Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen: Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte [1 ed.] 9783428503803, 9783428103805

Gegenstand der vorliegenden Studie ist, ob und inwieweit Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags verfassungsrecht

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Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen: Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte [1 ed.]
 9783428503803, 9783428103805

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 873

Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte Von Johannes Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

JOHANNES SCHMIDT

Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 873

Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte

Von Johannes Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmidt, Johannes:

Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen : zur verfassungsrechtlichen Beurteilung parlamentarischer Mitwirkungsvorbehalte / Johannes Schmidt. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 873) Zugl.: Dresden, Techn. Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10380-7

Alle Rechte vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10380-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden im Sommersemester 2000 als Dissertation angenommen worden. Die hier veröffentlichte Fassung befindet sich auf dem Stand vom Dezember 1999; später erscheinende Judikatur und Literatur konnte nur noch vereinzelt berücksichtigt werden. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hartmut Bauer, bin ich in außerordentlicher Weise zu Dank verpflichtet. Er hat diese Arbeit nicht nur durch seine fachlichen Anregungen und sorgfältige Betreuung von Themenwahl bis Erstgutachten, sondern auch durch seine menschliche Begleitung möglich gemacht. Dankbar bin ich außerdem Herrn Prof. Dr. Ulrich Fastenrath für die Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Christoph Degenhart (Juristische Fakultät der Universität Leipzig) für die zügige Erstellung des Drittgutachtens. Unter den Freunden und Helfern, die mich unterstützt haben, möchte ich ausdrücklich Frau Ursula Enderle und Frau Dr. Anja Voeste für die verantwortungsvolle und kritische Durchsicht des Manuskripts in freundschaftlicher Verbundenheit danken. Berlin, im April 2001

Johannes Schmidt

Inhaltsübersicht Α. Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen als staatsrechtliches Problem I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart II. Thematische Abgrenzungen, Erkenntnisinteresse und Gang der Untersuchung .

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B. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre III. Ergebnis: Kriterien zur Bestimmung von Delegationssperren

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C. Einzelne Beteiligungsformen beim Erlaß von Rechtsverordnungen I. Untersuchungsgegenstand II. Überblick über die wichtigsten Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags III. Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der Sachherrschaft IV. Ergebnis: Die Verteilung der Sachherrschaft im Verfahren der Verordnungsgebung

56 56 58 86 92

D. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte 96 I. Vorbemerkungen 97 II. Positivrechtliche und systematische Aussagen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Mitwirkungsvorbehalte 98 III. Mitwirkungsvorbehalte und Demokratieprinzip 101 IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte 103 V. Ergebnis 128 E. Die I. II. III. IV. V.

verfassungsrechtliche Bewertung der Kompensationsidee Der Kompensationsgedanke im öffentlichen Recht Die einzelnen Elemente des Kompensationsarguments Voraussetzungen für die Herstellung der Äquivalenz Zulässigkeit einer Kompensation bei verschiedenen Mitwirkungsformen Diskussion der Ergebnisse

130 132 133 135 144 175

F. Zusammenfassung in Thesen

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Literaturverzeichnis

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Sachwortverzeichnis

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Inhaltsverzeichnis Α. Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen als staatsrechtliches Problem I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart 1. Zur Entwicklung delegierter Rechtsetzung durch die Exekutive seit dem 19. Jahrhundert a) Die Ausbildung delegierter exekutivischer Rechtsetzung im Konstitutionalismus b) Delegierte exekutivische Rechtsetzung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich c) Die Regelung delegierter Rechtsetzung im Grundgesetz (Überblick) .... 2. Ausbildung und Entwicklung parlamentarischer Mitwirkung an delegierter exekutivischer Rechtsetzung a) Parlamentarische Mitwirkungsvorbehalte bis zum Ende der Weimarer Republik b) Expansion der Mitwirkungsvorbehalte seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes II. Thematische Abgrenzungen, Erkenntnisinteresse und Gang der Untersuchung . 1. Thematische Abgrenzung 2. Erkenntnisinteresse 3. Gang der Untersuchung

17 17 17 18 20 22 23 23 24 26 26 27 29

B. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Delegation von Rechtsetzungsbefiignissen I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre 1. Der Vorbehalt des Gesetzes und moderne Erweiterungstendenzen unter rechtsstaatlichen Aspekten 2. Die Kriterien der Wesentlichkeitsrechtsprechung als Ansatzpunkte zur Bestimmung der Reichweite des Gesetzes- und des Parlamentsvorbehalts a) Die Kritik an der Wesentlichkeitsrechtsprechung b) Der funktionell-rechtliche Ansatz als sinnvolle Ergänzung der Wesentlichkeitstheorie II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre 1. Das Bestimmtheitsgebot und der Parlaments vorbehält 2. Art. 8012 GG und materielle Bestimmtheitsmaßstäbe a) Die Formeln des Bundesverfassungsgerichts zum Bestimmtheitsgebot .. b) Die Position des Gesetzgebers und der Literatur c) Probleme der Normierbarkeit ; III.- Ergebnis: Kriterien zur Bestimmung von Delegationssperren

43 46 46 49 50 52 52 54

C. Einzelne Beteiligungsformen beim Erlaß von RechtsverOrdnungen I. Untersuchungsgegenstand

56 56

32 33 35 37 41

nsverzeichnis II. Überblick liber die wichtigsten Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags 1. Der Kenntnisvorbehalt 2. Der Genehmigungsvorbehält („Zustimmungsverordnung") a) Erscheinungsformen b) Teilnahme des Bundestags an der Rechtsetzung durch die Ausübung des Zustimmungsvorbehalts? ( 1 ) Die fehlende Aussagekraft der Eingangs- und Schlußformel: Zustimmungen als Teilakte (2) Der einfache Zustimmungsvorbehalt: Der Zeitpunkt der Zustimmung als entscheidender Faktor für die Sachherrschaft (3) Inhaltliche Einflußmöglichkeiten des Bundestags durch Maßgabebeschlüsse 3. Die Kassationsbefugnis und Nachlaufverordnungen 4. Der Änderungsvorbehält a) Unterscheidungskriterien für echte und unechte Änderungs vorbehalte: Bildung von Fallgruppen (1) Explizite Formulierung (2) Unentbehrlichkeit der Verordnung unter dem Aspekt der gesetzgeberischen Einheit (3) Unentbehrlichkeit der Rechtsverordnung in ihrem Regelungszusammenhang und Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten (4) Ermessensreduzierung aufgrund von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben b) Die Fallgruppen in der Praxis (1) §292IVHGB (2) §40 GenTGa.F. (3) § 20 II UmweltHG (4) §42d BRAOa.F. (5) § 59 KrW-/AbfG c) Zwischenergebnis für die Änderungsvorbehalte: Überwiegen der obligatorischen Änderungsvorbehalte III. Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der Sachherrschaft 1. Das innerparlamentarische Verfahren a) Einfache Vetovorbehalte b) Verfahrensfragen, die sowohl Zustimmungsvorbehalte als auch Änderungsvorbehalte betreffen c) Ungeklärte Fragen im Bereich der Änderungsvorbehalte 2. Das Verfahren zwischen den Verfassungsorganen (navette-Verfahren) IV. Ergebnis: Die Verteilung der Sachherrschaft im Verfahren der Verordnungsgebung D. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte I. Vorbemerkungen 1. „Positive und negative" Fehlerquellen 2. Gang der Untersuchung II. Positivrechtliche und systematische Aussagen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Mitwirkungsvorbehalte

58 58 59 59 60 61 62 64 65 67 67 68 68 70 71 73 73 74 77 78 79 85 86 86 86 87 87 90 92 96 97 97 98 98

nsverzeichnis

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1. Positivrechtliche Vorgaben 2. Umkehrschluß aus fehlender positivrechtlicher Normierung III. Mitwirkungsvorbehalte und Demokratieprinzip IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte 1. Mitwirkung des Bundestags und Kompetenzüberschreitungen hinsichtlich des Gegenstands der zu regelnden Materie 2. Die Übernahme formeller Regelungsbefugnisse und deren verfassungsrechtliche Folgen a) Die kompetenzrechtliche Stellung des Bundestags und des Verordnungsgebers im Verfahren der Verordnungsgebung (1) Das Wesen der Delegation (2) Art. 8011 GG und Selbstdelegation (3) Die tatsächliche Sachherrschaft als Merkmal für die Überschreitung von Kompetenzbereichen b) Der Grundsatz der Formenstrenge c) Die kompetenzrechtlichen Auswirkungen der Übernahme der formellen Regelungsbefugnisse bei einzelnen Mitwirkungsvorbehalten (1) Zustimmungsvorbehält (2) Kassationsvorbehalt (3) Fakultativer Änderungsvorbehalt (4) Obligatorische Maßgabezustimmung und Änderungsvorbehalt (5) Verdrängende Mitwirkungsvorbehalte und das a-majore-ad-minusArgument des Bundesverfassungsgerichts (6) Das „legitime Interesse" des Gesetzgebers d) Auswirkungen der Mitwirkungsvorbehalte auf die Kompetenzen des Bundesrats e) Zwischenergebnis zur Kompetenzverteilung und Formenstrenge 3. Mitwirkungs vorbehalte und Verantwortungsklarheit a) Kassationsvorbehalt b) Einfacher Zustimmungsvorbehalt c) Einfacher Änderungsvorbehalt d) Verdrängende Mitwirkungs vorbehalte e) Zwischenergebnis 4. Rechtssicherheit a) Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns b) Vertrauensschutz V. Ergebnis

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E. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Kompensationsidee I. Der Kompensationsgedanke im öffentlichen Recht II. Die einzelnen Elemente des Kompensationsarguments 1. Ausgleichsbedürftigkeit a) Fehlerquellen b) Fehlerszenarien 2. Ausgleichszulässigkeit III. Voraussetzungen für die Herstellung der Äquivalenz 1. Funktionell-rechtliche Kriterien zur Bewertung der Äquivalenz

103 105 105 105 107 108 108 109 110 111 112 112 116 119 119 120 121 123 123 125 125 125 126 126 127 128 130 132 133 133 133 134 135 135 136

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nsverzeichnis 2. Funktionell-rechtliche Eigenschaften der beteiligten Verfassungsorgane in bezug auf die Verordnungsgebung und die Gesetzgebung 137 a) Der parlamentarische Gesetzgeber 138 b) Die Bundesregierung und die Verordnungsgebung 140 3. Zwischenergebnis: Die spezifischen funktionell-rechtlichen Eigenschaften der Normgeber Bundestag und Bundesregierung 143 IV. Zulässigkeit einer Kompensation bei verschiedenen Mitwirkungsformen 144 1. Kassations- und Kenntnisvorbehalt 144 a) Verfahren und Beteiligte beim Erlaß von Rechts Verordnungen unter Kassations-oder Kenntnisvorbehalt 144 b) Eignung zur Kompensation von Legitimationsdefiziten 145 2. Zustimmungsvorbehält und Maßgabebeschlüsse 146 a) Verfahren und Beteiligte des Zustimmungsverfahrens 146 b) Legitimationsdefizite im Rahmen der Delegationsvorschriften des § 51 II, III EStG 148 c) Die Eignung des Zustimmungsverfahrens und der Maßgabebeschlüsse zur Kompensation von Legitimationsdefiziten 150 (1) Personelle demokratische Legitimation 150 (2) Öffentlichkeit des Verfahrens 151 (3) Integrationsfähigkeit des Verfahrens 152 (4) Zustimmungsvorbehalte und rechtsstaatliche Kontrollmöglichkeiten 154 (5) Zwischenergebnis zur Zulässigkeit eines Ausgleichs durch Zustimmungsvorbehalte 155 d) „Überschießende Tendenzen" und „legitimes Interesse" 156 (1) Komplexe Materien 156 (2) Effektiver Grundrechtsschutz 158 e) Zwischenergebnis für die Zustimmungsvorbehalte 160 3. Änderungs vorbehalte 161 a) Funktionell-rechtliche Eigenschaften des Verfahrens zum Erlaß von Änderungsvorbehaltsverordnungen 162 b) Legitimationsdefizite im Rahmen des §59 KrW-/AbfG und des §2011 UmweltHG 163 c) Kompensation von Steuerungsdefiziten durch Änderungsvorbehalte? ... 169 (1) Personelle demokratische Legitimation und Öffentlichkeit des Verfahrens 169 (2) Integrationsfähigkeit des Verfahrens und rechtsstaatliche Kontrollmöglichkeiten 170 (3) Zwischenergebnis zur Zulässigkeit eines Ausgleichs durch Änderungsvorbehalte 172 d) Das „legitime Interesse" 172 (1) Komplexe Materien 172 (2) Eilbedürftige Materien und effektiver Grundrechtsschutz 173 e) Zwischenergebnis für die Kompensation von Legitimationsdefiziten durch Änderungsvorbehalte 174 V. Diskussion der Ergebnisse 175 1. Ungelöste Verfahrensfragen 175

nsverzeichnis 2. Verfassungsrechtliche Auswirkungen der verdrängenden Mitwirkungs vorbehalte 3. Das „legitime Interesse" a) Reaktionsgeschwindigkeit und Komplexität b) Dauerlast und Entlastung 4. Selbstentmachtung und Zweckprogrammierung 5. Lösungsvorschläge

13

175 176 176 178 179 181

F. Zusammenfassung in Thesen

183

Literaturverzeichnis

186

Sachwortverzeichnis

198

Abkürzungsverzeichnis Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen entsprechen weitgehend dem Abkürzungsverzeichnis von Hildebert Kirchner, Abkürzungen für Juristen, 3. Aufl., Berlin 1983. Soweit sie nicht in Kirchners Verzeichnis enthalten sind oder davon abweichen, werden sie im folgenden aufgelistet: AMG AtG

Bde. BImSchG

BR-Drs. BT-Drs. bzw. ders. GenTG

HS HStR i.V. m. KrW-/AbfG

m. w. N. Nrn. Rnrn. Rs. seil. sog. st. Rspr. u.a.

Arzneimittelgesetz - Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 19. Oktober 1994 (BGB1.I S.3018) Atomgesetz - Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. Juli 1985 (BGB1.I S. 1565, zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. September 1996, BGB1.I S. 1354) Bände Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge i. d. F. der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990 (BGBl. I S. 880, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Oktober 1996, BGB1.I S. 1498) Drucksachen des Bundesrats Drucksachen des Bundestags beziehungsweise derselbe Gesetz zur Regelung der Gentechnik i. d. F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1993 (BGB1.I S.2066, geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1994, BGB1.I S. 1416) Halbsatz Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 1987 ff. in Verbindung mit Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz - Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) vom 27. September 1994 (BGB1.I S.2705), geändert durch Gesetz vom 12. September 1996 (BGB1.I S. 1354). mit weiteren Nachweisen Nummern Randnummern Rechtssache, Rechtssachen scilicet, nämlich sogenannte, -er, -en ständige Rechtsprechung und andere, unter anderem

Abkürzungsverzeichnis UmweltHG usw. V. verb. Rs. WHG

15

Umwelthaftungsgesetz - Gesetz vom 10. Dezember 1990 (BGB1.I S.2634) und so weiter von, vom verbundene Rechtssachen Wasserhaushaltsgesetz - Gesetz zur Ordnung des Wasserhaushalts i. d. F. der Bekanntmachung vom 12. November 1996 (BGBl. I S.1695)

Λ. Die Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen als staatsrechtliches Problem I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart „Kein Staat der Erde kann sich heute der Notwendigkeit einer »vereinfachten4 Gesetzgebung entziehen." Dieser Satz Carl Schmitts1 stellte zwar schon 1936 keine neue Erkenntnis dar 2 , er besitzt jedoch nach wie vor Gültigkeit, da er die Sachzwänge zusammenfaßt, unter denen auch die Verfassungsrechtsordnung des Grundgesetzes steht, wenn sie die Abgrenzung zwischen exekutivischen und legislativen Rechtsetzungsbefugnissen sucht. In Art. 801 GG läßt sich der Versuch der Mütter und Väter des Grundgesetzes beobachten, diese Abgrenzung durch die Bindung der Verordnungsgebung an Bestimmtheitsmaßstäbe3 zu regeln. 1. Zur Entwicklung delegierter Rechtsetzung durch die Exekutive seit dem 19. Jahrhundert Die Regelung in Art. 801 GG stellt ein verfassungsgeschichtliches Novum 4 dar. Sie ist als Ergebnis der historischen Entwicklung der exekutivischen Rechtsetzung in Deutschland5 anzusehen, die im folgenden zusammengefaßt werden soll 6 . 1 Vergleichender Überblick über die neueste Entwicklung des Problems der gesetzgeberischen Ermächtigungen (Legislative Delegationen), ZaöRV VI (1936), S. 252ff. (S.267). 2 Siehe schon Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2,1932, S. 236ff. (S.239). 3 Kritisch: Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn.26f. 4 Fritz Ossenbühl, Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht, ZG 1997, S. 305 ff. (S. 315); Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S.9. 5 Siehe Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl., 1958 (Neudruck 1988), S. 30ff. zur Lex Salica, der bedeutendsten Quelle des fränkischen und deutschen Rechts. Vgl. dazu auch Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich, 1937, S. 16ff.; allerdings wurde erst im mittelalterlichen Ständestaat ein klarer Gegensatz zwischen selbständigem Verordnungsrecht des Landesherrn und ständischer Rechtsetzung offenbar (Stratenwerth, a. a. Ο., S. 21-30). 6 An dieser Stelle sei auf einige der zahlreichen Abhandlungen verwiesen, die sich mit der Geschichte der Gesetz- und Verordnungsgebung befassen: Wilhelm Ebel, Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl., 1958 (Neudruck 1988); Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd.1,2. Aufl., 1975; Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990; Regina Ogorek, Richterliche

2 Schmidt

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem a) Die Ausbildung delegierter exekutivischer im Konstitutionalismus

Rechtsetzung

Das Rechtsinstitut der delegierten7 exekutivischen Rechtsetzung nach dem Muster der europäischen Nachbarländer8 konnte sich zur Zeit des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert entwickeln 9 , als die Landesfürsten gegen Ende des zweiten Jahrzehnts begannen, das absolutistische Machtmonopol durch einen verfassungsmäßigen Dualismus von Monarch und Ständen zu ersetzen10. Auf der Grundlage der konstitutionellen Selbstbindung11 des Monarchen, die zunächst in den sogenannten „konstitutionellen Klauseln" 12 der süddeutschen Verfassungen kodifiziert wurde,

Normenkontrolle im 19. Jahrhundert: Zur Rekonstruktion einer Streitfrage, ZNR 1989, S. 12ff. (S. 15 ff.). Zu den staatsphilosophischen Grundlagen siehe auch Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S.44ff. m. w.N. 7 Obwohl Hans-Ulrich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 107 ff. zu Recht den Begriff der „delegierten Rechtsetzung" als mißverständlich bezeichnet, soll hier weiterhin dieser Begriff zur Bezeichnung der Übertragung der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen verwendet werden. Zur Rechtsnatur der delegierten Rechtsetzung vgl. Friederike Kraatz, Parlaments vorbehält im Gentechnikrecht, 1995, S. 15; Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, §64 Rn. 1; Brun-Otto Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn. 3. 8 Die Epoche der delegierten Rechtsetzung in Europa beginnt vermutlich mit dem britischen Poor Law Amendment Act von 1834, siehe Stanley de Smith!Rodney Brazier, Constitutional and Administrative Law, 6. Aufl., 1989, S. 337. Wilhelm Ebel, Geschichte der Rechtsetzung in Deutschland, 2. Aufl., 1958 (Neudruck 1988), S. 83 verweist ebenso wie Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich, 1937, S.77 und Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 123 auf die Ausstrahlungswirkung der „Charte Constitutionelle" Ludwigs XVIII. von 1814. 9 Eine Übersicht der Ideengeschichte des Konstitutionalismusfindet sich bei Reinhold Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 9. Aufl., 1985, § 31 II 1. Zur entscheidenden Rolle John Lockes für die Entwicklung der Gewaltenteilung als Sicherung der Freiheit und Sicherung vor Willkür siehe auch Otto Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, AöR 75 (1949), S. 397 ff. (S. 402) und Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 63 ff.; zur Entwicklung des Verordnungsrechts auch Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rnm. 1 ff. 10 Differenziert: Regina Ogorek, Richterliche Normenkontrolle im 19. Jahrhundert: Zur Rekonstruktion einer Streitfrage, ZNR 1989, S. 12ff. (S. 16ff.). Zur Entwicklung des rechtsstaatlichen Eingriffsvorbehalts siehe auch Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 108 ff. 11 Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 76ff. zeigt, daß trotz der Selbstbindung des Monarchen das monarchische Prinzip sowohl in den süddeutschen Verfassungen (vgl. Titel II § 1 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern [1918] bei Ernst Rudolf Huber [Hrsg.], Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl., 1978, S. 156) als auch bundesrechtlich in Art.57 der Wiener Schlußakte (vgl. a.a.O., S.99) noch vorherrschte. Zum evolutionären Charakter der deutschen frühkonstitutionellen Verfassungsbewegung siehe auch die Einführung von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in: ders./Wahl (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1918), 1972, S. 13ff. (S. 13, 17ff.). 12 Siehe beispielsweise Titel VII § 2 der Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (1818) bei Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte,

I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart

19

bildete sich ein rechtsstaatlicher Eingriffsvorbehalt, der es ermöglichte, in der Rechtsquellenlehre Gesetze, also Normen, die in Eigentum und Freiheit der Bürger eingriffen und der Mitwirkung der Stände bedurften, von Verordnungen zu unterscheiden, die vom Monarchen ohne Teilhabe der Stände erlassen werden konnten 13 . Damit war der Entwicklung der heute noch gültigen Begriffstrias von Gesetz, Rechtsverordnung und Verwaltungsvorschrift der Boden bereitet 14 . Die Verfassung des Deutschen Reichs von 1871 enthielt sich einer Regelung der Verordnungsgebung. Im Streit um die Abgrenzung von monarchischem selbständigen Verordnungsrecht und Gesetz boten sich die Verordnungsermächtigungen als Kompromißlösung an 15 . Allerdings führte das Durchsetzungsvermögen der Ständekammern dazu, daß der ursprünglich der Krone vorbehaltene Bereich der Normsetzung durch selbständige Verordnungsgebung sukzessive parlamentarisiert wurde 16 . Damit verlagerte sich der Kompetenzstreit auf die Frage, welchen Umfang die grundsätzlich schrankenlose17 Delegationsbefugnis des Gesetzgebers haben sollte. Bd. 1, 3. Aufl., 1978, S. 166. Weiterführend: Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 11. 13 Regina Ogorek, Richterliche Normenkontrolle im 19. Jahrhundert: Zur Rekonstruktion einer Streitfrage, ZNR 1989, S. 12ff. (S. 19ff.) weist nach, daß die Unterscheidung von Gesetz und Rechtsverordnung 1828 auf ihren kompetenzrechtlichen Gehalt geprüft wurde, als die Heidelberger Spruchfakultät feststellte, daß die Verordnung, auf die der Beklagte sich stützen wollte, die Sicherheit des Privateigentums betreffe und daher durch Gesetz geregelt werden müsse. Aufgrund des Fehlens der bei der Gesetzgebung erforderlichen Beteiligung der Landstände sei die ergangene Rechtsverordnung rechtswidrig und vom Richter nicht zu beachten gewesen. In der Staatsrechtslehre war für die Unterscheidung von Gesetz und Rechts Verordnung Robert v.Mohl, Das Staatsrecht des Königreiches Württemberg, Bd. 2, 2. Aufl., 1840, S.66f. wegweisend. 14 In der Staatsrechtslehre und der Praxis setzte sich die von Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl. 1911, S.85ff., S. 180ff. getroffene Unterscheidung von Rechtsverordnungen als außenwirksamen und Verwaltungsverordnungen als verwaltungsinternen Rechtssätzen durch, siehe Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich, 1937, S.94f. und Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S.384f. Zusammenfassend: Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnm. 33 ff. 15 Siehe auch Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 13 und Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 27. 16 Siehe Wilhelm Mößle, a. a.O., S. 12f. 17 Carl Schmitt, Vergleichender Überblick über die neueste Entwicklung des Problems der gesetzgeberischen Ermächtigungen (Legislative Delegationen), ZaöRV VI (1936), S. 252 ff. (S. 261 f.); Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 382 f. sieht die Grenzen der Delegation nur durch die faktisch-politischen Verhältnisse bestimmt. Neben Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, S. 236ff. (S. 242f.) bemühte sich auch Richard Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: Anschütz/ Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, S.221 ff. (S.227) um eine allgemeine Beschränkung der Delegationsfreiheit; dazu auch Friedrich Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Ange2*

20

Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem

Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 4. August 1914 1 8 verhalf der Reichstag einer Regelungstechnik durch Blankettermächtigungen19 zum Durchbruch, die von epochaler 20 Bedeutung war, weil sie sich als der Anfangspunkt einer Reihe von Ermächtigungsgesetzen erweisen sollte 21 .

b) Delegierte exekutivische

Rechtsetzung

in der Weimarer Republik und im Dritten Reich Trotz des Wegfalls des Interessengegensatzes zwischen monarchischer Exekutive und bürgerlicher Legislative bestand das Verordnungsrecht der Bismarckzeit in der Weimarer Republik in seiner alten Form fort 22 . Die Weimarer Reichsverfassung normierte die Verordnungsgebung nur rudimentär 23 . Selbst in den geregelten Bereichen (Art. 48, 88, 91 W R V ) waren keine Beschränkungen für Art und Ausmaß der Verordnungsermächtigung vorgesehen24. So konnte man der Reichsregierung auf der Grundlage entsprechender Ermächtigungsgrundlagen und unter Ausdehnung des Notverordnungsrechts aus Art. 48 I I W R V de facto Gesetzgebungsfunktionen einräumen 25 - ungeachtet der Zweifel, die schon in den zwanziger Jahren an der Verfassungsmäßigkeit einer grenzenlosen Rechtsetzungsdelegation laut geworden waren 26 . Die Normsetzungstechnik mittels Ermächtigungsgesetzen27 konsolidierte legenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 7 ff. (S. 12 f.). 18 RGBl. S. 327. 19 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. V, 1978, S.69ff. weist auf über 800 Bundesratsverordnungen zwischen dem 6. August 1914 und dem 7. November 1918 hin, die Sachgebiete vom Arbeitsrecht bis zum Gerichtsverfahrensrecht umfaßten. 20 Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. V, 1978, S.62f. 21 Vgl. auch Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 2; Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd.V, 1978, S. 63 f.; Hans Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, in: HStRI, 1987, §3 Rn.54 weist nach, daß zur Stabilisierung der Wirtschaft allein von 1919 bis Ende 1925 rund 420 gesetzesvertretende Verordnungen erlassen wurden. 22 Vgl. Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnm. 38 ff. 23 Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (RGB1.S. 1383) sah ausdrückliche Regelungen des Verordnungsrechts nur in Sonderbereichen wie Post- und Telegraphenwesen (Art. 88), dem Bau von Eisenbahnen (Art. 91) und dem Notverordnungsrecht (Art. 48 WRV) vor. Bis auf Art. 48 WRV schrieben alle diese Bereiche einen Zustimmungsvorbehalt des Reichsrats vor, vgl. auch Art. 80 II GG. 24 Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, S.236ff. (S.240ff.) sieht grundsätzlich keine Beschränkungen für die Delegierbarkeit von Materien, weist aber daraufhin, daß das Gewaltenteilungsprinzip nicht aufgehoben werden dürfe (S.242). 25 Siehe auch Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 9. 26 Der 32. Deutsche Juristentag in Bamberg befaßte sich mit der Frage: „Empfiehlt es sich, in die Reichsverfassung neue Vorschriften über die Grenzen zwischen Gesetz und Rechtsver-

I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart

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sich als Mittel zur Überwindung von Störungen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens und des wirtschaftlichen Gleichgewichts. Damit wurde das RegelAusnahme-Verhältnis von legislativer und exekutivischer Rechtsetzung, das die Weimarer Reichsverfassung vorgesehen hatte 28 , in sein Gegenteil verkehrt 29 . Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 3 0 hob den Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung in materieller Hinsicht endgültig auf. Es gestand der Exekutive das Gesetzgebungsrecht schlechthin zu und ging damit noch über die Weimarer Ermächtigungsgesetze hinaus 31 . Obwohl die Unterscheidung von Rechtsverordnung und Gesetz im Dritten Reich noch formell aufrechterhalten wurde 32 , existierte nach Einführung des Führerprinzips33 und dem damit verbundenen Untergang jeglicher Gewaltenteilung kein mit rechtsstaatlichen Kriterien erfaßbares Verordnungsrecht mehr 34 .

Ordnung aufzunehmen?". Die Berichterstatter Heinrich Triepel und Fritz Poetzsch (Verhandlungen des 32. Deutschen Juristentages, 1922, S. 11 ff., 35 ff.) verlangten eine inhaltliche Begrenzung der Delegationsbefugnisse des Parlaments. 27 Beispiele sind die umfassenden Delegationen in § 1 des Gesetzes über eine vereinfachte Form der Gesetzgebung für die Zwecke der Übergangswirtschaft vom 17. April 1919 (RGBl. S. 394) und Art. V I des Notgesetzes vom 24. Februar 1923 (RGBl. S. 147). Eine übersichtliche Darstellung der Weimarer Ermächtigungsgesetze liefert Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 19-22. 28 Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S.37. 29 Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2,1932, S. 236ff. (S. 239) stellt fest, daß in der Weimarer Republik das Gesetz gegenüber der Rechtsverordnung fast zur „Ausnahmeerscheinung" geworden war. Vgl. auch Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S.24. 30 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933 (RGBl. S. 141). 31 Diesen qualitativen Unterschied zu den Ermächtigungsgesetzen der Weimarer Zeit betont Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 27. 32 Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich, 1937, S. 134, 140, 151. 33 Die Staatsrechtslehre mißbilligte den Mißbrauch des Notverordnungsrechts noch in der Weimarer Zeit und lehnte ein „unterschiedsloses Identitätsdenken" ab, das Gesetz und Rechtsverordnung gleichsetzte, siehe Fritz H. Stratenwerth, Verordnung und Verordnungsrecht im Deutschen Reich, 1937, S. 134. Dieselben Kritiker, die den Mißbrauch des Verordnungsrechts moniert hatten, befürworteten jedoch die faktische Aufhebung der Gewaltenteilung und die Einführung des Führerprinzips im Dritten Reich, siehe zum Beispiel Fritz H. Stratenwerth, a. a. O., S. 120ff., 128 ff., S. 135-137 und Ulrich Scheuner, Gesetz und Einzelanordnung, Sonderdruck aus der Festschrift für Rudolf Hübner zum 70. Geburtstag, 1935, S.4ff. 34 Wilhelm Ebel Geschichte der Gesetzgebung, 2. Aufl., 1958 (Neudruck 1988), S. 103 beschreibt, daß die gesamte Gesetzgebung zum Instrument zur Formulierung des Willens der Staatsführung geworden sei. Gesetz und Verordnung haben in ihrem Zustandekommen als formbefreite Rechtsgebotsgewalt der Staatsführung den früheren monarchischen „Erlassen" entsprochen; eine begriffliche Unterscheidung von Gesetz und Rechts Verordnung sei mithin überflüssig geworden.

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem c) Die Regelung delegierter

Rechtsetzung im Grundgesetz (Überblick)

Im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, das nunmehr explizit in Art. 80 G G 3 5 die delegierte Rechtsetzung mittels Rechtsverordnungen36 erlaubt, schlagen sich die Erfahrungen mit dem eklatanten Mißbrauch des Verordnungsrechts am Ende der Weimarer Republik und im Dritten Reich 37 in der Skepsis nieder, die der Parlamentarische Rat diesem Instrument der Normsetzung durch die Exekutive entgegenbrachte: Die ausdrückliche Regelung des Verordnungsrechts in Art. 80 G G stellt klar, daß „in bewußter Abkehr von der Praxis der Weimarer Zeit" 3 8 die Verordnungsgebung nur durch parlamentarische Ermächtigung per Gesetz erfolgen darf. Die Legislative wird durch das Bestimmtheitsgebot des Art. 8012 G G gezwungen, die von der Exekutive zu erlassende Rechtsverordnung inhaltlich vorherzubestimmen; ein verfassungsunmittelbares Notverordnungsrecht der Exekutive wird abgeschafft39. Die nun in Art. 80 GG ausdrücklich festgehaltene Regelung des Verordnungsrechts soll gewährleisten, daß sich das Parlament seiner demokratischen Verantwortung nicht entzieht 40 . Inzwischen haben Rechtsverordnungen als verfassungsrechtlich normierte und allgemein anerkannte Rechtsinstitute eine große Bedeutung in der Praxis erlangt 41 , die sich in der stetigen Zunahme ihrer Zahl seit 1949 zeigt 42 . 35

Art. 801 GG geht auf Art. 102 des Herrenchiemseer Entwurfs (HChE) zurück, dessen Entstehungsgeschichte in JöR 1 (1951), S.588f. verfolgt werden kann. Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 39-56 weist nach, daß Art. 801 GG durch den Einfluß der amerikanischen Militärregierung geprägt ist. 36 Über die Rechtsnatur der Rechtsverordnungen als abgeleitete Rechtsquellen herrscht Einigkeit: Siehe z.B. Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, §64 Rn. 1 und Brun-Otto Ery de, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn. 3. Satzungen sind, soweit sie als delegierte Rechtsetzung angesehen werden können (umstritten laut Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, § 37112 g [S. 588]), Rechtssätze, die in einem bestimmten förmlichen Verfahren von juristischen Personen des öffentlichen Rechts erzeugt werden. Sie entfalten im Rahmen der Autonomie der juristischen Person Rechtswirksamkeit für ein bestimmtes Gebiet oder für die ihr angehörigen Personen (vgl. BVerfGE 33, 125 [156] - Facharzt). Satzungen werden hier nicht behandelt, da sie in einer verfassungsrechtlich gänzlich anderen Konstellation als die Rechtsverordnungen entstehen. Sie werden meist von demokratisch direkt gewählten Gremien erlassen. Satzungsbefugnisse verlagern daher die Rechtsetzungsbefugnisse nicht auf die Exekutive, sondern auf demokratische Gremien (BVerfGE 32, 346 [361] - Strafbestimmungen in Gemeindesatzungen), was in diesem Rahmen nicht weiter thematisiert werden soll. 37

Rolf Grawert, Die nationalsozialistische Herrschaft, in: HStRI, 1987, §4 Rnm.5ff. BVerfGE 1, 14 (59 f.) - Südweststaat. 39 Siehe Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, §64 Rnrn. 15, 17. 40 BVerfGE 1, 14 (60) - Südweststaat - BVerfGE 78, 249 (272) - Fehlbelegungsabgabe; Fritz Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S.9ff. (S.22). 41 Eine Übersicht über die letzten Wahlperioden verrät, daß in der 10. bis einschließlich 12. Wahlperiode 1215 Gesetze zustandekamen, während in der gleichen Zeit 4254 Verordnun38

I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart

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2. Ausbildung und Entwicklung parlamentarischer Mitwirkung an delegierter exekutivischer Rechtsetzung In der Praxis können Mitwirkungsvorbehalte, die dem Parlament in der Verordnungsermächtigung eine Teilnahme an der Verordnungsgebung sichern 43 , eine Überlappung exekutivischer und legislativer Normsetzungsbereiche bewirken.

a) Parlamentarische Mitwirkungsvorbehalte bis zum Ende der Weimarer Republik Solche Mitwirkungs vorbehalte wurden bereits in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingeführt44 und waren bis in die Weimarer Republik 45 hinein verfahrensrechtlich insofern den Gesetzen gleichgestellt, als sie im Reichstag in drei Beratungen behandelt wurden 46 . Schon im Bismarckschen Kaiserreich bildeten sich gen veröffentlicht wurden (vgl. Statistisches Bundesamt [Hrsg.], Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland, 1998, S.94). 42 Das Statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik Deutschland 1960-1998 belegen, daß das Verhältnis von Gesetz zu Rechtsverordnung von 1:2 in der 1. Wahlperiode bis zum Verhältnis von 1:6 in der 9. Wahlperiode (1982-1986) stetig anstieg und in den letzten Wahlperioden zwischen 1:3 und 1:4 schwankte; sie zeigen auch, daß die Zahl der Rechtsverordnungen (mit Schwankungen) von der ersten Wahlperiode von 877 auf 1695 in der 12. Wahlperiode stieg (vgl. Statistisches Jahrbuch 1998, a.a.O., S.93f.). 43 Vgl. zur Geschichte der Mitwirkungsvorbehalte auch Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 3 ff., Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 79ff. (S.96) und Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S. 31 ff. 44 Als Beginn der Mitwirkungs vorbehalte gilt die Einführung der Genehmigungs vorbehalte im Jahr 1869 durch den Abgeordneten Lasker, siehe Julius Hatschek, Genehmigungsverordnungen, in: Kurtzig (Hrsg.), Deutsches und preußisches Staatsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., 1930, § 45 II, S. 218 f. und Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 79 ff. (S. 96). Einen Überblick über die Entwicklung der parlamentarischen Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen bieten auch Julius Hatschek, Genehmigungsverordnungen, in: Kurtzig (Hrsg.), Deutsches und preußisches Staatsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., 1930, S.214ff. und Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 39 ff. 45 Zustimmungsverordnungen waren auch in der Weimarer Republik gebräuchlich, siehe Heinrich Triepel, Empfiehlt es sich, in die Reichsverfassung neue Vorschriften über die Grenzen zwischen Gesetz und Rechtsverordnung aufzunehmen?, in: Verhandlungen des 32. Deutschen Juristentages in Bamberg, 1922, S. 11 ff. (S. 32). Der Wortlaut einzelner Verordnungsermächtigungen unter Mitwirkungsvorbehalt aus der Zeit der Weimarer Republikfindet sich bei Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S.7ff. 46 So Julius Hatschek, Genehmigungsverordnungen, in: Kurtzig (Hrsg.), Deutsches und preußisches Staatsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., 1930, S.219; die Geschäftsordnungen deutscher Par-

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem

verschiedene Mitwirkungsformen heraus: GenehmigungsVerordnungen der Exekutive 47 unterlagen nach 48 ihrem Erlaß dem Vorbehalt der Zustimmung des Reichstags 49 , während Kenntnisvorbehalte verlangten, den Reichstag über die zu erlassende Verordnung vor ihrem Erlaß in Kenntnis zu setzen50. Ebensowenig wie die Verordnungsgebung selbst war die Einfügung von Mitwirkungsvorbehalten ausdrücklich durch Verfassungsrecht geregelt. Mit der Ermächtigungsgesetzgebung des Jahres 1933 wurden auch die Mitwirkungsvorbehalte abgeschafft51.

b) Expansion der Mitwirkungsvorbehalte seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Das Grundgesetz regelt die Mitwirkung des Bundesrats in Art. 80 I I G G ausdrücklich und erwähnt sonst die Beteiligung des Bundestags nur im Sonderfall des Art. 109IV GG. Aufgrund dieser Offenheit der Verfahrensregelung läßt sich neben der nahezu stetigen Zunahme der Zahl von Rechtsverordnungen52 auch beobachten, daß die vom Bundestag eingesetzten Mitwirkungs vorbehalte gegenüber der Zeit vor 194953 vielfältiger geworden sind. Neben der quantitativen Vermehrung der Mitwirkungsvorbehalte ist also auch eine qualitative Veränderung festzustellen, die es erlamente sahen allerdings für Anträge, die keinen Gesetzentwurf enthielten, immer nur eine Beratung vor, siehe Deutscher Bundestag, Abt. Parlamentarische Information (Hrsg.), Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848,1986, §78. 47 Unter den Begriff der Rechtsverordnung fielen Rechtsverordnungen des Kaisers und des Bundesrats, der in bezug auf die Verordnungsgebung als Organ der Exekutive angesehen werden konnte, siehe Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd. 2., 3. Aufl., 1995, S. 89 sowie Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.40. 48 Seltener eingesetzt wurden Genehmigungsvorbehalte, die eine Mitwirkung des Reichstags vor Erlaß der Rechtsverordnung vorsahen, siehe Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.40 f. 49 Siehe auch Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd.2, 1932, S.236ff. (S.247). 50 Bei den Kenntnisvorbehalten wurde häufig die Möglichkeit zur „Außerkraftsetzung" der Verordnung durch den Reichstag vorgesehen, siehe Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.42f. Prominentestes Beispiel dieser Kassationsmöglichkeit ist Art. 48 III WRV, der dem Reichstag unter anderem die Aufhebung von aufgrund des Art. 481, II WRV durch den Reichspräsidenten erlassenen Notverordnungen ermöglichte. 51 Siehe die Verordnung des Reichspräsidenten zur Vereinfachung des Erlasses von Ausführungsvorschriften vom 30. März 1933 (RGBl. S. 147), die auf der Grundlage des Art. 48 II WRV erging. 52 Siehe auch oben Fn. 42. Eine Zunahme der Zahl von Mitwirkungsvorbehalten läßt sich nicht feststellen, siehe dazu die Liste der Verordnungsermächtigungen mit Mitwirkungsvorbehalt bei Peter Schindler, Datenhandbuch des Deutschen Bundestags, 1999, S. 2593 ff. 53 Zur Gesetzgebung und speziell den Mitwirkungsvorbehalten des bizonalen Wirtschaftsrates siehe Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 12ff.

