Die Anfänge der deutschen Auswanderung nach Amerika - Vortrag gehalten am Berliner Unions-Verein am 1. April 1870

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Die Anfänge der deutschen Auswanderung nach Amerika - Vortrag gehalten am Berliner Unions-Verein am 1. April 1870

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Die Anfänge der deutſchen Auswanderung

nach Amerika .

Portrag gehalten im Berliner Unions- Verein am 1. April 1870

won Dr. P. D. Fiſcher, Oberpoſtrath .

Berlin, 1870 . Verlag von F. Henſchel. Dranienſtr. 107.

1

beálne

H (Das Recht der Ueberſeßung wird vorbehalten.) IS T I R B

Wen n ich , nach dem Brauche unſeres Vereins und auf enn Geheiß ſeines Vorſtandes, eß unternehme, den bedeuten den geiſtlichen Vorträgen dieſes Winters einen nicht theo logiſchen anzureihen , ſo bin ich mir wohl bewußt ,

daß ,

abgeſehen von allen anderen Unterſchieden, der Gegenſtand meiner Rede nicht das allgemeine, ich möchte ſagen , per ſönliche Intereſſe darbieten kann , wie es den Beſprechun gen der tiefeingreifenden religiöſen Fragen unſerer Gegen wart hier in ſo erfreulichem Maße entgegengebracht wird . Auch verhehle ich mir nicht, daß das Thema , zu deſſen Betrachtung ich Sie einlade , den Anſchein hat , etwas mehr als

billig in Raum und Zeit von uns abzuliegen.

Iſt es indeſſen eine löbliche Eigenſchaft des Unionsvereins , daß er ſich neben ſeinen kirchlichen und religiöſen Aufgaben ſtets im lebendigen Zuſammenhange weiß mit dem ge fammten geiſtigen Leben und den Culturbeſtrebungen unſeres Volks : ſo habe ich auch nicht zu fürchten , daß es Ihnen an Theilnahme fehlen ſollte für die Anfänge einer Erſcheinung, welche ſeit langer Zeit nach den verſchieden ſten Richtungen hin einen erheblichen Einfluß auf unſer

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Volksleben ausübt, und deren Bedeutung für die Zukunft, wenn nicht alle Anzeichen trügen , eine noch ungleich be deutendere ſein wird . Als

eine

ſolche

Erſcheinung

aber

ſtellt

ſich

die

deutſche Auswanderung nach Amerika jedem irgendwie aufmerkſamen Auge dar. Denn daß die Deutſchen in Nordamerika berufen find, in der Entwicklung des jugend lich -verheißungsvollen, ſchon jetzt ſo mächtigen Staates, welchem ſie ſich angeſchloſſen, eine überaus wichtige Rolle auszufüllen , darüber herrſcht zu beiden Seiten des atlan tiſchen Oceans gerade

kaum noch ein Zweifel .

von den Anglo-Amerikanern ,

rüdhaltloſer

anerkannt,

wie

Drüben

wird,

von Tag zu Tage

unentbehrlich

das

deutſche

Element für die wirthſchaftliche, die ſociale und die geiſtige Ausbildung ihres Volkes iſt, welches in dem größten be wohnbaren Flächenraume unſeres Erdballs, dem unermeß lichen Gebiet zwiſchen den Küſten des atlantiſchen und des ſtillen Oceans , mit unglaublicher Schnelligkeit fortfährt, ſich aus Beſtandtheilen aller Raſſen und Stämme der Menſchheit zu einer neuen , ihrem Grundweſen nach maniſchen Nationalität zuſammen zu ſchließen.

ger

Und hüben

wie folten wir Deutſche der alten Welt nicht täglich empfinden, welcher Strom von Beziehungen zwiſchen uns und unſeren Landleuten in der Union hin und her wogt ? Schon jetzt zählen die deutſchen Bewohner der Vereinig ten Staaten nach Millionen ; nächſt Deutſchland iſt es dies Land ,

welches

die zahlreichſte deutſche Bevölkerung

beherbergt.

Jahr aus Jahr ein beläuft fich die Zahl der

Deutſchen , welche in Nord-Amerika eine neue Heimat ſuchen , auf 150-200,000. New- York , die rieſige Me tropole des politiſchen und des Verkehrslebens der Union,

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iſt mit den mehr als 300,000 Deutſchen unter den fünf viertel bis anderthalb Millionen ſeiner Einwohner nach Berlin und Wien die drittgrößeſte deutſche Stadt der Welt.

Und dieſe kalten Ziffern, welche Fülle von perſön

lichen Beziehungen, welche Welt von Familienverhältniſſen zwiſchen uns und unſeren Landsleuten jenſeits des Waſſers liegt in ihnen verſchloſſen ! Giebt es ein Haus in Deutſch land , dem nicht liebe Freunde, nahe Verwandte und An gehörige drüben unter den Deutſchen der Union leben ? Und wie die Bande des Bluts , ſo ſind auch die Bezie hungen des

Handels und Verkehrs ,

des politiſchen und

des literariſchen Lebens zwiſchen den Deutſchen der alten und der neuen Welt in erſtaunlichem Wachsthum begriffen, in einem Aufſchwung, der eine ganz beſondere Energie erkennen läßt ſeit den gewaltigen Kriſen, welche die große Republik des Weſtens und der große Staat von Mittel europa

während

des

verwidenen

Jahrzehnts Beide

ſo

ruhmvoll und glückverheißend beſtanden haben . Bedarf eß nur dieſer wenigen Worte, um die deutſche Auswanderung nach Amerika als eine hochbedeutende Er ſcheinung unſeres Volkslebens zu dharakteriſiren , fo find es ihre Anfänge auch ſchon an und für ſich in mehrfacher Hinſicht werth , daß wir ihnen unſere Aufmerkſamkeit zu wenden . Wie den Erzählungen allen von den fühnen Entdeckern und erſten Anſiedlern der neuen Welt, von den Berichten der ſpaniſchen Conquiſtadoren und denen der engliſchen

Pilgrim Fathers

bis

auf

die Gegenwart ,

ſo

wohnt auch in den Anfängen unſerer deutſchen Auswande rung

ein

ganz

eigenthümlicher Reiz ;

etwas

von jenem

Zauber , mit dem die Geſchichte Robinſons des Jüngern, der unſere Urgroßeltern andächtig zuhörten , noch heut die

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Gemüther unſerer Kinder entzückt.

Dann aber

und

vorzugsweiſe darum habe ich geglaubt, hier davon erzäh len zu dürfen – es führt der Beginn der deutſchen Aus wanderung zum nicht geringen Theile zurück auf eine Ver folgung um des Glaubens willen . welche

zu Anfang

des

Unter den Gründen ,

vorigen Jahrhunderts Tauſende

von armen Bauern aus der Pfalz veranlaßten , den Weg über den damals noch ſo breiten Ocean zu wagen , war es keiner der geringſten , daß man ihnen den proteſtanti ſchen Glauben ihrer Väter rauben wollte. Wie jene fran zöfiſchen Refugié's zwei Jahrzehnte vorher, und wie zwei Jahrzehnte ſpäter die ſalzburgiſchen Proteſtanten , ſo ver dienen es auch die Ahnherren unſerer deutſchen Auswande rung nach Amerika , daß wir ihr Gedächtniß ehren und uns des Muthes und der Treue freuen , mit welcher ſie für die Freiheit ihres Gewiffens Haus und Hof dahin ge geben haben . Endlich habe ich eine äußere Veran laſſung dankbar zu erwähnen.

Von Friedrich Kapp ,

dem unermüdlichen Hiſtoriographen der deutſchen Bezie hungen zu Amerika, iſt vor Kurzem der erſte Band einer Geſchichte der deutſchen Einwanderung in Amerika ( Leipzig 1868 bei Quandt und Händel) erſchienen. Dies Buch, welches auf die trefflichen Quellenſammlungen Amerikani ſcher Hiſtoriker und eigene ſorgfältige Forſchungen des Verfaſſers geſtüßt, die Einwanderungen in den Staat New- York , und zwar bis zum Anfang unſeres

Jahrhun

derts, ausführlich und anziehend erzählt, liegt demjenigen, was ich mitzutheilen habe, vorwiegend zum Grunde. Um ſomehr werde ich mich freuen , wenn mein Vortrag dazu helfen ſollte, dem Buche ſelbſt die Beachtung zuzuwenden, welche es in jeder Hinſicht verdient.

