Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht [1 ed.] 9783428477388, 9783428077380

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Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht [1 ed.]
 9783428477388, 9783428077380

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KARSTEN KRAMP

Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht

Schriften zum Völkerrecht Band 108

Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht

Von Karsten Kramp

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kramp, Karsten: Die Begründung und Ausübung staatlicher Zuständigkeit für das Verbot länderübergreifender Fusionen nach dem geltenden Völkerrecht / von Karsten Kramp. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 108) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-428-07738-5 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0251 ISBN 3-428-07738-5

Vorwort Die vorliegende Untersuchung hat der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1991/92 als Dissertation vorgelegen. Meinem Lehrer, Herrn Professor Dr. Albrecht Randelzhofer bin ich für die Förderung und die sorgfältige Betreuung der Arbeit zu großem Dank verpflichtet Die hervorragenden Studien- und Forschungsbedingungen am Institut für Internationales und Ausländisches Recht und Rechtsvergleichung an der Freien Universität Berlin haben mich wesentlich motiviert und dazu beigetragen, daß die Arbeit in dieser Form entstehen konnte. Herr Professor Dr. Rudolf Bernhardt, Herr Professor lan Brownlie und Herr Professor Dr. Luzius Wildhaber gewährten mir Einblick in ihre Rechtsgutachten, die sie im Jahre 1983 dem Berliner Kammergericht im Fall "Philip MorrislRothmans" vorgelegt hatten. Ihnen wie auch der Auftraggeberin der Gutachten, der Philip Morris GmbH, bin ich hierfür zu besonderem Dank verpflichtet Ferner danke ich dem kanadischen Bureau of Competition Policy und dem Department of Industry and Commerce der Republik Irland für die freundliche Unterstützung meines Vorhabens. Schließlich bedanke ich mich bei Frau Angelika Opitz für ihre zuverlässige Hilfe bei der Anfertigung des Manuskripts. Rostock, im Januar 1993

Karsten Kramp

Inhaltsverzeichnis A.

Einführung • • • • • • • • • • • • • • • • • • •

13

B.

Erscheinungsformen und Struktur länderübergreIfender Fusionen •

18

c.

Die räumUchen Grenzen der staatlichen Zuständigkeit • • •

20

I. Völkerrechtliche Regeln über die Zuständigkeit der Staaten

20

Inhaltliche Bestimmung staatlicher Regelungsbefugnisse

22

1. Begriff des extraterritorialen Hoheitsakts • • • • •

22

2. Beeinflussung wirtschaftlicher Vorgänge im Ausland durch exuaterritoriale Hoheitsakte • • • • • • • • • • • • • • •

23

3. Klassifizierung des exttaterritoria1en Hoheitsakts • • • • • • • • • ••

23

a) Regelung und zwangsweise Durchsetzung als Unterscheidungskriterien •

24

b) Staatliche Teilgewalt als Unterscheidungskriterium

26

n.

m.

• • •

c) Art des angewandten Rechts als Unterscheidungskriterium

26

Regeln über die Zuständigkeit der Staaten zum Erlaß exttaterritorialer Hoheitsakte • • • . • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••

28

1. Grundlagen der Zuständigkeit zum Erlaß extraterritorialer Hoheitsakte im System des Völkerrechts • • • • • • • • • • • • • • •

28

a) Verleiht oder begrenzt das Völkerrecht die Zuständigkeit? •

28

b) Stellungnahme • • • • • • • • • • • • • • • •

31

2. Anknüpfungspunkte für die Begründung der Zuständigkeit

33

a) Anknüpfungsprinzipien des internationalen Strafrechts

34

aa) Strenges Territorialitätsprinzip •

3S

bb) Objektives Territorialitätsprinzip

37

cc) Subjektives Territorialitätsprinzip

37

dd) Aktives Personalprinzip

37

ee) Passives Personalprinzip

38

ff) Universalitätsprinzip •

38

gg) Schutzprinzip

38

hh) Auswirltungsprinzip

39

Inhaltsverzeichnis b) Anwendbarkeit der strafrechtlichen Anknüpfungsprinzipien im Kartellrecht • • • • • . • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••

40

aal Schutz-, Universalitäts-, subjektives Territoria1itätsprinzip und passives Personalprinzip

42

bb) Aktives Personalprinzip

43

ce) Strenges T erritoria1itätsprinzip •

45

(1) Das strenge Territoria1itätsprinzip in den Beratungen der ILA

45

(2) Anwendbarkeit des strengen Territoria1itätsprinzip im internationalen Kartellrecht • • • • • • • • • • • •

46

(3) Lokalisierung des wettbewerbswidrigen Verhaltens • • • ••

47

(4) Die einem Unternehmen zurechenbaren Handlungen und die Reichweite des Handlungsbegriffs

49

dd) Objektives Territorialitätsprinzip

50

ee) Auswirkungsprinzip • • • • •

51

Cf) Entbehrlichkeit des Auswirkungsprinzips bei Fusionskontrollfällen

57

(1) Struktur der Fusionstatbeslände • • • • • • • • • • • ••

58

(2) Anforderungen an die Verwirklichung des Zusammenschlusses im Inland. . • . . • • • • • • • • • • • • • • • ••

63

3. Ausweitung des Zusländigkeitsbereichs durch das Prinzip der Unternehmenseinheit • • • . • • • • • • • • • • • . • • • • • • • • • • ••

65

IV. Das Auswirkungsprinzip in der Staatenpraxis unter besonderer Berücksichtigung von Unternehmenszusammenschlüssen • . • • • • • • • • . • • • ••

67

1. Das Auswirkungsprinzip in der Praxis der Staaten mit Vorschriften zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen

71

a) USA •

..

71

aal Gesetzgebung

71

bb) Rechtsprechung .

73

ce) Exekutive

76

dd) Fusionskontrolle

78

(1) Haltung des Gesetzgebers

78

(2) Haltung der Exekutive

80

(3) Ein entschiedener Fusionsfall •

82

(4) Haltung der Rechtsprechung

82

(5) Anwendung der Premerger-Notification-Rules

84

b) Europäische Gemeinschaften aal EWG-Vertrag

85 85

(1) Europäischer Gerichtshof

86

(2) Europäische Kommission

91

Inhaltsverzeichnis (3) Fusionskontrolle bb) EGKS-Vertrag

9 95

..

98

99

c) Bundesrepublik Deutschland aal Rechtsprechung.

101

bb) Bundeskartellamt

107

(1) Allgemeine Wettbewerbsverstöße

107

(2) Grundsätze für die internationale Fusionskontrolle

lOS

(3) Praxis der internationalen Fusionskontrolle

111

d) Vereinigtes Königreich

115

aal Wettbewerbsgesetze

115

(1) Fair Trading Act 1973 und Competition Act 1980 •

115

(2) Restrictive Trade Practices Aet 1976

119

(3) Resale Prices Act 1976

120

.....