I. Die delegierte Rechtsetzung in Geschichte und Gegenwart

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forderlich macht, die verschiedenen Mitwirkungsformen einer Formentypik zu unterwerfen. Es können unterschieden werden 54 : - Kenntnisvorbehalte, die vom Verordnungsgeber nur verlangen, den Bundestag über die Rechtsverordnung in Kenntnis zu setzen, - Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalte, die den Erlaß einer Rechtsverordnung von der vorherigen Zustimmung des Bundestags abhängig machen, -

Kassationsvorbehalte, die dem Bundestag erlauben, innerhalb einer bestimmten Frist 55 die erlassene Rechtsverordnung wieder aufzuheben,

- Nachlaufvorbehalte, die dem Verordnungsgeber zunächst den Erlaß einer Rechtsverordnung erlauben, die aber gleichzeitig ein Zustimmungsverfahren vor dem Bundestag in Gang setzen, das dann zum Erlaß einer Rechtsverordnung führt, die die vorher erlassene Rechtsverordnung in ihrer Geltung ablöst 56 , und - Änderungsvorbehalte, die Mitte der achtziger Jahre eingeführt wurden 57 und dem Bundestag58 eine inhaltliche Veränderung des vorgelegten Entwurfs vor Erlaß der Rechtsverordnung gestatten. 54

In Anlehnung an Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, §64 Rnrn.51 ff., der sich später (Fritz Ossenbühl, Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht, ZG 1997, S. 305 ff. [S. 316]) auch mit den Änderungsvorbehalten befaßt. Eine Klassifizierung der verschiedenen Kooperationsformen zwischen Bundestag und Verordnungsgeber findet sich auch bei Hans Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, Vorbem. zu § 96 a. 55 Kassationsvorbehalte gewähren üblicherweise eine Aufhebungsfrist von 3-4 Monaten. Damit sind die Kassationsvorbehalte mit den Kenntnisvorbehalten mit Aufhebungsmöglichkeit der Bismarckzeit zu vergleichen. 56 Siehe auch Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechts Verordnungen, 1959, S. 16. Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.55 bezeichnet die Nachlaufverordnungen zu Recht als „eigenartig". Tatsächlich ist es schwer erklärbar, warum neben einer einfachen nachträglichen Zustimmung noch die Möglichkeit zu einer nachträglichen Ersetzung mit identischem Inhalt geschaffen wurde. 57 Als erste Verordnungsermächtigung, die einen Änderungsvorbehalt vorsah, trat § 292IV HGB in Kraft, der durch das Bilanzrichtliniengesetz vom 19. Dezember 1985 (BGBl. IS. 2355, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. April 1998 [BGB1.I S.707]) eingeführt wurde. Diese Regelungstechnik taucht entgegen der Meinung von Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S. 756) also vor der Zeit des Inkrafttretens des Gentechnikgesetzes vom 20. Juni 1990 auf. Bereits in der 9. Wahlperiode hatte die CDU/CSU-Koalition versucht, in einem Vorentwurf zu § 6 III StVG einen Änderungsvorbehalt zu regeln. Zur Geschichte des § 6 StVG siehe Jürgen Jekewitz, Die Mitwirkung des Bundestages bei der Regelung von Fachanwaltsbezeichnungen, ZRP 1991, S. 281 ff. (S.282f.) sowie der s., Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 115 ff.). Ausführlich: Carl Otto Lenz/GeraldKretschmer, Ein exemplarischer Versuch, Verordnungen von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen, ZParl 8 (1977), S.20ff. Weitere Beispiele für Änderungsvorbehalte finden sich in § 59 KrW-/AbfG (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2705), geändert durch Gesetz vom 12. September 1996 (BGB1.I S. 1354), und §2011 UmweltHG (Umwelthaftungsgesetz) vom 10. Dezember 1990 (BGB1.I S.2634).

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem

II. Thematische Abgrenzungen, Erkenntnisinteresse und Gang der Untersuchung 1. Thematische Abgrenzung Die dargestellten Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags stellen nur ein Segment der Beteiligungsformen Dritter beim Erlaß von Rechtsverordnungen dar, die in der heutigen Verfassungswirklichkeit anzutreffen sind. Die Vorbehalte reichen von der Anhörung Sachverständiger59 und Betroffener60 bis hin zum Einvernehmen mit anderen Bundesministern61 und zur Zustimmung des Bundesrats62. Teilweise sind diese Vorbehalte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie zugunsten von Rechtsträgern bestehen, die ohnehin als Verordnungsgeber (ζ. B. die Bundesminister gemäß § 8 0 1 1 GG) oder als Zustimmungsberechtigte (z.B. der Bundesrat gemäß Art. 80 I I G G 6 3 ) in Frage gekommen wären 64 . Soweit die Verordnungsermächtigungen Dritten die Teilnahme an der Verordnungsgebung erlauben, räumen sie diesen keinerlei verfassungsrechtlich relevante Mitentscheidungsbefug58

Der Bundesrat faßte bereits seit der 1. Wahlperiode Maßgabebeschlüsse. Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1978 und dem 20. Dezember 1990 erteilte der Bundesrat seine Zustimmung bei 42 % der vorgelegten Rechtsverordnungen unter der Maßgabe von Änderungen (vgl. Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S.4 Fn. 11, S. 73 Fn. 3). Der Bundestag übernahm die Technik der Maßgabezustimmung in der 2. Wahlperiode, siehe Plenarprotokoll der 64. Sitzung der 2. Wahlperiode vom 27. Januar 1955, S. 3340 Β i.V. m. BT-Drs. 2/1149 und BT-Drs. 2/472 (neu), Plenarprotokoll der 152. Sitzung vom 22. Juni 1956, S. 8181Β i.V. m. BT-Drs. 2/2536; weitere Beispiele bei Hans Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, §96a Rn.4. 59 Siehe §7112, §41 GenTG. 60 Siehe §§ 7, 431, 51 BImSchG, § 48 II AMG. 61 Siehe §§4811,49IV2 AMG. 62 Siehe § 71 BImSchG, § 72 a II AMG. 63 Der Bundesrat wird aufgrund der föderalen Grundentscheidung (vgl. Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll [Hrsg.], Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. [S. 141]) des Grundgesetzes am Erlaß der meisten Rechtsverordnungen mitbeteiligt. Seine Mitwirkung durch Zustimmungsvorbehalt ist explizit in Art. 80 II GG geregelt. Demnach sind zustimmungsbedürftig: Verkehrsverordnungen, also Verordnungen im Bereich des Post- und Eisenbahnwesens, und die praktisch hochrelevanten (vgl. Michael Antoni, Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates zu Rechtsetzungsakten des Bundes, AöR 114 [1989], S.220ff. [S.229]) Föderativverordnungen, also Verordnungen, die aufgrund von Bundesgesetzen ergehen, die der Zustimmung des Bundesrats bedürfen oder von den Ländern im Auftrage des Bundes oder als eigene Angelegenheiten ausgeführt werden. Zum anderen ergibt sich die Zustimmungsbedürftigkeit aus Einzel Vorschriften (Überblick bei Michael Antoni, Zustimmungsvorbehalte des Bundesrates zu Rechtsetzungsakten des Bundes, AöR 114 [1989], S.220ff.) wie Art. 109IV3 GG, der eine ohnehin bestehende föderative Zustimmungspflicht wiederholt und dem nicht mehr praxisrelevanten Art. 119 S. 1 sowie dem gegenstandslosen Art. 132IV GG. 64

Vgl. auch Brun-Otto Bryde, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn.39.

in: v. Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3,

II. Thematische Abgrenzungen und Gang der Untersuchung

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nisse ein65. Sollte die Beteiligung Dritter beim Erlaß von Rechtsverordnungen dennoch kompetenzrechtlich relevant sein, so wirft diese Beteiligung andere Fragen auf als die Umverteilung von Kompetenzen, die der Einsatz von Mitwirkungsvorbehalten zwischen den Verfassungsorganen bewirkt. Deshalb wird die Beteiligung Dritter ebenso wie die Beteiligung des Bundesrats, die in Art. 80 II, III GG geregelt ist, nur soweit Gegenstand dieser Arbeit werden, als dies für die Beteiligung des Bundestags verfassungsrechtlich relevant ist. Neben der schon beschriebenen Mitwirkung Dritter und des Bundestagsplenums sind im Landesrecht Vorbehalte einzelner Landtagsausschüsse bekannt66; auf Bundesebene verhindert das Verdikt der Verfassungswidrigkeit des Bundesverfassungsgerichts67 die Verwendung von Mitwirkungsvorbehalten zugunsten von Bundestagsausschüssen68. Wenn im folgenden also von der Beteiligung des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen die Rede ist, dann sind Mitwirkungsvorbehalte gemeint, die vom Plenum ausgeübt werden. 2. Erkenntnisinteresse Die nach der obigen Eingrenzung verbleibenden Mitwirkungsvorbehalte werden in einer Zeit eingesetzt, in der der Gesetzgeber anspruchsvolle Normsetzungsaufgaben zu bewältigen hat. Er sieht sich mit einer Verfassungswirklichkeit konfrontiert, in der ihm schon allein die wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen umfangreiches und rasches Tätigwerden abverlangen69. Außerdem verpflichtet die Eu65

Kritisch: Jürgen Jekewitz, Mehr politische Kontrolle bei Rechts Verordnungen durch Änderung des Art. 80 GG, RuP 1993, S. 20 ff. (S. 23); die Beteiligung wird allerdings problematisch, wenn die Beteiligungsrechte von hoher Intensität sind, siehe auch Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 1988, § 64 Rn.60f. 66 Siehe die Beispiele aus dem Schulrecht bei Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR III, 1988, §64 Rn.57 Fn. 145, 146. 67 BVerfGE 4, 193 (203) - Sozialversicherungsanpassungsgesetz - zum Übergang vorkonstitutioneller Mitwirkungsbefugnisse des Wirtschafts- und Länderrats. 68 Zur Verfassungswidrigkeit der Mitwirkung von Bundestagsausschüssen siehe auch Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S. 33 ff.). Für die Zulässigkeit sprechen sich hingegen Rupert Scholz/Hans Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S.77ff. (S. 128 f.) aus. Siehe auch die umfangreichen Nachweise bei Kisker, a. a. O., S. 34 Fn. 71 und Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S.35, 118 ff. Die Geschichte der Ausschußzustimmungen zeigt Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, S.79ff. (S. 103f.). 69 Schon 1967 sah Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.25 die Überlastung und Überforderung des Gesetzgebers.

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem

ropäische Union ihre Mitgliedstaaten zur zügigen Umsetzung von Gemeinschaftsrecht70. Bei weitgehender Einigkeit aller Beteiligten darüber, daß nicht jedes Detail des modernen Lebens durch formelles Gesetz geregelt werden kann und soll71, ist damit die Bedeutung von Normgebungsverfahren gestiegen, die den Gesetzgeber entlasten72 und die es ermöglichen, die Lebenssachverhalte, die unter anderem aus Gründen des dynamischen Grundrechtsschutzes eine flexible und schnelle Regulierung verlangen, demjenigen Normgeber zuzuweisen, der diesen Anforderungen am besten gerecht werden kann. Als delegierte Rechtsetzungsbefugnisse73 bewegen sich Verordnungsermächtigungen im Grenzbereich zwischen den Kompetenzen der Exekutive und der Legislative. Wenn nun der Gesetzgeber Normsetzungsbefugnisse an den Verordnungsgeber in Bereichen delegiert, die von grundsätzlicher Bedeutung für das Gemeinwesen sind wie beispielsweise das Steuerrecht74, Umweltrecht75 und das Gentechnikrecht76, dann läuft er Gefahr, wegen des möglicherweise nicht delegierbaren Regelungsgegenstands zum einen in Konflikt mit dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts zu kommen und wegen der möglicherweise zu unbestimmten (und aus Gründen der Komplexität oder Veränderlichkeit der Materie nicht genauer bestimmbaren) Verordnungsermächtigungen zum anderen gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 8012 GG zu verstoßen. Durch die Mitwirkung im Verfahren der Verordnungsgebung, die er sich in den Verordnungsermächtigungen sichert, will der Gesetzgeber diese Legitimationsdefizite ausgleichen77 und damit dem Dilemma zwischen drohendem Steuerungsverlust und Unregelbarkeit der Materie entkommen. 70 Siehe das Beispiel der 1. EG-Führerscheinrichtlinie bei Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S. 80. 71 Die Tendenz zur Verrechtlichung von Lebensbereichen zeigt Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 14. Siehe auch die beeindruckende Zusammenstellung der Klagen über die Normenflut des modernen Staates bei Fritz Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S.9ff. (S.9 Fn. 1). 72 Siehe zum Entlastungseffekt auch Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnungen, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, §36IV (S. 125f.). 73 Zur Terminologie siehe auch Friederike Kraatz, Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 15 f. 74 Beispiel: § 51 III EStG ermöglicht der Bundesregierung, bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts per Rechtsverordnung die Einkommensteuer um bis zu 10% herabzusetzen oder zu erhöhen. Diese Verordnungen bedürfen gemäß § 51 III 2 EStG auch der Zustimmung des Bundestags. 75 Das BImSchG enthält mehr als 14 Verordnungsermächtigungen zugunsten der Bundesregierung und einzelner Bundesminister, die sich teilweise auf durchaus grundrechtsrelevante Materien beziehen, z.B. in §71 BImSchG auf die Betreiberpflichten bei genehmigungsbedürftigen Anlagen. Die Rechtsverordnungen, die die Produktverantwortung der §§ 22-24 KrW-/AbfG regeln, können entscheidende Auswirkungen auf das Wirtschaftssystem haben. 76 Beispiel: § 71 GenTG; danach kann die Bundesregierung per Rechtsverordnung einzelne Sicherheitsstufen für gentechnische Anlagen festlegen.

II. Thematische Abgrenzungen und Gang der Untersuchung

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Dieses Kompensationsmodell wirft einige verfassungsrechtliche Fragen auf: Insbesondere die intensiveren Mitwirkungsformen78 bergen die Gefahr, zu einer Verschiebung der Entscheidungsbefugnisse zwischen den Verfassungsorganen zu führen, die mit der bestehenden Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht mehr vereinbar ist79. Die „doppelte Brechung" der Entscheidungskompetenz, die aus der Delegation der Entscheidungsbefugnis an den Verordnungsgeber und der gleichzeitigen Rückbindung der Verordnungsgebung an die Mitwirkung des Bundestagsplenums entsteht, muß außerdem unter dem Aspekt der Verantwortungszurechnung80 und der Formenstrenge81 kritisch betrachtet werden. Die vorliegende Arbeit soll die Mitwirkungsvorbehalte unter den genannten Fragestellungen verfassungsrechtlich bewerten; darüber hinaus wird zu untersuchen sein, ob das Kompensationsmodell des Bundestags geeignet ist, entstehende Steuerungsdefizite auszugleichen.

3. Gang der Untersuchung Die verfassungsrechtliche Beurteilung von Mitwirkungs vorbehalten setzt Klarheit darüber voraus, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Delegation von Rechtsverordnungen gestellt werden. Deshalb werden in Teil Β die Maßstäbe einer späteren verfassungsrechtlichen Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte erarbeitet. Aus dem Grundsatz des Parlamentsvorbehalts sowie dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 8012 GG sollen die Kriterien entwickelt werden, anhand derer später zuerst festgestellt werden kann, ob der Gesetzgeber tatsächlich bei der Delegation bestimmter Materien ein Steuerungsdefizit erzeugt hat und ob die Mitwirkungsvorbehalte zu verfassungsrechtlich bedenklichen Kompetenzverschiebungen führen; die Kriterien werden auch eine Aussage darüber zulassen, ob vorhandene Steuerungsdefizite durch den Einsatz von Mitwirkungsinstrumenten tatsächlich ausgeglichen werden können. Neben der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Parlamentsvorbehalt werden auch funktionell-rechtli77 Vgl. nur BT-Drs. 10/4268, S. 113 hinsichtlich des Änderungsvorbehalts in § 292IV HGB und BT-Drs. 11/7104, S.22 und BR-Drs. 127/90, S.58 hinsichtlich des §20 UmweltHG. 78 Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758) sieht die Möglichkeit, daß mit Änderungsvorbehalten dem Bundestag ein Rechtsverordnungsrecht „unter falscher Flagge" zuwächst. 79 Schon früh hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Zulässigkeit von Zustimmungsverordnungen befaßt, siehe den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 1958 in BVerfGE 8, 274 ff. zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Preisgesetzes vom 10. April 1948 (WiGBl. S.27). Hinsichtlich der Änderungsvorbehalte siehe Stefan Studenroth, Einflußnahme des Bundestages auf Erlaß, Inhalt und Bestand von Rechtsverordnungen, DÖV 1995, S. 525 ff. (S.528). 80 Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Beschluß zum Preisgesetz angesprochen, siehe BVerfGE 8, 274 (321). 81 Vgl. Stefan Studenroth, Einflußnahme des Bundestages auf Erlaß, Inhalt und Bestand von Rechtsverordnungen, DÖV 1995, S. 525 ff. (S.529, 534).

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Α. Die Beteiligung des Bundestags als staatsrechtliches Problem

che Methoden zur Bestimmung der richtigen Kompetenzzuordnung einzubeziehen sein. Vor dem Hintergrund der dabei gewonnenen Erkenntnisse sind in Teil C die wichtigsten in der heutigen Verfassungswirklichkeit anzutreffenden Formen der Mitwirkung des Bundestags an der exekutiven Rechtsetzung in Fallgruppen82 vorzustellen. Gleichzeitig sollen sie daraufhin analysiert werden, welche Einwirkungen sie auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Verordnungsgebers zulassen. Die Kenntnis dieser tatsächlichen Auswirkungen auf die Entscheidungsmöglichkeiten der Verfassungsorgane (sozusagen die politische Sachherrschaft) wird es später erlauben, die kompetenziellen Auswirkungen verschiedener Mitwirkungsformen verfassungsrechtlich zu bewerten. Nicht zuletzt verdient als gesetzlich geregelter Mitwirkungsvorbehalt auch der Zustimmungsvorbehalt des Bundesrats nähere Betrachtung. Aus der Mitwirkung des Bundesrats und deren Regelung könnten sich Parallelen zur Mitwirkung des Bundestags ergeben. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte wird in zwei Stufen erfolgen. Zunächst werden in Teil D die Ergebnisse aus Teil Β und C ausgewertet. Setzt man die Verteilung der tatsächlichen Sachherrschaft in Bezug zu den in Teil Β entwickelten verfassungsrechtlichen Direktiven für die Verordnungsgebung, dann wird sich zeigen, ob bestimmte Mitwirkungsformen Systemverschiebungen bewirken und wieweit diese Systemverschiebungen kompetenzrechtlich zulässig sind. Insbesondere soll in diesem Teil der Arbeit eine Auseinandersetzung mit dem Vorwurf erfolgen, daß der Einsatz mancher Mitwirkungsvorbehalte gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wie den Grundsatz der Verantwortungszurechnung, sowie gegen den Grundsatz der Formenstrenge verstoße. Auf der zweiten Stufe der verfassungsrechtlichen Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte wird in Teil Ε überprüft, ob Genehmigungsvorbehalte, Kenntnisvorbehalte, Kassationsvorbehalte sowie Änderungsvorbehalte tatsächlich geeignet sind, Steuerungsdefizite des Delegationsvorgangs auszugleichen. Dazu ist das vom Gesetzgeber verwendete Kompensationsargument auf eine verfassungsrechtlich handhabbare Formel zu bringen. Durch die Beifügung von Mitwirkungs vorbehalten kann keine Naturalrestitution im Sinne einer vollständigen Ersetzung des Gesetzgebungsverfahrens hergestellt werden. Deshalb muß auf die in Teil Β dargestellten funktionell-rechtlichen Kriterien zurückgegriffen werden, um festzustellen, welche Eigenschaften die Gesetzgebung und die Normsetzung durch Rechtsverordnung besitzen. Sodann können einzelne Fallbeispiele näher betrachtet und auf tatsächlich bestehende Steuerungsdefizite untersucht werden. Es wird festzustellen sein, ob die Verordnungsermächtigungen, bei denen Steuerungsdefizite auftreten, durch die Beifügung von Mitwirkungs vorbehalten ein dem Gesetzgebungs verfahren vergleichbares Maß an demokratischer Legitimation, Publizität, Richtigkeitsgarantie durch Verfahren und politischer Integration erreichen. 82

Siehe bereits oben Α. 1.2. b) (S. 24 f.).

II. Thematische Abgrenzungen und Gang der Untersuchung

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In der Diskussion der Ergebnisse am Ende von Teil Ε werden die Ergebnisse von TeilD und Ε zusammengeführt und unter verfassungspolitischen Aspekten betrachtet. Insbesondere wird darauf einzugehen sein, ob der Einsatz von Mitwirkungsvorbehalten den Gesetzgeber ausreichend entlasten kann und geeignet ist, ihn vor einer Selbstentmachtung zu schützen. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse in Form von Thesen (TeilF).

Β. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen Das Grundgesetz hat einerseits mit der Aufgabenverteilung in Art. 20 II die Entscheidung getroffen, die Setzung allgemeinverbindlicher Normen grundsätzlich der Legislative zuzuordnen, und erlaubt andererseits dem Gesetzgeber in Art. 801 GG explizit, Normsetzungsbefugnisse an die Exekutive zu delegieren. Daher bewirkt Art. 801 GG eine erste Verschränkung von Kompetenzen1. Wird dem Gesetzgeber ein Mitwirkungsvorbehalt beim Erlaß von Rechtsverordnungen eingeräumt, so findet dadurch eine zweite Verschränkung, eine „Verschränkung der Verschränkung", statt. Da schon die Kompetenzen bei der Delegation von Befugnissen zum Erlaß von Rechtsverordnungen ausdrücklich nicht genau geregelt sind, ist vor der verfassungsrechtlichen Beurteilung weiterer Kompetenzverschränkungen in Form von Mitwirkungsbefugnissen zunächst festzustellen, welche verfassungsrechtlichen Direktiven die grundlegende Kompetenzstruktur zwischen Legislative und Exekutive beim Erlaß von Rechtsverordnungen bestimmen. Diese Direktiven werden später auch eine Aussage darüber zulassen, ob Steuerungsdefizite bei der Delegation vorlagen und unter welchen Voraussetzungen diese Defizite durch Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags kompensiert werden können. Für beides sind zwei Aspekte wesentlich, nämlich die Delegationssperren des Gesetzesvorbehalts (I) und des Bestimmtheitsgebots des Art. 8012 GG (II). Neben den Delegationssperren gibt es noch weitere Direktiven für die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen. Abgesehen von dem in Art. 80 III GG geregelten Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrats sind diese jedoch aufgrund ihrer fehlenden kompetenzrechtlichen Wirkungen2 für die Beurteilung von Steuerungsdefiziten unbeachtlich. 1

Ulrich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, S.75 spricht im Zusammenhang mit der Verordnungsgebung von einem Übergriff der Regierung auf fremde Funktionsbereiche. 2 Zu diesen Direktiven gehören das Zitiergebot des Art. 8013 GG und die Begründungspflichten gemäß § 66 GGO II. Obwohl das Zitiergebot eine formelle WirksamkeitsVoraussetzung ist, deren Fehlen zur Nichtigkeit der Rechtsverordnung führt, besitzt es ebensowenig wie die Begründungspflichten kompetenzrechtlichen Charakter. Siehe allgemein zum Zitiergebot: Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 21. Zur Nichtigkeitsfolge einer Verletzung des Zitiergebots: Brun-Otto Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn.24, Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S.66, Ulrich Ramsauer, in: Azzola u.a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 73 und Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. II, 1980, § 38 III4 a (S. 671). Begründungspflichten nach außen ergeben sich nach durchaus zutreffender Ansicht von Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers,

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre Objektbezogene3 Delegationssperren wie der Vorbehalt des Gesetzes4 (oder Gesetzesvorbehalt5, allgemeiner Gesetzesvorbehalt6) machen Legitimationsdefizite beim Erlaß von Rechtsverordnungen sichtbar. Der Gesetzesvorbehalt ist als notwendige Ergänzung des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes7 anzusehen. Nach seinem zentralen Grundgedanken bedürfen Eingriffe in grundrechtliche Positionen der Bürger eines Gesetzes als legitimierender Regelung8. Damit markiert der Vorbehalt des Gesetzes die Grenze zwischen denjenigen Materien, die einer autonomen Regelung 9 durch die Exekutive zugänglich sind, und solchen, die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zu regeln sind 10 . Er bietet daher die erste Stufe einer Kompetenzabgrenzung11 zwischen Legislative und Exekutive. Während der eben erwähnte traditionelle oder allgemeine Gesetzesvorbehalt eine Regelung auch aufgrund eines Gesetzes, also auch mittels einer Rechtsverordnung, die auf der Grundlage einer gesetzlichen Verordnungsermächtigung ergeht, nicht 1989, S. 138 ff. und Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn.30 aus Art. 20 III, 19IV1 GG. Zur verfassungsrechtlichen Herleitung von Begründungspflichten und zu ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit siehe auch Albert v. Mutius, Grundrechtsschutz contra Verwaltungseffizienz im Verwaltungsverfahren?, NJW 1982, S.2150ff. (S.2156), Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, § 64 Rn. 68 und Jörg Lücke, a. a. O. 3 Zu dem Begriff Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 19. Auf die subjektbezogenen Delegationssperren wird später noch einzugehen sein, siehe unten D.IV.2.a)(l) (S. 105f.). 4 Zur Klärung der Vorbehaltsterminologie sei auf Jürgen Staupe, Parlaments vorbehält und Delegationsbefugnis, 1986, S.28ff. und Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rnrn. 95 ff. verwiesen. 5 Siehe auch Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn. 12. 6 Der allgemeine Gesetzesvorbehalt ist von den speziellen Gesetzesvorbehalten (oder auch Grundrechtsvorbehalten) zu unterscheiden, die für einzelne Grundrechte die speziellen Eingriffsvoraussetzungen konkretisieren, siehe auch Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 96. Zum Verhältnis dieser beiden Vorbehalte zueinander siehe unten Fn. 20 und Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn. 16. 7 Zum Begriff des Vorrangs des Gesetzes siehe Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rnrn. 1 ff. und Christoph Degenhart, Staatsrecht 1,15. Aufl., 1999, Rn. 276 f. BVerfGE 40, 237 (248 f.) - Strafvollzug. 8 BVerfGE 8,155 (166f.) - Lastenausgleich; Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S.685f.). 9 Vgl. BVerfGE 33,125 ff. - Facharzt - zum Verhältnis von ermächtigendem Gesetz zur Satzungsgewalt. 10 Siehe auch Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 107. 11 Eberhard Schmidt-.Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HStRI, 1987, §24 Rn.63; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.7. 3 Schmidt

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

ausschließt, verlangt der Parlamentsvorbehalt nach einer Regelung mittels formellen Gesetzes12. Aussagen über die Delegierbarkeit von Materien an die Exekutive ergeben sich also erst aus dem spezielleren Begriff des Parlamentsvorbehalts, der trotz aller begrifflichen Vielfalt als Maßstab dafür bezeichnet wird, auf welcher Regelungsebene eine Materie geregelt werden muß 1 3 . Da der Vorbehalt des Gesetzes immer den Kern der nicht delegierbaren Kompetenzen miteinschließt 14 , besteht zwischen dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt und dem Parlamentsvorbehalt ein Stufenverhältnis15. Die Rechtsprechung verwendet diesen Begriff inzwischen explizit 16 und behandelt ihn wie einen „verdichteten Gesetzesvorbehalt"17.

12 Fritz Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S.9ff. (S. 21 f.); Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 159f. m. w. N. 13 Die Systematik der grundrechtlichen Vorbehalte legt eine solche Differenzierung zwischen einfachem Gesetzesvorbehalt und weitergehenden Vorbehalten nahe - Grundrechte können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Im Zusammenhang mit dem Rechtsbegriff, der hier als Parlamentsvorbehalt bezeichnet wird, werden zahlreiche andere Begriffe verwendet: Vorbehalt des Parlaments, Vorbehalt der Legislative, Vorbehalt des formellen Gesetzes, Parlamentsvorbehalt; einen umfassenden Überblick bietet Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 29 f. Als gängiger Terminus in der Literatur und Rechtsprechung hat sich hier der „Parlamentsvorbehalt" durchgesetzt; siehe statt vieler: Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.9 m. w. N. in Fn. 34; BVerfGE 47,46 (79f.) - Sexualkunde; BVerfGE 58, 257 (268) - Schulentlassung. 14 Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn. 10. 15 Das Stufenverhältnis zwischen Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt stellt Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 128 ff. überzeugend dar. Siehe auch Η ans-Uwe Erichsen, Aus der Praxis der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit - Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch 67 (1976), S. 93 ff. (S. 97 f.); Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 9; Friedrich E. Schnapp, Der Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), S. 172ff. (S. 175) m. w. N. Auch Walter Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, S. 109 versteht den Parlamentsvorbehalt als einen Begriff, der über den allgemeinen Vorbehaltsbegriff hinausgehend die delegationsfeindlichen Gegenstände bezeichnet. 16 BVerfGE 47,46 (79) - Sexualkunde - (unter Vermeidung des Begriffs, aber inhaltlich den Begriff vorwegnehmend); BVerfGE 57, 295 (321) - 3. Rundfunkurteil. 17 Hans-Uwe Erichsen, Die sog. unbestimmten Rechtsbegriffe als Steuerungs- und Kontrollmaßgaben im Verhältnis von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, DVB1.1985, S.22 ff. (S.27); Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.9. Vgl. BVerfGE 58, 257 (268, 274) - Schulentlassung.

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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1. Der Vorbehalt des Gesetzes und moderne Erweiterungstendenzen unter rechtsstaatlichen Aspekten Die Bestimmung der Reichweite des Gesetzesvorbehalts und damit auch des Parlamentsvorbehalts ist nach wie vor umstritten18. Eine Beschränkung der Inhaltsbestimmung des Gesetzesvorbehalts auf den Eingriffsvorbehalt ist jedenfalls nicht mehr zeitgemäß 19 , da die konkreten grundgesetzlichen Eingriffs vorbehalte den Bereich des klassischen Eingriffs in Freiheit und Eigentum bereits weitgehend abdekken 2 0 . Darüber hinaus machen es das moderne Grundrechtsverständnis21 und der Übergang vom Eingriffsstaat zum sozialen Leistungsstaat22 erforderlich, den Gesetzesvorbehalt teilweise auf den Bereich der Leistungsverwaltung, insbesondere auf die staatliche Subventionsgewährung23 auszudehnen, die nur schwer mit den klassischen Eingriffskategorien erfaßt werden kann 24 . 18

Siehe Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rnrn. 97 ff. 19 Siehe schon die Zweifel des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 8, 155 (167) - Lastenausgleich. Vgl. auch Hartmut Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl., 1997, §6 Rn. 10, S. 107. Zu den Wurzeln des klassischen Eingriffsvorbehalts im Frühkonstitutionalismus siehe Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 11. 20 Siehe Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 687). Kloepfer legt dar, daß der allgemeine Gesetzes vorbehält und die speziellen Gesetzesvorbehalte der Grundrechte aufgrund unterschiedlicher Funktionalität nebeneinander bestehen bleiben müssen: Der erstere stärkt die Macht des Gesetzgebers im Verhältnis zur Exekutive, die letzteren sollen unter anderem die (eingreifende) Handlungsfreiheit des Gesetzgebers beschränken. Auch Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn. 16 unterstreicht die beschränkende Wirkung der speziellen Gesetzesvorbehalte. 21 In diesem Sinne hinsichtlich der LeistungsVerwaltung: Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 142. Nach BVerfGE 40, 237 (249) - Strafvollzug - kann Leistungsgewährung für die Verwirklichung der Freiheit des Menschen genauso wichtig sein wie Freiheit von Eingriffen. Grundlegend zum Wandel des Grundrechtsverständnisses Ernst-Wolf gang Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 ff. (S. 1535 f.) und Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S.69ff. (S. 135). 22 Die erhöhten Anforderungen an das Rechtsstaatsprinzip in einem „überall eingreifenden Wirtschafts- und Sozialstaat" sah bereits Richard Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, S.221 ff. (S.233). 23 Die prinzipielle Geltung des Gesetzesvorbehalts für den Bereich der Leistungsverwaltung zeigt Hartmut Bauer, Der Gesetzesvorbehalt im Subventionsrecht, DÖV 1983, S.53 ff. (S. 55 f.) anhand des Interventionscharakters staatlicher Subventionen auf. 24 Auch das Bundesverfassungsgericht sieht in der Entscheidung BVerfGE 8, 155 (167) - Lastenausgleich - daß die neue „egalitär-sozialstaatliche Denkweise" zu einer Erweiterung des Gesetzesvorbehalts führen könne und daß der klassische Eingriffsvorbehalt sich nicht nur auf Verfahren und Organisation der Leistungsverwaltung erstrecken könne. Schon in den fünfziger Jahren mußte bei dem Versuch, den Eingriffsvorbehalt auch auf den Bereich der Leistungsverwaltung anzuwenden, sowohl der Freiheits- als auch der Eingriffsbegriff überstrapaziert werden, so Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, 3*

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

Auch ein Totalvorbehalt des Gesetzes, der den Vorbehalt des Gesetzes auf alle leistenden bzw. begünstigenden Regelungen ausdehnen will 2 5 , muß mit der überwiegenden Meinung der Literatur 26 und der Rechtsprechung27 abgelehnt werden, da er die demokratische Legitimation der Exekutive außer acht läßt. Ebensowenig kann die Reichweite des Gesetzesvorbehalts durch den als Kernbereich der exekutivischen Eigenverantwortung28 benannten Vorbehaltsbereich der Regierung definiert werden, da es bis auf einige hauptsächlich funktionssichernde Kompetenzen 29 gegenüber der Legislative nur wenige zugriffsfeste Sachbereiche der Regierung gibt 3 0 . Die Verwaltungsvorbehalte31 umfassen nur einen Kern von Aufgaben der Selbstverwaltung, des Vollzugs, der Organisation und der Normsetzung. Ungeachtet ihres § 62 Rn. 34.; Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 690) ist allerdings der Auffassung, gerade im Bereich der Subventionsvergabe hätte man mit der klassischen Eingriffsformel weiterarbeiten können und führt als Beispiel die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den Pressesubventionen an (VG Berlin DÖV 1974, S. 100ff.; OVG Berlin, JZ 1976, S.402ff.). 25 Art. 18 des Österreichischen Bundesverfassungsgesetzes sieht einen Totalvorbehalt vor. Als wichtigster Vertreter des Totalvorbehalts in Deutschland gilt Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 34, der den Total vorbehält so definiert, daß er keinen Exekutivakt ohne gesetzliche Ermächtigung zuläßt. Den Totalvorbehalt will er anhand der absoluten Suprematie des Parlaments begründen (S. 171 f.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt mit rechtsstaatlicher Begründung Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl., 1991, S. 140-146. 26 Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 119 Fn. 113 m. w. N.; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 18. 27 Das Bundesverfassungsgericht spricht in BVerfGE 47, 89 (126) - Kalkar - auch deutlich davon, daß aus dem Demokratieprinzip kein allumfassender Parlamentsvorbehalt abgeleitet werden dürfe. Ähnlich auch BVerfGE 68, 1, (109) - Pershing. 28 Zu dem Begriff bei Rupert Scholz, Parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Steuergeheimnis, AöR 105 (1980), S. 564ff. (S. 598) und ders.y Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), S. 145ff. (S. 149ff., S. 160ff.). Siehe auch BVerfGE 67, 100 (139) - Flick-Untersuchungsausschuß - und BVerfGE 68, 1 (86 f . ) - Pershing. Grundlegend: Hartmut Maurer und Friedrich E. Schnapp, Der Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), S. 135 ff. und S. 172ff.; vgl. auch Thomas Kuhly Der Kernbereich der Exekutive, 1993, S. 13 f. 29 Meinhard Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, in: HStR II, 1987, §50 Rn. 15. Beispiele für diese Kompetenzen sind die interne Willensbildung der Regierung, die außenpolitischen Kompetenzen, Personalhoheit und der Initiativbereich, siehe auch Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 55 f. m. w. N. 30 Der Bundeskanzler besitzt ζ. B. aufgrund seiner Richtlinienkompetenz aus Art. 65 GG noch kein Monopol hinsichtlich der politischen Grundsatzentscheidungen, siehe Meinhard Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, in: HStR II, 1987, § 50 Rn. 6. Zum anderen läßt sich die Regierungsfunktion inhaltlich nicht scharf genug fassen, um einen Vorbehaltsbereich festlegen zu können. Auch die nachgeordnete Verwaltung kann Aufgaben nur in eigener Kompetenz übernehmen, wenn der Gesetzgeber in diesen Bereichen nicht gehandelt hat (sog. „Restkompetenz"), vgl. Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rnm. 56 ff. Kritisch Hartmut Maurer, Der Verwaltungsvorbehalt, VVDStRL 43 (1985), S. 135 ff. (S. 147 ff.) und Detlef Czybulka, Die Legitimation der öffentlichen Verwaltung, 1989, S. 105 f. 31 Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62Rnrn.56ff.

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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schwer zu bestimmenden und spärlichen Gehalts verbietet damit die Zielrichtung der Exekutivvorbehalte, mit ihrer Hilfe den Bereich des Parlaments- oder Gesetzesvorbehalts näher zu bestimmen. Die Exekutivvorbehalte bestimmen, was der Gesetzgeber nicht regeln darf. Daraus ergibt sich aber noch nicht, was er durch Gesetz regeln muß 3 2 . Als Zwischenergebnis ist festzustellen, daß weder der Eingriffsvorbehalt noch ein Totalvorbehalt oder die Festlegung eines Kernbereichs der exekutivischen Eigenverantwortung eine sinnvolle Bestimmung der Reichweite des Gesetzesvorbehalts, geschweige denn des Parlamentsvorbehalts ermöglichen.

2. Die Kriterien der Wesentlichkeitsrechtsprechung als Ansatzpunkte zur Bestimmung der Reichweite des Gesetzes- und des Parlamentsvorbehalts Die Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts33, die auch die Unterstützung eines großen Teils der Literatur gefunden 34 hat, liefert unter anderem Kriterien für eine Abgrenzung der Kompetenzbereiche des Verordnungsgebers und des Gesetzgebers35. Das Gericht ordnet nunmehr die Entscheidung über die 32

Friederike Kraatz, Parlaments vorbehält im Gentechnikrecht, 1995, S.66f. Die Leistung der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestand zunächst darin, den Gesetzesvorbehalt auch auf die sogenannten besonderen Gewaltverhältnisse auszudehnen, die vorher nicht unter den Vorbehaltsbegriff gefallen waren, siehe Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Altemativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 13 und die Rechtsprechungsbeispiele in BVerfGE 34, 165 (192 f.) - Förderstufe - BVerfGE 47,46 (78 f.) - Sexualkunde - BVerfGE 40,237 (249) - Strafvollzug - und BVerfGE 58, 257 (268 ff.) - Schulentlassung. Ausgehend von der frühen Entscheidung in BVerfGE 7, 282 (302), 3. LS. - Lex Salamander-und den drei Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im 33. Band der amtlichen Sammlung BVerfGE 33, 1 (lOff.) - Strafgefangene - BVerfGE 33, 125 (158f.) - Facharzt - und BVerfGE 33, 303 (333-346) - 1 . NC-Urteil - hat sich die Wesentlichkeitstheorie bald als konsistente Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchgesetzt, siehe zuletzt BVerfGE 83, 130 (142 u. 152) - Josephine Mutzenbacher. Auch das Bundesverwaltungsgericht verwendet (teilweise inflationär) die Begriffe „wesentlich" und „grundlegend" in den Entscheidungen BVerwGE 47, 194 (199 f.) - Sexualerziehung - BVerwGE 47, 201 (203 ff.) - Fünf-Tage-Woche - und BVerwGE 64, 304, (312-315)-Latein als Fremdsprache. 34 Peter Häberle, Berufsgerichte als „staatliche Gerichte", DÖV 1965, S. 369ff. (S. 374) hinsichtlich der Abgrenzung zum Satzungsrecht. Siehe auch Hartmut Bauer, Der Gesetzesvorbehalt im Subventionsrecht, DÖV 1983, S. 53 ff. (S. 55 ff.); Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. 1,2. Aufl., 1984, § 20IV4bô (S. 812f.). Kritisch: Dieter C. Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: Zeidler/Maunz/Roellecke (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Faller, 1984, S. 111 ff. (S. 122 ff.). 35 Das Verdienst der Wesentlichkeitsrechtsprechung war zunächst „nur", die sogenannten besonderen Gewaltverhältnisse in den Bereich des Gesetzesvorbehalts miteinzubeziehen, wie der bahnbrechende Strafgefangenen-Beschluß, BVerfGE 33, 1 (10f.), BVerfGE 33, 125 (157ff.) - Facharzt - BVerfGE 34, 165 (192ff.) - Förderstufe - und BVerfGE 49, 89, 126 f. - Kalkar I - m. w. N. zeigen. Diese Rechtsprechung erstreckte sich bald auch auf das Ver33

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

„wesentlichen" und grundlegenden Weichenstellungen im Staat dem Bundestag als dem unmittelbar demokratisch legitimierten Verfassungsorgan zu 36 . Damit ist das Parlament verpflichtet, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu regeln37. Bestimmend für das Wesentlichkeitskriterium sind zum einen die Grundrechte: gesetzlich zu regeln ist das, was wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte ist38. Die Wesentlichkeitstheorie ist jedoch nicht nur grundrechtsakzessorisch ausgerichtet39; das Bundesverfassungsgericht rekurriert auch auf das Demokratieprinzip40 und stellt in einigen Entscheidungen darauf ab, daß vor allem das vom Volk gewählte hältnis der Verordnungsgebung zur parlamentarischen Gesetzgebung, siehe BVerfGE 34, 52 (59) - Hessisches Richtergesetz - (mit dem Argument der Wesentlichkeit wird hier allerdings nur die Frage nach der Bestimmtheit und nicht die nach der Delegierbarkeit angesprochen, vgl. BVerfGE 80, 124 [132] - Staatliche Presseförderung). Siehe zusammenfassend Wolfram Cremer, Art. 80 Abs. IS. 2 GG und Parlamentsvorbehalt, AöR 122 (1997), S.249ff. (S. 259f.). 36 BVerfGE 33,303 (346) - 1 . NC-Urteil - „alle grundlegenden Entscheidungen"; BVerfGE 47, 46 (78 f.) - Sexualkunde - „wesentliche Entscheidungen". Zahlreiche Nachweise auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts finden sich auch bei Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 104 Fn. 6. Siehe auch Christoph Degenhart, Staatsrecht 1,15. Aufl., 1999, Rn.294; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rnrn. 41 ff. Schon in den Vormärzverfassungen hat die demokratisch-partizipatorische Komponente sowie das Kriterium der „Bedeutsamkeit" eine wichtige Rolle gespielt, siehe Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S.46, 109. Weitere Nachweise zur Tradition des Begriffs des Bedeutsamen, Wichtigen bei Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 163 Fn.59. 37 BVerfGE 49, 89, 126 f. - Kalkar I - „Heute ist es ständige Rechtsprechung, daß der Gesetzgeber verpflichtet ist, - losgelöst vom Merkmal des „Eingriffs" - in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen." Vgl. auch Hartmut Bauer, Der Gesetzesvorbehalt im Subventionsrecht, DÖV 1983, S.53ff. (S.55). 38 Vgl. BVerfGE 33,125 (158)-Facharzt-BVerfGE 34,165 (192f.)-Förderstufe-BVerfGE 40,237 (249) - Strafvollzug; BVerfGE 41,251 (259 f.) - Speyer-Kolleg - und BVerfGE 47, 46 (79) - Sexualkunde - sowie alle darauffolgenden Entscheidungen. Vgl. auch Siegfried Magiern, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 205-210. 39 Das Bundesverfassungsgericht bemerkt in BVerfGE 47,46 (79) - Sexualkunde - daß der Schutz der Grundrechte nur einen „wichtigen Gesichtspunkt" bei der Bestimmung der Wesentlichkeit einer Materie darstelle. Siehe auch BVerfGE 49, 89 (126 f.) - Kalkar I - und BVerfGE 68,1 (86) - Pershing. Im letzteren Urteil hat das Bundesverfassungsgericht den Grundstein für eine Anreicherung der Wesentlichkeitstheorie mittels funktionell-rechtlicher Kriterien gelegt. Vgl. auch Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 690). Zu eng ist daher die Auffassung von Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 114, der die Wesentlichkeitstheorie als grundrechtsakzessorisch betrachtet. 40 BVerfGE 47,46 (79) - Sexualkunde - zeigt deutlich, daß der Schutz der Grundrechte nur einen „wichtigen Gesichtspunkt" bei der Bestimmung der Wesentlichkeit einer Materie darstellt. Die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Regelung wesentlicher Materien ergibt sich aus dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatsprinzip (S.78 f.). BVerfGE 33,125 (158)-Facharzt - leitet die gesetzgeberische Verantwortung für die Ordnung von Lebensbereichen durch Sätze öffentlichen Rechts aus dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip her.