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Wahrſcheinlich iſt es Manchem überraſchend, daß die deutſche Auswanderung

nach Amerika ſchon ſo alten Ur

ſprungs iſt, ſchon faſt zwei Jahrhunderte zählt. Doch es fehlt ihr ſogar nicht an noch weit älteren Spuren. Weit aus die früheſte, faſt um ein Jahrtauſend zurüdliegend, iſt jener däniſche Bericht von dem Seefahrer Leif dem Glüdlichen , welcher von Island her mit wenigen Ge noſſen im Jahre 1001 an der Küſte von Neuengland lan dete. Unter dieſen erſten Enropäern , welche Amerika ſahen ,

war auch ein Deutſcher, Tyrker genannt ; und

von dieſem Deutſchen Walde

hervortretend ,

wird erzählt, die

daß

Frucht eines

er

jener

aus

dem

mächtigen

wilden Weinſtöcke in der Hand , wie ſie noch jeßt in den Ahornwäldern Canada’s das Erſtaunen der Reiſenden er regen , ſeinen Gefährten freudig zurief: Trauben , Wein trauben , wie ich ſie in meinem Vaterlande jah ! So ſtammt der älteſte,

bald

vergeſſene

Name

des Landes ,

Weinland , von einem Deutſchen her. Jahrhunderte waren vergangen .

In der Morgenfrühe

eines neuen Zeitalters hatte der große Genueſer den neuen Welttheil gefunden. Das Kreuz und das Schwert in den Händen waren Romanen im Süden , Germanen im Norden an

ſeinen

Küſten

gelandet.

In

Nordamerika

waren es , neben der von dem Briten Walter Raleigh ge gründeten Kolonie , deren Name noch heut das Anden ken der jungfräulichen Beherrſcherin Albions ehrt , vor nehmlich holländiſche Anſiedler, die von der Mündung des Hudſon aus in die Wälder des

Innern vordrangen .

As ihr tüchtigſter Führer wird uns ein Deutſcher genannt, Peter Minnewit aus Weſel. Durch prophetiſchen Scharfblick und thatkräftiges Handeln hervorragend , nimmt

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er in der Vorgeſchichte der Nordamerikaniſchen Staaten ſchon deshalb eine Stelle ein, weil er es war, der ( 1626) die Inſel Manhattan , auf welcher fich heut die ſtolze Hauptſtadt des Weſtens erhebt, von den Indianern für den Preis von 60 holländiſchen Gulden – erkaufte . Minnewit war es auch, der ein Jahrzehnt ſpäter den Ge danken Guſtav Adolfs von Schweden , an der Küſte Nordamerika’s eine Colonie zu gründen „zum Segen für den gemeinen Mann und die ganze proteſtantiſche Welt “, durch die Beſiedlung des jebigen Delaware, von ihm Neu Schweden genannt, verwirklichte. Aber die ſchwediſche Niederlaſſung erlag nach kurzer Blüthe der Handelseiferſucht ihrer holländiſchen Nachbarn , und bald darauf jahen wiederum dieſe ihre Beſißungen unter

die Herrſchaft

der

engliſchen Coloniſten gerathen,

der tüchtigſten von allen . Damals vertauſchte die Haupt anſiedlung am Hudſon ihren Namen Neu -Amſterdam mit dem von New -York, der ihr geblieben iſt. Schon began nen ſich von Maine im Norden bis nach Carolina im Süden die Keime der politiſchen Gemeinweſen zuſammen zu ſchließen ,

welche ſpäter

den großen Unabhängigkeits

kampf gegen das Mutterland führen ſollten, und die uoch heute

den eigentlichen Kern und Angelpunkt der Union

bilden. Merkwürdiger Weiſe war es ein Deutſcher, der noch während des fiebzehnten Jahrhunderts zum erſten Male als Leiter einer rein vom Volke ausgehenden Bewegung mit den geordneten Autoritäten der engliſchen Krone in offnen Widerſpruch zu treten wagte .

Denn auf die Nach

richt von der Vertreibung König Jacobs II. aus England erzwang Jacob Leisler aus Frankfurt am Main , ein hochangeſehener Bürger von New - York, die Abſegung des

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jakobitiſchen Gouverneurs und verkündete, von den Bür gern der Stadt aus eigener Macht zum Generalgouver neur erwählt, den Anſchluß der wichtigſten Colonie an die Sache Wilhelms von Oranien und des Proteſtantismus. Der Name des wackern Mannes , der wenige Jahre darauf der Nache des ſchwerbeleidigten Grundadels erlegen und auf eine ſpäter als falſch erkannte Anklage hin den Tod eines

Hochverräthers

geſtorben

iſt,

verdient unter

den

Märtyrern der amerikaniſchen Freiheit ein ehrenvolles Ge dächtniß . Minnewit und Leisler ,

durch welche die jungen ger

maniſchen Anſiedelungen der neuen Welt ſich bedeutungs reid, mit den beiden großen Vorfämpfen des Proteſtantis mus in der alten verknüpfen, ſind epiſodiſche Erſcheinungen von hohem Intereſſe,

aber ſie ſind nur Vorläufer

eigentlichen deutſchen Auswanderung.

der

Die wirklichen An

fänge derſelben führen zurück, nicht auf die Unternehmungs luſt und den fühnen

wagenden Sinn

einzelner

hervor

ragender Männer, ſondern auf die gemeinſame unerträgliche Noth vieler Tauſende von armen deutſchen Bauern und Arbeitern . Jemehr fich

die

deutſche Geſchichtswiſſenſchaft mit

dem Zeitalter des großen Krieges beſchäftigt, der unſer Vaterland faſt vernichtet hat , deſto klarer kommt es zu unſerer Erkenntniß , daß das Jahrhundert nach dieſem Die Kriege Deutſchlands ſchlimmſte Zeit geweſen iſt. deutſche Volkskraft, die im Zeitalter der Reformation einen ſo herrlichen Aufſchwnng genommen hatte , ſchien durch unſägliches dreißigjähriges Elend unheilbar und für immer gebrochen zu ſein . Im häuslichen wie im öffentlichen Leben , im Staate wie in der Literatur: überall tritt uns

10 faſt rettungsloſe Verwüſtung entgegen.

Vor allem in den politiſchen Verhältniſſen. Der weſtfäliſche Friede hatte das immer ichon lodere Band des heiligen römiſchen

Reichs beinahe gänzlich gelöſt: das Jahrhundert, das auf ihn folgt, iſt die klaſſiſche Zeit der deutſchen Kleinſtaaterei, das will jagen , jener theils lächerlichen , theils fürchter lichen

Verkümmerung

und Verwilderung

des Deutſchen Staatslebens , welche neulich von dem berufenſten Zeugen ſo treffend als „, der ganz unhiſtoriſche, gott- und rechtsloſe Souveränitätsſchwindel deutſcher Fürſten" gekennzeichnet worden

iſt. Es bedarf wohl nicht des Verſuchs, den grenzenloſen Uebermuth der kleinen Machthaber jener Zeit und die abſolute Rechtloſigkeit ihrer Unterthanen hier mit einigen Strichen zu vergegenwärtigen. Steht es doch vor unſer Aller Augen, wie die Selbſtvergötterung jenes fran zöſiſchen Monarchen, der in voller Ueberzeugung ſein fre velndes „ l'état c'est moi " auszuſprechen wagte , auf das widerwärtigſte , oft in zerrbildlicher Uebertreibung, von ſo vielen Selbſtherrſchern deutſcher Kleinſtaaten nachgeäfft worden iſt.

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Unter den deutſchen Ländern, welche die Plagen die ſer abſcheulichen Wirthſchaft am härteſten zu empfinden gehabt haben, ſteht in erſter Linie die Rheinpfalz . Dies landſchaftlich

ebenſo

liebliche

wie

geiſtig regſame Land

hatte ſchon während des dreißigjährigen Krieges furchtbar hart herhalten müſſen. Nachdem es eben angefangen hatte , fich von jenen Leiden zu erholen , war es auf den ausdrücklichen Befehl

des

allerdıriſtlichſten Königs zum

Schauplaß der unerhörteſten Verwüſtung gemacht worden. Mit methodiſcher Wuth hatten Turenne's und Melac's fluchwürdige Horden große herrliche Städte nahezu vom

11 Erdboden

vertilgt,

die ehrwürdigſten

Monumente

der

deutſchen Vorzeit geſchändet und zertrümmert , die Blüthe und den Wohlſtand des ganzen Landes auf Menſchenalter hinaus vernichtet. Aber das Elend ihrer Unterthanen hielt die Fürſten dieſer armen Rheinpfalz nicht ab , dem erhabenen Vorbilde des Hofes von Verjailies in unſinnigſter Ueppig keit nachzueifern. Der rührenden , wahrhaft übermenſch lichen Treue, mit welcher die Pfälzer während der ſchreck lichſten Prüfungszeiten an ihrem Fürſtenhauſe gehangen hatten , ward von dieſen Herren nicht nur durch härteſten Steuerdruck, ſondern auch durch das Uebel gelohnt , das von jeher dem deutſchen Gemüthe das unleidlichſte geweſen iſt. Denn bald nachdem die katholiſch gewordene Linie von Neuburg zur Herrſchaft über das durchaus proteſtan tiſche Land gelangt war, begann die Glaubensbedrängniß . Die Kurfürſten von der Pfalz glaubten ſich auch darin als würdige Zeitgenoſſen Ludwigs XIV . zeigen zu müſſen , daß fie fich wie er an der Gewiſſensfreiheit ihrer Unter thanen auf das ſchnödeſte vergriffen. Insbeſondere erwies ſich der zweite Regent dieſer Linie, Kurfürſt Johann Wil helm ( 1690—1716) , als ein gefügiges Werkzeug ſeiner Es klingt gradezu unglaublich,, jeſuitiſchen Beichtväter. wenn wir leſen, mit welcher empörenden Härte dieſer Fürſt gegen ſein proteſtantiſches Volk aufzutreten wagte, um es mit Gewalt zum „ rechten Glauben “ zurückzuführen. Die freie Ausübung des Gottesdienſtes ward unterſagt ; man vertrieb Geiſtliche und Lehrer, nahm den Proteſtanten hier die Kirchen , da jogar die Kinder weg ; durch Geldſtrafen ſuchte man eine äußerliche Bekehrung zu erzwingen ; ſelbſt die bekannten jeligmachenden Dragoner find den guten Pfälzern nicht erſpart worden. Es war eben die Zeit, in

