Kontinuität und Wandlungen der Eigentumsverfassung: Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 20. Oktober 1975 9783110903232, 9783110068696

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Kontinuität und Wandlungen der Eigentumsverfassung: Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 20. Oktober 1975
 9783110903232, 9783110068696

Table of contents :
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.

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Hans-Jochen Vogel Kontinuität und Wandlungen der Eigentumsverfassung

Hans-Jochen Vogel

Kontinuität und Wandlungen der Eigentumsverfassung

W DE G 1976 DE G R U Y T E R • B E R L I N • NEW Y O R K

Kontinuität und Wandlungen der Eigentumsverfassung

Von Hans-Jochen Vogel

Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 20. November 1975

W DE G 1976 DE G R U Y T E R • B E R L I N • NEW Y O R K

Dr. Hans-Jochen Vogel Bundesminister der Justiz

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Vogel, Hans-Jochen Kontinuität und Wandlungen in der Eigentumsverfassung: Vortrag gehalten vor d. Berliner Jur. Ges. am 20. November 1975. — 1. Aufl. — Berlin, New Y o r k : de Gruyter, 1976. (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e . V . Berlin; H . 51) I S B N 3-11-006869-9

© Copyright 1976 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sdie Verlagshandlung, J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, audi die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. — Printed in Germany. Satz und Druck: Saladruck, 1 Berlin 36 Buchbindearbeiten: Berliner Buchbinderei Wübben & Co., Berlin 42

I. Eigentum ist, auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, kein vorgegebener und absoluter Begriff und erst recht kein letzter Wert. Schon Otto von Gierke nannte das Eigentum eine historische, keine logische Kategorie. Die Zuordnung der realen Güter, der beweglichen und unbeweglichen Sachen zu einzelnen Rechtssubjekten — seien es nun natürliche oder juristische Personen — ist aber ganz ebenso ein universeller Grundtatbestand, wie es die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ist. Wie dagegen dieser Grundtatbestand ausgestaltet wird, welche Gegenstände der Zuordnung fähig sind, wer die Zuordnungssubjekte sein sollen — etwa Privatpersonen, Gesellschaften, Genossenschaften, Gemeinden oder der Staat — und welchen Inhalt die aus der Zuordnung fließende Verfügungs- und Nutzungsbefugnis, das habere, uti, frui und vielleicht auch abuti haben sollen: Das alles sind Fragen, die sehr unterschiedlich beantwortet werden können und in engem Zusammenhang mit den jeweiligen Kräften und Strukturen einer Gesellschaft, mit den Wert- und Kulturvorstellungen der Epoche stehen. Demgemäß zeigt die Vergleichung der verschiedenen Gesellschaftssysteme eine überaus große Anzahl unterschiedlichster Antworten. Und man braucht kein Marxist zu sein, um die zentrale Bedeutung dieser Antworten für die Gesamtverfassung einer Gesellschaft zu erkennen. Die Eigentumsfrage, das Problem der Güterordnung, liegt der Verkehrsordnung, also der Ordnung des Güter- und Leistungsaustausches, gedanklich voraus (F. v. Hippel). Schon Hegel erkannte in seiner Rechtsphilosophie den logischen Vorrang des Eigentums vor dem Vertrag. Karl Renner behandelt das Vertragsrecht und das Wirtschaftsrecht insgesamt als „Konnexinstitute" des Eigentums. Anders als die Straßenverkehrsordnung oder das Hypotheken- und Grundschuldrecht ist das Eigentum kein Rechtsinstitut, das innerhalb der Identität einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung so oder auch anders ausgestaltet sein kann. Die Eigentumsordnung ist immer ein Spiegelbild der Gesellschaftsordnung, sie ist eine elementare Antwort auf elementare Grundfragen des Gemeinschaftslebens. Darin liegen ihr hoher Rang und

6 die Aufmerksamkeit begründet, die sie immer wieder auf sich zieht. Für die neuere Zeit wurde der Eigentumsbegriff wesentlich im Zeitalter des Liberalismus geprägt. Der Liberalismus war es, der dem Eigentum für Verfassung und Wirtschaft theoretisch und politisch die beherrschende Rolle zugewiesen hat. Der frühe Liberalismus hat das Eigentum als Freiheitsrecht, als prinzipiell jedem Menschen offenstehenden Freiheitsraum in dinglich-gegenständlidher Hinsicht entdeckt. Er hat damit den ideellen Sinn des Eigentums entfaltet, an dem wir durch alle Wandlungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwelt hindurch nach Kräften festhalten. Hierin vor allem besteht die Kontinuität des Eigentums. Politischer Liberalismus und Vernunftrecht gingen aber von einem Sozialmodell aus, das sich durch die Eigendynamik seiner Prämissen selber fortwährend revolutioniert und verwandelt hat. Mit diesem Sozialmodell war die positive Eigentumsverfassung ständigen Wandlungen unterzogen. Sie beruhen im Kern bis heute auf dem Übergang des formalen Rechtsstaats in den sozialen Rechtsstaat, einem Prozeß, der noch nicht abgeschlossen ist. Den ideellen Sinn des Eigentums zu erhalten und im Sozialstaat für jedermann zu erschließen: das ist heute, auf dem Boden der gegenwärtigen sozialen Wirklichkeit, Aufgabe der Eigentumspo/iii&.

II. 1. Das bürgerliche Eigentumsdenken entwickelte sich im Gegensatz zum Feudalrecht. Der Feudalismus gewährte Eigentum nur wenigen; es war deshalb vor allem ein Instrument politischer Macht und ebenso ein Strukturprinzip der Wirtschaft wie der politischen Ordnung. In der französischen Revolution erkämpfte sich das Bürgertum nicht nur die politische Freiheit, sondern auch die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung von der staatlichen Einflußnahme. Der Eigentumsbegriff, den es sich suchte, war der des Eigentums als des absoluten, grundsätzlich unbeschränkten Herrschaftsrechts des einzelnen. Der Code Napoleon definiert: Eigentum ist das Recht, Sachen auf die unumschränkteste Weise

