Die »abstrakte« Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag [1 ed.] 9783428466757, 9783428066759

117 52 32MB

German Pages 196 Year 1989

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die »abstrakte« Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag [1 ed.]
 9783428466757, 9783428066759

Citation preview

ULRIKE BARDO

Die „abstrakte46 Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 119

Die „abstrakte" Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag

Von Ulrike Bardo

Duncker & Humblot · Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Bardo, Ulrike Die „abstrakte" Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung beim Kaufvertrag / von Ulrike Bardo. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 119) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1988 ISBN 3-428-06675-8 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-06675-8

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1987/88 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vorgelegen. Neuere Rechtsprechung und Literatur wurden, soweit möglich, bis April 1989 berücksichtigt. Herrn Prof. Dr. Herbert Wiedemann , der die Dissertation angeregt und in vielfaltiger Weise unterstützt hat, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Dank schulde ich auch dem Korreferenten der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Herbert Kronke, für wertvolle Hinweise. Mein Dank gilt ferner dem Verlag Duncker & Humblot für die Aufnahme meiner Arbeit in seine Schriftenreihe. Köln, im April 1989 Ulrike Bardo

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

1. Gegenstand der Untersuchung

17

2. Einführung in die Problematik

18 1. Teil

Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung in Rechtsprechung und Literatur

A. Rechtslage im 19. Jahrhundert I. Vor 1861 (Erlaß des ADHGB)

21 21

1. Käuferschaden

21

2. Verkäuferschaden

22

II. Nach 1861 (Verabschiedung eines Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs) 23 1. Entstehung

23

2. Überlegungen der Verfasser des ADHGB

24

3. Auslegung des Art. 357 Abs. 3 ADHGB

25

a) Käuferschaden

25

b) Verkäuferschaden

28

B. Rechtslage nach 1900 (unter Geltung des BGB und des HGB) I. Gesetzliche Regelung der abstrakten Schadensberechnung II. Rechtsprechung und Literatur zum Käuferschaden

28 28 28

1. Rechtsprechung : abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns 28 a) Reichsgericht

28

b) Bundesgerichtshof

31

c) Oberlandesgerichte aa) Vor 1945 bb) Nach 1945

32 32 34

8

Inhaltsverzeichnis

2. Literatur

35

a) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns 35 aa) Vor 1945 35 bb) Nach 1945

37

b) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz der Kosten für einen hypothetischen Deckungskauf und sonstige Ansichten 40 aa) Vor 1945 40 bb) Nach 1945 42 III. Rechtsprechung und Literatur zum Verkäuferschaden

44

1. Rechtsprechung : abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns 44 a) Reichsgericht

44

b) Bundesgerichtshof

46

c) Oberlandesgerichte aa) Vor 1945 bb) Nach 1945

47 47 48

2. Literatur

48

a) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns 48 aa) Vor 1945 48 bb) Nach 1945 50 b) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des Verlustes bei einem Deckungsverkauf und sonstige Ansichten 51 aa) Vor 1945 51 bb) Nach 1945 53

2. Teil Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

A. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

55

I. Prozessualer Ansatz: Abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung? 55 1. Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns

56

a) Entstehung der herrschenden Meinung

57

b) Unhaltbarkeit der Weiterveräußerungsvermutung

57

c) Nichtbeachtung eines Deckungskaufs

60

d) Beweisanforderungen

61

Inhaltsverzeichnis

2. Abstrakte Schadensberechnung als sonstige Beweiserleichterung 62 3. Folgerungen

64

II. Materiell-rechtliche Ansätze

65

1. Abstrakte Schadensberechnung Schadens?

als

2. Abstrakte Schadensberechnung Schadens?

als

Ersatz

des

objektiven 65

Ersatz

des

normativen 67

3. Abstrakte Schadensberechnung als fiktives Deckungsgeschäft? . . .

68

4. Abstrakte Schadensberechnung als Interesseersatz?

69

5. Abstrakte Schadensberechnung als Pauschalierung?

69

6. Abstrakte Schadensberechnung als Gewohnheitsrecht?

72

III. Ergebnis und Folgerungen B. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

72 73

I. Formeln zur Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung 73 1. Schaden als Vermögenseinbuße

73

2. Vorenthaltung der Kaufsache als Schaden

76

II. Nachweis der These: Schaden = entgangener „Mehrwert" der Kaufsache 78 1. Entstehungsgeschichte

78

a) Verfasser des BGB

78

b) Verfasser des HGB

78

c) Fazit

79

2. Folgerungen aus den §§249 ff., 325 f. BGB

80

a) § 249 Satz 1 BGB aa) Schaden nur bei Vermögenseinbuße? (1) Vergleich des Istzustands mit dem Sollzustand (2) Bedeutung des Schadensbegriffs bb) Schaden ohne Vermögenseinbuße cc) Naturalrestitution oder Geldersatz? dd) Zusammenfassung

80 80 80 82 85 86 87

b) §252 Satz 1 BGB

87

c) §§ 325 f. BGB

88

3. Schadenersatz wegen Nichterfüllung und gegenseitiger Vertrag ..

89

a) Ziel des Vertrages: Vermögenserweiterung

89

b) Vertragliche Vermögensdisposition

91

Inhaltsverzeichnis

10

4. Prävention und Gerechtigkeit

92

a) Prävention

92

b) Gerechtigkeitsüberlegungen

93

5. Ergebnis C. Berechnung des Käuferschadens I. Ersatz des „Mehrwerts": Ermittlung des Werts der Kaufsache

93 93 94

1. Einkaufs- oder Verkaufspreis?

94

2. Berechnung nach dem Marktpreis

98

a) Bedeutung des Marktpreises b) Zeit und Ort des Marktpreises aa) Maßgeblicher Zeitpunkt bb) Maßgeblicher Ort 3. Bedeutung eines Deckungskaufs

98 100 100 103 104

a) Vorliegen eines Deckungskaufs aa) Begriff des Deckungskaufs bb) Kauf einer höherwertigen Ware cc) Eindeckung aus eigenen Vorräten dd) Sonstige Fälle

104 104 104 105 106

b) Deckungskauf über dem Marktpreis aa) Interessenlage bb) Mitverschulden nach §254 Abs. 2 BGB cc) Vorliegen eines Mitverschuldens dd) Beweislast

106 106 108 109 110

c) Deckungskauf unter dem Marktpreis

112

d) Modalitäten des Deckungskaufs aa) Maßgeblicher Zeitpunkt bb) Maßgeblicher Ort cc) Geltung des §376 Abs. 3 und 4HGB?

116 116 118 119

4. General- und SpezialUnkosten

119

5. Grenzfälle

120

a) Weitergabe zum Selbstkostenpreis

120

b) Weiterverkauf mit Verlust

121

c) Verschenken der Sache

122

6. Zusammenfassung

122

II. Entgangener Gewinn

123

1. Verhältnis zum Ersatz des „Mehrwerts" der Sache

123

Inhaltsverzeichnis

a) Kein kumulativer Ersatz b) Bedenken gegen den Ersatz des entgangenen Gewinns c) Grundsätzliche Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns 2. Anforderungen an den Nachweis entgangenen Gewinns

123 123 . . . 124 125

a) Bedeutung des §252 Satz 2 BGB

125

b) Möglichkeit des Weiterverkaufs

126

c) Weiterverkaufsabsicht

127

d) Höhe des Weiterverkaufsgewinns aa) Weiterverkaufspreis bb) Maßgeblicher Zeitpunkt cc) Maßgeblicher Ort

128 128 129 131

e) Zusammenfassung und Beweislast

132

3. Grenzen des Ersatzes entgangenen Gewinns

133

a) Pflicht zum Deckungskauf nach §254 Abs. 2 BGB 133 aa) Meinungsstand 134 bb) Eignung eines Deckungskaufs zur Abwendung des Gewinnentgangs 135 cc) Pflicht zur Eindeckung 137 dd) Zusammenfassung und Beweislast 139 b) Ersatz entgangenen Gewinns trotz eines Deckungskaufs aa) Vorliegen eines Deckungskaufs bb) Beweislast 4. Zusammenfassung

140 140 141 141

III. Auslegung des §376 Abs. 2 HGB

142

3. Teil Eigener Ansatz zum Verkäuferschaden

A. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Käuferschaden

144

B. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

146

I. Beweiserleichterung nach §252 Satz 2 BGB II. Sonstige Ansätze C. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung des Verkäufers I. Der durch die Nichterfüllung verursachte Schaden des Verkäufers II. Ersatz des „Mehrwerts": Feststellung des Werts der Kaufsache 1. Einkaufs- oder Verkaufspreis?

146 148 149 .. 149 150 150

Inhaltsverzeichnis

2. Berechnung nach dem Marktpreis

152

a) Feststellung des Sachwerts

152

b) Maßgeblicher Zeitpunkt

153

c) Maßgeblicher Ort

154

3. Berechnung nach einem Deckungsverkauf

155

a) Eignung zur Schadensfeststellung

155

b) Vorliegen eines Deckungsverkaufs aa) Verkauf der Ware an den Verkäufer selbst bb) Noch nicht ausgesonderte Ware

155 155 157

c) Deckungsverkauf unter dem Marktpreis aa) Interessenlage bb) Mitverschulden nach §254 Abs. 2 BGB cc) Beweislast

157 157 158 160

d) Deckungsverkauf über dem Marktpreis

161

e) Modalitäten eines Deckungsverkaufs aa) Maßgeblicher Zeitpunkt bb) Maßgeblicher Ort cc) Geltung des §376 Abs. 3 und 4 HGB?

164 164 165 165

4. General- und SpezialUnkosten

165

5. Zusammenfassung

165

III. Ersatz entgangenen Gewinns

166

1. Verhältnis zum Ersatz des „Mehrwerts"

166

2. Anforderungen an den Nachweis entgangenen Gewinns

167

a) Einkauf zum Selbstkostenpreis

167

b) Feststellung des Selbstkostenpreises 167 aa) Selbstkostenpreis des Verkäufers 167 bb) Selbstkostenpreis des Verkäufers, der die Ware selbst herstellt (Werkunternehmer) 168 cc) General- und SpezialUnkosten

169

c) Maßgeblicher Zeitpunkt

169

d) Maßgeblicher Ort

170

e) Beweislast

170

3. Grenzen des Ersatzes entgangenen Gewinns a) Ersatz entgangenen Gewinns neben einem „Deckungsverkauf aa) Argument des zusätzlichen Verkaufs bb) Vorliegen eines zusätzlichen Verkaufs cc) Unwahrscheinlichkeit eines zusätzlichen Verkaufs

171 4

171 171 173 174

Inhaltsverzeichnis

(1) (2) (3) (4)

Unmöglichkeit der Eindeckung mit derselben Ware Lieferfrist Gestiegene Selbstkosten Beweislast

b) Ausschluß wegen Unterlassens eines Deckungsverkaufs aa) Eignung eines Deckungsverkaufs zur Schadensabwehr bb) Verschulden cc) Beweislast

174 176 176 177 178 .. 179 179 181

c) Bedeutung des Verbleibs der Sache beim Verkäufer 181 aa) Dogmatische Einordnung der Anrechnung des Sachbesitzes 182 bb) Gründe für den Ausschluß des Gewinnersatzes 183 cc) Voraussetzung und Folgen der Anrechnung 185 dd) Beweislast 186 4. Zusammenfassung IV. Auslegung des §376 Abs. 2 HGB

186 187

Ergebnis

188

Literaturverzeichnis

189

Abkürzungen a. Α. aaO AcP ADHGB a. E. Alternativkommentar Anh. Anm. AP ArchBürgR Aufl. BB Bd. Beil. BGB-RGRK BGHZ BMJ BOHG Bolze DB ders. DJZ DRiZ Ed. Einl. EKG

anderer Ansicht am angegebenen Ort Archiv für civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (Reihe Alternativkommentare) Anhang Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des BAG) Archiv für Bürgerliches Recht Auflage Betriebsberater Band Beilage Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Entscheidungen des Bundesoberhandelsgerichts (ab Bd. 3: ROHG) Die Praxis des Reichsgerichts in Zivilsachen, herausgegeben von Bolze Der Betrieb derselbe Deutsche Juristenzeitung Deutsche Richterzeitung Edition Einleitung Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen vom 17. 7.1973 folgende fortfolgende Fußnote Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Großer Senat Hanseatische Gerichtszeitung Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift

f. ff. Fn. Gruchot GS HansGZ HansRGZ HGB-Großkommentar 1. Handelsgesetzbuch, Großkommentar, Begründet von Hermann Staub, 3. Aufl. 2. HGB. Staub. Großkommentar, 4. Aufl. HGB-RGRK Kommentar zum Handelsgesetzbuch, früher herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts, 2. Aufl.

Abkürzungen

Holdheim HRR JherJb JR JurA JuS JW JZ v. Kübel LM LZ MDR MünchKomm NJW OAG OLGE RabelsZ Recht RGZ ROHG Rz.. S. SeuffA SJZ Sp. UCC UN-Kaufrecht USA VersR WarnR WM ZHR ZIP

15

Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen, Steuer- und Stempelfragen, herausgegeben von Holdheim Höchstrichterliche Rechtsprechung Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts Juristische Rundschau Juristische Analysen Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Schubert, Werner (Hrsg.): Die Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, herausgegeben von Lindenmaier, Möhring u. a. Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl. Neue Juristische Wochenschrift Oberappellationsgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts (1900-1928) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Das Recht, begründet von Soergel Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen 1. Reichsoberhandelsgericht 2. Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts Randziffer Seite Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Süddeutsche Juristenzeitung Spalte Uniform Commercial Code Abkommen der Vereinigten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf Uniform Sales Act Versicherungsrecht Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des RG abgedruckt ist, herausgegeben von Warneyer Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht, begründet von Goldschmidt Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

Einleitung 1. Gegenstand der Untersuchung Thema der Untersuchung soll die abstrakte Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung sein, wie sie insbesondere beim Kaufvertrag angewendet wird. Abstrakte Schadensberechnung ist hier in dem Sinne gemeint, daß dem geschädigten Gläubiger als Nichterfüllungsschaden die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem für ihn ungünstigeren Marktpreis der Kaufsache ersetzt wird. Da die abstrakte Schadensberechnung die Differenz zum Marktpreis ersetzt, ist nur die Schadensberechnung bei marktgängigen Waren, d. h. bei regelmäßig im Umsatz befindlicher und zu einem Durchschnittspreis verwertbarer Ware 1 , Gegenstand der Untersuchung. Nicht untersucht wird insbesondere der Schaden, der bei Nichtlieferung oder -abnahme von Sonderanfertigungen entsteht. Nach allgemeiner Ansicht ist diese Berechnungsart grundsätzlich zulässig. Sie wurde schon lange vor Geltung des A D H G B praktiziert. Auch zahlreiche ausländische Rechtsordnungen, nicht zuletzt das Einheitliche Kaufgesetz (Art. 84 Abs. 1), das UN-Kaufrecht (Art. 76) und der Uniform Commercial Code der USA (§§ 2 - 708 und 2-713), wenden die abstrakte Schadensberechnung an. 2 Trotzdem ist noch vieles ungeklärt, angefangen von der Grundlage der abstrakten Berechnung, bis zu verschiedenen Einzelfragen, ζ. B. ob der Marktpreis eines Deckungsgeschäfts oder eines Gewinngeschäfts einzusetzen ist, ob der Beweis zulässig ist, daß ein geringerer Schaden eingetreten ist, beispielsweise durch ein günstiges Deckungsgeschäft, ob auch Nichtkaufleute den Schaden abstrakt berechnen können oder ob die abstrakte Schadensberechnung auf den Handelsverkehr beschränkt ist. Ihren Höhepunkt erlebte die abstrakte Schadensberechnung — der Zahl der veröffentlichten Entscheidungen nach zu urteilen — während des Ersten Weltkriegs und der Großen Inflation. Heute wird dieser Problemkomplex meistens in den Schadenspauschalierungsklauseln der Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelt, so daß sich der Gläubiger nicht auf die abstrakte Schadensberechnung berufen muß. Bei der Prüfung der Wirksamkeit dieser Klauseln, d. h. ob sie den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden wiedergeben, oder bei dem Einwand, daß der pauschalierte Schaden widerlegt ist (§11 Nr. 5 a 1

ROHG7, 174 Nr. 43 (175). Zusammenstellungen bei Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, unter IV (S. 139 ff.); Treitel in: International Encyclopedia of Comparative Law, VII, 1976, Ch. 1669 und 16-72; Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, 1975, S. 32 ff. und 209ff. (zum US-Recht und zum EKG). 2

2 Bardo

18

Einleitung

und b AGBG) tauchen jedoch dieselben Fragen auf, die sich auch bei der Begründung des abstrakten Schadens stellen.3 2. Einführung in die Problematik Zur Begründung eines Schadens bieten sich zwei Ansatzpunkte. Käufer und Verkäufer können dadurch geschädigt sein, daß ihnen mit der Nichterfüllung die Vorteile des Vertrages entgehen, die darauf beruhen, daß sie besonders günstige Vertragspreise ausgehandelt, d. h. billig eingekauft (Käufer) bzw. besonders teuer verkauft haben (Verkäufer), während sich diese günstigen Preise bei einem Ersatzgeschäft nicht erzielen lassen. Zum anderen kann ihnen infolge der Nichterfüllung der Gewinn entgehen, der mit dem Einsatz der Kaufsache verdient werden sollte: dem Käufer entgeht der Gewinn aus dem Weiterverkauf der Ware, der durch die Vorenthaltung der Ware unmöglich geworden ist, der Verkäufer wird um den Vertragsgewinn, d. i. die Differenz zwischen seinen Kosten und dem Vertragspreis, gebracht. Der erste Schaden läßt sich in der Differenz zwischen dem günstigen Vertragspreis und dem Preis, zu dem der Gläubiger ein Ersatzgeschäft abschließen könnte (Deckungsgeschäft), ausdrücken; der zweite Schaden besteht in dem Unterschied zwischen Vertragspreis und dem Weiterverkaufs- (Käufer) bzw. Selbstkostenpreis (Verkäufer). Bei der Schadensberechnung nach einem Deckungsgeschäft fällt der Schadenersatz weniger hoch aus als bei dem Ersatz entgangenen Gewinns, da bei ersterem nur Preisveränderungen auf derselben Marktstufe ausgeglichen werden, während bei letzterem mit dem Unterschied zwischen zwei Marktstufen (Einkaufs- und Verkaufsmarkt) die Gewinnspanne hinzukommt. Daß sich für die Festlegung des Marktpreises unterschiedliche Märkte anbieten, wurde weder von der früheren Rechtsprechung noch vom Gesetzgeber4 gesehen. So setzte das Reichsgericht den Marktpreis, zu dem sich der Käufer tatsächlich hätte eindecken können (konkrete Schadensberechnung), mit dem Marktpreis, für den er hätte weiterverkaufen können (abstrakte Schadensberechnung), gleich.5 Richtig daran ist, daß der Verkaufspreis des Verkäufers, d.i. der Preis, zu dem er an den Käufer verkauft, mit dem Einkaufspreis des Käufers identisch ist, zu dem dieser die Ware beim Verkäufer einkauft, denn diese Vorgänge finden auf derselben Marktstufe statt. Den Weiterverkaufspreis fordert der Käufer jedoch auf der nächsthöheren Marktstufe. Zumindest im Regelfall kann der Weiterverkaufspreis nicht mit dem Einkaufspreis übereinstimmen: ein Kaufmann, der Ware zum Weiterverkauf anschafft, setzt sie meistens mit Gewinn ab. Der Gewinn besteht in dem Betrag, den der Weiterverkaufspreis den Einkaufspreis übersteigt. Es wird daher kaum vorkommen, daß der Kaufmann die 3

Z. B. BGH NJW 1970, 29 = LM Nr. 26 zu § 138 BGB (Bb); BAG NJW 1967, 751 = AP Nr. 26 zu §138 BGB. 4 Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219 und 222. 5 RGZ 6, 58 (59); 101, 421 (423).

Einleitung

19

Ware zu demselben Preis verkauft, zu dem er sie eingekauft hat; gleichsetzen darf man beide Preise also nicht. Da Marktverkaufspreis und Markteinkaufspreis nicht übereinstimmen, muß man sich zur Schadensberechnung für den einen oder anderen entscheiden. Ist damit der Ansatzpunkt für die abstrakte Schadensberechnung gefunden, so sind damit noch nicht alle aufgeworfenen Fragen beantwortet. Berechnet man nämlich den Schaden aus dem Deckungsgeschäft oder Gewinngeschäft anhand des jeweiligen Marktpreises, so fragt sich, ob und in welchem Umfang dabei die wirkliche Entwicklung zu berücksichtigen ist, ζ. B. ob bei der Berechnung nach dem Deckungsgeschäft der wirklich erzielte Deckungspreis oder der Marktpreis eingesetzt wird. Ähnlich ist es bei der Berechnung nach einem Gewinngeschäft, wenn der Gläubiger den Entgang des Gewinns durch ein Deckungsgeschäft verhindert, beispielsweise wenn der Käufer Ersatz für die nicht gelieferte Ware beschafft, diese statt der Ware des Verkäufers weiterverkauft und damit den vorgesehenen Gewinn erzielt. Die Lösung hängt davon ab, ob man die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz eines fiktiven Mindestschadens oder als Beweiserleichterung auffaßt. Berechnet man den Schaden generell anhand eines Deckungsgeschäfts, so ist weiter unklar, warum der Ersatz des in § 252 BGB vorgesehenen Gewinns ausgeschlossen sein soll. § 376 Abs. 2 HGB, obwohl die einzige gesetzliche Regelung zur abstrakten Schadensberechnung in dem hier gemeinten Sinne, hilft nicht bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen. Die Vorschrift geht auf den fast gleichlautenden Art. 357 Abs. 3 A D H G B zurück, der aus dem Gemeinen Recht hervorgegangen ist. Reichsoberhandelsgericht und Reichsgericht übernahmen die abstrakte Schadensberechnung nach Erlaß des Art. 357 Abs. 3 A D H G B bzw. der § 376 HGB, §§ 325 f. BGB als fortgeltende allgemeine Grundsätze, die durch die neuen Gesetze nicht geändert werden sollten 6 , d. h. die Vorschriften sagen nichts über die Grundlagen der abstrakten Berechnung aus. Im übrigen herrscht über die Auslegung beider Vorschriften ebenso Streit wie über die abstrakte Schadensberechnung allgemein. So war und ist zwar für § 376 Abs. 2 HGB ebenso wie für Art. 3 57 Abs. 3 A D H G B so gut wie unbestritten, daß auch bei Nichtfixgeschäften der Schaden abstrakt berechnet werden kann. 7 Unklar ist dagegen bereits, ob nach § 376 Abs. 2 HGB der Schaden auf der Basis des entgangenen Weiterverkaufsgewinns oder eines fingierten Deckungsgeschäfts zu berechnen ist. Die Vertreter beider Ansichten legen § 376 Abs. 2 jeweils in ihrem Sinne aus.8 6 ROHG8,14 Nr. 3 (20); 9,311 Nr. 93(316); 11,182 Nr. 60(183); RG LZ 1909, Sp. 143 Nr. 19 = Holdheim 1910, 178; RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321). 7 Zu Art. 357 Abs. 3 ADHGB: z. B. ROHG 7,376 Nr. 100 (377); 8,14 Nr. 3 (20); zuletzt 24, 153 Nr. 46 (155); RGZ 1, 241; zu § 376 Abs. 2 HGB: RG LZ 1909, Sp. 143 Nr. 19 (Fn. 6); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321); RG LZ 1909, Sp. 321 Nr. 4 (322); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (419); Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 113 f.; Oertmann in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts IV 2, 1918, § 64,2 (S. 445). 2*

20

Einleitung

Da die abstrakte Schadensberechnung eine seit langen praktizierte Schadensberechnungsmethode ist, soll zunächst ihre Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur vom Gemeinen Recht bis zur heutigen Zeit nachgezeichnet werden (1. Teil), um daraus die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen zu entwickeln (2. und 3. Teil).

8

Z.B. HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 368 vor § 373; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 113; Lange, Schadensersatz, 1979, §4 X 1 (S. 123f.); Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S.41; Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 31 ff.; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu§ 374 Anm. 60; Steindorff AcP 158 (1959/60), S. 431 (463); OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1382 (1383).

1. T e i l

Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung in Rechtsprechung und Literatur A. Rechtslage im 19. Jahrhundert I. Vor 1861 (Erlaß des ADHGB) 1. Käuferschaden Im deutschen Recht war die abstrakte Schadensberechnung dergestalt, daß der Käufer als Entschädigung für das endgültige Ausbleiben der Leistung die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis fordern konnte, schon lange vor Schaffung des A D H G B anerkannt. Häufig ging es dabei um den An- und Verkauf von Wertpapieren. 9 So konnte im Gemeinen Recht der Käufer bei Nichterfüllung des Verkäufers anscheinend ohne weiteres die Differenz zwischen Vertragspreis und höherem Marktpreis fordern. Das ging auf den Gedanken des römischen Rechts zurück, daß dem Käufer der Wert der Ware zustand, der mit dem weiterhin geschuldeten Kaufpreis verrechnet wurde. Bei ordnungsgemäßer Erfüllung wäre sein Vermögen nämlich um den Wert der Ware, der durch den Marktpreis ausgewiesen wird, vermehrt. 10 Voraussetzung war, daß der Erfüllungsanspruch nicht mehr bestand, z.B. weil das Interesse des Käufers am Besitz der Ware weggefallen war, oder der Vertrag nur zu einer bestimmten Zeit erfüllt werden konnte. 11 Statt dieser Preisdifferenz wurde dem Käufer der entgangene Gewinn ersetzt, wenn er bei einem Weiterverkauf nachweislich einen höheren Gewinn erzielt hätte. 12 Der Schaden wurde nach dem Wert der Sache am Erfüllungstag bemessen.13 9 Vgl. Hamburgisches Handelsgericht ZHR 1 (1858), 317: Interimsscheine der Deutschen Creditanstalt; Oberhofgericht Mannheim ZHR 1 (1858), 314: Eisenbahnaktien; Ο AG Dresden SeuffA 11 (1857), 204 Nr. 139: Aktien. 10 ROHG 3,94 Nr. 18 (96); Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (137); Büff AcP 33 (1850), 101 (115); Thöl, Handelsrecht I, 1. Aufl. 1841, §86 (S. 275) = 5. Aufl. 1875 §282 Β (S. 365); so wohl auch Windscheid, Pandektenrecht II, 6. Aufl. 1887, § 280 (S. 98 ff.). 11 Thöl, Handelsrecht 1,1. Aufl. 1841, § 86 und § 87 (S. 274ff.) = 5. Aufl. 1875, § 282 Β (S. 363 ff.). 12 ROHG 3, 94 Nr. 18 (96); Treitschke, Der Kaufcontract, 1838, § 63 (S. 140). 13 Büff AcP 33 (1850), 101 (115); Thöl, Handelsrecht 1,1. Aufl. 1841, § 86 (S. 275) = 5. Aufl. 1875, §282 B (S. 365).

22

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Bedenken richteten sich nicht gegen die Gewährung der Preisdifferenz als Ersatz des Nichterfüllungsschadens; an diesem Schaden bestanden offensichtlich keine Zweifel. 14 Man befürchtete nur, daß den Parteien damit der Abschluß — unerwünschter — Differenzgeschäfte ermöglicht und erleichtert würde 15 , ein Gedanke, der bei der Schaffung des A D H B G wieder auftauchte. — Bei Differenzgeschäften ist Gegenstand des Vertrages die Differenz zwischen dem Kurs bei Vertragschluß und dem Kurs zum „Erfüllungszeitpunkt"; die Lieferung der Kaufsache wird ausgeschlossen. — Schwierigkeiten bereitete es auch zu begründen, ob und wann der Käufer von seinem Erfüllungsanspruch abgehen und auf Schadenersatz übergehen konnte, da er aus dem Vertrag zur Annahme der Leistung verpflichtet war. 1 6 Trotz dieser Bedenken entsprach es der Praxis, bei Käufen von Massengütern am Markt im Falle der Nichterfüllung Schadenersatz in Form der Kursdifferenz zu liquidieren und von der Erfüllung abzusehen.17 2. Verkäuferschaden Anders als dem Käufer sollte dem Verkäufer, wenn der Käufer die Ware nicht abnahm oder nicht zahlte, nicht die Preisdifferenz zustehen.18 Einige verwiesen ihn darauf, die Erfüllung zu erzwingen sowie Verzugszinsen zu verlangen 19 , während andere ihm Anspruch auf Schadenersatz gewährten: er konnte als Schaden die Differenz zwischen dem Erlös eines Selbsthilfeverkaufs und dem höheren Vertragspreis verlangen. 20 Zum Selbsthilfeverkauf, der auf Rechnung des Käufers erfolgte, war er nur berechtigt, wenn die Aufbewahrung der Kaufsache gegen sein Interesse verstieß und er bestimmte Formen wahrte. 21 Das 14 Siehe Bender, Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 1830, §§ 82 f. (S. 393 ff.) und § 86 (S. 415); Oberhofgericht Mannheim ZHR 1 (1858), 314. 15 Oberhofgericht Mannheim ZHR 1 (1858), 314 (315); Hamburgisches Handelsgericht ZHR 1 (1858), 317 (319). 16 Siehe Bender, Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 1830, §82 (S. 393 ff.); Thöl, Handelsrecht I, 1. Aufl. 1841, § 87 (S. 277ff.) = 5. Aufl. 1875, § 282 B (S. 361 fî.). 17 Bender, Verkehr mit Staatspapieren, 2. Aufl. 1830, § 86 (S. 415): Abschlüsse über Öl, Wein, Kaffee, Zucker, Getreide, Baumwolle, Staatspapiere; v. Gerber, System des deutschen Privatrechts, 14. Aufl. 1882, § 179 (S. 484f.). 18 Anders für das Fixgeschäft Thöl, Handelsrecht I, 5. Aufl. 1875, §281 (S. 359); dagegen Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (137). 19 OAG Dresden SeuffA 11 (1857), 204 Nr. 139 (207); Treitschke, Der Kaufcontract, 1838, §79 (S. 175). 20 OAG Lübeck SeuffA 5 (1852), 195 Nr. 156; OAG Lübeck SeuffA 8 (1855), 457 Nr. 351 (458); Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (137); Thöl, Handelsrecht 1,1. Aufl. 1841, §86 (S. 275 f.) = 5. Aufl. 1875, §282 B (S. 366); Treitschke, Der Kaufcontract, §77 (S. 170). 21 Vgl. OAG Lübeck SeuffA 5 (1852), 195 Nr. 156; OAG Lübeck SeuffA 8 (1855), 457 Nr. 351 (458); OAG Dresden SeuffA 11 (1857), 204 Nr. 139 (205 ff.); Thöl, Handelsrecht I, 1. Aufl. 1841, § 87 (S. 278) = 5. Aufl. 1875, § 282 B (S. 366f.); Treitschke, Der Kaufcontract, § 77 (S. 169).

