Didaktik der Geowissenschaften: Lehre an Schulen und an außerschulischen Lernorten [1 ed.] 9783662663547, 9783662663530

Die Menschheit steht heute vor der Herausforderung, globale Umweltveränderungen so zu beeinflussen, dass der Planet Erde

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Didaktik der Geowissenschaften: Lehre an Schulen und an außerschulischen Lernorten [1 ed.]
 9783662663547, 9783662663530

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)
1 Fachwissenschaftliche Grundlagen
1.1 Einführung
1.1.1 Der Planet Erde – ein sich ständig veränderndes System
1.1.2 Selbstregulation
1.2 Das System Erde als Teil des Sonnensystems im Universum
1.3 Interagierende Sphären im System Erde
1.3.1 Der Bereich des Wassers – Hydrosphäre
1.3.2 Der Bereich der Luft – Erdatmosphäre
1.3.3 Der Bereich der Gesteine – die feste Erde, Lithosphäre
1.3.4 Der Bereich der Lebewesen – die Biosphäre
1.4 Rohstoffe im System Erde
1.5 Veränderungen im System Erde und ihre Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation
1.5.1 Natürliche Geogefahren
1.5.2 Auswirkungen von Naturereignissen auf die geschichtliche Entwicklung der Menschheit
1.5.3 Das Anthropozän als jüngstes Erdzeitalter
1.6 Erkundung des Systems Erde mithilfe von Feld- und Laborarbeiten
Literatur
2 Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik
2.1 Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik
2.1.1 Allgemeine Didaktik
2.1.2 Fachdidaktik als eigene wissenschaftliche Disziplin
2.2 Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung
2.2.1 Akteurinnen und Akteure in Bildungspolitik und Bildungsverwaltung
2.2.2 Akteurinnen und Akteure in den Bildungswissenschaften
2.2.3 Schulbuchverlage
2.2.4 Geologische Landesämter
2.2.5 Akteure und Akteurinnen an geowissenschaftlichen Forschungsinstituten, Schülerlaboren und Museen
2.2.6 Akteurinnen und Akteure in Geoparks
2.2.7 Akteurinnen und Akteure in Fachgesellschaften und Verbänden
2.3 Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung
2.3.1 Geowissenschaften – die interdisziplinäre naturwissenschaftliche Erforschung der Erde als Gesamtsystem
2.3.2 Geoscience Education
2.3.3 Earth Systems Education im deutschen Schulunterricht – das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“
2.3.4 Einzelfachliche Entwicklungen in Deutschland
2.4 Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum
2.4.1 Die aktuelle Situation geowissenschaftlicher Vermittlung
2.4.2 Ausblick
Literatur
3 Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education
3.1 Einleitung
3.2 Environmental insight
3.3 Systemdenken
3.3.1 Forschung zum Systemdenken
3.3.2 Das mehrschichtige Systems Thinking Hierarchical-Modell (STH-Modell)
3.4 Die Lernumgebung im Freien
3.5 Die emotional-soziale Komponente und die Theorie des learning instinct
3.5.1 Emotionale Aspekte des Lernens in den Geowissenschaften
3.5.2 Die Theorie des learning instinct
3.6 Wo sich das Professionsverständnis wandelt
3.7 Eine bedenkliche Kluft
3.8 Zusammenfassung
Literatur
4 Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung von geowissenschaftlichen Sachverhalten
4.1 Bildungsstandards
4.1.1 Naturwissenschaftliche Grundbildung
4.1.2 Die Struktur der Bildungsstandards
4.1.3 Naturwissenschaftliche Bildung und Tests
4.1.4 Grenzen der Operationalisierung
4.1.5 Naturwissenschaftlicher Unterricht – ein Blick ins Fach oder auf das Fach?
4.1.6 Naturwissenschaftliche Bildung als Teil allgemeiner Bildung
4.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
4.2.1 Was ist BNE? – Entstehung und Begriffsklärung
4.2.2 Faktoren eines BNE-Bildungsangebotes
4.2.3 Lernvoraussetzungen
4.2.4 Ziele und Kompetenzen
4.2.5 Inhalte
4.2.6 Methoden und Medien
4.2.7 Evaluation
4.2.8 Partizipation
4.2.9 BNE in den Schulen
4.2.10 BNE an Hochschulen
4.2.11 BNE in der nonformalen Bildung
4.2.12 BNE-Whole-Institution-Approach (WIA)
4.2.13 Ausblick
4.3 Strategie für Bildung in einer digitalen Welt
Literatur
5 Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden
5.1 Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze
5.1.1 Interesse: Eine gegenstandsspezifische und entwicklungsfähige Variable im Lernprozess
5.1.2 Interesse an der Domäne „Geowissenschaften“ aus empirischer Sicht
5.1.3 Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten fördern
5.2 Schülervorstellungen
5.2.1 Schülervorstellungen – Grundlagen
5.2.2 Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Konstruktion geowissenschaftlicher Vorstellungen
5.2.3 Konkrete fehlerhafte Schülervorstellungen zu geowissenschaftlichen Sachverhalten
Literatur
6 Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung
6.1 Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes
6.1.1 Erkenntnisgewinnung
6.1.2 Kommunikation
6.1.3 Bewertung
6.1.4 Umgang mit Fachwissen: Basiskonzepte
6.2 Auswahl konkreter Fachinhalte
6.2.1 Didaktische Konzepte zur Auswahl geeigneter Beispiele
6.3 Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots
6.3.1 Ausgewählte Unterrichtsverfahren für geowissenschaftliche Lehre
6.3.2 Mit Methoden den Unterricht strukturieren
6.3.3 Wissen sichern, vernetzen und transferieren
6.3.4 Mechanisches Üben – Auswendiglernen
6.3.5 Metakognition
6.4 Darstellungsformate für systemische Beziehungen
6.4.1 Mind Maps
6.4.2 Concept Maps
6.4.3 Flussdiagramme
6.4.4 Ursache-Wirkungs-Diagramm/Wirkungsdiagramm/Wirkungsgefüge/Wirkgefüge
6.4.5 Vergleich der Darstellungsformate
6.5 Konkrete Methoden
6.5.1 Mystery
6.5.2 Storytelling
6.5.3 Methoden für geowissenschaftliche Bildung im Gelände: Geländearbeit und Feldforschung
6.5.4 Aufbau von Modellkompetenz im naturwissenschaftlichen Geographieunterricht: Modellieren geowissenschaftlicher Phänomene in einem Geowindow
Literatur
7 Earth Learning Ideas (ELI)
7.1 Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs) – praktische Aktivitäten für den geographisch-naturwissenschaftlichen Schulunterricht und darüber hinaus
7.1.1 Der Earth-Learning-Idea-Ansatz – Überblick
7.1.2 Mit einer ELI kritisches Denken fördern
7.1.3 Beispiel für die Kategorie „Grundfertigkeiten (basic skills)“
7.1.4 Beispiel für die Kategorie „Beobachtung (observation)“
7.1.5 Beispiel für die Kategorie „Veranschaulichung (illustration)“
7.1.6 Ein Beispiel für die Kategorie „Untersuchung (investigation)“
7.1.7 Ein Beispiel für die Kategorie „Modelle (models)“
7.1.8 Ein Beispiel für die Kategorie „Gedankenexperimente (thought experiment)“
7.1.9 ELI around the world
7.2 Kurze und effektive Fortbildungsworkshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie sowie für angehende Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst
7.2.1 Einzelheiten zu den Workshops
7.2.2 Evaluationsergebnisse
7.3 Diskussion
7.4 Schlussfolgerung
Literatur
8 Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule (RHS) in Schleswig-Holstein
8.1 Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule (RHS)
8.2 Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis
8.2.1 Einführung in die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als System
8.2.2 Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte
8.2.3 Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?
8.2.4 Reise eines Wassertropfens in Trappenkamp
8.2.5 Heiß-kalt, heiß-kalt … – Wie lange geht das schon so?
8.2.6 Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima?
8.3 Resümee und Ausblick
Literatur
9 International Earth Science Olympiad (IESO) – ein naturwissenschaftlicher Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II
9.1 Einleitung
9.1.1 Historischer Abriss
9.1.2 Schülerwettbewerbe in Deutschland
9.2 Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)
9.2.1 Delegationen zur Teilnahme an einer IESO
9.2.2 Ablauf einer IESO
9.2.3 Die Wettbewerbsinhalte einer IESO
9.2.4 Wettbewerbskategorien
9.2.5 Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs)
9.2.6 Spezifische Wettbewerbskategorien der Online-IESOs
9.3 Auswahl einer Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der IESO
Literatur
10 Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke
10.1 Mileko: Der Mineralogische Lehrkoffer
10.1.1 Beschreibung und Ziele des Projektes
10.1.2 Einsatzbereiche
10.1.3 Weiterentwicklung und Bezugsmöglichkeiten
10.2 Fachvorträge in der Schule – Rent a Prof
10.2.1 Erfahrungsbericht
10.3 Bildungsserver
10.3.1 Einleitung
10.3.2 Das „Bildungswiki Klimawandel“
10.3.3 Die Klimaplattform auf dem Hamburger Bildungsserver (HBS)
10.3.4 Wälder im Klimawandel – ein Beispiel
10.4 Erklärvideos in der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“
10.5 Urbane Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken
10.5.1 So wird’s gemacht
10.6 #Geologie-einfach-digital
10.6.1 Die Smartphone-App „OutcropWizard“
10.6.2 Das Projekt „30 Geotope3“
10.7 Plattform „Geowissenschaften in der Schule“ (GeoWidS)
Literatur
11 Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor
11.1 Lernort Natur
11.2 Lernort Museum
11.3 Lernort Schülerlabor – Forschung erleben
Literatur
12 Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst
12.1 Was ist diese Wissenschaftskommunikation?
12.2 Wer kommuniziert da eigentlich?
12.3 An mehreren Fronten gleichzeitig – wie Wissenschaftskommunikation funktioniert
12.4 Wege der Kommunikation
12.5 Medialisierung
12.6 Soziale Medien und die Macht der Lauten
12.7 Audiovisualität als Fluch und Segen – Sexy Science sells
12.8 Was bleibt nach der Informationsflut? Lernorte
12.9 Interkulturelle Wissenschaftskommunikation
Literatur
13 Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)
13.1 Ansatz und Konzept des Arbeitskreises
13.2 Werkzeuge zum Umsetzen der gesetzten Ziele
13.2.1 Aktivitäten in Deutschland
13.2.2 Internationale Vernetzung
13.3 Aktivitäten der Expeditionslehrkräfte
13.3.1 Teilnahmen seit 2007
13.4 Ergebnisse der Expeditionen
13.5 Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften
13.5.1 Expeditionsteilnahme Antarktis – Außerschulischer Lernort Museum
13.5.2 Expeditionsteilnahme bei MOSAiC (Arktis-Expedition 2019-2020): Ablauf und Arbeitsergebnisse
13.5.3 Expeditionsteilnahme und Publikationen
13.6 Expeditionsteilnahme und Fortbildungen für Lehrkräfte
13.7 Voraussetzungen und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele
13.7.1 Der Weg zum Polarlehrer
13.7.2 Zu überwindende Hürden
Literatur
14 Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften
14.1 Einleitung
14.1.1 Lehr(kompetenz)entwicklung in den Geowissenschaften
14.1.2 Konzeptionelle Perspektiven der Lehre in den Geowissenschaften
14.2 Theorien aus der Hochschuldidaktik
14.2.1 Übersicht über allgemeine Theorien aus der Hochschuldidaktik
14.2.2 Kompetenzbegriffe in der Hochschuldidaktik
14.3 Aufbau von Hochschuldidaktik-Zertifikaten
14.3.1 Lehren und Lernen
14.3.2 Lehrveranstaltungen planen und vorbereiten
14.3.3 Lehrveranstaltungen durchführen
14.3.4 Lehrveranstaltungen auswerten
14.3.5 Studierende beraten und prüfen
14.4 Analoge und digitale Lehrmethoden in den Geowissenschaften
14.4.1 Flipped Classroom
14.5 Zukünftige Entwicklung der Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften
Literatur
15 Geowissenschaftsdidaktische Forschung
15.1 Räumliches Denken in geowissenschaftlichen Kontexten
15.2 Digitale Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln – Videoanalysen zur Optimierung eines digital geführten Lernzirkels
15.3 Kompetenzbetrachtung im Umgang mit Systemen
Literatur
16 Die Evaluation von geowissenschaftlichem Unterricht
16.1 Einführung
16.2 Die Stufen einer Evaluation
Literatur