7 zu nutzen und über sie zu verfügen, so lange man von diesem Recht keinen durch Gesetz oder Verordnung verbotenen Gebrauch macht. Unbeschränkte Privatnutzung war die Regel, Beschränkung die Ausnahme; die Vermutung sprach gegen die Gebundenheit des Eigentums und für seine Unbeschränktheit. Dies alles nicht nur in einem rechtstechnischen oder gar prozessualen Sinne. Die Philosophie dieses Eigentumsbegriffs war die eines wirklichen Vorrangs der Individualinteressen vor denen der Gemeinschaft. Das Eigentum wurde zum Mittelpunkt eines entpolitisierten Privatrechts, zum Musterbeispiel des subjektiven Rechts, das bis heute noch der unverzichtbare Zentralbegriff allen Privatrechts geblieben ist. Dem Prinzip des laisser-faire auf ökonomischem Gebiet entsprach das rechtliche Grundprinzip, daß die Rechte des einzelnen nur durch die Rechte anderer einzelner begrenzt werden. Es war die Grundüberzeugung des Liberalismus, daß die größtmögliche Freiheit der einzelnen wie durch eine unsichtbare H a n d den größten gesellschaftlichen Wohlstand aller hervorbringen und alle Kräfte in einer prästabilierten Harmonie vereinigen werde. Folglich ging man geradezu von einem Gegeneinander von Staat und Gesellschaft aus. Staatsaufgabe war im wesentlichen nur „Polizey". Die Erinnerung an die vielfältigen Bindungen der Feudalzeit, die das Bürgertum eben abgestreift hatte, ließ einstweilen kein neues öffentliches Recht aufkommen, das die individuelle Freiheit in einer neuen Form gesamtgesellschaftlicher Solidarität eingebunden hätte. Es ist die Tragik der deutschen Zivilrechtskodifikation, der deutschen Kodifikationsbewegung überhaupt, daß sie sich historisch verspätet hat. Das Bürgerliche Gesetzbuch bezieht sich noch auf ein Sozialmodell, das im Jahre 1900 bereits überlebt war. Die Bestimmung des § 903 BGB, daß der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren könne — im ersten Entwurf hieß es sogar: nach Willkür — atmet noch denselben Geist wie die um ein Jahrhundert ältere Eigentumsdefinition des Code Civil. 2. Dabei war schon Jahrzehnte vor dem Inkrafttreten des BGB die Kritik an dem absoluten und unverletzlichen Charakter des Eigentumsrechts wach geworden. Zwar hatten die Paulskirchenverfassung und die Preußische Verfassung von 1850 noch den

8 Satz aufgestellt: „Das Eigentum ist unverletzlich". Aber bereits in der Plenardebatte über die Paulskirchenverfassung wurde auf die Gefahren hingewiesen, die das unbedingte und unumschränkte Eigentum für das Gemeinwohl mit sich bringt. Auch Gierke und Ihering warnten vor einem schrankenlosen Eigentumsbegriff als „einer gemeingefährlichen Fiktion". Vor allem aus dem Lager der Germanisten regte sich Widerstand gegen den Absolutismus und den Universalismus des abstrakten pandektistischen Eigentumsbegriffs, der weder die Person des Eigentümers noch die Eigenart des Rechtsgegenstandes zur Kenntnis nahm. In seiner scharfen Polemik gegen den ersten Entwurf des BGB nannte es Gierke einen „kulturfeindlichen Widersinn", „daß ein Stück unseres Planeten einem einzelnen Menschen in derselben Weise eigen sein soll wie ein Regenschirm oder ein Guldenzettel". Die soziale Wirklichkeitsferne des Entwurfs geißelte auch der gerne als Kathedersozialist belächelte Anton Menger. Und Papst Leo XIII. bekannte sich 1891 in der Enzyklika Rerum Novarum zur Sozialpflichtigkeit des Produktiveigentums. Die sozialen Verwerfungen der beginnenden Industrialisierung Deutschlands hatten den Glauben an die automatische Harmonie von Eigennutz und Gemeinnutz und an die Selbstregulierung der Gesellschaft erschüttert. Allmählich wurde das Eigentum aus seiner privatrechtlichen Isolierung herausgeführt. Die Erkenntnis bahnte sich an, daß das Eigentum in eine Gesamtordnung eingebettet ist, in der die Bürger ebenso wie der Staat Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Vier Jahrzehnte vor der Weimarer Reichsverfassung erkannte das Preußische Oberverwaltungsgericht bereits, daß Eigentum nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Neue Gerechtigkeitsvorstellungen sind immer auch eine Antwort auf neue gesellschaftliche Realitäten. Die Wirklichkeit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zuspitzung der sozialen Frage, der zunehmende Gegensatz der Klassen. Der Liberalismus hatte sich unfähig gezeigt, Solidarität zu schaffen und zu erhalten. Zum Beweisanzeichen für die Unausweichlichkeit einer neuen Antwort wurde Karl Marx, zur treibenden Kraft die immer mehr erstarkende Arbeiterbewegung. Es ergab sich nicht zufällig, daß neben dem Wahlrecht gerade die Eigentumsverfassung — also zwei machtvermittelnde Institutionen —

9 in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rückten. Freilich gaben erst die N o t des Ersten Weltkrieges und die aus ihr geborene Revolution den neuen Forderungen ausreichende Stoßkraft. Die Freiheit des Eigentümers sollte nicht mehr Selbstzweck sein; das Eigentum sollte einer sozialen Funktion untergeordnet werden. Dabei verlagerte sich der Akzent von der Eigentumsstatik zur Eigentumsdynamik, vom „ruhigen Haben" zur wirtschaftlichen Nutzung des Eigentumsobjekts. 3. Was die Eigentumsbindung angeht, so brachte die Weimarer Reichs Verfassung eine entscheidende Wendung der Blickrichtung. Bisher hatte man die Frage der Gemeinschaftsverträglichkeit des Eigentums bloß im Sinne einer Mißbrauchsgrenze, im Sinne des allgemeinen Schikaneverbots gesehen. N u n wird die Eigentumsnutzung von vornherein an das Gemeinwohl gebunden. „Eigentum verpflichtet, sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen." Zum ersten Mal in einem Verfassungstext wird der einzelne zu positivem Tun, zur Bejahung der Interessen der Allgemeinheit beim Gebrauch seines Eigentums aufgerufen. Artikel 155 konkretisierte diesen Aufruf f ü r das Bodeneigentum: „Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft"; in Anlehung an Adolf Damaschke heißt es dort auch ganz aktuell: „Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeitsoder Kapitalaufwendung des Grundstückes entsteht, ist f ü r die Gesamtheit nutzbar zu machen". Mit dem Gedanken der immanenten Sozialpflichtigkeit des Eigentums war die Vorstellung, daß jede dem Eigentümer auferlegte Pflicht dem Wesen seines obersten Herrschaftsrechts widerstreite, endgültig aufgegeben. So spiegelte sich im Eigentum der Ubergang des formalen Rechtsstaates in den sozialen Rechtsstaat, dessen Ziel nicht bloß die Gewährleistung individueller Rechtspositionen, sondern die Herstellung und immer neue Bewährung sozialer Gerechtigkeit ist.

III. Unter den Belastungen der Nachkriegszeit konnten die Programmsätze der Reichsverfassung in der Weimarer Republik

10 nicht verwirklicht werden. Der aufkommende Faschismus erstickte alle Keime eines freiheitlichen Sozialstaates. Um so stärker war der Grundgesetzgeber gefordert, in einer Stunde der kollektiven und individuellen Armut, aber auch des politischen Neubeginns, dem sozialen Rechtsstaat verfassungsrechtliche Konturen zu geben. Bei der Ausgestaltung der Eigentumsgarantie galt es, zum einen den bewährten unerläßlichen Normenbestand zu sichern, zum anderen aber auch die Eigentumsverfassung des modernen Industriestaates für neue Entwicklungen offen zu halten. 1. Das Grundgesetz enthält, hierin an die Weimarer Verfassungsrechtslehre anknüpfend, eine zweifache Sicherung des Eigentums. Das Eigentum wird einmal als subjektives Recht des einzelnen geschützt, zum anderen als Einrichtung, als Institut. Als subjektives Recht ist das Eigentum nach Artikel 14 ein elementares Individualgrundrecht: Es wird als eine der Voraussetzungen freier und verantwortlicher Lebensgestaltung gewährleistet; es sichert dem Bürger einen individuellen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich. Zur freien Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gehört auch eine nach den persönlichen Absichten und Wertungen gestaltbare Eigentumssphäre. Der einzelne hat ein Recht auf den Erwerb von Eigentum; er kann rechtswidrige Angriffe der öffentlichen Gewalt auf sein Eigentum abwehren und er hat einen Anspruch auf Schutz gegen die Eingriffe Dritter. Rechtmäßige hoheitliche Eingriffe lösen einen Entschädigungsanspruch aus, der im ordentlichen Rechtsweg verfolgt werden kann. Die Garantie des Eigentums als Rechtsinstitut verstärkt die Sicherung des Eigentums als eines subjektiven Rechts. Denn das Grundrecht des einzelnen setzt das Rechtsinstitut „Eigentum" voraus, das heißt einen Normenkomplex, der den Erwerb, die Nutzung und die Veräußerung vermögenswerter Rechte ermöglicht. Die Institutsgarantie verweist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugleich auf die Geschichte und auf die Gegenwart des Eigentumsdenkens: Das Eigentum soll so verstanden und geschützt werden, wie es das bürgerliche Recht und die gesellschaftlichen Anschauungen geformt haben. Ein wesentliches Element der Institutsgarantie ist das Prinzip der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Eigentums als der unent-

