Die Anwendungen des Kreisels [2. Aufl.] 978-3-662-37319-4;978-3-662-38056-7

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German Pages VI, 270 [277] Year 1950

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Die Anwendungen des Kreisels [2. Aufl.]
 978-3-662-37319-4;978-3-662-38056-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-VI
Kreiselwirkungen bei Radsätzen (R. Grammel)....Pages 1-80
Kreiselgeräte (R. Grammel)....Pages 81-212
Unmittelbare Stabilisatoren (R. Grammel)....Pages 213-265
Back Matter ....Pages 266-270

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Der Kreisel Seine Theorie und seine Anwendungen Von

Dr. R. Grammel o.Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart

Zweite, neubearbeitete Auflage

Zweiter Band:

Die Anwendungen des Kreisels Mit 133 Abbildungen

Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1950

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1950 by Springer-Verlag Berlin Heidelberg Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag OHG., Berlin Göttigen and Heidelberg 1950. Softcoverreprint of the hardcover2nd editon 1950 ISBN 978-3-662-37319-4 DOI 10.1007/978-3-662-38056-7

ISBN 978-3-662-38056-7 (eBook)

Vorwort zur zweiten Auflage. Dieser zweite Band behandelt die Anwendungen des Kreise1s. Man kann sie zwanglos in drei ganz verschiedene Gruppen gliedern: die beabsiehtigten oder ungewollten, ntitzlichen oder schadlichen Kreise1wirkungen bei Radsatzen aller Art (einschlieBlich Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen), dann die groBe und weit entwickelte Mannigfaltigkeit der eigentlichen Kreise1gerate, und schlieBlich die meist sehr wuchtigen unmittelbaren Kreiselstabilisatoren, die teils fUr die Geschichte der Technik bedeutsam sind, teils der Astronomie angehoren. Beim Zusammenstellen aller Anwendungen des Kreisels habe ich eine Vollstandigkeit nieht im wortliehen, wohl aber im grundsatzlichen Sinne angestrebt: es ware zum Beispiel nicht moglich gewesen, all e gebauten oder geplanten Kreiselgerate einze1n aufzuzahlen; aber ich glaube kein wesentliches Anwendungsgebiet des Kreisels auBer acht ge1assen zu haben. Wenn vielIeieht einige geheim gebliebene Kreiselgerate in diesem Buche fehlen, so bitte ich diesen Mangel nieht dem Verfasser anzurechnen, sondern denen, deren vernunftlose "StaatsfUhrung" das Geheimhalten technischer Gedanken notig gemacht hat. (Die in der ersten Auflage behandelten Kreiselwirkungen der Atome habe ich jetzt wegge1assen, weil die damalige Vorstellung der Physik von jenen Wirkungen heute tiberholt ist und die an ihre Stelle getretenen des Elektronenspins kaum in ein Buch tiber die Mechanik des Kreisels gehOren.) Da die AuBenansichten von Geraten und Maschinen, wie man sie so oft in Btichern findet, fast immer ziemlich wertlos, weil nichts erklarend sind, so habe ich dem Buche auch in der neuen Auflage wieder durchweg schematische, nur das Wesentliche darstellende Bilder, zumeist vereinfachte Schnittzeichnungen beigegeben und nur in wenigen Fallen eigentliche Konstruktionszeichnungen. Denn es ist

IV

Vorwort zur zweiten Auflage.

nicht die Aufgabe dieses Buches, die wirkliche Einzelkonstruktion etwa von Kreiselgeraten zu lehren, sondem viehnehr aufzuzeigen, wie der Kreisel in Maschinen und Geraten oder als Maschine, Radsatz usw. wirkt, und worin der tragende Gedanke eines Kreiselgerates besteht. Besonderes Gewicht habe ich daher tiberal1 auf eine ausftihrliche Storungstheorie der Gerate, Stabilisatoren usw. gelegt; nur so kann die Gtite solcher Vorrichtungen sicher beurteilt werden. Wertvol1e Mitarbeit verdanke ich Herm Dr.-lng. C. A. Traenkle, der mir belangreiche Aufzeichnungen tiber viele der Kreiselapparate von § 7 und 8 zur Verftigung gestellt hat, sowie den Herren Dr. K. Zoller,F. Jindra, Dr. H.Kauderer und Professor Dr.-lng. P. Riekert, die mir bei diesem zweiten Bande in der gleichen Weise geholfen haben, wie ich das schon im Vorwort der zweiten Auflage des ersten Bandes dankbar erwiihnt habe. Stuttgart, im Juli 1950.

R. Grammel.

Inhaltsverzeichnis. Die Anwendungen des Kreisels.

Seite

Erster Abschnitt: Kreiselwirkungen bei Radsatzen

§ I. Kollermiihlen . . . . . I. Der Kollergang. . . 2. Drei Verbesserungen 3. Die Pendelmiihle . .

2 2 5 11

§ 2. Kritische Drehzahlen von Rotoren . 1. Die einfach besetzte Welle . . 2. Die EinfluBzahlen. . . . . . 3. Die kritischen Drehzahlen des Gegenlaufes 4. Die mehrfach besetzte Welle 5. Die dicht besetzte Welle

13 13 19

§ 3. Fahrzeuge . . . . . . . . 1. Die Zweischienenbahn . 2. Die Hangebahn. . 3. Die Schwebebahn . 4. Das Kraftfahrzeug 5. Das Schiff . . . . 6. Kreiselkoppelung der Schiffsschwingungen 7. Das Zweirad

34 34

§ 4. Flugzeuge . . . 1. Die Kreiselmomente . 2. Die Grundlagen der Kinetik des Flugzeuges 3. Die stationaren Kreiselwirkungen . . . . . 4. Die Kreiselkoppelung der Flugzeugschwingungen 5. Das Trudeln des Flugzeuges 6. Der Hubschrauber . . Zweiter Abschnitt: Kreiselgerate .

§ 5. Gerate mit KompaBkreiseln 1. Das Gyroskop 2. Der Inklinationskreisel und das Barygyroskop . 3. Der Deklinationskreisel . . . . . . . . . . 4. Kreiselversuche zum Nachweis der Erddrehung 5. Elastische Bindung eines Freiheitsgrades . . .

21 23 28

39 41 43 44

47 53 58 58 61

67 72 79

80 81

82 82 87 91

92 97

VI

Inhaltsverzeichnis. Seite

§ 6. Der KreiselkompaB . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die technische Entwicklung des Kreiselkompasses 2. Der ortsfeste EinkreiselkompaB . . . . 3. Die Fahrtfehler des Einkreiselkompasses 4. Die quasihydrostatische Dampfung . 5. Der Schlingerfehler . . . . . . . . 6. Die Beseitigung des Schlingerfehlers . 7. Kreiselkompasse ohne Schlingerfehler § 7. Kunstliche Horizonte mit Pendelkreiseln 1. Das Kreiselpendel ohne Dampfung 2. Die Dampfung des Kreiselpendels 3. Der Pendelkreisel mit Dusensteuerung 4. Der Pendelkreisel mit Sttitzmotoren 5. Weitere Pendelkreisel . .

§ 8. Wendekreisel und Lagekreisel 1. 2. 3. 4.

Der Wendezeiger Der Kurskreisel . Der Richtkreisel Der Stutzkreisel

99 99 106 114 122 126 129 137

145 145 158

164 175 178 182 182 189

195 196

§ 9. Sonstige Kreiselgerate 1. Differentiier- und Integrierkreisel 2. Reglerkreisel . . . . . . . . .

203 203 210

Dritter Abschnitt: Unmittelbare Stabilisatoren

213

§ 10. Richtkreisel . . . . . 1. Die Erde 2. Geworfene Korper

213 213 224

§ 11. Stutzkreisel . . . . . 1. Die Einschienenbahn mit Lotkreisel 2. Kurvenfahrt und beschleunigte Fahrt 3. Die Einschienenbahn mit Querkreisel 4. Der Geradlaufer

230 230 235 239 244

§ 12. Dampfkreisel . . . 1. Der gebremste Schiffskreisel 2. Gunstigste Wahl von Bremszahl und Drehimpuls 3. Der gesteuerte SchiffskreiseI

248 248 250 262

Namenverzeichnis .

266

Sachverzeichnis. .

267

Erster Abschni tt.

Kreiselwirkungen bei Radsatzen. Die Drehung ist unter allen Bewegungsatten dadurch ausgezeichnet, daB ein Korper sie gleichformig ausfiihren kann, ohne seinen Ort als Ganzes zu verlassen; sie wird deswegen dazu verwendet, bedeutende Energiemengen auf beschranktem Raum als Wucht von Schwungradem und sonstigen Radsatzen aufzuspeichern. Weil die Drehung immer wieder die einze1nen Teile eines Korpers in ihre friihere Lage, und zwar mit gleichbleibendem Takte, zuriickzubringen vermag, so wird sie auBerdem vielfaltig zu Energieumwandlungen beniitzt, so bei den sogenannten Kreiselmaschinen (Dampf-, Gasund Wasserturbinen, Kreiselpumpen, Kompressoren, Geblasen, elektrischen Generatoren und Motoren usw.) und bei vielen Triebwerken (Wasser- und Luftschrauben) und dergleichen mehr. Endlich aber dient die Drehbewegung seit den altesten Zeiten als haufigster Vermittler bei Schiebebewegungen iiberall, wo Fahrzeuge auf Radem laufen. In allen dies en Fallen haben wir es mit Kreiseln als Tragem von oft sehr groBen Drehimpulsen zu tun, und sobald die Achsen derartiger Radsatze geschwenkt werden, d. h. ihre Richtung im Raume andem, entstehen Kreise1momente, die zumeist unerwiinscht, zuweilen sogar gefahrlich sind, mitunter aber auch eine an sich gewollte Wirkung unterstiitzen. Wir beginnen mit einer technisch sehr niitzlichen Kreiselerscheinung bedeutenden AusmaBes, die bei sogenannten Kollergangen und Pendelmiihlen auftritt. Dann behandeln wir die manchmal schadlichen, zum mindesten nicht auBer acht zu lassenden Kreiselwirkungen bei stationar laufenden Radsatzen, insbesondere ihren EinfluB auf die kritischen Drehzahlen von Rotoren. Zuletzt zahlen wir die Kreiseleffekte auf, die bei Fahrzeugen, Schiffen und Flugzeugen vorkommen konnen. Das hierbei in Rechnung zu setzende Kreiselmoment Sfp ist fiir den symmetrischen Kreisel in § 5, Ziff.2, fiir den unsymmetrischen Kreisel in § 9, Ziff.11 des ersten Bandes angegeben worden. Gramme!, Der Kreisel II. 2. Autl.

2

Kreiselwirkungen bei Radsiitzen.

§ 1. Kollermiihlen. 1. Der Kollergang. Eine sehr merkwiirdige, jedoch wenig bekannte und deswegen auch zumeist nicht voll ausgeniitzte Kreiselwirkung kommt bei Kollermiihlen vor, die entweder als KoUergange oder als Pendelmiihlen gebaut werden. Der Kollergang zunachst, haufig zweilaufig (Abb. 1 und 2), seltener einlaufig (Abb. 3 und 4), besteht im wesentlichen aus ein oder zwei zylindrischen oder schwach kegeligen Walzen, den sogenannten

Abb. 1. Zweiliiufiger Kollergang mit Mitnehmer.

Abb. 2. Zweiliiufiger Kollergang mit Schleppkurbeln.

Abb. 3. Einliiufiger Kollergang mit Mitnehmer.

Abb. 4. Einliiufiger Kollergang mit Gelenk.

Laufern (l), die, urn die Mittelwelle (m) drehbar, von der Triebwelle (t) auf der als Teller ausgebildeten Mahlplatte (P) im Kreise herumgeflihrt werden, wobei sie das untergeschobene Mahlgut durch Zerreibung und Zermalmung zerkleinern. Damit die Laufer harten Brocken des Mahlgutes ausweichen konnen, miissen die Mittelwellen auf der Triebwelle beweglich aufsitzen. Dies wird erreicht entweder dureh einen sogenannten Mitnehmer (n in Abb. 1 und 3) oder dureh Schleppkurbeln (s in Abb.2) oder endlich durch ein Gelenk (g in Abb. 4). (Von Ausfiihrungen, bei denen die Mittelwelle feststeht und dafiir die Mahlplatte unter den Laufern gedreht wird, sprechen wir bier nieht, wei! sie zu Kreiselwirkungen keinen AnlaB geben.)

3

§ 1. Kollermiihlen.

Der Kollergang kann geradezu als das Muster eines technischen symmetrischen Kreisels angesehen werden, der eine erzwungene reguHire Prazession urn die lotrechte T.riebwelle ausfiihren muB. Es ist an Hand der Regel vom gleichstimmigen Parallelismus (Satz I von § 5, Ziff. 2 des ersten Bandes, Seite 61) ersichtlich, welche Wirkung das hierbei geweckte Kreise1moment Sfp als Ausdruck der Massentragheit des Laufers bei den verschiedenen Ausfiihrungen des Kollergangs haben wird. Es sucht bei zweilaufigen Kollergangen mit Mitnehmer oder Schleppkurbeln die Mittelwelle zu biegen und sollte als Biegemoment bei deren Entwurf in Rechnung gestellt werden; es macht sich besonders beim einlaufigen Kollergang mit Mitnehmer auBerdem als storende Beanspruchung des Mitnehmerlagers geltend; und lediglich bei der ge1enkigen Ausfiihrung (Abb. 4) gewinnt es die Bedeutung, die ihm eigentlich zukommen soIl, insofern es als Kriiftepaar (~, ~') zwar die Triebwelle und deren Lager anstrengt, zugleich aber die Pres sung des Uufers gegen die Mahlplatte erhOht, unter Umstanden auf ein Mehrfaches /I r des Ruhebetrages. In der Tat werden Kollergange mit gelenkiger Achsenverbindung, mit denen wir uns weiterhin hauptsachlich befassen, als besonders wirksam geschildert, ohne daB der eigentliche Grund dafiir, das Kreise1PIa moment Sfp ' immer klar erkannt wird 1. 1st A die Drehmasse des Laufers urn die Achse der Mittelwelle (Figurenachse), B diejenige urn eine dazu senk- Abb.5. Kinematik und Kraftespiel rechteAchse durch den Schnittpunkt 0 am Kollergang. der Achsen der Mittelwelle und der Triebwelle (Abb. 5), und sind ferner We und wp die Eigendrehgeschwindigkeit des Laufers urn seine Mittelwelle und seine Prazessionsgeschwindigkeit urn die Triebwelle, so ist bei einem beliebigen Winkel :1)' sich dann zuniichst wieder beruhigen, bald darauf im Gleichlauf von neuem, und zwar sehr heftig schleudern (o.>k) und sich schlieBlich der Se1bsteinstellung nahern, die nur noch einmal voriibergehend bei ganz hoher Drehzahl (0.>:2) durch ein letchtes Schleuderrt im Gegenlauf unterbrochen wird. .

4. Die mehrfach besetzte Welle. Auch fUr Wellen mit mehreren Scheiben, wie sie hauptsiichlich bei den Rotoren der Dampfturbinen vorkommen, gilt das Aquivalenzprinzip, wie man ahnlich wie in Ziff. 1 beweisen kann, und somit sind kritische Drehgeschwindigkeiten o.>k dann zu erwarten, wenn bei fehlenden Exzentrizitaten aller Scheiben eine stationare Durchbiegung der We1le moglich ist, das heiBt, von einem mitumlaufenden Bezugssystem aus besehen, wenn die Durchbiegungen Yi und die Neigungen qJi der Biegelinie der Wellenachse an den Orten der Scheiben [mit den Massen mi und den wie in Ziff. 1 (12) (Seite 17) definierten Triigheitshalbmessern k;] gerade von den Fliehkraften und Kreise1momenten Fi KPi

=

mi o.>! Yi ,

= mi k; o.>! qJi

(32)

hervorgerufen werden. Man beniitzt auch hier die Maxwellschen EinfluBzahlen, niimlich die Durchbiegung rJ.ij am Orte i infolge einer positiven Einheitskraft am Orte j, die Neigung flij am Orte i infolge eines positiven Einheitsmoments am Orte j und die Neigung Yij am Orte i infolge einer positiven Einheitskraft am Orte j, wobei Yij nach einem allgemein giiltigen Reziprozitatssatze zugleich auch wieder die Durchbiegung am Orte i infolge eines positiven Einheitsmomentes am Orte jist.

24

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

Dann hat man im kritischen Zustand des Gleichlaufes bei einer Welle mit n Scheiben das Gleichungssystem YI =w~ [cxllmlYI +.. '+CXlnmnYn -(Yll mIk~97I +.. '+Yln mnk~97n)]' Yn =w~ [cxn1mlYl + .. ,+cxnn mnYn -(Ynl m1k~971 +.. '+Ynnmn k!97n)] , fIJI =

w~ [YnmlYI +... +YlnmnYn -(Pu mlkifIJl +.. '+Plnmnk!flJn)], (33)

~n=w~ [Ynl mlYI +... + YnnmnYn-(Pnl mlkifIJl +... + Pnnmn k! 97n)]. Dieses Gleichungssystem laBt dann und nur dann nichtverschwindende Losungen Yu ... Yn' 97u ... flJn' also kritische Zustande zu, wenn die analog zu Ziff. 1 (7) (Seite 16) gebildete 2n-reihige Determinante ihrer Koeffizienten verschwindet. Dies tritt, wie man beweisen kannI, fiir genau n (im allgemeinen verschiedene) Werte wk ein, die man die kritischen Drehzahlen (des Gleichlaufes) nennt, und von denen jede einzelne infolge der Kreiselwirkungen der Scheiben h6her liegt, als ihr Wert ohne Riicksicht auf die Kreiselwirkungen ware. Die Zahlenwerte Wk. (v=l, 2, ... n) dieser kritischen Drehzahlen k6nnen schon bei wenigen Scheiben nur miihsam, bei vielen Scheib en iiberhaupt nicht mehr mit ertraglichem Rechenaufwand dadurch gefunden werden, daB man jene 2n-reihige Determinante explizit ausrechnet und ihre Nullstellen aufsucht, - zumal da zuvor erst einmal alle EinftuBzahlen CXij' Pij und Yij bekannt sein miiBten, deren Gesamtzahl 3 n2 allerdings wegen der allgemeinen ReziprokaIformeln CXij=CXji' Pij=pji' Yij=Yji (34) sich auf n(n+l) ermaBigt, jedoch z. B. bei dem nicht seltenen FaIl von n = 5 Scheiben immerhin noch 45 betragen wiirde. Gliicklicherweise gibt es nun aber v611ig ausreichende und gut durchgebildete Naherungsmethoden, die die Aufgabe 16sen, fiir eine gegebene Welle mit vorgeschriebener Besetzung die kritischen Drehzahlen verhliltnismaBig rasch und genau genug zu finden. Aus der groBen Mannigfaltigkeit so1cher Methoden 2 wahlen wir zwei aus, von denen die eine sehr einfach und die zweite sehr genau ist. In beiden Fallen beschranken wir uns auf die tiefste kritische Drehzahl Wm mit deren Ermittlung man sich in den meisten Fallen praktisch begniigen darf. Wie man die Zahlenwerte der hOheren Kritischen notigenfaIls wenigstens abschatzen kann, werden wir spater noch andeuten.

+

1

2

Vgl. Technische Dynamik, S. 814. Vgl. Technische Dynamik, Kap. X, § 3.

25

§ 2. Kritische Drehzahlen von Rotoren.

a) Erste Naherungsmethode. Man multipliziere die ersten n Gleichungen (33) der Reihe nach mit den Scheibenmassen 1nl' ..• mn und addiere sie dann; so kommt LmiYi=w;l[m1YIL r!.jjmj+ •.. +mnYnL r!.jnmji

j

j

-(m1kiIFl L YjImj j

+ ... + mnk~ IFn L

Yjnmj)].

j

Erweitert man Glied fiir Glied mit g2 und beachtet die Reziprokalformeln (34), so kann man dafiir mit den Scheibengewichten Gj =1nj g auch schreiben g L GiYi = W~I [G1Yl L r!.ljGj + ... + GnYn L r!.njGji

j

j

-(G1kiIFl L YljGj + ... + Gnk~ IFn L ynjGj)]. j

j

Die Summen rechts haben jetzt eine sehr einfache Bedeutung gewonnen: gemaB der Definition der EinfluBzahlen sind namlich (35)

gerade die statischen Durchbiegungen der waagerecht gelagerten Welle an den Orten der Scheiben infolge der gesamten statischen Lasten GD G2 , ••• Gn aller Scheiben (denen man die Gewichte der Wellenstiicke zugeschlagen zu denken hat, wie ja auch schon deren Massen den Scheibenmassen zugerechnet sein sollten). Ebenso sind die Summen (36) die statischen Neigungen der waagerecht gelagerten Wellen infoige der Scheibengewichte. Somit hat man (37)

Diese immer noch exakte Formel wird zu einer Naherungsformel, wenn man fiir die (unbekannten) Werte Yi und IFi (das sind die dynamischen Auslenkungen und Neigungen der Wellenachse infoige der Fliehkrafte und Kreiselmomente) geeignete Naherungen einfiihrt. Da abzuschatzen ist, daB bei der tiefsten kritischen Drehzahl W k1 die dynamische Biegelinie von annahernd gieichem Typ sein wird wie die statische Biegelinie, so setzt man mit einer belanglosen Konstanten " genahert (i=l, 2, ... n) und erhalt so den Naherungswert fUr 052 = ki

W!I

J;G i 1]i g J; G, (1],2 - k,2 '1',2) •

(38)

26

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

Diese Naherung ist viel besser, als sie zunachst aussieht. Denn die Fehler in den einzelnen Gliedern werden sich schon durch die Summenbildung etwas verwischen; vor allem aber werden sie sich deswegen ziemlich aufheben, weil sie einigermaBen gleichartig im Zahler und Nenner auftreten. An Hand von genau, doch muhsam gerechneten Vergleichsbeispielen kann man sich darauf verlassen, daB der Fehler von Wkl in (38) kaum graBer als 1 % wird und zumeist noch erheblich kleiner bleibt. Wenn man, wie z. B. stets bei Dampfturbinen, die statische Durchbiegung sowieso bestimmen muB, was auch bei Wellen mit vielen Scheiben und mit veranderlichem Querschnitt nach der Mohrschen Methode keine Schwierigkeiten bietet, so laBt sich der Naherungswert Wkl aus (38) sehr einfach berechnen. b) Zweite Naherungsmethode. Einen noch viel genaueren Naherungswert von W kl erhiilt man, wenn man die Gleichungen (33) der Reihe nach mit mlYD ... mnYn' mlkiCPl) ... mnk~CPn multipliziert und dann addiert; so kommt

+ ... + mnYn ~ (XjnmjYj)+ + (mlYl~ Yjlmjk]cpj + ... + mnYn.2.: Yjn mjk] CPj) - (ml ki CPl L Yj\ mjYj + ... + mn k~ CPn L Yjn mj Yj)-

~mi(Y~ +k; cp;)=w!r[(mlYl2>jlmjYj J

I

J

J

J

j

j

- (mlkicpIL{Jjjmjk;fPj j

+ ... + m"k!fPnL{Jjnmjk;fPj)]. j

Rechter Hand heben sich die zweite und dritte runde Klammer gegenseitig auf, wie man leicht erkennt, wenn man die Summen ausfuhrlich anschreibt und die dritten Reziprokalformeln (34) beachtet. Die Summen in der ersten und vierten runden Klammer kannen wegen der ersten und zweiten Reziprokalformel (34) in der Form

Y 1 == L (XljmjYj, ••• j

$1 ==

L {JljmjkJcpj, ..• j

Yn=

L (XnjmjYj,

(39)

j

$n= ~ {JnjmjkJcpj

(40)

J

geschrieben werden und bedeuten die Durchbiegungen infolge der gedachten "Krafte" mjYj und die Neigungen infolge der gedachten "Drehkrafte" mj k] CPj (= Cj CPJ, und so hat man

(41) In diese strenge Forme! geht man nun wieder mit geeigneten Naherungswerten fur die unbekannten dynamischen GraBen Yi und CPi ein. Man darf diese GraBen sogar ziemlich roh abschatzen, z. B. bei einer beiderseits nicht eingespannt aufliegenden Welle fur die Yi die

§ 2. Kritische Drehzahlen von Rotoren.