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der man mit dem Cardinalſaße des perſönlichen Staats kirchenregiments : cujus est regio , ejus est religio , zu deutſch : weſſen die Scholle, deſſen der Glaube, noch vollen Ernſt machte . In dieſer Noth begannen die Pfälzer, durch vielfache Verbindungen ihres Fürſtengeſchlechts nach England ge wieſen ,

ihre Blicke

über den Ocean auf die an ſeiner

Weſtküſte erblühenden Anſiedelungen der britiſchen Krone zu richten. Hatte doch auch den engliſchen Urvätern dieſer Niederlaſſungen, den Pilgrim Fathers, der falſche Glaubens eifer einer bigotten Dynaſtie den Wanderſtab in die Hand genöthigt.

Es fam hinzu , daß der langjährige ſpaniſche

Erbfolgekrieg trotz aller Thaten Marlborough's und des Prinzen Eugen die Pfalz hin und wieder , jo namentlich im Jahre 1707 , recht hart mitnahm .

So kamen denn

erſt gruppen- und truppweiſe, dann zu ganzen Gemeinden proteſtantiſdie Pfälzer bei der engliſchen Regierung um Ueberſiedelung nach Amerika ein. Eine der erſten dieſer Auswandererſchaaren ward im Frühjahr 1708 von dem Prediger Jofua Kocherthal aus Landau durch Ver mittelung des engliſchen Reſidenten in Frankfurt am Main nach England und von dort im Herbſt deſſelben Jahres nach New - York hinübergeführt. Am rechten . Ufer des mächtigen Hudſon , dieſes amerikaniſchen Rheins , zwölf Meilen aufwärts von New - Yorf, ward ihnen es waren im Ganzen ſechszehn Familien – ausreichendes Ackerland zugewieſen .

Sie nannten

ihre Niederlaſſung

nach dem

thörichten Fürſtenhauſe ihrer Heimat, Neuburg , und noch heute bewahrt die iegt gewerbreide und blühende Stadt wenn auch in veränderter Schreibung dieſen Namen.

Nach

dem Zeugniß deutſcher Reiſender iſt Newburgh ein Punkt,

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der an landichaftlicher Schönheit mit den ſchönſten Orten am Rhein und an der Donau den Vergleich aushalten kann.

Ebenſo erinnern etwas weiter ſtromaufwärts die

Städte New Paltz Lodge (Neu- Pfalz) und am linken Ufer Rhinebeck ( Rheinbeck) noch heute daran, daß fie aus Dör fern pfälziſcher Coloniſten emporgewachſen find. Die Nachricht von der guten Aufnahme, die dieſen Pfälzern in England zu Theil geworden war, war natür lich ſehr geeignet , in Deutſchland Luſt zur Nachfolge zu erwecken . Dies Verlangen wurde noch erhöht durch Auf rufe , welche von Agenten der engliſchen Colonien , nament lich auch der Quäfer in Pennſylvanien, die den Werth der deutſchen Arbeit bereits aus Erfahrung kannten , maſſenhaft unter dem Landvolk von Kurpfalz und Schwaben verbreitet wurden . Beſondern Eindruck machte eine Flugſdrift, das goldene Buch genannt , weil ſein mit dem Bildniß der Königin Anna von England gezierter Titel in Gold ge druckt war. Sie verhieß dem deutſchen Bauer freie Ueber fahrt nad Amerika und dort

den großen

Traum des

deutſchen Landmanns jener Tage – freies Grundeigenthum und zwar ohne Entgelt . So begann denn, zumal unter dem Drucke des furcht bar kalten Winters von 1708 — 1709 , im Frühling des legtern Jahres eine wahrhafte Maſſenauswanderung. Tauſenden ſtrömten die Bauern aus der Pfalz, Sdwaben und dem Elſaß rheinabwärts.

Zu aus

Schiff auf Schiff

landete in England ; alle Vorbereitungen , die man dort auf die Berichte der Reſidenten in Deutſchland und Hol land getroffen hatte, erwieſen ſich vollſtändig unzureichend gegenüber dieſem immer ſteigenden Andrange armer hun gernder Menſchen.

Es ward ihnen, da bald kein Obdach

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vorhanden war , auf Blackheath , der ſchwarzen Heide bei London, ein Lager errichtet. Dort hauſten den Herbſt und Winter hindurch mehr als 10,000, nach andern Berichten ſogar an 20,000 deutſche Auswanderer unter Zelten , theil weiſe von der engliſchen Regierung verpflegt, aber zum größeren Theil auf die öffentliche Mildthätigkeit angewieſen. Für die Londoner waren die armſeligen Fremdlinge ein Gegenſtand des Mitleids , der Neugierde und des Spottes. Die ſchauluſtigen Großſtädter pflegten das Lager der Pfälzer der Name Palatine iſt lange Zeit in England und

Amerika die ſtehende Bezeichnung für alle deutſchen Aus wanderer geblieben wie eine öffentliche Sehenswürdig keit zu beſuchen und

den Fremden zu zeigen.

So wird

denn auch erwähnt , daß einige Häuptlinge der Mohawk Indianer, die eben damals in London verweilten, nach der ſchwarzen Heide geführt worden feien , und als ſie ver nommen, daß die armen Leute nichts verlangten als Land in Amerika , da hätten ſie die Deutſchen zu ſich nach den Jagdgründen ihrer Stämme eingeladen ; dort würden ſie ihnen Aecker und Wiefen geben , ſo viel ſie nur wollten. Es wird hinzugefügt, die „Indianerkönige " hätten der Kö nigin Anna ein Thal, Namens Schoharie, ausdrücklich für die Deutſchen geſchenkt. Von da ab ſchwebte den armen Pfälzern das reiche und ſchöne Land in Schoharie vor wie den Jsraeliten das gelobte Land . Inzwiſchen ward Regierung und Parlament über die Unterbringung der Fremdlinge ſchlüſſig. Der engliſchen Colonialpolitik erſchien grade das , was ihr den höchſten Vortheil gebracht haben würde, bedenklich : eine Geſammt überſiedelung der Deutſchen , die freie Verwendung ihrer Kräfte als Landbebauer und Handwerker ſah man als

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gefährlich an für die britiſche Herrſchaft, für den engliſch amerikaniſchen Charakter der Kolonien . So ward die Maſſe zerſplittert.

Tauſende wurden zur Arbeit in den

Bergwerken von England ſelbſt beſtimmt, andere Tauſende in Jrland angeſiedelt, wo ihre Nachkommen den Namen der Pfälzer lange bewahrt haben . Die Hauptmaſſe iſt nach Amerika hinübergeführt worden, aber auch dieſe über alle Provinzen vertheilt : eine ſehr große Zahl (5—6000) nach

den

beiden

Carolina's

im

Süden ,

nicht

geringe

Schaaren nach Pennſylvanien , wo ſchon von Penn ſelbſt deutſche Diffidenten , namentlich Mennoniten aus Mittel deutſchland, Wohnſiße erhalten hatten. Eine Maſſe von mehr als 3000 Deutſchen endlich ward dem Staate New York zugetheilt. Aber außerdem , daß die engliſche Politik die Aus wanderer auf dieſe Weiſe über das ganze Gebiet der bri tiſchen Colonien zerſtreute, nahm ſie auch auf Ausbeutung der deutſchen Arbeitskraft Bedacht. Der Regierung ſchwebte vor allen Dingen der Plan vor , durch den deutſchen Ge werbfleiß die ungeheuren Waldungen der neuen Welt zur Gewinnung von Vorräthen für die Flotte nußbar zu machen. Für den Bedarf an Schiffsharzen, wie Pech, Theer, Ter pentin , und an Hanf war die engliſche Marine damals wie heute weſentlich auf Norwegen und Rußland ange wieſen ; man verſprach ſich von den Deutſchen , daß fie dieſe Dinge billiger und beſſer verfertigen würden , und hoffte dadurch die Flotte des Landes von ausländiſcher Zufuhr möglichſt unabhängig zu machen .