Α. Rechtslage im 19. Jahrhundert

23

beruhte auf der Überlegung, daß die Leistungspflicht des Verkäufers trotz Verzugs des Käufers grundsätzlich fortbestand, dem Käufer die Kaufsache also weiterhin zustand. 22

II. Nach 1861 (Verabschiedung eines Entwurfs eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs) Diese Grundzüge des Gemeinen Rechts gingen in den 1861 fertiggestellten Entwurf eines allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuchs ein, allerdings beschränkt auf den Handelsverkehr (Art. 1 ADHGB). 1. Entstehung Mangels einer Reichskompetenz war das geltende Handelsrecht Partikularrecht. Vereinheitlichungsbestrebungen — angeregt durch die erfolgreiche Schaffung eines Allgemeinen Wechselgesetzes — bestanden bereits seit 1847/1848. Von 1857 an befaßte sich die Nürnberger Kommission mit der Ausarbeitung eines Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs, der von den einzelnen Bundesstaaten in Partikularrecht umgesetzt werden sollte. 1861 wurde der Entwurf fertiggestellt und zwischen 1862 und 1869 in den einzelnen Bundesstaaten ζ. T. leicht verändert eingeführt. Nach Schaffung des Norddeutschen Bundes wurde das A D H G B 1869 zum Bundesgesetz erklärt; mit Entstehung des Deutschen Reichs wurde es als Reichsgesetz übernommen. Damit galt in Deutschland eine einheitliche Fassung des A D H G B . 2 3 Inhaltlich gingen die Regelungen des A D H G B im wesentlichen auf den preußischen Entwurf zurück. Schon dieser sah vor, daß bei einem Lieferungsgeschäft (das dem Fixgeschäft entspricht) der Gläubiger bei Nichterfüllung die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis fordern konnte. 24 Daneben konnte Ersatz eines nachweislich höheren Schadens gefordert werden. Weder erörtert noch ausdrücklich geregelt wurde, wie der Schaden bei einem Nichtfixgeschäft zu berechnen war. 2 5 Diese Regelung überstand inhaltlich fast unverändert alle Lesungen, soweit sie den Anspruch des Käufers bei einem Fixgeschäft betraf, während seit dem Entwurf 2. Lesung dem Verkäufer statt der Differenz zum Marktpreis der Unterschied zum Erlös aus einem Selbsthilfeverkauf

22 OAGDresdenSeuffA 11 (1857),204Nr. 139(205);AdlerArchBürgR 17(1900), 132 (138); ähnlich Thöl, Handelsrecht I, 1. Aufl. 1841, § 87 (S. 281 f.). 23 Zur Entstehungsgeschichte siehe ausführlich Thöl, Handelsrecht I, 5. Aufl. 1875, §§18 ff. (S. 56 ff.). 24 Preußischer Entwurf Art. 274, abgedruckt in: Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB, 1858, Bd. X, S. 49. 25 Vgl. Artt. 298 und 299 Entwurf 1. Lesung (Lutz [Hrsg.], Protokolle zum ADHGB Bd. X, S. 195), Artt. 354 und 355 ADHGB.

24

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

gewährt wurde. 26 Diese Gestaltung wurde in die endgültige Fassung — Art. 357 Abs. 2 und 3 A D H G B — übernommen. 2. Überlegungen der Verfasser des ADHGB Die Mitglieder der Kommission sahen es als selbstverständlich an, daß der Schaden des Käufers in der Preisdifferenz bestehe.27 Die Preisdifferenz als Maßstab für den Schaden ermögliche eine schnelle Abwicklung und verkörpere in der Regel den wirklichen Schaden, der in der Differenz der Tageskurse bestehe.28 Man ging davon aus, daß sich der Käufer zu diesem Kurs eindecken und seinen Schaden damit beseitigen werde 29 , oder daß ihm der Wert der reellen Erfüllung zustehe.30 Kritiker beanstandeten, daß der Gläubiger die Preisdifferenz unabhängig von der tatsächlichen Eindeckung verlangen konnte, so daß er u.U. einen nicht entstandenen Schaden liquidieren könne 3 1 , setzten sich aber nicht durch. Diese Bedenken tauchten später nicht mehr auf; über die Preisdifferenz als Mindestschaden wurde nicht mehr diskutiert. Als Hauptbedenken wurde immer wieder vorgetragen, daß die Regelung unerwünschte Differenzgeschäfte erleichtere 32 , eine Überlegung, die sich später in Adlers und Oertmanns Bedenken gegen die abstrakte Schadensberechnung des Verkäufers wiederfindet. 33 Erörtert wurde daneben, ob man den Käufer auf die Preisdifferenz beschränken solle oder er wahlweise Erfüllung verlangen könne. 34 Man befürchtete, daß der Käufer zulasten des Verkäufers spekulieren könne, wenn er den maßgeblichen Zeitpunkt der Schadensberechnung wählen könne. 35 Diskutiert wurde auch, ob der Gläubiger einen höheren Schaden ersetzt verlangen könne: erhalte er die Preisdifferenz ohne Rücksicht auf ein möglicherweise geringeres Interesse, könne im umgekehrten Fall dem Schuldner nie mehr auferlegt werden. 36 26 Vgl. Art. 302 Entwurf 1. Lesung (Lutz [Hrsg.], Protokolle zum ADHGB Bd. X, S. 196), Artt. 332, 335 Entwurf 2. Lesung (Bd. X, S. 266). 27 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 672 und 682; Bd. III, S. 1413. 28 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 675 (zum preußischen Entwurf). 29 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 673, 676 und 683. 30 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. IX, S. 4596. 31 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 676 f. (zum preußischen Entwurf). 32 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 672, 674, 677, 680 (zum preußischen Entwurf); Bd. III, S. 1405, 1411, 1414 (zum Entwurf 1. Lesung); Bd. IX, S. 4598, 4600 (zum Entwurf 2. Lesung). 33 Adler Holdheim 1897,106 (107 f.); Oertmann in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts IV 2, 1918, § 64,1 (S. 444). 34 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 672 (zum preußischen Entwurf). 35 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 675 (zum preußischen Entwurf); Bd. III, S. 1412 (zum Entwurf 1. Lesung); Bd. IX, S. 4600 (zum Entwurf 2. Lesung). 36 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. II, S. 673 f. (zum preußischen Entwurf).

Α. Rechtslage im 19. Jahrhundert

25

Schließlich bemängelte man die unterschiedliche Behandlung von Käufer und Verkäufer im Entwurf 2. Lesung: mit der Pflicht zum Selbsthilfeverkauf werde der Verkäufer u.U. zur Verschleuderung der Ware gezwungen, wenn er Schadenersatz verlangen wolle. 37 Als Rechtfertigung wurde vorgetragen, daß die Leistung des Verkäufers (die Ware) im Gegensatz zu der des Käufers (Geld) ständig im Wert schwanke, so daß es schwer sei, festzustellen, wie die Ware dem Verkäufer anzurechnen sei. 38 M i t der Pflicht zum Selbsthilfeverkauf würden Spekulationen des Verkäufers verhindert. 39 Eine Anwendung der Schadensberechnung nach der Preisdifferenz auf Nichtfixgeschäfte wurde vorgeschlagen, aber abgelehnt, da die Berechnungsmethode einen festen Erfüllungszeitpunkt voraussetze. 40 3. Auslegung des Art. 357 Abs. 3 ADHGB a) Käuferschaden

Sowohl die herrschende Meinung, die den abstrakten Käuferschaden als entgangenen Weiterverkaufsgewinn auffaßt, als auch die Gegenansichten, welche die abstrakte Schadensberechnung mit einem hypothetischen oder typisierten Deckungskauf erklären, führen ihre Position auf die Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts zurück. 41 Das Reichsoberhandelsgericht und — ihm folgend — das Reichsgericht verstanden die in Art. 357 Abs. 3 A D H G B für den Käufer bestimmte Schadensberechnung als allgemeinen Grundsatz, der auch bei Nichtfixgeschäften galt. Diese Aussagen bezogen sich allerdings nur auf den Handelsverkehr, da die Zuständigkeit des Reichsoberhandelsgerichts im wesentlichen darauf beschränkt war. 4 2 Der Käufer konnte im kaufmännischen Verkehr vom Verkäufer, der nicht lieferte, die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem Marktpreis am Stichtag unabhängig davon verlangen, ob ein Fixgeschäft vorlag. 43 Als Marktpreis war für das Reichsoberhandelsgericht häufig der 37

Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. IX, S. 4597. Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. IX, S. 4598. 39 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. IX, S. 5083. 40 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB Bd. IX, S. 4602. 41 v. Caemmerer NJW 1956, 569 (570); Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 118; HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 68 vor § 373; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 114 Fn. 14; SteindorfT AcP 158 (1959/60), 431 (459f.). 42 Nachweise zur Zuständigkeit des ROHG bei Thöl, Handelsrecht I, 5. Aufl. 1875, §23 (S. 78 ff.). 43 ROHG 7, 376 Nr. 100 (377); 8, 14 Nr. 3 (20); 9, 311 Nr. 93 (316f.); 9, 340 Nr. 102 (349); 10,148 Nr. 29 (150); 10,169 Nr. 36 (170); 11,103 Nr. 38 (105); 11,169 Nr. 54; 11, 182 Nr. 60 (183); 13,102 Nr. 36 (105); 14, 6 Nr. 3 (7); 14,140 Nr. 44 (142); 15, 334 Nr. 96 (336); 17, 255 Nr. 56 (257); 21, 247 Nr. 80 (248); 24, 153 Nr. 46 (155); RGZ 1, 241 38

26

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Marktpreis am Lieferungstag und -ort maßgeblich 44 , ζ. T. wurde der Ablauf der Nachfrist als Stichtag angesehen, da der Käufer bis zu diesem Tag die Leistung annehmen mußte. 45 In anderen Entscheidungen überließ das Gericht dem Käufer die Wahl zwischen dem Liefertag und dem Ablauf der Nachfrist. 46 Der Ersatz der Preisdifferenz war im Grundsatz unbestritten; unklar ist dagegen, ob der Marktpreis nach dem Einkaufsmarkt oder dem Verkaufsmarkt des Käufers bestimmt werden sollte. Dazu sind widersprüchliche Entscheidungen ergangen. 47 Nur selten wurde ausdrücklich ausgesprochen, daß der Preis zugrunde zu legen ist, zu dem der Käufer sich die Ware am Erfüllungstag hätte kaufen können.4® In diese Richtung weist auch die Erwägung, daß die Nichterfüllung beim Kauf einer marktgängigen Ware nicht zum Gewinnentgang führe, weil der Käufer diesen Gewinn mit Ersatzware erzielen könne, der Schaden des Käufers also nur in dem Mehrpreis der Eindeckung bestehe. Dieser Schaden werde mit der Preisdifferenz des Art. 357 Abs. 3 ersetzt. 49 In anderen Entscheidungen klang an, daß dem Käufer Ersatz für den Wert der ihm vorenthaltenen Ware gewährt werden soll, den er bei ordnungsgemäßer Erfüllung in seinem Vermögen gehabt hätte. 50 Der Schaden bestehe in der Entbehrung des Vertragsgegenstands. 51 Sieht man als Wert den Preis an, zu dem sich der Käufer die Ware beschaffen kann, ist der Preis des Einkaufsmarktes der richtige. Zwingend ist das allerdings nicht; als Wert für den Käufer kann man auch den Preis ansehen, zu dem er die Ware „versilbern" kann, dann wäre sein Verkaufsmarkt maßgeblich. Da das Reichsoberhandelsgericht in anderen Entscheidungen die Schadensberechnung beim Fixgeschäft damit erklärte, daß der Käufer sich am Erfüllungstag die Ware zum Marktpreis beschaffen könne 5 2 , liegt die erste Deutung näher. (Anschluß an ROHG); 6, 26; 6, 58 (59); 14, 111 (115); RG Bolze 10 (1891), 248 Nr. 490; RG JW 1904, 121 Nr. 25; Anschütz, ADHGB, 1874, Art. 355 Anm. II Fn. 2; Keyßner, ADHGB, 1878, S. 367. 44 ROHG 3,94 Nr. 18 (96); 6,182 Nr. 38 (194); 6,225 Nr. 49 (226); 7,376 Nr. 100 (377); 8, 14 Nr. 3 (20); 9, 340 Nr. 102 (348); 14, 6 Nr. 3 (8); 24, 153 Nr. 46 (155). 45 ROHG 7, 383 Nr. 102 (394); 10, 169 Nr. 36 (171); 13, 245 Nr. 86 (246) (bei berechtigter Nachfrist). 46 ROHG 11, 182 Nr. 60 (183 f.); 15, 334 Nr. 96 (337). 47 OAG Dresden ZHR 18 (1873), 251 (252) und Obertribunal zu Berlin ZHR 18 (1873), 253: Weiterverkaufspreis; Obertribunal zu Stuttgart, ZHR 18 (1873), 254 (255): Einkaufspreis. 48 ROHG 11, 182 Nr. 60 (183); 14, 140 Nr. 144 (142). 49 ROHG 18, 215 Nr. 57. 50 ROHG 6,182 Nr. 38 (194); 14,140 Nr. 44 (141 f.); 21,247 Nr. 80 (249); 24,153 Nr. 46 (154 f.); ähnlich ROHG 10,169 Nr. 36 (171); 20,223 Nr. 61 (224) = SeufTA 31 (1876), 463 Nr. 364; RGZ 6, 26 (27); 20, 52 (64) (beiläufig); RG JW 1904,121 Nr. 25 (122); Keyßner, ADHGB, 1878, S.367f. 51 ROHG 14, 6 Nr. 3 (8). 52 ROHG 6, 225 Nr. 49 (226); ähnlich ROHG 18, 215 Nr. 57.

Α. Rechtslage im 19. Jahrhundert

27

Eindeutig dem Verkaufsmarkt zuzuordnen ist der Marktpreis in Reichsgerichtsentscheidungen, in denen bei fehlendem Marktpreis der Schaden nach dem Verkäuflichkeitspreis — gemeint ist der Preis, zu dem der Käufer verkaufen kann — bestimmt werden soll. 53 In diesen wie in einigen Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts ist die Rede davon, daß die abstrakte Schadensberechnung nach der Preisdifferenz dem Käufer den Gewinn aus der Weiterveräußerung der Ware ersetzen soll. 54 Dieser Unterschied scheint der Rechtsprechung nicht klar zu sein, wenn sie den Käufer den entgangenen Weiterverkaufsgewinn alternativ nach dem Preis des Produzenten (Einkaufspreis des Käufers) oder dem vom Käufer erzielten Verkaufspreis berechnen läßt. 55 Die Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichts sprechen überwiegend für eine Schadensberechnung nach dem Einkaufspreis des Käufers, während das Reichsgericht auf den entgangenen Weiterverkaufsgewinn abstellt. Schon früh wurde die Vermutung aufgestellt, daß der Käufer als Kaufmann die Ware zum Marktpreis weiterveräußern könne und diese Gelegenheit nutzen werde 56 , was sich wohl als Reaktion auf die strengen Beweisanforderungen des damaligen Prozeßrechts erklärt, die häufig die Durchsetzung eines Schadenersatzanspruchs verhinderten. Die Preisdifferenz wurde als Mindestschaden angesehen, der ohne Nachweis des wirklichen Schadens verlangt werden konnte. 57 Wenn ein Marktpreis fehlte, trat an seine Stelle der Verkäuflichkeitspreis, damit war manchmal der Einkaufs-, manchmal der Verkaufspreis des Käufers gemeint, wobei sich das Gericht in beiden Fällen auf Art. 357 Abs. 3 berief. 58 Anstelle der Differenz zum Marktpreis konnte der Käufer auch den Mehrpreis eines Deckungskaufs oder den Gewinn durch den Weiterverkauf zu einem höheren Preis verlangen (sog. konkreter Schaden).59 Schadenersatz wurde dem Käufer versagt, wenn er den Schaden durch einen Deckungskauf vermeiden konnte, jedenfalls wenn culpa lata vorlag. 60

53

RGZ 4, 1 (4 f.); RG Bolze 7 (1889), 212 Nr. 571. BOHG 2, 194 Nr. 47 (197); ROHG 11, 103 Nr. 38 (104). 55 RGZ 4, 1 (5). 56 BOHG 2, 194 Nr. 47 (197 f.); RGZ 4, 1 (3); Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts II, 4. Aufl. 1888, § 72, 4 (S. 176). 57 ROHG 14, 140 Nr. 44 (142); 24, 153 Nr. 46 (155); RGZ 6, 58 (59); 20, 52 (62). 58 ROHG 11, 182 Nr. 60 (183); RGZ 4, 1 (4). 59 ROHG 10,169 Nr. 36 (170); 16,200 Nr. 58 (203); 17,255 Nr. 56 (257); enger ROHG 14, 6 Nr. 3 (8). 60 BOHG 2, 383 Nr. 86 (386f.); ROHG 13, 197 Nr. 68 (207); 22, 184 Nr. 42 (190) = SeuffA 34 (1879), 37 Nr. 23. 54

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

28

b) Verkäuferschaden

Da Art. 357 Abs. 2 A D H G B dem Verkäufer vorschrieb, die Ware im Wege des Selbsthilfeverkaufs zu verwerten und die Differenz zwischen dem Erlös und dem höheren Vertragspreis zu liquidieren, kam für den Verkäufer die abstrakte Schadensberechnung mit dem Marktpreis als Bezugspunkt nicht in Betracht.

B. Rechtslage nach 1900 (unter Geltung des BGB und des HGB) I. Gesetzliche Regelung der abstrakten Schadensberechnung Nach wie vor ist die einzige gesetzliche Regelung der abstrakten Schadensberechnung im Bereich des Fixgeschäfts angesiedelt, § 376 Abs. 2 HGB. Für den Käufer hat sich gegenüber dem A D H G B nichts geändert; neu ist, daß der Verkäufer seinen Schaden nun auch nach der Differenz zum Marktpreis anstatt wie vorher zum Erlös aus einem Selbsthilfeverkauf bestimmen kann. Nach dem HGB können also Käufer und Verkäufer ihren Schaden anhand des Marktpreises berechnen. Das BGB enthält zu dieser Form der Schadensberechnung keine Aussage. Den Verfassern des HGB — anders als denen des A D H G B — erschien es nicht gerechtfertigt, Käufer und Verkäufer unterschiedlich zu behandeln. 61 Es wurde erkannt, daß die abstrakte Schadensberechnung nicht auf Fixgeschäfte beschränkt sei; man nahm die Regelung dort vor, weil die Frage an dieser Stelle besonders wichtig sei. 62 Bei den Beratungen der §§ 325, 326 BGB wurde die Frage der Schadensberechnung weder gesehen noch diskutiert; man beschäftigte sich vornehmlich damit, welche Rechtsbehelfe dem Gläubiger zu gewähren seien (insbesondere Rücktritt). 63 Auch bei der Diskussion der späteren §§ 249ff. BGB befaßte man sich mit anderen Fragen. 64

II. Rechtsprechung und Literatur zum Käuferschaden 1. Rechtsprechung: abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns a) Reichsgericht

Auch unter Geltung von BGB und HGB ließ das Reichsgericht im Handelsverkehr die sogenannte abstrakte Schadensberechnung außerhalb des Anwen61 62 63 64

Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 222. Protokolle I, S. 639ff.; Motive II, S. 209 ff. Vgl. Protokolle I, S. 291 ff.

Β. Rechtslage nach 1900

29

dungsbereichs des § 376 Abs. 2 HGB grundsätzlich zu, d.h. der Käufer konnte als Schaden die Differenz zwischen Vertragspreis und höherem Marktpreis verlangen. 65 Deutlicher als die frühere Rechtsprechung arbeitete das Reichsgericht nach 1900 Grundlagen und Grenzen der abstrakten Schadensberechnung heraus. Danach wurde die abstrakte Schadensberechnung auf § 252 Satz 2 BGB gestützt: mit der Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis werde dem Käufer der Gewinn ersetzt, den er durch Weiterveräußerung der Sache erzielt hätte, wenn der Verkäufer geliefert hätte. Diesen Gewinn erziele der Käufer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge. 66 Begründet wurde das mit der — widerleglichen 67 — Vermutung, daß im Handelsverkehr der Käufer die Ware, wenn der Verkäufer sie ihm geliefert hätte, zum Marktpreis ( = Preis, den andere am Stichtag erzielt haben), hätte verkaufen können und tatsächlich verkauft hätte, weshalb ihm durch Unterbleiben der Lieferung ein dem Mehrbetrag dieses Preises entsprechender Gewinn entgangen sei. 68 Der Käufer konnte den Wert der Kaufsache alternativ nach dem Zeitpunkt des Verzugseintritts (sofern Verzug vorliegt) und nach dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs, d.h. Unmöglichkeit oder Ablauf der Nachfrist, bestimmen. 69 Die abstrakte Schadensberechnung setzte nach dieser Konzeption somit voraus, daß der Käufer die Ware zum Marktpreis hätte absetzen können. 70 Dementsprechend war sie ausgeschlossen, wenn feststand, daß der Käufer zum Marktpreis nicht hätte weiterveräußern können oder dürfen 71 , was der Verkäu65 RGZ 90, 305 (306) = JW 1917, 901 Nr. 4 (Lehmann); RGZ 91, 30 (31 ff.) = JW 1917,968 Nr. 6; RGZ 98,213 (214); 105,293 (294); RG JW 1903,156 Nr. 14; RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 = Holdheim 1908,17; RG LZ 1908, Sp. 160 Nr. 20; RG LZ 1909, Sp. 143 Nr. 19 = Holdheim 1910, 178; RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3; RG LZ 1909, Sp. 321 Nr. 4 (322); RGJW 1910,613 Nr. 4 (614) = SeuffA 65 (1910), 388 Nr. 207 = LZ 1910, Sp. 631 Nr. 4 = Holdheim 1910, 179; RG JW 1918, 35 Nr. 8 (Plum) = LZ 1917, Sp. 1326 Nr. 4; RGJW 1918,225Nr. 15 = WarnR 1918,137Nr. 89 = Gruchot62(1918),605Nr. 53; RG LZ 1918, Sp. 1139 Nr. 5; RG WarnR 1922, 8 Nr. 8; RG Recht 1923, 49 Nr. 187; RG JW 1926, 2676 Nr. 7. 66 RGZ 68, 163 (165); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321); RG JW 1918, 225 Nr. 15 (Fn. 65). 67 RGZ 90, 423 (425) = JW 1918, 35 Nr. 9 (Hachenburg) = Recht 1917, 1806. 68 RGZ90,305 (306) (Fn. 65); 90,423 (425) (Fn. 67); 91,99 (103); 98,213 (214f.); 99,46 (49); 101,217(218) = JW 1921,333 Nr. 2(Oertmann); RGZ 101,240(241); 101,421 (423); 105, 285 (286) = JW 1923,119 Nr. 2; RGZ 105, 293 (294); RG JW 1918, 35 Nr. 8 (Plum) (Fn. 65); RG JW 1918, 225 Nr. 15 (Fn. 65); RG JW 1921, 1313 Nr. 8 (Oertmann) = WarnR 1921,169 Nr. 140; RG LZ 1925, Sp. 1068 Nr. 6 (1069); RG JR1926 Nr. 2218; RG HRR 1929 Nr. 85. 69 RGZ 90, 423 (425) (Fn. 67); 91, 30 (31) (Fn. 65); 91, 99 (102); 96, 158 (160) = JW 1919,717 Nr. 3; RGZ 98,213 (214); 103,292 (293) = JW 1927,2290 Nr. 4 (Rabel); RG JW 1900, 255 Nr. 10; RG JW 1917, 847 Nr. 2 (848); RG WarnR 1920,188 Nr. 153 = SeuffA 75 (1920), 325 Nr. 187; RG WarnR 1922, 8 Nr. 8; RG LZ 1927, Sp. 903 Nr. 1 = Recht 1926, 717 Nr. 2418. 70 RG LZ 1914, Sp. 1804 Nr. 2 (1805) = Holdheim 1914, 255.

30

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

fer nachzuweisen hatte. 72 Das Reichsgericht erklärte die abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung, so daß sie ausscheiden mußte, wenn mit Sicherheit feststand, daß der Käufer unter dem Marktpreis weiterverkauft hätte. 73 Bei Waren, die keinen Marktpreis hatten, sollte genügen, daß ein Weiterverkauf möglich war, was bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wurde; an die Stelle des Marktpreises trat der Verkäuflichkeitswert. 74 Strenge Anforderungen wurden an die Weiterverkaufsmöglichkeit weder hier noch bei Vorliegen eines Marktpreises gestellt; das Reichsgericht nahm bei allen Waren bis zum Beweis des Gegenteils die Verkäuflichkeit an. 7 5 Es sollte ausreichen, daß der Käufer zum Weiterverkauf nach dem Vertrag mit dem Verkäufer berechtigt und in der Lage war. 7 6 Der Weiterverkaufsabsicht stehe nicht entgegen, daß der Käufer die Ware zum Eigengebrauch oder zur Verarbeitung oder zum Gebrauch in seinem Betrieb gekauft habe, denn er könne sich jederzeit zu einer Weiterveräußerung entschließen.77 Das Gegenteil müsse der Ersatzpflichtige beweisen.78 Die Weiterverkäuflichkeit fehle nur, wenn der Käufer beim Weiterverkauf gegen ein vertragliches oder gesetzliches Verbot verstoße. 79 Der Verstoß führte jedoch nur dazu, daß statt des Marktpreises ein angemessener Weiterverkaufspreis zugrunde gelegt werden mußte. Da die abstrakte Schadensberechnung dem Käufer den entgangenen Weiterverkaufsgewinn ersetzen sollte, wurde der Schadensberechnung der Weiterver71

RGZ 90, 305 (306) (Fn. 65); 96, 284 (286); 99,46 (49); 101, 217 (218 f.) (Fn. 68); RG JW 1918, 225 Nr. 15 (Fn. 65); RG JW 1919, 726 Nr. 13 (Hachenburg); RG LZ 1920, Sp. 640 Nr. 1 (641); RG Recht 1921, Sp. 317 Nr. 2149; RG Recht 1923,49 Nr. 187; RG JR 1926 Nr. 2218; RG Recht 1926, 93 Nr. 239 = JR 1926 Nr. 672. 72 RGZ 68, 163 (166); 90, 423 (425) (Fn. 67); 105, 293 (294); RG HansRGZ 1932B, Sp. 563 (565). 73 RGZ 100, 112 (113); ähnlich RG Recht 1926, 93 Nr. 239 (Fn. 71); RG HansRGZ 1932 B, Sp. 563 (564). 74 RGZ 68,163 (165); 101,421 (423); RG LZ 1914, Sp. 1804 Nr. 2 (1805) (Fn. 70); RG JW 1919, 726 Nr. 13 (727); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 = DJZ 1920, Sp. 647; RG HRR 1929 Nr. 85; RG HansRGZ 1932B, Sp. 563. 75 RG JW 1910, 613 Nr. 4 (614). 76 RGZ 101, 421 (423); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321). 77 RGZ 101,217 (219 f.) (Fn. 68); 101,240 (242); 101,421 (423); 105,285 (286) (Fn. 68); 105,293 (294); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 (Fn. 74); RG JW 1921,1313 Nr. 8 (Oertmann) (Fn. 68); RG JW 1926, 2676 Nr. 7 (2677); anders RGZ 99, 46 (49) und RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477). 78 RGZ 105, 293 (294). 79 RGZ 96, 284 (285 f.); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321); RG JW 1918, 225 Nr. 15 (Fn. 65); RG JW 1918, 556 Nr. 9 = LZ 1918, Sp. 1331 Nr. 7 = Gruchot 62 (1918), 764 Nr. 73; RG LZ 1918, Sp. 1139 Nr. 5 (1140); RG JW 1919, 726 Nr. 13 (Hachenburg); RG Recht 1921, Sp. 317 Nr. 2149; RG SeuffA 77 (1923), 182 Nr. 116: Verstoß gegen die „PreistreibereiVerordnung"; siehe auch RGZ 100, 112 (113): Verstoß gegen die guten Sitten.