27

Werte einer entsprechenden Sinusfunktion und ftir die rpj die zugehOrigen Ableitungen nehmen. 1m Nenner hat man dann zu den daraus folgenden "Kraften" mj Yj die Durchbiegungen Y j und zu den daraus folgenden "Drehkraften" mj k7 rpj die Neigungen c[Jj zu ermitteln, etwa mittels des Mohrschen Verfahrens. Man kann den Wert des Nenners aber zumeist noch bequemer finden, wenn man beachtet, daB der Ausdruck E mj Yj Y j die doppelte Formanderungsarbeit der "Krafte" mj Yj bei den von ihnen erzeugten Durchbiegungen Y j bedeutet und ebenso der Ausdruck -E mjk; rpjc[Jj die doppelte Formanderungsarbeit der "Drehkrafte" mjk; rpj bei den von ihnen erzeugten Neigungen -c[Jj, wobei beztiglich des Vorzeichens daran zu erinnern ist, daB die Kreiselmomente mj k7 rpj im Gleichlauf die Neigungen rpj zu verkleinern suchen. Diese doppelten Formanderungsarbeiten lassen sich nun aber ziemlich bequem graphisch folgendermaBen ermitteln. 1st Mx(my) das Biegemoment der "Belastungen" mjYi' so gilt gemaB (22) von Ziff. 2 (Seite 20) 2L= AM; dx, wobei das Integral tiber die ganze Welle zu erstrecken ist, oder indem man das Biegemoment mit der bekannten Culmannschen Seileckskonstruktion in der Form Mx(my) = hu(x) (42) darstellt (h=Polabstand, u(x)=Ordinate der Momentenfiache), 2L=h2U mit der Abkiirzung

f

(43)

In gleicher Weise kommt fUr das zweite Nennerglied in (41) mit dem Biegemoment N(mk2rp) der "Drehbelastungen" mik;rpj, namlich (44) N(mk2rp) = hv(x) der Wert mit der Abktirzung

v = f Av2 dx.

Somit kann man (41) in der Gestalt schreiben 2 E mi (Yi2+ k,2 rp,2) W kl = ----h2[i.TTv) - --

(45) (46)

Diese Formel, fUr einen einigermaBen gut geschiitzten Wertesatz Yi' rpj ausgewertet, erftillt aIle Forderungen, die man billigerweise an die Genauigkeit stellen kann. Aus exakt durchgerechneten Vergleichs-

28

Kreiselwirkungen bei Radslitzen.

beispielen geht hervor, daB der Fehler im allgemeinen v6llig innerhalb der Fehlergrenzen bleibt, die man sowieso bei graphischen Konstruktionen nicht unterschreiten kann. Auch fur die hOheren kritischen Drehzahlen W k2 ' ••• Wkn gibt es Naherungsverfahren. Sie sind aber erheblich umstandlicher und sollen hier nicht weiter behandelt werden 1. Will man wenigstens den Wert von W k2 noch abschiitzen - und praktisch genugt dies zumeist -, so wahlt man eine Biegelinie mit einem Knoten, von welcher man annehmen darf, daB sie von der dynamischen Ausbiegung des zweiten kritischen Zustandes nicht allzu weit abweicht, und bildet damit die Werte (38) oder (46). GroBe Genauigkeit darf man dabei aber nicht erwarten. Wir bemerken noch, daB man entsprechende Formeln fur die kritischen Drehzahlen des Gegenlaufs (ZifI'. 3) dadurch bekommt, daB man uberall die k; durch die entsprechenden -k72 gemaB (31) ersetzt. Wir verzichten aber darauf, diese Formeln anzuschreiben, weil bei Wellen mit mehreren Scheiben bisher nie der kritische Zustand des Gegenlaufs beobachtet worden und auch nicht zu erwarten ist; denn die Voraussetzung seines Zustandekommens, namlich das genaue Verschwinden der Exzentrizitaten aller Scheiben, ist sehr unwahrscheinlich.

5. Die dicht besetzte Welle. Wenn die Scheiben sehr dicht auf der Welle sitzen, so nahert man sich einem Grenzfall, der wieder verhiiltnismaBig einfach zu berechnen ist: namlich der Welle mit unendlich vielen, unendlich dunnen Scheiben 2. Ein solches System mag in vielen Fallen eine recht brauchbare Naherung fur wirkliche Rotoren mit vielen Scheiben abgeben, wird aber naturlich auch schon durch eine massebehaftete Welle ohne Scheiben dargestellt. Weil das Aquivalenzprinzip immer noch gilt, so haben wir nach denjenigen Drehgeschwindigkeiten Wk zu suchen, fur welche eine solche Welle infolge der nun kontinuierlich verteilten Fliehkrafte und Kreiselmomente einer stationaren Biegung fahig ist: sie sind als kritische zu bezeichnen. Bedeutet m(x) an der Stelle x die Masse der Scheiben auf der Langeneinheit der Welle, deren (ursprunglich gerade) Mittelachse wir zur x-Achse wahlen, so ist die Fliehkraft-"Belastung" der Langeneinheit bei der Biegung y(x) F(x) =m(x)wbex).

(47)

Vgl. Technische Dynamik, Kap. X, § 3. Vgl. A. Stodola, Z. ges. Turbinenwesen 15 (1918), S. 253; ferner R. Grammel, Z. VD!. 64 (1920), S. 911, und 73 (1929), S. 1114. 1

2

§ 2. Kritische Drehzahlen von Rotoren.

29

1st ferner rex) der Scheibenhalbmesser an der Stelle x, so hat man flir ein Element dx ein Element der GroBe C (3) (Seite 15) vom Betrag 1 2-( dC = dA -dBo = 21 r2mdx - -4,r mdx = 41 m x)r 2(x ) dx

und somit ein eingepdigtes Kreiselmoment je Langeneinheit der Welle - 1-() 2 dy ' K- p (x)-4m x r2() x w kax

( 48)

und zwar wieder positiv gezahlt im Sinne abnehmender Neigungen rp=dy/dx. Man erkennt an einem Element der Welle (Abb. 17), daB ein eingepragtes Moment Kp flir sich allein eine Z~nahme des Biegemomentes Mx mit sich brachte, so daB dMx/dx=Kp ware, vorausgesetzt daB man, wie schon in (21) (Seite 20), das Biegemoment Mx an der der positiven x-Achse zugewandten Seite eines Schnittes positiv im Sinne positiver Winkel rp zahlt. Nehmen wir noch die aus der Biegelehre bekannte Tatsache hinzu, daB eine Belastung je Langeneinheit der Abb. 17. Wellenelement. Welle flir sich allein der zweiten Ableitung d 2 Mx/dx2 des Biegemoments gleich ware, so haben wir im ganzen

oder mit den Werten Mx(21), F(47) und Kp(48)

::.(! ;~)-w~[!

ddx

(iiir2;~)+my]=0.

(49)

Diese Differentialgleichung, in welcher die Quadrate der kritischen Drehzahlen w~ als sogenannte Eigenwerte auftreten, hat sich flir viele Rotorformen und Lagerungen 16sen lassen!. Wir wollen uns hier auf den einfachen Fall beschranken, daB die Biegesteifigkeit A. sowie die Scheibenmasse iii und die Scheibenhalbmesser r langs der ganzen Welle Festwerte sind. Dann nimmt (49) die Gestalt an: d4 y dx 4

(1

- 2 2 d2 y ) _ -AmW k 4 r dx 2 +y -0.

(50)

Dies ist eine Differentialgleichung vierter Ordnung mit konstanten Koeffizienten. Ihr allgemeines Integral setzt sich linear aus ihren vier partikularen und linear von einander unabhangigen Losungen cos ex, sin ex, (£oj ax, Sin ax zusammen, wo e und a noch geeignet zu bestimmen sind. 1

Vgl. K. Karas, Die kritischen Drehzahlen wichtiger Rotorformen, Wien 1935.

30

Kreiselwirkungen bei Radsiitzen.

Auch diesen homogenen Rotor wollen wir nur fur zwei besondere Lagerungsarten untersuchen, und zwar zuerst fur beiderseitige Lagerung ohne Einspannung. Man erkennt sofort, daB das Integral, das fur diese Welle paBt, welche, da nicht eingespannt, an beiden Enden das Biegemoment Mx =(ljA) d2 y/dx2 =0 hat, bei einerWellenHinge I die Form besitzt .

vnx

y = a sm -z-

(y=l, 2, ...),

(51)

wobei a eine belanglose Konstante ist, die die GroBe des im kritischen Zustand (fur e=O) unbestimmt bleibenden Ausschlags der Welle miBt. Geht man mit (51) in die Gieichung (50) ein, so kommt v n 2 ( AmWk -z4-+ 4

4

_

v 2 n 2 r2

412

)

-1 =0

und hieraus mit dem Wert A(16) (Seite 19) die Gesamtheit aller kritischen Drehzahien I -Wk>- =

V~~ V ~2(~ r

(y=l, 2, ... ).

1

(52)

Ohne Kreiselwirkung (r=O) hiitte man unendlich viele kritische Drehzahien _ 2 21 / EJ (Y=l,2, ... ). (53) WOv - y;r Viii Z4 Mit Kreiselwirkung (r =F 0) gibt es nur so viele kritische Drehzahlen, wie es positive ganze Zahlen y gibt, welche kleiner als 2/ j;rr sind, wofur man auch schreiben kann 1

2 nr

-;- > 4T ==

q;

(54)

der Quotient q ist das VerhaItnis von Scheibenumfang zu vierfacher Lange der Welle. Fur diese kritischen Drehzahlen gilt nach (52) und (53) (55)

sie sind also, soweit sie uberhaupt existieren, stets groBer als die entsprechenden kritischen Drehzahlen ohne Berucksichtigung der Kreiselwirkung. Ais einander entsprechend sind dabei Werte Wkv und Wo. mit gleichem Wert y bezeichnet, und das heiBt nach (51) : mit gleichvielen Knoten (namlich y-1) der Biegelinie. Die kritischen Drehzahlen Wov steigen mit y im Verhiiltnis 1: 4: 9 : 16 ... an; die zugehOrigen kritischen Drehzahlen Wkv sind, abhiingig vom ScheibenWellen-Parameter q, in Abb. 18 dargestellt. Man liest aus ihr, die Ungleichung (54) bestiitigend, das bemerkenswerte Ergebnis ab: 1st der Scheibenumfang mindestens gleich der vierfachen WellenHinge, so verhindert die Kreiselwirkung jede kritische Drehzahl (des

§ 2. Kritische Drehzahien von Rotoren.

31

Gleichlaufes); liegt er zwischen. der vierfachen und der doppelten Wellenlange, so gibt es nur eine kritische Drehzahl; liegt er zwischen der doppelten und der 4/3-fachen "'Ir .. Wellenlange, so gibt es nur zwei; allgemein gibt es p kritische Drehzahlen, wenn der Scheibenumfang zwischen dem 4/p- und dem 4/CP+ 1)-fachen der Wellenlange liegt (jeweils mit AusschluB der oberen und EinschluB der unteren Grenze). Bei allen anderen Lagerungsarten der homogenen Welle sind die kritischen Drehzahlen erheblich umstandlicher zu berechnen. Wir wollen dies wenigstens noch fur die Welle durchfuhren, deren beiderseitige Lager wie Einspannungen wirken. In so1chen 11 1 verwickelteren Fallen ist es zweckAbb. 18. Kritische Drehzahien der maBig, die Differentialgleichung (50) beiderseits aufliegenden, dicht besetzten Welle. dimensionslos zu gestalten, indem man auBer q (54) noch x (56) ~ =T' einfiihrt. So kommt d 4y d ~4

(q2 d2y

-

e2 ~ d ~2

+Y,) =

0

(57)

mit dem allgemeinen Integral (58) = al cos e~ + a2 sin e~ + aa (£01 a~ + a4 6in a~ (wobei unbedenklich e und a statt dem fruheren e1 und al geschrieben Y

werden darf, da diese GraBen ja erst noch zu bestimmen sind). Setzt man (58) in (57) ein, so kommen fur e2 und a 2 die beiden quadratischen Gleichungen

f (e 2)

===

e2q2

e4 + ---;T e2 -

e2

=

0,

£2 q2

g( a2) === a4 - ---;T a2_e 2 = 0, die wir aber nicht auflOsen (da dies nicht zum Ziele fiihren wurde), sondern folgendermaBen weiterbehande1n. Bildet man g(a 2)-f(e 2)=0 und a2f(e 2)+e 2g(a 2) =0, so kommt £2

2

q a4-e 4-(a2+e 2) ---;T

=

0,

e4a2+e2a4-(a2+e2)e2

=

0,

32

Kreiselwirkungen bei Radsiitzen.

oder nach Division mit dem gewiB nicht verschwindenden Ausdruck a2 +e 2 wofiir man besser schreibt

s=(!a, a2

-e 2 =

!2 e

(59)

2

2

(60)

a2 •

Nun mussen aber auch noch die Randbedingungen y=O

und

:~ =0

jefur~=Ound~=l

erfullt werden. Die ersten beiden verlangen gemliB (58) (fur ~ = 0)

a1 +a 3 =0,

ea2+ aa 4=0.

Setzt man daher in (58) a3 =-al und a4=-(ela)a2, so geben die letzten beiden Randbedingungen (fur ~ = 1)

al (cos e- (£01 a) + a2 (sin e -

! 6in a) = 0,

-alee sin e+ a 6in a)+a 2 e(cos e- (£01 a) =

)

(61)

o. f

Ein wirklicher Ausschlag der Welle, bei we1chem also nicht a1 =a2 =a 3 =a 4=0 ist, und somit ein kritischer Zustand, tritt nur bei so1chen Wertepaaren (J, a ein, fur die die Determinante der Koeffizienten von a 1 und a 2 in (61) verschwindet, also fur e(cos e-(£0l a)2 + (e sin e + a 6in a) (sin e- ~ @Jin a) = 0 oder geordnet cos e(£01 a-I =

a2 0 2 2-'

ea

sine @Jina.

(62)

Nunmehr besteht die Losung unserer Aufgabe darin, zusammengehOrige Wertepaare e, a zu finden, die die beiden Gleichungen (60) und (62) befriedigen. Dann kennt man nach (59) auch die kritischen Werte s und also nach (56) die kritischen Drehzahlen Wk =

-Vf;l~c

.

(63)

Da (62) eine transzendente Gleichung ist, so kann diese Losung nicht explizit formelmliBig vollzogen werden, wohl aber graphisch. In einem kartesischen (a, e)-System (Abb.19) zeichnet man sich einerseits die Kurvenschaar (60) mit dem Parameter q, andererseits die Kurve (62), wobei man sich nach (60) auf den Wertebereich a> e beschrlinken darf. Dann sind die Koordinaten jedes Schnittpunkts einer Kurve (60) mit der Kurve (62) ein kritisches Wertepaar a, e. Man stellt leicht fest, daB die Kurven (60) die Gerade e= a im Nullpunkt beruhren und die waagerechten Asymptoten e=njq haben,

33

§ 2. Kritische Drehzahlen von Rotoren.

weswegen als Parameter zweckmaBigerweise die Werte 1

41 2nr

q-

(64)

gewahlt werden. Die Kurve (62) zerfallt in lauter Zweige mit den waagerechten Asymptoten (!=vn (v=l, 2, ... ), entsprechend den kritischen Zustanden erster, zweiter, ... Ordnung mit v-I Knotenpunkten der Biege1inie. 5 '/'7---""' 1 bleibt, und eingespannten, dicht besetzten Welle. daB es bei ihr unter den gleichen Bedingungen genau p kritische Drehzahlen gibt wie vorhin bei der nicht eingespannten Welle. Diese Tatsache gilt tiberhaupt fUr jede beiderseits gelagerte, mit Scheiben gleichmaBig dicht besetzte Welle, se1bst wenn deren Biegesteifigkeit (wie z. B. bei abgesetzten Dampfturbinenwellen) langs der We1le veranderlich ist. Man beweist dies am schnellsten, indem man die lotrechten Asymptoten des entsprechenden (q, wkv)-Diagramms (vgl. Abb. 18) ftir diesen allgemeinen Fall aufsucht. Die zugehOrige Differentialgleichung (50) (Seite 29) geht, wenn man sie mit w~ dividiert und dann W k = co setzt, mit feSten Werten von in und r2 tiber in I I(T

1

4r2

d2y

+y=O

dx 2

oder mit der Abktirzung q (54) und der dimensionslosen Abszisse (56)

~

~2~ +(~ry=O, unabhangig von der Biegesteifigkeit 1/A. Die einzige Lasung dieser Differentialgleichung zweiter Ordnung, die die Bedingung y=O fUr ~=O der Lagerung am einen Wellenende erfi.il1t, ist .

n~

y=asm-. q Grammel, Der Kreisel II. 2. Aufl.

3

34

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

Damit die Lagerungsbedingung y=O fiir ~=1 am anderen Ende ebenfalls erfiilIt ist, mufi 1 (v=l, 2, ...) q=v sein, in Ubereinstimmung mit Abb.18, womit unsere Behauptung erwiesen ist. Man kann auch beweisen, daB die Kreise1wirkung stets jede kritische Drehzahl hinaufsetzt, wenn sie sie nicht iiberhaupt verhindert. Auf den kritischen Zustand des Gegeniaufes brauchen wir nicht naher einzugehen, da er bei dicht besetzten Wellen nicht beobachtet wird.

§ 3. Fahrzeuge. 1. Die Zweischienenbahn. Wir wenden uns nunmehr den mannigfaltigen Kreiselwirkungen zu, die unbeabsichtigt iiberail da entstehen, wo Radsatze durch Schwenken ihrer Achse eine Prazession auszufiihren gezwungen werden. Hierher gehOren einerseits die Radsatze, auf denen Fahrzeuge aller Art laufen, andererseits Radsatze, die in solchen Fahrzeugen untergebracht sind, wie etwa Elektromotoren, Schiffsmaschinen usw. Dabei handelt es sich zumeist darum, festzustellen, ob die geweckten Kreiselmomente niitzlich sind oder unerwiinscht erscheinen und dann wenigstens ungefahrlich bleib~n. Bei Fahrzeugen, die an genau vorgeschriebene Bahnen gebunden sind, will man hiiufig auch wissen, wie die Kreise1momente der Radsatze auf die Fiihrungen dieser Bahnen einwirken, die man Schienen nennt. Je nach der Zahl der Schienen teilt man die Bahnen in Ein- und Zweischienenbahnen ein. Zunachst haben wir es mit der gewohnlichen Zweischienenbahn 1 zu tun. Hier entstehen Kreise1wirkungen offenbar erstens bei der Durchfahrt durch eine Kurve, zweitens bei Drehungen des Fahrzeuges um eine Achse, die in der Fahrtrichtung liegt, nicht jedoch bei Drehungen des Fahrzeuges um eine zu den Radachsen paraile1e Querachse. Wir wenden uns zuerst der K urvenfahrt zu. Wenn man die Kinetik dieser Bewegung untersuchen will - etwa um Fragen der Fahrsicherheit, des Oberbaues, der Schienenbefestigung, der Beanspruchung des Fahrzeuges usw. zu beantworten -, so mufi man aile Krafte und alle Drehkrafte kennen, die dabei auftreten. Hier wird es 1 Die Kreiselwirkung bei Eisenbahnen haben zuerst F. Kotter, Sitzungsber. Berliner Math. Ges. 3 (1904), S. 36, sowie F. Klein und A. Sommerfeld, Uber die Theorie des Kreisels, S. 771, Leipzig 1897/1910 behandelt.

35

§ 3. Fahrzeuge.

sich hauptsachlich urn die Krafte handeln, die in einer senkrechten Projektion auf die mittlere Querebene des Fahrzeuges erscheinen, und urn die Drehkrafte, deren Momentvektoren senkrecht zu einer solchen Ebene stehen (Abb. 20). Das sind erstlich das Gewicht Go aller Radsatze des Fahrzeuges, das Gewicht G1 des Fahrzeuges se1bst (ohne Radsatzgewicht), die z in jene Ebene fallende Projektion Z der Zugkraft und die von der rechten und linken Schiene auf die Radkranze ausgeiibten Gegenkrafte P r und PI (die im allgemeinen zunachst unbekannt sind, und deren Richtungen sich aus einer besonderen, hier nicht weiter durchgefiihrten UnterAbb. 20. Radsatz der Zweischienenbahn. suchung ergeben, bei der man die Form der Schienenk6pfe und der Radkranze beriicksichtigen muB). Dazu kommen dann aber noch das Kreiselmoment Kpo der Radsatze und das Schleudermoment KPI des Fahrzeuges (ohne die Radsatze). Das Kreiselmoment Kpo ist, wie in Formel (1) von § 1, Ziff.l (Seite 3), Kpo = [Awe + (A-B) Wp cos ex2BI ausfallt, d. h. wenn die Wellenfrequenzi ex tiefer liegt, als die Frequenz der ungedampften freien Stampfschwingungen ware. Aber sie bleibt auch noch fur hOhere Wellenfrequenzen ex positiv, bis zu der Grenzfrequenz ex i2 = BIICI ( } D! + wxw!p + CI Gh 2 ); (38) erst fUr ex > ex' gibt es bei kleinen Werten D! einen Bereich!(D!) < 0 und also a2 > a~. Angesichts der starken Dampfungsziffem Wx und w!p liegt allerdings ex' in der Regel so hoch, daB derart raschpulsierende Wellen das Schiff kaum mehr zu beeinflussen vermogen; denn mit I Unter Frequenz wollen wir hier und im Folgenden stets die Zahl der Schwingungen in 2:rt Zeiteinheiten (z. B. sek) verstehen (sogenannte Kreisfrequenz).

4*

52

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

wachsender Wellenfrequenz rx nimmt C 2 erfahrungsgemaB bald auf vernachlassigbare Betrage abo Wenn wir uns daher auf Wellenfrequenzen unter rx' beschranken, so haben wir das Ergebnis: Die Kreiselwirkung der Maschine verkleinert die Amplitude der Stampfschwingungen X des Schiffes, und zwar unabhangig yom Drehsinn der Maschine, ruft aber daftir eine Gierschwingung "P hervor. Merklich kann diese Kreiselwirkung wohl nur bei Schiffen mit verhiiltnismaBig sehr starken Maschinen werden. Man kann dieses Ergebnis auch so ausdrticken: Die Kreiselwirkung der Antriebsmaschine erhOht die Steifigkeit des Schiffes im Seegang. In der - allerdings bei weitem nicht zu erreichenden - Grenze D

0] (19) und eine Verringerung des Auftriebs, also eine Kraft in der (x,z)Ebene P~ =Ffj (F> 0). (20) 3. Infolge einer Schraglage q; eine seitliche Komponente des Gewichts (21) P~ = -Gq;. 4. Infolge eines Schiebewinkels f} eine weitere Seitenkraft (22) 1':; = Uf} (U> 0), teils vom Seitentrieb des Rumpfes, teils von einer seitlichen Komponente des Schraubenzuges $ herriihrend. 5.. Infolge einer Anderung ~ der Fluggeschwindigkeit cine Anderung des Auftriebs A = G wegen d(v2) = 2 vdv 10:12 v~~ um die Kraft P~'= - 2 G~ (23) und des Schraubenzugs S = W um P;" = - 2So~ (24) (wobei So der Schraubenzug am Stand ist), wie man folgendermafien findet. ErfahrungsgemaB darf man S=So-xe v2 setzen, hat also dS=-2xevdvlO:1-2xev~~=2(S-So)~. Davon ist aber die Vermehrung des Widerstandes dW=2 W~=2S~ abzuziehen, so daB in der Tat die Kraft (24) ubrig bleibt. 6. Die Ruderkrafte P;=-RhOCh' P:=-Rsocs (Rh>O,Rs>O), (25) wobei die stets positiven Koeffizienten Rh und R. mit den Koeffizienten in (17) zusammenhangen durch die Beziehungen rh = ahR h , r. = asRs ; (26) darin sind ah und as ziemlich genau die Entfernungen des Flugzeugschwerpunkts von den Flachenschwerpunkten des Hohen- und Seitenleitwertes. Einige weitere Krafte, die von der Auftriebs-, Seitentriebs- und Widerstandsanderung der Leitwerte bei Drehungen q:;, X und tP herruhren, durfen wir als unbedeutend hier unterdriicken.

67

§ 4. Flugzeuge.

Setzt man nunmehr die Momente und Krafte (9) und (11) bis (26) in die Bewegungsgleichungen (7) und (8) ein und bringt auBer den Rudermomenten und -kraften alles auf die linke Seite, so erscheinen die folgenden sechs Grundgleichungen: Al;P+wcp~+p~+hf}

B1X+wxx

(27)

=rqlXq+r;lXs'

(28)

+jY)+D~ =rhlXh,

(29) (30)

(31) (32) Dieses System von sechs linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten muB, soweit unsere einschrankenden Voraussetzungen zutreffen, die vollstandige Losung unseres Problems enthalten. Die Koeffizienten AD B 1, CD p, wcp' wx' w"" rq , rM rs' F, G, U, R. und Rs sind stets positiv, die Koeffizienten q, und E sind es in der Regel, wogegen die Koeffizienten h, j, k und der Drehimpuls D des Luftschraubenkreisels ;~ nach Bauart des Flugzeuges und je nach dem Umlaufsinn der Luftschraube (samt Motor) positiv oder negativ sein konnen. Die Glieder D ~ und -D Xsind auch hier als gyroskopische Terme zu bezeichnen. Wei! in den Gleichungen (27) bis (32) wohl ~, aber nicht "p explizit vorkommt, so sind sie, wie zu erwarten, von der Himmelsrichtung des Fluges unabhangig. Sie enthalten natiirlich mit IXh=r!.s=lXq= 0 die ungestorte Normallage

r;

rp = 0,

~=O,

X = 0,

y)=0,

= konst., } f}=0

"p

(33)

des Flugzeuges im Geradeflug ohne Ruderausschlage.

