931. RGBl. I S. 537–568 sowie ebd., S. 699– 745. 160 Brackmann: Institut, Sp. 153. 161 Ebd., Sp. 153 f. 158

V. Die späte Weimarer Republik, 1929–1933

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gerte, sondern oftmals aus finanziellen Erwägungen. Dennoch konnte Brackmann auf dem Stuttgarter Archivtag einen Erfolg verbuchen, da der Präsident des Reichsarchivs, Hans von Haeften, bekanntgab, dass künftig auch Anwärter des Reichsarchivs idealiter das IfA besucht haben sollten und er sich wünsche, die Länder würden auf die Absolventen des preußischen Instituts zurückgreifen, denn „für die Zukunft der jungen Generation müsse besonders dadurch gesorgt werde, daß nicht archivarisch vorgebildete Leute sich nicht in die Archive eindrängen dürfen“.162 Was auf früheren Archivtagen kontrovers diskutiert worden war, war nun zwar längst nicht endgültig gelöst, hatte sich aber doch einen Schritt weiter entwickelt, in diesem Fall zugunsten der IfA-Archivare und in Brackmanns Sinne, der in der Reichsarchivleitung Rückhalt fand. Wenn auf diese Weise auf den Archivtagen der späten Weimarer Republik neben den spezifischen Erörterungen konkreter Problem- und Fragestellungen demnach vermehrt auch Themen diskutiert wurden, welche die Disziplin und deren Lage reflektierten, verlief die inhaltliche Entwicklung der Archivalischen Zeitschrift in bewährten Bahnen. Kontinuierlich wurde Ausgabe für Ausgabe jeweils ein ausländisches Archivwesen in unterschiedlicher Ausführlichkeit dargestellt, aber vor allem fanden historische Themen sowie innerfachliche Erörterungen hier ein Forum. Auffällig ist, dass in etwa ab dem Zeitpunkt, als in Linz und Wien gefordert wurde, auf den Archivtagen weniger über konkrete Archivgeschichte(n) zu referieren und diese hinter aktuellere oder wichtigere Themen zurückzustellen, der Anteil solcher archivgeschichtlicher Erörterungen in der AZ zunahm. Wenngleich die Herausgeber beziehungsweise Veranstalter von AZ und Archivtag nicht dieselben waren, gab es dennoch Wechselwirkungen – zumal es nicht selten der Fall war, dass auf Archivtagen über Themen referiert wurde, die danach in ausgearbeiteter Form in der AZ erschienen waren, oder aber es wurden bereits publizierte Aufsätze vorgetragen und zur Diskussion gestellt. Von veränderten Rahmenbedingungen und wirtschaftlicher Not nicht verschont, wurden fachliche Schwerpunkte in der schwierigen Zeit der späten Republik keineswegs vernachlässigt. Allerdings machte sich eine Veränderung in der Ausrichtung der Archivwissenschaft dahingehend bemerkbar, dass Institutionen und Themen der Ostforschung innerhalb der Disziplin merklich an Bedeutung gewannen.

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Ebd., Sp. 155.

VI. Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? Arbeiten in den ersten Jahren der Diktatur, 1933–1936 1. Machtübernahme, Gleichschaltung und NS-Gesetzgebung Die bisherige Betrachtung hat verdeutlicht, dass die große Mehrheit der deutschen Archivare als Vertreter des Bildungsbürgertums und als wissenschaftlich ausgebildete höhere Beamte der Weimarer Republik misstrauisch bis ablehnend gegenüber stand und wie wenig sich diese Disziplin hierin exponierte oder isolierte. Vielmehr waren die Archivare meist prototypische Vertreter ihres Standes und ihrer Zeit. Zudem wies die Archivwissenschaft Vertreter auf, die als „geformt und durchtränkt vom Geist des Kaiserreichs“ zu bezeichnen sind.1 Selbst diejenigen Zeitgenossen, die nicht unbedingt den „monarchischen Obrigkeitsstaat wilhelminischer Prägung“ zurücksehnten, hatten ihre Probleme mit der „schweren Ideologie“ der Demokratie, beziehungsweise erschien ein autoritärer Staat so manchem weitaus einleuchtender als das „komplizierte Kompromiß- und Kooperationssystem parlamentarischer Demokratien“.2 Bezeichnend für die Krise der späten Weimarer Republik war, dass als „Einigungsparole“ nicht etwa ein positives Element der jungen Demokratie diente, sondern das „Negativum“ der einstimmigen Ablehnung der Versailler Friedensbestimmungen. Versailles stand somit für die „Krankheit der Weimarer Republik“ und war zur „Chiffre“ geworden für all die negativen Aspekte, die sich in jener Betrachtungsweise aus der Niederlage im Ersten Weltkrieg ergeben hatten: „Revolution, Republik, Demokratie, Inflation, außenpolitische Diskriminierung“.3 Dies ließ wiederum einen Nationalismus erstarken, der über die reine Revision des Vertrags hinausging und zu Forderungen nach Expansion deutschen ‚Lebensraumes‘ führte4 – sowohl auf wissenschaftlicher Ebene, wie unter anderem die Volks- und Kulturbodenforschung zeigte, als auch im kollektiven Empfinden gerade des Bürgertums, das die Ideen vom Volk ohne Raum (Hans Grimm5) in sich aufsog. Auch die Intellektuellen der Weimarer Republik, so schwer diese in ihrer Heterogenität als Gruppe greifbar sind, standen der Republik keineswegs durchweg wohlwollend gegenüber. 1

Freund: Geschichte, S. 316. Bracher: Machtergreifung, S. 40. 3 Schulze: Scheitern, S. 55 f. 4 Bracher: Machtergreifung, S. 39, 51. 5 Grimm: Volk. Grimms Roman war einer der erfolgreichsten, wenn nicht gar der erfolgreichste Blut-und-Boden-Roman des ‚Dritten Reichs‘, vgl. Schneider: Bestseller, S. 89 f. Zur Handlung und ideologischen Aufladung des Romans vgl. Vordermayer: Bildungsbürgertum, S. 60–68. 2

VI. Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? 1933–1936

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Diese Voraussetzungen, die sich über mehr als ein Jahrzehnt entwickelt hatten, müssen bei einer Betrachtung des frühen nationalsozialistischen Staates mitbedacht werden und dürfen nicht hinter vereinfachende Erklärungen zurücktreten. Die Entwicklungen der frühen 1930er Jahre bis zum 30. Januar 1933, als Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, sollen hier ebenso wenig diskutiert werden wie die Frage nach Machtergreifung oder Machtübernahme.6 Nach der Auflösung des Reichstags im Februar 1933 intensivierte sich der nationalsozialistische Terror, der sich in erster Linie gegen politische Gegner, also vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten richtete, aber auch die konservativen Parteien einschüchtern sollte und ein äußerst wichtiges Mittel der nationalsozialistischen Machteroberung war.7 Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 19338 war eine Entwicklung ermöglicht worden, die in den Folgemonaten kaum einen Bereich des öffentlichen Lebens aussparte und der Etablierung des „Doppelstaates“ und der totalitären nationalsozialistischen Herrschaft diente.9 Obwohl in der politischen Sphäre Gegner des Nationalsozialismus terrorisiert wurden, war das alltägliche Leben noch nicht in einem Maße beeinflusst worden, dass die „Maskerade des Bösen“ (Hans Maier10) als solche erkannt und ohne weiteres durchschaubar gewesen wäre. Es zeigt sich besonders in der Untersuchung von Tagebüchern, wie die heutige Kenntnis der Abfolge von Gesetzen, Verordnungen und anderen Maßnahmen eine Linearität der Ereignisse suggeriert, die für die Zeitgenossen so kaum erkennbar war und entsprechend unterschiedlich gedeutet wurde.11 Selbst der Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 sorgte keineswegs für kollektives Entsetzen, zumal sich die NSDAP in den Wahlkämpfen von 1930 bis 1932 mit antisemitischen Parolen zugunsten antikommunistischer Agitation zurückgehalten hatte, was wiederum ein Grund, wenn auch nicht der entscheidende, für den Massenzulauf dieser Partei war.12 Des Weiteren war der hier offen zutage tretende Antisemitismus in großen Teilen der Bevölkerung seit geraumer Zeit latent vorhanden, wurde nun aber zum „Staatsantisemitismus“ erhoben und 6 Vgl. Frei: Machtergreifung; vgl. Möller: Machtergreifung; vgl. Kißener: Einführung; vgl. Wippermann: Hitler. Goebbels sprach mitunter auch von der nationalsozialistischen Machteroberung, vgl. Goebbels: Wesen, S. 13. Für eine Analyse und Bewertung aus juristischer Sicht vgl. Strenge: Machtübernahme. 7 Vgl. Schumann: Gewalt. 8 Vgl. Bracher: Auflösung; vgl. ders.: Gleichschaltung; vgl. Steinbach: Gleichschaltung, S. 83. 9 Der Jurist Ernst Fraenkel hatte diesen Begriff bereits 1941 eingeführt und unterschied dabei zwischen dem auf konsensuellen Rechtsnormen basierenden Normenstaat und dem von politischen Überlegungen und Zweckmäßigkeiten dominierten Maßnahmenstaat, vgl. Fraenkel: Doppelstaat. Der 1933 aus Deutschland emigrierte Politologe Franz Neumann hingegen sprach dem Nationalsozialismus eine echte Staatlichkeit ab und wurde zum frühen Vertreter der Polykratie-These, welche die oft unklaren und parallel existierenden Machtstrukturen des Nationalsozialismus hervorhob, vgl. Neumann: Behemoth. Vgl. Wirsching: Mehrheitsgesellschaft. 10 Vgl. Hildebrand: Drittes Reich, S. 6. 11 Vgl. Bajohr: Begeisterung, S. 463. 12 Vgl. Winkler: Westen, S. 5.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

zeigte Brüche in der „zivilisatorischen Firnis“.13 Ende 1933 wurde auch von externen Beobachtern verwundert festgehalten, mit welcher Geschwindigkeit und Leichtigkeit diese Revolution vonstatten gegangen war, wie wenig Widerstand sich ihr entgegengesetzt und in welch hohem Maße sie sämtliche Lebensbereiche durchdrungen habe: „Zu Ende des Jahres 1933 steht das nationalsozialistische Deutschland da mit seinen Sitten, seinen Einrichtungen, seinem Wortschatz, seinem neuen Gruß, seinen Schlagworten, seiner Mode, seiner Kunst, seinen Gesetzen und Festen. Nichts fehlt“.14

Es gilt demnach, mögliche Ansatzpunkte aufzudecken, die für ein „mechanisch und automatisch“ weiterlaufendes Alltagsleben sorgten, ohne dass „eine kraftvolle lebendige Reaktion gegen das Ungeheuerliche stattfand“.15 Eine solch ‚kraftvolle Reaktion‘ blieb auch im deutschen Beamtentum aus, welches bereits in der Weimarer Republik „halb und halb Fremdkörper“ geblieben war.16 Je enger in einem solchen personellen Geflecht wie dem des ‚Beamtenkorps‘ die Bindungen sind – seien sie persönlicher oder auch formeller Art –, desto schwieriger wird es für jedes einzelne Mitglied, deviante Ansichten offen zu vertreten. Hinzu kam, dass viele Ereignisse gerade zu Beginn des Jahres 1933 als ‚nationale Erhebung‘ gedeutet und nicht selten wohlwollend aufgenommen wurden, und sich hieraus ein „Stimmungssog, eine Art ‚Schweigespirale‘“ ergab, „aus der sich kaum ein Zeitgenosse zu entwinden vermochte“.17 Daneben trat die vermeintliche dezidiert apolitische Haltung des traditionellen Beamtentums, das sich darauf berief, „loyal und in sachlicher Arbeit, unbeirrt durch die Tagespolitik“ dem Staat dienen zu wollen und deshalb keine Stellung, erst recht nicht gegen die neuen Machthaber, beziehen zu müssen.18 Im nationalsozialistischen Denken hatte der Beamte, gegen den Hitler so manche abschätzige Tirade richtete19, dem Staat als „Soldat in Zivil“ zu dienen, und zwar zu „Dienen mit Gut und Blut, mit Leib und Leben, mit Namen, Ehre und Gewissen, das heißen wir deutschen Nationalsozialisten im Geiste des Führers: Im Dienst des Volkes“.20 Das wichtigste Instrument, um sich des ‚Rückhalts‘ der Beamten zu versichern, stellte das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 dar. Damit ermöglichten es sich die neuen Machthaber, Beamte auch dann entlassen zu können, „wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen“.21 Gegen ‚Parteibuchbe13

Wolgast: Antisemitismus, S. 36; vgl. Hildebrand: Drittes Reich, S. 6 f. So der französische Botschafter in Berlin, André François-Poncet Ende 1933. Zit. nach Herbert: Deutschland, S. 305. 15 Haffner: Erinnerungen, S. 134. 16 Zit. nach Schulz: Maßnahmenstaat, S. 141. 17 Steinbach: Gleichschaltung, S. 82. 18 Aussage Otto Meißners, Staatssekretär im Büro des Reichspräsidenten während der Weimarer Republik. Zit. nach Schulz: Maßnahmenstaat, S. 144. 19 Hitler: Mein Kampf, S. 352. 20 Müller: Beamtentum, S. 29, 59; vgl. Wagner: Berufsbeamtentum, S. 56. 21 RGBl. 1933 I, S. 175. 14

VI. Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? 1933–1936

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amte‘ ohne die nötige Vorbildung sollte damit ebenso vorgegangen werden wie gegen ‚nichtarische‘ und politisch missliebige Beamte. Bei der Bewertung des Gesetzes und der daraus resultierenden Personalveränderungen muss beachtet werden, dass zwar jüdische Beamte, Kommunisten und andere politisch nicht konforme Beamte aus dem Staatsdienst entfernt wurden, die gesamte Säuberungsaktion aber keineswegs so gründlich erfolgte, wie die Formulierungen glauben machen könnten. Die quantitative Beurteilung der personellen Maßnahmen wird dadurch erschwert, dass die alleinige Parteimitgliedschaft von Beamten zu wenige Rückschlüsse zulässt – ein Beitritt im Frühjahr 1933 als „Märzgefallener“22, also nicht zuletzt aus Opportunismus oder Karrierehoffnungen, lässt noch nicht auf konsequentes Einverständnis mit nationalsozialistischer Politik schließen, und entsprechend problematisch wäre es, aufgrund der Anzahl der Parteimitglieder in der Verwaltung von einer „Durchsetzung des Staatsapparates mit Nazis“ zu sprechen.23 Diese Befunde trafen wesentlich auch auf universitäre Kreise zu. Zwar wurden an Hochschulen ‚nichtarische‘ Lehrende ebenso entlassen wie politisch missliebige, allerdings sind auch hier Tendenzen zur Selbst-Gleichschaltung hinreichend belegt.24 Somit machte sich im universitären Umfeld nicht nur die Ablehnung eines intellektuellen Habitus’ durch die Nationalsozialisten bemerkbar, sondern auch Dispositionen und Affinitäten des akademischen Milieus zu den Zielen der neuen Machthaber wurden deutlich. Der latente Antisemitismus, nicht aber der verpönte „Radauantisemitismus“25, stellte wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch an den Hochschulen eine Art „Minimalkonsens“ dar.26 Nationalsozialistische Agitation profitierte dabei von dem schwelenden Generationenkonflikt im akademischen Milieu, der sich in der Weimarer Republik durch die ‚Überfüllungskrise‘ der Hochschulen und die ‚Not geistiger Arbeiter‘ erheblich verschärft hatte.27 Eine ablehnende Haltung gegenüber der Republik einte die Vielzahl deutscher Akademiker verschiedener Alters- und Karrierestufen. Der generationelle Konflikt manifestierte sich vielmehr in der Geschwindigkeit und mitunter auch der Radikalität, mit welcher der Nationalsozialismus begrüßt und Hoffnungen in ihn gesetzt wurden. So waren es zunächst die Studenten und jüngere, noch nicht etablierte Akademiker, die sich auf den Mitgliederlisten der 22

Vgl. Schmitz-Berning: Märzgefallene; vgl. Wetzel: NSDAP. Vgl. Wunder: Bürokratie, S. 140. 24 Wird im Folgenden von Hochschulen gesprochen, sind in erster Linie Universitäten gemeint. Grundsätzliche Aussagen gelten im Wesentlichen auch für die Technischen Hochschulen, doch für deren spezielle Ausprägungen vgl. Dinckal/Dipper/Mares (Hrsg.): Selbstmobilisierung; vgl. Seier: Hochschulpolitik. 25 Grüttner: Hochschullehrer, S. 380. 26 Sieg: Strukturwandel, S. 257. 27 John: Not deutscher Wissenschaft, S. 107. Vgl. Herbert: Generation der Sachlichkeit, S. 137 f.; vgl. Kater: Generationskonflikt, S. 224 f.; vgl. Ringer: Academics, S. 264 f.; vgl. Grüttner: Machtergreifung, S. 344 f.; vgl. ders.: Wissenschaft; vgl. Vossen: Systemwechsel; vgl. Möller: Wissenschaftsideologie. 23

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

NSDAP fanden. Arrivierte Professoren, die teils starke Vorbehalte gegen den Nationalsozialismus hegten, traten in ihrer Mehrheit erst im Laufe des Jahres 1933 in die Partei ein.28 Es zeigte sich, wie wenig der Nationalsozialismus den Universitäten und akademischen Kreisen gewaltsam aufgezwungen werden musste, hingegen vielfach auf fruchtbaren Boden fiel oder sogar freudig begrüßt wurde – zumindest dort, wo sich durch die personellen Umstrukturierungen und Entlassungen für eine gewisse Klientel plötzlich neue Möglichkeiten ergaben. Neben ideologischen Übereinstimmungen spielte auch „undurchschaute Komplizenschaft und politische Naivität“ eine gewisse Rolle.29 Es lässt sich zudem erkennen, wie stark sich gerade Nachwuchswissenschaftler dem Zwang ausgesetzt sahen, den nationalsozialistischen Machthabern ihre Loyalität zu versichern, wenn sie ihre Chancen auf Festanstellung und Verbeamtung nicht riskieren wollten; eine NSDAP-Mitgliedschaft war zwar zunächst keine Voraussetzung für die Berufung, erleichterte aber so manchen Karriereschritt.30 All diese Maßnahmen hatten noch einen weiteren Effekt auf die deutsche Akademikerschaft, der diese nachhaltig prägte – den „Exodus der Kultur“ durch die Emigration zahlreicher Wissenschaftler, die auf diese Weise nach ihrer Entlassung die Fortsetzung ihrer Karriere im Ausland versuchten, sich nicht dem Druck ihrer Kollegen und der NSDAP beugen wollten oder aus anderen naheliegenden Gründen nicht im nationalsozialistischen Deutschland verbleiben wollten.31 Diese ab dem 30. Januar 1933 einsetzenden Entwicklungen, welche die Beamtenschaft wie auch die Wissenschaft mehr oder weniger direkt, nichtsdestoweniger aber nachhaltig veränderten, wirkten sich auch auf das deutsche Archivwesen und die Archivwissenschaft aus.

28

Vgl. Kater: Studenten; vgl. Abendroth: Professoren. Wie wenig pauschale Urteile über die Professoren zutreffen können, zeigte Ulrich Herbert mit vier „biographischen Skizzen“ deutscher Professoren im ‚Dritten Reich‘, die wiederum nicht stellvertretend für ihre gesamte Zunft stehen können, aber anhand derer verschiedene Haltungen deutlich werden. Vgl. Herbert: Professor; vgl. Hering: Parteimitgliedschaften; vgl. Bernhardt: Professoren; vgl. Reimann: Selbst-Gleichschaltung, S. 47; vgl. Seier: Hochschulpolitik, S. 148. 29 Reimann: Selbst-Gleichschaltung, S. 41. Oder, wie Ludwig Elm für die Hochschullehrer zusammenfasst: „Viel Sympathie, etwas Skepsis und kaum Widerstand.“ Elm: Hochschullehrer; Mertens: Forschungspolitik, S. 229 f.; Hans-Ulrich Wehler sprach diesbezüglich von einer ‚erstaunlich weitreichenden Kongruenz der Leitvorstellungen‘. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 728. 30 Vgl. Grüttner: Wissenschaftspolitik, S. 568 ff. 31 Zur Emigration deutscher Wissenschaftler vgl. Röder/Strauss (Hrsg.): Emigration; Strauss (Hrsg.): Studien; ders.: Emigration; Möller: Exodus; Fischer: Emigration; Iggers: Emigration; Fischer: Emigration; Krohn: Wissenschaftsemigration; ders.: Geschichtswissenschaften; speziell zu Emigration und Flucht jüdischer Wissenschaftler vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 133–221; dort auch der neueste Foschungsstand zum Thema. vgl. ebd., S. 13–17.

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2. Verordnete Gleichschaltung oder Selbstindienststellung der Archivwissenschaft? Von den frühen Entwicklungen unter der Regierung Hitler wurde das Archivwesen zunächst kaum tangiert, es gab keine grundsätzliche Neuordnung oder Umstrukturierung. Dies mag, neben den grundsätzlichen politischen und ideologischen Einstellungen der Archivare, dazu beigetragen haben, dass der neue Reichskanzler teils freudig begrüßt, ihm zumindest loyal begegnet wurde.32 Lediglich einige wenige Archivare waren bereits 1932 Mitglieder der NSDAP geworden. Ab dem Frühjahr 1933 erhöhte sich der Anteil der Parteimitglieder unter den deutschen Archivaren erheblich und kontinuierlich bis zur späteren „fast vollzähligen Mitgliedschaft der Berufsgruppe in der NSDAP“.33 Die Gründe für den Parteibeitritt konnten dabei variieren und von bloßem Opportunismus über die Hoffnung auf erhöhte Karrierechancen bis hin zu ideologischer Überzeugung reichen. Das Ergebnis war dennoch eindeutig, wie ein Bibliothekar des Reichsarchivs Ende 1933 festhielt: „Jeder strebt fieberhaft auf die Partei zu“.34 Bis zur Aufnahmesperre der NSDAP im April 1933 war ungefähr ein Viertel der Archivare Mitglied geworden, der größere Teil sollte nach Aufhebung des Aufnahmestopps ab 1937 beitreten, wodurch es Archive gab, in denen sämtliche Archivare Parteigenossen (Pg) waren.35 Allerdings war in den ersten Jahren des ‚Dritten Reichs‘ keiner der Archivare zum Eintritt in die NSDAP gezwungen worden, wie der Hannoveraner Archivar Georg Schnath festhielt – er habe den Beitritt „völlig freiwillig unter dem starken Eindruck des Festaktes von Potsdam am 21. März 1933“ vollzogen, denn er „sah in dem Händedruck Adolf Hitlers mit dem greisen Feldmarschall und Reichspräsidenten in gutem Glauben die endgültige Versöhnung zwischen den nationalen und sozialen Komponenten unserer neuen Geschichte“.36 Diese Haltung Schnaths teilte gewiss auch ein guter Teil der anderen ‚Märzgefallenen‘, auch wenn eine so ehrliche Selbsteinschätzung ex post die Ausnahme darstellt. Schnath betonte, dass „die Machtergreifung des Nationalsozialismus“ sich „im Bereich des Staatsarchivs zunächst so gut wie gar nicht“ ausgewirkt und er von Veränderungen in der politischen Aufsichtsbehörde kaum etwas gemerkt habe.37 Veränderungen, welche die Archivare betrafen, ließen jedoch nicht allzu lange auf sich warten. Spätestens mit Erlass des Berufsbeamtengesetzes sah sich die Archivwissenschaft den Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber ausgesetzt, die nun die Teilnahme an Aufmärschen voraussetzten und obligatorische Schulungskurse für sämtliche Bediensteten einführten. Diese erfreuten sich 32 33 34 35 36 37

Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 27. Ebd., S. 28. Zit. nach Pöhlmann: Kriegsgeschichte, S. 127 f. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 33. Schnath: Erinnerungen, S. 468. Ebd., S. 468.

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keiner großen Beliebtheit, zumal sie meist nach Dienstschluss stattfanden und somit einen Vorgeschmack gaben auf das später erwartete Engagement in den Gliederungen der NSDAP.38 Auch von Entlassungen aufgrund der neuen Bestimmungen war die Archivwissenschaft betroffen, wenngleich in nicht allzu großem Umfang. Dies lag in erster Linie daran, dass im deutschen Archivwesen die Anzahl jüdischer Archivare äußerst klein und die Quote wesentlich geringer war als in manchen Fakultäten. Sowohl jüdische als auch liberale und damit zumindest politisch verdächtige Archivare fanden sich, abgesehen von sehr wenigen Ausnahmen, lediglich am Reichsarchiv.39 Genau dort kam es bei der Durchsetzung des Berufsbeamtengesetzes denn auch zu Entlassungen: Ludwig Bergsträsser, Veit Valentin und Martin Hobohm40 wurden im Juni 1933 nach §4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen, da sie wegen „ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür“ böten, „daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ würden, das heißt einer nun geächteten politischen Partei angehört oder mit einer solchen offen sympathisiert hatten.41 Bergsträsser war nicht nur Sozialdemokrat, sondern in den 1920er Jahren auch Abgeordneter der DDP gewesen und dadurch aus nationalsozialistischer Sicht im Staatsdienst nicht tragbar. Er, dem erst im Vorjahr durch Reichsarchivpräsident von Haeften die Geschäftsführung der Frankfurter Dienststelle des Reichsarchiv übertragen worden war42, hatte diesem bereits im März 1933 die Geburts- und Heiratsurkunden seiner Eltern vorlegen sowie einen Bericht über seine politische Betätigung verfassen müssen. Darin legte Bergsträsser dar, dass sich sein politisches Interesse bis in seine Jugendjahre zurückverfolgen lasse. Als Student habe er sich bei den Reichstagswahlen 1907 erstmals aktiv politisch betätigt, damals in der jungliberalen Gruppe der Nationalliberalen, der er bis 1918 angehörte und dann mit dieser der DDP beitrat. Dort war er in einigen Ämtern aktiv – unter anderem als Reichstagsabgeordneter von 1924 bis 1928 –, doch bei deren Umwandlung in die Deutsche Staatspartei (DStP) 1930 sei er der SPD beigetreten.43 Zugleich wurde der jüdische Archivar Alex Bein44 unter Bezugnahme auf den ‚Arierparagrafen‘ (§3 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamten38

Vgl. Schnath: Erinnerungen, S. 468. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 28 f. 40 Hobohm hatte sich schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs gegen alldeutsche Ambitionen gewandt und die Dolchstoßlegende kritisiert. Nach seiner Entlassung aus dem Archivdienst wurde ihm im September 1933 außerdem die Lehrbefugnis entzogen. Elm: Mittelalterforschung, S. 234; vgl. Hobohm/Rohrbach: Alldeutsche. 41 Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 28 f.; vgl. Hardtwig: Geschichtskultur, S. 102. 42 Der Präsident des Reichsarchivs, Hans von Haeften, an Ludwig Bergsträsser, 31. August 1932. BArch R 1506/1100. 43 Bergsträsser an den Präsidenten des Reichsarchivs Potsdam, 04. März 1933. BArch R 1506/1100. 44 Alex (Alexander) Bein, 1903–1988, Studium in Erlangen und Berlin, 1926 Promotion bei Friedrich Meinecke, 1927–1933 Archivar am Reichsarchiv Potsdam. 39

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tums) entlassen. Bein emigrierte daraufhin nach Palästina, arbeitete am Zionistischen Archiv und war am Aufbau des israelischen Archivwesens beteiligt.45 Das Schicksal der Entlassung als ‚Nichtarier‘ ereilte Ende 1934 auch Hans Goldschmidt.46 Der 1871 geborene, nach einem Studium der evangelischen Theologie und mediävistischer Promotion 1902 zum Katholizismus konvertierte und seit 1921 am Reichsarchiv beschäftigte Karl Heinrich Schäfer hingegen wurde 1934 nach einer Denunziation entlassen.47 Ernst Posner, Archivar am Geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem, wurde 1933 seines Amts als Hausreferent am GStA enthoben, konnte aber trotz seiner jüdischen Wurzeln zunächst am Archiv verbleiben, da er im Ersten Weltkrieg Frontsoldat gewesen war und somit von der Ausnahmeregelung für Weltkriegsveteranen profitierte. Im Juli 1933 noch wurde ihm von Brackmann hinsichtlich seiner Lehrtätigkeit über die Geschichte des GStA und seiner Bestände am IfA attestiert, dass er „unstreitig der beste Kenner dieser Materie“ sei und „sich einer grossen Wertschätzung“ im Kollegium erfreue. Deshalb bat Brackmann, „ihn auch bis auf weiteres für die genannte Materie als Dozent im Institut verwenden zu dürfen“.48 Doch bald wurde sein Aufgabengebiet stetig eingeschränkt. Die Lehrtätigkeit am IfA musste er 1934 einstellen, und mit Erlass der ‚Nürnberger Gesetze‘ war die Ausnahmeregelung für Weltkriegskämpfer hinfällig geworden – Posner wurde 1935 entlassen. Zunächst konnte er zwar weiterhin für die Preußische Akademie der Wissenschaften an der Quellenedition Acta Borussica arbeiten, bis er 1938 auch hier Arbeits- und am GStA gar Hausverbot erhielt.49 Infolge der die Reichspogromnacht begleitenden Verhaftungswelle begann für Posner eine sechswöchige Internierung im KZ Sachsenhausen, das er nur Dank tatkräftiger Unterstützung seiner Frau und eines Schweizer Vetters wieder verlassen konnte. Es folgte 1939 die Emigration über Schweden in die USA, wo er an der American University in Washington, D.C. lehrte, am Aufbau des Nationalarchivs beteiligt war und zu einer zentralen Figur des amerikanischen Archivwesens wurde.50

45

Vgl. Schoeps: Bein. Hans Goldschmidt, 1879–1940, Studium bei Georg von Below in Freiburg und bei Max Lehmann Göttingen, 1909 Promotion, danach Tätigkeiten am Deutschen Auslandsinstitut in Stuttgart und am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, 1923–1934 Archivar am Reichsarchiv Potsdam. Vgl. Schüssler: Goldschmidt. 47 Im Oktober 1942 wurde Schäfer wegen „planmäßiger Zersetzungsarbeit“ zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, danach der SS übergeben; Ende Januar 1945 starb er im KZ Sachsenhausen. Vgl. Schockenhoff : Reflexionen, S. 30 f.; vgl. Moll (Hrsg.): Martyrologium, S. 175–178. 48 Für 13 der 15 an der Lehre Beteiligten wurde Fehlanzeige erstattet. IfA an Preuß. Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 29. Juli 1933. GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 242. 49 Vgl. Giesecke/Quaschny: Posner, S. 12; vgl. Brachmann: Posner, Sp. 253. 50 Vgl. Mommsen: Posner, Sp. 226–229; vgl. Giesecke/Quaschny: Posner, S. 12–15; vgl. Franz: Posner. 46

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Der einzige andere Archivar des Geheimen Staatsarchivs neben Posner, dessen Stellung aufgrund jüdischer Vorfahren gefährdet war, war Ludwig Dehio51, für den zunächst dieselbe Ausnahmeregelung griff: „Es liegt hier nichtarische Abstammung vor; die beiden Genannten sind jedoch Kriegsteilnehmer, die als Offiziere den Weltkrieg in der Front und mit Auszeichnung mitgemacht haben und sich auch stets in national einwandfreier Weise verhalten haben“.52

Wie für Posner setzte sich das IfA zunächst auch für Dehio ein: „Ich halte aber seine Weiterverwendung im Institut für Archivwissenschaft in der früheren und bisherigen Weise für völlig unbedenklich“.53 Im Zuge der zitierten Eingabe des IfA kam auch Dehio selbst zu Wort: „Ich bin im Sinne diese Gesetzgebung Nichtarier und werde infolgedessen vom Staate nicht mehr als vollberechtigter Deutscher betrachtet. Mein eigenes Nationalgefühl kann mir weder fremde noch deutsche Gesetzgebung rauben“.54

Weiter legte er die Abstammung seiner Eltern ausführlich dar – „dies die nackten Tatsachen“ –, aber er lehnte es ab, auch noch „die deutsche Gesinnung aufzuweisen, die die hier behandelten Personen erfüllte.“ Abschließend betonte er seine Hoffnung, dem Adressaten sowie dessen Angehörigen und Nachkommen möge eine solche Demütigung erspart bleiben, „wie ich sie bei Abfassung dieses Briefes empfunden habe“.55 Am Beispiel Dehios wird besonders deutlich, was das durch den Nationalsozialismus oktroyierte Etikett Nichtarier für die Betroffenen mitunter bedeutete: Für diese war ihre jüdische Identität – sofern überhaupt vorhanden – nicht selten weit in den Hintergrund gerückt hinter ihr Selbstverständnis als Deutsche.56 Die Entlassung aus dem Archivdienst blieb Dehio zwar erspart, allerdings wurde er noch 1933 an das Hausarchiv in BerlinCharlottenburg versetzt und musste aufgrund seiner Einstufung als ‚Vierteljude‘ mit einem Publikationsverbot leben. Wenn Dehio im Gegensatz zu Posner nicht entlassen wurde, sondern in Abgeschiedenheit und mit Einschränkungen das ‚Dritte Reich‘ im Archivdienst überstehen konnte, lag dies unter Umständen daran, dass lediglich seine Mutter jüdischer Herkunft war und sein 1932 verstorbener Vater Georg Dehio als Kunsthistoriker Rang und Namen hatte.57 Am Reichsarchiv sollte „dringend eine andere Zusammensetzung des Beamtenkörpers“ erreicht und dabei „selbstverständlich jede Härte nach Möglichkeit vermieden werden“; aber wo die Leistungen der Beschäftigten nicht ausreichen 51

Siehe auch S. 121 f. IfA an Preuß. Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 29. Juli 1933. GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 242. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Ebd. 56 Vgl. Orth: NS-Vertreibung, S. 7. 57 Vgl. Giesecke/Quaschny: Posner, S. 10; vgl. Berghahn: Dehio, S. 97. Zu Georg Dehio vgl. Gall: G. Dehio; Betthausen: G. Dehio. 52

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„oder wo schwere Bedenken gegen die weitere Tätigkeit eines Beamten bestehen“, müsse durch Entlassungen Platz geschaffen werden „für besser geeignete Persönlichkeiten“.58 Betroffen von dieser Maßnahme waren vier Archivräte, die nach dem Ersten Weltkrieg direkt vom Militär in den Dienst am neu gegründeten Reichsarchiv übernommen worden waren. Ernst Kienitz (*1878) schied nach seiner Militärlaufbahn 1920 als Major aus der Armee aus und wurde vom Reichsarchiv angestellt – obwohl es nicht nur zwei ungünstige Gutachten über ihn gab, sondern bereits in militärischen Qualifikationsberichten festgehalten wurde, dass er nicht nur über ein „etwas pflegmatisches [sic!]“ Wesen verfüge, sondern auch eine „nicht allzu rasche Denkungs- und Auffassungsweise“ habe. Herbert Graf von Wartensleben (*1881) war „schwer kriegsbeschädigt“, häufig krankgeschrieben oder in Kur und entsprach in der nun vorgenommenen Einschätzung zwar den Anforderungen an einen wissenschaftlichen Beamten, konnte den Ansprüchen an einen Archivar des höheren Dienstes aufgrund seiner Einschränkungen aber nicht genügen. Werner Blankenstein (*1894) war ebenfalls 1920 direkt aus dem Militär kommend trotz Disziplinarverfahren übernommen worden, doch „habe er Akten mit ungenügender Sorgfalt behandelt“ und besäße generell nicht die nötige Eignung zum Archivar. Deswegen sei sein Ausscheiden aus dem Reichsarchiv „eine dringende Notwendigkeit“. Die vierte Entlassung betraf Otto Danz (*1885), der eigentlich Landvermesser und „in keiner Weise für den Beruf des Archivars vorgebildet“ war.59 An diesen Maßnahmen lässt sich ein anderer Aspekt des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und seiner Anwendung aufzeigen. Betrafen die Maßnahmen nach den §§3 und 4 oft langjährige, verdiente, loyale und dadurch schwer zu ersetzende Mitarbeiter und Gelehrte, wurden unter Bezug auf die §§5 und 6 am Reichsarchiv Personen entlassen, von denen sich so mancher Zeitgenosse gefragt haben mochte, wie diese überhaupt in die entsprechenden Ämter gekommen waren. Dass es deshalb in manchen Fällen fachlich ausgebildete Archivare begrüßten und mit Genugtuung zur Kenntnis nahmen, wenn ‚Archivare‘ dieser Art entlassen wurden, kann kaum verwundern.60 Die zuvor schon weitreichende Homogenität des archivarischen Beamtenkörpers hinsichtlich politischer Einstellung und Herkunft war durch die ‚Bereinigung‘ des Personalbestands nochmals erhöht worden. Nachhaltigen Einfluss hatten aber weniger die vereinzelten Entlassungen als vielmehr der um 1933 einsetzende personelle Aufschwung vor allem der preußischen Archivverwaltung;

58 Versetzung von vier wissenschaftlichen Beamten in den Ruhestand bezw. in ein anderes Amt auf Grund der §§5 und 6 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, undatiert (ca. April–Juli 1933). GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 99. 59 Ebd. 60 Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 29.

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diese konnte die Anzahl ihrer Beschäftigten zwischen 1933 und 1940 mehr als verdoppeln.61 Gleichschaltung im Sinne einer von den staatlichen Machtinstanzen durchgeführten ‚Säuberung‘ der Disziplin fand somit auch in der Archivwissenschaft statt. Problematisch wäre allerdings, bereits diese Entlassungen, die zudem teilweise noch begrüßt wurden, als Indiz einer generellen Indienstnahme der Archivwissenschaft durch die neuen Machthaber zu sprechen. In der Wissenschafts- und Disziplingeschichte wird im Hinblick auf den Nationalsozialismus daneben oft vom Missbrauch der jeweiligen Disziplin gesprochen. Beide Begriffe sind jedoch problematisch und müssen kritisch hinterfragt werden. Wie Mitchell Ash eindrücklich darlegte, suggeriert beispielsweise Indienstnahme eine widerwillige Unterordnung unter die politisch vorgegebenen Ziele. Missbrauch inkludiert zudem das in der Wissenschaft vorhandene Bewusstsein, dass ursprüngliche Absichten zu anderen, weder intendierten noch gewollten Zielen genutzt wurden. Oftmals zeigt eine genaue Untersuchung einzelner Wissenschaftszweige oder Forschungseinrichtungen aber, dass die Initiative nicht selten von den Wissenschaftlern selbst ausging und mitnichten erzwungen werden musste. In anderen Fällen könnte jenes Vokabular in die Irre führen, wenn von beteiligten Forschern in vielen Fällen die politische Nutzung der eigenen Arbeit keineswegs als Missbrauch angesehen wurde, sondern es sich mitunter um intendierte Anwendungszwecke handelte.62 Zur Analyse des Spannungsfelds von ‚Wissenschaft‘ und ‚Politik‘ schlägt Ash vor, jene beiden Bereiche als Kollektivsingulare zu gebrauchen. Politik umfasst entsprechend nicht nur Ideologie, sondern auch staatliches Handeln, und Wissenschaft schließt neben abstrakten Theorien konkrete Forschungspraktiken mit ein. Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft in Umbruchzeiten wären demnach als Umgestaltungen von Ressourcenensembles zu verstehen. Das bedeutet, dass materielle, personelle oder institutionelle Ressourcen als „gegenseitig mobilisierbar“ verstanden werden müssen.63 Damit wird eine monokausale und verkürzte Interpretation vermieden. Statt lediglich danach zu fragen, ob ‚die Wissenschaft‘ von ‚der Politik‘ indienstgestellt oder gar missbraucht wurde beziehungsweise ob ‚die Wissenschaft‘ sich in vorauseilendem Gehorsam selbst indienstgestellt und ‚der Politik‘ angebiedert habe, kann und muss differenziert werden. Diese Prämissen ermöglichen es, die mitunter wechselseitige Mobilisierung einzelner Ressourcen nachzuvollziehen. So wäre beispielsweise denkbar, dass 61 Die preußische Archivverwaltung war bei Weitem die größte und beschäftigte 1936 im höheren Dienst 72 Archivare. Zur gleichen Zeit waren es in Bayern 40 Archivare, in Thüringen acht, in Sachsen sechs, in Württemberg, Baden und Hamburg jeweils fünf, in Hessen und Mecklenburg jeweils vier, in Anhalt zwei und die kleinsten deutschen Staatsarchive in Oldenburg, Lippe, Bremen und Braunschweig waren mit je einem Archivar des höheren Dienstes besetzt. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 30 f. 62 Vgl. Ash: Wissenschaft, S. 32. 63 Vgl. ebd., S. 32 f.

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eine Disziplin auf Anfrage Expertenwissen politischen Zwecken zur Verfügung stellt, hierfür aber finanzielle oder personelle Ressourcen einfordert. Ebenso denkbar wäre auch die Möglichkeit, aufgrund politischer Rahmenbedingungen innerhalb einer Disziplin Forschungstrends neu zu gewichten und dadurch eine Umverteilung von Ressourcen zu erreichen, ohne dass dies von politischer Seite beabsichtigt war oder gar initiiert wurde. Versteht man also mit Ash beide Kollektivsingulare als handelnde Subjekte, kann die Analyse potentieller Verflechtung wesentlich differenzierter erfolgen. In Bezugnahme auf Herbert Mehrtens ist außerdem zu fragen, aus welchen Gründen in Einzelfällen die Grenze von Kooperation hin zu Kollaboration überschritten wurde.64 Für die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, anhand der angeführten Entlassungen und sonstiger Maßnahmen des Jahres 1933 nicht abschließend bewerten zu können, ob die Archivwissenschaft ‚gleichgeschaltet‘ wurde oder vielmehr eine ‚Selbstindienststellung‘ stattfand. Vielmehr zeigt sich, wie sehr diese Bezeichnungen lediglich für einzelne Maßnahmen zutreffen können, eine Beurteilung jedoch die zugrundeliegenden Prozesse berücksichtigen muss. Deshalb wird entsprechend an mehreren Stellen der weiteren Untersuchung analysiert werden, wie sich bestimmte Ereignisse, Forschungsvorhaben oder Verlautbarungen auf jene Verflechtung von (Archiv-)Wissenschaft und Politik auswirkten. 3. Disziplininterne Entwicklungen a) Wissenschaftliche Tagungen und das PuSte-Vademecum Trotz der Ereignisse des Jahres 1933, die das politische System nachhaltig und von Grund auf veränderten, setzte sich der Alltag weiter Teile der Gesellschaft auf eine Weise fast unbeirrt fort, die ex post oft unterschätzt wird. Dies galt auch für die Wissenschaft, die, trotz Entlassungen und Unsicherheiten einerseits und euphorischer Aufbruchsstimmung andererseits, an bewährten Traditionen festhielt, wo immer dies möglich war. Fachtagungen und Kongresse fanden in den ersten Jahren des ‚Dritten Reichs‘ ebenso weiterhin statt wie auch die einschlägigen Periodika erschienen und deutsche Wissenschaftler zu internationalen Tagungen reisten, welche sich in den Jahrzehnten zuvor in verschiedenen Disziplinen etabliert hatten. aa) Der Warschauer Historikerkongress und das vertrauliche Vademecum der PuSte Die zunehmende Institutionalisierung der Geisteswissenschaften seit dem späten 19. Jahrhundert kulminierte in diversen Vereinigungen und Zusammenkünften, und 1933 fand in Warschau der siebte Internationale Historikerkongress statt. Nach Kongressen in Paris, Rom, Berlin und London war es durch den 64

Vgl. Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse, S. 15 f.

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Ersten Weltkrieg zu einer längeren Pause gekommen, bis 1923 in Brüssel der erste Nachkriegskongress stattfinden konnte – bei dem die deutsche Delegation aus der internationalen Historikerorganisation ausgeschlossen wurde.65 Auch auf dem Folgekongress in Oslo schienen sich die Delegationen der vormaligen Kriegsgegner noch misstrauisch zu beäugen. Als der Historikerkongress in Warschau 1933 bevorstand, musste sich die deutsche Geschichtswissenschaft gewahr werden, ob und wie dort überhaupt aufzutreten sei. Der Göttinger Ordinarius und VDH-Vorsitzende Karl Brandi stellte daraufhin dem preußischen Kultusminister und späteren Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust66 eine Denkschrift über den Besuch des Historikerkongresses vor. Brandi legte dar, dass die Historiker sich einstimmig für die Teilnahme am Warschauer Kongress entschieden hätten, da die positiven Effekte aus dem Besuch bei Weitem überwiegen würden, wenn es gelänge, die bisherige Isolierung auf internationalem Parkett zu lösen. Gleichzeitig betonte er, wie sehr der Besuch der „nationalen Repräsentation“ dienlich sein könne.67 Neben diese für die historischen Disziplinen wichtigen Punkte trat eine unverhohlen politische Argumentation Brandis, der betonte, der „Kampf um den Osten [sei] auch mit geistigen Waffen“ zu führen und der Kongressbesuch im Sinne eines „Mobilmachungsfall[es]“ vorzubereiten; die deutsche Delegation hätte sich wie eine „Truppe im Felde“ zu verhalten. Weiter wurde vorsorglich erklärt, den Anweisungen politischer Stellen, vor allem des Auswärtigen Amts, Folge zu leisten.68 Somit war die Ausrichtung des Kongressbesuchs eindeutig festgelegt, zumal der angeführte ‚Kampf um den Osten‘ in der deutschen Geschichts- und Archivwissenschaft der Jahre zuvor enormen Auftrieb erhalten und der „nahezu hermetisch formierten deutschen Wissenschaftsphalanx“ die Interpretation polnischer „Kulturunfähigkeit“ ebenso eingeimpft hatte wie der umfassend ‚begründeten‘ Leugnung der Rechtmäßigkeit polnischer Staatsgrenzen.69 Die Gelegenheit schien damit gekommen zu sein, in eine neue Phase der deutsch-polnischen Auseinandersetzungen einzutreten. Da sich in dieser Zeit innerhalb der deutschen historischen Disziplinen gerade die mittelalterliche Ostpolitik zur Legitimation revisionistischer Ansprüche bewährt hatte70, sah sich die mediävistisch und landesgeschichtlich geprägte Archivwissenschaft zur Mitwirkung berufen. Noch rechtzeitig zum Kongress im August konnte Brackmann auf einer VDH-Ausschusstagung am 10. Juni 1933 65 Nicht nur Historiker, sondern die deutschen Vertreter verschiedenster Disziplinen wurden nach dem Ersten Weltkrieg von den meisten internationalen Verbandsgründungen und ähnlichem ausgeschlossen, vgl. Erdmann: Ökumene, S. 100 ff. 66 Zu Bernhard Rust vgl. Nagel: Bildungsreformer. 67 Vgl. Haar: Historiker, S. 135. 68 Zit. nach ebd., S. 136. 69 Oberkrome: Historiker, S. 84 f. 70 Vgl. Althoff : Ostpolitik, S. 161.

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in Eisenach ein Vertrauliches Vademecum für die deutschen Teilnehmer am internationalen Warschauer Historikerkongress ankündigen. Der deutschen Delegation sollte damit eine einheitliche Argumentation in verschiedenen Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen vorgegeben werden. Dieses Vademecum war von der PuSte als „Pflichtlektüre“ für die Kongressteilnehmer erarbeitet worden und stellte eine Art „verbindliche[n] ‚Katechismus‘“ dar.71 Bei dessen Erstellung waren in erster Linie Johannes Papritz und der PuSte-Mitarbeiter Walther Recke federführend, die vom Regierungspräsidenten des westpreußischen Marienwerders, Karl Budding, unterstützt wurden und sich auf zahlreiche deutsche Wissenschaftler berufen konnten. Mit Walther Recke wurde dabei auf einen Mitarbeiter zurückgegriffen, der bereits ab 1915 einige Zeit unter Adolf Warschauer in der Archivverwaltung im Generalgouvernement Warschau tätig gewesen ist und, wie auch Karl Budding – der als Kommissionsmitglied bei den Abtretungsverhandlungen für Oberschlesien teilgenommen hatte –, als Experte für die Nationalitätenfrage Westpreußens und dessen Wirtschaftspolitik galt.72 Nicht nur im Volks- und Kulturbodendiskurs war Recke engagiert, sondern hatte sich auch mit eigenen monografischen Arbeiten in die Debatte um die polnische Geschichte und deren Bedeutung für die in den 1920er und 1930er Jahren aktuellen Grenz- und Minderheitenfragen eingeschaltet.73 Die Früchte der im Rahmen des Publikationsplans der Archivverwaltung74 im Entstehen begriffenen Arbeiten konnten damit erstmals geerntet werden, wenngleich noch in reduziertem Umfang und anonymisierter Form; Autoren der einzelnen Standpunkte und Forschungsmeinungen wurden im Vademecum in der Regel nicht genannt. Aufgebaut war dieses auf eine Weise, die wenig Spielraum für Interpretationen ließ: Zu verschiedenen Fragen und Problemen der deutschpolnischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre wurden insgesamt 32 Thesen angeführt, die von einem fiktiven ‚Polen‘ zur Diskussion gestellt wurden und zu denen er eine dezidierte Meinung vertrat. Ein ‚Deutscher‘ hingegen kam zu jeder These, jeder Behauptung und jedem Vorwurf von polnischer Seite meist ausführlicher zu Wort und widerlegte die polnische Meinung, wobei unterschiedliche Möglichkeiten der Erwiderung angewendet wurden: Mancher Behauptung, die Bestätigung in Quellen suchte, wurden andere Quellen entgegen gehalten, manche Unterstellung wurde als „Greuelpropaganda“ abgetan; mancher Statistik wurden andere Zahlen gegenüber gestellt, und in Deutungsfragen stand Meinung gegen Meinung, wenngleich unterschiedlich formuliert wurde. Grundsätzlich bezog sich der ‚Deutsche‘ auf neuere, das heißt meist im vergangenen Jahrzehnt herausgestellte Forschungsergebnisse und -methoden, die zu hoffen gaben, dass 71

Oberkrome: Historiker, S. 85. Siehe Kap. B. III.; vgl. Haar: Historiker, S. 142. 73 Siehe Kap. C. IV. 2. a); bestes Beispiel für Reckes Forschungen war der bereits kurz angeführte Band zur ‚polnischen Frage‘, vgl. Recke: Problem. 74 Siehe S. 136 f. 72

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durch „raum- und volkshistorische[n] Fakten“ die polnischen Klagen und Behauptungen einfacher zu widerlegen seien, als durch „die wegen unklarer Quellenaussagen empirisch oftmals freischwebenden Darstellungen der klassischen Geschichtsschreibung“.75 Den deutschen Teilnehmern des Historikerkongresses wurde mit dem Vademecum somit nicht nur ein Leitfaden als Hilfestellung für potentielle Auseinandersetzungen an die Hand gegeben, sondern ein Instrumentarium, um die polnische Argumentation in den meisten Streitfragen möglichst flächendeckend parieren und in die Defensive drängen zu können. Dabei war das Vademecum gerade auch an diejenigen Teilnehmer gerichtet, „die mit den Fragen der deutsch-polnischen historisch-politischen Auseinandersetzung weniger vertraut sind“ und sich keine Blöße geben sollten76; und die aufgrund mangelnder eigener wissenschaftlicher Beschäftigung mit jenen Fragen leichter ‚lenkbar‘ waren. Deshalb waren sowohl die polnischen Thesen als auch die deutschen Musterantworten möglichst mit Formulierungen aus der einschlägigen Literatur dargelegt, was bedeutete: Die ersten Ergebnisse der PuSte-Forschungen aus den letzten Jahren wurden der deutschen Delegation in den Mund gelegt und sowohl zur offiziellen Haltung als auch aus wissenschaftlicher Sicht zum aktuellen Forschungsstand erklärt. Dennoch gebot es „die Natur der Sache“, das Vademecum „nur zur vertraulichen persönlichen Information zu benutzen“.77 Da es den Teilnehmern erst kurz vor dem Kongress ausgehändigt wurde, konnte eine tatsächliche wissenschaftliche Diskussion – wenn sie denn überhaupt entstanden wäre – schon aus Zeitgründen nicht stattfinden. Insgesamt nahmen auf dem Warschauer Kongress die polnische Geschichte betreffende Themen großen Raum ein, wodurch das gastgebende Land so stark in den Mittelpunkt gerückt wurde wie bei keinem Kongress zuvor oder danach.78 Aber es bestand Einigkeit darin, die Diskussion der Kriegsschuldfrage möglichst zu unterlassen, weil befürchtet wurde, die zwangsläufig politische Diskussion könnte die Atmosphäre des Kongresses negativ beeinflussen.79 Dennoch konnten die deutschen Fachvertreter ihre Standpunkte gerade im Verhältnis zu Polen an den Mann bringen. Allerdings mussten sie sich oftmals für die aktuellen Vorgänge in Deutschland rechtfertigen beziehungsweise sollten inoffiziell Stellung dazu nehmen. Brandi hielt in seinem Kongressbericht fest, dass vor allem die Skandinavier und Engländer „sehr erstaunt [waren] zu hören, daß die Anschauungen und Gesinnungen der Partei auch außerhalb des jetzigen Parteigefüges, vielfach erst recht, tief empfunden werden 75

Oberkrome: Historiker, S. 85. Brackmann einleitend zum Vademecum der PuSte (GStA), BArch R 153/1704. 77 Ebd. 78 Die Teilnehmerzahl war mit 1031 Personen trotz der Weltwirtschaftskrise erstaunlich hoch, doch kamen 542 davon aus Polen, die deutsche Delegation umfasste 59 Personen. Vgl. Erdmann: Ökumene, S. 206 f. 79 Vgl. ebd., S. 202. 76

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und daß auch unter den Hochschullehrern ganz überwiegend nur dieselbe Grundanschauung herrsche“.80

Es war demnach so manchem Delegationsteilnehmer ein dringendes Anliegen, die Vorgänge in Deutschland, die im Ausland oft verwundert oder irritiert wahrgenommen wurden, oder zumindest die zugrunde liegenden Intentionen als unterstützenswert darzustellen – auch durch die Hochschullehrer als geistige und nationale Elite. Ein zwar inoffizielles, aber dennoch offensichtliches Ziel konnte auf dem Historikerkongress erreicht werden: Das die deutsche Haltung bestimmende Vademecum trug maßgeblich zur Bekanntheitssteigerung und Profilierung von Archivverwaltung und PuSte in der deutschen Wissenschaftslandschaft bei und zeigte, welch aktueller Nutzen aus deren Forschungen gewonnen werden konnte. Dabei war nicht nur die Resonanz in der Fachwelt von Belang, sondern die PuSte vermochte durch Darlegung ihrer „ideologischen Flexibilität“ gegenüber den neuen Machthabern zu punkten.81 Auch im Nachhinein noch wurde das Vademecum der Publikationsstelle als voller Erfolg gewertet, sodass für den internationalen Geografenkongress 1934 – ebenfalls in Warschau – eine Neuauflage erstellt wurde.82 Die PuSte, für die das Vademecum einen wichtigen Erfolg darstellte, belegte damit außerdem, dass ihr die politische Nutzung ihrer Forschungen durchaus bewusst war und sie diese, gewiss auch zur Selbstlegitimation, in aller Deutlichkeit betonte. Immerhin war die Erstellung des Vademecums nicht von politischer Seite initiiert oder gar befohlen worden. Auch handelte es sich hierbei keineswegs um nicht intendierte politische Nutzung von rein wissenschaftlichen Arbeiten. Vielmehr war Wissenschaft bewusst in den Dienst politischer Absichten gestellt worden, sowohl um diese zu fördern als auch um die eigene Nützlichkeit zu beweisen und die bedeutende Stellung im nationalen Wissenschaftssystem zu forcieren. Es handelte sich damit nicht um eigentlich unpolitische Wissenschaft, der ein gewisser politischer Anstrich gegeben wurde, sondern um gezielte Förderung politischer und wissenschaftspolitischer Absichten. Aber diese Absichten, und das muss erneut betont werden, waren in nicht geringem Umfang bereits vor 1933 formuliert worden, im Kern also weder neu noch genuin nationalsozialistisch. Dass nach der NS-Machtübernahme dennoch so manche Formulierung verschärft wurde, versteht sich hingegen von selbst. Neben dem Vademecum war pünktlich zum Historikerkongress eine weitere Publikation deutscher Geschichtswissenschaft erschienen, der von Brackmann herausgegebene Sammelband Deutschland und Polen. Hierin hatten die deutschen Historiker „den Versuch unternommen, die historische Betrachtung in andere Bahnen zu lenken, als sie in den letzten Jahren vielfach beschritten wur80

Zit. nach ebd., S. 201. Burleigh: Germany, S. 51. 82 Jahresbericht über die Ostmarkenforschung der Preuss. Archivverwaltung (Publikationsstelle), 2. Jahr: 1. April 1933 bis 31. März 1934, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 a, 11b. 81

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den“.83 Weiter wurde in den einleitenden Worten des Bandes dargelegt, dass man „nicht vom Gegensatze der beiden Völker ausgehen“ wolle, „sondern von der Tatsache, daß beide Völker seit über tausend Jahren in engster Raumgemeinschaft und deshalb in besonders nahen politischen und kulturellen Beziehungen gestanden haben.“ Die gemeinsame Geschichte müsse also gerade die Historiker beider Staaten dazu veranlassen, sich in den „Dienst des Verständnisses der so erwachsenen Berührungen“ zu stellen.84 Durch die nun erfolgte weitere Beschäftigung mit der gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichte sei deutlich geworden, in welchem Ausmaße diesbezüglich noch geforscht werden müsse. Deshalb bestand die Hoffnung, dass für jene künftigen Forschungen „von deutscher Seite die große durch die Preußische Archivverwaltung in Angriff genommene Aktenpublikation die bisher noch entbehrte quellenmäßige Grundlage bieten wird“.85 Diese Publikation diente als offizielle, für die (Fach-)Öffentlichkeit bestimmte Darstellung der deutschen Sicht, im Gegensatz zum internen und vertraulichen Vademecum. Gerade deshalb hatte sich Brackmann frühzeitig mit der Konzeption und Koordination der beteiligten Wissenschaftler auseinandersetzen und sich mit Vertretern der Politik absprechen müssen. Die Ausführungen hierin waren, verglichen mit den Thesen des Vademecums, recht zurückhaltend. Dennoch verdeutlicht sich die Absicht des Sammelbandes gerade dann, wenn beachtet wird, was nicht behandelt wurde. In das bilaterale Verhältnis besonders strapazierenden Aspekten, etwa der Grenz- und Auslandsdeutschen oder der vermeintlichen kulturellen Überlegenheit der Deutschen, wurde bewusst so wenig Raum gegeben wie manch anderem Punkt, der im Vademecum umso ausführlicher behandelt wurde. Das Deutsche Reich sollte in diesem Band vielmehr als „Garant des Friedens“ dargestellt werden, der imstande sei, im ‚Ostraum‘ eine „integrative und stabilisierende Rolle“ zu übernehmen.86 Brackmann hatte entsprechend festgehalten, dass aufgrund der „historisch gewordene[n] enge[n] Raumgemeinschaft“ die gemeinsame deutsch-polnische Geschichte „statt sie zur Erregung von Gegensätzen und Leidenschaften“ zu missbrauchen, diese zunächst einmal in den Dienst des Verständnisses der so erwachsenen Berührungen gestellt werden solle“.87 Hier tritt der Unterschied zum Vademecum in besonderer Deutlichkeit zutage. Die tatsächlichen Absichten blieben der polnischen Wissenschaft freilich nicht verborgen. Vielmehr wurde mit Erscheinen des Bandes jegliche Annäherung, die durch den Historikerkongress in Warschau mitunter hätte zustande kommen können, verhindert. In der Gazeta Warsawska wurde konstatiert, dass in der deutschen Veröffentlichung offene Geringschätzung und systematische Verunglimp83 84 85 86 87

Brackmann/Brandi: Vorwort, S. III. Ebd., S. III. Ebd., S. IV. Haar: Historiker, S. 144. Brackmann/Brandi: Vorwort, S. III.

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fung von Errungenschaften der polnischen Vergangenheit ihren Platz gefunden hätten.88 Die Folge war ein Verbot des Sammelbandes in Polen. Dies wiederum veranlasste Brackmann zu der pikierten Frage, ob so mancher polnische Rezensent und Kritiker der deutschen Veröffentlichung tatsächlich annehme, „dass wir deutschen Historiker uns ohne weiteres auf den polnisch-französischen Standpunkt stellen und von der gewaltigen Kulturleistung des deutschen Volkes im Osten schweigen sollten?“89 Die Antwort auf diese rhetorische Frage lieferte er gleich mit: Auch künftig werde auf die „zielbewußten Angriffe“ entsprechend reagiert, zumal diese „zuerst von polnischer Seite ausgegangen sind, und zwar seit 1922“. Gerade deshalb befinde sich Deutschland in einer „Verteidigungsstellung“.90 Was sich grundsätzlich über das Vademecum bereits angekündigt hatte, eine Verschärfung der Auseinandersetzung mit Polen auch auf wissenschaftlichem Gebiet, sollte sich wohl nicht zuletzt auch durch die Kritik an Deutschland und Polen bald in höherem Tempo und auch weniger verdeckt vollziehen.91 Doch dafür musste sich die Geschichts- wie die Archivwissenschaft zuerst ihrer eigenen Stellung im nationalsozialistischen Staat gewahr werden. Wie sich die Disziplin ab 1933 verhielt und selbst verstand, kann anhand der Fachtagungen analysiert werden und trägt zum Verständnis der weiteren Entwicklung der Ostforschung wesentlich bei, wenn in diesem Kontext Fragen nach erzwungener ‚Gleichschaltung‘ oder ‚Selbstindienststellung‘ der Archivwissenschaft gestellt werden. bb) Die deutschen Archivtage nach der Machtübernahme 1933 Im Spätsommer 1933 fand in Königsberg die Tagung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in Verbindung mit dem 24. Deutschen Archivtag statt. Auf dieser Zusammenkunft war der Berliner Bibliotheksdirektor Willy Hoppe (1880–1960) zum Leiter des Gesamtvereins und somit mittelbarem Nachfolger Paul Bailleus in dieser Funktion ernannt worden. Hoppe ließ sich nur wenig Zeit, um den Gesamtverein NS-konform zu machen, sei es durch die Einführung des ‚Führerprinzips‘, die Abschaffung von Gremienwahlen, die Herabsetzung von Leitungsorganen zu einem „Führerrat“ oder auch die Neuausrichtung des Vereinsperiodikums unter dem neuen Titel Blätter für deutsche Landesgeschichte ab 1934.92 Es kann an dieser Stelle nicht en détail auf die Transformation des Gesamtvereins samt seiner Institutionen eingegangen, aber Hoppes Worte angeführt werden, mit denen er die Verkündung der neuen Maßnahmen zur Einreihung des Vereins in die nationalsozialistische Wissenschaftslandschaft schloss: 88 89 90 91 92

Vgl. Burleigh: Germany, S. 61. Brackmann: Auseinandersetzung, S. 2. Ebd., S. 2. Siehe Kap. C. VI. 4. Vgl. Wendehorst: Gesamtverein, S. 31 f.

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„Noch einmal: wir forschen nicht um des Forschens willen! Alles für Deutschland, nur für Deutschland: in dieser Gesinnung reihen wir uns ein in das Arbeitsheer, das an dem neuen Deutschland baut“.93

Diese Losung galt nicht nur für den Gesamtverein und war erst recht nicht nur eine isoliert stehende extreme Formulierung, sondern fügte sich nahtlos ein in die Reihe der Ansagen, die so mancher Verein, manche Kommission oder wissenschaftliche Institution beinahe jeglicher Disziplin gegenüber den neuen Machthabern hervorbrachte. Auch die Archivwissenschaft stellte keine Ausnahme dar, wie sich spätestens auf den ersten Archivtagen nach der Machtübernahme zeigte. Als Brackmann am dritten September 1933 den Königsberger Archivtag eröffnete, wies er in seiner Begrüßungsansprache auf die Notwendigkeit hin, „daß sich gerade die deutschen Archivare in das politische Geschehen der Zeit einzuordnen haben, denn als Forscher in der deutschen Geschichte sind sie den Zeitereignissen besonders stark verbunden.“ Er betonte, sie seien „dem Ruf des großen Führers des neuen Deutschland“ gefolgt und hätten sich „mit ihrer ganzen Kraft in den Dienst des Vaterlandes“ gestellt. Der „Geist Treitschkes“ sei wieder lebendig geworden, „in dessen Sinne sich die deutschen Archivare stets der Pflicht bewußt sind, daß sie in erster Linie dem Vaterlande zu dienen haben“.94 Dem „Führer“ folgen, sich den „Zeitereignissen“ ergeben und sich dem „Dienst des Vaterlandes“ stellen zu wollen war allgemeiner Ausdruck dafür, wie deutlich sich die Archivwissenschaft – hier vertreten durch Albert Brackmann – bewusst war, was von ihr erwartet wurde. Doch Brackmann präzisierte weiter, indem er nicht mehr von „den Archivaren“ sprach, sondern hervorhob, dass es innerhalb der Disziplin vornehmlich die Ostforscher seien, „deren Aufgabe für Deutschland so unendlich wichtig ist“.95 Auch der Königsberger Archivar Max Hein (1885–1949), an den Brackmann die Leitung des Archivtags übergab, stellte die Ostforschung der Archivwissenschaft in den Mittelpunkt und legte dar, „daß gerade die deutsche Ostmark ein dankbares Forschungsgebiet für den Historiker darstell[e].“ Wenn zu dieser Tagung noch mehr Teilnehmer gekommen seien also wenige Jahre zuvor zum Danziger Archivtag, beweise dies, dass „die deutschen Archivare [. . . ] den Ruf der ringenden Ostmark wohl verstanden“ hätten und „ihm freudig gefolgt“ seien.96 Vor allem an jenen Ort, das Königsberger Staatsarchiv, der die Stellung „eines gegen die östlichen Nachbarn vorgeschobenen deutschen Postens“ einnehme.97 Somit widmete sich dieser Archivtag in besonderem Maße und an geschichtsträchtigem Ort den ‚Problemen des Ostens‘, die seit einigen Jahren einen expo93

Hoppe: Gesamtverein, Sp. 91 f. Deutscher Archivtag in Königsberg 1933, Bericht, in: Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 186. 95 Ebd. 96 Ebd., Sp. 187. 97 Willy Flach an das Thür. Volksbildungsministerium, 22. September 1933. Bericht über den Archivtag und die Hauptversammlung des Gesamtvereins in Königsberg. ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 132. 94

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nierten Platz auf der Agenda der Archivwissenschaft einnahmen und die auch die deutschen Historiker in Warschau umtrieben. Sollen solche öffentlichen Äußerungen unter Berücksichtigung der Vorbehalte beispielsweise in einem von Michael Grüttner erarbeiteten Raster verortet werden, zeigt sich schnell, dass diese nur einen Aspekt im Gleichschaltungsprozess darstellten. Grüttner hatte für Geisteswissenschaftler mehrere Formen und Grade der Anpassung ausgemacht: Von der Anpassung durch Ausblenden politischer Aspekte über die Angleichung des Vokabulars an die lingua tertii imperii – die Sprache des ‚Dritten Reichs‘ –, die Anpassung im außerwissenschaftlichen Bereich etwa durch Parteieintritt bis hin zur bewussten Unterordnung unter politische Ziele.98 Eine Phase des ‚Ausblendens‘ politischer Bedeutung hatte es in Archivwissenschaft und Ostforschung auch vor 1933 nicht gegeben, und über die bloße Angleichung der Ausdrucksweise an die Sprache des ‚Dritten Reichs‘ war man hinaus. In Zusammenhang mit den bereits in großer Zahl erfolgten Parteieintritten könnte bereits zu diesem Zeitpunkt davon gesprochen werden, dass weite Teile der Disziplin zumindest in den Augen der neuen Machthaber ‚gleichgeschaltet‘ waren und dafür kein umfangreicher und flächendeckender Druck nötig gewesen war. Die weitere Politisierung von Archivwissenschaft und Ostforschung schritt zudem zügig voran und hatte nicht erst 1933 initiiert werden müssen. Dennoch lassen sich diese Befunde nur allgemein festhalten und können nicht ohne Weiteres auf sämtliche Vertreter der Disziplin in gleichem Maße angewendet werden. Im Vergleich zu den einleitenden Worten Brackmanns, der eher nebulös auf die notwendige Einordnung der Archivare in das politische Zeitgeschehen hingewiesen hatte, wurden auch bereits konkrete Überlegungen präsentiert. Es ging keineswegs mehr um bloße Lippenbekenntnisse zu den neuen Machthabern und eine pro forma geäußerte Anpassung an einen neuen Geist in der Wissenschaft, sondern tatsächlich um konkrete Vorschläge zu einer gelungenen und dem Selbstverständnis der Zeit entsprechenden Indienststellung der eigenen Disziplin. Ermöglicht wurde dies in erster Linie durch die bereits seit Jahren intensiv erfolgende Beschäftigung mit Fragen und Problemen der Ostforschung. Einen weiteren diese Entwicklung begünstigenden Aspekt betonte der am Staatsarchiv Königsberg tätige Erich Weise: „Die ursprüngliche Abneigung des deutschen Archivars, sich in politischen Angelegenheiten einzumischen, hat sich gewandelt.“ Nicht nur, dass sich ‚der Archivar‘ aus seiner unpolitischen Sphäre begeben habe, nein, „als Bewahrer staatlicher und nationaler Rechtssätze ist er zum Herold der nationalen Sache geworden“. Außerdem sei dies keineswegs eine ganz neue Entwicklung, sondern schon die Gründung des Ostland-Instituts habe „die tätige Anteilnahme der Archivare am deutschen politischen Leben“ bewiesen.99 98

Vgl. Grüttner: Verlust, S. 7 f.; zur Sprache des Dritten Reichs und einiger paradigmatischer Begrifflichkeiten vgl. u. a. Klemperer: LTI, S. 302–313. 99 Deutscher Archivtag in Königsberg 1933, Bericht, in: Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 188.

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Wenn bei früheren Überlegungen im Hinblick auf polnisch-deutsche Streitfragen bereits das Augenmerk nicht nur auf der „Abwehr“, sondern auch auf offensivem Vorgehen lag, fand dies bei Weise seine Fortsetzung, als er den „Nachweis positiven deutschen Kulturguts im Grenzgebiet“ für noch wichtiger erachtete als jene „Abwehr“. Ruft man sich die Intentionen der PuSte in Erinnerung, fügen sich Weises Ausführungen, wenngleich nun etwas pointierter nationalistisch formuliert, in jenes Konzept nahtlos ein. Was sich verändert hatte, fasste er prägnant zusammen: „Weil Volkstum und Staatsgedanke und der entschiedene Wille zur völkischen Behauptung lebendig bleiben müssen, haben die deutschen Archivare das neue Deutschland des 30. Januar voll und ganz bejaht. Im Geist des Dritten Reiches wirken sie mit dem Volk für das Volk“.100

Auf dem ersten Archivtag nach der NS-Machtübernahme stellte dies bei Weitem das eindeutigste Bekenntnis zu den neuen Umständen dar – bezeichnenderweise nicht von höchster archivarischer Instanz, sondern durch einen Staatsarchivrat. Die Worte Weises dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass durchaus auch weniger politische Themen auf der Tagungsordnung standen und fachliche, genuin archivwissenschaftliche Fragestellungen diskutiert wurden. Dafür aber, dass die Bedeutung des Archivtags im Zeichen der Ostfragen nicht vergessen werden konnte, sorgten neben Vorträgen von Archivaren auch Verlautbarungen politischer Instanzen. Bestrebungen und Ansichten, die in Archiv- und Geschichtswissenschaft bis dahin vorhanden waren, aber meist nicht in dieser Deutlichkeit begründet wurden, erfuhren dadurch die ausdrückliche Legitimation in einer ganz neuen Dimension. Inwieweit dies in der Disziplin aufgenommen wurde, sollte sich in den folgenden Jahren zeigen; schon auf dem nächsten Archivtag 1934 war der „neue Geist“ in der Archivwissenschaft angekommen, wie sich an Brackmanns dort gehaltener Ansprache zeigte. Er eröffnete diese Tagung „in einem Zeitpunkt, mit dem spätere Geschlechter ein neues Kapitel unserer vaterländischen Geschichte beginnen werden“, denn nicht nur „das deutsche Volk in seiner überwältigenden Mehrheit“ habe sich zum Führer und Reichskanzler bekannt, sondern auch „wir Beamten haben ihm den Eid geschworen, der uns verpflichtet, an unserem Teile zum Aufbau des neuen Deutschlands mitzuwirken, den der Führer und Kanzler sich zum Ziele gesetzt hat.“ Dieser „Kampf um Deutschland ist auch der unsere“, deklamierte Brackmann weiter, und die deutschen Archivare seien bereit, dafür „alle unsere Kräfte und all unser berufliches Können“ einzusetzen. Bedingt sei diese Mitarbeit schon durch den Auftrag der Archivare, „die Schatzkammern der völkischen und nationalen Geschichte zu hüten und ihre traditionellen Kräfte und ihr reiches geistiges Rüstzeug der kämpfenden Generation von heute darzubieten“. Wenn er diese einleitenden Worte damit schloss, dass die deutschen Archivare dem Führer mit dem Rufe „Sieg Heil!“ huldigen würden, spricht dies zwar einerseits eine eindeutige 100

Ebd.

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Sprache, verdeutlicht andererseits aber auch ein Dilemma der NS-Historiografie allgemein und speziell der Wissenschafts- und Disziplingeschichte.101 Selbst wenn diese Worte dazu verleiten mögen, der Archivwissenschaft den Stempel einer ‚nazifizierten‘ Disziplin aufzudrücken, so ist dies in mehrerlei Hinsicht vorschnell und nicht unproblematisch. Erstens findet sich kaum eine Disziplin, für die sich nicht ähnliche Verlautbarungen ihrer Exponenten aus den Jahren 1933/34 nachweisen ließen. Daraus zu schließen, dass sich alle diese Disziplinen – oder auch Vereine oder sonstigen Gruppierungen – zur gleichen Zeit und in vergleichbarem Maße der NS-Doktrin unterwarfen und ‚nazifiziert‘ wurden oder sich ‚selbst nazifizierten‘, ist offensichtlich problematisch und erschwert eine nötige Binnendifferenzierung. Zweitens stellt sich die Frage, inwieweit eine öffentliche, indirekt auch geforderte oder zumindest erwartete Verlautbarung zugunsten des NS-Regimes als Ausdruck der kollektiven Meinung und Haltung einer Disziplin gewertet werden kann. Denn nicht selten findet sich nach 1945 die gegenteilige Behauptung, nämlich dass solche Äußerungen bloße Lippenbekenntnisse gewesen seien, die abzugeben man sich verpflichtet fühlte und welche die Grundlage schaffen sollten, um in der Folgezeit ungehindert und unpolitisch arbeiten und forschen zu können. Brackmann führte dennoch aus, dass die deutschen Archivverwaltungen bereits „begriffen“ hätten, „daß eine neue Zeit auch für sie heraufzieht“ und sie seien bemüht, dieser gerecht zu werden. Von großer Wichtigkeit sei es, zu verdeutlichen, dass „die alte landläufige Vorstellung von dem Archivar als einem grillenhaften Hüter toter verstaubter Papiere“ längst der Vergangenheit angehöre. Vielmehr hätten die Archivare „unter der Menge der geistigen Kämpfer für Volk und Heimat stets ihren Mann gestanden“.102 Dem Gelehrtentum fühlten sich die Archivare durchaus zugehörig, betonten in jenen Zusammenhängen immer auch die eigene Nützlichkeit als Experten für konkrete, mithin politische Aufgabenstellungen. Die Archivwissenschaft habe zwar bereits viel erreicht, müsse sich dadurch aber auch neuen Anforderungen stellen sowie weitere, nun erst realisierbare Möglichkeiten nutzen, nicht zuletzt zur Sicherung des eigenen Status. Berücksichtigt man die disziplinäre Vorgeschichte der 1920er Jahre, offenbart sich, wie sehr die selbstbewusste Darstellung der eigenen Bedeutung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme forciert wurde, sich in der Sache allerdings zunächst keine wirklich neuen Aufgabenfelder ergaben. Die Brackmannsche Darstellung der Archivwissenschaft war demnach in erster Linie eine verbale Selbstindienststellung, welche die eigenen Möglichkeiten und die Bereitschaft zur Mitarbeit an neuen Aufgaben betonen sollte. 101 Ansprache Brackmanns, Archivtag in Wiesbaden 1934. Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 82 f.; veröffentlicht auch in der AZ, vgl. Brackmann: Eröffnungsansprache. 102 Ansprache Brackmanns, Archivtag in Wiesbaden 1934. Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 83 f.

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Der Zeitpunkt wurde für überaus günstig gehalten, um so die ganze Disziplin aufwerten zu können. Man nahm die Möglichkeit wahr, sich mit einer geschickten Argumentation ins rechte Licht zu rücken, indem zwei mögliche Entwicklungen skizziert wurden, zwischen denen gewählt werden müsse: „entweder der Staat verzichtet auf ein geordnetes Aktenwesen und das damit innerlich zusammenhängende Archivwesen; dann aber würde er sich aus der Reihe der Kulturstaaten herausstellen“, oder aber, „will der Staat das nicht“, so gebe es nur eine andere Möglichkeit, „er stattet die Archive so aus, daß sie ihre staatlichen Funktionen erfüllen können. Diese aber wachsen, wie gesagt, von Jahr zu Jahr“.103 Brackmann spielte hiermit unverhüllt auf wesentliche Aspekte an: Zum einen auf das Reichsarchivalienschutzgesetz, dessen Umsetzung er sich nun endlich erhoffte – „dieses Gesetz wird die erste große Manifestaion des neuen Geistes unserer Staatsverwaltung auf dem Gebiete des Archivwesens sein.“ Zum anderen drängte er, indem er die stetig wachsenden Aufgaben der Archivverwaltungen und deren staatliche Funktion betonte, auf eine Verbesserung der Personalsituation, die nur in einer Erhöhung der Beschäftigtenzahlen liegen könne.104 Wenn Brackmann mehr Personal für die deutschen Archive forderte, konnte er dies mit Verweis auf die aktuellen Umstände tun, die seit der NSMachtübernahme und seit Erlass des Berufsbeamtengesetzes Einzug in die Archive gehalten hatten: „Die schlagartig einsetzende Arbeitsvermehrung, die vor etwa 1 1/2 Jahren bei den Archiven eintrat und zuweilen minder aktuelle, aber nicht minder wichtige Funktionen des Archivdienstes gänzlich stillegte, wurde, wie schon angedeutet, durch die familien- und sippenkundlichen Forschungen (den Ariernachweis) und durch die Erbhofforschung veranlaßt. Es sind nicht die einzigen, aber die äußerlich eindrucksvollsten Auswirkungen des nationalsozialistischen Staats- und Lebensgefühls im Bezirk der Archive. Als Leiter der größten deutschen Archivverwaltung kann ich bezeugen, mit welcher aufopfernden Hingabe die deutschen Archivare die übermäßige Belastung freudig getragen haben“.105

Er zielte bei der Erwähnung des Ariernachweises auf einen Aspekt des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ab. Denn um ihre ‚arische Abstammung‘ zu belegen, mussten nicht nur die Archivare des höheren Dienstes, sondern sämtliche deutschen Beamten und ab 1934 auch sämtliche Arbeiter und Angestellten des Reichs entsprechende Nachweise vorlegen. Wenn vorhan103 Ansprache Brackmanns, Archivtag in Wiesbaden 1934. Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 84 f. 104 Ebd., Sp. 86. 105 Ansprache Brackmanns, Archivtag in Wiesbaden 1934. Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 87. In Bezug auf die „wichtig(er) werdende Erbhofforschung“ war die preuß. Archivverwaltung bereits 1933 mit den entsprechenden Stellen in Verbindung getreten. Vgl. Memorandum der preuß. Archivverwaltung betr. die Aufgaben des Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern in ihren Rückwirkungen auf das staatliche Archivwesen und die erforderliche Zusammenarbeit zwischen dem Sachverständigen f. RF und der Archivverwaltung, (November) 1933. BArch N 1333/52.

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den, diente hierfür eine beglaubigte Ahnentafel; anderenfalls musste der Betroffene sieben Geburtsurkunden (die eigene sowie die der Eltern und Großeltern) und die drei Heiratsurkunden der Eltern und Großeltern beglaubigen lassen und vorlegen. Die Bestimmungen des im September 1933 erlassenen Reichserbhofgesetzes106 erweiterten die Anforderungen um die Nachweise des Antragstellers und des Ehepartners bis zum Jahr 1800 zurück, denn Bauer konnte nur sein, „wer deutschen oder stammesgleichen Blutes ist“, und dies war nicht der Fall für denjenigen, der „unter seinen Vorfahren väterlicher- oder mütterlicherseits jüdisches oder farbiges Blut hat“.107 Für SS-Mitglieder ab einer bestimmten Rangstufe ging die Nachweispflicht sogar bis zum Jahr 1750 zurück. Für die Archive bedeutete dabei sowohl der formale Akt der Beglaubigung als auch das drastisch erhöhte Benutzeraufkommen in den Archiven zur Ahnenforschung einen enormen Anstieg ihres Arbeitspensums.108 Dabei handelte es sich nicht um ein Phänomen, das für kurze Zeit intensive Auslastung der Archive bedeutete, sondern sich in den folgenden Monaten und Jahren zu einem derart ernsthaften Problem entwickelte, dass sich Preußen Ende 1935 zum Erlass eines „Sofortprogrammes“ gezwungen sah, um die Missstände zu beheben: „Das Mißverhältnis, das in der Preußischen Archivverwaltung zwischen der ständig anwachsenden Benutzung und den vorhandenen Arbeitskräften besteht, hat bei den besonders stark beanspruchten Staatsarchiven einen Krisenzustand heraufgeführt, der ein sofortiges Eingreifen erfordert, damit nicht eine völlige Verwirrung eintritt“.109

Das personelle Dilemma betraf die meisten, wenn nicht gar sämtliche Staatsarchive; in Koblenz verschlechterte sich die Lage „von Tag zu Tag. Die Kreise, aus denen der Ariernachweis verlangt wird, nehmen dauernd zu“110, und aus Marburg wurde der Antrag auf zusätzliche Angestellte damit begründet, dass es kaum tragbar erscheine, „für eine Stundenarbeitsleistung mindestens 2,50 RM auszugeben, wenn die gleiche Arbeit für 0,60 bis 0,75 RM getan werden kann“.111 Diese neuen Anforderungen an Archivwesen und -wissenschaft wirkten sich nicht nur 106 Vermittels des Reichserbhofgesetzes sollte „unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten“ werden. Hierfür wurden Höfe einer bestimmten Mindest- und Höchstgröße, um sie vor „Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang“ zu schützen, zu Erbhöfen erklärt, die ungeteilt auf den Anerben übergehen sollten. Vgl. Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933. RGBl. 1933 I, S. 685–692. Vgl. Münkel: Agrarpolitik, S. 112–119. 107 Reichserbhofgesetz, §13. RGBl. 1933 I, S. 686. 108 Dass für die Nachweise und Beglaubigungen der Heirats-, Geburts- oder Taufurkunden auch die Kirchen eine wesentliche Rolle spielten, liegt auf der Hand, kann an dieser Stelle aber nicht eingehend dargestellt werden. Vgl. dazu Gailus: Amtshilfe. 109 Preuß. Ministerpräsident an Finanzministerium, betr. ‚Sofortprogramm‘, 24. Dezember 1935, Anlage: Auszug aus dem Bericht des Staatsarchivs Koblenz vom 10. Dezember 1935 Nr. 6726. BArch N 1333/50, Hervorhebung im Original. 110 Ebd. 111 Preuß. Ministerpräsident an Finanzministerium, betr. ‚Sofortprogramm‘, 24. Dezember 1935, Anlage: Auszug aus dem Bericht des Staatsarchivs Marburg vom 10. Dezember 1935 Nr. 7596. BArch N 1333/50.

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unmittelbar auf das zu leistende Arbeitspensum aus, sondern zogen auch eine Diskussion um das wissenschaftliche Selbstverständnis der Archivare und deren Aufgaben nach sich. Schon Ende 1933 hatte die Archivverwaltung bekannt, dass „der politische Wille im neuen Reich [. . . ] auf der grundlegenden Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse auf[baue]“ und deshalb die Rassenforschung jede nur mögliche Förderung verdiene, allerdings nicht zu Lasten der „Oberhoheit“ der Archive über die entsprechenden Akten. Denn setze erst die Sammlung von Archivmaterial außerhalb der Archive ein, werde „die Gefahr einer Über- und Desorganisation heraufbeschworen“, und eine solche „Verwaltungsdesorganisation“ gelte es zu vermeiden.112 Offensichtlich wurde sowohl mit der eigenen wissenschaftlichen Stellung und Bedeutung argumentiert als auch mit der gefestigten und bewährten Verortung in der Verwaltungsbürokratie. Es zeigte sich, dass die Archivverwaltungen in den ersten Jahren nationalsozialistischer Herrschaft sowohl Chancen als auch Risiken auf sich zukommen sahen, diese aber vehement zu nutzen beziehungsweise abzuwehren versuchten. Für die Möglichkeit, den Einflussbereich der Archive ausweiten zu können, wurden teils ältere Vorhaben neu angegangen, nun aber in einem entsprechend anderen Jargon formuliert und auf eine Weise begründet, die zeitgemäß erschien. Wo die Archivare sich durch neue Entwicklungen und Einrichtungen bedroht sahen, gingen sie entschieden gegen den drohenden Bedeutungsverlust vor. Dabei wurde von den Akteuren geschickt argumentiert, indem einerseits die immense Bedeutung der Sippen- und Rassenforschung hervorgehoben, andererseits aber betont wurde, dass gerade die Archive hierfür prädestiniert seien. Auf diese Weise wurde versucht, aus den Zeitumständen das Beste für die Archive herauszuholen, keineswegs Bedeutungsverluste hinzunehmen, sondern von den neuen Machthabern in möglichst hohem Maße profitieren zu können. Verbale Anpassung war hierfür nötig, doch reichte dies allein nicht aus. Inhaltliche Zugeständnisse wurden in den Auseinandersetzungen oftmals ohne zu Zögern gegeben, wenn die eigene Position dadurch vor einer Schwächung bewahrt werden konnte. Diese Anpassungen in der fachlichen Ausrichtung und verbale Anbiederungen wurden freilich von den etablierten Fachvertretern vorgenommen, die durch ihre Ämter entsprechenden Einfluss ausüben konnten, sämtlich aber den älteren Generationen der aktiven Archivare angehörten. Ob und wie sich diese Bemühungen auf die Ausbildung des facheigenen Nachwuchses niederschlugen, muss deshalb gesondert betrachtet werden.

112 Memorandum der preuß. Archivverwaltung betr. die Aufgaben des Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsministerium des Innern in ihren Rückwirkungen auf das staatliche Archivwesen und die erforderliche Zusammenarbeit zwischen dem Sachverständigen f. RF und der Archivverwaltung, (November) 1933. BArch N 1333/52.

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b) Das IfA nach der Machtübernahme Wurde bislang das Augenmerk darauf gelegt, wie die Archivwissenschaft auf die veränderten Umstände nach der nationalsozialistischen Machtübernahme reagierte, muss im weiteren Verlauf sowohl auf einzelne Exponenten der Disziplin ebenso eingegangen werden wie auf die Frage nach eventuellen Transformationen der Ausbildung sowie generell des archivarischen Nachwuchses. Das Berliner IfA als Ausbildungsstätte angehender Archivare spielte weiterhin die zentrale Rolle und konnte seine Bedeutung steigern, denn es war „längst nicht mehr bloss eine staatlich-preussische Einrichtung geblieben, sondern eine gesamtdeutsche Institution geworden“, aus der das Reichsarchiv wie auch andere deutsche Länder Archivare rekrutierten.113 Außerdem wurde im Bericht zum ersten Kurs seit 1933 die erweiterte Konzeption des IfA betont, das eben nicht nur Angehörige des höheren Dienstes aus-, sondern auch Historiker „historisch-archivalisch“ fortbilden sollte. Dadurch wollte das Institut „zu einer wichtigen Keimzelle für die lokale, provinziale und landesgeschichtliche Forschung“ werden. Zudem diente es damit der „geistige[n] Seite des nationalen und völkischen Lebens“ und knüpfte unmittelbar an „die Eigenart und Entwicklung von Staat und Volk“ an. Erneut wurde die eigene Relevanz mit allgemeiner, über Fachgrenzen hinausreichender Bedeutung begründet, da eben diese „Doppelseitigkeit“ des Instituts verhindere, „dass unsere Arbeit zu einem für breitere Kreise bedeutungslosen Spezialistentum herabsinkt“.114 Wo möglich, wurde demnach Etabliertes den zeitgemäßen Anforderungen entsprechend hervorgehoben, aber auch Neuerungen wie die Sippenforschung hielten Einzug in die Lehrpläne. Dies waren nur die offiziellen Äußerungen, die sich auf konzeptionelle Aspekte bezogen und die Legitimität und Sinnhaftigkeit des IfA betonten. Intern schien es kaum große Veränderungen oder gar Umbrüche gegeben zu haben. Wolfgang A. Mommsen115, Absolvent des IfA, hielt gut drei Jahrzehnte später fest, dass zu dieser Zeit der Nationalsozialismus „sein Medusenhaupt erst zum Teil enthüllt“ hatte und es wohl auch deshalb „1933/34 zumindest in der Archivschule niemals Schwierigkeiten politischer oder anderer Art zwischen uns gegeben“ habe, und das, „obwohl Kollegen von uns – es waren nur einige wenige – überzeugte Mitglieder der NSDAP waren“.116 Zumindest in den ersten Jahren gehörten jedoch die meisten Kursteilnehmer der SA an.117

113 Bericht über die wissenschaftliche Tätigkeit des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung im Studienjahr 1933/34. HStA Marburg, 156e/651, Hervorhebung im Original. 114 Ebd. 115 *1907, 1927–1933 Studium der Sprachen des Alten Orients und Geschichte in Heidelberg und Berlin; 1933 Promotion bei Hermann Oncken, 1933/34 IfA. Vgl. Booms: Mommsen. 116 Mommsen: Posner, Sp. 221. 117 Vgl. Puppel: Ausbildung, S. 353.

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Brackmann wiederum betonte, dass „das wissenschaftliche Leben des Instituts im verflossenen Studienjahr [. . . ] keinerlei Veränderungen zu erfahren brauchte“.118 Wohl auch, weil neue Anforderungen in vieler Hinsicht keine Neuerungen darstellten beziehungsweise keine Umstrukturierung erforderten. Doch auch auf das Ausbildungsinstitut wirkten sich die veränderten Rahmenbedingungen spürbar aus. Da in den letzten Jahren der Arbeitsaufwand und damit der Personalbedarf der Archivverwaltungen enorm angestiegen war – seit „durch die neue Einstellung von Volk und Regierung gegenüber allen historisch-traditionell bedingten Kräften, wie sie sich besonders in der Heimat- und Landesgeschichte sowie in der Sippen- und Familienforschung darstellen“119 –, ergriff das IfA die Maßnahme, mehr Teilnehmer als bisher für die kommenden Kurse zuzulassen. Die Teilnehmer des vierten Kurses waren zwischen 1903 und 1911 geboren und gehörten somit der Kriegsjugendgeneration an. Stellvertretend für diesen Kurs wird die Biografie Karl Ernst Demandts bis zu seiner Zeit am IfA betrachtet. Demandt wurde 1909 im „deutschen Schutzgebiet“ auf Samoa geboren, wo sein Vater eine Kakaoplantage bewirtschaftete. Dort verbrachte er nur die ersten Lebensjahre, bis seine Mutter mit ihm aufgrund verschiedener Erkrankungen der beiden 1911 nach Deutschland zurückkehrte. Die Mutter verließ Deutschland bereits 1913 wieder, und bis zur Rückkehr der Eltern war Demandt bei Verwandten untergebracht. Er selbst hielt später fest, diese Zeit sei eine Zeit von „Schatten und Schmerzen“ gewesen.120 Nachdem er während des Ersten Weltkriegs die Volksschule besucht hatte, machte er 1928 an einem Lüdenscheider Gymnasium das Abitur. Zu dieser Zeit hatte seine politische Sozialisation bereits Gestalt angenommen. Am Gymnasium war ein „streng nationaler Lehrer“ zur Leitfigur des jungen Demandt geworden, der sich bereits mit 16 Jahren „eindeutig der politischen Rechten“ zugewandt hatte, von der er sich „Halt und Sicherheit“ versprach.121 Dies schien keine zeitweilige jugendliche Verirrung zu sein, ging er doch bereits 1927 so weit, zusammen mit anderen Mitschülern in die örtliche NSDAP einzutreten und sich für diese – zumindest im Rahmen seiner Möglichkeiten – zu betätigen, indem er Flugblätter verteilte und an Ortsgruppenabenden teilnahm. Von der NSDAP hatte er sich „eine andere, eine bessere politische Zukunft“ erhofft, wenngleich er dies später als jugendlichen Leichtsinn abtat; dennoch war er, auch wenn er ab Beginn seines Studiums keine Beiträge mehr bezahlte, nicht offiziell aus der Partei ausgetreten.122

118 Brackmann, IfA – Allgemeine Ausführungen 1933/34, 31. Mai 1934. GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 241. 119 Ebd. 120 Zit. nach Menk: Demandt, S. 27 f. 121 Vgl. ebd., S. 32, 35. 122 Vgl. ebd., S. 35 f. Allerdings wurde er, wie ein Schreiben der Reichsleitung an die Gauleitung Hessen-Nassau-Nord vom 26. Oktober 1933 belegt, seit Mai 1928 als abgemeldet geführt. BArch (ehemals BDC), PK B 262, Demandt, Karl E., *1909.

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1928 hatte Demandt begonnen, in Tübingen Deutsch, Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren, und so einfach die Formalitäten bei der Einschreibung zu erledigen waren, umso schwieriger gestaltete sich seine Zimmersuche, „denn 1928 war das Jahr, in dem die Studentenziffern sprunghaft anstiegen und an einigen Universitäten der 2000. beziehungsweise 4000. Student gefeiert wurde“.123 Die ‚Überfüllungskrise‘ der deutschen Hochschulen war auch hier bemerkbar geworden. Zunächst war Deutsch sein Hauptfach gewesen, doch dies änderte sich nach dem ersten Semester, als er stattdessen die mittelalterliche Geschichte zum Hauptfach machte, nachdem er Vorlesungen bei Johannes Haller124 gehört hatte, die für ihn ein „nie wieder übertroffene[s] Erlebnis“ waren.125 Seinen Wechsel zur Geschichte bezeichnete Demandt rückblickend als „unvorhersehbare[n], weitwirkende[n] Glücksfall“, der ihm später erlauben sollte, seine Neigung mit dem Beruf zu verbinden.126 Eine feste Berufsabsicht hatte er zu Beginn seines Studiums noch nicht, es stand für ihn lediglich fest, dass er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen während der Schulzeit nicht Lehrer werden wollte. Eine andere Entscheidung hatte Demandt bereits während der Schulzeit getroffen; er wollte am Studienort in eine Korporation eintreten. Für diese Entscheidung führte er zwei Gründe an: Zum einen sehnte er sich „nach einem anderen Menschenkreis“, da er während seiner Gymnasialzeit „in Lüdenscheid als Pensionär in einem Hause mit so desolaten Familienverhältnissen [hatte] leben müssen“, und zum anderen interessierte er sich für die Geschichte der Deutschen Burschenschaft, während er die Corps „aus gesellschaftspolitischen Gründen“ ablehnte.127 Unter den Tübinger Burschenschaften entschied Demandt sich für die Derendinger128, da diese auf ihn „durch ihre Erscheinungen und ihr Auftreten“ den größten Eindruck machten und ihm „geradezu als Verkörperung jenes Kreises junger Menschen [erschienen], den ich suchte“.129 In dieser Gemeinschaft erleb123

Demandt: Derendinger, S. 21. Der 1865 geborene Haller war streng deutschnational, lehnte die Weimarer Republik ab und durfte dem jungen Demandt somit auch politisch durchaus nahestehen. Vgl. Müller: Haller; vgl. Volkmann: Haller. 125 Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 1. 126 Ebd. 127 Demandt: Derendinger, S. 22. Gaben sich die Corps grundsätzlich unpolitisch und überparteilich, bezeugten sie dennoch ihre Sympathien für die Monarchie wie sie der Republik skeptisch gegenüberstanden. Die deutschnationale Grundhaltung vieler Corps wurde nicht als Bekenntnis zu bestimmten Parteien verstanden. Die Burschenschaften, für die Demandt sich entschied, waren hingegen dezidiert politisch. Auf die Geschichte der Corps, der Burschenschaften und die nötigen Binnendifferenzierungen kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, zumal für eine genauere Einschätzung die Dachverbände et cetera berücksichtigt werden müssten. Vgl. u. a. Hümmer: Corps; vgl. Biastoch: Corps; vgl. Schmidt-Cotta/Wippermann: Corps; Balder: Geschichte; Brunck: Burschenschaft. 128 Zur Derendingia und den anderen Tübinger Burschenschaften vgl. Balder: Burschenschaften, S. 379–386. 129 Demandt: Derendinger, S. 22. 124

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te Demandt sowohl einen gepflegten „großbürgerlichen Habitus“ als auch „einen allgemeinen Grundkonsens gesellschaftlicher Formen, persönlichen Verhaltens und nationalen Empfindens, die so selbstverständlich waren“, dass sie in der Gemeinschaft „weder einer Erörterung, Betonung oder gar Rechtfertigung bedurften“.130 Die Mensuren wurden als notwendig erachtet und „die unbedingte Genugtuung für erforderlich [gehalten], um seine angegriffene oder verletzte Ehre mit der Waffe verteidigen oder wiederherstellen zu können“, da „Mut und Ehre noch keine abgestorbenen Begriffe, sondern Elemente unserer Lebensauffassung waren“. Demandt focht in seiner Aktivenzeit „nicht weniger als 13 Schlägerpartien“ und sah darin rückblickend „als Gewinn die damit unzweifelhaft verbundene Willensschulung und -stärkung“, die ihm in den „wirklichen Mut- und äußersten Haltungs- und Kraftproben“ des Zweiten Weltkriegs zugute gekommen seien.131 Neben diesen einschneidenden Erfahrungen verdankte er seiner Zeit in der Burschenschaft vieles und war dankbar, „daß man mir half, meine noch bestehenden Unsicherheiten zu überwinden“, da er größtenteils getrennt von seinen Eltern aufgewachsen war und sich dadurch „recht und schlecht selber [hatte] beibringen müssen, was man von einem ‚höheren Schüler‘ erwartete“.132 Neben diesen persönlichen Erfahrungen gab es auch politische Diskussionen, die sein Burschenleben prägten. Die Derendingia sah sich dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) verbunden und zeigte auslandsdeutsches Engagement, „insbesondere nach der vom Versailler Diktat trotz gegenteiliger Abstimmungsergebnisse erzwungenen Abtretung deutscher Gebiete. Das war unvergessen“.133 Nach sechs Semestern in Tübingen wechselte er schließlich nach Marburg. Als sich sein Studium dem Ende nahte, wurde er von einem Bundesbruder, dem Archivrat Karl Hörger, auf den Beruf des Archivars aufmerksam gemacht, von dem er dem eigenen Bekunden nach zu dieser Zeit „keine Ahnung“ gehabt hatte.134 Allerdings gab es „merkwürdigerweise [. . . ] unter den Derendingern auch einige Vertreter der seltenen Spezies der Staatsarchivare“.135 Hörger nahm ihn mit auf das Marburger Schloss, wo sich zu dieser Zeit noch das Staatsarchiv befand, und als Demandt es eineinhalb Stunden später verließ, stand für ihn fest, dass er sein „Lebensziel“ gefunden hatte. Er richtete von da an seinen Studienplan auf dieses Ziel aus und wurde Schüler Friedrich Küchs, der das Marburger Archiv geleitet hatte und nun noch als Honorarprofessor Hilfswissenschaften und Landeskunde lehrte. Von diesem bekam er auch ein Dissertationsthema gestellt, das umfangreiche Archivarbeiten voraussetzte. Demandt arbeitete über die Verfassungsgeschichte der Stadt Fritzlar im Mittelalter, was sich als „Glücksfall“ herausstellte, 130 131 132 133 134 135

Demandt: Derendinger, S. 24. Ebd., S. 25. Ebd., S. 40. Ebd., S. 23. Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 1. Demandt: Derendinger, S. 23.

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da er hierdurch einen Auftrag der Historischen Kommission für Hessen erhielt, „mittelalterliche Rechtsquellen der Stadt zu bearbeiten, in ihrer Publikationsreihe zu veröffentlichen und damit in die wissenschaftliche Welt mittelalterlicher Quelleneditionen einzutreten“.136 Somit hatte er sich bereits in der Endphase seines Studiums in die breite Riege der Archivare eingereiht, die sich erste wissenschaftliche Sporen in Quelleneditionen verdienten. Mögen die Ausführungen Demandts gerade bezüglich seiner ‚Rekrutierung‘ für den Archivarsberuf romantisierend erscheinen, war sein Ausbildungsgang wie auch seine akademische Sozialisation eine unter vielen Vergleichbaren innerhalb der Disziplin und seiner Generation. Nachdem er seine ‚sehr gut‘ bewertete Dissertation sowie zwei Empfehlungsschreiben der Professoren Küch und Stengel vorzuweisen hatte, konnte er sich am IfA für die Archivarsausbildung bewerben. Ende Februar 1934 reiste er deshalb nach Berlin, wo er bei einem Bundesbruder wohnen konnte, der mit ihm am ersten Abend sogleich die Stadt zeigte und „alles an Lokalen und Unterhaltungen bot, was man einem ahnungslosen westlichen Provinzler vorführen konnte.“ Das Resultat dieser Begrüßung war, dass Demandt am nächsten Tag mit einem „waschechten Katzenjammer“ in Dahlem vorstellig wurde, um mit Brackmann sein Aufnahmegespräch zu führen. Ergebnis dieses Gesprächs, das einer „nicht ungefährlichen Prüfung glich“, war die mündliche Zusage für die Aufnahme in den nächsten IfA-Kurs unter der Voraussetzung, bis dahin das Staatsexamen „mit Prädikat“ abgelegt zu haben.137 Dies schaffte er im Juli 1934, und so konnte er im Oktober mit seinem ebenfalls am IfA angenommenen Studienfreund Hans Weirich (*1909) nach Dahlem ziehen. Dort angekommen plagte ihn zunächst die Sorge, trotz seines erfolgreich verlaufenen Studiums nicht genügend auf die Anforderungen des Instituts vorbereitet zu sein, da er gelesen hatte, „daß das staatliche Archivexamen nächst dem chinesischen Mandarinexamen das schwerste der Welt sei!“138 Eine Befürchtung indes, die sich bald als unbegründet herausstellte, da die hilfswissenschaftliche Vorbildung der meisten Teilnehmer nicht sehr ausgeprägt war und die Marburger Schüler Stengels einen wesentlichen Vorsprung hatten. Neben Demandt und Weirich nahmen zwei weitere Marburger Kommilitonen am selben Kurs teil: Eberhard Crusius (*1907) und Wolfgang Müller (*1903), „die die Aufnahme in den Kurs gerade noch geschafft hatten.“ Diese vier „verkörperten in ausgeprägtem und bewußtem Maße die ‚Marburger Schule‘“.139 Lediglich vier weitere Kursteilnehmer kamen „aus dem Westen“, gut die Hälfte des Kurses hatte an östlichen Universitäten studiert.140 136

Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 2. Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 3. 138 Ebd., S. 4. 139 Ebd., S. 4 f. 140 Die Teilnehmer aus dem ‚Westen‘ waren Edith Ennen, Otto Graf von Looz-Corswarem, Gerhard Schrader, Günther Möhlmann sowie als Gasthörer Hans Kück; von östlichen Universitäten ka137

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Demandts hohe Erwartungen an den IfA-Kurs wurden bald enttäuscht, sowohl durch die unterschiedlichen Kenntnisse und Qualitäten der übrigen Teilnehmer als auch durch die stark variierenden Voraussetzungen der Lehrer nach „ihrer Persönlichkeit, ihrer wissenschaftlichen Befähigung und ihrem Lehrvermögen“; „von der pädagogischen Ungeschicklichkeit mancher dabei noch ganz abgesehen“.141 Der starke Eindruck, den Haller auf Demandt gemacht hatte, konnte nicht überboten werden, „weder Stengel in Marburg noch der sehr eloquente Brackmann in Berlin erreichten ihn, Stengel, der doch einen großen Namen als Mediävist hatte, nicht einmal von weitem“.142 Vom Polnischunterricht, der aufgrund der „uns gegen alles Völkerrecht aufgezwungene (Versailler) Ostgrenze Deutschlands und die daraus erwachsenen wissenschaftlichen Kontroversen mit Polen“ obligatorisch war, wurden Demandt und Weirich befreit, da sie zu dieser Zeit bereits wissenschaftliche Aufträge hatten – im Falle Demandts die Edition der Fritzlarer Rechtsquellen.143 Dennoch herrschte innerhalb des Kurses eine „kameradschaftliche Verbundenheit“, die zu den Lehrenden nicht aufkommen konnte, da zu diesen der Abstand der Anwärter zu groß gewesen sei, „das ganze Klima zu kühl, die hergebrachten Formen des Umgangs von vorneherein zu distanzierend“.144 Die politischen Entwicklungen machten sich, so Demandt rückblickend, am Institut kaum bemerkbar, „die meisten gehörten irgendwelchen Organisationen der NSDAP an, ohne daß das eine Rolle spielte“.145 Er selbst war seit dem ersten November 1933 Mitglied der SA und wurde später, im Februar 1939, wieder in die NSDAP aufgenommen – 1938 war er bereits in die Waffen-SS eingetreten.146 Wenngleich die politische Einstellung am IfA für die Kursteilnehmer vielleicht keine große Rolle spielen mochte, war der SA-Eintritt Demandts dennoch aus tiefer Überzeugung erfolgt. Als Reaktion auf die nationalsozialistische Machtübernahme hatte er einen Baum gefällt, mit einer Hakenkreuzfahne versehen und am Haus seiner künftigen Schwiegereltern aufgestellt; in der SA war er durchaus aktiv und keinesfalls nur nominelles Mitglied.147 Seine Einstellung zur damaligen Zeit fasste er rückblickend zusammen: „Ich war national eingestellt, der Linken eindeutig abgeneigt, aber nicht minder auch der ohnmächtig bramarbasierenden bürgerlichen Rechten, die ich nicht mehr als national, sondern als verantwortungslos empfand; dazu nach wie vor ein angesagter Feind des damals praktizierten Parteiunwesens und seiner Form des Staates und des men Heinz Buttkus, Klothilde von Olshausen, Franz Engel, Adalbert Hahn, Walter Vogel, Eilhard Eilers, Heinz Göring, Fritz Morré und Hans Goetting. Vgl. ebd. 141 Ebd., S. 5. 142 Demandt: Derendinger, S. 38. 143 Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 6. 144 Ebd., S. 7. 145 Ebd. 146 Da seine alte Mitgliedskarte der NSDAP mit der Nummer 65 469 nicht mehr aufzufinden war, erhielt er nun die Nummer 5 395 601. BArch (ehemals BDC), PK B 262, Demandt, Karl E., *1909; vgl. BArch (BDC) SS A 3. 147 Vgl. Menk: Demandt, S. 48.

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Regierens, das es uns anbot. Ich war also Nationalsozialist, stets bereit, diese Partei zu wählen, die die Parteien überwinden wollte, und ihr Vorhaben im Gespräch im engeren Kreise zu vertreten und zu verteidigen, wenn es angegriffen wurde“.148

Am IfA hatte man sich seiner Erinnerung nach lediglich einmal gemeinsam politisch betätigt, indem der Kursteilnehmerin Edith Ennen, die 1935 von der Saarabstimmung nach Berlin zurückkehrte, ein gebührender Empfang bereitet wurde. In den Vordergrund trat 1935 vielmehr die Entscheidung, das abschließende Examen um ein Vierteljahr vorzuziehen, von März 1936 auf Dezember 1935, damit die Kursteilnehmer früher als geplant in den praktischen Ausbildungsabschnitt eintreten und somit schneller dem angespannten Stellenmarkt zugeführt werden konnten. Damit wurde auf den Mangel an höheren Archivaren reagiert, und von der nun erfolgten, „wenn auch bescheidenen“, Stellenvermehrung profitierten die Teilnehmer des vierten IfA-Kurses.149 Den beiden weiblichen Teilnehmern des Kurses hingegen blieb eine weitere Karriere im höheren Archivdienst verwehrt. Klothilde von Olshausen, die Demandt abfällig als „altjüngferlich und unbegabt“ beschrieben hatte, gehörte zu denjenigen, die das Examen erst im zweiten Anlauf bestanden hatten, und war in späteren Jahren als Angestellte am Staatsarchiv Magdeburg tätig.150 Edith Ennen hingegen legte ein sehr gutes Examen ab und wurde von Demandts als „klug und menschlich sympathisch“ beschrieben.151 Nach Olshausen und Ennen sollten nur noch Charlotte Knabe und später Lisa Kaiser das IfA absolvieren, wobei letztere an dem durch das Kriegsende unterbrochenen Kurs teilnahm. Wie gering die Chancen für Bewerberinnen auf Anstellung im Archivdienst waren, zeigt exemplarisch eine Ablehnung der thüringischen Archivverwaltung aus dem Jahr 1935. Die Bewerberin sollte abgelehnt werden, da es Willy Flach, Direktor der thüringischen Staatsarchive, aufgrund der „besonderen Struktur des thüringischen Archivwesens, die auch erhebliche Anforderungen an die physischen Kräfte der Beamten stellt, für unangebracht [hielt], weibliche Personen einzustellen“.152 Es bleibt somit festzuhalten, dass die Karriere Demandts – der in den Folgejahren in Wiesbaden, Berlin und Marburg tätig war, wo er 1939 zum Staatsarchivrat ernannt wurde – durchaus stellvertretend für seine Generation stand. Wenngleich nicht jeder aus dieser Kohorte sich in gleichem Maße politisch exponierte, teilte Demandt die Sozialisation wie die Erfahrungen der Studienzeit mit einigen Vertretern seiner Alterskohorte, die ebenfalls häufig korporiert waren und in den verschiedenen studentischen Verbindungen der Universitätsstädte ähnliche Erlebnisse erfahren haben dürften. 148

Ebd., S. 48. Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 7. 150 Ebd., S. 4. In welcher Stellung Olshausen in Magdeburg tätig war, konnte nicht ermittelt werden. Größere Veröffentlichungen von ihr sind, außer ihrer Dissertation, nicht bekannt. 151 Ebd. 152 Willy Flach an den thür. Volksbildungsminister, 11. März 1935. ThHStA Weimar, Vob. C 576. 149

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Der von ihm absolvierte vierte IfA-Kurs war dadurch prototypisch für seine Zeit, als er nicht nur noch den polnischen Sprachunterricht umfasste, der künftige Archivare auch für die Ostforschung rüsten sollte, sondern durch seine Verkürzung auf die prekäre Stellensituation eingestellt wurde. Daran zeigt sich außerdem ein erster Erfolg der Archivverwaltung unter den neuen Machthabern, zumal die Erhöhung der Planstellen im höheren Dienst nicht erst seit 1933 gefordert worden war, nun aber, unter Verweis auf die neuen Anforderungen durch NS-spezifische Forschungs- und Arbeitsaufträge, ansatzweise realisiert werden konnte. Weiter steht der vierte Kurs für eine Generation von Archivaren, die durch den Zweiten Weltkrieg erheblich dezimiert werden sollte – von den 16 Archivaren des Kurses fielen sieben. Konnten somit Einblicke gewonnen werden in die Welt des IfA, wie sie die Kursteilnehmer wahrnahmen, liefert der Bericht Brackmanns zum Zwischenstand des fünften Kurses eine Einschätzung, welche der ursprünglichen Ziele, die sich das Institut gesteckt hatte, bislang erreicht werden konnten. Gründungsintention Brackmanns war nicht nur die Ausbildung des archivarischen Nachwuchses, sondern auch die Fort- und Weiterbildung für Historiker, „die nach einer Vertiefung ihres methodischen Wissens strebten“, aber weniger die Archivarslaufbahn anvisierten als vielmehr eine universitäre Karriere. Anlass dazu hatte ihm, selbst Ordinarius, der Blick auf die „vielfach ungenügende Schulung des Nachwuchses für die Universitätslaufbahn“ gegeben.153 Die Hoffnung, dass sich vielversprechende promovierte Historiker und angehende Hochschullehrer am Berliner Institut eine zusätzliche vertiefende Ausbildung angedeihen ließen, hat sich nicht erfüllt. Die Teilnehmer nahmen an den Kursen teil, um die Archivarslaufbahn einzuschlagen. Auch wenn manche von ihnen danach dennoch an die Universität wechselten, änderte das nichts an der Tatsache, dass sich das IfA keineswegs zu einer Pflanzstätte angehender Professoren entwickelte, sondern weitgehend disziplininterne Ausbildungsstätte blieb. Prinzipiell darf dies nicht allzu sehr verwundern, war doch der Weg zu einer Professur ohnehin lange und mit vielerlei Hürden verbunden, sodass ein weiterer Ausbildungsabschnitt die Chancen nicht in dem Maße erhöhen konnte, wie er Mehrarbeit und mithin auch Zeitverlust bedeutete. Für die Archivwissenschaft hingegen schien das IfA zu einem Erfolg geworden zu sein. Es habe sich, so Brackmann, „zum Kernpunkt dieses für die Staatsverwaltung und für den historischen Wissenschaftsbetrieb gleich wichtigen Berufszweiges herausgebildet“. Denn es war hiermit nicht nur ein Zentrum für eine einheitliche Fachausbildung preußischer Archivare geschaffen worden, sondern

153 Brackmann, Allgemeine Ausführungen und Bericht über die wissenschaftliche Tätigkeit des Instituts für Archivwissenschaft im Studienjahr 1935/36 und im ersten Halbjahr des 5. Lehrgangs, 30. September 1936. HStA Marburg, 156e/651.

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vielmehr eine Stätte, die „auf die innere und äußere Fortentwicklung des gesamtdeutschen Archivwesens richtunggebenden Einfluß ausübt und ausüben wird“.154 Eine solche Vereinheitlichung in der Ausbildung und somit der fachlichen Weiterentwicklung der Disziplin war solange unmöglich gewesen, wie die Ausbildung überwiegend in praktischer Tätigkeit bestand, die unter Anleitung der sich vor Ort am Ausbildungsarchiv befindlichen Archivare stattfand. Die Vereinheitlichung und Zentralisierung der Ausbildung war es auch, die Brackmann zum Anlass seiner Mahnung nahm, dass nun die Zeit reif sei, „organisatorisch und personell zu einer Gleichrichtung und Vereinheitlichung im ganzen deutschen Archivwesen vorzuschreiten“.155 Gewiss sollte dem IfA dabei die Aufgabe zukommen, neben Staatsarchivaren auch Stadtarchivare und solche für kleinere nichtstaatliche Archive auszubilden. Allerdings hielt Brackmann es für unwahrscheinlich, dass aus dem fünften Kurs alle Teilnehmer in die preußische staatliche Laufbahn übernommen werden könnten, da viele offene Stellen gerade erst durch die Absolventen der verkürzten Kurse besetzt worden waren. Dennoch hielt er es eben aus Rücksicht auf die außerpreußischen und die nichtstaatlichen Archive für nötig, auch künftig „einen Überschuss an Personalkräften zu haben“.156 Seine Ausführungen schloss Brackmann, indem er die Erfolge des IfA pries, welches nicht nur Fachgelehrte hervorgebracht habe, sondern Wissenschaftler, die sich auch den Aufgaben der Gegenwart stellen könnten: „In den Kursen ist nicht nur die Bildung des geistigen Menschen, des künftigen Archivars erstrebt worden; der Pflege des Geistes echter Kameradschaft und der Aufforderung zur Teilnahme an dem grossen Geschehen der Gegenwart wurde besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So habe ich es stets als meine Aufgabe angesehen, aus diesem Institut nicht nur Menschen zu entsenden, die als Spezialisten für einen bestimmten Berufszweig angesprochen werden könnten, sondern die den Blick für die grossen Zusammenhänge nicht verloren haben und die aus dem Mitleben und Miterleben mit der deutschen Geschichte und Gegenwart die schönsten Kräfte für tätige Mitwirkung im Beruf und im öffentlichen Leben schöpfen im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor Führer und Volk“.157

Dass es sich bei den IfA-Absolventen tatsächlich nicht ausschließlich um hoch spezialisierte Fachmänner einer eng umrissenen Disziplin handelte, sondern diese sich sowohl neuen, teils innerhalb der Disziplin noch ungewohnten Aufgabenstellungen widmen konnten, als auch in die vielfältigen „Gegenwartsaufgaben“ einbezogen wurden, zeigt sich nicht nur, aber hier in aller Deutlichkeit, in der deutschen Ostforschung.

154 155 156 157

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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4. Institutionen und Arbeiten der Ost- und Westforschung Ihre Rolle als zentrale Koordinationsstelle der deutschen Ostforschung behielt die Dahlemer Publikationsstelle nach 1933 bei, waren doch die kurze Zeit zuvor begonnenen Publikationspläne nur teilweise bereits abgeschlossen worden, und bei Weiteren stand der Beginn erst noch bevor. ‚Koordinationsstelle‘ soll bedeuten, dass die PuSte, in Kooperation mit der Ende 1933 gegründeten Nord- und ostdeutschen Forschungsgemeinschaft (NOFG), bedeutsame (Ost)Forschungsfelder maßgeblich beeinflussen und spezifische Themen lancieren konnte, nicht aber, dass ohne Zustimmung dieser Stellen weiterführende oder anders geartete Ostforschungsinstanzen nicht hätten bestehen können. Jene mussten auf Anerkennung und vor allem auf finanzielle Förderung verzichten, wenn ihre nationale Bedeutung nicht anerkannt wurde oder die beteiligten Wissenschaftler nicht als tauglich und zuverlässig galten. Allumfassend war der Einfluss der PuSte jedoch keineswegs; in dieser Hinsicht ist Eduard Mühle zuzustimmen, der der Deutung Ingo Haars und auch Michael Fahlbuschs widersprach, wenn diese PuSte und NOFG beziehungsweise die VFG als umfassendes „Großforschungssystem“ bezeichneten, das jegliche Kontrolle über die Ostforschung ausüben und sämtliches diesbezügliche Vorgehen reglementieren konnte. Zudem hätten sich diese „wissenschaftlichen Großinstitutionen“ bis zu Beginn des Krieges zu einem „Brain Trust“ entwickelt, dessen Arbeit schließlich in der „wissenschaftlichen Begleitforschung des Holocausts“ kulminierte.158 Vor allem für die ersten Jahre ihres Bestehens fällt es gerade für die NOFG schwer, von einem organisierten Expertengremium mit politikberatender Funktion zu sprechen.159 Auch aus diesem Grund appellierte Brackmann noch 1939, Arbeiten zu Fragen der Ostforschung vor der Veröffentlichung der NOFG zur Einsichtnahme vorzulegen – allerdings nicht mit dem gewünschten Ergebnis, und so gab es weiterhin Ostforscher, die, so Brackmann, „außerhalb unseres Kreises“ standen.160 Grundsätzlich waren vor allem die von der PuSte initiierten und geförderten Vorhaben längerfristig angelegt, da durch ihre Bearbeitung entsprechend benötigte Akten der anderweitigen Nutzung, vor allem durch polnische Wissenschaftler, vorenthalten werden sollten. Weiterhin konnten so entstehende Publikationen – und das war der inhaltliche Aspekt – „die Preuss. Verwaltung der Vorkriegszeit gegen die polnische Verleumdung in Schutz nehmen.“ Schon aus diesen Gründen war nicht daran zu denken, diese Tätigkeiten einzustellen, da damit riskiert wurde, dass von polnischer Seite Vorwürfe erhoben würden und die abgelehnten Forscher „als Grund der Verweigerung der Benutzungserlaubnis angeben [könn-

158 Fahlbusch: Wissenschaft, S. 20–28, 197–205; vgl. Haar: Historiker, S. 301 f.; vgl. Mühle: Volk, S. 237 ff.; zur Kritik auch Böhm: Anmerkungen. 159 Zu Gründungsintention und Aufgabenstellung der NOFG siehe S. 180 f. 160 Brackmann an NOFG-Beirat, 10. August 1939, BArch R 153/1700.

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ten], Preussen habe die Wahrheit zu fürchten“.161 Ende September 1933 wurde deshalb der Stand der Arbeiten zusammengefasst und mit einer Übersicht über in Bearbeitung befindliche und noch anzugehende Projekte dargelegt. Fertiggestellt waren zu dieser Zeit neben dem vertraulichen Vademecum für die deutschen Teilnehmer des Historikerkongresses auch der ungefähr zeitgleich erschienene Sammelband Deutschland und Polen, weitere kleinere Arbeiten sowie eine Übersetzung aus dem Polnischen.162 Laufend aktualisiert und ergänzt wurde die Ostbibliografie der PuSte; außerdem erschienen kontinuierlich neue Presseübersetzungen. Die Thesen des Vademecums beruhten dort, wo nicht auf frühere Publikationen und Forschungsprojekte zurückgegriffen werden konnte, in wesentlichen Teilen auf den Arbeiten des in der PuSte koordinierten Publikationsplans der Archivverwaltung. Somit konnten diverse Absichten zentral gesteuert werden: Archivbestände wurden blockiert und polnischen Forschern vorenthalten; Forschungsvorhaben konnten der jeweiligen Intention folgend begonnen und priorisiert werden; durch die Forschungsförderung konnten weitere externe Wissenschaftler hinzugezogen werden, deren Auswahl die PuSte zu beeinflussen vermochte. Des Weiteren fanden Anstrengungen statt, sich aus der Abhängigkeit von universitären Fachleuten zumindest im Ansatz zu befreien, indem verstärkt auf die Absolventen des IfA zurückgegriffen wurde. Diese konnten idealiter Polnisch, was die Archivverwaltung „zu ihren größten Erfolgen“ zählte, da bislang „die besten unserer Ostinstitute auf 2 Augen gestellt, andere wegen des gänzlichen Mangels an sprach- und sachkundigen Mitarbeitern kaum erfolgreich zu arbeiten imstande sind“.163 Aber nicht nur die Archivverwaltung beziehungsweise die PuSte konnte so auf weitere, spezialisierte Archivare zurückgreifen, sondern auch für diese bot die politisch motivierte Auftragsforschung Vorteile, da zum einen mittels Forschungsstipendien eventuelle Wartezeiten auf eine Festanstellung überbrückt werden konnten, und zum anderen sich auch für die in der Archivverwaltung untergekommenen Archivare neue und verständlicherweise interessante Forschungsprojekte erschlossen. Beispielsweise erfuhren drei Absolventen der ersten beiden IfA-Kurse zeitweise Förderung, als Brackmann Mittel „aus einem besonderen Fonds“ schöpfen konnte, um für zehn Monate von Juni 1933 bis März 1934 „in den drei Ostarchiven“ Hilfskräfte anzustellen. Dafür suchte er „am besten einen Herrn, der die Ausbildung im Institut für Archivwissenschaft abgeschlossen, aber keine Anstellung hat“, um diese „mit Ordnungsaufgaben zu 161 Übersicht über die Arbeiten der Publikationsstelle des Preussischen Geheimen Staatsarchivs; Fassung: 21. September 1933, S. 1. BArch R153/1; siehe Kap. C. V. 3. a). 162 Übersicht über die Arbeiten der Publikationsstelle des Preussischen Geheimen Staatsarchivs; Fassung: 21. September 1933, S. 1 f. BArch R153/1; zum Vademecum Kap. C. VI. 3. a) aa). 163 Übersicht über die Arbeiten der Publikationsstelle des Preussischen Geheimen Staatsarchivs; Fassung: 21. September 1933, S. 5. BArch R153/1.

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betrauen“.164 Die Archivverwaltung vermochte durch die vermehrte Mittelbewilligung jener Art ihren Stellenwert herausstellen und es wurden zumindest für einige Nachwuchsarchivare erweiterte Lehrjahre geschaffen, die sie in den Archiven zubrachten, denen besondere Bedeutung zugemessen wurde. Solche Möglichkeiten, deren längerfristige Einrichtung sich die Archivverwaltung herbeisehnte, stellten eine eher indirekte Art der Verflechtung von Archivwissenschaft und Ostforschung dar. Indirekt im Vergleich zu den Projekten, bei denen Archivare und Historiker durch eigene Arbeiten und Veröffentlichungen gezielt die jeweiligen politischen Absichten unterstützten und wissenschaftlich zu fundieren versuchten. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der PuSte-Mitarbeiter und den von PuSte und Archivverwaltung eingespannten externen Wissenschaftlern wurden zum Jahreswechsel 1933/34 besonders hervorgehoben und institutionalisiert. Im Dezember wurde mit der NOFG eine weitere und die größte Volksdeutsche Forschungsgemeinschaft (VFG) ins Leben gerufen.165 Ziel der NOFG war, wie Brackmann auf der Gründungskonferenz darlegte, die „stosskräftige Zusammenfassung aller in der Deutschtumsarbeit des Nordostens stehenden Kräfte der Wissenschaft zu einheitlich ausgerichteter, wirklich fruchtbarer Tätigkeit“, um sich der „überaus regen, bedrohlichen Aktivität der slawischen Wissenschaftler“ erwehren zu können. Dieses Vorhaben war keineswegs neu, wurde beispielsweise mit dem Publikationsplan bereits energisch verfolgt, erfuhr seit der nationalsozialistischen Machtübernahme aber weitere nachdrückliche Unterstützung. Brackmann hielt deshalb fest, dass diesem Vorhaben, „seitdem der Führer Adolf Hitler die Richtlinien einer klaren, zielbewussten Ostpolitik des neuen Deutschland vorgezeichnet hat, keine Bedenken mehr entgegen“ stünden.166 An der Gründung der Forschungsgemeinschaft war die Archivverwaltung mit beinahe sämtlichen Vertretern der östlichen Archive beziehungsweise der mit „Ostfragen“ beschäftigten Stellen vertreten. Einer ihrer Exponenten, der „als alter Vorkämpfer des Deutschtums im Osten“ bewährte Walther Recke, übernahm die Leitung der Sitzung, bei der konkrete Ziele und dafür zu nutzende Methoden der NOFG debattiert wurden. Brackmann referierte über die Arbeiten der PuSte, hob die vielfältigen Möglichkeiten zu Kooperationen hervor, die sich durch die NOFG ergeben würden, betonte aber auch, wie sehr Deutschland „hinsichtlich Organisation und Aktivität seiner Forschung“ deutlich hinter Polen zurückliege und entsprechend aufzuholen hätte.167 164 Brackmann an die Staatsarchivdirektoren Hein in Königsberg und Dersch in Breslau, 12. Mai 1933. BArch R153/19. 165 Zur Konzeption der VFG siehe Kap. C. V. 3. a). 166 Bericht über die Gründungstagung der Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft im ehemaligen Herrenhaus zu Berlin in der Leipzigerstr. 3 am 19. und 20. Dezember 1933. HStA Marburg, 340 Papritz C 12 d, 8; auch: BArch R153/1270. 167 Ebd.

VI. Erzwungene Kollaboration oder Selbstindienststellung? 1933–1936

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In den ersten Monaten ihres Bestehens hatte die NOFG es als vorrangige Aufgabe angesehen, „sich und der deutschen Ostforschung eine Übersicht zu verschaffen, wo die deutschen Kräfte am Werk sind“, und zum Ende des ersten Berichtsjahrs konnte stolz eine „vertrauliche Übersicht [über] die in Arbeit befindlichen Ostthemen“ aufgelistet werden. In dieser Feststellung kommen zwei wesentliche Aspekte in der Konzeption der NOFG zum Vorschein: Zum einen die in gewissem Sinne übergeordnete Stellung über Einzelprojekten, und zum anderen die „vertrauliche Arbeitsweise“, die ihr – wie auch den anderen VFG – zu einem zentralen Anliegen wurde.168 Die regelmäßig, aber in größeren Abständen stattfindenden vertraulichen Tagungen, welche die Kommunikationsplattform der NOFG darstellten, konnten von ‚auslandsdeutschen‘ Vertretern meist nicht ohne größere Schwierigkeiten besucht werden. Deshalb wurde der Plan entwickelt, zusätzlich zu den Arbeitstagungen eine weitere Art der Zusammenkunft zu etablieren. „Jubiläen oder andere ansehliche Veranstaltungen wissenschaftlicher deutscher Institutionen im Ausland“, die unverdächtig waren und kaum besondere Aufmerksamkeit erregten, sollten „zum Vorwand eines grossen Treffens der Auslands- und Reichsdeutschen“ genommen werden. Im Berichtsjahr 1935/36 diente die 50-Jahr-Feier der Posener Historischen Gesellschaft für eine Zusammenkunft auslands- und reichsdeutscher Forscher, „ohne dass die Finanzierung der Veranstaltung und der Reisen nach aussen hin erkennbar wurde“.169 Die PuSte wiederum war nicht nur personell eng mit der NOFG verbunden, sondern stellte deren organisatorisches Zentrum dar. Hier „wurde ihre Korrespondenz geführt“, die Tagungen organisiert und die PuSte „übernahm die Verwaltung der Finanzen und leistete durch ihre Assistenten und Stipendiaten einen nicht unwesentlichen Anteil der wissenschaftlichen Ostarbeit.“ Bereits 1935/36 musste sich die NOFG eingestehen, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zumindest „im Reich“ nicht viel erreichen zu können, „wenn ihr nicht die Publikationsstelle und die dieser vom Reichsministerium des Innern zur Weiterleitung gewährten Mittel zur Seite stünden.“ Deshalb kam man nicht umhin, zukünftig „die Betreuung der Unternehmungen im Reich ganz der Publikationsstelle [zu] überlassen“.170 So hatte sich die PuSte als Einrichtung der Archivverwaltung in dem komplexen Geflecht der institutionalisierten deutschen Ostforschung bewährt und ihre zentrale Stellung etablieren sowie ihren Einfluss weiter ausbauen können. Zusammenfassend wurde nach dreijährigem Bestehen der NOFG festgehalten, dass es mit deren Mitteln „gelungen [sei], eine volksdeutsche Forschung in den von ihr betreuten Ländern ins Leben zu rufen, die kräftig die deutschen Interessen“ vertrete. Außerdem sei „einer heranwachsenden jungen Generation 168 169 170

NOFG-Jahresbericht 1933/34, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 d, 9. NOFG-Jahresbericht 1935/36, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 d, 9. Ebd.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

deutscher Wissenschaftler“ ermöglicht worden, „sich für den Vorkampf für das Deutschtum auszubilden und zu rüsten“.171 Ein früher NOFG-Stipendiat war der 1934 bei Hans Rothfels in Königsberg promovierte Historiker Werner Conze, der sich bereits in seiner Dissertation darauf eingelassen hatte, verschiedene methodologische Verfahren aus Historiografie, Soziologie, Volkskunde und Statistik in seinem Beitrag zur „innovativen Ostforschung“ Königsberger Provenienz zu verbinden.172 Nach seinem Stipendium wurde Conze für kurze Zeit bei der PuSte angestellt, wo er für Ostpreußen und ‚Nordostpolen‘ zuständig war und die Aufgabe hatte, die Entwicklungen der polnischen Wissenschaft zu verfolgen und Karteikarten über polnische Wissenschaftler anzufertigen.173 Auch Theodor Schieder, ein enger Freund Conzes, bekam ab 1934 ein Stipendium der PuSte und im selben Jahr die Leitung der dem Berliner Geheimen Staatsarchiv angegliederten Landesstelle Ostpreußen für Nachkriegsgeschichte in Königsberg übertragen, wo er sich dem Kreis um Hans Rothfels anschloss. Schieders dortige Arbeit wurde zwar von NOFG und PuSte gefördert und politisch instrumentalisiert174, doch auch Schieder selbst betrachtete die Aufgaben der Landesstelle als politisch, da diese Einrichtung als „Mittelstelle“ fungieren sollte, die aber nicht nur Material und Wissen an „Behörden und Organisationen“ weitergeben, sondern auch brauchbare wissenschaftliche Themen „aufspüren“ wollte.175 Zwar wurde Schieder über längere Zeit von der NOFG gefördert, arbeitete aber mit Brackmanns Billigung in erster Linie an seiner Habilitation.176 Was die frühen Jahre der NOFG belegen, ist die wichtige Rolle, welche die preußische Archivverwaltung im Allgemeinen und die PuSte im Besonderen in der Ostforschung spielten. Hier fanden die organisatorischen Arbeiten für die NOFG statt und es hatte sich in der PuSte bereits eine zentrale Koordinierungsstelle so mancher Arbeitsvorhaben gebildet, an die die NOFG zunächst anknüpfte, diese erweiterte oder deren Richtung mitbestimmte.177 Gewiss brachte die 171

Ebd. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 135. 173 Vgl. Bialkowski: Utopie, S. 207. Zu Conze generell vgl. Dunkhase: Conze; vgl. Lausecker: Conze; zur Nachkriegskarriere Conzes vgl. Etzemüller: Conze. 174 Vgl. Nonn: Schieder, S. 64–68; vgl. ders.: Landesstelle. 175 Schieder: Landesstelle. 176 Vgl. Nonn: Schieder, S. 72. Schieder wurde mitunter ein „robuster Pragmatismus“ zugeschrieben, der seiner Karriere über die Systembrüche von 1933 und 1945 hinweg geholfen habe. Vgl. Kraus: Schieder, S. 722. Vor Abgabe seiner Habilitationsschrift war Schieder zu Beginn des Zweiten Weltkriegs allerdings noch in ein Denkschriftenprojekt von NOFG und PuSte involviert, vgl. Tillack: Polendenkschrift, S. 245; siehe auch S. 234 f.; zu Schieder nach 1945 siehe S. 467–469. 177 Zwar floss die Hälfte der Gesamtmittel der VFG an NOFG und PuSte, doch letztere war durch weitere Zuschüsse von ministerieller Seite finanziell weitaus besser aufgestellt – ein Umstand, der sich auch in den folgenden Jahren nicht wesentlich ändern sollte. Vgl. Munke: Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft (NOFG). In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. 172

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Forschungsgemeinschaft weitere namhafte Wissenschaftler, mitunter auch anderer Disziplinen, in die Ostforschungsprojekte ein, doch war dies nicht zuletzt eben jenen losen Verbindungen zwischen den Exponenten einer doch überschaubaren Wissenschafts- und Forschungslandschaft geschuldet. Zumal festgehalten werden kann, dass die Ostforschung bereits seit den 1920er Jahren eine Art „Integrationsfach“ darstellte, „in dem unter bestimmten Gesichtspunkten viele Wissenschaften zusammenarbeiteten“.178 Die Motivation für die engagierte Mitarbeit an Ostforschungsprojekten konnte für den Einzelnen, unabhängig von finanziellen Gründen und Karrierechancen, zum einen darin begründet liegen, dass eigene Themenschwerpunkte in das Zentrum des Interesses gerückt werden konnten und zum anderen, dass diese Ostthemen im weitesten Sinne nun einen kaum vermuteten Aufschwung und unerwartete Anerkennung erhielten. Im Vergleich zur Ostforschung trat die Westforschung weniger prominent hervor, was sich bis heute im Forschungsstand widerspiegelt.179 Dennoch spielte die Westforschung, die durch ‚Versailles‘ enormen Aufschwung erfuhr, seit den 1920er und 1930er Jahren eine erhebliche Rolle in der deutschen Geschichtswissenschaft, und einige Einrichtungen und Institute gingen aus ihr hervor und wurden später für andere geografische Räume übernommen; so war die 1931 gegründete Westdeutsche Forschungsgemeinschaft (WFG) die erste VFG.180 Den wichtigsten Untersuchungsgegenstand der in der WFG vereinten Wissenschaftler stellte das Germanentum in Westeuropa dar, das es historisch mit verschiedenen Methoden zu belegen galt, wodurch ein deutscher Anspruch auf nach dem Ersten Weltkrieg verlorene westliche Gebiete legitimiert werden sollte.181 Allerdings resultierte die deutsche Westforschung nicht ausschließlich aus den Gebietsabtretungen, sondern ging grundsätzlich zurück auf den seit dem frühen 19. Jahrhundert existierenden Mythos des französischen „Erbfeinds“, der durch Versailles erheblichen Aufschwung erhielt. Auch Hitler erklärte in Mein Kampf Frankreich zum „unerbittlichen Todfeind des deutschen Volkes“ und dessen „gefährlichste[n] Gegner“182, hatte aber nichtsdestotrotz erheblich mehr Interesse am Osten als am Westen, was sich wiederum in der finanziellen Ausstattung der WFG niederschlug, die grundsätzlich deutlich geringer ausfiel als die der NOFG.183

178

Schlesinger: Ostbewegung, S. 436. Für einen Abriss der bisherigen historischen Forschung zum Komplex Westforschung vgl. Dietz/Gabel/Tiedau: Westforschung, S. XIII–XXV; vgl. Müller/Freund: Westforschung. 180 Vgl. Schöttler: Westforschung; vgl. Derks: Westforschung, S. 14, 28. 181 Vgl. Freund: Deutschtumswissenschaften, S. 93. Die Forschungen sollten den Gegensatz zwischen romanischer und germanischer Kultur und damit die altbekannte Erbfeindschaft hervorheben. Vgl. Fahlbusch: Deutschtumspolitik, S. 587. 182 Zit. nach Schöttler: Westforschung, S. 211; vgl. Hartmann u. a. (Hrsg.): Edition, S. 206. 183 Vgl. Dietz/Gabel/Tiedau: Westforschung, S. X. Zur Förderung der Westforschung vgl. Mertens: Westforschung. 179

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

Dennoch bemühten sich die Westforscher und fühlten sich verpflichtet, so Franz Steinbach, „all unser Tun und Denken – wäre es noch so unbeholfen und unbedeutend – in den Notdienst unserer Zeit zu stellen“184, und der völkischnationalsozialistische Historiker Kleo Pleyer sekundierte, dass man „im übrigen [. . . ] bei der Behandlung solcher Westfragen nicht allzu zimperlich“ sein dürfe.185 Stellvertretend für den Komplex der Westforschung und die archivarische Mitarbeit hierin kann Georg Wilhelm Sante und sein Engagement in der Saarforschungsgemeinschaft (SFG) angeführt werden. Die SFG war bereits 1926 – und somit einige Jahre vor der WFG – in der Obhut des Instituts für geschichtliche Landeskunde an der Universität Bonn186 und finanziert von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft gegründet worden; nicht zuletzt, um der französischen Societé des amis de pays de la Sarre eine entsprechende deutsche Institution entgegenzusetzen.187 Unter dem Vorsitz Aubins sollten in der SFG wissenschaftliche Forschungen zum Saargebiet und dessen Geschichte koordiniert und gefördert sowie „Grenzlandwissenschaft als nationaler Grenzkampf“ betrieben werden.188 1933 wurde „aus dem deutschen Saarland“ in einer Ergebenheitserklärung an Hitler der „Führer und Erneuerer unseres Volkes“ gegrüßt „in der freudigen Gewißheit, daß ohne die Grenzen und Schranken deutsch sein wird, was deutsch ist“.189 Seit 1920 im Versailler Vertrag festgelegt worden war, dass das Saargebiet für 15 Jahre als Völkerbundsmandat an Frankreich fallen sollte, wurde deutscherseits die Rückgliederung gefordert, die schließlich im „Saarkampf“ und der Volksabstimmung 1935 mündete. Den Mittelpunkt der SFG bildete das Stadtarchiv Saarbrücken, das seit 1929 von Georg Wilhelm Sante geleitet wurde, der für diese Aufgabe vom General184 Wenn Steinbach hier von „uns“ sprach, meinte er seine Generation, „die aus den Schulbänken in die Schützengräben gerufen wurde und seitdem nicht mehr zur Ruhe gekommen ist“. Steinbach: Selbstverwaltung, S. 7. Auf Steinbach als ersten Leiter der WFG folgten der Direktor des Oberrheinischen Instituts für geschichtliche Landeskunde Theodor Mayer, der Heidelberger Volkskundler und Geografen Wolfgang Panzer und der Freiburger Geograf und Universitätsrektor (1936–38) Friedrich Metz. Vgl. Schöttler: Westforschung, S. 210; für Details zur Organisationsstruktur und den Leitern der WFG vgl. Fahlbusch: Deutschtumspolitik, S. 589–605. 185 Zit. nach Schöttler: Westforschung, S. 204. Kleo (Kleophas) Franz Pleyer, 1898–1942, hatte bei Johannes Haller promoviert, sich bei Hermann Oncken habilitiert und wurde in Königsberg Nachfolger von Hans Rothfels. Vgl. Weiß: Pleyer; vgl. Betker: Pleyer. Näheres zu Pleyers antirepublikanischem Engagement und seiner bellizistischen Sprache vgl. Oberkrome: Leibgardisten, S. 125 f. 186 Das Bonner Institut war 1920 auf Initiative Hermann Aubins eingerichtet worden zur Erforschung vor allem der bevölkerungs- und siedlungskundlichen Geschichte des Rheinlands. Als Aubin das Institut 1926 verließ, wurde Franz Steinbach dessen Nachfolger als Institutsleiter. Zur westdeutschen Landes- und Volksgeschichte und speziell zum Bonner Institut vgl. ders.: Volksgeschichte, S. 61–73. 187 Vgl. Linsmayer: Saargebiet, S. 353 f.; vgl. Freund: Saarforschungsgemeinschaft. 188 Ebd., S. 75; ausführlicher zu Gründung und Tätigkeit der SFG ders.: Deutschtumswissenschaften, S. 76–84. 189 Telegramm des SFG-Vorstandes. Protokoll der Mitgliederversammlung der SFG am 2. Oktober 1933, zit. nach Maxim: Frontabschnitte, S. 716.

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direktor der Staatsarchive – dem Vorgänger Brackmanns, Paul Fridolin Kehr – freigestellt worden war.190 Das Verhältnis der SFG zur später gegründeten WFG war jedoch von internen Streitigkeiten geprägt, die sich gerade an der Frage der politischen Ausrichtung entzündeten. Sante hatte sich eine Aufgabenteilung der beiden konkurrierenden Einrichtungen dahingehend vorgestellt, dass die SFG ausschließlich „abstrakte Wissenschaft“ betreiben sollte, wohingegen sich die WFG verstärkt den „politischen Kreisen“ widmen könnte. Steinbach insistierte, auch die SFG habe politische Notwendigkeiten zu berücksichtigen. Der Präsident der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft griff, nachdem sich Sante an ihn und gegen die WFG gewandt hatte, schlichtend ein, betonte aber die Vormachtstellung der SFG in sämtlichen ‚Saarfragen‘.191 Um zu zeigen, „daß es nur eine deutsche Stellung der Saarlande gebe und daß das ‚Saargebiet‘ ein gewaltsamer Eingriff in natürliche und geschichtliche Zusammenhänge sei“192, hatte Sante zusammen mit dem Geografen Hermann Overbeck193 begonnen, einen „Saar-Atlas“ zu erstellen. Dieser sollte „mit Wort, Bild und Karte den Beweis der deutschen Stellung der Saarlande in jeder Hinsicht“ erbringen, ohne dabei politische Fragen zu erörtern. Für diese sei die separate Publikation zu den „Grundlagen des Saarkampfes“ gedacht, die Sante zusammen mit dem Politologen Adolf Grabowsky und „im engsten Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt“ herausgegeben hatte.194 Dass das Projekt „Saar-Atlas“ in den Jahren 1930 bis 1934 trotz der wirtschaftlichen Depression von verschiedenen Stellen und Ministerien erhebliche finanzielle Förderung erfuhr, verdeutlicht dessen Wichtigkeit nicht nur in den Augen der beteiligten Wissenschaftler, sondern auch der Berliner Verwaltungs- und Regierungsinstanzen. Diese konnten denn auch direkt Einfluss nehmen: Sante erstattete regelmäßig Bericht über die Fortschritte der Arbeit und nahm auch Hinweise und „inhaltliche Anweisungen“ von preußischer und Reichsregierung entgegen.195 Der „beste Lohn unserer wissenschaftlichen Arbeit“, die in Saar-Atlas und Be-

190 Schon in der ersten Vorstandssitzung der SFG im April 1927 war die Idee hervorgebracht worden, dass ein Archivar für die Belange der Forschungsgemeinschaft eingesetzt werden könnte. Vgl. Becker: Instrumentalisierung, S. 400. 191 Vgl. Freund: Deutschtumswissenschaften, S. 94 f. 192 Tätigkeitsbericht Santes als Schriftführer der Saarforschungsgemeinschaft, 26. Januar 1935, HHStA Wiesbaden, 1150/64, Hervorhebung im Original. 193 Hermann Overbeck, 1900–1982, hatte nach seinem Studium der Geografie, Geologie, Geschichte und Betriebs- und Volkswirtschaftslehre Kontakte zur Leipziger Stiftung für Volks- und Kulturbodenforschung und zur WFG und arbeitete 1929 bis 1935 für die SFG. Vgl. Freund: Deutschtumswissenschaften, S. 124–128. 194 Tätigkeitsbericht Santes als Schriftführer der Saarforschungsgemeinschaft, 26. Januar 1935, HHStA Wiesbaden, 1150/64; vgl. ders.: Saar-Atlas. 195 Vgl. ders.: Westmark, S. 330.

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gleitband resultierte, war laut Sante, „daß wir nichts anderes beweisen konnten als die Saarländer in ihrer Abstimmung am 13. Januar 1935 bekannten“.196 In der Tat hätte das Ergebnis der Abstimmung kaum eindeutiger ausfallen können: Gut 90 % stimmten für die Rückgliederung an Deutschland, knapp 9 % für die Beibehaltung des Status quo und weniger als ein Prozent für die Vereinigung mit Frankreich.197 Die wissenschaftliche Untermauerung der deutschen Ansprüche mochte sicherlich nicht allein ausschlaggebend für dieses Ergebnis gewesen sein, und dennoch war intensiv auf die Abstimmungsberechtigten eingewirkt worden. Sante hob hervor, dass es nach Abschluss der größeren Vorhaben galt, diese Arbeiten „im Abstimmungskampf selbst zur vollen Auswirkung zu bringen.“ Dafür sprach er selbst auf Schulungskursen zur ‚Saarfrage‘ und wirkte an den „deutschen Abenden“ mit, die in den letzten Monaten vor der Abstimmung im Januar 1935 abgehalten wurden. Bei aller Volkstümlichkeit solcher Veranstaltungen war stets die wissenschaftliche Grundlage betont worden, „denn nur die vorangegangene wissenschaftliche Durcharbeitung von den geographischen Gegebenheiten der Saarländer gab erst die nötige Fülle und Stärke der Beweise.“ Im Saarkampf sei vielmehr die „Doppelform der strengeren Forschung und der volkstümlicheren Auswertung“ zur Geltung gekommen, welche die deutsche Wissenschaft besonders auszeichnete: „Sie wird oft zu Recht gescholten, daß sie weltfremd sei und sich der Hilfestellung entziehe, auf welche die deutsche Politik Anspruch machen kann. Im Saarkampf aber hat sie bewiesen, daß sie, wenn richtig eingesetzt, der deutschen Politik nicht die schlechtesten Dienste leistet. Indessen haben wir damit nur unsere Pflicht erfüllen wollen“.198

Die Publikationen Santes und seiner Kollegen waren nur ein kleiner Teil der regelrechten Flut von Schriften und Vorträgen, mithilfe derer deutscherseits auf die Saarabstimmung Einfluss genommen wurde. Ähnlich wie in der Ostforschung, die sich der Abwehrstellung gegen die ‚Angriffe‘ der polnischen (Geschichts)Wissenschaft verpflichtet hatte, sah sich auch die Westforschung im Saarkampf genötigt, sich sowohl um eine Angliederung des Saarlandes an das Deutsche Reich zu bemühen als auch dem Gegner aktiv entgegenzutreten. Eine Kontinuität über den Saarkampf und die Abstimmung hinaus wurde der SFG allerdings nicht zuteil, da ihre Arbeit nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Saargebiet eingestellt wurde; lediglich die regionalen Wissenschafts- und Kulturinstitutionen – Museen, Bibliotheken und Theater – konnte ihre Arbeiten fortsetzen.199 Mit Ingo Haar speziell die SFG als „Brain Trust“ zu bezeichnen, erscheint durchaus einleuchtend. Die konkrete Aufgabenstellung und Zielsetzung dieser kleineren Forschungsgemeinschaft war klar um196 Tätigkeitsbericht Santes als Schriftführer der Saarforschungsgemeinschaft, 26. Januar 1935, HHStA Wiesbaden, 1150/64. 197 Vgl. Paul: Saarkampf, S. 370. 198 Tätigkeitsbericht Santes als Schriftführer der Saarforschungsgemeinschaft, 26. Januar 1935, HHStA Wiesbaden, 1150/64, Hervorhebung im Original. 199 Vgl. Linsmayer: Saargebiet, S. 347.

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rissen und zugleich eindeutig politisch motiviert. Dass nach erfolgreich geleisteter Arbeit und entsprechend messbarem Ergebnis in der Saarabstimmung diese Einrichtung nicht mehr benötigt zu werden schien, bestätigt diesen Befund. Von den VFG in Gänze als ‚Brain Trusts‘ zu sprechen, muss dessen ungeachtet weiterhin kritisch hinterfragt werden. Sante kehrte nach getaner Arbeit an der Saar zum ersten April 1935 zurück an das Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, wo ihn „die freundliche Umgebung“, so Hermann Aubin, „in einem geistigen Kontakt mit jenem Westraum [beließe], dem bisher Ihre Gedanken gegolten haben“. Es sei außerdem völlig verständlich, dass Sante sich nun wieder auf archivarischem Gebiet betätigen wolle, da „in diesen Kampfjahren [die] ursprünglich gefaßten wissenschaftlichen Pläne in den Hintergrund gedrängt wurde[n] und die dringende Tagesarbeit das Übergewicht gewonnen [habe]“.200 Santes Mitarbeit in der SFG stellte somit einen Beleg für die effektive Integration archivischer Experten in VFG dar. Daneben konnten die erfolgreichen Arbeiten von PuSte und NOFG unter archivarischer Beteiligung zumindest in aller Kürze umrissen werden. Allerdings waren dies nur einige wenige Beispiele für Arbeiten und Kooperationen, die in den frühen 1930er Jahren anfielen und geknüpft wurden, bei denen Brackmann meist im organisatorischen Mittelpunkt stand. Dessen Karriere neigte sich Mitte dieses Jahrzehnts ihrem Ende entgegen, wenngleich gegen seinen Willen. Einher ging diese Entwicklung mit einem ansatzweisen Generationenwechsel im deutschen Archivwesen. 5. Generationelle Veränderungen und das Ende der Ära Brackmann Seit er die Nachfolge Paul Fridolin Kehrs angetreten hatte, entwickelte sich Albert Brackmann zum unangefochtenen Herr über das preußische Archivwesen und setzte auch in der Archivwissenschaft nachhaltig wirksame Akzente; sei es durch die Etablierung von Institutionen wie IfA und PuSte oder durch seine wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeiten, die so manchen Archivar in geschichtswissenschaftlichen Projekten reüssieren ließen. Auf die nationalsozialistische Machtübernahme reagierte er wissenschaftspolitisch und -organisatorisch mit großem taktischen Geschick, sah er doch die Stunde der Archivare gekommen. Dass die von jenen betriebene Volks- und Kulturbodenforschung sowie die Ostforschung unweigerlich weiteren Aufschwung erfahren würde, war absehbar. Doch trat alsbald eine enorme Steigerung des Arbeitspensums in originär archivarischer Tätigkeit ein, namentlich in der Unterstützung bei der Ausstellung sogenannter Ariernachweise. In Bezug auf diesen Umstand hatte Brackmann die Bedeutung der Archivwissenschaft und ihrer Vertreter unmissverständlich dargelegt und die Zeit kommen sehen, Forderungen stellen zu können, welche noch wenige Jahre zuvor kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätten. 200

Aubin an Sante, 23. März 1935, HHStA Wiesbaden, 1150/64.

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Aber nicht nur für die Archivwissenschaft hatte sich Brackmann unabdingbar gemacht; durch seine Vielzahl an Ämtern und natürlich der schon vor Übernahme des preußischen Generaldirektorats herausragenden Stellung innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft war er zugleich zu einem äußerst einflussreichen Wissenschaftsorganisator geworden. Er nahm die Funktion eines beinahe „generalbevollmächtigten ‚Führers‘“ mancher Zweige der deutschen Historiografie der 1930er Jahre ein.201 Brackmann war in seiner Laufbahn vor 1929 zwar mit Archiven und Archivaren in Kontakt gekommen, hatte selbst aber keine archivfachliche Ausbildung absolviert. Wohl nicht zuletzt aus diesem Grund holte er sich nach der Übernahme des Generaldirektorats in der Person Georg Winters einen hochqualifizierten Mitarbeiter an die Seite. Winter war nach bestandenem Archivexamen von 1922 an Assistent am Dahlemer GStA, wo er 1927 zum Archivrat ernannt wurde und damit einer der jüngsten höheren Beamten am GStA war.202 In seiner frühen Laufbahn konnte er sich in mehrerlei Hinsicht auszeichnen – es schien nicht nur, dass er „den Archivaren nacheifern [würde], die ihre beste Zeit und Kraft der Wissenschaft geweiht haben“, sondern er beschritt auch neue Wege, ließ sich als einer der ersten Archivare an der Technischen Hochschule in Charlottenburg in Dokumentenfotografie schulen und leitete daraufhin die fototechnische Abteilung am GStA.203 Enge Mitarbeiter hielten später fest, dass von seiner frühen wissenschaftlichen Betätigung „ein Kraftstrom über[ging] auf seine spätere Tätigkeit als verwaltender, organisierender und leitender Beamter“, als der er bald Karriere machen sollte.204 Von Bedeutung war zudem Winters Rolle als „persönlicher Betreuer und Mentor all’ dieser Generationen des Beamtennachwuchses“ gewesen, die in den ersten IfA-Lehrgängen ausgebildet wurden; für diese war er „ganz die Persönlichkeit, die hier erzieherisch und vorbildlich zu wirken vermochte“.205 Der zeitweise enge Mitarbeiter und spätere Nachfolger Winters als Referent im RMdI, Wilhelm Rohr206, bezeichnete die Frühzeit des ‚Dritten Reichs‘ – „sieht man einmal von den politischen Begleitumständen ab“ – als eine „Pe201

Vgl. Haar: Historiker, S. 203. Zu Herkunft und Ausbildung Winters siehe Kap. C. V. 2. b). 203 Rohr: Nachruf, S. 181. 204 Ebd., S. 183. 205 Ebd., S. 183. 206 Paul Wilhelm Rohr wurde 1898 in Oldenburg als Sohn eines Postbeamten geboren, legte 1916 an einem humanistischen Gymnasium das Abitur ab und war danach als Offizier der Infanterie im Kriegseinsatz. 1917 und 1918 wurde er an der Front zweimal verwundet und befand sich von März 1918 bis Oktober 1919 in britischer Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr studierte er von 1920 bis 1923 in Berlin Geschichte, Philosophie sowie deutsche und lateinische Philologie und wurde 1923 als Schüler Friedrich Meineckes mit summa cum laude promoviert. Nach dem Examen für das höhere Lehramt 1924 absolvierte er die wissenschaftliche Archivausbildung und wurde 1925 Assessor am GStA. Nach kürzeren Zwischenstationen am brandenburgisch-preußischen Hausarchiv, erneut dem GStA, und dem Staatsarchiv Düsseldorf, wo er 1930 zum Archivrat ernannt wurde, kehrte Rohr im Herbst 1933 an das GStA zurück. Dort übernahm er, seit Mai 1933 NSDAP-Mitglied, im folgenden Jahr das Amt des Fachschaftsgruppenleiters des RDB. Eckert: Nachlass Paul Wilhelm 202

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riode schönster Entfaltung und beinahe stürmischen Vorwärtsschreitens auf den meisten Gebieten der archivischen Arbeit“.207 Dennoch gedachte er in seinem Nachruf auf Winter „auch der düsteren Kehrseite“, „die sich hinter der scheinbar so ansprechenden Fassade jener Jahre verbarg.“ Aber Winter habe „das Heraufkommen und die Herrschaft des Nationalsozialismus mit tiefer Sorge und innerer Abneigung verfolgt“.208 Würdigungen dieser Art finden sich naturgemäß in zahlreichen Nachrufen und können nicht selten eindeutig widerlegt werden. Im Falle Winters lässt sich hingegen anerkennen, dass er nie der NSDAP, sondern lediglich dem RDB beigetreten war. Die Anpassung an das neue Regime vollzog er jedoch reibungslos. In der Ostforschung war Winter nicht aktiv und hatte auch keinerlei slawischen Sprachkenntnisse, was bei noch zu erfolgender Betrachtung seiner Tätigkeit vor allem in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs zu berücksichtigen sein wird.209 In der Hochzeit Brackmannscher Tätigkeit im preußischen Archivwesen, nachdem IfA und PuSte ihre Bewährungsproben bestanden und sich fest etabliert hatten und die erforderlichen Anpassungen im Rahmen des Gleichschaltungsprozesses vorgenommen worden waren, stiegen neben Winter noch weitere Archivare aus dessen Alterskohorte beziehungsweise der Frontkämpfergeneration ebenso wie der jüngeren Nachkriegsgeneration in höhere Ämter auf, etwa Erich Randt (*1887), Erich Weise (*1895) und Kurt Forstreuter (*1897), die allesamt auf ähnliche Erfahrungen zurückblicken konnten und deren Karrieren sich noch an so manchen Punkten kreuzen sollten. Diese Archivare nahmen mittlerweile wichtige Stellungen im deutschen Archivwesen ein, wie es sich Mitte der 1930er Jahre darstellte und in dem sich somit ein Generationswechsel andeutete. Winter als enger Brackmann-Mitarbeiter am GStA, Weise dort als Abteilungsleiter, Randt als Archivdirektor in Breslau und Forstreuter als etablierter Archivar und Ostforscher in Königsberg. Doch auch Vertreter der jüngeren Nachkriegsgeneration konnten zu jener Zeit bereits auf eine abgeschlossene Archivarsausbildung zurückblicken und nach ersten Anstellungen und Berufserfahrungen in der Laufbahn des höheren Dienstes aufsteigen. Archivare wie Karl Gustav Bruchmann (*1902), Johannes Ullrich (*1902) und Willy Flach (*1903). All jene standen stellvertretend für eine neue Generation, die sich Anfang und Mitte der 1930er Jahre fachlich bewährt und zumindest genug politische Kon-

Rohr (N 1418), Bestandseinleitung; vgl. Vogel: Rohr; vgl. Personaldaten Rohrs, BArch N 1418/11; vgl. BArch (ehemals BDC), PK K 33, Rohr, Paul Wilhelm, *1898. 207 Rohr: Nachruf, S. 184. 208 Ebd., S. 185. 209 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 61, 182.

