Die Behandlung Straffälliger: Teilband 1: Inhaltliche und methodische Probleme der Behandlungsforschung [1 ed.] 9783428461301, 9783428061303

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Die Behandlung Straffälliger: Teilband 1: Inhaltliche und methodische Probleme der Behandlungsforschung [1 ed.]
 9783428461301, 9783428061303

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HELMUT KURY

Die Behandlung Straffälliger Teilband 1

STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. H.-H. Jesmelk und Prof. Dr. G. Kaiser

Band 9

Die Behandlung Straffälliger Teilband 1: Inhaltliche und methodische Probleme der Behandlungsforschung

Von

Helmut Kury

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Kury, Helmut: Die Behandlung Straffälliger I von Helmut Kury. Berlin: Duncker und Humblot (Strafrecht und Kriminologie; Bd. 9) ISBN 3-428-06129-2 NE:GT Teilbd. 1. Inhaltliche und methodische Probleme der Behandlungsforschung. - 1986 ISBN 3-428-06130-6

Alle Rechte vorbehalten

@ 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Satz: Werksatz Marschall, Berlin 45; Druck: W. Hlldebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3-428-06129-2 (Gesamtausgabe) ISBN 3-428-06130-6 (Bd. I)

Vorwort

Während die Behandlungsforschung in den Vereinigten Staaten, insbesondere als Evaluation von vor allem in stationären Einrichtungen, wie dem Strafvollzug, durchgeführten Resozialisierungsprogrammen bereits auf eine große Erfahrung zurückblicken kann, kam sie in der Bundesrepublik erst Anfang der 70er Jahre in Gang. Wesentlich beeinflußt und getragen wurde sie hier durch umfangreiche Untersuchungen der Forschungsgruppe Kriminologie des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht. Am Anfang der hier durchgeführten Evaluationsstudien stand das Behandlungsforschungsprojekt zur Wirkung psychotherapeutischer Resozialisierungsmaßnahmen bei jugendlichen und heranwachsenden Untersuchungshäftlingen, dessen Ergebnisse in Teilband zwei der Veröffentlichung vorgelegt werden. Das Projekt, das das im deutschsprachigen Bereich bisher umfangreichste und am breitesten angelegte Vorhaben zu dieser Thematik in der Kriminologie darstellt, wurde 1974 konzipiert. 1975 wurde für das Schwerpunktprogramm "Empirische Kriminologie einschließlich Kriminalsoziologie" der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Antrag formuliert. Ab 1976 wurde die Untersuchung für drei Jahre von der DFG (mit)finanziert. Nur dadurch war die breite Anlage des Forschungsvorhabens möglich. Die weiteren Untersuchungen zur Behandlungsforschung am Freiburger Max-Planck-Institut konnten auf den Vorarbeiten der vorliegenden Studie aufbauen. Diese umfangreiche Untersuchung war nur durch die tatkräftige Unterstützung zahlreicher Institutionen und Einzelpersonen möglich. Auch auf die Gefahr hin, den einen oder anderen aus Versehen nicht zu berücksichtigen, möchte ich dennoch einer Reihe von Einrichtungen und insbesondere auch Einzelpersonen für ihre tatkräftige Hilfe danken. Mein besonderer Dank gilt dem Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg und Leiter der Forschungsgruppe Kriminologie, Professor Dr. G. Kaiser, für seine stets großzügige Unterstützung, welche die Durchführung des Projekts überhaupt erst ermöglichte. Weiterhin danke ich den Mitgliedern der Forschungsgruppe Kriminologie sowie der sich im Rahmen der Projektarbeit allmählich bildenden Arbeitsgruppe Behandlungsforschung für die in zahlreichen Diskussionen zu Planung und Ausführung des Projekts gemachten Anregungen.

Vorwort

Den früheren Projektmitarbeitern, Dipl.-Psych. B. Busch, Dipl.-Psych. Th. Deutschbein, Dipl.-Psych. H. Dinse, Referendar Dr. R. Fenn und Dipl.-Soz. G. Spieß, danke ich für die Mithilfe bei der Konzeption und Ausführung einzelner Projektschritte sowie bei der Auswertung der angefallenen Daten und der Zusammenstellung der Ergebnisse. Dank gebührt auch den zahlreichen wissenschaftlichen Hilfskräften, die bei der Datenerhebung und deren Übertragung auf EDV -lesbare Datenträger mitgeholfen haben. Das in der Untersuchung evaluierte Behandlungsprogramm wurde vom Wissenschaftlichen Institut des Freiburger Jugendhilfswerkes (WI-JHW) in eigener Verantwortung geplant und durchgeführt. Lediglich bei der Konzipierung und Erstellung des verhaltenstherapeutischen Modellernprogramms half der Autor mit. Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang dem früheren Leiter des WI-JHW, Professor K. Härringer, sowie den (damaligen) Mitarbeitern, Dr. F.-J. Blumenberg, Dr. H. Pie Im eier und vor allem Dipl.Psych. H. Wetzstein als Projektverantwortlichem von seiten des WI-JHW. In diesem Zusammenhang danke ich insbesondere auch den Leitern und Mitarbeitern der Untersuchungshaftanstalten in Freiburg, Rastatt und Mannheim, vor allem den betroffenen Untersuchungshäftlingen, und, was die Nachbefragung nach Haftentlassung betrifft, auch den Bewährungshelfern für die geduldige Mitarbeit bei der Datenerhebung. Für die kritische Durchsicht des Manuskripts danke ich vor allem Professor Dr. F. Buggle, Professor Dr. Dr. U. Koch, Dr. R. Ortmann und Dipl.-Päd. Dr. H. Lerchenmüller. Schließlich danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die eine großzügige Sachbeihilfe zur Verfügung gestellt hat, welche die breite Anlage des Forschungsvorhabens ermöglichte. Hannover, im März 1986

Helmut Kury

Inhaltsverzeichnis 1.

Einleitung

.............................................. .

11

A. Fragen und Probleme der Behandlung im Strafvollzug bzw. bei Straffälligen 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5

2.6 3. 3.1 3.2 3.3

4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6

4.7

4.8 4.9

Entwicklung des Behandlungsvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland ..........................•..................

Strafrechtspolitische Durchsetzung des Behandlungsvollzugs ... . Implementation des Behandlungskonzeptes ................. . Die Entwicklung in der Psychotherapie und die Behandlung Straffälliger ............................................. . Therapiekonzeption der Sozialtherapie ..................... . Mangelnde theoretische Begründung der Behandlungsansätze bei Straffälligen ............................................. . Zusammenfassung ....................................... . Kritische Diskussion des Behandlungsansatzes bei Straffälligen aufgrund vorliegender Forschungsergebnisse ................ .

Kontroverse Diskussion zur Behandlung im Strafvollzug bzw. Straffälliger im Ausland ...................................... . Kritik am Behandlungsvollzug in der Bundesrepublik ......... . Zusammenfassung ....................................... .

Diskussion einiger wesentlicher, einen Behandlungserfolg beeinträchtigender Variablen .................................. .

Institutionelle Grenzen einer Behandlung im Strafvollzug ..... . Der Zielkonflikt ......................................... . Therapeutisches Klima ................................... . Therapiemotivation der Insassen ........................... . Sozialschicht und Psychotherapie .......................... . Therapiedauer ........................................... . Entlassungsvorbereitung - Nachbetreuung ................. . Einstellung der Gesellschaft zu Straftätern .................. . Zusammenfassung ....................................... .

15 15

20 25

28 33

36 38 39

44 51

52 53

57 60

62 64

68

70 74

76

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie (EvaluaUon) 5. 5.1 5.2 5.3

Zur Bedeutung der Evaluation, insbesondere in der Behandlungsforschung ............................................... .

Definition der Evaluation ................................. . Entwicklung und Stand der Evaluationsforschung ............ . Zusammenfassung ....................................... .

78 78 80 89

8 6. 6.1 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.2.1 6.4.2.2 6.4.2.2.1 6.4.2.2.2 6.4.2.3 6.4.2.3.1 6.4.2.3.2 6.4.2.3.3 6.4.2.3.4 6.4.2.3.5 6.4.2.3.6 6.4.3 6.5

7.

7.1 7.2 7.3 7.4 8. 8.1 8.2 8.3 8.4

Inhaltsverzeichnis Zur Methodik der Evaluationsforschung .............-........ .

Anforderungen an Evaluationsstudien in Anlehnung an Campbell, Cook und Stanley - einleitende Bemerkungen .............. . Definition der verschiedenen Validitätsarten nach Campbell u. Stanley bzw. Cook u. Campbell ............................ . Spezifizierung des Validitätskonzeptes für Evaluationsstudien im therapeutischen und pädagogischen Bereich ................. . Spezifikationen für Psychotherapiestudien ................... . Spezifikationen vor dem Hintergrund pädagogischer Vergleichsstudien ................................................. . Zusammenfassende Diskussion einiger methodischer Probleme der Validitätskonzepte ....................................... . Methodischer Stand und Probleme bisheriger Evaluationsstudien Ergebnisse von Sekundäranalysen zur Behandlungsforschung .. . Spezifische Probleme in der Evaluationsforschung ............ . Theoriedefizit in der Kriminologie sowie in den Behandlungsansätzen ................................................ . Erfolgskriterium ......................................... . Die Wahl des Rückfalls als Erfolgskriterium ................. . Der Einsatz psychologischer Testverfahren zur Messung des Behandlungserfolges ..................................... . Defizite in der formativen Evaluation ....................... . Fehlende bzw. mangelhafte Beschreibung des Behandlungsprogramms ............................................. . Beschreibung des Umfeldes, in welchem die Behandlung stattfand Fehlende Differenzierung bei Klienten und Therapeuten ....... Ausfall- bzw. Rückverlegungsquote ........................ . Fehlende Erfassung des Therapieverlaufs ................... . Fehlende Nachuntersuchungen ............................ . Neuere methodische Konzepte und Ansätze in der Evaluationsforschung ............................................... . Zusammenfassung ....................................... . Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien .......... .

Datenschutzproblematik .................................. . Probleme in der Durchsetzung eines experimentellen Forschungsdesigns ................................................. . Möglichkeiten und Grenzen alternativer Forschungsstrategien .. Zusammenfassung ....................................... . Zu berücksichtigende Punkte bei der Evaluationsforschung im Strafvollzug .........................................•....

Ausführliche theoretische Begründung des Forschungsansatzes .. Sorgfältige Festlegung des Forschungsdesigns sowie der Datenerhebung ............................................... . Exakte Beschreibung der Implementation des Programms und des Projektverlaufs .......................................... . Zusammenfassung ....................................... .

89 90 92 94 94

98 99

102 103 107 107 109 111 114 116 117 117 118 120 122 125 126 130 132 . 132 134 139 140 141 141 142 143 145

Literatur ..........................................•......

146

Personenregister ..........................................

191

Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . • . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

Abkürzungsverzeichnis AE AJK APA BTM BTMG BVerfG CPI DFG DVollzO E.N.NR FAF FE FEH FPI GAS GF GG GT

Gr

JGG JGH KASSL KE KOS LEAA LPS MAUT MMPI MPI

MPI' NEP NIJ NILECJ POS PRF RKVF SIT SSE StGB StPÄG StPO StrÄG

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Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches Arbeitskreis Junger Kriminologen American Psychological Association Betäubungsmittel Betäubungsmittelgesetz Bundesverfassungsgericht California Psychological Inventory Deutsche Forschungsgemeinschaft Dienst- und Vollzugsordnung Persönlichkeitsfragebogen zur Erfassung von Extraversion, Neurotizismus, Rigidität Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren Fürsorgeerziehung freiwillige Erziehungshilfe Freiburger Persönlichkeitsinventar Goal-attainment-scaling Goal-Attainment-Scaling Grundgesetz Gesprächspsychotherapie Gießen-Test Jugendgerichtsgesetz Jugendgerichtshilfe Kieler Änderungssensitive Symptomliste Kommissionsentwurf Kurz-O-Sort Law Enforcement and Assistance Administration Leistungsprüfsystem multiattributive Nutzentheorie Minnesota Multiphasic Personality Inventory Max-Planck~Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Brsg. Maudsley Personality Inventory National Evaluation Program National Institute of Justice National Institute of Law Enforcement and Criminal Justice Persönlichkeits-O-Sort Personality Research Form Risikofragebogen Situationsfragebogen Selbsteinstufungsskala Strafgesetzbuch Strafprozeßänderungsgesetz Strafprozeßordnung Strafrechtsänderungsgesetz

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StrRG St VollzG TARP TAT UNSDRI UVolizO VT WI-JHW ZiF

Abkürzungsverzeichnis «Strafrechtsreformgesetz (Gesetz zur Reform des Strafrechts) « Strafvollzugsgesetz «Transitional Aid Research Project « Thematic Apperception Test « United Nations Social Defence Research Institute, Rom/Italien « Untersuchungshaftvollzugsordnung « Verhaltenstherapie « Wissenschaftliches Institut des Jugendhilfswerks an der Universität Freiburg, Freiburg i. Brsg. « Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld

1. Einleitung Fragen der Behandlungsforschung wurden in den letzten Jahren vor dem Hintergrund vielfach mangelnder Erfolgsergebnisse entsprechender Resozialisierungsprogramme zunehmend kritischer diskutiert. Inzwischen vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch in der Bundesrepublik vorliegende relativ umfangreiche Forschungserfahrungen in diesem Bereich zeigten deutlich, daß die anfänglichen Erfolgserwartungen zu den verschiedensten Behandlungsmaßnahmen überzogen waren. Die Forschungsergebnisse konnten nicht mit der gewünschten Eindeutigkeit und Klarheit bescheinigen, daß das angestrebte Ziel - in der Regel eine (deutliche) Reduzierung der Rückfallquote - erreicht werden konnte. Teilweise trug das mit zu einer völligen Ablehnung des Behandlungsgedankens insbesondere im stationären Strafvollzug bei und führte zu einer Konzentration etwa auf alternative Strategien des Umgangs mit dem Problem Kriminalität, so beispielsweise in Form von Diversionsprogrammen. Teilweise wurde hierin auch ein Beleg dafür gesehen, daß der bisherige .klassische" Strafvollzug doch nicht so schlecht, eine Änderung in Richtung auf eine •Verbesserung" von daher nicht erforderlich sei. Die kritischere Einstellung gegenüber stationären, aber auch ambulanten Behandlungsmaßnahmen, also gegenüber (psychologischen) Resozialisierungsprogrammen im Strafvollzug bei Rechtsbrechern insgesamt, ist im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren zurückhaltender werdenden Erwartungen gegenüber dem Erfolg psychotherapeutischer Behandlung zu sehen. So stellen beispielsweise Linster u. Wetzel (1980, S. 327) fest, daß sich .zur großen Euphorie, die die stürmische Entwicklung der Psychotherapie in den letzten Jahren begleitete ... , inzwischen auch eine realistischere und skeptischere Haltung gesellt (hat). Die schier unüberschaubare Flut an Literatur hat zu einer erheblichen Ausweitung unseres Wissens geführt, aber auch zahlreiche neue Fragen aufgeworfen". Die Kritik am Behandlungsansatz - insbesondere wenn die Behandlung in der totalen Institution Strafvollzugsanstalt erfolgt - konzentriert sich nun im wesentlichen auf drei Punkte:

1. Behandlung unter den ungünstigen, Resozialisierungsbemühungen behindernden Bedingungen der totalen Institution Strafvollzugsanstalt könne kaum oder überhaupt nicht wirksam sein;

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1. Einleitung

2. die Behandlungsmaßnahmen bzw. -programme seien für die Klientel Straffällige falsch gewählt und 3. die BehandlungsfoIschung zeige Mängel und habe es bisher lediglich versäumt, etwa tatsächliche vorhandene Wirkungen der durchgeführten Behandlungsmaßnahmen nachzuweisen. So wird von zahlreichen Autoren darauf hingewiesen, daß die Bedingungen einer Strafvollzugsanstalt als einer totalen Institution, die primär und nach wie vor vielfach ausschließlich auf die Strafverbüßung ausgerichtet ist, es nur schwerlich erlauben, eine Atmosphäre zu schaffen, in welcher resozialisierungsfördernde Behandlungsmaßnahmen sinnvoll durchgeführt werden können. In der Regel würde der Vollzugsalltag die Behandlungswirkung "neutralisieren". Hinzu käme, daß in der totalen Abgeschlossenheit einer Vollzugsanstalt, zumindest sofern es sich um eine solche herkömmlicher Art handelt ("Regelvollzug"), nicht auf ein straffreies Leben außerhalb der Mauern hin erzogen werden könne. Ein Transfer der Wirkungen eines Resozialisierungsprogramms nach "draußen" sei bei einer Behandlung in einer geschlossenen Anstalt, wenn überhaupt, nur in geringem Maße möglich. Wenn eine Behandlung wirken solle, müsse sie möglichst unter freiheitlichen Bedingungen durchgeführt werden, etwa im Rahmen ambulanter Maßnahmen, beispielsweise innerhalb der Bewährungshilfe oder von Diversionsprogrammen. Ein weiterer Schwerpunkt der Kritik richtet sich auf die Auswahl der Behandlungsprogramme. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß insbesondere zu Beginn der Behandlungsforschung in der allgemeinen Psychotherapie mehr oder weniger bewährte Behandlungsmaßnahmen, etwa spezielle psychotherapeutische Techniken, auf Straffällige übertragen wurden, ohne genügend zu prüfen, wieweit sie für diese spezielle Klientel überhaupt geeignet sind. So hat man beispielsweise die Psychoanalyse in den Strafvollzug übertragen, ohne sie der besonderen Situation und dem Klientel anzupassen. Ähnliches gilt für die Gesprächs- und Verhaltenstherapie, die in der Praxis neben der Psychoanalyse mit am häufigsten zur Anwendung kommen. In diesem Zusammenhang wird insbesondere die Entwicklung spezieller, für Straffällige geeigneter Behandlungsmaßnahmen gefordert, wie sie in den letzten Jahren zumindest ansatzweise, beispielsweise in Form VOn sozialen Trainingsmaßnahmen erfolgt ist (vgl. Braun-Heintz u. a. 1980 a; 1980 b; 1980 c; Justizministerium Baden-Württemberg 1982). Schließlich setzt ein beachtlicher Teil der Kritik weniger an den Behandlungsmaßnahmen als solchen, sondern vielmehr an der durchgeführten Evaluationsforschung an und weist auf methodische Mängel in der Erfolgsprüfung hin. So wird kritisch hervorgehoben, daß - zumindest größere -

1. Einleitung

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Untersuchungen zur Wirksamkeit resozialisierender Maßnahmen im Strafvollzug vielfach schwerwiegende methodische Mängel zeigen, welche die Aussagekraft der gewonnenen Resultate u. U. erheblich einschränken, wenn nicht gar völlig in Frage stellen. Ergebnisse, etwa zum Erfolg einer Behandlung, deren Aussagekraft unumstrittene Gültigkeit hat, lassen sich so gut wie nicht finden. Das überrascht insofern nicht, als die methodischen Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der Evaluation von solch komplexen Maßnahmen, wie sie Behandlungsprogramme darstellen, ergeben, zumindest bei großen Projekten im Rahmen von Felduntersuchungen nur zum Teil in den Griff zu bekommen sind. Das zeigt sich noch mehr als in der Behandlungsforschung bei Straffälligen im Rahmen der Evaluation psychotherapeutischer Programme. Gerade hier hat sich in den letzten Jahren aufgrund wachsender Forschungsaktivitäten und deren Ergebnissen eine zunehmende Differenzierung der Fragestellungen ergeben. In diesem Zusammenhang wurden auch mehr und mehr die methodischen Schwierigkeiten der Forschung in diesem Bereich deutlich. Aussagen etwa bezüglich der Wirkung des Treatments sind in der Regel - wenn überhaupt - nicht mit der gewünschten Präzision möglich. Zahlreiche .Fehlerquellen", die alternative Interpretationen der Resultate ermöglichen und mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen, - etwa derart, daß nicht die Therapie den Erfolg, beispielsweise gemessen in Form geringerer Rückfallquoten der behandelten Straffälligen, bewirkt hat, sondern daß es hierfür andere Ursachen gibt, z. B. ein anderes Sanktionsverhalten der Richter oder eine veränderte Entdeckungswahrscheinlichkeit der Straftaten behandelter Rechtsbrecher -, relativieren die Aussagen nahezu eines jeden Evaluationsprojektes zu Behandlungsmaßnahmen. Selbst wenn ein echt experimentelles Forschungsdesign mit Zufallszuweisung der Probanden zu Kontroll- und Experimentalgruppe verwirklicht werden kann, was vielfach als non plus ultra angesehen wird und was bisher gerade in der Behandlungsforschung im Strafvollzug sehr selten der Fall war, so ist damit zwar ein erheblicher methodischer Fortschritt gelungen, jedoch sind andererseits nicht alle Probleme beseitigt. So wird bei experimentellen Versuchsplänen mit Zufallszuweisung der untersuchten Probanden vielfach die externe Validität der gefundenen Resultate und damit deren Übertrag- und Verallgemeinerbarkeit angezweifelt. Im Zusammenhang mit der methodischen Kritik wird folgerichtig die Durchführung qualifizierterer Evaluationsstudien zur Überprüfung des Behandlungserfolges gefordert. In der vorliegenden Arbeit wollen wir uns im ersten Teil (A) des ersten Teilbandes kurz den Fragen, Problemen und einigen Ergebnissen der Behandlung Straffälliger, insbesondere im Strafvollzug zuwenden. Ferner sollen wesentliche Kritikpunkte einer solchen Behandlung stichwortartig aufgegriffen werden.

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1. Einleitung

In einem zweiten Teil (B) soll die Kritik der Forschungsmethoden bei der Evaluation von Behandlungsmaßnahmen, vor allem im stationären Vollzug in ihren wesentlichen Punkten dargestellt werden. Sowohl was den ersten als auch zweiten Teil des ersten Teilbandes betrifft, kann nicht der Anspruch bestehen, die Themenbereiche erschöpfend abzuhandeln. Das ergibt sich schon daraus, daß die internationale, vor allem angloamerikanische literatur hierzu hinsichtlich ihres Umfangs nahezu unüberschaubar ist (vgl. ausführlich Kury 1985 a). Es sollen lediglich einige wichtig erscheinende Aspekte erörtert werden. Bei speziellen, gerade auch methodischen Fragen wird auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen. Im zweiten Teilband schließlich soll nach den Ausführungen zur Situation und Problematik der Untersuchungshaft, insbesondere bei Jugendlichen und Heranwachsenden, ein eigenes Behandlungsforschungsprojekt bei diesen Untersuchungshäftlingen dargestellt werden. Gerade hier zeigen sich die in der Literatur vielfach festgestellten unüberwindbaren Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung groß angelegter Evaluationsstudien. Ein Teil dieser methodischen Probleme konnte in neueren Untersuchungen zur Wirkungsweise von Resozialisierungsprogrammen Straffälliger - etwa im sozialtherapeutischen Vollzug - überwunden werden (vgl. z. B. Ortmann 1984). Die Schwierigkeiten des im zweiten Teilband vorgelegten Forschungsprojektes beruhen zum Teil darauf, daß es bereits 1974 begonnen wurde, zu einer Zeit, als in der Bundesrepublik eine systematische Behandlungsforschung im Strafvollzug noch kaum begonnen hatte. Die Widerstände und Ängste auf seiten der Praxis - sowohl der Justizverwaltung als auch der Vollzugsbeamten - gegenüber solchen Forschungsvorhaben, die immer auch eine Kontrolle beinhalten, waren weit größer als heute. Die Methodendiskussion war noch nicht so weit fortgeschritten, die relevanten Forschungserfahrungen waren noch minimal, adäquate Erhebungsinstrumente zur Erfassung des Behandlungserfolges gerade bei der Klientel Straffälliger lagen so gut wie nicht vor. Das alles trug mit dazu bei, daß aus damaliger Sicht manches Forschungsproblem, für das heute Lösungen bereitstehen, nahezu unüberwindbare Schwierigkeiten mit sich brachte. Von daher erstaunt es nicht, daß vielfach Kompromisse eingegangen werden mußten, um die Studie überhaupt durchführen zu können. Die Untersuchung hatte somit in gewisser Hinsicht auch pionierhaften Charakter und war für die weitere Behandlungsforschung in der Bundesrepublik auch politisch nicht unbedeutend.

A. Fragen und Probleme der Behandlung im Strafvollzug bzw. bei Straffälligen Es soll im folgenden ein stichwortartiger Überblick über die Behandlungsforschung in der Bundesrepublik Deutschland vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung der letzten Jahre gegeben werden. Hierbei werden mehr inhaltliche und weniger methodische Fragen diskutiert, da auf letztere im zweiten Teil der Arbeit ausführlicher eingegangen wird. Daß in diesem Überblick nur einige von uns als wichtig erachtete Aspekte angesprochen werden können, jedoch keine erschöpfende Darstellung der Behandlung Straffälliger und der damit in Zusammenhang zu sehenden Fragenbereiche gegeben werden kann, versteht sich angesichts der Fülle der inzwischen vorliegenden Literatur - insbesondere im angloamerikanischen Bereich - von selbst (vgl. die zusammenfassende Darstellung von Kaiser u. a. 1982). Auf weiterführende Literatur wird jeweils verwiesen.

2. Entwicklung des Behandlungsvollzugs in der Bundesrepublik Deutschland 2.1 Strafrechtspolitische Durchsetzung des Behandlungsvollzugs In der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich ein gezielter Behandlungsansatz bei Straffälligen und damit im Zusammenhang die Sanktionsund Behandlungsforschung erst in den 60er Jahren und auch da anfangs nur zögernd. Im Gegensatz dazu wurde bereits in den 50er Jahren die internationale Theoriediskussion von dem Gedanken der Resozialisierung des Rechtsbrechers durch systematische Behandlungsansätze beherrscht, nicht zuletzt unter dem Einfluß der "Socil~te Internationale de Defense Sociale", die 1947 von dem Italiener F. Gramatica gegründet worden ist (vgl. Kaiser 1979 a, S. 937; 1980 a, S. 270; Jescheck 1978, S. 58). Eine zunehmend spezialpräventiv ausgerichtete Sanktionspraxis hatte insbesondere unter dem Einfluß von Franz von Liszt und seiner Schule schon seit Beginn dieses Jahrhunderts an Einfluß gewonnen und damit die im vorigen Jahrhundert noch vorherrschende Vergeltungstheorie mehr und mehr abgelöst (vgl. zusam-

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A. Behandlung im Strafvollzug/bei Straffälligen

menfassend etwa Heinz 1982a, S.154ff.). Von Liszt konnte zeigen, daß das klassische Tatvergeltungsstrafrecht bei der Verbrechensbekämpfung versagt hatte. Gestützt auf rückfallstatistische Untersuchungen betonte er bereits 1905 (S. 339): "Wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein Verbrechen begeht und wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er wieder ein Verbrechen begeht, geringer, als wenn wir ihn bestrafen. Ist das Gesagte richtig, so ist damit der völlige Zusammenbruch, der Bankrott unserer ganzen heutigen Strafrechtspflege in schlagender Weise dargetan". Ein Gedanke, der in Anlehnung an die Aussagen der Labeling-Theoretiker (vgl. zusammenfassend Sack 1978; Rüther 1975) insbesondere im Diversionsgedanken, der - ausgehend von den Vereinigten Staaten - in den letzten Jahren auch vermehrt in der Bundesrepublik diskutiert wird, verstärkte Aktualität erlangte (vgl. zusammenfassend etwa Kury u. Lerchenmüller 1981; Kerner 1983; Blau 1976 a; 1985; Schöch 1984 a; Kaiser 1985). Gerade in diesem Zusammenhang wird immer wieder gefordert, die Eingriffsintensität insbesondere bei jugendlichen Straffälligen zu reduzieren, etwa auf stationäre Maßnahmen zugunsten ambulanter Behandlung zu verzichten. Änderungen in der Strafzumessungs- und Sanktionspraxis wurden in der Bundesrepublik in diesem Jahrhundert vor allem durch die Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz (Str ÄG) von 1953 sowie die Erweiterung ihres Anwendungsgebietes durch das 1. Strafrechtsreformgesetz (StrRG) von 1969 bewirkt. Neben der Geldstrafe bildet heute die Strafaussetzung zur Bewährung den bedeutsamsten Ersatz für die Freiheitsstrafe bei leichterer und mittlerer Kriminalität (vgl. Heinz 1977, S. 1; 1981; Zimmermann 1981; Müller-Dietz 1982). "Inwieweit die Praxis diese Reformen umgesetzt hat, wurde bisher eher punktuell und bezogen auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidungen überprüft" (Heinz 1982 b, S.632). Einen wesentlichen Fortschritt bezüglich der Förderung des Behandlungsund Resozialisierungsgedankens im bundesdeutschen Strafvollzug brachte 1969 die Einführung des § 65 in das Strafgesetzbuch (StGB), welcher die Unterbringung von Straffälligen in besonderen, sozialtherapeutischen Anstalten regelt, wobei allerdings zu beachten ist, daß dieser Paragraph hinsichtlich seiner Inkraftsetzung zweimal verschoben wurde, zunächst auf den 1. 1. 1978, dann auf den 1. 1. 1985 (vgl. Driebold 1983 a). Auch zum letzten Termin ist die Regelung nicht Gesetz geworden, was jedoch nicht überraschte, da bereits seit Jahren Alternativen diskutiert werden (vgl. zur Diskussion auch bezüglich alternativer Lösungen Kaiser u. a. 1982; Schöch u. a. 1982). Wurde die sozialtherapeutische Anstalt zu Beginn der Diskussion noch als das "Kernstück der Strafrechts- und Strafvollzugsreform" bezeichnet (vgl. Einseie 1971, S. 145), wird ihre Geschichte "heute zumeist als

2. Entwicklung des Behandlungsvollzugs

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Trauerspiel erzählt" (Schüler-Springorum 1984, S.9). Obwohl in der Zwischenzeit in der Bundesrepublik in nahezu allen Bundesländern insgesamt 11 sozialtherapeutische Anstalten eingerichtet wurden, in denen ein Behandlungsvollzug mit dem Ziel der Resozialisierung der Insassen praktiziert wird (vgl. Egg 1984), "läuteten Politiker, Finanz- und Justizminister bereits das Ende dieses Jahrhundertschrittes in Richtung auf eine Vollzugsreform ein. Der Wiederhinauswurf des § 65 aus dem Maßnahmenkatalog des StGB ist heute, so scheint es, nur eine Frage der Zeit" (Schüler-Springorum 1984, S.9). Eine weitere Intensivierung der Diskussion des Behandlungsgedankens wurde durch die Arbeit zu dem am 01.01.1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz (StVollzG) bewirkt. Zur Vorbereitung des endgültigen Gesetzestextes wurden von verschiedener Seite Entwürfe vorgelegt, wobei insbesondere der sogenannte Alternativentwurf (AE) den Behandlungsgedanken am konsequentesten verfolgte (vgl. Baumann, Brauneck u. a. 1973; Kury u. Fenn 1977 a). Der im Sommer 1973 vorgelegte AE eines Strafvollzugsgesetzes wird von manchen Autoren geradezu als "Höhepunkt der Reformeuphorie" in der Bundesrepublik angesehen (Blau 1976 b, S. 31; vgl. zur Entwicklung des Strafvollzugsgesetzes ausführlicher Kaiser 1982 a, S. 67 ff.). Wesentlichen Anteil zur Vorbereitung des Strafvollzugsgesetzes hatte die Strafvollzugskommission. Im Gegensatz zum Alternativentwurf (AE) betritt der von dieser Kommission vorgelegte Entwurf (KE) nur sehr behutsam Neuland. "Bemerkenswert ist, daß im Jahrhundert der Psychologie weder Psychologen noch Soziologen Mitglieder der Strafvollzugskommission waren oder von ihr als Sachverständige angehört worden sind", obwohl sie sicherlich manches bezüglich einer resozialisierungsfreundlichen Gestaltung des Vollzugs hätten beitragen können (Uhlitz 1971, S. 282). Das Strafvollzugsgesetz wurde am 16. März 1976 verabschiedet und trat, wie erwähnt, zum 01. 01. 1977 in Kraft. Es "regelt den Vollzug der Freiheitsstrafe in Justizvollzugsanstalten und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung" (§ 1 St VollzG). Erstmals wird in der Bundesrepublik hiermit der Freiheitsentzug gesetzlich geregelt. So betont Calliess (1981, S. 12) in diesem Zusammenhang: "Nach dem Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes ... ist der Bereich des Strafvollzugs nach fast 100jähriger Gesetzgebungsgeschichte zum ersten Male auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden". Das Gesetz löste die bis dahin gültige Dienst- und Vollzugsordnung (DVollzO) ab. § 2 StVollzG definiert als primäres Vollzugsziel ausdrücklich, den Gefangenen zu befähigen, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel)". Der weiterhin genannte "Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten" tritt hinter dem Vollzugsziel auch 2 Kury I

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A. Behandlung im Strafvollzug/bei Straffälligen

nach Ansicht der meisten Kommentatoren zurück (vgl. etwa Calliess u. Müller-Dietz 1983; Feest 1982, S. t 5; zurückhaltender Grunau u. Tiesler t 982, S. 18 H.). Nach Böhm (1983 a, S. 8) läßt der Wortlaut des § 2 keinen Zweifel, daß das VoJlzugszieJ den Vorrang genießen soll und die Sicherheit der AllgelIlcinheit vor Straftaten während des Vollzugs nur ,auch' - also in zweiter Linie - eine Aufgabe des Vollzugs ist". Somit ist auch hier die Resozialisierung des Straftäters eindeutig in den Vordergrund gerückt, obwohl das StVollzG insgesamt, wie etwa SchülerSpringorum (1979, S. 870) zu Recht betont, hinter dem früher Intendierten zurückblieb, wobei die Ursachen hierfür in der Regel in der mit einer großzügigeren Lösung verbundenen höheren finanziellen Belastung der Bundesländer, etwa aufgrund von Neu- bzw. Umbauten, der Einstellung von zusätzlichem Fachpersonal, insbesondere Psychologen und Sozialarbeitern u. ä. gesehen werden. Aufgegriffen und unterstützt wurde der Behandlungsgedanke bei Straffälligen vor dem Hintergrund der gesetzlichen Änderungen konsequenterweise auch durch mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG). 1970 wurde in einem BVerfG-Urteii der Resozialisierungsgedanke erstmals an erster Stelle neben Sühne und Vergeltung für vergangenes Unrecht genannt (Bundesverfassungsgericht 1970, S. 1731; vgl. auch 1974, S. 179 ff.). Drei Jahre später hat das BVerfG in einer weiteren Entscheidung, dem sogenannten "Lebach-Urteil" vom 05. 06. 1973, der Aufgabe, den Täter zu befähigen, künftig sein Leben ohne Straftaten zu führen, Verfassungsrang verliehen. Ausdrücklich wird in diesem Lebach-Urteil erstmals die "Resozialisierung oder Sozialisation als das herausragende Ziel, namentlich des Vollzuges von Freiheitsstrafen" bezeichnet (Bundesverfassungsgericht 1973, S. 1231; vgl. auch 1972, S. 811 ff.). In diesem Zusammenhang wird auch das "Sozialstaatsprinzip" betont und auf die Bedeutung einer Entlassungsvorbereitung sowie insbesondere der Einstellung der Bevölkerung zum Rechtsbrecher im Hinblick auf seine Wiedereingliederung in die Rechtsgemeinschaft hingewiesen (vgl. Kury 1980 cl: "Ein so verstandener Strafvollzug kann jedoch nur die Grundlage für die Resozialisierung schaffen. Das entscheidende Stadium beginnt mit der Entlassung. Nicht nur der Straffällige muß auf die Rückkehr in die freie menschliche Gesellschaft vorbereitet werden. Diese muß ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen ... Verfassungsrechtlich entspricht diese Forderung dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt ihrer Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist... Von der Gemeinschaft aus betrachtet, verlangt das Sozialstaatsprinzip staatliche Vor- und Fürsorge für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuldunfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind. Dazu gehören auch die Gefangenen und Entlassenen. Nicht zuletzt dient die Resozialisierung dem Schutz der Gemeinschaft selbst: Diese hat ein unmittelbares eigenes Interesse daran, daß der Täter nicht wieder rückfällig wird und erneut seine Mitbürger oder die Gemeinschaft schädigt ... Die Durchführung der Resozialisierung erfordert zunächst, durch eine entsprechende Einwirkung auf den Verurteilten die inneren Voraussetzungen für eine spätere straffreie Lebensführung zu schaffen ... (Die

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Resozialisierung) kann jedoch erst gelingen, wenn auch die äußeren Bedingungen dafür geschaffen werden, daß der Straffällige sich nach seiner Entlassung in die normale freie Gesellschaft eingliedert. Neben einer angemessenen Hilfe von seiten des Staates ... kommt es namentlich in diesem Stadium auf die Mitwirkung der Gesellschaft an. Dabei genügt es allein noch nicht, daß der Entlassene Unterkunft und Arbeit findet. Nach den Erfahrungen der Praxis scheitert die Resozialisierung selbst bei insoweit günstigen Vorbedingungen und gelungener kriminaltherapeutischer Behandlung in vielen Fällen an der Mißachtung und Ablehnung, mit denen die Umwelt dem Entlassenen begegnet. Eine solche Isolierung kann gerade labilen Naturen den Mut zu neuem Anfang nehmen und sie auf den gleichen Weg zurückwerfen, der sie schon einmal in die Kriminalität führte ... Es widerspricht dem Resozialisierungsgedanken, die Bewertung des Interesses an der Wiedereingliederung eines - resozialisierungsfähigen - Straftäters vom Ausmaß seiner Schuld an der Straftat abhängig zu machen" (Bundesverfassungsgericht 1973, S. 1231 ff.; siehe auch Schöch 1982 b, S. 87).

Das BVerfG weist somit explizit und zu Recht darauf hin, daß zu einer erfolgreichen Resozialisierung sowohl der Straftäter selbst als auch die Gesellschaft ihrerseits beitragen müssen. Aufgrund des Sozialstaatsprinzips ist hiermit ,,- der Staat verpflichtet, Bedingungen für eine Resozialisierung zu schaffen und zu erhalten, - der Gesellschaft aufgegeben, alles zu tun, um bei der Wiedereingliederung mitzuwirken" (Heinz 1982 a, S. 155 f.). Ausdrücklich wird in einem weiteren Urteil des obersten Gerichts betont, daß es auch Aufgabe des Staates sei, den Strafvollzug so auszustatten, "wie es zur Realisierung des Vollzugszieles erforderlich ist. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, beim Gefangenen das Vollzugsziel zu erreichen. Er hat auch die Aufgabe, die erforderlichen Mittel für den Personal- und Sachbedarf bereitzustellen" (Bundesverfassungsgericht 1975, veröffentlicht in NJW 1976, S. 38; vgl. auch Calliess 1981, S. 22). Ein weiteres Mal wurde vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord (vgl. Jescheck u. Triffterer 1978) der Resozialisierungsauftrag des Staates ausdrücklich hervorgehoben (Bundesverfassungsgericht 1977, S. 1528): .Das Gericht hat mehrfach betont, daß die Forderung nach Resozialisierung verfassungsrechtlich dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft entspreche, die die Menschenwürde in den Mittelpunkt stelle und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet sei. Dieses Resozialisierungsinteresse ergäbe sich für den Straftäter aus Art. 2 I i. V. mit Art. 1 GG. Der verurteilte Straftäter müsse die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gesellschaft einzuordnen. Es sei Aufgabe des Staates, im Rahmen des Zumutbaren alle gesetzlichen Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig seien, beim Gefangenen dieses Vollzugsziel zu erreichen" (vgl. zu den Entscheidungen des BVerfG auch Volk 1971, der eine zusammenfassende Darstellung über den Gedanken der Resozialisierung in den Urteilen des Gerichts gibt; siehe auch Böhm 1979, S. 24; Hoffmeyer 1979; Meier 1982, S. 202). 2'

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2.2 Implementation des Behandlungskonzeptes Insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch in den nordischen Ländern wie Dänemark, sowie nicht zuletzt in Holland wurden bereits früher größere Behandlungsprogramme zur stationären, teilweise auch ambulanten Behandlung bei meist schwer straffällig gewordenen Rechtsbrechern in die Wege geleitet. Von daher verwundert es nicht, daß die frühen behandlungsorientierten Anstalten in Dänemark - etwa Herstedvester oder Horsens - und in Holland - etwa die Dr. van der Hoeven-Kliniek - geradezu zu "Wallfahrtsstätten aller Strafvollzugsreformer" der Bundesrepublik wurden (Blau 1976 b, S. 30; siehe auch Kürzinger 1973; Egg 1984). Das Behandlungskonzept in diesen europäischen Anstalten war - etwa im Gegensatz zu Behandlungsprogrammen in den Vereinigten Staaten - in der Regel psychoanalytisch ausgerichtet, was insbesondere damit zusammenhängt, daß sich das Behandlungspersonal teilweise bis hinauf zum Anstaltsleiter vorwiegend aus Psychiatern zusammensetzte. Dieser Umstand ist wiederum nicht unabhängig von der historischen Entwicklung der Kriminologie in Europa zu sehen. Hier haben trotz früher soziologischer Analysen der sogenannten Kriminal- und Moralstatistiker des vergangenen Jahrhunderts (u. a. Quetelet, Mayr), die etwa Mechler (1970, S. 5) in seiner sehr guten Aufarbeitung der Kriminologie unter kriminal soziologischen Aspekten zu der Aussage verleiteten, die Kriminologie beginne als Kriminalsoziologie mit der positivistischen Schule im Gefolge des italienischen Kriminologen C. Lombroso (1835 - 1909) bereits im 19. Jahrhundert, Juristen und Psychiater eine wesentliche Bedeutung und einen stärkeren Einfluß auf die Entwicklung der Kriminologie gewonnen (vgl. Sack 1985). In der Bundesrepublik haben Sozialwissenschaftler wie Soziologen und Psychologen erst in den letzten Jahren einen entscheidenden Einfluß insbesondere in der empirischen kriminologischen Forschung erhalten, im Gegensatz zu der Entwicklung in den USA, wo seit Beginn einer empirischen Kriminologie besonders die Soziologen sehr bestimmend waren, was sich beispielsweise in der Theorieentwicklung sehr deutlich zeigt (vgl. Sack 1978). In Nordamerika blühte die Soziologie wesentlich rascher auf und wirkte auch entsprechend stark auf die Entwickung der Kriminologie ein, insbesondere unter dem bestimmenden Einfluß von Sutherland, dessen bekanntes Lehrbuch in erster Auflage bereits 1924 erschien und der sich von Anfang an gegen biologisch-täterorientierte Perspektiven aussprach (vgl. zusammenfassend Kaiser 1983 a, S. 21). Die ersten bundesdeutschen Behandlungsanstalten, so etwa auf dem Hohenasperg in Baden-Württemberg oder in Düren in Nordrhein-Westfalen, waren - zumindest zu Beginn - vorwiegend psychoanalytisch orientiert und wurden weitgehend von Psychiatern geleitet (vgl. z. B. Mauch u. Mauch 1971; EngeIl 1972; Rasch 1977). In der Zwischenzeit hat sich das wesentlich

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geändert. Das Behandlungsangebot in den heute bestehenden 11 bundesdeutsehen sozialtherapeutischen Anstalten -streut relativ breit und beinhaltet nicht nur die "klassischen" Therapieformen, wie Psychoanalyse, Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie, sondern daneben noch weitere zahlreiche Behandlungsansätze, wie etwa GestalUherapie, Transaktionsanalyse oder Soziales Training - was auch immer darunter zu verstehen sein mag -, um nur einige zu nennen (vgl. zusammenfassend SchmiU 1981, S. 144ff.; zu den einzelnen bundesdeutschen sozialtherapeutischen Anstalten ausführlich Egg 1984). Im Zusammenhang mit der Einrichtung sozialtherapeutischer Modellanstalten in der Bundesrepublik, die ab 1979 verstärkt erfolgte, wurde zu Recht vermehrt auch die Forderung nach einer Evaluierung der hier durchgeführten Resozialisierungsprogramme erhoben. Dieser Wunsch nach gezielter Forschung ist auch in Verbindung damit zu sehen, daß vielfach Ratlosigkeit darüber herrschte, wie der Gesetzesauftrag nach wirksamer Resozialisierung des Straftäters in die Praxis umzusetzen sei, welche Programme hierfür am geeignetsten erscheinen. Das führte dazu, daß in den 70er Jahren in verschiedenen Modellanstalten Evaluationsstudien in Angriff genommen wurden, deren Resultate inzwischen, zumindest teilweise, vorliegen (vgl. etwa Rasch 1977; Rehn 1979; Egg 1979 a; Dünkel 1980 a; Waxweiler 1980). Die Strafvollzugsforschung wurde zu einem wesentlichen Forschungsprogramm der deutschen, zum Teil aber auch der internationalen empirischen Kriminologie (vgl. Albrecht 1985). Bis heute liegt ein Schwerpunkt kriminologischer Forschung in der Bundesrepublik im Bereich des Strafvollzugs. So sind beispielsweise nicht weniger als 5 der 7 Referenten der Forschungsgruppe Kriminologie des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg, die wesentlich zur Förderung empirischer Strafvollzugsforschung beigetragen hat, mit Projekten zum Strafvollzug befaßt (Dünkel 1983 a, S. 3; vgl. auch Albrecht u. Sieber 1980). Eine wesentliche Förderung der Behandlungs- und Sanktionsforschung erfolgte auch durch die Einrichtung eines Schwerpunkt-Förderungsprogrammes bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) (vgl. Kaiser 1977 a; zur Weiterförderung des Schwerpunkts siehe Brusten u. a. 1983). Trotz dieser in den letzten 10 Jahren wachsenden Forschungsaktivitäten zu Resozialisierungsmaßnahmen im Strafvollzug ist "die Anzahl empirischer Studien zur Effektivität spezieller Therapietechniken ... gering im Vergleich zu den zahlreichen theoretischen Darstellungen in diesem Bereich" (Stegie u. Koch 1983, S. 31; vgl. auch Stegie u. Koch 1982). Noch bevor zumindest eine empirische Behandlungsforschung in der Bundesrepublik richtig Fuß fassen konnte und abgesehen von wenigen Einzelergebnissen die Resultate größerer Evaluationsstudien vorlagen, geriet der Forschungsansatz unter teilweise heftige Kritik. Diese ist - etwa neben

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methodischen Schwierigkeiten - im Zusammenhang damit zu sehen, daß "just in dem Zeitpunkt, als der Resozialisierungsgedanke im Alternativentwurf eines Strafvollzugsgesetzes 1973 seinen konsequentesten Ausdruck finden sollte, sich das bisherige ,Mekka' der Spezialprävention Schweden und Dänemark anschickte, sich von dem sogenannten Behandlungsmythos zu lösen" (Kaiser 1977 b, S. 362). Bedingt durch diese Entwicklung, aber auch eine wachsende Zahl von wenig ermutigenden Berichten zum Behandlungsvollzug und zu Resozialisierungsbemühungen bei Straffälligen aus den Vereinigten Staaten, die jedoch vielfach tendenziell interpretiert wurden, machte sich in der Bundesrepublik bereits seit Anfang der 70er Jahre eine partielle "Abkehr vom Behandlungsgedanken" bemerkbar (vgl. etwa Hilbers u. Lange 1973; Müller-Dietz 1974 a; vgl. auch 1974 b). Wachsende wirtschaftliche Schwierigkeiten und eine zunehmend restriktive Kriminalpolitik - nicht nur in der Bundesrespublik, sondern auch in anderen westlichen Ländern, vor allem aber in den Vereinigten Staaten - unterstützten den Trend. Peters (1972, S. 501) stellt in diesem Zusammenhang die Frage, "ob der endgültige Durchbruch des Resozialisierungsgedankens nicht etwa in eine Zeit fällt, in der sich geistige und ethische Wandlungen vollzogen, unter denen eine Resozialisierung wegen des fehlenden Fundaments nicht mehr möglich ist. Die Schlacht könnte gewonnen, der Krieg aber verloren sein". Nach Eser (1974, S. 506) scheint der Resozialisierungsgedanke von zwei Seiten in eine ernsthafte Krise geraten zu sein: "Zum einen mehr von außen her, indem eine radikale Umorientierung des Resozialisierungsobjekts gefordert wird: statt Resozialisierung des Täters Resozialisierung der Gesellschaft. Zum andern mehr von innen her, indem das Resozialisierungsziel immer mehr ,verr~chtlicht' wird und dabei seine sozial-ethische Fundierung zu verlieren droht". Auch Würtenberger (1983, S. 193) betont, daß sich die Gesamtsituation des deutschen Strafvollzugswesens trotz Inkrafttretens des Strafvollzugsgesetzes heute in einer schweren Krise befindet, so ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß in den letzten Jahren Reformmaßnahmen in Frage gestellt, wenn nicht gar zurückgenommen wurden, obwohl inzwischen vorliegende kriminologische Erkenntnisse diese "Trendwende" vielfach als eindeutigen Rückschritt erkennen lassen. Maßnahmen der Strafverschärfung führen in aller Regel nur zu einer Mehrbelastung der Strafverfolgungsbehörden, tragen jedoch nicht zu einer Lösung des hinter dem kriminellen Verhalten stehenden Problems und damit zu einer Resozialisierung bei. Darauf weist beispielsweise Kaiser (1980 b, S. 355) im Zusammenhang mit der Verschärfung des Betäubungsmittelgesetzes ausdrücklich hin: Nach ihm läßt sich nach den vorliegenden Erfahrungen "nicht leugnen, daß der mit dem neuen Betäubungsmittelgesetz beschrittene Weg zur exzessiven Ausdehnung der Kriminalisierung bereits jetzt, zumindest soweit jugendliche Dro-

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gengebraucher davon betroffen sind, sich als ein ,Schlag ins Wasser' erweist. (Ähnlich wie im Ausland) ist auch hierzulande die auf den Konsum von Haschisch bezogene Kriminalisierung wenig erfolgreich und erfolgversprechend". So konnte auch Berckhauer (1982) anhand von Daten aus einer eigenen empirischen Untersuchung zeigen, daß der Anspruch des Gesetzgebers, Rückfallstraftaten zu verhindern und zur Resozialisierung des Täters über eine Strafverschärfung des § 48 StGB beizutragen, ins Leere läuft. "Es gibt nach dem heutigen Stand der internationalen Forschung keine empirische Grundlage für die Erwartung, durch eine Verschärfung angedrohter und vollzogener Strafen die Kriminalitätsraten beeinflussen zu können" (Albrecht u. a. 1981, S. 323). Insbesondere unter dem Einfluß der Soziologie und Sozialpsychologie erfolgte eine zunehmende Blickschärfung für die gesellschaftlichen Ursachen der Straffälligkeit sowie auch eines Rückfalles nach Behandlungsmaßnahmen. Von dieser Seite wurde und wird ein täterorientierter Ansatz und damit auch jegliche Behandlungsforschung teilweise radikal abgelehnt und stattdessen eine Untersuchung und Veränderung gesellschaftlicher Bedingungen gefordert. Immer wieder wurde von Vertretern der Richtung versucht, die Nutzlosigkeit einer Behandlung des Rechtsbrechers anhand der Forschungsergebnisse zu belegen und die Verfehltheit des Ansatzes herauszuarbeiten. Zweifellos wurde hier zu Recht auf die große Bedeutung gesellschaftlicher Hintergründe hinsichtlich der Entstehung und Unterstützung straffälligen Verhaltens hingewiesen. Zu einseitig wurden die Ursachen der Kriminalität, zumindest in der europäischen Kriminologie, lange Zeit mehr oder weniger ausschließlich im Täter und seiner Persönlichkeit gesehen. So ist es etwa ein Verdienst des labeling approach, auf die Bedeutung gesellschaftlicher Prozesse bei der Entstehung straffälligen Verhaltens und der Rekrutierung "Krimineller" hingewiesen zu haben. Auch Kaiser (1977 b, S. 363) sieht darin, daß soziale Ursachen der Straffälligkeit bei Resozialisierungsmaßnahmen vielfach ausgeklammert werden, einen der wesentlichen Haupteinwände gegenüber einem Behandlungsvollzug.

Über das Ziel hinaus schießen jedoch Kritiker des Behandlungsansatzes, die die Hintergründe straffälligen Verhaltens ausschließlich in gesamtgesellschaftlichen Bedingungen sehen. Überholt ist auch die Ansicht mancher Psychiater. Im Gegensatz zu dem von soziologischer und sozialpsychologischer Seite vertretenen gesellschaftskritischen Ansatz wird von psychiatrisch orientierten Kriminologen vielfach nach wie vor eine stärkere Täterorientierung der kriminologischen Forschung und entsprechende einseitige - Untersuchungen zu den "Ursachen" der Straffälligkeit gefordert und die sozialwissenschaftliche Ausrichtung derselben als einseitig und falsch bezeichnet (vgl. etwa Leferenz 1981, S. 218). Es ist vielmehr davon

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auszugehen, daß delinquentes Verhalten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und individueller Komponenten zu sehen ist. "Zum Beispiel legen die erheblichen psychosozialen Deprivationen und reduzierten Handlungskompetenzen bei vielen jugendlichen Straftätern nahe, daß formelle Etikettierungsprozesse zu grundlegenden Entwicklungsstörungen lediglich hinzukommen" (Lösel 1983 a, S. 14; s. a. Buikhuisen 1985). Zu Recht weist Lösel (1983 a, S. 14) im weiteren daraufhin, daß die Frage nach den "Ursachen" straffälligen Verhaltens kaum eindeutig zu beantworten sein wird. "Insgesamt erscheinen die Beziehungen zwischen bio-psychischen Handlungsvoraussetzungen, individuellen Sozialisationserfahrungen und sozialstruktureIl mitbedingten Lebenslagen, bestimmten (Straf-)Taten, formellen und informellen sozialen Reaktionen, langfristigen Entwicklungsverläufen und Delinquenzlaufbahnen zu vielfältig, als daß sie sich empirisch eindeutig in einen ,Ursachenteil' (der Primärdevianz) und einen ,Reaktionsteil' (der Sekundärdevianz) trennen lassen." Auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist es außerordentlich wichtig, daß Behandlungsprogramme nicht nur beim Straftäter allein ansetzen, sondern ebenso versuchen, dessen konkrete Lebensbedingungen nach Haftentlassung positiv zu beeinflussen (vgl. Driebold u. a. 1984). Ein weiterer Kritikpunkt am Behandlungsvollzug setzt nach Kaiser (1977 b, S. 363) bei möglichen Gefahren für die Grundrechte der Gefangenen sowie einem regulären rechtsstaatlichen Verfahren an. Ähnliche Einwände, die sicherlich Gewicht haben und beachtet werden müssen, jedoch den Behandlungsansatz nicht grundsätzlich in Frage stellen können, wurden auch gegenüber anderen kriminalpolitischen Entwicklungen, so etwa einer Diversion vorgebracht (vgl. ausführlich Kury u. Lerchenmüller 1981). Obwohl nach Jahren einer teilweisen "Behandlungseuphorie" der Trend inzwischen umgeschlagen ist, "kann nicht unklar sein, daß bei aller Kritik gegenüber der Behandlungsideologie auf therapeutische und sozialpädagogische Anstrengungen nicht verzichtet werden kann. Andernfalls würden im Namen größerer Rationalität und Gerechtigkeit tatsächlich nur Inhumanität und Rückschritt eingehandelt" (Kaiser 1980 b, S. 287). Auch darf nicht übersehen werden, daß die Ergebnisse der bisherigen Behandlungsforschung keineswegs alle so negativ ausfielen, wie die Kritiker oft glauben machen möchten und der Mißerfolg des Behandlungsansatzes ebensowenig erwiesen ist wie dessen (genereller) Erfolg (vgl. etwa Ross u. Gendreau 1980). Vielmehr ist die Frage nach der Wirkungsweise von Resozialisierungsmaßnahmen nach wie vor noch weitgehend offen (vgl. etwa auch Sechrest u. a. 1979, S. 15, S.34; Martin u.a. 1981).

