Die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Entwicklung der Regionen in der Europäischen Gemeinschaft [1 ed.] 9783428472536, 9783428072538

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Die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Entwicklung der Regionen in der Europäischen Gemeinschaft [1 ed.]
 9783428472536, 9783428072538

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DEUTSCHES INSTITUT FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG

SONDERHEFT 146 . 1991

Fritz Franzmeyer (Hrsg.)

Die Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Entwicklung der Regionen in der Europäischen Gemeinschaft Beiträge und Diskussionsberichte zu einer Tagung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Arbeitskreises Europäische Integration e.V. in Berlin vom 6. bis 8. Dezember 1990

Ein Übersichtsartikel zu der Tagung erschien unter dem Titel "Die Regionen im Europäischen Binnenmarkt" im DIW-Wochenbericht 9/1991 vom 2& Februar 1991.

Herausgeber: o.ulSChes Institut fOr Wirlscha/lslorschung, Königln-luiM-$lr. S. D-1000 Berlln 33 TeleIon (0 30) 82 99 10 - Telefax (0 30) 82 99 12 00 8T)(·Syatemnummer • 2 99 11 , Verlag Ouncker & Humblol GmbH, Oietrich·SchAler·Wag 9. 0·1000 hrtin 41. Alle Rechte wrbehallen Druck: 1991 bei ZIPPEL·Druck, Oranienburger Sir. 170. D-1000 hrlin 26 Prlnled In Germany ISBN 3· 428·07253· 7

Inhalt

Seite

Vorwort des Herausgebers

5

Editors foreword

9

Horst Zimmermann Zentrifugale und zentripetale Kräfte im Binnenmarktprozeß - das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie -

13

Diskussion zum Referat von Horst Zimmermann (Berichterstatter: Joachim Volz)

52

Pierre Buigues Tbe impact of the Internal Market by industrial sector: the challenge for the Member States

56

Diskussion zum Referat von Pierre Buigues (Berichterstatter: Joachim Volz)

73

Die Wirkungen des Binnenmarktes auf Regionen mit spezifischer Charakteristik Gernot Nerb Zentrale Lage und moderne Wirtschaftsstruktur: Das Beispiel Baden-Württemberg

76

Roland Döhrn und Rüdiger Hamm Altindustrielle Regionen mit zentraler Lage: Das Beispiel Ruhrgebiet

85

Bernhard Seidel Sonderfall Berlin: Spannungsfeld zwischen deutschdeutscher Währungsintegration, RGW-Reformen und Europäischem Binnenmarkt

119

Manfred Beschel Periphere Lage und rückständige Struktur: Das Beispiel Portugal

141 3

Seite Diskussion zu den Referaten von Gernot Nerb, Roland Döhrn/ Rüdiger Hamm, Bernhard Seidel und Manfred Beschel (Berichterstatter: Martin Gornig)

155

Dieter Biehl Regionalpolitik und Finanzausgleich in der föderativen Zwölfer-Gemeinschaft

159

Diskussion zum Referat von Dieter Biehl (Berichterstatter: Christian Weise)

193

Karl-Peter Frauenkron Die Beteiligung der Regionen an der politischen Willensbildung im Binnenmarkt - neun Thesen aus der Sicht eines Bundeslandes

195

Diskussion zum Referat von Karl-Peter Frauenkron (Berichterstatter: Christian Weise)

204

Joan Colom i Naval Political strategies as a consequence of the Internal Market's regional effects - a view from the European Parliament -

207

Diskussion zum Referat von Joan Colom i Naval (Berichterstatter: Christian Weise)

226

Zusammenfassung der Referate

228

Summary of the papers

240

Die Referenten/Verfasser

252

4

Vorwort des Herausgebers Als die Idee zu dieser Tagung im Jahre 1989 entstand, sah Europa noch

anders aus. Deutschland bestand aus zwei souveränen Staaten. Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe war noch nicht zerfallen. In der EG war zwar schon lange das Binnenmarktprogramm angelaufen, doch hatte kaum jemand geahnt, wie schnell auch die Währungsunion Konturen annehmen würde. Daß es so kam, hat mehrere Gründe. Einer ist, daß die Bundesregierung Skeptiker in den europäischen Partnerländem, aber auch jenseits von Atlantik und Oder/Neiße davon überzeugen wollte, wie sehr auch aus Sicht der Deutschen selber ein vereinigtes, wirtschaftlich mächtigeres Deutschland nur vorstellbar ist, wenn es fester Bestandteil in einem vereinigten Europa ist. Zu diesem vereinigten Europa werden seit Dezember 1990 im Rahmen zweier Regierungskonferenzen abermals wichtige Weichen gestellt. Es geht um Veränderungen im Machtgefüge zwischen den einzelnen EGOrganen und zwischen den gebietskörperschaftlichen Ebenen. Dabei besteht in doppelter Weise die Gefahr des Verlustes an demokratischer Legitimität künftiger EG-Entscheidungen. Einmal in der Weise, daß das Europäische Parlament, das als einziges EG-Organ ein direktes Mandat vom Volke hat, nicht hinreichend beteiligt wird. Zum anderen in der Weise, daß die besonders bürgernahen Ebenen, also Regionen und Kommunen, mit ihren auf Europa bezogenen Sorgen und Vorschlägen nicht zum Zuge kommen, weil im Rat nur Vertreter der Zentralregierungen sitzen und weil Gemeinschaftsrichtlinien wie Urteile des Europäischen Gerichtshofes diese Regierungen in die Pflicht nehmen können, unabhängig davon, wie auf nationaler Ebene die Beteiligung nachgeord5

neter Gebietskörperschaften am Gesetzgebungsprozeß geregelt ist, wobei diese nachgeordneten Ebenen kein volles Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof haben. So sehr man sich in der Gemeinschaft darüber einig ist, daß der Europäische Binnenmarkt Wachstum und Wohlfahrt in der EG insgesamt positiv beeinflußt, so sehr machen sich viele Regionen in der Gemeinschaft auch Sorgen über die sie betreffenden Wirkungen des Binnenmarktes. Und zwar politisch wie wirtschaftlich. Politisch fürchten sie um ihren Einfluß. Wirtschaftlich fürchten sie, daß sich Wachstum und Wohlfahrt an ihnen vorbei entwickeln. Während sich die politischen Sorgen eher auf die Regionen konzentrieren, die eine relativ starke Stellung im nationalen Machtgefüge haben und deshalb bei einer Zentralisierung von Entscheidungskompetenz auf europäischer Ebene viel zu verlieren haben, nimmt nicht wunder, daß es insbesondere die rückständigeren, die schwächer strukturierten und die abgelegenen Regionen und Kommunen sind, auf die sich die wirtschaftlichen Sorgen konzentrieren. Das politische Vertretungsdefizit auf regionaler Ebene wird auf zweierlei Weise auszugleichen versucht. Einmal, indem sich das Europäische Parlament verstärkt zum Anwalt für regionale Anliegen berufen fühlt. Zum anderen, indem die einzelnen Regionen selber, vor allem diejenigen, denen erheblicher Statusverlust droht, in den Entscheidungszentren der Gemeinschaft präsent sind. Dort versuchen sie vor allem, die Initiativen der Kommission noch im Entstehungsstadium zu beeinflussen. Dabei wird nicht zuletzt über Geld entschieden. Denn den wirtschaftlichen Folgen des Binnenmarktes auf die Regionen versucht die Gemeinschaft 6

ja mit ihrer "Kohäsionspolitik" zu begegnen. Obwohl die Kommission und der in der Frühphase des Binnenmarktprozesses unter der Ägide der Kommission entstandene Cecchini-Bericht sich nicht dezidiert über die Regionalwirkungen des Binnenmarktes äußern, so impliziert doch schon der Beschluß, die sogenannten Strukturfonds bis 1992/93 real zu verdoppeln, die Befürchtung, daß dies zur Kompensation von negativen Effekten auf schwache Regionen erforderlich ist. In der Tat kommen denn auch manche weiterführende Untersuchungen zu dem Schluß, daß die schon jetzt weubewerbsfähigen Regionen auch am meisten vom Binnenmarkt profitieren dürften, während die weniger weubewerbsfähigen noch weiter zurückfallen, zwar nicht in absoluten Zahlen, aber doch im Verhältnis zu den übrigen Regionen. Die Kommission - so jüngst in ihrem Bericht "Ein Markt, eine Währung"} hält dem entgegen, daß es unter der im Binnenmarkt gegebenen Voraussetzung hoher Kapitalmobilität wesentlich auf den entschlossenen Willen der betreffenden Region oder des betreffenden Landes zur Modernisierung ankomme. Bis zur Vereinigung zählte Deutschland zu den Mitgliedstaaten mit relativ ausgeglichener Regionalstruktur. Dies hat sich im Oktober 1990 radikal geändert. Auch hierzulande, in Teilen Westdeutschlands, vor allem aber in Ostdeutschland und nicht zuletzt in Berlin ist man heute an diesen Fragen der Regionalwirkungen des Binnenmarktes aufs höchste interessiert. DIW und AEI freuen sich daher, daß es gelungen ist, ausgewiesenen Sachverstand aus Wissenschaft, Politik und europäi-

1

Europäische Wirtschaft, Nr. 44, Okt. 1990. 7

scher Verwaltung für die Tagung zu gewinnen. Dank gebührt dem Berliner Senat, dem Bundeswirtschaftsministerium und der EGKommission, die die Mittel bereitgestellt haben. Nicht unerwähnt bleiben darf, daß das in Berlin ansässige Europäische Zentrum für die Förderung der beruflichen Bildung, CEDEFOP, uneigennützig seinen großen Tagungsraum zur Verfügung gestellt hat.

Fritz Franzmeyer

8

Editor's foreword

When the idea for this conference was born, Europe looked different. Germany consisted of two sovereign states. Tbe Council for Mutual Economic Assistance had not yet disbanded. In the EC the Single Market Programme had al ready been running for some time, yet hardly anyone had anticipated how quickly the outlines for Monetary Union would shape. There were several reasons for this. One is that the Federal Government wanted to convince the sceptics in its European partner countries, not least those on the other side of the Atlantic and the Oder-Neisse line, how, even in the eyes of the Gennans themselves, a unified and economically strong Germany is only conceivable as an integral part of a unified Europe. Since December 1990, important issues have once again been raised, within the framework of two Government Conferences, in regard to a unified Europe. At stake are changes in the distribution of power between the different organs of the EC and also between the different levels of a future European Federation. Tbere is a twofold danger of losing the democratic legitimacy of future EC decisions. Tbe first would be if the European Parliament, being the sole organ of the EC which has direct authorisation from the people, is not adequately involved. Tbe second would be if the level of authority dosest to the people, that is the regions and local communities, did not have the chance for their concerns or suggestions about Europe to be taken into consideration, because there are only representatives of central government who sit on the Council, and also because Community directives as weil as the decisions of the European Court are addressed to the national level 9

regardless of how the lower-Ievel bodies are involved in the law-making process in the respective Member States. These lower levels have only a very restricted right to sue before the European Court. There is a general consensus within the Member States that the focus of the Single Market will have a positive effect on growth and welfare in the Community as a whole. However, as far as the regions are concerned, many are worried about what might happen to them. This is true in a political as weIl as in an economic sense. Politically they fear for their influence. Economically they fear that growth and welfare will pass them by. Whilst the political worries tend to centre around the regions which have a relatively strong position in national decision making thereby having much to lose if more authority was given at a European level, is it no wonder that it is panicularly the more backward, the more weakly structured and the more remote regions and local communities who will encounter economic difficulties. There are, at present, two ways in which it is being attempted to ameliorate pOlitical representation of a regional level. The first is that the European Parliament is acting as the advocate for regional matters of concern. The second is for individual regions thernselves, especially those threatened with considerable loss in their status, to be present in the decision-making centres of the Community. There they can try, above aIl, to influence the Commission's initiatives while they are still in their early stages. These initiatives have considerable financial implications, because the Community is trying to combat the presumed unfavourable economic .effects of the Single Market on many regions through its "policy of cohesion". Although the Commission and the 10

Cecchini report did not say anything essential about the regional effects by the Single Market, the decision to double, in real terms, the socalled structural funds until 1992/93, would seem to take it for granted that there will be a negative impact on weaker regions which has to be compensated for. Indeed, some investigations going beyond the Cecchini repon came to the conclusion that regions, which are already competitive, would also benefit the most from the domestic market, whilst the less competitive regions are falling funher behind, albeit not in absolute terms but in relation to the rest of the regions. Contrary to this, the Commission - only recently in its repon "One Market - One Moneywl - points out that, with free capital mObility guaranteed under the conditions of the Single Market, it is the very firmness of the political will towards modernisation mobilized by the respective region or Member State which will be crucial for a development success. Up until unification, Germany had, compared with the other Member States, a relatively balanced regional structure. This radically changed in October, 1990. We are today most interested, in this country, in parts of West Gennany, in East Gennany especially and not least in Berlin, in tbis question of the regional effects of the Single Market. That is why the DIW and the AEI are pleased to have been able to accrue vital information from science, politics and European authorities for this conference. Thanks are due to the Senate of Berlin, to the Federal Ministry for Economic Affairs as weil as to the EC Commission who

1

European Economy, No. 44, Oct. 1990. 11

gran ted financial support. We must mention also the European Centre for the Development of Vocational Training CEDEFOP which has unselfJshly put their great conference room at our disposal. Fritz Franzmeyer

12

Zentrifugale und zentripetale Kräfte im Binnenmarktprozeß1 - das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie Von Horst Zimmermann

A B. I. 11. 111. C. I.

11.

A.

Ausgangslage und Fragestellung Einzelne zentrifugale und zentripetale Einflußgrößen im Binnenmarktprozeß Regionalforschung und Binnenmarktentwicklung Allgemeine Faktoren des räumlichen Konzentrationsprozesses Der Wegfall der Grenzen als spezifischer Faktor Ein Europa der Agglomerationen als Ergebnis des Binnenmarktprozesses? Zwei Stufen der Binnenmarktauswirkungen Zur geographischen Verteilung der Binnenmarkteffekte

Ausgangslage und Fragestellung

Die Entscheidung über die Schaffung des Binnenmarktes der EG geht schon auf das Jahr 1985 zurück. Aber die regionalen Effekte des Binnenmarktes waren kaum ein Thema, als im Juni 1985 der Europäische Rat der EG auf seiner Sitzung in Mailand beschloß, auf Basis der Einheitlichen Europäischen Akte zum 31.12.1992 die Grenzen zwischen den EG-Ländern fortfallen zu lassen und bis dahin zahlreiche Regulierungen aufzuheben, Steuersätze zu ändern usf. Allerdings erhoffte man sich hieraus einen nachhaltigen Wachstumsschub für die Gemeinschaft

1 Der Beitrag entstand während eines Forschungsaufenthalts im Urban Institute in Washington, D.C./USA Für Unterstützung dankt der Verfasser dem Urban Institute und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

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als ganze, so wie man ihn auch nach der Schaffung der EG ab 1958 beobachten konnte. Die Auswirkungen dieses vom Binnenmarkt induzierten Wachstums - oder auch mit ihm einhergehender Schrumpfungsprozesse in manchen Bereichen - auf die Entwicklung der Regionen der Gemeinschaft ist das Thema dieser Tagung. Dieser Beitrag hat praktisch das gleiche Thema, nur stellt es in der vereinbarten Formulierung auf zentrifugale und zentripetale Kräfte in diesem Prozeß ab 2. Diese Begriffe wurden gewählt, weil sie regionalwissenschaftlich anscheinend nicht eindeutig besetzt sind3; das gleiche gilt für die hier parallel verwendeten Begriffe der räumlichen Konzentration bzw. Dekonzentration. Mit "zentrifugal" bzw. "zentripetal" sollen zum einen die Kräfte bezeichnet werden, die innerhalb einer Region in bezug auf ein Zentrum wirken, und insoweit decken sie sich mit "deglomerierend" und "agglomerierend". Zum anderen sollen sie aber auch die Überlegungen und Theorieansätze einbeziehen, die den EG-Raum als ganzen umfassen. dort das Verhältnis von Zentrum zu Peripherie behandeln

2 Im Referat vor der Akademie für Raumforschung und Landesplanung im November 1989 (Zimmermann, 1990) wurde eine breitere Formulierung gewählt, die ZUSätzliche Themenaspekte umfaßte. Vgl. ebenda, Teile Bund C. 3 Sie werden hingegen in der ökonomischen Föderalismus-Diskussion verwendet. Vgl. etwa Kirsch, 1987.

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und dann zu Aussagen wie denen einer per Saldo möglichen starken Konzentration im mittleren Bereich des EG-Raumes führen (s.u. C.II)4. Eine solche den EG-Raum übergreifende Aussage zur räumlichen Konzentration überhaupt anzustreben, ist allerdings keineswegs naheliegend. Noch in der Mitte der 60er Jahre hätte man mit einem Blick auf die europäische Karte, soweit sie die heutigen EG-Staaten umfaßt, die regionalen Gewichte und die Beziehungen zwischen den Staatsräumen nicht viel anders interpretiert als in den 30er oder auch 20er Jahren (wenn man von den Änderungen in Deutschland als Folge des Zweiten Weltkriegs einmal absieht). Im Zentrum der Überlegungen standen eigene Staaten, die jeweils eigene wirtschaftliche und politische Schwerpunkte im Staatsraum aufwiesen, welche mit Begriffen wie London, Paris, Madrid, Rom oder Athen umschrieben waren. Damit war nicht nur, wie auch heute, ein jeweiliges Selbstverständnis ausgedrückt, das sich auf die je eigene Geschichte, Sprache, Kultur und Eigenstaatlichkeit gründete. Es war auch jeweils ein - abgesehen von den sich intensivierenden Außenhandelsbeziehungen eigenständiger Wirtschaftsraum dlmlit gemeint. Dieser staatliche Wirtschaftsraum wurde zwar statistisch in seiner "performance" mit anderen Räumen und mit dem Durchschnitt verglichen, aber der Gedanke war

4 Zentripetale bzw. agglomerierende Tendenzen werden, außer innerhalb dünnbesiedelter Räume, von Raumordnungspolitik und Regionalpolitik in der Regel negativ beurteilt, zentrifugale bzw. deglomerierende Effekte hingegen positiv eingeschätzt. Diese Bewertung ist für den Fall verständlich, daß man von einem unter den verschiedensten Gesichtspunkten bereits ausreichenden Agglomerationsgrad in einer Volkswirtschaft ausgeht, was aber keineswegs selbstverständlich ist.

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doch eigentlich noch fremd, daß er - nur - integrierter Teil eines sehr viel größeren Wirtschafts raums sei, innerhalb dessen man seine Bedeutung und seine Chancen einzuordnen habe. Die Bundesrepublik Deutschland hatte hier bis zum Jahr 1990 eine eigenartige Position. Sie war nicht, wie früher das Deutsche Reich mit seiner Hauptstadt Berlin, auch stark auf Ostdeutschland und die östlichen Staaten ausgerichtet. Die neue Hauptstadt lag jetzt weit im Westen, und auch die Orientierung zeigte politisch wie wirtschaftlich ganz überwiegend nach Westen. Als sich im Herbst 1989 die Grenze zur DDR öffnete, kannte ich mich zwischen Brüssel und Paris gut aus und wußte auch, was zwischen Boston und Washington, D.C. liegt. Aber ich mußte den Autoatlas zu Rate ziehen, um Orte wie Eisenach, Erfurt, Gera und Leipzig, die ich dem Namen nach alle kannte, in eine geographische Relation zu bringen, und Marburg liegt doch sehr nahe an dieser Region und nicht im Westen der "Altbundesrepublik". Ob die AusriChtung der Bundesrepublik sich in einigen Jahren wieder der früheren, geographisch vielseitigeren annähern wird, bleibt abzuwarten; jedenfalls haben die Erweiterung um die neuen Bundesländer und die - zumindest partielle - Hauptstadtfunktion Berlins eine gewisse Verschiebung in dieser Richtung zur Folge. Noch in den 70er Jahren gab es meines Erachtens eigentlich keine allgemeine Besorgnis wegen einer die MitgIiedsländer der EG übergreifenden Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten in der EG-Mitte. Wohl gab es Sorge um periphere Gebiete innerhalb der einzelnen Mitgliedsländer, und einige von ihnen, wie Schottland oder der Mezzogiorno, waren zugleich EG-peripher. Was ist seither geschehen, daß die 16

Besorgnis soviel größer geworden ist? Vielleicht kann man im Zusammenwirken von zwei Faktoren eine Ursache sehen. Zum einen bildeten die 80er Jahre eine der in der Nachkriegszeit längsten Phasen positiver wirtschaftlicher Entwicklung, und da Agglomerationstendenzen bei intensiver Wirtschaftstätigkeit, entsprechender Mobilität usw. am stärksten sindS, wurden sie in dieser Phase nicht durch rezessive Tendenzen unterbrochen, konnten so besonders stark wirken und wurden entsprechend stärker wahrgenommen. Zum anderen wurde 1985 der Binnenmarkt-Beschluß gefaßt. Deshalb sind in dieser Zeit die Folgen, auch regionaler Art, genauer als zuvor bedacht worden, und es wurden vorausschauende Entscheidungen getroffen, etwa von Unternehmen über die zukünftigen Standorte ihrer Hauptverwaltungen, so daß mögliche zentripetale Effekte stärker ins Bewußtsein rückten. Vor diesem Hintergrund wird nunmehr gefragt, welche zentrifugalen und zentripetalen Kräfte in diesem Binnenmarkt-Prozeß wirksam sind. Dazu gehören sowohl allgemein definierte Einflußgrößen, wie sie die Agglomerationsforschung und andere Forschungsrichtungen herausgearbeitet haben, als auch Faktoren, die spezifisch für die Vorbereitung und die Auswirkungen des Binnenmarktes sind.