Nebenbei ſollten

die Deutſchen als eine Art von Schußmauer für die eng liſchen Anſiedelungen gegen das Vordringen der Franzoſen, damals Herren von Canada , und gegen die gelegentlichen

16 Anfälle

der Indianer

Verhandlungen

kam

verwendet hierüber

ein

werden .

Nach

langen

förmliches Abkommen

zwiſchen der Krone und den deutſden Auswanderern zu Stande , durch welche dieſe fich verpflichteten , die Lände reien, die ihnen durch den Gouverneur von New - Yorf zu gewieſen werden würden , nach deffen Anweiſung zu be ſiedeln und ſich dort mit der Gewinnung von Schiffsvor räthen zu befaſſen . Sobald durch den Ertrag dieſer Vor räthe diejenigen Vorſchüſſe und Auslagen getilgt ſein würden, welche die engliſche Krone für den Unterhalt der Auswanderer aufgewendet habe, dann ſollten ſie das ihnen zugewieſene Land , und zwar 40 Acer für jede Perſon, als freies Eigenthum , frei von Renten und Abgaben be halten und überdies eine namhafte Beihülfe an Geld und Werkzeugen für die Einrichtung ihrer Landwirthſchaft ge ſchenkt empfangen . An fich waren dieſe Bedingungen für beide Theile nicht unbillig. Es hing indeſſen alles davon ab , ob die Uebereinkunft auch von beiden Seiten

redlich und

voll

erfüllt werden würde. In dem leidigen engliſchen Juriſten ſtil abgefaßt, mit jenen endloſen Clauſeln und Wieder holungen ausgerüſtet, die noch heute das unterſcheidende Kennzeichen jedes engliſchen Rechtsacts bilden , bot der Vertrag manche Dunkelheit , die, wenn es mal auf's Aus

· legen ankam , gar leicht zu Ungunſten der Deutſchen aus gelegt werden konnte. Weder waren jene Vorſchüſſe und

Auslagen ,

welche

die Anſiedler aus dem

Ertrage ihrer

Arbeit zu erſtatten übernahmen , irgendwie präciſirt, na mentlich nichts ausdrücklich beſtimmt wegen freier Ueber fahrt, auf die ſie nach anfänglichen Verſprechungen ein Recht zu haben glaubten , noch war über den Preis , zu

welchem

17

ihnen ihre Producte zu berechnen ſeien ,

vereinbart .

etwas

Abgeſehen aber von dieſen und anderen recht

lichen Zweifeln, die bei der Ausführung entſtehen konnten, doch nicht nothwendig entſtehen mußten , war der leitende Gedanke des Uebereinkommens eigentlich von Hauſe aus verfehlt.

Unſere Deutſchen waren theils Bauern , nament

lich Weinbauern ,

theils Handwerker.

Grade

in

dieſen

Eigenſchaften wären ſie für die Cultivirung des unermeß lichen Landes im allerhöchſten Grade willkommen geweſen. Statt deſſen nöthigte man ihnen die Verfertigung von Schiffsvorräthen auf , Arbeiten untergeordneter Art , wie Theerſchwelen , Pechſieden u . dgl. , von denen ſie nichts ver ſtanden. Sie hofften, nachdem ſie ſich nun einmal ſchweren Herzens von der alten Heimat getrennt hatten, drüben vor allen Dingen unbeſchränkte Freiheit der Bewegung, freien Spielraum für ihr Thun und Laſſen zu finden . Statt deſſen ſollten ſie ſich eine ſtrenge, faſt militäriſche Aufſicht, willkürliche Verfügung

über

ihre Zeit

und ihre Kräfte,

Abhängigkeit ihrer geſammten wirthſchaftlichen Lage bis auf eine unbeſtimmte Zukunft hinaus gefallen laſſen. Es hätte offenbar ſehr viel guten Willens auf ihrer Seite und ſehr großer Vorſicht und Rechtſchaffenheit auf Seiten der Colonialbehörden bedurft, um die Schwierigkeiten, die mit Nothwendigkeit aus mußten, zu überwinden .

der Lage der Dinge

Sehen wir nun, wie es zuging .

entſtehen

Auf zehn Schiffen

wurden die 3000 Deutſchen im Frühjahr 1710 , unter perſönlicher Leitung des neuernannten Gouverneurs Hunter, nach New - York hinübergeführt , eine lange und ſchlimme Fahrt damals noch ; mehr als ein Fünftel der Auswanderer, an . 700 Perſonen , ſtarben während oder gleich nach der Seereiſe. Die Ueberlebenden hatten auf Anfiedelung am Fiſcher , Auswanderung. 2

18

Mohawk gehofft, einem bedeutenden Fluſſe, der fich von Weſten kommend bei Albany, der heutigen Hauptſtadt des Staates New - York, in den mächtigen Hudſon ergießt. Dort lagen jene Jagdgründe der Indianer, dort jeneß er ſehnte Schoharie, ein Thal, das von einem Nebenflüßchen des Mohawk den Namen führt. Gouverneur Hunter fand es indeſſen für gut , den Deutſchen am Hudſon ſelbſt, nördlich von jenen vorher erwähnten deutſchen Anſiedelungen in Neuburg und Rheinbeck Ländereien anzuweiſen. Dieſe Grundſtücke, zu beiden Seiten des Stromes gelegen, wurde einem der großen engliſchen Grundbefißer abgekauft, denen von der Krone bei Gründung der Colonie nach Art der altengliſchen Feudalverhältniſſe ausgedehnte Landſtriche ver liehen worden waren . Dieſer Grundberr, ein Schotte von Geburt, Namens Livingſton, übernahm auch die Natural verpflegung der deutſchen Anſiedler, und zwar die der Er wachſenen zu ſechs Pence , täglich per Kopf. Hier waren nun

die der Kinder zu vier Pence

unſere

ſchlimmſten Hände gerathen.

guten

Landsleute

in

die

Livingſton war ein ſchlauer,

habfüchtiger, rückſichts- und gewiſſenloſer Menſch, das Ür bild jener „ſcharfen" Yankeepraris , deren Vertreter in den Annalen unſerer Auswanderung als Seelenverkäufer, land haifiſche u . ſ. w . bitterböfe Andenken hinterlaſſen haben. Kaum waren unſere Pfälzer in ihren Zwangsanſiedelungen am Hudſon angelangt, ſo begannen Klagen, Streitigkeiten und offne Conflicte. Der Gouverneur, der ſchon bei der Wahl der Wohnfige offenbar mehr in Livingſton's Inter eſſe als in dem der Pfälzer gehandelt hatte, war nur zu geneigt, die Schuld in allen Fällen auf Seiten der Deutſchen Er ward gegen ſie noch mehr eingenommen , zu finden . als es ſich ſehr bald herausſtellte, daß die Deutſchen für

19 die Gewinnung von Schiffsvorräthen wenig zu brauchen waren . Die engliſche Arone verlor daher auch bald die Luſt zu weiteren Vorſchüſſen ; die Verpflegung, von Anfang an ſchlecht,

wurde knapp , und als die Deutſchen ſich in

Erbitterung gegen ihre Aufſeher und die Agenten Living ſton's auflehnten , kam der Gouverneur mit Truppen her bei, nahm den Anſiedlern alles weg , was ſie an Waffen beſaßen , und ſtellte fie, nachdem er ſie mit harten Worten als Dienſtknechte und Zwangsarbeiter angelaffen hatte, nun erſt recht nnter die faſt ſchrankenloſe Wilfürherrſchaft ihres Peinigers Livingſton. Der deutſche Bauer, oder beſſer der Deutſche über haupt vermag viel zu ertragen. Iſt ſeine Geduld aber mal zu Ende, dann weiß er auch kräftig zu handeln . fanden

auch

unſere

Zwangscoloniſten

am

Hudſon

So in

ihrer harten Bedrängniß , ſobald ſie nur erſt begriffen, daß fie von Niemand Hülfe zu erwarten hatten als Die Königin von ſich ſelbſt, den richtigen Weg . hatte

ihnen

ſprochen ,

Land

das

am

Mohawk ,

ſtand bei ihnen feſt.

in

Schoharie

ver

Vom Gouverneur

wurde ihnen dieſes Land zu Unrecht vorenthalten. So beſchloſſen ſie denn, ſich auf eigene Fauſt den Weg dahin zu bahnen . rad Weijer

Sieben muthige Männer, unter denen Kons aus

Aspach

in

Württemberg

hervorragt,

fanden mitten im Winter 1712 ihren Pfad durch die Wild niß . um

Sie verſtändigten fich mit den Indianern, denen ſie, ja ficher

zu

gehen ,

das Land

am Schoharie

für

300 Dollars abkauften , und gründeten in dieſem von Felſen umgebenen Thale , das durch landſchaftliche Reize und Reichthum des wohlbebauten Bodens heut eine Zierde des

Staates New - York iſt, freie deutſche Dörfer.