11 behrlichen G r u n d l a g e privater Initiative und eigenverantwortlichen privaten Handelns. U b e r die Vervollständigung des Grundrechtsschutzes hinaus enthält die Institutsgarantie auch eine objektive Wertentscheidung f ü r das Privateigentum. D a m i t ist weder eine bestimmte Wirtschafts- und Gesellschaftsverfassung festgeschrieben, noch sind dem S t a a t etwa Maßnahmen der Vermögensumschichtung verwehrt. D i e Existenz von privatem Eigentum muß aber ein Element der gesellschaftlichen Gesamtordnung bleiben. Beide Gewährleistungen des Eigentums, die des subjektiven Rechts und die des Rechtsinstituts, werden von der Wesensgehaltsgarantie des Artikels 19 A b s a t z 2 erfaßt. I m Unterschied zur Weimarer Verfassung läßt das Grundgesetz den Ausschluß einer Enteignungsentschädigung nicht z u ; es hat die J u n k t i m klausel eingeführt und den ordentlichen Rechtsweg f ü r Entschädigungsansprüche eröffnet. Außerdem ist durch die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit die Sicherung der Grundrechte insgesamt entscheidend verbessert worden. 2. D i e Kontinuität des Eigentums, so sagte ich, erweist sich in der Wahrung seines ideellen Sinnes durch allen gesellschaftlichen Wandel hindurch. D e r noch in der Weimarer Zeit von Martin Wolff theoretisch begründete, v o m Reichsgericht aufgenommene und v o m B G H und Bundesverfassungsgericht vollendete Ausbau des Eigentumsschutzes ist ein Beispiel f ü r das, w a s Kontinuität der Eigentumsverfassung meint. Gegenstand des Eigentumsschutzes ist heute über das Sacheigentum des bürgerlichen Rechts hinaus jedes Vermögenswerte Privatrecht, zum Beispiel auch eine L o h n f o r d e r u n g oder ein Gesellschaftsanteil. D i e Vermögensrechte haben weithin die früher durch das Sacheigentum erfüllte Funktion der Existenzsicherung übernommen. B a l d wurden auch öffentliche Vermögensrechte in den Schutzbereich des Artikels 14 einbezogen. D i e Frage nach der Reichweite des Schutzes öffentlich-rechtlicher Positionen ist freilich bis heute umstritten geblieben. Das Bundesverfassungsgericht hat — anders als der Bundesgerichtshof — Artikel 14 nur zögernd auf öffentliche Rechte angewandt und den Schutz bisher auf solche Rechte beschränkt, die eigentumsgleichen C h a r a k t e r haben und mit dem A u f w a n d eigener Leistung oder eigenen K a p i t a l s erworben worden sind. Eine bemerkenswerte Begrün-

12 dung f ü r den Ausbau des Eigentumsschutzes hat der B G H gegeben: D a der Staat heute nach allen Vermögenswerten Rechten greife, bedeute es einen Gleichheitsverstoß, wenn sie nicht alle gleichermaßen durch die Eigentumsgarantie geschützt würden. Im privatrechtlichen Bereich ist mit dieser Erweiterung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie das entscheidende Wertungsproblem — die Frage, welche Vermögenswerten Positionen als geschützte Individualrechte zu gelten haben — in den Begriff des subjektiven Rechts verlagert. Es wird dem Sinn der Eigentumsgarantie nicht gerecht, wenn dieser Begriff immer weiter überdehnt und damit überfordert wird. Vor allem im Bereich der gewerblichen und wettbewerblichen Vermögenswerten Positionen haben sich in der Vergangenheit hier nicht ungefährliche Tendenzen gezeigt. Allen diesen Positionen Verfassungsrang zu geben, hieße die Eigentumsgarantie besitzindividualistisch mißverstehen. Es hieße verkennen, d a ß eine freiheitliche und f u n k tionsfähige Wirtschaftsordnung und ebenso ein freiheitliches und funktionsfähiges Privatrecht heute nicht mehr einseitig vom Systemgedanken des subjektiven Rechtsschutzes her konstruiert werden können (L. Raiser). Der Ausdehnung des Eigentumsschutzes hat die Rechtsprechung eine immer weitere Auffächerung der entschädigungspflichtigen Eingriffstatbestände an die Seite gestellt, welche die Enteignung im klassischen Sinne weit hinter sich gelassen hat. Die komplizierten Linien dieser Entwicklung k a n n ich hier und heute nicht nachzeichnen. 3. D e m Wortlaut nach befinden sich der Gesetzgebungsvorbehalt zur Inhaltsbestimmung und die Sozialbindung des Eigentums in Artikel 14 des Grundgesetzes in weitgehender Übereinstimmung mit der Weimarer Verfassung. H i e r aber hat in der Sache ein entscheidender Wandel eingesetzt, der den durchgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen der letzten J a h r zehnte Rechnung trägt. Das Menschenbild des Grundgesetzes ist — in den Worten des Bundesverfassungsgerichts — nicht das eines selbstherrlichen Individuums, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit. Diese Sicht des Verhältnisses von Individuum und staatlicher Gemeinschaft mußte sich auch auf das Eigentumsdenken auswirken.