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Sylke Hlawatsch · Dirk Felzmann Hrsg.

Didaktik der Geowissenschaften Lehre an Schulen und an außerschulischen Lernorten

Didaktik der Geowissenschaften

Sylke Hlawatsch • Dirk Felzmann (Hrsg.)

Didaktik der Geowissenschaften Lehre an Schulen und an außerschulischen Lernorten

Hrsg. Sylke Hlawatsch Richard-Hallmann-Schule Trappenkamp Schleswig-Holstein, Deutschland

Dirk Felzmann RPTU Kaiserslautern-Landau Landau in der Pfalz, Deutschland

Die elektronische Version dieses Buchs enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7. ISBN 978-3-662-66353-0   ISBN  978-3-662-66354-7 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: Mats Paulat, für den abgebildeten Versuch sind im Schulunterricht Gaskartuschen mit Ventil zu verwenden. Planung/Lektorat: Simon Shah-Rohlfs Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort Die Menschheit steht heute vor der Herausforderung, globale Umweltveränderungen so zu beeinflussen, dass der Planet Erde als Lebensraum erhalten bleibt. Das Konzept der planetaren Grenzen (Rockström et al., 2009) zeigt eindrücklich, wie sehr menschliches Handeln bereits die Atmosphäre, den Ozean, die Biodiversität und die großen biogeochemischen Kreisläufe verändert hat und auf deren irreversible Schädigungen zuläuft. Die Ausrufung des Anthropozäns als eine neue geologische Epoche (Crutzen, 2002) verdeutlicht, dass sogar dann, wenn sich in naher Zukunft die Veränderung der Umwelt durch den Menschen positiv entwickeln würde, die aktuellen Prozesse aufgrund ihrer Dimensionen auf Jahrtausende und weltweit im Gestein dokumentiert bleiben werden – auch wenn die Festlegung des „Golden Spike“ dieser Epoche noch aussteht. Änderungen hin zu einem nachhaltigen Handeln, das diese planetaren Grenzen berücksichtigt und auf einen geringen Fußabdruck in geologischen Profilen zielt, setzen eine informierte Öffentlichkeit voraus, die notwendige politische Maßnahmen einfordert, mitträgt und kritisch begleitet. Hierfür ist ein Wissen nötig, zu dem die Geowissenschaften wesentlich beitragen. Ihr Forschungsgegenstand ist das System Erde, zu dem sie mithilfe naturwissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen Grundlagenwissen generieren, den Istzustand diagnostizieren und Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Viele der jungen Menschen, die heute ein großes Interesse an der „Umwelt“ zeigen und die sich hierfür auch gerne beruflich engagieren möchten, erkennen die Geowissenschaften jedoch nicht als Betätigungsfeld. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie in der Schule wenig thematisiert werden. Für die geowissenschaftliche Bildungslandschaft in Deutschland lässt sich ein Bild zeichnen, wie es in ähnlicher Weise der Leopoldina-Zukunftsreport Erdsystemwissenschaft (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022) für die geowissenschaftliche Forschungslandschaft skizzierte: Sie ist fragmentiert. Geowissenschaftliche Bildung findet schulisch und außerschulisch durch eine Vielzahl unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure statt, häufig getragen von einzelnen hochengagierten Personen. Übergeordnete Strukturen und übergeordnete didaktische Konzepte als wesentliche Garanten langfristig wirksamer Bildungsarbeit sind nach unserer Einschätzung aber wenig existent. Diese Ausgangslage war unser Ansporn für die Konzeption des vorliegenden Lehrbuches Didaktik der Geowissenschaften. Es gibt einen Überblick über praktische, theoretische und empirische Arbeit zu geowissenschaftlicher Bildung. Mit den Praxisbeispielen wollen wir die Vielfalt möglicher Vermittlungsformen aufzeigen und Interessierte zum Nachahmen anregen. Die hier präsentierte Auswahl ist zuerst Ausdruck unserer beiden Biografien (Geowissenschaft, Didaktik, Schulpraxis) und damit verbundener Tätigkeiten und Netzwerke. Wir danken den zahlreichen Autorinnen und Autoren für ihr Interesse an der Vermittlung der Geowissenschaften und für die bereitwillige Mitarbeit am vorliegenden Werk. Als Vertreterin bzw. Vertreter der Fachsektion Geodidaktik und Öffentlichkeitsarbeit (DGGV/HGD) wünschen wir uns, dass dieses Buch ein Kristallisationspunkt für eine Zusammenführung der Akteurinnen und Akteure, der Konzepte und Befunde in der deutschen geowissenschaftlichen Bildungsarbeit sein wird. Wichtig war uns in der Konzeption des Buches, die internationale Geowissenschaftsdidaktik den Akteurinnen und Akteuren in der deutschen geowissenschaftlichen Bildungsarbeit zugänglich zu machen. Schließlich liegt hier mit dem Earth System Education-Ansatz seit gut 30 Jahren ein übergeordnetes didaktisches Konzept vor, das als Leitidee geowissenschaftlicher Bildung fungieren und so verschiedene geowissenschaftliche Bildungsangebote stärker aufeinander beziehen kann. Mit dem Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ wurde dieser Ansatz zwischen 2000 und 2005 am Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) für den Schulunterricht in der Primar- und Sekundarstufe im deutschsprachigen Raum konkretisiert und weiterentwickelt. Das Buch versteht sich als ein Anknüpfen an dieses Projekt und als eine Weiterentwicklung mit Blick auf Sekundarstufe I. Entsprechend nimmt ein umfassend

VI

Vorwort

ausgearbeitetes Unterrichtskonzept für Sekundarstufe I einen zentralen Platz im Buch ein (7 Kap. 8). Dieses wurde an der Richard-Hallmann-Schule in Schleswig-Holstein entwickelt und erprobt. Die Schule beschreitet mit dem Wahlpflichtfach Geowissenschaften als angewandte Naturwissenschaften innovative Wege zur Stärkung des MINTUnterrichts in den Jahrgängen 7–10. Zwei Geowissenschaftsdidaktiker haben sehr wesentlich die internationale Geowissenschaftsdidaktik in den letzten 30 Jahren geprägt und auch wesentliche Spuren in der deutschen geowissenschaftlichen Bildungslandschaft hinterlassen: Prof. Nir Orion vom Weizman Institute of Science in Israel und Prof. Chris King von der Earth Science Education Unit der Keele University im Vereinigten Königreich. Beide haben Artikel zu diesem Buch beigetragen (7 Kap. 3 und 7). Chris King verstarb während der Erstellung dieses Buches. Wir möchten mit diesem Buch auch Chris Kings enorme Schaffenskraft würdigen, die immer auf eine internationale Zusammenarbeit im Feld der geowissenschaftlichen Bildung angelegt und schon früh im Sinne des Open-Educational-Resources-Ansatzes auf eine kostenfreie Zugänglichkeit geowissenschaftlicher Bildungsangebote ausgerichtet war. Sein Fehlen hinterlässt deshalb weltweit Lücken in der geowissenschaftlichen Bildungsarbeit. Und auch das weist Ähnlichkeiten zur aktuellen Diskussion im Rahmen des Leopoldina-Zukunftsreports Erdsystemwissenschaft auf: Geowissenschaftliche Bildungsarbeit berührt das schwierige Verhältnis zwischen Geographie und Geowissenschaften, in diesem Falle besonders bezüglich des Selbstverständnisses, der Funktion und der Leistungsfähigkeit des Schulfaches Geographie/Erdkunde. Im Laufe des Entstehungsprozesses dieses Buches führten unsere zwei unterschiedlichen biografischen Hintergründe und auch unsere unterschiedlichen Funktionen in der Fachsektion Geodidaktik, eben einmal von den Geowissenschaften und einmal von der Geographie kommend, häufig zu sehr grundsätzlichen Diskussionen und anschließenden Reflexionen über unsere unterschiedlichen Perspektiven. Als Ergebnis bleibt aber hier – wie auch in der Diskussion infolge des Leopoldina-Reports – zu konstatieren: Fachstrukturen haben keinen Wert an sich. Das macht gewachsene Strukturen noch lange nicht überflüssig, aber es relativiert manche Diskussionen und lenkt leichter den Blick auf die eigentlichen Ziele: gute Bildung zu geowissenschaftlichen Themen. Wir möchten uns ganz herzlich bedanken bei Isolde Bauer für die Erstellung zahlreicher Grafiken, bei Elena Redslob und Marion Groos für das Korrekturlesen. Bei der Schulleiterin Renate Holfter und dem Kollegium der Richard-Hallmann-Schule bedanken wir uns für die andauernde Unterstützung des geowissenschaftlichen Unterrichts, bei Lorenz Rahn, Hilke Wentzel-Trakowski und Stefanie Kock für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Entwicklung des schulinternen Fachcurriculums Geowissenschaften und bei Kirsten Düßler für die Erprobung der in 7 Kap. 8 vorgestellten Unterrichtspraxis. Dem Springer Verlag danken wir für die Bereitschaft mit einem ersten Lehrbuch Didaktik der Geowissenschaften einen wichtigen Impuls für die geowissenschaftliche Vermittlung in Deutschland zu legen. Sylke Hlawatsch und Dirk Felzmann

Kiel und Landau in der Pfalz im Januar 2023

Literatur Crutzen, P. J. (2002). Geology of mankind. Nature, 415, 23. Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (Hrsg.). (2022). Zukunftsreport Wissenschaft. Erdsystemwissenschaft: Forschung für eine Erde im Wandel Rockström, J., Steffen, W., Noone, K., Persson, Å., Chapin III, F. S., Lambin, E., et al. (2009). Planetary boundaries: exploring the safe operating space for humanity. Ecology and Society, 14(2), 1–33.