5 Dies dürfte jedenfalls innerhalb der hochentwickelten Länder gelten; ob diese Aussage auch für den internationalen Vergleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gilt, bleibe dahingestellt.

17

B.

Einzelne zentrifugale und zentripetale Einflußgrößen im Binnenmarktprozeß

I.

Regionalforschung und Binnenmarktentwicklung

Wenn man Hypothesen zu den zentrifugalen bzw. zentripetalen Effekten des Binnenmarktes sucht, wird man mehrere regionalwissenschaftliche Forschungsrichtungen heranziehen. Naheliegend ist zunächst die Agglomerationsforschung, denn sie beschäftigt sich mit dem Zustandekommen und der Struktur von Agglomerationen (Ballungs-, Verdichtungsräumen) (vgI. Müller, 1977, S. 454 f.). Sie richtet sich daher u.a. auf das Verhältnis der Agglomeration zu nicht-agglomerierten umliegenden Räumen, und damit auf einen Aspekt des Verhältnisses von Zentrum zu Peripherie. Dennoch ist der Bezug zum Thema dieses Beitrags keineswegs eindeutig. Die regionale Reichweite der Agglomerationsforschung scheint im wesentlichen eine Region zu umfassen, die in ihrer Siedlungsstruktur auf eine zentrale Stadt oder allenfalls eine Großagglomeration wie das Ruhrgebiet ausgerichtet ist, dorthin zielende Wanderungen, von dort ausgehende externe Effekte usf. untersucht. Die "Region" für die hier interessierenden Effekte des Binnenmarktes ist aber der EG-Raum und nur in zweiter Linie die nationale Agglomeration. Daher wird jeweils zu prüfen sein, wieweit die im folgenden aufgeführten einzelnen Einflußgrößen sich auf EG-weite Beziehungen uminterpretieren lassen (Teil C). Die "Gravitationskraft" einer Agglomeration, die über einige hundert Kilometer noch plausibel ist, muß zwischen Lissabon, Edinburgh und Athen schon sehr stark sein, um aus

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ihr noch das Zustandekommen einer großen zentraleuropäischen Agglomeration abzuleiten6. Als weitere Theorieansätze, mit denen auch räumliche Konzentrations-

bzw. Dekonzentrationsprozesse erklärt werden sollen, können insbesondere die Theorie der Wachstums pole, die Export-Basis-Theorie, neo klassische Erklärungsansätze und die Freihandelstheorie, die Theorie des regionalen Entwicklungspotcntials sowie polit-ökonomische Ansätze gelten. Auf diese Theorien, ebenso wie auf spezielle Ansätze der empirischen Agglomerationsforschung einzugehen, ist hier nicht der Ort. Vielmehr werden im folgenden eine Reihe von Bestimmungsfaktoren der räumlichen Konzentration, die verschiedenen dieser Ansätze entstammen, mit Blick darauf erörtert, wieweit sie eher zentrifugal oder eher zentripetal wirken. Sie entstammen nur zum Teil der Agglomerationsforschung, zum Teil aber auch anderen Ansätzen. Die Auswahl und Reihenfolge dieser Faktoren des räumlichen Konzentrationsprozesses entspringt nicht einer geschlossenen Theorie der regionalen Entwicklung einer Großregion vom Typ des EG-Raumes, denn sie gibt es in der hier erforderlichen Form bisher nicht. Zwar werden dann weiter unten (Teil C) auch übergreifende Aussagen gemacht, aber sie werden verhältnismäßig "freihändig" sein. Hier hingegen

6 Auf ähnliche Schwierigkeiten führt die Beantwortung der Frage, warum sich in den USA die wirtschaftliche Dynamik von Nordosten und Mittelwesten zum Süden und Westen verlagert hat. Dabei können Agglomerationsfaktoren i.e.S. nicht die zentrale Rolle spielen, weil jedenfalls anfänglich der Agglomerationsgrad in den Ziel regionen eher geringer war.

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werden zunächst eine größere Zahl einzelner Faktoren jeweils für sich daraufhin untersucht, wieweit sie tendenziell zentrifugal oder zentripetal wirken, und ihr Verhältnis kann zueinander mangels übergreifender Theorie nicht genauer speziflziert werden (s. auch unten C.I). Dabei stehen am Anfang einige Effekte, die aus dem gleichzeitigen Tätigwerden zahlreicher Wirtschaftssubjekte entstehen (UrbanisatioDS-, Lokalisations- und Skaleneffekte), gefolgt von einer Reihe von Faktoren, die für das einzelne private Unternehmen bzw. den privaten Haushalt entscheidungsrelevant sind und aus dessen Sicht interpretiert werden. Dabei werden sektoral abgeleitete Aussagen nur begrenzt aufgenommen (z.B. als Lokalisations- oder Skaleneffekte). Zwar müssen viele spezielle Effekte des Binnenmarktes 1993 sektoral interpretiert werden 7. Bei der Frage hingegen, wo das räumliche Schwergewicht des Wirtschaftsraums EG als ganzes über die Zeit liegen wird, bekommen spezielle regionale Einflußgrößen vermutlich doch das größere Gewicht8. So können Sektoralstudien zwar klären, welche Wirtschaftsbereiche wieweit "footloose" sind, aber warum sich die Leichtfüßigen in einem so riesigen Wirtschaftsgebiet wie der EG gerade in bestimmten verhältnismäßig kleinen Teilregionen versammeln sollen, muß - jedenfalls über die längere .Frisl - doch wohl stark an den Charakteristika eben dieser Regionen liegen.

7

1990.

Vgl. dazu die neuere Studie der EG-Kommission: Buigues u.a.,

8 Sie werden in der zuvor genannten Studie nur zwischen Mitgliedstaaten differenziert.

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Bei der Diskussion der einzelnen Faktoren wird zugleich versucht, die Einwirkung von Binnenmarkteffekten auf sie, wenngleich keinesfalls erschöpfend, aufzuzeigen. Einigen dieser Faktoren kann verhältnismäßig einfach eine entsprechende Wirkungsrichtung auf die räumliche Verteilung zugesprochen werden, und sie sind hier von besonderem Interesse, wenn sich herausstellt, daß der Binnenmarkt diese Faktoren beeinflußt. Im übrigen sollten einige Grundgedanken, die sich aus der Themenstellung ergeben, vorweggeschickt werden: - Es geht hier nur insoweit um die nachträgliche Erklärung bestehender

Agglomerationen, als sie bei der Prognose zukünftiger Entwicklung hilfreich scheint. - Nicht die kleinräumlichen Entwicklungen innerhalb von Regionen (z.B. in den Planungsregionen der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung oder den Arbeitsmarktregionen der Gemeinschaftsaufgabe) sind hier Gegenstand, sondern, wie erwähnt, die grenzüberschreitenden großräumlichen Entwicklungslinien, die sich im Gefolge des Binnenmarktes abzeichnen. Mit Peripherie sind folglich meist die europäischen Randlagen oder allenfalls eine großräumliche nationale Peripherie gemeint. - Der Binnenmarkt-Prozeß darf nicht nur als Serie einzelner ökonomischer Effekte verstanden werden, sondern muß als Teil eines westeuropäischen Integrationsprozesses aufgefaßt werden, der im Prinzip alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens betrifft.

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- Das Erklärungsinteresse liegt nicht bei der Konstruktion theoretischer Wachstumsprozesse, wie sie sich z.B. idealtypisch in neoklassischen Modellen bei freier Preisbildung und allein preisgelenkter Faktorwanderung ergeben würden. Bei der Analyse eines internationalen pOlitischen Kraftaktes wie der Realisierung des Binnenmarktes wäre dies als alleiniges Vorgehen nicht angebracht. 11.

Allgemeine Faktoren des räumlichen Konzentrationsprozesses

a.

Urbanisations-, Lokalisations- und SkalenelTekte

Diese drei Typen von Effekten bezeichnen Gewinne bei der Allokationseffizienz, die durch das gleichzeitige Tätigwerden von Wirtschaftseinheiten zustandekommen: (1) in einer Agglomeration unabhängig von der Branchenstruktur. (2) in einer Branche in einer Agglomeration und (3) in einer Branche als solche. 1.

UrbanisationselTekte

Urbanisationseffekte werden meist als positiv, d.h. förderlich für das regionale Wachstum betrachtet9• Die zahlreichen Vorteile bestehender Agglomerationen ("kurze Wege" für Zulieferer und Absatz, Nachfragepotential, gebündelte Infrastruktur) überwiegen in der Sicht der Privaten in der Regel deren Nachteile. Dies zeigt sich vor allem mit Blick auf

9 Andere Ergebnisse fanden Bröcker, Peschel und Reimers, 1983, für Skandinavien und die Bundesrepublik Deutschland. Siehe auch Peschel, 1989, S. 554, und Bröcker, 1989, nach denen die regionale Branchenstruktur keinen signifikanten Einfluß auf das regionale Wachstum hat.

22

diejenigen EG-Länder, in denen periphere Regionen sehr weitläufig sind und unterdurchschnittliche infrastrukturelle Versorgung aufweisen. In diesen Mitgliedstaaten dürfte der Binnenmarkt die Agglomerationstendenz der Urbanisationseffekte noch verstärken, da das Gefälle insbesondere der wirtschaftsnahen Infrastruktur sowie der Angebotsbedingungen für Produktionsfaktoren (s.u.) zwischen Agglomeration und Peripherie innerhalb des Mitgliedslandes vor allem für ausländische Direktinvestoren, denen der Binnenmarkt ja gerade den Weg ebnen soll, bei Investitionen in der Peripherie ein zu großes Risiko darstellt. Allgemein bedeutet die räumliche Konzentration vieler verschiedener Branchen, daß eine Region sich aufgrund der diversifizierten Angebotsund Nachfragestruktur auf den Faktor- und Produktmärkten besser an veränderte Rahmenbedingungen anpassen kann. Der Urbanisationseffekt steht deshalb auch für eine größere Chance, die Binnenmarkt-Effekte nutzbringend - also wachstumsfördernd - umzusetzen. 2.

LokalisationsetTekte

Da eine hohe Branchenkonzentration längerfristig meist einen negativen Einfluß auf das regionale Wachstum hat, muß in solchen Gebieten, deren dominierende Branche kaum positive bzw. eher negative Effekte des Binnenmarktes zu erwarten hat, mit relativen Wachstumsverlusten gerechnet werden. Gehört der vorherrschende Wirtschaftszweig jedoch zu denen, die besondere Vorteile vom Binnenmarkt erwarten können, so ist die Richtung der Lokalisationseffekte unbestimmt, da ein Vergleich der Stärke des prinzipiell negativen Lokalisationseffekts und des positiven Binnenmarkt-Effekts zu vage erscheint. 23

3.

Skaleneffekte

Zu den agglomerationsstärkenden Faktoren zählen auch die economies of scale. Der Binnenmarkt wird in einigen Branchen die Realisierung von positiven Skaleneffekten ermöglichen. Dieser Tatbestand wirkt in dem Maße verstärkend auf den Agglomerationsgrad der jeweiligen nationalen Wirtschaftsstruktur, wie die so bevorteilten Branchen bisher schon in Agglomerationen ansässig waren. Soweit allerdings die Realisierung der Skaleneffekte von flächenintensiven Betriebserweiterungen abhängig ist, wird es in Agglomerationen mit hohen Preisen für den Produktionsfaktor Boden eher zu Betriebsverlagerung oder Zweigstellenbildung kommen. Dies käme eher den kleineren Gemeinden mit niedrigen Grundstückspreisen und damit u.a. den peripheren Gebieten zugute, soweit diese "Ballungsverdrängung" nicht nur ins - möglichst nahe Umland führt. Mit den Bodenpreisen ist zugleich der Übergang zu den folgenden Einflußgrößen geschaffen, die auf die Entscheidung des einzelnen privaten Unternehmens und Haushalts einwirken. b.

Verf'ügbarkeit und Preise von ProduktionsCaktoren

1.

Faktor Arbeit

Die Verfügbarkeit bzw. die Preise von Produktionsfaktoren spielen als regionale Entwicklungsdeterminanten eine grundsätzliche Rolle. Auf die EG-weite Verf'ügbarkeit des Produktionsfaktors Arbeit dürfte sich der Binnenmarkt zunächst einmal unabhängig vom Agglomerationsgrad einzelner Regionen positiv auswirken, da die berufsqualifizierenden Ab24

schlüsse EG-weit anerkannt werden sollen und damit bei bestehender Freizügigkeit für überregionale Wanderungen geringere Allokationshemmnisse wirksam werden. Allerdings wird der Binnenmarkt nichts daran ändern, daß Agglomerationen - bis auf wenige Ausnahmefälle als regionale Arbeitsmärkte 10 ein quantitativ und qualitativ besseres Arbeitskräfteangebot aufweisen als periphere Lagen. Wenn man berücksichtigt, daß qualifizierten Arbeitnehmern eine höhere internationale Mobilität bescheinigt wird und diese zumeist Großstädte bzw. den Stadtrand von Agglomerationen als Lebensraum bevorzugen, dann vermittelt dieser wichtige Ausschnitt des Arbeitsangebots eher den Ballungsräumen zusätzliche Entwicklungschancen als den peripheren, ländlich strukturierten Gebieten. Ein Gegengewicht liegt aber darin, daß ein ho her Wohnwert bei guten Umweltbedingungen als Kriterium für die Arbeitsplatzwahl nicht nur von hochqualifizierten Kräften ein ständig zunehmendes Gewicht bekommt. Dieses Merkmal weisen allenfalls einige Agglomerationen, wie etwa München, auf, aber keineswegs alle. Bei der Verfügbarkeit des Faktors Arbeit ist auch die demographische Entwicklung zu berücksichtigen. Wenn zu erwanen ist, daß die ländlich-peripheren Gebiete der EG wegen der früher hohen Geburtenrate noch in den ersten beiden Jahrzehnten nach Errichtung des Binnenmarktes demographisch bedingte Arbeitskräftezuwächse verzeichnen, in den Stadtregionen aber schon ab Mitte der 90er Jahre das Angebot

10 Als grobe Abgrenzung kann man beispielsweise die Tagespendelentfernung wählen, um diesen Arbeitsmarkt von überregionalen und internationalen zu unterscheiden.

25

zurückgeht (Birg, 1990, S. 3), so liegt hierin eine Chance für die ländlich-peripheren Gebiete, soweit es ihnen in dieser Zeit gelingt, Arbeitsplätze zu schaffen. In ähnlicher Weise könnten sich die Preise für den Produktionsfaktor Arbeit, insbesondere für weniger qualifiziene Tätigkeiten, auswirken. Das Argument des niedrigeren Lohnniveaus in der Peripherie kommt - selbstverständlich unter Berücksichtigung der Arbeitsproduktivitäten im Binnenmarkt jedenfalls auf regional hoch aggregierter Ebene zum Tragen: Werden die wohlhabenderen, aber dicht besiedelten Staaten Deutschland, Dänemark sowie die Beneluxländer und darüber hinaus die wenigen nationalen Zentren von Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien als Agglomerationen betrachtet und Griechenland, Süditalien, Südspanien, Portugal und Irland als Peripherie interpretiert, so können die zuletzt genannten "Regionen", soweit sie ihr geringeres Lohnniveau nicht schneller angleichen als durch Produktivitätszuwächse gerechtfertigt, mit überdurchschnittlichen Investitionszuwächsen arbeitsintensiver Industriebranchen rechnen 11 . Zwar drückt sich darin ein fortdauerndes Gefälle im Entwicklungspotential zwischen Zentren und Randlagen aus. Dieses aber hat in gewissem Maße immer bestanden. Es ist lediglich darauf zu achten, daß es im Zuge des Binnenmarkts langfristig nicht größer, sondern eher kleiner wird.

11 In diesem groben Raster können dann auch Aussagen zu Gruppen von Mitgliedsländern, wie sie sich in Buigues, 1990, finden, regionalwissenschaftlich interpretiert werden.

26

2.

Faktor Kapital

Mit dem Produktions faktor Kapital ist üblicherweise die Gesamtheit der Sachinvestitionen und das Geldvermögen gemeint. Hier sei hingegen der Kapitalmarkt hervorgehoben, also die Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung sowie die Geldanlagemöglichkeit. Der freie Kapitalmarkt nach 1992 könnte sich tendenziell positiv auf Deglomerationstendenzen auswirken, da die Kapitalbeschaffung und -anlage überall in der Gemeinschaft gleichen Bedingungen unterliegt, nämlich denen des internationalen Kapitalmarktes. Die vergleichsweise schlechten Konditionen für finanzielle Transaktionen und Kreditgewährung in der Peripherie l2 dürften sich entsprechend verbessern und eine Angleichung zwischen Zentrum und Peripherie erreichen. Auch wirken sich die regional politischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten sowie der Gemeinschaft zunächst beim Produktionsfaktor Kapital aus. Auch insofern haben die peripheren Fördergebiete gegenüber den Agglomerationen gewisse Vorteile bezüglich der günstigen (subventionierten) Kapitalnutzungskosten. Damit könnte und sollte der Binnenmarkt durch die mit ihm verbundene Regionalpolitik deglomerationsfördernd wirken.

12 Mit Peripherie sind hier alle diejenigen Mitgliedsländer und Regionen gemeint, die einen weniger leistungsfähigen Bankensektor aufweisen.

27

3.

Faktor Boden

Während man sich in nicht-regionaler Betrachtung oft damit begnügen kann, sich Boden als Teil des Faktors Kapital vorzustellen, ist der Faktor Boden hier sicherlich gesondert zu nennen. Er wird im Sinne von Fläche, sowohl was Verfügbarkeit als auch was den Preis angeht, deglomerierend wirken, da die agglomerierten Regionen hier schlecht gestellt sind. Auch wo in altindustrialisierten Gebieten Freiflächen verfügbar wären, ist das "Flächenrecycling" oft so teuer, daß die Kosten zumindest tendenziell deglomerativ wirken. Bei der Betrachtung einer großräumigen Agglomeration in der EG-Miue (s. unten C) ist allerdings zu berücksichtigen, daß in diesem großen Raum sehr viele, wenig genutzte "Zwischen-Räume" zu finden sind, die bei einer "Ballungsverdrängung" zuerst genutzt werden können, bevor auf Peripherien ausgewichen werden muß. Dies gilt, soweit es nur Flächenverfügbarkeit und -preis sind, von denen eine Standortentscheidung abhängt.

••••• Die Einflußgröße technisches und organisatorisches Wissen schließlich, die man als eigenen Produktionsfaktor oder als einen in den anderen Produktionsfaktoren verkörperten Einfluß interpretieren kann, gilt als traditioneller Vorteil von Agglomerationen. Direkte Auswirkungen des Binnenmarkts auf diese regionale Wachstumsdeterminante sind höchstens durch die Europäischen Großforschungsaniagen denkbar. - Indirekt werden durch den Binnenmarkt auch die Produktlebenszyklen betroffen. 28

Die Produktlebenszyklus-Hypothese, nach der eine Region den Marktphasenzyklus ihres dominierenden Produkts durchlebt, ist in ihrer direkten Beeinflussung durch den Binnenmarkt schwierig abzuschätzen. Allgemein werden die Deregulierungen und Marktöffnungseffekte die Produktzyklen eher beschleunigen, so daß die Regionen sich am besten stehen werden, die sich schnell anpassen können. Ob dies eher die modernen Ballungsgebiete oder auch aktive periphere Regionen sein werden, hängt zunächst von den Entscheidungsstrukturen der Einzelregion ab und dürfte schwer zu verallgemeinern sein. Der gute Zugang zu technischem und organisatorischem Wissen dürfte den modernen Ballungsgebieten aber sicherlich von Vorteil sein. c.

Umweltressourcen

Die Umweltressourcen werden in der Entscheidung der Privaten in zweifacher Hinsicht zunehmend wichtig: als Kosten und als Nutzungsbzw. Nutzeneinbußen. In beiden Ausprägungen ist die Wirkung deglomerativ. Die erste Ausprägung wirkt sich durch zunehmende verursacherorientierte Umweltpolitik aus, die das Betreiben von Anlagen verteuert usw. Die zweite Ausprägung kann man nach der Wirkung über private Unternehmen und Haushalte differenzieren. Zum einen beeinträChtigen in Verdichtungsräumen die hohe Luft-, Boden- und Wasserverschrnutzung, der Lärm und die Asphaltierung und Betonierung der Landschaft in verschiedener Weise die Umwelt- und damit die Standortqualität für das Unternehmen. Zum anderen kommen verschiedene Untersuchungen (vgl. auch Keeble, 1989, S. 165; sowie Steiner, 1989; Opaschewsky, 1989) zu dem Ergebnis, daß bei der Entscheidung der privaten Haushalte für den Arbeitsplatz die Freizeitwerte der Zielregion 29

ein besonders großes Gewicht haben. Diese Präferenzen könnten gerade in einigen besonders wachstumsintensiven Wirtschaftszweigen mit hohen Anforderungen an die Personalqualität zum Tragen kommen und diese eher in Randgebiete mit hoher Umweltqualität lenken. Der Binnenmarkt wirkt auf diesen Faktor dadurch, daß klimatisch reizvolle Regionen mit hervorragenden Umweltbedingungen für Investoren und Arbeitnehmer aus weniger günstigen Gebieten und Staaten leichter zugänglich werden. Dementsprechend erhält diese EntwiCklungsdeterminante ein größeres Gewicht und dürfte sich in europäischen Dimensionen auswirken. d.