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2.3 Die Entwicklung in der Psychotherapie und die Behandlung Straffälliger Die Ausbreitung des Behandlungsgedankens in der Kriminologie in den letzten Jahrzehnten ist auch im Zusammenhang mit dem Aufschwung der Klinischen Psychologie zu sehen. Immer neue Therapierichtungen machen bis heute von sich reden und bringen wegen ihrer teil weisen Fragwürdigkeit die Psychologie - insbesondere bei Nichtfachleuten - in einen oft wenig guten Ruf, da es vielfach nur Experten möglich ist, seriöse Behandlungsmethoden von vielfach gutklingenden, jedoch sehr fragwürdigen Behandlungsbzw. Selbsterfahrungsangeboten zu trennen. Immer neue "Therapieschulen" sprießen aus dem Boden, oft ist ihr "Aufblühen" mehr oder weniger von Zufällen abhängig (vgl. etwa Ledwidge 1978). Dieser "Psychoboom" (Klein 1983; Bach u. Molter 1979) bewirkte, daß die Klinische Psychologie einen enormen Interessenzuwachs erfuhr. So beklagte beispielsweise Irle (1979, S. 19ff.) anläßlich seines Berichtes zur Lage der Psychologie, den er als damaliger Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie auf deren 31. Kongreß 1978 in Mannheim abgab, daß in der Bundesrepublik Deutschland mindestens 70 % der Ausbildungsstätten in Psychologie unter anderem wenn nicht ausschließlich im Schwerpunktbereich Anwendung das Studium der Klinischen Psychologie nach dem Vordiplom anbieten. Er sieht in dieser Überbewertung des klinisch-psychologischen Bereichs zu Lasten anderer Fächer geradezu die "Gefahr einer Verzerrung der Psychologie als Wissenschaft". "Ich bestreite energisch als Hochschullehrer der Psychologie und Soziologie, daß das Studium der Psychologie identisch und nur identisch ist mit einer Berufsausbildung zum klinischen Psychologen als Psycho-Therapeuten" (lrle 1979, S. 20). Der Autor sieht, wenn diese Entwicklung nicht gestoppt werden kann, erhebliche Probleme für die Weiterentwicklung der Psychologie insgesamt, etwa derart, daß die Wissenschaft "in der Forschung und danach auch in der Lehre sehr schnell und völlig ... ihre Beziehung zur Psychologie und im weiteren Sinne zu den biologischen Naturwissenschaften, wie zur Soziologie und im weiteren Sinne zu den Sozialwissenschaften (verliert). Dann wird sich die so praxis-relevante Klinische Psychologie sehr bald als ein König ohne Untertanen wiederfinden, und psychologische Forschung wird dieses Königreich als Entwicklungsland mehr denn je von außen importieren müssen. Psychologie wird dann aus einer Wissenschaft zu einer Berufs-Kunde von Heilpraktikern" (lrle 1979, S. 2lf.). In der Zwischenzeit liegt eine nahezu unüberschaubare Fülle unterschiedlichster Therapiemethoden vor, die sich teilweise jedoch nur geringfügig voneinander unterscheiden. Selbst die Zahl und Richtung "seriöser" Psychotherapien ist heute kaum noch überschaubar. Wetzel u. Linster (1980, S. 23)

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zählen in ihrem Überblick über die wichtigsten Therapiearten nicht weniger als 45 Richtungen, die sie nach vier übergeordneten Gesichtspunkten einteilen, auf: (in Klammern wird die Zahl der einzelnen Therapieansätze dieser Gruppe angegeben): tiefenpsychologische Therapien (14), verhaltensorientierte Therapien (13), erlebnisorientierte Therapien (13) und kommunikationsorientierte Therapien (5). Zumindest bei allen größeren Therapieschulen ließ sich in den letzten Jahren erwartungsgemäß auch ein deutliches Ansteigen der Publikationsaktivitäten registrieren (vgl. Hoon u. Lindsley 1974). Wetzel u. Linster (1980, S. 15) stellen zu Recht fest, daß "kaum ein Bereich der Psychologie und Medizin .. , in den letzten Jahren einen so beispiellosen Aufschwung zu verzeichnen (hatte) wie die Psychotherapie: Sie hat sich nicht nur als wissenschaftliche Fachdisziplin etabliert - zahlreiche Publikationen, eine verfeinerte Methodik, kreative Neuentwicklungen und die empirische Überprüfung therapeutischer Verfahren belegen dies eindrucksvoll -, sondern sie hat auch ein wachsendes öffentliches Interesse zu mobilisieren vermocht, was zu einer ungeahnten Popularisierung psychotherapeutischen Wissens und einer enormen Verbreitung und Ausdifferenzierung der Anwendungsmöglichkeiten führte". Was jedoch in der Behandlungsforschung bei Straffälligen, der "Kriminaltherapie", zu beobachten war, daß nämlich die allzu unkritischen und überzogenen Erfolgserwartungen bezüglich einer Resozialisierung des Täters mittels "moderner" psychotherapeutischer Maßnahmen nicht eingelöst werden können, zeigte sich weitgehend auch in der allgemeinen Psychotherapieforschung. Auch hier kristallisierte sich in den inzwischen zahllosen Evaluationsstudien der erwartete Erfolg zumindest nicht mit der gewünschten Klarheit heraus. "Zur großen Euphorie, die die stürmische Entwicklung der Psychotherapie in den letzten Jahren begleitete, hat sich inzwischen auch eine realistischere und skeptischere Haltung gesellt" (Linster u. Wetzel 1980, S. 327). Mit zunehmender Forschung zeigte sich die wachsende Komplexität des Gegenstandes und damit wiederum wurden zurückliegende Untersuchungen bezüglich der Validität ihrer Resultate oft noch fragwürdiger (vgl. Wittmann 1984). Teilweise führte das hier zu der auch aus der Behandlungsforschung bekannten, in der z. T. vorgetragenen Allgemeinheit jedoch sicherlich falschen Schlußfolgerung, Psychotherapie wirke nicht, teilweise führte es zu Resignation, in der Annahme, das Problem Psychotherapieforschung sei bezüglich des Erfolgsnachweises unlösbar, teilweise wurden auch neue Forschungsmethoden gefordert, so beispielsweise die Anwendung mehr qualitativer statt quantitativer Vorgehensweisen (vgl. zusammenfassend Wittmann 1984, S. 180ff.; bezüglich kriminologischer Forschung s. beispielsweise Schumann 1986; Bönitz 1984; Ortmann 1985 a).

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Die wachsende Zahl der Psychotherapiestudien und deren Ergebnisse führten in den letzten Jahren auch eher wieder zu einer gegenseitigen Annäherung der einzelnen therapeutischen Schulrichtungen, da mehr und mehr erkannt wurde, daß die Bestrebungen des Nachweises der Überlegenheit der einen Behandlungsart über die anderen nicht weiterführen, da u. U. die Person des Therapeuten wichtiger ist als die von ihm vertretene Therapierichtung. Hierbei darf jedoch nicht übersehen werden, daß neuere Studien auch die Bedeutung der einzelnen Therapierichtungen für einen Behandlungserfolg belegen konnten. Heute erscheint es aufgrund der "verfügbaren Informationen denkbar, daß die Praxis therapeutischer Richtungen (insbesondere Verhaltenstherapie, Gesprächstherapie, Psychoanalyse) weniger voneinander abweicht, als die Theorie dies glauben macht und daß eine Integration therapeutischer Ansätze im Gefolge einer intensiven Forschung über differentielle Indikationen verschiedener Verfahren nicht so große Schwierigkeiten erwarten läßt, wie dies in Diskussionen und standespolitischem Debakel oft dargestellt wird" (Braun 1983, S. 238). Die Beurteilung des Ertrages der Psychotherapieforschung, die zweifellos zu einer wesentlichen Ausweitung unseres Wissens in diesem Bereich geführt hat, hängt, wie auch in der kriminologischen Behandlungsforschung, sehr stark vom Standpunkt des einzelnen Forschers ab. Weitgehend ist der Ansicht von Linster u. Wetzel (1980, S. 330), was die allgemeine Psychotherapieforschung betrifft, zuzustimmen, daß nämlich "nach allen bisher vorliegenden Daten ... es inzwischen unbestritten sein (dürfte), daß Psychotherapie - sofern sie sachgemäß durchgeführt wird - im allgemeinen positive Effekte hervorruft". Kommer u. Bastine (1983, S. 85) gehen noch weiter und meinen: "Witho.ut doubt it is due to outcome research that the global effectiveness of psychotherapy in the majority of neurotic disorders has been sufficiently proven" (vgl. insbesondere Parloff 1979). Wieweit diese Schlußfolgerung auf die psychotherapeutische Behandlung Straffälliger im Strafvollzug übertragen werden kann, scheint jedoch vielen Forschern noch fragwürdig und ist nach wie vor umstritten (vgl. Kury 1983 a; 1983 b). In diesem Zusammenhang wird oft und zu Recht auf die Problematik einer Übertragung von Ergebnissen aus der allgemeinen Psychotherapieforschung, wie sie etwa an einer klinischen Klientel in einem völlig anderen Setting als beispielsweise eine Strafvollzugsanstalt es darstellt, gewonnen wurden, auf Straffällige hingewiesen. In der Zwischenzeit wurde die Problematik einer Anwendung psychotherapeutischer Verfahren im Strafvollzug bzw. bei Straftätern erkannt und versucht, für diesen Bereich eigenständige Behandlungskonzepte zu entwickeln, die vielfach unter dem Stichwort Sozialtherapie oder Soziales Training zusamengefaßt werden, wobei es sich hier um Sammelbegriffe handelt, unter denen oft außerordentlich unterschiedliche und heterogene Vorgehensweisen zusammengefaßt werden.

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2.4 Therapiekonzeption der Sozialtherapie

Wie oben bereits erwähnt, führte die Diskussion des Behandlungsgedankpns Straffälliger in der Bundesrepublik zur Einrichtung von inzwischen insgesamt 11 sozialtherapeutischen Modellanstalten, die sich über nahezu alle Bundesländer verteilen. Fast der gesamte bundesdeutsche Behandlungsvollzug spielt sich in diesen Modellanstalten ab, die teilweise relativ klein sind. Die Einrichtung der sozial therapeutischen Modellanstalten entwickelte sich vor dem Hintergrund des § 65 StGB, der allerdings bislang nicht in Kraft trat und wohl auch nie Gesetz werden wird (vgl. hierzu die Diskussion um die Beibehaltung des § 65 StGB bzw. um die alternative "Vollzugslösung" nach § 9 StVollzG; siehe Kaiser u. a. 1982; Schöch 1982 a; Driebold 1981 a; 1982; Schulz 1983). Die gesetzliche Einführung der sozialtherapeutischen Modellanstalten wurde - wie oben erwähnt - mehrmals verschoben; zunächst wohl, weil die Bundesländer mit ihren Vorbereitungsarbeiten nicht rasch genug vorankamen, zuletzt jedoch neben finanziellen Erwägungen sicherlich auch, weil sich die Kritik an dieser Vollzugsform zunehmend verschärfte (vgl. hierzu Jescheck 1975) und weil "im scharfen Wind der kriminalpolitischen Wende" es unvermeidbar war, "daß Zweifel an der Zukunft von Sozialtherapie, auch im Sinne ihrer Wünschbarkeit überhaupt, auftraten" (SchülerSpringorum 1984, S. 10). Die 11 sozialtherapeutischen Anstalten der Bundesrepublik verfügen über 652 Haftplätze, was 1,1 % der Belegungskapazität des bundesdeutschen Strafvollzugs entspricht (Stichtag 01. 10. 1980). Das bedeutet, daß relativ wenige Strafgefangene in der Bundesrepublik sich in einem behandlungsorientierten Vollzug befinden. Selbst bei sehr zurückhaltender Schätzung wird vermutet, daß mindestens 10% - 15 % der Strafgefangenen die Voraussetzungen der Unterbringung nach den Bestimmungen des § 65 StGB erfüllen (vgl. etwa Dünkel 1983 b, S. 147; Jescheck 1983, S. 7). Hierbei ist zu beachten, daß die Auswahlkriterien für eine Verlegung in die Sozialtherapie, wie sie in § 65 StGB vorgegeben werden, relativ unklar sind, was auch zu einer sehr unterschiedlichen Belegung der entsprechenden Anstalten führt (vgl. zu den Sozialtherapeutischen Anstalten auch Bundeszusammenschluß für Straffälligenhilfe 1977; zu den unterschiedlichen Zuweisungsbedingungen verschiedener sozialtherapeutischer Anstalten, auch im Ausland Krause u. Simons 1978, S. 2982f.; Baulitz u. a. 1980 b).

"-

Nach § 65 StGB kann das Gericht die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt bei den folgenden 4 Gruppen erwachsener (männlicher) Straffälliger anordnen (eine sozialtherapeutische Anstalt für Frauen gibt es lediglich in Lübeck; vgl. zu dieser am 01. 05. 1974 eröffneten Anstalt Böhme u. a. 1978):

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Rückfalltäter mit einer schweren Persönlichkeitsstörung, Sexual straftäter mit ungünstiger Legalprognose, jungerwachsene Hangtäter, bei denen die Straftat vor Vollendung des 27. Lebensjahres erfolgte und schuldunfähige und vermindert schuldfähige Straftäter, wenn davon auszugehen ist, daß die sozialtherapeutische Behandlung einer solchen in einem psychiatrischen Krankenhaus vorzuziehen ist. Über die Auslegung der relativ unklaren Begriffe wie etwa "schwere Persönlichkeitsstörung" oder "Hangtäter" gibt es keine einheitlichen Richtlinien, was ein unterschiedliches Vorgehen bei der Auswahl der Klienten fördert (v gl. hierzu Rolinski 1972). Die intensive Diskussion des Behandlungsvollzugs, weitgehend ausgelöst durch die kontroversen Ansichten über dessen Erfolg, täuscht leicht über den verschwindend geringen Anteil der Insassen hinweg, die sich tatsächlich in einem solchen Vollzug befinden. Das teilweise auch in der Presse auftauchende Gerede vom "Hotel vollzug" erscheint bei Berücksichtigung dieser Zahlen verhältnisse in einem anderen Licht. Die Situation dürfte auch im Jugendstrafvollzug nicht wesentlich anders sein, obwohl dieser nach dem Gesetz erzieherisch zu gestalten ist (vgl. §§ 17, 91 JGG). Diesem Ziel steht eine Vollzugswirklichkeit entgegen, die nach den Resultaten einer Fragebogenerhebung, über die Bulczak (1977, S. 511) auf dem 17. Deutschen Jugendgerichtstag berichtete, nahezu ausnahmslos kaum als erziehungsfreundlich zu bezeichnen ist. Die meisten Anstalten erfüllen den Erziehungsauftrag kaum. "Die Kritik an den bestehenden Vollzugsverhältnissen erscheint allzu sehr berechtigt". Zwar hat sich in der Zwischenzeit durch den Bau neuer Anstalten, wie etwa der modellhaft eingerichteten Jugendanstalt Hameln (vgl. Bulczak 1979), teilweise eine Verbesserung ergeben, jedoch handelt es sich hierbei um Einzelfälle, die nicht verallgemeinert werden können. Bezüglich der Wirkungsweise sozialtherapeutischer Behandlung liegen inzwischen z. T. sehr ausführliche wissenschaftliche Berichte vor, etwa zu den Modellanstalten in Düren (Rasch 1977), Hamburg (Rehn 1979), Erlangen (Egg 1979 a), Berlin-Tegel (Dünkel 1980 a; Waxweiler 1980), Bad Gandersheim (Baulitz u. a. 1980 a) und Ludwigshafen (Schmitt 1980) (vgl. zusammenfassend etwa Egg 1984). Was den wissenschaftlichen Ertrag der bisherigen Forschung zu den bundesdeutschen sozialtherapeutischen Anstalten betrifft, insbesondere die Frage, ob und wie wirksam die Behandlung bezüglich des späteren Legalverhaltens ist, gehen die Meinungen erwartungsgemäß stark auseinander. Zweifeln die einen nicht dar an, daß sich die Sozialtherapie bewährt habe (vgl. etwa Baumann 1979 a) und daß mit der in diesen Anstalten durchgeführten Behandlung "global betrachtet eine ganz erhebliche Senkung der Rückfall-

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kriminalität einhergeht" (Dünkel 1980 b, S. 76; vgl. auch Dünkel 1979; Rehn 1979; Gaertner 1982), so meinen die anderen, daß es an sich vermessen sei, "über die sich noch mehr oder weniger im Stadium des Experiments befindliche Sozial therapie bereits ein knappes Menschenalter nach ihren ersten praktischen Anfängen Erfolgsbilanz zu ziehen" (Bindzus 1980, S.89) oder lehnen den Ansatz bzw. teilweise darüber hinaus jegliche Behandlung im Strafvollzug grundsätzlich ab (siehe Albrecht u. Lamott 1980). Wie schwierig das Problem der Behandlung im Strafvollzug gerade auch in sozial therapeutischen Anstalten ist, zeigt sich z. B. auch in den kontroversen Diskussionen, die in der im "Zentrum für interdisziplinäre Forschung" (ZiF) in Bielefeld eingerichteten Forschungsgruppe "Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug" geführt wurden (vgl. etwa Schmitt 1979; Lippenmeier 1981; Driebold 1983 b; 1983 cl. Zentrales Ergebnis der mehrjährigen Arbeit der Experten ist ein "Modellentwurf" für eine sozialtherapeutische Anstalt, der zwar in vielen Punkten überzeugend ist, - so sollen die Insassen nach einer relativ kurzen geschlossenen Phase möglichst dezentral und weitgehend eingebunden in das kommunalpolitische Geschehen behandelt werden, wobei die Art der Behandlung dem tatsächlichen Bedarf des Klienten entsprechen soll -, dessen Verwirklichung jedoch von Prämissen ausgeht, deren Realisierung wenig wahrscheinlich ist. So wird eine drastische Reduzierung der Strafgefangenen zugunsten der Zahl der in den Behandlungsvollzug Eingewiesenen gefordert. Für das Jahr 2050 wird von einem Verhältnis von 5000 Plätzen im Behandlungsvollzug zu 5000-6000 im Strafvollzug ausgegangen (vgl. Forschungsgruppe "Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug" im ZiF der Universität Bielefeld 1981; siehe auch Egg 1982; zu dem Modell ausführlich Driebold u. a. 1984). Zumindest z. Zt. entwickeln sich die Gefangenenzahlen jedoch nahezu weltweit mehr in die entgegengesetzte Richtung. Daß sich in den letzten Jahren trotz erheblicher Intensivierung der Behandlungsforschung bislang noch keine einheitlichen und anerkannten Behandlungskritierien herausgebildet haben, überrascht angesichts der Komplexität der Problematik eigentlich nicht. Waren, wie erwähnt, die ersten Anstalten vorwiegend psychoanalytisch orientiert, hat sich das Bild inzwischen erheblich gewandelt. Nach Schmitt (1981, S. 148f.), der einen Überblick über die Art der Therapie in 10 der deutschen sozial therapeutischen Anstalten gibt, wird nur noch in 4 Anstalten Psychoanalyse praktiziert, jedoch in 7 Verhaltenstherapie und gar in 9 Gesprächspsychotherapie. Versuchte man zu Beginn der Behandlung Straffälliger im Vollzug in der Regel noch einzelne therapeutische Ansätze zu übertragen, hat sich das in den letzten Jahren zumindest teilweise geändert. Psychotherapeutische Behandlung hat heute "nicht mehr den zentralen Stellenwert wie zu Beginn der Modellversuche, sondern wird nur als ein Baustein innerhalb einer Kette von

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Trainingsfeldern verstanden, die vor allem Vermittlung von sozialpraktischen Fähigkeiten dienen und zu denen nach einer ersten geschlosenen Behandlungsphase in erster Linie die weitgehende Öffnung des Vollzugs gehört durch Ausgang, Urlaub und in der letzten Phase durch Freigang" (Kaiser u. a. 1982, S. 209; vgl. a. Nellessen 1982; Driebold u. a. 1984). Der "Siegeszug" der Gesprächs- und Verhaltenstherapie bei der Behandlung Straffälliger in sozialtherapeutischen Anstalten dürfte insbesondere damit zusammenhängen, daß hier mehr ausgebildete Therapeuten zur Verfügung stehen. Es ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß die Entscheidung für die Anwendung einer bestimmten Therapierichtung in einer Anstalt weniger von wissenschaftlich begründbaren Indikationskriterien bestimmt wird, als davon, was das Behandlungspersonal, das in der Regel aus Psychologen besteht, aufgrund seiner Ausbildung mehr oder weniger zufällig "anzubieten" hat. So weist etwa Lohse (1980, S. 296) darauf hin, daß die Auswahl der Verhaltenstherapie für die Sozialtherapeutische Anstalt Bad Gandersheim u. a. durch die Ausbildung der zur Verfügung stehenden Psychologen bedingt war (vgl. zu der Problematik auch Kury 1983 b). Da die klinisch-psychologische Forschung zur Frage der Indikation in der Psychotherapie, insbesondere auch was Randgruppen wie Straffällige betrifft, bislang noch kaum praxisrelevantes Wissen zur Verfügung stellte (vgl. zu dieser Problematik Grawe 1978; Baumann 1981), ist das auch nicht verwunderlich. Insbesondere bezüglich ~iner Behandlung Straffälliger ist kaum etwas dazu bekannt, welche delinquenzfördernden Persönlichkeitsstrukturen durch welche gezielten Behandlungsformen positiv beeinflußt werden können (vgl. Einseie 1971, S. 147). Neuere Forschungsergebnisse deuten auch an, daß ein Psychotherapieerfolg nicht nur von den vertretenen Richtungen - deren Bedeutung in diesem Zusammenhang nach wie vor anerkannt ist -, sondern zusätzlich auch von Persönlichkeitsvariablen des Therapeuten, Merkmalen des Settings u. ä. abhängt. Die Erfahrung, daß "reine" Psychotherapieformen bei Straffälligen insbesondere im Strafvollzug, wenn überhaupt, nur bedingt erfolgreich sein können, führte zur Entwicklung eigenständiger Behandlungsverfahren, die - wie erwähnt - in der Regel unter dem Stichwort Sozialtherapie bzw. Soziales Training zusammengefaßt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß diese Begriffe nur unklar definiert sind und mehr ein Sammeltopf für unterschiedlichste Vorgehensweisen darstellen. Unter dem Einfluß amerikanischer Untersuchungen (vgl. Goffman 1972; Szasz 1978) wurde auch in der Bundesrepublik etwa für die Psychiatrie oder andere Randgruppenbereiche wie den Strafvollzug auf die große, nicht zu überschätzende Bedeutung sozialer Faktoren für die Genese, den Verlauf und den Ausgang psychischer Störungen bzw. einer individuellen Abwei-

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chung hingewiesen (vgl. Dörner 1975; zur Sozialtherapie zusammenfassend Driebold u. a. 1984, S. 143ff.). Das führt zu einer zunehmenden Abkehr von einer individuumzentrierten (Psycho)therapie und Hinwendung zu einer "Soziotherapie" bzw. "Sozial therapie" . Der Begriff der Sozialtherapie ist außerordentlich schwer zu definieren, was an der Komplexität des Gegenstandes liegt. Sozialtherapie versteht die psychischen Probleme der Insassen nicht mehr nur als individuell verursacht, sondern zusätzlich als sozial mitbestimmt. Von daher spielt die Einbeziehung der sozialen Umwelt in das Behandlungskonzept eine große Rolle. Einzelne psychotherapeutische Verfahren haben hier, wenn überhaupt, nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Vielmehr wird versucht, die ganze Anstalt von den Bediensteten bis zur Leitung, teilweise auch das "Umfeld", z. B. die näheren Angehörigen, in den Behandlungsprozeß, der in aller Regel auch die Vermittlung praktischer Problemlösungstechniken und konkrete Möglichkeiten der Bewältigung auftauchender Schwierigkeiten beinhaltet, zu integrieren. Nach Driebold u. a. (1984, S. 145) ist eine sozialtherapeutische Praxis nur dann angemessen und erfolgversprechend, "wenn alle Bediensteten ihr professionelles Wissen auf die Konzeptualisierung sowie ihr Handlungswissen und ihre Fertigkeiten in die Gestaltung aller Lebensbereiche innerhalb und außerhalb der Anstalt einbringen, deren rechtliche und justizvollzugliche Absicherung betreiben, um auf diese Weise Handlungsräume zu schaffen, die den Lernbedürfnissen und dem Lernbedarf der Insassen entsprechen". Sozialtherapie bemüht sich insbesondere auch darum, eine Ausgrenzung und Isolierung der Betroffenen zu vermeiden. Die bisherige Forschung zu den totalen Institutionen Psychiatrie bzw. Strafvollzug wies zu Recht darauf hin, daß durch eine Institutionalisierung und damit Ausgliederung einer Personengruppe aus der Gesellschaft die zu lösenden Probleme eher verstärkt und durch zusätzlich hinzukommende Schwierigkeiten die Situation der Betroffenen verschärft wird. Um solche Prozesse zu verhindern, bemüht sich Sozialtherpie um möglichst große Alltagsnähe. Nach Driebold u.a. (1984, S. 1461.) beinhaltet der sozial kritische Ansatz von Sozial therapie insbesondere die folgenden Punkte: Kritik an einer sozialtherapeutischen und sozialpädagogischen Praxis, deren Bezugssysteme ausschließlich orientiert sind an isolierten Individuen oder Kleingruppen, Ausrichtung auf soziale Lebenszusammenhänge anstelle von Symptomzentrierung, Förderung von Veränderungsansätzen, die über den engeren therapeutischen Rahmen hinausgehen und auf organisatorische und institutionelle Faktoren des psychosozialen Systems insgesamt zielen" (vgl. auch Dorst u. Leffers 1980, S. 91).

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Die Praktizierung von Sozialtherapie in Institutionen bringt, wie nicht anders zu erwarten, teilweise erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Das liegt etwa an der Starrheit und Festgefahrenheit von Institutionen, wie sie Strafvollzugsanstalten in aller Regel darstellen, an deren Beharrungstendenz, am Althergebrachten und "bewährten" Vorgehen festzuhalten. Sozialtherapie erfordert jedoch, wenn sie funktionieren und nicht lediglich ein Etikett für einen angeblich "modernen" Vollzug abgeben soll, an dem sich letztlich nichts geändert hat, auch ein wesentlich größeres Engagement aller Beteiligten. Das gesamte Anstaltspersonal ist mehr oder weniger in den Behandlungsprozeß, bei dem die Rollenverteilung zwischen Behandlung und Behandeltem, wie sie in einem klassischen psychotherapeutischen Setting gegeben ist, aufgehoben wird, einbezogen. Gerade die Ablösung klarer Rollenzuweisungen eines Subjekt-Objekt-Verhältnisses, wie es in der "klassischen" Psychotherapie gegeben ist, zugunsten einer Einbeziehung aller in den therapeutischen Prozeß bewirkt verständlicherweise auch eine starke Verunsicherung der beteiligten Behandler, werden unter Umständen doch die eigenen Probleme und Schwächen deutlicher, ja, stehen sie teilweise geradezu zur Diskussion. Die sich hieraus ergebenden Probleme sowie die damit zusammenhängende Rollenunsicherheit trug sicherlich wesentlich mit dazu bei, daß die Übertragung des sozialtherapeutischen Konzepts auf Strafvollzugsanstalten, wie sie auch sozial therapeutische Einrichtungen nach wie vor darstellen, in aller Regel nur fragmentarisch gelang. Hierbei spielte die oft unzureichende Ausbildung und Vorbereitung des Anstaltspersonals zweifellos eine wesentliche Rolle (vgl. zu den Problemen der Sozialtherapie zusammenfassend Driebold u. a. 1984, S. 143ff.; zur Kritik Lamott 1984).

2.5 Mangelnde theoretische Begründung der Behandlungsansätze bei Straffälligen Daß die Frage der Behandlungsindikation in der Kriminaltherapie noch weitgehend ungeklärt ist, ist auch im Zusammenhang damit zu sehen, daß auch die Frage nach den Ursachen straffälligen Verhaltens nach wie vor kontrovers und teilweise sehr widersprüchlich diskutiert wird. Zwar wurden, insbesondere von der anglo-amerikanischen Kriminalsoziologie, zahlreiche Kriminalitätstheorien entwickelt, jedoch ist deren empirischer Gehalt sehr unterschiedlich (vgl. etwa Springer 1973; siehe die zusammenfassenden Darstellungen von Kaiser 1980 b; Heinz 1975; 1983 a; Rüther 1975; Lamnek 1979). Kriminalitätstheorien, die die Ursachen straffälligen Verhaltens ausschließlich in gesellschaftlichen Bedingungen bzw. den Reaktionen offiziel3 Kurr I

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ler Kontrollinstanzen sehen, lehnen konsequenterweise eine am einzelnen Straftäter ansetzende Behandlung ab und fordern staUdessen eine Änderung gesellschaftlicher Umstände bzw. der Reaktionsweisen auf strafbare Handlungen, insbesondere bei Jugendlichen (vgl. in diesem Zusammenhang die umfangreiche Diskussion zu Diversionsstrategien in den Vereinigten Staaten, siehe zusammenfassend Kury u. Lerchenmüller 1981; Kerner 1983). In diesem Zusammenhang wird in der Regel davon ausgegangen, daß Straffällige sich auch hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht wesentlich von der "Normalbevölkerung" unterscheiden und auch von daher ein spezialpräventives, am einzelnen Straffälligen ansetzendes Resozialisierungsprogramm verfehlt ist. Die Diskussion zu diesen Fragen wird nach wie vor sehr gegensätzlich geführt. Die Ergebnisse der zahlreichen Untersuchungen zu Persönlichkeitsunterschieden zwischen (offiziell) Straffälligen und (offiziell) Nichtstraffälligen sind teilweise widersprüchlich und methodisch vielfach fragwürdig. Neuere methodisch verfeinerte Studien bestätigen jedoch die Annahme eines Zusammenhangs zwischen psychologischen Persönlichkeitsmerkmalen und straffälligem Verhalten relativ deutlich (vgl. zusammenfassend zu diesem Themenbereich etwa Lösel 1983 a; 1983 b; 1983 c; Villmow-Feldkamp 1976; Villmow-Feldkamp u. Kury 1983). Neben z. T. heftigen Kontroversen um den Labeling-Ansatz (vgl. Sack 1978; Rüther 1975). der AnomieTheorie (vgl. Opp 1974) wird in der Bundesrepublik Deutschland insbesondere eine auf der Sozialisationstheorie basierende Erklärung straffälligen Verhaltens vertreten (vgl. etwa Göppinger 1980; Kury 1982 a; SessarKarpp 1982; Kaiser 1980 b). unterstützt von psychoanalytischen Theorien zur Entstehung straffälligen Verhaltens (vgl. etwa Klüwer 1974; Moser 1972; Herren 1973). Kaiser (1983 c, S.334) betont zu Recht, daß "am ehesten ... sozialisations theoretische Befunde (vgl. Kaiser 1980 b, S.357ff., S. 126ff.) überzeugen (dürften). nach denen gravierende Sozialisationsmängel in den Bereichen der Persönlichkeit und des sozialen Umfeldes, wfe Familie, Schule, Beruf und Freizeit, zu sozialen Abweichungen führen. Tatsächlich lassen sich auch bei delinquenten Jugendlichen zum Zeitpunkt ihrer sozialen Auffälligkeit überwiegend Mehrebenenkonfljkte im sozialen Nahraum und Störfaktoren feststellen. Deshalb findet sich auch hier am ehesten ein Ansatzpunkt zur gezielten Intervention, Hilfe und Beeinflussung" (vgl. auch Buchmann 1983 a; 1983 b; Pechstein 1982). Selbst wenn jedoch die Ursachen für eine spätere Straffälligkeit zunächst nicht in persönlichkeitspsychologischen Abweichungen zu suchen sind, sondern in den Folgen der Stigmatisierungsprozesse vor dem Hintergrund der Verfolgung eines mehr oder weniger zufällig begangenen Bagatelldeliktes durch die Strafverfolgungsbehörden und dadurch eine spätere kriminelle Karriere überhaupt erst ausgelöst und festgeschrieben wird, es zu einem

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"sich wechselseitig hochschaukelnden Interaktionsprozeß zwischen dem Jugendlichen und seiner sozialen Umwelt" kommt (Quensel 1970, S.378), muß davon ausgegangen werden, daß die Betroffenen, bis sie letztlich eine Freiheitsstrafe zu verbüßen haben, in ihrer Persönlichkeit so geschädigt sind, daß sie vielfach ohne Unterstützung im Rahmen eines Behandlungsprogrammes nur schwer zu einem legalen Lebenswandel zurückfinden dürften. Diese Persönlichkeitsstörung muß somit keineswegs Ursache dafür sein, daß straffälliges Verhalten ursprünglich auftrat, sondern kann erst durch die Maßnahmen der Strafverfolgung selbst bewirkt sein und jetzt allerdings eine von mehreren Gründen für die weitere Aufrechterhaltung abweichenden Verhaltens bilden. In diesem Falle könnte somit ein Behandlungsprogramm die Aufgabe haben, die durch die Strafverfolgung ausgelöste Persönlichkeitsschädigung wieder auszugleichen. Wie bereits erwähnt, spricht jedoch sehr viel dafür, daß die persönlichkeitsspezifischen Ursachen straffälligen Verhaltens im Rahmen fehlgelaufener Sozialisationsprozesse insbesondere in Familie und Schule zu suchen sind. Daß diese Sozialisationsbedingungen in einem gesellschaftlichen Kontext zu sehen sind, steht außer Frage. Jugendliche Straffällige kommen vielfach aus Multiproblemfamilien, deren Belastung nicht nur aus innerfamiHären Schwierigkeiten resultiert (finanzielle Schwierigkeiten, schlechter Ausbildungsstand, weniger soziale Kompetenz, psychische und Kommunikationsschwierigkeiten usw.), sondern auch daraus, daß sie gerade wegen dieser Probleme von der Gesellschaft zusätzlich an den Rand gedrängt werden und ihnen dadurch die Chance, "den Anschluß zu finden", weiterhin verwehrt wird (vgl. etwa Kury 1977 a; 1977 b; 1979 a; 1979 b; 1980 a). Gerade auch bezüglich einer begründeten Auswahl von Behandlungsstrategien für Straffällige ist die Ausarbeitung integrativer Theorien zur Erklärung delinquenten Verhaltens von großer Bedeutung. Nur daraus können sich letztlich konkrete Handlungsanleitungen sowohl hinsichtlich einer Behandlung als auch Prävention ergeben. So dürften die familiären Schwierigkeiten beispielsweise nicht durch eine Gesprächsspsychotherapie allein gelöst werden können. Vielmehr müssen hier ergänzende und abgestimmt auf die jeweiligen Bedingungen konkrete Hilfsangebote gemacht werden. Ansonsten ist von der Behandlung bestenfalls eine vorübergehende psychische Erleichterung zu erwarten, die unter den nach wie vor vorhandenen konkreten Schwierigkeiten (wie Finanznot, Raummangel u. ä.) bald wieder abklingen dürfte. Die Behandlung darf somit keine lediglich auf das einzelne Individuum beschränkte psychotherapeutische, sondern muß vielmehr eine sozialtherapeutische sein. Straffälliges Verhalten "kann folglich nicht als eine Störungskategorie verstanden werden, in der ausschließlich oder überwiegend mit Psychotherapie, d. h. auch mit Gesprächspsychotherapie, zu arbeiten ist" (Minsel u. Howe 1983, S. 257). Bei der Praktizierung psychothe)'

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rapeutischer Verfahren im Strafvollzug bzw. bei Straftätern wurde schon sehr bald klar, daß einerseits diese Psychotherapien, gleichgültig welcher Schulrichtung sie angehörten, "geändert werden mußten, um den Bedürfnissen Rechnung zu tragen, die mit der Behandlung von Delinquenten aus der Unterschicht entstehen", und daß andererseits die Behandlung über den engen, eingegrenzten Kontext des klassischen psychotherapeutischen Settings hinausgehen und den Sozial bereich der Klienten mit einbeziehen mußte (Driebold u. a. 1984, S. 144). Denn subkulturelle Einflüsse verschiedenster Art, geringer Ausbildungsstand, finanzielle Schwierigkeiten, institutionelle Einschränkungen usw. stellen Bedingungen dar, die aus eigener Kraft vielfach nicht gelöst und überwunden werden können. Weitgehend übereinstimmend wird deshalb heute festgestellt, "daß bei gravierender Dissozialität Psychotherapie im engeren Sinne ergänzt werden muß, und zwar u. a. durch erzieherische Ansätze, Milieugestaltung und flankierende Maßnahmen" (Löse11983 c, S. 179). Biermann-Ratjen u. a. (1979, S. 137f.) weisen in diesem Zusammenhang daraufhin, daß vor Anwendung einer Psychotherapie jeweils zu prüfen ist, wieweit diese in der Lösung eines Problems überhaupt weiterhelfen könne. In der Behandlung in sozialtherapeutischen Anstalten wurde das in den letzten Jahren durchaus gesehen und es wurden entsprechende breit angelegte Behandlungskonzepte zumindest ansatzweise entwickelt, so beispielsweise das Modell der "integrativen Sozialtherapie" in Bad Gandersheim (vgl. Baulitz u. a. 1980 a; insbesondere etwa Specht u. Eger 1980). Nach dem Großteil der vorliegenden Kriminalitätstheorien ist eine spezialpräventiv ausgerichtete Behandlung Straffälliger prinzipiell durchaus begründbar. Kaum stringent ableitbar dürfte jedoch sein, welche Therapieart - etwa gar noch bei welchen Straffälligen - den optimalen Erfolg verspricht. Das dürfte mit daran liegen, daß es nur wenige psychologisch orientierte Kriminalitätstheorien gibt. Hinzu kommt jedoch auch, daß Straffälligkeit keineswegs ein einheitliches Merkmal ist, sich dahinter vielmehr eine Fülle unterschiedlichster Verhaltensweisen verbirgt, die u. U. eine jeweils andere Behandlung erfordern. Die Frage nach einer differentiellen Indikation ist zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch in der Psychotherapieforschung weitgehend ungeklärt. Das begünstigt die Vielfalt des therapeutischen Angebots, etwa in sozialtherapeutischen Anstalten in der Bundesrepublik.

2.6 Zusammenfassung Während in der internationalen Theoriediskussion die Frage der Resozialisierung von Straftätern durch systematische Behandlung bereits in den

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50er Jahren vorherrschte, begann die Behandlungsforschung, und damit die gezielte Entwicklung von entsprechenden Programmen, in der Bundesrepublik erst in den 60er Jahren und auch da nur zögernd. Eine Intensivierung der Diskussion kam hier durch die Einführung des § 65 in das Strafgesetzbuch, welcher die Unterbringung von Straftätern in besonderen sozialtherapeutischen Behandlungsanstalten vorsah, in Gang. Obwohl der § 65 nie in Kraft trat, richteten nahezu alle Bundesländer modellhafte sozialtherapeutische Anstalten ein, in denen Behandlungskonzepte entwickelt und erprobt wurden. Auch die Arbeiten zu dem 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz förderten den Behandlungsgedanken bei Straffälligen. Hier wird der Resozialisierungsgedanke als Ziel des Strafvollzugs eindeutig in den Vordergrund gerückt. Bei der Implementation von Behandlungsprogrammen in den ersten Sozialtherapeutischen Anstalten orientierte man sich weitgehend an angloamerikanischen, dänischen und holländischen Vorbildern. Da zu jener Zeit die Behandlung Straffälliger in Dänemark und Holland vorwiegend nach dem psychoanalytischen Modell ausgerichtet war, verwundert es nicht, daß auch die ersten deutschen Behandlungsanstalten von einem tiefenpsychologischen Behandlungsansatz geprägt waren. Mit dem zunehmenden Aufkommen des Resozialisierungsgedankens und der entsprechenden Einführung von Behandlungsprogrammen gewann auch die Evaluationsforschung zur Überprüfung der Wirkungsweise dieser Maßnahmen vermehrte Bedeutung. So wurden in den 70er Jahren in mehreren der Modellanstalten der Bundesrepublik Evaluationsstudien durchgeführt, die zu einem großen Teil einen Erfolg der Behandlungsprogramme in Form reduzierter Rückfallquoten nach Haftentlassung feststellten. An diesen Untersuchungen und deren zwangsläufig vorhandenen methodischen Schwächen, welche die Aussagekraft einschränkten, entzündete sich z. T. eine heftige Kritik. So wurde etwa auf die gesellschaftlichen Hintergründe der Straffälligkeit hingewiesen, die bei Behandlungsprogrammen in der Regel ausgeklammert würden. Auch wurde die oft fehlende theoretische Begründung des Behandlungsansatzes bei Straffälligen betont. Die Auswahl konkreter Behandlungsprogramme erfolgte damals wie heute mehr oder weniger nach zufälligen Gesichtspunkten. Beeinflußt wurde die Entwicklung des Behandlungsvollzuges von dem starken Aufschwung, den die klinisch-psychologischen Therapiemethoden in den letzten Jahrzehnten erfahren haben. Auch hier steht der Nachweis der Wirksamkeit vieler dieser Behandlungsansätze noch aus. Obwohl aus dem sozialtherapeutischen Bereich in der Bundesrepublik inzwischen umfangreiche Erfahrungsberichte vorliegen und vielfach ermutigende Ergebnisse berichtet werden, konnte das ein Abrücken vom Behandlungsgedanken in den letzten Jahren nicht aufhalten. Diese Trendwende, weg vom Behandlungsgedanken bei Straffälligen, ist auch im Ausland zu beobachten.

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A. Behandlung im Strafvollzug/bei Straffälligen

3. Kritische Diskussion des Behandlungsansatzes bei Straffälligen aufgrund vorliegender Forschungsergebnisse In den letzten Jahrzehnten wurden vor allem in den USA, seit Anfang der 70er Jahre jedoch auch in der Bundesrepublik vermehrt Behandlungsprojekte und empirische Evaluationsstudien zur Überprüfung des Erfolgs durchgeführt. Die Zahl entsprechender Untersuchungen in den Vereinigten Staaten ist kaum noch überschau bar. Gegner des Behandlungsansatzes versuchten immer wieder auf die Schwächen der einzelnen Studien hinzuweisen und die Aussagekraft der gefundenen Resultate in Frage zu stellen. Diese Kritik an der Behandlungsforschung, insbesondere auch an den inzwischen zahlreich vorliegenden Projekten gerade in den Vereinigten Staaten, zunehmend aber auch in der Bundesrepublik, setzte einmal an methodischen Schwächen der empirischen Untersuchungen an (vgl. hierzu ausführlicher unten), zum anderen aber auch an inhaltlichen Gesichtspunkten und hier insbesondere an der Frage, ob eine Behandlung in der totalen Institution Strafvollzugsanstalt und an Straffälligen überhaupt wirkungsvoll sein kann und von daher sinnvoll ist. Hierbei ist zu beachten, daß die Kritik am Strafvollzug und der Strafverfolgung aufgrund der damit verbundenen Stigmatisierung zwar keineswegs neu, jedoch nach wie vor aktuell ist (vgl. bereits von Liszt 1905, S.339). Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde auf die schädlichen Wirkungen der Inhaftierung aufmerksam gemacht und betont, daß die Rechtsbrecher in den Gefängnissen mehr verdorben als für die Gesellschaft "brauchbar" gemacht würden (vgl. etwa Liepmann 1927; Grünhut 1948; zusammenfassend Schneider 1981, S. 928). Der "Prisonisierungsgedanke" kann somit auf eine relativ lange Tradition zurückblicken, wurde jedoch erst in neueren sozialwissenschaftlichen Untersuchungen präzisiert und insbesondere empirisch untermauert (vgl. etwa Clemmer 1958; zusammenfassend von Trotha 1982; Lerchenmüller 1981 ; Ortmann 1985 b). Solche Prisonisierungsprozesse dürften bei Tätern mit langer krimineller Karriere, wie sie etwa bei Insassen sozial therapeutischer Anstalten in der Regel gegeben ist, hinsichtlich des Ausmaßes der Persönlichkeitsschädigung des Betroffenen maßgeblicher sein als etwa die begangenen Delikte selbst. So kommen Driebold u. a. (1984, S. 124) im Rahmen ihrer Untersuchung zur Sozialtherapie zu der Ansicht, "daß nicht so sehr die Art der Tat, sondern vielmehr das Ausmaß der zuvor durchlaufenen Kriminalitätskarriere, insbesondere aber die Häufigkeit vorausgegangener Anstaltsaufenthalte die ,Schwere der Störung' anzeigen".

Im folgenden soll ein kurzer Überblick über die wesentlichsten Kritikpunkte am Behandlungsansatz, wie sie in der ausländischen, aber auch bundesdeutschen Literatur zu finden sind, gegeben werden.

3. Diskussion des Behandlungsansatzes bei Straffälligen

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3.1 Kontroverse Diskussion zur Behandlung im Strafvollzug bzw. Straffälliger im Ausland

Da in den Vereinigten Staaten der Behandlungsgedanke bei Straffälligen wesentlich früher als in der Bundesrepublik in Form von zahlreichen Projekten konkrete Gestalt annahm, ist hier die Diskussion zu Fragen der Vollzugs-, insbesondere auch Behandlungsforschung wesentlich umfangreicher. Besonders im Bundesstaat Kalifornien wurde seit etwa 1960 ein umfangreiches Behandlungsprogramm bei Straftätern in Angriff genommen, das sich zum größten in den Vereinigten Staaten ausweitete. Hier wurden mehr finanzielle Mittel für die Behandlung und Resozialisierung Straffälliger investiert als in den anderen Staaten. Nach Serrill (1974) belief sich der finanzielle Aufwand für das kalifornische Gefängnissystem als dem bestausgebautesten des gesamten Landes etwa im Jahre 1974 auf nicht weniger als 185 Mill. US-Dollar. Entsprechend hatte ein Großteil der Behandlungsprojekte sowie der Vollzugsforschung auch in diesem Bundesstaat der USA seinen Ursprung (vgl. Ward 1973). Obwohl in den Vereinigten Staaten sehr viele und teilweise auch spektakuläre Behandlungsprojekte durchgeführt wurden, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß auch hier wie in der Bundesrepublik der klassische Verwahr- und Sicherungsvollzug vorherrscht (vgl. Schöch 1980, S. 316). Seit etwa Mitte der 70er Jahre setzte nun in der Bundesrepublik, aber auch in den anderen Staaten der westlichen Welt, wiederum weitgehend beeinflußt von der Situation in den Vereinigten Staaten aber auch der nordischen Länder, eine heftige Kritik am Behandlungsgedanken ein, die vor dem Hintergrund vorliegender Untersuchungen Ausdruck einer Ernüchterung bezüglich des Erfolgs der in Angriff genommenen Reform im Strafvollzug ist (vgl. etwa Blau 1976 b, S. 32f.). Empirische Untersuchungen machten allzu deutlich, daß man sich hinsichtlich der Wirkungsweise von Resozialisierungsprogrammen bei Straftätern, insbesondere wenn sie im Strafvollzug durchgeführt werden, zuviel versprochen hatte. Die Kritik verfiel nun vielfach ins andere Extrem und behauptete, daß Behandlung bei Straffälligen prinzipiell wirkungslos sei. Diese Kritik am Behandlungsansatz stützte sich in den letzten Jahren auch in der Bundesrepublik insbesondere auf die umfangreichen Sekundäranalysen von Bailey (1966), Logan (1972) und vor allem von Upton u. a. (1975). Upton u. a. (1975) kommen in ihrer umfangreichen Studie zu dem Ergebnis, daß sich kaum Hinweise dafür fänden, daß sich durch Einführung spezifischer Behandlungs- und Therapieformen die Effizienz des Strafvollzugs erhöhen ließe. Die Autoren stellen eine weitgehende Inadäquatheit der Untersuchungen sowohl hinsichtlich der Behandlung, als auch der zur Effizienzprüfung durchgeführten Forschung fest. Zwar habe sich bei einigen Programmen ein geringfügiger, aber nicht überzeugender Erfolg gezeigt.