Β. Rechtslage nach 1900

31

kaufspreis und nicht der Einkaufspreis des Käufers zugrunde gelegt. 80 Auf den Weiterverkaufspreis stellte auch eine vereinzelt gebliebene Entscheidung ab, die die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz für die Entbehrung der Kaufsache deutete, der nach dem Weiterverkaufspreis zu bemessen sei, da sich der Verkäufer jederzeit zur Weiterveräußerung entschließen könne. 81 Eine Pflicht des Käufers, sich einzudecken, lehnte das Reichsgericht ab. Nur ausnahmsweise wurde sie aus § 254 Abs. 2 BGB abgeleitet, wenn die Eindeckung dringend notwendig war, um eine Ausdehnung des Schadens zu verhindern 82 , was der Verkäufer zu beweisen hatte. 83 Die Rechtsprechung verneinte eine Pflicht zur Eindeckung, wenn der Käufer den abstrakten Schaden verlangte 84 und neigte zu einer Bejahung, wenn ein besonders hoher konkreter Schaden drohte. 85 Die Preisdifferenz sollte der Mindestschaden sein, den der Käufer auch verlangen konnte, wenn er sich tatsächlich billiger eingedeckt hatte. 86 Dieser sog. abstrakten Schadensberechnung wurde die konkrete Berechnung gegenüber gestellt, bei der der Käufer seinen Schaden z.B. nach der Differenz zwischen Vertragspreis und Deckungspreis berechnen konnte. 87 Der Preis für den Deckungskauf war allerdings nur innerhalb der Grenzen des § 254 Abs. 2 BGB maßgeblich; er schied insbesondere aus, wenn der Käufer zu lange mit der Eindeckung wartete. 88 b) Bundesgerichtshof

Auch der Bundesgerichtshof versteht den Anspruch des Käufers auf die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis als abstrakt (nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge) berechneten entgangenen Gewinn (§ 252 Satz 2, 1. Alternative BGB). Die abstrakte Schadensberechnung gehe von der Vermutung aus, daß der Käufer einer Ware sie zum Marktpreis weiterverkauft hätte. 80 RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 (Fn. 65); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 (Fn. 74); RG HansGZ 1932B, Sp. 563. 81 RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 (Fn. 74). 82 RG JW 1903, Beil. S. 121 Nr. 267; RG LZ 1909, Sp. 143 Nr. 19 (Fn. 65); RG LZ 1909, Sp. 321 Nr. 4; RG JW 1910, 613 Nr. 4 (614) (Fn. 65); RG LZ 1914, Sp. 475 Nr. 4; RG Recht 1921 Nr. 1603. 83 RG LZ 1914, Sp. 475 Nr. 4. 84 RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 (Fn. 65); RG LZ 1909, Sp. 143 Nr. 19 (Fn. 65); RG LZ 1914, Sp. 475 Nr. 4; RG HansRGZ 1932B, Sp. 563 (565). 85 RG LZ 1909, Sp. 321 Nr. 4; RG JW 1910, 948 Nr. 31 = Gruchot 55 (1911), 110 Nr. 7. 86 RG JW 1903,156 Nr. 14; RG JW 1910, 613 Nr. 4 (614) (Fn. 65); RG JW 1921,1313 Nr. 8 (Fn. 68); RG JR 1926 Nr. 2218. 87 RGZ 52, 150 (154); 91, 99 (100); 98, 271 (273). 88 RGZ 91, 99 (100); 101, 90 (91) = DJZ 1921, Sp. 367; RG WarnR 1918, 261 Nr. 178 (263); RG Recht 1919 Nr. 1300; RG Recht 1921, Sp. 228 Nr. 1603.

32

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Das folge aus dem Erfahrungssatz, daß ein Gewerbetreibender innerhalb seines Betriebs stets Geschäfte tätige, vor allem Waren mit Gewinn veräußere. 89 Daraus wird abgeleitet, daß diese Berechnungsart nur auf gewerbliche Betriebe angewendet werden könne, dagegen nicht auf Behörden und Privatleute. 90 Die abstrakte Schadensberechnung scheidet danach aus, wenn feststeht, daß der Gläubiger bei Erfüllung keinen Gewinn erzielt hätte. 91 Den Gewinn, den der Käufer nach der Weiterverarbeitung einer Ware aus deren Verkauf erzielen will, könne er nicht durch Vergleich des Vertragspreises mit dem Marktpreis der weiterverarbeiteten Ware nachweisen92, sondern nur durch Nachweis der konkreten Verhältnisse, aus denen sich ein bestimmter Gewinn ergebe. 93 Entscheidungen zu Fällen, in denen der Käufer die Ware zum Eigengebrauch gekauft hat, sind — soweit ersichtlich — nicht ergangen. Der Grundsatz, daß dem Käufer infolge der Vorenthaltung der Ware ein Gewinn aus ihrem Weiterverkauf entgehe, wurde auf andere Fälle übertragen, in denen dem Anspruchsberechtigten die geschuldete Leistung vorenthalten wurde 9 4 , wie überhaupt der Bundesgerichtshof die vorgenannten Regeln nicht aus Anlaß der Berechnung des Käuferschadens formulierte, sondern diese Regeln als Grundsätze auf andere Fallgestaltungen übertrug. c) Oberlandesgerichte

aa) Vor 1945 Die Oberlandesgerichte folgten im wesentlichen der Linie des Reichsgerichts. Sie gewährten dem Käufer als Schadenersatz wegen Nichterfüllung auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 376 Abs. 2 HGB die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis aufgrund der — widerleglichen 95 — Vermutung, der Käufer werde die Sache weiterveräußern. 96 Teilweise wurde die 89

BGHZ 2, 310 (313); 29, 393 (399); 62,103 (105); BGH NJW 1964, 661 (662) = LM Nr. 8 zu § 252 BGB; BGH DRiZ 1963, 25; BGH WM 1965, 102 (104); BGH NJW 1988, 2234 (2236) = BB 1988, 929. 90 BGH DRiZ 1963,25; BGH NJW 1980,1742 (1743) = WM 1980,466 = LM Nr. 27 zu § 252 BGB (beiläufig). 91 BGH NJW 1964, 151. 92 So RGZ 101, 240 (241 f.). 93 BGHZ 2, 310 (313 f.). 94 BGHZ 29, 393: Ausschluß der Kläger von Geschäften; BGHZ 62,103: Schaden der Bank wegen Vorenthaltung von Geld; BGH DRiZ 1963,25: Verweigerung der Rückgabe einer beschlagnahmten Sache; BGH NJW 1988, 2234 (2236) (Fn. 89): Anspruch aus c. i.e. 95 OLG Hamburg HRR 1930 Nr. 2084. 96 OLG Hamburg OLGE 36 (1918), 26 (27); OLG Hamburg OLGE 36 (1918), 103 f.; OLG Rostock OLGE 36 (1918), 2; OLG Hamburg JW 1917,238 Nr. 4 (239) (Plum); KG LZ 1918, Sp. 221 Nr. 1; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 91 Nr. 45; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204); OLG München JW 1923,1050 I

Β. Rechtslage nach 1900

33

abstrakte Schadensberechnung auf den Handelsverkehr beschränkt, so daß ein Privatmann seinen Schaden nicht abstrakt berechnen konnte, weil der Weiterverkauf nicht wahrscheinlich sei 97 , von anderen Entscheidungen dagegen wurde diese Form der Schadensberechnung auch außerhalb des Handelsverkehrs angewendet.98 Häufig wurde die abstrakte Schadensberechnung als Mindestschaden angesehen, den der Käufer unabhängig von einer Weiterveräußerung verlangen konnte 9 9 , insbesondere bei Selbstverbrauch wurde die Differenz zum Marktpreis ersetzt 100 , ebenso bei Vornahme eines Deckungskaufs 101 oder bei geplanter Weitergabe zum Selbstkostenpreis 102, mit der Begründung, der Käufer könne sich noch entschließen, die Ware gewinnbringend zu verkaufen. Die Unbeachtlichkeit eines Deckungskaufs wurde damit begründet, daß der Käufer die Deckungsware zusätzlich hätte verwerten können, wenn der Verkäufer erfüllt hätte. 103 Andere Entscheidungen führten den Ausgangspunkt konsequent durch und versagten die abstrakte Schadensberechnung, wenn der Käufer die Ware verbrauchen wollte. 1 0 4 Vereinzelt wurde als Grundlage der abstrakten Schadensberechnung auch die Überlegung angeführt, daß dem Käufer der Wert der Ware zustehe, der im Marktpreis verkörpert werde. 105 Der Käufer konnte zwischen dem Marktpreis bei Verzugseintritt und bei Ablauf der Nachfrist wählen. 106 Wenn ein besonders hoher konkreter Schaden (entgangener Gewinn) drohte, wurde häufig angenommen, der Käufer sei nach § 254 BGB zu einem Deckungskauf verpflichtet. Bei der abstrakten Berechnung lehnten diese Nr. 23 (Plum); LG Dortmund JW 1923, 1057 Nr. 4 (1058); OLG Hamburg HRR 1930 Nr. 2084. 97 OLG Rostock OLGE 36 (1918), 2: Landwirt; LG Dortmund JW 1924, 1057 Nr. 4 (1058): Bergmann. 98 OLG München JW 1923, 1050 Nr. 23: Landwirt. 99 OLG Hamburg OLGE 36 (1918), 26 (27); KG JW 1919, 738 Nr. 2 (Plum); KG JW 1919, 739 Nr. 4; OLG Hamburg HansRGZ 1930B, Sp. 644 Nr. 222 (645). 100 OLG Hamburg OLGE 39 (1919), 132 (anscheinend auf der Basis eines hypothetischen Deckungskaufs); KG JW 1919, 738 Nr. 2; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 187 Nr. 94; OLG Hamburg, HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204): Militärfiskus; OLG München JW 1923, 1050 Nr. 23: Landwirt. 101 OLG Braunschweig OLGE 25 (1912), 6. 102 OLG Hamburg OLGE 36 (1918), 26 (27); OLG Hamburg, HansRGZ 1930 B, Sp. 644 Nr. 222 (645); KG JW 1919, 738 Nr. 2. 103 KG LZ 1915, Sp. 1539 Nr. 9. 104 OLG Rostock OLGE 36 (1918), 2: Futtermittel eines Landwirts. 105 KG JW 1919,738 Nr. 2; siehe auch OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 187 Nr. 94; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204); OLG Hamburg HRR 1930 Nr. 2084. 106 OLG Kiel OLGE 36 (1918), 3; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 91 Nr. 45; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204) (zum entgangenen Gewinn). 3 Bardo

34

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Entscheidungen eine solche Pflicht dagegen grundsätzlich ab. 1 0 7 Andere bejahten u. U. eine Pflicht zur Eindeckung, gegebenenfalls auch beim Verkäufer, wenn er dem Käufer ein entsprechendes Angebot machte. 108 Kriegsbedingte extreme Preissteigerungen wurden dadurch aufgefangen, daß dem Käufer nur der nach den Preistreibereiverordnungen angemessene Gewinn ersetzt wurde. 109 bb) Nach 1945 Auch die neuere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte versteht den Anspruch des Käufers auf die Differenz zwischen Vertragspreis und höherem Marktpreis bzw. Verkäuflichkeitspreis überwiegend als den Ersatz des entgangenen Weiterveräußerungsgewinns. 110 Anspruchsgrundlage sei §252 Satz 2 BGB: diesen Gewinn hätte der Käufer bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge erzielt. 111 Im Handelsverkehr soll die Vermutung, der Käufer hätte die Sache zum Marktpreis weiterverkaufen können, wenn der Verkäufer geliefert hätte 1 1 2 , den Ersatz der Preisdifferenz auch begründen, wenn der Käufer die Sache in seinem Betrieb verwenden will, denn auch dann sei ein Weiterverkauf nicht ausgeschlossen. 113 Diese Art der Schadensberechnung sei unabhängig davon, ob und wann der Käufer einen Deckungskauf vorgenommen habe. 114 Zu einem Deckungskauf sei der Käufer nach § 254 BGB nur unter ganz besonderen Umständen verpflichtet. 115

107

OLG Braunschweig OLGE 25 (1912), 6 (7); OLG Hamburg OLGE 28 (1914), 56; OLG Hamburg SeuffA 60 (1905), 345 Nr. 183 (346); KG LZ 1915, Sp. 1539 Nr. 9. 108 OLG Rostock OLGE 32 (1916), 158 (160); OLG München LZ 1918, Sp. 290 Nr. 2. 109 OLG Dresden JW 1917,237 Nr. 3 (238) (Plum); OLG Hamburg JW 1917,238 Nr. 4 (239) (Plum); OLG Kiel LZ 1917, Sp. 1277 Nr. 5; KG LZ 1918, Sp. 221 Nr. 1; OLG München JW 1918, 779 Nr. 8 = LZ 1918, Sp. 649 Nr. 1. 110 OLG Düsseldorf BB 1953,129; OLG Stuttgart JR 1957,343; OLG München MDR 1959, 300; OLG Frankfurt NJW 1977, 1015 (1016) = MDR 1977, 494 a. A. OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1382 (1383): Ersatz der Differenz zum Markteinkaufspreis. 111 OLG Stuttgart JR 1957, 343. 112 OLG Düsseldorf BB 1953, 129; OLG Stuttgart JR 1957, 343. 113 OLG Düsseldorf BB 1953, 129. 114 OLG Düsseldorf BB 1953, 129; OLG Stuttgart JR 1957, 343 (344). 115 OLG Stuttgart JR 1957, 343 (344); OLG München MDR 1959, 300; OLG Frankfurt NJW 1977, 1015 (1016) (Fn. 110).

Β. Rechtslage nach 1900

35

2. Literatur a) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns

aa) Vor 1945 Die herrschende Meinung folgte der von der Rechtsprechung vorgezeichneten Linie. Dem Käufer wurde unabhängig von § 376 Abs. 2 HGB ein Anspruch auf die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis zugesprochen: ihm sei infolge der Nichtlieferung ein Gewinn in dieser Höhe entgangen. 116 Im Handelsverkehr bestehe die Regel, daß der Käufer die Kaufsache, wenn sie ihm geliefert worden sei, zum Marktpreis weiterverkaufen könne. Grundlage der abstrakten Schadensberechnung war somit § 252 Satz 2 BGB. Die Preisdifferenz sollte den Gewinn ausdrücken, den der Käufer nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erzielt hätte. Der Marktpreis wurde nach Wahl des Gläubigers nach dem Zeitpunkt des Verzugseintritts (bei Verzug) oder des Erlöschens des Erfüllungsanspruchs, d.h. dem Eintritt der Unmöglichkeit oder dem Ablauf der Nachfrist berechnet. 117 Zum Teil wurde diese Form der Schadensberechnung ausdrücklich auf den Handelsverkehr beschränkt, weil nur dort die Weiterveräußerung dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entspreche. 118 Die abstrakte Schadensberechnung wurde also als Frage des Schadensnachweises behandelt. 119 Manchmal wurde sie auch auf eine Ausdehnung des § 376 Abs. 2 HGB auf Nichtfixgeschäfte zurückgeführt. 120 Die Ausgangsformel wurde unterschiedlich streng gehandhabt: es standen sich eine mehr am Wortlaut des § 252 Satz 2 BGB orientierte und eine weite, praktisch von § 252 Satz 2 losgelöste Ansicht gegenüber. Das zeigt sich deutlich in den im Ausgangspunkt übereinstimmenden, in den Folgerungen dagegen abweichenden 116

Baur, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, S. 56; Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 362 (S. 308); Frankenburger JW 1925, 546 (556); Grünberg LZ 1918, Sp. 190 (192); Hueck DJZ 1917, Sp. 642 (643); Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 16, 1 (S. 284); Lesser JW 1916,1328; Oertmann JW 1921,333, enger in BGB, 3./4. Aufl. 1910, § 252 Anm. 2 (S. 49); Plum JW 1918, 35; ders. JW 1919, 738; Schätzel LZ 1919, Sp. 1063 ff.; Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 31 ff.; Siber, Schuldrecht, 1931, S. 45; Staub DJZ 1901, Sp. 160; Staub/Koenige, HGB, 12./13.Aufl. 1926, Anh. zu §374 Anm. 59f.; Staub/Heinichen, HGB, 14. Aufl. 1933, Anh. zu § 374 Anm. 60; Walter, Die abstrakte und die konkrete Schadensberechnung, 1934, S. 29; so wohl auch Dernburg/Raape, Bürgerliches Recht II 2,4. Aufl. 1915, § 179 II 2 (S. 48); Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929/1958, § 18, 8 (S. 58); widersprüchlich Locher JW 1926, 2676. 117 Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 363; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 62 a. 118 Crome, System des Deutschen Bürgerlichen Rechts II, 1902, § 217,4 (S. 430 Fn. 17, 431); Fischer, Der Schaden nach dem BGB, 1904, S. 59 Fn. 15; siehe auch Baur, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, S. 56: wenn Nichtkaufmann Weiterveräußerungsabsicht bewiesen hat, ist abstrakte Schadensberechnung möglich. 119 Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929/1958, § 18, 8 (S. 58). 120 Reinhard LZ 1917, Sp. 361. 3*

36

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Kommentierungen von Werner in Düringer/Hachenburg 121 und Koenige bzw. Heinichen in Staub. 122 Werner lehnte die abstrakte Schadensberechnung ab, wenn nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge die Weiterveräußerung der Sache ausgeschlossen ist, ζ. B. wenn ein Privatmann eine Sache zum Gebrauch oder ein Kaufmann zum Hausgebrauch kaufe, anders dagegen, wenn der Kaufmann zum Gebrauch in seinem Betrieb kaufe. Koenige und Heinichen ließen die abstrakte Schadensberechnung beim Kaufmann unabhängig vom Verwendungszweck der Sache zu, soweit ein Weiterverkauf nicht völlig ausgeschlossen sei, weshalb nur ein Nichtkaufmann, der Ware gekauft hat, die keinesfalls der Veräußerung dienen konnte, die Preisdifferenz nicht verlangen könne. 123 Diese weite, mit der Praxis des Reichsgerichts übereinstimmende Auslegung wurde auch von anderen vertreten. 124 Es gab aber auch Stimmen, die für eine restriktive Anwendung der abstrakten Schadensberechnung eintraten. 125 Da dem Käufer der entgangene Weiterveräußerungsgewinn ersetzt werden sollte, war der Marktpreis, zu dem er die Ware hätte weiterverkaufen können, maßgeblich, nicht der Preis, zu dem er sich die Ware hätte beschaffen können. 126 Einige Autoren unterschieden nicht zwischen Einkaufs- und Weiterverkaufs(markt)preis, sondern setzten beide gleich. 127 Es wurde bereits nachgewiesen, daß das nicht stimmen kann. 1 2 8 Will man dem Käufer den Weiterveräußerungsgewinn ersetzen, muß man folgerichtig vom Weiterverkaufspreis ausgehen. Das schien so selbstverständlich zu sein, daß es kaum ausdrücklich ausgeführt wurde. 129 Auf eine tatsächliche oder mögliche Eindeckung zu einem geringeren Preis als dem Marktpreis sollte sich der Verkäufer nicht berufen können, denn der Käufer hätte diese Ware zusätzlich zu der vom Verkäufer zu liefernden absetzen können, 121

Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 362. Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu§ 374 Anm. 59ff.; Staub/Heinichen, HGB, 14. Aufl. 1933, Anh. zu § 374 Anm. 59 ff. 123 Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 60; Staub/Heinichen, HGB, 14. Aufl. 1933, Anh. zu § 374 Anm. 60. 124 Frankenburger JW 1925, 546 (556); Locher JW 1926, 2626 (2627); Oertmann JW 1921, 333; ders. JW 1921, 1313; Plum JW 1919, 738. 125 Baur, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, S. 56 f.; Dernburg/Raape, Das Bürgerliche Recht II 2,4. Aufl. 1915, § 179 II 2 (S. 48); Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 16,1 (S. 284); Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 33; Siber, Schuldrecht, 1931, S. 45. 126 Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 60; Frankenburger JW 1925, 546 (556); a. A. Oertmann, BGB, 3./4. Aufl. 1910, § 326 Anm. 5. 127 Philippe, Der Schuldnerverzug beim gewöhnlichen Handelskauf, 1911, S. 64: Nachweis des Weiterverkaufspreises durch einen Deckungskauf des Käufers; siehe auch Schätzel LZ 1919, Sp. 1064 (1065): Weiterveräußerungspreis ebenso hoch wie Marktpreis für Deckungskauf. 128 Oben Einleitung 2. 129 Z.B. Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 362 (S. 308); Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. V 1 Einl. Anm. 125a. 122

Β. Rechtslage nach 1900

37

wenn der Verkäufer erfüllt hätte. 130 Der Deckungskauf könne daher nicht verhindern, daß dem Käufer der Gewinn entgehe. Dagegen wurde eingewendet, es sei unbillig, den Verkäufer mit der Preisdifferenz zu belasten, wo doch der Käufer schon den Vorteil des günstigen Deckungskaufs gehabt habe. 131 Nur vereinzelt wurde vorgeschlagen, dem Käufer, für den weder Ersatz des Weiterverkaufsgewinns noch der Kosten für einen Deckungskauf in Betracht kam, den Wert der gekauften Sache zu ersetzen. 132 Manchmal wurde die abstrakte Schadensberechnung damit erklärt, dem Käufer stehe der Wert der Ware zu, für den der Marktpreis stehe. 133 Selten wurde danach differenziert, ob der Käufer die Ware zum Weiterverkauf oder zum Verbrauch gekauft hat; im ersten Fall sollte die Differenz zum Verkaufspreis, im zweiten zum Einkaufspreis ersetzt werden. 134 Mehr als diese Fragen standen im Zentrum der Diskussion die Probleme, wie man die extrem hohen Schadenersatzforderungen, die durch die starken Preissteigerungen infolge der kriegsbedingten Warenknappheit verursacht wurden, auf ein angemessenes Maß beschränken konnte. Man erreichte das, indem die Preissteigerungsverordnungen auf die abstrakte Schadensberechnung angewendet wurden, d.h. statt anhand des stark gestiegenen Marktpreises durfte der Käufer seinen Schaden nur nach einem angemessenen Verkaufspreis berechnen. 135 Diese Lösung setzte — häufig unausgesprochen — voraus, daß mit der abstrakten Schadensberechnung der Weiterveräußerungsgewinn ersetzt wurde. Andere wollten der Schadensberechnung als maßgeblichen Zeitpunkt nur den Erfüllungszeitpunkt zugrunde legen, anstatt wie die herrschende Meinung dem Gläubiger die Wahl zwischen diesem und dem Zeitpunkt des Ablaufs der Nachfrist nach § 326 BGB zu lassen. 136

bb) Nach 1945 Die herrschende Meinung der neueren Literatur will dem Käufer mit der Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis den entgangenen Gewinn aus 130 Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 362 (S. 308); Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. V 1 Einl. Anm. 125a; Staub DJZ 1901, Sp. 160; Staub/Koenige, HGB, 12./13.Aufl. 1926, Anh. zu §374 Anm. 60; a. A. Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 34. 131 Schumacher LZ 1916, Sp. 141 (143); Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 35. 132 Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 16, 1 (S. 283). 133 Plum JW 1918, 738. 134 Reinhard LZ 1917, Sp. 361 (366). 135 Fuld Recht 1916, Sp. 640; Henrich JW 1919, 89; Hueck DJZ 1917, Sp. 642 (643); Koenigsberger LZ 1917, Sp. 113ff.; Lesser JW 1916,1328; Lehmann JW 1917,901; Plum JW 1917, 238; ders. JW 1918, 35; ablehnend Vogt JW 1920, 426. 136 Grünberg LZ 1918, Sp. 190fT.; Reinhard LZ 1917, Sp. 361 ff.; dagegen Schätzel LZ 1919, Sp. 1063 ff.

38

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

der Weiterveräußerung der vorenthaltenen Kaufsache ersetzen. 137 Im Handelsverkehr bestehe die „Vermutung", daß der Käufer eine marktgängige Sache zum Marktpreis weiterverkaufen könne und bei Erfüllung des Verkäufers tatsächlich abgesetzt hätte. Deshalb müsse der Marktpreis, zu dem der Käufer weiterverkaufen könne, als Basis der Schadensberechnung eingesetzt werden. 138 Als maßgeblicher Zeitpunkt für die Schadensberechnung wird im Falle des Verzugs alternativ der Verzugseintritt und das Erlöschen des Erfüllungsanspruchs genannt. 139 Eine billigere Eindeckung soll der abstrakten Schadensberechnung nicht entgegenstehen, da in der Regel davon auszugehen sei, daß der Käufer diese Ware zusätzlich hätte absetzen können. 140 Die abstrakte Schadensberechnung sei auf Kaufleute beschränkt, denn nur bei diesen entspreche ein Weiterverkauf dem gewöhnlichen Lauf der Dinge. 1 4 1 Nach Staudinger jKaduk und Staudinger/Oifo soll die Preisdifferenz einerseits den Schaden kennzeichnen, der dem Käufer durch anderweitige Eindeckung entsteht, andererseits den entgangenen Weiterverkaufsgewinn. 142 Das würde bedeuten, daß der Preis, zu dem der Käufer sich eindeckt, mit dem Weiterverkaufspreis übereinstimmt. Es wurde bereits nachgewiesen, daß diese Annahme nicht richtig sein kann. 1 4 3 137 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, §252 BGB Rz. lOff.; BGB - RGRK / Alff § 252 Rz. 9; BGB-RGRK/Ballhaus § 325 Rz. 17; Enneccerus / Lehmann, Schuldrecht, 15. Bearbeitung 1958, § 53 II (S. 227); Erman/ Battes, BGB,§ 325 Rz. 11; Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, § 51 I 3a (S. 365); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3b (S. 422f.); Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. 1985, §55 III 2d aa (S. 339); HGBGroßkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Rz. 368 vor § 373; HGBRGRK/Würdinger, 2. Aufl. 1961, Anh. zu § 374 Anm. 60; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 29 Illa (S. 511 f.); Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C b; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 39ff.; Soergel/Schmidt, BGB, 10. Aufl. 1967, § 326 Rz. 35; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 47; Staudinger/Werner, BGB, 10./II. Aufl. 1967, §252 Rz.21ff.; widersprüchlich Staudinger/Kaduk, BGB, 10./II. Aufl. 1967, § 325 Rz. 50 und § 326 Rz. 126. 138 Esser, Schuldrecht 1,4. Aufl. 1970, § 511 3a (S. 365); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3b (S. 423); HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 368 vor § 373; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C b; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 44 ff.; Soergel/Schmidt, BGB, 10. Aufl. 1967, § 326 Rz. 35; Staudinger/Kaduk, BGB, 10./11. Aufl. 1967, § 326 Rz. 126. 139 BGB-RGRK/Ballhaus § 325 Rz. 19; Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 13 und § 326 Rz. 41; HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 372 vor § 373; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C d; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 57 und § 326 Rz. 149. 140 HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Rz. 368 vor § 373. 141 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 11; Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3b (S. 423); Jauernig/Teichmann, BGB, Anm. VII 1 b vor §§ 249-253; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 41; Staudinger/Werner, BGB, 10./11. Aufl. 1967, § 252 Rz. 22. 142 Staudinger/Kaduk, BGB, 10./11. Aufl. 1967,§ 325 Rz. 50; Staudinger/Otto, BGB, §325 Rz. 47; ähnlich Dölle/Weitnauer, Einheitliches Kaufrecht, 1976, Art. 84 Rz. 3; König in: Das Haager EKG..., 1973, S. 75 (102). 143 Siehe oben Einleitung 2.