13 a) Hierüber gibt bereits der Aufbau der Verfassung einigen Aufschluß. Staatliches Handeln findet nicht mehr nur am Leben und Eigentum der Bürger seine Grenze. Die Eigentumsgarantie steht im Gefüge des Grundgesetzes gleichberechtigt neben anderen Grundrechten. Eigentum ist nur ein Teil des Güter- und Wertsystems der Verfassung. Neben anderen Freiheitsrechten und Sozialrechten des Bürgers, etwa der Berufsfreiheit, hat es seinen beherrschenden Charakter verloren. Dem Eigentum stellt das Grundgesetz zudem das dynamische Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit gegenüber, eine Staatszielbestimmung, die zum ersten Mal in eine deutsche Verfassung aufgenommen worden ist. Damit hat das Grundgesetz die Folgerung aus der Unzulänglichkeit des nur formalen Rechtsstaats gezogen. Der Sozialstaat ist nicht nur ein Staat der sozialen Daseinsvorsorge und -fürsorge, nicht nur ein Wohlfahrtsstaat. Er ist auch ein Staat der sozialen Integration. Sozialverantwortung trägt nicht nur der Staat, sondern auch der einzelne. Sozialstaat bedeutet nicht nur Sozialpflichtigkeit des Gemeinwesens gegenüber seinen Gliedern, sondern auch Sozialpflichtigkeit der Glieder der Gemeinschaft untereinander sowie gegenüber der Gesamtheit. Der Sozialstaat zielt auf Solidarität, auf eine freie und soziale Gemeinschaft gleichberechtigter Bürger. Dazu bedarf es des Schutzes und der Sicherung menschenwürdiger Lebensumstände auch für die Schwächsten und der Schaffung gleicher realer Lebenschancen f ü r alle. Mit der grundrechtlichen Sicherung individueller Entfaltungsräume ist der Sozialstaatsgedanke stets von neuem zu vermitteln, in „praktische Konkordanz" (Hesse) zu bringen. N u r dann ist gewährleistet, daß die Ausübung der bürgerlichen Freiheitsrechte stets auch die soziale Verpflichtung jedes einzelnen gegenüber dem Ganzen verwirklicht. Diese Sozialbindung der Freiheit hat Artikel 14 ausdrücklich in die Eigentumsgarantie eingeschlossen. Sie ist nicht mehr, wie noch in der Weimarer Verfassung, bloß Aufruf und Appell, sondern bindender Verfassungssatz, Verpflichtung f ü r den Gesetzgeber, Auslegungsrichtlinie f ü r die vollziehende und richterliche Gewalt und unmittelbar geltendes Recht im privaten Verkehr. b) Damit ist allen Zweifeln entrückt, daß das Eigentum seinem Wesen nach in einer sozialen Bindung steht; die Gebundenheit gehört zur inneren Struktur des Grundrechts. Werner Weber hat das in dem Satz ausgedrückt, daß Eigentum und Ver-

14 mögen von vornherein nicht mehr hergeben, als ihnen die Sozialordnung an Inhalt und Möglichkeiten zuerkennt. c) Der Sozialstaat verwirklicht sich nicht von selbst. Der Glaube, Eigentumsfreiheit, Gewerbefreiheit, Freihandel und Gewinnstreben führten von selbst zum größten Glück der größten Zahl, hat getrogen. Der Staat muß vielmehr die Bedingungen für die Entfaltung der Wohlfahrt und der sozialen Gerechtigkeit immer aufs Neue schaffen und erhalten. Alles Eigentum ist grundsätzlich in gleicher Weise sozial gebunden. Freilich wird das Ausmaß seiner Berührung mit der Gemeinschaft, seine Nähe zum Bereich des öffentlichen ein Maßstab für die Ausgestaltung der Eigentumsschranken sein. Der Gesetzgeber wird die soziale Bindung des Eigentums vor allem dort zur Geltung bringen, wo das Gemeinwohl besonders betroffen ist. Immer bleibt er dem Gebot der Verhältnismäßigkeit und dem Ubermaßverbot unterworfen. Eingriffe in den Kernbereich des Eigentums können nicht als Inhaltsbestimmung deklariert werden. Die Sozialbindung rechtfertigt es nicht, einem einzelnen ein besonderes, ihn ungleich treffendes Opfer aufzuerlegen, das sein Eigentum aushöhlt. Dem Gesetzgeber steht hier nur der Weg der entschädigungspflichtigen Enteignung offen. Dem Bürger bleibt ein wertmäßiger Ausgleich für die erlittene Einbuße. 4. Wie die Weimarer Reichs Verfassung (Artikel 156) ermöglicht auch das Grundgesetz (Artikel 15) die Sozialisierung, das heißt die Überführung von Gegenständen aus privatem Eigentum in Gemeineigentum. Es stellt dabei ausdrücklich klar, daß die Eigentümer auch in diesem Falle entschädigt werden müssen. Die praktische Bedeutung des Artikels 15 ist indes bis heute überaus gering geblieben. Dies wohl vor allem deshalb, weil Artikel 15 für die wirklich bedeutsamen wirtschaftspolitischen Probleme der Gegenwart, insbesondere für die Mitbestimmungsfrage und für die Frage nach den Mitteln, der Reichweite und den Grenzen staatlicher Wirtschaftssteuerung, keine Lösungsgesichtspunkte enthält. Im übrigen hat sich weithin die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Änderung des Eigentumstitels noch lange nicht soziale Gerechtigkeit, Humanisierung des Arbeitslebens, bessere Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse oder den Abbau von Gruppengegensätzen verbürgt. Die deutsche Sozialdemokratie jedenfalls hat die frühere Gleichsetzung

15 des Sozialismus mit der Sozialisierung der Produktionsmittel überwunden. Das Godesberger Programm läßt keinen Zweifel daran, daß sich überhaupt der Sozialismus nicht in institutionellen Maßnahmen erschöpft. Es sieht im Gemeineigentum nicht mehr und nicht weniger als eine von vielen möglichen legitimen Formen der öffentlichen Kontrolle über die Wirtschaft. Es erklärt Gemeineigentum da für zweckmäßig und notwendig, wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann.

IV. Die Befugnis des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken zu bestimmen, ist nicht nur Legitimation, sondern auch Auftrag. Ich will Ihnen anhand einiger besonders wichtiger Materien darzustellen versuchen, wie der Gesetzgeber diesen Auftrag versteht. Vergegenwärtigen wir uns zunächst aber, auf welchem Terrain eine Gesetzgebung zu operieren hat, die es sich zum Ziel setzt, die Kontinuität des Eigentums, dessen Sinn und soziale Funktion unter gewandelten Bedingungen zu erhalten. Denn das Eigentum hat als Rechtsinstitut, ohne daß das Normenwerk einschneidend geändert worden wäre, durch die Entwicklung der Produktivkräfte und durch den Ubergang zur vollentfalteten Industriegesellschaft einen grundlegenden Funktionswandel erfahren. Karl Renner hat diesen Funktionswandel bereits 1928 mit großer Präzision dargestellt. 1. Im Bereich der privaten Daseinssicherung handelt es sich vor allem um einen deutlichen Funktionsverlust. Wer von uns lebt noch von seinem Erb und Eigen? Kapitaleinkünfte bieten den wenigsten unter uns mehr als ein Zubrot. Der Handwerksbetrieb, die Landwirtschaft, in denen der Eigentümer sich selbst verwirklicht, produziert, seine Familie ernährt, sind bei aller Bedeutung, die dem Handwerk und dem bäuerlichen Einzelbetrieb auch heute noch zukommt, nicht mehr die typische Lebensumwelt der Mehrzahl der Bürger. Grundlage individueller Existenzsicherung und Daseinsgestaltung ist heute überwie-