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formität bewiesen hatten, um entsprechend befördert zu werden.210 Ihnen grundsätzlich zu unterstellen, sie hätten sämtlich „für die Durchsetzung der Intentionen der Nationalsozialisten“211 gesorgt, mag ein allzu pauschales Urteil darstellen, doch ein gewisser Opportunismus hinsichtlich der Förderung der eigenen Karriere kann ihnen zugeschrieben werden. Dass „unter ihnen [. . . ] sowohl die politische Indoktrination als auch die Bereitschaft [wuchs], sich dem NS-System zur Verfügung zu stellen“212, ist sicherlich richtig, kann aber nicht ausschließlich den Archivleitern angelastet werden. Denn die Zunahme „politischer Indoktrination“ – wenn beispielsweise verpflichtende Schulungsabende, Gefolgschaftstreffen et cetera herangezogen werden – lag meist nicht in Händen der Abteilungs-, Archivoder generell Behördenleiter, sondern wurde von höherer ministerieller oder Parteistelle oktroyiert; die unmittelbar Dienstvorgesetzten hatten allerdings oft für die Umsetzung vor Ort zu sorgen. Doch die Bereitschaft, sich dem NS-System „zur Verfügung zu stellen“, nahm beim akademisch ausgebildeten Nachwuchs natürlich auch deshalb zu, weil eine gewisse, durch Parteimitgliedschaft und Betätigung in den NS-Gliederungen nachgewiesene Teilhabe der eigenen Karriere mehr als förderlich war. Die somit ‚nachrückende‘ Archivarsgeneration folgte in vielerlei Hinsicht ihren Lehrern, den akademischen sowie denen ihrer Archivausbildung; Bruchmann und Ulrich hatten den ersten IfA-Kurs absolviert, Flach sollte im thüringischen Archivwesen reüssieren. Vergleicht man die Werdegänge bis zum Eintritt in den Archivdienst, fallen im generationellen Vergleich der akademischen Ausbildung und Sozialisation ebenfalls kaum Unterschiede auf; natürlich abgesehen von der Teilnahme am Ersten Weltkrieg der älteren Generation und deren ‚Fehlen‘ bei der ins Archivwesen nachrückenden jüngeren Generation. Dennoch scheinen zumindest zum Zeitpunkt der NS-Machtübernahme die generationellen Unterschiede nicht so stark ausgeprägt gewesen zu sein, dass von einem generationellen ‚Bruch‘ die Rede sein kann; vielmehr muss von einem sich in Ansätzen abzeichnenden ‚Generationswechsel‘ gesprochen werden. Während also diese Vertreter einer jüngeren Generation nach und nach in Führungsämter aufsteigen konnten, musste Albert Brackmann – der 1935 zusätzlich Nachfolger Ernst Müsebecks als Reichsarchivdirektor wurde und die beiden Direktorate nun in Personalunion ausübte213 – sich verschiedensten Anschuldigungen und Auseinandersetzungen stellen, die 1936 schließlich seine keinesfalls freiwillig vollzogene Pensionierung als Generaldirektor der preußischen 210 Auch im bayerischen Archivwesen wurde die Stelle des höchsten Archivars Mitte der 1930er Jahre neu vergeben. Mit Josef Franz Knöpfler (*1877, 1920 Staatsarchivar, nach diversen Beförderungen 1933 Oberarchivrat, April 1933 Abteilungsleiter am HStA München. Pg seit 1. Mai 1933, SS-Mitglied 1938) wurde 1936 ein Archivar zum Direktor der staatlichen Archive Bayerns und Stellvertreter des Generaldirektors ernannt, der aus der Alterskohorte Brackmanns stammte. 211 Musial: Staatsarchive, S. 33. 212 Ebd., S. 33. 213 Vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 139.

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Archivverwaltung zur Folge hatten; wenngleich sein wissenschaftsorganisatorischer Einfluss vor allem in der deutschen Ostforschung hiernach eher noch zunehmen sollte. Als sein wesentlicher Antagonist hatte sich alsbald Walter Frank herausgestellt, der sich schließlich damit brüsten konnte, neben anderen Persönlichkeiten auch Brackmann gestürzt zu haben. Der Konflikt Brackmanns mit dem jungen Frank (*1905) steht exemplarisch für einen Generationenkonflikt zwischen etablierten Wissenschaftler, die den neuen Machthabern nicht vollumfänglich genehm waren, einerseits und jungen, aufstrebenden Karrieristen andererseits, die nicht zwangsläufig über die höchste fachliche Qualifikation verfügten, in der Regel aber die ‚richtige‘ politische Ausrichtung unter Beweis gestellt hatten.214 Walter Frank, laut Rudolf Heß der „bahnbrechende Historiker unserer Zeit“215 und früher Anhänger des Nationalsozialismus, hatte ab 1923 bei Hermann Oncken, Karl Haushofer und Karl Alexander von Müller Geschichte studiert und 1927 bei von Müller über den antisemitischen protestantischen Theologen und Politiker Adolf Stöcker promoviert. Wissenschaftlich trat er in der Folgezeit kaum hervor, verfasste aber wie schon während seines Studium zahlreiche Artikel für den Völkischen Beobachter (VB) und weitere NS-Periodika. Sein Vorhaben, eine „kämpfende Wissenschaft“ zu etablieren und dabei gerade die Geschichtswissenschaft aus ihrem „reinen Gelehrtentum“ zu befreien und zu einer politischen Kraft zu erheben216, verhalf ihm ab 1933 zu einer steilen Karriere, die allein anhand seiner wissenschaftliche Leistungen kaum denkbar gewesen wäre. Seit 1934 war Frank, obschon kein Pg, Referent im Amt Rosenberg sowie Referent für Geschichte in der Hochschulkommission der NSDAP217, wurde 1935 zum Professor und im gleichen Jahr zum Präsidenten des neu gegründeten Reichsinstituts für die Geschichte des neuen Deutschlands ernannt. Im Folgejahr gründete er die Forschungsabteilung Judenfrage und gab ab 1937 die Reihe Forschungen zur Judenfrage heraus.218 Frank propagierte eine Wissenschaftsauffassung, in der auch, aber nicht nur, Historiker „die Soldaten einer neuerlebten Wissenschaft“ seien und somit zu „Soldaten eines neuen Reiches“ werden sollten.219 Denn „unter allen Wissenschaften ist die Wissenschaft des Erforschens, Schreibens und Lehrens der Ge214 Ein Konflikt indes, der sich so im Archivwesen noch nicht gezeigt hatte, da hier die Beharrungskräfte zu stark zu sein schienen, die eine solide fachliche Ausbildung über alle anderen Anforderungen stellten. 215 Zit. nach Klee: Personenlexikon, S. 160. 216 Frank: Wissenschaft, S. 20. 217 Vgl. Bollmus: Rosenberg; vgl. Grüttner: Hochschulkommission. 218 Ernst Klee liegt hier nicht ganz richtig, wenn er Frank die Gründung des Instituts zur Erforschung der Judenfrage zuschreibt, da sich Franks Einrichtung gegen die Zusammenlegung mit diesem Rosenbergschen Institut zur Wehr setzte. Vgl. Klee: Personenlexikon; richtig dagegen bei Klee: Frank. 219 Frank in seiner Rede zur Eröffnung des Reichsinstituts am 19. Oktober 1935. Frank: Zunft, S. 8.

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schichte die am meisten politische“ und könne, „wenn eine männliche Hand ihren Griffel führt, die Seelen der Männer und der männlichen Völker bewegen“.220 Mit seinen Forderungen einher ging ein beispielloser Feldzug Franks gegen die immer wieder verächtlich als rückständige Intellektuelle, „sogenannte Gebildete“ und unpolitische Gelehrte titulierten etablierten Historiker der älteren Generation; die prominentesten darunter Oncken und Meinecke.221 Einer der Höhepunkte der Kampagne Franks war der „lausbubenhafte Angriff“ (Ludwig Maenner) auf seinen akademischen Lehrer Hermann Oncken, der damit zur „Zielscheibe unwürdiger Angriffe und ein Opfer ungezügelter politischer Leidenschaften“ (Joseph Hansen) wurde.222 In einem Artikel im VB hatte Frank Oncken erneut heftig angegriffen223 und so zu dessen baldiger Entlassung wesentlich beigetragen. Daraufhin erhöhte er Anzahl und Takt seiner Angriffe gegen etablierte Persönlichkeiten im deutschen Wissenschaftsbetrieb, neben anderen auch gegen Friedrich Meinecke und Albert Brackmann, wodurch sich ein prototypischer Generationenkonflikt zwischen etablierten Koryphäen ihres Fachs und aufstrebenden Jungwissenschaftlern offenbarte. Meinecke, der sich nach seiner Emeritierung 1932 mehr aus politischen als aus Altersgründen aus den meisten seiner Ämter zurückgezogen hatte224, gab aber noch – seit 1894 als Mitherausgeber und seit 1900 mehr oder weniger als Alleinverantwortlicher – die Historische Zeitschrift heraus, wobei ihn seit 1928 Albert Brackmann unterstützte. Eine Auseinandersetzung mit Frank ließ Meinecke jedoch 1935 auch von diesem Amt zurücktreten.225 Die Nachfolge Meineckes übernahm der dem Verlag wie der NSDAP genehmere Karl Alexander von Müller. In die Debatte um die Nachfolge hatte sich Brackmann vehement eingeschaltet und von Müller ohne große Begeisterung zugestimmt, da er zwar keine „Führereigenschaften“ besäße, aber immerhin Parteigenosse sei – und letzteres erschien nicht nur Brackmann wichtig, da es Gerüchte gab, wonach von Parteiseite aus eine im nationalsozialistischen Sinne bessere Alternative zur HZ etabliert werden sollte.226 Allerdings zeigte sich in dieser Diskussion auch Brackmanns ambivalente und keineswegs stromlinienförmige Haltung zu den NS-Oberen im Wissenschaftsbetrieb: Den Vorschlag, kritische und politisch verdächtige Beiträge vor der Veröffentlichung dem Stab Rudolf Heß’ vorzulegen und dessen Plazet einzuholen, kritisierte er im Sinne einer nicht wünschenswerten politischen Hoheit über die Wissenschaft. Zuvor schon hatte er außerdem von einem öffentlichen Sturz Meineckes abgeraten, um das interna220 221 222 223 224 225 226

Frank: Historie, S. 29. ders.: Zunft, S. 11; vgl. ders.: Wissenschaft. Heiber: Frank, S. 221. Frank: L’incorruptible. Vgl. Schulin: Meinecke, S. 50 f. Vgl. Ritter: Meinecke. Vgl. Heiber: Frank, S. 227, 280–292.

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tional hohe Ansehen der deutschen Geschichtswissenschaft nicht in Misskredit zu bringen.227 Er betonte vielmehr noch Ende 1934, dass seine Mitherausgeberschaft auch einen „gewissen Schutz für Herrn Meinecke“ bedeute, da er doch „als Inhaber eines hohen preußischen Staatsamtes immerhin in Fühlung mit der herrschenden Partei“ stehe.228 War Walter Frank am Konflikt um die Herausgeberschaft der HZ nur indirekt und im Hintergrund beteiligt, so hatte er zu dieser Zeit doch bereits „mit starker Hand [in die] deutsche Wissenschaftsgeschichte eingegriffen“ und sollte diese Eingriffe wesentlich vorantreiben, bis sogar das Amt Rosenberg klagte, er geriere sich als „Diktator der neudeutschen Geschichtswissenschaft“.229 Dies sollte auch Brackmann zu spüren bekommen, der zwar qua Amt „in Fühlung“ mit der Partei stand, von dieser aber keineswegs allzu wohlwollend betrachtet wurde, wie eine NS-Dienststelle festhielt: „Br[ackmann] ist ein sehr umstrittener Mann. Er ist ohne Zweifel sehr ehrgeizig und machthungrig, andererseits aber durchaus liebenswürdig und hilfsbereit, wenn man ihm entsprechend entgegenkommt. Politisch wird er von seiten der Partei im großen und ganzen abgelehnt, wohl aber wissenschaftlich anerkannt. Nationalsozialist ist er nicht, wird er auch nie werden, wohl aber ist er stets ein deutschbewusster nationaler Mann gewesen“.230

Nicht zuletzt aufgrund seiner anerkannten Stellung in der Wissenschaft und seiner nachweislichen Erfolge und mündlichen Zusagen ging Brackmann 1935, mittlerweile 64 Jahre alt, davon aus, dass er wie üblich, sollten keine driftigen, beispielsweise gesundheitlichen Gründe dagegen sprechen, über die formelle Altersgrenze hinaus noch bis zum 68. Lebensjahr sein Amt als Generaldirektor der preußischen Archivverwaltung würde ausüben können. Im selben Jahr hegte Walter Frank während den Vorarbeiten zur Errichtung des geplanten Reichsinstituts den Verdacht, dass „gewisse Kräfte“ im Wissenschaftsministerium daran dächten, eventuell mit Brackmann einen „liberalen Geheimrat alter Schule“ mit dessen Leitung zu betrauen.231 Daraufhin begann Frank, gegen diese vermeintliche Konkurrenz vorzugehen, und bekam Schützenhilfe von Alfred Rosenberg232, der am 14. November 1935 das Augenmerk des preußi227

Vgl. ebd., S. 282, 291. Zit. nach ebd., S. 852. 229 Erstere Aussage von Wilhelm Grau, Geschäftsführer der Forschungsabteilung Judenfrage in Franks Reichsinstitut, sowie die Verlautbarung des Amts Rosenberg zit. nach ebd., S. 708. 230 Zit. nach ebd., S. 852. 231 Vgl. ebd., S. 854. 232 Alfred Rosenberg, *1893 in Reval, 1917 Diplom in Ingenieurwesen und Architektur nach Studium in Reval und Moskau, Flucht vor russ. Revolution nach München, 1920 NSDAP-Mitglied, 1923 Schriftleiter des Völkischen Beobachters, Gründer des Kampfbundes für deutsche Kultur, 1930 Veröffentlichung seines Hauptwerkes Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Reichstagsabgeordneter der NSDAP ab 1930, 1933 Leiter des Außenpolitisches Amtes der NSDAP und Ernennung zum Reichsleiter, 1934 Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, gründete in dieser Funktion das sog. Amt Rosenberg. Leiter des ERR ab 1940; später Reichsminister für die besetzten Ostgebiete (ab 1941). 1946 im Nürnberger 228

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schen Ministerpräsidenten Hermann Göring auf die Stelle Brackmanns lenken wollte.233 Dieser sei „bis zum Frühjahr 1933 als ausgesprochener liberaler Demokrat bekannt gewesen“ und habe sich gar „der Freundschaft des roten Ministerpräsidenten von Preussen Otto Braun“ gerühmt. Dass „Herr Brackmann also, wie nicht anders zu erwarten, sich äusserlich den Erfordernissen der neuen Lage schnell anpassen mag“, aber dennoch alles andere als „eine zuverlässige Stütze des nationalsozialistischen Staates“ sei, belegte Rosenberg mit der Anekdote, dass Brackmann im Königsberger Staatsarchiv eine Büste Otto Brauns hatte aufstellen lassen, die „in den Tagen der nationalsozialistischen Revolution plötzlich herabstürzte oder sonstwie verschwand“. Aus diesen Gründen käme also eine Verlängerung seines Amts, „die ja eine Auszeichnung bedeuten würde“, schon „angesichts seines politischen Charakterbildes“ keineswegs infrage. Rosenberg setzte dies nicht nur voraus, sondern wollte sogleich in die Nachfolgeregelung eingreifen, da es von großer Bedeutung sei, „dass der grosse und wichtige Verwaltungskörper der Archive durch einen zuverlässigen Anhänger des nationalsozialistischen Staates geleitet und wissenschaftlich wie persönlich beeinflusst wird“.234 Aus diesem Grund empfahl er Willy Hoppe als Brackmanns Amtsnachfolger. Hoppe235, Historiker an der Berliner Universität, sei „sowohl wissenschaftlich wie verwaltungstechnisch für den Posten des Generaldirektors vorgebildet“, gehöre der NSDAP schon seit 1931 an und sei damit also geeignet, „nationalsozialistischen Gedanken und Persönlichkeiten im Verwaltungsapparat der Archive Geltung zu verschaffen“. Nicht nur, weil mit Hoppe ein in seinen Augen geeigneter Kandidat bereitstand, drängte Rosenberg auf eine baldige Entscheidung, sondern auch, weil er befürchtete, dass Brackmann in näherer Zukunft einige Stellen neu besetzen würde und somit die Gefahr bestünde, „dass ein neuer nationalsozialistischer Generaldirektor vor vollendete Tatsachen gestellt und sozusagen von einem im politischen Sinn ausgesiebten Personal eingekreist sein würde“. Rosenberg empfahl deshalb nachdrücklich, „diesen Schachzug“ Brackmanns zu durchkreuzen, indem Göring ihn „zum Rücktritt aus seinem Amt“ bewegen und sämtliche anderen Neubesetzungen im preußischen Archivwesen aussetzen soll-

Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Piper: Rosenberg. Als Sammelbegriff für die Dienststellen Rosenbergs diente die Bezeichnung Amt Rosenberg, aus welchem sich der ERR rekrutierte. Vgl. Bollmus: Amt. Zur Entstehung des Amtes und des ERR siehe auch die ältere Studie Bollmus’, wenngleich dessen Annahme des sehr geringen Einflusses Rosenbergs innerhalb des Parteiapparates mittlerweile revidiert worden ist. ders.: Rosenberg, S. 27–60, 145–152. 233 Rosenberg an Göring, betr. Generaldirektion der Preussischen Archive, 14. November 1935, BArch R 1501/5527. 234 Ebd. 235 Willy Hoppe, 1884–1960, Historiker, Schüler Dietrich Schäfers, Promotion 1908, Habilitation 1924, 1929 Professor in Berlin (Lehrstuhl ab 1935), 1933 Vorsitzender des Gesamtvereins der Deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, 1937 Rektor der Berliner Universität.

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te, „bis sie von einem nationalsozialistischen Generaldirektor in die Hand genommen werden können“.236 Dabei war Willy Hoppe, der einst von Brackmann „aus Pietät gegenüber dem Lehrstuhlvorgänger Dietrich Schäfer“ habilitiert worden war237, keineswegs nur der Wunschkandidat Rosenbergs, sondern auch Walter Franks.238 Da es Pläne für ein künftiges Amt des Generaldirektors der deutschen Archive gab und dieses wohl dem preußischen Generaldirektor zufallen würde, machte diese Stellenbesetzung noch brisanter, gerade für Frank, der die Chance gekommen sah, Einfluss auf die Oberhoheit über das deutsche Archivwesen nehmen zu können; selbst wenn er dafür einen Historiker in Stellung brachte, der seine entsprechende Qualifikation im Grunde lediglich als Archivbenutzer erworben hatte.239 Brackmann hingegen habe, so Frank, bereits durch verleumderische Unterstellungen um der Verlängerung seiner Amtszeit willen bewiesen, dass er nicht der richtige Mann für dieses Amt sei; „ein Generaldirektor der Preussischen Archive muss heute ein so entscheidend wichtiges Gebiet wie die Erforschung der Judenfrage nicht unter dem Blickwinkel der persönlichen Spekulation betrachten, sondern unter dem Gesichtspunkt innerer weltanschaulicher Überzeugung“.240

Diesem Angriff auf Brackmann schickte Frank wenige Tage später weiteres Schreiben an den Staatssekretär im RMdI, Pfundtner, hinterher, in welchem er betonte, dass er einer Unterredung mit Staatssekretär Körner entnommen habe, dass seitens Görings „einer Entfernung des Professor Brackmann und seiner Ersetzung durch Professor Hoppe keine Bedenken entgegenstehen“, und auch der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, „ebenfalls ein Schreiben gegen Professor Brackmann und für Professor Hoppe an den Preussischen Ministerpräsidenten gerichtet“ habe; weiteres könne er in der Causa Brackmann nur mündlich berichten.241 Jener Körner hatte innerhalb des Ministeriums die Vorwürfe Franks gegenüber Brackmann bereits als haltlos und ungerechtfertigt zurückgewiesen, und Ministerialdirektor Ernst Vollert teilte Reichsinnenminister Wilhelm Frick im Juni 1936 mit, dass er Brackmann ganz im Gegenteil für eine „überragende Persönlichkeit“ halte und dieser gerade jetzt, auch aufgrund seines Rückhalts im Archivwesen, der richtige Mann für diese Aufgabe sei, er ihn also „wärmstens befürworte“.242 Es stellte sich demnach keineswegs so dar, dass Brackmann den Angriffen gegen seine Person schutzlos ausgeliefert war, aber dennoch war er der 236 Rosenberg an Göring, betr. Generaldirektion der Preussischen Archive, 14. November 1935, BArch R 1501/5527. 237 Heiber: Frank, S. 854. 238 Oder der Brief stammte, wie Heiber vermutet, mehrheitlich aus der Feder Franks und war lediglich von Rosenberg unterzeichnet und vorgelegt worden. Vgl. ebd., S. 1250. 239 Vgl. ebd., S. 242. 240 Frank an Göring, 4. Mai 1936, BArch R 1501/5527. 241 Frank an Pfundtner (RMdI), 12. Mai 1936, BArch R 1501/5527. 242 Vollert an Frick, 22. Juni 1936, zit. nach Heiber: Frank, S. 1251.

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Übermacht der hinter Frank vereinigten Stellen nicht gewachsen und wurde noch im Sommer 1936 als Generaldirektor der preußischen Staatsarchive pensioniert. Frank hingegen verbuchte dies als Sieg und brüstete sich damit, dass die „Säule des liberalen und projüdischen Gelehrtentums auf meine Initiative hin zurückgetreten“ sei.243 Somit musste sich Brackmann, der noch große Pläne für das deutsche Archivwesen gehabt hatte, seine Niederlage eingestehen gegen Parteifunktionäre und, wie auch Oncken und andere Opfer Franks, einen aggressiven Vertreter einer jüngeren (Historiker-)Generation, die auch vor Attacken gegen einstige Lehrer und Vorbilder nicht zurückschreckten. Ein Nachfolger als Generaldirektor jedoch war bei seiner Zwangspensionierung noch nicht gefunden; Brackmann sollte sich nicht geschlagen geben, sondern in seine Nachfolgeregelung aktiv eingreifen. War der Konflikt zwischen Frank und Brackmann in gewisser Hinsicht auch ein Generationenkonflikt, ist doch auffällig, dass in der Diskussion um Brackmanns Nachfolge keiner der aktiven Staatsarchivdirektoren zum Vorschlag gebracht worden war. Mit dem erzwungenen Generationswechsel in der Leitung der preußischen Archivverwaltung dieses Amt auf einen etablierten Archivfachmann zu übertragen, schien nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden zu sein.

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Heiber: Frank, S. 855.

VII. Radikalisierung und Mobilmachung? Vom Vierjahresplan bis zum Beginn des Weltkriegs, 1936–1939 1. Ernst Zipfel und das deutsche Archivwesen Walter Franks Kandidat Willy Hoppe hatte bei der ‚Absetzung‘ Brackmanns keineswegs alle Beteiligten überzeugen können. Doch bereits zum 11. Juni 1936 war durch den preußischen Ministerpräsidenten der „Sachbearbeiter für die Haushalts-, Verwaltungs- und Personalangelegenheiten am Reichsarchiv, Oberregierungsrat Dr. [Ernst] Zipfel, zum Sachbearbeiter der gleichen Angelegenheiten in der Preußischen Archivverwaltung ernannt“ und damit auf den Weg zu höheren Aufgaben gebracht worden.1 Dieser „Strohmann [. . . ] gewisse[r] vornationalsozialistische[r] Bürokratie“ war Frank ein Dorn im Auge, und er unterstellte seinen Gegenspielern, diesen Kandidaten – der immerhin seit 1932 NSDAPMitglied war – nur aufgestellt zu haben, um Willy Hoppe als den Kandidaten des Reichsinstituts, „der in jenen Kreisen nicht ganz zu Unrecht gefürchteten stärksten nationalsozialistischen Wissenschaftsorganisation“, zu Fall zu bringen.2 Brackmann hatte sich definitiv nicht vollständig zurückgezogen, sondern mischte sich aktiv in die Regelung seiner Nachfolge ein. Zwar hatte er in einer diesbezüglichen Denkschrift vom 30. September 1936 festgehalten, dass nur ein etablierter Historiker als neuer Generaldirektor infrage käme3, dennoch unterstützte er zeitweise den der SS genehmsten Kandidaten. Als dies keinen Erfolg mit sich brachte, wurde er zu einem energischen Förderer Zipfels.4 Militärdienst im Ersten Weltkrieg konnte Zipfel ebenso vorweisen wie ein Parteibuch der NSDAP, und dennoch schien er zu diesem Zeitpunkt wie auch Brackmann davon auszugehen, dass das vakante Generaldirektorat von einem professionellen Historiker zu übernehmen sei, der er keineswegs war. Dennoch wurde Zipfel, wohl als Kompromisslösung, im Oktober 1936 zum kommissarischen Generaldirektor der Staatsarchive ernannt, da keine andere Gruppierung, auch nicht

1 Mitteilungsblatt der Preußischen Archivverwaltung (künftig: Mitteilungsblatt) 1936, Nr. 2 vom 29. Juli 1936, Personalien. 2 Zit. nach ebd., S. 875. 3 Vgl. GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 93. 4 Brackmann hatte die SS darauf hingewiesen, dass sich in einem im GStA verwahrten Nachlass „wesentliche Beiträge zur Charakteristik des Herrn Walter Frank“ befänden, was aber nicht zu dem gewünschten Erfolg führte; den Kontakt zur SS hielt er dennoch aufrecht. Vgl. Heiber: Frank, S. 855 f.

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um Walter Frank, ihren Kandidaten hatte durchsetzen können.5 Allerdings wurde die Ernennung Zipfels teilweise als Erfolg Brackmanns und seiner Unterstützer gedeutet, als dessen „Marionette“ Zipfel angesehen wurde.6 Walter Frank hingegen schätzte Zipfel als „bemerkenswert von sich überzeugten, aber auch bemerkenswert bedeutungslosen Mann“ ein, der für jenes Amt nicht die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbrächte. Vielmehr glaubte Frank, Zipfel sei eingesetzt worden, um durch seine Parteimitgliedschaft die Machthaber zu besänftigen und „weil aber andererseits seine totale Unbekanntheit in der wissenschaftlichen Welt und seine persönliche Lenkbarkeit die tatsächliche Leitung der Archive weiter in die Hände der Partei Brackmann legen würde“.7 Seine Sicht legte Frank in Schreiben an die beteiligten Ministerien dar, in welchen er auf die drohenden Verwicklungen abzielte: „Würde der endlich erreichte Sturz Brackmanns lediglich damit enden, daß anstelle eines mit der nationalsozialistischen Geschichtswissenschaft eng verbundenen Historikers ein wissenschaftlich bedeutungsloser und persönlich lenkbarer Offizier Leiter der Archive wird, so wäre statt eines entscheidenden Sieges des Nationalsozialismus auf dem Gebiet der Wissenschaftsorganisation lediglich eine anders getarnte Weiterregierung der liberalen Bürokratie erreicht“.8

Zipfel stelle außerdem, so Frank weiter, lediglich einen Fassaden-, nicht aber einen Systemwechsel dar. Mit Hoppes Berufung hingegen, an der er weiterhin festhielt, würde „für die nationalsozialistische Wissenschaftsgestaltung ein entscheidender Schritt nach vorwärts getan“; außerdem würde es somit nicht mehr möglich sein, dass „von seiten der liberal-projüdischen Wissenschaft Brackmannscher Prägung“ und der mit ihr immer noch verbündeten „alten Bürokratie“ weiterhin „der umfassenden Forschungsarbeit des Reichsinstituts der schwer zu beseitigende Block höflich lächelnder Opposition und stiller Sabotage entgegengewälzt werde“.9 Alles Beharren und Bemühen Franks war erfolglos; Zipfel schien der Mann zu sein, auf den man sich ministeriell am ehesten einigen konnte, zumal es zunächst lediglich um die kommissarische Leitung der Archivverwaltung gehen sollte. Doch wer war jener Ernst Zipfel, der es binnen weniger Jahre an die Spitze der so bedeutsamen und unter der Leitung Brackmanns noch erheblich ausgebauten Archivverwaltung schaffen konnte? Zipfel wurde am 23. März 1891 als drittes von sechs Kindern eines Oberlehrers und Fachschuldirektors in Dresden geboren. Er schloss das humanistische Königliche Gymnasium in Dresden als Zweitbester seines Jahrgangs ab, trat 1910 5 Zunächst als temporäre Zwischenlösung gedacht, sollte Zipfel dieses Amt dennoch die kommenden zwei Jahre kommissarisch ausüben, bevor er zum 1. Oktober 1938 endgültig zum Generaldirektor ernannt wurde. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 41. 6 Vgl. Kriese: Generaldirektoren, S. 37. 7 Zit. nach Heiber: Frank, S. 875 f. 8 Zit. nach ebd., S. 877 f. 9 Zit. nach ebd., S. 878.

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als Fahnenjunker in das 3. Königlich Sächsische Infanterie-Regiment ein und wurde 1911 Leutnant. Schon als er zu dieser Zeit Rekruten ausbildete, war nach seiner eigenen Angabe den Vorgesetzten sein besonderes Lehrtalent aufgefallen, sodass er es bis 1914 zum jüngsten Adjutanten der Königlich Sächsischen Armee brachte. Ein Umstand, auf den er besonders stolz war, betonte er doch, dass er bei seinem Eintritt ins Heer keinerlei Protektion erfuhr – „Mich kannte niemand, und ich kannte auch niemand.“ –, allerdings durch seine Vorgesetzten aus der Masse herausgehoben und gefördert wurde. Diese leistungsbezogene Förderung soll ihn für spätere Posten geprägt haben: „Das habe ich stets dankbar empfunden und nicht vergessen, als ich selbst in leitende Stellung berufen wurde“.10 Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er im September 1914 in der Marneschlacht verwundet, war aber zwei Monate später wieder genesen und wurde, erneut im Felde, Ende 1914 zum Regimentsadjutanten ernannt. Die folgenden Monate in dieser Funktion beschrieb er als die schönsten seiner Militärzeit: „Konnte ich mich doch als Führergehilfe und Organisator betätigen!“11 Wie sehr ihm diese Rolle zusagte, sollte sich auch im späteren Verlauf seiner Karriere immer wieder zeigen. 1917 erfolgte seine Versetzung in das sächsische Kriegsministerium, wo er unter anderem für das Auffinden, Ordnen, Erfassen und Bereitstellen von Qualifikationsberichten der Offiziere zuständig war; ein Aufgabenbereich, den er im Nachhinein als seine ersten „Ordnungsarbeiten“ bezeichnete; wenig später erfolgte seine Versetzung in die Kriegsgeschichtliche Abteilung des Großen Generalstabs. Ein einschneidendes Erlebnis machte Zipfel am 9. November 1918, als ihm auf dem Weg zur Arbeit im Kriegsministerium „von einer Rotte meuternder Soldaten die Achselstücke heruntergerissen und der Säbel abgenommen“12 wurde. Dies habe ihn so sehr verstört, dass er beschloss, seine recht erfolgreiche Militärkarriere13 zu beenden, um einen neuen Beruf auszuüben, auch wenn er zunächst noch nicht wusste, welcher dies sein sollte. Er besuchte in der folgenden Zeit neben seiner Arbeit im Kriegsministerium abends die Handelsschule und reichte 1920 seinen Abschied ein, welcher ihm mit Pension und aufgrund Kriegsbeschädigung auch mit Kriegszulage gewährt wurde. Der 29-jährige Zipfel war nun Hauptmann a.D. – „und dunkel lag das Leben vor mir“.14 Allzu lange schien diese Dunkelheit nicht zu währen, denn mit Wirkung vom 1. April 1920 wurde Zipfel als Hilfsarchivar an das neu gegründete Reichsarchiv 10

Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 3. Ebd. 12 Ebd. 13 Zipfels Auszeichnungen im Ersten Weltkrieg: Eisernes Kreuz II. und I. Klasse, Ritterkreuz des Sächsischen Albrechtsordens II. Klasse mit Schwertern, Ritterkreuz des Sächsischen Verdienstordens II. Klasse mit Schwertern, Bayerischer Militär-Verdienstorden IV. Klasse mit Schwertern, Württembergisches Wilhelmskreuz mit Schwertern. Ebd. 14 Ebd. 11

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in Potsdam übernommen und war somit Beamter auf Lebenszeit geworden. Mit dieser Stellung wollte er sich nicht dauerhaft zufrieden geben, stattdessen noch weitere Karriereschritte rasch vollziehen. Neben seiner zweijährigen Ausbildung zum Archivar in Potsdam begann Zipfel ein Studium der Geschichte, Volkswirtschaft und Philosophie in Berlin, da er das für den höheren Dienst erforderliche Doktor-Examen möglichst schnell erlangen wollte; für dieses Ziel wechselte er für zwei Semester an die Universität Würzburg und opferte Geschichte und Philosophie zugunsten juristischer Nebenfächer neben der Volkswirtschaftslehre, um mit dem Dr. rer. pol. statt des eigentlich angestrebten Dr. phil. abzuschließen. Seine Dissertation über Versailler Vertrag und internationale Ströme wurde 1922 zwar mit magna cum laude bewertet, das Gesamtergebnis der Promotion fiel aber bescheidener aus, da Zipfel die Staats- und Verwaltungsrechtprüfungen lediglich mit rite bestand.15 Im Frühjahr 1923 wurde Zipfel am Reichsarchiv Potsdam zum Archivrat ernannt und war somit am Ziel seines Strebens, nach den „bitteren und sorgenvollen Jahren“ 1918 bis 1923, an die er nicht gern zurück dachte. War er doch, „gehaltlich lange nicht gut gestellt“, von den Schwiegereltern abhängig, und auch die „5Zimmer-Wohnung mit Hausgehilfin“ sei ihm eine Last gewesen, wie er resigniert feststellen musste: „Was für einen Offiziershaushalt vor Beginn des Weltkriegs zugeschnitten war, paßte eben nicht für einen Beamtenhaushalt nach Weltkrieg und Inflation“.16 So suchte er sich trotz der neuen Stellung einen Nebenverdienst, um zu Zeiten von Wirtschaftskrise und Inflation den Lebensstandard seiner Familie verbessern zu können. Im Reichsarchiv arbeitete Zipfel in der Abteilung Kriegswirtschaftsakten, deren Leitung er 1930 übernahm und so der einzige Archivrat als Abteilungsleiter war. 1935 wechselte er in die Verwaltungsabteilung des Reichsarchivs und wurde als Oberregierungsrat Personal- und Verwaltungsreferent. Ermöglicht wurden diese recht schnell aufeinander folgenden Karriereschritte nicht zuletzt durch den Einfluss des Direktors des Reichsarchivs, Ernst Müsebeck, der Zipfel sehr schätzte, ihn für leitende Posten empfahl und dessen Nachfolger an der Spitze des Reichsarchivs Zipfel schließlich wurde. Noch im selben Jahr begann Zipfel, sämtliche ihm kommissarisch unterstehenden Staatsarchive zu besuchen, wo er „meist bald ein williges Mitgehen der Direktoren“ suchte und fand. Besonderen Eindruck hinterließen dabei Erich Randt (Breslau), „ein hervorragend tüchtige[r], vornehme[r] und fleißige[r] Mann, mit dem ich mich immer wieder im Denken und Handeln traf“, und Adolf Diestelkamp (Stettin), „den ich wegen seiner zielbewußten, korrekten, soldatischen Art besonders schätzte“. Auch mit deutlich älteren Archivaren konnte Zipfel durchaus freundschaftlich verbunden sein – wenn sie denn „als Hauptleute d. R. auch

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meinem Herzen besonders nahe standen“. Den Archivleitern und Referenten als seinen engeren Mitarbeitern legte Zipfel, wie er es rückblickend darstellte, „stets offen dar, was ich wollte bezw. was ich für nötig hielt, und erwartete offene Stellungnahme. Ich wollte überzeugen, hinführen und mitreißen zu einem gemeinsamen großen Ziel, dem Wohl und Ansehen der Archivverwaltung und ihrer Angehörigen. War aber eine Angelegenheit besprochen bezw. angeordnet, duldete ich im Interesse der Sache kein Abweichen“.17

Generell ließ Zipfel in seinen Erinnerungen keine Möglichkeit aus, seine Leistungen in ein positives Licht zu rücken und zu betonen, gegen welch widrige Umstände und Widersacher er sich durchgesetzt habe. Er hätte sich niemals geschont, vielmehr „ohne Sorge um die eigene Stellung das für richtig Erkannte übergeordneten Beamten oder Parteidienststellen gegenüber“ nachdrücklich vertreten und sei „fanatisch“ gewesen bei seinem Einsatz für ihm unterstellte Mitarbeiter. Die lobheischende Erwähnung Zipfels, er habe Ludwig Dehio trotz „nicht rein arischer Abstammung“ auf dessen Posten beim Hausarchiv belassen, spricht sowohl Bände für die Zeitumstände als auch für Zipfels Rechtfertigungsdruck ex post. Denn Dehio war bereits unter Brackmann auf diesen Posten versetzt worden, um schlimmeren Konsequenzen zu entgehen; eine erneute Prüfung seiner Anstellung hätte mindestens sein Karriereende bedeutet. Ihn auf diesem im Vergleich zu GStA oder auch IfA ‚ruhigen‘ Posten zu belassen, bedeutete für Dehio vielmehr die Sicherung seiner Existenz.18 Dass Zipfel Archivare beförderte, die keine NSDAP-Mitgliedschaft vorweisen konnten, war weiterhin kein allzu großer Verdienst, denn die Parteimitgliedschaft war auch nach Erlass des Deutschen Beamtengesetzes vom 26. Januar 1937 nicht obligatorisch geworden. Beamte hatten vielmehr den Treueid auf Hitler abzulegen und „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten“.19 Zipfel forderte immer wieder nachdrücklich eine rege Betätigung der Archivbeamten bei der NSDAP und deren Gliederungen. Tatsächlich schwebte ihm vor, die Parteimitgliedschaft zur Einstellungsvoraussetzung zu machen, wie es in der höheren Bibliothekslaufbahn bereits üblich war.20 Allerdings wehrte er sich gegen die Einstellung offensichtlich nicht qualifizierter Bewerber ebenso wie gegen „fachlich anfechtbare Eingriffe politischer Stellen in die Archivarbeit“.21 Bedeutend stimmiger mutet Zipfels Selbsteinschätzung hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Leistungen an. Er habe sich „nie für eine Leuchte der Wissenschaft gehalten“, sei aber gewillt gewesen, „die wissenschaftliche Arbeit, vor allem größere Publikationen der Archivverwaltung zu organisieren und zu unterstützen durch Förderung der betr. Bearbeiter und Bereitstellen der nötigen Mit17 18 19 20 21

Ebd., S. 10. Ebd., S. 11, 15. RGBl. 1937 I, S. 41 f. Vgl. Direktorenkonferenz im StA Marburg am 21. Oktober 1938, BArch N 1333/32. Weiser: Archivverwaltung, S. 148.

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tel“. Da er außerdem der Meinung war, die deutschen Archive und Archivare sollten sich vermehrt in der Öffentlichkeit präsentieren, habe er sich „vor allem als Organisator“ betätigt. Letzteres auch aus der Überzeugung heraus, dass er, „wenigstens zunächst, in erster Linie Verwaltungsbeamter und Archivar und erst in zweiter Linie Wissenschaftler sein müßte“.22 Die Ernennung Zipfels zum Nachfolger Brackmanns ergab damit in wesentlicher Hinsicht einen Bruch mit der bisherigen Entwicklung. Wurden zuvor anerkannte Archivfachleute oder renommierte Historiker mit der Leitung der preußischen Archivverwaltung beauftragt, geriet mit Zipfel dieses Amt an eine ‚Führungskraft‘, die in keiner hierfür erforderlichen Weise als Fachmann hervorgetreten war oder besondere Expertise mitbrachte – dafür aber umso besser für die Lenkung der Archivverwaltung in nationalsozialistischem Interesse geeignet zu sein schien. So sehr sich Brackmann und Zipfel, ihre jeweilige Amtsführung und ihr Führungsstil auch unterscheiden mochten, ist wiederholt die völlig berechtigte Frage aufgeworfen worden, ob die schlichte Differenzierung zwischen dem „moralisch integren Wissenschaftler“ Brackmann einerseits und Zipfel als dem Nationalsozialisten andererseits tatsächlich haltbar ist. Bereits die sehr unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen der beiden Amtsperioden machen einen direkten Vergleich unmöglich.23 Auf dem von ihm eröffneten Archivtag in Gotha 1937 gab sich Zipfel bereits ganz als Wissenschaftsorganisator: „Hier bemühte ich mich, in den Vorträgen wirklich aktuelle archivalische Fachfragen erörtern zu lassen und anschließend eine fruchtbare Diskussion in Gang zu bringen“.24 Die Möglichkeit, über die Fachgrenzen hinaus Öffentlichkeit herzustellen, sollte gerade auf diesen Zusammenkünften genutzt werden. 2. Selbstvergewisserung, Abschottung und neue Herausforderungen a) „Streben nach Zusammenarbeit mit allen Dienststellen der Partei und des Staates“. Archivtage ab 1936 Seit dem 26. Archivtag in Karlsruhe 1936 wurde den Zusammenkünften der Disziplin erhöhte Bedeutung zugemessen.25 Dies geschah ganz im Sinne Zipfels, der auf eine persönliche Fühlungnahme mit den Vertretern der Disziplin großen Wert legte und bereits die meisten Staatsarchive und größeren Stadtarchive besucht hatte, „um Menschen und Dinge persönlich kennen zu lernen“.26 1937 fand der von Zipfel organisierte und geleitete 27. Deutsche Archivtag in Gotha statt, der die letzte Zusammenkunft der Disziplin vor dem Zweiten Weltkrieg sein sollte und von über 200 Teilnehmern, darunter zahlreichen Vertretern 22 23 24 25 26

Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 11 f. Vgl. Kriese: Generaldirektoren, S. 17 ff. Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 20. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 67. Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 10.

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von „Staat, Partei und Wehrmacht“, besucht wurde.27 Bereits in seiner Begrüßungsansprache hielt Zipfel fest, was Sinn und Zweck der Archivtage gerade in dieser Zeit sei; „die große, einheitliche Ausrichtung zu geben, die die Archivare im Dritten Reich für die Erledigung der umfassenden dienstlichen Aufgaben unserer Zeit brauchen“. Immerhin habe das Archivwesen allein in Preußen seit Kriegsende „eine fast 1000%ige Steigerung der Benutzung“ feststellen können.28 Dies zeige überdeutlich, dass Archive eine „volksnahe Institution“ und „durchflutet und aufgeschlossen für die großen Fragen der Gegenwart“ seien. Mit Verweis auf „Sippen-, Rassen- und Volkstumsforschung“ betonte er die enge Verbindung der Archive „mit den Aufgaben des Dritten Reiches“ – „daher unser Streben nach Zusammenarbeit mit allen Dienststellen der Partei und des Staates, [. . . ] mit Instituten, Kommissionen und Vereinen, deren Aufgaben auf dem Gebiet historisch-archivalischer Forschung liegen“.29 Jene angestrebten Kooperationen dienten zweierlei Anliegen. Zum einen wurden die Anforderungen des NS-Staates als willkommene Möglichkeit gesehen, bei staatlichen wie auch bei Parteistellen die eigene Bedeutsamkeit zu betonen, was sich idealiter in stärkerer Berücksichtigung archivarischer Anliegen niederschlagen würde, vor allem in personeller und finanzieller Hinsicht. Zum anderen ging es hinsichtlich der erhöhten Sichtbarkeit auch um ideelle Ziele. Die in der Vergangenheit oft ausgebliebene Würdigung archivarischen Schaffens sollte durch vermehrtes Streben an die Öffentlichkeit erreicht werden. Wenn damit die Bedeutung der Archivwissenschaft für genuin nationalsozialistische Aufgabenstellungen und Ziele betont wurde, stellte dies einen gewiss positiv wahrgenommenen Nebeneffekt dar. War es doch noch nicht lange her, „daß man über alle diese Sorgen der Archivare die Nase gerümpft hat“, aber nun sei die Wende absehbar: im „neuen Staat“ habe man „im Sinne des Gedankens von ‚Boden und Blut‘ [erkannt], daß sich aus den Archiven sehr viel für die Zwecke des Volkes herausholen läßt“.30 Diese auch schon in den Vorjahren artikulierte Befriedigung über eine in den Augen der Archivare längst überfällige Anerkennung ihrer Arbeit und deren potentieller Nutzbarmachung sollte in den Folgejahren die Diskurse innerhalb der Disziplin in hohem Maße bestimmen. Dass die grundsätzliche Finanznot und die damit einhergehende nicht ausreichende Personalstärke zu drastischen Einschränkungen im Archivwesen führen würde, legte der Archivdirektor und Leiter der Württembergischen Archivdirektion in Stuttgart, Hermann Haering, dar: „Notfalls müssen die Archive einen Monat für die öffentliche Benutzung geschlossen werden, damit die dringenden Ausscheidungsarbeiten bei den Behörden vorgenommen werden können“.31 Diese 27 28 29 30 31

Mitteilungsblatt 1937 Nr. 11 vom 22. Oktober 1937, Anlage, S. 1 f. Ebd. Zipfel auf dem Archivtag in Gotha 1937, BArch N 1333/52. Mitteilungsblatt 1937 Nr. 11 vom 22. Oktober 1937, Anlage, S. 7 f. Ebd., S. 8.

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Drohung musste jeden mit der Situation vertrauten Kenner der Materie ins Mark treffen, da gerade die öffentliche Benutzung in Zusammenhang mit Erbhofgesetzgebung und Ariernachweisen einen wesentlichen Teil der tagesaktuellen Arbeit ausmachte und zu dem enormen Anstieg der Benutzungsgesuche geführt hatte. Eine auch nur temporäre Aussetzung der Benutzung hätte entsprechend zu einem weiteren Anstieg des Arbeitspensums und einer Verzögerung dringlicher Anliegen geführt. Hieran zeigte sich deutlich, welchen Entwicklungsschritt die Archivwissenschaft seit 1933 vollzogen hatte. Wurde wenige Jahre zuvor fast ausschließlich hervorgehoben, dass man sich der neuen Aufgaben annehmen wolle, war mittlerweile erkannt worden, wie unverzichtbar die eigene Arbeit in manchen Belangen geworden war. Die Ausführungen Haerings verwiesen exemplarisch auf jenes gestärkte Selbstbewusstsein. Als am Ende des Archivtages eine Direktorenkonferenz im Schlosshotel Gotha stattfand, wurden manche Aspekte in kleiner und vertraulicher Runde erneut diskutiert – und solche, die auf der öffentlichen Tagung nicht angesprochen worden waren: „In der Frage der Benutzung von Archivalien durch Juden“ wurde noch keine einheitliche Regelung erlassen oder gar ein grundsätzliches Verbot erteilt, aber Zipfel bat die Direktoren, „das nötige Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewußtsein als nationalsozialistische Beamte walten zu lassen“, da in diesem Kontext „größte Vorsicht“ geboten sei und man in Zweifelsfällen seinen Rat einholen solle.32 Dieses eher zögerliche Vorgehen war indes nicht von langer Dauer, denn schon wenige Monate später sollte die Maßnahme aufgrund eines exemplarischen Vorfalls nachdrücklich geregelt werden.33 Als Zipfel am 21. September 1937 um 12:25 Uhr mit einem dreifach Sieg-Heil den 27. Deutschen Archivtag in Gotha schloss, beendete er nicht nur die aktuelle Gesamttagung der deutschen Archivwissenschaft, sondern zugleich die Ära der Archivtage vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Der 28. Archivtag war für September 1938, unter Aufbietung der gesamten „deutschnationale[n] Archivarselite der Ostmark“,34 in Augsburg geplant, musste aber aufgrund der Sudetenkrise verschoben werden. Ein Jahr später sollte er in Innsbruck nachgeholt werden als „erste[r] grossdeutsche[r] Archivtag“.35 Mit dieser einheitlichen Konferenz sollte der „Ausdruck nationalsozialistischer Reichseinheit“ der Archivwissenschaft belegt werden,36 und gerade den österreichischen Teilnehmern sei „die innere und äussere Geschlossenheit des grossdeutschen Archivwesens nicht nur heilige 32 Niederschrift der Direktorenkonferenz im Schloßhotel Gotha am 21. September 1937, Verf.: Zipfel, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28, S. 5. 33 Siehe Kap. C. VII. 2. b). 34 Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 221. 35 Ludwig Bittner an Willy Flach, 9. September 1938, ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 132. 36 Flach an Bittner, 30. September 1938, ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 132.

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Verpflichtung, sondern geradezu Herzenssache“.37 Aufgrund des Kriegsbeginns fand jedoch auch die Tagung in Innsbruck nicht mehr statt, wodurch die Gothaer Zusammenkunft der deutschen Archivare die letzte blieb bis zur Neuformierung der Disziplin nach Ende des Zweiten Weltkriegs.38 Die Zeit des letzten Archivtags vor Kriegsbeginn war gekennzeichnet durch eine zunehmende Verschärfung nationalsozialistischer Maßnahmen gegen ‚nichtarische‘ Bürger, die im November 1938 schließlich gewaltsam eskalierten. Dem waren schleichende, teils aber auch offensichtliche Radikalisierungstendenzen vorausgegangen, die sich in vielerlei Hinsicht in Verwaltung, Wissenschaft, Politik und Industrie zeigten. Besonderes Augenmerk muss an dieser Stelle auf die entsprechenden Entwicklungen im deutschen Archivwesen gelegt werden. b) Die Verdrängung ausländischer und ‚nichtarischer‘ Benutzer aus deutschen Staatsarchiven Kurze Zeit nach dem Gothaer Archivtag wurde die Frage der Archivbenutzung durch ‚Nichtarier‘, also vornehmlich durch Juden und ‚jüdische Mischlinge‘, anhand eines Einzelfalls virulent und bedurfte in den Augen der Archivverwaltung und des Innenministeriums weiterführender Anweisungen. Der Ende 1934 aufgrund des ‚Arierparagrafen‘ entlassene Mitarbeiter am Reichsarchiv, Hans Goldschmidt, war im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit immer noch eifriger Archivbenutzer und hatte 1937/38 einen erneuten Benutzungsantrag gestellt, zu dem schließlich Zipfel Stellung nahm. Den „bedenklichen Benutzungsantrag dieses nicht voll deutschblütigen Benutzers“ bewertete Zipfel durchaus kritisch, sowohl aufgrund Goldschmidts nicht näher benanntem „nicht in jeder Hinsicht einwandfreien Verhaltens“ als auch, weil dessen „weitrahmige Umgrenzung seiner Arbeitsthemen [. . . ] die Kontrolle über die Art der Verwertung der Akten fast unmöglich macht“. Deshalb – „sowie aus Gründen, die seinerzeit zu seiner Entlassung aus dem Dienst beim Reichsarchiv geführt haben“, also der ‚nichtarischen‘ Abstammung – sei Goldschmidt die weitere Benutzung sofort zu untersagen und künftigen Benutzungsgesuchen grundsätzlich nicht mehr zuzustimmen.39 Im selben Rundschreiben verwies Zipfel auf die Direktorenkonferenz in Gotha und betonte, dies stelle noch kein generelles Benutzungsverbot für Juden dar, doch hätten „alle Archivleiter als nationalsozialistische Beamte stets ernsthaft zu prüfen, ob Benutzungen von Juden oder jüdischen Mischlingen in der durch die Nürnberger Gesetzgebung festgelegten Linie liegen oder den Interessen von Volk und Staat widersprechen“, denn sollte dies der Fall sein, „wird sich immer ein Grund für die Ablehnung der Benutzung finden“.40 Eine Anweisung, wie sie für 37

Bittner an Flach, 11. Oktober 1938, ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 132. 38 Musial: Staatsarchive, S. 68. 39 Zipfel an die Staatsarchivdirektoren, 24. Januar 1938, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 9. 40 Ebd.

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Zipfels Amtsführung so typisch war wie für diverse andere Bereiche des nationalsozialistischen Staates und dessen Verwaltung. Gewünschte Resultate wurden vorgegeben, die Begründung und Umsetzung im Einzelfall wurde hingegen den konkret zuständigen nachgeordneten Institutionen und Personen überlassen. Für die reine Familienforschung „von Juden und jüdischen Mischlingen“, führte Zipfel an, bestünden noch keine ernsthaften Bedenken, aber es sei auch hierbei darauf zu achten, „daß die Zahl der nicht rein arischen Benutzer zur Zahl der rein arischen Benutzer in einem angemessenen Verhältnis steht.“ Um dies zu gewährleisten und überblicken zu können, solle künftig eine separate Benutzerstatistik unter Berücksichtigung der jüdischen Antragsteller und Nutzer angelegt werden. Der Inhalt des Schreibens war den wissenschaftlichen Archivaren vertraulich sinngemäß, „aber nicht wörtlich“ bekannt zu geben, damit diese entsprechend handeln konnten.41 Es ist bezeichnend, dass nicht ein bestimmter Kriterienkatalog erstellt wurde, der über Zulassung oder Nichtzulassung entschied, sondern die so uneindeutigen wie umfassenden ‚deutschen Interessen‘ als Richtschnur dienten für die jeweilige Entscheidung und erst in einem zweiten Schritt eine Begründung zu suchen war – die sich natürlich immer fand. Das nötige Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewusstsein, das Zipfel wenig zuvor gefordert hatte, bezog sich somit nicht darauf, Lösungen für entsprechende Nutzer zu finden, sondern die unerwünschten Nutzer aus den Archiven fern zu halten. Die Statistik des ersten Halbjahres 1938 belegte für das Geheime Staatsarchiv in Berlin ohnehin eine äußerst geringe Anzahl jener unerwünschten Benutzergruppen: Zwischen Februar und Juni 1938 betrug der prozentuale Anteil ‚nichtarischer‘ Benutzer zwischen 1,2 % und 2,7 %, was zwischen zwei und sechs Personen pro Monat entsprach.42 Dass diese Benutzer seit dem Frühjahr 1938 ohnehin nur noch Familienforschung betreiben durften, mochte seinen Teil zu deren geringer Zahl beigetragen haben. Denn Ende März hatte der Innenminister angeordnet, „daß fortan Juden (§5 der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz) die Benutzung staatlicher Archive außer zu familiengeschichtlichen Zwecken und zur Erforschung des jüdischen Volkstums zu versagen ist. In den erwähnten Ausnahmefällen ist darauf zu achten, daß dem jüdischen Archivbenutzer nur dasjenige Material vorgelegt wird, das für den Feststellungs- oder Forschungszweck unentbehrlich ist“.43

In einem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1936 bis 1938 hatte Zipfel den Ablauf der Nutzungseinschränkungen jüdischer Archivbesucher später zusammengefasst. Der erste Schritt sei 1935 bereits von Brackmann gemacht worden, der „die Vorlage von Materialien zur Geschichte des Judentums im 19. und 20. Jahrhundert an jüdische Benutzer von seiner Genehmigung abhängig“ gemacht hat41

Zipfel an die Staatsarchivdirektoren, 24. Januar 1938, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 9. Vgl. Der Anteil der nicht arischen und der nicht rein arischen Benutzer an der Gesamtbenutzung des Geheimen Staatsarchivs, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 9. 43 Der Reichs- und Preuß. Minister des Innern, 24. März 1938, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 9. 42

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te. Da zwischenzeitlich „der Prozeß der Ausscheidung des Judentums aus dem deutschen Volkskörper [unaufhaltsam] fortgeschritten“ war und der Antrag Goldschmidts entschieden werden sollte, kam es zu den angeführten Einschränkungen, die aber keineswegs das Ende der Maßnahmen darstellten. Zunächst galt es, auch die Archivbenutzung ausländischer Juden, „deren rassische Zugehörigkeit den Archiven vielfach unbekannt blieb“, im Sinne möglichst weitgehender Aussperrung zu regeln.44 Zipfel selbst war „maßgeblich beteiligt an den Vorarbeiten für einige Erlasse des Reichsministers des Innern, die die Benutzung der deutschen Archive durch Ausländer betrafen“, etwa an einem ergänzenden Erlass vom 18. Juni 1938, „wonach die staatlichen Archive ihr Augenmerk auch der Benutzung bedeutsamer privater Archivalien durch Ausländer zuwenden“. Um diese prinzipielle Kompetenzüberschreitung zu rechtfertigen, sollten Absprachen mit privaten Archivbesitzern getroffen werden, mit Hilfe derer sich die staatlichen Archivare ihre Mitwirkung sichern konnten. Diese Regelung bewertete Zipfel abschließend als äußerst begrüßenswert, „da die bisherige Unterschiedlichkeit in den Vorschriften der Länderarchive eine zentrale Kontrolle und damit eine gleichmäßige Handhabung gegenüber einem Ausländer bei allen deutschen Archiven ausschloß“.45 Jenen Missstand abzuschaffen durch die Vereinigung weiterer Befugnisse in seinem Zuständigkeitsbereich musste Zipfel begrüßen, war die verstärkte Zentralisierung des Archivwesens und die unangefochtene Vormachtstellung der preußischen Archivverwaltung doch eines seiner wichtigsten Anliegen. Wie in den Jahren zuvor war die Handhabung der polnischen Benutzeranträge für deutsche Archive von besonderer Bedeutung. Es gab diesbezüglich „angesichts der Vielgestaltigkeit der sachlichen und persönlichen Voraussetzungen“ noch keine allgemeingültige Entscheidung im Sinne eines Benutzungsverbots. Vielmehr wurde beschlossen, „die Anträge von Fall zu Fall auf Thema, Person des Antragstellers und archivalische Überlieferung zu prüfen“. Dadurch war es möglich, sowohl „besonders deutschfeindlich“ gesinnte Antragsteller direkt abzulehnen, als auch jene Anträge zu bewilligen, deren Thema zwar ‚bedenklich‘ war, für die aber „nur unbedeutende Aktenbestände vorhanden“ waren. Man war sich zudem bewusst, dass sich ein allzu freier Umgang mit Verboten als kontraproduktiv erweisen könnte und wollte deshalb prinzipiell „die Zahl der abzulehnenden Anträge möglichst gering“ halten, „um polnischen Stellen nicht einen Vorwand zu geben, deutsche Anträge aus Gründen mangelnder Gegenseitigkeit abzulehnen“.46 Die gleichen Einwände, die bereits 1931 gegen den Vorschlag einer Benutzungssperre für polnische Antragsteller hervorgebracht und diese ver44 Bericht des Generaldirektors der Staatsarchive über die Tätigkeit der preussischen Archivverwaltung für die Jahre 1936–1938, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 23. 45 Bericht des Generaldirektors der Staatsarchive über die Tätigkeit der preussischen Archivverwaltung für die Jahre 1936–1938, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 21 f. 46 GStA an Zipfel, 7. Oktober 1938, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 927.

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hindert hatten, waren auch nun noch Hemmnis genug und erklärten die zögerliche Haltung gegenüber Polen.47 In der Handhabung einzelner Anträge lassen sich Unterschiede zwischen Brackmanns und Zipfels Ägide ausmachen: Brackmann als in Polen anerkannter Wissenschaftler richtete sich meist nach den wissenschaftlichen Anträgen und veranlasste selbst bei Absagen ein freundliches Auftreten den Antragstellern gegenüber. Es muss dabei beachtet werden, dass zu Beginn von Brackmanns Amtszeit das Verhältnis zu den polnischen Kollegen sich zunächst verschlechtert hatte und die gegenseitige Benutzung deutscher und polnischer Archive erst im Zuge des Nichtangriffspakts kurzzeitig wieder angestiegen war – eine Entwicklung, die in beiden Ländern argwöhnisch wahrgenommen wurde. Zipfel hingegen war den polnischen Wissenschaftlern so unbekannt wie diese ihm, weshalb ein grundsätzlich kollegiales Verhältnis kaum möglich war. Vielmehr orientierte man sich unter Zipfel oftmals daran, ob der Antragsteller einen jüdisch klingenden Namen hatte, was wiederum die Erforschung seiner Abstammung und je nach Ergebnis eine direkte Ablehnung zur Folge hatte.48 Gewiss, es wurde grundsätzlich differenziert, Vor- und Nachteile entsprechender Maßnahmen und eventueller Reaktionen darauf abgewägt. Im Umgang mit Juden ergab sich bald eine neue Situation durch die, wie es in Zipfels Tätigkeitsbericht lapidar heißt, „Novemberereignisse des Jahres 1938 (nach der Ermordung vom Rath’s in Paris)“.49 Nachdem bereits am 7. November SA-Trupps jüdische Geschäfte demoliert und Juden angegriffen hatten, brannten am 8. November die ersten Synagogen, noch bevor nach Bekanntwerden des Todes vom Raths der organisierte Terror der ‚Reichspogromnacht‘ einsetzte.50 Zipfel fasste die Auswirkungen auf das Archivwesen nüchtern zusammen: „Es bedurfte keiner höheren Weisungen mehr; der nunmehr zu gehende Weg lag offen da.“ Er habe letztendlich am 7. Januar 1939 verfügt, dass in den preußischen Staatsarchiven „eine persönliche Benutzung durch Juden nicht mehr in Frage komme“.51 Zipfel sah sich selbst somit als Vollstrecker erforderlicher, wenn nicht unumgänglicher Maßnahmen – zu deren Umsetzung er nicht ausdrücklich aufgefordert worden war. Rein vor dem Hintergrund der Frage nach individuellen Handlungsspielräumen und deren Nutzung betrachtet, ist die Bewertung offenkundig: Zipfel hatte die Vertreibung ‚nichtarischer‘ Benutzer nicht nur nicht verzögert oder gar verhindert, sondern aktiv forciert und zum beschleunigten Abschluss nach den Novemberpogromen 1938 beigetragen. Die Frage, wie sich 47

Siehe Kap. C. V. 1. Vgl. Lehr: Restriktionen, S. 231 f., 240 f. 49 Bericht des Generaldirektors der Staatsarchive über die Tätigkeit der preussischen Archivverwaltung für die Jahre 1936–1938, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 23. 50 Vgl. Friedländer: Juden, S. 289–328; vgl. Longerich: Vernichtung, S. 198–207. 51 Bericht des Generaldirektors der Staatsarchive über die Tätigkeit der preussischen Archivverwaltung für die Jahre 1936–1938, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 23. 48

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ein anderer Generaldirektor in diesem Kontext verhalten hätte oder ob auch nur die Möglichkeit bestand, sich als Behördenleiter diesen ‚Zwängen‘ zu entziehen, bleibt kontrafaktisch und müßig. Fest steht hingegen, dass Zipfel und dessen Maßnahmen sich spätestens infolge der Pogrome einfügten in die Dynamik der Judenverfolgung, als mit verschiedenen Mitteln versucht wurde, die deutschen Juden „in Angst zu versetzen, sie einzuschüchtern und zur Flucht zu treiben“.52 So nahe es aus heutiger Perspektive auch liegt, für die Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg nach Radikalisierungstendenzen zu fragen, die sich in Benutzungsverboten und ähnlichen Maßnahmen niederschlugen, wäre es verkehrt, sich auf eben jene zu beschränken. Bei der Betrachtung der Jahre 1936 bis 1939 müssen vielmehr weitere, parallel stattfindende Entwicklungen berücksichtigt werden, die für die alltägliche archivarische Arbeit oftmals weitaus gravierendere Auswirkungen zeitigten. Wenngleich sich an den stetig forcierten Einschränkungen für jüdische und ausländische Benutzer deutscher Archive die Positionierung der ‚Leitungsebene‘ im Archivwesens deuten lässt, muss dennoch bedacht werden, dass jene Vorgaben die Alltagsarbeit in den Archiven kaum beeinflussten. Die geringen Anteile ‚nichtarischer‘ Benutzer im GStA verdeutlichen dies exemplarisch. Wesentlich größeren Einfluss hatten im entsprechenden Zeitraum allgemein- und wirtschaftspolitische Richtlinien beziehungsweise deren konkrete Umsetzung. Erschließt sich der Zusammenhang zwischen den mittels Vierjahresplan gelenkten Autarkie- und Aufrüstungsbestrebungen und der Archivwissenschaft nicht unmittelbar, waren es dennoch durch diesen Plan angestoßene Maßnahmen, die das Archivwesen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg herausforderten. c) Die Auswirkungen des Vierjahresplans auf die Archivwissenschaft Neben der allmählich verringerten und eingeschränkten Zulassung einzelner Gruppen zur Arbeit in den preußischen und deutschen Archiven bis hin zum rigorosen Nutzungsverbot für Juden 1938/39 gab es in den Jahren seit 1933 weitere Entwicklungen, die sich auf das Archivwesen auswirkten. Eine davon stellte die vermehrte Sammlung und Nutzung von Altmaterialien dar, die im Rahmen der nationalsozialistischen Autarkiepolitik durch den Vierjahresplan virulent geworden war.53 Mittels des 1936 verkündeten Vierjahresplans sollte sowohl wirtschaftliche Autarkie als auch militärische Aufrüstung zur baldigen Kriegsbereitschaft erreicht werden. Er fügte sich in der zeitgenössischen Wahrnehmung aber vor allem nahtlos ein in eine Reihe von Erfahrungen und Einschnitten, welche die Bevölkerung prägten; seien es „Lebensmittelrationierungen, die Gestellungsbefehle für 52

Orth: NS-Vertreibung, S. 188; vgl. Kershaw: Hitler, S. 717; vgl. Gruner: NS-Judenverfolgung. Vgl. Petzina: Autarkiepolitik; vgl. Treue: Vierjahresplan. Zur zeitgenössischen Sicht auf jene Bemühungen vgl. u.a. Wrangel: Rohstoff-Freiheit. 53

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den Mobilmachungsfall, die erhöhte Aktivität des Luftschutzes [. . . ] – alles das gibt der Kriegspsychose ständig neue Nahrung“.54 Flankiert wurden diese von vielfältigem propagandistischen Beiwerk in Form von Berichterstattungen zu neuen wissenschaftlichen Durchbrüchen, Publikationen zu eher wissenschaftlichen Detailfragen, aber auch öffentlichkeitswirksamen und gemessen an den Auflagen- und Verkaufszahlen vielgelesenen populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen.55 Neben die wesentliche Steigerung der eigenen Rohstoffproduktion traten weitere Maßnahmen: die vorhandenen Rohstoffe sollten effektiver genutzt werden; vorhandene Rohstoffe sollten auch neuen Verwendungszwecken zugeführt werden; die anfallenden Altstoffe sollten in höherem Maße und effektiver wiederverwertet werden.56 Dabei ging es sowohl um die offenkundig für Rüstungsindustrie und militärische Belange notwendigen Stoffe wie Stahl und Treibstoffe als auch um Textilstoffe, Kautschukprodukte, Holz und daraus gewonnene und weiterverarbeitete Produkte. Aus diesem Grund waren eine Vielzahl von Bereichen des öffentlichen Lebens betroffen – nicht zuletzt auch das Archivwesen, das die papiernen Auswüchse der Verwaltung beherbergte. Man besann sich nunmehr auf die vormals meist nur nebenbei betriebenen Altmaterialsammlungen und -verwertungen. Die Sammlung und Wiederverwertung von Altpapier stellte dabei nur einen Aspekt dar. Dieser werde, wie eine Studie 1942 ergab, „in einer Großraumwirtschaft aus rohstoffpolitischen Gründen (Weltholzverknappung) [. . . ] seine besondere Bedeutung beibehalten“, und auch längerfristig würden „gewisse Lenkungsmaßnahmen“ erforderlich sein, um den Ablauf der Altpapierverwertung zu gewährleisten.57 Da noch 1936 lediglich ein Viertel des verbrauchten Papiers als Altpapier wieder dem Verwendungskreislauf zugeführt wurde, ergab sich die Idee, „daß man in Deutschland noch größere Mengen Altpapier, die sonst verfeuert oder achtlos weggeworfen werden, sammeln und nach genauester Sortierung als einen wertvollen Rohstoff wieder verwenden könnte“.58 Deshalb rückten jene Stellen in den Fokus, bei denen Papier verbraucht wurde; unter anderem sollte „jede deutsche Hausfrau und jeder deutsche Betrieb seinen besonderen Beitrag zum Vierjahresplan leisten“.59 Hierin lag die besondere Bedeutung, die auch dann zur Geltung kam, wenn die ökonomische Effizienz der Sammlungs- und Wiederverwertungsstrategie infrage gestellt werden musste: Es konnte einerseits, beispielsweise durch die direkte Ansprache der „deutschen Hausfrau“, eine Verbindung zwischen staatlichen Stellen und den Privathaushalten hergestellt werden; ande54 55 56 57 58 59

Sopade-Berichte Dezember 1936, Rinner (Hrsg.): Sopade-Berichte, S. 1543. Vgl. u. a. Zischka: Wissenschaft. Vgl. Wrangel: Rohstoff-Freiheit, S. 7. Fischer: Altpapier, S. 75. Dorn: Papierholzversorgung, S. 218 f. Ebd., S. 219.

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rerseits wurde offiziell Aktivität gezeigt, deren Effizienz jedoch zurücktrat hinter die wichtigere symbolische Bedeutung des kollektiven Arbeitens für ein gemeinsames Ziel in entbehrungsreichen Zeiten.60 Aus diesem Grund wurde die Rohstoffnot beziehungsweise deren Überwindung propagandistisch begleitet, nicht zuletzt durch allgegenwärtige Aufrufe und Bilder, die den „Kampf dem Verderb!“ ausriefen.61 Es blieb nicht bei dem Aufruf an die deutsche Hausfrau, ihre Altpapierbündel abzugeben, sondern es wurde detailliert analysiert, an welchen Stellen welche Mengen welchen Altpapiers anfallen und der Wiederverwertung zugeführt werden könnten – dass sich außerdem mit steigendem Papierverbrauch auch das Altpapieraufkommen steigern müsste, wurde dabei vorausgesetzt.62 Allerdings erzeugten Privathaushalte nicht den Großteil des Altpapiers, wie auch den Planern der Rohstoffwirtschaft nicht entgangen war. Sie konstatierten, dass die wichtigsten „Anfallstellen“ für Altpapier neben den Haushalten die Papierverarbeitende Industrie wäre, ebenso Warenhäuser, die mit Papier verpackten, sowie „Archive und Registraturen“. Die Zusammensetzung des gesamten Altpapiers bestand 1939 neben gemischten Abfällen (36,7 %), Druckereiabfällen (9,2 %), alten Zeitungen (9,3 %) und weiteren Papiersorten (24,9 %) zu 19,9 %, also zu einem Fünftel, aus Akten und ähnlichen „besseren [Papier-] Sorten“.63 Da Archive naturgemäß nicht sämtliche archivreifen, das heißt in den behördlichen Registraturen nicht mehr benötigten und daher ausgesonderten Akten aufnehmen können, müssen Archivare jene potentiellen Neuzugänge sichten, bewerten und das nicht als archivwürdig eingestufte Material kassieren, also der Vernichtung beziehungsweise Weiterverwertung zuführen. Dieses Standardvorgehen stellt sicher, dass auf nachvollziehbaren Bewertungsgrundsätzen basierend das zur jeweiligen Zeit als der langfristigen Aufbewahrung und Erschließung würdig erachtete behördliche Aktenmaterial der Nachwelt zugänglich gemacht wird. Gleichzeitig sollen damit die Archive vor einer Masse von nicht mehr überblickbaren, geschweige denn nutzbaren Akten bewahrt werden, was schon die räumliche Situation gebietet. Mit dem Prozess der Aussonderung entsteht weiterverwertbares Altpapier. Jenes Vorgehen basierte auch im Untersuchungszeitraum auf der Einhaltung der einzelnen Schritte und setzte voraus, dass den Archiven entsprechendes archivreifes Material angeboten beziehungsweise sie zur Begutachtung herangezogen wurden, ohne mit anderen Institutionen um dieses Vorrecht kämpfen zu müssen. Genau das war mit der Rohstoffknappheit eingetreten, die sich auf die Papierwirtschaft erstreckte und Altpapier plötzlich wieder zu ei-

60

Vgl. Köstering: Rohstoffbeschaffung, S. 49. Sopade-Berichte Januar 1937, Rinner (Hrsg.): Sopade-Berichte, S. 76. 62 Das Jahresaufkommen an Altpapier war von circa 652.000 t (1936) auf knapp 922.000 t (1938) angewachsen. Vgl. Dorn: Papierwirtschaft, S. 818. 63 Ebd., S. 819. 61

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nem begehrten Gut werden ließ. Die materielle ‚Lebensgrundlage‘ der Archive rückte damit in den Fokus, wurde aber auch zum bloßen Rohstoff degradiert. Wenn Zipfel rückblickend festhielt, dass die Archive durch die Altpapiersammlungen im Rahmen des Vierjahresplans „vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten“ gestellt worden seien, spielte er nicht zuletzt auf die potentiell drohenden Verluste zahlreicher Akten und somit historischer Quellen an; Verluste indes, die schon im Ersten Weltkrieg und der darauf folgenden Inflationszeit immer wieder in Einzelfällen hinzunehmen waren und die es durch besondere Achtsamkeit zu vermeiden galt.64 Denn neben Versuche, den Papierverbrauch einzudämmen, waren schnell weitere Überlegungen zur vermehrten Gewinnung von Altpapier getreten. So sorgte sich die Vierjahresplanbehörde, ausgeschiedene Geheimakten – die in zunehmendem Maße anfielen – könnten dem Verwertungskreislauf durch Verbrennung entzogen werden; stattdessen sollten jene Akten zwar vernichtet werden, aber doch so, dass sie als Rohstoff weiter von Nutzen seien. Eine noch kaum genutzte Möglichkeit zur Altpapiergewinnung bestand darin, Akten, deren Aufbewahrungsfrist noch nicht abgelaufen war, daraufhin zu untersuchen, welche Beilagen, Anhänge et cetera diese enthielten, die nicht mehr benötigt würden und deshalb als Rohstoff verwertet werden könnten.65 So nachvollziehbar Überlegungen und Maßnahmen dieser Art sein mögen, ist dennoch nicht zu leugnen, wie groß das Missverhältnis zwischen Verwaltungsund Arbeitsaufwand und dem daraus resultierenden Zugewinn an Altpapier war, was wiederum die prekäre Situation in der Rohstoffversorgung verdeutlicht. Die Herausforderungen, denen sich das Archivwesen durch die Maßnahmen des Vierjahresplans seit 1936 stellen musste, waren entsprechend gravierend und zogen einen erheblichen Verwaltungs- und Personalaufwand nach sich. Nicht nur, dass wie in anderen Verwaltungseinrichtungen auch, Sparmaßnahmen im Tagesgeschäft durchzuführen waren, sondern in erster Linie die Sorge um vorschnelle Vernichtung von archivwürdigem Material versetzte die deutschen Archivare in Alarmbereitschaft. Ein Zustand, der sich im Zweiten Weltkrieg im Zuge von Luftschutzmaßnahmen, vor allem Keller- und Dachbodenräumungen, erneut einstellen sollte.66 Dass in den folgenden Jahren durch das ‚Sammelunwesen‘ der NSGliederungen keine größeren Verluste an potentiellem Archivgut eintraten – zumindest keine bekanntgewordenen, die für Aufsehen gesorgt hätten – war sicherlich nicht zuletzt dem energischen Eintreten der Archivare für diese ihre Belange geschuldet. Zipfels vehementes Pochen auf die Wichtigkeit archiva64 Zipfel: Tätigkeitsbericht für die Jahre 1936–1938 (abgefasst 1942/43), GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 22. 65 Vgl. Geschäftsgruppe Rohstoffverteilung beim Beauftragten für den Vierjahresplan, 1. Juli 1937, Mitteilungsblatt 1937 Nr. 9 vom 16. August 1937. 66 Siehe Kap. D. XI. 4. a).

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rischer Interessen auch und gerade für sippenkundliche Anforderungen zeigte, wie geschickt dieser vorging, wenn im weitesten Sinne ‚seine‘ Zuständigkeiten tangiert wurden. Zipfels unrühmliche Rolle beim Ausschluss jüdischer Benutzer aus deutschen Archiven allein kann nicht als ausreichender Beleg dafür dienen, dass mit ihm ein Nationalsozialist die Archivverwaltung übernommen hatte, um sie rücksichtslos auf Parteilinie zu bringen, ohne wissenschaftliche Aspekte zu berücksichtigen. Im Hinblick auf den Vierjahresplan hatte er vielmehr bewiesen, wie sehr er willens war, energisch für die Belange der Archivwissenschaft einzutreten. In anderer Hinsicht war es ihm zudem möglich, auf Bewährtes Rücksicht zu nehmen und etablierten Institutionen im Großen und Ganzen unverändert weiterzuführen. Die Ausbildung am IfA vermag dies zu belegen. d) Die Archivarsausbildung unter Zipfel Am IfA, dessen Leitung Zipfel 1937 ebenfalls übernommen hatte, änderte sich die fachliche Ausbildung der angehenden Archivare kaum. Die von Brackmann initiierte Ausbildung, die sich bewährt und etabliert hatte, wurde beibehalten, obwohl dieser beim Eintritt in den Ruhestand eingestehen musste, sein Ziel, das IfA neben der Archivarsausbildung zu einer „Stätte geschichtswissenschaftlicher Fortbildung für jüngere Gelehrte“ zu machen, nicht erreicht zu haben.67 Als er nicht mehr wie geplant ab Oktober 1936 in die Lehre des fünften IfA-Lehrgangs einsteigen konnte, teilte er dies den Kursteilnehmern erst Ende September mit; auch hieran zeigte sich, wie wenig mit dieser Entwicklung gerechnet worden war.68 Neben den gewohnten Vorlesungen und Übungen des bewährten IfALehrplans wurde, und dies war die wesentliche Neuerung in der Ausbildung, Wert darauf gelegt, nicht nur Fachwissen zu vermitteln, „sondern die jungen Archivanwärter zu frischen, gewandten, pflichteifrigen Beamten“ zu erziehen.69 Dafür setzte sich Zipfel persönlich ein und lehrte ab Februar 1937 in Einzelvorlesungen die Themen „Wollen und Wirken des Nationalsozialismus, Organisation, Aufgaben und Pflichten der Beamten, Neueste Geschichte“ und übernahm damit die ‚weltanschauliche Schulung‘ der angehenden Archivare.70 In Zipfels Augen schien dieser Ausbildungszweig vonnöten zu sein, wie er auch darauf achtete, dass die Umgangsformen seiner Untergebenen ebenso stimmten wie das äußere Erscheinungsbild. Dennoch kam er nicht umhin, wie 67 Brackmann: IfA – Allgemeine Ausführungen 1935/36, 30. September 1936, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 241; siehe auch Kap. C. VI. 3. b). 68 Vgl. Brackmann an Mitglieder des IfA, 28. September 1936, StAF U 203/1 Nr. 137. 69 Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 16. 70 Allgemeine Ausführungen und Bericht über die wissenschaftliche Tätigkeit des Instituts für Archivwissenschaft im Wintersemester 1936/37, HStA Marburg, 156e/651.

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schon sein Vorgänger, die unterschiedliche Vorbildung der Kursteilnehmer aufgrund ihrer universitären Ausbildung zu konstatieren, die „überwiegend unzureichend oder unzweckmäßig angelegt“ sei, zumal sich der wissenschaftliche Nachwuchs schwer damit täte, „sich auf deutschen Universitäten eine solide hilfswissenschaftliche Ausbildung anzueignen“.71 Dieses Lamento war keineswegs neu, stellte aber ein strukturelles Problem dar, das durch die Anforderungen an die Kursteilnehmer verstärkt wurde. Denn eine einheitliche Kenntnisstufe konnte nur schwerlich erreicht werden, wenn sich die Kurse sowohl aus frisch promovierten Historikern als auch aus solchen, die nach der Promotion bereits in Editions- oder ähnlichen Projekten gearbeitet hatten, zusammensetzten. Im März 1939 wurde zwar noch ein neuer Kurs begonnen, auch um „den Bedürfnissen der Kirchenarchive, der Stadtarchive und der Wirtschaftsarchive nach wissenschaftlichem Personal“ Rechnung zu tragen, doch wurde dieser Lehrgang aufgrund des Krieges verkürzt, im Juni 1940 beendet und um einen kurzen Sonderlehrgang von Januar bis März 1941 ergänzt.72 Diesen Sonderlehrgang absolvierten lediglich drei Personen, und der im April 1941 begonnene reguläre achte Kurs wurde bereits im Sommer desselben Jahres aufgrund der Einziehung zum Wehrdienst zahlreicher Teilnehmer abgebrochen. 1943 fand erneut ein mehrmonatiger ‚konzentrierter Sonderlehrgang‘ für drei Teilnehmer statt. Der neunte und letzte Kurs wurde von März bis November 1944 im Staatsarchiv Marburg als Ausweichstelle abgehalten, in Berlin fortgesetzt und im April 1945 aufgrund des Kriegsendes abgebrochen. Die Archivausbildung der angehenden wissenschaftlichen Archivare, wie sie im IfA bis dahin ihren Höhepunkt gefunden hatte, fand also in gewohntem Umfang und Ablauf bereits 1939 ein Ende und konnte nur unter widrigen Bedingungen in stark reduziertem Maße bis Kriegsende betrieben werden. Wenngleich Zipfel nicht in jedem Falle die selbst gesteckten Ziele erreichen mochte, lassen sich während seiner Amtszeit doch auch Erfolge feststellen. Die ambivalente Rolle, die er dabei spielte, zumal er gerade in Ausbildungsfragen die nationalsozialistische Ausrichtung der angehenden Archivare forcierte, zeigte sich freilich nicht nur in diesen disziplininternen Angelegenheiten, sondern auch in der Rezeption politischer Veränderungen und deren Auswirkungen auf das Archivwesen. e) Der Anschluss Österreichs und die Auswirkungen auf die Archivwissenschaft Die ab dem 11. März 1938 erfolgte partielle Machtübernahme durch Nationalsozialisten in Österreich, der Einmarsch deutscher Truppen am 12. März und 71

Zipfel: IfA – Allgemeine Ausführungen, 22. April 1938, GStA PK I. HA Rep. 178, Nr. 240. Niederschrift der Direktorenbesprechung im Preußischen Geheimen Staatsarchiv, 13. März 1939, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28. 72

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der am 13. März verkündete ‚Anschluss‘ – die „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“73 – blieben für das österreichische und das deutsche Archivwesen nicht folgenlos. Der ‚Anschluss‘ Österreichs entsprach für viele Deutsche dem Drang nach „freier Entfaltung des deutschen Volkstums“, welche territoriale Ausdehnung mittels Annexion rechtfertigte.74 Doch auch unter den Österreichern fand sich eine breite Mehrheit, die ein Großdeutsches Reich unter Einschluss Österreichs befürwortete. Hinzu kam ein latenter, „tief verwurzelter Antisemitismus“ in der österreichischen Gesellschaft, der diese mit den deutschen Machthabern im Land verband und als „soziales Bindeglied“ fungieren konnte.75 Die österreichischen Archivare und Historiker machten dabei keine Ausnahme und begrüßten den ‚Anschluss‘ oder feierten ihn gar frenetisch. Ihre meist großdeutsche und oft deutschnationale Gesinnung, die beinahe „Anstellungserfordernis“ im österreichischen Archivwesen geworden war,76 hatten sie schon in den Jahren zuvor kaum verhehlt, sodass 1938 nicht nur die junge, aufstrebende und noch nicht etablierte Generation von Archivaren die neuen Machthaber willkommen hieß, sondern außerdem die ältere Generation ihren Wunsch nach Vereinigung erfüllt sah.77 Neben politische Erwartungen trat zudem die Hoffnung, dass nun unter neuen Machthabern die österreichischen Archive umstrukturiert würden, vor allem aber einen Modernisierungsschub erhalten könnten. Denn seit Ende der 1920er Jahre war vermehrt die Klage über den bereits seit Jahrzehnten herrschenden Stillstand in der Entwicklung des österreichischen Archivwesens formuliert worden.78 Unabhängig von diesen Hoffnungen hatten die österreichischen Archivare bereits auf dem Archivtag in Linz und Wien 1930 betont, dass auch sie sich alle als Deutsche fühlten, und auf dem Karlsruher Archivtag 1936 zeigte die österreichische Delegation beim Betreten des Saales kollektiv den Hitlergruß – was wiederum das deutliche Befremden der schweizerischen und holländischen Gäste nach sich zog. Vor allem aber boten die Archivtage den Österreichern eine Plattform, auf der sie sowohl „deutschtümelnde“ Reden schwingen als auch ihrer „Anschlusssehnsucht“ Ausdruck verleihen konnten.79 Ludwig Bittner hielt sich noch einige Jahre danach zugute, „trotz aller Hemmnisse“ die Teilnahme der österreichischen Delegation bewerkstelligt und dabei mitgewirkt zu haben, „diese Tagungen zu gesamtdeutschen Kundgebungen zu 73 Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938, RGBl. 1938 I, S. 237 f. 74 Gerwarth: Bismarck-Mythos, S. 38. 75 Garscha: Anpassung, S. 35. 76 Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 182, 208. 77 Vgl. ders.: Groß, S. 75; vgl. Heiss: Vergangenheit. 78 Vgl. Goldinger: Archivwesen, S. 50 f. vgl. Thiel: Archivwesen. 79 Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 356; vgl. Weber: Heimkehr, S. 297; siehe auch Kap. C. V. 4.

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machen“.80 Aber es waren eben nicht nur die Archivtage, bei denen die österreichischen Vertreter der Zunft ihren Willen zur gemeinsamen Arbeit und Zukunft darlegen konnten, sondern Beteiligungen an deutschen Projekten kamen tatsächlich zustande. Bittner hatte schon vor dem ‚Anschluss‘ Objekte für die 1937 eröffnete Ausstellung Der ewige Jude von Walter Franks Reichsinstitut zur Verfügung gestellt, in dessen Sachverständigenbeirat er zudem vertreten war. Frank lobte Bittner wiederum als „eine der festesten Stützen des gesamtdeutschen Gedankens und einer entschlossenen anti-jüdischen Gesinnung“.81 Vor diesem Hintergrund war es nicht verwunderlich, wenn eben jener Bittner im Vorwort eines im Jahr des „Anschlusses“ veröffentlichten Inventars die „Heimkehr Österreichs in das deutsche Vaterland“ mit „freudig bewegte[m] Herzen“ begrüßte,82 und Ignaz Zibermayr, Direktor des Oberösterreichischen Landesarchivs, im April 1938 aufgrund der „Wiedervereinigung“ auf ein „Aufblühen des Archivwesens bei uns“ hoffte.83 Der Wille, dieses „Aufblühen“ im Rahmen institutioneller Angliederung – statt bloßer Eingliederung! – in das deutsche Archivwesen voranzutreiben, war alsbald vorgetragen worden. Schon wenige Tage nach dem offiziellen ‚Anschluss‘ stellte das Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv den Antrag, sich künftig Wiener Reichsarchiv nennen zu dürfen. Dies wurde zunächst abgelehnt, doch jenes Reichsarchiv wurde 1939 aus dem Zusammenschluss von Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Hofkammerarchiv, Archiv des Innern und der Justiz sowie dem Unterrichtsarchiv geschaffen, dem RMdI unterstellt und Bittner 1941 zu dessen Direktor ernannt.84 Bittner hatte sich allerdings nicht nur um das Reichsarchiv bemüht, sondern auch vermittels einer Denkschrift versucht, personelle Zentralisierungsbestrebungen voranzutreiben, die seine eigene Position noch verstärkt hätten. Die persönliche Bekanntschaft und frühere Vernetzung mit deutschen Archivaren und die gute Bekanntschaft mit Zipfel waren ihm dabei behilflich.85 Allerdings sollte es zu einer solchen Archivspitze im Sinne Bittners nicht kommen, und auch der anfängliche Enthusiamus der Österreicher wurde sehr bald gedämpft, denn von einem „Aufblühen“ konnte kaum die Rede sein; zu sehr zog die deutsche, das heißt vor allem die preußische Archivverwaltung die Zügel an sich. Ein Personalrevirement größeren Ausmaßes war im österreichischen Archivwesen nicht nötig gewesen, da, wie Bittner mehrmals stolz hervorheben konn80

Bittner an Flach, 11. Oktober 1938, ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 132. 81 Zit. nach Hochedlinger: Groß, S. 85. 82 Zit. nach ebd., S. 102. 83 Zit. nach ders.: Archivgeschichte, S. 209. 84 Vgl. Hutterer/Just: Reichsarchiv, S. 314. Die Entwicklung verschiedener österreichischer Archive nach dem ‚Anschluss‘ ist in diversen Einzeluntersuchungen ausführlich dargestellt, vgl. Penz u. a.: Kirchliche Archive; Rigele: Landesarchiv; Jerábek: Staatsarchiv des Innern und der Justiz; Hochedlinger: Heeresarchiv Wien; Stagl: Verkehrsarchiv; Just: Haus-, Hof- und Staatsarchiv. 85 Vgl. Jerábek: Wiener Reichsarchiv, S. 15; vgl. Just: Bittner, S. 290.

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te, Juden im österreichischen Archivwesen nicht beschäftigt waren und sich die große Mehrheit der Archivare mit dem ‚Anschluss‘ sehr zufrieden zeigte.86 Im Gegensatz zu den Archivaren mussten die Archivbenutzer deutliche Einschränkungen hinnehmen, denn der Zugang vor allem für ausländische Benutzer wurde erheblich erschwert. Ein wesentlicher Unterschied, welcher in der Umsetzung der Einschränkungen keine Rolle spielte, war, dass die österreichischen Archive auf den hohen Anteil ausländischer Benutzer von fast einem Drittel besonders stolz gewesen waren und dies kaum bedrohlich empfunden, sondern aus diesem Grund Beschränkungen der Nutzung abgelehnt hatten.87 Trotz der baldigen Enttäuschung über die nicht wie erhofft verlaufene Umstrukturierung des Archivwesens war die Kooperationsbereitschaft der österreichischen Archivare groß. Sicherlich auch deshalb, weil zwar die meisten ihrer Wünsche nicht erfüllt wurden, sie andererseits aber doch in vieler Hinsicht unbehelligt weiter arbeiten konnten und keineswegs völlig im deutschen Archivwesen aufgingen; sie erkannten, „daß der Strom der Entwicklung des österreichischen Archivwesens 1938 nicht abgelenkt wurde“.88 Zipfel, der nach dem ‚Anschluss‘ sogleich die meisten größeren Archive der Ostmark besucht hatte, hielt sich zugute, das Vertrauen der österreichischen Archivare gewonnen zu haben und diese nun seine „treuesten Mitarbeiter“ seien, seit sie bemerkten, „daß ich nicht ‚hineinreden‘, sondern helfen wollte und half“.89 Zentrale Forschungsfelder konnten auch ohne grundlegende Neuausrichtung weiter bearbeitet werden und fügten sich, etwa bei Forschungen zur Siedlungsgeschichte oder des Auslandsdeutschtums, nahtlos in maßgeblich geförderte Schwerpunktforschung der deutschen Geschichtswissenschaft und der Ostforschung ein. Lothar Groß beispielsweise, Kollege Bittners und dessen Nachfolger am Haus-, Hof- und Staatsarchiv, hatte sich bereits früh in der Alpenländischen wie auch der Südostdeutschen Forschungsgemeinschaft engagiert.90 Archivaren des Hofkammerarchivs wiederum gelang es, durch die Konzentration auf bestimmte Themen erhebliche finanzielle Mittel deutscher Forschungseinrichtungen zu erlangen – sie widmeten sich den deutschen Ansiedlungsbestrebungen sowie dem jüdischen Beitrag zur österreichischen Wirtschaft.91 Zudem leisteten österreichische Archivare auch Beiträge zu Aufgabenstellungen, vor die das nun großdeutsche Archivwesen im Herbst 1938 gestellt wurden. Die ‚Befreiung Sudetendeutschlands‘ im Zuge des Münchner Abkommens im September 1938 hatte die Archivverwaltung in hohem Maße berührt. Es wurde eigens eine Archivkommission gegründet, die zwei Unterkommissionen für 86 87 88 89 90 91

Vgl. ebd., S. 297. Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 222 f. Goldinger: Archivwesen, S. 56. Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 19. Vgl. Hochedlinger: Groß, S. 87 ff. Vgl. Hutterer: NS-Ansiedlungsforschung, S. 200.

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die Organisation des Archivwesens im Sudetengau unter Zipfels Leitung sowie für ein Archivabkommen zwischen dem Reich und dem tschechischen Staat unter Bittners Leitung umfasste.92 An das zuvor tschechische Archiv in Troppau beorderte Zipfel Walter Latzke vom Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, der Tschechisch sprach, überzeugter Nationalsozialist war sowie in der Folgezeit neben seiner Archivarstätigkeit auch „volkstumspolitische Memoranden“ erstellen und somit der Rolle des praktisch einsetzbaren Experten gerecht werden sollte.93 Der am Reichsarchiv tätige Helmuth Rogge war damit beauftragt worden, das deutsch-tschechische Archivabkommen vorzubereiten. Zwar kam dieses durch die Besetzung der Tschechoslowakei nicht mehr zustande, aber schon hier hatte Rogge als Vertreter des Reichsarchivs unter der Leitung Bittners in einem „Maximalprogramm“ das Provenienzprinzip hinter sich gelassen und tschechische Archivalien gefordert, die lediglich deutschen Betreffs, nicht aber deutscher Herkunft waren.94 Mit Rogge war dabei ein Archivar eingesetzt worden, der nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern als einer der wenigen höheren Archivare auch in der SS engagiert war. Rogge, 1891 geboren, war seit 1921 am Reichsarchiv tätig, seit 1925 am Aufbau des Referats Nachlässe und Kleine Erwerbungen beteiligt und seit 1938 Leiter einer Hauptabteilung. Seit 1933 war Rogge Mitglied der ReiterSS, dort auch Schulungsleiter und brachte es bis 1940 zum SS-Hauptsturmführer; in die NSDAP war er nach Aufhebung der Mitgliedersperre 1937 eingetreten. Von besonderer Brisanz ist allerdings seine Tätigkeit als „ehrenamtlicher Mitarbeiter“ beim SD-Inland, Hauptabteilung II 21 („Kulturelles Leben“, Abt. II/211 „Wissenschaft“). Da er der einzige Archivar war, der so direkt mit dem SD in Verbindung stand, war er für diesen so nützlich, dass er 1939 zur Beförderung vorgeschlagen und zum „Sachberater für alle das Archivwesen betreffenden Fragen und Planungen“ ernannt wurde. Im Antrag auf Beförderung hieß es, Rogge sei „insofern ein unersetzlicher Mitarbeiter, als er innerhalb des gesamten deutschen Archivwesens [. . . ] der haltungsmässig und fachlich wertvollste Sachbearbeiter auf diesem Gebiet ist.“ Fast schon bedauernd wurde an dieser Stelle zudem betont, dass im Archivwesen „nur sehr wenige SS-Männer tätig“ seien, wodurch Rogges Tätigkeit umso größere Bedeutung zukäme.95 Rogge war somit an der Konzeption eines „Archivabkommens“ beteiligt, das im Kontext der deutsch-tschechischen Archivalienauseinandersetzung als Generalprobe gesehen werden kann für die Durchsetzung archivpolitischer Interessen in besetzten Gebieten.96 Denn in dieser Situation wurden Vorgehensweisen diskutiert und Maßnahmen eingeleitet, die unter den erheblich veränderten Rahmen92 Vgl. Zipfel: Tätigkeitsbericht für die Jahre 1936–1938 (abgefasst 1942/43), GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 510, S. 13. 93 Ebd., S. 20; Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 182, 227. 94 Vgl. Herrmann: Reichsarchiv, S. 442. 95 Zit. nach Eckert: Kampf, S. 157; dort auch der Verweis auf Rogges Lebenslauf in PA-AA B 118, Bd. 740. 96 Vgl. Weiser: Archivverwaltung, S. 176.

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bedingungen des Zweiten Weltkriegs in den besetzten Gebieten erneut debattiert werden sollten, als fachliche Grenzverschiebungen und -übertretungen plötzlich denkbar geworden waren.97 Der wesentliche Unterschied im österreichischen Fall bestand darin, dass nach dessen ‚Anschluss‘ das Archivwesen mit dem deutschen verbunden wurde und sich die österreichischen Archivare in die Dienste der deutschen Interessen stellten. Auch wenn deren frühe Hoffnungen bezüglich ihrer Stellung innerhalb der deutschen Archivwissenschaft nicht erfüllt wurden, fügten sie sich dennoch beinahe nahtlos in die neuen Aufgabenstellungen ein; Latzkes ‚volkstumspolitische‘ Tätigkeit war lediglich ein Beispiel hierfür. Es bleibt festzuhalten, dass die Archivarstätigkeit keineswegs erst durch den ‚Anschluss‘ politisiert worden war, sich die Zunft um Zipfel aber auch hiervon eine gesteigerte Aufmerksamkeit politischer Instanzen für die Belange des Archivwesens erhoffte. Diesen konnte mittels Arbeiten und Expertisen im Rahmen der Ostforschung weiterer Nachdruck verliehen werden. 3. Archivwissenschaft und Ostforschung, 1936–39 Im Gegensatz zu Brackmann schien Zipfel zunächst weniger Engagement für die Institutionen der Ostforschung zu zeigen. Während er sich auf den Ausbau der Archivverwaltung und die den Zeitumständen geschuldeten neuen Herausforderungen vor allem verwaltungsorganisatorischer Natur konzentrierte, blieb Brackmann der Ostforschung als Wissenschaftsorganisator verbunden und konnte deren Institutionalisierung und Etablierung weiter vorantreiben. Schon kurz nach Brackmanns Pensionierung hatte Papritz der Generaldirektion eine Einschätzung vorgelegt, welche Institutionen der deutschen Wissenschaft nach den bisherigen Erfahrungen „für eine wissenschaftliche Abwehrarbeit gegen Polen“ überhaupt in Betracht kämen. Dies seien neben PuSte und NOFG das Königsberger Institut für ostdeutsche Wirtschaft (IOW),98 Walther Reckes Ostland-Institut, das Breslauer Osteuropa-Institut sowie die Historischen Kommissionen für Schlesien unter dem Vorsitz Hermann Aubins und für Ostpreussen unter Max Hein – fast ausnahmslos Einrichtungen, an denen als Ostforscher bewährte Archivare tätig waren oder den Vorsitz innehatten. Alle anderen potentiell infrage kommenden Institute, „die sich im Osten betätigen“, seien bislang „in der Abwehrarbeit gegen Polen kaum hervorgetreten und werden sich auch in diese Arbeit in Zukunft kaum selbständig handelnd eingliedern lassen“.99 Wie stark die Ostforschung weiterhin an Bedeutung zulegen konnte, zeigt schon ein Blick auf die finanziellen Mittel und deren Steigerung, die sowohl 97

Siehe Kap. D. IX. 2. b) bb). Vgl. Tilitzki: Albertus-Universität, S. 426–431. 99 Papritz an Generaldirektor, Tgb. Nr. P. St. 3088/36, 28. November 1936, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 81. 98

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PuSte als auch NOFG aus verschiedenen Quellen zuflossen. Die NOFG bekam von ihrer Gründung an sowohl Gelder vom Auswärtigen Amt als auch dem RMdI. Ihr Gesamtetat hatte sich zwischen 1936 und 1938 deutlich erhöht.100 Die PuSte hingegen hatte vom Auswärtigen Amt lediglich 1931 einen Zuschuss erhalten und wurde ansonsten komplett vom RMdI finanziert. Im Zweiten Weltkrieg stieg ihr Etat auf knapp über 130.000 RM 1940 und schließlich rund 400.000 RM jährlich von 1941 bis 1944.101 Neben Etatsteigerungen kam es ab 1938 sowohl für Papritz als auch die PuSte zu einer Art Institutionalisierungsschub: Papritz wurde zum Staatsarchivdirektor befördert, um seine „Stellung als Leiter endlich zu legalisieren“, und gleichzeitig temporär von der Archivtätigkeit freigestellt, um sich ganz der PuSte widmen zu können. Diese zog im selben Jahr aus den Räumen des GStA in ein nahe gelegenes Privathaus um und wurde formal einer Abteilung des RMdI unterstellt, die sie seit ihrer Gründung maßgeblich finanziert hatte.102 Dennoch sollte sie, und das wurde verschiedentlich betont, der Archivverwaltung eng verbunden bleiben, nicht nur durch die Mitarbeit zahlreicher Archivare oder der Rekrutierung junger IfA-Absolventen. Diejenigen Absolventen, die nicht sogleich an ein Archiv abgeordnet werden konnten, durch Stipendien oder kleinere Auftragsarbeiten zu fördern, war Brackmann stets ein Anliegen, und NOFG und PuSte boten hierfür zahlreiche Möglichkeiten – letztlich auch für jene Archivare, die sich so neben ihrer eigentlichen Tätigkeit weiterhin wissenschaftlich einbringen konnten. Für einige PuSte-Mitarbeiter ergaben sich aus ihren Tätigkeiten in der Ostforschung ganz neue Karrieremöglichkeiten, und Brackmann und Papritz ließen manchen bewährten Mitarbeiter nur widerwillig ziehen. Gut ausgebildete Mitarbeiter waren nicht nur die Voraussetzung dafür, künftig die geforderten Leistungen erbringen zu können, sondern mussten auch das ganz erheblich gestiegene Arbeitspensum bewältigen, da sich der Aufgabenkreis der PuSte stetig erweiterte. Ihr oblag um 1937/38 die Geschäftsführung der NOFG, die Schriftleitung der neuen Zeitschrift Jomsburg sowie der Schriftenreihe Deutschland und der Osten.103 Daneben mussten die Arbeiten des Publikationsplans genauso vorangetrieben werden wie der Ausbau von Bibliothek, Kartei und Presseübersetzungsdienst. Die Früchte des Letztgenannten bildeten „Grundlage und Voraussetzung der gesamten Arbeit der Publikationsstelle“. In diesen Bereichen, mit denen die PuSte bestens vertraut war, stieg die Arbeitsbelastung merklich, aber auch in neuen Betätigungsfeldern wie dem propagandistischen Ausstellungswesen, weshalb Papritz im Bericht für das Jahr 1937 festhalten konnte, dass „im ganzen [. . . ] die begutachtende, beratende und unterstützen100 Nach 1940 wurden die Zahlungen des RMdI eingestellt, vom Auswärtigen Amt erhielt die NOFG weiterhin zwischen 35.000 und 40.000 RM jährlich. 101 Vgl. Burleigh: Germany, S. 80. 102 Papritz: Lebenslauf, BArch R 153/2121, S. 7 f. 103 In dieser Reihe erschienen 1936–39 bereits 13 Bände, insgesamt sollten es über 20 werden. Zur Jomsburg siehe Kap. C. VII. 3. a).

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de Tätigkeit bei Ostunternehmungen wissenschaftlicher und propagandistischer Art stark zugenommen“ habe. Um diese vielfältige Betätigung auch weiterhin ausbauen zu können, wurde im selben Jahr die neue „Nachrichtenabteilung“ der PuSte eingerichtet, die im Austausch für Presseübersetzungen Mitteilungen von „Staats-, Partei- und Privatstellen“ erhielt und für die eigene Kartei auswertete.104 Dass man für die in Arbeit befindlichen und die noch anstehenden Arbeiten nicht allein auf die wissenschaftlichen Beamten, angestellten Mitarbeiter und befristet angestellten Stipendiaten setzen konnte, war schon aufgrund der Fülle an Betätigungen offenkundig geworden. Dies galt sowohl für die dezidiert der Ostforschung gewidmeten Institutionen als auch für die Archivverwaltung an sich, die sich wissenschaftlich ebenfalls weiter hervortun und profilieren wollte, da es, wie im Herbst 1938 auf einer Direktorenkonferenz in Marburg festgehalten wurde, nicht „Sinn und Aufgabe der staatlichen Archive [sei], für andere lediglich Material zusammenzutragen“.105 Zipfel führte hierbei an, wie das Verhältnis zur universitären Geschichtswissenschaft vielfach darunter leide, „daß die Professoren die Archivverwaltung und ihre Sachbearbeiter nur als Hilfsorgane für ihre eigenen Zwecke anzusehen geneigt sind“, obwohl die Archivare doch „zu jeder ehrlich gewünschten Mitarbeit an wissenschaftlichen Aufgaben [. . . ] stets bereit“ wären.106 Jenes angespannte Verhältnis zwischen Archivwissenschaft und universitärer Geschichtswissenschaft war für Zipfel Dauerthema und kam bei Tagungen und Konferenzen ebenso immer wieder zur Sprache wie in seinen dienstlichen Korrespondenzen. Bezeichnend ist, dass jene Problematik fast ausschließlich seitens der Archivwissenschaft und dabei in erster Linie von Zipfel anklagend vorgebracht wurde. Dabei stützte er sich, in diesem Fall wie auch in späteren Diskussionen, in der Regel nicht auf konkrete Vorfälle oder offensichtliche Benachteiligungen, sondern schien vor allem einem diffusen Gefühl der Vernachlässigung und Geringschätzung Ausdruck zu verleihen. Die Archivverwaltung plagte die Sorge, von der Entwicklung wissenschaftlicher Großvorhaben abgekoppelt zu werden und zu dem zu verkommen, das man weit von sich wies, eben der Materialsammelstelle für die forschenden Institutionen. Aus diesem Grund herrschte Einigkeit darüber, eigene Publikationspläne vehement voranzutreiben, und die PuSte, die nun in die institutionalisierte Großforschung eingebunden war, möglichst nahe an der Archivverwaltung zu behalten; zumindest „personell und sachlich“, auch wenn ihre Finanzierung durch das Innenministerium erfolgte.107 104

Geschäftsbericht der PuSte für das Jahr 1937, BArch R 153/1549. Niederschrift der Direktorenkonferenz im StA Marburg am 21. Oktober 1938, BArch N 1333/32; auch: GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28. 106 Direktorenkonferenz am 21. Oktober 1938, BArch N 1333/32. 107 Ebd. 105

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Doch es ging mittlerweile weniger darum, Themengebiete zu finden, deren politische Nützlichkeit erst nachdrücklich hervorgehoben werden musste, sondern vielmehr darum, diese Arbeiten im Rahmen der der Archivverwaltung verbundenen Institutionen zielgerichtet durchführen zu können. Dafür sollte über die PuSte gesorgt werden, die sowohl in der politisch motivierten Wissenschaft ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt hatte als auch, bestens vernetzt, Fäden der Ostforschung maßgeblich in der Hand hatte. Bei der Besprechung wurde deshalb die Frage der praktischen Umsetzung der Publikationspläne dahingehend beantwortet, dass die innerhalb der Archivverwaltung entstandenen Arbeiten noch vor der Drucklegung der PuSte zur Prüfung vorgelegt werden sollten. Gewiss sei die Archivverwaltung, so Zipfel, „von dem politischen Gewicht der Aufgabe durchdrungen und werde ihr auch in finanzieller Hinsicht jede mögliche Förderung zuteil werden lassen.“ Damit endete die Besprechung in der Einigkeit darüber, „daß zwischen der Archivverwaltung und der Publikationsstelle eine enge Verbindung und Arbeitsgemeinschaft erhalten bleiben müsse“, womit Brackmann erreicht hatte, was seine Gegner – allen voran Walter Frank – mit seiner Zwangspensionierung hatte verhindern wollen: Er konnte, wenngleich nicht offiziell in Amt und Würden, seinen Einfluss auf die Ostforschung weiter ausbauen und hatte in Zipfel einen Unterstützer, der für die organisatorischen und verwaltungstechnischen Arbeiten in der Archivverwaltung verantwortlich war.108 Einflussnahme auf die nicht selbst angestoßene, sondern außerhalb der Einflusssphäre von Archivverwaltung, NOFG und PuSte, namentlich an den Universitäten betriebene Forschung, findet sich in zahlreichen Fällen. Arbeitsvorhaben, die innerhalb der Ostforschungseinrichtungen begonnen und gefördert worden waren, konnten mitunter aufgrund ihres Inhalts oder auch veränderter politischer Rahmenbedingungen nach ihrer Fertigstellung inopportun erscheinen und deshalb nicht veröffentlicht werden. Stellen wie die PuSte konnten aber auch auf andere Weise lenkend in den Wissenschaftsbetrieb eingreifen, indem sie die Vergabe genehmer Themen forcierte und neue Möglichkeiten zur wissenschaftlichen Betätigung bot, beispielsweise im neu geschaffenen eigenen Fachorgan.109 a) Die Zeitschrift Jomsburg der PuSte Brackmann hatte sich einerseits nachdrücklich für die Belange von PuSte und NOFG eingesetzt, aber auch die Einrichtung neuer Institutionen forciert. War die PuSte als deutscher Gegenpart für das polnische Baltische Institut in Thorn gegründet worden, sollte diese nun den publikatorischen ‚Angriffen‘ der Polen eine 108 Niederschrift über die bei der PuSte am 1. Juli 1939 erfolgte Besprechung wegen der von der Preuß. Archivverwaltung zu übernehmenden Arbeiten zur Geschichte des Ostens, BArch R 153/5. 109 Dies galt freilich nicht allein für die PuSte, sondern gerade auch die VFG boten hierfür reichlich Möglichkeiten, wollten diese doch „vor allen den jungen völkischen Kräften [. . . ] wissenschaftlichen Rückhalt und vielfach finanziell die Arbeitsmöglichkeit“ zukommen lassen. Emil Meynen (VFG) an Brackmann, 2. April 1937, BArch R 153/1532.

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eigene Fachzeitschrift entgegensetzen. Das Baltische Institut gab seit 1935 „unter Mitwirkung von Engländern, Amerikanern, Franzosen, Skandinaviern, Esten und Letten und anderen Ausländern“ die Zeitschrift Baltic and Scandinavian Countries heraus und trug dazu bei, so Brackmann in einer Denkschrift, dass „die polnische Grenzraumforschung [. . . ] zur unverhüllten Offensive gegen Danzig und Ostpreußen überging“. Die Wirkung dieser Zeitschrift war Brackmanns Ansicht nach so groß, „dass die deutschen Grenzmarkfragen allmählich fast in allen europäischen und aussereuropäischen Ländern in polnischer Beleuchtung gesehen werden“.110 Brackmann zufolge ging es dabei in erster Linie darum, die „polnische Ostseepolitik im Sinne einer wirtschaftlichen und politischen Führerstellung“ wissenschaftlich zu legitimieren,111 und außerdem werde das „ostpreussische Problem“ in einer „irreführenden und dem Deutschtum abträglichen Art behandelt“.112 Darüber, wie dem neuen polnischen Periodikum am besten zu begegnen sei, war man sich in der NOFG zunächst uneins gewesen. Der Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler und Ostforscher Theodor Oberländer (1905–1998)113 hatte anfangs für den Versuch plädiert, zwei reichsdeutsche Professoren in den Mitarbeiterkreis der Baltic Countries einzuschleusen, die „von innen heraus die deutschfeindliche Tendenz zu beseitigen suchen“ und, sollte dies nicht gelingen, „mit einem ‚Krach‘ aus dem Mitarbeiter-Komitee“ ausscheiden sollten. Brackmann hatte dem entgegen gehalten, dass ein solcher Versuch nicht nur zum Scheitern verurteilt sei, sondern im Falle seines wahrscheinlichen Misslingens die deutschfeindliche Tendenz eher noch stärken würde.114 Auch die deutche Botschaft in Warschau hatte „gewisse Bedenken“ bezüglich der Idee, deutsche Wissenschaftler in die polnische Zeitschrift ‚einzuschleusen‘. Man rechnete dort nicht damit, dass die Polen „hierauf hereinfallen werden“, sondern viel eher die Deutschen aufnehmen würden, um damit „die Objektivität ihrer Arbeit mit Nachdruck zu dokumentieren“. Das hieße, man würde gar „das Gegenteil von dem erreichen, was beabsichtigt ist“.115

110 Über die Notwendigkeit einer Zeitschrift zur Abwehr der ‚Baltic Countries‘, undatiert (Mitte/Ende 1936), GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 81. Zur Konzeption der Baltic Countries vgl. auch Hackmann: Peripherie, S. 161 f. 111 Brackmann: Baltic Countries, S. 2. 112 Ebd., S. 4. 113 Theodor Oberländer war nach seiner Promotion 1930 in Königsberg unter anderem Direktor des Instituts für osteuropäische Wirtschaft und a.o. Prof. in Königsberg, Gauamtsleiter im Gau Ostpreußen, ‚Dozent für Ostfragen‘ beim Außenpolitischen Amt der NSDAP sowie Leiter des BDO und des Landesverbandes Ostpreußen im Verband der Auslandsdeutschen. In der Bundesrepublik gehörte Oberländer 1953–1961 und 1963–1965 dem Bundestag an (GB/BHE und CDU); von 1953–1960 war er Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Vgl. Wetzel: Oberländer; Menges/Wachs: Oberländer; Wachs: Oberländer; vgl. ders.: Oberländer. 114 NOFG an Twardowski (AA), 17. Februar 1937, PA-AA R 60281. 115 Deutsche Botschaft Warschau an das AA, 13. Februar 1937, PA-AA R 60281.

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Stattdessen war Brackmann zufolge die Notwendigkeit eines deutschen Pendants zur ‚Abwehr‘ der polnischen wissenschaftlichen Offensive umso notwendiger geworden, da seit dem Nichtangriffspakt von 1934 „von deutscher Seite nichts geschehen“ war. In einer Denkschrift forderte er diese Neuschaffung nachdrücklich und skizzierte auch ein düsteres Szenario für den denkbar gewordenen Fall einer Ablehnung des Vorhabens und wies jegliche Verantwortung von sich für das, was dann über Deutschland hereinbrechen würde: „Sollte [die Einrichtung der Zeitschrift, T.W.] abgelehnt werden, so müssten diejenigen, die sie ablehnen, auch die Verantwortung dafür tragen, dass die deutschfeindliche Auffassung sich allmählich überall durchsetzt und in der Stunde der Entscheidung selbstverständlich auch die politischen Entschlüsse bestimmt. Dann würde sich wiederholen, was wir 1919 in Versailles erlebten: Polen ist gerüstet, Deutschland nicht. Die öffentliche Meinung der Welt würde von Polen aus bestimmt, nicht von uns. Ich bitte aus diesen Gründen, den Beschluss der Ablehnung noch einmal überprüfen zu wollen“.116

Die Mahnungen Brackmanns waren erfolgreich, sodass 1936 von PuSte und NOFG mit der Konzeption der Zeitschrift begonnen werden konnte, die ab 1937 unter dem Titel Jomsburg. Völker und Staaten im Osten und Norden Europas erscheinen sollte, wobei sich der Titel auf eine ehemalige Wikingerfestung bezog, die sich vermutlich auf dem Landstreifen zwischen Stettiner Haff und Pommerscher Bucht befunden hatte,117 und die „eines der ersten Beispiele des Aufeinandertreffens und der gegenseitigen Durchdringung von Germanen und Slawen“ bot.118 Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums betonte den politischen Zweck der neuen Zeitschrift, die „bei strenger und jeder Kritik standhaltenden wissenschaftlichen Forschung der deutschen Propaganda“ dienen und damit „den bekannten polnischen Publikationen einen wirksamen Damm entgegensetzen“ sollte.119 Johannes Papritz und Wilhelm Koppe,120 der bei der PuSte für das Baltikum zuständig war und neben Papritz als Mitherausgeber der Jomsburg fungieren sollte, erarbeiteten sogleich eine Gliederung des neuen Organs.121 116 „Über die Notwendigkeit einer Zeitschrift zur Abwehr der Baltic Countries, undatiert (Mitte/Ende 1936), GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 81. Diese Zeitschriftengründung für die ‚Abwehr‘ der gegnerischen Offensive ist ein weiterer Beleg für die gegenseitige Förderung der deutschen Ost- beziehungsweise der polnischen Westforschung, die im Kleinen eine Art wissenschaftlichen Wettrüstens vollbrachten. Vgl. Borodziej: Ostforschung, S. 410. 117 Vgl. Mohr/Krause: Jomsburg. 118 Papritz/Koppe: Vorwort, S. 1 f.; vgl. Wöllhaf : Jomsburg. 119 Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums: Zeitschriften-Gutachten für Verleger, 14. September 1937, PA-AA R 60282. 120 Wilhelm Koppe, *1908, Studium unter anderem bei den an der Jomsburg beteiligten Fritz Rörig und Otto Scheel, 1931 Promotion mit einer Arbeit zur „Lübeck-Stockholmer Handelsgeschichte im 14. Jahrhundert“, 1933 Eintritt in NSDAP und SA, 1936/38 Habilitation in Kiel und Berlin, ab 1936 Tätigkeiten als Dozent, PuSte-Mitarbeiter und Referent der NOFG. Diss.: Koppe: Handelsgeschichte; vgl. Friedland: Koppe. 121 Ausarbeitung von Johannes Papritz und Wilhelm Koppe über Zweck und Ziel der Zeitschrift Jomsburg, BArch R 153/1274.

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Die Jomsburg setzte sich als Aufgabe, „die geschichtsbestimmenden Kräfte, die in dem Raum zwischen dem Sund und den Karpathen, zwischen der Murmanskküste und der Elbe wirksam gewesen sind, zu verfolgen“, einem Raum, den man „als Schicksalland der Germanen, Finnen, Balten und Slawen bezeichnen“ wollte. Betont wurde noch vor Erscheinen des ersten Bandes, dass die Zeitschrift „rein wissenschaftlichen Charakter“ trüge, wofür die „Namen der bekanntesten deutschen Gelehrten, die sich dem Studium des Nordens und Ostens Europas gewidmet haben und die Herausgeber unterstützen werden“, bürgten.122 In der Tat wurden die beiden Herausgeber von Albert Brackmann, Hermann Aubin, Theodor Oberländer, Walther Recke, Fritz Rörig, Otto Scheel und Hans Uebersberger unterstützt, namhaften Exponenten der deutschen Ostforschung. Ausländische Gelehrte zu finden, die sich für die neue deutsche Zeitschrift betätigen sollten, gestaltete sich jedoch äußerst schwierig. Die potentiell mit antipolnischen Ressentiments ausgestatteten schwedischen Historiker konnten nicht für die Mitarbeit gewonnen werden.123 Dennoch ging man davon aus, die Jomsburg könne „uns auch den Weg zur angelsächsischen Welt bahnen“, zumal eine Einmischung der deutschen Wissenschaft „in die baltisch-polnische Front“ nicht nur erwünscht, sondern nachgerade eine Pflicht und ihr Verhältnis zu Polen ohnehin „naturgemäß ein kühles“ sei.124 Als die erste Ausgabe der Jomsburg im Laufe des Jahres 1937 erscheinen konnte, fanden sich auf den rund 550 Seiten Beiträge verschiedenster Forscher und Fachrichtungen, ganz im Sinne einer interdisziplinär betriebenen Ostforschung. Konzeptionell wurde in diesem neuen Periodikum genau hierauf Wert gelegt, es sollte „die Vorgeschichte, Geographie, Staatswissenschaft, Rassenkunde, Sprachwissenschaft, Volkskunde, Kunst- und Kulturgeschichte, Bevölkerungs-, Sozial und Wirtschaftswissenschaft usw. ebensogut zu Worte kommen wie die allgemeine Geschichte“.125

In einem Beitrag wurde beispielsweise der „polnische Vierjahresplan“ behandelt und erklärt, der „Überschwang, mit dem man in Polen jede Art von Plänen und Programmen zu entwerfen und zu verkünden pflegt“, liege maßgeblich „in der rastlosen Suche nach einem Ausweg aus der bedrückenden Primitivität und Rückständigkeit des eignen Wirtschaftsorganismus“ begründet.126 Der Vergleich angeblicher polnischer Rückständigkeit, Selbstüberschätzung und Verzerrung historischer Fakten mit der deutschen Fortschrittlichkeit, Leistungsfähigkeit und genereller Überlegenheit – die man wissenschaftlich einwandfrei belegen zu können glaubte – stand bei den meisten Beiträgen in der Jomsburg im Mittelpunkt und wurde oftmals flankiert von der Deutung, dass nicht zu leugnende Leistungen 122 123 124 125 126

Schriftleitung der Jomsburg, 15. Dezember 1936, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 81. Vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 177. NOFG-Jahresbericht 1937/38, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9. Papritz/Koppe: Vorwort, S. 1. Poralla: Vierjahresplan, S. 313 f.

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im Osten in der Regel auf deutsche Grundlagenarbeit früherer Jahrhunderte zurückzuführen seien. Papritz beispielsweise rezensierte die Neuauflage von Friedrich Wilhelm von Oertzens Schrift Das ist Polen! als „glänzende Darstellung“, die auch bei erneuter Lektüre in den Bann ziehe und eine „furchtbare Anklage bedeutet gegen ein schuldbeladenes System der Vergewaltigung fremder Nationalitäten“. Denn Polen bleibe, so Papritz, „der Nationalitätenstaat, in dem 20 Millionen Polen fremdes, biologisch ihnen überlegenes Volkstum in einer Stärke von über 10 Millionen in sein staatliches System gewaltsam einzwängen“.127 Doch es waren keineswegs ausschließlich die Ostforscher von PuSte und NOFG, die in der Jomsburg zu Wort kamen, sondern die weite Rezeption der Zeitschrift war sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass namhafte Experten verschiedener Disziplinen Artikel beitrugen, die in den früheren einschlägigen Veröffentlichungen noch nicht oder doch nur in sehr begrenztem Maße zu Wort gekommen waren. An Stoßrichtung und Argumentationslinie schlossen diese sich meist nahtlos ein. Die Provokation heftiger Reaktionen durch die Jomsburg musste von den Beteiligten beabsichtigt gewesen sein, zumal nicht nur die PuSte das polnische Schrifttum genauestens beobachtete, sondern auch umgekehrt deutsche Veröffentlichungen unter die Lupe genommen wurden, vor allem, wenn sie sich mit dem osteuropäischen Raum befassten. So fand am 21. August 1937 die Übersetzung eines Artikels vom Vortag Eingang in die Zusammenstellung polnischer Presseauszüge der PuSte. Der Artikel über die Jomsburg, ein „neues Werkzeug der deutschen Propaganda“, wollte „die schärfste Aufmerksamkeit der polnischen öffentlichen Meinung“ auf dieses neue Periodikum lenken; schon der Titel rekurriere auf ein Symbol „germanischer Expansion in den urslawischen Ländern“. Weiter wurde angeprangert, dass einerseits die konzeptionelle Ausrichtung lediglich eine Kopie der Baltic Countries sei, andererseits aber keine europäischen, sondern nur deutsche Wissenschaftler darin publizierten, und wer Namen wie Brackmann, Oberländer, Recke lese, werde die Tendenz der Jomsburg bereits erkennen. Man müsse sich wohl noch länger mit jenem „Werkzeug der Popularisierung deutscher Thesen“ auseinandersetzen, allerdings würde „das populäre Niveau [. . . ] und die sehr klar Polen unfreundliche Tendenz“ die Aufgabe erleichtern, „die Grundlosigkeit vieler Behauptungen“ in der Jomsburg darzulegen.128 Denn trotz ihres offiziell wissenschaftlichen Anspruchs und ihres „vornehmen Gewandes einer historisch-literarischen Zeitschrift“ degradiere die Art und Weise der Behandlung polnischer Fragen die Jomsburg zur „Rolle der polemisch-

127

Papritz: Polen; vgl. Oertzen: Polen. PuSte, Polnische Presseauszüge Nr. 324, 21. August 1937 (aus: Kurier Baltycki, Nr. 131 vom 20. August 1937), BArch R 153/1684. 128

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propagandistischen Literatur“, und in ihr würden Schlüsse gezogen, „die das Bild des heutigen Polen in schwarzen Farben malen“.129 Die Kritik an der Zeitschrift sollte folgend nicht abreißen, sondern zog in Polen 1938 ein Verbot der Zeitschrift und außerdem die Kritik anderer ausländischer Beobachter der deutschen Wissenschaftslandschaft und der deutsch-polnischen Beziehungen nach sich. Dort, wo diese Kritik in Deutschland überhaupt öffentlich rezipiert wurde, tat man sie ab als politische Einmischung in den wissenschaftlichen Diskurs oder bezeichnete sie gleich als „bolschewistisch“.130 Dennoch fand die Jomsburg große Verbreitung, vor allem durch den von Papritz initiierten Austausch mit rund 200 ausländischen Institutionen, der dazu führte, dass diese Zeitschrift in schwedischen Bibliotheken „das meist verbreitete deutsche wissenschaftliche Organ“131 werden konnte und sich zum „publizistischen Flaggschiff der neuen deutschen Ostforschung“ entwickelte.132 An der Konzeption der Jomsburg lässt sich ein zentraler Aspekt in der Entwicklung der Ostforschung und ihrer Ausrichtung aufzeigen: Gewisse Muster, etwa die Gegenüberstellung von deutscher Ordnung und Aufbauleistung einerseits und der polnischen Rückständigkeit andererseits war den Kreisen der deutschen Ostforschung geläufig und aus dem Vademecum der PuSte bestens bekannt. Dieses aber war noch ausschließlich für die Eingeweihten gedacht und sollte streng unter Verschluss gehalten werden. Wenn sich die neue Zeitschrift nun derselben Taktik und Argumentation bediente, zeigt dies weniger ein neu erlangtes Selbstbewusstsein, sondern verdeutlicht vielmehr die offensiven und teils aggressiven Legitimationsversuche und Forderungen der deutschen Ostforschung, die sich kontinuierlich entwickelten und selbstbewusst dargelegt wurden. Erhöhtes Selbstbewusstsein ergab sich Ende der 1930er Jahre außerdem durch den vermehrten Rückgriff auf Ostforscher für Gutachter- und Beratertätigkeiten für politische Institutionen und Unternehmungen, welche die Expertisen aus der einschlägigen Forschung dankbar annahmen, in manchen Fällen auch gar nicht zur Erstellung der Gutachten auffordern mussten. Indienstnahme und Selbstmobilisierung vermischten sich in diesem Kontext zunehmend. b) Gutachter- und Beratertätigkeiten Wenn auf der Direktorenkonferenz im Herbst 1938 eine stärkere Beteiligung der Archivwissenschaft an wissenschaftlichen Aufgaben im weiteren Sinne angemahnt wurde, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass vereinzelte Archivare in dieser Hinsicht bereits vorbildliche Arbeit leisteten. Erich Randt beispielsweise engagierte sich für den Verein für die Geschichte Schlesiens und legte offen 129

PuSte, Polnische Presseauszüge Nr. 1, 3. Januar 1938 (aus: Kurier Poznanski, Nr. 588 vom 25. Dezember 1937), BArch R 153/1684. 130 Vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 179; vgl. Burleigh: Germany, S. 126. 131 Papritz: Lebenslauf, BArch R 153/2121, S. 6 f. 132 Haar: Historiker, S. 298.

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dar, wie die Tätigkeiten des „in Wahrheit immer volksverbundene[n] und gemeinnützige[n]“ Vereins „niemals nur wissenschaftlichen Sonderzwecken, sondern stets auch einem wohlverstandenen nationalen Interesse“ zu dienen hätten;133 einer Landes-, Regional- oder Lokalgeschichte im Sinne einer Historiografie um ihrer selbst willen wurde die Daseinsberechtigung weitgehend abgesprochen, wenn sie sich nicht für übergeordnete Interessen nutzbar machen ließ. Andere Archivare und Historiker hingegen beteiligten sich mit Einzelstudien an den zentralen Anliegen der Ostforschung, wobei die Bandbreite von kleineren Beiträgen über Qualifikationsarbeiten bis hin zu Monografien und Festschriften reichte. In seiner Funktion als Hochschullehrer konnte Brackmann auf die Betätigung seiner Schüler Einfluss nehmen, indem er Arbeiten förderte und forderte, die sich speziell den Fragen der deutschen Aufbauleistungen im Osten oder artverwandten Themengebieten und Fragestellungen widmeten. Gemeinsamkeiten verschiedenster Arbeiten jenes Forschungskontextes bestanden oft in der exemplarischen Einzelfalluntersuchung dessen, was in der Jomsburg oder anderen Schriften zusammenfassend postuliert wurde und sich unter den Schlagworten deutsche Aufbauarbeit, Kolonisationsbestrebung und zivilisatorische Leistung im Osten subsumieren ließ. Allerdings hatte sich seit Mitte der 1930er Jahre eine weitere Entwicklung vor allem in den Teilen der deutschen Ostforschung bemerkbar gemacht, die von Archivaren dominiert wurde. Jene hatten sich seitdem nicht mehr darauf zu beschränken, durch wissenschaftliche Publikationen und Forschungsaufträge an dem unlängst ausgerufenen ‚Abwehrkampf‘ gegen die polnische Historiografie zu beteiligen, sondern wurden in erhöhtem Maße zu weiteren, unmittelbar wirksamen Arbeiten herangezogen. Brackmann hatte die Aufgaben der PuSte dahingehend beschrieben, dass die wissenschaftliche Forschung dort ansetzen müsse, „wo es gilt, die Interessen des deutschen Volkstums zu stützen und zu fördern. Darum müssen wir alle unsere wissenschaftliche Arbeit rationalisieren und bestimmen lassen von dem einen großen Gedanken: Wie kann ich mit meiner Arbeit dem Vaterlande dienen? Also politische Zielsetzung, aber wissenschaftliche Methode“.134

Eine solche Aufgabe nahm die PuSte ab 1937 in Beschlag, als sie damit beauftragt wurde, slawische Ortsnamen zu erfassen und Vorschläge für deren Umbenennung beziehungsweise Eindeutschung auszuarbeiten. Dies betraf unter anderem das Gebiet Masuren, das zur „deutsch-slawischen Kontaktzone“ gehörte und dessen Bevölkerung in der Tradition der Volks- und Kulturbodenforschung der Weimarer Republik als „nationale Zwischenschicht“ bezeichnet wurde oder auch als „Volksembryone“ oder „Kulturdeutsche mit nichtdeutscher Haussprache“.135 Gezielte Germanisierungspolitik war bereits im Kaiserreich betrieben worden, und bis 1914 konnten durchaus Erfolge verbucht werden, wobei seitens der Masuren aufgrund ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Polentum auch kaum 133 134 135

Randt: Jahresbericht, S. 410. Zit. nach Camphausen: Russlandforschung, S. 198. Kossert: Grenzlandpolitik, S. 121 f.

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Widerstände gegen Assimilierungsversuche vorhanden waren. Der Erste Weltkrieg hatte für die Masuren beispielsweise durch gemeinsamen Wehrdienst und prinzipielle Unterstützung der deutschen Kriegsziele den Integrationswillen eher noch verstärkt, was letztlich in dem eindeutigen Ergebnis der Volksabstimmung 1920 führte, wo sich im Bezirk Allenstein, der Masuren einschloss, 97,9 % der Bevölkerung für die Zugehörigkeit zu Ostpreußen aussprachen.136 Das Problem der nationalsozialistischen Machthaber war, dass es keine eindeutigen Kriterien für das Deutschtum der Masuren gab, auf die sie sich verlassen konnten: War noch zu Zeiten der Volksabstimmung „Wille“ und „Bewusstsein“ genügendes Kriterium gewesen, spielte die ethnische Zugehörigkeit nun eine umso größere Rolle.137 Wie ernst die PuSte die Masurenfrage nahm – nicht erst seit Hermann Gollubs diesbezüglichen Forschungen138 – zeigte eine polnische Veröffentlichung des Jahres 1936. Der Journalist Melchior Wa´nkowicz war auf eine Reise durch Masuren geschickt worden, um anschließend ein Buch zu verfassen, das in der polnischen Öffentlichkeit großen Anklang fand und für den Schulunterricht empfohlen wurde. Wa´nkowicz berichtete hierin unter anderem von dem Staunen der Masuren, als diese gemerkt hätten, dass sein Polnisch ihrer eigenen Muttersprache nicht unähnlich war. Sowohl aufgrund solcher Befunde als auch wegen seines großen Anklanges in Polen wurde die Veröffentlichung in der deutschen Ostforschung breit rezipiert und diskutiert. Theodor Oberländer vom BDO war überzeugt davon, diese Publikation würde die antideutschen Ressentiments in Polen noch erheblich steigern. Er versuchte deshalb, wenngleich ohne Erfolg, deutsche Regierungsstellen zu überreden, bei den polnischen Behörden ein Verbot der Publikation zu erwirken, da diese imstande sei, die guten deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Nichtangriffspakt von 1934 zu vergiften.139 136

Vgl. Belzyt: Masuren, S. 40–44. Vgl. Kossert: Preußen, S. 249. „The problem of Masurian national identity is approached most conveniently by means of the traditional dichotomy between ‚objective‘ or ‚ethnic‘ sources of national identity and others that are usually referred to as ‚subjective‘ or ‚political‘.“ Blanke: Masurians, S. 429. 138 Gollub arbeitete seit 1931 und noch mindestens bis 1939 für die PuSte an einer „Geschichte der kulturellen Entwicklung Masurens“, Randt an Zipfel, 26. Mai 1939, BArch R 153/4. In den 1920er Jahren hatte sich Gollub bereits intensiv mit der Masurenfrage auseinandergesetzt; sowohl in der Volks- und Kulturbodenfoschung um Wilhelm Volz als auch in einem expliziten Beitrag in der ersten Ausgabe der Zeitschrift Volk und Rasse. Darin sprach er von der früheren stiefmütterlichen Behandlung Masurens und dessen Verspottung als die kulturfremde Landschaft, aber auch davon, wie sehr es gerade seit dem Weltkrieg den Deutschen wieder nahe gerückt sei. Hätten noch 1870 nur 20% der dortigen Bevölkerung Deutsch gesprochen, seien dies 50 Jahre später bereits 70%, so dass man davon ausgehen dürfe, „daß in 2–3 Generationen das Deutschtum auch die letzte Masurenhütte erobert haben wird“. Es müsse dennoch aufgrund der polnischen Ansprüche immer und überall betont werden, „daß Masuren immer deutsch war und bleiben will.“ Gollub: Kampf, S. 172 ff. 139 Vgl. Blanke: Germans?, S. 266 f. Das Buch Wa´ nkowiczs wurde um 1940 vom BDO in einer deutschen Übersetzung herausgegeben. 137

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Von besonderer Brisanz waren diese Versuche, da die Ostforscher der NOFG bereits 1934 festgestellt hatten, dass es sich bei der betreffenden Region um eine „Mischzone mit Gebieten labilen Volkstums“ handle. Franz Doubek hatte weiter ausgeführt, die Masuren seien in ethnischer Hinsicht eigentlich „den Polen zugehörig“.140 Ein Befund also, welcher der offiziellen Ansicht widersprach und weitere Maßnahmen nötig machte, um das Deutschtum Masurens zu stärken und zu belegen. Dafür sollten slawische oder allgemein nichtdeutsche Ortsnamen planmäßig erfasst und eingedeutscht werden. In die hierfür eingerichtete Expertenkommission war der Königsberger Archivdirektor Max Hein berufen worden, blieb jedoch bei Weitem nicht der einzige deutsche Archivar, der sich in den Gremien für die Ortsnamensänderungen engagierte.141 Als Mitte 1938 die Masuren betreffende Aktion beendet worden war, hatte sie sich in einigen Teilen des Gebietes auf bis zu 70 % der Ortsnamen ausgewirkt, wurde aber nicht als Maßnahme der Germanisierungspolitik, sondern als „logische Konsequenz eines natürlichen Assimilierungsprozesses“ verstanden.142 Der an der Aktion beteiligte Geograf Georg Putjenter rechtfertigte die Umbenennungen und deutete entsprechend „die Verdeutschung Masurens“ als „ein Hineinwachsen des Masurentums in das Deutschtum“, keinesfalls aber als „Verdrängung des einen durch das andere“. Die Umbenennungen der Ortsnamen erfolge im Sinne des „moderne[n] Masurentum[s]“, das „die alten, ihm häufig unverständlich und fremd gewordenen Namen seinem deutschen Empfinden“ anpasse.143 Dieser offenkundigen Schutzbehauptung widersprach die nachweisliche Radikalisierung der Germanisierungspolitik, auch in der „masurgermanischen“ Forschung, die vermittels gewagter Interpretation historischer Entwicklungen den polnischen Anteil an der Genese Masurens möglichst klein halten wollte und dafür auch Umdeutungen jüngerer Forschungsergebnisse in Kauf nahm: In Bauernhäusern etwa, die zuvor eindeutig slawischer Architektur zugerechnet wurden, erkannte man mittlerweile „vielfache Anzeichen germanischer Siedlungsformen“.144 Neben die wissenschaftliche Behandlung jener Fragen trat kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs ein neuer Umgang mit diesem Themenkomplex in der Öffentlichkeit: Die slawischen Minderheiten in den östlichen Provinzen sollten nur noch in Ausnahmefällen überhaupt Erwähnung finden, keinesfalls aber durften Masuren, Kaschuben, Schlonsaken oder Oberschlesier als Polen bezeichnet werden, wie eine Richtlinie der PuSte festhielt. Außerdem sei es

140 Vgl. Kossert: Preußen, S. 249 f. Arbeitstagung der NOFG in Kahlberg, 6.–8. August 1934, BArch R 153/1279. 141 Nach der Besetzung Polens wurden auch Kurt Forstreuter und Eugen Oskar Kossmann hierfür herangezogen. Vgl. ders.: Grenzlandpolitik, S. 138 f. 142 Ebd., S. 138. 143 Putjenter: Masuren, S. 570; vgl. Kossert: Grenzlandpolitik, S. 138. 144 Ebd., S. 140 f.

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„ebenso unklug [. . . ], ihre Gebräuche und ihre von der umgrenzenden Bevölkerung sich abhebende Haussprache als slawisch zu bezeichnen, überhaupt den Begriff slawisch mit ihnen in der Öffentlichkeit in Beziehung zu bringen“.145

Auch bei Grenzziehungsfragen wurden die Archivare und andere PuSteMitarbeiter hinzugezogen, um mit ihren Expertisen entsprechend fundierte Beiträge zu leisten, da sie sich über einschlägige Arbeiten hierfür qualifiziert hatten oder zumindest als qualifiziert genug angesehen wurden, um in entsprechende Kommissionen des Auswärtigen Amts berufen zu werden.146 Wiederum andere Kooperationen waren ebenfalls noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zustande gekommen, unter anderem mit Abteilungen des Reichssicherheitshauptamts, die auf bereits geleistete Arbeiten Bezug nahmen und weitere Betätigungen anstießen. Schon im März 1938 hatte sich Wilhelm Spengler, zu dieser Zeit SS-Obersturmführer und Leiter der Hauptabteilung II 21 („Kulturelles Leben“) innerhalb der Zentralabteilung II 2 („Lebensgebietsmäßige Auswertung“) des RSHA, an die PuSte gewandt.147 Spengler berief sich auf eine Unterredung mit Papritz, der ihm berichtet hatte, die PuSte habe „in Form einer privaten Volkszählung“ eine „Bestandsaufnahme der deutschen Volksgruppe in Estland“ durchführen lassen. Er sei sehr dankbar, wenn ihm die PuSte das hierbei angefallene Material kurzfristig zur Verfügung stellen könnte, und regte außerdem an, dass es doch – da „über die deutsche Volksgruppe in Litauen nur sehr wenig Material vorhanden ist“ – zweckmäßig wäre, auch hierfür eine solche Bestandsaufnahme anzufertigen. Er schloss mit der Anfrage, ob eventuell die Möglichkeit bestünde, „im Rahmen der von Ihnen für die nächste Zeit vorge145 Richtlinien zur Behandlung der Masuren-, Schlonsaken-, Oberschlesier- und KaschubenFrage, PuSte 25. August 1939, BArch R 153/280. 146 Der PuSte-Kartograf Franz Anton Doubek hatte sich beispielsweise in einem zweiteiligen Beitrag für die Jomsburg hervorgetan. Vgl. Doubek: Ostgrenze; ders.: Ostgrenze II. Johannes Papritz wurde im Oktober 1938 in eine Kommission des AA berufen, die sich mit der Festlegung der Sudetengrenze befasste. Vgl. Fahlbusch: Wissenschaft, S. 183. Die Eingliederung des Sudetengaus in das Deutsche Reich im Berichtsjahr 1938/39 das ‚wichtigste Ereignis‘ für die NOFG. Jahresbericht 1938/39, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9. 147 Wilhelm Spengler, *1907, 1926–1933 Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Philologie in München und Leipzig, 1932 Promotion, 1932/33 Gymnasiallehrer, ab 1934 hauptamtlich beim SD, wo er in Reinhard Heydrichs Auftrag eine „Schrifttumsstelle“ aufbaute. Als diese in das RSHA eingegliedert wurde, übernahm Spengler die Leitung der Hauptabteilung II 21 („Kulturelles Leben“) und stieg später in Otto Ohlendorfs RSHA-Amt III (SD-Inland) zum Gruppenleiter „Kulturelle Gebiete“ auf. 1942 zur „Durchführung von Sonderaufgaben“ im Nordabschnitt der Ostfront eingesetzt, konnte Spengler sich „wiederholt bei der Bekämpfung von Partisanengruppen“ auszeichnen, bevor er einige Wochen zur Einsatzgruppe D auf die Krim kommandiert wurde. Nach 1945 war er als Lektor für den Oldenburger Stalling-Verlag tätig. Vgl. Hachmeister: Gegnerforscher, S. 158, 164, 300; vgl. Wildt: Generation, S. 111 f., 174 ff.; zu den Tätigkeiten des SD-Inland (RSHA-Amt III) vgl. ebd., S. 378–391. Reinhard Heydrich, *1904, 1931 Eintritt in NSDAP und SS, am Aufbau des SD maßgeblich beteiligt, ab 1932 dessen Leiter. Aufstieg in der SS bis zum Obergruppenführer (1941); u. a. Leiter des Gestapa Berlin, Leiter des RSHA (1939), Beauftragter für die „Endlösung der Judenfrage“ (1941). Vgl. Gerwarth: Heydrich.

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sehenen Forschungsarbeiten im Nordosten eine derartige Bestandsaufnahme in Litauen durchzuführen?“148 Die Antwort der PuSte ließ nicht lange auf sich warten und entsprach der Bitte; im Anhang wurde die Liste „der von uns ermittelten Daten betreff Persönlichkeiten in Estland und Litauen“ übersandt mit dem Hinweis, dass die „Litauen-Liste“ wie auch die „Lettland-Liste“ noch in Bearbeitung seien. Die PuSte wollte sich um Vervollständigung der Listen bemühen, doch könne dies, „namentlich soweit ein Schriftwechsel mit unseren Vertrauensleuten im Baltikum dafür erforderlich ist, einige Zeit in Anspruch nehmen“.149 Wofür der SD jenes Datenmaterial benötigte, lässt sich anhand seines Aufgabenprofils erahnen. Die Hauptaufgabe des SD-Inland war zunächst, neben einer kontinuierlichen Lageberichterstattung, die systematische Sammlung und Auswertung von Informationen und eine „nachrichtendienstlich orientierte Presse- und Schrifttumsarbeit“, bei der in gewissem Maße auf Vorarbeiten externer Stellen wie eben der PuSte zurückgegriffen werden konnte, wenn dort bereits Karteien und andere Sammlungen und Berichte angefertigt worden waren. Kurz, der SD sollte „ebenjenes Wissen [. . . ] akkumulieren, das der Exekutivapparat, die politische Polizei, dringend benötigte“.150 Dieser ‚Exekutivapparat‘ des SD umfasste wenige Monate später auch die Einsatzgruppen, die nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs zum Einsatz kamen und im Zweiten Weltkrieg in den besetzten Gebieten die Aufgabe hatten, ‚Reichsfeinde‘ zu bekämpfen, was spätestens in Polen und im Baltikum ab 1939 beziehungsweise 1941 in Massenmorden kulminierte. Den Einsatzgruppen des SD war großer Handlungsspielraum zur Durchsetzung der vagen Aufträge eingeräumt worden; auch wenn sie beispielsweise mit der Bekämpfung der Inteligencja in Polen nicht dezidiert beauftragt worden waren, gingen sie gerade gegen die gebildeten Bevölkerungsteile besonders hart vor, da von diesen Widerstand befürchtet wurde.151 Zudem wurde bereits mehrfach der bislang nicht vollends zu bestätigende Verdacht geäußert, die NOFG habe im Auftrag des AA Listen „‚deutschfeindlicher‘ Polen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens“ geliefert, die zu Verhaftungen und Liquidierungen führten.152 Vor diesem Hintergrund erscheint die willige Kooperation der PuSte in anderem Licht, denn im Falle der angeforderten Daten aus dem Baltikum umfassten 148 Wilhelm Spengler (RSHA, Zentralabteilung II 2, „Lebensgebietsmäßige Auswertung“) an Papritz/PuSte, 31. März 1938, BArch R 153/1304. 149 PuSte an Spengler (RSHA), 1. April 1938, BArch R 153/1304. Somit kam es schon 1938 zu Kontakt und Kooperation von PuSte und RSHA sowie SD und nicht erst, wie teilweise angenommen wurde, erst kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. Vgl. Ebbinghaus/Roth: Generalplan Ost, S. 67. 150 Am 1. Juli 1937 hatte Heydrich in einem Funktionsbefehl die Aufgaben von SD und Gestapo getrennt, wonach für folgende Gebiet ausschließlich der SD zuständig war: Wissenschaft, Volkstum und Volkskunde, Kunst, Erziehung, Partei und Staat, Verfassung und Verwaltung, Ausland, Freimaurerei. Vgl. Wildt: Generation, S. 379. 151 Vgl. Pohl: Verfolgung, S. 48; vgl. Mallmann/Böhler/Matthäus: Einsatzgruppen, S. 121; vgl. Weitbrecht: Einsatzgruppen. 152 Kleßmann/Dlugoborski: Bildungspolitik, S. 536; vgl. Oberkrome: Historiker, S. 86.

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deren Vorarbeiten nach Ländern getrennte Listen mit Namen von zunächst 32 (Estland), 38 (Litauen) und 48 (Lettland) Persönlichkeiten wie Professoren und Politikern, die, wo die Informationsbasis ausreichend war, um Kurzgutachten zu den einzelnen Personen ergänzt wurden. Es wurde damit auf verschiedene Weise dazu beigetragen, dass die Wissenschaft, wie Wolfgang Kohte, Papritz’ Stellvertreter bei der PuSte und Mitherausgeber der Jomsburg, 1938 gefordert hatte, gerade in Bezug auf die Länder Ostmitteleuropas zum „wesentlichen Faktor völkischen Lebens“ werden konnte, „sowohl [bei] der Auseinandersetzung jeder Art mit fremden Völkern, als auch der Fortentwicklung des eigenen Volksaufbaus und der vertieften Erkenntnis der eigenen Volkspersönlichkeit“.153 Die Bereitstellung der das Baltikum betreffenden Daten steht exemplarisch für ein neues Betätigungsfeld des PuSte-Umfelds. Die Beschränkung auf historische Forschung beziehungsweise Lieferung von historiografischen Argumenten für politische Vorhaben war gefallen. Vielmehr stieß man mit jenen Daten in einen Bereich vor, der während des ‚Dritten Reichs‘ enormen Zuspruch erfahren hatte, in das große Feld statistischer Erhebungen und Forschungen, die weit über die bloße Erfassung von Datensätzen hinausreichten. Damit erst wurde eine den Nationalsozialismus auszeichnende, „ebenso bürokratisch wie wissenschaftlich“ zu beschreibende Herrschaftsmethode ermöglicht, die auf eine Fülle von Gutachten, Karteien, Registern und sonstigen Datensammlungen angewiesen war.154 Doch es muss betont werden, dass eben jene Entwicklung in den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft zwar enorm beschleunigt, nicht aber grundsätzlich initiiert worden war. Die Erfassung verschiedenster Personengruppen ging ebenso mindestens bis auf das Kaiserreich zurück wie die unauffällige und wahllose Überwachung bestimmter sozialer Schichten und Personengruppen.155 Dennoch entwickelten sich die Ostforscher und dabei vor allem die PuSteMitarbeiter allmählich zu gefragten Datenlieferanten und Experten in verschiedenster Hinsicht.156 Mittlerweile waren NOFG und PuSte zudem in Projekte involviert, die beinahe durchweg propagandistischen Charakter hatten. Neben kleinen Veröffentlichungen zur „Verbreitung der Arbeitsergebnisse“ hatten sie sich beispielsweise an der Ausstellung über Veit Stoß 1938 beteiligt.157 Konzipiert wurde diese Ausstellung vom Propagandaministerium, „was aber nicht gesagt werden“ durfte, denn

153

Kohte: Schrifttum, S. 167. Aly/Roth: Erfassung, S. 34 f. vgl. Ehmer: Bevölkerungsgeschichte, S. 69–74; vgl. ders.: Bevölkerungsstatistik; vgl. Gutberger: Bevölkerung. 155 Vgl. u. a. Evans (Hrsg.): Kneipengespräche. 156 Siehe Kap. C. VII. 4. 157 Ebd. 154

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es handelte sich primär um eine „politische Ausstellung, bei der das Künstlerische als Deckmantel benutzt“ wurde.158 Die PuSte war kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges also keinesfalls mehr auf reine Publikationstätigkeit beschränkt, sondern konnte sich, wie die angeführten Beispiele illustrieren, auch für verschiedene NS-Dienststellen nützlich machen. Des Weiteren war sie bemüht, diese Nützlichkeit unter Beweis zu stellen und die Bestände an ‚Arbeitsmaterialien‘ zu erweitern. Mit Kriegsbeginn, genauer: wenige Wochen nach dem deutschen Überfall auf Polen159, stellten sich namhafte Vertreter aus PuSte und NOFG auf die Initiative Brackmanns und Aubins hin die Frage, wie sie ihre Expertise in die ‚Umgestaltung‘ Polens einfließen und zu dessen Neuordnung beitragen könnten. Nachdem man sich mit Werner Essen, Ost- und Volkstumsreferent in der für ‚Deutschtumsfragen‘ zuständigen Abteilung des RMdI, ausgetauscht hatte, fand in Breslau eine Zusammenkunft statt, deren Ergebnis mittlerweile als „Polendenkschrift Schieders“ einige Bekanntheit erlangt hat und – durchaus umstritten – als „Vorläufer des Generalplans Ost“ bezeichnet wurde.160 Unklar ist dabei, in welchem Umfang die Denkschrift tatsächlich Schieders persönliche Meinung und Einschätzung wiedergibt beziehungsweise ob diese nicht in erster Linie die Ausarbeitung der Diskussion und des Sitzungsprotokolls darstellt. Umstritten ist zudem, inwieweit die Denkschrift tatsächlich Einfluss auf die spätere nationalsozialistische Polen- und Vertreibungspolitik hatte; dass der unmittelbare Einfluss nicht allzu groß gewesen sein dürfte, erscheint plausibel.161 Der Text Schieders lässt jedoch Rückschlüsse darauf zu, wie leicht es den Wissenschaftlern der NOFG mittlerweile fiel, sich nicht nur der Sprachregelung von Volksboden-, Siedlungs- und Bevölkerungspolitik bezüglich beanspruchter und zu beanspruchender Gebiete anzupassen, sondern beispielsweise auch „mit dem Gedanken ‚überflüssiger‘ Bevölkerung“ (Schieder) oder auch Formulierungen wie der „Entjudung Restpolens“ (Conze) zu hantieren. Diese Denkmuster in die wissenschaftliche Diskussion einzuführen trug, so Hans Mommsen, „zur Entstehung und Legitimierung einer sich ausbreitenden Mentalität bei, welche den systematischen Völkermord in den Bereich zuerst des Möglichen, dann den des Unvermeidlichen und schließlich den des Notwendigen rückte“.162 Wie aber hatte ‚Schieders‘ Denkschrift hierzu beigetragen?