3. Die stationaren Kreiselwirkungen. Man kann aus den Storungsgleichungen (27) bis (32) einige wichtige Ergebnisse gewinnenI, von denen ein Teil, aber freilich eben nur ein Teil, auch durch einfache Ubedegungen zu finden ware. 1 Vgl. L. Prandtl, z. Flugt. Motorluftsch. 1 (19l0), S. 25; A. Betz, ebenda 2 (1911), S. 229; R. Grammel, ebenda 7 (1916), S. 53. Neben den Kreiselwirkungen der Luftschraube auf das Flugzeug gibt es bei jeder Schwenkung der Schraubenachse noch sozusagen innere Kreiselwirkungen am einzelnen Schraubenblatt infolge der Massentriigheit; tiber die groBe Mannigfaltigkeit dieser Wirkungen vgl. R. Grammel, Die Triigheitswirkungen in der Luftschraube des kurvenden Flugzeugs, Heft 36 der Schriften der Deutschen Akademie der Luftfahrtforschung, Berlin 1941.

5*

68

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

Die GroBen cp, VJ und -& kennzeichnen die Seiten- oder Querstabilitat des Flugzeuges insofern, als ihr Kleinbleiben verburgt, daB das Flugzeug weder aus seiner Flugrichtung gerat noch durch seitlichen Absturz bedroht ist. Die GroBen x, ~ und 'fJ kennzeichnen seine Langsstabilitat insofern, als dieses weder durch Vorwartsnoch durch Ruckwartskippen gefahrdet ist, solange diese Werte bei Storungen stets klein genug bleiben. Ohne Kreiselwirkung, also mit D=O bestimmen die drei Gleichungen (27), (29) und (32) fUr sich die Seitenstabilitat, die drei Gleichungen (28), (30) und (31) fUr sich die Langsstabilitat, und zwar beide Gleichungstripel unabhiingig voneinander. Infolge der gyroskopischen Terme haben wir als erste Kreiselwirkung: Der Luftschraubenkreisel verknupft die Seiten- und Langsstabilitat des Flugzeuges miteinander. Urn diese Verkoppelung im einzelnen zu erkennen, nehmen wir an, daB die Ruder urn feste Winkel ausgelenkt werden - auf solche feste Ausschlage wollen wir die Untersuchung beschranken -, daB also einige oder alle rJ.h' rJ. s und rJ. q von Null verschiedene feste Zahlen seien. Dann stellen die sechs Gleichungen (27) bis (32) die durch derartige Ruderausschlage erzeugten Storbewegungen des Flugzeuges dar, also vermutlich mehr oder weniger gedampfte oder auch wohl angefachte Schwingungen urn eine neue Nullage CPo, Xo, ~o, 'fJo, -&0 und moglicherweise urn eine mittlere Wendegeschwindigkeit "po = woo Zuerst wollen wir diese neue Lage und mittlere Bewegung ermitteln und uns erst spater mit den Schwingungen befassen. Man erhalt ihre Bestimmungsgleichungen, indem man in (27) bis (32) alle zeitlichen Ableitungen gleich Null setzt, ausgenommen "p, wofUr wo zu nehmen ist, also (34) p wo + h-&o = rqrJ.q + r; rJ.s '

Dwo+ j'YJo w1p wo

(35)

= rhrJ.h'

+ k-&o =

(36)

rs rJ. s '

2 So~o - GXo - (E-G)'YJo = 0, 2G~0 -F'fJo =

-vowo + GCfJo -U-&o= g G

(37)

-RhrJ.h'

(38)

-RsrJ.s •

(39)

Von den zahlreichen fur die Steuerfahigkeit des Flugzeuges wichtigen Folgerungen, die sich aus dies en sechs Gleichungen ziehen lassen, heben wir nur diejenigen heraus, die die Kreiselwirkung der Luftschraube angehen.

69

§ 4. Flugzeuge.

Aus (34) und (36) findet man, wenn man LI = hW",-kp 0 voraussetzt,

*

~ [w",rqlXq-(pr,-w",r;)IX,J.

{}o =

(40)

(41) (42

Bei einer Linkskurve ist, wie man leicht iiberlegt, ein positiver Ruderausschlag IX, des Seitenruders und gegebenenfalls ein negativer Ausschlag IXq des Querruders erforderlich. Wir wollen jetzt weiter voraussetzen, daB

LI > 0,

h> 0,

k> 0

(43)

sein solI. Dann ist bei allen verniinftig gebauten Flugzeugen auch hr,-kr: > 0, pr,-w",r: > 0, (44) wie man leicht bestatigen wiirde, wenn man diese Werte wirklich ausrechnete. Und hiernach gehort in der Tat zu IX,> 0 und IXq 0 einen etwaigen Kippausschlag X riickgangig zu machen. Ferner ist bei allen verniinftig gebauten Flugzeugen

Frh-jRh > 0,

(SoF-EG)rh-jSoRh> O.

(50)

Nunmehr zeigen die Glieder mit (Xh in (45) bis (48), wie ein positiver (negativer) Ausschlag des Hohenruders ein Abkippen (Aufkippen) XO der Langsachse, ein Absteigen (Aufsteigen) Yo der Flugbahn, eine VergroBerung (Verkleinerung) ~o der Fhaggeschwindigkeit und ein Voreilen 'Y)o der Langsachse vor der Kippbewegung erzeugt. Wichtiger sind fUr uns hier aber die Glieder mit dem Faktor D wo; sie liefern folgende Erkenntnisse: Ein rechtsdrehender Schraubenkreisel (D>O) veranlaBt das Flugzeug bei einer Links- bzw. Rechtswendung (wo>O bzw. 0) gegen die Waagerechte, sowie einer Verminderung bzw. Vermehrung ~o «0 bzw. >0) der Fluggeschwindigkeit. Bei einem linksdrehenden Schraubenkreisel (DO) bzw. reehts ("PI O bleibt, was in der Tat fur Flugzeuge ublieher Bauart zutrifft. Wir haben es daher mit einem Flugzeug zu tun, fur welches 0" und a" reell und positiv sind. Fuhrt man also auBer 0" und a" (62) noeh die ebenfalls positiven Abkurzungen aA=~' aB=~ (63) Al Bl ein, so kommt statt (60) B1C1(0'+ aB)(a+ 0")(0'+ a") +D2(a+aA) = O. (64) Diese Gleichung fur a deutet man in einem kartesisehen (a,D2)System; sie stellt darin eine Kurve dritter Ordnung dar, und zwar erhaIt man je naeh der Rangordnung der vier positiven Werte a', a", GA und aB Kurven, wie sie Abb. 29 (Seite 76) beispielsweise fur a' < a" < 0'A< aB oder a' < 0'B< a" < aA oder a' < aA = aB< a" oder 0" < a" = aA = aB zeigt. Wenn man sich ihr Aussehen aueh fur die ubrigen Rangordnungen uberlegt, so stellt man leicht fest, daB sie aIle auf der aIlein brauehbarenoberen Halbebene(D2>0) mit einemZweig gegen die Asymptote 0'= - aA ins Unendliehe streben und auBerdem noeh einen naeh unten konkaven Bogen in der oberen Halbebene besitzen, oder daB sie in einen solchen Bogen und die Gerade 0'= - aA zerfaIlen; endlieh daB sie die Abszissenaehse in den Punkten - 0" , - a" und - aB treffen. Fur D=O hat man also die drei Werte (65) und das bedeutet naeh (58) drei L6sungen, welche ein aperiodiseh gedampftes Zuruekgehen des dureh einen StoB gest6rten Fluzgeuges in seine Ruhelage besehreiben: das statiseh indifferente Flugzeug

76

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

ohne Schraubenkreisel ist gemaB unseren Voraussetzungen dynamisch stabil und aperiodisch gedampft. Nun untersuchen wir den EinfluB des Schraubenkreisels, nehmen also D2 *0 an. Wenn D2 stetig von Null an wachst, so gibt es, solange D2 noch klein genug ist, nach wie vor drei reelle Schnittpunkte unserer Kurve mit der Paralle1en im Abstand D2 zur Abszissenachse in der oberen Halbebene, also nach wie vor ein aperiodisch gedampftes Zuruckgehen des Flugzeuges in seine Ruhelage. Wenn aber D2 gr6Ber

IT

IT

IT

Abb. 29. Darstellung der Gleichung (64).

und gr6Ber wird, so bleibt schlieBlich nur noch ein ree1ler Schnittpunkt 0'1 < 0 ubrig, wogegen die beiden anderen Wurzeln der Gleichung (64) konjugiert komplex geworden sind, und zwar, wie wir beweisen werden, mit negativem Realteil, so daB sie also die Form 0'2 =

-e+ie,

aa =

-e-ie

(e

> 0)

(66)

besitzen. Die zu ihnen passenden Konstanten a, b und c sind dann ebenfalls konjugiert komplex, so daB man beispie1sweise fur cp die L6sung cp = a1 e- alt + (a 2 -ia a)e(-e+i Q )t + (a 2 +ia 3)e(-e-i Q)t = a1e-alt + 2e-et (a 2 coset + aa sinet) hat, und analog fur X und "p. Die Glieder mit a2 und aa bedeuten eine

§ 4. Flugzeuge.

77

gedampfte wirkliche Schwingung, und Sotnit hat man das wichtige Brgebnis: Bin an sich aperiodisch gediimpftes Flugzeug kann bei hinreichend starkem Schraubenkreisel nach jeder Storung zu gediimpften Seitenund Langsschwingungen ubergehen. Jetzt mussen wir aber noch den Beweis dafur nachtragen, daB tatsachlich stets 8>0 ist, wie groB auch D2 sein mag. Dazu brauchen wir nur auf die in § 12, Ziff. 4 des ersten Bandes (Seite 260) aufgestellten Hermite-Hurwitzschen Bedingungen zuruckzugreifen, unter denen eine Gleichung dritten Grades lauter Wurzeln mit negativem Rea1teil besitzt. Sie lauten fur die Gleichung CX:o a3

einfach cx:o>o,

+ CX:10'2 + CX:20' + OCa = °

cx:1>0,

oca>O,

CX:1 OC2- ocooca>0.

In unserem Falle ist gemiiB (64) und wegen 0" > 0, 0''' > 0, 0'A> 0, 0'B > OCo =B1 C1 >0, OC1 =B1 C1 (a' +0''' +O'B»O, OCa =B1 C1 a'a"aB + D2 aA >0, OC1 OC2-OCoOCa = BiCi[(a' +0''' +aB)( a' a" +0" aB+ a" aB)-a' a" aB] + +D2B1 C1 [0"+0''' +aB-aA].

°

1m letzten Ausdruck ist die erste eckige Klammer offensichtlich positiv, die zweite aber ist zufolge (62) und (63) a

'+ a"+ aB-aA = B;" Wx + C;' w",

also ebenfalls positiv, und mithin sind samtlicheHermite-Hurwitzschen Bedingungen erfullt, und dies besagt: Der Schraubenkreisel kann das Flugzeug niemals zu Schwingungen mit wachsender Amplitude anfachen, kann also niernals seine Stabilitat gefahrden. Wenn D2 mehr und mehr wachst, nimmt die Dampfungskonstante 8 mehr und mehr ab, die Frequenz (! aber mehr und mehr zu, wie man aus dem Grenzfall D2 -+ co erkennt, flir we1chen (64) zerfallt in a =-O'A und B 1 C1 a2+D2 = 0, so daB man auBer 0'1 =

-

aA in der Tat noch die beiden Wurzeln

hat. Dies besagt, daB sich das Flugzeug mit sehr starkem Schraubenkreise1 sehr steif verhalt und bei einer Storung in auBerordentlich rasche (wenn auch kleine) Schwingungen gerat, die nur langsam wieder erloschen.

78

Kreiselwirkungen bei Radsiitzen.

Wir haben die Voraussetzungen so gewahlt, daB das Flugzeug ohne Schraubenkreisel aperiodisch gedampft war. Mit weniger scharfen Voraussetzungen batte man ein Flugzeug, das auch schon ohne Schraubenkreisel Schwingungen vollziehen konnte, und zwar, falls es dynamisch stabil ist, gedampfte Schwingungen; die Werte a' und a" waren dann konjugiert komplex von der Form -e=j= ie, und der nach unten konkave Kurvenbogen in der entsprechenden Abb. 29 Iage dann ganz unterhalb der a-Achse. Man kann zeigen, daB auch bei einem derartigen Flugzeug der Schraubenkreisel die Frequenzen e erhoht, ohne aber seine dynamische Stabilitat zu gefahrden. Es ware indessen irrig, zu meinen, daB das Flugzeug, falls an sich statisch indifferent, durch den Schraubenkreisel in ein statisch stabiles verwandelt werden konnte. Denn auch noch so groBe gyroskopische Glieder in (57) konnen nicht verhindern, daB dort von Null verschiedene Integrationskonstanten hinzutreten diirfen, we1che, wie schon festgestellt, nach jeder Storung eine neue Nullage CPo, Xo, "Po zulassen. Da der Schraubenkreisel also schon ein statisch indifferentes Flugzeug nicht zu stabilisieren vermag, so ist er noch weniger imstande, ein labiles Flugzeug zu stabilisieren. An Stelle eines mathematischen Beweises hierfiir (der nach der Methode von § 12, Ziff. 4 des ersten Bandes an Hand der sechs Gleichungen (27) bis (32) mit nun wenigstens teilweise negativen Werten von h, j und k zu fiihren ware) begniigen wir uns mit einer wohl einleuchtenden physikalischen Begriindung. Konnte der Schraubenkreisel ein labiles Flugzeug stabilisieren, so miiBte er auch schon fahig sein,ein solches daran zu verhindern, urn seine Langsachse, falls es urn diese labil ist, so langsam umzufallen, daB dabei keine merklichen Luftkrafte geweckt wiirden. DaB er dazu vollig unfahig ist, liegt auf der Hand. Ware aber das Flugzeug urn die Langsachse stabil, so konnte es nur noch urn die Querachse (in den Freiheitsgraden x, 'YJ und ;) und urn die Hochachse (in den Freiheitsgraden "p und B) labil sein. Das ist aber eine ungerade Zahl von labilen Freiheitsgraden,und dies schlieBt nach Satz I von §12, Ziff. 4 des ersten Bandes (Seite 261) eine gyroskopische Stabilisierung aus. Aber selbst eine gerade Zahl von labilen (oder auch wohl indifferenten) Freiheitsgraden konnte nach Satz II von dort keinesfalls durch einen Schraubenkreisel allein stabilisiert werden; denn da sicherlich Dampfungen vorhanden sind (z. B. die Glieder mit wtp' Wx und w"'), so miiBten einige Freiheitsgrade des Flugzeuges bei jeder Storung kiinstlich angefacht, d. h. negativ gedampft werden, und dazu ist, wenn es iiberhaupt moglich ware, jedenfalls der Schraubenkreisel niemals in der Lage.

§ 4. Flugzeuge.

79

5. Das Trudeln des Flugzeuges. Es gibt bei Flugzeugen gelegentlich noch eine ganz andere, sehr gefurchtete Kreiselerscheinung, das sogenannte Trudeln. Darunter versteht man die verhiiltnismaBig rasche Drehung des Flugzeuges um eine 10trechte oder nahezu 10trechte Achse, die aber keine seiner Hauptachsen ist, sondem schrag zum Hauptachsenkreuz steht und nicht einmal durch den SchwerpUnkt hindurchgehen muB, welcher dabei 10trecht oder nahezu 10trecht abwarts sturzt. Der kinematisch einfachste Fall ist in Abb. 30 dargestellt, wobei die Langsachse unter dem Winkel 0 gegen die 10trechte Trudelachse steht, um welche das Flugzeug dabei mit der Drehgeschwindigkeit OJ rotiert. Wenn die Querachse ebenfalls schrag gegen die Waagerechte liegt, so ist die Drehachse von OJ eine beliebige Achse jetzt zunachst durch den Schwerpunkt, und da dessen Hauptdrehmassen AI, BD CI im allgemeinen verschieden sind, so haben wir es dann mit einem unsymmetrischen Kreisel zu tun, der eine permanente Drehung um eine Schwerpunktsachse vollzieht, die keine seiner Hauptachsen ist. Dies erinnert an die Staudeschen Drehungen, Abb. 30. Trudelndes die wir in § 10, Ziff. 2 und 3 des ersten Bandes Flugzeug. (Seite 171) untersucht haben. Der U nterschied gegen jene Drehungen besteht 1ediglich darin, daB dort der StiitzpUnkt ein beliebiger Punkt des K6rpers war, und daB das Moment der Schwere bezuglich des Stiitzpunkts die permanente Drehung unterhielt, wahrend jetzt wenigstens zunachst der Schwerpunkt der gedachte Festpunkt ist (betrachtet von einem die Sturzbewegung mitmachenden Beobachter) und dafiir die Luftkraftmomente die permanente Drehung (Trudelbewegung) unterhalten. Man kann daher die Ubedegungen fur die Staudeschen Drehungen des unsymmetrischen Kreisels in weitem Umfang auf das Trudeln der Flugzeuge ubertragen, insbesondere die damaligen Erkenntnisse, daB erstens nur bestimmte Drehachsen, die die Mantellinien des sogenannten Staudeschen Kegels bilden, permanente Drehachsen sein k6nnen, und daB zweitens nur ein Teil dieser Drehachsen zu stabilen Drehungen gehOrt. Damit erklart sich die Tatsache, daB erfahrungsgemaB ein Flugzeug nur selten und nur in ganz bestimmter Lage und Bewegung ins Trudeln kommt, und daB solche Trudelbewegungen glucklicherweise haufig instabil sind und von selbst in einen unregelmaBigen und dann

80

Kreiselwirkungen bei Radsatzen.

yom Piloten leichter beherrschbaren Bewegungszustand iibergehen, aber auch die Tatsache, daB gelegentlich eine Trudelbewegung fast plotzlich in eine andere umspringt. Noch allgemeinere Trudelbewegungen kommen vor, namlich so1che, bei denen die Trudelachse nicht durch den Schwerpunkt hindurchgeht, aber doch wenigstens im Flugzeug fest ist oder mit ihm fest verbunden gedacht werden kann. Auch dann noch hat man es mit permanenten Drehungen nach Art der Staudeschen Drehungen des unsymmetrischen Kreisels zu tun. Eine explizite Berechnung dieser Trudelbewegungen, also insbesondere des zugehorigen Staudeschen Kegels und der stabilen Mantelteile dieses Kegels, scheint bis jetzt noch nicht moglich zu sein, da die zugehOrigen Luftkraftmomente, soweit iiberhaupt bekannt, nur durch versuchsmaBig ermittelte Kurven gegeben sindl. Wir erwahnen nur, daB man in der Regel zwei verschiedene Typen von Trudelbewegungen unterscheiden kann, namlich eine langsamere mit steiler Langsachse, raschem Absturz und groBer Entfernung der Trudelachse yom Schwerpunkt, und eine schnellere mit weniger geneigter Liingsachse, langsamerem Absturz und kleiner Entfernung der Trudelachse yom Schwerpunkt. 6. Der Hubschrauber. Wenn ein Flugzeug nicht durch Tragdecken, sondern durch eine oder mehrere Luftschrauben mit lotrechter oder nahezu lotrechter Achse getragen wird, so spricht man von einem Hubschrauber. Auch bei ihm treten mannigfache Kreiselwirkungen auf, die wir aber nur qualitativ aufzahlen wollen. Wenn die Hubschrauben paarweise und dann natiirlich mit entgegengesetzt gleichen Drehimpulsen vorhanden sind, auBern sich die etwaigen Kreiselmomente lediglich in inneren Beanspruchungen des Flugzeugkorpers. Eine einzelne Hubschraube dagegen verkoppelt wieder die Flugzeugbewegungen miteinander, namlich die Drehungen um alle Achsen, die zur Hubschraubenachse senkrecht stehen. So hat jede Neigung dieser Achse nach vorne eine Neigung seitwarts zur Folge und umgekehrt. Man kann sich diese Wirkungen alle wieder an Hand der Regel yom gleichstimmigen Parallelismus der Drehachsen leicht klarmachen. 1m iibrigen ist der Hubschrauber mit einer einzigen Hubschraube im wesentlichen ein System, das wir spater (§ 7) unter der Bezeichnung des Kreise1pendels ausfiihrlich rechnerisch behandeln werden. Ein Teil jener Rechnungen wiirde sich auch auf den Hubschrauber iibertragen lassen. 1

Vgl. etwa Kap. VIII in dem friiher angefiihrten Artikel von B. M. Jones.

81

Kreiselgerate.

Zweiter Abschnitt.

Kreiselgerate. Wir betreten das eigenste Anwendungsgebiet des Kreise1s, wenn wir nunmehr zu den technischen und wissenschaftlichen Geraten ubergehen, in denen er als wesentliches dynamisches Organ benutzt wird. Auf dies em Gebiete sind seine schOnsten und wichtigsten Erfolge zu verzeichnen. Es handelt sich dabei um Anzeigegerate, um MeBgerate und um Rege1gerate, das heiBt um Vorrichtungen, welche entweder eine gesuchte Richtung auffinden und anzeigen sollen, z. B. die wahre Lotrichtung oder die Nordrichtung, oder welche eine bestimmte Richtung festhalten sollen, etwa eine vorgeschriebene Fahrtoder Flugrichtung, oder we1che eine unbekannte Fahrtanderung oder Drehgeschwindigkeit anzeigen oder mess en oder rege1n sollen, oder schlieBlich welche einen oder mehrere Hilfsmotoren steuern sollen, die dann etwa ein Flugzeug stabilisieren oder die Fahrtrichtung eines Schiffes festhalten. Wir werden sehen, daB fur alle diese Zwecke und Aufgaben der schnelle symmetrische Kreisel hervorragend geeignet ist. Weil er dabei nur einen Zeiger zu steuern oder einen elektrischen Strom zu schlieBen oder einen kleinen Druck anzuzeigen hat, kann er fast beliebig leicht und klein gestaltet sein, so klein, wie es eben mit den technischen Moglichkeiten seines Antriebs, seiner Lagerung und namentlich seines Schutzes vor unvermeidlichen Storungen zu vereinbaren ist. Der Theorie seiner Storungsfehler werden wir unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden mussen. Was nun die systematische Einteilung der groBen Mannigfaltigkeit derartiger Gerate anlangt, so untersuchen wir zuerst die Vorrichtungen, die von dem altesten und wohl geistvollsten Anwendungsprinzip des Kreise1s ausgehen, niimlich von seiner Fahigkeit, bei geeigneter Lagerung die Richtung und GroBe des Vektors der Erddrehung anzugeben. Wir nennen solche Kreisel kurzweg KompaBkreisel. Sie dienen teils zur Anzeige der Nordrichtung, teils zum Nachweis der Erddrehung ohile astronotpische Hilfsmittel und haben ihre Spitze und technische Vollendung im KreiselkompaB erreicht. Die weiteren Kreiselgerate kann man im wesentlichen in zwei Klassen einteilen: namlich einerseits in solche mit sogenannten Pendelkreiseln, bei denen die Kreise1achse (Figurenachse) lotGrammel, Der Kreisel II. 2. Aufl.

6

82

Kreise1geriite.

recht (oder nahezu lotrecht) steht und dann zumeist noch zwei Freiheitsgrade der Drehung besitzt - diese Gerate dienen in der Regel als kunstliche Horizonte -, und andererseits in solche mit waagerechten (oder nahezu waagerechten) Kreiselachsen (Figurenachsen), sogenannte Wende- und Lagekreisel, welche zumeist nur noch zwei stark eingeschrankte Freiheitsgrade oder sogar nur noch einen und zudem eingeschriinkten Freiheitsgrad der Drehung aufweisen, wahrend dann ein letzter Freiheitsgrad vollig an ein Fahr- oder Flugzeug gefesselt ist - diese Gerate sollen in der Regel eine K u r s richtung oder eine Drehgeschwindigkeit anzeigen (sogenannte Kurskreisel, Richtkreisel und Wendezeiger), gelegentlich aber auch wieder den Horizont (sogenannte StutzkreiseI). SchlieBlich bleiben dann noch einige Sondergerate zu besprechen ubrig, die an keine dieser beiden Achsrichtungen gebunden sind und als Differentiatoren, als Integratoren und als RegIer dienen. Wir beabsichtigen nicht, samtliche erdachten oder ausgefiihrten Kreiselgerate luckenlos vollstandig aufzuzeigen, sondern wollen uns auf die am wichtigsten erscheinenden Typen beschranken, wobei wir uns bemuhen werden, a11e wesentlichen Bau- und Wirkungsarten zu Wort kommen zu lassen. Aufgegebene oder durch Vervollkommnung uberholte Typen werden wir wenigstens insoweit behandeln, als sie geschichtliche Bedeutung haben oder fur das Verstandnis der weiteren Entwicklung der Gerate wichtig sind.