16 gend nicht mehr das private Eigentum im herkömmlichen Sinne, sondern das Einkommen aus eigener Arbeit und in zunehmendem Maße die Teilhabe an den Leistungen staatlicher Daseinsfürsorge in Gestalt von Ansprüchen aus Versorgungsrecht, Versicherungs- oder Sozialrecht. Mangels ausreichenden Privatvermögens ist der einzelne heute von öffentlichen Leistungen und Sicherungen immer abhängiger geworden. Damit wird die Frage dringlich, ob sich die historisch mit der Eigentumsgarantie angestrebte Freiheitssicherung in der Gegenwart erhalten und in die Zukunft transponieren läßt, wenn man nicht diese öffentlichen Teilhaberechte als „new property" (Ch. Reich) anerkennt und mit entsprechenden Garantien ausstattet. Ist soziale Sicherung eine neue Form freiheitsverbürgenden Eigentums? Mit dieser Frage hat der Rechtspolitische Kongreß der S P D in diesem Jahr ein Thema angepackt, das uns noch lange beschäftigen wird. Man wird sich der Einsicht auf die Dauer nicht entziehen können, daß die sozialen Rechte im Sozialstaat grundsätzlich gleich schutzwürdig sind wie die Eigentumsrechte im bisherigen Sinne. Soziale Ungleichheiten widersprechen nicht nur der Idee des Sozialstaats; es würde zwangsläufig die Frage aufwerfen, ob das Eigentum auf Dauer geschützt werden kann, wenn wir die Rechte schutzlos lassen, die viele Bürger neben oder anstelle von Eigentum brauchen, um ein Leben frei von Sorge und Not führen zu können. Eine eher zweitrangige Frage ist demgegenüber, ob die Garantie der sozialen Rechte durch deren Einbeziehung in den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff oder aber durch Ableitung aus dem Sozialstaatsgedanken bewerkstelligt werden soll. Beide Lösungen haben ihr Für und Wider. Eine Einbeziehung jedenfalls gewisser sozialer Rechte in die Eigentumsgarantie könnte dem Gedanken der Freiheitssicherung durch Eigentum neue Glaubwürdigkeit verleihen und damit zu einer Entspannung und Belebung der jetzt einseitig auf das Produktiveigentum bezogenen Eigentumsdiskussion führen. Die Anknüpfung an das Sozialstaatsprinzip hingegen würde dieses als ein eigenständiges, entwicklungsfähiges Verfassungsprinzip ausweisen, würde vielleicht gerade den sozial schwächeren Volksschichten die Identifikation mit der Verfassungsordnung erleichtern und damit deren Integrationswirkung stärken. Letzten Endes sind das alles freilich nur verfassungspolitische Überlegungen, Wünschbarkeiten. Maßgebend wird die

17 Überzeugungskraft der juristischen Verfassungsinterpretation sein. Vor allem Schematismus wird man sich hüten müssen. Die Gestaltungsformen und Zwecke der verschiedenen staatlichen Leistungen sind vielfältig. Die strukturellen Unterschiede zwischen dem herkömmlichen Eigentum und diesen — wie die Lehre zum Teil sagt — „Eigentumssurrogaten" sind erheblich. Auch dann, wenn man — wie gelegentlich vorgeschlagen wird — den Verfassungsrang für sozialrechtliche Positionen davon abhängen ließe, ob sie durch eigene Leistungen erworben sind, würde erhebliche Unsicherheit in die Eigentumsverfassung hineingetragen. Eine nach dem Erwerbstitel des Eigentums differenzierende verfassungsrechtliche Wertung muß großer Vorsicht begegnen. Im traditionellen Bereich des Eigentums ist der staatliche Schutz seit jeher verdientem und unverdientem, erarbeitetem und ererbtem Eigentum gleichermaßen zuteil geworden. Gewinn und Verlust lassen sich in einer entwickelten Industriegesellschaft mit einem komplexen Sozialsystem überhaupt kaum mehr auf den einheitlichen Nenner der persönlichen Leistung bringen. Weitere Probleme ergeben sich daraus, daß die Grenzen zwischen erdienten Anwartschaften und den Leistungen öffentlicher Fürsorge im Bereich der öffentlich-rechtlichen Ansprüche fließend sind. Auch die im Bereich der sozialen Sicherung maßgeblichen sozialpolitischen Verteilungsmuster, etwa die Dynamisierung der Renten oder eine in kritischen Fällen mögliche Kürzung von Rechten aus Gründen der Solidarität, haben wenig gemein mit der im Bereich des klassischen Eigentums geltenden Garantie der Gegenstandssubstanz und des Verkehrswerts. 2. Nicht weniger einschneidend ist der Funktionswandel des Eigentums in der Produktionssphäre. In der Hand des vorindustriellen oder frühkapitalistischen Produzenten vereinigte das Eigentum die Entscheidung über den wirtschaftlichen Einsatz, die Allokation, der Produktionsmittel und das Einkommen aus der Wirtschaftstätigkeit, die Ertragschancen und das Risiko der Haftung vollständig bei einer Person. Diese Einheit hat die wirtschaftliche und namentlich die technische Entwicklung der Produktivkräfte immer stärker zersetzt. In den Kapitalgesellschaften, der für die moderne Industriegesellschaft kennzeich-

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nendsten Organisation des Produktiveigentums, fallen die Allokationsfunktion und die Einkommensfunktion des Eigentums auseinander. Seit der „Revolution der Manager" (James Burnham) liegt die Verfügungsbefugnis über das Produktiveigentum beim Management oder wie Galbraith sagt: bei der Technostruktur. Das erwirtschaftete Einkommen oder die Wertsteigerung des Unternehmens dagegen fließen den Anteilseignern zu, die keine Einwirkung auf das unternehmerische Handeln haben und oftmals anonym bleiben. Ihr Eigentum ist nur passiv-rezeptiv (Berle und Means). Besonders im Falle der größten Unternehmen wird der Unternehmenserfolg für die Gesamtheit so bedeutsam — etwa für die konjunkturelle Entwicklung, die Arbeitsplätze, die Wirtschaftsstruktur ganzer Branchen und Regionen — daß das Risiko unternehmerischer Fehlschläge von der Öffentlichkeit nolens volens mitgetragen wird. Der Staat ist in eine Mitverantwortung hineingedrängt, der er sich nicht entziehen kann. Die Sanierungs- und Stützungsaktionen in den Fällen Ruhrkohle, Krupp und BMW mögen als Beispiele genügen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die Dynamik des Privateigentums hat zudem eine Konzentrationsbewegung in Gang gesetzt, die sich anschickt, die Entwicklung des Eigentums aus dem Herrschaftsinstrument der Feudalzeit zum Freiheitsredit des Frühliberalismus wieder umzukehren. Wer, so heißt es im Godesberger Programm, in den Großorganisationen der Wirtschaft die Verfügung über Millionenwerte und über Zehntausende von Arbeitnehmern hat, der wirtschaftet nicht nur, er übt Herrschaftsmacht über Mensdien aus. Und dies nicht nur im Innern der Unternehmensorganisation, sondern auch nach außen, im marktwirtschaftlichen Aktionsfeld der unternehmerischen Tätigkeit, im Verhältnis zu den Wettbewerbern, zu den Verbrauchern, zur Allgemeinheit und zum Staat. Seitdem wir wissen, daß das Modellbild der vollkommenen Konkurrenz, in dem jeder Teilnehmer des Marktgeschehens nur reagiert, aber nie agiert, die Wirklichkeit nicht zulänglich erfaßt, ist eines klar: Die Unternehmensfunktion ist nicht mehr eindeutig definiert als Gewinnmaximierung und audi nicht mehr als möglichst vollkommene bloße Anpassung an äußere Bedingungen. Die Unternehmen haben vielmehr einen Entscheidungsspielraum, in dem eine Vielzahl von Motiven wirksam werden kann;