158

Bohrmann (Hrsg.): Presseanweisungen, S. 632 f. Siehe Kap. D. VIII. 2. 160 Vgl. Ebbinghaus/Roth: Generalplan Ost; vgl. Nonn: Schieder, S. 90 ff.; vgl. Burleigh: Germany, S. 165 ff. Zu Werner Essen siehe auch S. 464 f.; zum ‚Generalplan Ost‘ vgl. u. a. Madajczyk: Generalplan; Madajczyk (Hrsg.): Generalplan; Haar: Forschungsproblem; Benz: Generalplan Ost; Rössler (Hrsg.): Generalplan. 161 Vgl. Mommsen: Denkmäler, S. 103 f.; vgl. Tillack: Polendenkschrift, S. 251 f.; vgl. Nonn: Schieder, S. 91. 162 Mommsen: Pakt, S. 270. 159

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Zunächst war darin festgehalten worden, die „Wiederherstellung des deutschen Besitzes und des deutschen Volkstums“ in Polen sei als „Wiedergutmachung eines offenkundigen politischen Unrechts“ anzusehen und damit gerechtfertigt. Bei einer „Neuordnung“ im Osten gelte es, für die „Sicherung des deutschen Volksbodens [. . . ] durch eine geschlossen siedelnde, alle Schichten umfassende deutsche Bevölkerung mit einer gesunden sozialen Ordnung“ klare Abgrenzungen vorzunehmen. Abgrenzung freilich „von polnischem und deutschem Volkstum“, um die darin lauernden „Gefahren völkischer und rassischer Vermischung und der Unterwanderung“ zu vermeiden. ‚Wiedergutmachung‘ qua Grenzrevision und Separierung der ‚Volkstümer‘ waren in der Sprachregelung deutscher Ostforschung der 1930er Jahre keineswegs neu. Die durch den Feldzug gegen Polen aktuell gewordenen Fragestellungen erforderten konkretere Vorschläge und exaktere Planungen als vormalige Grundsatzüberlegungen. In der Denkschrift wurde zwar festgehalten, dass es die „heutige völkische Lage“ noch unmöglich erscheinen ließ, tatsächliche Grenzlinien zu ziehen, „die einer noch wirklich vorhandenen Volkslinie entsprechen“. Dennoch wollte man Möglichkeiten zu deren potentiellem Verlauf anbieten – je nach den geltend zu machenden „staatspolitische[n], volkspolitische[n] und historische[n] Ansprüche[n]“. Gewissermaßen in vorauseilendem Gehorsam, zumindest aber im Bewusstsein, für entsprechende Expertisen gerüstet und aufgrund des wissenschaftlichen Hintergrunds prädestiniert zu sein, wurden zwei Grenzverläufe sowie zu treffende „Sofortmaßnahmen“ vorgeschlagen. Zwischen „dem engeren deutschen Reiche und dem polnischen Reststaat“ bot sich demnach einerseits die Reichsgrenze von 1914 an, die „noch die Scheide zweier verschieden hochentwickelter Kulturgebiete darstellt“, andererseits eine Grenzlinie, „die den geschlossenen deutschen Volksboden und seine Randzonen mit Mischbevölkerung, aber noch mit einer eindeutigen deutschen Überlegenheit nach dem Stand von 1910 von den überwiegend polnisch besiedelten Landschaften trennt und dabei nach Möglichkeit verkehrsgeographische und wirtschaftsgeographische Verhältnisse mit berücksichtigt“.163

In letzterem Falle seien weitere Varianten denkbar, doch grundsätzlich müssten, so die Denkschrift, „vorbereitende Sofortmaßnahmen“ ergriffen werden. Die „Einziehung von ländlichem und städtischem Grundbesitz aus polnischer Hand“ gehörte ebenso dazu wie die „Ausweisung aller seit 1919 nach PosenWestpreussen zugewanderten Polen“, der „sofortige Einsatz der wirtschaftlich gedrückten Volksdeutschen beim Aufbau der Wirtschaft“ oder auch Maßnahmen, die verhindern sollten, dass „Polen aus den wiedererworbenen Gebieten in die bisher völkisch gefährdeten Grenzgebiete des Altreiches“ strömen. Bei der der Denkschrift zugrunde liegenden Diskussion war es nicht bei solch grundsätzlichen Überlegungen geblieben, sondern diese wurden ergänzt um konzeptionelle Vorschläge, etwa in welche Zonen das ‚wiedergewonnene‘ polnische Gebiet einzuteilen sei, die wiederum „ein Siedlungs- und Aufbauprogramm für längere Zeit“ erforderlich machen würden. Ein Programm indes, bei dessen Planung 163 Aufzeichnung über Siedlungs- und Volkstumsfragen in den wiedergewonnenen Ostprovinzen. Erster Entwurf von Theodor Schieder, zit. nach Ebbinghaus/Roth: Generalplan Ost, S. 84–91.

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und Umsetzung man sich mit entsprechender Expertise einbringen wollte. Darum schloss die Denkschrift mit dem Verweis auf ein Problem, dessen sofortige Klärung von besonderer Dringlichkeit sei: Die Frage, „wie und wohin“ der Strom polnischer „Auswanderer“ aus Posen-Westpreußen zu lenken sei. Die „Überseewanderung“ wollte man dabei natürlich bevorzugen gegenüber der „Abwanderung in den polnischen Reststaat“. Für das Deutsche Reich aber sei, so Schieder, das Problem der aus- und umgesiedelten Polen „keineswegs gleichgültig“, denn, schloss er die Denkschrift, „Die Entjudung Restpolens und der Aufbau einer gesunden Volksordnung erfordern den Einsatz deutscher Mittel und Kräfte und bringen die Gefahr der Entwicklung einer neuen polnischen Führerschicht aus dem neuen polnischen Mittelstand heraus mit sich. Überlässt man diese Dinge sich selbst, so ist zu befürchten, dass die Zersetzung des polnischen Volkskörpers zum Herd neuer gefährlicher Unruhe werden kann“.164

Wenngleich offen gehalten wurde, wohin die Juden infolge der „Entjudung Polens“ gelenkt beziehungsweise deportiert werden sollten, war die Tatsache postuliert worden, dass diese „Entjudung“ unumgänglich sei. In Zusammenhang mit dem Plan, die Polen idealiter nach Übersee zu verweisen, fallen Parallelen auf zu den seit 1937/38 erneut erwogenen Plänen, die Juden ins Ausland zu deportieren. Überlegungen, die im letztlich nicht realisierten ‚Madagaskarplan‘ kulminierten und noch 1940 diskutabel erschienen, als Goebbels festhielt, man wolle die Juden „nach Madagskar verfrachten. Dort können auch sie ihren eigenen Staat aufbauen“.165 Direkte Einflüsse der Denkschrift auf später erwogene und teils realisierte Vorgehensweisen sind naturgemäß schwer zu erfassen. Was die Denkschrift jedoch zeigt, ist die Absicht der beteiligten Ostforscher, selbstbewusst nicht nur politisch nutzbare Auftragsarbeit anzunehmen, sondern diese auch unaufgefordert anzubieten. In dieser Hinsicht stellt die ‚Polendenkschrift‘ lediglich ein eindrückliches Beispiel dar für die Selbstmobilisierung deutscher Wissenschaftler gerade im Umfeld von PuSte, NOFG und allgemein von politischer Seite geförderter Forschungsinstitutionen. Die Förderung erscheint dabei als wesentlicher Anreiz, die Forderung dezidiert politischer (Denk-)Schriften war hingegen nicht immer nötig. In wissenschaftlicher Hinsicht hatten sich auch die Arbeiten der Archivwissenschaft, das heißt von genuin archivarischen Aufgaben bis hin zur von Archivaren betriebenen Ostforschung, in die Trends der Zeit nahtlos eingefügt. Zum einen, weil erkannt wurde, dass im Bereich der Ostforschung Mittel bereitgestellt wurden, die eine Ausweitung der Arbeiten weit über das bisher Gekannte hinaus 164 Aufzeichnung über Siedlungs- und Volkstumsfragen in den wiedergewonnenen Ostprovinzen. Erster Entwurf von Theodor Schieder, zit. nach Ebbinghaus/Roth: Generalplan Ost, S. 84–91. 165 Tagebucheintrag Goebbels’ vom 17. August 1940. Reuth (Hrsg.): Tagebücher 4, S. 1466; vgl. Jansen: Madagaskar-Plan. Einen ‚jüdischen Staat‘ wollte man allerdings auch in Madagaskar keinesfalls erlauben.

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ermöglichten. Zum anderen, und dies ist kaum zu überschätzen, wurde mit der Betätigung in jenen Bereichen kein Neuland betreten, sondern auf bewährte wie vertraute Ansätze und Vorarbeiten zurückgegriffen, denen jetzt erhöhte Aufmerksamkeit zuteil wurde. Von anfänglich eher verhalten revisionistischen Auseinandersetzungen mit der polnischen Forschung hin zu politisch brisanten, teils offen antisemitischen Ausführungen hatte die deutsche Ostforschung in den Jahren bis 1939 eine erhebliche Radikalisierung vollzogen, die auch durch die Zuarbeiten der Archivwissenschaft ermöglicht wurde. Es stellt sich dabei die Frage, wie diese ‚Gelehrten‘ damit umgingen, zunehmend in die Rolle von ‚Experten‘ gedrängt zu werden, beziehungsweise auch, in welchem Maße sie diesen potentiellen Rollenwechsel selbst forciert hatten. 4. Gelehrte Experten in Archivwissenschaft und Ostforschung? Bei der Betrachtung all dieser Entwicklungen fällt auf, dass zu hinterfragen ist, in welchem Maße die Verortung des Archivars als gelehrtem, teils professoralem, immer aber umfassend gebildeten Fachmann für (landes-)geschichtliche Forschung, der die stille Arbeit im Archiv meist nur unterbricht, um sein Wissen auch historischen Kommissionen und Vereinen zur Verfügung zu stellen, noch Gültigkeit besaß oder nicht vielleicht revidiert werden muss. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Beratertätigkeit der PuSte-Mitarbeiter und -Stipendiaten für politische Vorhaben und Maßnahmen, der dezidiert antipolnischen Agitation beziehungsweise deren Unterstützung und Unterfütterung mit entsprechenden Materialien und der wissenschaftlichen Ausrichtung eigener Forschungen auch auf politisch opportune Ziele lässt aufhorchen und danach fragen, ob und inwieweit die Transformation zu einem spezifisch archivarischen Expertentum im Gange oder gar schon abgeschlossen war. Die Bezeichnung ‚Experte‘, Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals verwendet, bezeichnete eine Berufsgruppe, die sich, bedingt durch den enormen Wissenszuwachs und den stetigen Ausbau der Wissen produzierenden Einrichtungen, herausbildete und die weniger Universalgelehrtheit vorweisen als vielmehr Informationen auf spezifische Anforderungen hin vermitteln konnte – weshalb auch die Bezeichnungen als ‚Ratgeber‘ oder ‚Berater‘ mitunter synonym für den ‚Experten‘ verwendet werden.166 Im hier zu untersuchenden Zusammenhang betrifft dies vor allem jene Experten, die zugleich Wissenschaftler waren, das heißt für ihre Arbeit ausgebildet wurden, diese professionell betrieben und für die im 20.

166 Vgl. Stehr: Wissensgesellschaften, S. 357 ff., 368. Max Weber sprach aufgrund der um sich greifenden Bürokratisierung von Herrschaftsbeziehungen sowie der zunehmenden Bedeutung von Fachwissen vom „Kampf des ‚Fachmenschen‘-Typus gegen das alte ‚Kulturmenschentum‘“. Weber: Wirtschaft, S. 737.

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Jahrhundert der „Handlungstyp Forschung zum bestimmenden Merkmal“ wurde.167 Die beratende Funktion, die in gewisser Hinsicht ein Nachfrage voraussetzendes Angebot darstellt, unterscheidet sich durchaus von der Anhäufung von Wissen um seiner selbst Willen, sodass der Experte von artverwandten, aber doch zu differenzierenden Typisierungen wie der des Intellektuellen abgegrenzt werden kann. Zwar beruhen beide Existenzen auf der möglichst systematischen Wissensaneignung, doch unterscheiden sie sich in der Schwerpunktsetzung. Geht es dem Intellektuellen um ein möglichst breit gefächertes Welt- und Allgemeinwissen, hat der Experte sich in der Regel auf einige wenige Spezialgebiete festgelegt. Zwar gibt es damit Überschneidungen, die in der Regel zu Gunsten des Intellektuellen ausfallen, kurz: „Experten sind keine Intellektuellen, Intellektuelle können dagegen gelegentlich Experten sein. Der Intellektuelle ist in vieler Hinsicht nicht durch den Experten ersetzbar“.168 Deutlicher wird diese Differenzierung an einer plakativen Unterscheidung von ‚Mandarinen‘ und ‚Experten‘, die dabei als gegensätzliche Typen verstanden werden, wobei sich die Experten mit ihrem Spezialwissen begnügen und gar nicht in Versuchung kommen, sich das Allgemeinwissen der ‚Mandarine‘ anzueignen. Jene können sich durch ihren breit angelegten Kenntnisstand dazu berufen fühlen, auch ohne explizite Aufforderung Stellung zu verschiedensten Themengebieten zu nehmen. Die Experten sind demnach vielmehr jenem verpflichtet, der die entsprechenden Anfragen stellt und sie zu Stellungnahmen veranlasst.169 Bezogen auf die Wissenschaftslandschaft, wie sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts konturierte, wurde dem Wissenschaftler in seiner Funktion als wissenschaftlichem Experten besondere Beachtung zuteil, er wurde gar als „die zentrale Figur der Geschichte des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet“.170 Diese Zuschreibung war begründet durch die bedeutende Rolle wissenschaftlicher Expertisen während des Ersten Weltkriegs, in welchem Wissenschaftler nicht nur kriegsrelevante Forschungsergebnisse lieferten, sondern entsprechend weiterführende Forschungen initiierten, vorantrieben und deren Nützlichkeit bewiesen, oder anders formuliert: Wissenschaftler dienten im Ersten Weltkrieg „als Mediatoren, Organisatoren und Innovatoren“.171 Dadurch erlangten jene Experten Einfluss und Macht, da sie Kenntnisse vermitteln konnten, an die der Nachfragende ohne sie kaum gelangt wäre. Aus der 167

Stichweh: Wissenschaftler, S. 164. Stehr: Wissensgesellschaften, S. 379. 169 Vgl. Harwood: Forschertypen, S. 162. 170 Szöllösi-Janze: Wissenschaft, S. 34. 171 Ebd., S. 41. Während die Rollen als Organisatoren (bspw. von Forschungseinrichtungen und -projekten) und Innovatoren (neuer Forschungsformen, -themen, und -methoden) recht offensichtlich sind, stellt die Rolle des Mediators dabei eine „kommunikative Schnittstelle“ dar, etwa zwischen Wissenschaft und Industrie, Militär o.ä. Vgl. ders.: Kooperationsverhältnisse, S. 49–54. 168

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Rolle des passiven Zuträgers von Informationen tritt der Experte in diesem Zusammenhang heraus und vermag sich aktiv zu beteiligen; Experten erlangen somit eine „hochbedeutsame Zwischenstellung zwischen Wissensproduzenten und Wissenskonsumenten“.172 Allerdings, und das muss betont werden, ergibt sich dabei kein einseitiges, sondern ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, es entstehen „‚Kopplungen‘ zwischen Wissenschaft und Politik“: Gewiss liefern Experten Informationen, Innovationen und gegebenenfalls konstruktive Lösungsvorschläge, begeben sich in der Regel aber gleichzeitig in eine meist finanzielle Abhängigkeit, da Forschungsressourcen zunehmend von den Nachfragenden und Nutznießern der Expertisen bereitgestellt werden – und damit jederzeit wieder entzogen werden können.173 Experten haben dementsprechend sowohl ein Interesse daran, möglichst hilfreiche Expertisen zu liefern, als auch die Nachfrage nach diesen konstant zu halten. Daraus ergibt sich, dass eine Zunahme an Expertisen nicht automatisch zu einer Verringerung der Problemfelder und somit der Anfragen an Experten einher ging, und dies nicht nur, weil sich durch gegebene Antworten auch neue Fragen ergeben können. Vielmehr scheinen Experten – sowohl unbewusst als auch bewusst – neue Nachfrage nach ihrem Wissen schaffen und sich somit fast unentbehrlich machen zu können, indem sie beispielsweise „gesellschaftlich relevante Probleme und Konfliktfelder in erheblichem Maß mitdefinieren, um dann zu versprechen, sie mit Hilfe ihrer Wissenschaft zu lösen“.174 Dass aus solchen „Kooperationsverhältnissen“ mit gegenseitigem Nutzen gerade in Zeiten von Diktatur und Krieg, in denen Forschungsressourcen so knapp wie Selbstrechtfertigungen nötig sind, schnell „Kollaborationsverhältnisse“ entstehen können, leuchtet ein.175 Nicht zuletzt, da im Nationalsozialismus Eigeninitiativen in Forschungsfragen innerhalb eines gewissen Rahmens willkommen waren und deshalb eine eindeutige Einteilung in geförderte und nachgefragte Forschung einerseits und anbiedernde Indienststellung andererseits enorm erschwert wird.176 Will die Archivwissenschaft der 1930er Jahre in diesem theoretischen Raster von Experten und Gelehrten, von Politikberatern und intrinsisch motivierten Forschern verortet werden, müssen hierfür deren Tätigkeiten einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden. Es erscheint sinnvoll, Kategorien zu definieren, anhand derer sich idealiter eine Tendenz erkennen lässt, in welchem Maße die Expertentätigkeit Einfluss auf die Politik haben konnte. Es kann dabei mit Susanne Heim unterschieden werden zwischen Auftragsarbeiten, der Mitarbeit an Beratungsgremien, der Veröffentlichung von Studien zu aktuellen Fragen 172 173 174 175 176

Ebd., S. 47 f. Fahlbusch/Haar: Völkische Wissenschaften, S. 9. Szöllösi-Janze: Kooperationsverhältnisse, S. 48; vgl. Stehr: Wissensgesellschaften, S. 359. Vgl. Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse; vgl. Schmiedebach: Kollaborationsverhältnisse. Vgl. Kershaw: Reflections.

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und Problemstellungen sowie Forschungsarbeiten, die keinen direkten Bezug zur „praktischen Politik“ aufweisen.177 Betrachtet man die dargestellten Arbeiten der deutschen Archivare, vor allem im Kontext von PuSte und NOFG, unter Berücksichtigung dieser Kategorien, ist eine exakte Zuteilung zu jenen Aspekten wissenschaftlicher und beratender Tätigkeit nicht immer trennscharf möglich, doch zeigt sich, wie sich für jeden Punkt Belege finden lassen. Sucht man nach Auftragsarbeiten, können die Presseübersetzungen der PuSte, die im Laufe der Zeit immer zielgerichteter angegangen wurden, ebenso genannt werden wie die gezielte ‚Abwehrarbeit‘ gegen die polnischen ‚Angriffe‘, welche sich wiederum nach verschiedenen Absichten und nach Personen und Institutionen differenzieren ließe. Die von der PuSte erstellten Personenlisten für das Baltikum, die auf Anfrage seitens RSHA beziehungsweise SD erstellt wurden, können hierfür exemplarisch stehen. Bezeichnend ist zudem, dass die Übersetzungen der PuSte nicht der Wissenschaft oder gar der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, sondern „nur für den Dienstgebrauch“ angefertigt wurden. Die Verschleierung der PuSte als herausgebendem Institut ging weit; Papritz merkte im Vorwort an, dass „bei Zitierungen [. . . ] unsere Übersetzungen nicht genannt werden [dürfen], sondern nur die Originalwerke in der Seitenzählung des Urtextes, die zu diesem Zweck in die Übersetzungen übernommen wurde“.178 Tätigkeiten dieser Art waren es aber auch, die Werner Best, der zu dieser Zeit eine Schlüsselposition bei der Gestapo einnahm, bereits 1936 dazu veranlasst hatten, die PuSte-Mitarbeiter als absolut vertrauenswürdige Personen zu loben.179 Teilhabe an Beratungsgremien lässt sich in mindestens zwei verschiedenen Kontexten nachweisen. Zum einen in den nicht direkt aus dem Archivwesen heraus entstandenen VFG, an denen zahlreiche Archivare beteiligt waren. Diese lassen sich in einem weiteren Sinne verstehen als Gremien, die vor allem Rahmenbedingungen und Zielvorstellungen vorgaben und größere Projekte anstießen, jedoch immer in Einklang mit der wissenschaftlichen und politischen Großwetterlage zu stehen hatten. Zum anderen lässt sich für diesen Aspekt die Beteiligung an Grenzziehungskommissionen ebenso nennen wie die Teilhabe an den Kommissionen zur Eindeutschung von Orts- und Flurnamen. Diese Art von Beratungsgremien entsprechen in gewisser Weise früher Auftragsforschung, der man sich vielleicht hätte entziehen können – wenn dies denn gewollt worden wäre. Studien zu aktuellen Fragen und Problemstellungen waren mithin das, was die Archivwissenschaft auszeichnete und worin deren wohl größter Beitrag zur 177

Heim: Experten, S. 88. Publikationsstelle Dahlem (Hrsg.): Übersetzungen, Vorwort; vgl. Schaller: Publikationsstelle, S. 203. 179 Vgl. Herbert: Best, S. 148. So Best in einem Schreiben an die PuSte vom 20. März 1936, vgl. Burleigh: Germany, S. 85. Zu Best siehe Kap. D. IX. 2. a) aa). 178

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Ostforschung bestand. Der 1933 von Brackmann herausgegebene Sammelband Deutschland und Polen kann für diesen Aspekt exemplarisch genannt werden – wie die meisten Veröffentlichungen und Arbeitsvorhaben der PuSte. Oftmals nicht einfach zu trennen sind jene Studien von Forschungen ohne direkten Bezug zur Politik, die gewiss weiterhin betrieben wurden, in der Archivwissenschaft wie in anderen Disziplinen. Gerade bei den an Ostarchiven entstandenen Arbeiten war der Übergang zu subtilen politischen Anspielungen oft fließend. Zur unpolitischen Forschung gehören in diesem Kontext auch Überlegungen zu Grundfragen der Archivwissenschaft, wie sie sowohl auf Archivtagen vorgetragen als auch in den Fachperiodika veröffentlicht wurden. Dennoch ist die Unterscheidung von unpolitischer und politischer Ausrichtung einzelner Tätigkeiten äußerst schwierig, vor allem, da die meisten Archivare beiderlei Arbeiten anfertigten, so wie auch rein wissenschaftlich angedachte Studien politischen Nutzen aufweisen konnten. Die Parallelität von fachlich nicht zu beanstandender Arbeit einerseits und Involviertheit in eindeutig politisch motivierte Vorhaben im Rahmen der Ostforschung andererseits erschwert die individuelle Beurteilung grundsätzlich. Die Motivation, sich neben oder auch in wissenschaftlichen Abhandlungen politisch zu positionieren oder an entsprechenden Kommissionen und Projekten mitzuarbeiten, war für viele jüngeren Archivare meist banal. Freilich nahm mancher junge Archivar die Gelegenheit gerne und aus Überzeugung wahr, zu revisionistischen und antipolnischen Bestrebungen beizutragen. Andererseits mochten die Auftragsarbeiten und Stipendien von Archivverwaltung, PuSte oder NOFG so manchem noch nicht in gesicherter Anstellung befindlichen Nachwuchswissenschaftler willkommene Finanzierungs- und Profilierungsmöglichkeiten bieten. Und diese Profilierung, der Beweis der eigenen Nützlichkeit auch über die engen Fachgrenzen hinaus, wurde beispielsweise durch die PuSte ermöglicht, deren Mitarbeiter zuvor größtenteils nicht zu den herausragenden oder gar fest etablierten Vertretern ihrer Disziplin gehört hatten: „In the world at large they were nobodies, within the PuSte they became somebodies“.180 Die Ostforschung bot diesen jungen und fachlich hervorragend ausgebildeten Männern ein weites Feld, in dem sie als Experten verschiedener Spezialgebiete gefragt waren. Diese Entwicklung, zu der die PuSte durch Institutionalisierung und Professionalisierung maßgeblich beitrug, baute auf Vorarbeiten der Volks- und Kulturbodenforschung der 1920er Jahre auf und hatte seit der NSMachtübernahme einen erheblichen Schub erhalten. Als spätestens mit Beginn des Zweiten Weltkrieges die „Stunde der Experten“181 auch im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich gekommen war, standen die Experten aus dem Dunstkreis der deutschen Archivverwaltungen nicht nur bereit, sondern hatten ihre Nützlichkeit bereits eindrucksvoll bewiesen und trafen auf nochmals gesteigertes Interesse. 180 181

Ebd., S. 69. Vgl. Szöllösi-Janze: Wissensgesellschaft, S. 307; vgl. Burleigh: Experten.

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5. Kriegsvorbereitungen und Mobilmachung Die meisten der Experten waren lediglich in ihrem Fachgebiet auf einen Krieg ‚vorbereitet‘. Deshalb mussten unzählige Überlegungen angestellt werden, um auf einen tatsächlichen Mobilmachungsfall umfänglich vorbereitet zu sein. Vor dem Ersten Weltkrieg war weder in deutschen noch in den Mobilmachungsplänen anderer Länder besonderes Augenmerk auf den Schutz und die Sicherung von Archiven und Bibliotheken gelegt worden. Nach den Erfahrungen des Kriegs hatte diesbezüglich ein langsamer Wandel und ein Umdenken in der Berücksichtigung schützenswerter Güter stattgefunden; der Völkerbund hatte 1932 den Grundsatz verkündet, „die Erhaltung des künstlerischen und historischen Erbes der Menschheit“ sei „Gegenstand des Interesses aller zivilisierten Staaten“.182 Es war eine Erfahrung des Ersten Weltkriegs, dem Luftschutz künftig besondere Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Auch wenn der Luftkrieg in Deutschland anders erfahren und wahrgenommen wurde als beispielsweise in England, so war man sich sicher, dass diese Bedrohung kommende Kriege in noch stärkerem Maße prägen würde. Luftschutz wurde somit in den 1920er Jahren bereits als große Herausforderung wahrgenommen, was sich unter anderem in der Gründung des Vereins Deutscher Luftschutz (1927) niederschlug, der aktive Aufklärung der Bevölkerung über die Gefahren des Luftkriegs sowie geeignete Schutzmaßnahmen der Bevölkerung forderte und selbst betrieb.183 Da den Behörden die ‚Luftschutzsachdienstleistungspflicht‘ oblag, mussten sie sowohl das Personal schulen als auch die technischen Hilfsmittel bereitstellen und den möglichst umfassenden Schutz ihrer Dienstgebäude gewährleisten. Vor besondere Herausforderungen waren dabei naturgemäß Archive, Bibliotheken und andere Einrichtungen gestellt, die „Kultur- und Volksgut sammeln und erhalten“ und deren besondere Belange hinsichtlich eines reibungslosen Luftschutzes „nicht so leicht wie bei anderen Behörden zu lösen“ waren. Entsprechend waren diese Fragen schon 1934 auf dem Archivtag in Wiesbaden diskutiert und Einigkeit darüber erlangt worden, dass „die Frage des Luftschutzes [. . . ] eine Gegenwartsaufgabe der Archive“ und ihre „Lösung eine Lebensnotwendigkeit der Archive“ sei.184 Neben grundlegenden Experimenten, beispielsweise über die Auswirkungen von Gaskampfstoffen auf Archivalien,185 war die Gefahr für Archivbestände, wie sie durch Luftangriffe vor allem mit Spreng- und Brandbomben und deren Auswirkungen auf die Archivgebäude und Magazine bestand, das zentrale Thema der Archivschutzbemühungen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. Für 182

Zit. nach Poll: Archivgutschutz, S. 131. Vgl. Süß: Tod, S. 38–48. 184 Der gleich betitelte Vortrag Burkards auf dem Archivtag wurde 1936 in der AZ veröffentlicht. Burkard: Luftschutz, S. 172, 180. 185 Vgl. Zernik: Gaskampfstoffe. 183

VII. Radikalisierung und Mobilmachung? 1936–1939

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den bestmöglichen Schutz beziehungsweise die effektivste Reaktion im Ernstfall wurden ebenso Überlegungen angestellt wie für das grundsätzliche Verhalten der Archivverwaltungen und der einzelnen Archive im Mobilmachungsfall, bei dem es in erster Linie galt, das Personal möglichst schnell vor Ort verfügbar zu halten. Wenngleich die Öffentlichkeit wie die Verwaltung noch nicht wissen konnte, wie weit auf höchster politischer und militärischer Ebene die Planungen eines Angriffskrieges bereits Ende 1937 gediehen waren, so war ein bevorstehender Krieg im Sommer 1938 mittlerweile alles andere als undenkbar. Hitler hatte bereits am 5. November 1937 im Rahmen einer vertraulichen Besprechung in der Reichskanzlei186 die künftige deutsche Expansionspolitik dargelegt, die auf eine Vermehrung der „Volksmasse“ abziele, wodurch sich ein „Problem des Raumes“ ergebe.187 Im Dezember 1937 gab Hitler die Anweisung, mit den Planungen für die Eroberung der Tschechoslowakei zu beginnen (der sogenannte Fall Grün).188 Die Verhandlungen über die Sudetenfrage im Frühjahr 1938, der Einmarsch in Österreich und dessen ‚Anschluss‘, die teilweise Mobilmachung tschechoslowakischer Streitkräfte, das Münchener Abkommen und schließlich die Besetzung des Sudetenlandes ließen Kriegsvorbereitungen durchaus dringlich erscheinen. Somit beschränkten sich die Anweisungen an die Archive, die Zipfel im August 1938 erließ, nicht mehr auf die grundsätzlich einzuleitenden Maßnahmen vor allem hinsichtlich zu erwartender Personalveränderungen im Mobilmachungsfall, sondern bezogen sich auf die konkreten Einschränkungen im Alltagsgeschäft, die sich daraus ergäben. Um mit einem „möglichst geringen Personalbestand auszukommen“, müssten im Falle eines Krieges „alle nicht unumgänglich notwendigen Arbeiten“ der Archive eingeschränkt oder zurückgestellt werden.189 Die konkreten Maßnahmen, die zur Sicherung der Archivalien getroffen werden sollten, waren nicht von obersten Reichsstellen angeordnet worden, sondern wurden von den Archivverwaltungen selbst diskutiert und veranlasst; die Fachmänner hatten somit gewissen Handlungsspielraum. Auf der Direktorenkonferenz in Marburg im Oktober 1938 erörterten die Anwesenden, welche Maßnah186 An der Besprechung nahmen neben Hitler Reichskriegsminister von Blomberg, die Oberbefehlshaber des Heeres, der Kriegsmarine und der Luftwaffe (von Fritsch, Raeder, Göring), Außenminister von Neurath teil sowie Oberst Hoßbach, Wehrmachts-Adjutant Hitlers und Verfasser der sog. „Hoßbach-Niederschrift“ eben jener Zusammenkunft. Vgl. Bußmann: Hoßbach-Niederschrift. 187 Sontag u. a. (Hrsg.): A.D.A.P. D,1, S. 25. 188 Im folgenden Frühjahr wurden im Zuge der Blomberg-Fritsch-Krise mit von Blomberg und von Fritsch jedoch die schärfsten Kritiker Hitlers aggressiver Außenpolitik aus ihren Ämter entfernt, Außenminister von Neurath durch von Ribbentrop ersetzt und ein weiteres Personalrevirement eingeleitet. Damit und durch die Auflösung des Reichskriegsministeriums, die Einrichtung des OKW sowie der Übernahme der Wehrmachtsführung durch Hitler zentralisierte dieser die militärische Entscheidungsbefugnis in seiner Person und besetzte maßgebliche Ämter mit ihm Ergebenen. Vgl. Janssen/ Tobias: Blomberg-Fritsch-Krise. 189 Zipfel an die Direktoren der Staatsarchive, 12. August 1938, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 33.

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C. Krisenerfahrungen und Aufschwung in Republik und Diktatur

men man getroffen hätte, wenn im September der Mobilmachungsfall eingetreten wäre und wie diese zu bewerten seien. Die Teilnehmer der Konferenz kamen zwar zu keiner abschließenden Einigung, waren sich aber darüber im Klaren, „daß keinesfalls erst eine Mobilmachung abgewartet werden kann, sondern daß bei einer Zuspitzung der politischen Lage sehr rechtzeitig die erforderlichen Anordnungen von oben gegeben werden müssen ohne Rücksicht, daß evtl. einzuleitende Archivalienbewegungen sich nachher als überflüssig erweisen“.190

Aus diesem Anlass wurde noch Ende des Jahres 1938, nachdem Zipfel hierfür beim Finanzministerium 10.000 RM erwirkt hatte, damit begonnen, mehrere Kasematten auf der Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz mit Regalen auszustatten und für eine zeitweise Einlagerung von Archivbeständen einzurichten. Allerdings war sich auch Zipfel darüber bewusst, dass dieser räumlich eingeschränkte Platz allenfalls für besonders wertvolle Archivalien ausreiche, aber „größere Verlagerungen von Archivalien hielt damals niemand für zweckmäßig“.191 Somit lag die Planung von Flüchtungs- und anderen Schutzmaßnahmen weitgehend in den Händen der Archivverwaltungen, und Zipfel verließ sich dabei auf die Expertise seiner zwar untergebenen, aber fachlich besser ausgebildeten und vor allem erfahreneren Archivdirektoren. Die Dimensionen des Luftkriegs und dessen Auswirkungen auch auf weit im Landesinnern gelegene Städte und damit Archive sprengten jedoch die Vorstellungskraft der verantwortlichen Archivleiter und gingen weit über die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs hinaus. Die zunächst nur zögerlichen Verlagerungen von Archiven beziehungsweise die Flüchtung größerer Bestände in Stollen, Bergwerke und andere sichere Anlagen war für manchen Substanzverlust verantwortlich. Damit bleibt zu fragen, ob ein rigoroseres Durchgreifen Zipfels als Reichskommissar für den Archivschutz diese Entwicklung zumindest im erlittenen Ausmaß hätte aufhalten können.192 Offenkundig wurde das deutsche Archivwesen mit Beginn des Zweiten Weltkriegs aber vor Herausforderungen gestellt, die Fragen dieser Art zunächst in den Hintergrund treten ließen. Dies sollte sich in der Anfangszeit des Krieges auch nicht ändern, als die aus deutscher Sicht so erfolgreichen Feldzüge eine Bedrohung der im Reich gelegenen Archive unwahrscheinlich erscheinen ließen.

190 191 192

Ebd. Ernst Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 21. Siehe Kap. D. XI. 4. a).

D. „Mit einem Schlage alle technischen Schwierigkeiten und Rücksichten beiseite geräumt“ – Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

VIII. Osteinsatz I: „Nicht wissenschaftliche oder fachliche“, sondern „vornehmlich politische Richtlinien“. Deutsche Archivare in Polen und im Baltikum, 1939–41 1. Eine Archivgeschichte des Zweiten Weltkriegs? Die vorliegende Studie kann und will keine Gesamtgeschichte der deutschen Archivwissenschaft von der Weimarer Republik bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik und DDR darstellen. Ebenso ist es nicht möglich, den so bedeutenden wie komplexen Zweiten Weltkrieg hinsichtlich seines Einflusses auf die Archivwissenschaft in Gänze zu untersuchen. Auf unterschiedliche Weise müssen hierbei Beschränkungen auf bestimmte Fragestellungen, Zusammenhänge und daraus resultierend auch auf bestimmte geografische Räume vorgenommen werden. In den folgenden Kapiteln richtet sich der Blick dementsprechend zunächst auf Polen, unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Vorgehensweisen in verschiedenen Teilen des deutsch besetzten Gebiets, sowie auf das Baltikum bis zur Ausweitung des Krieges 1941. Für die besetzten Westgebiete wird stellvertretend Frankreich untersucht, anhand dessen sich verschiedene Entwicklungen, Konzeptionen und Vorgehensweisen aufzeigen lassen. Eine erneute kurze Zuwendung zum Ostkrieg ab 1941 will manche archivarische Entscheidung darlegen und hinterfragen, inwieweit es sich um typische oder atypische, den Umständen geschuldete Verhaltensweisen handelte. Die Fragestellung ist dabei in Grundzügen einheitlich, wenngleich individuelle Besonderheiten der verschiedenen Regionen berücksichtigt werden müssen. Zentrale Bedeutung kommt der jeweiligen Besatzungs- und dabei besonders der Kulturpolitik zu sowie den Fragen, inwieweit die abgeordneten Archivare zu deren Ausgestaltung beitrugen und ob sich Veränderungen oder Radikalisierungstendenzen erkennen lassen. Dafür muss untersucht werden, wer die Archivare im ‚Auslandseinsatz‘ waren, wie sich die Archivkommissionen rekrutierten und auf welche Weise sie sich in das personelle Gefüge der Militär- oder Zivilverwaltung einfügten. Da Besatzungsverwaltung die beteiligten Einrichtungen und Institutionen vor besondere Herausforderungen stellt, wird anhand der Archivwissenschaft überprüft, wie die Disziplin einem solchen Sonderfall begegnete. Weiterhin bleibt zu fragen, wie sich deren Verhältnis zu Einrichtungen der deutschen Verwaltung und Besatzung konturierte, mit denen sie teils erst durch die Ausnahmesituation des Krieges in Kontakt gekommen war. Am Beispiel des besetzten Polens kann zudem die deutsche Archivverwaltung im Generalgouvernement Warschau während des Ersten Weltkriegs herangezo-

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

gen werden, um nach – bewussten oder unbewussten – Kontinuitäten und Brüchen zu fragen. Zu Polen, unter besonderer Berücksichtigung des Generalgouvernements, wie auch zu den Reichskommissariaten Ostland und Ukraine kann in besonderem Maße auf die Studie Stefan Lehrs zum ‚Osteinsatz‘ der deutschen Archivare zurückgegriffen werden. Für einzelne Themen und Fragestellungen muss entsprechend auf jene Arbeit verwiesen werden, da deren erneute Darstellung und Untersuchung weder geleistet werden kann noch zielführend erscheint. In einem weiteren Schritt wird die Sphäre der ‚Heimatfront‘ in die Untersuchung einbezogen. Zum einen, um nicht den falschen Eindruck zu erwecken, die deutsche Archivwissenschaft hätte sich während des Zweiten Weltkriegs fast ausschließlich auf die Arbeit in den besetzten Gebieten konzentriert. Zum anderen, da auch im Altreich Auswirkungen des Krieges archivarische Arbeit ebenso beeinflussten und erschwerten wie Anforderungen hinzu traten, die sich erst aus dem Kriegsverlauf ergeben hatten; Luftschutzmaßnahmen in Archiven stellen nur das offensichtlichste Beispiel dar. Grundsätzlich will zudem analysiert werden, inwieweit sich Archivare in die Gruppe derjenigen ‚Experten‘ einbeziehen lassen, die etwa in Bereichen der Bevölkerungsplanung und Expansionspolitik mittels ihrer Expertisen – seien sie erzwungen, angefordert oder in vorauseilendem Gehorsam erstellt worden – partizipierten und so zu den Zielen nationalsozialistischer Politik beitrugen. Die Befunde Lutz Raphaels zum „radikalen Ordnungsdenken“1 von Weltanschauungseliten und humanwissenschaftlichen Experten im NS-Regime können dabei als Folie dienen für die Untersuchung der Experten aus Archivwissenschaft und Ostforschung in Zeiten des Krieges. Dabei muss berücksichtigt werden, dass, wie Raphael festhält, trotz mancher Radikalisierungstendenz „sich auch unter den Bedingungen des Krieges kein qualitativ neuer Schritt zur totalitären Durchdringung des Wissenschaftsfeldes beobachten“ lässt.2 Dies wiederum bedeutet, dass nicht zuletzt durch die ‚Selbstmobilisierung‘ verschiedener Disziplinen und Institutionen verschiedentlich die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Wissenschaft und Weltanschauung bereits weit vor Kriegsbeginn undeutlich geworden waren. Konnten solche „intellektuellen Affinitäten“3 zwischen Archivwissenschaft und NS-Regime unter anderem anhand der Archivtage nach der Machtübernahme exemplarisch aufgezeigt werden, ist weiterhin zu fragen, wie sich diese während des Kriegs entwickelten und gerade in den besetzten Gebieten auswirkten. Die Reaktionen der Disziplin auf den Kriegsbeginn und deren Anpassung an die neuen Gegebenheiten sind nicht zuletzt deshalb von Interesse, da sie in die Kriegsplanungen nicht einbezogen war und sich deshalb Anfang September 1939 mit unerwarteten Umständen konfrontiert sah. Ein Befund, 1 2 3

Vgl. Raphael: Ordnungsdenken. Ebd., S. 31. Ebd., S. 33.

VIII. Der Zweite Weltkrieg: Osteinsatz I

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der gewiss auch auf weite Teile der deutschen Wissenschaftslandschaft sowie der Bevölkerung zutrifft. 2. Der Überfall auf Polen und die deutsche Besatzungs- und Kulturpolitik Der im Januar 1934 geschlossene deutsch-polnische Nichtangriffspakt hatte in weiten Teilen der Bevölkerung und der deutschen Diplomatie für Unverständnis gesorgt, da eine Revision der in Versailles ‚diktierten‘ Grenze zu Polen als unverzichtbar angesehen wurde. Bernhard von Bülow, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hatte noch 1933 dargelegt, dass „eine Verständigung mit Polen [. . . ] weder erwünscht noch möglich“ sei und „ein gewisses Maß deutsch-polnischer Spannung“ erhalten werden müsse, „um die übrige Welt für unsere Revisionsforderungen zu interessieren und um Polen politisch und wirtschaftlich niederzuhalten“.4 Der Nichtangriffspakt war dennoch geschlossen worden. Ende 1938 sah Ernst von Weizsäcker, ebenfalls Staatssekretär im AA, den Zeitpunkt gekommen, die Revisionsforderungen gegenüber Polen – notfalls gewaltsam – umzusetzen.5 Im Frühjahr 1939 überschlugen sich nach weiteren diplomatischen Unterredungen die Ereignisse. In der Nacht vom 14. auf den 15. März hatten Hitler, Göring und Ribbentrop den tschechoslowakischen Präsidenten Emil Hácha unter massiven Drohungen dazu gebracht, die staatliche Souveränität aufzugeben. Nachdem am 15. März deutsche Truppen in Böhmen und Mähren einmarschiert waren, wurde am 17. März der Schutzvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Slowakei unterzeichnet. Wenige Tage später konferierte Ribbentrop mit einem ob der neuen Konstellation sichtlich bestürzten Lipski. Schließlich hatte das an der Münchner Konferenz 1938 nicht beteiligte Polen von deren Ergebnissen profitiert, noch im Herbst 1938 unter Billigung Deutschlands das Teschener Land in Oberschlesien besetzt und sich damit an der 1939 abgeschlossenen „Zerschlagung“ der Tschechei beteiligt. Ende März 1939 erhöhte die deutsche Diplomatie auch den Druck auf das Memelland, am 23. März erfolgte die Unterzeichnung des Vertrags zur Wiedervereinigung des Memellandes mit dem Deutschen Reich, bevor die Wehrmacht einrückte und das Gebiet als Teil der Provinz Ostpreußen besetzte.6 Vor diesen Entwicklungen lehnte Warschau am 26. März die deutschen Forderungen bezüglich Danzigs und der exterritorialen Verbindung durch den Korridor endgültig ab und wies darauf hin, dass jeglicher deutsche Übergriff auf Danzig unweigerlich eine kriegerische Auseinandersetzung nach sich ziehen werde.7 Hitler ließ sich hiervon nicht beeindrucken, sondern wies Anfang April Wilhelm 4 Bernhard von Bülow: „Die außenpolitische Lage Deutschlands (März 1933)“, 13. März 1933, zit. nach Wollstein: Denkschrift, S. 92; vgl. Graml: Bülow, S. 120 f. 5 Kley: Entfesselung, S. 209. 6 Vgl. ebd., S. 216–222. 7 Vgl. Hoensch: Hitler-Stalin-Pakt, S. 47; vgl. Kalisch: Beziehungen, S. 396.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Keitel, den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, an, dafür Sorge zu tragen, dass der Plan für den Angriff auf Polen (Fall Weiß) umgearbeitet werden müsse, um ab dem 1. September dessen Durchführung zu ermöglichen.8 Am 23. Mai 1939 sprach Hitler vor Generälen der Wehrmacht zur Unterrichtung über die Lage und Ziele der Politik und hielt dabei fest, dass die „Auseinandersetzung mit Polen – beginnend mit Angriff gegen Polen – [. . . ] nur dann von Erfolg [sei], wenn der Westen aus dem Spiel bleibt.“ Es sei „Sache geschickter Politik, Polen zu isolieren“.9 Hitler spielte damit auf die internationalen Bemühungen an, den Konflikt um die „Polenfrage“ nicht weiter eskalieren zu lassen, wobei es zwischen der britischen und der französischen Regierung zu unterschiedlichen Einschätzungen und zu einer sehr zurückhaltenden Unterstützung Polens kam.10 „Der Pole“ sei nun aber, so Hitler weiter zu den Generälen, „kein zusätzlicher Feind“, sondern werde „immer auf der Seite unserer Gegner stehen. Trotz Freundschaftsabkommen hat in Polen immer die innere Absicht bestanden, jede Gelegenheit gegen uns auszunutzen.“ In der aktuellen Streitfrage sei Danzig „nicht das Objekt, um das es geht“, sondern die wirklich zentralen Fragen drehten sich „um die Erweiterung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung, sowie der Lösung des Baltikum-Problems. Lebensmittelversorgung ist nur von dort möglich, wo geringe Besiedelung herrscht. Neben der Fruchtbarkeit wird die deutsche, gründliche Bewirtschaftung die Überschüsse gewaltig steigern. In Europa ist keine andere Möglichkeit zu sehen“.11

Propagandistisch genutzt wurde außerdem der als Hitler-Stalin-Pakt bekannt gewordene deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom 23./24. August 1939, den man als großen außenpolitischen Erfolg darstellte; Hitler war sich sicher, dass es mit dem Wegfall der sowjetischen Bedrohung zu keinem ernsthaften Engagement der Westmächte für Polen kommen werde.12 Da Polen weder für Deutschland noch für die Sowjetunion zum „dauerhaften Inventar der politischen Landkarte“13 gehörte, war dem Pakt ein geheimes Zusatzprotokoll hinzugefügt worden, das die jeweiligen territorialen Ansprüche bei einer Umgestaltung Osteuropas 8 Die Anweisung an Keitel gab Hitler wohl am 1. April; Keitels entsprechende Weisung an die Wehrmacht erging am 3. April 1939; Weisung für die einheitliche Kriegsvorbereitung der Wehrmacht für 1939/40, Dok. 120-C. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 34, S. 380 f; vgl. Hermann: Weg, S. 477; vgl. Kley: Entfesselung, S. 222. Ein weiterer Grund sei außerdem die britischfranzösische Garantieerklärung vom 31. März 1939 gewesen, welche die Unterstützung Polens zur militärischen Verteidigung festlegte. Vgl. Hoensch: Hitler-Stalin-Pakt, S. 47; vgl. Prazmowska: Britain, S. 57–80. 9 Undatierter Bericht über eine Besprechung Hitlers mit den Befehlshabern und führenden Offizieren der drei Wehrmachtsteile in der Reichskanzlei vom 23. Mai 1939 (sog. kleiner SchmundtBericht), Dok. 079-L. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 37, S. 550. 10 Vgl. Overy: Vorabend, S. 16–20. 11 Undatierter Bericht über eine Besprechung Hitlers mit den Befehlshabern und führenden Offizieren der drei Wehrmachtsteile in der Reichskanzlei vom 23. Mai 1939 (sog. kleiner SchmundtBericht), Dok. 079-L. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 37, S. 548 f. 12 Vgl. Graml: Krieg, S. 198–277. 13 Overy: Vorabend, S. 20.

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festlegte: Finnland, Lettland, Estland, Bessarabien sowie das östliche Polen wurde als sowjetisches Interessengebiet anerkannt, Litauen sowie das westliche Polen als deutsches.14 Der Nichtangriffspakt war somit die letzte Bedingung gewesen für ein militärisches Vorgehen gegen Polen, das Hitler kurz darauf befahl.15 Am 1. September 1939 um 4:45 Uhr begann der deutsche Überfall auf Polen, offiziell als Reaktion auf Grenzverletzungen, die jedoch von SS und SD fingiert waren. Am 7. September standen deutsche Truppen vor Warschau, das am 27. September kapitulierte. Am 17. September stießen sowjetische Truppen über die kaum verteidigte Ostgrenze Polens vor und begannen mit der Okkupation der ostpolnischen Territorien, wobei sie in der Folgezeit mit ähnlichen Mitteln gegen die Polen vorgingen wie die Nationalsozialisten: Durch Deportationen und Erschießungen sollten die polnischen Eliten dezimiert und der polnische Staat ausgelöscht werden.16 Am 6. Oktober hatten sich die letzten polnischen Einheiten ergeben.17 Das deutsche Vorgehen wurde propagandistisch begleitet, und auch die Wissenschaft trug ihren Teil hierzu bei. Brackmann hatte in der deutschnationalen Zeitung Deutsche Zukunft den polnischen Intellektuellen und Wissenschaftlern eine wesentliche Mitschuld an der aktuellen Entwicklung gegeben. Er legte dar, dass das polnische Volk wie kein anderes in Europa „seine intellektuellen Kräfte [. . . ] in den Dienst der außenpolitischen Ziele des Staates gestellt“ habe, „und nun haben sie gesehen, wohin ihre Tätigkeit geführt hat. Diese wissenschaftlichen Kreise sind es gewesen, die neben den politischen Führern die schwerste Schuld an dem Zusammenbruch ihres Staates tragen, denn sie haben als Vertreter der Intelligenz zusammen mit jenen Politikern dem polnischen Volk die Wahnvorstellung eines künftigen polnischen Großreiches vermittelt“.18

Brackmann sprach damit zwei wesentliche Punkte an: Zum einen die von polnischer Seite vertretene Ansicht, dass die territorialen Bestimmungen der Versailler Verträge gerechtfertigt, sogar eher noch zu nachteilig für Polen ausgefallen seien. Eine Meinung, deren wissenschaftliche Begründungsversuche die deutsche Ostforschung auf den Plan gerufen hatten, die diesen Ansichten entgegentreten sollte, wie unter anderem das Vademecum der PuSte zeigte. Zum anderen die damit einhergehende Fokussierung der Deutschen auf die „Vertreter der Intelligenz“ als tragende Schicht des jungen polnischen Staates. Mit welchen Mitteln die polnische „Intelligenz“ für ihren vermeintlichen Frevel zur Rechenschaft gezogen werden sollten, zeigte sich exemplarisch an der nur wenige Wochen nach

14

Vgl. Stegemann: Politik, S. 15. Auf die diplomatischen Bemühungen und Verwicklungen der letzten Augusttage kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Vgl. dazu Overy: Vorabend, S. 25–71. 16 Vgl. Neutatz: Träume, S. 283; vgl. Slutsch: Eintritt. 17 Vgl. Bertram: Polenfeldzug, S. 646. 18 Brackmann: Wissenschaft; vgl. Lemberg: Baethgen, S. 221 f. 15

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Brackmanns Artikel stattfindenden Deportation Krakauer Universitätsangehöriger in Konzentrationslager.19 Brackmann trug damit zur deutschen Propaganda bei, die ein konkretes, wenngleich mehrschichtiges polnisches Feindbild konstruiert hatte. Dieses reichte von der Aberkennung des Existenzrechts Polens aufgrund der „künstlichen Schöpfung“ des Staates in Versailles über die vermeintliche Bedrohung deutscher Ansprüche bis hin zu ethnisch-rassistischen und biologistischen Begründungen der polnischen „Minderwertigkeit“ – die „verjudeten“ Polen würden aufgrund ihres Bevölkerungswachstums das Deutsche Reich auf eine Weise bedrohen, die eine Zurückdrängung der Polen ebenso erfordere wie die Vernichtung ihrer Eliten.20 Die absolute Radikalität, die sich in solchen Forderungen erkennen ließ, prägte die deutsche Besatzungspolitik in Polen, allerdings nicht in allen Gebieten und zu jeder Zeit auf die gleiche Weise, denn ein einheitliches Vorgehen für das vormals polnische Staatsgebiet hat es während der deutschen Besatzung nicht gegeben. Als „traurigstes Erbe polnischer Mißwirtschaft“ stellten sich die Gebiete dar, die Deutschland „in seinem neuen Osten“ besetzt hatte. „Gebiete, die in ihrer planlosen Unausgeglichenheit niemals eine tragfähige Grundlage für ein gesundes völkisches Leben und eine leistungsfähige Wirtschaft abgeben konnten“.21 Zunächst wurden ehemals deutsche Gebiete völkerrechtswidrig annektiert und dem Reich wieder eingegliedert durch die Schaffung der Reichsgaue DanzigWestpreußen und Posen (ab Januar 1940 Reichsgau Wartheland) sowie der Angliederung von Gebieten nach Ostpreußen und Schlesien. Im übrigen militärisch besetzten, aber nicht eingegliederten Gebiet wurde im Oktober 1939 das Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete (GG) unter der Leitung des Generalgouverneurs Hans Frank eingerichtet, der Hitler direkt unterstellt war.22 Die eingegliederten Gebieten und das Generalgouvernement unterschieden sich nicht nur hinsichtlich ihres formalen Status, sondern auch in der Zielsetzung der deutschen Politik. Sollten die ins Deutsche Reich eingegliederten Gebiete möglichst rasch ‚germanisiert‘ werden, diente das GG als Exerzierfeld nationalsozialistischer Volkstumspolitik, als Ziel von Deportationen, als „Polenreservat“ und „Arbeitskräftereservoir“ für das Reich.23 Die annektierten und in Reichsgaue umgewandelten beziehungsweise angegliederten Gebiete waren die wirtschaftlich bedeutendsten Teile des polnischen Staatsgebiets und sollten entsprechend ausgebeutet werden. Gewiss führte dieses Vorhaben zu Reibungen mit dem Plan einer umfassenden, auf mehreren Ebenen 19 Am 6. November 1939 waren in der „Sonderaktion Krakau“ 183 Universitätsprofessoren und -mitarbeiter verhaftet und in die KZ Sachsenhausen und Dachau deportiert worden. Vgl. August: Einleitung; vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 109. 20 Vgl. Bömelburg/Musial: Besatzungspolitik, S. 45 f. 21 Gebert: Planung. 22 Führererlass vom 12. Oktober 1939, RGBl. 1939 I, S. 2077 f. 23 Reidegeld: Sozialpolitik, S. 523 f.; vgl. Spoerer: Kriegswirtschaft, S. 660 f.

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initiierten Germanisierung. Umsiedlung und Vertreibung von Polen in das GG sollte ebenso dazu beitragen, die eingegliederten Gebiete ‚einzudeutschen‘, wie die Zerstörung sämtlicher polnischer kultureller Einrichtungen. Oberstes Ziel war dabei, polnische und im weitesten Sinne deutsche oder als solche eingestufte Bevölkerungsteile zu trennen. Volkstumspolitische Instrumentarien wie die Deutsche Volksliste (DVL) kamen zum Einsatz, in die nur deutsche und „eindeutschungsfähige“ Personen in verschiedene Kategorien aufgenommen wurden.24 Grundsatz bei der Erfassung sollte sein, „dass kein deutsches Blut fremdem Volkstum nutzbar gemacht wird“.25 Die deshalb nicht in der Volksliste Verzeichneten galten damit als „Fremdvölkische“ und sahen sich vom Terror der Einsatzgruppen, der Sicherheitspolizei und des SD und von Deportationen bedroht.26 Schon im Herbst 1939 begann damit eine Nationalitätenpolitik, die „von den Volkstumskampfprinzipien der ‚Polenabwehr‘ geleitet war“.27 Nicht nur, aber in besonderem Maße in den eingegliederten Gebieten wurden die Germanisierungsbestrebungen von einer Politik der ‚De-Kulturalisierung‘ flankiert. Neben der Verhinderung eines polnischen kulturellen Lebens durch Schließung von Einrichtungen, Zeitungen und Vereinen wurde der polnischen Bevölkerung die Teilhabe an deutschen Kultureinrichtungen untersagt und sie unzähliger Kulturdenkmäler und Kunstschätze beraubt.28 In den auf diese Weise vorbereiteten Gebieten sollte neuer deutscher „Siedlungsboden“ entstehen, von welchem die unerwünschten Bevölkerungsteile zu entfernen waren. Im Generalgouvernement hatten die volkstumspolitischen Zielsetzungen die wirtschaftliche Ausbeutung deutlich in den Hintergrund gedrängt. Vielmehr spielte das GG eine entscheidende Rolle in der deutschen Volkstumspolitik, konnten dortin doch die in anderen Gebieten unerwünschten „Fremdvölkischen“ deportiert werden; zudem verbrachte man aus dem GG insgesamt rund 1,2 Millionen Polen als Zwangsarbeiter ins Reich. In einem Aktenvermerk Martin Bormanns vom 2. Oktober 1940 hielt dieser die explizit geäußerte Zielsetzung Hitlers fest, wie mit den polnischen Eliten im GG umzugehen sei. „Der Führer“ habe „noch einmal“ betonen müssen, „dass es für die Polen nur einen Herren geben dürfe und das sei der Deutsche, zwei Herren nebeneinander könne es nicht geben und dürfe es nicht geben, daher seien

24 Zunächst wurde die DVL nur in den eingegliederten Ostgebieten eingesetzt, später auch im GG; Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten, RGBl. 1941 I, S. 118 ff.; vgl. Schubert: Volksliste; vgl. Becker: Volkstumskampf, S. 35–40; vgl. Frackowiak: Volksliste; vgl. Wolf : Volksliste; vgl. Heinemann: Rasse, S. 187–303; zur ‚Volkstumsführung‘ durch die SS ab 1937 vgl. Luther: Volkstumspolitik, S. 145–175. 25 Erlass des RKF vom 12. September 1940, zit. nach Frackowiak: Volksliste, S. 181. 26 Vgl. u. a. Weitbrecht: Einsatzgruppen. 27 Bömelburg/Musial: Besatzungspolitik, S. 63–71; vgl. Harten: De-Kulturation, S. 99; vgl. Broszat: Zweihundert Jahre, S. 223–231. 28 Vgl. Harten: De-Kulturation, S. 170, 181 f. Auch mittels jeweils angepasster Schulpolitik wurde im Reichsgau Wartheland und im GG Einfluss auf Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Bevölkerung limitierender Einfluss genommen, vgl. Hansen (Hrsg.): Schulpolitik.

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alle Vertreter der polnischen Intelligenz umzubringen. Dies klinge hart, aber es sei nun einmal Lebensgesetz“.29

Germanisierung der einheimischen Bevölkerung war im GG, im Unterschied zu den eingegliederten Gebieten, nicht vorgesehen. Frank legte seinen Abteilungsleitern dar, dass Hitler ihm aufgetragen habe, das Generalgouvernement „als Heimstätte des polnischen Volkes“ zu betrachten, in der „keine irgendwie geartete Germanisierung möglich“ sei. Zudem müsse streng auf Zweisprachigkeit geachtet werden.30 Das GG, bald als „Restpolen“ bezeichnet, wurde schnell zum „Abladeplatz für ‚rassisch Unerwünschte‘“ und vor allem für „die Untersten der Unteren in dieser Bevölkerung, die Juden, zum Wartezimmer für den Völkermord“.31 Insgesamt bemühte man sich hier, die „völlige gegenseitige Trennung zwischen Deutschen und Polen“ einzuhalten, und Frank, der im Herbst 1940 „mit Polen noch keinen Kontakt aufgenommen“ hatte, bat seine Mitarbeiter, ihm dies nachzutun. Den Polen sollte verdeutlicht werden, dass es einen wesentlichen „Unterschied zwischen dem Lebensstandard des Herrenvolkes und dem der Unterworfenen“ gebe und sie „die Grenzen ihrer Entwicklungsmöglichkeiten“ einsehen müssten.32 Die weitreichenden und langwierigen Umsiedlungsaktionen wurden zentral koordiniert vom Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF), zu dem 1939 Heinrich Himmler ernannt worden war, womit die Verantwortung für die Umsetzung der deutschen Siedlungspolitik in den Ostgebieten auf die SS überging. Diese war nur eine der Institutionen des deutschen Besatzungsapparats, neben der im GG die Wehrmacht sowie die Zivilverwaltung unter Hans Frank die Geschicke maßgeblich bestimmte. Die von den Zentralbehörden im Reich unabhängige Zivilverwaltung war für wesentliche Aspekte der Besatzungsverwaltung zuständig, neben der Erfassung der Zwangsarbeiter unter anderem für die Bildungs- und Kulturpolitik.33 Dass sich dabei die Zuständigkeiten wie auch die Interessen nicht klar voneinander trennen ließen, erscheint nachvollziehbar. Bezeichnend ist aber, dass es nicht nur zu verschiedentlichen Rivalitäten hinsichtlich spezieller Aufgaben- und Problemstellungen kam, sondern die Gesamtheit der Interessenkonflikte bereits 1940 von Beteiligten erkannt und in aller Deutlichkeit dargelegt wurde. Hans Frank sprach diesbezüglich von einer „Anarchie der Vollmachten“, und Wirtschaftsminister Walther Funk ließ sich gar zu der Bemerkung hinreißen, dass man, „um dieses Durcheinander auszuhalten“, „entweder verrückt oder besoffen sein“ müsse, und er in diesem Falle das Letzte29 Aktenvermerk Bormanns vom 2. Oktober 1940, Dok. 172-USSR. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 39, S. 425–429. 30 Diensttagebuch Franks Nr. 8, 8. März 1940, Abteilungsleitersitzung, Ausführungen Franks zur Polenpolitik, zit. nach Geiss/Jacobmeyer (Hrsg.): Diensttagebuch, S. 47 f. 31 Kershaw: Höllensturz, S. 490. 32 Diensttagebuch Franks Nr. 23: 12. September 1940: Abteilungsleitersitzung, Ausführungen Franks zur Besatzungspolitik, zit. nach Geiss/Jacobmeyer (Hrsg.): Diensttagebuch, S. 91. 33 Vgl. Bömelburg/Musial: Besatzungspolitik, S. 73.

VIII. Der Zweite Weltkrieg: Osteinsatz I

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re vorziehe.34 Bezogen sich jene Äußerungen auf die Gesamtheit des institutionellen Geflechts innerhalb des Besatzungsapparats, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch einzelne Bereiche von jenen Kompetenzkonflikten und wechselnden politischen Vorgaben beeinträchtigt waren. So glich die gesamte deutsche Volkstumspolitik einem „Trümmerfeld“, und hinsichtlich des Konzepts vom „deutschen Lebensraum“ war längere Zeit kein Konsens zu erzielen.35 Das „Durcheinander“ im GG ergab sich zudem nicht nur aus grundsätzlichen Rivalitäten zwischen den beteiligten Institutionen oder konkretem Ringen um Zuständigkeit und Verantwortung, sondern zu wesentlichen Teilen aus den allzu unterschiedlichen Absichten der Institutionen mit dem GG und dessen zukünftiger Rolle. Dass sich für die Entwicklung des GG und die jeweils verfolgte Politik zudem verschiedene Phasen erkennen lassen, trug zu diesen verwirrenden Konstellationen und Zuständen bei. Wurden anfangs bis zum Frühjahr 1940 noch ‚Reststaatspläne‘ für das GG in Erwägung gezogen, ergab sich nach deren Aufgabe eine lose Angliederung an das Reich, die durch die Umbenennung des Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete in Generalgouvernement verdeutlicht wurde. Der Beginn des Russlandfeldzugs 1941 sowie die militärischen Ereignisse ab 1943 trugen weiterhin zu einer veränderten Schwerpunktsetzung der Politik im und in Bezug auf das GG bei. Das bedeutet, dass durch die Veränderung des Krieges vom „nationalen Restitutionskrieg“ hin zum „ideologischen Vernichtungskrieg“ die Entwicklung des GG maßgeblich beeinflusst wurde, da man hier schließlich bedenkenlos agieren und mit Formen nationalsozialistischer Lebensraumpolitik experimentieren konnte.36 Im vorliegenden Kontext wird in erster Linie die Zivilverwaltung betrachtet, die bereits Ende Oktober die nur wenige Wochen existierende Militärverwaltung abgelöst hatte, auch wenn zu diesem Zeitpunkt deren genaue Zuständigkeiten noch nicht abschließend geklärt waren. Bei der Einrichtung der Zivilverwaltung schwebte Hans Frank vor, „einen Idealtypus des politisch entscheidungsfreudigen Verwaltungsbeamten“ gen Osten zu holen; statt „müde[n], verstaubte[n] Aktenmenschen, bürokratisch-versippte[n] Gesellen“ erhoffte er sich einen „Abguss wahrer Tüchtigkeit“ und einen Apparat aus „absolut polenvernichtungsentschlossene[n] Recken“.37 Himmler, der als RKF das Kontrollrecht über die „rassischpolitische Qualifikation“ der einzusetzenden Beamten hatte, verfolgte ähnliche Ziele in Personalfragen, sodass zunächst nationalsozialistische Gesinnung stärker gewichtet wurde als fachliche Qualifikation. Zum einen bezog sich dies vor allem auf Beamte in Leitungsämtern, und zum anderen wurde gerade in der Zivilverwaltung bald sehr wohl auf die fachlichen Leistungen und die Vorbildung der 34 35 36

Zit. nach Kleßmann: Selbstbehauptung, S. 32. Wolf : Ideologie, S. 302 f. Geiss/Jacobmeyer (Hrsg.): Diensttagebuch, S. 15; vgl. Kleßmann: Selbstbehauptung, S. 29–

39. 37

Zit. nach Lehnstaedt: Okkupation, S. 53.

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Beamten geachtet, die sich den realen Aufgaben vor Ort zu stellen hatten. Auch dies sollte zum allmählich entstehenden Konflikt zwischen der Zivilverwaltung einerseits und SS, RSHA und obersten Parteistellen andererseits beitragen.38 Bereits an solchen Stellenbesetzungsfragen zeigte sich der Konflikt zwischen theoretischen, im fernen Berlin erdachten Vorgehensweisen und deren praktischer Umsetzung. Konflikte indes, die sich in fachlichen Fragen noch häufiger ergeben sollten, in verschiedensten Bereichen der Besatzungs- und Kulturpolitik. Neben den polnischen Eliten sollte auch das kulturelle und wissenschaftliche Leben des GG beinahe vollständig ausgelöscht und eine Schulpolitik betrieben werden, die der polnischen Bevölkerung nicht mehr als eine rudimentäre Bildung ermöglichen würde. Goebbels hatte Hans Frank gegenüber bereits Ende Oktober 1939 die Ausrichtung der Kulturpolitik im GG dargelegt, bei der „den Polen [. . . ] nur solche Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden [dürfen], die ihnen die Aussichtslosigkeit ihres völkischen Schicksals zeigten“.39 Der Reichsbauernführer und Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, Walther Darré, hatte gar davon gesprochen, den Polen die „Segnungen des Analphabetismus“ nicht vorenthalten zu wollen.40 Das Kulturgefälle zwischen Deutschen und Polen sollte mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln belegt und eine etwaige Nivellierung durch ein polnisches Kulturleben unterbunden werden. Neben Schließung und Verbot kultureller Einrichtungen und Aktivitäten trugen Zerstörungen und Plünderungen von Kunst- und Kulturgütern hierzu bei. Als Rechtfertigung diente dabei die Theorie der deutschen Kulturträger, die zu betonen Aufgabe verschiedenster Disziplinen geworden war.41 Die Frühphase des GG, als dessen längerfristiger Verbleib beim Reich noch nicht festgelegt war, lässt sich hinsichtlich des kulturellen und wissenschaftlichen Lebens als „Ausplünderungsphase“ beschreiben, während der Bibliotheken und Museen ebenso Verluste erlitten wie sämtliche anderen Einrichtungen, in denen sich Kunstschätze befanden. Galt dies mitunter auch für die eingegliederten Gebiete, stellte das GG dennoch einen Sonderfall dar ab der Einsetzung Franks als Generalgouverneur. Nicht zuletzt aufgrund dessen Abneigung gegenüber Himmler, der maßgeblichen Einfluss auf die Raubzüge hatte, sowie Franks Bestreben, möglichst viele Belange ‚seines‘ Reichs unter Kontrolle zu behalten, ergab sich eine paradoxe Situation. Frank war keineswegs daran gelegen, die polnischen Kunstschätze zu beschützen, vielmehr wollte er sie weiterhin unter Kontrolle behalten. Wenn er hierfür Himmlers Anweisungen zum Abtransport zu widersprechen vermochte, belegte dies die unklaren Zuständigkeiten und führte dazu, dass mit Frank ein Verfechter radikaler Maßnahmen gegenüber den Polen zumindest 38 39 40 41

Vgl. Kleßmann: Selbstbehauptung, S. 39 f. Zit. nach Harten: De-Kulturation, S. 178; vgl. Bömelburg/Musial: Besatzungspolitik, S. 84 ff. Zit. nach Kleßmann: Selbstbehauptung, S. 28. Vgl. ebd., S. 48 f.

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zeitweise dafür sorgte, dass vereinzelt Kunstschätze nicht geraubt oder zumindest nicht direkt ins Altreich verbracht wurden.42 Zu den polnischen Kulturgütern lassen sich auch die Archivalien zählen, die mit der deutschen Besetzung Polens in fremde Hände gelangten. Wie sich die deutschen Archivare in all diesen Kontexten verhielten und wie sich deren Aufträge und Vorgehensweisen im Laufe der Kriegsjahre verändern sollten, ist nun zu untersuchen. (Kultur-)Politische Vorgaben sind dabei ähnlich zu berücksichtigen wie eventuelle Zielkonflikte mit weiteren deutschen Institutionen oder auch individuelle Unterschiede innerhalb der Archivwissenschaft. 3. Deutsche Archivare in Polen Obschon sich die deutsche Archivwissenschaft nicht zielgerichtet auf den Kriegsbeginn hatte vorbereiten können, reagierte sie schnell auf die Umstände, die sich aus dem Überfall auf Polen ergeben hatten. Bereits am 5. und 6. September 1939 setzte in RMdI und Archivverwaltung rege Aktivität ein. Zipfel wandte sich am 5. September an die Staatsarchive mit der Bitte um erste Einschätzungen, auf welche polnischen Bestände Besitzansprüche geltend gemacht werden könnten. Wie schnell auch in der PuSte auf den Kriegsbeginn reagiert wurde, belegt ein Schreiben Papritz’ an Zipfel vom 6. September. Er fügte diesem Schreiben „eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Archive und archivähnlichen Sammlungen historischer Quellen in Polen“ bei. Konkretes Anliegen war, „im gegenwärtigen Krieg wieder wie 1915–18 die polnischen Archive des besetzten Gebietes in deutsche Verwaltung zu nehmen, einmal weil dies von allgemeinen kulturpolitischen Verpflichtungen geboten wird, dann aber vor allem, weil dabei zahlreiche Quellen zur Geschichte des Deutschtums im Osten sichergestellt werden könnten. Dabei kommen sowohl Anschriften und Fotokopien als auch der Abtransport ins Reich in Betracht. Dieser wäre für Archivalien ins Auge zu fassen, die ihrer Herkunft nach reichsdeutschen Archiven gehören“.43

Mit dezidiertem Verweis auf die Arbeit Adolf Warschauers im Generalgouvernement Warschau44 ging es nun in erster Linie um Archivalien, die nach „den modernen internationalen Archivgrundsätzen“ ins GStA oder andere deutsche Archive gehörten, vor allem aber „für die Darstellung der preußischen Kulturleistung und Verwaltungsarbeit in Polen unentbehrliche Unterlagen“ enthielten und auf die bei den bisherigen deutsch-polnischen Streitfragen zwangsweise verzichtet worden war. Kurz, die PuSte war bereit, konkrete weiterführende Vorschläge zu unterbreiten, wie die „Organisation einer deutschen Archivverwaltung im besetzten Gebiet Polens“ umgesetzt werden könnte.45 42 43 44 45

Ebd., S. 62; vgl. Madajczyk: Okkupationspolitik, S. 334–337. Papritz (PuSte) an Zipfel und an RMdI, 6. September 1939, BArch R 1506/1036. Siehe Kap. B. III. 1. Papritz (PuSte) an Zipfel und an RMdI, 6. September 1939, BArch R 1506/1036.

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Dieser Teil von Papritz’ Ausführungen klang, als wolle man sich in die positiv konnotierte Tradition der Archivverwaltung Warschauers stellen und plane, gemäß anerkannter Grundsätze fachlich und rechtlich einwandfrei zu agieren. Hierfür sollten zudem nur Fachleute zum Einsatz kommen können, die des Polnischen und, abhängig vom Einsatzgebiet, auch des Russischen mächtig waren. Ob und in welchem Maße man vor Ort auf polnische Archivare zurückgreifen wollte, stand anfangs nicht fest, dies sollte erst die Erfahrung lehren. Dass nicht in jeder Hinsicht Kontinuitäten erzeugt werden sollten, legte Papritz unverblümt dar. In einem Punkt, betonte er nachdrücklich, müsse sich die nun einzusetzende deutsche Archivverwaltung in Polen von der des Ersten Weltkriegs grundsätzlich unterscheiden, denn „die Richtlinien der Arbeit werden nicht allein wissenschaftliche oder fachliche sein dürfen, wie damals, sondern vornehmlich politische.“ Damit ging es eben nicht ausschließlich um baldmöglichst durchzuführende Sicherstellung und Überführung beanspruchter Archivalien, sondern es galt zudem, „den Vorteil einer deutschen Besetzung polnischer Archive in jeder Hinsicht insbesondere politisch auszunutzen“.46 In einem Memorandum „über Organisation und Aufgaben einer deutschen Archivverwaltung im besetzten polnischen Gebiet“ wurde auf die archivarischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs rekurriert und festgehalten, dass hieran durchaus angeknüpft werden könne. Die Aufgaben würden im Wesentlichen dieselben sein wie im Ersten Weltkrieg. Allerdings habe die damalige Archivverwaltung zwar wissenschaftlich einwandfrei gearbeitet, aber leider viel zu zögerlich und vorsichtig. Vor allem habe sie „aus Rücksicht auf die Polen die politische Seite ihrer Tätigkeit fast gänzlich außeracht gelassen“.47 Da eine solche Rücksichtnahme nun nicht mehr vonnöten sei, könne sich die neu einzurichtende Archivverwaltung „den nationalpolitischen Aufgaben mit umso mehr Energie zuwenden“, insbesondere jenen, „die zur Begründung deutscher Ansprüche in Polen dienen und die Geschichte des deutschen Volkstums und der deutschen Kultureinflüsse in Polen aufhellen“.48 Der bewusste Bruch mit der Tradition der Archivverwaltung Warschauers war damit nicht nur eindeutig formuliert, sondern von Beginn des Krieges an festgelegt. Schon Anfang September 1939, während die Wehrmacht weiter in Richtung Warschau vorstieß, profitierten PuSte und Archivverwaltung ganz praktisch vom militärischen Vorgehen gegen Polen, indem sie beispielsweise requirierte Bibliotheksbestände zugesprochen bekamen. 46 Ebd. Bei der Rückforderung ging es nicht nur um Archivalien, die infolge des Tilsiter Friedens 1807 an das Herzogtum Warschau ausgeliefert werden mussten oder um Akten der brandenburgischen Herrschaft in Tauroggen 1691–1793 sowie der preußischen Ministerien in Süd- und Neuostpreußen 1793–1806, sondern auch um wesentlich neuere Bestände, beispielsweise die Akten der Okkupationsbehörden des Weltkriegs, die Ende 1918 von Polen beschlagnahmt worden waren. 47 Memorandum über Organisation und Aufgaben einer deutschen Archivverwaltung im besetzten polnischen Gebiet (undatiert, vermutlich September 1939), BArch R 153/772. 48 Ebd.

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Natürlich war auch Zipfel Feuer und Flamme für die nun bevorstehenden Aufgaben und Möglichkeiten, die sich durch den Polenfeldzug ergaben. Er verkündete am 12. September, dass die militärische Besetzung Polens gerade der preußischen „als der größten und am meisten interessierten deutschen Archivverwaltung die Verpflichtung auf[erlege], umgehend geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der polnischen Archive vorzuschlagen.“ In erster Linie sei diesbezüglich „rasches Zugreifen unerlässlich“, da die „dringende Gefahr“ bestehe, dass trotz der Besetzung durch die Wehrmacht die Polen „versuchen werden, wichtigstes Archivgut beiseite zu schaffen oder zu vernichten.“ Vor allem aus diesem Grund sei es notwendig, so Zipfel, dass ein deutscher Archivar als Referent nach Polen geschickt werde, und er könne Erich Randt vom Staatsarchiv Breslau als „einen energischen und organisatorisch befähigten Beamten“ empfehlen, der außerdem Polnisch spreche und für diese wichtige „Reichsaufgabe“ beurlaubt werden könnte – wenn denn die Kosten vom Reich übernommen würden.49 Den Anstoß zur Entsendung Randts und seines wesentlich jüngeren Breslauer Kollegen Hans Goetting hatte letztendlich ein Antrag des Generalstabs des Heeres gegeben, in welchem Beamte angefordert wurden „zur Übernahme des Stadtarchivs in Lodsch“.50 Dabei müssen die verschiedenen Phasen der deutschen Besatzung in Polen berücksichtigt werden. Schon zu Beginn unter der Militärverwaltung waren neben den zivilen Archivaren bereits weitere Institutionen aktiv; beispielsweise die Heeresarchivare, die der PuSte Bibliotheksbestände zukommen ließen, für die sie selbst keine Verwendung sahen, sowie Gestapo und SD, die in erster Linie auf der Suche nach Personenstandsregistern waren, oder auch Abordnungen des AA, die das Archiv des polnischen Außenministeriums ‚sichern‘, das heißt zunächst beschlagnahmen sollten. Auch die Entsendung Randts und Goettings fiel in diese Phase. Mit der Eingliederung westlicher Gebiete Polens in das Reich und der Schaffung des Generalgouvernements sowie der entsprechenden Zivilverwaltung hatten sich bald die Zuständigkeiten geändert, nachdem die vormalige Bereisung der Archive sich noch über beide Sphären erstreckt hatte. Das Danziger Archiv übernahm die Zuständigkeit für den neuen Reichsgau Danzig-Westpreußen, das Posener Wojewodschaftsarchiv wurde zum Reichsarchiv des neuen Reichsgaues Posen beziehungsweise Wartheland bestimmt. Durch die Entsendung deutscher Archivare zur Leitung dieser Archivare erfolgte somit deren faktische Eingliederung ins Reich.51 49

Zipfel an PuSte, 12. September 1939, BArch R 153/772. Zipfel an preuß. Ministerpräsidenten, 7. Dezember 1939, BArch R1506/1036. Mit Goetting wurde Randt ein deutlich jüngerer Kollege zur Seite gestellt: *1911 in Posen, Studium in Königsberg, Wien und Berlin, dort 1935 Promotion bei Brackmann, 1934/35 IfA, danach Übernahme in den preuß. Archivdienst, 1936 Entsendung nach Breslau, 1939 Staatsarchivrat ebd., vgl. Petke: Goetting; vgl. Moderhack: Goetting. 51 Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 127. 50

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Wegweisend für die Neuorganisation des Archivwesens war der Führererlass über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8. Oktober 1939.52 Dementsprechend machte die „Rückkehr Posens zum Reich [. . . ] die völlige Übernahme des dortigen ehemals preußischen, dann polnischen Staatsarchivs in deutsche Verwaltung erforderlich.“ Zu diesem Zweck wurden Ende Oktober die Staatsarchivräte Hermann Gollub (StA Breslau) und Kurt Forstreuter (StA Königsberg) nach Posen entsandt.53 Nach Bromberg wiederum sollte im November Hans Bellé geschickt werden, falls der dafür vorgesehene Adalbert Hahn nicht vom Heeresdienst freigestellt werden sollte.54 Mit der Einrichtung des GG wurde Randts Zuständigkeit auf dieses Gebiet beschränkt und er zum Leiter der Archivverwaltung des GG ernannt; seiner Institution nachgeordnet wurden die Archivämter Warschau, Radom, Lublin und Krakau.55 Schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn war dadurch deutlich geworden, dass die bislang für die Arbeitsvorhaben in Polen eingesetzten Kräfte nicht ausreichen würden, weshalb Mitte Oktober drei weitere Staatsarchivräte nach Warschau entsandt wurden „zur Verwaltung der Zentralarchive und des Schriftguts der Ministerien“: Erich Weise (GStA Berlin) als Leiter des Archivamts Warschau, Heinz Buttkus (StA Magdeburg) und Eilhard Eilers (HStA Dresden).56 Was Ulrich Wendland am StA Danzig betreffe, sei dies „ein Trauerspiel“, da er dem Wehrdienst derzeit nicht entgehen könne.57 Die preußischen Staatsarchive trafen solche Einberufungen zur Wehrmacht unterschiedlich hart. Musste mancherorts nur zeitweise auf wenige Mitarbeiter verzichtet werden, war beispielsweise das Staatsarchiv Königsberg „in seinem Personalbestand übermäßig geschwächt“, da Forstreuter nach Posen beordert wor-

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RGBl. 1939 I, S. 2042 f. Zipfel an preuß. Ministerpräsidenten, 7. Dezember 1939, BArch R1506/1036. 54 Zipfel an PuSte, 6. November 1939, BArch R 153/772. Hahn konnte die Stelle jedoch im Februar 1940 antreten. Hans Goetting wiederum wurde schon im Frühjahr wieder aus dem GG ab- und in die Wehrmacht einberufen. Zipfel hingegen war am 26. August 1939 zum Heeresdienst eingezogen worden, leitete die Archivverwaltung aber weiter von Spandau aus, wo er bei einem Ersatzbataillon seinen Dienst leistete, und wurde schon im Januar 1940 auf Antrag des preuß. Ministerpräsidenten und des RMdI wieder aus dem Heeresdienst entlassen. Zipfel: IfA, Allgemeine Ausführungen, 24. April 1940, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 240. 55 Die Archivverwaltung des GG unterstand als VII. Abt. der Hauptabteilung Innere Verwaltung; 1941 wurde sie zur Direktion der Archive des GG aufgewertet. Vgl. Prel: Generalgouvernement, S. 377 f; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 127 f. 56 Zipfel an preuß. Ministerpräsidenten, 7. Dezember 1939, BArch R1506/1036. Das Archivamt Lublin leitete bald darauf Roland Seeberg-Elverfeldt, Hans Branig das in Radom, in Krakau waren Randt, Goetting und wenig später Heinz Göring eingesetzt. 57 Außerdem hatte Wendland sich hilfesuchend an Zipfel gewandt, da Walther Recke seinen Direktorenposten in Danzig nur noch formal ausübe, sich aber nicht in genügendem Maße um die neuen Herausforderungen kümmere. Besprechung Zipfels mit Randt und Weise, November 1939, BArch 1506/1036. 53

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den war und zudem mehrere wissenschaftliche Beamte Heeresdienst zu leisten hatten.58 Wie Zipfel ganz richtig feststellte,59 war die Hinwendung zu Polen und die entsprechende Ausbildung sprachgewandter Nachwuchskräfte eine Folge des Ersten Weltkriegs und der Versailler Verträge. Das bedeutete auch, dass das nun in Polen eingesetzte Personal größtenteils fachlich gut ausgebildet, diese Ausbildung aber meist erst kurze Zeit zuvor abgeschlossen worden war. Es zeigte sich auch in dieser Hinsicht ein wesentlicher Unterschied zwischen den eingegliederten Gebieten und dem Generalgouvernement. Von den drei zusätzlich in die neuen Reichsgaue entsandten Archivaren waren mit Hermann Gollub (*1888) vom Staatsarchiv Stettin und Kurt Forstreuter (*1897) aus Königsberg zwei erfahrene Archivare für das große und wichtige Posener Archiv ausgewählt worden, mit Adalbert Hahn (*1908) übernahm der Jüngste im Bunde ‚nur‘ die Danziger Außenstelle in Bromberg. Schon dies mag als Indiz dafür dienen, dass die Bedeutung dieser Archive bekannt war und deren Eingliederung möglichst reibungslos vonstatten gehen sollte. Im GG hingegen war die gesamte deutsche Archivverwaltung wesentlich jünger, wenngleich sie mit Randt von einem Vetreter der ‚Frontgeneration‘ geleitet wurde, der Gollub und Forstreuter ebenso angehörten wie Erich Weise (*1895). Sämtliche anderen im GG eingesetzten Archivare waren zwischen 1904 und 1911 geboren und Absolventen des zweiten, dritten und vierten IfA-Lehrganges. Damit lag ihre fachliche Ausbildung lediglich vier bis sechs Jahre zurück, und entsprechend wenig berufliche Erfahrung konnten sie vorweisen. a) Konflikte mit konkurrierenden Dienststellen im GG Diese deutschen Archivbeamten wurden im besetzten Polen und dabei vor allem im Generalgouvernement bald mit Herausforderungen konfrontiert, auf die sie in ihren bisherigen, meist überschaubaren Karrieren nicht vorbereitet worden waren. Das oft unkoordinierte Nebeneinander verschiedenster Einrichtungen und Abordnungen mit unscharf abgegrenzten Zuständigkeiten erschwerte die Arbeit grundsätzlich und blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Archivverwaltung. Eigentlich, merkte Zipfel an, müssten die im Generalgouvernement tätigen Archivare formal „Beamte der dortigen deutschen Verwaltung werden und Uniform tragen. [. . . ] Die Herren müssen auch Waffen haben!“60 Es hatte mitunter zu Problemen geführt, dass die Archivare zwar mit offiziellem Auftrag agierten, aber in Zivil auftraten und sich damit deutlich von den Offizieren und den Heeresarchivaren vor Ort unterschieden. Da es für ihre Amtsbezeichnung keinen entsprechenden militärischen Rang gab, konnte es bei Streitfragen, wie Randt berichtete, 58 59 60

Zipfel an preuß. Ministerpräsidenten, 7. Dezember 1939, BArch R1506/1036. Zipfel an preuß. Ministerpräsidenten, 7. Dezember 1939, BArch R1506/1036. Besprechung Zipfels mit Randt und Weise, November 1939, BArch 1506/1036.

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„wegen der Rangverhältnisse schwierig werden“, da beispielsweise die Heeresoberarchivräte „als Oberstleutnants herum[laufen]“.61 Das Verhältnis zwischen den zivilen Archivaren der preußischen Archivverwaltung und den Heeresarchivaren war schon nach kurzer Zeit getrübt. Denn die Rückführung von 1807 abgegebenen preußischen Akten, deren Rechtmäßigkeit der Chef der polnischen Archive „grundsätzlich anerkannt“ hatte – wenngleich auch andere Stimmen unter den polnischen Archivaren laut wurden – wurde von den zivilen Archivaren sorgfältig vorbereitet. Die Heeresarchivare hingegen standen, wie Weise in der Unterredung mit Zipfel und Randt darlegte, „auf dem schroffen Standpunkt, wir können holen, was wir wollen und können. Wir haben gar nichts zu verhandeln, sondern nur zu sagen, auf Befehl des Oberkommandos und im Auftrag des RMdI werden die Sachen abgeholt.“ Dieses Vorgehen der militärischen Kollegen habe „nicht gepaßt“, weshalb, so Weise, eine „Auseinandersetzung [. . . ] noch erfolgen“ müsse. Als die Heeresarchivare so weit gingen, in Warschau Akten von Zentralbehörden wegführen zu wollen, sah er sich zum Einschreiten gezwungen und beschlagnahmte jene Archivalien „namens des Reichsarchivs“, um überstürztes und unkoordiniertes Vorgehen zu verhindern.62 In welchem Ausmaß die Heeresarchivare Material beschlagnahmen wollten, wurde deutlich, als Friedrich von Rabenau, Chef der Heeresarchive, im Oktober 1939 seine Mitarbeiter in Warschau besuchte. Ein dort eingesetzter Heeresarchivar, Otto Freiherr von Waldenfels63, berichtete einem Kollegen später über sein Gespräch mit Rabenau: „Aber ich bin doch über das ganze Ergebnis der Besprechung etwas unglücklich, da der Herr General alles, was wir an militärischem Schrifttum (sic!!) hier finden, nach Danzig abtransportiert haben will. Auf meine Frage: Ist beabsichtigt, dem polnischen Volke jede militärische Tradition zu nehmen, antwortete Herr General mit einem bestimmten: ‚Ja‘. Rein als Soldat und militärischer Archivbeamter tut es mir in der Seele weh, einem Volke ein so schönes Archiv, wie das polnische Kriegsarchiv, an dem polnische Offiziere, 40 an der Zahl, jahrelang gearbeitet haben, nun einfach wegzunehmen“.64

Die so beschlagnahmten Archivalien wurden zunächst nach Potsdam gebracht, bevor Ende 1939 in Danzig-Oliwa eine Aktensammelstelle eingerichtet wurde, die ab 1940 offiziell als Heeresarchivzweigstelle Danzig firmierte. 61

Ebd. Ebd. 63 Waldenfels, 1889 in ein fränkisches Adelsgeschlecht geboren, machte eine für Heeresarchivare jener Generation nicht untypische Karriere. Nach Abitur, militärischer Ausbildung und Offiziersprüfung mit höchster Auszeichnung konnte er sich im Ersten Weltkrieg bewähren und für höhere Generalstabsaufgaben und -ämter empfehlen. Jene vorgezeichnete Karriere wurde durch den Ausgang des Weltkriegs und die folgende Auflösung der bayerischen Armee verhindert – mit 30 Jahren wurde Waldenfels an das Kriegsarchiv versetzt, und „aus dem Kavallerieoffizier wurde ein Historiker und Archivar, der neben seiner Berufstätigkeit an der Universität München bei Karl Alexander von Müller Geschichte studierte.“ Die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs wirkte er an verschiedenen Orten des besetzten Auslands, bevor er wieder nach München zurückkehrte. Heyl: Waldenfels. 64 Zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 120; vgl. Stahl: Organisation, S. 82 f. 62

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Im Gegensatz zu den zivilen Archivaren, deren potentielle Archivalienverlagerungen ins Reich langwierige Verhandlungen und Vorüberlegungen voraussetzten, machten die Heeresarchivare sogleich Nägel mit Köpfen. Deutlich wird deren Effizienz an der Tatsache, dass Waldenfels schon im Februar 1940 Warschau wieder verlassen konnte – weil sich dort keine zu beschlagnahmenden militärischen Archivalien mehr befanden.65 Waldenfels gestand wenig später ein, dass seine Kenntnisse des militärischen Archivwesens in Polen „bei meiner Unkenntnis der polnischen Sprache lediglich von dem mir von deutschsprechenden Angestellten Mitgeteilten und dem aus eigener Anschauung gewonnenen“ bestanden. Außerdem konnte bei dem enormen Tempo des Abtransports des polnischen Heeresarchivs „ein tieferer Einblick in dieses Archiv nicht gewonnen werden“.66 Das bedeutet, dass die Verlagerung dieser Bestände aufgrund eines formalen Beschlusses stattfand, der darauf beruhte, dass polnische Militärarchive schlicht von Interesse sein müssten. Zudem wird hieran ein Aspekt der deutschen Besatzungspolitik deutlich: Rücksichten auf internationale Bestimmungen oder gar auf polnische Interessen suchte man in vielerlei Hinsicht vergeblich. Die Aussage Rabenaus, dem polnischen Volk mit seinen Militärarchiven auch die gesamte militärische Tradition nehmen zu wollen, ohne sich Gedanken um die Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens zu machen, war typisch für das Vorgehen der Heeresarchivare im GG – sehr zum Missfallen der zivilen Archivare. Auch das Politische Archiv des Auswärtigen Amts war durch Kriegsbeginn und -verlauf vor Herausforderungen gestellt worden, da die Akten der Außenministerien besetzter Länder ausgewertet werden mussten. Dafür wurde eigens eine „Kommission zur Auswertung erbeuteter Akten“ eingerichtet, deren Leiter Ende Oktober 1939 festhielt, dass „auf Wunsch des Herrn Reichsaußenministers [. . . ] die Sichtung der Akten des ehemaligen Polnischen Außenministeriums sofort zu beginnen“ habe.67 Johannes Ullrich, Archivar im Politischen Archiv des AA, war zusammen mit dem Leiter des Archivs, Kurt Jagow68, schon einige Tage zuvor nach Warschau gereist, um den Abtransport von „ungefähr 80 Kisten“ mit Archivalien zu beaufsichtigen, auf deren Grundlagen die späteren propagandistischen „Weißbücher“ des Auswärtigen Amts entstehen sollten.69 Diese „Weißbücher“ waren Dokumentensammlungen auf Grundlage „wichtige[r] Teile der Archive des früheren Polnischen Außenministeriums“, die nach der Besetzung Warschaus „in deutsche Hand gefallen“ waren.70 Die nach Polen entsandten deut65

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 120. Waldenfels an Rabenau, 30. April 1941, BArch RH 18/141. 67 Zit. nach Kröger/Thimme: Politisches Archiv, S. 246. 68 Kurt Jagow, *1890, 1914 Promotion, 1928 (Mit-)Leiter des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs, seit Kriegsbeginn wiss. Hilfsarbeiter im AA und dort Organisator der Archivkommission des Auswärtigen Amts. Keiper/Kröger: Handbuch II, S. 417. 69 Vgl. Kröger/Thimme: Politisches Archiv, S. 246. 70 So in der Vorbemerkung zu einer frühen Sammlung von Dokumenten „zur letzten Phase der deutsch-polnischen Krise“. Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente. Das AA nutzte dabei sämtliche 66

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schen Staatsarchivare unterstützten die Arbeit des Auswärtigen Amts, indem sie wiederholt „für dessen Maßnahmen zur Bekämpfung der feindlichen Propaganda auch wertvolles Material betreffend die Behandlung der Minderheiten in Polen und die systematische Unterdrückung des Deutschtums vor dem Kriege“ zur Verfügung stellten. Die Archivare des AA arbeiteten dem ebenfalls von dort entsandten Legationssekretär Eberhard Freiherr von Künsberg zu, der den Auftrag hatte, die Dienstgebäude diplomatischer Vertretungen feindlicher und neutraler Mächte zu ‚sichern‘ und Akten der polnischen Regierung ins Reich zu schaffen. Hieraus entwickelte sich später das Sonderkommando Künsberg, „das sich schon bald zu einer Räuberbande entwickelte, die in zahlreichen Städten, kaum waren sie von deutschen Truppen besetzt, regelrechte Beutezüge durchführte“.71 Die Abgrenzung der Aufträge und Zuständigkeiten verschiedener NSDienststellen und Einrichtungen ließ sich keineswegs konsequent und endgültig klären, zumal sich die Konflikte oftmals erst anhand konkreter Vorfälle offenbarten. Mit Ernst Turowski, Leiter des Referats 1 (Wissenschaft) in der Arbeitsgruppe III C (Kultur) der RSHA-Abteilung SD-Inland,72 war Zipfel übereingekommen, dass sowohl von der Gestapo als auch vom SD beschlagnahmtes Archivgut grundsätzlich der Archivverwaltung zu übergeben sei, spätestens dann, wenn die beschlagnahmenden Institutionen es für ihre Zwecke nicht mehr benötigten.73 Allerdings mussten die zivilen Archivare zur Kenntnis nehmen, dass beschlagnahmtes Material mitunter nicht an die Archivverwaltung, sondern an die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. abgegeben wurde und somit eine weitere konkurrierende Institution auf den Plan trat. Das Ahnenerbe war 1935 federführend von Reichsführer SS Heinrich Himmler und Walter Darré, dem Reichsbauernführer und Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamts (RuSHA), gegründet worden zunächst für archäologische, frühgeschichtliche und anthropologische Forschungen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs verschob sich dessen Schwerpunktsetzung hin zum Raub von Kulturgütern sowie nach Einrichtung des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung 1942 auch zu Menschenversuchen vor allem in den KZ Dachau und Natzweiler-Struthof.74

Möglichkeiten propagandistischer Textredaktion bis hin zu dreisten Falschaussagen aus. Vgl. Eckert: Kampf, S. 47. 71 Conze u. a.: Amt, S. 215; vgl. Heuss: Künsberg, S. 536 f.; vgl. Abel: Kunstraub, S. 46–59. 72 Die Angaben zur RSHA-Struktur beziehen sich auf den Geschäftsverteilungsplan von 1941. Zuvor war Turowski ab 1937 im SD-Hauptamt Mitarbeiter im Wissenschaftsreferat der Abteilung II/2 (Lebensgebietsmäßige Auswertung) unter Wilhelm Spengler. Vgl. Wildt: Generation, S. 385 f. 73 Da RSHA und untergeordnete Stellen in erster Linie nach ‚Judenakten‘ und aktuelleren Justizund Polizeiakten suchten, waren ihre ersten Anlaufstellen oft die Verwaltungsregistraturen und erst in einem zweiten Schritt auch Archive. Gerade bei kirchlichen Archiven stellten die zivilen Archivare jedoch nicht selten fest, dass Gestapo und SD bereits vor ihnen Archivalien konfisziert hatten. Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 121 f. 74 Vgl. Kater: Ahnenerbe; vgl. Reitzenstein: Wehrwissenschaft. Zu den Versuchen an KZHäftlingen vgl. Koop: Germanenwahn, S. 175–228.

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Bereits im September 1939 war ein Sonderkommando des Ahnenerbes unter Leitung des Berliner Professors für Urgeschichte Peter Paulsen nach Polen berufen worden, um die Kunstbestände zu erfassen. Gleichzeitig war der Kunsthistoriker Kajetan Mühlmann als „Sonderbeauftragter für die Sicherung der Kunstschätze im Generalgouvernement“ im Auftrag Görings dort unterwegs.75 Sich mit all diesen konkurrierenden Einrichtungen zu koordinieren und die Arbeitsund Auftragsgebiete abzugrenzen schien zwar nicht unmöglich, aber im Einzelfall doch kaum realistisch zu sein. So beklagte Zipfel, dass trotz diverser Absprachen sich manche Abordnungen von Gestapo und SD verpflichtet fühlten, beschlagnahmte Archive und Dokumente an das Ahnenerbe abzugeben, da sie keinerlei Kenntnis von der formalen Zuständigkeit der Archivverwaltung hatten. Eigentlich war eindeutig geregelt, dass, sollte die Beschlagnahmung „Archive, Dokumente und Bibliotheken“ betreffen, vor der Abgabe an das Ahnenerbe „nähere Weisung des Reichssicherheitshauptamtes abzuwarten“ und Sorge dafür zu tragen sei, „daß die beschlagnahmten Archive, Kunstgegenstände pp. in geeigneten Räumen sichergestellt werden“.76 Zipfel drängte deshalb darauf, eine Liste der zuständigen (Staats-)Archive erneut bekannt zu machen, um verschiedenste Organisationen für die Belange der Archivverwaltung zu sensibilisieren.77 Für all jene Organisationen beziehungsweise ihre auftraggebenden Institutionen waren somit die polnischen Archive, wenn auch auf unterschiedliche Weise, von großem Interesse. Damit tangierten sie automatisch die Zuständigkeit der zivilen Archivare, die dadurch in weitaus höherem Maß in die oft chaotischen Verhältnisse der Besatzungsverwaltung verwickelt wurden als dies ihr formaler Auftrag hätte vermuten lassen. Zudem wurden sie dadurch unweigerlich in weitere Aspekte der Besatzungspolitik verstrickt. Besonders galt dies für die Kulturpolitik, mit der die deutschen Archivare – sowohl im GG wie auch in Berlin – verbunden waren, was sich sowohl aus deren Engagements als auch weiteren Konflikten exemplarisch aufzeigen lässt. Besonders betraf dies die von Hans Frank initiierte und im April 1940 erfolgte Neugründung des Instituts für Deutsche Ostarbeit (IDO)78 in Krakau, einem Institut, über dessen Auftrag, Absichten und Einflussnahmen sich die deutschen Archivare zunächst verunsichert zeigten. Gerhard Sappok, Mitarbeiter der PuSte 75 Vgl. Majewski: Denkmalpflege, S. 348 f. Die Grundlagen bildeten die Verordnung über die Beschlagnahme von Kunstgegenständen im Generalgouvernement vom 16. Dezember 1939 sowie eine entsprechende Durchführungsverordnung vom 15. Januar 1940. Vgl. Haase: Kunstraub, S. 74 f.; vgl. Koop: Germanenwahn, S. 143–153. 76 Reichsführer SS: Eil-Runderlass an die Staatspolizei(leit)stellen der dem Deutschen Reich eingegliederten Ostgebiete, die Kommandeure der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau, Radom, Warschau, Lublin, 16. Dezember 1939. Betr.: Verfahren bei der Beschlagnahme von Kunstgegenständen, Archiven, Dokumenten, Sammlungen usw., BArch R 1506/1036. 77 Zipfel an den Generaltreuhänder für die Sicherstellung deutschen Kulturgutes in den ehemals polnischen Gebieten, undatierter Entwurf (Mitte/Ende Mai 1940), BArch R 1506/1036. 78 Vgl. Wolnik: IDO.

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und in Krakau eingesetzt, berichtete kurz vor der Festveranstaltung zur Einrichtung des IDO an Brackmann – zuvor hatte er dies auch schon in mehreren Berichten der PuSte zugeleitet –, dass sich „hier gegenwärtig einige Entscheidungen vollziehen, die der Publikationsstelle zumindest nicht gleichgültig sein dürften und für die Zukunft der Stelle vielleicht sogar von entscheidender Bedeutung werden könnten“. Die zentrale Frage, die sich Sappok zufolge sowohl Archivverwaltung als auch PuSte stellen müssten, sei, „welche Kreise zunächst Einfluss auf die Ausrichtung der Arbeiten dieses Instituts nehmen und sein Gesicht bestimmen werden“.79 Das IDO sollte „alle grundlegenden Fragen des Ostraums“ bearbeiten, „wissenschaftlich [. . . ] klären sowie die Forschungsergebnisse [. . . ] veröffentlichen und [. . . ] verbreiten“.80 Dafür wurde zweigleisig vorgegangen: Zum einen wollte das IDO zur klassischen Ostforschung beitragen, das heißt die deutschen Ansprüche im Osten anhand früherer Bemühungen legitimieren sowie die slawischen beziehungsweise vor allem polnischen Leistungen schmälern. Zum anderen leistete das IDO auch „eine auf aktuelle politische, wirtschaftliche und administrative Probleme ausgerichtete Forschungstätigkeit“.81 Hermann Aubin und Albert Brackmann als führende Köpfe der deutschen Ostforschung und somit in gewissem Sinne „geistige Väter“82 des IDO und ähnlicher Einrichtungen wollten auch auf dieses neue Institut Einfluss nehmen und brachten Gerhard Sappok für einen leitenden Posten am IDO ins Spiel. Wenngleich sich Hans Frank anfangs offen zu zeigen schien für Kooperationen mit der NOFG, behielt er schließlich die Kontrolle und lehnte weitere Einmischungen externer Institutionen ab, um ein „eigenes Programm ohne irgendwelche Bevormundung und ohne hinten herum erfolgte Lancierungen“ durchführen zu können. Sappok wurde im September 1940 vom IDO „unter sehr scharfen Maßnahmen fristlos entlassen“, wobei weniger seine Person, mangelnde Qualifikation oder vergleichbare Umstände die Ursache waren, es vielmehr darum ging, die von Frank „unerwünschten Einflüsse der Publikationsstelle und der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft, besonders durch Prof. Aubin, bei der Institutsführung auszuschalten“.83 Erste Aktionen, bei denen das IDO mitwirkte, waren die unter Beteiligung von PuSte-Mitarbeitern vorgenommenen Orts- und Flurnamensänderungen und Eindeutschungen, bei denen die Kommission manchmal, wo es zu wenige Anknüpfungspunkte für Umbenennungen gab, „viel phantasieren“ musste. Dies bezog 79

Sappok an Brackmann, 13. April 1940, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 84. Coblitz: IDO, S. 12. 81 Lehr: IDO. In elf Sektionen wurde geforscht und beraten: Gartenbau, Forst- und Landwirtschaft, Geschichte, Holzwirtschaft, Landeskunde, Landwirtschaft, Kunstgeschichte, Rassenund Volkstumsforschung, Recht, Wirtschaft, Vorgeschichte. Vgl. Michel: Reorganisationsforschung, S. 152. 82 Burleigh: Experten, S. 348 f. 83 Randt an Zipfel, 22. September 1940, zit. nach Goguel: Mitwirkung, S. 101; vgl. Mühle: Volk, S. 339–346. 80

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sich auf den Auftrag, polnische Ortsnamen sowohl im GG als auch den eingegliederten Gebieten ‚einzudeutschen‘ beziehungsweise dem Deutschen angepasste Versionen der Ortsnamen vorzuschlagen. Historische Grundlagen oder Bezüge waren dabei willkommen, ließen sich oftmals aber schlicht nicht finden.84 Im Generalgouvernement verkörperte das IDO somit die „Wissenschaft im Dienste des deutschen Führungsanspruchs“.85 Nach zweieinhalbjähriger Tätigkeit würdigte Frank im Herbst 1942 die „segensreiche, fortschrittliche Entwicklung“ dieses „geistige[n] Deutschtumszentrum[s] des Generalgouvernements“.86 Ein Jahr zuvor hatte sich Papritz weitaus weniger angetan gezeigt von der Entwicklung dieser Einrichtung, die „gleichsam unter Mangel an Mitarbeitern“ leide und lediglich „die zweite Garnitur der Ostforscher geschluckt“ habe.87 Ein zutreffender Befund, da das IDO zwar über einen vergleichsweise hohen Etat verfügte, aber nicht über ausreichend qualifizierte Mitarbeiter, und deshalb in vielen Fällen auf sehr junge und damit unerfahrene und noch keineswegs etablierte Wissenschaftler zurückgreifen musste, deren einigendes Moment in der Regel die NSDAP-Mitgliedschaft war.88 Der Personalbedarf war ein Thema, der unzählige Institutionen in zweifacher Hinsicht umtrieb. Zum einen war durch die Besetzung großer Gebiete und der entsprechend einzurichtenden Besatzungsstruktur der Personalbedarf gestiegen, für die Archivverwaltung wie auch für zahlreiche andere Einrichtungen, die an der Militär- und Zivilverwaltung partizipierten. Zum anderen wurde jenen Institutionen aber auch Personal durch die Wehrmacht genommen, sodass die prekäre Situation entstand, gesteigerten Anforderungen mit reduziertem Personalbestand gerecht werden zu müssen. Anforderungen indes, die politisch forciert und oft in die Sphäre des ‚Volkstumskampfes‘ gerückt wurden. Zipfel hatte sich diesbezüglich Anfang November, gerade einmal zwei Monate nach Beginn des ‚Blitzkriegs‘ gegen Polen, an die Staatsarchivdirektoren gewandt mit der Mahnung, es komme in dem aufgezwungenen „Abwehrkampf“ nun alles darauf an, „daß die innere Front standhält“. Der militärische Grundsatz „Wie die Führung, so die Truppe“ gelte auch für sie, denn „Wie die Leitung, so die Gefolgschaft“ berühre im Schicksalskampf Großdeutschlands die Zuständigkeit der Archivdirektoren. Man wolle, so Zipfel, „die Aufklärung über die politische, militärische und wirtschaftliche Lage nicht nur der NSDAP überlassen, sondern wir wollen als vaterlandsliebende Männer und glau84 Ortsnamensänderungen in den neuen ostpreußischen Gebieten, Besprechung in Königsberg am 30. Mai 1940, BArch R 153/797; vgl. Goguel: Mitwirkung, S. 150; vgl. Kossert: Grenzlandpolitik, S. 139. 85 Kleßmann: Selbstbehauptung, S. 69. 86 Frank auf der Arbeitstagung des IDO, 20.–23. Oktober 1942, zit. nach Goguel: Mitwirkung, S. 120. 87 Aktennotiz Zipfels über eine Besprechung mit Papritz, 1. Dezember 1941, zit. nach ebd., S. 120. 88 Vgl. Lehr: IDO.

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bensstarke Nationalsozialisten an unserm Teil mithelfen, daß unsere Gefolgschaft unverdrossen und zuversichtlich bleibt.“

Dafür wurde angeordnet, dass durch den jeweiligen Archivleiter vor seinen Mitarbeitern mindestens einmal monatlich die Lage erörtert werden sollte. Verständlicherweise unangenehme, aber „nicht oder noch nicht zu ändernden Tatsachen, z. B. Butter-, Fett- u. Marmeladeknappheit“ sollten Erwähnung finden, allerdings mit dem nachdrücklichen Hinweis darauf, dass „Jammern und Klagen in diesen Punkten keinen Zweck hat, daß wir alle Einschränkungen hinnehmen müssen, wenn Deutschland sich siegreich behaupten soll“.89 Dieser Appell an Vaterlandsliebe und Durchhaltevermögen ‚seiner‘ Archivare entsprach ganz der Haltung und Sichtweise Zipfels, der als Verwaltungs-, nicht aber Archivfachmann das tatkräftige Mitarbeiten der Archive an der nationalen Sache auch unter Kriegsbedingungen in einem größeren Rahmen sah. Sein enger Mitarbeiter Georg Winter hingegen hatte sich, gewissermaßen eine Ebene darunter, mit den konkreten Auswirkungen zu beschäftigen sowie Möglichkeiten zu eruieren, den Dienstbetrieb und idealiter auch die wissenschaftliche Betätigung im Archivwesen aufrecht zu erhalten. Während Zipfel also an die vaterländische Gesinnung der Archivare appellierte, versuchte Winter, Zipfel den Ernst der Lage zu verdeutlichen und Lösungen zu finden, um die notwendigen Arbeiten leisten zu können, wobei in erster Linie die Personalknappheit für Beunruhigung sorgte. Durch Einberufungen zum Heeresdienst waren zwar nicht wenige Kräfte ausgefallen, doch handelte es sich dabei um temporäre Ausfälle. Dass hingegen drei Archive neu in die preußische Archivverwaltung aufgenommen wurden – Danzig, Posen und Kattowitz – verursachte ebenso ein strukturelles Problem wie die Übernahme der Aufsicht über polnische Archive. Deshalb, so Winter, müsse man sich nunmehr „auf die Aufgaben beschränken, die richtig nur von Archivaren aus den Archiven heraus gearbeitet werden können“.90 Was Winters Ansicht nach nicht unbedingt von den überlasteten Archivaren bearbeitet werden müsste, wäre eine Arbeit über die deutsch-polnischen Beziehungen zwischen 1916 und 1939. Dennoch sei eine solche quellenmäßig belegte Darstellung äußerst wünschenswert, schon allein um „unsern deutschen Standpunkt vor aller Welt dar[zu]legen.“ Die Ausrichtung solcher und ähnlicher Arbeiten war auch für Winter eindeutig. Die Geschichte der deutschen Verwaltung in Posen im 19. Jahrhundert bis 1914 etwa müsse neu verfasst werden, wobei „klar [sei], daß man dabei manches verschweigen und unter den Tisch fallen lassen müßte“ bei eindeutig feststehender Tendenz: „Die deutsche Leistung für das Land in kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht; die anständige Behandlung des 89

Zipfel an die Direktoren der Staatsarchive, 1. November 1939, GStA PK, I. HA Rep. 178 B,

Nr. 33. 90 Winter an Zipfel, 18. November 1939. GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1878, Hervorhebung im Original.

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Polentums durch die deutsche Verwaltung im Gegensatz zu der Unterdrückung des Deutschtums seit 1918“.91 Damit war die Linie vorgegeben, der die Ostforschung der kommenden Jahre folgen sollte, die sie teils aber schon seit geraumer Zeit verfolgte. Deutsche Leistungen hinsichtlich der ‚Aufbauarbeit‘ und der kulturellen Entwicklung im Osten wurden betont, wo immer sich diese fanden, und als den polnischen oder allgemein slawischen Entwicklungen deutlich überlegen dargestellt. Problematisch wurde es bei Aspekten, die entweder unrühmliches Vorgehen deutscherseits aufgedeckt oder aber polnische Leistungen eingestanden hätten. Hierfür galt die Mahnung, manches lieber zu verschweigen, um die deutschen Leistungen nicht zu schmälern.92 Für solche Vorhaben fühlte sich nicht zuletzt die PuSte berufen – nicht jedoch ohne zunächst auf die oft genannte „Versäumnisschuld“ der deutschen Wissenschaft bis einige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg zu verweisen sowie auf die eigene Pionierarbeit und die Schaffung der Voraussetzungen für die nun anstehenden Arbeiten.93 Allerdings durfte sich die deutsche Wissenschaft Papritz zufolge nicht auf die bloße Legitimation revisionistischer Bemühungen beschränken und ansonsten „zum Fehler eines Vogel-Strauß-Verhaltens“ zurückkehren, sondern müsse zeigen, dass sie aus den Erfahrungen von 1919/20 gelernt habe und sich aktuellen Entwicklungen zu stellen vermochte: „Der militärischen Wiederbesitznahme der 1920 abgetrennten und der Einbeziehung neuer Gebiete in das deutsche Reich hat die geistige Wiedereroberung zu folgen“.94 Sein Fazit war eindeutig: Die Einrichtung der PuSte „hat sich im jetzigen Kriege gelohnt“, und es sei wohl keinem anderen deutschen wissenschaftlichen Institut „vergönnt gewesen, seine Kräfte und Arbeiten so unmittelbar zum Nutzen der deutschen Interessen einsetzen zu können, wie der Publikationsstelle“.95 Hans Frank, Generalgouverneur mit Sitz in der Burg Wawel, der ehemaligen polnischen Königsresidenz in Krakau, bestätigte diese Ansicht und hielt im Dezember 1939 fest: „Die wissenschaftlichen und statistischen Arbeiten der PuSte [. . . ] sind für die Verwaltung des Generalgouvernements von erheblicher Bedeutung“.96 Es machte sich alsbald ein gravierender Unterschied zwischen den Archivaren im Osteinsatz und jenen bemerkbar, die an ihrem Heimatarchiv oder für die PuSte tätig waren. Auch wenn beide Gruppen von den veränderten Arbeitsbedingungen und -belastungen betroffen waren, verhinderten bei den Archivaren im GG das Verwaltungsgeschäft sowie die anfallenden Ordnungs- und Organisationsaufgaben eine rege wissenschaftliche Betätigung. So kam es, dass mancher 91 92 93 94 95 96

Winter an Zipfel, 18. November 1939. GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1878. Zur Ostforschung während des Zweiten Weltkriegs siehe Kap. D. XI. 3. Papritz an RMdI, 30. November 1939, BArch R 153/6. Ebd. Ebd. Hans Frank an PuSte, 15. Dezember 1939, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 83.

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Archivar so gut wie gar nicht publizistisch tätig wurde, andere mit kleinen Beiträgen an ihre Arbeiten aus der Vorkriegszeit anknüpften oder aber zu nicht gerade wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie den Schulungsblättern für Nationalsozialisten im Generalgouvernement beitrugen.97 Als unhaltbar erwies sich die Vermutung, dass die Archivare im Generalgouvernement sich nicht am Ostprogramm beteiligt hätten.98 Faktisch hatten diese sich weitaus konkreteren Problemen zu stellen als zu den theoretischen Ausführungen über die deutsche Überlegenheit beizutragen. Der Umgang mit den polnischen Archivaren beispielsweise, die als Wissenschaftler geschmäht wurden, als Experten ihrer Bestände vor Ort aber unverzichtbar waren, stellte nur eine der Herausforderungen dar, für die keine allgemeingültigen Handlungsanweisungen zur Verfügung standen. b) Die polnischen Archivare In mancher Hinsicht waren die deutschen Archivare auf die Kooperation der polnischen Kollegen vor Ort angewiesen. Dennoch wollten sie diese streng beaufsichtigen und ihnen nach Möglichkeit keine Gelegenheit geben, sich gegen die deutschen Interessen zu betätigen; man wollte sie „nicht ausbluten“, aber „unter straffer Aufsicht heranziehen“. Das war schwieriger als gedacht, und Zipfel gestand ein, dass „der Start [. . . ] bisher nicht glücklich [war]; alles ist ein bisschen daneben gegangen“,99 oder, wie Weise es Ende Dezember formulierte: „Die Polen haben aus den Akten Streu gemacht und sich darauf gelegt. Die deutschen Soldaten haben auch nichts gebessert. Der Sicherheitsdienst hat viel zerstört. Ein tolles Durcheinander“.100 Die Haltung der deutschen Archivare zu ihren polnischen Kollegen war durchaus ambivalent. Einerseits waren die Deutschen überzeugt, nun endlich die Chance zu bekommen, bisheriges Unrecht nachweisen und eigene Ansprüche endgültig legitimieren zu können, andererseits waren sie dafür auf die polnischen Fachleute und deren Kenntnis ihrer Bestände angewiesen. Dabei ergab sich zudem ein offensichtlicher Zielkonflikt. Zipfel wollte die Zahl der polnischen Archivare möglichst schnell senken, doch waren diese für diejenigen deutschen Archivare, die vor Ort arbeiteten, unerlässlich. Dass die polnischen Archivare beim Überfall auf Polen zudem hervorragende Arbeit geleistet hatten, wurde anerkannt: Die polnischen Sicherungsmaßnahmen seien richtig, ihr Einsatz „bewundernswert“ gewesen und man habe ihnen „die Rettung der Archive zu verdanken“.101 97

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 169–173. Vgl. Kleßmann: Selbstbehauptung; vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 170. 99 Besprechung Zipfels mit Randt und Weise, November 1939, BArch 1506/1036. 100 Aufzeichnung über mündlichen Vortrag des Dr. Weise aus Warschau beim Generaldirektor und mit ihm geführtes Gespräch am 22. Dezember 1939, BArch R 1506/1036. 101 Besprechung Zipfels mit Randt und Weise, November 1939, BArch 1506/1036. 98

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Für Diskussion sorgte außerdem der Umgang mit wissenschaftlicher Betätigung polnischer Archivare und Historiker beziehungsweise die Frage, ob und inwieweit diese überhaupt noch zu erlauben sei. Randt sprach sich dafür aus, die weitere Publikationstätigkeiten der Polen nach Möglichkeiten zu verbieten, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. In einer internen Dienstanweisung wurde bald darauf Polen und Juden die Archivbenutzung untersagt.102 Auch dies war ein Beitrag zur geplanten, umfassenden ‚De-Kulturalisierung‘ vormals polnischer Gebiete und ergänzte die Schließung kultureller und wissenschaftlicher Einrichtungen. In Einzelfällen trugen deutsche Archivare zu radikaleren Maßnahmen bei, welche die Karrieren Einzelner rasch beenden konnten. Randt hatte beispielsweise bereits im Oktober 1939 veranlasst, dass die polnische Leiterin des Stadtarchivs Thorn, Helena Piskorska, von der Gestapo verhaftet wurde, da er sie beschuldigte, Findbücher vor dem Einmarsch der deutschen Truppen nach Ostpolen verschickt zu haben, um sie in Sicherheit zu bringen.103 Mitte Dezember 1939 waren bereits viele polnische Archivare entlassen worden, die verbliebenen erhielten nur noch ein sehr geringes oder auch gar kein Gehalt mehr und der SD konstatierte, dass der Kurs gegenüber den Polen mittlerweile „ein außerordentlich scharfer“ sei.104 Die Entlassungen trafen dabei nicht nur Archivare im GG. Kurz nach der deutschen Besetzung waren Archivare aus den westpolnischen, bald darauf eingegliederten Gebieten von der Gestapo verhaftet und später in das Generalgouvernement vertrieben worden, wo sie, wenn sie Glück hatten, bei der Archivverwaltung erneute Anstellung fanden. Nach genauer Berechnung des Personalbestandes wurden in Warschau rund die Hälfte der polnischen Archivare entlassen und lediglich 40 weiter beschäftigt – verteilt auf fünf Archive, wie Weise gegenüber Zipfel beschwichtigend anführte. Dieser hätte gern eine weitere Reduktion des polnischen Personals oder gar dessen vollständige Beseitigung vorweisen können – „die können doch nicht alle unter unserer Aufsicht bleiben!“ Doch Weise blieb auf dem Standpunkt, dass die übrigen polnischen Archivare „mehr nützen als schaden“ würden. Zumal sie „schwer arbeiten“ müssten und „ihnen genau auf die Finger geschaut“ werde, kurz: „Für jeden Mann wird seine Arbeit festgelegt und diese durch die deutschen Herren kontrolliert.“ Da bereits diverse Anfragen vom Institut für Judenforschung, Walter Franks Reichsinstitut und anderen Einrichtungen eingegangen waren, könne die Arbeit ohne die Unterstützung der Sachkundigen vor Ort gar nicht geleistet werden.105 Für die im Gang befindlichen Verlagerungen und die in absehbarer Zeit anstehenden Abtransporte von Archivgut und anderen Materialien waren die Archivare zudem auf eine große Anzahl möglichst billiger 102

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 116, 258. Vgl. ebd., S. 108 f. 104 Notizen über ein von Rohr geführtes Gespräch mit dem Direktor des Hauptstaatsarchivs Dresden, Dr. Kretzschmar, am 16. Dezember 1939, BArch R 1506/1036. 105 Aufzeichnung über mündlichen Vortrag des Dr. Weise aus Warschau beim Generaldirektor und mit ihm geführtes Gespräch am 22. Dezember 1939, BArch R 1506/1036. 103

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Hilfskräfte angewiesen – eine Situation, die sich nach der Ermordung der Juden im Generalgouvernement erheblich verschärfen sollte, zumal danach auf deutlich teurere Kräfte zurückgegriffen werden musste.106 Auch in weiteren Gesprächen trat Weise den Ideen Zipfels, die Zahl der polnischen Archivare weiter zu reduzieren, vehement entgegen, da sich „keinerlei Rückfragen [. . . ] ohne die polnischen Beamten erledigen“ ließen.107 Damit trat ein Unterschied zutage, der für das Verhältnis zwischen deutschen Verwaltungsstellen im Altreich und der Besatzungsverwaltung im GG fast schon typisch war. Die Beamten in besetzten Gebieten hatten eine andere Perspektive auf die einheimischen Kollegen und waren oft von deren Nützlichkeit oder gar Unverzichtbarkeit überzeugt, wohingegen die nicht vor Ort anwesenden Planungsstäbe aus der Ferne und rein theoretisch urteilten und dadurch zu Forderungen kamen, deren praktische Umsetzung wesentliche Probleme erzeugt hätte. Für die Beurteilung des Verhaltens deutscher Archivare zu ihren polnischen Kollegen müssen entsprechend diejenigen Vertreter der Archivwissenschaft herangezogen werden, die tatsächlich im GG tätig waren. Die Wünsche Zipfels, die Polen möglichst umfassend aus ihren Archiven zu vertreiben und vom wissenschaftlichen Leben auszuschließen, folgten zwar den Vorgaben nationalsozialistischer Besatzungsund Kulturpolitik, waren mit den realen Anforderungen vor Ort jedoch unvereinbar. Da die im GG eingesetzten deutschen Archivare in unmittelbaren, persönlichen Kontakt kamen mit ihren polnischen Fachkollegen, war nicht nur ihr Wahrnehmungshorizont dieser Männer ein spezieller, sondern sie wurden auch vor Entscheidungen gestellt, die Zipfel in Berlin nicht ohne weiteres nachvollziehen konnte. Da die anfallenden Arbeiten wie auch die geplanten Vorhaben der Archivverwaltung im GG ohne die Mithilfe der polnischen Kräfte schlichtweg nicht hätten realisiert werden können, waren sich die deutschen Archivare vor Ort bewusst, dass eine allzu schlechte Behandlung der Polen nicht zielführend war. Deshalb, sicherlich aber teils auch aus persönlichen Motiven, kam es zu vereinzeltem positiven Entgegenkommen. Belegt sind hierfür einige Einzelfälle. Seeberg-Elverfeldt in Lublin beispielsweise setzte sich für einen unschuldig inhaftierten Mitarbeiter ein und sorgte für dessen Weiterbeschäftigung; Eilers und Buttkus setzten sich in Warschau für manche polnischen Archivare ein und stellten ihnen zusätzliche Lebensmittelkarten aus; selbst Randt sollte sich später einzelne Hilfestellungen für seine polnischen Kollegen zugute halten können. Das Entgegenkommen muss mit Einschränkungen verstanden werden: Diese und weitere, hier nicht weiter auszuführende, von Stefan Lehr ausführlich geschilderten Einzelfälle waren eben genau dies: Einzelfälle, die sich aus der individuellen Situation ergaben und konkrete Taten nach sich zogen, an die sich die betrof106

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 111–114, 160 ff. Notizen über ein weiteres Gespräch des G[eneral]D[irektors] Zipfel mit Weise am 30. Dezember 1939, BArch R 1506/1036. 107

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fenen Polen später erinnern sollten, die aber auch mancher deutsche Archivar nach dem Krieg zu seiner Entlastung anführte. Grundsätzliche Hilfe für die polnischen Archivare war hingegen nicht vorgesehen, geschweige denn von Zipfel und seinen Berliner Mitarbeitern initiiert worden. Insgesamt sollte das Bild der deutschen Archivare im GG höchstens ansatzweise positiv gewertet werden, da es zahlreiche Belege dafür gibt, dass diese sich auch herrisch und anmaßend verhalten konnten und sich damit den anderen Zweigen der Besatzungsverwaltung annäherten. Randt beispielsweise hatte deutschen Kollegen mitunter vorgeworfen, dass sie durch zu „mildes Regieren“ über die „nichtdeutschen“ Angestellten negativ aufgefallen seien.108 Doch wie steht jenes Verhalten und die offizielle Aufgabenstellung der Archivare im GG ab 1939 mit der deutschen Archivverwaltung im Generalgouvernement Warschau des Ersten Weltkriegs in Verbindung? Lassen die völlig verschiedenen Voraussetzungen überhaupt einen Vergleich zu – nachdem die Parole ausgegeben worden war, dass statt wissenschaftlichen oder fachlichen im GG des Zweiten Weltkriegs ‚vornehmlich politische‘ Richtlinien die Arbeit bestimmen dürften? Diese von Papritz formulierte Anweisung, welche die Arbeit im GG bestimmen sollte, verdeutlicht den gravierendsten Unterschied der deutschen Archivverwaltungen in den Generalgouvernements der beiden Weltkriege. Wie unterschiedlich sich das Vorgehen teilweise gestaltete, zeigen einige Ausführungen aus dem Bericht der von Adolf Warschauer geleiteten deutschen Archivverwaltung im Generalgouvernement Warschau. Im Gegensatz zu den Bestrebungen ab 1939, im Rahmen von ‚Volkstumskampf‘, ‚Germanisierung‘ und ‚De-Kulturalisierung‘ die vermeintliche deutsche Überlegenheit über die Polen mit allen Mitteln zu propagieren und manifestieren, unterschieden sich die kulturpolitischen Vorgaben im Generalgouvernement Warschau erheblich. Statt Unterdrückung polnischer Kulturleistungen hatte die Archivverwaltung unter Warschauer gegenteilige Aufträge und Anliegen gehabt. Sie wollte vielmehr „die deutsche und polnische Geschichtsforschung in eine gewisse Annäherung und Verbindung“ bringen und beabsichtigte, „zwischen polnischen wissenschaftlichen Instituten und deutschen Vereinigungen gleichen Charakters Beziehungen herzustellen und den Schriftenaustausch anzubahnen.“ Stärkere Verbindung statt Abgrenzung war somit ein Ziel, auf das in unterschiedlicher Weise hingearbeitet wurde. In den Jahren nach der NS-Machtübernahme 1933 hatte sich die Haltung der deutschen Archivwissenschaft gegenüber ausländischen, vor allem polnischen und jüdischen Benutzern in eine Richtung entwickelt, die zuvor den russischen Archivaren in Polen zum Vorwurf gemacht worden war. Auch die Zusammenarbeit mit polnischen Archivaren hatte sich im Ersten Weltkrieg noch ganz anders gestaltet als im Zweiten. Die deutschen Archivare fanden Ergänzung „durch 108

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 265–282.

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Einstellung einheimischer archivalisch geschulter Kräfte“, welche sich willig in deren Dienste stellten, nachdem ihnen klar geworden war, dass die deutsche Abordnung „in ihrer Wirksamkeit weit ab von nationaler Voreingenommenheit sich von rein wissenschaftlichen Motiven leiten“ ließ.109 Es muss natürlich betont werden, dass diese Selbstzuschreibung ex post so wenig als absolut stimmig angesehen werden darf wie die nach 1945 vorgenommene Bewertung der deutschen Archivare ihrer eigenen Tätigkeiten im GG. Dennoch tritt im direkten Vergleich schon der konzeptionelle Unterschied in aller Deutlichkeit zutage. Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen und politischen Absichten hatten die Verhaltensweisen sicherlich beeinflusst, doch spielte auch der enorme Rechtfertigungsdruck nach dem Zweiten Weltkrieg eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die nachträgliche Bewertung der deutsch-polnischen archivarischen Beziehungen im Generalgouvernement als „kollegiale Zusammenarbeit“ durch den ab 1941 im GG eingesetzten sudetendeutschen Archivar Rudolf Fitz beispielsweise muss äußerst kritisch betrachtet werden.110 Die Bezugnahme der Archivverwaltung im GG auf ihre ‚Vorgängerinstitution‘ unter Warschauer endete nicht mit dem Hinweis, dass man nunmehr politische Richtlinien heranziehen müsse, sondern beinhaltete auch den Vorwurf, dass im Warschau des Ersten Weltkriegs kaum Bestände verzeichnet und auch „verwaltungsmäßig fast nichts gemacht“ worden sei.111 Es galt damit, die rechtlich – mehr oder weniger eindeutig – zu beanspruchenden Archivalien aufzulisten, sowie einen ‚Archivalientausch‘ zwischen dem Generalgouvernement und dem Reich zu initiieren.112 All die angeführten Diskussionen und Kontroversen bezüglich des Generalgouvernements dürfen natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass in weiteren Ostgebieten ab 1939 deutsche Archivare im Einsatz waren, wenngleich nicht überall mit der gleichen Aufgabenstellung, geschweige denn überall vergleichbarer Rechtsstellung. Die Abordnung in das zunächst unabhängige, dann sowjetisch und ab 1941 deutsch besetzte Baltikum findet in aller Kürze Beachtung, bevor der Westen ab dem Frühjahr 1940 in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt. 4. Die Archivkommission im Baltikum Nach russischer und deutscher Besetzung großer Teile des Baltikums im Ersten Weltkrieg waren die politisch selbständigen Staaten Estland, Lettland und Litauen erst in der Folge des Kriegs entstanden und hatten ihre Unabhängigkeit zu109 Vgl. Archiv-Verwaltung des Deutschen Generalgouvernements Warschau (Hrsg.): ArchivVerwaltung, S. 8 f., S. 55–59. 110 Fitz: Rezension, S. 180. 111 Aufzeichnung über mündlichen Vortrag des Dr. Weise aus Warschau beim Generaldirektor und mit ihm geführtes Gespräch am 22. Dezember 1939, BArch R 1506/1036. 112 Zur Archivalienauseinandersetzung vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 126–133.

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nächst vehement verteidigen müssen.113 Hinsichtlich baltischen Archivguts beruhte das deutsche Interesse im Zweiten Weltkrieg auf der Rückkehr der ‚Baltendeutschen‘ ins Reich; Deutschen, die seit dem 12. Jahrhundert im Baltikum ansässig waren, deren „Bereitschaft zum Gehen“ jedoch durch die zunehmend deutschfeindliche Politik und die umgreifende „Nationalisierung“ deutscher Unternehmen seit Ende der 1920er Jahre erhöht worden war.114 Nach dem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 24. August 1939 war am 28. September ergänzend ein Grenz- und Freundschaftsvertrag unterzeichnet worden, der nun auch Litauen dem sowjetischen Interessengebiet zuordnete sowie die Vereinbarung beinhaltete, dass deutsche Bevölkerungsteile aus der vertraglich fixierten sowjetischen Interessensphäre zurück ins Reich umgesiedelt werden durften. Daraufhin waren im Oktober Umsiedlungsverträge zwischen Deutschland und Estland sowie Lettland geschlossen worden, um den deutschen Minderheiten die Auswanderung zu ermöglichen. Bis Ende 1939 hatten 67.000 Volksdeutsche aus Estland und Lettland von dieser Möglichkeit – der „diktierten Option“115 – Gebrauch gemacht, womit dem Kampf um „Lebensraum im Osten“ zunächst die Umsiedlung aus dem Osten vorausging.116 Es war im „deutschen Interesse“, künftig die „geschichtliche Tradition“ dieser Umsiedler bewahren zu können, und deswegen sollte am Reichsarchiv Posen eine eigene Abteilung eingerichtet werden, die jenes baltendeutsche Archivgut aufzunehmen hatte.117 Das Posener Archiv lag hierfür schon deshalb nahe, da wesentliche Teile der Baltendeutschen in die eingegliederten polnischen Gebiete, die Reichsgaue Wartheland und Westpreußen, umgesiedelt wurden, wo sie „die Speerspitze der „Entpolonisierungs“- und „Eindeutschung“-Politik und die künftige agrarische Oberschicht stellen sollten“.118 Bereits im Frühjahr 1940 hatte Zipfel Randt gegenüber betont, dass er auf die Übernahme diverser Archive des Baltikums „den größten Wert“ lege und Papritz dafür sorgen müsse, dass die baltendeutschen Kollegen die Begründung für den zu erhebenden Anspruch zu erarbeiten hätten.119 Papritz, der im Ersten Weltkrieg als Soldat im Baltikum gewesen war und sich in Techniken zur Fotografie von Archivalien hatte ausbilden lassen, wurde damit 113 Vgl. Tuchtenhagen: Geschichte, S. 80–88. 1915–1918 bestand an der Ostfront das deutsche Besatzungsgebiet Ober Ost, das neben Teilen Weißrusslands auch Teile Lettelands und Litauens einschloss, vgl. Liulevicius: Kriegsland; vgl. Strazhas: Ostpolitik. 114 Schlau: Sozialgeschichte, S. 44; vgl. Taube/Thomson/Garleff : Deutschbalten. 115 Loeber: Option. 116 Bis 1941 folgten weitere Umsiedlungsverträge und -aktionen, wodurch Volksdeutsche aus Wolhynien, Galizien, Litauen sowie Estland und Lettland emigrierten. Vgl. Stegemann: Politik, S. 21 f.; mitunter variieren die Zahlen für die Umsiedlungen vom Herbst 1939 leicht, vgl. Tuchtenhagen: Geschichte, S. 90; vgl. Garleff : Länder, S. 163 ff. 117 Preuß. Archivverwaltung, Archivalische Auseinandersetzung zwischen Reich und Generalgouvernement, vermutlich Mai/Juni 1940, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 30. 118 Tuchtenhagen: Geschichte, S. 90. 119 Entwurf eines Schreibens Zipfels an Randt, März 1940, BArch R 1506/1036.

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beauftragt, eine Fotografieraktion jener Archivalien zu organisieren, die die Esten und Letten vermutlich nicht herausgeben würden. Hierfür wurde Papritz zum Leiter der im Januar 1940 eingerichteten Archivkommission für Lettland ernannt, welche bald darauf auf Estland ausgeweitet wurde. Als Mitarbeiter wurden ihm sowohl zwei Fotografen als auch die Berliner Archivare Wolfgang A. Mommsen und Kurt Dülfer zur Seite gestellt.120 Die Oberaufsicht über die Kommission hatte Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, und ihre Aufgaben lauteten: „1. Beratung des Deutschen Gesandten in Fragen des Archivschutzes; 2. Fotokopierung der zurückbleibenden Archivalien; 3. Beratung der Kunsthistorikerkommission des Auswärtigen Amts bei Archivfragen; 4. Suche nach Archivalien, die den Umsiedlern in Lettland vor der Ausreise abgenommen worden waren“.121

Mit diesen Arbeiten wurde sogleich begonnen und, da die Balten hinsichtlich ihrer Archivalien „sehr reserviert blieben“, ein Betätigungsschwerpunkt auf das Fotografieren und -kopieren der Dokumente gelegt, sodass im ersten Halbjahr 1940 in Riga circa 500.000, in Dorpat und Reval ungefähr 60.000 bis 80.000 Aufnahmen gemacht werden konnten.122 Nebenbei galt es, für deutsche Einrichtungen nach Bibliotheksbeständen Ausschau zu halten. In der PuSte wurde angemerkt, dass die eigene Bibliothek wesentlich ausgebaut werden müsste, wozu die Kommissionen im Baltikum beitragen könnten.123 Doch wie ihre Gesamtsituation änderten sich auch die Arbeitsumstände der deutschen Archivkommission im Sommer 1940 grundlegend. Die mittlerweile der sowjetischen Interessensphäre zugerechneten baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, in denen die Rote Armee seit Herbst 1939 Stützpunkte besetzte, wurden im Juli 1940 in Sowjetrepubliken umgewandelt und Anfang August in die Sowjetunion zwangseingegliedert. Die baltischen Staaten hatten den militärischen Annexionen im Rahmen der sowjetischen Westexpansion und der Eingliederung nichts entgegenzusetzen.124 Die Auswirkungen jener Ereignisse auf ihr Tagesgeschäft beschrieben die Mitglieder der Archivkommission in ihren Briefen an den Leiter Papritz ebenso wie 120 Mommsen hatte nach seiner IfA-Ausbildung 1933/34 Anstellung am Brandenburgischen Hausarchiv der Hohenzollern gefunden, 1939 Ernennung zum Staatsarchivrat in Berlin. Kurt Dülfer, *1908, studierte 1926–1933 Geschichte in München, Marburg und Würzburg, nach der Promotion 1933/34 IfA-Lehrgang zusammen mit Mommsen, ab 1935 Anstellungen am GStA sowie der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Ernennung zum Staatsarchivrat 1942. Vgl. Dahm: Dülfer; vgl. Leesch: Archivare II, S. 129. 121 Musial: Staatsarchive, S. 138 f. 122 Ebd., S. 139. 123 Vertraulicher Bericht, Kohte (PuSte), 15. Juli 1940, BArch R 153/12. 124 Das im dt.-sowjet. Nichtangriffspakt ebenfalls dem sowjetischen Interessengebiet zugeordnete Finnland hatte sich im Herbst 1939 den Annexionsbemühungen widersetzt, wodurch es zum Winterkrieg kam, der für die Rote Armee äußerst ungünstig verlief und im Frühjahr 1941 mit einem Kompromissfrieden beendet wurde. Vgl. Neutatz: Träume, S. 283; vgl. Tuchtenhagen: Geschichte, S. 90.

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ihre Einschätzungen der politischen Lage.125 Karl von Stritzky126 von der Archivkommission für Estland schrieb bereits am 22. Juli 1940 an Papritz, an der innenpolitischen Lage habe sich einiges verändert in den letzten Wochen und der Anschluss an die Sowjetunion sei zwar noch nicht offiziell erfolgt, aber doch zu erwarten.127 Mommsen hielt Anfang August fest, dass in Reval äußerlich alles ruhig sei, die „Flut der nächtlichen Verhaftungen“ aber steige, „aber über diese Dinge darf man gar nicht zuviel nachdenken. Die Läden sind ausverkauft, die Zeiten, wo es alles gab, sind vorüber.“ Unmittelbar problematisch war hingegen, dass sich „die Schwierigkeiten“ mehrten.128 Bei einer Reise zum Stadtarchiv Pernau war Mommsen der Zugang zum Archiv verwehrt worden, da der Archivar „es wohl auch nicht [wagte] die Verantwortung zu tragen, bei der derzeitigen Lage der Dinge in Estland Ausländern eine Archivbenutzung zu gestatten“.129 Im Gegensatz zu ihren im GG eingesetzten Kollegen waren die deutschen Archivare im Baltikum ‚nur Ausländer‘ und von den sowjetischen Besatzern lediglich geduldete Besucher. Allerdings wurden diese trotz des Grenz- und Freundschaftsvertrags nicht überall gleich behandelt – die gegenseitige Ablehnung trat immer wieder zum Vorschein. In Reval wie in Dorpat war der Archivkommission Mitte September die Fortsetzung der Fotokopieraktion untersagt worden, bis sie neue Bescheinigungen von der nun zuständigen Archivverwaltung vorlegen könnten.130 Als Mommsen eine Unterredung mit einem estnischen Archivdirektor hatte, waren zwei Russen anwesend, einer davon der Archivreferent des Innenministeriums, den Mommsen eindrücklich beschrieb: „Er verstand [. . . ] kein Wort deutsch, hatte dafür aber ein unglaubliches Galgenvogelgesicht, dessen Schönheit durch ungepflegte, verfilzte Haare und schlechte Rasur noch erhöht wurde, wozu noch Finger mit nur sehr schwachen Trauerrändern traten, was seinen besonderen Grund darin hatte, dass sie so weit abgenagt waren, dass selbst Archivstaub daran kaum Halt finden konnte. Im ganzen der Typ, wie sich das kleine BDM-Mädchen den Bolschewiken vorstellt“.131

Neben solch pejorative Äußerungen traten auch analytische Ausführungen zur politischen Situation sowie Meinungsbilder aus der estnischen Bevölkerung. Diese zerfalle zunehmend in zwei Gruppen, so Mommsen, von denen die größere 125 Deutsche Archivkommission für Estland und Lettland. Aus den Briefen des Staatsarchivrats Dr. Mommsen und Dr. v. Stritzky, Deutsche Archivkommission in Estland und des Staatsarchivassessors Dr. Dülfer, Deutsche Archivkommission in Lettland, BArch R153/2099. 126 Karl von Stritzky, *1911 in Riga, bis zur Umsiedlung 1939 dort als Historiker tätig. Bei Kriegsausbruch Beitritt zu einer SS-Verfügungstruppe, nach Betätigung bei der Archivkommission Arbeit in der Abteilung Kultur beim Generalkommissar in Riga. 1943 in Russland gefallen. Vgl. Kangeris: Deutschbalten, S. 414. 127 Von Stritzky an Papritz, 22. Juli 1940, BArch R 153/2099. 128 Mommsen an Papritz, 1. August 1940, BArch R 153/2099. 129 Mommsen an Papritz, 8. August 1940, BArch R 153/2099. 130 Von Stritzky an Papritz, 16. September 1940, BArch R 153/2099. 131 Mommsen an Papritz, 12. September 1940, BArch R 153/2099.

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ihre Hoffnungen auf Deutschland setze, die kleinere hingegen mache „den Deutschen [. . . ] Schwierigkeiten, wo immer es nur möglich ist“, da sie erkannt habe, „dass die deutsch-russische Freundschaft nur eine vorübergehende Verstandesehe ohne die geringsten gegenseitigen Sympathien ist“. Kurz, es herrsche in der Verwaltung „ein heilloser Wirrwarr“.132 In Lettland, wohin Dülfer abgeordnet worden war, schienen die Verhältnisse nicht grundsätzlich besser gewesen zu sein. Ende August mussten die Arbeiten der deutschen Archivare im Rigaer Staatsarchiv eingestellt werden, da die Arbeitsmaterialen und -geräte von russischer Seite beschlagnahmt wurden.133 Neben den bürokratischen Hürden waren die deutschen Abordnungen stark von den veränderten Lebensverhältnissen betroffen, die „hier immer interessanter“ wurden, und die Archivare erlebten „jetzt zum zweiten Mal das Schauspiel der Inflation, allerdings ganz anders als früher in Deutschland“.134 Trotz der strikten Kontrollen und der Drohgebärden der sowjetischen Offiziellen im Baltikum schien die Arbeit der Archivkommission auch in der zweiten Jahreshälfte 1940 voranzuschreiten, allerdings nicht mehr im ursprünglichen Sinne, denn die Fotokopieraktionen mussten aufgrund der Uneinigkeit mit den Zuständigen auf russischer Seite im September abgebrochen werden. Dennoch schien die eingeschränkte Betätigung den deutschen Archivaren mitunter Spaß zu bereiten, wie Mommsen es formuliert hatte, und auch Zeit und Möglichkeit zu lassen, weitere, nicht unbedingt von offiziellen Vereinbarungen gedeckte Materialien aus dem Baltikum ins Deutsche Reich zu transferieren. Doch im Laufe der Zeit verschlechterte sich die Situation zunehmend, im Februar 1941 berichtete Mommsen nach Berlin, dass Reval mittlerweile „ein einziges Irrenhaus“ sei.135 Ähnliches schilderte Dülfer aus Riga, dem zu Ohren gekommen war, dass seine Berichte an Zipfel von diesem „auszugsweise einem Kreis von Personen zugeleitet werden.“ Nun wollte Dülfer seine Zustimmung zu diesem Vorgehen kundtun, denn wie es ihm schien, „kann in diesem Punkt der Aufklärung über hiesige Verhältnisse garnicht genug getan werden.“ Alle an der deutschen Archivkommission Beteiligten, „die wir hier die Auswirkungen des Bolschewismus in allernächster Nähe betrachten und nur als Zuschauer erleben, sind gegen jegliche kommunistische Theorien für alle Zukunft gefeit.“ Es gebe vor Ort nur wenige Personen, die über die neuen Verhältnisse erfreut seien, und dies nur, weil sie hierdurch erst in Amt und Würden gekommen waren. Doch auch dieser Personenkreis, schilderte Dülfer, sei seines Lebens nicht mehr sicher, und „zahlreiche Leute nehmen sich selber das Leben, sobald sie eine Zitation zur Polizei erhalten“. Er fasste zusammen, dass er vieles, was Russland-Reisende früher erzählten, anfangs müde belächelt habe, doch „inzwischen haben wir selbst aber doch 132 133 134 135

Mommsen an Papritz, 8. September 1940, BArch R 153/2099. Dülfer an Papritz, 24. August 1940, BArch R 153/2099. Dülfer an Papritz, 5. Oktober 1940, BArch R 153/2099. Mommsen an Papritz, 13. Februar 1941, BArch R 153/1719.

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auch allerlei von russischen Zuständen erfahren, nur wird es niemand glauben, der es nicht selbst miterlebt hat“.136 Im März 1941 hatten nach Einberufung einer deutsch-russischen Kulturgutkommission erneute Verhandlungen auch zum Umgang mit Archivalien im Baltikum eingesetzt, die aber zu keinem Ergebnis führten und im Mai abgebrochen wurden, woraufhin Mommsen, Dülfer und die anderen Angehörigen der Archivkommissionen zurückbeordert wurden.137 In einem abschließenden Lagebericht schilderte Mommsen die Zustände im Mai 1941. Sie alle lebten in Estland „stark unter dem Eindruck der allmählichen Wandlung des deutsch-russischen Verhältnisses, das eine echte Freundschaft ja nie gewesen ist, sondern eine reine Verstandesehe darstellte“. Dieses Verhältnis sei außerdem „seit dem Tage der deutschen Besetzung Rumäniens [. . . ] ein anderes geworden“. In Estland sähe die Lage nun „ziemlich böse aus“, die Verknappung der Lebensmittel mache sich bemerkbar, und mittlerweile sei „neben den Russen“ als „völlig neues Element der Jude“ getreten, denn anscheinend hätten diverse estnische Städte „ihre jüdische Unterschicht nach hier ausgespien“.138 Befunde, wie sie für die deutschen Besatzer im Osten typisch waren. Im Baltikum wurde deutlich, wie sehr sich die Archivkommissionen den tatsächlichen Begebenheiten vor Ort anpassen mussten und von Entwicklungen der Tagespolitik abhängig waren. Die Unterordnung unter die sowjetischen Besatzer war freilich nur vorübergehend. Der Aufenthalt im Baltikum erscheint in mancher Äußerung der Beteiligten mehr als ‚Abenteuer‘ wahrgenommen worden zu sein denn als intensive und arbeitsreiche Zeit. Eine Wahrnehmung, die sich nur wenige Zeit später drastisch ändern sollte. Außerdem war zu dieser Zeit der Osten längst nicht mehr alleiniger Kriegsschauplatz. Bereits mit dem deutschen Vorstoß im Sommer 1940 hatte sich der Krieg auf Westeuropa ausgeweitet.

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Dülfer an Zipfel, 18. Januar 1941, BArch R 153/1715. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 140. Mommsen an Zipfel, 7. Mai 1941, BArch R 153/1719.

IX. „Höhere Formen des Plünderns“? – Archivare in den besetzten Gebieten des Westens 1. Weserübung, Fall Gelb und Fall Rot. Der Westfeldzug 1940 Großbritannien und Frankreich hatten Polen zwar im März 1939 in einer Beistandserklärung ihre Unterstützung zur militärischen Verteidigung zugesichert, blieben nach dem deutschen Überfall aber eine entsprechende Reaktion schuldig. Beide Mächte erklärten dem Deutschen Reich am 3. September 1939 den Krieg, entlasteten Polen allerdings nicht – etwa durch einen Angriff auf die deutsche Westgrenze –, was wiederum den polnischen Vorwurf des ‚Verrats des Westens‘ nach sich zog. Ab dem Winter 1939/40 richteten sich die Westmächte auf einen deutschen Angriff ein, auch wenn Hitler noch Anfang September versichert hatte, keine Interessen im Westen zu haben. Da sie sich auf die gut befestigte Maginot-Linie an Frankreichs Ostgrenze verließen, beschränkte sich der Plan darauf, deutsche Kräfte weit abseits zu binden, um einen Vorstoß gen Westen zu verhindern.1 Diese wandten sich nach Skandinavien, und am 9. April 1940 begann das Unternehmen Weserübung, der deutsche Angriff auf Norwegen und Dänemark. Dänemark leistete angesichts drohender Luftangriffe keinen nennenswerten Widerstand, sodass das Land binnen kürzester Zeit vollständig besetzt und dessen Infrastruktur für den Weitermarsch der Wehrmacht nach Norwegen genutzt werden konnte. Für Norwegen hatte man in der deutschen Führung auf einen ähnlich reibungslosen Ablauf gehofft, doch leisteten Regierung und Königshaus deutlich mehr Widerstand als in Dänemark, wenngleich nur wenige Wochen. König Haakon VII. und die norwegische Regierung konnten schließlich ins englische Exil entkommen; der Essener Gauleiter Josef Terboven wurde in Norwegen als Reichskommissar eingesetzt. Schweden blieb zwar neutral, machte aber einige Zugeständnisse und geriet durch Handels- und Exportabkommen in eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit vom Deutschen Reich. Dieses hatte wiederum Zugriff auf Schwedens Bodenschätze, ohne es militärisch erobern und besetzen zu müssen. Diese Beispiele zeigen, dass für die Art der Besatzungsverwaltung nicht nur die deutschen Pläne maßgeblich waren, sondern immer auch die individuelle Reaktion auf den deutschen Einmarsch eine Rolle spielte. So sollten Dänemark und Norwegen zunächst einer Militärverwaltung unterstellt werden. Durch die 1 Vgl. Müller: Weltkrieg, S. 73. Grundsätzliche Pläne für einen Angriff gab es, jedoch keine ausgearbeiteten Strategien für eine Offensive im Westen, wie sie bspw. 1914 mit dem Schlieffen-Plan bestanden. Vgl. Umbreit: Vormachtstellung, S. 235 f.

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sehr unterschiedlichen Reaktionen zu Beginn der Besatzung musste dieser Plan aufgegeben und verschiedene Formen der Verwaltung eingeführt werden.2 Die neutralen Staaten Belgien, Niederlande und Luxemburg betrieben im Herbst und Frühjahr 1939/40 zahlreiche Absprachen und Anstrengungen zur Verteidigung eines potentiellen deutschen Angriffs, waren sich aber untereinander und auch im Verhältnis zu Großbritannien und Frankreich uneinig. Die Westmächte hingegen gingen davon aus, dass ein deutscher Vorstoß am ehesten über Belgien und die Niederlande erfolgen würde – die Südflanke über die Schweiz erschien äußerst unwahrscheinlich, und die Maginot-Linie galt als uneinnehmbar.3 Tatsächlich befahl Hitler am 10. Mai den Angriff im Westen: „Die Stunde des entscheidendsten Kampfes für die Zukunft der deutschen Nation ist gekommen“.4 Gegenüber Belgien und den Niederlanden versuchte man deutscherseits den Angriff zu rechtfertigen, indem ihnen Neutralitätsverletzungen vorgeworfen wurden.5 Die zahlenmäßig den Alliierten unterlegene Wehrmacht konnte den Überraschungseffekt nutzen und durch den intensiven und rücksichtslosen Einsatz der Luftwaffe und den sogenannten ‚Sichelschnittplan‘ schnell erste Erfolge erzielen.6 Luxemburg wurde binnen einiger Stunden besetzt, die niederländische Regierung und die Königin begaben sich ins englische Exil, die Truppen kapitulierten am 15. Mai, am 28. Mai auch die belgischen, und der Fall Gelb – die Besetzung der Benelux-Staaten – konnte abgeschlossen und zum Fall Rot übergegangen werden, dem Angriff auf Frankreich aus den besetzten Benelux-Staaten.7 „Holland und Belgien haben kapituliert, Frankreichs und Großbritanniens Stoßarmeen sind vernichtet, einer der größten Siege der Weltgeschichte ist errungen“, hieß es in einem Bericht des OKW. Doch „da die Gegner den Frieden auch weiterhin verneinen“, sollte sie „der Kampf bis zur völligen Vernichtung treffen“.8 Als am 14. Juni die Wehrmacht in das zuvor zur offenen Stadt erklärte Paris vordrang, war der Widerstand der Franzosen weitgehend gebrochen und am 25. Juni trat schließlich der zuvor in Compiègne unterzeichnete Waffenstillstandsvertrag in Kraft. Das besiegte Frankreich war von nun an in einen weiterhin von deutschen Truppen besetzten Teil und einen von der Vichy-Regierung verwalteten unbesetzten Teil gespalten, nur wenige Wochen nach dem deutschen Angriff gen Westen – der Mythos des ‚Blitzkriegs‘ war geboren.9 Die „seltsame Nieder2

Vgl. Müller: Weltkrieg, S. 76; vgl. Schröter: Großraumwirtschaft, S. 147 ff. Vgl. Umbreit: Vormachtstellung, S. 275–281. 4 Tagesbefehl Hitlers an die Soldaten im Westen vom 10. Mai 1940, zit. nach Jacobsen (Hrsg.): Westfeldzug, S. 3. 5 Vgl. Umbreit: Vormachtstellung, S. 284. 6 Vgl. Frieser: Blitzkrieg, S. 115 f. 7 Vgl. Müller: Weltkrieg, S. 79–81. 8 Zusammenfassender Bericht des OKW (10. Mai bis 4. Juni 1940), zit. nach Jacobsen (Hrsg.): Westfeldzug, S. 151. 9 Vgl. Müller: Weltkrieg, S. 83. 3

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lage“ Frankreichs im Sommer 1940 war zudem für den zunächst starken Kollaborationswillen gerade der sich nationale Restauration erhoffenden französischen Rechten verantwortlich, der sich durch weite Teile der Bevölkerung zog.10 Bereits am 9. Mai hatte Hitler mit einem Erlass verfügt, dass in den besetzten Gebieten Frankreichs, Luxemburgs, Belgiens und Hollands eine Militärverwaltung einzusetzen sei, wobei es galt, die Bevölkerung zu schonen und das Wirtschaftsleben „in Gang zu halten“.11 Allerdings wurde diese Linie nicht konsequent durchgehalten. Luxemburg wurde bald aus der Militärverwaltung ausgegliedert und kam mit Elsass-Lothringen unter deutsche Zivilverwaltung; die belgischen Gebiete Eupen, Malmédy und Moresnet wurden dem Deutschen Reich eingegliedert, das restliche Staatsgebiet blieb unter militärischer Verwaltung. Die Niederlande erhielten eine deutsche Zivilverwaltung unter Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, der bis dahin Stellvertreter Hans Franks im Generalgouvernement gewesen war.12 Das Gebiet der Militärverwaltung in Belgien wurde bald erweitert und Alexander von Falkenhausen als Militärbefehlshaber Belgien und Nordfrankreich eingesetzt. Für die restlichen besetzten Gebiete Frankreichs war Otto von Stülpnagel als Militärbefehlshaber zuständig. Die Frage, inwieweit die Einrichtung unterschiedlicher Typen von Okkupationsverwaltungen in den verschiedenen besetzten Ländern auf einen organisierten Plan zurückzuführen war, ob es sich nicht vielleicht doch vielmehr um „organisiertes Chaos“ handelte oder die deutsche Besatzungspolitik lediglich aus einem Bündel improvisierter Einzelmaßnahmen bestand, die im jeweiligen Kontext individuell entschieden und durchgeführt wurden, wird kontrovers diskutiert.13 An Komplexität gewinnt diese Fragestellung dadurch, dass bereits zeitgenössisch unterschiedliche Konzepte und Bezeichnungen kursierten. Für Frankreich war eine deutsche Regierung und Verwaltung aus personellen, finanziellen und materiellen Gründen nicht realisierbar. Wenn zudem noch keine konkreten Pläne für die künftige Stellung Frankreichs in einem deutsch dominierten Europa bestanden, war man nach der Besetzung sehr darauf erpicht, dass zunächst Ruhe und Ordnung herrschten bei gleichzeitig zu erfolgender Ausbeutung des Landes mit möglichst geringem Aufwand. Hierfür wurde die Institution des Militärbefehlshabers geschaffen, „die das deutsche Interesse an geringstmöglichem Aufwand bei höchstmöglicher Effektivität der deutschen Herrschaft in

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Bloch: Niederlage. Erlaß über die Verwaltung der besetzten Gebiete Frankreichs, Luxemburgs, Belgiens und Hollands, 9. Mai 1940, zit. nach Moll (Hrsg.): Führer-Erlasse, S. 117 f. 12 Vgl. Umbreit: Vormachtstellung, S. 319 ff. Durch die Einrichtung der vom Militär unabhängigen Zivilverwaltungen war die Befolgung der Haager Landkriegsordnung infrage gestellt, eine Gewähr für die Einhaltung des Völkerrechts war somit formal nicht mehr gegeben. Vgl. Toppe: Kriegsvölkerrecht, S. 403 ff. 13 Vgl. Röhr: System; Volkmann: Autarkie; Hirschfeld: Kollaboration. 11

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Frankreich ausdrückte“ und den Personalbedarf der deutschen ‚Aufsichtsverwaltung‘ auf ein Mindestmaß beschränkte.14 Die unterschiedlichen Besatzungsverwaltungen erforderten zudem eine individuell angepasste Organisationsform der entsandten Archivkommissionen und deren entsprechende Eingliederung in die vor Ort installierte Verwaltung. Daraus folgt, dass sich die Vorgehen in Archivbelangen in den besetzten Ländern im Westen nicht nur von denen im Osten, sondern auch untereinander teils erheblich unterschieden. Den ‚Auslandseinsatz‘ deutscher Archivare konnte es somit nicht geben, sondern diese Abordnungen folgten unterschiedlichen Prämissen, Ordnungs- und Verwaltungsstrukturen und entwickelten sich mit dem Kriegsverlauf. Die eingangs dargelegte Einschränkung, mit dieser Studie keine Gesamtgeschichte der deutschen Archivwissenschaft des gewählten Untersuchungszeitraums vorlegen zu können, gilt besonders für die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Bereits die Archivkommissionen in den verschiedenen besetzten Gebieten, deren Um- und Abordnungen, die sich verändernde personelle Zusammensetzung sowie die Entwicklung der Herangehensweise an die Aufgabenstellung et cetera bedürfte umfassender synchroner und diachroner Betrachtung in gegenseitiger Ergänzung unter Berücksichtigung einer essentiellen territorialen Binnendifferenzierung. Auf die skandinavischen Länder kann deshalb ebenso wie auf die Benelux-Staaten nicht eingegangen werden. Stattdessen rückt Frankreich in den Fokus, da hieran sowohl Einsichten in verschiedenste Aspekte archivischer Herausforderungen gewonnen werden können als sich auch Rückschlüsse auf die deutsche Besatzungs- und Kulturpolitik ziehen lassen. 2. Deutsche Archivare in Frankreich Die ausführlichere Analyse des besetzten Frankreichs stellt die Bedeutung der Entwicklungen in anderen west- und nordeuropäischen Ländern für die Archivgeschichte keinesfalls in Abrede, doch muss deren Untersuchung künftigen Arbeiten vorbehalten bleiben. Zudem bietet sich das französische Beispiel in besonderem Maße an, um an einem besetzten Land mehrere Aspekte deutscher Besatzungs- und Kulturpolitik und deren Wechselwirkungen mit der Archivgeschichte analytisch zu hinterfragen. Dass dabei keine allumfassende Darstellung der Archivkommission in Frankreich entstehen kann, ist eben jener Fokussierung auf einige wenige Fragestellungen geschuldet. In Teilkapiteln werden Entwicklungen analysiert, die sowohl auf die allgemeine deutsche Besatzungs- und Kulturpolitik in Frankreich als auch die Verwicklungen deutscher Archivare in eben jene Rückschlüsse ermöglichen. Zu14 Die deutsche Besatzungsmacht kam mit rund 200 Offizieren und Beamten in Paris und insgesamt rund 1000 im besetzten Gebiet aus, also einer sehr geringen Personenzahl, verglichen mit dem weiter arbeitenden französischen Verwaltungsapparat. Vgl. Herbert: Best, S. 251.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

nächst steht dabei die Frage im Mittelpunkt, wie sich die Besatzungsverwaltung in Frankreich konturierte und welche Stellung die Archivare in ihr einnahmen. Anhand des Kunstraubs mehrerer deutscher Institutionen, die zudem archivarische Interessensphären tangierten, wird untersucht, ob sich Aspekte der oft zitierten „prekären Staatlichkeit“, der „nationalsozialistischen Polykratie“ und des generellen „Ämterchaos“ im besetzten Frankreich ausmachen lassen und welche Bedeutung dies für die deutschen Archivare vor Ort hatte.15 Ein Teilkapitel widmet sich vorwiegend der spezifischen archivarischen Arbeit im besetzten Frankreich und analysiert die dort unter den speziellen Umständen der Besatzung getroffenen Entscheidungen und Entwicklungen auf eventuelle moralische und/oder wissenschaftliche Grenzverschiebungen. Dem folgt eine kürzere Untersuchung der Planungen und Ambitionen seitens der deutschen Archivwissenschaft, durch die Einbindung in ein projektiertes deutsches wissenschaftliches beziehungsweise historisches Institut ihre Stellung und ihren Einfluss sichern wollten. Zuletzt wird das inoffizielle ‚Korrespondenznetzwerk‘ der in Frankreich eingesetzten deutschen Archivare aufgezeigt und analysiert. Wenn dabei Instrumentarien der historischen beziehungsweise sozialen Netzwerkanalyse zum Einsatz kommen, dient dies außerdem dazu, deren Einsetzbarkeit für einen solchen Komplex zu hinterfragen. Der experimentelle Charakter tritt dabei deutlich und beabsichtigt hervor. Ein Umstand, welcher der teilweise inflationären Verbreitung netzwerkanalytischer Studien – mittlerweile auch in der Geschichtswissenschaft – geschuldet ist, deren spezifischer Nutzen sich nicht immer unmittelbar erschließt. Mitunter entsteht gar der Eindruck einer self-fulfilling prophecy, einer selbsterfüllenden Prophezeiung, wenn anhand verschiedener Verbindungen unterschiedlicher Art sogleich Netzwerke konstatiert werden, die einer näheren Untersuchung oft nicht standhalten oder aber deren Charakter wenn überhaupt nur marginalen Erkenntnisgewinn verspricht. a) Besatzungspolitik, Kulturgutraub und ‚Polykratie‘ aa) Besatzungsverwaltung und Archivkommission Es wäre falsch, anzunehmen, dass mit der Entscheidung für eine Militärverwaltung und der Einsetzung des Militärbefehlshabers und der ihm unterstehenden Besatzungsverwaltung ein monolithisches Konstrukt geschaffen wurde, das während der gesamten Besatzungszeit durch Kontinuität und Stabilität geprägt war. Vielmehr spiegelten sich im besetzten Frankreich Konkurrenzkämpfe verschiedener Institutionen wider, die auch für das Reich konstatiert werden konnten. Wiederum kein Einzelfall, denn die unterschiedlichen Verwaltungsarten und -strukturen, deren Veränderungen im Laufe von Krieg und Besatzung, „ihre variantenreiche Nomenklatur“ und „das Neben- und Gegeneinander von zentralen 15 Vgl. u. a. Hüttenberger: Polykratie; Thamer: Polykratie; Moll: Ämterchaos; Hachtmann/Süß: Kommissare; Reichardt/Seibel: Radikalität.