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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Parlament dazu berufen sei, unter Abwägung widerstreitender Interessen über die von der Verfassung offengelassenen Fragen zu entscheiden41 oder die Ordnung bestimmter Lebensbereiche vorzunehmen42. Neben der reinen Grundrechtsrelevanz ist also auch die politische Umstrittenheit einer Materie oder ihre Bedeutsamkeit für das Gemeinwesen der Bezugspunkt der Wesentlichkeitstheorie43. Damit tritt die demokratische Komponente wieder in den Vordergrund, die durch die spätkonstitutionelle Staatsrechtslehre verdrängt worden war 4 4 . Entscheidend scheint vor allem das unterschiedliche Kreationsverfahren zu sein, das unterschiedliche Grade der demokratischen Legitimation vermittelt 45 . Auch die zweite Stufe 46 , nämlich die Verdichtung47 des Gesetzesvorbehalts zum Parlamentsvorbehalt, der eine Delegation der Materie ausschließt, begründet die Rechtsprechung anhand von Kriterien, die der Wesentlichkeitstheorie entstammen 4 8 . Eine Regelung durch formelles Gesetz sei um so dringender erforderlich, je 41

BVerfGE 33, 125 (159)-Facharzt. BVerfGE 33, 125 (158)-Facharzt-BVerfGE 41, 251 (260)- Speyer-Kolleg. 43 Diese Aspekte hebt Hartmut Bauer, Der Gesetzesvorbehalt im Subventionsrecht, DÖV 1983, S. 53 ff. (S. 55) hervor. In BVerfGE 40, 237 (249) - Strafvollzug - BVerfGE 41, 251 (260) - Speyer-Kolleg - und BVerfGE 83,130 (142 f.) - Josefine Mutzenbacher - verlangt das Bundesverfassungsgericht, daß der Gesetzgeber selbst tätig wird, wenn es um den Ausgleich widerstreitender Interessen der Bürger oder um grundsätzliche Fragen geht. Damit bezieht sich das Bundesverfassungsgericht auch auf die politische Relevanz der Materie. Vgl. auch BVerfGE 68,1 (89) - Pershing. Noch stärker isoliert von der Grundrechtsrelevanz betrachtet Gunter Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW1977, S. 1313 ff. (S. 1318) die politische Umstrittenheit einer Materie. 44 Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.33. 45 So ausdrücklich BVerfGE 33, 125 (159) - Facharzt; siehe auch Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 165 m. w. N. 46 Das Stufenverhältnis zwischen Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt stellt Jürgen Staupe, a. a. O., S. 128 ff. überzeugend dar. Staupe operiert allerdings mit dem Begriff des Rechtssatzvorbehalts anstelle des Gesetzesvorbehalts. Das Delegationsverbot siedelt er auf der Rechtsfolgenebene des Parlamentsvorbehalts an (a.a.O., S. 103, 128ff.). Sei der Tatbestand des Parlamentsvorbehalts erfüllt, müsse auf der Rechtsfolgenseite noch die Regelungsebene (Gesetz oder Rechtsverordnung) und die Regelungsdichte (Bestimmtheitskriterien) festgelegt werden (a.a.O., S. 103f., 128f., 136f.). 47 Fritz Ossenbühl Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 9. Siehe auch Walter Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, 1975, S. 109. 48 Zur Übertragbarkeit der Wesentlichkeitsdoktrin auf den Parlamentsvorbehalt siehe Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 169. Die Haltung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich des Parlamentsvorbehalts ist starken Schwankungen unterworfen. Dies spiegelt sich vor allem in seinen Entscheidungen zum Schulrecht wider. Zunächst scheint das Gericht die Regelung grundlegender Entscheidungen nur durch formelles Gesetz zulassen zu wollen (BVerwGE 47, 194 [199f.] - Fünf-Tage-Woche - offengelassen von BVerwGE 47, 201 [205] - Sexualkunde). In der Lateinentscheidung (BVerwGE 64, 308 [315f.]) und im Versetzungsurteil (BVerwGE 56, 155 [158]) folgt es dem Bundesverfassungsgericht insoweit nicht, als es trotz intensiver Grundrechtsbeeinträchtigung den Schritt vom Gesetzesvorbehalt zum Parlaments vorbehält nicht machen will. Anders verhält es sich wiederum mit den Ent42

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

bedeutsamer sie für die Verwirklichung der Grundrechte sei bzw. je intensiver sie diese beeinträchtige49. Die Schwelle vom Gesetzesvorbehalt zum Parlamentsvorbehalt sei dann überschritten, wenn eine Regelung besonders intensiv auf einen grundrechtlichen Freiheitsbereich einwirke oder sich als besonders bedeutsam für die Verwirklichung der Grundrechte erweise 50 . Indizien der Intensität seien die individuelle oder kollektive Langzeitwirkung, Umfang des Adressatenkreises und Finalität der Einwirkung 51 . Die Verpflichtung zur Regelung durch förmliches Gesetz sei somit für jeden Sachbereich gesondert zu ermitteln 52 .

Scheidungen BVerwGE 69, 162 (176)-Berufsbildungsgesetz-und dem Urteil vom 7. Oktober 1983 - 7 C 95.82, VR1984, S. 31 und den späteren Entscheidungen, die je nach Eingriffsintensität eine formellgesetzliche Regelung fordern. Hans-Uwe Erichsen, Aus der Praxis der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit - Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Verwaltungsrecht, VerwArch 67 (1976), S.93ff. (S.97f.) merkt kritisch an, daß das Bundesverwaltungsgericht in den Entscheidungen im 47. Band jedenfalls nicht die Frage des Gesetzesvorbehalts von der Frage des Parlamentsvorbehalts trennt. Für die weitere Untersuchung wird daher hauptsächlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten sein, die sich insofern klarer für den Parlamentsvorbehalt entschieden hat (eingehender zu den Unterschieden in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 130f.). 49 In BVerfGE 33, 125 (158ff.) - Facharzt - stellt das Bundesverfassungsgericht den Zusammenhang zwischen Grundrechtsintensität und Erforderlichkeit einer parlamentsgesetzlichen Regelung her. Noch deutlicher in dieser Hinsicht ist BVerfGE 49, 89 (127 f.) - Kalkar I. Vgl. auch Rupert Scholz!Η ans Bismark, Schulrecht zwischen Parlament und Verwaltung, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S.77ff. (S. 110). In der Facharzt-Entscheidung (a.a.O., S. 158) betont das Bundesverfassungsgericht wieder die politisch-demokratische Komponente des Parlamentsvorbehalts. 50 Am klarsten wird der Zusammenhang von Intensität der Grundrechtsrelevanz und Erforderlichkeit einer Regelung durch formelles Gesetz in BVerfGE 58, 257 (274f.) - Schulentlassung. Dort heißt es unter anderem: „Beide [...] Maßnahmen sind somit grundrechtsrelevant [...] Da es sich um eine Begrenzung der Grundrechtsausübung handelt, muß die Regelung [...] durch »Rechtssatz4 erfolgen. Ob dies in einem formellen Gesetz geschehen muß oder ob auch eine Rechtsverordnung [...] genügt, hängt von der Reichweite des [...] Parlamentsvorbehalts ab". Den Umfang des aufgrund der Grundrechtsrelevanz eröffneten „parlamentarischen Regelungsvorbehalts" bestimmt das Gericht nach der „Intensität, mit welcher die Grundrechte der Regelungsadressaten betroffen werden" (BVerfGE, a. a. O.). 51 Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 166. 52 BVerfGE 49, 89 (126f.) - Kalkar I.

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre a) Die Kritik

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an der Wesentlichkeitsrechtsprechung

Die Wesentlichkeitstheorie ist ein umstrittener Ansatz 53 . Begriffsjuristische Zweifel 5 4 können zwar nach einem Blick auf die Entstehungsgeschichte55 des Grundgesetzes ausgeräumt werden. Eine gewisse Widersprüchlichkeit innerhalb der Wesentlichkeitstheorie bleibt allerdings, wenn das Bundesverfassungsgericht mehrfach die besondere demokratische Legitimation des Gesetzgebers hervorhebt, daraus aber keinen Vorrang des Parlaments ableiten will 5 6 . Außerdem ist fraglich, ob die personelle demokratische Legitimation des Bundestags die von der Verfassung den anderen Staatsorganen zuerkannte institutionelle und funktionelle Legitimation aufwiegen kann 57 . Auf andere Versuche zur Inhaltsbestimmung des Parlamentsvorbehalts ist hier nur kurz einzugehen 58 : Kriterien, die sich nur nach dem Inhalt der zu treffenden Regeln bestimmen und sich allgemein auf das Demokratieprinzip berufen, sind abzulehnen, da das Demokratieprinzip an sich formindifferent ist 59 . Nach zutreffender Ansicht reicht es nicht aus, das Wesentliche als das „politisch Kontroverse" zu erklären 60 . Ein solches Merkmal ergänzt das Wesentlichkeitskriterium nur in der Brei53

Vgl. nur Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. und Dieter C. Umbach, Das Wesentliche an der Wesentlichkeitstheorie, in: Zeidler/Maunz/Roellecke (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Faller, 1984, S. 111 ff. 54 Es stellt sich die Frage, ob eine Theorie zur Begründung von Kompetenzen wie die Wesentlichkeitstheorie, die gerade die graduell höhere demokratische Legitimation des Parlaments als Argument verwendet, aus dieser höheren Legitimation eine Beschneidung von Kompetenzen (nämlich zur Delegation) folgern darf. 55 Siehe oben A.I.l.c) (S.22). 56 Nach Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 169 ist die komparative Annahme, daß die Exekutive aufgrund des unterschiedlichen Kreationsvorgangs schwächer als die Legislative demokratisch legitimiert sei, für sich schon zweifelhaft: Die über die Parteien vermittelte Wahl sei immer Regierungs- und Parlaments wähl zugleich. Für manche Wähler gehe es bei den Bundestagswahlen sogar eher um eine Regierungswahl als um eine Wahl von Abgeordneten. Zu klären wäre hier noch, ob das Maß der demokratischen Legitimation normativ ermittelt werden kann. 57 Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 167 f. 58 Siehe den Überblick bei Jürgen Staupe, a. a. O., S. 162 ff. zu den anderen Versuchen einer verfassungsrechtlichen Begründung des Parlaments Vorbehalts. 59 Das Maß der personellen demokratischen Legitimation einer Entscheidung verändert sich nicht, wenn das Parlament einen Gegenstand nicht per Gesetz regelt, sondern per Beschluß. Siehe auch Jürgen Staupe, a. a. O., S. 175 und Eggert Schwan, Zuständigkeitsregelungen und Vorbehalt des Gesetzes, 1971, S. 54 zur Formindifferenz des Demokratieprinzips. 60 Zur Präzisierung des Wesentlichkeitskriteriums durch den Begriff des politisch Kontroversen siehe Gunter Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW 1977, S. 1313 ff. (S. 1318). Zahlreiche Stimmen in der Literatur lehnen das „politisch Kontroverse" als verfassungsrechtlich relevantes Abgrenzungskriterium ab, vgl. nur Hans-Jürgen Papier, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 36 ff. (S. 43) und Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

te 6 1 , fügt ihm jedoch keine Trennschärfe hinzu, da der Begriff der „politischen Wichtigkeit" oder der „politischen Relevanz" selbst als relativ konturlos bezeichnet werden muß. Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Wesentlichkeitstheorie trotz einer inzwischen eingetretenen dogmatischen Verfestigung62 Schwächen aufweist, die ihre Brauchbarkeit als verfassungsrechtlich schlüssiges Instrument zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts in Frage stellen. A m schwersten wiegt, daß die Trennschärfe des neu entwickelten Kriteriums kaum verbessert63 wird, wenn das Bundesverfassungsgericht zur Bestimmung des Geltungsbereichs64 des Parlamentsvorbehalts das Merkmal der Wesentlichkeit durch das Merkmal der „hohen Intensität" der Grundrechtsbeeinträchtigung ergänzt 65 . Man vermißt etwas, das wie eine „Stufenlehre" die Abgrenzung erleichtert66.

9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 167 bei Fn. 87 mit dem Einwand, das politisch Relevante käme als Kriterium insoweit in Betracht, als ein parlamentarischer Gesetzgeber Grundsatzentscheidungen über zentrale Fragen des Gemeinwesens selbst treffen müßte. Siehe auch Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 692). Siehe auch die oben bereits erwähnte Entscheidung in BVerfGE 49, 89 (126) - Kalkar I - die der politischen Relevanz einer Materie nur beschränkte kompetenzrechtliche Bedeutung zugesteht. 61 Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 127 f. sieht den politischen Parlamentsvorbehalt auf „verfassungsrechtlich wenig gesichertem Boden". 62 Siehe Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 105. 63 Zur Kritik an der fehlenden Genauigkeit der Abgrenzungsformel siehe beispielsweise Jürgen Staupe, a. a. O., S. 312, Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 45 und Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 690,692). Zahlreiche Nachweise zum Argument der fehlenden Trennschärfe auch bei Wolfram Cremer, Art. 80 Abs. I S. 2 GG und Parlamentsvorbehalt, AöR 122 (1997), S. 249ff. (S. 252 Fn. 17) und Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 165 Fn.70, der allerdings auch betont, daß die Unbestimmtheit der Wesentlichkeitsdoktrin sich nicht wesentlich von der Unbestimmtheit anderer verfassungsrechtlicher Begriffe unterscheide (a. a. O., S. 172 Fn. 125); ähnlich Siegfried Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 35 f., 207 f. Zur Kritik an der Verwendung eines allgemeinen Begriffs des Gesetzesvorbehalts siehe auch Hermann Heller, Der Begriff des Gesetzes in der Reichsverfassung, VVDStRL 4 (1928), S.98ff. (S. 121). 64

Oder nach der Terminologie Staupes (.Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 103, 128ff.) die Bestimmung der „Rechtsfolgen" des Parlamentsvorbehalts, insbesondere der „Regelungsebene". 65 Siehe die Entscheidungen bei BVerfGE 58, 257 (274) - Schulentlassung - BVerfGE 47, 46 (79) - Sexualkunde; Kritisch: Jürgen Staupe, a. a. O., S. 120f. 66 Carl-Eugen Eberle, Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, S. 485 ff. (S.490).

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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b) Der funktionell-rechtliche Ansatz als sinnvolle Ergänzung der Wesentlichkeitstheorie Neben der Wesentlichkeitstheorie wendet die Rechtsprechung jedoch in ihren jüngeren Entscheidungen funktionell-rechtliche Maßstäbe an, wenn sie Kompetenzen denjenigen Organen überläßt, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen 67 . Erklärtes Ziel dieser vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht angestrebten funktionsgerechten Aufgabenverteilung ist die „Richtigkeit" der Entscheidung68, die sich nicht nur anhand inhaltlicher Fragen wie etwa der Erreichung maximaler grundrechtlicher Freiheit messen läßt, sondern auch daran, ob das richtige Entscheidungsorgan und -verfahren zur Verwirklichung dieses Ziels eingesetzt wird 6 9 . Da das Grundgesetz keine bloße Ansammlung von Zuständigkeitsregelungen darstellt, sondern eine widerspruchsfreie Grundordnung, die Regeln für die Aufteilung weiterer Kompetenzen schaffen soll 70 , darf hier auf die Gewaltenteilung als grundlegendes Verfassungsprinzip zurückgegriffen werden, um ungeregelte Kompetenzen zuzuordnen71. Gewaltenteilung bedeutet nicht mehr die Teilung von Staatsgewalt72, sondern regelt die Verteilung der Aufgaben der Staatstätigkeit innerhalb eines souveränen Staates73 vor dem Hintergrund, daß in einer Republik der 67

BVerfGE 68,1 (86)-Pershing-und BVerfGE 98,218 (252) - Rechtschreibreform. Inder Entscheidung BVerwGE 72, 300 (317) - Wyhl - geht es eigentlich um eine Frage der Regelungsdichte; ihre Beantwortung durch das Bundesverwaltungsgericht ist jedoch von Bedeutung für die Frage des Parlaments Vorbehalts. Das Bundesverwaltungsgericht hält die Handlungsformen der Exekutive gegenüber derjenigen der Legislative und Judikative für besser geeignet, Aufgaben der Risikovorsorge und Gefahrenabwehr zu erfüllen. 68 BVerfGE 68,1 (86) - Pershing - staatliche Entscheidungen sollen „möglichst richtig" getroffen werden. Siehe auch Hans Herbert v.Arnim, Zur „Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1. 1987, S. 1241 ff. (S. 1243 ff.) und BVerwGE 70, 300 (317) Wyhl - Ziel der „bestmöglichen Gefahrenabwehr". 69 Jürgen Staupe, Parlaments vorbehält und Delegationsbefugnis, 1986, S.212 zeigt dies am Beispiel des Kalkar-I-Beschlusses in BVerfGE 49, 89 (137), auf den später noch einzugehen sein wird. 70 Siegfried Magiern, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 172. 71 Dennoch wird hinsichtlich des Wesentlichkeitskriteriums bisweilen bezweifelt, ob aus den grundlegenden Gestaltungsprinzipien des Grundgesetzes ungeachtet der konkreten verfassungsrechtlichen Ordnung unmittelbar geltende Rechtsfolgen abgeleitet werden dürfen, siehe Hans-Jürgen Papier, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 36ff. (S. 43). 72 Nach überzeugender Ansicht von Norbert Achterberg, Probleme der Funktionenlehre, 1970, S. 110 und Karl Loewenstein, Verfassungslehre, 2. Aufl., 1969, S.32f. ist die Staatsgewalt als solche nicht aufteilbar. Zur einheitlichen Staatsgewalt unter dem Grundgesetz siehe auch Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung, JuS 1986, S. 194f. (S. 197). 73 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 78 f. beschreibt, wie sich die Gewaltentrennung in eine Aufteilung von Funktionen wandelte.

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

Staat als Ordnungsprinzip menschlichen Zusammenlebens durch eine möglichst funktionsgerechte Aufgabenverteilung auf verschiedene Organe stets neu geschaffen und erhalten werden muß 7 4 . Somit verlangt das Gewaltenteilungsprinzip auch, daß staatliche Entscheidungskompetenzen den Organen zugeteilt werden, die am besten für die Aufgabe geeignet und legitimiert sind 75 . Diese funktionell-rechtliche Methode wurde schon früh von der Literatur 76 gefordert. Überdies scheint die Rechtsprechung das Ziel der „richtigen" Zuordnung von Entscheidungskompetenzen etwa gleichbedeutend mit dem Ziel der größtmöglichen demokratischen Legitimation zu bewerten 77 . Auch ist die Proportionalität des Verfahrens und des Regelungsgegenstands unter dem Aspekt des effektiven Grundrechtsschutzes herzustellen: wenn es ein anpassungsfähiges und schnelles Verfahren gibt, dann muß dieses auch entsprechend eingesetzt werden 78 . 74 Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rn.482. Siegfried Magiern, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 87 spricht davon, daß die Gewaltenteilung zwar im Dienst der materiellen Werte der Verfassung steht, aber als Strukturprinzip auch einen eigenen Wert verkörpert. 75 Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.48f.; BVerfGE 68, 1 (86f.) - Pershing - spricht von einer „richtigen" Funktionszuweisung. Vgl. auch die Kritik am klassischen Gewaltenteilungssystem bei Ulrich Fastenrath, Gewaltenteilung, JuS 1986, S. 194ff. (S. 200f.). Fastenrath stellt unter dem Stichwort der Adäquanz des Verfahrens einen Bezug zwischen der fachlichen Kompetenz eines Entscheidungsträgers, seiner Sachnähe und des Integrationsbedürfnisses der Entscheidung her. 76 Grundlegend: Otto Küster, Das Gewaltenproblem im modernen Staat, AöR 75 (1949), S. 397ff. (S.402f.); später: Gunnar Folke Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, 1980, S. 8; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 48 Fn. 48 mit zahlreichen Nachweisen. Carl-Eugen Eberle, Gesetzesvorbehalt und Parlamentsvorbehalt, DÖV 1984, S.485 ff. (S. 490) will die Reichweite des Parlamentsvorbehalts danach bestimmen, ob die „besonderen Leistungen" des parlamentarischen Verfahrens zur Regelung eines Sachverhalts erforderlich sind. Siegfried M agiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 88 ff. verwendet funktionell-rechtliche Kriterien, um die Organzuständigkeit bei der Verteilung von Aufgaben der Staatsleitung zu bestimmen. Allgemein zu funktionell-rechtlichen Auslegungsmethoden: Horst Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff. (S.73ff.). 77 BVerfGE 68,1 (86ff.) - Pershing; siehe auch Fritz Ossenbühl, in: HStR III, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: 1988, §62 Rn.49 Fn. 134; BVerwGE 72, 300 (317)-Wyhl-verwendet die gleiche Argumentation zur Begründung einer geringeren Regelungsdichte vor dem Prinzip des Gesetzes Vorbehalts. 78 Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S.262. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht schon im Kalkar-I-Beschluß (BVerfGE 49, 89 [139 f.]) die Entscheidungskompetenz über die Einführung neuer Kernkrafttechnologien (Schneller Brüter) der Exekutive zugewiesen, um eine „Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes" bei Sachverhalten zu sichern, auf die die Handlungsformen der Exekutive besser zugeschnitten seien als die der Legislative. Obwohl es im Kalkar-I-Beschluß um die hinreichende Bestimmtheit des § 7 II Nr. 3 AtG ging, mußte das Bundesverfassungsgericht in der Sache doch über die funktionelle Kompetenzabgrenzung zwischen Exekutive und Legislative beschließen.

I. Der Vorbehalt des Gesetzes als objektbezogene Delegationssperre

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Fragt man sich weiterhin, warum die Entscheidungen des einen Verfassungsorgans „richtiger" als die des anderen sein sollen, dann fällt der Blick auf das Ziel dieser Optimierung. Ziel kann in einem Staat, in dem die Staatsgewalt gemäß Art. 20 I I G G vom Volk ausgeht, nur sein, die Entscheidungen nicht nur durch das Volk, sondern für das Volk zu treffen 79 . „Richtig" müßte es daher sein, inhaltlich ausgewogene Entscheidungen zu treffen und eine Teilhabe des Volkes an den Entscheidungen zu erreichen, um durch Gewinnung von Akzeptanz 80 das Ziel der Herstellung einer politischen Einheit des Staates81 zu erreichen. Das „richtige" Verfahren gewährleistet außerdem größtmögliche Rechtssicherheit durch Klarheit des Entscheidungsprozesses und Voraussehbarkeit des Ergebnisses82. Folglich müssen die wichtigeren Entscheidungen in dem bedeutsameren83 Verfahren getroffen werden 84 . Die funktionell-rechtliche Betrachtungsweise stellt sich damit als Methode dar, mit deren Hilfe die kompetenzrechtlichen Zuordnungen der Wesentlichkeitstheorie überprüft werden können 85 .

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Siehe Hans Herbert v. Arnim, Zur „Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1.1987, S. 1241 ff. (S. 1244). 80 Siehe auch Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 4. Aufl., 1997, S. 32 f. Luhmann (a. a. O., S. 181) zeigt auch, daß die alten Zielformeln für gute Gesetzgebung, wie etwa die Förderung des Gemeinwohls oder des größtmöglichen Glücks möglichst vieler, nicht mehr angemessen sind, um die Probleme zu beschreiben, die das moderne Gesetzgebungsverfahren bewältigen muß. Er bezeichnet die Aufgaben der modernen Gesetzgebung vielmehr als, Jntegrationsprobleme". 81 Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., 1968, S. 189 sieht die Verfassung als rechtliche Ordnung staatlicher Integration. Siehe auch Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., 1995, Rn.6 m. w.N. 82 Vgl. Hans Herbert v. Arnim, Zur „Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts, DVB1.1987, S. 1241 ff. (S. 1244). Diese Argumentation, die sich letztlich wieder auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip beruft, unterscheidet sich insofern von der,»klassischen" Argumentation der Wesentlichkeitstheorie, als sie auf die Verfahrensleistungen der einzelnen Organe abstellt. 83 Aus dem Vorrang des Gesetzes und der Natur des formalisierten und beteiligungsintensiven Verfahrens ergibt sich bereits ein hoher Stellenwert des Gesetzgebungsverfahrens. Höhere demokratische Legitimation entsteht nicht nur durch die Wahlen, sondern aufgrund des Entscheidungsprozesses, an dem die Opposition beteiligt ist. Vgl. auch Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S.237. 84 Umgekehrt ergibt sich, daß Materien, die gerade der besonderen Leistungen des Gesetzgebungsverfahrens bedürfen, von besonderer Wichtigkeit sind. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, S. 384 spricht in diesem Zusammenhang davon, daß die Form (seil, das Gesetzgebungsverfahren) sich wieder den Inhalt (seil, die Gesetzgebungsmaterie) „sucht". In diesem Sinne auch Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S. 176. 85 Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt in BVerfGE 98,218 (251 f.) - Rechtschreibreform - neben Wesentlichkeitsargumenten auch funktionell-rechtliche Kriterien.

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre Auch wenn die Materie nicht der Sperre des Parlamentsvorbehalts unterliegt, muß die Verordnungsermächtigung dem Bestimmtheitsgebot des Art. 8012 GG genügen und Inhalt, Zweck und Ausmaß der zu erlassenden Rechtsverordnung bestimmen86. Die Vorschrift des Art. 8012 GG muß daher bei der verfassungsrechtlichen Bewertung von Mitwirkungsvorbehalten beachtet werden87. Im folgenden sollen die verfassungsrechtlichen Direktiven aufgeschlüsselt werden, die sich aus dem Bestimmtheitsgebot für die Delegation in Form von Verordnungsermächtigungen ergeben. 1. Das Bestimmtheitsgebot und der Parlamentsvorbehalt Die eben genannten Methoden zur Bestimmung der Reichweite des Parlamentsvorbehalts liefern bereits Anhaltspunkte für die Beantwortung von zwei miteinander zusammenhängenden, aber dennoch zu unterscheidenden Fragen. „Ob" eine bestimmte Regelungsmaterie durch Parlamentsgesetz geregelt werden muß, bestimmt sich nach dem Parlamentsvorbehalt. „Wie" detailliert diese gesetzliche Regelung sein muß (sog. Regelungsintensität), könnte auch eine Aussage darüber sein, „ob" einzelne Teilfragen der Materie durch den Gesetzgeber selbst geregelt werden müssen oder nicht. Das „Wie" der Delegation ist jedoch Gegenstand des Bestimmtheitsgebots. Damit beginnt die Suche nach Direktiven hinsichtlich der Regelungsintensität einer Verordnungsermächtigung mit einem Abgleichungsproblem88. Michael Nierhaus89 weist nach, daß es mittlerweile in der Literatur vier Theorien gibt, die das Verhältnis des Parlamentsvorbehalts zu den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 8012 GG beschreiben. Zu unterscheiden sind erstens die Identitätstheorie90, die das Bestimmtheitsgebot und das Delegationsverbot als verfas86 Nach der Terminologie von Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 103 f., 136ff. ist das Bestimmtheitsgebot neben der Frage nach der Regelungsebene (oder dem Delegationsverbot) auf der „Rechtsfolgenseite" des Parlamentsvorbehalts zu verorten. 87 Zur Abgrenzung des Parlaments Vorbehalts von den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 8012 GG siehe Jürgen Staupe, a.a.O., S. 144f. 88 Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 19 m. w. N. in Fn. 81 spricht von einer „undeutlichen Beziehung" des delegationsrechtlichen Bestimmtheitsgebots zur Wesentlichkeitstheorie. Ähnlich Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 86ff. Eine kompakte Darstellung dieser Abgleichungsprobleme liefert außerdem Wolfram Cremer, Art. 80 Abs. IS. 2 GG und Parlamentsvorbehalt, AöR 122 (1997), S.249ff. (S.251 ff.). 89 In: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnrn. 93 ff. 90 Siehe Ernst-Wolf gang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., 1981, S. 393 f.; in diesem Sinne wohl auch: Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S.693).

II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre

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sungsunmittelbare Regelungen des Parlamentsvorbehalts begreift, zweitens die Aliud-Theorie91, die das Delegations verbot des Parlamentsvorbehalts strikt vom Bestimmtheitsgrundsatz trennt92. Der dritte, von Nierhaus93 als Stufen- und Sonderregelungstheorie bezeichnete Erklärungsversuch Bernhard Büschs94 ähnelt stark der Aliud-Theorie, da er Art. 8012 GG als Sonderregelung ansieht, die den Parlamentsvorbehalt im Verhältnis zwischen Gesetz und Rechtsverordnung verdrängt. Der vierte Erklärungsansatz, der von Ulrich Ramsauer95 stammt und als Ausprägungs- und Integrationstheorie96 bezeichnet werden könnte, sieht Art. 8012 GG als Ausprägung des Postulats der Wesentlichkeitsrechtsprechung, was bedeutet, daß Verordnungsermächtigungen, die die Anforderungen des Art. 8012 GG erfüllen, nicht gegen die Anforderungen des Wesentlichkeitsgrundsatzes verstoßen können, weil die wesentlichen Fragen schon hinreichend bestimmt geregelt wurden97. Die vertretenen Meinungen können sich jeweils auf entsprechende Entscheidungen aus der uneinheitlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stützen98. Tatsächlich geht das Bundesverfassungsgericht von einer gemeinsamen Wurzel der Wesentlichkeitstheorie und des Bestimmtheitsgebots des Art. 8012 GG aus99 und verbindet in seinen früheren Entscheidungen diese beiden Anforderungen in ei91 Siehe zum Begriff des rechtlichen aliuds Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 148; vgl. auch Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.89. 92 So betont auch Reinhard Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, 1988, S. 130, daß Art. 801 GG mit der Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts nichts zu tun habe. Auch HansJürgen Papier, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, S. 36if., (S. 56f.) betont die selbständige Anwendbarkeit des Art. 8012 GG. Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rnrn. 3, 19ff. sieht den Parlamentsvorbehalt als Delegationssperre dem Bestimmtheitsgebot vorgelagert. 93 In: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnrn. 125 ff. 94 Das Verhältnis des Art. 80 Abs. 1 S.2 GG zum Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt, 1992. 95 In: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rnm. 16, 27 ff. 96 Begriff bei Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.93, 95 und Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 130. 97 Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 29. 98 Dies merken kritisch Dieter Wilke, Anmerkung zu BVerfGE 58, 257, JZ 1982, S. 758ff. (S. 759f.), Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 691) und Wolfram Cremer, Art. 80 Abs. I S. 2 GG und Parlamentsvorbehalt, AöR 122 (1997), S. 249ff. (S.267) an. Auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird hier nicht näher eingegangen; siehe hierzu Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.88f. "Siehe BVerfGE7, 282 (301 f . ) - l e x Salamander; vgl. Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 99.

Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

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nem einzigen Prüfungsschritt100; später trennt es die Untersuchung des Wesentlichkeitskriteriums von der des Bestimmtheitsgrundsatzes101 und nimmt zwei Prüfungsschritte vor, die sich übereinstimmend an der Wesentlichkeit bzw. Eigenart der Regelungsmaterie orientieren 102 . In späteren Entscheidungen scheinen sich Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsätze wiederum unter einem einzigen Obersatz bzw. Prüfungspunkt zu vereinen 103 . Trotz dogmatischer Differenzen führt die Anwendung der dargestellten unterschiedlichen Ansätze zu Ergebnissen, die sich nur in Nuancen unterscheiden104. Ursache dieser Übereinstimmung scheint die Einigkeit aller darüber zu sein, daß ohne die Beschränkung des Art. 8012 GG das Selbstregelungsgebot gegenüber dem Gesetzgeber leerlaufen würde, der sich seiner Regelungsaufgabe durch Erteilung von Pauschal- oder Globalermächtigungen an die Exekutive entziehen könnte 105 . So läßt sich bei allen Theorien, die sich mit dem Verhältnis des Parlamentsvorbehalts zum Bestimmtheitsgebot des Art. 8012 GG befassen, beobachten, daß die Kriterien, die zur Ausfüllung der Bestimmtheitsanforderungen herangezogen werden, weitgehend kongruent sind oder sich mit den Anforderungen an den Parlamentsvorbehalt überkreuzen 106 . Der dogmatische Standort der einzelnen Prüfungskriterien ist in diesem 100

Siehe BVerfGE 33, 303 (346) - Numerus Clausus I - und die ausdrücklichen Verknüpfungen von Gesetzesvorbehalt und Art. 801 GG in BVerfGE 41, 251 (265 f.) - Speyer-Kolleg. 101 Sehr deutlich zu sehen in BVerfGE 58, 257 (274ff.) - Schulentlassung. 102 BVerfGE 58, 257 (276ff.) - Schulentlassung. 103 BVerfGE 83,130 (151 f.) - Josefine Mutzenbacher. Eine Kehrtwende scheint das Gericht jedoch in der Entscheidung BVerfGE 91,148 (162 ff.) - Umlaufverfahren - gemacht zu haben, in der es wieder eine zweistufige Prüfung vornimmt. 104 Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.94; Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnrn. 124, 133. 105 BVerfGE 7, 282 (301 f.) - lex Salamander; siehe schon vorher BVerfGE 1, 14 (59 f.) - Südweststaat - hinsichtlich der Verantwortung des Gesetzgebers. Als Beispiel für die Umgehung des Parlamentsvorbehalts durch unbestimmte Ermächtigungen gilt das Schulrecht Ende der siebziger Jahre; siehe dazu auch Fritz Ossenbühl, Schule im Rechtsstaat, DÖV 1977, S. 801 ff. (S. 804). Im Ergebnis setzt das deutsche Recht der Verordnungsgebung engere Grenzen als dies ζ. B. in der Rechtspraxis der USA der Fall ist. Siehe dazu Georg Nolte, Ermächtigung der Exekutive zur Rechtsetzung. Lehren aus der deutschen und der amerikanischen Erfahrung, AöR 118 (1993), S. 378 ff. (S. 388 ff.) und umfassend Hermann Pünder, Exekutive Normsetzung in den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S. 47 ff. 106 Nicht umsonst ist die Geschichte des Bestimmtheitsgebots eng mit der des Wesentlichkeitsgrundsatzes verflochten (Ulrich Ramsauer; in: Azzola u. a. [Hrsg.], Kommentar zum Grundgesetz [Altemativkommentar], Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 16). In der Schulentlassungsentscheidung (BVerfGE 58, 257 [277 f.]), die Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgrundsatz trennt, werden ausdrücklich die Bestimmtheitsanforderungen anhand der Regelungsintensität und der Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstands bemessen. Auch in den Entscheidungen wie BVerfGE 62, 203 (209f.) - Steuerberaterprüfung - und BVerfGE 56, 1 (13) - Kriegsopferversorgung - , die Ermächtigungsgrundlagen nur auf die Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes überprüfen, stellt das Bundesverfassungsgericht einen Zusammenhang zwischen den Besonderheiten des zu regelnden Sachbereichs, Gewicht und Wirkun-

II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre

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Moment nicht mehr entscheidend. Wichtiger ist, daß das spezielle107 Bestimmtheitsgebot des Art. 8012 GG eine kompetenzrechtliche108 Wirkung besitzt und daher im Rahmen der Untersuchung von Legitimationsdefiziten zu beachten sein wird. Das Bestimmtheitsgebot des Art. 8012 GG wird trotz übereinstimmender Anforderungen als selbständiger Prüfungspunkt zu untersuchen sein, um die Art der möglicherweise entstandenen Legitimationsdefizite genauer benennen zu können.