Β. Rechtslage nach 1900

39

Einige Autoren nehmen die Absicht der Weiterveräußerung ebenso großzügig an wie die Praxis des Reichsgerichts. 144 So soll es ausreichen, daß der Käufer die Ware zum Gebrauch in seinem Betrieb gekauft hat: er könne sich noch zu einer Weiterveräußerung entschließen. Ausgeschlossen sei ein Weiterverkauf und damit die abstrakte Schadensberechnung nur, wenn der Kaufmann zum Privatgebrauch oder ein Privatmann die Ware gekauft habe. 145 Andere Autoren stellen höhere Anforderungen an den Ersatz des Weiterverkaufsgewinns. So soll ein Kauf zum Verbrauch im Betrieb nicht genügen; 146 oder der Weiterveräußerungsgewinn sei nur zu ersetzen, wenn sein Entgang nicht durch einen rechtzeitigen Deckungskauf vermieden werden konnte. 1 4 7 Diese Autoren wollen den Schaden alternativ nach einem hypothetischen Deckungskauf berechnen, d.h. als Differenz zwischen Vertragspreis und höherem Markteinkaufspreis 148 . Die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des entgangenen Weiterverkaufsgewinns wird überwiegend aus § 252 Satz 2 BGB hergeleitet, d. h. sie soll die Bedeutung einer Beweiserleichterung haben. 149 Ein Beweis des Verkäufers, daß der wirklich eingetretene Schaden geringer ist, sei stets zulässig. Belke deutet die abstrakte Schadensberechnung als Beweislastumkehr. 150 Der Käufer müsse nur beweisen, daß er ein Handelsgewerbe betreibe, in dem üblicherweise Umsatzgeschäfte vorkommen. Die übrigen Voraussetzungen würden vermutet. Da der Eintritt des Schadens in Höhe der Preisdifferenz mit großer Regelmäßigkeit zu erwarten sei, sei das Beweisrisiko entsprechend zu verteilen; der Verkäufer müsse beweisen, daß kein Schaden eingetreten sei. Prölss und Teichmann fassen die 144

Dazu 1. Teil Β II 1 a (nach Fn. 76). Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 11; HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Rz. 368 vor § 373; Staudinger/Werner, BGB, 10./ll.Aufl. 1967, §252 Rz. 22; Staudinger/Kaduk, BGB, 10./11. Aufl. 1967, § 325 Rz. 50 und § 326 Rz. 125; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 47. 146 BGB - RGRK / Nastelski, 11. Aufl. 1960, § 252 Anm. 12; BGB - RGRK / Alff § 252 Rz. 11; Jauernig/Teichmann, BGB, Anm. VII l b vor §249; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C b. 147 Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, §51 I 3a (S. 365); MünchKomm/Grunsky, BGB, §252 Rz. 13; Soergel/Mertens, BGB, §252 Rz. 16; Staudinger/Medicus, BGB, § 252 Rz. 25. 148 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, §252 BGB Rz. 8f.; Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, § 51 I 3a (S. 365); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3b (S. 423). 149 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, §252 BGB Rz. 6 und 11 ff.; BGBRGRK/Alff § 252 Rz. 9; BGB-RGRK/Ballhaus § 325 Rz. 17; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, 15. Bearbeitung 1958, §53 II (S. 227); Erman/Battes, BGB, § 325 BGB Rz. 10; Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, §28 III 3 b (S.422); Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. 1985, § 55 III 2d aa (S. 339); Jauernig/Teichmann, BGB, Anm. VII 1 b vor § 249 BGB; Larenz, Schuldrecht 1,14. Aufl. 1987,§ 29 IIIa(S. 511); Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C a und § 252 Anm. 2c; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 41 ff.; Staudinger/Werner, BGB, 10. /11. Aufl. 1967, § 252 Rz. 21 ff.; Staudinger/Kaduk, BGB, 10./11. Aufl. 1967, § 326 Rz. 124; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 47. 150 Belke JZ 1969, 586 (588 ff.). 145

40

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung in Form eines Anscheinsbeweises auf. 1 5 1 b) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz der Kosten für einen hypothetischen Deckungskaufund sonstige Ansichten

aa) Vor 1945 Adler deutete die abstrakte Schadensberechnung des Käufers als fingierten Deckungskauf: die abstrakte Schadensberechnung gehe von der Annahme aus, der Schaden des Käufers bestehe darin, daß er wegen der ausgebliebenen Erfüllung sich die Ware anderweit teurer beschaffen mußte. Er dürfe den Schaden geltend machen, den er erlitten hätte, wenn er den Deckungskauf zum Marktpreis abgeschlossen hätte. 152 Das folge aus der Differenztheorie—mit dem Marktpreis bzw. dem Deckungspreis werde der Wert der Ware ermittelt 153 — sowie dem Grundsatz, daß der Vertragstreue Käufer nicht verpflichtet sein könne, sich durch die Vornahme eines Deckungskaufes einem neuen Schaden auszusetzen, von dem er nicht wisse, ob der Verkäufer ihn ersetzen könne oder werde. 154 In die Differenzrechnung sei daher der Einkaufsmarktpreis, nicht der Verkaufsmarktpreis einzusetzen. Diesen Schaden könne auch der Käufer, der zum Gebrauch gekauft habe, ersetzt verlangen. 155 Die abstrakte Schadensberechnung sei unzulässig, wenn durch einen tatsächlichen Deckungskauf der Schaden geringer wurde. In einer früheren Äußerung begründete er den Ersatz der Preisdifferenz damit, daß dem Käufer der Wert der Ware zustehe. 156 Cosack will dem Käufer — auch außerhalb des § 376 Abs. 2 HGB und des Handelsverkehrs — einen Anspruch auf die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Wert der Kaufsache bei Erlöschen des Erfüllungsanspruchs gewähren: hätte der Verkäufer geliefert, hätte sich das Vermögen des Käufers um diesen Betrag vermehrt. 157 Nicht ausgesprochen wurde, wie dieser Wert zu berechnen ist, d.h. nach dem Marktpreis für den Einkauf oder Verkauf des Käufers. A n anderer Stelle 158 gestand er dem Käufer die Differenz zwischen Vertragspreis und Liquidationspreis zu, der entweder konkret nach einem Deckungskauf oder abstrakt nach dem Marktpreis zu berechnen sei. Diese Zusammenstellung deutet darauf hin, daß der Käufer den Einkaufspreis einzusetzen hat. Soweit § 376 151 Jauernig/Teichmann, BGB, Anm. VII 1 b vor §§ 249-253; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 41. 152 Adler ZHR 86 (1923), 1 (45). 153 Adler ZHR 86 (1923), 1 (49). 154 Adler ZHR 86 (1923), 1 (46). 155 Adler ZHR 86 (1923), 1 (48). 156 Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (137). 157 Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1903, § 123 III 5 a (S. 424). 158 Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 6. Aufl. 1903, § 41 II (S. 169 ff.).

Β. Rechtslage nach 1900

41

Abs. 2 HGB nicht anwendbar sei, könne der Verkäufer einen geringeren Schaden nachweisen.159 Nach Wilburg konnte der Ersatzberechtigte als Minimum stets Ersatz des objektiven Werts der Sache verlangen 160 , d. h. bei Nichterfüllung eines Kaufvertrags durch den Verkäufer, daß dem Käufer die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis zustand. 161 Objektiver Wertersatz und nicht Weiterverkaufsgewinn oder vermuteter Deckungskauf waren somit Grundlage der abstrakten Schadensberechnung. Unklar ist, ob Wilburg mit dem Marktpreis den Preis auf dem Einkaufsmarkt oder dem Verkaufsmarkt meinte. Ähnlich verstand Neuner den objektiven Wert der Leistung als Mindestschaden und sah die abstrakte Schadensberechnung als Verfahren an, den objektiven Wert festzustellen. 162 Als objektiven Wert faßte er anscheinend den Beschaffungsmarktpreis auf. 1 6 3 Oertmann und Adler gingen davon aus, daß der Käufer Anspruch auf den Wert der Sache abzüglich des Kaufpreises hatte. 1 6 4 Verwandt war die Überlegung von Kreß 165, dem Käufer, der weder einen Deckungskauf vorgenommen hat, noch zum Weiterverkauf eingekauft hat, den Wert der Sache zur Zeit des Urteils zuzusprechen, da er diesen Wert in seinem Vermögen gehabt hätte, wenn der Verkäufer erfüllt hätte. Rabel verknüpfte verschiedene der bereits genannten Ansätze. Ebenso wie das nach seinen rechtsvergleichenden Studien im ausländischen Recht überwiegend der Fall w a r 1 6 6 , sollte auch im deutschen Recht der Marktpreis, zu dem der Käufer sich die Ware beschaffen konnte, an die Stelle der nicht gelieferten Ware treten; 167 dem Käufer sollte Ersatz für den objektiven Wert der Ware gewährt werden. 168 Daneben führte Rabel auch den Gedanken des hypothetischen Dekkungskaufs an 1 6 9 : da der Käufer zu einem Deckungskauf nicht gezwungen werden solle, werde der Schaden so berechnet, als ob er sich die Ware anderweitig 159 160 161

(137). 162

Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 6. Aufl. 1903, § 41 II 2 (S. 171). Wilburg JherJb 82 (1932), 51 (125 ff.). Wilburg JherJb 82 (1932), 51 (143ff.); ähnlich Adler ArchBürgR 17 (1900), 132

Neuner AcP 133 (1931), 277 (290ff. und 302). Neuner AcP 133 (1931), 277 (307). 164 Adler ArchBürgR 17(1900), 132(137); Oertmann in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts IV 2, 1918, § 64, 2 (S. 445). 165 Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 16, 1 (S. 285). 166 Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 187 (Österreich), S. 231 (Italien), S. 283ff. (USA), S. 305 (Skandinavien), Zusammenfassung S. 454ff. 167 Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 171 und 455; ders., Arbeiten zur Vereinheitlichung des Kaufrechts, in: Gesammelte Aufsätze III, 1967, S. 496 (513); ders. RabelsZ 9 (1935), 1 (76) = Gesammelte Aufsätze aaO, S. 522 (582); ebenso Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, § 42 II 2a (S. 287) zu § 376 Abs. 2 HGB; zustimmend v. Caemmerer NJW 1956, 569 (570). 168 Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 451 und 455. 169 Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S.457. 163

42

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

besorgt hätte. Der so berechnete Schaden sei der Mindestschaden des Käufers, dem eine tatsächliche oder mögliche billigere Eindeckung nicht entgegenstehe.170 Die „Kaufmannschaft" habe diese Berechnung entwickelt, um den durchschnittlichen Schaden zu ersetzen. 171 Die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des vermuteten Weiterverkaufsgewinns lehnte Rabel ab. 1 7 2 Der Käufer könne sich die Ware am Stichtag anderweitig beschaffen. Bei der abstrakten Schadensberechnung sei es gleichgültig, was er mit der Ware anfange. 173 Nach Ansicht dieser Autoren ist der Marktpreis nach dem Zeitpunkt des Erlöschens des Erfüllungsanspruchs zu berechnen. 174 bb) Nach 1945 Im neueren Schrifttum ist die Auffassung verbreitet, daß der Käufer als Mindestschaden die Differenz zwischen Vertragspreis und dem Marktpreis verlangen kann, zu dem er sich die Sache verschaffen kann. Bei der Begründung dieses Ergebnisses zeigen sich ganz unterschiedliche Ansätze. v. Caemmerer, Emmerich, Lange, Steindorff und — de lege ferenda — Huber fassen die abstrakte Schadensberechnung als typisierten hypothetischen Dekkungskauf auf. 1 7 5 Bei marktgängiger Ware—darum handelt es sich bei Ware, die einen Marktpreis hat — könne der Käufer, der am Handelsverkehr teilnehme, sich die Ware stets am Markt verschaffen und damit den Weiterverkaufsgewinn erzielen. Nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB sei er dazu verpflichtet. Ergänzend verweist v. Caemmerer auf § 400 Abs. 2 HGB, wonach der Kommissionär bei seinem Selbsteintritt auf der Basis des Marktpreises abrechnen darf. Nach Steindorff ist der Käufer bei marktgängiger Ware auf die abstrakte Schadensberechnung beschränkt, während die anderen Autoren alternativ eine konkrete Berechnung, z.B. anhand eines Deckungskaufs zulassen. 170

Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 171, 451, 459. Rabel, RabelsZ 9 (1935), 1 (75) = Gesammelte Aufsätze III, 1967, S. 522 (582). 172 Rabel, Recht des Warenkaufs 1,1936/1957, S. 170ff. und 457f.; ders., Arbeiten zur Vereinheitlichung des Kaufrechts, in: Gesammelte Aufsätze III, 1967, S. 496 (513); ders., RabelsZ 9 (1935), 1 (75) = Gesammelte Aufsätze aaO, S. 522 (582). 173 Rabel, Arbeiten zur Vereinheitlichung des Kaufrechts, in: Gesammelte Aufsätze III, 1967, S. 496 (513); ders, RabelsZ 9 (1935), 1 (76) = Gesammelte Aufsätze III, 1967, S. 522 (582). 174 Adler ZHR 86 (1923), 1 (59); Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, 1903, § 123 III 5a (S. 425); Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 464f. 175 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (419); Emmerich JuS 1974, 590 (nicht ganz widerspruchsfrei); ders. in: Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1974, S. 279 (385); ders. Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 118f.; MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 51; Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten I, 1981, S. 647 (848f.); Lange, Schadensersatz, 1979, § 6 X 5 b (S. 216); Sander, Umfang und Berechnung der Schadensersatzleistung, 1948, S. 107; Steindorff AcP 158 (1959/60), 431 (459ff.); ders. JZ 1961, 12 (13); so auch OLG Düsseldorf ΝJW-RR 1988, 1382 (1383); ähnlich Oertmann, BGB, 3./4. Aufl. 1910, § 252 Anm. 2 (S. 49), anders aber in späteren Äußerungen. 171

Β. Rechtslage nach 1900

43

Andere, z.B. Hefermehl und SteindorfjTcnüpfen beim Schadensbegriff an: Dem Gläubiger stehe als objektiver Schaden stets der Wert der vorenthaltenen Leistung zu. Bei marktgängiger Ware sei das der Marktpreis, zu dem der Käufer sich die Ware beschaffen könne. 1 7 6 Der Einwand, dem Käufer sei nur ein geringerer oder gar kein Schaden entstanden, sei nicht zulässig. Ähnlich versteht v. Caemmerer die abstrakte Schadensberechnung als Fall der objektiven Schadensberechnung, einer typisierenden Regulierung, bei der an den gemeinen Wert der Ware angeknüpft werde. 177 M i t der abstrakten Schadensberechnung solle dem Käufer der Wert der Ware ersetzt werden. 178 Blomeyer begreift die abstrakte Schadensberechnung ebenfalls als Objektivierung des Schadens, für die ein Verkehrsbedürfnis bestehe. Wie Rabel meint er, der Markteinkaufspreis trete an die Stelle der Ware, weil der Käufer sich die Ware zu diesem Preis am Markt beschaffen könne. Keuk 179 geht davon aus, daß durch die Schadenersatzleistung der Zustand hergestellt werden solle, den der Schuldner durch ordnungsgemäßes Verhalten herbeiführen sollte ( = Interesse des Gläubigers). 180 Das Interesse des Käufers an der Erfüllung belaufe sich mindestens auf den Wert des geschuldeten Gegenstands. Dessen Wert bestimme sich nach den Kosten seiner Beschaffung, also nach dem Markteinkaufspreis. 181 Ersatz des Weiterveräußerungsgewinns, d. h. Schadensberechnung nach dem Weiterverkaufspreis lassen diese Autoren nur zu, wenn eine Eindeckung ausnahmsweise nicht möglich ist. Ansonsten wird davon ausgegangen, daß der Käufer die Möglichkeit hat, diesen Gewinn mit einer ersatzweise angeschafften Sache zu erzielen. 182 Abweichend sieht v. Caemmerer den Unterschied zwischen der abstrakten Schadensberechnung nach einem typisierten Deckungskauf und dem Ersatz des Weiterveräußerungsgewinns nach § 252 Satz 2 BGB darin, daß bei letzterem dem Käufer nicht der objektive Schaden, sondern das subjektive Interesse ersetzt wird, so daß der Verkäufer den Gegenbeweis antreten könne, ζ. B. daß eine Weiterveräußerung nicht in Betracht komme, während ersterer als Mindestschaden aufzufassen sei. 183 176 Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 24; Steindorff JZ 1961,12 (13); ebenso Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 29; Honseil JuS 1973, 69 (74); Niederländer JZ 1960,617 (620 Fn. 25); ähnlich Kollpack, Die abstrakte Schadensberechnung, 1960, S. 41 ff. 177 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 7 ff. = Gesammelte Schriften I, 1968, S.411 (418 ff.). 178 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4 (S. 192 f.). 179 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972; Knobbe-Keuk, VersR 1976, 401 (404 f.). 180 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 52ff. 181 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. l l l f . 182 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 119; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 186; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 25; Staudinger/Medicus, BGB, § 252 Rz. 25; SteindorfT AcP 158 (1959/60), 431 (460).

44

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Wiedemann 184 will dem Käufer als Mindestschaden die Differenz zum Markteinkaufspreis zukommen lassen. Ein Gegenbeweis sei nicht zulässig. Statt dessen könne er auch nach § 252 Satz 2 BGB seinen entgangenen Gewinn liquidieren. Die Vermutung dieser Vorschrift sei widerlegt, wenn feststehe, daß der Käufer keinen oder einen geringeren Gewinn gemacht hätte, ζ. B. bei vorgesehenem Gebrauch oder Weiterverkauf zu einem niedrigeren Preis. Mertens unterscheidet zwischen abstrakt-normativer und abstrakt-typisierender Schadensberechnung; bei ersterer sei der Schaden völlig unabhängig vom Einzelfall zu berechnen. Dazu scheint er den Anspruch von Käufer und Verkäufer im Handelsverkehr auf die Preisdifferenz zu zählen. 185 Völlig ablehnend steht der abstrakten Schadensberechnung nur Rüßmann gegenüber. Diese Schadensberechnung führe zum Schadenersatz ohne Schaden, verstoße damit gegen das Bereicherungsverbot und diene systemwidrig als Sanktion und Buße. 186 Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Festsetzung des Marktpreises sehen die meisten dieser Autoren das Erlöschen des Erfüllungsanspruchs, d.h. im (Regel-)Fall des § 326 BGB den Ablauf der Nachfrist, an. Keuk läßt dem Käufer die Wahl zwischen letzterem und der vertraglichen Erfüllungszeit. Nach Emmerich soll entsprechend § 240 des ersten Entwurfs zum BGB die Zeit der Leistung maßgeblich sein. Wiedemann stellt auf den Zeitpunkt der Entstehung des Schadenersatzanspruchs ab. 1 8 7

III. Rechtsprechung und Literatur zum Verkäuferschaden 1. Rechtsprechung: abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns a) Reichsgericht

Das Reichsgericht erkannte zwei Möglichkeiten an, den abstrakten Schaden des Verkäufers zu berechnen: zum einen konnte er die Differenz zwischen dem 183

v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 9 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 ff. (420). 184 Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz.41ff.; Wiedemann, Festschrift für Hübner, 1984, S. 719ff.; ebenso Soergel/Huber, BGB, § 440 Rz. 111. 185 Mertens, Begriff des Vermögensschadens, 1967, S. 76 Fn. 76 und S. 78. 186 Alternativkommentar/Rüßmann, BGB, Rz.42ff. vor §§ 249-253. 187 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 3314a (S. 193); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (420); Emmerich, Recht der Leistungsstörungfen, 2. Aufl. 1986, S. 120; Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten I, 1981, S. 647 (850); Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 131 ff.; MünchKomm/ Emmerich, BGB, § 325 Rz. 55; Sander, Umfang und Berechnung der Schadensersatzleistung, 1948, S. 110; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 24; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 49.

Β. Rechtslage nach 1900

45

Vertragspreis und dem (niedrigeren) Marktpreis fordern, zu dem er die Ware hätte verkaufen können. 1 Das wurde aus der Differenztheorie geschlossen.2 Nach der Differenztheorie sei der Verkäufer nicht mehr zur Leistung verpflichtet. Als Alternative gestand ihm die Rechtsprechung zu, die Differenz zwischen seinen Selbstkosten (Einkaufs- oder Herstellungspreis) und dem Vertragspreis zu fordern. 3 Dem Verkäufer sei nach dem Wegfall der Artt. 354, 343 A D H G B , wonach er seinen Schaden nur (konkret) durch Selbsthilfeverkauf berechnen konnte, gemäß § 326 BGB jede Art der Schadensberechnung gestattet. Diese Form der Schadensberechnung entspreche der für den Käufer bereits anerkannten abstrakten Schadensberechnung.4 In Höhe der Differenz zum Selbstkostenpreis sei ihm infolge der Nichtabwicklung des Kaufvertrages ein Gewinn entgangen.5 Der Marktpreis sei nach der Marktlage zum Ablauf der Nachfrist zu berechnen. 6 Bei der Berechnung nach dem Selbstkostenpreis gingen die abstrakte und die konkrete Schadensberechnung ineinander über. Eindeutig abstrakte Schadensberechnung lag vor, wenn der Verkäufer als Selbstkostenpreis den Marktpreis einsetzte bzw. Beträge, die er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte aufwenden müssen;7 eindeutig konkret war die Berechnung, wenn der Selbstkostenpreis nach den Umständen des Einzelfalles festgestellt wurde. 8 Dazwischen lagen die Fälle, in denen das Reichsgericht den Verkäufer seine Selbstkosten teils konkret, teils abstrakt berechnen ließ. 9 Der Zuordnung zur einen oder anderen Kategorie wurde in einigen Entscheidungen weitreichende Konsequenzen beigemessen. Der Käufer könne sich bei der konkreten Schadensberechnung darauf berufen, daß der Verkäufer die Ware behalte und sich deren Wert anrechnen lassen müsse, da er nur einmal Gewinn mit 1

RGZ 50, 255 (262); RG LZ 1909, Sp. 478 Nr. 4; siehe auch RG JW 1919, 445 Nr. 5 (Plum) = LZ 1919, Sp. 530 Nr. 5. 2 RGZ 50, 255 (262 ff.). 3 RGZ 60, 346 (347) = JW 1905, 338 Nr. 6 = SeuffA 61 (1906), 4 Nr. 3 = Gruchot 49 (1905), 897 Nr. 57; RGZ 89, 282 (283) = JW 1917, 355 Nr. 3 (Oertmann); RG LZ 1911, Sp. 850 Nr. 3 (851); RG WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109); RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) = LZ 1919, Sp. 106 Nr. 4 = LZ 1919, Sp. 153 Nr. 6 = Gruchot 63 (1919), 220 Nr. 17; RG LZ 1919, Sp. 1073 Nr. 4; RG JW 1919, 445 Nr. 5 (446) (Plum) (Fn. 1); RG HRR 1936 Nr. 326. 4 RGZ 60, 346 (347) (Fn. 3). 5 RGZ 60,346 (347) (Fn. 3); RG WarnR 1918,108 Nr. 73 (109); RG JW 1919,445 Nr. 5 (446) (Plum) (Fn. 1); RG HRR 1936 Nr. 326. 6 RGZ 60,346 (347) (Fn. 3); RG Holdheim 1905,218 (219); RG LZ 1911, Sp. 850 Nr. 3 (851). 7 RGZ 60, 346 (347) (Fn. 3); RG LZ 1911, Sp. 850 Nr. 3 (851); RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3); RG HRR 1936 Nr. 326; Zuordnung offengelassen in WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109). 8 RGZ 89, 282 (284) (Fn. 3); RG LZ 1911, Sp. 850 Nr. 3 (851); RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3). 9 RG LZ 1911, Sp. 850 Nr. 3 (851); RG WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109).

46

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

der Ware erzielen könne. 10 Überstieg der Wert der Ware den Kaufpreis, erhielt der Verkäufer somit keinen Schadenersatz. 11 Bei der abstrakten Schadensberechnung wurde dagegen vermutet, daß der Verkäufer als Kaufmann neben der Erfüllung des Vertrags mit dem Käufer zusätzliche Verträge hätte eingehen und erfüllen (d. h. die dazu erforderliche Ware einkaufen oder herstellen 12 ) können, so daß der Wert der Ware nicht zu berücksichtigen sei. 13 Der Käufer mußte beweisen, daß der Verkäufer weitere Ware nicht zu demselben Preis hätte beschaffen und weiterverkaufen können. 14 Die Anrechnung des verbleibenden Sachwerts wurde allerdings nicht einheitlich gehandhabt. In anderen Entscheidungen wurde danach differenziert, ob der Verkäufer die konkrete Ware behielt (dann erfolgte Anrechnung) 15 , ob er eine nur nach Zahl, Maß oder Gewicht bestimmte Ware verkauft hatte 16 oder ob er die Ware noch gar nicht besaß (keine Anrechnung). 17 Ein tatsächlicher Deckungsverkauf sollte dem Ersatz des entgangenen Gewinns nicht entgegenstehen, da der Verkäufer dieses Geschäft bei Erfüllung des Käufers zusätzlich abgeschlossen hätte. 18 Statt der abstrakten oder der konkreten Berechnung des entgangenen Gewinns konnte der Verkäufer seinen Schaden auch anhand eines tatsächlichen Deckungsverkaufs berechnen, zu dem er berechtigt, aber nicht verpflichtet war; bei dessen Durchführung mußte er allerdings § 254 Abs. 2 BGB berücksichtigen. 19 b) Bundesgerichtshof

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Verkäufer die Differenz zwischen Vertragspreis und seinem Einkaufspreis bzw. dem entsprechenden Marktpreis fordern als Gewinn, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erwartet werden konnte (§ 252 Satz 2 BGB). Auf den anderweitigen Absatz der verkauften Ware könne sich der Käufer nicht berufen. Der Bundesgerichtshof nimmt an, daß der Verkäufer seinen Absatz bei Erfüllung des Käufers um dieses Geschäft mit dem Dritten gesteigert hätte: der Verkäufer hätte sich zu demselben 10

RGZ 89, 282 (283) (Fn. 3); 110, 155 (159); RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3); RG WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109). 11 RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3). 12 RG WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109). 13 RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3); RG JW 1919, 445 Nr. 5 (446) (Fn. 1). 14 RG JW 1919, 445 Nr. 5 (446) (Fn. 1). 15 RGZ 89,282 (283) (Fn. 3); RG WarnR 1918,108 Nr. 73 (109); RG WarnR 1918,271 Nr. 184 (272) (Fn. 3). 16 RG Recht 1917 Nr. 1391; RG JW 1919, 445 Nr. 5 (446) (Fn. 1); a. A. RG WarnR 1918, 271 Nr. 184 (272) (Fn. 3). 17 RG WarnR 1918, 108 Nr. 73 (109). 18 RG Recht 1917 Nr. 1391. 19 RGZ 53, 11 (14f.); 57, 105 (107); 61, 279 (281).

Β. Rechtslage nach 1900

47

Einkaufspreis wie für den ersten Käufer weitere Ware verschaffen und an den Dritten verkaufen können, wenn der Käufer die Ware abgenommen hätte. Bei einem Kaufmann, der mit Waren handele, bestehe die Vermutung, daß er die Möglichkeit habe, seine laufenden Verträge zu erfüllen. 20 Es sei davon auszugehen, daß der Verkäufer den weiteren Verkauf nicht anstelle, sondern neben dem nichterfüllten Vertrag mit dem Käufer hätte ausführen können. 21 Differenzen bestehen, ob das nur beim Kauf fabrikneuer Ware gelten soll 2 2 oder bei jeder marktgängigen Ware. 23 Die Möglichkeit eines zusätzlichen Verkaufs wird sogar bejaht, wenn der Verkäufer sich zwar nicht mehr dieselbe, aber eine vergleichbare Ware hätte beschaffen können. 24 c) Oberlandesgerichte

aa) Vor 1945 Ebenso wie das Reichsgericht gewährten die Oberlandesgerichte dem Verkäufer als Schadenersatz die Differenz zwischen seinem Selbstkostenpreis (Einkaufsoder Herstellungspreis) und dem Vertragspreis, wenn der Käufer die Sache nicht abnahm oder den Kaufpreis nicht zahlte. 25 Begründet wurde das damit, daß der Verkäufer diesen Betrag verdient hätte, wenn der Käufer seine Pflichten erfüllt hätte. 26 Der Gesetzgeber habe die Regelung des § 376 Abs. 2 HGB nicht auf Fixgeschäfte beschränken wollen. Die Pflicht des Verkäufers zum Selbsthilfeverkauf sei im HGB beseitigt worden; aufgrund der Differenztheorie müsse der Verkäufer die Kaufsache nicht mehr liefern und könne Schadenersatz in Höhe der Preisdifferenz verlangen. 27 Auf einen anderweitigen Verkauf der Ware an Dritte könne sich der Käufer nicht berufen, da der Verkäufer dieses Geschäft mit anderer Ware abgeschlossen hätte, wenn der Käufer erfüllt hätte 28 : in der Regel habe der Verkäufer genügend Ware zur Erfüllung aller laufenden Verträge und könne diese Ware auch gewinnbringend ausnutzen.29 Anders sei es nur, wenn eine bestimmte, nicht vertretbare 20 BGH JZ1961,27 (28) (SteindorffS. 12) = LM Nr. 5 zu§ 252 BGB; BGH NJW 1970, 29 (30) = LM Nr. 26 zu § 138 BGB (Bb); BGH NJW 1988, 2234 (2236); BAG NJW 1967, 751 (752) = AP Nr. 26 zu § 138 BGB. 21 BAG NJW 1967, 751 (752) (Fn. 20): Verkauf fabrikneuer Ware. 22 BAG NJW 1967, 751 (752) (Fn. 20). 23 BGH NJW 1970, 29 (32) (Fn. 20): Gebrauchtwagen. 24 BGH JZ 1961,27 (28) (Fn. 20): andere Weinsorte; BGH NJW 1970,29 (30) (Fn. 20): anderer Gebrauchtwagen desselben Typs. 25 OLG Hamburg OLGE 4 (1902), 16(19); OLG Darmstadt OLGE 4 (1902), 224; OLG Hamburg OLGE 23 (1911), 9; OLG Hamburg OLGE 32 (1916), 161. 26 OLG Hamburg OLGE 23 (1911), 9. 27 OLG Hamburg OLGE 4 (1902), 16 (17 ff.); OLG Darmstadt OLGE 4 (1902), 224. 28 OLG Hamburg OLGE 23 (1911), 9 (10); OLG Hamburg OLGE 32 (1916), 161; OLG Hamburg Recht 1917, Sp. 518 Nr. 963. 29 OLG Hamburg Recht 1917, Sp. 518 Nr. 963.