VII

Inhaltsverzeichnis 1

Fachwissenschaftliche Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Martin Meschede 1.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Der Planet Erde – ein sich ständig veränderndes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Das System Erde als Teil des Sonnensystems im Universum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Interagierende Sphären im System Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Der Bereich des Wassers – Hydrosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Der Bereich der Luft – Erdatmosphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Der Bereich der Gesteine – die feste Erde, Lithosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Der Bereich der Lebewesen – die Biosphäre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Rohstoffe im System Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungen im System Erde und ihre Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation. 1.5 1.5.1 Natürliche Geogefahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Auswirkungen von Naturereignissen auf die geschichtliche Entwicklung der Menschheit. 1.5.3 Das Anthropozän als jüngstes Erdzeitalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Erkundung des Systems Erde mithilfe von Feld- und Laborarbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

2 2 3 4 7 7 8 9 20 24 26 27 27 28 29 30

Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

2.1 Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Allgemeine Didaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Fachdidaktik als eigene wissenschaftliche Disziplin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Akteurinnen und Akteure in Bildungspolitik und Bildungsverwaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Akteurinnen und Akteure in den Bildungswissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Schulbuchverlage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Geologische Landesämter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Akteure und Akteurinnen an geowissenschaftlichen Forschungsinstituten, Schülerlaboren und Museen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Akteurinnen und Akteure in Geoparks. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.7 Akteurinnen und Akteure in Fachgesellschaften und Verbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Geowissenschaften – die interdisziplinäre naturwissenschaftliche Erforschung der Erde als Gesamtsystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Geoscience Education. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Earth Systems Education im deutschen Schulunterricht – das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Einzelfachliche Entwicklungen in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Die aktuelle Situation geowissenschaftlicher Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

32 32 33 37 38 39 39 39 40 40 40 46 46 47 52 57 62 62 64 67

Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education . . . . . . . 71 Nir Orion (Übersetzung: Dirk Felzmann und Isolde Bauer)

3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Environmental insight. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Systemdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Forschung zum Systemdenken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das mehrschichtige Systems Thinking Hierarchical-Modell (STH-Modell) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 73 73 73 74

VIII

Inhaltsverzeichnis

3.4 Die Lernumgebung im Freien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die emotional-soziale Komponente und die Theorie des learning instinct. . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Emotionale Aspekte des Lernens in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Die Theorie des learning instinct. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Wo sich das Professionsverständnis wandelt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Eine bedenkliche Kluft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

77 79 79 80 80 81 82 83

Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlungvon geowissenschaftlichen Sachverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Alexander Kauertz, Dirk Felzmann, Ingrid Hemmer, Sylke Hlawatsch

4.1 Bildungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Naturwissenschaftliche Grundbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Die Struktur der Bildungsstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Naturwissenschaftliche Bildung und Tests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Grenzen der Operationalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Naturwissenschaftlicher Unterricht – ein Blick ins Fach oder auf das Fach? . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Naturwissenschaftliche Bildung als Teil allgemeiner Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Was ist BNE? – Entstehung und Begriffsklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Faktoren eines BNE-Bildungsangebotes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Lernvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Ziele und Kompetenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Methoden und Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Partizipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 BNE in den Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.10 BNE an Hochschulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.11 BNE in der nonformalen Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.12 BNE-Whole-Institution-Approach (WIA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.13 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Strategie für Bildung in einer digitalen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

86 86 86 89 89 90 90 92 92 93 94 94 95 95 96 96 96 96 97 97 98 98 101

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Martin Xaver Müller, Dirk Felzmann

5.1 Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze . . . . . . . 5.1.1 Interesse: Eine gegenstandsspezifische und entwicklungsfähige Variable im Lernprozess. 5.1.2 Interesse an der Domäne „Geowissenschaften“ aus empirischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten fördern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Schülervorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Schülervorstellungen – Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Konstruktion geowissenschaftlicher Vorstellungen. 5.2.3 Konkrete fehlerhafte Schülervorstellungen zu geowissenschaftlichen Sachverhalten. . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

106 106 108 109 111 111 117 120 124

Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch, Dominik Conrad, Gregor C. Falk, Mathias Faller

Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Erkenntnisgewinnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Bewertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.4 Umgang mit Fachwissen: Basiskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1

130 130 131 132 133

Inhaltsverzeichnis

IX

6.2 Auswahl konkreter Fachinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Didaktische Konzepte zur Auswahl geeigneter Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Ausgewählte Unterrichtsverfahren für geowissenschaftliche Lehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Mit Methoden den Unterricht strukturieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Wissen sichern, vernetzen und transferieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Mechanisches Üben – Auswendiglernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Metakognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Darstellungsformate für systemische Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Mind Maps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Concept Maps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Flussdiagramme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Ursache-Wirkungs-Diagramm/Wirkungsdiagramm/Wirkungsgefüge/Wirkgefüge . . . . . . . . 6.4.5 Vergleich der Darstellungsformate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Konkrete Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.1 Mystery . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.2 Storytelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.5.3 Methoden für geowissenschaftliche Bildung im Gelände: Geländearbeit und Feldforschung. 6.5.4 Aufbau von Modellkompetenz im naturwissenschaftlichen Geographieunterricht: Modellieren geowissenschaftlicher Phänomene in einem Geowindow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

135 135 137 138 139 141 142 142 142 143 143 144 144 145 146 146 147 148 150 153

Earth Learning Ideas (ELI) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Chris King (Übersetzung: Sylke Hlawatsch)

Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)– praktische Aktivitäten für den geographisch-naturwissenschaftlichen Schul­unterricht und darüber hinaus . . . . . . . . . . 7.1.1 Der Earth-Learning-Idea-Ansatz – Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Mit einer ELI kritisches Denken fördern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Beispiel für die Kategorie „Grundfertigkeiten (basic skills)“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Beispiel für die Kategorie „Beobachtung (observation)“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Beispiel für die Kategorie „Veranschaulichung (illustration)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.6 Ein Beispiel für die Kategorie „Untersuchung (investigation)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.7 Ein Beispiel für die Kategorie „Modelle (models)“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.8 Ein Beispiel für die Kategorie „Gedankenexperimente (thought experiment)“. . . . . . . . . . . . . . 7.1.9 ELI around the world. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Kurze und effektive Fortbildungs­workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographiesowie für angehende Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst. . . . . . . . . 7.2.1 Einzelheiten zu den Workshops . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Evaluationsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Schlussfolgerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

8

156 157 158 158 158 158 160 161 162 163 163 164 166 169 170 171

Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule (RHS) in Schleswig-Holstein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sylke Hlawatsch

8.1 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4 8.2.5 8.2.6 8.3

Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule (RHS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung in die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als System. . . . . . . . . . . . . . . Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reise eines Wassertropfens in Trappenkamp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heiß-kalt, heiß-kalt … – Wie lange geht das schon so?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Resümee und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 182 183 191 206 216 224 230 236 238

X

Inhaltsverzeichnis

9

International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerbfür Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II. . . . . . . . . . . . . . 241 Sylke Hlawatsch

9.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Schülerwettbewerbe in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO) . . . . . . . . 9.2.1 Delegationen zur Teilnahme an einer IESO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Ablauf einer IESO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Die Wettbewerbsinhalte einer IESO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Wettbewerbskategorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.5 Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.6 Spezifische Wettbewerbskategorien der Online-IESOs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl einer Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der IESO. 9.3 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

242 242 242 244 245 245 245 248 250 251 252 253

Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Maria Mrosko, Sylke Hlawatsch, Dieter Kasang, Martin Meschede, Yamirka Rojas-Agramonte, Christian Winter, Germaine Damm, Peter Appel, Gösta Hoffmann, Edouard Grigowski, Valeska Decker, Tamara Fahry Seelig.

10.1 Mileko: Der Mineralogische Lehrkoffer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Beschreibung und Ziele des Projektes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Einsatzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Weiterentwicklung und Bezugsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Fachvorträge in der Schule – Rent a Prof. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Erfahrungsbericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Bildungsserver . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Das „Bildungswiki Klimawandel“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.3 Die Klimaplattform auf dem Hamburger Bildungsserver (HBS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.4 Wälder im Klimawandel – ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Erklärvideos in der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Urbane Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.1 So wird’s gemacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 #Geologie-einfach-digital. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1 Die Smartphone-App „OutcropWizard“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Das Projekt „30 Geotope3“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Plattform „Geowissenschaften in der Schule“ (GeoWidS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

256 256 256 258 258 258 260 260 260 262 265 267 268 269 272 273 273 275 276

Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Ingrid Hemmer, Tobias Fischer, Mariam El Hourani, Marie-Luise Frey, Chriostine Hogefeld, Pascal Schmitz, Klaudia Wolf, Gilla Simon, Andrea Koch-Hillmaier, Dorothée Kleinschrot, Kristina Riemenschneider, Sven Hille, Joachim Dengg, Marion Kanwischer, Una Reck, Sylke Hlawatsch, Barbara Hentzsch, Kristin Beck

11.1 11.2 11.3

Lernort Natur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernort Museum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernort Schülerlabor – Forschung erleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278 297 310 322

Inhaltsverzeichnis

12

XI

Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Simon Schneider

12.1 Was ist diese Wissenschaftskommunikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Wer kommuniziert da eigentlich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 An mehreren Fronten gleichzeitig – wie Wissenschaftskommunikation funktioniert. . . 12.4 Wege der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Medialisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Soziale Medien und die Macht der Lauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.7 Audiovisualität als Fluch und Segen – Sexy Science sells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.8 Was bleibt nach der Informationsflut? Lernorte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.9 Interkulturelle Wissenschaftskommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

326 327 328 330 330 332 333 335 335 337

Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Rainer Lehmann, Monika Kallfelz, Friederike Krüger

Ansatz und Konzept des Arbeitskreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Werkzeuge zum Umsetzen der gesetzten Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivitäten in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internationale Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktivitäten der Expeditionslehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teilnahmen seit 2007. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Expeditionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expeditionsteilnahme Antarktis – Außerschulischer Lernort Museum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Expeditionsteilnahme bei MOSAiC (Arktis-Expedition 2019-2020): Ablauf und Arbeitsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.3 Expeditionsteilnahme und Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.6 Expeditionsteilnahme und Fortbildungen für Lehrkräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7 Voraussetzungen und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele. . . . . . . . . 13.7.1 Der Weg zum Polarlehrer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.7.2 Zu überwindende Hürden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1 13.2 13.2.1 13.2.2 13.3 13.3.1 13.4 13.5 13.5.1 13.5.2