Die

Geſchichte dieſer Niederlaſſung in Schoharie iſt, wie Kapp 2*

-

20

bemerkt, die intereſſanteſte von allen deutſchen Anſiedelungen in Amerika, ja im Kleinen die Geſchichte der Coloniſation der geſammten Vereinigten Staaten , weil ſie , bis in die allererſten Anfänge verfolgbar , das allmälige Entſtehen eines civilifirten Gemeinweſens veranſchaulicht, in ſeinem ftufenweiſen Fortſchreiten vom äußerſten Mangel zur Be friedigung der urſprünglichſten Bedürfniſſe , von Hunger und Dürftigkeit zur Behaglichkeit und Fülle, von der Rechtloſigkeit und dem Geduldetſein zur politiſchen Unab hängigkeit und Freiheit. Daß

dieſe „ Robinſonade im Großen "

ſo klar vor

unſern Blicken ſteht, iſt einem beſondern Umſtande zu ver danken , der wohl werth iſt, daß ich ihn erwähne. Wir befißen einen Bericht über die Anfänge der Niederlaſſung in Schoharie, der, erſt im Jahre 1823 und zwar in eng liſcher Sprache gedruckt erſchienen , doch im Weſentlichen die Erinnerungen der erſten Anſiedler felbſt wiedergiebt. Der Verfaſſer, John Brown, iſt 1745 geboren ; er ſchrieb beinahe als ein Achtziger und fekte ſeinen Stolz darin, mit unbedingter Treue die Ueberlieferungen aufzuzeichnen, die er in ſeiner Jugend von den Urvätern ſeines heimiſchen Thales ſelbſt empfangen hatte. Als der Gouverneur Clin ton, der ihn zur Abfaſſung der Schrift aufgefordert hatte, ihn um Aenderung einer anſtößig klingenden Stelle bat, weigerte fich Brown ſchlechterdings; das ſei die geſchicht liche Thatjache. Und als Slinton fich Brown's Anſicht nicht fügen wollte, zog dieſer ſein Manuſcript zurück und ließ eß auf eigene Koſten drucken . So wiſſen wir denn von dem Tage ab , da die ſieben Kundſchafter das Land der Verheißung zum erſten Male erblickten , wie unſere Landsleute ſich im Schohariethale angeſiedelt haben.

Anfangs unter den härteſten

Entbeh

21

rungen .

Drei Fuß hoch lag der Schnee, als die Familien

der Deutſchen vom Hudjon her in vierzehntägiger Pilger fahrt ihren Pfadfindern nachfolgten. Ihre geringen Hab ſeligkeiten trugen ſie in Packen auf dem Rücken ; Werk zeuge und Hausgeräth hatten ſie, als der engliſchen Krone gehörig , in den Zwangsſişen am Hudſon zurückgelaſſen . Gleich in der erſten Woche nach ihrer Ankunft wurden vier Kinder geboren. Die Indianer ſchenkten den Wöch nerinnen alte Felle und Pelze ; ſie halfen den Männern, die erſten rohen Holzhütten zum Schuß gegen die ärgſte Kälte aufrichten . Die Deutſchen hatten weder Kühe noch Pferde.

Statt eines Pflugs gruben ſie ihr Land anfangs

mit großen Sicheln um , das Korn wurde in Ermangelung von Mühlen auf einem Steine zerſtampft. Es iſt uns der Name des Mannes überliefert, der im Herbſt 1713 den erſten Scheffel Weizen gekauft und neunzehn engliſche Meilen weit auf ſeinem Rücken nach Schoharie getragen Später wieder wird ausdrüdlich erwähnt, daß neun hat. Bauern aus Weiſersdorf, einem der ſieben deutſchen Dörfer im Thale , zuſammentraten , um für eine geringe Summe das erſte Pferd , eine alte graue Stute, zu kaufen. Das arme Thier machte die Runde bei ſeinen Eigenthümern ; jeder brauchte es einen Tag der Reihe nadı. . Jedwedes Geräth mußten ſich die Deutſchen bei ihrer Armuth an fangs ſelbſt anfertigen . So vergingen einige harte mühevolle Jahre .

Aber

die Arbeit trug Früchte. Der herrliche ſchwere Ackerboden, die deutſche Sorgfalt der Bebauung, noch gegenwärtig immer auf's Neue ein Gegenſtand des Staunens für die Anglo - Amerikaner, die deutſche Redlichkeit im Handel und Wandel, das Alles wirkte bald zuſammen , die Lage unſerer Anſiedler zu verbeſſern. Jener erſte Scheffel Weizen , mit

22

beſonderer Behutſamkeit ausgefäet, brachte eine Ernte von nicht

weniger

als

83 Scheffeln .

Vierzig Jahre ſpäter

ſandten die Deutſchen von Schoharie jährlich 36,000 Scheffel Getreide auf den Markt von Albany . Anfangs hatten die Anſiedler fich ihre Kleider aus Hirſchfellen bereitet; zur Kopfbedeckung hatten ſie ſich Müßen aus Biber- oder Fuchspelzen verfertigt.

Nun fingen die verſchiedenen Hand

werker an , ihre Kunſt auszuüben.

Wir wiſſen den Namen

des erſten Schuſters , der erſten Schneider.

Es iſt uns

überliefert, wann der erſte Hutmacher fich niederließ , um die Pelzmüßen durch jene wohlbekannten großen dreiedigen Hüte zu verdrängen , die wir an unſeren ſchwäbiſchen Bauern in den Thälern des Schwarzwaldes und der rauhen Alp noch heutigen Tages bewundern können. Gewonnen hatten unſere Pfälzer ihr gelobtes Land ; aber es kam darauf an , ob ſie es auch würden behaupten können. Zunächſt gegen den Neid ihrer engliſchen und holländiſchen Nachbarn und gegen die Ungunſt der Co Gouverneur Hunter konnte es nicht verwin lonialherren. wider ſeinen Befehl nach Schoharie Deutſchen den, daß die zu ziehen gewagt hatten. Bei der erſten Gelegenheit gab er ſeinem Groll unverholenen Ausdruck. Die Beſchwerde eines holländiſchen Farmers, der von den Deutſchen in ſeinem Beſikrecht verletzt zu ſein behauptete, gab ihm den erwünſchten Anlaß dazu. Er erließ alsbald einen Verhafts befehl gegen Konrad Weiſer, deſſen wir ſchon vorhin als des bedeutendſten Mannes unter den Anſiedlern von Scho harie gedachten, worin er denfelben , einen Seiner Majeſtät zur Arbeit verpflichteten Knecht“ nennt und den Gerichts behörden von Albany befiehlt, den beſagten Weiſer nach New - York zu bringen , wo der Natur ſeiner Verbrechen entſprechend gegen ihn verfahren werden ſollte. Der Ver

23 haftsbefehl blieb unvollſtreckt. Aber bald darauf verlieh der Gouverneur ſieben großen engliſchen und holländiſchen Coloniſten , unter denen uns wieder der verhängnißvolle Name Livingſton begegnet , kraft ſeiner königlichen Voll macht grade das von unſern Landsleuten beſiedelte Land am Schobarie. Es war , wenn auch vielleicht formell innerhalb ſeiner Befugniß, doch einfach ein Act perſönlicher Rachſucht, ein Act directer und offenſter Feindſchaft gegen die Deutſchen.

Auch

das theuer erkaufte aufzugeben.

Als

waren

dieſe keineswegs geſonnen,

und errungene Land ohne Weiteres die

ſieben neuen

Grundherren

einen

Agenten nach Schoharie ſchickten , um mit den Deutſchen über einen von ihnen zu entrichtenden Zins zu verhandeln , ward er mit Drohungen vertrieben, und des alten Brown's Bericht erzählt ſehr draſtiſch, wie übel dem Gerichtsbeamten, der darauf mit neuen Verhaftsbefehlen im Thale erſchien, von den Weibern der deutſchen Bauern mitgeſpielt wurde. Nun machte Hunter Ernſt. Er befahl, daß drei Männer aus jedem Dorf in Schoharie, ganz beſonders Konrad Weijer, vor ihm in Albany erſcheinen ſollten. Hier wurden fie mit der Drohung empfangen, er werde Weiſer hängen laſſen, und wegen ihrer eigenmächtigen Anſiedelung, ſowie wegen ihres Ungehorſams zur Verantwortung gezogen. Als im Laufe der Verhandlungen der Sprecher der Deutſchen den König

erwähnte,

unterbrach

ihn Hunter

ärgerlich :

„ Was König, was England !“ und Livingſton, der zugegen war, fügte, auf den Gouverneur deutend, hinzu : „ Hier iſt euer König ! " Schließlich verbot der Gouverneur den Deutſchen , bis zur ausgemachten Sache ihre Aeder zu beſtellen , und als die Anſiedler im Winter 1718 nach New - York ſchickten, um die Rüdnahme dieſes Verbots zu erbitten, wurden ſie ſchroff abgewieſen.