§ 5. Gerate mit Kompa6kreiseln. 1. Das Gyroskop. Die Idee des Kreiselkompasses, dessen Gedankenkreis wir uns jetzt zuwenden, geht auf Foucault zuruck, welcher drei grundsatzlich bedeutsame Kreiselversuche ausgedacht hat. Der erste Versuch betrifft einen symmetrischen, astatischen, d. h. in seinem Schwerpunkt moglichst reibungsfrei gestutzten Kreisel mit seinen moglichst uneingeschrankten drei Freiheitsgraden (also im Idealfall den kraftefreien Kreisel von § 4 des ersten Bandes). Wir haben schon in § 6, Ziff. 3 des ersten Bandes (Seite 75) erkannt, daB ein derartiger Kreisel, falls er ein schneller ist, einen gewissen Richtungssinn gegenuber etwaigen Storungen besitzt. Foucault und nahezu gleichzeitig mit ihm Person und Sire hatten den geistreichen Gedanken, dies en Richtungssinn zum Nachweis der Erddrehung zu verwenden 1 • 1 L. Foucault, Recueil des travaux scientifiques, S. 401 und 576, Paris 1878; C. C. Person, Comptes rendus 35 (1852), S. 417 und 549; G. Sire, Bibl. univ. Geneve, Arch. sciences phys. et natur. 1 (1858), S. 105; G. Trouvi, Comptes rendus 101 (1890), S. 357; F. Klein und A. Sommerfeld, Uber die Theorie des Kreisels, S. 731.

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§ 5. Gerate mit KompaBkreiseln.

Ratte man einen wirklich astatischen, vollkommen kraftefreien, symmetrischen Kreisel, reibungsfrei in einem masselosen Gehange gelagert, zur Verfiigung, so miiBte dieser, gleichgiiltig mit welchem Drehimpuls begabt, eine regulare Prazession um seine raumfeste Drehimpulsachse vollziehen (§ 4, Ziff. 2, Seite 51 des ersten Bandes). Er miiBte dies auch dann noch tun, wenn sein Schwerpunkt beliebig bewegt wird (§ 4, Ziff.l, Satz I des ersten Bandes), also etwa ein nicht raumfester, sondern erdfester Punkt ist, so daB die Drehimpulsachse mit sich selbst parallel bleibend die Erdbewegung mitmacht. Wurde man als Drehimpulsachse insbesondere die Figurenachse des Kreisels selbst wahlen, so behielte diese ihre Richtung allezeit genau bei in dem sogenannten Inertialraum, in welchem unsere Mechanik gilt, und auf welchen bezogen das System der Fixsternwelt mit groBter Genauigkeit als ruhend angesehen werden darf; das heiBt: die Figurenachse eines solchen Kreisels wurde dauernd nach dem gleichen Fixstern zeigen, also - vorausgesetzt, daB sie nicht zufallig in Richtung der Erdachse steht - die scheinbare Drehbewegung der Fixsternwelt gegenuber der irdischen Umgebung mitmachen und dadurch die wirkliche Drehbewegung der Erde anzeigen und beweisen, allerdings mit einer grundsatzlichen, wenn auch praktisch vollig belanglosen Einschriinkung, die wir bei dieser Gelegenheit ein fur alle Male feststellen wollen. Die Drehbewegung der Erde hat als weit uberwiegende Komponente einen in der Erdachse liegenden, vom Erdmittelpunkt gegen den Nordpol hin gerichteten Vektor 0* vom "siderischen" Betrag w*=

86~:4,1

= 7,29212'10-5

sek-1

(1)

(der Nenner gibt die Zahl der Sekunden eines Sterntages an). Dazu kommt, wie wir spater (§ 10, Ziff. 1) ausfuhrlicher erortern werden, ein auf der Ebene der Ekliptik senkrecht stehender, sehr viel kleinerer Vektor der Prazessionsdrehung der Erdachse, die in etwa 25500 Jahren einen Kreiskegel mit einem Erzeugungswinkel von 23,5 um die Normale der Ekliptikebene beschreibt; ferner die ebenfalls gegenuber 0* sehr kleinen Drehvektoren der Erdnutationen sowie der Polschwankungen. Die Summe von 0* und dies en zusatzlichen Vektoren unterscheidet sich vom Vektor 0* der taglichen Erddrehung in der Richtung nur um Bruchteile von Bogensekunden, im Betrag erst in der zehnten Dezimalstelle, so daB der vollig astatische Kreisel innerhalb jeder Beobachtungsmoglichkeit genau den Drehvektor 0* anzeigen muBte, falls die Erde selbst ein vollkommen starres Gebilde ware. Diese Anzeige wird lediglich durch die Verformung der Erdoberfiache in der Umgebung des Beobachtungsortes gefiilscht, 0

6*

84

Kreise1geriite.

niimlich einerseits durch die mit Ebbe und Flut pulsierende Verzerrung des ganzen Erdkorpers, andererseits durch lokale Drehschiebungen der Erdscholle, wie sie aus feinsten astronomischen Beobachtungen gefolgert werden konnen. Eine sorgfliltige Abschiitzung1 hat aber ergeben, daB auch diese lokalen Fehler beim Foucaultschen Versuch - und iiberhaupt bei allen Kreiselgeriiten, die auf die Erddrehung ansprechen - ganz auBer acht gelassen werden diirfen. Der Foucaultsche Versuch kann also iiuBerstenfalls den Vektor 0* und insbesondere seinen Betrag co* (1) angeben. Dabei ist es zweckmaBig, den Erddrehvektor 0* gemiiB Abb.31 zu zerlegen, indem man 0* im Beobachtungsort den parallel mit sich verschobenen Vektor 0* als Vektor (0*) zusammen mit A.llufor -(0*) auftriigt und dann (0*) in eine waagerechte Komponente yom BeEroe trag co * cos IP und eine lotrechte Komponente co* sin IP aufspaltet, woSiidpol bei IP die (vom Aquator Abb. 31. Zerlegung des Vektors 0* der Erddrehung. positiv nach Norden gerechnete) geographische Breite (gleich Polhohe) des Beobachtungsorts ist. Das Drehpaar (0*,-(0*)) bedeutet, wie man gemiiB § 2, Ziff. I (5) des ersten Bandes (Seite 17) leicht feststellt, die jeweilige Geschwindigkeit, die der Beobachtungsort infolge der Erddrehung hat. Die Horizontebene des Beobachtungsorts dreht sich in jedem Augenblick urn ihre Nordsiidlinie mit der Drehgeschwindigkeit co* cos IP und urn ihre Lotlinie mit co* sinIP. Zu Beginn deS:Versuches moge der Eigendrehimpulsvektor ~. des Kreisels genau waagerecht nach Norden weisen und also voraussetzungsgemiiB ebenso die Figurenachse, deren mit 'l). zusammenfallender Halbstrahl kiinftig die Nordseite der Figurenachse heiBen solI; dann wird sich die Horizontebene mit der Geschwindig1 Vgl. M. Schuler, Festschrift zum 70. Geburtstag August Foppls (Beitriige zur technischen Mechanik und technischen Physik), S. 148, Berlin 1924.

§ 5. Geriite mit KompaBkreiseln.

85

keit w* sinT gegen sie verdrehen, d. h. die Nordseite der Figurenachse des vollig astatischen Kreisels wird im folgenden Zeitelement ,1 t scheinbar um den Winkel (2)

nach Osten ausweichen, ohne sich, solange ,1 t noch als klein anzusehen ist, merklich aus der Horizontebene zu erheben (da sich fiir unendlich kleine,1 t die Drehkomponente w* cosT fUr diese Stellung des Kreisels noch nicht bemerklich machen kann). Weist dagegen die Nordseite der Figurenachse zu Beginn des Versuchs genau waagerecht nach Osten, so erhebt sie sich scheinbar infolge der Drehung w* cOST der Horizontebene um den Winkel ,11p=w*cos(}J·,1t (3) iiber den Horizont und dreht sich auBerdem scheinbar nach Siiden um den Winkel ,1 !5 (2). Man findet leicht, daB die Winkel ,1 !5 und ,11p ~ beispielsweise fiir eine geographische Breite T=+45° rund 10 Bogenminuten in der Zeitminute ausmachen, also an sich ohne weiteres beobachtbar waren. Foucault fiihrte den Versuch im Jahre 1852 (ein J ahr nach seinem beriihmten Pendelversuche) mit einem von Hand (durch Schnuraufzug) angetriebenen Kreisel aus, allerdings mit zweifelhaftem Erfolg: er konnte zwar den richtigen Drehsinn des Winkels ,1!5 gerade noch beobachten, den Zahlenwert (2) aber nicht bestatigen. Sein Versuchsgerat ist in Abb. 32 dargestellt und von ihm Gyroskop genannt worden. Um die wesentlichste St6rung, namlich die Reibung im Cardangehange Abb. 32. Gyroskop. des Kreisels, moglichst zu beseitigen, hangte Foucault den auBeren Ring (r1) an einem langen, nahezu torsionsfreien Faden auf und vermied so wenigstens die Reibung in dem druckfreien unteren Zapfen fast vollstandig. Auch die Reibung des inneren Ringes (r2) gegen den auBeren suchte er durch Schneidenlager tunlichst herabzusetzen. Man muB den Foucaultschen Versuch noch gegen zwei naheliegende Einwande sichem. Der erste betrifft die Storung, die durch die trage Masse der Ringe bedingt ist. Diese haben, wenn sie zu Beginn des Versuches gegeniiber ihrer Umgebung in Ruhe waren, in Wahrheit von der Erddrehung 0* her einen Drehimpuls yom Betrag A' w*, wenn

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Kreiselgerate.

A' die zugehOrige Drehmasse des Gehanges ist. Dieser Drehimpuls

kommt zu dem Eigendrehimpuls des Kreiselkorpers 'Ile yom Betrag De=A We hinzu (vgl. § 5, Ziff. 4, Seite 67 des ersten Bandes), wobeiA dessen Drehmasse urn seine Figurenachse und We seine Eigendrehgeschwindigkeit infolge des Antriebs ist. Da A' und A von gleicher GroBenordnung sind, wogegen wei W* selbst bei nur 10 Umlaufen in der Sekunde den Wert 8,6164 .10 5 hat, so unterscheidet sich die Richtung des resultierenden Drehimpulses im ungiinstigsten Fall urn hOchstens eine Viertel-Bogensekunde von der Richtung der Figurenachse. Die Tragheit der Ringe kann den Versuch somit nicht im geringsten storen; denn obwohl die Figurenachse jetzt nicht mehr im Raum stillsteht, sondern einen Prazessionskegel urn die von ihr verschiedene raumfeste Achse des resultierenden Drehimpulsvektors beschreibt, so ist doch dessen Erzeugungswinkel mit hOchstens 0,25" vollkommen unmerklich gegeniiber dem zu erwartenden scheinbaren Ausweichwinkel der Kreiselachse von rund 10' je Zeitminute. Und genau so erledigt sich ein zweiter Einwand, namlich daB ja auch schon die Figurenachse selbst beim Antrieb nur gegen die Erde, nicht aber gegeniiber dem Raum festgehalten sei. Denn der dem Kreiselkorper dabei von der Erddrehung mitgegebene zusatzliche Drehimpuls ist ebenfalls verschwindend klein gegeniiber dem Eigendrehimpuls De' so daB auch die dadurch geweckte regulare Prazession vollig unmerklich bleibt. Beide Prazessionen werden in Wirklichkeit ganz iiberdeckt durch die Erzitterungen der Figurenachse infolge unvermeidlicher kleiner Unwuchten. Diese Erzitterungen bedeuten zweifellos eine bedenkliche Storung des Versuches. Sein Scheitern allerdings ist wohl hauptsachlich auf drei Fehlerquellen zuriickzufiihren: erstens auf die Lagerreibung, die den Kreisel allmahlich mit der Erddrehung mltzunehmen strebt; zweitens auf mangelhafte Zentrierung des Schwerpunkts, so daB der anfangliche Drehimpulsvektor 'Il e infolge des, wenn auch kleinen, Momentes der Schwere im Laufe der Zeit mehr und mehr aus seiner Anfangslage ausweicht, wobei er die Figurenachse irgendwie mitnimmt; und drittens auf die yom Kreiselkorper erzeugten Luftstromungen, die auf die Cardanringe erheblich zuriickwirken konnen. Mit modernen Hilfsmitteln (elektrischem Antrieb des Kreisels auf sehr groBe Drehzahlen und Einkapselung des Kreiselkorpers) konnte man ohne Zweifel den Foucaultschen Gyroskopversuch erfolgreicher gestalten. Seine Idee ist spiiter mehrmals wieder aufgenommen worden, und es ist auch gelungen, Gerate zu bauen, die eine beliebig

§ 5. Gerate mit KompaBkreiseln.

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eingestellte Richtung im Raume mehrere Stunden lang bis auf Fehler von etwa 1 festzuhalten in der Lage waren. Da diese Gerate, die sich zum Teil von der Idee des Gyroskops ein wenig entfernen, vom KreiselkompaB uberholt worden sind und daher keine praktische Bedeutung mehr haben, so wollen wir sie hier nicht aufzahlen 1 ; wir werden aber in § 8 noch einmal auf die Aufgabe, eine bestimmte Richtung mittels Kreisels festzuhalten, zuriickkommen. 0

2. Der Inklinationskreisel und das Barygyroskop. Der astatis.::he Kreisel kann, wie ebenfalls Foucault zuerst erkannt hat, zur Bestimmung der PolhOhe und also der geographischen Breite f{J eines Ortes dienen, wenn man ihm einen seiner drei Freiheitsgrade nimmt. Man hat zu diesem Zwecke lediglich den auBeren Cardanring des Gyroskopes so festzuhalten, daB die Figurenachse bei der Drehung des inneren Cardanringes gegen den auBeren sich nur noch in der jeweiligen Meridianebene bewegen kann. Die l"igurenachse des Kreisels muB dann mit der sich weiterdrehenden Meridianebene eine erzwungene Drehung machen, deren Vektor der nach Abb. 31 (ZifI. 1, Seite 84) parallel mit sich in den Beobachtungsort verschobene Vektor (0*) der Erddrehung 0* ist. Diese Zwangsdrehung erzeugt nach der Regel vom gleichstimmigen Parallelismus (§ 5, Ziff.2, Satz I und Formel (10) des ersten Bandes, Seite 61 und 63) ein Kreiselmoment, das die Nordseite der Figurenachse in die Richtung nach dem Himmelspol zu drehen strebt. Wenn 1p der augenblickliche Winkel zwischen den Vektoren 0* (Erdachse) und ~e (Figurenachse) ist, so hat das Kreiselmoment bei dem (gegenuber der Erddrehung w*) sicher als schnell anzusehenden Kreisel den Betrag De W* sin 1p (wobei De =A We wieder der Eigendrehimpuls des Kreisels von der axialen Drehmasse A und der Eigendrehgeschwindigkeit We sein soIl), und somit gilt fur die Einstellbewegung der Nordseite der Figurenachse, bei einer Drehmasse B des Kreiselk6rpers samt innerem Cardanring urn die (waagerechte) Drehachse des inneren Ringes und mit dem Reibungsmoment R bei der Drehung des inneren Ringes, Bip = -Dew* sin1p-R. (4) Dies ist auch die Bewegungsgleichung eines Punktpendels mit der Lange l=BgjDe w* und entsprechender Lager- oder sonstiger Reibung. Von einem solchen Pendel ist bekannt, daB es Schwingungen 1 Man vergleiche etwa den Artikel "Kreiselbewegung" von O. Martienssen im Handb. d. Physikal. und Techn. Mechanik, Bd. 2, S. 456, Leipzig 1930, sowie das Buch von H. Usener, Der Kreisel als Richtungsmesser, Kap. 5, Miinchen 1917.

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Kreiselgeriite.

um seine Nullage 1p=O vollzieht und unter'Abklingen der Schwingungen gegen 1p=O strebt, falls die Reibung zugleich mit"p gegen Null geht, sonst aber, z. B. bei trockener Lagerreibung, auch in einer von 1p=O etwas verschiedenen Lage zur Ruhe kommen kann. Ebenso verhalt sich dieses Foucaultsche Gerat: die Nordseite der Figurenachse des angetriebenen Kreisels wird um die Richtung nach dem Himmelspol zu schwingen streben und, soweit die Reibung sie nicht verhindert, genau oder nahezu genau in dieser Richtung, also mit der Erhebung rp der Poihohe iiber dem Horizont zur Ruhe kommen. Man kann das Gerat fiiglich einen Inklinationskreisel nennen (obwohl sich im Gegensatz zum magnetischen Inklinatorium etwa auf der nordlichen Halbkugel der Erde die Nordseite seiner Figurenachse nicht zum magnetischen Nordpol senkt, sondern zum Himmelspol hebt). Konnte man die Reibung ausschalten, so ware es ohne weiteres moglich, aus der Schwingungsdauer fiir kleine Ausschlage to=2n

B VI-Dew· -

(5)

die Drehgeschwindigkeit w* der Erde zu berechnen.. Foucault erhielt auch bei diesem seinem zweiten Kreiselversuch kein iiberzeugendes Ergebnis. Neben der unvermeidlichen Reibung liegt dabei die Schwierigkeit offenbar in der unvollkommenen Astasierung des Kreisels: gegeniiber der Kleinheit des Kreiselmomentes Dew * sin 1p ist selbst die kleinste, der Messung sich entziehende Ungenauigkeit der Schwerpunktslage Abb. 33. Barygyroskop. undeindamitverbundenesSchweremoment nicht vernachlassigbar. Man umgeht die Schwierigkeit, indem man an die Figurenachse ein Ubergewicht G hangt,· das ~ar .ebenfalls klein, aber doch im Vergleich mit der moglichen Ungenauigkeit der Schwerpunktslage als groB anzusehen ist. Die Figurenachse dieses Kreisels, der von GilbertI vorgeschlagen und Barygyroskop genannt worden ist (Abb. 33), stellt sich freilich nicht in die Erdachsenrichtung ein, aber sie neigt sich doch bei hinreichend groBer Eigendrehgeschwindigkeit We merklich aus der Lotlinie (als ihrer Ruhelage bei nichtlaufendem Kreisel) gegen die Erdachse hin. 1

Ph. Gilbert, Journ. de phys. 2 (1883), S. 106.

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§ 5. Geriite mit KompaBkreiseln.

Man findet die Gleichgewichtslage der Figurenachse eines solchen Gyroskopes leicht an Hand von Abb. 34, worin 0 den Aufhangepunkt und zugleich den Schwerpunkt des Kreisels (samt Cardanring, aber ohne Ubergewicht) und der Vektor @ vom Betrag G das Ubergewicht bedeutet, das in der Entfemung s von 0, positiv gerechnet auf der Nordseite der Figurenachse, in S aufgesetzt ist. Die Gleichgewichtslage "Po folgt aus der Gleichheit des Schweremomentes und des Kreiselmomentes slG sin "Po =De w· sin(q+90o-"Po), also aus De W* cos qJ (6) tg "Po = -s"""G=--'--:D:::-.-w"7*'--:si'--n-qJ

(0*)

No,.t/,.ichlun;

I.offinle

toffinie

~

Abb. 34. Gleichgewichtslage des Barygyroskopes fUr s> o.

Abb. 35. Gleichgewichtslage des Barygyroskopes fiir s < o.

Fur negative Werte s, also mit einem Ubergewicht auf der "Sudseite" der Figurenachse (Abb. 35), kommt I

tg "Po =

-

De w· cos rp (-s) G+D. w* sin rp ,

und es ist offenbar fur gleiche Werte De' G,

(7)

lsi, q:;

I"P~I < "Po, (8) d. h. das Barygyroskop ist empfindlicher, wenn das Ubergewicht auf der Nordseite der Figurenachse sitzt (diesen Fall zeigt Abb. 33), als wenn es auf ihrer Sudseite angebracht ist. Natiirlich erfolgt die Einstellung in die Nullage "Po bzw. "P~ im allgemeinen erst nach dem Abklingen von Schwingungen. Fur diese findet man als Erweiterung von (4), wenn nun "P den Winkel der Nordseite der Figurenachse mit der Lotrechten abwarts bedeutet,

Bip= - sG sin"P +De w· sin(q:;+900-"P) -R,

90

Kreiselgeriite.

und dafur kann man mit dem Winkel '!fo (6) und mit der Abkurzung auch schreiben

H2 = (sG-D e w* sinrp)2 + (De w* COSrp)2

(9)

(10)

Man bestatigt hieraus die Nullage '!fo (ohne trockene Reibung) und stellt auBerdem fest, daB fur positives s der Wert H kleiner, die Schwingungsdauer also graBer ist als fur negatives s, und das besagt, daB fur die empfindlichere Ubergewichtslage (auf der Nordseite der Figurenachse) die Beobachtung schwieriger werden kann, als fur die unempfindlichere, well dann eine langere Beobachtungszeit erforderlich ist, wahrend welcher der Kreisel maglicherweise inzwischen seinen Eigendrehimpuls mehr oder weniger verloren hat. Ubrigens hat auch Gilbert nur qualitative Ergebnisse, keine quantitativ nachpriifbaren erzielt. Es ist vorgeschlagen worden 1, bei einem waagerecht in der Nordsudrichtung gelagerten Kreisel das dann vorhandene Kreiselmoment De w* sinrp mit einer empfindlichen Waage zu messen; denn je nachdem der Eigendrehimpulsvektor 'l)e .nach Norden oder Suden weist, driickt die Nordseite der Figurenachse schwacher oder starker alS ihre Sudseite auf die Unterlage. Es mag hier angemerkt werden, daB dasselbe Kreiselmoment, welches beim Inklinationskreisel die Figurenachse in die Richtung der Erdachse hineinzuziehen sucht, wohl auch bei den sogenannten Zyklonen eine wichtige Rolle spielt. Die Zyklone sind Wirbelsturme mit ungefahr lotrechter Achse und verlaufen stets im Sinne der lotrechten Komponente w* sinrp der Erddrehung, also auf der nardlichen Halbkugel im Gegenzeigersinn, auf der sudlichen im Uhrzeigersinn (je von oben gesehen). Ihr Drehvektor bildet demnach mit dem Vektor 0 * den Winkel 90 -Irp I. Durfte man dieZyklone als einen starren Karper yom Eigendrehimpuls De ansehen, der langs der Erdoberfiache dahingleiten kann, so wiirde das durch die Erddrehung in ihm geweckte Kreiselmoment De w* cos rp die Zyklone in gleichstimmigen Parallelismus mit der Erddrehung zu bringen, also unter Uberwindung der entgegenstehenden Reibungskrafte insbesondere an der Erdoberfiache in den Nord- oder Sudpol hineinzuziehen streben, je nachdem sie sich auf der nardlichen oder siidlichen Halbkugel befindet. Man beobachtet nun tatsachlich ein solches Wandern der Zyklone polwarts, und sicherlich ist die Vermutung berechtigt, daB daran die Kreisel0

1 R. Grammel, Die mechanischen Beweise fur die Bewegung der Erde, S. 64, Berlin 1922.

§ 5. Gerate mit KompaBkreiseln.

wirkung der Erddrehung wesentlich beteiligt ist, obwolu es sich um einen starren Kreisel eigentlich nicht handelt. An genau beobachteten Zyklonen ist abgeschatzt worden!, daB das genannte Kreiselmoment wenigstens der GroBenordnung nach diejenige Kraft liefert, die zur Erklarung der polwarts gerichteten Komponente der Wandergeschwindigkeit der Zyklone vorhanden sein muB.

3. Der Deklinationskreisel. Man kann nun schHeBlich den astatischen Kreisel, wie wiederum zuerst Foucault entdeckte, auch dazu verwenden, den Meridian, also die Nordrichtung des Beobachtungsortes zu finden, und gerade diese Anwendung des astatischen Kreisels hat sich weiterhin als eine der folgenlIord reichsten erwiesen. Zu diesem Behufe hat man lediglich dafiir zu sorgen, daB die Figurenachse des Kreisels sich moglichst reibungsfrei in der Horizontebene des Beobachtungsortes drehen kann, indem man etwa die Drehachse des auBeren Cardanringes des Gyroskopes drehbar an die Lotlinie fesselt, und den inneren Cardanring senkrecht zum auBeren an diesem festklemmt. Dann beeinfluBt die Lotkomponente w * sin rp der Erddrehung Abb. 36. Deklinationskreisel. den Kreisel nicht. Er ist aber gezwungen, die Nordkomponente w* cos rp der Erddrehung mitzumachen, und diese ruft in ihm, wenn die Nordseite seiner Figurenachse den Winkel b mit cler Norclrichtung bildet, positiv etwa nach Westen gerechnet (Abb. 36), ein nach Norden drehendes Kreiselmoment yom Betrag De w* cos rp sinc5 hervor. Somit hat man fur das bewegliche System (Kreiselkorper und Cardanringe) mit der Drehmasse C um die Lotachse die Bewegungsgleichung Cc5=-Dew*cosrpsinb-R, (11) wobei R wieder das etwaige Reibungsmoment ist. Diese Gleichung besagt nun einfach, daB die Nordseite der Figurenachse um die Nordrichtung Schwingungen macht und, je nach der Art der Reibung, mehr oder weniger genau in dieser Richtung zur Ruhe kommt und somit die Nordrichtung des Beobachtungsortes mehr oder weniger genau anzuzeigen fahig ist. Ein so1ches Gerat, das man fuglich einen Deklinationskreisel nennen mag, stellt die ursprunglichste Form aller Kreiselkompasse dar. 1

W. Koenig, Meteorol. Z. 32 (1915), S. 484 und 560.

92

Kreiselgeriite.