(4) Protection of Trading Interests Act 1980

121

(5) Zusammenfassung

124

bb) Anwendungspraxis e) Frankreich

124 129

aal Gesetzgebung

129

bb) Anwendungspraxis

133

cc) Fusionskontrolle f) Schweden • • • • .

134 137

aal Anwendung der Wettbewerbsgesetze

137

bb) Fusionskontrolle

139

g) Irland

140

h) Polen.

141

i) Portugal

142

j) Kanada •

143

aal Gesetzgebung

143

bb) Anwendungspraxis

145

ce) Fusionskontrolle

148

dd) Abwehrgesetze

149

k) Japan • • • . • •

150

aal Gesetzgebung

150

bb) Anwendungspraxis

151

cc) Fusionskontrolle

152

10

Jnhaltsverzeichnis 1) Australien • • • •

153

m) ZusammenfassWlg

156

2. Ptaxis der Staaten ohne Fusionskontrollvorschriften,intematiOllale Vertragspraxis Wld Staatenpraxis innerhalb der Ve~ten Nationen

158

b) Belgien • •

161

c) Dänemark •

161

d) NOlWegen •

163

164

e) Schweiz

aa) RechtsprechWlg.

165

bb) Behördliche Praxis

167

f) Österreich.

168

g) Spanien. •

170

aa) GesetzgebWlg

170

bb) AnwendWlgspraxis

172

h) Griechenland

174

i) Vertragspraxis

175

j) Vereinte Nationen

175

k) ZusammenfassWlg

1TI

3. Die AbwehrgesetzgebWlgen Wld ihr VerhälJnis zum AuswirkWlgsprinzip

178

• •

180

VI. Rezeption VOll Anknüpfungsverboten durch das Völkergewohnheitsrecht •

182

V. Auswertung der Ptaxis • • •

vn. D.

157

a) Niederlande

• •

1. Exkurs: BeteiligWlg der Europäischen Gemeinschaften an der BildWlg von Völkergewohnheitsrecht

182

2. Elemente der Praxis

• •

183

3. Entstehen von Völkergewohnheitsrecht durch Unterlassen

184

• • •

4. Einheitlichkeit der Praxis

185

5. Allgemeinheit der Praxis

185

6. Dauer der ÜbWlg

186

7. Opinio iuris •

186

8. Ergebnis •

188

Staatliche Praxis der AnOrdnWlg Val EntflechtWlgsmaßnahmen im Ausland

189

VölkerrecbtUcbe Schranken der Ausübung staatllcber Zuständigkeit L Interventionsverbot 1. Vorbehaltener Bereich

194 194 195

JnhaItsverzeichnis

11

2. Eingriffsakt • . • • •

198

3. Anwendung von Zwang.

198

4. Das Interventionsverbot als Beschränkung der Ausübung der Zuständigkeit • • • •

199

a) Die Lehre Meessens •

200

b) Die Lehre Mengs

203

5. Zusammenfassung •

204

in der Literatur

IL Die Abwägung staatlicher Interessen als Maßstab

204

IIL Notwendigkeit der Regelung eines Auslandssachverbaltes •

211

IV. Verbot des Rechtsmißbrauchs

214

V. Comity • • • • • • • • •

214

VI. Par in parem non habet iurisdicitionem

215

VII. Verbot von Akten. die ein Individuum zwn Gesetzesverstoß im Ausland verpflichten •• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • ••

217

E.

SteUungnahme •

221

F.

Zusammenfassung

223

G.

Anhang • • • • •

226

I. Literaturverzeichnis

IL AbkÜIZUngsverzeichnis

226

241

A. Einführung Die Entwicklung der internationalen Wirtschafts- und Handelsbeziehungen hat zu einer vor einigen Jahrzehnten noch nicht gekannten Verflechtung der nationalen Volkswirtschaften geführt. Diese Entwicklung läßt sich aus der Tatsache erklären, daß produzierende Unternehmen, Handelsunternehmen und zunehmend auch solche des Dienstleistungsbereichs, in sehr kostspielige Ausrüstungen, Technologien oder Forschungsvorhaben investieren, um ihre Wettbewerbsflihigkeit zu erhöhen oder sie zu erhalten. Die Investitionen lohnen sich für die Unternehmen häufig nur, wenn sie größere Märkte bedienen als bisher. Sie wachsen auf diese Weise aus regionalen und nationalen Märkten heraus. In der Regel beginnt die Internationalisierung ihrer Tätigkeit im Vertrieb, mit dem Export von Produkten, dem Aufbau von Verkaufs- und Beratungsorganisationen und setzt sich fort mit der Gründung von Vertriebsgesellschaften in erfolgversprechenden Auslandsmärkteni. Im nächsten Schritt werden diesen Gesellschaften häufig Servicezentralen, Montageanlagen oder Entwicklungslabors angegliedert, und je nach der Bedeutung des ausländischen Marktes wachsen die Tochtergesellschaften - oft zu einem Geschäftsvolumen, das größer ist, als das der Muttergesellschaften. Im Laufe dieser Entwicklung haben sich Unternehmensgruppen herausgebildet, die durch eine zentrale Leitung und einen Verbund rechtlich selbständiger Einzel-Unternehmen gekennzeichnet sind. Ihre Zentralen sorgen für eine mehr oder weniger starke Koordination der Aktivitäten der international verstreuten, zur Gruppe gehörigen Firmen. Die Unternehmensgruppen werden häufig als trans- oder multinationale Unternehmen bezeichnet2. In dem Maße, in dem multinationale Unternehmen auf einem für sie neuen nationalen Markt Fuß fassen, wächst auch der Anreiz für sie, dort mit anderen Unternehmen zu kooperieren, und es stellt sich ihnen die Frage nach der Ausweitung ihrer geschäftlichen Tätigkeit durch Kauf fremder Unternehmen und Fusion3 bestehender Gesellschaften. Die Übernahmen von Unternehmen durch multinationale Konzerne haben Konzentrationen wirtschaftlicher Macht und damit auch Gefahren für das Be1 v. Hahn, S. 450; Autenrieth, Fusiooskootrolle, S. 17; Kevekordes, S. 29, Fn. 84; m den Motiven der Fusionsaktivitäten s.a. Donovan, Part I, S. 528; eine tabellarische Übersicht über Zahl und Arten der Untemehmenszusammenschlüsse findet sich bei Kevekordes, S. 20.