Öffentliche Infrastruktur

Öffentliche Infrastruktur ist einer der wichtigsten Entwicklungsfaktoren 13 und wird - gemessen an der großen Bedeutung - vergleichsweise wenig durch den Binnenmarkt beeinflußt. Zu berÜCksiChtigen wären die Ausbaupläne der Eisenbahnen, die in Europa zunächst die Zentren mit Schnellbahntrassen verbinden wollen (vgl. z.B. Kracke, 1989), was sich tendenziell agglomerativ auswirken würde. Darüber hinaus scheint es vor allem für die Bundesrepublik Deutschland durchaus legitim anzunehmen, daß mit der durch den Binnenmarkt zu erwartenden Verbesserung der kommunalen Finanzsituation in einigen schon stark entwickelten Regionen auch die Möglichkeit zur Eigenförderung durch Infrastrukturverbesserung steigt, was den schon starken Re-

13 Vgl. etwa für die USA die Untersuchung von Armstrong/Rubin, 1987, und die dort referierten weiteren Arbeiten.

30

gionen besonders zugute kommt, da hier die Finanzkraft am größten ist. Als deglomerativer Aspekt wäre wieder die Regionalpolitik der Gemein-

schaft zu nennen, durch die auch die öffentliche Infrastruktur in den Fördergebieten (zumeist in der Peripherie) verbessert wird. Auch die mit dem Binnenmarkt einhergehende höhere internationale Mobilität der Bevölkerung könnte, jedenfalls in einigen klimatisch und landschaftlich begünstigten Randgebieten, einen Ausbau auch der haushaltsnahen Infrastruktur rentabel erscheinen lassen. Hier ist an die großräumige Erschließung von peripheren Gebieten als Erholungsgebiete und "Altersruhesitz" gedacht, die sich für inländische Nutzer allein vielleicht nicht lohnt. e.

Sonstige Einflußgrößen

Abschließend sei - eher summarisch - auf einige weitere Determinanten der regionalen Entwicklung eingegangen, die aus der Sicht der privaten Entscheidungsträger bedeutsam sind: - Energie. - Prinzipiell kann ein liberalisierter Energiemarkt die nationalen Preisniveaus angleichen und im EG-Durchschnitt senken. Wieweit der Binnenmarkt auch im Energiesektor verwirklicht wird und ob dann in der Bundesrepublik Deutschland Preissenkungen für Kohle und vor allem Strom erfolgen, bleibt allerdings erst abzuwarten. Raumdifferenzierende Effekte sind ohnehin eher indirekt und auf lange Sicht denkbar: Wenn der Binnenmarkt das europäische Wirtschaftswachstum fördert und damit auch die Nachfrage nach Energie erhöht, dann wird 31

der dadurch notwendige Kraftwerksbau eher dezentralisierend wirken, da zusätzliche Kraftwerke höchstens an den Rändern von Ballungsgebieten Standorte finden, eher aber in nicht agglomerierten Regionen. EG-periphere Regionen allerdings können sich weniger von einer solchen Politik erhoffen, da der Transport von Elektrizität nur über begrenzte Entfernung wirtschaftlich ist. - Transportkosten. - Auch wenn der Verkehrswegeausbau (als Teil der öffentlichen Infrastruktur, s.o.) nicht flächendeckend erfolgt, gehört eine Änderung der Transportkosten durch den Binnenmarkt sicherlich zu den wichtigen Effekten. Die räumliche Marktvergrößerung durch den Binnenmarkt hat zunächst zur Folge, daß für diejenigen Unternehmen, die nun einen wesentlichen Teil ihrer Produktion in weiter entfernten Regionen als zuvor verkaufen, die Transportkosten ein relativ geringeres Gewicht in der Preiskalkulation bekommen. So wird es beispielsweise für ein Unternehmen, das in Zukunft im Binnenmarkt nicht mehr hauptsächlich den Raum München, sondern verstärkt auch französische oder spanische Großstädte beliefern will, unerheblich sein, ob es die Transportkosten vom Standort München aus zu kalkulieren hat oder z.B. vom ansonsten - annahmegemäß - viel kostengünstigeren Standort Passau. Insoweit unterstützt der Binnenmarkt Dezentralisierungsansätze. - Abgabenbelastung. - Der tendenziell deglomerativ wirkende Faktor ftregionale Abgabenbelastung ft wird durch den Binnenmarkt in seiner Wirkungsrichtung kaum verändert werden. Sollten allerdings im Zuge der Steuerharmonisierung langfristig einmal die unterschiedlichen ge32

meindlichen Hebesätze abgeschafft und auch andere öffentliche Einnahmearten der Mitgliedsländer angeglichen werden, so könnte die Determinante Abgabenbelastung im Binnenmarkt stark an Bedeutung verlieren. Je größer der dezentrale Gehalt der zukünftigen Finanzverfassung der EG sein wird, desto eher können periphere Regionen diesen Handlungsparameter einsetzen. - "Weiche" Standortfaktoren. - Diese Faktoren, wie beispielsweise das regionale Image, das herrschende Wirtschafts klima, aber auch die Leistungsbereitschaft der Erwerbsbevölkerung sowie die politische Orientierung der Gebietskörperschaft sind in ihrer Wirkung schwierig zu interpretieren. Sicher ist aber, daß auf Dauer, insbesondere bei annähernder Gleichheit der "harten" Standortfaktoren, hier entscheidende Größen für die regionale Verteilung der Wirtschaftsaktivität zu suchen sind (s. unten C).

f.

Zusammenfassung

In der folgenden Übersicht werden die Tendenzaussagen über den vermutlichen Einfluß des Binnenmarkts auf die Wirkungsrichtung der erörterten Faktoren des räumlichen Konzentrationsprozesses zusammengefaßL Es zeigt sich, daß sowohl zentrifugale als auch zentripetale Kräfte wirksam sein dürften. Nicht immer sind spezifische Anstöße des Binnenmarktes auszumachen, sondern oft handelt es sich um Aussagen über Wirkungen, die auch ohnedies in einem Großraum auftreten, aber durch den Binnenmarkt eine Beschleunigung erfahren dürften.

33

Übersicht: Faktoren des räumlichen (De-)Konzentrationsprozesses a. Effekte aus den simultanen Tätigkeiten zahlreicher Wirtschaftssubjekte - Urbanisationseffekt - Lokalisationseffekt - Skaleneffekt

A

D A

b. Verfügbarkeit und Preise der Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden - Arbeit (Verfügbarkeit: AJD; Preis: D; insgesamt:) - Kapital - Boden c. Umweltressourcen

AJD D D D

d. Öffentliche Infrastruktur e. Sonstige Determinanten Anmerkung: Ein "A" steht für zentripetalen bzw. agglomerativen und ein "D" für zentrifugalen bzw. deglomerativen Einfluß. Wenn keine plausible Vermutung angestellt werden konnte, steht ein "-".

Wie zuvor betont (B.I), sind zahlreiche spezifische BinnenmarktWirkungen vor allem branchenspezifisch zu analysieren. Insofern wären eigentlich die Überlegungen, die zuvor bezüglich der Auswirkungen des Binnenmarktes auf einzelne regionale Entwicklungsdeterminanten angestellt wurden, nunmehr um die Bedeutung der einzelnen Wachstums34

faktoren für jeden Wirtschaftszweig zu erweitern. Da dies an dieser Stelle nicht zu leisten ist, seien lediglich einige Anmerkungen zu den aggregierten drei Sektoren Landwirtschaft, produzierendes Gewerbe und tertiärer Sektor angeführt. Von ihnen blieben der primäre und der tertiäre Sektor in den bisherigen Ausführungen unberÜCksichtigt. Es ist anzunehmen, daß die Landwirtschaft auf absehbare Zeit keinem liberalisierten (Binnen-) Markt ausgesetzt, sondern stets wettbewerblicher Ausnahmebereich bleiben wird. Insofern sind Auswirkungen des Binnenmarkt-Programms auf den primären Sektor nicht in der Größenordnung zu erwarten, bei der agglomerationshemmende oder -fördernde Effekte festzustellen wären. Sollten jedoch die Agrarsubventionen wirklich drastisch abgebaut werden, dann wären weitere Abwanderung und folglich verstärkte Probleme für periphere Regionen die Folge. Ein Charakteristikum der Dienstleistungen ist die zeitliche und räumliche Identität bzw. die Nähe von Produktion und Absatz der Leistung. Im Dienstleistungsbereich zeichnen sich damit zwei Entwicklungslinien ab: Zum einen expandiert der tertiäre Sektor bekanntlich schneller als der sekundäre und erst recht als der primäre Sektor. Dies gilt um so mehr, wenn Dienstleistungen erbringende Unternehmensteile von Unternehmen des sekundären Sektors zum Dienstleistungssektor gerechnet werden; damit werden Aussagen über den sekundären Sektor, die hier implizit im Vordergrund stehen, zugleich für Teile des tertiären Sektors wichtig. Zum anderen hängt der Ort der Expansion vom Ort des Absatzes ab, der sowohl für haushalts- wie für produktionsorientierte Dienstleistungen vor allem die Agglomeration ist (Postlep, 1982).

35

Über bestimmte branchenspezifIsche Effekte auf einige Bereiche des tertiären Sektors, beispielsweise den Transportsektor, hinaus wird der Binnenmarkt durch seine generellen Wachstumseffekte im sekundären Sektor auch die Entwicklung im tertiären Bereich allgemein fördern. Soweit davon insbesondere die unternehmensorientierten Dienstleistungen betroffen sind, wird der Binnenmarkt auch auf diesem Sektor eher in den Agglomerationen entwicklungsfördernd wirken.

III. Der Wegfall der Grenzen als spezifischer Faktor Die zuvor behandelten Faktoren des räumlichen Konzentrationsprozesses wirken, auch wenn oft Binnenmarkteffekte angesprochen werden, nicht nur im Binnenmarktprozeß in der EG, sondern in allen volkswirtschaftlichen Entwicklungsprozessen. Sie fungieren hier aber als zweckmäßige Zwischengrößen, weil die meisten Binnenmarkteffekte durch diese Faktoren wirken. Zumindest ein Faktor ist aber nicht vollständig so einzuordnen: der Wegfall der Grenzen. Seine Effekte sind zwar zum Teil berüCksichtigt, etwa im Wege der induzierten economies of scale. Aber zumindest eine geographische Besonderheit soll hier noch hervorgehoben werden. Sie kann man sich vor Augen führen, wenn man um die Bundeshauptstadt Bonn einen Kreis von vielleicht 300 km schlägt und sich fragt, wieviele Kilometer Grenzen dort durch den Binnenmarkt entfallen. Wenn man dann den gleichen Kreis um Madrid, Paris oder viele andere Punkte im EG-Raum zieht, so wird deutlich, daß sich die Aufhebung der Zerschneidungseffekte in der EG räumlich sehr ungleich verteilt. Demzufolge dürften insbesondere die Regionen der Beneluxstaaten, die 36

westlichen Regionen Deutschlands sowie die östlichen Grenzgebiete Frankreichs mit überdurchschnittlichen Vorteilen in dieser Hinsicht rechnen. Da sie im Zentrum der EG liegen und im Vergleich zum Durchschnitt der Gemeinschaft überproportional agglomeriert sind, liegt hierin ein zusätzlicher Effekt, der als zentripetal anzusehen ist. Einige Grenzen bleiben jedoch. Vorweg sind hier die Währungsgrenzen zu nennen, die zumindest noch einige Jahre bestehen bleiben dürften. Sie wirken, wie dies am Beispiel der DDR ausgeführt worden ist, "als 'Schleusenkammer' zwischen Volkswirtschaften mit ... hohem Gefälle an wirtschaftlicher Entwicklung" (Schlesinger, 1990, S. 3; vgl. auch Peschel, 1989, S. 560). Wie sinnvoll es ist, sie vielleicht schon bald aufzuheben, ist daher mit Blick auf das Gefälle in der EG zu fragen, nicht zuletzt nach den Erfahrungen mit der frühen deutsch-deutschen Währungsunion, auch wenn in dem Falle aus speziellen Gründen wohl kein anderer Weg blieb. Des weiteren bleiben langfristig Sprach- und Kulturgrenzen bestehen. Durch sie halten sich Wanderungen in Grenzen, und soweit der Agglomerationsprozeß von ihnen genährt wird, wirkt er weniger stark.

C.

Ein Europa der Agglomerationen als Ergebnis des Binnenmarkt-

prozesses? Im vorangegangenen Teil wurde versucht, jeweils einen Bezug zwischen einzelnen genannten Faktoren der räumlichen Konzentration und den vom Binnenmarkt vermutlich ausgehenden Effekten herzustellen. Das Verhältnis der Faktoren zueinander und insbesondere die mögliche 37

Kompensationswirkung gegenläufiger Effekte kann hier nicht nachvollziehbar oder gar quantifiziert abgeleitet werden. Dazu bedürfte es, wie erwähnt, einer geschlossenen Theorie der langfristigen regionalen Entwicklung in einem Mehr-Staaten-Großraum mit bevorstehenden weiteren Integrationsschritten, die alle diese Aspekte zu berücksichtigen hätte14. Die vorliegenden empirischen Studien gehen, weil viele spezielle Binnenmarkteffekte letztlich stark über die Branchen auf die Regionen wirken, in der Regel den Weg vom Sektor zur Region, beschränken sich aber auf die Mitgliedslandebene (Buigues u.a., 1990) oder auf Regionen innerhalb eines Mitgliedslandes (z.B. Nerb, 1990). Hingegen scheint nach wie vor keine ausführliche und umfassende Studie vorzuliegen, die europaweit nach Regionen unterhalb der Mitgliedslandsebene vorgeht, auch nicht von Seiten der EG-Kommission, die hieran vorrangig Interesse haben müßte. Und wenn sie erstellt wird, sollte sie nicht nur sektorale Aussagen regionalisieren, sondern auch andere Charakteristika der Region als nur ihre Branchenstruktur erfassen und beispielsweise auch etwas zu den "weichen" Faktoren ausführen. I.

Zwei Stufen der Binnenmarktauswirkungen

Wenn man - sozusagen als Vorübung zu geographisch umschriebenen Aussagen über Binnenmarkteffekte (11) - die verschiedenen eher theoretischen Studien und Hypothesen im Überblick betrachtet (Zimmer-

14 Einige dieser Größen führt der Ansatz von Bieht auf (Bieht, 1976), der die Entfernung vom wirtschaftlichen Schwerpunkt der EG hervorhebt (ebd., S. 84-86).

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mann, 1990), so erscheint es mir - und erschien es vielen Teilnehmern am Regional Science Congress in Cambridge/England im Sommer 1989 - besonders fruchtbar, zwei Stufen der regionalen Auswirkungen des Binnenmarktes zu unterscheiden 15• In der ersten überwiegen die zentripetalen, in der zweiten die zentrifugalen Tendenzen im Regionengefüge der EG. a.

Die erste Stufe

In einer ersten Phase nehmen nach der Hypothese von Williamson (1975) die regionalen Wohlstandsunterschiede zunächst zu. Dies kann man mit Blick auf die zuvor erörterten Faktoren so begründen, daß in der verhältnismäßig kurzen Frist die bestehenden Urbanisations-, Lokalisations- und Skaleneffekte bezogen auf die bestehende Sektoralund Regionalstruktur fortwirken. Auch Verfügbarkeit und Preise von Produktionsfaktoren und ebenso die Leistungen aus der öffentlichen Infrastruktur wirken an gleicher Stelle und in gleicher Weise wie zuvor. Wenn dann Unternehmen kurzfristig Anpassungen über Preise, Lieferfristen usw. vornehmen und allenfalls Prozeß- und Produktinnovationen hinzugenommen werden, die sich mit den eingespielten Verhaltensweisen im Unternehmen in wenigen Jahren realisieren lassen, so sind vermut-

15 Dies erwies sich auf der Tagung der Regional Science Assoclation in Cambridge/England, 1989, aufbauend auf Aussagen von Nijkamp, 1989, und Williamson, 1975, als sehr fruchtbar und wurde einer früheren Ausarbeitung des Verfassers (Zimmermann, 1990) zugrundegelegt, auf die sich auch die weiteren Ausführungen weitgehend beziehen.

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lieh diejenigen Unternehmen besonders gut gestellt, die dies bisher schon überdurchschnittlich gut beherrschten. Innerhalb der Siedlungsstruktur eines Mitgliedslandes dürften diese Vorgänge tendenziell agglomerationsfördernd wirken, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen werden auf diese kurze bis mittlere Frist innerhalb jedes Mitgliedstaates die Agglomerationen gefördert, die bisher schon erfolgreich waren. Nur wenn der größere Teil des Wachstums, insbesondere des exportabhängigen, schon bisher aus nicht-agglomerierten Landesteilen stammte, ändert sich die Aussage. Bei der entsprechenden Interpretation der Siedlungsstruktur ist darauf zu achten, daß der Ballungsraum statistisch nicht zu eng gezogen wird, sondern auch der dritte oder vierte "Ring" der nach außen zeigenden Entwicklung noch erfaßt wird. Andernfalls wird etwas dem nicht-agglomerierten Raumtyp an Wachstum zugeschrieben, was dem Ballungsraum zu verdanken ist (Zimmermann, 1980, S. 5; Birg, 1984, S. 7). Zum anderen gibt es eine zusätzliche Tendenz hin zur Mitte des EG-Raums, und vielleicht kann man sie als die i.e.S. zentripetale Bewegung ansehen. Weil in der Mitte der EG sich die - wirtschaftlich erfolgreichen - Agglomerationen häufen, ist logischerweise dort auch eine Häufung der Binnenmarkteffekte dieser ersten Stufe zu erwarten. Alte Industriegebiete sind natürlich, soweit sie sich als nicht anpassungsfähig erweisen, von dieser Aussage ausgenommen.

40

b.

Die zweite Stufe

Über eine längere Zeit kann die Entwicklung in der EG dann wieder eine zentrifugale Tendenz zeigen, in dem Sinne, daß die peripheren, nicht-agglomerierten Räume verstärkte Chancen erhalten. Dazu können zunächst die Umwelteffekte in den zuvor begünstigten Agglomerationen beitragen, denn sie erhöhen dort die sozialen Kosten, und in dem Maße wie sie durch eine - zunehmend nach dem Verursacherprinzip verfahrende - Umweltpolitik angelastet werden, erhöhen sie die Kosten des privaten Wirtschaftens dort, sowohl für Unternehmen als auch für private Haushalte. Auch die auf die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zielenden Ausgleichsmechanismen, wie sie im neoklassischen Modell unter der Annahme voller Mobilität abgeleitet werden, zeigen in dieser längeren Frist durchaus ihre Wirkung, so daß eine Tendenz der Wachstumskräfte in Richtung der Regionen mit niedrigeren Faktorpreisen zu erwarten ist. Voraussetzung ist, daß die Faktorpreise dort nicht schneller erhöht werden, als die Produktivität steigt, weil andernfalls die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht in die peripheren Räume gehen werden, wo andere Nachteile, wie die oft größere Entfernung zu den Zentren, ausgeglichen werden müssen. Die beiden genannten Phasen überlappen sich. Wenn vorausschauende Unternehmen schon heute in Spanien oder Wales investieren, zeigen sich Elemente der zweiten Phase bereits jetzt. Die übergreifende Frage, wie stark die zweite Phase eine vorausgegangene oder noch mitwirkende Divergenzneigung kompensieren kann, ist nicht zuverlässig zu beantworten. Nicht zuletzt sind hier die laufenden Entscheidungen im öffentlichen Sektor von Bedeutung. So wurden in der Vergangenheit Entschei41

dungen über große Infrastrukturinvestitionen immer wieder zugunsten der Agglomerationen getroffen, wie man insbesondere in der VerkehrspOlitik, und zwar sowohl für den Individualverkehr als auch für den schienengebundenen Verkehr, sehen kann (Hamm, 1989).

11.

Zur geographischen Verteilung der BinnenmarktetTekte

Die Aussagen zur geographischen RInzidenzRmüssen völlig hypothetisch sein, denn - wie gesagt - kann man sich bisher nicht auf eine EG-weite regionalisierte Studie stützen, die unter Zuhilfenahme der zuvor getroffenen und weiterer ähnlicher Aussagen die Binnenmarkteffekte speziellen Regionen zugeordnet hätte. Der Gesamteffekt des Binnenmarktes auf die Regionalstruktur ist, als Zusatzeffekt zu dem, was sich in Europa auch ohne den Beschluß von 1985 ereignet hätte, sicherlich nicht als allzu groß einzuschätzen, zumal sich die Wanderungs prozesse wegen der sprachlichen und kulturellen Barrieren in Grenzen halten werden 16• Das ist im Auge zu behalten, wenn im folgenden versucht wird, die Effekte geographisch grob zuzuordnen. - Die erste Stufe Wenn man sich die agglomerationsfördernden Effekte und die großräumigen zentripetalen Kräfte der ersten Stufe vor Augen hält und sich

16 Nach einer Aufnahme der Türkei in die EG wäre allerdings aufgrund des extremen Entwicklungsgefälles mit starken Einwanderungsströmen trotz der genannten Barrieren zu rechnen.