Die Schwingungsdauer fur kleine Ausschlage b und ohne Reibung hat den Wert C t0-2n (12) De w* cos q; ,

V

so daB man aus ihr bei bekannter geographischer Breite cp wiederum die Drehgeschwindigkeit w· der Erde muBte bestatigen konnen. Beides, die Anzeige der Nordrichtung und die Ermittlung von w·, hat Foucault wieder nur sehr unvollstandigerreicht. Wegen des sehr k1einen Faktors w· im nordweisenden Kreiselmoment ist es notig, den Eigendrehimpuls De=Awe durch Steigerung der Eigendrehgeschwindigkeit We des Kreisels moglichst groB zu machen und auBerdem die Reibung sorgfaltig auszuschalten. Dies ist in der weiteren Entwicklung des Deklinationskreisels in der Tat ge1ungen. Diese schritt nach zwei Zie1en fort, einerseits bis zu quantitativ auswertbaren Versuchen zum Nachweis der Erddrehung, andererseits bis zur Schaffung vollig einwandfreier, praktisch benutzbarer Kreise1kompasse. Ehe wir uns nun der weiteren Entwicklung des Deklinationskreisels zuwenden, bemerken wir noch, daB dieser gemaB (11) und (12) an den beiden Erdpolen (cp= ± 90°) versagen wiirde und am wirksamsten in der Umgebung des Aquators (cp=OO) ist. Ubrigens ist der schon beim Inklinationskreise1 (Ziff. 2) erwahnte Vorschlag, das von der Erddrehung herriihrende Kreiselmoment zu messen, beim Deklinationskreise1 weiter verfolgt worden. Wenn man die beiden Drehkrafte miBt, mit denen die beiden Cardanringe in Abb. 32 (Seite 85) gegen jenes Kreiselmoment festgehalten werden muBten, damit die Figurenachse waagerecht ostwestlich stehen bliebe, so kann man daraus auf einem bewegten Fahrzeug (z. B. in einem untergetauchten Boot) auf die Fahrgeschwindigkeit und die Fahrtrichtung schlieBen. Da dieser Vorschlag jedoch bisher nur theoretisch untersuchtI, aber noch in keiner Weise praktisch durchgebildet worden ist, so wollen wir ihn hier nur eben erwahnen.

4. Kreiselversuche zum Nachweis der Erddrehung. Den ersten ge1ungenen Kreise1versuch zum Nachweis der Erddrehung hat A. Fopp[2 durchgefuhrt, indem er den Deklinationskreisel trifilar aufhangte und den aus zwei Schwungradern vonje 30 kg Gewicht bestehenden Kreiselkorper elektrisch bis zu 2400 Umljmin antrieb, wobei die drei Aufhangefaden zugleich den Strom zuzufuhren hatten 1 Ch. Fox, Proc. Cambridge philos. soc. 45,2 (1949) S. 311. Man braucht dabei z. T. Uberlegungen, die wir erst in § 6, Ziff. 3 kennen lernen werden. 2 A. F6ppl, Physikal. Z. 5 (1904), S. 416.

93

§ 5. Geriite mit KompaBkreiseln.

(Abb. 37). Um storende Luftstromungen auszuschalten, kapselte er den ganzen, 100 kg schweren Kreisel in ein Gehause ein. 1st wieder 15 das Azimut der Nordseite der Figurenachse, positiv von Norden nach Westen gezahlt, und 151 ihr Azimut in der Ruhelage des nichtlaufenden Kreisels (Abb. 38), so hat man beim laufenden Kreisel mit dem Eigendrehimpuls De = A We wie vorhin das : : ! von Westen nach Norden positiv gerechnete Kreiselmoment

y

Kl = De W* cos rp sin 15

(13)

Hord

Abb. 37. Deklinationskreisel von A. Pjjppl.

Abb. 38. Bezeichnungen beim Deklinationskreisel.

und auBerdem ein rUcktreibendes Moment der trifilaren Aufhangung, das, wie bekannt, jeweils proportional zur Sinusfunktion des Verdrehungswinkels ist, also in der Form M1

= h sin(15-15 1)

(14)

angesetzt werden kann und dann ebenfalls positiv von Westen nach Norden zu rechnen ist. Die GroBe h ist dabei durch einen einfachen statischen Verdrehungsversuch oder durch einen Schwingungsversuch bei nichtlaufendem Kreisel in bekannter Weise zu ermitteln. Da man von Reibungsmomenten absehen darf, so folgt das Mittelazimut 150 der Schwingungen des laufenden Kreisels aus K1+M1 =0; man findet 15 h~~ (15) tg 0 = De W* cos p+h cos 15 1 und bildet daraus durch eine kleine· Rechnung fur den von Westen nach Norden positiv gezahlten Winkel ~ zwischen der Ruhelage 151 und dem Mittelazimut 150 der Schwingungen t ~=t (15 -15)= De W* cos p sin 151 (16) g g 1 0 Dew*cosq;cos(jl+ h ·

94

Kreiselgerate.

Die Auslenkung rf. kann unmittelbar beobachtet werden; sie wachst mit Annaherung an den Aquator (rp=OO) und ist jeweils am groBten fiir (\=90°, d. h. wenn die Figurenachse urspriinglich in die Ostwestlinie fiel. Aus (16) konnte A. Pappi die Drehgeschwindigkeit w* der Erde bis auf 2% genau finden. Urn so auffallender muBte es sein, daB die Dauer der azimutalen Schwingungen (die aus der durch das Moment Ml erganzten Gleichung (11) von Ziff. 3 folgen wiirde) nicht einmal annahernd mit der Beobachtung iibereinstimmte. A. Pappi erkannte alsbald, daB hieran die elastische Nachgiebigkeit der Aufhangefaden schuld ist, d. h. der Umstand, daB infolge deren Dehnbarkeit die Figurenachse gar nicht LoHiflie

Nord

Abb. 39. Zerlegung des Drehvektors 0*.

Abb. 40. Lotebene durch die Figurenachse.

genau in einer waagerechten Ebene, sondern raumlich schwingt, so daB die Nordseite der Figurenachse auBer ihrem Azimut 15 jeweils noch eine (wenn auch nur kleine) Elevation 1J1 iiber die Waagerechte besitzen kann, die wir positiv nach oben rechnen wollen. Dabei wird ein elastisches Gegenmoment M2 = k sin 1J1 (17) geweckt, unter k ein von Stoff und Dicke der Aufhangefaden abhangiger positiver Wert verstanden, den man wieder 1eicht durch einen Vorversuch bestimmen kann; und wir diirfen es dabei offen lassen, ob in (17) statt sin 1J1 nicht vielleicht genauer eine andere Winkelfunktion stehen miiBte, die aber sicherlich fiir kleine Winkel 1J1 sich nicht mehr merklich von sin 1p unterscheiden konnte. Urn ferner das auftretende Kreiselmoment bequem in seine Komponenten nach den Drehachsen der Winkel b und 1J1 zerspalten zu konnen, zerlegen wir auch noch die waaagerechte Komponente

§ 5. Gerate mit KompaBkreise1n.

95

w* cosrp der Erddrehung in zwei Komponenten w* cosrp cos 15 und w* cosrp sin 15 (Abb. 39) und beachten dabei, daB die Lotlinie und der

Drehvektor mit dem Betrag J (und ebenso die Vektoren mit den Betragen De und w* cos rp cos b) den sehr kleinen Winkel '1{J miteinander einschlieBen (Abb. 40), so daB die Verzerrung, die der Winkel 15 bei seiner Projektion auf die Horizontebene erleidet, klein von hOherer Ordnung ist. Demnach haben wir die folgenden Komponenten des Kreise1momentes : 1. von der Erddrehungskomponente w* cosrp sin 15 ein Kreise1moment, positiv im Drehsinn - b, vom Betrag (18) Kl = De w* cosrp sin 15 ; 2. von der Drehung ~ ebenso das Kreiselmoment (19) K2 =De~' positiv wie Kl ; 3. von der Drehkomponente w* cosrp cos 15 ein Kreiselmoment K3 = De w* cosrp cos 15 sin'1{J, (20) positiv im Sinne - ~ ; 4. von der Drehkomponente w* sinrp ein Kreiselmoment (21) K4 = De w* sinrp cos'1{J, im Sinne +~; 5. von der Drehung 15 ein ebenso1ches Kreiselmoment

K5 =Deb. (22) Die Kreiselmomente Kl bis K5 regeln zusammen mit den elastischen Momenten Ml (14) und M2 (17) die Bewegung des ganzen Systems (Kreiselkorper und Kapsel). Sind wieder B und C dessen Drehmassen je um die (im Ruhezustand) waagerechte und um die lotrechte Achse in der zur Figurenachse senkrechten Ebene (Aquatorebene des Kreisels; vgl. Abb. 37, Seite 93), also um die Achsen der Drehungen '1{J und 15 (die zugleich Hauptachsen des Systems sind), so hat man fur die raumliche Bewegung der Nordseite der Figurenachse, falls man von Dampfungsgliedem absieht, die beiden Gleichungen Cb =-KI-K2-MU } Bip =-K3 +K4 +K5 -M2.

(23)

Da sich diese Gleichungen auf ein im System festes, also mit dem System bewegliches Achsenkreuz beziehen, so miiBten linker Hand eigentlich noch die Komponenten der zugehOrigen Gerustgeschwindigkeit des aus den Komponenten C J und B ~ bestehenden Drehimpulsvektors dieser Systembewegung (J,~) hinzugefiigt werden [vgl. Formel (16) von § I, Ziff. 4 des ersten Bandes, Seite II]. Aber abge-

96

Kreiselgeriite.

sehen davon, daB diese Gerustgeschwindigkeit bei den sehr langsamen Bewegungen, urn die es sich hier handelt, uberhaupt sehr klein ist, besitzt sie nur eine (hier belanglose) Komponente in der Figurenachse, nicht aber in den Achsen der Drehungen ~ und 1jJ. Die Gleichungen (23) lauten demnach explizit

Cb +De w* cosq; sinb+De1jJ +h sin(b-b1) = 0, . B ip+De w* cosq; cos bsin1J!-De w* sinq;cos1J!-Deb+ksin1J! =

o.

} (24)

Man kann die zweite dieser Gleichungen ganz erheblich vereinfachen, indem man erwagt, daB w* auBerst klein gegen die mittlere Drehgeschwindigkeit b der azimutalen Schwingungen bleiben wird; folglich streichen wir das zweite Glied unbedenklich gegen das vierte, zumal da es auch noch den sieher sehr kleinen Faktor sin 1J! enthiilt. Mit nahezu gleichem Recht durfen wir aber auch das erste Glied B ip weglassen; denn die 1J!-Komponente der Schwingungen hat doch auf alle FaIle (wegen der geringen Dehnbarkeit der Aufhangefaden) auBerst kleine Amplituden und also (wegen der keineswegs kleinen Schwingungsdauer) fast unmerkliche Beschleunigungen (das Glied D)=Aw) ist im Mittel tatsachlich mindestens das 107-fache des GliedesBip). Ersetzt man dann noch sin1J! durch 1J! und cos1J! durch 1, so lautet die vereinfachte zweite Gleichung (24) kurz und genau genug

.

k1J!=De (b+w*sinq;). (25) Dies besagt, daB die Elevationsschwingung 1J! synchron mit der azimutalen Schwingung 15 geht, jedoch urn eine Viertelsperiode in der Phase verschoben (vorauseilend). Fur die azimutale Schwingung aber kommt, wenn wir mit dem Wert 1J! aus (25) in die erste Gleichung (24) eingehen, D 2) .. ( C++ 15 +De w* cosq; sin 15 + h sin(b-b 1) = 0, und dies formt man leicht urn in (

D 2) .. C++ b+Hsin(b-bo) =0

(26)

mit dem Ruheazimut 150 (15) und mit

H2 = (De w* cosq; + h cos 151)2 + (h sin 151)2 •

(27)

Die Schwingungsgleichung (26) zeigt, daB infolge der Dehnbarkeit der Aufhiingefaden die "azimutale" Drehmasse C scheinbar urn den Betrag D;/k vergroBert ist. Dies hat eine entsprechende Erhohung der Schwingungsdauer to zur Folge. Fur kleine Ausschlage 15 hat man jetzt (28)

97

§ 5. Gerate mit KompaBkreiseln.

und diese durch das Zusatzglied D;/ kH vergroBerte Schwingungsdauer ist denn auch von dem Versuch Foppls gut bestiitigt worden. (Man hat hier ein einfaches Beispiel fiir die in § 12, Ziff. 3, Seite 257 des ersten Bandes allgemein berechnete scheinbare VergroBerung der Massentriigheit infolge der Einwirkung verborgener Bewegungen). Der Versuch ist mehrfach weitergefiihrt und verfeinert worden, allerdings mit Hilfsmitteln, wie sie erst die technische Vollendung des Kreiselkompasses liefern konnte. So gelang es Schuler!, die Storungen insbesondere infolge Konvektionsstromungen soweit abzuschirmen, daB mit einem schwimmend aufgehiingten Kreisel von 19000 Uml/min (wie wir ihn in § 6, Ziff. 1 beschreiben werden) der Meridian des Beobachtungsortes (Kiel) bis auf etwa 14" genau bestimmt werden konnte; spiiter vermochte Hierholzer2 mit der Apparatur eines Anschiitzschen Dreikreiselkompasses, also mit Kreiseln von 20000 Uml/min (vgl. spiiter § 6, Ziff. 7), die Genauigkeit so weit zu steigern, daB sich aus der Schwingungsdauer (28) der Wert von w* bis auf einen Fehler von 0,27%0' die Tagesliinge also bis auf einen Fehler von 23 Sekunden ergab. 5. Elastische Bindung eines Freiheitsgrades. Da wir es hier zum erstenmal mit sehr rasch laufenden Kreiseln zu tun haben (im zuletzt genannten FaIle 333 Uml/sek), so wollen wir auf eine Gefahr hinweisen, die beim Hantieren mit so1chen Kreiseln zu beachten ist. Wenn man einem schnellen Kreisel durch ein Zwangsmoment M eine Drehung b seiner Figurenachse in einer Ebene senkrecht zur Achse des Moments aufzwingt (im Falle von Ziff. 4 also in einer waagerechten Ebene urn eine lotrechte Achse) und dabei diese Ebene (also etwa den inneren Cardanring) elastisch nachgiebig bettet, so daB sie und mit ihr die an sie gefesselte Figurenachse ein wenig aus der Waagerechten heraus sich erheben kann, so hat man mit den bisherigen Bezeichnungen fiir diese Zwangsbewegung das analog zu (24) gebildete Gleichungssystem

Cb+De~ =M, Bip-D) + k1p = 0

l J

() 29

(wieder nur fiir kleine Werte von 1p giiltig). Das sind zwei lineare Differentialgleichungen, die durch die gyroskopischen Terme De ~ und -De J miteinander gekoppelt sind. Die wieder durch den Faktor k M. Schuler, Festschrift zum siebzigsten Geburtstag August Foppls, S. 148. W. Hierholzer, Ein Kreiselversuch zur Bestimmung der Drehgeschwindigkeit der Erde, Diss. Gottingen 1938. 1

2

Grammei, Der Kreisel II. 2. Auf!.

7

98

Kreiselgeriite.

ausgedriickte Nachgiebigkeit der ~-Ebene kann insbesondere auch einfach in der Biegungsfahigkeit der Kreiselwelle (bei etwa starr in seiner Ebene gehaltenem Innenring) bestehen. So1che Gleichungen stellen, wie wir von friiheren Hillen her wissen, allemal eine von Eigenschwingungen begleitete Bewegung der Figurenachse des ,schnellen Kreisels vor. Die Eigenschwingungen sind hier die Nutationen (vgl. § 6, Ziff. 4, Seite 76 des ersten Bandes), und auf diese kommt es uns jetzt nicht an. Der wesentliche Tei1 der Bewegung wird dargestellt durch die von M abhiingigen partikuliiren Integrale, und diese sind beispielsweise fUr ein unveriinderliches Zwangsmoment M von der Form

'IjJ=bt,

~=-}at2,

(30)

wo die noch unbekannten Faktoren a und b durch Einsetzen der Losung (30) in (29) zu ermitteln sind. Man erhalt

D,a= kb und hieraus durch Auflosen nach a und b und Einfiihren in (30) ~=

Mt 2 Ck Ck+D.2 2C '

D. "1'= Ck+D.2 Mt

und daraus auch noch

D•.

"I' =T b .

(31) (32) (33)

Ohne die (leicht aufzufindenden) allgemeinen Integrale von (29) auszurechnen, konnen wir alle wesentlichen Schliisse schon aus (31) bis (33) ziehen. Mit k= co, also volliger Unterdriickung des zweiten Freiheitsgrades, bestatigt man aus (31) und (32) nur wieder, daB der Kreisel ohne die geringste Moglichkeit des Ausweichens der Figurenachse ("1'=0) dem Moment M so nachgibt, wie wenn kein Eigendrebimpuls D. vorhanden ware [t5=-}(MjC)t 2]. 1st aber, wie bei allen Befestigungsarten, k endlich, wenn auch vielleicht sehr groB, so geniigt es nach (31), den Eigendrehimpuls De hinreichend groB zu wiihlen, urn die Nachgiebigkeit t5 gegeniiber dem Zwangsmoment M be1iebig herabzudriicken, den Kreisel also beliebig stark richtungssteif zu machen. Einen vielleicht noch wichtigeren SchluB ziehen wir aus (33). Die von dem Moment M unterhaltene und sich steigemde Drehung t5 hat nach (33) unweigerlich ein Anwachsen des Winkels "I' zur Folge, auch dann, wenn das Moment an sich nicht groB ist, und zwar um so mehr, ;e groBer der Eigendrebimpuls De ist. Da die elastische Nach-

99

§ 6. Der KreiselkompaB.

giebigkeit nur bis zu einer gewissen Grenze geht, so muB das Anwachsen des Winkels "p Wher oder spater eine Zerstorung des Systems herbeifiihren, wenn man nicht rechtzeitig davon ablaBt, die Drehgeschwindigkeit b durch ein Zwangsmoment M weiter zu steigern. Es ist also in hohem MaBe gefahrlich, die Figurenachse eines schnelllaufenden Kreisels zu einer zu raschen Prazession b um eine Achse zu zwingen, die von seiner Figurenachse verschieden ist. Man tut gut daran, dies beim Hantieren mit Kreiseln von groBem Eigendrehimpuls nie zu vergessen. Die GroBe der Gefahr wird natiirlich durch das Kreiselmoment K=D) gemessen. Wenn die Kreiselwelle sehr diinn ist, wie dies bei elekttisch angetriebenen Kreiseln der Fall zu sein pflegt, so kann jenes Kreiselmoment leicht einen Bruch der Welle verursachen oder sie mindestens unzulassig stark verbiegen. Beispielsweise bei einem Kreiselkorper von 5 kg Gewicht, einem axialen Tragheitsarm von 5 cm und einer Vmdrehungszahl von 20000 Vml/min wird De = 267 cmkgsek, und dies gibt, wenn man die Figurenachse etwa mit 24 in der Sekunde weiterdreht, was doch noch keineswegs iibermaBig rasch erscheint, schon ein Kreiselmoment von rund 100 cmkg, also ein groBtes Biegemoment von rund 50 cmkg, eine Beanspruchung, die die Kreiselwelle bei ihren iiblichen MaBen (von etwa 10 cm Lange und 0,5 cm Dicke) keineswegs ohne Beschadigung aushalten konnte. Ubrigens muB man bei der zahlenmaBigen Auswertung von Kreiselversuchen die durch die Kreiselmomente hervorgerufene Biegung der Kreiselwelle mitunter durchaus berucksichtigen \ wenn man zu richtigen Ergebnissen kommen will. 0

§ 6. Der Kreiselkompa8. 1. Die technische Entwicklung des Kreiselkompasses. Wie gegen SchluB von § 5, Ziff. 3 (Seite 92) schon erwahnt, ist der Foucaultsche Deklinationskreisel zu einem vollwertigen KreiselkompaB weiterentwickelt worden, und dieser stellt wohl das am besten durchgebildete aller Kreiselgerate dar. Der Weg bis zu solcher Vollendung war miihsam und hat die Arbeit vieler Jahrzehnte erfordert. Es lohnt sich darum, einen kurzen Blick auf die Entwicklung zu tun, zumal da dies auch zum Verstandnis der spater folgenden Theorie des Kreiselkompasses und seiner Storungen notig sein wird. 1

Vgl. die erwiihnte Arbeit von W. Hierholzer, FuBnote 2 von Seite 97.

7*

100

Kreiselgerate.

Urn den Deklinationskreisel zum wirklichen KompaB zu gestalten, muBte erstens sein nach Norden drehendes Kreiselmoment ganz erheblich vergr6Bert, zweitens jede trockene Reibung und jedes Torsionsmoment bei etwaiger Aufhangung vermieden und drittens flir eine m6glichst rasche Dampfung der Schwingungen, unter denen er sich schlieBlich nach Norden einstellt, gesorgt werden. Da der KompaB, obwohl gelegentlich auch ortsfest beniitzt, doch hauptsachlich in bewegten Fahrzeugen (Seeschiffen, Luftschiffen, Flugzeugen) verwendet wird, so muBte endlich viertens erreicht werden, die Fahrtfehler, die er vermutlich haben wird, wenn er nicht~ mehr v6llig astatisch ist - und man muBte tatsachlich zu nichtastatischen Kreiselsystemen iibergehen -, auf ein ertragliches MaB herabzusetzen und womoglich kompensierbar zu machen. Das Ringen mit diesen vier Forderungen zeichnet sich in der Geschichte 1 des Kreiselkompasses deutlich abo Den ersten Fortschritt nach Foucault erzielte Trouvi 2, indem er (1865) einerseits zu elektromotorischem Antrieb des Kreisels iiberging und andererseits die starre Bindung der Figurenachse an die waagerechte Ebene dadurch aufhob, daB er den Kreisel cardanisch mit voller Freiheit lagerte und die Achse des auBeren Ringes durch ein angehangtes Gewicht lotrecht, die Figurenachse waagerecht stabilisierte. Eine ahnliche Ausfiihrung baute bald darauf Dubois 3. Diese beiden Gerate waren die ersten Kreiselkompasse; sie haben sich aber auf Schiffen nicht bewahrt, weil sie wegen der Reibung in den Lagern der Cardanringe versagen muBten. Lord Kelvin4 versuchte (1884), die Reibung durch eine torsionsfreie Fadenaufhangung statt der cardanischen Lagerung zu verringern, und schlug schlieBlich vor, das ganze System mit waagerechter Figurenachse stabil auf einer Fliissigkeit schwimmen zu lassen. Damit war nun in der Tat auch ein richtiger Weg gewiesen. Urn das Ziel in Gestalt eines v6llig brauchbaren und einwandfreien Kompasses wirklich zu erreichen, bedurfte es allerdings noch langer und miihsamer Versuche, die von van den Bos begonnen, von Werner von Siemens weitergefiihrt 5 und von AnschutzKampfe 6 und seinen Mitarbeitern (1908) in seinem EinkreiselkompaB zu einem vorHiufigen AbschluB gebracht wurden. Vgl. den Aufsatz von O. Martienssen, Z. VDI. 67 (1923), S. 182. G. Trouve, Comptes rendus 101 (1890), S. 359, 463 und 913. 3 M. E. Dubois, Comptes rendus 98 (1887), S. 227. 4 W. Thomson, Nature 30 (1884), S. 524. 5 Vgl. O. Martienssen, Physik. Z. 7 (1906), S. 535. 6 H. Anschutz-Kiimpje und M. Schuler, Jahrb. Schiffbautechn. Ges. 10 (1909), S. 352; vgl. auch die deutschenPatentschriften der Klasse 42c. 1 2

§ 6. Der KreiselkompaB.

101

Diesen ersten Anschiitz-KompaB, der die Grundlage weiterer Entwicklungsstufen bildete, stellt Abb. 41 schematisch und teilweise im Meridianschnitt (zunachst noch ohne die spater zu besprechende Dampfungsvorrichtung) dar. Der auf dunner Welle sitzende Kreise1korper (k) ist der KurzschluBanker (a) eines Drehstrommotors von20000Uml/min,dessenStander (s) an der den Kreisel umschlieBenden Kapse1, der sogenannten Kreise1kappe (k'), angebracht ist. Die Kappe wird von einem Schwimmer (s') getragen, auf dem auch die Windrose (r) Abb. 41. Anschutzscher EinkreiselkompaB. befestigt ist. Der Schwimmer schwimmt in einem mit Quecksilber gefullten, cardanisch und an F edern aufgehlingten Becken (b). Der Schwerpunkt des schwimmenden Systems liegt ein wenig tiefer als der Schwerpunkt der verdrangten Quecksilbermenge, so daB die Figurenachse (f) im Ruhezustand waagerecht liegt. Ein am Becken (b) befestigter Stift (s") zentriert den Schwimmer und fuhrt uber einen zentralen Quecksilbertropfen und eine konzentrische Quecksilberrinne zwei Stromphasen isoliert zu, wahrend die dritte Phase durch das Quecksilberbecken (b) eintritt.