2 Eine befriedigende, allgemein anerkannte Definitioo des multinationalen Unternehmens fehlt bislang, vgl. Rohnke, S. lf.; vgl. auch die resolution concemant les entreprises multinationales, Institut de droit intematiooal, session d'Oslo, septembre 1977, abgedruckt in: Revue critique de droit international prive, Bd. 7 (1978), S. 226,227. 3

Zum Begriff der Fusion siehe unten, S. 18.

14

A. Einführung

stehen eines funktionierenden Wettbewerbs hervorgerufen. Länderübergreifende Unternehmenszusammenschlüsse sind meist wegen ihrer Dimension und wegen einer möglichen externen Beeinflussung der wirtschaftlichen Vorgänge eines Landes von hoher wettbewerbspolitischer Bedeutung, die wegen der steigenden Anzahl solcher Fusionen weiter zunimmt Die Zahl der grenzüberschreitenden Erwerbe von Mehrheitsbeteiligungen (einschließlich der Übernahmen und Fusionen), an denen aktiv oder passiv mindestens ein EG-Unternehmen beteiligt war, erhöhte sich beispielsweise nach einer Untersuchung der EG-Kommission von 58 im Berichtszeitraum 1982/83 auf 314 im Berichtszeitraum 1988/8~. Sie hat sich demnach in etwa verfÜDffacht. Diese Entwicklung wirft die Frage nach einer wirksamen Kontrolle des Konzentrationsprozesses auf, die mangels einer internationalen Aufsichtsbehörde mit weltweiten Kompetenzen heute vornehmlich in den Händen der Nationalstaaten liegt. Eine supranationale Kontrolle wird zwar von den Europäischen Gemeinschaften ausgeübt. Ihre Regelungsbefugnisse sind aber auf das Gebiet ihrer Mitgliedsstaaten beschränkt und stellen also nichts wesentlich anderes als eine nationale Fusionskontrolle dar. Die Fusionskontrolle der EG soll deshalb im folgenden nicht von der Kontrolle eines Einzelstaates unterschieden werden. Eine nationale Fusionskontrolle ist so lange unproblematisch, als der Unternehmenszusammenschluß innerhalb der Grenzen desjenigen Staates stattfindet, dessen Marktordnung von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist. Hier ist der Staat ohne weiteres dafür zuständig, das wettbewerbswidrige Verhalten zu untersagen und die Befolgung seiner Rechtsvorschriften durchzusetzen. Sind aber Personen beteiligt, die nicht auf seinem Gebiet tätig sind und ihm auch nicht angehören, oder spielen Handlungen eine Rolle, die außerhalb des an einer Regelung des Unternehmenszusammenschlusses interessierten Staates stattfmden, und wird die Fusion dennoch von den Geboten und Verboten der nationalen Fusionskontrollvorschriften erfaßt, so entsteht die Gefahr internationaler Konflikte. Hier stellt sich die rechtliche Frage nach den Grenzen der Zuständigkeit des Staates. Der Grund dafür, daß in internationalen Zusammenschlußfällen oft mehrere Staaten den Anspruch erheben, die Fusion ihrem Recht zu unterwerfen, besteht darin, daß auch in denjenigen Fällen ein Bedürfnis für die Regelung eines Zusammenschlusses bestehen kann, in denen der Sitz eines der beteiligten Unternehmen im Ausland liegt, unter Umständen sogar, wenn der Zusammenschluß im Ausland vollzogen wird, seine Wirkungen aber auf das Inland ausstrahlen. Die inländische Wirtschaftsordnung kann hierdurch ebenso nachhaltig beeinträchtigt werden wie durch ein Verhalten, das innerhalb der Grenzen des betreffenden Staates zu lokalisieren ist Das Bedürfnis nach der Regelung eines Sachverhalts, der sich ganz oder zum Teil im Ausland abspielt, findet sich nicht allein im Fusionskontrollrecht, sondern auch in einer Reihe anderer Rechtsgebiete, wie etwa dem Steuerrechts. 4 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Sechzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1987, Ziff. 319; Neunzehnter Bericht über die Wettbewerbspolitik, 1989, Ziff. 242. S Siehe Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18.12.1963, SBFH 79, S. 57, 66ff.; Rudolf, S. 24ff.; Verdross/Simma, S. 78lf.; Gwnpel, S. 148f. m.w.N. und Vogel, S. 105f. m. Fn. 77; einen Überblick

A.Einführung

IS

Namentlich auf dem Gebiet des Kartellrechts6 sind Hoheitsakte nicht selten, die dazu dienen sollen, die nationalen Interessen zu schützen, indem sie über die Grenzen des Staates hinausgreifen. Der Erlaß solcher Hoheitsakte hat in der jüngeren Vergangenheit zu einer Reihe von Kontroversen geführt, an denen neben den rechtsanwendenden Staaten die betrofenen multinationalen Unternehmen und auch die Heimatstaaten ihrer Obergeseilschaften beteiligt waren. Es gibt im wesentlichen drei Konfliktbereiche7: Ein Staat wendet seine Gesetze auf Handlungen an, die auf dem Territorium eines anderen Staates stattfmden oder auf Personen, die dort ihren Sitz haben bzw. Angehörige dieses Staates sind; der handelnde Staats verbietet ein Verhalten, insbesondere ein Wettbewerbsverhalten im Ausland, das im betroffenen Staat erlaubt ist oder gar gefördert wird; ein Gericht verpflichtet Personen auf fremdem Territorium zur Aussage oder zur Beschaffung von Beweismitteln. Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Untersuchung ist insoweit die Anwendung des Kartellrechts, denn das Fusionskontrollrecht ist in allen Staaten, die heute über ein solches verfügen, aus dem Kartellrecht hervorgegangen. Zunächst regelte dieses nur das Marktverhalten selbständiger Unternehmen, wie etwa wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder Lieferboykotts. Erst später wurde die Kontrolle von Zusammenschlüssen in den einzelnen Staaten als zusätzliches Element der Kartellgesetzgebung eingeführt Sie wird als Spezialmaterie innerhalb des Kartellrechts verstanden und ist ohne dieses nicht vorstellbar. Deshalb ist es unumgänglich, zunächst einen Blick auf die Haltung der einzelnen Staaten zum Erlaß extraterritorialer Hoheitsakte auf dem Gebiet des Kartellrechts zu richten, um die Fragestellung im Anschluß daran auf das Recht der Unternehmenszusammenschlüsse zu konzentrieren.