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fragt, wo die Effekte regional überwiegend auftreten, so kann man sich offenbar am ehesten auf die von Brunet aufgestellten Thesen (Brunet, 1989, S. 78) einigen, auch wenn es sich dort nicht um im genannten Sinne aus vielen Faktoren konsistent abgeleitete Aussagen auf Basis eines spezifizierten Modells handelt, sondern um weitgehend "freihändige" Aussagen. Danach sind es zwei Regionen innerhalb Europas, die von einer Zunahme der wirtschaftlichen Aktivitäten allgemein profitieren würden. Nur auf diese allgemeinen Effekte bezieht sich die Studie, nicht auf die Binnenmarkteffekte; wenn aber in der ersten Stufe die Zuwächse durch den Binnenmarkt sich wie die derzeitigen modern strukturierten Kapazitäten verteilen, ist es insoweit zulässig, die Ergebnisse einer solchen allgemeiner gehaltenen Studie heranziehen. Demnach wird sich zum einen ein zentrales geSChwungenes Entwicklungsband von London über Brüssel, das Ruhrgebiet und den Raum München bis nach Oberitalien ziehen I7 . Dies ist der Bereich, in dem schon heute die meisten modern strukturierten Agglomerationen der EG liegen 18. Unter Binnenmarktaspekten paßt hierzu, daß hier die Grenzöffnungseffekte konzentriert auftreten. Zum anderen werden nach dieser Studie die Regionen des "sunbelt" vor allem in mittelfristiger Perspektive an Attraktivität und Standortqualität gewinnen, also das Gebiet von Nordspanien über Südfrankreich bis Oberitalien, wo es sich mit dem zuerst genannten Gebiet

17 Aussagen von Brunet, 1989; Alia, 1989 (S. 75), prägte die Bezeichnung "blaue Banane". 18

S.47.

Vgl. auch: o.V., Bundesregierung, Raumordnungsbericht 1990, 43

überschneidet. Die im EG-Sinne peripheren Regionen werden in der ersten Phase vergleichsweise weniger profitieren. Wie verhält sich nun diese fast aprioristische Hypothese über die geographischen Auswirkungen des Binnenmarktes in der EG-Mitte zu den vorherigen Aussagen über die einzelnen Einflußgrößen der räumlichen Konzentration und speziell auch zum Aussagenbereich einer Agglomerationstheorie? Dieser Zusammenhang läßt sich mittels einiger Aussagen zu diesem zentralen Entwicklungsband verdeutlichen: - Es ist einerseits in sich unter regional- bzw. raumordnungspolitischen Gesichtspunkten keineswegs ideal strukturiert. Sehr großen Agglomerationsgebieten - mit dem Ruhrgebiet als immer noch größter europäischer Agglomeration - stehen oft wenig Entlastungsräume gegenÜber. - Es enthält andererseits aber sehr viele moderne Wachstumszonen 19, und speziell für sie ist es gut eingeriChtet, beispielsweise durch Verkehrsachsen. - Es liegt in der EG-Mitte und hat dadurch ein fast unendliches Hinterland. Dies ist beispielsweise in den USA anders, wo sozusagen die peripheren Räume in der Mitte liegen. Damit ist die Agglomerationstheorie im zuvor beschriebenen Sinne (B I) zu einem Teil relevant:

19

44

Zur Umschreibung s. etwa Postlep, 1982, S. 117ff.

- Zum einen ist sie direkt anwendbar, weil das Entwicklungsband von Agglomerationen dominiert wird und diese sich wechselseitig verstärken. Sie würden auch dann ein großes Potential darstellen, wenn sie, wie Kalifornien in den USA, am Rande des Großraums lägen. - Zum anderen wirken einige der von ihr herangezogenen Einzelfaktoren in ihren Wirkungen auch über sehr weite Distanzen jenseits der Arbeitsmarktregion. Dies zeigt sich beispielsweise in den Standortentscheidungen von Großunternehmen mit mehreren Produktionsstätten. - Die zweite Stufe In der zweiten Phase haben naturgemäß die modernen Ballungsgebiete weiterhin eine gute Ausgangsposition. In einer solchen längerfristigen Perspektive wirken aber dann Unterschiede in den Produktionskosten, aber auch "weiche" Faktoren wie die Ausrichtung der Politik auf die Wirtschaft usw. stark mit, wenn es um die regionale Verteilung der Produktionskapazitäten geht. Welche dieser Ballungsgebiete, vor allem aber welche der peripheren Regionen der EG von Schottland und Irland über Portugal, den größten Teil Spaniens, Süditalien und Griechenland auf Dauer von dem erweiterten Markt besonders viel oder besonders wenig profitieren werden, wieweit also i.e.S. zentripetale oder zentri-

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fugale Kräfte vom Binnenmarkt 1992 ausgehen, ist von einigen der genannten Faktoren in besonderem Masse abhängig2O: - Wieweit kann ein peripherer Raum seine Standortgunst, die er derzeit aufgrund niedriger Kosten (bei den Löhnen, aber auch im Umweltbereich) aufweist, erhalten? - Wie stark machen sich dort Effekte aus den Zentren bemerkbar, z.B. Überschwappeffekte oder auch umweltbedingte Verdrängungseffekte? - Welche Regionen sind bereit, zusätzliche wirtschaftliche Aktivitäten intensiv zu fördern (WirtsChaftsklirna)? Auf Dauer jedenfalls ergeben sich hierdurch auch erhebliche Chancen für die peripheren Räume, so daß die Sorge um eine immer stärker werdende Auseinanderentwicklung im Gefolge des Binnenmarktes langfristig wohl nicht begründet ist (vgl. auch Peschel, 1989, S. 561). Auch wird sich dann zeigen müssen, ob Finanzausgleich und Strukturfonds in der EG den derzeit benachteiligten Regionen, also außer den peripheren Regionen auch den altindustriellen Ballungsgebieten, eine bessere Basis für eine eigenständige Entwicklung haben verschaffen können.

20 Anlaß zum Nachdenken geben u.a. die sehr unterschiedlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts im Zeitraum 1980-1986. Vgl. Carmona-Schneider!Schütte, 1989, S. 658 und ebd., Karte 2.

46

- Zur Lage der Bundesrepublik Deutschland Den Abschluß sollen einige Anmerkungen zur Lage der Bundesrepublik Deutschland in diesem regionalen Gefüge bilden. Vor der Grenzöffnung zur DDR und vor den Entwicklungen in den Ostblockstaaten lag Deutschland zwar mit seinem Westteil in dem Bereich, der zumindest von den ersten Stufen der Binnenmarkteffekte profitieren würde; das Zonenrandgebiet hingegen blieb ein - auch EG-peripherer - Problembereich. Durch die Entwicklung der jüngsten Zeit hat man sich die "Banane" wahrscheinlich leicht nach Osten verschoben vorzustellen, so daß jetzt die Bundesrepublik noch stärker profitiert. Städte wie Nürnberg, Hannover und Hamburg hätte man zuvor nur unsicher einschätzen können, jetzt aber haben sie gute Chancen der Fortentwicklung. Natürlich werden die fünf neuen Länder noch für einige Jahre mit erheblichen Problemen behaftet sein. Aber es ist wotiluawabrscbeinlicb, daß sie auf Dauer in den Status einer problematischen peripheren Großregion verfallen. Dafür ist die Siedlungsstruktur zu ausgewogen, sind die Ansprüche an die Lebenshaltung und damit auch das Erwerbsstreben zu stark und ist die Finanzkraft der" Altbundesrepublik" für Anschubfinanzierung aller Art zu groß, als daß man ein solches negatives Szenario ernstnehmen müßte. Das aber bedeutet, daß auch die neuen Bundesländer von den langfristigen Effekten des Binnenmarktes voll profitieren dürften, daß also dauerhafte zentripetale Tendenzen insoweit nicht zu befürchten sind. Hinzu kommt ja schließlich, daß die Öffnungstendenzen in den Ostblockstaaten der Bundesrepublik und auf Dauer insbesondere den neuen Bundesländern zusätzliche Chancen eröffnen. Nicht zuletzt dürfte in einem so erweiterten deutschen Wirt47

schaftsraum mit verstärkten Beziehungen zum Osten und, durch den Binnenmarkt bedingt, einer Marktöffnung nach Westen die Region Berlin eine zentrale Stellung einnehmen.

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49

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51

Diskussion

zum Referat von Horst Zimmermann Berichterstatter: Joachim Volz Die Diskussion bezog sich schwerpunktmäßig auf die empirische Relevanz bzw. Nachweisbarkeit der vorgetragenen Thesen, auf den aktuellen Bezug zur innerdeutschen Entwicklungsdynamik und auf eventuell erforderliche Korrekturen bei Einbeziehung auch sogenannter ·weicher" Faktoren. Der Binnenmarkt sei ein schon seit Jahrzehnten fortschreitender Prozeß, der sich in immer neuen Stufen weiterentwickele. Daher sei zu fragen, ob es nicht bereits jetzt empirisch abgesicherte Erkenntnisse zu den Thesen über die Regionalentwicklung im Gemeinsamen Markt gebe. Insbesondere sei es von Interesse, wie lange eigentlich die erste Phase (in der nach Zimmermann die zentripetalen Kräfte überwiegen) im Vergleich zur zweiten Phase (mit Dominanz der zentrifugalen Kräfte) dauern werde. Schon heute müßten doch in verschiedenen Bereichen die erwarteten Mechanismen der zweiten Phase wirken. Sind diese tatsächlich nachweisbar, und wenn nicht, warum nicht? Ferner wird auf den Konflikt hingewiesen, der sich ergibt, wenn starkes Wirtschaftswachstum eng mit zunehmender Agglomeration verbunden ist. Wie könne dann das Spannungsverhältnis aufgelöst werden, daß sich negativ zu beurteilende Faktoren, wie etwa die Umweltproblematik, verstärken, bei späterer Deglomeration dann aber durch ein schwächeres Wirtschaftswachstum zunehmende Arbeitslosigkeit verursacht werde?

52

Tatsächlich - so der Referent - sei es schwierig, die Phasen im einzelnen nachzuweisen, jedoch habe die Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft nach 1958 sie alles in allem erkennen lassen. So habe die erste Phase etwa fünf bis sieben Jahre gedauert, eine Zeit, in der in den Agglomerationsgebieten des Gemeinsamen Marktes viele neue Produktionsstätten entstanden seien. Allerdings solle man mit der Zahl der Jahre bei einer solchen Abgrenzung nicht kleinlich verfahren. Durch Binnenmarktfortschritte sei die erste Phase immer wieder erneuert worden. Auch heute würden die Ballungsräume leider noch einmal zuerst profitieren. Die Politik könne sich aus dem angesprochenen Konflikt kaum endgültig befreien und müsse immer wieder nach pragmatischen Lösungen suchen. Zu dem Hinweis aus der Diskussion, daß die meisten Regionaltheorien die Fläche vernachlässigen (warum war z.B. Spanien in den achtziger Jahren so erfolgreich?) und daß Untersuchungen zeigen, um wieviel stärker oft nationale Faktoren im Vergleich zu regionalen wirken, sei zu sagen, daß die Regionaltheorie in den letzten Jahren tatsächlich kaum Fortschritte gemacht habe. Eine Reihe von Fragen wandte sich nun der innerdeutschen Problematik zu und versuchte zu klären, wieweit die Ausführungen auf die dynamischen innerdeutschen Integrationsprozesse anzuwenden sei. So wurde aus ostdeutscher Sicht gefragt, ob man gemäß der definierten ersten Phase im Jahre nach der "Wende" schon positive Faktoren beobachten könne. Aus gleicher Perspektive wurde darauf hingewiesen, daß auch andere als Binnenmarktfaktoren zentripetale und zentrifugale Kräfte entfalten, so z.B. der deutsche Einigungsprozeß: Soll man in Ost- oder in West53

deutschland investieren? Wie wirkt in diesem Zusammenhang etwa die Vereinheitlichung des Umweltrechts? In seiner Antwort gibt Zimmermann die Einschätzung, daß wohl zunächst die alten Agglomerationen bevorzugt würden, da zu wenig ftöffentliches ft Geld für neue ftEntlastungsgebieteft zur Verfügung gestellt werde. Auf die Frage, ob es nicht problematisch sei, zum Ausgleich von Standortnachteilen für periphere Gebiete - zu denen gegenwärtig noch eine Reihe von Regionen der alten DDR gehörten - niedrigere Umweltstandards festzulegen, sei zu antworten, daß zwar auf lange Sicht überall gleiche Umweltstandards notwendig seien, die kostenwirksame Anpassung dieser Standards in den Neuen Ländern sich jedoch nach der Produktivitätsentwicklung richten müsse. Ein weiterer Beitrag zielte auf die Bedeutung der Wirtschaftsstruktur für die regionalwirksame Kräfterelation. Möge es auch sicher sein, daß die alten Agglomerationen wie insgesamt das hervorgehobene geographische Band von Agglomerationen unter der Bezeichnung der ftblauen Bananeft vom Binnenmarktprozeß und der innerdeutschen Dynamik profitieren, so sei doch zu fragen, ob innerhalb dieser industriellen Achse auch die alten Industriegebiete (z.B. das Ruhrgebiet) profitieren werden. In seiner Antwort weist Zimmermann auf die eigenständigen Anstrengungen und Anpassungen des Ruhrgebiets in den letzten Jahren hin. Das Ruhrgebiet werde aber auch in Zukunft von seiner Lage profitieren, die Anpassung werde dadurch erleichtert. Eine neue Diskussionsrunde wurde mit der Frage eingeleitet, ob man nicht auch die sogenannten "weichen ft Faktoren (genannt seien beispielsweise Stimmung und Psychologie) härter machen und damit Fakto54

ren finden könne, die einen Beitrag zur Deglomeration leisten können. Dies werde der Nord-Süd-Debatte innerhalb der Europäischen Gemeinschaft zugute kommen. Ein Diskussionsteilnehmer stellte sogar die Wirksamkeit der EG-Regionalpolitik überhaupt in Frage, wenn weiche Faktoren dominieren. Aus Sicht Zimmermanns werden immer solche Differenzen in den weichen Faktoren verbleiben, und moderne Konzerne sind so flexibel, darauf zu reagieren. Die Gegenüberstellung von Spanien und Portugal einerseits, Griechenlands und in gewisser Weise sogar des Mezzogiorno andererseits zeige deutlich, wie entscheidend letztlich politische Stimmungen für die Investoren und die Dynamik der Entwicklung sein könnten. Allerdings könne die Regionalpolitik als zusatz-

lieher Faktor die Entwicklung doch immer mit beeinflussen. Ohne dies für sich genommen in Zweifel zu ziehen, waren Skeptiker unter den Diskussionsteilnehmern überzeugt, daß auch die Europäische Gemeinschaft die "Banane" nicht auflösen könne. Die sogenannte zweite Phase des Binnenmarktprozesses dauere wesentlich länger als fünf bis sieben Jahre. Auf die Probleme in den neuen Bundesländern gewendet, wurde daran die Frage geknüpft, ob es überhaupt tolerierbar sei, daß die erste Phase sieben Jahre dauere. Dies sei zu verneinen. Entscheidend sei, wie man die harten und weichen Faktoren beeinflussen könne. Dies müsse nicht immer nur mit Geld geschehen. Zu fragen sei auch, wie man Verteilungs- bzw. Gerechtigkeitskriterien optimal mit Effizienzkriterien verzahnen könne. Diesem Hinweis ist nach Zimmermann im Prinzip zuzustimmen. Wie auch die amerikanischen Erfahrungen des letzten Jahrzehnts zeigten, sei das "wie" immer wichtiger als das "wieviel". Dies sei jedoch eine Idealvorstellung, politisch sei dagegen oft keine optimale Lösung zu finden. 55

The impact oC the Internal Market by industrial sector: the challenge Cor the Member States

By Pierre Buigues

1.

11. III. IV.

Identification and importance of the sectors most affected by 1992 Sectoral specialisation and comparative advantages Adjustments in the most industrialised Member States Adjustment paths for the least developed Member States of the Community

This study forms apart of the ongoing reports on tbe "Economics of 1992" and attempts to measure the structural consequences of the completion of the Single Market on each Member State's manufacturing industry. The objective is: to provide, for the first time and following a similar methodology, an evaluation of structural adjustments within all of the industrial sectors affected by 1992 for all the Member States; to discuss the impact of certain Community policies (mainly competition and external trade policies) on the structural adjustment process in Member States.

56

I.

Identification and importance of the sectors most afTected by 1992

An initial listing of those sectors most affected by 1992 has been made

at the Community level on the basis of a number of structural criteria 1. This listing led to the selection of 40 industrial sectors out of 120 considered. These 40 sectors where non-tariff barriers impede intra-Community trade represent about 50% of industrial value added in the Community. They can be classified into four groups according to their level of intra-Community trade and the level of price dispersion that identical products display across Member States: High-lech pub/ic procurement markets:

The presence of multinationals in these industries (telecommunications, computers, medical equipment... ) explains the low level of price dispersion and high degree of intra-Community trade that they display. However, extra-Community

im~ts

outweigh intra-

Community imports and European firms currently suffer a productivity disadvantage when compared with their American and Japanese competitors. Furthermore these are high-growth markets where R&D expenditure is significant.

1 The principal indicators are the following : the level of non-tarif{ barriers and the dispersion of prices for identical products between Member States which measure the level of fragmentation of the Community Market and the rate of penetration of imports which measures the share of domestic demand accounted for by imports. These indicators were constructed for 120 industrial sectors.

57

Traditional public procuremenl and regulaled markels: Two sub groups of industries fall under this category. One of these consists of such sectors as energy generating plant and railway equipment which are characterised by a low level of intra-Community trade and high levels of intra-Community price dispersion. Each national administration favoured a national champion in the past. A lot of restructuring (mergers, concentration, site closures) is underway in response to both the potentially significant economies of scale and the currently low levels of capacity utilisation.

The other group includes sectors such as shipbuilding and electrical engineering where the level of intra-Community trade is low but in contrast to the preceding group, price dispersion is limited as a consequence of extra-Community imports.

Sectors with moderate non-tariff harriers: This fourth group, which represents nearly one third of manufacturing industry's value-added, not only covers mass-consumer products (white goods, television, textiles and clothing) but also certain capital goods (machinery) and intermediate goods. These sectors are still affected by technical, administrative or fiscal barriers which continue to limit intra-Community trade and allow for significant price dispersion. The impact of the creation of the Single Market should, in general, affect downstream operations (distribution networks) and involve the

58

establishment of Community purchasing centres. Such developments could allow for greater price convergence.

The significance The weight

0/ the sectors affected by 1992

0/ industrial employment in these 40 sectors listed at the

Community level varies between 55% (Germany) and 39% (Spain). In the southem countries these 40 sectors represent a relatively low share of industrial value added. In effect, in these countries the sectors related to public procurement and high technology markets are almost entirely absent from industrial activity and they are therefore less protected than in the northem countries. In addition, when the ·national expertswere requested to verify the pertinence for their own countries of the list of 40 sectors relevant at the Community level, it was the southem group.,.and,es~ially".Portu~l. and Greece, but also Spain and Italy wh ich provided the most substantial changes. Among some of these countries, sectors related to textiles and food were added to the list since they are protected by specific barriers (export grants in Greece, tariff barriers or quotas in Portugal). After these modifications, the share of industrial employment for the sectors most affected by 1992 rose for the southem countries, reaching 68% in the case of Portugal, 61,5% in Greece and 48% in the case of Spain.

59

11.

Sectoral specialisation and comparative advantages

The lifting of non-ta riff barriers by abolishing the current protective mechanisms on national markets could eventually change the pattern of sectoral specialisation. By considering all the industrial sectors (120 in total) an analysis of the comparative advantages of Member States reveals certain striking features: For Germany, its R&D intensive sectors and those displaying significant economies of scale have strong external performances. Sectors wh ich depend heavily on skilIed labour are also characterised by good economic performances.

France has comparative advantages in capital and R&D intensive sectors whereas it is weak in unskilled labour intensive industries. The United Kingdom is characterised by good trade performances in R&D intensive sectors but has weaknesses in capital intensive industries. ltaly differs markedly from the previous three countries. Indeed,

Italian industry

hold~

a strong position in labour-intensive sectors.

However, weak trade performances characterise capital intensive sectors which display economies of scale. The strength of the Italian economy can be credited to fragmented sectors wh ich are dominated by small firms.

60

Belgium and Ihe Nelherlands perfonn well in capital intensive sectors and more generally in traditional, heavy industries.

Denmark and Irelanti face a comparative disadvantage as far as industries characterised by scale economies are concerned. Ireland, which bas a weak position in traditional sectors (textiles, footwear), is well placed in high-tech branches due to the presence of multinationals2•

Spain presents contrasting performances according to whether one judges its position in relation to Community countries (comparative advantage in labour-intensive sectors) or in relation to the rest of the world (good performances in capital intensive sectors). Thus, Spain has witnessed industrial growth around sectoral poles such as the auto motive and white goods industries.