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"While some treatment program have had modest success it still must be concluded that the field of corrections has not as yet found satisfactory ways to reduce recidivism by significant amounts" (Upton u. a. 1975, S. 627). Nach Ansicht der Autoren hat eine Behandlung im Strafvollzug unter den gegebenen Bedingungen kaum eine Chance auf Wirksamkeit. Auch McNeece (1984, S. 70) kommt zusammenfassend zu dem Ergebnis, daß der Behandlungsvollzug nicht funktioniert: " ... we know that institutional programs do not work. If they must be used at all, we should recognize that the purpose is control or punishment, not rehabilitation. To continue committing children to institutions for tleatment simply guarantees additional failure and increased disenchantment with the concept of rehabilitation". Martinson, einer der profiliertesten Kritiker des Behandlungsansatzes bei Straffälligen, hat bereits früher die Effektivität von Resozialisierungsprogrammen, insbesondere soweit sie im Strafvollzug durchgeführt werden, in Frage gestellt und das Ergebnis seiner umfangreichen Studien in der provozierenden Formel zusamengefaßt: "Nothing works" (vgl. Martinson 1976 a; s. auch Martinson 1976 b). Daß bezüglich der Beurteilung der Behandlungsergebnisse bei Straffälligen jedoch keineswegs Einigkeit unter den Experten herrscht, zeigt beispielsweise die Auseinandersetzung Martinsons mit Palmer u. Adams (vgl. Martinson u. a. 1976 a). Palmer (1975; vgl. auch 1976) weist die pauschale Kritik von Martinson mit dem Hinweis zurück, daß trotz einer negativen Gesamtbilanz, insbesondere für spezifische Tätergruppen, auch Behandlungserfolge erzielt werden konnten. Die Fragestellung bei der Beurteilung von Reformprogrammen könne nicht lauten, ob das Programm insgesamt erfolgreich war, sondern vielmehr, ob es für bestimmte und wenn ja, für welche Tätergruppen positive Resultate gezeigt habe und welche Einzelrnaßnahmen für diese Veränderungen verantwortlich seien. Palmer setzt sich somit für eine Differenzierung der Behandlungsmaßnahmen bei unterschiedlichen Tätergruppen ein (vgl. kritisch hierzu etwa v. Trotha 1979, S. 127ff.), ein Gesichtspunkt, der gerade hinsichtlich der Heterogenität der Straffälligenpopulation sehr wichtig ist. Allerdings wird der kritische Standpunkt Martinsons von zahlreichen anderen Autoren geteilt. Schrag (1974, S. 733) kommt etwa zu dem Ergebnis: "Conceptions of what needs to be done in the field of corrections... are changing. Most important in this connection is the growing evidence that correctional programs have little, if any impact on the amount of crime in the community. Prisons are ineffective, even those having modern treatment programs. Prisoners who receive treatment appear to have ab out the same recidivism rates as those who do not" (vgl. etwa auch Robison u. Smith 1971; Schur 1965; Thornberry 1976; Conrad 1980; Berkowitz 1973; Feldman 1977). Allen u. a. (1976, S. 215) kommen zu einer noch schärferen Ablehnung des

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Behandlungsansatzes bei Straffälligen: "So great has been our failure in altering antisocial patterns and life styles that the entire people-changing enterprise has been condernned as both ineffective and worse, as unjust" (vgl. auch Gould 1979). Nach Menninger (1969) verläßt der Insasse die Anstalt in der Regel gestörter und "krimineller", als er sie betreten hat, wofür Prisonisierungsprozesse verantwortlich gemacht werden. Auch in den skandinavischen Ländern waren bereits relativ früh kritische Stimmen gegenüber einer Behandlung Straffälliger zu hören. Hierbei ist zu beachten, daß etwa Dänemark und die dortigen Modellanstalten lange Zeit als das "Mekka" der deutschen Strafvollzugsreformer galten. Seit 1973 gibt es in diesem Land die "Psychopathen-Verwahrung", die in mancher Hinsicht als Vorbild der deutschen Sozialtherapie angesehen wurde, nicht mehr (vgl. Egg 1984, S. 123ff.). Kritische Stimmen hatten hier zu einem kriminalpolitischen Umdenken im Umgang mit Straffälligen veranlaßt (vgl. etwa Aubert 1958; Christie 1960 a; 1960 b; Aubert u. Mathiesen 1962; Anttila 1967; 1972; Eriksson 1967; Bondeson 1974; Börjeson 1966a; 1966b). Bernhardt (1984, S. 141), der die Entwicklung im dänischen Strafvollzug der letzten Jahre, wo der Behandlungsvollzug früher, wie erwähnt, eine bedeutende Rolle gespielt hat, zusammenfassend diskutiert, stellt fest, daß die Kritiker bei den Insassen "als Behandlungserfolg eher ein Anwachsen charakterlich unerfreulicher Eigenschaften, der Heuchelei, der Unterwürfigkeit (sahen). Und sie glaubten, daß die seelischen Ausgleichsmechanismen wie z. B. Gewalt und Mitleidslosigkeit gegen Schwächere unter den gleichen Voraussetzungen entstehen. Kurz: Behandlung im Gefängnis birgt die Gefahr charakterlicher Fehlentwicklungen, noch genauer: Behandlung erzeugt Haftschäden". Christie (1981, S.24f.) führt insbesondere zwei Gründe für die heutige Ablehnung des Behandlungsansatzes in Skandinavien an: Zum einen sei es nicht gelungen, einen echten Behandlungsvollzug zu verwirklichen; die Gefängnisse wären Gefängnisse geblieben und hätten sich nicht in Behandlungseinrichtungen umwandeln lassen - ein Kritikpunkt, der zweifellos auch für den bundesdeutschen Behandlungsvollzugs gilt -, zum andern habe sich gezeigt, daß das Behandlungssystem nicht erfolgreich resozialisieren könne. Bishop (1975) betont in einer Kritik der sozialtherapeutischen Behandlung, daß diese sich zu sehr auf psychische Probleme der Insassen konzentriert habe, statt mehr die Handlungschancen und Kompetenzen der Betroffenen zu fördern. Die (teilweise) Einseitigkeit der Darstellungen sowie der pauschalen Ablehnung eines Behandlungsansatzes bei Straffälligen zeigt sich jedoch darin, daß andere Autoren überzeugend über durchaus positive Behandlungsansätze berichten. Klein (1983, S. 371) verweist darauf, daß es einereits bislang zwar kaum gelungen sei, den Erfolg von komplexen, umfangreichen Programmen aufzuzeigen; andererseits aber zahlreiche Einzelfallstudien mit

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positiven Resultaten vorlägen (vgl. auch Romig 1978). Hiermit wird auf das Problem der Erfolgsforschung verwiesen (vgl. ausführlicher unten). Die Behauptung von Sinclair u. Clarke (1982, S. 72), daß nämlich die Ineffektivität einer institutionellen Behandlung zur Reduzierung der Rückfallrate weitgehend akzeptiert sei, ist in dieser Allgemeinheit sicherlich nicht richtig. Vielmehr ist nicht zu übersehen, daß "im weltweiten Blickfeld gesehen, der Behandlungsgedanke keinesfalls überwiegend verworfen wird" (Kaiser 1980 b, S. 287; vgl. auch Clifford u. Mukherjee 1979, S. 23). So kommen beispielsweise Ross u. Gendreau (1980) in ihrer umfangreichen Sekundäranalyse einschlägiger Forschungsberichte zu einem günstigeren Resultat hinsichtlich der Wirkungsweise von Behandlungsprogrammen. Die Autoren haben die Literatur von 1973 bis 1978 aufgearbeitet, also auch Berichte über neuere Studien, die vielfach methodisch besser durchgeführt wurden und wirksamere Behandlungsmaßnahmen einsetzten, berücksichtigt. Insgesamt fanden sie 95 veröffentlichte Untersuchungen, die sich auf die Behandlung von antisozialem Verhalten konzentrierten. Um in die Analyse aufgenommen zu werden, mußten die Untersuchungen folgende methodische Kriterien erfüllen: 1. experimentelles oder quasi-experimentelles Design; 2. Follow-up und Erhebung weiteren straffälligen Verhaltens; 3. adäquate statistische Auswertung der Resultate. Von den 95 erfaßten Studien aus dem 5-Jahreszeitraum berichten nicht weniger als 86 %einen Erfolg des angewandten Behandlungsprogramms (Gendreau u. Ross 1980, S. 23). Den Aspekt, daß insbesondere ältere Programme entweder wenig erfolgreich sind bzw. zahlreiche methodische Schwächen beinhalten, arbeiten auch Wright u. Dixon (1977) heraus. Nach ihnen berücksichtigen die meisten Sekundäranalysen, die zu dem Resultat kommen, daß die Programme keinen positiven Effekt hatten, lediglich veraltete Untersuchungen vor 1973 (vgl. auch Gold 1978; Halleck u. Witte 1977). Effektive Weiterentwicklungen insbesondere der Behandlungsprogramme und deren günstigere Resultate werden somit in Sekundäranalysen, etwa auch der von Lipton u. a. (1975), auf die sich die Fachliteratur jedoch in der Regel zusammenfassend beruft, oft nicht berücksichtigt. Serrill (1975, S. 6) weist beispielsweise daraufhin, daß die Reformbestrebungen in den Vereinigten Staaten erst eingesetzt haben, nachdem die von Lipton u. a. (1975) berücksichtigten Studien bereits durchgeführt worden sind. Eine differenziertere Auswertung der Resultate dieser Sekundäranalysen zeigt ferner, daß die Autoren selbst in etwa 40 % der berücksichtigten Untersuchungen über positive Einzelergebnisse berichten, teilweise jedoch nur für bestimmte Insassengruppen in besonderen Situationen (vgl. auch Rehn 1979, S.6). Allerdings finden sich auch in der älteren Fachliteratur durchaus Behandlungsforschungsprojekte, die mit beeindruckenden Ergebnissen aufzuwarten haben, von zusammenfassenden kritischen Darstellungen jedoch viel-

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fach unberücksichtigt bleiben. Beispielsweise berichten Doctor u. Palakow (1973) über ein Projekt, in welchem sie die Rückfallrate wesentlich senken konnten (vgl. auch Hayes 1973; Seidman u. a. 1980). Andere Autoren stellen Ergebnisse von Behandlungsprojekten vor, bei denen die Rückfallquote z. T. um 30-60 % reduziert werden konnte, wobei es sich hierbei zumindest teilweise durchaus um gut kontrollierte Untersuchungen handelt (vgl. dazu Alexander u. Parsons 1973; Chandler 1973; Phillips u. a. 1973; Ross u. McKay 1976; Walter u. Mills 1979; Lee u. Haynes 1980). O'Donnell u.a. (1979) fanden eine Reduzierung der Rückfallquote bei den behandelten Probanden bei einer Follow-up-Untersuchung nach drei Jahren um 22 %, was auf eine Langzeitwirkung des Treatments hinweist (vgl. etwa auch Sarason 1978; Jeffrey u. Woolpert 1974; Blakely u. a. 1980; Shoreu. Massimo 1979). Jesness u. a. (1972) berichten über das "Youth Center Research Project" bei Jugendlichen, ein hinsichtlich der Forschungsmethode und Durchführung besonders komplexes und gründliches Behandlungsexperiment, dessen Resultate ermutigend sind (vgl. auch Jesness 1975 j zusammenfassend Eidt 1972; Böllinger 1980). Das Projekt wurde von 1968 bis 1972 am "Northern California Youth Center" durchgeführt. Eine Nachuntersuchung zeigte, daß die behandelten Jugendlichen die Bewährungszeit mit wesentlich weniger Auffälligkeiten durchliefen als nicht behandelte Probanden. Auch die Zahl der erneuten Verurteilungen ist bei den Experimentalprobanden niedriger (vgl. Böllinger 1980 a, S. 41f.). Offensichtlich ist in den Vereinigten Staaten - wie in der Kritik des Behandlungsgedankens gerade auch in der Bundesrepublik teilweise zu suggerieren versucht wird - keineswegs von einer Einigkeit darüber zu sprechen, daß Behandlungsmaßnahmen bei Straffälligen ineffektiv sind. Vielmehr gehen die Meinungen stark auseinander und ein nicht unerheblicher Teil, sowohl der Forscher als auch der Praktiker, halten nach wie vor am Resozialisierungskonzept fest (vgl. etwa auch Kloss 1980 j Andrews u. Kiessling 1980; Ross u. McKay 1980; Sarason u. Ganzer 1973; Maskin 1980; Jesness 1980). Serrill (1975) teilt mit, daß 63 %der führenden Gefängnis-Administratoren der Vereinigten Staaten davon ausgehen, daß Resozialisierungsprogramme den Rückfall verhindern könnten. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß eine differenziertere Sichtweise der Resozialisierungsproblematik erforderlich ist. "A more useful view is that certain interventions for certain juveniles in certain situations can be demonstrated to be effective, as established by experimental and quasi-experimental criteria. In effect, there is already sufficient experimental evidence that certain treatment programs are effective" (Corrado 1981, S. 18). Eine "Abkehr von der Behandlungsideologie" ist somit in der teilweise geforderten Radikalität weder wissenschaftlich begründbar, noch ethisch haltbar. Denn dadurch würden "im Namen größerer Rationalität und Ge-

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rechtigkeit tatsächlich nur Inhumanität und Rückschritt eingehandelt" (Kaiser 1980 b, S. 287 vgl. auch Kaiser 1977 b, S. 359ff. 1978, S. 499f. Kaufmann 1977 S. 153ff. Gendreau u. Ross 1979). "Aus Mißerfolgen einzelner - keineswegs aller - Behandlungsexperimente oder Vollzugsmodelle lassen sich allenfalls Argumente gegen spezielle Programme ableiten, nicht aber gegen dpn Resozialisierungsgedanken insgesamt" (Schöch 1980, S. 316). Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß selbst Mattinson, dessen Untersuchungen vielen Kritikern des Behandlungsansatzes als Beleg für dessen Wirkungslosigkeit gelten, wie bereits erwähnt, offensichtlich in späteren Jahren vor dem Hintergrund einer Re-Analyse von 555 Rückfallstudien von seiner extremen Position abgerückt ist (vgl. Criminal Justice Newslett~r 1978; vgl. in diesem Zusammenhang auch Van den Haag 1975; Wilson 1975; Corrado 1981 S. 23). Die insbesonders- von der Sekundäranalyse von Lipton u. a. (1975) ausgelöste Kontroverse (vgl. auch Morris 1974) hat trotz der teilweise überzogenen Schlußfolgerungen zu einer intensiven und sofern weiterführenden, längst fälligen Diskussion beigetragen, als die Erwartungen an den Behandlungsansatz auf ein realistisches Maß reduziert wurden. Im Gefolge dieser Diskussion werden zu Recht mehr Zurückhaltung und vor allem auch realistischere "Versprechungen" gegenüber Politikern sowie der Öffentlichkeit gefordert (vgl. Carlson 1975; Diffenbaucher 1976; Mangrum 1976; vgl. zusammenfassend Rehn 1979, S. 6f. s. a. die Beiträge in Kury 1983 cl.

3.2 Kritik am Behandlungsvollzug in der Bundesrepublik

Die unterschiedliche Bewertung des Behandlungsansatzes im StrafvoIlzug bzw bei Straffälligen zeigt sich verständlicherweise auch in der Bundesrepublik die Bandbreite reicht auch hier von völliger Ablehnung intramuraler Resozialisierungsprogramme (vgl. dazu Schneider 1979) bis hin zu einer positiven Einschätzung der Möglichkeiten und Wirksamkeit einer Psychotherapie im Strafvollzug bzw bei Straffälligen (vgl. beispielsweise Horn 1983). Böhm (1979, S. 31) bemerkt zur vielfältigen Kritik am Strafvollzug, daß es fast schon zum guten Ton gehöre Zu behaupten, daß der Strafvollzug mehr Unglück als Heil anrichte. Insbesondere auch der Arbeitskreis Junger Kriminologen (AJK) hat heftige Kritik am Strafvollzug vor allem bei jungen Rechtsbrechen~ und in diesem Zusammenhang auch am Resozialisierungskonzept geübt ,So Wird hier davon ausgegangen, "daß jede Form der Freiheitsstrafe schädlich und nicht mit erzieherischen Gründen gerechtfertigt werden kann" (Arbeitskreis Junger Kriminologen 1982, S. 92). Vor allem Personen unter 18 Jahren, also Jugendliche, sollten nicht mit Freiheitsentzug bestraft werden; erf61gt äen-

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noch eine Freiheitsstrafe, wird gefordert, offenen Vollzug als Regelvollzug anzllsehen. Ansonsten wird für den Ausbau ambulanter Maßnahmen bzw einer Nichtintervention eingetreten (1982, S.93). Papendorf (1982, S. 143), der ebenfalls von der generellen Sinnlosigkeit von Erziehungs- und Resozialisierungsprogrammen bei Jugendlichen ausgeht, weist darauf hin, daß die im Rahmen etwa von pädagogischen Ausbildungsprogrammen dem Gefangenen durch die Inhaftierung gleichzeitig vermittelten antisozialisierenden Überlebenstechniken die "möglicherweise durch die schulische und berufliche Ausbildung vermittelten Positiva" wiederum entwerten, ein Gesichtspunkt, der auch von vielen anderen Kritikern des Resozialisierungsvollzugs vorgebracht wird und der keineswegs von der Hand zu weisen ist. Das Deutsche Jugendinstitut in München kommt in einer Stellungnahme zum Arbeitsentwurt einer Verordnung über den Vollzug der Jugendstrafe und die Eingliederung junger Straffälliger (1981, S. 12) etwa bezüglich der Anwendung eines Sozialen Trainings zu dem Ergebnis. "Im Gefängnis läßt sICh die Bewältigung von Konflikten von Familie/Freund/Freundin oder in der Schule und am Arbeitsplatz nicht simulieren. Dort herrscht ein ganz anderer Realitätsdruck, der durch den Freiheitsentzug und die zwangsweise Zusammenführung geschlechts- und altershomogener Personen auf relativ engem Raum geprägt ist Die Verwendung des Wortes ,Soziales Training ist für den Vollzug der Jugendstrafe unangebracht, weil irreführend" Auch Schüler-Springorum (1977a, S. 438) kommt zu dem Resultat, daß einer Erziehung im Jugendstrafvollzug "noch engere Grenzen gesetzt (scheinen) als bisher angenommen" Das vor allem deshalb, weil die Fehlverhaltensweisen durch den bisherigen Lebenslauf so eingefahren sind, daß sie nur noch schwer geändert werden können. Vor dem Hintergrund der tatsächlichen Strafvollzugssituation für Jugendliche und dem im Jugendgerichtsgesetz tJGG) festgehaltenen Erziehungsanspruch wird zu Recht auf eine erhebliche Diskrepanz mit der Praxis hingewiesen (vgl. Bohnert 1983; Wagner 1984; vgl. zur Kritik des Erziehungsbegriffes im Jugendrecht etwa auch Walter 1980, S. 24 Pfeiffer 1983, S. 57 vgl. zur Kritik des Strafvollzugs bei 14- und 15jährigen neuerding!! insbesondere Albrecht u. Schüler-Springorum 1983 sowie Schüler Springorum 1983). Der Behandlungvollzug ist zweifellos in der Regel nach wie vor zunächst ein Strafvollzug lediglich mit etwas Behandlung. Solange primäres Ziel dieses Vollzugs die Bestrafung der Insassen ist, darf man sich nicht wundern, daß etwa halbherzig durchgeführte Behandlungsprogramme, die dem Ganzen das Etikett eines "modernen Vollzugs" verleihen sollen, nicht effizient sind. Behandlung kann, wenn bei dieser Klientel und im Vollzug überhaupt, nur funktionieren, wenn die gesamte Anstalt darauf ausgerichtet ist und entsprechende Maßnahmen nicht etwa als lästige zusätzliche Belastungen empfunden werden. Es spricht manches dafür, daß es mit den erfolgreichen Programmen gelungen ist, ein solches umfassendes Behandlungskonzept zu verwirklichen. Das Strafvollzugsge-

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setz betont zwar in § 2 die Resozialisierung der Insassen als vorrangiges Ziel, den Gefangenen nämlich zu befähigen, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen", die Vollzugspraxis - großteils auch der sozialtherapeutische Vollzug - ist jedoch von einer ernsthaften Verwirklichung dieser Forderung noch weit entfernt (vgl. a. Driebold u. a. 1984). Manchmal scheint es, daß diese Tatsache ob der heftigen und kontroversen Diskussion um den Behandlungsvollzug in sozialtherapeutischen Anstalten aus dem Auge verloren wird. Was den allgemeinen Strafvollzug (Regelvollzug) betrifft, gibt es in der Bundesrepublik nur sehr vereinzelt Behandlungsansätze. Einige Kritiker des Behandlungsgedankens sehen die Gefahr, daß im Zusammenhang mit einer überzogenen Behandlungsideologie der rechtsstaatliche Schutz der Betroffenen tangiert wird (vgl. etwa Quensel 1979, S. 205). Nach Peters u. Peters (1970) bedeutet das psychologisch-medizinische und insbesondere das individualisierende Konzept der Sozialtherapie lediglich eine Pathologisierung des Straffälligen und geht letztlich an den Ursachen der Kriminalität, die in gesellschaftlichen Bedingungen zu sehen sind, vorbei (vgl. hierzu auch Driebold 1981 a, S. 1). Auch Haffke (1977, S.294) weist auf die Problematik einer Individualisierung des Problems Kriminalität hin. "Sozialtherapie ist trotz des Etiketts ,sozial' im Prinzip individualtherapeutisch (-pädagogisch) orientiert. Das heißt: Kriminalität ist aus dem komplexen gesellschaftlichen Kontext, in dem sie entsteht, isoliert und erscheint als ,Defizit' des individuellen Normbrechers, das nun im Wege der ,Therapie' oder ,Erziehung' behoben werden müsse. Kriminalität ist dann nicht nur ein Abweichen von der Strafrechtsnorm, sondern darüber hinaus und vor allem ein irgendwie ,mangelhaftes', ,unvollkommenes', ,ungesundes' Verhalten" (vgl. auch Haffke 1976; Weber 1982). Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß hier nur die eine Seite des Phänomens Kriminalität, eben die "individuelle", erfaßt wird, der zweifellos vorhandene Einfluß gesellschaftlicher Bedingungen jedoch oft zu Lasten der Betroffenen ausgeblendet wird. Neuere Konzepte der Sozialtherapie versuchen diesen Mangel zu überwinden (vgl. Driebold u. a. 1984). Nach Zipf (1980, S.80) haben insbesondere die folgenden 4 Gesichtspunkte die Resozialisierungsidee in die Krise gebracht: 1. Fragwürdigkeit einer Resozialisierung, wenn die Gesellschaft, in welcher der Rechtsbrecher integriert werden soll, ihrerseits nicht als intakt angesehen werden kann; 2. Problematik einer Resozialisierung in unserem pluralistischen Gesellschafts- und Wertsystem; 3. die Abneigung gegenüber zuviel staatlicher Reglementierung, die sich auf die intensive Inanspruchnahme des Straffälligen hinsichtlich seiner Wiedereingliederung auswirkt und

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4. die geringen bis völlig fehlenden Erfolge bisheriger Resozialisierungsprogramme. Resozialisierung kann nach Zipf "nur dann einen Sinn haben, wenn die Gesellschaft selbst in Ordnung ist. Die Anpassung an eine nicht intakte Gesellschaft wäre abwegig" (1980, S. 80; vgl. auch Eser 1974, S. 506ff.). Dieser Einwand gegenüber der Sozial therapie kann jedoch auf psychotherapeutisches Handeins insgesamt ausgedehnt werden, was zum Teil auch getan wurde. In diesem Zusammenhang ist auch die insbesondere von soziologischer Seite vorgetragene Kritik am spezialpräventiv ausgerichteten Behandlungsgedanken zu sehen, daß eine Resozialisierung des Rechtsbrechers insofern verfehlt sei, als die "Ursachen" der Straffälligkeit und offiziellen Registrierung weniger in Mängeln des Individuums als in solchen der Gesellschaft zu sehen seien. Obwohl die teilweise Richtigkeit des Gedankens nicht von der Hand zu weisen ist, dürfte er in einer überspitzt vorgetragenen Form die Problematik zu einseitig darstellen. Die bisherigen Forschungsergebnisse legen vielmehr nahe, daß von einer gesellschaftlichen als auch individuellen Komponente straffälligen Verhaltens auszugehen ist und vor diesem Hintergrund am Individuum ansetzende Resozialisierungsprogramme durchaus ihre Begründung haben, wenn der Resozialisierungsgedanke sich hierin selbstverständlich auch nicht erschöpfen darf (vgl dazu Kury 1982 a; Kaiser 1980 b, S. 287). Daß Resozialisierungsbemühungen bisher nahezu ausschließlich am Straftäter angesetzt haben, ist zweifellos mit ein Grund für das Scheitern der Programme. Die Erreichung des Vollzugszieles "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen" (§ 2 StVollzG) hängt nicht nur vom straffälligen Individuum, sondern auch von der Gesellschaft und deren Umgang mit den (entlassenen) Straftätern ab (vgl. etwa auch die Beiträge in Kury 1980 b). Schneider (1979, S. 508; vgl. auch Schneider 1981, S. 917ff.) sieht 3 Gründe für die "Krise der Behandlungsideologie" und das Scheitern der Behandlung in Strafanstalten: 1. die Künstlichkeit und Absonderung des Anstaltsmilieus. 2. ein Prisonisierungsprozeß, der auch in einem behandlungsorientierten Vollzug stattfindet und nicht zu unterbinden ist und 3. die starren Organisationsregeln der Strafanstalt, an denen jede Behandlung in ihrer Dynamik und Entwicklung scheitern muß. Coignerai-Weber (1981, S.205ff.) sieht den Grund für das Scheitern der Kriminaltherapie in der Unzulässigkeit der Übertragung klinischer Behandlungskonzepte in den Vollzug bzw. auf Straffällige. Sie arbeitet 5 Unterschiede zwischen einer Mittelschichtsneurosentherapie und der Sozialtherapie bei Straffälligen heraus, die zu den Schwierigkeiten in der Behandlung

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Straffälliger beitragen und für deren geringen bzw. Mißerfolg zumindest mitverantwortlich sind, so 1. mangelnde Motivation der Insassen für eine Behandlung, 2. zu große soziale Distanz zwischen dem Therapeuten und seinem Klienten, 3. unterschiedliche Sprachcodes zwischen Therapeuten und Klienten, sprachliche Ausdrucksschwierigkeiten bei den Insassen, 4. mangelnde Selbstkontrolle bei den Klienten und Wunsch nach möglichst sofortiger Bedürfnisbefriedigung und 5. begrenzte soziale Kompetenz Straffälliger. Kerner (1982, S. 433) weist auf einen weiteren wichtigen Gesichtspunkt hin, wenn er betont, daß richtig sein dürfte, daß "infolge eines undifferenzierten therapeutischen Optimismus vielfach die Möglichkeiten überschätzt wurden, Straftäter nach einer oft schon sehr langen ,Karriere', nach zahlreichen prägenden Erlebnissen seit früher Kindheit und vielfältigen fehlgeschlagenen Kontakten mit anderen Instanzen sozialer Kontrolle nun plötzlich durchweg (sozusagen im ersten Anlauf) während einer relativ kurzen Zeit gerade in der Anstalt (re-)sozialisieren zu können". Trotz der weitgehend einhellig gesehenen Probleme und Schwierigkeiten hinsichtlich der Durchführung eines Resozialisierungsprogramms im Strafvollzug, selbst in einem sozial-therapeutisch ausgerichteten, wird auch in der deutschsprachigen Literatur von zahlreichen Autoren betont, daß die vorliegenden Resultate eine prinzipielle Abkehr vom Behandlungsgedanken nicht rechtfertigen. Nach Böllinger (1980 a, S. 32) etwa stützen sich die "Tendenzen zur Abkehr zum Behandlungsvollzug ... auf zu oberflächliche primär- und sekundäranalytischen Negativbewertungen psychosozialer Behandlungsmodelle". In einer Auseinandersetzung mit Lamott (1982 a), die den Behandlungsansatz im Strafvollzug ablehnt (vgl. auch Lamott 1982 b), betont Böllinger (1982, S.91) andererseits, daß eine Verwirklichung des therapeutisch orientierten Vollzugs bisher nicht gelungen sei. "Der sogenannte Behandlungsvollzug gemäß Strafvollzugsgesetz verdient diesen Namen nicht". Vor diesem Hintergrund ist die vielfach polemisch überspitzte Diskussion um das Mißlingen des Behandlungsvollzugs in zweifacher Hinsicht fragwürdig: "Weder existiert ein solcher Vollzug für rund 99 % aller Gefangenen, noch liegen vergleichende Untersuchungsergebnisse über die Wirksamkeit unterschiedlicher Vollzugsformen vor" (Rehn 1979, S. 5; vgl. insbesondere auch Kaiser 1980 b). Kaiser (1980 b, S. 287) weist ausdrücklich auf die Bedeutung des Behandlungsansatzes im Strafvollzug trotz aller zum Teil berechtigten Skepsis hin. Auch Kunze (1983, S. 151) betont die Notwendigkeit therapeutischer Hilfestellung für die Insassen. Seiner Ansicht nach kann "auch Unter den ungün-

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stigen Bedingungen einer Strafanstalt sinnvoll und erfolgreich therapeutisch gearbeitet werden". Gleichzeitig hebt er jedoch zu Recht hervor, daß Therapie innerhalb des Strafvollzugs auf Dauer nur sinn:voll sei, "wenn sich gleichzeitig auch die Anstalten verändern" (1983, S. 155). Nach Hering (1973, S. 67) besteht die Möglichkeit, daß der Strafvollzug geradezu einen "Schonraum" bietet, in dem die Insassen auf die Realität vorbereitet werden können. Im Hinblick auf die zumindest im Regelvollzug sehr ungünstigen Bedingungen kann hier jedoch kaum von einem Schonraum gesprochen werden, obwohl die Vorstellung, daß eine vorübergehende Abkapselung von der Außenwelt bei schwer problembehafteten Klienten den Einstieg in eine Behandlung erleichtern kann, bei einigen Straffälligen durchaus richtig sein mag. Während dieser Zeit kann beispielsweise die Behandlungsmotivation abgeklärt und eine ambulante anschließende Behandlung, die ansonsten aufgrund der "Unzuverlässigkeit" der Betroffenen u. U. gar nicht zustandekäme, vorbereitet werden. Bickel (1977, S. 121) betont in diesem Zusammenhang, daß trotz aller Nachteile des Strafvollzugs, der immer ein Stück ,Ghetto'-Charakter und Weltfremdheit behalten wird, wir auch davon ausgehen müssen, "daß eine beim Probanden gewünschte Problemeinsicht und ein notwendiger primärer Leidensdruck oft erst das Ergebnis eines therapeutischen Prozesses sein kann, der zunächst nur in einem relativ geschlossenen Rahmen einer Anstalt erreichbar sein wird". So sieht beispielsweise der Modellentwurf für eine sozial therapeutische Anstalt, wie er von der Forschungsgruppe "Sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug" im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld (1981, S. 78; vgl. auch Driebold u. a. 1984) erarbeitet wurde, eine halbjährige geschlossene Phase vor, bevor die Insassen in offene AußensteIlen der Anstalt verlegt werden . ..In der geschlossenen Phase soll auf der Basis einer Lebensbilanz und -planung eine längerfristige Stabilisierung eingeleitet werden, die in der anschließenden Übergangsphase auszubauen ist". Das Modell ist jedoch ausdrücklich nur für schwerere Fälle vorgesehen. Die bisher in der Bundesrepublik praktizierten Behandlungsprogramme, die nahezu ausschließlich in sozialtherapeutischen Anstalten an erwachsenen Inhaftierten angewandt wurden, sind in der Regel verbesserungsbedürftig und schon deshalb ist deren Wirksamkeit oft eingeschränkt. Mit der Behandlung kann ein Rückfall tatsächlich oft nur 1 bis 2 Jahre hinausgeschoben werden (vgl. Schneider 1978, S. 68), was jedoch durchaus als (Teil-)Erfolg angesehen werden kann. Daraus abzuleiten, daß der Behandlungsansatz im Strafvollzug oder gar bei Straffälligen insgesamt zu verwerfen sei (vgl. etwa von Trotha 1979), scheint uns ungerechtfertigt und durch die bisher vorliegenden empirischen Befunde auch nicht belegbar.

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Sicher ist ein Großteil der Kritik am Behandlungsansatz nicht von der Hand zu weisen und zu Recht wird von einem undifferenzierten therapeutischen Optimismus gewarnt (vgl. etwa Schmideberg 1966) und darauf hingewiesen, daß es zweifellos Rechtsbrecher gibt, die einer Resozialisierung nicht bedürfen (vgl. dazu Bemmann 1979), bzw. bei denen die Programme wirkungslos sind. Zu Recht wird auch die Schwierigkeit eines Trainings sozialen, rechtstreuen Verhaltens in Unfreiheit hervorgehoben (vgl. etwa Müller-Dietz 1974 b, S.51) und in diesem Zusammenhang betont, daß eine Behandlung und Problemlösung leichter erscheint, wenn man die Betroffenen in dem Kontext beläßt, "aus dem sie stammen" (vgl. Ortner u. Wetter 1980, S. 136). Es ist sicher auch richtig und weitgehend unbestritten, daß das Gefängnis, zumindest was den Regelvollzug betrifft, bezüglich seiner Effekte hinsichtlich eines Großteils der Insassen weitgehend "unwirksam, schädlich und kostspielig" ist (pilgram u. Steinert 1981, S. 133). Menninger (1982) geht so weit, daß er die Gefängnisstrafe als ein Verbrechen am Rechtsbrecher bezeichnet. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß manche Autoren "das Ende der Strafanstalt", zumindest jedoch einen starken Abbau des Strafvollzugs, fordern (vgl. Rottenschlager 1982; vgl. auch Sommer 1976; Mathiesen 1979; Pilgram u. Steinert 1981). Nach Ayllon u. Milan (1979, S. 81.) ist diese Gruppe zwar klein, aber im Wachsen begriffen: "A small but growing minority have despaired of corrections potential and now advocate the abolition of all correctional institutions and the release of those who are currently imprisoned" (vgl. etwa a. Mitford 1973). Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Forderung nach Abschaffung der Gefängnisse keineswegs neu ist. So betonte Tannenbaum bereits 1933 (S.12): "We must destroy the prison, root and branch. That will not solve our problem, but it will be a good beginning ... let us substitute something. Almost anything will be an improvement. It cannot be worse. It cannot be more brutal and more useless. A farm, a school, a hospital, a factory, a playground - almost anything different will be better" . Gleichzeitig wird jedoch zu Recht gesehen, daß gegenwärtig wohl kein Staat in der Lage ist, Gefängnisse in naher Zukunft tatsächlich abzuschaffen (vgl. z. B. Schumann 1983, S.274). Als unrealistisches Wunschdenken ist demgegenüber die Behauptung Schneiders (1981, S. 927) anzusehen, daß die "Ära der Strafanstalt ... ihrem Ende entgegen(geht), weil sie - auch in ihrer modernsten Form - nichts zur Beseitigung der persönlichen und sozialen Desintegration beizutragen vermag, aus der Massenkriminalität erwächst. Sie trägt vielmehr noch zur Verschärfung der persönlichen und sozialen Desintegration bei". Die Alternative für den Strafvollzug wird in der Regel in einer mehr oder weniger radikalen Nichtintervention (vgl. hierzu die Diskussion in den Ver-

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einigten Staaten; ausführlich Schur 1973; Lab 1982) besonders bei jungen Rechtsbrechern bzw. in ambulanten Hilfsrnaßnahmen gesehen, wobei hier gleichzeitig darauf hingewiesen wird, daß diese sich nicht zu einer verstärkten Kontrolle ausweiten dürfen (vgl. etwa die Diskussion um den .Net-Widening-Effect" im Zusammenhang mit Diversionsprogrammen; siehe etwa Kury 1981a; Kirchhoff 1981). Nach Hassemer (1982, S. 166) muß die Suche nach Alternativen zum Freiheitsstrafvollzug "gerade angesichts eines wachsenden Interesses an einem resozialisierenden Strafvollzug ... verstärkt fortgesetzt werden. Man muß den Resozialisierungsgedanken aus der engen Verbindung lösen, welche er mit der Freiheitsstrafe eingegangen ist". Die umfangreiche in nahezu allen westlichen Ländern, insbesondere von soziologischer, zunehmend aber auch von psychologischer Seite vorgetragene Kritik am Behandlungsansatz bei Straffälligen kam zwar teilweise, etwa in der völligen Ablehnung des Behandlungsgedankens, zu überzogenen Schlußfolgerungen, wies jedoch zweifelsohne auf wesentliche Mängel bzw. Nachteile einer Resozialisierung in der totalen Institution Strafvollzugsanstalt einerseits und Schwierigkeiten einer Behandlung von Straftätern andererseits hin. Daß neue re Forschungsergebnisse - auch in der Bundesrepublik - einen (partiellen) Behandlungserfolg überzeugend belegen konnten, liegt offensichtlich nicht nur an den konkret durchgeführten Behandlungsprogrammen im engeren Sinne, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit gerade auch daran, daß es in den untersuchten sozialtherapeutischen Anstalten offensichtlich gelungen ist, dem Vollzug das Gepräge eines Behandlungsvollzuges im weitesten Sinne zu geben. Daß diese Ergebnisse viele ungelöste Probleme noch offenlassen, steht außer Frage. Allerdings deuten sie gleichzeitig an, daß eine weitere Forschung in diesem Bereich zu fördern ist und diese nicht, wie manche Kritiker meinen, in eine Sackgasse führen muß. Im folgenden sollen ergänzend einige wichtige Kritikpunkte an bisherigen Behandlungsprogrammen, die gleichzeitig Hinweise darstellen, welche Gesichtspunkte zukünftig beachtet werden sollten, anhand der internationalen Literatur kurz diskutiert werden. Hierbei wird keineswegs ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben.

3.3 Zusammenfassung Mit dem Ausbau des Behandlungsvollzuges in den 70er Jahren nahm auch die Kritik am Strafvollzug und insbesondere an der (psychologischen) Behandlung von Rechtsbrechern zu. Die Diskussion in der Bundesrepublik wurde stark von der Entwicklung in den USA beeinflußt. Mehrere Sekundäranalysen der dort durchgeführten umfangreichen Behandlungsforschung 4'

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machten deutlich, daß man sich hinsichtlich der Möglichkeiten einer Resozialisierung von Rechtsbrechern, insbesondere sofern diese im Strafvollzug stattfindet, zuviel versprochen hatte. Teilweise führte das zu einer Ablehnung des Behandlungsgedankens. Allerdings werden die Resozialisierungsmöglichkeiten in den Vereinigten Staaten, wie bei uns und in den skandinavischen Ländern, kontrovers diskutiert. Neuere methodisch z. T. sehr anspruchsvolle Evaluationsuntersuchungen konnten zumindest teilweise Behandlungserfolge aufzeigen. Was Behandlungsprogramme in der totalen Institution Strafvollzugsanstalt betrifft, wurde jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß hier in der Regel zahlreiche ungünstige Faktoren die (sinnvolle) Durchführung von Behandlungsprogrammen in Frage stellen. Da Nachentlassungsprogramme in der Regel völlig fehlen, werden die Betroffenen in der für sie schwierigsten Phase der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, nämlich der Zeit nach der Haftentlassung, weitgehend allein gelassen. Die Einsicht, daß die Inhaftierung in einer Vollzugsanstalt meist mehr schadet als nützt, führte teilweise zur Forderung nach der Abschaffung des Strafvollzugs bzw. zum Ausbau von Sanktionsalternativen (ambulanten Maßnahmen).

4. Diskussion einiger wesentlicher, einen Behandlungserfolg beeinträchtigender Variablen Die Wirksamkeit eines Resozialisierungsprogrammes kann, wie zahlreiche Kritiker zu Recht betonen, durch die ungünstigen Bedingungen, wie sie im Strafvollzugssystem hinsichtlich der Anwendung psychologischer bzw. pädagogischer Hilfsrnaßnahmen vorherrschen, "neutralisiert" werden. So wird darauf hingewiesen, daß der Strafvollzug selbst, was zumindest z. T. auch auf sozialtherapeutische Anstalten zutrifft, nach wie vor primär auf Strafe und bestenfalls sekundär auf Resozialisierung eingestellt ist und sich vorwiegend am Prinzip der Wahrung von Ordnung und Sicherheit durch Kontrolle orientiert. Daraus ergeben sich wesentliche institutionelle Grenzen in der Anwendung konkreter Programme: das Behandlungspersonal befindet sich in der Regel in einem vielbeschriebenen Zielkonflikt zwischen Hilfe und Kontrolle; ein therapeutisches Klima, das die Behandlung unterstützt bzw. erst möglich macht, läßt sich oft nicht herstellen; die Motivation der Insassen zur Teilnahme an einem Programm ist vielfach gering und ihre Haltung gegenüber den Therapeuten und deren Behandlungsangebot durch Mißtrauen gekennzeichnet. Die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist vor dem Hintergrund dieser Situation oft spannungsgeladen (vgl. z. B.

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Leky 1980; siehe zu vergleichbaren Situationen und zur Problematik auch Birtsch 1978; Strotzka 1980; Gleiss u. a. 1973). Im folgenden sollen einige der wichtigsten Gesichtspunkte kurz aufgegriffen werden.

4.1 Institutionelle Grenzen einer Behandlung im Strafvollzug Behandlungsmaßnahmen und insbesondere diejenigen, die diese durchführen, stoßen im Strafvollzug sehr rasch an Grenzen, die oft den Sinn und das Ziel eines Programmes so verzerren, daß von einer Resozialisierung kaum noch zu sprechen ist, da eine "Behandlungsmaßnahme" bestenfalls noch Haftschäden vermindern kann (vgl. z. B. Rasch 1982). Das Vollzugspersonal und die Insassen sind in der Regel in einem solchen Ausmaß in eine einengende Vollzugsorganisation eingebunden, daß für Behandlungsprogramme der nötige Freiraum nicht bleibt. Die Orientierung einer Vollzugsanstalt richtet sich in aller Regel zunächst danach, Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten. Behandlungsmaßnahmen haben gegenüber diesem Ziel vielfach nur sekundäre Bedeutung (vgl. in diesem Zusammenhang zur Frage der Vergabe von Vollzugslockerungen etwa Wohlgemuth 1984). Der größte Teil des Anstaltspersonals gehört zum Aufsichtsdienst, dessen primäres Ziel es ist, für die Aufrechterhaltung dieser Ruhe und Ordnung zu sorgen. Gerade bei diesem Personal dürfte auch aufgrund mangelnder entsprechender Ausbildung oft noch die Vorstellung vorherrschen, daß der Strafgefangene letztlich auch eine Strafe zu verbüßen habe. "Die Individualisierung des Strafvollzuges in bezug auf den einzelnen Gefangenen und die demokratische Gestaltung des Anstaltslebens in bezug auf die Insassengesamtheit stoßen, von vielen praktischen Schwierigkeiten abgesehen, auf relativ feste Grenzen, die sich schlicht daraus ergeben, daß das Gebilde Justizvollzugsanstalt eine zu großen Teilen bürokratische, ab einer bestimmten Zahl von Insassen und Bediensteten jedenfalls komplexe Organisation darstellt, die wie jede andere komplexe Organisation ohne einen einigermaßen verbindlichen Grundkanon von Regeln nicht auskommt und ,Sprünge' nur ausnahmsweise verkraftet" (Kerner 1982, S. 333). Um reale Möglichkeiten zur Veränderung dieser Organisationsstruktur zu schaffen, fordern zahlreiche Autoren die Einrichtung möglichst kleiner Anstalten, in denen durch einen Abbau von Bürokratie und Kontrolle die Verwirklichung eines Behandlungsvollzuges noch am ehesten möglich wäre. So werden etwa in den nordischen Ländern vermehrt kleine Vollzugsanstalten gebaut, die die individuelle Gestaltung von Vollzugsmaßnahmen, bezogen auf die spezielle Insassenpopulation, leichter erlauben (vgl. z. B. Ostendorf 1980, S. 243). Auch Opp u. Szelinski (1979) weisen ausdrücklich auf die Nachteile großer Anstalten für einen Resozialisierungsvollzug hin. Mit der

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Größe der Anstalt wird die Kontrolle formeller und größer und das Ausmaß an bürokratischer Organisation wächst. Obwohl dies auch in der Bundesrepublik, insbesondere vor dem Hintergrund der Ergebnisse der angloamerikanischen Gefängnissoziologie erkannt wurde, hat man hier auch in jüngerer Zeit, gerade auch für junge Inhaftierte an dem Konzept der großen Anstalten festgehalten, insbesondere mit der zweifelhaften Begründung, daß sie betriebswirtschaftlich betrachtet ökonomischer seien. Um die Nachhilfe großer Anstalten abzumildern, hat man mit der Einrichtung von Resozialisierungsprogrammen hier in der Regel eine Unterteilung vorgenommen und einen individuell ausgerichteten Wohngruppen vollzug zu verwirklichen versucht. Das gilt gerade auch für den Jugendvollzug, wo große Anstalten, wie etwa das Beispiel der Jugendanstalt Hameln zeigt (vgl. Bulczak 1979), durch einen Wohngruppenvollzug zum Teil aufgegliedert wurden. Insgesamt dürfte sich jedoch der Jugendstrafvollzug in Struktur und Ausgestaltung nicht wesentlich vom Erwachsenenvollzug unterscheiden. Auch hier genießt das Sicherheitsdenken vor pädagogischen und psychologischen Maßnahmen in aller Regel Vorrang (vgl. etwa Isola 1978, S. 335). Zumindest genauso oder noch hemmender als die bauliche Gestaltung der Anstalt sind die festgefahrenen Organisationsstrukturen, die selbst bei einem Behandlungsvollzug nur schwer, wenn überhaupt, zu ändern sind, und für die Verwirklichung eines Behandlungsvollzugs kaum Raum lassen. Behandlungsprogramme werden um so effektiver sein, je mehr sie in die Interaktionsstruktur der Gesamtanstalt eingebunden sind. Das verlangt jedoch insbesondere auch einen anderen Umgang der Vollzugsmitarbeiter mit den Insassen und untereinander, um dadurch Veränderungsmöglichkeiten für die Straffälligen erst zu schaffen. Deshalb ist es jedoch notwendig, daß sich auch die Organisationsstruktur der Anstalt ändert (vgl. hierzu etwa auch die umfangreichen Untersuchungen von Sagebiel 1979 a; Wenzel 1979; Schmitt 1980). Driebold u. a. (1980 a, S.42) fordern in diesem Zusammenhang: 1. eine Dezentralisierung der formalen Leitungsstruktur und Entscheidungsbildung, 2. eine auch nach unten offene Kommunikationsstruktur, 3. eine flexiblere Rollenverteilung, welche die spezifischen Aufgaben der Mitarbeiter berücksichtigt und integriert und 4. die Schaffung der Möglichkeit einer weitgehend autonomen Gestaltung der unterschiedlichen Aufgabenbereiche durch die Mitarbeiter (vgl. a. Driebold u. a. 1984). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ühler (1977, S. 146) im Rahmen seines Entwurfes zu einer ürganisationstheorie zum Strafvollzug. Als Mindestvoraussetzungen in organisqtorischer Hinsicht bezüglich der Verwirklichung eines Resozialisierungsvollzugs betrachtet er neben der Dezentralisation und Dekonzentration der formalen Autorität Kommunikations-, Entscheidungs- und Kontrollformen der Konferenz und Supervision, insbesondere auch eine spezifische Rollenaufteilung sowie

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eine differenzierende selbständige Ausgestaltung der sozialen Organisationseinheiten. "Bereits diese Struktureigenschaften ergeben ein zur streng linearen Hierarchie der bürokratischen Organisation gegensätzliches Bild". Auch McEwen (1978) räumt organisatorischen Variablen wie etwa Größe und Gliederung einer Anstalt, Arbeitsteilung und Kommunikationsstruktur des Personals, eingeräumte Freiwilligkeit hinsichtlich der Teilnahme an Resozialisierungsprogrammen eine große Bedeutung bezüglich des Ausmaßes an Behandlungsorientierung einer Anstalt im Gegensatz zu einem kustodialen Vollzug ein (vgl. etwa auch Akers u. a. 1974, die ähnliche Gesichtspunkte bei der Einordnung auf einem .Verwahrungs-Behandlungs-Kontinuum" bei einer internationalen Vergleichsstudie anwandten). Wie sehr die Organisationsstruktur und insbesondere auch die feste Rollenverteilung in einer totalen Institution wie einer Strafvollzugsanstalt auch die .psychische Atmosphäre" hierin beeinflußt, zeigt sich beispielsweise auch in dem bekannten Gefängnisexperiment, das an der Stanford-University in Kalifornien durchgeführt wurde (vgl. Haney u. a. 1973). Zimbardo und seinen Mitarbeitern ging es hier um die Prüfung der Frage, wieweit der traditionelle Strafvollzug in Regelvollzugsanstalten Bedingungen schafft, die das intendierte Resozialisierungsziel nicht nur vereiteln, sondern u. U. geradezu ins Gegenteil kehren. Zur Prüfung der Fragen führten sie eine experimentelle Untersuchung durch. Versuchspersonen waren Studenten, die über eine öffentliche Ausschreibung rekrutiert wurden. Von den 75 Probanden, die sich meldeten, wurden die 24 in psychischer Hinsicht unauffälligsten ausgewählt. Diese psychisch relativ stabilen Versuchspersonen kannten sich vorher nicht. Es wurde ihnen mitgeteilt, daß sie zu einem Tageshonorar von 15,- Dollar an einem Gefängnisexperiment teilnehmen sollten. Die Probanden wurden per Zufall der Gruppe der "Gefangenen" bzw. derjenigen der. Wärter" zugeteilt. Die "Gefangenen" wurden dann in realistischer Weise an einem Sonntagmorgen in ihrer Wohnung von der Polizei .verhaftet", des Diebstahls und bewaffneten Raubüberfalles beschuldigt, in Handschellen gelegt, durchsucht und auf das Polizeipräsidium gebracht. Von der dortigen Arrestzelle wurden sie in das Simulationsgefängnis im Keller des Psychologischen Instituts der Stanford-Universität überführt. Auch hier war die Aufnahmeprozedur realitätsnah (Abnahme aller privaten Gegenstände, Entlausen u. ä.). In Gefängniskleidung und mit einer Fußkette versehen, kamen sie auf eine 3-Mann-Zelle. Die "Gefängniswärter" trugen die übliche Uniform sowie eine Schutzbrille, die einen direkten Augenkontakt vermeiden sollte. Sie hatten die Instruktion erhalten, daß es darum ginge, die Gefängnisumwelt möglichst realitätsnah zu simulieren, insbesondere aber die Ordnung aufrecht zu erhalten. Gewalt wurde untersagt. Die .Gefangenen" verblieben Tag und Nacht im .Gefängnis". Die Ergebnisse des Experiments waren dramatisch und in dieser Weise nicht erwartet. Bereits am Abend des 6. Tages mußte der Versuch abgebrochen werden. Lediglich der erste Tag verlief ohne Zwischenfälle. Schon am zweiten Tag kam es zu einem Aufstand der Insassen, der von den Wärtern brutal niedergeschlagen wurde. Die sich allmählich ergebende Solidarität unter den Insassen wurde von den Wärtern mit subtilen psychologischen Techniken zu unterlaufen versucht. 36 Stunden nach

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~.

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Beginn des Experiments mußte der erste Gefangene entlassen werden, da er psychisch zusammenbrach. Mißhandlungen von seiten der Wärter bestanden insbesondere darin, daß Gefangene in Einzelzellen gesperrt, immer wieder Zählappelle abgehalten wurden, sowie der Gang zur Toilette nur bei "Wohlverhalten" genehmigt wurde. Am dritten Tag mußten drei weitere Gefangene wegen psychischer Störungen entlassen werden. Die restlichen Insassen waren inzwischen in eine tiefe Resignation und Hilflosigkeit versunken und duldeten weitgehend widerspruchslos die Strapazen, bis der Versuch dann endgültig abgebrochen wurde. Sicher sind ethische Bedenken gegenüber dem Experiment, wie sie von verschiedener Seite vorgebracht wurden, berechtigt (vgl. Savin 1973 und die Antwort von Zimbardo 1973). Auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung wurden zu Recht hinsichtlich ihrer Übertragbarkeit auf die Realität teilweise in Frage gestellt; so vermuten etwa Banuazizi u. Movahedi (1975), daß die stereotypen Vorstellungen der Versuchsteilnehmer von einer Gefängnissituation zu den Resultaten geführt hätten. Selbst bei eingeschränkter Aussagekraft ist dieses Experiment jedoch ein zusätzlicher Hinweis, auf die enormen Schwierigkeiten, die der Schaffung einer Atmosphäre, die eine sinnvolle Behandlung im Vollzug überhaupt erst möglich macht, entgegenstehen (vgl. auch Lück 1975; Bierbrauer 1983, S. 432 11.).

Wenn es nicht gelingt, in einer Anstalt Lernbedingungen zu schaffen, die zumindest annäherungsweise realitätsnah sind, wenn im Vordergrund des Anstaltslebens nicht die Behandlungsaspekte stehen, wie daS etwa in holländischen Vollzugsanstalten teilweise gelungen scheint und wie das auch in § 3 des Bundesdeutschen Strafvollzugsgesetzes gefordert wird, dürften Resozialisierungsprogramme kaum eine Chance haben, zu einer (merklichen) Reduzierung der Rückfallquote beizutragen (vgl. auch Böhm 1983; SchülerSpringorum 1969; 1970; Kaiser 1981; Müller-Dietz 1983 a; Kerner 1977; Wagner 1972; 1984). Auch das Verhältnis zur Aufsichtsbehörde, etwa dem Justizvollzugsamt oder dem Justizministerium, kann einen starken Einfluß hinsichtlich der Verwirklichung eines Behandlungsvollzugs haben. So berichten beispielsweise Driebold u. a. (1980 b, S. 397), daß in der Sozialtherapeütischen Modellanstalt Bad Gandersheim das Verhältnis zwischen Justiiministerium und Anstalt von den Mitarbeitern des Modellversuches oft als unverständhch erlebt worden sei, "in'dem einerseits Initiativen der Anstalt unterstützt wurden, andererseits Zurückhaltung geübt wurde. Dabei zt:igten sich Erwartungen und Reaktionen, die aneinander vorbeiliefen". Das Spannungsfeld, das sich bereits innerhalb einer Anstalt zwischen einzelnen Berufsgruppen leicht ergeben kann, wird dadurch noch problematischer und kann bewirken, daß das Personal mit der Lösung der eigenen Konflikte so sehr belastet und in Anspruch genommen ist, daß die Resozialisietungsaufgabe an den Insassen - vielleicht unbemerkt - in den Hintergrund gedrängt und bestenfalls noch formal und damit weitgehend unwirksam verwirklicht wird. Hinzu kommt, daß selbstverständlich die Insassen die

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Problematik sehr rasch erkennen dürften und verständlicherweise alles tun werden, um dieses Spannungsfeld zur Verbesserung ihrer eigenen Situation auszunutzen. Das Verhalten und Erleben der Insassen in der Anstalt ist weitgehend eine Reaktion auf institutionelle Bedingungen (vgl. hierzu auch Tittle 1969, S. 503; Sagebiel 1979; Wenzel 1979).

4.2 Der Zielkonflikt Als eine wesentliche Ursache für die Schwierigkeiten, die einer sinnvollen Implementation von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug entgegenstehen, wird der vielzitierte Zielkonflikt zwischen den "klassischen" Vollzugsaufgaben, wie Ruhe und Ordnung in der Anstalt zu sichern, einerseits und dem Resozialisierungsauftrag andererseits gesehen (vgl. zusammenfassend etwa Schöch 1982 a; 1982 b, S. 86 H.; siehe auch Waldmann 1968; Cloward 1960). Nach Pauchard (1983, S. 22) steht der Strafvollzug "in der Dualität zwischen der retrospektiven Sanktion für die begangene Tat und der prospektiven Prävention der Rückfälligkeit. Die Strafe als retrospektiver Anteil und die erzieherische Maßnahme, die prospektiv gerichtet ist, müssen im gleichen Haus durch die gleichen Leute mit den gleichen Mitteln durchgeführt werden". Von Trotha (1982, S. 193) meint gar, daß die Doppelfunktion des Strafvollzugs zu einer "unübertrefflichen Heuchelei" führe. Calliess (1973, S. 53) sieht den Widerspruch in der Zielsetzung in den unterschiedlichen Intentionen von Strafrecht und Strafvollzug begründet: Während der Richter den Betroffenen nach einem Strafrecht verurteilt, "das trotz spezialpräventiver Bereinigung im Grund noch vom Prinzip der Vergeltungsstrafe beherrscht wird", wird der Gefangerie einem Strafvollzug unterstellt, der gegensätzlich dazu "als einziges Ziel ,Behanldung' kennt". Die in den letzten Jahrzehnten zunehmende Stärkung des Resozialisierungsgedankens im Strafvollzug hat Sicherheit und offensichtlich auch Strafe bislang historisch keineswegs ersetzt, sondern vielmehr den Behandlungsgedanken lediglich hinzugefügt (vgl. hierzu etwa Zald 1960). Obwohl das Strafvollzugsgesetz in § 2 die Resozialisierung des Täters als einziges Ziel bescheinigt, hat das Bundesverfassungsgericht noch 1977 in einem Urteil ebenso Schuldausgleich, Sühne und Vergeltung für vergangenes Unrecht als .. Aspekt einer angemessenen Strafsanktion" bezeichnet. Das oberste Gericht folgt damit hinsichtlich des Zieles staatlichen Strafens weitgehend der Vereinigungstheorie, die - allerdings mit unterschiedlicher Gewichtigung - versucht, die verschiedenen Strafzwecke (wie General· oder Spezialprävention) in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu setzen (vgl. hierzu Jescheck 1978, S.59ft.). Hier setzen rnanche Autoren mit ihrer Kritik an, indem sie betonen, daß etwa zwischen Bestrafung und Resozialisierung eines Täters ein unversöhnlicher Gegen. sat~ besteht (vgl. etwa bereits Mead 1918). Nach Lamott (1982a, S.86) wird eine

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therapeutische Behandlung im Setting des Strafvollzuges immer Regeln und Zielen des Justizvollzugs untergeordnet, kommt damit aber in einen für alle Beteiligten unüberwindbaren Widerspruch. Aebersold u. Blum (1975, S. 50) meinen, daß in der Vollzugsrealität das Sozialisationsziel ständig von anderen Zielen überspielt wird, weil nun im Vordergrund die Aufrechterhaltung eines ungestörten, reibungslosen Betriebsablaufs steht. Hier besteht nun tatsächlich die Gefahr, daß der Erziehungsprozeß in erster Linie dem Ziel dient, den Gefangenen den Bedürfnissen der Anstalt anzupassen (vgl. Schuh 1980, S. 453). Der Ziel konflikt wird insbesondere bei den Aufsichtsbeamten vermutet. So heben etwa Jung u. a. (1978, S. 18) hervor, daß der allgemeine Vollzugsdienst "sich in besonderem Maße dem Rollenkonflikt zwischen Behandlung und Sicherung ausgesetzt" sieht (vgl. auch Lombardo 1982, S. 288). In der Regel wird davon ausgegangen, daß das Behandlungspersonal eindeutiger den Resozialisierungsgedanken, der allgemeine Vollzugsdienst stärker das Sicherheits- und Ordnungsprinzip vertritt. Gleichermaßen werden unterschiedliche Einstellungen zum Insassen vermutet und zwar derart, daß die Bediensteten des sozialen Dienstes eher permissive, diejenigen des allgemeinen Vollzugsdienstes eher restriktive Haltungen vertreten. Eine Untersuchung von Brown u. a. (1971) stellte diese Annahme jedoch in Frage. Die Autoren fanden, daß die Mitglieder des Resozialisierungsstabs den Insassen in noch stärkerem Maße aktive Aggressivität und kriminelle Identität zuschrieben als der allgemeine Vollzugs- und Aufsichtsdienst (vgl. auch Hazelrigg 1967). Eine neue re umfangreiche Untersuchung von Klingemann (1981) zeigt deutlich, daß sich der Aufsichtsdienst vielfach gar nicht in dem vermuteten Zielkonflikt zwischen Sicherheit und Ordnung auf der einen und Resozialisierung auf der anderen Seite befindet. Insgesamt wurden N == 322 Bedienstete in 4 Jugendstrafanstalten sowie einer Einrichtung der öffentlichen Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland mit einem vollstandardisierten Fragebogen untersucht. Die 4 Anstalten streuten von stark gesichert (kustodial) über eine progressiv gelockerte bis hin zu einer offenen Einrichtung.,Eine große Mehrheit der Beamten sprach sich für Sühne und Abschreckung als Vollzugsziel aus. 53 % waren der Ansicht, wenn auch unter Einschränkungen, daß wiederholtes straffälliges Verhalten auch anlagebedingt sei. Ein Vergleich der Organisationsstrukturen zeigte, daß entgegen den Erwartungen gerade bei der offenen Anstalt eine Kombination von Arbeitsgewöhnung, Schuld- und Sühnecharakter der Strafe besonders im Vordergrund stand .• Der Schluß von einer formalen Anstaltsstruktur mit geringer Außensicherung auf ein hohes Resozialisierungspotential erscheint nicht zulässig" (Klingemann 1981, S. 58; vgl. dagegen aber auch Opp 1979, s. oben). Insgesamt erschien die Sicherheitspriorität in den Anstalten als ziemlich stark ausgeprägt. Was eine Änderung der Einstellung der Bediensteten über die Zeit hinweg betrifft, konnte Klingemann wenige Anhaltspunkte für einen Einstellungswandel der Vollzugsbediensteten in der Bundesrepublik finden. So stehen die Gewöhnung an regelmäßige Arbeit und der Schutz der Allgemeinheit nach wie vor im Vordergrund (vgl. auch Deimling 1969; Hohmeier 1973). Der Autor kommt zu dem Ergebnis, daß ein Ziel konflikt im Bewußtsein der Beamten nur begrenzt stattfindet. Auch mehrdimensionale Analysen des Befragungsmaterials zeigten, "daß insgesamt ein Ziel konflikt zwischen therapeutischen Maßnahmen in der Anstalt und dem Sicherheitsgedanken

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von den Bediensteten als Gesamtgruppe nicht angenommen wird" (1981, S. 59). Auch die Annahme organisatorischer Zielkonflikte sieht der Autor als weitgehend widerlegt. Ein einheitliches Sicherheitsdenken herrscht nach ihm insbesondere bei geringer innerer organisatorischer Differenzierung, d. h. homogenen Anstaltstypen vor. .Die geringe Sensibilität für organisatorische Zielkonflikte bzw. die Unfähigkeit, die faktischen Konsequenzen individuellen Handeins sicher einzuschätzen, macht deutlich, daß Rollendiffusionen, insbesondere die Anwendung spezieller therapeutischer Verfahren, die Schaffung struktureller Voraussetzungen nötig machen, wenn dieses Instrumentarium nicht zur Realisierung kustodialer Interessen eingesetzt werden soll" (Klinge mann 1981, S. 72). Ein Vergleich deutscher Ergebnisse etwa mit den Resultaten von Jacobs (1978) zeigt eine bedeutend geringere Orientierung der amerikanischen Vollzugsbeamten an Zielen wie Generalprävention, Sühne und Vergeltung einerseits, gleichzeitig aber auch einer geringeren Einschätzung der Bedeutung einer Behandlung andererseits (vgl. zur Einstellung amerikanischer Vollzugsbeamter zu konkreten Behandlungsprogrammen etwa auch Teske u. Williamson 1959). Die Einstellung insbesondere der Vollzugsbeamten zu einem Behandlungsvollzug ist nicht nur etwa im Hinblick auf die Anstaltsatmosphäre, sondern vor allem auch bezüglich der Interaktion zwischen Insassen und Beamten sehr wichtig. Gerade auch hierin kann sich, wie oben bereits erwähnt, eine einem Behandlungprogramm gegenüber unterstützende oder blockierende Haltung ausdrücken. Hinzu kommt, daß von entscheidender Bedeutung für den Resozialisierungserfolg nicht nur die konkreten materiellen Anstaltsbedingungen sind, sondern insbesondere auch die Art und Weise, wie die jeweils gegebenen Spielräume interpretiert und konkret ausgefüllt werden (vgl. Plake 1977, S. 273). Das hängt zweifelsohne auch von der Interaktionsstruktur mit der Anstaltsleitung, aber auch vom Ausbildungsstand der Beamten ab. Hier haben etwa Ausbildungsprogramme für Vollzugsbedienstete einen Stellenwert (vgl. z. B. die Programme von Blickhan u. a. 1976; Steiler u. Berbalk 1974; s. a. Steiler 1976; Kury 1980c, S. 274ff.). Vor dem Hintergrund der Doppelfunktion des Vollzugs verwundert es nicht, daß insbesondere das Behandlungspersonal, etwa in der Gestalt von Psychologen, Pädagogen oder Sozialarbeitern in der Regel eine schwierige, wenig klar definierte Rolle innehat. Auch die Insassen merken rasch, daß etwa Psychologen bzw. andere Mitglieder des Behandlungspersonals in der Anstalt mehr oder weniger einen Fremdkörper darstellen (vgl. etwa Kersten u. Wolffersdorff-Ehlert 1982; siehe auch Scheu 1971; Beck 1968). Das drückt sich auch im Strafvollzugsgesetz aus, das trotz der Definition der Resozialisierung als Vollzugsziel in § 2 St VollzG, Psychologen lediglich in § 155 ("Vollzugsbedienstete") Abs.2 StVollzG erwähnt und auch hier nur im Gefolge anderer Berufsgruppen. Wieweit ein Psychologe, der ein Behandlungsprogramm in einer Vollzugsanstalt durchführt, unter diesen Voraussetzungen, solange seine eigene Rolle nicht eindeutig festgelegt ist, in der Lage ist, in der Behandlungsstunde für den Klienten etwa ein angstlreies, akzeptierendes Klima zu schaffen, das die Vorbedingung für eine offene, rückhaltlose Beschäftigung mit sich selbst ist, erscheint außerordentlich fraglich (vgl. hierzu Leky u. Mohr 1978, S. 25). Hinzu kommt, daß der Psychologe als Therapeut oft

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zwischen unterschiedlichen Interessen zu vermitteln hat, was gerade aufgrund seiner unklaren Stellung sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Zimmer (1983 c, S. 272 1.) spricht hier von einer Gratwanderung des Therapeuten, die darin besteht, "eine Balance zu finden zwischen den artikulierten Bedürfnissen seiner Klienten, administrativen Interessen der Institution, Wünschen aus dem Umfeld der Klienten und den eigenen Interessen ... Dieser Balanceakt kann die Arbeitsbeziehung sicherlich beeinflussen: Der Therapeut muß Farbe bekennen, wessen Anwalt er ist, dies um so mehr, je stärker das Leben in einer stationären Einrichtung für den Klienten belastend ist (Heimerziehung, Gefängnis, geschlossene Station)". Für das Funktionieren eines Behandlungsvollzuges kommt der Art der Lösung der rollenbediugten Konflikte beim Personal eine besondere Bedeutung zu. Von verschiedener Seite wird zur Erkennung und Bearbeitung potentieller Konflikte im Team einer Anstalt die Notwendigkeit externer Hilfe, beispielsweise in Form einer regelmäßigen Supervision, gesehen (vgl. etwa Sagebiel1979 a, S. 319; vgl. auch Rasch 1981; Moser 1977; Hering u. Schulte-Herbrüggen 1980; Wettreck 1980). Hierdurch kann auch versucht werden, festgefahrene Interaktionsstrukturen, die eine Behandlung behindern oder gar unmöglich machen, aufzulösen (vgl. Hohmeier 1973; Grusky 1959).