14

340 341 341 342 342 342 344 344 344 349 356 360 361 361 363 365

Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Malte Junge, Silke Weiß, Donja Aßbichler, Johannes Miocic

14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Lehr(kompetenz)entwicklung in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.2 Konzeptionelle Perspektiven der Lehre in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Theorien aus der Hochschuldidaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Übersicht über allgemeine Theorien aus der Hochschuldidaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Kompetenzbegriffe in der Hochschuldidaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Aufbau von Hochschuldidaktik-Zertifikaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Lehren und Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Lehrveranstaltungen planen und vorbereiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Lehrveranstaltungen durchführen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.4 Lehrveranstaltungen auswerten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.5 Studierende beraten und prüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Analoge und digitale Lehrmethoden in den Geowissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Flipped Classroom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.5 Zukünftige Entwicklung der Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften. . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

368 368 369 369 370 370 371 371 371 372 372 372 372 372 374 374

XII

15

Inhaltsverzeichnis

Geowissenschaftsdidaktische Forschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Dirk Felzmann, Sascha Henninger, Tanja Kaiser, Maike Sauer, Alexander Kauertz, Sandra Nitz

15.1 15.2 15.3

16

Räumliches Denken in geowissenschaftlichen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln– Videoanalysen zur Optimierung eines digital geführten Lernzirkels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzbetrachtung im Umgang mit Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

378 379 390 396

Die Evaluation von geowissenschaftlichem Unterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Markus Lücken

16.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 16.2 Die Stufen einer Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410

XIII

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen) Aßbichler, Donjá  studierte Angewandte Mineralogie an der Paris-Lodron-Universität Salzburg (BSc) und Erdwissenschaften an der Karl-Franzens-Universität Graz und Technischen Universität Graz (MSc). Anschließend promovierte sie am Mineralogischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität. Seit 2016 ist sie am Lehrstuhl für Geologie der Ludwig-Maximilians-Universität als Wissenschaftlerin tätig und leitet dort das Geologische Laboratorium. Seit 2021 ist sie dort als Akademische Rätin tätig. Ab 2018 entwickelte und leitet sie zudem das E-Learning Projekt GEOWiki@LMU. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Petrologie, insbesondere Fluid-Gesteins-Wechselwirkung und Elementmobilisierung, sowie in der Umweltgeologie. E-Mail: [email protected] Appel, Peter  hat Chemie, Geologie und Geophysik in Marburg und an der Freien Universität Berlin studiert. Nach dem Diplom in Geologie promovierte er 1996 mit einer petrologischen Arbeit über das panafrikanische Orogen in Tansania. Heute ist er als Akademischer Rat an der Universität Kiel Laborleiter für Mikrosonde und Röntgenfluoreszenzanalytik. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die metamorphe Petrologie. E-Mail: [email protected] Beck, Kristin   studierte Biologie an den Universitäten Kaiserslautern und Oldenburg. Im Anschluss forschte sie am Plöner Max-Planck-Institut für Limnologie (MPI für Evolutionsbiologie) zum Einfluss der Störungshäufigkeit auf die Artenvielfalt und promovierte dazu im Jahr 2000 an der Universität Kiel. Nach einer journalistischen Zusatzausbildung arbeitete sie an verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Aktuell ist sie Pressereferentin am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). E-Mail: [email protected] Conrad, Dominik  hat Geographie, Mathematik und Biologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg studiert. Nach seinem Referendariat am Bildungszentrum Bonndorf promovierte er 2014 an der Universität Bayreuth zum Thema „Didaktische Rekonstruktion der Plattentektonik“. Derzeit ist er als Akademischer Oberrat an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg tätig. E-Mail: [email protected] Damm, Germaine  studierte Geowissenschaften (BSc) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und war seit März 2020 als Hilfswissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe für Petrologie und Geodynamik tätig. Im Herbst 2022 startete sie ihr Geology-Studium (MSc) mit dem Schwerpunkt „Bedrock Geology“ an der Universität Lund. Decker, Valeska  studierte Geowissenschaften an der Universität Bonn mit dem Schwerpunkt „Rekonstruktion von Paläo-Umwelträumen“. Aktuell promoviert sie an der RWTH Aachen zum Thema „Klima- und Meeresspiegelveränderungen der letzten 10.000 Jahre im Oman“. Begleitend betreut sie mehrere Exkursionen und die Öffentlichkeitsarbeitsprojekte OutcropWizard sowie 30 Geotope3. E-Mail: [email protected] Dengg, Joachim  studierte Physikalische Ozeanographie an der Christian-Albrechts-­Universität zu Kiel und promovierte 1993 am Institut für Meereskunde in Kiel im Bereich der Ozeanmodellierung. Nach Postdoc-Aufenthalten an der Universität Princeton und am AWI Bremerhaven kehrte er 1998 nach Kiel zurück, wo er seit 2004 die Schulprogramme des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung konzipiert und koordiniert. Seit 2015 übt er das Amt des Sprechers des Netzwerkes der Schülerlabore in der Helmholtz-Gemeinschaft aus. E-Mail: [email protected] El Hourani, Mariam  studierte Umweltnaturwissenschaften und Umwelthydrologie (BSc) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Anschließend spezialisierte sie sich durch den Master

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Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

„Boden, Gewässer, Altlasten“ an der Universität und der Hochschule Osnabrück im Bereich Bodennutzung und Bodenschutz, zu dem auch Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit gehörten. Im Anschluss arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück u. a. in der Lehre. Seit 2021 ist sie beim Natur- und UNESCO Geopark TERRA.vita BNE-Koordinatorin. E-Mail: [email protected] Fahry-Seelig, Tamara  studierte Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Umweltpolitik an der Universität Mainz. Nach Konzeption und Aufbau der Wasseragentur Hessen bei der Wirtschaftsförderung Hessen hat sie die Geschäftsführung der GeoAgentur Berlin Brandenburg übernommen. Im Anschluss hat sie in der Geschäftsführung des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler (BDG) mitgewirkt bevor sie 2020 die Geschäftsführung des Dachverbandes der Geowissenschaften (DVGeo) übernommen hat. E-Mail: [email protected] Falk, Gregor C.  widmete sich – nach seinem Lehramtsstudium der Geographie, Anglistik und Politik an der Technischen Universität Berlin – in seiner Promotion der nacheiszeitlichen Entwicklung der deutschen Nordseeküste. Nach dem Referendariat und einer Assistenzzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin wechselte er an die Pädagogische Hochschule nach Freiburg, wo er seit 2005 die Professur für Physische Geographie und Didaktik innehat. Neben didaktischen Themen stehen insbesondere Fragen zum Klima- und Landnutzungswandel im Vordergrund seiner Forschungsaktivitäten. Er ist Dekan der Fakultät für Mathematik, Naturwissenschaften und Technik sowie Vizepräsident der GeoUnion Alfred-Wegener-Stiftung. Faller, Mathias  hat Geologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg studiert. Fernerkundung und Biodiversität in marinen Habitaten wurden hier zum Schwerpunkt gewählt. An der Pädagogischen Hochschule Freiburg entwickelte er das Geowindow. Seit 2016 unterstützt er innerhalb der Geowissenschaften den Bildungsbereich mit analogen Modellierungen. Fischer, Tobias  studierte Geowissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promovierte im Jahr 2018 am Institut für Geowissenschaften der Universität Heidelberg. Seit 2018 ist er als Geologe für den Natur- und UNESCO Geopark TERRA.vita im Bereich Geologie und Erdgeschichte tätig. Er leitet Umweltbildungsprojekte und ist für das Geotopmanagement des Geoparks zuständig. E-Mail: [email protected] Frey, Marie-Luise  war nach dem Studium der Geologie/Paläontologie zunächst Wissenschaftliche Angestellte an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Konzipierung und Umsetzung des Geoparks Gerolstein/Vulkaneifel bei der Verbandsgemeinde Gerolstein (Vulkaneifel) erfolgten 1992–1997. Im Jahr 1995 promovierte sie zum Dr. rer. nat. mit einem angewandten Thema. Sie führt die Geschäfte der Welterbe Grube Messel gGmbH seit 2003. Ihr Engagement reicht von der Gründung des Berufsverbandes Deutscher Geowissenschaftler 1984 und des Europäischen Geoparks Netzwerkes im Jahr 2000 über die Gründung des Globalen Geoparks Netzwerks (GGN) im Jahr 2004 und der Mitgliedschaft im Bureau des GGN zur, von den Mitgliedern gewählten, Vertretung im Executive Board des GGN. Im Global Geoparks Council der UNESCO ist sie seit September 2020 bestelltes Mitglied. Sie engagiert sich in mehreren Arbeitsgruppen des GGN zu den Themen „Public Outreach“, „Geo-Education“, „Geotourismus“ und „Sustainable Development“ im Sinne des IGGP-Programms der UNESCO. E-Mail: [email protected] Grigowski, Edouard  studierte Geowissenschaften mit den Schwerpunkten Sedimentologie und Sedimentgeochemie an der Universität Bonn und promoviert zurzeit über die Ablagerungsbedingungen deutscher und spanischer Dachschieferlagerstätten. Zwischen Master und Promotion arbeitete er am Institut für Geowissenschaften in Bonn als Dozent und entwickelte die App OutcropWizard. Seit 2020 koordiniert er das Öffentlichkeitsarbeitsprojekt 30 Geotope3. E-Mail: [email protected]