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und partikularen Gewalten“ in den Besatzungsverwaltungen sorgten oftmals dafür, „daß die Kompetenzkonflikte konkurrierender Machtgruppen in Partei und Staat auf die eroberten Länder übertragen und dort mit neuer Gewichtung und Intensität ausgetragen wurden“.16 In Frankreich waren außerdem die insgesamt drei aufeinander folgenden Militärbefehlshaber umstrittene Persönlichkeiten, die sich den im Kriegsverlauf stark verändernden Rahmenbedingungen der deutschen Besatzung ebenso stellen mussten wie dem angedeuteten Konkurrenzdenken weiterer deutscher Institutionen vor Ort. Otto von Stülpnagel übte sein Amt in Paris bis 1942 aus, als ihn stete Konflikte vor allem mit dem OKW zur Bitte um Ablösung veranlassten; sein Nachfolger und entfernter Verwandter Carl-Heinrich von Stülpnagel wurde wegen seiner Beteiligung am Attentat des 20. Juli 1944 verhaftet und wenig später hingerichtet. Dritter und letzter Militärbefehlshaber in Frankreich war ab Ende Juli 1944 Karl Kitzing, zuvor Wehrmachtbefehlshaber in der Ukraine. Diese sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten zeichneten sich durch ihren individuellen Führungsstil aus und beeinflussten so die Gestaltung der deutschen Besatzungspolitik in Frankreich. Wie Hans Umbreit darlegte, einte die beiden Stülpnagel, dass sie „zu sehr vom Geist des deutschen Heeres und des Generalstabes aus der Zeit des 1. Weltkrieges und der Reichswehr geprägt worden [seien], um bereitwillige Instrumente und bloße Befehlsempfänger Hitlers zu sein“.17 Ein Befund indes, der nicht ausschließlich für die oberste Führungsebene der deutschen Besatzer in Frankreich galt. Die Militärverwaltung gliederte sich in einen Kommando- und einen Verwaltungsstab, wobei letzterer aus den zwei Abteilungen Wirtschaft und Verwaltung bestand. Für die Leitungsebenen dieser Gliederungen und viele Mitarbeiter der Stäbe und Verwaltungsstellen ist festzuhalten, dass es sich keineswegs um durch und durch überzeugte Nationalsozialisten handelte, vielmehr um eine recht homogene Gruppe nationalkonservativer Fachmänner, „deren Habitus durch elitären Konservatismus, eine aus intellektueller Verachtung, sozialer Arroganz und politischer Gegnerschaft zusammengesetzte Distanz zu Hitler und den ‚Parteileuten‘ sowie einen deutschnational durchwirkten Patriotismus geprägt war und nur durch wenige Außenseiter gestört wurde“.18 Diese Gruppe hatte sich mit weiteren Institutionen und Abordnungen zu koordinieren. Als Vertreter des Auswärtigen Amts und Vertrauter Ribbentrops, aber mit unklar definierter Zuständigkeit war Otto Abetz19 an die Deutsche Botschaft in Paris abgeordnet worden zur ‚Behandlung aller politischen Fragen im besetzten und unbesetzten Frankreich‘. Als Vertretung des RSHA wurde die Dienststelle eines Beauftragten der Sicherheitspolizei und des SD eingerichtet. Sowohl 16 17 18 19

Thamer: Polykratie, S. 21. Umbreit: Militärbefehlshaber, S. 15. Herbert: Best, S. 252 f. Zu Abetz siehe S. 317.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Himmler als auch Heydrich hatten auf eine stärkere Präsenz von SS und SD gedrängt, konnten sich damit aber erst nach der Ablösung Stülpnagels 1942 durchsetzen und einen Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) in Frankreich etablieren. Inmitten dieser komplexen Konstellation, in der unterschiedliche Interessen verfolgt wurden, fand sich mit Werner Best an der Spitze der Abteilung Verwaltung im Verwaltungsstab des MBF eine Person an bedeutsamer Position in der Militärverwaltung wieder, deren Abordnung sich nicht unbedingt aus ihrer Vorgeschichte ergeben hatte. Werner Best, Jahrgang 1903, promovierter Jurist, seit seiner Jugend in deutschnationalen und völkischen Organisationen aktiv, NSDAP-Mitglied seit 1930, SS-Mitglied seit 1931, machte für einige wenige Jahre in Hessen politische Karriere, bevor er nach München wechselte, wo er unter Heydrich und Himmler im SD tätig war. Zu dessen Organisationschef wurde er 1934 ernannt, war in die Ermordung der SA-Führung involviert und entwickelte sich in der Folgezeit zum „Theoretiker, Organisator und Personalchef der Gestapo“.20 Bis 1940 schritt seine Karriere steil voran, als er sich mit Heydrich und Himmler überwarf und einer ungewissen Zukunft entgegenblickte. In dieser Situation erfolgte seine Abordnung nach Frankreich, wo er seine Expertise als Verwaltungsfachmann und Polizeiexperte einbringen konnte und sich zu einer „Art von Über-Innenminister Frankreichs“ entwickelte und „zweifellos eine der Schlüsselfiguren der Kollaboration“ wurde, denn „die Militärverwaltung war auf die reibungs- und geräuschlose Ingangsetzung der französischen Verwaltung und – mangels eigener exekutiver Kräfte – insbesondere auf die Indienstnahme der französischen Polizei alternativlos angewiesen“.21 Damit war Werner Best, dessen Vita und Weltbild hier nicht annähernd wiedergegeben werden können, einer jener prototypischen Vertreter der Kriegsjugendgeneration, der Generation der Sachlichkeit, der Generation des Unbedingten. Er gehörte zu den Vertretern einer Alterskohorte, die nicht nur das Schicksal teilten, den Ersten Weltkrieg in ihrer Jugend ‚verpasst‘ zu haben, sondern aus jenen Erfahrungen einen generationellen Stil ableiteten. Sie verband „Wahrheitsliebe und Schlichtheit“; sie stellten „Sachlichkeit“ weit über das verhasste „Zurschautragen von Gefühlen“ und wollten „lieber in den Verdacht der ‚Gefühllosigkeit‘ kommen“; sie einte „ein ausgesprochener Sinn für rationelle Methoden und für das Ökonomieprinzip überhaupt“.22 Best stellte dabei wahrlich keinen Einzelfall dar, vielmehr rekrutierte sich ein wesentlicher Teil des Führerkorps des RSHA aus gut ausgebildeten Akademikern dieser Generation und dieser Denkstile. Es war, so Michael Wildt in seiner wegweisenden Studie über die „Weltschauungs20

Dams/Stolle: Gestapo, S. 51. Vgl. Herbert: Best, S. 253 ff., 314. 22 Gründel: Sendung, S. 31–35, 81–83; vgl. Herbert: Generationen, S. 97 f.; vgl. ders.: Best, S. 42–51. 21

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täter“ im RSHA, „erst das Amalgam aus konzeptioneller Radikalität, neuen Institutionen und einer auf keine Grenzen stoßenden Machtpraxis im Krieg“, die wiederum „jenen Prozeß der Radikalisierung freisetzen [konnte], der in den Völkermord mündete“.23 In dieses mehr als komplexe Gefüge hatte sich die Archivkommission einzufügen, die der von Best geleiteten Verwaltungsabteilung zugeordnet wurde. Für die Gebiete Elsass und Lothringen war die Archivverwaltung zuvor bereits anders verfahren, sodass die Pariser Kommission mit den dortigen Archiven nur indirekt zu tun, aber dennoch Fachkollegen als Ansprechpartner vor Ort hatte. Noch bevor der Waffenstillstandsvertrag mit Frankreich unterzeichnet wurde, hatte es bereits Pläne und Verhandlungen zur Einrichtung einer deutschen Archivverwaltung im Elsass-Lothringen unter deutscher Zivilverwaltung gegeben. Das Archivwesen im Elsass sollte über das Straßburger Archiv vom Karlsruher Archivar Karl Stenzel mitverwaltet werden, nach Lothringen wurde bald darauf der Mainzer Archivar Aloys Ruppel entsandt.24 Wenn solche Maßnahmen unterschiedlich schnell realisiert werden konnten, rührte dies daher, dass die Pläne der Archivverwaltung nicht auf ungeteilte Zustimmung der Gauleiter stießen. Mit dem badischen Gauleiter Robert Wagner, dem späteren Chef der Zivilverwaltung im Elsass, kam Zipfel rasch überein, da Wagner vorhatte, im Elsass Dependancen badischer Verwaltungsstellen einzurichten. Josef Bürckel, CdZ in Lothringen, hatte sich hingegen zunächst dagegen gesträubt, das lothringische Archivwesen der Archivverwaltung Zipfels zu unterstellen, schließlich jedoch eingewilligt.25 Die für das besetzte Frankreich einberufene Gruppe Archivschutz beim Chef der Militärverwaltung in Frankreich wurde vom Hannoveraner Staatsarchivdirektor Georg Schnath geleitet und umfasste drei weitere Staatsarchivdirektoren, fünf (Staats-)Archivräte, drei Archivassessoren, zwei Abgeordnete des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands sowie einer Angestellten und bestand somit anfangs aus nicht weniger als 15 Personen.26 Die für die anstehenden Aufgaben in Frankreich vorgesehene Gruppe umfasste damit viele Archivare, die zudem unterschiedlichen deutschen Archivverwaltungen entstammten. 23

Wildt: Generation, S. 870 f. Vgl. Krimm: Stenzel; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 151 f. 25 Vgl. Freund: Deutschtumswissenschaften, S. 304–312; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 151 f.; vgl. Stein: Inventarisierung, S. XXXI. 26 Bei ihrer Einrichtung setzte sich die Gruppe wie folgt zusammen. Archivdirektoren: Georg Schnath (Hannover), *1898; Albert Pfeiffer (Landshut), *1880; Hans Burkhard (Würzburg), *1888; Georg Winter (Archivabt. d. Preuß. Staatsministeriums), *1895. Archivräte: Horst Schlechte (Dresden), 1909; Walter Emil Vock (München), *1894; Hermann Meinert (Reichenberg), *1894; Wilhelm Güthling (Potsdam), *1906; Walter Grube (Stuttgart), *1907. Archivassessoren: Heinrich Büttner (Darmstadt), *1908; Theodor Schieffer (Berlin-Dahlem), *1910; Rudolf Diezel (Weimar), *1911. Außderdem die Angestellte Fr. Rabe sowie die beiden Vertreter des Reichsinstituts, Rudolf Jung und Clemens August Hoberg. Mitteilungsblatt 1940 Nr. 6 vom 12. Oktober 1940. 24

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Auffällig ist, dass Schnath keineswegs der (Dienst-)Älteste der Gruppe war, sondern es mit gerade einmal 42 Jahren sowohl zum Staatsarchivdirektor gebracht hatte als auch mit der Leitung einer Kommission beauftragt wurde, die neben deutlich jüngeren Archivaren und Assessoren auch wesentlich erfahrenere Archivare und somit mehrere Generationen umfasste. Umso mehr gilt es, einen Blick auf Schnaths Biografie zu werfen. Schnath wurde 1898 in Hannover als Sohn eines Klempnermeisters geboren und wuchs dort in bescheidenem Wohlstand auf, besuchte das örtliche altsprachliche Ratsgymnasium – an dem zu dieser Zeit der spätere nationalsozialistische Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Bernhard Rust, unterrichtete27 – und schloss dieses 1916 mit einem hervorragenden Abitur ab. Hiernach meldete er sich als Einjährig-Freiwilliger zur Artillerie, kam aufgrund eines Lungenleidens jedoch in ein Lazarett statt an die Front. Deshalb konnte er bereits im Herbst 1917 sein Studium der Geschichte, Germanistik und Geografie in Marburg und später in Göttingen aufnehmen, das er 1921 mit dem Staatsexamen für das höhere Lehramt abschloss und 1922 mit einer landesgeschichtlichen Dissertation28 über historisch-geografische Entwicklungen dreier Grafschaften bei Karl Brandi promovierte.29 Direkt nach seiner Promotion trat er in den Archivdienst am GStA in BerlinDahlem ein, wurde 1923 als Archivassistent angestellt und absolvierte im darauffolgenden Jahr das Examen. Damit war er dem zwei Jahre älteren Georg Sante bereits einen Karriereschritt voraus, von dem er sich in einer wesentlichen Erfahrung unterschied. Denn Sante konnte als typischer Vertreter der Frontgeneration, zu der nominell auch Schnath zählte, Fronterfahrungen sammeln und erst nach seiner Entlassung aus dem Militär 1919 mit seinem Studium beginnen. Diese fehlende Erfahrung Schnath prägte diesen, wie sich seinen Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit seines Lazarettaufenthalts entnehmen lässt, und als er 1919 sozusagen als Kompensation freiwillig in das Hessisch-Thüringisch-Waldecksche Freikorps eintrat, rechtfertigte er diesen Schritt gegenüber seiner Mutter mit den Worten: „Ich bin im Kriege lange genug als Drückeberger angesehen worden und habe genug Semester gewonnen, um nun auch einmal eins dranzusetzen und mir fürs Leben den 27 Rust war hier von 1911 bis 1930 beschäftigt mit Ausnahme der Kriegsjahre 1914–18. Vgl. Nagel: Bildungsreformer, S. 42 ff. 28 Schnath: Herrschaften. 29 Thomas Vogtherr, der an einer noch ausstehenden umfassenden Biografie Schnaths arbeitet, bemängelt, dass Schnath auch in den einschlägigen Studien zur Geschichtswissenschaft in Weimarer Republik, Nationalsozialismus und früher BRD nicht oder nur sehr peripher am Rande Erwähnung findet, weil er, wie Vogtherr mutmaßt, eben ‚nur‘ Landeshistoriker gewesen sei. Vogtherr: Schnath, S. 405 ff. Würdigung müsse Schnath hingegen schon deshalb erfahren, da er doch auch ‚einer der Wegbereiter des Bundeslandes Niedersachsen‘ war. ders.: Landesgeschichte, S. 4. Äußerst fragwürdig mutet die biografische Skizze aus der Feder Waldemar Röhrbeins an, der, einst Schüler Schnaths, um dessen NS-Biografie laviert und gar konstatiert, dass der von Schnath selbst noch vor der Übergabe an das Archiv ‚sehr sorgfältig vorbereitete‘ Nachlass ‚ein unverfälschtes Spiegelbild seiner Persönlichkeit und seines Lebens‘ sei. Röhrbein: Erinnerungen, S. 30.

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Vorwurf zu ersparen, nicht alles unversucht gelassen zu haben, um den drohenden Zusammenbruch zu verhindern. Nicht Begeisterung, Kurzsichtigkeit oder Abenteuerlust haben mich zu meinem Schritte geführt, sondern Verantwortungsgefühl. Dieser Morasmus der bürgerlichen Klassen, dieses hinter dem Ofen und auf dem Geldsack sitzen, dies Aufeinanderwarten und Auf den Boden der Verhältnisse stellen geht solange gut, bis wir den Kommunismus haben“.30

Damit offenbaren sich am Beispiel Schnaths die Grenzen eines Generationenmodells, das sich lediglich auf Geburtsjahrgänge beziehungsweise Alterskohorten bezieht und individuelle Erfahrungen sowie die Ermangelung derselben außer Acht lässt. Denn in seiner Rechtfertigung für den Eintritt in das Freikorps formulierte Schnath mit der Betonung des Verantwortungsgefühls jene Gedanken- und Erfahrungswelt, die vor allem die ihm formal nachfolgende Kriegsjugendgeneration prägen sollten. Die fehlende Fronterfahrung musste für ihn umso gravierender gewesen sein, da er nicht einfach zu jung war, um als Soldat zu dienen, sondern sich die Ernüchterung erst einstellte, als er sich nach vormilitärischer Ausbildung während der Schulzeit und abgelegtem Abitur freiwillig gemeldet hatte.31 Die Geschehnisse der Jahre 1918/19 hinterließen ebenfalls Spuren bei ihm, und so konnte es „nicht wundernehmen“, wie er 1976 rückblickend im Tagebuch festhielt, wenn ein dem Bürgertum entstammender „und einer konservativen Welt verhafteter junger Mensch dem Zusammenbruch Deutschlands [. . . ] mit fassungsloser Bestürzung und größter innerer Verunsicherung gegenüberstand.“ Jene Erfahrungswelt sollte sich auch darin niederschlagen, dass Schnath nicht das väterliche Geschäft übernommen hatte, sondern sich der Historiografie zuwandte und diese zu seinem Lebensinhalt zu machen versuchte. Später sah er darin die Abwendung vom sich abzeichnenden technischen Zeitalter und die Einnahme einer „rückwärts gewandten Haltung“, mit der er sich „vielleicht einer dem Untergang geweihten Welt“ ergeben habe.32 Es muss Spekulation bleiben, aber es war vielleicht auch diese Zuwendung zur Historiografie beziehungsweise die ganze „rückwärts gewandte Haltung“ Schnaths, die ihn von der Reaktion Bests auf ähnliche Erfahrungen unterschied – ihre akademische Ausbildung und eine erfolgreiche Karriere trieben beide in der Zwischenkriegszeit maßgeblich voran, wenngleich sich der wenige Jahre jüngere Best viel stärker politisch und dabei deutschnational und völkisch exponierte. Schnath hingegen widmete sich in den 1920er Jahren vollends seiner Karriere im Archivdienst, sodass diese schnell an Fahrt aufnahm. Nach seinem Ex30

Zit. nach Vogtherr: Schnath, S. 413. Vgl. ebd., S. 412 f. 32 Zit. nach ebd., S. 419 f. vgl. Schmidt: Schnath, S. 489. Generell sind Tagebucheintragungen als Quelle kritisch zu reflektieren; erst recht gilt dies für die in Tagebüchern stattfindende Selbstreflexion mehrere Jahrzehnte nach den entsprechenden Ereignissen. Vgl. grundlegend Steuwer/Graf : Selbstkonstitution. 31

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amen trat er den Dienst am Brandenburg-Preußischen Hausarchiv in BerlinCharlottenburg an, wurde dort zum Staatsarchivrat ernannt und 1928 an das Staatsarchiv Hannover versetzt, wo die ersten zehn Jahre bis zu seiner Beförderung zum Staatsarchivdirektor 1938 als Nachfolger Otto Grotefends „die glücklichsten meines Lebens“ sein sollten. Er, der 1933 in die NSDAP eingetreten war und im damaligen Generaldirektor Brackmann, ebenfalls gebürtigem Hannoveraner, einen „hervorragende[n] Gelehrte[n] und überaus gütige[n] vornehme[n] Mensch[en]“ sah, konnte die Gunst der Stunde nutzen, um an seinem Archiv eine „Stellenvermehrung“ voranzutreiben.33 Ende Juli 1940 kam die heterogene Gruppe und künftige Pariser Archivkommission zum ersten Mal in Köln zusammen, wo sie, da sie zumeist noch Zivilisten waren, uniformiert und zu (Ober-)Kriegsverwaltungsräten ernannt wurden, um sich in die Struktur der Militärverwaltung einfügen zu können. Die Integration in die Militärverwaltung sollte deutschen Archivaren und anderen Forschern beinahe vollständigen und ungehinderten Zugang zu französischen Archiven verschaffen. Oder, wie Hoberg im Jahr darauf an Walter Frank berichtete: „Der Weg zu den Quellen ist [. . . ] durch die deutsche Militärverwaltung ungeheuer erleichtert, wenn nicht überhaupt erst möglich gemacht worden. [. . . ] Jetzt waren mit einem Schlage alle technischen Schwierigkeiten und Rücksichten beiseite geräumt“.34

Als die deutsche Archivgruppe am ersten August schließlich in Paris eintraf, stand sie in mancher Hinsicht vor vollendeten Tatsachen und musste ihre Aufgaben und Zuständigkeiten erst mit anderen, bereits einige Wochen in Frankreich befindlichen Institutionen diskutieren und abgrenzen. Nicht nur das Sonderkommando Künsberg des AA war bereits seit dem 16. Juni 1940 in Paris aktiv, sondern nur wenige Tage später waren auch die deutschen Heeresarchivare eingetroffen, mit denen die Staatsarchivare schon im Generalgouvernement nicht die besten Erfahrungen gemacht hatte, sowie SD, Sicherheitspolizei und ERR.35 Der zentrale Auftrag der Gruppe war, wie auch in den anderen besetzten Gebieten, der durch die Haager Landkriegsordnung geforderte Schutz von Kulturgütern auch feindlicher Staaten vor Beschädigung oder Zerstörung. Aufgrund der französischen Besonderheit der sich unterscheidenden, weniger strikten Trennung von Archiv und Bibliothek sollten die deutschen Archivare in erster Linie die Archive Frankreichs schützen, doch, wie es in ihrem Auftrag hieß, „die französischen Bibliotheken sollen aber in den Kreis ihrer Arbeiten einbezogen werden, soweit die in ihren Handschriftenbeständen Archivgut enthalten“. Denn gerade dasjenige Archivgut, das man aus Deutschland geraubt glaubte, würde sich

33 Schnath: Erinnerungen, S. 455, 463; Brosius: Nachwort, S. 192; vgl. ders.: Haase; vgl. Schubert: Geschichtsschreiber. 34 Hoberg an Walter Frank, in Kopie an Schnath, 31. Mai 1941, BArch RW 35/403. 35 Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 143; vgl. Stein: Schnath, S. 184 ff.

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vermutlich weniger in den Archiven als vielmehr in eben jenen in Bibliotheken befindlichen Beständen finden lassen.36 In der Militärverwaltung in Paris, bei der die Fäden all jener Abordnungen zusammen liefen, sorgte jene Überschneidung der Zuständigkeiten für einige Irritation. Zunächst hatte das zuständige OKH das Sachgebiet Archivschutz der Gruppe Kultur zuordnen wollen und war davon ausgegangen, dass „Archiv- und Buchschutz“ mehr oder weniger dasselbe, zumindest aber nicht organisatorisch zu differenzieren sei. Erst nach Klärung solcher Missverständnisse konnte die letztlich realisierte Organisationsstruktur angeordnet werden: die Archivare fanden sich stimmiger Weise in der Gruppe Allgemeine innere Verwaltung wieder, die Bibliothekare hingegen zusammen mit den Kunstschützern in der Gruppe Kultur – „was selbstverständlich ein enges Hand-in-Handarbeiten beider Kommissionen nicht ausschließen wird“.37 Natürlich war der Schutz französischer Archive und Archivalien die wesentliche offizielle Aufgabe der Pariser Kommission, aber wie in den anderen besetzten Ländern galt es auch in Frankreich, Inventare zu erstellen und sowohl Archivalien zu suchen, die rechtmäßig in deutsche Archive gehörten und in einem Friedensvertrag zurückgefordert werden sollten, als auch solche, auf die vielleicht kein einwandfrei nachweisbarer Rechtsanspruch bestand, die man aber dennoch erlangen wollte – sei es in Kopie, auf dem Wege des Austauschs oder unter Umständen auch unter unrechtmäßiger Aneignung. Noch vor der Entsendung sämtlicher Kommissionen in die besetzten Gebiete des Westens hatte sich Zipfel unter anderem an den Präsidenten des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichte, Edmund Ernst Stengel, gewandt und diesen über die geplanten Abordnungen in Kenntnis gesetzt. Dabei bat er Stengel zudem „um gefl. Mitteilung, ob etwa das Reichsinstitut irgendwelche Wünsche zu äußern hat, die bei den Arbeiten mitzuberücksichtigen sind.“ In erster Linie erhoffte Zipfel sich hiermit „Hinweise auf von deutscher Seite zu beanspruchendes oder im deutschen Interesse besonders zu sicherndes Archivgut“.38 Goebbels, der für die Rückführung deutscher Kulturgüter zuständig erklärt worden war, hatte die Kulturgutschützer angewiesen, bereits bis September 1940 erste grob sortierte Listen zu erstellen des „etwa seit dem 16. Jh. von den Westmächten geraubt[en] oder durch ihre Einwirkungen zerstört[en]“ Kulturgutes. Erfasst werden sollten die Kulturgüter in drei Gruppen, geordnet nach „außerordentlichem Wert“, „geringerem Wert“ und Akten von „nur lokaler Bedeutung“. Eine Binnendifferenzierung jeder Gruppe sollte erfolgen in Kulturgut, „das in unanfechtbarer Weise beansprucht werden kann“, „auf das nur ein anfechtbarer Anspruch besteht“ sowie jenes, „dessen Erwerbung wünschenswert ist, auch wenn 36 37 38

Zipfel (i.A. Rohr) an RMdI, abschriftlich an Schnath, 7. August 1940, BArch RW 35/393. Chef der Militärverwaltung in Frankreich an Zipfel, 16. August 1940, BArch RW 35/393. Zipfel an Stengel, 28. Juni 1940, MGHA B 543.

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kein begründeter oder nur ein scheinbarer Anspruch darauf geltend gemacht werden kann“.39 Dass die der Pariser Gruppe Ende August mitgeteilten Vorgaben zur Erstellung jener Listen innerhalb der von Goebbels angepeilten Frist kaum zu leisten waren, konnte Schnath Zipfel sogleich mitteilen. Vor allem aber sah er ein zentrales Problem in der, wie er zurecht mutmaßte, ursprünglich auf Kunstwerke bezogenen Klassifizierung in die verschiedenen Wertstufen. Diese Wertung sollte für Archivalienforderungen möglichst gar nicht zur Geltung kommen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass „lediglich wenige, besonders hochbewertete Urkunden und Handschriften nach Deutschland zurückkehren, während die große Menge des Archivguts zurückbleibt“. Schnath argumentierte taktisch äußerst geschickt, indem er auf den auch in der internationalen Fachwelt anerkannten Provenienzgrundsatz verwies, mit dem es der Archivar vermöge, „sehr viel bestimmtere und genauere Indizien für den deutschen Ursprung der einzelnen Urkunden, Handschriften, Amtsbücher und Akten beizubringen [. . . ], als etwa der Kunsthistoriker für die Mehrzahl der Kunstwerke.“ Außerdem seien bei Anerkennung des Grundsatzes und Nachweis deutscher Provenienz sämtliche dieser Archivalien zurückzufordern und eine weitere Differenzierung nach deren – mithin schwer zu definierendem – Wert hinfällig.40 Die weiter geforderte und in einem zweiten Schritt vorzunehmende Klassifizierung nach verschiedenen Rechtsansprüchen wäre damit nicht mehr vonnöten. Stattdessen sei, da Archivalien im Gegensatz zu Kunstwerken in der Regel gehandelt würden, „nach Lage der Dinge bei ihrem Besitzwechsel zunächst die Vermutung des Raubes gegeben und den Franzosen allenfalls die Beweislast zuzuschieben“. Hierbei argumentierte Schnath auf eine Weise, die Zipfel ebenso gefallen musste wie den Institutionen, die eine möglichst umfassende und reibungslose Erfassung und Rückführung von Archivalien erhofften. Er führte aus, dass mit dem Merkmal der archivmäßigen Herkunft in jedem Einzelfall ein „sicherer Anhaltspunkt für den deutschen Anspruch“ gegeben sei und als zweifelhafte Fälle nur jene gelten müssten, „bei denen die Provenienzbestimmung keine ausreichenden Herkunftsmerkmale ergibt.“ Diese aber sollten zumindest in Fotokopien erfasst werden, sowie generell der Plan bestand, von der Möglichkeit der Kopie „weit über den Rahmen der sicher zu beanspruchbaren Archivalien hinaus Gebrauch zu machen“.41 Zipfel sollte Goebbels mit dieser Argumentation verdeutlichen, dass die angedachte Klassifizierung nicht realisierbar war, stellte ihm aber weitergehende Forderungen in Aussicht, da die Fotokopieraktion der deutschen Wissenschaft einen großen Dienst erweisen würde. Außerdem wurde an dieser Auseinandersetzung ersichtlich, wie wenig sich übergeordnete Stellen, in diesem Falle Goebbels und 39 40 41

Zipfel an Schnath, 29. August 1940, BArch RW 35/394. Schnath an Zipfel, 8. September 1940, BArch RW 35/394. Ebd.

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seine zuständigen Mitarbeiter, bei ihren Erlassen und Forderungen an den tatsächlichen Bedingungen vor Ort orientierten oder ein klares Bild der fachlichen Anforderungen gemacht hatten. Somit galt es für die Archivkommission unter Schnaths Leitung zunächst, sich die eigene Position innerhalb der Militärverwaltung sowie in der Besatzungsherrschaft generell zu verdeutlichen. Nicht alles lief dabei so reibungslos, wie man es wenig später rückblickend euphemistisch darstellte, um zur propagandistischen Auswertung der frühen Besatzungsmaßnahmen durch die Militärverwaltung beizutragen: „Die Massnahmen der deutschen Militärverwaltung auf dem Gebiete des französischen Archivwesens sind diktiert von der Fürsorge für die Belange unserer historischen Archive. Ein Stab deutscher Offiziere und Archivfachleute ist seit der Besetzung des Landes tätig, die Archive zu besuchen und an Ort und Stelle diejenigen Anordnungen zu treffen, die die Sicherheit und die ungestörte, rasche Wiederaufnahme des Betriebs der Institute gewährleisten. [. . . ] Die deutschen Truppen haben [. . . ] überall die vorgefundenen Archivdepots mit bewundernswertem Verständnis und Disziplin in ihre Obhut genommen und irgendwelche Eingriffe verhütet“.42

Bei aller beschönigenden Formulierung klingt diese Aussage bereits so, als hätte die Archivkommission ihren Platz innerhalb der Besatzungsverwaltung schnell gefunden und sich nahtlos in diese eingefügt. Dass dies beileibe nicht der Fall war, sondern sich die deutschen Abordnungen verschiedenster Ämter und Institutionen vehement um Zuständigkeiten und Kompetenzen stritten, kann anhand des Kulturgutraubs in Frankreich ebenso aufgezeigt werden, wie dessen Betrachtung Rückschlüsse auf die Besatzungsstruktur im besetzten Gebiet und ansatzweise auch auf die nationalsozialistische Herrschaftsstruktur zulässt. bb) Kulturgutraub in ‚polykratischen‘ Strukturen Um ein Bild der vielfältigen in Frankreich eingesetzten Ämter, Institutionen und deren Interessen zu erhalten, bietet es sich an, den Kunst- und Kulturgutraub zu untersuchen, mit dem kurz nach der Einnahme von Paris ein besonders unrühmliches Kapitel der deutschen Besatzung begonnen hatte,43 das noch in 42 Notiz Georg Winters: Deutsche Soldaten beschützen Frankreichs Archive, von Schnath an den Chef der Militärverwaltung auf dessen Rundschreiben bzgl. der „propagandistischen Auswertung von Massnahmen der Militärverwaltung in Frankreich“ hin weitergeleitet, 5. September 1940, BArch RW 35/375. 43 Kunstraub und Beschlagnahmeaktionen fanden freilich nicht erst oder nur in Frankreich statt, sondern lassen sich für beinahe alle besetzten Länder konstatieren; angefangen hatte der organisierte Kunstraub bereits unmittelbar nach dem Überfall auf Polen 1939. Anhand von Frankreich sollen die beteiligten Stellen hier deshalb dargestellt werden, weil an diesem Beispiel die Auseinandersetzungen mit den Archivaren der Archivschutzkommissionen besonders deutlich hervortraten. Für Kunstraub in anderen besetzten Ländern vgl. u. a. Petropoulos: Kunstraub; vgl. Kurz: Kunstraub; vgl. Haase: Kunstraub; vgl. Rydell: Bilder; vgl. Treue: Kunstraub, S. 313–335; vgl. Brenner: Kunstpolitik, S. 131– 161; sowie, wenngleich sehr kritisch zu hinterfragen, Günther-Hornig: Kunstschutz. Christina Kott hat außerdem darauf verwiesen, dass der von offizieller Seite genehmigte und initiierte Kunstraub

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neueren und neuesten Studien zu Kunstgeschichte, -schutz und -politik im Nationalsozialismus aufgearbeitet wird.44 Otto Abetz, von 1940 bis 1944 deutscher Botschafter im besetzten Frankreich,45 verwandte die ersten Wochen seiner Amtszeit damit, Kunstwerke für interessierte deutsche Stellen zu sortieren und versandfertig machen zu lassen. Später sollte er Hitler mit den Worten zitieren, dass Kunstwerke die „Wanderpreise siegreicher Nationen“ seien, was verdeutlicht, welchen Anspruch die Besatzer hierauf geltend machten.46 Bereits 1938 hatte Hitler im Rahmen der Beschlagnahme von Vermögen und Kunstwerken in Österreich den sogenannten ‚Führervorbehalt‘ erlassen, der ihm die alleinige Entscheidungsgewalt über die Verwendung der beschlagnahmten Gegenstände erteilte. Bezüglich der Beschlagnahme des „staatsfeindlichen, im besonderen auch jüdischen Vermögens“ in Österreich hieß es darin, dass Hitler beabsichtige, „nach Einziehung der beschlagnahmten Vermögensgegenstände die Entscheidung über ihre Verwendung persönlich zu treffen“ und er diesbezüglich in Erwägung ziehe, „Kunstwerke in erster Linie den kleineren Städten in Österreich für ihre Sammlungen zur Verfügung zu stellen“.47 Obwohl Hitler sich grundsätzlich die alleinige Verfügungsgewalt vorbehielt, kamen je nach Art der Sammlungen beziehungsweise auch nach den unterschiedlichen angedachten Bestimmungszwecken verschiedene Stellen zum Zuge, als es um die Erfassung und den Abtransport fremder Kulturgüter kam. Hitler selbst trat diesbezüglich formal nicht in Erscheinung, achtete vielmehr sogar darauf, dass sein Name möglichst nicht direkt mit der widerrechtlichen Beschlagnahme von Kunstgegenständen in Verbindung gebracht werden konnte.48 In den ersten beiden Jahren ab 1938 konnten durch Beschlagnahme und Ankäufe ungefähr 1200 Objekte herangeschafft werden; im Altreich wie auch in Österreich, Polen und Italien. Mit der Besetzung Westeuropas begann der eigentliche Aufschwung dieser Beschaffungsaktion, was sich daran zeigte, dass in den folgenden Jahren bis 1944 allein in Frankreich mit knapp 2300 Kunstgegenständen beinahe doppelt so viele für das Führermuseum beschafft wurden wie in den im besetzten Frankreich des Zweiten Weltkriegs keine Vorläufer im Ersten Weltkrieg hatte, auch wenn deutsche Kunstschutzbemühungen damals von französischer Seite mindestens argwöhnisch beobachtet worden waren. Vgl. Kott: Museumspolitik. 44 Vgl. die Beiträge in Bushart/Gasior/Janatková (Hrsg.): Kunstgeschichte; sowie in: Schölnberger/Loitfellner (Hrsg.): Kulturgut; Burmester: Kunst; sowie die Arbeiten Christian Fuhrmeisters zum ‚Kunstschutz‘ in Italien, Fuhrmeister: Kunsthistoriker; zuletzt auch Schleusener: Raub; sowie in Vorbereitung: Fuhrmeister: Kunstschutz. Zur Museumsgeschichte hingegen vgl. die Beiträge in Baensch/Kratz-Kessemeier/Wimmer (Hrsg.): Museen. 45 Zu Abetz ausführlicher siehe S. 317. 46 Umbreit: Militärbefehlshaber, S. 184 f. vgl. Pryce-Jones: Paris, S. 31 f.; zu Abetz’ Dienstzeit vgl. Ray: Annäherung. 47 Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Lammers an Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, 18. Juni 1938, zit. nach Schwarz: NS-Kunstraub, S. 17. 48 Vgl. ebd., S. 159.

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anderen Ländern in den Jahren zuvor zusammen. Allen jenen Objekten war gemein, dass sie zu großen Teilen aus privaten Sammlungen stammten; mindestens 365 der in Frankreich beschlagnahmten Gegenstände stammten aus jüdischem Besitz.49 Bereits im Juli 1940 trat in Frankreich mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) ein weiterer Akteur in Sachen Kunst- und Kulturgutraub auf und konnte sich schnell zur „in jeder Hinsicht bedeutendste[n] Kulturrauborganisation des Dritten Reiches“ entwickeln, wenn nicht gar zur effektivsten Kunstrauborganisation, welche die Welt je gesehen habe.50 Reichsleiter Alfred Rosenberg, „Chefideologe“ Hitlers,51 seit 1934 Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP, hatte in dieser Funktion bereits 1937 und 1938 erste Denkschriften vorgelegt über die Konzeption einer Hohen Schule der NSDAP, welche als „Zentralstelle der Erziehung der NSDAP“ fungieren sollte.52 Deren Realisierung war zwar auf die Zeit nach dem Krieg verschoben worden, aber Rosenberg erhielt von Hitler Vollmachten, um die Vorarbeiten für die Errichtung dieser Lehr- und Forschungsstätte voranzutreiben, „vor allem auf dem Gebiet der Forschung und Errichtung der Bibliothek“ der Hohen Schule.53 Rosenberg, der schon im Vorjahr vereinzelte jüdische Bibliotheken und Archive nach Materialien für das Institut zur Erforschung der Judenfrage54 hatte durchsuchen lassen, bekam somit die umfassende Legitimation zur Erfassung 49 Heuss: Kulturgutraub, S. 54 f.; vgl. Schwarz: Führermuseum; vgl. Kirchmayr: Sonderauftrag. Zu ‚Führersammlung‘, ‚Sonderauftrag‘ und Posses Betätigung vgl. Kubin: Sonderauftrag, S. 13– 70; vgl. Backes: Kulturverständnis, S. 101–115. Nach Posses Tod im Dezember 1942 übernahm der Kunsthistoriker Hermann Voss dessen Posten als Sonderbeauftragter für die Kunstsammlung des Führermuseums. Vgl. Iselt: Voss, S. 161–386. Vgl. Nicholas: Raub, S. 158–246. Dass dieser Kunstraub nicht ohne die rege Beteiligung von etablierten Kunsthändlern ablaufen konnte, wurde mittlerweile ebenso dargelegt wie auch der Umgang mit Raubkunst von 1945 bis heute intensiv erforscht wurde, wenngleich sich auch hier stets neue Fragen ergeben – verwiesen sei exemplarisch auf den Schwabinger Kunstfund bzw. den Fall Gurlitt Ende des Jahres 2013. Vgl. Müller/Tatzkow: Kunsthändler; vgl. Koldehoff : Raubkunst; vgl. Heil/Weber (Hrsg.): Gurlitt; vgl. Reininghaus (Hrsg.): Recollecting; vgl. Schuster: Facetten; zuletzt Hickley: Gurlitt; sowie Hoffmann/Kuhn: Gurlitt. Aus juristischer Perspektive: Bergmann: Gurlitt. Petropoulos widmet in seiner Studie zur NS-‚Kunstwelt‘ und den Verstrickungen von Künstlern, Museumsdirektoren, Kunsthistorikern und -journalisten auch den Kunsthändlern ein eigenes Kapitel, vgl. Petropoulos: Bargain, S. 63–110. Einen Fall von Übernahme jüdischen Kunstbesitzes in eine Sammlung, die später von den Nationalsozialisten konfisziert wurde, zeigt die Geschichte des Sammlung Thyssens, vgl. Gramlich: Thyssen, S. 162–195. 50 Heuss: Kulturgutraub, S. 95; „the most effective art plundering agency the world has ever witnessed“, Petropoulos: Art, S. 126. 51 Piper: Rosenberg. 52 Denkschrift Rosenbergs über die Hohe Schule der NSDAP, Juni 1937, BArch NS 8/175; Denkschrift vom 1. September 1938, BArch NS 8/50; zur Hohen Schule vgl. ebd., S. 462–477. 53 Adolf Hitler: Zur Kenntnisnahme der Dienststellen von Partei und Staat, 29. Januar 1940, BArch NS 30/2; Dok. 136-PS in International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 25, S. 229 f. 54 Dieses Institut existierte formal seit Juni 1939, wurde aber erst Ende März 1941 offiziell eröffnet als erste Außenstelle der künftigen Hohen Schule der NSDAP. Die letztlich auf propagandistische Ziele beschränkte Publikationstätigkeit manifestierte sich vor allem im Periodikum Weltkampf. Die

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und Beschlagnahme vor allem potentiellen Bibliotheksguts, versuchte alsbald mit Erfolg, seine Zugriffsmöglichkeiten zu erweitern. Am 5. Juli 1940 gab Keitel als Chef des OKW bekannt, dass Rosenberg bei Hitler erfolgreich beantragt habe, „1.) die Staatsbibliotheken und Archive nach für Deutschland wertvollen Schriften, 2.) die Kanzleien der hohen Kirchenbehörden und Logen nach gegen uns gerichteten politischen Vorgängen zu durchforsten und das in Betracht kommende Material beschlagnahmen zu lassen“.55

Diese Befugnisse hatten bereits bei mehreren Stellen für Beunruhigung gesorgt. Vor allem das Militär zeigte sich irritiert von den weitreichenden Befugnissen Rosenbergs (ERR) und Heydrichs (Gestapo) in grundsätzlich militärischen Belangen, die hier tangiert wurden, denn nicht nur Kunst-, sondern auch Archivschutz unterstanden der Militärverwaltung.56 Das Militär sah sich deshalb vom ERR bedroht, der Zugriff auf staatliche Bibliotheken und Archive wollte; die militärischen Kunstschützer wurden bereits jetzt von mehreren Seiten bedrängt, erst recht, da Goebbels seit Mitte August mit der Rückführung von Kulturgütern deutscher Provenienz beauftragt worden war. Hinsichtlich der Bibliotheken und Archive gelangte die Militärverwaltung Ende August zu einem ersten Übereinkommen mit dem ERR, das bestimmte, dass „im öffentlichen Bereich, also den Staats- und Stadtarchiven und ‚Bibliotheken‘“ Eingriffe durch den ERR „nicht beabsichtigt“ seien.57 Dass dies nicht immer eingehalten wurde und es gerade hinsichtlich des schnellen Abtransports ganzer Bibliotheksbestände zu Auseinandersetzungen zwischen Militärverwaltung und ERR kam, ist hinreichend belegt.58 Größte Reibung entstand zudem bald zwischen ERR und dem militärischen Kunstschutz unter Franz Graf Wolff-Metternich, als der ERR sich zunehmend dafür einsetzte, den alleinigen Zugriff auf Kunst- und Kulturgüter vor allem aus jüdischem Besitz zu erlangen.59 Nicht einmal zwei Wochen später konnte Keitel in Ergänzung seiner Mitteilung vom 5. Juli der Militärverwaltung im besetzten Frankreich bekanntgeben, dass der ERR „hinsichtlich des Zugriffsrechtes eindeutige Weisungen vom Führer persönlich“ habe und er ermächtigt sei, „die ihm wertvoll erscheinenden KulJudenfrage in Geschichte und Gegenwart, als dessen Schriftleiter sich Peter-Heinz Seraphim betätigte. Vgl. Wetzel: Institut; Schiefelbein: Institut; Haar/Fahlbusch: Handbuch, S. 288–295. 55 Keitel an den Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden, 5. Juli 1940, BArch NS 8/259; Dok. 137-PS in International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 25, S. 230 f. 56 Vgl. dazu aus erster Hand: Best: Militärverwaltung. 57 Bericht über die Wegnahme französischer Kunstschätze durch die deutsche Botschaft und den Einsatzstab Rosenberg in Frankreich (sog. Bargatzky-Bericht), BArch NS 30/14; vgl. Treue: Bargatzky-Bericht. 58 Vgl. ebd., S. 303 f.; vgl. Kurz: Kunstraub, S. 129. 59 Zur Darstellung der Konflikte anhand von Schriftwechsel der Militärverwaltung vgl. Thomas: Kunstschutz. Metternich hielt sich selbst zugute, sich besonders bemüht zu haben, französische Kulturgüter gegen den Zugriff von Parteiorganen zu schützen, wodurch er insbesondere mit Göring in Konflikt geriet. Vgl. Wolff Metternich: Lebenslauf, S. 12.

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turgüter nach Deutschland abzutransportieren und hier sicherzustellen“.60 Hatte Rosenberg nun anscheinend alle Fäden in der Hand, was Erfassung und Abtransport von Kunstwerken und anderen Kulturgütern aus den besetzten Gebieten anbelangte, ergaben sich unmittelbar darauf weitere Konflikte. Im Herbst trat der Kunstsammler Hermann Göring auf den Plan, der ebenfalls einen nicht unwesentlichen Teil der requirierten und noch zu beschlagnahmenden Kunstwerke beanspruchte und sich gegenüber Rosenberg damit rühmte, eine der bedeutendsten Privatsammlungen Deutschlands oder gar Europas zu besitzen. Wenngleich Rosenberg diese neuerliche Konkurrenz missfallen mochte, kam er letztlich nicht umhin, mit Göring zu kooperieren und konnte über seine leitenden Mitarbeiter im ERR lediglich versuchen, die Ansprüche Görings möglichst gering zu halten beziehungsweise mit dem Verweis auf den ‚Führervorbehalt‘ die Übergabe an die Privatsammlung zu verhindern.61 Dass eine Zusammenarbeit für den ERR unumgänglich war, hatte schon die Auseinandersetzung mit Sicherheitspolizei und SD einige Wochen zuvor ergeben. Damals bestand Einigkeit darüber, dass die unmittelbare Beschlagnahme und Sicherstellung unbestritten Sache der Sicherheitspolizei wäre und man sich hinsichtlich der Bibliotheken darauf zu einigen hätte, „politisch-polizeiliches Material der Sicherheitspolizei, alles übrige der Dienststelle des Herrn Reichsleiters Rosenberg“ zuzugestehen. Allerdings war vereinbart worden, dass nach der Übergabe entsprechenden Materials dieses nicht nur Eigentum des ERR werde, sondern auch von diesem abtransportiert werden müsse.62 Und hier lag das Problem des ERR, denn er verfügte in den besetzten Gebieten über keinerlei Transportmöglichkeiten und war auf das Entgegenkommen anderer Stellen angewiesen, beispielsweise der Organisation Todt, die in den Wochen darauf mehrere Tausend Bücherkisten für den ERR ins Reich schaffte. Göring war sich dieser Situation des ERR bewusst und zog seinen Nutzen daraus, indem

60 Keitel an Oberbefehlshaber des Heeres für die Militärverwaltung im besetzten Frankreich, 17. September 1940, Dok. 138-PS. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 25, S. 232 f. 61 Vgl. Mühlen: Göring; vgl. Piper: Rosenberg, S. 492 ff.; vgl. Schwarz: NS-Kunstraub, S. 166– 171. 62 Der Beauftragte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD für Frankreich und Belgien, Aktenvermerk, betr.: Inhalt der Besprechungen, 29. Juli 1940, BArch NS 8/129. An der besonderen Betonung des ‚politisch-polizeilichen Materials‘ zeigt sich die Nutzung des Materials zu den nachrichtendienstlichen Zwecken der ‚Gegnerforschung‘ des SD, der sich hierin deutlich von den anderen Erfassungs-, ‚Schutz-‘ und Rauborganisationen unterschied. Unter anderem arbeitete der SD für die Materialbeschaffung auch mit der von Wilhelm Spengler eingerichteten Schrifttumsstelle sowie mit Bibliothekaren und Archivaren zusammen. Vgl. Botsch: Gegnerforschung, S. 93. Zur Bibliothek des SD im RSHA, deren Anfänge unter Franz Alfred Six und deren Ausbau durch die Beschlagnahme von Bibliotheken durch SD-Einsatzkommandos in den besetzten Gebieten vgl. Schroeder: Bestandsaufbau.

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er anbot, weitere Transporte organisieren zu können, sich dabei aber zugleich ein Vorrecht auf Kunstwerke sicherte; nach Hitler zwar, aber noch vor Rosenberg. 63 Weitere Konflikte bestanden zwischen ERR und, da sich die Aufträge nicht eindeutig abgrenzen ließen, dem Sonderkommando Künsberg, das nach dem Einsatz in Warschau in Norwegen politisches Material ‚sichergestellt‘ hatte und nun in den besetzten Gebieten des Westens zum Einsatz kam, hier aber in erster Linie Logenbesitz und jüdische Kunstsammlungen beschlagnahmen sollte und dafür Schlösser, Landsitze und Villen nach dorthin in Sicherheit gebrachten Kulturgütern durchsuchte.64 Gerade mit den Kunstschützern der Militärverwaltung überwarf sich das Sonderkommando alsbald in Fragen des Abtransports, da die Militärs ein Eindringen in ihren Aufgabenbereich sahen und zudem der Ansicht waren, dass Kunstgegenstände bis zu einem Friedensschluss nach Möglichkeit nicht außer Landes gebracht werden sollten, wofür sie im Juli 1940 eine ‚Kunstschutzverordnung‘ erlassen hatten.65 Aufgrund der massiven Einwände seitens Militärverwaltung und ERR gab das durch das Sonderkommando und Abetz vertretene Auswärtige Amt dahingehend nach, dass es ab Oktober 1940 in Frankreich auf weitere Beschlagnahme jüdischer Kunstsammlungen verzichtete und dieses Feld Rosenberg überließ, der die Vormachtstellung des ERR Ende des Jahres somit realisiert sah, wenngleich er nicht den gewünschten alleinigen Zugriff auf Bibliotheken, Kirchen- und Logenmaterial und Kulturgüter hatte.66 Zementiert wurde Rosenbergs exponierte Stellung schließlich im März 1942 durch einen Führererlass, indem Hitler Rosenberg zugestand, dass der ERR in den besetzten Gebieten das Recht habe, „Bibliotheken, Archive, Logen und sonstige weltanschauliche und kulturelle Einrichtungen aller Art nach entsprechendem Material zu durchforschen und dieses für die weltanschaulichen Aufgaben der NSDAP und die späteren wissenschaftlichen Forschungsarbeiten der Hohen Schule beschlagnahmen zu lassen. Der gleichen Regelung unterliegen Kulturgüter, die im Besitz oder Eigentum von Juden, herrenlos oder nicht einwandfrei zu klärender Herkunft sind. Die Durchführungsbestimmungen über die Zusammenarbeit mit der Wehrmacht erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht im Einvernehmen mit dem Reichsleiter Rosenberg“.67 63 Vgl. Görings Vorschlag zur Aufteilung der Kulturgüter, 5. November 1940, Dok. 141-PS. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 25, S. 233 f.; vgl. Piper: Rosenberg, S. 494; vgl. Heuss: Kulturgutraub, S. 103; vgl. Piper: Einsatzstab, S. 116. 64 Personell waren in jenem Sonderkommando Mitarbeiter des AA ebenso vertreten wie Angehörige des NSKK und der Geheimen Feldpolizei (GFP); formal war das SS-Sonderkommando zunächst eine Geheime Feldpolizei-Gruppe z.b.V. Angehörige des Sonderkommandos, Handakte Eberhard von Künsbergs, BArch RS 15/6. 65 Vgl. Herbert: Best, S. 260. 66 Vgl. Conze u. a.: Amt, S. 217; vgl. Stein: Schnath, S. 182; vgl. Heuss: Künsberg, S. 538; vgl. Schwarz: NS-Kunstraub, S. 159; vgl. Hartung: Raubzüge, S. 13; vgl. Herbert: Best, S. 260 ff.; vgl. Bargatzky: Majestic, S. 64–67. 67 Führererlass vom 1. März 1942, Moll (Hrsg.): Führer-Erlasse, S. 237; Dok. 149-PS. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 25, S. 235; Dok. 1015(k)-PS. ders. (Hrsg.): Bd. 26, S. 535 f.; vgl. Wulf : Denker, S. 155 ff.

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Bei all diesen Betätigungen war den Beteiligten durchaus bewusst, dass ihre Aktionen, vor allem wo sie Kunstgegenstände oder andere Objekte in Privatbesitz betrafen, jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrten. Der Jurist Walter Bargatzky, Verfasser des sogenannten Bargatzky-Berichts über die Verwicklung der militärischen Kunstschützer mit ERR, Auswärtigem Amt, Göring et al im besetzten Frankreich, hatte im Rahmen seiner Tätigkeit als Referent für völkerrechtliche Fragen in der Gruppe Justiz beim Militärbefehlshaber zu Beginn des Jahres 1941 den Auftrag erhalten, ein juristisches Gutachten über die rechtlichen Aspekte der Beschlagnahme jüdischen Kunstbesitzes zu erstellen. Er kam darin zu einem eindeutigen Ergebnis, welches der Militärverwaltung im Januar 1941 schriftlich vorlag: „Die Erfassung des jüdischen Kunstbesitzes ist weder als Beschlagnahme kriegswichtigen Eigentums noch als polizeiliche Maßnahme im Interesse einer einheitlichen Bewirtschaftung des besetzten Gebietes zu bezeichnen. Deshalb kann nach der Haager Landkriegsordnung das Deutsche Reich als besetzender Staat jüdischen Kunstbesitz weder enteignen noch in einem französischen Enteignungsverfahren an Stelle des französischen Staates treten“.68

Entsprechend titulierte Bargatzky Göring, der widerrechtlich handelte und im Gegensatz zu anderen Institutionen gar nicht erst Absichten zum Wohle des Reichs vorschützte, sondern nur für seine Privatsammlung requirierte, rückblickend als „Räuber von kapitalem Format, der in seiner Unverblümtheit, seinem Verzicht auf ideologische Verbrämung die Könnerschaft Rosenbergs weit in den Schatten stellt“.69 All diese Konflikte um Zugriff auf Kulturgüter, damit auch um Zuständigkeiten und letztendlich um Machtausbau innerhalb des NS-Regimes legen den Schluss nahe, dass es sich beim Kulturgutraub in Frankreich um ein Paradebeispiel dessen handeln könnte, was in der historischen Forschung lange Zeit mit „Ämterchaos“, „Wirrwarr“ und ähnlich attribuiert wurde. Es hatte sich diesbezüglich bald der Terminus der „Polykratie“ etabliert und war „zur Chiffre für die Unübersichtlichkeit und Verworrenheit der NS-Staatsorganisation geronnen“.70 Damit einher ging die Interpretation des NS-Staates und seiner Verwaltung als defizitär; das Nebeneinander unterschiedlichster Einrichtungen und Institutionen habe zu „fortschreitendem Effizienzverlust“ geführt unter anderem aufgrund „fehlender Koordination“ und „fehlenden Korrekturen“.71 So nachvollziehbar diese Interpretation sein mag, wurden in den letzten Jahren zunehmend Studien vorgelegt, die sich von der konstatierten „Überbetonung“ solcher „chaotischen Improvisation“ abhoben und stattdessen auf eine sich in 68

Gutachten vom 29. Januar 1941, zit. nach Bargatzky: Majestic, S. 74. Ebd., S. 71. 70 Gotto: Selbststabilisierung, S. 28; vgl. u. a. Hüttenberger: Polykratie. 71 Hachtmann: Struktur, S. 33. Hachtmann verweist hier unter anderem auf die Studien Martin Broszats, Hans Mommsens und Dieter Rebentischs, vgl. Broszat: Staat; Mommsen: Modernisierung; Rebentisch: Führerstaat. 69

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den 1930er Jahren entwickelnde „Neue Staatlichkeit“ verwiesen. Im Mittelpunkt stand dabei, dass eben jene Polykratie zwar auch destabilisierend wirken konnte, zudem aber „ihre eigenen, ordnungsstiftenden Regelmechanismen“ hervorbrachte, beispielsweise durch „Personalunionen und Ämterkombinationen“ sowie „persönliche Loyalitäten an Stelle von institutionell definierten Machtbeziehungen“. Handlungsdruck und Pragmatismus unter Befolgung „ungeschriebener Regeln“ zeitigten durchaus Erfolge im nationalsozialistischen Sinne, wofür unterschiedliche Bereiche der Besatzungsverwaltungen als Beleg dienen können.72 Das bedeutet wiederum, dass „nicht Zersetzung und Effizienzverlust, sondern umgekehrt die ungeheure Dynamik und Mobilisierungsfähigkeit der Diktatur und damit die (relative) Stabilität dieses Regimes“ in den Fokus der Interpretationsversuche rücken müssen. Hierfür wurde unterstellt, dass die „überdrehte Dynamik“ des NS-Regimes gerade der Verwaltung – auch, aber nicht nur in besetzten Gebieten – „in hohem Maße Elastizität und Beweglichkeit abverlangte, die Fähigkeit zur geschmeidigen Anpassung an sich zunehmend rascher verändernde politische, ökonomische und militärische Konstellationen“.73 In Frankreich kam es dabei zu einem Kräftemessen, unter anderem zwischen der Militärverwaltung und der Botschaft unter Otto Abetz, das die Militärverwaltung für sich entscheiden konnte. Es ging ihr dabei um Zuständigkeiten und Weisungsbefugnisse, aber auch darum, „daß die ihr vorschwebende Auffassung über die Formen und den Stil der militärischen Besatzung und Verwaltung eines als kulturell ‚gleichrangig‘, wenn nicht heimlich sogar als überlegen angesehenen Landes durch willkürliche Beschlagnahmeaktionen nicht desavouiert würde“.74

Gegenüber ERR und Göring war die Militärverwaltung zwar nicht völlig machtlos, konnte sich aber dennoch nicht durchsetzen. Trotz aller Konflikte zwischen den in unterschiedlichem Ausmaß beteiligten Institutionen und Personen funktionierte der Apparat zur Beschlagnahme von Kunstwerken immerhin so gut, dass in den Jahren bis 1944 allein in Frankreich mehr als 21.000 Objekte aus über 200 Sammlungen konfisziert werden konnten – mit denen ganz unterschiedlich verfahren wurde. Denn nicht alles wurde ins Reich abtransportiert und in Museen, (Privat-)Sammlungen und öffentlichen Gebäuden untergebracht, sondern Werke, die als ‚entartet‘ klassifiziert wurden, vernichtete man teilweise noch im Depot. Das bedeutete, „die Bilder wurden mit Messern oder durch Fußtritte zerstört, aus den Rahmen gerissen und im Hof des Jeu de Paume verbrannt“.75 72

Gotto: Selbststabilisierung, S. 47 f. Hachtmann: Struktur, S. 33 f. Für weitere besetzte Gebiete, auf die hier diesbezüglich nicht weiter eingegangen werden kann, vgl. u. a. Seibel: Integration; vgl. Jüngerkes: Bürokratie. 74 Herbert: Best, S. 260 f. 75 Vgl. Piper: Rosenberg, S. 496; vgl. Schwarz: NS-Kunstraub, S. 190. Die 1861 erbaute Galerie nationale du Jeu de Paume war seit 1909 ein Museum und diente den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg als Lager- und Umschlagsort für Kunstwerke. 73

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Das Neben- und oft auch Gegeneinander der betroffenen Institutionen im Rahmen des Kulturgutraubes bestärkt gewiss die These derer, die hinsichtlich der besetzten Gebiete polykratische Strukturen unterstellten, welche Einigungs- und Entscheidungsfindungsprozesse erheblich verkomplizierten. Doch zeigt gerade dieser Kontext, dass jene Sichtweise nicht als einzige und alleinige Erklärung dienen kann. Vielmehr muss konstatiert werden, dass grundsätzlich viele individuelle Ziele durchaus erreicht wurden und keinesfalls aufgrund der unterschiedlichen Ansichten und Zuständigkeiten sabotiert oder gar verhindert wurden. Stattdessen ließen sich in manchen Fällen sogar beschleunigte Vorgehen und gründlichere Arbeit erkennen, wenn die jeweils zuerst ‚zugreifende‘ Einrichtung möglichst schnelle und umfangreiche Abtransporte durchsetzen wollte, bevor es zu potentieller Aufteilung der Beute kommen konnte. In der Gesamtheit betrachtet ergab sich durch die verschiedenen Interessen der Beteiligten zudem ein weitaus umfangreicherer Raubzug, als aus der eindeutigen Zuständigkeit nur einer Institution – sei es Botschaft und AA, Göring, ERR oder SD und Gestapo – resultiert hätte. Statt Handlungsunfähigkeit zu erzeugen, wirkte diese Polykratie mehr wie ein Katalysator, oder, wie Sven Reichardt und Wolfgang Seibel die ‚Radikalität und Stabilität‘ nationalsozialistischer Verwaltungsstrukturen beschrieben, „Rivalität und Wettbewerb unter den Teilinstanzen mobilisierten auch Leistungsreserven und die Informalisierung von Entscheidungen und Koordinationsmechanismen führte zu beschleunigten [. . . ] Handlungsabläufen“.76 Daraus ergibt sich, dass individuelle Streitigkeiten zwar für die unmittelbar Beteiligten unangenehm und der schnellen Umsetzung ihrer eigenen Interessen hinderlich waren und sich mitunter negativ auf ihre Stellung innerhalb der deutschen Institutionen in Frankreich auswirken konnten, dabei aber in ihrer Gesamtheit zur Realisierung der übergeordneten deutschen Ziele beitragen konnten. Denn aus nationalsozialistischer Sicht gesehen war der Kulturgutraub in Frankreich ein Erfolg, da eine enorme Zahl an Kunstschätzen verschiedenen deutschen Institutionen zugeführt werden konnte, wohingegen die Querelen der deutschen Einrichtungen spätestens nach Abschluss in den Hintergrund treten mussten – selbst wenn dies nicht unbedingt zur Harmonie unter den Beteiligten beigetragen haben mochte. Wenngleich all diese in erster Linie Kunstwerke und Materialien zu „weltanschaulichen Gegnern“ sammelnden Personen und Institutionen formal nicht für staatliches Archivgut zuständig waren – wie auch die deutschen Archivare kein offizielles Interesse an Kunstgegenständen hatten – war deren Betrachtung dennoch vonnöten, da es ohne entsprechenden Auftrag nicht selten zu Auseinandersetzungen mit den Archivaren kam, die sich gegen solches Vordringen auf ihr dezidiertes Arbeitsgebiet erwehren mussten. Die nach Frankreich entsandte 76

Reichardt/Seibel: Radikalität, S. 9.

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und mit Abstand größte Archivkommission bildete den Kern der Bemühungen der deutschen Archivwissenschaft, sich in den besetzten Gebieten des Westens einzubringen und ihre Aufgabenbereiche wahrzunehmen. Dass sie dabei in jenes Feld von Kompetenzkonflikten geprägter polykratischer Besatzungsverwaltung vorzudringen hatte, war weder absehbar noch war die Kommission entsprechend darauf vorbereitet. Bei der weiteren Untersuchung zentraler Aspekte in der Aufgabenstellung der Archivkommission und deren Umsetzung müssen jene Kompetenzkonflikte natürlich berücksichtigt werden. Allerdings gilt es dabei zu hinterfragen, inwieweit solche Auseinandersetzungen die eigentlichen Arbeiten tatsächlich behinderten und ob sich nicht eventuell sogar positive Effekte aus der Vielzahl an beteiligten Institutionen ergeben konnten. Vordergründig bedeuteten Streitigkeiten um vorrangigen Zugriff ein Hindernis und mitunter auch ein großes Ärgernis, aber in manchen Fällen ging aus solchen Konflikten eine Partei als ‚Sieger‘ und damit gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor. Die Frage ist demnach, ob und wenn ja auf welche Weise und mit welchen Konsequenzen die deutschen Archivare in Frankreich nicht sogar Profiteure dieses ‚polykratischen Ämterchaos‘ gewesen sein mochten. b) Die Arbeiten der deutschen Archivkommission in Frankreich aa) Nutzen und Nachteil ‚polykratischer‘ Strukturen für die Archivkommission Zipfel hatte sich zur Klärung der Zuständigkeiten bereits im Juli 1940 an das Politische Archiv des AA gewandt, dort die bisherigen Maßnahmen der Archivverwaltung in den besetzten Gebieten des Westens dargelegt und auch für Frankreich eine fruchtbare Zusammenarbeit vorgeschlagen. Das AA „begrüßt[e] lebhaft den Vorschlag einer engen Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen“ und betonte, dass von hier aus „alles Erforderliche geschehen [sei], um die Sicherstellung des politisch aktuellen Schriftgutes in den besetzten Gebieten zu gewährleisten“, man den Archivkommissionen aber gerne Mitteilung mache „für den Fall, daß verschlepptes oder verstecktes Archivgut festgestellt wird, das für politische Zwecke nicht verwertbar erscheint“.77 Dass diese Zusage nicht immer zur beidseitigen Zufriedenheit eingehalten wurde, sollte sich bald herausstellen – zu groß schien im Einzelfall doch der Ehrgeiz zu sein, brisantes Aktenmaterial zunächst der eigenen Stelle zugänglich zu machen. So kam es zu Zipfels Mitteilung an die Pariser Gruppe Ende Oktober 1940, dass die vom AA geplante Aktion zur Rückführung und Auswertung der geflüchteten Akten des Quai d’Orsay, des französischen Außenministeriums,

77 Johannes Ullrich (Politisches Archiv des AA) an Zipfel, 13. Juli 1940, betr. dessen Schreiben vom 2. Juli, BArch RW 35/483.

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durch das AA bereits in vollem Gange war, als Zipfel durch eine Unterredung mit dem Leiter des Politischen Archivs, Jagow, davon erfuhr.78 Allerdings war er davon, wie er nach Paris mitteilte, „keineswegs überrascht“. Vielmehr habe er es „von vornherein [. . . ] für sehr unwahrscheinlich gehalten, daß das Auswärtige Amt sich diese unmittelbar in seinen Bereich fallende Aufgabe von erstrangiger Bedeutung aus der Hand nehmen lassen würde.“ Doch nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass der Pariser Archivkommission unzählige Aufgaben bevorstünden, müsse „bei nüchterner Prüfung der Lage“, so Zipfel weiter, „auch zugegeben werden, daß eine wissenschaftlich politische Auswertung der Akten im großen Stil, wie sie erforderlich ist, nicht eigentlich zu den Obliegenheiten des Archivschutzes gehört.“ Somit sah Zipfel in dieser den Archivschutz brüskierenden Situation eine „willkommene arbeitsmäßige Entlastung“ für seine Archivkommission, die sich dadurch außerdem einer Verantwortung entledige, „die nicht leicht zu tragen gewesen wären“, mit der das AA kraft seiner Autorität hingegen ganz anders umgehen könne. Und auch in einem weiteren Punkt sah Zipfel in einem vordergründigen Rückschlag eine positive Seite: Zwar werde durch die Aktion des AA die geplante Fotokopieraktion des Archivschutzes entscheidend berührt, wenn viele eigentlich vom Archivschutz zu erfassende Bestände nun vom AA erledigt würden. Deshalb schwebte Zipfel „ein Zusammenwirken zwischen Auswärtigem Amt und Archivschutz“ in der Weise vor, dass das AA Aufgaben des Archivschutzes übernehmen könne, und diesem für eigene Vorhaben weitere Kopiergeräte des AA zur Verfügung stelle, um „seine verhältnismäßig bescheidenen Wünsche“ damit zu erfüllen.79 Die Archivkommission unter Schnath wurde nicht nur zur Unterstützung des AA bei der Aktion Q – „wie wir der Kürze wegen die Heimführung und Verarbeitung der Akten des Quai d’Orsay hier zu bezeichnen pflegen“ – herangezogen, sondern sie, die sich ursprünglich für die Akten des Außenministeriums gar nicht zuständig gefühlt hatten, wurden durch „das scheinbare Versagen des A.A. gegenüber der historischen Bedeutung der Akten des Quai d’Orsay [. . . ] auf den Plan gerufen.“ Hieraus ergab sich ein Zwiespalt für die Archivkommission, denn einerseits hatte sie an Teilen der umfangreichen Bestände „brennendes Interesse“, doch andererseits wollte sie nicht in eine Aktion involviert werden, die so unprofessionell ablief. Wie Jagow eingestehen musste, war der Abtransport aus dem Flüchtungsort nach Paris überstürzt erfolgt, sodass die Archivalien „in großer Unordnung“ angekommen seien und es zudem an Platz fehlte. Wohl auch deshalb beschloss die Archivkommission, sich von dieser Aktion zurückzuziehen mit der Berufung auf eine Entscheidung des Militärbefehlshabers, sich an die vorgegebene Aufgabenstellung zu halten. Ausschlaggebend war dabei der „Wunsch, 78 Anfang Juli war Zipfel mitgeteilt worden, dass das AA bereits „aktuell-politische Akten des Quai d’Orsay“ nach Berlin überführen wolle, in der Flüchtungsstätte jedoch noch die älteren Archivalien lagern würden. Zipfel an Winter, BArch RW 35/383. 79 Zipfel an Winter, 31. Oktober 1940, BArch RW 35/482.

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sich und die Dienststelle des Militärbefehlshabers aus der Verantwortung für die nunmehr allein nach dem Willen des A.A. abrollenden Dinge herauszuhalten“.80 Als „nach längerem Drängen“ die Zustände im Archiv des Außenministeriums begutachtet werden konnten, konstatierte die Archivkommission zwar einen äußerlich sauberen Eindruck, doch sei es „archivalisch eine Fehllösung“, die zu beheben „viele Monate“ dauern würde.81 Somit handelte es sich in diesem Fall nicht, wie von den Archivaren um Schnath zunächst verständlicherweise vermutet wurde, um einen Konflikt, der sich aus Revierkämpfen um Zuständigkeitsbereiche ergeben hatte, sondern es hätte hier durchaus zu einer Kooperation von AA und Archivkommission entwickeln können – allerdings unter denkbar schlechten Vorzeichen und unter Gegebenheiten, welche die Archivare bei der Militärverwaltung nicht gutheißen wollten. Mit den Archivaren des AA hatte die Archivkommission in steter Verbindung zu stehen und mitunter um Zuständigkeiten zu verhandeln, aber auch mit den Absichten von SD und Sicherheitspolizei ergaben sich Überschneidungen, auch wenn diese nicht immer sogleich offensichtlich geworden waren. Ein Erlass des Reichsministers des Innern wies Mitte Juli 1940 „auf die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit den Organen der Gestapo und des SD nachdrücklich hin“, konstatierte aber auch, dass „geistliche und Privatarchive als Kulturgüter“ grundsätzlich in den Aufgabenbereich des Archivschutzes fielen; „soweit und solange sie aber im Zuge der Bekämpfung politischer und weltanschaulicher Gegner sicherzustellen sind, wird der Archivschutz dem SD bzw. der Gestapo immer die Vorhand lassen“.82 Deshalb wurde der SD in Arbeitsprozesse der Archivkommission eingebunden, für den er keine Expertise vorweisen konnte, aber dennoch in hohem Maße von den Fachleuten der Kommission profitieren würde. Vertretern des SD gefiel dabei besonders „die Möglichkeit eines gemeinsamen Auftretens von Angehörigen des Archivschutzes und des SD in den Archiven“, „weil dadurch Nachforschungen politischer Art unauffällig erledigt werden können“.83 Wurden sich in solchen Fällen SD und Archivschutz meist schnell einig, verhielt sich der SD merklich zurückhaltend, wenn es um die Kooperation mit dem ERR ging, dem man eigentlich „eine hilfreiche Hand leisten“ sollte.84 Zwischen Werner Best und dem ERR hatten hingegen frühzeitig Absprachen stattgefunden, in die Schnath als Leiter der Archivkommission eingebunden wurde. Seitens des ERR wurde die Haltung eingenommen, dass Eingriffe auch in die 80

Schnath an Zipfel, 26. November 1940, BArch RW 35/482. Gruppe Archivwesen beim MBF, Protokoll der Dienstbesprechung, 8. Dezember 1940, BArch, RW 35/365. 82 Erlass des RMdI vom 14. Juli 1940, VI c 6519/40-6093, BArch RW 35/483. Vgl. auch Vollert (RMdI) an Zipfel, 8. Oktober 1940, BArch RW 483. 83 Aktenvermerk Zipfels vom 7. November 1940 über eine Besprechung zwischen ihm, Rohr und Schick (SD) vom 25. Oktober, BArch RW 35/483. 84 Aktenvermerk der Pariser Archivkommission vom 15. Oktober 1940, BArch RW 35/483. 81

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Zuständigkeitsbereiche des Archivschutzes nicht geplant seien, man lediglich das jüdische und freimaurerische Archivgut für sich beanspruche – auf welches wiederum der Archivschutz den ERR nachdrücklich hinzuweisen hätte. Denn eben jenes nichtöffentliche Archivgut sei, wie Best unter Zustimmung der Vertreter des ERR zusammenfasste, als „kriegsmäßige Einrichtung des Gegners aufzufassen“, das man, „wo immer man es antreffe, ebenso sich aneignen und zur Weiterführung des Kampfes benutzen dürfe wie feindliche Munitions- oder Brennstofflager.“ Allerdings dürften, so Best weiter, „auch im nichtstaatlichen Bereich Maßnahmen des Einsatzstabes Rosenberg im besetzten Gebiet nicht ohne Kenntnis und Mitwirkung des Chefs der Militärverwaltung in Frankreich“ vorgenommen werden, der den „einzigst zuständigen und verantwortlichen Trägers der vollziehenden Gewalt“ darstelle. Zwar erkannten die Vertreter des ERR diese Bedingungen an, doch hielten sie bei der Zusammenkunft auch fest, dass Archivschutz beziehungsweise Militärverwaltung eingeschaltet würden, „falls im weiteren Verlauf der Arbeiten des Einsatzstabes die Benutzung öffentlicher Archive und Bibliotheken in Frage kommt“.85 Diese Möglichkeit, die zunächst noch prinzipiell ausgeschlossen worden war, bestand sehr wohl, wie den Vertretern des ERR durchaus bewusst gewesen war. Aus diesem Grund war man auf archivarischer Seite auch Anfang 1942 noch froh, dass es zu wesentlichen Übergriffen durch den ERR bislang nicht gekommen war. Als bereits eine Stellenreduzierung in der Militärverwaltung und der Archivkommission erfolgte, legte Schnath Werner Best zur „Organisationsvereinfachung“ dar, dass eine Zusammenlegung der verschiedenen auf dem Gebiet des Archivwesens tätigen Einrichtungen aufgrund der verschiedenen Aufgaben und Vorgehensweisen nicht opportun sei. Zumal neben der Archivkommission nicht nur der ERR, der SD und die Archivkommission des Auswärtigen Amts in Frankreich tätig sei, sondern auch der „Beauftragte des Chefs der Heeresarchive beim Mil.[ilitär]Bef.[ehlshaber] in Frankreich (Kommandostab I a arch.)“.86 Auch mit den Heeresarchivaren hatten die zivilen Archivare nicht die besten Erfahrungen gemacht. Diese hatten erneut unter von Waldenfels’ Leitung die Aufgabe, „das für die deutsche Wehrmacht wertvolle militärische Aktenmaterial zu beschlagnahmen und auszuwerten“. Dabei würde sich, wie von militärischer Seite sogleich angekündigt wurde, „eine Überschneidung mit den Aufgaben der Untergruppe Archivschutz nicht vermeiden lassen, zumal militärische Akten häufig auch in zivilen Archiven liegen“. Die Archivkommission sei entsprechend angehalten, „eine besonders vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit den Heeresarchivaren anzustre85 Aktennotiz Schnaths über die Aussprache mit dem ERR am 28. August 1940. Teilgenommen hatten Best, der Schnath hinzuzog, und vom ERR Georg Ebert, Herbert Gerigk und Gerhard Utikal, BArch RW 35/393. 86 Schnath an Best, 7. Januar 1942, BArch RW 35/353. Überblickshaft zu den verschiedenen konkurrierenden Institutionen vgl. Pfeil: Archivraub.

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ben.87 Für die Durchführung dieser Aufgabe wies Rabenau von Waldenfels darauf hin, „daß die noch vorhandenen französischen Heeresakten ohne Rücksicht auf ihren kriegsgeschichtlichen oder technischen Inhalt sicherzustellen sind“, denn man werde „nicht immer [. . . ] jetzt schon ohne weiteres behaupten können, daß dieses oder jenes Material in jedem Falle wertlos ist“.88 Schon an dieser frühen Anweisung wurde deutlich, wie stark sich die Aufgaben wie auch die Vorgehensweisen von militärischen und zivilen ‚Archivschützern‘ unterschieden. Wie die Archivkommission bei der Militärverwaltung mussten sich auch die Heeresarchive mit weiteren Einrichtungen auseinandersetzen, die Ansprüche auf ‚ihr‘ Archivgut und andere Materialien anmeldeten oder einfach Akten beschlagnahmten, für die die Zuständigkeit noch nicht geklärt war. Dass es zwischen den zivilen und den militärischen Archivaren unter Schnath beziehungsweise von Waldenfels zu unterschiedlichen Vorgehensweisen kam, zeigte sich sehr schnell. Sollten die zivilen Archivare für spätere Rückforderungen Inventarisierungen vornehmen, ging es den Heeresarchivaren um eine möglichst schnelle Nutzbarmachung sowohl historischer wie auch aktueller Akten. War in den Schriftwechseln zwischen Rabenau und seinen Archivaren in den ersten Monaten der Besatzung Frankreichs noch neutral von Akten und Büchern gesprochen worden, offenbarte sich im Herbst die von der Vorgehensweise der Archivkommission deutlich zu unterscheidende Absicht, als Rabenau für das OKW eine Übersicht über das „Beutematerial“ anforderte. Dabei sollte sogleich eine thematische Vorsortierung erfolgen, die nicht auf Provenienzen beruhen, sich stattdessen an künftigen Zwecken orientieren sollte. Es galt, „politisches Material“ vorzulegen „nach militär-politischen, geschichtlichen und sonst aktuellen Gesichtspunkten“, worunter die Themen „Kriegsvorbereitungen“ genauso fallen konnten wie „Geheimverträge“, „Völkerrechtsbrüche“, „geplante oder durchgeführte Neutralitätsverletzungen“ oder auch „Presse- und Propagandamaterial“.89 Neben jene Bestände, die man sich nutzbar zu machen erhoffte, traten auch bald solche, die aus ganz anderen Gründen erfasst und ins Reich transportiert wurden. Bücher aus dem französischen Kriegsministerium beispielsweise, „die heute als überholt gelten können“, wurden auf Weisung Rabenaus lediglich „aus Prestigegründen“ sichergestellt.90 Die frühere Verfügung des Chefs des Generalstabes des Heeres, Franz Halder, hatte immer noch Gültigkeit: Die Heeresarchivare sollten in den besetzten Gebieten „alles entnehmen, was uns gehört und was im Augenblick unmittelbaren Nutzen bringe; daß wir alles abschreiben oder fotokopieren, was geschichtlich Wert für uns hat“.91 87 OKH, Generalstab des Heeres, Generalquartiermeister an den Chef der Militärverwaltung in Frankreich, 28. September 1940, BArch RH 18/224. 88 Rabenau an Waldenfels, 24. Oktober 1940, BArch RH 18/224. 89 Rabenau an die Beauftragten in Paris, 18. November 1940, BArch RH 18/224. 90 Undatierter Bericht der Heeresarchivare in Paris, wohl 1940, BArch RH 18/222. 91 Rabenau in den Notizen für seinen Nachfolger, BArch RH 18/72; vgl. Stahl: Organisation, S. 84.

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Zur Bewältigung ihrer Aufgaben waren diese sowohl auf die Mitwirkung und Hilfe französischer Fachkollegen wie auch, als über deren Mitarbeit noch nicht entschieden war,92 in manchen Belangen auf die deutschen zivilen Archivare angewiesen. Das hieß, dass neben den Heeresarchivaren als „militärische[n] Persönlichkeiten“ Zivilisten arbeiteten, die lediglich aufgrund ihrer Tätigkeit für die Militärverwaltung eine Uniform erhalten hatten und schon deshalb nicht immer als ebenbürtig wahrgenommen wurden. Der enorme Arbeitsumfang hatte den von den Militärs „unerwünschte[n] Zustand“ zur Folge, „daß zuweilen Zivilbeamte an rein militärischen Angelegenheiten stärker beteiligt werden, als die dazu in erster Linie berufenen militärischen Organe“.93 Bei aller Professionalität, die beide Seiten in den Schriftwechseln an den Tag legten, waren grundlegende Ressentiments gegenüber der jeweils anderen Abordnung spürbar. Zu erkennen war der reservierte Ton im wechselseitigen Umgang sowohl im direkten Kontakt der in Paris stationierten Archivgruppen als auch auf Leitungsebene, im Schriftverkehr Zipfels und Rabenaus. Auch in fachlichen Belangen war man sich mitunter uneins. Rabenau hatte Zipfel beispielsweise erklärt, er könne sich vorstellen, den Forderungen der Archivverwaltungen bezüglich einer Kartensammlung im französischen Kriegsarchiv teilweise entgegenzukommen. Er stellte aber sogleich klar, dass sich dabei „das Provenienzprinzip nicht zu Grunde legen“ lasse. Seine Argumentation lautete, dass sich die entsprechenden Karten und Pläne im Kriegsministerium, also einer militärischen Stelle befänden und selbst wenn diese vormals von deutschen Einrichtungen entfremdet worden seien, dies aus militärischen Gründen geschehen und der genaue Entstehungsort nicht mehr nachvollziehbar war. Deswegen stünde „bei strenger Anwendung des Provenienzgrundsatzes [. . . ] den staatlichen Archiven nur diejenigen Karten zu, deren Herkunft von einer deutschen zivilen Stelle“ sie einwandfrei nachweisen könnten. Nach seinem Vorschlag sollten die Heeresarchive alle Karten erhalten, „die für die Wehrmacht gebraucht werden“, die staatlichen Archive hingegen „alles für zivile Verwaltungszwecke [. . . ] Verwendbare“. Er schlug damit eine betreffsmäßige Verteilung des Bestandes vor, der Zipfel – der „ungern den Boden des Provenienzprinzips verlasse“ – zuzustimmen dennoch geneigt war, da er ansonsten wohl kaum Chancen auf den Erhalt eines größeren Teils des Bestandes bekommen hätte. Dennoch wollte er diese Grundsatzfrage mit weiteren Vertretern der Archivverwaltung und vor allem der Pariser Archivkommission erörtern.94 92 Den französischen Kollegen begegneten die Heeresarchivare mit größtem Misstrauen und sorgten sich um ihren umfassenden Zugriff auf das Archivgut. 93 OQV an Generalquartiermeister, betr. Archive in den besetzten Gebieten, 5. November 1940, BArch RH 18/138. 94 Zipfel an Schnath, Niederschrift über eine Unterredung zwischen Zipfel und Rohr (Archivverwaltung) mit Rabenau und Strutz (Heeresarchivverwaltung) am 11. März, 17. März 1941, BArch RW 35/395; auch: BArch RH 18/225, Hervorhebung im Original.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Bevor auf diese Diskussion um die Einhaltung der fachlichen Prinzipien weiter eingegangen wird,95 muss vor den dargestellten Konflikten erneut ein grundlegendes Problem eruiert werden: Inwieweit stellte das ‚Ämterchaos‘, die polykratische Struktur im besetzten Frankreich, für die deutschen Archivare in Paris eine prekäre und mit Nachteilen verbundene Situation dar? Ergaben sich aus den Konflikten tatsächlich in erster Linie negative Konsequenzen für Schnaths Archivkommission und die Stellung der Archivverwaltung generell, oder lässt die Gesamtbetrachtung auch andere, vorteilhafte Tendenzen erkennen? Die Probleme, die sich durch die unklar gegeneinander abgegrenzten Zuständigkeiten im besetzten Frankreich in diesem Falle für die Abordnung der Archivare ergaben, sind nicht zu übersehen. Zunächst waren die schon in den ersten Wochen bestehenden, über längere Zeit schwelenden und immer wieder akut werdenden Auseinandersetzungen mit verschiedenen Institutionen und Personen äußerst zeit- und ressourcenintensiv. Vor allem, da die Konflikte nur in manchen Fällen vor Ort, das heißt von Schnath und eventuell mit der Unterstützung Bests gelöst werden konnten, viele aber die Intervention auf höherer Ebene, also durch Zipfel, beanspruchten. Es musste entsprechend Zeit und Energie darauf verwendet werden, die Ansprüche und Belange der Archivverwaltung zu verteidigen und, mehr noch, fremde Eingriffe in das eigene Arbeitsgebiet abzuwehren. In einigen Fällen und Konstellationen wurde zudem ‚von oben‘ durch das RMdI eingegriffen, das die Kooperation zwischen Archivkommission und SD anordnete, welche die Archivare von Beginn an befürchten ließ, dass sich hieraus Nachteile für sie ergeben könnten. Der Anordnung, SD und Gestapo auf Materialien ‚weltanschaulicher Gegner‘ grundsätzlich vorrangigen Zugriff zu gewähren, konnte man sich kaum widersetzen, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Mit dem ERR bestand formal Einigkeit darüber, was die Zuständigkeiten und damit dessen Zugriffsmöglichkeiten anbelangte. Doch es war auch hier, wie der Kunstraub gezeigt hatte, stets mit Übergriffen des ERR zu rechnen, der sich auf den Auftrag Hitlers berufen konnte. Teilweise ergaben sich für die Archivkommission recht zwiespältige Erfolge, wenn durch Zusammenarbeit mit dem AA oder den Heeresarchivaren erweiterte Zugriffsmöglichkeiten auf Archivalien entstanden, sie damit aber in die mitunter als ‚unprofessionell ablaufenden‘, also vor allem den eigenen Richtlinien zuwiderlaufenden Aktionen dieser Institutionen eingebunden wurde. In letztgenanntem Zusammenhang tritt zudem ein Aspekt zutage, der nicht wegen der ebenfalls vorhandenen negativen Auswirkungen ignoriert werden darf: Chancen und Erfolge waren durchaus möglich und vorhanden. Beispielsweise in der obligatorischen Kooperation mit den Heeresarchivaren hatte sich gezeigt, dass diese in manchen Belangen auf die Mitarbeit und Unterstützung der zivilen Archivare angewiesen waren. Wodurch wiederum jene sich in ihrer selbst zuge95

Siehe Kap. D. IX. 2. b) bb).

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schriebenen fachlichen Überlegenheit bestätigt sahen und darauf hoffen konnten, durch ‚Hilfestellungen‘ an Einfluss zu gewinnen, sei es auf die konkrete Arbeit als auch auf die spätere Verwendung und vielleicht Verbringung der Archivalien in staatliche statt militärische Archive. Die Einbindung in die Militärverwaltung brachte definitiv Vorteile für die Archivkommission mit sich, die in mancher Hinsicht vor allem auf die Unterstützung Bests bauen konnte, etwa bei Konflikten mit dem ERR. Dessen Rolle nicht nur im Kunstraub wurde seitens der Militärverwaltung äußerst kritisch beurteilt. Durch die zahlreichen, in der Bewertung der Militärverwaltung unrechtmäßigen und zu verurteilenden Übergriffe der verschiedenen am Kunstraub beteiligten Einrichtungen war diese sensibilisiert für potentielle weitere ‚Vergehen‘. Somit war die Gruppe Archivschutz von Beginn an auf der Hut, profitierte aber auch davon, dass sich die diesbezüglichen Konflikte durch die Struktur der Militärverwaltung in erster Linie auf die nebengeordneten Stellen von Kunst- und Bibliotheksschutz bezogen. In einer zusammengelegten Kunst-, Bibliotheks- und Archivschutzgruppe hätten die Archivare sicherlich von Beginn der Besatzung an mit größeren Belastungsproben zu rechnen gehabt. Nicht zuletzt stellten die verschiedenen, auf den ersten Blick tatsächlich den Anschein eines totalen „Ämterchaos“ vermittelnden und teils erzwungenen Kooperationen einen Vorteil für die gesamte Archivverwaltung dar, der vor dem Hintergrund der angespannten Personallage im deutschen Archivwesen gesehen werden muss. Es handelte sich dabei um die von Zipfel so benannte „willkommene arbeitsmäßige Entlastung“, die trotz aller Vorbehalte einen durchaus positiven Effekt darstellte.96 Somit scheint man die deutschen Archivare in Frankreich tatsächlich nicht als ‚Verlierer‘ oder allzu sehr Benachteiligte im Gefüge der Besatzungsverwaltung ansehen zu dürfen, sondern kann sie in gewisser Weise als ‚Profiteure der Polykratie‘ bezeichnen; naturgemäß mit den angeführten Einschränkungen. Der „für die polykratischen Verhältnisse typische Wettbewerb um Kompetenzen und die allfällige Rivalität der Ämter und Instanzen“ brachte demnach durchaus individuelle Vorteile mit sich und verlieh den Handlungen vor Ort eine Dynamik, die in starren bürokratischen Konstellationen vermutlich nicht entstanden wäre. Was Sven Reichardt und Wolfgang Seibel für die nationalsozialistische Verwaltung grundsätzlich konstatieren, bestätigte sich bei der Betrachtung der deutschen Besatzung in Frankreich. Auch diese „präsentiert sich also zum einen als stark differenziert, ja fragmentiert und zerklüftet, zum anderen aber als hochgradig vernetzt und dadurch immer wieder auf effektive Weise re-integriert“. „Differenzierung und Integration“ spielten somit eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen einer Besatzungsverwaltung im Zweiten Weltkrieg.97 96 97

Zipfel an Winter, 31. Oktober 1940, BArch RW 35/482. Reichardt/Seibel: Radikalität, S. 15 ff.; vgl. Gotto: Selbststabilisierung, S. 49.

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bb) Moralische und wissenschaftliche Grenzverschiebungen während der Besatzungszeit? Bei allen Vor- und Nachteilen, die sich für die Archivkommission in Frankreich ergeben hatten, muss bedacht werden, dass ‚die deutschen Archivare‘ nicht als monolithische Einheit verstanden werden dürfen, die sich gegen Konkurrenten zur Wehr setzen oder sich mit diesen verbünden musste. Spielte dies zwar eine große Rolle, galt es innerhalb der deutschen Archivwissenschaft doch auch grundsätzliche Fragen zu klären, die sich nicht nur auf den konkreten französischen Fall bezogen, sondern von größerer Tragweite waren, da sie grundlegende Prinzipien archivarischer Arbeit betrafen. Eine intensive Diskussion drehte sich darum, inwieweit man sich dem mittlerweile eigentlich als unverrückbar etablierten Provenienzprinzip verpflichtet sah und ob eventuelles Abweichen hiervon zu Gunsten des Pertinenzprinzips gerechtfertigt sein könnte. Schon bei der Inventarisation französischer Archivalien und der Erstellung von Rückforderunglisten wurde dieses Problem virulent. Zum einen aufgrund der weitreichenden und fachlich unzulänglich formulierten Anforderungen von Goebbels, zum anderen aufgrund des vorhandenen Bewusstseins, sowohl wissenschaftliche als auch politische Bedürfnisse befriedigen zu müssen, zu können und zu wollen. So wandte sich Schnath Anfang des Jahres 1941 hinsichtlich der Goebbelschen Forderungen, die Archivalien in Listen nach ihrem Wert zu kategorisieren, in einem persönlichen Schreiben an Zipfels Mitarbeiter Rohr, um ihn „über unsere Auffassung der Lage und unsere Reaktion auf die genannten Weisungen zu unterrichten.“ Einerseits ging es ihm darum festzuhalten, dass der Archivgruppe „unser Gewissen als Deutsche und als Wissenschaftler“ die Verpflichtung auferlege, „die unerlässlichen Schritte so fachgerecht und einwandfrei“ zu führen, dass diese deutsch-französische Auseinandersetzung nachhaltig geklärt werde. Dabei könne nur das Provenienzprinzip angewandt werden, das jedoch andererseits „elastisch gehandhabt“ werden müsse und vielmehr nach der Richtschnur „in dubio pro Germania“ zu verfahren sei; die deutsche Archivalienforderung an Frankreich müsste in einem Friedensvertrag entsprechend „so weit und so biegsam wie möglich gefasst werden“.98 Erneut verdeutlichte sich hierbei Schnaths Lavieren zwischen der möglichst einwandfreien Einhaltung fachlicher Grundsätze und der Anforderung, umfassende Ansprüche geltend machen zu können. Wie weit sie sich dem Provenienzprinzip verpflichtet sahen oder dieses auch dehnen würden, diskutierten die Archivare der Pariser Gruppe in Abstimmung mit weiteren Archivaren im ‚Auslandseinsatz‘ in der Folgezeit intensiv. Bezüglich der im Kriegsarchiv vorgefundenen Kartensammlung, um die sich Konflikte zwischen den Heeresarchiven und der Archivkommission entsponnen 98

Schnath an Rohr, 20. Februar 1941, BArch RW 35/395.

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hatten, riet Schnath dazu, die eigenen Ansprüche keinesfalls mit anderen Forderungen, die in einem Friedensvertrag zu stellen sein würden, zu verbinden. Er ging davon aus, dass auf die im Kriegsministerium befindlichen Materialien als „Kriegsbeute“ zuzugreifen sei, das heißt durch militärische Stellen, unabhängig von ihrer späteren Unterbringung. Vor allem würden Schnath zufolge die Heeresarchivare klar zum Pertinenzgrundsatz tendieren, wenn sie neben aus Deutschland stammenden auch Deutschland betreffende Karten und Pläne beanspruchen wollten. Entsprechend entstünden „archivische Unzuträglichkeiten“, und als Leiter der Pariser Archivschutzgruppe weise er „pflichtgemäß auf diese Schwierigkeit hin und beton[e], daß auch hier eine befriedigende Lösung nur auf der Grundlage des Herkunftsprinzips möglich sein dürfte“.99 In einer Besprechung der Pariser Archivgruppe, an der auch Vertreter der anderen in den besetzten Gebieten eingesetzten Archivgruppen sowie der Archivverwaltung teilnahmen, wurde diese Problematik ausführlich diskutiert. Der in den Niederlanden arbeitende Vollmer hielt dabei fest, dass für die französischen Archive dasselbe gelten müsse wie auch für die niederländischen, nämlich dass Akten „betr. deutsche“ Gebiete vor Ort bleiben müssten. Das Provenienzprinzip sei „als einzige archivtechnisch befriedigende Lösung für die ‚Austauschverhandlungen‘ als Grundlage zu nehmen“. Der Österreicher Bittner sprach sich deutlich für das historisch schon lange bedeutsame Provenienzprinzip aus, sah ebenfalls Spielraum für anders geartete Forderungen, nicht zuletzt aus dem Grund, „daß das Reichsarchiv Wien dabei ins Hintertreffen gerät oder sich dem Vorwurf aussetzt, die archivalischen Interessen nicht genügend gewahrt zu haben.“ Ganz ähnlich positionierte sich der Darmstädter Archivar Ludwig Clemm, der den Provenienzgrundsatz als „natürliche Grundlage“ bezeichnete, aber auch „Vorwürfe gegen die Archivare“ befürchtete, „falls eine einzigartige Gelegenheit aus theoretischen Gründen versäumt würde.“ Jene äußerst vorsichtige Haltung vertraten weitere Vertreter der Zunft, von denen sich niemand zu einer klaren Ablehnung des Provenienzprinzips oder einer grundsätzlichen Befürwortung des Pertinenzprinzips hinreißen ließ, eine generelle Unsicherheit latent zu sein schien – gerade, wenn sich die Fachleute vor Augen hielten, was ihnen bei allzu strenger Auslegung ihrer fachlichen Prinzipien eventuell an „Versäumnissen“ vorzuwerfen sein könnte. Die Wortmeldung des bayerischen Archivars Knöpfler veranschaulicht diese Haltung eindrücklich: „Auf gar keinen Fall“ dürfe das Pertinenzprinzip „allgemein zur Anwendung kommen“, „im großen und ganzen“ sollte man sich an das international anerkannte Provenienzsystem halten, und dennoch werde man „sich in Einzelfällen nicht auf der Herkunftssatz allein stürzen dürfen“.100 Zipfel zog aus jenen Beratungen den einzigen für ihn zulässigen Schluss, denn eine strenge Befürwortung des Provenienzprinzips war alles andere als Konsens 99

Schnath an Zipfel, 19. März 1941, BArch RW 35/395. Protokoll der Besprechung bei der Gruppe Archivwesen, Paris, 25. März 1941, BArch RW 35/395, Hervorhebung im Original. 100

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gewesen, genauer: keiner der involvierten Archivare hatte sich ausdrücklich für jenes Prinzip ausgesprochen, das im konkreten hier verhandelten Fall einen Verzicht auf Material für deutsche Archive bedeutet hätte. Deshalb konnte Zipfel Rabenau mitteilen, er habe sich „überzeugt, daß diese Lösung den tatsächlichen Gegebenheiten sowohl wie auch den beiderseitigen Interessen am besten Rechnung trägt“. Er erklärte sich demnach einverstanden, nach dem „Kriterium der Brauchbarkeit für militärische und nichtmilitärische Zwecke“ zu differenzieren, wodurch die Karten und Pläne entsprechend den Heeres- beziehungsweise Staatsarchiven zugesprochen würden.101 Vom Völkerrecht war jene Wegführung der Karten keineswegs gedeckt, und es bleibt Spekulation, ob die zivilen deutschen Archivare bei diesen Karten auch von sich aus zugegriffen hätten, oder ob der Rechtsbruch in diesem Falle nur akzeptiert wurde, weil die Beschlagnahmeaktion von den Heeresarchivaren initiiert worden war. Dass sich die Archivkommission in diesem Zusammenhang kompromittiert und dies auch erkannt hatte, zeigte sich an den Schutzbehauptungen Zipfels, dass lediglich zur Wahrung eigener Interessen dieser späteren Aufteilung zugestimmt werden sollte.102 Die Prinzipiendiskussion war nicht auf die fragliche Kartensammlung beschränkt, sondern entwickelte sich schnell zu einer Grundsatzdiskussion mit weitreichenden Konsequenzen. Bei einer Dienstbesprechung der Pariser Archivgruppe legten einige Archivare Beispiele ihrer Arbeitsgebiete vor, die entweder eine strenge Anwendung des Provenienzprinzips erschweren würden oder aber bei dessen Anwendung den „Verlust“ so manchen Anspruchs zur Folge hätten. Winter stellte nach diesen Ausführungen die Frage, „ob man mit der Beschränkung auf das Provenienzprinzip allen deutschen Forderungen ausreichend gerecht werden“ könne, oder ob man nicht zumindest ergänzend den Pertinenzgrundsatz heranziehen müsse, von dem man schließlich in allen früheren Friedensverträgen ausgegangen sei und der „überhaupt für zwischenstaatliche Regelungen nicht entbehrt werden kann“. Die reine Anwendung des Pertinenzgrundsatzes wurde in der „folgenden sehr lebhaften Aussprache“ von den anderen beteiligten Archivaren „einhellig abgelehnt“.103 Es wurden nicht nur Beispiele angeführt, bei denen wiederum das Pertinenzprinzip zu unliebsamen Entwicklungen führen würde, sondern gefolgert, dass die Anwendung des Provenienzprinzips zu keiner „befriedigenden Dauerlösung“ führen, stattdessen aber „uferlose Formen annehmen“ und sich vor allem „auch einmal zum Nachteil Deutschlands ausschlagen“ könne. Daraufhin ruderte Winter zurück und erklärte, er habe nicht für das Pertinenzprinzip eine Lanze brechen, sondern dieses lediglich zur erneuten Diskussion stellen wollen. Der Grund 101

Zipfel an Rabenau, 16. Mai 1941, BArch RW 35/396. Stein: Inventarisierung, S. XXXVIII f. Zu archivspezifischen Bestimmungen im Völkerrecht vgl. Huguenin-Bergenat: Kulturgüter, S. 246–272. 103 Protokoll der Dienstbesprechung, 25. Februar 1941, BArch RW 35/365. 102

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dafür sei gewesen, dass aus „nichtarchivarischen Kreisen“ sicherlich Forderungen auf Grundlage der Pertinenz erhoben würden, die mit Erwartungen einhergingen, deren Nichterfüllung aufgrund rein fachlicher Richtlinien „Vorwürfe gegen die Archivare nach sich ziehen“ könnten. Diese Bedenken Winters, die ähnlich auch schon Schnath geäußert hatte, hinderten ihn nicht daran, zunächst festzuhalten, „daß nach der einhelligen fachlichen Überzeugung sämtlicher Anwesenden für die Aufstellung der deutschen Archivforderungen vom Provenienzprinzip auszugehen ist“.104 Die Pariser Gruppe wollte sich der Zustimmung anderer Archivverwaltungen versichern und stellte diesen jenes Protokoll zur Verfügung mit der Bitte um eine Stellungnahme der angesprochenen Streitfrage vor dem Hintergrund der Ausund Rückwirkungen auf die Archivwissenschaft. Einige in der Heimat verbliebene und auch in anderen besetzten Gebieten eingesetzte Archivare meldeten sich daraufhin zu Wort. Der Thüringer Willy Flach beispielsweise sprach sich grundsätzlich für die weite und biegsame Anwendung des Provenienzprinzips und ging auf die „beachtlichen Argumente“ Winters ein. Vor einer einseitigen Anwendung müsse man sich hüten und dürfe den Pertinenzgrundsatz schon deshalb nicht außer Acht lassen, „weil sich die allgemeine Verwaltung von ihren Bedürfnissen aus kaum nach Archiv-Grundsätzen richten wird“ und dann die von Winter befürchteten Vorwürfe an die Archivare herangetragen werden könnten.105 Der Berliner Archivar Johannes Frederichs hingegen argumentierte, dass bei der Auswahl des Prinzips „lediglich von praktischen Erwägungen“ auszugehen sei und nicht „um des Prinzips willen“ auf Archivalien verzichtet werden dürfe, „deren Erwerb für die Durchführung der Aufgaben eines Staatsarchivs unerlässlich ist.“ Zwar sei bei einer bilateralen Auseinandersetzung zwischen gleichberechtigten Partnern natürlich primär das Provenienzprinzip anzuwenden, doch sei der Fall bei Auseinandersetzungen mit Feindstaaten gänzlich anders gelagert, denn dann zählten „nicht theoretische Überlegungen, sondern allein praktische und politische Gesichtspunkte.“ Frederichs ging noch einen Schritt weiter und forderte nicht nur die Berücksichtigung außerfachlicher Aspekte bei der Entscheidungsfindung hinsichtlich späterer Rückforderungen, sondern maß dem Archivar eine dann ganz andere Rolle zu: Der Archivar dürfe in solch einem Falle „nicht ausschließlich als theoretisierender Fachmann denken und handeln, sondern in erster Linie als Politiker“.106 Schnath fasste wiederum sämtliche dieser und ähnlicher Stellungnahmen zusammen, trug diese in Berlin vor und schloss damit, dass sich die deutschen Archivare und Archivverwaltungen in der Hauptsache für den Provenienzgrundsatz aussprechen, allerdings einige Ausnahmen gemacht wissen wollen. Er 104

Ebd. Flach an Zipfel und Sante, 2. April 1941, HHStA Wiesbaden 1150/7. 106 Stellungnahme Frederichs zum Protokoll der Gruppenbesprechung am 25. Februar 1941, BArch RW 35/396. 105

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schlug deshalb die „Pariser Formel“ vor, die eine teilweise Überschreitung des Provenienz- und Anwendung des Pertinenzprinzips einschloss, gerade um „die Verteilung des Archivguts mit der Grenzziehung in Übereinstimmung zu bringen“.107 Da in der innerfachlichen Diskussion der deutschen Archivare sowohl das Provenienzprinzip infrage gestellt als auch der Provenienzbegriff an sich teils weniger archivwissenschaftlich als nationalistisch verstanden und entsprechend gedehnt wurde, spricht die einschlägige Forschung hierbei von einem recht eindeutig zu belegenden „Sündenfall der Archivwissenschaft“. Denn in französischen Archiven vorgefundene Akten von Deutschen in Frankreich sind allenfalls kulturgeschichtlich, nicht aber archivwissenschaftlich deutscher Provenienz, wodurch über Forderungen jener Art „kulturelle Reparationen“ eingefordert wurden.108 Dass neben den zwischen Herbst 1940 und Frühjahr 1942 erstellten drei Forderungslisten, deren Genauigkeit sich ebenso wie ihr Umfang allmählich entwickelte, im August 1941 auch eine Archiv- und Bibliotheksgut umfassende „Kernliste“ angefertigt wurde, die für sofortige Beschlagnahmeaktionen gedacht war, muss differenziert betrachtet werden.109 Einerseits wurde ein solcher Raubzug von den Archivaren vor Ort einhellig abgelehnt, andererseits stellten sie mit ihrer Liste ein Instrument dafür zur Verfügung, ohne das eine – wenngleich letztlich nicht realisierte – Beschlagnahme nicht möglich gewesen wäre. Die Frage, inwieweit sich die Archivkommission um Schnath dieser Anforderung hätte entziehen können, ist einerseits nur schwerlich zu beantworten, andererseits kann unterstellt werden, dass die in diesem Falle widerrechtliche Aneignung fremden Archivguts zwar aus fachlichen Prinzipien abgelehnt wurde, aber das prinzipielle Interesse an jenen Archivalien ebenso vorhanden war wie über die Richtigkeit der deutschen Politik gegenüber Frankreich Konsens herrschte. Karl-Heinz Roths Titulierung der rein technischen Vorarbeit zu solchen im Kern abgelehnten Vorhaben als „höhere Form des Plünderns“110 setzt sich natürlich dem Vorwurf aus, dass jenes Mitwirken lediglich von der Pariser Schreibstube aus erfolgte, nicht zwangsläufig auch auf aktive Beteiligung an potentiellen Plünderungsmaßnahmen schließen lässt und eine Verweigerung nicht ohne Konsequenzen geblieben wäre. Vor dem Hintergrund des Kunst- und Kulturgutraubs, bei dem sich die verschiedensten deutschen Institutionen mit einer skrupellosen Verfolgung ihrer Partikularinteressen hervortaten, nicht aber die Archivverwaltung, ist der Vorwurf der Plünderung demnach zu relativieren. Allerdings 107

Protokoll der Gruppenbesprechung vom 18. April 1941, BArch RW 35/365. Stein: Kulturimperialismus, S. 112 f. 109 Die Forderungslisten datieren vom 14. November 1940, 3. Mai 1941 und 20. April 1942, die Kernliste vom 26. August 1941. Vgl. ebd., S. 103. 110 Vgl. Roth: Abschlußbericht; wenig später unterschied Roth zwischen dieser ‚höheren‘ und eher ‚archaischen‘ Plünderungsformen, vgl. ders.: Hilfstruppen, S. 7; vgl. Stein: Kulturimperialismus, S. 103. 108

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ist indirekte Beteiligung festzustellen, wenn mitunter Vorarbeiten und fachliche Hilfestellungen geleistet wurden, von denen die ‚Raubinstitutionen‘ profitieren konnten. Ob also die indirekte Zusammen- oder Zuarbeit als höhere Form des Plünderns apostrophiert werden kann, bleibt der Intention der Interpretation geschuldet und damit der Frage, ob tatsächlich individuelle Schuld gesucht und konstatiert werden soll.111 Die dargelegten Diskussionen um fachliche Grundsätze und deren zeit- und fallabhängige Übertretung zeigen, wie schwer sich die beteiligten Fachvertreter taten, eine eindeutige Positionierung zu erarbeiten. Die ‚Pariser Formel‘ muss demnach als Ergebnis dieses Lavierens gesehen werden, in dem sich die Einhaltung des Provenienzgrundsatzes mit der einmaligen Chance gegenüberstand, auf weitere Archivalien Zugriff zu erhalten. Es kann mit kontrafaktischen Überlegungen angenommen werden, dass nach erfolgter Plünderung und Abtransport der Beute in deutsche (Staats-)Archive die Beteiligung der Archivare längst nicht vorbei gewesen wäre, sondern sich dann erst voll entfaltet hätte. Der Verdacht liegt nahe, dass die Erschließung und Auswertung der unrechtmäßig erhaltenen Archivalien die Aufgabe auch jener in Paris schon beteiligten Archivare geworden wäre und diese sich dem nicht nur nicht entzogen, sondern vielleicht auch mit Eifer gewidmet hätten, wenn der Raub bereits geschehen war und sie sich auf eine fachliche Bearbeitung beschränken konnten. Tatsächlich blieb der Pariser Kommission eine solche Überlegung genauso erspart wie die Mitwirkung an Aktionen ähnlichen Zuschnitts. Unter oft unklaren Verhältnissen in Vorgaben und Rahmenbedingungen litt die Gruppe um Schnath, genau wie auch die anderen Archivkommissionen sowie einige an ihren Heimatarchiven Verbliebene, allerdings ebenso wie unter zusätzlichen Anforderungen, die sich aus der Einrichtung weiterer Forschungs- und Arbeitsprogramme ergaben. Denn deutsche Staatsarchivdirektoren hätten, wie Zipfel bereits im August 1940 ausgeführt hatte, drei Aufgaben zu erfüllen, „verwaltungsmäßige, archivfachliche und wissenschaftliche“.112 Die verwaltungsmäßigen Aufgaben, bezogen auf ihre eigene Arbeit und die Integration in die (Besatzungs-)Verwaltung, konnten die Archivare in Frankreich wie auch andernorts vollumfänglich wahrnehmen, wenngleich mit den Einschränkungen, die sich aus den individuellen Situationen ergeben hatten. Die archivfachlichen Aufgaben wiederum stellten die Archivwissenschaft vor grundsätzliche Dilemmata, die sich aus der vermeintlichen Unvereinbarkeit politischer und fachlicher Anforderungen entwickelten. Hierbei zeigte man sich flexibel und stellte, dem Leitsatz „in dubio pro Germania“ folgend, die „Pariser Formel“ auf, 111 Vgl. Etzemüller: Suchen wir Schuld oder wollen wir Gesellschaft analysieren? Eine Anmerkung zur aktuellen Debatte um Hans Rothfels, in: H-Soz-u-Kult, 16.02.2003. 112 Protokoll über die Besprechung beim Generaldirektor der Staatsarchive am 28. August 1940, BArch RW 35/394.

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die zwar eine teilweise Dehnung und Überschreitung des Provenienzprinzips und die Anwendung des eigentlich verpönten Pertinenzprinzips einschloss, jene aber in ‚vernünftige‘, das heißt zu rechtfertigende Bahnen lenken wollte. Grenzüberschreitungen wurden damit toleriert, allerdings nur in bestimmten Fällen und nach sorgfältigem Abwiegen der zugrunde liegenden Interessen. Schlossen solche Diskussionen wissenschaftliche Grundüberlegungen mit ein, so handelte es sich bei der wissenschaftlichen Aufgabenstellung, die Zipfel angesprochen hatte, dennoch um ein weiteres Feld. Denn wie schon in den Jahren zuvor sollte der archivarische Einfluss auf die Wissenschaftslandschaft gesichert, idealiter noch weiter ausgebaut werden. Dafür bot es sich an, die in Frankreich eingesetzten Archivare weiteren Institutionen anzugliedern oder zumindest bei deren Etablierung mitzuwirken. cc) Kulturpolitische Ambitionen – das Deutsche Institut in Paris Neben den Bemühungen Zipfels und der Archivverwaltung, Anschluss an die etablierten wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Institutionen im Reich zu finden, ergab sich in manchen besetzten Gebieten, allen voran in Frankreich, eine weitere Möglichkeit potentieller Beteiligung und damit Erhöhung der eigenen Sichtbarkeit und Bedeutung. Die deutsche Kulturpolitik im Land des „Erbfeindes“ bot hierfür ein weites Feld, zumal dieses Land „den Westen“ repräsentierte, den es „kulturell zu überwinden, ja zu besiegen galt“.113 Diesbezüglich darf aber nicht der Eindruck entstehen, deutsche Wissenschaftler seien im Zuge einer solchen Kulturpolitik plump in Frankreich eingefallen, um ihre vermeintliche Überlegenheit zu demonstrieren. Wenngleich letzteres zwar oft eigentlicher Hintergedanke war, wurde doch in vielerlei Hinsicht eine differenzierte Politik betrieben, die auf die zumindest scheinbare Berücksichtigung französischer Interessen abzielte. Orchestriert wurde dieses Vorgehen überwiegend von der seit 1933 so benannten Kulturpolitischen Abteilung des AA; aus der vormaligen Kulturabteilung waren die Arbeitsgebiete Nachrichtenwesen, Aufklärung, Kunst und Film ausgegliedert und in den Verantwortungsbereich des Propagandaministeriums übergeben worden. Polykratische Strukturen ergaben sich auch im kulturpolitischen Bereich, in welchem beispielsweise die Auslandsorganisation der NSDAP und weitere Parteigliederungen mitwirkten. Die auswärtige Kulturarbeit knüpfte an Vorarbeiten und Entwicklungen aus der Weimarer Republik an, indem die wissenschaftlichen Reichsinstitute im Ausland beibehalten und weiterhin wissenschaftlicher Austausch gefördert wurde. Die auswärtige Kulturpolitik zielte auf langfristige 113 Schöttler: Bemerkungen, S. 16 f. Einschlägige kulturpolitische Formulierungen Hitlers sind bspw. vom Parteitag der Arbeit 1937 überliefert, vgl. Hitler: Parteitag, S. 26–49; vgl. auch die konzeptionellen Anmerkungen des Kulturfunktionärs und ersten Präsidenten der Reichsschrifttumskammer in Blunck: Kulturpolitik.

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Erfolge ab, wollte vor allem „das Ansehen und den Einfluß der eigenen Nation fördern“ und damit „eine Art Infrastruktur der Außenpolitik“ schaffen.114 Bereits zu Beginn der Westoffensive war der Frankreichexperte Otto Abetz – nach einigen Jahren in der Dienststelle Ribbentrop mittlerweile im AA untergekommen115 – von Ribbentrop dazu aufgefordert worden, sich bereitzuhalten für eine ‚Mission‘ in Frankreich. Noch während der Kämpfe wurde eine Gruppe hochkarätiger, sich gegenseitig persönlich bekannter Frankreichkenner zusammengestellt, die seit geraumer Zeit in die Gestaltung der deutsch-französischen Beziehungen involviert waren und sofort nach Einnahme von Paris dort die Vertretung des AA aufbauen sollten. Neben Otto Abetz, dem künftigen deutschen Botschafter in Frankreich, waren dies Friedrich Grimm, Jurist und außenpolitischer Berater der Reichsregierung, Rudolf Schleier, ehemaliger Landesgruppenleiter Frankreich in der Auslandsorganisation der NSDAP, Friedrich Sieburg, Frankreich-Korrespondent der Frankfurter Zeitung, Karl Epting, bis kurz zuvor Leiter der DAAD-Zweigstelle in Paris, sowie der Legationssekretär Ernst Achenbach. Sieburg, zuvor bereits einige Zeit als Korrespondent in Paris stationiert, hatte sich dort einen Namen als scharfsinniger Beobachter und Kommentator der Geschehnisse wie auch der bilateralen Beziehungen gemacht und war zudem publizierend hervorgetreten. Nun sollte er im Auftrag des AA französische Nachrichten, Agenturmeldungen und Periodika sichten und auf mögliche Angriffspunkte deutscher Propaganda hin untersuchen. Außerdem war Sieburg in der ‚Gruppe Abetz‘ für kulturelle und geistige Fragen in weiteren Sinne zuständig, wurde schnell als eine der wichtigen deutschen Persönlichkeiten in Paris wahrgenommen, war sich aber keineswegs in allen Fragen einig mit Abetz. Nicht zuletzt deshalb war Sieburgs neuerliches Gastspiel in Paris nicht von allzu langer Dauer, zumal er für Abetz entbehrbar war – Frankreichexperten fanden sich in seinem Stab durchaus noch weitere.116 Abetz und seine Mitarbeiter mochten zwar frankophil sozialisiert worden sein, aber spätestens durch die Begleitumstände im besetzten Paris ließ sich eine Hinwendung zu den alles andere als frankophilen Zielen nationalsozialistischer Politik erkennen. Nicht nur durch die Beteiligung am Kunst- und Kulturgutraub, 114 Abelein: Kulturpolitik, S. 130 ff., 175; vgl. Gesche: Kultur, S. 74–78, 102–106; vgl. Dahm: Grundlagen. 115 Otto Abetz, *1903 und somit Angehöriger der Kriegsjugendgeneration, in Wandervogel und Bündischer Jugend aktiv, Studium in Karlsruhe, anschließend Tätigkeit als Kunsterzieher und Lehrer. Früh mit Frankreich in Kontakt gekommen, sodass in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bei Abetz ein janusköpfiges Frankreichbild entstand; er empfand ‚Fluch und Segen einer Nachbarschaft‘. Ab Beginn der 1930er Jahre Nähe zur NSDAP erkennbar; 1934 Frankreich-Referent bei der Reichsjugendführung, 1935 Wechsel in die Dienststelle Ribbentrop. Im gleichen Jahr Gründung der Deutsch-französischen Gesellschaft, die aktiv für die NS-Politik und deren Ziele warb. 1939 Ausweisung Abetz’ aus Frankreich infolge des Münchener Abkommens, das auch eine friedliche Frankreichpolitik unglaubhaft machte. Vgl. Ray: Annäherung, S. 26–37; vgl. Engel: Kulturpolitik, S. 110–118. 116 Vgl. Ray: Annäherung, S. 284–294; vgl. Engel: Kulturpolitik, S. 119–123; zu Sieburg vgl. Zimmermann: Sieburg; vgl. Krause: Sieburg, S. 157–172.

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sondern auch der dezidierte Einsatz für propagandistische Maßnahmen ließe sich für das anführen, was Roland Ray als „fast geräuschlose Integration in die Frankreichpolitik des ‚Dritten Reichs‘“ bezeichnete. Kathrin Engel hat zurecht ergänzt, dass die Beurteilung der Tätigkeit Abetz’ und seiner Mitarbeiter differenziert ausfallen muss und nicht simplifizierend mit einer Hinwendung zu nationalsozialistischer Kulturpropaganda erklärt werden kann; zumal durch ihre nachgewiesene Expertise und nicht zu leugnenden Sympathien durchaus Spielräume zu einer effektiveren Kulturpolitik gegeben waren.117 Deutsche Kulturpropaganda und -politik in Frankreich bedeutete zumindest langfristig die Errichtung kultureller Hegemonie in einem neu zu ordnenden Europa unter deutscher Herrschaft und war damit Teil der Expansions- und Besatzungspolitik. Selbst wenn sich in beiden Bereichen, der Kultur- wie auch der Besatzungspolitik, im Verlauf der deutschen Besatzung verschiedene Phasen ausmachen lassen, war dies doch primäres Ziel. Ersichtlich ist dies gerade daran, dass anfängliche Ziele im Laufe der Besatzung hintangestellt wurden oder ganz an Bedeutung verloren. Das kurzfristige Ziel, das französische Kulturleben aufrecht zu erhalten und einen bilateralen Austausch zu fördern, das ab 1942/43 längst nicht mehr so nachdrücklich verfolgt wurde wie noch 1940, belegt dies eindrücklich.118 Konkret sah Abetz die dringendste Aufgabe darin, ein institutionelles Zentrum für den geplanten deutsch-französischen Kultur- und Wissenschaftsaustausch und damit einhergehend die deutsche Kulturpropaganda zu schaffen. Das dafür 1940 in Paris eingerichtete Deutsche Institut (DI) wurde dem besetzten Frankreich als „Vertreter des deutschen Geistes“ sowie als Mittler zwischen den Kulturen vorgestellt und war nur eines – wenngleich das wichtigste – der Deutschen Wissenschaftlichen Institute (DWI), die in besetzten Ländern etabliert wurden. Wie die Besatzungsverwaltungen und die kulturpolitischen Absichten unterschieden sich auch die DWI und waren konzeptionell von den deutschen Zukunftsabsichten in und mit den jeweiligen Ländern abhängig. Vor allem in den Ländern, für die noch keine konkreten Pläne für die Zeit nach Kriegsende vorlagen, nahmen die DWI durch ihre Aufgabenstellung, die kulturpolitische ‚Missionierung‘ im deutschen Sinne, eine hervorgehobene Stellung ein.119 117 Abetz selbst wurde bereits von Zeitgenossen als ‚Doppelnatur‘ charakterisiert, die zwischen Parteiraison und persönlichen Sympathien schwankte. Vgl. Ray: Annäherung, S. 354, 376–381; vgl. Engel: Kulturpolitik, S. 125. Der Begriff der Kulturpropaganda vollzog einen Bedeutungswandel und meinte in den 1930er Jahren und vor allem im Zweiten Weltkrieg das, was zu Zeiten der Weimarer Republik als Kulturimperialismus bezeichnet worden war. Vgl. Düwell: Kulturpolitik, S. 35. 118 Andere kulturpolitische Belange erfuhren durch den Kriegsverlauf und durch die dem angepasste Besatzungspolitik jedoch eine Aufwertung, sodass eine simple Parallelität mit dem Kriegsgeschehen auch nicht gegeben war. Vgl. Betz: Selbstinszenierungen, S. 649; vgl. div. Beiträge in Pfeil (Hrsg.): Wissenschaftsbeziehungen. 119 Vgl. Engel: Kulturpolitik, S. 119–127; vgl. Michels: Institut, S. 55 ff., 96 f. Während des Zweiten Weltkriegs wurden 16 DWI in europäischen Hauptstädten eingerichtet; zusammen mit zugeordneten, aber autonomen Zweigstellen existierten 24 DWI. Im Generalgouvernement und den

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Als Leiter des DI Paris fungierte der promovierte und habilitierte Romanist Karl Epting, welcher der gleichen Generation wie Abetz angehörte und sich diesem seit einiger Zeit verbunden sah, deren Karrieren schon vor 1940 einige Schnittpunkte aufwiesen und der nun den Posten als Kulturreferent der Deutschen Botschaft in Frankreich übernommen hatte. Epting glaubte, sich „als Sprecher wechselnder Gruppen von Menschen fühlen zu dürfen“, denen auch er sich zugehörig fühlte, und „die ihrerseits wieder für einen gewissen Bruchteil der Generation, die zwischen 1900 und 1910 geboren ist stehen können.“ Diese seine und Abetz’ Kriegsjugendgeneration bezeichnete er hingegen als „Generation der Mitte – des Ausgleichs, der Vernunft, der Zurückhaltung, der Überlegung“.120 Die Angehörigen dieser Generation, allen voran Abetz, seien es gewesen, so Epting weiter, die sich im Frankreich des Zweiten Weltkriegs für eine Annäherung stark gemacht hätten, wohingegen sich die Vertreter älterer Generationen und hier vor allem die Berufsoffiziere gegen eine Verständigung mit dem ‚Erbfeind‘ ausgesprochen hätten.121 Die Erfolge des DI in den Anfangsjahren seines Bestehens, die zahlreichen Gastvorträge ausgewählter, das heißt der nationalsozialistischen Kulturideologie nahestehender deutscher Wissenschaftler und andere Veranstaltungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem Institut langfristiger Erfolg nicht beschert war; zu sehr war die anfängliche französische Kollaborationsbereitschaft abhängig und beeinflusst vom weiteren Kriegsverlauf. Spätestens die Landung der Alliierten in Nordafrika Ende 1942 und die Schlacht um Stalingrad 1942/43 machten die Kriegswende offensichtlich und ließen den Kollaborationswillen in Frankreich erlahmen.122 In das Vorfeld dieser Ereignisse fielen auch die Planungen, die deutschen Archivare institutionell in der deutschen Wissenschaftslandschaft in Frankreich zu etablieren, zumal die Archivgruppe in der Militärverwaltung personell stetig reduziert worden war. Umso mehr galt die Anstrengung Zipfels einer nachhaltigen Einbindung der Archivwissenschaft in die kulturellen und wissenschaftlichen Auslandsvertretungen. Vorausgegangen waren diesen Bemühungen die Pläne des Historikers Theodor Mayer, ein Deutsches Historisches Institut (DHI) in Paris und unter seiner Leitung zu gründen.

Reichskommissariaten Ostland und Ukraine wurden keine DWI eingerichtet, da diesen Gebieten samt ihrer Bevölkerung – und den dorthin deportierten Bevölkerungsteilen – keine Kulturleistung zugeschrieben, kulturelle Entfaltung vielmehr unterdrückt wurde. Vgl. Hausmann: Musen, S. 13–17; vgl. Michels: Kulturinstitute. 120 Epting: Generation, S. 3. 121 Vgl. ebd., S. 221. 122 Vgl. Hausmann: Musen, S. 126 f. Zuvor hatte bereits im Juni 1942 der amerikanische Sieg zur See vor den Midway-Inseln die Wende im Pazifikkrieg herbeigeführt; ein Jahr später war das Deutsche Reich auch auf dem Pazifik geschlagen, sodass sich das ‚Kriegsglück‘ zu dieser Zeit tatsächlich komplett gewandt hatte. Vgl. Kershaw: Höllensturz, S. 481 f.

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Mayers bereits 1941 einsetzende Bemühungen lassen sich im Kontext des ‚Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften‘ verorten, auch wenn sie unter den neuen Bedingungen frühere Planungen wieder aufnahmen, die der damalige Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Paul Fridolin Kehr, bereits 1902/03 begonnen hatte.123 In Paris wollte Mayer nun einen „handlungsfähigen Außenposten der deutschen Geschichtswissenschaft“ etablieren, da er als eine der wichtigsten Aufgaben „der deutschen Wissenschaft im allgemeinen, der Geschichtswissenschaft im besonderen“ ansah, nach Kriegsende „eine der politischen Stellung entsprechende Führerfunktion im europäischen Raum“ einzunehmen. Denn dann erst werde „der entscheidende, geistige Kampf um die Gestaltung des allgemeinen europäischen Geschichtsbildes ausgetragen“.124 Zipfel jedoch, der seit 1941 an Plänen für die Institutionalisierung der Pariser Archivgruppe gearbeitet hatte, stand Mayers Ideen im Wege. Die genauen Verwicklungen, die sich bei diesen letztlich nicht realisierten Institutsgründungen ergaben, sollen hier nicht weiter ausgeführt werden, doch lassen auch diese deutlich erkennen, welch komplexe Mechanismen innerhalb der Besatzungsverwaltung und den Ministerien sowie anderen Institutionen im Reich auf kultur- und wissenschaftspolitischer Ebene vorherrschten. Allerdings spielten auch finanzielle Erwägungen eine gewichtige Rolle, da keine Institution sich weitere Ausgaben aufbürden wollte, wenn ihr nicht stetiger Einfluss zugesichert wurde.125 Ergebnis für die Pariser Archivkommission war, dass deren Leiter Georg Schnath in das DI integriert werden sollte.126 Spätestens jetzt, da der Präzedenzfall einer dauerhaft etablierten, eigenständigen Institutionalisierung der Archivgruppen nicht realisiert worden war, sah sich Zipfel gezwungen, die Stellung der Archivare abzusichern und deren Bedeutung für die Wissenschaft und damit andere Institutionen hervorzuheben. Interessanter als die tatsächliche, formale Integration Schnaths in das DI ist in vorliegendem Falle das Vorgehen und die Argumentation vor allem Zipfels und Schnaths im Vorfeld der Eingliederung und auch noch nach deren Vollzug die weitere Zukunftsplanung. Zipfel übersandte Schnath im September 1941 den von einem Wiener Archivar vorgelegten Planungsentwurf für ein deutsches Geschichtsinstitut in Frankeich. Darin wurde mit der einzigartigen Expertise der Archivare geworben, die diese durch ihre Arbeit in den besetzten Gebieten erarbeitet hätten. Wenn „die Vormacht des Reiches in Europa“ nicht nur eine politische Vormacht werden würde, sondern auch „kulturelle und geistige Leistungen 123

Zum Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften, der Aktion Ritterbusch, siehe Kap. D. XI. 3. b). Denkschrift Theodor Mayers über die Errichtung eines deutschen historischen Instituts in Paris, 10. Februar 1941, zit. nach Pfeil: Vorgeschichte, S. 260 f. 125 Für eine genaue Schilderung der Pläne Mayers und den entstehenden Konflikten vgl. ebd.; vgl. Grau: Planungen. 126 Die Archivabteilung beim DI Paris war unter den DWI einzigartig, obwohl es (nicht realisierte) Pläne gegeben hatte, solche Abteilungen bei weiteren DWI einzurichten. Vgl. Michels: Institut, S. 96 f. 124

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[. . . ] das Gefüge der neuen Weltstellung zusammenschließen“, müssten auch die Archivare bereit sein, eine angemessene Stellung einzunehmen. Dafür sollte man in Paris „einen ständigen Stützpunkt zur Verfügung zu haben, der es dem Einzelnen ermöglicht, ohne mühselige Vorarbeiten an den Arbeitsstoff zu gelangen.“ Ein solcher Stützpunkt wiederum sei fast schon unabdingbare Voraussetzung für größere Forschungskontexte. Diese Argumentation war somit aus Sicht der Archivverwaltung in sich schlüssig. Diese hob die Potentiale eigener wissenschaftlicher Betätigung hervor, die sich auch aus den Arbeiten der Archivkommissionen ergeben hatte und machte sie zur Grundlage der „Stützpunkte“, die für jene Forschungen erforderlich seien. Außerdem habe die Pariser Kommission mit den Inventarisierungsarbeiten bereits große Fortschritte bei der Erstellung zentraler Hilfsmittel gemacht. Der Verfasser dieser Ausführungen, der am Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv tätige Oskar von Mitis, kam zu dem seiner Ansicht nach einzig möglichen Schluss, dass „die gegenwärtige Deutsche Achivkommission [. . . ] durch die Verhältnisse dazu berufen [sei], in ein Deutsches Geschichtsinstitut für Frankreich umgestaltet zu werden“.127 Wohl auch vor dem Hintergrund der allmählichen personellen Verkleinerung der Pariser Archivgruppe hielt Zipfel im August 1942 Schnath gegenüber fest, dass dringend „eine Möglichkeit gefunden werden [müsse], die eingehenden Kenntnisse, welche die eingesetzten Archivbeamten sich von den fremden Archiven erworben haben, für die Zeit nach dem Kriege nutzbar zu machen“, und dies geschehe doch am besten dadurch, „daß je ein Archivar in den betreffenden fremden Hauptstädten bleibt, um einerseits die Inventarisationsarbeiten zu Ende zu führen, andererseits neue wissenschaftliche Aufgaben zu erfüllen“.128 Die Rahmenbedingungen hatten sich geändert, seit Sommer 1942 war keine Rede mehr von der Umwandlung der Archivkommission in ein Institut, lediglich die Beibehaltung mindestens eines Vertreters der Archivwissenschaft wurde angepeilt. Dennoch war Zipfel nun konkret geworden, was die künftige Aufgabenstellung anbelangte. Die an den deutschen wissenschaftlichen Instituten im Ausland einzusetzenden Archivare sollten eine ganze Fülle von Aufgaben wahrnehmen: Neben der Beratung der Institute „in allen archivfachlichen Fragen“ sollten sie auch die Anträge deutscher Benutzer und Dienststellen prüfen und diese beraten und unterstützen, die Beziehungen zu den jeweiligen „fremden“ Archivwesen aufrecht erhalten sowie „im geisteswissenschaftlichen Sektor der wissenschaftlichen Abteilung der Institute“ durch eigene Forschungen hervortreten und zu guter Letzt die „Verbindung zum Archivschutz der deutschen Militärverwaltung“ halten.129 127 Planungsentwurf eines Geschichtsinstituts (Oskar von Mitis, 15. August 1941), in: Zipfel an Schnath, 1. September 1941, BArch RW 35/397. 128 Zipfel an Schnath, 6. August 1942, BArch RW 35/387. 129 Zipfel an Schnath, 2. Oktober 1942, BArch RW 35/387.

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Schnath bestätigte diese Bedeutung der geleisteten Vorarbeiten, erkannte aber auch den Vorteil einer partiellen Eingliederung in das DI: „Mit Anbahnung einer dauernden Interessenvertretung in Paris ist die Archivverwaltung erfreulicherweise wieder einmal als erste am Platze, vor den Historikern, Kunstmännern und Bibliothekaren“, und, vor allem, „da wir als erste zur Stelle sind, gilt es, den Vorsprung auszunutzen und möglichst viel Boden zu gewinnen“.130 Ein wichtiger Grund für diese Pläne war, dass die Archivare aus ihrer zuarbeitenden Rolle als „Hilfskräfte“ der Geschichtswissenschaft heraustreten und ihre eigene Bedeutung stärken wollten. Diese Einschätzung ihrer selbst und die Bemühungen, aus diesem Korsett auszubrechen, hatten nicht zur Folge, dass beispielsweise die Pariser Archivare ihre Dienstpflichten hinsichtlich der Unterstützung von Forschern in den Archiven vernachlässigten. Ganz im Gegenteil band diese Arbeit nicht unwesentliche Kapazitäten. Denn die Archivkommission hatte sich aufgrund ihrer Stellung und Fähigkeiten „nach Kräften dafür eingesetzt, die Institute des Aufsichtsbereichs unmittelbar für die Zwecke und Bedürfnisse der deutschen wissenschaftlichen Forschung zu erschliessen.“ Schon im Zeitraum von August 1940 bis Mai 1942 waren „in rund 200 Fällen Benutzungen und Auskünfte erteilt worden“, wobei die Bandbreite „von grossen reichswichtigen Forschungsvorhaben bis zu privaten sippen- und familiengeschichtlichen Anfragen“ reichte.131 Diese Arbeiten lieferten Zipfel Argumente für die projektierte Etablierung der Archivare in einzurichtenden Instituten, denn sie hätten neben ihren eigentlichen Aufgaben auch gezeigt, welche Beiträge zu leisten sie imstande seien „für mannigfaltige deutsche Interessen auf politischem und wissenschaftlichem Gebiet“.132 Das bestätigte ihnen auch Werner Best, der dem Präsidenten des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland, seit Ende 1941 Karl Richard Ganzer als Nachfolger Walter Franks, seine Einschätzung der Archivkommission und deren Arbeiten darlegte. Zusammenfassend könne gesagt werden, so Best, „dass die deutschen Archivare und Historiker [. . . ] die einmalige Gelegenheit der kriegerischen Besetzung von Paris und grossen Teilen Frankreichs weitgehend ausgenutzt haben“.133 Zu den „Sonderaufgaben“, die zu den „Daueraufgaben“ Archivschutz, Inventarisation et cetera hinzu kamen, gehörte auch Auftragsforschung für Einrichtungen wie eben das Reichsinstitut, für das Anfang 1942 die „Geschichte des Separatismus im Rheinland und in der Pfalz während der Beset130 Schnath an Zipfel, 2. November 1942, BArch RW 35/387. Zu den finanziellen Erwägungen vgl. das Protokoll einer Sitzung Zipfels mit Rohr und dem Sachbearbeiter des AA, Legationsrat Schäfer-Rümelin, vom 19. Januar 1943, BArch RW 35/387. 131 Schnath an Zipfel, 26. Mai 1942, BArch RW 35/399. 132 Zipfel an Schnath, 9. Juni 1942, BArch RW 35/400. 133 Best an Ganzer, 15. Januar 1942, BArch RW 35/385; zu Ganzer vgl. Klee: Personenlexikon, S. 174.

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zungszeit 1918–1930“ abgeschlossen worden war, die „Geschichte der Judenfrage in Frankreich“ sich aber noch in Bearbeitung befand.134 Solche Arbeiten sollten weiterhin zum festen Bestandteil der abzuordnenden Archivare gehören. Keineswegs wollte Zipfel deren Aufgaben „auf eine bloße technische Beratung“ beschränkt sehen, vielmehr müssten diese offiziell „als selbständige Wissenschaftler mit eigenem Aufgabenkreis“ angesehen werden.135 In mancherlei Hinsicht wurde ersichtlich, dass die Sache wichtiger erschien als die grundsätzliche Form der Realisierung. Dies bestätigt, worauf es Zipfel und auch Schnath ankam: Die Sicherung der Stellung der Archivare und der Archivwissenschaft in der Wissenschaftslandschaft, wie sie für die Zeit nach dem Krieg etabliert und ausgebaut werden sollte. Konkrete Bezüge auf ihren Beitrag zur nationalsozialistischen Kulturpolitik im besetzten Frankreich finden sich in ihren diesbezüglichen Äußerungen und Argumenten selten, stattdessen wurde mit geleisteten Arbeiten ähnlich geworben wie mit dem Potential, das sich für weitere Forschungseinrichtungen aus Kooperationen mit der Archivwissenschaft ergeben könnte. Dass Pläne für eine institutionalisierte Etablierung von Historikern und Archivaren in Frankreich nicht allein von der Archivverwaltung entwickelt wurden, sondern unter anderem auch von Theodor Mayer, war der tatsächlichen Realisierung gewiss hinderlich. Allerdings ergaben sich gerade für die Archivare auch Vorteile. Denn durch die von verschiedenen Seiten hervorgebrachten Forderungen wurden die potentiell betroffenen Ministerien, das AA sowie die Militärverwaltung und damit Best auf diese Anliegen aufmerksam und mussten sich mit deren Realisierungsmöglichkeiten auseinandersetzen; und dies vermutlich intensiver, als wenn lediglich Zipfel für die Einbindung eines Archivars in das DI, ein zu gründendes DHI oder eine eigene Institution geworben hätte. Die zentralen Streitfragen konnten zudem weitgehend geklärt werden, sodass es vor allem der hierfür ungünstige Kriegsverlauf war, der die Pläne letztendlich scheitern ließ. dd) Leben und arbeiten während der Besatzung So wie die deutsche Kultur- und allgemein die Besatzungspolitik in Frankreich von Beginn bis Ende der Besatzung keineswegs in einheitlichen Bahnen verlief, waren auch die Lebensumstände der in Frankreich eingesetzten Archivare verschiedentlichen Veränderungen unterworfen. Am deutlichsten lassen sich die unterschiedlichen Rahmenbedingungen im Alltagsleben am Kriegsverlauf und 134 Archivgruppe Paris, betr. Personal der Abteilung Verwaltung beim Verwaltungsstabe, 20. Januar 1942, BArch RW 35/385. 135 Protokoll einer Sitzung Zipfels mit Rohr und dem Sachbearbeiter des AA, Legationsrat Schäfer-Rümelin, vom 19. Januar 1943, BArch RW 35/387.

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damit einhergehend dem abnehmenden französischen Kollaborationswillen beziehungsweise dem erstarkenden Widerstand erkennen.136 Dass ihre Betätigungen in Kriegszeiten und in einem besetzten Land stattfanden, war den Archivaren von Beginn an in aller Deutlichkeit bewusst geworden. Gewiss, als sie im August 1940 in Paris eingetroffen waren, erlebten sie die Weltstadt als ‚Schlaraffenland‘ mit paradiesischen Zuständen, zumal sie aufgrund des Zwangswechselkurses zu niedrigen Preisen auf ein umfangreiches Warenangebot zugreifen konnten und wie andere Teile der Besatzungsverwaltung nicht in Kasernen, sondern in requirierten Hotels untergebracht worden waren. So mancher Angehörige der Besatzungsverwaltung fühlte sich in der ersten Zeit in Paris wie der sprichwörtliche Gott in Frankreich, doch musste er auch die bald einsetzende Knappheit an Versorgungsgütern, die Rationierung und den Hunger der einheimischen Bevölkerung zur Kenntnis nehmen.137 Schnath hatte allmählich bemerkt, wie sich die Haltung der Bevölkerung den Besatzern gegenüber verschlechterte, obwohl sich für ihn das Leben in Paris „normalisiert[e]“. Nicht nur, dass sich vor immer mehr Geschäften „Riesenschlangen“ gebildet hatten, sondern „aus den Reihen der stundenlang anstehenden Frauen traf uns, von mir zum erstenmal bemerkt, mancher haßerfüllte Blick“.138 Noch vor den Ende 1941 einsetzenden Deportationen von Juden und des Widerstands verdächtiger Personen sowie der Restrukturierung des deutschen Sicherheitsapparates in Frankreich 1942 sorgten sich die Archivare um ihre Sicherheit und waren sich den zunehmenden Gefahren in der besetzten Stadt bewusst. Schnath notierte im August 1941 in seinem Tagebuch, dass er seine Pistole habe überholen lassen, weil es durchaus sein könne, dass er sie einmal brauche, „da die Lage in Paris recht gespannt ist. Es ist zu kommunistisch-jüdischen Demonstrationen, Eisenbahnanschlägen und der Ermordung eines Marinebeamten auf einem Metrobahnhof gekommen“.139 Schnath nahm die vermehrt als bedrohlich wahrgenommene Situation reflektiert zur Kenntnis und hielt fest, dass „die überhaupt nicht abreißende Attentatswelle“ vermutlich auf das Konto einer „Terrororganisation“ gehe, „der man mit keinem Mittel beikommen kann“. Auch wenn die Militärs nach Blut schreien würden, sollte man diese Attentate möglichst 136 Auf die verschiedenen Phasen der Kollaboration und die diese maßgeblich beeinflussenden politischen Maßnahmen (Deportationen, Zwangsverpflichtungen franz. Arbeitskräfte) und Kriegsereignisse (alliierte Landung in der Normandie 1942, Schlacht um Stalingrad 1942/43) kann an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Festzuhalten ist aber der durchaus starke Kollaborationswillen nach der Niederlage im Sommer 1940 gerade bei der französischen Rechten, die hierin die Chance für eine ‚nationale Wiedergeburt‘ gekommen sah. Vgl. Kershaw: Höllensturz, S. 541 f.; vgl. Hirschfeld: Kollaboration; vgl. Zielinski: Kollaborationspolitik; vgl. Michels: Stimmung. 137 Vgl. Stein: Schnath, S. 176 ff. 138 Tagebucheintrag Schnaths vom 14. September 1940, zit. nach ebd., S. 177. 139 Tagebucheintrag Schnaths vom 26. August 1941, zit. nach ebd., S. 178; zu dem von Schnath erwähnten Attentat vgl. Delacor: Attentate, S. 20 f.

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„bagatellisieren und sich klar machen, daß sie im Grund eine normale Reaktion eines geschlagenen und besetzten Landes darstellen (Ruhrkampf!), zumal die wachsende Not und unübersehbare Dauer des Krieges immer größere Unzufriedenheit erzeugt“.140

Das Erstarken des französischen Widerstands stand in ursächlichem Zusammenhang mit den deutschen Reaktionen auf jene Attentate. Die Maßnahmen weiteten sich zur „Geiselkrise“ aus, als drei inhaftierte Franzosen zur „Sühne“ hingerichtet wurden. Diese „Sühnemaßnahmen“ waren bezeichnend für die erste Phase der deutschen Besatzung, die ungefähr bis Sommer 1942 andauerte, als in der zweiten Phase die Deportationen der Juden in den Osten stattfanden. Die letzte, im Frühjahr 1943 beginnende Besatzungsphase war geprägt von „Bandenbekämpfung“, die nicht selten in regelrechten Menschenjagden endete.141 Die Phasen der Besatzungsherrschaft lassen sich nicht mit der Entwicklung der Archivkommission gleichsetzen. Bereits nach wenigen Monaten der Besatzung war die Pariser Archivkommission personell reduziert worden; seit Herbst 1941 hatte es die ersten Abkommandierungen gegeben, und Schnath musste sich vehement dafür einsetzen, dass seine Gruppe nicht schon 1942 aufgelöst wurde. Denn gerade die wissenschaftlichen Aufgaben seien bereits „dem Abschluss so nahegekommen, dass ihr Abbruch grösste Nachteile mit sich bringt, die unter Umständen noch nach Jahrzehnten in Unvollkommenheiten oder Lücken der Arbeit zur Geltung kommen werden.“ Schnath schlug deswegen Anfang 1942 vor, „angesichts der unausweislichen Notwendigkeit, Kräfte – insbesondere der jüngeren Jahrgänge – beschleunigt für die Truppe freizumachen“, zunächst nur die jüngeren der verbliebenen Mitglieder noch in diesem Frühjahr zu entlassen und nannte neben Clemens August Hoberg als Vertreter des Reichsinstituts die Assessoren Schieffer und Diezel der Jahrgänge 1910 und 1911. Über die dann noch weniger als fünf verbliebenen Mitglieder der Archivgruppe sei zu entscheiden, „sobald die neuen Richtlinien des OKH für die Personalverminderung und die Freisetzung von Kräften für die Truppe zur Durchführung kommen“.142 Das bedeutete, dass die verbliebenen Mitglieder manche Aufgaben delegieren mussten beziehungsweise nur beratend zur Seite stehen, aber nicht mehr aktiv mitwirken konnten. Flüchtungen von Archivalien aus der durch zunehmende Luftangriffe der Alliierten gefährdeten Küstenzone setzten bereits im Winter 1941/42 ein, als die Gruppe schon zu dezimiert war, um hierbei tatkräftige Hilfe leisten zu können. Die konkrete Arbeit wurde deshalb vom französischen Verwaltungsapparat übernommen, die deutschen Archivare konnten allenfalls anre140

Tagebucheintrag Schnaths vom 5. Dezember 1940, zit. nach Stein: Schnath, S. 178. Vgl. Lieb: Kriegführung, S. 21 ff. vgl. Brunner: Frankreich-Komplex, S. 45–76. Durch Wilhelm Keitel war am 16. September 1941 im Geisel-Sühne-Befehl für Serbien festgelegt worden, dass für einen toten deutschen Soldaten 30 bis 100 Kommunisten hingerichtet werden sollten. Vgl. Klee: Personenlexikon, S. 303. 142 Archivgruppe Paris, betr. Personal der Abteilung Verwaltung beim Verwaltungsstabe, 20. Januar 1942, BArch RW 35/385. 141

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gen, unterstützen und steuern. Dabei gestaltete sich die Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen gerade in konkreten Archivschutzangelegenheiten offensichtlich reibungslos. Auffällig ist, wie merkwürdig blass die Beziehungen zwischen deutschen und französischen Archivaren in den zur Verfügung stehenden Akten bleiben. Hinweise auf nähere, über die professionelle Zusammenarbeit hinausgehende Kontakte finden sich ebenso wenig wie Indizien, die auf größere Probleme verweisen. Stattdessen schien ein Modus Vivendi gefunden worden zu sein, der das deutschfranzösische Nebeneinander, wo erforderlich, ermöglichte, wenngleich mit deutscher Weisungsbefugnis. Wissenschaftlicher Austausch schien in nennenswertem Umfang nicht zustande gekommen zu sein. Noch 1944 hielt Schnath fest, dass sich „eine Fühlungnahme mit französischen Historikern [. . . ] bisher nicht ergeben“ habe und eine solche auch „nicht erwünscht [sei], solange ich hauptamtlich Vertreter der militärischen Besatzungsmacht bin“.143 Obwohl er sich hier auf Historiker und nicht nur die unmittelbaren Berufskollegen bezog, erscheint jene Separation bezeichnend für die Situation der deutschen Archivkommission. Allerdings dominierten in weiten Teilen der französischen Verwaltung Verhaltensmuster, welche die Arbeit der Besatzungsmacht erleichterten und aus heutiger Sicht mitunter nicht allzu leicht nachvollziehbar sind, zumal sie im Zusammenhang mit der anfangs hohen Kollaborationswilligkeit gesehen werden müssen. Im Sommer 1942 hielt ein Bericht des Verwaltungsstabes beim MBF fest, dass „der Gesamteindruck von den Exponenten der französischen Verwaltung gut [sei], insbesondere soweit es sich um die Bereitwilligkeit zum Eingehen auf deutsche Wünsche handelt.“ Die Zusammenarbeit gestalte sich „einwandfrei“, und „der collaborationswillige Geist der französischen Regierung“, hieß es in diesem Bericht weiter, setze sich „mehr und mehr auch in der Beamtenschaft durch“, wobei „einzelne Ausnahmen“ den Gesamteindruck nicht trüben dürften.144 Als sich die französische Haltung infolge der alliierten Landung in Nordafrika ab dem 8. November 1942 gegen die deutschen Besatzer zu wenden schien, machte die Militärverwaltung auf ein Phänomen aufmerksam, mit dem sie selbst nicht gerechnet hatte: Die Annahme, die französische Verwaltung werde nun in ihrer Bereitschaft zur Kooperation beeinträchtigt sein, hatte sich nicht bewahrheitet, es war zu keinerlei offiziellen Klagen gekommen. Vielmehr habe sich „die höhere Beamtenschaft [. . . ] auch weiterhin zur Zusammenarbeit bereit gezeigt.“ Eine gewisse Rolle schienen dabei natürlich die höheren französischen Verwaltungsinstanzen zu spielen; ein Regionalpräfekt habe „nach dem 8.11. seine Beamten zusammengerufen und ihnen erklärt, daß er jeden Beamten rücksichtslos entlasse, der auch nur den Versuch mache, die deutsch-franz. Zusammenarbeit zu stören“. Im Verwaltungsstab verschloss man dennoch nicht die Augen vor den 143 144

Schnath an Zipfel, 24. Februar 1944, BArch RW 35/387. Lagebericht des Verwaltungsstabes, Juni – September 1942, BArch RW 35/287.