4.3 Therapeutisches Klima

Wie bereits erwähnt, ist das therapeutische Klima, in dem eine Behandlung stattfindet, für deren Erfolg außerordentlich wichtig. Wird die Behandlung im einzelnen nicht durch das Umfeld, in dem sie durchgeführt wird, zumindest wohlwollend unterstützt, kann sie kaum auf Erfolg hoffen. Persönliche Veränderungen können nur in einem nach therapeutischen Gesichtspunkten gestalteten Milieu bewirkt werden (vgl. Minsel u. Howe 1983, S. 256 f.; siehe auch Böllinger 1980 b, S. 113). Deshalb kommt der Schaffung eines solchen behandlungsfreundlichen Klimas besondere Bedeutung zu. Das gilt selbstverständlich nicht nur für den Strafvollzug, sondern für jede Institution, in der eine psychologisch orientierte Behandlung stattfindet, also etwa auch das Heim (vgl. hierzu z. B. Steinke 1983, S. 195) oder die Psychiatrie (vgl. hierzu z. B. Strotzka 1980). Spätestens seit Erscheinen der Psychiatrie-Enquete wurde deutlich, daß psychotherapeutische Verfahren nur dann sinnvoll und wirksam angewandt werden können, wenn die Institutionen, in denen sie stattfinden, behandlungsfreundlich beschaffen sind. Daß dies in totalen Einrichtungen, wie etwa Heimen oder insbesondere Strafvollzugsanstalten besonders schwierig ist und deshalb zweifelsohne selten gelingt, steht außer Frage (vgl. Zimmer 1983 c, S. 277). Das Scheitern eines Großteils der durchgeführten Resozialisierungsprogramme kann damit im Zusammenhang gesehen werden, daß einzelne Behandlungsmaßnahmen in einem mehr oder weniger traditionellen Vollzug implementiert wurden, ohne daß durch diesen letztlich das Programm getragen und unterstützt wurde.

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Die Anstaltsatmosphäre wird, wie bereits erwähnt, zum einen durch die bauliche Struktur, zum anderen aber auch durch das Personal, insbesondere den Aufsichtsdienst geprägt. Schließlich kann das Klima in einer Anstalt auch sehr stark durch Druck von außen, etwa von seiten der Aufsichtsbehörde oder Öffentlichkeit beeinflußt werden, wie etwa das Beispiel der Sozial therapeutischen Anstalt in Düren zeigt (vgl. Rasch 1977, S.4ff.; siehe auch Kury 1980d; 1985b). Die Herstellung eines behandlungsfreundlichen Klimas in einer Vollzugsanstalt, das sich auch auf die Therapeut-Klient-Beziehung auswirkt, ist ohne Einbeziehung des Aufsichtspersonals als stärkster Gruppe in einer Vollzugsanstalt nicht möglich. Aufsichts- und Sozialdienst "sind aufeinander angewiesen, wenn es gelingen soll, das für einen breiteren Erfolg erforderliche ,therapeutische Milieu' herzustellen" (Hohmeier 1970, S. 22). Durch Verhaltensweisen und die dahinter stehenden Einstellungen von Vollzugsbeamten gegenüber den Insassen wird beispielsweise das Anstaltsklima wesentlich geprägt (vgl. auch Schneider 1977, S. 167). Auf die Bedeutung des Vollzugspersonals, insbesondere des Aufsichtsdienstes, hinsichtlich der Durchführung und Wirksamkeit von Resozialisierungsprogrammen wird deshalb seit Jahren zu Recht hingewiesen. So sind Fortschritte im Strafvollzug sehr stark damit verbunden, wieweit es gelingt, daß Selbstverständnis der Vollzugsbeamten von dem eines bloßen "Bewachers" bzw. "Schließers" zu dem eines "Helfers" zu ändern. Schüler-Springorum (1969, S. 221) wies darauf hin, daß das Ziel eines Behandlungsvollzugs nur erreicht werden könne, wenn es gelingt, die Rolle des Vollzugspersonals zu ändern, weg von einer reinen "Schließerfunktion" zu mehr Sozialarbeit (vgl. auch Däumling u. Possehl 1970). Auch im sozialtherapeutischen Vollzug spielt die institutionsbezogene Personalproblematik eine Hauptschwierigkeit in der Erreichung des Behandlungsziels (vgl. etwa Rasch 1976; 1977; Sagebiel 1979 a). Vor diesem Hintergrund fordert etwa Sagebiel (1979 b, S. 369), daß, obwohl es um die Behandlung und Resozialisierung der Insassen geht, in der sozialtherapeutischen Anstalt "die Behandlung des Personals die Priorität vor der der Insassen" habe. Im Zusammenhang mit der Erkenntnis, daß ein resozialisierungsfreundlicher Vollzug ohne Unterstützung durch das Vollzugspersonal nicht realisierbar ist, sind auch die in den letzten Jahren entwickelten Ausbildungsprogramme für Vollzugsbedienstete zu sehen (vgl. z. B. Blickhan u. a. 1976; Steiler u. Berbalk 1974). Diese Programme kommen der seit Jahren von kriminologischer Seite vorgetragenen Forderung nach besserer Ausbildung der Vollzugsbediensteten und der Schaffung entsprechender Trainingsprogramme nach (siehe z. B. Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. 1972; Kühne u. a. 1974). Wie die bisherigen Erfahrungen in sozialtherapeutischen Anstalten, so etwa in Düren und Bad Gandersheim, zeigen, ist es auch außerordentlich wichtig, daß der praktizierte Behandlungsvollzug auch durch die vorgesetzten Behörden, etwa das Justizministerium, unterstützt und gefördert wird. Die Behandlungsorientierung des Vollzugs muß sich bis hin zu den Beamten auswirken, damit diese in der Anwendung des gelernten Wissens motiviert und unterstützt werden. Ohne gleichzeitige Änderung der Organisationsstruktur und Ausrichtung der gesamten Anstalt auf das Resozialisierungskonzept ist eine alleinige Ausbildung der Beamten somit nicht unproblematisch (vgl. hierzu etwa auch kritisch zu dem Ansatz von Steiler u. Berbalk

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1974 den Aufsatz von Leky 1975; siehe auch Steiler 1976; 1978; Fenn u. Kury 1978; Braune u. a. 1983). Ein Indikator für die Therapieorientiertheit einer Vollzugsanstalt kann auch in der Stellung des Behandlungspersonals (Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter u. ä.) gesehen werden, die Ld. R. relativ schlecht ist, wobei es allerdings in wenigen meist sozialtherapeutischen Anstalten Ausnahmen gibt, wo teilweise Psychologen gar in den Rang eines Anstaltsleiters gerückt sind, so beispielsweise in der Sozialtherapeutischen Anstalt Gelsenkirchen oder in der Vollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel. Die auch nach dem Strafvollzugsgesetz, wo der Psychologe lediglich in § 155 überhaupt genannt wird, wenig klar definierte Stellung des Vollzugspychologen dürfte dessen Arbeit in der Anstalt erheblich erschweren (vgl. hierzu auch Kury 1983 a; Kury u. Fenn 1977a; Müller-Dietz 1981 a). Aufgabe des Psychologen wird es gerade auch sein, die außerordentlich wichtige behandlungsfreundliche Atmosphäre in der Anstalt herstellen zu helfen (vgl. auch Kury u. Beckers 1983). Obwohl sich in den letzten Jahren bezüglich der Schaffung eines behandlungsfreundlichen Klimas, zumindest in einigen behandlungsorientierten Anstalten, einiges in positiver Richtung getan hat, ist der bundesdeutsche Strafvollzug noch weit davon entfernt, ein behandlungsfreundlicher zu sein. Der Gedanke der Sühne und Strafe herrscht hier in der Praxis, obwohl im Gesetz inzwischen zugunsten der Resozialisierungsidee zurückgedrängt, immer noch vor. Der Praktiker, der hier etwas ändern will, etwa ein neu eingestellter Psychologe mit innovativen Ideen, stößt allzu rasch an Grenzen, die u. U. auch von seinen Kollegen gesetzt werden.

4.4 Therapiemotivation der Insassen Ein in der kriminologischen Fachliteratur ausführlich und auch kontrovers diskutiertes Problem ist das der Behandlungsmotivation der Insassen (vgl. Driebold u. a. 1984, S. 152). Weitgehend Einigkeit besteht darüber, daß eine Behandlung, zumindest aber eine Psychotherapie, ohne freiwillige Mitarbeit und Motivation des Klienten nicht sinnvoll, letztlich ethisch auch nicht vertretbar ist. Hiervon wird weitgehend auch bezüglich der Psychotherapie im klinisch-psychologischen Bereich bei Nichtstraffälligen ausgegangen. Es konnte auch gezeigt werden, daß nicht oder wenig motivierte Klienten eine geringere Wahrscheinlichkeit für eine positive Änderung im Laufe der Behandlung besitzen. Cartwright u. Lerner (1963) fanden beispielsweise im Rahmen ihrer Gesprächspsychotherapie bei 15 erfolgreichen Klienten, daß diese zu Beginn der Behandlung höhere Werte in den Variablen Leidensdruck, Änderungswunsch bzw. Hilfewunsch hatten als 13 nicht erfolgreich Behandelte (vgl. auch McNair u.a. 1963; Kirtner u. Cartwright 1958). Offensichtlich bestimmt somit das Ausmaß der Behandlungsmotivation weitgehend den Therapieausgang (vgl. a. Halder 1977). Gerade im Strafvollzug, wo sich u. U. ein Insasse entschließt, unter Druck eine Behandlung zu beginnen,

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ist es für den Therapeuten besonders wichtig, die echten Bedürfnisse seines Klienten kennenzulernen, .weil Zwangstherapie wenig Aussicht auf Erfolg hat, aber auch nicht mit den ethischen Grundlagen therapeutischen Handeins vereinbar ist" (Rasch u. Sassenberg 1983, S. 71). Hierbei soll nicht verkannt werden, daß es in Zwangssituationen wie dem Strafvollzug außerordentlich schwierig ist, die Behandlungsmotivation eines Insassen .unverfälscht" zu erfassen, denn. Therapie in Unfreiheit kann sich kaum der freien Entscheidung des Klienten versichern" (Lamott 1984, S. 239). Wie stark die Motivation eines Klienten sein muß, wie sie erfaßt werden kann und ob sie nicht durch die Behandlung selbst oder gar eine. Vorbehandlung" bewirkt werden kann oder muß, hierüber herrscht weitgehend Uneinigkeit. Ein Insasse, der sich für die Aufnahme in eine sozialtherapeutische Anstalt bewirbt, muß keineswegs behandlungsmotiviert sein, sondern verspricht sich mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst einmal ein angenehmeres Anstaltsleben, mehr Vorteile, insbesondere auch mehr Freiheiten. In vielen Fällen dürfte es so sein, daß für diese .Annehmlichkeiten" die Behandlung ,in Kauf genommen wird'. So ist nach Amelung (1983, S. 9) die Freiwilligkeit einer Erklärung eines Inhaftierten aus 4 Gründen in Zweifel zu ziehen: Die Einwilligung beispielsweise auch zu einer Behandlung könnte lediglich gegeben worden sein, 1. um wieder die Freiheit zu erlangen, 2. um die eigene anstaltsinterne Lage zu verbessern bzw. einer drohenden Verschlechterung derselben vorzubeugen, 3. vor dem Hintergrund der normalen psychischen Folgen der Inhaftierung, etwa Teilnahme an einem Programm aus Langeweile und 4. vor dem Hintergrund einer spezifischen haftpsychologischen Krisensituation. Von Freiwilligkeit im eigentlichen Sinne des Wortes kann hier somit kaum gesprochen werden. Behandlungsmotivation ist, wie etwa Steiler betont, auch kein einheitliches eindeutig definiertes Konstrukt. Er selbst unterscheidet bei der Therapiemotivation die 4 Komponenten Leidensdruck, Änderungswunsch, Hilfewunsch und Erfolgserwartung (v gl. Steiler 1972; 1977; vgl. auch Steiler u. Hommers 1977 a; 1977b). Werner (1976) führte eine Untersuchung zur Behandlungsmotivation bei 33 männlichen jugendlichen Inhaftierten durch; davon waren 17 Jugendstrafgefangene und 16 Untersuchungshäftlinge. Sie stellte fest, daß bei der Gesamtgruppe die Erwartungen an Einzelgespräche durchweg etwas höher lagen als an Gruppengespräche. Die Beurteilung der Psychologen als Therapeuten war insgesamt positiv. Die Probanden fühlten sich von ihnen akzeptiert, ernstgenommen und vertrauenswürdig behandelt. Im Vergleich zu den U-Häftlingen zeigten sich die Strafgefangenen behandlungsmotivierter, wobei die Streuungsbreite bei ersteren jedoch wesentlich größer war. Die Behandelten erwarteten von den Geprächen eine Verbesserung hinsichtlich der eigenen Selbstsicherheit und des Kontaktes mit anderen, dagegen kaum eine Senkung der Rückfallgefahr. Romkopf (1983, S. 234) stellt vor dem Hintergrund seiner umfangreichen Erfahrungen als therapeutischer Leiter einer sozialtherapeutischen Modellanstalt (Gelsenkirchen) fest, daß die Motivation der Insassen 1. zum Behandlungsende hin eine steigende Tendenz zeigt und 2. sich im Laufe der Behandlung anhand von Krisen entwickelt. Auf jeden Fall müsse die Anstalt zunächst für die Teilnahme an der Behandlung motivieren, wobei diese Motivationsarbeit durchschnittlich ein Jahr

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dauere. Auch Coignerai-Weber (1981, S. 2081.) betont die Bedeutung der Motivationsphase vor Beginn der eigentlichen Behandlung. Aufgabe des Therapeuten währen'i dieser Vorphase sei es, dem Klienten zu vermitteln, 1. daß seine Probleme etwas mit ihm selbst zu tun haben, 2. daß er von daher selbst etwas zu deren Lösung unternehmen kann, 3. daß die Fortsetzung seiner jetzigen Lebensweise negative Konsequenzen mit sich bringt und 4. daß für ihn sozial akzeptierte und befriedigende Lebensalternativen bestehen (vgl. kritisch zur Behandlungsmotivation der Insassen etwa Ortner u. Wetter 1980, S. 119). Zur Steigerung der Therapiemotivation und zur Vorbereitung auf die eigentliche Behandlung wird insbesondere bei Unterschichtpatienten, auch Insassen des Strafvollzugs, teilweise eine "Vortherapie" bzw. ein besonderes T~aining durchgeführt bzw. empfohlen. Die Erfahrungen hiermit sind sehr unterschiedlich. In der Bundesrepublik wurde ein solches Vortraining in einem Behandlungsverswh in einer Jugendanstalt von Hommers u. Steiler (1976) eingesetzt. Die Klienten sollten sich hier in der Behandlungsstunde unter Abwesenheit des Therapeuten selbst explorieren. In die Untersuchung wurden 29 männliche jugendliche Strafgefangene einbezogen, wovon 14 die Kontrollgruppe (geschlossener Normalvollzug) und 15 die Experimentalgruppe ("milieutherapeutischer Vollzug") bildeten. Der milieutherapeutische Vollzug wurde auf einer räumlich eigenständigen Entlassungsabteilung der Anstalt praktiziert. Er war im Vergleich zum Regelvollzug dadurch charakterisiert, daß die Vollzugsbediensteten pädagogisch-psychologisch zusätzlich ausgebildet, die Vollzugsbedingungen gelockert waren und die Möglichkeit zur Selbstverwaltung der Gefangenen bestand. Die Experimentalgruppe führte verteilt über 6 Wochen 10 halbstündige Gespräche ohne Anwesenheit eines Therapeuten durch. Hierzu wurden die Klienten in einen besonderen Raum gebracht, instruiert und mit dem laufenden Tonband allein gelassen. Für jede Sitzung sowie für die Teilnahme am Gesamtprogramm wurde eine geringe Prämie bezahlt. Als Ergebnis berichten die Autoren, daß die Methode zwar ohne Anwesenheit eines Therapeuten durchführbar ist, allerdings diskutierten die Probanden im Verlaufe der Zeit immer weniger über sich selbst und sie persönlich betreffende Probleme. Eine Zunahme der Selbsteinsicht in die eigene Problematik und eine Erhöhung der Selbstrellektion war nicht feststell bar, sondern eher das Gegenteil trat ein: Während die Probanden zu Beginn der Gespräche noch über die Ursachen ihres Verhaltens sprachen, wurde das im weiteren Verlauf seltener, ebenso nahmen die Äußerungen zu eigenen Gefühlen ab. Die Erwartungen der Autoren, daß sich etwa auch der Leidensdruck erhöhe, konnten nicht erfüllt werden (vgl. auch Steiler 1977, S. 102 ff.; Hommers u. Steiler 1976; Steiler u. Hommers 1977 a 1977 b; vgl. zu der Methode auch Pütz 1976, S. 89 ff.).

4.5 Sozialschicht und Psychotherapie

Resozialisierungsprogramme bei Straftätern werden nicht nur durch die ungünstigen Bedingungen des Strafvollzugs beeinträchtigt, sondern, wie

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erwähnt, zusätzlich durch Persönlichkeitseigenschaften der Klienten selbst. So gibt es in der Fachliteratur eine umfangreiche Diskussion darüber, inwieweit die üblichen psychotherapeutischen Vorgehensweisen für Klienten aus der Unterschicht, der beispielsweise auch (registrierte) Straftäter in der Regel angehören, überhaupt geeignet sind. Viele Untersuchungen sprechen eher dafür, daß die gängigen psychotherapeutischen Techniken nur eingeschränkt auf Klienten aus unteren sozialen Schichten übertragbar sind, zumindest in ihrer klassischen Form. Das führt dann auch dazu, daß in der Regel bei einer Behandlung von Straftätern von der in den Lehrbüchern dargelegten Vorgehensweise abgewichen wird. So wurde etwa im sozialtherapeutischen Behandlungsvollzug in der Bundesrepublik "sehr bald klar, daß die psychotherapeutischen Verfahren geändert werden müßten, um den Bedürfnissen Rechnung zu tragen, die mit der Behandlung von Delinquenten aus der Unterschicht entstehen" (Driebold u. a. 1984, S. 144). Zahlreiche Untersuchungen konnten recht eindeutig zeigen, daß Unterschichtsangehörige bezüglich psychotherapeutischer Hilfestellung in mehrfacher Hinsicht benachteiligt sind. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Rechtsbrecher und den Bereich des Strafvollzugs, sondern ebenso für klinische Institutionen, wo ihnen, wie etwa Hollingshead u. Redlich (1958) in ihrem Überblick zeigen konnten, vielfach jüngere und damit unerfahrenere und in ihrer Position in der Institution weniger einflußreiche Therapeuten zugeordnet werden (vgl. bereits Myers u. Sc ha elfer 1954). Auch die Gründlichkeit der Untersuchung vor einer Behandlung sowie die IndikationssteIlung sind offensichtlich schichtabhängig. So konnte bei einer Erhebung in der Hamburger Universitätsklinik gezeigt werden, daß Patienten der oberen Sozialschicht länger und gründlicher untersucht wurden (vgl. Waller 1972). Der Anteil diagnostizierter schwerer psychischer Störungen scheint in den unteren Sozialschichten wesentlich höher zu liegen, als er einer zufälligen Verteilung in der Bevölkerung entspräche. Nach Wilken (1975, S. 45) besteht die Gefahr, daß Patienten, die eine größere Distanz zum Therapeuten oder Diagnostiker aufweisen, also insbesondere Angehörige der Unterschicht, "mit sozial stärker stigmatisierenden diagnostischen Etiketten ... versehen werden". Gleiss u. a. (1973, S. 154 ff.) sehen die Probleme in der Anwendung von Psychotherapie bei Unterschichtklienten insbesondere darin begründet, daß diese 1. die Ursachen für ihre Probleme weniger in ihrer Person als in den äußeren Lebensbedingungen sehen, 2. erwarten, daß der Therapeut eine aktive und unterstützende Rolle einnimmt und 3. weniger ausgebildete Fähigkeiten zur verbalen Kommunikation besitzen, so daß dem Therapeuten die Klientenäußerungen oft als unwesentlich, oberflächlich und neben dem Thema liegend erscheinen. Ein Großteil psychotherapeutischer Untersuchungen bei Unterschichtklienten kam hinsichtlich der Effektivität einer solchen Behandlung zu negativen Ergebnissen, was die Annahme der Ungeeignetheit dieser Gruppe für eine solche Maßnahme zu bestätigen schien. Im Vergleich zu anderen Variablen ist die soziale Schicht des Klienten nach wie vor der beste Prädiktor für den Therapieerfolg (vgl. Garfield 1971; Halder 1977, S.63). Hierbei sind jedoch sicherlich Prozesse der self-fulfilling proS Kury 1

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phecy nicht unbeteiligt. So ist es wahrscheinlich, daß sich Therapeuten bei Unterschichtklienten weniger bemühen, die therapeutisch wichtigen Variablen somit weniger verwirklicht werden und von daher ein Behandlungserfolg auch weniger wahrscheinlich wird. Nach Minsel (1974, S.92) können Einflüsse der self-fulfilling prophecy dazu führen, daß Unterschichtpatienten schlechter abschneiden, "da Psychotherapeuten dazu tendieren, bei Unterschichtklienten ungünstige Psychotherapievoraussetzungen anzunehmen", obwohl diese Annahme falsch ist. Teilweise konnten jedoch auch keine bedeutsamen Zusammenhänge zwischen Therapieerfolg und Sozialschicht gefunden werden (vgl. etwa Rudolph 1975; Eckert u. a. 1977). Carkhuff u. Pierce (1967) konnten zeigen, daß etwa das Ausmaß an Selbstexploration nicht unbedingt von der sozialen Schicht der Klienten abhängig ist (vgl. auch White u. a. 1966). Die zum Teil widersprüchlichen Resultate deuten u. a. auf die Notwendigkeit einer Differenzierung der Zielgruppe, gerade auch bei Unterschichtklienten einerseits (vgl. etwa Riessman u. a. 1964) sowie des therapeutischen Vorgehens andererseits, hin. Sioane u. a. (1981) fanden in ihrer Studie beispielsweise einen deutlichen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Verbesserung durch die Behandlung nur bei der Psychoanalyse, nicht jedoch bei der Verhaltenstherapie. Die Gründe für die oft behauptete geringere Eignung von Unterschichtklienten für eine psychotherapeutische Behandlung werden zum einen bei den Klienten selbst, den Behandlungsmethoden und schließlich den Therapeuten gesehen. Nach Saltzman u. a. (1976) wird die therapeutische Beziehung vom Patienten, dem Therapeuten und der Interaktion zwischen beiden beeinflußt. Hierbei dürfte letztere außer vom Therapeuten und Patienten insbesondere auch vom Setting, in welchem die Behandlung stattfindet, also etwa von der Strafvollzugssituation, bestimmt werden. Viele Autoren weisen darauf hin, daß Unterschichtsangehörige eine eher negative Einstellung zu einer psychotherapeutischen Behandlung haben und hiervon kaum Hilfe für ihre Probleme erwarten (vgl. Brill u. Storrow 1960; Luborsky u. a. 1971; Wolkon u. a. 1973; Lorion 1978). Andererseits sind die Erwartungen an eine Behandlung für deren Erfolg von großer Bedeutung. "Perhaps the most straightforward cognitive media tor of longterm behavior stabilization (persistence) is the individual's expectancy that his or her eHorts will result in satisfying outcome" (Karoly 1980, S. 225). Unterschichtangehörige dürften, obwohl sie, wie Gould (1967) zeigt, ansonsten keine schlechteren Voraussetzungen für eine Psychotherapie mitbringen, eine solche Behandlung, wenn überhaupt, vielfach mit skeptischen Gefühlen oder gar negativen Einstellungen beginnen, die es erst zu überwinden gilt. Das dürfte insbesondere auch für Straffällige zutreffen, die in Vollzugsanstalten, wie oben erwähnt, sich mit unterschiedlicher Motivation und Erwartung in eine Behandlung begeben. Entsprechend wird die Vorbereitungsphase als oft sehr langwieriger Prozeß beschrieben, der bewirkt, daß u. U. Monate vergehen, ehe mit der "eigentlichen" Behandlung begonnen werden kann (vgl. hierzu etwa die Erfahrungsberichte aus Düren und Bad Gandersheim; zur Vorbereitung einer ambulanten Behandlung bei Straffälligen vgl. etwa Goldbrunner 1983). Insbesondere die unterschiedlichen Sprach codes zwischen Therapeut und Klient sowohl die größere Handlungsorientierung Unterschichtangehöriger werden in der

4. Den Behandlungserfolg beeinträchtigende Variablen

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Literatur vielfach als Barriere bezüglich der Anwendung psychotherapeutischer Methoden diskutiert. Parow (1972, S.75) weist beispielsweise darauf hin, daß die Sprachorganisation der Unterschicht ein Eingehen und eine Bearbeitung gefühlsmäßiger Inhalte, wie in der Psychotherapie erforderlich, erschwert (vgl. hierzu etwa auch Hartmann-Lange u. Ackermann 1983, S. 246 ff.; Schmitt 1977, S. 94 ff.; Jäggi 1977; Halder 1977, S. 65 ff.). Driebold (1983 c, S. 196) beschreibt solche Verständigungsprobleme gerade auch in der Therapie von Strafgefangenen, wo sich z. T. große Kommunikationsprobleme zeigen, indem den Insassen .die Welt der Therapie mit ihren Prinzipien und Vorgehensweisen weitgehend fremd bleibt. So fragen die Insassen beispielsweise: ,Was soll das, daß ich hier mit ihnen immer nur rede, da draußen liegen meine Schwierigkeiten' ... Überhaupt treten zwischen Behandler und Behandelten z. T. massive Verständigungsprobleme auf, die insbesondere auch in unterschiedlichen Norm- und Wertvorstellungen der Beteiligten begründet sind" (vgl. auch Driebold 1980). Auch Coignerai-Weber (1981, S. 205 ff.) sieht in den unterschiedlichen Sprach codes neben der sozialen Distanz zwischen Klient und Therapeut ein wesentliches Hindernis der Behandlung Unterschichtangehöriger, vor allem Straffälliger. Zu Recht wurde in den letzten Jahren vermehrt darauf hingewiesen, daß die Schwierigkeiten in der Therapie Unterschichtangehöriger etwa nicht nur beim Klienten, sondern auch beim Therapeuten liegen können. So ziehen Karon u. Vandenbos (1977) vor dem Hintergrund ihrer Literaturübersicht den Schluß, daß die Ursachen für Probleme in der Behandlung von Unterschichtpatienten vielfach beim Therapeuten zu suchen sind. Therapeuten sind in der Regel Mittelschichtangehörige mit bestimmten Erwartungen an ihre Klientel, welche etwa von Straffälligen kaum erfüllt werden dürften. Hierin ist zweifellos ein wesentlicher Grund für den oft negativen Ausgang der Behandlung Unterschichtangehöriger zu sehen (vgl. auch Goldstein 1973; Berzins 1977). So kommt auch Zimmer (1983 b, S. 27) in seiner Analyse zusammenfassend zu dem Ergebnise, daß sich die Effektivität einer Behandlung zwar nicht klar mit Persönlichkeitscharakteristika des Therapeuten in Verbindung bringen lasse, es zeige sich jedoch, daß seine eigenen emotionalen Probleme die Behandlung behindern (vgl. zusammenfassend etwa auch Wilkins 1977 i Brenner 1982). Offensichtlich gelingt es Therapeuten vielfach nicht, die soziale Kluft zu Patienten aus der Unterschicht zu überbrücken und eine tragfähige therapeutische Beziehung aufzubauen (vgl. Heising u. a. 1982, S. 24 f.). Schofield (1964) konnte in seiner soziologischen Untersuchung über Psychotherapie in den Vereinigten Staaten zeigen, daß Therapeuten einen bestimmten Patiententyp präferieren, den er den "YAVIS-Patienten" nannte und der durch die Merkmale young, attractive, verbal, intelligent und succesful gekennzeichnet ist (v gl. auch Rabkin 1977, S. 173). "Dieser. YAVIS-Patient ist der Typ des Patienten, der um Psychotherapie nachsucht, weil er Einsicht und Verständnis in seine Person und sein Handeln gewinnen möchte. Meistens geht es ihm gar nicht so sehr um akute Probleme. Aus diesem Grunde findet er es auch natürlich, daß die Therapie längere Zeit in Anspruch nehmen wird" (Halder 1977, S. 55). Daß unter Unterschichtangehörigen, insbesondere Straffälligen, diese Art Patient außerordentlich selten, wenn überhaupt zu finden ist, versteht sich von selbst.



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Es konnte jedoch gezeigt werden, daß, wenn es dem Therapeuten gelingt, was bei erfahreneren verständlicherweise öfters der Fall ist (vgl. Baum u. a. 1966), die durch die Schichtdifferenzen bedingten Schwierigkeiten zu bearbeiten und zu überwinden, eine psychotherapeutische Behandlung auch bei Unterschichtklienten erfolgreich sein kann (vgl. etwa Terestman u. a. 1974). Zu Recht betonen Sue u. Sue (1977, S. 427) in diesem Zusammenhang: "The ultimate success of counseling is very much dependen!. upon the counselor's flexibility in using techniques appropriate not only to the cultural group but the individual as weil". Teilweise wurde in Untersuchungen mit positiven Ergebnissen die Behandlung von Unterschichtklienten auch von Therapeuten aus derselben Sozialschicht durchgeführt, wodurch Kommunikations- und Verständnisschwierigkeiten somit von vornherein weitgehend ausgeschlossen waren (vgl. etwa Carkhuff u. Truax 1965; Lohrenz u. a. 1966; Poser 1966). "Es ist eine soziale Realität, daß Menschen, die ähnliche Wertvorstellungen und Ansichten teilen, ähnliche Bildung besitzen, eben der gleichen sozialen Schicht entstammen, daß diese Menschen am besten und problemlosesten miteinander kommunizieren und eine Beziehung eingehen können. Dasselbe gilt auch für die therapeutische Interaktion" (Heising u. a. 1982, S. 20 1.).

4.6 Therapiedi)uer

Ein weiterer Grund für das Mißlingen zahlreicher Resozialisierungsprogramme bei Straffälligen wird darin gesehen, daß die Behandlungsintensität zu gering war, etwa nur wenige Therapiesitzungen stattfanden und diese vielfach weitgehend isoliert vom übrigen Anstaltsgeschehen abliefen. Die komplexe Bedingtheit individueller Kriminogenese erfordert nicht nur eine intensive, sondern möglichst auch eine ganzheitliche Behandlung zugrundeliegender Störungen und keine isolierte auf wenige Stunden beschränkte "Defizitaufarbeitung" (vgl. etwa Mey 1981; Classen 1983, S.139; Frym 1956). Nun sind zwar mit Kurztherapien im klinisch psychologischen Bereich vielfach gute Ergebnisse erzielt worden, jedoch dürfte der Behandlungserfolg hier sehr stark von den Klienten, insbesondere auch deren Problematik, abhängen (vgl. StapJes u. a. 1976; Garfield 1982; Harris u. a. 1963; Wolberg 1980). So sind nach Sifneos (1972) Klienten für eine Kurztherapie geeignet, die durch Merkmale ausgezeichnet sind, die eher dem "YAVIS-Patienten" (vgl. oben) als Straffälligen nahekommen (vgl. auch Malan 1976): Einsicht in die psychologische Bedingtheit der zu behandelnden Schwierigkeiten (also nicht extern al oder situativ verursacht), Neigung zu Introspektion, Bereitschaft, an der Behandlung aktiv mitzuarbeiten, positive Erwartungen gegenüber der Therapie, Bereitschaft zur Selbstexploration und Motivation, sich zu ändern,

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realistische Einstellung und Erwartung gegenüber einem Behandlungserfolg und Bereitschaft, für eine Besserung sinnvolle Opfer zu bringen. Vielfach setzten sich, insbesondere noch vor Jahren, Therapierichtungen, wie etwa die Verhaltens- oder Gesprächspsychotherapie, u. a. dadurch von der (klassischen) Psychoanalyse ab, daß sie nach bereits kurzer Therapiebehandlung Erfolge versprachen. Entsprechend liegt die Behandlungsdauer etwa bei der Gesprächspsychotherapie zumindest in älteren Studien relativ niedrig (vgl. beispielsweise Bommert u. a. 1972; Minsei u. a. 1972; Sander u. a. 1973). In neuerer Zeit wird auch hier die Dauerhaftigkeit eines durch Kurztherapie erzielten Erfolges vermehrt in Frage gestellt. Manche Autoren sehen vor dem Hintergrund geringerer Durchhaltefähigkeit der Klientel Kurztherapien insbesondere auch für Unterschichtangehörige als geeignet an (vgl. etwa Normand u. a. 1963; Jacabson 1965; Imber u. a. 1970; Lorion 1973). Bezüglich einer Resozialisierung von Straffälligen, speziell im Vollzug, scheinen Kurztherapien, vor allem wenn es um die Erreichung späteren Legalverhaltens geht, jedoch überfordert. Die Anbahnung therapeutischer Beziehungen ist, wie oben ausgeführt, in diesem Setting und bei dieser Klientel außerordentlich schwierig. Gelingt es eine solche Beziehung herzustellen, sollte die Behandlung bei der in der Regel schwer soZialisationsgestörten Klientel längere Zeit umfassen, möglichst auch über die Inhaftierungsphase hinausgeseheri. In diesem Sinne ist eine Behandlung im Strafvollzug immer auch als Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung zu verstehen (vgl. etwa auch Wagner 1979; s. unten). Die vielfach kurzen Behandlungszeiten, in denen kaum der Aufbau einer intensiven Beziehung zwischen Therapeut und Klient möglich ist, können als ein wesentlicher Grund für das Scheitern vieler Behandlungsprogramme angesehen werden, wobei es selbstverständlich nicht nur darum geht, die Behandlung einfach zu verlängern, sondern es vor allem auch wichtig ist, daß sie in Form einer Nachbetreuung über die Inhaftierungszeit hinausreicht. Daß auch eine kurze Behandlung im Strafvöllzug für die deprivierten Insassen bereits eine Erleichterung und positive psychische Effekte zeigen kann, soll keineswegs bestritten werden. Langzeiteffekte dürften jedoch wenig wahrscheinlich sein. So fanden beispielsweise Doll u.a. (1974) bei ihrer Untersuchung, bei welcher 26 erwachsene männlich Inhaftierte maximal 6 halbstündige klientenzentrierte Gespräche über Telefon mit externen Gesprächspsychotherapeuten führten, in Persönlichkeitsvariablen durchaus positve Veränderungen bei der Katamne·se, jedoch keinerlei Effekte hinsichtlich einer verminderten Rückfälligkeit im Vergleich zur Kontrollgruppe von 36 nicht behandelten Insassen. Kurzzeitige therapeutische Kontakte im Strafvollzug stehen zu sehr in der Gefahr, vom Gefängnisalltagin der totalen Institution "eingeebnet" und somit zumindest auf Dauer wirkungslos gemacht zu werden (vgl. Moser 1969; President's Commission on Law Enforcement and Administration'of Justice 1967). Soll Resozialisierung funktionier'en, darf sie sich nicht nur auf wenige isoliette Gespräche beschränken. Das hat allerdings die Behandlungsforschung und die Diskussion um deren Ergebnisse in den letzten Jahren in aller Deutlichkeit gezeigt. Andererseits sollte die Behandlung etwa bei Langstrafigen auch nicht zu früh vor dein EntIassungszeitpunkt einsetzen, da sie ansonsten u. U. ausläuft, lange bevor der Klieht den Strafvollzug verläßt und die

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(eventuellen) Behandlungs- durch Prisonisierungseffekte überlagert und .gelöscht" werden. Aus diesem Grund werden etwa in sozial therapeutischen Anstalten Strafgefangene in der Regel zu Recht erst dann aufgenommen, wenn ihr Strafrest nicht mehr allzu lange, etwa nur noch 1 bis 2 Jahre beträgt. Nach Wagner (1979) sollte die Behandlung im Vollzug nicht länger als ca. 9 Monate umfassen. Teilweise wird jedoch von wesentlich längeren Behandlungszeiten berichtet.

4.7 Entlassungsvorbereitung - Nachbetreuung Resozialisierungsprogramme im Strafvollzug, die mit der Haftentlassung enden, brechen ihre Hilfe und Unterstützung zu einem Zeitpunkt ab, zu welchem der Proband sie gerade besonders nötig hätte. Die ersten Wochen und Monate stellen für entlassene Straffällige - genauso wie für andere in Institutionen, beispielsweise Heimen oder der Psychiatrie Untergebrachte (vgI. etwa Niemietz 1983) -, insbesondere wenn sie längere Zeit inhaftiert waren, eine besondere Krisensituation dar, was sich etwa auch darin zeigt, daß die Versagens- und Rückfallquote hier relativ hoch ist. Der Erfolg eines Resozialisierungsprogrammes im Vollzug hängt weitgehend davon ab, welche Bemühungen unternommen werden, den Entlassenen zu fördern und hinsichtlich der Lösung seiner Schwierigkeiten in Freiheit zu unterstützen (vgl. Mays 1975, S. 147). Mit der Haftentlassung entstehen für Strafgefangene neue Probleme, auf deren Lösung sie selbst ein umfassendes Resozialisierungsprogramm im Vollzug nur graduell vorbereiten kann (vgl. Degen 1977; Maelicke 1977; Best 1982a; 1982b). Der Straffällige muß sich erst wieder an ein Leben in Freiheit gewöhnen, wird mit besonderen Schwierigkeiten konfrontiert, wie etwa Arbeitslosigkeit, finanziellen Problemen, Stigmatisierung und Ablehnung durch die Umwelt u. ä., zu deren Bewältigung er unterstützender Hilfe bedarf. Das vor allem auch deshalb, weil die Entlas· sungsvorbereitung in der Anstalt in der Regel ungenügend ist, wenn sie überhaupt stattfindet. Copony (1980) berichtet beispielsweise über ein besonderes Entlassungstraining für junge Strafgefangene in einer Jugendstrafanstalt, das sich insbesondere mit folgenden Themenbereichen beschäftigt: Erkennen der Ursachen für eine mögliche Rückfälligkeit lind bewußte Übertragung auf die eigene zu erwartende Situation; Diskussion der positiven und negativen Effekte, welche die Haftstrafe auf die eigene Persönlichkeit gehabt haben kann (wie etwa Prisonisierung und Stigmatisierung) ; Training, wie man wichtige Formulare ausfüllt und Bewerbungsschreiben abfaßt; Umgang mit Geld; Umgang mit öffentlichen Stellen, wie Arbeitsamt, Sozialamt u. ä., insbesondere auch hinsichtlich der Vertretung der eigenen Interessen;

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Suche und Unterhaltung einer Wohnung und Diskussion der Probleme im Zusammenhang mit einer Bewährungsunterstellung und Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer. Aus einer Befragung im hamburgischen Strafvollzug geht hervor, daß die Insassen sich bei der Lösung der mit der Haftentlassung auf sie zukommenden Wiedereingliederungsprobleme überfordert fühlen. Vor diesem Hintergrund hielt der Großteil eine Hilfe für dringend notwendig. Hierbei dachten die Betroffenen weniger an eine materielle Unterstützung als an eine persönliche Betreuung für die Übergangszeit. Verständlicherweise wird diese Hilfeleistung weniger von offiziellen staatlichen Stellen, mit denen die Betroffenen vielfach negative Erfahrungen gemacht haben, gewünscht als vielmehr von privaten Einrichtungen (vgl. Dellschaft-Hupfauer 1973). Das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) sieht zwar in einigen Bestimmungen (vgl. etwa die §§ 15,74,75 u. 134) vor, daß die Haftentlassung besonders vorzubereiten ist, in der Praxis geschieht jedoch - wie erwähnt - relativ wenig. So kann nach § 15 StVollzG, um die Entlassung vorzubereiten, der Vollzug gelockert werden. § 74 StVollzG schreibt vor, daß zur Entlassungsvorbereitung "der Gefangene bei der Ordnung I seiner persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten zu beraten (ist). Die Beratung erstreckt sich auch auf die Benennung der für Sozialleistungen zuständigen Stellen. Dem Gefangenen ist zu helfen, Arbeit, Unterkunft und persönlichen Beistand für die Zeit nach der Entlassung zu finden", Vielfach wird diese Art von Information in einem kurzen Entlassungsgespräch zu vermitteln versucht, von einer Nachbetreuung, die etwa Hilfe in kritischen Situationen anbietet, kann jedoch nahezu ausnahmslos keine Rede sein. AnlaufsteIlen etwa für haftentlassene Straftäter bestehen bzw. funktionieren in der Regel, etwa aufgrund finanzieller Schwierigkeiten, kaum. Kaiser (1982 a, S. 73) weist zu Recht darauf hin, daß das StVollzG "zur nachgehenden Betreuung oder besser gesagt, durchgehenden Betreuung der Verurteilten ... für die große Zahl der Rückfallgefährdeten keine Problemlösungen (bietet), welche die Wahrscheinlichkeit zur Wiedereingliederung nennenswert erhöhten", Kerner (1982, S. 457) betont, daß die Entlassungsvorbereitung "im Idealfall einen integrierten Teilbereich der insgesamt durchgehenden Betreuung (s, Wiesendanger 1973; 1975) Ibildet), die schon während der eventuellen Untersuchungshaft beginnen (vgl. Fuck 1975) und über den Entlassungstermin hinaus andauern sollte", Hierbei ist zu beachten, daß nicht alle Gefangenen in gleichem Umfang Hilfe benötigen und daß diese Hilfe nicht als "beständiges Aufdrängen von außen verstanden werden (darf). Der Proband soll nicht in die Rolle eines fremdbestimmten Objekts geraten. Vielmehr soll er als handelndes Subjekt ernstgenommen, lediglich die Gewißheit haben, bei Bedarf auf unterstützende Angebote zurückgreifen zu können". Ansonsten ist die Gefahr zu groß, daß die "Hilfe" in eine Kontrolle ausartet, was zur Folge hätte, daß sie von den Betroffenen zurückgewiesen wird. Auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme freiwilliger Hilfsangebote sollten die Betroffenen im Rahmen der Entlassungsvorbereitung systematisch hingewiesen werden. Dadurch ist eher gewährleistet, daß in Krisensituationen auf die Hilfsangebote auch tatsächlich zurückgegriffen wird. Selbst im sozialtherapeutischen Vollzug findet - wie erwähnt - vielfach nur eine ungenügende Entlassungsvorbereitung und so gut wie keine Nachbetreuung statt,

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obwohl diese "als notwendige Bedingung für eine erfolgreiche Reintegration nach Entlassung betrachtet (wird). Denn erst nach der Entlassung beginnt für den Klienten die eigentliche ,Zeit der Bewährung', in der er sich nun unabhängig und selbständig von der Anstalt den gesellschaftlichen Anforderungen in den Bereichen Arbeit, Familie, Kontakt und Freizeit stellen muß" (Driebold u. Eger 1980, S.406). In der Sozialtherapeutischen Anstalt Bad Gandersheim beispielsweise konnte aufgrund mangelnder finanzieller Unterstützung die räumliche und personelle Ausstattung für eine gezielte Nachbetreuung nicht eingerichtet werden. Von seiten der Anstalt wurde dann mit der Zeit ein Konzept entwickelt, das folgende Punkte umfaßte (vgl. Driebold u. Eger 1980, S.407): Zuständigkeit der Behandlungsgruppe der Anstalt für Kontakte mit dem entlassenen Klienten, Aufnahme des Kontaktes zum Bewährungshelfer schon vor der Entlassung und Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit, Möglichkeit von Bewährungsauflagen für den entlassenen Klienten, Schaffung von Kontaktmöglichkeiten des entlassenen Klienten zu der Anstalt, und zwar in Form der Teilnahme an der Vollversammlung und von Gesprächen mit Mitarbeitern und Klienten, Teilnahmemöglichkeiten an Veranstaltungen der Anstalt, wie etwa Sport und schließlich etwa jährliches Treffen mit ehemaligen Klienten. Im Rahmen einer sinnvollen Entlassungsvorbereitung sollten nach Möglichkeit auch die näheren Bezugspersonen auf die bevorstehende Riickkehr des Häftlings vorbereitet werden. Zu denken wäre hier bei Jugendlichen an eine Arbeit mit den Eltern, bei den Erwachsenen mit evtl. Ehepartnern. Diese Bezugsgruppen haben einen wesentlichen Einfluß auf das spätere Sozial- und Legalverhalten des Probanden, sind jedoch durch die sich aufgrund der längeren Trennung oft ergebende Problematik vielfach überfordert (vgl. etwa Wittmann 1980). In manchen Anstalten werden im Rahmen einer Entlassungsvorbereitung der Insassen bereits relativ erfolgreich Familien- und Eheseminare mit den Partnern der Inhaftierten durchgeführt (vgl. z. B. Tiedt 1979). Roloff (1980) berichtet beispielsweise aus Münster über ein zweiphasiges Ehe-und FamiIienseminar von 4 und IOTagen Dauer, das für verheiratete Häftlinge außerhalb der Vollzugsanstalt durchgeführt wird. Die bisherigen Erfahrungen sind sehr ermutigend (vgl. auch RoloH u. Balzer-Ickert 1978). Auch Kunze (1983, S. 156) weist auf die Bedeutung einer Einbeziehung wichtiger Bezugspersonen, mit denen der Häftling nach der Entlassung zusammenlebt, in die Behandlung hin. Eine wesentliche Rolle im Rahmen einer Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung spielt bei einem Großteil der Strafgefangenen auch die Schuldenregulieruilg, da ein erheblicher Teil der Insassen Schulden in einer Größenordnung hat, die ihnen vor dem Hintergrund der für sie schlechten Beschäftigungsbedingungen nach Haltentlassung kaum eine sinnvolle Zukunftsperspektive eröffnen. Zu Recht stellt daher Stehle (1970) fest, daß ohne Schuldenregulierung die ResozialislerUIlg scheitern muß (siehe auch Siekmann 1978) .• Die noch so reife Einsicht in unsere primär gestörte Familienkonstellation, die Aufarbeitung unserer Widerstände wie die gelungene Therapeuten-Übertragung hilft immer dann wenig, wenn der übergroße Schulden-

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berg auch bei bester Ausbildung niemals in adäquater Weise angepaßt abgearbeitet werden kann" (Driebold u. a. 1984, S. 127). In verschiedenen Untersuchungen wurden je nach den erfaßten Klienten unterschiedliche Beträge hinsichtlich der durchschnittlichen Schuldenlast ermittelt, jedoch liegen sie jeweils so hoch, daß die Betroffenen kaum eine Chance haben, die Schuldenlast in absehbarer Zeit abzutragen. So schwankt etwa nach See bode (1983) die durchschnittliche Schuldenlast pro Insasse von ca. 6000,- bis 48 000,- DM. Kühne (1982) befragte 1981 insgesamt N = 234 Strafgefangene aus zwei niedersächsischen Vollzugsanstalten für erwachsene männliche Straftäter. Von der Gesamtgruppe machten 8 keine Angaben, lediglich 9 gaben an, keine Schulden zu haben, 16 Befragte hatten Forderungen in Höhe von jeweils über 100000,- DM zu begleichen, der Rest (N = 201) hatte eine durchschnittliche Schuldenlast von 23 200,- DM. Maelicke (1977) berechnete unter Weglassung von Extremwerten eine durchschnittliche Schuldenhöhe von 19000,- DM (vgI. zur Schuldenproblematik etwa auch Bach 1971; Zimmermann 1981). Daß auch bei Insassen des Jugendstrafvollzugs die Schuldenhohe erheblich ist, konnte Kury (1980a) in einer Untersuchung im Baden-Württembergischen Jugendstrafvollzug zeigen. In den Jahren 1976 bis 1979 wurden insgesamt N = 1582 Neueingänge in der Zugangsabteilung einer der beiden großen Jugendstrafanstalten des Landes u. a. auch zur voraussichtlichen Schuldenhöhe bei Haften~lassung befragt. Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 19,6 Jahren. Nach eigenen Angaben rechneten die Befragten mit Forderungen von durchschnittlich 8200,- DM. Die Schuldenproblematik wurde in den letzten Jahren zunehmend als Schwierigkeit im Zusammenhang mit einer Wiedereirigliederung erkannt. Die Justizminister . der Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen und Hamburg haben seit 1974 nacheinander nach Lösungsrnöglichkeiten gesucht und rechtskräftige Stiftungen des bürgerlichen Rechts geschaffen, deren Ziel es ist, Straffällige bei der Tilgung ihrer Schuldenlast zu unterstützen und aus der finanziellen Notlage, welche sonstige Resozialisierungsbemühungen oft scheitern läßt, herauszuführen (vgI. Seebode 1983, S. 174; siehe für Niedersachsen beispielsweise den .Resozialisierungsfond", Best 1982b). Daß die auch vor dem Hintergrund des bei Strafentlassenen vielfach nicht zu lösenden Arbeitslosigkeitsproblems relativ hohe durchschnittliche Verschuldung ein die Rückfälligkeit provozierender Faktor darstellt, zeigt sich beispielsweise auch in dem von Rossi u. a. 1980 durchgeführten "Transitional Aid Research Projec't" (T ARP). Bei diesem groß angelegten Feldexperiment, das ab Januar 1976 in Zusammenarbeit mit den Staatsgefängnissen in den amerikanischen Bundesstaaten Texas und Georgia durchgeführt wurde, wurde die Experimentalgruppe von Haftentlassenen über 6 Monate finanziell unterstützt. Eine Kontrollgruppe von zur selben Zeit aus denselben Institutionen eiltlassenen Probanden erhielt keine finan:tielle Zuwendung. Zu allen Entlassenen wurden über ein Jahr Daten erhoben. Es zeigte sich bei der Experimentalgruppe, die im Rahmen von TARP eine regelmäßige finanzielle Zuwendung erhielt, eine niedrigere RückfaIIquote. Darüber hinaus erhielten diese Probanden, allerdings nach eiriem durchschnittlich längeren Zeitraum, auch bessere Jobs als die Kontrollprobanden.