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

XV

Hemmer, Ingrid  war nach dem Studium (Geographie, Deutsch) zunächst als Lehrerin, dann nach weiteren Abschlüssen (Promotion, Habilitation), seit 1991 bis 2020 als Professorin für Geographiedidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt tätig. Sie engagierte sich viele Jahre als Vorsitzende des Hochschulverbandes für Geographiedidaktik (HGD), als Ko-Leiterin der Sektion Geodidaktik und als Nachhaltigkeitsbeauftragte ihrer Universität. Aktuell ist sie in mehreren Verbänden und Initiativen in den Kontexten von Geographie(didaktik) und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) tätig. E-Mail: [email protected] Henninger, Sascha  hat an der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, die Fächer Geographie, Politik- und Sportwissenschaften studiert (Abschluss Magister Artium) und war nach dem Studium von 2002 bis 2005 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, Campus Essen, tätig und hat dort am Fachbereich Biologie und Geographie promoviert. Von 2005 bis 2009 war er als Lehrkraft am Staatlichen Goethe-Gymnasium Bad Ems beschäftigt. Seit seiner Ruferteilung im März 2009 leitet er das Lehr- und Forschungsgebiet Physische Geographie und Fachdidaktik an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (ehemals Technische Universität Kaiserslautern). Hentzsch, Barbara  studierte Geologie an der Universität zu Köln, wo sie im Anschluss promovierte. Seit 1992 ist sie u. a. für Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) zuständig. Hille, Sven  studierte Biologie und Geographie an der Universität Greifswald und arbeitete im Anschluss am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) als Doktorand an einem geochemischen Thema. 2005 promovierte er mit diesem Thema im Fach Meeresbiologie an der Universität Rostock. Nach einigen Jahren Postdoc wechselte er am IOW in den Bereich Wissenstransfer und koordiniert dort schwerpunktmäßig Projekte an der Schnittstelle Wissenschaft–Schule. E-Mail: [email protected] Hoffmann, Gösta  studierte und promovierte an der Universität Greifswald. Von 2005 bis 2007 war er als Postdoc an der Universität Utrecht in den Niederlanden tätig. 2007 wechselte er an die RWTH Aachen. Im Zeitraum 2008–2016 war er am Aufbau des Department of Applied Geosciences an der German University of Technology in Oman beschäftigt. Er habilitierte 2016 an der RWTH Aachen und übernahm im selben Jahr die Vertretungsprofessur für Allgemeine Geologie an der Universität Bonn. Seit 2022 leitet er die Beratungsstelle Geoparks der Deutschen UNESCO-Kommission. E-Mail: [email protected] Hogefeld, Christine  studierte an der Justus-Liebig-Universität, Gießen, Biologie (Diplom). Nach ihrer Mitwirkung in einer Beratungsgesellschaft im Rahmen der Entwicklungshilfe arbeitet sie seit 2009 als Tourbegleiterin für Personen jeglichen Alters im UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel. Überdies konzipiert sie neue didaktische Programme und führt sie ggf. auch durch. E-Mail: [email protected] Junge, Malte  studierte Geowissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (BSc) und an der Universität Utrecht (MSc). Nach seiner Promotion in Hannover war er von 2017 bis 2020 als Akademischer Rat an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg beschäftigt. Seit 2020 arbeitet er als Kurator an der Mineralogischen Staatssammlung München und dem Museum Mineralogia München, wo er unterschiedliche museumsdidaktische Programme konzipiert und durchführt. Zusätzlich ist er als Dozent an der Leibniz-Universität Hannover und der Ludwig-Maximilians-Universität München in der Hochschullehre tätig. E-Mail: [email protected] Kaiser, Tanja  studierte (Bio‑)Geographie an der Universität des Saarlandes und an der University of Wollongong (Australien). Nach ihrer Mitwirkung am Institut für Landeskunde im Saarland e. V. und begleitender freiberuflicher Tätigkeit als Umweltpädagogin verstärkt sie seit 2014 das Lehrgebiet Physische Geographie und Fachdidaktik der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern Landau (ehemals TU Kaiserslautern). Hier konnte

XVI

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

sie 2019 ihre Promotion zu digitalen Medien in interdisziplinären Lehr-Lern-Umgebungen abschließen. E-Mail: [email protected] Kallfelz, Monika  studierte Biologie und Chemie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Diplomarbeit fertigte sie in der Biologischen Anstalt Helgoland (heute Teil des Alfred-Wegener-Instituts) zu einem meeresökologischen Thema an. Als Gymnasiallehrerin in Rheinland-Pfalz wirkte sie über den Unterricht hinaus an Lehrplänen für die Sekundarstufen I und II mit, qualifizierte sich zur Beraterin für Unterrichtsentwicklung in den Naturwissenschaften, gestaltete Handreichungen zu den Lehrplänen und zahlreiche Lehrerfortbildungen mit, koordinierte ein Schulset im Projekt „Chemie im Kontext“ (ChiK), war Schulbuchautorin und Mitherausgeberin der Zeitschrift Biologie 5–10. Im Rahmen einer mehrjährigen Abordnung im Bereich Museumspädagogik engagierte sie sich im Arbeitskreis Polarlehrer in der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung und begleitete den deutschen Eisbrecher Polarstern bei einer Forschungs- und Versorgungsfahrt zur Neumayer-Station in der Antarktis. Die Expeditionseindrücke und -erfahrungen arbeitete sie vielfältig auf. Seit August 2022 ist sie im Ruhestand. E-Mail: [email protected] Kanwischer, Marion  hat Biotechnologie an der Technischen Universität Berlin studiert und promovierte am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam. Heute forscht sie am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), Abteilung Meereschemie, im Bereich organischer Spurenstoffe und betreut das Ostseemonitoring in Bezug auf organische Schadstoffe. Sie leitet das Labor Organische Stoffe sowie den akkreditierten Bereich des Institutes. Die Entwicklung neuer Verfahren zum Nachweis organischer Spurenstoffe in der marinen Umwelt ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit. E-Mail: [email protected] Kasang, Dieter  hat Literaturwissenschaft, Geographie und Philosophie an den Universitäten Hamburg und Wien studiert und war anschließend als Lektor für Deutsch an der Universität Uppsala tätig. Nach der Promotion in Literaturwissenschaft arbeitetete er als Gymnasiallehrer in Hamburg und war Mitgründer des Hamburger Bildungsservers und späterer Leiter der Klimaportale des Hamburger und des Deutschen Bildungsservers. Als Gast des Deutschen Klimarechenzentrums leitete er ein langjähriges Kooperationsprojekt zwischen der Hamburger Klimaforschung und Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein. Parallel war Dieter Kasang als Dozent an der Leuphana Universität Lüneburg (Umweltwissenschaften) tätig und ist (Mit-) Herausgeber und -Autor zahlreicher Bücher und Zeitschriftenartikel zum Klimawandel. Kauertz, Alexander  hat die Fächer Physik und Mathematik auf gymnasiales Lehramt an der Universität Dortmund studiert und war anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. H. E. Fischer (Physikdidaktik) an der Universität Duisburg-Essen. Dort promovierte er 2007 zu schwierigkeitserzeugenden Merkmalen physikalischer Leistungstestaufgaben. Von 2009 bis 2012 war er Professor für naturwissenschaftliches Lernen mit Schwerpunkt Physik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten. Seit 2012 ist er Professor für Physikdidaktik am Campus Landau (ehemals Universität Koblenz-Landau, jetzt RPTU Kaiserslautern-Landau). E-Mail: [email protected] King, Chris (1946–2022)  war nach einem Studium der Geologie an der Bristol University fünf Jahre als Diamanten Prospektor in Südafrika, Eswatini und Australien tätig. Nach weiteren Abschlüssen an der Keele University arbeitete er 19 Jahre lang als Geologielehrer an einer Jungenschule. 1996 kehrte er an die Keele University als Lehrerfortbildner zurück, wurde dort Direktor für die Earth Science Education Unit (ESEU) und 2006 zum Professor für Geowissenschaftsdidaktik berufen (em. 2015). Chris war Mitbegründer und erster Vorsitzender der International Geoscience Education Organisation (IGEO), Initiator der Initiative Earth Learning Ideas (ELI) und aktives Mitglied der Earth Science Teacher Association (ESTA), der IGEO und zuletzt Vizevorsitzender der Geological Sciences Commission on Geoscience Education (IUGS-COGE). 2003 erhielt er von der Geological Society (London) den Distinguish Service Award und 2011 die Halstead Medal für herausragende Leistungen, die Ziele der Geological Association und Geologie zu fördern.

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

XVII

Kleinschrot, Dorothée  studierte Geologie und Mineralogie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der Georg-August-Universität Göttingen. Seit 2009 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Geodynamik und Geomaterialforschung an der Universität Würzburg. Sie ist Dozentin in der Hochschullehre für Bachelor- und Lehramtsstudierende und Kustodin des Mineralogischen Museums. Der Aufgabenbereich umfasst die Betreuung der Mineralogischen Sammlung, die Konzeption und Gestaltung von Ausstellungen und Veranstaltungen und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit sowie das Erstellen von museumpädagogischen Konzepten. Koch-Hillmaier, Andrea  studierte Geologie/Paläontologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit 1997 ist sie in der Kinder- und Erwachsenenbildung im Museum tätig. Sie war mit der Planung, Organisation, Konzeption und Durchführung zahlreicher Veranstaltungen in naturwissenschaftlichen Museen und Ausstellungen betraut. Zudem war sie Interimsleiterin der Abteilung Museumspädagogik am Museum Mensch und Natur. Seit Sommer 2021 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museumspädagogischen Zentrum München und ist hier für die Vermittlungsformate im Geologischen Museum und Paläontologischen Museum zuständig. Krüger, Friederike  studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Geographie und Deutsch auf Gymnasiales Lehramt und arbeitete in ihrer Examensarbeit zum Gletscherschwund weltweit. Als Polarlehrerin nahm sie 2019 sechs Wochen an der MOSAiC-Expedition teil, um anschließend Unterrichtsmaterialien zu erstellen, eine Dokumentation zu produzieren und mit Einrichtungen aller Art zu kooperieren. Sie arbeitet seit 2019 als Lehrerin in Hannover und hält bis heute an Schulen und bildungsnahen Einrichtungen Vorträge zum Klimawandel in der Arktis und der MOSAiC-Expedition. E-Mail: [email protected] Lehmann, Rainer  studierte an der Universität Heidelberg die Fächer Geographie, Geologie und Biologie. Die Forschungsarbeiten für seine Dissertation wurden in Griechenland durchgeführt; er promovierte an der Universität Basel. Mehrere Expeditionen führten ihn sowohl in die Arktis als auch in die Antarktis. Nach drei Jahren Tätigkeit als Gutachter in der Altlastenbranche wechselte er in den Schuldienst und führte zahlreiche Projekte mit wissenschaftlicher Kooperation für Schüler und Schülerinnen zu den Themen „Polargebiete“, „Klimawandel“ und „Geoökologie“ durch. Er war langjähriger Lehrbeauftragter am Institut für Bodenkunde der Universität Hamburg. Im Internationalen Polarjahr 2007/08 initiierte er das bundesweite Projekt „Coole Klassen“ und leitet seit 2008 den Arbeitskreis Polarlehrer der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP). Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Flensburg im Fachbereich Physische Geographie mit Schwerpunkt Geomorphologie, wo er auch für die Ausbildung von Lehramtsstudierenden zuständig ist. Lücken, Markus  hat nach seinem Psychologiestudium in der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Evaluation an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Nach seiner Promotion war er am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) mit der Evaluation der Projekte „System Erde“, „Biologie im Kontext“ und „alles»könner“ betraut. Seit 2011 ist er am Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung in Hamburg (IfBQ) im Referat Kompetenzmessung und Evaluation beschäftigt, wo er 2020 die Leitung des Referates übernommen hat. Meschede, Martin  ist seit 2001 Professor für Regionale und Strukturgeologie an der Universität Greifswald. Er beschäftigt sich vorwiegend mit plattentektonischen Themen, der marinen Geologie, Geodynamik, Strukturgeologie und regionaler Geologie Mittelamerikas und des Ostpazifikraumes sowie des nördlichen Mitteleuropas. Er nahm an mehreren Expeditionen mit Forschungsschiffen wie z. B. der Polarstern teil. Er hat zahlreiche Bücher publiziert, darunter ein Lehrbuch zur Geologie Deutschlands und zusammen mit Wolfgang Frisch das inzwischen zum Standardwerk gewordene Lehrbuch zur Plattentektonik.