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offensichtlichen Tatsachen. Die ablehnende öffentliche Meinung wurde ebenso registriert wie die „zweifelhafte innere Haltung“ der mittleren und unteren Beamtenschaft, „die – schlecht bezahlt und arbeitsbelastet – dem alten Regime zuneigt und der deutsch-franz. Zusammenarbeit abhold ist“. Umso größer war entsprechend die „Belastungsprobe“ der höheren Beamtenschaft, wodurch deren vergleichsweise positive Einstellung von den Besatzern umso höher bewertet wurde.145 Der Generaldirektor der französischen Staatsarchive beispielsweise hatte, wie Schnath festhielt, die Initiative der Archivgruppe in Sachen Luftschutz begrüßt und sogar darum gebeten, „auch in den nördlichen Küstendepartements im Zusammenwirken mit der Gruppe Archivschutz in Brüssel die nötigen Schutzmassnahmen zu treffen“, bevor er „versicherte, dass er zur Pflege der bisherigen guten Beziehungen und zu jeder Förderung unserer eigenen Arbeiten gerne bereit sei“.146 Wenn im Abschlussbericht der Archivgruppe in Paris später resümiert wurde, die französische Archivverwaltung sei unter ihren Generaldirektoren Pierre Caron (bis 1941) und dessen Nachfolger Charles Samaran „allen Anordnungen und Anforderungen der deutschen Aufsichtsbehörde willig nachgekommen“, bedeutet das nicht zwangsläufig eine durchweg freundschaftliche Beziehung und Konsens in allen fachlichen Belangen.147 In anderen Bereichen des französischen wissenschaftlichen und kulturellen Lebens, in welche die Besatzer nicht so stark eingriffen wie in die Verwaltung, war mit einigen Einschränkungen mitunter eine hohe Kontinuität gewährleistet. „Weder Hinderung noch Förderung“ war die politische Leitlinie bezüglich der französischen Hochschulen, in deren Angelegenheiten zwar eingegriffen wurde, wenn es beispielsweise um wichtige Personalfragen, Rektoratsstellen et cetera ging, doch blieb die Gestaltung des Hochschulwesens weitestgehend in französischen Händen. Die Pariser Universität verfolgte, wie Lutz Raphael herausgearbeitet hat, „bei aller Anpassung [. . . ] gleichzeitig eine Strategie kalkulierter Distanzierung“ gegenüber der Besatzungsmacht.148 Im konkreten vorliegenden Fall muss zudem berücksichtigt werden, dass die der Militärverwaltung angehörenden Archivare als Kriegsverwaltungsräte der Besatzungsmacht die nötige Autorität hatten, um Kooperationen zu erzwingen und Druck auszuüben. Wenn solche Maßnahmen in Fragen des durch die Landkriegsordnung legitimierten und durch alliierte Luftangriffe akut gewordenen Archivschutzes nicht nötig gewesen waren, lag dies sicherlich auch daran, dass 145 Lagebericht des Verwaltungsstabes, Oktober – Dezember 1942, BArch RW 35/287; vgl. Michels: Stimmung. 146 Notiz über die Besprechung mit dem Generaldirektor der französischen Staatsarchive, Charles Samaran, 25. Juli 1941, BArch RW 35/384. 147 Schlussbericht über die Einsatzergebnisse der Gruppe Archivwesen in der Militärverwaltung Frankreich 1940–1944, BArch RW 35/343; abgedruckt bei Roth: Abschlußbericht, S. 93–111; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 144 ff. 148 Raphael: Universität, S. 524; vgl. ders.: Kulturwissenschaften.

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hierfür durch die deutschen Archivare auf Infrastruktur zurückgegriffen werden konnte, die den französischen Archivaren nicht zur Verfügung stand. Nach weiteren Abgängen existierte die Archivgruppe in Paris mit einer Minimalbesetzung für zwei weitere Jahre – jedoch ohne sich um die 1942 neu besetzten Teile des Landes kümmern zu können –, bevor sie zum 1. April 1944 „im Zuge kriegsbedingter Abbaumassnahmen“ aufgelöst wurde. Die „reinen Archivschutzaufgaben“ übernahm ab diesem Zeitpunkt die Gruppe Kunstschutz in der Militärverwaltung, die sich die „fachliche Betreuung deutscher Archiv- und Benutzungsanliegen“ zu übernehmen nicht imstande sah.149 Im vertraulichen Schlussbericht wurden die nackten Zahlen der Inventarisation und der Fotokopieraktion angegeben und die eigenen Leistungen ähnlich hervorgehoben wie die Zusammenarbeit mit verschiedensten deutschen und auch französischen Einrichtungen; in Nebensätzen wurde zudem so manches ausgesprochen, was zuvor oft nur zwischen den Zeilen oder in privaten Korrespondenzen zu lesen war. Dass beispielsweise die „Ermittlung und Sicherstellung des nach Deutschland gehörigen oder Deutschland interessierenden Archivguts die wichtigste und eiligste“ Aufgabe der Gruppe gewesen sei, war bereits von Beginn an allen Beteiligten klargemacht worden. Im Abschlussbericht hieß es zudem in aller Deutlichkeit, die Aufgaben seien „getarnt durch die Inventarisation, [. . . ] ohne Wissen der Franzosen durchgeführt“ worden, „die sich bis zum heutigen Tage nicht darüber klar sind, ob und in welchem Umfang deutscherseits Archivforderungen erhoben werden sollen.“ Wenn die Archivgruppe an Raubaktionen nicht direkt beteiligt war und auch nicht selbst Archivalien beschlagnahmte und ins Reich überführte, da solchen Aktionen neben der Haager Landkriegsordnung auch „ausdrückliche Weisungen von höchster Stelle“ entgegenstanden, konnte sie wenn auch „verhältnismäßig wenig Archivgut – z.T. ausserhalb der Forderungsliste“ dem direkten Abtransport zuführen.150 Für die Auftragsforschung der Archivgruppe wurden als Initiatoren neben den Reichsinstituten für ältere deutsche Geschichtskunde sowie für die Geschichte des neuen Deutschland weitere Historische Kommissionen und Institute ebenso angeführt wie die Bayerische und die Preußische Akademie der Wissenschaften, das Ahnenerbe der SS, das Reichssippenamt, das Rasse- und Siedlungshauptamt, das Reichsfinanzministerium und das Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung. Und auch für Militärverwaltung habe sich die Archivkommission „mannigfach“ betätigt, obwohl die „stille und unauffällige Arbeit“ der Archivgruppe den Aufgaben der Militärverwaltung „scheinbar fern“ liege. Erst in späterer Zeit könne zur Geltung kommen, welch große Verdienste hier geleistet wurden, die „dann allerdings auch ein Ruhmesblatt der Wehrmacht bleiben, die diese Arbeit in ihre Fürsorge aufnahm“. Die Pariser Gruppe gestand sich in 149

Der Chef der Militärverwaltung in Frankreich: Aufhebung des Referats Archivwesen, 8. April 1944, BArch RW 35/385. 150 Schlussbericht der Gruppe Archivwesen, BArch RW 35/343.

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diesem Kontext ein, dass sie als zivile Abordnung im besetzten Frankreich „weder den Franzosen noch den Deutschen gegenüber“ die zur Durchführung der Aufgaben nötige Autorität besessen hatte.151 Der Bericht schloss mit der erneuten Betonung der eigenen Wichtigkeit nicht nur für künftige wissenschaftliche Zwecke, sondern eben auch für Verwaltung, Politik und deutsches Volk: „Beim Abschluss des Kriegseinsatzes deutscher Archivare in Frankreich können alle daran Beteiligten und Interessierten feststellen, dass hier in mustergültigem Zusammenwirken der militärischen Besatzungsstellen mit der heimischen Fachbehörde ein bedeutsames Stück deutsche Kulturarbeit im besetzten Gebiet geleistet worden ist. [. . . ] Die Ergebnisse dieses Einsatzes werden auf lange Sicht der Wissenschaft, Verwaltung und Politik und damit dem deutschen Volke zugute kommen“.152

All diese Bezeugungen und die differenzierte Angabe beeindruckender Zahlen – beinahe 500.000 angefertigte Kopien, ein über 3.000 Seiten umfassendes Manuskript des Inventars und eine gut 20.000 Einheiten umfassende Forderungsliste – diente sicherlich auch, aber eben nicht nur der nachträglichen Legitimierung der Archivgruppe oder dazu, sich ein Denkmal zu setzen, sondern sollte die Archivverwaltung für weitere Nachkriegsaufgaben in eine Position bringen, die ihrer Stimme in der Wissenschaftslandschaft Nachdruck verleihen würde.153 Wissenschaftlich wie auch politisch brisant waren diese Zahlen, weil sie – abgesehen von den Fotokopien – in die Zukunft verwiesen und keine bereits realisierten Zugewinne für deutsche Archive darstellten, sondern lediglich ‚Forderungen‘, für die fachliche Grundsätze gedehnt und Grenzen überschritten werden mussten. Ganz im Gegenteil zu den Niederlanden und Belgien, wo durch Archivalientausch bereits Fakten geschaffen worden waren. Dort war mittels eines Austauschs der Konflikt gelöst, der in Frankreich in umso stärkerem Maße bestand: der politische Auftrag der Archivkommission in Frankreich war unter Beachtung sämtlicher fachwissenschaftlicher Vorgaben nicht zu lösen, zumal man Tauschverhandlungen keine Chance eingeräumt hatte.154 Doch in Frankreich war von der Archivkommission nicht nur fachlich und auftragsgemäß gearbeitet worden; bereits in den ersten knapp zwei Jahren, bevor die Gruppe auf eine Minimalbesetzung reduziert worden war, hatten sich auch kollegiale und mitunter freundschaftliche Beziehungen entwickelt, die in der Folgezeit vor allem durch Schnath aufrecht erhalten wurden. Zu diesem Zweck und zur gemeinsamen Rückbesinnung gerade auf die ersten Monate im besetzten Paris, hatte dieser mit dem Pariser Archivbrief (P.A.B.) ein ‚Korrespondenznetzwerk‘ 151

Ebd. Schlussbericht der Gruppe Archivwesen, BArch RW 35/343. 153 Vgl. Stein: Kulturimperialismus, S. 111; vgl. Roth: Hilfstruppen, S. 7. Die genauen Zahlen lauteten: 483.393 angefertigte Fotokopien; das Inventar umfasste 2.406 maschinen- und 897 handschriftliche Seiten sowie 237 Karteikarten, die Forderungsliste beinhaltete 20.903 Einheiten. Schlussbericht der Gruppe Archivwesen, BArch RW 35/343. 154 Vgl. Stein: Inventarisierung, S. XLVI. 152

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aufgebaut, das er bis zur endgültigen Auflösung der Pariser Archivgruppe 1944 am Leben erhielt. Der P.A.B. war ein von Schnath bewusst geschaffenes Konstrukt mit ihm selbst im Zentrum, von dem Rundschreiben ausgingen, bei dem die Antworten eintrafen und von ihm wiederum aufbereitet und verteilt wurden. Da hierbei sämtliche auch ehemaligen Angehörigen der Pariser Archivkommission einbezogen wurden, entstand eine wesentlich flachere Hierarchie, als sie bei der unmittelbaren Zusammenarbeit möglich war. Weil Schnath aber unwiderlegbar den alleinigen Mittelpunkt bildete, entfielen die für ein Netzwerk essentiellen direkten Verbindungen der weiteren Teilnehmer untereinander. Das Ziel, trotz der voranschreitenden Auflösung der Archivkommission den Kontakt untereinander aufrechtzuerhalten, wurde weitgehend erreicht. Vereinzelte ‚Lücken‘ in den wechselseitigen Korrespondenzen ergaben sich weniger aus einem konzeptionellen Defizit des Netzwerks als vielmehr aus den erschwerten Rahmenbedingungen in Kriegszeiten.155

155 Eine dezidierte, netzwerkanalytischen Theorien und Prämissen folgende eingehende Untersuchung des P.A.B. schien sich beim ersten Kontakt mit den Rundschreiben im BundesarchivMilitärarchiv (BArch RW 35/388) geradezu aufzudrängen. Eine etwas detailliertere Auswertung der Korrespondenzen ergab für die in dieser Studie verfolgten Fragestellungen allerdings keinen erhöhten Erkenntnisgewinn. Dennoch bietet der P.A.B. für weiterführende Arbeiten mitunter die Möglichkeit, verschiedene netzwerkanalytische Methoden für ein Korrespondenznetzwerk innerhalb der Archivwissenschaft, aber eben unter sehr speziellen Bedingungen, zu erproben. Vgl. u.a. Wolf : Netzwerke; Hitzbleck: Verflochten; Stegbauer: Netzwerkanalyse; ders.: Freundschaft; Lindner: Vernetzungsprozesse; Neurath/Krempel: Netzwerkanalyse; Hollstein: Methoden; Lemercier: Methoden.

X. Osteinsatz II: Neue Herausforderungen und zwiespältige Erfolge im Ostkrieg, 1941–1945 1. Der Balkanfeldzug – deutsche Archivare in Südosteuropa Wenige Monate, nachdem deutsche Truppen in Paris einmarschiert waren und Frankreich zu wesentlichen Teilen besetzt hatten, entwickelte sich Süd- und Südosteuropa zu einem weiteren Schauplatz militärischer Konflikte.1 Das faschistische Italien unter Benito Mussolini verfolgte seit einigen Jahren imperiale Ziele, war seit Mai 1939 Deutschland durch den Stahlpakt verbunden und hatte die Politik des „non belligeranza“, der Nichtkriegführung, verfolgt. Zumindest bis zum erfolgreichen Westfeldzug, woraufhin Italien im Juni 1940 auf deutscher Seite in den Krieg gegen Frankreich und Großbritannien eintrat.2 Deutsche Soldaten standen zu dieser Zeit bereits in Rumänien, wo sie zwar den offiziellen Auftrag hatten, das rumänische Militär auszubilden, doch vor allem ein gemeinsames Vorgehen gegen die Sowjetunion vorbereiten sollten.3 Dies war ein klarer Verstoß gegen die Bestimmungen des geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, der erst im August 1939 unterzeichnet worden war. Darin hieß es, dass „in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert“ worden sei. Bezüglich Südosteuropas war dabei von sowjetischer Seite „das Interesse an Bessarabien betont“ worden, wohingegen die deutsche Seite „das völlige politische Desinteressement an diesen Gebieten“ erklärte.4 Moskau intervenierte daraufhin, und unter Berücksichtigung der Vertragsvereinbarungen kam es zu einer territorialen Neuordnung. Mehrere zehntausend Volksdeutsche aus Rumänien wurden im Zuge der „Heim-ins-Reich“-Politik um- und vor allem in Polen angesiedelt. Italien hingegen hatte schon im April 1939 Albanien besetzt und mit dem Imperio Facista vereinigt.5 Daraufhin erfolgte der italienische Angriff auf Griechenland, nachdem dieses im Oktober 1940 ein unannehmbares Ultimatum abgelehnt hatte. Der Vorstoß nach Südosten fügte sich ein in das imperiale und koloniale Expansionsstreben Italiens zur Sicherung des „Lebensraums im Süden“, Mussolinis Wunschvorstellung als Pendant zu Hitlers „Lebensraum im Osten“.6 Nicht gerechnet hatte Mus1 2 3 4 5 6

Vgl. Vogel: Balkan, S. 417. Vgl. Woller: Italien, S. 166–173; vgl. Schreiber: Mittelmeerraum, S. 4–85. Vgl. Vogel: Balkan, S. 418. Sweet/Lambert/Baumont (Hrsg.): A.D.A.P. D,7, S. 206 f. Vgl. Portmann: Südosteuropa, S. 576 f. Vgl. Woller: Mussolini, S. 130 ff.

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solini mit der so energischen wie erfolgreichen Gegenwehr der Griechen, die sowohl Teile Albaniens unter ihre Kontrolle bringen als auch erfolgreiche Gegenoffensiven starten konnten. Als Bulgarien aber dem Dreimächtepakt beitrat und deutsche Truppen auf seinem Territorium duldete, ermöglichte dies eine Intervention der Wehrmacht. Die Lage war nicht nur in Griechenland angespannt. Hitler hatte auf Jugoslawien zunehmend Druck ausgeübt, damit dieses dem Bündnis der Achsenmächten beitrete, was schließlich am 25. März 1941 geschah. Daraufhin putschten serbische Offiziere, die Jugoslawien auf Seiten der Alliierten sehen wollten. Diesen nicht zuletzt antideutschen Aufstand nahm Hitler zum Anlass für den Angriff; noch am selben Tag hatte er gezürnt, Jugoslawien müsse „als Feind betrachtet und daher so rasch als möglich zerschlagen werden“.7 Im Rahmen des Unternehmens Strafgericht begann die deutsche Luftwaffe daraufhin am 6. April 1941 ohne Kriegserklärung mit der massiven Bombardierung Belgrads. Wenig später kapitulierte sowohl Jugoslawien als auch Griechenland vor der deutschen Übermacht, die Italien auf dem Balkan zur Seite gesprungen war.8 Am 21. und 22. April wurde in Wien von den Siegermächten die territoriale Neuordnung Südosteuropas diskutiert und vorangetrieben, mit dem Ergebnis, dass Griechenland bis auf die Ausnahme weniger Gebiete Italien zufiel und Jugoslawien zerschlagen wurde. Jugoslawien, innerhalb kürzester Zeit in einem erneuten ‚Blitzkrieg‘ besiegt, wurde „in ein buntscheckiges Mosaik verschiedener Interessenzonen mit unterschiedlichem staatsrechtlichem Status“ aufgeteilt. Uneinheitlichkeit war somit das prägendste Merkmal der neuen Besatzungszonen und Hoheitsgebiete, sowohl räumlich als auch hinsichtlich der Verwaltung und Ausbeutungsabsichten.9 Was im Großen für das unter den Achsenmächte aufgeteilte Jugoslawien galt, ließ sich im Kleinen auch im unter deutscher Militärverwaltung stehenden Serbien erkennen. Die Besatzungsstruktur war in erster Linie auf die wirtschaftliche Ausbeutung ausgerichtet. Das brachte ein hartes Vorgehen gegen alle des Widerstands Verdächtigen mit sich und führte schon sehr früh, ab dem Sommer 1941, zur systematischen Vernichtung der Juden in Belgrad.10 Das deutscherseits verfolgte Ziel, die südöstlichen Flanken zu sichern, bevor der Krieg gegen die Sowjetunion begann, war erreicht worden, doch war das 7 Hubatsch (Hrsg.): Weisungen, S. 124; vgl. Manoschek: Besatzungspolitik, S. 21; vgl. Schlarp: Serbien, S. 412. 8 Vgl. Portmann: Südosteuropa, S. 578; vgl. Manoschek: Besatzungspolitik, S. 15–19; vgl. Sundhausen: Okkupation, S. 349 ff. vgl. Vogel: Balkan, S.442–484. 9 Wehler: Belgrad, S. 73; vgl. Olshausen: Balkan, S. 148; vgl. Calic: Jugoslawien, S. 137; vgl. Benz: Herrschaftsformen, S. 15 f. 10 Vgl. Portmann: Südosteuropa, S. 583 f. In Serbien war, im Gegensatz zu anderen Gebieten im (russischen) Osten, die Wehrmacht in höherem Maße an der Vernichtung der Juden und den Massakern an der Zivilbevölkerung beteiligt, da weniger Personal des SD zur Verfügung stand. Vgl. Manoschek: Besatzungspolitik, S. 55–186; vgl. ders.: Juden; vgl. Calic: Jugoslawien, S. 142–145, 157–166.

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Gebiet keineswegs einheitlich verwaltet, geschweige denn befriedet; weder in den deutschen noch in den italienischen, bulgarischen oder ungarischen Einflusszonen. Eine der Herausforderungen auf dem Balkan bestand im Umgang mit den politisch-nationalen Problemen, die in diesem Vielvölkergebiet historisch gewachsen waren. Die deshalb erforderlichen „Balkankenner“ rekrutierten sich vor allem aus den österreichischen Funktionseliten.11 Ein Umstand, der nicht nur auf die Besatzungsverwaltungen zutraf, sondern auch auf die archivarischen Abordnungen in den europäischen Südosten. Im August 1941 konnte Zipfel im Mitteilungsblatt der Archivverwaltung verkünden, dass auf seine „dem Herrn Reichsminister des Innern gemachten Vorschläge hin“ in den „ehemals jugoslawischen Gebieten, soweit sie unter deutscher Verwaltung stehen, folgende Archivbeamte zur Wahrnehmung der deutschen archivischen Interessen in Tätigkeit gesetzt worden“ waren: Archivassessor Karl Starzacher, Leiter des Reichsgauarchivs Klagenfurt, wurde „im Bereich des Chefs der Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten Kärntens und Krains“ eingesetzt12; Oberarchivrat Ignaz Nößlböck, Leiter des Reichsgauarchivs Graz „im Bereich des Chefs der Zivilverwaltung in Südsteiermark“; Archivassessor Robert Schwanke vom Reichsarchiv Wien „im Bereich des Militärbefehlshabers in Serbien, zu dessen Verwaltungsstab er als Kriegsverwaltungsassessor einberufen worden ist“.13 Die Leitung dieser Archivschutzmaßnahmen übernahm Zipfel, aber es waren die österreichischen Archivare, denen die Umsetzung der Aufgabenstellung oblag, und Ludwig Bittner fungierte als Mittelsmann Zipfels und informeller Leiter der Maßnahmen im Südosten. In seiner Denkschrift über die Leistungen des Archivschutzes für die Wissenschaft hatte Zipfel festgehalten, dass die serbischen Bestände „als Quellen zur Vorgeschichte und Geschichte des Weltkrieges von großem wissenschaftlichen Interesse“ seien. Die Auswertung sollte von Bittner am Reichsarchiv Wien „in Gemeinschaft mit anderen Gelehrten“ vorgenommen werden.14 Schwanke musste deshalb sowohl Archivalien altösterreichischer Provenienz suchen als auch serbische Archivalien, die er der deutschösterreichischen Kriegsschuldforschung zuführen sollte, wofür jene Akten zumindest „vorübergehend“ nach Wien gebracht wurden. Somit kamen Archivalien zurück in das Wiener Reichsarchiv, die nach dem Ersten Weltkrieg an Jugoslawien hatten abgegeben werden müssen. Die „Haupttrophäe“ stellten umfangreiche Bestände des serbischen Außenministeriums der Zeit von 1908 bis 1918 dar – 11

Vgl. Manoschek: Besatzungspolitik, S. 21. Ab 1943 war Starzacher in der Operationszone Adriatisches Küstengebiet eingesetzt worden, wo er 1945 von italienischen Partisanen erschossen wurde. Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 230. 13 Mitteilungsblatt 1941 Nr. 5 vom 10. August 1941; auch in BArch R 1506/1027. 14 Denkschrift Zipfels über die Leistungen des Archivschutzes für die Wissenschaft, 1941, BArch RW 35/398. 12

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beinahe 300 Kisten Archivgut. Diese sollten sogleich in die von Bittner geleitete und als ‚kriegswichtig‘ eingestufte Aktenpublikation einfließen.15 Zipfel machte deutlich, dass er den serbischen Archivalien noch einen ganz anderen Wert beimaß – man wollte sie „nötigenfalls auch als Faustpfänder für die Verhandlungen mit anderen Staaten“ verwenden.16 Schon kurze Zeit später waren Archivalien nach Wien abtransportiert worden, die, den neuen territorialen Gegebenheiten des Balkans entsprechend, eigentlich Italien oder Kroatien zugestanden hätten. Man betrieb damit „Faustpfandpolitik in der Praxis“17 und näherte sich der Vorgehensweise an, die man in Frankreich den Heeresarchivaren noch vorgeworfen hatte, als diese aus „Prestigegründen“ Bestände beschlagnahmten. Die wissenschaftliche Auswertung unter Federführung Bittners zeitigte bald erste Erfolge, und so konnte dieser auf einer Tagung im Mai 1943 erklären, dass eine beinahe fertiggestellte und auf diesen Akten basierende Arbeit „erstmals den Beweis für die Einmischung der Juden in die große Weltpolitik“ erbringen könne. Solche Arbeiten resultierten aus der von Zipfel erwünschte Absicht, mit historischer Forschung einen Beitrag zur Politik zu leisten, um somit die Bedeutung des Berufsstandes besonders hervorzuheben.18 Von den serbischen Archivaren wurde zwar anerkannt, dass die Abordnungen aus dem österreichischen Archivwesen Fachmänner seien, „die eine hinreichende Kenntnis der serbischen Kulturerrungenschaften besassen“, doch sei leicht durchschaubar, welche Aufgaben sie hatten; sie sollten „Kunstschätze ausfindig machen, um sie außer Land zu schaffen.“ Als Zipfel im Juni 1942 das Staatsarchiv Belgrad besichtigte, sei dies ein Besuch gewesen, „der besser als irgendetwas die Perfidität des faschistischen Eroberers beleuchtet.“ Er hatte die von seinen Männern angerichtete Unordnung in Augenschein genommen, um sich dann über das organisatorische Chaos zu beschweren. Das Paradoxe an dieser Situation wurde von den Serben durchaus erkannt: „Wie wunderlich hören sich solche Worte in einem Gebäude an, das seinen Niedergang denselben Leuten verdankt, die ihren pseudowissenschaftlichen Standpunkt unter Beweis stellen wollen und sich als Wölfe im Schafspelz gebärden“.19 Diese serbische Einschätzung erscheint aus Opfersicht nachvollziehbar, nachdem nicht nur Archivalien fortgeschafft worden waren, sondern die – wenn auch nicht offiziell verkündete – Absicht dabei war, diese als ‚Faustpfand‘ einsetzen zu wollen. Auch im scheinunabhängigen Kroatien wurden archivische Interessen verfolgt, wobei vor allem Heeresarchivare zum Einsatz kamen. Hier „griff man zu, wo man konnte“. Balkanbeauftragter des Chefs der Heeresarchive war dort der schon seit einigen Jahren pensionierte Vizedirektor des Kriegsarchivs, Rudolf 15 16 17 18 19

Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 229. Unterredung Zipfels und Schwankes, Dezember 1941, zit. nach Musial: Staatsarchive, S. 159. Ebd., S. 159. Ebd., S. 159 f.; die von Bittner erwähnte Arbeit war: Reinöhl: Jeftanovic. Soskic: Arhiva, S. 89 ff.; auszugsweise Übersetzung in BArch N 1418/12.

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von Hödl, der mit seinen Kollegen in der Folgezeit so viele Bestände vom Balkan nach Wien übersenden ließ, dass dort eine „Aktensammelstelle Südost“ eingerichtet werden musste. Auch die zivilen Archivare waren in Kroatien aktiv, vertreten durch Walter Goldinger, Archivar am Archiv des Inneren und der Justiz und späterer Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs. Im Gegensatz sowohl zu seinen Kollegen in Serbien, als auch zu den in Kroatien arbeitenden Heeresarchivaren, konnte Goldinger nicht einfach Akten abtransportieren lassen – hier machte sich zumindest für die zivilen Archivare die „Unabhängigkeit“ Kroatiens beziehungsweise dessen anderer Status im Vergleich zu Serbien besonders deutlich.20 In Bezug auf die Archive des verbündeten Italiens hingegen war von deutscher Seite besondere Vorsicht geboten, da hier nicht auf dieselbe harsche Weise vorgegangen werden konnte wie dies in besetzten oder angeschlossenen Gebieten der Fall war. Die deutschsprachigen Südtiroler mussten ab 1939 im Rahmen der Option wählen, ob sie in Südtirol verbleiben oder aber ins Deutsche Reich übersiedeln wollten. Zwar entschieden sich rund 85 % für die Umsiedlung, aber es wanderten bis 1943 keinesfalls alle aus. Dennoch ging es sogleich darum, deren Archivgut ins Reich zu verbringen – zumindest in Kopie. Mitte des Jahres 1940 waren hierfür deutsch-italienische Verhandlungen eingeleitet worden. Der Vertreter für die deutsche Seite war der österreichische Historiker, Archivar und nun Beauftragter für den Archivschutz in Südtirol, Franz Huter, der darauf verwiesen hatte, dass die entsprechenden Archivalien „deutsches Volksgut im eigentlichen Sinne“ seien und dass trotz zu erwartender Widerstände ein totaler Anspruch hierauf dargelegt werden müsse – zumal es sich bei Südtirol um deutschen ‚Volks- und Kulturboden‘ handle.21 Zuständig für die Durchführung der Umsiedlung und damit auch für die Erfassung des Archivguts war Himmler in seiner Funktion als RKF, der von den beauftragten Mitarbeitern vorrangig Kopien von Archivalien anfertigen ließ, die man bei (Austausch-)Verhandlungen mit Italien vermutlich nicht zugesprochen bekommen hätte.22 Diese Situation änderte sich mit dem Übertritt Italiens auf die Seite der Alliierten und die deutsche Besetzung Norditaliens im September 1943. Die Archivverwaltung unter Zipfel konnte dabei nicht den gewünschten Einfluss geltend machen; Theodor Mayer war in seiner Funktion als Präsident des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde und als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom bereits aktiv geworden. Der Versuch Zipfels 1944, Schnath als Gesandten der Archivverwaltung nach Italien zu schicken, hatte deshalb keinen Erfolg. Dass Mayer sich des Archivschutzes annahm, brachte 20 Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 229. Vgl. Zusammenstellung der Kommandierungen von Beauftragten des Chefs der Heeresarchive zur Erfassung von Beuteakten pp., BArch RH 18/419. 21 Vgl. Regele: Kulturgüter, S. 269 f.; vgl. Wedekind: Huter, S. 600 ff. umfassend zu Huter vgl. Oberkofler: Huter. 22 Vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 230; Musial: Staatsarchive, S. 167. Zur Umsiedlung der Südtiroler vgl. Steininger: Option; Lun: Südtirol; Wallnöfer-Köstlin: Kultur.

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ihn in Konflikt mit den Himmlerschen Plänen eines umfassenden Kunst- und Archivraubs.23 Wenn auch in Jugoslawien und Griechenland, wie schon in Frankreich, Belgien und Dänemark, Deutsche Wissenschaftliche Institute eingerichtet worden waren, spricht dies dafür, dass man von wissenschaftsorganisatorischer Seite die Ressourcen dieser Länder weiterhin zu nutzen gedachte, wenngleich diese nicht über eine deutsche Zivilverwaltung verfügten und ihr Schicksal „daher noch nicht in Hinblick auf die Zeit nach dem ‚Endsieg‘ geklärt war“.24 Für die Archivverwaltung galt es zwar, die kurzfristigen Möglichkeiten zu nutzen, in die verschiedenen Archive auf dem Balkan vorzudringen, doch hielt sich zumindest ihr wissenschaftliches Interesse in den meisten Fällen in Grenzen. Die äußerst angespannte Personalsituation und die Konzentration auf andere Länder und deren Archive ließen den Balkan zum archivischen Nebenkriegsschauplatz werden. Bevor jedoch der „Endsieg“ auch nur in greifbare Nähe rücken konnte, ging der nationalsozialistische Eroberungsfeldzug weiter, und nachdem im Südosten die Flanke gesichert worden war, begann bereits im Sommer 1941 der Krieg gegen die Sowjetunion. 2. Der Ostfeldzug und die deutsche Archivwissenschaft a) Unternehmen Barbarossa Während vor allem österreichische Archivare auf dem Balkan aktiv waren und Schnath mit seiner bereits personell reduzierten Archivgruppe in Paris weilte, ergaben sich ab dem Sommer 1941 infolge des Unternehmens Barbarossa, dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, im Osten ganz neue Möglichkeiten und Betätigungsfelder auch für die deutsche Archivwissenschaft. Am 22. Juni 1941 setzten sich drei Millionen Soldaten mit hunderttausenden Fahrzeugen und tausenden Geschützen und Flugzeugen gen Osten in Bewegung, und die Verbündeten des Deutschen Reichs erklärten der Sowjetunion in den Folgetagen den Krieg, wenngleich sie erst später aktiv eingriffen. Hitler befand sich seit den Erfolgen im Westen in einer Position der absoluten Stärke, hatte aber einsehen müssen, dass Großbritannien nicht wie erwartet nach der Niederwerfung Frankreichs zu einem Waffenstillstand bereit war. Der Angriff auf die Sowjetunion wurde somit als Notwendigkeit dargestellt, da ‚der Russe‘ aufmarschiert sei und das gegen Großbritannien aktive Reich in dessen Rücken bedrohe. Damit wurde das programmatische Ziel, im Osten ‚Lebensraum‘ zu erschließen, ergänzt durch die strategische Absicht, auf diese Weise ein schnelles Ende des gesamten Krieges herbeizuführen.

23 24

Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 168; vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 230. Michels: Institut, S. 55.

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Die Bevölkerung, die schon dem Frankreich-Feldzug im Vorjahr zunächst skeptisch gegenüber gestanden hatte, sich dann aber von den schnellen Erfolgen zu Begeisterungsstürmen hinreißen ließ, reagierte auf die für viele unerwartete neue Front graduell unterschiedlich, jedoch überwiegend negativ. Die Reaktionen changierten von „Überraschung und Bestürzung bis hin zu Schock und Lähmung“.25 Der SD registrierte „größte Überraschung“ über den Kriegsausbruch, wobei „vor allem der jetzige Zeitpunkt der Offensive im Osten“ dazu ebenso beigetragen habe wie die „in den letzten Tagen verbreiteten Gerüchte von einer bevorstehenden Verständigung Deutschlands mit Rußland“.26 Das Schüren von tiefsitzenden Ängsten vor russischer, bolschewistischer ‚Barbarei‘ fiel allerdings auf fruchtbaren Boden in der Gesellschaft und wurde von den Kirchen noch erheblich verstärkt. Die militärische Führung hingegen war längst bereit und entschlossen, „einen historisch beispiellosen Krieg gegen die Sowjetunion zu führen, nämlich einen ideologisch motivierten und auf die physische Vernichtung bestimmter Feindgruppen hin angelegten Krieg“. Die vom ersten Kriegstag an stattfindenden deutschen Kriegsverbrechen kulminierten bereits im Herbst 1941 in exorbitanten Massenmorden.27 War die NS-Führung zunächst vom Erfolg eines erneuten ‚Blitzkriegs‘ ausgegangen, zeichnete sich doch sehr bald das Scheitern einer schnellen Niederwerfung der Sowjetunion ab. Im Gegenteil wurden die großen Geländegewinne der ersten Kriegswochen bald zur Hypothek, da sie die Wehrmacht vor erhebliche infrastrukturelle Probleme stellte, wohingegen die Rote Armee sich sammeln und auf unerwartete Weise zum Gegenangriff übergehen konnte.28 Scheinen die Voraussetzungen, Absichten und politischen wie militärischen Zielsetzungen inzwischen weitestgehend dargelegt und analysiert zu sein, zeigt sich gerade an diesem Komplex sowie der mittlerweile revidierten älteren Forschungshypothese vom ‚Präventivkrieg‘29, welche Umstände erfolgreiche historische Aufarbeitung behindern können. Problematisch dabei war lange Zeit und ist in geringerem Maße noch bis heute, dass für eine objektive und möglicherweise abschließende Beurteilung des Sachverhalts nicht sämtliche erforderlichen Archivalien für die Forschung zugänglich sind. Selbst wenn eine grundlegende Revision der ak25

Mommsen: Krieg, S. 59 f. Meldungen aus dem Reich, Nr. 196, 23. Juni 1941. Boberach (Hrsg.): SD-Meldungen, S. 2426; vgl. Wette: Rußlandbilder; vgl. Förster: Vernichtungskrieg. 27 Wette: Rußland-Feindbilder, S. 40; anhand der Ukraine exemplarisch und ausführlich dargelegt bei Struve: Westukraine; vgl. Pohl: Militärbesatzung, S. 73 f.; vgl. Neutatz: Träume, S. 286–291; vgl. Förster: Vernichtungskrieg; vgl. Hartmann: Ostkrieg, S. 469–788. 28 Vgl. Neutatz: Träume, S. 285. Zum weiteren Kriegsverlauf an der Ostfront vgl. Wegner: Krieg; sowie die Beiträge in Frieser (Hrsg.): Ostfront. 29 Vgl. Förster: Resümee; vgl. ders.: Entscheidung; Unter Präventivkrieg wurde im deutschen Generalstab seit dem ausgehenden 19. Jh. kein Präventivkrieg im eigentlichen Sinne verstanden, sondern nach dessen Definition konnte auch ein Angriffskrieg zur Vermeidung eines späteren Zweifrontenkrieges hierunter fallen. Vgl. Messerschmidt: Kontroverse, S. 31 f.; vgl. Wegner: Barbarossa, S. 29 ff.; vgl. Hoffmann: Sowjetunion; vgl. Schreiber: Kriegsführung. 26

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tuellen Deutung alles andere als wahrscheinlich ist, liegen in russischen Archiven dennoch bis heute unausgewertete Archivalien. Eine solche Unzugänglichkeit betrifft russische Akten, aber in nicht zu unterschätzendem Umfang auch ‚Trophäendokumente‘, also deutsches Archivgut, das während und nach dem Zweiten Weltkrieg in diverse russische Archive verbracht worden ist. Mit den im Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation befindlichen Beuteakten wird seit 2011 in einer russisch-deutschen Kooperation ein wesentlicher, bislang unzugänglicher Bestand zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs digitalisiert und zur Verfügung gestellt. Ein Projekt, das bis zum Jahr 2018 abgeschlossen sein soll und das zeigt, welche Hürden die historische Forschung auch gut siebzig Jahre nach Kriegsende noch zu überwinden hat – und welche Bedeutung dem Besitz von Archivalien ebenso zukommt wie deren Verfügbarkeit für eine wissenschaftliche Auswertung.30 b) Deutsche Archivare in den besetzten Gebieten des Ostens Mit Beginn des Ostfeldzugs eröffneten sich für die deutschen Archivare weitere Betätigungsfelder und Einsatzorte von enormer geografischer Ausbreitung, die von einer überschaubaren Personengruppe bearbeitet werden mussten. Die zentrale Herausforderung der Archivwissenschaft im Zweiten Weltkrieg bestand darin, geschultes Personal zur Verfügung zu stellen, das sowohl die im Reich an den Heimatarchiven und -archivverwaltungen anstehenden Aufgaben als auch jene wahrnehmen konnte, die in den besetzten Gebieten entstanden. Deshalb musste von Zipfel immer wieder Personal abgezogen und versetzt werden, um neue Archivkommissionen aufzubauen, einzelne dringliche Aufgaben wahrzunehmen oder den ‚Archivschutz‘ zu beaufsichtigen. Hierfür fachlich ausgebildete, aber in Diensten der Wehrmacht stehende Männer vom Militär frei zu bekommen, versuchte Zipfel immer wieder, aber meist ohne Erfolg. Die aus unterschiedlichen Archiven und Archivverwaltungen rekrutierten Mitglieder der Abordnungen in besetzten Gebieten sollten sich, so Zipfel im Herbst 1941, sämtlich fühlen als „Glieder einer zwar nicht der Form, aber doch dem Geiste und der Sache nach einheitlichen deutschen Archivverwaltung“, möge „der Zuschnitt ihres Einsatzes auch noch so verschieden sein“. Dies gelte es sich immer wieder zu vergegenwärtigen, denn je weiter man derzeit von einer allgemein anerkannten Einheit des deutschen Archivwesens entfernt sei, „umso nötiger ist es, daß ein besonderer archivarischer Korpsgeist und eine entsprechende Disziplin gepflegt werden“.31 30 Vgl. Gorkow: Recherchen, S. 196 f.; vgl. Förster: Resümee, S. 239. Siehe das russischdeutsche Projekt zur Digitalisierung deutscher Dokumente in den Archiven der Russischen Föderation, URL: www.germandocsinrussia.org/de, Zugriff am 28. Februar 2016. 31 Niederschrift über die Konferenz der Einsatzgruppenleiter des Archivschutzes in den besetzten Gebieten am 2. und 3. Oktober 1941 in Marburg, gez. Zipfel, BArch R 1506/1027.

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In einem Bericht über den „Archivschutz im besetzten sowjetrussischen Gebiet“ schilderte Zipfel die ersten Maßnahmen seit dem Überfall auf die Sowjetunion. Erich Randt, Leiter der Archivverwaltung im Generalgouvernement, hatte auf seine Weisung hin mit weiteren Archivbeamten aus dem GG die Archive „im sowjetrussischen Interessengebiet des ehem. Polen“ gesichert. Da Randt bereits am 1. Juli, „zwei Tage nach der Besetzung durch die deutschen Truppen“, in Lemberg gewesen sei, war er „gerade noch rechtzeitig“ gekommen, „um Verluste durch Räumung von Archivgebäuden für andere Zwecke zu vermeiden“. Die sich bereits seit geraumer Zeit im Baltikum aufhaltenden Archivare Wolfgang A. Mommsen und Kurt Dülfer wurden bald darauf mit dem Archivschutz im neuen Reichskommissariat Ostland beauftragt, das neben dem Baltikum auch Teile Weißrusslands umfasste. Für den „Einsatz bei den zentralrußischen Archiven“ war zunächst nur möglich gewesen, lediglich einen Archivar, Erich Weise, abzustellen.32 Da die neu besetzten Gebiete, zumindest bis zur geplanten Übergabe an eine Zivilverwaltung, militärisch entsprechend der Einteilung in die Heeresgruppen Nord, Mitte und Süd verwaltet wurden, folgte die Zuordnung der leitenden Heeresarchivare dieser Struktur: Major Lobujacki, Oberheeresarchivrat von Waldenfels und Oberst von Hödl leiteten die Abordnungen.33 Nicht zuletzt weil die militärischen Verwaltungsinstanzen die Oberhoheit hatten, war laut Zipfel „sachliche Zusammenarbeit der für den Schutz der nichtmilitärischen Archive abgeordneten Archivare mit den Beauftragten der Heeresarchive in kameradschaftlicher Form [. . . ] unbedingt wünschenswert“.34 Diese Kooperation war im Osten umso notwendiger, als hier im Gegensatz etwa zum besetzten Frankreich mit der Front nachgerückt wurde und das Arbeitsgebiet sich bald darauf mit den verändernden Frontlinien erheblich veränderte. Die zivilen Archivare folgten zunächst dieser geografischen Zuordnung – in den ersten Monaten der Besatzung waren für die rückwärtigen Heeresgebiete Nord, Mitte und Süd die Archivare Weise, Seeberg-Elverfeldt und Winter zuständig.35 32

Zipfel an Schnath, 23. September 1941, BArch RW 35/397. Allerdings veränderte sich der Raum, für den die Militärverwaltung zuständig war, kontinuierlich, vor allem während des Vormarschs 1941 und des Rückzugs ab 1943, vgl. Pohl: Herrschaft, S. 97–103; zudem sollte das Baltikum bzw. das RKO nicht als monolithischer Block verstanden werden, sondern die Unterschiede zwischen den besetzten Ländern müssen berücksichtigt werden. Vgl. Hilbrecht: Litauen. Selbst innerhalb des RKO und dessen Besatzungsverwaltung kam es zu nicht zu unterschätzenden Konflikten, vgl. Jüngerkes: Ohrfeige. 34 Zipfel an Schnath, 23. September 1941, BArch RW 35/397. Auch der ERR kooperierte mitunter mit den Heeresarchivaren, BArch NS 30/146. Zu den Tätigkeiten der Heeresarchivare etwas ausführlicher Stahl: Organisation, S. 88 f. 35 Später wurden Mommsen und Dülfer für die rückwärtigen Heeresgebiete Mitte und Nord zuständig, Winter für Süd. Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 166; vgl. Hasenclever: Besatzungspolitik, S. 215–231. 33

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Wenige Wochen nach dem Überfall auf die Sowjetunion war mit einem Erlass Hitlers vom 17. Juli 1941 Alfred Rosenberg zum Chef der Zivilverwaltung der besetzten Ostgebiete berufen worden – Ostgebiete, die mitnichten bereits sämtlich besetzt waren und teilweise niemals unter deutsche Besatzung gelangen sollten. Im August konnten dennoch die ersten Gebiete der Zivilverwaltung unter Federführung von Rosenbergs Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO) übergeben werden, woraufhin die Reichskommissariate Ukraine und Ostland errichtet wurden.36 Zum Archiveinsatz im Ostland sollte Dülfer zwei Jahre später rückblickend festhalten, dass man hier vor besonderen Herausforderungen gestanden habe, da sich „nach deutschen Begriffen als wissenschaftliche Beamte anzusprechende Archivare“ nur in Estland gefunden hätten, wohingegen vor allem in Litauen die Lage „schlimm“ gewesen sei – „wie dies bei dem größeren Mangel an Gebildeten in Litauen gegenüber den beiden anderen baltischen Ländern zunächst verständlich“ fast schon erwartet worden war.37 Damit schien ein weiterer Beleg für die deutsche Überlegenheit gefunden, da die in Litauen kaum vertretenen Deutschbalten die Kultur der Esten und Letten maßgeblich gefördert und bereichert hätten. Mommsens Tagebuch aus dem Baltikum dieser Zeit zeigt, dass die dorthin entsandten Archivare mit den einheimischen Kollegen zu tun hatten und auch die deutsche Herrschaft vor Ort reflektierten sowie deren Auswirkungen zu deuten vermochten. In Riga notierte Mommsen im Februar 1942, die schlechte Behandlung der einheimischen Bevölkerung, die chaotischen Zustände im Baltikum und die unter den Besatzern um sich greifende Korruption seien nur einige Merkmale der „völlig verrückt gewordene[n] politische[n] Führung“.38 Es fand damit eine deutliche Differenzierung statt zwischen den eigenen Tätigkeiten und zu nutzenden Vorteilen einerseits und der wenn auch eingeschränkten Gesamtsicht auf die Besatzung und Verwaltung andererseits. Hatten die deutschen Archivare im Baltikum sich nicht allzu lange Zeit zuvor über ihre Behandlung durch die sowjetischen Besatzer beschwert, schien Mommsen ähnliche Verfehlungen nun in der deutschen Besatzungsverwaltung wieder zu erkennen.39 Spätestens im Frühjahr 1942 wurde Mommsen und den anderen im Baltikum eingesetzten Archivaren die Ermordung von Juden bekannt, wie er – bei aller 36 Erlaß des Führers über die Verwaltung der neu besetzten Ostgebiete vom 17. Juli 1941, Dok. 1997-PS. International Military Tribunal (Hrsg.): Bd. 29, S. 234–237; vgl. Dallin: Herrschaft, S. 95 f. vgl. Piper: Rosenberg, S. 531 f. vgl. Zellhuber: Reichsministerium, S. 61–160. Für die Innensicht eines ehemaligen Mitarbeiters des RMfdbO vgl. Stamati: Kulturpolitik. 37 Bericht Dülfers über Zwei Jahre Archivarbeit im Reichskommissariat Ostland, Mitteilungsblatt 1943 Nr. 13 vom 23. Dezember 1943. 38 Tagebucheintrag Mommsens vom 16. Februar 1942, zit. nach Lehr: Aufzeichnungen, S. 471 f. zur nicht zuletzt mit der Umverteilung jüdischen Besitzes einhergehenden Korruption im Nationalsozialismus vgl. Bajohr: Korruption. 39 Vgl. Kap. D. VIII. 4.

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Bestürzung – sehr sachlich in seinem Tagebuch festhielt. Ende März notierte er, „von dem alten Rigenser Stamm dürfte schon nichts mehr da sein“, denn „seit Wochen ist man nun schon dabei die Juden zu erschiessen“. Mittlerweile seien „die Juden aus dem Reich dran, die auf der Durchfahrt in den Tod hier einige Tage Schnee schippen dürfen“. Entweder war Mommsen also unmittelbar Zeuge von Erschießungen geworden oder hatte dies aus erster Hand erfahren; zudem wurde die Vernichtung der Juden innerhalb der Besatzungsverwaltung diskutiert, auch „über die Art des Todes“. Daran zeigt sich, wie wenig die Planungen beziehungsweise die verschiedenen experimentellen Versuche zur massenhaften Hinrichtung mittlerweile noch geheim gehalten werden konnten, nachdem große Massaker durch Einheiten der Einsatzgruppe A bereits bis Ende 1941 stattgefunden hatten. Mommsen wusste von drei Möglichkeiten: „der Marsch immer tiefer nach Russland hinein, wobei niemand sein Ziel erreichte, der Hungertod in den Gettos und der durch Erschiessen oder durch Giftgas. Zur Zeit werden die beiden letzteren Arten angewandt, die wohl die humansten sind. Henker sind viel Litauer und Partisanen, die dann später aufgehängt werden, leider auch viel SS“.40

Mit dem Einmarsch der Wehrmacht in das Baltikum stellten sich unzählige dortige Nationalisten den neuen ‚Herren‘ willig zur Verfügung, die sie als Befreier von der kurzen, aber harten sowjetischen ‚Schreckensherrschaft‘ ansahen. Da während der Unterdrückung durch die Sowjetunion in deren Verwaltungs- und Polizeiapparat viele Juden gedient hatten, war es ein Leichtes für die nun deutschen Besatzer, das jüdische Feindbild im Baltikum weiter zu forcieren. Schon wenige Tage nach dem Einmarsch kam es zu den ersten Massakern vor allem in Litauen und Lettland; in Estland, wo weitaus weniger Juden lebten, wurden neben diesen auch Tausende nichtjüdische Esten wegen angeblicher „Kollaboration mit den Sowjets“ ermordet. Bei all diesen Maßnahmen konnten die deutschen Besatzer auf die Mitwirkung einheimischer Kollaborateure zählen.41 Liegen für Mommsens Kenntnis solcher Ereignisse und Vorgehensweisen mit seinem Tagebuch eindeutige Belege vor, kann dies für die anderen Archivare des ‚Osteinsatzes‘ nur vermutet werden. Allerdings herrschte bereits seit Beginn des Unternehmens Barbarossa im Vernichtungskrieg eine so entfesselte Atmosphäre der Gewalt in den besetzten Gebieten der Sowjetunion vom Baltikum im Norden bis zum Schwarzen Meer im Süden, dass die Maßnahmen der verschiedenen Einsatzgruppen wie auch der Wehrmacht und der SS im Laufe der Zeit nur den wenigsten dort tätigen Archivaren und anderen Angehörigen der Verwaltungsstäbe verborgen geblieben sein dürfte. Nachdem Winter zum Leiter der Archivverwaltung des Reichskommissariats Ukraine (RKU) ernannt worden war, betätigten sich in den Folgejahren insgesamt fünfzehn Archivare in den Gebieten des GG und der beiden Reichskom40

Tagebucheintrag Mommsens vom 29. März 1942, zit. nach Lehr: Aufzeichnungen, S. 474 f.; zur Ermordung der Juden im Baltikum vgl. Hoppe (Hrsg.): VEJ 7. 41 Kershaw: Höllensturz, S. 498 f.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

missariate. Die preußische Archivverwaltung stellte mit zwölf Archivaren den mit Abstand größten Anteil dieser Abordnungen, im Gegensatz zu den im Westen eingesetzten Kommissionen, die sich aus wesentlich mehr Archivverwaltungen rekrutierten.42 Auch hinsichtlich ihrer generationellen Zusammensetzung sowie ihrer Verbindungen zum Einsatzgebiet stellten diese Archivare eine recht homogene Gruppe dar. Von ihnen stammte etwas mehr als die Hälfte selbst aus dem ‚deutschen Osten‘. Die beiden Leiter der Archivverwaltungen, Winter und Randt, sowie Erich Weise waren noch vor der Jahrhundertwende geboren und Angehörige der Frontgeneration; Winter und Randt hatten zudem im Ersten Weltkrieg an der Ostfront gedient, jeweils in den ihnen nun in archivarischer Hinsicht unterstehenden Gebieten, Winter in der Ukraine und Randt in Polen.43 Sämtliche anderen in den Ostgebieten eingesetzten deutschen Archivare waren Angehörige der überflüssigen beziehungsweise Nachkriegsgeneration und zwischen 1903 und 1911 geboren.44 Dies war sicherlich kein Zufall, vielmehr konnten damit die Früchte längerfristiger Planungen der deutschen Archivwissenschaft und Ostforschung geerntet werden. Denn gerade die jüngeren im Osten eingesetzten Archivare hatten die IfA-Ausbildung durchlaufen und dort entsprechende Sprachkenntnisse nachgewiesen beziehungsweise erworben. Zudem bestand neben familiärer Herkunft für viele eine Verbindung zur Region durch vormalige Betätigung im Rahmen der Ostforschung. Erst als 1941/42 weiteres Personal entsandt wurde, griff man aufgrund der angespannten Personallage auf Archivare zurück, die keine genuine Verbindung zum Osten vorweisen konnten. Insgesamt hatten mehr als die Hälfte bereits über Fragen des ‚deutschen Ostens‘ im weiteren Sinne promoviert, nachdem sie bei Brackmann, Rothfels und Kötzschke studiert und teilweise gemeinsam die IfA-Kurse absolviert hatten. Bereits im Juni schrieb Randt an Brackmann, dass man jetzt „in der Ostarbeit [. . . ] die Beute ein[bringe], die Ihnen zumeist durch eine weit vorausschauende Organisation der Forschung, sowie durch Schulung und Einsatz geeigneter Kräfte zu danken ist“.45 Auch Zipfel teilte diese

42 Zipfel hielt 1941 stolz fest, dass im Westen neben Archivaren der Reichsarchive Potsdam, Wien und Reichenberg auch Vertreter der preußischen, bayerischen, sächsischen, württembergischen, thüringischen und hessischen Archivverwaltungen zu einem ‚Gemeinschaftsunternehmen‘ zusammengefunden hatten. Denkschrift Zipfels über die Leistungen des Archivschutzes für die Wissenschaft, 1941, BArch RW 35/398. 43 Stefan Lehr zufolge hatte bei Zipfels Wahl keine Rolle gespielt, dass Winter slawische Sprachkenntnisse hatte und sich mit der Geschichte Osteuropas bestens auskannte, sondern in erster Linie, dass er dort bereits im Ersten Weltkrieg eingesetzt worden war. Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 182. 44 Ernst Beins (*1903), Hans Branig (*1906), Heinz Buttkus (*1904), Kurt Dülfer (*1908), Eilhard Eilers (*1910), Rudolf Fitz (*1905), Hans Goetting (*1911), Heinz Göring (*1910), Otto Guglia (*1904), Walther Latzke (*1904), Wolfgang A. Mommsen (*1907), Erich Randt (*1887), Roland Seeberg-Elverfeldt (*1909), Erich Weise (*1895), Georg Winter (*1895). 45 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 61–65; zit. nach ebd., S. 67.

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Ansicht und betonte, dass sich für den „Außendienst“ in besetzten Gebieten „nur gewandte, taktvolle, energische Männer bewährt“ hätten.46 Die Beschäftigung mit dem Osten vor Ort im Osten bot jenen interessierten jungen Forschern gewiss vielfältige Möglichkeiten und Einblicke in Archive, die ihnen noch wenige Zeit zuvor unzugänglich waren, doch gab es auch noch andere, profane Gründe, warum die Tätigkeit im Osten bei den deutschen Archivaren in der Regel nicht unbeliebt war; Karl Demeters Umgehung der Abordnung vermittels eines Attests, das Untauglichkeit für den Osteinsatz bescheinigte, blieb eine Ausnahme.47 Ein nicht zu unterschätzender Aspekt war die Tatsache, dass sich durch den ‚Osteinsatz‘ ganz neue Verdienst-, Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten ergaben. Schon die Besoldung war durch diverse Zulagen erheblich besser als an den Heimatarchiven, vor allem aber bekleideten die Archivare im Osten Ämter, die ihnen im Reich nie oder erst sehr viel später in ihrer Karriere offen gestanden hätten: Die Leiter der Archivverwaltungen in RKU und GG, Winter und Randt, nahmen formal eine Stellung ein, wie sie Zipfel als Leiter der preußischen Archivverwaltung im Reich innehatte. Diese Vorteile waren ihnen durchaus bewusst, wie Mommsen in einem Schreiben an Winter offenbarte. Er sei, so Mommsen, „ja auch irgendwie Kriegsgewinner“, da er ohne seine Abordnung gen Osten noch längere Zeit lediglich Staatsarchivrat geblieben wäre und „auch nicht die Aussicht [hätte], schon während des Krieges oder auch später Landesoberrat zu werden“.48 Es hatte sich bald herausgestellt, dass für diese Vorteile ein gewisser Preis zu entrichten war. Schon früh wurde auf diesem Osteinsatz deutlich, welche Herausforderung allein die enormen Entfernungen darstellten, die bei der Bereisung der verschiedenen Archive zurückzulegen waren. Dass man sich dabei in neu erobertem Gebiet befand, zeigte sich an vielen Orten, an denen man Beschädigungen und Zerstörungen begutachtete. Die Verhältnisse waren demnach ganz andere, als sie die nach den Truppen vorrückenden Archivare im Westfeldzug und vor allem in Frankreich erlebt hatten. Da den deutschen Archivaren bewusst war, dass es in jenen (weiß-)russischen Archiven kaum Archivalien geben dürfte, auf die sie rechtlich begründeten Anspruch erheben könnten, wurden diese Zerstörungen weitaus stoischer aufgenommen, als dies im Westen vermutlich der Fall gewesen wäre. Hinzu trat das wesent-

46 Niederschrift über die Tagung der Leiter der preußischen Staatsarchive in Marburg am 3. und 4. Oktober 1941, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28. 47 Karl Demeter, *1889, seit 1921 Archivrat, leitete seit 1933 die Frankfurter Außenstelle des Reichsarchivs Potsdam und hatte mit diesem Attest seine Versetzung nach Lublin verhindert, vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 252; vgl. Demeter: Reichsarchiv, S. 47. 48 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 252 f. Mommsen an Winter, Oktober 1942, zit. nach ebd., S. 252.

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lich geringere Interesse an den verbliebenen Archivalien als an den französischen oder auch den polnischen.49 Dennoch waren nicht allein die deutschen Archivare in den ihnen nun zugänglichen Archiven und Bibliotheken zugange, sondern auch die konkurrierenden Dienststellen und Organisationen, die im Osten auf ganz andere Weise Beute machen wollten und konnten als in den besetzten Gebieten des Westens. Allerdings mussten auch diese mitunter wieder unverrichteter Dinge abziehen. In Kiew hatte ein Mitglied eines Einsatzkommandos des mittlerweile in die Waffen-SS eingegliederten Sonderkommandos Künsberg an Winter berichtet, dass man deshalb keine Archivalien weggeschafft hätte, weil man keine gefunden hatte, die von Interesse waren. Wenig später beschwerten sich hingegen Angehörige des auch hier aktiven ERR über die vorschnellen Abtransporte von Kulturgütern durch das Sonderkommando Künsberg, welches sich damit rechtfertigte, dass es doch wohl „nur richtig [sei], wenn so viel als möglich rasch aus Kiew fortgeführt werde“.50 Die Vermutung liegt zwar nahe, dass nun, wo sowohl das RMfdbO als auch der ERR Rosenberg unterstanden, diese Organisationen beziehungsweise Verwaltungsgliederungen einvernehmlich arbeiteten, aber dies wurde durch Konkurrenzdenken genauso verhindert wie durch unklare Abgrenzung der Zuständigkeiten. Im Baltikum wurden – sicherlich ein extremer, aber bezeichnender Einzelfall – die Kunstschätze Revals „nicht weniger als neunmal hintereinander beschlagnahmt: Zuerst im Auftrag des Propagandaamtes, dann durch den Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets, dann durch den SD, an vierter Stelle durch den ERR, dann durch das Reichsarchiv, danach für das Zeughaus Berlin, dann durch das Reichskommissariat Ostland, dann gingen die Dinge zurück an das estnische Landesdirektorium, da der Reichskommissar noch nicht zuständig sei, und wurden schließlich erneut vom Befehlshaber des rückwärtigen Heeresgebiets beschlagnahmt“.51

Die Kooperation zwischen ERR und den deutschen zivilen Archivaren hingegen funktionierte im Osten meist gut, da personelle Bande geknüpft wurden. Gerhard Utikal, den Rosenberg im ERR zum Stabsführer für die besetzten Ostgebiete ernannt hatte, richtete einen ‚Sonderstab Archive‘ ein, berief Zipfel zu dessen Leiter und Winter und Mommsen zu dessen Stellvertretern für die rückwärtigen Heeresgebiete Süd beziehungsweise Nord und vorläufig auch Mitte. Zipfel hatte somit, wie er selbst betonte, auf das Archivwesen in den Reichskommissariaten „eine doppelte Einwirkungsmöglichkeit“ als Leiter des Sonderreferats Archivwesen im Ostministerium und als Leiter des Sonderstabs Archive im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Die Angehörigen des ERR, die zur Mitar49

Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 162–165; vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 180–183. Zit. nach ebd., S. 186; Nazarii: Einsatzstab, S. 273–285. Zur Organisationsstruktur des Sonderkommandos Künsberg bei dessen Einsatz im Osten sowie zu den Einsatzkommandos vgl. Hartung: Raubzüge, S. 13–48; vgl. Heuss: Künsberg; vgl. Kißmehl: Zielobjekte. 51 Piper: Rosenberg, S. 498. 50

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beit beim Sonderstab abgeordnet wurden, unterstanden damit „hinsichtlich ihrer sachlichen Arbeitsanweisung“ Zipfel beziehungsweise dessen Stellvertretern.52 Winter übte seine Tätigkeiten für den ERR folgend aus als Beauftragter des Generaldirektors der Staatsarchive und Kommissar für Archivschutz beim Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, Hauptarbeitsgruppe Ukraine. Später sollte er, der den Zustand des ukrainischen Archivwesens als entmutigend empfand, die Zusammenarbeit mit dem ERR loben, da sie nicht nur die Notwendigkeit aufgezeigt hätte, die der Mitarbeit eines fachlich kompetenten Archivars zukomme, sondern durch die politischen Aspekte auch ganz neue Aufgaben gebracht hatte.53 Gerade auch für jene Arbeiten warb Winter, der im Dezember 1942 die Leitung der neu eingerichteten Landesverwaltung der Archive, Bibliotheken und Museen übernommen hatte, den Stader Stadtarchivar und ERR-Mitarbeiter Martin Granzin an mit Verweis auf die „sehr gute[n] [. . . ] Aussichten in eine Beamtenlaufbahn beim RKU“ übernommen zu werden.54 Neben die Überführung von Materialien zu Dienst- und Verwahrungsstellen im Altreich, die in erster Linie Kunst- und Kulturgüter umfassten, aber in geringerem Umfang auch Archivalien betrafen, trat mit fortschreitendem Verlauf des Kriegs eine weitere wichtige Aufgabe. Entsprechend der sich verändernden Grenzen der östlichen Besatzungszonen durch den für die Wehrmacht immer prekärer verlaufenden Ostfeldzug mussten die Archivare in den rückwärtigen Heeresgebieten Archivalien aus der Gefahrenzone evakuieren. Damit warteten sie möglichst lange, bis die näher rückende Front gewissermaßen in Sichtweite war, um durch kaum zu verbergende Verlagerungsmaßnahmen nicht den Eindruck eines vorschnellen Rückzuges zu erwecken. Den richtigen Zeitpunkt hierfür zu finden kam einem Vabanquespiel gleich, zumal umso weniger Transportmittel und andere Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden konnten, je näher die Kämpfe rückten. Der mittlerweile bei der Wehrmacht dienende Mommsen schilderte die teils chaotischen Zustände beim Rückzug und die damit einhergehende Taktik der ‚verbrannten Erde‘. „Nach allem, was man hört, ist die Zerstörungsaktion in den geräumten Gebieten in vollem Gange. [. . . ] Im übrigen wird alles niedergebrannt und gesprengt, nach Möglichkeit recht viel mitgenommen, zu einem Teil sogar die Eisenbahnschienen.“ Er hatte außerdem mit Soldaten auf dem Rückzug gesprochen, die ihm versichert hätten, „dass den Russen kein Brett gelassen würde“. Seine diesbezügliche Einschätzung fiel nüchtern aus: „Moderner Krieg! Aber die Russen haben uns das ja genügsam vorgemacht!“55 52 Niederschrift über eine Besprechung in Dresden vom 19. bis 21. Mai 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28; Anordnungen und Mitteilungen des ERR vom 26. Januar 1943, BArch NS 30/4. 53 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 185–195; vgl. Nazarii: Einsatzstab, S. 97–101; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 163 f. 54 Zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 198; vgl. Eckert: Kampf, S. 126. 55 Tagebucheintrag Mommsens vom 16. September 1943, zit. nach Lehr: Aufzeichnungen, S. 489.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

In der Ukraine hatte Winter zwar ursprünglich Bedenken geäußert hinsichtlich Wegführungen ukrainischer Archivalien, seine Meinung jedoch alsbald geändert. Im August 1943 hatte er sich vergewissert, dass die zum Abtransport aus Dnipropetrowsk angedachten Akten volksdeutscher Provenienzen bereit standen. Zu dieser Zeit traf er Mommsen, der hier wiederum nicht nur mit Kunstraub, sondern auch mit von Deutschen verübten Kriegsverbrechen konfrontiert worden war. Als Mommsen bei einem Museumsbesuch die dort vorherrschenden Zustände registrierte, machten diese „einen fürchterlichen Eindruck“ auf ihn. „Wenn man dieses Wüten der Soldateska sieht, kommen Augenblicke, in denen man sich schämen möchte, ein Deutscher zu sein.“ Als er in Kiew hingegen ein kleineres Archiv brennen sah, konstatierte er lediglich nüchtern, dass es sich „um sehr wichtige Bestände [. . . ] kaum handeln“ könne. Dennoch fragte er sich in seinem Tagebuch, ob die veranlassten Abtransporte von Archivgut gerechtfertigt waren, zumal sie sich in einigen anderen Fällen ja ausdrücklich für den – formal und rechtlich korrekten – Schutz von Kulturgütern eingesetzt hätten.56 Der junge sächsische Archivar Eilhard Eilers hingegen, der 1939 in Warschauer Archiven tätig gewesen war und schon damals vor unberechtigten Entnahmen und Überführungen nach Deutschland gewarnt hatte, sehnte sich nun regelrecht an die Front, wo er keine Entscheidungen solcher Art treffen müsste, da ihn seine zwangsweise Beteiligung an Unrechtsentscheidungen hinsichtlich Aktenverlagerungen zunehmend belastete.57 Buttkus, der mit Eilers zusammenarbeitete, hatte sich bereits Anfang 1942 in einem Brief an Brackmann darüber ausgelassen, wie sehr man „in der Berufskrise drin stecke“ und „mit größten Bedenken die Entwicklung zum ‚Verwaltungsarchivar‘ zwangsläufig“ mitmache. Von einem ‚Liebesverhältnis‘ des Archivars zu seinem Archiv, wie es Meinecke beschrieben hatte, verspüre er nichts, vielmehr befände man sich „in entgegengesetzter Auffassung zu manchen anderen auch offiziell vertretenen Auffassungen über den Beruf des Archivars, der der Verwaltung dienen soll, selbst aber kein Verwaltungsbeamter ist“.58 In der schriftlichen Überlieferung stellen Mommsens in aller Kürze formulierten Reflexionen eine der wenigen Ausnahmen dar; ein Befund, der erst recht für die Bedenken Eilers und Buttkus’ gilt. Zudem gilt es hierbei zu differenzieren. War Mommsen vor allem über die Kriegsverbrechen bestürzt, bezogen Eilers und Buttkus ihre verhaltene, inoffizielle Kritik auf den eigenen Beruf unter den besonderen Umständen des Krieges. Auch wenn die deutschen Archivare hierüber lamentieren mochten, ließen sich diese Probleme nicht vergleichen mit der Situation der einheimischen Archivare vor Ort. Bei den ukrainischen Archivaren hatte sich bald Ernüchterung eingestellt 56 Vgl. u. a. Tagebucheinträge Mommsens vom 30. September und 11. Oktober 1943, zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 208–220. 57 Vgl. ebd., S. 256. 58 Buttkus an Brackmann, Januar 1942, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 85.

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– sowohl aufgrund der von den Besatzern aufgezwungenen Tätigkeiten, die sie für die deutsche Verwaltung wahrnehmen mussten, als auch angesichts der miserablen Versorgungslage, die wiederum noch schlechter war als die der polnischen Archivare im GG. Und selbst dort hatte ein polnischer Archivar geäußert, dass der Alltag mitunter Formen annehme, die den Eindruck erwecken konnten, „in einem großen Konzentrationslager“ zu leben. Die Hilfe, die so mancher deutsche Archivar den Berufskollegen vor Ort zukommen ließ, beispielsweise in Form von Karten für zusätzliche Lebensmittelrationen, vermochte solche Einschätzungen wohl nur geringfügig zu lindern.59 Gerade an den unter dem Eindruck der nahenden Front veranlassten Verlagerungen lässt sich ein weiterer Zwiespalt erkennen, in dem die leitenden deutschen Archivare steckten. Es galt sowohl den Zeitpunkt für Evakuierungen und Verlagerungen festzulegen, als auch den Umfang und die Auswahl des Materials sowie den Zielort zu begründen; selbst wenn nicht sämtliche in Sicherheit gebrachten Archivalien direkt ins Reich überführt, sondern oftmals innerhalb der besetzten Gebiete verlagert wurden. Mit der Entscheidung, in welche Stadt beziehungsweise welches Archiv das Material gebracht werden sollte, machten sich die Archivare ebenso angreifbar wie mit der Auswahl der Archivalien – Randt hatte beispielsweise beschlossen, die für „deutsche Interessen“ wertvollen Akten bevorzugt zu behandeln. Der Umstand, dass die Archivare nicht einem einheitlichen Plan folgen konnten, erschwerte solche Zielkonflikte beträchtlich. Vom ERR kamen kaum Einwände gegen vorschnelle Abtransporte gen Westen; von anderer Seite hingegen wurde hin und wieder Unbehagen darüber geäußert, Kulturgüter fortzuschaffen. Den Leitern der Archivverwaltungen im Osten beziehungsweise deren Vertretern waren von Zipfel weitreichende Kompetenzen zugestanden worden. Er behielt sich zwar vor, „Zweifelsfragen fachlicher Art“ selbst zu entscheiden, doch wollte er dabei „ein übertriebenes Schematisieren und Reglementieren“ vermeiden und vielmehr „den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung“ tragen und „den Gruppenleitern bei der Durchführung weiten Spielraum lassen“.60 Spielraum, der immer öfter durch veränderte Rahmenbedingungen beeinträchtigt wurde. Der Kriegsverlauf und die damit einhergehenden militärischen Maßnahmen schränkte die für andere, nicht unmittelbar kriegswichtige Vorhaben zur Verfügung stehenden Ressourcen und Transportmöglichkeiten sowie die Nutzung weiterer Infrastruktur erheblich ein. Probleme, die Mommsen selbst dann noch umtrieben, als er bereits zur Wehrmacht eingezogen worden war. Er fragte sich, „ob Direktor Winter wenigstens die wichtigsten Teile des Staatsarchivs [Kiew, T.W.] abtransportieren konnte?“ Mommsen sah dem zweierlei Probleme entgegenstehen: Zum einen hielt er den entsprechenden Abtransport für unwahr59

Siehe Kap. D. VIII. 3. b). Niederschrift über die Konferenz der Einsatzgruppenleiter des Archivschutzes in den besetzten Gebieten am 2. und 3. Oktober 1941 in Marburg, gez. Zipfel, BArch R1506/1027. 60

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

scheinlich, weil „die Schwierigkeiten [. . . ] allzu groß gewesen sein“ würden, zum anderen aber auch, weil er glaubte, „dass Direktor Winter für die gestellte Aufgabe trotz allen Geschicks nicht mehr jung und wendig genug ist“. Letztere Einschätzung beruhte auf dem Eindruck, den Winter bereits Anfang 1942 bei einer Besprechung gemacht hatte – „Wie russlandmüde und bereit, alles verkommen zu lassen“ sei er damals schon gewesen, so Mommsen. Seine eigenen Verlagerungen bewertete er umso höher: „Welch ein Glück, dass ich wenigstens Nowgoros, Smolensk und Witebsk abtransportieren konnte“.61 Zwar hatte Mommsen die Archivalien dabei nicht ins Reich abtransportiert, sondern nach Vilnius und Riga, doch wurden Teile davon später von dort aus unter Anleitung Dülfers unter Mithilfe des ERR auf reichsdeutsches Gebiet geschafft. Der ERR war es auch, der die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes an Mommsen im März 1944 für seine Dienste beim Einsatzstab beantragt hatte.62 Dennoch wurde der gestattete Spielraum auch von Winter genutzt. Im Januar 1944 wurde seine Dienststelle erneut weiter gen Westen, nach Troppau verlegt. Dorthin waren außerdem mit Hilfe des ERR „einige wichtige Bestände“ verbracht worden.63 Maßnahmen indes, deren mindestens fragwürdige Rechtmäßigkeit, teils aber auch klare Unrechtmäßigkeit, nicht nur Winter in der frühen Nachkriegszeit umtreiben sollten.64 In manchen Fällen waren sowohl die deutschen wie auch die einheimischen Archivare machtlos gegenüber Beschädigungen oder Zerstörungen von Archiven, gerade wenn diese infolge von Kampfhandlungen auftraten. Für Warschau musste im Januar 1945 konstatiert werden, dass 93 % der Archivbestände zerstört und vernichtet worden waren. Wie viele davon vorsätzlicher Vernichtung zum Opfer fielen, lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Bereits im September 1944 hatte Randt Zipfel über die bis dato eingetretenen Beschädigungen und Verluste in Kenntnis gesetzt und seine Einschätzung kundgetan, dass, „so unersetzlich die genannten Verluste im allgemeinen“ seien, „so wenig schwer treffen sie die Interessen der deutschen Forschung, da durch unsere sehr weitgehenden Sicherungsmaßnahmen alles wesentliche für das Reich in Betracht kommende Archivgut“ gesichert worden sei.65 Vor diesem Hintergrund erscheinen die besorgten Äußerungen über beschädigte oder zerstörte Archive und Bestände in einem ganz anderen Licht. 61 Tagebucheintrag Mommsens vom 22. September 1943, zit. nach Lehr: Aufzeichnungen, S. 497. 62 Vgl. ebd., S. 463 f. 63 Ebd.; Niederschrift über die Besprechungen in Wien am 11. und 12. Mai 1944, BArch 1506/1027; zur allmählichen Verlegung nach Westen vgl. Mitteilungsblatt 1943 Nr. 2 vom 17. Februar 1943; zu Abbau, Verlagerung und Rückzug der Militärverwaltung vgl. Pohl: Herrschaft, S. 321–328. 64 Siehe Kap. E. XII. 2. 65 Randt an Zipfel, 12. September 1944, zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 245; vgl. ebd., S. 225 f., 237–241.

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In der Bewertung ex post waren sich Winter und Mommsen meist einig, was die Rechtmäßigkeit der veranlassten Maßnahmen betraf: Weder Mommsen noch Winter hätten „auch nur mit einem Gedanken daran gedacht, die evakuierten Materialien der Ukraine oder auch nur den Kiewer Instituten für dauernd zu entfremden“, sie hätten nicht geraubt, sondern geschützt.66 In einem privaten Schreiben an Winter hingegen räumte Mommsen ein, dass sie beide sich „in Bezug auf die Räumung [. . . ] doch auch prinzipiell“ unterschieden; „Sie waren also gegen jede Räumung, was ich damals nicht ahnen konnte.“ Dennoch stehe er immer noch auf dem Standpunkt, „dass sie richtig war, wenigstens aus den damaligen Gegebenheiten heraus.“ Wenn er einen Kulturraub nicht habe beobachten können, lag dies seiner Einschätzung nach wiederum vor allem daran, dass „im Osten kaum etwas Mitnehmenswertes da war“.67 Mommsen teilte zudem Winters Ansicht, „daß ohne den Einsatzstab im Osten vieles noch sehr viel übler gelegen hätte“. Er selbst habe sich „der Hilfe des Einsatzstabes ja auch bei tausend Gelegenheiten mit Dankbarkeit bedient“.68 Sind die Intentionen, sich nach dem Krieg der Rechtmäßigkeit des eigenen Tuns gegenseitig zu versichern, durchaus nachvollziehbar, wirft ein Tagebucheintrag Mommsens vom Oktober 1943 noch ein anderes Licht auf dessen Selbsteinschätzung: Winter und er seien sich „klar darüber, dass es kulturelle Dinge gibt, die man mit einem Lande aufgibt oder behält.“ Deshalb wollten sie „aus allgemeinen kulturellen Erwägungen“ vor allem Museen, Bibliotheken und Archive „nur vor Vernichtung schützen. Wir wollen sie deshalb [. . . ] unter keinen Umständen für das Deutsche Reich stehlen“.69 Selbst wenn einige Archive und Bestände tatsächlich gerettet und innerhalb beispielsweise der Ukraine verlagert wurden, verdeutlichen auch die vorhandenen Ausnahmen, dass dieser Kurs nicht immer eingehalten werden konnte und wollte. Alles in allem hätten die abgeordneten Archivare, so Zipfel rückblickend, „unter schwierigsten Verhältnissen und unter großen Anstrengungen und Entbehrungen Hervorragendes geleistet.“ Nur seine engsten Mitarbeiter könnten nachvollziehen, „welche Schwierigkeiten je länger je mehr immer wieder zu überwinden waren“, doch glaubte er die Anforderungen an die Archivverwaltung erfüllt zu haben; noch nie habe „auf einem deutschen Archivar so viel Verantwortung und Arbeit, Sorge, Verdruß und Kampf gelastet [. . . ] wie auf mir“.70 Bescheidenheit war Zipfels Sache nicht – erst recht nicht, wenn es darum ging, die Bedeutung der Archivverwaltung, deren Arbeit und damit auch seine Verdienste in ein positives Licht zu rücken.

66 67 68 69 70

Auszug aus einem von Mommsen im Frühsommer 1946 erstatteten Bericht, BArch N 1333/31. Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31. Mommsen an Winter, 14. Januar 1948, BArch N 1333/31; siehe S. 431 f. Tagebucheintrag Mommsens vom 10. Oktober 1943, zit. nach Lehr: Aufzeichnungen, S. 509. Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 30 f.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Die Tätigkeiten der Archivare im Osten waren im Herbst 1944 im Wesentlichen abgeschlossen – zwar in einigen Fällen nicht zu ihrer Zufriedenheit, doch ließ sich dies aufgrund des ungünstigen Kriegsverlaufs nicht mehr ändern. Winter und Randt, die beiden Leiter der Archivverwaltungen in den Reichskommissariaten, waren zurück ins Reich beordert worden, wohingegen die meisten Vertreter der jüngeren im Osten eingesetzten Archivarsgenerationen zwischenzeitlich in der Wehrmacht dienten.71 Auf einer Besprechung im Mai 1944 hatte Zipfel noch darauf verwiesen, dass mittlerweile auch Himmler als Reichsführer SS und Reichsminister des Innern dem Archivwesen mit zunehmendem Interesse begegne, und hielt fest: „Je ernster die Zeit ist und je größer die Schwierigkeiten sind, die wir als Hüter der schriftlichen Tradition unseres Volkes zu überwinden haben, desto fester müssen wir zusammenhalten.“ Ludwig Bittner dankte in diesem Rahmen bereits Zipfel für dessen Tätigkeit als Kommissar für den Archivschutz und führte stolz aus, dass der Einsatz der deutschen Archivare in den besetzten Gebieten „eine Leistung von einer Universalität wie bisher niemals in der deutschen Archivgeschichte“ darstelle, die „auch eine ungeheure prinzipielle Bedeutung für die Zukunft habe.“ Erst kurz zuvor hatte er deshalb in einem Vortrag betonen können, „wie wir uns durch diese Leistungen wieder einmal als Kulturvolk bewiesen haben“.72 So sehr anmaßende Äußerungen jener Couleur in die Zeit passten, entbehrten sie doch objektiven Grundlagen. Gewiss mochte manche Akte, manches Archiv und auch Kulturgüter durch individuellen Einsatz vor Beschädigung oder Zerstörung gerettet worden sein, doch straften viele den Aktionen deutscher Archivare zugrunde liegenden Absichten diese Behauptung Lügen. Gerade die politischen Intentionen verbanden sich in der Praxis eng mit den wissenschaftlichen Ansprüchen, die nicht selten freimütig hintangestellt wurden. Und auch dort, wo die Bearbeitung und Auswertung fremder Aktenbestände noch während des Krieges zu publikationsreifen Arbeiten geführt hatten, zeigte sich, „wie eng sich Wissenschaft und Politik mit den Arbeiten des Archivars verknüpfen“. Eine Einschätzung, die die Archivare des Osteinsatzes gewiss teilten – sofern sie überhaupt noch wissenschaftliche Aspekte in ihrer Arbeit erkannten. Zipfel war äußerst wichtig, dass in jener Verquickung der deutsche Archivar bewiesen habe, dass er „auch hierin dem Hochschulprofessor in keiner Weise nach[stehe]“.73 Das Bemühen, sich der Professorenschaft ebenbürtig zu zeigen, zog sich zu dieser Zeit bereits seit Jahrzehnten wie ein roter Faden durch die Archivgeschichte. Wie die Archivwissenschaft diesem Anspruch unter erschwerten Kriegsbedingungen auch an der ‚Heimatfront‘ gerecht werden wollte, wird nachfolgend untersucht.

71

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 249. Niederschrift über die Besprechungen in Wien am 11. und 12. Mai 1944, BArch 1506/1027. 73 Niederschrift über die Besprechung in Dresden vom 19. bis 21. Mai 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 28. 72

XI. Kriegsalltag in Archivwesen und -wissenschaft – Archivare an der Heimatfront 1. Das Selbstverständnis der Disziplin in Zeiten des Zweiten Weltkriegs Der Zweite Weltkrieg machte sich in der deutschen Archivwissenschaft auch dort bemerkbar, wo sie in den ersten Kriegsjahren von dessen unmittelbaren Auswirkungen verschont geblieben war. Die Rahmenbedingungen, innerhalb derer das Funktionieren des Archivwesens gewährleistet werden musste, hatten sich erheblich gewandelt. Allein die Abordnungen von möglichst erfahrenen Archivaren in die besetzten Gebiete hatten den Personalbedarf drastisch erhöht – zusätzlich zum durch neue Ansprüche und Vorhaben ausgeweiteten Kompetenzbereich. Im Sommer 1941, als deutsche Archivare im Westen wie im (Süd-)Osten im Einsatz waren, sah sich Zipfel dazu veranlasst, aufgrund der „besondere[n] Beobachtungen und Erfahrungen der letzten Jahre“ einige grundlegende Gedanken „über das Verhältnis der Archivverwaltung zur Wissenschaft“ darzulegen. Nach einleitenden Ausführungen zur „Sonderstellung“ der Archive als Verwaltungsbehörden und als „Forschungsstätten ersten Ranges“, ohne die „eine blühende Geschichtsforschung nicht möglich“ sei, betonte er die Bedeutung des Archivars. Dieser müsse „archivischer Fachmann im engeren Sinne, Verwaltungsbeamter und Wissenschaftler in einer Person sein“, was ihm wiederum sowohl eine besondere Leistungsfähigkeit abverlange als ihn „gewissermaßen über andere Verwaltungsbeamte hinaus“ hebe. Damit mache er sich unverzichtbar: „Bei wievielen wissenschaftlichen Arbeiten hat der Archivar die Rolle des Gevatters, um nicht zu sagen des Geburtshelfers, übernommen; wieviele Arbeiten haben nur mit seiner stillen Hilfe [. . . ] und dank seiner wissenschaftlichen Vorbildung und Übersicht geschrieben werden können!“1

Der wissenschaftliche Archivar, den Zipfel wieder einmal aus der vermeintlichen zweiten Reihe des Wissenschaftsbetriebes ins Rampenlicht rücken wollte, sei mithin gerade in den provinziellen Staatsarchiven „ein Hauptträger der landesgeschichtlichen Forschung“. Die preußische Archivverwaltung mit ihren rund 100 Archivaren und die projektierte „künftige Reichsarchivverwaltung“ sollte mit rund 250 Archivaren „in ihrer Gesamtheit wohl die größte geschichtswissenschaftliche Organisation dar[stellen], die Deutschland besitzt“.2 Zwar habe er, so Zipfel weiter, gewisse Anregungen sowie die Konzeption des Ostprogramms von seinem Vorgänger Brackmann übernommen und des Öf1 Zipfel: Die wissenschaftlichen Aufgaben der Archivverwaltung, 10. Juli 1941, BArch RW 35/397. 2 Zipfel: Die wissenschaftlichen Aufgaben der Archivverwaltung, 10. Juli 1941, BArch RW 35/397.

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teren mit diesem diskutiert, doch resultierten die ersten Erfolge vor allem aus seiner unermüdlichen Fühlungnahme mit den Institutionen der Ostforschung sowie der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften und dem „Zusammenwirken mit sachkundigen Gelehrten“. Dass Zipfel dabei „auch mit allen anderen Einrichtungen und Persönlichkeiten der Partei und des Staates, die sich die Erarbeitung eines großdeutschen Geschichtsbildes zur Aufgabe gemacht haben, Fühlung [ge]halten“ habe, verstand sich für ihn von selbst. Denn „in einer Zeit, in der die deutsche Geschichtsschreibung aufgehört hat, Domäne einer Zunft zu sein, ihre wesentlichen Impulse vielmehr vorwiegend von Kräften außerhalb der Universitäten erfährt“, könne man sich nicht einseitig festlegen.3 Die Spitze gegen die universitäre (Geschichts-)Wissenschaft war keineswegs neu, gewann in der Selbstrechtfertigung und mithin auch der Selbstindienststellung der deutschen Archivwissenschaft gerade während des Zweiten Weltkriegs aber eine neue Qualität. Da dieses Ziel nur durch festen Zusammenhalt innerhalb der Disziplin erreicht werden könne, berief Zipfel Tagungen ein, die in erster Linie dazu dienten, das „Zusammengehörigkeitsgefühl“ innerhalb der Archivverwaltung zu stärken und deren Exponenten für die gemeinsamen Absichten zu sensibilisieren, auch und gerade im Hinblick auf die kriegsbedingten Veränderungen im Archivwesen.4 Dessen Aufgaben seien durch die Kriegsumstände noch in einem Maße erschwert worden, das die Befürchtung nahelege, dass der wissenschaftliche Archivar zu einem „Registrator des höheren Dienstes herabsinken“ könnte. Um dem entgegenzuwirken, komme man nicht umhin, dem wissenschaftlich tätigen Archivar die Möglichkeit zu geben, sich auf seine Kernaufgaben zu beschränken. Dies bedeute selbstverständlich die „wissenschaftliche Bearbeitung der seiner Obhut anvertrauten archivischen Bestände“, welche durch Quellenpublikationen ebenso geleistet werden könne wie durch „monographische Darstellung“. Die diesbezügliche Befürchtung, sich zum „Historiker 2. Klasse“ zu entwickeln, könne dadurch ausgeräumt werden, dass man diese Einschätzung lediglich als „Stimme professoraler Überheblichkeit“ wahrnehme und sich vergewissere, dass es ohne Quellenveröffentlichungen und landesgeschichtliche Forschungen – auch jene in „begrenztem Rahmen“ – „keine sicher begründete allgemeine deutsche Geschichtsforschung und Geschichtsdarstellung geben würde“. Eine Spitze gegen die vermeintlich überheblichen professoralen Forscher konnten sich auch die Dahlemer nicht verkneifen, indem sie festhielten, dass Quellenpublikationen Fähigkeiten und Kenntnisse diplomatischer Methoden erfordern, wie sie „denen, die sich über die Beschäftigung mit Quellenveröffentlichungen erhaben dünken,

3

Ebd. Niederschrift über die Tagung der Leiter der preußischen Staatsarchive in Marburg am 3. und 4. Oktober 1941, GStA PK, I. HA Rep. 178 Nr. 28. 4

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nicht immer eigen sind“. Vielmehr stelle der Archivar „eben eine besondere Art des Historikers dar“.5 Weitere Ausführungen benannten so manche Ursache der allgemeinen Probleme in aller Deutlichkeit. Gewiss seien Umstände wie der enorme Anstieg sippenkundlicher Benutzung und damit auch der Betätigung der Archivare nicht von der Hand zu weisen, von „den anormalen Verhältnissen der Kriegszeit“ ganz zu schweigen, doch liege ein wesentlicher Grund für den Mangel an wissenschaftlicher Betätigung „in der außerordentlichen Zunahme der rein verwaltungsmäßigen Dienstgeschäfte.“ Vorbei sei die frühere Zeit, in der die Archivare „durch Verwaltungsarbeit nur in ganz geringfügiger Weise in Anspruch genommen wurden“ und sich vermehrt der wissenschaftlichen Betätigung widmen konnten. Mittlerweile befänden sie sich in „den viel größeren und komplizierteren Dienstbetrieben der Gegenwart“, welche bestimmt seien von unzähligen Organisations- und Verwaltungsaufgaben sowie auch „den durch die Anwendung des Führerprinzips und durch die Fürsorgepflicht für die Gefolgschaftsmitglieder notwendigen Maßnahmen“. Aufgaben also, die früheren Archivaren noch völlig fremd gewesen waren, zumindest in dem nun den Alltag bestimmenden Umfang. Kurz, es lasse sich beobachten, dass „unbestreitbar große Fortschritte“ in Organisation, Verwaltung und Stellung der Staatsarchive „mit einem Sinken des wissenschaftlichen Niveaus der Archivbeamten erkauft wurden.“ Ein Problem indes, mit dem sich nicht nur die Archivare konfrontiert sähen, sondern, wie unlängst im Völkischen Beobachter zu lesen gewesen sei, auch die Bibliothekare.6 Der Historiker und Bibliothekswissenschaftler Götz von Selle hatte dort zur vergleichbaren Entwicklung geschrieben, dass dem Bibliothekar, der „seine Kraft auf ein Ding richtet, dem der einheitliche geistige Kern fehlt“, „vielfach der wissenschaftliche Faden aus der Hand“ gleite, wenn er auch „Fragen der Technik oder der Verwaltung an die Stelle wissenschaftlicher Probleme“ setze.7 Man fasste zusammen, dass die Archivare als Historiker gegenüber den universitären Forschern wesentlich benachteiligt seien, „als sie infolge der Revolution von 1918 mit wöchentlich 2 Nachmittagen ein volles Drittel der ihnen früher für die wissenschaftliche Arbeit zur Verfügung stehenden Zeit eingebüßt haben“. Außerdem müssten sie seit 1933 „von der Zeit der ihnen verbliebenen 4 Nachmittage auch noch die Tätigkeit im Dienst der NSDAP und ihrer Gliederungen bestreiten“. Der Professorenschaft hingegen würden „ihre langen Universitätsferien die wissenschaftliche Arbeit außerordentlich erleichtern“.8 Vor diesem Hintergrund müssen auch Forschungsprojekte wie Ost- und Westprogramm der Archivverwaltung sowie die Kooperationen mit den VFG gesehen werden, denn gerade die ‚Lenkungsebene‘ um Zipfel – und Brackmann in der 5 6 7 8

Mitteilungsblatt 1941 Nr. 10 vom 6. Dezember 1941. Ebd. VB vom 10. Dezember 1940, Nr. 345, S. 6. Mitteilungsblatt 1941 Nr. 10 vom 6. Dezember 1941.

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NOFG – war sich der Anforderungen politischer Art durchaus bewusst.9 Natürlich wollten auch sie zurück zum Ideal des vormittags archivarisch tätigen und nachmittags vor allem landesgeschichtlich forschenden Archivars, der so den verloren geglaubten Anschluss an die universitäre Wissenschaft aufzuholen vermochte. Archivare sollten „in der Phalanx der Geschichtsforscher nicht nur die Hilfstruppen darstellen, sondern selbst in vorderster Front stehen“.10 Dennoch wurde konsequent betont, dass die angeführten Arbeitsprogramme „aber auch der Erhöhung des wissenschaftlichen Ansehens der Archivverwaltung als solcher“ dienten. Der Generaldirektor habe dafür über die wissenschaftliche Betätigung seiner Archivbeamten zu „wachen“ und diese wenn nötig zu lenken, denn „sein Ziel ist es, das in dem wissenschaftlichen Beamtenkörper der Staatsarchive steckende wissenschaftliche Potential nach dem Kriege wieder zur größtmöglichen Auswirkung kommen zu lassen“.11 Dass selbst in Kriegszeiten neben den Forschungsprojekten durch originär archivarische Arbeiten unmittelbar wirksame und hilfreiche Beiträge geleistet werden konnten, wurde verschiedentlich betont. Mit diversen Aktivitäten wollte die Archivwissenschaft sich sowohl an Gegenwartsaufgaben beteiligen als auch die eigene Sichtbarkeit erhöhen – bei übergeordneten Stellen wie in der breiten Öffentlichkeit, welche vom Wesen der Archivwissenschaft zu wenig Kenntnisse hätte. Ludwig Bittner fasste das Dilemma in einem Aufsatz zusammen, der zur besseren Sichtbarkeit nicht nur ‚intern‘ im Mitteilungsblatt, sondern öffentlichkeitswirksam im Völkischen Beobachter publiziert wurde. Die Ansicht, gerade alte Akten seien „Altpapier, wertloser Plunder, den man verbrennen soll“, wäre nur allzu verbreitet, doch seien sie unabdinglich für „eine zielbewußte Staatsführung, eine geordnete Verwaltung“ und dienen der Geschichtsforschung als oft einziger „Rohstoff“. Vor allem aber werde in Akten „die gesamte politische, völkische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung eines Volkes beschrieben“. Wolle man aus der Geschichte lernen, „so muß man auch die Akten bejahen und aus ihnen zu lernen trachten“. Als eindrückliches Beispiel führte Bittner an, dass es doch gerade Akten gewesen seien, „die uns den erfolgreichen Kampf gegen die Kriegsschuldlüge von Versailles führen ließen“. Und auch zur Beantwortung aktuellster Fragen würden Archivare beitragen, denn erst die „unwiderleglichen Enthüllungen aus den polnischen Archiven“ sowie die Auswertung französischer Akten hätten „die Vorbereitung des zweiten Weltkriegs durch England und die 9

Zum Westprogramm der Archivverwaltung siehe S. 364 ff. Vortrag Zipfels über Die Aufgabe und die Bedeutung der Archive auf der Arbeitstagung des erweiterten Beirates der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation in Salzburg vom 21. bis 24. September 1942, BArch R 1506/1029. 11 Arbeitstagung der preußischen Staatsarchivdirektoren und Einsatzgruppenleiter im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten, Marburg, 2. bis 4. Oktober 1941, BArch R 1506/1027. Vgl. die Übersicht über Wissenschaftliche Arbeiten der Beamten und Angestellten der Staatsarchive 1941/42, Mitteilungsblatt 1942 Nr. 7 vom 5. August 1941. 10

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Vereinigten Staaten von Amerika“ und den Verrat Englands an Frankreich offenbart. Weitere Beispiele könnten, formulierte Bittner selbstbewusst, „natürlich für alle Zweige des völkischen Daseins beigebracht werden“.12 Damit wurden unter anderem Argumente aufgegriffen, die sich aus den Lobreden auf das Archivwesen ableiten ließen, die gerade auch Vertreter aus der Politik auf den frühen Archivtagen nach der NS-Machtübernahme gehalten hatten und die zu wiederholen man sich innerhalb der Disziplin zu keiner Zeit zu schade war. Auf diese Nutzen, die verschiedenste Einrichtungen politischer wie wissenschaftlicher Art aus der Arbeit der Archive ziehen könnten, wurde mit andauerndem Kriegsverlauf auch vehement hingewiesen, als zunehmender militärischer Personalbedarf die Archivwissenschaft zum Erliegen zu bringen drohte. Trotz oftmals erfolgreichen Taktierens Zipfels war es generell um das Selbstbewusstsein der deutschen Archivare dieser Zeit nicht zum Besten bestellt. Die häufig formulierte Unsicherheit aufgrund der vermeintlichen Reduzierung auf Hilfsarbeiter der universitären Geschichtswissenschaft war in der Archivwissenschaft der 1930er und 1940er Jahre tief verwurzelt und oft hervorgebracht, obwohl ähnliche Einschätzungen bereits in den Jahrzehnten zuvor zu vernehmen waren. Im September 1944, als die Situation der deutschen Wissenschaft von den Auswirkungen des ‚totalen Krieges‘ geprägt und sie gewiss mit drängenderen Problemen konfrontiert war, besannen sich weite Kreise der Disziplin auf das bekannte Lamento über die der eigenen Bedeutung nicht gerecht werdende Geringschätzung, derer man sich vehement erwehren müsse. Michel Hofmann (*1903), Jurist, Archivar und Leiter des Staatsarchivs Bamberg, hatte ein flammendes Plädoyer zur Stützung dieses Anliegens verfasst, das Zipfel nur allzu gerne im Mitteilungsblatt veröffentlichte, zumal die Ausführungen Erkenntnisse enthielten, „auf die ich schon immer hingewiesen habe und die wert sind, auch jetzt im Interesse unseres Standes bei jeder Gelegenheit propagiert zu werden.“ Archivaren müsste, so zunächst der Tenor Hofmanns Ausführungen, wieder vermehrt Zeit zur wissenschaftlichen Forschung zugestanden werden, damit sie aus der „passive[n] Rolle“ hervortreten könnten, die ihnen von den „Universitätskreise[n]“ zugebilligt werde. Eine zentrale Fachspitze der Archivwissenschaft könne dabei hilfreich sein, die entsprechenden Lenkungsmaßnahmen zu ergreifen und koordinierend zur Seite stehen. In erster Linie gelte es hingegen, die Bedeutung der derzeitigen Situation nachdrücklich zu betonen, man befinde sich immerhin in einer „Mittler-Rolle zwischen Universität und Praxis“, die aus der Doppelstellung der Archive herrühre. Die mit einer erneuten Spitze gegen universitäre Wissenschaft einhergehende Begründung spricht Bände: „Die Sippenforscher, die Haus- und Anwesensforscher, die Heimatforscher können vom Universitätsprofessor wenig Förderung erfahren. Dieser selbst ist ja – das zeigt die Erfahrung jedes Archivs – bei derartigen Aufgaben stets auf das Gängelband hilfsbereiter Archivare angewiesen. Sein Buchwissen und seine angeblich großen Gesichtspunkte helfen ihm bei der Einzelforschung verflucht wenig. Und bekannt12 Die Akten im Urteil der Öffentlichkeit, Mitteilungsblatt 1944 Nr. 5 vom 9. Juni 1944; Beitrag Bittners in der Wiener Ausgabe des VB vom 17. Mai 1944.

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lich ist es leichter, eine Weltgeschichte zu schreiben als eine Dorfgeschichte. Nur der Archivar beherrscht Quellen und Methoden; nur er sieht vor allem auf dem Gebiet der Landesforschung die Probleme und die Möglichkeiten ihrer Lösung. Das spürt man bei jedem Wissenschaftler, der durch die Schulung unseres Berufs gegangen ist. Unsere Rolle ist deshalb die eines kritischen Mittlers“.13

Mit Nachdruck müsse die eigene Stärke der Archivwissenschaft demnach gegenüber Universitäten dargelegt werden, aber auch gegenüber der „fachlichungelehrten Forschung“ sowie gegenüber den Geschichtsvereinen und Arbeitsgemeinschaften. Da in den Archiven oftmals die universitär „am Schreibtisch ersonnenen Problemstellungen“ gerade von Qualifikationsarbeiten aufgrund der Quellenlage modifiziert werden müssten, wolle man „die Universitätsforschung auf jene Quellen und Fragestellungen hinlenken, die eine Bearbeitung verlangen, bzw. vertragen“.14 Neben Vorträge, Arbeitsgemeinschaften und Kurse sollten Publikationen und die Mitarbeit an den Heimatbeilagen der Zeitungen treten – „Man muß uns hier einfach als die zuständige Instanz anzuerkennen.“ Als Beispiel für die erwünschte Herausgabe von „Forschungs-Führern mit Quellenhinweisen“ führte er die „im Blut-und-Boden-Verlag Goslar erschienenen ‚Quellen zur bäuerlichen Hof- und Sippenforschung‘“ an, zu denen er selbst bereits ein Heft beigesteuert hatte. Dies spricht für die Indienststellung landesgeschichtlicher Forschung zu dem offensichtlichen Zweck, das eigene Ansehen nicht nur in wissenschaftlichen, sondern auch politischen Kreisen zu erhöhen.15 Die hohen Anforderungen, welche die deutschen Archivare an sich stellten, waren selbst in Friedenszeiten nicht leicht zu erfüllen. Umso höher war hingegen die Hürde, diese Ziele während des Krieges nicht aus den Augen zu verlieren sowie entsprechendes Personal zu finden beziehungsweise auszubilden. Dass die Personalfrage durch kriegsbedingte Einflüsse von besonderer Bedeutung war, zeigte sich wiederum an der Ausbildungssituation unter den erheblich erschwerten Rahmenbedingungen. 2. „Auch die Schwaben müssen Polnisch lernen.“ – Die Archivarsausbildung im Zweiten Weltkrieg Die regulären Ausbildungskurse am IfA fanden in vollem Umfang lediglich bis 1939 statt, bevor in den folgenden Jahren nur noch reduzierte und verkürzte Sonderlehrgänge abgehalten wurden.16 Als sich Zipfel im Sommer 1940 bei anderen Archivverwaltungen erkundigt hatte, ob diese für einen geplanten IfA-Kurs Referendare abordnen würden, bekam er meist negative Bescheide. 13

Die Rolle der Archive im Wissenschaftsleben, Mitteilungsblatt 1944 Nr. 7 vom 8. September

1944. 14 15 16

Ebd. Ebd., Hervorhebung im Original. Siehe Kap. C. VII. 2. d).

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Vor diesem Hintergrund fasste Zipfel deshalb 1941 den Stand der Ausbildung und die Situation der Ausbildungsinstitute zusammen. Dass sich die Anforderungen gewandelt hätten, so Zipfel, liege auf der Hand, und dem sei bereits mit Gründung des IfA weitgehend Rechnung getragen worden, doch mache der neuerliche Weltkrieg weitere Überlegungen für die Zukunft der Archivwissenschaft dringend notwendig. Wenn frühere Archivare „vielfach Philologen, die keine Lust hatten Oberlehrer zu werden, oder verhinderte Universitätsprofessoren, jedenfalls mehr oder weniger Eigenbrötler“ gewesen seien, so ginge das nicht mehr an. Am IfA könne zwar die grundlegende Konzeption ebenso weitergeführt werden wie der bisherige Lehrplan, wenngleich natürlich „die Rassenkunde und die Vorgeschichte“ noch zu wenig berücksichtigt würden, die gerade in den neu entstehenden Forschungsstellen „eine besondere Rolle“ spielten.17 Zipfels Überlegungen boten hingegen noch keine Lösungen für das konkrete Problem, vor das der Krieg die Archivarsausbildung stellte. Bei dem bereits verkürzten IfA-Kurs 1939/40 konnten zwar einige Referendare das Examen ablegen, doch zeigte sich bei den immerhin sechs Kriegsteilnehmern, die sich nur einer vereinfachten Prüfung unterziehen mussten, „daß die Dauer ihrer theoretischen Ausbildung den allgemeinen Bedingungen über vereinfachte Prüfungen für Kriegsteilnehmer nicht genügte.“ Diesen Teilnehmern blieb lediglich die Möglichkeit, „nach dem Kriege die fehlende Vorbereitungszeit nach[zu]holen, ehe sie zur archivarischen Staatsprüfung zugelassen werden“. Weitere Probleme ergaben sich aus der Rekrutierung passender Bewerber. „Anstelle der Stubenhocker von einst“ verlangte Zipfel, „tatkräftige gewandte junge Männer“ zu Archivaren auszubilden. Einige Kandidaten hatten sich bereits für den geplanten Folgekurs gemeldet, aber zwei Anwärter waren noch vor Beginn der Ausbildung gefallen, die anderen eingezogen worden. Obwohl es zeitweise nur mit Mühe gelang, den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten, blieb Frauen der höhere Archivdienst verschlossen, denn schon „im Interesse der Erziehung des Nachwuchses sind Frauen als Hospitantinnen bei den Ausbildungskursen nicht erwünscht“.18 Auch wenn die „halbjährige theoretische Ausbildung der Kriegsteilnehmer“19 nicht den erhofften Erfolg gebracht hatte, offenbarte die Bewertung der Teilnehmer des siebten, verkürzten Kurses 1939/40 und des darauf folgenden konzentrierten Sonderlehrgangs im Frühjahr 1941 die seit mindestens zwei Jahrzehnten diskutierten, aber dennoch zementierten Machtverhältnisse im deutschen Archivwesen: Die besten, gründlichsten und fleißigsten Kursteilnehmer, denen teils eine wahre „Gelehrtennatur“ beschieden wurde, wurden für die Verwendung an 17 Denkschrift Zipfels über die reichseinheitliche Ausbildung der Beamten des höheren Archivdienstes, 1941, BArch R 1506/1029. 18 Arbeitstagung der preußischen Staatsarchivdirektoren und Einsatzgruppenleiter im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten, Marburg, 2. bis 4. Oktober 1941, BArch R 1506/1027; vgl. auch: IfA-Jahresbericht 1941/42, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 240. 19 Die halbjährige theoretische Ausbildung der Kriegsteilnehmer, BArch N 1418/66, auch: HStA Marburg, 156e/649.

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den östlichen Staatsarchiven eingeplant, sofern sie Polnischkenntnisse vorweisen konnten. Ohne diese erforderlichen Sprachkenntnisse wurden selbst jene Teilnehmer mit guten Leistungen, die eine „gewisse Überheblichkeit“ an den Tag legten oder sich nur an einem „ruhigen Platz“ entfalten können würden, für ein westliches Staatsarchiv vorgesehen. Jene IfA-Absolventen, deren Leistungen „nicht über Durchschnitt“ waren oder gar „nur knapp den Ansprüchen“ entsprachen, konnten auf eine eventuelle Verwendung am Reichsarchiv hoffen. Der schwächste Kursteilnehmer, der nicht nur eine geringe Geschicklichkeit zeigte, sondern zudem „unbeholfen und langsam“ war, kam allenfalls „für ein Stadt- oder Kirchenarchiv in Frage“.20 Die hitzigen Diskussionen über eine bessere Vorbildung der Stadtarchivare, die idealiter die gleiche Ausbildung wie angehende Staatsarchivare durchlaufen sollten, wurde mit solchen Maßnahmen in gewisser Hinsicht ad absurdum geführt, beziehungsweise war die zuvor errungene vermeintliche Gleichstellung allenfalls ein scheinbarer Erfolg für kleinere Stadt- oder auch kirchliche Archive. Hinsichtlich der erforderlichen Sprachkenntnisse ergab sich ein Problem. Wurde die Vermittlung von vertieften Lateinkenntnissen durch erfahrene Archivare in den Archiven als unproblematisch angesehen, blieb in der sehr knapp bemessenen Institutsausbildung kaum Zeit für intensive Kurse in modernen Fremdsprachen. Im Fokus standen offensichtlich slawische Sprachkenntnisse, und Randt führte aus, warum sich dies auch in absehbarer Zeit nicht ändern werde. Zunächst sei das Bedürfnis nach sprachkundigen Archivaren viel größer, „als alle Kollegen, die im innerdeutschen Gebiet arbeiten, annehmen.“ Viele Archivare, die im Osten ihren Dienst leisteten, wollten aufgrund der schlechten Lebensbedingungen nach wenigen Jahren zurück ins Reich. Deshalb strebte die Archivverwaltung eine turnusmäßige Auswechslung der ‚Ostarchivare‘ im fünfjährigen Wechsel an. Dadurch steige der Bedarf an sprachkundigen Mitarbeitern, denn „ein Archivar ohne slawische Sprachkenntnisse ist im Osten unbrauchbar.“ Rechne man, so Randt, mit einem Bedarf von etwa 40 entsprechend geschulten Kräften, werde schnell klar, dass diese nicht alle in Preußen ausgebildet werden könnten. Zumindest in Wien müsse daher „die alte Tradition wieder aufleben, damit ein ständiger Zustrom junger Archivare in die ehemals österreichisch gewesenen Ostgebiete erfolgen kann.“ Das Argument der Lebensbedingungen schien immerhin so stark zu sein, dass Randt den Einwand Vollmers, auch holländische Sprachkenntnisse entsprechend zu fördern und fordern, mit der Bemerkung abschmettern konnte, dass „die Lebensverhältnisse in Holland [. . . ] im Vergleich zum Osten stets so günstig sein [werden], daß jeder junge Archivar mit Freuden Holländisch lernen wird, um dorthin zu kommen.“ Im Osten hingegen werde es nicht ohne Zwang abgehen. Dies bekräftigte Zipfel umgehend mit einem Verweis darauf, dass man sich, vernachlässige man die Sprachkurse, „wieder auf Kleindeutschland zurückziehen“ müsse. Zuletzt plädierte Randt für die Förderung slawischer Sprachen im 20

Beurteilung und Verwendungsmöglichkeit der Referendare, BArch N 1418/66.

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deutschen Archivwesen, weil die SS, die deren Bedeutung bereits erkannt habe, sich „mit Außenseitern in die Lücke schieben“ werde, welche entstehe, wenn sich die Archivverwaltung diesbezüglich zurückziehe. Schon um diesen Bedeutungsverlust abzuwenden, sei eine entsprechende Förderung unabdingbar. Auch der Stuttgarter Archivar Hermann Haering unterstützte diese Gesichtspunkte nachdrücklich: „Auch die Schwaben müssen Polnisch lernen“.21 Der neunte und letzte Kurs des IfA wurde 1944 kriegsbedingt in Marburg abgehalten, Ende des Jahres wieder an das GStA nach Berlin verlegt, konnte nicht mehr beendet werden, da aufgrund des „totale[n] Krieg[es]“ die Ausbildung „an Beamtenschulen wie dem IfA nur für kriegsbeschädigte Soldaten fortgesetzt werden“ durfte.22 Im September 1944 wurde noch geplant, „kriegsversehrte, jüngere Offiziere, die sich für das Archivwesen interessieren, jedoch bei den Heeresarchiven nicht verwendet werden“ können, in der preußischen Archivverwaltung aufzunehmen, sollten sie eine entsprechende Fachausbildung besitzen oder sich diese angedeihen lassen. Da die Anforderungen für den höheren Dienst hierfür nicht aufgeweicht werden sollten, wurde empfohlen, die potentiell infrage kommenden Personen vor allem auf die Möglichkeiten als Anwärter im gehobenen Dienst oder auch im Angestelltenverhältnis hinzuweisen.23 So wenig die meisten der zu dieser Zeit diskutierten Veränderungen nachhaltigen Einfluss auf das deutsche Archivwesen und die Archivarsausbildung haben sollten, vermitteln sie doch ein genaues Bild sowohl des Selbstverständnisses der leitenden Archivare als auch deren Gewichtung verschiedener Aspekte unter Kriegsbedingungen.24 Zweifelsohne engagierte Zipfel sich für die Archivverwaltung und warb in vielerlei Hinsicht für diese. Er selbst betonte zusätzlich bei unzähligen Gelegenheiten, dass ihm die wissenschaftliche Bedeutung des deutschen Archivwesens am Herzen lag und er für deren Ausbau sowie deren Sichtbarkeit sorgen wollte. Da die institutionalisierte Ostforschung, vor allem im Rahmen der VFG und dabei besonders der NOFG, von seinem Amtsvorgänger Brackmann maßgeblich beeinflusst wurde, hatte sich Zipfel weitere, wenngleich damit in Beziehung stehende Möglichkeiten suchen müssen, um ‚seine‘ Archivare im Kontext der Archivverwaltung wissenschaftlich glänzen zu lassen. So etwa in seinem Ostprogramm, das sich möglichst nahtlos in den größeren Kontext der deutschen Ostforschung einfügen sollte, und der massiven Förderung ‚osttauglichen‘ Nachwuchses. 21 Niederschrift über die Besprechungen in Würzburg vom 22. bis 24. September 1943, BArch R 1506/1027. 22 Zipfel an Flach, 4. Januar 1945, ThHStA Weimar, Direktor der thüringischen Staatsarchive, 63. Vgl. StA Marburg an den Oberbürgermeister Marburgs, 9. Juni 1944, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 2877; siehe auch Kap. C. VII. 2. d). 23 Verwendung kriegsbeschädigter junger Offiziere im staatlichen Archivdienst, Mitteilungsblatt 1944 Nr. 9 vom 4. November 1944. 24 Niederschrift über die Besprechungen in Würzburg vom 22. bis 24. September 1943, BArch R 1506/1027.

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3. „Im Dienste der deutschen Interessen“ – Archivwissenschaft, Ost- und Westforschung im Krieg, 1940–1945 Zipfels Engagement hinsichtlich des Ostprogramms der Archivverwaltung war weder völlig selbstlos noch mit rein wissenschaftlichen Beweggründen zu erklären. Wie er selbst betonte, waren zwei Aspekte ausschlaggebend für die Einrichtung jenes Forschungsprogramms. Zum einen sollte „die seit den Zeiten Sybels bestehende große Reihe der Publikationen aus den preußischen Staatsarchiven“ fortgeführt werden, wodurch der Archivverwaltung mittels ihres ureigensten Tätigkeitsgebiets zu neuem Ruhm verholfen werden sollte. Zum anderen spielte ein wissenschaftspolitischer Aspekt eine zentrale Rolle: Zipfel wollte als Generaldirektor der Staatsarchive durch die neuerlichen Forschungsvorhaben „auf diesem Gebiet nicht ausgeschaltet“ werden. Dass seit dem Polenfeldzug „die Quellen zur Erforschung der Geschichte des Deutschtums und der Beziehungen des Reiches zu seinen östlichen Nachbarn“ der deutschen Forschung zugänglich waren, sei auch seiner Initiative zu verdanken, da er die entsprechenden Fachmänner entsandt habe. Auch um das neue Material der Forschung zuzuführen, hätte die Neuausrichtung des Ostprogramms erfolgen müssen. Von Beginn an war es dabei sein Bestreben gewesen, legte Zipfel später in seinen Erinnerungen dar, „in engstem Einvernehmen mit den auf dem gleichen Felde arbeitenden wissenschaftlichen Institutionen vorzugehen“. Jedoch nicht unter deren Federführung, sondern eben zu guten Teilen unter seiner Leitung.25 Der Furcht vor Ausgrenzung aus einflussreichen Forschungskontexten stellte Zipfel sein Publikationsprogramm entgegen, von dessen zehn wichtigsten Vorhaben Anfang 1941 immerhin sechs bereits intensiv bearbeitet wurden, wie er Brackmann stolz mitteilte.26 Mit Brackmann, der seit seinem Ausscheiden aus dem Generaldirektorat der preußischen Archivverwaltung vor allem über die NOFG die Ausrichtung der Ostforschung maßgeblich beeinflusste, war Zipfel Ende 1940 allerdings in einen Konflikt geraten, der sich im Wesentlichen um die vermeintliche institutionelle Konkurrenzsituation von NOFG und Archivverwaltung drehte, aber anhand eines eher banalen Vorwurfs zu eskalieren drohte. Im Herbst 1940 hatte Brackmann aus „Universitätskreisen“ vernommen, dass Zipfel den preußischen Archivaren per Erlass untersagt habe, „sich an einer Ehrung zu beteiligen, die mir anlässlich meines 70. Geburtstages im nächsten Jahre zugedacht war“. Begründet hatte Zipfel dieses Verbot damit, dass Brackmann „‚illoyal‘ gegen ihn gehandelt hätte“, wohingegen dieser von jenem Vorwurf überrascht wurde, „weil ich noch im Frühjahr mit ihm und seinen Referenten über gewisse kontroverse Fragen in der Organisation der Ostforschung ausführlich gesprochen hatte und zu einer völligen Einigung gekommen war“. Zudem sei es, prangerte Brackmann an, „ein in der Geschichte der Archivverwaltung wie auch in der Geschichte noch nicht da25 26

Zipfel: Erinnerungen, BArch R 1506/1020, S. 23 f. Zipfel an Brackmann, 8. Januar 1941, BArch R 153/5.

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gewesener Vorgang, dass der Nachfolger in dieser Weise gegen seinen Vorgänger vorgeht“, vor allem auch ohne sich mit ihm in Verbindung zu setzen.27 Als diese Vorwürfe, die um eine Intervention Aubins bei verschiedenen Ministerialdirektoren ergänzt worden waren, von Zipfel vernommen wurden, wandte dieser sich direkt an Brackmann und legte dar, die Unterstellung entspräche nicht den Tatsachen und es ginge vielmehr darum, die Arbeitsbelastung der Archivare zu reduzieren, in erster Linie jene, die durch zusätzliche Vorhaben und Aufträge für die NOFG entstand. Er wolle betonen, dass „sachliche Meinungsverschiedenheiten, wie sie zwischen der Preussischen Archivverwaltung und der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft leider bestehen, auf keinen Fall auf das persönliche Gebiet hinübergespielt werden dürfen“.28 Diese Ansicht teile er voll und ganz, teilte ihm Brackmann daraufhin mit, doch habe nicht er, sondern Zipfel im vorliegenden Falle gegen diesen Grundsatz verstoßen. Bei einer unlängst erfolgten Besprechung hatte er den Eindruck gewonnen, „dass zwischen uns in jeder Beziehung ein gutes Verhältnis bestand.“ Auch der freundliche Abschied bei jener Zusammenkunft habe ihn überzeugt, „dass eine enge Zusammenarbeit, um die ich mich seit dem Ausscheiden aus meinem Amt bemüht hatte, nunmehr gesichert sei“.29 An Aubin, der die Festschrift mit herausgeben sollte, wandte sich Brackmann mit einer Darlegung seiner Sicht und schloss, dass sich Zipfel „durch Abstreiten jeder Schuld in eine etwas üble Lage gebracht“ habe und nun abgewartet werden müsse, „wie er sich aus dieser herausziehen wird“.30 Was Brackmann noch nicht wissen konnte: Zum dem Zeitpunkt, als er Zipfel mit dem Vorwurf konfrontierte und sich an vorgesetzte Stellen wand, war der „Fall Zipfel“ dort bereits diskutiert und zu Brackmanns Gunsten entschieden worden. Aubin war im Innenministerium, im AA sowie im Preußischen Ministerpräsidium vorstellig geworden und hatte unter anderem mit verschiedenen Ministerialdirektoren zu dieser Sache konferiert. Vor allem Fritz von Twardowski aus der Kulturabteilung des AA hatte festgehalten, dass die Arbeit der Forschungsgemeinschaften und damit auch die geplante Festschrift im „Interesse des Reiches“ liege und es somit nicht anginge, wenn ein preußischer Beamter für solche Vorhaben infrage kommende Kräfte an ihrer Mitarbeit hindere, erst recht nicht, „wenn Reichsbehörden wie das A.A. und das RMdI ihr Interesse daran ausgesprochen haben“. Gegenüber Ministerialdirektor Vollert (RMdI) stellte Aubin abschließend klar, dass die NOFG „wie bisher von der großen Bedeutung der Mitarbeit der Archivare an der Forschungsgemeinschaft durchdrungen“ sei und

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Brackmann an Innenministerium, 2. Dezember 1940, GStA PK NL Brackmann Nr. 84. Zipfel an Brackmann, 17. Dezember 1940, GStA PK NL Brackmann Nr. 84. Brackmann an Zipfel, 19. Dezember 1940, GStA PK NL Brackmann Nr. 84. Brackmann an Aubin, 20. Dezember 1940, GStA PK NL Brackmann Nr. 84.

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mitnichten daran denke, die Kooperation aufzukündigen.31 Der Konflikt sollte demnach keinen Keil zwischen NOFG und Archivverwaltung treiben; zu sehr war man sich beiderseits der Synergieeffekte bewusst. Der ‚Fall Zipfel‘ und dessen Niederlage gegen Brackmann – die dienstrechtlich allerdings folgenlos blieb – zeigte deutlich, wie stark der Rückhalt der NOFG bei in politischen Kreisen war. Offenkundig wurde dabei aber auch, wie unscharf die Trennlinie zwischen den Arbeits- und Zuständigkeitsbereichen Brackmanns und Zipfels in mancher Hinsicht war. Zipfels Unmut schien zudem wesentlich gestiegen zu sein, als aufgrund des Kriegsverlaufs unzählige in besetzten Gebieten eingesetzte Archivare ‚seinem‘ Ostprogramm entzogen wurden. Dazu trat für ihn erschwerend die Tatsache, dass eben jene professoralen Forscher, gegen die die Archivverwaltung allzu gerne austeilte, in genau diesen nun gestärkt aus dem Konflikt hervorgehenden Forschungsgemeinschaften vertreten waren. Dennoch trugen trotz dieser Unstimmigkeit zwischen NOFG und Archivverwaltung Archivare weiterhin aktiv zur Ostforschung bei – zumal ihnen die Erlaubnis hierzu nachdrücklich ausgesprochen wurde und Brackmann genau zu wissen schien, welche Vorteile dies für die VFG brachte, die wiederum große Aufgaben vor sich sahen. Aufgrund der „grossen Ereignisse“ der Jahre 1938 und 1939 hatten sich die Forschungsgemeinschaften durch die Anforderungen von Verwaltung und Politik genötigt gesehen, „sich nicht nur mit volksdeutschen, sondern mit allgemein landeskundlichen, insbesondere volkstumswissenschaftlichen Fragen in den von ihnen betreuten Gebieten zu befassen“. Diesen Anforderungen seien sie natürlich allzu gerne nachgekommen, zumal sie „infolge der seit Jahren besonders gepflegten Sprach- und Sachkenntnisse gut und in vieler Hinsicht allein qualifiziert waren“. Gerade der Arbeit der PuSte war zuletzt große Bedeutung zugekommen, die neben Gutachten auch zahlreiche Karten anfertigte – „einige wurden von Reichsminister Dr. Frick dem Führer vorgelegt“ – und Personal für Grenzziehungskommissionen stellte. Vor allem das Jahr 1939 war „in starkem Mass durch den aktuellen politischen Einsatz der Publikationsstelle gekennzeichnet“ gewesen. Da jedoch der „Versailler Polenstaat“ nun Geschichte sei, müssten auch PuSte und NOFG umdenken und nicht mehr die deutsche „Volksgruppe gegen die feindselige Haltung einer nationalistischen Regierung“ verteidigen, sondern sich stattdessen der „Stärkung des Deutschtums gegenüber den in das Reich übernommenen Polen“ verschreiben. Die einst „volksdeutsche Arbeit“ werde damit grenzpolitische Arbeit und nehme eine politische Bedeutung an, „die man sich nicht gross genug vorstellen kann“.32 Arbeiten dieser Art nahmen in den Folgejahren weiter zu, vor allem, wie im Jahresbericht stolz bekundet wurde, die Erteilung wissenschaftlicher Auskünfte 31

Notizen Aubins über die Verhandlungen des ‚Falles Zipfel‘ in Berlin, 4. Dezember 1940, GStA PK NL Brackmann Nr. 84. 32 NOFG-Jahresbericht 1939/40, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9.

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„für oberste Reichsbehörden, insbesondere für das Reichsministerium des Innern“, aber auch den Reichsführer SS und Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums, für den Karten „über volkspolitische Fragen und über die neuen Ostgebiete“ angefertigt wurden. Dass Papritz als Leiter der PuSte für die Archivkommission nach Lettland und Estland abgeordnet wurde, stellte einen weiteren Erfolg dar, zumal er dort auch Mitglied in Kulturgüterausschüssen war. Auf diese Weise sei der PuSte „als nahezu einzigem wissenschaftlichen Institut im Deutschen Reich eine engere Verbindung mit dem alten Arbeitsgebiet der NOFG im Baltikum“ ermöglicht worden.33 Neben diesen Aufgabenstellungen und „trotz der Ungunst der Verhältnisse“ seien PuSte und NOFG dennoch in der Lage gewesen, ihre Publikationstätigkeit auszuweiten, da die Notwendigkeit bestünde, „Ergebnisse der ostdeutschen Volks- und Landesforschung in stärkerem Maße für den politischen Einsatz greifbar zu machen.“ Das umfasste sowohl reguläre wissenschaftliche Publikationen als auch jene Schriften der PuSte, die nur für den Dienstgebrauch gedacht waren und welche entsprechend „politisch heikle Themen zum Gegenstand“ hatten.34 Die vielfältigen Betätigungen und die damit erreichte Anerkennung zeichneten sowohl NOFG als auch PuSte in den ersten Kriegsjahren aus, und Zipfel konnte mit der Archivverwaltung bei vorgesetzten Einrichtungen punkten – vor allem mit den Archivkommissionen in den besetzten Gebieten. Diese waren schnell zu einer wichtigen Einrichtung geworden, von deren Arbeiten wiederum viele direkt und indirekt Beteiligten zu profitieren hofften. Wohl auch deshalb war der Konflikt zwischen Brackmann und Zipfel schnell ad acta gelegt worden – zu wichtig erschien die kriegsbedingte Aufgabenstellung, deren Bearbeitung beträchtliches Renommee versprach. Im Einzelfall ist es müßig zu fragen, wer im schwelenden Konflikt zwischen Archivverwaltung und NOFG beziehungsweise auf persönlicher Ebene zwischen Zipfel und Brackmann jeweils ‚im Recht‘ war, jedoch lässt sich konstatieren, dass Brackmann zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zumindest die Einrichtung und den Forschungskontext vertrat, dem unmittelbar politische Bedeutung zugesprochen wurde, was sich wiederum in dessen Einfluss niederschlug. Zipfels Bemühungen vermittels des Ostprogramms waren im Vergleich dazu weniger erfolgreich, so sehr er jenes auch propagieren mochte; er selbst hingegen gewann durch die Archivkommissionen an Einfluss. Bei mancher konkreten Fachfrage wissenschaftsorganisatorischer Art schien dennoch bevorzugt Brackmanns Expertise eingeholt worden zu sein. Dennoch hatte Zipfel kurz nach dem erfolgreichen Westfeldzug „die Leiter der westlichen Staatsarchive und einige andere interessierte Herren“ geladen, um mit ihnen „Probleme, die sich aus der neuen politischen Lage für die Landes33 34

NOFG-Jahresbericht 1940/41, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9. Jahresbericht der NOFG und der PuSte 1940/41, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 11 b.

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geschichtsforschung im Westen ergeben, durchzusprechen“. Das Resultat dieser Zusammenkunft war zum einen die Übernahme des stellvertretenden Vorsitzes der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (WFG) durch Zipfel und zum anderen die Ausrufung eines „Westprogramms“ der deutschen Archivverwaltungen nach dem Vorbild des bereits etablierten „Ostprogramms“ unter Federführung der NOFG.35 Zwar seien mit Einsetzung der Archivkommissionen die organisatorischen Maßnahmen „für die Auswertung der fremden Archive im Interesse der deutschen wissenschaftlichen Forschung“ getroffen, doch ganz im Sinne des bereits unter seinem Vorgänger Brackmann etablierten Selbstverständnisses sollten die Archivare einen Schritt weiter gehen als nur den Boden künftiger Forschung zu bereiten. Sie sollten eigene Beiträge zur Forschung beisteuern, dadurch ihr Ansehen in der deutschen Wissenschaftslandschaft erhöhen und beweisen, dass die Archivwissenschaft mehr sein könne als lediglich „Hilfskraft“ der Geschichtswissenschaft.36 Da eine „Belebung der Landesgeschichtsforschung [. . . ] nach dem Kriege in den Grenzgebieten des Ostens und Westens zu erwarten“ war, bot sich eine einmalige Gelegenheit, die gerade auf diesem Gebiet erwiesene Expertise vieler Archivare ebenso zu nutzen wie den frühen und exklusiven Zugriff auf später der allgemeinen Forschung zur Verfügung zu stellende Materialien. Dass er ideologisch an die vom „Ostprogramm“ beziehungsweise auch weiterer Teile der Ostforschung bekannten Rahmenbedingungen anknüpfen wollte, stellte Zipfel klar: Im Zuge des „Westprogramms“ sollten die Themen „über den Rahmen einer landschaftlich gebundenen historischen Institution hinausgehen“, und dabei galt es vor allem, „den engen territorialen Blickpunkt endgültig aufzugeben und die Arbeiten auf den alten volklichen Grundlagen ohne Rücksicht auf die politischen Grenzen aufzubauen“.37 Kurz, die „politischen Forderungen des Reiches im Osten und im Westen“ seien durch wissenschaftliche Expertise „historisch zu unterbauen und die neugewonnenen Gebiete durch Aufhellung ihrer Geschichte unserem Volke auch innerlich nahezubringen“.38 Zipfel forderte dabei nicht weniger, als auch „die bisherige territoriale Zersplitterung der Landesgeschichtsforschung im Westen zu überwinden“ – und dies unter Federführung der preußischen Archivverwaltung. Deren Vorteil sei dabei, so Zipfel, dass sie im Rahmen des Arbeitsprogramms ihre Archivare nicht nur auf wesentliche Themen hinweisen und auf diese „einwirken“, sondern sie auch zur Übernahme bestimmter Arbeiten verpflichten könne, ohne sie von ihrer grundsätzlichen Pflicht, sich weiterhin bei anderen landeshistorischen Institutionen einzubringen, zu entbinden. Unzählige Themenvorschläge waren in einer 35 Zipfel an Schnath, 31. August 1940, BArch RW 35/394. Siehe auch: Ost und Westprogramm, Mitteilungsblatt 1941 Nr. 2 vom 20. März 1941. 36 Vgl. Herrebout: Sante, S. 215. 37 Protokoll über die Besprechung beim Generaldirektor der Staatsarchive am 27. August 1940, BArch RW 35/394. 38 Zipfel an Stengel, 1. November 1940, MGHA B 546.

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ersten Erhebung bereits von verschiedenen Archiven eingegangen, sodass Zipfel sich gezwungen sah darzulegen, nach welchen Kriterien die Auswahl zu erfolgen habe. So sei bei jeder Themenauswahl zu fragen: „a) ist es nationalpolitisch notwendig? b) geht es über den Rahmen der sonst von einer landschaftlich gebundenen historischen Institution durchgeführten Arbeit hinaus? c) ist es eine ausgesprochen archivarische Aufgabe?“

Erklärten sich die ersten beiden Anforderungen durch den Wunsch nach politischer Anerkennung und Förderung sowie nach Abgrenzung zu und Ergänzung von bestehenden Institutionen und Arbeitsprogrammen, machte der letzte Punkt der spezifischen archivarischen Aufgabenstellung eine Besonderheit des „Westprogramms“ aus. Unter solchen Aufgaben wurden Archiv- und Bestandsinventare verstanden wie auch Urkundenbücher, Regestenwerke und andere Quellenpublikationen, doch sollten natürlich auch historische Darstellungen nicht außen vor gelassen werden. Mit dieser Schwerpunktsetzung vermochte Zipfel die herausragende Stellung der Archivverwaltung in der landesgeschichtlichen Forschung zu den Westgebieten festigen und auch bereits laufende und geplante Vorhaben in das Programm integrieren; die in den besetzten Gebieten im Entstehen begriffenen Inventare waren entsprechend wichtige Punkte des „Westprogramms“.39 Jenes war in drei Bereiche gegliedert, von sofort durch die Archivverwaltung in Angriff zu nehmenden Themen über solche, deren Bearbeitung sie sich für die Zukunft vorgenommen hatte bis hin zu Themen, deren Bearbeitung anderen Einrichtungen vorgeschlagen wurden. Unter dem ersten Punkt waren neben den Inventaren der belgischen, holländischen, französischen, elsässischen und weiteren Archiven vor allem Arbeiten zu konkreten Themen aufgeführt, wie beispielsweise die von Sante zu bearbeitende „Bevölkerungsbewegung und Bevölkerungspolitik des Industriegebietes an der Saar“. Der zweite, in der ersten Fassung noch recht knapp gefasste Punkt enthielt ähnliche Vorhaben, denen jedoch weniger Dringlichkeit zugemessen wurde. Die nicht von Archivaren zu bearbeitenden, sondern an externe Einrichtungen zu vergebenden Themen waren die thematisch am offensichtlichsten „nationalpolitisch notwendigen“ Arbeiten des Arbeitsprogramms, etwa die „germanisch-volkskundliche Untersuchung, welche Einzelteile des Deutschen Volkes (‚Stämme‘) auf westdeutschem Boden vorhanden sind und wo deren Grenzen verlaufen“, oder auch die „Untersuchung über die Einstellung der Bewohner der heute niederländischen und belgischen Gebiete zum Deutschen Reich und Volk“ sowie der projektierte „geschichtliche Atlas für den gesamten Südwestraum“, bei dem auf die bei der Erstellung des Saar-Atlas gemachten Erfahrungen zurückgegriffen wurde.40 Bereits letzteres Beispiel zeigt, 39 Protokoll über die Besprechung beim Generaldirektor der Staatsarchive am 28. August 1940, BArch RW 35/394. 40 Westprogramm der Archivverwaltung, vorläufige Gestaltung, Anlage zum Protokoll vom 28. August 1940, BArch RW 35/394.

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wie sehr hierfür auf archivarische Vorarbeit zurückgegriffen werden konnte und wie stark die einzelnen Vorhaben mit früheren Projekten und seit längerer Zeit virulenten Fragestellungen verzahnt waren. Die Archivverwaltung hatte sich schon früh Gedanken gemacht, an welche Einrichtungen und Personen sie die nicht selbst zu bearbeitenden Themen vergeben könnte. Mit Franz Petri41, Franz Steinbach42 und Friedrich Metz43 standen wichtige Exponenten der Westforschung zur Debatte. Letztgenannter hatte bei der initialen Versammlung seine „volle Zustimmung“ zu den Plänen des „Westprogramms“ gezeigt und die Zusammenarbeit von WFG und Archivverwaltung umso mehr gelobt, „als sich auch bisher schon die Archive stärker als die Inhaber der geschichtswissenschaftlichen Lehrstühle an den Universitäten für die Landesgeschichtsforschung im westlichen Grenzgebiet eingesetzt hatten“.44 Die WFG hatte spätestens mit Beginn des Westfeldzuges ihre „Stunde der Experten“ kommen sehen bei der es gelte, wie Karl Asal vom badischen Kultusministerium Friedrich Metz mitteilte, dass auch die „kulturell Tätigen“ zum Einsatz kämen und „die Sache nicht schlechter [. . . ] machen als unsere Wehrmacht ihre Aufgaben erledigt hat“.45 Mit der mittlerweile erfolgten „völligen Umwälzung der politischen Lage“ und nachdem durch den Westfeldzug „der größte Teil der [von der WFG] bisher wissenschaftlich betreuten Gebiete zum Reich gekommen“ war, konnte diese „ihre Tätigkeit ungehemmt ausüben und nach allen Seiten planmäßig erweitern.“ Vor allem war dies, so Metz, umso notwendiger, weil die WFG in den vorherigen Jahren „leise treten mußte“.46 Metz, der seit 1935 als Geograf an der ‚Grenzlanduniversität‘ Freiburg im Breisgau lehrte und von 1936 bis 1938 deren Rektor war, hatte sich weit über Freiburg hinaus einen Namen gemacht und durch seine wissenschaftsorganisatorische Betätigung, vor allem im Rahmen der WFG, den Status eines Experten erworben. Als solcher sah er sich 1940 neben anderen berufen, an der Neugestaltung der deutschen Westgrenzen ebenso mitzuwirken wie an der Legitimation 41 Franz Petri, *1903, war Mitarbeiter Steinbachs am IGL und dessen Nachfolger als Direktor. 1936 hatte er sich mit einer Arbeit habilitiert, die belegen sollte, dass wesentliche Teile Nordfrankreichs deutscher Kulturraum seien und die eine der richtungsweisenden Schriften der deutschen Westforschung darstellte. Vgl. Tiedau: Petri, S. 467; Petri: Volkserbe. 42 Franz Steinbach, *1895, Schüler Hermann Aubins, wurde als Direktor des Bonner Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (IGL) und als erster Vorsitzender der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft (WFG) einer der wichtigsten Köpfe der deutschen Westforschung. Vgl. Tiedau: Steinbach; vgl. Petri: Steinbach. 43 Friedrich Metz, *1890, war Kultur- und Siedlungsgeograf und Landeshistoriker und hatte als Nachfolger Steinbachs in der WFG maßgeblichen Einfluss auf die deutsche Westforschung. Vgl. Grün: Metz; vgl. Driesch: Metz. 44 Protokoll über die Besprechung beim Generaldirektor der Staatsarchive am 28. August 1940, BArch RW 35/394. 45 Asal an Metz, 21. Mai 1940, zit. nach Seiler: Grenzen, S. 454. 46 Protokoll über die Besprechung beim Generaldirektor der Staatsarchive am 28. August 1940, BArch RW 35/394.

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und Umgestaltung des ganzen westlichen Grenzgebietes. Mit dem Initiator des „Westprogramms“, Zipfel, stimmte er darin überein, dass der „Sieg im Westen [. . . ] bald nach dem Kriege den meisten bestehenden Territorialgebilden im deutschen Westen ein Ende bereiten und an ihre Stelle eine den natürlichen, volklichen Bedingungen entsprechende Raumordnung bringen [müsse]“.47

Er legte diesem gegenüber außerdem dar, wie sich aus „der geographischen Struktur dieser Räume“ im Westen „und ihrer Zugehörigkeit zu Mitteleuropa, aus ihrer früheren Zugehörigkeit zum Reich, aus der germanischen Besiedlung und späteren Zuwanderung aus dem geschlossenen deutschen Volksgebiet“ gewisse den Westfeldzug rechtfertigende „Rechtsansprüche“ belegen ließen.48 Die geostrategischen Ziele sollten demnach flankiert und gestützt werden durch wissenschaftliche Gutachten, die naturgemäß interdisziplinär zu sein hatten; es ging nicht mehr nur um historische Argumentationslinien, sondern auch um sprachwissenschaftliche und kulturanthropologische Gutachten, die deutsche Ansprüche auf weitere Räume und damit neue Grenzziehungen legitimieren sollten.49 In mancher Hinsicht wurde den weitreichenden Plänen der Westforscher um Metz aber schon Ende 1940 ein Strich durch die Rechnung gemacht, als nach „Säuberungsaktionen“ im Elsass und in Lothringen nicht nur Zehntausende rassisch und aus anderen Gründen unerwünschte Personen ausgewiesen, Unzählige freiwillig auswanderten oder gewaltsam vertrieben worden waren, sondern auch „Rückkehrverbote“ ausgesprochen wurden für diejenigen, die kriegsbedingt evakuiert worden waren.50 Die politischen Entscheidungsträger, allen voran die Chefs der Zivilverwaltungen, Josef Bürckel und Robert Wagner, schienen nicht gewillt zu sein, auf landesgeschichtliche Grundlagenforschung Rücksicht zu nehmen bei ihren Aussiedlungs- sowie Germanisierungsmaßnahmen, sodass Metz mit seinem „Konzept einer nach Stammeszugehörigkeit definierten volklichen Neuordnung des Oberrheinraumes“ weitgehend gescheitert war.51 Im größeren Kontext war es gewiss nicht nur um eine Restrukturierung der Bevölkerungszusammensetzung und eine Grenzverschiebung beziehungsweise ‚Neuordnung‘ im Oberrheinraum gegangen, sondern ganz Frankreich sah sich de facto von mehreren Grenzen durchzogen wie auch den theoretischen Planungen einer neuen deutschen Westgrenze ausgesetzt. Waren die tatsächlichen Grenzlinien durch die Besatzungsherrschaft bedingt und von militärischen wie auch außenpolitischen Entwicklungen abhängig, war man bei der schnellen Besetzung Frankreichs noch nicht auf einen bestimmten Grenzverlauf im Westen festgelegt. Lediglich auf eine im Juni 1940 erarbeitete Denkschrift über Die Grenze 47

Metz an Zipfel, 28. August und 5. September 1940, zit. nach Seiler: Grenzen, S. 455, 460. Metz an Zipfel, 28. August und 5. September 1940, zit. nach ebd., S. 455, 460. 49 Vgl. Conze: Grenz-Diskurs, S. 42 f.; vgl. Schöttler: Westforschung, S. 215. 50 Vgl. Heinemann: Rasse, S. 306–341; vgl. Freund: Deutschtumswissenschaften, S. 295; vgl. Schöttler: Stuckart-Denkschrift, S. 87 f.; vgl. ders.: Westforschung, S. 232. 51 Seiler: Grenzen, S. 464. 48

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zwischen Deutschland und Frankreich konnte man sich berufen, in der die Ziele einer neuen Grenzziehung eruiert wurden. Diese Denkschrift stellt zudem einen eindrücklichen Beleg für politische Indienstnahme wissenschaftlicher Erkenntnis dar. Der mutmaßliche Verfasser, Staatssekretär im RMdI Wilhelm Stuckart, bezog sich dezidiert auf die Arbeiten vor allem verschiedener Geografen und Historiker, die sich mit den betroffenen Räumen und deren historischer Entwicklung auseinandergesetzt hatten, darunter die Geografen Otto Schlüter und Friedrich Metz und die Historiker Karl Linnebach und Franz Steinbach. Die nicht gänzlich bekannte Entstehungsgeschichte der Denkschrift lässt Raum für Spekulationen, doch leuchtet die Interpretation Peter Schöttlers durchaus ein, der konstatiert, dass aller Wahrscheinlichkeit nach die Initiative zur Denkschrift weder von den zitierten Wissenschaftlern noch von Stuckart ausging, sondern von Hitler die neue Westgrenze erdacht worden sei, die es daraufhin wissenschaftlich zu begründen und zu rechtfertigen galt. Anstatt Ergebnis einer stringenten wissenschaftlichen Argumentation war die Westgrenze demnach vielmehr politisch gewollter Ausgangspunkt, an dem sich die nachträgliche argumentative Begründung zu orientieren hatte. Dadurch sollen die zitierten Wissenschaftler nicht ‚entschuldigt‘ werden – zumal sich völkische, teils rassistische und vor allem revisionistische Tendenzen und Argumentationen in unzähligen ihrer Schriften der damaligen Zeit finden ließen –, aber als „Berater der Macht“, die ihre Erkenntnisse und Interpretationen in politische Taten umgesetzt wissen wollten, fungierten sie in diesem Zusammenhang nicht.52 Stattdessen wurden sie in die viel passivere Rolle derer gedrängt, deren Argumente eklektisch dort herangezogen wurden, wo sie den politischen Zielen nützlich waren. Die Ideen, die in der Denkschrift vorgebracht wurden, waren keinesfalls sämtlich neu. Bei der neuen Grenzführung zwischen Deutschland und Frankreich müssten, so die Denkschrift, verschiedene Ziele verfolgt werden: „1. Die neue Grenze muss den natürlichen Gegebenheiten und geographischen Tatsachen Rechnung tragen. 2. Deutsches Volkstum darf nicht länger vor den Toren des Reiches bleiben. 3. Dem Reich muss der zu Mitteleuropa gehörende Wirtschaftsraum im Westen geschlossen zugeteilt werden. 4. Die natürlichen und strategisch notwendigen Verteidigungslinien im Westen müssen dem Reich gesichert werden“.53

Dieser zweite Punkt war es, der die Umsiedlungs- und „Säuberungsaktionen“ Ende 1940 rechtfertigte. Denn wie in der Denkschrift ebenfalls festgehalten worden war, sei es traurig festzustellen, „dass hunderttausende und Millionen Deutsche und Flamen [. . . ] gegen das eigene Blut kämpfen müssen“ nur aufgrund des bisherigen Verlaufs der Geschichte und daraus resultierenden Grenzen, durch die 52

Vgl. Schöttler: Stuckart-Denkschrift. Die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, sog. ‚Stuckart-Denkschrift‘, in: Delmer: Deutschen, S. 768–790. 53

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wiederum „deutsches Volkstum [. . . ] in Frankreich untergeht“. Die neue Grenzziehung hingegen müsse eben auch durch Umsiedlung französischer Bevölkerung Räume schaffen, die als deutscher „Volksboden“ dem „deutschen Volkstum zur Besiedlung und Wiedergewinnung“ zur Verfügung gestellt werden solle. Die umgesiedelten Franzosen hingegen würden „ausreichenden Siedlungsraum und ausreichende Ernährungsmöglichkeiten im entvölkerten Kernfrankreich finden“. Betroffen seien von jenen Maßnahmen im von Frankreich abzutrennenden Gebiet rund 7,1 Millionen Einwohner, davon 1,5 Millionen deutschsprachige.54 Sowohl mit Brackmann als auch mit Zipfel stand Metz im Sommer 1940 in Kontakt und tauschte sich über Möglichkeiten und Erfordernisse aus. Zipfel stimmte er zu, als dieser aufgrund der Erfolge im Westfeldzug eine „räumliche Neugestaltung des Reiches“ für notwendig erachtete.55 Brackmann gegenüber legte Metz dar, dass die Siedlungsbestrebungen im Westen dringlicher und vor allem deutlich realisierbarer seien als jene im Osten, wo man sich fast gar „übernommen“ habe – zumindest seien ähnlich ambitionierte expansionspolitische Ziele nicht im Osten und im Westen erreichbar. Dabei betonte der Westforscher nicht uneigennützig, dass gerade auf die Gebiete im Westen „historische Ansprüche“ nachzuweisen wären, „die im Osten sehr viel fragwürdiger sind“.56 Für die Westforscher um Metz und Zipfel musste es im Sommer dieses Jahres aussehen, als könnten sich ihre Hoffnungen erfüllen und ihre Gutachten und Expertisen gefragt sein bei der Umgestaltung dieser neu dem Reich einverleibten Räume nach historisch und siedlungsgeografisch ‚belegten‘ Vorbildern einer „natürlichen, volklichen Bedingungen entsprechenden Raumordnung“. Die erhoffte „direkte Gestaltungs- und Handlungskompetenz in politischen Entscheidungsprozessen“ war den Westforschern nicht vergönnt, wie sie schon wenige Monate später selbst erkennen mussten.57 Die wissenschaftliche Legitimation der Forderungen nach Räumen, neuen Grenzen et cetera beispielsweise in der ‚Stuckart-Denkschrift‘ mochte den Plänen der politischen Führung einen ansatzweisen Anstrich der Rechtmäßigkeit geben. Die sich aus der ursprünglichen Argumentation ergebenden erforderlichen Maßnahmen, auf deren Umsetzung beziehungsweise wissenschaftliche Begleitung man in den Kreisen der WFG hoffte, waren Ende 1940 für die Machthaber obsolet geworden. Diese Entwicklung betraf die Hoffnungen, sich aktiv in die den Grenzraum betreffende Politik einzubringen, bedeutete aber in keiner Weise das Ende des Westprogramms. Denn die Arbeiten, die vor allem die Archivare sich selbst vorbehielten, wurden in Angriff genommen und teilweise auch abgeschlossen. Doch liegt es nahe, als Intention zur Initiierung des Westprogramms 54

Ebd., S. 768–790. Zipfel an Metz, 28. August 1940, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1176. 56 Metz an Brackmann, 14. Juni 1940, GStA PK, VI. HA NL Brackmann Nr. 84; vgl. Seiler: Grenzen, S. 453–464. 57 Ebd., S. 495 f. 55

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weniger die Umsetzung der einzelnen Forschungsvorhaben per se anzunehmen als vielmehr die Etablierung der Archivverwaltung und ihrer Exponenten in größeren und noch auszuweitenden Forschungszusammenhängen.58 Natürlich fiel die Umstellung auf die Rahmenbedingungen während des ‚totalen Krieges‘ dem deutschen Wissenschaftler mitunter nicht leicht, gestand Brackmann ein, aber diese Entwicklung ließe sich nicht aufhalten. Es sei nunmehr gängige Meinung, „daß der totale Krieg von der Wissenschaft eine grundsätzliche Umstellung verlangt.“ Die PuSte habe sich bereits auf die neuen Anforderungen umgestellt, wobei bisherige Arbeitsgebiete erhalten, aber um neue ergänzt würden. „Räumlich gesehen“ bleibe man hier den „alten Arbeitsgebieten“ treu und widme sich vor allem den Ostgebieten des Deutschen Reichs, dem „Gebiet des ehemaligen polnischen Staates“, dem Baltikum und mittlerweile, auf ausdrücklichen Wunsch des Ostministeriums, auch der Ukraine. Zu deren Geschichte und Wirtschaftsgeografie seien in der bewährten „Schriftenreihe für den Dienstgebrauch“ Publikationen erschienen, die „für die Wehrmacht und die Zivilverwaltung eine Bedeutung erhalten“ hätten und „von beiden Seiten fast aufgekauft“ wurden. Mit den kartografischen Arbeiten wie auch den Beteiligungen an Ortsnamen- und Grenzziehungskommissionen werde fortgefahren, stellten diese doch die wichtigsten aktuellen Aufgaben der PuSte dar, mit denen diese sich politisch einbringen konnte. Die Zeitschrift Jomsburg sollte ohne wenn und aber weiter erscheinen; „Wir denken nicht daran, auf sie zu verzichten!“59 In dieser Hinsicht sahen sich NOFG und PuSte mehr als bestätigt. Organisatorische Umstrukturierungen wollten sie schon deshalb vermeiden, weil sich die bisherige Vorgehensweise über mehrere Jahre bewährt hatte und der Beginn des Weltkriegs zuvor nicht dagewesene Möglichkeiten bot, die sie vorzüglich zu nutzen verstanden – und entsprechende Anerkennung erfuhren. Papritz ging gar so weit, die Publikationen der PuSte zur russischen Wirtschaftsgeografie als „kriegsentscheidend“ zu bezeichnen. Mag dies leicht übertrieben gewesen sein, trug die PuSte mit anderen Mitteln doch wesentlich zu politischen Aktivitäten bei: Der ‚Volkstumskartei‘, einer Aufstellung „sämtlicher bei der Volkszählung von 1939 sich als nichtdeutsch bekennenden Reichsangehörigen“, maß Papritz ebenfalls „eine gewisse Kriegswichtigkeit“ zu; ebenso wie den „vielen Anfragen“, die bezüglich der ‚Ausländerkartei‘ eingegangen seien, in welcher „sämtliche Ausländer, die im Reich von 1939 zur Zeit der Volkszählung lebten“, erfasst waren. Hervorragendes Material für bevölkerungswissenschaftliche Untersuchungen besitze die PuSte zudem mit der ‚Deutschen Volksliste‘, die „alle diejenigen [enthalte], die in den eingegliederten Ostgebieten die deutsche Reichszugehörigkeit 58

Vgl. Stein: Inventarisierung, S. LI. Notizen über die Besprechungen der NOFG in Posen vom 25. bis 27. Februar 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1895; auch: BArch R 1506/1030. Vgl. auch NOFG-Jahresbericht 1941/42, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9. 59

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erwerben“ wollten und dafür in eine von vier Kategorien eingestuft wurden, die darüber entschied, ob, wann und mit welchen eventuellen Einschränkungen sie die Staatsangehörigkeit erhielten.60 Volkstums- und Ausländerkartei waren in erster Linie für Gestapo und SD von besonderem Interesse, was die vielen Anfragen erklärte. Eine separate, nicht mit der Volkstumskartei zu verwechselnde Judenkartei, deren Entstehung mit dem Grundsatz brach, dass die Volkszählung zu niemandes Nachteil oder Schaden führen durfte, wurde aber nicht von der PuSte verwaltet.61 War somit für einige die Frage nach Kriegswichtigkeit des eigenen Schaffens schnell und eindeutig beantwortet, mussten andere um diese Anerkennung kämpfen. Der bei der NOFG-Besprechung in Posen ebenfalls anwesende Zipfel hielt nun fest, es sei vielleicht ratsam, „nicht immer wieder neue Pläne und Institute ins Leben [zu] rufen, sondern die begonnenen Unternehmungen durch[zu]führen im Rahmen einer bewährten Forschungsgemeinschaft.“ Er plädierte für eine Konzentration der Kräfte aller in ähnlichen Bereichen arbeitenden Institutionen. Dabei würde natürlich, wie dies auch zuvor schon geschehen sei, „die Archivverwaltung im Rahmen der Nord- und Ostdeutschen Forschungsgemeinschaft“ eingesetzt. Ein Einsatz, den Brackmann sogleich würdigte und als unbedingt notwendig einstufte – hatte er diese Kooperation doch mitbegründet und in den Jahren seines Generaldirektorats wesentlich forciert.62 Zipfel hingegen schien jetzt, Anfang 1943, den Kampf um eine Erweiterung seiner formalen Zuständigkeit und der Aufgabenbereiche der Archivverwaltung aufgegeben oder zumindest auf die Zeit nach dem Krieg vertagt zu haben. In erster Linie ging es ihm inzwischen darum, mit den etablierten Institutionen möglichst eng zu kooperieren, um nicht den Anschluss an die maßgeblich geförderten Forschungsvorhaben zu verlieren. Und diese war nun einmal „vor allem die bevölkerungsgeschichtliche Forschung“, die „im Zusammenhang mit der Regermanisierung Handwerkszeug für die Eindeutschungspolitik“ sei, wohingegen die landesgeschichtliche Forschung vorerst zurücktreten müsse. Die Vertreter von NOFG und PuSte, die jenes Handwerkszeug verwalteten und ausbauten, stimmten dem natürlich zu, forderten „Generalstabsarbeit!“ (Aubin) und betonten, dass

60 Notizen über die Besprechungen der NOFG in Posen vom 25. bis 27. Februar 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1895; auch: BArch R 1506/1030. Zur Deutschen Volksliste vgl. Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941, RGBl. 1941 I, S. 118 ff.; vgl. Borchers: Deutsche Volksliste. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. 61 Vgl. Engberding: Diskussionsbericht, S. 310; vgl. Aly/Roth: Erfassung. Jutta Wietog wies allerdings darauf hin, dass Volkstums- und Judenkartei eben nicht, wie Götz Aly und Karl Heinz Roth annahmen, ein und dieselbe Kartei waren. Vgl. Wietog: Volkszählungen, S. 137–153; dazu vgl. Haar: Szenarien, S. 357 f. sowie Exner: Bevölkerungsstatistik, S. 73. 62 Notizen über die Besprechungen der NOFG in Posen vom 25. bis 27. Februar 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1895; auch BArch R 1506/1030.