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A. Behandlung im Strafvollzug/bei Straffälligen

4.8 Einstellung der Gesellschaft zu Straftätern

Wie oben angeführt, ist der Erfolg von Resozialisierungsprogrammen im Strafvollzug entscheidend davon abhängig, welches Schicksal der Straffällige nach seiner Haftentlassung erfährt, in welchem Ausmaß er unterstützt wird und insbesondere auch, wie er von seiner Umwelt aufgenommen wird. Eine Wiedereingliederung in die Rechtsgemeinschaft ist nur dann möglich, wenn die Gesellschaft dieses zuläßt und die nötige Unterstützung gewährt. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Straftäter, sondern auch für andere Angehörige von Randgruppen, wie etwa Heiminsassen oder aus psychiatrischen Anstalten Entlassene. Auch von Angehörigen dieser Randgruppen hat die Öffentlichkeit wie bei Straffälligen, aufgrund verzerrender Darstellungen in den Medien, vielfach ein falsches Bild, was die Schaffung und Aufrechterhaltung von Vorurteilen nicht nur bei Laien, sondern z. T. auch bei Fachleuten unterstützt (v gl. etwa Reimann 1975; siehe zu der Problematik auch Rasch 1982; Comstock 1983; Baumann 1983). Das Bundesverfassungsgericht (1973, S. 1231) hat im bekannten "Lebach-Urteil", in welchem es erstmals die Resozialisierung oder Sozialisation als das herausragende Ziel namentlich des Vollzugs von Freiheitsstrafen bezeichnet hat (vgl. auch oben), in aller Deutlichkeit auf die Bedeutung der Gesellschaft zur Erreichung des Zieles der Wiedereingliederung des Rechtsbrechers hingewiesen. Ein Behandlungsvollzug kann .nur die Grundlage für die Resozialisierung schaffen. Das entscheidende Stadium beginnt mit der Entlassung. Nicht nur der Straffällige muß auf die Rückkehr in die freie menschliche Gesellschaft vorbereitet werden. Diese muß ihrerseits bereit sein, ihn wieder aufzunehmen". Die Öffentlichkeit hat somit für die Verwirklichung moderner Kriminalpolitik, gerade auch bezüglich des Behandlungsvollzugs, eine wesentliche Bedeutung (vgl. dazu auch Jescheck 1959; Müller-Dietz 1970; 1976; 1980; Smaus 1979). "It is possible that the final solution to the problem of criminality will be found in the community. It appears that no significant change in the criminal justice system will take place without dtizen influence und dtizen partidpation. It is becoming apparent that 'experts' and professionals in the field of corrections lack the means by which we can either reduce reddivism or rehabilitate offenders. The present system cannot function in a meaningful as long as it remains isolated from the community· (Duffee u. Fitch 1976, S. 278). Die Widerstände der Öffentlichkeit gegenüber einer Reformpolitik wurden nicht nur bezüglich Straffälliger, sondern auch was andere Randgruppen betrifft, sofern es sich um Unterprivilegierte handelt, vielfach beschrieben (vgl. etwa Treiber 1973). Untersuchungen zur Einstellung der Bevölkerung gegenüber Rechtsbrechern deuteten in den letzten Jahren teilweise eine größere Toleranz und Bereitschaft zur Unterstützung an. So zeigte sich in der Untersuchung von Kury (1980 c, S. 139) im Vergleich zu früheren Umfragen ein Entwicklungstrend hin zur stärkeren Befürwortung einer Wiedereingliederung des Gefangenen in die Gesellschaft. Bei der erfaßten Stichprobe (N = 137) sprachen sich insgesamt 55 % für eine Resozialisierung als Hauptaufgabe des Strafvollzugs aus. 20 % sahen den Hauptzweck des Vollzugs im

4. Den Behandlungserfolg beeinträchtigende Variablen

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Schutz der Gesellschaft und 12 % in der Sühne für die begangenen Straftaten. Auffallend ist auch bei dieser Umfrage, wie bei früheren, die sehr unterschiedliche Antwortverteilung bei einzelnen Untergruppen. So wird der Resozialisierungsgedanke von unter 30 Jahre alten Befragten zu 69 %, von über SOjährigen jedoch nur zu 38 % vertreten. Probanden mit Volksschul bildung sprachen sich zu 28 %für eine Resozialisierung des Rechtsbrechers aus, solche mit Abitur dagegen zu 73 %. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese "Fortschritte" vor dem Hintergrund einer restriktiveren Kriminalpolitik, wie sie in den letzten Jahren in der westlichen Welt größtenteils zu beobachten ist, leicht rückgängig gemacht werden können. Auch können tagespolitische Ereignisse, wie etwa schwere Kriminalfälle, insbesondere terroristische Anschläge oder Mißbrauch von Vollzugslockerungen, insbesondere wenn von der Plesse aufgegriffen und tendentiell dargestellt, leicht eine Änderung der Einstellung der breiten Bevölkerung bewirken. Eine relativ dauerhafte Einstellungsänderung etwa gegenüber Straftätern dürfte nur schwer zu erreichen sein, da hier eine relativ hohe Änderungsresistenz zu vermuten ist (vgl. etwa Abele 1983, S. 106). Die in der Regel falschen Vorstellungen der Öffentlichkeit, teilweise auch von Angehörigen von Berufsgruppen, die mit Straffälligen zu tun haben, so etwa Polizisten oder Juristen, über die Strafvollzugswirklichkeit gehen vielfach auf eine verzerrende Presseberichterstattung zurück (vgl. zu der Problematik etwa Kerner u. Feltes 1980). Däumling (1970) fand bei einer Untersuchung, bei welcher 300 Aufsichtsbeamte interviewt wurden, daß 97 % der Befragten die Öffentlichkeit über die wirklichen Verhältnisse in den Strafanstalten für nicht zutreffend orientiert hielten. Eine objektive Berichterstattung über die Situation Strafgefangener ist von daher gerade auch zum Abbau von Vorurteilen von großer Bedeutung (vgl. auch Schumann u. a. 1981). Teilweise wird im Zusammenhang mit der notwendigen Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz der Vollzugsanstalten nach außen auf die Bedeutung des Anstaltsbeirates sowie der Hinzuziehung freier Mitarbeiter hingewiesen. Nach § 163 St VollzG ist es Aufgabe des Anstaltsbeirates neben der Mitwirkung bei der Vollzugsgestaltung, der Betreuung der Insassen und Unterstützung des Anstaltsleiters durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge auch bei der Eingliederung der Gefangenen nach der Entlassung mitzuhelfen. Ziel der Schaffung des Anstaltsbeirates war es, insbesondere den Kontakt zur Öffentlichkeit herzustellen. Den Anstaltsbeirat, der vielfach kaum im Sinne des intendierten Zieles funktioniert, jedoch als Garant eines transparenten Strafvollzugs anzusehen, wäre zumindest gegenwärtig überzogen (v gl. Baumann 1979 b, S. 1 ff.). Die Hinzuziehung freier Mitarbeiter etwa zur Betreuung von Kontakt- und Gesprächsgruppen ist sicherlich auch im Hinblick einer Vermeidung von Prisonisierungsschäden sehr wünschenswert, jedoch nicht unproblematisch, da die Mitarbeiter vielfach überfordert sind, sich wieder zurückziehen und damit die Insassen, die u. U. größere Erwartungen an die Gruppen hegten, allein lassen (vgl. hierzu etwa Rotthaus 1980). So kann auch die Beschäftigung externer Therapeuten in der Sozialtherapie im Sinne einer Öffnung des Vollzugs durchaus sinnvoll sein, allerdings ist auch hier darauf zu achten, daß die Kontinuität der Arbeit gewährleistet ist (vgl. z. B. Hiob

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A. Behandlung im Strafvollzug/bei Straffälligen

1979). Insbesondere in den Vereinigten Staaten wurden durch Heranziehung von "Volunteers" in den verschiedensten Programmen mit Straffälligen vielfach sehr gute Erfolge erzielt (v gl. statt vieler etwa Peters 1973; Mengelkoch u.a. 1981). Durch die dadurch bedingte größere Öffnung des Vollzugs können auch "Berührungsängste" zwischen den Insassen und den freien Bürgern abgebaut werden, was sich auch positiv auf die gegenseitige Einstellung auswirken dürfte.

4.9 Zusammenfassung

Die Durchführung eines Behandlungsvollzuges in Strafanstalten wird in der Regel von zahlreichen, insbesondere mit der Institution verbundenen, ungünstigen Gegebenheiten beeinträchtigt. So sind etwa institutionelle Grenzen einer Behandlung im Strafvollzug in den festgefahrenen, wenig flexiblen Organisationsbedingungen und der baulichen Gestaltung zu sehen. Die meist sehr großen Anstalten beWirken einen formalisierten Massenbetrieb und ermöglichen kaum ein individuelles Eingehen auf die Bedürfnisse des einzelnen, wie es jedoch im Rahmen vori Resozialisierungsprogrammen erforderlich wäre. Hinzu kommt, daß die Entwicklung einer Subkultur in großen Anstalten sehr begünstigt wird. Das Strafvollzugsgesetz definiert zwar als vorrangiges Vollzugsziel die Resozialisierung der Insassen, was von der Fachliteratur auch entsprechend aufgegriffen -und bekräftigt wird, in der Vollzugspraxis stehen jedoch nach wie vOr Strafe und Sühne im Vordergrund. Vorrangig wird als wichtig erachtet, Ruhe und Ordnung in einer Vollzugsanstalt herzustellen und zu bewahren; Belange einer Behandlung haben sich hier unterzuordnen. Die hier auftauchenden Probleme werden oft als Zielkonflikt beschrieben, dem vorwiegend das Behandlungspersonal ausgesetzt ist. Daß es in einer solchen Situation kaum gelingen kann, ein die Behandlung unterstützendes Anstaltsklima herzustellen, verwundert nicht. Ohne ein solches therapeutisches Klima können Behandlungsprogramme jedoch kaum auf Erfolg hoffen. Hinzu kommt, daß die Motivation der Insassen für die Teilnahme an einem Programm oft weniger daraus resultieren dürfte, daß sie sich eine Änderung ihrer Person versprechen als vielmehr beispielsweise größere Chancen für den Erhalt vonVergünstigungen im Vollzug (wie z. B. Vollzugslockerungen) erwarten. Was die Behandlungsprogramme betrifft; so waren diese zumindest bis vor wenigen Jahren oft nicht auf die Klientel der Strafvollzugsinsassen (in aller Regel Unterschichtangehörige) abgestimmt. Erst in den letzten Jahren wurden hier zunehmend besser geeignete Behandlungsmaßnahmen entwickelt. Schließlich ist die Behandlungsdauer meist zu kurz, um eine anhaltende Verhaltensänderung bewirken zu können. Hinzu kommt,daß eine Vorbereitung auf die Entlassung aus der totalen Institution Vollzugsanstalt

4. Den Behandlungserfolg beeinträchtigende Variablen

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und eine Hilfe beim Übergang in die Freiheit kaum geleistet wird. Vor allem langfristig Inhaftierten fällt es oft schwer, in Freiheit wieder Fuß zu fassen. In dieser schwierigen kritischen Phase erhalten die Betroffenen kaum eine tatkräftige Hilfe. Die Wiedereingliederung nach der Haftentlassung wird gerade auch durch Stigmatisierungprozesse von seiten der Bevölkerung erheblich erschwert, die bewirken, daß der Straftäter in seiner delinquenten Rolle festgeschrieben wird.

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie (Evaluation) 5. Zur Bedeutung der Evaluation, insbesondere in der Behandlungsforschung Nachdem im ersten Abschnitt der Arbeit stichwortartig einige wesentliche Gesichtspunkte, die bei einer Behandlung von Straftätern, insbesondere im Strafvollzug beachtet werden sollten, diskutiert wurden, geht es im zweiten Teil nun um Probleme der entsprechenden Behandlungsfolschung (Evaluation). Wie oben bereits erwähnt, richtet sich ein Großteil der Kritik an der bisherigen Behandlungsforschung gegen die Methodik der einzelnen Untersuchungen. So wird etwa die mangelnde Aussagekraft der Resultate aufgrund zahlreicher methodischer Schwächen der meisten Studien beklagt. Vor der Darstellung der Bedeutung der Probleme, wie auch der Kritik bezüglich der Methodik bisheriger Evaluationsstudien, soll im folgenden zunächst eine Abgrenzung des Begriffs der Evaluation vorgenommen werden.

5.1 Definition der Evaluation Was unter Evaluation zu verstehen ist, ist keineswegs eindeutig definiert. So gibt es zahlreiche Definitionen, die den Begriff mehr oder weniger eng umschreiben und teilweise unterteilen. Krapp u. a. (1982, S. 42) verstehen etwa unter Evaluation "die Bewährungskontrolle von Modellversuchen", wobei sie hier insbesondere an Schulversuche, Medien- und Unterrichtstechnologie sowie den Bereich Therapie und Beratung denken. Ausdrücklich wird betont, daß Evaluation über die bloße Feststellung von Sachverhalten hinausgeht und ebenso auf die Auswahl, Veränderung sowie Optimierung bestimmter Maßnahmen angelegt ist und bewertend Stellung bezieht. Rossi u. Wright (1977, S. 5) verstehen unter Evaluationsforschung "any scientifically based activity untertaken to assess the operation and impact to implement these policies". Wentling u. Lawson (1975) diskutieren die Definitionsprobleme der Evaluation ausführlich und arbeiten zwei Schwerpunkte heraus: zum einen Evaluation als Prozeß der Beschreibung, Sammlung und Bereitstellung von Informationen, die der Beurteilung von Entscheidungsalternativen dienen und zum anderen Evaluation als

5. Evaluation in der Behandlungsforschung

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Beurteilung des Wertes bzw. der Nützlichkeit etwa eines Programmes oder relevanter Alternativen im Hinblick auf die Erreichung bestimmter Ziele (vgl. hierzu auch Suchman 1967, der zu einer ähnlichen Einteilung kommt). Guba (1969) unterscheidet drei unterschiedliche Arten der Evaluation: 1) Measurement (Diagnostik, Informationssammlung), 2) Prüfung der Übereinstimmung zwischen der Wirkung des Programms und den Zielsetzungen, 3) Beurteilung durch Experten (v gl. hierzu a. Wittmann 1984, S. 19). Worthen u. Sanders (1973) verstehen Evaluation einmal als Prozeß der Beschreibung und Beurteilung und zum anderen "as provider of information for decision making". Deming (1975, S.53) versteht Evaluation als "pronouncement concerning the eHectiveness of some treatment or plan that has been tried or put into eHect". Auch Weiss (1972 b, S. 4) versteht unter Evaluation insbesondere die Messung der EHekte von Programmen (vgl. zur Definitionsproblematik von Evaluation etwa a. Bennett u. Lumsdaine 1975, die einen Überblick geben; s. a. Wittmann 1984, S. 17 H.). Wollmann u. Hellstern (1977, S. 418), die statt von Evaluation von Wirkungsanalysen sprechen, unterscheiden hierzu drei Typen: a) Programmwirkungsanalysen, die der Erfassung der Wirkung insgesamt dienen, b) Programmstrategieanalysen zur Erfassung der Wirksamkeit bestimmter Programmteile und c) Projektanalysen, bei welchen einzelne Maßnahmen der Programmdurchführung untersucht werden, etwa zur Beseitigung von Störfaktoren (vgl. etwa a. Guba 1969; Scriven 1967). Glass u. Ellett (1980) unterscheiden nicht weniger als sieben Konzeptionen von Evaluation. WuJ( (1972, S. 19) stellt insgesamt fünf Alternativen von Ansätzen zur Evaluation einander gegenüber: 1) formative und summative Evaluation, 2) Mikro- und Makroevaluation, 3) innere und äußere Evaluation, 4) vergleichende und nicht vergleichende Evaluation und 5) intrinsische und Ergebnisevaluation.

Gemeinsames Merkmal dieser Definitionen ist die gleichzeitige Berücksichtigung der PlOzeßuntersuchung, d. h. die Darstellung des eingesetzten Programms einschließlich der Implementationsbedingungen und Durchführungsmodalitäten, sowie die EffektivitätskontlOlle anhand der formulierten Zielsetzung. Vielfach findet sich - insbesondere in der pädagogischen Literatur - die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen formativer und summativer Evaluation (vgl. hierzu insbesondere Scriven 1967; zusammenfassend WuJ( 1972; s. a. Heller u. Wichterich 1982; Lerchenmüller 1986). Während bei der formativen Evaluation die kontinuierliche Verbesserung eines Programms im Mittelpunkt steht, hat die summative Evaluation das Ziel, die Effizienz entspreEhender Treatments zu prüfen. "Das Kriterium für diese Einteilung ... ist also die Verwendungsart von Evaluationsergebnissen, weniger die Methode selbst" (Heller u. Wichterich 1982, S. 21; vgl. zu dieser Unterscheidung etwa a. Bloom u.a. 1971; Rutman 1976; 1977a; 1977b). Cronbach (1982) unterstreicht die Notwendigkeit der Kombination beider Evaluationsstrategien und kritisiert an verschiedenen Studien die Vernachlässigung der formativen Evaluation, was dazu führt, daß in den Projektberichten zwar exakt die EHekte beschrieben werden, die durch ein Programm erzielt wurden, jedoch nicht nachvollziehbar ist, wie das Programm durchgeführt wurde und unter welchen besonderen Bedingungen es die beschriebene Leistung erreichte.

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Auch Stake (1972) betont die Notwendigkeit, ein Programm sowohl formativ als auch summativ zu evaluieren, wobei er darüber hinaus noch die Bewertung der Maßnahmen, ihrer Durchführung und ihrer Wirkungen für einen wesentlichen Bestandteil der Evaluation hält (vgl. a. Suchman 1967). Dieser Auffassung ist insofern zuzustimmen, als Evaluationsforschung zumeist praxisnahe Forschung darstellt und sich vielfach im Spannungfeld politischer Entscheidungen befindet, wobei sich der Forscher hier einer Stellungnahme nicht entziehen kann und sollte. Andere Autoren betonen in ihren Definitionen, wie erwähnt, stärker den Aspekt der Effizienzkontrolle.

Obwohl die Bedeutung der Prozeßuntersuchung und -darstellung nicht zu unterschätzen ist, kommt doch der Effizienzkontrolle gerade in der BehaQdlungsforschung nicht mindere Relevanz zu, da auch der kriminalpolitische Stellenwert eines Projektes im wesentlichen durch seine Effektivität bestimmt wird. Hinsichtlich der Methoden der Evaluationsforschung kann gesagt werden, daß sich diese von der übrigen Sozialforschung, etwa der Grundlagenforschung, nicht unterscheiden. In der Evaluationsforschung dienen diese Methoden lediglich einem anderen Ziel, nämlich der Überprüfung und Weiterentwicklung von (sozialen) Programmen. So betont etwa Smith (1981, S. 247): "Strictly speaking, there are no formal methodological differences between basic research and evaluation research" (s. a. Suchman 1967).

5.2 Entwicklung und Stand der Evaluattonsforschung

Die Evaluations- oder, wie sie vielfach auch bezeichnet wird, Wirkungsforschung hat unter anglo-amerikanischem Einfluß in den letzten Jahren in der Bundesrepublik eine zunehmende Bedeutung erhalten. Vermehrt werden auch hier Wirkungsanalysen von sozialen Programmen, etwa im Schulbereich, der Sozialarbeit oder dem Strafvollzug durchgeführt, wenn auch im Vergleich zu den Vereinigten Staaten noch in wesentlich geringerem Umfange. Während sich in den USA vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden teilweise beträchtlichen finanziellen Mittel neben Universitäten auch große private Evaluationsfirmen um die Durchführung der Forschung bewerben, werden entsprechende Untersuchungen bei uns erst in den letzten Jahren vermehrt durchgeführt (vgl. etwa Wittmann 1984, S. 4 ff.). In den Vereinigten Staaten begann eine erhebliche Zunahme der Wirkungsforschung ("evaluation research") in den 60er Jahren, als die US-Bundesregierung, insbesondere die Johnson-Administration ab 1964 im Zusammenhang mit ihrem .Krieg gegen die Armut" und den "Great Society-Programmen" zunehmend dazu überging, auf Bundesebene Programme zu entwickeln und zu finanzieren, die auf eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen insbesondere in den Sh,lm-Ge-

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bieten der Großstädte abzielten (vgl. zusammenfassend Woll mann u. Hellstem 1977, S. 421 ff.; s. a. Rossi 1981, S. 221). Von Beginn dieser sozialpolitischen Aktionsprogramme wurde deren Evaluation eine große Bedeutung beigemessen. Damit bekam die Evaluationsforschung ein Gewicht, das sie vorher - etwa bis Mitte der 60er Jahre - nicht besessen hatte (Horst u. a. 1974 b). So wurden vielfach nur Programme finanziert, bei denen von vornherein eine Evaluation vorgesehen war. Das National Institute of Mental Health ging beispielsweise dazu über, bei jedem wissenschaftlichen Vorhaben einen festgesetzten Prozentsatz der bewilligten Projektmittel für die empirische Begleitforschung verbindlich vorzusehen (vgl. Horst u. a. 1974 a). Einzelne gesetzliche Vorschriften sahen vor, daß bis zu 1 % der gesamten Fördermittel für die wissenschaftliche Evaluation der Programme einzusetzen sind (vgl. Steinberg 1976, S. 205). Allein in den Jahren 1967 bis 1972 verabschiedete der amerikanische Kongreß insgesamt 23 Verordnungen und 6 Gesetze, die eine öffentliche Überprüfung der Wirkungen verschiedenster Projekte und Programme verlangten; zwischen Januar 1967 und März 1974 waren es gar 40 Gesetze mit Evaluierungsvorschriften (vgl. Wortman 1977). Die finanziellen Aufwendungen für die Evaluationsforschung waren enorm: Im Haushaltsjahr 1975 beispielsweise wurden nach Wortman (1977) nicht weniger als 130 Mill. US-Dollar speziell für Evaluationszwecke ausgegeben. Posavac u. Carey (1980) schätzten für die Vereinigten Staaten die jährlichen Ausgaben für die Evaluation von sozialen Dienstleistungsprogrammen für das Jahr 1976 gar auf 600 Mill. US-Dollar. Abt (1980) geht von noch höheren Beträgen für an gewandte Forschung, von der ein Großteil sich mit Evaluationsfragen beschäftigt, aus (vgl. hierzu etwa a. Freeman u. Solomon 1981; zu den Kosten für das Criminal Justice System etwa President's Commission on Law Enforcement and Administration of Justicc 1967). Im Auftrag des Kongresses wurden Kriterien für die Durchführung von Evaluationsstudien erarbeitet und zur Verfügung gestellt (vgl. USo Congress, Senate Committee on Government Operations 1967; S. a. Wholey u. a. 1970; Maltz 1972; Wittmann 1984, S. 4 ff.). Eine brisantere auch politischere Bedeutung bekam die Evaluation der Programme und insbesondere der Erfolgsnachweis derselben - damit die Forschung in diesem Bereich -, als durch die Nixon-Administration ab 1971 die große Zahl der in den 60er Jahren ins Leben gerufenen Vorhaben vor dem Hintergrund von Sparmaßnahmen vermehrt in die Hand der Gemeinden übergeben wurde und deren Finanzierung im Rahmen von pauschalen Zuweisungen erfolgte. Die Konkurrenz für die Programme wurde nun wesentlich größer, Evaluationsuntersuchungen bekamen zunehmend die Aufgabe, die Wirksamkeit der Programme zu belegen, um so deren Weiterfinanzierung zu sichern bzw. zu unterstützen. Vor dem Hintergrund dieser umfangreichen finanziellen Förderung und der zunehmenden gesetzlichen Vorschriften, die eine Evaluation verbindlich verlangten, verwundert es nicht, daß in den Vereinigten Staaten in der zweiten Hälfte der 60er Jahre ein "Evaluation Research Boom" einsetzte (vgl. Patton 1978, S. 16) - Levine u. a. (1981) sprachen in diesem Zusammenhang geradezu von einer .evaluation explosion" - und eine Fülle unterschiedlichster Forschungsvorhaben zur Erfassung der Wirkung der auf breiter Ebene initiierten sozialen Programme begonnen wurde. Rossi U. a. (1979, S. 308) weisen ausdrücklich daraufhin, daß die Evaluation den in den 6 Kur)" I

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

letzten Jahren am schnellsten angewachsenen Bereich der an gewandten Sozialforsc-h ung darstellt. "Evaluationsforschung ist ein Gebiet, das z. Zt. im amerikanischen Bereich höchste Publikationsraten zu verzeichnen hat" (Wittmann 1981, S. 174; 1984). Während in den 60er Jahren in den USA lediglich zwei Bücher über Evaluationsforschung ersc-hienen, die eine größere Aufmerksamkeit erhielten (Hyman u. a. 1962; Suchman 1967), ist inzwischen eine unüberschaubare Fülle von Einzelarbeiten und zusammenfassenden Darstellungen zur Evaluation in den verschiedensten sozialen Bereichen, etwa in der Pädagogik (vgl. etwa Scriven 1967; Millman 1981; Cronbach 1982; zusammenfassend s. a. Lerchenmüller 1986), im strafrechtlichen Bereich (vgl. etwa Wilkins 1969; Warren 1971 a; 1971 b; Klein u. Teilmann 1980; Fox 1981). zur politikbezogenen Rehabilitationsforschung (vgl. etwa Berkowitz u. a. 1975) und zu MentalHealth-Programmen (vgl. z. B. Zusman u. Wurster 1975) und vielen weiteren EinzeIfragestellungen veröffent!ic-ht worden. Umfangreiche zusammenfassende Darstellungen und Sekundäranalysen versuchten einen Überblick über das immer weniger übersc-haubare Feld der Evaluation zu geben (vgl. beispielsweise Rossi u. Williams 1972; Weiss 1972a; 1972b; deutsche Übersetzung 1974; Riecken u. Boruch 1974; im deutschsprachigen Berekh neuerdings Wittmann 1984). Die beiden 1975 erschienenen Handbücher zur Evaluationsforschung von Guttentag u. Struening (1975) hatten bereits im ersten Jahr einen Absatz von über 15000 Exemplaren. In den letzten Jahren wurden auch mehrere praxisorientierte Anleitungen zur Durchführung von Evaluationsstudien veröffentlicht, die dezidierte Vorschläge und Hinweise geben, angefangen von der Planung eines Vorhabens bis hin zur Veröffentlic-hung der gefundenen Resultate sowie deren Umsetzung in die Praxis (vgl. z. B. das "Programm Evaluation Kid", das insgesamt 8 Bände umfaßt, s. Morris u. Fitz-Gibbon 1982 a; 1982 b). Weiterhin wurden im anglo-amerikanischen Bereich mehrere Fachzeitschriften zur Evaluationsforschung in unterschiedlichen Praxisbereichen gegründet (vgl. beispielsweise das seit 1977 erscheinende "Evaluation Ouarterly", seit 1980 umbenannt in "Evaluation Review", s. a. Wittmann 1984, S. 462 ff.). Insgesamt muß davon ausgegangen werden, daß in den Vereinigten Staaten die Evaluationsforschung auch in den nächsten Jahren hinsichtlich ihres Umfanges weiter wachsen wird (vgl. hierzu Johnson 1981), obwohl aufgrund einer verstärkten Sparpolitik insbesondere im sozialen Bereich ein Rückgang in der Finanzierung sozialer Programme zu beobac-hten ist. Der Evaluationsforschung wird damit verstärkt die bereits erwähnte Funktion zukommen, die (weitere) Förderungswürdigkeit von (sozialen) Programmen zu prüfen und zu beurteilen.

Im Bereich der Kriminologie wurde die Evaluationsforschung in den Vereinigten Staaten insbesondere auch durch die Forschungsaktivitäten des "National Institute of Law Enforcement and Criminal Justice" (NILECJ; seit 1980 umbenannt in "National Institute of Justice", NU) gefördert, welches die bedeutsamste wissenschaftliche Einrichtung hinsichtlich Forschung, Entwicklung und Evaluierung der "Law Enforcement and Assistance Administration" (LEAA) darstellt. Von hier aus wurde etwa seit 1974 das "National Evaluation Program" (NEP) betrieben. In der Zwischenzeit wurde die

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LEAA jedoch im Zusammenhang mit finanziellen Einsparungen aufgelöst, eine Entscheidung der Reagan-Administration, die sich sicherlich ungünstig auf die Forschungsentwicklung auswirken wird. In der Bundesrepublik Deutschland gehen die ersten Ansätze zur Evaluationsforschung auf das Ende der 60er Jahre zurück (vgl. Wollmann u. Hellstem 1977, S. 423). Als die Wirkungsforschung in den Vereinigten Staaten bereits eine Hochkonjunktur zu verzeichnen hatte und als selbstverständlicher Bestandteil einer Programmimplementation und -durchführung betrachtet wurde, spielte sie bei uns noch keine bzw. eine sehr untergeordnete Rolle. 1974 stellte etwa Küchler fest, daß die Evaluationsforschung im deutschen Sprachraum nach wie vor ein "nicht etablierter Begriff" sei (S. 11). Gerade auch für kriminologische Fragestellungen, so etwa die Behandlungsforschung oder insgesamt zur Wirksamkeitsüberprüfung von Präventionsprogrammen, wurde immer wieder ein Mangel empirischer Forschung festgestellt. So wies etwa Kaiser (1977 a, S. 45 H.) in seiner Begründung zur Einrichtung eines DFG-Schwerpunktes "Empirische Sanktionsforschung - Verfahren, Vollzug, Wirkungen und Alternativen" in aller Ausdrücklichkeit auf den Mangel an qualifizierter Behandlungs- und Sanktionsforschung hin. Hasenpusch (1980, S. 465) stellte für Europa im Vergleich etwa zu den Vereinigten Staaten einen allgemeinen Mangel an Problembewußtsein für systematische Untersuchungen zur Wirksamkeit von Präventionsprogrammen im kriminologischen Bereich fest. In der Zwischenzeit liegt auch hier eine relativ umfangreiche Literatur vor, die rasch im Wachsen begriffen ist (vgl. beispielsweise Wulf 1972; Müller 1978; Hellstem u. Wollmann 1981; zusammenfassend Wittmann 1984). Hellstem u. Wollmann (1981, S. 69) konnten zeigen, daß in den letzten Jahren auch in Deutschland eine geradezu spektakuläre Zunahme der Evaluationsforschung festzustellen war, ein Phänomen, das sich, wie erwähnt, bereits früher in den Vereinigten Staaten zeigte. So waren von nahezu 30000 Forschungsvorhaben im sozialwissenschaftlichen Bereich in der Bundesrepublik in der Zeit von 1971 bis 1977 etwa 1600 Projekte zur Evaluation. Die Zahl dieser Projekte nahm, wie die Autoren herausarbeiteten, stetig zu und lag am Ende ihres Analysezeitraumes bei ca. 15 % bis 20 %aller :;ozialwissenschaftlichen Untersuchungen. Von 1971 bis 1977 zeigte sich insgesamt eine Vervierfachung der Evaluationsforschung in den Sozialwissenschaften. Im Zusammenhang mit der starken Zunahme der Evaluationsforschung ist beispielsweise auch das rasche Anwachsen von Untersuchungen zur Wirkungsweise von Psychotherapie zu sehen, etwa zur Frage der differentiellen Wirksamkeit unterschiedlicher Behandlungsansätze. Auch hier nahm vor dem Hintergrund dessen, daß vermehrt neue psychotherapeutische Schulrichtungen auf den Markt drängten, die Evaluationsforschung 6'

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stark zu. Wurm (1982, S. 15) schätzt beispielsweise, daß zwischen 1930 und 1970 insgesamt ca. 1500 Veröffentlichungen zur empirischen Psychotherapieforschung erschienen sind. Seither weisen die Psychological Abstracts jedoch durchschnittlich 1000 Zeitschriftenveröffentlichungen pro Jahr aus, von denen etwa die Hälfte empirische Arbeiten sind. Trotz dieser Veröffentlichungsflut beurteilt der Autor jedoch den Erkenntnisgewinn aufgrund methodischer Schwächen der Untersuchungen sehr skeptisch: "In krassem Gegensatz zur Quantität der Studien steht jedoch die Qualität: Der Fundus gesicherter Erkenntnisse über Psychotherapie ist auch heute noch erschreckend gering. Eine kritische Durchsicht der Forschungsergebnisse hinterläßt den Eindruck, daß die kaum mehr überschaubare Flut von Untersuchungen unseren Wissensbestand nicht wesentlich erweitert hat" (Wurm 1982, S. 15). Zu einer insgesamt positiveren Einschätzung der Ergebnisse der bisherigen Psychotherapieforschung kommen etwa Meltzoff u. Kornreich (1970) oder Garfield u. Bergin (1978). In diesen beiden umfangreichen Werken wird eine Fülle von Resultaten zu unterschiedlichen im Zusammenhang mit der Wirksamkeit psychotherapeutischer Interventionen zu sehenden Problembereichen vorgestellt. Ingesamt zeigen sich hier somit in der Bewertung der Ergebnisse der Evaluation psychotherapeutischer Maßnahmen weitgehend dieselben Kontroversen wie in der Behandlungsforschung innerhalb der Kriminologie. Mit zunehmender Expansion der Evaluationsforschung und mit der Zahl vorliegender Forschungsergebnisse und entsprechender Erfahrungen wurden mehr und mehr auch die Schwierigkeiten und Probleme, die mit solchen Vorhaben angewandter empirischer Sozialforschung verbunden sind, deutlich. Insbesondere wurde ersichtlich, wie schwierig es letztlich ist, die Wirkungen sozialer Programme "nachzuweisen", vor allem wenn es sich, wie etwa in der Psychotherapie oder der Behandlung von Straftätern in Vollzugsanstalten, um sehr komplexe Vorgänge handelt. Die trotz intensiver Forschung ausbleibenden erwünschten "eindeutigen" Ergebnisse führten vielfach zu einer Enttäuschung, insbesondere bei den Praktikern, wobei die Erwartungen an die Untersuchungen sicherlich oft überzogen waren, was vor dem Hintergrund der immer deutlicher hervortretenden methodischen Schwierigkeiten zunehmend offenkundig wurde. So betonte etwa Weiss (1974, S. 21), daß die Enttäuschung über die Erträge der Evaluationsforschung zum Teil aus der .unrealistischen Natur der Erwartungen (entsteht). Eine Evaluierungsuntersuchung bringt im allgemeinen keine endgültigen und unzweideutigen Ergebnisse bezüglich der Güte eines Programms hervor. Ihre Resultate zeigen oft kleine, unklare Veränderungen, nebensächliche Wirkungen, Ergebnisse, die durch spezifische Ereignisse des Ortes und des Augenblicks beeinflußt werden". Gerade das wurde und wird jedoch vielfach, insbesondere auch von Praktikern, nicht gesehen, wobei hier die

5. Evaluation in der Behandlungsforschung

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mangelnde "Aufklärung" durch die das Projekt durchführenden Wissenschaftler eine bedeutende Rolle spielen dürfte. So haben etwa die erwarteten und - zumindest in dem gewünschten Umfange - nicht eingetroffenen Erfolgsnachweise von Behandlungsmaßnahmen im Bereich Strafvollzug wesentlich mit dazu beigetragen, daß der Behandlungsgedanke bei Straftätern vermehrter Kritik ausgesetzt wurde und eine "Abkehr von der Behandlungsideologie" gefordert wurde, in der Bundesrepublik vor dem Hintergrund skandinavischer Entwicklungen, bevor die Behandlungsforschung hier eigentlich richtig begonnen hatte (siehe hierzu etwa Hilbers u. Lange 1973, S. 52 ff.; kritisch hierzu s. Kaiser 1982 a, S. 33 ff.). Daß diese "Trendwende" zu früh angekündigt wurde, zeigte sich deutlich daran, daß international der Behandlungsgedanke trotz aller Kritik immer noch vorherrschend ist, wenn auch heute die Möglichkeiten einer Resozialisierung durch Therapie zu Recht wesentlich skeptischer und damit realitätsadäquater gesehen werden. Die Kritik an der Behandlungsforschung war und ist zu einem großen Teil eine Kritik an der methodischen Qualität der einzelnen Evaluationsstudien. Die oft geringe Aussagekraft der Untersuchungen bewirkte, daß deren Methodik - sicherlich zu Recht - vermehrt ins Blickfeld der Kritik geriet. Durch die in folge der Untersuchungen hervorgerufene größere Differenzierung des Forschungsfeldes, welche die Komplexität des Gegenstandes immer deutlicher zu Tage treten ließ, wurde mehr und mehr offenkundig, wieviele wichtige Bereiche und "Störvariablen" in den einzelnen, vor allem älteren empirischen Arbeiten "übersehen" wurden. Das Forschungsfeld erwies sich als zunehmend schwieriger. Vor dem Hintergrund methodisch angreifbarer Untersuchungen kommt etwa eine zusammenfassende Studie der .National Academy of Sciences" der Vereinigten Staaten zu dem wenig ermutigenden Resultat, daß "after 40 years of research and literally hundreds of studies, almost all the conclusions that can be reached have to be formulated in terms of what we do not know. The one positive conclusion is discouraging: the research methodology that has been brought to he ar on the problem of finding ways to rehabilitate criminal offenders has been generally so inadequate that only a relatively few studies warrant any unequivocal interpretations. The entire body of research appears to justify only the conclusion that we do not know of any program or method of rehabilitation that could be guaranteed to reduce the criminal activity of released offenders. Although a generous review of the literature might discern some glimmers of hope, those glimmers are so few, so scattered, and so iriconsistent that they do not serve as a basis for any recommendation other than continued research" (vgl. Sechrest, White u. Brown 1979, S. 3). Auch Hood u. Sparks (1971, S. 9) kommen zusammenfassend zu dem Urteil, daß die kriminologische Forschung - selbst in den letzten Jahren - in methodischer Hinsicht zahlreiche Mängel aufweist und deshalb die gezogenen Schlußfolgerungen vielfach wenig valide sind.

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Bereits frühere zusammenfassende Sekundäranalysen der kriminologischen Behandlungsforschung kamen zu ähnlichen Resultaten, daß nämlich ein großer Teil der Untersuchungen methodisch so defizitär ist, daß die Resultate nur mit Vorsicht interpretiert werden können (vgl. hierzu etwa die Sekundäranalysen von Bailey 1966, Logan 1972 und insbesondere von Lipton, Martinson u. Wilks 1975). Logan (1972), der wie bereits vor ihm Bailey (1966) 100 empirische Studien zur Behandlungsforschung anhand eines Katalogs methodischer Minimalkriterien prüfte, kommt abschließend zu dem Resultat: "None of these studies can be described as adequate. There is not one study that meets all of the criteria ... as the minimal methodological requirements of scientifically sound test of effectiveness· (1972, S. 380; s. hierzu a. den von Kury 1983 c herausgegebenen Sammelband zu "Methodische Probleme der Behandlungsforschung - insbesondere in der Sozialtherapie", der u. a. die Beiträge eines vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) veranstalteten Workshops wiedergibt und insbesondere auch auf die Frage der Methodenkritik in der deutschsprachigen Behandlungsforschung eingeht). Bernstein u. Cardascia (1975, S. 4) betonen in diesem Zusammenhang, daß "if past evaluation efforts are any guide future evaluations are likely to be inadequate in design, inept in execution and uninterpretable in the findings produced". Daß die Forderung nach methodisch besseren Untersuchungen in der Kriminologie (vgl. etwa Kury u. Fenn 1977 a) im deutschsprachigen Bereich zum Teil als "merkwürdiges Phänomen, das wohl am ehesten aus der Abgeschlossenheit sonstiger psychotherapeutischer Bemühungen zu erklären" sei, abgetan wird (Rasch u. Kühl 1978, S. 48), zeugt zusätzlich davon, daß die Diskussion der Forschungsmethodologie in der deutschen Kriminologie noch am Anfang steht und daß - insbesondere unter psychiatrischen und teilweise auch juristischen Kriminologen - ein Verständnis für Methodenfragen bezüglich deren Bedeutung für die empirische Kriminologie als Teil der Sozialforschung nach wie vor fehlt. Das ist im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Kriminologie in Deutschland zu sehen. Es ist keineswegs so, wie Rasch u. Kühl (1978, S. 48) meinen, daß die Forderungen nach dem "Erfolgsnachweis" in der Psychotherapie unter weniger strengen Auflagen gestellt wurden, sondern eher umgekehrt. Die Kriminologie kann hier in methodischer Hinsicht vieles von der Psychotherapieforschung übernehmen.

Die in der empirischen Kriminologie vielfach und in aller Deutlichkeit festgestellte methodische Inadäquatheit eines Großteils der Evaluationsforschung ist jedoch keine Spezifität dieses Fachgebietes, obwohl manche Kritiker darauf hinweisen, daß gerade die kriminologische Forschung hinsichtlich ihres methodischen Standards - etwa im Vergleich zu anderen Bereichen empirischer Sozialforschung, z. B. der Psychologie oder Soziologie - besonders rückständig ist. So hebt etwa Sack (1978) hervor, daß gerade der interdisziplinäre Charakter der Kriminologie, wie er auch in der Bundesrepublik immer wieder betont wird, dazu beitrage, daß hier die Theorieentwicklung behindert werde, da die einzelnen Forscher ihre Untersuchungen letztlich immer vor dem Hintergrund ihrer Herkunftsdisziplinen betreiben und deshalb naheliegenderweise eher psychologische, pädagogische oder

5. Evaluation in der Behandlungsforschung

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juristische Studien durchführen und entsprechende Theorien konzipieren, was aber schließlich die Bildung eines originären Faches Kriminologie und die Entwicklung kriminologischer Theorien behindere (vgl. kritisch hierzu Kaiser 1979 b). Nach Sack (1985, S. 236 f.) kann Interdisziplinarität nur bedeuten "die theoretische Integration und Verarbeitung von Beiträgen, Befunden und Ansätzen aus den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, die ihr analytisches und methodisches Instrumentarium auch auf den Gegenstand der Kriminalität und der mit ihr verbundenen Phänomene angewandt haben". Es wurde beispielsweise auch von seiten der Psychotherapieforschung immer wieder auf Defizite in den empirischen Untersuchungen hingewiesen und betont, daß man trotz einer nahezu unüberschaubaren Fülle von Einzelstudien immer noch über relativ wenig gesichertes Wissen verlüge. Als Schlußfolgerung wird in der Regel die Durchführung methodisch qualifiZierterer Untersuchungen unter rigoroserer Berücksichtigung methodischer Standards, gerade etwa auch was die Verwirklichung experimenteller Versuchspläne betrifft, gefordert. Bis heute besteht weitgehend Uneinigkeit darüber, welche psychotherapeutischen Methoden bei welchen Klienten unter welchen Bedingungen, dargeboten durch welche Therapeuten optimale Effekte bewirken. So betont etwa Strupp (1978, S. 7) in diesem Zusammenhang: "The single most important problem overshadowing all others and placing them in perspective is the issue of effectiveness. As precise answers can be given to the question 'What kinds of therapeutic procedures will be helplul to particular patients under particular circumstances?' it will become possible to clarify the nature 01 the changes produced by specific treatment interventions and to delineate the variables that make a particular treatment effective or ineffective". Anton (1978) hebt hervor, daß die Diskussion um geeignete Untersuchungsanordnungen zum Nachweis von Therapieeffekten bereits seit Ende der 60er Jahre geführt wird (vgl. Burck u. Peterson 1975; Goldman 1976). Daß die Fragen nach der Wirkungsweise einer psychotherapeutischen Behandlung trotz jahrzehntelanger intensiver sozialwissenschaltlicher Forschung immer noch bestenialls ansatzweise zu beantworten sind, deutet nicht nur aul Schwächen in der Forschung, sondern ebenso auf die Schwierigkeiten dieses Forschungsbereiches hin. "Die für Wirkungsanalysen kennzeichnende Frage, welche Wirkungen auf das Handlungsprogramm zurückzuführen sind (,Kausalitätsproblem') erweist sich als um so dornigeres methodisches Problem, als sich das Handlungsprogramm (als interessierende ,unabhängige Variable') seinerseits aus einer Vielzahl von Faktoren und Elementen zusammensetzt und der Wirkungsverlauf insgesamt in ein vielfältig verllochtenes Wirkungsfeld eingebettet ist, in dem die relevanten Wirkungsketten von mannigfachen anderen (,exogenen') Faktoren beeinllußt werden können" (Wollmann u. Hellstern 1977, S. 427). Vor dem Hintergrund gesammelter Forschungserlahrungen wurden immer wieder methodische Vorschläge und Richtlinien für die Durchführung von Therapiestudien erarbeitet, um so zur Verbesserung der Qualität der Untersuchungen beizutragen (vgl. etwa Fiske u. a. 1970). Zweifellos hat die sicp immer mehr verfeinernde Methodendiskussion auch zu einer entsprechenden Verbesserung der Qualität der Unter-

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

suchungen beigetragen (vgl. etwa Hammond 1978). Das gilt selbstverständlich nicht nur für die Psychotherapieforschung im engeren Sinne, sondern ebenso für die pmpirische Kriminologie. So kommt Wolfgang (1981; vgl. auch Wolfgang u. a. 1978) für die Vereinigten Staaten aufgrund einer Analyse der kriminologischen Literatur dpr Jahre 1945 bis 1972, bei welcher 3690 Ouellendokumente ausgewertet wurden, abschließend zu dem Resultat, daß nicht nur die Zahl der Studien stark angestiegen ist, sondern sich die Qualität der Forschung sowie der theoretische Hintergrund ebenfalls verbessert haben. Zu Recht betont pr jedoch, daß auf allen Gebieten Wiederholungsstudien dringend erforderlich seien (1981. S. 220; vgl. hierzu auch die Beiträge und Ergebnisse der vom United Nations Sodal Defence Research Institute (UNSDRl) im Zusammenhang mit dem 5. Kongreß der Vereinten Nation über "Prevpntion of Crime and Treatment of Offenders" in der Zeit vom 10. bis 11. November 1975 in Genf abgehaltenen Forschungskonferenz. UNSDRI 1976). Bereits 1959 betonte Perl man (1959, S. 1) insbesondere bezüglich der Jugendkriminalität: "More and better research is needed to test hypotheses concerning causal factors, to evaltlate current programs of prevention and treatment, and to try out and evaltlate new methods'. Diese Aussage gilt auch heute noch, nicht nur für die Vereinigten Staaten, sondern noch mehr für die Bundesrepublik Deutschland, wo empirische kriminologische Forschung gerade auch zu Behandlungsmaßnahmen noch manches aufzuholen hat, wobei allerdings nicht verkannt werden soll, daß in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung der Forschungssituation unternommen wurden (vgl. zur Situation in den Vereinigten Staaten etwa Rutman u. Oe Jong 1976; zur zunehmenden Institutionalisierung der Kriminologie in Deutschland Berckhauer 1985). Nach wie vor gibt es allerdings viele Programme, selbst Modellprojekte, bei denen eine Evaluation weder durchgeführt wird, noch vorgesehen ist. Bartholomäi (1974, S. 185) meint gar, daß in der Bundesrepublik Deutschland eine Evaluation von sozialpolitischen Programmen in der Regel unterbleibe, da die Erfolgskontrolle die "schwierigste und unangenehmste Phase des Planungszyklus" sei. Daß man hier die Chance vergibt, die Wirkungsweise der Maßnahmen gezielt überprüfen zu können und vor dem Hintergrund der Resultate eine systematische Verbesserung vorgenommen werden kann, wird oft nicht gesehen (zur Bedeutung der Evaluation für die (Weiter)Entwicklung von sozialen Programmen siehe etwa Attkisson u. Broskowski 1978). Was psychologische Tätigkeit etwa im Rahmen von Behandlungsprogrammen im Strafvollzug betrifft, betont etwa die "American Psychological Association" (APA) zu Recht, daß hier geradezu eine ethische Verpflichtung besteht, deren Wirkungsweise zu überprüfen: "There is an ethical obligation on psychologists who perform services in the criminal justice system, as elsewhere, to encourage and cooperate in the evaluation of those services ... Rather, we see the empirical evaluation of psychological services in the criminal justice system as an ethical necessity for the profession" (APA Task Force 1980, S. 148).

6. Methodik der Evaluationsforschung

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5.3 Zusammenfassung Während in den ersten Kapiteln Fragen der Behandlungsforschung unter inhaltlichen Gesichtspunkten im Vordergrund standen, geht es in den Kapiteln 5-8 mehr um Fragen der Forschungsmethodologie. Evaluation als zentrale Aufgabe der Behandlungsforschung ist keineswegs klar umschrieben. Einerseits wird Evaluation etwa begriffen als Prozeß der Beschreibung, Sammlung und Bereitstellung von Informationen, die der Beurteilung bzw. Bewertung von Entscheidungsalternativen dienen, andererseits als Beurteilung bzw. Bewertung der Nützlichkeit beispielsweise eines Programms hinsichtlich der Erreichung bestimmter Ziele (wie der Resozialisierung von Rechtsbrechern). Vielfach differenziert man zwischen formativer (kontinuierliche Verbesserung eines Programms) und summativer (Überprüfung der Effizienz) Evaluation. Die Evaluationsforschung hat insbesondere unter anglo-amerikanischem Einfluß in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Während sie im pädagogischen und klinisch-psychologischen Bereich bereits auf eine lange Tradition zurückblicken kann, haben entsprechend methodisch qualifiziertere Untersuchungen im Strafvollzug in der Bundesrepublik erst in den 70er Jahren begonnen. Insbesondere durch die Beteiligung methodisch ausgebildeter Sozialwissenschaftler, vor allem Psychologen und Soziologen, hat der Methodenstandard kriminologischer Untersuchungen erheblich zugenommen und es konnte somit das Niveau entsprechender Untersuchungen in den USA weitgehend erreicht werden. Die Verfeinerung der Forschungsmethoden machte jedoch gerade auch die Schwierigkeiten einer Evaluationsforschung deutlich.

6. Zur Methodik der Evaluationsforschung Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Evaluationsforschung um einen Teilbereich der empirischen Sozialforschung. Folglich werden hier die in dieser Forschungsdisziplin üblichen, erprobten und bewährten Methoden bei Evaluationsstudien ihre Anwendung finden und auch nach den für die empirische Sozialforschung entwickelten Gütekriterien bewertet werden. Das wohl bedeutsamste Bewertungskriterium für eine empirische Untersuchung ist die Validität ihrer Aussagen. Zur Versuchsplanung und zur Validitätsprüfung wurden verschiedene Konzepte entwickelt. International

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

bekannt geworden ist insbesondere das Validitätskonzept von Campbell u. Stanley (1963) sowie dessen Erweiterung von Cook u. Campbell (1979). Andere Konzepte basieren in der Regel auf diesem Ansatz. Im folgenden soll zunächst dieses Konzept kurz dargestellt werden. Anschließend werden einige Spezifikationen des Validitätskonzeptes für Evaluationsstudien im therapeutischen und pädagogischen Bereich stichwortartig erörtert. Schließlich wird vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zur Validität empirischer Evaluationsstudien der methodische Stand bisheriger Behandlungsforschung in der Kriminologie diskutiert.

6.1 Anforderungen an Evaluationsstudien in Anlehnung an Campbell, Cook und Stanley - einleitende Bemerkungen Der Ansatz von Campbell u. Stanley (1963) bzw. Cook u. Campbell (1979) scheint uns als Grundlage zur Planung bzw. zur Beurteilung von durchgeführten Evaluationsstudien hilfreich. Er ist zweifellos geeignet, den Blick des Forschers für mögliche methodische Mängel in der Planung und Durchführung von Untersuchungen zu schärfen, wobei uns bewußt ist, daß es sich hier um eine Forschungskonzeption handelt, die lediglich unter idealen Bedingungen, etwa im Rahmen von Laboruntersuchungen annähernd vollständig zu verwirklichen ist. In der Feldforschung kann dieses Konzept als Orientierungshilfe dienen, dürfte jedoch, was die Ausschaltung der herausgearbeiteten Störfaktoren der Validität betrifft, kaum in seiner Gesamtheit zu verwirklichen sein. Dieses Validitätskonzept ist, wie erwähnt, das international weitaus bekannteste seiner Art und beeinflußt entsprechend die empirische Sozialforschung sehr stark. Alternative bzw. ergänzende Darstellungen zur Frage der Prüfung der Validität einer Untersuchung, wie sie etwa im deutschsprachigen Bereich in den letzten Jahren entwickelt wurden, fußen i. d. R. auf dem Ansatz von Campbell u. Stanley. Im Anschluß an die Ausführungen zu diesem Validitätskonzept sollen, wie erwähnt, einige Modifikationen des Ansatzes, insbesondere für den klinisch-psychologischen und den pädagogischen Bereich, wie sie gerade auch in der Bundesrepublik entwickelt wurden, stichwortartig dargestellt werden. In der Methodenliteratur zum Bereich der empirischen Sozialforschung, insbesondere der Psychologie und Pädagogik, werden im Zusammenhang mit der Entwicklung von möglichst aussagekräftigen Forschungsplänen, seit Jahren die die Validität von Untersuchungen einschränkenden Faktoren diskutiert. Am bekanntesten ist in diesem Zusammenhang - wie erwähnt - die von Campbell u. Stanley (1963) entwickelte "Fehlerliste", die später

6. Methodik der Evaluationsforschung

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überarbeitet und von Cook u. Campbell (1979, S. 41 ff.) in einer neueren Version dargestellt wird. Obwohl dies, wie die Autoren betonen, keine abschließende Fehlerliste darstellt, ist sie insbesondere in der Ausarbeitung von Cook u. Camp bell relativ umfangreich und beinhaltet die wesentlichen, die Validität empirisch-sozialwissenschaftlicher Untersuchungen und somit gerade auch von Evaluationsstudien beeinflussenden Störfaktoren. Mehrere Autoren diskutieren Ergänzungen bzw. Spezifizierungen zu den Validitätsarten, sowohl für den pädagogischen als auch klinisch-psychologischen Bereich (vgl. etwa Bastine 1975 j Fiske u. a. 1970 j Maher 1978 j Kirchner u. a. 1977 j Runkel u. McGrath 1972 j Köhnken u. a. 1979 j Krauth 1983). Die die Validität von empirischen Untersuchungen einschränkenden Störfaktoren gelten insbesondere für quasi -experimentelle Versuchspläne (nichtäquivalente Gruppendesignsj vgl. etwa auch die Ausführungen zu prä-existierenden Gruppen bei Lord 1967 j 1969). Allerdings können auch bei echt-experimentellen Versuchsanordnungen (Zufallszuweisung zu den Gruppen), wie neuerdings etwa Krauth (1983) an Beispielen aus der pädagogischen Forschung deutlich macht, nicht alle Störfaktoren eliminiert werden. Hierauf wiesen bereits Campbell u. Stanley (1963) sowie insbesondere auch Cook u. Campbell (1979) hin. So ist nach Krauth (1983) bei kleinen Stichproben leicht eine Verzerrung in wesentlichen Variablen (z. B. Geschlecht der Probanden) möglich. Feldexperimentelle Untersuchungen, so etwa Schulversuche aber auch Innovationen im Strafvollzugsbereich, wie Rasch am Beispiel der Einrichtung der Sozialtherapeutischen Modellanstalt Düren zeigen konnte, eines Experimentes, das durch den Druck der Öffentlichkeit in seiner Durchführung stark beeinflußt wurde (1977, S. 1 ff.), können leicht in das Schußfeuer öffentlicher Kritik geraten (vgl. auch Treiber 1973 aj 1973 b). Die hierdurch ausgelösten Effekte dürften, selbst wenn es nicht zu einem Abbruch des Experimentes kommt, nicht ohne Einfluß auf dessen Ergebnisse sein (vgl. auch Krauth 1983, S. 5). Im folgenden soll das Validitätskonzept von Cook u. Campbell (1979) kurz dargestellt werden (vgl. hierzu auch ausführlich Kury 1983 d, S. 33 ff.). Das gegenüber der Arbeit von Campbell u. Stanley (1963 j vgl. a. Campbell 1957 j 1969) revidierte Konzept von Cook u. Campbell (1976 j 1979) unterscheidet sich von früheren Versionen insbesondere dadurch, daß neben den beiden Validitätsarten, der internen und externen Validität, noch die Konzepte der statistischen und Konstruktvalidität eingeführt werden, ferner die Liste der Störfaktoren der Validität erweitert wurde (vgl. zusammenfassend auch Köhnken u. a. 1979, S. 72 ff.). Dieses Validitätskonzept kann für empirische sozialwissenschaftliche Untersuchungen, auch im Bereich der Behandlungsforschung, insofern als richtungsweisend betrachtet werden, als sich - wie erwähnt - nachfolgende Arbeiten im wesentlichen hieran orientiert und die Kriterien und Begrün-

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

dungen - z. T. in abgewandelter Form - übernommen haben (vgl. etwa Bastine 1975; Bayer 1974; Bredenkamp 1975; Goldstein u.a. 1966; Hartig 1975; Roberts u. Rost 1974; Zimmermann 1972; Kohl 1979; zusammenfassend Köhnken u. a. 1979, S. 74 ff.; zur Behandlungsforschung siehe Egg 1979 a, S.106ff.; Rezmovic 1979; Blass-Wilhelms 1983b, S.235ff.; s. a. Blass 1983; Kury 1983 d). Die beiden zentralen Gesichtspunkte hinsichtlich der Beurteilung der Validität einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung stellen die Schlüssigkeit (Konklusivität) sowie die Verallgemeinerungsfähigkeit (Generalisierbarkeit) der gewonnenen Resultate dar. Beide Gesichtspunkte werden in dem Konzept der internen und externen Validität von Campbell u. Stanley (1963) berücksichtigt.