2. Art. 8012 GG und materielle Bestimmtheitsmaßstäbe Die Umsetzung des Bestimmtheitsgebots kann unter zwei Aspekten betrachtet werden109: Einerseits muß die gesetzliche Ermächtigung den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung in gewisser Weise materiell vorprogrammieren. Zum anderen fragt sich, wie gut erkennbar die eben genannte Vorprogrammierung in der Ermächtigungsgrundlage formuliert sein muß. Diese letztere Frage ist schon durch das Bundesverfassungsgericht geklärt worden110. Demnach sollen Inhalt, Zweck und Ausmaß der zu erlassenden Verordnung für den Bürger mit „einwandfreier Deutlichkeit"111 erkennbar sein; ein Mindestmaß an Deutlichkeit ist daher erfüllt, wenn sich die genannten Kriterien durch Auslegung aus dem Ermächtigungsgesetz bzw. dem Sinnzusammenhang der Ermächtigungsnorm mit anderen Vorschriften ermitteln lassen112. Einer näheren Untersuchung bedürfen daher nur die materiellen Begen der Regelung und Anforderungen an die Bestimmtheit der Regelung her. Auch Wolfram Cremer, Art. 80 Abs.I S.2GG und Parlamentsvorbehalt, AöR 122 (1997), S. 249 ff. (S.263f.) stellt fest, daß sich sowohl die Prüfung des Parlamentsvorbehalts als auch die Bestimmtheitsanforderungen an der Wesentlichkeit und Eigenart der Regelung orientieren. 107 Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 8012 GG ist vom allgemeinen rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz zu unterscheiden, der auch für andere Rechtsetzungsakte gilt; siehe auch die Beispiele bei Michael Kloepfer, Der Vorbehalt des Gesetzes im Wandel, JZ 1984, S. 685 ff. (S. 691 Fn. 55), der zu Recht betont, daß nicht nur Gesetze und Verordnungen, sondern auch die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen hinreichend bestimmt sein müßten. 108 Das Bundesverfassungsgericht spricht in BVerfGE 49, 89 (138) - Kalkar I - aus, daß die wesentliche Funktion des Bestimmtheitsgebots in ErmächtigungsVorschriften darin bestehe, die Handlungsbereiche von Exekutive und Gesetzgeber abzugrenzen. Die kompetenzrechtlichen Aspekte des Bestimmtheitsgrundsatzes hebt auch Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 138 ff., 288 f. hervor. 109 Die folgende Aufgliederung nehmen sowohl Ulrich Ramsauer; in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 54 als auch Horst Hasskarl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, AöR 94 (1969), S. 85 ff. (S. 103) vor. 1,0 BVerfGE 2, 307 (334f.) - Änderung von Gerichtsbezirken; BVerfGE 7, 267 (274f.)-UStG. 111 BVerfGE 2, 307 (334f.) - Änderung von Gerichtsbezirken. 112 So ausdrücklich BVerfGE 8, 274 (307) - Preisgesetz - unter Berufung auf Bernhard Wolff\ Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechts Verordnungen nach dem Grundgesetz, AöR 78 (1952/1953), S. 194ff. (S. 199f.). De facto legt das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung BVerfGE 7, 267 (273 ff.) - UStG - das Ermächtigungsgesetz aus, um feststellen zu kön4 Schmidt

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

stimmtheitsanforderungen, die als verfassungsrechtliche Direktiven durchaus kompetenzrechtliche Wirkungen zeitigen könnten. „Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung [müssen] im Gesetze bestimmt werden". Obwohl diese Formulierung des Art. 8012 G G die Frage nach dem Ausmaß 1 1 3 der Bestimmtheit offenläßt 114 , ergeben sich aus der Funktion des Art. 8 0 1 2 GG im Verfassungsgefüge115 als Sicherung vor einem unkontrollierten Übergang von Regelungskompetenzen auf die Exekutive die Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit einer Verordnungsermächtigung. Somit müssen bei wesentlichen Materien die Anforderungen an die Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung steigen, entsprechend dem erhöhten Bedürfnis nach einer parlamentsgesetzlichen Regelung des Regelungsgegenstands116.

a) Die Formeln des Bundesverfassungsgerichts

zum Bestimmtheitsgebot

Anwendung und Auslegung des Bestimmtheitsgrundsatzes werden durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dominiert 117 , bei der manche Autonen, ob voraussehbar ist, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihm Gebrauch gemacht wird und welchen Inhalt die zu erlassenden Rechtsverordnungen haben werden. 113 Bezeichnenderweise wurde auch das Wort „ausreichend", das das Ausmaß der Bestimmtheit näher definieren sollte und das in Art. 102 des Herrenchiemseer Entwurfs (HChE) noch vorhanden war, aus der endgültigen Fassung des Grundgesetzes als zu ungenau gestrichen, siehe Stenographisches Protokoll der Sitzung vom 13. Oktober 1948, S. 33 ff. Vgl. auch Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, Art. 80 Rn. 11. 114 Siehe auch Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Altemativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rnrn. 16, 55. 115 Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 11; Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, Art. 80 Rn. 56. 116 St. Rspr.; schon in BVerfGE 7, 282 (302) - lex Salamander - argumentierte das Bundesverfassungsgericht, daß an die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm bei Eingriffsgesetzen besonders strenge Anforderungen zu stellen seien. Siehe BVerfGE 62,203 (210) - Steuerberaterprüfung - m. w. N. BVerfGE 33, 125 (160) - Facharzt - nimmt eine ähnliche Wertung für den Fall der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen per Satzung vor. Ebenso BVerfGE 56, 1 (13) - Kriegsopferfürsorge - für Ermächtigungen zum Erlaß von Verwaltungsakten. In diesem Sinne auch/örg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn.27. Unbeachtet muß hier der Einwand Brun-Otto Brydes, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GrundgesetzKommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn. 21 bleiben, der betont, daß durch die Doppelanforderung des Parlamentsvorbehalts und eines gesteigerten Bestimmtheitsgebots die Gefahr entstehe, daß Art. 8012 GG seine selbständige Bedeutung verliere. 117 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war wiederum in ihren Anfängen durch den Verfassungsrichter Bernhard Wolff geprägt, siehe Horst Hasskarl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, AöR 94 (1969), S. 85 ff. (S. 102f. Fn. 87). Tatsächlich beziehen sich die frühen Entscheidungen zum Bestimmtheitsgrundsatz (BVerfGE 2, 307 [334 f.] - Änderung von Gerichtsbezirken - und die Entscheidung

II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre

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ren drei bis vier Entwicklungsphasen erkennen wollen, in denen die Selbstentscheidungs-, die Programm- und die Vorhersehbarkeitsformel entwickelt wurden118. Vor allem in der neueren Rechtsprechung jedoch vermischen sich diese Formeln119. Es ist daher angemessener, sie ohne Rücksicht auf ihre zeitliche Entwicklung darzustellen120. Die Vorhersehbarkeitsformel sagt einfach nur aus, daß eine Ermächtigung dann nicht hinreichend bestimmt sei, wenn nicht mehr vorhergesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden würde und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können121. Diese Formel wird bis heute noch verwendet122. Sie hat ihren positiven Niederschlag in § 321 S. 2 GGOII gefunden. Nach der immer wieder zitierten und teils auf den Parlamentsvorbehalt, teils auf den Bestimmtheitsgrundsatz angewandten Selbstentscheidungsformel muß der Gesetzgeber „selbst die Entscheidung treffen, daß bestimmte Fragen geregelt werden sollen, er muß die Grenzen einer solchen Regelung festsetzen und angeben, welchem Ziel die Regelung dienen soll"123. In eine ähnliche Richtung zielt die Programmformel, die vom Gesetzgeber verlangt, kenntlich zu machen, welches Regelungsprogramm durch die Rechts Verordnung umgesetzt werden soll124. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tendierte außerdem schon früh dazu, den Gesetzgeber nur zur hinreichend präzisen Formulierung eines Regelungszwecks zu verpflichten und sich mit der Ableitbarkeit von Inhalt und Ausmaß aus dem Regelungszweck zu begnügen125. zum Preisgesetz BVerfGE 8,274 [307]) auf Wolffs Aufsatz „Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach dem Grundgesetz", in: AöR 78 (1952/1953), S. 194ff. (S. 199f.). 118 Horst Hasskarl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, AöR 94 (1969), S. 85 ff. (S. 104ff.) und Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, Art. 80 Rnrn. 66 ff. 119 Beispiele: BVerfGE 58, 257 (277) - Schulentlassung - und BVerfGE 78, 249 (272) - Fehlbelegungsabgabe. 120 Siehe auch Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn.25. 121 BVerfGE 1,14 (60)-Südweststaat-BVerfGE 7,282 (302)-Lex Salamander-BVerfGE 10, 251 (258)-Beförderungssteuer. 122 Z. B. in BVerfGE 78, 249 (272) - Fehlbelegungsabgabe - und BVerfG, NStZ-RR 1997, S. 342ff. (S. 343) - § 11 BtMG. 123 BVerfGE 2, 307 (334 f.) - Änderung von Gerichtsbezirken. 124 BVerfGE 41, 251 (266) - Speyer-Kolleg; BVerfGE 58, 257 (277) - Schulentlassung; BVerfGE 78, 249 (272) - Fehlbelegungsabgabe. 125 Schon in BVerfGE 4, 7 (21 f.) - Investitionshilfe - ließ es das Bundesverfassungsgericht als ausreichend gelten, wenn sich das Ausmaß der Ermächtigung aus deren Zweck eigab. BVerfGE 7, 267 (274) - § 18 UStG - bestätigt diese Entwicklung. BVerfGE 8, 274 (315, 318) - Preisgesetz - verfestigt die Rechtsprechung zum Ausmaß der Ermächtigung und stellt klar, daß eine Ermächtigung auch hinreichend bestimmt sein kann, wenn der Inhalt der Ermächtigung weitgehend durch ihren Zweck konkretisiert werden kann; weitergehend: BVerfGE 10,20 (53) - Preußischer Kulturbesitz. Vgl. auch Horst Hasskarl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, AöR 94 (1969), S. 85ff. (S. 99ff.). 4*

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven b) Die Position des Gesetzgebers und der Literatur

Die Tendenz der Rechtsprechung, das Bestimmtheitsgebot vor allem als Gebot zur Formulierung eines Regelungszwecks zu interpretieren, entspricht auch den Ergebnissen der Enquête-Kommission der 7. Wahlperiode des Bundestags, die sich für die Streichung der Bestimmtheitsmerkmale „Ausmaß" und „Inhalt" in Art. 8012 GG aussprach126. Auch die Literatur geht von einem Ansatz aus, der der Wesentlichkeitsrechtsprechung entspricht: je grundrechtsrelevanter eine Regelung ist, desto höher sollte das Maß ihrer Bestimmtheit sein 127 . c) Probleme der Normierbarkeitm Neben den Kriterien der Bedeutung der Regelungsmaterie und der Intensität der Einwirkung auf grundrechtlich geschützte Bereiche müssen praktische Faktoren 129 bei der Bemessung der Anforderungen an die Bestimmtheit der Verordnungsermächtigung beachtet werden. Die gestiegene Zahl der Staatsaufgaben130 sowie die Komplexität und Volatilität mancher Regelungsmaterie legen die Vermutung nahe, daß der parlamentarische Gesetzgeber überfordert wäre, wollte er alle Materien nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt regeln 131 . Daher hat es das Bundesverfassungsgericht132 zugelassen, die Anforderungen an die Bestimmtheit 126

Siehe BT-Drs. 7/5924, S.91. Die Kommission (a.a.O., S.90f.) wollte mit dieser Verfassungsänderung dem Bundesverfassungsgericht zu verstehen geben, daß die Anforderungen an die Bestimmtheit der Delegationsnormen zu lockern seien; vgl. auch Hans H. Klein, Erwägungen der Enquête-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages zu einer Neufassung des Art. 80 GG, DÖV 1975, S. 523 ff. (S. 523 ff.). 127 Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 27 m. w. N. Auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.400f. führt aus, daß die Maßstäbe zur Beurteilung von Bestimmtheitserfordernissen identisch mit denen des Gesetzesvorbehalts seien. 128 Einen Kurzüberblick über die Probleme der Normierbarkeit bietet Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rnm. 60, 69 f. 129 Vgl. auch Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Altemativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 60. 130 Ausdruck der Übernahme von Aufgaben der Daseinsvorsorge durch den Staat ist auch das gewandelte Grundrechtsverständnis, das sich in BVerfGE 40, 237 (249) - Strafvollzug-zeigt. 131 Die Überforderung des Gesetzgebers bei technisch komplizierten oder schnell veränderlichen Sachverhalten war schon im Deutschen Reich (Georg Jellinek, Gesetz und Verordnung, 1887, S. 369) und in der Weimarer Republik (Erwin Jacobi, Die Rechtsverordnungen, in: Anschütz/Thoma [Hrsg.], Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd.2, 1932, S. 236ff. [S.239]) zu bemerken. Dieses Problem wurde damals eher als Thema der Notwendigkeit der Verordnungsgebung insgesamt gesehen. Aufgrund der engen Verbindung von Parlaments vorbehält und Bestimmtheitsgrundsatz sind diese allgemeinen Argumente auch im Rahmen des Bestimmtheitsgrundsatzes anwendbar. 132 Die Eigenart der Sachmaterie ist ohnehin schon im Rahmen der Suche nach den Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz zu berücksichtigen, siehe Ulrich Ramsauer, in: Az-

II. Das Bestimmtheitsgebot als modalitätenbezogene Delegationssperre

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der Ermächtigungsnorm herabzusetzen133, wenn die Vorentscheidungsfähigkeit der Materie aufgrund ihrer Komplexität oder Unzugänglichkeit, der erforderlichen Flexibilität der Regelung oder wegen des Erfordernisses, Betroffene zu beteiligen, herabgesetzt ist 1 3 4 . Für die Erreichung bestmöglicher Regelungen zur Gefahrenabwehr gilt in bestimmten Bereichen die Exekutive aufgrund ihrer Fähigkeit zur schnellen und laufenden Aufnahme des neuesten Kenntnisstandes von Wissenschaft und Technik als besser gerüstet als die Legislative 135 . Damit läßt das Bundesverfassungsgericht unter weitgehender Zustimmung der Literatur 136 funktionell-rechtliche Argumente zu, wenn es um die Konkretisierungsmöglichkeiten einzelner Regelungsgegenstände geht. Die Berücksichtigung der Eigenart der Sachmaterie dient hier - ebenso wie die Anwendung funktionell-rechtlicher Kriterien im Bereich des Parlamentsvorbehalts - der Optimierung des Grundrechtsschutzes137. zola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, Art. 80 Rn. 16. So auch Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 27 m. w. N., der sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 58,257 [277 f.] - Schulentlassung) stützt. Ulrich Ramsauer, a. a. O., Art. 80 Rn. 58b schlägt ein Modell der abgestuften Bestimmtheitsanforderungen vor, bei dem nur geringe rechtsstaatliche Mindestanforderungen zu stellen seien, wenn kein Eingriff vorliege und besondere Regelungsanforderungen an den Gesetzgeber gestellt seien, andererseits aber spezielle grundrechtsrelevante Bereiche betroffen seien, wie etwa das Strafrecht und das Enteignungsrecht. 133 Das Bundesverfassungsgericht hat sowohl in der Frage nach der Bestimmtheit gesetzlicher Straftatbestände (BVerfGE 11,234 [237] - GjS; BVerfGE 14,245 [251] - StVG) als auch hinsichtlich der hinreichenden Bestimmtheit von Verordnungsermächtigungen (BVerfGE 8, 274 [311] - Preisgesetz; BVerfGE 58, 257 [278 f.] - Schulentlassung) Kriterien wie sich schnell wandelnde wirtschaftliche Situationen oder die Vielgestaltigkeit der zu regelnden Sachverhalte als Gründe für die Herabsetzung der Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz zugelassen. Die genannten Entscheidungen zeigen, daß der allgemeine rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz und der spezielle Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 8012 GG vom Bundesverfassungsgericht gleichbehandelt werden. 134 Siehe bereits BVerfGE 8, 274 (325 ff.) - Preisgesetz. In BVerfGE 49, 89 (132ff.) - Kalkar I - berücksichtigt das Bundesverfassungsgericht, daß bei vielgestaltigen Sachverhalten und sich rasch ändernden tatsächlichen Verhältnissen „geringere Anforderungen" an die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm zu stellen seien. Siehe später auch BVerfGE 56, 1 (13) - Kriegsopferfürsorge - BVerfGE 58, 257 (277 f.) - Schulentlassung - und BVerfGE 62, 203 (210)-Steuerberaterprüfung. 135 BVerfGE 49, 89 (139 f.) - Kalkar I. So auch die Meinung in der Literatur, siehe Friederike KraatZy Parlamentsvorbehalt im Gentechnikrecht, 1995, S. 107 ff. m. w. N., Rupert Scholz, Instrumentale Beherrschung der Biotechnologie durch die Rechtsordnung, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1986/1, S.59ff. (S.66f.). 136 Vgl. Helmuth Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 119 und Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 60f., Rn. 69 f. 137 Vom dynamischen Grundrechtsschutz spricht das Bundesverfassungsgericht explizit in BVerfGE 49, 89 (136ff.) - Kalkar I. Helmuth Schulze-Fielitz, Zeitoffene Gesetzgebung, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 139ff. (S. 149f.) weist außerdem daraufhin, daß im modernen Staat auch die Rechtzeitigkeit staatlichen Handelns zur Bedingung seiner Richtigkeit werden kann.

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Β. Verfassungsrechtliche Direktiven

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den Entscheidungen, die eine Lockerung der Anforderungen des Wesentlichkeitsgrundsatzes bzw. des Bestimmtheitserfordernisses des Art. 8012 GG zulassen, hauptsächlich auf die funktionell-rechtliche Überlegenheit des Verordnungsgebers bei der Regelung von sich schnell wandelnden Materien oder besonders vielgestaltigen Sachverhalten gestützt138. Es wird darauf zurückzukommen sein, welche Ergebnisse der funktionell-rechtliche Ansatz bei der verfassungsrechtlichen Bewertung von Mitwirkungsvorbehalten liefert.

I I I . Ergebnis: Kriterien zur Bestimmung von Delegationssperren Die verfassungsrechtliche Untersuchung der Mitwirkungsvorbehalte muß beim Delegationsvorgang ansetzen, um die Legitimationsdefizite aufzuzeigen, zu deren Kompensation die Mitwirkungs vorbehalte eingesetzt werden. Die verfassungsrechtlichen Direktiven, die den Delegationsvorgang bestimmen, treffen auch Aussagen hinsichtlich der kompetenzrechtlichen Einordnung der Mitwirkungsvorbehalte. Die wichtigsten Direktiven ergeben sich zum einen aus dem Parlamentsvorbehalt, der als dem Gesetzes vorbehält gegenüber engerer139 Begriff eine objektbezogene Schranke für die Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen aufstellt. Gemäß der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts soll die Delegationssperre des Parlamentsvorbehalts nur bei „besonderer Grundrechtsrelevanz" der zu treffenden Regelung140 oder bei politischer Umstrittenheit einer Materie141 eingreifen. Die Wesentlichkeitstheorie hat inzwischen eine gewisse dogmatische Verfestigung erreicht, die sie zu einer grundsätzlich brauchbaren Methode macht, um die Reichweite des Parlamentsvorbehalts zu definieren. Die verbleibenden Unschärfen der Wesentlichkeitstheorie können durch einen Abgleich mit den funktionell-rechtlichen Anforderungen der zu regelnden Sachmaterie behoben werden142: Als richtig kann eine Kompetenzverteilung erst dann betrachtet werden, wenn das entscheidende Organ nach Struktur143, Sachkunde und Verfahren geeignet ist, eine inhaltlich ausgewogene Entscheidung mit dem Ziel der Maximierung des Grundrechtsschutzes und der Integration politischer Gegensätze 138

BVerfGE 8,274 (311, 326) - Preisgesetz; BVerfGE 14,245 (251) - § 21 StVG; BVerfGE 76, 130 (142 f.) - § 184 SGG. 139 Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn. 10. 140 Siehe auch BVerfGE 58, 257 (274) - Schulentlassung. Die Anwendung der Wesentlichkeitstheorie in zwei Schritten durch das Bundesverfassungsgericht beobachtet Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 133 Fn. 178, m. w. N. 141 Deutlich: Gunter Kisker, Neue Aspekte im Streit um den Vorbehalt des Gesetzes, NJW 1977, S. 1313 ff. (S. 1318) 142 Fritz Ossenbühl spricht in seinem Beitrag „Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen", in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S. 9ff. (S. 27) sogar von einem „Abschied von der Wesentlichkeitstheorie". 143 BVerfGE 68, 1 (86) - Pershing.

III. Ergebnis

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hervorzubringen. Zur Erzielung eines effektiven Grundrechtsschutzes sind also die besonderen Anforderungen der Materie144 an Entscheidungsträger und -verfahren zu beachten. Umgekehrt sind Regelungen, die gerade nach einer besonderen Organstruktur und einer besonderen Verfahrensart verlangen, dementsprechend dem Gesetzgebungsverfahren oder der Regelung durch Verordnung zuzuordnen. Zum anderen ergibt sich aus der Anwendung des Bestimmtheitsgebots des Art. 8012 GG ein modalitätenbezogenes Delegationsverbot. Die dogmatische Einordnung des Bestimmtheitsgebots gegenüber dem Parlamentsvorbehalt ist ungeklärt; sie kann jedoch dahingestellt bleiben, weil Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheitsgebot darauf ausgerichtet sind, einen unkontrollierten Übergang von Kompetenzen zu sichern und daher mit übereinstimmenden Kriterien arbeiten. Aus Klarstellungsgründen werden die zu untersuchenden Mitwirkungsbefugnisse in einem zweistufigen Verfahren betrachtet werden: „Ob" Normsetzungsbefugnisse auf den Verordnungsgeber übertragen werden dürfen, beantwortet der Parlamentsvorbehalt, dessen Reichweite sich nach den Kriterien der Wesentlichkeitstheorie und anhand von funktionell-rechtlichen Kriterien bemißt. Nach ähnlichen Maßstäben muß beurteilt werden, „wie" bestimmt die Delegation gemäß Art. 8012 GG zu sein hat. Weder Literatur noch Rechtsprechung fordern ein größtmögliches Maß an erreichbarer Bestimmtheit145. Grundrechtsintensive Regelungen müssen zum Schutz der Wirkung des Parlamentsvorbehalts ein höheres Maß an Bestimmtheit aufweisen; insgesamt sind jedoch auch bei der Aufstellung von Maßstäben für die Bestimmtheit einer Delegationsnorm die funktionell-rechtlichen Charakteristika der normsetzenden Organe und die Anforderungen der Sachmaterie zu berücksichtigen. Selbst wenn fraglich ist, ob die Bestimmtheitsanforderungen überhaupt eine materielle Grenze für die Delegation darstellen146, schaffen sie doch eine Methode, um die Vorausprogrammierung des Inhalts der später zu erlassenden Verordnung zu gewährleisten und den parlamentarischen Gesetzgeber davor zu schützen, eigene Regelungsbefugnisse aufzugeben147. Nach dieser Methode werden auch die einzelnen Beteiligungsformen zu untersuchen sein.

144

Das Bundesverfassungsgericht betont in seinem Kalkar-I-Beschluß (BVerfGE 49, 89 [127]), daß der Bedarf nach einer förmlichen Rechtsgrundlage entsprechend dem jeweiligen Sachbereich und der Intensität der geplanten oder getroffenen Regelung zu ermitteln sei. 145 Vgl. Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S.401 m. w.N. 146 Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 26. 147 Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S.59f.

C. Einzelne Beteiligungsformen beim Erlaß von Rechtsverordnungen Das für den Erlaß von Rechtsverordnungen vorgeschriebene Verfahren ist wesentlich weniger formalisiert und war auch in der Zeit vor 1949 weniger formalisiert als das Verfahren der Gesetzgebung. Dies ermöglichte es deutschen Parlamenten seit dem 19. Jahrhundert, das Verfahren der Verordnungsgebung selbst zu gestalten, was sich in der Vielfalt der eingesetzten Vorbehalte zeigt. Zu unterscheiden sind heute unter anderem Kenntnisvorbehalte, Genehmigungs- oder Zustimmungsvorbehalte, Kassationsvorbehalte und Nachlaufverordnungen sowie Änderungsvorbehalte1. Diese Vielfalt an Vorbehalten stellt dem Bundestag je nach Ausgestaltung des Mitwirkungsinstruments unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, auf den Prozeß der Verordnungsgebung Einfluß zu nehmen. Eine kompetenzrechtliche Analyse von Mitwirkungsvorbehalten anhand der im vorhergehenden Abschnitt dargestellten verfassungsrechtlichen Direktiven wird daher zunächst für jedes einzelne Mitwirkungsinstrument die tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten der Verfassungsorgane auf das Verfahren der Verordnungsgebung untersuchen müssen. In diesem Abschnitt sollen mit der Betrachtung der tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten des Bundestags auf die Verordnungsgebung die Voraussetzungen für die kompetenzrechtliche Analyse der Mitwirkungsvorbehalte geschaffen werden. Die in Art. 80 II GG geregelte Beteiligung des Bundesrats in Form von Zustimmungsvorbehalten könnte Parallelwertungen für den Bereich der Mitwirkung des Bundestags zulassen. Es ist daher sinnvoll, auch die Beteiligung des Bundesrats zum Gegenstand des Überblicks zu machen.

I. Untersuchungsgegenstand Rechtsverordnungen werden entweder von einzelnen Ministern oder durch die Bundesregierung als Kollegialorgan entsprechend den Vorschriften der Geschäftsordnung der Bundesregierung und der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien erlassen. Nach Vorlage der in den Ministerien erarbeiteten Referen1 Siehe die Übersicht über die verschiedenen Mitwirkungsvorbehalte bei Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, § 64 Rnrn. 51 ff. und in ders., Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht, ZG 1997, S. 305 ff. (S. 316). Siehe auch oben Α. 1.2. b) (S. 25).

I. Untersuchungsgegenstand

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tenentwiirfe erfolgt die Beschlußfassung durch einfache Mehrheitsentscheidung der Regierung als Gesamtorgan2 (§§ 20,24 II GeschOBReg) oder - im Fall von Verordnungsermächtigungen zugunsten einzelner Ministerien - durch Entscheidung der einzelnen Ministerien. Der Verordnungsentwurf3 wird dann, falls eine Zustimmung des Bundesrats erforderlich ist, dem Bundesrat überstellt, der durch einfachen Beschluß über die Vorlage entscheidet. Der Entwurf geht danach zurück an die Bundesregierung oder die einzelnen Bundesminister, die gemäß Art. 82 I 2 GG die Rechtsverordnung ausfertigen und sie selbst im Bundesgesetzblatt oder im Bundesanzeiger verkünden4. Mit Georg Jellinek5 kann also festgehalten werden, daß die Verordnungsgebung als Rechtsetzungsverfahren ähnlich wie das Gesetzgebungsverfahren in mehrere Teilakte untergliedert werden kann: Die Feststellung des Verordnungstextes, den Entschluß der Verkündung, die Sanktion (d.h. den Erlaß), die Ausfertigung der Verordnungsurkunde, den Publikationsbefehl und die Publikation selbst6. Die größte Relevanz für eine kompetenzrechtliche Beurteilung der Mitwirkungsvorbehalte besitzen die ersten zwei Phasen, nämlich die Feststellung des Verordnungstextes und der Entschluß zur Verkündung. Auch andere Autoren wie Hans-Christian Kersten7, Heribert Kiefer8 und Mathias Lichtenhahn9 unterscheiden als relevante Phasen die Vereinbarung des Normtextes und die Ausstattung der Verordnung mit Rechtsverbindlichkeit10. 2 Zum schriftlichen Umlaufverfahren siehe BVerfGE 91, 148 (165 ff.) - Umlaufverfahren - sowie Michael Nier haus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rnrn. 383 ff. 3 § 20 II UmweltHG spricht davon, daß „die Rechtsverordnung" dem Bundestag zuzuleiten sei. Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.254) bemerkt zwar treffend, daß diese Bezeichnung falsch sei, weil die Vorlage vor ihrer Ausfertigung noch nicht als Rechtsverordnung bezeichnet werden könne. Dem ist aber zu entgegnen, daß sämtliche Verfahrensregelungen Vorlage und Rechtsverordnung begrifflich nicht sauber trennen (siehe § 92 GOBT, §§69 ff. GGO II, §59 KrW-/AbfG). 4 § 11 des Gesetzes über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30. Januar 1950 (BGBl. I S. 23), §§751, 86II, 87 I Nr. 3, IV Nr. 1 GGO II. 5 Gesetz und Verordnung, 1887, S.394. 6 Siehe auch Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 2, 5. Aufl., 1911, S.85ff. 7 Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S. 39 f. 8 Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S.26ff., S. 33 ff. 9 Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.85ff. 10 Anders Gebhard Ziller, Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu Rechtsverordnungen?, DVB1.1963, S. 795 ff. (S. 796), der bei Mitwirkung auch des Bundesrats von drei Teilakten ausgeht, die auf die Organe Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung (Verordnungsgeber) verteilt sind. Andere Autoren wie Albert Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978, S. 112 stellen in erster Linie auf die Urheberschaft hinsichtlich des Norminhalts ab.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Bei der Betrachtung der Zugriffsmöglichkeiten - der tatsächlichen „Sachherrschaft" - der Verfassungsorgane auf die Verordnungsgebung im Verfahren zum Erlaß von Rechtsverordnungen wird es also in erster Linie auf die Vereinbarung des Normtextes und auf die Sachherrschaft über das „Ob" der Verkündung ankommen.

II. Überblick über die wichtigsten Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags 1. Der Kenntnisvorbehalt Kenntnisvorbehalte wurden in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts etwa zur gleichen Zeit wie die Genehmigungsvorbehalte eingeführt11. Sie verlangten von der Exekutive nur, die Legislative über die zu erlassende Verordnung in Kenntnis zu setzen. Meistens waren die Kenntnisvorbehalte mit der Möglichkeit zur Aufhebung der Verordnungen verbunden12. Obwohl reine Kenntnisvorbehalte in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts eher als Genehmigungsvorbehalte eingesetzt wurden 13 , sind sie heutzutage bedeutungslos, da die Publizitätsvorschrift des Art. 821 GG in Verbindung mit dem Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30. Januar 1950 1 4 dem Bundestag ohnehin immer die Kenntnisnahme vom Inhalt der Rechtsverordnungen ermöglicht. Sie werden daher heute kaum noch verwendet 15 .

11

Siehe auch Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 6 und Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S.79ff. (S.96). 12 So Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S.43. Dazu noch später bei den Kassationsvorbehalten, siehe unten C. II. 3 (S. 65 f.). 13 Julius Hatschek, Genehmigungsverordnungen, in: Kurtzig (Hrsg.), Deutsches und preußisches Staatsrecht, Bd. 2, 2. Aufl., 1930, S. 216 f. zeigt, daß auf der einen Seite der Bundesrat als damaliges Organ der Exekutive nur zögernd vom Instrument der Genehmigungsverordnung Gebrauch machte, um nicht nach der Verweigerung der Genehmigung durch den Reichstag umsonst gearbeitet zu haben und weil sich auf der anderen Seite der Reichstag vor dem Kontrollverlust nach der Vergabe von unwiderruflichen Genehmigungen zu schützen suchte. Im Ergebnis verabschiedete der Reichstag dann eher gesetzliche Ermächtigungsgrundlagen mit bloßen Kenntnisvorbehalten. Vgl. auch Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 47 und Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S.79ff. (S.96f.). 14 BGBl. S. 23, geändert durch Art. 8 des Dritten Rechtsbereinigungsgesetzes vom 28. Juni 1990 (BGB1.I S. 1221). 15 Siehe aber § 211 des Gesetzes vom 14. Dezember 1970 betreffend die Umsetzung von EGRichtlinien (BGB1.I S. 1709) und § 154 V GewO.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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2. Der Genehmigungsvorbehalt („Zustimmungsverordnung") Von wesentlich höherer Bedeutung in der Praxis sind die Zustimmungs- und Genehmigungsvorbehalte, die seit Inkrafttreten des Grundgesetzes zahlreich eingesetzt wurden16. a) Erscheinungsformen Aufgrund ihrer langen Tradition können die Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalte als Grundform der Mitwirkung der Legislative bei der Verordnungsgebung angesehen werden, die in mehreren Varianten in Erscheinung tritt17. Die Verordnungsermächtigungen können zusätzlich von der Zustimmung des Bundesrats abhängig sein und Fristen für die Ausübung der Mitwirkungsvorbehalte festlegen. Beispiele für verschiedene Optionen im Bereich der Zustimmungsvorbehalte liefert §51 Einkommensteuergesetz (EStG)18: § 51 III EStG ermächtigt die Bundesregierung, bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts, wie nachhaltigem Umsatzrückgang oder erheblichen Preissteigerungen, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats die Einkommensteuer um bis zu 10% herabzusetzen oder zu erhöhen. Diese Rechtsverordnungen bedürfen gemäß § 51 III 2 EStG auch der Zustimmung des Bundestags. Sie stehen unter einem echten Zustimmungsvorbehalt, der den Erlaß der Verordnung nur erlaubt, wenn der Bundestag ausdrücklich durch einfachen Beschluß seine Zustimmung erteilt hat. § 511 Nr. 2 lit. s) EStG erlaubt der Bundesregierung, mit Zustimmung des Bundesrats gemäß § 511 S. 1 EStG bei eingetretenen oder sich abzeichnenden Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts mit bestimmten Auswirkungen19 Rechtsverordnungen zu erlassen, die eine Sonderabschreibung von bis zu 7,5 % auf bestimmte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens erlauben. § 511 S. 2 lit. s)cc), S. 11 und 12 EStG schreiben dabei vor, daß die entsprechenden Verordnungen auch 16

Die Geschichte des Zustimmungsvorbehalts unter dem GG beginnt mit den Auseinandersetzungen um §4ZolltarifG vom 16. August 1951 (BGB1.I S.527), siehe auch Friedrich Klein, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 79ff. (S. 97ff.) und Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 15. 17 Statt vieler: Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S. 434ff. (S.436). 18 In der Fassung der Bekanntmachung vom 7. Sept. 1990 (BGBl. I S. 1898, ber. 1991 I S.808); die Entstehungsgeschichte des §51 EStG stellt Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 127 f.) dar. 19 Als solche Auswirkungen definiert § 511 lit. s) S. 1 EStG: Umsatz- oder Beschäftigungsrückgang oder Rückgang der Nachfrage nach Investitionsgütern oder Bauleistungen.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

der Zustimmung des Bundestags bedürfen. Die Zustimmung wird gemäß S. 12 fingiert, wenn sie der Bundestag nicht binnen vier Wochen nach Eingang der Vorlage der Bundesregierung verweigert hat. Folglich besitzt dieser Zustimmungsvorbehalt den Charakter eines Vetovorbehalts20. Eine ähnliche Konstruktion sieht § 51 II EStG vor. Sie ermöglicht es der Bundesregierung, bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorhandene Sonderabschreibungsmöglichkeiten durch Rechtsverordnung wieder auszusetzen. Die Zustimmung des Bundesrats wird nach drei Wochen, die des Bundestags nach Ablauf von vier Wochenfingiert. Damit steht der Erlaß entsprechender Verordnungen unter einem doppelten Vetovorbehalt.

b) Teilnahme des Bundestags an der Rechtsetzung durch die Ausübung des Zustimmungsvorbehalts? Fest steht zunächst für alle eben angeführten Arten des Zustimmungsvorbehalts, daß die Zustimmung als einfacher Parlamentsbeschluß21 ergeht22 und kraft der vorrangigen Regelungswirkung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage eine Wirksamkeitsvoraussetzung23 für die zu erlassende Rechtsverordnung darstellt24. Damit ist noch nicht geklärt, in welchem Ausmaß der Bundestag auf das „Ob" und „Wie" des Erlasses von Rechtsverordnungen einwirken kann, also inwiefern er die tatsächliche „Sachherrschaft" innehat. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die Zustim20

Der Begriff findet sich bei Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.22). Siehe auch Friederike Kraatz, Parlaments vorbehält im Gentechnikrecht, 1995, S.246. Weitere Beispiele für den einfachen Vetovorbehalt sind § 313 UVPG (Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung vom 12. Februar 1990, BGBl. I S.205, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Oktober 1996, BGB1.I S. 1498) und §48aBImSchG (Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Mai 1990, BGBl. I S. 880, zuletzt geändert durch Gesetz vom 9. Oktober 1996, BGB1.I S. 1498). 21 Richard Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, 1932, S. 221 ff. (S. 221) spricht von einem „schlichten Parlamentsbeschluß". Grundlegend auch Klaus-Albrecht Seilmann, Der schlichte Parlamentsbeschluß, 1966. 22 Statt vieler: Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 85. 23 Vgl. Mathias Lichtenhahn, a. a. O., S. 90. So zu den Maßgabebeschlüssen des Bundesrats als Wirksamkeitsvoraussetzung für Rechts Verordnungen: Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S.92. 24 Die konstitutive Wirkung ergibt sich allein aus dem in der Ermächtigungsnorm geregelten Vorbehalt. Einen positivrechtlichen Niederschlag wie etwa die Maßgabebeschlüsse des Bundesrats in § 70 f. GGO II haben die Zustimmungsvorbehalte des Bundestags noch nicht gefunden.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

61

mung selbst noch keinen Rechtsetzungsakt darstellt25. Der Bundestag kann nämlich nur durch formelles Gesetz gemäß Art. 77 I GG oder mittels Delegation gemäß Art. 801 GG Recht setzen. Die Zustimmung durch einfachen Beschluß entspricht nicht dem genannten Kanon von Formen26. Die Frage, wie weit unter materiellen Gesichtspunkten bei Zustimmungsverordnungen die Sachherrschaft der einzelnen Verfassungsorgane reicht, ist umstritten27. Das Bundesverfassungsgericht hat sich einer Stellungnahme zu den materiellen Qualitäten der Zustimmungen bisher enthalten28. Eine Betrachtung der zwei wichtigsten Teilakte der Verordnungsgebung, nämlich die Feststellung des Verordnungsinhalts und der Entschluß zum Erlaß der Verordnung, ergibt, daß die Sachherrschaft über die Verordnung nicht eindeutig einem der beiden Teilakte zuzuordnen ist. Die Feststellung des Inhalts der Rechtsverordnung scheint ebenso wichtig wie die Entscheidung über das „Ob" ihres Erlasses zu sein29.

(1) Die fehlende Aussagekraft der Eingangs- und Schlußformel: Zustimmungen als Teilakte Sowohl die Eingangs- als auch die Schlußformel der Rechtsverordnungen liefert keine Indizien für das Ausmaß der Sachherrschaft des Bundestags. Die Zustimmung des Bundestags wird - anders als die Zustimmung des Bundesrats gemäß § 64 II S. 5 GGO II - weder in der Eingangs- noch in der Schlußformel zu Verordnungen kenntlich gemacht. Trotzdem bleibt die Zustimmung des Bundestags WirksamkeitsVoraussetzung für den Erlaß der Rechtsverordnung. Für die Beurteilung der Sachherrschaft ist es nicht relevant, ob die Zustimmungsverordnung in formeller Hinsicht als Teil eines zusammengesetzten Rechtsakts angesehen werden kann, dessen zweiten Teilakt der Bundestag leistet.30 25 So betont auch Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 67, daß die Rechtsverordnung durch die Beteiligung der Legislative nicht ihren Charakter als Rechtsnorm der Exekutive verliere. 26 Vgl .Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 84 f. 27 Das Bundesverfassungsgericht hat sich der Entscheidung darüber enthalten, ob die Zustimmung als bloßes Plazet oder als gleichwertig mit der Tätigkeit der Exekutive anzusehen sei (BVerfGE 8,274 [322] - Preisgesetz); etwas deutlicher äußert sich das Bundesverwaltungsgericht, das in BVerwGE 57,130 (139 f.) - Juristenausbildung - die Meinung vertritt, die Zustimmung verschaffe der Verordnung den „Anschein inhaltlicher Billigung". In der Literatur ist die Frage nach den materiellen Eigenschaften des Zustimmungsakts jedoch umstritten. Siehe Albert Hiiser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978, S. 109ff. und Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758). 28 BVerfGE 8, 274 (322) - Preisgesetz. 29 In BVerfGE 2, 237 (255) - Hypothekensicherungsgesetz - scheint das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum beiden Faktoren gleiches Gewicht einzuräumen.

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C. Einzelne Beteiligungsformen (2) Der einfache Zustimmungsvorbehalt: Der Zeitpunkt der Zustimmung als entscheidender Faktor für die Sachherrschaft

Die Möglichkeiten zur Einflußnahme auf Inhalt und Erlaß einer Verordnung korrelieren mit dem Zeitpunkt der Zustimmung 31 . Die Ermächtigungsgesetze sehen Zustimmungsvorbehalte vor 3 2 oder nach 33 dem Erlaß der Verordnung vor 3 4 . Im letzteren Fall, der Kassation 35 , ist es dem Bundestag nicht mehr möglich, Einfluß auf den Inhalt der erlassenen Rechtsverordnung zu nehmen 36 . Allenfalls könnte die spätere Kassationsmöglichkeit schon gewisse Vorwirkungen zum Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung entfalten. Geht man davon aus, daß der Verordnungsgeber aus Gründen der Ökonomie (und des politischen Ansehens) versuchen wird, eine Rechtsverordnung zu entwerfen bzw. zu erlassen, die nicht am Veto des Bundestags scheitert oder später kassiert wird, dann besitzen die meisten Mitwirkungsvorbehalte eine gewisse Vorwirkung 37 . Die Vorwirkungen der Mitwirkungsvorbehalte müssen hier daher unberücksichtigt bleiben. Im folgenden wird davon ausgegangen, daß die Feststellung des Inhalts der Rechtsverordnung und der Entschluß zu deren Erlaß nach den Vorschriften der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien38 in der Hand der Exekutive bleiben. 30

Nach Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 34 tritt in formellrechtlicher Hinsicht die Zustimmung neben die Verordnung. Vgl. auch Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 85. Anders Gebhard Ziller, Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu Rechtsverordnungen?, DVB1.1963, S. 795 ff. (S.796), der annimmt, daß zustimmungsbedürftige Rechtsverordnungen aus bis zu drei Teilakten bestehen, nämlich aus den Teilakten des Verordnungsgebers, des Bundesrats und des Bundestags. 31 Vgl. auch Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 135), der den Zeitpunkt der Einwirkung auch als Unterscheidungskriterium für die verschiedenen Typen der Mitwirkungsvorbehalte heranzieht. 32 Auch wenn sich sonst Parallelen zu den bürgerlichrechtlichen Begriffen verbieten, kann mit Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 31 zur Verdeutlichung die Zustimmung hier als „Einwilligung" im bürgerlichrechtlichen Sinne bezeichnet werden. 33 Als „Genehmigung" im bürgerlichrechtlichen Sinne. 34 Die sinnvolle Trennung von vorheriger Zustimmung und nachträglicher Genehmigung nimmt Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 32 vor. 35 Siehe zu den Kassationsvorbehalten unten C. II. 3 (S. 65 f.). 36 Nach Erwin Jacobi, Die Rechts Verordnungen, in: Anschütz/Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2,1932, S. 236ff. (S. 247) soll das Parlament durch die (nachträgliche) Genehmigungsoption nicht mehr am Erlaß der Rechtsverordnung beteiligt werden können. 37 Diese Vorwirkungen erkannte man auch schon auf der Weinheimer Arbeitstagung 1951/52 „Die Übertragung rechtssetzender Gewalt im Rechtsstaat", siehe den Tagungsbericht von Peter Schneider, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat - Eindrücke von der Arbeitstagung in Weinheim am 1./2.12.1951 - JZ1952, S.92f. (S.93). 38 Die Beschlußfassung über den Verordnungsentwurf erfolgt gemäß §§ 20, 24 GGO II durch Mehrheitsentscheidung in gemeinsamer Sitzung oder im Umlaufverfahren; der Inhalt

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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Im ersteren Fall, dem der vorherigen Zustimmung, bleibt der Bundesregierung, falls der Bundestag seine Zustimmung ohne weitere Maßgaben erteilt oder verweigert, die Feststellung des Inhalts allein überlassen. Es fragt sich, ob und inwieweit der vorherige Zustimmungsvorbehalt dem Bundestag eine Sachherrschaft über den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung vermitteln kann. Heribert Kiefer*9 richtet sein Hauptaugenmerk auf die Übereinstimmung, die zwischen Bundestag und Bundesregierung Zustandekommen müsse, um den Erlaß einer Zustimmungs Verordnung zu ermöglichen; dadurch liege eine „echte Beteiligung" des Bundestags an der Feststellung des Inhalts der Rechtsverordnung vor. Ähnlich argumentiert auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall, der unter dem allgemeinen Änderungsvorbehalt des Art. 4712 Berl. Verf. a. F. 40 stand41. Noch weitergehend ist die Ansicht von Hans-Christian Kersten42t der insofern zu Recht darlegt, daß im Fall der vorherigen Zustimmung der Zustimmungsberechtigte potentiell genau die gleichen Zweckmäßigkeitserwägungen zum Für und Wider der geplanten Verordnung wie der Delegatar anstelle. Anschließend müsse sich der Zustimmungsberechtigte mit dem Delegatar „zusammenraufen". So seien beide Parteien an der Normerzeugung beteiligt. Weiterhin führt er aus, daß es nicht darauf ankomme, ob der Zustimmungsberechtigte kommentarlos nach Vorlage des Verordnungsentwurfs zustimme oder eventuell im Vorfeld äußere, daß er der Verordnung nur nach Vornahme bestimmter inhaltlicher Änderungen zustimmen werde. Entscheidend sei die dem Zustimmungsberechtigten verliehene Macht, auf den Inhalt der zu erlassenden Verordnung zuzugreifen43. Diese Ansicht läßt außer acht, daß der gestaltende Anteil des Bundestags hinsichtlich des Verordnungsinhalts nicht ins Gewicht fällt, wenn der Bundestag seine Zustimmung kommentarlos verweigert oder erteilt44. Das wird besonders deutlich, wenn der Bundestag bei einem Vetovorbehalt die Einspruchsfrist ohne Debatte im Plenum verstreichen läßt. Ein Bemühen um eine Übereinkunft mit dem Delegatar hinsichtlich des Verordnungsinhalts ist dann nicht mehr zu sehen. Kiefer und Kersten kann also nicht gefolgt werden, da sie beide keine Gewichtung der inhaltlichen Einflußnahme auf den Inhalt der Rechtsverordnung vornehmen. von Rechtsverordnungen, die von den Bundesministerien erlassen werden, wird durch Beschluß innerhalb des Ministeriums festgestellt. 39 Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 33. 40 Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (VOB1.I S.433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. April 1992 (GVB1. S. 111). 41 Im Urteil BVerwGE 57, 130-Juristenausbildung-läßt das Bundesverwaltungsgericht den allgemeinen Änderungsvorbehalt des Art. 4712 Berl. Verf. als Mittel zur Sicherung des Prinzips der parlamentarischen Eigenverantwortlichkeit gelten. Die Billigung einer Verordnung durch das Abgeordnetenhaus begründe auch die Vermutung, daß der Verordnungsgeber damit dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe (BVerwG, a. a. O., S. 139f.). 42 Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S.39f. 43 Hans-Christian Kersten, a. a. O., S. 40. 44 Auf die Wertigkeit der gestaltenden Beiträge stellt auch Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechts Verordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 86 ab.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Daher ist davon auszugehen, daß die Abgabe einer bloßen Zustimmungserklärung des Parlaments keinen wesentlichen Beitrag zur Feststellung des Regelungsinhalts der schon formulierten Verordnung45 darstellt46.