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eine Einschränkung ihrer Arbeit nicht anginge – „Es kommt alles darauf an, daß eine Wache bleibt“ (Papritz).63 Wenn die PuSte in der Folgezeit beispielsweise auch dem RSHA mit „Unterlagen über die bisherige Entwicklung der polnischen Parteien“ und anderen Darstellungen aushelfen konnte,64 fühlte sie sich mehr als bestätigt, und der seit Jahren erforderliche „volle Einsatz“ hätte sich mehr als gelohnt, denn die Arbeit der PuSte „bot dem Leiter und seinen Mitarbeitern eine einmalige Möglichkeit, wie sie deutschen Wissenschaftlern bisher selten oder gar nicht zuteil wurde, ihre Forschungsarbeit und deren Ergebnisse unmittelbar im Dienste der deutschen Interessen einzusetzen: etwa bei der sudetendeutschen Grenzziehung, bei der Grenzziehung zwischen dem Generalgouvernement und dem Reichsgebiet, bei der Planung eines Reichsgaues Beskidenland, bei den Erhebungen über die Nordgrenze der Slowakei, bei der Festsetzung der deutsch-russischen Interessengrenze, bei den deutsch-lettischen und deutsch-estnischen Kulturgüterverhandlungen usw“.65

Die ‚Stunde der Experten‘ war nicht nur gekommen, sondern auch erkannt und wahrgenommen worden. Deren vielfältige Betätigungen manifestierten sich in verschiedenen Bereichen und trugen zu beiden Formen wissenschaftlicher Herrschaftsstabilisierung bei: Zum einen stellten Fachleute der PuSte ihr Expertenwissen unter anderem zu Fragen des Grenz- und Auslandsdeutschtums zur Verfügung und leisteten Dienste bei der Eindeutschung von Ortsnamen im Osten. Zum anderen trugen einschlägige, mitunter sogar ‚kriegswichtige‘ Veröffentlichungen zur „ideologischen Legitimitätsstiftung“ bei, indem politische Argumentationen und Denkmuster Einzug in wissenschaftliche Abhandlungen hielten.66 Für die PuSte kann eine gezielte wie auch erfolgreiche Selbstindienststellung gewiss konstatiert werden, da man es verstand, die hauseigene Expertise für eine wissenschaftliche Betätigung unter politischen Prämissen zu forcieren. Als hingegen Zipfel 1943 weitere Arbeiten des Ostprogramms der Archivverwaltung als vollendet präsentierte, konnte er nicht zwangsläufig von baldiger Veröffentlichung ausgehen. Diesen Arbeiten wurde im Gegensatz zu denen der PuSte keine akute Dringlichkeit zugesprochen. Doch trotz aller Widrigkeiten, die vor allem durch die Abordnungen vieler Archivare in besetzte Gebiete bedingt waren, freute sich Zipfel, dass das Ostprogramm dennoch „entscheidend gefördert worden ist“. Gerade die hierin erarbeiteten Quelleditionen und Inventare seien eher „als dauerndes Rüstzeug für die Ostforschung gedacht“ als es sich dabei „um aktuelle Untersuchungen und Darstellungen handelt“.67 63 64 65

Ebd. RSHA, IV B, Auswertungsstelle an die PuSte, 18. Dezember 1944, BArch R 153/1375. NOFG-Gesamtbericht 1944, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 9, Hervorhebung im Origi-

nal. 66

Vgl. Eckel: Denkmuster, S. 80 f. Referat Zipfels auf der Tagung der NOFG in Posen am 26. Februar 1943, GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1895. 67

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Innerhalb der Ostforschung, die dieses Rüstzeug nutzen sollte für die Erstellung politisch bedeutender und nutzbringender Gutachten und Publikationen, wurde fieberhaft an jenem Projekt gearbeitet, das 1940 zu der Auseinandersetzung zwischen Brackmann und Zipfel geführt hatte: der Brackmann zu seinem 70. Geburtstag, dem 24. Juni 1941, ‚von seinem Freundeskreise‘ gewidmeten Festschrift Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgaben seit dem ersten Weltkrieg. a) Eine Festschrift für Brackmann: Deutsche Ostforschung Dieses 1942 und 1943 in zwei Bänden erschienene, von NOFG und SOFG erarbeitete und von Hermann Aubin, Otto Brunner, Wolfgang Kohte und Johannes Papritz herausgegebene Sammelwerk sollte „die Ergebnisse der wissenschaftlichen Ostarbeit seit Versailles, insbesondere die Arbeiten aus dem Umkreis der Forschungsgemeinschaften“ zusammenfassend darstellen, gerade vor dem Hintergrund „der großen geschichtlichen Wende im Osten“.68 Müsse man der früheren deutschen Geschichtsforschung wesentliche Versäumnisse vorwerfen, was die Beschäftigung mit dem deutschen Osten anbelangte, so seien „seit einem halben Menschenalter“ sowohl ältere wie auch jüngere Wissenschaftler dazu übergegangen, diese „Versäumnisse von Generationen“ auszugleichen und hätten damit „die ostdeutsche Volksforschung zu einem der am besten bearbeiteten Fächer der Geschichtswissenschaft“ werden lassen. Brackmann sei nicht nur einer der zentralen und wichtigen Männer, „die auf diesem Weg vorangegangen sind“, sondern mit Kriegsbeginn erneut dem Ruf zum „wissenschaftlichen und publizistischen Einsatz für den deutschen Osten“ gefolgt. Ein Einsatz indes, der „mit der Wiedergewinnung der alten deutschen Ostprovinzen seine Aufgaben noch nicht als erfüllt, sondern nur als erweitert“ ansehe.69 Die Herausgeber machten bereits in ihren Vorbemerkungen deutlich, welch große, dezidiert politische Bedeutung sie ihrem Forschungsbereich zumaßen und diese durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs und die damit einhergehende territoriale Transformation Europas bestätigt sahen. Aus dem „gewaltige[n] Umbruch im Osten Mitteleuropas“ hätten sich zudem für die Wissenschaft neue Herausforderungen ergeben, seit die Wehrmacht „die in den Pariser Vorortsdiktaten geschaffene Scheinordnung“ habe zusammenstürzen lassen. Im Gegensatz zur letzten Nachkriegszeit stünde man nun aber nicht mit leeren Händen vor vollendeten Tatsachen, denn gerade die wissenschaftlichen Vorarbeiten seit 1919 hätten zum Ausbau eines eigenen „Spezialfachs“ geführt und zu einem Schrifttum, das nur noch schwer zu überblicken sei. Brackmann als Persönlichkeit, die „diese Arbeitsrichtung gelenkt“ und maßgeblich vorangetrieben hatte, sollte nun gedankt 68

Jahresbericht der NOFG und der PuSte 1940/41, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 11b. Wolfgang Kohte: Albert Brackmann zum 70. Geburtstag, Nordostberichte der PuSte, 16. Juni 1941, BArch R 153/1039. 69

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werden – nicht zuletzt für „seine geistige Führerschaft auf dem Felde der ostdeutschen Volks- und Landesforschung“. Welche tragischen Umstände die Zeit mit sich bringe, zeige, so die Herausgeber, dass zwei der Autoren „das Erscheinen ihrer Aufsätze nicht mehr erleben“ durften. Im November 1941 waren Karl Kasiske und Fritz Morré „für die deutsche Zukunft an der Ostfront gefallen“.70 Fritz Morré (1911–1941), Schüler Brackmanns, Absolvent des vierten IfALehrgangs und SA-Sturmführer, hatte sich besonders als NOFG-Mitarbeiter hervorgetan, der Festschrift einen Aufsatz über den Adel in der deutschen Nordostsiedlung des Mittelalters beigesteuert und war am 21. November bei Leningrad gefallen.71 Karl Kasiske, „Sohn des ostdeutschen Kolonialbodens“ und Schüler Friedrich Baethgens, war seit seiner Habilitation als Privatdozent in Königsberg tätig und auf Brackmanns Anraten zum PuSte-Auftrag der „Germanisierung der Ortsnamen“ in eingegliederten Gebieten herangezogen worden. Seinem Forschungsgebiet treu bleibend, hatte er für den Sammelband einen Beitrag über Neuere Forschungen zur Geschichte des Deutschen Ostens verfasst; Kasiske kam am 25. November 1941 ebenfalls bei Leningrad bei einer Erkundungsmission ums Leben.72 Ernst Vollert, Ministerialdirektor im RMdI und mit Brackmann bestens bekannt, durfte den einleitenden Aufsatz zum ersten Band der Festschrift beisteuern über Albert Brackmann und die ostdeutsche Volks- und Landesforschung. Seine „führende Rolle in der ostdeutschen Forschung“ habe Brackmann, so Vollert, durch die Wiederaufnahme von Forschungen ausbauen können, die durch den Ersten Weltkrieg und die folgende „politische Umwälzung“ allzu sehr ins Hintertreffen geraten waren. Am sich daraus ergebenden Aufschwung der Ostforschung hatte Brackmann wesentlichen Anteil, gerade durch die Schaffung neuer Institutionen, sodass sich diese Disziplin, die zuvor den polnischen Bemühungen hoffnungslos unterlegen gewesen sei, mittlerweile „nicht nur der Menge nach, sondern auch an Güte die polnische Forschung weit überflügelt“ habe.73 Die wesentlichen Leistungen Brackmanns wurden damit gewürdigt: Sein Beitrag zum wissenschaftlichen Aufschwung der Archivwissenschaft im Rahmen der Ostforschung und der damit einhergehenden Politisierung geschichtswissenschaftlicher Projekte, die sich an der polnischen Wissenschaft ‚abarbeiteten‘. Im Gegensatz zu Vollerts Würdigung der Person und des Werkes Brackmanns widmeten sich die restlichen Beiträge der Festschrift dezidiert wissenschaftlichen Frage- und Problemstellungen oder stellten den aktuellen Forschungsstand ver70

Vorbemerkungen der Herausgeber, Aubin u. a. (Hrsg.): Ostforschung I, S. 1 f. Vgl. Kohte: Morré; Morré: Adel; vgl. Lemberg: Baethgen, S. 197; vgl. Burleigh: Germany, S. 236. 72 Vgl. Baethgen: Nachrufe; Kasiske: Forschungen; vgl. Forstreuter: Kasiske; vgl. Jähnig: Deutsche, S. 126; vgl. Lemberg: Baethgen, S. 225–228; vgl. Burleigh: Germany, S. 236. Kasiske war im Februar 1940 mit der Vorbereitung von Ortsnamensänderungen in Danzig-Westpreußen beauftragt worden, vgl. Kasiske an Brackmann, 29. April 1940, BArch R 153/317. 73 Vollert: Brackmann; vgl. Brackmann: Krisis; vgl. Gärtner: Zeugnisse. 71

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schiedener Disziplinen und Themen dar, worauf an dieser Stelle nicht ausführlicher eingegangen werden kann. Alle solchen Forschungen, Berichten und Verlautbarungen in der Festschrift oder anderen Publikationsformen ergaben trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen und verschiedensten Untersuchungsobjekten und -orten erst in ihrer Gesamtheit ein realistisches Bild der deutschen Ostforschung. Diese sich in vielen Facetten präsentierende interdisziplinäre Forschungsrichtung stellte ihre Arbeit dezidiert in politischen Kontexten zur Verfügung, wenn nicht gar ganze Forschungsprojekte politisch motiviert begonnen wurden. Und so verwundert kaum der in vielen Beiträgen zutage tretende Anspruch, die Potentiale jener Forschungsbemühungen zu betonen. So sehr Brackmann geehrt und dessen Erfolge in der (Ost-)Forschungsförderung hervorgehoben wurden, verfolgte die Festschrift doch auch selbstlegitimierende Absichten und damit wissenschaftspolitische Ziele. Für die politische Lenkung wissenschaftlicher Forschung, die sich auf vielen Ebenen nachweisen lässt, steht repräsentativ ein Großprojekt – der ‚Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaft‘ im Rahmen der Aktion Ritterbusch, bei der archivarische Beteiligung kurzer Betrachtung bedarf. b) Geisteswissenschaften im ‚Kriegseinsatz‘ – Die Aktion Ritterbusch Der ab 1940 als „Gemeinschaftswerk“ apostrophierte „Kriegseinsatz“ deutscher Geisteswissenschaften, nach dessen Koordinator, dem Kieler Universitätsrektor Paul Ritterbusch, als Aktion Ritterbusch bezeichnet, hatte mit einem freiwilligen Zusammenschluss verschiedener Forscher wenig gemein und sollte vielmehr nach dem Vorbild der Volksgemeinschaft eine ‚Wissenschaftlergemeinschaft‘ schaffen – welche immerhin rund 700 Personen umfasste. Ungefähr die Hälfte davon war erst nach 1933 Professor geworden, was für eine gewisse Regimetreue der Beteiligten spricht. Diese veröffentlichten in den Jahren ab 1941 im Kontext der Aktion Ritterbusch 67 Bücher und kleinere Schriften zwölf verschiedener Disziplinen.74 Paul Ritterbusch, Jahrgang 1900, promovierter und habilitierter Jurist, NSDAP-Mitglied seit 1932 und ordentlicher Professor in Königsberg beziehungsweise ab 1935 in Kiel und ebendort seit 1937 zudem Universitätsrektor und NS-Dozentenbundführer, stand eindeutig auf Seiten des Regimes, galt als einer der „profiliertesten nationalsozialistischen Wissenschaftsfunktionäre“ und wurde 1940 Obmann des Reichswissenschaftsministeriums für den ‚Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften‘.75 Ritterbusch hatte sich schon bald nach 1933 vehement für eine Stärkung nationalsozialistischer (Geistes-)Wissenschaft und Forschung eingesetzt, für eine Reichsuniversität geworben und bei seiner Betätigung für den NSDDB entsprechende Schützenhilfe erhalten. Bei der Einweihung 74 75

Vgl. Hausmann: Ritterbusch, S. 19–23; ders.: Kriegseinsatz. Otto: Ritterbusch, S. 669; vgl. Hausmann: Ritterbusch, S. 30–48.

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der ersten NSDDB-Akademie in Kiel 1938 wurde konstatiert, dass die Aufgabe nationalsozialistischer Hochschullehrer darin bestünde, „die Wissenschaft der uns artgemäßen totalen Lebensordnung unseres Volks“76 zu gestalten, denn es sei eindeutig: „Die deutsche Universität von morgen ist nationalsozialistisch oder sie wird überhaupt nicht mehr sein!“77 Spätestens mit Kriegsbeginn sah Ritterbusch die Stunde der deutschen Wissenschaftler gekommen, sich bei der Neugestaltung der „gesamteuropäischen Raumordnung“ beweisen zu können, wobei der Krieg „auch als eine geistige Auseinandersetzung gewertet werden“ müsse. Mit dem Umbruch zu einer ‚nationalsozialistischen Wissenschaft‘ sollte das Bemühen einhergehen, „die verlorengegangene Verbindung von Politik und Wissenschaft wiederherzustellen und eine politische Wissenschaft zu schaffen, die es sich zur Aufgabe macht, auch ihrerseits Volk, Staat und Raum zu dienen“.78

Die Wissenschaft könne somit der Politik in vielen Fragen beratend zur Seite stehen, dürfe aber keineswegs lediglich „als ‚Magd‘ der Verwaltung, als bloßes Mittel zum Zweck“ betrachtet werden.79 Der Krieg biete damit eine Möglichkeit zur Bewährung, sei aber auch Belastungsprobe, zumal er „nicht nur ein Kampf der Waffen, sondern darüber hinaus auch ein Kampf der Wissenschaftler und Forscher“ sei, so Ritterbusch bei der Eröffnung der Ausstellung Deutsche Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum im Dezember 1941. Während jeder die Notwendigkeit und Bedeutung natur- und technikwissenschaftlicher Forschung für militärische Zwecke verstünde, hätten die Geisteswissenschaften noch unter mangelndem Verständnis zu leiden. „Gewiß ist an der Ostfront derjenige der beste Mann, der im mutigen und entschlußfreudigen rücksichtslosen Einsatz eine Maschinenpistole aufs beste und treffsicherste zu handhaben weiß, wenn er auch nicht gerade Homer im Tornister trägt oder Goethe und Nietzsche zitieren kann. Noch besser ist allerdings, so meine ich, derjenige, der beides kann“.80

Das sei zwar eine „hohe und große Auffassung von der Wissenschaft“, doch könne er, der hier als „deutscher Professor“ spreche, versichern, dass man nun so groß denken müsse und es sich dabei keinesfalls um „falsche[n] Fanatismus“ handle – immerhin sollte sich die deutsche Wissenschaft daran beteiligen, „eine Welt wesentlich mitzugestalten“.81 Dies stellte für die deutschen Ostforscher keine allzu große Neuigkeit dar, und da die verschiedenen in den VFG vernetzten Disziplinen bereits eine solide Organisationsstruktur vorweisen konnten, war es nicht weit hergeholt zu glauben, jene Wissenschaftler müssten sich nicht auch noch mit diesem neuen ‚Kriegseinsatz‘ 76

Löhr: Wesen, S. 25. Schultze: Grundfragen, S. 10; vgl. Ritterbusch: Reichsuniversität; ders.: Universität; ders.: Demokratie. 78 Ders.: Aufgabe. 79 Ebd. 80 Ders.: Wissenschaft, S. 10 f. 81 Ebd., S. 20 f. 77

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belasten. Und doch waren es gerade die Historiker, deren Einsatz im Rahmen der Aktion Ritterbusch „in zweifacher Hinsicht“ über die anderen Disziplinen hinausragte: „Kein anderes Fach hat so oft getagt und fast alle namhaften Fachvertreter eingebunden, aber auch Außenseitern eine Chance gelassen“.82 Unter den Historikern waren es wiederum die Mediävisten unter der koordinierenden Leitung Theodor Mayers, die sich besonders hervortaten, mehr noch als die Neuzeit-Historiker unter dem Frankfurter Universitätsrektor Walter Platzhoff. Dies lag wohl in erster Linie an der Persönlichkeit Mayers, der „der geschickteste, kompetenteste und innovativste Fachgruppenleiter von allen am ‚Kriegseinsatz‘ beteiligten Disziplinen“ war.83 Gewiss war auch Brackmann im Juni 1940 nach Kiel geladen worden „zu vorbereitenden Besprechungen über volksdeutsche Fragen im Anschluß an die Tagung der Geographen“, doch war er in Berlin unabkömmlich und ihm ohnehin bewusst, „daß in der gegenwärtigen politischen Lage den volksdeutschen Fragen in Bezug auf die Neuordnung Europas eine besondere Bedeutung zukommt“.84 Dem ‚Kriegseinsatz‘ entzogen sich nur äußerst wenige der angefragten Wissenschaftler, und die Historiker bildeten dabei keine Ausnahme. Selbst Koryphäen wie Gerhard Ritter waren alsbald involviert, der sich nach dem Ende des ‚Dritten Reichs‘ den Versuch zuschrieb, seriöse Historiker mit den nationalsozialistischen Ideologen der „SS-Garde Franks“ zusammengebracht zu haben, wobei es zu konfliktreichen Auseinandersetzungen gekommen sei.85 Doch neben bereits etablierten Historikern waren es vor allem solche, die noch am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere standen, die in die Pläne des ‚Kriegseinsatzes‘ eingebunden werden sollten – hierunter auch der ein oder andere Archivar. Heinrich Büttner beispielsweise war einer jener jungen, vielversprechenden Historiker und Archivare, die im Juni 1940 zur ersten Historikertagung innerhalb der Aktion Ritterbusch geladen worden waren, und stellte zugleich einen der ‚Außenseiter‘ dar. Büttner, 1908 in Mainz geboren und aufgewachsen, begann 1927 in Freiburg mit seinem Studium der alten Sprachen und der Geschichte, wobei der Mediävist und Kirchenhistoriker Heinrich Finke besonders „bestimmenden Einfluss“ auf seine Studien nahm. 1929 wechselte er an die Universität Gießen und promovierte dort mit einer Papyrusedition – vor allem deshalb, weil eine mediävistische Dissertation aufgrund des „häufigen Wechsels in der Besetzung des Lehrstuhles nicht durchgeführt werden konnte“. Allerdings studierte er in Gießen nicht nur bei Hermann Aubin, sondern bald auch bei dessen Nachfolger Theodor Mayer,

82 Hausmann: Ritterbusch, S. 195. Über die hohe Aktivität der Historiker darf die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass zunächst nur eine Studie im Rahmen ihres ‚Kriegseinsatzes‘ publiziert wurde: Becker: Schicksal. 83 Hausmann: Ritterbusch, S. 195 f. 84 Ritterbusch an Brackmann, 13. Juni 1940, BArch R 153/1044. 85 Vgl. Cornelißen: Ritter, S. 303; vgl. Hausmann: Ritterbusch, S. 158–161.

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unter dessen Anleitung er die Gelegenheit bekam, an der Edition des ersten Bandes des Mainzer Urkundenbuches mitzuarbeiten.86 Bereits im März 1931 war Mayer für Büttner beim IfA vorstellig geworden und legte dar, dass ihm dessen „gutes Wissen, sein scharfes Urteil, [. . . ] seine schnelle Auffassung aufgefallen“ seien, dieser sein Dissertationsthema wie auch die aufgetragenen Arbeiten zum Urkundenbuch schnell und vorzüglich gearbeitet habe und er sich deshalb freuen würde, „wenn es ihm durch Aufnahme in den Lehrgang des Instituts für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Fortbildung in Berlin möglich gemacht würde, seine Ausbildung besonders auf dem Gebiet der historischen Hilfswissenschaften so zu vervollkommnen, wie dies an einer kleineren Universität nicht möglich ist“.87

Büttner wurde aufgenommen, nahm am zweiten IfA-Lehrgang 1931–33 teil, schloss diesen im März 1933 „mit Auszeichnung“ ab und wurde daraufhin von Brackmann mit der Mitarbeit am dritten Band der Germania Pontificia betraut, dem Brackmannschen Projekt innerhalb des Göttinger Papsturkundenwerks. Bald darauf, zum Sommersemester 1935, folgte er auf Anraten und Empfehlung Theodor Mayers demselben als Assistent nach Freiburg, wo dieser im Vorjahr die Nachfolge Hermann Heimpels angetreten hatte. Büttner arbeitete als geschäftsführender Assistent am Oberrheinischen Institut für geschichtliche Landeskunde, dem heutigen Alemannischen Institut. Bald darauf habilitierte er sich mit Studien zur Geschichte des Bistums Bamberg im 11. und 12. Jahrhundert, gab dann aber auf, eine akademische Karriere weiterhin zu verfolgen, da ihm „nahegelegt wurde, dass [er] eine solche als Katholik nicht erlangen werde“, obwohl er mittlerweile der NSDAP beigetreten war.88 Dass er, der 1933 lediglich auf nachdrückliche Ermahnung der SA beigetreten war, 1937 „automatisch“ in die NSDAP überführt wurde, wie er in seinem Lebenslauf später schrieb, konnte nicht verifiziert werden. Seine politischen Beurteilungen hingegen waren eindeutig und sprachen damals nicht für ihn, sei er doch im „nationalsozialistischen Denken“ nur „mäßig“, zeige zu wenig politische Leidenschaft und habe generell kaum politische Neigungen, „außer seinem Interesse für grenzpolitische Fragen“.89 Statt sich also weiterhin an einer ausweglosen Laufbahn zu versuchen, wechselte er zeitweise zur MGH, bevor er im April 1939 vom Staatsarchiv Darmstadt angestellt wurde. Dies sei zwar wegen seiner katholischen Einstellung „mit grossen Schwierigkeiten verknüpft“ gewesen, allerdings hatte der mittlerweile verheiratete Büttner keine andere Wahl, als die angebotene Stelle anzunehmen. Da er zudem unter den jüngeren Archivaren „als einer der wenigen galt, die mit 86

Reifezeugnis (1927), Studienbücher (Freiburg/Gießen) und Lebenslauf Büttners (undatiert, um 1945), UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. 87 Mayer an Brackmann/IfA, 5. März 1931, UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. 88 Lebenslauf Büttners (undatiert, um 1945), UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. 89 Zit. nach Freund: Büttner, S. 279.

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den Fragestellungen der westeuropäischen Geschichte des Mittelalters bekannt waren“, war er geradezu prädestiniert für die Mitarbeit in Schnaths Pariser Archivkommission, in welche er im Sommer 1940 beordert wurde, der er bis 1942 angehörte und zuletzt für das Staatsarchiv Metz zuständig war. Bereits in seiner Freiburger Zeit war Büttner von Mayer in die Kreise der Westforschung, besonders im Rahmen der WFG eingeführt worden, wo auch seine kleineren Arbeiten großen Anklang gefunden hatten.90 Hier hatte Büttner die Grundsteine dafür gelegt, als Experte für die Leitung des von Mayer geplanten DHI in Paris vorgeschlagen zu werden.91 Mayer war es auch, der Büttner für den ‚Kriegseinsatz‘ der Historiker heranziehen wollte, wohl nicht zuletzt, weil ihm die akademische Laufbahn verwehrt worden war. Dass hieraus keine längerfristige und fruchtbare Betätigung wurde, war den Zeitumständen und der Abordnung nach Frankreich sowie dem späteren Dienst bei der Wehrmacht geschuldet. Dennoch war von Mayer und anderen im mediävistischen Part der Aktion Ritterbusch versucht worden, gerade solche Nachwuchshistoriker unterzubringen, deren Karrieren nach 1933 abrupt beendet worden waren oder die sich auf Beförderung beziehungsweise Berufung auf einen Lehrstuhl nur wenig Hoffnungen machen durften – neben Büttner betraf dies auch Otto Meyer und Adolf Waas sowie die Rechtshistoriker Heinrich Mitteis und Eugen Wohlhaupter.92 Vom geisteswissenschaftlichen ‚Kriegseinsatz‘ abgesehen befand sich Büttner zudem in ähnlicher Lage wie die Historiker Theodor Schieffer (*1910), Paul Egon Hübinger (*1911) und Eugen Ewig (*1913), die – sämtlich der überflüssigen Generation angehörig und sich gegenseitig bekannt – als katholische Rheinländer und Mediävisten ebenso wie er selbst während des ‚Dritten Reichs‘ auf die Archivarslaufbahn „auswichen“, da ihnen eine universitäre Karriere vorerst versperrt blieb.93 Büttner hingegen gelang es, sich zunächst im Archivwesen zu etablieren. Seine Ernennung zum Oberarchivrat war ihm von Zipfel übermittelt worden, als er im September 1944 bei der Wehrmacht eingesetzt war, und sein Dienstherr teilte ihm begeistert mit, dass es „eine so frühzeitige Beförderung [. . . ] bei den Archiven bisher kaum gegeben“ habe. Umso größer sei seine Freude, dass er sie „habe durchsetzen können“, und er hoffe, Büttner bereue deshalb seinen „Entschluß, im Dienste der Archivverwaltung zu bleiben“, nicht. Mit „lebhaftem Bedauern“ habe er erfahren, dass „bei der kürzlich über Darmstadt hereingebrochenen Ka90 Nach einer erneuten kurzen Zwischenstation am StA Darmstadt wurde Büttner im Oktober desselben Jahres zur Wehrmacht eingezogen, in welcher er bis Mai 1945 diente. Lebenslauf Büttners (undatiert, um 1945), UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. 91 Siehe Kap. D. IX. 2. b) cc). 92 Hausmann: Ritterbusch, S. 167 f. 93 Vgl. Freund: Büttner, S. 274. Zu Schieffer, Hübinger und Ewig vgl. Grosse: Schieffer; Pfeil: Hübinger; Kaiser: Ewig.

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tastrophe“ auch Büttners Wohnung zerstört worden war, und so bleibe ihm zunächst nur, ihm für sein weiteres Wohlergehen die besten Wünsche auszusprechen.94 Diese Katastrophe war ein alliierter Luftangriff auf Darmstadt, und Büttner war nur eines der unzähligen Opfer, die ihre Wohnungen und Häuser verloren. Auf seine Anfrage hin teilte die NSDAP-Ortsgruppe Büttner mit, dass das Haus, in welchem sich seine Wohnung befand, von mehreren Brandbomben getroffen und „sehr in Mitleidenschaft gezogen“ worden war; seine Wohnung sei dabei ausgebrannt, sodass er mit der Bergung von Gegenständen nicht rechnen dürfe.95 Im Laufe des Krieges hatte die Bedrohung aus der Luft sowohl die Heimatfront als auch das dortige Archivwesen erreicht und mit zuvor ungekannten Herausforderungen konfrontiert. 4. Kriegsauswirkungen an der ‚Heimatfront‘ a) Archive im Luftkrieg Gänzlich unvorbereitet waren die deutschen Archivare natürlich nicht, was die Sicherung der Archive vor der Gefahr aus der Luft anbelangte. Die Notwendigkeit von Luftschutzmaßnahmen war bereits auf dem Wiesbadener Archivtag 1934 diskutiert und als „Gegenwartsaufgabe“ tituliert worden, deren Lösung für die Archive eine „Lebensnotwendigkeit“ darstelle. Die damals erfolgten Versuchsanordnungen, mit deren Hilfe die Auswirkungen von Gaskampfstoffen auf Archivalien studiert werden sollten, zeigten, dass die Archivwissenschaft aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs lernen wollte. Die Angst vor Brand- und Sprengbomben wurde ebenfalls angesprochen, doch machte man sich noch keine Vorstellungen von den Ausmaßen der Zerstörung, die eben jene Bomben vor allem in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs anrichten sollten.96 Luftschutzübungen, -techniken und -vorkehrungen wurden in den 1930er Jahren der gesamten deutschen Gesellschaft nahe gebracht, neben Übungen und Veranstaltungen auch durch das offizielle Periodikum Die Sirene. Illustrierte Zeitschrift des Reichsluftschutzbundes (1933–1944).97 Ein Buch über die Grundlagen des Luftschutzes hingegen nahmen sich zum Ziel, jenes „Sachgebiet seiner Kompliziertheit und Problematik“ zu entledigen, was zwingend erforderlich sei, wenn „der Selbstschutz der Zivilbevölkerung zu 94

Zipfel an Büttner, 23. September 1944, UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. NSDAP, Gau Hessen-Nassau, Ortsgruppe Neckartor an Büttner, 20. November 1944, UB Basel, NL 312 (Heinrich Büttner), E 3. 96 Vgl. Burkard: Luftschutz. 97 Vgl. Reichsluftschutzbund (Hrsg.): Sirene; Der RLB gab eine ganze Reihe weiterer Schriften heraus, darunter Luftschutz ist Selbstbehauptungswille, die in unterschiedlichem Maße ideologisch durchdrungen waren. Vgl. Lemke: Luftschutz, S. 320. 95

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einer Volksbewegung werden soll“.98 Schon ein Blick in einen Schulatlanten zeige, so der Autor, „wie groß [. . . ] die Luftgefährdung Deutschlands ist“. Es gäbe im ganzen Land „keinen Quadratmeter, der nicht innerhalb einiger Stunden von modernen Bombenflugzeugen erreicht werden könnte“, wodurch Deutschland durch seine geografische Lage in Mitteleuropa der „luftgefährdetste“ Staat sei. Und auch überaus „luftempfindlich“, worunter man einerseits die Ballung der Bevölkerung in Städten als lohnenswerteren Zielen verstand und andererseits die Lage der kriegs- und lebenswichtigen Industrieanlagen.99 Aus diesen Gründen waren Flüchtungen von Archivalien in eigens dafür ein- beziehungsweise hergerichtete geschützte Unterbringungsorte in den späten 1930er Jahren von den Archivverwaltungen diskutiert worden, allerdings in erster Linie auf besonders wertvolle Bestände sowie als besonders gefährdet eingestufte Grenzarchive bezogen, da für eine großangelegte Verlagerung nicht mit den erforderlichen Kapazitäten gerechnet wurde. Zipfel, der ab 1938 die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz als ‚Bunker‘ für solche Archivalien auserkoren hatte und dort Räumlichkeiten entsprechend einrichten ließ, gab später unumwunden zu, dass Maßnahmen dieser Art keinen flächendeckenden Schutz bieten konnten und größere Verlagerungen allgemein für nicht zweckdienlich gehalten worden seien.100 Noch 1942, wenngleich bereits unter veränderten Bedingungen, wurden „die modernen Archivgebäude mit ihren Betondecken, den feuersicheren Abschlüssen der einzelnen Geschosse und der Trennung von Verwaltungsgebäude und Magazin als die verhältnismäßig sichersten Unterbringungsmöglichkeiten für Archivalien“ angesehen. Der 1938 fertiggestellte Bau für das Marburger Staatsarchiv stellte das Paradebeispiel hierfür dar. Hinzu trat der Aspekt, dass man mit der Verlagerung von Archivalien große Risiken einzugehen glaubte; aus Furcht vor „Feuchtigkeit, Diebstahl, Brand, Ungeziefer“ war deshalb „von der Flüchtung größerer Mengen an Archivalien bisher im allgemeinen abgesehen worden“.101 Allerdings war es bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs kaum zu größeren Verlagerungsaktionen gekommen; zu sehr verließen sich die Archivare auf die eigenen Archivbauten und die Einstudierung der altbekannten Übungen: Verdunkelung, Bereitstellung von Löschmaterial und eventuelle Umlagerung innerhalb des Gebäudes in Kellerräume. Mit Kriegsausbruch setzte zwar eine gewisse Verlagerungsaktivität ein, jedoch vor allem in kleineren nichtstaatlichen und kirchlichen Archiven, die Personenstandsregister und Kirchenbücher in Sicherheit bringen wollten.102 98

Meyer: Luftschutz, S. V. Ebd., S. 1, 4 f. Die zweite, 1942 erschienene Auflage war aufgrund des inzwischen neuen Charakters des Luftkriegs auch für den Hochschulunterricht gedacht; ders.: Luftschutz. 100 Siehe S. 244. 101 Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in Archiven, Mitteilungsblatt 1942 Nr. 7 vom 5. August 1942. Zum Marburger Archivbau vgl. Leiskau: Neubau. 102 Vgl. Hampe: Luftschutz, S. 513 ff. 99

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Im Luftschutzgesetz von 1935 und dessen Durchführungs- und Folgeverordnungen hatten Archivalien und Kulturgüter allgemein keinerlei Erwähnung gefunden. Lediglich ein Erlass des Reichsministers der Luftfahrt vom 26. August 1939 legte dar, dass „a) kulturhistorisch bedeutende und schlechthin unersetzliche Kunstwerke“ an feuer- und bombensichere Orte zu verlagern seien, „soweit es ohne erheblichen Nachteil für die Kunstwerke möglich ist“. Dahingegen konnten „b) Werke der Kunst und Wissenschaft, die besonders wertvoll, aber nicht zu a) zu rechnen sind“, in den Luftschutzräumen ihres jeweiligen Standorts untergebracht werden. Für alle anderen Kunstgegenstände würde es laut Erlass genügen, wenn die Fenster und Türen der Aufbewahrungsorte gegen Splitter und ähnliches gesichert seien, eine Verlagerung hingegen wäre kaum notwendig.103 Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs stellte der Luftschutz ein Beispiel für polykratische Zersplitterung der Zuständigkeiten dar. Es gab keine koordinierende Stelle, die mit entsprechenden Organisations- und Lenkungsaufgaben betraut war, sondern neben Luftwaffe und Polizei waren auch Abteilungen des RMdI involviert, bevor im Frühjahr 1942 Goebbels’ Propagandaministerium hinzutreten und die Koordination der Hilfsmaßnahmen übernehmen sollte.104 Mancher Verwaltungszweig war somit auf sich gestellt, was Luftschutz- und Sicherungsmaßnahmen anbelangte, und konnte sich teils längere Zeit nicht auf genaue Direktiven übergeordneter Instanzen verlassen; Zipfel als Kommissar für den Archivschutz wurde erst im Juli 1942 mit der „zentralen fachlichen Leitung der bei den Archiven notwendigen Luftschutzmaßnahmen im ganzen Reich“ beauftragt.105 Damit nahm er trotz der insgesamt unklaren Zuständigkeiten in Luftschutzangelegenheiten immerhin für das gesamte Archivwesen eine exponierte Rolle ein. Es war dies eine Entwicklung, die sich im Rahmen der ‚polykratischen Herrschaft‘ vielerorts beobachten ließ: Vor allem während des Krieges hatten die verschiedenen Reichsministerien Kompetenzen eingebüßt, nicht nur an andere Ministerien, sondern gerade auch an die nach und nach eingeführten und ernannten Reichskommissare, Sonderbeauftragten und Generalinspektoren und bevollmächtigten, „die die innere Struktur des ‚Dritten Reichs‘ zunehmend prägten“.106 Das wesentliche Movens hierfür war, die Entscheidungswege zu verkürzen und die Flexibilität der Institutionen zu erhöhen. Schon zeitgenössisch wurde die Sorge geäußert, jene Übertragung von Vollmachten an immer weitere ‚Kommissare‘ könne Reibungen zwischen diesen hervorrufen, die Zersplitterung der Verwaltung vorantreiben und damit das Funktio103

Erlass vom 26. August 1939, RMBliV 1939, S. 1871, auch im Mitteilungsblatt 1939 Nr. 9 vom 30. Oktober 1939. 104 Vgl. Brinkhus: Luftschutz, S. 132–140; vgl. Gotto: Krisenbewältigung. 105 Zipfel: Erinnerungen eines Archivars, BArch R 1506/1020, S. 31. 106 Hachtmann/Süß: Kommissare, S. 9.

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nieren des Staatsapparates empfindlich stören.107 Wurden diese Befürchtungen in der historischen Forschung lange Zeit breit rezipiert, bestätigt und für die Erklärung des ‚Systemzerfalls‘ herangezogen, verweisen neuere Forschungen auch auf die Möglichkeiten, welche die Neuordnung der Kompetenzen dieser Art mit sich bringen konnte. Gerade für das „erstaunliche Mobilisierungspotential in Kriegszeiten“ waren die ‚Kommissare‘ erheblich mitverantwortlich. Denn deren Ernennung erlaubte es dem Regime, auf die sich stetig verändernden Herausforderungen flexibel zu reagieren und Ressourcen freizusetzen oder umzuverteilen. Genutzt wurden diese Möglichkeiten in erster Linie in Bereichen, für die bereits bestehende Institutionen als unzureichend angesehen wurden oder aber denen erst durch jüngste, meist kriegsbedingte Veränderungen erhöhte Bedeutung zugemessen wurde. Der Archivschutz war ein solches Feld, und Zipfels Zuständigkeit als Kommissar für den Archivschutz war um die Oberaufsicht über die Luftschutzmaßnahmen erweitert worden. Freilich stand er mit diesem Aufgabenbereich nicht in der ersten Reihe nationalsozialistischer (Reichs-)Kommissare, sondern war einer der zahlreichen Sonderbeauftragten ohne unmittelbaren Zugang zu Hitler, die dafür in der Regel fachliche Expertise und entsprechende Erfahrung auf ihrem Arbeitsgebiet mitbrachten. Meist war für ihre Ernennung neben sachlichen Gründen auch politische Loyalität maßgeblich, politischer Aktivismus hingegen nicht zwingend erforderlich.108 Zipfels Ernennung erfolgte aber erst zu einem Zeitpunkt, als die Bündelung der entsprechenden Kompetenzen in einer zuständigen Stelle bereits besonders dringlich geworden war. In der ersten von fünf Phasen, in die sich der Luftkrieg während des Zweiten Weltkriegs einteilen lässt, und die von September 1939 bis zum 10. Mai 1940 andauerte, wurden sowohl von der deutschen Luftwaffe als auch der englischen Royal Air Force (RAF) ausschließlich militärische Ziele des Gegners bombardiert.109 Bis zu jenem 10. Mai 1940, an dem deutsche Flieger im Kontext des Westfeldzugs das französische Dijon bombardieren sollten, aber, nachdem sie die Orientierung verloren hatten, ihre Bomben auf Freiburg abwarfen. Dieser erste größere Luftangriff auf nichtmilitärische Ziele wurde von der NS-Propaganda den Kriegsgegnern zugeschrieben und die eigene Schuld geleugnet. Hitler sollte wenige Monate später Winston Churchill vorwerfen, am 10. Mai mit den „Terrorangriffen“ auf die Zivilbevölkerung begonnen zu haben.110 Mit diesem fatalen Irrtum, der mit dem Amtsantritt Churchills als Premier und Verteidigungsminister zusammenfiel, begann die zweite Phase des Luftkriegs, 107

Vgl. Frankfurter Zeitung vom 15. November 1942, zit. nach ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 12–20; vgl. Hachtmann: Struktur, S. 36 f. 109 Zu den Phasen des Luftkriegs vgl. Hampe: Luftschutz; vgl. Hohn: Zerstörung; vgl. Müller: Bombenkrieg. 110 Rede Hitlers vom 10. Dezember 1940, unter dem Titel Wir sind gerüstet für jeden Fall abgedruckt in der Freiburger Zeitung vom 11. Dezember 1940, S. 9. Zur deutschen Bombardierung Freiburgs ausführlich vgl. Hoch: Luftangriff; Ueberschär/Wette: Bomben. 108

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die bis März 1942 andauerte. Neben deutschen Luftangriffen im Südosten und Osten war diese Phase von der Luftschlacht um England geprägt, welche erste Nachtangriffe der RAF auf deutsche Städte mit sich brachte, die aufgrund der zu diesem Zeitpunkt noch effektiven deutschen Jagdabwehr zu einem Fiasko werden drohten. Die Radikalisierung des Luftkriegs hatte mit dem deutschen Luftangriff auf London – The Blitz – im September 1940 eingesetzt und mit der großflächigen Zerstörung Coventrys im November einen ersten Höhepunkt erreicht.111 Einen Paradigmenwechsel der britischen Luftkriegsstrategie läutete die Area Bombing Directive vom 14. Februar 1942 ein. Diese Anweisung zum Flächenbombardement wurde zum ersten Mal bei dem Luftangriff auf Lübeck Ende März 1942 erprobt, bei dem es durch massenhaft eingesetzte Brandbomben zu einem verheerenden Feuersturm kam, gefolgt von der Bombardierung Kölns im Rahmen der Operation Millennium im April 1942.112 Nachdem die taktischen Angriffe auf militärische Ziele nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, sollte nun mittels flächendeckendem moral bombing eine demoralisierende Wirkung bei der deutschen Bevölkerung erreicht werden, welche die englischen Planer für weitaus wichtiger hielten als die eigentlichen materiellen Folgen der Bombardements: „Das Sterben naher Angehöriger und guter Freunde, der Verlust von Wohnstätten (dehousing), der Untergang der Heimatstadt im Flammeninferno: derartiges Unheil sollte Industriearbeiter und für ihr Land kämpfende Soldaten kriegsentscheidend demotivieren“.113

In dieser bis Ende 1942 andauernden dritten Phase des Luftkriegs wurde damit begonnen, durch Brandbomben verursachte Feuerstürme gezielt zu entfachen, da sich bald gezeigt hatte, dass selbst die solide gebauten deutschen Städte aus der Luft niederzubrennen waren. Die Nutzung einer Kombination von Spreng- und Brandbomben wurde stetig weiterentwickelt, natur- und technikwissenschaftliche Forschungen und Expertisen gingen dabei mit der militärischen Entwicklung Hand in Hand, wodurch stetig bessere ‚Erfolge‘ zu verzeichnen waren. Die mit Thermit gefüllte und enorme Hitze entfachende Stabbrandbombe wurde millionenfach eingesetzt und entwickelte sich zu der Waffe des Luftkriegs.114 Dass Bombardierungen Brände nach sich ziehen konnten, war natürlich seit langem bekannt, doch die Ausmaße der Feuerstürme machten neue Schutzmaßnahmen erforderlich. Was für Wohn- und Nutzgebäude ohnehin galt, hatte für die Archive und ihre äußerst brennbaren Bestände besondere Dringlichkeit. Seit Spätherbst 1940 wurde daher im Mitteilungsblatt der preußischen Archivverwaltung immer wieder auf Möglichkeiten eingegangen, wie einzelne Maßnahmen 111 112

Schumacher: Morale bombing, S. 54. Vgl. Schwarz: Leichen, S. 70 f.; vgl. Brinkhus: Spitzenorganisation, S. 34; vgl. Aders: Luft-

krieg. 113

Schumacher: Morale bombing, S. 52; prinzipiell zur britischen Luftkriegsstrategie vgl. ebd., S. 51–64. 114 Vgl. Friedrich: Brand, S. 23–27.

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die Brandgefahr einzudämmen vermochten, beispielsweise die „Feuerschutzmittelbehandlung hölzerner Dachstühle“; daneben traten Erfahrungsberichte mit Bränden in Archiv- und Verwaltungsgebäuden.115 Im Frühjahr 1942, als der Luftkrieg eine neue Eskalationsstufe erreicht hatte, machte sich das deutschen Archivwesen, das bislang nicht mit allzu vielen Bombardierungen konfrontiert worden war, vielfältige Sorgen über die aktuelle kriegsbedingte Situation vor allem der nichtstaatlichen Archive. Diese litten einerseits natürlich unter der stetigen Bedrohung durch Fliegerangriffe, aber auch unter strukturellen Defiziten wie Personalmangel, der sich durch zusätzliche Einberufungen jetzt verheerend auswirkte. Die nicht selten vorkommende Vernichtung von Archivgut durch Entrümpelungs- und Altpapieraktionen sorgte ebenso dafür, dass die grundsätzlich als schwierig eingeschätzte Lage der nichtstaatlichen Archive sich weiter verschlechtert hatte.116 Als die Flächenbombardements und daraus resultierenden Feuerstürme zunahmen, musste auch das staatliche Archivwesen die bisherigen Schutzmaßnahmen überdenken und erheblich ausweiten. Im Juli 1942 wurde im Mitteilungsblatt dargelegt, dass sich „auf Grund der Erfahrungen bei den letzten Großangriffen auf nord- und westdeutsche Städte“ sowie der Analyse bereits erfolgter Luftschutzmaßnahmen gezeigt habe, welche Maßnahmen in den Mittelpunkt der Bemühungen zu rücken hätten: Dachböden sowie oberste Magazingeschosse müssten vollständig geräumt werden. Auf den Dachböden sollte stattdessen entweder eine Sandschicht ausgebracht oder eine sogenannte „Zerschellschicht“ aufgebaut werden – hochkant aufgestellte Ziegelsteine, die ein Durchschlagen von Sprengbomben in untere Stockwerke verhindern konnten. Weiter sollten möglichst viele Fenster zugemauert werden, durch die Stabbrandbomben ins Gebäudeinnere eindringen könnten. Wo dies nicht möglich war, sollten zumindest die nahe bei den Fenstern stehenden Aktenregale und auch solche an „dünnen Außenmauern“ freigeräumt werden, um Brandbomben möglichst keine Nahrung zu geben.117 Auch für den Fall, dass dennoch Feuer ausbrechen sollten, wurden Maßnahmen erlassen. So manche Innentreppe in die Magazine wurde, abhängig von ihrer baulichen Umsetzung, zugemauert, um zu verhindern, dass das Treppenhaus wie ein Schornstein wirken und die Ausbreitung des Feuers über mehrere Stockwerke fördern konnte. Außerdem wurde dazu geraten, nach Möglichkeit nahe beim Archiv ein Wasserbassin anzulegen, mindestens aber viele kleine Wasserbehälter in den einzelnen Räumen zu deponieren, mit denen kleinere Brände händisch gelöscht werden konnten. Durch den Einsatz von Sprengbomben war der Einsatz der Feuerwehr nicht immer zeitnah möglich, außerdem war gerade „bei Großangriffen [. . . ] mit dem Versagen der Wasserleitung zu rechnen“. Naheliegend war 115 Mitteilungsblatt 1940 Nr. 7 vom 4. November 1940; Mitteilungsblatt 1941 Nr. 8 vom 15. Oktober 1941. 116 Schwierigkeiten im Archivwesen, Mitteilungsblatt 1942 Nr. 5 vom 6. Mai 1942. 117 Luftschutzmaßnahmen in den Archiven, Mitteilungsblatt 1942 Nr. 6 vom 4. Juli 1942.

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gewiss, die Bestände innerhalb der Archive und Magazine umzulagern, sodass „die wertvollsten Bestände in den sichersten Räumen, also gewöhnlich im Keller und in den untersten beiden Geschossen, gelagert werden“. Auf Findbücher galt es besonders zu achten – diese sollten entweder separat im Verwaltungsgebäude oder am sichersten Ort des Archivs aufbewahrt werden.118 Die Ratschläge waren bei ihrer Veröffentlichung gewiss noch nicht überholt, aber mit der Intensität der Bombardierung in den folgenden Wochen und Monaten war nicht gerechnet worden. Deshalb mahnte ein Erlass des RMdI, dass die Archive ihre bisher getroffenen Vorkehrungen streng überprüfen, gegebenenfalls verbessern und ihre Bemühungen verstärken sollten, „im Hinblick auf die sich häufenden Luftangriffe auf Wohn- und Kulturstätten“. Mit den dabei erlassenen Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in Archiven wurden die bisherigen Empfehlungen ergänzt und waren nun obligatorisch, wenngleich in Abhängigkeit der individuellen Möglichkeiten. Durch die „Wendung, die der Luftkrieg in der letzten Zeit genommen hat“, hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass gerade die wertvollsten Bestände der Archive nun doch in höherem Maße in möglichst sichere Lagerungsorte außerhalb der Archive verbracht werden müssten. Da der Umfang jener „wertvollsten Bestände“ jedoch von Archiv zu Archiv schwankte und es zudem Definitionssache war, welche Bestände in diese Kategorie fielen, war eine allgemeine Anordnung in dieser Sache schlechterdings unmöglich. Mehr als allgemeine Richtlinien konnten nicht vorgegeben werden; zu individuell war die Zusammensetzung der Bestände. Deshalb oblag die Entscheidung dem Archivleiter, „welche Bestände er auf Grund seiner genauen Kenntnis des Archivs und der Forschungs- bzw. Verwaltungsbedürfnisse an Ausweichstellen verbringen will.“ Allerdings galt hierfür die Regelung, dass aufgrund drohender Gefahren der „Gesichtspunkt der Benutzbarkeit der Bestände hinter den der Sicherung“ zurückgestellt werden müsse.119 In der dritten Phase des Luftkriegs bis Ende 1942 waren die deutschen Archive noch glimpflich davongekommen, obwohl mit dem Einstieg der US Army Air Forces (USAAF) in den Bombenkrieg weitere potentielle Gefahren entstanden waren. Mit der erneuten Steigerung der Frequenz und der Intensität alliierter Bombardements in der vierten Phase von Anfang 1943 bis Juni 1944 gerieten auch die Archive stärker unter Druck und in Gefahr. Auf der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 wurde eine britisch-amerikanische Luftoffensive beschlossen, die zunächst das Ruhrgebiet als deutsche ‚Waffenschmiede‘ mit enormen Bombardements überzog. Anfang März wurde mit der Bombardierung Essens die als Battle of the Ruhr bekannt gewordene Luftoffensive eingeläutet, die bis Juli andauerte und bei der zudem Angriffe auf Talsperren geflogen wurden. Nach dem Angriff auf Essen hatte Goebbels in seinen Tagebüchern notiert, dass 118

Ebd. Erlass des RMdI vom 23. Juli 1942, Richtlinien zur Durchführung des Luftschutzes in Archiven, Mitteilungsblatt 1942 Nr. 7 vom 5. August 1942. 119

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die Engländer bei einer Fortsetzung des Luftkriegs in diesem Stile dem Deutschen Reich „außerordentlich große Schwierigkeiten bereiten“ würden, „denn das Gefährliche an dieser Sache ist, rein psychologisch gesehen, der Umstand, daß die Bevölkerung keine Möglichkeit entdeckt, dagegen etwas zu unternehmen“.120 Welche Schäden Luftangriffe auf kulturellem Gebiet anrichten konnten, zeigte der bis dahin stärkste Angriff auf eine deutsche Stadt, die Bombardierung Dortmunds in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1943, bei der circa 620 Menschen ihr Leben und 100.000 ihr Obdach verloren. „Unermessliche Kulturelle Schäden des Angriffs“ waren neben der starken Beschädigung von elf Kirchen die Zerstörung der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek und damit deren 200.000 Bände sowie „eins der bedeutendsten Zeitungsinstitute Westdeutschlands“.121 Mit der Möglichkeit, dass alliierte Luftangriffe die totale Zerstörung ganzer Stadtteile und Städte mit sich bringen konnten, wurde die deutsche Bevölkerung im Sommer 1943 konfrontiert: Die Operation Gomorrha, eine Serie konzertierter Luftangriffe von RAF und USAAF auf Hamburg Ende Juli und Anfang August, führte zur bis dahin weitgehendsten Zerstörung einer deutschen Großstadt – über 41.000 Menschen kamen dabei um, rund 18.000 davon in einem Feuersturm in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli, mehr als 35.000 Gebäude und beinahe die Hälfte der Wohnungen Hamburgs wurden zerstört oder unbewohnbar. Der SD konstatierte der Bevölkerung in den schwer getroffenen Gebieten – neben Hamburg zu dieser Zeit vor allem Hannover, Remscheid, Kassel und Helgoland – eine regelrechte „Luftterrorpsychose“.122 Ab November 1943 verlagerte sich das alliierte Bombardement bis März 1944 auf Berlin, das in dieser Zeit im Rahmen des Battle of Berlin Ziel von mehr als 15 Luftangriffen wurde, die über 9.000 Tote und weit über 800.000 Obdachlose zur Folge hatten. Nebenangriffe erfolgen unter anderem auf Frankfurt am Main, Leipzig und Stuttgart. Im Frühjahr 1944 wurde die Combined Bomber Offensive erneut verstärkt, mit der schließlich der Durchbruch der alliierten Luftkriegsstrategie gelang und der Zusammenbruch der deutschen Luftwaffe herbeigeführt werden konnte.123 Noch im Januar 1943 wurden den deutschen Archiven über das Mitteilungsblatt weitere Hinweise gegeben, wie die Sicherheit ihrer Bestände erhöht werden 120

Tagebucheintrag Goebbels’ vom 7. März 1943, zit. nach Blank: Luftkrieg, S. 369. Bericht eines Dortmunder Stadtrats drei Wochen nach dem Luftangriff, zit. nach ebd., S. 367 f. Im Zweiten Weltkrieg wurden über 300 öffentliche Bibliotheken mit 15 bis 20 Millionen Bänden und damit ein Drittel der in öffentlichem Besitz befindlichen Bücher vernichtet oder beschädigt. Vgl. Demandt: Vandalismus, S. 187. 122 SD-Berichte zu Inlandsfragen vom 5. August 1943. Boberach (Hrsg.): SD-Meldungen, S. 5575; vgl. ders.: Auswirkungen; vgl. Büttner: Hamburg. 123 Vgl. Kennedy: Casablanca-Strategie, S. 120 ff., 145 ff.; vgl. Blank: Luftkrieg, S. 371–374. Bei der genauen Datierung des Punktes, an dem die Alliierten die Luftherrschaft über Deutschland erlangten, herrscht in der Forschung hingegen keine Einigkeit. Vgl. Overy: Bombenkrieg, S. 539. 121

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konnte. Um beispielsweise zu verhindern, dass in Tresoren gelagerte Archivalien bei einem Brand verkohlen, sollte zusätzlich ein offenes, mit Wasser gefülltes Gefäß eingeschlossen werden, dessen Verdampfen im Brandfalle das Verkohlen verhindern sollte. Eine zweischneidige Maßnahme indes, wie sogleich zugegeben wurde, denn der Erfolg sei natürlich hinfällig, „wenn der Tresor im Brandfalle umstürzt“ und es durch das auslaufende Wasser zu Beschädigungen komme.124 Wenig später wurde ein Paradigmenwechsel im Luftschutz vollzogen. Im März wurde im Mitteilungsblatt ausgeführt, dass „die Erfahrungen der letzten Wochen aus den Terrorangriffen der feindlichen Luftwaffe“ gelehrt hätten, „daß der beste Schutz für die Archivbestände in der weitestgehenden Verbringung in Ausweichstellen liegt.“ Ein Bericht aus dem Staatsarchiv Nürnberg sollte dies untermauern. In Nürnberg war in der Nacht vom 8./9. März 1943 um 23 Uhr überraschend Fliegeralarm ausgelöst worden, gefolgt von einem eineinhalbstündigen Luftangriff in drei Wellen, bei dem in der Stadt Schäden verursacht wurden, die „in den Wohnhäusern und Kulturstätten [. . . ] etwa 10mal so groß“ waren wie die Schäden in der Industrie. Gegen 23:30 Uhr schlug der Rumpf eines abgeschossenen britischen Bombers im Vorgarten des Archivs ein, beinahe gleichzeitig mit einer Phosphorbombe, die in einen Flügel des Beständehauses einschlug. Diese „durchschlug glatt das Schiefer- und Bretterdach, den festgemauerten Estrich und einen 30cm dicken Balken darunter, durchschlug den Fußboden im ersten Stock des bis auf die leeren Urkundenkisten und die Wandregale mit neueren Akten geräumten großen Saales und krepierte im Gemäuer des Erdgeschoßgewölbes. Der Phosphor wurde an die Decke, die Westwand und das mit Akten bestellte hohe Wandgestell sowie auf Boden und Pulte der leeren Urkundentische geschleudert“.125

Die Folgen waren neben großen Fenster- und weiteren Gebäudeschäden der Verlust von rund 8 Metern Nachlassakten des Amtsgerichts Nürnberg aus dem 19. Jahrhundert, die verbrannten. Weitere Archivalien wurden durch Löschwasser beschädigt, und doch war es Glück im Unglück, dass die Bombe eben dort in einen gewölbten Saal eingeschlagen war. In anderen Gebäudeflügeln hätte sie nicht nur erheblich mehr Schaden anrichten können, sondern auch die Löscharbeiten wären dort deutlich schwieriger gewesen. Die Konsequenz lag für die Nürnberger Archivare auf der Hand: „Nur Bergen kann unsere Bestände retten. Wir fahren darin fort. Heute morgen ging bereits der 58. Möbelwagen nach auswärts ab“.126 Für manches Archiv kamen solche Ratschläge beinahe zu spät. Die zunehmenden Angriffe hatten immer mehr Archive und Archivalien beschädigt und vernichtet. Das Staatsarchiv Düsseldorf wurde bei einem Großangriff am 11./12. Juni 1943 nicht nur durch Minen und Sprengbomben in Mitleidenschaft gezogen, die auf Nachbargebäude niedergingen, sondern war auch selbst direkt getroffen worden. Bei den Rettungs- und Löscharbeiten zogen sich mehrere Archivare und 124 125 126

Mitteilungsblatt 1943 Nr. 1 vom 23. Januar 1943. Weitgehende Räumung der Staatsarchive, Mitteilungsblatt 1943 Nr. 3 vom 22. März 1943. Ebd.

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Angestellte leichtere Brandverletzungen zu und erlitten schwere Augenentzündungen durch den beißenden Phosphorqualm, aber dieser Einsatz machte sich bezahlt. Es wurde festgehalten, dass „nur durch das schleunige Eingreifen der Löschmannschaft im ersten Stadium des Angriffs das Verwaltungsgebäude und damit das ganze Archiv gerettet worden ist.“ Einen Vollbrand hätten die wenigen Personen vor Ort keinesfalls unter Kontrolle bringen können.127 Auf einer Besprechung Zipfels mit leitenden Staatsarchivaren in Würzburg wurden im September 1943 Auswirkungen des Luftkriegs und Schutzmaßnahmen erneut diskutiert. Mittlerweile habe „der Luftkrieg Formen angenommen, die wohl niemand vorausgeahnt hat.“ Bei den Angriffen, die vermehrt Wohngebiete zum Ziel hatten, sei entsprechend damit zu rechnen, dass das Archiv vor Ort, „wenn es in dem Zielquadrat der feindlichen Luftstreitkräfte liegt, mindestens von einer größeren Anzahl von Stabbrandbomben und Phosphorbomben getroffen wird“, was bereits in zahlreichen Städten erlebt wurde. Die bisherigen Substanzverluste hätten gezeigt, führte Zipfel aus, dass Luftschutzmaßnahmen absolut in den Mittelpunkt „aller unserer Überlegungen und Entschlüsse“ rücken müssten, „alles andere hat dahinter zurückzutreten.“ Seinen in den Archiven verbliebenen Archivaren legte er ihre bevorstehenden Pflichten in soldatischem und nationalistischem Duktus nahe: Der „Kampf um die Erhaltung des Traditionsgutes des deutschen Volkes“ sei der Beitrag, den die nicht zur Wehrmacht eingezogenen Archivare „zum Schicksalskampf unseres Volkes zu leisten haben“.128 Verlagerungen hatten mittlerweile, anders als wenige Jahre zuvor angedacht, höchste Priorität. Wurde von Zipfel ursprünglich gefordert, dass 20 % der Bestände eines Archivs in Sicherheit gebracht werden müssten, wollte er nun keine Grenze mehr festlegen. Mindestens 50 % seien notwendig, eventuell aber auch 75-80 %. Eine Quote, die beispielsweise für das Archiv in Wiesbaden, das bislang lediglich 30 % seiner Bestände geflüchtet hatte, kaum erreichbar erschienen, zumal Ausweichstellen äußerst rar geworden waren und sich viele als nicht ideal herausgestellt hatten, was die Luftfeuchtigkeit und andere Faktoren anbelangte.129 Die schiere Anzahl der Luftangriffe in den folgenden Wochen und Monaten ließen eine ausführliche Berichterstattung über die eingeleiteten Maßnahmen nicht mehr zu, sodass im Mitteilungsblatt die neue Rubrik Eingetretene Schäden bei Luftangriffen eingeführt wurde, in der zumindest ein grober Überblick über Schäden und Verluste gegeben wurde. Der Personalbestand in den Archiven war meist die größte Sorge, denn neben den zur Wehrmacht eingezogenen Mitarbeitern wurden unzählige weitere zu verschiedenen Aufgaben abkommandiert oder zum „Groß-Katastrophen-Dienst“ der Stadt eingeteilt und fielen damit „für die Verteidigung des Archivs im Ernstfall“ aus. Die Befürchtungen, dass durch die kombinierten Abwürfe von Brand127 128 129

Luftangriff auf das StA Düsseldorf, Mitteilungsblatt 1943 Nr. 7 vom 12. Juli 1943. Besprechungen in Würzburg vom 22. bis 24. September 1943, BArch R 1506/1027. Vgl. ebd.

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und Sprengbomben die zum Löschen notwendige Infrastruktur lahmgelegt werden könnte, hatten sich beim vierten Großangriff auf Nürnberg am 10./11. August 1943 bewahrheitet. Bereits die ersten Bomben hatten eine Ringleitung zerstört, weswegen „während des Angriffs kein Tropfen Wasser zur Verfügung stand“ und verloren war, „wer nicht größere Wasservorräte im Hause hatte.“ Auf das Archiv traf dies zu, sodass 43 Treffer durch Stabbrandbomben ohne größere Schäden überstanden und lediglich einige Räume „durch eine Brandbombe verqualmt“ wurden.130 Exemplarisch kann hieran gezeigt werden, in welch hohem Maße Archive und Archivare aus vergangenen Fehlern und Versäumnissen gelernt hatten. Die hohe Dichte entsprechender Nachrichten im Mitteilungsblatt trug zu dieser Entwicklung erheblich bei. Sicherungsmaßnahmen und Reparaturarbeiten, welche die Archivverwaltungen schon in Friedenszeiten enorm gefordert hätten, brachten diese mit reduziertem Personalbestand nun häufig an ihre Kapazitätsgrenzen, sodass der Regelbetrieb einzelner Archive selbst im kriegsbedingt äußerst reduzierten Umfang kaum oder gar nicht mehr gewährleistet werden konnte. Ab Oktober 1943 änderte sich im Mitteilungsblatt allerdings die Terminologie. War bisher von Luft- oder generell Großangriffen die Rede gewesen, wurde nun konsequent von ‚Terrorangriffen‘ gesprochen, wie dies auch in der NSPropaganda der Fall war.131 Bei jenen ‚Terrorangriffen‘ im Oktober 1943 war das Hessische Staatsarchiv in Darmstadt noch verschont geblieben, lediglich die „verwaltungsmäßig angegliederte Verzettlungsstelle für die hessischen Kirchenbücher“ verlor einige Karteien, aber keine wertvollen Kirchenbücher. München hingegen hatte weitaus weniger Glück: zwei Sprengbomben hatten das Bayerische Hauptstaatsarchiv getroffen und die Benutzerregistratur mitsamt Karteien sowie den Apparat der Kassenverwaltung unter Trümmern begraben. Das Hauptstaatsarchiv Stuttgart blieb bei Luftangriffen hingegen genauso verschont wie die Stadtarchive in Frankfurt am Main, Braunschweig und Hagen.132 Auch die Geschäftsräume der PuSte waren beschädigt worden, als das GStA Ende 1943 von einer Sprengbombe getroffen wurde, weshalb diese zunächst nach Bautzen verlegt wurde und im Frühjahr 1945 von dort nach Coburg.133 Immerhin, legte Zipfel auf einer Besprechung im Mai 1944 dar, seien trotz Schäden an Archiven und einzelner Katastrophen die Substanzverluste erträglich geblieben, „ganz im Gegensatz zu den Schäden bei Bibliotheken und Museen“.134 Dazu konnte er verkünden, dass von den 96 Archiven, von denen 130 Mitteilungsblatt 1943 Nr. 9 vom 30. September 1943. Insgesamt wurden auf Nürnberg über 40 Luftangriffe geflogen, welche die Stadt weitgehend zerstörten. Vgl. Gregor: Trauer, S. 131. 131 Zur Frage der ‚Rechtmäßigkeit‘ der Luftangriffe vor dem Hintergrund der Haager Landkriegsordnung vgl. Hanke: Luftkrieg; zur Bewertung des späteren verheerenden Angriffs auf Dresden vgl. Ueberschär: Luftkriegsverbrechen; vgl. Schröder: Grauen, S. 14. 132 Mitteilungsblatt 1943 Nr. 10 vom 23. Oktober 1943. 133 Mitteilungsblatt 1944 Nr. 1 vom 29. Januar 1944. 134 Besprechungen in Wien am 11. und 12. Mai 1944, BArch R 1506/1027.

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diesbezügliche Zahlen vorlagen, mittlerweile rund zwei Millionen Urkunden, 400.000 Handschriften, 150.000 Karten und Pläne sowie circa 1,2 Millionen Aktenpakete von jeweils circa 30 cm Höhe geflüchtet worden seien. Diese Unmengen seien in 550 Ausweichstellen eingelagert worden, neben (Salz-)Bergwerken und Luftschutzbunkern auch in Schlössern, Klöstern, Schulen et cetera. Dort lagerten nun mit zwei Millionen Urkunden ungefähr „das Doppelte des gesamten Urkundenbestandes der Preußischen Archivverwaltung oder das Dreifache des Urkundenbestandes aller staatlichen Archive Bayerns“, und die Aktenpakete ergäben, nebeneinander gelegt, eine Länge von 420 Kilometern. Es war dies tatsächlich eine erstaunliche Leistung, wenn berücksichtigt wird, dass hierfür keine langfristigen Planungen vorlagen und noch wenige Jahre zuvor Verlagerungen für nicht zweckdienlich oder erforderlich gehalten wurden.135 Von welcher Seite die deutschen Archivare Zuspruch erhielten, verkündete Zipfel auf einer neuerlichen Tagung im August voller Stolz: Der Reichsführer SS und mittlerweile auch Reichsminister des Innern, Heinrich Himmler, habe „ein ganz persönliches Interesse an allen Archivdingen“, was für ihre Arbeit einerseits „von unschätzbarem Wert“ sei, andererseits aber auch ein Ansporn sein müsse, „niemals zu ermüden bei der Sicherung der Kulturgüter, deren Schutz uns anvertraut ist“.136 Schon deshalb wurden weiterhin sämtliche anderen Betätigungen dem Luftschutz untergeordnet. Die alliierten Luftangriffe schwankten im Verlauf des Luftkriegs gewiss hinsichtlich Intensität und Anzahl, aber im Herbst und Winter 1944/45 setzte mit der letzten Kriegsphase nochmals eine Steigerung ein. Nachdem RAF und USAAF Mitte 1944 mehrere Wochen lang vor allem die alliierte Invasion in Nordfrankreich im Rahmen der Operation Overlord unterstützt und deshalb die Bombardements deutscher Städte zurückgefahren hatten, intensivierte sich im September die gemeinsame Offensive wieder und läutete eine Phase ein, die mit der bislang höchsten eingesetzten Bombentonnage die größte Anzahl deutscher Todesopfer des Luftkriegs zur Folge hatte.137 Gleich im September 1944 hatte ein vergleichsweise kleiner Bomberverband Darmstadt angegriffen, dabei das gesamte Stadtzentrum zerstört und einen Feuersturm entfacht, in dem rund 8.400 Menschen starben und der dem Bomber Command als Referenzangriff und Muster für Dresden diente. Es war dies der Luftangriff, der Heinrich Büttners Wohnung zerstört, aber auch das Staatsarchiv schwer getroffen hatte. Sämtliche Diensträume „mit dem ganzen Inventar und mit den nicht ausgelagerten Beständen“ waren dabei verloren gegangen.138

135

Ebd. Tagung in Würzburg am 1. und 2. August 1944, BArch R 1506/1027. 137 Vgl. Overy: Bombenkrieg, S. 544 f. 138 Clemm an hess. Kultusministerium, 5. Mai 1948, HHStA Wiesbaden, 404 Nr. 1917a. Vgl. Blank: Luftkrieg, S. 444; vgl. Friedrich: Brand, S. 359. 136

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

Die Luftangriffe hatten in dieser letzten Kriegsphase an Intensität gewonnen und leisteten dem Zusammenbruch der deutschen Gesellschaft enormen Vorschub. Zudem sorgten sie dafür, dass die ‚Heimatfront‘ endgültig Realität geworden war. Gerade die verheerenden Angriffe auf Magdeburg und Dresden im Januar und Februar 1945 zeigten dabei eine bis heute umstrittene Strategie und ließen vor allem Dresden zum Fanal werden. Der Luftangriff auf Magdeburg am 16. Januar erzeugte einen Feuersturm, der 4.000 Todesopfer forderte, doch paralysierten vor allem die am folgenden Tag erfolgten ‚Sättigungsangriffe‘ die Bevölkerung. Jene Angriffe häuften sich zum Kriegsende und zielten auf Feuerwehr, Luftschutz und andere an Aufräumarbeiten beteiligte Institutionen. Doch so demoralisiert die Bevölkerung auch sein mochte, ging die Strategie, durch enorme Zerstörungen den deutschen Willen zum Widerstand zu brechen, indes nicht auf; im Gegenteil wurde vielerorts der Ruf nach Vergeltung ebenso laut wie Durchhalteparolen gegen die alliierten ‚Terrorangriffe‘ angestimmt wurden. Trotz insgesamt schätzungsweise rund 600.000 zivilen Todesopfern brach keine europäische Gesellschaft unter der Belastung allein des Luftkriegs zusammen.139 Die Auswirkungen der Luftangriffe auf das personell ohnehin geschwächte deutsche Archivwesen sind deutlich geworden. Weitere Archive wurden auch in den letzten Kriegsmonaten getroffen und mehr oder weniger stark beschädigt, doch soll an dieser Stelle keine detaillierte Statistik über entsprechende Schäden gegeben werden – zumal das Mitteilungsblatt ab Mitte 1944 als diesbezügliche Quelle versiegte: Es wurden ab diesem Zeitpunkt keine Nachrichten über durch Luftangriffe entstandenen Schäden mehr bekanntgegeben, denn „der Feind hat größtes Interesse daran, Näheres über die Auswirkungen seiner Angriffe zu erfahren“.140 Aber man wollte die Auswirkungen auch nicht stillschweigend ertragen, und so verfasste Zipfel Aufsätze im Völkischen Beobachter sowie in Das Reich, „da die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, zu erfahren, was mit den Kulturgütern im ‚Ansturm der Feinde‘ geschehe.“ Er forderte zudem die Staatsarchive auf, bei „sich bietender Gelegenheit und mit der gebotenen Zurückhaltung in örtlichen Presseorganen auf die von ihnen getroffenen Maßnahmen hin[zu]weisen“, um auf diesem Wege „das berechtigte Interesse breiterer Kreise für die Geschicke der landschaftlichen archivalischen Überlieferung im Kriege befriedigen“.141 Es zeigten die teils zu spät erfolgten und teils überstürzten Maßnahmen auch die Problematik in der Bewertung der Luftschutzbemühungen. Gewiss konnte Zipfel durch die Erweiterung seiner Befugnisse als Kommissar für den Ar139 Vgl. Blank: Luftkrieg, S. 452–456; vgl. Mommsen: Bomber, S. 115 ff. Vgl. Overy: Bombenkrieg, S. 881 f. 140 Mitteilungsblatt 1944 Nr. 5 vom 9. Juni 1944. Zur Zerstörung des Reichsarchivs vgl. Herrmann: Reichsarchiv, S. 464–467. 141 Mitteilungsblatt 1944 Nr. 8 vom 27. September 1944. Aufsätze Zipfels über Altpapier – Akten – Archiv, VB vom 11./12. August 1944 sowie über Urkunden, der Zukunft erhalten in Das Reich Nr. 39 vom 24. September 1944.

XI. Der Zweite Weltkrieg: Kriegsalltag

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chivschutz schnell Maßnahmen veranlassen und durch das Mitteilungsblatt von Erfolgen und Misserfolgen berichten. Die Misserfolge und die sich als unnütz erweisenden Bemühungen verdeutlichen jedoch, wie sehr diesbezüglich ein Lernprozess im deutschen Archivwesen erforderlich war. Die Ausmaße der Gefahr, die von neuen Brand- und Sprengbomben ausging, wurde ähnlich unterschätzt wie die Bedrohung auch weit im Landesinnern liegender Archive – trotz der Warnung vor der ‚luftgefährdeten‘ Lage des Reichs. Dass Verlagerungen in Ausweichstellen in den frühen Kriegsjahren skeptisch beurteilt und nur in wenigen Ausnahmefällen vollzogen wurden, stellte die Archivare spätestens zu dem Zeitpunkt vor erhebliche Probleme, als es vielerorts für Flüchtungen zu spät war oder diese nur unter erheblich erschwerten Bedingungen und in reduziertem Umfang stattfinden konnten. Zusätzliche existenzielle Sorgen hatten zudem die Archivare der östlichen Staatsarchive, die sich zuletzt verzweifelt darum bemühten, ihre Bestände weiter nach Westen vor der näher rückenden Front in Sicherheit zu bringen. Ein Unterfangen, das oftmals in einem Fiasko endete, wenn Transporte – die aus offensichtlichen infrastrukturellen Gründen meist schwer genug zu organisieren waren – stecken blieben, geplündert wurden oder auf andere Weise Schaden nahmen. Zum Ende des Krieges hin waren es nicht mehr nur die Bestände, die es zu sichern und schützen galt, sondern auch das Personal wollte geschützt und auf möglichst sichere Posten versetzt werden. Personalpolitik angesichts des absoluten Ausnahmezustandes wurde spätestens am Kriegsende zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der Archivverwaltung unter Zipfel. b) Personalfragen und Kriegsopfer Das deutsche Archivwesen wurde in personeller Hinsicht durch unterschiedliche Aspekte des Zweiten Weltkriegs enorm geschwächt. Dies zeigte sich sowohl an den unzähligen zur Wehrmacht eingezogenen Archivaren und Archivmitarbeitern, die an ihren Heimatarchiven ebenso fehlten wie in den Archivschutzkommissionen in besetzten Gebieten, als auch an der dünnen Personaldecke, welche die Sicherungs- und Luftschutzmaßnahmen umzusetzen hatte. Umso erstaunlicher mutet es an, welche Diskussionen noch bis ins Jahr 1944 geführt wurden – um die ‚Minderbewertung des Archivarberufes‘ vor allem in Besoldungs- und Prestigefragen. Im Februar hatte Hans Heinrich Lammers, Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, in einem ‚Stopp-Erlass‘ die Schaffung neuer Stellen in der Verwaltungsbürokratie sowie Höhergruppierungen während des Krieges untersagt.142 Auf einer Besprechung in Wien diskutierten Zipfel und Kollegen im Mai 1944 entsprechende Auswirkungen auf ihren Berufsstand. Zipfel führte an, dass bei der Eingruppierung von Behördenleitern nicht die „Bedeutung der Stelle“ 142

Vgl. Rebentisch: Führerstaat, S. 486 f.

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D. Deutsche Archivare im Zweiten Weltkrieg

ausschlaggebend sei, sondern die Anzahl des unterstellten Personals: „Bei solchen Methoden, die wir als ungerecht bezeichnen müssen, werden die Archivare immer zu kurz kommen.“ Hellmut Kretzschmar fügte hinzu, dass gerade die wissenschaftliche Stellung des Archivars unberücksichtigt bleibe, der doch „auf einer Stufe mit dem Universitätsprofessor“ stehe – ein oft gewähltes Bild in der Selbstverortung der Archivare in der Wissenschaftslandschaft. Auch aus diesem Grund würden junge Archivare, „wenn sie merken, daß für sie in der Archivverwaltung kein Vorwärtskommen ist, zur Universität“ wechseln, was man ihnen wiederum nicht verdenken könne.143 So nachvollziehbar der Wunsch nach wissenschaftlicher wie auch gesellschaftlicher Anerkennung und entsprechender Besoldung sein mag, verwundert doch, dass bei diesen Diskussionen um die Personallage ein ganz wesentlicher Aspekt keinerlei Erwähnung fand: Die personellen Verluste durch gefallene oder bei Luftangriffen ums Leben gekommene Mitarbeiter und Kollegen sowie die damit verbundenen Auswirkungen auf die angespannte personelle Situation des Archivwesens wurden nicht diskutiert. Das mag sicherlich auch daran gelegen haben, dass diese Geschehnisse teils als Opfer bei Ausübung vaterländischer Pflichten angesehen wurden, aber es handelte sich keinesfalls um vereinzelte Schicksale in den letzten Kriegsmonaten. Vielmehr waren bereits im Juni 1940 im Westfeldzug der Erfurter Stadtarchivar Werner Schnellenkamp sowie der Gehilfe am GStA Heinz Sewekow gefallen. Dies führte zur Etablierung der Rubrik Für Volk und Vaterland starben: [. . . ] Ehre ihrem Andenken! im Mitteilungsblatt, die fortan zu einer beinahe ständigen Einrichtung der folgenden Jahre werden sollte. Bis zur letzten Ausgabe im März 1945 wurden allein im Mitteilungsblatt 18 „für Volk und Vaterland“ umgekommene Staatsarchivare und -assessoren beziehungsweise Referendare aufgeführt, drei Stadtarchivare, zwei Angehörige des mittleren und des gehobenen Archivdienstes sowie 13 Angestellte, Gehilfen und anderweitig in Archiven beschäftigte Personen. Die meisten der im Mitteilungsblatt aufgeführten Kriegsopfer fielen im Ostkrieg. Darunter waren neben bereits etablierten Archivaren auch viele jüngere Archivare und Archivarsanwärter.144 Erfasst man die Gesamtzahl aller gefallenen wissenschaftlichen Archivare, klaffte in diesem Personalbestand nach Kriegsende eine Lücke von 35 Personen; in der preußischen Archivverwaltung waren rund 25 % der Angehörigen des höheren Archivdienstes ums Leben gekommen. Hinzu kamen weiter diejenigen, die in Kriegsgefangenschaft verstorben waren oder sich noch nach Kriegsende auf längere Zeit in Gefangenenlagern befanden. In den letzten Monaten des Krieges hatte sich der in Archiven einsetzbare Personalbestand nochmals verringert, als zunehmend die letzten verbliebenen wehrfähigen Beamten einberufen wurden, an Schanzarbeiten teilnehmen mussten oder zum Volkssturm kommandiert wurden. Die letzten Bemühungen Zipfels, durch Abordnungen quer durch 143 144

Besprechungen in Wien am 11. und 12. Mai 1944, BArch R 1506/1027. Mitteilungsblatt, div. Ausgaben 1940–1945.

XI. Der Zweite Weltkrieg: Kriegsalltag

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Preußen die Betriebsfähigkeit der Archive weiterhin zu gewährleisten, konnten kaum mehr von Erfolg gekrönt sein.145 Im April 1945 hatte Zipfel zudem Erich Randt zu seinem Stellvertreter ernannt, den er bereits Ende 1943 „auf Grund vieljähriger Erfahrung nach Charakter und Leistung“ als seinen „bestmöglichen Nachfolger“ für den Falle seines Todes bezeichnet hatte. Sollte wiederum auch Randt den Krieg nicht überleben, sei Georg Schnath der „bestmögliche Nachfolger“.146 Soweit sollte es allerdings nicht kommen; Zipfel trat hingegen noch kurz vor der Kapitulation, am 7. Mai 1945, in den Ruhestand. Sein weiteres Schicksal, das seines Amtsvorgängers Brackmann sowie von einigen anderen, mitunter exponierten deutschen Archivaren im Jahr 1945, deren Entnazifizierung in der frühen Nachkriegszeit und ihre berufliche Zukunft bedürfen eingehender Betrachtung. Denn ließe man die Darstellung deutscher Archivgeschichte mit dem ‚Zusammenbruch‘ und der deutschen Niederlage im Zweiten Weltkrieg enden, läge der Schluss nahe, dass die Archivwissenschaft nach 1945 nicht nur mit enormen Hypotheken belastet war, sondern fraglich bleiben müsste, auf welche Weise und mit welchem Personal sie sich von den im Krieg erlittenen Einbußen und Rückschlägen – personell, materiell, durch die Tätigkeiten in besetzten Gebieten aber auch fachlich angreifbar geworden – erholen könnte. Gerade die erstaunlich kurze Rekonvaleszenz bis zur erneuten Etablierung einer eigenständigen und selbstbewussten Disziplin ist es aber, welche die Nachkriegszeit zu einer besonders wichtigen Epoche der deutschen Archivgeschichte werden lässt.

145 146

Vgl. Musial: Staatsarchive, S. 171 f. Verfügung Zipfels vom 2. Dezember 1943, zit. nach ebd., S. 172.

E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau

XII. Desillusionierung – Entnazifizierung – Neuformierung. Die frühe Nachkriegszeit, 1945–1949 1. Das Jahr 1945 Die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs im Frühjahr 1945 bis zur Kapitulation am 8. Mai sind Gegenstand unzähliger sowohl militär- als auch sozialund wirtschaftshistorischer Arbeiten und gehören sicherlich zu einer der am besten erforschten Kriegsphasen.1 Eine Phase, die sich in vielfältiger Weise auch nachhaltig auf das deutsche Archivwesen ausgewirkt hatte. Die personellen Verluste sowie die materiellen Schäden und Einbußen erstreckten sich beinahe unterschiedslos auf verschiedenste Bereiche, was einige Unterschiede und Differenzen egalisierte, die noch wenige Jahre zuvor für Kontroversen und Abgrenzungsversuche gesorgt hatten. Das Kriegsende bedeutete zweifelsohne eine tiefe Zäsur in der deutschen Geschichte, wenngleich diskutiert werden kann, ob der eigentliche Einschnitt im Jahr 1945 stattfand oder nicht doch die ersten zwei bis drei Nachkriegsjahre als Umbruchszeit einbezogen werden können oder müssen.2 In der Analyse der Nachkriegszeit werden nun lediglich einige Schlaglichter auf verschiedene Aspekte geworfen, anhand derer das Bild von Archivwesen und -wissenschaft über das Kriegsende hinaus vervollständigt wird. Eine umfassende Darstellung der Entnazifizierung deutscher Archivare soll dabei ebenso wenig geleistet werden wie eine Untersuchung sämtlicher Nachkriegskarrieren. Anhand einiger weniger Personen können jedoch exemplarisch die verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt werden, die sich in der Nachkriegszeit unter individuell verschiedenen Voraussetzungen ergaben und zum Neuaufbau eines deutschen Archivwesens beitrugen. Kern der Frage ist dabei, wie es gelang, dass in mancher Hinsicht bereits innerhalb kürzester Zeit wieder eine gewisse Normalität eintreten konnte. Um dies zu verdeutlichen, kann ein Bericht Ludwig Dehios herangezogen werden, den dieser – mittlerweile Staatsarchivdirektor in Wiesbaden – im Mai 1948 verfasst hatte. Der Berichtszeitraum umfasst „den Übergang von den anormalen Zuständen bei und infolge der Katastrophe zu normalen, die sich mannigfach von denjenigen unterscheiden, die vor Kriegsbeginn herrschten“. Als „Momente anormaler Art“ in dieser Zeit verstand Dehio kriegsbedingte Gebäudeschäden, Schäden durch 1 Grundlegend bspw. Kershaw: Ende; Bessel: 1945; Lowe: Kontinent; für eine bibliografische Übersicht vom Zusammenbruch im Westen bis zur Kapitulation vgl. Müller: Weltkrieg, S. 30–33. 2 Vgl. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 941; der bereits zeitgenössisch geprägte Begriff der ‚Stunde Null‘ hatte durchaus seine Berechtigung. Vgl. Herbert: Deutschland, S. 550.

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E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau

militärische Besatzung sowie Kriegsverluste; Momente, „die den normalen Betrieb kennzeichnen“, seien hingegen die Erstellung von Inventaren, die Neuverzeichnung von Repertorien sowie die wieder begonnene wissenschaftliche Arbeit. Allein die im Bericht geschilderte Personalsituation lässt aufhorchen: Waren 1945 neben Staatsarchivrat Demandt auch ein Verwaltungsobersekretär, ein Amtsgehilfe sowie drei Angestellte des Archivs aus politischen Gründen entlassen worden, kam es im Folgejahr lediglich zu einer Neueinstellung; der „ehemalige Staatsarchivrat Dr. Dülfer“ durfte im Staatsarchiv arbeiten, allerdings nur als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter. Umso mehr kann verwundern, wie das reduzierte Personal die einstigen Aufgaben wiederaufnehmen und bereits eine gestiegene Archivbenutzung gewährleisten konnte.3 Die hieraus resultierenden Fragen sind vielfältig: Wer wurde wann aus welchen Gründen entlassen und wie konnte der Wiedereinstieg in den erlernten Beruf – wenngleich mit Abstrichen – gelingen? Wer hielt in der Zeit zahlreicher Entlassungen den Betrieb aufrecht? Wer führte die Oberaufsicht über das Archivwesen, welche Restriktionen wurden hierbei auferlegt und wie unterschieden sich diese in den bald eingerichteten Besatzungszonen? Wann, wie und mit welchen Auflagen konnten die kriegsbedingt eingestellten Institutionen der Archivwissenschaft fortgesetzt werden? Nachdem die Alliierten bei mehreren Zusammenkünften die in einem Nachkriegsdeutschland zu treffenden Maßnahmen diskutiert hatten, kamen die ‚Großen Drei‘ – Roosevelt, Churchill und Stalin – bei der Konferenz von Jalta im Februar 1945 das letzte Mal vor Kriegsende zusammen. Stand hier noch eine Dismembration Deutschlands, das heißt seine Aufteilung in mehrere Staaten, zur Debatte, wurde dieser Plan kurz darauf aufgrund der Befürchtung verworfen, dass dies die deutsche Wirtschaft in einem Maße schwächen würde, das die Ableistung der Reparationen unmöglich machte. Stattdessen einigten sich die Alliierten auf eine Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen. Aufgeteilt wurden nach Kriegsende nur rund zwei Drittel des deutschen Gebietes, nachdem die Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Grenze der Volksrepublik Polen zugeschlagen worden waren. Die Besatzungszonen waren nicht nur ohne Rücksichtnahme auf bisherige Ländergrenzen eingerichtet worden, sondern unterschieden sich untereinander auch deutlich hinsichtlich Größe, Bevölkerungszahl und wirtschaftlicher Struktur. Preußen, das de jure erst am 25. Februar 1947 aufgelöst wurde, hatte de facto bereits mit Einrichtung der Besatzungszonen aufgehört zu existieren; ein Stück Preußen fand sich in jeder der Zonen.4 Ohne Preußen bestand auch die preußische Archivverwaltung nicht mehr und deren Staatsarchive befanden sich jetzt in verschiedenen Zonen. In den schwierigen ersten Monaten nach Kriegsende fehlte deshalb nicht nur eine übergeordnete 3

Ludwig Dehio: Hauptbericht über die Verwaltung des Staatsarchivs vom 2. Mai 1945 bis 31. Dezember 1947, verfasst am 7. Mai 1948, HHStA Wiesbaden, 404 Nr. 1918a. 4 Vgl. Benz: Besatzung, S. 47–72; vgl. Kleßmann: Staatsgründung, S. 66–77.

XII. Die frühe Nachkriegszeit, 1945–1949

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Leitung, sondern es herrschte generelle Unklarheit über die individuelle Zukunft der Archivare und die strukturelle und institutionelle Zukunft der Archive und Archivverwaltungen. Die rechtliche Grundlage für die Wiederaufnahme der Tätigkeiten der Staatsarchive lieferte erst die zweite Proklamation des Alliierten Kontrollrats im September 1945, deren §47 in Abschnitt XII lautete: „Die Alliierten Vertreter müssen zum Zweck der Durchführung der Erklärung [. . . ] und besonders zu Zwecken der Sicherstellung, Untersuchung, Abschrift oder Erfassung jeglicher gewünschten Dokumente und Auskünfte, zu allen Zeiten Zutritt zu allen Gebäuden, Anlagen, Betrieben, Grundstücken und Geländen haben, und alle sich darin befindlichen Gegenstände müssen ihnen zugänglich sein. Die deutschen Behörden haben zu diesem Zwecke alle notwendige Unterstützung und Hilfe zu leisten, einschließlich Indienststellung aller Fachkräfte, einschließlich Archivare“.5

Bis zu dieser formellen Bestätigung vergingen die Sommermonate, in denen mancher Archivar ohne Gehalt, ohne offiziellen Auftrag und teils sogar entgegen anders lautender Anweisungen die Sicherung von Beständen einleitete. Trümmer galt es in manchen Archiven ebenso zu beseitigen wie Reparaturen vorzunehmen waren oder, wie im Fall des Reichsarchivs in Potsdam, verschüttete Archivalien zu bergen, schon allein um Plünderungen und Diebstahl vorzubeugen. Sicherlich ein extremer Fall, aber doch bezeichnend für die Umstände des Nachkriegssommers 1945 waren jene Archivare, die verstreut liegende Akten des Reichsfinanzministeriums in Rucksäcken in Archive trugen und so in Sicherheit brachten. Neben die Beseitigung unmittelbarer Kriegsschäden traten weitere Aufgaben und Herausforderungen, die sich aus dem Zusammenbruch des NS-Staates ergeben hatten. Akten nicht mehr bestehender Behörden und anderer Dienststellen mussten sowohl vor der Vernichtung bewahrt wie auch fachgerecht eingelagert werden für eine künftige Erschließung und Übernahme in Archive.6 Aufgaben also, die selbst ein reibungslos funktionierendes und personell entsprechend ausgestattetes Archivwesen gefordert hätten, nun aber unter widrigen Umständen wahrgenommen werden mussten. Neben den noch in Gefangenschaft befindlichen Archivaren fehlten natürlich auch die Verstorbenen.7 Roland Seeberg-Elverfeldt und Hans Branig waren im Frühjahr als Wehrmachtsangehörige in der Tschechoslowakei in russische Kriegsgefangenschaft geraten und in die Sowjetunion deportiert worden, von wo sie erst Ende 1949 beziehungsweise Ende 1946 zurückkehren sollten. Walter Latzke befand sich von April bis Oktober 1945 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Georg Schnath, bis Ende 1944 Leiter der Pariser Archivgruppe, war nach Kriegsende zuerst von 5

Abschnitt XII, §47 der Proklamation Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom 20. September

1945. 6

Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 25 f. Neben den unmittelbaren Opfern des Krieges hatte das Archivwesen auch einige wenige Suizide zu vermelden (etwa der österreichischen Archivare Ludwig Bittner, Ignaz Nößlböck und Edmund Glaise-Horstenau). Zipfel an Rohr, 1. Januar 1947, BArch N 1418/10; vgl. Hochedlinger: Archivgeschichte, S. 237. 7

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den Amerikanern interniert worden und dann als vermeintlicher Kriegsverbrecher in französische Gefangenschaft gekommen. Seinem Prozess lag die irrige Annahme zugrunde, dass er dem ERR angehört und sich an dessen Verbrechen beteiligt hätte. Erst Ende 1947 sollte seine Gefangenschaft mit einem Freispruch enden.8 Auch Wilhelm Rohr, zuletzt Zipfels Referent in der Abteilung für Archiv- und Schriftgutwesen im RMdI, fand sich nach Kriegsende für zehn Monate in einem Internierungslager in Darmstadt wieder, „und in den folgenden Jahren blieb ihm nichts erspart“, vielmehr habe „ihn das Schicksal viel härter als manch anderen in ähnlicher Lage getroffen“. Rohr verdingte sich nach seiner Rückkehr nach Berlin aufgrund seines Berufsverbots zunächst als Maurer.9 Kurt Dülfer, zuletzt bei der Deutschen Kulturgutkommission im Baltikum eingesetzt, betätigte sich seit seiner Flucht über die Tschechoslowakei zunächst als selbständiger Kaufmann in seiner Heimatstadt Wuppertal-Elberfeld. Sein Kollege Wolfgang A. Mommsen, der ebenfalls im Baltikum ‚stationiert‘ gewesen war, hatte hingegen ein erstes berufliches Unterkommen im fürstlichen Archiv Hohenlohe-Schillingsfürst gefunden.10 Er hatte sich, wie er später an Georg Winter berichten sollte, „in den ersten Monaten nach Zusammenbruch [. . . ] bewusst ganz klein gemacht, um nicht von den Amerikanern an die Russen ausgeliefert zu werden“.11 Georg Wilhelm Sante, infolge des Westfeldzugs von Zipfel als Archivar in Belgien eingesetzt, befand sich nach Kriegsende in russischer Kriegsgefangenschaft; der in den Niederlanden tätige Bernhard Vollmer, der nie in die NSDAP eingetreten war, konnte hingegen unmittelbar in sein Amt als Direktor des Düsseldorfer Staatsarchivs zurückkehren.12 Der Stadtarchivar in Stade Martin Granzin hingegen war von Ende 1941 bis zum Frühjahr 1943 in der Ukraine für den ERR tätig gewesen und wurde deshalb im Sommer 1945 von der sowjetischen Geheimpolizei verhaftet, mehrere Jahre inhaftiert und kam erst 1952 wieder auf freien Fuß.13 Karl Demandt, der zuletzt bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs am Staatsarchiv Marburg tätig gewesen war und als Mitglied der Waffen-SS an mehreren Feldzügen teilgenommen und im Rasse- und Siedlungshauptamt gearbeitet hatte, befand sich bei Kriegsende mit seinem Totenkopfverband in Oberösterreich, wo er sich dem russischen Zugriff entziehen und zu Fuß nach Hause durchschlagen konnte. Im Archivwesen kam er jedoch zunächst nicht unter und musste unter prekären Umständen seine sechsköpfige Familie ernähren. Aus dem Krieg kehrte er „als Angehöriger einer verbrecherischen Organisation zurück; verfemt, 8 9 10 11 12 13

Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 310; zu Schnath vgl. Vogtherr: Schnath, S. 408; siehe auch S. 426 f. Vogel: Rohr, Sp. 354. Vgl. Dahm: Dülfer, Sp. 154; vgl. Booms: Mommsen. Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31. Vgl. Menk: Sante, S. 34 f. Vgl. Eckert: Entbräunung, S. 431.

XII. Die frühe Nachkriegszeit, 1945–1949

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des Amtes entsetzt und von den Marburger Archivaren peinlich gemieden“.14 Zu diesen Marburger Archivaren gehörte auch Ludwig Dehio, der im ‚Dritten Reich‘ Zipfel zumindest nach dessen Darstellung dankbar sein musste, überhaupt seinen Beruf weiter ausgeübt haben zu dürfen. Dennoch war er an verschiedene Archive versetzt worden, zuletzt nach Marburg, wo er das Kriegsende als Befreiung wahrgenommen haben dürfte und wo nun sein beruflicher Aufstieg begann – schon im August 1946 sollte er hier die Leitung des Staatsarchivs übernehmen.15 Anderen Archivaren wiederum war nach Kriegsende zwar die Gefangenschaft erspart geblieben und sie konnten zunächst ihre Ämter weiter ausüben, doch hielt dieser Zustand oftmals nur wenige Wochen oder Monate an. Der Dresdner Staatsarchivar Hellmut Kretzschmar hatte seinem Archiv, das bei Luftangriffen und Feuersturm verschont geblieben war, bereits Mitte Mai 1945 wieder die Arbeitsfähigkeit attestiert. Bald darauf musste er um seine berufliche Betätigung bangen: Aufgrund der Verordnung über den personellen Neuaufbau der öffentlichen Verwaltung vom 17. August 1945 wurde er im November 1945 aus dem Archivdienst entlassen, obwohl er mehrfach beteuert hatte, nur nominelles Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. Er konnte zwar die Dienstgeschäfte des Archivs weiter betreuen, aber es wurde ihm erst im Sommer 1946 ermöglicht, wieder regulär in den öffentlichen Dienst einzutreten, nachdem „der Nachweis antifaschistischer Betätigung erbracht“ worden war und er durch den Eintritt in die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands seine Bereitschaft bezeugt hatte, „aktiv am Neuaufbau des gesellschaftlichen Lebens mitzuwirken“.16 Ähnlich erging es Georg Winter, der das Kriegsende in einer VolkssturmKompanie in der Nähe von Berlin erlebt und ab Juni kommissarisch das GStA in Berlin-Dahlem geleitet hatte. Dabei oblag ihm sowohl „die Leitung dieser wissenschaftlichen Anstalt“ als auch „die Erledigung aller zentralen Verwaltungsaufgaben und wissenschaftlichen Belange auf dem Gebiet des gesamten Archivwesens.“ Zudem war er verantwortlich für die Maßnahmen zur Sicherung von Archivgut gegen Vernichtung, Beschädigung, Entfernung et cetera, wie sie vom Alliierten Kontrollrat in der Berliner Erklärung vom 5. Juni 1945 gefordert worden waren. Eine Fülle von Aufgaben, für deren Bearbeitung Winters Arbeitszeit auf 54 Wochenstunden festgesetzt wurde.17 Am GStA, das nach der Besetzung Berlins noch wesentliche Bestände durch Brandstiftung verloren hatte, verkörperte Winter somit, wie er Kretzschmar schrieb, „das Reststück der früheren Archivverwaltung“. Diesem legte er auch seine Ansichten dar, dass sich „unsere persönlichen Schicksale [. . . ] von den Ihren kaum unterscheiden“ werden, am 14 Karl E. Demandt: Mein Leben als Archivar, HStA Marburg, 340 Demandt Nr. 157, S. 1; vgl. Menk: Demandt, S. 84 ff. 15 Vgl. Beckers: Dehio, S. 19. 16 Vgl. Groß: Kretzschmar, S. 126 f. 17 Bescheinigung Georg Winter, 27. Juni 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3268; Winter an den Oberbürgermeister der Stadt Berlin, 21. Juni 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 85; vgl. Rohr: Nachruf, S. 187.

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schwersten aber „der allgemeine vollständige Zusammenbruch, die Zerstörung des deutschen Archivwesens“ wiege. Für dessen Wiederaufbau würden sie sich „bis zum letzten Hauch und bis zur letzten sachlichen Möglichkeit [. . . ] vor dem deutschen Volke verantwortlich fühlen“. 18 Tatsächlich bildete das GStA zu dieser Zeit eine Art Zentrum zumindest des Groß-Berliner Archivwesens.19 Kurze Zeit später endete Winters Arbeitsverhältnis am GStA abrupt. Am 17. Juli 1945 wurde ihm seine Suspendierung mitgeteilt „in Anbetracht der Tätigkeit [. . . ] als Sachbearbeiter für Archiv-, Bibliotheks- und Museumsangelegenheiten im Gebiet der Ukraine“. Außerdem wurde von ihm die Anfertigung eines ausführlichen Gutachtens „über seine Wirksamkeit im besetzten russischen Gebiet“ eingefordert. Dieses legte er sogleich vor, aber der Magistrat der Stadt Berlin teilte ihm im Oktober mit, dass er vorläufig nicht wieder in den Archivdienst eintreten könne, da man „in der Frage seiner endgültigen Wiedereinstellung bei dem GStA bis auf weiteres keine Entscheidung zu treffen vermag“.20 Mit der Leitung des GStA wurde mit Gottfried Wentz ein Archivar aus dem Hause betraut, dem während des ‚Dritten Reichs‘ so mancher Karriereschritt verwehrt worden war. Wentz konnte dieses Amt nur wenige Monate ausüben, bevor er im September 1945 an der Ruhr starb.21 Dass Winter die Leitung des GStA überhaupt hatte übernehmen können, lag daran, dass sein Amtsvorgänger und enger Kollege im ‚Osteinsatz‘, Erich Randt, der zunächst noch mit der Weiterführung der Geschäfte betraut worden war, im Juni 1945 entlassen und zum Arbeitseinsatz ehemaliger Parteimitglieder herangezogen wurde. Der Leiter der Publikationsstelle, Johannes Papritz, war den ausgelagerten Beständen und Materialien der PuSte 1944 nach Bautzen und im Frühjahr 1945 nach Coburg gefolgt und kam dort am 10. Mai 1945 an. Wenige Tage später meldete er sich bei der amerikanischen Militärregierung und wollte versuchen, vor allem die Bibliothek der PuSte „einem institutionellen Neuanfang zur Verfügung zu stellen“. Die Besatzungsbehörden beschlagnahmten die Bibliothek, überwiesen sie später dem Bayerischen Landesamt für Vermögensverwaltung und setzten Papritz als deren Leiter ab. In den folgenden eineinhalb Jahren sollte Papritz noch in weiteren Stellen wieder eingesetzt und erneut entlassen werden, wodurch seine wirtschaftliche Lage äußerst prekär wurde.22 Er hatte deshalb rasch einen Anwalt eingeschaltet, der mit der Militärregierung in Verbindung und längere 18

Winter an Kretzschmar, 5. Juli 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 85. Über die beschleunigte Reaktivierung des Geheimen Staatsarchivs in Berlin Dahlem auf Grund des Artikels 8 der Deklaration der Alliierten vom 5. Juni 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 85. Vgl. auch den Befehl Nr. 3 des Obersten Chefs der Sowjetischen Militärischen Administration vom 15. Juni 1945, ebd. 20 Allgemeiner Umlauf, 18. Juli 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3268; Bescheinigung Winter, 20. Oktober 1945, ebd. 21 Vgl. Henning: Wentz. 22 Munke: Restaurationsbemühungen, S. 558, 563 f. Wissenschaftlicher Lebenslauf Papritz’, S. 8, HStAM Marburg 340 Papritz, C 12 a, 11. 19

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Verhandlungen trat und zunächst gefordert hatte, die Entlassung seines Mandanten Papritz rückgängig zu machen. Dieser vermute, führte der Anwalt aus, dass die Entlassung auf seine Mitgliedschaft in SA und NSDAP zurückzuführen sei. Dabei könne es sich aber nur um einen Irrtum handeln, „weil die Militärregierung die Gründe, wie mein Mandant in die NSDAP und in die SA kam und die Tatsache, dass er von Anfang an nazifeindlich eingestellt und seine Mitgliedschaft in der NSDAP und in der SA dazu benutzte, um einmal erbittert gegen das 3. Reich zu kämpfen und zum anderen durch seine Mitgliedschaft die vom Nationalsozialismus Verfolgten zu schützen, nicht kannte“.23

Um dies zu belegen, waren dem Schreiben sieben eidesstattliche Versicherungen von Personen beigelegt, die Papritz kannten und keine NSDAP-Mitglieder waren. Diese Erklärungen bezeugten, dass er „die von ihm geleitete Dienststelle zum Sammelpunkt und Zufluchtsort antinationalsozialistisch eingestellter Personen aller Parteirichtungen“ ausgebaut habe; dass er mehrere Mitarbeiter jener Dienststelle „vor dem KZ bewahrt und sich dadurch selbst in Gefahr begeben“ habe und vieles andere mehr. Der Anwalt schloss seine Ausführungen mit der Darstellung, sein Mandant Papritz sei nicht nur kein Nazi gewesen, sondern vielmehr „ein typischer Vertreter des Deutschen Akademikertums, der als ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus seine antinationalsozialistische Einstellung durch Haltung und Tat bewiesen hat“.24 Freilich hatten die typischen deutschen Akademiker keineswegs geschlossen und tatkräftig ihre antinationalsozialistische Einstellung bewiesen, auch wenn diese Deutung ab dem 8. Mai 1945 enorm an Konjunktur gewann. Dennoch mochte der Anwalt in einem Punkt recht haben – untypisch waren weder Papritz’ NS-Karriere noch seine Versuche, diese 1945 umzudeuten und zeitgemäß zu interpretieren. Auch die ehemals führenden deutschen Archivare wurden von den Auswirkungen des Kriegsendes nicht verschont und durchlebten eine unangenehme Zeit in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen und mit ungewisser Zukunft, wenngleich es bei den Pensionären Brackmann und Zipfel eher um die Existenzsicherung als um eine weitere berufliche Zukunft ging. Brackmann, der die letzte Kriegszeit in Blankenburg am Harz verbracht hatte, um vor Luftangriffen geschützt zu sein, „blieb die furchtbare Tragik des abermaligen deutschen Zusammenbruchs und der nachfolgenden Leidensjahre nicht erspart“.25 Seit Kriegsende bezog er keine Pension mehr, und im Harz war er, der seine Bibliothek in Dahlem hatte zurücklassen müssen, vom wissenschaftlichen Leben und weiterer Betätigung isoliert – ein Zustand, der mehrere Jahre andauern sollte. Vom Verbleib seines Amtsnachfolgers Ernst Zipfel, der noch im letzten Moment vor Ende des 23 Papritz’ Rechtsanwalt an die Militärregierung in Coburg, betr. Entlassung von Mitgliedern der PuSte in Coburg, 27. November 1945, HStA Marburg 340 Papritz, C 12 a, 5. 24 Ebd. 25 Vgl. Meinert: Brackmann, S. 137 f.

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Krieges pensioniert worden war, wusste im Sommer 1945 im GStA längst nicht jeder Bescheid. Als im Juli ein Polizeibeamter in Dahlem vorstellig geworden war, um Erkundigungen über Zipfel einzuholen, teilte man ihm lediglich mit, dass er „bald nach Mitte April augenscheinlich auf Weisung seiner vorgesetzten Dienststelle mit einem näher nicht bekannten Ziel abgereist“ sei; sein gegenwärtiger Aufenthaltsort sei unbekannt und von „seinen Angehörigen befände sich, soweit hier bekannt, niemand mehr am Orte oder in der Nähe“.26 Rund einen Monat zuvor hatte Winter, noch vor er mit der Leitung des GStA beauftragt worden war, eine Erklärung zu Zipfels Gunsten abgegeben. Darin begann er mit der Ernennung Zipfels zum Generaldirektor und Nachfolger Brackmanns. Diese Stelle habe Zipfel „nicht als Aussenseiter oder Parteipolitiker“ bekommen, sondern er habe schließlich in den 1920er Jahren am Reichsarchiv „eine vorzügliche fachliche Ausbildung“ genossen, und „mit seinem fachlichen Können verband sich eine ausnehmende administrative Begabung“. So sehr diese Einschätzung zu hinterfragen ist, führte Winter darauf folgend einen zutreffenden Punkt an – mit Zipfels Amtsantritt habe „eine neue Epoche der Archivorganisation begonnen“. Ins Reich der Phantasie gehören Winters Ausführungen, dass Zipfel „keine parteipolitische oder generell politische Forderungen“ stellte und dass die Archivverwaltung nur deshalb kein „parteipolitisches Zweckunternehmen“ wurde, weil der Generaldirektor „parteipolitische Bindungen“ abgelehnt habe und regelmäßig mit „Instanzen der (partei)politischen Verwaltung“ ringen musste. Nach der Auflistung weiterer kleinerer und größerer Wohltaten Zipfels bescheinigte Winter diesem nicht nur eine „kritisch-ablehnende“ Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus und eine „innerliche“ Ablehnung des Parteiverhaltens gegenüber Kirchen und Juden, sondern führte sogleich noch eine pauschale positive Einschätzung seiner Disziplin an: „Die deutschen Archivare“ hätten diese angeblichen Zipfelschen Bemühungen vor allem deshalb so sehr begrüßt, „weil sie damit vielen unerwünschten politischen Bindungen entzogen und auf die stille unpolitische Nebenstrasse eines fachlich-wissenschaftlichen Spezialisten- und Beamtentums geborgen wurden“.27 Eine Einschätzung indes, die bereits in verschiedenster Hinsicht widerlegt werden konnte, sei es durch Verlautbarungen in offiziellen Publikationen sowie den nur für den Dienstgebrauch bestimmten; sei es durch individuelle Aussagen und Verhaltensweisen Einzelner, sei es durch aktives Einbringen verschiedener archivarisch besetzter Stellen in politische Vorhaben; sei es die auf Archivtagen früh formulierte Forderung, eben jenes fachlich-wissenschaftliche Spezialistentum unterschiedlichen Verwaltungs-, Partei- und Forschungsinstanzen zur Verfügung zu stellen und dafür entsprechend anerkannt zu werden. Wenn Zipfel ein solches Schreiben seines einst engen Mitarbeiters erbat, verdeutlichte dies seine Kenntnis darüber, dass er als vorbelastet galt und kaum wür26 27

Ulrich Wendland, GStA Berlin-Dahlem, 23. Juli 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3276. Gutachten Winters für Zipfel, 11. Juni 1945, BArch N 1333/29.

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de in den Staatsdienst zurückkehren können. Wie bei Brackmann ging es bei ihm sowohl um eine wie auch immer geartete Weiterbetätigung im wissenschaftlichen Bereich, vor allem aber um Pensionsansprüche. Im Juni und Juli hatte er seine Dienste der britischen Militärregierung angeboten und dabei betont, „daß viele die Archive betr. Fragen in allen 4 Zonen, zunächst und vordringlich aber innerhalb der Britischen Zone, gleichmäßig geregelt werden müssen“, wobei er durchaus behilflich sein könnte.28 Vertreter der Monuments, Fine Arts, and Archives Section (MFAA), einer 1943 zum Schutz von in Frontnähe befindlichen Kulturgütern ins Leben gerufenen Abteilung der US Army, die nach Kriegsende sowohl Kunstschätze als auch Archivalien bergen und den rechtmäßigen Besitzern zurückführen sollte, hatten Zipfel im Juli 1945 vernommen.29 Neben Informationen zum deutschen Archivwesen hatten diese sich bei der Vernehmung auch ein eindrückliches Bild Zipfels verschaffen können, wie dem Bericht vom 8. Juli 1945 zu entnehmen ist: „He is not an attractive personality, and gives no impression of authority or of special intelligence. Like a number of Nazis, he appears to feel that a man becomes important, not from his qualifications for the position he holds, but from the mere fact that he holds it. ‚I was the Leader‘; he stated with wide dramatic gestures, ‚all these posts were held by me‘. When asked what were his precise functions as head of Unterabteilung I of the Ministry of the Interior, he replied simply, ‚I was the Head of the Department‘“.30

Da unmittelbar keine weiteren neuen Informationen von Zipfel erhofft wurden und von anderen Stellen keine Einwände vorlagen, wurde er nicht inhaftiert, wenngleich die Abteilung Public Safety der Militärregierung gebeten wurde, ihn im Auge zu behalten, „until he is no longer needed for questioning“. Dass er wieder in eines seiner vorherigen Ämter eingesetzt werden würde, stand für die Besatzungsmacht außer Frage, auch wenn ihm selbst dies nicht direkt mitgeteilt wurde: „He has not been told that he will not be re-employed“.31 Der große Einfluss Zipfels auf das deutsche Archivwesen und seine zentrale Stellung war den Alliierten natürlich bewusst, unabhängig von dessen sehr selbstbewussten Äußerungen bei der Befragung. „The enclosure on the status and organisation of

28

Zipfel an brit. Militärregierung, 29. August 1945, BArch N 1333/29. Zunächst unterstand die MFAA der Abteilung G-5 des SHAEF. Die britische MFAA unterstand ab 1945/46 der Interior Division bzw. der dieser nachgeordneten Education Branch; die amerikanische MFAA unterstand der Abteilung Property der Executive Offices des OMGUS, vgl. Armbruster: Rückerstattung, S. 587–594. Zu den als Monuments Men bekannt gewordenen Kunstschutzoffizieren vgl. Edsel: Monuments Men; vgl. Bernsau: Kuratoren, S. 32–145; vgl. Friemuth: Kunst; zur Arbeit der Kunstschützer aus erster Hand vgl. Standen/Brendel: Report. 30 Report of an Interview with Dr. Zipfel, Director of the Reichsarchiv; 33 – Reports (Archives); Roll 13; M 1921 – Reports Relating to Monuments, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946–1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC. 31 Ebd. 29

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German archives before the defeat of Germany seems to me to bear very strong marks of Dr. Zipfel’s centralising policy“.32 Nachdem Zipfel dennoch aufgrund anderer Bescheide bewusst geworden war, dass er, „weil er Pg. war, [. . . ] damit rechnen [müsse], im Staatsdienst keine weitere Verwendung mehr zu finden“, wandte er sich im Herbst an die Kirchenkanzlei der evangelischen Kirche. Diese habe er „stets bereitwillig beraten und unterstützt, auch gegen An- und Eingriffe des Reichsparteiamtes nach Möglichkeit gedeckt“, zudem sei er evangelisch-lutherisch und auch dann nicht aus der Kirche ausgetreten, als er dafür angefeindet worden sei. Schon deswegen und aufgrund seiner „umfassenden Erfahrung auf organisatorischem, verwaltungsmäßigem, fachlichem und wissenschaftlichem Gebiet“ glaubte er, „der evangelischen Kirche gute Dienste leisten zu können“, zumal ein Aufschwung kirchlichen Lebens zu erhoffen sei und damit auch das kirchliche Archivwesen weiteren Ausbau erfordere. Seinen Parteieintritt zum 1. Mai 1932 in die NSDAP erklärte er in dieser Bewerbung damit, dass er sich von ihr „eine Überbrückung der Klassengegensätze“ erhofft hatte und ihm in Zeiten drohenden Bürgerkriegs „die Verbindung des nationalen und sozialen Gedankens [. . . ] erfolgversprechend“ erschien.33 An seine ehemaligen Mitarbeiter wandte sich Zipfel in mehreren, oft ähnlich lautenden Schreiben. Was aus ihm nun werde, sei noch nicht entschieden, er müsse aber aufgrund der Erfahrungen, die andere gemacht hätten, „mit allem rechnen“. Erneut schilderte er seine zahlreichen Verdienste, etwa um die Beförderung von Nicht-Pg, doch sei es ihm unverständlich, „warum man für seine politische Gesinnung vor 13 Jahren bestraft“ werde, zumal man doch „die politische Entwicklung weder voraussehen noch beeinflussen konnte“.34 An Winter wandte er sich im November zum wiederholten Male, mittlerweile aus Bad Pyrmont, wo er sich mit seiner herzkranken Frau und seiner Tochter die nächsten Jahre aufhalten sollte. Auch hier legte er seine Verdienste ausführlich dar, mittlerweile aber mit einer gewissen Verbitterung; dass man ihn, „da Pg.“, anscheinend nicht zum Neuaufbau des deutschen Archivwesens heranziehen wollte, sei „ein bitteres Los für einen Mann, der sich fanatisch für sein Werk und seine Mitarbeiter eingesetzt hat ohne Ruhe und Rast“ und immer versucht hatte, „so gerecht zu sein wie ein Mensch nur sein kann.“ Von seiner Bewerbung bei der Kirche berichtete er Winter im absoluten Vertrauen. Diese sollte sich die „einmalige Gelegenheit“ nicht entgehen lassen, „den ersten Fachmann mit den größten Erfahrungen zu holen“. Wenn sich Winter eventuell mit einer Erklärung zu seinen Verdiensten einsetzen könnte, wäre das nicht von Nachteil. Sein Plan 32

C.A.F. Meekings (MFAA) an Lester K. Born (MFAA), 8. November 1946, ebd. Zipfel an Kirchenkanzlei der deutschen evangelischen Kirche, 11. Oktober 1945, BArch N 1333/29. 34 Zipfel an Wentz, 13. Oktober 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3276. 33

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war so simpel wie bestechend: „Holt man mich, hole ich auch andere stellungslose Kameraden nach. Wie wär’s, mein lieber Winter?“35 Beinahe zeitglich wurde Zipfel durch das GStA mitgeteilt, was er bereits vermutet hatte. Im Auftrag des Magistrats der Stadt Berlin wurde ihm eröffnet, dass für ihn „eine Wiedereinstellung in die vom Magistrat reaktivierte Verwaltung der ehemals preussischen Staatsarchive nicht in Betracht kommen“ könne. Da außerdem „sämtliche auf einem früheren Beamtenverhältnis beruhenden Berechtigungen und Ansprüche als erloschen zu betrachten“ waren, stünde ihm auch die Benutzung der Dienstwohnung des Generaldirektors nicht mehr zu.36 Es war spätestens jetzt offiziell, dass seine Parteimitgliedschaft in Verbindung mit einem hohen Leitungsamt in der Verwaltung den beruflichen Neuanfang erheblich erschweren sollte und beinahe unmöglich war ohne die Mithilfe zahlreicher Fürsprecher. Die Gutachten und Erklärungen der Art, wie sie Zipfel von Winter ebenso eingefordert hatte wie Papritz von ehemaligen Kollegen und Mitarbeitern, welche die individuelle „Unschuld“ sowie teils auch „Gegnerschaft“ zum NS-Regime belegen sollten, gaben im Sommer 1945 lediglich einen Vorgeschmack auf das, was in den nächsten Monaten und Jahren folgen sollte. Denn einem Verfahren hatten sich die meisten der Archivare zu stellen, meist unabhängig davon, ob und auf welche Weise sie sich in den Jahren des ‚Dritten Reichs‘ exponiert hatten, nämlich der Entnazifizierung im Rahmen eines Spruchkammerverfahrens, das wiederum in den verschiedenen Besatzungszonen unterschiedlich gehandhabt wurde und verlaufen konnte, die aber gerade das Berufsbeamtentum in hohem Maße betraf. Eine gesellschaftliche Gruppe also, die sich der Illusion hingegeben hatte und teils – Zipfel dient hierfür als eindrückliches Beispiel – noch hingab, dass sie doch gebraucht würde und bei ihr deshalb nicht im selben Maße durchgegriffen und ‚gesäubert‘ werden würde, wie dies auf politischer Ebene der Fall war.37 2. „Im Fegefeuer der Entbräunung“. Entnazifizierung und berufliche Neuanfänge a) Die Entnazifizierung Bereits auf der Konferenz von Jalta war im Februar 1945 ersichtlich geworden, dass die Alliierten zweifellos alles daran setzen würden, dass von Deutschland beziehungsweise den Deutschen künftig keine Gefahr mehr ausgehen könne. Es war der „unbeugsame Wille“ der ‚Großen Drei‘, „den deutschen Militarismus und Nazismus zu vernichten und die Garantie dafür zu schaffen, daß Deutschland nie wieder in der Lage sein wird, den Weltfrieden zu brechen“; die 35 36 37

Zipfel an Winter, 20. November 1945, BArch N 1333/29. GStA an Zipfel, 19. November 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3276. Vgl. Frei: Karrieren, S. 305 ff.; vgl. ders.: 1945, S. 30 f.

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Alliierten wollten „alle Kriegsverbrecher einer gerechten und schnellen Bestrafung“ zuführen und „die Nazi-Partei, die nazistischen Gesetze, Organisationen und Einrichtungen vom Erdboden“ tilgen sowie „alle nazistischen und militärischen Einflüsse aus öffentlichen Einrichtungen, dem Kultur- und Wirtschaftsleben des deutschen Volkes“ entfernen.38 Mit den vier D ließen sich diese Ziele zusammenfassen: Demilitarisierung, Denazifizierung, Dekartellisierung und Demokratisierung waren die konsensuellen Absichten der Alliierten mit dem besiegten Deutschland.39 Wenn sich dabei in der Nachkriegszeit bald fundamentale Konflikte zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion herausbilden sollten, war dies kaum überraschend. Bereits in den letzten Kriegsjahren hatten sich erhebliche Risse in der alliierten Koalition gebildet, das gegenseitige Misstrauen war gewachsen und geopolitische Erwägungen prägten die Diskussionen um die Neugestaltung Deutschlands und Mitteleuropas nachhaltig. Die „brutale Sowjetisierung Osteuropas“ hatte zu den spannungsgeladenen Differenzen unter den Alliierten wesentlich beigetragen. Zu groß waren zudem die ideologischen Unterschiede zwischen den Westmächten und der Sowjetunion, die wenig später in den Kalten Krieg führten, aber bereits bei den frühen Maßnahmen zur Bereinigung Deutschlands vom Nationalsozialismus sichtbar wurden.40 Zwar konnten Parteien verboten, Organisationen und Institutionen aufgelöst, entmachtet und abgeschafft werden, doch stellte sich das bei Personen erheblich schwieriger dar. Denn wie sollte mit den 8,5 Millionen Parteimitgliedern und weiteren Millionen Deutschen, die anderen Gliederungen und Verbänden angehört hatten, verfahren werden – auch und gerade vor dem Hintergrund, Kriegsverbrecher und Exponenten des NS-Regimes ermitteln und gerecht bestrafen zu wollen?41 Gewiss, die Siegermächte hatten sich darauf geeinigt, zunächst all jene aus (halb-)öffentlichen Ämtern und führenden Positionen in der Wirtschaft zu entfernen, die mehr als nur nominelle Parteimitglieder gewesen waren. Die Schwierigkeit, dem Parteibeitritt zugrundeliegende individuelle Intentionen zu ermitteln, stellte sich bald als eines der zentralen Probleme beim Prozess der Entnazifizierung heraus, mit dem die deutsche Gesellschaft politisch bereinigt und demokratisiert werden sollte als Vorbedingung für eine spätere Rehabilitation. Dass innerhalb der deutschen Gesellschaft durchaus differenziert wurde zwischen „anständigen“ und „unanständigen“ Nationalsozialisten, zwischen Opportunisten und „Exzeßtätern“, war amerikanischen Beobachtern bereits im Frühjahr 1945 gewahr geworden. Ebenso, dass in den Augen vieler Deutscher nicht diejenigen „Nazis“ waren, die lediglich aus nachvollziehbaren Gründen in die 38 Kommuniqué der Konferenz von Jalta, Februar 1945, zit. nach Fischer (Hrsg.): Protokolle, S. 184 f. 39 Vgl. Kleßmann: Staatsgründung, S. 78. 40 Conze: Bundesrepublik, S. 35 f. vgl. Weber: DDR, S. 22; vgl. Stöver: Krieg, S. 40–53; vgl. Gaddis: Krieg, S. 18 ff. 41 Vollnhals (Hrsg.): Entnazifizierung, S. 8.

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NSDAP eintraten, um den eigenen Arbeitsplatz nicht zu gefährden, sondern jene, die ihre Stellung in der Partei ausnutzten, sei es zum eigenen Vorteil oder zur Denunziation und Gängelung anderer.42 Für die einheitliche Umsetzung der Entnazifizierung erließ der Alliierte Kontrollrat 1946 mehrere Direktiven. Zweck der Direktive Nr. 38 über Verhaftung und Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten und Militaristen und Internierung, Kontrolle und Überwachung von möglicherweise gefährlichen Deutschen war entsprechend die Schaffung von „für ganz Deutschland gemeinsame[n] Richtlinien“ betreffend „a) die Bestrafung von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen und Industriellen, welche das nationalsozialistische Regime gefördert und gestützt haben; b) die vollständige und endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus und des Militarismus durch Gefangensetzung oder Tätigkeitsbeschränkung von bedeutenden Teilnehmern oder Anhängern dieser Lehren; c) die Internierung von Deutschen, welche, ohne bestimmter Verbrechen schuldig zu sein, als für die Ziele der Alliierten gefährlich zu betrachten sind, sowie die Kontrolle und Überwachung von Deutschen, die möglicherweise gefährlich werden können“.43

Um diese ambitionierten Ziele erreichen zu können, wurden fünf Gruppen festgelegt, in welche die zu Entnazifizierenden eingeteilt wurden in Abhängigkeit von der Schwere ihrer Vergehen beziehungsweise ihrer Betätigung während des ‚Dritten Reichs‘ und ihrer Haltung zum NS-Regime. Die Einteilung erfolgte in die Gruppen „1. Hauptschuldige; 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer); 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe); 4. Mitläufer“ sowie der fünften Gruppe der „Entlastete[n] (Personen der vorstehenden Gruppen, welche vor einer Spruchkammer nachweisen konnten, daß sie nicht schuldig waren)“. Gegen letztgenannte Gruppe durften keine Sühnemaßnahmen verhängt werden wie gegen alle anderen. Die vielfältigen Sühnemaßnahmen reichten vom Extremfall der Todesstrafe für Hauptschuldige über Haftstrafen, dem Einzug des Vermögens und weiteren Geldstrafen über (Berufs-)Verbote, Entzug verschiedener Rechte und zahlreiche weitere Strafen und Einschränkungen. Zu verhängen waren diese „in gerechter und billiger Weise“, um „die Ausschaltung des Nationalsozialismus und Militarismus aus dem Leben des deutschen Volkes und die Wiedergutmachung des verursachten Schadens zu erzielen.“ Die Einteilung in eine dieser Gruppen und eventuelle Sühnemaßnahmen schützten den Einzelnen nicht davor, für seine Vergehen unter Umständen auch strafrechtlich verfolgt zu werden.44 Dabei unterschied sich die Handhabung der Maßnahmen in den Westzonen von der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) ebenso wie innerhalb der west42

Vgl. Henke: Trennung, S. 24 f. Abschnitt I der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946. 44 Abschnitt II der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom 12. Oktober 1946, Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland 1946. 43

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lichen Zonen. In diesen stand die Bedeutung der politischen Säuberung klar im Vordergrund, wohingegen sie in der SBZ auch der Transformation in eine sozialistische Gesellschaft dienen sollte im Rahmen einer „antifaschistischdemokratischen Umwälzung“, bei der Zehntausende in Lagern der Geheimpolizei verschwanden oder in russische Arbeitslager deportiert wurden.45 Weder in der französischen noch in der britischen Besatzungszone wurde die Entnazifizierung so rigoros durchgeführt wie in der amerikanischen; Ende 1945 waren dort die Ergebnisse „volle Internierungslager und leere Ämter“. In der französischen Zone kam es zudem zu mehreren Kurswechseln und regionalen Unterschieden in der Durchführung.46 Im Frühjahr 1948 wurde die Entnazifizierung für beendet erklärt und war zwar mit rigorosem Durchgreifen begonnen worden, allerdings bestanden bereits seit 1946 gewisse Rehabilitierungsmöglichkeiten, die sich aus dem drohenden Mangel an Fachkräften, Spezialisten und Experten ergeben hatten.47 Jene Chance zur Rehabilitierung Tausender vormals Entlassener war es, die weite Teile der Bevölkerung wieder mit den Entnazifizierungsmaßnahmen versöhnen sollte, nachdem anfänglich Skepsis bis offene Ablehnung tonangebend waren. Noch 1945 herrschte über die Rechtmäßigkeit der Bestrafung eindeutig exponierter Nationalsozialisten und offenkundiger Kriegsverbrecher ein gewisser Konsens, doch spätestens mit der bald einsetzenden flächendeckenden Erfassung und Überprüfung weiter Gesellschaftsteile kippte die einstige Zustimmung zu den Entnazifizierungsmaßnahmen. Von einer anfänglichen Zustimmungsrate von über 50 % in der amerikanischen Besatzungszone blieben im Mai 1949 lediglich noch 17 %, welche die Maßnahmen befürworteten. Immerhin hatten jedoch zu diesem Zeitpunkt unzählige Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes wieder in ihre vormaligen oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisse zurückkehren können. Waren in Hessen beispielsweise 1945 rund 34 % der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst entlassen worden, befanden sich Mitte 1949 fast sämtliche Entlassenen wieder im Dienst, lediglich 2 % wurden nicht wieder eingestellt. Weiteren fast 40.000 als ehemalige Nationalsozialisten Entlassenen, die während der alliierten Besatzung nicht wieder in ihre Ämter zurückkehren konnten, wurde der Wiedereinstieg mit dem sogenannten 131er-Gesetz vom Juli 1951 an ermöglicht.48 45

Vgl. Kershaw: Höllensturz, S. 654. Kleßmann: Staatsgründung, S. 87–92; vgl. Vollnhals (Hrsg.): Entnazifizierung, S. 8 f., 24– 42; vgl. ders.: Säuberung, S. 127; vgl. Benz: Besatzung, S. 113; vgl. ders.: Potsdam, S. 157–181; vgl. Fürstenau: Entnazifizierung, S. 227 f.; vgl. Niethammer: Entnazifizierung, S. 617–625; vgl. Rauh-Kühne: Entnazifizierung; Henke: Säuberung; vgl. Walther: NS-Vergangenheit. Zum nicht minder problematischen Umgang mit der Entlassung bzw. Neueinstellung von Hochschullehrern in der SBZ vgl. Thiel: Karrieren; Jessen: Elitewechsel; zur universitären Geschichtswissenschaft dabei vgl. Heydemann: Neubeginn. 47 Vgl. Benz: Besatzung, S. 113–116; vgl. Vollnhals: Säuberung; vgl. ders. (Hrsg.): Entnazifizierung, S. 43–53. 48 Vgl. ebd., S. 59–62; siehe Kap. E. XIII. 2. 46

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Das wiederum bedeutet nicht, dass in der Rückschau den Alliierten für ihre Bemühungen zur Entnazifizierung komplettes Versagen vorgeworfen werden kann, aber doch, dass das Ziel eines umfassenden Revirements von Funktionseliten auf diese Weise keineswegs erreicht werden konnte. Vielmehr blieb es in der Regel ‚nur‘ – wobei dieses ‚nur‘ Krisenerfahrungen unterschiedlichsten Ausmaßes umfasst – bei temporären Unterbrechungen in den ‚Normalkarriereverläufen‘ unzähliger Personen, gerade im Bereich des öffentlichen Dienstes. Sehr viele Positionen wurden in der Nachkriegszeit oder der frühen Bundesrepublik erlangt, die möglicherweise auch ohne ‚Drittes Reich‘, anschließende Entnazifizierung und daraus resultierende Verzögerungen erreicht worden wären aufgrund entsprechender Aus- und Vorbildung. In diesen Fällen führte gerade die Entnazifizierung zu einer mehrmonatigen, meist eher mehrjährigen Unterbrechung in den individuellen Karrieren und brachte sowohl „temporäre soziale Deklassierung“ als auch „gesellschaftliche Demütigung“ mit sich. Ein Umstand, dessen Tragweite dadurch verschärft wurde, dass der Einzelne in der Regel nicht wusste, ob und wie die Karriere wieder aufgenommen werden könnte.49 Die belastende und meist nicht nur wirtschaftlich schwierige Zeit bis zur Wiedereinsetzung in frühere oder vergleichbare Ämter wurde unter Umständen dadurch abgemildert, dass es sich bei jenen Erfahrungen um eine Art kollektives Erleben handelte. Nicht zuletzt, weil davon ausgegangen wurde, niemand sei in den Jahren des ‚Dritten Reichs‘ gänzlich ohne auch nur das kleinste Zugeständnis geblieben, oder, in den Worten Theodor Heuss’: „Wir sind alle schmutzig geworden!“50 Solch kollektive Erfahrung zeigt sich gerade in der Betrachtung homogener Status- und Berufsgruppen in hohem Maß. Diese vermochten in sich durch Austausch von Nachrichten über Entwicklungen und Versicherung gegenseitigen Rückhalts eine Vernetzung zu schaffen, die einerseits emotional durch diese Zeit verhelfen mochte, andererseits aber auch zu einem integralen Bestandteil der Spruchkammerverfahren führen konnte, den gegenseitigen positiven Gutachten und Bescheinigungen, vulgo Persilscheinen. Jene waren nicht zuletzt dafür verantwortlich – natürlich lediglich in Ergänzung zu allgemeinen Entwicklungen im Zuge der Rehabilitierungspraxis –, dass die deutsche Archivwissenschaft die vermeintlich nahtlosen Kontinuitäten über die Nachkriegszeit hinaus aufweisen konnte, wie sie für viele andere Berufsgruppen konstatiert wurden. Astrid Eckerts Befund ist vorbehaltlos zuzustimmen, wenn diese festhält, dass jene Kontinuitäten vor allem „im Zeitraffer von 1945 auf 1952“ auffallen, sich aber „im Zeitlupentempo die meist unkalkulierbare Offenheit der Situation und die persönlichen Mühen des Überganges“ offenbaren. Diese Unwägbarkeiten 49

Rauh-Kühne: Entnazifizierung, S. 70; vgl. Herbert: NS-Eliten. Theodor Heuss bei einem Vortrag in Berlin am 18. März 1946. Heuss: Aufzeichnungen, S. 189; vgl. Henke: Grenzen, S. 128 f.; zur Wahrnehmung der Niederlage und Besatzungszeit vgl. Foschepoth: Reaktion. 50

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dürfen nicht ignoriert werden, auch wenn die deutschen Archivare die Entnazifizierung überstanden und zudem fast ausnahmslos 1948, spätestens 1952 wieder in ihrem Berufsfeld tätig waren. So gut wie allen wurde politische Unbedenklichkeit bescheinigt – lediglich Zipfel sollte nicht mehr in seinem angestammten Arbeitsumfeld unterkommen.51 Wenn Sante Ende 1946 konstatierte, „die Befehle der Denazifikation“ würden „keine Rücksicht auf die noch so begründeten Bedürfnisse der Archive“ nehmen und nur geringe Aussichten bestünden, „die Lücken im Personal zu schließen“, ließ sich diese Deutung in den folgenden Jahren kaum mehr aufrecht erhalten.52 Mit die wichtigste Frage jedoch ist, wie es unzählige Archivare schafften, sich innerhalb kürzester Zeit der Entnazifizierung zu unterziehen, sich in Spruchkammerverfahren zu bewähren und den institutionellen Wiederaufbau des deutschen Archivwesens voranzutreiben. Dass bei ideologischen Umbrüchen in vielen Gesellschaftsbereichen gewisse Netzwerke (re-)aktiviert werden und von zentralem Nutzen sein können, ist für verschiedene Wissenschaftsbereiche hinreichend belegt.53 Es bleibt zu hinterfragen, wie diese Netzwerke in der Archivwissenschaft zustande kamen und auf welche Weise sie im Kontext der Entnazifizierung genutzt und gestaltet wurden. b) Persilscheine, Rückhalt und Kollegenschelte. Netzwerkbildung zur Bewältigung der Nachkriegszeit? In der frühen Nachkriegszeit trieben die deutschen Archivare ganz spezifische Sorgen um, und das dadurch entstandene Persilscheinnetzwerk war weder bewusst gegründet worden, noch war dessen Existenz für alle Beteiligten in gleichem Maße erkennbar oder gar offensichtlich. Dennoch lag ihm eine bestimmte Absicht zugrunde, eben jene, durch die (Wieder-)Aufnahme privater Korrespondenz an Gutachten zu kommen, die dem Einzelnen entweder Vorteile für die Entnazifizierung oder auch für die berufliche Zukunft verschaffen konnten. An diesem archivarischen Persilscheinnetzwerk können zwei verschiedene Aspekte beziehungsweise unterschiedliche Intentionen aufgezeigt werden. Im Vordergrund steht gewiss der funktionale Aspekt, der für das jeweilige Spruchkammerverfahren von zentraler Bedeutung ist, die Anforderung beziehungsweise Ausstellung positiver Gutachten. In anderer Hinsicht lassen sich an der hohen Vernetzung innerhalb der deutschen Archivwissenschaft gerade in den ersten Nachkriegsjahren unzählige Beispiele finden für einen eher emotionalen Aspekt. Die häufigen Nachfragen in Korrespondenzen, wie es dem Kollegen X in Y ergangen sei, lassen sich hierzu ebenso zählen wie die Schilderungen selbst erfahrener Not, die Mitteilungen über die in der Regel schwierige Situation anderer Kollegen oder 51 Eckert: Entbräunung, S. 426 f.; vgl. Musial: Staatsarchive, S. 176 f.; vgl. Vollnhals (Hrsg.): Entnazifizierung, S. 60. 52 Sante: Tagungen, Sp. 7. 53 Vgl. Koppitz/Halling/Fangerau: Nazifizierung.

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auch die Einschätzung der aktuellen Lage sowie die gegenseitige Versicherung, dass man sich in verschiedensten Kontexten nichts habe zu Schulden kommen lassen und stets vorbildlich handelte. Letzteres zielt meist darauf ab, fachlich einwandfreie und nicht zu beanstandende Handlungen hervorzuheben und sich den Anschein völlig unpolitischen Agierens zu geben. Dabei offenbart sich die Problematik des emotionalen Aspekts dieses Netzwerks, denn dieser ist in vorliegendem Kontext nur in seltenen Fällen rein privater Natur. Dabei darf nicht unterstellt werden, dass solche Ausführungen nur kalt berechnend bestimmte Absichten verhüllen sollten, aber die Verbindung mit dem funktionalen Aspekt ist offensichtlich: Unzählige Schreiben begannen mit dem Austausch von Nachrichten und den Nachfragen nach Erfahrungen, durchlebtem Leid, aktuellem Status und Hoffnungen des Korrespondenzpartners. Die Schilderung und Einschätzung der eigenen Lage und jüngsten Vergangenheit diente aber nicht selten offensichtlich dazu, vom Gegenüber zustimmende Rückmeldung zu erhalten, wodurch die Bitte um ein positives Gutachten erleichtert wurde. Engen Kollegen fiel diese Bitte deutlich leichter als jenen, die um ihr mitunter missliches Verhalten in jüngerer Vergangenheit und ihre entsprechende Angreifbarkeit wussten. Die Betrachtung von Persilscheinnetzwerken verspricht für die Wissenschaftsund Disziplingeschichte in Umbruchszeiten ebenso gewisse Vorteile wie für die historische Individual- und Kollektivbiografik. Karin Hirtes Untersuchung des Persilscheinnetzwerks Peter-Heinz Seraphims beispielsweise vermag nicht nur dessen Verflechtung mit Freunden, Verwandten und Fachkollegen aufzuzeigen, sondern illustriert mit einschlägigen Methoden der Netzwerkforschung auch die unterschiedliche Intensität der einzelnen Beziehungen Seraphims zu ihm freundschaftlich zugeneigten Kollegen und anderen, ihm weitaus weniger nahestehenden Personen.54 Eine Vorgehensweise, die durch die Auswertung einer Vielzahl von Quellen unterschiedlicher Art und Provenienz gewiss einen Beitrag zur historischen Verortung von Einzelpersonen mittels ihrer Biografie zu leisten vermag, bei der Untersuchung von Kollektiven oder ganzer Disziplinen schnell an ihre Grenzen stößt. Zum einen, weil – um bei der Archivwissenschaft zu bleiben – nicht für jeden Archivar entsprechende Quellen in ausreichendem Umfang vorhanden sind, und zum anderen, weil der enorme Aufwand, für eine Vielzahl von Personen so detailliert vorzugehen, nicht zwangsweise in einem vernünftigen Verhältnis zur daraus resultierenden Aussagekraft steht. Das Persilscheinnetzwerk in der deutschen Archivwissenschaft der frühen Nachkriegszeit, wie es hier dargestellt werden soll, beruht auf der Auswertung von Korrespondenzen, die sich in Nachlässen von Archivaren befinden und Rückschlüsse auf vergleichbare Schreiben in weiteren Nachlässen erlauben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Einige Briefe Ernst Zipfels ähnlich lautenden Inhalts, 54

Vgl. Hirte: „Persilschein“-Netzwerke.

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die dieser innerhalb weniger Tage versandte, finden sich in beinahe sämtlichen hier ausgewerteten Nachlässen. Doch auch über die Bitten um Gutachten anderer Kollegen tauschten sich mitunter mehrere Archivare aus, vor allem jene, die sich nahestanden oder in vergleichbarer Position waren, was ihre Entnazifizierung betraf. Unter Heranziehung dieser Teilmenge des potentiell hierfür zur Verfügung stehenden Quellenkorpus kann durchaus bereits ein Bild der Netzwerkbildung innerhalb der Archivwissenschaft gegeben werden. Zudem wird die Qualität der Vernetzung aufgezeigt sowie die Möglichkeiten und Strategien, mit denen die Entnazifizierung überstanden werden sollte und konnte. Neben den ersten Entlassungswellen, die vielen Archivaren das Einkommen und damit materielle Sicherheit entzogen hatten, stellten die Entnazifizierungsbestimmungen eine weitere, nur widerwillig angenommene Herausforderung dar. Rohr sprach diesbezüglich vom „Fegefeuer der Entbräunung“, das überwunden werden müsse, und Schnath nahm direkt auf die Praxis der Spruchkammerverfahren Bezug, wenn er klagte, dass die Vorbereitung hierauf „aus der Perspektive des Bittstellers, abhängig von den Gutachtern [. . . ] ein erniedrigendes Ritual“ darstelle. Es sei zudem „im Grunde beschämend, daß man sich auf diese Weise allerlei Lobsprüche und Empfehlungen zusammenholen muss, um nachzuweisen, daß man ein Nazi, aber kein Verbrecher war!“55 Für ihn selbst lag das Problem in erster Linie darin, dass er „nicht erklären [könne], der Partei anders als aus Überzeugung beigetreten zu sein“, er hielt sich „deswegen auch weder für einen Nazi noch für einen Verbrecher“, außerdem befände er sich damit „ja auch nicht in schlechter Gesellschaft“.56 Der Zwang, Kollegen um Gutachten zur eigenen Person zu bitten, war gewiss nicht nur von Schnath als beschämend empfunden worden, doch gab es auch die gegensätzliche Wahrnehmung derer, die jene Gutachten auszustellen hatten und damit über nicht zu unterschätzende Macht verfügten. Hatten Berufskollegen während des ‚Dritten Reichs‘ beispielsweise berufliche Nachteile erlitten und verstanden sich nun darauf, sich diesbezüglich mit einer „Aura von Widerständigkeit“ zu umgeben, waren sie damit prädestiniert, die Situation und das Verhalten ehemaliger Kollegen zu bewerten und mit eidesstattlichen Erklärungen für diese einzutreten – oder dies zu unterlassen. Den wenigen Archivaren, die der NSDAP nicht beigetreten waren, kam dabei besondere Bedeutung zu.57 Karin Hirte hat in ihrer Untersuchung des gegenseitigen Ausstellens von ‚Persilscheinen‘ durch Wissenschaftler vier verschiedene Strategien ausgemacht, welche den Gutachten teils einzeln, teils kombiniert zugrunde lagen. Sie unterscheidet dabei zwischen der „Wissenschaftlichkeitsstrategie“,der „Widerständigkeitsstrategie“, der „Opferstrategie“ und der „Menschlichkeitsstrategie“. Bei der „Wissenschaftlichkeitsstrategie“ versicherten sich Fachkollegen gegenseitig der 55 56 57

Rohr an Winter, 23. Mai 1948, BArch N 1333/31; Schnath an Winter, 10. März 1948, ebd. Schnath an Winter, 6. März 1948, BArch N 1333/87. Eckert: Entbräunung, S. 434.

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Objektivität ihres Tuns, der unpolitischen, rein fachlichen Betätigung in jüngster Vergangenheit und der unpolitischen Seiten ihrer Tätigkeiten. Da tatsächliche Beteiligung an Widerstand so selten war wie Widerstand im wissenschaftlichen Umfeld, wurde bei der „Widerständigkeitsstrategie“ häufig Unangepasstheit im Arbeitsumfeld angeführt sowie Momente, in denen beispielsweise dem Anpassungsdruck bezüglich Beitritt zu NS-Gliederungen nicht nachgegeben wurde. Auch auf nicht offenkundig NS-konforme Schriften und Äußerungen wurde in diesem Zusammenhang gerne verwiesen. Die „Opferstrategie“ zielte darauf ab, sich durch die idealiter von engen Kollegen bestätigte Angabe von Karrierenachteilen in eine Opferrolle zu argumentieren, die wiederum Unangepasstheit intendieren sollte. Im Rahmen der „Menschlichkeitsstrategie“ wurden eigene Handlungen aufgelistet, die in erster Linie Solidarität mit vom Regime Verfolgten oder zumindest Benachteiligten zeigen sollten.58 Wie Astrid Eckert zudem treffend darlegte, ist auch die Semantik der Gutachten im Hinblick auf verschiedene Details zu beachten, zumal diese mit der jeweiligen Strategie und den Fakten korrespondiert, die nicht widerlegt werden können. Den Beitritt zur NSDAP oder anderen NS-Gliederungen und Verbänden zu verheimlichen, war meist nicht möglich, aber er konnte auf unterschiedlichste Weise erklärt und begründet werden. Die Bandbreite war dabei groß: Der freiwillige Beitritt Helmuth Rogges zur SS-Reiterstaffel beispielsweise wurde von Winter in seinem Gutachten damit erklärt, dass Rogge schlicht „ein begeisterter Reiter war, der selbst schon vorher ein Pferd besessen hatte“.59 Andere hingegen seien der Partei oder Verbänden nur auf ausdrückliche Weisung von Vorgesetzten, also durch Zwang beigetreten. Wieder andere schienen aus allen Wolken zu fallen, als sie von ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP erfahren hatten, denn dieser seien sie nie bewusst beigetreten, sie seien vielmehr Opfer einer automatischen Überführung geworden oder jemand habe sie ohne ihr Zutun und Wissen bei der NSDAP angemeldet.60 Papritz’ bereits im vorhergehenden Kapitel angedeutete Argumentation vom Herbst 1945 kann als Paradebeispiel für ein Vorgehen nach solchen Strategien unter Nutzung entsprechender Formulierungen dienen. Was sein Anwalt Ende November 1945 zur Entlastung seines Mandanten an die Militärregierung in Coburg übersandte, beruhte nicht ausschließlich auf Papritz’ eigenen Aussagen, sondern auf mehreren eidesstattlichen Erklärungen vormaliger Kollegen und Mitar58

Vgl. Hirte: „Persilschein“-Netzwerke, S. 346. Vgl. u. a. Winter an Clemm, 24. Juli 1950, BArch N 1333/88, zit. nach Eckert: Entbräunung, S. 435. Die Mitgliedschaft in der Reiter-SS darf allerdings nicht mit der Mitgliedschaft in der Allgemeinen SS generell oder gar der Waffen-SS gleichgesetzt werden. Lediglich die Reiter-SS wurde in den Nürnberger Prozessen ausdrücklich nicht als ‚verbrecherische Organisation‘ eingestuft. Hein: Elite, S. 1; vgl. ders.: SS, S. 104 f.; zur Reiter-SS vgl. Wilson: Cavalry; zur Waffen-SS hingegen vgl. Wegner: Waffen-SS. 60 Vgl. u. a. Winter an Clemm, 24. Juli 1950, BArch N 1333/88, zit. nach Eckert: Entbräunung, S. 435. 59

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beiter. Ergänzend traten im Frühjahr 1946 weitere Gutachten hinzu, wobei das wohl wichtigste von Brackmann ausgestellt wurde, der es vorzüglich verstand, auf der Klaviatur der verschiedenen Entlastungsstrategien zu spielen, sodass sich die von Hirte eruierten Strategien sämtlich und in verschiedenen Ausführungen finden lassen. Die „Wissenschaftlichkeitsstrategie“ stand in der Bescheinigung Brackmanns im Vordergrund, was nicht nur aufgrund dessen Stellung Sinn ergab, sondern auch, weil Papritz unter jenem maßgebliche Karriereschritte vollzogen hatte. Brackmann bescheinigte ihm entsprechend, „dass er niemals irgendwelchen Anforderungen politischer Art, die seitens der NSDAP an ihn gestellt wurden, entsprochen hat.“ Seine Arbeit habe er vielmehr stets „auf rein wissenschaftlicher Grundlage und unter Ausschaltung jeder politischen Tendenz geleistet.“ Nachdem man ihn, Brackmann, aus seinem Amt „entfernt“ hatte, sei Papritz dankenswerter Weise geblieben, „um von den Arbeiten zu retten, was zu retten war“, und habe es „wie wir alle [. . . ] als seine Pflicht betrachtet, die historische Wahrheit festzustellen“.61 Es war dies ein Vorgehen, das von Rüdiger Hachtmann auch für die „Vergangenheitsbewältigung“ in der Kaiser-Wilhelm- beziehungsweise Max-Planck-Gesellschaft konstatiert wurde – die kontrastierende Darstellung von „echten Nationalsozialisten“ einerseits und jenen „unpolitischen Fachleuten“ andererseits, eben der Expertengruppe, der man sich selbst zurechnete.62 Aber dies war lediglich ein Aspekt, mit dem die Militärregierung beziehungsweise die Spruchkammer von Papritz’ Unschuld überzeugt werden sollte. Die „Widerständigkeitsstrategie“ findet sich bei Brackmann wie auch bei einigen anderen ‚Gutachtern‘. Sein Anwalt belegte mit zwei eidesstattlichen Erklärungen, dass Papritz nach der Machtübernahme dem Stahlhelm beigetreten sei, „um aktiv gegen den Nationalsozialismus arbeiten zu können“, da der Stahlhelm „damals als Sammelpunkt nazifeindlicher Elemente“ gegolten habe.63 Brackmann bestätigte dies und betonte, Papritz sei „ein Gegner der Partei“ geblieben. Er selbst sei sich darüber so sicher gewesen, dass er ihn „etwa 1 1/2 Jahre vor dem Versuch Hitler zu stürzen, ins Vertrauen gezogen“ habe. Lediglich der Umstand, „dass die geplante Änderung der politischen Lage in Deutschland völlig unzureichend und von grösstenteils unfähigen, einseitig orientierten Persönlichkeiten vorbereitet und durchgeführt wurde“, habe Papritz und ihn dazu veranlasst, sich „von diesem Kreise zurückzuziehen“.64 Woher Brackmann selbst von Umsturz- und Attentatsplänen gewusst hatte, bleibt sein Geheimnis, doch war dies ein zu gutes Argument, um es im Entnazifizierungsverfahren unerwähnt zu lassen. Papritz hatte auf diese seine Mitwis61

Bescheinigung Brackmanns für Papritz, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 g, 32. Hachtmann: Wissenschaftselite, S. 75. 63 Papritz’ Rechtsanwalt an die Militärregierung in Coburg, betr. Entlassung von Mitgliedern der PuSte in Coburg, 27. November 1945, HStA Marburg 340 Papritz, C 12 a, 5. 64 Bescheinigung Brackmanns für Papritz, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 g, 32. 62

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serschaft – wenngleich aus zweiter Hand – schon zuvor ausdrücklich verwiesen. Seinem Anwalt hatte er die Bescheinigung im Vorfeld angekündigt, da Brackmann „ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus, mit Minister Popitz befreundet und an dem Anschlag auf Hitler beteiligt“ gewesen sei und ihn ins Vertrauen gezogen habe. Er denke doch, so Papritz weiter, „dass das genügen wird. Denn wie könnte ein Mensch nachdrücklicher beweisen, dass er aktiver Antinazist gewesen ist, als durch die Tatsache, dass er von einem Anschlag auf den Führer gewusst hat.“ Gegenüber dem Coburger Bürgermeister argumentierte er ähnlich, wies seine „antinationalsozialistische Haltung so eindeutig nach [. . . ], wie es überhaupt möglich ist“, ergänzte aber auch, wegen dieser Haltung „bei der SS auf der schwarzen Liste“ gestanden zu haben.65 An dieser Verbindung zeigt sich die enge Verzahnung der „Opferstrategie“ mit der „Widerständigkeitsstrategie“. Auch diese wusste Papritz zu nutzen, führte er doch gleich mehrere Belege an, die seine Opferrolle bestätigten sollten. Verschiedene eidesstattliche Erklärungen drehten sich um Aspekte dieser Strategie: Papritz habe auf einer „schwarzen Liste“ der SS gestanden; der SD habe belastendes Material über ihn gesammelt; „als Folge seines Verhaltens“ seien Repressalien gegen ihn eingeleitet worden; die (Mit-)Herausgabe eines später verbotenen Buches habe als „öffentliche Demonstration der Judenfrage“ gegolten; Papritz selbst hätte „in seiner liberalen Einstellung“ den nationalsozialistischen Rassenwahn nicht gekannt. Belegt wurden diese Aussagen, für die es nicht mehr Grundlagen als Papritz’ eigene Aussagen gab, indes von zwei eidesstattlichen Erklärungen, wodurch dieser Deutung im Spruchkammerverfahren der Status beinahe unumstößlicher ‚Wahrheit‘ zuteil wurde.66 Papritz habe also, so der Tenor, auch als nicht direkt vom Regime Verfolgter zu leiden und damit einhergehende Nachteile gehabt. Umso verdienstvoller sei es – so die daran anknüpfende „Menschlichkeitsstrategie“ –, selbst unter diesen Umständen und vor dem Hintergrund drohender Repressalien menschliche und selbstlose Handlungen attestieren zu können. Im Falle Papritz’ ließ sich in diesem Zusammenhang anführen, dass er seine Dienststelle „zum Sammelpunkt und Zufluchtsort antinationalsozialistisch eingestellter Personen aller Parteirichtungen“ ausgebaut und Personen aufgenommen habe, „die Gegner des Nationalsozialismus waren“; an seiner Dienststelle seien weitere Vertreter aus dem NS-Regime

65 Papritz an seinen Rechtsanwalt, 1. Februar 1946, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 5; Papritz an den Oberbürgermeister der Stadt Coburg, 16. Mai 1946, ebd.; Johannes Popitz (*1884) war seit 1933 preußischer Finanzminister und ab 1937/38 in widerständischen Kreisen aktiv. Direkt nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 wurde er verhaftet, bald darauf zum Tode verurteilt und hingerichtet. Vgl. Nagel: Popitz. 66 Papritz an Brackmann, 19. März 1946, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 g, 32; Papritz’ Rechtsanwalt an die Militärregierung in Coburg, betr. Entlassung von Mitgliedern der PuSte in Coburg, 27. November 1945, HStA Marburg 340 Papritz, C 12 a, 5.

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unliebsamen Personengruppen beschäftigt worden, „sehr aktive Anhänger der Bekenntniskirche“ ebenso wie des Zentrums und „sogar ein Kommunist“.67 Argumentationen dieser Art belegen die mitunter nicht sehr tragfähigen Kategorisierungen, die im Rahmen der Entnazifizierungsbemühungen vorgenommen wurden. Die Bekennende Kirche beispielsweise wurde, wo nötig und nützlich, vorbehaltlos zu einem Hort des Widerstands verklärt, und ihr nahestehende Personen eingestellt oder nicht entlassen zu haben ergab somit ‚antinationalsozialistisches Verhalten‘. Auch ob die Beschäftigung des „Kommunisten“ durch Papritz erfolgte, um diesem ‚Unterschlupf‘ zu gewähren, darf mehr als bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass dessen politische Orientierung bei der Einstellung unbekannt war oder schlicht nicht zur Debatte stand und erst nachträglich positiv konnotiert wurde. Natürlich konnte nicht jeder Archivar in vergleichbarem Maße auf ergebene Mitarbeiter, vertraute Kollegen und wohlgesonnene ehemalige Vorgesetzte zurückgreifen; mancher musste um positive Gutachten nachdrücklich bitten, anderen wurden eidesstattliche Erklärungen hingegen gerne und zahlreich ausgestellt. Brackmann, der zu dieser Zeit mit Papritz in regem Kontakt stand, teilte diesem mit, dass die Archivräte, die sich an ihn gewandt hatten, „z[um] T[eil] ganz verzweifelt“ gewesen seien, „und ebenso verzweifelt waren die wenigen im Amte verbliebenen, sodass ich mich freute, ihnen wenigstens als Generaldirektor i.R. helfen zu können“.68 Hilfe konnte indes auch Brackmann gebrauchen, der sich in einer wirtschaftlich äußerst prekären Lage befand, über die sich wiederum Papritz so bestürzt zeigte, dass er sofort 50 RM schickte und ankündigte, ihm immer wieder einmal solche „kleinen Raten“ zukommen zu lassen, solange es finanziell möglich sei.69 Die Papritzsche Argumentationsstrategie, die sich natürlich auch andere Archivare zunutze machten, zeitigte in seinem Fall raschen Erfolg. Bereits im November 1946 war das Spruchkammerverfahren mit seiner Entlastung abgeschlossen worden. In der Urteilsbegründung finden sich Argumente für seinen Freispruch, deren Wortlaut teils unverändert aus den eidesstattlichen Erklärungen zu seinen Gunsten entnommen war. Seine Ernennung zum Staatsarchivdirektor 1938 beispielsweise sei „keineswegs eine Belohnung für treue Anhängerschaft zum Nationalsozialismus“ gewesen, sondern auf Brackmanns Anraten hin erfolgt, der gewusst habe, „dass der Betroffene ein überzeugter Gegner des Nationalsozialismus war“. Brackmanns Urteil in dieser Sache hatte im Spruchkammerverfahren gerade deshalb Gewicht, weil „Dr. Brackmann [. . . ] nämlich selbst wegen seiner gegnerischen Einstellung zum Nationalsozialismus von der nationalsozialistischen Regierung vorzeitig aus seinem Amt als Generaldirektor entfernt 67 Papritz’ Rechtsanwalt an die Militärregierung in Coburg, betr. Entlassung von Mitgliedern der PuSte in Coburg, 27. November 1945, HStA Marburg 340 Papritz, C 12 a, 5. 68 Brackmann an Papritz, 2. März 1946, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 g, 32. 69 Papritz an Brackmann, 15. März 1946, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 g, 32.

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worden“ sei. In der weiteren Begründung wurden fast sämtliche Erklärungen für Papritz in ihren Kernaussagen aufgeführt und zu dessen eindeutigem Vorteil für absolut glaubhaft befunden; eine kritische Hinterfragung schien hingegen nicht stattgefunden zu haben.70 Die Entlastung eröffnete Papritz zwar neue Möglichkeiten, sich seiner beruflichen Zukunft zu widmen, doch ergab sich in den folgenden Monaten nicht automatisch eine Wieder- oder Neuanstellung in seinem angestammten Berufsfeld. Zumindest aber konnte er sich ab Januar 1947 mit der Ordnung der verbliebenen PuSte-Bibliothek und -Bestände verdingen, die sich inzwischen in Frankfurt am Main befanden. Mit Ludwig Dehio, mittlerweile Staatsarchivdirektor in Marburg, stand er in den folgenden Jahren in regelmäßigem Kontakt und schilderte diesem die oft ausbleibenden Fortschritte bei seinen Bemühungen, erneut im Archivwesen Fuß zu fassen.71 Zunächst sollte sich Papritz’ berufliche Laufbahn nicht in seinem Sinne entwickeln; noch im November 1948 musste er bei Dehio anfragen, ob dieser ihm eine Beschäftigung zuweisen könne, „mit der ich mir etwas verdienen kann?“72 Nun sollte jedoch alles recht schnell gehen, und wenige Wochen später war ihm mitgeteilt worden, dass seine Ernennung zum Staatsarchivrat in Marburg zum 1. Januar 1949 vollzogen sei. Da er noch kurz zuvor seine prekäre Lage geschildert hatte, könne Dehio sich, so Papritz, „die Freude vorstellen [. . . ], mit der ich die Mitteilung [. . . ] aufgenommen habe“.73 Diese Entwicklung kann exemplarisch dafür stehen, auf welche Weise die archivarischen Netzwerke auch über die Entnazifizierung hinaus von Bedeutung waren, denn Papritz stand keineswegs nur mit Dehio und Brackmann in Verbindung, sondern auch mit zahlreichen anderen ehemaligen Kollegen. In einer Zeit, in der das deutsche Archivwesen neu geordnet werden musste, Stellen zu besetzen waren und sich unzählige wissenschaftlich ausgebildete und erfahrene Archivare auf Stellensuche befanden, kamen diesen informellen Netzwerken und den darin erfolgten Erinnerungen an frühere Gefälligkeiten und Verdienste enorme Bedeutung zu. Es war keine Selbstverständlichkeit, dass Archivaren die gewünschten Erklärungen und Gutachten mehr oder weniger automatisch ausgestellt wurden. Je nach Anfrage konnte es durchaus vorkommen, dass sich der potentielle Gutachter mit Kollegen in Verbindung setzte, um eine einheitliche Linie abzusprechen oder auch Sachverhalte zu klären, bevor diese Eingang in eine Erklärung fanden, wenn denn eine solche ausgestellt werden sollte. In nicht wenigen Fällen hielten sich die Ersteller ihre Gutachten selbst zugute, wie etwa Zipfel, der bei Bruchmanns Verhandlung vor der Spruchkammer anwe70

Ergebnis des Spruchkammerverfahrens gegen Papritz, 29. November 1946, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 5. 71 Papritz an Dehio, 2. Juli 1947, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 6. 72 Papritz an Dehio, 12. November 1948, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 6. 73 Papritz an Dehio, 4. Dezember 1948, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 6.