XVIII

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

Miocic, Johannes  hat an der Universität Jena Geowissenschaften (Dipl.) studiert und anschließend im Bereich Geologie an der Universität Edinburgh promoviert. Zwischen 2017 und 2020 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent an der Universität Freiburg beschäftigt. Seit 2021 ist er Assistant Professor für Geoenergien an der Universität Groningen, wo er an der Untergrundnutzung im Rahmen der Energiewende forscht. Mrosko, Maria  studierte Angewandte Geoingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Berlin und schloss vertiefend in Experimenteller Mineralogie ab. Im Anschluss promovierte sie am Helmholtz-Zentrum Potsdam über den Einfluss von Wasser auf Mineralstabilitäten im Erdmantel. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit im Bereich Projektadministration an den Universitäten in Manchester und Oxford (UK), koordiniert sie seit 2016 das Schulprojekt Mineralogischer Lehrkoffer der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft. In diesem Rahmen veranstaltet sie geowissenschaftliche Workshops für Kinder und Jugendliche sowie Fortbildungen für Lehrerkräfte. Müller, Martin Xaver  hat Lehramt Gymnasium studiert und ist nach fünf Jahren im Schuldienst an den Lehrstuhl für Didaktik der Geographie an der Uni Augsburg gewechselt. Hier promovierte er über die Förderung von Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten und ist seit 2012 als Lehrkraft für besondere Aufgaben tätig. E-Mail: [email protected] Nitz, Sandra  hat die Fächer Biologie und Chemie auf gymnasiales Lehramt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel studiert und war anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Didaktik der Biologie am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN). Nach ihrer Promotion zur Fachsprache im Biologieunterricht wechselte sie an die Humboldt-Universität. Seit 2015 ist sie Professorin für Biologiedidaktik an der Universität Koblenz-Landau, mittlerweile RPTU Kaiserslautern-Landau. E-Mail: [email protected]. Orion, Nir  erwarb nach einem Geologie- und Biologiestudium (BSc) weitere Abschlüsse in Science Education (MSc, PhD). Sein Tätigkeitsfeld ist Geowissenschaftsdidaktik mit Fokus auf Lehr-Lernforschung und Entwicklung für Earth Systems Education in Schule und Lehrerbildung, Outdoors Learning Environment und Deep Time Perception. Seit 1996 leitet er am Department for Science Teaching am Weizmann Institute for Science (Israel) die Earth and Environmental Science Group, seit 2000 als Professor. Er ist von 2022 bis 2026 Vorsitzender der International Geoscience Education Organisation (IGEO). E-Mail: [email protected] Reck, Una  hat Synthesechemie an der Universität Rostock studiert und mit einem Diplom auf dem Fachgebiet Ökologische Chemie abgeschlossen. Heute ist sie als Managementbeauftragte verantwortlich für den akkreditierten Bereich des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). Außerdem ist sie Fachkraft für Arbeitssicherheit und Gefahrstoffbeauftragte des IOW. E-Mail: [email protected] Riemenschneider, Kristina  studierte Chemie und Deutsch auf Lehramt und erwarb nach einem einjährigen Auslandsaufenthalt in Nordirland 2005 das Erste und 2007 das Zweite Staatsexamen. Sie promovierte 2013 am Institut für Chemiedidaktik in Rostock. Diese Promotion basierte auf der engen Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW). Seit 2013 arbeitet sie als Lehrerin. E-Mail: [email protected] Rojas-Agramonte, Yamirka  schloss ihr Studium als Ingenieurgeologin in Kuba (Universität Pinar del Rio) ab und promovierte 2003 an der Universität Salzburg, bevor sie als Humboldt-Stipendiatin nach Mainz ging. Seit Februar 2020 ist sie an der Universität Kiel tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Geochemie und der magmatischen Prozesse. Darüber hinaus kombiniert sie detaillierte Feldarbeit und petrologische Beobachtungen mit innovativen geochemischen Techniken, um Arc- und Ozeaninselbasalte im Laufe der Zeit zu untersuchen. E-Mail: [email protected]

Autoren und Autorinnen (alphabetisch nach Nachnamen)

XIX

Sauer, Maike  hat die Fächer Biologie und Physik auf gymnasiales Lehramt an der Universität Koblenz-Landau studiert und arbeitet derzeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG Biologiedidaktik am Institut für naturwissenschaftliche Bildung an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit Systemdenken und der quantitativen Auswertung von Concept Maps. E-Mail: maike.sauer@ rptu.de Schmitz, Pascal  hat an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Geologie/ Paläontologie studiert. Die Paläontologie, insbesondere Säugetiere, wurden hier zum Schwerpunkt gewählt. Nach dem Abschluss arbeitet er seit 2015 für die Welterbe Grube Messel gGmbH. Dort führt er als geotouristischer Tourbegleiter Führungen und andere Programme durch, ist im Pressebereich tätig, erarbeitet neue Führungskonzepte sowie Inhalte für digitale Medien und ist in der Buchungszentrale tätig. E-Mail: [email protected] Schneider, Simon  ist Projektmanager am Lehrstuhl für Datenwissenschaften in der Erdbeobachtung an der Technischen Universität München. Er war im Konzeptionsteam des GeoForum München an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Projektmanager für den Forschungsschwerpunkt Erdsystemforschung an der Universität Potsdam. Er hat die Öffentlichkeitsarbeit des FuE-Programms GEOTECHNOLOGIEN koordiniert und nach dem Diplomstudium der Geophysik an der FU Berlin in den Kommunikationswissenschaften promoviert. E-Mail: [email protected] Simon, Gilla  studierte Geologie und Mineralogie in Darmstadt, Kiel und Paris und promovierte 1997 mit einer Arbeit über Ultrahochdruckgesteine. Seit mehr als 20 Jahren arbeitet sie im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit und Bildung. Ihre ersten Erfahrungen hat sie an der Mineralogischen Staatssammlung München gesammelt. Seit 2007 ist sie stellvertretende Museumsleiterin am Museum Mensch und Natur. Ein besonderes Interesse liegt bei ihr in der Entwicklung von interaktiven Exponaten, die sie bevorzugt mit den museumseigenen Werkstätten umsetzt. Seit Herbst 2019 ist sie zusätzlich Ko-Projektleiterin des Konzeptionsteams GeoForum. E-Mail: [email protected] Weiß, Silke  war nach ihrem Magisterstudium (Erziehungswissenschaft, Soziologie und Anglistik) als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg tätig. Seit 2003 leitet sie den Bereich Hochschuldidaktik und digitale Lehrentwicklung an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie berät und begleitet Lehrende im Prozess der Lehr(kompetenz)entwicklung und unterstützt Institute und Fakultäten bei konzeptionellen Weiterentwicklungen der Lehre. E-Mail: silke.weiss@hdz. uni-freiburg.de Winter, Christian  hat an der Universität Hannover Bauingenieurwesen studiert, später in Kiel im Bereich Geowissenschaften promoviert. Nach 15 Jahren am Zentrum für Marine Umweltforschung (MARUM) in Bremen ist er seit 2018 Professor für Küstengeologie und Sedimentologie am Institut für Geowissenschaften der Universität Kiel. Er beschäftigt sich mit Wellen, Strömungen, Sedimenttransportprozessen und der Entwicklung von Küsten weltweit. E-Mail: [email protected] Wolf, Klaudia  hat an der Georg-August-Universität Göttingen und Goethe-Universität Frankfurt Physische Geographie studiert. Ihre Abschlussarbeit zum Thema „Degradation und Besucherlenkung“ im Ojcowski-Nationalpark hat sie zur Grube Messel geführt, wo sie als geotouristische Tourbegleiterin Führungen und andere Programme durchführte.

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Fachwissenschaftliche Grundlagen Martin Meschede

Inhaltsverzeichnis 1.1

Einführung – 2

1.2

Das System Erde als Teil des Sonnensystems im Universum – 4

1.3

Interagierende Sphären im System Erde  –  7

1.4

Rohstoffe im System Erde  –  24

1.5

Veränderungen im System Erde und ihre Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation  –  26

1.6

Erkundung des Systems Erde mithilfe von Feld- und Laborarbeiten  –  29 Literatur – 30

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_1

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

Zusammenfassung In diesem Kapitel geht es um den Aufbau und die Entwicklung der verschiedenen Sphären der Erde in ihrem systemischen Zusammenhang. Das System Erde zeigt, dass alles, was im Erdkörper und auf der Erdoberfläche passiert, miteinander in Beziehung steht und nur im Gesamtzusammenhang eine sinnvolle Erklärung findet. Darüber hinaus werden Veränderungen im System Erde, die durch äußere Einflüsse durch das Sonnensystem, globale Naturereignisse oder durch den Menschen verursacht werden, erläutert. Die Inhalte wurden in Anlehnung an den International Syllabus for Geoscience Education (King, 2014) ausgewählt (. Tab. 1.1 bis 1.9).

1.1 Einführung 1.1.1

Der Planet Erde – ein sich ständig veränderndes System

Seit der Entstehung des Planeten Erde vor 4,57 Mrd. Jahren hat sich unser Heimatplanet aus einer ursprünglich homogenen, glutflüssigen Masse über einen sehr langen Zeitraum zu seiner heutigen Form entwickelt (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022). Die frühe Erde war durch die Kollision zweier Planeten, der kurz nach der Entstehung des Sonnensystems vor 4,6 Mrd. Jahren entstandenen Proto-Erde und dem etwa marsgroßen Planeten Theia entstanden. Die beiden Planeten verschmolzen miteinander und bildeten zunächst einen glutflüssigen Feuerball, der von Beginn an Gravitationskräften unterlag. Er kühlte außen ab, und es bildete sich eine feste Hülle, die wir als Lithosphäre bezeichnen. Meteoritenschauer, die vor allem aus den Trümmern der Kollision stammten, dauerten in der Frühphase noch mehrere Hundert Millionen Jahre an und führten der jungen Erde weiteres Material zu, das mit dem Erdkörper verschmolz. Die Gravitationskräfte, die von allen Körpern mit Masse im Sonnensystem einschließlich der Erde ausgeht und anziehend auf alle anderen Massen wirkt, hatten wohl den bedeutendsten Einfluss auf die heutige Erscheinung der Erde (. Abb. 1.1), denn dichte Stoffe wie Eisen und Nickel sanken in dem ursprünglich homogenen Planeten in den zentralen Bereich ab, während weniger dichte Stoffe an die Oberfläche stiegen. So kam es zur Ansammlung der unterschiedlichen Materialien in verschiedenen Bereichen (Sphären) der Erde (. Abb. 1.2): der Geosphäre, die den festen Erdkörper unter unseren Füßen darstellt, der Atmosphäre, die uns als gasförmige Hülle umgibt, der Hydrosphäre, die das Wasser der Erde in Ozeanen, Seen, Flüssen und im Grundwasser umfasst, und der Biosphäre, mit der sowohl im Wasser als auch in der Luft und z. T. bis zu