(3) Inhaltliche Einflußmöglichkeiten des Bundestags durch Maßgabebeschlüsse Die vorstehende Betrachtung erfaßt jedoch nur einen Teil der möglichen Varianten der Zustimmungsvorbehalte. In der Praxis 47 , die anfangs von den Maßgabebeschlüssen des Bundesrats geprägt war 4 8 , erteilt der Bundestag seine vorherige Zustimmung nicht ohne weiteres, sondern verbindet sie zumeist mit der Maßgabe, daß durch die Regierung einzelne Änderungen am Inhalt der Verordnung vorzunehmen seien. Kommt der Verordnungsgeber der Maßgabe des Bundestags nach und gleicht den Verordnungstext entsprechend an, dann erhält der Bundestag hier die Möglichkeit, gestaltend Einfluß auf den Inhalt der Verordnung zu nehmen. Diese Gestaltungsmöglichkeit geht weit über eine bloße Übereinstimmung bei einfacher Aus45 In diesem Sinne auch Albert H User, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978, S. 112 f., der auf die Urheberschaft hinsichtlich des Regelungsinhalts abstellt. Deutlicher noch Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 85 f. Zum gleichen Ergebnis kommt mit sehr knapper Begründung Friedrich Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S.79ff. (S. 101), der die Genehmigung nicht als Mitwirkung am Erlaß einer Rechtsverordnung betrachtet, sondern als vereinfachten Weg, ihre Aufhebung herbeizuführen. 46 Vgl. auch BVerfGE 2, 237 (255) - Hypothekensicherungsgesetz. Die Entscheidung spricht en passant die Bedeutung der inhaltlichen Gestaltung neben dem Zustimmungserfordernis an. Ähnlich im Zusammenhang mit den Vertragsgesetzen gemäß Art. 59 II 1 2. Alt. GG auch Ulrich Fastenrath, Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt, 1986, S. 221. Weitergehend Arnd Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S.435, der eine Möglichkeit zur inhaltlichen Einflußnahme durch den Bundestag darin sieht, daß er seine Zustimmung so lange und so oft verweigert, bis der Verordnungsgeber die vom Bundestag favorisierte Regelungsoption wählt. 47 Siehe die Beispiele bei Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 87 Fn. 2. 48 Siehe Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S.73 m. w.N. Riese zeigt, daß vom 1. Januar 1978 bis zum 20. Dezember 1990 ca. 43% aller Zustimmungsbeschlüsse des Bundesrats unter Änderungsmaßgaben ergingen. Seit 1955 der Ältestenrat des Bundestags auf Vorschlag des Außenhandelsausschusses dazu überging, sich der Praxis des Bundesrats anzuschließen, macht der Bundestag von der Möglichkeit Gebrauch, seine Zustimmung unter Maßgabe inhaltlicher Änderungen zu verweigern, vgl. die Plenarprotokolle der 64. Sitzung der 2. Wahlperiode vom 27. Januar 1955, S.3340B i.V.m. BT-Drs. 2/1149 und 2/472(neu), 152. Sitzung vom 22. Juni 1956, S. 8181Β i.V. m. BT-Drs. 2/2536, und die 160. Sitzung der 3. Wahlperiode vom 30. Mai 1961, S. 9264Β i.V. m. BT-Drs. 3/2743 sowie die Nachweise bei Hans Troßmann, Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages, 1977, §96 a Rn.4.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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Übung des Zustimmungsrechts hinaus, die von Kersten49 und Kiefer50 als Teilnahme an der Rechtsetzung gewertet wird. Bei Maßgabebeschlüssen nimmt der Bundestag vielmehr an der materiellen Rechtsetzung teil51. Die Wirksamkeit dieser Gestaltungskraft hängt von zwei Faktoren ab, nämlich erstens von der Verbindlichkeit der Maßgabezustimmung und zweitens von der Verpflichtung des Delegatars zum Erlaß der Rechts Verordnung. Da die Maßgabezustimmung die gleiche Verbindlichkeit wie eine einfache Zustimmung besitzt, ist dem Delegatar also der Erlaß der Rechtsverordnung versagt, wenn er von den Änderungswünschen des Bundestags abweicht. Inhaltlich wird der Verordnungsgeber damit an die Vorgabe des Bundestagsbeschlusses gebunden. Etwas differenzierter muß die Verpflichtung des Verordnungsgebers zum Erlaß von Rechts Verordnungen betrachtet werden. Grundsätzlich steht es nämlich der Regierung frei, als Verordnungsgeber vom Erlaß der geplanten Verordnung abzusehen, falls sie mit den Änderungswünschen des Bundestags nicht übereinstimmt52. Allerdings sind einige Konstellationen denkbar, in denen die Bundesregierung aus verschiedenen Gründen zum Erlaß einer Rechtsverordnung verpflichtet sein kann. An dieser Stelle sei nur erwähnt, daß Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft die termingerechte Umsetzung von Richtlinien verlangen. Dies geschieht bei entsprechender Ermächtigung meist auf dem Verordnungswege. Weiterhin ist denkbar, daß grundrechtliche Schutzpflichten bzw. Vorgaben des Gesetzgebers in der Ermächtigungsnorm selbst den Bedarf nach zügigem Erlaß einer Rechtsverordnung erzeugen können53. 3. Die Kassationsbefugnis und Nachlaufverordnungen Entsprechend der unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Inhalt und Erlaß der Verordnung je nach Wirkungszeitpunkt waren oben Mitwirkungsvorbehalte Gegenstand der Betrachtung, die vor Verkündung der Rechtsverordnung ausgeübt werden können. Anders stellen sich die Einflußmöglichkeiten bei Rechtsverordnungen dar, die nach ihrer Verkündung durch Beschluß des Bundestags aufgehoben werden 49

Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S.39f. Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S.33. 51 Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 86. Auch Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S.38f. sieht in den Zustimmungsvorbehalten die Möglichkeit des Bundestags, gestaltend auf den Verordnungsinhalt Einfluß zu nehmen, sofern er seine Zustimmung mit der Maßgabe der inhaltlichen Änderung erteilt. 52 Mathias Lichtenhahn, a. a. O., S. 77 beschreibt den auf das Verhältnis von Bundesregierung und Bundestag übertragbaren Fall der Verordnung über die Anrechnung eines schulischen Berufsgrundbildungsjahres, Vorlage vom 10. Juli 1987, BR-Drs. 222/87, von deren Erlaß der Bundeswirtschaftsminister aufgrund der Änderungsvorschläge des Bundesrats absah. 53 Auf diese Verpflichtungen wird weiter unten bei der Besprechung der Änderungsvorbehalte noch näher einzugehen sein (siehe C.II.4 [S.67ff.]). 50

5 Schmidt

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C. Einzelne Beteiligungsformen

können. Hier gibt es zwei Varianten. Zum einen den bloßen Aufhebungs- oder Kassationsvorbehalt, aufgrund dessen der Bundestag innerhalb einer gewissen Frist die Aufhebung einer Verordnung durch die Bundesregierung verlangen kann. Als Beispiel sei hier § 20 V Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StWG) 54 genannt. Diese Vorschrift erlaubt dem Bundestag, Rechtsverordnungen, die von der Bundesregierung gemäß § 19 StWG zur Steuerung des Finanzmarkts bei Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eingesetzt werden, binnen sechs Wochen nach ihrer Verkündung wieder aufzuheben. Zum anderen gab es in den fünfziger Jahren Rechtsverordnungen, die im sogenannten Nachlaufverfahren ergingen55. In diesem Verfahren erließ die Bundesregierung zunächst gemäß Art. 8212 GG eine uneingeschränkt gültige Vorschaltverordnung, über die der Bundestag wie über eine Zustimmungsvorlage entschied56. Nach Zustimmung des Bundestags wurde die Vorschaltverordnung durch eine inhaltsgleiche Nachlaufverordnung ersetzt. Der Begriff der „Nachlaufverordnung" ist jedoch nur auf die Rechtsverordnungen der fünfziger Jahre zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl anwendbar und daher nicht mehr praxisrelevant57. Sowohl beim Nachlaufverfahren als auch beim Kassationsvorbehalt setzt sich der Bundestag erst nach Verkündung einer wirksamen Rechts Verordnung mit ihrem Inhalt auseinander. Falls der Bundestag innerhalb der Nachlauf- oder Kassationsfrist überhaupt tätig wird, fallen seine Erwägungen über das Für und Wider der erlassenen Rechtsverordnung folglich in einen Zeitraum, in dem er auf die Gestaltung des Norminhalts keinen Einfluß mehr hat. Das bedeutet, daß hier von einer gemeinsamen Feststellung des Verordnungsinhalts nicht mehr die Rede sein kann. Die tatsächliche Sachherrschaft des Bundestags bei Nachlauf- und Kassationsvorbehalten erstreckt sich also nicht auf Fragen der inhaltlichen Gestaltung der erlassenen Rechtsverordnung.

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Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. IS. 582). 55 Zum Begriff der Nachlaufverordnung siehe Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 135). Zahlreiche Beispiele zu den Nachlaufverordnungen zeigt Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S.61. Der Text des § 1 des Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl) vom 24. November 1955 (BGBl. IS. 728) findet sich bei Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 16. 56 Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S.61. 57 Zum Anwendungsbereich des Begriffs der Nachlaufverordnung siehe Theodor Klotz, Das Aufhebungsverlangen des Bundestages gegenüber Rechtsverordnungen, 1977, S.61 Fn. 180.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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4. Der Änderungsvorbehalt Bei den Änderungsvorbehalten liegt der Zeitpunkt der Mitwirkung wie bei der vorherigen Zustimmung noch vor Erlaß der Rechts Verordnung. So kann der Bundestag weitgehenden Einfluß auf den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung nehmen. Darüber hinaus ist der Änderungsvorschlag des Bundestags inhaltlich ebenso verbindlich wie ein Maßgabebeschluß, was den Verordnungsgeber daran hindert, eine Rechts Verordnung zu erlassen, die inhaltlich oder in der Formulierung von diesem Änderungsvorschlag abweicht58. Wie oben bereits gezeigt, kann der Bundestag größeren Einfluß auf die Verordnungsgebung nehmen, wenn er vor dem Erlaß der Rechtsverordnung auf ihren Inhalt oder das „Ob" ihres Erlasses einwirken kann und wenn zum anderen der Verordnungsgeber zum Erlaß der vorgelegten Rechtsverordnung verpflichtet ist59. Bei den weitreichenden Zugriffsmöglichkeiten auf den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung, die die Änderungsvorbehalte gewähren, hängt das tatsächliche Gewicht der Mitwirkung des Bundestags entscheidend von der Verpflichtung der Exekutive zum Erlaß der Verordnung ab. Eine der wichtigsten Größen bei der Betrachtung der kompetenzrechtlichen Auswirkungen der Änderungs vorbehalte wird daher die Entschließungsfreiheit des Verordnungsgebers beim Erlaß von (durch den Bundestag geänderten) Rechtsverordnungen sein60. Mit Karl-Peter Sommermann61 sind zwei verschiedene Typen von Änderungsvorbehalten zu unterscheiden: unechte und echte Änderungs vorbehalte. Unechte (fakultative oder nicht obligatorische) Änderungsvorbehalte lassen der Exekutive auch nach Änderung der Verordnungsvorlage durch den Bundestag ein Entschließungsermessen darüber, ob sie die Verordnung erlassen will. Echte (obligatorische) Änderungsvorbehalte hingegen verpflichten die Exekutive, die vom Bundestag geänderte Vorlage dann tatsächlich als Verordnung zu erlassen. Im folgenden werden Kriterien zur Unterscheidung des obligatorischen oder nicht obligatorischen Charakters von Verordnungsermächtigungen zusammengestellt und in einem zweiten Schritt die bestehenden Ermächtigungen den beiden Fallgruppen zugeordnet. a) Unterscheidungskriterien für echte und unechte Änderungsvorbehalte: Bildung von Fallgruppen Ausgehend von der Formulierung des Art. 801 GG ist zunächst festzustellen, daß im Regelfall die Exekutive einfach „ermächtigt" ist, Rechtsverordnungen zu erlas58

Siehe oben C. II. 2. b) (3) (S. 65). Siehe oben C. II. 2. b) (2) (S. 62ff.) und C. II. 2. b) (3) (S. 64f.). 60 Zum Begriff der Entschließungsfreiheit siehe Hans J. Wolff/Otto Bachof!Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, §31 Rn.35. 61 Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ1997, S. 434ff. (S.437). 59

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C. Einzelne Beteiligungsformen

sen. Die „Ermächtigung" enthält begrifflich noch keine Verpflichtung zu handeln62. Somit steht der Exekutive das „Ob" des Erlasses einer Rechtsverordnung grundsätzlich zur Disposition63 - man spricht auch vom Entschließungsermessen der Exekutive64. Es sind jedoch eine ganze Reihe von Faktoren denkbar, die das Ermessen des Verordnungsgebers beim Verordnungserlaß einengen65. (1) Explizite Formulierung Verpflichtungen zum Erlaß einer Verordnung können sich bereits explizit aus der Formulierung der Ermächtigungsnorm selbst ergeben66. Die Formulierung „die Bundesregierung erläßt [...] eine Rechtsverordnung" ist mit Hans Schneider67 als Befehl an den Verordnungsgeber in Form des sogenannten „imperativen Präsens" zu verstehen. (2) Unentbehrlichkeit der Verordnung unter dem Aspekt der gesetzgeberischen Einheit Eine Verpflichtung des Verordnungsgebers zum Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung kann sich auch aus dem Gesamtzusammenhang von Rechtsverordnung und Ermächtigungsnorm ergeben. In Übereinstimmung mit Manfred Lepa68 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts69 ist festzuhalten, 62 Nach allgemeiner Auffassung entsteht mit der Ermächtigung grundsätzlich keine Pflicht des Ermächtigten zum Tätigwerden, siehe Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Altemativkommentar), Bd. 2,2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn. 52, dort m. w. N. in Fn. 129; siehe auch Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 4 und Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm.XIIl. 63 Herrschende Meinung, siehe Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 284. Freies Entschließungsermessen hält das Bundesverwaltungsgericht in BVerwGE 18, 6 (9) - Lastenausgleich - für unbedenklich. 64 Siehe Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl., 1994, § 31 Rn. 35, S.375. 65 Übersichten über diese Faktoren finden sich bei Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S. 348) und bei Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 177ff. 66 Siehe Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 4 und Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337ff. (S.347 Fn.55). 67 Hans Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl., 1991, Rn. 248. Als Beispiel einer einfachen Verordnungsermächtigung, die im „imperativen Präsens" formuliert ist, seien hier nur §§15, 69 Bundesbeamtengesetz (BBG- in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1985, BGBl. III/FNA 2030-2) genannt. 68 Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S.337ff. (S.347f.)

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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daß ermächtigendes Gesetz und Verordnung eine funktionale Zweckeinheit bilden. Auch wenn der Gesetzgeber, der die Bundesregierung oder einzelne Minister zum Erlaß von Rechtsverordnungen ermächtigt, einen Teil der Normsetzungsbefugnisse an die Exekutive delegiert hat, so will er dennoch ein einheitliches Regelungsziel erreichen. Wenn der Regelungskomplex aus Gesetz und Rechtsverordnung ohne Vorliegen der entsprechenden Rechtsverordnung nicht vollziehbar wäre 70 , stünde auch die Vollziehbarkeit des Gesetzes zur Disposition der Exekutive. Dies widerspräche der vom Grundgesetz und vom Prinzip des Vorrangs des Gesetzes vorgegebenen Rangfolge der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers gegenüber derjenigen des Verordnungsgebers71. Man kann in diesen Fällen auch von einer Reduktion des Entschließungsermessens des Verordnungsgebers auf Null sprechen72. Ein legitimes gesetzgeberisches Interesse muß dabei nicht festgestellt werden 73 . Der Verordnungsgeber ist demnach zum Erlaß einer Rechtsverordnung verpflichtet, wenn ohne seine Mitwirkung die Regelungsziele, die der Gesetzgeber mit der Zweckeinheit Gesetz/Rechtsverordnung verfolgte, nicht erreicht werden könnten 74 .

69 In BVerfGE 24,184 (198) - Apostillenverfahren - sieht das Bundesverfassungsgericht die Normen des Gesetzes und die der Verordnungen, die aufgrund der in ihnen enthaltenen Ermächtigung erlassen werden, als Einheit im Hinblick auf die Zustimmungsrechte des Bundesrats und die legislatorische Verantwortung des Bundesrats. 70 Konrad Westbomke, Der Anspruch auf Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976, S. 34 spricht auch von „bewußt unvollständigen" Gesetzen. 71 BVerfGE 78, 249 (272 ff.) - Fehlbelegungsabgabe. Siehe allgemein auch Thomas Würtenberger, Die Normerlaßklage als funktionsgerechte Fortbildung verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes, AöR 105 (1980), S.370ff. 72 Dies kommt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausdruck: BVerwGE 31, 177 (179 f.) - Arzneimittelverordnung. Teilweise auf das Argument der Praktikabilität stellt auch BVerfGE 13,248 (254) - Bundesentschädigungsgesetz - ab. Siehe zu diesem Thema auch Wolf gang Sturmhöfel, Das Verordnungsrecht im Gewaltenteilungssystem des Grundgesetzes, 1964, S.29ff. 73 Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S. 347 f.) ist der Auffassung, daß ein Parlament, das das Erreichen des Gesetzeszwecks vom Erlaß einer Rechtsverordnung abhängig macht, in Selbstwiderspruch und in Widerspruch zum Zweck des Art. 801 GG gerät. Dennoch nimmt er ein „legitimes Interesse" dann an, wenn der Gesetzgeber mit seinem Rechtsetzungsakt in die Abhängigkeit von der Exekutive gerät. 74 Siehe BVerfGE 78, 249 (272 ff.) - Fehlbelegungsabgabe; Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/ Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. XII. 1 m. w. N.; Ulrich Ramsauer, in: Azzola u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz (Alternativkommentar), Bd. 2,2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn.52; Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn.4 m. w. N.; Erich Bülow, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl., 1994, § 30 Rn. 58 (S. 1487).

70

C. Einzelne Beteiligungsformen

(3) Unentbehrlichkeit der Rechtsverordnung in ihrem Regelungszusammenhang und Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten Das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers wird auch dann eingeschränkt, wenn der Regelungszusammenhang oder die Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten den Erlaß einer Rechtsverordnung verlangen. Die Rechtsprechung gewährt Ansprüche auf den Erlaß einer Norm bestimmten Inhalts zwar nur ausnahmsweise, z.B. wenn ein hinreichend konkreter Auftrag in der Verfassung besteht oder wenn der Normgeber einen Sachverhalt gleichheitswidrig ungeregelt gelassen hat und eine dem Gleichheitssatz genügende Regelung nur in einem bestimmten Sinn ausfallen kann75. Hier soll jedoch nur die allgemeine Verpflichtung zur Regelung eines Sachbereichs betrachtet werden. Es ist allgemein anerkannt, daß die grundrechtlichen Verbürgungen nicht nur subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat begründen, sondern auch objektiv-rechtliche Wertentscheidungen darstellen, die mitunter vom Normgeber ein Tätigwerden verlangen. Grundrechtliche Schutzpflichten ergeben sich zum Beispiel aus Art. 2 II 1 GG in Verbindung mit Art. 112 GG 7 6 oder Art. 3 GG 7 7 und können den Gesetzgeber zur Umsetzung entsprechender normativer Schutzkonzepte verpflichten78. Was für den Gesetzgeber gilt, gilt erst recht für den Verordnungsgeber: Grundrechtliche Schutzpflichten können das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers auf Null reduzieren79, zumal der Verordnungsgeber ohnehin schon mit einem engeren Gestaltungsspielraum arbeitet80. Dabei ist es im Rahmen dieser Untersuchung irrelevant, ob ein Anspruch auf Erlaß einer Rechtsnorm überhaupt durchsetzbar ist oder nicht81. Weiterhin kann außer Betracht bleiben, ob der Normgeber ex75 Siehe das Urteil des BayVerfGH, BayVBl. 1987, S.589ff. (S.589)-Landesverordnung über den Ladenschluß. 76 Siehe BVerfGE 90, 145 (151 ff.) - Cannabis - und BVerfGE 88, 203 (252) - Schwangerschaftsabbruch. In BVerfGE 56, 54 (63 f.) - Fluglärm (Lohausen) - sieht das Bundesverfassungsgericht eine Handlungspflicht des Gesetzgebers bei veränderten Umständen nur dann gegeben, wenn evident ist, daß eine ursprünglich verfassungsmäßige Regelung durch die Änderung der Umstände verfassungswidrig geworden ist. 77 Mit Einschränkungen hinsichtlich der Durchsetzbarkeit eines Normerlaßanspruchs: BayVerfGH, BayVBl. 1987, S. 589ff. (S. 589) - Landesverordnung über den Ladenschluß. 78 BVerfGE 88, 203 (261 f.) - Schwangerschaftsabbruch. 79 Siehe auch BayVerfGH, NVwZ 1986, S. 636ff. (S. 637) - Gemeindliche Immissionsschutzverordnung. Auch die Literatur akzeptiert unter ähnlichen Voraussetzungen eine Ermessensreduzierung des Verordnungsgebers. Siehe statt vieler: Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 4 und Art. 76 Rn. 14 jeweils m. w. N. 80 Siehe BVerfGE 13, 248 (255) - Bundesentschädigungsgesetz. 81 Das Thema Normerlaßklage spricht Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S. 181 an. Die Durchsetzbarkeit ist auch Gegenstand der Entscheidungen BayVerfGH, NVwZ 1986, S.636ff. (S. 637) - Gemeindliche Immissionsschutzverordnung - und BayVerfGH, BayVBl. 1987, S. 589ff. (S. 589) - Landesverordnung über den Ladenschluß.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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plizit zum Erlaß einer Verordnung bestimmten Inhalts verpflichtet werden darf. Von Interesse sind nur die tatsächlichen oder rechtlichen Beschränkungen des Entschließungsermessens des Verordnungsgebers. Im Fall der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Bundesentschädigungsgesetz (BEG) 82 regelte der Gesetzgeber ausdrücklich die Zahlung einer Entschädigung an eine bestimmte Gruppe von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung und ermächtigte gleichzeitig den Verordnungsgeber, eine andere Gruppe entsprechend zu begünstigen83. Das Bundesverfassungsgericht stellte zwar auch darauf ab, daß das Bundesentschädigungsgesetz ohne die Durchführungsverordnungen nicht praktikabel sei, jedoch beruft sich der erkennende Senat letztendlich eher auf die Aspekte der Gleichbehandlung der beiden Gruppen von Verfolgungsopfern84. Dieser Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ist zu folgen. Somit ist davon auszugehen, daß sowohl allgemeine grundrechtliche Schutzpflichten als auch ein im Regelungszusammenhang entstandenes Gleichbehandlungsgebot den Verordnungsgeber zum Erlaß einer Rechts Verordnung verpflichten können. (4) Ermessensreduzierung aufgrund von gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Nicht zuletzt könnten aus dem Gemeinschaftsrecht Verpflichtungen des Verordnungsgebers resultieren, die dessen Entschließungsermessen reduzieren. Das Gemeinschaftsrecht ist, was auch von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wird85, gemäß Art. 2312 GG gegenüber dem nationalen Recht vorrangig86. Dies bedeutet unter anderem, daß die Nationalstaaten aufgrund der Loyalitätspflicht des Art. 10 (ex-Art. 5) EGV, die durch Art. 249 (ex-Art. 189) EGV näher konkretisiert wird, zur Umsetzung von EG-Richtlinien87 verpflichtet sind88. 82 Vom Bundesverfassungsgericht zitiert als Bundesgesetz zur Entschädigung der Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung - Bundesentschädigungsgesetz (BEG) in der Fassung vom 29. Juni 1956 (BGBl. I S. 559). 83 BVerfGE 13, 248 (254) - Bundesentschädigungsgesetz. 84 Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 13,248 [254f.]-Bundesentschädigungsgesetz) befürchtete, es werde zu einer Verzerrung „der vom Gesetzgeber gewollten Relation der Renten zueinander" kommen. 85 Siehe nur hinsichtlich des Art. 24 GG a. F. BVerfGE 37, 271 (278 ff.) - Solange I - und BVerfGE 73, 339 (S. 374ff.) - Solange II. 86 Vgl. auch Rudolf Geiger, EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, Art. 5 Rn. 20 f. Dabei kommt es auf den Rang der mitgliedstaatlichen Rechtsnorm nicht mehr an, siehe ders., EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, Art. 5 Rnrn. 22 und 34. Siehe auch EuGHE 1970, 1125 ff. - R s . 11/70 - Internationale Handelsgesellschaft. Weitere Nachweise auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei Thomas Oppermann, Europarecht, 1991, § 6 I V 1 a) aa) Rnrn. 527 ff. 87 Zumindest bis zum Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte 1987 gab es noch keine direkt in den Mitgliedstaaten wirkenden Verordnungen im Gemeinschaftsrecht; somit war die Richtlinie das einzige Instrument, um mitgliedstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die sich auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkten, aneinander anzugleichen, siehe Hans-Wolfram Daig/Gudrun Schmidt, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl., 1991, Art. 189 Rn.35.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Richtlinien der Kommission oder des Rats der Europäischen Gemeinschaft richten sich an einen oder mehrere Mitgliedstaaten als Adressaten. Nach der Definition des Art. 249 (ex-Art. 189) I I I E G V sind sie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Zur Erfüllung dieser Pflichten reicht es nicht aus, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie der EG in bloße Verwaltungsrichtlinien umsetzt 89 . Erforderlich ist vielmehr eine Umsetzung 90 in verbindliche Rechtsvorschriften wie Gesetze und Rechtsverordnungen91. Daher ist ein beträchtlicher Anteil der Gesetzgebung in Deutschland bereits sogenannte „Kooperationsgesetzgebung", die der Umsetzung der Folgeverpflichtungen der Europäischen Union dient 92 . U m Rechtsgleichheit in allen Mitgliedstaaten zu erreichen, müssen EG-Richtlinien üblicherweise bis zu einem bestimmten Stichtag 93 umgesetzt werden, wie einige Beispiele aus dem Bereich des Abfallrechts zeigen 94 . Das in Deutschland übliche Instrument zur Umset88

Es ist ebenfalls denkbar, daß EG-Entscheidungen gemäß § 249IV EGV zu einer Verpflichtung eines Mitgliedstaates zum Erlaß von Rechtsverordnungen führen können. Adressaten der Entscheidungen im Sinne des § 249IV EGV können auch die Mitgliedstaaten sein, siehe auch Hans-Wolfram Daig/Gudrun Schmidt, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EWG-Vertrag, 4. Aufl., 1991, Art. 189 Rnrn. 42ff. Zum indirekten Vollzug von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten siehe auch Ulrich Fastenrath/Maike Müller-Gerbes, Europarecht, 1996, Rnrn. 495 ff. 89 EuGH, Urteil vom 30. Mai 1991 - Rs.C361/88 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), EuZW 1991, S. 440ff. (S.440f.) und EuGH, Urteil vom 30. Mai 1991 - Rs. C59/89 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), EuZW 1991, S.442ff. (S.443f.). Weitere Nachweise bei Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestags beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1994, S. 1107ff. (S. 1107 Fn.4). 90 Auch EG-Richtlinien können unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten zeitigen, siehe Eberhard Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand: Sept. 1992, Art. 189 Rn. 60 f. Der Einfachheit halber wird hier davon ausgegangen, daß Richtlinien im Regelfall einer Umsetzung bedürfen. Zur Umsetzung von Umweltschutzrichtlinien in nationales Recht siehe auch Reiner Schmidt!Helmut Müller, Einführung in das Umweltrecht, 5. Aufl., 1999, §8 Rnrn. 47 ff. 91 EuGH, Urteil vom 30. Mai 1991 - Rs. C59/89 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), EuZW 1991, S. 442ff. (S.444); vgl. auch Rudolf Geiger, EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, Art. 189 Rn.9. 92 Zum Begriff der Kooperationsgesetzgebung siehe auch Helmuth Schulze-Fielitz, Theorie und Praxis parlamentarischer Gesetzgebung - besonders des 9. Deutschen Bundestages (1980-1983), 1988, S.83. In der 9. Wahlperiode machten die Vertragsgesetze nach Art. 59 II GG 51 und die Kooperationsgesetze immerhin 10 der 136 verkündeten Gesetze aus, siehe a.a.O., S.79, 83. 93 Zur Verbindlichkeit der Stichtagsregelungen vgl. Rudolf Geiger, EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, Art. 189 Rn.9. 94 So legt zum Beispiel die Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle vom 15. Juli 1975, auf die weiter unten (S. 82, dort Fn. 151) einzugehen sein wird, in Art. 19 eine 24-monatige Frist zu ihrer eigenen Umsetzung fest. Siehe auch Art. 10 der Richtlinie 91/689/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 über gefährliche Abfälle (ABl.EG 1991, Nr.L377/20, geändert durch Richtlinie 94/31/EWG vom 27. Juni 1994, ABl. EG Nr. L168/28) und Art. 12 der Ersten Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4. Dezember 1980 zur Einführung eines EG-Führerscheins (ABl.Nr.L375/l). Siehe dazu auch Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bun-

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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zung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft ist nach gesetzlicher Ermächtigung die Rechtsverordnung95. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten gegenüber ihren Bürgern staatshaftungsrechtlich ersatzpflichtig, falls diesen aufgrund unterlassener Transformation von Richtlinien der Union ein Schaden entsteht96. Diese Sanktionierung der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht bestätigt, daß Gemeinschaftsrecht das Ermessen des Verordnungsgebers auf Null reduzieren kann. b) Die Fallgruppen in der Praxis Mit Hilfe der eben gefundenen Fallgruppen, in denen das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers reduziert ist, können die vorhandenen Änderungsvorbehalte auf ihren obligatorischen oder nicht obligatorischen Charakter hin untersucht werden. Die Untersuchung ist allerdings wegen der kurzen Tradition der Änderungsvorbehalte auf Material von geringem Umfang beschränkt. Um die Untersuchungsbasis zu vergrößern, werden auch diejenigen Vorschriften Beachtung finden, die inzwischen außer Kraft getreten sind97. (1) §292IV HGB Als erste Vorschrift, die mit einem Änderungsvorbehalt verbunden war, erteilte § 2921 HGB 98 dem Bundesminister der Justiz die Ermächtigung, im Einvernehmen mit weiteren Bundesministern per Rechtsverordnung zuzulassen, daß unter bestimmten Bedingungen die Konzernabschlüsse von Mutterunternehmen, die außerhalb der Europäischen Union ihren Sitz haben, die Tochtergesellschaften innerhalb der Union von ihrer Pflicht zur Aufstellung eigener Abschlüsse befreien. § 292IV desrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S. 80. Zur Pflicht zum Erlaß von Gesetzen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften siehe auch Ossenbühl, Verfahren der Gesetzgebung, in: HStR III, 1988, § 63 Rn. 10. 95 Vgl. auch § 48 a BImSchG und § 6a WHG. 96 Vgl. Rudolf Geiger, EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, Art. 5 Rn.45 und eingehend Eberhard Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand: Sept. 1992, Art. 189 Rn.61a. Die Schlüsselentscheidungen zu diesem Komplex sind die Entscheidungen EuGHE 1991, S. 5357 ff., verb. Rs. C-6 u. 9/90 - Francovich - und Urt. v. 10. Juli 1997, Rs. C373/95 - Federica Maso. 97 Diese Vorschriften traten deshalb außer Kraft, weil die Beteiligung des Bundesrats im Verfahren übergangen worden war (§ 40 GenTG a. F.; siehe die Stellungnahme des Bundesrats in BT-Drs. 12/5614, S. 16) bzw. durch einen nachfolgenden Änderungsvorbehalt des Bundestags entwertet war (§ 42d BRAO a. F., siehe den Beschluß des Bundesrats in BR-Drs. 834/90 sowie die Ausschußempfehlung des Rechtsausschusses in BR-Drs. 834/1/90). 98 Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 (RGBl. S. 219, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Bereinigung des Umwandlungsrechts vom 28. Oktober 1994, BGBl. I S. 3210). §292IV HGB wurde durch das Bilanzrichtliniengesetz vom 19. Dezember 1985 (BGBl. IS. 2355) eingeführt.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

HGB wiederum sieht vor, daß eine solche Verordnung vor ihrem Erlaß durch den Bundestag geändert oder abgelehnt werden kann. Auf den ersten Blick scheint das Entschließungsermessen beim Erlaß der Konzernabschlußbefreiungsverordnung" auf Null reduziert gewesen zu sein, da für diese Vorschrift möglicherweise die Fristsetzung des Art. 491 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983 100 galt, aufgrund derer das Bilanzrichtliniengesetz vom 19. Dezember 1985 101 eingeführt worden war 102 . Art. 491 der Siebenten Richtlinie verlangte von den Mitgliedstaaten den Erlaß der erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zum 1. Januar 1988. Aufgrund dieser Frist war der Verordnungsgeber jedoch noch nicht zum Erlaß der Konzernabschlußbefreiungsverordnung verpflichtet. Die Einräumung von Befreiungsmöglichkeiten gemäß § 2921 HGB für Tochtergesellschaften, deren Muttergesellschaften ihren Sitz außerhalb der Europäischen Union haben, steht nämlich nicht nur nach § 292IV HGB, sondern auch nach Art. 11 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG zur Disposition des Normgebers103. Daß diese Vorschrift den Mitgliedstaaten tatsächlich einen Spielraum für ihr Entschließungsermessen hinsichtlich der Einführung von Befreiungsmöglichkeiten gewähren sollte, zeigt ein Vergleich mit der Vorschrift des Art. 71 der Siebenten Richtlinie: dort wird explizit vorgeschrieben („Die Mitgliedstaaten befreien [...]"), daß für Mutter- und Tochterunternehmen innerhalb der Europäischen Union unter bestimmten Voraussetzungen keine Konzernabschlüsse zu erstellen sind. Der Änderungs vorbehält des § 292IV HGB besitzt daher lediglich fakultativen Charakter104.

(2) § 40 GenTG a. F. Der zeitlich nächste Anwendungsfall des Änderungsvorbehalts nach der Einführung des § 292IV HGB war § 401 Gentechnikgesetz (GenTG) in der Fassung vom 20. Juni 1990105. Diese Vorschrift sah einen Änderungsvorbehalt zugunsten des 99

Konzemabschlußbefreiungsverordnungvom 15. November 1991 (BGBl.IS.2122), geändert durch Verordnung vom 9. Juni 1993 (BGBl. I S. 916). 100 ABl. EG Nr. L193. 101 BGBl. IS. 2355. 102 Siehe auch Art. 11 der Siebenten Richtlinie 83/349/EWG des Rates vom 13. Juni 1983. 103 „Die Mitgliedstaaten können [...] von der in Artikel 1 Absatz 1 genannten Verpflichtung befreien [...]" (ABl. EG 1983, Nr. L193/5). 104 Vgl. im Ergebnis auch Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S.434ff. (S.437). 105 Gesetz zur Regelung der Gentechnik (BGBl. 19901 S. 1080). Eine Synopse zur Fassung des Gentechnikgesetzes vom 20. Juni 1990 und zur Fassung nach dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gentechnikgesetzes vom 16. Dezember 1993findet sich bei Frank A. Koch/Horst Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, Stand: Okt. 1993, Nr. 410, 1.3. §401 GenTGa. F. lautete: „Rechtsverordnungen nach den §§7 und 14 Abs.4 dieses Gesetzes sind dem Bundestag zuzuleiten. Die Zuleitung erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. Die Rechtsverordnungen können durch Beschluß des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluß des Bundestages wird der Bundesregierung zugeleitet. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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Bundestags für die beiden Verordnungsermächtigungen des seither unveränderten § 712 GenTG und des § 14 GenTG a. F. vor. § 712 GenTG ermächtigt die Bundesregierung, per Rechtsverordnung bestimmte Arten gentechnischer Arbeiten je nach ihrem Risikopotential einer von vier Sicherheitsstufen des § 711 GenTG zuzuordnen. Durch § 14IV GenTG a. F. erhielt die Bundesregierung die Möglichkeit, per Rechtsverordnung die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen zu vereinfachen, bei denen eine Gefährdung der in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten Rechtsgüter ausgeschlossen ist. Beide genannten Verordnungsermächtigungen formulieren bzw. formulierten für die Regierung einen Ermessensspielraum hinsichtlich des „Ob" einer Regelung per Verordnung106. Allerdings beruht das deutsche Gentechnikrecht nach dem Gentechnikgesetz107, das früher auf der Grundlage von Verwaltungsrichtlinien geregelt wurde108, jetzt auf den Richtlinien 90/219/EWG109 und 90/220/EWG110 des Rats vom 23. April 111 . Die Umsetzung mußte gemäß den genannten EG-Richtlinien bis zum 23. Oktober 1991 erfolgen112. Es stellt sich somit die Frage nach der Reichweite dieser Umsetzungspflicht. Was die aufgrund von §712 GenTG erlassene Verordnung über die Sicherheitsstufen und Sicherheitsmaßnahmen bei gentechnischen Anlagen (Gentechnik-Sicherheitsverordnung - GenTSV) 113 betrifft, die in ihrer ursprünglichen Fassung114 bereits vor Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes dem Bundesrat zugeleitet worden war 115 , so verlangt die Richtlinie 90/219/EWG des Rats von den Mitgliedstaaten Sitzungswochen seit Eingang der Rechtsverordnung nicht mit ihr befaßt, so wird die unveränderte Rechts Verordnung dem Bundesrat zugeleitet". 106 §712 GenTG a.F. lautete: „[...] wird ermächtigt [...]". § 14 GenTG a.F. ist insofern mit der Fassung nach der Novelle des GenTG vom 16. Dezember 1993 identisch geblieben: „[...] kann nach Anhörung der Kommission durch Rechts Verordnung... bestimmen [...]". 107 Gesetz zur Regelung der Gentechnik in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1993 (BGBl. I S.2066, geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1994, BGB1.I S. 1416). 108 Der Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" (BTDrs. 10/6775, S.286) zitiert hierzu die „Richtlinien zum Schutz vor Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren" in der damals fünften Fassung vom 28. Mai 1986 (siehe Anhang 3 zu BT-Drs. 10/6775, S. 383 ff.). 109 Richtlinie des Rates vom 23. April 1990 über die Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen (ABl. EG Nr. L117/1). 110 Richtlinie des Rates vom 23. April 1990 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt (ABl. EG Nr. L I 17/15). 111 Vgl. auch BT-Drs. 12/5145, S. 10. 112 Siehe Art. 22 der Richtlinie 90/219 des Rates und Art. 23 der Richtlinie 90/220 des Rates. 1,3 In der Fassung der Bekanntmachung vom 14. März 1995 (BGB1.I S.285). 114 Gentechnik-Sicherheitsverordnung vom 24. Oktober 1990 (BGB1.I S.2340). 115 Diese Tatsache schlägt sich in der Übergangsregelung des § 40 II GenTG a. F. nieder, der für vor Inkrafttreten des GenTG dem Bundesrat zugeleitete Rechtsverordnungen nach §§7 und 14IV GenTG einen Kassationsvorbehalt anstelle des Änderungsvorbehalts vorsah. Siehe auch Günter Hirsch, Gentechnikgesetz, 1991, §41 Rn.8.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

nicht, eine Klassifikation gentechnischer Arbeiten nach Sicherheitsstufen einzuführen. Daher bestand hinsichtlich der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht keine Umsetzungspflicht, die den Erlaß einer Rechtsverordnung gemäß § 712 GenTG gefordert hätte. Allerdings wäre das Gentechnikgesetz ohne die Festlegung der Sicherheitsstufen gemäß § 712 GenTG nicht anwendbar gewesen. Sämtliche Antrags- und GenehmigungsVorschriften des Gentechnikgesetzes knüpfen an die Sicherheitsstufen an 116 . Um die Anwendbarkeit des Gentechnikgesetzes nicht zur Disposition des Verordnungsgebers zu stellen, wäre also das Entschließungsermessen hinsichtlich des Erlasses einer Rechtsverordnung wie der GenTS V auf Null reduziert gewesen. Die andere von § 40 GenTG a. F. erfaßte Verordnungsermächtigung in § 14IV GenTG a.F. ermächtigte die Bundesregierung, neben dem üblichen Genehmigungsverfahren für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen (§14 I—III GenTG a. F.) per Rechtsverordnung ein vereinfachtes Verfahren für die Freisetzung bestimmter gentechnisch veränderter Organismen zu schaffen. Gerade diese Materie wird auch von der Richtlinie des Rats 90/220/EWG117 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen erfaßt. Art. 6 der Richtlinie 90/220/EWG schreibt vor, wie sich die Genehmigungsbehörde im Verfahren um die Freisetzung verhalten soll. Es heißt dort in Abs. V: „Ist die zuständige Behörde der Auffassung, daß mit der Freisetzung bestimmter GVO [genetisch veränderter Organismen] genügend Erfahrungen gesammelt worden sind, kann sie bei der Kommission [der EG] einen Antrag auf Anwendung vereinfachter Verfahren für die Freisetzung [...] stellen." Diese Vorschrift gibt also den Mitgliedstaaten nur auf, im Genehmigungsverfahren für Freisetzungen die Möglichkeit vorzusehen, daß die nationalen Behörden Anträge für die Einführung eines vereinfachten Verfahrens stellen können. Eine Verpflichtung zum Erlaß einer Rechtsverordnung kann sich daraus noch nicht ergeben. Ohne eine entsprechende Rechtsverordnung nach § 14 IV GenTG a. F. wäre gleichwohl noch das allgemeine Verfahren nach § 141—III GenTG a. F. auf die Freisetzung anwendbar gewesen. Daher wäre eine Rechtsverordnung nach § 14 IV GenTG a. F. nicht unabdingbar für die Anwendung des Gentechnikgesetzes gewesen. Zusammenfassend ist festzustellen, daß der Änderungsvorbehalt des § 40 GenTG a. F. nur teilweise obligatorischen Charakter besaß. Weder für § 712 GenTG noch für § 14IV GenTG a.F. ergeben sich Umsetzungspflichten aufgrund der Richtlinien 90/219/EWG und 90/220/EWG des Rates. Allerdings wäre das Gentechnikgesetz ohne die Einteilung der gentechnischen Arbeiten in entsprechende Sicherheitsstufen gemäß § 71 GenTG nicht ausführbar 116

In diesem Sinne spielt es auch keine Rolle, ob die GenTS V zur Zeit des Inkrafttreten des GenTG dem Bundesrat schon zugeleitet worden war. Eine Änderung der GenTS V hätte auf jeden Fall dem Änderungsvorbehalt des §40 GenTG a.F. unterstanden. 117 Richtlinie vom 23. April 1990 (ABl. EG Nr. L117/15).