48

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Sache verkauft werde, hinsichtlich derer der Verkäufer nur ein einziges Geschäft abschließen könne, der Verkäufer neben dem ersten Käufer keinen anderen Käufer hätte befriedigen können oder sein Einstandspreis gestiegen sei. 30 Die Terminologie war allerdings unsicher, so wurde offengelassen, ob diese Form der Schadensberechnung als abstrakt oder konkret zu bezeichnen sei. 31 bb) Nach 1945 Ebenso wie nach der sonstigen Rechtsprechung kann nach der neueren Rechtsprechung der Oberlandesgerichte der Verkäufer als Schaden die Differenz zwischen seinem Selbstkostenpreis und dem Vertragspreis verlangen. Auf eine anderweitige Veräußerung der nicht gelieferten Sache könne sich der Käufer nicht berufen, da davon auszugehen sei, daß der Verkäufer dieses Geschäft bei Erfüllung des Käufers zusätzlich abgeschlossen hätte. Dem Verkäufer sei in Höhe der Differenz ein Gewinn entgangen, den er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwarten konnte. 32 Statt dessen könne der Verkäufer auch die Differenz zwischen Vertragspreis und (niedrigerem) Marktpreis (Verkäuflichkeitspreis) fordern. 33 Der Gedanke, daß der Gläubiger, der den Ausfall der Leistung mit einem Deckungsgeschäft überbrückt, trotzdem entgangenen Gewinn fordern kann, weil davon ausgegangen wird, daß stets ein zusätzliches Geschäft möglich ist, mithin der Gläubiger auch bei Erfüllung dieses Geschäft abgeschlossen und den Gewinn erwirtschaftet hätte, wird auf andere Fallgestaltungen übertragen. So kann der Vermieter eines Mietwagens bei dessen Beschädigung den durchschnittlichen Gewinn eines Mietfahrzeugs auch verlangen, wenn ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung steht; 34 ebenso wurden einer Bank Bereitstellungszinsen für ein nicht in Anspruch genommenes Darlehen zuerkannt, das sie an Dritte weitergegeben hat. 3 5 2. Literatur a) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns

aa) Vor 1945 Die herrschende Meinung stellte dem Verkäufer zwei Möglichkeiten zur Verfügung, seinen Schaden abstrakt zu berechnen: entweder konnte er die 30

OLG Hamburg OLGE 23 (1911), 9 (10). OLG Hamburg OLGE 4 (1902), 16 (20); OLG Hamburg OLGE 32 (1916), 161. 32 OLG Düsseldorf BB 1965,12 (13); OLG Celle MDR 1966, 410 = BB 1966, 180 = DB 1966, 223; wohl auch OLG Karlsruhe BB 1986, 626. 33 OLG Celle MDR 1966, 410 (Fn. 32). 34 LG Darmstadt VersR 1976, 840. 35 OLG Nürnberg WM 1968, 346 (348). 31

Β. Rechtslage nach 1900

49

Differenz zwischen Vertragspreis und Marktverkaufspreis verlangen oder die Differenz zwischen Vertragspreis und seinem Selbstkostenpreis. 36 M i t der Differenz zwischen Vertragspreis und Marktverkaufspreis stelle sich der Verkäufer auf den Standpunkt, daß er die Ware zum Marktpreis hätte absetzen können. 37 Die Differenz des Vertragspreises zum Selbstkostenpreis sollte dem Verkäufer den durch die Nichterfüllung entgangenen Gewinn ersetzen. Dabei sollte eine abstrakte Schadensberechnung vorliegen, wenn ein durchschnittlicher Selbstkostenpreis (Marktpreis) eingesetzt wurde, eine konkrete, wenn der tatsächliche Einkaufspreis veranschlagt wurde. 38 In bestimmten Fällen, nämlich wenn der Verkäufer eine bestimmte Ware mit besonderen Eigenschaften zurückbehielt, wurde ihm der Wert der Ware auf den zu ersetzenden Gewinn angerechnet 39: mit der Ware behalte er die Möglichkeit, sie mit Gewinn zu verkaufen, so daß er mit der abstrakten Schadensberechnung zweimal Gewinn aus dem Verkauf derselben Ware schlagen könnte. Nach Hoeniger war die abstrakte Schadensberechnung in diesen Fällen ausgeschlossen, da es für solche Waren keinen Marktpreis gebe. In der Regel nahm man dagegen an, daß der Verkäufer imstande gewesen wäre, weitere Mengen der Warengattung zu beschaffen und weiterzuverkaufen, wenn der Käufer den Vertrag erfüllt hätte, so daß der Besitz der Ware nicht dem (vollen) Ersatz des entgangenen Gewinns entgegenstand.40 Ebensowenig sollte ein tatsächlicher teurerer Weiterverkauf der Schadensberechnung nach dem Marktverkaufspreis entgegenstehen, da davon auszugehen sei, daß der Verkäufer dieses Geschäft zusätzlich getätigt hätte, wenn der Käufer erfüllt hätte. 41 Bei der konkreten Schadensberechnung mußte der Verkäufer sich dagegen stets den Wert der Ware anrechnen lassen.42 Als maßgeblichen Zeitpunkt für die Festsetzung des Marktpreises konnte der Verkäufer der Schadensberechnung entweder den Zeitpunkt des Verzugseintritts (wenn Verzug vorlag) oder des Erlöschens des Erfüllungsanspruchs zugrunde legen. 43 36 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145; unklar Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 362; Frankenburger JW 1925, 556 (558); Plum JW 1919, 445; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm.29f.; Staub/Heinichen, HGB, 14. Aufl. 1933, Anh. zu § 374 Anm. 29f.; Walter, Die abstrakte und die konkrete Schadensberechnung, 1934, S. 33. 37 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3.Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145. 38 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29; Walter, Die abstrakte und die konkrete Schadensberechnung, 1934, S. 33. 39 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145; Plum JW 1919, 445. 40 Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29. 41 Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29a. 42 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29 und 33; ebenso Plum JW 1919, 445. 4 Bardo

50

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

Anstelle der beiden o.g. Berechnungsformen wurde dem Verkäufer auch zugestanden, als Schaden den handelsüblichen Gewinn zu liquidieren. 44 bb) Nach 1945 Nach der herrschenden Meinung kann der Verkäufer seinen Schaden auf zwei Arten abstrakt berechnen 45: Einmal kann er einen hypothetischen Deckungsverkauf zum (Verkaufs-)Marktpreis zugrunde legen, d.h. die Differenz zwischen Vertragspreis und diesem Marktpreis als Ersatz seines Schadens verlangen. Zum anderen läßt man ihn die Differenz zwischen seinem Selbstkostenpreis und dem Vertragspreis als entgangenen Gewinn liquidieren, den er verdient hätte, wenn der Käufer den Vertrag erfüllt hätte. Ob die letzte Form der Schadensberechnung der abstrakten oder der konkreten Berechnung zugeordnet wird, ist umstritten. 4 * Meistens bezeichnet man sie als abstrakt, wenn als Selbstkostenpreis der Marktpreis oder ein Durchschnittspreis eingesetzt wird, und als konkret, falls der Verkäufer seinen tatsächlichen Selbstkostenpreis zugrunde legt. 47 Ähnliche Einordnungsprobleme bestehen auch bei der Schadensberechnung nach einem Deckungs verkauf. 48 Der Marktpreis wird wahlweise nach dem Preis zur Zeit des Verzugseintritts oder des Erlöschens des Erfüllungsanspruchs festgesetzt. 49 Hager stellt bei der 43 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd.V 1 Einl. Anm. 145; Philippe, Schuldnerverzug, 1911, S. 60; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29 b. 44 Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 29a. 45 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 16; BGB-RGRK/Nastelski, 11. Aufl. 1960, § 252 Anm. 14; Erman / Battes, BGB, § 325 Rz. 12; Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, § 5113a(S. 364f.); Esser/Schmidt, Schuldrecht 1,6. Aufl. 1984, § 28 III 3b (S. 423); Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, 1975, S. 149ff. und 163ff.; HGBGroßkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 356f. vor § 373; Lange, Schadensersatz, §6 X 5c (S.217f.); Palandt/Heinrichs, BGB, §325 Anm. 4 C c; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz.31ff.; Staudinger/Kaduk, BGB, 10./ 11. Aufl. 1967, § 325 Rz. 52; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 48; Staudinger / Medicus, BGB, § 252 Rz. 26; ähnlich Soergel/Huber, BGB, § 440 Rz. 186. 46 Vgl. einerseits Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 12; Palandt/Danckelmann, BGB, 25. Aufl. 1966, § 325 Anm. 3 b; andererseits Staudinger/Kaduk, BGB, 10./II. Aufl. 1967, § 325 Rz. 52 und 57; die Unsicherheit der Einordnung zeigt sich auch daran, daß Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 D b bb den Fall BGH JZ 1961,27 = LM Nr. 5 zu § 252 BGB und dessen Argumente bei der konkreten Schadensberechnung einordnet, während er in der Regel zur abstrakten Schadensberechnung gezählt wird, z.B. BGBRGRK/Ballhaus § 325 Rz. 18; MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 47. 47 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, §252 BGB Rz. 16; Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 12 und 19; Esser, Schuldrecht 1,4. Aufl. 1970, § 5113 a (S. 365); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, §28 III 3 a (S.422); HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 356 vor § 373; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 33 und 35. 48 Siehe HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 357 vor § 373 und BGH LM Nr. 4 zu § 249 BGB (Hb).

Β. Rechtslage nach 1900

51

Schadensberechnung nach einem hypothetischen Deckungsverkauf auf den Ablauf der Nachfrist ab, während er bezüglich des entgangenen Gewinns der herrschenden Meinung folgt. 5 0 Einigkeit besteht darin, daß beiden Fällen der abstrakten Schadensberechnung in der Regel nicht entgegensteht, daß der Verkäufer im Besitz der Ware geblieben ist oder daß er sie anderweitig gewinnbringend verkauft hat, weil er bei Erfüllung des Käufers dieses Geschäft zusätzlich mit anderer Ware abgeschlossen und erfüllt hätte. 51 Bei der konkreten Schadensberechnung dagegen müsse der Wert der Ware auf den Ersatzanspruch angerechnet werden. 52 Zum Teil wird dem Verkäufer auch gestattet, statt der o.g. Berechnung den handelsüblichen Gewinn zu verlangen. 53 Die abstrakte Schadensberechnung wird entweder aus den besonderen Umständen im Handelsverkehr 54 oder aus § 252 Satz 2 B G B 5 5 hergeleitet. Manchmal wird beides verbunden, indem man annimmt, im Handelsverkehr entspreche es dem gewöhnlichen Lauf der Dinge, daß der Verkäufer einen Gewinn in Höhe der Differenz zwischen Selbstkosten- und Vertragspreis erziele. 56 Entsprechend der Ableitung aus den Umständen des Handelsverkehrs dürfe nur der Kaufmann seinen Schaden in dieser Weise berechnen. b) Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des Verlustes bei einem Deckungsverkauf und sonstige Ansichten

aa) Vor 1945 Anhänger der Surrogationstheorie, die im Gegensatz zur Differenztheorie vorschrieb, daß der Verkäufer bei Nichterfüllung des Käufers seine Leistung zu 49

Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 13; HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 358 vor § 373; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C d. 50 Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, 1975, S. 152f. und 164. 51 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 15; BGB - RGRK / Ballhaus § 325 Rz. 18; Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 15 (bei selbst hergestellter Gattungsware); Frank/Werner DB 1977, 2171 (2175); HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 356f. vor § 373; MünchKomm/Grunsky, BGB, §252 Rz. 13; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C c; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, §376 Rz. 32f.; Staudinger/Otto, BGB, § 325 Rz. 48. 52 Erman /Battes, BGB, § 325 Rz. 19; MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 60; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 35. 53 HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 357 vor § 373. 54 Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 14. 55 Erman/Battes, BGB, § 325 Rz. 10; Erman/Sirp, BGB, §252 Rz. 6; Hager, Die Rechtsbehelfe des Verkäufers, 1975, S. 163; MünchKomm/Grunsky, BGB, § 252 Rz. 13; Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C a. 56 Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3 b (S. 422); Soergel/Schmidt, BGB, 10. Aufl. 1967, §§249-253 Rz. 45; Palandt/Danckelmann, BGB, 25. Aufl. 1966, § 252 Anm. 3b; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 33. 4*

52

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

erbringen hatte, mußten konsequenterweise die abstrakte Schadensberechnung des Verkäufers bei Nichtfixgeschäften ablehnen, da sie eine Abrechnung vorsah, ohne daß der Verkäufer leistete.57 Oertmann hatte außerdem rechtspolitische Bedenken, weil der Verkäufer, der die Ware behalte und daneben die Preisdifferenz liquidieren könne, doppelten Gewinn an einem Stück verdiene. Damit würden Spekulationen begünstigt. 58 Adler 59 verstand die abstrakte Schadensberechnung des Verkäufers ebenso wie die des Käufers als fingiertes Deckungsgeschäft. Habe der Verkäufer die Wirkungen der Nichterfüllung durch einen Deckungsverkauf beseitigt, bestehe sein Schaden im Mindererlös eines Deckungsverkaufs. Bei der abstrakten Schadensberechnung werde fingiert, er habe einen Deckungsverkauf zum Marktpreis abgeschlossen. Sie sei stets zuzulassen, wenn der Verkäufer zu einem Deckungsverkauf berechtigt sei. 60 Statt dessen könne er auch seinen Geschäftsgewinn in Gestalt der Differenz zwischen Selbstkostenpreis und Vertragspreis liquidieren. 61 Im Gegensatz dazu lehnte Adler in einer früheren Äußerung den Ersatz der Preisdifferenz mit der Begründung ab, damit würden unerwünschte Differenzgeschäfte gefördert, weil der Verkäufer die Ware nicht mehr anschaffen müsse. Der Schuldnerschutz werde vernachlässigt. 62 Nach Cosack konnte der Verkäufer vom Käufer die Differenz zwischen Wert der Ware und Kaufpreis verlangen, da er den Kaufpreisanspruch einbüße und dafür die Sache mit ihrem jetzigen Wert behalte. Die Zulässigkeit der abstrakten Schadensberechnung sei selbstverständlich. 63 A n anderer Stelle definierte er abstrakte Schadensberechnung als Differenz zwischen Vertragspreis und Liquidationspreis, wobei letzterer entweder konkret durch Selbsthilfeverkauf oder abstrakt durch den Marktpreis festzustellen sei. 64 Dieser Zusammenhang legt nahe, daß Cosack mit dem Marktpreis den Preis des Verkaufsmarktes meinte. Rabel 65 faßte die abstrakte Schadensberechnung des Verkäufers wohl parallel wie diejenige des Käufers auf, d. h. der Verkäufer konnte die Differenz zwischen Vertrags- und Marktverkaufspreis als Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Statt dessen sollte auch eine Berechnung nach dem Selbstkostenpreis 57 Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (139ff.); ders. Holdheim 1897,106; siehe auch ders. ZHR 86 (1923), 1 (43 ff.); so wohl auch Oertmann in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts IV 2, 1918, § 64, 1 (S. 443). 58 Oertmann in: Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts IV 2,1918, §64, 1 (S. 443); ders. JW 1917, 355; ebenso Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 3 6 f. 59 Adler ZHR 86 (1923), 1 (43 ff.). 60 Adler ZHR 86 (1923), 1 (48). 61 Adler ZHR 86 (1923), 1 (52). 62 Adler Holdheim 1897, 106 (108). 63 Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts 1,4. Aufl. 1903, § 130 (S. 458). 64 Cosack, Lehrbuch des Handelsrechts, 6. Aufl. 1903, § 41 II (S. 169 ff.). 65 Rabel, Recht des Warenkaufs II, 1958, S. 58 ff., insbes. S. 61.

Β. Rechtslage nach 1900

53

zulässig sein. Ein anderweitiger Verkauf der Sache stehe der abstrakten Schadensberechnung nicht entgegen, da davon auszugehen sei, daß der Verkäufer dieses Geschäft auch neben der Erfüllung des Vertrags mit dem Käufer hätte abschließen können. Als Zeitpunkt für die Festlegung des Marktpreises schlugen diese Autoren das Erlöschen des Erfüllungsanspruchs, insbesondere den Ablauf der Nachfrist, vor. 6 6 bb) Nach 1945 Ebenso wie den abstrakten Käuferschaden fassen Blomeyer, v. Caemmerer, Emmerich und — de lege ferenda — Huber die Berechnung des Verkäuferschadens als typisiertes Deckungsgeschäft auf. Der Verkäufer kann danach als Mindestschaden den Schaden verlangen, den er bei einem Deckungs verkauf zum Marktverkaufspreis erlitten hätte, also die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis. 67 Im Handelsverkehr könne regelmäßig davon ausgegangen werden, daß der Verkäufer die Ware zum Marktpreis absetzen könne. 68 Daneben begründen Blomeyer und v. Caemmerer die abstrakte Schadensberechnung als objektive Schadensberechnung, worunter sie eine typisierende Schadensberechnung auf der Grundlage des gemeinen Werts der Kaufsache verstehen. 69 Die meisten lassen dem Verkäufer die Wahl zwischen der Differenz zum Marktverkaufspreis oder zum Selbstkostenpreis (Marktpreis, zu dem er sich die Ware verschaffen kann oder durchschnittlicher Herstellungspreis), wobei es unerheblich sein soll, was der Verkäufer mit der nicht abgenommenen Ware angefangen hat. 7 0 Begründet wird das mit der „Vermutung", daß der Verkäufer mit der fraglichen Ware jederzeit ein anderes Geschäft zum Marktpreis tätigen konnte. 71 Einschränkend verlangt Huber vom Verkäufer den Nachweis, daß er dazu in der Lage war. Es wird also davon ausgegangen, daß der Verkäufer 66 Adler ZHR 86 (1923), 1 (59); Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1903, § 130 I l b (S. 458); Rabel, Recht des Warenkaufs II, 1958, S. 60. 67 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4a (S. 193f.); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (419); Dölle/v. Caemmerer, Einheitliches Kaufrecht, 1976, Art. 63 Rz. 5 und 7; Emmerich JuS 1974, 590; Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten I, 1981, S. 647 (848 f.). 68 Emmerich JuS 1974, 590. 69 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4 (S. 192); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 7 ff. = Gesammelte Schriften 1,1968, 5. 411 (418). 70 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4a (S. 193f.); Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 119; ders. in: Grundlagen des Vertragsund Schuldrechts, 1974, S. 279 (386); Lange, Schadensersatz, 1979, § 6 X 5c (S. 217f.); MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 47; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 45. 71 Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 118; ders. in: Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1974, S. 279 (386); MünchKomm /Emmerich, BGB, § 325 Rz. 47; restriktiver Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten I, 1981, S. 647 (849).

54

1. Teil: Entwicklung der abstrakten Schadensberechnung

entweder einen Deckungsverkauf zum Marktpreis vornimmt oder sich zum Marktpreis mit der fraglichen Ware eingedeckt hat. Ein anderweitiger Verkauf der Ware sei unerheblich, da der Verkäufer bei marktgängigen Waren dieses Geschäft zusätzlich zu dem mit dem Käufer abgeschlossenen Vertrag durchgeführt hätte, wenn der Käufer erfüllt hätte. Die Grenze zur konkreten Schadensberechnung sei fließend. 72 Steindorff läßt den Verkäufer seinen Schaden ebenfalls auf der Basis eines hypothetischen Deckungsverkaufs oder eines Einkaufs der Ware zum Marktpreis berechnen. Er geht davon aus, daß bei abstrakter und konkreter Schadensberechnung verschiedene Schadensbegriffe vorliegen: bei der ersteren werde der objektive Wert, bei der letzteren das subjektive Interesse des Verkäufers ersetzt. Grundlage der abstrakten Schadensberechnung bilde nicht ein hypothetisches Deckungsgeschäft, sondern die Handelsspanne als objektiver Wert. Bei jedem Kaufmann sei die Vermutung berechtigt, daß er in der Lage gewesen wäre, späteren Kunden andere Ware zu verkaufen, wenn der erste Käufer die Ware abgenommen hätte. Trotz eines Deckungsverkaufs entgehe dem Verkäufer der Lohn für seine aufgewendete Mühe in Form der Handelsspanne. Außerdem tue ein Kaufmann nichts umsonst; ihm gebühre in jedem Fall der Lohn für seine Mühe beim Abschluß des Kaufvertrages. Dieser Lohn bestehe im Ersatz des objektiven Werts der Leistung ohne Rücksicht auf die Möglichkeit eines anderweitigen Verkaufs. 73 Keuk 74 setzt beim Erfüllungsinteresse an: Das Interesse des Verkäufers beziehe sich darauf, daß er im Erfüllungszeitpunkt den Kaufpreis erhalte, dafür aber die Kaufsache hergeben müsse, d.h. in der Differenz zwischen Kaufpreis und Wert der Kaufsache im Zeitpunkt der Erfüllung. Deren Wert bemesse sich nach den Anschaffungskosten, bei der abstrakten Schadensberechnung sei das der Marktpreis. Unerheblich sei, was der Verkäufer mit der Ware anfange. Wiedemann faßt die Differenz zum Marktverkaufspreis als Mindestschaden auf, der dem Verkäufer auf jeden Fall zustehe, während die Differenz zum Selbstkostenpreis als entgangener Gewinn nach § 252 Satz 2 BGB zu ersetzen sei, wobei dem Käufer der Gegenbeweis möglich sei. 75 Maßgeblich soll nach diesen Autoren der Marktpreis zum Zeitpunkt des Erlöschens des Erfüllungsanspruchs 76 bzw. der Entstehung des Schadenersatzanspruchs 77 sein. 72

Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 121 f. Steindorff JZ 1961, 12 (13 f.). 74 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 137 ff. 75 Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 45. 76 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 14a (S. 193); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (420). 77 Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 49; ähnlich Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten 1,1981, S. 647 (850); Rabel, Recht des Warenkaufs II, 1958, S. 60 (Zeitpunkt der Vertragsaufhebung bzw. des Schadensersatzverlangens). 73

2.

Teil

Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers A. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung Die Einordnung der abstrakten Schadensberechnung ist wichtig für Inhalt und Grenzen dieser Berechnung. Vom Ergebnis her lassen sich die dargestellten Ansichten dahingehend zusammenfassen, daß sie dem Käufer entweder die Differenz zwischen Vertragspreis und Ferfcöw/smarktpreis oder zum Einkaufspreis gewähren wollen; nur vereinzelt wird dem Käufer alternativ das eine oder das andere zugestanden. Die Entscheidung, welche Differenz man ersetzen will, hängt davon ab, ob man als Grundlage der abstrakten Schadensberechnung den Ersatz des entgangenen Gewinns oder des Werts der vorenthaltenen Sache bzw. des Verlusts aus einem hypothetischen Deckungskauf ansieht. Ob ggf. ein geringerer als der abstrakte Schaden zu ersetzen ist, bestimmt sich danach, ob man die abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung oder als Mindestschaden auffaßt. Versteht man die abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung nach § 252 Satz 2 BGB, ist sie ausgeschlossen, wenn kein Weiterverkauf in Betracht kommt, ζ. B. beim Endverbraucher. Der nach § 252 Satz 2 BGB nachgewiesene Schaden kann widerlegt werden, während der abstrakte Schaden häufig als Mindestschaden angesehen wird. Ordnet man die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des Verlusts aus einem hypothetischen Deckungskauf ein, ist zweifelhaft, weshalb eine tatsächliche Eindeckung unerheblich sein soll.

I. Prozessualer Ansatz: Abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung? Soweit man die abstrakte Schadensberechnung als hypothetisches Gewinnoder Deckungsgeschäft begründet, wird darauf verwiesen, daß dies der typische Schaden des Käufers sei; abstrakte Schadensberechnung sei eine typisierende Schadensberechnung;1 typische Situationen des Handelsverkehrs würden „prima facie" als gewinn versprechend behandelt.2 Ein Kaufmann schließe typischerweise entsprechende Gewinn- oder Deckungsgeschäfte ab. 1 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften 1,1968, S. 411 (419); Emmerich in: Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1974, S. 279 (386); ders., Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 117; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 29 III a (S. 512); siehe auch Grünberg LZ 1918, Sp. 190 (192): abstrakte Schadensberechnung = Durchschnittsgewinn. 2 BGHZ 62, 103 (105); Soergel/Schmidt, BGB, 10. Aufl. 1967, §§ 249-253 Rz. 45.

56

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

Diese „typisierende Betrachtungsweise" legt es nahe, die abstrakte Schadensberechnung als Beweiserleichterung oder sogar als Umkehr der Beweislast aufzufassen: 3 da der Käufer bei Lieferung des Verkäufers üblicherweise zum Marktpreis weiterverkauft hätte, entgeht ihm infolge der Nichterfüllung ein Gewinn in Höhe der Differenz zum Verkaufspreis, so die herrschende Meinung. Nach der anderen Ansicht entsteht dem Käufer ein Schaden in Höhe der Differenz zum Einkaufspreis, da ein Kaufmann üblicherweise einen Deckungskauf vornehme. Bei Nichtkaufleuten ist eine solche Verhaltensweise nicht typisch, daher können sie ihren Schaden nur konkret berechnen. Eine Beweiserleichterung bedeutet, daß an den Nachweis des Schadens geringere Anforderungen gestellt werden, als nach § 286 ZPO vorgeschrieben sind. Der Schaden muß also nicht mit "dem Grad von Gewißheit nachgewiesen werden, daß für einen vernünftigen Menschën keine Zweifel mehr bestehen, was für § 286 ZPO erforderlich wäre. 4 1. Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Gewinns Faßt man die abstrakte Schadensberechnung mit der herrschenden Meinung 5 als Ersatz des entgangenen Gewinns auf, kommt die Beweiserleichterung des §252 Satz 2 BGB zum Tragen, d.h. der Schaden (Gewinnausfall) ist schon bewiesen, wenn wahrscheinlich ist, daß ein Gewinn in dieser Höhe entgangen ist; Gewißheit im Sinne des § 286 ZPO ist nicht erforderlich. 6 Da Kaufleute in der Regel ihre Ware zum Weiterverkauf beziehen und sie zum Marktpreis weiterverkaufen können, ist es wahrscheinlich, daß ihnen infolge der Nichtlieferung ein Gewinn in Höhe der Preisdifferenz entgeht. § 252 Satz 2 wird als bloße Beweiserleichterung verstanden 7, so daß der gewöhnliche Lauf der Dinge unerheblich ist, wenn der wirkliche Schaden feststeht; also wird der wahrscheinlich entgangene Gewinn nicht ersetzt, wenn feststeht, daß der Gläubiger diesen Gewinn nicht erzielt hätte. 8 Der Ersatz des entgangenen Gewinns muß ausscheiden, wenn die Gewinnerzielung nicht wahrscheinlich ist. Hätte der Käufer nicht weiterverkauft, etwa weil er die Sache zur Benutzung gekauft hat, ist ihm kein Gewinn entgangen. Hat er sich eingedeckt, kann man ebenfalls zweifeln, ob er um seinen Gewinn 3

151.

Nachweise zur Einordnung als Beweiserleichterung siehe 1. Teil Β II 2 a bb Fn. 149-

4 Vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, §286 Anm. 2 C; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rz. 4. 5 Nachweise siehe oben 1. Teil Β II 1 und 2. 6 BGB-RGRK/Alff §252 Rz. 7; Lange, Schadensersatz, 1979, §6 X (S.211f.); MünchKomm/Grunsky, BGB, § 252 Rz. 8; Staudinger/Medicus, BGB, § 252 Rz. 4f. 7 RGZ 100, 112 (113); RG HRR 1929 Nr. 85; RG HansRGZ 1932 B, Sp. 563 (564). 8 Lange, Schadensersatz, 1979, § 6 X 4 (S. 213); MünchKomm/Grunsky, BGB, § 252 Rz. 9.