Portugal and Greece have strong positions in labour-intensive sectors (clothing, footwear). However, these countries are weak performers in R&D intensive sectors. Hence, the positioning of Member States on those sectors where there currently exist non-tarif{ trade barriers, is consistent with their comparative advantages according to the evidence at the level of the 120 industrial sectors. The completion of the Single Market should therefore neither upset the Mix of sectoral specialisations across Member States

2 More than 80% of total employment in these sectors are accounted for by multinational enterprises in Ireland.

61

nor lead to massive transfers of economic activities between geographie zones. Nevertheless certain dynamic adjustments could occur in the medium term and it is worthwhile to sketch here a number of potential evolutionary scenarios whose probability of occurrence will depend on the type of Community polieies that will be implemented. III. Adjustments in the most industrialised Member States

For these countries, economie integration is already weIl advanced and production methods are similar. Goods of the same type but of differing brands or qualities are traded between them (intra-sectoral trade dominates). The nature and quality of infrastructures, training levels and access to funding are relatively comparable. Thus even in some weak sectors of a Member State, there are dynamic firms whieh can export successfully. The challenges that such Member States face are therefore not sectoral. Instead, the outcome will depend on their firms' potential to adapt to a new type of business environment. Consequently two broad types of strategie responses to the Internal Market result: On the one hand, within firms, decisions have to be taken on how to adjust the allocation of resources. Such changes can be witncssed throughout production activities; e.g. geographical widening of potential suppliers, reduction in the number of sites for stocks due to reduced transport costs, creation of new 62

produetion plants on the markets to be penetrated or reduetion of plant numbers to maxi mise scale economies. On the other hand, in view of the wider spread of markets, firms' strategies relating to alliances, collaboration or mergers are being altered. The total number of acquisitions by the largest industrial European firms continues to increase (from 208 in 1984/85 to 492 in 1988189). Furthermore, since 1987 one can observe an inerease in the number of acquisitions whieh involve firms in two different Member States and these Community deals are also inereasing in size. Finally mergers and takeovers are preferred to minority acquisitions and joint ventures. This dual strategie reaetion accompanies a growing movement of firms towards internationalisation. Thus, econometric studies have clearly demonstrated that the completion of the Single Market should enhance the average size of firms and allow them to internationalise their operations. Indeed, the Single Market implies a direct presence of firms within a large number of Member States. This presence can be aehieved via acquisitions or greenfield investments. A review of recent developments in the field of direct investments and transfrontier acquisitions yields the following features: A comparison between Member States' stocks of foreign direct investments yields notable differences which result in variations of the degree of internationalisation of European firms. The stock of foreign direct investment as aproportion of GOP is 23% in

63

the Vnited Kingdom, 36% in the Netherlands, 7% in Germany and France and 4% in Italy. As far as acquisitions of companies are concerned, recent data

shows that British firms are the most active in this field, accounting for 60% of the total of transfrontier acquisitions. The British are foUowed by the French (23,2%), Dutch (5,5%), Germans (3,5%) and Italians (3,5%). A similar ranking can be drawn for target firms. These differences in strategic behaviour can be firstly explained by noticeable structural factors. For example, the size of domestic stock markets plays an important role, with British firms accounting for 40% of total Community stock market value. Yet the completion of the integrated Single Market depends on the determination of firms to adopt European strategies, i.e. to extend their aClivities across the Single Market when such a move is justified in economic terms, without creating dominant positions which would be harmful to a healthy competitive environment. Such a development presumes that obstacles to intra-EC transfrontier deals will be lifted. Thus national legislation on corporate taxes should treat national and transfrontier operations equally whereas at present the lauer may be penalised vis cl. vis the former. In certain Member States hindrances on public share offers would also need to be removed since they practically prevent all such operations, whereas other Member States are very open to acquisitions by foreign firms.

In the long term, two scenarios might be envisaged. "The Europeanisation o[ firnIS". This scenario assumes that the

necessary measures to perfect the Single Market are taken. That is, measures which will allow firms from one Member State to operate in another with the same rights and obligations that they face on their domestic market will be implemented. This also implies the lifting of barriers to forming true European firms with regard to such factors as stock-markets, the operational managerial activities or in terms of the nationality of their directors. Efforts to enhance labour mObility and to remove legal and fiscal obstacles are necessary conditions for the success of this scenario. "National champions". In this scenario, Member States could try

to outbid one another in a beggar-thy-neighbour process by protecting their firms from takeover bids which they ean make in other countries, or by providing fiscal incentives or significant financial aids in order to attract foreign direct investment, or, finally, by only opening public procurement markets to foreign suppliers in a limited manner. Obviously for the sake of clarity these two scenarios are extremes but in order to make the first scenario effective and successful there will need to be a pOlitical will to implement accompanying policies to the Single Market programme (in the fiscal, social and competition fields). The observed adjustments in the northern countries suggest the second scenario is not impossible. In some recent examples, public authorities 65

have shown a tendency to favour partnerships between national firms such that, these can reach the critical size to be able to match firms in other Member States. This preference for a national approach could work against the Community interest. In fact, despite the growth in acquisitions involving companies trom two different Member States, producers with comparable market shares in each of the Member States are few. Even in the sectors which have been traditionally open, such as the automotive industry, firms until now have had significant domestic market shares and more or less marginal shares in the other Member States. In order to encourage the Europeanisation of firms and thus to assure an optimal distribution of firms on the Community market, the Commission has already drafted three proposals attempting to lift the fiscal obstacles to transfrontier operations. In effect, the directives on

"Mergers", "Parent companies and subsidiaries" and "Arbitration procedures" , aim to abolish differences in the fiscal treatment of the national and international operations of firms. With the same aim, the Commission intends to oppose aU regulatory barriers against public share offers and share swaps wh ich continue to exist in certain Member States. The regulation on the control of Community mergers has also been adopted. It will avoid the establishment of monopoly positions which would be against the consumer's interests. At the level of the Commission, there is a political will to implement measures which will favour the realisation of the first scenario. Beyond this, it is equally important for firms to accept having non-national 66

representation at board level and that managerial mObility, in the geographie sense, becomes a reality. These conditions are also of critical importance if true European firms are to be created. IV. Adjustment paths for the least developecl Member States of the Community

Two adjustment scenarios can be postulated for the less-developed countries of the Community: the first is of an inter-industry nature where they inerease their specialisation in those sectors where they eurrently enjoy comparative advantages and the second is an intraindustry scenario where the strueture of industrial produetion converges towards that found in the more developed countries of the Community. Of course, a host of combinations of thesetwo scenarios can be foreseen. Indeed, a country will not wholly adhere to one or other of the models presented below, but overall the form 0' industdal development that will ensue will be c10ser to one or other of the two possibilities.

Inter-industry scenario In the first scenario, the removal of non-tarif( barriers allows the southern countries to inerease the level of their Community exports of those produets in whieh they eurrently have a comparative advantage, i.e. labour-intensive sectors sueh as c10thing and footwear. This would result in an inerease in the level of inter-industry specialisation of these countries. This process would be reinforced by relocation of manufaeturing investment away from the North towards the southern states. 67

Indeed, surveys of European companies have demonstrated that such relocalisation would only affect a limited number of sectors but that they would be particularly relevant for traditional industries where labour costs account for a large proportion of total production costs (IFO survey of German firms). Studies have demonstrated that this first scenario could potentially provide significant gains to the southem states but it also carries significant risks. Thus, under this first scenario, the southem states become further specialised in low-demand growth industries, whose markets are facing increasing competition from developing countries. Another strategy open to the relevant Member States, under this scenario, consists of increasing product quality in traditional sectors (upgrading). Italian success in the footwear and quality clothing industries demonstrates this development path. Similarly in Portugal and Spain one can observe a modernisation of traditional industries such as footwear and clothing. The aim here is to develop non-cost competitive factors such as quality, design and brands and to produce more sophisticated products in order to compete with producers from less-developed countries. For this scenario to occur it will require a strengthening of management skills, improving professional training and the modemisation of productive capital.

68

Intra-indwtry scenario Under the second scenario, it is assumed tbat the southern states will progressively transform their current industrial specialisation patterns notably by seeking to strengthen their positions in high-tech industries where higher rates of demand growth can be expected. Under tbis scenario, there would be a reduction in inter-industry specialisation, in the southem states, in those sectors where they bave comparative advantages, and an improvement of their pedormances in sectors where they have traditionally been nel importers. This dual evolution would correspond with an increase in their level of intra-industry trade with the rest of the Community. This second scenario is drawn from the recent export performances of the southem states. In effect, one can observe, on the one hand, a deterioration of exports on both intra and extra-EC markets of traditional industry products such as clothing, footwear and textiles whereas, on the other, there has been an improvement in their competitive position in those sectors with greater tecbnology content, such as domestic electrical appliances. The declining export performances of the traditionally strong sectors of tbe southern states can be explained by the sharp increase in extra-EC imports emanating from the less-developed countries. The relocation of EC investment can encourage this restructuring process by introducing more modem production processes and by contributing to the increased specialisation of southern countries on niche markets with higher technological content. Indeed, such investment often entails technology transfer and an improvement in human capital. 69

Observed adjustment paths

Analysis of observed adjustment paths (national and foreign investment trends and corporate strategies) makes it possible to identify each southern country in one of the two scenarios. Thus between 1985 and 1989 the rate of investment was very significant in Spain and Portugal. Ouring these four years, the volume of manufacturing investment rose by 79% in Spain and by 43% in Portugal. In contrast, it fell by 18% in Greece over the same period. This helps to explain the near stagnation in growth of industrial production in Greece between 1988 and 1989 (6%) compared to the 17% increase in Spain and 19.5% rise in Portugal. Greece can also be distinguished from the other two southern states in terms of the growth of foreign direct investment flows. That is to say that, in Greece, the level has stabilised over the last three years whereas it has increased by a phenomenal amount in Spain and Portugal (by approximately 200 to 300%). Consequently, whilst national and foreign investment have been helping Spanish and Portuguese industries to restructure, there has been no such impetus in Greece. In Spain. 35% of manufacturing investment is accounted for by foreign-owned firms. Foreign direct investment tends to be centred on high-demand growth sectors (computers, electronics, pharmaceuticals). Thus, between 1986-89, 88% of the investment into these sectors originated from foreign owned firms, whereas, in low-demand growth sectors the corresponding percentage was only 11%. In Spain, foreign 70

direct investment should therefore aid the progression of higher technology content aetivities, in the framework of an intra-industry development scenario. Tbe reaetions of Portuguese and Spanish entrepreneurs, in the context of 1992, are significantly different. Firstly, their priorities are not the same. Portuguese industrialists foeus on produetion strategies, whilst the Spanish emphasise the need to differentiate products. Secondly, Portuguese businessmen are more reticent than Spanish entrepreneurs about collaborating with their European partners, be it in the fields of distribution or R&D. In effect, they initially wish to strengthen their market position by reorganising their production operations. Nevertheless, technological agreements between national and foreign firms are encouraged in developing Portuguese sectors. Another strategy consists of developing very specialised national small and medium enterprises to supply foreign multinational subsidiarics. Two Community policies, external trade policy and the structural funds, can influence the adjustment paths of the southern states. Tbus, continued protection, vis A vis less-developed countries, could incite these states to keep a specialised inter-industry structure. In contrast, a greater opening of the Community market would lead these count ries to focus their specialisation on growth sectors. In the short term, the first scenario (inter-industry development) requires less effort and carries lower adjustment eosts for the southern states, but in the medium to long term, it is questionable whether the second scenario would not be more effective in aHowing these countrics to catch up, notably by aHowing for greater technology transfer as weH as an improvement in 71

the level of human capital. Regardless of which scenario is chosen the structural funds must be used to reduce adjustment will differ according to the path selected.

;2

COSLS,

but their role

Diskussion zum Referat von Pierre Buigues Berichterstatter: Joachim Volz Im Anschluß an das ausführliche und mit einem umfangreichen Tabellenmaterial versehene Referat über die Ergebnisse empirischer Studien zum Zusammenhang zwischen der sektoralen und regionalen Entwicklung im Binnenmarktprozeß konzentrierte sich die Diskussion zunächst vor allem auf methodologische Probleme. Zunächst einmal sei zu fragen, ob man eigentlich die Regionen, wie dies teilweise im Referat geschah, mit den Mitgliedstaaten gleichsetzen könne. Müsse man nicht in Zukunft stärker eigenständige Regionen definieren und für empirische Untersuchungen heranziehen? Gerade dann, wenn in Zukunft die alten nationalen Grenzen wegfielen, sei dies von besonderer Bedeutung. Buigues stimmte diesem Einwand zu, wies jedoch darauf hin, daß man die Methodologie ohne weiteres auf die Regionalebene übertragen könne, wie ein Versuch in der Generaldirektion XVI der Kommission gezeigt habe. Allerdings seien bisher Handelszahlen in der notwendigen Form kaum für Regionen erhältlich. Ein solcher Mangel an Daten für Regionen wurde in der Diskussion als ein allgemeines Problem angesehen, das die empirische Forschung zu diesem Thema erschwert. Davon gibt es allerdings durchaus positive Ausnahmen. So hat das IfoInstitut eine Untersuchung durchgeführt, die die Wettbewerbssituation für 100

en zum Gegenstand hatte, wobei mehr als 10 000 Unter-

nehmen befragt wurden. Diese Daten könnten auch im Rahmen anderer Untersuchungen genutzt werden.

73

Im weiteren Verlauf der Diskussion wurde die dem Referat zugrunde gelegene Studie im Hinblick auf bestimmte Auslassungen kritisiert. So sei zu fragen, warum Dienstleistungen trotz der zunehmenden Bedeutung dieses Sektors überhaupt nicht einbezogen worden seien. Die Industrie habe heute doch zum Teil nur noch einen Anteil von 20 bis 30 vH an der Beschäftigung. Auch sei Osteuropa völlig außer acht gelassen worden. Buigues entkräftet diese Einwände insofern, als für Osteuropa bereits eine ergänzende Studie geplant sei. Auch eine Studie zu den Dienstleistungen sei in Arbeit; Ergebnisse sollen teilweise bereits im Herbst 1991 vorliegen. Des weiteren wird in der - schon von anderen Entwicklungsstudien her bekannten - Ausklammerung der Umweltfragen ein Problem gesehen. Man dürfe doch nicht davon ausgehen, daß sich die Transportströme in Europa wie in der Vergangenheit fortentwickeln. Transport- und Umweltprobleme Würden möglicherweise in Zukunft andere Standortstrategien in den Vordergrund rücken. Aus Sicht Buigues ist dies zwar richtig, jedoch nur sehr schwer in derartigen Studien zu berücksichtigen. Schließlich wurde mehr methodologische Transparenz für die Messung der Effekte von nicht-tarifären Handelshemmnissen eingefordert. Diese Effekte können nach Buigues tatsächlich nur grob mittels Befragungen evaluiert werden. Ein Index sieht drei verschiedene Stufen - von Null bis zu einer großen Wirkung - als Basis für die Einschätzung vor. Solche Schätzungen seien immer strittig. Ähnlich sei es auch bei der Messung von Preisdifferenzen, wo man ebenfalls drei Gruppen von Sektoren (bei Einbeziehung von insgesamt 120 Sektoren) unterschieden habe. Interessant sei, daß dabei tatsächlich große gruppenspeziflsche Unterschiede 74

in den nationalen Preisdifferenzen zutage getreten seien. Hinsichtlich des Zieles, binnenmarktsensitive Bereiche herauszufinden, sei die gewählte Methode also durchaus geeignet. Zum Schluß wandte sich die Diskussion dem Problem der Einbeziehung weicher Faktoren zu. Man könne diese bei der Interpretation von Untersuchungsergebnissen nicht einfach außer acht lassen, nur weil sie schwieriger zu erfassen seien. So könne ein Land etwa aus Gründen pOlitischer Labilität sich im Binnenmarktprozeß als wenig robust erweisen, auch wenn in bestimmten Sektoren länderspeziflSche Wettbewerbsvorteile vorhanden seien.

75

Die Wirkungen des Binnenmarktes auf Regionen mit spezifischer Charakteristik Zentrale Lage und modeme Wirtschaftsstruktur: Das Beispiel Baden-Württemberg

Von Gernot Nerb·

2. 3. 4.

1.

Wettbewerb der Regionen Günstige Ausgangsbedingungen für das Land Überdurchschnittlicher Nutzeneffekt des Binnenmarktes Wirtschaftspolitische Empfehlungen

1.

Wettbewerb der Regionen

Die Regionen Europas treten im Zuge der Vollendung des Europäischen Binnenmarktes in einen zweifachen Wettbewerb. Zum einen sollten sie den vorhandenen Unternehmen günstige Produktionsbedingungen bieten (Infrastruktur, Ausbildung der Arbeitskräfte, etc.), damit diese sich im verstärkten europäischen Konkurrenzkampf behaupten können. Zum anderen sollte es das Ziel jeder Region sein, durch gute Standortbedingungen neue Unternehmen der Industrie und des Dienstleistungsgewerbes aus zukunftsorientierten Bereichen dazu zu bewegen, sich dort anzusiedeln, um die Region auch von der Branchenstruktur

• Dieses Referat basiert auf dem vom Ifo-Institut zusammen mit dem lAW, Tübingen, im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Baden-Württemberg, erstellten Gutachten "Baden-Württemberg und der EG-Binnenmarkt 1992", Tübingen und München 1990. 76

her für den Europäischen Binnenmarkt wettbewerbs fähig zu halten bzw. zu machen. Die bedeutendsten Faktoren, welche den Grad der Wettbewerbsfähigkeit einer Region bestimmen, lassen sich grob unter den Kategorien Raumlage, Raumqualität und Wirtschaftsstruktur subsumieren.

2.

Günstige Ausgangsbedingungen für das Land

Als besonders positiv für Baden-Württemberg gilt seine günstige europäische Raumlage, und zwar in der Mitte eines sich von Südengland

über Belgien nach Norditalien erstreckenden Gürtels, der aufgrund seiner überdurchschnittlichen Wirtschaftsdynamik das "Rückgrat" Europas bildet (vgl. Abb.). Die direkte Lage an der Nord-Süd-Achse bedingt in Verbindung mit einer gut ausgebauten Infrastruktur eine günstige Verkehrsanbindung Baden-Württembergs an die europäischen Wirtschaftszentren. Im westlichen Teil des Bundeslandes wirkt sich die Nachbarschaft zu Frankreich positiv aus: Mit dem Elsaß verfügt Baden über ein wirtschaftlich gut entwickeltes Hinterland, was den Handelsaustausch und die wirtschaftliche Entwicklung fördert; auf Kommunalebene bestehen Gemeinschaftsaktivitäten zwischen Gemeinden aus Südbaden, dem Elsaß und der Schweiz. Von den positiven Effekten, die durch die zunehmende Einbindung Osteuropas in den EG-Wirtschaftsraum langfristig zu erwarten sind, wird auch Baden-Württemberg profitieren. Angesichts der zentralen Lage dieses Bundeslandes innerhalb einer später möglicherweise um die osteuropäischen Staaten erweiterten EG ist zu erwarten, daß sich die räumliche Standortqualität Baden-Württembergs weiter erhöhen wird.

77

Wachstumszentren in der EG Etablterte Wirtschafts-

zentren

EG-Aufsteoger

Ouelle: Ifo-Institut.

78

,

~ Osteuropa• Impuls

~ SkandonaVl8l'l.#' Impuls

Die räumliche Struktur innerhalb Baden-Württembergs läßt vom Entwicklungsniveau her gewisse Divergenzen erkennen. Zwischen den Regionen Baden-Württembergs bestehen wirtschaftliche Unterschiede, die z.T. jene zwischen den Bundesländern übertreffen. Als besonders stark entwickelt gelten die großen Ballungsräume Mittlerer Neckar, RheinNeckar/Mannheim und Mittlerer Oberrhein/Karlsruhe. Dort konzentrieren sich mehr als ein Drittel der Einwohner und fast die Hälfte der Produktion. Deutliche Unterschiede bestehen bei den Durchschnittseinkommen, die besonders im ländlichen Raum infolge der sektoralen Struktur niedriger ausfallen als in den Ballungsräumen. Allerdings gibt es zunehmend mehr Beispiele dafür, daß der ländliche Raum seinen Rückstand gegenüber den Ballungsräumen abbaut. Vor allem die Räume mit einem hohen Anteil des Verarbeitenden Gewerbes erwiesen sich als wachstumsstark. Der Standortfaktor Wtrtschaftsstruktur, der die Elemente Entwicklungsstand und -dynamik der Wirtschaft, industrielle Struktur sowie das Angebot an unternehmensbezogenen Dienstleistungen mit einbezieht, ist im Fall Baden-Württembergs ebenfalls sehr günstig ausgeprägt. Der branchenmäßige Besatz der baden-württembergischen Wirtschaft zeichnet sich durch eine Orientierung auf wettbewerbsfäbige Investitionsgüterindustrie und die Produktion von Gütern mit einem hohen Technologiegehalt aus. Verschiedene Studien belegen darüber hinaus, daß die Region im bundesdeutscben Vergleich eine herausragende Position in der Entwicklung wiChtiger produktionsunterstützender und innovationsorientierter

79

Dienstleistungen, wie beispielsweise Planung, Unternehmensberatung, Marketing sowie Softwareproduktion, einnimmt. 3.