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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gewesen. Der Änderungsvorbehalt aus § 40 GenTG a. F. in Verbindung mit § 712 GenTG besaß daher obligatorischen Charakter. (3) §2011 UmweltHG Offensichtlicher sind die Schranken, die der Bundestag dem Entschließungsermessen des Verordnungsgebers in §201 Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG)118 gesetzt hat. Hier wird die Bundesregierung nicht nur zum Erlaß von Verordnungen ermächtigt, die gemäß § 20 II UmweltHG durch den Bundestag geändert werden können; es heißt dort vielmehr wörtlich „Die Bundesregierung wird durch Rechtsverordnungen [...] Vorschriften erlassen" (Hervorhebung hinzugefügt). Demnach formuliert § 201 UmweltHG eine ausdrückliche Verpflichtung der Regierung zum Erlaß entsprechender Rechtsverordnungen119. Neben der imperativen Formulierung der Verordnungsermächtigung könnten sich aus der systematischen Stellung des § 20 UmweltHG weitere Beschränkungen des Entschließungsermessens der Bundesregierung ergeben. Zentrales Anliegen des Umwelthaftungsgesetzes ist es unter anderem, einen gerechten Ausgleich individueller Schäden zu erreichen, die möglicherweise durch die Umwelteinwirkungen bestimmter potentiell gefährlicher Anlagen verursacht werden120. Neben der ordnungsrechtlichen Aufgabe des Umweltschutzes sollen die Haftungsvorschriften des Umwelthaftungsgesetzes eine indirekte verhaltenssteuernde Wirkung entfalten: durch die Bindung der Deckungsvorsorge an anlagenbezogene Gefährdungstatbestände führen umweltgefährdende Produktionsprozesse zu besonderen Kosten für den Unternehmer121. Damit soll der Unternehmer dazu bewegt werden, umweltverträglichere Produktionsprozesse und Produkte zu wählen. Die Deckungsvorsorge sichert daher nicht nur den Hauptzweck des Umwelthaftungsgesetzes, nämlich einen gerechten Schadensausgleich, sondern spielt auch eine wichtige Rolle für die beabsichtigte indirekte Verhaltenssteuerung. Die essentialia wie Umfang und Höhe dieser Deckungsvorsorge sind allerdings gemäß § 201 UmweltHG durch Rechtsverordnungen zu regeln122. Sie sollen unter anderem den 118

Gesetz vom 10. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2634). Siehe das Beispiel bei Hans Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl., 1991, Rn.248 zum „imperativen Präsens": „Die Bundesregierung erläßt [...]". In Anlehnung an diesen Begriff könnte die vorliegende Formulierung ein „imperatives Futur" sein. Auch die Bundesregierung sah diese Formulierung als ausdrückliche Verpflichtung zum Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung an, siehe ihre Gegenäußerung in BT-Drs. 11/7104, S. 32 zur Stellungnahme des Bundesrats in BT-Drs. 11/7104, S. 28 bezüglich § 211 UmweltHG. 120 Siehe die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung in BT-Drs. 11/7104, S. 14f. 121 Vgl. die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung, a. a. O., S. 14. 122 Anders § 94 Arzneimittelgesetz (AMG - Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 19. Oktober 1994, BGBl. IS. 3018), der offensichtlich Vorbild für § 20 UmweltHG war. Er regelt die Vorsorge, die ein pharmazeutischer Unternehmer für Schäden treffen muß, die bei der Anwendung des von ihm in den Verkehr gebrachten Arzneimittels auftreten. Allerdings ver119

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Umfang und die Höhe der Deckungsvorsorge sowie den Zeitpunkt festlegen, ab dem eine solche Deckungsvorsorge zu treffen ist, die der Betreiber einer besonders gefährlichen Anlage gemäß § 191 UmweltHG sowie Anhang 2 erbringen muß. Ohne eine entsprechende Rechtsverordnung kann seitens der Anlagenbetreiber keine Bereitstellung einer Deckungsvorsorge erfolgen; damit wäre die Verwirklichung eines wichtigen Regelungsziels123 des UmweltHG gefährdet. Der Erlaß einer Rechtsverordnung gemäß § 201 UmweltHG ist also notwendige Voraussetzung für die Anwendung des § 19 UmweltHG124. Das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers wird also durch die imperative Formulierung des § 20 II UmweltHG sowie durch die Stellung dieser Vorschrift im Normzusammenhang ausgeschlossen125.

(4) §42d BRAOa. F. Ein Beispiel für einen fakultativen oder „unechten" Änderungsvorbehalt liefert die Vorschrift des § 42 d Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) a. F., die durch das Gesetz vom 29. Januar 1991 126 eingeführt und durch das Gesetz vom 2. September 1994 127 wieder aufgehoben wurde. § 42 d BRAO betraf die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis zum Führen einer Fachanwaltsbezeichnung. Im Regelungszusammenhang des damaligen Fünften Abschnitts der Bundesrechtsanwaltsordnung hätte eine Rechtsverordnung nach § 42 d BRAO a. F. die Aufgabe gehabt, die Anforderungen für den Nachweis der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen eines Fachanwalts zu formulieren, der vor der Rechtsanwaltskammer gemäß §§42a, 42b BRAO a.F. zu erbringen war. Der Erlaß einer entsprechenden Rechtsverordnung lag nach dem Wortlaut der Vorschrift im Ermessen des Verordnungsgebers. Hinzu kommt, daß die Rechtsanwaltskammern auch ohne eine Rechtsverordnung, die die Anforderungen an einen Kenntnisnachweis aufstellt, die Befugnis zum Führen einer Bezeichnung als Fachanwalt nach eigenen Kriterien regeln konnten und können128. Diese Rechtslage beweist § 94 AMG auf die Vorschrift des § 88 AMG, in dem die Höchstbeträge der Ersatzpflicht durch den Gesetzgeber bereits konkret festgelegt wurden. 123 Siehe BT-Drs. 11/7104, S. 14f. 124 So Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S. 254ff. (S.254) und Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ1997, S. 434ff. (S.438). 125 Nach Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 199 läßt die Verordnungsermächtigung des § 20 UmweltHG unstreitig Änderungsbeschlüsse mit obligatorischer Wirkung zu. 126 BGBl. IS. 150. 127 BGBl. IS. 2278. 128 Einziges Problem könnte sein, daß der Gesetzgeber eine Regelung per Rechtsverordnung vorzog, um bundeseinheitliche Vorschriften für den Nachweis der besonderen Kenntnisse und

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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stand schon seit dem 27. September 1991, als der Bundesrat der Verordnung über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung die erforderliche Zustimmung verweigerte129. Regelungen per Rechtsverordnung zur Erbringung der Kenntnisnachweise wie in § 42 d BRAO a. F. wären daher nicht unabdingbar für die Erreichung des Regelungszwecks der Bundesrechtsanwaltsordnung gewesen130. Der Änderungsvorbehalt der Verordnungsermächtigung des § 42 d BRAO a. F. war deshalb fakultativer Natur. (5) §59 KrW-/AbfG Die Vorschrift des § 59 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz131, die auch als „Novum des Abfallrechts"132 bezeichnet wird, bezieht sich auf die Ermächtigungsvorschriften zum Erlaß von Rechtsverordnungen, die teilweise die zentralen Inhalte der Verwertungs- und Vermeidungspflicht konkretisieren sollen133, nämlich auf die Einzelermächtigungen der §§61, 71, 23, 24, 57 KrW-/AbfG. Alle eben genannten Ermächtigungsnormen stellen ihrem Wortlaut nach den Erlaß der entsprechenden Rechtsverordnungen in das Ermessen der Regierung. Schon in der Entstehungsgeschichte des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes fällt auf, daß ein Zeitraum von zwei Jahren zwischen Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes liegt. Der Gesetzgeber sah selbst, daß das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nur bei rechtzeitigem Erlaß der Verordnungen für die Länder vollziehbar war 134 . Entsprechend forderte auch der Bundesrat am 8. Juli 1994 anläßlich seiner Zustimmung zum Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz die Bundesregierung Erfahrungen bei der Zulassung zum Fachanwalt zu regeln. Siehe auch die Beschlußempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags in BT-Drs. 11/8307, S. 20. 129 Siehe BR-Drs. 381/91, S.2 und Pressemitteilung des Bundesrats, NJW 1991, S.3204. 130 Trotzdem konkretisierte der Gesetzgeber im Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung vom 27. Februar 1992 (BGBl. IS. 369) die Anforderungen für den Nachweis der besonderen Kenntnisse und Erfahrungen der Fachanwälte. Dieses Gesetz gilt bis zur Regelung durch Berufssatzung weiter, siehe Art. 21 XI des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 12. September 1994 (BGBl. IS. 2278). 131 Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen (Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz) vom 27. September 1994 (BGBl. I S. 2705), geändert durch Gesetz vom 12. September 1996 (BGBl. I S. 1354). 132 So der Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit in BTDrs. 12/7284, S. 27. Siehe auch Walter Frenz, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 1996, §59 Rnrn. 1,9, 19. 133 Siehe auch Jürgen Staupe, in: Brandt/Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetz, Bd. II, Stand: März 1997, §59 Rn.3. 134 Zur Entstehungsgeschichte des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes siehe auch Gerd Brunnerl Matthias Heber, Eine verpaßte Gelegenheit: Folgeregelungen zum KrW-/AbfG lassen auf sich warten, UPR 1996, S. 294 ff. (S. 295). Eine Übersicht über die damals geltenden Rechtsverordnungen findet sich bei Henning v. Koller, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl., 1996, S. 368, 370.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

zur Aufstellung eines Maßnahmenkatalogs für den Erlaß der Rechtsverordnungen zum KrW-/AbfG auf135. Trotz dieser Hinweise auf den obligatorischen Charakter des Änderungsvorbehalts in § 59 KrW-/AbfG bedürfen die einzelnen Verordnungsermächtigungen, auf die Bezug genommen wird, einer näheren Überprüfung. Die erste Vorschrift, auf die sich § 59 KrW-/AbfG bezieht, § 61 KrW-IAbfG, ermächtigt die Bundesregierung, durch Verordnung den Vorrang der stofflichen oder energetischen Verwertung für einzelne Abfallarten zu bestimmen. Allerdings enthält Absatz 2 des § 6 KrW-/AbfG unmittelbar geltende Zulässigkeitskriterien der energetischen Verwertung für den Fall, daß von der Verordnungsermächtigung des § 61 KrW-/AbfG kein Gebrauch gemacht wird 136 . Diese Zulässigkeitskriterien müssen kumulativ vorliegen, wenn eine energetische Verwertung des Abfalls erlaubt sein soll137. Selbst wenn der Gesetzgeber ursprünglich das Anliegen verfolgt haben mag, dem Rechtsanwender verbindliche, objektive Kriterien zur Bestimmung des Rechtsbegriffes der energetischen Abfallverwertung an die Hand zu geben138, so bleibt wegen der unmittelbar geltenden Zulässigkeitskriterien für die energetische Verwertung in § 611 KrW-/AbfG eine hinreichend bestimmte Regelung der Pflichten des §4111, IV KrW~/AbfG erhalten, um für jeden Einzelfall eine Entscheidung zugunsten der stofflichen oder der grundsätzlich gleichwertigen139 energetischen Verwertung zu treffen140. Damit bleibt das zentrale Regelungsanliegen des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes gewahrt, nämlich die Kriterien für die umweltverträgliche Beseitigung von Abfällen zu sichern141. Aus der Stellung des § 6 im Regelungsgefüge des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes ergibt sich somit keine Pflicht des Verordnungsgebers zum Erlaß einer Rechtsverordnung gemäß § 6 I KrW-/AbfG. Ähnlich ist die Lage bei den Verordnungsermächtigungen in § 71 Nrn. 1 und 4 KrW'/AbfGy die die Anforderungen an die Kreislaufwirtschaft regeln. Diese Normen ermöglichen es dem Verordnungsgeber, „die Einbindung oder das Verbleiben von Abfällen in Erzeugnissen nach Art, Beschaffenheit und Inhaltsstoffen zu beschränken" (Nr. 1) sowie „für bestimmte Abfälle, deren Verwertung aufgrund ihrer 135

Beschluß des Bundesrats vom 8. Juli 1994 (BR-Drs. 654/94). Bisher hat der Bund noch keinen Gebrauch von der Verordnungsermächtigung des § 61 KrW-/AbfG gemacht. 137 Peter O.P. Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1995, §6 Anm.B 1, S. 117. 138 Siehe Clemens Weidemann, in: Brandt/Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bd. I, Stand: August 1997, § 6 Rn. 5. 139 Die Gleichrangigkeit der Verwertungsarten betont der Bericht des Umweltausschusses in BT-Drs. 12/7284, S. 14f. Siehe auch Clemens Weidemann, a. a. O., §6 Rnrn.6 und 64f. 140 Zurückhaltender formuliert dieses Ergebnis Peter Ο. P. Queitsch, Kreislaufwirtschaftsund Abfallrecht, 1995, § 6 Anm. Β1, S. 116, der meint, § 6 KrW-/AbfG enthalte zumindest Leitlinien, auf deren Grundlage für den Einzelfall ein Vorrang zwischen stofflicher und energetischer Verwertung festzustellen sei. 141 Siehe auch die Formulierung der Regelungsziele in § 1 KrW-/AbfG. 136

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

81

Art, Beschaffenheit oder Menge in besonderer Weise geeignet ist, Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit [...] herbeizuführen, nach Herkunftsbereich, Anfallstelle oder Ausgangsprodukt festzulegen, a) daß diese nur in bestimmter Menge [...] verwertet werden dürfen, b) daß diese mit bestimmter Beschaffenheit nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen" (Nr. 4). Ein Blick auf den Titel des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes und auf die Regelungen der §§4 und 5 KrW-/AbfG verrät, daß nach dem Regelungszweck des Gesetzes gerade die Kreislaufwirtschaft142 zur Schonung der natürlichen Ressourcen, also die vorrangige143 Vermeidung und die Verwertung der Abfälle, die §71 KrW-/AbfG anspricht, gefördert werden soll144. Die Verordnungsermächtigungen des § 7 KrW-/AbfG sollen eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung von Abfällen sicherstellen145. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll die primär stoffbezogene146 Vorschrift des § 7 ermöglichen, ein „Ausschleusen von Abfällen" in den Wirtschaftskreislauf oder in Erzeugnisse zu verhindern147. § 7 KrW-/AbfG ist lex specialis zu den in § 5 KrW-/AbfG normierten Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft148. Falls nun der Verordnungsgeber nicht gemäß § 71 Nrn. 1 und 4 KrW-/AbfG tätig wird, wie es bis jetzt der Fall ist, muß die Verwertung von Abfällen den allgemeinen Grundpflichten der Kreislaufwirtschaft genügen, die in § 5 KrW-/AbfG formuliert sind. Diese Grundpflichten können im allgemeinen als unmittelbar geltende Verhaltensregeln konkrete Rechtspflichten für den angesprochenen Adressaten begründen 149 , selbst wenn einzelne der gesetzlichen Aussagen wie in §5 II 3 KrW-/AbfG nur als Postulat formuliert sind und daher keine Rechtsverbindlichkeit erzeugen.150 142 Zur Definition des Begriffs der Kreislaufwirtschaft siehe auch Edmund Brandt, in: Brandt/ Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bd. I., 1997, § 1 Rnrn. 35 ff. 143 § 41 Nr. 1 KrW-/AbfG. 144 Siehe in erster Linie § 1 KrW-/AbfG („Zweck des Gesetzes ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natürlichen Ressourcen"), § 41 Nr. 2 KrW-/AbfG (, Abfälle sind [...] in zweiter Linie [...] stofflich zu verwerten") und §4111 KrW-/AbfG („Die stoffliche Verwertung von Abfällen beinhaltet die Substitution von Rohstoffen [...] oder die Nutzung der stofflichen Eigenschaften der Abfälle") sowie § 5IV KrW-/AbfG („Die Pflicht zur Verwertung von Abfällen ist einzuhalten, sofern dies technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist"). Zur Verwertung als Ziel des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes siehe auch Edmund Brandt, in: Brandt/Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bd. I, 1997, §1 Rnrn. 9 ff. 145 Peter O.P. Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1995, §7 Anm.B 1, S. 123. 146 Peter O.P. Queitsch, Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1995, §6 Begründung zu Abs. 1, S. 121. 147 So nach Henning v. Koller, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl., 1996, §7, S. 138 die Begründung des Regierungsentwurfs. Siehe nach Peter O. P. Queitsch, a. a. O. S. 120 die Begründung zum Gesetzesentwurf in BT-Drs. 12/5672, S.43f. 148 Peter O.P. Queitsch, a.a.O. S. 121. 149 Zum Begriff der Grundpflicht im KrW-/AbfG siehe Clemens Weidemann, in: Brandt/Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bd.I, Stand: August 1997, §5 Rnrn. 22 ff.

6 Schmidt

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Sowohl Nr. 1 als auch Nr. 4 des § 71 KrW-/AbfG betreffen das Einbinden von Abfällen in Erzeugnisse und das Inverkehrbringen bzw. die Verwertung von Abfällen. Während Nr. 1 allgemeiner gehalten ist, erlaubt Nr. 4 eine Regelung per Rechtsverordnung für bestimmte Abfälle, deren Verwertung aufgrund ihrer Art, Beschaffenheit oder Menge besondere Gefahr birgt, Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit herbeizuführen. Sollte nun keine entsprechende Rechts Verordnung vorliegen, dann muß die Behörde auf die in § 5 KrW-/AbfG enthaltenen normativen Tatbestandsmerkmale zurückgreifen. Bei einer besonderen Gefährdung der genannten Schutzgüter kann sie sich aufgrund der Verweisung in § 71 Nr. 4 KrW-/AbfG der Kriterien des § 10IV KrW-/AbfG bedienen, die die Gefährdung der Allgemeinheit konkretisieren und neben der Unversehrtheit von Menschen, Tieren und Pflanzen sowohl die raumordnungsrechtlichen Belange als auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung als schützenswerte Güter benennen. Die Behörde ist auch nicht daran gehindert, im Fall geringerer Gefährdung, also im Anwendungsbereich des § 71 Nr. 1 KrW-/AbfG auf die Kriterien des § 10IV KrW-/AbfG zurückzugreifen. Falls also beispielsweise eine Anreicherung von Schadstoffen zu befürchten ist, stehen ihr genügend konkretisierbare Tatbestandsmerkmale zur Verfügung, um sowohl im Anwendungsbereich des § 71 Nr. 1 als auch dem des § 71 Nr. 4 KrW-/AbfG aufgrund eines Verstoßes gegen § 5 III 3 KrW-/AbfG eine Verwertung zu verhindern. Damit ist das Regelungsziel des § 71 Nrn. 1 und 4 KrW-/AbfG auch ohne Tätigwerden des Verordnungsgebers erreichbar. Das Gemeinschaftsrecht schafft keine Verpflichtung des Verordnungsgebers zur Umsetzung von Rechtsverordnungen im Sinne des § 6 oder des § 71 Nrn. 1 und 4 KrW-/AbfG. Zwar unterscheidet die Abfallrahmenrichtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle vom 15. Juli 1975151 zwischen stofflicher und energetischer Verwertung, jedoch begründet sie keine Rangfolge zwischen den unterschiedlichen Verwertungsarten152. Insofern ist also eine Umsetzung von möglichen Vorrangregelungen durch eine Rechtsverordnung gemäß § 61 KrW-/AbfG nicht erforderlich, da das Grundanliegen der Richtlinie auch durch die Anwendung des § 5 III KrW-/AbfG gewahrt bleibt. Ansonsten beinhaltet die Richtlinie 75/442/EWG durchaus Vorschriften, die die Verwertung von Abfällen betreffen. Art. 4 der Richtlinie formuliert die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, sicherzustellen, daß Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt verwertet oder beseitigt werden, und 150 Zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit der „angestrebten Hoch Wertigkeit" in § 5 II 3 KrW-/AbfG siehe Franz-Joseph Peine, Recht der Abfallwirtschaft, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, § 13 III Rn. 91 f. 151 ABl. EG Nr. L194/39, geändert durch Richtlinie 91/156/EWG vom 18. März 1991 (ABl. EG Nr. L 78/32), Richtlinie 91/692/EWG vom 23. Dezember 1991 (ABl.EG Nr. L 377/48) und Entscheidung 96/350/EG vom 24. Mai 1996 (ABl. EG Nr. L135/32). 152 Vgl. auch Clemens Weidemann, in: Brandt/Ruchay/Weidemann (Hrsg.), Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, Bd.I, Stand: August 1997, §6 Rn. 11. Siehe auch Art.3Ib) der Richtlinie 75/442/EWG.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

83

zählt dabei einige Schutzgüter als Beispiele auf153. Wie die Definition in § 10IV KrW-/AbfG zeigt, können die Schutzgüter des Art. 4 der Richtlinie 75/442/EWG durch die Rechtsanwendung mit dem Begriff der Beeinträchtigung des „Wohls der Allgemeinheit", wie ihn § 5 III KrW-/AbfG formuliert, in Übereinstimmung gebracht werden. Der Umsetzungspflicht hinsichtlich der Vorschriften über die Verwertung von Abfällen der Richtlinie 75/442/EWG hat der Gesetzgeber also schon durch die Aufstellung der Normen in §§5-8 und 10 KrW-/AbfG Genüge getan. Darüber hinaus sind die Vorschriften der §§ 23, 24 KrW-/AbfG im Zusammenhang mit den Regelungszielen des § 22 KrW-/AbfG zu sehen: Als Grundlagennorm und Programmsatz154 für das Prinzip der Produktverantwortung, das der Dritte Teil des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes behandelt, verlangt § 22 von den Normadressaten, „Erzeugnisse möglichst so zu gestalten, daß bei deren Herstellung und Gebrauch das Entstehen von Abfällen vermindert wird und die umweltverträgliche Verwertung und Beseitigung der nach deren Gebrauch entstandenen Abfälle sichergestellt ist". § 221 KrW-/AbfG kann schon aufgrund seiner Formulierung („möglichst") keine konkreten Rechtswirkungen für den Normadressaten zeitigen155. § 22 II KrW-/AbfG führt nur die Kriterien wie Wiederverwertbarkeit und technische Langlebigkeit usw. auf, die für die Beurteilung der Produktverantwortung relevant sein können. Konkrete Rechtsfolgen für einen in § 221 KrW-/AbfG ohnehin noch nicht direkt erkennbaren Normadressaten ergeben sich aus § 22 II KrW-/AbfG folglich ebensowenig. Daher hat auch der Gesetzgeber in § 22 IV KrW-/AbfG sowohl die Benennung der Verpflichteten als auch die konkreten Inhalte der Produktverantwortung unter den Vorbehalt einer Regelung per Rechtsverordnung gemäß §§ 23, 24 KrW-/AbfG gestellt156. Rechtsverordnungen nach §§ 23, 24 KrW-/AbfG konkretisieren also die Produktverantwortung. Auf ihrer Grundlage können gemäß § 23 KrW-/AbfG Verbote (Nr. 2), Beschränkungen (Nrn. 1, 3) des Inverkehrbringens sowie Kennzeichnungspflichten (Nrn. 4-7) und Rücknahme- und Rückgabepflichten (§ 241 KrW-/AbfG) für Erzeugnisse festgelegt werden. Ohne Rechts Verordnungen nach §§ 23, 24 KrW-/AbfG wä153 Art. 4 der Richtlinie 75/442/EWG lautet wörtlich: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß die Abfälle verwertet [...] werden, ohne daß die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne daß Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können, insbesondere ohne daß - Wasser, Luft, Boden [...] gefährdet werden; - Geräusch- oder Geruchsbelästigungen verursacht werden; - die Umgebung und das Landschaftsbild beeinträchtigt werden." 154 Vgl. Klaus Fritsch, Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1996, Rn.412f. und Martin Beckmann, Rechtsprobleme der Rücknahme- und Rückgabepflichten, DVB1. 1995, S.313ff. (S.315). 155 Nach Franz-Joseph Peine, Recht der Abfallwirtschaft, in: Schmidt (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht, Besonderer Teil 2, § 13 III Rn. 67 soll im Rahmen der §§ 22 ff. die Abfallvermeidung als Rechtspflicht nur nach den Vorschriften der entsprechenden Rechtsverordnungen gelten. 156 Siehe dazu auch Gerd Brunnerl Matthias Heber, Eine verpaßte Gelegenheit: Folgeregelungen zum KrW-/AbfG lassen auf sich warten, UPR 1996, S. 294 ff. (S.296).

6*

C. Einzelne Beteiligungsformen

84

ren also die Grundpflichten des § 22 KrW-/AbfG nicht durchsetzbar157. Die schon vor Erlaß des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes geltenden Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des § 14 AbfG ergangen waren, gelten fort158 und füllen die wichtigsten Regelungslücken159. Im Gesamtregelungsgefüge stellt sich die Produktverantwortung als wichtiges Element zur Erreichung der Regelungsziele des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes dar. Der Regelung in §§ 22 ff. KrW-/AbfG liegt die Erkenntnis des Gesetzgebers zugrunde, daß ein angestrebter Stoffkreislauf nur funktionieren kann, wenn anfänglich nur dem Umweltschutz entsprechende Stoffe in den Stoffkreislauf eingebracht werden160. Rechtsverordnungen gemäß §§ 23, 24 KrW-/AbfG sind also nicht nur für die Erreichung des Zwischenziels Produktverantwortung unabdingbar, sondern auch im Gesamtrahmen des Kreislaufwirtschaftsund Abfallgesetzes unverzichtbar. Daher besitzen die Verordnungsermächtigungen der §§ 23, 24 KrW-/AbfG in zweifacher Hinsicht obligatorischen Charakter. Eine Ermessensreduzierung des Verordnungsgebers aufgrund der Pflicht zur Umsetzung von Gemeinschaftsrecht läßt sich für den Bereich der Rückgabe- und Rücknahmepflichten nichtfinden. In Frage käme die Vorschrift des Art. 3 Ider Richtlinie 75/442/EWG des Rates über Abfälle vom 15. Juli 1975161, der von den Mitgliedstaaten verlangt, Maßnahmen zur Verbesserung der Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen zu treffen sowie die Verwertung der Abfälle im Wege der Rückführung und des Wiedereinsatzes zu fördern. Was die Rückgabe- und Rücknahmepflichten betrifft, so ist die EG-Richtlinie nicht hinreichend konkret ausgestaltet, um eine Handlungspflicht des Verordnungsgebers zu begründen. Hinzu kommt, daß der Verordnungsgeber schon in Form der Verpackungsverordnung162 gehandelt hat, die auch den Anforderungen der EG-Richtlinie über Verpackungen und Verpackungsabfälle163 entspricht164. Zuletzt sieht § 59 KrW-/AbfG einen Änderungsvorbehalt für die Verordnungsermächtigung des § 57 KfW-/AbfG vor, der der Bundesregierung bei der Umsetzung 157

Vgl. Martin Beckmann, Rechtsprobleme der Rücknahme- und Rückgabepflichten, DVB1.1995, S. 313 ff. (S.315). 158 Siehe Henning v. Koller, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, 2. Aufl., 1996, S. 370. 159 Als wichtigste Beispiele seien hier die Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 BGBl. IS. 1234, geändert durch Verordnung vom 26. Oktober 1993 (BGBl. IS. 1782), und die PET-Verordnung (Verordnung vom 20. Dezember 1988 über die Rücknahme und Pfanderhebung von Getränkeverpackungen aus Kunststoff, BGBl. 19891 S.2455) genannt. 160 Ygi auch Josefine Böhme, Aus der Gesetzgebung: Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz, UPR 1995, S. 19ff. (S.20). 161

ABl. EG 1975 Nr. L194/39, geändert durch Richtlinie 91/156/EWG vom 18. März 1991 (ABl. EG Nr. L 78/32), Richtlinie 91/692/EWG vom 23. Dezember 1991 (ABl. EG Nr. L 377/48) und Entscheidung 96/350/EG vom 24. Mai 1996 (ABl. EG Nr. L135/32). 162 Verordnung vom 12. Juni 1991 BGB1.I S. 1234, geändert durch Verordnung vom 26. Oktober 1993 (BGB1.I S. 1782). 163 164

Richtlinie 94/62/EG vom 20. Dezember 1994 ABl. EG Nr. L 365/10. Klaus Fritsch, Das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht, 1996, Rn.68 und Rn.79.

II. Mitwirkungsvorbehalte zugunsten des Bundestags

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von Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften erlaubt, zur Erreichung der in § 1 KrW-/AbfG genannten Ziele entsprechende Rechtsverordnungen zu erlassen. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, auf dem Verordnungswege das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz an gemeinschaftsrechtliche Vorgaben anzupassen. Da sowohl Entscheidungen des Rats und der Kommission als auch Richtlinien gemäß Art. 249 (ex-Art. 189) III, IV EGV von den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Fristen umgesetzt werden müssen, deren Einhaltung vom Europäischen Gerichtshof strikt gehandhabt wird 165 , besteht für den Verordnungsgeber in diesen Fällen ohnehin kein Entschließungsermessen. Jüngstes Beispiel für die Wahrnehmung der Verordnungsermächtigung aus § 57 KrW-/AbfG ist die Verordnung zur Einführung des Europäischen Abfallkatalogs (EAK-Verordnung) vom 13. September 1996 166 . Der Änderungsvorbehalt des § 57 i.V. m. § 59 KrW-/AbfG besitzt daher obligatorischen Charakter.

c) Zwischenergebnis für die Änderungsvorbehalte: Überwiegen der obligatorischen Änderungsvorbehalte Hinsichtlich der Änderungsvorbehalte kann also festgestellt werden, daß die Mehrzahl der Änderungsvorbehalte sich auf Verordnungsermächtigungen bezieht, die ein Entschließungsermessen des Verordnungsgebers ausschließen oder auf Null reduzieren. Ein Blick in die Gesetzesmaterialien verrät, daß der Gesetzgeber einzelne Regelungen gerade deshalb mit einem Änderungsvorbehalt versehen hat, weil er sie für wesentlich hielt und sich deshalb die Mitwirkung vor dem Erlaß der Rechtsverordnung sichern wollte. Das bedeutet gleichzeitig, daß Materien, die durch einen Änderungsvorbehalt gesichert werden müssen, zumeist eng mit dem Regelungsziel verknüpft sind, das der Gesetzgeber vor Augen hat. Daher sind viele der Rechtsverordnungen, die unter einem Änderungsvorbehalt stehen, unentbehrlich für die Anwendbarkeit des Gesetzes, aus dem ihre Ermächtigungsnorm stammt. Der zweite Hauptgrund für die Reduzierung des Ermessens des Verordnungsgebers liegt in der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, als Mitgliedstaat der EU die Richtlinien und Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane umzusetzen. Diese Umsetzung erfolgt meist durch Rechtsverordnungen. Da die Richtlinien immer mit einer Frist zur Transformation in nationales Recht versehen sind, steht dem Verordnungsgeber häufig kein Entschließungsermessen zu.

165

Siehe Eberhard Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Union, Stand: Sept. 1992, Art. 189 Rn.59. Wie weiter oben (S.73) bereits erwähnt, wird seitens des EuGH die nicht fristgerechte Umsetzung von Richtlinien und Entscheidungen der Europäischen Gemeinschaft durch die Gewährung von Amtshaftungsansprüchen gegenüber den Mitgliedstaaten sanktioniert. 166 BGBl. IS. 1428.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

I I I . Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der Sachherrschaft Die Praxis des Einsatzes von Mitwirkungsvorbehalten hat bis jetzt noch wenig Niederschlag im Verfahrensrecht der Verfassungsorgane untereinander oder im organinternen Verfahrensrecht gefunden167. Gleichwohl sind Verfahrensfragen wichtig für die Sachherrschaft beim Erlaß von Rechts Verordnungen, da die verfahrensmäßige Ausgestaltung eines Mitwirkungsrechts auch sein tatsächliches Gewicht beeinflußt.

1. Das inner parlamentarische Verfahren Regelungen des Verfahrens zum Erlaß von Rechtsverordnungen finden sich im Grundgesetz (Art. 80, 8212 GG), im Gesetz über die Verkündung von Rechtsverordnungen vom 30. Januar 1950168 und in den Geschäftsordnungen und Verwaltungsvorschriften der Bundesorgane (siehe §§151 lit. b), c), 301 GO BReg, §§ 63 ff. GGO II) und können deshalb mit Michael Nierhaus169 als heteronom bezeichnet werden. a) Einfache Vetovorbehalte Bezüglich des innerparlametarischen Verfahrens bleiben bei einigen Mitwirkungsvorbehalten noch wichtige Fragen offen. Grundsätzlichrichtetsich das innerparlamentarische Verfahren zur Inanspruchnahme von Mitwirkungsmöglichkeiten nach § 92 GOBT. Demnach überweist der Bundestagspräsident bei Zustimmungsund Kassationsvorbehalten den Verordnungsentwurf im Einvernehmen mit dem Ältestenrat unmittelbar an die zuständigen Ausschüsse. Der Bericht des Ausschusses muß innerhalb einer vom Präsidenten gesetzten Frist erfolgen und wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Bundestages gesetzt. Nach § 92 S. 4 GOBT kommt die Vorlage auch auf die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung, wenn der Ausschußbericht nicht rechtzeitig vorliegt. Damit ist das Verfahren für einfache Zustimmungsvorbehalte und Maßgabebeschlüsse des Bundestags geregelt. Soweit die Zustimmungsvorbehalte als Vetovorbehalte geregelt sind, ergänzt der Gesetzgeber das Verfahren entsprechend in den Verordnungsermächtigungen, wie § 511 S. 2 lit. s)cc), S. 11 EStG zeigt: Satz 12 dieser Vorschrift bestimmt, daß die vierwöchige Frist für das Veto mit dem Eingang der Vorlage beim Bundestag, d. h. beim Ältestenrat, zu laufen beginnt. Die Zustimmung wirdfingiert, wenn sie der Bundestag 167 Siehe §§ 70II, 71 II Ziff. 1,721 S. 1, II S. 1 2. Alt. GGO II i. d. F. der Bekanntmachung vom 15.10.1976 (GMB1. S.559). 168 BGBl. IS. 23. 169 In: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 380.

III. Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der Sachherrschaft

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nicht innerhalb der Frist verweigert hat170. Damit steht fest, daß der Bundestag seine Sachherrschaft über die Verordnung verliert, falls er nicht innerhalb der Frist tätig wird, die mit dem eindeutig feststellbaren Zeitpunkt des Eingangs der Vorlage zu laufen beginnt. b) Verfahrensfragen, die sowohl Zustimmungsvorbehalte als auch Änderungsvorbehalte betreffen An dieser Stelle ist noch einmal darauf zurückzukommen, daß sowohl Änderungs- als auch Zustimmungsvorbehalte als Vetovorbehalte ausgestaltet sind bzw. sein können171. Falls der Bundestag sein Veto- oder Änderungsrecht innerhalb der vorgesehenen Frist nicht wahrnimmt, geht die Rechtsverordnung unverändert zum Erlaß an den Verordnungsgeber weiter172. Falls die Frist zur Wahrnehmung des Vorbehalts kurz bemessen ist, sinkt das Gewicht der Beteiligung des Bundestags, der möglicherweise innerhalb der kurzen Frist sein Vetorecht nicht mehr ausüben kann173. c) Ungeklärte Fragen im Bereich der Änderungsvorbehalte Weniger eindeutig geregelt ist allerdings das Verfahren bei den Änderungsvorbehalten, die in der Ausgestaltung der momentan gültigen Verordnungsermächtigungen alle als Vetovorbehalte wirken174. Die Unklarheiten beginnen schon damit, daß § 92 GOBT, der das Verfahren nach Eingang eines Verordnungsentwurfs regelt, nur für Rechts Verordnungen der Bundesregierung anwendbar ist, „die der Zustimmung des Bundestages bedürfen oder deren Aufhebung der Bundestag innerhalb einer bestimmten Frist verlangen kann"175. Eine analoge Anwendung des §92 GOBT im Bereich der Änderungsvorbehalte verbietet sich, da die Ähnlichkeit der Verfahren im 170

Vgl. auch §48aI4 BImSchG. Sämtliche oben ab S.73 besprochenen Änderungsvorbehalte sind als dreiwöchige Vetovorbehalte gestaltet, siehe §292IV 5 HGB, §4015 GenTG a.F., §20113 UmweltHG, §42dI6 BRAOa. F., § 5915 KrW-/AbfG. Die Zustimmungsvorbehalte sind hingegen nur teilweise mit einer zeitlich befristeten Vetomöglichkeit versehen, so zum Beispiel §51 III EStG einerseits und andererseits §511 S.2 lit.s)cc) 12 EStG. 172 Siehe zur FiktionsWirkung des Fristablaufs auch den folgenden Abschnitt c). 173 Michael Kloepfer, Umweltrecht, 2. Aufl., 1998, § 18 Rn. 10 hält die dreiwöchige Frist, die für alle derzeit geregelten Änderungsvorbehalte besteht, für so kurz, daß sie geeignet sei, eine Verschiebung der Entscheidungskompetenzen zugunsten des Bundestags zu verhindern. 174 Siehe oben Fn. 171. Die Regelungen in §292IV5 HGB, §4015 GenTG a.F., §20113 UmweltHG, § 42 d 16 BRAO a. F., § 5915 KrW-/AbfG enthalten jeweils einen dreiwöchigen Vetovorbehalt. 175 Auch nach Auffassung von Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1. 1994, S. 1107 ff. (S. 1109)findet § 92 GOBT auf die Änderungs Vorbehalts Verordnung keine Anwendung. 171

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Bundestag bei Zustimmungsvorbehalten und Änderungsvorbehalten zu gering ist 176 . Zudem wird die Anwendung des §92 GOBT durch Regelungen wie §20115 UmweltHG, die bestimmte Quoren für die Befassung des Bundestags mit der Materie vorsehen, ausgeschlossen177. Vermutlich haben die entstehenden Regelungslücken den Gesetzgeber veranlaßt, für Änderungsvorbehalte das innerparlamentarische Verfahren jeweils in den Ermächtigungsnormen zu regeln. So erlauben die Vorschriften der § 292IV HGB, § 20 II UmweltHG, § 401 GenTG a. F., § 42 d I BRAO a. F. und § 59 KrW-/AbfG jeweils, den Verordnungsentwurf durch Beschluß des Bundestags zu ändern oder abzulehnen, und verlangen, die Vorlage „nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang" beim Bundestag unverändert dem Bundesrat zuzuleiten, falls sich der Bundestag bis dahin nicht mit ihr befaßt hat. Bis auf § 401 GenTG a. F. 178 und § 59 KrW-/AbfG erklären die Vorschriften auch, was mit dem „Befassen" gemeint ist. Es heißt dort wortgleich: „Der Bundestag befaßt sich mit der Rechtsverordnung auf Antrag von so vielen Mitgliedern des Bundestages, wie zur Bildung einer Fraktion erforderlich sind"179. Nach dem Wortlaut der Vorschrift „befaßt" sich der Bundestag also nur dann mit der Vorlage, wenn das erforderliche Quorum zustandekommt. Die Fiktionswirkung kann demnach eintreten, wenn der Bundestag keinen entsprechenden Befassungsbeschluß faßt180. Hinsichtlich der Vorschriften des § 401 GenTG a. F. und des § 59 KrW-/AbfG, die keine Erklärung des Begriffs des „Befassens" bieten, muß auf die allgemeinen Grundsätze der Geschäftsordnung zurückgegriffen werden. Falls nun „Befassen" bedeutet, daß die Entscheidung über die Verordnungsvorlage zumindest auf der Tagesordnung eines Ausschusses erscheinen sollte181, dann hätte es der jeweilige Ausschußvorsitzende in der Hand, gemäß § 61 GOBT über das Befassen oder Nichtbefassen und damit letztlich über den Eintritt der Fiktionswirkung zu entscheiden. Es 176

Siehe auch Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.255). 177 Vgl. Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1994, S. 1107ff. (S. 1109). 178 Zum Verfahren nach §401 GenTG a.F., das dem Verfahren der Nachlaufverordnungen nachgebildet sein soll, siehe auch Jürgen Jekewitz, Die Mitwirkung des Bundestages bei der Regelung von Fachanwaltsbezeichnungen, ZRP 1991, S.281 ff. (S.284). 179 §292IV 6 HGB, §20115 UmweltHG, §42 dl 7 BRAO a.F. 180 Aufgrund der Spezialregelungen in §292IV6 HGB, §20115 UmweltHG und §42dI7 BRAO a. F. kommt ein „automatisches" Befassen des Bundestags wie in § 92 GOBT nicht in Frage, siehe auch Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1994, S. 1107ff. (S. 1109) und Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.255). 181 So auch die Auffassung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 11/5622) zum GenTG, BT-Drs. 11/6778, S.48.

III. Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der S a c h h e r r s c h a f t 8 9

ist fraglich, ob der Gesetzgeber dies beabsichtigt hat. Es bietet sich eher an, parallel zu der Regelung in § 92 GOBT und zur Regelung in den übrigen Ermächtigungsnormen ein Befassen des Plenums zu fordern. Durch Antrag eines einzelnen Abgeordneten nach § 20 II 3 GOBT 182 kann ein Beschluß darüber herbeigeführt werden, ob die Beratung der vorgelegten Rechtsverordnung auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen ist oder nicht. Dann läge mit der Entscheidung des Plenums, die Vorlage auf die Tagesordnung zu setzen, ein „Befassen" vor, das den Eintritt der Fiktionswirkung verhindert. Somit ist im Fall des § 40 I GenTG a. F. und des § 59 KrW-/AbfG die Hürde zur Beseitigung der Fiktionswirkung höher als bei den übrigen Änderungs vorbehalten: Es muß nicht nur eine Anzahl von Abgeordneten in Fraktionsstärke, sondern die Mehrheit des Plenums gewonnen werden. Die Formulierung der bestehenden Änderungsvorbehalte wirft noch weitere Probleme auf: Durch Befassen des Plenums mit dem Entwurf nach einer Mehrheitsentscheidung oder nach Antrag einer Gruppe von Abgeordneten in Fraktionsstärke wird der Eintritt der Fiktionswirkung kraft Gesetzes blockiert183. Andererseits erlauben alle genannten Verordnungsermächtigungen ihrem Wortlaut nach nur, den Verordnungsentwurf durch Beschluß des Bundestags zu ändern oder abzulehnen. Wenn man diese Formulierung wörtlich nimmt, wäre ab dem Zeitpunkt des Befassens zum einen der Eintritt der Fiktionswirkung blockiert und zum anderen eine Zustimmung nicht möglich. Falls keine Änderungen vorgenommen werden sollen, käme das Verfahren zu einem sinnwidrigen Ende, an dem der Verordnungsentwurf einfach ins Leere laufen würde. Die Verordnungsermächtigungen, die Änderungsvorbehalte enthalten, müssen daher so verstanden werden, daß das Plenum auch positiv entscheiden kann, einem Verordnungsentwurf zuzustimmen184. Die Untersuchung des parlamentsinternen Verfahrens hat die Gefahren aufgezeigt, die für die Verordnungsgebung im Verfahren der Änderungsvorbehalte bestehen. Für die Sachherrschaft bei der Verordnungsgebung bedeutet die Ausgestaltung der Änderungs vorbehalte in den derzeitigen Verordnungsermächtigungen, daß der Bundestag, wenn der Verordnungsentwurf einmal auf der Tagesordnung stand, durch Untätigkeit das Verfahren der Verordnungsgebung einfach zum Stillstand bringen kann185. Dieser Geschehensablauf ist allerdings dann unwahrscheinlich, wenn die Entscheidung über den Verordnungsentwurf gerade durch einen Mehrheitsbeschluß oder aufgrund eines Antrags einer Zahl von Abgeordneten in Fraktionsstärke auf die Tagesordnung gesetzt wurde. 182

Vgl .Wolfgang Zeh, Parlamentarisches Verfahren, in: HStR II, 1987, §43 Rn.29. Vgl. Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S.757). 184 Vgl. Hans Heinrich Rupp, a. a. Ο. 185 Allerdings könnten sich aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue Handlungspflichten der Verfahrensbeteiligten ergeben, siehe dazu allgemein Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, 1977, S.70ff. und zur Zustimmung des Bundesrats bei Zustimmungsgesetzen a. a.O., S.92 ff. 183

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C. Einzelne Beteiligungsformen

Auf der anderen Seite hat es die Regierungsmehrheit in der Hand, die Fiktionswirkung durch bloße Untätigkeit eintreten zu lassen, da es an einem institutionellen Zwang fehlt, die Vorlage einer Rechtsverordnung in die Tagesordnung aufzunehmen186. Außerdem weisen die Verordnungsermächtigungen verschiedene Schwellen für die Beteiligung des Bundestags auf. Bei den Verordnungsermächtigungen gemäß § 292IV HGB, § 20 II UmweltHG und § 42 d I BRAO a. F. genügt ein Antrag einer Anzahl von Abgeordneten in Fraktionsstärke, um die Sachherrschaft über den Verordnungsentwurf zu erlangen, während bei § 401 GenTG a. F. und § 59 KrW-/AbfG eine Mehrheitsentscheidung des Plenums erforderlich ist. 2. Das Verfahren zwischen den Verfassungsorganen (navette-Verfahren) Auch das Verfahren zwischen den Verfassungsorganen ist nicht ohne Bedeutung für die Sachherrschaft bei der Verordnungsgebung. Da alle Materien, für die Änderungsvorbehalte bestehen, der Zustimmung des Bundesrats unterfallen, sind beim Erlaß von Rechtsverordnungen mit Änderungsvorbehalt die drei Verfassungsorgane Bundesregierung (bzw. einzelne Bundesminister), Bundestag und Bundesrat beteiligt. Das gleiche gilt wegen der umfassenden Reichweite des Vorbehalts in Art. 80 II GG für die meisten Zustimmungsvorbehalte. Die zeitliche Aufeinanderfolge der Mitwirkungsakte ist verfassungsrechtlich vorgegeben. Art. 80 II GG soll gerade die Länder vor Eingriffen in die für ihre Autonomie wichtigen Materien schützen187. Dieser Schutz darf nicht durch ein zeitlich nachfolgendes Änderungs- oder Zustimmungsrecht des Bundestags unterlaufen werden. Daher muß die Mitwirkung des Bundesrats immer an letzter Stelle vor dem Erlaß der Rechtsverordnung durch den Verordnungsgeber stehen188. 186 Ygi auch Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.22). 187 Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 141). 188 Schon in der 8. Wahlperiode in der Auseinandersetzung um die Novelle des § 6 StVG sprach sich eine Minderheit des Rechtsausschusses dagegen aus, den Beschluß des Bundesrats unter den Vorbehalt des Verhaltens des Bundestags zu stellen, siehe den Bericht der Abgeordneten Dürr und Lenz in BT-Drs. 8/2266, S. 4. Inzwischen ist dies die h. M., vgl. Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 141); ders.y Die Mitwirkung des Bundestages bei der Regelung von Fachanwaltsbezeichnungen, ZRP 1991, S.281 ff. (S.285). Siehe auch TheodorMaunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Stand: Okt. 1996, Art. 80 Rn.62 zu dem Verbot, die rechtlich gebotene Mitwirkung des Bundsrats an der Rechtsetzung zu verkürzen. Dementsprechend legte der Bundesrat gegen den Entwurf des Bundestags zu § 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG, BT-Drs. 8/744) einstimmig Ein-

III. Einflüsse der Verfahrensregeln auf die Verteilung der Sachherrschaft

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Selbst wenn das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers auf Null reduziert sein sollte, besteht also für den Bundestag bei seiner Mitwirkung immer das Risiko, daß die von ihm gebilligte Fassung der Rechtsverordnung nicht die Zustimmung des Bundesrats findet189. Wenn auch die zeitliche Abfolge der Mitwirkung des Bundestags und des Bundesrats sowie der Letztentscheidung des Verordnungsgebers verfassungsrechtlich vorgegeben sind, so mangelt es der Verordnungsgebung doch an einem institutionalisierten Vermittlungsverfahren190. Falls nämlich zwischen den Verfassungsorganen keine Einigung über die Vorlage erzielt wird, so kann der Verordnungsentwurf nur im Rahmen eines sogenannten „navette''-Verfahrens so lange zwischen dem Bundestag und dem Bundesrat hin- und hergeschickt werden, bis ein konsensfähiger Entwurf der Rechtsverordnung entsteht oder das Verfahren als gescheitert zu betrachten ist 191 . Dies führt im Endeffekt dazu, daß, falls keine Ermessensreduzierung zu Lasten des Verordnungsgebers besteht, die Sachherrschaft über den Entschluß zum Erlaß einer Rechtsverordnung gleichmäßig auf die Verfahrensbeteiligten verteilt wird. Jedoch hat der Verordnungsgeber unter der genannten Voraussetzung das „letzte Wort". Wenn es darum geht, die Sachherrschaft im negativen Sinne, also zur Verhinderung einer ungewollten Rechtsverordnung auszuüben, hätte das „letzte Wort" insofern ein relativ hohes Gewicht, als der Verordnungsgeber die inhaltlichen Änderungspläne sowohl des Bundestags als auch des Bundesrats scheitern lassen könnte.

spruch ein (BR-Drs. 651/75, BT-Drs. 7/4295), weil die Mitwirkung des Bundesrats durch die nachfolgende Mitwirkung des Bundestags an Bedeutung verloren hätte (siehe Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll [Hrsg.], Festgabe für Werner Blischke, 1982, S 111 ff. [S. 118]). 189 Vgl. Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 11 Iff. (S. 141). 190 Mit dem Thema eines solchen Vermittlungsverfahrens beschäftigten sich schon im letztlich gescheiterten Gesetzgebungsverfahren um die Einführung von Mitwirkungsvorbehalten in § 6 StVG der mitberatende Ausschuß für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen, siehe 34. Sitzung vom 22. Januar 1975 (zitiert nach Carl Otto Lenz!Gerald Kretschmer, Ein exemplarischer Versuch, Verordnungen von der Zustimmung des Bundestages abhängig zu machen, ZParl 8 [1977], S.20ff. [S.23]) und Gebhard Ziller, Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu Rechtsverordnungen?, DVB1.1963, S. 795 ff. (S.796). 191 Zum ,navette"-Verfahren siehe auch Gebhard Ziller, Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zu Rechts Verordnungen?, DVB1.1963, S. 795 ff. (S.796). Christoph Riese, Der Maßgabebeschluß des Bundesrates bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen, 1992, S. 85 f. ist der Auffassung, daß das Risiko für das Scheitern des Verordnungserlasses letztendlich beim Verordnungsgeber liegt, wenn er inhaltlich nicht mit dem Bundesrat übereinstimmt und den Bundesrat auch nicht umstimmen kann. Gleiches muß für das Verhältnis zum Bundestag gelten.

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C. Einzelne Beteiligungsformen

IV. Ergebnis: Die Verteilung der Sachherrschaft im Verfahren der Verordnungsgebung Die Untersuchungen haben bestätigt, daß die Mitwirkungsvorbehalte im Verfahren der Verordnungsgebung zu einer Umverteilung der Sachherrschaft zwischen Bundestag, Bundesrat und Verordnungsgeber führen. Im wesentlichen können die Verfahrensbeteiligten auf zwei Arten an der Verordnungsgebung teilnehmen: durch Einflußnahme auf den Norminhalt und durch die Entscheidung über das „Ob" des Erlasses einer Rechtsverordnung. Beide Aspekte der Mitwirkung beeinflussen sich gegenseitig, zumal die Entscheidungsbefugnis über das „Ob" des Erlasses einer Rechtsverordnung auch Möglichkeiten zur inhaltlichen Einflußnahme vermitteln kann. Am besten ließen sich diese wechselseitigen Einflußmöglichkeiten als Modell von Kräften und Gegenkräften darstellen. Schon in der Entwurfsphase zeigt sich, daß der Verordnungsgeber kein Monopol auf die inhaltliche Gestaltung der Rechtsverordnungen besitzt. Seinem ursprünglichen Gestaltungsrecht wirkt das neue Initiativrecht des Bundesrats aus Art. 80 III GG bei zustimmungsbedürftigen Rechtsverordnungen entgegen, das allerdings in der Praxis relativ bedeutungslos ist 192 . Im nachfolgenden Verfahren ermöglichen die nicht positiv normierten Maßgabezustimmungen des Bundestags und des Bundesrats einen weitgehenden Einfluß auf den Inhalt des schon erstellten Verordnungsentwurfs193. Neben diesen informellen Einflußmöglichkeiten hat der Bundestag durch die Normierung von Änderungsvorbehalten in den Verordnungsermächtigungen einen Mitwirkungsvorbehalt geschaffen, der ihm einen weitreichenden Einfluß auf den Inhalt des Verordnungsentwurfs sichert. Ohne die Möglichkeit, das „Ob" des Erlasses einer Rechtsverordnung zu bestimmen, können die anderen Verfassungsorgane ihren Gestaltungswillen nicht ohne weiteres durchsetzen, da dem Verordnungsgeber in dieser Frage grundsätzlich ein Entschließungsermessen bleibt. In welchem Ausmaß die inhaltlichen Einflußmöglichkeiten also tatsächlich eine Sachherrschaft über die Verordnungsgebung vermitteln können, bestimmen einerseits die Zustimmungs- oder Vetomöglichkeiten des Bundestags und des Bundesrats sowie andererseits das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers. Von diesen beiden Faktoren hängt also die Kräfteverteilung 192 Das Handbuch des Bundesrats für das Geschäftsjahr 1997/98, S. 289 weist für die 13. Wahlperiode (1994 bis 27. August 1997) insgesamt fünf Verordnungsentwürfe des Bundesrats bei 424 dem Bundesrat zugeleiteten Rechtsverordnungen aus. 193 Auf andere informelle Einflußmöglichkeiten kann hier nicht eingegangen werden. Denkbar ist zum Beispiel, daß Bundestag oder Bundesrat vor der Fertigstellung des Verordnungsentwurfs gegenüber dem Verordnungsgeber signalisieren, daß der Entwurf nur zustimmungsfähig sei, wenn er gewissen inhaltlichen Vorgaben des zustimmungsberechtigten Verfassungsorgans entspreche.

IV. Ergebnis

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zwischen Verordnungsgeber und den anderen Verfassungsorganen ab. Falls der Verordnungsgeber aufgrund von gemeinschaftsrechtlichen Umsetzungspflichten, Vorgaben der Verordnungsermächtigung oder zur Erfüllung von grundrechtlichen Schutzpflichten zum Erlaß einer Rechtsverordnung verpflichtet ist, können Bundesrat und Bundestag ihre inhaltlichen Gestaltungspläne leichter durchsetzen. Die Wirkung der Mitwirkungsinstrumente hängt grundsätzlich davon ab, in welcher zeitlichen Position im Verfahren der Verordnungsgebung sie ansetzen können. Wegen der weitgefaßten Regelung des Art. 80 II GG besteht bei etwa 40% 1 9 4 der Verordnungsermächtigungen ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrats; somit müssen bei Mitwirkungsvorbehalten des Bundestags zumeist drei Verfassungsorgane kumulativ in einem Verfahren zusammenwirken, in dem es keinen Vermittlungsausschuß gibt195. Da auch das „Ob" und das „Wann" des Erlasses einer Rechtsverordnung eine eigenständige politische Komponente besitzen196, hat das Zusammentreffen von Mitwirkungsvorbehalten des Bundestags und des Bundesrats also eine besondere Bedeutung für die Sachherrschaft des Verordnungsgebers. Als einfache Regel kann gelten, daß die Durchsetzungsmöglichkeiten für das einzelne Organ um so größer sind, je weniger Verfahrensschritte und Mitwirkungsvorbehalte anderer Verfassungsorgane zwischen der Mitwirkungsoption dieses Organs und dem tatsächlichen Erlaß der Verordnung liegen197. Jedes Verfassungsorgan, das dem Verordnungsentwurf seine Zustimmung erteilen kann, entscheidet somit auch über die bereits erklärten Zustimmungen der anderen Verfassungsorgane. Geht es darum, ein Veto gegenüber den inhaltlichen Vorstellungen der anderen Verfassungsorgane durchzusetzen, dann hat - sofern keine Reduzierung des Entschließungsermessens eintritt - der Entschluß des Verordnungsgebers zum Nichterlaß der Verordnung insofern das höchste Gewicht, als trotz ihrer schon erklärten Zustimmung weder der Bundesrat noch der Bundestag den Erlaß der Rechtsverordnung erzwingen können198. Insofern besitzt auch die Zustimmung des Bundesrats 194 Siehe die Gesamtzahl der von der 10. bis 12. Wahlperiode erlassenen Rechtsverordnungen gemäß Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland, 1998, S.94 und die Zahl der dem Bundesrat im gleichen Zeitraum zugeleiteten Rechtsverordnungen, in: Deutscher Bundesrat (Hrsg.), Handbuch des Bundesrates für das Geschäftsjahr 1997/98, 1997, S.289. 195 Im Vergleich dazu hat die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren, in dem sie nicht der eigentliche Gesetzgeber ist, die Möglichkeit, gemäß Art. 77114 GG neben dem Bundestag den Vermittlungsausschuß anzurufen. Dagegen besitzt der Verordnungsgeber im Verfahren zum Erlaß von Rechtsverordnungen eine wesentlich schwächere Stellung, obwohl er das normsetzende Organ ist. 196 Vgl. Jürgen Jekewitz, Mehr politische Kontrolle bei Rechts Verordnungen durch Änderung des Art. 80 GG, RuP 1993, S.20ff. (S.24). 197 Jürgen Jekewitz, Die Mitwirkung des Bundestages bei der Regelung von Fachanwaltsbezeichnungen, ZRP 1991, S. 281 ff. (S. 286) betont, daß die Reihenfolge der Mitwirkung für das Gewicht der Mitwirkung entscheidend sei. 198 Eine Verschiebung der Gewichtung zwischen den Sachherrschaftsbereichen der einzelnen Beteiligten hängt auch davon ab, wieviel Zeit dem einzelnen Organ zur Wahrnehmung sei-

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C. Einzelne Beteiligungsformen

gemäß Art. 80 II GG grundsätzlich einen höheren „Wirkungsgrad" als die des Bundestags, da sie im Verfahren zeitlich näher am Erlaß der Verordnung durch den Verordnungsgeber liegt. Letztendlich führt jedoch die Beteiligung von drei Verfassungsorganen beim Verfahren der Verordnungsgebung in der Mehrzahl der Fälle zu einer gleichmäßigen Verteilung der Sachherrschaft über das „Ob" des Erlasses einer Rechtsverordnung, weil häufig das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers auf Null reduziert ist. In der Zusammenschau ergeben die einzelnen untersuchten Elemente, daß die Verteilung der Sachherrschaft eine relativ starke Abstufung zwischen den einzelnen Mitwirkungsvorbehalten aufweist: Die inzwischen kaum noch praxisrelevanten Kenntnisvorbehalte bieten dem Bundestag keine Möglichkeit zur Einflußnahme auf die Verordnungsgebung. Auch die sogenannten Kassationsvorbehalte199 sind von untergeordneter praktischer Bedeutung. Da sie erst nach Inkrafttreten der Rechtsverordnung greifen, reduziert sich ihr Einfluß zum Zeitpunkt der Verordnungsgebung auf die möglichen Vorwirkungen der späteren Kassationsmöglichkeit. Der Einfluß dieser Vorwirkungen könnte aber ebenso bei den einfachen Zustimmungsvorbehalten zu spüren sein, weshalb hier davon ausgegangen wird, daß sie als bei allen Mitwirkungsvorbehalten ähnlich wirkender Faktor nicht zur Differenzierung unterschiedlicher Grade der Mitwirkung herangezogen werden können. Anders stellt sich das bei den Zustimmungsvorbehalten dar. Die Zustimmung erlaubt dem Bundestag schon ein gewisses Maß an Einflußnahme auf die Verordnungsgebung, nämlich auf das „Ob" des Erlasses. Nutzt der Zustimmungsberechtigte jedoch seine Möglichkeit nicht, darüber hinaus auch auf den Inhalt des Verordnungsentwurfs gemäß Art. 80 III GG oder durch einen Maßgabebeschluß Einfluß zu nehmen, so bleibt der Umfang seiner Sachherrschaft relativ gering. Wegen des hohen Gewichts der Gestaltung des Verordnungsinhalts und aufgrund der Tatsache, daß der Verordnungsgeber darüber hinaus noch sein Entschließungsermessen ausüben kann, besitzt der Verordnungsgeber in dieser Variante des Zustimmungsvorbehalts eine weiterreichende Sachherrschaft über die Verordnungsgebung als der Bundestag oder der Bundesrat. Allerdings lassen sich sowohl vom Bundestag als auch vom Bundesrat einfache Zustimmungsvorbehalte durch das Fassen von Maßgabebeschlüssen in inhaltliche Gestaltungsinstrumente verwandeln, wodurch sich die einfachen Zustimmungsvorbehalte in ihren Wirkungen den Änderungsvorbehalten nähern. Die weitestgehenden Einflußmöglichkeiten auf die Verordnungsgebung liegen bei den Mitwirkungsvorbehalten, die auch eine Gestaltung des Inhalts der Rechtsner Änderungs- oder Vetomöglichkeiten gelassen wird; siehe auch Michael Kloepfer, recht, 2. Aufl., 1998, §18 Rn. 10. 199 Siehe oben C. II. 3 (S. 65 f.).

Umwelt-

IV. Ergebnis

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Verordnung erlauben. Dazu zählen die Maßgabezustimmungen und die Änderungsvorbehalte20°, welche sich in ihren Wirkungen sehr ähneln201, da die Möglichkeiten zur inhaltlichen Einflußnahme bei den Maßgabezustimmungen den sonst feststellbaren „qualitativen Unterschied"202 zwischen Zustimmungsvorbehalt und Änderungsvorbehalt überbrücken. Auch wenn der Verordnungsgeber zum Erlaß der Rechtsverordnung nicht verpflichtet ist (fakultative Änderungsvorbehalte), besitzt er zumindest die Möglichkeit, den Erlaß einer Verordnung zu unterlassen, mit der er inhaltlich nicht einverstanden ist. Beispiele für solche Änderungsvorbehalte mit fakultativem Charakter sind: § 292IV HGB, § 14IV GenTG a. F. i.V. m. § 40 GenTG a. F., §42d BRAOa. F., §§ 61 und 71 Nrn. 1 und 2 KrW-/AbfG. Die Untersuchung hat auch gezeigt, daß das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers in vielen Fällen auf Null reduziert ist. Wichtigste Gründe für eine solche Ermessensreduzierung sind die Unentbehrlichkeit der Rechtsverordnung im Regelungszusammenhang sowie die Umsetzungspflicht gegenüber gemeinschaftsrechtlichen Regelungen. Als Beispiele für obligatorische Änderungsvorbehalte können die folgenden Vorschriften gelten: § 712 GenTG a. F. i.V. m. § 40 GenTG a. F., § 20 UmweltHG, §§ 23, 24, 57 i.V. m. § 59 KrW-/AbfG. Zusammenfassend ist zu sagen, daß dem Bundestag durch die Einführung von obligatorischen Änderungsvorbehalten und die Fassung von Maßgabebeschlüssen eine umfangreiche Sachherrschaft über die Verordnungsgebung zugewachsen ist. Er kann sowohl den Inhalt der Rechtsverordnung im Rahmen der von ihm selbst geschaffenen Verordnungsermächtigung bestimmen als auch erwarten, daß die Verordnung dann mit diesem Inhalt erlassen wird. Wichtig ist außerdem, daß bei allen genannten fakultativen Änderungsvorbehalten die Möglichkeit besteht, daß Umsetzungspflichten hinsichtlich neuer Richtlinien oder Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane das Entschließungsermessen des Verordnungsgebers auf Null reduzieren. Speziell in den Sachgebieten des Umweltrechts, in denen Änderungsvorbehalte hauptsächlich eingesetzt werden, sind weitere Regelungen durch die Europäische Gemeinschaft zu erwarten. Damit besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß die verbleibenden fakultativen Änderungsvorbehalte einen obligatorischen Charakter erhalten, daß also der Bundestag in weiteren Teilgebieten eine weitreichende Sachherrschaft über die Verordnungsgebung ausüben kann.

200 Das Initiativrecht des Art. 80 III GG des Bundesrats kann nicht als Mitwirkungsvorbehalt bezeichnet werden. 201 Siehe dazu auch Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S.434ff. (S.436f.). 202 Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehalts Verordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1994, S. 1107 ff. (S. 1111). Auf den qualitativen Unterschied zwischen Zustimmungs- und Änderungs vorbehalten weist auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), UmweltgesetzbuchEntwurf, 1988, Begründung zu §22, S.481 hin.

D. Die verfassungsrechtliche Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte Im vorangegangenen Abschnitt wurde geklärt, ob und in welchem Ausmaß die wichtigsten Mitwirkungsvorbehalte den einzelnen Verfassungsorganen eine Sachherrschaft über die Verordnungsgebung vermitteln. Es hat sich gezeigt, daß die Mitwirkungsvorbehalte gegenüber der einfachsten Grundform der Verordnungsgebung ohne Zustimmungsvorbehalte des Bundestags1 eine Verschiebung der tatsächlichen Sachherrschaft von den Delegataren auf den Bundestag bewirken, der zumindest im Rahmen der echten Änderungsvorbehalte und der obligatorischen Maßgabezustimmungen weitestgehenden Einfluß auf Erlaß und Inhalt der Rechtsverordnung erhält. Angesichts solcher Veränderungen im Verfahren der Verordnungsgebung drängt sich die Frage auf, ob die Mitwirkungsvorbehalte verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Nicht ohne Grund begegnet man solchen Bedenken hinsichtlich der Zustimmungsvorbehalte des Bundestags bereits in der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Preisgesetz2. Schon bei den reinen Zustimmungsvorbehalten forderte das Bundesverfassungsgericht ein „legitimes Interesse" der Legislative, einerseits Rechtsetzungsbefugnisse zu delegieren und sich andererseits wegen der Bedeutung der Regelung einen Einfluß auf „Erlaß und Inhalt" (sie) der Rechts Verordnung vorzubehalten3. Noch viel dringlicher stellt sich die Frage nach der Legitimität bei den Mitwirkungsvorbehalten, die explizit eine inhaltliche Einflußnahme erlauben, was sich auch in den Stellungnahmen der Literatur widerspiegelt4. Den Änderungsvorbehalten wird unter anderem eine Kompetenzvermischung oder Systemverschiebung5 angelastet. Sie verstießen gegen den Grundsatz der Verantwortungszurechnung6, sorg1

Die Zustimmungsmöglichkeiten des Bundesrats bleiben hier außer Betracht. BVerfGE 8, 274. 3 BVerfGE 8, 274 (321). 4 Statt vieler: Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S.758). 5 Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S. 434ff. (S.439) unter Berufung auf den Gewaltenteilungsgrundsatz; Stefan Studenroth, Einflußnahme des Bundestages auf Erlaß, Inhalt und Bestand von Rechtsverordnungen, DÖV 1995, S. 525 ff. (S. 533 f.); Silke Thomsen, Rechtsverordnungen unter Änderungsvorbehalt des Bundestages?, DÖV 1995, S.989ff. (S.991 f.). 6 Anja Bogler, Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz: Neu und nichtig?, DB 1996, S. 1505 ff. (S. 1507). Skeptisch hinsichtlich der Verantwortungszurechnung bei den Zustimmungsvorbehalten auch schon BVerfGE 8, 274 (321) - Preisgesetz. Ähnlich mit auf die Mitwirkung des Bundestags übertragbarer Argumentation Jürgen Jekewitz, Die politische Sach2

I. Vorbemerkungen

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ten für eine Aufweichung des Parlaments Vorbehalts7 und seien außerdem mit dem Grundsatz der Formenstrenge der Rechtsetzung8 nicht zu vereinbaren.

I. Vorbemerkungen Die Vielfalt der Begriffe wie „Systemverschiebung", „Formenmißbrauch" und „legitimes Interesse", die im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Diskussion um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Mitwirkungsvorbehalte gebraucht werden, deuten auf verschiedenartige Fehlerquellen und Szenarien hin, die in dieser Untersuchung weiter kategorisiert werden sollen. 1. „Positive und negative" Fehlerquellen Mitwirkungsvorbehalte können unter verschiedenen verfassungsrechtlichen Aspekten untersucht werden. Unabhängig davon, in welchem Kontext und zu welchem Zweck die Mitwirkungsvorbehalte eingesetzt werden, könnten sie - im negativen Sinne - zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Wie eben erwähnt, bieten beispielsweise ihre nicht unwesentlichen Auswirkungen auf die Verteilung der Sachherrschaft Anlaß, sich mit den verfassungsrechtlichen Konsequenzen dieser Auswirkungen näher zu befassen. Zum anderen ist vor allem in der Literatur häufig die Rede vom „Kompensationseffekt"9 der Mitwirkungsvorbehalte in bezug auf Legitimationsdefizite der Verordnungsermächtigungen. Es sollte deshalb nicht nur überprüft werden, ob diese Instrumente im negativen Sinne zu Systemverschiebungen führen, sondern auch, ob sie im positiven Sinne die von ihnen erwarteten Kompensationsleistungen erbringen können. Ob sich eine dieser „positiven" Fehlerquellen eröffnet, hängt ganz davon ab, in welchem Verfassungskontext und zu welchem Kompensationszweck die Mitherrschaft bei Rechtsverordnungen und der Bundesrat, RuP 1993, S.72ff. (S.76) hinsichtlich der Maßgabezustimmungen des Bundesrats. 7 Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.257). 8 Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S.758). 9 Von den zahlreichen Stimmen, die die Zulässigkeit einer Kompensation von Legitimationsdefiziten durch Mitwirkungsvorbehalte bejahen, seien nur die folgenden genannt: Hans H eckeil Paul Seipp, Schulrechtskunde, 5. Aufl., 1976, Tz. 15.233, S. 163; Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S. 21 ff., S. 39ff.); Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnungen, in: HStR III, 1988, §64 Rn.57. Ablehnend gegenüber dem Kompensationsgedanken: die Neuauflage von Heckels/Seipps Schulrechtskunde von Hans H eckeil H ermann Avenarius, 6. Aufl., 1986, Tz. 15.34 Fn.20; Norbert Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, 2. Aufl., 1983, Rn.74 Fn. 164. 7 Schmidt

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

Wirkungsvorbehalte zum Einsatz kommen. Somit sind diese Fehlerquellen eher in einem fallorientierten Zusammenhang zu erörtern. 2. Gang der Untersuchung Die Untersuchung soll daher in mehreren Stufen erfolgen: zunächst ist nach positivrechtlichen und systematischen Aussagen des Grundgesetzes zur Verfassungsmäßigkeit der Mitwirkungsvorbehalte zu suchen (II). Danach wird anhand demokratischer (III) und rechtsstaatlicher (IV) Prinzipien überprüft, ob die einzelnen Mitwirkungsvorbehalte zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen.

II. Positivrechtliche und systematische Aussagen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Mitwirkungsvorbehalte Erste Ansatzpunkte für die verfassungsrechtliche Überprüfung der Mitwirkungsvorbehalte sind die positivrechtlichen und systematischen Aussagen des Grundgesetzes. 1. Positivrechtliche Vorgaben Das positiv normierte Verfassungsrecht trifft nur wenige ausdrückliche Aussagen darüber, ob Mitwirkungsvorbehalte des Bundestags zulässig sind oder nicht. Positiv geregelt ist das Initiativrecht und der Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Bundesrats in Art. 80 II, III GG, während sich für den Bundestag nur eine Regelung der einfachen Kassationsvorbehalte in Art. 109IV GG findet. Auch landesverfassungsrechtliche Normen wie etwa Art. 911 der Bayerischen Verfassung (BV) 10 und Art. 471 der Verfassung von Berlin (Berl. Verf.) a. F. 11 können hier nicht weiterhelfen. Zum einen entfalten sie keine RegelungsWirkung für die Bundesebene. Zum anderen betreffen sie wie Art. 9 II BV Spezialfälle (Neugliederung des Staatsgebiets in Kreise und Bezirke) oder wurden wie Art. 47 I Berl. Verf. a. F. aufgrund von Zweifeln an ihrer Verfassungsmäßigkeit nie angewandt12. Die Geschäftsordnungen der Verfassungsorgane, die teilweise Regelungen 10 Verfassung des Freistaates Bayern in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1998 (GVB1. S.992). 11 Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (VOB1.I S.433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. April 1992 (GVB1. S. 111). 12 Manfred J. Neumann, in: Pfennig/Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin, 2. Aufl., 1986, Art. 47 Rn. 16 unter Hinweis auf Art. 47 Rn. 15 der Vorauflage aus dem Jahr 1978. Ernst R. Zivier, Verfassung und Verwaltung von Berlin, 2. Aufl., 1992, §53 Rn. 5 sieht diese Vorschrift ebenso wie die Verfassungskommission als Rudiment der Magistratsverfassung an, das sich verfassungssystematisch schlecht einfügt; ähnlich Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der

II. Aussagen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Mitwirkungsvorbehalte

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über die Mitwirkungsvorbehalte enthalten13, besitzen außerdem als Binnenrecht keine Außenwirkung im Verhältnis des Bundestags zur Bundesregierung14. Da das Verfassungsrecht die Beifügung von Mitwirkungsvorbehalten nicht regelt, muß allen Mitwirkungsvorbehalten mit einem gewissen Mißtrauen hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit entgegengetreten werden15. 2. Umkehrschluß aus fehlender positivrechtlicher Normierung Ob Mitwirkungsvorbehalte allgemein zulässig sind, könnte sich auch aus systematischen Erwägungen ergeben16. Neben der weitreichenden Regelung der Zustimmung des Bundesrats in Art. 80 II, III GG gibt es für die Mitwirkung des Bundestags in Art. 109IV GG nur eine spezielle Vorschrift für die Kassation von Rechtsverordnungen, die der Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dienen. Daraus könnte im Umkehrschluß zu folgern sein, daß für den Bundestag andere Einwirkungsmöglichkeiten nicht vorgesehen waren17. Allerdings muß dieser Ansicht erstens entgegengehalten werden, daß es den Müttern und Vätern des Grundgesetzes nach den Erfahrungen mit ausufernden Verordnungsermächtigungen in der Weimarer Republik und im Dritten Reich18 entscheidend darauf ankam, die Rechtsetzungsmacht des Verordnungsgebers einzugrenzen und im gleichen Zug deren unkontrollierte Übertragung auf die Regierung zu verhindern19. Betrachtet man die Mitwirkungsvorbehalte unter dem Blickwinkel, daß sie nicht dazu dienen, unbestimmte Delegationsnormen für besonders grundrechtsrelevante Materien zu legitimieren, dann müßten sie - unabhängig von der Frage, ob Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechts Verordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Werner Blischke, 1982, S. 111 ff. (S. 140 Fn. 174). 13 So z. B. §§ 70 ff. GOBT II, die Wirkungen der Maßgabebeschlüsse des Bundesrats regeln. 14 Siehe zur GGO II Jürgen Jekewitz, Mehr politische Kontrolle bei Rechts Verordnungen durch Änderung des Art. 80 GG, RuP 1993, S.20ff. (S. 23). 15 So auch Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rnm. 39ff. 16 Siehe Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.26f.). 17 So Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S. 347) und Claus Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 130. 18 Siehe auch oben A.I. l.b) (S.20f.). 19 Siehe oben A. 1.1. c) (S. 22 f.). BVerfGE 1,14 (60) - Südweststaat; Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S. 346); Wilhelm Mößle, Inhalt, Zweck und Ausmaß: Zur Verfassungsgeschichte der Verordnungsermächtigung, 1990, S. 31 f.; Fritz Ossenbühl, Der Vorbehalt des Gesetzes und seine Grenzen, in: Götz/Klein/Starck (Hrsg.), Die öffentliche Verwaltung zwischen Gesetzgebung und richterlicher Kontrolle, 1985, S.9ff. (S.22) betont, daß es die verfassungspolitische Funktion des Gesetzes Vorbehalts sei, das Parlament von einer Flucht aus der Verantwortung abzuhalten. 7*

100

D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

sie systemfremd sind oder nicht 20 - zumindest insofern dem Anliegen des Verfassungsgebers entsprechen, als sie dem Bundestag eine weitgehende Kontrolle über die Normsetzung der Exekutive ermöglichen. Zweitens ist ein solcher Umkehrschluß auch nicht zwingend. Die gesonderte Regelung der Mitwirkungsvorbehalte des Bundestags einzig in Art. 1 0 9 I V GG kann ebenso bedeuten, daß es dem Bundestag freisteht, Mitwirkungsvorbehalte zu verwenden. Die Vorschrift des Art. 1 0 9 I V GG kennzeichnet dann den Sonderfall, in dem zwingend ein Kassationsvorbehalt vorzusehen ist. Dementsprechend sah auch die Gemeinsame Verfassungskommission in der 12. Wahlperiode keinen Bedarf, die Mitwirkungsrechte des Bundestags einer positiven Regelung zu unterwerfen 21 . Die Beteiligung des Bundestags einerseits und des Bundesrats andererseits an der Verordnungsgebung beruht auf völlig unterschiedlichen verfassungsrechtlichen und -politischen Motivationen: der Bundesrat wird aufgrund einer föderalen Verfassungsgrundentscheidung beteiligt 22 , die nach Kisker nicht ohne weiteres aus allgemeinen Verfassungsgrundsätzen ableitbar ist 23 . Die Beteiligung des Bundestags entspringt dagegen nach insoweit zutreffender Ansicht sowohl des Gesetzgebers24 als auch der Literatur 25 einem Bedürfnis nach rechtsstaatlicher Legitimation. Ein Ver20 Viele Autoren halten Änderungsvorbehalte des Bundestags im Bereich der Verordnungsgebung für systemfremd und deshalb verfassungswidrig. Siehe statt vieler: Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Wemer Blischke, S. 111 ff. (S. 140) und Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758f.). Ob ein neues und damit möglicherweise zunächst „systemfremdes" Mitwirkungsinstrument verfassungswidrig sein muß oder nicht, wird weiter unten noch geklärt werden. 21 Abschlußbericht BT-Drs. 12/6000, S.38, 134. 12 Jürgen Jekewitz, Möglichkeiten der Einflußnahme des Deutschen Bundestages auf Rechtsverordnungen der Bundesregierung, in: Roll (Hrsg.), Festgabe für Wemer Blischke, S. 111 ff. (S. 141). 23 Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.27). 24 Der Rechtsausschuß des Bundestags war bei seiner Entschlußempfehlung zur in § 2921 HGB eingeführten Möglichkeit, außereuropäische Unternehmen per Rechtsverordnung die Erstellung eines befreienden Konzemabschlusses zu erlauben, der Auffassung, der Verordnungsermächtigung komme so „große Bedeutung" zu, daß deshalb eine Mitwirkung des Bundestags vorzusehen sei (BT-Drs. 10/4268, S. 113). Aus denselben Gründen schlug auch die Bundesregierung in ihrer Begründung zum Entwurf des 20 II UmweltHG einen Änderungsvorbehalt zugunsten des Bundestags vor (BT-Drs. 11/7104, S. 22). Ähnlich auch der Rechtsausschuß des Bundestags in BT-Drs. 11/3807, S. 20 hinsichtlich § 42 d BRAO a. F. Ausdrücklich auf die Beachtung der Wesentlichkeitstheorie im Zusammenhang mit den Verordnungsermächtigungen bezieht sich auch der Bericht der Enquête-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie" des Bundestags in der 10. Wahlperiode (BT-Drs. 10/6775, S. 287ff.). 25 Bernhard Wolff \ Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach dem Grundgesetz, AöR 78 (1952/1953), S. 217 betont, daß das föderative Prinzip für die Beteiligung des Bundestags im Gegensatz zur Beteiligung des Bundesrats gerade nicht anwendbar sei. Stell-

III. Mitwirkungsvorbehalte und Demokratieprinzip

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gleich mit der Mitwirkung des Bundesrats, die außerhalb des ohnehin weiten Anwendungsbereichs des Art. 80 II GG nicht möglich ist, verbietet sich daher. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß weder systematische noch historische Argumente die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Mitwirkung des Bundestags bei der Verordnungsgebung eindeutig begründen können. Da das Grundgesetz weder explizite Aussagen zur Zulässigkeit der Mitwirkungsvorbehalte macht noch sichere Rückschlüsse systematischer Natur zuläßt, muß auf die allgemeinen Staatszielbestimmungen als Maßstäbe für die verfassungsrechtliche Bewertung der vom Gesetzgeber verwendeten Mitwirkungsvorbehalte Bezug genommen werden.

I I I . Mitwirkungsvorbehalte und Demokratieprinzip Es ist denkbar, daß sich der Einsatz von Mitwirkungsvorbehalten in zweierlei Weise verfassungsrechtlich nachteilig auf das Verfahren der Verordnungsgebung auswirken könnte: einmal durch die Verschiebung des Gewichts der Entscheidung auf das Mitwirkungsverfahren und damit auf das Verfahren des einfachen Parlamentsbeschlusses. Zum anderen wirken die Mitwirkungsvorbehalte auf die Kompetenzverteilung zwischen den Verfassungsorganen Regierung und Parlament. Unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips betrachtet, kann die personelle demokratische Legitimation nur zunehmen, wenn sich das Parlament die Mitwirkung beim Erlaß von Rechtsverordnungen vorbehält26. Zu der Legitimation, die die Verabschiedung der Verordnungsermächtigung durch das unmittelbar demokratisch legitimierte Plenum und der Erlaß der Verordnung durch die mittelbar demokratisch legitimierte Regierung vermitteln, kommt nämlich eine weitere Stufe der unmittelbaren demokratischen Legitimation hinzu, wenn der Erlaß der Rechtsverordnung ein weiteres Mal an eine Entscheidung des Bundestagsplenums zurückgebunden wird27. Was die personelle demokratische Legitimation im parlamentarischen Verfahren betrifft, so muß man sich vor Augen halten, daß sowohl das Gesetzgebungsverfahvertretend für die Meinung der Literatur sei hier nur Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnungen, in: HStR III, 1988, §64 Rnrn. 54-56 genannt, der unter dem Begriff des „legitimen Interesses" (BVerfGE 8. 274 [321] - Preisgesetz) die rechtsstaatlichen Gründe für die Beteiligung des Bundestags hervorhebt. Vgl. auch Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758). 26 Zum Zugewinn an demokratischer Legitimation siehe Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlaments Vorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.255). 27 Ob Mitwirkungsvorbehalte dazu eingesetzt werden, Legitimationsdefizite zu kompensieren, zieht Fragen nach sich, die nicht die personelle demokratische Legitimation durch den Vorbehalt selbst, sondern die verfassungsrechtlichen Konsequenzen aus der Anwendung des Vorbehalts in einem bestimmten Kontext betreffen. Dazu weiter unten D.IV (S. 103 ff.).

102

D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

ren als auch das einfache Beschlußverfahren auf Mehrheitsentscheidungen der unmittelbar gewählten Volksvertreter beruhen. Beide Verfahren vermitteln also eine unmittelbare demokratische Legitimation. Auch wenn der Bundestag einen Gegenstand per Beschluß regelte, änderte sich nicht das Maß der personellen demokratischen Legitimation seiner Entscheidung. Deshalb kann das Demokratieprinzip in dieser Hinsicht als formindifferent bezeichnet werden28. Selbst wenn man wie Quaritsch davon ausgeht, daß in der Rechtsverordnung die Staatsgewalt des Volkes doppelt mediatisiert ist29, muß gelten, daß Parlament und Regierung als verfassungsunmittelbare Institutionen im Sinne des Art. 20 II und III GG eine grundsätzlich gleichwertige demokratische Legitimation besitzen30. Allein aus dem Demokratieprinzip läßt sich damit ebenfalls nicht erklären, daß das Gesetzgebungsverfahren das einzige mögliche Verfahren zur Sicherung der unter den Parlamentsvorbehalt fallenden Materien ist31. Aus dem Demokratieprinzip ergeben sich also außer der allgemeinen Aussage, daß die demokratische Legitimation zunimmt, wenn der Bundestag mittels Zustimmungs- oder Änderungsvorbehalt in das Verfahren der Verordnungsgebung eingebunden wird, keine weiteren Anhaltspunkte für die verfassungsrechtliche Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte. Die eingangs geschilderten Auswirkungen auf das Verfahren und den Kompetenzbereich des normgebenden Organs sind vielmehr unter rechtsstaatlichen Aspekten zu betrachten.