Abb. 42. Diimpfung des AnschUtzschen Einkreiselkompasses.

Da bei der sehr groBen Schwingungsdauer, die der KreiselkompaB auf einem fahrenden Schiffe aus theoretischen Grunden haben muB (vgl. spater Ziff. 2), alle sonst erprobten Dampfungsarten, wie F!ussigkeits- oder Wirbe1stromdampfung, vie! zu schwach waren und zudem bei Schiffswendungen das schwimmende System mitreiBen wiirden, so daB der KreiselkompaB stundenlang falsch zeigen muBte, so hat man Cnach mehreren anderen Versuchen) die in Abb. 42 dargestellte

102

Kreiselgerate.

Vorrichtung angebracht. Der laufende Kreisel saugt durch eine Offnung (a') in der Kreiselkappe (k') Luft an und stoBt sie durch eine Diise (b') am Umfang wieder aus, und zwar westwarts. Ein Pende1 (P), das quer zur Figurenachse schwingen und durch ein Reguliergewichtchen (r') justiert werden kann, deckt die Diisenoffnung symmetrisch ab, so daB die Reaktionskraft des waagerecht ausgeblasenen Luftstrahles nur ein belangloses kleines Moment um die Figurenachse erzeugt. Nun ist aber an Hand der Ubedegungen von § 5, Ziff. 4 zu vermuten und wird spater (Ziff. 2) von der Theorie bestatigt werden, daB mit jeder Deklinationsschwingung des Kreiselkompasses eine Elevationsschwingung seiner Figurenachse verkniipft ist (in Abb. 42 rechts dargestellt), und dann tritt die Diise (b') aus der Lotachse heraus, das Pende1 (p) jedoch nicht; di~ses offnet daher die Nordseite der Diise mehr als ihre Siidseite, so daB eine Reaktionskraft entsteht, die jetzt ein Drehmoment um die Achse b hervorruft, und zwar offenbar im entgegengesetzten Sinne von J. Die Deklinationsschwingung wird somit ~~s=~~~§!~ abgebremst und also gedampft. Ohne f:!'ii "" • , P eine so1che Dampfung wiirde es tagelang dauern, bis die Schwingungen des Abb. 43. Anschutzscher VermessungskompaB. Kreiselkompasses auf eine ertragliche Amplitude abgesunken waren. Bei einem fiir Vermessungszwecke (etwa im Markscheidewesen und im Tunnelbau) durchgebildeten Anschutzschen Kreise1kompaB ist das schwimmende System ein wenig abgeandert, wie dies Abb. 43 zeigt. Auf der Grundplatte (p) ist an einem hufeisenformigen Biige1 (b), von dem nur die hintere Halfte und der obere Schnitt gezeichnet ist, das mit Quecksilber gefiillte GefliB (g) befestigt. In ihm schwimmt die Hohlkugel (h), die an zwei Biige1n (b') die Kreiselkappe (k) tragt. Das schwimmende System wird durch einen Stift (5) zentriert, der zugleich eine Stromphase zufiihrt. Die zweite Phase wird durch das Quecksilberbecken, die dritte durch einen Kontaktstift (5') zugeleitet; alle drei werden yom Biigel (b') mittels Schleifbiirsten (5") auf die Kreiselkappe iibertragen. Die groBe MetazenterhOhe des schwimmenden Systems verbiirgt eine sehr genaue Horizontallage der Figurenachse

103

§ 6. Der KreiselkompaB.

des Kreisels und eine kleine Schwingungsdauer der Azimutschwingungen [wie allerdings erst aus Ziff. 2, Formel (14) hervorgehen wird]. Zur Ablesung tragt die Kreiselkappe einen Spiegel (s"'). Urn Kollimationsfehler auszuschalten, die durch ungenaue Justierung des Spiege1s auf der Figurenachse entstehen, laBt sich die Kreiselkappe urn genau 180 urn die Figurenachse umklappen; hierzu ist mit ihr eine Scheibe ~s"") verbunden, die zwei urn 180 versetzte Rasten hat, in welche ein Stift vom Bugel (b') her eingreifen kann. Das ganze Gerat ist in einem luftdichten Gehiiuse eingeschlossen, und ein Fenster (f), das sich ebenfalls urn 180 0 durchschlagen laBt, vermittelt das Ablesen des Spiegels. Mit diesem Gerat ist ubrigens der in § 5, Ziff. 4 erwahnte Kreise1versuch von Schuler durchgefuhrt worden. Ein wenig abgeandert wird der Anschiitzsche KreiselkompaB im Schachtbau als Bohrloch-Neigungsmesser1 verwendet. Ein solcher Neigungsmesser, der auBerlich die Gestalt eines Rohres hat, das sich oben und unten mit Bursten an das Bohrloch anlegt, enthaIt entweder eine Stahlkugel, die auf einer genau senkrecht zur Achse justierten Rose e1astisch befestigt ist und durch ihre Lage auf der Rose die Bohrlochneigung nach Richtung und GroBe anzeigt, oder zwei Pendel mit zu einander senkrechten Achsen, die durch ihre Neigungen die Ostwest- und die Nordsudneigung des Bohrlochs anzeigen. Der am unteren Ende des Gerates sitzende KreiselkompaB hat lediglich die Aufgabe, die Rose oder die Pende1achsen dauernd in ihren ursprunglichen Himmelsrichtungen zu halten, damit die alle paar Meter vorgenommene selbsttatige Aufzeichnung oder nach oben elektrisch ubertragene Anzeige der Stahlkugel oder der Pendel richtig ausgewertet werden kann. Dieses Richtungshalten kann entweder vom Kreisel unmittelbar oder noch besser von Wendemotoren vorgenommen werden, die yom Kreisel gesteuert werden (wie wir dies spater in Ziff. 7 noch genauer schildern). Der Kreisel ist auch hier so gebaut, daB er eine Schwingungsdauer von nur wenigen Minuten hat, und braucht ebenfalls keine besondere Dampfung. Ehe wir die weitere Entwicklung des Anschiitzschen Einkreiselkompasses zum MehrkreiselkompaB verfolgen, wie sie bei stark schlingernden Schiffen notwendig geworden ist, wollen wir noch einige Einkreiselkompasse kennen lernen, bei deren Bau andere Wege beschritten worden sind. An Stelle eines schwimmenden Systems verwendet der Einkreisel0

0

1

Vgl. den angefiihrten Aufsatz von O. Martienssen, Z. VDl. 67 (1923), S. 186.

104

Kreise1geriite.

kompaB von Sperryl ein an Faden aufgehangtes. Wie Abb. 44 schematisch andeutet, kann sich die Kreiselkappe (k) urn eine waagerechte (im Ruhezustand ostwestlich gerichtete) Achse in einem lotrechten Ringe (r) drehen, der an einem Bunde1 feiner Drahte hangt. Der Aufhangckopf(a), der zugleich die Rose tragt und mit einem zweiten senkrechten Ring (r') fest verbunden ist, kann sich in einer (cardanisch aufgehangten, in Abb. 44 nicht gezeichneten) Lagerung urn die Lotachse drehen und wird durch einen Wendemotor jeder Deklination der Figurenachse so nacha gedreht, daB in den Drahten keine Torsion entsteht. Der Wendemotor ist dabei durch Kontakte am inneren Ring (r) gesteuert (wie wir dies im Prinzip spater noch genauer biem Anschiitzschen MehrkreiselkompaB kennen lernen werden). Der Kreisel selbst macht hier nur 8500 Uml/min, hat aber mehr als die zwanzigfache axiale Drehmasse des Anschiitzschen Kreisels und somit nahezu das zehnfachenordAbb. 44. Schema des Sperryschen Kompasses. weisende Richtmoment von jenem, was wegen der trockenen Reibung in den waagrechten Elevationslagern sowie in dem unteren Lager des inneren Ringes (r) im auBeren (r') erforderlich ist. Zur Dampfung ist am auBeren Ring (r') ein bugelf6rmiges Pende1 (p) aufgehangt, das durch einen exzentrischen Stift (s) mit der Kreise1kappe (k) in Verbindung steht. Bei den (von den Deklinationsschwingungen auch hier hervorgerufenen) Elevationsschwingungen der Figurenachse muB der Stift (s) das Pende1 (p) heben, und dann ubt dessen Gewicht uber den Stift (s) ein Drehmoment urn die Lotachse aus, das - bei richtiger Lage des Stiftes - jeweils gerade der Deklinationsschwingung entgegenarbeitet. Es ist noch ein dritter Weg beschritten worden, urn die storende Reibung des KompaBkreise1s bei seinem Einschwingen in die Nord1 E. A. Sperry, USA Patent 1279471 und deutsche Patente, sowie Engineering 91 (1911), S. 427, und 93 (1912), S. 722.

§ 6. Der KreiselkompaB.

105

lage zu verringem. Ais erstes Beispiel erwahnen wir einen nicht fUr Schiffe, sondem fur Vermessungszwecke bestimmten LandkompaBt, der neuerdings von der Kreise1gerate GmbH. in Berlin gebaut worden ist und als die eigentliche technische Verwirklichung des Foucaultschen Deklinationskreisels (§ 5, Ziff. 3) mit den heutigen Hilfsmitteln angesehen werden kann. Wie Abb. 45 schematisch, teilweise im Meridianschnitt, zeigt, ist der Kreisel in seiner Kappe (k) mit waagerechter Achse in einen Hohlzylinder (h) fest eingebaut, und dieser kann sich um eine lotrechte Achse im Gehause (g) drehen und tragt die KompaBrose (r). Der Zwischenraum ist mit einer Flussigkeit erfullt, und die Raumverhaltnisse sind so gewahlt, daB der Hohlzylinder samt Kreisel nahezu frei schwebt. Seine beiden Lagerzapfen (11 und 12) sind Halbkuge1n, die in entsprechenden Pfannen spielen, und dabei verhindert eine von einer Pumpe (P) unterhaltene Flussigkeitsspiilung jedes unmitte1bare Beruhren. Die drei Stromphasen werden dem Kreiselmotor dadurch zugefuhrt, daB die Zwischenraumfiussigkeit leitend gemacht wird (Propylalkohol mit Kalilauge), so daB drei ringformige metallische Elektrodenpaare eel' e2' es) die drei Stromphasen ohne merklichenNebenschluB ubertragen konnen. Da bei diesem KompaB keine besondere Dampfung vorgesehen ist, so Abb. 45. LandkompaB der klingen die Deklinationsschwingungen [deKreiselgerate GmbH. ren Schwingungsdauer fur kleine Amplituden schon in § 5, Ziff. 3, Forme1 (12), Seite 92, angegeben ist und hier nur etwa 72 Sekunden betragt] sehr langsam ab, und daher ermittelt man die Nordrichtung durch Beobachten der Umkehrpunkte. Als zweites Beispiel fiihren wir noch den KreiselkompaB von S.G.Brown 2 an, dessen Schema Abb. 46 zeigt. Die Kreiselkappe (k) ist mit Zapfen in einem lotrechten Cardanring (r) ge1agert, der sich um eine lotrechte Achse drehen kann. Diese sitzt auf einem Oldrucklager, das durch eine Druckpumpe rasch aufeinander folgende 01stoBe erhaIt, so daB das ganze System sich auf einer pulsierenden 1 Vgl. den Bericht von K. Beyerle, Fiat Review of German Science, Applied Mathematics, Bd. V, S. 227. 2 Vgl. O. Martienssen, Z. VDI. 67 (1923), S. 185.

106

Kreiselgerate.

C>lschicht nahezu reibungslos urn die Lotlinie drehen kann. Die eigenartige Dampfungsvorrichtung besteht aus einer Diise (d) am Cardanring, durch welche der laufende Kreisel einen heftigen Luftstrahl sendet, und einer U-formigen Rohre mit zwei C>ffnungen, in die die Diise je nach Elevation der Figurenachse (f) ihren Luftstrahl stoBt, so daB durch den jeweiligen Uberdruck die C>lfliissigkeit in zwei kommunizierenden GefaBen (g) reguliert wird. Wenn also die Figurenachse von Ost nach West schwingt und somit gemaB § 5, Ziff. 4, Formel (25) (Seite 96) die Elevation der Nordseite der Figurenachse positiv ist, so wird das C>l in die Siidkammer gedriickt, und das siidliche Ubergewicht iibt ein Drehmoment aus, dessen Vektor ostwarts weist und somit die Bewegung des von Ost nach West mitschwingenden Eigendrehimpulsvektors des Kreisels zu hemmen, die DeklinaJ tionsschwingung mithin abzubrem· sen sucht. Die Bewegungsenergie dieser Schwingung wird unmittelbar dadurch vemichtet, daB eine verstellbare Nadel (n) Widerstand beim C>ldurchfluB erzeugt und so DurchfluBenergie in Warme verAbb. 46. Brownscher KompaB. wandelt. Ein tieferes Verstandnis der Wirkungsweise des Einkreiselkompasses ist nur moglich, wenn man sein Verhalten bei ortsfester Aufstellung und auf bewegten Fahrzeugen auch formelmaBig untersucht, wie wir das nun tun wollen. 2. Der ortsfeste Einkreiselkompa6. Wir legen den Anschiitzschen EinkreiselkompaB von Ziff. 1 (Abb. 41, Seite 101) zugrunde. Dessen Bewegungs- und Einstellungstheorie 1 ist schon durch die Rechnungen von § 5, Ziff. 4 vorbereitet, so daB wir die dortigen Grundgleichungen (23) und explizit (24) (Seite 96) mit wenigenAnderungen hier iibemehmen konnen. Es sei wieder De der Eigendrehimpuls des Kreisels und cp die geographische Breite des Aufstellungsortes; femer seien B und C die Drehmassen des schwimmenden Systems 1 Vgl. o. Martienssen, Physik. Z. 7 (1906), S. 565; Z. Instrumentenkunde 32 (1912), S. 309; ferner M. Schuler, Jahrb. Schiffbautechn. Ges. 10 (1909), S. 561. Wir weichen von diesen Theorien hier ein wenig abo

107

§ 6. Der KreiselkompaB.

urn die (im Ruhezustand) waagerechte und lotrechte Achse in der zur Figurenachse senkrechten Ebene, und zwar durch den Drehpunkt des schwimmenden Systems (die Spitze des Zentrierstiftes s" in Abb. 41), weiter 15 die von Norden nach Westen positiv gerechnete Deklination der Nordseite der Figurenachse und 'IjJ ihre Elevation uber die Horizontebene. Das riicktr~ibende Moment Ml =h sin(b-b1) der damaligen Fadenaufhlingung fant jetzt weg; statt des Momentes M2 = k sin 'IjJ der Fadenelastizitat kommt nun ein stabilisierendes Schwimmermoment (1) M2 = hG sin'IjJ, wenn h die MetazenterhOhe des schwimmenden Systems yom Gewicht Gist (d. h. der Abstand zwischen Drehpunkt und Schwerpunkt des schwimmenden Systems). AuBerdem ist infolge der Dampfung (Abb. 42, Seite 101) ein von oben gesehen im Uhrzeigersinne (also entgegengesetzt zu ~) positiv drehendes Moment (2)

Ma=ksin'IjJ

in der ersten Gleichung (23) hinzuzufugen, wobei k eine versuchsmaBig zu bestimmende GroBe ist, die wir die Dampfungsziffer nennen. Damit wird aus den damaligen Gleichungen (24)

Ci+Dew*cosq;sinb+De~+ksin'IjJ=O,.

} (3)

Bip+Dew* cosq;cos bsin'IjJ-Dew* sinq;cos'IjJ-D.b+hGsin'IjJ == O. Diese Gleichungen bedeuten Schwingungen urn eine Nullage 150, 'ljJo, die wir erhalten, indem wir aIle zeitlichen Ableitungen gleich Null setzen, also aus

De w* cosq; sin 150 + k sin'IjJo = 0, De w* cosq; cos 150 sin'IjJo-De w* sinq; coS'IjJo + hG sin'IjJo =

o.

} (4)

Zunachst fur k=O, also ohne Dampfung, kommt sofort 150 =0 und

(5)

De w* sincp

tg 'ljJo = hG+DeW*coscp oder genau genug 'ljJo A:> tg 'ljJo =

De W* sincp ---"Cr-'

(6)

weil bei Kreiselkompassen ublicher Bauart das erste Nennerglied hG etwa 2000mal so groB wie das zweite De w* cosq; ist, wie wir nachher noch zahlenmaBig bestatigen werden. (Die instabile Nullage 150 =180 0 haben wir dabei auBer Betracht gelassen.) Mithin schwingt die Nordseite der Figurenachse des Kreiselkompasses ohne Dampfung um die genaue Nordrichtung und um einen Elevationswinkelwo, der auf der

108

Kreise1geriite.

nordlichen Halbkugel positiv, auf der stidlichen negativ und nur am Erdaquator Null ist. Man wahlt tatsachlich die MetazenterhOhe h des schwimmenden Systems so groB, daB 1j!0 hOchstens einige Bogenminuten betragt. Mit Dampfung (k>O) lassen sich die Gleichungen (4) nicht mehr bequem explizit lOsen; man bekommt ·aber auch dann geniigend genaue Werte, wenn man, da doch immer noch O, 8>0 eine

152

Kreiselgerate.

Linkskurve, r < 0, e < 0 eine Rechtskurve. Wird die Kurve von genau nordlicher Bahnrichtung aus begonnen, so hat man v=re, b=re2, rJ.=et, (3==et+nj2 zu setzen. Wenn das Kreiselpendel auBerdem anfangJjch die seiner Geschwindigkeit entsprechende Nullage z='!flo+iX' mit '!flo (14) und x'=rejRwp gemaB (17) besaB, so ist nach (13) a=ix', und somit folgt aus (13) zu einer beliebigen Zeit t = '!flo

Z

+ X' ei

(wpt+:n/2) -

ei {},

(23)

und zwar fiir e =1= wp mit den Werten

2 Wp Wp- t e_ -rg- e-Wp - (1 - R8Wp -g). - S l f l2 ' 8

{} =

2

8+Wp 2

8 -

t,

)

(24)

dagegen fUr e=wp mit den Werten

e=

r;p2 wp

(1- R!p2) t,

}

(25)

{j = wpt.

In (23) bedeuten die beiden ersten Glieder rechts die bekannte und also beriicksichtigbare MiBweisung des Kreiselpendels infolge der Erddrehung und infolge der Geschwindigkeit v, das dritte Glied die eigentliche Storung der Anzeige des Gerates. Die beiden ersten Glieder stellen eine Prazession der Figurenachse mit dem ()fi"nungswinkel X' auf einem Kegel dar, dessen Achse sich urn den Fahrstrahl mit dem Winkel '!flo gegen die Lotlinie nach Norden oder Siiden neigt, je nachdem '!flo (14), also De' positiv oder negativ ist. Diese MiBweisung betragt aber kaum mehr als einige Bogenminuten. Viel groBer und dann sehr bedenklich kann indessen das Storungsglied Z= - eei {} werden. Wenn es gelange, die Schulersche Bedingung (18) zu verwirklichen, so wiirde dieses Glied wenigstens im Falle e = wp verschwinden, im Faile e =1= wp allerdings nicht. In Wirklichkeit muB man mit einer Storungs-MiBweisung rechnen, die im FaIle e =1= wp den Betrag

IZ!max = lelmax =

I

rt

c~C:p (1- R8gW;) I

(26)

erreichen kann, im Faile e = wp sogar unablassig anwachst. Natiirlich wird dann baId der Bereich unserer Voraussetzung kleiner Ausschlage X und '!fl iiberschritten werden; aber ofi"ensichtlich ist namentlich bei sehr weiten und lange Zeit durchmessenen Kreisbahnen, fiir we1che 13 sich dem Wert wp annahert, mit so groBen MiBweisungen zu rechnen, daB dann das Kreiselpendel den wahren Horizont nicht mehr zuveriassig anzuzeigen vermag: es arbeitet, kurz gesagt, gut bei engen Kurven, schlecht bei weiten.

§ 7. Kiinstliche Horizonte mit Pendelkreiseln.

153

Ubrigens ist Izlmax kleiner, wenn s und wp verschiedene Vorzeichen haben, als wenn gleiche. Da bei positivem (negativem) Eigendrehimpuls De - d. h. wenn der Kreisel von oben gesehen im Uhrzeigersinne (Gegenzeigersinne) umlauft - wp positiv (negativ) ist, die Prazession der Figurenachse nach (15) also in einer "Linkskurve" ("Rechtskurve") erfolgt, so schlieBt man: Die MiBweisung ist bei einer im Sinne ~er Kreiseldrehung durchlaufenen Kurve kleiner als bei einer genau gleich im entgegengesetzten Sinne durchlaufenen. Wir konnen aus (23) auch die Bahn der Kreiselspitze in ihrer komplexen z-Ebene entnehmen, wobei wir uns auf das eigentliche Storungsglied _eeii1 beschranken durfen. Wir wollen diese Bahn sogleich in einer mit dem Fahrzeug (Flugzeug) fest verbundenen (waagerecht gedachten) C-Ebene aufzeichnen, die also seine Drehung s mitmacht. Hierfur gilt (27)

z

z=

wie man durch Trennen in Rea1- und Imaginarteil leicht bestatigt. Mithin haben wir nach (23)

(28) mit dem Wert

e aus (24) bzw. (25) und mit ~=O

fur s =1= wp ' fUr s=wp .

(29)

Man formt dies um, indem man C=1p+iX in Real- und Imaginarteil zerlegt, und findet schlieBlich

per, s) sin (s-wp)t, } fUr s 9= wp X = per, s) [1- cos (s-wp)t]

(30)

mit

per, s) = Ireg2 ~ (1- -g-) e-Wp Rewp

(31)

bzw.

rWp2 ( 'l{J=---W -g) - t g P 1 -RWp2'

1p =

-

X=O

}

fur s=wp

(32)

und deutet das Ergebnis, wie foigt. Fur s =1= wp wird die Kurve der Kreiseispitze im Fahrzeug (Fiugzeug) ein Kreis yom Halbmesser Ip(r,s) I, welcher die Langsachse des Fahrzeuges beriihrt und fur De >O( < 0), also Wp >0« 0) sowie unter der Voraussetzung gJRs Wp < 1 sowohl bei einer Links- wie bei

154

Kreise1geriite.

einer Rechtskurve links (rechts) yom Beobachter liegt (Abb. 72) und bei einer Linkskurve nach hinten (vorne), bei einer Rechtskurve nach vorne (hinten) durchlaufen zu werden beginnt. Allerdings durchlauft die Kreise1spitze jeweils wahrend eines vollen Kurskreises des Fahrzeuges (Flugzeuges) nur einen Teilbogen jenes Kreises, namlich yom Zentriwinkel a = 2 n [1- wpj s [. Es ist bemerkenswert, daB im Falle einer Kurve im entgegengesetzten Sinne der Kreiseldrehung die yom Aufhangepunkt zum Schwerpunkt hinweisende Seite der Flgurenachse sich (entgegengesetzt zur Fliehkraft) nach dem Innern des Kurskreises neigt, wiihrend sie bei Kurven im Sinne der Kreiseldrehung sich (im Sinne der Fliehkraft) nach auBen neigt. Die Voraussetzung g/Rs wp < 1 ist in allen wesentlichen Fallen erfullt und kann nur bei sehr kleinen positiven Werten s, also unge-

Abb. 72. MiBweisungskreise beim Kurvenfiug.

heuer weiten Kurskreisen verletzt werden, fur we1che so wie so keine merkliche Storung mehr zu befurchten ist, wenn ein so1cher Kurs nicht wahrend auBerordentlich langer Zeit genau eingehalten wird. Der nahe1iegende Gedanke, die Storurtg beim Kurvenfiug dadurch ganz zu beseitigen, daB man gjRswp=l, also gemaB (10) s=gDe/sRG macht (indem man die Schwerpunktstiefe s etwa durch einen der spater in § 8 zu beschreibenden Wendezeiger steuern laBt), ist leider nicht ausfiihrbar, wei! er bei den meisten Kurskreisen eine Prazessionsdauer to von noch uber 84,4 min erfordern wiirde. Der jetzt noch ubrig gebliebene Fall s=wp ist rasch erledigt. Nach (32) fangt die Kreise1spitze nun an, in der Langsachse des Fahrzeuges

z

(Flugzeuges) auszuwandern, und zwar, unter der stets erfiillten Voraus-

setzung g/R w! < 1, nach hinten oder vorne, je nachdem De Z 0 ist. Es handelt sich also urn eine typische Resonanz zwischen Kursbewegung und Prazession und eine unablassig zunehmende MiBweisung

§ 7. Kiinstliche Horizonte mit Pendelkreiseln.