über die völkerrechtlichen Regeln auf anderen Gebieten der Anwendung nationalen Rechts auf Auslandssachverbalte geben Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S. 688ff., Lange/Bom, S. 12ff., Hübner, S. 7ff. und Demaret, S. 4. 6 Obwohl im Begriff Karte11recht das Wort Kartell enthalten ist, ist sein Bedeutungsgehalt nicht auf die Regelung horizontaler Vereinbarungen zur Beschränkung von Wettbewerb i.S.d. § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschränkt. Er soll vielmehr gleichbedeutend mit dem Begriff Wettbewerbsrecht verwendet werden und das gesamte Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, nicht aber des unlauteren Wettbewerbs, bezeichnen. Dieses Rechtsgebiet wird in den USA "antitrust law", in Großbritannien "law of restrictive trade practices" und in Frankreich "droit de la concurrence" genannt; vgl auch die Definition von Riedweg, ILA Report of the Fifty-first Confermcc held at Tokyo 1964, S. 305. 7 Vgl. Castel, S. 105. 8 Im Anschluß an Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 17, werden im folgenden Staaten, die Hoheitsakte zur Regelung eines Sachverhalts erlassen, der sich mindestens zum Teil im Ausland zugetragen hat, als handelnde Staaten bezeichneL

A. Einführung

16

Der Erlaß kartellrechtlicher Hoheitsakte mit Auslandsbezug ist Gegenstand einer kaum mehr übersehbaren juristischen Literatur', wobei dieser Vorgang wohl überwiegend aus kollisionsrechtlicher, verfassungsrechtlicher oder rechtsvergleichender Sicht oder aus der Perspektive des nationalen Kartellrechts heraus behandelt wird. Darüber hinaus liegen aber auch eine Reihe sehr gründlicher Untersuchungen zur Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit der auslandsbezogenen Anwendung von Kartellrecht im allgemeinen vor D, die sich um den Nachweis von Regeln zur Vermeidung der entstehenden Konflikte bemühen. Die Feststellung völkerrechtlicher Regeln über die Zulässigkeit der Anwendung von Kartellrecht auf Sachverhalte mit Auslandsbezug soll daher nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein. Verfahrensrechtliche Aspekte der grenzüberschreitenden Rechtsanwendung, wie die Anforderung von Auskünften und Dokumenten aus dem Ausland und deren mittelbare Durchsetzung durch Zwangsmaßnahmen auf dem eigenen Territorium sowie Zustellungen sind ebenfalls bereits Gegenstand einer umfangreichen Literaturll und Rechtsprechung12 und weisen im Bereich der Untemehmensfusion keine Besonderheiten auf. Im Verfahrensrecht sind überdies eigenständige Regeln anwendbar13 , und auch dieses soll deshalb nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Die Arbeit soll vielmehr in der Hauptsache der Frage nachgehen, ob für die Anwendung nationalen Rechts auf länderübergreifende Unternehmensfusionen besondere völkerrechtliche Regeln vorhanden sind und ob insoweit völkergewohnheitsrechtliche Normen im Entstehen begriffen sind. Ausgehend davon, daß die Interessen des von einer Maßnahme betroffenen Staates in unterschiedlichem Maße beeinträchtigt werden, je nachdem, ob diese Maßnahme auf dem Gebiet des Fusionskontrollrechts oder auf dem Gebiet des übrigen Kartellrechts ergeht, könnten sich abgestufte oder jedenfalls diffe9 Vgl. v. Bar, S. 13ff.; Shimpock, S. 405ff. und die Nachweise bei Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S. 676, Fn. 2; ders., Regeln über die Jurisdiktion, S. 162, Fn. 18; Lowe, Extraterritorial Jurisdiction, S. 269f.; Wildhaber, Multinationale Unternehmen, S. 47ff., s. insbesondere S. 50, Fn.135; Veelken, S. 155ff.; Rosenthal/Knighton, S.94ff.; Kaffanke, Jüngste Entwicklungen, S.277.

10

Die Arbeiten von Meessen, Meng und Nerep sind besonders hervorzuheben.

11

Mann, Staatliche AufklärungsanspTÜche, S. 529; Oxman, The Choice, S. 733ff.; Swan,

S.226ff.; Focsaneanu, S. 628ff.; Seidl-Hohenveldem, Völkerrechtliche Grenzen, S.59; Akehurst, S. 177f.; Blenk, S. 233ff.; CameluttilDelon, S.26ff.; Davidow, Extraterritorial Antitrust, S.509ff. m.w.N.; Riedweg, ll..A Report of the Fifty-first Conference held at Tokyo 1964, S. 403ff.; Restaternent Third, Foreign Relations Law of the United States, § 442; Blechman/Bernstein, S. l03ff.; s.d. die Nachweise bei Meng, Regeln über die Jurisdiktion, S. 161, Fn. 17. 12 In re Investigation of World Arrangements, 13 F.R.D. 280 (D.D.C.); Rio Tinto Zinc Corp. LId. v. Westinghouse Electric Corp. (1978) 2 WLR 81; LG Kiel, Urteil vom 30. Juni 1982; abgedruckt in: RIW 1983, S.206, in englischer Sprache in LLM., Bd. 22 (1982), S. 740; In re Mare Rich & Co. AG, 739 F.2d 834 (2d Cir.1984); In re Societe Nationale Aerospatiale 782 F.2d 120, 123 (8th Cir.1986); s.a. Suprerne Court Proceedings in Societe Nationale Industrielle Aerospatia1e et al. v. United States, District Court for the Southern District of lowa, LL.M. 1986, S. 1475ff. m.w.N.; weitere Nachweise auch bei Nerep, S. 613ff.

13

Jaenicke, ll..A Report of the Fifty-second Conference held at Helsinki 1966, S. 35.

A.Einführung

17

renzierende Regeln für die Zulässigkeit solcher Hoheitsakte ergeben. Die einzelnen Staaten messen der Regelung von Fusionen durch das Recht eines anderen Staates wegen der regelmäßig erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung grenzüberschreitender Zusammenschlüsse einen erhöhten Stellenwert ZUI4 • Ein Beispiel: Staat A kann an einer Sanierungsfusion auf seinem Gebiet ein großes Interesse haben. Deren Verbot durch Staat B würde zu einer empfindlichen Störung der von A verfolgten Strukturpolitik führen. Hier wird deutlich, daß vornehmlich die volkswirtschaftlichen Dimensionen die Besonderheit der Fusionssachverhalte ausmachen. Daneben fällt aber auch die relative Häufigkeit Iänderübergreifender Zusammenschlüsse und damit potentieller Konfliktsituationen ins Gewicht. Das Fusionskontrollrecht bildet daher innerhalb des Kartellrechts eine Materie von besonderer Brisanz15 • Ist aber ein grundsätzlich unterschiedlicher Grad der Interessenbeeinträchtigung bei allgemeinen Kartellrechtsverstößen und bei Fusionen feststellbar, so liegt es auch nahe, daß die staatliche Praxis dem Rechnung trägt. Somit wäre auch anzunehmen, daß die Staaten sich mit der Untersagung einer Iänderübergreifenden Fusion eher zurückhalten als bei der Anwendung einfachen Kartellrechts, weil in der Regel bestimmte vitale Interessen anderer Staaten berührt sind16• Greift der handelnde Staat in diese Interessen durch die Regelung eines Zusammenschlusses im betroffenen Staat ein, so muß er gewärtigen, daß bei entsprechender Gelegenheit auch ein Zusammenschluß auf seinem Gebiet zum Gegenstand fusionskontrollrechtlicher Maßnahmen eines anderen Staates gemacht wird. Gegenseitigkeitserwartungen spielen also ebenfalls eine besondere Rolle. Aus diesen Gründen wird man vom Bestehen besonderer Zuständigkeitsregeln für die Anwendung von Fusionskontrollvorschriften ausgehen können.