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

57

gebracht wurde, weil er diesen mit der eingedeckten Ware erzielen konnte. Trotzdem spricht die herrschende Meinung dem Gläubiger in beiden Fällen Schadenersatz in Höhe der Preisdifferenz zu. 9 Die herrschende Meinung wurde weder bei ihrer Entstehung (a), noch bei der späteren Handhabung überzeugend begründet (b-d). a) Entstehung der herrschenden Meinung

Die herrschende Meinung zum Käuferschaden geht auf das Reichsgerichtsurteil vom 23.4. 1907 zurück, in dem zum ersten Mal ausgesprochen wurde, daß der Schaden nach dem Weiterverkaufspreis zu berechnen war. 1 0 Die Entscheidungen, auf die sich das Urteil berief, sind allerdings nicht zutreffend: das Urteil vom 4. 6. 1904 11 , das zugleich als einziges der zitierten auf der Grundlage des BGB ergangen war, befaßte sich mit der Haftung des vollmachtlosen Vertreters nach § 179 Abs. 1 BGB und berechnete den Schaden nach dem Einkaufspreis. In Bolze 10 (1891) Nr. 813 entschied sich das Gericht für eine konkrete Berechnung des Schadens, der in der Differenz zwischen Vertragspreis und Sachwert bestehen sollte, weil der Käufer diesen Wert bei Erfüllung in seinem Vermögen gehabt hätte. Dabei nahm es an, der Weiterverkaufspreis spiegele den Sachwert wider. Außerdem erkannte das Gericht nicht, daß der Einkaufs- und der Verkaufspreis verschiedenen Marktstufen angehören. Die These, dem Käufer sei der Verkäuflichkeitswert, d. h. der Preis, den er bei einem Weiterverkauf erzielen könne, zu ersetzen 12, beruhte außerdem auf einer unzutreffenden Übernahme der Rechtsprechung des Reichsoberhandelsgerichts 13 : das hatte zwar in der Tat entschieden, daß dem Käufer der Verkäuflichkeitswert zu ersetzen sei, wenn ein Marktpreis fehle. Damit war aber der Verkaufspreis des Produzenten gemeint, bei dem sich der Käufer eindeckt, d. h. aus der Sicht des Käufers der Einkaufspreis. b) Unhaltbarkeit der Weiterveräußerungsvermutung

Auch inhaltlich läßt sich diese Form der abstrakten Schadensberechnung nicht aus § 252 Satz 2 herleiten. Bedenklich ist vor allem, daß das Reichsgericht zwar verbal die abstrakte Schadensberechnung auf § 252 Satz 2 BGB, d. h. auf den erleichterten Nachweis des entgangenen Gewinns, stützt, aber mit der großzügig angewendeten Weiterveräußerungsvermutung auch dann den abstrakt berechneten Schaden ersetzt, wenn ziemlich unwahrscheinlich ist, daß der Käufer die Sache weiterverkauft und damit einen Gewinn erzielt hätte. 9

Siehe oben 1. Teil Β II 1 a Fn. 77, b Fn. 86 und 2. RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 = Holdheim 1908, 17. 11 RGZ 58, 326. 12 RGZ 4, 1 (4). 13 ROHG 11, 182 Nr. 60 (183). 10

58

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

Das zeigt sich deutlich in den Militärfiskusfällen. 14 In den Jahren des ersten Weltkriegs mußte der Reichsmilitärfiskus in breitem Umfang Ware aufkaufen, die er zur Versorgung des Heeres benötigte. Wenn der Lieferant nicht erfüllte, forderte er als Schadenersatz wegen Nichterfüllung nach §§ 325, 326 BGB die Differenz zwischen dem Vertragspreis und dem (infolge der kriegsbedingten Warenknappheit wesentlich höheren) Marktverkaufspreis am Stichtag. Das Reichsgericht lehnte in wenigen Fällen diese Form der Schadensberechnung ab; 1 5 in der Regel sprach es die Klage zu. 1 6 Begründet wurde das mit der Weiterveräußerungsvermutung. In den zuletzt genannten Fällen meinte das Reichsgericht, der Käufer, d.h. der Militärfiskus, hätte sich ja zum Weiterverkauf der vorenthaltenen Ware entschließen können, wenn der Verkäufer geliefert hätte. Weshalb der Weiterverkauf in den ersten Fällen ausscheiden soll, wird allerdings nicht klar. Abgesehen davon, daß es sich einmal um Rumverschnitt und einmal um Erbsen handelt, weisen die mitgeteilten Sachverhalte keine so grundlegenden Unterschiede auf, daß eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt wäre. Wenn man die abstrakte Schadensberechnung auf die Weiterverkaufsvermutung stützt, sind nur die ersten Fälle richtig entschieden: für die Weiterveräußerungsvermutung ist kein Raum, wenn feststeht, daß die Ware nicht weiterverkauft wird. Aufgabe des Reichsmilitärfiskus war nicht der An- und Weiterverkauf von Waren wie ein Händler, sondern der Ankauf der Ware, um das Heer zu versorgen. Ein Weiterverkauf käme somit allenfalls bei Überschüssen in Betracht. Der Bedarf des Heeres war jedoch so groß, daß die bestellte Ware in der Regel, wenn nicht sogar ausschließlich für die Heeresversorgung benötigt wurde. Bei dieser Sachlage ist es denkbar unwahrscheinlich, daß der Militärfiskus die nicht gelieferte Ware nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zum Marktpreis weiterverkauft hätte. Man kann den Schaden also nicht damit begründen, daß der Käufer die Ware nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge weiterverkauft hätte. Das schließt nicht aus, daß im Einzelfall ein Weiterverkauf durchaus naheliegen kann, ζ. B. bei Überschüssen, doch folgt die Wahrscheinlichkeit des Weiterverkaufs nicht daraus, daß der Käufer seinen Entschluß ändern kann, sondern daraus, daß im konkreten Fall eine solche Entscheidung geboten ist. Von der heute herrschenden Meinung, die sonst dem Reichsgericht folgt, wird das auch nicht mehr vertreten. 17 Auch sonst überzeugt diese Rechtsprechung nicht: das Reichsgericht 18 meint, dem Militärfiskus sei durch die Vorenthaltung der Ware ein Schaden entstanden, 14 RGZ 99,46; RGZ 101,217 = JW 1921,333 Nr. 2 (Oertmann); RGZ 105,285 = JW 1923, 119 Nr. 2; RGZ 105, 293; RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57. 15 RGZ 99, 46 (49); RG Gruchot 65 (1921), 446 Nr. 57 (477). 16 RGZ 101, 217 (219) (Fn. 14); 105, 285 (286) (Fn. 14); 105, 293 (294); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 = DJZ 1920, Sp. 467. 17 Z.B. Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 11.

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

59

da er Kosten hätte aufwenden müssen, um sich Ersatzware zu beschaffen oder den Ausfall zu überbrücken. Diesen Schaden (d. h. die Kosten für die Ersatzbeschaffung) könne er konkret oder abstrakt berechnen, wobei mit abstrakter Berechnung der Ersatz des vermuteten Weiterveräußerungsgewinns gemeint ist. Das Reichsgericht will also für den Schaden, der durch die Ersatzbeschaffung entstehen könnte, den Weiterverkaufsgewinn ersetzen. Beides ist jedoch etwas völlig verschiedenes; die Höhe des einen sagt nichts über die Höhe des anderen aus. Der Schaden, der durch die Ersatzbeschaffung verursacht wird, entsteht in Höhe des Einkaufspreises, nicht des Verkaufspreises. Die Begründung kann daher nicht stimmen. Ähnliche Bedenken bestehen in den Fällen, in denen das Reichsgericht den abstrakt berechneten Schaden ersetzte, obwohl der Käufer nicht zum Weiterverkauf, sondern zum Gebrauch in seinem Betrieb eingekauft hat. 1 9 Hier ist es sicher denkbar, daß der Käufer überschüssige Ware weiterverkauft, aber man kann wohl davon ausgehen, daß ein Betriebsinhaber möglichst so kalkuliert, daß er nicht mehr ankauft, als er gebrauchen kann, schon weil die nicht benötigte Ware ja zunächst Betriebsmittel blockiert, zumal es nicht feststeht, daß er sie mit Gewinn weiterverkaufen kann. Außerdem würde er auf einem ihm fremden Markt tätig, was es erschwert, die überschüssige Ware mit Gewinn zu verkaufen. Die Unwahrscheinlichkeit eines Weiterverkaufs wird besonders deutlich, wenn der Käufer für seinen Betrieb ein bestimmtes Teil, z.B. einen Motor benötigt und kauft. 2 0 Überschüssig ist das Teil nicht, ein Weiterverkauf aus diesem Grunde scheidet aus. Theoretisch ist zwar denkbar, daß der Käufer das Teil wegen des steigenden Marktpreises teuer verkauft in der Hoffnung, sich später billiger eindecken zu können. Man wird aber wohl kaum annehmen können, daß der Käufer seinen Betrieb stillegt, bis die Marktpreise sinken und er sich billig eindecken kann. Diese Überlegungen zeigen, daß beim Kauf zur Eigenversorgung ein Weiterverkauf der nicht gelieferten Ware sehr unwahrscheinlich ist; keinesfalls kann man davon ausgehen, daß ein solcher Weiterverkaufsgewinn ein Gewinn ist, der nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 Satz 2 BGB). Mag der Käufer auch in der Regel die Sache weiterverkaufen, so liegt bei dieser Fallgruppe eine Ausnahme von der Regel vor. Als erleichterten Nachweis des entgangenen Weiterverkaufsgewinns läßt sich die abstrakte Schadensberechnung daher nicht mehr begründen. Besonders markant zeigt das folgender Satz von Koenige: „... nur die Möglichkeit eines Verkaufs darf nicht ausgeschlossen erscheinen ..., und diese ist immer zu vermuten ..." (zur

18

RGZ 101, 217 (218) (Fn. 14); ebenso OLG Hamburg OLGE 39 (1919), 132; OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 187 Nr. 94; anders RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477). 19 RGZ 101,240 (241 f.); 101,421 (423); RG LZ 1909, Sp. 320 Nr. 3 (321); RG JW 1921, 1313 Nr. 8 = WarnR 1921, 169 Nr. 140; RG JW 1926, 2676 Nr. 7 (Locher). 20 So der Fall RG JW 1921, 1313 Nr. 8 (Fn. 19).

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

60

Verkäuflichkeit einer Ware). 21 Wenn der Weiterverkauf immer zu vermuten ist, kann nie das Gegenteil bewiesen werden, was bei einer Beweiserleichterung möglich wäre. Als Beweiserleichterung läßt sich diese Form der Schadensberechnung daher nicht aufrecht erhalten. Soweit das Reichsgericht der abstrakten die sog. konkrete Schadensberechnung gegenüberstellt und letztere als Ersatz des wirklichen Schadens bezeichnet22, drängt sich der Eindruck auf, daß mit der abstrakten Berechnung nicht der erleichtert nachgewiesene tatsächliche Schaden, sondern etwas anderes ersetzt werden soll. c) Nichtbeachtung eines Deckungskaufs

Stellt man auf § 252 Satz 2 BGB ab, ist auch nicht haltbar, die abstrakte Schadensberechnung als Mindestschaden anzusehen, der auch nach einem Dekkungskauf ersetzt wird. 2 3 Hat der Käufer sich mit gleichwertiger Ware eingedeckt, so kann er mit dieser Ware denselben Gewinn erzielen wie mit der nicht gelieferten. Sein Schaden besteht somit nicht ohne weiteres im entgangenen Gewinn. Die Nichtbeachtung eines Deckungskaufs ließe sich damit begründen, daß der Käufer bei Erfüllung des Verkäufers die Deckungsware zusätzlich zu der vom Verkäufer gelieferten Ware verkauft hätte, so daß ihm — unabhängig davon, ob er sich eindeckt oder nicht — ein Gewinn in dieser Höhe entgangen ist. 2 4 Das stimmt mit dem der abstrakten Schadensberechnung zugrundeliegenden Bild des Kaufmanns überein, der ständig Ware einkauft, um sie laufend weiterzuverkaufen, der für seine Ware immer Käufer findet, die mindestens den Marktpreis zahlen, kurz eines Kaufmannes, der jederzeit beliebig viele Gewinnmöglichkeiten nebeneinander nutzen kann. 25 Dieses Bild ist jedoch vergröbert: es vernachlässigt, daß jeder Kaufmann nur eine bestimmte Umsatzkapazität zur Verfügung hat. Liegt das „geplatzte" Geschäft mit dem Verkäufer an der Grenze der Kapazität, ist keineswegs sicher, daß der Käufer bei Erfüllung des Verkäufers seinen Umsatz so hätte steigern können, daß er die Deckungsware zusätzlich abgesetzt hätte. Das dürfte allerdings selten und kaum nachzuweisen sein, denn ein zusätzliches Geschäft wird wohl meistens die Kapazität nicht sprengen. 26 21

Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 60a; ähnlich RG HansRGZ 1932 B, Sp. 563 Nr. 175. 22 RGZ 91, 30 (33). 23 So aber RG JW 1910, 613 Nr. 4 (614) = SeuffA 65 (1910), 388 Nr. 207 = LZ 1910, Sp. 631 Nr. 4 = Holdheim 1910, 179; RG JW 1921, 1313 Nr. 8 (Fn. 19); RG JR 1926 Nr. 2218. 24 So Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. V1 Einl. Anm. 125a; Emmerich WM 1986, 541 (543); HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 368 vor § 373; Staub/Koenige, HGB, 12./13.Aufl. 1926, Anh. zu §374 Anm. 60 (S. 1097). 25 RG LZ 1927, Sp. 903 Nr. 1 (904) = Recht 1926, 717 Nr. 2418. 26 Eisenberg Stanford Law Review 1984, 1107 (1150) (zum Werkunternehmer).

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

61

Begrifflich läßt sich argumentieren, daß unter einem Deckungskauf ein Ersatzgeschäft für den fehlgeschlagenen Vertrag mit dem Verkäufer verstanden wird. 2 7 Der Käufer hat sich Ersatz für die Ware besorgt, die der Verkäufer ihm vorenthalten hat. Anlaß und Grund für den Deckungskauf ist also allein die Nichterfüllung des Verkäufers. Diesen Kauf hätte der Käufer gerade nicht abgeschlossen, wenn der Verkäufer die Ware geliefert hätte. Daher läßt sich die Behauptung nicht halten, der Käufer hätte bei Erfüllung die Deckungsware zusätzlich gekauft und abgesetzt. Wenn feststeht, daß der Käufer eine bestimmte Ware zur Deckung eingekauft hat, ist ihm also kein Gewinn in Höhe der Preisdifferenz entgangen. Eine andere Frage ist es, ob jeder Einkauf vergleichbarer Ware einen Deckungskauf darstellt. Bei einem Kaufmann, der ständig Ware einkauft und weiterverkauft, mag es schwer sein, festzustellen, daß ein bestimmter Kauf gerade als Ersatz für die ausgefallene Lieferung des Verkäufers vorgenommen wurde. Hier liegt es näher, daß der Käufer den angeblichen Deckungskauf auch bei Erfüllung des Verkäufers abgeschlossen hätte, d.h. er nicht als Ersatz für die ausgebliebene Lieferung dient. Wie die zahlreichen Fälle zeigen, in denen der Käufer seinen Schaden „konkret" anhand eines Deckungsgeschäfts berechnet, kommen Dekkungskäufe jedoch oft vor. Wenn sich der Käufer eindeckt, d.h. den Ausfall mit dem Ersatz überbrückt, kann er mit der Deckungsware denselben Gewinn erzielen wie mit der ausgebliebenen Lieferung des Verkäufers. Liegt ein Deckungskauf in diesem Sinne erwiesenermaßen vor, besteht der Schaden des Käufers nicht im entgangenen Gewinn. Dennoch will die herrschende Meinung dem Käufer Gewinnersatz in Höhe der Preisdifferenz gewähren; dabei hat das Reichsgericht durchaus erkannt, daß mit dem Deckungskauf der durch die Nichterfüllung entstandene Schaden ausgeglichen wird, da der Käufer genau das erhält, was ihm der Verkäufer hätte verschaffen sollen. 28 M i t anderen Worten: sie gewährt Schadenersatz, obwohl nachgewiesen ist, daß kein Schaden in der behaupteten Höhe vorliegt. Als Beweiserleichterung läßt sich diese Form der Schadensberechnung nicht begründen. d) Beweisanforderungen

Bemerkenswert sind auch die unterschiedlichen Anforderungen, die an den Nachweis des entgangenen Gewinns bei der abstrakten und der konkreten Berechnung gestellt werden: bei ersterer genügt der Nachweis des Marktpreises, die Möglichkeit des Weiterverkaufs wird bis zur Fiktion „vermutet", während bei letzterer der Käufer detailliert seinen Schaden belegen muß, ζ. B. an wen und zu welchem Preis er weiterverkauft hat, welche Kosten ihm entstanden sind, usw. 29 27 RGZ 11, 197 (198); Adler ZHR 86 (1923), 1 (43); Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 352 (S. 299); Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 59; Staub/Koenige, HGB, 12./13. Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 69. 28 RGZ 52, 150 (154). 29 RG LZ 1909, Sp. 321 Nr. 4; BGHZ 2, 310 (313).

62

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

Die Rechtsprechung versagt den Ersatz abstrakten Schadens nur, wenn feststeht, daß der Käufer unter dem Marktpreis weiterverkauft hat. 3 0 Sie stellt damit zu hohe Anforderungen an die Widerlegung der Wahrscheinlichkeit: soweit der Eintritt des Gewinns nicht mit Sicherheit feststeht, ist gemäß § 252 Satz 2 der Gewinn zu ersetzen, der wahrscheinlich eingetreten wäre. Wurde keine Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, scheidet der Ersatz des Gewinns also aus; Gewißheit, daß der Gewinn nicht erzielt worden wäre, ist nicht erforderlich. 2. Die abstrakte Schadensberechnung als sonstige Beweiserleichterung Die abstrakte Schadensberechnung als Ersatz entgangenen Weiterverkaufsgewinns läßt sich in der von der herrschenden Meinung vertretenen Ausprägung nicht mit der Beweiserleichterung des § 252 Satz 2 BGB erklären. Zu untersuchen bleibt, ob die Gegenpositionen, welche die abstrakte Schadensberechnung als hypothetischen Deckungskauf auffassen, als Beweiserleichterung erklärt werden können. Zu denken ist an einen Anscheinsbeweis. M i t Hilfe eines Anscheinsbeweises ist eine Tatsache bewiesen, wenn ein sogenannter „typischer" Geschehensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung in eine bestimmte Richtung verläuft. 31 Bei der Vornahme eines Deckungskaufs handelt es sich sicher um typische Geschehensabläufe unter Kaufleuten. Daher könnte man die abstrakte Schadensberechnung als Anwendungsfall des Anscheinsbeweises bezeichnen.32 Hauptsächlich wird der prima-facie-Beweis allerdings zum Nachweis von Kausalzusammenhang und Verschulden eingesetzt33, während hier die Haftungsvoraussetzungen feststehen und (nur) die Höhe des Schadens nachzuweisen ist. Daneben ist an die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu denken. Da die Vorschrift den Fall regelt, ob und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten ist und die abstrakte Schadensberechnung genau diese Frage betrifft, liegt ihre Anwendung nahe. Die Bedeutung der Norm liegt darin, daß dem Gläubiger Schadenersatz auch zugesprochen werden kann, wenn der Schaden nicht nach § 286 ZPO nachgewiesen wurde 3 4 , aber auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen 30 RGZ 100, 112 (113); ähnlich RG Recht 1926, 93 Nr. 239 = JR 1926 Nr. 672; RG HansRGZ 1932 B, Sp. 563 (564) Nr. 175. 31 Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 114 II (S. 693f.); Stein/Jonas /Leipold, ZPO, § 286 Rz. 88; siehe auch Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 17 ff. 32 So Jauernig/Teichmann, BGB, Anm. VII 1 b vor §§ 249-253; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S.41 (zum entgangenen Gewinn). 33 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, Anh. §286 Anm. 3 Β a; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 114 II (S. 693f.); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rz. 95. 34 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, §287 Anm. 1A; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 115 I (S. 697).

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

63

geschätzt werden kann. 3 5 Da bei Kaufleuten Deckungskäufe üblich sind, könnte das Gericht bei Klagen von Kaufleuten den Schaden in Höhe der Preisdifferenz schätzen. Wenn mit Beweiserleichterungen auch die Anforderungen an den Nachweis des Schadens verringert werden und damit in Kauf genommen wird, daß ein Schaden ersetzt wird, der nicht oder nicht in dieser Höhe entstanden ist, so scheidet der Ersatz des Schadens jedenfalls aus, wenn feststeht, daß der Ersatzberechtigte einen solchen Schaden nicht erlitten hat. Beweiserleichterungen bezwecken, dem Gläubiger über Beweisschwierigkeiten hinwegzuhelfen, die bei der Schadensberechnung zwangsläufig entstehen, weil eine hypothetische Vermögenslage —wie sie sich ohne die Schädigung entwickelt hätte—nachzuweisen ist. Sie setzen voraus, daß die Schadenshöhe ungewiß ist. Der mittels Beweiserleichterung nachgewiesene Schaden wird nicht ersetzt, wenn der tatsächlich entstandene Schaden feststeht. Daher sind Beweiserleichterungen widerleglich. Zur Erschütterung eines Anscheinsbeweises genügt es, daß Tatsachen nachgewiesen werden, bei denen die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des typischen Geschehensablaufs besteht. 36 Nach § 287 ZPO muß das Gericht auf der Grundlage von vorgetragenen und bewiesenen Tatsachen schätzen.37 Das bedeutet: wenn nach den feststehenden Tatsachen überhaupt kein Schaden entstanden ist, was der Ersatzpflichtige zu beweisen hat, 3 8 gibt es keinen Ersatz. Sogar eine Umkehr der Beweislast führt nur bei Beweislosigkeit, also wenn die genaue Höhe des Schadens nicht nachgewiesen wurde, zu einem dem Beweisbelasteten (Ersatzpflichtigen) ungünstigen Urteil. 3 9 Bei Beweiserleichterungen oder einer Beweislastumkehr wird der zunächst angenommene Schaden also nur ersetzt, solange nicht feststeht, daß er nicht eingetreten ist. A u f die abstrakte Schadensberechnung übertragen, heißt das, der Käufer kann die Preisdifferenz als Schadenersatz nur verlangen, wenn der Verkäufer nicht nachweist, daß ein geringerer Schaden entstanden ist. Bei der abstrakten Schadensberechnung nach einem hypothetischen Dekkungskauf geht man davon aus, daß der Käufer sich üblicherweise zum Marktpreis eindecke und somit einen Schaden in Höhe der Differenz zum Vertragspreis erlitten habe. 40 Steht jedoch fest, daß der Käufer sich entweder gar nicht oder günstiger eingedeckt hat, mag er zwar einen Schaden haben, aber jedenfalls nicht aus einer ungünstigen Eindeckung. 41 Damit ist der zunächst „nachgewiesene" 35

Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 287 Rz. 15. Statt aller: Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 33; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, §114 II 4 (S. 696); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 286 Rz. 97; jeweils m.w.N. 37 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 287 Rz. 25. 38 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, § 287 Anm. 2 C. 39 Vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 118 I 1 (S. 714). 40 Siehe oben 1. Teil Β II 2 b. 36

64

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

Schaden widerlegt. Hätte die abstrakte Schadensberechnung nur die Bedeutung einer Beweisregelung, dürfte kein Schaden in dieser Höhe ersetzt werden. Die Vertreter dieser Form der abstrakten Schadensberechnung wollen die Preisdifferenz jedoch unabhängig von einem tatsächlichen Deckungskauf gewähren. 42 3. Folgerungen Die vorangegangenen Ausführungen haben gezeigt, daß mit der Annahme einer Beweiserleichterung die abstrakte Schadensberechnung weder als Entgang eines Gewinngeschäfts noch als hypothetischer Deckungskauf zu erklären ist, denn beide Varianten sehen auch den Ersatz eines Schadens vor, der so erwiesenermaßen nicht eingetreten ist. Das soll nicht heißen, daß die dahinterstehenden Bestrebungen abzulehnen sind, dem Käufer, dem kein Weiterverkaufsgewinn entgangen ist und der keinen Deckungskauf vorgenommen hat, auf dessen Basis der Schaden berechnet werden kann, Schadenersatz zu gewähren. Der Schaden dieses Käufers kann jedoch nicht im entgangenen Weiterverkaufsgewinn bestehen; § 252 Satz 2 BGB vermag daher einen solchen Anspruch nicht zu begründen. Die Rückführung der abstrakten Schadensberechnung auf § 252 Satz 2 ist nur haltbar, wenn man sie mit restriktiven Stimmen auf Fälle beschränkt, in denen ein Weiterverkauf wahrscheinlich ist und darüber hinaus den Gegenbeweis zuläßt. 43 Würde man mit dieser Ansicht einen Schaden nur ersetzen, wenn dem Käufer entweder ein Gewinn entgangen ist oder er eine Vermögenseinbuße erlitten hat, erhielte er keinen Ersatz, wenn er die Sache zum Gebrauch gekauft hat und sich ohne Deckungskauf beholfen hat. Der eigenwirtschaftliche Gebrauch bliebe somit anders als der erwerbswirtschaftliche (Weiterverkauf) ungeschützt. Das ist jedoch nicht gerechtfertigt: die Diskussion zum Ersatz des Nutzungsausfalls beweist zumindest, daß die eigenwirtschaftliche Sachnutzung im Grundsatz ebenso schutzwürdig ist wie die gewinnorientierte, d. h. auch bei der ersteren darf der Schadenersatz nicht von einer Vermögenseinbuße abhängen. 44 Wenn danach 41 Nach Adler ZHR 86 (1923), 1 (48) geht bei günstigerer Eindeckung der Deckungspreis vor. 42 Ζ. B. Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 9; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4 (S. 192 f.); v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S.411 (419); Emmerich, Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 119; Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten I, 1981, S. 647 (849); Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 376 Rz. 24; Steindorff AcP 158 (1959/60), 431 (463). 43 So z.B. Baur, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, S. 56f.; BGB-RGRK/Nastelski, 11. Aufl. 1960, §252 Anm. 12; BGB - RGRK/Alff§ 252 Rz. 11; Jauernig /Teichmann, BGB, Anm. VII 1 b vor§ 249; Larenz, Schuldrecht 1,14. Aufl. 1987, § 29 III a (S. 512); Palandt/Heinrichs, BGB, § 325 Anm. 4 C b; Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß, 1966, S. 41; Siber, Schuldrecht, 1931, S. 45; Soergel/Mertens, BGB, § 252 Rz. 16; Schüttensack, Die Berücksichtigung entgangener Gewinne, 1933, S. 33; Staudinger/Medicus, BGB, § 252 Rz. 25. 44 BGHZ 98, 212 (219 ff.) (GS).

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

65

schon der zeitweilige Entzug der Sache ersatzwürdig ist, muß man erst recht Ersatz für die dauernde Vorenthaltung der Sache gewähren. Der Ersatz soll also nicht davon abhängen, ob sich der Geschädigte Ersatz beschafft hat. Die überwiegend praktizierte großzügige Handhabung der Beweiserleichterung läßt das Bedürfnis erkennen, dem Gläubiger möglichst immer Ersatz für die Nichtlieferung zu gewähren. Der Grund liegt vielleicht in dem Bestreben, den Schuldner durch die drohende Sanktion von einer Vertragsverletzung abzuhalten 4 5 , möglicherweise auch in der Annahme, daß die Nichterfüllung dem Gläubiger immer einen Schaden verursacht, der nur schwer zu bemessen ist, so daß auf das Hilfsmittel der Beweiserleichterung zurückgegriffen wird. 4 *

II. Materiell-rechtliche Ansätze 1. Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des objektiven Schadens? Geht man mit den Stimmen, die eine Objektivierung des Schadens fordern, davon aus, daß dem Gläubiger stets als Mindestschaden der objektive Wert der Leistung zu ersetzen ist 4 7 , so läßt sich die abstrakte Schadensberechnung in der von der herrschenden Meinung vertretenen Ausprägung erklären. Den Marktpreis als objektiven bzw. gemeinen Wert der Sache kann der Käufer dann immer verlangen, ohne daß ein günstigerer Deckungskauf entgegensteht oder von ihm die Absicht des Weiterverkaufs gefordert wird. Die Lehre vom objektiven Schaden hilft jedoch nicht weiter. E)iç Schadensberechnung nach dem objektiven Wert der Sache kann erst einsetzen, wenn feststeht, daß der Schuldner dem Gläubiger den Wert der Leistung ersetzen muß. Bei der Zerstörung einer Sache bestehen keine Zweifel, daß der Ersatzpflichtige dem Ersatzberechtigten den Wert der Sache zu erstatten hat. Beim Schadenersatz wegen Nichterfüllung liegt es dagegen nicht ohne weiteres auf der Hand, daß als Schadenersatz der Wert der Leistung geschuldet wird, zumal Ersatz wegen Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrages und nicht (nur) einer einseitigen Leistung geschuldet wird. Der Begriff des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung kann unterschiedlich gedeutet werden. So wird als sein Ziel teils der Ausgleich der durch die Nichterfüllung verursachten Vermögenseinbuße 48, teils die Herstellung 45

Vogt JW 1920, 426. Vgl. die Argumentation in RGZ 101, 217 (218) (Fn. 14); 101, 421 (423); 105, 285 (287) (Fn. 14). 47 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, § 33 I 4 (S. 192f.); Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 29; v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 7ff. = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (418 ff.); Honsell JuS 1973,69 (74); Neuner AcP 133 (1931), 277 (290 ff. und 302); Niederländer JZ 1960,617(620 Fn. 25); Schlegelberger/Hefermehl, HGB,§ 376 Rz. 24; Steindorff JZ 1961, 12 (13f.); Wilburg JherJb 82 (1932), 51 (125ff. und 143ff.). 48 RGZ 91, 30 (34) = JW 1917, 968 Nr. 6; RGZ 99, 46 (48 f.); RG WarnR 1918, 225 Nr. 151; RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477); a. A. RGZ 58,326 (328) und 103,40 (42) (beide nicht zur Nichterfüllung eines Kaufvertrages); unklar RGZ 101, 421 (423). 46

5 Bardo

66

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

der Lage, die bei Erfüllung bestünde 49 , angeführt. Nur bei letzterem kommt der Wert der Leistung als Schaden in Betracht, bei ersterem dagegen eher fehlgeschlagene Aufwendungen, Mehrkosten eines Deckungskaufs usw. Der Ersatz des objektiven Werts als Mindestschaden kann erst Bedeutung gewinnen, wenn feststeht, daß dem Gläubiger stets Ersatz des Werts der Leistung zusteht. Aber auch mit der Feststellung, daß der Käufer stets den objektiven Wert der Leistung verlangen kann, steht die Höhe des Schadens noch nicht fest: den objektiven Wert gibt es nicht. Man muß sich entscheiden, welcher Marktstufe der objektive Wert zu entnehmen ist, vor allem, ob der Einkaufs- oder der Verkaufswert einzusetzen ist. Die Einordnung als Ersatz objektiven Schadens enthält also noch keine Aussage über Art und Höhe des Schadens. Beides hängt von davon unabhängigen Vorfragen ab. Nach deren Klärung kann die Einordnung als objektiver Schaden Bedeutung gewinnen, wenn sich herausstellt, daß der wirkliche Schaden unter dem objektiven liegt, ζ. B. weil der Käufer die Sache nicht weiterverkaufen wollte oder er sich günstiger als zum Marktpreis eingedeckt hat. Gegen die Lehre vom objektiven Schaden bestehen Bedenken. Schadenersatz setzt das Vorliegen eines Schadens voraus, denn Schadenersatz soll keine Strafe sein 50 , sondern soll die Nachteile ausgleichen, die der Geschädigte infolge des Schadensereignisses erlitten hat. 5 1 Schadenersatz ist eben nicht Ausgleich für erduldetes Unrecht, sondern für den erlittenen Schaden. Daher kann es keinen Schadenersatz ohne Schaden geben. Begründet man den objektiven Schaden mit dem Gedanken der Rechtsverfolgung — der Schadenersatzanspruch tritt an die Stelle des verletzten Rechts(-guts) — und als Sanktion des verletzten Rechts 52 , will man nicht Schaden ersetzen, sondern Unrecht sanktionieren. Das ist nicht der Zweck des Schadenersatzes. Schadenersatz setzt voraus, daß die Rechtsgutsverletzung noch Folgen hat. 5 3 M i t diesen Grundsätzen steht die Lehre vom objektiven Wert als Mindestschaden nicht in Einklang, denn damit wird Schadenersatz auch in Fällen gewährt, in denen kein auszugleichender Schaden vorliegt. 54 Hinzu kommt: soweit es darum geht, den Schaden zu erhöhen, werden die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten auch von den Vertretern des objektiven Schadensbegriffs berücksichtigt, die den Ersatz eines höheren Schadens als 49 So die gängige Definition des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung in der Literatur: Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3 a (S. 422); Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, §27 II b 4 (S. 430); MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 35; Soergel/Mertens, BGB, Rz. 69 vor § 249. 50 Lange, Schadensersatz, 1979, Einl. III 2 d (S. 8); Soergel/Mertens, BGB, Rz. 27 vor §249. 51 Z.B. Lange, Schadensersatz, 1979, Einl. III (S. 5fT.); MünchKomm/Grunsky, BGB, Rz. 3 vor § 249; Soergel/Mertens, BGB, Rz. 25 vor § 249. 52 Z.B. Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 29; Neuner AcP 133 (1931), 277 (291); Wilburg JherJb 82 (1932), 51 (130). 53 Lange, Schadensersatz, 1979, § 1 IV 3 (S. 31). 54 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 49; Lange, Schadensersatz, 1979, § 6 I (S. 165); Staudinger/Medicus, BGB, § 249 Rz. 136.