6.2 Definition der verschiedenen Validitäts arten nach Campbell u. Stanley bzw. Cook u. Campbell Die interne Validität oder innere Gültigkeit einer Untersuchung ist "die minimale Voraussetzung, ohne die kein Experiment interpretierbar ist: Verursachen die experimentellen Einwirkungen (Behandlungen) wirklich einen Unterschied in dieser be, sonderen experimentellen Situation?" (Campbell u. Stanley 1963, S. 175; 1970, S. 459). "Internal validity refers to the approximate validity with which we infer that a relationship between two variables is causal or that the absence of a relationship implies the absence of cause" (Cook u. Campbell 1979, S. 37). Eine Untersuchung kann somit insofern als intern valide bezeichnet werden, "wie es gelingt, die Variation der abhängigen Variablen möglichst zweifelsfrei auf die Variation der unabhängigen Variablen zurückzuführen" (Köhnken u. a. 1979, S. 76). Die externe Validität oder äußere Gültigkeit einer Untersuchung bezieht sich dagegen auf die Frage nach der Generalisierbarkeit (Verallgemeinerbarkeit) der gefundenen Resultate. Die zentrale Frage ist hier somit: "Für welche Populationen, Gegebenheiten, Behandlungs- und Meßvariablen kann dieser Effekt generalisiert werden?" (Campbell u. Stanley 1963, S. 175; 1970, S. 459). "External validity refers to the approximate validity with which we can infer that the presumed causal relationship can be generalized to and across alternate measures of the cause and effect and across different types of persons, settings, and times" (Cook u. Campbell 1979, S. 37). Eine Untersuchung kann insofern "als extern valide gelten, als sie auf andere Personen, Bedingungen und Zeitpunkte übertragbar ist. Ihre externe Validität ist insofern eingeschränkt, als sich Personen und Bedingungen in einem oder mehreren wesentlichen Aspekten von denjenigen unterscheiden, auf die die Untersuchung übertragen werden soll" (Köhnken u. a. 1979, S.76). Der Vorrang kommt bei dieser Unterteilung eindeutig der internen Validität zu, denn ist diese nicht zumindest teilweise gegeben, ist eine Interpretation der Untersuchungsergebnisse, wie oben ausgeführt, nicht mehr sinnvoll. In diesem Fall erübrigt

6. Methodik der Evaluationsforschung

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sich auch die Prüfung der Frage der Übertragbarkeit dieser .Ergebnisse" auf andere Populationen, also nach der externen Validität (vgl. etwa Gadenne 1976). Wie bereits erwähnt, erweiterten Cook u. Camp bell (1979) dieses Validitätskonzept. Die interne Validität wurde unterteilt und ihr das Konzept der statistischen Validität (.Statistical Conclusion Validity", vgl. Cook u. Campbell 1979, S. 39 ff.) als "U n tergruppe" hinzugefügt. Die statistische Validität bezieht sich hierbei auf die Frage, wieweit plausible Alternativhypothesen "die behaupteten Effekte auf unterschiedliche Formen von Zufallsfehlern bzw. auf die Verwendung unangemessener Statistiken oder statistischer Analyseverfahren zurückführen können" (Köhnken u. a. 1979, S. 76). Es wird also die Frage geprüft, wieweit für die Praxis aus den statistischen Ergebnissen relevante Schlußfolgerungen gezogen werden können (vgl. Krauth 1983, S. 9). Diese Validitätsart wurde von Campbell (1969) noch der internen Validität zugeordnet. Weiterhin wurde die externe Validität unterteilt und ihr die Konstruktvalidität ("Construct Validity of Putative Causes and Effects"; vgl. Cook u. Campbell 1979, S. 59 ff.) hinzugefügt, wobei die Autoren sich hier an die bekannte Arbeit von Cronbach u. Meehl (1955) anlehnten. Die KonstTUktvalidität bezieht sich auf die Frage, wie stringent die Beziehungen zwischen den theoretischen Konstrukten und deren Operationalisierungen sind, inwieweit somit wirklich das gemessen wird, was gemessen werden soll (vgl. Krauth 1983, S. 9). "Eine Untersuchung kann insoweit als konstruktvalide gelten, als die Operationalisierung möglichst stringent und umfassend aus den Bedingungen und Effektkonstrukten abgeleitet sind" (Köhnken u. a. 1979, S.76). Campbell u. Stanley (1963) differenzierten, wie erwähnt, in früheren Arbeiten noch nicht zwischen externer und Konstruktvalidität. Für die vier Validitätsarten benennen Cook u. Campbell (1979, S. 37 ff.; vgl. auch Cook u. Campbell 1976; Köhnken u. a. 1979, S. 74 ff.) jeweils eine unterschiedliche Zahl von Störfaktoren, welche die Aussagekraft der gewonnenen Daten beeinflussen können (vgl. a. Kury 1983 d, S. 35 ff.). Hierbei ist zu beachten, daß wie erwähnt diese Faktorenlisten keineswegs vollständig sind und daß nicht jeder Faktor in jeder Untersuchung einen Einfluß auf die Ergebnisse haben muß. Wieweit das der Fall ist, muß jedoch jeweils kritisch geprüft werden. Oft ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß die Autoren empirischer Untersuchungen, gerade auch von Evaluationsstudien, verständlicherweise dazu tendieren, die die Validität ihrer Ergebnisse einschränkenden Störfaktoren unterzubewerten oder zu .übersehen". Gerade auch in der kriminologischen Evaluationsforschung kam es vor diesem Hintergrund anhand einzelner Studien zum Teil zu heftigen Kontroversen bezüglich der Aussagekraft der gefundenen Resultate (vgl. dazu die Beiträge in Kury 1983 cl. Campbell u. Stanley gehen davon aus, daß die von ihnen genannten Störfaktoren insbesondere die Ergebnisse der Feldforschung negativ beeinträchtigen können, und zwar sowohl was Grundlagen- als auch an gewandte Forschung betrifft.

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

6.3 Spezifizierung des Validitätskonzeptes für Evaluationsstudien im therapeutischen und pädagogischen Bereich

6.3.1 Spezifikationen

fÜI

Psychothempiestudien

Das Konzept von Campbell u. Stanley (1963) bzw. in der erweiterten Form von Cook u. Campbell (1979) wurde von anderen Autoren speziell für die Psychotherapieforschung in einigen Punkten modifiziert, zum Teil wurden die Faktorenlisten ergänzt. Bastine (1970, S. 544) führt beispielsweise einen nicht zu unterschätzenden zusätzlichen Störfaktor der internen Validität an, nämlich eine mögliche Intemktion zwischen dem Treatment und dem Nachtest. So ist es beispielsweise relativ wahrscheinlich, daß etwa mit einer Gesprächspsychotherapie behandelte Probanden sich am Ende ihrer Behandlung hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs von der Kontrollgruppe unterscheiden. Das kann sich jedoch auf die Beantwortung von ltems eines Persönlichkeitsinventars auswirken. So festgestellte Effekte müssen keineswegs Zeichen einer Persönlichkeitsänderung in den erfaßten Dimensionen sein, sondern sind u. U. darauf zurückzuführen, daß die Behandlung lediglich zu einem anderen Antwortverhalten auf die vorgegebenen Fragen führte. Amelang u. Lasogga (1975, S. 280) betonen, daß eine solche verbale Konditionierung beim Zustandekommen von Pre-Post-Differenzen bei verhaltensmodifikatorischen Eingriffen als wesentlicher Faktor mit berücksichtigt werden muß. Kirchner u. a. (1977, S. 88) weisen im Zusammenhang mit der Diskussion dieses Faktors jedoch darauf hin, daß unklar sei, ob ein veränderter Sprachgebrauch der Klienten "nicht doch einen echten Therapieeffekt widerspiegelt, da der unterschiedliche Sprachgebrauch vermutlich mit einer veränderten Sichtweise der eigenen Probleme einhergeht, aus der auch Lösungsstrategien des Patienten resultieren dürften". Obwohl der Einwand sicherlich beachtenswert ist, muß doch davon ausgegangen werden, daß ein Unterschied zwischen einer Änderung lediglich im verbalen Antwortverhalten einerseits bzw. bezüglich einzelner Persönlichkeitsdimensionen andererseits besteht. Dann u. a. (1978, S. 194) diskutieren diesen Störfaktor im Zusammenhang mit pädagogischen Ausbildungsprogrammen und weisen bezüglich einer Interaktion zwischen Ausbildung und Nachtest darauf hin, daß eine solche insbesondere bei der Verwendung von Einstellungstests denkbar sei. "Man muß damit rechnen, daß Einstellungen, die vorher noch gar nicht bestanden haben, anläßlich ihrer Messung überhaupt erst elaboriert werden ... Im vorliegenden Fall würde sich die Einstellung erst angesichts der Iteminhalte im Rückblick auf die durchlaufene Ausbildung konstituieren" (vgl. bezüglich der Liste der Störfaktoren auch Adams 1975, S.69ff.).

Kirchner u. a. (1977) modifizieren den Ansatz von Campbell u. Stanley (1963) für die klinisch-psychologische Forschung, insbesondere auch für Psychotherapiestudien. Sie begründen, daß hierfür das Konzept, das ursprünglich vor allem für die empirisch-pädagogische Forschung entwickelt

6. Methodik der Evaluationsforschung

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wurde, revisionsbedürftig sei, und entwickeln eigene Listen von Störfaktoren der internen und externen Validität (Kirchner u. a. 1977, S. 71 H.), die jedoch teilweise mit dem Ansatz von Campbell u. Stanley übereinstimmen (vgl. etwa zur Kritik an dem Ansatz von Camp bell u. Stanley 1963 auch Gadenne 1976; Kruglanski u. Kroy 1975; Hultsch u. Hickey 1978). Der Schwerpunkt des Ansatzes von Kirchner u.a. (1977, S.51) liegt darin, die vorliegenden Modelle, insbesondere das von Campbell u. Stanley (1963), bezüglich klinisch-psychologischer Forschung, sowohl darzustellen als auch ihre Geeignetheit hierfür zu prüfen. Die Autoren gehen dabei von der Annahme aus, daß die Konzeption der internen und externen Validität von Camp bell u. Stanley (1970) revisions bedürftig und die vorliegenden Faktorenlisten grundsätzlich fragwürdig seien (vgl. zusammenfassend auch Egg 1979 a, S. 106 ff.). Im einzelnen halten Kirchner u. a. die Übernahme des Validitätskonzepts von Camp bell u. Stanley für die Psychotherapieforschung aus folgenden zwei Gründen für problematisch: I. die Arbeit von Campbell u. Stanley ist schwerpunktmäßig auf den Bereich der Unterrichtsforschung ausgerichtet. Zwar dürften sich in der Psychotherapieforschung grundsätzlich dieselben Probleme wie auf anderen Gebieten empirischer Sozialforschung stellen, jedoch werden sich bei der Konkretisierung besondere unterschiedliche Aspekte ergeben. Hierin sei auch der Grund für die bedingte Gültigkeit der Ausführungen von Camp bell u. Stanley für diesen Forschungsbereich gegeben. 2. Darüber hinaus beinhalte das Konzept Schwächen, die insbesondere dann zum Tragen kämen, wenn die Faktorenlisten, wie oft der Fall, nur verkürzt und vereinfacht wiedergegeben werden. Entsprechend auch unserer eingangs gemachten Feststellung, daß nämlich Gefährdungen interner und externer Validität prinzipiell unbegrenzt sind (Kirchner u. a. 1977, S. 55), kommen die Autoren zu dem Ergebnis, daß es sich hier um Idealkonzepte handelt, denen einzelne Untersuchungen lediglich mehr oder weniger nahe kommen können (vgl. hierzu etwa auch Gadenne 1976). Zu Recht betonen sie, daß jedoch in der Methodenliteratur teilweise der Eindruck erweckt wird, als handele es sich hier um Alles-oder-Nichts-Bedingungen, daß die Validität einer Untersuchung entweder gegeben sei oder nicht. Vor dem Hintergrund der prinzipiell unbegrenzten Zahl möglicher Gefährdungen der Validität einer Untersuchung halten die Autoren die Vorgaben konkreter Faktorenlisten für problematisch, zumal hierdurch die Beobachtung weiterer Gefährdungsmomente, also von Faktoren, die in der Liste nicht enthalten sind, in den Hintergrund gedrängt und leicht vernachlässigt würde. Die Autoren stellen auf der Basis der herausgearbeiteten, ihrer Ansicht nach ';ritischen Punkte an dem Validitätskonzept von Campbell u. Stanley eine abgeänderte Konzeption zur Bewertung der internen und externen Validität von Untersuchungen vor. Statt der Aufstellung von Faktorenlisten empfehlen sie ein Vorgehen in folgenden zwei Schritten:

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

1. Klärung der Grundfragen nach den Gefährdungen der internen und externen Validität einer Untersuchung. 2. Konkretisierung dieser Grundfragen für spezifische Forschungsbereiche, hier der Psychotherapieforschung. Als Grundfrage nach der internen Validität bezogen auf die Psychotherapieforschung definieren sie: "Läßt sich die beobachtete Veränderung im Patientenverhalten durch andere Einflüsse als den der durchgeführten Therapie erklären?" (Kirchner u. a. 1977, S. 61). Diese Grundfrage wird für verschiedene Designklassen (mit und ohne Kontrollgruppe) weiter präzisiert. Die entsprechende Grundfrage nach der externen Validität, wiederum bezogen auf die Psychotherapieforschung, lautet (1977, S.69): "Inwieweit läßt sich das vorgefundene Behandlungsergebnis auf andere Patienten, andere Therapeuten und andere Behandlungsbedingungen übertragen?". Da die Frage nach der Übertragbarkeit eines Untersuchungsresultates unabhängig von der Stringenz der Aussagen gestellt werden muß, ergibt sich die Frage nach der externen Validität für alle Untersuchungsanordnungen grundsätzlich in derselben Form (1977, S. 70). Im folgenden konkretisieren die Autoren die Grundfrage nach der internen und externen Validität für die Psychotherapieforschung insofern, als sie die Quellen möglicher Beeinträchtigung herausarbeiten. Diese werden in die folgenden fünf Klassen eingeteilt, innerhalb derer wiederum zwischen verschiedenen Bereichen von Einflußgrößen unterschieden wird (1977, S. 72 ff.): 1. 2. 3. 4. 5.

Externe Einflüsse auf den Patienten, Patientenmerkmale, Therapeutenmerkmale, Variablen der therapeutischen Technik, Kriteriumsmessung.

Die Bereiche der Einflußgrößen für die einzelnen Klassen werden jeweils diskutiert (vgl. bezogen auf die Behandlungsforschung in der Sozialtherapie die entsprechenden Ausführungen von Egg 1979 a, S. 109 ff.). Kirchner u. a. (1977, S.88) weisen darauf hin, daß die von Campbell u. Stanley (1970) genannten Faktoren der internen Validität, auch in der erweiterten Form von Bastine (1970), in ihrem Konzept enthalten sind. Sie versuchen aufzuzeigen, daß die einzelnen Störfaktoren Spezialfälle der von ihnen genannten Bereiche darstellen. Teilweise seien die Faktoren bei Camp bell und Stanley auch zu allgemein formuliert. Vor dem Hintergrund ihres Validitätskonzepts diskutieren Kirchner u. a. einzelne Untersuchungsanordnungen. Abschließend betonen sie sicherlich zu Recht, daß jede veröffentlichte Untersuchung soviel Information wie möglich enthalten sollte, neben der Ergebnisdarstellung insbesondere eine exakte Dokumentation des Designs, des Treatments und des Untersuchungsverlaufs sowie eine gen aue Stichprobenbeschreibung .• Nur dadurch läßt sich einerseits ihre interne und externe Validität abschätzen, und nur dadurch ist es andererseits möglich, ihre Befunde in weiteren Untersuchungen zu replizieren und damit unter Umständen zu einem Teil gesicherten Wissens in der Psychotherapieforschung werden zu lassen" (Kirchner u. a. 1977, S.102).

6. Methodik der Evaluationsforschung

97

Auch Köhnken u. a. (1979, S. 72 ff.) gehen in ihrem Konzept wie Kirchner u. a. (1977), die sich - wie deutlich wurde - stark an der Validitätstheorie von Campbell u. Stanley (1963) anlehnen, von diesem klassischen Ansatz aus. Sie beziehen sich jedoch auf die erweiterte Version des Konzepts (vgl. Cook u. Campbell 1976; siehe auch Cook u. CampbellI979). Bei der Konkretisierung ihres Ansatzes gehen diese Autoren (Köhnken u. a. 1979, S. 73) von den wichtigsten Merkmalsbereichen einer empirischen Untersuchung aus: unabhängige Variablen, abhängige Variablen, Therapeut/Versuchsleiter, Patient/Versuchsperson, Verlauf der Untersuchung und Datenanalyse. Ähnlich wie Campbell u. Stanley (1963) oder Cook u. Campbell (1979), die ihre Listen von Störfaktoren der Validität als nicht abschließend betrachten, betonen auch Köhnken u. a. (1979, S. 73), daß die ..Identifizierung potentieller Einflußgrößen in der Psychotherapieforschung ... ein kontinuierlich fort~chreitender Prozeß (sei), der nicht irgendwann als abgeschlossen gelten kann". Der von ihnen aufgestellte Kriterienkatalog wird dementsprechend lediglich als vorläufiges Raster betrachtet, das die z. Zt. als wichtig angesehenen Einflußgrößen beinhaltet. Weiterhin wird der Katalog auf Gruppenstudien eingeschränkt. Schließlich werden zur Erörterung der Störfaktoren sowie der Kriterien nur solche Therapiestudien berücksichtigt, die sich auf Erwachsene beziehen und nur ambulante Psychotherapie als Einzelbehandlung anwenden (1979, S.73). Für andere Untersuchungsfelder müsse der Katalog unter Umständen erweitert werden; er beansprucht somit nur für eine eng umschriebene Gruppe von Untersuchungen Gültigkeit. Die Methodenkritierien werden als "vorläufige Leitgesichtspunkte" verstanden (1979, S.74). Ausdrücklich betonen die Autoren, wie vor ihnen auch Campbell u. Stanley (1963), daß man sich darüber im klaren sein muß, "daß es eine im Sinne der Validitätskonzepte einwandfreie Untersuchung nicht geben kann und zwar nicht nur auf Grund der prinzipiellen Unbegrenztheit möglicher Fehlerlisten ... , sondern auch wegen der unausweichlichen Zielkonflikte zwischen den Validitätsforderungen" (1979, S.78). Der idealtypische Charakter dieser Validitätskonzepte wird somit auch von diesen Autoren in aller Deutlichkeit unterstrichen. Köhnken u. a. (1979,. S. 112 ff.) vergleichen abschließend ihren Kriterienkatalog mit Konzepten anderer Autoren und kommen zu dem Schluß, daß ihr Vorschlag alle wichtigen Bereiche enthält. Es ergeben sich aus dem Vergleich keine grundsätzlichen Änderungsvorschläge, lediglich Ausdifferenzierungen einzelner Bereiche des eigenen Ansatzes. Eine empirische Überprüfung der Einstufbarkeit der Kriterien erbrachte eine durchschnittliche Interrater-Übereinstimmung von 77 % und eine Wiederholungsübereinstimmung nach ca. 6 Wochen von 85 % (Köhnken u. a. 1979, S.116). Bezüglich der abschließenden Beurteilung ihrer Validitäts theorie weisen Köhnken u. a. (1979, S. 116 ff.) zu Recht darauf hin, daß diese, wie andere Ansätze auch, in vieler Hinsicht nicht abgehoben vom jeweils zugrundeliegenden theoretischen Rahmen verstanden werden kann. Die Prüfung bisheriger Validitätstheorien vor dem Hintergrund der Frage, was die empirische Forschung bislang für die Verbesserung der Therapiepraxis beigetragen hat, bringt ein wenig ermutigendes Ergebnis, daß näm7 Kur)" I

98

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

lieh Forschungsergebnisse bis heute kaum eine Rückwirkung auf die Praxis hatten, eine Feststellung, die sicherlich nicht nur für diesen Bereich empirischer Forschung Gültigkeit beanspruchen kann. Offensichtlich besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen Forschung und Praxis auch in diesem Bereich (vgl. auch Baumann 1978). Die Autoren stellen selbstkritisch fest, daß ihre Validitätstheorie in der vorliegenden Fassung noch Schwächen enthält, die eine Anwendung in der Forschung erschweren können: Während sie kurzdauernde Therapiestudien vor dem Hintergrund der Theorie noch für machbar halten, räumen sie ein, daß Untersuchungen, die längere Zeiträume umfassen, "die - der Realität entsprechend - hinreichend komplex und adaptiv sind, bei denen die Interaktion zwischen Therapeut und Patient nicht nur als Störgröße, sondern als therapiekonstituierendes Element angesehen werden usw .... lassen sich aber nicht mehr ohne problematische Ad-hoc-Annahmen mit. der vorliegenden Form der Validitäts theorie in Einklang bringen" (Köhnken u. a. 1979, S. 118). Diese Einschränkung gilt allerdings auch für die anderen Theorien. Zu Recht sehen die Autoren die Schwächen der Validitätstheorie darin, "daß das Ideal der Präzision optimiert wird, ohne das Kriterium der Gegenstandsangemessenheit genügend zu berücksichtigen" (1979, S. 118). Die Validität bewertet Gruppenstudien zu positiv im Vergleich zu Einzelfallstudien, obwohl diese für die Entwicklung einzelner Wissenschaftszweige von großer Bedeutung sind und auch in letzter Zeit wiederum mehr Aufmerksamkeit auf sich zogen. Ausdrücklich verstehen die Autoren abschließend die von ihnen dargelegten Kriterien empirischer Psychotherapiestudien nicht als notwendige und hinreichende Beurteilungsgesichtspunkte für solche Untersuchungen, sondern als "Anhaltspunkte zur Beurteilung von Therapiestudien" (1979, S. 121).

6.3.2 Spezifikationen vor dem Hintergrund pädagogischer Vergleichsstudien

Eine Spezifizierung und Ergänzung der Störfaktoren insbesondere der statistischen Validität speziell für die pädagogische Evaluationsforschung im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Gesamtschule wird von Krauth (1983, S.9) unter dem Stichwort "Gefährdungen der Validität des statistischen Schlusses" vorgenommen. So weist dieser Autor vor allem auf folgende weiteren Punkte hin, welche die Aussagekraft einer Untersuchung beeinträchtigen können: Voreingenommenheit der Untersucher

Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß sich vom Beginn einer Studie vorhandene oder sich allmählich entwickelnde Vermutungen, Hoffnungen und Wünsche herausbilden, welche die Auswahl, Durchführung und Interpretation statistischer Verfahren beeinflussen. Interpretation von Haupteffekten in faktoriellen Plänen

Vielfach werden in faktoriellen Versuchsplänen Varianzanalysen durchgeführt und sich ergebende Haupteffekte interpretiert, obwohl Wechselwirkungen vor-

6. Methodik der Evaluationsforschung

99

liegen. Solche Interpretationen können jedoch, wie Krauth (1983, S. 10) zeigt, irreführend sein. Nichtberücksichtigung des Matchings in der Auswertung Vielfach werden auch in der kriminologischen Evaluationsforschung die zu vergleichenden Gruppen durch ein Matching einander angeglichen, d. h. es wird eine gleiche Ausprägung in für wichtig erachteten Kovariablen anzustreben versucht. Ziel ist, dadurch möglichst parallelisierte Stichproben von Klienten, etwa Straffälligen, zu erreichen. Wenn nun über diese Stichproben bezüglich der interessierenden Variablen, Signifikanztests gerechnet werden, ohne daß hierbei die vorausgehende Parallelisierung berücksichtigt wird, kann das zu Fehlschlüssen führen. Unvollständige Designs In kriminologischen Untersuchungen dürfte es wie in pädagogischen Evaluationsstudien sehr oft vorkommen, daß mit unvollständigen Designs zu rechnen ist, d. h. daß einzelne Zellen nicht oder zu gering besetzt sind. Auswirkungen der Verwendung von Klumpenstichproben In der kriminologischen Evaluationsforschung ist es nahezu ausnahmslos üblich, nicht einzelne Straftäter, sondern komplette Anstalten bzw. Abteilungen derselben zu erfassen. Es handelt sich hierbei um Klumpenstichproben, die nicht per Zufall aus einer Population von Vollzugsanstalten ausgewählt sind. Hinzu kommt, daß die Meßwerte der einzelnen Inhaftierten in den ausgewählten Anstalten nicht unabhängig voneinander sein dürften. Der sich ergebende "Klumpeneffekt" ist unter diesen Bedingungen kaum abschätzbar. Bewertung von Veränderungen Bei Verlaufsuntersuchungen (Zeitreihenanalysen) taucht gerade auch im kriminologischen Bereich das Problem fehlender Meßwerte auf (vgl. zu pädagogischen Untersuchungen etwa auch Marco u. a. 1976). Bei größeren Studien beispielsweise zur Behandlungsforschung - ist über die Zeit hinweg nahezu ausnahmslos mit erheblichen Ausfällen an Probanden zu rechnen (vgl. hierzu die im zweiten Teilband vorgestellte eigene Untersuchung sowie die dort angegebene Literatur). "Weit schwerwiegender sind die statistischen Schwierigkeiten bei der Messung von Veränderungen. Ein Problem ist dabei die Abhängigkeit der Veränderungsmaße von den Ausgangswerten" (Krauth 1983, S.16; Myrtek u. a. 1977; Fahrenberg u. a. 1977; Fahrenberg 1982). Nach wie vor gibt es bisher keine allgemein gültige Methode, um in allen Situationen zuverlässig Veränderungen zu erfassen (vgl. etwa a. Linn u. Slinde 1977; Krauth 1981).

6.3.3 Zusammenfassende Diskussion einiger methodischer Probleme der Validitätskonzepte

Zusammenfassend zu den dargestellten Validitätskonzepten kann festgestellt werden, daß neue re Entwicklungen, wie oben bereits ausgeführt, auf den "klassischen" Ansatz von Campbell u. Stanley (1963) zurückgehen. Die von diesen Autoren aufgezählte und insbesondere von Cook u. Campbell 7'

100 B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

(1979) ergänzte Liste der Störfaktoren der Validität einer Untersuchung wird in wesentlichen Punkten jeweils übernommen, wobei das Gewicht der einzelnen Störfaktoren jedoch teilweise anders gesehen wird. Da die Zahl der Störfaktoren der Validität zumindest einer größeren empirisch sozialwissenschaftlichen Untersuchung nahezu unbegrenzbar ist, worauf auch Cook u. Campbell (1979) bereits in aller Deutlichkeit hinwiesen, verwundert es nicht, daß die vorgegebene Liste von einigen der Autoren ergänzt wird. Die große Zahl dieser "Fehlermöglichkeiten" macht die Schwierigkeit deutlich, in diesem Bereich der Forschung geSicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Zu Recht betont Hagan (1982, S. 28): "The sure way to avoid error in research is not to do any research. This is another way of reinforcing our point that error ist ever present in even the best research". Forschungsergebnisse, gerade auch in der Behandlungsforschung, werden von den Autoren oft allzu leichtfertig und damit überinterpretiert. Zu Recht wird jedoch auch darauf hingewiesen, daß einerseits nicht alle Fehler in jeder Untersuchung auftauchen müssen und andererseits deren Gewicht hinsichtlich der Einschränkung der Aussagekraft der Resultate unterschiedlich ist. So betonen Cook u. Campbell (1979, S. 41 f.): "No list of threats is the perfect one; and our outlines forces that we believe plausibly occur in basic or applied research in field settings. But though we consider each threat plausible, we do not believe that each operates with equal frequency or that each affects outcome variables to the same degree". Besonderes Gewicht kommt, wie bereits Campbell u. Stanley (1963) betonen, der internen Validität einer Untersuchung zu, da die Ergebnisse, wie oben erwähnt, letztlich nur dann interpretierbar sind, wenn die interne Validität gegeben ist. Deshalb muß sie jeweils genau geprüft werden. Nur im positiven Falle lohnt es sich, der Frage der externen Validität nachzugehen; sind die Resultate einer Untersuchung aufgrund fehlender interner Validität nicht aussagekräftig, erübrigt sich die Frage nach ihrer Verallgemeinerbarkeit (vgl. hierzu auch Gadenne 1976). Die interne Validität empirisch sozialwissenschaftlicher Untersuchungen ist nun, wie von methodischer Seite zu Recht immer wieder betont wurde, bei der Verwirklichung von echt-experimentellen Versuchsplänen in der Regel höher als bei quasi-experimentellen Plänen oder Feldstudien. Durch Zufallszuweisung der Probanden zur Kontroll- und Experimentalgruppe, wie sie in einem echten Experiment erfolgt, können viele der diskutierten Störfaktoren, insbesondere der internen Validität, kontrolliert werden, was die Aussagekraft der gefundenen Resultate erhöht. Es darf hierbei jedoch zweierlei nicht übersehen werden:

1. Es können durch Randomisierung nicht alle Störfaktoren der internen Validität beseitigt werden und

6. Methodik der Evaluationsforschung

101

2. echt-experimentelle Versuchspläne bringen in der Regel den Nachteil mit sich, daß die externe Validität gegenüber quasi-experimentellen Plänen reduziert ist, d. h. die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der

Resultate, die ja gerade auch im kriminologischen Bereich eine große Rolle spielt, ist zumeist negativer zu beurteilen als bei Quasi-Experimenten.

"Some ways of increasing one kind of validity will probably decrease another kind" (Cook u. Campbell 1979, S. 82; vgl. a. Kury 1983 d, S. 59 ff.).

Zu 1.: Auch Cook u. Campbell (1979, S. 56 H.) weisen ausdrücklich auf die Vorteile der Randomisierung hin, betonen jedoch gleichzeitig, daß einige die interne Validität einer Untersuchung beeinträchtigende Störfaktoren auch dadurch nicht kontrolliert werden können. "Though randomization conveniently rules out many threats to internal validity, it does not rule out all of them" (Cook u. Campbell 1979, S.56). Die Forderung nach Zufallszuweisung der Probanden zu Kontroll- und Experimentalgruppe ist prinzipiell zu unterstützen; es darf jedoch nicht der Anschein erweckt werden, daß durch ein solches Vorgehen die methodischen Probleme insgesamt gelöst seien, denn auch echte Experimente beinhalten, insbesondere in der Feldforschung, noch viele Möglichkeiten der Beeinträchtigung der Aussagekraft der gefundenen Resultate, so daß sich selbst bei Verwirklichung dieses methodischen Zieles noch zahlreiche Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit der Resultate auftun können. So betonen Cook u. Campbell (1979, S.56) zu Recht: "We want to make dear that, while randomized experiments are superior to quasi-experiments with respect to internal validity, they are not perfect". Methodenkritik an der Behandlungsforschung wird auch bei der Verwirklichung einer Zufallszuweisung nicht verstummen.

Zu 2.: Die Beziehungen zwischen den Validitätskriterien sind so, daß, wie bereits angedeutet, niemals alle in idealer Weise oerücksichtigt werden können. Vielmehr bewirkt die Erhöhung der einen Validität u. U. zwangsläufig die Beeinträchtigung einer anderen. Cook u. Camp bell (1979, S. 82) betonen in diesem Zusammenhang: "Some ways of increasing one kind of validity will probably decrease another kind". So erhöht beispielsweise eine Zufallszuweisung, wie erwähnt, in der Regel die interne Validität. Andererseits bestehen im Bereich des Strafvollzugs gegenüber einem solchen Vorgehen z. T. erhebliche Bedenken - auch juristischer Art ~, was dazu führen kann, daß Anstalten, die sich trotzdem dazu bereit erklären, bei einem entsprechenden

102

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Experiment mitzuarbeiten, von vornherein eine positive Auswahl aus allen Vollzugsanstalten darstellen; beispielsweise insofern, als von der Anstaltsleitung und vom Fach- bzw. Aufsichtspersonal eine größere Offenheit gegenüber Neuerungen besteht, die Anstaltsatmosphäre aufgeschlossener ist u. a. Auch könnte sich eine Anstalt für ein aufwendiges Forschungsprogramm zur Evaluation aus "politischen" Gründen bereit erklären, weil etwa bekannt ist, daß die Aufsichtsbehörde das Programm unterstützt und wünscht und sich die Anstaltsleitung durch das "Entgegenkommen" Vorteile anderer Art (Ausbau des Personalbestandes, Verwirklichung von Neubauvorhaben u. ä.) verspricht (vgl. zu diesen politischen Gesichtspunkten der Evaluationsforschung auch Kury 1983 d; 1985 a). Dieses schränkt die externe Validität ein, da die Resultate nicht mehr uneingeschränkt auf den Strafvollzug übertragen werden können, sondern im Extremfall nur für die untersuchte Anstalt Gültigkeit haben. Die Konstruktvalidität kann etwa dadurch erhöht werden, daß die einzelnen Konstrukte mehrfach operationalisiert werden, z. B. durch verschiedene Testverfahren erfaßt werden. Das erhöht jedoch den Testaufwand, was die Motivation der Probanden sowie die Reliabilität der Daten negativ beeinträchtigen kann. Unter Umständen trägt der erhöhte Testaufwand so zu einer Steigerung der Ausfallquoten während der Untersuchung bei und würde damit die interne Validität reduzieren. Die von Campbell u. Stanley (1963) und in erweiterter Form von Cook u. Campbell (1979) sowie von Kirchner u. a. (1977), Köhnken u. a. (1979), ferner Krauth (1983) diskutierten Störfaktoren der Validität empirisch sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zeigen deutlich die Schwierigkeit derartiger Forschungen, wobei, wie bereits erwähnt, keineswegs alle die Aussagekraft einer Studie beeinträchtigenden Faktoren genannt werden. Dennoch bleibt festzustellen, daß die einzelnen Validitätskonzepte in ihrer Unvollständigkeit bereits idealistische Ansätze im Hinblick auf die realen Bedingungen der Forschungspraxis und die Möglichkeiten der Verwirklichung der Konzepte in der Feldforschung darstellen. Auf dieses Problem wird im folgenden anhand konkreter Studien, insbesondere aus dem Bereich der Behandlungsforschung, noch näher eingegangen.

6.4 Methodischer Stand und Probleme bisheriger Evaluationsstudien

Vor dem Hintergrund der idealen Typisierung der dargestellten Validitätsansätze fallen die Bewertungen der meisten, vornehmlich der größeren Studien im sozialwissenschaftlichen Bereich, gemessen an den genannten Kriterien der Validitäts prüfung erwartungsgemäß eher kritisch aus. Insbe-

6. Methodik der Evaluationsforschung

103

sondere hinsichtlich der internen Validität zeigen sich in bezug auf die lnterpretierbarkeit der Resultate einschränkende methodische Schwächen, die auch nicht völlig auszuräumen sind, da oftmals - wie erwähnt - die Bewältigung des einen ein neues methodisches Problem schafft. Nach der Darstellung der Kriterien, die bei der Planung und Durchführung von Evaluationsstudien beachtet werden sollten, sollen im folgenden einige wesentliche Ergebnisse sekundäranalytischer Studien im Hinblick auf die methodische Qualität der Evaluationsforschung, insbesondere der Behandlungsforschung, vorgestellt werden. Danach sollen einzelne besondere Probleme, die im Zusammenhang mit der zumeist unbefriedigenden methodischen Qualität der Studien stehen, diskutiert werden.

6.4.1 Ergebnisse von Sekundäranalysen zur Behandlungsforschung

Größere Studien zur Evaluationsforschung zeigen, wie bereits erwähnt, i. d. R. die Interpretation der Resultate mehr oder weniger stark einschränkende methodische Schwächen. Das gilt nicht nur für den Bereich der Evaluationsforschung in der Kriminologie, sondern ebenso für die Psychotherapieforschung, wobei allerdings einschränkend festzustellen ist, daß die methodischen Mängel entsprechender kriminologischer Studien vielfach gravierender sind. Das kann damit erklärt werden, daß ein Großteil empirisch kriminologischer Forschung, insbesondere in der Bundesrepublik, von methodisch nicht speziell ausgebildeten und erfahrenen Forschern durchgeführt wird, im Gegensatz etwa zu den Vereinigten Staaten, wo methodisch ausgebildete Psychologen und Soziologen seit Jahrzehnten einen größeren Einfluß in der empirisch kriminologischen Forschung haben. Die Zahl der kritischen Arbeiten zur Methodik in der Behandlungsforschung in der Kriminologie, insbesondere auch Sekundäranalysen bisheriger empirischer Forschung in diesem Bereich, ist inzwischen vor allem in den Vereinigten Staaten, wo dieser Forschungsansatz, wie oben ausgeführt, bereits eine verhältnismäßig lange Tradition hat, relativ umfangreich. Vor dem Hintergrund der Komplexität des Forschungsgegenstandes und der Tatsache, daß der Großteil der Studien die vielschichtige Frage nach der Wirkung einer Behandlungsmaßnahme, etwa im Strafvollzug, generell zu beantworten sucht, verwundert es nicht, daß es Kritikern leicht fällt, immer wieder Schwächen der einzelnen Untersuchungen aufzuzeigen. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß diese oft so schwerwiegend sind, daß die Aussagekraft der Resultate insgesamt in Frage gestellt werden muß. Bereits 1966 berieh tet Bailey (1966, S. 153 f.) über eine Sekundäranalyse von 100 zwischen 1940 und 1960 veröffentlichten Untersuchungen zur Evaluation von Be-

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

handlungsrnaßnahmen bei Straffälligen. Er kommt u. a. zu dem Ergebnis, daß über die Hälfte der Studien lediglich einen unsystematischen Versuchsplan hätten. So fand er in dem Material nur 22 Kontrollgruppenuntersuchungen, lediglich ca. jede fünfte Studie hatte somit ein experimentelles Design. Vor diesem Hintergrund kommt der Autor zu dem abschließenden Resultat, daß durch die bis dahin vorliegenden empirischen Untersuchungen aufgrund der zahlreichen methodischen Mängel letztlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet wurden (vgl. auch Robison u. Smith 1971, S. 67!.). Logan (1972) berücksichtigte in seiner Sekundäranalyse weitere 100 empirische Arbeiten zur Behandlungsforschung, wobei er die Untersuchungen anhand von 7 Kriterien beurteilte, die er ausdrücklich als Minimalstandards bezeichnet: 1. adäquate Definition des Behandlungsprogramms, dessen Wirksamkeit überprüft werden soll, 2. Wiederholbarkeit des Treatments, das in seiner Verwirklichung nicht etwa von einer einzigen Person, etwa deren Spezial wissen abhängen darf, 3. Vorhandensein von Kontroll- und Experimentalgruppe möglichst mit Zufallzuweisung (experimentelles Design), 4. es muß gesichert sein, daß die Behandlungsgruppe tatsächlich das Treatment erhält, die Kontrollgruppe dagegen nicht, 5. Vorher-Nachher-Messung, 6. genaue Definition des Erfolgs bzw. Mißerfolgs sowie adäquate Operationalisierung desselben (Erfolgskriterium), 7. Follow-up-Untersuchungen. Der Autor kommt abschließend zu dem Resultat, daß keine der Studien zur Frage der Effektivität von Behandlungsmaßnahmen als adäquat beschrieben werden könne. "There is not one study that meets all of the criteria" (1972, S. 380). Slaikeu (1973) berichtet über 23 Untersuchungen zur Gruppentherapie bei jugendlichen und erwachsenen Strafgefangenen. Aufgrund der methodischen Mängel, wie fehlende Kontrollgruppe, unzulängliche Definition der Variablen, unterschiedliche Erfolgskriterien, fehlende Nachuntersuchung, unzureichende Darstellung der statistischen Berechnungen, lassen die Studien nach Auffassung des Autors lediglich den Schluß zu, daß negative Resultate bezüglich erhöhten Rückfalls nicht festgestellt werden konnten. Latessa (1980) prüfte mit denselben sieben Kriterien, wie sie bereits von Logan (1972) verwandt wurden, 11 Untersuchungen zur "intensive probation". Auch sie kam

zu dem wenig ermutigenden Resultat, daß keine der Studien alle Kriterien erfüllte (5. a. Latessa 1979). Die Autorin stellte interessanterweise fest, daß viele der berücksichtigten Untersuchungen mit einem guten Design begannen, Probleme - wie sie bei der Durchführung der Projekte in der Praxis auftauchten - jedoch zu "Verschlechterungen" der Forschungspläne führten. Damit die Untersuchungen überhaupt noch durchgeführt werden konnten, mußten die Forscher Konzessionen eingehen, i. d. R. auf Kosten der Versuchspläne, ein Problem, das in der Behandlungsforschung sehr oft festzustellen ist (vgl. hierzu auch die Ausführungen zum eigenen Behandlungsforschungsprojekt im zweiten Teilband).

6. Methodik der Evaluationsforschung

105

Auch Davidson u. Seidman (1974) kommen vor dem Hintergrund einer Übersicht über die Ergebnisse zur Verhaltensmodifikation bei jugendlichen Delinquenten, bezüglich der Forschungspläne zu einer ähnlichen Kritik: 1. Es fehlen meist Kontrollgruppen, 2. die an gewandten Forschungsdesigns sind oft inadäquat, 3. die einzelnen Therapiephänomene werden vielfach zu wenig klar herausgearbeitet und voneinander getrennt, 4. die Meßverfahren sind vielfach nicht geeignet und unangemessen. In Anbetracht der Komplexität des Phänomens seien multiple Meßverfahren erforderlich. 5. Die Messung wird oft nicht durch unvoreingenommene Beobachter durchgeführt, ferner werden vielfach Nachkontrollen (Katamnesen) nach angemessenen Zeiträumen nicht vorgenommen. Lipton u. a. (1975) führten die bisher umfangreichste Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen zur Behandlungsforschung auf internationaler Ebene durch, deren Ergebnisse einen erheblichen Einfluß auf die weitere Behandlungsforschung hatten. Aus einem umfangreichen Material wählten sie aus über 900 gesicherten empirischen Untersuchungen - erwartungsgemäß vor allem aus dem anglo-amerikanisehen Bereich - solche Studien aus, die 1. eine Evaluation von Behandlungsmethoden bei Straffälligen darstellten, 2. zwischen dem 1. 1. 1945 und 31. 12. 1967 beendet und veröffentlicht wurden, 3. einen Vergleich zwischen einer Experimental- und einer oder mehrerer Vergleichsgruppen bzw. einen Vorher-Nachher-Vergleich bei der Behandlungsgruppe durchführten und 4. so angelegt waren, daß die erhobenen empirischen Daten der Überprüfung der Behandlungswirkung dienten (Lipton u. a. 1975, S. 41.). Ausgeschlossen wurden etwa Untersuchungen mit lediglich deskriptivem Charakter. Es blieben insgesamt 231 empirische Untersuchungen, die diese Minimalanforderungen erfüllten, übrig. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf nationaler, aber auch internationaler Ebene kein systematisches Programm zur Evaluation der Behandlung Straffälliger gibt. "Knowledge in the fjeld presently consists of numerous uhconnected studies". Roesch u. Corrado (1981, S. 7) fassen die Ergebnisse von Lipton u. a. (1975) wie folgt zusammen: "Of the thousands of studies which could potentially be included in such reviews, onlya small percentage were seen as meeting even a minimal standard of methodological adequacy". Auch die umfangreiche zusammenfassende Studie der .National Academy of Sciences" der Vereinigten Staaten kommt zu dem ernüchternden Resultat, daß wir nach 40jähriger Forschung eigentlich nur gesichert sagen können, was wir nicht wissen. Als Ursache hierfür wird auch hier auf die methodische Inadäquatheit der Untersuchungen verwiesen (Sechrest u. a. 1979, S.3; vgl. a. den zweiten Bericht, Martin u. a. 1981). Für die Bundesrepublik Deutschland hat Blass-Wilhelms (1983 a; vgl. auch BlassWilhelms 1983 b) eine zusammenfassende Wertung bisheriger deutschsprachiger

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Evaluationsstudien zum Strafvollzug versucht. Er prüfte hierbei, inwieweit die folgpnden sieben Kriterien erfüllt sind: I. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

adäquate, exakte Programmbeschreibung (formative Evaluation), Vorhandensein einer Evaluationstheorie, adäquates Forschungsdesign (Experimente, Quasi-Experimente oder post-facto), Durchführung mehrerer Messungen, Kriterien und Beschreibung der Auswahl der Stichprobe, Größe der Stichprobe, statistische Analyseverfahren.

Insgesamt wertete er 9 empirische Untersuchungen aus der Bundesrepublik, die zwischen 1977 und 1980 durchgeführt wurden, aus. Er kommt zu der zusammenfassenden Wertung, daß .keine Studie adäquat die Effektivität der Behandlung im Strafvollzug nachgeprüft hat. Keine Studie hat die Minimalstandards wissenschaftlicher Evaluation voll erfüllt" (1983 a, S. 107 f.). So wurde lediglich in 7 der 9 Studien eine adäquate Beschreibung des Behandlungsprogramms geliefert, in nur 5 Untersuchungen wurde eine Evaluationstheorie zugrundegelegt, nur 3 Studien versuchten, echte Kontrollgruppen zu bilden, zwei Untersuchungen konnten als Quasi-Experimente bezeichnetet werden, keine Studie führte Mehrfachmessungen durch, keine Studie führte eine Wahrscheinlichkeitsauswahl bei der Stichprobenbildung durch, bei keiner Studie wurde eine angemessene Stichprobengröße gebildet und keine hatte Zeitreihenverfahren bei der statistischen Verarbeitung der Daten eingesetzt. Auffallend angesichts der dargestellten methodischen Probleme der Evaluationsforschung, jedoch auch nicht überraschend, ist die weitgehende Übereinstimmung des Ergebnisses der Sekundäranalyse von Blass-Wilhelms mit entsprechenden Resultaten aus den Vereinigten Staaten (vgl. oben). Die Analyse von Blass-Wilhelms wurde - was wiederum mit den Reaktionen auf ähnliche Sekundäruntersuchungen aus den USA übereinstimmt - von den Befürwortern der Behandlungsforschung einer scharfen Kritik unterzogen (vgl. die entsprechenden Beiträge in dem Sammelband Kury 1983 c; insbesondere Rehn 1983). Diese Kritik ist zumindet insofern berechtigt, als bei solchen Sekundäranalysen i.d.R. die Schwierigkeiten, die der Verwirklichung eines in er anfänglichen Konzipierung oft nahezu idealen Forschungsplanes im Rahmen der Umsetzung in der Praxis entgegentreten, nicht berücksichtigt werden. Zumeist muß davon ausgegangen werden, daß den Autoren die Schwächen ihrer letztendlich verwirklichten Forschungsvorhaben durchaus bewußt sind, daß diese jedoch aufgrund von Schwierigkeiten in der Praxis, vielfach auch unvorhersehbaren Problemen, keine Möglichkeit sahen, ein besseres Design zu verwirklichen (vgl. hierzu auch Fitz-Gibbon u. Morris 1978, S. 121.). Was etwa die von Blass-Wilhelms (I983b) vorgeschlagene Kontrolle von Störvariablen mittels zeitverzögerter Designs betrifft, zeigen auch diese Versuchspläne Schwächen und somit Ansatzpunkte für weitere Kritik. Gerade auch hieraus wird deutlich, daß die sich hier ergebenden methodischen Probleme zumindest gegenwärtig nur teilweise lösbar sind.

6. Methodik der Evaluationsforschung

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6.4.2 Spezifische Probleme in deI EvaluationsfoIschung Im folgenden sollen zunächst ergänzend zu den sekundäranalytischen Untersuchungen, wie sie in wenigen Stichworten dargestellt wurden, einige in der Literatur immer wieder diskutierte Schwächen und Schwierigkeiten empirischer Untersuchungen zur Behandlungsforschung kurz dargestellt werden. Die methodischen Schwächen der Evaluationsforschung zeigen sich in einzelnen Studien, wie die oben referierten Sekundäranalysen deutlich machen, in weitgehend identischer Form. Es sind im großen und ganzen dieselben methodischen Probleme, die in den Untersuchungen jeweils nicht oder nur unzulänglich gelöst werden können. Eine übergreifende Ursache für viele dieser konkreten methodischen Schwierigkeiten ist darin zu sehen, daß es bislang weder eine adäquate Kriminalitätstheorie gibt, noch eine Behandlungstheorie, welche eine genügend präzise Handlungsanleitung für die Durchführung von Resozialisierungsmaßnahen und die Durchführung der Evaluationsforschung liefern könnte. Damit verbunden sind etwa Mängel bei der Designplanung, bei der Bestimmung der relevanten Variablen, Durchführung und Durchsetzung von Forschungsvorhaben. Im folgenden soll zunächst kurz auf das Theoriedefizit in der Kriminologie eingegangen werden. 6.4.2.1 Theoriedefizit in der Kriminologie sowie in den Behandlungsansätzen Ein wesentlicher Kritikpunkt an bisherigen Evaluationsstudien, der in der kriminologischen Literatur immer wieder hervorgehoben wird und auch vor dem Hintergrund der dargestellten Sekundäranalysen diskutiert wird, ist derjenige der defizitären theoretischen Fundierung der einzelnen Studien. Kaiser (1982 b, S. 16) betont etwa, "wie man allgemein der bisherigen Kriminologie Theorielosigkeit oder theoretischen Agnostizismus vorwirft, so wird speziell der Sanktionsforschung ein Theoriedefizit angelastet". Er weist sicherlich zu Recht darauf hin, daß dieser Vorwurf des Theoriedefizits gerade im Bereich der Sanktionsforschung insofern auf eine Gefahr hindeutet, als das Risiko darin besteht, "daß mangels genügend fundierter Ausgangskonzepte die Forschung sich in einer bloß deskriptiven Datensammlung erschöpft, die keine weiteren Ergebnisse bringt". Göppinger (1980, S. 39) ist prinzipiell zuzustimmen, daß eine "umfassende Theorie, die die ganze Wirklichkeit des Verbrechens und des Verbrechers zu erklären vermag ... ohnehin kaum denkbar (ist). Denn zum einen werden von strafrechtlich normierten Verbrechen gänzlich heterogene reale Phänomene umfaßt, die völlig verschiedene Lebenszusammenhänge und soziale Felder betreffen; zum anderen zeigen die unterschiedlichen Erklärungsansätze und Perspek-

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

tiven der Bezugswissenschaften, daß es die Ursache und die Erklärung des Verbrechens nicht geben kann". Auch Heinz (1983 a, S. 27) sieht es begründet als wenig wahrscheinlich an, "daß eine einzige Theorie in der Lage sein wird, aussagekräftig die verschiedenen Kriminalitätsphänomene zu erklären. Gleichwohl mag dies als Endziel gelten. Das Nahziel aber sollten Theorien sein, die bestimmte abgrenzbare Erscheinungsphänomene umfassend und interdisziplinär erklären". Bei aller Kritik bisheriger theoretischer Ansätze darf dieses Nahziel, nämlich die Entwicklung fundierter "Theorien mittlerer Reichweite", die sich auf eingrenzbare Bereiche straffälligen Verhaltens beschränken, nicht aus dem Auge verloren werden. Straffälliges Verhalten insgesamt ist zu heterogen, als daß es durch eine einzige Theorie sinnvoll erklärt werden könnte. So könnten gerade auch in der Behandlungsforschung bereits solche fundierten "Theorien mittlerer Reichweite" weiterhelfen, jedoch wurden entsprechende Ansätze bislang nur teilweise entwickelt. Schlußfolgerungen, etwa hinsichtlich der Resozialisierung von Straftätern, wurden - wenn überhaupt - bestenfalls rudimentär abgeleitet. Solange solche Theorien nicht entwickelt sind, ist jedoch eine begründete Fundierung konkreter Behandlungsansätze für Straffällige kaum möglich. Das zeigt sich beispielsweise auch in der weitgehend "zufälligen" Auswahl der in der Praxis, etwa in Strafvollzugsanstalten, durchgeführten Behandlungsprogramme. Zu Recht betonen Lipton u. a. (1975, S. 628) die zentrale Bedeutung einer theoretischen Orientierung, sowohl der Behandlung als auch der Forschung bei Straffälligen. Hierin besteht eine der zentralen Schlußfolgerungen in ihrer zusammenfassenden Studie zu Behandlungsprogrammen: HIt is evident from this survey that the overriding problem of both treatment and evaluative research is their lack of connection with theory. Only when there is a theoretical rationale unterpinning a treatment program and only when the assumptions associated with this rationale are clearly stated can more effective treatment occur and can meaningful evaluative research be conducted". Solange eine adäquate Theorie nicht zur Verfügung steht, kann nach diesen Autoren letztlich nicht bzw. nur unzulänglich entschieden werden: 1. wieweit ein Behandlungsprogramm tatsächlich sein Ziel erreicht hat, 2. für welche Straftäter dieses Behandlungsprogramm geeignet ist, 3. welche konkreten Verhaltensweisen durch das Programm geändert werden können, 4. wie lange die Behandlung dauern sollte und für welchen Zeitraum damit zu rechnen ist, daß die Wirkung anhält, und 5. nach welchen Behandlungsprozessen ein Straftäter letztlich ohne Gefährdung der inneren Sicherheit in die Gemeinschaft zurückgeführt werden kann und wie diese Prozesse zu beschleunigen sind (vgl. Lipton u. a. 1975, S. 628).