14 Vgl. Rehbinder, in: Immenga/Mesttnäcker, § 98 Abs. 2, Rn. 166; zur Natur der slaallichen Interessenkonflikle auf dem Gebiet der ZusammenschlußkOIltrolle vgI. Mesttnäcker, Recht und ökOllomisches Gesetz, S. 49Off.

15 Beck, Die extralerritoriale Anwendung, S. 15; Koenigs in: Gemeinschaftskommentar zum GWB, Einleitung Zusammenschlußkontrolle, Rn. 103. 16 Vgl. bienu die Entscheidung des Kammergerichts, WOIlach "jedenfalls auf dem Gebiet des Fusionskontro11rechts gewichtige staatliche Inleressen an der Aufrechlerbaltung einer funktionsfähigen, auf dem Grundsatz der Wettbewerbsfreiheit beruhenden Wirtschaftsordnung beslehen und die Eingriffsnormen der §§ 24, 24a GWB nach ihren tatbestandlichen Voraussetmngen nur Vorgänge von erheblichem wirtschaftlichem Rang erfassen", WuW/E OLG 3060. 2 Kramp

B. Erscheinungsformen und Struktur länderübergreifender Fusionen Den Regelungsgegenstand der unterschiedlichen nationalen Vorschriften, deren Anwendung untersucht werden soll, bildet der Zusammenschluß von Unternehmen. Der Begriff Fusion wird im Rahmen dieser Arbeit gleichbedeutend mit dem Begriff Unternehmenszusammenschluß1 verwendet und soll den Erwerb eines wesentlichen Teils des Vermögens oder der Anteile eines anderen Unternehmens (take-over) sowie die Zusammenfassung mehrerer Unternehmen zu einer einzigen, rechtlich selbständigen Einheit (merger) bezeichnen. Die hier verwendete Definition des Begriffs des Zusammenschlusses umfaßt auch jede Art des Erwerbs eines beherrschenden Einflusses beziehungsweise einer Kontrollmöglichkeit in bezug auf ein anderes Unternehmen1• Zwar ist der Tatbestand des Zusammenschlusses in den nationalen Gesetzen nicht völlig einheitlich - Abweichungen bestehen insofern, als einige Gesetze ihn detaillierter und umfassender regeln, als andere -, unübersehbar verfügen die nationalen Gesetze jedoch über einen gemeinsamen Kernbestand, und die Abweichungen sind nicht so wesentlich, daß dies zur Unvergleichbarkeit der verschiedenen nationalen Fusionskontrollgesetze führen würde. Hierauf wird noch im einzelnen einzugehen sein. Ob ein Zusammenschluß länderübergreifend ist, richtet sich nach dem Ort des Zusammenschlusses und seiner Umsetzung einerseits und der Nationalität seiner Beteiligten andererseits. Eine rein nationale Fusion liegt grundsätzlich dann vor, wenn die Beteiligten dieselbe Staatsangehörigkeit haben und sich auf dem Gebiet ihres Heimatstaats zusammenschließen. In diesem Fall unterliegt der Zusammenschluß allein dessen nationalem Recht, wenn kein weiterer Bezug zu anderen Staaten vorhanden ist Alle anderen denkbaren Konstellationen, die sowohl inländische als auch ausländische Elemente aufweisen, in denen 1 Zwn Begriff des Zusammenschlusses siehe Möschel, S. 446ff.; Hitzler, S.149ff.; Internationale Zusammenschlüsse und Wettbewerbspolitik: - Bericht des OECD-Wettbewerbsausschusses, 1989, S. 1. 2 Die Bildung von Gerneinschaftsunternehmen soll hier vom Begriff des Zusammenschlusses ausgenommen werden, auch wenn in der Bildung von konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen vielfach ein Zusammenschluß gesehen wird. Die Frage, ob für die Rechtsanwendung auf ein solches Unternehmen, das Bezüge zu mehreren Staaten aufweist, die gleichen Regeln gelten sollen wie für Zusammenschlüsse, ist nämlich ausgesprochen schwer zu beantworten, weil Fusionskontrollvorschriften bisher selten auf Gemeinschaftsunternehmen angewandt worden sind und weil deshalb nicht zu erlcennen ist, ob sie in der staatlichen Praxis gleich behandeh werden wie die übrigen Zusammenschlußformen. Zur Beurteilung ländeTÜbergreifender Gemeinschaftsunternehmen siehe Roth, S. 534ff.; Yamaha Motor Co., Ltd. v. Fre, 657 F.2d 971 (1981), zum Fall Nea1e/Stephens, S. 108; Kommission der Europäischen Gemeinschaften ABI. 1972, L 14/14-18'''Henke\JColgate''.

B. Erscheimmgsfonnen und Struktur länderiibergreifender Fusionen

19

also Verbindungen zum Gebiet eines anderen Staates bestehen, können als länderübergreifend bezeichnet werden. Auch wenn ein an einer Fusion beteiligter Angehöriger eines Staates im Gebiet eines anderen Staates geschäftlich tätig ist, kann man von einem länderübergreifenden Zusammenschluß sprechen, weil regelmäßig auch dort eine veränderte Marktstruktur eintritt Die Geschäftstätigkeit kann durch Angehörige eines der fusionierenden Unternehmens oder etwa durch beauftragte Zwischenhändler ausgeübt werden. Verfügen also zum Beispiel die Unternehmen A und B des Landes X jeweils über Verkaufsniederlassungen im Land Y und schließen sich die Unternehmen in X zusammen, so weist der Zusammenschluß auch Verbindungen zum Land Y auf und ist damit länderübergreifend. Eine im Ausland vollzogene Fusion betrifft ferner das Inland und ist damit länderübergreifend, wenn sie sich dort auswirkt. Auch hierdurch wird eine Verbindung zwischen den Territorien hergestellt Zusammenfassend läßt sich sagen, daß eine länderübergreifende Fusion vorliegt, wenn der Zusammenschlußort und die Nationalität der Beteiligten auseinanderfallen oder wenn ein Zusammenschluß auf dem Territorium eines Staates zwischen Unternehmen, die seine Staatsangehörigkeit haben, Verbindungen akbJeller oder potentieller Art zum Territorium anderer Staaten aufweist, die dort zu veränderten Wettbewerbsbedingungen führen können. Eine derart weite Fassung des Begriffs der länderübergreifenden Fusion erscheint deshalb für die Zwecke dieser Arbeit sinnvoll, weil er jeden Vorgang erfaßt, der eine Beeinträchtigung staatlicher Interessen mit sich bringen und damit zur Entstehung eines Bedürfnisses zur extraterritorialen Regelung führen kann.