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send war und Sante danach stolz mitteilte, dass er „wie so oft Herrn Bruchmann heraushauen“ konnte, der schließlich entlastet wurde.74 Andererseits blieb dieses Persilscheinnetzwerk nicht frei von persönlichen Animositäten und Rivalitäten, gerade in jenen Zusammenhängen, wo es nicht mehr ‚nur‘ um Gutachten für die Entnazifizierung ging, sondern um Stellenbesetzungen. Mommsen berichtete an Rohr, dass es seines Wissens nach in Preußen nie zur gegenseitigen politischen Belastung unter Archivaren gekommen sei; doch nun wären ihm, der seit 1947 am Bayerischen Staatsarchiv Nürnberg tätig war, inzwischen mehrere solcher Fälle zu Ohren gekommen. „Mit Ausnahme des StA Nürnberg ist es hier fast das Normale, und ich kenne jetzt schon 5 bis 6 Fälle.“ Die Ursache sei in vielen solchen und ähnlichen Fällen „offenbar leider weniger das Politische als das berühmte Abschiessen des Vordermannes und allerlei kleinliche Ressentiments“.75 Fälle also, in denen ein funktionierendes Netzwerk zwar durch das Spruchkammerverfahren verhelfen konnte, jedoch nicht automatisch zu einer Anstellung nach erfolgreicher Entlastung. Hier wurde mitunter säuberlich getrennt zwischen der Hilfe für Kollegen, die sich der Entnazifizierung stellen mussten, und der Torpedierung anstehender Stellenbesetzungen. Entnazifizierungsverfahren, die nicht mit Entlastung endeten, waren unter den deutschen Archivaren zwar selten, aber vorhanden. Karl Ernst Demandt beispielsweise wurde im März 1948 in die Gruppe III der Minderbelasteten eingereiht. Das hatte für ihn eine Geldstrafe in Höhe von 500.- RM zur Folge, zudem musste er die Kosten des Verfahrens übernehmen. In der Urteilsbegründung wurde anerkannt, dass Demandt sich nicht allzu sehr exponiert hatte, und vielmehr dargelegt, „dass der Betr[offene] in seiner Eigenschaft als Beamter des Staates formal die Bindung zum Nationalsozialismus erkennen liess und mehr oder weniger erkennen lassen musste, dass er seiner inneren Überzeugung nach kein Anhänger der Verfechtung gewalttätiger und brutaler Methoden der NS-Politik gewesen ist“.76

Wie Demandt in seinem kurz darauf verfassten Lebenslauf zutreffend festhielt, lagen außer seinen eigenen Erklärungen und schriftlichen Gutachten keine belastenden Beweise vor, abgesehen von den formalen Bestätigungen seiner Mitgliedschaften – in NSDAP, SA, Waffen-SS, RdB, NS-Altherrenbund, RKB, RLB, NSV, VDA.77 Es dauerte dennoch nicht lange, bis auch Demandt wieder in seinem erlernten Beruf tätig war; er fand eine Anstellung am Staatsarchiv Wiesbaden, wo er 1949 zum Staatsarchivrat ernannt wurde. Ernst Zipfel hingegen sollte nach 1945 nicht wieder im Archivwesen Fuß fassen können, obwohl er sich in den Nachkriegsjahren intensiv darum bemüht hatte 74

Zipfel an Sante, 23. Oktober 1948, HHStA Wiesbaden, 1150/118. Mommsen an Rohr, 7. Februar 1949, BArch N 1418/9. 76 Urteil der Spruchkammer Darmstadt-Lager im Fall Demandt, 13. März 1948, HHStA Wiesbaden, 1150/118. 77 Lebenslauf Demandts, 10. April 1948; Urteil der Spruchkammer Darmstadt-Lager, 13. März 1948, HHStA Wiesbaden, 1150/118. 75

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und kaum eine Möglichkeit ausließ, ehemalige Kollegen darum zu bitten, sich für ihn einzusetzen. Er baute für diesen Zweck eines der dichtesten Korrespondenznetzwerke innerhalb der deutschen Archivwissenschaft auf. Gegenüber Rohr, einem seiner ehemals engsten Mitarbeiter, hielt er im Sommer 1946 fest, dass er „laufend Post“ bekomme und er „täglich etwa 2 Briefe schreibe“, wodurch er „vielen behilflich sein konnte“.78 Deshalb sah er sich nun dazu berechtigt, entsprechende Gefallen einzufordern, was er in oft harschem Ton umsetzte und Vorgaben machte, welchen Inhalts die Persilscheine sein sollten. Winter beispielsweise bat er zu bestätigen, wie korrekt unter seiner Leitung gearbeitet wurde. Denn dann würden „auch die jetzt maßgebenden Stellen sehen, daß in der A[rchiv]V[erwaltung] sachlich gearbeitet wurde und wie ich mich unermüdlich für meine Mitarbeiter eingesetzt habe, ganz gleich ob der betr. Pg. war oder nicht.“ Hierfür brachte er „Beweise“ vor, die teilweise schwer zu prüfen waren. Beförderungen von Mitarbeitern, die der NSDAP nicht angehörten, ließen sich dabei gewiss positiv anführen, allerdings war selten nachvollziehbar, wie sehr sich Zipfel im Einzelfall dafür einsetzen und gegenüber der Partei insistieren musste. Weitere „Beweise“ waren in keinster Weise zu verifizieren, etwa wenn Zipfel betonte, wie er sich in inoffiziellen und persönlichen Gesprächen mit Gauleitern und anderen Vertretern des Regimes für seine Mitarbeiter und deren Beförderungen und Ernennungen eingesetzt habe. Die einzelnen Personalfragen zugrunde liegende Intention lässt sich ebenfalls nicht überprüfen, sodass auch diese „Beweise“ in erster Linie Behauptungen zum Selbstschutz waren.79 Mit den „Beweisen“, die Winter und andere anführen sollten, gab er sich nicht zufrieden, sondern forderte weitere individuelle eidesstattliche Erklärungen an. Winter sollte dabei bestätigen, dass Zipfel ganz allgemein „die Entwicklung mit Sorge gesehen und das auch zum Ausdruck gebracht habe“, und zudem „von der SS angefeindet wurde“. Wenig später präzisierte er: „Man kann sich so und so einsetzen. Wie oft ich mich voll, oft unter Einsatz meiner Stellung, eingesetzt habe, wissen Sie genau“.80 Damit spielte er nicht nur auf seine vielfältigen Einsätze für seine Untergebenen an, sondern forderte eben solchen Einsatz nun auch von Winter, diesmal für seine eigene Entnazifizierung und Rehabilitierung. Dieser war allerdings wenig geneigt, Zipfels Forderungen erneut nachzukommen, hatte er ihm doch bereits eine eidesstattliche Erklärung ausgestellt und „betrachtete diese als mein Abschiedsgeschenk an Herrn Z[ipfel]“, wie er Rudolf Grieser – mittlerweile Leiter der niedersächsischen Archivverwaltung – vertraulich mitteilte. Diese Erklärung enthalte zudem „alles, was an Positivem über ihn zu sagen war, [. . . ] berechnet darauf, bei einem Entnazifizierungsverfahren dem selbstverständlichen Angriffe etwas Defensives entgegenzusetzen.“ Weil Zipfel, so Winters Eindruck, „sich in einem Zustande der Aufregung“ befand, da er von immer 78 79 80

Zipfel an Rohr, 18. Juli 1946, BArch N 1418/10. Zipfel an Winter, 9. Januar 1946, BArch N 1333/29. Zipfel an Winter, 20. Juni 1946 und 30. November 1946, BArch N 1333/29.

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mehr Kollegen vernehmen konnte, dass sie wieder im Archivwesen untergekommen waren, rechnete er mit weiteren Anfragen; in der kommenden Zeit werde vermutlich „ein kleines Trommelfeuer auf uns losgehen. Bitten und Beschwörungen und Anklagen werden sich abwechseln – und steigern.“ Dass Zipfel Winter auch Leid tat, gab dieser unumwunden zu, hielt jedoch sein bisheriges Eintreten für ausreichend, da er „seine Lage nun einmal als aussichtslos“ beurteilte.81 Grieser glaubte zwar „nicht an einen Wiederaufstieg dieses Mannes, der mir glücklicherweise nicht die ‚Pflicht zur Dankbarkeit‘ vorhalten kann, wie er das bei so vielen höchst geschmackvoll tut“, doch sei er eben „ein Mann des Ellenbogens“, der, stünde ihm nicht die eigene Vergangenheit im Wege, „ausgezeichnet in diese erbarmungslos rücksichtslose Zeit passen“ würde. Doch seine „Naivität – oder ist es eine gespielte Harmlosigkeit – ist erschütternd“.82 Ein anderes Beispiel belegt, wie sich die Vernetzung der Archivare untereinander hingegen auch in anderen Kontexten positiv auswirken konnte. Als Grieser zu Beginn des Jahres 1948, als tatsächlich viele Archivare entweder wieder in ihren Ämtern waren oder zumindest Anstellungen gefunden hatten, aufgrund ihm zugegangener Nachrichten erfahren hatte, dass Zipfel sich „in drückender materieller Not“ befand, versuchte er das archivarische Netzwerk zu dessen Hilfe zu mobilisieren. Zipfels Entnazifizierung war immer noch nicht abgeschlossen, doch ging man davon aus, dass er in Kategorie IV eingestuft werden und dann „Anspruch auf eine gewisse, wenn auch bescheidene Versorgung gewinnen“ würde. Bis dahin sei Zipfels Lage, so Grieser, „leider äußerst bedrängt.“ Deshalb wandte er sich an zahlreiche Fachkollegen: „Ohne zu verkennen, daß ein Teil der Archivbeamten aus den verschiedensten Gründen sich dem Genannten gegenüber während seiner Amtszeit reserviert verhielt, erachte ich es doch für ein Gebot der Menschlichkeit und des Zusammengehörigkeitsgefühls der Archivbeamten, soweit diese in ihren Ämtern bleiben konnten bzw. ein angemessenes berufliches Arbeitsfeld wiederfanden, Herrn Zipfel zu helfen“.83

Bald waren 755.- RM eingegangen, wodurch Grieser für einige Monate je 150.- RM an Zipfel überweisen konnte. Dessen Lage hatte sich nicht nur nicht gebessert, sondern war durch die Währungsreform „noch kritischer geworden“, weshalb Grieser „noch einmal an Ihr menschliches Gefühl appellieren“ musste.84 Mit der drastischen Währungsreform in den Westzonen vom Juni 1948 sollte der Geldüberhang beseitigt, ein stabiles Währungssystem eingeführt und damit die Grundlage für eine funktionierende Marktwirtschaft gelegt werden. Zunächst 81 Winter an Grieser, 17. Februar 1947, BArch N 1333/30. Trotz seiner Einwände sollte Winter allein für Zipfel insgesamt drei Persilscheine ausstellen. Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 316. Insgesamt war Winter vermutlich einer der fleißigsten Produzenten von Persilscheinen, von welchen sich unzählige in seinem Nachlass finden. Von den in dieser Arbeit genannten Archivaren profitierten u. a. Jung, Kleinau, Benzing von einem positiven Winterschen Gutachten (in BArch N 1333/30) sowie auch Rohr, Meinert, Ohnsorge, Schnath, Wendland (in BArch N 1333/31). 82 Grieser an Winter, 7. März 1947, BArch N 1333/30. 83 Grieser an Winter, 26. Januar 1948, BArch N 1333/30. 84 Grieser an Winter, 26. Juli 1948, BArch N 1333/30.

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verloren dabei allerdings die deutschen Geldvermögen rund 90 % ihres Wertes, was die große Masse all jener besonders traf, die nicht über Sachwerte verfügten. Aus 1000 Reichsmark waren lediglich 65 D-Mark geworden; besonders diejenigen wurden vor erhebliche Probleme gestellt, die eventuell noch über die starken dezimierten Reste ihrer Ersparnisse verfügen konnten, aber kein regelmäßiges Einkommen bezogen. In der SBZ wurde wenige Tage später mit einer eigenen Währungsreform auf deren Umsetzung in den Westzonen reagiert, die „zutreffend als Absage der Amerikaner an die Fortsetzung der gemeinsamen Verantwortung für Deutschland und als Entscheidung für einen separaten Weststaat“ verstanden worden war.85 Die Nöte und Herausforderungen der Nachkriegszeit gingen natürlich auch an den deutschen Archivaren nicht spurlos vorbei. Zu Zipfels materieller Not und der kaum vorhandenen Aussichten auf Wiederanstellung beispielsweise traten weitere Rückschläge hinzu. Neben persönlichen Verlusten und eigener Krankheit zeigte er sich stark mitgenommen vom Verhalten seiner Kollegen und ehemaligen Mitarbeiter, die sich seiner Meinung nach nicht genug für ihn eingesetzt hatten. Noch 1946 konnte er einige Archivare benennen, die „hielten, was ich erwarten konnte“, und die „Treue, Verständnis u[nd] Dankbarkeit“ zeigten – und die er sogleich in Gruppen einteilte nach ihrem „ganz glänzenden“, „guten“ oder auch nur „mäßigem“ Verhalten ihm gegenüber.86 Dies hatte sich zwei Jahre später grundlegend verändert, er sah sowohl seine Möglichkeiten für eine erneute Anstellung schwinden als auch mehrere Fachkollegen von ihm abrücken, die sich ihm nicht mehr verpflichtet fühlten. Entsprechend harsch wurden nun seine Urteile. Nicht nur Brackmann habe sich ihm gegenüber „als völliger Versager erwiesen“, auch andere hätten ihn charakterlich schwer enttäuscht; „Charakterlappen“, die ihn früher gebraucht hätten und jetzt verleugnen würden.87 Auf gewisse Weise erfuhr Zipfel damit die „Täterkreisverengung“ im deutschen Archivwesen der frühen Nachkriegszeit, bei der er als „schwarzes Schaf“ geopfert wurde; einem Vorgehen, das sich durch die gesamte Gesellschaft zog. Man war spätestens in der frühen Bundesrepublik bald dazu übergegangen, die Verantwortung für die NS-Verbrechen einer kleinen Personengruppe um Hitler zuzuschreiben. Da diesen aber nicht sämtliche Verfehlungen in verschiedensten Bereichen zugeschrieben werden konnten, mussten auch einzelne Wissenschaftsbereiche, Einrichtungen und Disziplinen einige exponierte und eindeutig belastete Vertreter „opfern“, das heißt aus ihren Reihen verstoßen, um der größeren Masse der Fachvertreter eine Vergangenheit als ‚unpolitische Experten‘ glaubhaft bescheinigen zu können.88 Der britische Archivoffizier C.A.F. Meekings hatte bereits 1947 festgehalten, dass Zipfel einer der ganz wenigen deutschen Archi85 86 87 88

Herbert: Deutschland, S. 596–600. Zipfel an Rohr, 18. Juli 1946, BArch N 1418/10. Zipfel an Rohr, 18. Juni 1948, BArch N 1418/84. Hachtmann: Wissenschaftselite, S. 79 f.

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vare sei, die nicht wieder auf ihre Posten haben zurückkehren können. Dessen Ausscheiden sollte wiederum für das Gros der Disziplin diverse Vorteile mit sich bringen. Durch Zipfels offensichtliche NS-Affinität und seinen Ausschluss aus der ‚Zunft‘ war es ein Leichtes, eigene Verfehlungen, fragwürdige Entscheidungen oder Unterlassungen auf dessen Verantwortung abzuwälzen. Vor allem aber entzog man sich damit dem Vorwurf, sämtliche Archivare gleich welcher Vorbelastung weiter im Archivwesen zu beschäftigen. Mit Verweis auf das berufliche Schicksal Zipfels war der Entnazifizierung der Archivwissenschaft in den Augen vieler Genüge getan.89 Der Realisierung mancher individueller Pläne stand ein weiterer Aspekt entgegen, der in den Korrespondenzen zwischen Archivaren einigen Raum einnahm und sowohl für jene von Bedeutung war, die noch auf ihre Entnazifizierung und erst recht eine Neu- oder Wiederanstellung warteten, als auch für jene Archivare, die bereits wieder in ihrem Beruf tätig sein konnten. Denn vor allem in den ersten Nachkriegsmonaten und -jahren war diskutiert worden, wie mit der eigenen Tätigkeit während des ‚Dritten Reichs‘ umzugehen sei, gerade wenn dies Bereiche betraf, in denen man mit Strafverfolgung rechnen musste oder zumindest davon ausgehen konnte, dass eine eingehende Prüfung der jüngeren Vergangenheit bevorstand. Offensichtlich sind die Beweggründe bei vertraulichen Diskussionen mancher der in besetzten Gebieten eingesetzten Archivare, die zudem teils unter Verdacht standen, dem ERR oder anderen NS-Organisationen zugearbeitet zu haben. Georg Schnath saß aufgrund genau diesen Verdachts in französischer Haft, nachdem er im Mai 1946 „in das Kriegsverbrecher-Verdächtigenlager überführt“ wurde, weil er „von französischer Seite in eine Suchliste [. . . ] gesetzt“ worden war aufgrund „der grotesken Beschuldigung, frz. Archive ‚geplündert‘ zu haben!“ Einerseits wies Schnath diese Anschuldigungen weit von sich, denn sein Gewissen sei rein, er habe die französischen Archive vielmehr gerettet und geschützt. Andererseits war ihm bewusst, dass ihm der dafür zustehende Dank nicht ausgesprochen werden würde. Denn es könne sein, berichtete er seiner Frau aus der Gefangenschaft, „daß man mich für Verluste und Beschädigungen frz. Archive sozusagen ‚kollektiv‘ haftbar macht, die ich gar nicht verhindern konnte (z.B. durch Kampfhandlungen oder durch einzelne Übergriffe der Truppen) oder die sich außerhalb meines Aufsichtsbereiches ereigneten (z.B. seitens des Einsatzstabes Rosenberg oder des Beauftragten der Heeresarchive, für den übrigens ein Mann mit ähnlich klingendem Namen und Dienstgrad, der Oberstleutnant Schadt, tätig war) oder die sich nach Abschluß meiner Archivmission (1. Mai 1944), also hinter meinem Rücken, abgespielt haben“.90 89

Eckert: Managing, S. 236. Schnath an seine Frau, 17. Dezember 1946, BArch N 1333/31. Bei der von Schnath erwähnten Suchliste handelte es sich um CROWCASS, ein von den alliierten erstelltes Verzeichnis gesuchter mutmaßlicher Kriegsverbrecher, vgl. Sigel: Kriegsverbrecherprozesse, S. 20 ff. 90

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In der Tat wurde die Untersuchung eines Pariser Militärgerichts gegen Schnath wegen „Plünderung in Kriegszeiten“ geführt. Allerdings stellte das Gericht Ende 1947 fest, dass Schnath tatsächlich „jener Organisation zur Beraubung jüdischen Besitzes nicht angehörte“. Deshalb und in Anbetracht der Tatsache, „daß aus mehreren Bezeugungen hervorgeht, daß Schnath keinerlei antifranzösische Tätigkeit entfaltet und seine Aufgabe auf die Durchforschung und den Schutz der Archive sowie ihre Auswertung beschränkt hat“, wurde erklärt, dass kein Anlass zur Einleitung eines strafrechtlichen Verfahrens vorlag und Schnath somit freizusetzen war.91 Wie Wolfgang Hans Stein treffend festhielt, folgte sowohl dessen Verhaftung als auch seine Entlastung einer gewissen Logik; verhaftet wurde Schnath als Teil der Besatzungsverwaltung, als Einzelperson hingegen wurde er freigesprochen.92 Zu offensichtlich war mittlerweile, dass sich Individuen dem Besatzungssystem zumindest ein Stück weit unterordnen mussten. In privater Korrespondenz hatte Winter Schnath, als dieser noch in Haft saß, mitgeteilt, die Nachricht von dessen Anklage aufgrund möglicher Zugehörigkeit zum ERR habe ihn „geradezu vergnügt gemacht“. Denn es wäre offensichtlich, dass diese Anklage ein Irrtum sei und „der Gegenbeweis [. . . ] leicht zu führen sein“ werde, da Schnaths Aufgabe in Paris „ja doch gerade in völligem Gegensatz zu den von jener Organisation erstrebten Dingen“ gestanden habe.93 Bei dieser Mitteilung handelte es sich keineswegs um eine übertrieben positive Einschätzung von Schnaths Chancen, um diesem Mut zuzusprechen, sondern um die feste Überzeugung Winters. Dieser hatte zuvor bereits in mehreren Korrespondenzen stets betont, „mit der Partei, der Gestapo, der SS, dem SD [. . . ] keine Verbindung gehabt“ zu haben.94 Dülfer teilte Winters Ansicht, „dass die Aufgaben der Archivare völlig andere waren“ als die des ERR und man selbst „stets darauf geachtet [hatte], dass nicht in die eigentlichen Archivbelange hineinregiert wurde“, zumal der ERR im Gegensatz zu den Archivaren politische Ziele verfolgt habe.95 Allerdings hatte sich doch mancher im Osten eingesetzte Archivar Tätigkeiten für den ERR vorwerfen zu lassen, darunter auch Winter. In einem Bericht, den er im Juli 1945 dem Magistrat der Stadt Berlin vorzulegen hatte, erwähnte er dies nur ganz am Rande und erklärte, dass zum ERR nur Beziehungen bestanden hätten, um „über dessen Unternehmungen und Planungen möglichst im Bilde“ zu sein. In diesem Zusammenhang führte er lieber aus, wie sehr er die „parteimäßig aufgezogene“ Verwaltung in der Ukraine kritisiert habe. Überhaupt sei er nur auf Geheiß Zipfels in den Osten gekommen,

91 Militärgericht von Paris, 27. Dezember 1947, BArch N 1333/31. Schnaths Freispruch war einer von 377 bei 2345 Urteilen, vgl. Stein: Schnath, S. 176; vgl. Moisel: Kriegsverbrecher. 92 Vgl. Stein: Schnath, S. 194. 93 Winter an Schnath, 3. Juli 1947, BArch N 1333/31. 94 Winter an Dülfer, 6. Juni 1946, HStA Marburg, M 73 Dülfer 1. 95 Dülfer an Winter, 6. Juli 1947, BArch N 1333/30.

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„obwohl ich ihm meine Abgeneigtheit und mangelnde Eignung für eine Tätigkeit im Osten, mit dem ich mich bis dahin weder archivfachlich noch wissenschaftlich noch sprachlich befaßt hatte, noch kurz zuvor ausführlich darlegte“.96

Dem ERR habe er sich in Einzelfällen mit „Widerstand“ und „Winkelzügen“ entgegengesetzt, wie überhaupt seine Abteilung die „Kulturvergehen der vorangegangenen Jahre [. . . ] oft genug angeprangert und bekämpft“ habe. Bevor seine Tätigkeit im April 1944 beendet wurde, habe er zudem schon Ende 1943 um anderweitige Verwendung gebeten, „voll Überdruß und Haß gegen die ganze Kommissariatspolitik und -verwaltung“.97 Seinem Entnazifizierungsverfahren stand seine Tätigkeit in der Ukraine nicht im Wege, fand sogar kaum Beachtung; viel wichtiger dürfte gewesen sein, dass er belegen konnte, niemals NSDAP-Mitglied gewesen zu sein. Die Vorgehensweise in seinem Bericht und die Argumentation, auf einem gegen seinen Willen erlangten Posten unter widrigen Umständen noch das Bestmögliche geleistet zu haben, sind nachvollziehbar und diesen Gutachten inhärent. Auch der in Warschau eingesetzte Weise sowie Randt als Leiter der Archivabteilung im GG argumentierten auf ähnliche Weise und mit besonderer Betonung der unpolitischen Ausrichtung der rein fachlich organisierten dortigen Archivverwaltung.98 Zipfel wurde sich dessen allmählich bewusst; Rohr gegenüber beklagte er, dass gerade Winter „alles“ auf den Kommissar für den Archivschutz schiebe, und „seine ganze Art zu schreiben u[nd] sein Verhalten von seiner Entbräunung an kann mir nicht gefallen“.99 Abgesehen von solchen Schuldzuweisungen, seien sie berechtigt oder nicht, ist von besonderem Interesse, wie sich die Einschätzung der eigenen Betätigung in den besetzten Gebieten darstellte – außerhalb von offiziellen Stellungnahmen oder Rechtfertigungsschreiben, sondern wie sie in den Korrespondenzen der Nachkriegszeit eruiert, abgeglichen und diskutiert wurden. Als Mommsen sich im August 1947 an Winter wandte, drei Jahre nachdem sie sich zuletzt gesehen hatten, teilte er diesem seine Freude darüber mit, dass Winter mittlerweile „Berlin und damit der bedrohlichen russischen Umklammerung den Rücken gekehrt“ hatte.100 Die unterschiedliche Politik in den vier Besatzungszonen hatte sich inzwischen deutlich abgezeichnet, sowohl was die Handhabung der Entnazifizierung anbelangte als auch die abweichende Auslegung von Kriegsverbrechen und deren Verfolgung. Denn wie Mommsen von Winter bald darauf erfuhr, wurden in 96 Bericht Winters über seine Tätigkeit in der Ukraine, an den Magistrat der Stadt Berlin, 19. Juli 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3268. 97 Bericht Winters über seine Tätigkeit in der Ukraine, an den Magistrat der Stadt Berlin, 19. Juli 1945, GStA PK, I. HA Rep. 178 B, Nr. 3268; vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 312 f. 98 Bericht Randts über seine Tätigkeit als Leiter der Archivverwaltung des GG, 11. August 1945, GStA PK, I: HA Rep. 178 B, Nr. 3151; vgl. ebd., S. 314. 99 Zipfel an Rohr, 24. Juni 1947, BArch N 1418/10. 100 Mommsen an Winter, 25. August 1947, BArch N 1333/31.

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der SBZ die Angehörigen der ERR als Kriegsverbrecher gesucht – wie auch die Archivbeauftragten in den besetzten Gebieten. Dieses „Damoklesschwert“ habe er bereits seit 1941 über sich gefühlt, „oder vielleicht besser: gefühlt, dass es allmählich näherkommt“. Dennoch, legte Mommsen Winter gegenüber dar, habe er „weder 1940/41 im Baltikum noch auch 1941/43 irgendeine Tat begangen, die ich vor jedem Gericht nicht voll verantworten könnte.“ Außerdem hielt Mommsen das Vorgehen der Russen für unberechtigt, da dies mit der Haager Landkriegsordnung begründet werde, „die die Russen ja eben nicht unterzeichnet hatten“ und vor allem, weil diese sich „auch heute noch [. . . ] nicht an diese Konventionen halten“; „man kann die Rechte eines Vertrages nicht in Anspruch nehmen, wenn man seine Pflichten nicht erfüllen will“. Er ging gar so weit, das, „was heute mit dem deutschen Kulturgut vor sich geht“, als so ungeheuerlich zu bezeichnen, „dass alle unsere Untaten im Osten an kulturellem Gut davor restlos versinken.“ Mommsen bediente sich damit einer tu quoque-Argumentation („auch du“), indem er Fehlverhalten aufrechnete und eigene „Untaten“ mit den nun stattfindenden verglich und verharmloste. Eine Argumentationsstrategie, derer sich auch die Verteidiger in den Nürnberger Prozessen ausgiebig bedienten.101 Einzelne Aspekte deutscher Betätigung im Osten seien natürlich bedauerlich gewesen, gab Mommsen zu, so auch die Aussonderung von Büchern für die Hohen Schulen der NSDAP – die Kernaufgabe des ERR –, aber man dürfe dabei nicht vergessen, „dass Russland die Haager Konvention nicht anerkannte“, was diese Übergriffe wiederum in Ansätzen zu rechtfertigen schien. Ganz wohl schien Mommsen bei dieser Entwicklung respektive der drohenden Strafverfolgung nicht zu sein. Gerade vom ERR hatte er bereits 1942/43 gehört, dass „die Russen meinen Namen anlässlich der Evakuierung Nowgorods öffentlich genannt haben“. Eine Begebenheit, die ihm bereits 1946, als er sich den Amerikanern gestellt hatte, einen „bösen Moment“ beschert hatte, da er befürchten musste, auf einer entsprechenden Liste aufgetaucht zu sein. Allerdings ging „diese Sache [. . . ] damals gut, da die Russen in diesem Punkt offenbar sehr langsam gearbeitet haben, was ich erstaunlich finde, denn wenn in Russland nichts richtig klappte, so klappte eben doch der NKWD“.102 Ganz falsch schien Mommsen mit seiner Befürchtung nicht zu liegen, existierte doch zumindest in den Unterlagen der SMAD eine Liste „deutscher Beamter, und Militärs, die Archiv- und Museumsgut aus den besetzten Gebieten der UdSSR, Polens und dem Baltikum auf das Territorium Deutschlands abtransportiert“ hätten, auf der neben Mommsen auch Winter, Dülfer, Latzke und Zipfel aufgeführt waren.103

101 Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31. Zur Argumentation Mommsens vgl. Eckert: Kampf, S. 144; vgl. Yee: Argument. 102 Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31. 103 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 326.

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In der vertraulichen Korrespondenz mit Winter gab Mommsen freimütig zu, dass er bei aller Distanz, die er zum ERR wahrte, dessen Hilfe „doch immer gern in Anspruch genommen“ hatte. Der ERR habe ihn außerdem immer dann gerufen, „wenn es irgendwo einmal brannte“, und nur so sei zu verhindern gewesen, dass noch mehr Kulturwerte verloren gingen, „als das so schon der Fall ist“. Zumindest für Nord- und Mittelrussland würde er die Arbeit des ERR deshalb „doch positiv beurteilen [. . . ] trotz mancher Einwände im Speziellen.“ Eine Einschätzung, die öffentlich zu äußern er sich hüten musste, was ihm durchaus bewusst war. Und trotz dieser Beurteilung und seiner Winter gegenüber geäußerten Einschätzung, „dass nicht einmal Z[ipfel] irgendetwas getan oder veranlasst hat, das völkerrechtlich nicht vertretbar gewesen ist“, glaubte er die Lösung für die aktuell bedrohliche Situation zu kennen: Am besten sei „ein forscher Angriff deutscherseits gegen die russischen Kulturverbrechen“, „ein flotter Angriff wäre auch hier die beste Verteidigung“.104 Gerade die letztgenannte Ansicht schien Winter mitnichten zu teilen. Er hatte sich vielmehr bereits im Frühjahr 1946 privatim mit Vollmer über ähnliche Kontexte ausgetauscht, als von der sowjetischen ‚Kriegsverbrecherthese‘ noch nicht die Rede war, zumindest nicht unter den deutschen Archivaren. Dem einige Jahre zuvor zum Archivschutz in den Niederlanden eingesetzten Vollmer gegenüber legte Winter die Ansicht dar, die deutschen Archivschutzbemühungen seien aus dem „Bewusstsein einer gesamteuropäischen Verantwortung“ heraus entstanden. Wenn Vollmer diese Auffassung vollkommen teilte, mochte das vielleicht auch daran gelegen haben, dass er die Umstände im Osten und die dortigen Entwicklungen des Archivschutzes nicht bedachte oder kannte, die sich von jenen im Westen deutlich unterschieden; eine gewisse Naivität bleibt bei dieser Einschätzung zu konstatieren.105 Der Darmstädter Archivar Ludwig Clemm ergänzte diesbezüglich sekundierend, die Arbeiten des Archivstabes seien „doch wirklich harmlos“ gewesen, „Fortnahme von Archivgut“ sei nicht vorgekommen und die teilweise erfolgten „Austäusche waren Geschäfte auf Gegenseitigkeit“.106 Letzteres widersprach der Londoner Erklärung vom Januar 1943 eindeutig. In dieser alliierten Deklaration wurden sämtliche „Übertragung[en] und Veräußerung[en] von Eigentum“ aus feindlich besetzten oder kontrollierten Gebieten für nichtig erklärt, selbst wenn diese „unter der Form [. . . ] scheinbar gesetzmäßiger Geschäfte vorgenommen worden sind“.107 Zudem vertraute Winter Vollmer schon während des Entnazifizierungsverfahrens sein Unbehagen darüber an, dass „nach den Gesetzen der Alliierten [. . . ] [die] Betätigung bei der Militär- oder Zivilverwaltung in den ehemals besetzten Gebieten einer Pg-schaft oder Zugehörigkeit zu einer der Gliederungen der Par104 105 106 107

Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31. Winter an Vollmer, 7. April 1946, zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 326 ff. Clemm an Winter, 7. Mai 1946, BArch N 1333/31. Fiedler: Erklärung; vgl. Simpson (Hrsg.): Spoils, S. 287; vgl. Eckert: Kampf, S. 145.

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tei gleichgesetzt“ werde, und er darüber hinaus nachweislich zumindest zeitweise mit dem ERR in tätiger Verbindung gestanden hatte.108 Hieran zeigte sich das feine Gespür Winters für die Verwicklungen, in die er und seine vormaligen Kollegen noch geraten könnten wegen ihren Tätigkeiten, die sie selbst als noch so einwandfrei deklariert haben mochten. Gerade Winter war sich durchaus bewusst, dass in solchen Fällen der Auslegung durch die Alliierten und deren Betrachtungsweise weitaus größeres Gewicht beigemessen würde als seinen rechtfertigenden Darstellungen und Selbsteinschätzungen. Eine ähnliche Einschätzung vertrat er auch in der Diskussion mit Zipfel um die Rechtmäßigkeit beziehungsweise die Problematik der Auseinandersetzung der Pariser Archivgruppe mit den dortigen deutschen Heeresarchivaren. Wenn sich die zivile Archivverwaltung damals eingemischt habe, als es um die von den Heeresarchivaren abtransportierten Kartenbestände ging, sei dies gewiss ein Fehler, aber der Situation geschuldet gewesen. Die Archivgruppe habe sich lediglich eingeschaltet, „um die nun einmal als Beute vom Militär erklärten Kartenschätze der landesgeschichtlichen Forschung fruchtbar zu machen“, also vor allem im Interesse der Wissenschaft.109 Meinungsverschiedenheiten gab es gewiss nicht nur in Fragen zu aktuellen Vorgehensweisen, sondern auch hinsichtlich fachlicher Aspekte und deren Handhabung unter den Ausnahmebedingungen in den besetzten Gebieten. Winter und Mommsen hatten sich intensiv über fachliche Aspekte ihres ‚Osteinsatzes‘ ausgetauscht. An Winters Ausführungen über das Provenienzprinzip im „zwischenstaatlichen Verkehr“ zeigte sich Mommsen sehr interessiert, da er dieses Prinzip „in jeder Beziehung für das Ideal“ halte und es seiner Meinung nach den deutschen Archivar ehre, „wenn er zu einer Zeit, in der er als Sieger in Frankreich stand, dieses Provenienzprinzip durchführen wollte.“ Er selbst und Dülfer hätten im Osten „dieselbe Linie verfolgt“. Er stimmte Winter auch zu, wenn dieser das Provenienzprinzip gefährdet oder gar als Utopie ansah, „da die Siegerstaaten von 1919 und wieder die von 1945 sich nicht scheuen, dagegen zu verstoßen“.110 In manchen Belangen waren sich Winter und Mommsen hingegen uneinig, wie letzterer deutlich betonte: „In Bezug auf die Räumung aber unterschieden wir uns doch auch prinzipiell“, denn Winter sei „gegen jede Räumung“ gewesen, was Mommsen aber „damals nicht ahnen konnte“. Allerdings hielt dieser an der Richtigkeit seiner Einschätzung zur Räumung auch weiterhin fest. Er stünde bezüglich der Verlagerung von Kiewer Archiven „heute noch auf dem Standpunkte, dass sie richtig war, wenigstens aus den damaligen Gegebenheiten heraus“. Da er nicht habe ahnen können, wie schnell Kiew fallen würde, war Mommsen „für die Räumung“ und habe damals „für sie getan, was immer ich nur tun konnte“.

108

Winter an Vollmer, 7. April 1946, zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 326 ff. Winter an Zipfel, 20. Juni 1947, BArch N 1333/29; zur Auseinandersetzung in Paris siehe Kap. D. IX. 2. b). 110 Mommsen an Winter, 14. April 1947, BArch N 1333/31. 109

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E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau

Man sei sich natürlich darüber einig gewesen, stellte er klar, dass die Archivalien sämtlich in Russland zu bleiben hätten, „aber aus K[iew] mussten sie heraus“.111 Mochte das im konkreten Fall unter Umständen stimmen, waren sich die Beteiligten der Unrechtmäßigkeit ihres Tuns in bestimmten Einzelfällen durchaus bewusst gewesen, hatten aber gezielt die ‚deutschen Interessen‘ verfolgt und fachliche wie juristische Bedenken hintangestellt. Im Osten waren jene Entscheidungen zudem schneller und eindeutiger gefallen als im Westen, wo zuerst Grundsatzdiskussionen geführt wurden. In der Nachkriegszeit einte die deutschen Archivare hingegen die Sorge um Kulturgut, sei es in den ehemals besetzten Gebieten wie auch in den Besatzungszonen. Daneben trieb sie die gesamtgesellschaftliche wie auch die politische Lage seit Kriegsende um. Mommsen teilte Winters Beurteilung der innenpolitischen Entwicklung – „Es ist das Kunststück fertig gebracht worden trotz der Erfahrungen von 1945 und früher, trotz aller Enthüllungen, den KZ usw. unser Volk wieder auf den Weg der Radikalisierung zu treiben“.112 Einer, der sich hingegen in den Nachkriegsjahren keineswegs radikalisiert, sondern vielmehr resigniert hatte, war der 1948 noch nicht entnazifizierte Wilhelm Rohr. Nach seiner Zeit in einem Internierungslager hatte er sich eineinhalb Jahre als Maurer verdingt und unter der schweren körperlichen Arbeit ebenso gelitten wie unter der Aussichtslosigkeit, ohne überstandene Entnazifizierung eine Tätigkeit in seinem ehemaligen Beruf ausüben zu können. Mit der Einleitung eines Spruchkammerverfahrens in der SBZ hatte er aufgrund seiner Vergangenheit als enger Mitarbeiter Zipfels bewusst gezögert. Winter schilderte er im März 1948, dass „überall, im Westen wie im Osten, [. . . ] sich das Fehlen der Entnazifizierung als das schlimmste Hemmnis“ erweise. Mittlerweile sah er aber keine andere Möglichkeit, als sich dem zu stellen, auch wenn die Entnazifizierungsbestimmungen nicht gelockert worden waren, worauf er zunächst spekuliert hatte. Rohr war sich bewusst, „Zeugen“ vorweisen zu müssen welche die Kommission überzeugen könnten, „daß ich, obwohl ein Anhänger der Nationalsozialisten, doch kein ‚Nazi‘ im landläufigen, üblen Sinne war.“ Zudem hatte er Aufzeichnungen erstellt, um sich „selbst Klarheit und Übersicht“ zu verschaffen über das, was ihm vorgeworfen werden könnte. Diese übersandte er Winter, um von diesem Rückmeldung und Ratschläge zu bekommen.113 Dessen Reaktion auf Rohrs „recht betrübend“ ausgefallenen Brief war eindeutig. Sein übersandtes Memorandum solle er verbrennen, „es könnte Dir in mancher Hinsicht schaden. Du sollst ja nicht zur Beichte gehen – das hast Du mit Deinem Gott, evtl. mit einem Geistlichen auszumachen – sondern Deine Verteidigung in einer Art Prozeß 111 Mommsen an Winter, 14. September 1947, BArch N 1333/31; auch aus diversen anderen Archiven hatte Mommsen Aktenverlagerungen veranlasst, vgl. Bericht Mommsens über seine Dienstreise nach Witebsk, Smolensk, Brjarsk und Gomel im März und April 1943, 19. April 1943, BArch NS 30/160; vgl. Hartung: Verschleppt, S. 120 f. 112 Mommsen an Winter, 14. April 1947, BArch N 1333/31. 113 Rohr an Winter, 11. März 1948, BArch N 1333/31.

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zu betreiben.“ Die oberste Regel dabei laute, „nicht mehr zu sagen als man gefragt wird“. Winter wusste, wovon er sprach; seine Tätigkeit in der Ukraine war im Spruchkammerverfahren nicht diskutiert worden, und er hatte gut daran getan, potentiell belastende Aspekte nicht selbst zur Sprache zu bringen. Deshalb riet er Rohr, auf Ausführungen zu verzichten, die belastend ausgelegt werden könnten, und stattdessen von der „schon mit Bewußtsein hingenommenen Strafe im Internierungslager und der anderthalb Jahre Reuearbeit bis zum körperlichen Zusammenbruch“ zu sprechen. Auch einen Vorschlag zur Erklärung von Rohrs NSDAP-Mitgliedschaft übersandte er vorsorglich: Es helfe nur das Eingeständnis, „daß Du anders als andere Bürgerliche schon früh zum Sozialismus neigtest“, „und daß Du dann mit vielen Arbeitern dem Irrtum verfielest, die sozialen Ideen ließen sich am stärksten in Verbindung mit einem an und für sich abgewirtschafteten bürgerlichen Nationalismus verwirklichen“.114 Eine Argumentationsstrategie also, die in Entnazifizierungsverfahren nicht selten gewesen sein dürfte und die auch in den folgenden Jahren noch unzähligen Deutschen zur Selbstrechtfertigung diente. Es waren dies sämtlich Ansichten, Erörterungen und Ratschläge, die zu jener Zeit in privater Korrespondenz sicherlich besser aufgehoben waren als in öffentlichen Äußerungen, auch wenn sie mitunter keine Nischenmeinung darstellen mochten. Es sollte jedoch anhand dieser Beispiele offensichtlich geworden sein, wie in jenen Korrespondenzen Rahmenbedingungen geschaffen wurden, in denen die Vergangenheit rekapituliert und vertraulich und offen diskutiert sowie die Ausstellung von Persilscheinen initiiert werden konnte. Eigene ‚Untaten‘ wurden mitunter als solche erkannt, teils erwähnt, oft geflissentlich übergangen oder bewusst ignoriert. Es ginge zu weit, in diesem Zusammenhang von einer Art speziellem ‚Rechtfertigungsnetzwerk‘ zu sprechen, zumal der briefliche Austausch über eventuell kompromittierende Tätigkeiten keinesfalls ein Spezifikum der Archivare darstellt, sondern sich in diversen anderen Disziplinen und Kontexten nachweisen ließe. Doch für die Archivwissenschaft wurde somit anhand eines kleinen Ausschnitts der Persilscheinnetzwerke und deren allmählicher Entwicklung gezeigt, wie sich in diesen ein gewisses Resonanzfeld etablierte, in dem sich die Vertreter der Disziplin gegenseitig der Rechtmäßigkeit ihres Tuns in jüngster Vergangenheit versichern konnten. Eine detaillierte, nach formalen Kriterien und unter Nutzung des netzwerktheoretischen Methodensets erarbeitete Netzwerkanalyse, die zunächst die quantitative Verflechtung analysiert, qualitative Merkmale einzelner Korrespondenzen herausarbeitet und somit einen konzisen Überblick über das Netzwerk geben kann, steht noch aus. Eine netzwerkanalytische Untersuchung dieser Umbruchszeit setzt demnach die Auswertung zahlreicher weiterer Nachlässe von Archivaren und anderer Bestände voraus, verspricht in mancher Hinsicht dennoch zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Die Rollen wie auch das Verhalten jenseits der 114

Winter an Rohr, 17. März 1948, BArch N 1333/31.

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E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau

professionellen Betätigung in diesen Jahren bedürfen noch für einige Archivare weiterer Betrachtung. Ansätze eines Persilscheinnetzwerks, um bei Karin Hirtes Terminologie zu bleiben, können konstatiert werden. Dennoch erscheint es sinnvoll, solange eine stichhaltige netzwerkanalytische Untersuchung Desiderat bleibt, zunächst von Seilschaften innerhalb der Archivwissenschaft zu sprechen, die sich Exponenten der Disziplin in unterschiedlichem Maße zunutze machten. Neben den offensichtlichen persönlichen wie professionellen Bekanntschaften traten im Zuge der Entnazifizierungsverfahren zunehmend inoffizielle Beziehungen zutage, wenn Gefallen eingefordert und mit Verweis auf eigene Leistungen Gutachten angeboten wurden. Auch die Zipfelsche Einteilung ehemaliger Mitarbeiter und Kollegen in ihm wohlgesonnene und ihm ablehnend begegnende Personengruppen spricht für diesen Terminus.115 Standen bislang die personellen Aspekte – die Archivare, deren Selbsteinschätzung, Entnazifizierungsverfahren und persönliche Beziehungen – im Vordergrund, wird der Blick nun auf den institutionellen Wiederaufbau und Neuanfang des deutschen Archivwesens nach 1945 gerichtet. 3. Wiederaufbau und Neuanfang a) Bestandsanalyse und Wiederaufnahme fachlicher Arbeit Kriegsschäden, persönliche Verluste, materielle Not und die Ansprüche der Entnazifizierungsverfahren waren Herausforderungen, denen sich die gesamte deutsche Bevölkerung stellen musste. Die daraus erwachsenen Aufgaben unterschieden sich regional und wirkten sich in verschiedener Weise auf Wirtschafts-, Industrie- und eben auch Wissenschaftsbereiche aus. Das Archivwesen sah sich mit einer völlig neuen Situation ohne historisches Vorbild konfrontiert. Ernst Posner, emigrierter deutscher Archivar und Historiker, hatte als Experte im Auftrag der Amerikaner das Archivwesen Nachkriegsdeutschlands bereist und begutachtet und war zu dem Schluss gekommen: „The collapse of the Third Reich left the German archives in a situation that was unparalleled in the history of archival administration. [. . . ] In the midst of a nation that was struggling for its bare existence, the process of rehabilitating the archives was by necessity a difficult, laborious, and time consuming one“.116

Negativ wirkte sich dabei aus, dass das Archivwesen ein Bereich unter vielen war, der einen großen Bedarf an Arbeitskraft und finanziellen Mitteln zur Wiederherstellung des Status quo ante hatte und die Erlangung solcher Mittel war durch frühere Versäumnisse erschwert worden.

115 Nicht nur für wissenschaftliche Disziplinen, sondern auch für politische Institutionen bis hin zur ministeriellen Ebene lassen sich jene Seilschaften in der Nachkriegszeit konstatieren. Für das AA vgl. Conze u. a.: Amt; Döscher: Seilschaften; für das Justizministerium vgl. Görtemaker/Safferling (Hrsg.): Bestandsaufnahme; ders.: Rosenburg. 116 Bericht Ernst Posners über das deutsche Archivwesen, Juli 1949, BArch B 198/4968, S. 16.

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„Archivists were handicaped by the fact that they had failed to prove the importance of their work to the population at large and that, as a result, they lacked the broader support that libraries and museums were liekly to enjoy when appending for help“.117

Gerade mit den Museen und Bibliotheken stünden, so Posner weiter, die Archive nicht nur im Rahmen des Wiederaufbaus in Konkurrenz, sondern hätten als Zukunftsaufgabe zu begreifen, sich gleichwertig neben diese im kulturellen Gefüge zu positionieren; „German archives must assume their legitimate place in the cultural life of the nations, together with the museums and libraries“.118 Dabei könne, genauer müsse ihnen die Hilfe amerikanischer oder auch englischer Fachkollegen, der „archivists of free countries“ zuteil werden. Diese sollten ein klares Ziel verfolgen: „tell their German colleagues about the contribution archives can make to the life of the nation and show them that [. . . ] they must get out of the self-imposed isolation in which they have been operating“.119 Worte, die manchem deutschen Archivar vermutlich nicht gefallen hätten, war doch die Bemühung um eine bessere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und höhere Reputation im Vergleich zu universitärer Geschichtswissenschaft ein zentrales Anliegen vor allem der preußischen Archivverwaltung unter Zipfel gewesen. Doch schien ein solches Bestreben in der unmittelbaren Nachkriegszeit kaum ein große Rolle gespielt zu haben, solange nicht die dringlichsten Arbeiten an Archiven und Aufgaben im Archivwesen generell bewältigt worden waren. Und die Herausforderungen waren immens: Zerstörte Gebäude mussten wieder aufgebaut und beschädigte Gebäude instandgesetzt werden, ausgelagerte Archivalien hatten geborgen und in die entsprechenden Archive zurückgebracht zu werden, sofern diese in einem Zustand waren, ihr Archivgut überhaupt wieder aufnehmen zu können. Unzähliges Personal, das nominell zu einzelnen Archivverwaltungen gehört hätte, stand für die umfassenden Aufgaben aus verschiedenen Gründen nicht zur Verfügung, sodass allein die Bestandsanalyse der Schäden und Verluste im deutschen Archivwesen sich über längere Zeit erstreckte. In den ersten Monaten nach dem ‚Zusammenbruch‘ galt es zunächst, die Lage zu sondieren, um den Zustand der Archivgebäude wie auch der Sicherungsorte und den darin aufbewahrten Archivalien zu erfassen, bevor an Rückführungen zu denken war. Die dezimierte und auf verschiedene Zonen verteilte Zunft der Archivare wurde dabei indirekt von den Archiv- beziehungsweise Kunstschutzoffizieren der Besatzungsmächte unterstützt.120 Diese wollten nicht nur die versteckten und gebunkerten Kunstschätze, sondern auch die in Sicherheit gebrachten Archivalien erfassen sowie den Zustand der Archivbauten und deren Inhal117

Ebd., S. 17. Ebd., S. 45. 119 Ebd. 120 Organization Charts of German Ministries; Roll 6; M 1949 – Records of the Monuments, Fine Arts, and Archives (MFAA) Section of the Reparations and Restitution Branch, OMGUS, 1945– 1951; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC. 118

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E. ‚Stunde Null‘, Entnazifizierung und Wiederaufbau

te herausfinden. Einerseits bereisten sie dazu selbst die deutsche Archivlandschaft, gingen jedoch bald dazu über, mittels Fragebögen die gewünschten Daten über Gebäude-, Archivalien- und Inventarschäden, Personalstand und ausgelagerte Bestände zu erheben. Daten, die auch die (Jahres-)Berichte verschiedener Archivverwaltungen zu beinhalten hatten, die von den Militärregierungen eingefordert wurden und vermittels deren Auswertung ein recht detailliertes Bild des Zustandes des deutschen Archivwesens nach dem Zweiten Weltkrieg gezeichnet werden kann.121 Da die preußische Archivverwaltung nicht weiter bestand, mussten neue Archivverwaltungen eingerichtet werden, deren Organisation wiederum durch die Unterschiede der verschiedenen Zonen beeinflusst wurde. In Niedersachsen und Rheinland-Pfalz wurden die Archive beispielsweise wie vormals in Preußen den Staatskanzleien unterstellt, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und SchleswigHolstein hingegen den Kultusministerien. Eine Unterscheidung, die nicht nur formale, verwaltungsorganisatorische Gründe hatte, sondern die verschiedene Ausrichtung offenbart: Die Unterstellung unter Kultusministerien betont die wissenschaftliche beziehungsweise kulturelle Bedeutung der Archive und erhebt diese über deren verwaltungsbezogene Aufgaben. In Bayern hingegen konnte die Archivverwaltung beinahe nahtlos weiterarbeiten. In Baden und Württemberg blieb die Archivorganisation zwar erhalten, allerdings wurde mancher Archivsprengel durch die neuen Zonengrenzen beschnitten.122 Aus den Akten der MFAA sowie aus den später im neuen Periodikum Der Archivar veröffentlichten Berichten der verschiedensten Archive lässt sich der Zustand des Archivwesens nach dem Krieg ableiten, der alles andere als einheitlich war. Sowohl zwischen den Zonen als auch innerhalb der einzelnen Zonen gab es deutliche Unterschiede. Zudem waren natürlich nicht ausschließlich Staatsarchive betroffen, sondern auch Stadt-, Kirchen-, Wirtschafts- oder Adelsarchive sahen sich prinzipiell mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Auch hier wurden Keller und andere Räume geplündert, Akten verheizt, zerstreut, beschädigt oder entwendet, teils waren Bestände, etwa durch Dach- und andere Gebäudeschäden, 121

Detaillierte Berichte finden sich in den Akten der MFAA, teils gesondert für bestimmte Zonen: 33 – Reports (British Zone); Roll 13; M 1921 – Reports Relating to Monuments, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946–1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC. Von den Fachmännern der Alliierten angefertigte Übersichten über Organisation, Personal und Zustand des deutschen Archivwesens können das Bild ergänzen, das sich durch die von deutschen Archivaren eingereichten Berichte und ausgefüllten Fragebögen ergibt, u. a.: The Situation and Organization of the German Archival Institutions, OMGUS: Memorandum on current status of Archives and Libraries Activities, Report on the State Archive Bremen (und vieler anderer Staatsarchive), Fragebogen für deutsche Archive und Bibliotheken, in: 33 – Reports (Archives); Roll 13; M 1921 – Reports Relating to Monuments, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946–1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC. 122 Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 27.

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der Witterung ausgesetzt und nahmen dadurch Schaden. Jedoch lagen die Staatsarchive – „Rückgrat der Archive und der geschichtlichen Überlieferung“ – „an gefährdetster Stelle, da sie sich in der Regel am Sitz der oberen Verwaltungsbehörden, d.h. in den größeren Städten befanden“.123 Bei den Verlusten in den Archiven selbst zeigte sich außerdem ein weiteres Problem: Da man zuerst die wertvollsten Stücke, mittelalterliche Urkunden und Ähnliches, in Sicherheit gebracht hatte, gingen bei Zerstörungen der Archive meist neuere Akten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verloren. Damit seien, so Sante, „verhängnisvolle Lücken in der geschichtlichen Überlieferung entstanden, und wenn man die Verluste hinzurechnet, die beim Reichsarchiv, bei den obersten Reichsbehörden entstanden sind, ist zu befürchten, daß die jüngste deutsche Vergangenheit auf weite Strecken zu den saecula obscura gehören wird, denen man sonst nur im frühen Mittelalter begegnet“.124

Diese Befürchtung sollte sich zwar als übertrieben erweisen, aber jene Sorge war angesichts der registrierten Verluste nicht unbegründet. Erfreuliche Gegenbeispiele ließen sich auch finden, denn „über den meisten Staatsarchiven, auch in größeren Städten, hat ein guter Stern gestanden“. Ein ähnliches Bild ließ sich für die Stadtarchive zeichnen, wobei es auch hier deutliche Stadt-Land-Unterschiede gab; „in den größeren Städten überwogen selbstverständlich Gefährdung und Verluste, in den kleineren Sicherheit und Erhaltung“.125 Gegenbeispiele finden sich natürlich auch: Das Stadtarchiv Freiburg beispielsweise wurde schwer beschädigt, hatte aber keine vernichteten Archivalien zu beklagen, da es „früher und planmäßiger als alle anderen Archive“ bereits in den ersten Kriegstagen 1939 Archivalien in sichere Ausweichstellen verlagert hatte.126 Das Freiburger Ordinariatsarchiv hingegen hatte sämtliche Bestände im Gebäude behalten und wurde dennoch verschont, obgleich mitten in einem stark zerstörten Teil der Stadt gelegen. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, wie sehr der Zustand eines Archivs am Ende des Krieges vom Zufall abhing. Konnte man bezüglich des Freiburger Ordinariatsarchiv von großem Glück reden, lieferte Würzburg ein Gegenbeispiel; das dortige „Bischöfliche Ordinariatsarchiv ist in und mit der Stadt so gut wie vernichtet worden“.127 Dass nicht nur mit dem Näherrücken der Front die Ausweichstellen und Sicherungsorte der Archive zunehmend bedroht worden waren, zeigt das Beispiel der Festung Ehrenbreitstein, der – abgesehen von den Schutzräumen in Bergwerken – größten „Zufluchtsstätte für luftgefährdete Archive“. Als der Ehrenbreitstein 1944 direkt angegriffen wurde, begann man die bereits zuvor eingeleiteten Verlagerungen wertvoller Bestände gen Mitteldeutschland verstärkt zu 123 124 125 126 127

Sante: Lageberichte, Sp. 53. Ebd., Sp. 51 ff. Ebd., Sp. 51 ff. Herberhold: Südwestdeutschland, Sp. 67, 70 f. Sante: Lageberichte, Sp. 52.

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forcieren, in erster Linie in das Kalibergwerk Salzdetfurth bei Hildesheim. Bei weiteren Luftangriffen sowie den „Erdkämpfen um Koblenz“ erlitten die verbliebenen Archivalien keinen Schaden, doch gingen vereinzelte Stücke noch nach Kriegsende verloren. Trotz Bewachung kam es zu vereinzelten Plünderungen, was dem Umstand geschuldet war, „daß in der Nachbarschaft des Kulturgutes auch Gegenstände des täglichen Bedarfs und Nahrungsmittel eingelagert waren.“ Auch aus diesen Gründen verzögerten sich die Rückführungsmaßnahmen eingelagerter Archivalien. Während die Archive der britischen Zone die hier in Sicherheit gebrachten Bestände recht bald wieder zu sich holen konnten, mussten Archive, die in anderen Besatzungszonen lagen, erst langwierige Verhandlungen zwischen den Besatzungsbehörden und nachgeordneten Stellen abwarten. Aus diesen Gründen sollten sich die Räumungsarbeiten über ein Jahr hinziehen, und noch war zum Zeitpunkt der Berichterstattung kein Ende in Sicht gewesen.128 Allerdings konnte sich die Rückführung ausgelagerter Archivalien aus verschiedenen Gründen verzögern. Viele Archive waren so stark beschädigt, dass eine neuerliche Einlagerung empfindlicher Aktenbestände nicht vertretbar erschien. Ein Problem mithin, das neben speziellen Archivbauten auch unzählige Schlösser, Gutshäuser und ähnliche Bauten betraf, in denen sich Adelsarchive befanden, die nun keine ausgelagerten Bestände mehr aufzunehmen vermochten.129 Waren die Übergaben von bereits zurückgeführten beziehungsweise noch zurückzuführenden Archivalien über die Grenzen der drei westlichen Besatzungszonen hinweg teils von langwierigen Verhandlungen abhängig, kamen sie dennoch in der Regel an ihrem Bestimmungsort an. Schwieriger gestaltete sich dies über die Grenze zur SBZ, welche sich auch in manch anderer das Archivwesen betreffenden Hinsicht von den Westzonen unterschied. Insgesamt war die Lage in der SBZ, was Zerstörungen an Archiven und Archivalien anbelangte, nicht so prekär, wie anfangs befürchtet worden war. Wenige Staatsarchive mussten von Verlusten berichten, dafür aber zahlreiche Stadtarchive. Mit am schlimmsten stand es um ausgelagerte Bestände des Heeresarchivs, die „größtenteils kurz vor dem Zusammenbruch auf Anordnung der damaligen vorgesetzten Stellen vernichtet worden“ waren; die verbliebenen Archivalien befanden sich weitgehend in den Händen der Besatzungsmächte.130 Die SMAD unterstützte immerhin zahlreiche Sicherungs- und Wiederaufbaubestrebungen. Dabei machten sich erhebliche territoriale Unterschiede innerhalb der SBZ bemerkbar, welche bis zur Gründung der DDR nicht über eine zentrale Archivverwaltung verfügen sollte. Ab April 1946 bestand allerdings ein Zentralarchiv in der SBZ – später Deutsches Zentralarchiv –, das unter schlechter finanzieller, personeller 128

Schmidt: Lageberichte. Lageberichte der Adelsarchive der amerikanischen, französischen und britischen Zone, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 157–170. 130 Seeberg-Elverfeldt: Archive, S. 3. 129

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und räumlicher Ausstattung zu leiden hatte und zuweilen kurz vor der Auflösung stand. Die Aufgaben jenes Zentralarchivs umfassten ein Spektrum, das große personelle und finanzielle Ressourcen benötigt hätte. Unter anderem wurden hier die verbliebenen Bestände des Reichsarchivs und des GStA übernommen.131 Von besonderer Dringlichkeit war in der SBZ neben grundsätzlichen Sammlungs- und Archivierungstätigkeiten der Umgang mit Fragen, die sich aus Beständen ergeben hatten, auf welche die sowjetische Besatzungsmacht Anspruch erhob. Wie von russischer Seite später dargestellt werden sollte, hatte sich durch die deutsche Niederlage und die Besetzung des Reichsgebiets sowohl die Rückführung von aus der Sowjetunion entwendeten Akten ermöglicht als auch die Übernahme von „im Ersten Weltkrieg, im Bürgerkrieg und in früherer Zeit“ nach Deutschland gelangten „Dokumenten vaterländischer Herkunft“ sowie Materialien „zur Geschichte der slawischen Völker“.132 In den westlichen Zonen wurden zeitgleich Akten- und Archivbestände gesammelt, deren Verbleib auf deutschem Boden noch nicht beschlossen war oder die zur Vorbereitung der Anklage für die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse dienen sollten. Neben dem Berlin Document Center (BDC) wurden weitere Document Center eingerichtet, allen voran das Ministerial Collecting Center bei Kassel, das Offenbach Archival Depot (OAD) und das zonale Archivlager in Goslar.133 Aus dem Goslarer Sammellager wurden bereits 1947 Bestände nach Polen zurückerstattet, nachdem Vertreter der MFAA und der polnischen Militärmission eine Liste von zurückzugebendem Archivgut erstellt hatten. Dabei handelte es sich zum einen um Bestände, die sich „im Jahre 1939 in polnischem Besitz befanden und später entweder im Verlauf der sogenannten Germanisierung der polnischen Archive in deutsche Reichsarchive eingegliedert oder angesichts des Vormarsches der russischen Armeen aus Sicherheitsgründen aus Polen fort in Bergungsorte der jetzt britisch besetzten Zone Deutschlands gebracht worden waren.“ 131 Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 7ff., 22 ff.; vgl. Herrmann: Reichsarchiv, S. 475 f.; vgl. Kahlenberg: Archive, S. 31 f.; vgl. Lötzke: Zentralarchiv; vgl. ders.: Zentralarchiv; für eine Binnenansicht auf DZA und DDR-Archivwesen vgl. Hochmuth: Zentralarchiv. 132 So V. V. Caplin, Mitarbeiter der sowjet. Archivhauptverwaltung und von 1977 bis 1990 Direktor des Zentralen Staatsarchivs der Volkswirtschaft der UdSSR, zit. nach Schreyer: Archivwesen, S. 7–10; vgl. Nissen: Schicksal, S. 144; zur Rolle des NKWD in der SBZ vgl. Petrov: Repressionsorgane. 133 Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 29; vgl. Bernsau: Kuratoren; speziell zum BDC vgl. Schäche: BDC; vgl. Fehlauer: Archivgeschichte; zum OAD vgl. Gallas: Depot; zu Goslar vgl. Meyer: Archivlager, Sp. 39 f. vgl. Forstreuter: Archivlager. Zur Einrichtung der Sammelstellen und zum Umgang mit deutschem Archivgut siehe u. a.: Proposed Directive on Treatment of German Archives, Records and Documents, Allied Control Authority. Political Directorate, 1. September 1945, in: 10 – Archives/Libraries: Policy, Proposals (1945–1947); Roll 2; M 1921 – Reports Relating to Monuments, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946–1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC.

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Zum anderen ging es hierbei um Archivalien, die an Polen „als der für diese Gebiete, auf die sich die Archive beziehen, zuständigen Verwaltungsbehörde“ abgegeben wurden, es sich also „mehr um eine Rückkehr der Bestände als um eine Auslieferung“ handelte.134 Die Verbringung äußerst umfangreicher Bestände in das jeweilige Heimatland durch die Alliierten sorgte für manche Irritation in der deutschen Archivwissenschaft der Nachkriegszeit, meist verbunden mit der Hoffnung, der Archivalien möglichst bald wieder habhaft zu werden. Als 1949 darauf hingewiesen wurde, dass der Thirteenth Annual Report of the Archivist of the United States 1946– 1947 wichtige Bestände des Potsdamer Heeresarchivs als Zugänge der National Archives in Washington anführte, wurde im Archivar die Hoffnung formuliert, „daß das einen hohen archivfachlichen Standpunkt verkörpernde Nationalarchiv Washington zu gegebener Zeit die deutschen Provenienzen in ihr Ursprungszentrum zurückleiten wird“.135 Als Mommsen 1951 diesbezüglich Bilanz zog, konstatierte er, dass sich wesentliche Aktenbestände des Auswärtigen Amts, die bereits an das GStA und das Reichsarchiv abgegeben worden waren, „in der Hand der Sowjetrussen“ befänden, anderes Schriftgut des AA nach England sowie nach Washington gelangt sei. Jedoch hätten die Westmächte bereits 40 von 400 Tonnen Archivgut wieder zurückgegeben.136 Immerhin, so Mommsen schon im Jahr zuvor, war eine auf Auswertung großer Teile jener Akten basierende Dokumentenedition als „amerikanisch-englischfranzösische[s] Unternehmen“ geplant und die ersten beiden von voraussichtlich rund 25 Bänden veröffentlicht worden. Es sei lediglich „zu bedauern, daß die Sowjetunion die in ihrem Besitz befindlichen Akten zur deutschen Außenpolitik den Herausgebern nicht auch zur Verfügung gestellt hat“, denn damit spiegle sich „der amerikanisch-russische Gegensatz“ wie überall auf der Welt „eben auch in den Schicksalen der deutschen Akten und den aus ihnen erfolgten Veröffentlichungen wider“.137 Noch in der jungen Bundesrepublik sollten die Rückgabeforderungen vehement vorangetrieben werden, obschon eine publizistische Debatte ebenso ausblieb wie öffentliche Entrüstung darüber artikuliert wurde, dass umfangreiche deutsche Archivalien sich noch immer in ‚Feindeshand‘ befanden. Georg Winter wünschte sich vergeblich einen „Sturm in der Weltpresse“ zu dieser Auseinandersetzung, die noch bis weit in die 1950er Jahre andauern und für rege Diskussionen und Verhandlungen sorgen sollte.138 134

Meekings: Rückgabe, Sp. 74; vgl. ders.: Goslar. Deutsche Archivalien im Nationalarchiv Washington, in: Der Archivar 2 (1949), Sp. 23 ff. 136 Vgl. Mommsen: Ausland, Sp. 11; vgl. Henke: Schicksal; vgl. Eckert: Rückgabe-Diplomatie. 137 Mommsen: Ausland, Sp. 36; bei den beiden angesprochenen Bänden handelte es sich um die Originalausgaben der Bände 1 und 2 (Serie D) der alsbald auf deutsch unter dem Reihentitel Akten zur deutschen auswärtigen Politik herausgegebenen Dokumentensammlung: Sontag u. a. (Hrsg.): A.D.A.P. D,1; sowie ders. (Hrsg.): A.D.A.P. D,2. 138 Zit. nach Eckert: Kampf, S. 355. 135

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Um das neue oder eher wieder erstarkte Selbstbewusstsein deutscher Archivare nachvollziehen zu können, reicht es nicht, den Blick nur darauf zu legen, welche Vertreter der Zunft wie schnell wieder in Amt und Würden waren. Vielmehr muss auch betrachtet werden, wie diese – in Kooperation und Abstimmung mit Vertretern der Besatzungsmächte – an vormalige Institutionen der Disziplin anknüpften oder neue etablierten und so dem Wiedererstarken eines deutschen Archivwesens Vorschub leisteten bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten. b) Institutionen der Disziplin „It has always surprised me that the Germans, who had so many organizations, never had a professional society for archivists.“139 Damit hatte der amerikanische Archivoffizier Lester K. Born einen wunden Punkt der deutschen Archivwissenschaft angesprochen, war doch in den Jahrzehnten zuvor mehrmals der erfolglose Versuch unternommen worden, eine Standesorganisation zu etablieren. Er wusste um die zum Zeitpunkt seiner Aussage bereits erfolgten Bemühungen deutscher Archivare, die in Kooperation mit den Archivoffizieren der westlichen Alliierten die Institutionen ihrer Disziplin fortführen beziehungsweise wieder zum Leben erwecken wollten. Große Fortschritte gab es diesbezüglich in der britischen Zone, die sich früh zum Zentrum jener Anstrengungen entwickelt hatte, deren Resultate bald das deutsche Archivwesen der Nachkriegszeit nachhaltig prägen sollten. Mitte und Ende 1946 fanden in Bünde (Westfalen), inmitten der britischen Besatzungszone, auf Anregung der Militärregierung zwei Tagungen der Archivleiter statt, auf denen die Grundsteine für zentrale archivfachliche Institutionen gelegt wurden. Diese waren zunächst formal nur für die britische Zone von Bedeutung, wurden jedoch von Beginn an geplant als künftige gesamtdeutsche Einrichtungen. Die Teilnehmer der Tagung vom 25. Juni 1946 – neben Abgeordneten der Kontrollkommission und der MFAA diverse Staatsarchivleiter sowie Vertreter nichtstaatlicher Archive – beschlossen die Bildung eines „Beirats für Archivwesen“ mit dem Ziel, „Übereinstimmung in den wesentlichsten Fachfragen ohne Beschränkung des individuellen Strebens der einzelnen Archive“ zu erreichen. Daneben sollte der Beirat als Beratungsinstanz gegenüber britischen und deutschen Verwaltungsstellen dienen. Gewählt wurden hierfür die Leiter der Staatsarchive Düsseldorf und Münster, Bernhard Vollmer und Johannes Bauermann, sowie der Braunschweiger Stadtarchivar Werner Spieß. Neben fachlichen und 139 Lester K. Born (MFAA, OMGUS) an C. A. f. Meekings (brit. MFAA), 29. November 1946, in: 33 – Reports (Archives); Roll 13; M 1921 – Reports Relating to Monuments, Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946–1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II, Record Group 260; NARA, Washington, DC.

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organisatorischen Fragen, beispielsweise der künftigen Gestaltung der Archivpflege, stachen bei dieser ersten Zusammenkunft nach dem Zweiten Weltkrieg zwei Punkte hervor: Zum einen wurde die Errichtung eines archivwissenschaftlichen Ausbildungsinstitutes projektiert „im Interesse der Ausbildung der jungen Archivare und der Archivinspektoren, die in größerer Zahl benötigt werden“. Als Standort dieses Instituts wurde Münster vorgeschlagen, wo sowohl eine Universität als auch ein Staatsarchiv vorhanden waren. Zum anderen wurde „im Interesse einer fachlichen und persönlichen Verbindung“ beschlossen, das einstige Mitteilungsblatt der preußischen Archivverwaltung in ähnlicher Form weiterzuführen als „Mitteilungsblatt deutscher Archive“.140 Jenes Mitteilungsblatt, dessen erste Ausgabe 1947/48 unter dem Titel Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen erschien, sollte das „Organ aller deutschen Archive“ darstellen und „den Interessen der Archive sämtlicher Kategorien, das heißt staatlicher, städtischer, kirchlicher, wirtschaftlicher und privater Art sämtlicher deutschen Länder dienen.“ Erstrebt wurde damit die angesichts der Herausforderungen der Nachkriegszeit besonders wünschenswerte Vernetzung der Archivare über Zonengrenzen hinweg. Weiteres hehres Ziel war es, das neue Periodikum „zu einem Mittel gesamtdeutscher Wissenschaftspflege“ gedeihen zu lassen.141 Schon im Dezember 1946 fand eine zweite Tagung in Bünde statt, bei der bereits fortgeschrittene Planungen zur Gründung eines Berufsverbandes unter dem Namen Verein deutscher Archivare (VdA) in den Mittelpunkt traten. Hierfür erfolgte eine Übertragung der Verantwortung von der Militärregierung auf deutsche Stellen; die Archivare der britischen Zone hatten von nun an, „wenn sie eine Beiratstagung für notwendig erachten – sie selbst zusammenzurufen und unter eigene Verwaltung zu nehmen. Jede britische Anwesenheit wird nur auf deutsche Einladung hin erfolgen.“ Im Januar 1947 sollte die „verwaltungsmäßige Verantwortung und die Ausführungskontrolle“ komplett in die Hände der deutschen Verwaltung übergehen, die MFAA-Offiziere würden weiterhin „raten und unterstützen“, sie könnten aber „keine Anweisungen, sondern nur noch Anregungen“ geben. Die Schriftleitung des angestrebten „Mitteilungsblattes“ wurde dem von Vollmer geleiteten Staatsarchiv Düsseldorf aufgetragen und festgehalten, dass für dieses Periodikum „eine Ausdehnung auf die anderen Zonen“ angestrebt werde.142 Dadurch wurde Vollmer innerhalb kürzester Zeit zum zentralen Organisator der Disziplin zumindest in der britischen Zone. Da sich aber auch der Verband längerfristig auf die anderen Zonen erstrecken sollte, entwickelte sich Vollmer 140 Erste Tagung der Archivleiter der britischen Zone in Bünde am 25. Juni 1946, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 1–4; zur Archivschulgründung siehe Kap. E. XII. 3. c). 141 Vollmer: Geleitwort, Sp. 1. 142 Zweite Tagung der Archivleiter der britischen Zone in Bünde am 11. Dezember 1946, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 3–6.

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zu einem der einflussreichsten Archivare der Nachkriegszeit und der frühen Bundesrepublik. Die Tagungen in der britischen Zone waren nicht die einzigen Zusammenkünfte deutscher Archivare. Auch in der amerikanischen und der französischen Zone fanden vergleichbare Treffen statt, die neben fachlichem Austausch immer auch das Ziel hatten, den alliierten Fachmännern und Beobachtern die Professionalität der deutschen Archivwissenschaft darzulegen. Die baldige Übertragung der Verantwortung auf deutsche Schultern war sicherlich nicht zuletzt diesen Zusammenkünften geschuldet. Nachdem am 1. Januar 1947 das Abkommen über eine britisch-amerikanische Bizone in Kraft getreten war, fanden zwei Archivarstagungen statt, welche die einheitliche Ausrichtung der westdeutschen Archivare vorantreiben und den entsprechenden Institutionen über die britische Zone hinaus Geltung verschaffen sollten. Der bereits auf die amerikanische Zone ausgedehnte Verein deutscher Archivare sollte von nun an als Grundlage berufsständischer Organisation genommen werden, wobei dessen Vorstand auf der Zusammenkunft zunächst auch als bizonaler Fachausschuss in Archivfragen eingesetzt wurde.143 Den Kontakt innerhalb der deutschen Archivwissenschaft aufrecht zu erhalten, war ein Anliegen, dem sich auch die Berliner Archivare des Hauptarchivs für Behördenakten, dem früheren GStA, keineswegs versperrten. Vier von ihnen, neben Ulrich Wendland auch Johannes Schultze, Kurt Forstreuter und Hans Bellée, waren unter den Teilnehmern des ersten Deutschen Archivtags nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Fortführung jener bewährten Fachtagungen war bereits für September 1948 geplant, dann aber „infolge der Auswirkungen der Währungsreform“ auf Mai 1949 verschoben worden.144 Wie schon in der Zeit vor der durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Zwangspause fand der 28. Deutsche Archivtag in Wiesbaden erneut in Verbindung mit der Hauptversammlung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine statt. Als Vollmer als erster Vorsitzender des VdA den Archivtag eröffnete und in „leuchtende[n] Erinnerungen“ an frühere Archivtage schwelgte, galt ein „herzlicher Willkommensgruß“ den – unter den fast 150 Teilnehmern lediglich durch Hellmut Kretzschmar vertretenen – „Kollegen aus der Ostzone“, denn es sei ein besonderer Wunsch, „mit ihnen bald wieder in eine ungetrennte Zusammenarbeit zu kommen.“ Dass die deutsche Archivwissenschaft international keinesfalls isoliert war, zeigte sich an der Teilnahme belgischer und niederländischer Archivare am ersten Nachkriegsarchivtag, die Vollmer „in wärmster Weise“ zu begrüßen vermochte. Diese nahmen, führte er aus, „nicht als Vertreter der Besatzungsmächte“ an der Zusammenkunft teil, „sondern in alter freundnachbarlicher Verbun143 Archivartagung in Bamberg am 10. und 11. April 1947, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 9– 14; vgl. Kahlenberg: Archive, S. 38. 144 Deutscher Archivtag und Tagung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 185.

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denheit“, sodass den deutschen Archivaren dies als „Symbol wieder auflebender kollegialer Zusammenarbeit“ dienen sollte. Der anstehenden eigenen Aufgaben versicherte man sich auf dem Archivtag ebenso wie den bereits erzielten Erfolgen der ersten Nachkriegsjahre.145 Sowohl beim ersten Archivtag der Nachkriegszeit als auch schon in dessen Vorfeld bei den Zusammenkünften gerade in den westlichen Besatzungszonen war deutlich geworden, in welch hohem Maße die Angehörigen der ehemaligen preußischen Archivverwaltung das deutsche Archivwesen auch noch nach der Auflösung Preußens dominierten. Nicht nur, dass Winter, Mommsen, Grieser, Diestelkamp und Vollmer sich in einflussreichen Ämtern wiederfanden, letzterer auch die Geschicke der Archivwissenschaft in der britischen Zone maßgeblich verantwortete. Auch Sante und der Sigmaringer Staatsarchivar Franz Herberhold146 hatten in der amerikanischen Zone beziehungsweise im französisch und amerikanisch besetzten Südwesten Deutschlands zentrale Positionen eingenommen, wie es mit Kretzschmar und Meisner Exponenten der preußischen Archivverwaltung in der SBZ beziehungsweise der DDR gelang. Bereits an diesem kleinen Kreis einflussreicher Organisatoren und Architekten des deutschen Nachkriegs-Archivwesens zeigt sich, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein klarer generationeller Wechsel innerhalb der Disziplin stattgefunden hatte. Ein Befund indes, der sich bei Betrachtung der Planungen wie auch der Umsetzung der neuen Ausbildungsstätten erhärtet. c) Stätten archivarischer Ausbildung nach 1945 Bereits auf den Zusammenkünften der Archivare der britischen Zone in Bünde 1946 war die Frage diskutiert worden, in welchem institutionellen Rahmen die Archivarsausbildung künftig stattfinden solle. Das Dahlemer IfA existierte nicht mehr und die bayerische Archivschule blieb zwar weiterhin bestehen, würde aber nicht den gesamtdeutschen oder auch nur bi- beziehungsweise trizonalen Bedarf decken können. Da die Ausbildung direkt nach Kriegsende ins Stocken geraten war, wurde schnell erkannt, dass „die natürliche Ergänzung des Personals [. . . ], zumal nach den Kriegsverlusten, nicht allzu lange unterbunden werden“ durfte.147 In der britischen Zone führten die Überlegungen zunächst in enger Abstimmung mit der MFAA dazu, eine neue Ausbildungsstätte im Sinne des Dahle145

28. Deutscher Archivtag in Wiesbaden am 31. Mai 1949, in: Der Archivar 2 (1949), Sp. 41–48; vgl. auch: Referate des 28. Deutschen Archivtages in Wiesbaden am 31. Mai 1949, in: Der Archivar 3 (1950), Sp. 1–28, 49–94. Siehe auch Kap. E. XIII. 3. b). 146 Franz Herberhold, *1906 in Lippstadt, Studium zunächst an der Philosophisch-Theologischen Akademie in Paderborn, danach in Würzburg, Münster und Greifswald, Promotion 1931, Teilnehmer des 3. IfA-Kurses 1933/34, danach Anstellung in Münster, 1938 Ernennung zum Leiter des StA Sigmaringen, 1957 Rückkehr nach Münster. Vgl. Richtering: Herberhold. 147 Sante: Tagungen, Sp. 8.

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mer IfA zu planen, wobei Münster als Standort vorgesehen wurde, der neben einer Universität auch ein Staatsarchiv vorweisen konnte. Diese Voraussetzungen bot aber auch Marburg, und so kam es 1947 schließlich dazu, dass Münster als Standort zu dessen Gunsten verworfen wurde als Ort einer zunächst bizonalen Archivschule. Sante als treibende Kraft hinter diesen Plänen teilte Vollmer bereits Ende 1946 mit, dass in der amerikanischen Zone die Wahl des Standorts auf Marburg gefallen war; „dabei waren wir so kühn vorauszusetzen, dass Sie bezw. die britische Militärregierung die Münsterer Pläne nicht weiter zu verfolgen“.148 Vollmer wies Sante zwar auf die bereits fortgeschrittenen Pläne für Münster hin, sah aber ein, dass eine Verständigung unbedingt erforderlich sei, „denn drei Archivschulen würden weit über den Bedarf hinausgehen“.149 Nachdem die Pläne für Münster endgültig aufgegeben worden waren, beschloss die Archivarstagung in Bamberg im April 1947 offiziell die Einrichtung in Marburg mit starker Anbindung an das dortige Staatsarchiv, „im Hinblick auf die günstigeren Bedingungen und in Anbetracht der alten Tradition“.150 Gewiss hatte zumindest anfangs nicht nur der Standort für Kontroversen gesorgt, sondern die Konzeption einer neuen Archivschule hatte neben vielen Befürwortern auch einige Skeptiker auf den Plan gerufen. Kurt Dülfer beispielsweise äußerte sich Winter gegenüber dahingehend, dass er hinsichtlich der Planung einer neuen Ausbildungsstätte „zwiespältiger Stimmung“ sei. Ihm schien, „dass vorläufig der Bedarf noch nicht gross ist, weil noch die verschiedensten Kollegen aus dem Osten m[eines] W[issens] ohne Tätigkeit sind.“ Grundsätzlich hielt auch er eine „mehrzonale Archivschule“ für richtig anstatt mehrerer parallel existierender Institute.151 Dass sich die Verhältnisse mit den Archivaren der SBZ und DDR noch einige Zeit kompliziert gestalten sollten, war zur dieser Zeit noch nicht in Gänze absehbar. Das Vorhaben, den ersten Lehrgang noch im Jahr 1947 beginnen zu lassen, erwies sich als zu ambitioniert, sodass die Eröffnung zunächst auf April 1948 verschoben wurde mit dem Hinweis, dass, sollten sich die „Reiseschwierigkeiten“ bis dahin beheben lassen, auch das Dahlemer Hauptarchiv für Behördenakten in Erwägung zöge, „seine an Stelle des bisherigen Instituts für Archivwissenschaft geplanten Kurse zugunsten der Marburger Einrichtung aufzugeben“. Aufgrund der Währungsreform und Schwierigkeiten finanzieller Natur musste die Eröffnung jedoch trotz des Drängens der Militärverwaltung erneut verschoben wer148 Sante an Vollmer, 17. Dezember 1946, HStA Marburg, 156e/650. Die Mitwirkung Clemms an den Plänen für Marburg wurde von der einschlägigen Forschung bislang weitgehend ignoriert, vgl. u. a. Wolff : Archivschule. 149 Vollmer an Bauermann unter Bezugnahme auf das Schreiben Santes, 3. Januar 1947, HStA Marburg, 156e/650. 150 Archivartagung in Bamberg am 10. und 11. April 1947, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 9– 14, hier Sp. 13. 151 Dülfer an Winter, 6. Juli 1947, BArch N 1333/30.

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den, weshalb diese erst am 1. April 1949 stattfinden und der erste Lehrgang am 2. Mai beginnen konnte.152 Im Lehr- und Prüfungsplan setzte die Marburger Archivschule die Tradition des IfA und damit auch der älteren Archivschulen fort. Weiter wurde dem bereits etliche Jahre zuvor erkannten Mangel Rechnung getragen, dass die von Brackmann ursprünglich geplante „geschichtswissenschaftliche Fortbildung“, die promovierte Historiker nicht nur der Archiv- sondern auch der Universitätslaufbahn zuführen sollte, weitgehend gescheitert war. Brackmann selbst hatte im Herbst 1948 vermittels eines Gutachtens zu den Marburger Plänen Stellung genommen und eben jenen Punkt hervorgehoben; der Anspruch, weitere Historiker fortbilden zu wollen, dürfe keinesfalls zu Lasten der archivarischen Fachausbildung gehen, die unangefochten im Zentrum des Instituts stehen und eher die enge Verknüpfung von theoretischen mit praktischen Ausbildungsinhalten forcieren solle.153 Die ursprüngliche Absicht des IfA Brackmannscher Prägung wurde aber keineswegs komplett aufgegeben. Nach Abschluss des ersten Lehrgangs äußerte Dehio noch den Wunsch, dass nicht nur die fähigsten Historiker nach Marburg kommen sollten, sondern auch jene, „die die akademische Laufbahn ins Auge fassen“, denn nur dann könne die Archivschule „in eine ähnliche Rolle bei der Ergänzung des Universitätslehrkörpers hineinwachsen, wie sie das Dahlemer Institut gespielt hat“. Aber sehr bald schon rückte die reine Archivarsausbildung in den Mittelpunkt und ließ lediglich in geringem Umfang weitere Teilnehmer zu, die sich nicht zwangsläufig der Archivarslaufbahn widmen wollten.154 Die Nachwirkungen des IfA lagen sicherlich auch in der personellen Kontinuität begründet, die das Marburger Lehrpersonal der ersten Jahre auszeichnete. Hatte Dehio noch selbst am IfA gelehrt, traten ihm als Dozenten der neuen Archivschule mit Ewald Gutbier und Ewald Herzog zwei ebenfalls in Preußen ausgebildete Archivare zur Seite, die bereits den 1944 kurzzeitig nach Marburg verlegten IfA-Kurs unterrichtet hatten sowie mit Johannes Papritz, Kurt Dülfer und Walter Heinemeyer IfA-Absolventen verschiedener Lehrgänge. Mit Heinrich Büttner lehrte ein weiterer IfA-Teilnehmer in Marburg, wenngleich dieser mittlerweile an der dortigen Universität den Lehrstuhl Edmund Stengels übernommen hatte. Die Gastvorlesung Santes über das belgische und französische Archivwesen vervollständigte diese Riege.155 Die Auswahl der Dozenten beschränkte sich zunächst, abgesehen von Gastvorlesungen, auf die Archivare des 152 Bericht über die Tagung der Archivare der britischen Zone in Detmold vom 3. September 1947, in: Der Archivar 1 (1947/48), Sp. 75–80; vgl. Heinemeyer: Archivschule, S. 635; vgl. Wolff : Archivschule, S. 157. Vom Drängen der Militärverwaltung berichtete Martin Cremer (hess. Kultusministerium) an Papritz, 19. März 1948, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 a, 6. 153 Vgl. Heinemeyer: Archivschule, S. 641–644; vgl. Wolff : Archivschule, S. 160. 154 Dehio: Bericht, Sp. 40; vgl. Papritz: Archivschule, S. 71. 155 Vgl. Heinemeyer: Archivschule, S. 642, 646; vgl. Dehio: Bericht, S. 35.

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StA Marburg, sodass wiederum die Lehrtätigkeit an der Archivschule mit ausschlaggebend war bei der Besetzung entsprechender Posten. Dabei hatte der Leiter von Archiv und Archivschule Mitspracherecht und holte sich mitunter Rat von Fachkollegen. Fachliche Eignung war zweifelsohne das ausschlaggebende Kriterium für die Besetzung vakanter Posten auch in den Nachkriegsjahren, in denen meist mehrere Bewerber zur Auswahl gestanden haben mochten. Eine Auswahl, die bezüglich der Lehrgangsteilnehmer nicht mehr das Ausbildungsinstitut treffen konnte, das sich auf die Einschätzung der einzelnen Archivverwaltungen verlassen musste, wodurch eine gewisse Heterogenität in der individuellen Vorbildung kaum zu vermeiden war. Den elf Teilnehmern des ersten Lehrgangs bescheinigte Dehio zwar „gute, teilweise sehr gute Qualifikation“, konstatierte aber generell philologische Schwächen, die sich auf deren Gesamtbewertungen niederschlugen. Die Hauptverantwortung für die Auswahl der „Schüler“ blieb dennoch weiterhin bei den Archivverwaltungen, obgleich von ihr „die gedeihliche Entwicklung der Archivschule“ abhinge.156 In einer Beiratssitzung hatte Dehio bereits im Juni 1949 einen „ernsten Appell“ an die Vertreter der Länder gerichtet und um „sorgfältige Auswahl“ der Ausbildungsteilnehmer gebeten. Sante hatte ihm dabei zugestimmt und dargelegt, dass auf einer solchen Auswahl „die Zukunft des Archivwesens“ beruhe, weshalb es keinesfalls dazu kommen dürfe, „dass sozusagen der Ausschuß, d.h. Personen, die sich nicht habilitieren oder sonst verwendet werden können oder im Schuldienst gescheitert sind, in den Archivdienst abgeschoben werden“.157 Auch in der DDR beziehungsweise zuvor in der SBZ hatte es ähnliche Überlegungen und Planungen zur Archivarsausbildung gegeben, die schließlich zur Gründung des Potsdamer Instituts für Archivwissenschaft geführt hatten. Aufgabe dieses neuen IfA war es, in zweijährigen Lehrgängen „die Anwärter für den wissenschaftlichen Archivdienst sowie die Diplomarchivare in der Deutschen Demokratischen Republik fachlich auszubilden und die für ihren Dienst notwendigen wissenschaftlichen Kenntnisse zu vervollkommnen, um sie fähig zu machen, die Archive in den Dienst der staatlichen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft zu stellen“.158

Der Lehrplan war größtenteils vom Vorbild, dem Dahlemer IfA, übernommen worden, obschon den Zeitumständen geschuldete kleinere Änderungen vorgenommen wurden – die philosophischen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagen umfassten nun auch „historischen und dialektischen Materialismus, politische Ökonomie usw“.159 Ideologische Deutungen, die sich von der west156

Ebd., S. 38. Sitzungsbericht des Beirates der Archivschule Marburg, 2. Juni 1949, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 c, 165. 158 Satzungen des Instituts für Archivwissenschaft, in: Archivmitteilungen 1 (1951), S. 12. 159 Ebd., S. 13. 157

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deutschen Entwicklung deutlich abhoben, hielten somit auch in die Archivarsausbildung Einzug, die ihren stark fachbezogenen Charakter dennoch behielt. Bei beziehungsweise kurz nach der Gründung der beiden deutschen Staaten waren demnach drei Archivschulen tätig. Neben der bereits lange etablierten Ausbildungsstätte in München die beiden neuen Institute in Marburg und Potsdam. Letztere ähnelten sich aufgrund des gleichen Vorbilds sehr stark, allerdings machten sich erste Unterschiede recht schnell bemerkbar. Am deutlichsten offenbart sich die preußische Tradition der Archivarsausbildung an den Lehrenden der beiden Neugründungen. Neben den beiden zentralen Persönlichkeiten Dehios in Marburg und Meisners in Potsdam, die beide an preußischen Instituten gelehrt hatten, hatten nun unzählige Absolventen des Dahlemer IfA auf die andere Seite des Katheders gewechselt und zogen künftige Archivarsgenerationen heran.160

160

Vgl. Papritz: Archivschule, S. 68; vgl. Leesch: IfA, S. 242.

XIII. Ausblick: Die ‚doppelte Staatsgründung‘. Archivwesen in Bundesrepublik und DDR, 1949–1952 1. Die ‚doppelte Staatsgründung‘ 1949 Im vorhergehenden Kapitel wurde bereits am Beispiel der Archivschulgründungen deutlich, dass manche Gründungsprozesse nicht mehr in den Nachkriegsjahren unter alliierter Besatzung zum Abschluss kamen, sondern sich in die beiden neu gegründeten deutschen Staaten erstreckten und deshalb entsprechenden Prämissen Rechnung getragen werden musste. Die Versuche von Archivaren der westlichen Besatzungszonen wie auch der SBZ, Kontakt zu halten und sich über mehr als nur Fragen der aktuellen Bestandsanalyse auszutauschen, waren ebenso offensichtlich wie die früh existierenden ‚Reiseschwierigkeiten‘. Bereits daran wird ersichtlich, wie schnell sich der Ost-West-Konflikt schon vor den beiden Staatsgründungen 1949 manifestiert hatte. Diese wiederum waren Ausdruck und Resultat der unterschiedlichen Bestrebungen der Westalliierten und der Sowjetunion. Die Gründung der Bizone 1947 hatte die Absichten Stalins, eine Aufteilung Deutschlands zu verhindern, mehr oder weniger unmöglich gemacht. Erste Überlegungen, einen ostdeutschen Staat zu errichten, datieren zwar auf die Jahre 1946/47, waren allerdings zunächst hinter die sowjetischen Bemühungen, auf Gesamtdeutschland Einfluss gewinnen zu können, zurückgetreten. Mit Verkündung der Truman-Doktrin im März 1947, in welcher der Präsident der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, den Ost-West-Konflikt als Ringen zwischen zwei Lebensformen – des freiheitlich-demokratischen Kapitalismus und des Sowjetkommunismus – definierte, war der Konflikt offen zutage getreten. Vor allem die amerikanische containment-Politik der Eindämmung der Sowjetunion, die sich mitunter im European Recovery Program (ERP, vulgo: Marshall-Plan) niederschlug, stand stellvertretend hierfür.1 Im Jahr 1948 hingegen kam es durch Währungsreform, Berlin-Blockade, die Einrichtung der Luftbrücke zur Versorgung West-Berlins und die beginnenden Erörterungen einer westdeutschen Verfassung zur zunehmenden Westbindung der Trizone. Der Kalte Krieg hatte im Frühjahr dieses Jahres mit dem kommunistischen Umsturz in der Tschechoslowakei einen ersten Höhepunkt erreicht, der in der Gründung der Westunion und der OEEC sowie dem Austritt der Sowjetunion aus dem Alliierten Kontrollrat mündete, wodurch die Voraussetzungen für die staatliche Verselbständigung Westdeutschlands gegeben waren.2 1

Vgl. Conze: Bundesrepublik, S. 36. Vgl. Morsey: Bundesrepublik, S. 16 ff.; vgl. Herbert: Deutschland, S. 595–617; vgl. Benz: Besatzung, S. 208–212. 2

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Allerdings wurde von Beginn an der provisorische und transitorische Charakter der Bundesrepublik betont. Noch einige Jahre nach der Staatsgründung war dessen Zukunft von Zeitgenossen skeptisch beurteilt worden. Golo Mann hielt beispielsweise 1962 fest, die Bundesrepublik sei ihm 1949 wie „ein künstlicher Homunkulus“ erschienen, zu dessen Zukunftschancen er nur „geringes Vertrauen“ hatte. Doch habe er sich offensichtlich geirrt – die Bundesrepublik sei mittlerweile „zum kräftigen Lebewesen, zum Wesen mit einer kräftigen Identität geworden“.3 Die Wahrnehmung der frühen Bundesrepublik als der Geschichte einer „ausgebliebenen Katastrophe“ war dennoch weit verbreitet.4 Der zunehmende Konflikt zwischen den Westmächten und der Sowjetunion hatte nicht unwesentlich zur positiven Entwicklung vor allem Westdeutschlands beigetragen und stellte für dieses einen „bemerkenswerten Glücksfall“ dar. Denn durch den Kalten Krieg trat der Konflikt zwischen dem Deutschland mit NS-Vergangenheit und den westlichen Alliierten schnell in den Hintergrund. Deutschland konnte deshalb „widernatürlich rasch“ rehabilitiert und „aus der Position des Besiegten und Verfemten in die Rolle eines ‚Partners auf Bewährung‘ überführt“ werden.5 Die Staatsgründung im Westen setzte, wie schon vorhergehende Entwicklungen, die Sowjetunion unter Zugzwang. Mit dem Übergang von Kooperation zur Konfrontation der Westalliierten und der Sowjetunion war eine „reaktive Mechanik“6 in Gang gesetzt worden, die schließlich im Ausbau der SBZ „zu einem Bollwerk gegen den Westen“ und der Schaffung der DDR resultierte als Reaktion auf die von den Westmächten forcierte Gründung der Bundesrepublik; auch weiterhin sollte die DDR in vielen Belangen auf den größeren Teilstaat im Westen fixiert bleiben.7 Als das Grundgesetz der Bundesrepublik am 24. Mai 1949 in Kraft trat, existierten noch keine weiteren staatlichen Institutionen; erst im September konstituierte sich der Bundestag, wurde Theodor Heuss zum Bundespräsidenten gewählt und gab Konrad Adenauer als Bundeskanzler seine erste Regierungserklärung ab. Vollkommene Souveränität wurde der Republik nicht eingeräumt, stattdessen hatten sich die Westmächte Vorbehalts-, Einspruchs- und Mitspracherechte gesichert.8 Die Gründung der DDR als „Gegenstaat“ erfolgte kurz darauf am 7. Oktober 1949 ohne offizielle Legitimation durch Wahlen, nachdem der Volksrat bereits im März ‚einstimmig‘ den Verfassungsentwurf gebilligt hatte.9 Neben den unterschiedlichen Strategien im Umgang mit den Problemen der ‚Zusammenbruchsgesellschaft‘ unterschieden sich die beiden neu gegründeten deut3

Mann: Folgen, S. 45; vgl. Wolfrum: Demokratie, S. 43. Schwarz: Katastrophe; vgl. Conze: Bundesrepublik, S. 109. 5 Herbert: Deutschland, S. 561; vgl. Kielmansegg: Katastrophe, S. 12. 6 Loth: Teilung, S. 118. 7 Herbert: Deutschland, S. 611 ff.; vgl. Scholz: DDR, S. 268–272; vgl. Ihme-Tuchel: DDR, S. 11–22; vgl. Weber: DDR, S. 3. 8 Vgl. Wolfrum: Bundesrepublik, S. 85. 9 Vgl. Hillgruber: Geschichte, S. 45; vgl. Morsey: Bundesrepublik, S. 22 f. 4

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schen Staaten sowohl in ihrer politischen Ausrichtung wie ihrer administrativen Struktur. Beide verstanden sich als einzig legitime Form der Reaktion auf das ‚Dritte Reich‘, mit dessen Bevölkerung es nun Staat zu machen galt.10 Festigte sich die Demokratie in der Bundesrepublik sogar schneller, als dies von alliierter Seite erwartet worden war, unterschied sich die DDR hiervon stark. Mit Errichtung der Parteidiktatur unter der euphemistischen Bezeichnung der „Volksdemokratie“ setzte sich die „fatale Kontinuität“ diktatorischer Erfahrungen für die ostdeutsche Bevölkerung fort.11 Wenn die politische Entwicklung beim Gründungsprozess der DDR der Entstehung der Bundesrepublik grundsätzlich folgte, machte sich dies auch im Archivwesen bemerkbar; die Gründung des Ausbildungsinstituts in Potsdam rund ein Jahr nach der Marburger Archivschule ist nur ein Beleg hierfür. Mit zunehmender Verschärfung des Kalten Kriegs wurde die Kluft zwischen den beiden deutschen Teilstaaten erheblich größer, und neben den politischen und wirtschaftlichen Bindungen lösten sich auch die kulturellen und kulturpolitischen zusehends. 2. Personal- und wissenschaftspolitische Herausforderungen in der frühen Bundesrepublik Auf politischem Gebiet zeigte sich eindrücklich, wie sehr die Gründung und die frühe Entwicklung der DDR von den Vorgängen im Westen abhängig war und oftmals auf dortige Maßnahmen und Einrichtungen reagierte. Auf archivischem Gebiet bot die Gründung des neuen IfA kurze Zeit nach der Gründung der Marburger Archivschule ein ähnliches Szenario. Es wäre dennoch verkehrt, das Archivwesen in SBZ und DDR auf jene Reaktionen zu reduzieren; zumal vor der ‚doppelten Staatsgründung‘ durchaus noch Hoffnungen auf ein deutsches Archivwesen bestanden hatten. So wurde im Westen die Gründung eines Zentralarchivs in der SBZ nicht nur wahrgenommen, sondern zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, dass sich dieses Zentralarchiv zu einer gesamtdeutschen Institution würde entwickeln können. Vor allem, da mit den Beständen von Reichsarchiv und GStA dort wesentliche Bestandteile bisheriger zentraler archivischer Einrichtungen übernommen wurden. Aus diesen Gründen erfolgten in den westlichen Besatzungszonen zunächst keine Bestrebungen, ein Pendant zu dieser Neugründung in der SBZ zu etablieren.12 Dies änderte sich jedoch, nachdem erste Tagungen stattgefunden hatten, auf denen archivwissenschaftliche Herausforderungen und zu deren Lösung erforderliche Maßnahmen diskutiert worden waren. Mehrere Problemstellungen lie10

Frei: Karrieren, S. 303. Wehler: Gesellschaftsgeschichte IV, S. 982 ff.; vgl. ders.: Gesellschaftsgeschichte V, S. 3 f.; vgl. Benz: Besatzung, S. 208 ff. 12 Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 34. 11

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ßen eine zentrale Institution alsbald wünschenswert erscheinen – vor allem die Bemühungen um die Rückgabe der von den Alliierten nach England und in die USA verbrachten deutschen Akten. Dafür wurde ein westdeutsches Zentralarchiv erst recht für notwendig erachtet, als der zunehmende Ost-West-Konflikt es undenkbar werden ließ, das Zentralarchiv für die Sowjetische Besatzungszone als gesamtdeutsche Einrichtung nutzbar machen zu können. Die Bemühungen der Archivare der Trizone und dabei vor allem Bernhard Vollmers um ein Bundesarchiv als westdeutsches Zentralarchiv ab 1948 stellt einen bedeutsamen Punkt der Archivgeschichte in der frühen Bundesrepublik dar und bedarf deshalb weiterer Betrachtung. Nicht zuletzt, weil an Personalentscheidungen bei dessen Gründungsprozess auch der Umgang mit der NS-Vergangenheit aufgezeigt werden kann. a) Die Entstehung des Bundesarchivs und dessen personelle Besetzung Wolfgang A. Mommsen hatte 1950 ganz richtig festgestellt, wie sehr sich „der amerikanisch-russische Gegensatz“ auf das deutsche Archivwesen auswirkte, zumal zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar war, wann die von den Alliierten ins Ausland verlagerten Akten wieder vollständig in deutschen Archiven zu finden sein würden.13 Eng verbunden waren die Rückforderungen dieser Akten in den westlichen Besatzungszonen mit der schon wenige Jahre nach Kriegsende formulierten Forderung eines zentralen Archivs als Stelle zur Sicherung und Sammlung auch und gerade der Akten ehemaliger Reichszentralbehörden. Hierüber konnte Vollmer bereits auf dem ersten Nachkriegs-Archivtag informieren und im Frühjahr 1949 einen Antrag auf „Errichtung eines Bundesarchivs beim Bundeskanzler“ präsentieren.14 Dieses Archiv dürfe, so der Antrag, nicht zur bloßen ‚Sammelstelle‘ der zurück zu erhaltenden Akten verkommen, sondern dessen wissenschaftlicher Forschungsauftrag sei in den Gründungsstatuten festzuschreiben. Die westdeutschen Archivare waren mit dieser Forderung nicht allein, sondern durch Vollmers Vorsprache auf dem Deutschen Historikertag 1949 in München konnten sie sich der Unterstützung der Historikerschaft versichern. Ganz einheitlich waren die Forderungen seitens der Archiv- und der Geschichtswissenschaft allerdings nicht. Zwar empfahlen die Historiker die Einrichtung eines Bundesarchivs, wollten daneben aber auch „die schleunige Errichtung eines gut ausgestatteten deutschen Instituts zur zentralen Organisierung zeitgeschichtlicher For13

Mommsen: Ausland, Sp. 36; vgl. Henke: Schicksal. Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 55 ff. Bericht über die Sitzung des Deutschen Archivausschusses in Düsseldorf vom 6. Oktober 1948, in: Der Archivar 2 (1949), Sp. 3; Bericht über den 28. Deutschen Archivtag in Wiesbaden am 31. Mai 1949, in: Der Archivar 2 (1949), Sp. 47 f. Wenn der Antrag gestellt wurde, das neue Archiv ‚beim Bundeskanzler‘ einzurichten, wollte man sich damit in die Tradition der preußischen Archivverwaltung stellen, denn bereits 1810 waren die preußischen Archive Hardenberg als dem amtierenden Staatskanzler unterstellt worden. 14

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schungen“ forcieren „zur Vorbereitung und Durchführung von Quellenpublikationen und zur Sicherung einer wissenschaftlich objektiven und kritischen Auswertung in Darstellungen aller Art“.15 Mit dem Deutschen Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Zeit – ab 1952: Institut für Zeitgeschichte (IfZ) – wurde in München ein solches Forschungsinstitut bereits 1950 eingerichtet; allerdings ohne institutionelle Verbindung zum Bundesarchiv, das sich zu dieser Zeit noch in der Planungsphase befand. So sehr man die Unterstützung der Historiker zu schätzen wusste, war mancher Archivar von der schnellen Realisierung des Forschungsinstituts irritiert. Sorge bereitete dabei in erster Linie, dass der Aufgabenbereich des Bundesarchivs und des Münchner Instituts „vom archivarischen Standpunkt bisher nur unzureichend abgegrenzt worden“ sei und es danach aussah, als würde der Forschungsauftrag „ganz dem Institut und nicht auch dem Archivar zufallen“.16 Andererseits sah dies mancher Archivar aus einer pragmatischeren Perspektive: Winter betonte beispielsweise, dass die Existenz des Forschungsinstituts „insofern ja ausgezeichnet [sei], als das Bundesarchiv sich dann publizistisch nicht mit solchen mehr oder minder heißen Eisen zu befassen braucht“.17 In dieser Ansicht spielen zwei Aspekte eine Rolle: Zum einen die realistische Einschätzung, wie heikel die wissenschaftliche Aufarbeitung der nur wenige Jahre zurückliegenden Ereignisse sein würde und wie sehr man sich dabei angreifbar machen könnte, gerade im Hinblick auf die einsetzende deutsche Vergangenheitspolitik.18 Zum anderen natürlich auch die Besinnung auf die Aufgaben, die dem neuen Bundesarchiv ohnehin bevorstanden, selbst wenn dieses nicht auch noch für jene Forschungsvorhaben verantwortlich wäre. Bis zur Eröffnung des neuen Archivs 1952 waren noch etliche Hürden zu überwinden, in erster Linie hinsichtlich zu treffender Personalentscheidungen.19 Einer der ersten, der noch vor dem offiziellen Kabinettsbeschluss seine Stunde gekommen sah, war Ernst Zipfel: „Das wär’ eine Aufgabe für mich!“ Er war von seiner Qualifikation überzeugt und sah seine frühere Betätigung gar als Grundstein für das neue Archiv: „Daß ich die besten Voraussetzungen zu dieser organisat[orischen] u[nd] fachlichen Aufgabe größtenteils mitbringe und als Kommissar für Archivschutz dafür gesorgt habe, daß überhaupt ein Bundesarchiv 15 Entschließung des 20. Historikertages, München, 12.–15. September 1949, in: Der Archivar 3 (1950), Sp. 40 f. Für die Belange der Archivwissenschaft sprach Vollmer am 25. Januar 1950 auch noch vor dem Ausschuss für Kulturpolitik des Bundesrats in Bonn vor. Vgl. Aufgaben und Organisation des Bundesarchivs, HHStA Wiesbaden, 1150/232. 16 Vogel an Winter, 15. April 1950, BArch N 1333/87. 17 Winter an Vogel, 18. April 1950, BArch N 1333/87. 18 Vergangenheitspolitik meint dabei den mit Gründung der Bundesrepublik einsetzenden langwierigen Prozess, in dem nicht zuletzt versucht wurde, durch teilweise Aufhebung alliierter Entlassungen und anderer ‚Säuberungsmaßnahmen‘ das Heer ehemaliger NSDAP-Mitglieder zu amnestieren und integrieren. Vgl. Frei: Vergangenheitspolitik, S. 13–17. 19 Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 61 ff.; vgl. Booms: Winter, S. 241.

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wieder geschaffen werden kann, läßt sich wohl nicht bestreiten“.20 Seine Lage und erst recht seine Verhandlungsposition schätzte Zipfel freilich völlig falsch ein. Ein Umstand, auf den er von verschiedenen Kollegen hingewiesen wurde, an die er sich in dieser Angelegenheit gewandt hatte. Nach dem „bedauernswerten Versagen Vollmers“, der ihm keine Hoffnungen gemacht hatte, wollte Zipfel sich bald nicht mehr aktiv bewerben, „sondern abwarten, ob man an mich herantritt“.21 Dies würde nicht passieren, wie zu dieser Zeit längst feststand, denn zeitgleich mit den ersten Entwürfen des projektierten Archivs wurden verschiedentlich bereits Personalfragen diskutiert. Schon in einem Entwurf für die Beantragung eines Bundesarchivs vom 23. Juni 1949 war festgehalten worden, dass „der letzte Direktor des Reichsarchivs Dr. Zipfel“ für die Leitung nicht in Betracht komme, „da er zwar ein guter Organisator gewesen“ sei, „aber jeden inneren Verhältnisses zu den archivalischen und historischen Problemen entbehrt: er ist kein Historiker!“ Es war dies tatsächlich der Hauptaspekt, der gegen Zipfel sprach. Das Ansehen des Bundesarchivs stehe und falle, so weiter in diesem Entwurf, „mit den archivalischen und wissenschaftlichen Qualitäten seiner Archivare“, und deshalb sollten keine anderen Kriterien an die künftigen Archivare berücksichtigt werden; „vor allem sollten keine Persönlichkeiten genommen werden, die irgendwo, z.B. bei Universitäten, nicht weitergekommen sind und im Bundesarchiv ‚untergebracht‘ werden sollen.“ Lediglich in einem Nebensatz wurde Zipfels NS-Vergangenheit als zusätzlicher Malus erwähnt – seine Beförderung zum Generaldirektor sei „den bekannten, besonderen Bedingungen“ zuzuschreiben, „die nach 1933 gegeben waren“.22 In den Überlegungen, wie sie innerhalb der Disziplin in der Zeit erörtert wurden, als sich die Politik noch nicht eingeschaltet und die Gründung vorangetrieben hatte, spielte die NS-Vergangenheit beziehungsweise die NSDAPMitgliedschaft einzelner Personen demnach keine wesentliche Rolle. Vielmehr war man sich einig, dass für die Leitung des neuen Archivs nur ein „ziviler“ Archivar, der aber ausgewiesener und erfahrener Experte sein müsse, infrage käme. Als potentieller Leiter wurde zunächst Heinrich Otto Meisner vorgeschlagen, der „einer unserer besten Archivare“ und „allen archivalischen Aufgaben gewachsen“ sei. Er könne zudem „die Tradition des Reichsarchivs, die wir erhalten sehen möchten, auf das Bundesarchiv überleiten“.23 Allerdings hielt sich Meisner in der DDR auf und kam für die Stellenbesetzung in der Bundesrepublik somit

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Winter an Rohr, 17. September 1949, BArch N 1418/84. Zipfel an Rohr, 25. September und 21. November 1949, BArch N 1418/84. 22 Entwurf für die Beantragung eines Bundesarchivs vom 23. Juni 1949, HHStA Wiesbaden, 1150/232. 23 Ebd., vgl. Entwurf für die Beantragung eines Bundesarchivs vom 5. Juli 1949, HHStA Wiesbaden, 1150/232. 21

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nicht mehr infrage; seine Verwendung scheiterte „an seinem Dienstverhältnis zur Ostregierung“.24 Zunächst orientierte man sich an den Aufgabenstellungen des neuen Archivs und suchte hierfür besonders geeignete Archivare, die durch spezielle Vorkenntnisse als prädestiniert erschienen. Innerhalb der Disziplin entspann sich spätestens im Herbst 1949 ein Geflecht von sondierenden Anfragen, Bitten und Bewerbungen. Dabei herrschte oftmals Unklarheit darüber, wer in welchem Maß in die Planungen und Personalfragen involviert war und welche Kompetenzen hatte. Problematisch war dies deshalb, weil selbst diejenigen, welche die Planungen maßgeblich vorantrieben, sich der Reichweite ihrer Anträge nicht sicher sein konnten. Helmuth Rogge, nicht unumstrittenes ehemaliges SS-Mitglied, aber eben auch langjähriger und erfahrener Archivar am Reichsarchiv, war von Vollmer bereits im Juli 1949 darüber informiert worden, dass er wohl „zu den Kollegen gehöre, die in erster Linie für die Besetzung des künftigen Bundesarchivs in Betracht kommen“. Daraufhin wandte Rogge sich an Sante, bei dem er davon ausging, auch dieser sei mit Personalfragen vertraut, und bat um die Unterstützung seiner Bewerbung.25 Sante bremste aber Rogges Enthusiasmus und betonte, er sei lediglich mit Erörterungen beschäftigt, nicht aber offiziell mit Planungen beauftragt worden. Dennoch wollte er Rogges Ambitionen unterstützen, da dieser schon aufgrund der langen Beschäftigung am Reichsarchiv bestens qualifiziert sei.26 Schon vor dem Kabinettsbeschluss zur Einrichtung eines Bundesarchivs intervenierte der Bundestagsabgeordnete, frühere Mitarbeiter des Reichsarchivs und dort nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums suspendierte und entlassene Ludwig Bergsträsser, um die Neubesetzung leitender Stellen am Bundesarchiv nicht allein den bestens vernetzten, vor allem preußischen Archivaren zu überlassen. Der Darmstädter Archivar Ludwig Clemm berichtete Winter Ende 1949 von einer „grosse[n] Aussprache“ mit Bergsträsser. Dieser habe ihm seinen Standpunkt dargelegt, nämlich „dass weder als Chef noch als Rat ein Mann in das Bundesarchiv käme, die nicht durchaus standfest gegenüber nationalistischen und militaristischen Anwandlungen seien“. Dabei ging es Bergsträsser keineswegs nur um politisch ‚saubere‘ Beamte, sondern auch wissenschaftliche, vor allem aber vergangenheitspolitische Erwägungen spielten eine wichtige Rolle. Denn mit dem neuen Personal müsse man sichergehen können, „dass nach der Persönlichkeit der Archivare Sekretierungen und womöglich Beseitigungen von Akten, die für Partei und Wehrmacht belastend seien und vermutlich häufig vorkommen würden, gänzlich ausgeschlossen wären“.27 Diese 24

Vollmer an Winter, 26. April 1950, zitiert von Winter in einem Brief an Clemm, 2. Mai 1950, BArch N 1333/88. 25 Rogge an Sante, 31. Oktober 1949, HHStA Wiesbaden, 1150/232. 26 Sante an Rogge, 2. November 1949, HHStA Wiesbaden, 1150/232. 27 Clemm an Winter, 31. Dezember 1949, BArch N 1333/88.

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Einschränkungen waren Bergsträsser zufolge nicht verhandelbar, die Archivare des Bundesarchivs dürften im ‚Dritten Reich‘ „keinerlei Beziehungen zur Partei“28 gehabt haben; „Auch Entlastete kommen nicht in Frage“.29 Damit war die Linie vorgegeben und die Auswahl erheblich eingeschränkt worden. Zudem galt es zunächst, einen potentiellen Archivdirektor zu finden. Bernhard Vollmer hatte 1948/49 die Zügel fest an sich genommen, was die Erörterungen zur Errichtung eines Bundesarchivs und die frühen Personaldiskussionen anbelangte, und damit seine zentrale Stellung im westdeutschen Archivwesen der Nachkriegszeit gefestigt. Allerdings entwickelte sich schon im Laufe des Jahres 1949 Georg Winter zu einem zweiten „Informationsknotenpunkt“ in Sachen Bundesarchiv, als er begann, sich für dessen Leitung ins Spiel zu bringen; wenngleich zunächst inoffiziell und ohne dies zuzugeben, doch spätestens zum Jahreswechsel 1949/50 war er mit den Personalüberlegungen durch seine vielen Kontakte und Korrespondenzen bestens vertraut.30 Winter wurde im Sommer 1950 schließlich von ministerieller Seite ernstlich als einzig realistischer Kandidat betrachtet, korrespondierte mit Bergsträsser, traf sich mit Erich Wende31 und formulierte umfangreiche Überlegungen zu Organisationsstruktur und Aufbau des Bundesarchivs. Neben Standortfragen, einem kritischen Aspekt der gesamten Gründungsphase des neuen Archivs, stand immer noch die Personalproblematik unterhalb der Direktorenebene im Raum. Die politischen Vorgaben, keine ehemaligen Parteimitglieder vorschlagen zu dürfen, machte ihm dabei am meisten zu schaffen; „was wird Herr Bergsträßer sagen, daß ich auch keinen Nicht-Pg. für die erste Personalausstattung des Bundesarchivs vorzuschlagen wußte?“32 Über seine diesbezügliche Unterredung mit Gustav Heinemann – dem am gleichen Tag zurückgetretenen Bundesinnenminister – im Oktober 1950 berichtete er Vertrauten beinahe resigniert. Heinemann hielt an diesen Vorgaben fest und reagierte ungeduldig auf den von Winter hervorgebrachten Einwand, er könne sich durchaus für einige seiner Personalverschläge verbürgen, auch wenn diese NSDAP-Mitglieder gewesen seien: „Ach, Sie werden im ganzen großen Deutschland doch Archivare finden, die unbelastet sind?“33 Dies war jedoch durchaus ein großes Problem. Schon im Juli hatte Winter auf Wendes Wunsch hin kurze Gutachten zu einigen Archivaren abgegeben und de28

Clemm an Winter, 21. Dezember 1949, BArch N 1333/88. Bergsträsser an Dehio, 31. März 1950, BArch N 1333/88. 30 Eckert: Kampf, S. 149; vgl. Booms: Winter, S. 242 ff. 31 Der Jurist Erich Wende war bereits während der Weimarer Republik im Preußischen Kultusministerium tätig, wurde 1933 entlassen, konnte aber als Landgerichtsdirektor weiterarbeiten. 1946 wurde er Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium und 1950 Leiter der Kulturabteilung im Bundesinnenministerium. 32 Winter an Clemm, 24. Juli 1950, BArch N 1333/88. 33 Winter zitierte Heinemann mit diesen Worten in einem Schreiben an Grieser, 14. Oktober 1950, BArch N 1333/84; vgl. Eckert: Kampf, S. 152. 29

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ren Verwendbarkeit am Bundesarchiv beurteilt. Sämtliche Personen, die er nicht aus fachlichen oder teils charakterlichen Gründen rundheraus ablehnte, waren NSDAP-Mitglieder gewesen und wären somit nicht infrage gekommen, wenn es nach Bergsträsser und den Vertretern des Ministeriums gegangen wäre. Auffällig ist dabei, wie Winter argumentierte: Mommsen beispielsweise habe sich durch seine zuletzt ausgeübte Arbeit mit den Nürnberger Prozessakten für das Bundesarchiv besonders qualifiziert. Zudem sei dessen „Mitgliedschaft bei der NSDAP [. . . ] sicher ganz unerheblich“, in ihm lebe vielmehr „noch die liberale Tradition seines berühmten Großvaters“ Theodor Mommsen. Rohr, den er zunächst zurückstellen wollte, sich aber grundsätzlich gut am Bundesarchiv vorstellen konnte, sei ebenfalls NSDAP-Mitglied gewesen, habe aber „schon seit 1935 innerlich in zunehmendem Maße unter dieser Pg.schaft gelitten“ und „nach 1945 schwer dafür gebüßt“.34 Argumente, die bereits in den Entnazifizierungsverfahren vorgebracht worden waren – nicht zuletzt von Winter in seinen zahlreichen Persilscheinen. Die Personalsuche war durch die unterschiedliche Einschätzung und Beachtung der eigentlich als unumstößlich gedachten Vorgaben mehrfach um Wochen und Monate zurückgeworfen worden. Sowohl Winter schied zwischenzeitlich aus, und Rogge hatte damit seinen wichtigsten Unterstützer verloren und sollte im neuen Bundesarchiv nicht mehr unterkommen.35 Die Suche nach einem geeigneten Direktor ging in eine weitere Runde. Im Innenministerium hielt man zwar offiziell an der Voraussetzung fest, nur Nicht-Pg einstellen zu wollen, fragte aber nicht nur bei dem emigrierten, die Voraussetzung erfüllenden Ernst Posner an, sondern auch bei Johannes Papritz, mittlerweile am StA Marburg und der Archivschule beschäftigt – und ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied. Die Absage Posners, der „ohne seelischen Bruch nicht wieder de[utscher] Beamter werden“ könne, kam nicht überraschend, war vielmehr von manchem Archivar erhofft worden; immerhin hatte er in den USA eine gute Stellung und war zudem schon eineinhalb Jahrzehnte nicht mehr im deutschen Archivwesen tätig gewesen.36 Außerdem hatte Posner 1949 in seinem Bericht über das deutsche Archivwesen sowohl personelle Kontinuitäten erkannt – „the composition of the archival staff has changed very little“ – als auch dadurch entstehende Risiken eruiert: „Quite a few establishments are still headed by their prewar directors, and the staffs include many members who have simply returned to their old positions. As a result, there is a surprising continuity as regards personnel and practices, a continuity that may have certain advantages, but that also carries with it the danger of perpetuating old-established viewpoints and excluding new ideas“.37

Als nach der Absage Posners einzig verbliebener und die fachlichen Voraussetzungen mitbringender Archivar war Georg Winter übrig geblieben, auf den 34

Winter an Wende, 23. Juli 1950, BArch N 1333/87. Vgl. Eckert: Kampf, S. 159 f.; vgl. Booms: Winter, S. 260. 36 Mit ein Grund für seine Absage war unter Umständen ein Brief vom wenige Zeit zuvor remigrierten Hans Rothfels, der Posner von diesem Schritt abriet. Vgl. Eckert: Kampf, S. 154. 37 Bericht Ernst Posners über das deutsche Archivwesen, Juli 1949, BArch B 198/4968, S. 27. 35

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man sich Anfang 1952 schließlich einigen konnte. Bereits im März 1952 begann Winter im Bonner Ministerium seine Arbeit, und am 3. Juni 1952 nahm das Bundesarchiv in Koblenz seine Tätigkeit auf. In Archivarskreisen war man sich der ‚glücklichen‘ Umstände in den entscheidenden Monaten durchaus bewusst: Vollmer hielt die Abdankung des „weltfremden Heinemann, bei dem kein früherer Pg. gelandet wäre“ für „sehr günstig“, und auch Winter ging davon aus, dass „einfache Zugehörigkeit zur Partei jetzt keine Rolle mehr spielt.“ Adolf Diestelkamp sah bald darauf mit der Ernennung Winters „die absolute Gewähr dafür geboten, daß das Bundesarchiv im Sinne preußischer Archivtradition konstituiert wird“.38 Genau dies sollte sich absolut bewahrheiten; eine Aufstellung der ersten Archivräte am Bundesarchiv liest sich wie ein Who’s who der preußischen Archivverwaltung und des Reichsarchivs: Adolf Diestelkamp, Wolfgang Kohte, Wolfgang A. Mommsen, Wilhelm Rohr und Walter Vogel – allesamt ehemalige NSDAP-Mitglieder, Ostforscher, ‚Archivschützer‘ in besetzten Gebieten und durch weitere Verstrickungen für die Kreise um Bergsträsser noch kurze Zeit zuvor als Bundesarchivare untragbar erschienen.39 Posner war vermutlich froh, den Direktorenposten abgelehnt zu haben. Diese erste Archivarsgeneration am Bundesarchiv hätte sich unter seiner Ägide sicherlich anders zusammengesetzt, allerdings hätten auch ihm nicht mehr ‚unbelastete‘ Archivare zur Verfügung gestanden als Winter. Doch einige der nun ausgewählten Archivare hatte er schon Jahre zuvor für die Alliierten charakterisiert: Während er Winter vor allem als fachlich einwandfrei beurteilte, riet er zwar, ihn nach dem alliierten Sieg zunächst auf seinem Posten zu belassen; notwendig sei aber: „to watch him closely“. Auch zu Diestelkamp kam Posner zu einer verhalten positiven Einschätzung und hielt ihn für „vermutlich ungefährlich“. Kohte und Rohr – und ganz zu schweigen vom nicht am Bundesarchiv untergekommenen Rogge – beurteilte Posner durchweg negativ. Kohte müsse weiterhin beobachtet werden, da ihn nicht nur seine NSDAP-Mitgliedschaft belaste. Rohr beurteilte er als „Nazi for ideological reasons, he has identified himself completely with the Nazi system“; Verwendung hätte Rohr unter Posner damit schwerlich gefunden. Rogges SS-Mitgliedschaft disqualifizierte ihn für den emigrierten deutschen Archivar völlig, er wurde gar als „probably one of the more dangerous persons in the ranks of German archivists“ eingeschätzt. Hätte der Personalbestand im höheren Dienst des frühen Bundesarchivs bei einer Leitung Posners sich vermutlich sehr von der tatsächlichen Entwicklung unterschieden, gab es gewiss auch andere Archivare, die bereits wieder auf zentralen Positionen eingesetzt wurden, die Posner aber für mitunter sehr problematisch hielt. Das Marburger Beispiel mag dies belegen: Dehio, Direktor des dortigen Staatsarchivs, attestierte Posner zwar eine anti-nationalsozialistische Haltung aufgrund dessen 38

Vollmer an Winter, 19. Oktober 1950; Winter an Vollmer, 13. Januar 1951; Diestelkamp an Winter, 25. Januar 1952, BArch N 1333/87. 39 Vgl. Eckert: Kampf, S. 155, 160.

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Strafversetzung wegen ‚vierteljüdischer Abstammung‘ sowie Sympathien „for the Allied cause“, doch würden seine nationalistischen Ansichten überwiegen, weshalb er zu einer überwiegend negativen Einschätzung Dehios kam. Vernichtender fiel sein Urteil über Papritz aus, Archivar am StA Marburg und Dozent an der neu gegründeten Archivschule. Dieser sei „too heavily compromised to be left in a leading position“.40 Es muss natürlich berücksichtigt werden, dass Posner diese Einschätzung bereits 1944 und aus der Ferne vorgenommen hatte, doch waren seine Informationen über Mitgliedschaften in Partei und Gliederungen sowie sonstiger Betätigung der deutschen Archivare erstaunlich vollständig. Zipfels späteres Schicksal war damals aus alliierter Sicht vorhersehbar und sollte sich bewahrheiten. Dieser sei, so Posner, „an orthodox Nazi whom nothing much besides his party membership qualifies for his present position“.41 Auch wenn dessen Karriere mit Kriegsende beendet war, musste Posner 1949 die „überraschende Kontinuität“ im deutschen Archivwesen konsterniert betonen.42 Dennoch darf die personelle Kontinuität am Bundesarchiv nicht vorschnell als Sieg der preußischen Seilschaften über die Bonner Ministerialbürokratie gewertet werden, sondern muss auch vor dem Hintergrund vergangenheitspolitischer Entwicklungen in der frühen Bundesrepublik betrachtet werden. Die Entnazifizierung hatte bei der deutschen Bevölkerung sehr schnell große Abneigung erfahren, und diese ablehnende Haltung beeinflusste die Politik der frühen Bundesrepublik. Konrad Adenauer hatte bereits im September 1949 in seiner Regierungserklärung festgehalten, die „Denazifizierung“ habe „viel Unglück und viel Unheil“ angerichtet. Gewiss müssten, so der erste Bundeskanzler, die „wirklich Schuldigen“ NS-Verbrecher bestraft werden, aber zugleich sollte auch „Vergangenes vergangen sein“ gelassen und die Differenzierung der großen Bevölkerungsteile in „politisch Einwandfreie“ und „Nichteinwandfreie“ aufgehoben werden.43 Es folgte im Zuge der eingeläuteten Integrationspolitik in rascher Abfolge die Beendigung und teilweise „Liquidation“ der Entnazifizierung, begonnen mit der bereits Ende Dezember 1949 verkündeten Bundesamnestie, die unter anderem vor dem 15. September 1949 begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten amnestierte, welche mit maximal einem halben Jahr Freiheitsstrafe geahndet worden wären.44 Dieses Gesetz fand ebenso breite Zustimmung über alle politischen Lager hinweg wie das 1951 erlassene sogenannte 131er-Gesetz, 40 Ernst Posner: Biographical Data on 72 German Archivists Functioning in Germany, Austria, and Various Occupied Countries (November 1944), TNA: PRO FO 1050/1406. 41 Ebd. 42 Bericht Ernst Posners über das deutsche Archivwesen, Juli 1949, BArch B 198/4968, S. 27. 43 Zit. nach Frei: Karrieren, S. 310. 44 Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 31. Dezember 1949, BGBl. I, S. 37 f.; das zweite bundesdeutsche Straffreiheitsgesetz wurde 1954 erlassen, das Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren vom 17. Juli 1954, BGBl. I, S. 203–209; hiermit wurden ‚Taten während des Zusammenbruchs‘ amnestiert.

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mit dem die Versorgungs- und Wiederanstellungsansprüche der bei Kriegsende beschäftigungslos gewordenen – beschönigend: verdrängten – Beamten und anderen Staatsdienern geregelt wurden.45 Selbst die Kommunisten plädierten dafür, auch die Ansprüche des einfachen Gestapo-Beamten nicht zu vernachlässigen, der „trotz allem ein anständiger Mensch geblieben ist“. Es waren diese Bemühungen um die Integration der großen Gruppe ehemaliger NSDAP-Mitglieder, deren beruflicher und sozialer Status quo ante wiederhergestellt werden sollen, welche die von Norbert Frei konstatierte ‚Vergangenheitspolitik‘ in der frühen Bundesrepublik maßgeblich bestimmten. Jene Politik, die sich weniger den Opfern des Nationalsozialismus widmete als vielmehr den ‚Opfern‘ seiner Bewältigung und dabei in erster Linie der Entnazifizierung.46 Das alsbald vorherrschende kollektive Gefühl, die Bemühungen um Wiedergutmachung müssten auch die 131er einschließen, war Ausdruck einer ‚Schlussstrich-Mentalität‘, deren allmähliche Entwicklung bereits 1945/46 begonnen hatte und die in jenen legislativen Maßnahmen kulminierte. „Vergangenes ruhen [zu] lassen“, wofür Winter im Falle Rogges plädierte, war eine in unzähligen Situationen hervorgebrachte Forderung, die häufig mit derselben Begründung einherging, die auch Winter bemüht hatte, eben dem Hinweis darauf, „daß die meisten doch durch das Erlebnis des Zusammenbruchs innerliche Wandlungen durchgemacht haben“.47 Ein weiterer Grund für Winters Bemühungen um in unterschiedlichem Maße vorbelastete Archivare erfolgte aufgrund des Mangels an formal ‚sauberen‘ Fachmännern, deren Befähigung mit der der belasteten Kollegen gleichzusetzen war. Ein Problem, das weite Teile der jungen bundesrepublikanischen Administration umtrieb und zu den mittlerweile bekannten problematischen Personalzusammensetzungen führte: Im Bundesinnenministerium beispielsweise waren von den 1950 bis 1953 ernannten Abteilungsleitern 60 % ehemalige Parteigenossen – zwei von ihnen wurden im selben Zeitraum gar zu Staatssekretären ernannt.48 Adenauer hatte schon 1946 konstatiert, es sei „das Verhängnis für Deutschland, daß die alte Generation überall an die Spitze“ müsse, da die mittlere Generation „nahezu vollständig aus[falle], weil sie in der Partei war“. Die junge Generation wiederum sei „nicht urteilsfähig weder in politischer noch in einer sonstigen Hinsicht. Sie muß völlig umerzogen werden“.49 Die preußische Tradition wurde im Bundesarchiv sowohl an den früheren Wirkungsstätten der ersten Archivare ersichtlich wie auch an der Tatsache, dass diese 45 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951, BGBl. I, S. 307–322; vgl. Wunder: Bürokratie, S. 164–176. 46 Frei: Karrieren, S. 311; ders.: Vergangenheitspolitik, S. 13 f.; vgl. ders.: 1945, S. 31. 47 Winter an Matthaesius, 3. September 1950, BArch N 1333/87. 48 Vgl. Conze: Bundesrepublik, S. 155. Zu den personellen Kontinuitäten in anderen Bundesministerien vgl. Conze u. a.: Amt; sowie Görtemaker/Safferling: Rosenburg. Neue Studien konstatieren auch eine problematische ‚NS-Belastung‘ für das Personal des frühen Bundesnachrichtendienstes (BND), vgl. Nowack: Sicherheitsrisiko; vgl. Rass: Sozialprofil. 49 Adenauer an den Industriellen Paul Silverberg, 23. April 1946. Adenauer: Briefe, S. 46 f.

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sämtlich die preußische Archivausbildung durchlaufen hatten. Fundierte Ausbildung, langjährige Erfahrung und hohe Fachkompetenz konnte man keinem von ihnen absprechen – darauf hatte Winter bei seinen Personalvorschlägen stets geachtet und konnte dies aufgrund persönlicher Bekanntschaft durchaus beurteilen. Wurde noch Ende der 1950er Jahre in der deutschen Wissenschaftslandschaft konstatiert, Preußen habe immerhin in einer deutschen Institution überlebt, eben dem Bundesarchiv, ist dies nicht von der Hand zu weisen. Allerdings stand diese Kontinuität und vor allem die „bewusste Kontinuitätswahrung“, wie Friedrich Kahlenberg zutreffend festhielt, der „Ausbildung eines neuen Selbstverständnisses der archivarischen Aufgaben in einer neuen gesellschaftlichen Umwelt“ durchaus im Wege50, und die erste Archivarsgeneration machte auch aufgrund ihres „Demokratiedefizits“ aus dem Bundesarchiv zumindest in dessen erstem Jahrzehnt „eine Konserve autoritären Geistes“.51 Die dichte Vernetzung innerhalb der preußischen Archivwissenschaft hatte sich über die vermeintlichen Brüche hinweg erhalten und war nicht nur in vielen Fällen dienlich, sondern ermöglichte die Beibehaltung der preußischen Tradition erst. Die personellen Kontinuitäten im Bundesarchiv hatten zudem Auswirkungen auf die Arbeiten im Archiv und dessen grundsätzliche Aufgabenstellung. Gerade in den Rückgabeverhandlungen zeigten sich die amerikanischen Vertreter immer wieder irritiert bis misstrauisch darüber, mit Verhandlungspartnern in Verbindung zu stehen, deren Vergangenheit – vor allem NSDAP-Mitgliedschaft und Einsatz in besetzten Gebieten – sie in ihren Augen disqualifizierte, die Hoheit über jene Aktenbestände zurück zu erlangen. Misstrauen, das 1967 wieder aufflammte, als Mommsen zum dritten Präsidenten des Bundesarchivs ernannt wurde52; nach Georg Winter (1952–1960) und Karl Bruchmann (1961–1967) der dritte preußische Archivar, womit sich die personelle Kontinuität auf höchster Leitungsebene am Bundesarchiv bis in die frühen 1970er Jahre erstreckte und schnellen Erfolgen zumindest im Falle der Rückgabeverhandlungen abträglich war. Diese Akten zurückzuerlangen hatte zudem einen weiteren Zweck. Gewiss sollte die jüngste Vergangenheit anhand ‚eigener‘ Akten erforscht und aufgearbeitet werden, wie seit Jahren argumentiert worden war. Allerdings ging es in den ersten Projekten, in die Archivare des Bundesarchivs involviert waren, weniger darum, NS-Verbrechen aufzudecken, sondern vielmehr um die Dokumentation des von Deutschen erlittenen Leids. Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, ein auf politische Initiative zurückgehendes, unter archivarischer Beteiligung entstandenes und während des Erarbeitungsprozesses mehrfach heftig umstrittenes Großforschungsprojekt, verdeutlicht exemplarisch diverse Kontinuitäten – nicht nur in personeller, sondern auch in methodischer und vor allem denkstilistischer Hinsicht und lässt zahlreiche Rück50 51 52

Kahlenberg: Archive, S. 107. Eckert: Kampf, S. 155. Vgl. ebd., S. 156.

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schlüsse zu auf das Verhältnis von Politik und Zeitgeschichte in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik.53 Wenn der hieran beteiligte Bundesarchivar Adolf Diestelkamp der Ostdokumentation eine zentrale Rolle „in unserem Kampfe um die Wiedergewinnung des deutschen Ostens“ zuschrieb, wird offensichtlich, dass diesbezüglich auch nach der Weiterentwicklung deutscher Ostforschung unter Berücksichtigung möglicher Kontinuitäten gefragt werden muss.54 Dies kann abschließend nur kursorisch geschehen. Die Entstehungsgeschichte der Ostdokumentation ist durch die Arbeiten Mathias Beers hinreichend dargestellt, die archivarische Beteiligung nicht nur Diestelkamps sowie der Einfluss des Bundesarchivs in den wissenschaftspolitischen Diskussionen um Ausrichtung und Gestaltung der Dokumentation hingegen bedarf weiterer Forschung.55 Die Ausrichtung wie auch die personelle und institutionelle Zusammensetzung der „Ostforschung in Westdeutschland“ ist spätestens seit der Studie Corinna Ungers ausführlich bekannt; an dieser Stelle rückt lediglich die archivarische Beteiligung ansatzweise in den Mittelpunkt des Interesses.56 b) Archivwissenschaft und Ostforschung in der frühen Bundesrepublik Johannes Papritz, preußischer Archivar und bis 1945 Leiter der PuSte und Geschäftsführer der NOFG, dessen beruflicher Wiedereinstieg nach 1945 zunächst nicht reibungslos gelang, hatte sich spätestens mit seiner Einstellung „als Staatsarchivrat und Beamter auf Lebenszeit beim Staatsarchiv Marburg“ zum 1. Januar 1949 wieder im deutschen Archivwesen etabliert.57 Die Bestände der PuSte, deren Verlagerung er 1945 initiiert hatte, waren mittlerweile in die USA verbracht worden, sodass es „in Deutschland kein Institut mehr [gab], das sich mit den brennend interessierenden Fragen Ostmitteleuropas, insbes[ondere] der abgetrennten deutschen Ostgebiete beschäftigte“.58 Und dennoch sollte Papritz, der während des ‚Dritten Reichs‘ mit eigenen Beiträgen zwar nicht zu den produktivsten Ostforschern gezählt hatte, aber durch seine Ämter an Schaltstellen der beteiligten Forschungsinstitutionen saß, wesentlich zur Reinstitutionalisierung der Ostforschung in der frühen Bundesrepublik beitragen.59 Er hatte bereits im August 1949 eine Denkschrift „zur deutschen Ostforschung“ verfasst, in der er für eine wie auch schon in den VFG realisierte Aufteilung dieser Subdisziplin in geografische, sich an der „Vielfalt der Sprachen und Probleme“ orientierende Teilbereiche plädierte, wobei der „Nordostforschung unter Betonung der ehemals deutschen Ostgebiete“ besonderes Gewicht einzu53 54 55 56 57 58 59

Beer: Großprojekt, S. 351. Zit. nach Lehr: Osteinsatz, S. 342. Vgl. Beer: Großprojekt; vgl. ders.: Dokumentation. Vgl. Unger: Ostforschung. Wissenschaftlicher Lebenslauf Papritz’ bis 1953, BArch R 153/2121, S. 1. Wissenschaftlicher Lebenslauf Papritz’ bis 1953, BArch R 153/2121, S. 2. Vgl. Munke: Restaurationsbemühungen, S. 555, 568–575.

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räumen sei. Jene in mittlerweile „zwei Kriegen verlorenen Ostgebiete“ könne das deutsche Volk „nicht einfach aus seiner Geschichte ausstreichen“, aber eine Auseinandersetzung mit diesen Territorien dürfe durch eine deutsche Regierung „nicht auf der Grundlage von politischen Phrasen“ stattfinden, sondern benötige „wissenschaftlich unantastbare Beweismittel“. Deren Beschaffung war bis 1945 Aufgabe der PuSte gewesen, aber inzwischen fehle, so Papritz, „zu einer wissenschaftlichen Beweisführung [. . . ] in Westdeutschland alle Voraussetzungen.“ Verschärft werde dieses Problem zudem durch den Verlust der entsprechend beitragenden Lehrstühle an den Ostuniversitäten „und der vielen sonstigen Planstellen (Archive, Bibliotheken, Museen, Landeskonservatoren usw.), die eine große Zahl qualifizierter Köpfe von amtswegen mit diesen Fragen beschäftigten“.60 Folgerichtig war deshalb Papritz’ Forderung nach einer Reinstitutionalisierung der Ostforschung nach dem Vorbild von NOFG und PuSte. In der Betonung des Umstandes, die Ostgebiete erneut verloren zu haben, verdeutlicht sich bereits der Anknüpfungspunkt an die Grenzrevisionsforderungen nach ‚Schmachfrieden‘ und ‚Diktat von Versailles‘, die in der Weimarer Republik zum Aufschwung und politischen Bedeutungsgewinn der Ostforschung beigetragen hatten. Die wissenschaftliche ‚Beweisführung‘ bezüglich deutscher Ansprüche auf den Osten blieb damit zumindest im ersten Nachkriegsjahrzehnt Fixpunkt der Betätigung westdeutscher Ostforschung.61 In der Diskussion um Grenzziehungen und deren Rechtmäßigkeit und Gerechtigkeit, ‚deutsche‘ Gebiete außerhalb der neuen Grenzen und der Suche nach historischen Vorbildern zur Untermauerung deutscher Gebietsansprüche wiesen die Intentionen der Ostforschung nach 1945 deutliche Parallelen zu der nach 1918 auf, die sich mit der Verdichtung der Kriegsniederlagen in „territorialen Verlusterfahrungen“ am treffendsten beschreiben lassen.62 Papritz war nicht der einzige, der eine Wiederaufnahme der Bemühungen um den verlorenen Osten forcieren wollte und dafür ein neues institutionelles Zentrum forderte. Auf dem 1949 stattfindenden Historikertag, bei dem auch die Gründung eines Bundesarchivs gefordert wurde, fand unter der Leitung Hermann Aubins eine Sitzung „ostdeutscher und an ostdeutschen und osteuropäischen Forschungen beteiligter Forscher“ statt. Dort wurde Aubin gebeten, wie er Papritz mitteilte, Arbeitsbereiche der NOFG „wiederzubeleben“ und die Einrichtung einer „zentrale[n] Forschungsstelle, entsprechend der früheren Publikationsstelle“ vorzubereiten, als deren Sitz man Marburg auserkoren hatte. Im April 1950 wurden die „langwierigen Vorarbeiten“ abgeschlossen, und das Marburger Herder-Institut sowie dessen Trägerverein zur „rechtlichen Fundierung“,

60 61 62

Denkschrift Papritz’ vom 30. August 1949, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 104. Vgl. Unger: Ostforschung, S. 425 f. Conze: Niederlage, S. 165.

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der Johann Gottfried Herder-Forschungsrat (HFR) als „Selbstverwaltungsorgan der deutschen Nord- und Ostmitteleuropaforscher“, wurden gegründet.63 Neben Aubin, der dem HFR im ersten Jahrzehnt vorstand, war die Archivwissenschaft in den neuen Institutionen namhaft vertreten. Außer Papritz, der von Aubin persönlich um die Teilnahme an der Gründungsversammlung gebeten worden war, fanden sich weitere in der Ostforschung erprobte Archivare unter den 25 Gründungsmitgliedern: Kurt Dülfer, der Papritz’ Nachfolger als Leiter des Staatsarchivs Marburg und der Archivschule werden sollte, war sowohl Gründungsmitglied des HFR als auch in seinen letzten beiden Lebensjahren 1972-73 dessen Präsident. Adolf Diestelkamp, der sich in den 1930er Jahren in Stettin intensiv mit Fragen der Ostforschung beschäftigt hatte und zur Gründungsriege der Bundesarchivare gehörte, war ebenso vertreten wie Walther Recke, Ostforscher und unter anderem Leiter des Ostland-Instituts in Danzig. Erster Vorsitzender des Herder-Instituts war für kurze Zeit der von Papritz vorgeschlagene Werner Essen, in den 1930er Jahren Ost- und Volkstumsreferent im RMdI unter Ernst Vollert; eine Position, in der er im Herbst 1939 in den Entstehungskontext der „‚Polendenkschrift‘ Schieders“ involviert war.64 Bereits 1951 wurde Essen nach internen Diskussionen durch Erich Keyser ersetzt, der den Vorsitz des Herder-Instituts bis 1959 übernahm.65 Über die Ausrichtung der Forschungsbemühungen war man sich schnell einig geworden. Schon allein „im Interesse des deutschen Volks im allgemeinen und der ostdeutschen Heimatvertriebenen im besonderen“ wollte man „die Tradition der deutschen Ostmitteleuropaforschung“ fortführen. Daneben galt es auch, „die Ostausbreitung der abendländischen Kultur“ festzustellen, „die durch deutsche Vermittlung weit über die Ostgrenze des deutschen Volksbodens hinausgedrungen ist“.66 Nicht nur die Argumentation mittels Volks- und Kulturbodentheorem lässt offensichtliche Kontinuitäten in wissenschaftlicher Stoßrichtung erkennen, sondern auch die nicht allzu subtile Anspielung auf ein gewisses – wenige Jahre zuvor als unumstößlich vorhanden gedeutetes – ‚Kulturgefälle‘ zwischen Ost und West ließ die Verwurzelung der HFR-Gründungsmitglieder in der Ostforschung der 1920er bis 1940er Jahre deutlich zutage treten: 63 Aubin an Papritz, 17. April 1950, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d, 100; vgl. Weber: Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; vgl. Weczerka: Ostmitteleuropaforschung; vgl. Hackmann: HerderInstitut. 64 Vgl. ders.: Anfang, S. 241 ff. 65 Anwesenheitsliste der Gründungsmitgliederversammlung des Johann Gottfried HerderForschungsrates am 29. April 1950 in Marburg, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 d, 100; vgl. Kleindienst: Osteuropaforschung, S. 63–69; vgl. Fahlbusch: Wissenschaft, S. 587; vgl. Haar: Historiker, S. 245 f. 66 Gründungs-Mitglieder-Versammlung des Herder-Forschungsrates am 29. April 1950 in Marburg, HStA Marburg, 340 Papritz C 12 d, 100. Der deutsche Osten war im westdeutschen Vertriebenenmilieu mittlerweile zu einem ‚konstruierten Erinnerungsort‘ geworden. Vgl. Hahn/Hahn: Flucht und Vertreibung, S. 343 f.

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„Die Völker am Ostrande des deutschen Sprachgebietes müssen sich trotz ihrer gegenwärtigen Einverleibung in die osteuropäisch-asiatische Machtsphäre wieder ihrer kulturellen Zugehörigkeit zum Abendlande bewusst werden, das mit seiner ehrwürdigen Kultur und seiner Gewissens- und Geistesfreiheit wieder für alle west- und mitteleuropäischen Völker die ersehnte Heimat werden soll“.67

Das vermehrt zur Sprache kommende Abendland-Konzept charakterisierte die wieder aufgegriffene westdeutsche Ostforschung bald in hohem Maß, wurde meist von antisemitischen und rassistischen Formulierungen befreit und bot sich nach solchen „semantischen Transformationen“ „als Deutungsmuster an, um der geopolitischen Situation, in der sich Westdeutschland nach 1945 befand, Sinn zu verleihen und die westdeutsche Position gegenüber der UdSSR zu stützen“.68 Die Aufgabe des seit der Zwischenkriegszeit gerade im deutsch-polnischen Konflikt der jeweiligen Ost- beziehungsweise Westforschung so ‚bewährten‘ Vokabulars war dabei bewusst und nicht ohne eigennützigen Hintergedanken vollzogen worden. Die „neue deutsche Ostforschung“ solle sich, wie Keyser 1951 vorschlug, „gründen auf die Achtung der Völker des Ostens. Sie muß um der Nation willen übernational sein.“ Auch und „gerade weil sie früher vorwiegend der Vergangenheit zugewandt war“, müsse sie nun „von der Gegenwart ausgehen“.69 Eine Argumentation, der nicht sämtliche Ostforscher folgen wollten, die zudem nicht alle bereit waren, sich den neuen Sprachregelungen gänzlich anzupassen. Aubin beispielsweise forderte zur gleichen Zeit, vom HFR müsse „gewissermaßen die Verteidigung dessen übernommen werden, was von außen her angegriffen wird: der Anspruch des Deutschtums auf seine östlichen Gebiete“.70 Damit rückte eine Thematik in den Mittelpunkt, das die westdeutsche Bevölkerung ebenso umtrieb wie die Politik und der Ostforschung damit beste Voraussetzungen bot, entsprechend gefördert zu werden. Die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa war von Beginn an ein politisch bedeutsames und auf Initiative des BMVt zurückgehendes Großforschungsprojekt. Notwendig erschien dies, weil die Vertreibung an sich naturgemäß wenig Niederschlag in amtlichen Akten hinterlassen hatte, sodass mit der Befragung von Betroffenen und der Sammlung von Berichten eine wesentliche Lücke geschlossen werden sollte. Dies stellte, wie der weitgehende Verlust der deutschen Akten aus den Ostgebieten, nicht nur die Geschichtswissenschaft vor ein Problem, sondern wirkte sich auch auf Verwaltung und Politik aus, die sich unter anderem den Entschädigungsansprüchen und weiteren Forderungen der Vertriebenen ausgesetzt sehen sollten.71 67

Ebd. Unger: Ostforschung, S. 426. 69 Keyser: Forschungsrat, S. 103; vgl. Linnemann: Ostforschung, S. 140 ff. 70 Zit. nach Mühle: Ostforschung, S. 339. 71 Denkschrift über eine Dokumentation des Zeitgeschehens in den östlichen Vertreibungsgebieten, Oberarchivrat Dr. Müller, 4. Januar 1956, BArch N 1418/74; vgl. Beer: Großprojekt, S. 353. 68

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In welchem Maße Flucht und Vertreibung nach 1945 sowohl die Politik als auch die deutsche Gesellschaft der frühen Bundesrepublik herausforderte, zeigt sich erst bei kurzer Betrachtung der Hintergründe: Die ‚verlorenen‘ Ostgebiete machten immerhin ein Viertel des vormaligen Reichsgebietes aus, und Städte wie Leipzig und Dresden lagen einst in dessen Mitte, nun aber plötzlich selbst ‚im Osten‘; eine Wahrnehmung, die durch die Teilung Deutschlands bald so sehr verstärkt werden sollte, dass nur rund eine Generation nach Kriegsende mit dem deutschen Osten öfter die DDR assoziiert wurde als die Gebiete östlich von Oder und Neiße.72 Aus jenen Ostgebieten aber, in denen große Bereiche von Deutschen besiedelt und geprägt waren, flohen diese ab Ende 1944 vor den Vorstößen der Roten Armee, und der „große Exodus“ begann. Die Alliierten hatten bereits auf der Konferenz von Teheran 1943 beschlossen, die Deutschen aus den östlich von Oder und Neiße gelegenen Gebieten zu vertreiben. Auf der Konferenz von Jalta 1945 einigten sich die ‚Großen Drei‘ auf die Oder-Neiße-Linie als neue polnische West- und die Curzon-Linie – bereits nach dem Ersten Weltkrieg als polnisch-russische Demarkationslinie im Gespräch – als dessen Ostgrenze. Auf der Potsdamer Konferenz wurde von den Alliierten die Ausweisung der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn beschlossen. Die Vertriebenen, die im Frühjahr 1945 zunächst nur mit einer temporären Ausweisung und einer baldigen Rückkehr in ihre Heimat rechneten, wurden schnell eines Besseren belehrt: Bereits Ende Mai sperrte Polen die Oder-Neiße-Brücken zeitweise für Rückkehrwillige, im Juli 1945 endgültig. Gerade aus Polen wurden die Deutschen mit großem Eifer vertrieben, da die dortige Regierung nicht nur die „Liquidierung des Dritten Reiches“ vollziehen, sondern „unumkehrbare Fakten schaffen [wollte], bevor die (west-)alliierte Bereitschaft zur Vertreibung nachließ“.73 Durch einen vom Alliierten Kontrollrat im November 1945 erlassenen Beschluss waren die verbliebenen deutschen Gebiete und damit auch die alliierten Besatzungsmächte vor die Herkulesaufgabe gestellt, rund 14 Millionen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebene Deutsche in den Besatzungszonen aufzunehmen. Die Entscheidung der Alliierten wurde von der deutschen Bevölkerung, aber auch von manchem ausländischen Beobachter scharf verurteilt, allerdings ohne dass dies Konsequenzen oder Planänderungen nach sich gezogen hätte.74 Welche Bevölkerungsmassen sich gen Westen bewegten, zeigt exemplarisch der Bevölkerungszuwachs in einigen Ländern; in Schleswig-Holstein stieg die Bevölkerung um rund 73 %, in Niedersachsen um 52 % und in Bayern um 72

Vgl. den Essay Deutsche Identität ohne Deutschlands Osten? in Thadden: Essays, S. 151. Broszat: Zweihundert Jahre, S. 307; Kossert: Heimat, S. 27–32. 74 Der britische Philosoph Bertrand Russell sah in den ‚Massendeportationen‘ gar den Versuch, ‚Millionen von Deutschen auszurotten‘. Leserbrief Russells in der Times vom 23. Oktober 1945, zit. nach ebd., S. 38; vgl. Zayas: Anglo-Amerikaner, S. 108. 73

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fast 33 %.75 In der materiellen Not der Nachkriegszeit bedeutete dieser Bevölkerungstransfer eine zusätzliche ungeheure Belastung für die deutsche Bevölkerung. Eine weitere Problematik ergab sich aus ganz anderen Gründen: War man in Deutschland wie in Westeuropa seit langer Zeit von Vorurteilen gegenüber Menschen aus dem Osten geprägt, hatte die nationalsozialistische Propaganda das Bild des östlichen, slawischen ‚Untermenschen‘ lanciert. Dieses Bild bezog sich nicht nur auf Russen, Polen oder Tschechen, sondern schloss Ostpreußen und andere deutsche Bevölkerungsgruppen aus den Ostgebieten ein, die durch Aussehen, Sprache und Verhaltensweisen als fremd wahrgenommen wurden. Eine Binnendifferenzierung fand statt, und die Vertriebenen hatten einen unterschiedlichen Status in der Wahrnehmung, abhängig von ihrer Herkunft – Pommern waren beispielsweise wesentlich angesehener als die Deutschen aus dem Wartheland oder der Ukraine. In der Nachkriegsnot wurde aus grundsätzlicher Ablehnung des Fremden durch die große Zahl an Vertriebenen schnell eine Angst vor ‚Überfremdung‘, der teilweise mit völkisch konnotiertem Vokabular Ausdruck verliehen wurde: „Für das Volk“ sei „die Flüchtlingssache viel gefährlicher“ als die Besatzung, und es stellte sich die Frage, „ob wir gänzlich überfremdet werden oder ob es für uns gut ist, frisches Blut zu bekommen durch die Flüchtlinge. Ob dieses Blut rein ist, ist sehr die Frage.“ Die Angst war groß, durch den Zustrom der Vertriebenen den „ursprüngliche[n] Charakter unseres Volkstums“ zu verlieren aufgrund der „Mischung mit land- und artfremdem Charakter“.76 Offensichtlich werden hieran die vielfältigen Aufgaben, die auf die deutsche Ostforschung zukamen, nicht nur im Rahmen der Dokumentation der Vertreibung. Es galt, die deutsche Bevölkerung für das Schicksal der Vertriebenen zu sensibilisieren um deren Integration voranzutreiben, aber auch, deren Ansprüche auf eine eventuelle Rückkehr in ihre Heimat zu legitimieren.77 Neben den offenkundigen politischen Aspekt, die deutschen Ansprüche auf die östlichen Gebiete aufrecht zu erhalten, trat somit ein mehrfacher gesellschaftlicher Auftrag, zu dessen Erfüllung die Dokumentation beitragen sollte. Die Leitung der Dokumentation oblag einer wissenschaftlichen Kommission, in der wiederum der ‚Königsberger Kreis‘ um Hans Rothfels, Werner Conze und Theodor Schieder eine zentrale Rolle spielte neben dem Kölner Mediävisten Peter Rassow sowie dem stellvertretenden Leiter des Bundesarchivs und Verantwortlichen der Sonderabteilung Archivsammlung der Vertriebenen beim Bundes-

75

Vgl. Kossert: Heimat, S. 32. Zit. nach Schulze: Zuwanderung, S. 85; vgl. Kossert: Heimat, S. 71–85. 77 Zu den Hoffnungen auf eine zumindest teilweise Erfüllung der Rückkehransprüche hatten die Westalliierten schon 1946 beigetragen, als sie vor dem Hintergrund der ‚Sowjetisierung‘ Polens eine partielle Revision der Oder-Neiße-Linie erwogen hatten. Vgl. Stickler: Vertriebenenverbände, S. 369– 397; vgl. Persson: Rhetorik, S. 157 ff.; vgl. Lehmann: Oder-Neiße-Konflikt, S. 90 ff. Zu den Anliegen der Vertriebenen vgl. auch Beer: Flüchtlinge, S. 117. 76

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archiv, Adolf Diestelkamp.78 Mit dem erst wenige Zeit zuvor aus den USA remigrierten Rothfels konnte die Kommission in den eigenen Reihen auf ein Opfer nationalsozialistischer Entlassungs- und Vertreibungspolitik verweisen; ein Opfer, das die Königsberger Volksgeschichte bis zu seiner Emigration geprägt hatte.79 Wurde nach dem Ersten Weltkrieg gegen die ‚Schmach von Versailles‘ vorgegangen, galt es nunmehr, das ‚Unrecht von Potsdam‘ zu beweisen und deutsche Ansprüche auf die Ostgebiete zu legitimieren – eventuell nicht mit einer öffentlichen Publikation der Dokumentation, sondern unter Umständen, wie einst die Schriften der PuSte, nur für den vertraulichen Dienstgebrauch. Dies hatte Schieder im Anfangsstadium der Dokumentationspläne vorgeschlagen, obgleich er zugab, dass die Publikationsform sorgsam abgewogen werden müsse in Abhängigkeit vom gewünschten Ziel. Der wissenschaftliche Teil der Dokumentation sollte auf eine knappe Einleitung beschränkt bleiben, die sich damit begnügen könne, so Schieder, „das Jahrhunderte alte Heimatrecht der Deutschen in den Ostgebieten“ ebenso darzulegen wie „die bolschewistische Herkunft des Vertreibungsprogramms“.80 Damit stellten sich Schieder und die anderen Kommissionsmitglieder in mehrerlei Hinsicht in die Tradition jener Ostforschung, mit der sie wissenschaftlich sozialisiert wurden und in der sie reüssieren konnten. Allerdings lassen sich Konflikte ausmachen, anhand derer das Spannungsverhältnis innerhalb deutscher Ostforschung und Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit deutlich wird. Der Umgang mit eigenen, vor 1945 entstandenen Texten ist dabei nur der offenkundigste Fall: Forderten manche jüngeren Kollegen um Schieder, sich den veränderten Zeiten anzupassen und frühere Äußerungen und Deutungen zumindest zu reflektieren, wurden Aubins Texte nicht nur anstandslos nachgedruckt und neu aufgelegt, sondern dieser riet auch anderen Fachkollegen zu einem solchen Vorgehen. Mag der generationelle Unterschied dafür nicht allein verantwortlich gewesen sein, stellt er dennoch eine bemerkenswerte Trennlinie dar innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft der Nachkriegszeit.81 Es darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die im ‚Dritten Reich‘ entstandenen Werke nicht nur Conzes und Schieders noch in den 1970er Jahren keiner „seriösen Revision“ unterzogen worden waren.82 Die Überzeugung, rhetorische Anpassung an das NS-Regime und dessen Geschichtsdenken in der damaligen „sehr peinlichen Literatur“ sei nicht von Universitätslehrern ausgegangen, sondern auf „wildgewordene Studienräte oder Außenseiter“ zurückzuführen, hielt 78 Beer: Großprojekt, S. 346 f.; vgl. Eckel: Rothfels, S. 274 ff.; vgl. Vogt: Rassow; zu Conze und Schieder innerhalb der ‚Rothfels-Gruppe‘ vgl. Etzemüller: Conze, S. 236–250; vgl. Nonn: Schieder, S. 194–201; zu Conze und Schieder vgl. zudem Aly: Kontinuitäten, S. 153–183; sowie ders.: Vorstufen. 79 Zur in Königsberg betriebenen Volksgeschichte vgl. Oberkrome: Volksgeschichte, S. 190–197. 80 Beer: Großprojekt, S. 366 ff. 81 Vgl. Nonn: Schieder, S. 194–198; vgl. Mühle: Volk, S. 585–592. 82 Oberkrome: Historiker, S. 75; vgl. Iggers: Kritik, S. 295–386, 402 ff.; grundlegend vgl. Faulenbach: Ideologie.