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

67

des objektiven Werts zulassen.55 Damit werden Gläubiger und Schuldner ungleich behandelt 56 : der Gläubiger kann stets statt des abstrakten Mindestschadens den höheren konkreten Schaden verlangen; der Schuldner kann den Gläubiger dagegen nicht auf den niedrigeren konkreten Schaden beschränken. 57 Konsequent ist es nur, die Verhältnisse des Geschädigten auch zu berücksichtigen, sofern sie den Schaden verringern, sonst wird dem Geschädigten mehr als sein Schaden ausgeglichen, abstrakt berechneter Schadenersatz wäre dann Ersatz immateriellen Schadens. Das bedeutet, es gibt keinen Mindestschaden, der stets und unabhängig von den konkreten Verhältnissen zu ersetzen ist; der Schaden richtet sich einzig nach den Verhältnissen des Geschädigten. 2. Abstrakte Schadensberechnung als Ersatz des normativen Schadens? Von einigen Autoren wird die abstrakte Schadensberechnung als „normativ" umschrieben. 58 Damit soll klargestellt werden, daß der Schaden unabhängig von tatsächlichen Vermögensveränderungen nach „normativen" Kriterien zu berechnen ist. Die Bezeichnung „normativ" sagt noch nichts über die Schadenshöhe aus; 59 dazu ist ein Rückgriff auf die „Normen" der Schadensberechnung erforderlich. Nur wenn sich aus diesen ergibt, daß der Schaden unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen zu ersetzen ist, oder daß der Wert der Leistung den Mindestschaden ausmacht, sowie mit welchem Wert (Einkaufs- oder Verkaufspreis) die Leistung zu bemessen ist, rechtfertigt die „normative" Betrachtung den Ersatz abstrakten Schadens in Höhe der Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis. „Normativ" ist daher nur der abstrakte Schaden in den gesetzlich geregelten Fällen der § 376Abs. 2 HGB, Art. 84 EKG, Art. 76 Abs. 1 UN-Kaufrecht; soweit deren Voraussetzungen nicht vorliegen, hilft diese Einordnung nicht weiter.

55 Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 30; Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 291 b (S. 483); MünchKomm/Grunsky, BGB, Rz. 10 vor § 249; Neuner AcP 133 (1931), 277 (296). 56 Belke JZ 1969, 586 (590). 57 Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, 4. Aufl. 1969, §33 I 4a (S. 193); Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 30 und 36; Dölle/Huber, Einheitliches Kaufrecht, 1976, Art. 24 Rz. 23 (zum EKG); Esser, Schuldrecht I, 4. Aufl. 1970, § 42 II 2 (S. 288); Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten 1,1981, S. 647 (848f.); Sander, Umfang und Berechnung der Schadensersatzleistung, 1948, S. 110. 58 Schlegelberger/Hefermehl, HGB, §376 Rz.21; Dölle/Weitnauer, Einheitliches Kaufrecht, 1976, Art. 84 Rz. 3. 59 Zum Aussagegehalt des Begriffs siehe Esser /Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 31 II 2 (S. 480); Hagen, Festschrift für Hauß, 1978, S. 83 (95 f.); Selb AcP 173 (1973), 366; E. Wolf, Festschrift für Schiedermair, 1976, S. 545 (549). 5*

68

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

3. Abstrakte Schadensberechnung als fiktives Deckungsgeschäft? Das Modell der abstrakten Schadensberechnung als fiktives Deckungsgeschäft 60 erklärt nicht, weshalb ein Deckungsgeschäft fingiert werden darf. Die Rechtfertigung könnte in dem Gedanken liegen, daß dem Gläubiger der Wert der Sache zusteht 61 , der durch ein (fiktives) Deckungsgeschäft zu berechnen ist. Damit wird vorausgesetzt, daß dem Gläubiger als Schadenersatz wegen Nichterfüllung Ersatz für den Wert der Sache, der nach dem Einkaufspreis bemessen wird, zu leisten ist. Dies ergibt sich aber nicht aus der Annahme, die abstrakte Schadensberechnung gehe von einem fiktiven Deckungsgeschäft aus, sondern das liegt ihr zugrunde. Grundlage könnte auch sein, daß der Käufer Anspruch auf die Kaufsache hat 6 2 oder der Käufer sich nach § 254 Abs. 2 BGB zwecks Schadensminderung einzudecken hat. Das begründet aber nicht, weshalb auch Ersatz für ein Deckungsgeschäft zu leisten ist, das nicht vorgenommen wurde. Insbesondere erklärt weder die Einordnung als hypothetischer Deckungskauf noch Rabeis Ansatz, den abstrakten Schaden als Ersatz für die ausgebliebene Ware zu definieren, weshalb eine tatsächliche billigere Eindeckung unbeachtlich sein soll. 63 Als ergänzende Begründung auf § 400 Abs. 2 HGB zu verweisen 64, hilft auch nicht weiter. Die Vorschrift enthebt den Kommissionär beim Selbsteintritt der Pflicht zur Abrechnung über ein Deckungsgeschäft, wenn ein Marktpreis besteht, so daß faktisch ein Deckungsgeschäft zum Marktpreis fingiert wird. Insofern besteht eine Ähnlichkeit zwischen der abstrakten Schadensberechnung und dem Selbsteintritt des Kommissionärs. Sonst betrifft beides jedoch unterschiedliche Sachgebiete: bei § 400 Abs. 2 HGB geht es um die Erfüllung eines Kommissionsgeschäfts, bei der abstrakten Schadensberechnung um Schadenersatz. Das Kommissionsgeschäft kann nur durch den geschuldeten An- oder Verkauf erfüllt werden; bei der Schadensberechnung sind, wie das breite Meinungsspektrum zeigt, auch andere Berechnungsmethoden denkbar. Darüber hinaus ist der 60 OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1382 (1384); Adler ZHR 86 (1923), 1 (45); Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, § 252 BGB Rz. 9; v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften 1,1968, S. 411 (419); Huber in: BMJ (Hrsg.), Reformgutachten 1,1981, S. 647 (848 f.); Lange, Schadensersatz, § 6 X 5 b (S. 216); MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 51; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 43 und 46. 61 v. Caemmerer SJZ 1949, Sp. 816 (824 Fn. 56). 62 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S.411 (420). 63 So z.B. Baumgärtel/Strieder, Beweislast, 1981, §252 BGB Rz. 9; v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (420); Rabel, Recht des Warenkaufs I, 1936/1957, S. 171; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, §376 Rz. 24; Soergel / Huber, BGB, §440 Rz. 111; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 43. 64 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 8 = Gesammelte Schriften I, 1968, S.411 (419).

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

69

Selbsteintritt wegen der Interessenkollision des Eintretenden und der damit verbundenen Mißbrauchsgefahr rechtspolitisch umstritten. 65 Auch stimmt die Interessenlage des selbsteintretenden Kommissionärs nicht mit der des Schadenersatzberechtigten überein: ersterem liegt daran, seine Geschäftsverbindungen geheim zu halten, damit der Kommittent sie nicht für sich selbst ausnutzt und die Geschäfte mit dem Dritten selbst abschließt.66 Dagegen besteht keine Gefahr, daß der Verkäufer bei den Lieferanten des Käufers einkauft, da dies nicht sein Einkaufsmarkt ist. Die Gedanken des § 400 Abs. 2 passen daher nicht. 4. Abstrakte Schadensberechnung als Interesseersatz? Nach Keuk 67 wird dem Käufer mit der Differenz zwischen Marktpreis und Vertragspreis sein Interesse an der Erfüllung ersetzt. Dieser Schaden sei unabhängig davon, ob der Käufer einen Deckungskauf vornehme. Anscheinend will Keuk den Marktpreis auch ersetzen, wenn der Käufer einen günstigeren Deckungskauf vorgenommen hat. Dagegen spricht jedoch, daß mit der Eindeckung ersatzweise die Erfüllung hergestellt, das Interesse des Käufers an der Erfüllung also befriedigt wurde, weshalb kein Grund besteht, noch auf den Marktpreis abzustellen. Zweifelhaft ist außerdem der Ausgangspunkt, dem Käufer sei das Interesse zu ersetzen. 68 In den §§ 325f. BGB ist ebenso wie in den §§ 249ff. immer von Schadenersatz die Rede, nie von Interesseersatz. Zwar taucht in den Beratungen des BGB der Begriff „Interesse" auf 6 9 , aber dort ist er entweder gemeint in dem von Keuk abgelehnten Sinne als Differenz zwischen der jetzigen Vermögenslage und der Vermögenslage, die bestünde, wenn die Beschädigung nicht eingetreten wäre 70 , oder als Gegensatz zur Abstufung der Ersatzhöhe nach dem Grad des Verschuldens. 71 5. Abstrakte Schadensberechnung als Pauschalierung? Als Kennzeichen der abstrakten Schadensberechnung wird immer wieder angeführt, daß sie den Schaden losgelöst vom Einzelfall, nach objektiven Kriterien ermittelt. 72 Die abstrakte Schadensberechnung kann man daher als pauscha65

HGB-Großkommentar/Koller, 4. Aufl. 1986, § 400 Rz. 7ff. HGB-Großkommentar/Koller, 4. Aufl. 1986, §400 Rz. 5; Schlegelberger/Hefermehl, HGB, § 400 Rz. 5. 67 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 109 ff. 68 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 52 ff. 69 Vgl. Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 82; Motive II, S. 17. 70 v.Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 715; zu den möglichen Bedeutungen des Begriffs „Interesse" siehe Lange, Schadensersatz, 1979, § 1 I (S. 19). 71 Motive II, S. 17. 72 RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 = Holdheim 1908,17 (18); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 = DJZ1920, Sp. 467; v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 7 f. = Gesammelte Schriften I, 1968, S. 411 (418); Cosack, Lehrbuch des Deutschen 66

70

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

lierte bzw. vereinfachte Abwicklung, als Ersatz des Durchschnittsschadens auffassen. Die abstrakte Schadensberechnung wird überwiegend im Verkehr unter Kaufleuten, also im Anwendungsbereich des HGB akut. Das Handelsrecht dient oft der Beschleunigung, Vereinfachung des Handelsverkehrs. Daher besteht in diesem Bereich für eine pauschalierte Abwicklung unabhängig vom konkreten Schaden eher ein Bedürfnis als im bürgerlichen Verkehr, weshalb im Handelsverkehr die abstrakte Schadensberechnung herrschend ist. 7 3 Das Gesetz gibt keinerlei Anhaltspunkte für eine allgemeine Pauschalierung der Schadensberechnung; das HGB enthält — abgesehen von § 376 Abs. 2 — keine allgemeine Regelung, die besagt, daß der Schaden nur pauschal, unabhängig vom wirklichen Schaden, zu berechnen ist. Ein Bedürfnis nach Beschleunigung und Vereinfachung der Abrechnung ist sicher anzuerkennen; ebenso der Wunsch, dem Gegner nicht die Interna zur Schadensberechnung offenlegen zu müssen. Dazu würde jedoch genügen, den Schaden zunächst pauschal zu berechnen und dem Gegner den Gegenbeweis aufzubürden. 74 Gewährt man Schadenersatz unabhängig vom Einzelfall, nimmt man in Kauf, einen Schaden zu ersetzen, der so nicht entstanden ist. Damit läge eine objektive Schadensberechnung vor, die bereits oben 75 abgelehnt wurde. Die abstrakte und konkrete Schadensberechnung wird auch mit der im angloamerikanischen Recht üblichen Unterscheidung zwischen „general damage" und „special damage" verglichen 76 , wobei mit ersterem der pauschaliert berechnete regelmäßig eintretende und mit letzterem der auf besonderen Umständen beruhende Schaden gemeint ist. Der Vergleich ist sicher zutreffend, zumal das USRecht als „general damage" die Differenz zum Marktpreis ersetzt. Daraus läßt sich für das deutsche Recht aber nichts ableiten, denn dem Gesetz ist diese Differenzierung fremd. Zudem gibt es im deutschen Recht das Erfordernis der Voraussehbarkeit des Schadens nicht, das im US-Recht beim Ersatz des „special damage" vorausgesetzt wird.

bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1903, §123 III 4 a (S. 423); Dölle/Huber, Einheitliches Kaufrecht, 1976, Art. 24 Rz. 23; Dölle/Weitnauer aaO, Art. 84 Rz. 3; Emmerich in: Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts, 1974, S. 279 (386); ders., Recht der Leistungsstörungen, 2. Aufl. 1986, S. 117; Esser / Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, §32 III 2 (S. 515) (zu §§288 BGB/376 Abs. 2 HGB); ähnlich HGB-Großkommentar/Würdinger/Röhricht, 3. Aufl. 1970, Anm. 368 vor § 373; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 41; Staub/Koenige, HGB, 12./13.Aufl. 1926, Anh. zu § 374 Anm. 60; Staudinger/Werner, BGB, 10./11. Aufl. 1967, Vorbem. 58 zu § 249; Staudinger/Kaduk, BGB, § 325 Rz. 142; Steindorff JZ 1961,12 (14); Walter, Die abstrakte und die konkrete Schadensberechnung, 1934, S. 29. 73 Esser, Schuldrecht 1,4. Aufl. 1970, § 51 I 3 a (S. 364); Lange, Schadensersatz, 1979, § 4 X 1 (S. 124); Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 1967, S. 78. 74 Siehe BGH NJW 1970, 29 (32) = LM Nr. 26 zu § 138 BGB (Bb). 75 2. Teil A II 1. 76 v. Caemmerer, Das Problem der überholenden Kausalität, 1962, S. 7 = Gesammelte Schriften I, 1968, S.411 (418); Steindorff AcP 1958 (1959/60), 431 (437).

Α. Erklärungsmodelle zur abstrakten Schadensberechnung

71

Ziel des Schadenersatzes ist es, den entstandenen Schaden, und nur diesen, abzugleichen. 77 Das BGB geht vom Schaden des Verletzten und nicht von Durchschnittseinbußen in bestimmten Haftpflichtfallen aus. 78 Der Wortlaut der §§ 249 und 250 BGB zeigt, daß das Gesetz den konkreten Schadensverlauf zugrunde legt. Sogar bei der im Ansatz „abstrakten" Berechnung des § 252 Satz 2 bleibt ein Gegenbeweis möglich, so daß der Schaden auch dort letztlich nach dem Einzelfall berechnet werden muß. 7 9 So genau läßt sich der Schaden jedoch nicht immer bemessen, denn seine Höhe beruht auf einem hypothetischen Sachverhalt, nämlich wie sich das Vermögen des Gläubigers ohne das Schadensereignis entwickelt hätte. Ein hypothetischer Zustand läßt sich, da er nie existierte, nicht präzise bestimmen. Daher muß jeder Schadensberechnung eine gewisse Ungenauigkeit anhaften, will man nicht berechtigte Ansprüche an diesen Schwierigkeiten scheitern lassen.80 Auch ist es für den Geschädigten häufig mit Nachteilen verbunden, seine Interna aufzudecken. Aus diesen Gründen läßt § 287 ZPO mit der richterlichen Schadenschätzung eine pauschalierte Berechnung zu, solange greifbare Anhaltspunkte für einen Schaden gegeben sind. 81 Ziel der Schätzung ist jedoch, dem wirklichen Schaden möglichst nahe zu kommen. Damit ist eine völlig vom Einzelfall losgelöste Schadensberechnung nicht vereinbar. 82 Daher erscheint eine gewisse Abstrahierung und Pauschalierung bei der Schadensberechnung unvermeidlich zur Bestimmung der Schadenshöhe. Diese Maßnahmen sind jedoch kein Selbstzweck, keine Normierung in dem Sinne, daß als Folge des Haftungsereignisses mindestens der pauschalierte Schaden zu ersetzen ist. Vorrangig muß das Bemühen sein, möglichst genau festzustellen, welcher Schaden wirklich entstanden ist. Nur wo die genaue Schadenshöhe nicht ermittelt ist, kann auf die Pauschalierung zurückgegriffen werden; 83 es muß jedoch die Möglichkeit eines Gegenbeweises offenbleiben. Unbedenklich ist daher nur eine typisierende Betrachtungsweise in dem Sinne, daß der übliche Schaden ersetzt wird, solange keine besonderen Umstände nachgewiesen werden, die im Einzelfall der Annahme eines solchen Schadens entgegenstehen. Damit wird dem Bedürfnis nach Vereinfachung und Beschleunigung genügend Rechnung getragen. 84 Ersetzt wird dann der angenäherte Schaden.85 Außerdem wird bereits 77 Statt aller: Larenz, Schuldrecht I, 14. Aufl. 1987, § 27 I (S. 424); Soergel / Mertens, BGB, Rz. 25 vor § 249. 78 Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 32 III (S. 513). 79 Baur, Festschrift für Raiser, 1974, S. 119 (131). 80 Adler ZHR 86 (1923), 1 (43); Esser/Schmidt, Schuldrecht 1,6. Aufl. 1984, § 31 II 1 b (S. 478) und § 32 III 1 (S. 514). 81 BGHZ 91,243 (256 f.); BGH LM Nr. 4 zu §249 BGB (Hb) = MDR 1961,314; BGH NJW 1980,1742 (1743) = WM 1980, 466 = LM Nr. 27 zu § 252 BGB; BGH WM 1987, 319. 82 BGH NJW 1986,1684 (1686) = LM Nr. 8 zu § 6 VOB / Β1973; siehe auch BGHZ 98, 212 (219 f.) (GS). 83 Belke JZ 1969, 586 (590). 84 Im Ergebnis ebenso: Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens, 1967, S. 220 f.

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

72

dadurch, daß der Verkäufer die Beweislast für einen geringeren Schaden trägt, die Verletzung der Pflicht sanktioniert. 6. Abstrakte Schadenberechnung als Gewohnheitsrecht? Da die abstrakte Schadensberechnung sich nicht ohne weiteres mit § 252 Satz 2 BGB und anderen Normen erklären läßt, könnte man sie (ausschließlich oder ergänzend) auf Gewohnheitsrecht zurückführen. 86 Unter Gewohnheitsrecht versteht man eine länger dauernde, gleichmäßige Übung, die von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird. 8 7 Der Grundsatz, dem Käufer die Differenz zwischen Markt- und Vertragspreis zu ersetzen, mag in der Tat einer allgemeinen Überzeugung entsprechen und daher Gewohnheitsrecht sein; über die genaue Ausgestaltung, Grenzen usw. herrscht jedoch Streit, wie das dargestellte Meinungsspektrum zeigt, so daß von einer gleichmäßigen Übung und allgemeinen Überzeugung nicht die R:ede sein kann.

III. Ergebnis und Folgerungen Die Versuche, die abstrakte Schadensberechnung zu erklären, beantworten nicht die Frage, weshalb der nicht belieferte Käufer stets und unabhängig von seinen Dispositionen, dem Verwendungszweck der Kaufsache usw. einen Schaden in Höhe der Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis erleidet. Ebensowenig wird klar, welcher Marktpreis einzusetzen ist. Das liegt daran, daß bei den materiell-rechtlichen Ansätzen die Vorfrage nicht geklärt ist, worin der durch die Nichterfüllung verursachte Schaden zu sehen ist, den der Schadenersatz wegen Nichterfüllung ausgleichen soll. Dçr prozessuale Ansatz hält dagegen seinen Ausgangspunkt nicht durch, d.h. er gewährt Schadenersatz auch dann, wenn feststeht, daß der „vermutete" Schaden nicht eingetreten ist. Beide Ansatzpunkte lassen die Bestrebung erkennen, in möglichst weitem Umfang Schadenersatz zu gewähren. Ob sich das als berechtigt erweist, hängt davon ab, welcher Schaden dem Käufer dadurch entsteht, daß der Verkäufer nicht liefert. Den abgehandelten Ansätzen wohnt die Tendenz inne, die abstrakte Schadensberechnung als „Institution" anzusehen, unabhängig vom „wirklich" entstandenen Schaden, worin dieser auch immer gesehen werden mag, Ersatz zu leisten. Durch die Erklärungsansätze wird das nicht gedeckt. Da die Schadensberechnung auf der Feststellung eines hypothetischen Zustands beruht, läßt sich die genaue Schadenshöhe nicht immer feststellen; das rechtfertigt aber noch nicht, die Schadenshöhe völlig vom wirklichen Schaden abzukoppeln. Es findet sich 85

Belke JZ 1969, 586 (589). Baur, Entwicklung und Reform des Schadensersatzrechts, 1935, S. 57; Diederichsen, Festschrift für Klingmüller, 1974, S. 65 (78); Lange, Schadensersatz, 1979, § 4 X 1 (S. 123); Steindorff AcP 158 (1959/60), 431 (460). 87 BVerfGE 34, 293 (303 f.); Stern, Staatsrecht II, 1980, § 37 II 2 b (S. 579 f.). 86

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

73

auch kein Hinweis, daß außerhalb der gesetzlich geregelten Fälle, wie ζ. B. §§ 376 Abs. 2 HGB, 288 Abs. 1 BGB der Schaden in dem Sinne abstrakt berechnet werden soll, daß er völlig losgelöst von den tatsächlichen Verhältnissen zu ermitteln ist. Die Abweichung des zu ersetzenden Schadens vom festgestellten wirklichen Schaden begründet das Hauptbedenken gegen die vorgeschlagenen Erklärungsmodelle.

B. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung I. Formeln zur Berechnung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung Welche Preisdifferenz als Schaden zu ersetzen ist, hängt, wie die Untersuchung der verschiedenen Ansätze zur Erklärung der abstrakten Schadensberechnung ergeben hat, davon ab, welcher Schaden dem Käufer durch die Nichterfüllung entsteht. Der Schadenersatz wegen Nichterfüllung läßt sich einmal in der Weise definieren, daß dem Gläubiger die Verluste zu ersetzen sind, die durch die Nichterfüllung verursacht wurden, sowie der entgangene Gewinn. Zum anderen kann man darunter verstehen, daß der Gläubiger so zu stellen ist, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde 1 , so daß der Unterschied zur Vermögenslage, in der er sich infolge der Nichterfüllung befindet, zu ersetzen ist. 1. Schaden als Vermögenseinbuße Die Rechtsprechung und die ihr folgende herrschende Meinung tendieren zu der ersten Auffassung, wenn sie als Schadenersatz entweder den abstrakt bzw. konkret berechneten Gewinn gewähren 2 oder darauf abstellen, wie sich die Vermögenslage des Gläubigers tatsächlich gestaltet hat, auf keinen Fall aber die Differenz zwischen Vertragspreis und Vermögenslage bei Erfüllung als Ersatz zugestehen wollen. 3 Der „Mehrwert" der Sache gegenüber dem Vertragspreis sei kein Schaden.4 Nur in wenigen Entscheidungen sieht die Rechtsprechung die Entbehrung der Kaufsache als im Wege der abstrakten Schadenberechnung zu ersetzenden Schaden an. 5 1 So die gängige Definition des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung in der Literatur: Adler ZHR 86 (1923), 1 (43); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 28 III 3 a (S. 422); Lange, Schadensersatz, 1979, § 2IV (S. 44); Larenz, Schuldrecht 1,14. Aufl. 1987, § 27 II b 4 (S. 430); MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 35; Soergel/Mertens, BGB, Rz. 69 vor § 249; ebenso wird im US-Recht der Schadenersatz wegen Nichterfüllung definiert: Eisenberg Stanford Law Review 1984, 1107 (1127). 2 BGHZ 2, 310 (313); 29, 393 (399). 3 RGZ 91, 30 (34) = JW 1917, 968 Nr. 6; RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477). 4 RGZ 99, 46 (48); RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477). 5 RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 = DJZ 1920, Sp. 467; KG JW 1919, 738 Nr. 2 (Plum); OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204); OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 187 Nr. 94.

74

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

Anerkannte Schadensposten sind der Mehrpreis eines Deckungskaufs 6, der vorgeleistete Kaufpreis 7 und andere Aufwendungen des Käufers 8 , die Schadenersatzpflicht gegenüber dem Abnehmer 9 usw. Ein Anspruch auf Ersatz der Differenz zwischen dem Anschaffungspreis der Sache und dem Vertragspreis wird dagegen in der Regel abgelehnt, wenn die Anschaffung nicht tatsächlich vorgenommen wurde. 10 Das läßt die Vorstellung erkennen, daß — abgesehen vom entgangenen Gewinn—ein Schaden nur vorliegen soll, wenn das vorhandene Vermögen des Gläubigers vermindert wurde 11 , zumal in den Fällen, in denen Schadenersatz unabhängig von einer „konkreten" Einbuße gewährt wird, immer auf die Möglichkeit der Weiterveräußerung, d.h. der Gewinnerzielung hingewiesen wird. 1 2 Diese Vorstellung findet sich in Formulierungen der Entwürfe des BGB und den Überlegungen seiner Verfasser sowie anderen Äußerungen wieder. 13 Ganz hält die Rechtsprechung ihren Ansatz allerdings nicht durch: die Schadensberechnung nach einem Deckungskauf läßt sie bereits zu, wenn der darauf gerichtete Vertrag später aufgehoben wurde, sofern der Käufer ursprünglich rechtlich gebunden war. 1 4 Wird der Deckungskauf nicht durchgeführt, kann von einer Vermögenseinbuße beim Käufer, verursacht durch die Zahlung des Deckungskaufpreises, jedoch nicht die Rede sein. Ist die vorenthaltene Sache zum Gebrauch bestimmt und hat der Käufer auf einen Deckungskauf verzichtet, so hat er keinen Verlust erlitten. Will man als Schaden nur den Verlust oder den entgangenen Gewinn ersetzen, bliebe dann noch der Ersatz des entgangenen Gewinns. In diesem Fall mit der herrschenden 6 RGZ 90,160 (161); 91, 99 (100); 93,133 (134) = JW 1918, 556 Nr. 10; RG JW 1918, 557 Nr. 11 = LZ 1918, Sp. 1065 Nr. 13; OLG Stuttgart OLGE 43 (1924), 21. 7 Ζ. B. RGZ 127,245 (248); RG JW 1913,595 (596); RG SeuffA 81 (1927), 359 Nr. 216 (360) = Recht 1927 Nr. 19; BGHZ 57, 78 (80); 62, 119 (120); 71, 234 (238). 8 RGZ 127,245 (248 f.); BGHZ 57,78 (80); 71,234 (238); BGH NJW 1979,2034 (2035) = LM Nr. 26 zu § 251 BGB; BGH NJW 1983, 442 (443) = WM 1982, 387. 9 RG JW 1912, 471 Nr. 18 (472). 10 RGZ 99,46 (48 f.); RG WarnR 1918,225 Nr. 151 (226); a. A. RGZ 58,326 (328) und 103, 40 (42) (beide nicht zur Nichterfüllung eines Kaufvertrages); unklar RGZ 101, 421 (423). 11 Siehe die Formulierungen in RGZ 90, 160 (161): „positive Einbuße"; RGZ 102, 60 (62): „Verschlechterung"; ähnlich RGZ 91, 99 (100); 93,133 (135) (Fn. 6); 101,421 (423); RG JW 1918, 557 Nr. 11 (Fn. 6). 12 RGZ 101,421 (423); RG LZ 1907, Sp. 501 Nr. 9 = Holdheim 1908,17; RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 (Fn. 5); OLG Stuttgart JR 1957, 343. 13 Vgl. § 14 Teilentwurf zum Obligationenrecht Nr. 15 (abgedruckt in: v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht 1,1980, S. 655) und § 218 des ersten Entwurfs: Schaden ist „Einbuße und entgangener Gewinn"; ebenso bereits Art. 283 ADHGB; Motive II, S. 17; Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 81 ff.; v. Kübel, aaO S.715; Düringer/Hachenburg/Werner, HGB, 3. Aufl. 1932, Bd. IV Einl. Anm. 351 (S. 297) und Düringer/Hachenburg/Hoeniger, aaO, Bd. V 1 Einl. Anm. 145; Leonhard, Allgemeines Schuldrecht, 1929, § 59 (S. 140). 14 RG WarnR 1908, 215 Nr. 299.