2"

c.

Die räumlichen Grenzen der staatlichen Zuständigkeit J. Völkerrechtliche Regeln über die Zuständigkeit der Staaten

Manche Staaten sehen es als unbefriedigend an, wenn eine kartellrechtliche Regelung nur mit Wirkung für das eigene Gebiet erlassen werden kann, wenn die Wettbewerbsvorschriften also nur im Geltungsbereich1 ihres nationalen Rechts wirksam sind. Länderübergreifende Fusionen haben Berührungspunkte mit mehreren Staaten und beeinflussen daher potentiell die Wettbewerbsverhältnisse der Staaten, mit denen solche Berührungspunkte bestehen. Eine Selbstbeschränkung dieser Staaten brächte also den Nachteil der teilweisen Ineffektivität ihrer Gesetzgebung jedenfalls dann mit sich, wenn auf ihrem Gebiet Wettbewerbsbeschränkungen einträten. Die Ausdehnung der staatlichen Gewalt über das Staatsgebiet hinaus kann aber, wie bereits erwähnt, zu erheblichen Konflikten mit dem Regelungsanspruch anderer Staaten führen, wenn diese ihre Hoheitssphäre für verletzt halten. Bei der Frage, inwieweit ein Staat in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht eine grenzüberschreitende Unternehmenskonzentration seiner Gesetzgebung, seiner rechtsprechenden Gewalt und seiner Exekutivgewalt unterwerfen darf, geht es darum, ob dem Völkerrecht Regeln zu entnehmen sind, welche die Hoheitsgewalt eines Staates räumlich eingrenzen. Das Völkerrecht, das die Beziehungen der Staaten und gleichgestellter Völkerrechtssubjekte2 untereinander regelt, ist insoweit eindeutig, als es das Recht eines jeden Staates anerkennt, die Verhältnisse auf dem eigenen Territorium umfassend zu regeln. Die räumlichen Grenzen der Hoheitsgewalt eines Staates sind andererseits aber nicht mit denen seines Gebiets identisch, sondern lassen unter bestimmten Voraussetzungen Regelungen ausländischer Sachverhalte zu. Wo die Grenze der rechtmäßigen Ausübung von Hoheitsgewalt im einzelnen verläuft, ergibt sich in erster Linie aus den Regeln über die Begründung der Zuständigkeit der Staaten3 • Besondere Regeln gelten darüber hinaus für die Ausübung dieser Zuständigkeit4, denn die Frage nach der Zuständigkeit betrifft 1 Siehe zum Begriff Meessen, Völkerrechtliche Gnmdsätze, S. 15 m.w.N., 18 und v. Stoephasius, S. 6 m. Fn. 14. 2 Zur Völkerrechtssubjektivilät der EG siehe unten, S. 248ff. Aus Gründen der sprachlichen. Vereinfachung wird im folgenden nicht zwischen Staaten und anderen Völkerrechts subjekten differenziert. 3 Dazu v. Stoephasius, S. 67f.; zum Begriff Meessen, Völkerrechtliche Gnmdsätze, S. frl, 89, 92. 4 Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S.729; Meessen, Völkerrechtliche Gnmdsätze, S. 88; Schrödermeier, S. 26; Kaffanke, Nationales Wirtschaftsrecht, S. 144; s.a. Keny, S. 141, der auf eine getrennte Behandlung beider Bereiche durch den Generalanwalt der EG Mayras hinweist; vgl. auch

I. Völkerrechtliche Zusländigkeitsrege1n

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zunächst nur die Zulässigkeit der rechtlichen Erfassung eines Sachverhalts. Die Grenzen, denen die Ausübung der bestehenden Zuständigkeit im konkreten Fall unterliegt, ergeben sich demgegenüber aus der Rückwirkung der Regelung des betreffenden Sachverhalts auf die Rechte und Interessen anderer Staaten. Allgemein geltende völkerrechtliche Zuständigkeitsregeln, die auf die extraterritoriale Regelung länderübergreifender Unternehmenszusammenschlüsse anwendbar sind,lassen sich mangels bi- und multilateraler Verträge auf diesem Gebiet nur dem internationalen Gewohnheitsrecht oder anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchst. b) und c) des IGHStatuts entnehmen. Meessen hat bereits vor einiger Zeit den Versuch unternommen, Rechtsgrundsätze des Kartellrechts aus den einzelnen nationalen Rechtsvorschriften zu entwickeln'. An diese anzuknüpfen, um etwa Grundsätze der extraterritorialen Anwendung des Fusionskontrollrechts aus den nationalen Vorschriften abzuleiten, erscheint jedoch wenig erfolgversprechend, weil die allgemeinen Rechtsgrundsätze zum einen nur eine subsidiäre Rechtsquelle sind und weil, zweitens, eine Übereinstimmung der nationalen Rechtsnormen noch nicht die Annahme rechtfertigt, daß diese Normen auf übereinstimmenden Grundsätzen beruhen6 • Es wäre also wohl kaum damit zu rechnen, daß sich auf diese Weise griffige Anknüpfungsregeln fmden ließen. Aufgabe dieser Arbeit soll es deshalb sein, die staatliche Praxis daraufhin zu untersuchen, ob sie einheitlich bestimmte Zuständigkeitsregeln bei der Erfassung länderübergreifender Unternehmensfusionen beachtet und, wenn diese Frage bejaht werden kann, ob sich insoweit Normen des Völkergewohnheitsrechts feststellen lassen.