24 Da entſchloß fich Konrad Weiſer, nach echter deutſcher Bauernart, die Sache in Perſon vor den König zu bringen. Es ging ihm und ſeinen beiden Gefährten übel genug auf der weiten Fahrt. Ihr Schiff ward von Piraten aufges bracht, fie ſelbſt aller ihrer Habſeligkeiten beraubt, Weiſer ſogar an den Maſtbaum gebunden und jämmerlich ge ſchlagen, um noch mehr Geld von ihm zu erpreſſen .

Ohne

alle Mittel gelangten ſie endlich nach London und hier ſaß Weiſer mit dem einen Freunde der andere war wieder nach haus gezogen zunächſt faſt ein Jahr im Schuld gefängniß. Und als ſie dann ſchließlich , nach all dieſem Drangſal, ihre Beſchwerde beim engliſchen Colonial- und Handelsamt vorbrachten , ſahen ſie ſich dem Einfluß des inzwiſchen abgerufenen Hunter und der mächtigen Colonial Ariſtokratie gegenüber in nicht eben günſtiger Lage. Immer hin aber trug ihr muthiges Auftreten und ihre deutſche Zähigkeit dazu bei , den engliſchen Grundherren die güt liche Beilegung der Sache erwünſcht zu machen , und es kam noch während Weiſer’s Abweſenheit ein Vergleich zwiſchen den Anſiedlern und jenen ſieben Partnern zu Stande, der den Deutſchen gegen einen äußerſt geringen Zins den Fortbeſit ihres Landes ficherte. Auch that der neue Gouverneur Burnet , der den Werth der deutſchen Coloniſten richtig erkannte, alles Mögliche, um das ge ſchehene Unrecht durch anderweite Landbewilligungen aus zugleichen. So ward der Friede zwiſchen den Deutſchen uud den älteren Coloniſten hergeſtellt und die deutſchen Anſiedelungen drangen nun mächtig im Thale des Mohawk nach Weſten vor. Nur Konrad Weiſer, der Vormann der Pflanzer von Schoharie, konnte ſich mit dem ungeſühnten Unrecht nicht vertragen . Es lebte in dieſem Manne , der aus ſeinem

25

württembergiſchen Dorfe ſchon in reifen Jahren, mit zahl reicher Familie, acht Kinder von den ſechszehn, die er gehabt,

begleiteten ihn - in die Fremde gezogen war,

ein unbeugſamer , ja ſtörriger Rechtsſinn. Er ſei nicht, ſagte er , nach Amerika gegangen , um ſein Haupt unter die Anechtſchaft zu beugen . So entſchloß er ſich zur dritten Auswanderung . Zwölf Jahre lang hatte er in Schoharie gearbeitet , und als er es nun verließ , um am Endpunkte

der damaligen pennſylvaniſchen Grenzanſiede

lungen abermals eine neue Heimat zu begründen, da war er , wie der Patriarch beim Auszug aus dem Lande La ban's , an der Spiße einer zahlreichen Familie und Freund ſchaft, von einem langen Zuge von Pferden , Vieh und Hausrath begleitet.

In Pennſylvanien iſt er zwanzig Jahre

ſpäter ( 1746) , von Kindern und Enkeln umgeben geſtorben, , nachdem er “, wie ſein Schwiegerenkel, der wackere deutſch amerikaniſche Prediger Mühlenberg ſich ausdrückt, „zwiſchen achtzig und neunzig Jahre in dieſer Pilgerſchaft gewallet." Die deutſchen Anſiedelungen am Mohawk und ſeinen Seitenthälern , 50 engliſche Meilen weit ausgedehnt und durch neuen Nachſchub wiederholt gekräftigt,

haben ſich

dann im Laufe des Jahrhunderts zu wiederholten Malen als eine feſte Sdubwehr des Hinterlandes gegen feind liche Angriffe erwieſen .

Oft genug haben die deutſchen

Bauern während des wilden Kampfes , der, gleichzeitig mit dem ſiebenjährigen Kriege , zwiſchen England und Frankreich über die Hegemonie auf dem amerikaniſchen Continent ausgefochten wurde , mit ihren Leibern und ihren Block häuſern

die neue Heimat bewahrt

vor

und der Mordart der Indianerborden.

dem Brandpfeil

Nidyt minder ent

ſchieden aber haben die Deutſchen während des Unabhän gigkeitskampfes auf Seiten der Republik geſtanden.

Der

26 Antheil, den die deutſchen Milizen aus dem Mohawkthale, unter ſelbſtgewählten Führern für Haus und Hof fechtend, an dem glücklichen Ausgange des großen Streits erwarben , iſt von Waſhington ſelbſt als ein ſehr hervorragender an : erkannt worden . Die Schlacht bei Driskany ( 1777 ) , in welcher

der

tapfere

deutſche

Bauerngeneral

Nicolaus

Herdheimer , obgleich auf den Tod verwundet, das Vor dringen eines engliſchen Corps im Mohawk-Thale zurück ſchlug und ſo den ganzen Kriegsplan des feindlichen Ober generals Burgoyne vereitelte, lebt noch heute im Volks : munde ,

wenngleich das Denkmal , welches der Congreß

dem heldenmüthigen Herdheimer zu errichten beſchloß, un ausgeführt geblieben iſt. Im Volke lebt auch das An denken an manchen einfachen deutſchen Bauer, der ſein Blodhaus mit unerſchütterlichem Muthe gegen den An ſturm der von den Engländern aufgehegten wilden Indianer vertheidigt hat. Beſonders charakteriſtiſch iſt das von Stapp mitgetheilte Lied auf Johann Chriſtian Schell, der mit Hülfe ſeiner Frau und ſeiner vier jungen Söhne den Angriff einer Schaar von 64 Indianern und Tories ( jo hieß man die Königlichgeſinnten) einen ganzen heißen Tag lang ( 6. Auguſt 1781 ) auf das Heldenmüthigſte ausge halten und abgewehrt hat. Während er und die Söhne feuerten, lud die Frau die Gewehre .

Während einer kurzen

Pauſe , fo erzählt der Bericht, ſtimmte dieſe tapfere Frau das mächtige Siegeslied der deutſchen Reformation an ; die Männer fielen ein und Luther's „ Ein ' veſte Burg iſt unſer Gott“ ſcholl feierlich aus dem Blodhauſe des deutſchen Bauern hinüber zu den wilden Feinden . – In ſolchem Geiſte, mit ſo edlem Blute haben ſich die Abkömmlinge jener armen Pfälzer , die zu halbſklaviſcher Abhängigkeit

27

in's Land gebracht worden waren , das volle Bürgerrecht in dem freien Staate von Nordamerika erkauft. Bei den Grenzen, welche dieſem Vortrage gejeßt ſind, fann auf die Geſtaltung des innern , namentlich auch des kirchlichen Lebens in den älteſten deutſchen Anſiedelungen hier nur mit einigen Worten eingegangen werden . Wie das Erringen der wirthſchaftlichen Unabhängig keit und der politiſchen Gleichberechtigung, ſo iſt auch die Behauptung

ihrer geiſtigen und

religiöſen Eriſtenz

den

Deutſchen nicht leicht geworden. Ja , es iſt auf dieſem Gebiete die deutſche Eigenart weniger rühmlich hervorge treten und mit geringerem Eifer feſtgehalten worden , als in den erſtgenannten Verhältniſſen. Die Noth des äußern Daſeins, mit der die deutſche Auswanderung auf lange Zeit hin ſo hart zu kämpfen gehabt hat, und andererſeits der außerordentliche Einfluß, den die ſcharf ausgeprägte und geiſtig befeſtigte Stammeseigenthümlichkeit der älteren engliſch - niederländiſchen Coloniſten auf die deutſchen An kömmlinge nothwendig ausüben mußte , haben weſentlich dahin gewirkt, daß die älteſten deutſchen Niederlaſſungen eß für Unterricht, Kirchenweſen und geiſtiges Leben an fänglich nur zu dürftigen Einrichtungen gebracht haben und daß dieſelben im ferneren Verlauf der Entwickelung dea anglo -amerikaniſchen Inſtitutionen immer mehr anges paßt worden ſind. Freilich geht der neueſte Geſchichts ichreiber der deutſchen Auswanderung zu weit , wenn er meint, es würde ohne Beihilfe von Europa überhaupt ſchwerlich eine deutſche Kirche in Amerika begründet worden ſein . Dieſer Ausſpruch Kapp's wird durch ſeine eigene Darſtellung in weſentlichen Punkten berichtigt.