..Abb. 1.1  Die Erde aus dem All. (pixabay)

mehreren Kilometern tief in den Gesteinen lebende Materie gemeint ist (. Tab. 1.1). Diese vier Sphären umfassen die Materie der Erde zu der heute von außen, z. B. durch Meteoriten, keine wesentlichen Mengen mehr hinzukommen, und es werden auch nur geringste Mengen an das Universum abgegeben. Die Sphären stehen miteinander in Beziehung und sind die übergeordneten Teilsysteme des Systems Erde. In Bezug auf Materie ist das System Erde ein geschlossenes System. Angetrieben wird das System Erde durch Energie aus dem Erdinneren und von der Sonne. Beide übertragen Energie, werden aber nicht durch die Prozesse auf der Erde beeinflusst. Daher ist das System Erde im Hinblick auf Energie ein offenes System. Im System Erde bewirken Wechselwirkungen zwischen Materie und Energie die Veränderungen. Die äußere Grenze der Atmosphäre ist gleichzeitig die äußere Grenze des Systems Erde (. Abb. 1.2). Pflanzen entnehmen der Atmosphäre mittels Fotosynthese Kohlenstoff und reichern sie gleichzeitig mit Sauerstoff an. Nicht nur die Lebewesen stehen in Beziehung mit der Atmosphäre, sie ist durch die Wolken am Wasserkreislauf beteiligt und transportiert auch feste Partikel. So zirkulieren z. B. riesige Mengen an Kohlenstoff zwischen den Komponenten Stein, Wasser, Luft, Lebewesen und fossilen Energieträgern. Wir Menschen sind Teil des Systems Erde und beeinflussen Prozesse maßgeblich (. Tab. 1.1). Nach innen lässt sich das System Erde nicht ganz so eindeutig abgrenzen, auch wenn man – von außen betrachtet – annehmen könnte, dass die ganze Erde ein

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1.1  •  Einführung

..Tab. 1.1  Earth as a changing system / Die Erde als sich veränderndes System. (Aus King, 2014)

..Abb. 1.2  Die Materie der Erde mit ihren vier z. T. ineinandergreifenden Sphären: Geosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre

einziges System ist, denn der größte Anteil der festen Erde hat eine eigene Energiequelle. Die Konvektion im Erdmantel, durch die Wärme aus dem Erdkörper nach außen abgegeben wird, treibt die vulkanische Aktivität und die Plattentektonik an der Erdoberfläche an. Damit beeinflusst sie die Erdoberfläche, wird aber selbst nicht von ihr beeinflusst. So gesehen ist dieser Teil außerhalb des Systems, obwohl es direkt unter uns ist und der Erdkern ein Magnetfeld um die Erde produziert, das uns vor schädlicher Strahlung beschützt. Es werden daher in Abhängigkeit der relevanten Zeitskalen unterschiedliche Grenzen des Systems Erde nach innen festgelegt (Lenton, 2016). Auf einer Zeitskala von Hunderten bis Tausenden von Jahren brauchen wir die Plattentektonik und die Verwitterung nicht zu berücksichtigen, weil beide in Zeitskalen von Millionen Jahren stattfinden. Was übrig bleibt, sind die Vulkanausbrüche. Je größer die Zeitskalen, desto mehr gewinnt die Plattentektonik an Bedeutung. Wenn wir außerdem die Mechanismen, die der zwar langsamen, aber ständig weitergehenden Aufhellung (brightening) der Sonne (ca. 1 % pro 100 Mio. Jahre) entgegenwirken, verstehen wollen, dann müssen wir die Bildung und Bewegung von Kontinenten, das Recycling des Kohlenstoffs der Erdkruste und Langzeitveränderungen in vulkanischer und tektonischer Aktivität berücksichtigen. Auf dieser Zeitskala von Hunderttausenden bis Millionen von Jahren betrachtet, wirkt sich der Austausch von Material der Erdkruste mit dem Erdmantel aus (. Abb. 1.11).

Attributes

Open to energy, almost closed to matter, changing over time, within the solar system, comprising geosphere, hydrosphere, atmosphere, biosphere

Attribute

Offen für Energieaustausch, fast geschlossenes Materiesystem, zeitlich veränderlich, innerhalb des Sonnensystems, bestehend aus Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre, Biosphäre

Interactions

Interaction of geosphere, hydrosphere, atmosphere, biosphere

Interaktionen

Zwischen Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre

Feedback

Positive and negative

Rückmeldung

Positiv und negativ

Processes and products

Water cycle, rock cycle, carbon cycle

Prozesse und Produkte

Wasserkreislauf, Gesteinskreislauf, Kohlenstoffkreislauf

Energy sources

Solar, internal

Energieträger

Solar, intern

1.1.2 Selbstregulation

Durch die Veränderung in einem Element des Systems Erde, z. B. die Erhöhung des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre (Treibhauseffekt), werden Prozesse in Gang gesetzt, die den CO2-Gehalt wieder erniedrigen, z. B. durch verstärktes Pflanzenwachstum (z. B. Algenblüte), wobei mithilfe der Fotosynthese CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt wird. Derartige Selbstregulationen kommen auf mehreren Zeitskalen im System Erde vor (Lenton, 2016). Einige Prozesse wirken selbstverstärkend; ein Beispiel dafür ist der Albedo-Effekt. Je größer die schneebedeckten weißen Flächen auf der Erde sind, desto mehr Sonneneinstrahlung wird reflektiert; sie tragen dann nicht zur Erwärmung bei, und es wird insgesamt kälter. Dadurch kommt es vermehrt zu Schneefall, was durch die Vergrößerung der schneebedeckten Flächen den Albedo-Effekt verstärkt. In der erdgeschichtlichen Vergangenheit kam es auf diese Weise zu einer fast vollständigen Bedeckung der Erde mit Eis und Schnee (Schneeball Erde). Dadurch konnte aber CO2 aus nicht versiegenden vulkanischen Quellen nicht mehr aus der Atmosphäre entzogen werden, da die nötigen fotosynthetisch aktiven Lebewesen fehlten. Die dann folgende Akkumulation von CO2 führte schließlich selbstregulierend wieder zur Erwärmung (. Tab. 1.1). Die Interaktionen zwischen der festen Erde, dem Wasser, der Luft und den Lebewesen wären nicht möglich

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4

Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

1

..Abb. 1.3  Schematische Darstellung der grundlegenden Prozesse der Plattentektonik. (Vereinfacht nach Meschede et al., 2021)

ohne Energie, die sowohl aus dem Erdinneren als auch von der Sonne kommt. Materie (Luft, Wasser und feste Materialien) wird durch die Strahlungsenergie der Sonne erwärmt. Da die Strahlung an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Winkeln auf die Erdoberfläche auftrifft, entstehen Temperaturdifferenzen zwischen den warmen Tropen, wo die Strahlung mehr oder weniger senkrecht auftrifft, und den kalten polaren Regionen, wo sie in einem flachen Winkel auftrifft. Durch die Temperaturunterschiede werden Ausgleichsströme in der Atmosphäre und im Ozean angetrieben – Windsysteme und Meeresströmungen. Durch Fotosynthese wird das Sonnenlicht in chemische Energie umgewandelt. Pflanzen, Algen und manche Bakterien erzeugen mithilfe des Sonnenlichtes aus Kohlenstoffdioxid und Wasser organische Verbindungen (Kohlenhydrate), die zu Bestandteilen der Lebewesen werden und damit die Energie speichern. Der Wasserkreislauf ist an das Erdklima gekoppelt. Er wird angetrieben durch zugeführte Energie, transportiert aber auch Energie auf der Erdoberfläche. Der Aggregatzustandswechsel von fest zu flüssig (schmelzen) und von flüssig zu gasförmig (verdampfen) erfordert Energie, die von der Sonne auf das Klimasystem übertragen wird. Beim Kondensieren von Gas zu flüssig und beim Gefrieren von flüssig zu fest wird hingegen Energie frei. Im Erdinneren entstehen durch radioaktiven Zerfall und Kondensation flüssigen Materials am inneren Erdkern sehr große Mengen an Wärmeenergie, die nach außen transportiert wird. Durch den Energiefluss entstehen Wärmeausgleichs- oder Konvektionsströme im Erdmantel. Diese Konvektionsströme werden als Motor der Plattentektonik angesehen. Unterhalb der festen Lithosphäre sammelt sich das durch die Aufheizung leichter gewordene Material an. Die feste Erdkruste aus Gesteinen hat eine isolierende Wirkung, aber Wärmeenergie wird dennoch nach außen abgegeben, wenn flüssiges Gestein durch Spalten in Vulkanen nach außen dringt und dort abkühlt. Dies geschieht heute vor allem an mittelozeanischen Rücken, die sich zusammen über 66.000 km erstrecken und etwa

4000 bis 6000 aktive untermeerische Vulkane aufweisen (. Abb. 1.3). Da sie sich fast immer in großen Meerestiefen befinden, können wir sie nicht sehen und nur mithilfe von Tiefseetauchbooten oder Tauchrobotern erkunden. Hinzu kommen die oberflächlich sichtbaren, mehr als 1500 derzeit als aktiv eingestuften Vulkane über den Subduktionszonen und Hotspots, an denen die Erdwärme abgegeben wird. In der Frühzeit der Erdentstehung existierten ähnliche, allerdings viel kleinere Zirkulationssysteme. Die Prozesse liefen zu dieser Zeit erheblich schneller ab als heute, da die Lithosphäre noch sehr viel dünner und der Mantel bis in die äußeren Randbereiche viel heißer war. Es gab eine Vielzahl von kleinen Konvektionszellen, in denen der Wärmeaustausch (heißes Material steigt nach oben, abgekühltes Material wird nach unten gezogen) vollzogen wurde. Seit etwa 2–2,5 Mrd. Jahren laufen die Prozesse so ab, wie wir sie heute kennen. 1.2

Das System Erde als Teil des Sonnensystems im Universum

Die Erde ist einzigartig als Lebensraum in unserem Sonnensystem (. Tab. 1.2). Dafür benötigen die uns bekannten Lebensformen flüssiges Wasser von max. 50 °C. Eine solche Temperatur hängt wesentlich vom Abstand zur Sonne ab. Damit Lebewesen dauerhaft bestehen können, müssen sie zudem ausreichend vor hochenergetischer Strahlung durch eine Atmosphäre und ein Magnetfeld geschützt sein. ..Tab. 1.2  Earth is a system within the solar system, within the universe / Die Erde ist ein System innerhalb des Sonnensystems, des Universums. (Aus King, 2014) Origins

Big bang: accretion from dust; stars, planets

Ursprünge

Urknall: Ansammlung von Staub; Sterne, Planeten

The Sun

Only external energy source; fluctuations

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1.2  •  Das System Erde als Teil des Sonnensystems im Universum

Die Sonne

Ausschließlich externe Energiequelle; Schwankungen

Rotational effects

Day/night, seasons, moon phases, eclipses

Rotationseffekte

Tag/Nacht, Jahreszeiten, Mondphasen, Eklitik

stellen können. Die Regelmäßigkeit, an der sich so gut wie alle Lebewesen mit ihren Lebenszyklen orientieren, würde entfallen und hätte die Entfaltung des Lebens auf der Erde unmöglich gemacht. Die Dauer der Rotation veränderte sich über lange Zeiträume hinweg, aber nicht die Regelmäßigkeit. zz Tag-Nacht-Zyklus

Die Erde ist Teil eines Planetensystems bestehend aus der Sonne und acht umkreisenden Planeten, das sich aus einer langsam rotierenden Wolke aus Staub und Gas (Materie) entwickelte. An bestimmten Stellen kam es zu einer Zusammenballung der Materie aufgrund der Gravitation (Massenanziehung), dem Ursprung der Gewichtskraft, die bis heute auf der Erde und im gesamten Sonnensystem wirkt. Vor etwa 5 Mrd. Jahren entwickelten sich zunächst die Sonne und etwas später die Planeten des Sonnensystems. Die Erde entstand vor 4,57 Mrd. Jahren (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022).