6. Methodik der Evaluationsforschung

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Eine weitere Schwierigkeit der Evaluationsforschung ergibt sich daraus, daß nicht nur keine befriedigenden Kriminalitätstheorien zur Verfügung stehen, sondern ebenso keine adäquaten Therapietheorien bzw. Persönlichkeitstheorien vorhanden sind. Zu Recht wird darauf hingewiesen, daß die theoretische Fundierung der einzelnen psychotherapeutischen Richtungen und Verfahren teilweise sehr lückenhaft ist. So sind beispielsweise die theoretischen Grundlagen der Gesprächspsychotherapie von deren Begründer C. R. Rogers selbst u. a. dahingehend relativiert und kritisiert worden, daß es sich bei seinen Aussagen keineswegs um eine Theorie im streng wissenschaftlichen Sinne handelt und daß große Teile etwa seiner Persönlichkeitstheorie Definitionen und Annahmen enthielten, die empirisch - wenn überhaupt - nur teilweise überpfÜfbar sind (vgl. Rogers 1951; 1959; s. a. zusammenfassend Bommert 1977, S. 46 f.). Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß, solange ein stringentes theoretisches System hinsichtlich der begründeten Anwendung bestimmter Behandlungsmaßnahmen bei Straffälligen fehlt, aus welchem Hypothesen über die zu erwartenden Wirkungen abzuleiten sind, sich hieraus, gerade auch für die Evaluationsforschung, erhebliche Schwierigkeiten ergeben. Welche Variablenbereiche sollen beispielsweise zur Überprüfung einer bestimmten Behandlungsmaßnahme erfaßt werden, wenn nur Vermutungen darüber angestellt werden können, in welchen Persönlichkeitsbereichen eine Änderung erwartet werden kann und wenn kaum Wissen darüber vorliegt, welche Verbindungen zwischen diesen Persönlichkeitsmerkmalen und der registrierten Straffälligkeit bestehen. Liegen theoretische Aussagen hierüber vor, sind sie i. d. R. so allgemein, daß eine Operationalisierung, wenn überhaupt möglich, außerordentlich schwierig ist. Neben diesen grundlegenden Problemen einer Evaluationsforschung, die aus Mängeln einer Kriminalitäts- bzw. Therapietheorie resultieren, ergeben sich für die Evaluationsforschung zahlreiche weitere Probleme, von denen hier einige wichtige kurz diskutiert werden sollen, wobei kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Ziel dieser Darstellung ist es, insbesondere auch den Blick für die Probleme der Evaluationsforschung zu schärfen. Zunächst soll auf das angesprochene Problem des Erfolgskriteriums eingegangen werden.

6.4.2.2 Erfolgskriterium Wie bereits angedeutet, besitzt die Wahl und Begründung des Erfolgskriteriums in der Evaluationsforschung einen außerordentlich wichtigen Stellenwert bei der Beurteilung einer Maßnahme, so etwa eines Resozialisierungsprogrammes in einer Vollzugsanstalt, z. B. in der Sozialtherapie. So

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

betont etwa Eisenberg (1979, S. 366): "Zur Bewertung der Frage nach dem Erfolg kommt der Wahl des Erfolgskriteriums eine ausschlaggebende Bedeutung zu" (vgl. a. Egg u. Frey 1976; Dolde 1980; Opp 1976). Von der Auswahl des Erfolgskriteriums hängt es weitgehend ab, wieweit die Wirkung einer Behandlung bzw. welche Aspekte derselben, überhaupt erfaßt werden können. Wird das "falsche" Kriterium gewählt, gelingt es nicht, eine Veränderung zu erfassen, obwohl sie u. U. eingetreten ist. Nach Ansicht von Kerner (1982, S. 470 f.) können hinter einem solchen "Nicht-Effekt" die folgenden Prozesse verborgen sein: 1. eine vollständige Wirkungslosigkeit der Maßnahme, 2. ein kurzfristiger positiver Effekt der Behandlung, der sich allerdings hinsichtlich seiner Wirkung alsbald wieder abschwächt, somit bei einer zeitlich späteren Messung nicht mehr fests te 11 bar ist, 3. eine zwar positive auch langfristige Wirkung der Maßnahme, die aber von negativen Wirkungen anderer Umwelteinflüsse aufgehoben wird und 4. ein "realer Späteffekt" derart, daß die Behandlungsmaßnahme zunächst keine positive Wirkung zeigt, weil die Lebenssituation oder die Fülle der Persönlichkeitsprobleme der Probanden gar keinen Wirkungs raum bzw. keine Angriffsfläche für zusätzliche Einflüsse offenläßt. Erst nachdem diese Schwierigkeiten abgeklungen sind, kann überhaupt eine Behandlung ihre Wirkung entfalten (Kerner 1982, S.471; s.a. Kerner 1980, S.55ff.; vgl. auch den von Lipton u.a. 1975, S.20 diskutierten "Sleeper-Effect").

Diese Liste von Kerner ist durch einen 5. Punkt zu ergänzen: 5. Ein Nicht-Effekt kann auch auf Schwächen des Forschungsprogramms zurückzuführen sein, was u. U. bedeutet, daß durchaus eine Behandlungswirkung vorhanden ist, diese jedoch im Rahmen der durchgeführten Evaluationsforschung nicht nachgewiesen werden konnte, was auch auf die Wahl eines "falschen" Erfolgskriteriums zurückgeführt werden kann (vgl. etwa auch Mintz 1977).

Die Auswahl des "richtigen" Kriteriums ist jedoch solange außerordentlich schwierig, solange über die spezifische Wirkungsweise der Behandlung relativ wenig bekannt ist. Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere eine genaue Zielbestimmung der Behandlung: Was soll erreicht werden, wo werden welche Änderungen erwartet? Hinzu kommen Probleme der Operationalisierung der für die Erfolgsbeurteilung ausgewählten Variablen. Vor allem im Bereich der Psychotherapieforschung wurde die Problematik des Erfolgskriteriums intensiv diskutiert. Zahlreiche zusammenfassende Arbeiten geben hier einen Überblick über den Stand der Forschung (vgl. beispielsweise Widok 1970; Malan 1973; Gross u. Miller 1975; Eckert 1974; Fietkau 1976; Beckmann u. a. 1978; Reiter 1978). Während man bis vor Jahren traditionellerweise vielfach zwischen Erfolgs- und Prozeßforschung trennte, wobei die erstere der Frage nachging, ob die Behandlung am Ende eine nachweisbare positive Veränderung erbracht hatte und letztere Änderungen innerhalb des Therapieverlaufs prüfte, wurde in den letzten

6. Methodik der Evaluationsforschung

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Jahren zunehmend Kritik gegenüber dieser Aufteilung erhoben .• Es wurde vor allem geltend gemacht, daß eine strenge gegenseitige Abgrenzung dieser beiden Forschungsansätze und die ausschließliche Inbetrachtziehung nur eines dieser beiden Aspekte nicht nur sehr schwer durchführbar, sondern auch für den Fortschritt der Psychotherapieforschung hinderlich ist" (Hartig 1975, S. 33). Von mehreren Autoren wurde eine Kombination von Erfolgsforschung und Prozeßforschung gefordert (vgl. etwa Hartig 1975; Bastine 1973). Die gebräuchlichsten Erfolgskriterien in der klassischen Psychotherapieforschung sind nach Hartig (1975, S. 4111.) Schätzverfahren (Ratings, wobei der Beurteiler der Klient sein kann, der Therapeut, ein Sozialpartner des Klienten, neutrale sowie speziell geschulte Personen), Tests (etwa Fragebogen), objektive Ereignisse, Resultate aus der Analyse von Therapieprotokollen, psycho-physiologische Ergebnisse sowie Daten aus der Verhaltensbeobachtung (s. etwa a. Cronbach 1960; Zax u. Klein 1960; Cartwright u. a. 1963; Harris 1963; Farnsworth 1966). Nach Halder-Sinn (1980, S. 93) wurden in der Psychotherapie forschung die folgenden Methoden am häufigsten zur Messung des Therapieerfolges eingesetzt: 1. Das therapeutische Urteil,

2. 3. 4. 5. 6.

Selbstbewertung des Behandlungserfolgs durch den Patienten, Beurteilung durch unabhängige klinische Fachleute, unabhängige externe Beurteiler (etwa Familienangehörige), psychologische Testverfahren und therapieorientierte Meßgrößen (etwa Selbstkonzeptmaße in der Gesprächspsychotherapieforschung u. ä.).

Diese genannte Liste überschneidet sich weitgehend mit derjenigen von Hartig (1975, S. 4111.).

Da es das Erfolgskriterium nicht gibt und nicht geben kann, wird i. d. R. zu Recht der Einsatz mehrerer Verfahren empfohlen, die die Wirkung der Behandlung oder Teile davon erfassen sollen. Dadurch dürfte auch eine validere Messung des Erfolgs eines Treatments möglich sein (v gl. hierzu a. die obigen Ausführungen zu den verschiedenen Validitätskonzepten). So betont etwa Hartig (1975, S. 73), daß "wegen der Multidimensionalität der am psychotherapeutischen Geschehen beteiligten Variablen eine Kombination jeweils unterschiedlicher Kriterienmaße am sinnvollsten erscheint".

6.4.2.2.1 Die Wahl des Rückfalls als Erfolgskriterium Was die Beurteilung der Wirkungsweise von Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug, so etwa in sozialtherapeutischen Anstalten, betrifft, kann es auf den ersten Blick scheinen, als sei die Situation hier insofern etwas einfacher oder das Problem gar gelöst, als man in der Rückfallquote einen leicht zu erfassenden und objektiven Maßstab für den Erfolg eines Treatments habe.

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

So führt etwa Brody (1976, S. 50) hinsichtlich der Beurteilung des Rückfallkriteriums zwei Gesichtspunkte an, die bezüglich dessen Berücksichtigung als Erfolgsmaßstab in der bisherigen Forschungspraxis wichtig waren: Rückfallquoten seien objektiv und ferner leicht zu erheben. Von seiten der National Advisory Commmission on Criminal Justice Standards and Goals (1973, S. 512) wird beispielsweise betont: "Unlikely any other social service system corrections possesses in recidivism a criterion whose salience is universally agreed upon". Gleichzeitig wird jedoch zu Recht darauf hingewiesen, daß "the paradox of correctional measurement is the existence of a criterion variable that is easily recorded, simple to measure and logically relevant but that also obscures research". Auch Müller-Dietz (1974 c, S. 91) hebt hervor, daß im Rahmen empirischer Forschung "zunächst und vor allem (zu klären wäre), was eigentlich Erfolg im Sinne des Behandlungskonzeptes bedeutet. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß diese Frage wesentlich differenzierter beantwortet werden muß, als es bisher gemeinhin geschieht. So wäre zu wägen, ob bei sozial besonders massiv geschädigten Tätern, deren Rückfallwahrscheinlichkeit relativ hoch veranschlagt werden muß, ein erster Erfolg schon darin gesehen werden kann, daß Intensität des kriminellen Verhaltens und/oder Häufigkeit von Straftaten nachlassen". Es muß zentrales Ziel der "Kriminaltherapie" sein, den Gefangenen zu befähigen, "künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen", wie es als Vollzugsziel in §2 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG) ausdrücklich formuliert ist. Ein darüber hinausgehendes Ziel, etwa den Klienten zu befähigen, insgesamt besser mit seinen Problemen umgehen zu können o. ä., wäre auch aus rechtsstaatlichen Gründen abzulehnen. Denn "von Staats und Gesellschafts wegen ist ... weder Strafvollzug noch sonst eine Institution der formellen (strafrechtlichen) Sozialkontrolle primär dazu geschaffen, den Individuen Selbstverwirklichung zu ermöglichen. Das verbindlich vorgegebene Ziel ist es, die manifeste Konformität (als konformes Verhalten) umzugestalten, was nicht bedingungslose ,Anpassung' des Individuums an Verhaltensstandards und schon gar nicht an vorherrschende Werte bedeuten muß" (Kerner 1982, S. 467). Von juristischer und politischer Seite wird ein Behandlungs- und Resozialisierungsprogramm im Strafvollzug zu Recht erst dann als erfolgreich beurteilt, wenn es hierdurch gelingt, die Rückfallquoten (deutlich) zu senken, denn aus dieser Sicht ist das das einzig legitime Ziel einer solchen Behandlung. Höfer (1976, S. 709) betont in diesem Zusammenhang zu Recht, "daß unter Juristen und Justizpraktikern die verbreitete Ansicht vorherrscht, daß das einzige legitime Kriterium für die Effektivität bzw. Ineffektivität des Vollzugs ... die Quote der erneut Rückfälligen an der Gesamtzahl der Entlassenen" sei. Von daher ist es nicht nur naheliegend, sondern geradezu erfor-

6. Methodik der Evaluationsforschung

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der lieh, die Rückfallquote als Kriterium des Erfolgs der Kriminaltherapie heranzuziehen. Entsprechend verwundert es auch nicht, daß etwa Hood u. Sparks (1970, S. 179) zu dem Ergebnis kommen, daß "alle Untersuchungen über die Wirksamkeit von Strafen und Behandlungen ... die Wiederverurteilung als Kriterium des Versagens (ansehen), gleichgültig, ob sie außerdem noch andere Kriterien verwenden oder nicht". Die Vorstellungen über die Variable Behandlungserfolg und deren Zusammensetzung in einzelnen Studien sind jedoch keineswegs klar und einheitlich. Wie etwa Krüger (1977, S. 220) zusammenfassend feststellt, werden in den Evaluationsstudien zur Behandlung im Strafvollzug vorwiegend folgende Erfolgsmaße für die Wirkung des Treatments eingesetzt: Rückfall, geringere Schwere und Gefährlichkeit der Straftat nach einem Vergleich zur Zeit vor der Behandlung, größerer zeitlicher Abstand zwischen zwei Straftaten nach einer Behandlung, Persönlichkeitsveränderungen in (psychologischen) Testverfahren unabhängig vom etwaigen weiteren strafbaren Verhalten, größere Anpassung an Vorschriften und Regelungen innerhalb der Anstalt oder Institution, Verbesserung des schulischen und beruflichen Wissens und größere berufliche Ausdauer und längeres Verbleiben an einer Arbeitsstelle oder einem Wohnort nach einer Behandlung.

Zu beachten ist zusätzlich, daß die einzelnen Variablen bzw. Variablenbereiche i. d. R. jeweils noch unterschiedlich erfaßt werden, was zu einer Variationsbreite führt, welche einen Vergleich zwischen einzelnen Untersuchungen sehr erschwert, wenn nicht oft gar unmöglich macht. Zweifellos muß es letztlich darum gehen, das Ziel Legalverhalten zu erreichen und es als Behandlungsziel - zumindest teilweise - mit zu übernehmen. Der Ansicht, daß das Rückfallkriterium ein ideales und ausreichendes Erfolgsmaß für die Beurteilung der Wirkungsweise eines Behandlungsprogramms ist, wurde jedoch in letzter Zeit zunehmend heftiger widersprochen. Ekstedt u. Griffiths (1984, S.205) sehen in der unkritischen Verwendung des Rückfallkriteriums als Erfolgsmaßstab für die Beurteilung der Wirkung einer Behandlung in der traditionellen Evaluationsforschung eine wesentliche Ursache dafür, daß es bisher nicht gelang, eine Effektivität der Programme nachzuweisen. Vermehrt wurden Schwächen herausgearbeitet. Die Meinung etwa von Korn u. McCorkle (1966, S.24), daß es sich hierbei um ein objektives Maß handelt, muß heute weitgehend zurückgewiesen werden: "The analysis of recidivism rates is an extremly important function of the criminologist. They provide the most objective over-all basis 8 Kurr I

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

for evaluating the effectiveness of law-enforcement programs ... they are to the criminologist what the Geiger counter is to the geologist". Als Maßstab für den Erfolg einer Behandlung, beispielsweise im Strafvollzug, besitzt das Rückfallkriterium mindestens drei wesentliche Nachteile: 1. Rückfall ist zu wenig klar definiert, 2. Rückfall ist nicht eindeutig feststell bar und 3. Rückfall ist zur Erfassung des Erfolges einer (psychologischen) Behandlungsmaßnahme ein zu undifferenziertes, somit kein ausreichendes Kriterium.

6.4.2.2.2 Der Einsatz psychologischer Testverfahren

zur Messung des Behandlungserfolges

Beim Einsatz von Fragebogentechniken und ähnlichen Meßinstrumenten, insbesondere von Persönlichkeitsfragebogen, zur Erfassung eines Behandlungserfolges taucht, wie oben bereits erwähnt, jedoch das Problem auf, daß diese Verfahren wie sie inzwischen in der Psychologie zahlreich vorliegen (vgl. beispielsweise die zusammenfassenden Darstellungen von Brickenkamp 1975; 1983; Hiltmann 1977, welche einen Überblick über die wichtigsten und gebräuchlichsten deutschsprachigen psychologischen Testverfahren geben), i. d. R. für eine andere Klientel entwickelt wurden, deren Übertragbarkeit auf Straffällige somit sehr problematisch ist (vgl. ausführlicher Kury u. Beckers 1983; s. zur Frage der Diagnostik in der Sozialtherapie etwa auch Stemmer-Lück u. Rasch 1982; ferner zur Diagnostik bei Sozialauffälligen und Straftätern das von Kury u. Quensel herausgegebene Sonderheft der "Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform" 1983, Heft 2). Durch die Auswahl von Kriterien, die einer Evaluation zugrundegelegt werden, wird definiert und festgelegt, welche Qualitäten von Änderungen überhaupt auftreten bzw. einer Überprüfung zugeführt werden können (vgl. Bommert 1981, S. 29). Andererseits ist nicht auszuschließen, daß die Auswahl der Kriterien wiederum eine Rückwirkung etwa auf die Durchführung von Resozialisierungsprogrammen im Strafvollzug hat. So dürfte u. U. die Aufmerksamkeit eines Behandlungsteams besonders auf solche Variablenbereiche gelenkt werden, die Eingang in die Evaluation und somit letztendlich in die Beurteilung des Resozialisierungsprogrammes finden. Etzioni (1964, S. 9 f.) wies beispielsweise darauf hin, daß die Meßbarkeit von Variablenbereichen erheblichen Einfluß auf die Ziele einer Organisation haben kann. Selbstverständlich müssen solche psychologischen Erfolgskriterien gezielt danach ausgewählt werden, welche psychischen Veränderungen bei

6. Methodik der Evaluationsforschung

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den Straffälligen aufgrund der Behandlung begründbar erwartet werden können. Die Entscheidungen setzen letztlich eine Theorie voraus, welche neben Aussagen über die Behandlungswirkung bei Straftätern, auch solche über den Zusammenhang der entsprechenden Persönlichkeitsmerkmale mit der Straffälligkeit erlaubt. Daß eine solche Theorie nicht vorhanden ist, wurde oben bereits betont. Das wirkt sich auch negativ auf eine begründete Auswahl psychologischer Erfolgskriterien aus. Diese psychologischen Testverfahren werden i. d. R. direkt nach Abschluß der Behandlungsmaßnahmen, also noch während der Vollzugszeit, vorgegeben. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit die so gewonnenen Resultate auf die Zeit nach der Haftentlassung übertragen werden können. Gerade bei einer Testdurchführung am Ende der Vollzugszeit, in welcher sich der Proband aufgrund der bevorstehenden Entlassung in einer besonderen psychischen Situation befinden dürfte, kann nicht ausgeschlossen werden, daß mit "verfälschten" Resultaten gerechnet werden muß. Eine Testuntersuchung erst nach Entlassung aus dem Strafvollzug, welche die zuletzt genannten Nachteile nicht hätte, wäre jedoch wegen der schlechten Erreichbarkeit der Probanden sowie der reduzierten Motivation für eine Mitarbeit an der Untersuchung nur unter außerordentlich schwierigen Bedingungen durchzuführen. Es müßte mit sehr hohen Ausfallquoten gerechnet werden, was die Aussagekraft der gefundenen Resultate wiederum gefährden könnte. Die Leichtigkeit, mit der i. d. R. gerade im Strafvollzug psychologische Test- und Einstellungsuntersuchungen durchgeführt werden können, trug mit dazu bei, daß die Zahl entsprechender Untersuchungen sehr groß ist. Die gängigen Persönlichkeitsfragebogen und Einstellungsskalen wurden meist auch bei inhaftierten Straffälligen angewandt. Im Zusammenhang mit der zunehmend kritischeren Sichtweise von Persönlichkeitsinventaren wurden in den letzten Jahren jedoch auch vermehrt persönlichkeitspsychologische Testuntersuchungen bei Straftätern problematisiert (vgl. zusammenfassend Kury u. Beckers 1983). So wurde beispielsweise auf zu erwartende Verfälschungstendenzen, etwa im Sinne der sozialen Erwünschtheit, hingewiesen (etwa Kury 1983 e; 1983 f; vgl. ausführlich unten). Es konnte gezeigt werden, daß bei Testuntersuchungen im Strafvollzug mit Verfälschungstendenzen gerechnet werden muß. So betont etwa Plaum (1982, S. 23) im Zusammenhang mit der Diskussion der Problematik der Interview- und Fragebogendiagnostik, daß insbesondere im Bereich der forensischen Psychologie "noch am naheliegendsten ... mit Betrug zu rechnen" ist (vgl. auch Plaum 1981; Kury 1983e; 1983f; Bohling u. WeidenfeIler 1984). Auch was Einstellungsuntersuchungen betrifft, werden teilweise Erhebungsinstrumente, die an einem völlig anderen Klientel entwickelt wurden (etwa Psychologiestudenten), allzu leichtfertig auf Straffällige übertragen. Zu Recht wurde im Rahmen der Einstellungsforschung darauf hingewiesen, daß vor Beginn einer Einstellungsuntersuchung zu klären ist, ob die Probanden mit dem Einstellungsobjekt vertraut sind, zu dem Themenbereich überhaupt eine Einstellung haben. AnsonS'

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sten besteht die Gefahr, daß durch die Untersuchung selbst die erfragte .Einstellung" erst .geschaffen" wird, eine Gefahr, die bei einer Befragung Straffälliger nicht gering sein dürfte (vgl. hierzu etwa Krech u. a. 1962, S. 140; DeFriese u. Ford 1969; Koch 1974). Ein weiteres Problem, das sich beim Einsatz persönlichkeitspsychologischer Testverfahren bzw. Einstellungsfragebogen als Erlolgskriterium einer Behandlungsmaßnahme, gerade auch im Strafvollzug, ergibt, ist die Frage, wieweit von den gewonnenen Testresultaten auf konkretes Verhalten, etwa Straffälligkeit, geschlossen werden kann. So betont beispielsweise Eisenberg (1979, S.368): "Soweit man durch die Messung von Einstellungen und Wertvorstellungen bei Beginn sowie nach einiger Zeit während eines Sanktionierungs- oder Betreuungsprozesses, wie auch bei dessen Abschluß oder auch eine gewisse Zeit sich danach bemüht, etwaige positive oder negative Änderungen festzustellen, bleibt die Frage bestehen, inwieweit die gewählten Indikatoren einen unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Schluß auf die Frage des Erfolges zulassen". Zur Verbesserung der Situation in der Evaluation von Behandlungsmaßnahmen durch den Einsatz psychologischer Testverlahren zur Erlassung des Erfolges wird teilweise die Entwicklung von diagnostischen Verfahren empfohlen, in weIchen die Veränderungsziele des Klienten berücksichtigt werden (so etwa Bastine 1975), oder der Einsatz von kriterienorientierten Tests gefordert (vgl. etwa Noack 1982; vgl. hierzu auch Fricke u. Lühmann 1982). Die oben stichwortartig dargestellte Problematik verschärft sich in mancher Hinsicht bei Testuntersuchungen im Strafvollzug insofern, als hier in einer atypischen Situation in der totalen Institution Strafvollzugsanstalt getestet wird, wobei davon ausgegangen werden muß, daß, wie oben bereits erwähnt, sich diese Testsituation auf die Ergebnisse auswirkt. Die Übertragbarkeit der so gewonnenen Resultate auf die Situation außerhalb des Vollzugs, also in Freiheit, kann nicht ohne weiteres angenommen werden. So betont etwa Imoberdorf (1971) zu Recht, daß bei noch so guten diagnostischen Verfahren jeder diagnostischen Untersuchung eine mehr oder weniger große Unsicherheit anhaftet, da es unklar ist, auf weIche anderen Situationen das in der Testsituation gezeigte Verhalten übertragbar ist. Die Übertragbarkeit der Resultate wird auch dadurch in Frage gestellt, daß die gefundenen Unterschiede, etwa in den Skalen eines Persönlichkeitsfragebogens, vielfach außerordentlich gering sind. Selbst wenn die Resultate statistisch signifikant sind, ist damit noch nicht gesagt, daß sie auch praktische Relevanz besitzen.

6.4.2.3 Defizite in der formativen Evaluation Wie eingangs dargestellt, ist es notwendig, um Resultate angemessen interpretieren und bewerten zu können, den Programmverlauf sowie die Durchführungsbedingungen genau zu erfassen und darzustellen. Auch in diesem Punkt weisen die meisten Evaluationsstudien, vor allem auch in der Behandlungsforschung (s. etwa Lipton u. a. 1975), deutliche Mängel auf, von denen im folgenden einige wichtige erwähnt werden sollen.

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6.4.2.3.1 Fehlende bzw. mangelhafte Beschreibung des Behandlungsprogramms Nicht selten finden sich in Praxis- und Forschungsberichten Hinweise, daß die ausgewählte und angewandte Behandlungsart nicht in der "klasssiehen" Weise durchgeführt werden konnte und von daher "Modifikationen" vorgenommen werden mußten. So deuten beispielsweise in Berichten zur Anwendung der Gesprächspsychotherapie bei Straffälligen relativ oft Anmerkungen darauf hin, daß das in den Lehrbüchern zu dieser Therapierichtung beschriebene und geforderte Therapeutenverhalten, insbesondere was die Variable "Nichtdirektivität" betrifft (vgl. etwa Rogers 1942; 1951; Tausch 1973; Minsel 1974; Bommert 1977), bei der Klientel Straffälliger nicht oder nur unzureichend verwirklicht werden konnte und deshalb Änderungen im Therapeutenverhalten vorgenommen wurden (vgl. etwa zusammenfassend Steiler 1977, S. 38; Altvater u. Meine 1974). Ein wichtiger Kritikpunkt bei der Programmevaluation bezieht sich, wie erwähnt, auf die oft unzureichende Programmbeschreibung. Häufig finden sich in den verschiedenen Forschungsberichten lediglich Hinweise auf eine nach den einzelnen therapeutischen Schulen hin differenzierte Klassifizierung der angewandten Behandlungsformen, so etwa Geprächspsychotherapie, Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, ohne jedoch auf spezifische, durch die Zielgruppe erforderliche Modifikation genau einzugehen. Zur Evaluation eines Programms gehört die genaue Kenntnis und Dokumentation der einzelnen Behandlungsschritte, um nicht nur die Maßnahme als Ganzes, sondern auch Teilaspekte derselben hinsichtlich ihrer Wirkung analysieren und bewerten zu können. Von daher erscheint eine klare und detaillierte Beschreibung des Therapieprogramms mit seinen Bestandteilen und etwa verschiedenen Kombinationen unumgänglich, denn ansonsten kann der Leser letztlich nicht mehr beurteilen, was eigentlich evaluiert wurde.

6.4.2.3.2 Beschreibung des Umfeldes, in welchem die Behandlung·stattfand In den letzten Jahren wurde vermehrt auf die Bedeutung des Umfeldes, in welchem eine Behandlung stattfindet, sowohl hinsichtlich ihrer Realisierung als auch Effektivität hingewiesen. Gerade in bezug auf Resozialisierungsmaßnahmen im stationären Strafvollzug wurde zu Recht betont, daß Therapieprogramme letztlich - wenn überhaupt - nur dann wirksam werden können, wenn das übrige Anstaltsprogramm diese unterstützt, in der Anstalt insgesamt ein therapiefreundliches Klima herrscht. Ansonsten muß nach

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den Erfahrungen bisheriger Behandlungsforschung davon ausgegangen werden, daß therapeutische Verfahren, die etwa unter Alltagsbedingungen in Freiheit als bewährt und erfolgreich angesehen werden können, nach einer Implementation in den Strafvollzug unter Haftbedingungen wenig oder gar keinen nachweisbaren spezifischen Effekt zeigen (vgl. auch Fenn u. Spieß 1980, S.88). Einige Kritiker des Behandlungsansatzes meinen sogar, daß Resozialisierungsprogramme unter den Bedingungen des Strafvollzugs einen negativen Effekt bewirken. So stellt z. B. Bernhardt (1984) bei seiner Diskussion von neueren Entwicklungen des dänischen Strafvollzugs, der lange Zeit auch hinsichtlich der Verwirklichung eines Behandlungsgedankens eine Vorreiterfunktion hatte, fest, daß Gegner dieses Ansatzes aufgrund ungünstiger Anstaltsbedingungen als Behandlungswirkung eher eine Intensivierung von Haftschäden vermuten. Die Effektivität eines konkreten einzelnen Treatments kann letztlich nur beurteilt werden, wenn über dieses Umfeld, in welchem es stattfand, möglichst konkrete Hinweise vorliegen (vgl. hierzu auch Fiske 1983).

6.4.2.3.3 Fehlende Differenzierung bei Klienten und Therapeuten Während in der allgemeinen Psychotherapieforschung zumindest der letzten Jahre zunehmend differenzierte Angaben zu den behandelten Klienten zu finden sind und auch vermehrt spezifische Ausführungen zu den Therapeuten gemacht werden, finden sich in Berichten zur Behandlung bei Straffälligen oft relativ wenige, wenn nicht gar keine Angaben zu den Probanden oder Therapeuten, mit Ausnahme etwa, daß es sich um Delinquente auf der einen Seite und Psychotherapeuten bzw. Psychologen auf der anderen Seite gehandelt habe. Vielfach wird hier noch davon ausgegangen, daß es sich bei Straffälligen, insbesondere Inhaftierten bzw. Verurteilten, um eine relativ homogene Gruppe handelt, die durch das Merkmal "Straffälligkeit" genügend genau umschrieben ist. "Much of the literature in this field is still written as if aU offenders are alike" (Warren 1971 b, S. 239). Daß es sich hierbei um eine falsche Annahme handelt, zeigten empirische Untersuchungen unterschiedlichster Art an (inhaftierten) Straftätern zur Genüge. Teilweise ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, daß das Merkmal Straffälligkeit bzw. Inhaftierung das einzige unstrittig gemeinsame Charakteristikum dieser Gruppe ist. Straftäter, selbst Inhaftierte, die eine extreme Auswahl aller Straffälligen bilden, sind keineswegs eine homogene, sondern bereits allein bezüglich der Deliktsstruktur eine extrem heterogene Gruppe (vgl. z. B. die Kritik an der Homogenitätsannahme von Reid 1979, S. 116). So ist etwa ein jugendlicher Inhaftierter, der Eigentumsdelikte als "Mitläufer" begangen hat, gerade auch bezüglich Behandlungsmaßnahmen

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mit großer Wahrscheinlichkeit kaum mit einem Einzeltäter, der etwa wegen Aggressionsdelikten inhaftiert ist, mit einem Drogentäter oder einem Wirtschaftskriminellen zu vergleichen, um nur einige Beispiele zu nennen. In den letzten Jahren wurde vermehrt darauf hingewiesen, daß ein Therapieerfolg nicht nur von der Art und Störung des Klienten sowie der therapeutischen Technik, sondern ebenso von der Persönlichkeit der Therapeuten beeinflußt wird. Überblicksarbeiten zum Erfolg psychotherapeutischer Behandlungen zeigten deutlich, daß sich keine Therapiemethode den anderen gegenüber als durchweg überlegen erwiesen hat (vgl. etwa Malan 1973; Luborsky u. a. 1975; Bergin u. Suinn 1975; Goldstein u. Stein 1976; Smith u. Glass 1977; Grawe 1978). Teilweise zeigte sich ein stärkerer Zusammenhang zwischen Therapeutenmerkmalen als zwischen Therapieart und Erfolg. Stapless u. a. (1976) stellen fest, daß im praktischen Vorgehen bei den einzelnen Therapeuten größere Ähnlichkeiten zwischen diesen bestehen, als man a,ufgrund doch sehr unterschiedlicher theoretischer Ausgangspunkte einzelner Therapierichtungen erwarten dürfte. Die Grundhaltungen bei erfogreiehen Psychotherapeuten sind sehr ähnlich und entsprechen weitgehend den etwa in der Gesprächspsychotherapie beschriebenen Merkmalen hilfreicher Therapeuten. Damit tritt die Frage einer Klassifizierung nicht nur der Klienten, sondern insbesondere auch der Therapeuten zunehmend in den Vordergrund. Insbesondere im Zusammenhang mit der Forschung zur Gesprächspsychotherapie, bei welcher die Persönlichkeit des Therapeuten, wie bereits von Rogers als dem Begründer dieser Therapierichtung von Anfang an betont, eine große Rolle spielt (vgl. etwa Rogers 1942), wurde entsprechende empirische Forschung in die Wege geleitet (vgl. auch Truax u. Mitchell 1971; Schulz u. Hüttner 1979). Hierbei widmete man sich unterschiedlichen Merkmalen, so etwa der Erfahrung des Therapeuten sowie Einstellungs- und Persönlichkeitsmerkmalen. Insgesamt ist die empirische Forschung, speziell zur Entwicklung von behandlungsoi'ientierten Klassifikationssystemen für Straffällige noch am Anfang. Soweit in der Kriminologie solche Behandlungstechnologien vorliegen, fehlt es vielfach noch an deren Validierung. Einigkeit besteht jedoch weitgehend darüber, daß die Behandlung Straffälliger differenziert erfolgen müsse, Klassifikatonssysteme von daher eine große praktische Bedeutung haben. Wenn der Erfolg einer Behandlung, wie die Ergebnisse zur Psychotherapieforschung zeigen, in starkem Maße von Persönlichkeitsvariablen des Klienten und des Therapeuten sowie deren Interaktion abhängig ist, muß es darauf ankommen, eine im Sinne einer möglichst wirkungsvollen Gestaltung von Resozialisierungsmaßnahmen möglichst .ideale" Kombination zu erreichen. Hierbei können Klassifikationssyteme in der Praxis weiterhelfen. Insofern haben sie auch für die Evaluationsforschung Bedeutung.

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6.4.2.3.4 Ausfall- bzw. Rückverlegungsquote Die Ausfallquote bei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, insbesondere bei Verlaufsstudien, stellt ein methodisches Problem dar, das vielfach kaum zu lösen ist. Die Aussagekraft der gewonnenen Resultate kann dadurch erheblich reduziert, wenn nicht gar völlig in Frage gestellt werden. Teilweise wurden deshalb, so beispielsweise bei postalischen Fragebogenerhebungen, vielschichtige Strategien entwickelt, um die Zahl der Nichtantworter möglichst niedrig zu halten bzw. zumindest feststellen zu können, wieweit durch die "drop-out-Ouote" die Ergebnisse verzerrt werden (v gl. zu Fragebogenerhebungen etwa Kury 1976 sowie die zahlreichen einschlägigen Aufsätze in "Public Opinion Ouarterly"; vgl. neuerdings etwa Blass-Wilhelms 1982). Bei Verlaufsstudien muß insgesamt damit gerechnet werden, daß die Ausfälle dann größer sind, wenn zwischen Ausgangs- und Schlußuntersuchung relativ große Zeiträume liegen, die Untersuchung sich etwa längere Zeit - gar Jahre - hinzieht. Auch in der Psychotherapieforschung spielt das Problem der Ausfallquote, insbesondere bei sich länger hinstreckenden Therapiestudien, eine nicht geringe Rolle und wird entsprechend, vor allem unter dem Aspekt der Validität der gewonnenen Resultate, intensiv diskutiert (vgl. etwa Brandt 1965). In vielen Psychotherapieuntersuchungen wird mit dem Problem des Therapieabbruchs, unter dem Gesichtspunkt der Verfälschung der Evaluationsergebnisse, relativ oberflächlich umgegangen. Vielfach wird die Frage kaum geprüft, wieweit durch den oft relativ hohen Probandenausfall die Resultate etwa in positiver Richtung verzerrt sind. Durch eine hohe Ausfallquote kann etwa eine Zufallszuweisung der Probanden zu Beginn einer Untersuchung und die dadurch erreichte Gleichartigkeit der Experimental- und Kontrollgruppe zunichte gemacht werden. Die am Ende übrigbleibenden Probanden sind eine kaum noch zu defininierende Gruppe, die Verallgemeinerbarkeit der gewonnenen Daten ist gefährdet, da kaum noch bestimmt werden kann, für welche Probanden die Ergebnisse letztlich Gültigkeit haben. Auch bezüglich Resozialisierungsprogrammen bei Straffälligen besteht selbstverständlich die Gefahr hoher Ausfallquoten an Probanden. Diese können sich zum einen aufgrund von Verweigerungen einer weiteren Teilnahme am Behandlungsprogramm durch die Straffälligen selbst ergeben, zum anderen aber auch durch einen Ausschluß bestimmter Probanden aufgrund von Entscheidungen durch die Anstaltsleitung, letztlich aber auch im Zusammenhang mit Entscheidungen der Justizbehörden, etwa was eine (vorzeitige) Entlassung aus der Haft betrifft, gesehen werden. Das Problem der Ausfallquote bei Resozialisierungsprogrammen im Strafvollzug wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Behandlung in

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Sozialtherapeutischen Anstalten diskutiert. Die Ausfallquote aufgrund von Verweigerungen durch die Probanden selbst kann als relativ gering eingeschätzt werden, wobei allerdings zu beachten ist, daß die in die Sozialtherapeutischen Anstalten aufgenommenen männlichen Straffälligen - es gibt in der Bundesrepublik lediglich eine Sozialtherapeutische Anstalt für Frauen in Lübeck (vgl. Egg 1984, S. 89 ff.) - i. d. R. eine extreme Auswahl darstellen. Hierbei sind die tatsächlichen Auswahlkriterien unterschiedlich und von den einzelnen Auswahlkommissionen der Anstalten kaum präzise genug definiert. Aufgenommen werden zumeist nur solche Insassen des Strafvollzugs, die sich freiwillig um eine Verlegung in die Sozialtherapie bemühen. Schon von daher kann davon ausgegangen werden, daß es sich hierbei um Probanden handelt, die daran interessiert sind, am Behandlungsprogramm teilzunehmen, aus welchen Gründen auch immer. Hinzu kommt, daß eine Verweigerung der Teilnahme am Behandlungsprogramm i. d. R. eine Zurückverlegung in die Herkunftsanstalt mit sich bringt, was für den Insassen, auch aus Gründen der ihm drohenden zusätzlichen Stigmatisierung, abschreckender sein dürfte als die Behandlung selbst. Der größte Teil der Ausfallquote in der Behandlungsgruppe in Sozialtherapeutischen Anstalten geht auf Rückverlegungen in die Herkunftsanstalt zurück, die von der Anstaltsleitung veranlaßt werden, etwa aufgrund von schlechtem Verhalten der Insassen (vgl. a. Dünkel 1980 a, S. 148 ff., 262 ff.; Driebold u. a. 1984, S. 141 f.). Aus bisherigen Untersuchungen, insbesondere aus den Ergebnissen von Egg (1979 a, S. 418 f.), wird deutlich, daß davon ausgegangen werden muß, daß durch die Rückverlegung von Insassen aus der Sozialtherapie in den Regelvollzug mit einer systematischen Verzerrung der Klientel zu rechnen ist und zwar in der Hinsicht, daß die "drop-outs" insbesondere Probanden mit schlechterer Prognose darstellen. Das kann gerade auch dazu führen, daß etwa die von den Sozialtherapeutischen Anstalten vorliegenden Erfolgsergebnisse, beispielsweise bezüglich der Rückfallquoten, überschätzt sind, somit zu positiv ausfallen, ein Gesichtspunkt, der etwa von Egg (1979 a, S. 415) in seiner Studie diskutiert wird (vgl. auch Dünkel 1980 a, S. 262 ff.; Lamott 1984, S. 131 ff.). Was die Ausfallquoten aufgrund von Entscheidungen der Justizbehörden betreffen, die beispielsweise zu einer (vorzeitigen) Entlassung führen, dürfte diese für den Strafvollzug und die Sozialtherapie relativ niedrig sein. Dünkel (1980 a, S. 163) berichtet, daß in 2,7 %der Fälle eine ordnungsgemäße Entlassung zu einem Abbruch der Therapie geführt habe. Eine große Rolle spielt dieser Grund jedoch, wie sich in unserer eigenen Untersuchung zeigte, in der Untersuchungshaft. Die Dauer der Untersuchungshaft eines einzelnen Probanden ist kaum sicher abzuschätzen. Zum Zeitpunkt der Einlieferung eines Häftlings kann nur wenig genau vorausgesagt werden, wie lange die U-Haft-

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

zeit dauern wird. Diese hängt nicht nur davon ab, inwieweit die Haftgründe erfüllt sind, was vielfach nur nach mehr oder weniger subjektivem Eindruck eingeschätzt werden kann, sondern auch davon, ob der Insasse einen Rechtsanwalt beizieht u. ä. (vgl. hierzu die Ausführungen im Teilband 2). Aufgrund der Gefahr, daß durch hohe Ausfall- bzw. Rückverlegungsquoten die Resultate einer Untersuchung verfälscht werden, sollte jeweils genau geprüft werden, inwieweit sich die Stichprobenzusammensetzung infolge der "drop-outs" in wichtigen Merkmalen ändert. Dadurch kann ein möglicher Fehler zumindest abgeschätzt werden. Gerade in der Behandlungsforschung ist jeweils mit relativ hohen Ausfallquoten zu rechnen, wie oben gezeigt werden konnte.

6.4.2.3.5 Fehlende Erfassung des Therapieverlaufs Zu Beginn der Psychotherapieforschung war es üblich, zwischen "Erfolgsforschung" und "Prozeßforschung" zu unterscheiden, wobei die Erfolgsforschung den historisch älteren Ansatz darstellt. Das Ziel der Erfolgsforschung besteht, wie der Ausdruck bereits besagt, in der Feststellung des Erfolges einer psychotherapeutischen Maßnahme, d. h. in der Überprüfung deren Effektivität. Die Prozeßforschung richtet sich dagegen "ausschließlich auf das Geschehen in der therapeutischen Situation. Ihr Ziel ist die Aufdeckung der den therapeutischen Veränderungsvorgängen zugrundeliegenden Mechanismen" (Hartig 1975, S. 33; vgl. auch Beckmann u. a. 1978, S. 1109 ff.). Eines der zentralen Probleme der Erfolgsforschung ist die Definition valider und adäquater Kriterien für die Erfassung des therapeutischen out-comes (vgl. oben). Von der Auswahl der Erfolgskriterien hängt in zentraler Weise das Ergebnis einer Erfolgsuntersuchung ab. Zu Recht wurde nun darauf hingewiesen, daß Erfolgsforschung insbesondere dann, wenn sie sich auf eine 2-Punkte-Messung beschränkt (Pre- und Posttest zu Beginn und am Ende der Behandlung), nicht in der Lage ist, die Wirkungsweise einer Behandlung angemessen zu erfassen. Von meßtechnischen Problemen abgesehen, wie sie sich etwa aus der zweimaligen Vorgabe ein und desselben Testverfahrens ergeben können (Testwiederholungseinflüsse), sind die Testwerte, die an den zeitlichen "Extrempunkten" einer psychotherapeutischen Behandlung, zu Beginn und am Ende, erhoben werden, stark anfällig gegenüber Zufallseinflüssen bzw. es werden Extremsituationen erfaßt, hervorgerufen etwa durch den Entiassungsstreß am Ende der Inhaftierungszeit, deren Werte eine Ausnahmesituation charakterisieren, somit nicht für die Vollzugszeit typisch sind. Schon von daher ist eine Mehrpunktmessung zu empfehlen, die jedoch u. a. in noch stärkerem Ausmaße Probleme der Testwiederholung mit sich bringt. So kann etwa die

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mehrmalige Vorgabe ein und desselben Testverfahrens, etwa eines Persönlichkeitsfragebogens, zu Ermüdungseffekten führen, was sich u. a. in einem stereotypen Antwortverhalten oder einer mehr vom Zufall als von bewußter Beantwortung der Items bestimmten Reaktionsweise ausdrücken dürfte. Gerade bei Straffälligen, deren Motivation zur Teilnahme an einem entsprechenden Forschungsvorhaben nicht zu hoch eingeschätzt werden darf, kann das eine wesentliche Rolle spielen. Psychotherapieerfolgsforschung mittels einer 2-Punkte-Messung bringt jedoch noch einen weiteren wesentlichen Nachteil mit sich. Geht man nämlich davon aus, daß die durch die Therapie bewirkten Änderungsprozesse i. d. R. nicht linear oder gleichförmig ansteigend oder abfallend verlaufen, sondern nicht nur beim einzelnen Klienten, sondern ebenso bei Vergleichen zwischen verschiedenen Klienten starke Fluktuationen und Unregelmäßigkeiten aufweisen dürften, so sind, um solche Verläufe erfassen zu können, Mehrpunkteerhebungen unumgänglich (vgl. Hartig 1975, S. 35). Bei einer 2-Punkte-Erhebung wird der gesamte therapeutische Prozeß, wie er zwischen Vor- und Nachtest abläuft, in einer "black-box" belassen, was bedeutet, daß hierüber auch keine Aussagen getroffen werden können. So können etwa "Mißerfolge" bei einer Pre-Postmessung durch prozeßbedingte kurzzeitige "Verschlechterungsphasen" beim Klienten bedingt sein, wie sie u. U. beispielsweise vor einer Haftentlassung nicht unwahrscheinlich sein dürften (vgl. zu unterschiedlichen Phasen innerhalb eines therapeutischen Prozesses etwa auch Rogers 1942, S. 38 ff.; zusammenfassend Kohl 1979, S.85). Anfang der 70er Jahre wurde auch im deutschsprachigen Bereich, wie bereits früher in den Vereinigten Staaten, gegen die Trennung zwischen Erfolgs- und Prozeßforschung vermehrt Kritik laut (vgl. etwa Bastine 1970; Helm 1972; Kanfer u. Phillips 1970; Paul 1969; Krasner 1971; Kiesler 1966; zusammenfassend Hartig 1975, S.33). Bedenken wurden vor dem Hintergrund der diskutierten Probleme vor allem auch gegenüber einer reinen Erfolgsforschung erhoben, die den Verlaufsaspekt völlig außer acht läßt. "Einer der Haupteinwände ist der, daß eine isolierte Erfolgsforschung, die auf jegliche Klärung, Objektivierung und Kontrolle der dem psychotherapeutischen Geschehen zugrundeliegenden Vorgänge verzichtet, weder sinnvoll noch wissenschaftlich sei" (Hartig 1975, S. 33). Teilweise anderer Ansicht sind Meltzoff u. Kornreich (1970), die Wert darauf legen, die Erfolgsfrage in der Psychotherapie zunächst zu klären, da sich bei einer unwirksamen Technik die Untersuchung des Verlaufs erübrige. In den letzten Jahren wurde intensiver darauf hingewiesen, daß in der Psychotherapieforschung eine Verbindung zwischen Erfolgs- und Prozeßforschung nicht nur für eine Programmevaluation nützlich, sondern auch für die Fortentwicklung der Psychotherapie unbedingt erforderlich sei (vgl. etwa auch Wutke 1980). Erfolgs- und Prozeßforschung werden heute weniger als sich ausschließende Gegensätze gesehen, vielmehr wird darauf hingewiesen, daß sie sich gegenseitig ergänzen und erst in ihrer

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Kombination die Grundlagen für angemessene Forschungsansätze schaffen (vgl. zusammenfassend etwa Kohl 1979, S. 88; s. a. Grawe 1982).

Die Behandlungsforschung innerhalb der Kriminologie beschränkte sich bislang - auch im internationalen Bereich - vorwiegend auf Erfolgsstudien, Untersuchungen zur Prozeßforschung sind relativ selten. Bei den Erfolgsuntersuchungen wurden zumeist Pre-Post-Designs angewandt (vgl. etwa Lipton u. a. 1975, S. 17). So fand beispielsweise Logan (1972) bei 31 von 100 der von ihm sekundär-analytisch untersuchten Evaluationsstudien lediglich einen Vorher-Nachhervergleich. Blass-Wilhelms (1983 a, S. 106) untersuchte 9 empirische Evaluationsstudien zum Behandlungsvollzug in der Bundesrepublik, die zwischen 1977 und 1980 veröffentlicht wurden (vgl. a. oben) und stellte fest, daß keine Studie Mehrfachmessungen durchgeführt hatte; lediglich bei einer wurde ein Midtest gemacht, zwei Untersuchungen hatten Pre-Posttests durchgeführt, vier hatten sich mit Querschnittsdaten begnügt und zwei waren rein qualitativer Art. Bei der im zweiten Teilband dargestellten eigenen Untersuchung wurde innerhalb der Behandlungsforschung im kriminologischen Bereich, zumindest in der Bundesrepublik, erstmals eine differenzierte Erfassung des Behandlungsverlaufs mit unterschiedlichen Erhebungsverfahren vorgenommen (vgl. ausführlich Teilband 2). Ein wesentlicher Grund dafür, daß die Autoren sich vielfach mit einfacheren Forschungsplänen begnügen, also beispielsweise - wenn überhaupt -lediglich Pre-Post-Untersuchungen statt Mehrfachmessungen durchführen, dürfte neben methodischen und organisatorischen Schwierigkeiten, die keineswegs zu unterschätzen sind, auch in dem großen personellen Aufwand zu sehen sein, der mit komplexeren Forschungsdesigns i. d. R. verbunden ist. Damit steigen auch die Kosten für die Untersuchung vielfach erheblich an. Nicht weniger als 2/3 der von Blass-Wilhelms untersuchten deutschen Studien zum Behandlungsvollzug waren Qualifikationsarbeiten (Dissertationen). Das gilt jedoch für die bisherige deutschsprachige Kriminologie weitgehend (s. Berckhauer 1985, S. 154), was zumindest teilweise mit sich bringt, daß die zur Verfügung stehenden Mittel sehr begrenzt sind. Daß andererseits auf einem Gebiet, auf dem das zur Verfügung stehende Wissen und die vorliegende Forschungserfahrung noch relativ gering ist, auch Untersuchungen mit einem "mangelhaften" Forschungsplan Wissenschaft und Praxis weiterbringen können, zeigen gerade auch diese Studien. Besondere Probleme bei Mehrfachmessungen bietet die statistische Auswertung der so erhaltenen Zeitreihen (vgl. etwa Gregson 1983). Bei Pre-PostDesigns wird vielfach die Differenz zwischen den beiden Testwerten gebildet und das Ergebnis je nach Richtung des Unterschiedes interpretiert (vgl. a. Teilband 2). Der Vorteil dieses Vorgehens liegt in seiner Einfachheit bezüglich der statistischen Berechnung. Zu Recht wurden gegen dieses Verfahren

6. Methodik der Evaluationsforschung

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jedoch erhebliche methodische Bedenken vorgebracht (vgl. etwa Bereiter 1963; Hartig 1975, S. 75 ff.; Petermann 1978). So wird beispielsweise der Veränderungswert, wie gezeigt werden konnte, vom Ausgangswert beeinflußt ("Ausgangswert-Problematik", vgl. etwa Renn 1974; Rückert 1976; Schmidt 1976; Blomquist 1977; Myrtek u. a. 1977; Wall 1977 a; 1977 b; Lander 1979). Werden beispielsweise für ein Behandlungsprogramm etwa im Strafvollzug kriminell stark belastete Straftäter ausgesucht, ist wie etwa McCleary u. a. (1979) zeigen konnten, die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß diese in Zukunft weniger stark straffällig werden bzw. weniger Straftaten begehen und zwar unabhängig von einer Behandlungswirkung. Festgestellte Differenzen dürfen deshalb nicht ohne weiteres im Sinne eines Behandlungserfolges interpretiert werden, sondern können einen Regressionseffekt zur Mitte darstellen. Extremwerte, etwa auch in psychologischen Testverfahren, tendieren bei einer Zweiterhebung zur Mitte, wobei dieser Regressionseffekt um so stärker ist, je extremer die Ausgangswerte sind (vgl. zusammenfassend Hartig 1975, S. 76). Inzwischen liegen verfeinerte statistische Verfahren vor, die eine validere Auswertung der Daten erlauben (vgl. a. Teilband 2).

6.4.2.3.6 Fehlende Nachuntersuchungen Ein weiterer wesentlicher methodischer Mangel, nicht nur der Behandlungsforschung, sondern auch der Psychotherapieforschung, ist der Mangel an Nachuntersuchungen (Katamnesen) nach angemessenen Zeiträumen nach Abschluß des Behandlungsprogramms und im Falle inhaftierter Straffälliger nach Entlassung aus dem Vollzug. So berichtet beispielsweise Pawlicki (1970), daß lediglich 4 % der von ihm durchgesehenen Arbeiten zur Verhaltenstherapie mit Kindern, Ergebnisse mit Nachuntersuchungen mitteilen. Keeley u. a. (1976) fanden lediglich bei 17 (= 11,6 %) von 146 ausgewerteten Untersuchungen Katamnesen. Logan (1972) fand bei lediglich 30 der 100 berücksichtigten Studien zur Behandlungsforschung Follow-up-Untersuchungen.

Der Grund für die vielfach, ja geradezu in der Regel, fehlenden Nachuntersuchungen, dürfte in dem mit ihrer Durchführung verbundenen großen Aufwand zu sehen sein, ferner insbesondere darin, daß solche Erhebungen meist erst nach Verstreichen längerer Zeiträume sinnvoll sind, was eine zeitliche Verlängerung der Untersuchung mit sich bringt. Methodische Probleme bei Nachuntersuchungen entstehen insbesondere dadurch, daß hier i. d. R. die Ausfallquoten, insbesondere bei Straffälligen, außerordentlich hoch sind, was wiederum die Aussagekraft solcher, oft mit viel Mühe durchgeführten Erhebungen stark in Frage stellen kann (vgl. etwa Hartig 1975, S. 81 ; s. a. oben). Was die Länge der Zeiträume für solche Untersuchungen

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

betrifft, besteht keineswegs Einigkeit (vgl. etwa Glaser 1973, S. 99). Rezmovic (1979, S. 180 f.) hebt hervor, daß der Wunsch nach möglichst raschen Ergebnissen und die Begrenzung an Zeit und Finanzen dazu geführt habe, daß die meisten Nachuntersuchungen bereits nach relativ kurzer Zeit nach Abschluß der Behandlung erfolgen. In der Behandlungsforschung in der Kriminologie bestehen Nachuntersuchungen, wenn sie überhaupt durchgeführt werden, vielfach lediglich darin, daß Auszüge aus dem Bundeszentralregister zur Erfassung eines offiziell registrierten Rückfalls eingeholt werden. Es wurden hier nur einige wesentliche Probleme und Schwierigkeiten methodischer Art, wie sie gerade auch in der Behandlungsforschung im Strafvollzug auftauchen, diskutiert. Daß diese Liste nicht vollständig ist und nahezu beliebig ergänzt werden könnte, versteht sich von selbst. Deutlich wird das insbesondere dann, wenn man die Validitätskonzepte sowie die dort diskutierten Störfaktoren zur Beurteilung vorliegender Studien berücksichtigt.