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

75

Meinung den abstrakten Schaden in Form des entgangenen Gewinns zu ersetzen, ist aber, da der Weiterverkauf unwahrscheinlich ist, nicht mit § 252 Satz 2 vereinbar, wie bereits dargelegt wurde. 15 Ganz eindeutig sind die von der Rechtsprechung gewählten Formulierungen allerdings nicht; in anderem Zusammenhang wird formuliert, daß Schadenersatz wegen Nichterfüllung auch zu gewähren sei, wenn sich die bisherige Vermögenslage des Gläubigers trotz der Nichterfüllung nicht verschlechtert habe. 16 Den sog. konkreten Schaden definiert das Reichsgericht als Unterschied der Vermögenslage bei Erfüllung und der Situation, in die der Gläubiger durch die Nichterfüllung geraten ist. 1 7 Die Gegenüberstellung mit der abstrakten Schadensberechnung legt nahe, daß damit etwas anderes ersetzt werden soll. Die völlige Loslösung der abstrakten Berechnung vom tatsächlich eingetretenen Schaden ist jedoch, wie dargelegt, nicht gerechtfertigt. 18 Die Rechtsprechung ist nicht konsequent bei der Anwendung der Berechnungsformeln: während sie die erste Fassung anwendet, wenn es darum geht, einen Schaden zu verneinen, solange weder entgangener Gewinn noch ein Deckungsgeschäft vorliegen, vertritt sie bei der Schadensberechnung nach der Differenztheorie die zweite Formel: Schadenersatz wegen Nichterfüllung sei die Differenz zwischen Kaufpreis und Wert der Sache, da der Gläubiger so zu stellen sei, als ob der Schuldner ordnungsgemäß erfüllt hätte. 19 Als Schaden des Grundstückskäufers, dem das Grundstück vorenthalten wurde, wird dessen Verkehrswert angenommen, soweit der Käufer den Preis bereits bezahlt hat 2 0 , so daß es naheliegen würde, den Schaden des Käufers vor Zahlung in der Differenz beider Posten zu sehen. Zum Schadenersatz nach § 463 BGB weist der Bundesgerichtshof daraufhin, daß Schadenersatz nicht nur einen Verlust ausgleichen, sondern das positive Interesse ersetzen soll. 21 Auch in anderen Fällen, in denen dem Gläubiger Ersatz wegen Vorenthaltens einer Ware zu gewähren ist, wird ihm gestattet, den Schaden ohne tatsächlichen Ankauf nach dem Anschaffungswert zu ermitteln. 22

15

Siehe oben 2. Teil A l l . RG SeuffA 83 (1929), 16 Nr. 12 (17 f.) = LZ 1929, Sp. 396 Nr. 5 (Schadenersatz nach § 463); BGH NJW 1981, 45 (47) = WM 1980, 1307 = LM Nr. 27 zu § 249 BGB (Cb). 17 RGZ 91, 30 (33). 18 Oben 2. Teil A II 1 und 5. 19 RGZ 91,30 (33); 127,245 (248); BGHZ 2,310 (313f.); BGH NJW 1980,1742 (1743) = WM 1980, 466 = LM Nr. 27 zu § 252 BGB; BGH WM 1983, 418: die gegenseitigen Ansprüche sind nur noch unselbständige Rechnungsposten. 20 BGH NJW 1980, 1742 (1743) (Fn. 19). 21 BGH NJW 1981, 45 (47) (Fn. 16). 22 RGZ 58, 326 (327) (Haftung des vollmachtlosen Vertreters). 16

76

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

2. Vorenthaltung der Kaufsache als Schaden Bei der zweiten Formel ist zu untersuchen, wie der Gläubiger bei ordnungsgemäßer Erfüllung stünde. Einigkeit besteht — zumindest verbal — darin, was das Ziel des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung ist: es soll die Vermögenslage hergestellt werden, die bei voller Erfüllung bestünde.23 Von der Rechtsprechung wird das jedoch mit dem Ersatz des entgangenen Gewinns 24 oder dem konkreten Schaden gleichgesetzt. Dem Käufer ist der Vermögenswert zu verschaffen, den er bei richtiger Lieferung in seinem Vermögen gehabt hätte. Wenn der Schuldner sich vertragsgerecht verhalten hätte, hätte der Gläubiger am Erfüllungstag die Kaufsache empfangen. Sein Vermögen hätte sich somit um den Wert der Leistung, vermindert um den zu zahlenden Kaufpreis, vergrößert. Infolge der Nichterfüllung wurde sein Vermögen nicht um den Betrag, den der Wert der Leistung den Kaufpreis übersteigt, erweitert. Der Vergleich der Vermögenslage bei ordnungsgemäßer Erfüllung mit der derzeitigen ergibt also, daß der Käufer um die Differenz zwischen dem Wert der Leistung und (niedrigerem) Kaufpreis geschädigt ist. Keuk 25 lehnt diese Formel zur Berechnung des Nichterfüllungsschadens mit der Begründung ab, daß dem Käufer nicht der durch die Nichterfüllung verursachte Schaden im Sinne einer Vermögensminderung zu ersetzen sei, sondern das Interesse an der Erfüllung. Dabei verkennt sie, daß die Herstellung des hypothetischen Zustands bei Erfüllung nicht nur den Ausgleich einer Einbuße und den entgangenen Gewinn umfaßt, sondern auch andere Vermögensvorteile, die der Käufer bei der Erfüllung erlangt hätte. Beim Schadenersatz wegen Nichterfüllung ist dieser Zustand identisch mit dem von Keuk als Interesseersatz definierten Ziel des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung, daß in „pekuniärer Hinsicht der Zustand herbeigeführt wird, wie er bei Erfüllung... bestehen würde. " 2 6 Jedenfalls in diesem Bereich besteht der von ihr konstatierte Unterschied zwischen Schadenersatz (Herstellung des Zustandes, der bestünde, wenn der Schädiger die Schädigung nicht vorgenommen hätte) und Interessesrsatz (Herbeiführung des Zustands, der bei ordnungsgemäßem Verhalten bestünde)27 nicht. Die schädigende Handlung ist die Nichterfüllung; der Zustand ohne die Schädigung ist also die Situation des Gläubigers bei Erfüllung; genau das ist auch das Ziel des Interesseersatzes. 23 BGHZ 87, 156 (158); 99, 182 (196 f.); BGH NJW 1980, 1742 (1743) (Fn. 19); BGH WM 1983,418; RGZ 91, 30 (33); RG Gruchot 65 (1921), 476 Nr. 57 (477); RG SeuffA 83 (1929), 16 Nr. 12(17) (Fn. 16); OLG Düsseldorf BB 1965,12(13); BGB-RGRK/Ballhaus § 325 Rz. 12; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 109; MünchKomm/Emmerich, BGB, § 325 Rz. 35; Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 30. 24 OLG Düsseldorf BB 1965, 12 (13); OLG Stuttgart JR 1957, 343. 25 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 109 ff. 26 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 110; dagegen Soergel /Mertens, BGB, Rz. 41 Fn. 3 vor § 249. 27 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 56.

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

77

Das Verständnis des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung als Herstellung des Zustands bei ordnungsgemäßer Erfüllung findet sich auch in einigen Entscheidungen, die als Käuferschaden nicht den entgangenen Weiterveräußerungsgewinn, sondern die Entbehrung der Kaufsache ansehen, so daß als Ersatz die Differenz zwischen dem Wert der Kaufsache und dem Vertragspreis zu ersetzen ist. 28 Das entspricht dem Grundgedanken der abstrakten Schadensberechnung im Gemeinen Recht, das darauf abstellte, daß dem Käufer der Wert der Ware zustehe, der mit dem Kaufpreis verrechnet wurde. 29 Auch zum A D H G B wurde vertreten, daß der Schaden des Käufers in der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Wert der Sache bestehe.30 Dasselbe Ergebnis leitet Keuk aus dem Interessebegriff ab. 3 1 Setzt man den Wert der Sache mit dem Marktpreis an, so ergibt sich als Schaden die Differenz zwischen Vertragspreis und Marktpreis, wenn letzterer über dem Vertragspreis liegt. Der Käufer hat danach im Unterschied zur ersten Formel einen Schaden unabhängig davon erlitten, wozu er die Sache einsetzen will (Benutzung, Verkauf, Verschenken), ob er sich eingedeckt hat oder ob er Kaufmann oder Endverbraucher ist. Im folgenden soll nachgewiesen werden, daß Schadenersatz wegen Nichterfüllung nicht nur bedeutet, dem Gläubiger Ersatz für eingetretene Verluste zu gewähren, sondern auch, ausgebliebenen Zuwachs zu ersetzen, der unabhängig vom Weiterverkauf der Kaufsache erzielt worden wäre. Folgt man dem, so hat der Käufer einen ersatzfahigen Schaden auch erlitten, wenn sein Vermögen infolge der Nichterfüllung nicht vermindert wurde. Der Schaden liegt dann im „Mehrwert" der ausgebliebenen Kaufsache im Vergleich zu der von ihm zu erbringenden Gegenleistung, vorausgesetzt, der Wert der Leistung (Kaufsache) übersteigt den Wert der Gegenleistung (Kaufpreis).

28

RG Bolze 10 (1891), 379 Nr. 813 (380); RG LZ 1920, Sp. 610 Nr. 1 (Fn. 5); KG JW 1919, 738 Nr. 2 (Plum); OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 203 Nr. 100 (204); OLG Hamburg HansGZ 1920 (Hauptblatt), 187 Nr. 94; siehe auch BGH NJW 1980,1742 (1743) (Fn. 19): Schaden des Käufers = Verkehrswert des vorenthaltenen Grundstücks. 29 Vgl. ROHG 3, 94 Nr. 18 (96); Adler ArchBürgR 17 (1900), 132 (137); Büff AcP 33 (1850), 101 (115); Thöl, Handelsrecht 1,1. Aufl. 1841, § 86 (S. 275) = 5. Aufl. 1875, § 282 Β (S. 365). 30 Anschütz, ADHGB, 1874, Art. 355 Anm. II (S. 324); Keyßner, ADHGB, 1878, S. 367. 31 Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 110.

78

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

II. Nachweis der These: Schaden = entgangener „Mehrwert" der Kaufsache 1. Entstehungsgeschichte a) Verfasser des BGB

Äußerungen der Verfasser des BGB zur Ausgestaltung des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung liegen nicht vor. Intensiv diskutiert wurden die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs, ebenso die Frage, ob man alternativ zum Schadenersatz dem Gläubiger ein Rücktrittsrecht gewähren sollte. 32 Die Ausgestaltung des Schadenersatzanspruchs erschien dagegen völlig unproblematisch. Was den Verfassern des BGB als Schaden vorschwebte, kann nur vermutet werden. Allzu konkret dürften die Vorstellungen des Gesetzgebers nicht gewesen sein, wie sich an der schnell einsetzenden Diskussion zur Differenz- und Surrogationstheorie zeigt 33 , für deren Lösung weder das Gesetz noch die Materialien eindeutige Hinweise geben. Die Formulierung bei der Beratung der heutigen §§ 249 ff. BGB, zu ersetzen sei die „positive Einbuße und der entgangene Gewinn" weisen allerdings daraufhin, daß die Gesetzesverfasser den Schaden als Vermögensminderung auffaßten. 34 b) Verfasser des HGB

Da die allgemeinen Vorschriften des A D H G B zur Nichterfüllung (Artt. 354 ff.) durch die §§ 323 ff. BGB ersetzt wurden, liegen den entsprechenden Erörterungen zum Schadenersatz bei der Schaffung des HGB die §§ 325f. BGB zugrunde. 35 Auch den Überlegungen zum HGB läßt sich nicht eindeutig entnehmen, was seine Verfasser unter Schadenersatz wegen Nichterfüllung verstanden. Sie gingen jedenfalls davon aus, daß der Verkäufer — ebenso wie dies der Käufer nach Art. 357 Abs. 3 A D H G B durfte — seinen „Schaden ... durch bloße Berechnung des Preisunterschiedes gehörig" nachweisen konnte. 36 Worin dieser Schaden bestehen sollte, wurde nicht erörtert. Klar wird immerhin, daß die Schadensberechnung nach der Preisdifferenz trotz der Regelung in § 376 Abs. 2 keine 32 v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht 1,1980, S. 857 ff. und 863 ff.; Motive II, S. 198f. und 209f.; Protokolle I, S. 644; Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 81 ff. und 473 ff. 33 Ζ. B. Schöller, Gruchot 44 (1900), 603 ff. (Differenztheorie); Kisch JherJB 44 (1902), 68 ff. (Surrogationstheorie); weitere Nachweise bei Staudinger/Kaduk, BGB, 10./ 11. Aufl. 1967, Rz. 52 und 55 vor § 323 sowie bei Soergel/Wiedemann, BGB, § 325 Rz. 31. 34 Vgl. §14 Teilentwurf zum Obligationenrecht Nr. 15 (abgedruckt in: v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 655) und § 218 des ersten Entwurfs; Motive II, S. 17; ebenso bereits Art. 283 ADHGB. 35 Vgl. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 218; 2. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1897, S.219. 36 Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219.

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

79

Besonderheit der Fixgeschäfte darstellt und nicht darauf beschränkt ist. 37 Die Verfasser des HGB gingen jedenfalls davon aus, daß dem Gläubiger durch die Nichterfüllung ein Schaden entsteht, was sich zum einen aus der Selbstverständlichkeit ergibt, mit der von einem zu ersetzenden Schaden gesprochen 38 und dieser im späteren § 376 Abs. 2 HGB für Fixgeschäfte festgeschrieben wird. 3 9 Zum anderen folgt das aus der Entstehung der fast gleichlautenden Vorgängervorschrift Art. 357 Abs. 3 ADHGB: Bedenken gegen die Preisdifferenz als Schadenersatz wurden nicht wegen Fehlens eines Schadens, sondern wegen der Gefahr unerwünschter Differenzgeschäfte angemeldet.40 Wenn die Gesetzesverfasser Deckungskauf und Preisdifferenz alternativ als Schadensnachweis zulassen41, folgt daraus zumindest, daß sie den Schaden nicht notwendig in einer Verminderung des vorhandenen Vermögens (z.B. durch Mehraufwendungen bei einem Deckungskauf) sahen. Abgesehen vom Fall eines Deckungskaufs hat die Nichterfüllung nicht immer eine Vermögensminderung zur Folge. Anders als eine positive Vertragsverletzung bedeutet Nichterfüllung, daß der Schuldner nichts getan hat, d. h. er hat (noch) nicht auf das Vermögen des Gläubigers eingewirkt. Das bedeutet beim Kauf: wenn der Verkäufer nicht liefert, bleibt die mit dem Kauf bezweckte Veränderung des Käufervermögens (Zusammensetzung, „Mehrwert" der Sache gegenüber dem Kaufpreis, Gewinn aus Weiterverkauf) aus, aber eine Verminderung des Vermögens tritt nicht notwendig ein. 42 Der Schaden kann hier nur im unterbliebenen Zuwachs zum vorhandenen Vermögen („Mehrwert", entgangener Gewinn) liegen. Werden Deckungskauf und Preisdifferenz beide als Mittel des Schadensnachweises bezeichnet43, so weist diese Formulierung sogar daraufhin, daß der Schaden nicht in den Mehrkosten eines Deckungskaufs liegt, sondern in etwas anderem, das mit Hilfe des Dekkungskaufs oder des Marktpreises nachgewiesen wird. Die Formulierung legt außerdem nahe, daß mit beidem derselbe Schaden ersetzt wird, was darauf hinausläuft, den Ersatz der Preisdifferenz als hypothetischen Deckungskauf zu deuten. c) Fazit

Weder im Gesetz noch in den Materialien zum BGB oder HGB hat der Gesetzgeber definiert, was unter Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu verstehen ist. Die Ausführungen der Verfasser des HGB scheinen anzudeuten, daß sie 37

Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 218 f. und 222. Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219. 39 Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 222. 40 Lutz (Hrsg.), Protokolle zum ADHGB, 1858, Bd. II, S. 672 und 682; Bd. III, S. 1405 und Bd. IX, S. 4600. 41 Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219. 42 Der Schaden infolge fehlgeschlagener Aufwendungen soll ausgeklammert bleiben. 43 Denkschrift zum Entwurf eines HGB, 1896, S. 219. 38

80

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

unter Schadenersatz wegen Nichterfüllung nicht nur Ausgleich einer Vermögensminderung verstanden, sondern auch Ersatz für einen unterbliebenen Zuwachs, der nicht notwendig entgangener Gewinn zu sein braucht. Die Verfasser des BGB dürften in die umgekehrte Richtung tendieren. 2. Folgerungen aus den §§ 249ff., 325 f. BGB Schaden wird herkömmlicherweise definiert als Einbuße oder Beeinträchtigung an Gütern 4 4 , bei Vermögensschäden also als Vermögensminderung. Dementsprechend wird auch Schadenersatz wegen Nichterfüllung häufig als Ausgleich der durch die Nichterfüllung verursachten Vermögensminderung aufgefaßt. 45 Folgt man dem, kann man den unterbliebenen Zuwachs in Form des entgangenen „Mehrwerts" der Sache nicht als Schaden ansehen. a) § 249 Satz 1 BGB

aa) Schaden nur bei Vermögenseinbuße? (1) Vergleich des Istzustands mit dem Sollzustand Aus dem Wortlaut der §§ 325, 326 folgt nicht zwingend, daß eine Vermögensminderung eingetreten sein muß. Nach dem Wortlaut des § 249 Satz 1 gilt eher das Gegenteil: Es ist der „Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre." Zu vergleichen ist also der Istzustand mit dem Sollzustand, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Falsch ist es, den Zustand vor und nach dem Schadensereignis zu vergleichen 46 — dann hat der Käufer in der Tat keinen Schaden, wenn er keine Aufwendungen gehabt hat. Der Sollzustand besteht darin, daß der Verkäufer erfüllt hätte, d.h. dem Käufer die Sache geliefert hätte, dieser dafür aber seine Gegenleistung hätte erbringen müssen. Das Käufervermögen wäre somit um die Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Wert der Kaufsache erweitert worden, wenn letzterer ersteren übersteigt. Diese Vermögenslage ist mit dem Istzustand zu vergleichen, der dadurch gekennzeichnet ist, daß der Leistungsaustausch unterblieben ist, d. h. der Käufer die Kaufsache nicht erhalten hat, dafür aber im Besitz des Kaufpreises geblieben ist. Der Istzustand zeichnet sich also durch das Fehlen jeglicher Vermögensveränderung aus, während beim Sollzustand das Vermögen des Käufers um die Differenz zwischen Vertragspreis und höherem Sachwert erweitert 44

BGB - RGRK/AlffRz. 1 vor § 249; Enneccerus / Lehmann, Schuldrecht, 15. Bearbeitung 1958, § 14 vor I (S. 58); Larenz, Schuldrecht 1,14. Aufl. 1987, § 27 II a (S. 426f.); MünchKomm/Grunsky, BGB, Rz. 6 vor § 249; Planck/Siber, BGB, 4. Aufl. 1914, § 249 Anm. 2. 45 Siehe oben 2. Teil Β I 1. 46 Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 31 II 1 b (S. 478 f.).

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

81

worden wäre. Der Vergleich beider Vermögenslagen ergibt somit, daß die Nichterfüllung den Käufer um die unterbliebene Vermögenserweiterung geschädigt hat. 4 7 Vom Wortlaut des § 249 Satz 1 wird daher ohne weiteres ein Anspruch des Käufers auf entgangenen Vermögenszuwachs umfaßt, auch wenn kein entgangener Gewinn vorliegt. Gegen diese Ableitung kann man einwenden, daß in § 249 Satz 1 nur der Grundsatz der Naturalrestitution — im Gegensatz zum Geldersatz — festgeschrieben werden sollte. 48 In der Tat umschrieben die Entwürfe (§14 des Teilentwurfs zum Obligationenrecht Nr. l S 4 9 ^ 218 desi. Entwurfs) den zu ersetzenden Schaden als „Vermögenseinbuße" und „entgangenen Gewinn", während in einer anderen Vorschrift — § 219 des 1. Entwurfs — als Art des Schadenersatzes Naturalrestitution festgelegt wurde. Diskutiert wurde über das Verhältnis der Naturalrestitution zum Geldersatz; 50 die Entscheidung zugunsten der Naturalrestitution schlug sich in der Gesetz gewordenen Formulierung nieder. Die Vorstellung, daß der Schaden entweder als Einbuße oder als entgangener Gewinn auftritt, war so selbstverständlich, daß darüber nicht diskutiert wurde. Die Materialien legen nahe, daß in § 249 Satz 1 nur der Vorrang der Naturalrestitution festgeschrieben werden sollte. Damit ist das Verständnis des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung als Ausgleich einer unterbliebenen Vermögenserweiterung noch nicht widerlegt. Über den genauen Inhalt dieses Schadenersatzes hat sich der Gesetzgeber keine Gedanken gemacht; behandelt wurden nur Randprobleme wie die Begrenzung der Haftung auf wahrscheinliche Schäden.51 Die Formulierung des späteren § 249 BGB entstammte dem Deliktsrecht (Teilentwurf zum Obligationenrecht Nr. 15); geplant war ursprünglich im Vertragsrecht lediglich ein Verweis auf die Regelung im Deliktsrecht. 52 Bei deliktischer Schädigung — typischer Fall: Sachbeschädigung — wird mit dem Schadensereignis das Vermögen des Gläubigers vermindert. 53 Daß dies nicht notwendig mit der Nichterfüllung verbunden ist, wurde bereits dargelegt. 54 Vor diesem Hintergrund verlieren die Anhaltspunkte, die für die Notwendigkeit einer Vermögenseinbuße sprechen, an Gewicht: die Gesetzesverfasser haben sich nicht mit den Besonderheiten des 47

So schon Cosack, Lehrbuch des Deutschen bürgerlichen Rechts, 4. Aufl. 1903, § 123 III 4 a (S. 424). 48 Nach Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S. 19 ist das die einzige Bedeutung des § 249 Satz 1. 49 Abgedruckt in: v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 655; siehe auch Jakobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 80ff. 50 Protokolle I, S.293ff.; Jacobs/Schubert, Schuldverhältnisse I, 1978, S. 98ff.; v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 720. 51 Protokolle I, S. 292. 52 § 2 des Teilentwurfs zum Obligationenrecht Nr. 22 (abgedruckt in: v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 849). 53 Vgl. v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, S. 715. 54 Siehe oben 2. Teil Β II 1 b (nach Fn. 41) und 2 a aa. 6 Bardo

2. Teil: Eigener Ansatz zum Schaden des Käufers

82

Schadenersatzes wegen Nichterfüllung eines Vertrages befaßt und daher verkannt, daß mit dem Vertragsbruch nicht notwendig eine Vermögenseinbuße einhergeht, der Gläubiger aber trotzdem schlechter stehen kann als bei Erfüllung. Wenn die Entstehungsgeschichte auch nicht für eine Deutung des § 249 Satz 1 im oben genannten Sinne spricht, so schließt sie diese jedenfalls nicht aus. Der geltenden Fassung des § 249 BGB läßt sich eine Beschränkung des Schadenersatzes auf eine Vermögenseinbuße und den entgangenen Gewinn nicht entnehmen. (2) Bedeutung des Schadensbegriffs Rechtsprechung und Literatur sehen § 249 Satz 1 sogar als Grundnorm des Schadenersatzrechts (Grundsatz der Totalreparation) an. 5 5 Der Vorschrift wird also nicht nur der Vorrang der Naturalrestitution entnommen, sondern darüber hinaus der allgemeine Grundsatz, daß mit dem Schadenersatz in vermögensmäßiger Hinsicht der Zustand herzustellen ist, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Während die herrschende Meinung der Vorschrift die sogenannte Differenzhypothese (Schaden = Differenz zweier Vermögenslagen) entnimmt 5 6 , wird dieser Gesamtvermögensvergleich von anderen, insbesondere von Anhängern des objektiven Schadensbegriffs, angegriffen und ihm eine isolierte Betrachtung des betroffenen Rechtsguts gegenübergestellt. 57 Der Gedanke des Schadens als Differenz zweier Vermögenslagen findet sich bereits in den Vorarbeiten zum BGB; 5 8 in den späteren Beratungen ist er nicht mehr aufgetaucht. Der Streit um den richtigen Schadensbegriff ist hier insofern von Bedeutung, als es darum geht festzulegen, worin der Schaden des in seiner Leistungserwartung enttäuschten Gläubigers liegt: ist eine Vermögenseinbuße erforderlich, ist er unabhängig von einer Einbuße um den „Mehrwert" der vorenthalten Leistung geschädigt oder kann er stets den objektiven Wert der Ware (abzüglich des Kaufpreises) verlangen (so der objektive Schadensbegriff)? U m das Ergebnis vorwegzunehmen, es hilft nicht weiter, sich für den einen oder anderen Schadensbegriff zu entscheiden. Die Differenzhypothese, die für die herrschende Meinung den begrifflichen Ausgangspunkt bildet 5 9 , wird nicht mehr 55

Statt aller: Staudinger/Medicus, BGB, § 249 Rz. 2; Larenz, Schuldrecht 1,14. Aufl. 1987, §29 1 a (S. 480). 56 Z.B. BGHZ 27, 181 (183f.); 40, 345 (347); 75, 366 (371); 86, 128 (130); Alternativkommentar/Rüßmann, BGB, Rz. 21 vor §§249-253; BGB - RGRK / Alff § 249 Rz. 2; Enneccerus/Lehmann, Schuldrecht, 15. Bearbeitung 1958, § 141 (S. 68); Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl. 1984, § 31 II 1 (S. 475 ff.); Lange, Schadensersatz, 1979, § 1 IV 4 (S. 32 f.); Staudinger/Medicus, BGB, § 249 Rz. 5. 57 Z.B. Bydlinski, Probleme der Schadensverursachung, 1964, S. 24ff.; Honsell JuS 1973, 69ff.; Keuk, Vermögensschaden und Interesse, 1972, S.20ff.; MünchKomm/ Grunsky, BGB, Rz. 7 vor § 249. 58 v. Kübel, Redaktorenentwürfe Schuldrecht I, 1980, S. 715. 59 Z.B. BGHZ 3, 162 (177); 27, 181 (183f.); 75, 366 (371); 86, 128 (130).

Β. Inhalt des Schadenersatzes wegen Nichterfüllung

83

uneingeschränkt vertreten, sondern es werden auch Schäden ersetzt, obwohl nach der Differenzhypothese kein Schaden vorliegt, ζ. B. Nutzungsausfall 60 , versagte Vorteilsausgleichung 61, während andererseits entstandene Verluste nicht immer ersetzt werden (fehlende Adäquanz 62 , Schutzzweck der Norm 6 3 ). In diesen Fällen werden bei der Feststellung eines Schadens gewisse Gegebenheiten aus der Eigensphäre des Betroffenen nicht berücksichtigt. 64 Das Vorliegen einer Vermögensdifferenz oder eines Verlusts enthält damit noch kein endgültiges Urteil über die Ersatzfähigkeit des „Schadens"; hierfür entscheidend sind Wertungen, die insbesondere dem Schadenersatzrecht oder der Anspruchsnorm entnommen werden, sog. „normativer" Schadensbegriff. 65 Umgekehrt kann auch der sog. objektive Schadensbegriff 66 nicht ganz ohne einen Vergleich der Vermögenslagen auskommen: das Ergebnis, den objektiven Wert zu ersetzen, beruht auf dem Urteil, daß der Gläubiger diese Sache ohne das Schadensereignis in seinem Vermögen behalten bzw. erhalten hätte. Das verlangt einen Vergleich beider Vermögenslagen. 67 Das gleiche gilt für diejenigen, die einen Gesamtvermögensvergleich ablehnen und nur die Entwicklung des geschädigten Rechtsguts betrachten wollen. Der Ersatz setzt die Wertung voraus, daß der Ersatzberechtigte bei ordnungsgemäßem Verhalten um den als Schaden zu ersetzenden Betrag besser stünde. Richtig erscheint es daher zu trennen: auf einer ersten Stufe ist festzustellen, ob überhaupt ein Schaden, d. h. eine nachteilige Abweichung des Ist- vom Sollzustandes vorliegt. Dies kann nur durch einen Vergleich beider Zustände ermittelt werden. 68 Ob man von einem Gesamtvermögensvergleich ausgeht oder sich auf den betroffenen Vermögensbereich beschränkt, ist im Ergebnis unerheblich. Beim Gesamtvermögensvergleich heben sich die nicht betroffenen Vermögensteile, da sie auf der Ist- und der Sollseite erscheinen, gegenseitig auf und fallen für das Ergebnis nicht ins Gewicht. Kritisiert wird wohl auch nicht so sehr dieser 60

Z.B. BGHZ 40, 345 (347f.); 45, 212 (215ff.). BGHZ 7, 30 (49). 62 Z.B. BGHZ 2, 138 (140f.); 3, 261 (265f.); 25, 86 (88). 63 Z.B. BGH NJW 1968, 2287.