Jacquet, s. 394f.; Bourquin, S. 101; Gelber, S. 780 und die Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fit2Dlaurice, Case Conceming the Barcelona Traction light and Power Company, Limited, 5 February 1970, S. lOS, wo von "undue encroachment on ajurisdiction more properly appertaining to, or more properly exercisable by, anolher State" die Rede ist; vgl. a. den Titel des Berichts eines Kommitees der !LA: "Specific Application to Anti-trust Mauers of General Principles of international Law Goveming the Assumption and Exercise of Iurisdiction", !LA Report of the Fifty-fourth Conference held at Tbe Hague 1970, S. 221ff.; eine neuere Tendenz in der US-amerikanischen literatur verzichtet dagegen auf eine Trennung, nach Zuständigkeit und den Grenzen ihrer Ausübung: Restatement Third, Foreign Relations Law of the United States § 403, Reporters' Note 10; das Memorandum der EG zum Erdöl-Röhrenembargo der USA vom 12. August 1980 spricht von einer "rather artificial distinction between the right to assert a jurisdiction to prescribe and restraint in exercising it"; ähnlich Nerep, S. 562, dort heißt es: "The only meaningful question from the standpoint of intematiOllallaw is whether astate may exercise (intraterritorial) jurisdiction or not, in a particular way, or more correctly, whether or not jurisdictiOll is properly exercised"; Kunig, S. 703 ist der Meinung, eine Trennung zwischen dem Ob und Wie sei prinzipiell nicht durchführbar; s.a. KG "Philip Morris r' WuW/E OLG, S.3051, 3057 und EuGH Urteil vom 27.9.1988, NJW 1988, S. 3088, Rn. 22; vermittelnd Koenigs in: Gemeinschaftskommentar, 10. lieferung, § 98, Rn. 49ff. S Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 10Iff.; s.a. Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S.74Off., dem es um die Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Wirtschaftsverwaltungsrechts geht, der jedoch feststellt, daß die Qualifizierung eines Anknüpfungspunktes, der die Ausübung der staatlichen Zuständigkeit rechtfertigt, begrifflich zu wenig konkret ist.

6 Vgl. Tbode in: Menzel/Ipsen, S. 86.

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C. Die räumlichen Grenzen der staailichen Zuständigkeit

11. Inhaltliche Bestimmung staadicher Regelungsbefugnisse

1. Begriff des extraterritorialen Hoheitsakls Die völkerrechtlichen Zuständigkeitsnonnen, die im Rahmen dieser Untersuchung von Interesse sind, betreffen nur die Zulässigkeit solcher staatlicher Akte, die auch Vorgänge außerhalb der Grenzen des handelnden Staates erfassen. In der Literatur wird diese Art der Regelung als Erlaß extraterritorialer Hoheitsakte bezeichnet. Bei einem derartigen Akt handelt es sich um die Tätigkeit eines staatlichen Organs, die es in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben ausübt und die dem Staat deshalb zugerechnet1 werden kann. Über einen extraterritorialen2 Anwendungsbereich3 verfügen nur Regelungen, die sich an ausländische Adressaten richten oder die auf die Regelung eines Verhaltens außerhalb der Grenzen des handelnden Staates zielen, was direkt oder indirekt geschehen kann. Reine Rechtsreflexe4 werden vom Begriff der extraterritorialen Anwendung aber nicht erfaßt. Zu unterscheiden vom extraterritorialen Hoheitsakt ist der Hoheitsakt auf fremdem Gebiet, der mangels einer völkerrechtlichen Gestattung unzulässig ist. Den Staaten ist auf fremdem Gebiet wegen des Grundsatzes der souveränen Staatengleicheit die zwangsweise Durchsetzung ihres Rechts grundsätzlich verwehrts. Dieses Verbot gilt immer dann, wenn sie durch Organe, Agenten oder andere Beauftragte auf fremdem Territorium hoheitlich tätig werden und 1

VgLIpsen, S. 500ff.

2 Die Bezeichnung extraterrilorial wird hier verwendet, weil sie allgemein gebräuchlich iSL In

aller Regel wird jedoch weder der Hoheitsakt selbst außerbalb des jeweiligen Staatsgebiets erlassen, noch liegen diejenigen Momente, welche den Erlaß solcher Akte auslösen, außerbalb des Territoriwns des handelnden Staates. Es ist vielmehr der angestrebte Erfolg des Hoheitsakts, welcher außerhalb des eigenen Gebiets liegL Dabei ist es nicht ausgeschlossen, daß sich ein Teil der Handlung, die der extraterritoriale Hoheitsakt sanktioniert, innerhalb des Territoriwns des regelnden Staates zugetragen hat, vgl. Nerep, Bd. 2, S. XXI und S. 461; Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S. 728; Beitzke in: Strupp/Schlochauer, I, S. 504f.; Rehbinder, S. Z1ff. 3 Zwn Begriff des Anwendungsbereichs s. Meessen, Völkerrechtliche Grundsätze, S. 15; v. Stoephasius S.5 m. Fn. 12; Rehbinder in: hnmenga/Mestmäcker § 98 Rn. 19; Higgins, S. 4 m.N.; Castel, S. 24, Fn. 1.

n.

4 Vgl. Dahm, S. 268. S Diese Regel hat der IGH im Lotus-Fall formuliert: "La limitation primordiale qu'impose le droit international l'Etat est d'exclure - sauf l'existence d'une regle contraire - tout exercice de puissance sur le territoire d'un autre EtaL Dans ce sens la juridiction est certainement territoriale; elle ne pourrait etre exercee hors du territoire, sinon en vertu d'une regle dCcoulant du droit international coutumier ou d'une convention." C.P.I.J. Serie A, No. 10, S. 18; Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Cooperation Among States in Accordance With the Chaner of the United Nations, G.A. Resolution 2625, U.N. Doc. N8028 (1970), abgedruckt in: I.LM. Bd.9 (1970), S.1292; Oppenheim/Lauterpacht, S.330; Dahm, Bd.1, S.254; Wengier, Bd. 2, S. 962ff.; Brownlie, 4., S. 307; Reuter, S. 165; Oxman, S. 281; Restatement Third, Foreign Relations Law of the United States, § 432 Abs. 2; ausgenommen sind Fälle, in denen der betroffene Staat zustimmt oder in denen eine anderweitige völkerrechtliche Gestattung besteht, wie etwa im Falle einer kriegerischen Besetzung, vgl. Akehurst, Jurisdiction, S. 15Of.; für eine Gleichstellung innerstaatlicher Akte, welche die Rechte und Pflichten von Personen außerhalb des eigenen Gebiets betreffen mit Akten auf fremdem Territorium wohl Nerep, S. 459.

a

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II. Inhaltliche Bestimmung slaallicher Regelungsbefungnisse

dort physisch präsent sind6• Bei der Frage nach der Zulässigkeit der hier in

Rede stehenden extraterritorialen Hoheitsakte geht es also lediglich darum, den Anwendungsbereich des staatlichen Rechts über den Rahmen der territorialen Grenzen hinaus auszudehnen.