19 sie treiben eine Produktenpolitik, eine Innovationspolitik, eine Diversifikationspolitik, eine Beschäftigungspolitik, eine Preispolitik und viele andere Politiken mehr. Unternehmerische Entscheidung ist aktives, gestaltendes Handeln, das Folgen für die Umwelt im weitesten Sinne hat — weit über die im Unternehmen Beschäftigten hinaus. 3. Gegenstück dieser Repolitisierung, oder wie auch kritisch gesagt worden ist: Refeudalisierung, der Eigentumsordnung ist eine „Durchstaatlichung der Ökonomie" (Renner). Der Staat kann sich nicht auf die Rolle des Nachtwächters zurückziehen; mit bloßer „Polizey" ist es nicht mehr getan. Funktion des Privateigentums ist es noch immer, der Wirtschaft eine relative Autonomie gegenüber dem politischen System zu ermöglichen (Luhmann). Aber schon der in der Anfangszeit der Bundesrepublik wirksame Ordoliberalismus wußte, daß der Staat der Wirtschaft Rahmenbedingungen setzen muß, daß er sie ordnen muß, wenn nicht die selbstzerstörerischen Tendenzen der Eigentumsdynamik die Oberhand gewinnen sollen. Vor allem seit der Keynes'schen Revolution des wirtschaftspolitischen Denkens ist die Vorstellung einer reinlichen Scheidung von Staat und Gesellschaft obsolet. Die Stabilität der Eigentumsgewährleistung hängt geradezu vom Erfolg der Kooperation von Staat und Wirtschaft ab. Seine Verantwortung für das Gemeinwohl kann der Staat nur wahrnehmen, wenn er sich einerseits nicht als freischwebender Schiedsrichter über den Gruppen mißversteht, andererseits aber nicht zur Beute mächtiger Interessengruppen wird.

V. Lassen Sie mich nun an einigen Beispielen zeigen, wie der Gesetzgeber versucht, die Kontinuität der Eigentumsverfassung im Funktionswandel des Eigentums zu wahren. 1. Besonders unser Bodenrecht trägt noch die Geburtsmale des liberalen Rechtsstaats. Hier hat der soziale Rechtsstaat den größten Nachholbedarf. Ein großer Teil der Öffentlichkeit und vor allem auch die Kirchen haben erkannt, daß die „uneinge-

20 schränkte Verfügung über Grund und Boden als privates Eigentum und als Gegenstand von Spekulation und Profit zu einem Problem der Allgemeinheit" (Katholische Akademie in Bayern, 1971) geworden sind. Eine Ursache der Mißstände ist der universalistische Eigentumsbegriff des römischen Rechts, den der Liberalismus aufgegriffen hatte. In der Auseinandersetzung mit diesem Eigentumsbegriff ist ein Sonderrecht des Bodeneigentums seit O t t o von Gierke immer wieder gefordert worden. Das bisherige Bodenrecht behandelt Grund und Boden im Prinzip wie jede andere Ware und läßt nicht nur den Preis, sondern weithin auch die Nutzung nach Marktgrundsätzen bestimmen. Die Folgen sind Fehlnutzungen, die den Interessen der Gemeinschaft in eklatanter Weise zuwiderlaufen. Das geltende Bodenrecht widerspricht den Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit. Es ermöglicht einigen Wenigen mühelose und dazu noch steuerfreie Gewinne. Die Bodeneigentümer sind durch ihre monopolartige Stellung dem Wettbewerb weithin entzogen. Daraus und aus der laufenden Verknappung des Baubodens folgt eine gigantische Fehlakkumulation unseres Volksvermögens, deren Ausmaß gar nicht überschätzt werden kann. Die N o t unserer Städte geht darauf zurück, daß die Gemeinschaft nach dem geltenden Recht nicht in der Lage ist, Nutzungskonflikte effektiv zu entscheiden. Sie ist darüber hinaus nur ganz unzureichend an den Bodenwertsteigerungen beteiligt. Sie muß zwar Planungsschäden vergüten, die Planungsgewinne verbleiben aber vollständig beim einzelnen Eigentümer. Dieses Bodenrecht ist bereits im Ansatz verfehlt. Grund und Boden ist als nahezu einziges Gut unvermehrbar, unverzichtbar und unzerstörbar. E r ist zudem eines der ganz wenigen Wirtschaftsgüter, die man fast ohne Kosten und unbegrenzt brach liegen lassen und horten kann. Außerdem ist er ein Gut, das in besonders hohem Maße Gegenstand und Nutznießer öffentlicher Aufwendungen und Planungen ist. Das Bundesbaugesetz vermochte nicht den Fehlentwicklungen Einhalt zu gebieten. Das Städtebauförderungsgesetz aus dem Jahre 1971 löste immerhin einige wichtige Teilprobleme, freilich nur für räumlich eng umgrenzte Bereiche. Einen wirklichen Durchbruch wird erst die Novelle des Bundesbaugesetzes darstellen, die zur Zeit im Bundestag beraten und nodh in dieser Legislaturperiode Gesetz werden wird. Die Novelle wird

21 voraussichtlich folgende besonders bedeutsamen Änderungen bringen: — Die Gemeinden erhalten die Befugnis, in stärkerem Maße auf die Grundstücksnutzung Einfluß zu nehmen. Sie können die zulässige Nutzung konkreter festlegen und dazu insbesondere Bau-, Nutzungs-, Modernisierungs-, Instandsetzungs- und Abbruchsgebote erlassen. — Das Enteignungsverfahren soll vereinfacht, die Höhe der Enteignungsentschädigung dadurch begrenzt werden, daß sie nicht mehr die planungsbedingten Wertsteigerungen insgesamt umfaßt. — Die planungsbedingten Wertsteigerungen von Grund und Boden sollen wenigstens zur Hälfte der Gemeinschaft zufließen. — Das Vorkaufsrecht der Gemeinden soll erweitert, der von den Gemeinden zu zahlende Kaufpreis limitiert werden. Diesen Maßnahmen müssen weitere folgen. Insbesondere muß eine Bodenwertzuwachssteuer auf außergewöhnliche Wertsteigerungen vorbereitet werden, die nicht auf Planungsentscheidungen oder eigene Aufwendungen, z. B. für Erschließung, zurückzuführen sind und die eine angemessene Verzinsung des im Boden investierten Kapitals übersteigen. Die Regierungserklärung vom 18. Januar 1973 enthält eine entsprechende Ankündigung. Nach weitergehenden Reformüberlegungen soll eine neue Eigentumsform geschaffen werden, die in großen Zügen dem heutigen Erbbaurecht entspricht und vor allem bei der Veräußerung solcher Grundstücke angewendet werden soll, die im Eigentum der Gemeinden stehen. Diese könnten sich so eine angemessene Einflußnahme auf die Nutzung dieser Grundstücke und außerdem die Teilhabe an den künftigen Wertsteigerungen sichern. Eine Uberführung des Bodens, der Gebäude und der an beiden bestehenden Nutzungsrechte auf die nationale oder die örtliche Gemeinschaft, wie sie von verschiedenen Seiten gefordert wird, kann dagegen auch als langfristige Zielsetzung nicht in Betracht gezogen werden. 2. Im sozialen Mietrecht geht es im Grunde um etwas ganz Ähnliches wie im Bodenrecht, nämlich darum, die Sozialbindung des Eigentums so zu konkretisieren, daß Markt und Privatinitiative zu sozialverträglichen Ergebnissen führen. Ebenso wie