Es hat

den deutſchen Niederlaſſungen am Hudſon , in Schoharie

1

1

-

28

und am Mohawk an tüchtigen Geiſtlichen nicht gefehlt. Nach Kocherthal, dem Führer der pfälziſchen Gründer von Neuburg , war es insbeſondere der ſchon vorhin als Verwandter des Patriarchen von Schoharie erwähnte Pre diger Mühlenberg , der ſich um die Pflege des

kirch

lichen Lebens der geſammten deutſchen Auswanderung her vorragende Verdienſte erworben hat. Dieſer wadere Seel forger, der in der Mitte der vierziger Jahre nach Amerika gekommen und dort über 'vierzig Jahre ebenſo anſpruchs los als unermüdlich thätig geweſen iſt, hat die ganze Kraft ſeines langen Lebens der Begründung und Ausdehnung der deutſch - lutheriſchen Kirche in Amerika geweiht , und feine Wirkſamkeit war von erheblichen Erfolgen gekrönt. Er konnte ſich, wie Stapp bemerkt, mit Stolz ſagen , daß die lebenskräftigen deutſchen Gemeinden vom Mohawkthal bis in's Shenandoah -Thal , von Herdheimer und Rhein beck in New - York bis nach Maryland und Virginien haupt= ſächlich ſeiner Arbeit und Thätigkeit ihre Blüte verdankten . Mühlenberg war ein hochangeſehener Mann. Schon ſeine Familienverhältniſſe laſſen erkennen, wie ſchon damals die Geiſtlichen , die heut bekanntlich nirgends höher geehrt werden als in der Union , obwohl fie der Staat dort durch keinerlei

geſekliche Zwangsmittel

unterſtüßt,

in Amerika

eine geachtete Stellung einnahmen . Von ſeinen Söhren ſteht der eine als Staatsmann , der andere als General während des Unabhängigkeitskrieges in

gutem Andenken

unter den Begründern der amerikaniſchen Freiheit.

Ueber

haupt ſcheint ſich die Erfahrung , daß aus den Familien evangeliſcher Geiſtlichen häufig ausgezeichnete Männer her vorgehen, jenſeits des Oceans vielfach und namentlich auch bei den Deutſchen beſtätigt zu haben. Oben haben wir die Vorväter der deutſchen Aus

-

29

wanderung als Zeugen proteſtantiſcher Glaubenstreue neben die franzöſiſchen Refugié's und die ſalzburger Bauern ge ſtellt. Es wird Ihnen nicht entgangen ſein, wie gar ſehr verſchieden die Aufnahme, welche den Pfälzer Emigranten in der neuen Welt wurde, von dem Empfange geweſen iſt, deſſen ſich die Franzoſen und die Salzburger bei uns zu erfreuen gehabt haben.

Wir denken mit gerechtem Stolze ,

zurück, wie unſer großer Kurfürſt alles und jedes , was die Reiſe ſeiner franzöſiſchen Schüßlinge betraf , ſelbſt ange ordnet , wie der ſparſame Friedrich Wilhelm I. Gott für die Gnade gedankt hat , die falzburger Vertriebenen mit königlicher Freigebigkeit bewirthen und zu neuen Wohnſißen Die Pfälzer Proteſtanten ſind in geleiten zu können . Amerika nicht, wie die Franzoſen und die Salzburger in unſerm Lande, mit Glockengeläut und feſtlicher Gaſtfreude empfangen worden ; aus hartem Knechtsdienſte haben ſie ſich durch eigene Kraft zu wirthſchaftlicher und politiſcher Freiheit durchkämpfen müſſen. Den Franzoſen und den Salzburgern iſt bei ihrer Anſiedelung in dem brandenburgiſch - preußiſchen Staate von den Fürſten deſſelben die Eigenart ihres Stammes nicht nur belaſſen worden , ſondern man hat die nationalen Be ſonderheiten der Gäſte in Preußen fogar mit beſonderer, hier und da faſt übertriebener Sorgfalt gehegt und ge pflegt. Troßdem ſind die Abkömmlinge ſowohl der Re fügie's als der ſalzburgiſden Bauern ſeit geraumer Zeit vollkommen in den Charakter des Volks aufgegangen, das ihnen Aufnahme gewährt und das dafür , namentlich von den franzöſiſchen Schüßlingen ,

ſo reiche Anregung und

Förderung empfangen hat. Die älteſten deutſchen Aus wanderer nach Amerika waren überwiegend arme und un wiffende Bauern oder Handwerker.

Schäße des Wiſſens

30

und der feineren Bildung haben ſie

der neuen Heimat

wohl nur in den ſeltenſten Fällen zugeführt. Sie haben im Ganzen dort mehr empfangen als gegeben. Umſo weniger darf es uns wundern, daß auch ihre Nachkommen ſich bald amerikaniſirt haben. Die Umwandlung iſt gegen wärtig in den älteſten deutſchen Niederlaſſungen innerhalb des Staates New - York eine faſt vollſtändige. Im Mo hawf- Shal, das , durch deutſches Blut den Indianern , durch deutiche Arbeit der Wildniß abgerungen , jeßt eine der Hauptadern jenes mächtigen Verkehrs bildet, der von New York her nach den gewaltigen Binnenſeen im Weſten und den an ihren Geſtaden raſch aufblühenden Staaten ſtrömt, iſt beinahe jede Spur des deutſchen Urſprungs verloren gegangen . Selbſt den Namen der Ortſchaften erinnert nur noch Herkimer in angliſirter Schreibart an den Sieger von Oriskany. Die Nachkommen der urſprünglichen An fiedler haben ihre deutſche Abſtammung zum Theil ſogar völlig vergeſſen. In den von Deutſchen erbauten Kirchen dieſes Thals wird ſchon ſeit langer Zeit nur engliſch ge predigt . An anderen Stellen iſt es minder ungünſtig. Im Schoharie- Thal ſprechen manche der älteren Leute noch heute das pfälziſch - ſchwäbiſche Deutſch ihrer Vorfahren, das fich in den ſogenannten deutſchen Grafſchaften Penn ſylvaniens im ausgedehnteren Maße erhalten hat. Bei beſonders feierlichen Gelegenheiten wird in Schoharie noch jeßt deutſch gepredigt. Aber wie die Abkömmlinge der Refügie's, die ſich die franzöſiſche Predigt auch noch hier und da erhalten haben, ſo ſind die Nachkommen der Deutſchen in Amerika auch da ,

wo ſie noch deutſch reden ,

längſt und von ganzer

Seele Bürger ihrer neuen Heimat geworden .

Für die

Stärke dieſes Gefühls der Zuſammengehörigkeit mit den

31 Anglo - Amerikanern , für das wirkliche Zuſammenwachſen beider Zweige des großen germaniſchen Völkerſtammes zu einem neuen Organismus iſt uns aus früher Zeit eine ungemein bezeichnende Thatſache überliefert.

Bald nach

dem Ende des Unabhängigkeitskampfes kam in der geſetza gebenden Verſammlung von Pennſylvanien , desjenigen Staates , in welchem die Deutſchen fich noch heute rühmen , das Mark und die Kraft des Landes zu ſein, ein Antrag zur Abſtimmung, ſtatt der engliſchen die deutſche Sprache als officielle Landesſprache gelten zu laſſen .

Die Stimmen

waren auf beiden Seiten gleich ; da entſchied der Präſident der Verſammlung, Friedrich Mühlenberg , einer der Söhne des Predigers, für die Beibehaltung des Engliſchen. So klar erkannte der erfahrene Politiker, - beiläufig Konrad Weiſer's Urenkel – die Nothwendigkeit, den Zu ſammenhang Pennſylvaniens mit den übrigen Unions ſtaaten nicht durch nationale Unterſchiede zu zerreißen . In wie hervorragender Weiſe die Deutſchen ihre Anhäng lichkeit an die Union neuerdings in dem großen, zum Heil der Vereinigten Staaten fiegreich durchgeführten Kampfe für die Aufrechthaltung der Einheit Nordamerika's bethätigt haben , das bedarf keiner Erinnerung. Von den heimiſchen Uebeln , durch die während des vorigen Jahrhunderts und weit bis ins gegenwärtige hin ein unſere Landsleute maſſenhaft nach Amerika getrieben worden ſind, eilt die deutſche Kleinſtaaterei unwiderruflich der Auflöſung zu .