155

und schlieBlich urn ein Unbrauchbarwerden des Gerates. Diese Resonanz kann nur eintreten, wenn Bahndrehung und Kreiseldrehung entgegengesetzt sind. Fiir s=-OJp kann sich nichts dergleichen ereignen. Es bereitet keine Schwierigkeit, sondern wiirde nur etwas miihsamer sein, das Bewegungsintegral (13) auch noch fiir andere Kurvenfahrten auszuwerten. Das letzte Beispiel hat aber schon deutlich erwiesen, daB ein Kreiselpendel auf beliebig bewegtem Fahrzeug (Flugzeug) keine groBe Genauigkeit in der Anzeige des wahren Horizontes verbiirgen kann. Ehe wir untersuchen, wie die in manchen Geraten hinzugefiigten Dampfungsvorrichtungen dieses ungiinstige Ergebnis vielleicht verbessern, wollen wir einige dieser Gerate kennen lernen. Der Gedanke, das Kreiselpendel fUr einen kiinstlichen Horizont oder fiir ein kiinstliches Lot auf schwankenden Fahrzeugen, namentlich auf Schiffen, zu verwenden, ist sehr alt; er geht wohl auf Serson (1751) zuriick 1 und wurde von Troughton spater (1319) wieder aufgenommen 2 • Die von diesen beiden gebauten Kreisel (Serson setzte einfach eine Scheibe senkrecht auf die Figurenachse) vermochten infolge mangelhaften Antriebes ihren Zweck nur ganz unvollkommen zu erfiillen, namlich dem Seemann bei Nacht oder Bodennebel die fiir die Ortsbestimmung wichtige Horizontlinie anzuzeigen. Die ganz ahnlich gebauten Kreisel von Piazzi Smith3 (1363) und ParisI (1367), ebenfalls noch von Hand angetrieben, waren dazu bestimmt, die Schiffsschwankungen aufzuzeichnen, ebenso der schon elektrisch bewegte Oszillograph von Frahm 5 • Befriedigen konnten diese Gerate jedoch ebensowenig wie ein Versuch Towers 6 , auf diese Weise ein Geriist zum Aufstellen von Scheinwerfern und leichten Geschiitzen auf Schiffen waagerecht zu halten, wobei der stabilisierende Kreisel als Turbine angetrieben wurde. 1 Der sogenannte Horizontal Top von Serson ist beschrieben von J. Short, Philos. transact. London 47 (1751/52), S. 352; vgl. auch J. A. Segner, Specimen theoriae turbinum (turbo = Kreisel), Halae 1755. 2 Der Nautical Top von Troughton wird erwahnt von A. G. Greenhill in der Encyclopaedia Britannica, Bd. 29, S. 195. 3 Piazzi Smith, Transact. naval arch. 1863. 4 Paris (Vater und Sohn), Revue marit. colon. 20 (1867), S. 273, Comptes rendus 64 (1867), S. 731. 5 Vgl. E. W. Bogaert, L'effet gyrostatique et ses applications, S. 107, BriisselParis 1912. 6 Vgl. F. W. Lanchester, Aerodynamik (deutsch von C. und A. Runge), Bd. 2, Anhang S. 322, Leipzig 1911.

156

Kreiselgerate.

Der erste einigermaBen brauchbare ktinstliche Horizont stammt von Fleuriais 1 und ist in Abb. 73 schematisch wiedergegeben. Der in einer feinen Spitze etwa 1 rom tiber seinem Schwerpunkt gesttitzte Kreisel (k) von 175 g Gewicht und etwa 6 cm Tragheitsarm wird vor der Benutzung als Fltigelrad durch Pre13luft angetrieben, die durch den Handgriff (h) zustromt, so daB er sich wiihrend der Beobachtung mit mindestens 3000 Umljmin dreht und eine Prazessionsdauer von etwa 2 min besitzt. Er tragt zwei Plankonvexlinsen (I), deren Brennweite gleich ihrem Abstand ist, so daB ein feiner, die optische Achse schneidender und zur Figurenachse genau senkrechter Strich, der auf der ebenen Flache jeder Linse eingeritzt ist, im Fernrohr eines angeschlossenen Sextanten (s) scharf abgebildet wird, so oft die optischen Achsen sich decken. Wenn die Figurenachse ungestort lotrecht steht, so verschmelzen die rasch aufeinander folgenden Bilder dieser Striche im Auge des Beobachters zu einer Linie, die den Horizont darstellt. Wenn der Kreisel jedoch inAbb. 73. Fleuriaisscher Horizont. folge einer vorausgegangenen Storung eine Prazession urn die Lotlinie beschreibt, so mtissen die Striche wahrend eines Prazessionsumlaufes offenbar einmal auf und ab schwanken, wobei sie in der Mittellage schrag, in den Umkehrlagen aber waagerecht stehen. Der Beobachter hat die Mittellage zu bestimmen und verwendet sie dann in bekannter Weise zur Ablesung der Hohe eines Sternes am Sextanten. Die Handhabung . des Gerates erfordert ziemliche Ubung, zeitigt dann aber namentlich in einer vonPonthus und Therrode inParis ausgeftihrten Bauart gute Erfolge. Statt der Linsen ist von den Zeisswerken eine elektromagnetische Ablesevorrichtung versucht worden. Von Anschutz wurde vorgeschlagen, ohne ErhOhung der Prazessionsdauer (die die Beobachtung langwieriger machen wiirde), die Genauigkeit des Gerates in der Beobachtungsrichtung dadurch z'..! vergroBern, daB der Kreisel in eigenartiger Weise cardanisch aufgehiingt wird. Die Drehachse des inneren Ringes liegt in der Beobachtungsrichtung und nur sehr wenig tiber dem Schwerpunkt, diejenige 1 G. Fleuriais, Bull. astron. 3 (1886), S. 579; vgl. auch L . Fave, Revue marit. colon. 84 (1910), S. 5.

§ 7. Kunstliche Horizonte mit Pendelkreise1n.

157

des auBeren Ringes liegt wesentlich haher und wird tunlichst waagerecht gehalten. Dann ist die Prazessionsgeschwindigkeit proportional zum geometrischen Mittel der beiden Achsenabstande des Schwerpunkts, wie eine kurze, hier unterdriickte Rechnung zeigt. Beschleunigungen parallel zur auBeren Ringachse rufen ein Ausweichen der Figurenachse urn die auBere Ringachse hervor, jedoch mit vergleichsweise kleinem Moment und also kleinem Ausschlag. Daftir rufen dann allerdings Beschleunigungen parallel zur inneren Ringachse ein Ausweichen um die innere Ringachse mit groBem Moment und also groBem Ausschlag hervor; aber diese Auslenkungen staren die Ablesegenauigkeit nicht. Man muB dann im wesentlichen nur noch die MiBweisung "Po (14) berticksichtigen. Der Towersche Gedanke der Stabilisie11U1g von Geschtitzen auf dem schlingernden Schiff ist spater in anderer Form von Krupp wieder aufgenommen und in der Weise verwirklicht worden 1, daB ein cardanisch aufgel~'~~____~~~~~ hangtes, mit Gleichstrom auf 10000 Uml/min angetriebenes Abb. 74. Anschutzscher Fliegerhorizont. Kreiselpendel von 13 cm Durchmesser durch einen Stromkontakt lediglich noch daftir sorgt, daB der SchuB in dem Augenblick ausgelast wird,: in we1chem die Achse des Geschtitzrohres den vorgeschriebenen Erhahungswinkel tiber dem Horizont hat, wobei ein geistvoll durchdachtes Zusatzgerat, das auf die Schlingerbewegung des Schiffes anspricht, es erreicht, daB die Drehbewegung des Geschtitzrohrs infolge des Schlingerns die Zielgenauigkeit nicht beeintrachtigt. Ein besonders wichtiges Anwendungsgebiet des Kreiselpendels ist der von der Flugtechnik gewtinschte ktinstIiche Horizont ftir BlindHug und ftir die selbsttatige Steuerung des Flugzeuges. Nach verschiedenen Vorgangern 2 ist hier der Anschiitzsche Fliegerhorizont 3 als ein technisch sehr sorgfaltig durchgebildetes Gerat (1917) zu nennen, schematisch dargestellt in Abb. 74. Der linksdrehende 1 Vgl. o. Martienssen, Handb. d. physikal. und techno Mechanik, Bd. 2, S. 464, Leipzig 1930. 2 Vgl. K. Bennewitz, Flugzeuginstrumente, Berlin 1922. 3 Vgl. die gleichnamige Druckschrift von Anschutz & Co. in Kie1.

158

Kreiselgerate.

Kreisel (k) (Vektor ~e aufwarts gerichtet) ist hier als Drehstrommotor in gleicher Weise wie der Kreisel des Anschiitzschen Einkreiselkompasses (§ 6, Ziff.l, Seite 101) gebaut und auf 20000 Uml/min angetrieben. Er ruht in einem Cardangehange, dessen Innenring (r1 ) die Kreiselkappe ist, und dessen AuBenring (r 2 ) auf einem am Flugzeug festen Biigel (b) sitzt. Die Achse des AuBenrings ist parallel zur Langsachse des Flugzeuges und tragt, dem Piloten zugewandt, eine mit einem Horizontbild versehene Scheibe (s), welche die Querneigung des Flugzeuges unmittelbar abzulesen gestattet. Den scheinbaren Horizont kann man an einem kreisformigen, zur Halfte mit einer farbigen Fliissigkeit gefiillten Libellenrohr (I) erkennen. Es sind dann noch geeignete Dampfungsvorrichtungen vorhanden, namlich eine (ahnlich wie beim EinkreiselkompaB wirkende) Dampfung mit Pendel (p) und lotrechter Luftdiise Cd) (von der spater noch zu sprechen sein wird), sowie eine quasihydrostatische Dampfung (§ 6, Ziff. 4, Seite 122) fiir die Querneigungen in Form eines mit der Horizontscheibe verbundenen Tanksystems (t) mit engerVerbindungsrohre (r). Wir wollen die FeWer dieses Fliegerhorizontes abschatzen. Bei ihm ist s=0,25cm, G=5000g, D=-1,7·10'cmgsek und somit wp =-O,0073 sek-I, was eine Prazessionsdauer von 14,3 min bedeutet. Man findet gemaB (14) und (17) fiir die geographische Breite cp = 45 die MiBweisungen infolge der Erddrehung und infolge einer nordlichen Fluggeschwindigkeit v == 720 km.!!1. = 200 m/sek 0

'lfJo

= -

24',

X'=-15'.

Diese MiBweisungen sind gering. Wenn nun aber das Flugzeug etwa mit einer Beschleunigung von rund b=0,2g in 100 sek von der Ruhe aus auf seine Fluggeschwindigkeit v=200 m/sek kommt, so erreicht dabei der Fliegerhorizont nach (20) bis (22) eine zusatzliche MiBweisung und das ist entschieden zu viel, selbst wenn geeignete Dampfungseinrichtungen diese Betrage noch ein wenig herabsetzen mogen. Auch bei Kurven konnen MiBweisungen von dieser GroBenordnung auftreten, und so ist es verstandlich, daB der Anschiitzsche Fliegerhorizont, der sich bei langsamen Flugzeugen einigermaBen bewahrte, bei raschen scWieBlich doch wieder aufgegeben werden muBte. 2. Die Dampfung des Kreiselpendels. Wie der KreiselkompaB, so muB auch das Kreiselpendel schon deswegen mit Dampfung ausgestattet werden, weil sonst eine irgendwie erregte Prazession nicht von selbst abklingen konnte. Man hat hierfiir verschiedene Vorrich-

§ 7. Künstliche Horizonte mit Pendelkreiseln.

159

tungen ausgedacht und durchgebildet, deren wichtigste wir jetzt aufzählen wollen1 • Die Luftdämpfung (auch Düsendämpfung genannt) ist in Abb. 74 angedeutet und in Abb. 75 noch genauer dargestellt. Der eingekapselte Kreisel schleudert Luft durch eine Reihe je paarweie gegenüberliegender Düsen nach unten aus. Vor den Düsen liegen, an Pendeln befestigt, waagerechte Scheiben mit Schlitzen, die im ungestörten Falle den Düsenmund völlig freigeben. Die Pendel haben geringe träge Masse, und ihre etwaigen Schwingungen sind rasch gedämpft, so daß man annehmen kann, daß sie, ohne merklich nachzuhinken, alle Bewegungen der scheinbaren Lotlinie mitmachen, soweit sie dazu kinematisch imstande sind. Sobald die scheinbare Lotlinie gegen die Figurenachse geneigt ist, oder diese gegen jene, schieben sich die Pendelscheiben in solcher Weise vor die Düsenöffnungen, daß von zwei gegenüberliegenden Düsen die eine sich mehr schließt als die andere, so daß ein Reaktionsmoment um die zu den Pendelp /) achsen senkrechte Achse entAbb. 75. Pendel und Düsen der steht. In Abb. 75 sind die Luftdämpfung. Pendel (p) um die v;-Achse und die zugehörigen Düsen (d) für den Fall eines nach unten gerichteten Eigendrehimpulsvektors D" dargestellt; für einen nach oben gerichteten müßten die Schlitze der Pendel vertauscht werden. Ist wieder (vgl. Abb. 69, Seite 146) b cos ß die Beschleunigungskomponente des Aufhängepunktes in der Richtung der positiven x-Achse, so ist der Winkel zwischen Figurenachse und Scheinlot in der Projektion auf eine lotrechte Ebene durch die .X-Achse gleich VJ+ b cos ß/g und so dürfen wir das entstehende Moment für kleine Ausschläge in der Form

M 3 = k (tp + ansetzen, positiv im Sinne

1-cos ß)

(33)

-x. Die Dämpfungszahl k läßt sich zuver-

1 Vgl. R. Grammel, Z. Flugtechn. M otorluftsch. 10 (1919), S. 7; M. Schulerund K . Magnus, Luftf.-Forsch. 16 (1939), S. 318.

160

Kreiselgerate.

lassig nur durch einen Versuch bestimmen. Ganz ebenso liefert ein zweites Pendelpaar, das um die x-Achse schwingen kann, samt dem zugehOrigen Diisenpaar ein Moment um die 1f-Achse M 4 = k (X +

:

sin,8),

(34)

wobei man, wie die folgende Rechnung bestatigen wird, die Schlitze so anordnen muB, daB M4 positiv im Sinne 1f ist. Diese Momente M3 und M4 hat man in den Bewegungsgleichungen (6) (Seite 147) hinzuzufiigen. Wenn man diese dann genau wie damals umformt, vereinfacht und erganzt, indem man erstens die Drehmassen B1 und B2 gegeniiber der dynamischen Tragheit des Systems vernachiassigt, zweitens die von der Erdkriimmung herriihrenden Glieder hinzufiigt, drittens wieder S1 G1 =S2G2=SG setzt und viertens die Prazessionsgeschwindigkeit wp (10) (Seite 149) sowie nun noch die Abkiirzung einfiihrt, so kommt statt (9)

X=wp "P + vs~nex •

"P

k ,,=De

(35)

+ ~wp cos ,8-"x-"~ sin ,8-w· cos q;, g g

= - wpX + - R v cos ex

b.

b

I

(36)

- g wp sm ,8-""P-" g- cos,8,

und das bringt man auch hier mit z="P+iX auf die komplexe Form z-(iwp-,,)z=-iw·cosq;+ ; ei "+: (iwp-,,)i f3 .

(37)

Diese Differentialgleichung unterscheidet sich von (12) (Seite 150) nur dadurch, daB i wp ersetzt ist durch (i wp -,,), und hat also gemaB (13) das allgemeine Integral

I

Z=(wp-iu)w*cos'P+ Wp2+U 2

(. ){ oIt (. )

b. 'f3]} +e''''p-''t a+ e-I"'F-"t [V' Ife'"+g(zwp-,,)e' dt.

(38)

Hier bedeutet nun wieder das erste Glied rechts die Auslenkung infolge der Erddrehung namllch

w·,

_

XO - -

uw·cos'P. Wp2+U2

,

(39)

sie liegt nicht mehr genau im Meridian (wie ohne Diimpfung), sondern hat infolge der Dampfung jetzt auch eine ostliche oder westliche Komponente Xo. Ihr Betrag

V"Po + XO 2

2 _

w· cos 'P

V

Wp

2

+u 2

(40)

161

§ 7. Kiinstliche Horizonte mit Pendelkreiseln.

i!!t infolge der Dampfung kleiner als ihr friiherer Wert 1po (14); ihr Azimut gegen die Nordrichtung ist nicht mehr Null, sondern arc tg (Xol1po) = arc tg (- xl OJp). Das zweite Glied rechts in (38) ist die spiralformig einschrumpfende pseudoregulare Prazession (41) und damit erst ist bestatigt, daB die Momente Ma (33) und M4 (34) eine Dampfung bewirken. Jetzt untersuchen wir wieder zuerst die Storung des Kreise1pendels durch eine geradlinig gleichformig beschleunigte Anfahrt in der Richtung IX, indem wir in (38) v =b t und IX = f3 setzen. Man findet dann mit a=O (entsprechend der Anfangslage 1po+iXo) z=1p+iX=1po+iXo+

+ RCwp+ix)

iveia ~------;--:-

-b [R -

- R

g

](1 -e-"t e _CWp+iX)2

iwp t) eia

1

}

(42)



Das dritte Glied rechts wiirde, in Real- und Imaginiirteil zerspalten, wieder den (an sich kleinen) Fahrtfehler 1p', X' ergeben, jedoch mit noch etwas kleinerem Gesamtwert 1p'2 + X'2 als nach (17) ohne Dampfung. Das letzte Glied stellt eine gedampfte Schwingung dar, deren Entstehung jetzt aber, im Gegensatz zum ungedampften Fall, nicht mehr durch die Schulersche Bedingung (18) von Ziff. 1 (Seite 151) verhindert werden kann. Um hier den Einflufi der Dampfung wenigstens abzuschiitzen, wollen wir zur Vereinfachung erstens IX=O setzen, also eine genau nordlich gerichtete Anfahrt wahlen (was fiir diesen Fall keine wesentliche Einschrankung bedeutet) und zweitens in der eckigen Klammer das zweite Glied gegen das erste vernachlassigen, da sein Betrag schon ohne Dampfung bei ausgefiihrten Geraten hOchstens 1/25 des Betrags des ersten Gliedes ist, mit Dampfung sogar noch erheblich weniger. Dann wird aus diesem Glied von (42)

V

Z = 1f + iX

mit

1f =

-

-

'b

X=

:

(l_e->O); andernfalls sind die Pendel spiegelbildlich zu vertauschen. Der Schwerpunkt des ganzen Systems fallt mit dem Aufhangepunkt (Stiitzpunkt) genau zusammen.

Abb. 78. Pendelkreisel mit Diisensteuerung (Sperryhorizont).

Die Reaktion der Diisenstromung erzeugt Steuermomente, von denen wir nur die waagerechten Komponenten M' und Mil zu beachten brauchen. Mit den bisherigen Bezeichnungen lauten dann die Bewegungsgleichungen zunachst des ortsfesten, irgendwie ausgelenkten Pendelkreisels fiir kleine Auslenkungen BIZ = - K 2 -M", (50) B2~J =KI + M';

166

Kreiselgerate.

hierbei sind Kl und K2 die Kreise1momente (3) und (4) (Seite 147). Vom EinfiuB der Erddrehung, d. h. yom Kreiselmoment K3 (5) wollen wir dabei ebenso absehen wie von der Erdkrummung, da man wie in ZifI. 1 und 2 leicht abschatzen kann, daB auch beim Pendelkreise1 mit Dusensteuerung beide nur geringfugige MiBweisungen hervorrufen. Wenn wir dann wieder die Glieder mit Bl und B2 streichen, uns also urn die Nutationen nicht weiter kummern und die Werte von Kl und K2 einsetzen, so erhalten wir statt (50) einfach

x+m'=O,} 1j! +m"= 0 mit

(51)

m"= n:. M"

(52)

Diese Gleichungen fur den ortsfesten Pendelkreisel haben zwar eine sehr einfache Form, aber ihre Integration l ist etwas umstandlich, weil man fur die Dusenmomente M' und M" je nach der GroBe der Ausschlage X und 'IfJ ganz verschiedene Ansatze zu machen hat. Solange X und 'IfJ beide hinreichend klein sind, so daB die Pendel je nur einen Teil der (fur X=O und 'IfJ=0 noch vollig geschlossenen) Dusenoffnung freigeben, darf man

M'=kX,

M"=k'IfJ

(53)

m' = XX,

mil = x'IfJ

(54)

setzen2 , also mit (55) 1st dagegen fur X = ±c und 'IfJ = ±c die zugehOrige Duse gerade vollstandig offen, so wird von da ab unveranderlich

m'= ±

xc

fur

X

{ >c c

(57)

und ebenso unveranderlich

m"= ±

xc

fur

'IfJ 0 moglich ist), und nimmt man an, daB die Hochachse des Flugzeuges in seiner Kurve mit dem Scheinlot zusammenfallt, daB mithin VE

tgx= - g ,

"

---,,.,,-----:--" V,

Ungsoc/Jse

i

Abb. 96. Wendezeiger.

ist, so geht die Gleichung (3) fur die Gleichgewichtslage {} uber in {} = -

tg X cos (X + {}),

und das ist fur nicht zu groBe Schraglagen X sehr genahert erfullt, wenn {}=-x wird: die Figurenachse des Kreisels bleibt dann also waagerecht. Um die Bedingung (9) zu erfullen, muB die Eigendrehzahl We des Kreise1s proportional zur jeweiligen Fluggeschwindigkeit v sein, und das ist dadurch angestrebt worden, daB der Kreisel als Luftturbine (ubrigens mit glatten Laufscheiben ohne Schaufe1n) angetrieben und die Antriebsluft durch eine Venturiduse yom Flugzeug selbst angesaugt wurde. Eine groBe Genauigkeit der Horizontanzeige hat sich mit diesem geistreichen Gedanken allerdings bis jetzt nicht erreichen lassen. Wohl aber hat es Vorteile, die Figurenachse des Wendezeigers nicht in die Querachse des Flugzeuges, sondern in seine Langsachse zu legen, etwa mit dem Vektor 'Ile in der Flugrichtung (Abb. 96). Dann 1 Vgl. die Druckschrift "Flugzeug-Bordinstrumente" der Askania-Werke in Berlin-Friedenau 1927, S. 14, sowie O. MaTtienssen, Handb. d. physikal. und techno Mechanik, Bd. 2, S. 472, Leipzig 1930.

§ 8. Wendekreise1 und Lagekreisel.

187

ist das Geriit von der Querneigung des Flugzeuges unabhiingig, und fiir den Winkel 'fJ der Gleichgewichts1age hat man einfacher k'fJ = De B cos 'fJ

oder genau genug (10)

Die Ubertragung der Anzeige 'fJ des Geriites auf einen in der Querebene des Flugzeuges spielenden Zeiger ist dann kinematisch ein wenig umstiindlicher a1s in der Urform des Steuerzeigers. Dafiir kannmanmit einem sol, chen Geriit nun aber die Wendegeschwindigkeit B des Flugzeuges £ gemaB (10) genau messen oder ihre Anzeige 'fJ in einen Steuerautomaten des Flugzeuges geben. Hierzu ist gerade die Wendegeschwindigkeit besonders geeignet, da sie bei schwingenden Bewegungen dem Wendewinkel in der Phase urn eine Viertelschwingung vorauseilt. In der Regel braucht ein so1cher Automat, wenn er das Flugzeug einwandfrei steuern solI, auBerdem auch noch die Wendebeschleunigung Auch Abb. 97. Wendebeschleunigungsmesser. diese kann mit dem Geriit ermittelt werden \ wenn man seinen Rahmen nicht starr auf dem Flugzeug befestigt, sondern (Abb. 97) ihm urn die B-Achse eine kleine Drehfreiheit fiir MeBzwecke gibt. Die von der Drehung B gemaB (10) verursachte Priizession ~ ruft niimlich ein Kreiselmoment

e.

(ll) hervor, dessen Vektor bei positivem Werte nach unten zeigt, und dessen Betrag etwa durch die Kraft auf einen Kohledruckmesser (d) an einem Hebel (h) ermittelt werden kann. Aus (10) und (ll) folgt dann die Wendebeschleunigung E=

;'2 K.

(12)

Natiirlich wird man in dies em FaIle auch den Winkel 'fJ elektrisch abgreifen. 1

Vgl. E. Fischel, a. a. 0., S. 49.

188

Kreiselgerate.

Leider hat das Gerlit einen gewichtigen systematischen Fehler, weil jede Drehung des Gerlites urn die n-Achse tiber die Federn auch den Kreisel mitzieht und so ein ungewolltes Kreiselmoment K' hervorbringt, das zugleich mit K gemessen wird. Etwaige Schwingungen des Wendezeigers mtissen durch geeignete Vorrichtungen rasch abgedlimpft werden. Die Frequenzen dieser Schwingungen mtissen tiberdies so abgestimmt werden, daB sie insbesondere nicht in Resonanz mit der Frequenz der etwaigen Schwingungen der Wendebewegung s geraten. Man kann sie leicht berechnen und muB dabei nur beachten, daB auch der Rahmen (Abb. 96) nicht v611ig starr befestigt ist, und daB eine so1che Nachgiebigkeit, auch wenn sie gering sein mag, doch die Schwingungsfrequenz erheblich beeinflussen kann, wie wir von § 5, Ziff.4 (Seite 94) her wissen. 1st also Cder Drehwinkel des Rahmens urn die s-Achse und k' die Federzahl bei Drehungen des Rahmens urn diese Achse (Abb. 97), und sind B und C die Drehmassen der Kreiselkappe urn die n-Achse und des ganzen Systems urn die C-Achse (s-Achse), so hat man fUr das ortsfeste Gerat die Gleichungen

B~ =DeC-.k rJ "

Cc =-DerJ- k

C

}

(13)

Diese Gleichungen integriert man mit dem Ansatz

rJ

=

a sin at,

c=

b cos at

und erhlilt dann ftir a und b die Determinantengleichung

De a I k' - Ca 2

=

0

oder aufgel6st (14) Hierin bedeuten (!