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sich ebenfalls lange Zeit in der eben nur vermeintlich kritischen Selbstreflexion.83 Dennoch forderten vornehmlich ältere Fachkollegen einen schärferen Ton, mit dem vor allem, wie der Freiburger Historiker Willy Andreas (*1884) klagte, „der Gedanke des durch die Oder-Neiße-Linie tief verletzten Rechts der Volkstumszugehörigkeit und der nationalen Selbstbestimmung stärker angeschlagen werden“ müsse.84 Im Vorwort zum 1954 erschienenen ersten Band hatten die Herausgeber der Dokumentation explizit Bezug darauf genommen, „in ihrem Gewissen nur an das Ethos der wissenschaftlichen Forschung gebunden“ zu sein. Einem politischen Grundsatz seien sie nur dahingehend verpflichtet, gemäß der Charta der deutschen Heimatvertriebenen „auf Rache und Vergeltung“ zu verzichten – was manchen Protest nach sich zog.85 Zwischen diesen Extremen das Gleichgewicht zu finden und die verschiedenen Interessen der in weitestem Sinne an der Dokumentation Beteiligten gebührend zu berücksichtigen, stellte sich als wesentliche Herausforderung des Projekts heraus. Immerhin galt es, einen Komplex zu dokumentieren, darzustellen und zur politischen Nutzung zu interpretieren, der mitunter als „Zeitbombe im Gebälk des jungen Staates“ bezeichnet wurde.86 Und der, darin liegt ein wesentlicher Verdienst der Dokumentation, nicht nur unter den beteiligten Historikern eine Methodendiskussion um zeithistorische Forschung von, über und für Zeitgenossen in Gang gesetzt hat.87 Diese Diskussionen stellten allerdings keine Zäsur für die deutsche Ostforschung dar. Im Gegenteil hatte diese sich erst zwei Jahre zuvor mit der Zeitschrift für Ostforschung (ZfO) ein neues Organ geschaffen, in dem anfangs vor allem die Kontinuitäten dieser Subdisziplin konstatiert und für deren bewusste Fortsetzung plädiert wurde – auch und gerade vom Mitherausgeber Aubin. Bei der Beurteilung westdeutscher Ostforschung nach dem Zweiten Weltkrieg, die nicht nur in der DDR einer Verurteilung gleichkam,88 darf jedoch nicht übersehen werden, dass die beschworenen Kontinuitäten nicht ausschließlich an eine originär nationalsozialistische Ostforschung anknüpften, sondern an eine Disziplin, die ihre Methoden bereits seit den 1920er Jahren weiterentwickelt und ihre politische Bedeutung bewiesen hatte, sich dann aber auch bereitwillig in die NS-Politik einbinden ließ. Zudem müssen die generationellen Unterschiede im Umgang mit der eigenen wissenschaftlichen Vergangenheit, die sich im Laufe 83

Rothfels: Geschichtswissenschaft, S. 99. Schieder an Andreas, 30. April 1958, zit. nach Nonn: Schieder, S. 196. Freilich erhoben sich bald auch kritische Stimmen gegen solche Deutungen und Forderungen, konnten sich aber für einige Zeit nicht durchsetzen. Vgl. Unger: Ostforschung, S. 437. 85 Bundesministerium für Vertriebene (Hrsg.): Vertreibung I/1, S. VI. 86 Schwarz: Gründerjahre, S. 120. 87 Vgl. Broszat: Massendokumentation; vgl. Conze: Dokumentation; vgl. Schieder: Vertreibung; vgl. Beer: Neuanfang. 88 Siehe Kap. E. XIII. 3. a). 84

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der 1950er Jahre verdeutlichten, bei einer umfassenden Bewertung berücksichtigt werden. Die Komplexität einer solchen Beurteilung zeigt sich bereits an individuellen Verhaltensweisen, die mitunter einem Erneuerungsprozess innerhalb der Disziplin entgegenstanden. Als beispielsweise 1959 ein Nachfolger Hermann Aubins als Präsident des HFR gesucht wurde, fiel die Wahl auf den auf Schlesien spezialisierten Geografen und Historiker Herbert Schlenger, der bereits seit seiner Promotion 1930 von Aubin gefördert worden war und in verschiedenen Bereich für diesen gearbeitet hatte, unter anderem in Breslau, wo er 1936 habilitierte und 1944 zum außerplanmäßigen Professor ernannt wurde. Nach Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft gehörte Schlenger zu den Gründungsmitgliedern des HFR, war Mitherausgeber der ZfO und sollte nun, mittlerweile Professor in Kiel, den Vorsitz des HFR übernehmen.89 Allerdings lehnte Schlenger dieses Amt ab, weil er sich – „mit guten Gründen“, wie in einem Aktenvermerk festgehalten worden war – weigerte, mit Papritz als zweitem Vorsitzenden zusammenzuarbeiten. Es war nicht nur Schlenger, der mit Papritz zunehmend Probleme hatte, sondern von verschiedener Seite wurden Beschwerden über dessen Verhalten vorgetragen. Es handelte sich in erster Linie um Klagen darüber, dass Papritz „von Jahr zu Jahr unbeweglicher geworden“ sei; „er halte an alte Anschauungen über unser Verhältnis zu Polen fest, wie sie vor dem Kriege im Schwange gewesen wären.“ Außerdem wurden Papritz’ wissenschaftliche Qualitäten zunehmend „in Zweifel gezogen“, vor allem von Heinrich Büttner, seit 1949 ordentlicher Professor in Marburg. Mit Büttner stellte sich damit ein weiterer Historiker der Generation Schieders und Conzes gegen den älteren und uneinsichtigen Papritz. Die Bemühungen des hessischen Kultusministeriums, Papritz enger mit der Universität in Verbindung zu bringen, scheiterten damit an deren „unübersteigbare[m] Widerstand“.90 Die Einschätzung, Papritz sei „anders als andere [. . . ] mit seiner Vergangenheit offen umgegangen“91, mag in mancher Hinsicht gewiss zutreffen, etwa wenn er 1950 einräumte, 1932 „überzeugter Revisionist“ gewesen zu sein und geglaubt zu haben, „mithilfe einer vernünftigen Revision könne erneutes Unheil vermieden werden, und die Grundlage einer solchen Revision könne nur wissenschaftliche Forschung sein“.92 Die rund ein Jahrzehnt später formulierten Beschwerden über das Festhalten Papritz’ an überkommenen Denkmustern lassen dessen anfängli89

Vgl. Petry: Schlenger; vgl. Mühle: Volk, S. 249–251; vgl. ders.: Arbeitskreis. Aktenvermerk Santes über eine Unterredung mit Ministerialrat v. Zahn (BMG), über Dr. Papritz, 14. Mai 1959, HHStA Wiesbaden, 1150/234. Sante war mittlerweile Leiter des HHStA Wiesbaden, Archivreferent im Hessischen Kultusministerium und seit 1957 Vorsitzender des VdA. Statt Schlenger wurde mit Eugen Lemberg ein deutschböhmischer Soziologe, Historiker und Ostforscher Präsident des HFR und Mitherausgeber der ZfO. Vgl. Burian: Lemberg; vgl. div. Beiträge in Seibt (Hrsg.): Lemberg. 91 Brübach: Papritz, S. 35. 92 Papritz an Aubin, 11. April 1950, HStA Marburg, 340 Papritz, C 12 d 104/1a. 90

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che Selbstreflexion in einem anderen Licht erscheinen. Je nach historiografischer Herangehensweise an Papritz’ Wirken nach 1945 wurden verschiedene Bilder gezeichnet: Überwiegt in der Geschichtswissenschaft bislang meist dessen Einschätzung vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit als Ostforscher, fokussiert sich die Archivgeschichtsschreibung auf seine – gewiss nicht zu leugnenden – Verdienste auf genuin archivwissenschaftlichem Gebiet.93 Gerade letztere sind aber bis heute längst nicht erschöpfend untersucht. Eine eingehende Analyse des Papritzschen Opus Magnum, seiner dreibändigen Archivwissenschaft94, kann an dieser Stelle nicht geleistet werden und steht somit weiterhin aus.95 Individuelle Verhaltensweisen stellen freilich nur einen Aspekt dar, der bei der Untersuchung von Ostforschung und Osteuropaforschung nach dem Zweiten Weltkrieg beachtet werden muss. Weitere, vermeintlich offensichtliche Belege für langfristige Kontinuitäten dürfen hingegen nicht überbewertet werden. Wenn die ZfO erst 1995 in Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung umbenannt wurde, bedeutet dies keineswegs, dass innerhalb der Disziplin über die Jahrzehnte keine Entwicklung stattgefunden hätte, auch und gerade in Bezug auf politische Ambitionen oder die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Politik.96 Die Gratwanderung zwischen offensichtlichen Kontinuitäten und deren offensiver Leugnung bei gleichzeitig erfolgenden, in vielen Fällen wissenschaftlich kaum anfechtbaren Leistungen spielte einer Deutung in die Hände: Für die DDR-Historiografie waren sowohl die Ostforschung im ‚Dritten Reich‘ als auch deren Kontinuitäten in Westdeutschland über 1945 hinaus ein Bereich, anhand dessen sich die ‚imperialistischen‘ und ‚faschistischen‘ Tendenzen in der Geschichtswissenschaft des ‚Klassenfeindes‘ vorzüglich ‚beweisen‘ ließen. Es gilt deshalb, abschließend einen kurzen Blick auf die Entwicklung von Archiv- und Geschichtswissenschaft in der frühen DDR zu werfen und dabei vor allem auf das deutsch-deutsche Verhältnis der Disziplinen. 3. Archiv- und Geschichtswissenschaften in der frühen DDR und das Verhältnis zum Westen a) Die Rezeption westdeutscher Ostforschung in der DDR Die westdeutsche Ostforschung stellte einen zentralen Reibungspunkt dar, an dem sich die ostdeutsche Geschichtswissenschaft abarbeitete. Doch wie war es zu 93

Vgl. Brübach: Entwicklung; vgl. Wolff : Papritz; vgl. Kleindienst: Papritz. Papritz: Archivwissenschaft. 95 Von besonderer Bedeutung wäre eine solche Studie – nicht nur aus archivarischer Sicht – gerade vor dem Hintergrund, dass manche Formulierungen im Werk Papritz’ noch in den frühen 1980er Jahren für Unmut unter Kursteilnehmern der Marburger Archivschule sorgten, die mit dessen Archivwissenschaft ausgebildet wurden. Vgl. u.a. Eckert: Archivar, S. 22. 96 Vgl. Kleindienst: Osteuropaforschung, S. 320–335. 94

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dieser Verhärtung der Fronten gekommen, die schärfste Vorwürfe von Ost nach West mit sich brachte, welche dort als propagandistisch und unwissenschaftlich abgetan und ignoriert wurden und so einen wissenschaftlichen Austausch unmöglich machten? Studien zur Geschichte der Geschichtswissenschaft in SBZ und DDR sind mittlerweile so zahlreich wie jene zur DDR-Geschichtspolitik sowie der Hochschul- und Wissenschaftslandschaft allgemein.97 Neben die Analyse der grundsätzlichen Entwicklung marxistischer Historiografie trat schwerpunktmäßig das Spannungsverhältnis zwischen west- und ostdeutscher Geschichtsschreibung.98 In der SBZ war die Entwicklung der Hochschullandschaft noch weitgehend parallel zu den Westzonen verlaufen. In dieser durch die Nachkriegsbedingungen geprägten Übergangsphase dominierte in West und Ost die Fortsetzung bisheriger Universitätstradition, in die von der SED kaum eingegriffen wurde. Diese Parallelität hielt nicht lange an. Bereits 1948 und damit noch vor Gründung der DDR wurde in der SBZ im Zuge des „Sturms auf die Festung Wissenschaft“ mit einer tiefgreifenden Umstrukturierung der Hochschullandschaft auf personellem und institutionellem Gebiet begonnen.99 Spätestens mit der ostdeutschen Staatsgründung hatte sich die Geschichtswissenschaft in Staats- und Parteidienste zu stellen und einer marxistischen Geschichtsschreibung im Sinne des Historischen Materialismus zu fügen, die sich auf bestimmte Forschungsschwerpunkt fokussieren sollte: Reformation und Bauernkriege, napoleonische Fremdherrschaft und Befreiungskriege sowie die Revolution von 1848/49 hatten Konjunktur, um die weit zurückreichenden „Freiheits- und Kampftraditionen des deutschen Volkes klar herauszustellen“.100 Auf diese Weise sollte die marxistische Geschichtswissenschaft ihr Geschichtsbild „vom Standpunkt der deutschen Arbeiterklasse“ aus erarbeiten und die „Verfälschung der deutschen Geschichte“ durch die bürgerliche Geschichtsschreibung analysieren und widerlegen.101 Dabei galt es für die Historiker der DDR, „die verhängnisvolle antinationale Rolle der deutschen Reaktion, des deutschen Imperialismus und Militarismus“ aufzudecken und das Volk der DDR zu rüsten „zur Verteidigung der sozialisti-

97 Vgl. u. a. Dorpalen: DDR; Heydemann: Geschichtswissenschaft; ders.: Neubeginn; Kowalczuk: Legitimation; Jarausch/Middell/Sabrow: Störfall; Mommsen: DDR-Geschichtsschreibung; Fulbrook: DDR-Geschichtswissenschaft; Sabrow: Krieg. 98 Diesener: Kritik; Possekel: Selbstwiderspruch; Sabrow: DDR-Geschichtswissenschaft; ders.: Gegner. 99 Vgl. Fischer/Heydemann: Wandel, S. 7 f. vgl. Heydemann: Geschichtswissenschaft, S. 143– 147; vgl. Fischer: Gleichschaltung, S. 55 ff.; vgl. Kowalczuk: Legitimation, S. 83–115; vgl. ders.: Geist; vgl. Ebenfeld: Instrumentalisierung, S. 27–60; vgl. Malycha: Hochschulpolitik; vgl. ders.: Verhältnis. 100 Stern: Gegenwartsaufgaben, S. 15; vgl. Fischer/Heydemann: Wandel, S. 10; vgl. Fischer: Gleichschaltung, S. 75. 101 Vgl. Lötzke: Hilfswissenschaften, S. 375.

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schen Errungenschaften der Arbeiter- und Bauernmacht“.102 Die Rollen waren damit klar verteilt; das ‚richtige‘ Geschichtsverständnis der DDR hatte anzugehen gegen das ‚verirrte‘ Selbstverständnis der Disziplin im Westen, die sich dem dortigen Imperialismus und Militarismus angedient und damit kompromittiert hätte. Die zielgerichtete Beschäftigung mit der Disziplingeschichte des westlichen Nachbarn zeitigte zweierlei Konsequenzen: Einerseits erfolgte die Anprangerung der ‚faschistischen‘ und ‚imperialistischen‘ Ostforschung des westdeutschen ‚Klassenfeinds‘. Andererseits gingen die tendenziösen Darstellungen von Verstrickungen und Verfehlungen der Ostforschung aus einer profunden Beschäftigung mit deren Vergangenheit hervor. Einer Beschäftigung, die in diesem Umfang in der Bundesrepublik noch nicht stattgefunden hatte, sodass bei allen Einschränkungen festgehalten werden kann, dass die Geschichtswissenschaft der DDR ein recht genaues Bild der westdeutschen Historiografie der frühen Nachkriegszeit hatte – mitunter sogar ein präziseres Bild, als die westdeutsche Geschichtswissenschaft von sich selbst hatte.103 Die sich im Zuge der Vorwürfe gegen die westdeutsche Historiografie im Allgemeinen und die Ostforschung im Besonderen herausbildenden Gräben zwischen den beiden deutschen Geschichtswissenschaften fanden im Lauf der 1950er Jahre institutionellen Niederschlag. Auffälligster Moment dieser Entwicklung war der Bruch der DDRGeschichtswissenschaft mit dem VDH auf dem Trierer Historikertag 1958 und die darauf folgende Gründung eines eigenen Fachverbandes; eine Spaltung indes, die sich schon auf den ersten Tagungen der Nachkriegszeit angedeutet hatte.104 Der Bruch innerhalb der Zunft lag auch in deren unterschiedlicher Zusammensetzung im Ost- und Westdeutschland der Nachkriegszeit begründet. Personelle Kontinuitäten bestimmten die akademischen Kreise im Westen, wohin nur wenige der emigrierten Wissenschaftler zurückkehrten. Remigranten waren es hingegen, welche die Wissenschaft im Osten maßgeblich prägten, die oftmals noch keine wissenschaftliche Karriere vor 1933 vorweisen konnten und nicht selten während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ins Exil getrieben oder inhaftiert worden waren.105 Gerade solche Lebensläufe waren es, welche viele jener DDR-Historiker einte, die sich so intensiv wie anklagend mit der westdeutschen Ostforschung und deren Fachhistorie auseinandersetzten. Diese disziplinhistorische Beschäftigung erreichte Ende der 1950er Jahre einen Höhepunkt. Begonnen hatte die in der Bundesrepublik als ‚Feldzug‘ wahrgenommene Auseinandersetzung mit der Ostforschung bereits 1954. Ein in der Zeitschrift für Geschichtswis102 Beschluss über Die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik vom 5. Juli 1955, in: Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (Hrsg.): SED-Dokumente V, S. 337; vgl. Beschluss über Die nächsten ideologischen Aufgaben der Partei vom 29. Juli 1956, zit. nach Elsner: Abteilung, S. 123. 103 Vgl. Schmidt: DDR-Geschichtswissenschaft, S. 5. 104 Vgl. Fischer/Heydemann: Wandel, S. 10 f. 105 Vgl. Sabrow: Geschichtsbilder, S. 141 f.

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senschaft (ZfG) erschienener Artikel über Die Organisation der „Ostforschung“ in Westdeutschland hatte sich zum Ziel gesteckt, die „Verführer und Verderber“ des deutschen Volkes „zu entlarven“, da „der deutsche Imperialismus [. . . ] sich auf einen neuen Revanchekrieg“ vorbereite.106 Dafür arbeite in Westdeutschland ein ganzes „Netz von Organisationen“, die sich nur vermeintlich der Erforschung des europäischen Ostens verschrieben habe, in Wahrheit aber durch revisionistische Argumentation die „ideologische Vorbereitung des geplanten dritten Weltkrieges“ vorantreibe. Der Ostforschung westdeutscher Prägung wurde unterstellt, eine „Geschichtslegende“ zu stützen, um die Bevölkerung „in Unkenntnis und Verwirrung“ zu halten und den „in Vorbereitung befindlichen Angriff der Imperialisten gegen die Sowjetunion [. . . ] im voraus zu rechtfertigen.“ Dafür wären „Professoren mit Osterfahrung notwendiger als osterfahrene Generale“, und aus diesem Grund seien „die Ostspezialisten Hitlers [. . . ] noch immer am Werk“.107 Diese Vorwürfe wurden nicht singulär hervorgebracht, sondern stießen die folgende Kampagne ostdeutscher Historiker erst an, die ihrer eigenen Vorgehensweise kontrastierend einwandfreie Seriosität bescheinigten.108 Personelle Kontinuität im Westen wurde nicht allgemein konstatiert, vielmehr anhand einzelner Karrieren ‚bewiesen‘, die sich, wie gezeigt, tatsächlich über mehrere Systembrüche hinweg nachvollziehen ließen. Nach den anfänglichen scharfen Angriffen rückte Ende der 1950er Jahre die ‚Offenlegung‘ der „ideologischen, methodischen und personellen Kontinuität“ in den Vordergrund.109 Es waren in erster Linie die Tätigkeiten der Ostforscher während des Zweiten Weltkriegs, welche die Ostforschung der Nachkriegszeit kompromittierten und deren Vertreter unterschiedlich intensiv angegangen wurden. Theodor Oberländer als Bundesminister und einstiger Ostforscher war ebenso heftigen Angriffen ausgesetzt wie Hermann Aubin als „Seniorchef“110 der Ostforschung.111 Mit der schonungslosen Offenlegung der Kontinuitäten in der westdeutschen Ostforschung war die Geschichtswissenschaft der DDR ihrem bundesrepublikanischen Pendant tatsächlich voraus, doch Impetus und Duktus der Anklagen ließen diese im Westen wirkungslos verhallen, vor allem, wenn die Kritik dezidiert 106

Szeczinowski: Ostforschung, S. 308. Ebd., S. 288 f., 294. 108 Die Kampagne gegen die westdeutsche Ostforschung blieb nicht die einzige, die seitens der DDR gegen die Bundesrepublik geführt wurde. Vgl. Lemke: Kampagnen; vgl. u. a. Engelberg: Politik; Gentzen u. a.: Ostforschung; Spiru: Ostforscher. 109 Voigt: Methoden, S. 1781. 110 Gentzen u. a.: Ostforschung, S. 1182. 111 Graf : Aubin, S. 57; vgl. Spiru: Ostforscher, S. 42–49; vgl. Mühle: Aubin, S. 538 f.; zu Oberländer vgl. Voigt: Methoden, S. 1787–1792; Oberländer wurde zudem ein eigenes Braunbuch gewidmet: Ausschuß für Deutsche Einheit (Hrsg.): Oberländer. Das Braunbuch schlechthin wurde Ende der 1960er Jahre vom Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Dokumentationszentrum der Staatlichen Archivverwaltung der DDR herausgegeben: Podewin (Hrsg.): Braunbuch. Zum Ausschluss der DDR-Historiker aus dem VDH vgl. Linnemann: Ostforschung, S. 149 f.; vgl. Schulze: Geschichtswissenschaft, S. 183–200. 107

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an den „blindwütigen Antikommunismus“ der „politischen Ultras im Westen“ gerichtet war.112 Wurde auf einzelne Vorwürfe reagiert, so in der Regel mit stereotypen Erwiderungen, welche die sachlich teils korrekten Sachverhalte allein deshalb disqualifizierten, weil sie aus dem Osten kamen.113 Dort wurde 1959, zurückgehend auf die seit einem halben Jahrzehnt erschienenen Aufsätze zur und Auseinandersetzungen mit der Ostforschung, innerhalb der Universität Leipzig die Arbeitsgruppe Kampf gegen die westdeutsche Ostforschung gegründet, im Jahr darauf die an der Berliner Humboldt-Universität angesiedelte Abteilung für Geschichte der imperialistischen Ostforschung unter der Leitung Rudi Goguels.114 Goguel, während des ‚Dritten Reichs‘ als KPDMitglied in einem KZ interniert, nach 1945 in Süddeutschland journalistisch tätig, ging 1952 in die DDR und fand eine Anstellung am Deutschen Institut für Zeitgeschichte (DIZ), wo wesentliche Aktenbestände zu Weimarer Republik und ‚Drittem Reich‘ für die DDR-Historiografie nutzbar waren; von 1959 bis 1968 leitete Goguel die Abteilung zur Ostforschung. Seiner Aussage zufolge hatte diese Institution als „Kampfinstrument“ zu dienen, „das den Kampf gegen die westdeutsche Ostforschung nach operativen Gesichtspunkten koordiniert und organisiert“.115 Damit war die Abteilung in methodischer Hinsicht ähnlich ausgerichtet wie einst die PuSte, die sich ebenfalls an einem im Selbstverständnis recht klaren Feindbild orientierte – den polnischen Angriffen, die es abzuwehren galt –, und die in erster Linie als Koordinationszentrum fungierte, aber auch Publikationen einschlägiger Couleur herausgab. Wie bei PuSte und NOFG wurde in der Berliner Abteilung das Feindbild so unpräzise wie bedrohlich skizziert. Trotz aller richtigen und wichtigen Erkenntnisse über methodische, institutionelle und personelle Kontinuitäten wurde die Gesamtheit westdeutscher Ostforschung verstanden als „schlagkräftige[s], gegen die DDR und deren Verbündete gerichtete[s] Kampfinstrument“.116 Es waren in der DDR vornehmlich jüngere Historiker der überflüssigen Generation, die sich an den meist älteren Ostforschern abarbeiteten. Mit Basil Spiru (*1898 als Josef Hutschneker) war unter ihnen zwar ein Altersgenosse Johannes Papritz’ prominent vertreten, doch die meisten anderen direkt Beteiligten gehörten der Alterskohorte Werner Conzes (*1910) und Theodor Schieders (*1908) an oder waren noch jünger, beispielsweise Eberhard Wolfgramm (*1908) und Felix-Heinrich Gentzen (*1914). Rudi Goguel hingegen war zwar bereits 1908 geboren, promovierte sich jedoch erst 1964 mit einer Dissertation, die direkt aus seiner Arbeit zur Ostforschung hervorging, sich nahtlos in die Reihe der ange112

Remer: Arbeitsgemeinschaft, S. 449. Vgl. Kleßmann: Ostforschung, S. 13 f. 114 Vgl. Remer: Arbeitsgemeinschaft, S. 451; vgl. Abeßer: Situation, S. 1721; vgl. Guth: Historikerdialog, S. 325; vgl. Elsner: Abteilung, S. 125 ff.; vgl. Creuzberger/Unser: Osteuropaforschung. 115 Zit. nach Kleßmann: Ostforschung, S. 17. 116 Creuzberger/Unser: Osteuropaforschung, S. 858. 113

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führten Arbeiten einfügte und weitere beeinflusste.117 Die Kampagne gegen die Ostforschung war demnach nicht nur Ausdruck eines Systemkonflikts, in dem marxistische DDR-Historiker gegen die ‚imperialistischen‘ westdeutschen Fachkollegen zu Felde zogen, sondern auch Ausdruck eines generationellen Konflikts, wie er sich innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft zu dieser Zeit lediglich in ersten Ansätzen abzeichnete. Die einseitige Konzentration der DDR-Historiografie auf die neuere westdeutsche Ostforschung wurde in mehrerlei Hinsicht begünstigt. Die einschlägigen Texte und Publikationen, die im Dunstkreis der verschiedenen neuen Ostforschungsinstitutionen – allen voran Herder-Institut und HFR, aber auch im Göttinger Arbeitskreis – entstanden, spielten in unzähligen Formulierungen jenen in die Hände, die Kontinuitäten dokumentieren und revanchistische Absichten ‚aufdecken‘ wollten.118 Eine nicht unwesentliche Rolle spielte hierbei auch der Umstand, dass in der Bundesrepublik mit der Dokumentation der Vertreibung und ähnlichen Projekten eine Thematik bearbeitet wurde, welche der Disziplin in der DDR verschlossen blieb und tabuisiert war, da „die Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa [. . . ] und die sowjetische Expansion bis nach Mitteleuropa als ‚Befreiung‘ und Beginn eines neuen Zeitalters verzerrt wurde“ und nicht problematisiert werden sollte.119 Bei aller Kritik an der westdeutschen Disziplin unterblieb deshalb die auch nur ansatzweise Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, inwieweit sich jene verhärteten Fronten auch auf die Archivwissenschaft auswirkten und wie sich das deutsch-deutsche Verhältnis hierbei gestaltete. b) Archivwissenschaft in der DDR der 1950er Jahre Zwischen dem Archivwesen der Bundesrepublik und dem der DDR existierten vor allem strukturelle Unterschiede, schon allein aufgrund der verschiedenen Verwaltungsstrukturen.120 Dass hingegen die „verschiedenen Gesellschaftssysteme“ der beiden deutschen Teilstaaten, wie 1966 in den ostdeutschen Archivmitteilungen zu lesen war, den „grundsätzlichen Unterschied“ der beiden deutschen Archivwesen ausmachten, darf bezweifelt werden. Zumal dabei argumentiert wurde, Staat und Gesellschaft stünden in Westdeutschland „unverändert auf der Grundlage des kapitalistischen Privateigentums“, weshalb die Archive kein „Volkseigentum“ seien und westdeutsche Archivare dadurch keinen 117 Goguel: Mitwirkung; vgl. ders.: Aggressionspolitik; vgl. Voigt/Mietkowska-Kaiser: Geschichtsschreibung; vgl. Lozek u. a. (Hrsg.): Kritik. 118 Vgl. Segl: Mittelalterforschung, S. 131; vgl. Wippermann: Ideologie, S. 126–129; vgl. Mühle: Ostforschung. Die Göttinger Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Wissenschaftler entstand ab 1946 und beschäftigte sich ebenfalls mit den ehemals ostdeutschen Gebieten und den Vertriebenen Deutschen, vgl. Linnemann: Ostforschung, S. 124–133. 119 Kleßmann: Ostforschung, S. 14. 120 Vgl. Kahlenberg: Archive, S. 73–83.

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Zugriff beispielsweise auf das Schriftgut „in den Archiven der Monopole und der gesamten kapitalistischen Privatwirtschaft“ hätten. Aus diesem Umstand und der ebenfalls konstatierten „apologetischen Zielsetzung“, die in der westdeutschen Archivwissenschaft dominieren würde, schloss man in der DDR, dass dies den „Klassencharakter“ westdeutscher Archive kennzeichne und sich die Arbeit dortiger Archivare „vorrangig auf die Erschließung und Auswertung älterer Bestände im Rahmen der überkommenen bürgerlichen Landesgeschichtsforschung“ beschränke.121 Für diese nicht ganz zutreffende Deutung gibt es mindestens zwei mögliche Erklärungen: Die Herabsetzung der ‚bürgerlichen‘ Archivwissenschaft im Westen zur Hervorhebung der Innovativität eigener, ‚marxistischer‘ Archivwissenschaft spielte dabei sicherlich eine Rolle. Ergänzt wurde dies möglicherweise durch Unkenntnis mancher westdeutschen Arbeiten und Veröffentlichungen – ein Problem, das sich auch bezüglich der Ostforschung ergeben hatte.122 Verkannt wurde dabei, dass eben jene ‚überkommene‘ Landesgeschichtsforschung traditionell und zwangsweise an das intensive Studium von Archivalien gebunden war und damit einen Gutteil dazu beitrug, die Stellung der Archive zu stärken.123 Eine bedeutende Rolle spielten Selbstverständnis und Selbstwahrnehmung, welche eine Abgrenzung zum ‚reaktionären‘ Westen im Sinne des Neubeginns in der DDR nötig erscheinen ließen. Vor allem sollte der „in der politischen Arbeit stehende Archivar“ wissen, dass seine Bestände „scharfe Waffen für den nationalen und sozialen Kampf“ darstellten und er lediglich bedauern dürfe, „daß diese Waffen nicht schon früher zur Verfügung gestanden haben“.124 Formuliert hatte diese Ansprüche Otto Korfes, 1948–1950 Leiter des DZA und von 1949 an Leiter der neu geschaffenen Zentralstelle für das Archivwesen bei der Deutschen Verwaltung des Innern (DVdI), die wenig später in die Hauptabteilung Archivwesen im Ministerium des Innern (MdI) überführt wurde.125 Korfes nahm nach seiner 121

Hochmuth: Zentralarchiv, S. 132 f. Lötzke: Archive, S. 82; vgl. ders.: Archivwissenschaft. Der Verfasser, Helmut Lötzke, war ab 1951/52 in zentralen Positionen im Archivwesen der DDR tätig, u. a. als Leiter des DZA und Direktor des IfA beim MdI. Auf Organisation, Aufbau und Entwicklung des Archivwesens der DDR wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, da hierfür mittlerweile die Studie Hermann Schreyers vorliegt, der eine so detailreiche Arbeit aufgrund eigener Erfahrungen im Archivwesen der DDR und dabei erworbener Kenntnisse zu verfassen in der Lage war und zudem für zahlreiche Teilaspekte sowohl auf ältere wie auch auf neuere archivgeschichtliche Literatur zurückgreifen konnte. Schreyer: Archivwesen; vgl. ders.: Archiventwicklung; vgl. u. a. Brachmann: DDR; Prokop: DDR-Geschichte; Schetelich: Zeittafel. 123 Vgl. Wahl: Kongreß, S. 120. 124 Korfes: Aufgaben, S. 1 f. vgl. ders.: Fünfjahrplan. 125 Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 24–29. Otto Korfes, *1889, nach Teilnahme am Ersten Weltkrieg und 1920 erfolgtem Ausscheiden aus der Reichswehr Studium in Berlin und 1923 staatswissenschaftliche Promotion. Von 1920 bis 1937 Anstellung am Reichsarchiv und Tätigkeit bei der Kriegswissenschaftlichen Forschungsanstalt des Heeres. Ab 1937 Eintritt in den aktiven Dienst bei der Wehrmacht, Beförderungen bis zum Generalmajor (1943); nach Teilnahme an der Schlacht um Stalingrad in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, Engagement im Nationalkomitee Freies Deutschland 122

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Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1948 eine exponierte Stellung im Archivwesen der DDR ein. Dadurch stellt sich die Frage, wie ein zwar erfahrener Archivar, aber eben auch vormaliger Wehrmachtsoffizier in ein solch hohes Amt aufsteigen konnte und welche anderen personellen Kontinuitäten sich in das Archivwesen der DDR nachvollziehen lassen. Wenn Korfes sich so schnell zu etablieren vermochte, lag dies sicherlich nicht zuletzt auch daran, dass er in der Kriegsgefangenschaft im NKFD mit dessen Mitbegründer Walter Ulbricht zusammengearbeitet hatte, seine Familie in Sippenhaft genommen wurde und zwei seiner Schwager 1944 von den Nationalsozialisten ermordet wurden.126 Umgab ihn und seine Familie damit die Aura des Widerstands gegen Hitler, konnte er auch fachliche Kenntnisse vorweisen und wurde zudem von Karl Ruppert, dem ersten Leiter des DZA, wärmstens empfohlen. In seiner neuen Stellung hatte er sich allerdings der Herausforderung zu stellen, die auch in den westlichen Besatzungszonen und der frühen Bundesrepublik ein großes Problem darstellte, nämlich fachlich gut ausgebildete, erfahrene, aber politisch ‚unbelastete‘ Archivare zu finden. Schon früh wandte er sich diesbezüglich klagend an die DVdI: „Es sind in der Zone bestqualifizierte wissenschaftliche Archivare vorhanden, nicht viele, aber gute. Die einen waren nominelle Pg.’s, andere unbelastet. Ich kann sie nicht beschäftigen, die einen, weil sie nominelle Pg.’s waren, beide, weil die Geldmittel fehlen [. . . ] Aus diesem Grunde stelle ich den Antrag, [. . . ] dem Zentralarchiv die nötigen Geldmittel zu verschaffen“.127

Den drängenden Bedürfnissen des neuen Archivwesens konnte man sich auch in der DDR nicht gänzlich entziehen, und so wurden bis 1952 im DZA 34 neue Mitarbeiter angestellt, von denen insgesamt zehn ehemalige NSDAP-Mitglieder waren, die man demnach aufgrund ihrer Eignung einstellte.128 Die Integrationsprozesse ehemaliger Parteigenossen unterschieden sich somit in Ost und West nicht grundsätzlich, waren vielmehr von gewisser Parallelität gekennzeichnet. Trotz anfänglich harschem Vorgehen im Zuge der Entnazifizierung in der SBZ musste die DDR nach dieser frühen „Wurzelbehandlung des Faschismus“ alsbald das „personalpolitische Anspruchsniveau“ senken, um nötige Stellenbesetzungen vornehmen zu können. Offizielle Äußerungen, die ‚Vorbelastete‘ scharf angriffen, dürfen über das oftmals stillschweigende, geflissentliche Ignorieren früherer und eventuell kompromittierender Betätigungen nicht hinwegtäuschen.129 (NKFD) und Mitbegründer des Bundes Deutscher Offiziere. Vgl. Lent: Korfes; vgl. Wegner-Korfes: Korfes. 126 Albrecht Mertz von Quirnheim wurde als enger Vertrauter Stauffenbergs infolge des Attentats vom 20. Juli 1944 standrechtlich erschossen; ein anderer Schwager Korfes’, Wilhelm Dieckmann, wurde im September 1944 nach Verhören von der Gestapo ermordet. Vgl. Aretin: Quirnheim; vgl. Zirlewagen: Dieckmann. 127 Korfes in einem Bericht vom 14. Juni 1949 an die DVdI, zit. nach Walther: NS-Vergangenheit, S. 480. 128 Vgl. ebd., S. 481. Im gesamten staatlichen Archivwesen der DDR waren Ende 1952 insgesamt 224 Personen beschäftigt, davon 34 im höheren Dienst. Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 44 f. 129 Danyel: Vergangenheit, S. 135.

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So wichtig Korfes für den Aufbau des Archivwesens in der frühen DDR gewesen sein mochte, wurde er doch bald als entbehrlich und nicht mehr dem geforderten Typus des DDR-Archivars entsprechend betrachtet, denn, wie es in einer Beurteilung hieß, seine „fachlichen Qualitäten und der gute Wille“, den er aufbringe, würden nicht ausreichen, „um das Archivwesen auf eine neue fortschrittliche Basis zu stellen“. Er sei außerdem zu „fest verankert in seiner bürgerlichen Ideologie“, die den Anforderungen an einen hohen DDR-Beamten zuwiderlief. Für sein Amt war nunmehr „ein junger Mensch mit mehr Elan und Initiative und mit mehr Verbundenheit zur Arbeiterklasse“ gefragt.130 Selbst von der ‚Verbundenheit zur Arbeiterklasse‘ abgesehen war diese Forderung im deutschdeutschen Vergleich speziell, wenn man die zur gleichen Zeit stattfindenden Personalfindungsprozesse für das westdeutsche Bundesarchiv bedenkt. Von der Forderung nach einem Generationenwechsel war dort keine Spur, stattdessen hatten die preußischen Archivare die Zügel fest in der Hand und konnten sich gegen die von politischer Seite vorgebrachten Bedingung, nur Nicht-Pg einzustellen, durchsetzen.131 Der Anspruch, mit Korfes’ Nachfolge einen entsprechend qualifizierten, aber jüngeren und andere politische und gesellschaftliche Voraussetzungen mitbringenden Archivar zu betrauen, schien aber nicht ohne wesentliche Kompromisse realisierbar zu sein: Nachfolger Korfes’ wurde der einige Monate ältere und gesundheitlich angeschlagene Otto Meier; ehemaliger Handelsangestellter, Journalist und Politiker in SPD und SED, aber weder Historiker noch Archivar und dennoch ab Juli 1952 Generaldirektor des Staatlichen Archivwesens und ab April 1953 Leiter der Hauptabteilung Staatliches Archivwesen der DDR. Konnte es demnach die fachliche Eignung so wenig sein wie sein ‚jugendlicher Elan‘, die ihn für dieses Amt qualifizierten, mussten wohl seine höhere „Verbundenheit zur Arbeiterklasse“ und rein politische Gründe den Ausschlag für seine Ernennung gegeben haben.132 War Meier selbst diese Erfahrung fremd, forderte er von den Archivaren der DDR dennoch, „nicht nur im Beruf sondern aus Berufung und innerer Verpflichtung heraus“ Archivar zu sein, was auch bedeute, „aktiv einzugreifen in den großen Entscheidungskampf unserer Zeit“. Vor allem aber – und damit reihte sich Meier in eine lange Tradition deutscher Archivwissenschaft ebenso ein wie er Ansprüche formulierte, die auch in der Bundesrepublik Konjunktur hatten –, sollten den ideologischen Beitrag Archiv- und Geschichtswissenschaft gemeinsam leisten, die Archivare „nicht nur als ‚Kärrner‘ der Historiker beteiligt sein“. Denn dann, führte er in den Jahrzehnten zuvor häufig geäußerte Hoffnungen an,

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Zit. nach Schreyer: Archivwesen, S. 42; Walther: NS-Vergangenheit, S. 483. Siehe Kap. E. XIII. 2. a). Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 42 f.; vgl. Herbst/Müller-Engbergs: Meier, S. 863 f.

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könnte solch wissenschaftliche Forschung dazu beitragen, „auch das Archivwesen in seiner aktuellen Bedeutung in das rechte Licht zu rücken“.133 Die Sorge um die Geringschätzung der eigenen Disziplin vor allem im Vergleich zur Geschichtswissenschaft trieb die Archivare seit dem vorhergehenden Jahrhundert um, ebbte nie ganz ab und wurde bei unzähligen Gelegenheiten und unter verschiedensten Rahmenbedingungen betont. Im konkret vorliegenden Fall hatte die Befürchtung, der Archivwissenschaft werde nicht die gebührende Aufmerksamkeit und Wertschätzung zuteil, jedoch tatsächlich ihre Berechtigung. Otto Grotewohl, seit 1949 Ministerpräsident der DDR und mit Meier bekannt, lehnte das dringliche Ansinnen, die Archivwissenschaft finanziell besserzustellen, nicht nur rundweg ab, sondern stellte zudem die Notwendigkeit des Personalbestands infrage: „Sind überhaupt 224 Beschäftigte [im Archivwesen der DDR, T.W.] nötig? Kann man nicht einen Teil in die Produktion überführen?“134 Diese Einschätzung traf eine Disziplin ins Mark, die in den Jahren nach 1945 in der SBZ beziehungsweise DDR einen „teilweise noch beängstigend[en]“ Personalmangel aufwies und deren Personal zwar „gerade unter den schwierigsten Umständen der ersten Zeit Außerordentliches geleistet“ hatte, die somit aber einer ungewissen Zukunft entgegen sah.135 Die prekäre finanzielle Situation betraf nicht ausschließlich das Archivwesen der DDR, in welcher man sich generell in wirtschaftlichen Fragen sehr zugeknöpft gab, vor allem im Kontakt zur Bundesrepublik. Den Archivaren wurde diesbezüglich in aller Deutlichkeit Zurückhaltung auferlegt, als es zu einem Zusammentreffen west- und ostdeutscher Vertreter der Disziplin kommen sollte. In der Vorbereitung zum ersten großen Archivkongress der DDR in Weimar 1952 erhielten „die verantwortlichen Genossen“ vom Politbüro der SED den Auftrag, „dafür zu sorgen, dass bei den fachlichen Themen kein Einblick in wirtschaftliche Zahlen nach 1945 gegeben wird“.136 Dies wirft natürlich die Frage auf, ob und wie die Vertreter der gesamtdeutschen Archivwissenschaft in der Frühzeit des geteilten Deutschland Kontakt halten und Beziehungen pflegen konnten und wie sich deren Zusammenkünfte gestalteten. Auf dem ersten Archivtag nach dem Zweiten Weltkrieg, 1949 in Wiesbaden, hatte Bernhard Vollmer die „Kollegen aus der Ostzone“ zwar herzlich begrüßt und die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, mit diesen „bald wieder in eine ungetrennte Zusammenarbeit zu kommen“, doch war mit Hellmut Kretzschmar lediglich ein einziger Vertreter angereist.137 Auch die folgenden Archivtage fanden ohne Archivare aus der DDR statt: Für den 1950 in Landshut stattfindenden 133

Meier: Aufgaben, S. 1 f. Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 44 f. 135 Sydow: Archivwesen, Sp. 56. 136 Zit. nach Schreyer: Archivwesen, S. 39 f. 137 28. Deutscher Archivtag in Wiesbaden am 31. Mai 1949, in: Der Archivar 2 (1949), Sp. 41–48; siehe auch Kap. E. XII. 3. b). 134

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Archivtag wurde erst in letzter Minute die Reisegenehmigung verwehrt, und im Folgejahr herrschte eine Praxis vor, „die es keinem Archivar ermöglichen“ sollte, „nach Westdeutschland zu reisen“; es bestand „sogar eine mündliche Anweisung, die das Betreten der Westsektoren von Berlin“ verbot. Man müsse deshalb, so der Leiter des Hauptreferats Ausbildung und Nachwuchs bei der Hauptabteilung, Jürgen Sydow, mit einer „zunehmende[n] Entfremdung“ der beiden deutschen Archivwesen rechnen.138 Dennoch veränderte sich das deutsch-deutsche Verhältnis wenige Jahre später zumindest verhalten positiv: Nach einem rein westdeutschen Archivtag 1952 in Nürnberg setzte ein regelrechter Aufschwung ein, was den gegenseitigen Kontakt auf den Tagungen anbelangte; die 23 Teilnehmer aus der DDR stellten 1953 in Bremen beinahe 10 % der gesamten Teilnehmerschaft.139 Zudem war vereinbart worden, die Fachperiodika – Der Archivar der Bundesrepublik und die Archivmitteilungen der DDR – regelmäßig auszutauschen, um die fachlichen Entwicklungen verfolgen zu können.140 Dies kam vor allem den Archivaren der DDR zugute, die in vielen Fällen keinen Zugriff auf die im Westen erscheinende Literatur hatten. Zur zeitweisen positiven Entwicklung hatte der erste Archivkongress der DDR in Weimar 1952 sicherlich beigetragen, bei dem die teilnehmenden westdeutschen Archivare „besonders herzlich“ begrüßt wurden, die „trotz der angespannten politischen Lage nach Weimar gekommen waren und damit keinen besseren Beweis geben konnten, daß sie die Einheit unseres Vaterlandes nicht nur wünschen, sondern auch hierfür einzutreten bereit sind“.141 Von den insgesamt fast 600 Teilnehmern des Kongresses kamen lediglich zehn aus der Bundesrepublik; acht Archivare und zwei Historiker. Einladungen waren hingegen an 87 Personen im Westen ergangen. Die geringe Teilnehmerzahl war vor allem politisch bedingt, denn das BMG hatte dem VdA auf Anfrage in einem Schreiben nahegelegt, die westdeutsche Delegation nach Weimar möglichst klein zu halten, da die „Gegenseitigkeit“ fehle. Zum einen, weil seitens der politischen Führung der DDR den Archivaren die Teilnahme an westdeutschen Tagungen immer wieder verwehrt worden war, und zum anderen, weil man den Verdacht hegte, die „offiziellen Instanzen der Sowjetzone“ würden nur aus „propagandistischen Absichten“ auf die rege Teilnahme westdeutscher Wissenschaftler hoffen.142 Der erst 1951 aus der DDR in die Bundesrepublik übersiedelte Landeshistoriker Walter Schlesinger hatte hingegen nach dem Kongress Bericht erstattet und ein recht positives Bild gezeichnet. Es sei, so Schlesinger, „durchaus richtig und lehrreich“ gewesen, nach Weimar zu fahren, und gerade die persönlichen Gesprä138

Sydow: Archivwesen, S. 64. Vgl. Reimann: VdA, S. 7 f. 140 Jahresversammlung des VdA, 7. August 1952, in: Der Archivar 5 (1952), Sp. 114. 141 Bericht über den Kongreß der Archivare in Weimar, in: Archivmitteilungen 2 (1952), S. 34–35, hier S. 34. 142 Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen an Vollmer (VdA), 21. April 1952, BArch B 198/797. 139

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che mit den Fachkollegen hätten einen erfreulichen Eindruck hinterlassen. Schlesinger plädierte dafür, die Kollegen aus der DDR weiterhin zu den westdeutschen Tagungen einzuladen, selbst wenn man nicht mit deren Anwesenheit rechnen könne; die Einladungen würden ihnen allerdings zeigen, dass man sie nicht vergessen habe, und könnten zu einer Art moralischer Unterstützung beitragen.143 Grundsätzlich schien die von den Veranstaltern gewiss intendierte Absicht, den westdeutschen Kollegen ein positives Bild der DDR-Archivwissenschaft zu vermitteln, demnach aufgegangen zu sein. Doch nicht nur die Archiv- und Geschichtswissenschaft in der DDR grenzte sich bald von den westdeutschen Pendants ab, sondern vor allen Dingen die politischen Konflikte, die bereits in der Zeit der Besatzungszonen einen Keil zwischen die westlichen Zonen und die SBZ getrieben hatten, verstärkten die gegenläufigen Entwicklungen. Wie Volker Wahl treffend festgestellt hat, lässt sich diesbezüglich 1952 ein „Bruch“ erkennen, zumindest aber ein verstärktes „Voneinanderwegbewegen“, bedingt durch den planmäßigen ‚Aufbau der Grundlagen des Sozialismus‘ in der DDR und die sich parallel abzeichnende verstärkte Westbindung der Bundesrepublik, die sich zum Beispiel im Deutschlandvertrag und dem Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) manifestierte.144 Vor diesem Hintergrund taucht eine Problematik auf, die sich bei der isolierten Betrachtung einzelner Aspekte der Archivgeschichte ergeben kann: Wird das Augenmerk beispielsweise ausschließlich auf die Entwicklung der Archivtage beziehungsweise die wechselseitige Teilnahme gelegt, liegt die Deutung nahe, mit dem Archivkongress in Weimar 1952 hätte ein Aufschwung und damit einhergehend eine Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen innerhalb der Disziplin eingesetzt. Immerhin wurden die weiteren, beinahe jährlich abgehaltenen westdeutschen Archivtage der 1950er Jahre regelmäßig von Archivaren aus der DDR besucht. Es war dies nicht mehr als ein „Strohfeuer“, bevor sich die DDR und damit das ostdeutsche Archivwesen isolierte – ein Prozess, der spätestens mit dem Mauerbau ab 1961 bereits abgeschlossen war. Auf die in die DDR geschickten Einladungen zum 39. Archivtag in Regensburg im September 1961 erfolgte keine Reaktion mehr.145 Im Archivwesen der DDR hatte sich zudem bereits 1958 mit einem ‚Führungswechsel‘ eine für die Disziplin ungünstige Entwicklung abgezeichnet. Karl Schirdewan, in den 1950er Jahren SED-Kaderchef, Mitglied des Politbüros und ‚zweiter Mann‘ hinter Walter Ulbricht, wurde auf der 35. Tagung des ZK der SED 1958 seiner Ämter enthoben, nachdem er sich mit Ulbricht überworfen hatte. Daraufhin folgte seine ‚Strafversetzung‘ ins Archivwesen, wo er bis 1965 als 143 Bericht Walter Schlesingers an das BMG über seine Teilnahme am Kongreß der Archivare der DDR 1952 in Weimar, 27. Juni 1952, BArch B 137/7803. 144 Vgl. Wahl: Kongreß, S. 115. 145 Ebd., S. 132 f; Reimann: VdA, S. 8 f. Zur Veränderung der Deutschlandpolitik der DDR vgl. Lemke: Nebeneinander.

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Leiter der Staatlichen Archivverwaltung in Potsdam tätig war.146 Der Zeitzeuge Gerhard Schmid (*1928), in seiner beruflichen Karriere in verschiedensten Positionen im Archivwesen der DDR tätig, beurteilte die Amtsübernahme Schirdewans in mehrerlei Hinsicht als problematisch. Nicht nur, dass die politischen Gründe dieser Personalie die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane auf das Archivwesen lenkten, sondern auch und vor allem die Personalpolitik des neuen Leiters sorgten für Missmut. Er bediente sich dabei den ihm aus seiner politischen Karriere bekannten Methoden, um seine Vorstellungen des Archivwesens zu realisieren, das sich auszeichnen sollte durch „eine straffe, leitungsmäßig durchkonstruierte Organisation des ‚Archivapparates‘ von oben nach unten; eine marxistisch-leninistische Durchdringung und Umgestaltung der Archivwissenschaft; eine durchgehende Ideologisierung der Archivpraxis; ein unnachsichtiger Kampf gegen die ‚bürgerlichen Elemente‘ im Archivwesen: eine Kaderpolitik, die für den entscheidenden Einfluß der Partei im Archivwesen sorgen sollte und bei der politische Zuverlässigkeit vor fachlicher Kompetenz rangierte“.147

Die Parallelen zum preußischen Archivwesen nach der Amtsübernahme Ernst Zipfels sind auffällig. So wenig es sich dabei zwar um eine Strafversetzung gehandelt hatte, so wenig anerkannt war er in der Fachwelt. (Partei-)Politische Gründe hatten dabei eine maßgebliche Rolle gespielt, und auch er hatte eigene Vorstellungen von ‚seiner‘ Archivverwaltung, deren personeller Zusammensetzung sowie der Ausbildung des facheigenen Nachwuchses. Die Einführung des ‚Führerprinzips‘ durch Zipfel fand ihre ungefähre Entsprechung in der zitierten „straffen Organisation“, die Schirdewan umzusetzen gedachte.148 Genügend Parallelen mithin, die weiterführende, vergleichende Studien rechtfertigen und beanspruchen, welche aber die Hürden eines solchen ‚Diktaturenvergleichs‘ angemessen berücksichtigen müssen.149 Auch die Beantwortung der Frage, wie stark sich die Personalie Schirdewans tatsächlich auf das Archivwesen der DDR auswirkte, muss weiterführenden Studien vorbehalten bleiben. In der Deutung Schmids war die Staatliche Archivverwaltung durch den Wechsel in ihrer Spitze „zu einem Macht- und Herrschaftsinstrument auch auf fachlichem Gebiet“ geworden und das Archivwesen zu einem „Heldenfriedhof des MdI“ verkommen, da „Polizeioffiziere, dazu Mitarbeiter aufgelöster Parteistellen und sogar Angehörige der Staatssicherheitsorgane in den Staatsarchiven eingestellt“ wurden.150 146 Vgl. Schreyer: Archivwesen, S. 81–84; vgl. Malycha/Winters: SED, S. 145; vgl. Weber/Herbst: Kommunisten, S. 661 f. 147 Schmid: Prolegomena, Sp. 506. 148 Zu Amtsübernahme und -führung Zipfels siehe v. a. die Kap. C. VII. 1., C. VII. 2. b) und C. VII. 2. d). 149 Zumal der ‚Diktaturenvergleich‘ zwischen Nationalsozialismus und SED-Herrschaft weitere, den Rahmen dieser Untersuchung sprengende Probleme birgt. Vgl. Schmiechen-Ackermann: Diktaturvergleich; vgl. ders.: Diktaturenvergleich, in: Docupedia Zeitgeschichte, 09.05.2014. Zur grundsätzlichen Problematik vgl. Kleßmann: Zeitgeschichte. 150 Schmid: Prolegomena, Sp. 506 f., 514, Hervorhebung im Original. Zur Stagnation nach anfänglicher ‚Aufbruchsphase‘ im Archivwesen der DDR vgl. auch Kluge: Probleme.

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Das wirft die hier nicht abschließend zu beantwortende Frage nach dem Selbstverständnis der Archivare in der DDR ebenso auf wie nach dessen Bewertung. Zum einen kann mit Schmid dafür in einem ersten Ansatz die nach der Wiedervereinigung publizierte Deutung eines in der DDR sozialisierten und bis zu deren Ende dort tätigen Archivar einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, zum anderen sollen Archivare Beachtung finden, welche die DDR aus verschiedenen Gründen verlassen haben. Dass man, wollte man im Archivwesen wie in anderen Bereichen der DDR die Karriere vorantreiben oder auch nur ungehindert arbeiten, Zugeständnisse machen musste und „seine Tätigkeit zumindest verbal-formal in die [. . . ] proklamierten Ziele“ einzuordnen hatte, konnte nicht verborgen bleiben. Ein wichtiger Aspekt, der eine solche Anpassung gerade für die jüngeren Archivare erleichtert hätte, war Schmid zufolge der Umstand, dass diese sich hatten tatsächlich für die Mitarbeit „an einer wirklich antifaschistischdemokratischen Friedensordnung“ begeistern können, zumindest „solange sie die Fiktion und Illusion aufrechterhalten konnten, daß es um seine solche ginge“.151 Die Gründe, in der DDR zu verbleiben und sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren waren sicherlich vielfältig und reichten von innerer Überzeugung bis hin zu stillschweigendem ‚Ertragen‘ der Umstände, wobei berufliche, ideologische sowie persönliche und familiäre Gründe eine Rolle spielen konnten. Gründe, die wiederum in der Regel nicht immer allein ausschlaggebend waren, sondern sich ergänzen und im Laufe der Zeit wandeln konnten, sodass lediglich individuelle Betrachtungen einzelner Persönlichkeiten und Karrieren darüber nähere Auskunft zu geben vermögen. Es spricht für die Selbstreflexion Schmids, seine eigenen Wahrnehmungen nicht als allgemeingültig erklären zu wollen, sondern eventuelle Verklärung einzuräumen. So sehr sie also mit Vorsicht zu genießen sind, so hilfreich sind sie auch, um dem Arrangement Vieler mit dem Regime in der DDR einen weiteren Erklärungsansatz hinzufügen zu können. Die in der DDR aus unterschiedlichen Gründen „Zurückgebliebenen“ hätten, so Schmid, ein „besonderes Gefühl der Zusammengehörigkeit“ entwickelt, da viele von ihnen den Eindruck teilten, „im Stich gelassen zu sein“. Die individuelle Enttäuschung sei deshalb ein Stück weit gelindert worden durch „die Verbundenheit im Engagement für eine gemeinsame Aufgabe, in einer gemeinsamen beruflichen Tradition, die man erhalten und weitergeben wollte“. Dieser Verbundenheit eine „gemeinsame Verantwortung vor der nationalen Geschichte“ zu unterstellen, war auch für Schmid allzu pathetisch konnotiert. Dennoch schrieb er der überwiegenden Mehrheit der in der DDR tätigen Archivare zu, „keine oder zumindest keine blinden Anhänger des herrschenden Systems“ gewesen zu sein.152 Freilich ergeben sich aus dieser Deutung verschiedene Fragen, die weiterer Untersuchungen bedürfen, teils aber nur schwerlich beantwortet werden können: Wie homogen war die Archivwissenschaft in der DDR? Wie wirkten 151 152

Schmid: Prolegomena, Sp. 502 f. Ebd., Sp. 503 f.

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sich generationelle Unterschiede aus? In welchem Umfang war die zugeschriebene kollegiale Verbundenheit und das Zusammengehörigkeitsgefühl überhaupt möglich, wenn das Archivwesen von Kaderpolitik bestimmt war, in manchen Fällen politische Eignung vor fachlicher Expertise ging und grundsätzlich mit Bespitzelung gerechnet werden musste? Ist der kollegiale Zusammenhalt auf sicherlich vorhandene Einzelfälle zurückzuführen oder vermochte er die Entwicklung der Disziplin zu bestimmen? Die Einschätzung durch Zeitzeugen, zumal ohne die nötige zeitliche Distanz, stellt die Historiografie in verschiedener Hinsicht vor Herausforderungen. Erst recht gilt dies, wenn die Zeitzeugen zugleich Historiker sind und sowohl die individuelle wie die disziplinäre Vergangenheit in den Blick nehmen müssen, wodurch „emotionale Nähe und analytische Distanz“ in Konflikt kommen können; „die Bearbeitung der Geschichte zu Traditionen wirkt in die laufenden Auseinandersetzungen unmittelbar hinein“.153 Die auffällige Parallelität zur Selbstsicht mancher Disziplin und deren exponierten Vertretern nach 1945 auf die eigene Vergangenheit im ‚Dritten Reich‘ sollte gewiss nicht zu voreiligen Vergleichen und Schlüssen führen, darf aber auch nicht ignoriert werden. Ein weiterer Punkt kann hingegen in gegebener Kürze betrachtet werden: Sprach Schmid in seinen archivgeschichtlichen Prolegomena vom Gefühl vieler DDR-Archivare, „im Stich gelassen“ zu werden, bedeutet dies, dass neben dem ‚Ausharren‘ in der DDR grundsätzlich andere Möglichkeiten bestanden, zumindest in der Zeit bis zum Mauerbau 1961. Der berufliche Wechsel in den Westen beziehungsweise die ‚Republikflucht‘ stellte für manchen Archivar eine willkommene, für andere die einzige Möglichkeit dar, den Beruf weiterhin ausüben zu können. Einigen wenigen war früh bewusst, wie die berufliche Zukunft aussehen könnte, und sie versuchten entsprechend schnell, ihre Karriere im Westen fortzusetzen. Andere hingegen ergriffen erst in letzter Sekunde die Flucht.154 Jürgen Sydow beispielsweise, Leiter des Hauptreferats Ausbildung und Nachwuchs bei der Hauptabteilung Archivwesen, musste 1951 auf politischen Druck aus seinem Amt ausscheiden und sah sich zur Übersiedlung in die Bundesrepublik gezwungen, da er es „nicht verstand, die Anwärter zu ‚fortschrittlichen‘ Archivaren zu erziehen.“ Politische Aspekte hätten, legte er bald nach seiner Flucht dar, „wie ein roter Faden alles Leben der Ostzone“ durchzogen und vor dem Archivwesen nicht halt gemacht. Vielmehr hätte sich jeder Archivar „‚gesellschaftlich‘, d.h. politisch zu binden und zu betätigen“ gehabt; eine Verpflichtung indes, „deren Nichtbefolgung schon die Entlassung zur Folge“ haben konnte.155 Sydow, der 1944 im Alter von 23 Jahren nach Studium und Archivarsausbildung das 153

Middell: Strukturgefängnis, S. 159 f.; vgl. Jarausch: DDR-Geschichtswissenschaft. Eine Auflistung geflohener Archivare findet sich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, bei Schreyer: Archivwesen, S. 92. 155 Sydow: Archivwesen, S. 55 f., 61. Der Archivar hatte in der DDR vielmehr zu einem „Funktionär der Arbeiter- und Bauern-Macht“ zu werden. Vgl. Brachmann: Archivwesen, S. 19. 154

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Kriegsende mit einer Dolmetscherkompanie in Italien erlebt hatte, lebte nach Kriegsende einige Monate in einer Benediktinerabtei, bevor er im Archivdienst unterkommen sollte. In dieser Abtei verbrachte er nach seiner Flucht erneut einige Zeit, finanzierte sich über ein DFG-Stipendium und fand 1953 Anstellung als Stadtarchivar in Regensburg, bevor er über eine Tätigkeit in Münster 1962 am Stadtarchiv Tübingen ankam, wo er in den 1960er Jahren auch Lehraufträge hatte und zum Honorarprofessor ernannt wurde.156 Indes ein nur auf den ersten Blick mehr oder weniger reibungsloser Verlauf der Karriere nach der Flucht in die Bundesrepublik, vielmehr mit großen Unsicherheiten verbunden, da eine sofortige Anstellung in vergleichbarer Tätigkeit keineswegs vorgezeichnet oder gar selbstverständlich war. Ein ähnliches Schicksal erfuhr der Kollege Sydows in der Hauptabteilung Archivwesen und Stellvertreter Korfes’, der erst 1949 aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrte Roland Seeberg-Elverfeldt, der die DDR im Februar 1953 mit seiner Familie verlassen hatte. Ausschlaggebend für ihn war, wie er dem Münchner Stadtarchivar Reinhold Schaffer mitteilte, dass „nach Dr. Korfes Abgang ein sachliches Arbeiten nicht mehr möglich war.“ Er wagte den Schritt, obwohl seine berufliche Zukunft für ihn damit „noch sehr dunkel“ aussah.157 An den ihm persönlich bekannten Schaffer wandte er sich außerdem mit dem Gesuch um Hilfe beim beruflichen Einstieg in der Bundesrepublik. Mit seiner Bitte übersandte er Schaffer die Eckdaten seines beruflichen Werdegangs, um zu zeigen, dass er sich diesbezüglich bis auf die wenigen Jahre in der DDR von unzähligen in der Bundesrepublik tätigen Kollegen kaum unterschied.158 Allerdings konnte ihm Schaffer nicht helfen, und so brauchte es drei Jahre provisorischer Tätigkeiten, bis Seeberg-Elverfeldt beim Archiv des Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Bonn unterkam, wo er Helmuth Rogge ablöste und bis zur Ernennung zum Ministerialrat 1965 Karriere machte. Die Startschwierigkeiten im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik beruhten im Fall Seeberg-Elverfeldts indes weniger auf dessen NS-Vergangenheit, sondern vielmehr seiner Tätigkeit im Innenministerium der DDR.159 Die Motivation für den beruflichen Wechsel und die dafür erforderliche Flucht gen Westen konnte auch eine ganz andere sein. Willy Flach beispielsweise, seit 1934 in führender Position im thüringischen Archivwesen tätig und seitdem zu einem der bekanntesten Archivare Deutschlands aufgestiegen, hatte mit der Organisation des Weimarer Archivkongresses 1952 einen Höhepunkt in seiner Kar156

Vgl. Lorenz/Wandel: Sydow; Maurer: Sydow. Seeberg-Elverfeldt an Schaffer, 8. April 1953, HHStA Wiesbaden, 1150/111. 158 Seeberg-Elverfeldt an Schaffer, 1. Mai 1953, HHStA Wiesbaden, 1150/111. Darin zum Lebenslauf: 1933 IfA-Absolvent in Dahlem, 1933–1937 StA Königsberg, 1937–1939 StA Stettin, 1939– 1940 Soldat, 1940–1943 Leiter des Archivamts Lublin, 1943–1945 Soldat, 1945–1949 russ. Kriegsgefangenschaft, 1950–1953 Abteilungsleiter in der Hauptabteilung Archivwesen sowie Dozent am Potsdamer IfA, Schriftleiter der Archivmitteilungen. 159 Vgl. Lehr: Osteinsatz, S. 339. 157

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riere erreicht.160 Dennoch floh er im Januar 1958 aus der DDR, allerdings nicht, weil er für sich keine berufliche Zukunft mehr im thüringischen Archivwesen sah, das er über zwei Jahrzehnte maßgeblich geprägt hatte, wenngleich er bei politischen Funktionären auf Vorbehalte gestoßen war. Seine hohe wissenschaftliche Reputation war es vielmehr, die 1957 zu einem Ruf auf den Bonner Lehrstuhl für Historische Hilfswissenschaften und Archivkunde führten. War ihm zunächst die Genehmigung zur Ausreise in Aussicht gestellt worden, wurde diese Ende 1957 zurückgezogen, sodass er sich zur Flucht über Westberlin gezwungen sah. Bereits zwei Monate nach seiner Ankunft in Bonn nahm Flach sich das Leben; Helmut Schreyers Deutung zufolge, weil er „die Folgen dieses Entschlusses und die Intensität seiner nunmehr abgerissenen Bindung an Thüringen, die thüringische Landesgeschichte und an ‚seine‘ Archive wohl doch unterschätzt“ habe.161 Inwieweit diese Interpretation zutreffen mag, sei dahingestellt. Dass in der DDR gegen ihn und seine ‚Republikflucht‘ jedoch eine Propagandakampagne gestartet wurde, wenn auch erst nach seinem Tod in öffentlichkeitswirksamer Form, trifft gewiss zu. Kurz nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik wurden die leitenden DDR-Archivare über seine ‚Republikflucht‘ unterrichtet und dazu angehalten, jeglichen „dienstliche[n] Verkehr“ mit ihm zu unterlassen sowie die wissenschaftlichen Archivare auf sein Vergehen hinzuweisen.162 Die Propagandakampagne setzte im Herbst desselben Jahres ein, als in vielen Städten öffentlich plakatiert wurde, dass der auf den Plakaten abgebildete Flach ein Opfer der „Abwerber des Bonner Spionageministers Lemmer“ geworden sei, die ihn „mit falschen Versprechungen [. . . ] nach Westdeutschland gelockt und in die Fänge des Geheimdienstes getrieben“ hätten. Als man „alles Wissenswerte aus ihm herausgepresst“ habe, sei er „und seine Familie der Not und dem Elend“ überlassen worden.163 Diese absolut die Realität verzerrende Darstellung mochte von vielen, vor allem mit Flach bekannten Archivaren, als solche erkannt worden sein. Dennoch fiel die Legende von der Abwerbung aus dem Westen mit dem Ziel, der DDR zu schaden, in deren verunsicherter Gesellschaft vielfach auf fruchtbaren Boden. Der in Weimar tätige Archivar Gregor Richter (*1927) hatte zwar von keinem Abwerbeversuch gehört, wusste aber um das Gerücht – wenn auch aus fragwürdiger Quelle: Ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hatte ihm gegenüber geäußert, Johannes Papritz könne eventuell hinter der Abwerbung 160

Vgl. Wahl: Kongreß, S. 117. Schreyer: Archivwesen, S. 128 f. vgl. Wahl: Flach, S. 36–39; vgl. Grashoff : Selbsttötungen, S. 205. 162 Dienstbesprechung der Staatlichen Archivverwaltung (StAV) mit den Direktoren des DZA und der Landeshauptarchive am 6./7. Februar 1958, zit. nach Schreyer: Archivwesen, S. 129. 163 Zit. nach Grashoff : Selbsttötungen, S. 204–210. Ernst Lemmer war vom 29. Oktober 1957 bis 1962 Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen. Zum dem Zeitpunkt, als in Bonn der Ruf an Flach erteilt wurde, war Lemmer noch Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. 161

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geflohener Archivare stecken.164 Mit welcher Absicht oder auch welchem Auftrag der MfS-Bedienstete das Gespräch hierauf lenkte und Papritz als vermeintlichen Drahtzieher ins Spiel brachte, wird sich vermutlich nicht abschließend klären lassen. Somit waren es keine Abwerbeversuche, die zu Richters Flucht im Sommer 1960 führten. Als junger Archivar, der seine Ausbildung am Potsdamer IfA erst 1957 beendet hatte, war er beruflich vollständig im Archivwesen der DDR sozialisiert worden. Es müssen deshalb andere Gründe ausgemacht werden, die ihn samt seiner jungen Familie zur Flucht veranlassten. Richter selbst legte seine Entscheidung im Jahr 2000 rückblickend dar und machte dabei auf mehrere, für die deutsch-deutsche Archivgeschichte der 1950er Jahre aufschlussreiche Aspekte aufmerksam. So hatte die Archivreferentenkonferenz (ARK) in der Bundesrepublik beschlossen, die Gleichwertigkeit der Ausbildung von DDR-Archivaren nur dann anzuerkennen, wenn diese ihre Ausbildung in Potsdam vor 1955 abgeschlossen hatten. In allen anderen Fällen sollten Einzelgutachten, in der Regel durch die Archivschulen in Marburg und München oder weitere Kenner des Archivwesens der DDR ausgestellt, herangezogen werden, um die Qualität der fachlichen Ausbildung von Bewerbern aus der DDR einzuschätzen. Damit wurde der Wechsel in die Bundesrepublik durch zusätzliche Hürden bei der Suche nach Anstellungsmöglichkeiten zwar erschwert, aber keineswegs unmöglich gemacht. Richter führte für seine Flucht aus der DDR allerdings an, der „politische Druck“, der sich Ende der 1950er Jahre durch den Aufbau des Sozialismus ergeben hätte, sei samt seinen Begleiterscheinungen für ihn ausschlaggebend gewesen. Auf einer Tagung Anfang 1960 auf Rügen hatte der Historiker Max Steinmetz über die „Aufgaben der Mediävistik in der DDR“ referiert und die „von bestimmten Kreisen westdeutscher Historiker vorgebrachten Verfälschungen und Entstellungen speziell der Geschichte des Mittelalters“ angeprangert. Richter selbst sei dabei coram publico davor gewarnt worden, sich „mit den Fälschern zu solidarisieren, um nicht zu ihnen gezählt zu werden“.165 Nach diesem Erlebnis und trotz der Sorgen um die berufliche Zukunft floh Richter im Juli 1960 samt seiner Familie über Westberlin, worüber die FAZ berichtete, der Weimarer Archivar Richter habe seinen „Jahresurlaub zur Flucht genutzt“.166 164

Richter: Konstellationen, S. 145. Ebd., S. 144. Max Steinmetz, *1912, NSDStB- und SA-Mitglied, 1939 Promotion bei Gerhard Ritter in Freiburg, im Zweiten Weltkrieg bei der Militärverwaltung in Frankreich tätig, 1945–1949 in russ. Kriegsgefangenschaft, nach seiner Entlassung in der DDR. SED-Mitgliedschaft wurde ihm 1949 noch verwehrt, erst 1952 gestattet. Tätigkeiten und Lehraufträge an den Universitäten in Berlin und Jena, Habilitation 1957; 1958–1962 für das MfS tätig; 1961 Ruf nach Leipzig; langjähriger Redakteur bei der ZfG und Direktor des Instituts für deutsche Geschichte in Leipzig. Vgl. Mertens: DDR-Historiker, S. 579 f.; vgl. Waibel: NS-Funktionäre, S. 324 f.; vgl. Hoyer: Steinmetz, Max Zacharias, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky. 166 FAZ vom 17. August 1960, zit. nach Richter: Konstellationen, S. 145. 165

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Da Richter keine Stelle in Aussicht hatte und auch keineswegs so gut im Archivwesen vernetzt war wie manch anderer ‚Republikflüchtling‘, der auf mehrere Jahrzehnte in seinem Beruf zurückblicken konnte, wandte er sich an seinen früheren Potsdamer Mentor Berent Schwineköper. Als Stadtarchivar in Freiburg war Schwineköper rund ein Jahr nach dem Verlassen der DDR zwar in sicherer Anstellung angekommen, konnte Richter aber keine Stelle vermitteln. Lediglich die Empfehlung vermochte er ihm darzubringen, sich an das noch recht junge Bundesarchiv zu wenden. Dort erhielt er jedoch eine Absage und wandte sich daraufhin an das HStA Stuttgart. Zwischenzeitlich setzte sich auch Heinrich Otto Meisner – Absolvent der preußischen Ausbildung, Dozent am Dahlemer IfA und als prägende Figur am Potsdamer Ausbildungsinstitut tätig167 – für Richter ein. Bereits im Oktober, wenige Monate nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik, wurde er am Stuttgarter HStA angestellt, wodurch ihm bewusst wurde, „wie nötig persönliche Beurteilungen sind“, vor allem, „wenn Dienst- und Leumundszeugnisse fehlen“.168 Ein Aspekt, der auch bei den angeführten Stellenbesetzungen am Bundesarchiv eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Besonders auffällig an diesen wenigen geschilderten Fällen von ‚Republikflucht‘ und beruflichen Neuanfängen in der Bundesrepublik ist sowohl die Bedeutung, die informellen Kontakten, Empfehlungen und generell den Versuchen, Fachkollegen bei der Arbeitssuche behilflich zu sein, zukam, als auch, was hierbei über personelle und fachliche Kontinuitäten in der deutschen Archivwissenschaft nach 1945 erfahren werden kann. Dass das Ende des zweiten Weltkriegs und die alliierten Maßnahmen der frühen Nachkriegszeit kaum eines Archivars Karriere endgültig beendete, konnte bereits gezeigt werden.169 Allerdings – und hierin liegt der ausführlichere Blick auf die Geschichte des geteilten Deutschlands, als es eine Archivgeschichte zum ‚Dritten Reich‘ vermuten ließe, begründet – waren die Kontinuitäten über 1945 hinaus keineswegs ‚einfache‘ Kontinuitäten, die lediglich das Überstehen des Entnazifizierungsverfahrens und die Übernahme einer geeigneten Arbeitsstelle voraussetzten. Wer in den ersten Nachkriegsjahren Arbeit fand, sei es im angestammten Beruf oder auch in völlig anderen Bereichen, konnte sich in der Regel nicht darauf verlassen, seine Stelle langfristig als gesichert ansehen zu können oder früher oder später wieder in einer der ursprünglichen Tätigkeit vergleichbaren Position anzukommen. Hinzu traten stetige Veränderungen in der wirtschaftlichen und politischen Situation; Währungsreformen, die Spannungen zwischen Bi-/Trizone und SBZ im beginnenden Kalten Krieg und schließlich die beiden deutschen Staatsgründungen prägten die Zeit nachhaltig. Auch wenn der Wechsel zwischen Ost- und Westdeutschland noch über ein Jahrzehnt möglich sein sollte, verkomplizierte die deutsche Teilung so manchen Karriereverlauf erheblich. 167 168 169

Vgl. Kowalczuk: Meisner. Richter: Konstellationen, S. 150. Siehe die Kap. E. XII. 1. und E. XII. 2.

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Beeinflusst wurden Brüche in beruflichen Karrieren auch durch die zunehmende Schärfe im wissenschaftlichen Diskurs, soweit dieser Terminus noch zutreffen mochte. Dass mit Rudi Goguel ein bewusst in die DDR Gezogener die Auseinandersetzung mit der westdeutschen Forschung maßgeblich prägte, darf schon aufgrund der individuellen Biografien nicht überbewertet werden, zeigt aber doch eines deutlich: So sehr sich die beiden deutschen Staaten unterschieden in der Deutung der unmittelbaren Vergangenheit, ihrer Vergangenheitspolitik und dem Selbstverständnis, den politisch einzig gangbaren Weg eingeschlagen zu haben, so sehr mussten sie sich doch mit der einen deutschen Geschichte, ihrem „gemeinsamen Erbe“ auseinandersetzen.170 Eine gewisse Anpassungsfähigkeit war dafür gewiss vonnöten; sowohl von Einzelpersonen wie auch der verschiedenen Disziplinen. Anpassung allerdings nicht nur an die neue Situation nach Momenten mit potentiellem Zäsurcharakter, sondern auch an sich im Laufe der Zeit verändernde Konstellationen. Die verschiedentlichen ‚Annäherungsversuche‘ zwischen west- und ostdeutscher Archivwissenschaft auf den Tagungen der 1950er Jahre dürfen nicht über die sich bereits abzeichnenden fundamentalen politischen Unterschiede hinwegtäuschen, die schließlich zum 1961 begonnenen Mauerbau führten. Konnte an dieser Stelle lediglich ein kurzer Blick auf einige Aspekte des Archivwesens in der DDR und dabei nur in dessen Frühphase geworfen werden, wurde doch bereits ersichtlich, dass spätestens Ende der 1950er eine Phase der Stagnation einsetzte, in der sich weder das Archivwesen maßgeblich entwickeln noch das ‚kollegiale‘ Verhältnis zum Westen aufrecht erhalten, geschweige denn verbessert werden konnte.171

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Vgl. Klein: Aufarbeitung, S. 55. Vgl. Kluge: Probleme, S. 5; zu den einzelnen Phasen grundlegend und ausführlich Schreyer: Archivwesen. 171

F. Schluss

XIV. Fazit und Ausblick Deutsche Archivgeschichte des ‚Dritten Reichs‘ – Eine solche Wissenschafts, genauer: Disziplingeschichte lässt sich nicht nur nicht auf den Zeitraum 1933 bis 1945 reduzieren, sondern muss zumindest die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts umfassen und damit einen Zeitraum, in dem sich die Disziplin mit mehreren Systemwechseln und tiefgreifenden Herausforderungen konfrontiert sah. Es waren neben den zahlreichen Krisenzeiten deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert, die Archivwesen und -wissenschaft herausgefordert und beeinflusst hatten, auch die aus verschiedenen Ereignissen und Konstellationen hervorgegangenen Konjunkturen, welche der Disziplin zugutekamen und denen Beachtung geschenkt werden muss. Der Ansturm auf die Archive aufgrund sogenannter ‚Ariernachweise‘ ab 1933 und die geschickte argumentative Nutzung dieser Bedeutungssteigerung durch die Archivare sind dafür anschauliche Beispiele. Wird hingegen die weit in das 19. Jahrhundert zurückreichende Vorgeschichte des deutschen Archivwesens ignoriert, bleiben diverse Aspekte der Archivgeschichte im ‚Dritten Reich‘ zwangsweise schwer verständlich, wenn die Unkenntnis nicht gar zu Fehlschlüssen verleitet. Gleiches gilt für die Nachwirkungen einer potentiell ‚nazifizierten‘ Disziplin, in diesem Fall auf die Wissenschafts- und Verwaltungslandschaften der beiden nach 1945 neu gegründeten deutschen Staaten. Daraus ergibt sich die schiere Unmöglichkeit einer ergiebigen Archivgeschichte bei der Fokussierung auf den Zeitraum von 1933 bis 1945. Stattdessen muss eine Untersuchung dieser Thematik ‚von Weimar bis Bonn und Ostberlin‘ erfolgen. Nur so können Entwicklungslinien dargelegt und deren Stabilität in Krisenzeiten überprüft werden. Zu denken ist diesbezüglich etwa an das Provenienzprinzip: Im 19. Jahrhundert nicht unumstritten etabliert, in Ausnahmesituationen vor allem des Zweiten Weltkriegs hinterfragt und umgangen, seit Kriegsende hingegen allgemein anerkannt und angewandt. Nur eine zeitlich ausgedehnte Untersuchung kann zudem die Auswirkungen vieler Kontinuitäten entsprechend würdigen. Die ‚preußische Tradition‘ wirkte Jahrzehnte über das Ende Preußens 1947 hinaus und hat im deutschen Archivwesen bis heute Spuren hinterlassen. Ein sich aus diesen Anforderungen ergebendes Problem konnte im Ausblick auf die Disziplin in Bundesrepublik und DDR aufgezeigt werden: Die Berücksichtigung nur eines Teils der deutsch-deutschen Geschichte unterliegt Einschränkungen und birgt historiografische Probleme, wie manche noch vor der Wiedervereinigung publizierte Binnensicht auf die eigene Disziplin offenlegt. Die Tatsache, dass im Untersuchungszeitraum und weit darüber hinaus auch in

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der Bundesrepublik weder eine intensive Beschäftigung mit der eigenen Fachgeschichte einsetzte noch die jüngere Geschichte der Geschichtswissenschaft und ihrer Protagonisten in den Blick genommen wurde, vermag dies ebenfalls zu belegen. Es war somit die Wiedervereinigung und die damit einhergehende Vereinigung der Disziplin zu einer gesamtdeutschen Archivwissenschaft, welche eine Beurteilung der deutschen Nachkriegsarchivgeschichte samt ihrer parallelen und gegenläufigen Entwicklungen erst in Gänze ermöglichte. Daraus ergibt sich wiederum die eminent große Bedeutung, die der wissenschaftspolitischen und -organisatorischen Teilung in einer deutschen Archivgeschichte des 20. Jahrhunderts zugestanden werden muss. Im vorliegenden Untersuchungszeitraum konnte dieser nicht entsprechend Rechnung getragen werden. Die Vorwürfe ostdeutscher Historiker gegenüber der westdeutschen Ostforschung stehen paradigmatisch für das spannungsgeladene Verhältnis der geschichtswissenschaftlichen Disziplin im geteilten Deutschland. Die verhärteten Fronten resultierten zwar aus dem Systemkonflikt, verdeutlichten am Umgang mit der Ostforschung aber auch eine Problematik, die sich in der Bewertung der Geschichte der Archivwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundsätzlich offenbart. Konnte den westdeutschen Ostforschern eine mehr oder weniger bruchlose Kontinuität zum Vorwurf gemacht werden, reichte diese über die Frühphase der deutschen Teilung weit hinaus. Erst der „Autoritätszerfall der über die Zäsur von 1945 auf ihren Posten gebliebenen oder dorthin zurückgekehrten Verantwortlichen“1 ermöglichte eine selbstkritische Aufarbeitung der jüngeren Fachvergangenheit, die über die polemischen Angriffe aus der DDR hinausreichte. Ein solcher Autoritätsverfall ließ sich beispielsweise an Johannes Papritz aufzeigen, der nach 1945 schnell wieder in das Marburger Zentrum der Ostforschung vorrücken konnte und dessen Haltung erst Jahre später allmählich – nicht nur, aber auch – von jüngeren Kollegen zunehmend kritisch betrachtet wurde. Doch so offensichtlich wie zunächst irritierend personelle und institutionelle Kontinuitäten über die Systembrüche der deutschen Geschichte hinweg sein mögen, sollten sie nicht zu vorschneller Verurteilung verleiten. Personelle Kontinuitäten – Die exemplarisch angeführten Kontinuitäten sind nur das offensichtlichste Argument für die erforderliche Berücksichtigung längerer Zeiträume gerade über politische Zäsuren hinweg. Deren Existenz sowohl in die frühe Bundesrepublik wie auch die DDR belegt, dass sich trotz aller Unterschiede und Systemkonflikte der beiden deutschen Staaten die Anforderungen glichen, die an den (Wieder-)Aufbau der Disziplin gestellt wurden – was auch für andere Bereiche des öffentlichen Lebens und der Verwaltung galt. Ohne erfahrene Fachleute war die Wiederaufnahme anstehender Arbeiten ebenso undenkbar wie die Einrichtung eines neuen Archivwesens. Die Fortführung von Karrieren durch ‚vorbelastete‘ Archivare setzte nicht grundsätzlich moralische Flexibilität oder ideologische Anpassung und Übereinstimmung mit den vorherrschen1

Frei: Einleitung.

XIV. Fazit und Ausblick

495

den Denkmustern voraus. Nur individuelle Betrachtungen vermögen die Gründe offenzulegen, welche für Kontinuitäten oder Karrierebrüche verantwortlich waren. Die Einsicht der Personalverantwortlichen wie auch politischer Instanzen, nach Ende des ‚Dritten Reichs‘ die vormalige Mitgliedschaft in der NSDAP bei Stellenbesetzungen nicht bereits als Ausschlusskriterium heranziehen zu können, stattdessen die Qualifikation höher bewerten zu müssen, belegt eine so rasche wie rationale Anpassung an neue Rahmenbedingungen. Entscheidungen indes, die von den Alliierten misstrauisch beäugt, nicht aber grundsätzlich abgelehnt wurden und dazu führten, dass auf den ersten Blick so erstaunliche Karrieren wie jene Georg Winters zustandekommen konnten. Deren Verlauf stach zwar aus der Alterskohorte wie auch seinem Kollegenkreis heraus, folgte aber durchaus einer gewissen Logik der gegebenen Umstände – nicht zu leugnende fachliche Expertise wurde ergänzt durch das von ihm erfüllte Kriterium, kein NSDAP-Mitglied gewesen zu sein; dennoch zumindest kritisch zu hinterfragende Tätigkeiten Winters wurden von diesem geflissentlich verschwiegen und erst Jahrzehnte später Gegenstand der Forschung. Eine umfassende Analyse einzelner Lebensläufe konnte an dieser Stelle nicht geleistet werden. Selbst individuelle Beurteilungen Einzelner waren in vielen Fällen schlechterdings unmöglich, wenn Kontinuitäten in deren Karrieren aufgezeigt, ihre jeweilige persönliche und fachliche Anpassung hingegen nicht eingehend untersucht werden konnte. Hieran offenbart sich ein weiteres Problem: Eine textimmanente Auswertung sämtlicher archivwissenschaftlicher und aus der Archivwissenschaft hervorgegangener Arbeiten ist gerade im gewählten Ansatz nicht möglich, würde aber Leben und Werk mancher Archivare erhellen, die bislang nur in Ansätzen beleuchtet wurden. Individualbiografien, die neben Leben und Wirken auch das Werk des Biografierten umfänglich einbeziehen, benötigen wiederum Kenntnis breiterer Kontexte, längerer Entwicklungen und Lebensumstände zumindest ansatzweise ‚vergleichbarer‘ Bezugspersonen. Diese für die Archivwissenschaft in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts darzubieten, war ein Anliegen dieser Studie. Damit ging jedoch der Verzicht auf minutiöse Detailschilderung und lückenlose Darstellung einzelner Aspekte ebenso einher wie die Reduktion auf größere Zusammenhänge – sowohl zugunsten der Lesbarkeit wie auch dem erhöhten Nutzen für weiterführende Arbeiten, die Detailstudien und -erkenntnisse im dargebotenen Rahmen verorten vermögen. Neuere und neueste individualbiografische Studien weisen in diese Richtung. Exemplarisch kann hierfür auf die jüngst erschienene Dissertation Esther Abels über den Osteuropahistoriker Peter Scheibert (1915–1995) verwiesen werden, der während des Zweiten Weltkriegs im RSHA, in der Archivkommission des AA und dem Sonderkommando Künsberg tätig sowie in den ‚Kunstschutz‘ in Italien involviert war und bis in die 1980er Jahre eine beeindruckende akademische Karriere machen konnte.2 Ausdrücklich genannt wird gerade diese Arbeit 2

Vgl. Abel: Kunstraub; vgl. ders.: Osteuropahistoriker.

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vor allem deshalb, weil sich nach deren Erscheinen eine in scharfem Ton geführte Kontroverse entspann, die die Notwendigkeit von Studien ähnlichen Zuschnitts in aller Deutlichkeit aufzuzeigen vermochte. Doch was war passiert? Mit Egbert Jahn und Inge Auerbach haben sich nach dem Erscheinen der Abelschen Dissertation zwei emeritierte Professoren und Scheibert-Schüler berufen gefühlt, das Bild Scheiberts wieder gerade zu rücken. Dabei beschränkten sie sich nicht auf vermeintliche Unzulänglichkeiten in Abels Arbeit oder als zu weit hergeholt gedeutete Interpretationen, sondern holten zu einer Fundamentalkritik aus, die so weit geht, der Autorin unredliches Verhalten zu unterstellen, das zu einer wissenschaftlichen Standards nicht genügenden Arbeit geführt hätte. Hierbei führten sie zudem ‚Argumente‘ an, die eine revisionistische Herangehensweise kaum verbergen vermögen.3 Umso bewundernswerter die sachliche und nüchterne Gelassenheit, mit der Abel diesem Angriff begegnete4 und dabei auf die Aktualität von Claus Leggewies Ausführungen verweisen konnte, der nach dem Frankfurter Historikertag von 1998 festgehalten hatte, „daß Professoren der Geschichtswissenschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit wahrhaftiger umgehen als normale Sterbliche“, sei „ein ebenso frommer Wunsch wie der, Lehrer möchten ihre Kinder besser erziehen oder Ärzte gesünder leben“.5 Einmal mehr zeigt diese Kontroverse um Abels Dissertation, wie sehr sich mancher professionelle Historiker selbst heute noch scheut, die (NS-)Vergangenheit des eigenen akademischen Lehrers aufzuarbeiten und etwaige Verwicklungen als solche anzuerkennen. Dass dem Aufsatz von Jahn und Auerbach der Versuch eines „Netzwerks“ von „Scheibertianern“ voranging, die Marburger Buchvorstellung von Abels Dissertationsschrift zu verhindern, wie deren Doktorvater und ‚Nachnachfolger‘ Scheiberts auf dem Marbuger Lehrstuhl, Stefan Plaggenborg, darlegte,6 ist umso bezeichnender und verdeutlicht die Notwendigkeit weiterer entsprechender Studien – auch wider die Deutung akademischer Schüler der untersuchten Personen. Methodische Ansätze – Die versuchsweise multimethodische Herangehensweise konnte in unterschiedlichem Maß dazu beitragen, die erhofften Erkenntnisse über die Entwicklung der Archivwissenschaft zu erlangen. Mit ihrer Anwendung ging die Überprüfung ihrer Nützlichkeit auch für potentiell ausstehende Studien einher. Die ‚traditionelle‘ Institutionengeschichte ist so bewährt wie etabliert und beinahe fester Bestandteil von Studien zur NS-Geschichte. Dabei werden in der Regel sowohl nationalsozialistische Institutionen in den Blick genommen als auch die potentielle Transformation bereits bestehender Einrichtungen über potentielle Zäsuren hinaus analysiert; im vorliegenden Fall wurde dem durch Berücksichtigung des Instituts für Archivwissenschaft Rechnung getragen. An dessen 3 4 5 6

Jahn/Auerbach: Scheibert. Abel: Aufarbeitung. Leggewie: Mitleid, S. 433. Plaggenborg: Historikerstreit.

XIV. Fazit und Ausblick

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Entwicklung konnte gezeigt werden, wie sich eine wissenschaftliche Institution an die Ansprüche des Nationalsozialismus anpasste, indem die rein fachliche Ausbildung um ‚weltanschauliche Schulung‘ ergänzt, inhaltlich aber kaum tangiert wurde. Wenn die anfänglichen Ziele, neben der Ausbildung von Archivaren auch die vermehrte Weiterbildung von Historikern zu forcieren, scheiterten, verdeutlicht dies, dass das IfA bei aller formalen Anpassung weiterhin wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Sachzwängen unterworfen war. Zu wenig attraktiv und einer akademischen Karriere förderlich erschien promovierten Historikern die archivarische Ausbildung, wenn der Archivarsberuf nicht explizit angestrebt wurde. Periodika und Tagungen der Disziplin waren, definiert als Institutionen, in und auf denen die Disziplin fachwissenschaftliche Fragestellungen ebenso diskutierte wie die Herausforderungen, mit denen sie sich aufgrund veränderter politischer wie wirtschaftlicher Rahmenbedingungen konfrontiert sah, von besonderem Interesse. Minutiöse Schilderungen der Archivtage oder auch der Fachperiodika waren dabei gar nicht vonnöten, um deren Bedeutung ermessen zu können. Stattdessen konnte über die Betrachtung einzelner Ansprachen und Vorträge einiger weniger Archivtage der Fokus darauf gelegt werden, wie die Disziplin wissenschaftspolitisch und -organisatorisch agierte und auf neue Anforderungen reagierte. Gerade im Hinblick auf die Frage nach potentieller ‚Gleichschaltung‘ und ‚Nazifizierung‘ oder ‚Selbstindienststellung‘ sind jene Veranstaltungen aufschlussreich, wenn bestimmte Einschränkungen in der Aussagekraft berücksichtigt bleiben: Einzelne Aussagen müssen auch in ihrem Kontext hinterfragt und dürfen nicht überbewertet werden. Die auf dem Archivtag 1933 hervorgebrachten Äußerungen, die deutschen Archivare seien sich ihrer „vaterländischen Pflicht“ bewusst und würden sich in das politische Geschehen der Zeit einordnen (Brackmann), waren meist mit der Hoffnung verbunden, die eigene Bedeutung erhöhen zu können und entsprechende Förderung zu erfahren. Zupass kam der Archivwissenschaft, dass sie die wissenschaftlichen Anforderungen der Zeit erkannte und zu betonen vermochte, auf entsprechendem Gebiet bereits seit mehr als einem Jahrzehnt nachweisliche Expertise aufgebaut zu haben. Vor allem in der Grenzland- und Ostforschung konnte sie sich schnell etablieren, indem sie archivarische Arbeit „in nationalpolitischem Geist“ (Weise) zu leisten versprach. Zur verbalen Anbiederung an die neuen Machthaber kam demnach auch eine genuin wissenschaftspolitische Neupositionierung. Wenn Weise ausführte, die deutschen Archivare hätten „das neue Deutschland am 30. Januar voll und ganz bejaht“, könnte dies – entsprechend ähnlichen Formulierungen in anderen Disziplinen – unter Umständen exkulpierend als bloßes Lippenbekenntnis gedeutet werden und darf nicht automatisch als Beleg für eine erfolgte ‚Nazifizierung‘ dienen; zumal nicht für eine ganze Disziplin, deren Haltung sich nicht mit Äußerungen einiger weniger Exponenten in Gänze erfassen lässt. Da jedoch bereits auf den ersten Archivtagen nach der nationalso-

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zialistischen Machtübernahme über solche verbale Anpassung hinaus konkrete Vorschläge zur auch politischen Nutzung der Disziplin hervorgebracht wurden, lässt sich eine grundsätzliche Affinität der Archivwissenschaft zum NS-Regime schlechterdings nicht leugnen. Neben der erhofften Mitwirkung an Forschungsbereichen, deren Konjunktur schnell erkannt wurde, war es der eigene Bedeutungsgewinn, den man forcieren wollte. Die Vorstellung vom Archivar „als einem grillenhaften Hüter toter verstaubter Papiere“ sollte endgültig aus der Welt geschafft werden durch den Beweis, dass die Vertreter dieser Disziplin längst zu den „geistigen Kämpfern für Volk und Heimat“ (Brackmann) gehörten.7 Der Kampf um Anerkennung war freilich nicht neu, konnte nach 1933 aber mit neuen Argumenten geführt werden. Mit den zusätzlichen Aufgaben im Bereich der Sippenforschung ging ein gestärktes Selbstbewusstsein einher, das die Archivwissenschaft deutliche Forderungen an den Staat stellen ließ, der sich gewahr werden müsse, welche Bedeutung von einem funktionierenden und entsprechend geförderten Archivwesen abhänge – ein Vorgehen, das durch den Wechsel in der Leitung der preußischen Archivverwaltung nochmals verstärkt wurde. Zipfel wusste sehr wohl, wie er das Ansehen der Archivare steigern konnte und pochte auf deren wichtigen Beitrag zu den „Aufgaben des Dritten Reiches“, vor allem mit Verweis auf „Sippen-, Rassen- und Volkstumsforschung“ – „daher unser Streben nach Zusammenarbeit mit allen Dienststellen der Partei und des Staates“.8 Diese Zusammenarbeit manifestierte sich nicht nur in den politikberatenden Expertentätigkeiten der PuSte, sondern in zahlreichen weiteren Joint Ventures wissenschaftlicher Einrichtungen mit staatlichen Institutionen. Es handelte sich dabei in vielen Fällen gewiss um willige Kollaboration, mehr aber noch um ein „prekäres Arrangement auf Gegenseitigkeit“,9 da Forschung sowohl politischen Zwecken zur Verfügung gestellt wurde als auch von nationalsozialistischer Politik profitierte. Äußerungen wie jene auf den Tagungen ab 1933 dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Archivtage auch weiterhin Orte fachlichen Austauschs und Foren für genuin archivwissenschaftlichen Problemstellungen waren. Umfassende Studien, wie sie beispielsweise für die deutschen Historikertage verschiedener Zeiträume vorliegen, waren für Erkenntnisse dieser Art nicht erforderlich, wären in Bezug auf die Betrachtung größerer Entwicklungslinien vielleicht sogar hinderlich gewesen.10 Aus archivarischer Sicht hingegen könnten derlei Untersuchungen, in größerem Umfang als die bisher bestehenden11, indes wünschenswert sein, um genauere Einblicke in die Transformation des ‚Handwerkszeugs‘ beziehungsweise die zugrundeliegende Diskussion zu gewinnen. 7

Siehe Kap. C. VI. 3. a) bb). Siehe Kap. C. VII. 2. a). 9 Weisbrod: Ideal, S. 21. 10 So etwa Schumann: Historikertage; dagegen mit analytischerer Herangehensweise Middell: Historikertage; Friedrich: Historikertage; Hübinger: Historikertage. 11 Sante: Archivtage; Dahm: Archivtage. 8

XIV. Fazit und Ausblick

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Eine ähnliche Situation ergibt sich hinsichtlich eines kollektivbiografischen Ansatzes unter Berücksichtigung generationeller Aspekte. Hierbei war es nicht das Ziel, die Lebensläufe und Karrieren einer Gruppe von Archivaren so detailliert zu erfassen, wie dies eine Ansammlung von Individualbiografien zu leisten vermocht hätte. Stattdessen konnte über die exemplarische Betrachtung einiger Lebensläufe aufgezeigt werden, wie homogen die Archivwissenschaft als Disziplin im Betrachtungszeitraum war und blieb. Einige wenige Ausnahmen, beispielsweise in Herkunft oder Vorbildung, bestätigten dabei die Regel. Bereits zeitgenössisch wurde die Homogenität der ‚Zunft‘ wahrgenommen und keinesfalls ausschließlich positiv bewertet, wie das Vorgehen Ludwig Bergsträssers zeigte, der das neu zu gründende Bundesarchiv nicht ausnahmslos preußischen ‚Seilschaften‘ überlassen wollte – und dabei nicht allzu erfolgreich war, wodurch das Bundesarchiv zu jener „Konserve autoritären Geistes“ werden konnte, in der sich auch in der Nachkriegszeit lange kein generationeller ‚Bruch‘ andeutete.12 Kam es zu keiner solchen Zäsur, die das Aufbegehren einer jüngeren Generationen gegen eine ältere bedeutet hätte, ließen sich bei der Untersuchung der Alterskohorten sowie in der Betrachtung einzelner Lebensläufe dennoch generationelle Unterschiede und Prägungen ausmachen, wie sie unter anderem das Modell Detlev Peukerts nahelegten.13 Das Ausbleiben des ‚Bruchs‘ kann einerseits mit der Homogenität der so kompakten wie überschaubaren Disziplin erklärt werden, andererseits aber auch mit den offenkundig starken kollegialen sowie den zahlreichen Lehrer-Schüler-Beziehungen, die sich in ihr fanden. Die Abwehrhaltung der Archivwissenschaft gegenüber universitärer Geschichtswissenschaft sorgte zudem für einen starken Zusammenhalt innerhalb der Disziplin. An den beiden zentralen Exponenten der Disziplin in den 1930er und 1940er Jahren, Albert Brackmann und Ernst Zipfel, wurden Problematiken offensichtlich, mit denen sich (kollektiv-)biografische Arbeiten beinahe zwangsläufig konfrontiert sehen. Die teilweise sehr ungünstige Quellenlage wie im Fall Zipfels ist dabei nur ein besonders offensichtlicher Aspekt. In der Betrachtung Brackmanns und Zipfels und deren Karrieren im Archivwesen beziehungsweise, soweit erforderlich, auch der Zeit vor ihrem Eintritt in die deutsche Archivwissenschaft, manifestiert sich ein Dilemma, das einen direkten Vergleich erheblich erschwert. In den beiden aufeinanderfolgenden Amtszeiten waren verschiedene, aber weitreichende und in ihrer Eigenart singuläre Herausforderungen zu bewältigen. Brackmann musste die Archivwissenschaft durch die Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme steuern, Eingriffe in die Selbständigkeit der Disziplin abwehren und stattdessen potentielle Chancen zu deren Einsatz und zur Steigerung ihres Ansehens ausloten und nutzen. Letzteres forderte auch Zipfel in hohem Maß, allerdings den größeren Teil seiner Amtszeit unter den besonderen Rahmenbedingungen des Zweiten Weltkriegs, welche sich auf die Archive und Archivare 12 13

Siehe Kap. E. XIII. 2. a). Vgl. Peukert: Weimar, S. 25–31.

500

F. Schluss

im Reichsgebiet ebenso auswirkten wie auf diejenigen Fachmänner, die in den deutsch besetzten Gebieten eingesetzt wurden, und zu ganz neuen Diskussionen innerhalb der Disziplin führten. Bereits die Überlegungen, das Provenienzprinzip in vereinzelten Fällen zum eigenen Vorteil und damit in dubio pro Germania auszulegen und teilweise zu übertreten, wären wenige Zeit zuvor kaum denkbar gewesen und belegen die Ausnahmesituation während des Kriegs.14 Müßig bleibt dabei die kontrafaktische Überlegung, wie Brackmann an Zipfels Stelle gehandelt hätte. Was den Vergleich der beiden Generaldirektoren erschwert, in anderer Hinsicht aber auch ermöglicht, ist die parallele Tätigkeit Brackmanns und Zipfels ab dem Zeitpunkt von Brackmanns Zwangspensionierung. Zuvor hatte ein Wechsel in der Spitze der preußischen Archivverwaltung den Rückzug des bisherigen Amtsinhabers aus dem ‚Tagesgeschäft‘ der Disziplin zur Folge gehabt. Mit dem Aufstieg Brackmanns zu einem der führenden Köpfe deutscher Ostforschung hingegen blieb dieser der Archivwissenschaft, deren Entwicklungen und Tätigkeitsfelder, weiterhin verbunden, wenn auch nur indirekt. Über seine Stellung in der NOFG konnte er sowohl angehende junge Archivare mit Stipendien und Publikationsaufträgen fördern als auch arrivierten Vertretern der Zunft weitere (Neben-)Tätigkeiten bieten. Dies verlief nicht ganz ohne Spannungen, wie der angedeutete Konflikt Zipfels mit Brackmann exemplarisch zeigen mochte. Dieser offene Konflikt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass grundsätzliche Ziele der Disziplin weiterhin gemeinsam verfolgt wurden und somit zu deren Entwicklung beigetragen werden konnte – einer Entwicklung indes, welche die vermehrte Erstellung von Expertisen auch für politische Instanzen erforderte. Zunehmende Politisierung war mithin ein wesentlicher Aspekt bei der Ausrichtung der Ostforschung unter Brackmann, auch wenn diese ebensowenig erst 1933 infolge der NS-Machtübernahme einsetzte, wie sie erst dann von Archivaren betrieben wurde. Vielmehr konnten diese auf langjährige Erfahrung zurückgreifen, mit der ab 1933 häufiger argumentiert wurde, um archivarische ‚Zuständigkeiten‘ zu reklamieren und damit auch die Politisierung der Archivwissenschaft voranzutreiben, die mitnichten erst unter Zipfel eingesetzt hatte. Die energische Verteidigung bestimmter Arbeitsbereiche verwies zudem auf die innerhalb der Disziplin seit einiger Zeit latent vorhandene Missstimmung, die aus dem schwelenden Konflikt mit der akademischen Forschung resultierte. Daraus folgte die nachdrückliche wie larmoyante Betonung, welche Bedeutung der Archivwissenschaft zukomme und wie wenig diese gewürdigt würde, vor allem im Vergleich zur universitären Geschichtswissenschaft, welche sich wiederum in ureigenstem Arbeitsgebiet bewege und nicht auch noch einem behördlichen Auftrag nachzukommen habe, der wesentliche Kapazitäten binde. Dabei handelte es sich keineswegs nur um einen kurzen Prozess der disziplinären Selbstfindung und -verortung während der in vielerlei Hinsicht unsicheren Zeit der späten Weimarer 14

Siehe S. 310.

XIV. Fazit und Ausblick

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Republik oder des frühen Nationalsozialismus, sondern um eine Thematik, welche die Disziplin lange Zeit umtrieb – selbst zu Zeiten, in denen sich der Zweite Weltkrieg auch auf das deutsche Archivwesen fatal auswirkte.15 Dabei tritt in aller Deutlichkeit zutage, dass eben nicht ohne Weiteres klar unterschieden werden kann zwischen dem nationalkonservativen, wissenschaftlich einwandfrei beleumundeten Brackmann einerseits und dem Nationalsozialisten und expliziten Nicht-Fachmann Zipfel andererseits. Mag diese Einteilung auf den ersten Blick auch stimmig und zutreffend erscheinen, offenbaren sich bei näherer Betrachtung doch klare Gemeinsamkeiten, die eine so strikte Trennung hinfällig machen. Die Entwicklung Brackmanns vom Ordinarius in der konservativen Weimarer Wissenschaftslandschaft hin zum Organisator einer so revisionistischen wie nationalistischen Archiv- und Geschichtswissenschaft im ‚Dritten Reich‘ belegt dies ebenso wie Zipfels zwar fehlende Expertise im Vorfeld seines Amtsantritts, aber dessen nachhaltiges Eintreten für die Belange der Disziplin auf (archiv-)politischem Terrain.16 Dennoch trugen beide Generaldirektoren auf verschiedene Weise zur Entwicklung der Disziplin bei, wie sie sich auch in der jeweiligen Art der Amtsführung unterschieden. Der bestens vernetzte Wissenschaftler Brackmann trat in den fachlichen Diskursen häufig und souverän hervor, wohingegen Zipfel sich vorwiegend auf die verwaltungsmäßige Lenkung der Archivverwaltung beschränkte. In seiner Eigenschaft als Herr über die Archivkommissionen in den besetzten Gebieten kam ihm diese Beschränkung zupass; wo er aber wissenschaftsorganisatorischen Einfluss geltend machen wollte, scheiterte er mitunter an Konkurrenten, wenn er in deren ‚Hoheitsbereiche‘ vorzudringen drohte. Daraus resultierte eine gewisse Blässe der Archivverwaltung beispielsweise hinsichtlich ihres Publikationsplans, zumindest im direkten Vergleich mit den zeitgleich erarbeiteten Publikationen von PuSte und NOFG. Dies war sicherlich nicht ausschlaggebend, aber doch einer unter mehreren Aspekten, die dazu führten, dass Zipfel nach 1945 schnell zur Persona non grata erklärt und von der Archivwissenschaft als ‚Hauptschuldiger‘ präsentiert werden konnte – ein Urteil, das über den bereits in den 1920er Jahren erfolgreichen und anerkannten Brackmann keineswegs so einfach hätte gefällt werden können. Dazu hatte Zipfels plötzliches Eintreten in die Disziplin ohne vorherige wissenschaftliche Profilierung genauso beigetragen wie sein Führungsstil, der zwar auf reger Kommunikation mit den Archivdirektoren und Archivaren beruhte, aber auch das ‚Führerprinzip‘ in der Archivverwaltung in letzter Konsequenz umsetzte und von manchen Beteiligten als zu militärisch und der Parteilinie folgend empfunden wurde.17

15 Stellvertretend die Ausführungen des Bamberger Staatsarchivars Hofmann vom September 1944, siehe S. 355 f. 16 Vgl. hierfür zuletzt Kriese: Generaldirektoren, S. 93 f. 17 Siehe Kap. C. VII. 1. und D. XI. 1.; vgl. ebd., S. 80–85.

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F. Schluss

Der Befund über Brackmanns Vernetzung in Archivwesen, Geschichtswissenschaft und Ostforschung vermag das Augenmerk auf einen weiteren angewandten methodischen Zugang zu lenken: Es lag nahe, Ansätze historischer Netzwerkforschung punktuell auf deren Nützlichkeit für die Archivgeschichtsschreibung hin zu überprüfen. Gerade die als Persilscheinnetzwerk bezeichneten gegenseitigen Gutachten innerhalb der Disziplin im Rahmen der Entnazifizierung nach 1945 boten sich hierfür an.18 Zunächst bleibt festzuhalten, dass es sich dabei nicht um ein, sondern um mehrere, sich mitunter überschneidende Netzwerke handelte, die nicht bewusst als solche geschaffen wurden.19 Vielmehr ergaben sich diese aus der durch die Vorgaben der Entnazifizierung erforderlich gewordenen individuellen Reaktivierung alter Bekanntschaften. Die aus der qualitativen und quantitativen Auswertung einzelner Korrespondenzen hervorgehende Deutung entsprechender Netzwerke beruht auf deren Kenntnis über einen längeren Zeitraum hinweg, wie sie die Beteiligten nicht haben konnten. Diese wandten sich mit der Bitte um positive Gutachten an die Korrespondenzpartner oder leisteten einer entsprechenden Anfrage Folge, ohne eine gezielte Vernetzung anzustreben. Die Motivation zur Teilhabe an einem solchen Netzwerk war demnach nicht in dessen Natur begründet, sondern ergab sich in der Regel aus egoistischen Gründen; der eigene Beitrag als Gegenleistung war entsprechend vor allem notwendiges Übel, wie beispielsweise in Bezug auf Ernst Zipfel schnell ersichtlich wurde. Dieser hatte sowohl seine Forderungen so energisch wie flächendeckend hervorgebracht als auch sein Standing innerhalb der Disziplin erheblich überschätzt. Am Umgang der Archivare mit dem einstigen Generaldirektor und Archivschutzkommissar wurde zudem ein weiterer Punkt deutlich, der sich aus der Vernetzung innerhalb der Disziplin ergab: Seine finanziell prekäre Situation veranlasste einige ehemaligen Kollegen dazu, die neu aufgelebten Kontakte für die Sammlung zu dessen Gunsten zu nutzen. Dies kann mithin als ein Beleg für den schleichenden Übergang in der Zielsetzung der teils intensiven Korrespondenzen gewertet werden, die anfangs mit einem eindeutig funktionalen Hintergrund begonnen wurden, sich bald aber dem Austausch persönlicher Informationen sowie der inoffiziellen Bewertung jüngster Vergangenheit und damit vermehrt emotionalen Aspekten widmeten. Längerfristig betrachtet lässt sich Anfang der 1950er Jahre bei der Stellenbesetzung am Bundesarchiv ein erneut funktionaler Rückgriff auf dieses Netzwerk beziehungsweise damals geknüpfte Verbindungen beobachten. Bezogen auf die methodische Herangehensweise muss eingeräumt werden, dass die in vorliegender Arbeit erprobten Zugänge zur Disziplin in der frühen Nachkriegszeit einer dezidierten, theoretisch soliden Netzwerkanalyse nicht 18

Siehe Kap. E. XII. 2. b). In einer historischen Arbeit gilt es zu betonen, dass die genannten Aspekte – die bewusste Etablierung von Netzwerken und die Wahrnehmung, an einem Netzwerk beteiligt zu sein – von der Netzwerkforschung grundsätzlich nicht angenommen werden. 19

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standhalten: Zu wenige Korrespondenzen wurden ausgewertet, um ein möglichst vollständiges Bild des jeweiligen ‚Gesamtnetzwerks‘ beziehungsweise der ‚Netzwerke‘ zu erhalten und weitergehende fundierte Aussagen treffen zu können. Da allerdings die getroffenen Aussagen und gewonnenen Erkenntnisse für die Disziplingeschichte dennoch von Interesse sind, konnte gezeigt werden, dass eine empirischen Ansprüchen genügende Gesamtdarstellung eines Netzwerks für manche historische Arbeit nicht zwangsläufig vonnöten ist; vielmehr ist fraglich, ob eine minutiöse Auswertung und Schilderung etwa der ‚Persilschein‘Korrespondenzen und mit diesen einhergehenden Vernetzungen tatsächlich auch weitere Erkenntnisse gezeitigt hätten. Für die Geschichte der Archivwissenschaft brachte die Untersuchung jener Netzwerke nach 1945 Auskunft darüber, in welch hohem Maß auch in dieser Disziplin verschiedenste argumentative Strategien angewandt wurden, die der Entnazifizierung vermeintlich und oft tatsächlich förderlich waren.20 Verleiten einzelne Aspekte der Archivgeschichte dazu, Netzwerke zu konstatieren, muss gerade deshalb kritisch hinterfragt werden, inwieweit der Netzwerkbegriff tatsächlich angebracht ist und ob nicht besser von kollegialen Korrespondenzen aufgrund verschiedener Intentionen oder auch von ‚Seilschaften‘ gesprochen werden sollte, etwa im Kontext der Stellenbesetzungen am Bundesarchiv der frühen 1950er Jahre, um den theoretischen Ansatz der Netzwerkforschung nicht allzu sehr zu strapazieren. Die angeführten Beispiele zeigen zum einen, wie verlockend netzwerkanalytische Vorgehensweisen sein können und wie scheinbar leicht sich für historiografische Arbeiten deren Vokabular eklektisch nutzen lässt; zum anderen wird schnell deutlich, dass damit keineswegs automatisch ein erhöhter Erkenntnisgewinn einhergeht, vielmehr die Gefahr besteht, eher banale, mitunter selbstverständliche zwischenmenschliche Beziehungen mit einem komplexen theoretischen Konstrukt erklären zu wollen, das diesen Beziehungen sowie den Beteiligten Absichten, Aus- und Wechselwirkungen unterstellt, die unter Umständen niemals gegeben oder intendiert waren. Konnte somit die dichte Verflechtung innerhalb der Disziplin belegt werden, war auch danach zu fragen, ob, wie und in welchem Kontext es zu strukturellen Verbindungen der Archivwissenschaft mit anderen Institutionen und Organisationen kam und wie diese zu bewerten sind. Gerade im Zweiten Weltkrieg ist zudem die Verortung im Spannungsfeld von Kooperation bis Kollaboration von besonderem Interesse. Dabei war naturgemäß nicht von ‚der Archivwissenschaft‘ zu sprechen, stattdessen war eine kontextabhängige Binnendifferenzierung erforderlich. An der Archivkommission im besetzten Paris wurde ersichtlich, wie sich deren Verbindungen zu anderen Organisationen nicht nur in der individuellen Intention und ihren Auswirkungen deutlich unterschieden, sondern sich zudem verschiedene Stufen der ‚Freiwilligkeit‘ ausmachen lassen, mit der die jeweilige Verbindung eingegangen worden war. Teils wurden Kooperationen selbst initi20

Siehe S. 416–420.

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F. Schluss

iert und archivarische Beteiligung forciert, teils nur widerwillig auf oktroyierte Zusammenarbeit eingegangen und um die eigene Zuständigkeit gebangt. Exemplarisch kann das Verhältnis der Pariser Archivgruppe zu den Heeresarchivaren angeführt werden, mit denen man sich zu arrangieren hatte, deren Vorgehen aber als ‚unwissenschaftlich‘ wahrgenommen wurde und aufgrund von nicht immer eindeutig abgegrenzten Zuständigkeiten durchweg konfliktträchtig war. Dennoch vermochten sich die wissenschaftlichen Archivare mit ihren militärischen Pendants zu arrangieren und die zwangsweise Kooperation mitunter auch zum eigenen Vorteil zu nutzen. Weitaus bedrohlicher als die Reibungspunkte mit den wenig geschätzten Heeresarchivaren erschien der Archivgruppe die Aufgabenstellung und deren rücksichtslose Umsetzung durch die nationalsozialistischen Kulturrauborganisationen, allen voran ERR und SS-Sonderkommando Künsberg. Auch wenn anderslautende Zuständigkeitsbeschreibungen die Archivare in Sicherheit wiegen sollten, befürchteten sie stets deren Übergriffe auf die von der Archivgruppe oder auch den Heeresarchivaren ‚betreuten‘ Archive. In den verworrenen und sich im Laufe des Kriegs verändernden ‚polykratischen‘ Strukturen deutscher Besatzungsverwaltung in Frankreich hatten die deutschen Archivare zudem keinen leichten Stand und waren in mancher Hinsicht machtlos gegen Institutionen, die einem Rosenberg, Göring oder Heydrich unterstellt waren und sich mitunter auf Führererlasse berufen konnten. Selbst die Militärverwaltung, der auch die Archivgruppe angehörte, musste ihre Kompetenzen in diversen Kräftemessen verteidigen, aus denen sie nicht immer siegreich hervorging, sondern vor allem ERR und Göring in mancher Zuständigkeitsfrage unterlag.21 Trotz all dieser Umstände vermochte in erster Linie Zipfel den Gegebenheiten auch positive Aspekte abzugewinnen. Das galt gerade dort, wo der Einfluss der Archivwissenschaft noch kaum vorhanden, zumindest aber ausbaufähig war und unter den besonderen Umständen der Besatzung realisierbar erschien. Die projektierte archivarische Beteiligung am Deutschen Institut oder dem angestrebten DHI in Paris verdeutlichte, wenn sie auch nicht wie von den Beteiligten gewünscht realisiert werden konnte, die kulturpolitischen Ambitionen der Archivwissenschaft und deren stetes Streben nach Anerkennung und Etablierung in der Wissenschaftslandschaft.22 Die verstärkte Einbindung in die institutionalisierte Wissenschaft war ein stetes Anliegen der Disziplin über Jahrzehnte hinweg, die Einbettung in das Gefüge der Besatzungsverwaltungen im Zweiten Weltkrieg und damit einhergehende Beiträge zur Besatzungs- und Kulturpolitik waren hingegen den besonderen Umständen gerade in den ersten Phasen des Kriegs geschuldet, als das ‚Kriegsglück‘ auf deutscher Seite war. Diese Politikfelder, die archivarischen Beiträge hierzu sowie das Vorgehen und die Aufgaben der deutschen Archivare unterschieden 21 22

Siehe Kap. D. IX. 2. Siehe Kap. D. IX. 2. b) cc).

XIV. Fazit und Ausblick

505

sich dabei vor allem in den besetzten Gebieten des Westens von denen im Osten; wissenschaftlicher Einsatz folgte damit grundsätzlich der politischen Linie, die für die besetzten Gebiete unterschiedlich ausfiel, sich oftmals im Kriegsverlauf veränderte und sowohl zu wissenschaftlichen wie auch moralischen Grenzverschiebungen führte. Der sich aus den Umständen ergebende oder auch bewusst herbeigeführte Bruch mit den fachwissenschaftlichen Kontinuitäten zum Ersten Weltkrieg war offensichtlich, wie am eindrücklichsten der Vergleich der deutschen Archivkommission im Generalgouvernement Warschau des Ersten Weltkriegs mit dem Vorgehen im Osten nach dem Überfall auf Polen belegt.23 Offenkundig wurde zudem die Anforderung, zumindest in Ansätzen neben diachrone auch synchrone Vergleiche treten zu lassen beziehungsweise den Weg für weiterführende Studien zu ebnen. So unterschiedlich sich archivarische Arbeit im Ersten und im Zweiten Weltkrieg in besetzten Gebieten gestaltet haben mochte, so sehr unterschieden sich die Anforderungen während des Zweiten Weltkriegs innerhalb besetzter Gebiete wie auch von den Herausforderungen an der ‚Heimatfront‘. Bereits die Archivkommissionen werfen ein Schlaglicht auf die Differenzen zwischen den deutsch beherrschten Bereichen des Westens und des Ostens: Wurden in die Benelux-Staaten und nach Frankreich in der Regel etablierte Vertreter der Disziplin entsandt, die bereits mit dem jeweiligen Land und dessen Archivwesen in Kontakt gestanden hatten, wurden eroberte Gebiete im Osten vermehrt zu einem Exerzierfeld auch von Vertretern einer jüngeren Generation, die sich hier beweisen durften und schnelle Karriereschritte absolvieren konnten. Der unterschiedliche Umgang mit Archiven im GG und den eingegliederten polnischen Gebieten verweist schon anhand des polnischen Beispiels auf eine notwendige Binnendifferenzierung innerhalb ‚des Ostens‘, die sich zudem am Baltikum oder auch den Reichskommissariaten verdeutlichen ließe. Die Archivwissenschaft als eigenständige Disziplin – Abschließend muss danach gefragt werden, inwieweit die anfangs angeführte Definition der Archivwissenschaft als Disziplin der fachwissenschaftlichen Entwicklung im Untersuchungszeitraum gerecht wird oder ob diese Zuschreibung nicht notwendigerweise einigen Einschränkungen unterliegt. In der archivarischen Archivgeschichtsschreibung findet sich bis heute die Deutung, der Entwicklungsschritt zu einer eigenständigen Disziplin sei erst in den 1950er Jahren vollzogen worden; zu diesem Zeitpunkt habe die Archivwissenschaft den Weg „von der politischrechtlichen Ausrichtung im Verbund der Staatswissenschaften des 17. und 18. Jahrhunderts über die beschreibend-historische Aufgabenstellung vornehmlich als Hilfswissenschaft der Geschichte im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ weitgehend absolviert und den Status einer „unabhängigen Fachdisziplin“ erlangt, die sich vielfältigen neuen Aufgaben zu widmen vermochte.24 Die23

Siehe die Kap. B. III. 1. sowie D. VIII. 2. und D. VIII. 3. Rumschöttel: Archivwissenschaft, S. 20; vgl. Leesch: Archivwissenschaft; Goldinger: Archivwissenschaft. 24

506

F. Schluss

sem Befund ist indes nur bedingt zuzustimmen. Zu vielfältig und nachhaltig sind die Entwicklungen und bewältigten Herausforderungen schon in den 1920er und 1930er Jahren, als dass diese lediglich als Vorstufen zur Herausbildung einer eigenen Disziplin in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verklärt werden dürfen. Einige der Aspekte, welche für die Etablierung der Disziplin in den 1950er Jahren ins Feld geführt wurden, dürfen getrost um zwei, wenn nicht drei Jahrzehnte zurückdatiert werden: Das Problem, die in die Archive strömenden Aktenmassen zu bewältigen, stellte sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg; die Aufnahme neuer Archivalientypen in die Archive wurde ebenso in den 1920er Jahren diskutiert wie eine potentielle Archivgesetzgebung; auch technische Weiterentwicklungen beeinflussten die archivarische Alltagsarbeit nicht erst unter den besonderen Umständen des Zweiten Weltkriegs. Allesamt Entwicklungen, die vor allem auf den Archivtagen als Kommunikationsplattformen diskutiert wurden, die gewiss in den 1950er Jahren enormen Aufschwung erlebten, aber deren Tradition ins 19. Jahrhundert zurückreicht und die seit den 1920er Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hatten. Der andauernde Kampf der Archivare um Wahrnehmung und Anerkennung und das Bemühen, aus dem Schatten der universitären Geschichtswissenschaft zu treten, anstatt lediglich als deren ‚Kärrner‘ wahrgenommen zu werden, kann zudem stellvertretend gelten für das seit langem existente Selbstverständnis der Archivare als Angehörige einer eigenen Disziplin. An diesen unterschiedlichen Deutungen zeigt sich somit ein grundsätzliches definitorisches Dilemma. Der Ansicht, die Archivwissenschaft habe sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer eigenständigen Disziplin entwickeln können, liegt ein sehr eng gefasster Archiv- und Disziplinbegriff zugrunde, der gerade für die Archivgeschichte des 20. Jahrhunderts Risiken birgt. Wird Archivwissenschaft mehr oder weniger auf das in der Archivarsausbildung gelehrte Handwerkszeug des Archivars reduziert, das unter anderem neben historischen Wissenschaften vermittelt wird, rücken zwangsläufig die das Berufsbild mitunter bis heute prägenden Entwicklungen der Nachkriegszeit in den Fokus der Betrachtung und verleiten zu genanntem (Fehl-)Schluss, der die vorangehenden Erkenntnisse und Innovationen allzu geringschätzt. Erst ein erweiterter Begriff von Archivwissenschaft kann zu einer umfassenden Aufarbeitung und Bewertung der entsprechenden Disziplingeschichte führen. Die Gefahr besteht zudem darin – und dies mag in manchen Fällen dem eingeschränkten Sichtfeld eines Historiografen der eigenen Disziplin auf deren jüngere Geschichte geschuldet sein –, durch die Beschränkung auf in diesem Fall genuin archivwissenschaftliche Frage- und Problemstellungen die größeren Zusammenhänge teilweise aus den Augen zu verlieren. Konkret bedeutet dies, dass für die disziplinäre Genese der Archivwissenschaft auch Aspekte berücksichtigt werden müssen, welche außerhalb der offenkundig archivarischen Betätigungsfelder liegen, aber die Archivare ihrer Zeit in hohem Maße beschäftigten. Für die Weimarer Republik und die Zeit des ‚Dritten Reichs‘ waren dies die vielfältigen Betätigungen in den Kontexten

XIV. Fazit und Ausblick

507

von Kriegsschuldforschung, Revision der Versailler Verträge und Ostforschung – Arbeitsbereiche, die nicht erst im ‚Dritten Reich‘ Konjunktur hatten, dort aber erhöhte Aufmerksamkeit und Förderung erfuhren und einen wesentlichen Teil zur „Aufgabenkumulierung“25 beitrugen, welche die Geschichte der Archivwissenschaft als Disziplin maßgeblich prägte. Bezieht man die Entwicklung nach 1945 in die Betrachtung mit ein, fällt auf, dass es wiederum Fragen der Ostforschung sowie etwa die Beteiligung an der Dokumentation der Vertreibung aus dem Osten waren, die zur erhöhten Bedeutung der Archivwissenschaft in der frühen Bundesrepublik führten. Wissenschaftliche Betätigung unter politischen Vorzeichen und in manch politisch hochbrisantem Themenkomplex sorgte für regelrechte ‚Schübe‘ in der Wahrnehmung der Disziplin durch politische Instanzen. Eine Disziplingeschichte des 20. Jahrhunderts muss deshalb die Denkkollektive, wie sie innerhalb eines Wissenschaftsbereich entstanden, vorherrschten, weitergereicht wurden und sich fortentwickelten, ähnlich berücksichtigen wie die disziplininternen Denkstile und deren Transformation und Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen.26 Im vorliegenden Fall bedeutet dies, die vielfältigen, in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzenden Krisenwahrnehmungen infolge des Ersten Weltkriegs als Erfahrungshorizont der Akteure in die Bewertung der weiteren Geschichte einfließen zu lassen; nicht nur in die Deutung der NSGeschichte, sondern auch noch viele Jahre über das Kriegsende hinaus. Wandlungsprozesse innerhalb der Disziplin in der Nachkriegszeit wären auch vor diesem Hintergrund zu betrachten sowie mit gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Prozessen etwa der Modernisierung und Liberalisierung, welche die Bundesrepublik von den 1950er Jahren an für mehrere Jahrzehnte prägten, abzugleichen.27 Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zur deutschen Archivgeschichte leisten und versteht sich als Anregung, weitere Fragestellungen, die sich aus ihren Befunden ergeben, ebenso zu untersuchen wie Aspekte, die hier nur peripher behandelt werden konnten. Die Erkenntnis, die Ostforschung habe dem Nationalsozialismus „nicht näher oder ferner“ gestanden und sei vielmehr „Teil des Nationalsozialismus“28 gewesen, besitzt auch für die Archivwissenschaft Gültigkeit. Wird dies nicht als abschließende Verurteilung und Schuldzuweisung verstanden, sondern als analytische Zuschreibung zu einer ‚janusköpfigen‘ Disziplin, die ihre Stellung im Spannungsfeld von Wissenschaft, Verwaltung und Politik zu behaupten und ihre Bedeutung zu steigern versuchte, steht weiteren ergiebigen Beiträgen nicht nur zur NS-Geschichte der deutschen Archivwissenschaft nichts

25 26 27 28

Rumschöttel: Archivwissenschaft, S. 20. Vgl. Fleck: Tatsache. Vgl. Herbert: Liberalisierung, S. 12 ff. Unger: Ostforschung, S. 80.

508

F. Schluss

im Wege. Der Archivgeschichtsschreibung einen Schritt aus der Beurteilung als „untergründiger Subdisziplin“29 heraus zu verhelfen, war zudem ein zentrales Anliegen dieser Arbeit.

29

Reininghaus: Archivgeschichte.

G. Anhang

Quellen und Literatur Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Berlin (BArch) NS 8 – Kanzlei Rosenberg NS 30 – Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg R 153 – Publikationsstelle Berlin-Dahlem R 1501 – Reichsministerium des Innern R 1506 – Reichsarchiv R 9361 – Sammlung Berlin Document Center (BDC) Bundesarchiv Koblenz (BArch) B 137 – Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen/innerdeutsche Beziehungen B 198 – Bundesarchiv N 1333 – Nachlass Georg Winter N 1389 – Nachlass Wolfgang A. Mommsen N 1418 – Nachlass Wilhelm Rohr Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BArch) RH 18 – Chef der Heeresarchive RS 15 – SS-Sonderkommando von Künsberg RW 35 – Militärbefehlshaber Frankreich RW 36 – Militärbefehlshaber Belgien-Nordfrankreich Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA PK) I. HA Rep 178 – Generaldirektion der Staatsarchive I. HA Rep 178 B – Preußisches Geheimes Staatsarchiv VI. HA NL Brackmann – Nachlass Albert Brackmann Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HHStAW) 404 – Archivverwaltung 1150 – Nachlass Georg Sante Abt. 520 / W – (Betroffene) Nr. 3015 R. 4914 K. 642 – Spruchkammerakte Georg Sante

512

G. Anhang

Archiv der Monumenta Germaniae Historica (MGHA) B 543 – Briefwechsel betreffend die dem Deutschen Reich „entfremdeten“ Archivalien und Handschriften in den besetzen Gebieten im Westen B 546 – Briefwechsel zu Verwaltungs- und Wissenschaftsangelegenheiten National Archives, Washington, DC (NARA) M 1921 – Records Relating to Monuments, Museums, Libraries, Archives, and Fine Arts of the Cultural Affairs Branch, OMGUS, 1946-1949; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II; Record Group 260 M 1949 – Records of the Monuments, Fine Arts, and Archives (MFAA) Section of the Reparations and Restitution Branch, OMGUS, 1945-1951; Records of U.S. Occupation Headquarters, World War II; Record Group 260 Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA AA) B 118, Bd. 740 R 26924 R 60271 R 60273 R 60281 R 60282 R 60311 R 100449 R 100453 Staatsarchiv Freiburg (StAF) D 180/2 Nr. 169513 – Spruchkammerakte Martin Wellmer U 203/1 – Nachlass Martin Wellmer Staatsarchiv Marburg (StAM) 156e – Staatsarchiv Marburg 340 Dehio Kasten C – Nachlass Ludwig Dehio 340 Demandt – Nachlass Karl Ernst Demandt 340 Papritz – Nachlass Johannes Papritz M 73 Dülfer – Nachlass Kurt Dülfer The National Archives (TNA): Public Records Office (PRO), London FO 1050 – Control Office for Germany and Austria and Foreign Office: Control Commission for Germany (British Element), Internal Affairs and Communication Division; Records relating to allied administration of occupied territories in post Second World War Europe

Quellen und Literatur

513

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStAW) • Direktor der thüringischen Staatsarchive • Personalakten aus dem Bereich Volksbildung, Nr. 36127 – Willy Flach • Thüringisches Volksbildungsministerium, Abteilung C (Wissenschaft und Kunst) Universitätsbibliothek Basel (UB Basel) NL 312 – Nachlass Heinrich Büttner

514

G. Anhang

Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur Abb, Gustav: Hermann Krabbo, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 41 (1928), S. 383–393. Abel, Esther: Aufarbeitung statt Skandalisierung. Der Fall Scheibert. Replik auf die Kritik von Egbert Jahn und Inge Auerbach, in: Osteuropa 3/4 (2017), S. 143–156. Abel, Esther: Kunstraub – Ostforschung – Hochschulkarriere. Der Osteuropahistoriker Peter Scheibert, Paderborn 2016. Abel, Esther: Peter Scheibert – ein Osteuropahistoriker im „Dritten Reich“, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 60 (2012), S. 78–106. Abelein, Manfred: Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Ihre verfassungsgeschichtliche Entwicklung und ihre verfassungsrechtlichen Probleme, Köln 1968. Abendroth, Wolfgang: Die deutschen Professoren und die Weimarer Republik, in: Jörg Tröger (Hrsg.): Hochschule und Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt am Main 1984, S. 11–25. Abeßer, Michel: Allein gelassen an der „historischen Front“ – zur besonderen Situation der Osteuropäischen Geschichte in Jena von 1947 bis 1991 zwischen Ideologie und Wissenschaft, in: Uwe Hoßfeld/Tobias Kaiser/Heinz Mestrup (Hrsg.): Hochschule im Nationalsozialismus. Studien zur Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1945-1990, Band 2, Köln 2007, S. 1715– 1748. Adenauer, Konrad: Briefe über Deutschland 1945-1955. Eingeleitet und ausgewählt von Hans Peter Mensing aus der Rhöndorfer Ausgabe der Briefe, München 1999. Aders, Gebhard: Der Luftkrieg gegen Köln – Legenden und Tatsachen, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 75 (2004), S. 143–196. Alexander, Manfred: Kleine Geschichte Polens, Stuttgart 2003. Althoff, Gerd: Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene Geschichtsbewertung, in: Gerd Althoff (Hrsg.): Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, Darmstadt 1992, S. 147–164. Aly, Götz: Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005. Aly, Götz: Macht – Geist – Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens, Berlin 1997. Aly, Götz: Theodor Schieder, Werner Conze oder Die Vorstufen der physischen Vernichtung, in: Winfried Schulze/Otto Gerhard Oexle (Hrsg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1999, S. 163–182. Aly, Götz/Heim, Susanne: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2004.

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600

G. Anhang

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Personenverzeichnis Das Personenregister umfasst alle im Fließtext angeführten Personen. Lediglich in Fußnoten erwähnte Personen sowie die Autorinnen und Autoren der Forschungsliteratur wurden, sofern sie nicht explizit im Text Erwähnung fanden, nicht aufgenommen. Abel, Esther: 495 f. Abetz, Otto: 285, 294, 298, 300, 317 ff. Achenbach, Ernst: 317 Adenauer, Konrad: 450, 459 Andreas, Willy: 123, 469 Asal, Karl: 366 Ash, Mitchell: 25, 154 f. Aubin, Hermann: 87, 123, 184, 187, 219, 225, 234, 266, 361, 373, 377, 463 ff., 468 ff., 474 Auerbach, Inge: 496 Baethgen, Friedrich: 125, 374 Bailleu, Paul: 101, 103 f., 161 Bargatzky, Walter: 299 Bauer, Clemens: 125 Bauermann, Johannes: 441 Bein, Alex: 150 f. Bellée, Hans: 56, 443 Bergsträsser, Ludwig: 150, 455-458, 499 Beschorner, Hans: 103 ff. Beseler, Hans von: 53 f. Best, Werner: 286 f., 289, 304 f., 308 f., 322 f. Birch-Hirschfeld, Anneliese: 129 Bismarck, Otto von: 47, 51, 71 Bittner, Ludwig: 90, 123, 215-218, 311, 333 f., 350, 354 f. Blankenstein, Werner: 153 Bloch, Marc: 282 Bode, Wilhelm von: 62 f. Bormann, Martin: 253 Born, Lester K.: 441 Brackmann, Albert: 32, 51, 73 f., 109120, 128-134, 137-143, 151, 156,

159-166, 170, 173 f., 176-180, 182, 185, 187-198, 201 f., 206, 208, 213, 219 f., 222-226, 228, 234, 241, 251 f., 266, 290, 342, 346, 351, 353, 359364, 369 ff., 373 ff., 377 f., 405 ff., 418-421, 425, 446, 497-502 Brandi, Karl: 156, 158, 288 Branig, Hans: 401 Braun, Otto: 109, 116, 194 Brenneke, Adolf: 123 Breslau, Harry: 122 Bruchmann, Karl Gustav: 129, 189, 421 f., 461 Brunner, Otto: 125, 373 Budding, Karl: 157 Bülow, Bernhard von: 249 Bülow, Friedrich von: 133 Bürckel, Josef: 287, 367 Buttkus, Heinz: 260, 272, 346 Büttner, Heinrich: 32, 377-380, 391, 446, 470 Caro, Jakob: 49 Caron, Pierre: 327 Cartellieri, Otto: 60 Churchill, Winston: 383, 400 Clemm, Ludwig: 311, 430, 455 Conze, Werner: 182, 234, 467 f., 470, 475 Crusius, Eberhard: 173 Danz, Otto: 153 Darré, Walther: 256, 264 Dehio, Georg: 121, 152 Dehio, Ludwig: 32, 121 ff., 125, 152, 201, 399, 403, 421, 446 ff., 458 f. Delbrück, Hans: 66

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G. Anhang

Demandt, Karl Ernst: 32, 170-175, 400, 402, 422 Demeter, Karl: 123, 343 Demmler, Theodor: 63 Denon, Dominique-Vivant: 45 Derrida, Jacques: 31 Deus, Herbert: 129 Diestelkamp, Adolf: 200, 444, 458, 462, 464, 468 Dieterich, Julius Reinhard: 103, 105 Diezel, Rudolf: 325 Dirr, Pius: 60 f. Döblin, Alfred: 126 Doren, Alfred: 60 Doubek, Franz: 230 Droysen, Johann Gustav: 47 Dülfer, Kurt: 32, 276, 278 f., 339, 400, 402, 427, 429, 431, 445 f., 464 Ebert, Friedrich: 96 Eckert, Astrid: 413, 417 Eilers, Eilhard: 260, 272, 346 Engel, Kathrin: 318 Ennen, Edith: 175 Epting, Karl: 317, 319 Essen, Werner: 464 Ewig, Eugen: 379 Fahlbusch, Michael: 178 Falkenhausen, Alexander von: 282 Finke, Heinrich: 377 Flach, Willy: 32, 175, 189, 313, 486 f. Forstreuter, Kurt: 189, 260 f., 443 Foucault, Michel: 31 Frank, Hans: 252, 254 ff., 265 f., 269, 282 Frank, Walter: 191 ff., 195-198, 216, 222, 271, 290, 322 Frankhauser, Fritz: 103 Frederichs, Johannes: 313 Frick, Wilhelm: 195, 362 Friedrich, Markus: 43 Funk, Walther: 254 Ganzer, Karl Richard: 322 Gayl, Wilhelm von: 114 Gentzen, Felix-Heinrich: 475

Goebbels, Joseph: 236, 256, 291 f., 296, 310, 382, 386 Goetting, Hans: 259 Goguel, Rudi: 475, 490 Goldinger, Walter: 335 Goldschmidt, Hans: 151, 205, 207 Gollub, Hermann: 87, 229, 260 f. Göring, Hermann: 194 f., 249, 504 Grabowsky, Adolf: 185 Granzin, Martin: 345 Grieser, Rudolf: 423 f., 444 Grimm, Friedrich: 317 Grimm, Hans: 144 Groß, Lothar: 217 Grotefend, Otto: 103 f., 290 Grotewohl, Otto: 480 Gründel, Ernst Günther: 126 f. Grüttner, Michael: 163 Haar, Ingo: 178, 186 Hacha, Emil: 249 Haeften, Hans von: 143, 150 Haering, Hermann: 203 f., 359 Hahn, Adalbert: 260 f. Halder, Franz: 306 Haller, Johannes: 74, 171, 174 Hampe, Karl: 61 Häpe, Rudolf: 138 Hardenberg, Karl August von: 46 f. Hartung, Fritz: 119, 123 f. Haushofer, Karl: 191 Hausmann, Frank-Rutger: 34 Heimpel, Hermann: 378 Hein, Max: 162, 219, 230 Heinemann, Gustav: 456, 458 Heinemeyer, Walter: 446 Herberhold, Franz: 444 Herbert, Ulrich: 36, 127 Herzfeld, Hans: 125 Heuss, Theodor: 413, 450 Heydrich, Reinhard: 286, 296, 504 Heß, Rudolf: 191 f., 195 Himmler, Heinrich: 254 ff., 264, 276, 286, 335 f., 350, 391 Hindenburg, Paul von: 64 Hintze, Otto: 121

Personenverzeichnis

Hirsch, Hans: 123 Hirte, Karin: 415 f., 418, 434 Hitler, Adolf: 145 f., 149, 180, 183 f., 201, 243, 249-254, 280 ff., 285, 294 ff., 298, 308, 331 f., 336, 340, 368, 383, 418 f., 425, 474, 478 Hoberg, Clemens August: 290, 325 Hobohm, Martin: 123, 150 Hödl, Rudolf von: 335, 339 Hoetzsch, Otto: 76, 132 Hofmann, Michel: 355, 501 Holtzmann, Walther: 119, 125 Hoppe, Willy: 161, 194 f., 197 f. Hörger, Karl: 172 Hübinger, Paul Egon: 379 Huter, Franz: 335 Hutschneker, Josef: 475 Jagow, Kurt: 263, 303 Jahn, Egbert: 496 Kaehler, Siegfried: 123 Kahlenberg, Friedrich: 461 Kaiser, Lisa: 175 Kantorowicz, Ernst: 125 Kasiske, Karl: 374 Kauffmann, Hans: 119 Kaufmann, Karl-Josef: 87 f. Kehr, Paul Fridolin: 50-53, 57, 93 ff., 103 ff., 109 f., 115, 118, 122, 130, 320 Keitel, Wilhelm: 250, 296 Keyser, Erich: 87, 125, 464 f. Kienitz, Ernst: 153 Kisky, Wilhelm: 60 Kleinau, Hermann: 128 Klinkenborg, Melle: 103 f., 106, 139 Knabe, Charlotte: 175 Knöpfler, Josef: 103, 190, 311 Kohte, Wolfgang: 137, 140, 233, 373, 458 Könnecke, Gustav: 111 Koppe, Wilhelm: 224 Korfes, Otto: 477 ff., 486 Koser, Reinhold: 50 f., 93, 101, 108 f. Kötzschke, Rudolf: 87, 342 Krabbo, Hermann: 103-106

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Kretzschmar, Hellmut: 125, 394, 403, 443 f., 480 Krollmann, Christian: 87 Küch, Friedrich: 172 f. Künsberg, Eberhard von: 264, 290, 298, 344 Lachmann, Joachim: 128 Lagarde, Paul de: 110 Lammers, Hans Heinrich: 393 Latzke, Walter: 218 f., 401, 429 Leggewie, Claus: 496 Lehmann, Max: 110 Lehr, Stefan: 57, 248, 272 Lemmer, Ernst: 487 Lepsius, Johannes: 77 Linnebach, Karl: 368 Lippert, Woldemar: 91, 103-106 Lipski, Józef: 249 Looz-Corswarem, Katharina: 129 Lüdicke, Reinhard: 103 f. Maenner, Ludwig: 192 Maier, Hans: 145 Marcks, Erich: 61, 140 Matzke, Frank: 127 Mayer, Gustav: 60 f., 66 Mayer, Theodor: 319 f., 323, 335, 377 ff. Meekings, C.A.F.: 425 Mehrtens, Herbert: 25, 155 Meier, Otto: 479 f. Meinecke, Friedrich: 49, 100, 114, 119, 192 f., 346 Meinert, Hermann: 112 Meisner, Heinrich Otto: 20, 115, 121 ff., 444, 448, 454, 489 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht: 77 Metz, Friedrich: 366-369 Meyer, Eugen: 123 Meyer, Otto: 379 Mitis, Oskar von: 321 Mitteis, Heinrich: 379 Mittelberger, Herta: 129 Mommsen, Hans: 234 Mommsen, Theodor: 457

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G. Anhang

Mommsen, Wolfgang A.: 32, 169, 276279, 339 ff., 343-349, 402, 428-432, 440, 444, 452, 457 f. Morré, Fritz: 374 Mühle, Eduard: 178 Mühlmann, Kajetan: 265 Müller, Karl Alexander von: 50, 123, 191 f. Müller, Wolfgang: 173 Müsebeck, Ernst: 75, 103 f., 190, 200 Mussolini, Benito: 331 f. Nipperdey, Thomas: 98 Nitzsch, Karl Wilhelm: 47 Nößlböck, Ignaz: 333 Oberländer, Theodor: 223, 225 f., 229, 474 Ohnsorge, Werner: 129 Olshausen, Klothilde von: 175 Oncken, Hermann: 75, 191 f., 196 Overbeck, Hermann: 185 Papritz, Johannes: 19, 32, 95, 125, 133, 137-140, 157, 219 f., 224, 226 f., 231, 233, 240, 257 f., 267, 269, 273, 275 f., 363, 370, 373, 404 f., 409, 417-421, 457, 459, 462 ff., 470 f., 475, 487 f., 494 Paulsen, Peter: 265 Penck, Albrecht: 58, 86 f. Petri, Franz: 366 Peukert, Detlev: 37, 499 Piłsudski, Józef: 66 Pirenne, Henri: 75 Piskorska, Helena: 271 Plaggenborg, Stefan: 496 Platzhoff, Walther: 377 Pleyer, Kleo: 184 Posner, Ernst: 33, 123 f., 151 f., 434 f., 457 ff. Putjenter, Georg: 230 Rabenau, Friedrich von: 262 f., 306 f., 312 Raczynski, Eduard: 46

Randt, Erich: 123, 189, 200, 227, 259262, 271 ff., 275, 339, 342 f., 347 f., 350, 358, 395, 404, 428 Raphael, Lutz: 248, 327 Rassow, Peter: 467 Rath, Ernst vom: 208 Ray, Roland: 318 Recke, Walther: 56, 88 f., 123, 157, 180, 219, 225 f., 464 Reichardt, Sven: 301, 309 Reuter, Hermann: 110 Ribbentrop, Joachim von: 249, 285, 317 Richter, Gregor: 487 ff. Riedner, Otto: 80, 103 ff. Ringer, Fritz K.: 49 Ritter, Gerhard: 73, 123, 377 Ritterbusch, Paul: 375 f. Roethe, Gustav: 110, 138 Rogge, Helmuth: 125, 218, 417, 455, 457 f. Rohr, Wilhelm: 32, 124 f., 188, 310, 402, 416, 422 f., 428, 432 f., 457 f. Roosevelt, Franklin D.: 400 Rörig, Fritz: 225 Rosenberg, Alfred: 193 ff., 295-299, 340, 344, 504 Roth, Karl-Heinz: 314 Rothfels, Hans: 125, 182, 342, 467 f. Ruppel, Aloys: 287 Ruppert, Karl: 478 Rust, Bernhard: 156, 288 Samaran, Charles: 327 Sante, Georg: 32 Sante, Georg Wilhelm: 125, 184-187, 288, 365, 402, 414, 422, 437, 444447, 455 Santifaller, Leo: 125 Sappok, Gerhard: 265 f. Schäfer, Dietrich: 74, 111, 114, 138, 194 f. Schaffer, Reinhold: 486 Scheel, Otto: 225 Scheibert, Peter: 495 f. Schieche, Emil: 129 Schieffer, Theodor: 325, 379

Personenverzeichnis

Schirdewan, Karl: 482 f. Schleier, Rudolf: 317 Schlenger, Herbert: 470 Schlesinger, Walter: 481 f. Schmid, Gerhard: 483 ff. Schnath, Georg: 125, 149, 287 ff., 292 f., 303-306, 308, 310 f., 313 ff., 320 f., 323-327, 335 f., 379, 395, 401, 416, 426 f. Schramm, Percy Ernst: 125 Schreyer, Helmut: 487 Schultze, Johannes: 123, 443 Schulze, Hagen: 36 Schwanke, Robert: 333 Schwertfeger, Bernhard: 60 Schwineköper, Berent: 489 Seeberg-Elverfeldt, Roland: 272, 339, 401, 486 Seibel, Wolfgang: 301, 309 Selle, Götz von: 353 Sewekow, Heinz: 394 Seyß-Inquart, Arthur: 282 Sickel, Theodor von: 50, 93 Sieburg, Friedrich: 317 Simons, Walter: 76 Spannagel, Karl: 60 Spieß, Philipp Ernst: 44 Spieß, Werner: 441 Spiru, Basil: 475 Srbik, Heinrich Ritter von: 123 Stalin, Josef: 250, 400 Starzacher, Karl: 333 Steinbach, Franz: 184 f., 366, 368 Steinmetz, Max: 488 Stengel, Edmund: 114 Stenzel, Karl: 287 Stöcker, Adolf: 191 Stresemann, Gustav: 80 Stritzky, Karl von: 277 Stuckart, Wilhelm: 368 f. Stülpnagel, Carl-Heinrich von: 285 Stülpnagel, Otto von: 282, 285 f. Sybel, Heinrich von: 47-50, 93, 101, 108 f., 360 Sydow, Jürgen: 481, 485 f. Tangl, Michael: 125, 138

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Thimme, Friedrich: 77 Tille, Armin: 83, 103 Treitschke, Heinrich von: 47, 162 Triller, Anneliese: 129 Troeltsch, Ernst: 50, 96 Truman, Harry S.: 449 Turowski, Ernst: 264 Twardowski, Fritz von: 361 Uebersberger, Hans: 225 Ulbricht, Walter: 478, 482 Ullrich, Johannes: 129, 189, 263 Ulrich, Theodor: 128 Umbreit, Hans: 285 Valentin, Veit: 66, 77, 123, 150 Vehse, Otto: 129 Vogel, Walter: 458 Vollert, Ernst: 195, 374, 464 Vollmer, Bernhard: 123, 402, 430, 441445, 452, 454 ff., 458, 480 Volz, Wilhelm: 86 f. Waas, Adolf: 379 Wagner, Robert: 287, 367 Wahl, Volker: 482 Waldenfels, Otto von: 262 f., 305 f., 339 Walker, Mark: 25 Warschauer, Adolf: 49, 53-58, 83, 257 f., 273 f. Wartensleben, Herbert Graf von: 153 Weber, Katharina: 129 Weber, Max: 66 Wehler, Hans-Ulrich: 99 Weirich, Hans: 173 f. Weise, Erich: 125, 163 f., 189, 260 ff., 270 ff., 497 Weizsäcker, Ernst von: 249 Wellmer, Martin: 32 Wenck, Karl Robert: 114 Wendland, Ulrich: 260, 443 Wentz, Gottfried: 404 Wildt, Michael: 36, 127, 286 Winter, Georg: 19, 21, 32, 123 f., 188 f., 268, 312 f., 339, 341-350, 402 ff., 406, 408 f., 417, 423 f., 427-432, 440, 444 f., 453, 455-458, 460 f., 495

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G. Anhang

Witte, Hans: 83 f., 87, 103 Wohlhaupter, Eugen: 379 Wolff-Metternich, Franz Graf: 296 Wolfgramm, Eberhard: 475 Zibermayr, Ignaz: 216 Zimmermann, Paul: 103 Zipfel, Ernst: 125, 197-209, 212 ff., 216-219, 221 f., 243 f., 257, 259,

261 f., 264 f., 267 f., 270-273, 275, 278, 287, 291 f., 302 f., 307-312, 315 f., 319-323, 333 ff., 338 f., 342345, 347-353, 355-365, 367, 369, 371 ff., 379, 381 ff., 389-395, 402 f., 405-409, 414 f., 421-429, 431 f., 434 f., 453 f., 459, 483, 498-502, 504