22 der Grund und Boden ist auch die Wohnung ein Wirtschaftsgut besonderer Art. Mietwohnungen sind der Lebensmittelpunkt der Mieter. Diese haben ein schutzwürdiges Interesse an der Beständigkeit ihrer räumlich-gegenständlichen Privatsphäre. Für den Vermieter ist die Wohnung dagegen primär eine auf Gewinn abzielende Vermögensanlage. Die Mobilität des Wirtschaftsguts „Wohnraum" ist also für Mieter und Vermieter normalerweise eine verschiedene. Deshalb suspendiert das soziale Mietrecht die marktwirtschaftlichen Prinzipien keineswegs, sondern setzt sie erst in dem Umfang in Kraft, der der Eigenart des Wirtschaftsguts Wohnraum angemessen ist. Sozial ungerechtfertigte Kündigungen würden, wären sie zulässig, dem Mieter einen Schaden zufügen, der vom Markt nur unvollkommen bewertet wird: Das Interesse der Mieter an der Stabilität des Mietverhältnisses bliebe unberücksichtigt. Das neue Mietrecht legt dem Hauseigentümer keine Beschränkungen auf, die die Privatnützigkeit seines Eigentums in Frage stellen; andererseits schützt es den Mieter wirksam vor einem ungerechtfertigten Verlust der Wohnung und vor Mietbedingungen, die der Vermieter oft nur mit einer Kündigungsdrohung durchsetzen könnte. 3. Die Einordnung des Eigentums in eine dem Gemeinwohl verpflichtete Gesamtverfassung zeigt sich besonders deutlich im Bereich des Wirtschaftsordnungsrechts. Der Staat bedient sich nicht nur der Instrumente der wirtschaftspolitischen Globalsteuerung, der Konjunktur-, Geld und Haushaltspolitik; ihm steht — mit einem komplizierten System von Subventionen, Steuern, Investitionszulagen, Branchenförderungsmaßnahmen — ein umfassender Apparat indirekter Wirtschaftslenkung durch — über den Markt vermittelte — Anreize und Sanktionen zur Verfügung. Daneben gibt es aber auch — etwa im Interesse der Raumordnung und des Umweltschutzes — eine Vielzahl direkter Steuerungsmittel. Daß sich die staatliche Verantwortung nicht nur in einer Einbahnstraße öffentlicher Restriktionen und Reglementierungen ausgedehnt hat, sondern ebenso in der Richtung der Förderung, Stützung und notfalls Sanierung, brauche ich wohl nicht näher zu belegen. Am deutlichsten zeigt sich die Unterordnung der Eigendynamik des Wirtschaftseigentums unter normative, aus dem Ge-

23 meinwohl entwickelte Leitbilder in der Wettbewerbspolitik. Wettbewerb ist eine labile Ordnung; ihre Erhaltung können die Eigentumsordnung und eine ungebundene Marktwirtschaft allein nicht gewährleisten. Lange, vielleicht allzu lange, hat man versucht, die Wettbewerbsordnung mit einem Kartellrecht zu erhalten, das nur das Verhalten der Unternehmen am Markt im Visier hatte. Daß eine ungeordnete Konzentrationsbewegung ebenfalls zur Beseitigung des Wettbewerbs führen kann: davor hat der Gesetzgeber 15 Jahre lang die Augen verschlossen. Es bedurfte vieler Anstöße und Anläufe, bis die Gesetzgebung mit der Einführung der präventiven Fusionskontrolle dem Staat ein Mittel an die Hand gab, die Entstehung funktionsunfähiger Marktstrukturen zu verhindern. Dabei geht es nicht darum, wirtschaftliche Macht zu atomisieren. Das Modell der „vollständigen Konkurrenz" ist vom Leitbild des funktionsfähigen Wettbewerbs abgelöst worden, das die dynamischen Wettbewerbstheorien entwickelt haben. Es geht nicht um die Zerschlagung aller Marktmacht, sondern um die Herstellung von Wettbewerbsstrukturen, in denen eine gesamtwirtschaftlich optimale Wettbewerbsintensität herrscht. Hierfür ist eine bestimmte Balance erforderlich. Die Kartellnovelle hat deshalb nicht nur die Fusionskontrolle eingeführt, sondern etwa auch Kooperationserleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen gebracht. Auch Großunternehmen haben in einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung ihren Platz. Der Staat stemmt sich nicht nur gegen die Konzentrationsbewegung, er fördert sie auch da, wo leistungsfähige Marktstrukturen oder besondere wirtschaftspolitische Ziele es erfordern. Erinnert sei an die Zusammenfassung des Steinkohlenbergbaus in der Ruhrkohle AG, die einen verfallenden Markt ordnen, planlose Kapazitätsverluste verhindern und das industrielle Gefüge einer ganzen Region sichern soll. 4. Das Wirtschaftseigentum, so sagte ich bereits, vermittelt gesellschaftliche Macht, namentlich in den Großorganisationen der Wirtschaft. Es genügt nicht, daß der Staat mit den vielfältigen Mitteln seiner Wirtschaftspolitik diese Macht zu kanalisieren, zu beschränken, an das Gemeinwohl zu binden versucht. Macht bedarf der Legitimation.

24 Das Unternehmen ist nicht nur Leistungseinheit, Wirtschaftssubjekt und „Wertschöpfungsveranstaltung" (Ballerstedt), es ist auch ein „lebendiger Organismus" (von Nell-Breuning), „ein auf gemeinsamer Arbeit beruhendes Sozialgebilde", eine „Organisation" (Th. Raiser), ein Sozialverband oder wie man sonst sagen will. Der Unternehmenserfolg beruht auf der Kooperation aller im Unternehmen vertretenen Gruppen, der Kapitaleigentümer, des Managements, der Kreditgeber und vor allem auch der Arbeitnehmer. Wer die Verfügungsmacht über ein Unternehmen als Ganzes hat, verfügt über mehr als das Unternehmensvermögen, er verfügt vor allem auch über Menschen (O. Kunze). Das Problem der Legitimation dieser Verfügungsmacht hat sich dadurch zugespitzt, daß sie heute weithin von den Eigentümerunternehmern auf die angestellten Manager übergegangen ist. Die Managerherrschaft ist, wie H . Schelsky schreibt, „ohne Rechtfertigung und Berechtigung in unserer Rechtsordnung und unserem Sozialbewußtsein". Legitimation von Macht heißt heute demokratische Legitimation. Soll der Arbeitnehmer aus einem Wirtschaftsuntertan zu einem Wirtschaftsbürger werden, so muß er mitbestimmen können. Der Entwurf der Bundesregierung für ein Mitbestimmungsgesetz hat die gleichgewichtige und gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitnehmer an den unternehmerischen Entscheidungsprozessen zum Ziel. In der politischen Auseinandersetzung und auch in der juristischen Erörterung ist die Verfassungsmäßigkeit der paritätischen Mitbestimmung bekanntlich streitig geworden. Manche sehen in der paritätischen Mitbestimmung eine Umschichtung von Eigentumsbefugnissen auf Dritte, die diese instand setzen soll, die selbständige Nutzung des Eigentums durch die Berechtigten zu verhindern (Mestmäcker, Rupp). Die Bundesregierung teilt diese Auffassung nicht. Übrigens kommen auch die Gutachter Scholz und Thomas Raiser zu dem Ergebnis, daß die paritätische Mitbestimmung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es würde den Rahmen meines Vortrags sprengen, wenn ich auf die Bedenken, die gegen die Verfassungsmäßigkeit einer paritätischen Mitbestimmung vorgebracht worden sind, im einzelnen eingehen wollte.