'2

k'

=-

c

(15)

die Quadrate der Frequenzen der Kreiselkappe und des ganzen Systems bei stillstehendem Kreisel, so daB man statt (14) auch (16) schreiben kann. Bei allen verwendbaren Gerliten dieser Art ist die eine der beiden hieraus zu berechnenden Frequenzen (J sehr groB, die andere

§ 8. Wendekreise1 und Lagekreisel.

189

viel kleiner, und somit erhalt man, wie schon in § 6, Ziff. 2 (Seite 109) die groBe Frequenz G 1 angenahert zu G1

und die kleine

G2

=

V~~ + e2+ e'2

(17)

angenahert zu (18)

Man wahlt die Federzahlen k und k' bei Geraten fUl automatische Steuerungen so, daB G 1 etwa bei 3000, G2 etwa bei 50 Schwingungen in 2 n sek liegt. Natiirlich kann man mit zwei weiteren Geraten in entsprechender Lage zum Flugzeug auch dessen Drehgeschwindigkeiten und -beschleunigungen urn die Liingsachse und urn die Querachse messen oder in Steuerautomaten geben, und man hat mit im Ganzen drei so1chen Geraten erfolgreich versucht, die Trudelbewegungen von Flugzeugen kinematisch zu klaren und zu registrieren.

2. Der Kurskreisel. Eine weitere Gruppe von Kreiselgeraten mit waagerecht gelagerter Figurenachse soli dem Piloten helfen, eine bestimmte Fluglage einzuhalten, oder so11 diese Fluglage wohl auch vermitte1s eines Steuerautomaten festhalten. Man faBt diese Gerate unter dem Namen Lagekreisel zusammen und unterteilt sie je nach der Art der einzuhaltenden Fluglage. Unter einer "Fluglage" versteht man dabei entweder einen 'bestimmten Kurs (d. h. das Einhalten einer bestimmten Flugrichtung gegen den Meridian) - die Flugbahn ist dann ein Stuck einer Loxodrome auf der Erdoberflache - oder eine geradeste Flugrichtung - die Flugbahn ist dann ein Stuck eines GroBkreises - oder endlich das Einhalten einer bestimmten Flugzeuglage gegen den Horizont oder die Anzeige ihrer Abweichung davon (Quer- und Langsneigung). Die flir diese drei Fluglagen geeigneten Gerate heiBen der Reihe nach Kurskreisel, Richtkreisel und Stutzkreisel. Zu den Kurskreiseln, denen wir uns zuerst zuwenden und die also ein bestimmtes geographisches Azimut festhalten so11en, zahlt man aber nicht die Kreiselkompasse, obwohl sie ja ebenfalls einen bestimmten Kurs steuern zu helfen oder se1bst zu steuern in der Lage sind (§ 6, Ziff.7, Seite 140), sondern so1che Gerate, die mit Stutzmotoren arbeiten, welche durch andere Ursachen als die Kreiselmomente der Erddrehung (wie bei den KompaBkreiseln) gesteuert werden.

190

Kreise1geriite.

Den grundsatzlichen Aufbau alier Kurskreisel zeigt Abb. 98. Die Kreiselkappe (k) mit moglichst waagerechter Figurenachse kann sich urn waagerechte Zapfen (Zl) im Cardanring (c) drehen und dieser urn lotrechte Zapfen (Z2) im flugzeugfesten Gestell (g). Mit dem oberen Zapfen (Z2) ist die Rose (r) verbunden, deren Anzeige an einer Marke (m) abgelesen oder auch elektrisch abgegriffen werden kann. Der Kreisel selbst ist astatisch; seine Figurenachse sucht also, abgesehen von storenden Reibungsmomenten in den Lagern der Zapfen (Zl und Z2)' ihre Richtung im Inertialraum (§ 5, Ziff. 1, Seite 83) beizubehalten, wiirde also im Laufe der Zeit ihre Stellung gegeniiber der Erdoberflache und somit auch gegeniiber dem ruhenden oder bewegten Flugzeug veriindern, wenn sie nicht mit derjenigen Drehgeschwindigkeit nachgedreht wiirde, die von der Erddrehung ill * und von der Fluggeschwindigkeit v gegeniiber dem Inertialraum herriihrt. Dieses Nachdrehen wird nun in zwei Teilschritte zerlegt und von Abb.98. Schema des Kurskreisels. zwei Stiitzmotoren (m l und 11i2) besorgt, von denen der erste auf dem Gestell (g) sitzt und auf den lotrechten Zapfen (Z2) wirkt, wiihrend der zweite auf dem Cardanring (c) befestigt ist und den waagerechten Zapfen (Zl) dreht. Der erste Stiitzmotor (ml) wird erregt, sobald die Figurenachse des Kreisels aus der waagerechten Lage heraustritt; er wird also von einem der sogleich aufzuziihIenden Lotfiihler gesteuert und erzeugt nach dem Grundgesetz des schnellen Kreisels dCJJe/dt=SJR so lange eine Priizession, bis die Figurenachse wieder waagerecht steht. 1st beispielsweise der Eigendrehvektor CJJ e in Abb. 98 gehoben, so mufi der Momentvektor SJR l des ersten Stiitzmotors (m l ) abwiirts weisen und zieht dann den Vektor CJJ e in die Waagerechte zuriick.

§ 8. Wendekreise1 und Lagekreisel.

191

Als Lotfiihler werden in den ausgefiihrten Geraten hauptsachlich die folgenden verwendet: a) gewohnliche Pendel, etwa befestigt am Cardanring (c) und elektrisch abgegriffen, mit einer Drehachse parallel zum inneren Zapfen (Zl); b) Elektrolyt-Dosenlibellen, ahnlich wie in § 7, Ziff.4 (Abb. 84, Seite 176) geschildert, jedoch nur in einer Drehrichtung wirkend, namlich urn den inneren Zapfen (Zl)' und an der Unterseite der Kreiselkappe (k) befestigt; c) Kapazitiv-Lotfiihler in einer Bauart von Gievers, wie dies Abb. 99 schematisch darstellt l , ebenfalls am Cardanring (c) befestigt. Bei ihm schwimmt eine zylindrische trage Masse (m) in schrager Lage auf einem stets erneuerten Luftpolster zwischen zwei festen Kondensatorplatten (p). Wenn die Neigung gegen das Lot verandert wird, so bewegt sich die Masse em) aufoder abwarts, ihre Abstande von den Kondensatorplatten andern sich, und damit auch die Kapazitat der Zweige einer mit Verstarkern arbeitenden Briickenschaltung (b), Abb. 99. Lotfiihler von Gievers. we1che die Starke eines Wechselstroms steuert. Dieser beschickt einerseits Spulen (s), deren Magnetfeld durch Wirbelstrom die regulierende Kraft P an der Masse (m) erzeugt und andererseits zugleich den Stiitzmotor eml) zu seinem Moment illC l erregt. Anstatt des Stiitzmotors (ml) ist auch unmittelbare Stiitzung durch das Reaktionsmoment von L u ft s t r ahl en vorgeschlagen worden, we1che aus der Kreiselkappe etwa in der Nahe des inneren Zapfens (Zl von Abb. 98) in Richtung ± 'Il e austreten und in der Nullage durch Platten abgedeckt werden, we1che auf dem Cardanring (c) sitzen. Rebt oder senkt sich der Vektor 'Il e' so werden die L uftstrahlen ungleich abgedeckt, und es entsteht ein Moment illC l urn den auBeren Zapfen (Z2) im einen oder anderen Drehsinne. Natiirlich kann man den Stiitzmotor (m l ) auch unmittelbar dadurch steuern, daB man mit einem sogenannten Rahmenfiihler die Abweichung der Figurenachse aus ihrer rechtwinkligen Nullage gegen den Cardanring (c) elektrisch abgreift. Dabei schleift ein leichter, am 1

Vgl. den Fiat-Bericht von K. Beyerle, S. 229.

192

Kreiselgerate.

inneren Zapfen (Zl) sitzender Kontakt auf einem am Cardanring (c) befestigten Potentiometerabgriff fast reibungslos. Diese Vorrichtung ist aber nur dann zuverlassig, wenn der Cardanring (c) wenigstens im Mittellotrecht steht. Selbstverstandlich sprechen auch die unter a bis c aufgefiihrten LotfUhler immer nur auf das Scheinlot an, das im Mittel urn das wahre Lot schwankt. Dies verursacht jedoch am Kreisel im allgemeinen keine merklichen Fehler, da das Moment illC: 1 des Stiitzmotors so klein gehalten wird, daB die von ihm eingeleitete Prazession (der Figurenachse in die Waagerechte zuriick) immer nur ganz langsam erfolgt: der Kreisel mittelt auch hier wieder infolge seiner groBen dynamischen Tragheit iiber die Schwankungen des Scheinlotes um das wahre Lot. Um illC: 1 klein halten zu konnen, muB man vor allem die Reibungsmomente im inneren Zapfen (Zl) moglichst herabsetzen. Dies gelingt durch sorgfiiltigste Gestaltung der Kugellager. Man hat so die Reibungsmomente bei gebrauchsfahigen Geraten auf weniger als 0,15 cmg verringern konnen. Bei lange andauernden Beschleunigungen, z. B.lange gefiogenen Kurven, miiBte man allerdings den Kurskreisel doch ausschalten; fiir solcheFliige ist er aber sowieso nicht geeignet und bestimmt. Nunmehr kommt der zweite Schritt des Nachdrehens der Figurenachse. Da der erste Stiitzmotor (m 1) sie dauernd waagerecht halt, so handelt es sich jetzt nur noch um die Drehung der Horizontebene urn die Lotlinie. Diese Drehung hat zwei Anteile. Der erste riihrt von der Erddrehung w* her und ist einfach ihre Lotkomponente w* sin rp (Abb. 31, Seite 84). Der zweite Anteil kommt von der Fluggeschwindigkeit v. 1st wieder rx das Azimut des Fluges, positiv von Norden nach Westen geziihlt, so hat die nordliche (siidliche) Flugkomponente v cos rx zwar, wie wir yom KreiselkompaB her wissen (§ 6, Ziff. 3, Seite 114) einen westlich (ostlich) gerichteten Drehvektor yom Betrag v cos rx/R zur Folge, wo R der Erdhalbmesser ist - er verursachte beim KreiselkompaB den sogenannten Fahrtfehler -, aber keine Lotkomponente der Drehung der Horizontebene. Dagegen bedeutet die westliche (ostliche) Flugkomponente v sin rx eine scheinbare Erniedrigung (ErhOhung) der Erddrehung w* um den Betrag v sin rx/R cos rp (vgl. Abb. 51, Seite lI5) und also eine zusatzliche negative (positive) Lotkomponente (v sin rx/R cos rp) sin rp, so daB man im Ganzen eine Lotkomponente der Drehung der Horizontebene yom Betrag wv=w* sinrp-; sinrxtgrp

(19)

hat, positiv aufwiirts gerechnet, wie wir ebenfalls schon fruher (§ 6, ZifI 3) festgestellt haben.

§ 8. Wendekreisel und Lagekreisel.

193

Mit dieser Drehgeschwindigkeit OJ v muB die Figurenachse in ihrer waagerechten Ebene dauernd nachgedreht werden, wenn sie den Kurs richtig angeben solI. Dies geschieht mit Hilfe eines Momentes iJ.n 2 das am inneren Zapfen (Zl von Abb. 98, Seite 190) anzubringen ist. Die primitivste Art, ein solches Moment iJ.n2 zu erzeugen, besteht darin, daB man auf der Figurenachse ein kleines verschiebliches Gewicht anbringt, welches in jeder festen Stellung ein Schweremoment iJ.n 2 von festem Betrag liefert und somit die Figurenachse zu einer unveranderlichen Prazession OJ~, zwingt, die man auf den Mittelwert von OJJ (19) innerhalb eines bestimmten Bereiches von Werten v, CI. und rp einreguliert. So roh dieses Verfahren anmutet, so hat man doch erreichen k6nnen, daB der 'Kursfehler des Gerates dabei nicht mehr als 1 je Stunde ausmacht. Bei einem nach Angaben von K. Beyerle bei Anschtitz & Co. gebauten Gerat l wird das Stiitzmoment iJ.n 2 an einem Schaltbrett von Hand elektrisch reguliert. Immerhin hat man auch noch genauer arbeitende Mechanismen angewandt, insbesondere indem man das Gerat durch einen MagnetkompaB tiberwachen laBt. In diesem Falle hat der Kurskreisellediglich die Aufgabe, kraft seiner dynamischen Tragheit die im Flugzeug stark schwankende Anzeige des Magnetkompasses zu mitteln. Das Schema einer solchen Bauart zeigt Abb. 100, worin der Kurskreisel von Abb. 98 sowie ein MagnetkompaB je auf einer (drehbaren) Basis (bl und b2) aufgesetzt sind. Mit der lotrechten Achse (Z2) des Cardanrings (c) und mit der Achse der Magnetnadel sind leichte Kontaktarme (a l und a2) verbunden, die tiber Potentiometerabgriffe (PI und P2) auf den beiden Basen (b l und b2 ) schleifen. Jede azimutale Abwanderung des Kurskreisels gegen das magnetische Nord st6rt das Gleichgewicht einer Brtickenschaltung und erregt so den Sttitzmotor (m2) des waagerechten Zapfens (Zl) der Kreiselkappe (k) zu einem Moment iJ.n 2, und dieses veranlaBt den Kreisel so lange zu einer Prazession urn die lotrechte Achse (Z2), bis die azimutale Abwanderung der Figurenachse gegen die Magnetnadel wieder rtickgangig gemacht ist. Die Unruhe der Magnetnadel st6rt dabei nicht, da der Kurskreisel den Uberwachungsjmpulsen nur langsam folgt, d. h. wieder Mittelwerte bildet. Wenn der Flugkurs geandert werden solI, mtissen Kurskreiselbasis (bI ) und MagnetkompaBbasis (b 2) gemeinsam gegen die Grundplatte gedreht und auf den neuen Kurs eingestellt werden; dies geschieht mittels eines Kursgeber-Handrades (h) und gemeinsamen Antriebs tiber eine mechanische Welle. 0

1

Vgl. den Fiat-Bericht von K. Beyerle, S. 220.

Gramme!; Der Kreisel II, 2. AufL

13

194

Kreise1geriite.

Diese Verbindung von Kurskreisel und MagnetkompaB ist in mehreren Bauarten ausgefiihrt worden. Man kann beide diumlich von einander vollig trennen (urn den MagnetkompaB an einer magnetisch moglichst wenig gestorten Stelle des Flugzeuges unterzubringen) und muB dann bei Kursumstellung eine elektrische Femubertragung verwenden. Man kann aber den MagnetkompaB auch auf die Kreiselkappe setzen und so mit ihr waagerecht halten oder ihn an

Abb. 100. Kurskreisel mit MagnetkompaB-Uberwachung.

anderer Stelle von einem mit dem Kurskreisel gekoppelten We~de­ motor waagerecht halten lassen. Die Magnetnadel verursacht allerdings infolge ihrer magnetischen Deklination systematische Fehler, die nicht leicht zu beseitigen sind. AuBerdem ist der Kurskreisel in Polnlihe uberhaupt nicht mehr brauchbar, da in hohen geographischen Breiten der Faktor tg

0

(30)

ist. Allerdings erfolgt, wie man aus (29) zunachst mit De = 0 schlieBt, die Riickdrehung (nach dem Abklingen etwaiger Schwingungen) im allgemeinen nicht nach der urspriinglichen Richtung der Langsachse des Bootes, sondern nach der Richtung "p = "Po, die durch zufallige StoBe bedingt sein mag. Mithin ist (30) eigentlich keine wirkliche (iibrigens nur notwendige, aber nicht hinreichende) Stabilitatsbedingung. Wir wollen trotzdem das Boot ohne laufenden Kreisel vorlaufig als stabil bezeichnen, wenn (30) gilt, dagegen als labil, wenn

NRo-K Jist, was recht wohl vorkommen kann, so muB bei langer dauerndem Wenden ~ der Rahmen sich unfehlbar bis in die Waagerechte begeben (womit der Schiffskreisel unwirksam wird) oder gar sich tiberschlagen. Periodische Bewegungen ~ (Gieren) andererseits konnen offenbar von sich aus tiber den Kreisel schadliche Rollschwingungen erzeugen. Man hat Schiffsmodelle auf diese Weise sogar zum Kentnern bringen konnen. Dieser Gefahr mtiBte man dadurch begegnen, daB man zwei gegenlaufige Kreisel einbaut, deren Rahmen durch ein Paar von Zahnsektoren so miteinander gekoppelt sind, daB sie jeweils nur entgegengesetzt gleiche Ausschlage X machen konnen. Man tiberlegt leicht, daB dann jene Einfltisse der Drehungen ~ sich nach auBen hin genau auf1

M. Schuler, Z. VDI. 68 (1924), S. 1224.

262

Unmittelbare Stabilisatoren.

heben, ohne daB die Wirksamkeit der Kreisel beim Bekampfen der Rollbewegungen cP beeintrachtigt wurde. Was am Schlickschen Schiffskreisel noch nicht befriedigt, ist indessen vor allem der U mstand, daB die Bremse ihrem Wesen. nach immer nur starr schematisch arbeitet, sozusagen ohne Ubedegung und ohne sich an den fortwahrend wechselnden Zwang des Seeganges auf das Schiff anzuschmiegen. Es erhebt sich also die Frage, ob es nicht zweckmaBig ware, die Bremsung zu ersetzen durch eine den Kreiselrahmen steuernde Hilfsmaschine. Dieser Frage wenden wir uns jetzt zum Schlusse zu. 3. Der gesteuerte Schiffskreisel. Man hat zunachst vorgeschlagen, die Bremse von Hand zu bedienen, der Bedienende muBte dabei allerdings ein sehr feines Einfuhlungsvermogen fur die Wirkung des Seeganges auf das Schiff besitzen. Tatsachlich ist dieser Vorschlag wohl nie wirklich ausgefuhrt worden. Ein anderer Vorschlag geht dahin, daB man an der Schiffswand tastende Membranen anbringen solle, die durch einen Summationsmechanismus das jeweilige Rollmoment pet) des Seeganges auf das Schiff ermitteln. Man kann dann dessen Wirkung dadurch aufheben, daB man den Kreiselrahmen mit einem geeigneten Moment Q(t) steuert. Aus den Gleichungen (1) von Ziff. I (Seite 250) wird namlich jetzt, da nun das Bremsmoment M X wegfallt und fur ein Ubergewicht kein Grund mehr vorliegt, also neben L =0 auch J =0 genommen werden kann, Arp+Hrp+DeX =P(t), \ (44) BX -DecP=Q(t)·f Damit diese gekoppelten Gleichungen die Losung rp= 0 zulassen, das Schiff also trotz dem Zwang pet) keine erzwungene Schwingung ausfuhrt, muB offenbar gleichzeitig

BX =

DeX =P(t), sein. Dies ist der Fall~ wenn Q(t)

Q(t)

~ dP De

dt

(45) (46)

gewahlt wird, d. h. in der Tat, wenn der Kreiselrahmen nach MaBgabe der zeitlichen Anderung des Momentes Pet) des Seeganges geeignet gesteuert wird. Der dabei auftretende Ausschlag des Kreiselrahmens folgt aus der ersten Gleichung (45) zu

X = ~e

f P(t)dt + konst.

(47)

§ 12. Dampfkreisel.

263

Sowohl die Amplitude des Steuermomentes Q (46) wie diejenige X (47) des Kreiselrahmens konnen durch Wahl eines hinreichend

groBen Eigendrehimpulses De niedrig gehalten werden. Ein derartig gesteuerter Kreisel wurde die yom Seegang angeregten Rollschwingungen des Schiffes in vollkommener Weise verhindern; aber leider scheinen die konstruktiven Schwierigkeiten, die sich dem wirklichen Bau einer solchen Steuerung entgegenstellen, auBerordentlich groB und vorlaufig kaum uberwindbar. Daher hat Sperry eine andere Steuerung des Schiffskreisels ersonnen und auch ausgefuhrt. Der Kreisel mit ebenfalls im Ruhezustand lotrechter Figurenachse ist dabei astatisch gelagert, und statt einer Bremse an der waagerechten, auch hier querschiffs liegenden Achse seines Rahmens greift dort das Drehmoment M eines Hilfsmotors an, welcher selbst durch einen kleinen Hilfskreisel gesteuert wird. Die Figurenachse des Hilfskreisels liegt querschiffs in einem Rahmen, der einen kleinen Ausschlag um eine lotrechte Achse machen kann und dabei elektrische Kontakte betatigt, welche den Strom des Hilfsmotors so regeln, daB dieser Strom etwa proportional zu jedem Kreiselmoment ist, das infolge einer Rollbewegung ~ des Schiffes im Hilfskreisel geweckt wird. Der Hilfsmotor ubt daher auf den Hauptkreisel ein Drehmoment nach dem Gesetz (48) aus, da ja jenes Kreiselmoment selbst schon zu ~ proportional ist. Man erkennt schon ohne Rechnung, wie diese ganze Vorrichtung wirkt. Beginnt das Schiff eine Rollbewegung ~ etwa nach rechts (Steuerbord), so bewegt der Hilfsmotor den Hauptkreisel in der Anordnung von Abb. 128 (Seite 249) mit einem Moment M im Sinne positiver Drehungen X. Dadurch wird im Hauptkreisel ein Kreiselmoment hervorgerufen, das seine Figurenachse im Sinne negativer ~ zu bewegen sucht und also der Rollbewegung des Schiffes gerade entgegenarbeitet. Die Theorie bestatigt dieses Ergebnis. Man hat nun die Gleichungen (1) (Seite 250) mit (48) in der Form

A~+H~+De~ =P(t), } BX-DeCf!-NCf!=O

(49)

anzusetzen, indem man zuvor L, M und J dort wegstreicht, also der Einfachheit halber von der natiirlichen Rolldampfung des Schiffes absieht und die Bremse (M X) sowie das nun uberflussige Ubergewicht

264

U nmittelbare Stabilisat.oren.

(J X) am Kreiselrahmen fortlaBt. Bentitzt man wieder die Abktirzungen (2) und (3) (Seite 251) sowie die weitere Abktirzung (50)

so hat man statt (49) ••

(

X=

"'2

+-

V2). __ x2-f-v 2 •

rp

xl

=

-Xl

rp.

(51) (52)

Schreibt man vor, daB zu Beginn (/=0) rp=O und X=O sein soll, so folgt aus (52) • X2+ v 2 X = - x- rp, (53) 1

und damit gibt (51)

(54)

mit

(55)

Das den Anfangsbedingungen rp=O, rP=O fUr 1=0 angepaBte Integral von (54) lautet, wie man durch Einsetzen in (54) bestatigt, r, tl rp* = sin a*(t-r)p(r) dr. (56)

-!.- rI r..

I)(

:0 •

Ohne Kreisel hiitte man mit ",2=0, v2 =0

rp

~

=

Jsin a(t-r)p(r)dr. t

(57)

o

Wir wollen diese Losungen wieder ftir den einfachsten Ansatz

p (t) - Pl sin y t miteinander vergleichen. Die Integrale geben ftir a2 ,*,y2 '*' a*2 ausgerechnet rp *= rp

=

I)(

*2PI

I)(

-y 2

(. y. sm Y t - --..sm I)(

*) at,

/1-y2 (sin yt - Y sin at). I)(

(58) (59)

Die ersten Glieder rechts stellen die erzwungenen Schwingungen rp: und rpl mit und ohne Kreisel dar, die zweiten die Einschwingungsglieder rp ~ und rp2' und man hat rpt 1)(2_y2 1)(2 .. _},2

--q;; =

1)(*2_ y 2

=

1)(2+ X 2+ V 2_ y 2'

(60)

Man erkennt, daB in der Tat durch hinreichend groBe Kreisel- und Hilfsmotorziffern '" und v beide Quotienten beliebig verkleinert werden konnen, daB sich also die Rollschwingungen des Schiffes durch den Sperryschen Schiffskreisel beliebig stark unterdrticken lassen.

265

§ 12. Diimpfkreisel.

Fur den Rahmenausschlag X des Hauptkreisels erhalt man nach (53) mit dem Wert rp'* (58) und wegen (55) X = -Xl-(()(2+X2+V2 -(X2 - +v- ) PI -.. --- [Y (cos _y2) ()(2+:>