In der kirchlichen Lage unſeres Vater

landes iſt leider, bei geringerem Verſtändniß des Volkes für die Bedeutung und Tragweite ihrer Schäden , auch der Fortſchritt zur Heilung weniger bemerkbar als auf dem politiſchen Gebiet. Aber Glaubensbedrüdungen führen heute nur hier und da einen Deutſchen, und dann in ſub

1 32 jectiv vereinzelten Fällen , über's Meer. Wenn die Aus wanderung trotzdem heute einem vollen Strome, einer jährlich ſich erneuenden Völkerwanderung gleicht, ſo hat ſie den Charakter der ſtürmiſchen feindſeligen Abwendung vom Vaterlande verloren . Sie wird immer mehr zu einem freien Austauſch von Kräften werden , je lieber dem Deutſchen fein Heimatland wird , mit je größerem Stolz er auf Deutſch lands neubegründete ſtaatliche Stellung ſieht, und mit je größerer Befriedigung er auf die Geſtaltung unſeres fitt lich -geiſtigen Lebens , namentlich auch der kirchlichen Ver hältniſſe, zu blicken vermögen wird . Aber auch für die Deutſchen jenſeits des Meereß wird die Wiedergeburt des alten Stammlandes , die endliche Erfüllung der Jahrhunderte alten deutſchen Sehnſucht, ſich heilſam erweiſen . In dem Maße ,

wie

der deutiche Name

an Anſehen

unter den

Völkern gewinnt, werden die Deutſch - Amerikaner es lernen ſich ihres Urſprungs zu freuen. Sie werden ſich bewußt werden , daß die deutſche Auswanderung bei dem harten Kampfe um das Daſein , der ſie bei ihrem Auftreten rauh empfing, durch nichts wirkſamer unterſtüßt worden iſt als durch die Mächte,

welche ſie aus der alten Heimat mit

herübergenommen hatte. Dem deutſchen Fleiß , der deutſchen Sitte verdanken es die deutſchen Einwanderer und die Nachkommen derſelben , daß ſie gegenwärtig einen ange ſehenen und einflußreichen Beſtandtheil der Bevölkerung von Nordamerika bilden. Ihre Zahl , ihr Anſehen , ihre Intelligenz ſprechen ihnen vorzugsweiſe die Miſſion zu , den friedlichen Völkeraustauſch zu vermitteln zwiſchen dem Staate , deſſen Bürgerrecht fie rühmlich gewonnen haben , und demjenigen , auf welchem die Stammlandes beruht. Misa 20MR72

Zukunft

ihres

alten

No ti z e n .

1.

S. 6.

Friedrich Kapp hat ſich bekanntlich bereits mehrfach als Geſchichtsſchreiber der Deutſchen in Amerika ver: dient gemacht. Von ſeinen früheren hierher gehörigen Werken ſind zu empfehlen : Die Lebensbeſchreibungen der deutſch - amerikaniſchen Generale Friedr. Wilh . von Steuben (Berlin 1858) und Joh. Kalb (Stuttgart 1862) und die Geſchichte des Soldaten : handels deutſcher Fürſten nach Amerika , Berlin 1864. 2. S. 7. Die Berichte über die Entdeđungsreiſen der Normannen in Amerika ſind geſammelt in dem von der Nordiſchen Alterthums-Geſellſchaft zu Kopen hagen herausgegebenen Werke : Antiquitates Americanae sive Scriptores rerum Ante-Columbianarum. Hafniae 1837. Ein Denkmal dieſer älteſten europäiſchen An ſiedelungen hat fich bis auf den heutigen Tag erhalten . Bei der Stadt Newport auf der Inſel Rhode Island, auf einem Hügel , von dem man weit in’s atlantiſche Meer hinausblidt , ſteht eine kleine ringsum offene Rotunde in dem byzantiniſchen Rundbogenſtil, wie er in der erſten Zeit des Mittelalters bei Kirchenbauten überall, auch im germaniſchen Norden gebräuchlich war ; offenbar ein Werk der Normannen und zugleich ein Denkmal der älteſten Ausübung der chriſtlichen Re ligion im Gebiete der Vereinigten Staaten . Vergl. Heinr. Handelmann , Geſchichte der Vereinigten Staaten. 2. Ausg. Kiel 1860. S. 8. 3 Fiſcher, Auswanderung.

34 3.

4.

5.

6.

7.

Wilde Weinſtö đe von ungewöhnlicher Größe ſah in den Wäldern 3. G. Rohl , Reiſen in Canada, New - York und Pennſylvanien , Stuttgart 1856, S. 255. Nach ſolchen Weinſtöđen nannten auch die franzöſiſchen Entdeder von Canada eine der großen Inſeln im S. Lorenzſtrome l'île de Bacchus. S. 7. Ueber Minnewit und die ich wediſchen Coloni : ſationspläne 1. die Quellen bei Kapp , deutſche Einwanderung S. 16 und Anhang S. IV. Dort iſt auch der vollſtändige Titel des älteſten Deutſchen Aus: wanderungspamphlets mitgetheilt, der 1633 zu Frank: furt a. M. „ mit der Kron Schweden Freyheit “ er: ſchienenen Argonautica Gustaviana mitgetheilt , in welcher die Motive der von König Guſtav Adolf be abſichtigten ſchwediſch - deutſchen Anſiedelungen darge: legt worden ſind. S. 8. leisler's Hinrichtung ( 16. Mai 1691) war ein augen: fälliger Juſtizmord und iſt als ſolcher auch förmlich anerkannt worden , indem das Urtheil vom engliſchen Parlament 1695 als rechtsungültig umgeſtoßen wurde. Vergl. Kapp a. a. D. S. 34 ff. und Unh . V. , wo die zahlreichen amerikaniſchen Quellen dieſer merk würdigen Epiſode angeführt ſind. S. 12. C. G. Jochmann in ſeinen geiſtvollen Betrachtungen über den Proteſtantismus (Beidelberg 1826) nennt den Saß cujus est regio, ejus est religio , ein Sprüchwort oder vielmehr ein Schandwort, hinreichend, unſerer hochgeprieſenen Civiliſation den Stab zu brechen , da er des Menſchen Gottesverehrung, als haftete ſie wie irgend ein Hand- oder Spanndienſt auf dem Nacken der armen Staatseigenen , in eine ' dem jedesmaligen Grund- oder Landesherrn ſchuldige Sonntagsfrohne verwandelt. “ S. 7.

S. 13. Ueber den Erodus von 1709 ſ. Sapp S. 85 ff., und Dandelmann , Geſch. d. Vereinigten Staaten S. 324 ff. Die Mittheilungen über die Zwangsnieder : laffung am þudſon und die Anſiedelung in Schoharie

35

8.

S. 20.

9.

6. 21.

10.

S. 26.

11.

S. 30.

beruhen auf der ſehr anziehenden Darſtellung bei Rapp. Brown's Bericht iſt betitelt: Brief Sketch of the First Settlement of the County of Schoharie by the Germans, etc. by John M. Brown. Schoharie, Printed by L. Cuthbert 1823. Deutſche Sorgfalt beim Aderbau. , Dieſe Deutſchen füttern und pflegen ihre Aeder wie ihr Kind “ ( they nurse their soil like a child ) hörte Rohl bei der Reiſe durch die deutſchen Grafſchaften Penn: ſylvaniens von ſeinem Rutſcher, einem Yankee. (Reiſen in Canada z . S. 544.) Das Lied von der Schlacht bei Driskany und das von Chriſtian Schell find im engliſchen Ur tert und mit beigefügter deutſcher Ueberſeßung mit: getheilt bei Rapp Anh. XIX f. Ueber die Amerikaniſirung der deutſchen Ein wanderer giebt Rapp S. 306 ff. intereſſante Auf ſchlüſſe. Dieſelbe erſtredt ſich in vielen Fällen bis auf die Familiennamen, die entweder dem Klange nach angliſirt oder gradezu überſeßt werden . – Proben des vielfach mit Engliſch verſeßten F. g. Pennſylvanien : Deutſch bei Rohl , Reiſen S. 538 f. Das „ Knicker bocker New York Magazine “ veröffentlichte im März beft von 1862 Poeſien in dieſem Dialekt von Prediger Dr. Sarbaugh in Lebanon ( Pennſylvanien ), von denen einige Verſe hier eitte Stelle finden mögen :

Heit ishts exactly zwanzig Yobr, Das ich bin Owa naus ; Nau bin ich widder lewig z'rick Un steh' am Schul-baus an der Krick Yusht nackst an's atty's Haus. Ich bin in hundert Haeuser g'west, Von marbel Stein un' Brick ; Un' alles was ich hab' geseh

36

Det ich verschwappa any day Fuer's Schul-haus an der Krick .

i

Die neuerdings erſchienenen Gedichte von Leland : „ Hans Breitmann's Barty and other Poems “ ſind nicht deutſch - amerikaniſchen , ſondern anglo - amerikaniſchen Urſprungs; ſowohl ihre Sprache, eine luftige Miſchung von germanifirtem Engliſch und angliſirtem Deutſch , als ihre wirkſame Komik erinnern an das Studenten Latein und die epistolae obscurorum virorum . Der Inhalt dieſer Gedichte , welche unter der Hülle einer derben Parodie dem deutſchen Elemente in Amerika hohe Anerkennung zollen, iſt ein charakteriſtiſcher Beleg für die Bedeutung, welche den Deutſchen von den Anglo- Amerikanern ſelbſt bereitwillig zugeſtanden wird .

BRUTISET 20MR72

A, W. Scade's Buchdrucerei ( L. S dade) in Berlin, Stadſchreiberſtr. 47.