Überdurchschnittlicher NutzenelTekt des Binnenmarktes

Die Ergebnisse der statistischen Analysen, der Unternehmensbefragungen und theoretischen Überlegungen lassen erwarten, daß der EGBinnenmarkt für die baden-würuembergische Wirtschaft ein Wachstumsund Beschäftigungspotential eröffnet, das ausgeprägter als im Bundesdurchschnitt sein dürfte. Baden-Würuemberg wird sicherlich zu den Gewinnern der EG-Integration gehören. Mit dem EG-Binnenmarkt geht ein Wachstumsimpuls einher, der einen positiven Einfluß auf die Investitionsnachfrage hat und dessen Ankündigungseffekte jetzt schon spürbar sind. Diese Nachfrage trifft vor allem Unternehmen des Investitionsgüter produzierenden Gewerbes (z.B. Maschinenbau, Elektrotechnik), welche in Baden-Würuemberg einen überdurchschnittlich hohen Anteil haben. Diese Unternehmen sind besonders stark exportorientiert und bisher schon - über den EG-Bereich hinaus - international wettbewerbsfähig. Ihre Kenntnisse über ausländische Märkte und Exporterfahrungen können in der doch deutlich von Unsicherheit geprägten Übergangsphase des Binnenmarktes von Vorteil sein. Vor allem der Importbedarf der südeuropäischen Länder, die im Zuge der Vollendung des Binnenmarktes ihre Industrialisierung vorantreiben, kommt dem Produktionsspektrum der baden-württembergischen Industrie entgegen. Von seiner sektoralen Struktur her hat Baden-Würuemberg also die Chance, von den Vorteilen des Binnenmarktes stärker zu profitieren als das übrige Bundesgebiet. Inwieweit diese Chance in Baden-Württemberg 80

tatsächlich ausgeschöpft wird, hängt sowohl von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch vom Verhalten der baden-württembergischen Unternehmen ab. Es kommt darauf an, ob die baden-württembergischen Unternehmen bereit und in der Lage sind, sich durch geeignete unternehmerische Strategien dem steigenden Wettbewerbsdruck anzupassen. Damit wird klar, daß es innerhalb der Branchen sowohl Gewinner als auch Verlierer geben kann. Den staatlichen Gebietskörperschaften bleibt in erster Linie die Aufgabe, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen an den Anforderungen des Europäischen Binnenmarktes auszurichten. Die ExporUätigkeit Baden-Württembergs erstreckt sich im Vergleich zum Bundesgebiet insgesamt stärker auf Märkte außerhalb der EG. Dies liegt u.a. darin begründet, daß die Güterstruktur der Importnachfrage der EG-Länder eine vergleichsweise geringere Übereinstimmung mit der Exportstruktur Baden-Würuembergs aufweist. Ebenso scheinen für Baden-Würuemberg im Hinblick auf die EG insgesamt keine überdurchschnittlichen Fühlungsvorteile für den Außenhandel zu bestehen. Damit wird auch deutlich, daß Baden-Würuemberg ein besonderes Interesse an der handelspolitischen Offenheit der EG nach außen haben muß. Eine Abschottung der EG gegenüber Drittländern würde Baden-Würuemberg aufgrund seiner regionalen Exportorientierung verhältnismäßig stärker treffen als andere Regionen. Nach der Handelsverflechtung mit einzelnen Ländern ist zu vermuten, daß Fühlungsvorteile vor allem für die Beziehungen zu Frankreich und Italien sowie zu den EFrA-Ländern Schweiz und Österreich eine Rolle spielen.

81

4.

Wirtschaftspolitische Empfehlungen

Die wirtschaftspolitischen Empfehlungen für Baden-Württemberg, die in der Studie im Detail vorgestellt werden, konzentrieren sich vor allem auf: eine Verbesserung des Informationstands, speziell bei kleineren und mittleren Unternehmen. Großes Interesse besteht bei den Unternehmen an mehr Informationen über die Auswirkungen der geplanten Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens, über Branchentrends in Europa sowie über konkrete Schritte zur Realisierung von Kooperationen; einen weiteren Ausbau der grenzüberschreitenden Kontakte auf regionaler, kommunaler und verbandswirtschaftlicher Ebene. Diese Kontakte sollten sich nicht nur auf wirtschaftlich starke Regionen beschränken, wie etwa Katalonien, RhOne-Alpes und Lombardei, sondern auch wirtschaftsschwache Teilregionen anderer Länder einbeziehen (z.B. in Form von Patenschaften); eine weitere Verbesserung und Verbilligung grenzüberschreitender Telekommunikationsleistungen; einen Ausbau der Exportberatung, speziell für kleine und mittlere Unternehmen;

82

Schaffen eines bedarfsgerechten Netzes von Transfer- und Technologieberatungsstellen sowie Hilfestellung bei Inanspruchnahme von EG-Fördermitteln auf dem Gebiet FuE; eine ausreichende Versorgung mit "venture capital", speziell für kleinere und mittlere Unternehmen; Handlungsmöglichkeiten im institutionellen und ordnungspolitischen Bereich: Qualifizierung von Arbeitskräften; attraktiveres Steuersystem, bessere verkehrsmäßige Anbindung Osteuropas an BadenWürttemberg sowie Maßnahmen zur Erhöhung des Freizeitwertes in Baden-Württemberg.

Literaturverzeichnis Empirica, 1989: Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Binnenmarktes 1992 auf Sektoren und Regionen der Bundesrepublik Deutschland, Kurzfassung, Bonn. Gürtler, J., Nerb, G., 1988: Erwartete Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Industrie der Bundesrepublik Deutschland und der EG-Partnerländer, Ifo-Studien zur Industriewirtschaft, Nr. 33, München. Körber-Weile, M., Enke, H., 1981: Die Auslandsverflechtung BadenWürttembergs 1960-1979, Bestandsaufnahme der vorhandenen Daten und erste Analysen, Band I, Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung, Tübingen. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1988: The Economics of 1992: An Assessment of the Potential Economic Effects of Completing the Internal Market of the European Community, in: European Economy, No. 35. 83

Moczadlo, R., 1985: Die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen in der Wirtschaft Baden-Württembergs, Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie BadenWürttemberg, Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung, Tübingen. Münzenmaier, W., 1988: Zur Bedeutung der Exporte für Produktion und Beschäftigung 1982 bis 1987, in: Baden-Württemberg in Wort und Zahl, Heft 6, S. 245-249. RWI, 1988: Konsequenzen der Vollendung des EG-Binnenmarktes für die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens, Essen.

84

Altindustrielle Regionen mit zentraler Lage: Das Beispiel RuhrgebIet

Von Roland Döhrn und Rüdiger Hamm

1.

2.

2.1 2.2 2.3 3.

Wirkungen der Integrationsprozesse Chancen und Risiken der Integrationsprozesse für die Ruhrwirtschaft Kurzcharakterisierung des Ruhrgebiets Die statische Dimension Die dynamische Dimension Schlußfolgerungen

Wenn noch vor etwa einem Jahr von "altindustriellen Regionen" die Rede war, so dachte man in der Bundesrepublik wohl meist unwillkürlich und zuallererst an das Ruhrgebiet. Dies hat sich inzwischen aus zwei Gründen geändert. Der erste Grund besteht darin, daß mit der deutschen Einigung die Umstrukturierungsprobleme alt industrieller Regionen im Vergleich zu den Umstrukturierungsnotwendigkeiten in den neuen deutschen Bundesländern in den Hintergrund gedrängt werden. Im Gebiet der ehemaligen DDR kristallisieren sich "neue" altindustrielle Regionen heraus, deren Probleme die der "alten" altindustriellen Regionen verblassen lassen. Für eine Region wie das Ruhrgebiet kann das heißen, daß sie künftig weniger um ihrer selbst willen als vielmehr wegen der Übertragbarkeit von Erfahrungen aus der Vergangenheit das Interesse von Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik findet. Dies um so mehr - und damit ist der zweite Grund für das erwähnte Umdenken angesprochen -, als die jüngste Entwicklung des Ruhrgebiets darauf hinzudeuten scheint, daß die Region bei der Lösung ihrer Anpassungsprobleme Fortschritte gemacht hat. Zumindest 85

ist die noch vor einiger Zeit vorherrschende Skepsis einer breiten Zuversicht gewichen, daß man anstehende Probleme wird lösen können. Es wäre dennoch verfrüht, das Ruhrgebiet anders zu typisieren als durch das Attribut "altindustrialisiert". Die regionalen Konsequenzen des EG-Binnenmarktes sind inzwischen in einer ganzen Reihe von Studien analysiert worden l . Angesichts der Wandlungen in Osteuropa ist aber zu fragen, inwieweit die dabei getroffenen Aussagen heute noch gültig sind. Speziell für die "alte" Bundesrepublik - und damit auch für das Ruhrgebiet - haben sich die Rahmenbedingungen im Laufe des vergangenen Jahres gravierend verändert. Die ehemalige DDR ist mit der deutschen Vereinigung selbst Teil der Europäischen Gemeinschaft geworden. Die Integration der ostdeutschen Bundesländer in den westeuropäischen Wirtschaftsraum hat eine Vielzahl ökonomischer Konsequenzen, die die erwarteten Folgen der Vollendung des Binnenmarktes, wie er ursprünglich zwischen den bisherigen Mitgliedstaaten

gepr~t

war, teils verstärken, teils aber auch

kompensieren können. Speziell für die Bundesrepublik sind die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der deutschen Einheit vermutlich sogar größer als die Integrationsgewinne durch den Binnenmarkt: Der vom Binnenmarkt ausgehende Wachstumsimpuls wurde auf jahresdurchschnittlieh etwa 0,7 bis 1,2 vH des Bruttoinlandsprodukts geschätzt2,

1 Als Beispiele mit Bezügen zu bundesdeutschen Regionen vgl. Hübl, 1989; Nam/Nerb u.a., 1990, S.lOff.; Sin1lSteinle, 1990, S.10ff.; Zimmermann, o.J.

2 Vgl. Commission of the European Communities, 1988, im folgenden zitiert als Ceccbini-Bericht. Die dort für einen Zeitraum von sechs Jahren angegebenen Wirkungen wurden hier in jahresdurchschnittliehe

86

wobei fraglich ist, ob der Impuls für die Bundesrepublik überhaupt die gleiche Stärke erreicht hätte. Allein die Impulse, die im Rahmen der deutschen Einigung aufgrund des Fonds "Deutsche Einheit-, also durch öffentliche Hilfen erwartet werden, werden auf 1 vH des Bruttoinlandsprodukts geschätzt3. Bereits diese Größenordnungen machen deutlich, daß es sich keinesfalls um marginale Verschiebungen der bislang abgeleiteten Binnenmarkteffekte handelt. Mit der Revision der Analysen der gesamtwirtschaftlichen Effekte muß zwangsläufig ein Überdenken der regionalen Folgen verbunden sein. Eine darüber hinausgebende Erweiterung der Fragestellung auf die langfristig zu erwartenden Effekte der wirtschaftlichen Integration der Länder Osteuropas soll hier jedoch nicht erfolgen, auch wenn erste Auswirkungen dieser Entwicklung bereits sehr kurzfristig - beispielsweise in einer Zunahme der OstWest-Transitverkehre - spürbar werden dürften. Im folgenden werden daher zunächst wesentliche Effekte des EG-Binnenmarktes und des deutsch-deutschen Integrationsprozesses in allgemeiner Form skizziert (Abschnitt 1). Nacb einer knappen Beschreibung der hier als Fallbeispiel ausgewählten Region soll auf die Relevanz der allgemeinen Effekte für das Ruhrgebiet eingegangen werden (Abschnitt 2).

Werte umgerechnet. 3 Der genannte Fonds sieht vor, daß das Gebiet der ebemaligen DDR zum Ausgleich eines Teils ihrer Haushaltsdefizite in den Jahren 1990 bis 1994 zunächst 22, dann 35,28, 20 und schließlich 10 Mrd.DM als Festzuweisung erhält. Vgl. Heilemann, 1990, S.195ff.

87

1.

Wirkungen der Integrationsprozesse

Aus der reinen Theorie des internationalen Handels sind die wohlfahrtserhöhenden Effekte einer Außenhandelsliberalisierung bekannt. Dieser Grundgedanke hat bei den Überlegungen zur Realisierung eines einheitlichen Binnenmarktes im europäischen Raum Pate gestanden: Durch den Abbau von Handelsbarrieren soll unmittelbar, insbesondere aber mittelbar über die Intensivierung des internationalen Wettbewerbs und damit verbunden über die Ausnutzung von Wachstumsspielräumen die Wohlfahrt der Europäischen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit erhöht werden. Allein die Vermutung (oder Hoffnung), daß Liberalisierungen im Handel für die Europäische Gemeinschaft insgesamt wohlstandssteigernd wirken, darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß diese Wirkungen das Ergebnis eines Wettbewerbsprozesses sind, dessen Ausgang prinzipiell offen ist und bei dem - bezogen auf Wirtschaftsbereiche, Staaten und Regionen - die Gewinner unterschiedlich verteilt sind bzw. ihnen wahrscheinlich sogar Verlierer gegenübersrehen 4 • Ganz ähnliche Überlegungen gelten im übrigen für den ökonomischen Integrationsprozeß beider deutscher Staaten. Die ökonomischen Wirkungen der deutschen Vereinigung werden sich hinsichtlich ihrer theoretischen Fundierung im Prinzip kaum, wohl aber in der Intensität und in der Dynamik von denen der europäischen Integration unterscheiden. Daher ist es zweckmäßig, die generellen Effekte ökonomischer Integration in

4 Auf den ambivalenten Charakter von Wohlfahrtsgewinnen wird hingewiesen bei Döhrn, 1989, S.159. Der Gedanke wird in der Außenhandelstheorie diskutiert. Vgl. z.B. Rose, 1974, S.389.

88

Anlehnung an eine im "Cccchini-Bericht"S gewählte Systematik darzustellen. Nach dieser Systematik sind zunächst die (komparativ-)statischen von den dynamischen Integrationseffekten zu unterscheiden. Von statischen Effekten sei hier dann gesprochen, wenn Liberalisierungsmaßnahmen zwar das gesamtwirtschaftliche Aktivitätsniveau, nicht aber die Entwicklungsdynamik verändern. Insbesondere vom Abbau der Grenzbarrieren (materiellen Schranken) und der Vereinheitlichung bzw. gegenseitigen Anerkennung technischer Normen wird eine den Handel vereinfachende und die Kosten senkende Wirkung und damit eine Aktivilätssteigerung erwartet. Eine besondere Bedeutung kommt den statischen Effekten im Rahmen des innerdeutschen Integrationsprozesses zu, weil die zwangsläufig notwendig gewordene Beseitigung materieller und technischer Grenzbarrieren in Verbindung mit einem Reintegrationsprozeß der ehemaligen DDR von Ost (RGW-Raum) nach West und der Preisgabe von Autarkiebestrebungen die Möglichkeit bieten, jahrelang aufgestauten Nachholbedarf zu realisieren. Dies geschieht zur Zeit (noch) insbesondere im Bereich des privaten Konsums. Von einer Ausdehnung auf die investiven Verwendungen kann jedoch ausgegangen werden, da die Modernisierung der früheren DDR-Wirtschaft und die Angleichung der Lebensverhältnisse politische Ziele des vereinten Deutschlands sind und deshalb staatlicherseits unterstützt werden. Die bereits angesprochene Ambivalenz von Wohlstandssteigerungen wird hier besonders deutlich; denn die mit der Realisierung des Nachholbedarfs der Konsumenten in der ehemaligen DDR verbundene Wohlfahrtsstei-

5 Vgl. Cecchini-Bericht, S. 38 und S. 152; die Systematik bildet auch die Grundlage der Überlegungen bei Döhrn, 1989, S.153ff.

89

gerung geht zumindest zunächst vor allem zu Lasten der Produzenten in den fünf neuen Bundesländern. Liberalisierungsmaßnahmen haben über diese statischen Effekte hinausgehende Wirkungen, weil Unternehmen in Zukunft auf größeren Märkten operieren können und somit Größenvorteile (economies of scale) für sich nutzen können. Dies betrifft zum einen die Produktion, es betrifft vermutlich in noch stärkerem Maße die Unternehmensorganisation, weil die Potentiale für länderübergreifende Kooperationen in Bereichen wie Beschaffung, Finanzierung, Absatz, Logistik sowie Forschung und Entwicklung im allgemeinen höher eingeschätzt werden. Die "Economies-of-Scale"-Effekte sind vermutlich zum Teil dynamischer Natur, sollen im folgenden aber gemeinsam mit den statischen Effekten betrachtet werden. Die eigentliCh dynamischen Effekte erhofft man sich jedocb von der mit der Marktöffnung verbundenen Intensivierung des Wettbewerbs. Der verschärfte Wettbewerb zwingt zum Abbau von Ineftizienzen, gibt vermehrte Forschungs- und Innovationsanreize, fördert die Weitergabe erzielter Vorteile an die Konsumenten und macbt - dies gilt insbesondere für Betriebe in der früheren DDR - das Überdenken von Standortentscheidungen notwendig. Auch hier wird offensicbtlicb, daß die Weitergabe von Vorteilen an die Konsumenten zwar die gesamtwirtscbaftlicbe Wohlfahrt erhöht, daß aber gerade die leistungsscbwachen Unternehmen (und Regionen) von den durch die Wettbewerbsintensivierung ausgelösten Umstrukturierungs- und Reallokationseffekten negativ betroffen sein können. Schließlich ist von allen bislang beschriebenen Effekten - insbesondere vom zuletzt genannten - ausgebend mit (regional unter90

schiedlich starken) Realeinkommensteigerungen zu rechnen, die - wenn sie Verschiebungen in der Nachfragestruktur zur Folge haben - die regionalen und sektoralen Reallokationsprozesse verstärken. 2.

Chancen und Risiken der Integrationsprozesse fUr die Ruhrwirtschaft

Die bisher allgemein gehaltenen Ausführungen zu wesentlichen Wirkungen der Integrationsprozesse werfen bei einer regionalisierten Betrachtung zwei Fragenkomplexe auf: 1.

Die statischen Integrationseffekte führen zu Steigerungen des Aktivitätsniveaus. Es ist die Frage, welche Chancen das Ruhrgebiet bei seinen derzeitigen Wirtschaftsstrukturen besitzt, um an diesen Aktivitätssteigerungen zu partizipieren.

2.

Die dynamischen Effekte ergeben sich aus einer Intensivierung des Wettbewerbs, sie können regionale Umverteilungen der Produktion (Reallokationseffekte) zur Folge haben, und dies bewirkt zusammengenommen Realeinkommenserhöhungen. Zu fragen ist deshalb einerseits, in welchem Umfang dem Revier als Folge steigender Einkommen ZUSätzliche Nachfrage zufließt. Wichtiger noch als die Beantwortung dieser Frage ist eine Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft und . unter dem räumlichen Reallokationsaspekt - der Region selbst.

91

Bevor ein Versuch gemacht wird, Antworten auf diese beiden Fragenkomplexe zu finden, soll das Ruhrgebiet jedoch in groben Zügen vorgestellt werden. 2.1

Kurzcharakterisierung des Ruhrgebiets

Das Ruhrgebiet 6 ist einer der größten industriell geprägten Ballungsräume der Welt. In der häufig kurz als Revier bezeichneten Region leben auf weniger als 4 000 km2 Fläche fast 4,9 Mill. Menschen - dies bedeutet eine Einwohnerdichte von fast 1 300 EW/km2. Die reichhaltigen, aber aus geologischen Gründen ungünstig abzubauenden Vorkommen von qualitativ hochwertiger Steinkohle der Region bildeten im 19. Jahrhundert die Grundlage für die Entstehung und die rasche Expansion eines Kohle-Stahl-Verbunds mit einem breiten Spektrum von Zulieferund Weiterverarbeitungssektoren7. Dieses wirtschaftliche Verbundsystem erlaubte dem Revier über Jahrzehnte hinweg eine überdurchschnittliche Partizipation an der gesamtwirtschaftlichen Einkommensentwicklung. Dies änderte sich gegen Ende der fünfziger Jahre, als zunächst die heimische Steinkohle durch das Vordringen des Erdöls und die preiswertere Importkohle unter Anpassungsdruck geriet. In den sechziger Jahren, verschärft noch in den siebziger Jahren, kam die Krise der

6 Im Rahmen dieser Arbeit werden die kreisfreien Städte Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hamm, Herne, Mülheirn, Oberhausen sowie die Kreise Recklinghausen, Unna und Wesel zum Ruhrgebiet gerechnet. 7 Für eine ausführliche Darstellung der Wirtschaftsgeschichte des Reviers vgl. z.B. Schlieper!Reinecke/Westholt, 1986; Wiel, o.J.

92

Stahlindustrie hinzu. Die Probleme blieben nicht auf die dominanten Sektoren begrenzt, sondern erfaßten durch den engen Produktionsverbund auch weite Bereiche der übrigen Ruhrwirtschaft - der sektorale Wachstumspol der Region wurde zum Schrumpfungspol8. Viele Dinge haben sich im Revier im Laufe des nunmehr seit über 30 Jahren andauernden Anpassungsdrucks verändert. Stahl und Kohle haben ihre einst dominierende Rolle eingebüßt, sind aber immer noch von hohem Gewicht in der Region; der Montanverbund ist deutlich kleiner geworden und hat sich gelockert; es gibt zahlreiche Beispiele innovatorischer Aktivitäten; Technologieparks . und selbständige Forschungseinrichtungen sind entstanden; vier Hochschulen wurden gegründet, die entscheidend zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur beitragen und zugleich eine Schnittstelle zwischen Forschung und praktischer Anwendung darstellen. Auf diesen Umstrukturierungen aufbauend ist gerade in jüngster Zeit eine neue Autbruchstimmung im Revier festzustellen 9 : Man ist bemüht, das regionale Image aufzumöbeln, Kooperationen verschiedener Entscheidungsträger werden initiiert, man versucht, das Alte mit dem Neuen zu kombinieren und die Angebote im Kultur- und Freizeitbereich zu verbessern - kurz: die lange Zeit feststellbare Verschlossenheit gegenüber dem Neuen und gegenüber unorthodoxem Denken scheint (vorläufig?) aufgebrochen zu sein. Begünstigt werden diese Tendenzen durch die derzeit gute konjunkturelle Konstellation. Begünstigt werden sie aber auch durch die Tatsache, daß

8 Für eine detalliertere Beschreibung der Anpassungsprozesse vgl. HammJSchneider, 1986/87, S.169ff. 9

.