28

Vgl. Jürgen Staupe, Parlaments vorbehält und Delegationsbefugnis, 1986, S. 175; Eggert Schwan, Zuständigkeitsregelungen und Vorbehalt des Gesetzes, 1971, S.54. Siehe auch oben S.41. 29 Helmut Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, 2. Auf., 1961, S.7. 30 Die Kalkar-I-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 49,89 (125 f.) gesteht dem Bundestag aufgrund seiner unmittelbaren Legitimation keinen Vorrang gegenüber der nur mittelbar legitimierten Bundesregierung zu. Auf die ununterbrochene Legitimationskette, die zur Einsetzung der Regierung führt, weist BVerfGE 68,1 (88) - Pershing - hin. Siehe dazu auch unten S. 142, Fn. 76. Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 169 zeigt die Zweifelhaftigkeit der komparative Annahme, daß die Exekutive aufgrund des unterschiedlichen Kreationsvorgangs schwächer als die Legislative demokratisch legitimiert sei; siehe auch oben S. 41, Fn. 56. Dagegen schließt sich Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.66f. der Meinung Paul Henselers, an, daß der Verordnungsgeber die, »mindere demokratische Legitimation" (Paul H enseler, Die Grundrechtsbindung des Verordnungsgebers als Prüfstein für das Selbstverständnis der Verfassungsund Verwaltungsgerichte, ZG 1986, S.76ff. [S.78]) besäße. 31 Siehe Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.48).

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte Obwohl die am Erlaß von Rechtsverordnungen beteiligten Verfassungsorgane alle demokratisch legitimiert sind, ist es doch nicht gleichgültig, nach welchem Verfahren und durch die Mitwirkung welchen Verfassungsorgans eine Rechtsnorm zustandekommt, da das Grundgesetz einerseits nur eine begrenzte Anzahl von Verfahren zur Normsetzung kennt 32 und andererseits die Kompetenzen in den Normsetzungsverfahren nicht beliebig disponibel sind 33 . Die Zulässigkeit von Mitwirkungsvorbehalten hängt also vielmehr von rechtsstaatlichen Kriterien ab 3 4 .

1. Mitwirkung des Bundestags und Kompetenzüberschreitungen hinsichtlich des Gegenstands der zu regelnden Materie Wenn bei den Mitwirkungsvorbehalten im Ergebnis eine mehr oder weniger starke Verschiebung der Sachherrschaft festzustellen ist 35 , dann ist in dieser Feststellung schon der Vorwurf einer verfassungswidrigen Kompetenzvermischung oder -Verschiebung in Form einer Kompetenzanmaßung durch das Parlament 36 enthalten, die der überwiegende Teil der Literatur bei den Änderungsvorbehalten feststellen will 3 7 . 32

Hans F. Zacher, Verwaltung durch Subventionen, VVDStRL 25 (1967), S. 308 ff. (S. 393) prägte hinsichtlich der Gefahr der Misch Verwaltung zwischen Bund und Ländern den Begriff der „Formenaskese", auf den weiter unten noch näher einzugehen sein wird. 33 Vgl. Hans-Ulrich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 173 f. 34 Zu Recht verortet Hans Heinrich Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl., 1991, S. 135 und dersRechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S.758) das Problem der Zulässigkeit der Mitwirkungsvorbehalte im Rechtsstaatsprinzip. So auch Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 13 ff. (S.48). 35 Siehe oben die Ergebnisse von Teil C unter C. IV (S. 92ff.). 36 Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S. 28 ff. trennt hinsichtlich der Auswirkungen der Mitwirkungsvorbehalte auf die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zwischen der Kompetenzpreisgabe des Parlaments an die Exekutive, der Kompetenzanmaßung des Parlaments zu Lasten der Exekutive und der Kompetenzvermischung. Eine Kompetenzpreisgabe zu Lasten des Parlaments kann durch die bloße Einräumung eines Mitwirkungsvorbehalts nicht eintreten (a. a. O., S. 29); das Thema der Kompetenzpreisgabe wird später unten bei E. zu behandeln sein; auf die Kompetenzvermischung wird unter dem Gesichtspunkt der Verantwortungsklarheit (unten D.IV. 3 [S. 121 ff.]) später noch einzugehen sein. 37 Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758). Stefan Studenroth, Einflußnahme des Bundestages auf Erlaß, Inhalt und Bestand von Rechtsverordnungen, DÖV 1995, S.525ff. (S.528f.) vermischt das Thema der Kompetenzüberschreitung mit dem Aspekt, daß dem Gesetzgeber ein Verordnungsrecht unter „falscher Flagge" zuwachsen könnte, also mit Aspekten der Formenstrenge.

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

Soweit sich der Vorwurf darauf bezieht, daß der Bundestag hinsichtlich des Gegenstands der geregelten Materien seine Regelungskompetenzen überschreitet, muß dem entgegengehalten werden, daß - auch wenn der Bundestag die Regelung vollständig an sich zöge - eine solche Kompetenzübertretung nur denkbar wäre, wenn er in den Kernbereich der Exekutive38 eingriffe. Die Zahl der zugriffsfesten Sachbereiche der Regierung ist gering39, wodurch eine Kompetenzüberschneidung unwahrscheinlich wird; entscheidend ist jedoch, daß ein Eindringen des Bundestags mittels Mitwirkungsvorbehalten in den Kernbereich der exekutivischen Regelungsbefugnisse aus zwei weiteren Gründen ausgeschlossen ist. Der Gesetzgeber besäße erstens keine Gesetzgebungskompetenz für Materien, die zum Kernbereich der exekutivischen Selbstbestimmung gehören. Wenn der Gesetzgeber also eine Verordnungsermächtigung schaffen würde, die in den Vörbehaltsbereich der Exekutive eingriffe, dann wäre diese Verordnungsermächtigung unabhängig von ihrer Ausstattung mit Mitwirkungsbefugnissen verfassungswidrig. Zweitens fallen in den Kernbereich der exekutivischen Selbstbestimmung ausschließlich Gegenstände, die einer Regelung durch außenwirksame Normen nicht zugänglich sind40, die also durch Rechts Verordnungen üblicherweise nicht geregelt werden41. Die Möglichkeit, daß der Bundestag durch die Einführung von Mitwirkungsvorbehalten die ihm zustehenden Kompetenzen hinsichtlich der Regelungsmaterie überschreitet, ist also nahezu ausgeschlossen.

38 Zu diesem Begriff bereits oben S. 36. Innerhalb des Kembereichs der Exekutive wären hier der Vorbehaltsbereich der Regierung und der allgemeine Verwaltungsvorbehalt zu unterscheiden (siehe Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rnm. 53 ff.). Die hier relevanten Fragestellungen sind alle dem Bereich des Vorbehaltsbereichs der Regierung zuzuordnen. 39 Meinhard Schröder, Die Bereiche der Regierung und der Verwaltung, in: HStR III, 1988, §67 Rn. 11; Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, §62 Rn.54. 40 Beispiele für den Kernbereich der exekutivischen Selbstbestimmung sind die interne Willensbildung der Regierung (BVerfGE 67, 100 [139] - Rick-Untersuchungsausschuß), die außenpolitischen Kompetenzen, die Personalhoheit und der Initiativbereich, siehe Fritz Ossenbühl, Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes, in: HStR III, 1988, § 62 Rn. 55 f. Vgl. auch Meinhard Schröder, Aufgaben der Bundesregierung, in: HStR II, 1987, § 50 Rn. 15. 41 Nach dem materiellen Verordnungsbegriff (Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein [Hrsg.], Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. IV 3) können auch die Beziehungen des Staates zu seinen Amtsträgem durch Rechtsverordnung geregelt werden. Dieser Anwendungsfall wird hier jedoch außer Betracht gelassen, da die bevorzugte Regelungsform für verwaltungsinterne Vorgänge die Verwaltungsvorschrift ist.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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2. Die Übernahme formeller Regelungsbefugnisse und deren verfassungsrechtliche Folgen Die im Teil C bereits festgestellte Umverteilung der tatsächlichen Sachherrschaft42 durch den Einsatz von Mitwirkungsvorbehalten zeitigt nicht nur Auswirkungen auf die Kompetenzen zur Regelung der Sachmaterie, sondern auch hinsichtlich der Wahrnehmung der formellen Normsetzungskompetenzen. Daraus könnten sich in zweierlei Hinsicht verfassungsrechtliche Probleme ergeben: zum einen in kompetenzrechtlicher Hinsicht, wenn sich der Bundestag einer Regelungsform bedient, die ihm nicht selbst, sondern möglicherweise einem anderen Verfassungsorgan, in diesem Fall dem Verordnungsgeber, zusteht43. Zum anderen könnten diese kompetenzrechtlichen Verschiebungen auch unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, daß die Einführung insbesondere einer intensiveren Mitwirkung des Bundestags am Verfahren des Verordnungsgebung den Rechtsetzungsprozeß so verändert, daß von der Hervorbringung einer neuen Rechtsetzungsform gesprochen werden kann. In diesem Falle wäre zu untersuchen, ob der Grundsatz der Formenstrenge solchen neuen Normsetzungsverfahren entgegenstünde. a) Die kompetenzrechtliche Stellung des Bundestags und des Verordnungsgebers im Verfahren der Verordnungsgebung Welche Regelungsformen dem Bundestag für die Normsetzung zustehen, ergibt sich allgemein aus der Verteilung der Normsetzungsbefugnisse im Grundgesetz und insbesondere aus dem Wesen der delegierten Rechtsetzung. (1) Das Wesen der Delegation Zwar ist für die Verordnungsgebung keine so klare Monopolstellung44 formuliert, wie sie im Gesetzgebungsverfahren in Art. 7711 GG für den Bundestag festgelegt wird. Dort heißt es: „Die Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen". Die Kompetenzen zum Erlaß von Rechtsverordnungen erschließen sich auf anderem Wege: Die in Art. 801 GG genannten Organe können durch Gesetz zum Erlaß von Rechtsverordnungen „ermächtigt" werden. Der Begriff der „Ermächtigung" in Art. 8011 GG bedeutet allerdings, daß die Exekutive durch die gesetzliche Ermächtigung die Rechtsetzungsbefugnis nicht nur „zur Ausübung" übertragen erhält; es 42

Siehe oben die Ergebnisse unter C. IV (S. 92ff.). Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 40f. m. w. N. und Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S. 758) sprechen davon, daß der Bundestag unter falscher Flagge materielle Gesetzgebung praktiziere, wenn er durch einfachen Beschluß die Verordnungsgebung bestimme. 44 Von einer Monopolstellung spricht ausdrücklich Hans-Ulrich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 173. 43

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

findet eine Kompetenzübertragung statt, die dem Ermächtigten erlaubt, im eigenen Namen tätig zu werden 45 . Die Übertragung der Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen schafft zwar insofern eine konkurrierende Kompetenz, als die Legislative die Befugnis zum Erlaß von Rechts Verordnungen jederzeit wieder an sich ziehen kann 46 , indem sie die Rechtsverordnung durch Gesetz außer Kraft setzt und die Materie selbst regelt 47 . Trotzdem entsteht bei dem Delegatar immer eine echte eigene Zuständigkeit 48 . Der Bundestag kann nur Gesetze, keine Rechtsverordnungen erlassen49. Er unterliegt einer subjektbezogenen Delegationssperre. Wenn er in durch Rechtsverordnung geregelte Materien eingreift oder selbst Rechtsverordnungen erläßt, dann geschieht dies immer in Gesetzesform50. Hinsichtlich der Re45 Grundlegend bereits Heinrich Triepel, Empfiehlt es sich, in die Reichsverfassung neue Vorschriften über die Grenzen zwischen Gesetz und Rechtsverordnung aufzunehmen?, in: Verhandlungen des 32. Deutschen Juristentags Bamberg, 1922, S. 11 ff. (S.21) und später: ders., Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S.28. Siehe außerdem Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. II. 3. a); siehe auch Friedrich Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S.7ff. (S.46f.); Ulrich Ramsauer, Alternativkommentar, 2. Aufl., 1989, Art. 80 Rn.40; Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S. 347). 46 Heinrich Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S. 53 f. spricht von einer „konservierenden Delegation", die allerdings Wirkungen wie eine echte besäße. Nach Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, § 64, S. 387 ff., Rn. 14 m. w. N. bleibt das Parlament jederzeit „Herr der Gesetzgebung". Vgl. femer Brun-Otto Bryde, in: v.Münch/ Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn.5 und Friedrich Klein, Verordnungsermächtigungen nach deutschem Verfassungsrecht, in: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten (Hrsg.), Die Übertragung rechtsetzender Gewalt im Rechtsstaat, 1952, S. 7ff. (S.46). Zu den Begriffen „Delegation" und „Ermächtigung" siehe auch Hans-Ulrich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 108 f. 47 Vgl. Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. II. 3. a) m. w. N.; Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnungen, in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl., 1995, § 6 I V 2 Rn. 15 (S. 126). Jürgen Staupe, Parlamentsvorbehalt und Delegationsbefugnis, 1986, S. 172 spricht von „derivativen" Kompetenzen, die das Parlament jederzeit zurücknehmen könne. 48 Vgl. Heinrich Triepel, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S.28, 54f. und Hans-Ulrich Karpen, Die Verweisung als Mittel der Gesetzgebungstechnik, 1970, S. 108 f. 49 Manfred Lepa, Verfassungsrechtliche Probleme der Rechtsetzung durch Rechtsverordnung, AöR 105 (1980), S. 337 ff. (S.349); Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Stand: Okt. 1996, Art. 80 Rn. 60; Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758); Klaus Stern, Staatsrecht, Bd.II, 1980, § 38 II 4 (S.665). Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 26 spricht davon, daß „Bundestagsverordnungen" dem Grundgesetz unbekannt und daher unzulässig seien. Siehe zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch BVerfGE 22, 330 (346) - Milch- und Fettgesetz II - und BVerfGE 24, 184 (199) - Apostillenverfahren. 50 Siehe zum Beispiel den Einigungsvertrag vom 31. August 1990, Anh. II, Kap. IV Abschn. III Nr. 3 (BGBl. II, S. 1199). Zur Einzigartigkeit des Verfahrens im Einigungsvertrag siehe auch Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 194.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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gelungs/orm Rechtsverordnung würde der Gesetzgeber in den Aufgaben- und Regelungsbereich der Exekutive eindringen, wenn er selbst im Verfahren der Verordnungsgebung eine Rechtsverordnung erlassen würde 51 . Die verfassungsrechtlich zulässige „Konkurrenz" erstreckt sich also nur auf die Befugnis zur Regelung der Sachmaterie. Schon aus dem Wesen der delegierten Rechtsetzung folgt also, daß der Erlaß von Normen im Rang unterhalb des Gesetzes zum Aufgaben- und Kompetenzbereich der Exekutive gehört 52 und daß derjenige, der delegiert (der Delegant), sich nicht schon aufgrund seines Rechts zur Kompetenzübertragung der Form bedienen darf, deren Nutzung er aufgrund der Delegation dem Delegatar überlassen hat.

(2) Art. 8 0 1 1 GG und Selbstdelegation Ob der Bundestag eine Materie an sich selbst delegieren darf oder nicht, hängt, wie Kisker53 zutreffend feststellt, nicht davon ab, ob der Bundestag zum Kreis der Erstdelegatare54 gemäß Art. 801 GG gehört. Art. 801 GG regelt die Delegation an Organe außerhalb des Bundestags und ist deshalb nicht die einschlägige Norm 5 5 . Ließe man die Selbstdelegation zu, so könnte der Bundestag insgesamt die Aufgabe der Verordnungsgebung übernehmen56, was jedoch - wie soeben dargestellt - nicht zulässig ist 57 . 51

In BVerfGE 22,330 (346) - Milch- und Fettgesetz II - formuliert das Bundesverfassungsgericht explizit, daß es dem Bundestag verwehrt sei, Rechtsverordnungen zu erlassen. Auch Rainer Lippold, Erlaß von Verordnungen durch das Parlament und Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts durch Schweigen?, ZRP 1991, S.254ff. (S.255f.) schließt den Erlaß von Rechtsverordnungen durch den Bundestag ohne weiteres aus, da das Parlament nur in Gesetzesform handeln könne. 52 BVerfGE 22, 330 (346) - Milch- und Fettgesetz II. 53 Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S.35. 54 Der Kreis der genannten Erstdelegatare ist (auch nach dem Wortlaut des Art. 801 GG) abschließend; siehe Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, § 64 Rnrn. 24 ff., Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. V 1 a), Silke Thomsen, Rechtsverordnungen unter Änderungsvorbehalt des Bundestages?, DÖV 1995, S. 989 ff. (S. 993) und Karl August Bettermann, Legislative ohne Posttarifhoheit, 1967, S.5. Wilhelm Henrichs, Art. 113 des GG und verwandte Bestimmungen, 1958, S. 289, schließt mit dem Blick auf die abschließende Regelung des Art. 801 GG Rechtsverordnungen des Bundesrats aus. Vgl. zum Kreis der möglichen Erstdelegatare auch BVerfGE 8, 155 (163) - Lastenausgleich; BVerfGE 11, 77 (84) - Milch- und Fettgesetz I; BVerfGE 15, 268 (271)-Tierzuchtgesetz. 55 Rainer Pietzner, Petitionsausschuß und Plenum, 1974, S.64 und 80. 56 Hans Heinrich Rupp, Rechts Verordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S.756ff. (S.758). 57 So die h. M. bei Theodor Maunz, in: Maunz/Dürig/Herzog, Grundgesetz, Stand: Okt. 1996, Art. 80 Rn. 60 m. w. N.; BVerfGE 22, 330 (346) - Milch- und Fettgesetz II; implizit auch BVerfGE 2, 237 (255) - Hypothekensicherungsgesetz.

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

(3) Die tatsächliche Sachherrschaft als Merkmal für die Überschreitung von Kompetenzbereichen Der Bundestag tritt im Verfahren der Verordnungsgebung nicht formell als Verordnungsgeber auf. Welche Kompetenzen er tatsächlich wahrnimmt, muß daher anhand der für den Erlaß von Rechtsverordnungen wesentlichen materiellen Kriterien bestimmt werden58. Wenn der Bundestag selbst den Normtext aufstellt sowie das Inkraftsetzen der Norm veranlassen oder verhindern kann, dann wird er zum faktischen Verordnungsgeber, neben dem der Delegatar keinen eigenen Handlungsspielraum mehr besitzt. Die Verteilung der tatsächlichen Sachherrschaft bei der Verordnungsgebung wird also zum Maßstab für mögliche Kompetenzkonflikte zwischen dem Bundestag und dem Verordnungsgeber. Dies wird zu untersuchen sein (siehe unten c).

b) Der Grundsatz der Formenstrenge Staatliches Handeln wäre weder meßbar noch vorhersehbar, wenn es nicht formgebunden wäre59. Deshalb ist dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 1,20 III GG) die Formenstrenge oder „Formenaskese"60 als eigenständiger Grundsatz61 zu entnehmen, der staatliche Organe daran hindert, sich je nach Bedarf neue rechtliche Handlungsformen zurechtzulegen. Durch die Bindung an Formen und damit auch an die Verfahren zur Hervorbringung dieser Formen wird außerdem die Kompetenz- und Funktionenordnung des Staates gesichert. Erst so werden auch die Ergebnisse staatlicher Entscheidungsprozesse überprüfbar62. Somit besteht ebenfalls eine enge Verknüpfung zwischen dem Grundsatz der Formenstrenge und den übrigen rechtsstaat58 Zu den wesentlichen Elementen der Verordnungsgebung schon oben S.57f. Siehe insbesondere Hans-Christian Kersten, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S. 39 f.; Heribert Kiefer, Die Mitwirkung des Parlaments bei Rechtsverordnungen, 1959, S. 26ff., S. 33 ff.; Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 85 ff. 59 Dazu Paul Kirchhof Mittel staatlichen Handelns, in: HStR III, 1988, §59 Rn.40: „Der Rechtsstaat erhält in der Form sein Maß." 60 Hans F. Zacher, Verwaltung durch Subventionen, VVDStRL 25 (1967), S. 308 ff. (S. 393). 61 Die Übersicht bei Christian Graf von Pestalozza, »formenmißbrauch" des Staates, 1973, S.27ff. zeigt, daß auch bei dem mit dem Prinzip der Formenstrenge verbundenen Thema des Formenmißbrauchs die Literatur und die Rechtsprechung den Schutz der normierten Handlungsformen als eigenständigen Grundsatz neben anderen rechtsstaatlichen Grundsätzen begreifen. Im übrigen kann die Frage, ob die Formenstrenge einen eigenständigen Grundsatz darstellt, dessen Verletzung allein schon das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nach sich zieht oder nicht (siehe zu dieser Frage a. a. O.), dann dahingestellt bleiben, wenn die untersuchte staatliche Handlung gegen andere rechtsstaatliche Grundsätze verstößt. Darauf wird sogleich zurückzukommen sein. 62 Christian Graf von Pestalozza, „Formenmißbrauch" des Staates, 1973, S.4; siehe auch Paul Kirchhof Mittel staatlichen Handelns, in: HStR III, 1988, § 59 Rnrn. 40ff.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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liehen Grundsätzen63. Kompetenzüberschreitungen besitzen auch Indizfunktion für die Überschreitung der Grenzen des möglichen Inhalts der im Grundgesetz geregelten Rechtsetzungsformen Gesetz und Rechtsverordnung. Als Folge der Formbindung staatlichen Handelns kann zunächst festgehalten werden, daß Regelungsformen, die sich genau zwischen den grundgesetzlich vorgesehenen Rechtsinstituten bewegen, einer besonderen Rechtfertigung bedürfen. Auch von den Autoren, die Rechtsverordnungen in Verbindung mit Mitwirkungsvorbehalten ausdrücklich als neue „dritte Form der Rechtsetzung" für zulässig halten, wird ein solcher Rechtfertigungsbedarf gesehen64. Grundsätzlich sind auch Rechtsverordnungen, die unter Mitwirkung anderer Verfassungsorgane Zustandekommen, sowohl nach dem überkommenen65 als auch nach dem herrschenden Verordnungsbegriff66 als Rechtsverordnungen und nicht als Gesetze zu betrachten, da der Mitwirkungsakt des Parlaments immer nur Bestandteil der Verordnung wird67. Entsprechend ist der parlamentarische Mitwirkungsakt selbst keine parlamentarische Rechtsetzung, sondern nur Beteiligung an der Rechtsetzung der Exekutive68. c) Die kompetenzrechtlichen Auswirkungen der Übernahme der formellen Regelungsbefugnisse bei einzelnen Mitwirkungsvorbehalten Im folgenden wird zu untersuchen sein, ob die kompetenzrechtlichen Wirkungen mancher Mitwirkungsvorbehalte dazu führen, daß der Gesetzgeber in den Kompetenzbereich des Verordnungsgebers eindringt und ob die Schwelle der einfachen Be63

Auf die Grundsätze der Verantwortungsklarheit, der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns wird später noch einzugehen sein. Siehe unten D.IV. 3 (S. 121 ff.) und D. IV. 4 (S. 126 ff.). 64 Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, §64 Rn.56 spricht davon, daß eine dritte Form der Rechtsetzung notwendig geworden sei, weil der eingetretene Regelungsbedarf „weder (allein) durch ein förmliches Gesetz noch (allein) durch eine Rechtsverordnung sachgerecht erfüllt werden" könne. 65 Vgl. Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 11 und Klaus Stern, Staatsrecht, Bd.II, 1980, §38I4a) (S.653), jeweils m.w.N. 66 Trotz der uneinheitlichen Behandlung der einzelnen Abgrenzungskriterien setzt sich allmählich ein formalisierter Verordnungsbegriff durch, siehe Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 14 m. w. N. in Fn. 56. 67 Dieter Wilke, Bundesverfassungsgericht und Rechtsverordnungen, AöR 98 (1973), S. 196 ff. (S.204f.) m.w.N.; siehe auch Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 202; vgl. außerdem trotz der Differenzen auf der materiellen Ebene auch Klaus Grupp, Zur Mitwirkung des Bundestages bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1974, S. 177ff. (S. 178f.). 68 Hermann Hill, Das fehlerhafte Verfahren und seine Folgen im Verwaltungsrecht, 1986, S. 67; Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 195.

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

teiligung des Bundestags so weit überschritten wird, daß von einer neuen (dritten) Form der Normsetzung zu sprechen wäre. (1) Zustimmungs vorbehält Bei den einfachen Zustimmungsvorbehalten kann der Bundestag lediglich das Inkrafttreten der Rechtsverordnung verhindern. Unabdingbares Element der Verordnungsgebung ist neben der Ausstattung der Norm mit Rechtsverbindlichkeit auch die inhaltliche Gestaltung ihres Regelungsgehalts69. Entsprechend sieht das Bundesverfassungsgericht den „Charakter" der Rechtsverordnung insbesondere dann noch gewahrt, wenn ein Gesetzgebungsorgan zwar seine Zustimmung erteilen oder verweigern darf, aber nur geringen Einfluß auf den Inhalt der Norm ausüben kann70. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Ohne Einflußnahme auf den Inhalt der Rechtsverordnung vermag der Bundestag keine so umfassende Sachherrschaft über die zu erlassende Norm zu erlangen, daß er die Funktionen eines Verordnungsgebers wahrnehmen könnte71. Der Bundestag kann daher durch Wahrnehmung von einfachen Zustimmungsvorbehalten nicht die Kompetenzen eines Verordnungsgebers übernehmen72. Bei den Zustimmungsvorbehalten bleiben - ungeachtet ihrer Wertigkeit - alle Elemente, die den formalen Verordnungsbegriff ausmachen (Veröffentlichungsart, Verordnungsgeber, erkennbare Berufung auf eine Verordnungsermächtigung), erhalten. Sie belassen außerdem noch ein solches Maß an Regelungskompetenz beim Verordnungsgeber, daß keine Beeinträchtigungen der grundsätzlichen Kompetenzverteilung zu befürchten sind, die das Grundgesetz mit der Einführung der beiden Normsetzungsverfahren Gesetzgebung und Verordnungsgebung festgelegt hat73. 69 Vgl. auch Albert Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978, S. 112f. und Mathias Lichtenhahn, Besondere parlamentarische Kontrollen bei Rechtsverordnungen der Bundesregierung, 1967, S. 86. 70 BVerfGE 2, 237 (255) - Hypothekensicherungsgesetz. 71 Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 8, 274 [322] - Preisgesetz), die Zustimmung des Bundestags stelle eine bloße Beteiligung an der Rechtsetzung, nicht aber einen Akt der Rechtsetzung selbst dar, ist in dem Moment nur von begrifflicher Bedeutung, in dem es um die Frage der kompetenzrechtlichen Auswirkungen einer Mitwirkung geht, die über Erlaß oder Nicht-Erlaß einer Rechtsverordnung entscheidet. Dazu auch Gunter Kisker, Zulässigkeit und Konsequenzen einer Mitwirkung des Parlaments beim Erlaß von Rechtsverordnungen, in: Schule im Rechtsstaat, Bd. II, Gutachten für die Kommission Schulrecht des Deutschen Juristentages, 1980, S.29f. 72 Zu beachten ist allerdings, daß der Bundestag die einfachen Zustimmungsvorbehalte durch Abgabe einer Maßgabezustimmung in ein Instrument zur inhaltlichen Einflußnahme ummünzen kann, siehe Hans-Christian Kersten, Die Übertragung rechtsetzender Gewalt unter Zustimmungsvorbehalten, 1964, S.40 und Arnd Ohle, Parlament und Rechts Verordnung, 1999, S. 435. Siehe dazu auch oben S. 64 Fn. 46. 73 Anders Arnd Uhle, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S.432, der allgemeiner auf das Kriterium der parlamentarischen Letztentscheidung abstellt.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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Die materielle Entscheidungsmacht deckt sich trotz der Vetomöglichkeit des Bundestags noch in einem solchen Maße mit der formellen Stellung des Verordnungsgebers, daß nicht die Rede davon sein kann, daß es sich bei den Zustimmungsverordnungen um eine „neue dritte Form der Rechtsetzung" (so Fritz Ossenbühl74) oder nach Klaus Grupps Ansicht um „Parlamentsgesetze niederen Ranges"75 handelt. Daher kann mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts76 ein Rückschluß a majore ad minus von der vollen Delegation auf die Verfassungsmäßigkeit der einfachen Zustimmungsvorbehalte in kompetenzrechtlicher Hinsicht gezogen werden.

(2) Kassationsvorbehalt Im Bereich der Kassationsvorbehalte kann der Bundestag nur nachträglich auf die Rechts Verordnungen zugreifen. Damit fehlt es ebenso wie bei den einfachen Zustimmungsvorbehalten bei den Kassationsvorbehalten an den Möglichkeiten zur Einflußnahme auf den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung, wenn man einmal von den Vorwirkungen einer möglichen Kassation absieht, die allerdings schwer meßbar sind77. Wie soeben bei den Zustimmungsvorbehalten gezeigt, ist die Gestaltung des Norminhalts ein wesentlicher Bestandteil der Kompetenz zum Erlaß von Rechtsverordnungen. Folglich kann die Ausübung eines nachträglichen Kontrollrechts ebensowenig wie die Kassation von Rechtsnormen durch das Bundesverfassungsgericht als Beteiligung an der Normsetzung bezeichnet werden. Parallel zur kompetenzrechtlichen Wertung kann damit auch festgehalten werden, daß der Gesetzgeber, wenn er sich die Kassation einer Rechts Verordnung vorbehält, keine neue Regelungsform schafft. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Formenstrenge ist daher nicht zu befürchten78.

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Rechtsverordnung, in: HStR III, 1988, § 64 Rn. 56 und ders.y Gesetz und Verordnung im gegenwärtigen Staatsrecht, ZG 1997, S. 305 ff. (S.314: „neue Kategorie", S.319: „neue kombinierte Regelungsform"). 75 Klaus Grupp, Zur Mitwirkung des Bundestages bei dem Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1974, S. 177 ff. (S. 178 f.) sieht die Zustimmungsverordnungen noch als Rechtsverordnungen im formellen Sinne an. 76 BVerfGE 8, 274 (321) - Preisgesetz. 77 Siehe oben C. II. 2. b) (2) (S. 62). 78 Anders Claus Pegatzky, Parlament und Rechtsverordnung, 1999, S. 147 ff. mit der Grundannahme, daß parlamentarische Handlungsformen über den Wortlaut des Grundgesetzes nicht hinausgehen dürften (a.a.O., S. 149).

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

(3) Fakultativer Änderungsvorbehalt Die im Vergleich zu den obligatorischen Änderungsvorbehalten nicht so häufig verwendeten fakultativen Änderungsvorbehalte79 gewähren zwar dem Bundestag die Möglichkeit, die zu erlassende Rechtsverordnung inhaltlich zu prägen, sie lassen dem Verordnungsgeber jedoch den Ausweg, eine Rechtsverordnung, mit deren Änderung durch den Bundestag er nicht einverstanden ist, nicht zu erlassen80. Damit verbleibt dem Verordnungsgeber trotz des wesentlichen Einflusses des Bundestags auf den Inhalt der zu erlassenden Rechtsverordnung eine letzte Möglichkeit, seine Kompetenz zum Erlaß von Rechtsverordnungen vor einer vollständigen Übernahme durch den Bundestag als Verordnungsgeber zu schützen. Da die Feststellung des Norminhalts und die Entscheidung über das „Ob" des Erlasses der Norm gleichbedeutend sind81, greifen die fakultativen Änderungs vorbehalte noch nicht in den Kompetenzbereich des Verordnungsgebers ein; sie stehen jedoch an der Schwelle zur Übernahme der Funktionen der Verordnungsgebung durch den Bundestag. Rechtsverordnungen, die an einfache Änderungsvorbehalte gebunden sind, werden von einem Verordnungsgeber erlassen, der noch wesentlichen Einfluß auf den Erlaß der Rechtsverordnung nehmen kann. Eine solche Rechtsverordnung kann also noch im Sinne eines materiellen Verordnungsbegriffs als eine „von der Exekutive erlassene" Rechtsnorm82 bezeichnet werden. Die Kompetenzen des Verordnungsgebers im formellen Sinne, also desjenigen, der die Rechtsverordnung erläßt, besitzen noch so viel Substanz, daß auch der formalisierte Verordnungsbegriff angewendet werden kann. Da die einfachen Änderungsvorbehaltsverordnungen noch klar als Rechtsverordnungen eingeordnet werden können, genügen sie auch dem Grundsatz der Formenstrenge. (4) Obligatorische Maßgabezustimmung und Änderungsvorbehalt Weiterreichend sind die verfassungsrechtlichen Auswirkungen der obligatorischen Änderungsvorbehalte sowie der Maßgabezustimmungen, die mit einer Ermessensreduzierung seitens des Verordnungsgebers einhergehen. Wie oben bereits gezeigt83, erreicht dort der Bundestag eine Stellung im Verfahren zum Erlaß von Rechtsverordnungen, die ihm im Konfliktfall erlaubt, sowohl den Inhalt als auch den 79 Derzeitfinden sich fakultative Änderungsvorbehalte nur in § 292IV HGB und §§ 61 und 7 I Nm. 1 und 2 KrW-/AbfG. Siehe dazu auch die Untersuchung oben unter C. II. 4. b) (S. 73 ff.) und die Ergebnisse unter C. II. 4. c) (S. 85). 80 Siehe zu diesem Aspekt oben auf S.95 das Ergebnis von Teil C. 81 Siehe oben S.61. 82 Jörg Lücke, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Aufl., 1999, Art. 80 Rn. 11. 83 Siehe oben S. 64f. hinsichtlich der Maßgabebeschlüsse und S.67ff. bezüglich der Änderungsvorbehalte.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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Erlaß einer Rechtsverordnung gänzlich selbst zu bestimmen84. Der Verordnungsgeber müßte, um sich durchzusetzen, entweder gegen die Bindung an die Zustimmung des Bundestags hinsichtlich des Erlasses der Verordnung oder an den Änderungsvorschlag des Bundestags hinsichtlich des Regelungsgehalts der Verordnung verstoßen. Hinzu kommt, daß der Verordnungsgeber durch die Verordnungsermächtigung oder aufgrund einer Reduzierung seines Erschließungsermessens ebenso wie zur Verkündung der Rechtsverordnung auch dazu verpflichtet sein kann, sein Initiativrecht auszuüben85. Dem Ermächtigungsadressaten bleibt dann nur noch die Aufgabe, die Rechtsverordnung zu verkünden86. Bis auf die bloße Verkündung der Rechtsverordnung könnte der Bundestag also die Tätigkeit des eigentlichen Verordnungsgebers vollständig ersetzen oder die Regelungsform „Rechtsverordnung" übernehmen. Ein ebenso einfaches wie treffendes Beispiel liefert Nierhaus87 für Verordnungen, mittels derer der Verordnungsgeber die Höhe der DeckungsVorsorge gemäß §§ 19,201 UmweltHG festsetzen will. Die Änderungsbefugnis aus §20 UmweltHG würde es dem Bundestag bei abweichender Einschätzung des Risikopotentials freistellen, die entsprechenden Summen auch gegen den Willen des Verordnungsgebers nach Belieben zu verdoppeln. Die obligatorischen Änderungsvorbehalte oder Maßgabezustimmungen mit Ermessensreduzierung lassen den Bundestag de facto zum Verordnungsgeber werden88. Diese Mitwirkungsvorbehalte können daher als verdrängende (oder substituierende) Mitwirkungsvorbehalte bezeichnet werden. Der kompetenzverdrängende Charakter der obligatorischen Änderungsvorbehalte und Maßgabezustimmungen legt die Vermutung nahe, daß sie sich auch unter dem Gesichtspunkt der Formenstrenge stark von den anderen Mitwirkungsvorbehalten unterscheiden. 84 Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S. 434ff. (S. 438) spricht davon, daß sich der Bundestag in den Fällen, in denen der Verordnungsgeber nicht mehr die Wahl hat, ob er von der Ermächtigung Gebrauch macht oder nicht, im Grunde eine Selbstermächtigung erteilt. 85 Vgl. zu den ermessensreduzierenden Faktoren oben C.II.4.a) (S.68ff.). 86 Siehe auch Silke Thomsen, Rechtsverordnungen unter Änderungsvorbehalt des Bundestages?, DÖV 1995, S. 989ff. (S.993). 87 Michael Nierhaus, in: Dolzer (Hrsg.), Bonner Kommentar, Stand: Nov. 1998, Art. 80 Rn. 199. 88 Zum gleichen Ergebnis hinsichtlich der Änderungs vorbehalte kommen: Hans Heinrich Rupp, Rechtsverordnungsbefugnis des Deutschen Bundestages?, NVwZ 1993, S. 756ff. (S.758), Olaf Konzak, Die Änderungsvorbehaltsverordnung als neue Mitwirkungsform des Bundestages beim Erlaß von Rechtsverordnungen, DVB1.1994, S. 1107ff. (S. 1110f.), Claus Pegatzky, Parlament und Verordnungsgeber, 1999, S. 153 und wohl auch Silke Thomsen, Rechtsverordnungen unter Änderungsvorbehalt des Bundestages?, DÖV 1995, S. 989ff. (S. 991 f.), die schreibt, daß im Rahmen von Änderungsvorbehalten eine Kompetenzzuweisung an die Exekutive nur noch formal erfolge. Differenzierter Karl-Peter Sommermann, Verordnungsermächtigung und Demokratieprinzip, JZ 1997, S. 434ff. (S.438) hinsichtlich der obligatorischen Änderungsvorbehalte.

8 Schmidt

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D. Die Bewertung der Mitwirkungsvorbehalte

Wie eben gezeigt, erzeugen die verdrängenden Mitwirkungsvorbehalte eine Differenz zwischen der formellen Stellung des Bundestags im Verfahren der Verordnungsgebung und dem Inhaber der tatsächlich ausgeübten Normsetzungsgewalt. Als Verordnungsgeber im formellen Sinne gilt das Organ, das durch gesetzliche Ermächtigung im Rahmen des Art. 801 GG die Befugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen erhält89. Diese Stellung nimmt der Bundestag nicht für sich in Anspruch, da Verordnungsgeber im formellen Sinne immer noch die Delegatare bleiben. Wenn man nur auf die Bezeichnung als „Rechtsverordnung" abstellt, dann wären die Normen, die durch den Einsatz der verdrängenden Mitwirkungsvorbehalte Zustandekommen, immer noch als Rechtsverordnungen einzustufen. Der Bundestag, der sich durch Mitwirkungsvorbehalte einen verdrängenden Einfluß im Verfahren der Verordnungsgebung sichert, kann materiell fast alle Aufgaben eines Verordnungsgebers übernehmen, ohne sich formell diese Stellung anzueignen. Wenn der Unterschied zwischen Rechts Verordnung und Gesetz gerade darin liegt, daß im einen Fall die Exekutive und im anderen Fall die Legislative normsetzend tätig werden90, dann ist im Fall der verdrängenden Mitwirkungsvorbehalte eher die Legislative als die Exekutive normsetzend tätig geworden. Der Anwendung des materiellen Verordnungsbegriffs91 ist damit der Boden entzogen. Soweit man sich im Sinne eines formalisierten Verordnungsbegriffs92 zur Abgrenzung der Rechtsverordnungen von den übrigen Normen auf die „Wahrnehmung delegierter Rechtsetzungskompetenz"93 als Definitionsmerkmal beruft oder es als ausreichend ansieht, wenn die Exekutive als Autor der Norm erkennbar ist94, dann sollte beachtet werden, daß mittels der verdrängenden Mitwirkungs vorbehalte die Stellung des Delegatars sehr weit ausgehöhlt werden kann. Auch ein formalisierter Verordnungsbegriff ist nicht völlig unabhängig von der materiellen Ausfüllung der Formen, auf die er sich stützt95. Die Bezeichnung der Kompetenz zum Erlaß von Rechtsverordnungen als „delegierte" Kompetenz besitzt in dem Moment keinen wesentlichen Gehalt mehr, wenn die „Delegation" letztendlich eine Selbstdelegation 89

Albert Hüser, Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften an dem Erlaß von Rechtsverordnungen, 1978, S. 112ff. mißt den Rechtscharakter der Mitwirkungshandlung an der Rechtsnatur der Delegation und an der Urheberschaft, die er allerdings normativ bestimmt: Urheber ist, wer Urheber sein darf. 90 Dieter Wilke, in: v. Mangoldt/Klein (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd. III, 2. Aufl., 1974, Art. 80 Anm. IV1 m. w. N. 91 Dieter Wilke, a. a. O., Art. 80 Anm. IV 3). 92 Siehe die Zusammenstellung bei Hartmut Bauer, in: Dreier (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. II, 1998, Art. 80 Rn. 14 Fn. 56. 93 Thomas v. Danwitz, Die Gestaltungsfreiheit des Verordnungsgebers, 1989, S.26. 94 Brun-Otto Bryde, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 80 Rn.8. 95 Das Bundesverfassungsgericht verlangt in BVerfGE 91, 148 (166) - Umlaufverfahren - daß demjenigen, der formell als Urheber einer Norm ausgewiesen ist, der Normsetzungsvorgang auch materiell zugerechnet werden können muß.

IV. Rechtsstaatliche Anforderungen an die Mitwirkungsvorbehalte

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ist96. Die Exekutive, die weder das „Ob" noch das „Wie" des Erlasses einer Rechtsverordnung mehr bestimmen kann, kann auch nicht mehr als „Autor" dieser Norm bezeichnet werden. Wenn also wie bei den verdrängenden Mitwirkungsvorbehalten genau die Begriffe, auf die sich die formalisierte Definition der Rechtsverordnung stützt, ihres materiellen Gehalts beraubt sind, dann schlägt die materielle Gestaltung des Verfahrens auf den formalisierten Verordnungsbegriff durch: Verordnungen, die unter Wahrnehmung verdrängender Mitwirkungsvorbehalte Zustandekommen, können auch im formellen Sinne nicht mehr als Rechts Verordnungen bezeichnet werden. Auch der Gesetzgebung im Sinne der Art. 77 GG kann die Verordnungsgebung durch verdrängende Mitwirkungsvorbehalte nicht zugeordnet werden97, weil weder das Verfahren noch die entstehende Norm dem insofern verbindlichen und abschließenden Gesetzgebungsverfahren entsprechen. Da das Grundgesetz außer dem Erlaß von Rechtsverordnungen durch die Verordnungsgeber des Art. 801 GG und der Verabschiedung von Gesetzen nach Art. 77 ff. GG keine andere Form der Setzung von allgemeinverbindlichen Rechtsnormen kennt98, sind die verdrängenden Mitwirkungsvorbehalte als „