25 N u r eines: Das Eigentum der Anteilseigner ist gesellschaftsrechtlich vermittelt. Solches Eigentum ist in seiner konkreten Ausgestaltung von der Organisationsstruktur der jeweiligen Gesellschaft abhängig. Diese bestimmt, welche Vermögens- und Mitgliedschaftsrechte den Anteilseignern zustehen. Gesellschaftsrechtliche Anteilsrechte unterliegen der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie. Das kann aber nicht heißen, daß das Gesellschaftsrecht oder gar das gesamte Recht der Unternehmensorganisation einer verfassungsrechtlichen Veränderungssperre unterworfen wird. Die Väter des Konzernrechts und der Aktienrechtsreform des Jahres 1965 haben in die aktienrechtliche Kompetenzordnung und namentlich auch in die Stellung der Mehrheitsaktionäre gegenüber den Minderheitsaktionären „eingegriffen" und waren dennoch verfassungstreu. Die mitgliedschaftlichen Rechte der Anteilseigner werden in ihrem vermögensrechtlichen Gehalt dadurch nicht gemindert, daß die Hauptversammlung nach dem Regierungsentwurf künftig nicht mehr zwei Drittel der Aufsichtsratsmitglieder, sondern nur noch die H ä l f t e dieser Personen wählt. Das besonders deshalb, weil sich die Rechte, Aufgaben und Pflichten dieser Organe gegenüber den Anteilseignern nicht verändern. Schon bisher sind die Geschäftsführer nicht nur den Interessen der Aktionäre, sondern auch den langfristigen Interessen der Gesellschaft, den Gläubigerinteressen und dem Wohl der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit verpflichtet. Die Chance für einzelne Aktionäre, über die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder Einfluß auf die Geschäftsführung auszuüben, ist schon bisher kein Attribut der Einzelmitgliedschaft, sondern der Mehrheitsbeteiligung, ganz abgesehen davon, daß das Stimmrecht f ü r den Publikumsaktionär regelmäßig kaum eine meßbare Bedeutung hat. Man kann sich deshalb die Frage stellen, ob die Mitbestimmung überhaupt ein Problem der Eigentumsordnung ist und ob ich in den letzten Minuten mit meinen Ausführungen nicht vom Thema abgeschweift bin. Otto Kunze hat die erste Frage mit guten Gründen verneint. Kunze geht davon aus, daß Rechtsgrundlage der Leitungsund Verfügungsmacht im modernen Großunternehmen nicht mehr das Eigentum, sondern der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung ist. Daraus zieht er die Folgerung, Mitbestimmung in

26 der Wirtschaft sei kein Gegenstand der Eigentumsordnung, sondern Gegenstand einer selbständigen Ordnung der Kooperation der in der Wirtschaft zusammenwirkenden Menschen. Die Einführung der wirtschaftlichen Mitbestimmung beeinträchtige die Verfügungsmacht der „Eigentümer" schon deshalb nicht, weil diese sie nicht mehr oder doch nur im Rahmen der jeweiligen Unternehmensverfassung ausübten. Ich will mich an dieser Stelle auf diese in sich sehr schlüssige und überzeugende Argumentation nicht festlegen. Ich glaube, daß die aus der wirtschaftlichen Realität erwachsene Forderung nach Mitbestimmung ihre Legitimation und Bekräftigung auch in der verfassungsrechtlichen Eigentumsbindung findet. Mitbestimmung ist eine Konkretisierung der auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Forderung, daß die am Gemeinwohl ausgerichtete Nutzung des Eigentums die Belange derjenigen Rechtsgenossen berücksichtigen muß, die auf die Nutzung des Eigentumsobjekts angewiesen sind. Diese Forderung gilt in besonderem Maße für alle gesellschaftlich wichtigen Sozialgebilde und damit vor allem für Großunternehmen. Die Mitbestimmung wird unsere Eigentumsverfassung nicht schwächen. Sie wird vielmehr bestätigen, daß sozial gebundenes Eigentum Grundlage des gesellschaftlichen Ausgleichs sein kann. Ich bin überzeugt, daß Mitbestimmung eine Stärkung der Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bedeuten wird. Der über sein Unternehmen informierte, in die Entscheidungsprozesse einbezogene Mitarbeiter wird sich mit seinem Unternehmen identifizieren können. Ohne die sozialen Fortschritte, die in unserem Land erreicht worden sind, wäre die Bundesrepublik nicht geradezu eine Insel des sozialen Friedens geworden. Die Mitbestimmung, das ist meine feste Überzeugung, wird in das Gefüge unserer sozialen Sicherheit und Stabilität eine weitere starke Verstrebung einfügen.

VI. Ich kehre noch einmal zum Ausgangspunkt zurück. Die Kontinuität der Eigentumsordnung, das ist vor allem die Kontinuität des im Eigentum als Freiheitsrecht eingeschlossenen Sinnes.

27 Sinnhaft und wertvoll ist auch das, was bisweilen die ordnungspolitische Komponente des Eigentums genannt worden ist. Die juristische Eigentumsordnung hat in der Vergangenheit einen grundlegenden Funktionswandel durchgemacht und dieser Funktionswandel dauert noch heute an. Die Aufgabe, den Sinn des Eigentums unter jeweils neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umständen zu wahren, obliegt der Politik. Mit welchen Mitteln diese sich der Aufgabe entledigt, habe ich an einigen Beispielen gezeigt. Erhard Eppler hat jüngst in einem Buch Wertkonservative und Strukturkonservative einander gegenübergestellt. Er geht von der Einsicht aus, daß bewährte Institutionen oder Strukturen in einer veränderten Umwelt ihren Sinn ändern können. Der Gegensatz ist vielleicht nicht allein der von Wert und Struktur. Es gibt auch werthafte Strukturen, etwa die einer freiheitlichen, auf dezentraler Entscheidung beruhenden Wirtschaftsordnung. Der wirkliche Gegensatz ist vielleicht der zwischen werterfüllten und wertentleerten Strukturen. Das Eigentum hat seine Lebenskraft und Aktualität über Jahrhunderte bewahrt und behalten. Daß dem so ist, liegt sicherlich nicht zuletzt daran, daß es dem Gesetzgeber und der Öffentlichkeit immer wieder gelungen ist, die erforderlichen Anpassungen der Eigentumsordnung vorzunehmen. Von unserer Fähigkeit zur offenen Auseinandersetzung um das Eigentum wird es abhängen, ob auf lange Sicht das Wesentliche, das allen gesellschaftlichen Wandel überdauernde Element des Eigentums erhalten werden kann — nämlidi die Sicherung der individuellen, der persönlichen Freiheit.