Vgl. z.B. o. Verf., Januar 1989, S.I46ff.; o. Verf., 1989(a), S.40ff. 93

die Wirtschaft - und nicht nur die regionale - stärker als früher Flagge zeigt und Initiativen für das Revier ergreift und vorantreibt lO• Dieser optimistisch stimmende Eindruck der jüngsten Zeit darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Intensität des Wandels in der Vergangenheit nicht ausgereicht hat, um schrumpfende Produktionen in vollem Umfang durch solche zu ersetzen, die interregional wettbewerbsfähig sind, und um die Arbeitslosigkeit deutlich zu verringern. Die optimistische Stimmung hat bislang nur wenig Niederschlag in den Statistiken gefunden - und dies dürfte nur bedingt auf time-lags bei der Veröffentlichung der Daten zurückzuführen sein: Noch immer liegt die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet um mehr als 60 vH über dem Bundesdurchschnitt, die Bruttowertschöpfung ist in den achtziger Jahren im Revier (2,8 vH im Jahresdurchschnitt) deutlich langsamer als im übrigen Nordrhein-Westfalen (4,3 vH) bzw. im übrigen Bundesgebiet (4,8 vH) gestiegen, und die Zahl der Beschäftigten ist im Ruhrgebiet gegenüber 1980 um 100 000 gesunken, allein im industriellen Bereich wurden fast 90 000 Arbeitsplätze abgebaut. Nur wenige Lichtblicke stehen dem bislang in den Statistiken gegenüber: So ist in den beiden letzten Jahren auch im Revier die Arbeitslosigkeit zwar von höherem Niveau aus, aber fast mit gleichem Tempo wie bundesweit zurückgegangen; so ist gegen

Ende der achtziger Jahre die Zahl der Industriezweige gestiegen, in denen die Beschäftigungsentwickiung mit der anderer Teile des Bun-

10 Dies wird besonders durch den Zusammenschluß führender deutscher Unternehmen zum "Initiativkreis Ruhrgebiet" deutlich, der den Anspruch der Region als europäisches Dienstleistungs-, Handels- und Veranstaltungszentrum herausarbeiten und stärken will. Vgl. Gramke, 1990, S.I002ff.

94

desgebiets Schritt hält, und in den Tertiärbereichen ist ein Aufholen des Reviers bei der Beschäftigungsentwicklung festzustellen (1989 sogar ein Gleichziehen).

2.2

Die statische Dimension

2.2.1

Abbau von Grenzbarrieren

Hinsichtlich der durch den Abbau von Handelsbarrieren ausgelösten Wirkungen auf die Ruhrwirtschaft ist zwischen einem allgemeinen und einem speziellen Effekt zu differenzieren. Allgemein ist festzuhalten, daß Maßnahmen wie ein Abbau vonGrenzkontrollen, die Vereinheitlichung technischer Standards oder die Beseitigung von Marktzugangsbeschränkungen kein regionales, sondern ein nationales Phänomen darstellen, denn sie nützen unabhängig vom Standort allen Unternehmen eines Landes. Eine unterschiedliche regionale Betroffenheit ergibt sich aber dadurch, daß die Barrieren sektoral unterschiedlich ins Gewicht fallen und die Sektorstrukturen zwischen verschiedenen Regionen differieren. Um Aussagen über die Betroffenheit des Ruhrgebiets von diesen statischen Effekten machen zu können, wären deshalb sektoral differenzierende Analysen über die Folgen des Abbaus von Handelsbarrieren erforderlich. Diese liegen für den deutsch-deutschen Einigungsprozeß nicht, wohl aber für den EG-Binnenmarkt vorl l . Auf Basis ihrer sektoralen Studien schätzt die Cecchini-Kommission den Wohlfahrtsgewinn aufgrund des Abbaus von Grenzbarrieren auf etwa 2,5 vH des Bruttoinlandsprodukts der EG. Dabei entfällt zwar die Hälfte dieses Wohlfahrts-

11 Vgl. hierzu die auf den Ergebnissen des Cecchini-Berichts basierenden Berechnungen bei Döhrn, 1989, S.156f.

95

gewinnes auf den Dienstleistungssektor, gemessen am sektoralen Bruttoinlandsprodukt sind indes die Gewinne in Bereichen des Verarbeitenden Gewerbes am höchsten. Errechnet man den Beschäftigungsanteil der zehn Wirtschaftsbereiche, in denen durch den Abbau von Grenzbarrieren die stärksten Effekte vermutet werden 12, so zeigt sich, daß die Bedeutung13 dieser Sektoren im Ruhrgebiet (19,2 vH) erheblich niedriger ist als im übrigen Nordrhein-Westfalen (27,9 vH) oder im Bundesgebiet ohne Nordrhein-Westfalen (28,7 vH). Zwar sind die Resultate aus verschiedenen Gründen mit Vorsicht zu interpretieren, sie deuten aber darauf hin, daß das Ruhrgebiet von den statischen Effekten des Binnenmarktes nur unterdurchschnittlich profitieren dürfte. Dieses auf Basis recht allgemeiner Überlegungen abgeleitete ungünstige Ergebnis wird durch die Auswirkungen spezieller Liberalisierungsmaßnahmen im Bereich der Steinkohle verstärkt - ein Bereich, der im Weißbuch "Vollendung des Binnenmarktes" ebenso wenig betrachtet wird wie die übrigen Energiesektoren l4 . Die Forderungen der EG-Kommission, einerseits die Kontingentierung der Steinkohlenimporte aus Drittländern aufzugeben und andererseits die Subventionen für die heimische Steinkohle drastisch einzuschränken, mögen für den gesamten EG-Raum

12 Dies sind die Sektoren Musikinstrumente etc., Leder, EDV, Fahrzeugbau, Banken und Versicherungen, Chemie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Textil und Bekleidung sowie Nachrichtenübermittlung.

13

Gemessen durch die Beschäftigungsanteile.

14 Die Energiesektoren werden im Weißbuch "Binnenmarkt für Energie" gesondert behandelt. Vg1. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 1988.

96

wohlfahrtserhöhend wirken, angesichts der starken Konzentration des deutschen Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet lassen sie speziell für diese Region aber eine erneute Verstärkung des Anpassungsdrucks befürch ten 15.

2.2.2

"Economies of Scale"·ElTekte

Auch die Reserven zur Ausnutzung von Größenvorteilen im Produktionsbereich sind im Ruhrgebiet eher skeptisch zu beurteilen: Zum ersten sind die "Economies of Scale"-Effekte in der Produktion diejenigen, die im Cecchini-Bericht am niedrigsten veranschlagt werden 16. Zum zweiten kommen sie insbesondere dort zum Tragen, wo Unternehmen bislang auf vergleichsweise kleinen Märkten operierten. Der Markt der "alten" Bundesrepublik ist jedoch am BSP gemessen der größte in der EG, und außerdem war die bundesdeutsche Wirtschaft bereits in der Vergangenheit stark exportorientiert, so daß Größenvorteile in der Produktion bundesweit bereits weitgehend ausgeschöpft sein dürften 17. Und drittens schließlich wird etwa die Hälfte dieser Effekte den Sektoren Maschinenbau, Fahrzeugbau, Elektrotechnik und EDV zugerechnet - Industriezweigen also, die gemessen am Beschäftigungsanteil im Ruhrgebiet (10 vH) schwächer vertreten sind als im übrigen Nordrhein-Westfalen (13,2 vH) bzw. im Bundesgebiet ohne Nordrhein-Westfalen (16,6 vH).

15

VgL RWI, 1990, S.135ff.

16

VgL die Berechnungen bei Döhrn, 1989, S.156f.

17

VgL ebd., S.I64. 97

Die "Economies of Scale"-Effekte, die durch Umgestaltung der Unternehmensorganisation zu erzielen sind, haben dagegen nach den Ergebnissen des Cecchini-Berichts ein höheres Gewicht I8. Inwieweit sie in einzelnen Regionen zum Tragen kommen, ist aber kaum zu beurteilen, zumal diese Gewinne in der Regel im Rahmen international operierender Unternehmen anfallen dürften. Immerhin könnte das Ruhrgebiet aufgrund der dort gegebenen hohen Konzentration von Großunternehmen hieraus Nutzen ziehen. Eine besondere Rolle dürften in diesem Zusammenhang Überlegungen zur Ausnutzung von Produktivitätssteigerungs- und Kostensenkungsmöglichkeiten durch logistische Konzeptionen spielen, weil die Logistik sowohl innerbetrieblich als auch im volkswirtschaftlichen Zusammenhang eine funktionenübergreifende Denkweise erfordert. Die zentrale Rolle, die die Logistik in Zukunft einnehmen wird, scheint auch im Ruhrgebiet erkannt zu sein, und die Voraussetzungen zur Realisierung logistischer Konzeptionen sind im Revier keinesfalls schlechter als in anderen bundesdeutschen Regionen, wenn auch sicherlich derzeit Rückstände beispielsweise im Vergleich zu den nahegelegenen Niederlanden bestehen dürften 19• 2.2.3

Nachfrageimpulse der deutschen Einheit

Die Nachfrageimpulse aufgrund des innerdeutschen Integrationsprozesses sind ebenfalls eher statischer Natur und sollen daher an dieser Stelle behandelt werden. Sie resultieren zum einen aus dem Modernisierungs-

98

18

Vgl. ebd., S.157.

19

Vgl. RWI, 199O(a).

bedarf der Wirtschaft in der ehemaligen DDR, zum anderen aus dem konsumtiven Nachholbedarf der Bevölkerung in den neuen Bundesländern. Dabei scheinen die Partizipationsmöglichkeiten der Ruhrwirtschaft an den aus den Modernisierungsbestrebungen resultierenden Nachfrageimpulsen bei einern Vergleich der vermutlichen Bedarfsbereiche mit der regionalen Angebotspaleue (zur Beschäftigtenstruktur im Ruhrgebiet vgl. Tabelle 1) günstig zu sein20: Der Ausbau und die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur ist grundstoffintensiv; erforderlich sind darüber hinaus spezielle Investitionsgüter, die z.T. im Revier hergestellt werden21 • Die Produktion von Anlagen, die für eine Modernisierung und ökologische Verbesserung in der Energiewirtschaft benötigt werden, hat ihren regionalen Schwerpunkt im Ruhrgebiet und im übrigen Nordrhein-Westfalen. Außerdem werden zur Verbesserung der Umweltsituation Umweltschutzgüter benötigt, für deren Produktion Unternehmen im Land und in der Region ein als weltweit führend angesehenes know-how besitzen. Chancen für Aufträge bieten sich auch dem Großanlagenbau im Ruhrgebiet, da der gewerbliche Anlagenbestand in der ehemaligen DDR überwiegend als veraltet und technologisch überholt gilt.

20

Vgl. Hamm, 1990(a), S.183ff.

21 ZB. werden 10,9 vH der bundesdeutschen Umsätze der Baumaschinenindustrie im Ruhrgebiet erwirtschaftet.

99

Tabelle 1 im Ruhrgebiet im Vergleich Anteile an der Gcsamtbc:llcbäftigung in vH, 1989

~

Ruhrgebiet

NordrheinBundesgebiet Westfalen ohne ('alt'') ohne NRW Ruhrgebiet

Land-, Forstwirtschaft, Fischerei Energie, Wasser, Bergbau Verarbeitendes Gewerbe

0,6 10,1 31,4

0,8 1,9 41,4

1,1 1,4 38,4

- Grundstorf- und Produktionsgüterindustrie

12,2

12,3

8,0

3,2 0,7 1,1

3,9 2,2 1,1

2,6 1,8 1,5

7,2

5,1

2,0

13,9

19,0

21,0

2,4 4,0 2,5 0,1

1,8 5,5 3,3 0,4

1,4 4,7 6,0 0,4

Chemische Industrie Kunststorfe, Gummi - Steine, Erden, Glas Metallerzeugung und -verarbeitung Investitionsgüterindustrie Stahlbau - Maschinenbau Fahrzeugbau Büromaschinen, ADV - Elektrotechnik, Feinmechanik, EBM - Verbrauchsgüterindustrie

-

-

Holz, Papier, Pappe Leder, Textil, Bekleidung

Nahrungs- und Genußmiuelgewerbe

Baugewerbe Handel Verkehr, Nachrichten Banken, Versicherungen Sonstige Dienstleistungen Organisationen o.E. Staat Gesamt

4,9

8,1

8,5

2,7

7,1

6,1

1,7 1,0

4,4 2,8

3,6 2,4

2,6

2,9

3,4

6,9 14,6 5,0

5,5 13,9 4,3

20,6 2,5 5,5

19,5 2,6 6,2

4,0

6,8 13,4 5,0 4,1 20,7 2,2 6,9

100,0

100,0

100,0

3,0

Eigene Berechnungen nach Angaben der Statistischen Ämter.

100

Auch bei den zahlreich vertretenen überregional und international agierenden Baufirmen sind trotz der derzeit hohen Kapazitätsauslastung Aufträge aus der früheren DDR wahrscheinlich. Schließlich betreffen die Nachfrageimpulse nicht allein die industriellen Bereiche; der Ruhrwirtschaft wird auch die vorhandene Erfahrung im Bereich projektbezogener, produktionsorientierter Dienstleistungen zugute kommen, soweit es weniger um die AnlagenersteUung als vielmehr um den erforderlichen Technologietransfer und das Projektmanagement gehl. An den Impulsen einer steigenden Nachfrage nach im Westen hergestellten Konsumgütern wird die Ruhrwirtschaft dagegen vermutlich nur unterdurchschniulich partizipieren, da die Produktion dauerhafter Konsumgüter, die Verbrauchsgüterindustrien und das Nahrungsmittelgewerbe im Ruhrgebiet unterrepräsentiert sind. Die vorgetragenen Überlegungen lassen überdurchschnittlich starke produktionswirksame Nachfrageimpulse für die Wirtschaft an der Ruhr erwarten, sobald der ohne Zweifel existierende investive Bedarf realisiert wird. Das zum jetzigen Zeitpunkt vorhandene Datenmaterial über den innerdeutschen Warenaustausch zeigt bislang aber ein eindeutiges Übergewicht beim Wachstum der Konsumnachfrage. Erwartungsgemäß sind bei dieser Lieferstruktur die nord rhein-westfälischen Lieferungen er-

101

heblich schwächer gestiegen als die anderer Bundesländer22. Vom Nachziehen der Nachfrage nach Grundstoff- und Investitionsgütern kann auf mittlere Sicht wohl dennoch ausgegangen werden. 2.3

Die dynamische Dimension

2.3.1

RealeinkommensetTekte

Die bislang diskutierten Integrationseffekte des EG-Binnenmarktes und der deutschen Vereinigung haben Steigerungen der Realeinkommen zur Folge. Die davon ausgehenden Nachfrageimpulse für eine Region wie das Ruhrgebiet hängen zum einen davon ab, wie diese Einkommenszuwächse verwendet werden, denn die Produktionsbereiche profitieren in unterschiedlicher Reihenfolge23• Höhere Realeinkommen bedeuten zunächst ein Ansteigen der Nachfrage nach Verbrauchsgütern, dauerhaften Konsumgütern und haushalts nahen Dienstleistungen. Wie bereits in anderem Zusammenhang erwähnt, wird die Ruhrwirtschaft aufgrund ihrer Sektorenstruktur hieran vermutlich nur unterdurchschnittlich partizipieren. Erst wenn im Zuge steigender Nachfrage nach Konsumgütern die Industrie an Kapazitätsgrenzen stößt und Erweiterungsinvestitionen vornehmen muß ·(Akzeleratoreffekt), breiten sich die Impulse auf die Investitionsgüterindustrie und danach auf die Grundstoff- und Produktionsgüterindustrie aus. Bei der derzeit hohen Kapa-

22 Vgl. Hamm, 1990, S.58ff. Die dort bis April 1990 analysierte Entwicklung des innerdeutschen Warenaustausches hat sich im weiteren Verlauf des Jahres bei ähnlichen Strukturen, aber mit erheblich höherer Intensität fortgesetzt. 23

102

Vgl. hierzu auch Döhrn, 1989, S.I68f.

zitätsauslastung und aufgrund des Zusammenwirkens von Binnenmarktund OSlöffnungsimpulsen sind Kapazitätserweiterungen durchaus wahrscheinlich. Da die regionale Investitionsgüterindustrie weniger Investitionsgüter für die Verbrauchsgüterindustrien als vielmehr für die Produktionsgüterindustrien herstellt und diese im zeitlichen Verlauf des Multiplikator-Akzeleratorprozesses erst eine nachgeordnete Position einnehmen, würden diese Impulse das Revier erst mit Verzögerung erreichen. Daneben hängt die Stärke der regional wirksam werdenden Nachfrageimpulse aber auch von der regionalen Verteilung der Realeinkommenserhöhungen ab, weil ein großer Teil des Einkommens vermutlich innerhalb der Region für Nahrungsmittel, Verbrauchsgüter und Dienstleistungen verausgabt wird. Die bisherigen Überlegungen lassen aufgrund der Binnenmarkteffekte eher unterdurChschnittliche, aufgrund der Einigungseffekte eher überdurchschnittliche Einkommenserhöhungen im Ruhrgebiet erwarten. 2.3.2

Die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen WIrtschaft

Die Frage nach den Partizipationschancen des Reviers an den (statischen und dynamischen) Integrationseffekten wurde bislang dadurch zu beantworten versucht, daß ausgehend von einer vermuteten sektoralen Betroffenheit die Sektoralstrukturen der Ruhrgebietswirtschaft betrachtet wurden. Inwieweit Chancen realisiert werden und Risiken eintreffen, hängt jedoch nach den Ausführungen im ersten Abschnitt ganz entscheidend davon ab, wie leistungsstark die regionale Wirtschaft ist und wie

103

die Möglichkeiten zur Bewältigung eines etwaigen Anpassungsdrucks eingeschätzt werden. Aussagen zur Leistungsstärke bzw. Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einer Region lassen sich deshalb so schwierig treffen, weil man zum einen beide Größen nicht direkt messen sondern nur mit Hilfe von Indikatoren beschreiben kann, und weil zum anderen eigentlich zukünftige Wettbewerbsfähigkeit interessiert, Informationen jedoch nur für die Vergangenheit vorhanden sind. Gerade für eine Region im Wandel, wie sie das Ruhrgebiet darstellt, kommt dieses zweite Problem zum Tragen, da der strukturelle Wandel mit einer Steigerung der Leistungskraft verbunden sein wird. Trotz dieser generellen Einwände sollen im folgenden zwei vergangenheitsbezogene (sektorale) Kriterien als Indikatoren für die Wettbewerbsfähigkeit herangezogen werden: 1.

Die Entwicklung des Umsatzes und des Auslandsumsatzes, um zu beurteilen, inwieweit die regionale Wirtschaft in der Vergangenheit ihre nationale und internationale MarktsteIlung hat behaupten können, und der Umfang der Auslandsaktivitäten, um die derzeitige Stellung auf den internationalen Märkten einzuschätzen.

2.

Die regionale Bedeutung von Sektoren mit einer hohen staatlichen Einflußnahme. Da das Binnenmarktprogramm als ein Deregulierungsprogramm zu verstehen ist und ein hoher Anpassungsbedarf demnach insbesondere dort auftreten wird, wo die Wirtschaft bisher in hohem Maße durch staatliche Eingriffe beeinflußt wird, vermag dieser Indikator einen qualitativen

104

Eindruck vom Umfang des durch eine Deregulierung ausgelösten Anpassungsdrucks zu vermitteln. Wie die Tabelle 2 zeigt, ist das Ruhrgebiet schwächer als andere Regionen des "alten" Bundesgebiets in die internationale Arbeitsteilung eingebunden - der Anteil, den Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe im Ruhrgebiet 1989 am bundesdeutschen Auslandsumsatz hatten, ist deutlich niedriger als der vergleichbare Umsatzanteil. Dies ist zum Teil ein strukturbedingter Effekt: Die Bedeutung des Bergbaus - mit nur geringer Exportquote - ist im Ruhrgebiet nach wie vor höher, die des Verarbeitenden Gewerbes - mit höherer Exportquote - dagegen deutlich niedriger als im Bundesgebiet. Es kommt hinzu, daß aufgrund der hohen Bedeutung der Grundstoff- und Produktionsgüterindustrien im Ruhrgebiet möglicherweise die - in den verfügbaren Daten nicht zum Ausdruck kommende - indirekte Exportabhängigkeit relativ hoch ist. Aber auch, wenn man einzelne Industriebranchen betrachtet, muß man feststellen, daß die Werte für die regionalen Exportquoten nur in wenigen Sektoren über den nationalen Vergleichswerten liegen24 . Betrachtet man die Entwicklung des Beitrags der Ruhrwirtschaft an den bundesdeutschen Industrieumsätzen, so ist in den aChtziger Jahren ein deutlicher Rückgang festzustellen. Von dieser Entwicklung blieben nur wenige Industriezweige der Ruhrwirtschaft verschont. Die Wirtschaft im

24 Die Tabelle 2 enthält diese Information in indirekter Form. Es sind jene Sektoren, in denen der regionale Anteil am Auslandsumsatz größer ist als der am Gesamtumsatz. Dies trifft auf die Sektoren Steine und Erden, Eisenschaffende Industrie, Straßenfahrzeugbau, Textilgewerbe und Bekleidungsgewerbe zu.