2. Beeinflussung wirtschaftlicher Vorgänge im Ausillnd durch extraterritorlale Hoheitsakte Sofern ein Staat keine direkte Zugriffsmöglichkeit auf eine Person und deren Rechte im Ausland hat, kann er häufig durch inländische Hoheitsakte eine mittelbare Zwangswirkung auf Adressaten im Ausland ausüben. Zwar ist ihm eine direkte Durchsetzung seines Rechts verwehrt, solange die Person sich nicht auf seinem Gebiet aufhält Verfügt die Person jedoch über Inlandsvermögen, kann er in dieses vollstrecken und ihr so möglicherweise empfmdliche Nachteile zufügen'. Sie kann sich somit zu einem bestimmten Verhalten im Ausland veranlaßt sehen, und damit wiederum würde das wirtschaftliche Geschehen im ausländischen Staat beeinflußt Das Aufgeben eines ausländischen Zusammenschlusses aufgrund einer strafbewehrten Anordnung, die im Inland ergeht, wäre ein Beispiel, das sicherlich nicht ohne Bezug zur Realität ist8• Bereits die naheliegende Möglichkeit der extraterritorialen Anwendung des Wettbewerbsrechts eines Staates schafft für die international operierenden multinationalen Unternehmen häufig unkalkulierbare Prozeßrisiken in diesem Staat Um diese zu vermeiden, halten sich daher manche Unternehmen de /acto an das Recht eines ausländischen Staates9• Insofern sind extraterritoriale Hoheitsakte unter Umständen sehr effektive Instrumente der Verhinderung von Störungen des Wettbewerbs durch ausländische Unternehmen, selbst dann, wenn noch gar nicht abzusehen ist, ob der handelnde Staat zur Durchsetzung seiner Regelungen Zwang anwenden wird.

3. Klassifizierung des extraterritorialen Hoheitsakts Die Erscheinungsformen von extraterritorialen kartellrechtlichen Hoheitsakten sind durchaus unterschiedlich, was ihre rechtliche Qualität, ihre Zielrichtung und ihre Wirkung auf den Adressaten angeht Eine nähere Qualifizierung dieser Akte hätte Sinn, wenn je nach Art des Hoheitsaktes Unterscheidungen in der staatlichen Reaktion auf den Erlaß bestimmter Arten von Hoheits6

Nerep, S. 456.

, Vgl Hunter, ILA Report ofthe Fifty-founh Conference held at The Hague 1970, S. 222f. 8 Ioseph H. Kaiser (S. 16) weist allerdings darauf hin, daß sich Staaten in solchen Situationen häufig mit den Interessen der betroffenen Unternehmen identifizieren; bei Wettbewerbsventäßen werde die volkswirtschaftliche Ebene häufig gar nicht wesentlich tangien sein - und damit auch nicht die Interessen des betroffenen Staates.

9 Lowe, Problems of Extraterritorial Iurisdiction, S. 729; 5.a. Werner, S. 7lf.; Nerep, S.

56S.

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C. Die räumlichen Grenzen der staatlichen Zuständigkeit

akten getroffen werden können und diese Unterscheidungen es zulassen, auf das Vorhandensein abgestufter Regeln über die Zulässigkeit extraterritorialer Hoheitsakte zu schließen10•

a) Regelung und zwangsweise Durchsetzung als Unterscheidungskriterien Im angelsächsischen Rechtskreis wird die staatliche Zuständigkeit unter den Begriff der jurisdiction gefaßt11 , und es wird hier teilweise zwischen prescriptive jurisdiction, adjudicative jurisdiction und enforcement jlUisdiction unterschieden12• Je nachdem, zu welcher Art von jlUisdiction die fragliche kartellrechtliche Maßnahme gehört, ist nach der Auffassung Hunters eine separate Untersuchung der einschlägigen völkerrechtlichen Regeln erforderlich13 • Mann hält es dagegen für überflüssig, von der prescriptive jurisdiction und von der enforcement jurisdiction eine adjudicative jurisdiction zu unterscheiden, da letztere nur ein Aspekt oder eine Ausprägung der gesetzgebenden Gewalt eines Staates sej14. Higgins 15 sieht die Zuständigkeit zum Erlaß extraterritorialer staatlicher Hoheitsakte auch unter zwei Gesichtspunkten, nämlich der legislative jurisdiction und der jurisdiction to apply law. Andere Autoren, namentlich Demaret, Meessen und Nerep sind dagegen der Meinung, daß sich eine Unterscheidung nach einem der genannten Kriterien in der Praxis nicht durchführen lasse, beziehungsweise daß sie aus der Sicht des

10

Vgl. Oxman, Jurisdiction, s. 1:17.

Oxman, Jurisdiction, s. 277f.; Barack, s. 13f.; Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit S. 7Z7; DJ. Harris, 3., S. 210; v. Stoephasius, S. 67f.; Boweu, Changing Patterns of Authority, S. 1. 11

12 Barack, S. 13f., insbesondere auch Fn. 23 m.w.N.; Restatement Third, Foreign Relations Law of the United States, § 401; dazu Sennett/Gavil, S. 1202; Berthold Goldman, S. 646, auch S. 709, 714; Haymann, Extraterritoriale Wilkungen, S. 285; wohl auch Mann, Doctrine of Jurisdiction, S. 157; in der bundesdeutschen Literatur untencheidet Meng, Völkerrechtliche Zulässigkeit, S. 726ff. nach Regelungshoheit, Gerichtsbarkeit und Durchsetzungshoheit; denelbe, Extraterrilorial Effects, S. 155ff. 13

Hunter, nA Report ofthe Fifty-fourth Conference held at The Hague 1970, S. 223.

Jurisdiction Revisited, S. 33, Fn. 47; im Ergebnis ebenso: Meng, Extraterritorial Effects, S.155; Bowett, Changing Pattems of Authorily, S. 1; Castel, S.24, Fn. 1; Schwanz, S.15Oft.; Seidl-Hohenveldem, Völkerrechtliche Grenzen, S. 53 m. Fn. 2; Ergec, S. 20; Kevekordes, S. 107; Federal Trade Commission v. Compagnie de Saint Gobain-a-Mousson, 636 F.2d 1300, 205 U.S. App. D.C. (D.C.Cir. 1980); teilweise werden auch die Termini primary und secondary jurisdiction verwendet, wobei prescription und application zur primary jurisdiction gezählt werden und enforcement zur secondary jurisdiction; Zwarensteyn (S. 6f.) untenchcidet zwischen jurUdicti