6.4.3 Neuere methodische Konzepte und Ansätze in der EvaJuationsforschung In den letzten Jahren wurden insbesondere im anglo-amerikanischen Bereich neuere methodische Konzepte der Evaluationsforschung entwickelt bzw. ältere Ansätze für die Anwendung zur Prüfung der Wirkungsweise von Interventionen fruchtbar gemacht. Einen Überblick über solche neueren Entwicklungen gibt beispielsweise Wittmann (1984; s. auch 1981). In aller Regel handelt es sich hierbei um Konzepte, die im pädagogischen bzw. klinisch-psychologischen Bereich Anwendung finden, bislang jedoch bestenfalls in Ansätzen in die kriminologische Forschung eingegangen sind. Bei diesen neueren methodischen Evaluationsansätzen handelt es sich beispielsweise um die Delphi-Technik, die MAUT-Technik und das Goalattainment-scaling (vgl. Dalkey 1969; Rosenthai 1976; Edwards u. a. 1975; Keeney u. Raiffa 1976; Guttentag 1979; Kiresuk u. Sherman 1968; zusammenfassend Wittmann 1981, S. 177 ff.; 1984, S. 317 ff.). Die Delphi-Technik ist eine Methode der individualisierten Befragung einer Expertengruppe und dient der Entwicklung und Verbesserung eines Gruppenkonsenses. Nach Wittmann (1984, S. 317) stellt sie "eine besonders gut geeignete Entscheidungs- und Bewertungshilfe (dar), wenn es sich um die Vorhersage von einzigartigen - im Gegensatz zu sich wiederholenden - Bewertungen und Entscheidungen handelt". In Anlehnung an Brockhoff (1979, S. 2) kann eine Delphi-Studie folgende 9 Schritte umfassen (s. Wittmann 1981, S. 177f.):

6. Methodik der Evaluationsforschung

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1. Auswahl des Zielbestimmungsproblems (wie beispielsweise die Ziele eines Behandlungsprogramms), 2. Auswahl von Personen zur Bearbeitung des Problems durch Abgabe von Urteilen oder Schätzungen, 3. individuelle Befragung der einzelnen Teilnehmer, 4. individuelle Informationssammlung der einzelnen Teilnehmer, 5. individuelle Antworten der einzelnen Teilnehmer, 6. Auswertung der Antworten, 7. Aufforderung zu Kommentaren ihrer individuellen Antworten im Vergleich zum Gruppenergebnis, 8. Bekanntgabe der individuellen Kommentare und anderer Resultate einer Vorrunde an alle Teilnehmer und 9. erneute Befragung der Teilnehmer usw. Die multi attributive Nutzentheorie (MAUT) ist eine Technik, .die entwickelt worden ist, um Entscheidungsträgern zu helfen, Werte und Ziele zu bestimmen, Eigenschaften von Programmen zu quantifizieren und Selektionen zwischen Programmen zu ermöglichen" (Wittmann 1981, S. 179). Nach Guttentag (1979, S.132ff.; vgl. auch Wittmann 1981, S.179; 1984, S.329ff.) kann das Vorgehen bei MAUT mittels der 10 folgenden Schritte chrakterisiert werden: 1. Identifizierung von Personen oder Organisationen, deren Nutzen ma-

2. 3. 4. 5. 6.

7. 8. 9. 10.

ximiert werden soll, Identifizierung des Problembereiches, für den die Nützlichkeiten relevant sind, Identifizierung der zu bewertenden Einheiten, Identifizierung der relevanten Wertdimensionen, Aufstellung einer Rangreihe der Dimensionen nach deren Bedeutung, Einstufung der Dimensionen hinsichtlich ihrer Bedeutung unter Anwendung einer Verhältnisskala (die wenig bedeutendste Dimension bekommt den Punktwert 10, die übrigen werden in Relation hierzu eingestuft), Normierung der Bedeutsamkeitsgewichte in Koeffizienten, die mit Wahrscheinlichkeitswerten vergleichbar sind, Feststellung des Ausprägungsgrades jeder zu bewertenden Einheit auf den Bewertungsdimensionen, Berechnung der Nützlichkeit für die Einheiten, Entscheidung, wobei etwa das Programm mit dem größten Nutzen gewählt wird.

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Eine praktische Schilderung der Anwendung mit zahlreichen Beispielen findet sich beispielsweise bei Edwards u. Newman (1982) und Edwards (1980). In der Zwischenzeit ist das Verfahren in zahlreichen Anwendungsbereichen eingesetzt worden. So bewerten damit etwa Snapper u. Seaver (1980; 1981) die Auswirkungen eines Programms zur Kriminalitätsbekämpfung. Edwards (1980) gibt einen Überblick zu Anwendungen des Verfahrens in 18 verschiedenen Bereichen. Nach Wittmann (1984, S. 332) liegt der Erfolg von MAUT ähnlich wie beim unten beschriebenen Goal-attainment-scaling "im klinischen Bereich darin begründet, daß die Evaluationshilfen direkte Kommunikation mit den Betroffenen bzw. hier Entscheidungsträgern erzwingen und Informationsgrundlage, Ziele und Bewertungen integrieren". Das "Goal-attainment-scaling" (GAS) ist heute der Oberbegriff für eine Vielzahl von Techniken, deren Gemeinsames es ist, daß sie auf spezifische Klientenziele und skalierbare Teilschritte, bezogen auf diese Ziele, zugeschnitten sind. Das Verfahren wurde von Kiresuk u. Sherman (1968) entwickelt und in der deutschsprachigen klinisch-methodischen Literatur insbesondere von Wittmann (1981, S. 178; 1984, S. 320 ff.) beschrieben. Kiresuk u. Lund (1979) geben eine Übersicht über unterschiedliche Ansätze. Davis (1973) bechreibt mehrere Ansätze der Ziel- bzw. Kriterienskalierung. Eine kriterienorientierte Messung wurde allerdings bereits früher in der pädagogischen Psychologie entwickelt (vgl. Tyler 1950; 1969). Diese erreichte hier einen großen Einfluß etwa auch auf die Testtheorie. Es wurden zahlreiche Testverfahren etwa zur kriterienorientierten Leistungsmessung entwickelt (vgl. etwa Fricke 1974; Fricke u. Lühmann 1983; Herbig 1978; Klauer 1978, S. 7 f.; Klauer u. a. 1972) . •Die Durchführung der Technik verlangt die Festlegung und Spezifikation von klaren und realistischen Behandlungszielen" (Wittmann 1984, S.322). Diese Behandlungsziele werden auf 5-Punkteskalen angegeben, wobei der erwartete wahrscheinliche Ausgang unter der Annahme einer wirkungsvollen Behandlung die Kategorie 0 erhält. Negative Punktewerte (-1, -2) stellen weniger erwünschte Ausgänge dar, positive Punktwerte (+1, +2) bilden entsprechend mehr als erwartet gute Ausgänge. Die Kategorie +2 stellt das bestmögliche Ergebnis dar. "Jeder Zielbereich wird seiner relativen Bedeutung nach in Relation zu den anderen gewichtet. Hierin soll der ,Wert' dieses Zieles in Relation zu anderen sichtbar werden" (Wittmann 1984, S. 322). Der Zustand eines Klienten wird nun vor und nach einer Behandlung bzw. der Durchführung eines Programms eingestuft. Die Skalierung und Gewichtung wird vor der Behandlung in Absprache mit dem Klienten selbst durchgeführt, ferner nach einem vorher festgelegten Zeitpunkt nach der Behandlung durch einen Experten, der in der Regel nicht im Behandlungsprogramm involviert ist, um die Unabhängigkeit der Einstufung zu gewährleisten.

6. Methodik der Evaluationsforschung

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Ein Vorteil dieser Methode liegt in den individualspezifischen Skalen, wodurch es möglich wird, den Erfolg einer Behandlung gewissermaßen für jeden Klienten spezifisch zu erfassen. Die Punktwerte dieser individualspezifischen Skalen werden aufsummiert durch die Berechnung eines zusammenfassenden GAS-Punktwertes. Dieser stellt einen gewichteten Mittelwert der durchschnittlichen Ziel erreichung dar, korrigiert für die Anzahl und die Interkorrelation der Skalen (vgl. Wittmann 1981, S. 178). Für klinische Einrichtungen haben Garwick u. Lampman (1972) eine Inhaltsanalyse für eine große Zahl solcher individualspezifischer Ziele durchgeführt und festgestellt, daß 95 % aller Ziele und Problembereiche abgedeckt sind durch Aggression, Alkohol, Angst, Entscheidungsprobleme, Depression, Drogen, Erziehung, Familie bzw. Ehe, Finanzen, interpersonale Beziehungen und soziale Aktivitäten, gesetzliche Probleme, Lebensumstände, körperliche Beschwerden und Eigenschaften, psychopathologische Symptome, Selbstbild, Sexualität, Selbstmord, Behandlung und Arbeit (vgl. Wittman 1981, S. 178). Gerade diese Methode hat im klinischen Bereich eine beispiellose Verbreitung als Evaluationsinstrument gefunden (Wittmann 1984, S.324; s. auch Smith 1981, S. 433). Die Gründe für den Erfolg sieht Wittmann (1984, S. 324 f.) insbesondere darin, daß GAS "sowohl die Kriterienfrage (beantwortet) als auch die Bewertung und den Informationserwerb und ... einen demokratischen nicht autoritären Aspekt in der gemeinsamen Zielfestlegung (hat). GAS beteiligt und motiviert den Klienten dadurch besonders stark, bietet die unmittelbare Rückkoppelung der Behandlungsergebnisse aus dem Einzelfall an den Therapeuten. GAS wirkt in dieser Hinsicht also auch korrigierend und verstärkend für den Therapeuten". Selbstverständlich ist auch diese Methode nicht ohne Kritik geblieben (vgl. Calsyn u. Davidson 1978; Seaberg u. Gillespie 1977; zusammenfassend Wittmannn 1984, S. 325 ff.). Ein Nachteil wird beispielsweise in der hohen Reaktivität des Verfahrens gesehen. Das führte zu einer Vermischung der Effekte der Messung mit denen des evaluierten Programms. Auch die weitgehende Beliebigkeit der Ziele bzw. die Verfälschbarkeit und Möglichkeit der Vorspiegelung großer Effekte alleine dadurch, daß leicht zu erreichende Ziele ausgewählt werden, birgt Probleme in sich. Die Validität des Verfahrens ist wegen der Individualspezifität schwer zu beurteilen. In der kriminologischen Forschung wird dieses Evaluationsverfahren neuerdings auch in der Bundesrepublik angewandt (vgl. Nemec 1984 a; 1984 b; s. auch Kury 1985 cl. Größere Erfahrungen und Ergebnisse liegen bei uns jedoch bislang aus diesem Anwendungsbereich noch nicht vor. Insgesamt bieten diese zum großen Teil im klinisch-psychologischen Bereich insbesondere in den USA sich bewährten Evaluationstechniken zusätzliche Möglichkeiten der Überprüfung der Wirksamkeit von 9 Kury I

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

(Behandlungs)programmen. Von daher sollten sie auch in der heutigen kriminologischen Forschung mehr Berücksichtigung finden.

6.5 Zusammenfassung Evaluation ist ein Teilbereich der (angewandten) empirischen Sozialforschung. Das methodische Vorgehen sowie die hier auftauchenden Probleme unterscheiden sich grundsätzlich nicht. In der Zwischenzeit liegen mehrere Validitätskonzepte zur Anlage und Beurteilung von Evaluationsstudien vor, die in der Regel auf dem von Campbell und Stanley 1963 erarbeiteten Vorschlag beruhen. Dieses inzwischen von Cook und Campbell erweiterte Konzept unterscheidet die vier Validitätsarten: interne, externe, statistische und Konstruktvalidität. Zu jeder Validitätsart werden von den Autoren Störfaktoren benannt, die eine Beeinträchtigung bewirken (können). Dieses speziell für die Unterrichtsforschung erarbeitete Konzept wurde inzwischen von anderen Autoren etwa auch für Psychotherapiestudien spezifiziert. So konkretisieren beispielsweise Kirchner u. a. (1977) die Grundfrage nach der internen und externen Validität für die Psychotherapieforschung insoweit, als sie die Quellen möglicher Beeinträchtigung herausarbeiten. Diese. teilen sie in fünf Klassen ein (externe Einflüsse auf den Patienten, Patientenmerkmale, Therapeutenmerkmale, Variablen der therapeutischen Technik, Kriteriumsmessung). Speziell für die pädagogische Evaluationsforschung weist Krauth (1983) auf weitere Punkte hin, welche die Aussagekraft einer Untersuchung beeinflussen können. Die große Zahl der "Fehlermöglichkeiten", auf welche in diesen Validitätskonzepten hingewiesen wird, macht die Schwierigkeit deutlich, in diesem Bereich der empirischen Sozialforschung gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen. Zwar wird zu Recht immer wieder gefordert, möglichst echt-experimentelle Versuchspläne mit Zufallszuweisung zu Kontroll- und Experimentalgruppe zu verwirklichen, jedoch können damit keineswegs alle Validitätsprobleme gelöst werden. Teilweise bewirkt die Erhöhung der einen Validitätsart mehr oder weniger zwangsläufig die Reduzierung einer anderen. Evaluationsstudien der kriminologischen Behandlungsforschung halten, im Vergleich etwa zur Psychotherapieforschung, den Anforderungen dieser Validitätskonzepte in der Regel nicht stand. Sekundäranalysen, wie sie in den USA beispielsweise seit Mitte der 60er Jahre vorliegen, konnten meist eine Fülle methodischer Mängel nachweisen. In der Zwischenzeit werden Methodenprobleme in diesem Forschungsbereich auch bei uns intensiver diskutiert.

6. Methodik der Evaluationsforschung

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Als Probleme der Evaluation von Behandlungsmaßnahmen bei Straffälligen werden in der Kriminologie beispielsweise das Theroriedefizit, die Problematik des Erfolgskriteriums und Defizite in der formativen Evaluation diskutiert. Bislang fehlt eine Verbindung zwischen Kriminalitätstheorien, welche beispielsweise Aussagen über die Entstehung und Aufrechterhaltung straffälligen Verhaltens machen einerseits und Behandlungstheorien andererseits, nahezu völlig. Das führt in der Praxis beispielsweise dazu, daß die Auswahl von Behandlungsprogrammen bei Straffälligen in aller Regel von mehr oder weniger zufälligen Gegebenheiten bestimmt wird. Als Erfolgskriterium dient meistens das Legalverhalten nach Haftentlassung. Die Heranziehung des Rückfalls als Erfolgsmaßstab für eine (psychologische) Behandlungsmaßnahme bringt jedoch eine Fülle von Problemen mit sich (z. B. nur ungenaue Erfaßbarkeit des Rückfalls, die Wirkung einer Behandlung kann mit diesem ungenauen Kriterium nicht differenziert genug erfaßt werden). Psychologische Testverfahren haben dagegen etwa den Nachteil, daß sie für die Klientel Straffällige in aller Regel nicht bzw. bestenfalls eingeschränkt geeignet sind. Defizite bieten bisherige Evaluationsuntersuchungen, insbesondere auch hinsichtlich einer formativen Evaluation, auf deren Bedeutung in den letzten Jahren zu Recht hingewiesen wurde. So wird beispielsweise das Behandlungsprogramm oft nur unvollständig und kaum nachvollziehbar beschrieben, ebenso wird das Umfeld, in welchem die Maßnahmen durchgeführt wurden, meist nur vage dargestellt, obwohl dieses auf den Erfolg der Behandlung vermutlich einen erheblichen Einfluß hat. Eine Differenzierung hinsichtlich der Klienten bzw. Therapeuten wird vielfach nicht vorgenommen, obwohl Straffälligkeit keineswegs ein einheitliches Merkmal ist und Persönlichkeitsmerkmale des Therapeuten einen wesentlichen Einfluß auf die Behandlung und den Klienten haben dürften. Die Umsetzung von Versuchsplänen wird auch im Strafvollzug durch oft hohe Ausfallquoten an Klienten beeinträchtigt (beispielsweise Rückverlegung von Insassen aus der Sozialtherapie in den Regelvollzug). Ein Großteil der Untersuchungen beschränkt sich auf Vorher- und Nachhermessungen, der Behandlungsverlauf, obwohl von großer Bedeutung für die Beurteilung der Wirkung einer Maßnahme, wird, wenn überhaupt, nur sehr oberflächlich erfaßt. Das hat vor allem mit der Schwierigkeit und dem großen Aufwand entsprechender Datenerhebungen und -auswertungen zu tun. Schließlich unterbleiben oft auch Nachuntersuchungen bzw. werden nach zu kurzen Zeiträumen nach der Haftentlassung durchgeführt, so daß die Erfassung der angestrebten Langzeitwirkung nicht möglich ist. In den letzten Jahren wurden insbesondere in den USA neuere methodische Konzepte der Evaluationsforschung entwickelt, wie etwa die Delphioder die MAUT-Technik bzw. das Goal-attainment-scaling. Diese methodi9'

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B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

sehen Ansätze werden inzwischen auch in der Bundesrepublik zunehmend diskutiert, sind bislang im kriminologischen Bereich jedoch kaum zur Anwendung gekommen.

7. Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien Die Ursachen für eine mangelhafte, oft wenig befriedigende Methodik der Evaluationsstudien im Bereich Behandlungsforschung sind auch in deren Standort innerhalb der empirischen Sozialforschung und in der damit im Zusammenhang stehenden wissenschaftlichen und politischen Diskussionen zu sehen. So wird die Evaluationsforschung als praxisorientierte Forschung in den Sozialwissenschaften z. T. kontrovers diskutiert, ihre Bedeutung wie diejenige der praxisorientierten Forschung generell unterschiedlich bewertet. Die Gründe für die aufgezeigten methodischen Schwächen bisheriger Evaluationsstudien im sozialwissenschaftlichen Bereich allgemein und in der Behandlungsforschung speziell sind unterschiedlich und vielfältiger Natur. Zum einen resultieren sie - wie oben ausgeführt - aus ungelösten methodischen Schwierigkeiten, zum anderen etwa aber auch daraus, daß es sich hier um Forschung in einem außerordentlich vielschichtigen Feld handelt, dessen Dynamik zu komplex ist, um mit der gewünschten Genauigkeit erfaßt werden zu können, jedenfalls mit dem derzeitig zur Verfügung stehenden Forschungsinstrumentarium. Hinzu kommen als wesentliches Moment in der Regel vorhandene erhebliche finanzielle Beschränkungen der Forschungsmittel sowie insbesondere hemmende Vorschriften oder Interessen, Bedenken und Ängste der betroffenen Praktiker, welche die Durchsetzung von Forschungsplänen erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis zeigen konkrete Auswirkungen auf die Qualität der Studien. Diese begründen sich zum einen etwa in den Möglichkeiten der Datenerhebung, zum anderen in Einschränkungen bei der Gestaltung des Forschungsdesigns.

7.1 Datenschutzproblematik

In den letzten Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer entsprechend strengeren Gesetzgebung zunehmend Aspekte

7. Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien

133

des Datenschutzes als Grund für eine Verweigerung der Mitarbeit bei Forschungsvorhaben bzw. des Zugangs zu Daten angeführt. So wird vermehrt berichtet, daß der Zugang von Forschern zu Daten gerade auch in der Kriminologie von der Verwaltung sowie Praktikern etwa im Strafvollzug oder in der Bewährungshilfe oft mit dem Hinweis, der Schutz der Vertraulichkeit der Daten sei nicht in ausreichendem Maße gewährleistet, abgewehrt wird (so etwa Ortmann 1982; vgl. auch Brusten u. a. 1981; Eser u. Schumann 1976; zur Situation in der pädagogischen Forschung s. auch Avenarius u. a. 1980). Daß Fragen des Datenschutzes ernstgenommen werden müssen und eine strengere Datenschutzgesetzgebung durchaus begründet und erforderlich ist, ergibt sich aus der inzwischen leichteren und schnelleren Verfügbarkeit über große Datensätze, was mit deren EDV-gerechten Erfassung und Speicherung zusammenhängt, ferner aus den immer wieder bekanntgewordenen Mißbräuchen, die jedoch offensichtlich weniger der Forschung als vielmehr der Administration anzulasten sind. Gerade im Bereich der Forschung wurden zahlreiche Bemühungen angestellt, die zum Zwecke empirischer Untersuchungen erhobenen Daten wirkungsvoll gegenüber einem Mißbrauch zu schützen (vgl. z. B. Boruch 1976). Selbst wenn der Forscher jedoch glaubhaft machen kann, daß etwa keine Namen veröffentlicht und die Datensätze anonym verarbeitet werden, kann der potentielle Leser eines Forschungsberichtes die ausgebreiteten Informationen "mit ganz anderen Intentionen (z. B. der der Entlarvung) und zu anderen Zwecken als der Forscher benutzen ... Diese Möglichkeit stellt daher vor allem für jene, die mittelbar oder unmittelbar Gegenstand der Forschung sind, eine Art Bedrohung und subjektiv empfundene Gefährdung dar, die es aus ihrer Sicht abzuwehren gilt" (Eberwein u. Schumann 1981, S.6).

Daß der (angebliche) Datenschutz zumindest teilweise zu einer ernsthaften Zugangssperre des Forschers zu seinem Forschungsfeld geworden ist, kann inzwischen an zahlreichen Beispielen belegt werden. Oft ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, "daß die Berufung auf Datenschutz für Bürokratien als willkommener Vorwand dienen kann, um unliebsame Erforschung von Marktstrukturen abzublocken" (Eser 1983 a, S. 54). Die an und für sich wünschenswert strengere Handhabung von Datenschutzbestimmungen kann somit geradezu in Mißbrauch der Intentionen der Datenschutzgesetzgebung zu einer ernsthaften Forschungsbehinderung werden, ein Effekt, der auch im Sinne einer gezielten Weiterentwicklung der Praxis nicht wünschenswert sein kann.

134

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

1.2 Probleme in der Durchsetzung eines experimentellen Forschungsdesigns Die methodische Bedeutung des Experiments für einen Wirkungsnachweis (psycho)therapeutischer Behandlungsmaßnahmen wurde bereits oben betont. Wie schwierig es jedoch offensichtlich ist, echt-experimentelle Versuchspläne in der Strafvollzugsforschung, insbesondere auch bezüglich der Evaluation von Resozialisierungsmaßnahmen zu verwirklichen, zeigen die zahlreichen gescheiterten Versuche. "Moving from a vaque plan to an actual field experiment that is implemented and evaluated is an arduous task that requires the collaboration of practioners and researchers" (Martin u. a. 1981, S. 1031.). Gerade auch Sekundäranalysen bisheriger empirischer Forschung in diesem Bereich machen die Schwierigkeiten deutlich. Die Forderung nach der Verwirklichung experimenteller Versuchspläne in der Behandlungsforschung wurde mit zunehmender Kritik der vorliegenden Untersuchungen immer stärker vorgebracht. Von methodischer Seite wurde zu Recht darauf hingewiesen, daß experimentelle Versuchspläne mit Zufallszuweisung einen Großteil, wenn auch nicht alle der Validitätsprobleme lösen könne (vgl. a. oben). So betonen etwa Riecken u. Boruch (1974, S. 22): "Perhaps the most important consideration in answering the question, why should we experiment? is the fact that experimental results are convincing. In comparison to all other research designs, experimentation is more convincing because the capacity to produce a particular outcome deliberately in a randomly assigned group of persons is the shurest testimony of the effectiveness of the treatment" (vgl. etwa zur Bedeutung eines experimentellen Vorgehens auch Greenwood 1962; Butollo 1978; Denzin 1970). Kerlinger (1978, S. 119) betont, daß "wenn man mit Stichproben arbeitet, die nicht nach dem Zufallsprinzip gezogen wurden ... , verallgemeinernde Aussagen über Merkmale oder die Beziehungen zwischen Merkmalen einer Population streng genommen nicht möglich" sind (vgl. hierzu etwa a. Bailey 1982, S. 223, der in der Kontrolle von Störvariablen einen der wesentlichsten Vorteile von Experimenten sieht; s. a. Rivlin 1971). Das wichtigste Kriterium für echt experimentelle Versuchspläne ist die

Zufallszuweisung der Probanden zu Experimental- und Kontrollgruppen.

Gerade hier treten jedoch insbesondere auch in der Kriminologie die größten Probleme hinsichtlich der Verwirklichung solcher Designs auf. Zwar wird von seiten der Forscher immer wieder mit größter Intensität die Anwendung experimenteller Versuchspläne gefordert (vgl. etwa Sechrestu. a. 1979, S. 6; Martin u.a. 1981, S.103ff.), jedoch werden andererseits oft von seiten der Praktiker bzw. der Administration erhebliche Bedenken rechtlicher, ethischer, aber auch organisatorischer Art vorgebracht und entsprechender Widerstand geleistet, welcher die Praktizierung der Zufallszuweisung, selbst

7. Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien

135

wenn sie vor Beginn eines Projekts genehmigt wurde, oft während dessen Verlaufs verhindert. Der größte Teil der Kritik an einer Randomisierung geht von ethischen Bedenken aus, wobei nicht zu übersehen ist, daß, etwa auch in der kriminologischen Forschung, entsprechende ablehnende Begründungen für ein experimentelles Vorgehen oft wenig überzeugend sind. Cook u. a. (1977, S. 112) weisen darauf hin, daß neben der Ansicht, daß eine Zufallszuweisung aufgrund des Vorhandenseins besserer Zuweisungskriterien (wie etwa Bedarf oder Fähigkeit) überflüssig sei, die Meinung, daß die Behandlung potentiellen Klienten nicht verweigert werden dürfte, insbesondere wenn sie nützlich zu sein scheint, ein wesentlicher Kritikpunkt an der Randomisierung wäre. Diese Bedenken werden gegenüber einer Zufallszuweisung in der empirischen Sozialforschung insgesamt vorgebracht, in der Kriminologie, wo in der Regel Straffällige die untersuchte Gruppe darstellen, jedoch oft besonders pointiert vorgetragen (vgl. etwa zu ethischen Problemen eines experimentellen Vorgehens allgemein Katz 1972; Rivlin u. Timpune 1975; Reynolds 1979; zu ethischen Problemen in der kriminologischen Forschung s. z. B. Polsky 1967, S. 139-143; Gibbons u. Jones 1975, S. 183; Denzin 1978, S.325; Patton 1978; Nachmias 1979). Anzumerken ist auch, daß ethische Fragen in der empirischen Sozialforschung selbstverständlich nicht nur im Zusammenhang mit der Zufallszuweisung diskutiert werden, sondern ebenso auch hinsichtlich Täuschungstechniken, wie sie etwa in der sozialpsychologisehen Forschung angewandt wurden (vgl. hierzu etwa Seeman 1969). Die wissenschaftliche Kommission der Internationalen Gesellschaft für Kriminologie hat beispielsweise erreicht, daß das Thema "Richtlinien und Sicherheit in bezug auf kriminologische Forschung", innerhalb dessen gerade auch ethische Fragen erörtert wurden, auf die Themenliste des 8. internationalen Kongresses für Kriminologie in Lissabon im September 1978 gesetzt wurde (vgl. Hall Williams 1980). Rauchfleisch (1982, S.69) formuliert im Zusammenhang mit der Diskussion ethischer Probleme in der kriminologischen Forschung Richtlinien, die seiner Ansicht nach bei Untersuchungen an Strafgefangenen eingehalten werden sollten: Wahrung der Anonymität der Untersuchungspersonen im Strafvollzug, genaue Information der Inhaftierten über das Untersuchungs- bzw. Forschungsprogramm vor Beginn und Einholung der schriftlichen Zustimmung der Beteiligten, wobei keinerlei Zwang ausgeübt werden darf. Aronson u. Carlsmith (1968, S. 36), welche ethische Fragen im Zusammenhang mit sozialpsychologischen Experimenten diskutieren, kommen zu dem Ergebnis, daß der Forscher das Dilemma, in welches er hier geraten kann, in einer Weise lösen müsse, .which avoids the extremes of 1. giving up the idea of experimentation in this area and 2. ignoring the rights of his experimental subjects".

136

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Auf seiten der Wissenschaftler werden ethische Gesichtspunkte nach Schuler (1980, S. 1) unterschiedlich bewertet: "Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Forschungsengagement von Wissenschaftlern und ihrer Bereitschaft, die ethischen Probleme ihres beruflichen Handeins zu bedenken ... Die fleißigsten und erfolgreichsten unter unseren Kollegen zeigen das geringste Interesse, ihre wissenschaftliche Arbeit unter dem Aspekt ihrer ethischen Implikationen zu sehen und zu diskutieren und vice versa". In der Behandlungsforschung wird, wie allerdings in der Psychotherapieforschung allgemein, das ethische Problem einer Zufallszuweisung insbesondere darin gesehen, daß einer Gruppe von Probanden die Vorteile der Behandlung vorenthalten werden. Trotz der berechtigten Hinweise auf die Wahrung des Gleichbehandlungsprinzips wird jedoch hierbei übersehen, daß es ja gerade Ziel des Forschungsvorhabens ist, die Wirkungsweise der Behandlung zu erfassen, daß somit deren positiver Effekt noch keineswegs gesichert festgestellt wurde und, wie die Psychotherapieforschung zeigt, etwa durchaus auch mit negativen Auswirkungen des Treatments gerechnet werden muß. In diesem Zusammenhang betont etwa Wittmann (1981, S. 172), daß man aus humanitären Gründen oft meint, "eine Behandlung einer Gruppe nicht vorenthalten zu können. Wir vergessen dabei häufig, daß die möglicherweise schädigende Wirkung einer Intervention gar nicht bekannt ist". Boruch u. Rindskopf (1977, S. 152) bemerken, daß gerade durch ein experimentelles Vorgehen, also eine Zufallszuweisung der Probanden, die eventuell schädigenden Wirkungen von Behandlungsmaßnahmen am validesten erfaßt werden können. In diesem Sinne könne die Randomisierung in ethischer Hinsicht vertretbarer sein als ein anderes Vorgehen (vgl. hierzu etwa auch Gilbert U.a. 1975, S. 148 fl.). Das "Committee on Research on Law Enforcement and the Administration of Justice - Assembly of Behavioral and Social Sciences" des "National Research Council" der Vereinigten Staaten kommt in seinem zweiten Bericht zu Fragen der Behandlung und Behandlungsforschung bei Straffälligen in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis, daß "a good deal of varity may be gained by recognizing that the experimental nature of an activity has primarily to do with the perceptions and motivations of the experimenter, and very little to do with the consequences of that activity to human subjects. The focus of ethical concern is better placed on the activities themselves than on their ,experimental' nature, lest the only difference between an ,experimental' innovation and a simple change in policy be that the former is characterized by open-mindedness about results and the latter is accompanied by unjustified self-confidence" (Martin U.a. 1981, S.100; s.a. Shapard 1979). Die Zuweisung etwa von Insassen einer Strafvollzugsanstalt zu Behandlungsmaßnahmen nach dem Zufallsprinzip ist auch solange anderen Vorgehensweisen vorzuziehen, als nicht alle Betroffenen in den Vorzug einer Behandlung kommen können, was nahezu ausnahmslos der Fall sein dürfte, und keine gesicherten Erkenntnisse darüber vorliegen, für welche Personen

7. Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien

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die Behandlung besonders geeignet ist, also die Frage nach der Indikation zumindest ansatzweise gelöst ist. So können Ungerechtigkeiten beispielsweise in Form von Bevorzugungen "beliebter" Gefangener bei der Aufnahme in Behandlungsprogramme durch das Zufallsprinzip am ehesten unterbunden werden. Das bedeutet aber, daß sich ethische Probleme gerade bei einer nach mehr oder weniger willkürlichen Gesichtspunkten erfolgten Zuordnung zu Behandlungen ergeben, insbesondere dann, wenn keine objektiv nachprüfbaren Kriterien vorhanden sind. In diesem Fall scheint eine Zufallszuweisung die eher gerechtere Methode zu sein. Das wird auch durch Befragungen bei Betroffenen selbst bestätigt. So fanden etwa Wortman u. Rabinowitz (1979) in einer Untersuchung, daß die Probanden die Zufallszuweisung als fairste Selektionsmethode beurteilten. Den Betroffenen wurde berichtet, daß sie für die Teilnahme an einem innovativen Programm entweder vor dem Hintergrund bisher erlangter Verdienste, der Beurteilung der Notwendigkeit, nach dem Motto ,Wer sich zuerst meldet, wird behandelt' oder per Zufall ausgewählt worden seien. Unabhängig vom Auswahlkriterium beurteilten die Betroffenen das Zufallsprinzip als die gerechteste Auswahlmethode.

Die stichwortartig dargestellte Diskussion des Für und Wider einer Zufallszuweisung in der Behandlungsforschung zeigt, daß die geäußerten ethischen Bedenken keineswegs unwiderlegbar sind. Trotzdem werden sie in der Feldforschung immer wieder vorgebracht und mehr oder weniger überzeugt vertreten, wodurch es kaum gelingt, in diesem Bereich experimentelle Forschung durchzuführen. Neben ethischen Bedenken werden teilweise auch juristische Einwände gegenüber einer Zufallsauswahl gemacht. Nach Schmidt u. Witte (1979, S. 210) ist in vielen, wenn nicht den meisten Behandlungseinrichtungen für Straftäter eine Zufallszuweisung zu einzelnen Programmen gerade auch aus juristischen Gründen nicht möglich. Latzer u. Kirby (1980, S. 31) heben in diesem Zusammenhang hervor: "Although a valuabIe element in evaluation, many studies cannot use experimental design because of the legal issues raised in regard to random assignment. Essentially, these legal arguments revolve around depriving an individual of treatment or program in a manner which violates his or her constitutionaI rights". Baunach (1980) sieht sogar die Gefahr, daß Institutionen in Rechtsstreite verwickelt werden, die Insassen, welche für ein Forschungsprogramm nicht ausgewählt wurden, anstrengen könnten (vgl. hierzu beispielsweise a. Morris 1966; Zimring 1974).

Weitere Einwände gegenüber einem experimentellen Design kommen von seiten der Forscher selbst und richten sich auf dessen "Künstlichkeit" und "Praxisferne". In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, daß im Rahmen experimenteller Forschung gewonnene Ergebnisse nur eingeschränkt oder gar nicht auf andere Situationen übertragen werden können. Oft müssen, um experimentelle Versuchspläne zu verwirklichen, erhebliche

138

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Eingriffe in die Praxis vorgenommen werden, die eine künstliche Situation schaffen, die ihrerseits wesentlichen Einfluß auf die erzielten Resultate haben kann. Dadurch kann selbstverständlich die Generalisierbarkeit der Ergebnisse in Frage gestellt werden. Diese Probleme wurden insbesondere etwa auch im Rahmen sozialpsychologischer experimenteller Untersuchungen diskutiert (vgl. z. B. Argyle 1969; Irle 1975; Koch 1976 a; s. zu den Problemen der Feldforschung a. Zelditch 1979; Patry 1982; Riecken u. Boruch 1974; Bennett u. Lumsdaine 1975). Gerade in den letzten Jahren rückte die Diskussion um die Vor- und Nachteile des Experiments in der Sozialpsychologie mehr und mehr in den Vordergrund (vgl. etwa Bungard 1979, S. 129fl.). So plädiert eine wachsende Zahl von Forschern für einen Ausbau der Feldforschung in der Sozialpsychologie (s. etwa McGuire 1967; Albrecht 1975; Elms 1975; Helmreich 1975; House 1977). Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, die bei einem experimentellen Vorgehen gerade in der Behandlungsforschung zu überwinden sind, und der Problematik, daß auch bei diesem methodisch strengen Forschungsdesign letztlich die Validität einschränkende Störfaktoren unüberwindblar bleiben, ja wie erwähnt, teilweise erst geschaffen werden können, ist es nicht verwunderlich, daß manche Autoren prinzipiell gegen experimentelle Forschungspläne sind (vgl. beispielsweise Hackler 1978; Guba u. Lincoln 1981). Insgesamt bleiben die Kritiker des experimentellen Forschungsansatzes auch in der empirischen Kriminologie - zumindest in der sozialwissenschaftlich orientierten - jedoch in der Minderzahl. Statt echt experimenteller Designs mit Zufallszuweisung der Probanden zu Kontroll- und Experimentalgruppe werden in der empirischen Sozialforschung und entsprechend auch in der Kriminologie sehr oft quasi-experimentelle VersIIchspläne angewandt. Hierbei sind die Anforderungen an das methodische Vorgehen nicht so streng, was die Durchführung der Untersuchungen einerseits erleichtert, andererseits auch die Aussagekraft der gewonnenen Resultate in der Regel einschränkt. Quasi-Experimente unterscheiden sich von echten Experimenten dadurch, daß auf eine Zufallszuweisung der Probanden verzichtet wird. "Quasi-experiments are those in which all theelements of the true experiment are present except for the random assignment of people to groups" (Williamson u. a. 1982, S. 229). Vorteile des quasi-experimentellen Vorgehens werden insbesondere darin gesehen, daß die Künstlichkeit des echten Experiments abgeschwächt und die Gegebenheiten der sozialen Realität stärker berücksichtigt werden können (vgl. etwa Opp t 969; t 976). Die wesentliche, die Aussagekraft der Resultate einschränkende Problematik bei quasi-experimentellen Versuchsplänen ergibt sich daraus, daß Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe, wie sie sich nach einer Behandlungsmaßnahme zeigen, nicht mehr stringent auf die Behandlung selbst zurückgeführt werden können, da auch Selektionseffekte die Ursache der gefundenen Differenzen sein können. Gerade im Bereich der Behandlungsforschung muß mit solchen, die Validität der gefundenen Resul-

7. Gründe für methodische Mängel bisheriger Studien

139

ta te beeinträchtigenden Effekten, gerechnet werden, So weist beispielsweise Coignerai-Weber (1979, S. 344) darauf hin, daß das Aufnahmeverfahren in der Sozialtherapeutischen Anstalt Berlin-Tegel (Haus IV), der größten bundesdeutschen Vollzugsanstalt dieser Art, auf freiwilliger Basis erfolgt. Es muß hier davon ausgegangen werden, daß sich insbesondere Behandlungsmotivierte, ferner Insassen mit positiver Legalprognose melden, was unter Umständen Unterschiede in der Rückfallquote zwischen Behandelten und Nicht-Behandelten zu erklären vermag.

1.3 Möglichkeiten und Grenzen alternativer Forschungsstrategien Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten, die sich einem (echt oder quasi)experimentellen Vorgehen in der Evaluationsforschung entgegenstellen, insbesondere derart, daß ein mehr oder weniger großer Teil der methodischen Anforderungen, wie oben ausgeführt, nicht erfüllt werden kann, wurden in den letzten Jahren vermehrt auch qualitative Forschungsansätze diskutiert. In seinen .Empfehlungen zur Förderung empirischer Sozialforschung vom Januar 1981" spricht beispielsweise der Wissenschaftsrat von einer "seit einigen Jahren zu beobachtenden Renaissance qualitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung" (Wissenschaftsrat 1981, S. 92). Cronbach (1982, S. 23) betont in diesem Zusammenhang: "Qualitative evaluation has become more prominent recently, and much has been said in favor of the approach". Auch in der deutschsprachigen empirischen Kriminologie wurde in den letzten Jahren die stärkere Berücksichtigung qualitativer Forschungsansätze gefordert. So setzte sich etwa Schumann (1982) auf einem Colloquium der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" im Herbst 1982 intensiv für den verstärkten Einsatz qualitativer Forschungsmethoden in der empirischen Kriminologie ein (vgl. a. Schumann 1986). Zimmermann (1981, S. S84f.) kritisiert den quantitativen Ansatz, da damit ein "Ideal der Genauigkeit propagiert (werde), von dem in Fällen theoretisch ,anspruchsvoller' Sozialforschung eigentlich nur festgestellt werden kann, daß es in nahezu allen relevanten Aspekten nicht zu erreichen ist". Kritiker qualitativer Ansätze weisen nicht zu Unrecht auf die Schwierigkeiten des Vorgehens hin, die sich gerade auch darin zeigen, daß nicht wenige hoffnungsvoll und mit großem Engagement begonnene Forschungsvorhaben nur mit Mühe oder gar nicht zu Ende geführt werden konnten. Vielfach ist auch die methodische Qualität entsprechender Forschung unbefriedigend. Es wird hier z. T. übersehen, daß es auch in der qualitativen Sozialforschung strenge methodische Standards zu beachten gilt. Zum Teil meint man, daß

140

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

man bereits dann zu vielversprechenden Ufern methodischen Vorgehens vorstößt, wenn man nur das enge Korsett eines quantitativen Vorgehens abstreift. Sicher nicht zu Unrecht meint Küchler (1980, S.374) in diesem Zusammenhang, daß qualitative Sozialforschung letztendlich oft "doch nur eine Art besserer Journalismus ist". In der Behandlungsforschung, wo es letztlich um die Erfassung der Wirkungsweise von Resozialisierungsmaßnahmen bei Straffälligen geht, können qualitative Ansätze als Ergänzung zu quantitativem Vorgehen durchaus einen hohen Stellenwert haben. Entsprechend findet sich in vielen einschlägigen Evaluationsstudien eine Kombination beider Vorgehensweisen. Eine Ablösung des quantitativen durch das qualitative Vorgehen würde jedoch kaum dazu beitragen, etwa die Frage nach der Effizienz bestimmter Behandlungsansätze valider beantworten zu können. Das vor allem auch deshalb nicht, weil die Verallgemeinerbarkeit entsprechend gewonnener Ergebnisse oft in Frage gestellt werden muß. Die Wahl des konkreten methodischen Vorgehens ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden, wobei der Forschungsstand und das Ausmaß des bereits vorliegenden Wissens in diesem Bereich eine große Rolle spielt. "Umfangreiche, kostspielige Evaluation allein auf qualitativen Daten aufzubauen, wäre zu risikoreich. Für formative Evaluation und erste Pilotstudien, die Vorstufen größerer Programmevaluationen sind, sollten solche Methoden aber einen hohen Stellenwert haben, weil nur durch sie die konstruktvaliden, reliablen, quantitativen Maßinstrumente zur Erfassung des Treatmentgeschehens und der -kriterien konstruiert werden können. Vergleichbares gilt für den Stellenwert des Experiments im Spektrum der alternativen Möglichkeiten" (Wittmann 1984, S. 197f.).

1.4 Zusammenfassung Die Gründe für die methodischen Mängel der bisherigen Evaluationsstudien zur Behandung Straffälliger sind vielfältiger Natur. Zum Teil sind sie etwa auf Datenschutzprobleme zurückzuführen. Da Evaluation für die Praxis immer auch eine Kontrolle und Bewertung bedeutet, mangelt es teilweise auch an einer entsprechenden Unterstützung bei der Umsetzung von Forschungsprogrammen. Insbesondere hinsichtlich experimenteller Versuchspläne werden oft ethische bzw. juristische Bedenken in bezug auf die Zufallszuweisung der Probanden vorgebracht. Zu Recht wird in der Fachliteratur jedoch darauf hingewiesen, daß solche Bedenken in aller Regel letztlich nicht stichhaltig sind. Vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Verwirklichung experimenteller Versuchspläne, aber auch einer generellen Kritik

8. Punkte der Evaluationsforschung im Strafvollzug

141

dieses Forschungsansatzes, wurden in den letzten Jahren vermehrt alternative Forschungsstrategien, wie etwa qualitative Ansätze diskutiert.

8. Zu berücksichtigende Punkte bei der Evaluationsforschung im Strafvollzug Vor dem Hintergrund der ddfgestellten Validitätstheorien sowie der bisherigen Erfahrungen mit Evaluationsstudien sollen im folgenden einige Punkte benannt werden, die bei einer Evaluationsforschung von Behandlungsmaßnahmen im Strafvollzug berücksichtigt werden sollten. Hierbei handelt es sich selbstverständlich nicht um eine vollständige Liste, sondern lediglich um die Nennung einiger uns wesentlich erscheinender Merkmale von Untersuchungen, die in bisherigen Evaluationsstudien in der Behandlungsforschung vielfach vernachlässigt wurden bzw. aus den oben genannten Gründen nicht genügend berücksichtigt werden konnten (vgl. hierzu Kury u. Fenn 1977 a; 1977 b; s. auch Such man 1967; Albright u. Jaffe 1973; vgl. hierzu etwa auch die Checkliste für pädagogische Evaluationsstudien insbesondere im Rahmen von Gesamtschuluntersuchungen, wie sie neuerdings von Krauth 1983 aufgestellt wurde).

8. t Ausführliche theoretische Begründung des Forschungsansatzes

Wie oben dargelegt wurde, ist eine ausführliche theoretische Begründung des Forschungsansatzes nicht nur für die Entwicklung eines konkreten Versuchsplanes, sondern ebenso für dessen Umsetzung im Rahmen eines Projektes wie auch für die Interpretation der gewonnenen Daten wichtig. So ist beispielsweise im Rahmen eines Behandlungsforschungsprojektes die Wahl eines konkreten Treatments und damit zusammenhängend der Erfolgskriterien nur auf der Basis theoretischer Überlegungen begründbar. Hierauf weisen beispielsweise, wie oben ausgeführt, Cook u. Campbell (1979, S. 59 ff.) im Rahmen ihrer Überlegungen zur Konstruktvalidität ausführlich hin. Da, wie bereits erwähnt, insbesondere psychologische Kriminalitätstheorien, aber auch einzelne Psychotherapietheorien, so etwa in der Gesprächspsychotherapie, bislang noch sehr lückenhaft sind und vor allem eine Verbindung zwischen diesen

142

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

bisher weitgehend fehlt, wird auch die theoretische Fundierung in einem Forschungsprojekt zwangsläufig lückenhaft sein müssen (vgl. zum empirischen Gehalt der wichtigsten Kriminalitätstheorien etwa Springer 1973). Dennoch sollte eine Evaluationsstudie rational begründet, d. h. theoretisch fundiert werden. Die theoretischen Ausführungen sollten möglichst Angaben über die Begründung des gewählten Treatments in Verbindung mit den intendierten Programmzielen, über die Auswahl der Kriterien zur Erfassung der Behandlungswirkung, sowie zum Ausmaß des erwarteten Erfolges der Behandlung enthalten (vgl. hierzu etwa Suchman 1967, S. 28). Die Fragestellung der Untersuchung ist möglichst genau herauszuarbeiten, zu präzisieren und einzugrenzen auf die Bereiche, zu denen aus dem Forschungsvorhaben Informationen zu erwarten sind. Das ist insbesondere auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Praktikern wichtig, da von dieser Seite oft überhöhte Erwartungen an ein aufwendiges Forschungsvorhaben herangetragen werden. Zu erwartenden Enttäuschungen sollte durch eine klare Begrenzung der Fragestellung vorgebeugt werden (vgl. hierzu etwa a. Krauth 1983, S. 6). Eine möglichst genaue Ausarbeitung des Forschungsplanes in diesen Bereichen erleichtert insbesondere auch die Auswertung und Interpretation der gefundenen Resultate. Diese sollten wiederum Grundlage für eine weitere Spezifizierung der theoretischen Aussagen bilden.

8_2 Sorgfältige Festlegung des Forschungsdesigns sowie der Datenerhebung Auf der Grundlage der theoretischen Überlegungen sollte eine möglichst umfassende und genaue Ausarbeitung und Festlegung des Forschungsdesigns erfolgen. Die einzelnen Schritte sollten beschrieben und begründet werden. Hierbei ist selbstverständlich eine Zusammenarbeit und Absprache mit den betroffenen Praktikern insofern wichtig, als letztlich der Forschungsplan, gerade bei Untersuchungen zur Behandlungsforschung, nur unter deren Mitarbeit umsetzbar sein dürfte. Fragen etwa nach der Erreichbarkeit der erwünschten Daten dürften hier eine große Rolle spielen (vgl. etwa Albright u. Jaffe 1973). Die Organisation einer u. U. über mehrere Jahre sich hinziehenden Evaluation von Behandlungsmaßnahmen in einer Vollzugsanstalt sollte bis in einzelne Schritte mit den Praktikern, sowohl den direkt vom Vorhaben Betroffenen, etwa in der Anstalt, aber auch der übergeordneten Behörde abgestimmt werden, da ansonsten zu viele Mißverständnisse und Konflikte auftreten können, die Gefahr eines Scheiterns des gesamten Vorhabens, eventuell nachdem bereits große Mühe investiert wurde, zu groß ist. Zur Vermeidung von Konflikten ist auch die Zuständigkeitsverteilung im Forschungsprojekt möglichst vorab zu klären. Da die Praktiker in der Regel über eine Fülle von insbesondere strukturellen Detailwissen verfügen, ist ihre Mitarbeit bei der Forschungsplanung auch insofern wichtig, als dadurch nicht nur eine größere Praxisrelevanz des Projekts erreicht werden dürfte, sondern auch die Ausschaltung von

8. Punkte der Evaluationsforschung im Strafvollzug

143

Störfaktoren bereits in der Projektanlage berücksichtigt werden können. Vollzugspsychologen können beispielsweise bei der Entwicklung von Erhebungsinstrumenten wesentliche Hinweise geben, um so etwa zu vermeiden, daß Itemformulierungen zu akademisch ausfallen und für die Insassen zu irrelevante oder gar unbekannte Bereiche abgefragt werden. Schließlich gewährleistet eine Beteiligung der Praktiker schon bei der Planung des Vorgehens auch eher die Umsetzung der gefundenen Resultate. Über die Kooperation mit den Betroffenen hinaus erscheint es unter den Gesichtspunkten der Validität der Studie erforderlich, daß in der Beschreibung des Forschungsplanes eine Definition der zu erhebenden Stichproben, die Festlegung der einzelnen Messungen, sowie die Berücksichtigung von Kovariablen enthalten sind (vgl. Krauth 1983, S. 6 f.).

8.3 Exakte Beschreibung der ImplementaUon des Programms und des Projektverlaufs Um eine möglichst hohe Validität hinsichtlich der Aussagekraft der Resultate einer Evaluationsstudie im Strafvollzug zu erreichen, sollten im einzelnen etwa die angeführten Punkte beachtet werden. Wir sind uns darüber im klaren, daß es sich hierbei um einen Hldealkatalog" handelt, der in die Praxis nur teilweise umgesetzt werden kann: Erfassung der Organisation und inneren Struktur der Anstalt, Beschreibung des Vollzugs stabes, Erfassung und Beschreibung der Anstaltsatmosphäre, Definition der Behandlungsgruppe (Experimentalgruppe), Definition der Kontroll-/Vergleichsgruppe, Beschreibung der Therapeuten bzw. des Behandlungspersonals, Erfassung der Interaktionsstrukturen zwischen Therapeuten, Insassen und Institution, Beschreibung des durchgeführten Behandlungsprogramms, Erfassung des weiteren Anstaltsprogramms, Erfassung besonderer Vorkommnisse in der Anstalt, Erfassung von Maßnahmen, welche die Behandlung und ihre Wirkung beeinflussen können, Persönlichkeitspsychologische Untersuchungen (Pre-/Posttests), Erfassung von Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung, Erfassung von Maßnahmen zur Nachbetreuung nach Haftentlassung, Erfassung nachinstitutioneller Lebenslaufdaten, Durchführung der Katamnesen, Datenanalyse.

144

B. Fragen und Probleme der Behandlungsforschung in der Kriminologie

Die angeführten Punkte sind bezüglich eines Forschungsvorhabens im Strafvollzug wichtig und sollten nach Möglichkeit beachtet werden und zwar, soweit sie sich nicht auf das engere Therapieprogramm beziehen, sowohl für die Experimental- als auch Kontrollgruppe. Daß es sich um keine erschöpfende Liste handelt, wurde bereits betont. Wir gehen nicht davon aus, daß jeweils alle Punkte innerhalb eines Forschungsvorhabens - wenn überhaupt - in befriedigender Weise berücksichtigt werden können. Vielmehr zeigt sich unter den komplexen wie auch dynamischen Bedingungen der Feldforschung eher das Gegenteil: Häufig müssen bereits bei der Planung eines Forschungsprojektes, insbesondere aber bei dessen Durchführung Abstriche vom idealen Forschungsplan gemacht werden. Insofern handelt es sich hier um einen "Idealkatalog". Wie sich aus diesem Rahmenplan für ein Forschungsprojekt ergibt, bringt ein solches umfassendes Forschungsprogramm eine nicht unerhebliche Belastung für die Anstalt selbst mit sich. Deshalb ist es auch nur in enger Kooperation mit und durch Unterstützung des Anstaltsstabes durchzuführen. Auch die Strafgefangenen selbst müssen zu einer Mitarbeit gewonnen und motiviert werden können. Selbst wenn jedoch eine Kooperationsbereitschaft bei allen Betroffenen einer Anstalt vorhanden ist, garantiert das noch keine erfolgreiche Durchführung im Sinne des dargestellten Rahmenplanes, da - wie auch in den meisten Untersuchungen gezeigt werden konnte - eine Vollzugsanstalt ein störungsanfälliges System darstellt, das nicht nur von einer internen Dynamik beeinflußt, sondern auch externen (politischen, verwaltungsmäßigen) Einflüssen ausgesetzt ist. Selbst wenn nicht alle Punkte berücksichtigt werden können, müssen selbstverständlich ein Forschungsvorhaben und seine Resultate nicht wertlos sein. Die gefundenen Erkenntnisse können trotzdem zu einer Bereicherung des Wissensstandes beitragen und auch für die Praxis wesentliche Hinweise für eine gezielte Weiterentwicklung bringen. Allerdings ist von seiten des Forschers zu prüfen, welche Störeinflüsse u. U. die Validität der Aussagen beeinträchtigen. Entsprechend vorsichtig sind die Ergebnisse darzustellen. Ansonsten ist die Gefahr zu groß, daß die Resultate überinterpretiert werden und auch Replikationsstudien gegenüber nicht standhalten. Ein Teil der kontroversen Diskussion zur Wirksamkeit sozialtherapeutischer Behandlung dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die gefundenen Resultate allzu großzügig interpretiert wurden (vgl. hierzu etwa auch die Beiträge in Kury 1983c).

B. Punkte der Evaluationsforschung im Strafvollzug

145

8.4 Zusammenfassung

Punkte, die bei einer Evaluationsforschung im Strafvollzug berücksichtigt werden sollten, sind eine ausführliche theoretische Begründung des Forschungsansatzes, eine sorgfältige FestIegung des Forschungsplanes und der Datenerhebung sowie eine exakte Beschreibung der Implementation des Programms und des Projektverlaufs. Hierbei sollte auch das durchgeführte Behandlungsprogramm sowie der Kontext, in welchem dieses stattfindet, dargestellt werden. Maßnahmen, welche die Programmwirkung beeinflussen können, sowie solche zur EntIassungsvorbereitung und Nachbetreuung, haben hier einen wichtigen Stellenwert.

10 Kury 1

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