105

Tabelle 2

Zur Beteiligung der Rubrwirtscbaft an den bundesdeutscben

Industrieumsatzen - 1989

Sektoraler Anteil am Gesamtumsatz in vH

Anteile Ruhr an Bund ("alt") gegenüber Auslands- gegenüber 1980 umsatz 1980 gesunken in vH gesunken

Umsatz in vH

gegenüber 1980 gesunken

Inlandsumsatz in vH

12,6 1,7

54,2 6,1

nein ja

56,1 5,9

nein ja

34,1 7,8

ja ja

Bergbau Steine und Erden Eisenschaffende Industrie NE-Metallerzeugung Gießereien Slabziehereien, Kaltwalzwerke Slahlverformung Chemische Industrie Sl:lhlbau Maschinenbau Slraßenfahrzeugbau Elektrotechnik Feinmechanik u. Optik EBM-Waren Glasindustrie Druckerei Kunststoffwaren T e.xtilgewerbe Bekleidungsgewerbe Ernährungsgewerbe

15,8 4,0 0,5 a

36,3 16,6 6,4a

ja nein ja

35,1 19,0 6,l a

ja nein ja

38,3 10,9 7,6

nein nein ja

0,5 0,5 11,7 3,8 7,3 10,5 5,5 0,6 1,7 1,0 1,1 0,9 0,8 1,5 6,3

11,8 4,2 7,5 15,9 4,6 5,5 3,7 3,1 3,8 10,0 4,3 2,3 2,4 7,7 4,6

ja ja ja ja ja nein nein ja ja ja ja ja nein nein ja

11,9 4,3 7,8 15,4 4,9 4,5 4,5 3,2 3,9 10,5 4,5 2,5 1,5 5,7 4,8

ja ja ja ja ja ja nein ja ja ja ja ja nein nein ja

11,5 3,9 7,1 18,5 4,3 6,5 1,7 3,0 3,3 8,9 1,9 1,9 4,6 15,3 3,2

ja nein ja ja ja nein nein nein ja ja ja ja nein nein nein

Verarbeitendes Gewerbe

87,4

6,41

ja

6,46

ja

6,31

ja

100,0

7,21

ja

7,56

ja

6,44

ja

Bergbau u. Verarbeitendes Gewerbe

Eigene Berechnungen nach Angaben der Statistischen Ämter.- a Angaben für 1988.

106

Revier hat mithin Marktanteilsverluste hinnehmen müssen, die teilweise von erheblichem Umfang waren. Diese Marktanteilsverluste betreffen sowohl den inländischen als auch den ausländischen Markt - bei den meisten Sektoren mit regional sinkendem Umsatzanteil sind sowohl der Anteil am Inlandsumsatz, als auch der Anteil am Auslandsumsatz zurückgegangen. Wenn es um die Beurteilung des Umfangs staatlicher Eingriffe geht, so ist eine relativ weitgehende Einbeziehung aller denkbaren staatlichen Regulierungen zweckmäßig, da die Vollendung des Binnenmarktes den Spielraum für nationale Politiken in vielen Bereichen einengen wird 25 . Ein solches "weites" Konzept wurde mit der Erstellung einer sogenannten "Politikmatrix" vom RWI im Rahmen der Strukturberichterstattung 1983 verfolgt26• Dort wurde versucht, unterschiedliche Formen der staatlichen Einflußnahme in ihren sektorspezifischen Wirkungen zu erfassen und zu quantifizieren. Berücksichtigt wurden dabei Subventionen und Steuervergünstigungen, Zölle und Abschöpfungen, staatliche Eingriffe in die Preisbildung, Marktregulierungen, staatliche Käufe, Produktionssteuern und Umweltschutzauflagen. Obwohl den Berechnungen die Gegebenheiten des Jahres 1978 zugrundelagen, erscheinen die damals abgeleiteten Wirkungssalden auch heute noch für einen intersektoralen Vergleich der Regulierungsintensität verwendbar, da eine umfassende Deregulierung in den genannten Feldern bislang noch aussteht. Als von Regulierungen besonders beeinflußt werden hier solche Sektoren ange-

2S Zum folgenden vgl. Döhrn, o.J. 26

Vgl. RWI, 1983, S.249ff. 107

sehen, bei denen der Wirkungssaldo staatlicher Begünstigungen und Belastungen deutlich von Null abweicht. Auf eine Differenzierung der Sektoren danach, ob sie durch die staatlichen Maßnahmen begünstigt oder benachteiligt werden, wurde dabei zunächst verzichtet, da sich für beide Gruppen nach einem Abbau von Eingriffen eine neue Situation im Wettbewerb und damit ein Anpassungsbedarf ergeben kann. Betrachtet man den Bereich des Verarbeitenden Gewerbes, so waren 1988 etwa 30 vH der Beschäftigten im Ruhrgebiet in Branchen tätig, die eine überdurchschnittlich starke Beeinflussung aufweisen, sei es durch direkte Eingriffe, sei es indirekt durch staatliche Nachfragemacht. Im übrigen Nordrhein-Westfalen waren es hingegen nur 10 vH und im restlichen Bundesgebiet nur etwa 13 vH der Beschäftigten. Betrachtet man die Struktur der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, da diese einen Blick auf das gesamte Branchenspektrum erlauben, und bezieht somit die Landwirtschaft, den Energiebereich, die Dienstleistungssektoren sowie den Staat in die Überlegungen ein, so verringert sich zwar der Unterschied zwischen dem Ruhrgebiet und dem übrigen Bundesgebiet, er bleibt aber bestehen. Fast 57 vH der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Ruhrgebiets waren 1988 in Branchen mit überdurchschnittlich starker staatlicher Beeinflussung tätig. Im übrigen Nordrhein-Westfalen und im Bundesgebiet (ohne NRW) betrug der vergleichbare Anteilswert nur etwa 43 vH (vgl. Tabelle 3). Diese Resultate deuten darauf hin, daß die Anpassungserfordernisse im Ruhrgebiet nach Vollendung des Binnenmarktes ausgeprägter sein dürften als in anderen Regionen. Da die abweichenden Sektoranteile insbesondere darauf zurückzuführen sind, daß Sektoren mit einem positiven Wirkungssaldo staatlicher Einflußnahme im Ruhrgebiet relativ stärker 108

vertreten sind - hier sind insbesondere der Steinkohlenbergbau, die Eisenschaffende Industrie27 und die Energiewirtschaft angesprochen -, dürfte die überdurchschnittliche regionale Betroffenheit auch einen Nachteil im Wettbewerbsprozeß darstellen. Tabelle 3 Beschäftigungsanteile von Sektoren mit hoher Regelungssdichte 1988

Übriges "Altes" Ruhrgebiet Nordrhein- Bundesgebiet Westfalen (ohne NRW) Anteile (in vH) an - Verarbeitendem Gewerbe

29,5

10,5

12,6

- Bergbau und Verarbeitendem Gewerbe

45,4

12,7

13,4

- Insgesamt

56,7

43,0

43,3

Eigene Berechnungen nach Angaben der Statistischen Ämter.

Die sektorspezifischen Überlegungen zur WeUbewerbsfähigkeit der Ruhrwirtschaft deuten an, daß eine Verschärfung des Wettbewerbsdrucks - verstärkt durch die skizzierten Entwicklungen im Bergbau, abge-

27 Fraglich ist allerdings, ob die für die Eisenschaffende Industrie für 1978 ermittelten Wirkungssalden die derzeitige Situation des Sektors noch hinreichend genau beschreiben.

109

schwächt durch die Nachfrageimpulse aus der ehemaligen DDR im traditionellen Sektorensegment - zu neuen Anpassungszwängen führen kann. Es schließt sich die Frage an, wie die Standortvoraussetzungen zur Bewältigung eines derartigen Anpassungsdrucks im Revier einzuschätzen sind. 2.3.3

Die Wettbewerbsfähigkeit der Region

Eine Beurteilung des Standorts Ruhrgebiet muß im ersten Schritt von der geographischen Lage der Region ausgehen. Die wirtschaftliche Integration Nordrhein-Westfalens - und damit des Ruhrgebiets - mit den nahegelegenen Benelux-Ländern ist beim Warenaustausch sehr weit vorangeschriuen. In diesem Raum dürften aufgrund der EG-Integration nur noch geringe Impulse entstehen, schätzungsweise ein Viertel der Exporte des Ruhrgebiet gingen 1987 in die Benelux-Länder (gegenüber 16 vH im Bundesgebiet). Die EG-Integration dürfte stärker gegenüber den südeuropäischen Ländern - insbesondere gegenüber dem europäischen "sun-belt" (der Norden des Südens) - voranschreiten, und dabei sind die Fühlungsvorteile für das Ruhrgebiet gering28• Allein unter dem Aspekt des EG-Binnenmarktes ist die Lage des Ruhrgebiets folglich als nicht besonders günstig zu bezeichnen. Diese Einschätzung ändert sich allerdings aufgrund der deutschen Einigung und erst recht dann, wenn man eine weitergehende Öffnung der RGW-Länder Osteuropas in Rechnung stellt. Aufgrund der traditionell (vor allem vor dem Zweiten Weltkrieg) wie auch unter dem Regime des Staatshandels beobachteten starken Orientierung Ost- und Südosteuropas auf Mitteleuropa und hier

28

110

Vgl. R. Döhrn, 1989, S. 170ff.

insbesondere Deutschland dürften auch Nordrhein-Westfalen und das Ruhrgebiet wieder stärker in eine europäische Zentrurnslage rücken. Besonders wenn die vorhandenen Ost-West-Verkehrsacbsen modernisiert werden. kann speziell das Ruhrgebiet zu einer Schnittstelle und zu einem wichtigen Bindeglied innerhalb gesamteuropäischer Achsen werden29• Während die geographische Lage. die überregionale Verkehrsanbindung. aber auch die hohe Konzentration von Kaufkraft in Nordrhein-Westfalen sicherlich günstige Voraussetzungen im regionalen Wettbewerb darstellen. gilt dies für andere Standortfaktoren weniger. Einige. für altindustrielle Regionen typische Faktoren haben in der Vergangenheit zu einer Schwächung der regionsinternen Regenerationskraft beigetragen und können dies möglicherweise auch in Zukunft noch (wieder) tun 30: Das in der Vergangenheit hohe Lohnniveau im Ruhrgebiet bot wenig Anreiz für ansiedlungswillige Unternehmen und hat eine frühzeitige Differenzierung der Strukturen behindert. Bis heute erschwert das Zusammenwirken wenig flexibler Lohnstrukturen und einer hohen Regelungsdichte auf dem Arbeitsmarkt sowohl

29 Diese verlaufen von Paris (nach Fertigstellung des Kanaltunnels mit Anbindung an die britische Insel) über die Benelux-Länder und das Ruhrgebiet nach Berlin und Warschau und außerdem über Kassel in den Süden der früheren DDR. vom Ruhrgebiet über Frankfurt in den süddeutschen und südeuropäischen Raum. entlang der Rheinschiene zu den niederländischen Seehäfen und in den südwestdeutschen Raum sowie über Bremen und Hamburg nach Skandinavien. 30 Zum folgenden ausführlicher vgl. Hamm/Wienert. 1990. S.155ff. und S.270ff.

111

defensive (strukturerhaltende) als auch offensive (strukturverändernde) Anpassungen31 . Auch wenn die Arbeitskräftequalifikation nach den formalen Gesichtspunkten im Revier kaum schlechter ist als anderswo, stellt die Humankapitalausstattung einen entwicklungsrelevanten Engpaßfaktor dar. Denn häufig vertretene, meist nur sektorspezifisch einsetzbare Qualifikationen sind mit dem Niedergang von Kohle und Stahl obsolet geworden und ohne umfangreiche Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nicht in anderen Bereichen verwendbar. Die Dominanz der traditionellen Industrien hat über politische Einflußnahme und über die Beeinflussung des Faktorangebots vielfach zur Verhinderung des Neuen beigetragen. Hinzu kommen unternehmerische Innovationsschwächen: Mit dem lang anhaltenden Erfolg verringerte sich die Innovationsneigung der Unternehmen, weil ein Denken in Produktionsalternativen nicht notwendig erschien. Aufgrund wachsenden Drucks zu schneller Reaktion erfolgte z.T. ein unternehmensinterner Wandel durch Zukauf regionsextemer Unternehmensteile; die aktive, regionsinterne Umstrukturierung unterblieb jedoch. Ein weiteres Hemmnis im Anpassungsprozeß stellen Flächenengpässe dar. Diese sind z.T. quantitativer Art, sie sind aber insbesondere ein qualitatives Problem: Zum einen erfüllen ver-

31

112

Vgl. Hamm, o.J.

fügbare Flächen nicht die Anforderungen der Nachfrager; zum zweiten hat die Gemengelagenproblematik zur Folge, daß vielfach Nutzungsauflagen zu erfüllen sind; zum dritten schließlich haben Zechen, Kokereien, Stahlwerke und die Anlagen der Kohlechemie Spuren in den Böden hinterlassen, die eine Wiederverwendung ohne teure und zeitaufwendige Sanierungsmaßnahmen unmöglich machen. Die Infrastrukturausstattung im Ruhrgebiet wird zwar häufig als sehr gut hervorgehoben, zu bedenken ist aber, daß weite Teile der Infrastruktur sehr stark auf die einst dominierenden Montansektoren ausgerichtet sind und darüber hinaus die vorhandene Infrastruktur durchaus Lücken und Engpässe aufweist. Alle bislang angesprochenen Faktoren, der aufgrund der Industrie- und Bevölkerungsdichte geringe landschaftliche Reiz sowie die höhere Umweltbelastung haben dazu beigetragen, daß das Revier sein Image als

~schmutzige~

Industrieregion bis heute

nicht ablegen konnte, obwohl dieses Image zum Teil von der Wirklichkeit überholt wurde. Viele der angesprochenen Schwachpunkte scheinen gerade in jüngerer Zeit an Bedeutung verloren zu haben; wesentlich ist dabei, daß sich die mentalen Verkrustungen aufzulösen beginnen, wesentlich ist aber auch, daß man sich verstärkt um die Kooperation der Entscheidungsträger bemüht und versucht, neue Wege zu beschreiten. Ob diese Ansätze hinreichend sind, damit die Region zukünftige Anpassungslasten besser

113

bewältigt als vergangene, muß derzeit eine unbeantwortete Frage bleiben. 3.

Schlußfolgerungen

Sicherlich konnten im vorgebenenen Rahmen - auch aufgrund der eigenständig vorgenommenen Themenerweiterung - nicht alle relevanten Teilaspekte behandelt bzw. hinreichend vertieft werden. Versucht man trotz dieses Einwands, die vorgetragenen Mosaiksteinchen zu einem Gesamtbild zusammenzustecken, so fällt dieses Bild in verschiedener Hinsicht zwiespältig aus. Zum ersten, weil die teils - wie etwa für den Steinkohlenbergbau negativen, teils nur unterdurchschnittlich positiven Effekte des geplanten EG-Binnenmarktes für das Ruhrgebiet mit den vermutlich überdurchschnittlich positiv wirkenden Nachfrageimpulsen des deutschen Einigungsprozesses abzuwägen sind. Die Frage, welcher der beiden Effekte überwiegen wird, ist kaum zu beantworten. Beide Integrationsprozesse stellen zum zweiten in erheblichem Maße unterschiedliche Anforderungen an die Region und die regionale Wirtschaft. Der Binnenmarkt erzwingt mit hoher Wahrscheinlichkeit neuerliche Anpassungen. Mögliche Nachfrageimpulse aus der ehemaligen DDR begünstigen dagegen zumindest eine vorübergehende Reaktivierung der in der Vergangenheit erfolgreichen Strukturen und reduzieren somit den Anpassungsdruck. Je mehr dabei die Illusion genährt wird, das bisherige wirtschaftliche Fundament des Ruhrgebiets sei nun wieder dauerhaft tragfähig, um so größer ist die Gefahr, daß in Gang gesetzte 114

Modernisierungsprozesse ins Stocken geraten und sich die aus der Vergangenheit bekannten Verkrustungen erneut durchsetzen. Bei einer erfolgreichen Modernisierung der Wirtschaft in der ehemaligen DDR können dort leistungsstarke Konkurrenten für die Ruhrgebietswirtschaft heranwachsen und Anpassungszwänge auslösen. Die Region könnte dann in einigen Jahren wieder an dem Punkt stehen, an dem sie in den letzten 30 Jahren bereits des öfteren gestanden hat, daß nämlich die notwendigen Anpassungsschnitte Auswirkungen haben, die die Schmerzgrenze überschreiten. Zum dritten schließlich ist die Frage, ob das Ruhrgebiet die durch den Binnenmarkt verursachten Anpassungszwänge aufgrund seiner regionalen Regenerationskraft und aufgrund der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen bewältigen kann, schwierig zu beantworten. Die Betrachtung der Entwicklungen im gesamten Verlauf der aChtziger Jahre begründet dabei eher Skepsis. Bei Betrachtung des aktuellen Rands scheint dagegen ein gewisser Optimismus begründbar. Entscheidend ist aber, ob die aktuellen (Teil-) Erfolge nur ein möglicherweise ausschließlich konjunkturell bedingtes Zwischenstadium auf dem Weg zu neuen Anpassungsproblemen oder aber Ausdruck für Fortschritte bei einer dauerhaften Revitalisierung des Reviers sind - auch dies muß derzeit noch eine offene Frage bleiben. In der Summe bleibt dem Revier nur die Möglichkeit, den Nachfrageimpulsen aus dem Osten so weit wie möglich gerecht zu werden, aber weiterhin die Modernisierung der Wirtschaft voranzutreiben und über Alternativen nachzudenken. Eine aufgrund der OstimpuIse verbesserte Ertragslage der Unternehmen mag die Umsetzung dieser Strategie sogar 115

begünstigen. An der Fortsetzung dieser im Grunde bereits eingeleiteten Entwicklungen sollte auch dann festgehalten werden, wenn aufgrund des Einigungsprozesses in Zukunft anderen Regionen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird und sich in Verbindung damit auch die Ströme staatlicher Finanzhilfen regional verlagern. Nur die gleichzeitige Bedienung zusätzlicher Nachfrage und die offensive Bewältigung von Anpassungserfordernissen können dazu beitragen, daß sich das Ruhrgebiet auch in einem langfristig gesamteuropäischen RegionenweUbewerb behaupten wird.

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117

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118

Sonderfall Berlin: Spannungsfeld zwischen deutsch-deutscher Währungsintegration, RGW-Reformen und Europäischem Binnenmarkt! Von Bernhard Seidel

3. 4.

Ausgangslage Einfluß der Vollendung des Binnenmarktes auf die Berliner Wirtschaft Berlin als Drehscheibe zwischen West und Ost Politische Handlungsfelder

1.

Ausgangslage

1.

2.

Die Wirtschaft der Berliner Region weist Besonderheiten auf, die zu berÜCksichtigen sind, wenn man den Wirkungen der Vollendung des Binnenmarktes einerseits, der pOlitischen Verändenmgen andererseits nachgehen will. Im Westteil der Stadt findet sich eine Wirtschaftsstruktur, die nicht nur durch die geographische Randlage innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, sondern vielmehr auch durch die bis zum Ende letzten Jahres bestehende politische Insellage geprägt ist. Die Wirtschaftsbereiche, die

1 Die folgenden Ausführungen sind im wesentlichen Ergebnisse eines Forschungsprojektes zum Thema ftBerlin im Europäischen Binnenmarkt ft , das im Auftrage des Berliner Senators für Wirtschaft im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung durchgeführt und im März 1991 abgeschlossen wurde. Vgl. Brenke, K., Eickelpasch, A, Heuer, H. (Projektleitung), Seidel, B., Svindland, E., 1991: Berlin im Binnenmarkt. Unveröffentlichtes Manuskript, Berlin.

119

sich dem überregionalen Wettbewerb stellen müssen, darunter vor allem das warenproduzierende Gewerbe, sind vergleichsweise schwach vertreten. Zudem fehlt es hier vielfach an den Entscheidungszentren, auch Forschung und Entwicklung sind unterrepräsentiert. Statt dessen hat die hohe Berlin-Förderung die Ansiedlung von Produktionsschwerpunkten bewirkt, die für Agglomerationen mit knappen Gewerbeflächen wenig typisch sind: Sie zeichnen sich aus durch die kapitalintensive Fertigung mit hohem Flächen- und Energiebedarf, den Einsatz von wenig qualifizierten Arbeitskräften sowie eine geringe regionale Vorleistungsverflechtung. Zu Buche schlagen auch Standortnachteile wie beträchtliche Transponkosten, hohe Grundstückspreise und Beeinträchtigungen in der Kundenpflege durch große räumliche Distanz. Sie wiegen zum Teil noch schwerer, weil in der Verkehrsanbindung Berlins an das alte Bundesgebiet und damit auch an die westlichen Märkte Defizite bestehen. Im Zusammenhang mit der spezifischen Industriestruktur steht, daß die produktionsorientierten Dienstleistungen - ein zunehmend wichtiger Wachstumsbereich - in West-Berlin noch eine vergleichsweise geringe Rolle spielen und sich erst in den letzten Jahren aufgrund der geziehen Förderung durch den Berliner Senat etwas dynamischer entwickelten. Denn Unternehmen mit wirtschaftlichen Aktivitäten im Bereich der Forschung und Entwicklung, der Werbung, der Finanzdienste und der Unternehmensberatung suchen die räumliche Nähe zum Unternehmensmanagement, nicht zu den Produktionsstandorten. 120

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