Der für uns merkbarste Zyklus, die Folge von Tag und Nacht, ergibt sich aus der Eigenrotation der Erde, die sich einmal pro Tag um sich selbst dreht. Kurz nach ihrer Entstehung rotierte die Erde noch viel schneller, und die Tage waren dementsprechend deutlich kürzer, man geht von 7–15 h pro Tag in der Anfangszeit aus. Durch Reibungseffekte verlangsamt sich aber die Erdrotation kontinuierlich, allerdings in einer für uns unmerkbaren Größenordnung. Zurzeit sind dies ungefähr 1,7 tausendstel Sekunden in 100 Jahren, d. h., nach etwa 50.000 Jahren dauert ein Tag 1 s länger. zz Mondzyklus

>>Gravitation – die alles beherrschende Kraft der Erde

Die Gewichtskraft bewirkt, dass alle Körper auf der Erde zum Erdmittelpunkt hingezogen werden. Mit einem Fachausdruck wird diese Anziehungskraft als Gravitation bezeichnet (nach dem lateinischen Wort gravitas für „Schwere“). Sie hat im Laufe der Erdgeschichte dafür gesorgt, dass die heutige Erdkugel aus mehreren Lagen völlig unterschiedlicher Dicke und Zusammensetzung aufgebaut ist. Sie ist aber auch verantwortlich für alle natürlichen Bewegungen, die wir z. B. in Erdbeben wahrnehmen können, für die langsame Heraushebung von Gebirgen, für die Bewegung von tektonischen Platten und für die Entstehung von Vulkanen; selbst die Bewegungen in der Atmosphäre, die wir im Wind oder in herabfallendem Niederschlag spüren, hängen von ihr ab.

Das System Erde mit seinen periodischen Erscheinungen wie Tag und Nacht, Mondphasen, Jahreszeiten und auch Eklipsen (Sonnenfinsternis, Mondfinsternis) lässt sich nur im Zusammenhang mit dem Mond, der die Erde umkreist, und der Position des Erdkörpers im Sonnensystem verstehen. Der Mond spielt eine außerordentlich wichtige Rolle für die Entwicklung des Lebens auf der Erde, da durch ihn die Stabilität der Perioden gewährleistet wird. Der äußerst regelmäßige Wechsel zwischen Tag und Nacht ist eine Folge der Umwälzbewegung (Revolution) des Erde-Mond-Systems. Ohne den Mond wäre dieser Wechsel sehr unregelmäßig, da die Erde ohne die stabilisierende Wirkung des Mondes ins Trudeln käme und chaotische Drehbewegungen durchführen würde. Die Folge wären apokalyptische Zustände mit extremen Wetterereignissen und gigantischen Klimaschwankungen, die wir uns in ihren Ausmaßen nicht einmal vor-

Am deutlichsten kann man den Mondzyklus, der uns in vielfältiger Weise begegnet, an den Meeresküsten der Erde beobachten: Ebbe und Flut, die zusammen betrachtet als die Gezeiten beschrieben werden, kommen und gehen ohne Unterbrechung regelmäßig zweimal am Tag. Verursacht werden sie im Wesentlichen durch die Anziehungskraft des Mondes (Titz & Wagner, 2007). Auf der dem Mond zugewandten Seite ist die Anziehungskraft des Mondes mit Bezug auf den Erdmittelpunkt etwas höher und verursacht dadurch die Flutwelle, weil das Wasser vom Erdmittelpunkt weg in Richtung des Mondes gezogen wird. Aber auf der dem Mond abgewandten Seite gibt es eine weitere Flutwelle, die ihre Ursache ebenfalls in der Anziehungskraft des Mondes hat. Allerdings wird hier der Meeresboden zum Mond hingezogen, sodass damit dem Wasser auf der mondabgewandten Seite förmlich der Boden nach unten weggezogen wird. Dadurch bewegt sich das Wasser zu der Stelle, an der sich der Boden am deutlichsten absenkt, wodurch die zweite, etwas weniger hohe Flutwelle entsteht. Da die Erde sich binnen eines Tages einmal um sich selbst dreht, wandern die beiden Flutberge scheinbar ständig um die Erde, sodass Flut und Ebbe zweimal am Tag auftreten. Mond und Erde drehen sich aber auch umeinander herum. Fast 28 Tage dauert diese Umdrehung. Das hat zur Folge, dass der Mond nach einem Tag, wenn sich die Erde einmal um sich selbst gedreht hat, nicht wieder am gleichen Ort steht. Er ist ein bisschen weitergewandert, weshalb die Flut- und Ebbezyklen ein wenig mehr als 24 h dauern und sich jeden Tag um etwa 50 min nach hinten verschieben. Über sehr lange Zeiträume hinweg verändern sich auch diese Zyklen: In der Frühphase der Erde war der Mond der Erde ungefähr 150.000 km näher als heute, und er entfernt sich weiter-

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

bezeichnet, auf der sich die Erde um die Sonne bewegt. Wenn der Nordpol der Sonne zugeneigt ist, befinden wir uns auf der Nordhalbkugel im Sommer. Die Tage sind lang und die Nächte kurz, und es herrschen warme Temperaturen, da die Sonneneinstrahlung steiler auftrifft und daher intensiver ist. Ein halbes Jahr oder eine halbe Sonnenumrundung später ist es umgekehrt: Der Nordpol ist von der Sonne weggeneigt, und es ist Winter mit kurzen Tagen und langen Nächten. Auf der Südhalbkugel ist es genau andersherum, d. h., der Sommer der Nordhalbkugel ist der Winter auf der Südhalbkugel und umgekehrt.

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zz Längerfristige Zyklen ..Abb. 1.4  Sonneneinstrahlungsintensität (Insolation) in Abhängigkeit vom Einstrahlungswinkel. Je flacher der Einstrahlungswinkel ist, desto größer ist die Fläche, auf die die Sonnenenergie übertragen wird. Eigene Abbildung nach unterschiedlichen Quellen. Satellitenbild: pixabay.

hin pro Jahr um 3,8 cm von der Erde. Dadurch werden die Umlaufzeiten von Mond und Erde verlängert, d. h., die Gezeiten treten auf der Erde mit der Zeit in immer größeren Abständen auf. Der Mond dreht sich um die Erde – so wird es immer beschrieben. Tatsächlich ist es aber so, dass sich Erde und Mond umeinander bewegen, allerdings ohne dabei eine Rotation im physikalischen Sinne auszuführen. Nehmen wir an, wir haben zwei gleich große Planeten, die sich umeinander bewegen. Dann wäre der Schwerpunkt dieser Umdrehung genau in der Mitte zwischen den beiden Planeten. Die Erde hat aber mehr als 80-mal so viel Masse wie der Mond. Der Schwerpunkt, den wir als Baryzentrum bezeichnen, wandert deswegen zur Erde hin. Er befindet sich heute im Erdkörper, allerdings nicht im Erdmittelpunkt, sondern in einer Tiefe von ungefähr 1700 km auf der dem Mond zugewandten Seite. Man kann die Bewegungen von Erde und Mond umeinander als eine Umwälzbewegung beschreiben, bei der keine Rotation stattfindet und damit keine zusätzlichen Fliehkräfte entstehen, die, wie es in vielen Modellen beschrieben wird, zur Bildung eines Flutberges beitragen könnten. zz Jahreszyklus

Einmal im Jahr vollzieht die Erde eine vollständige Umrundung der Sonne. Die Umlaufzeit beträgt 365 Tage plus etwa ¼  Tag. Um diese zusätzliche Zeit auszugleichen, wird alle vier Jahre ein zusätzlicher Tag im Jahresverlauf eingefügt. Dieses Jahr wird als Schaltjahr bezeichnet. Die im Jahresverlauf aufeinanderfolgenden Jahreszeiten mit unterschiedlich ausgeprägten Temperatur- und Wetterbedingungen sind eine Folge der Erdachsenneigung. Die Rotationsachse der Erde ist nicht genau senkrecht zur Ekliptik, sondern um etwa 23,5° dazu geneigt. Als Ekliptik wird die Ebene

Die Stellung und die Bewegungen der Planeten im Sonnensystem sind übergeordneten zyklischen Veränderungen unterworfen, wodurch das Weltklima langfristig entscheidend beeinflusst werden kann. Hier geht es um Zeitspannen von Zehn- und Hunderttausenden von Jahren. Erdumdrehungen, Mondphasen und Jahreszeiten sind kurzfristige Zyklen, deren Einfluss wir am eigenen Leib spüren. Man hat aber auch festgestellt, dass das Auftreten von Vereisungsphasen, die wir auch als Eiszeiten bezeichnen, maßgeblich durch zyklische Veränderungen der Erdbahn um die Sonne und ihrer Stellung zur Sonne beeinflusst wird. Die Erdbahn um die Sonne ist kein exakter Kreis, sondern eine Ellipse, deren Elliptizität schwankt. In einem Zeitraum von ungefähr 100.000 Jahren wechseln sich Zeiten stärkerer und schwächerer Elliptizität ab. Bei schwächerer Elliptizität ist die Erde das ganze Jahr über ähnlich weit von der Sonne entfernt, während die Unterschiede bei stärkerer Elliptizität deutlicher hervortreten. Das wirkt sich auf die Sonneneinstrahlungsintensität (Insolation) und damit auf die Energiebilanz, die für unser Klima bestimmend ist, aus. Es gibt mehrere Faktoren, die sich in ähnlicher Art und Weise auswirken, wie z. B. die um wenige Grad schwankende Schiefe der Erdrotationsachse (von 21,5 bis 24,5°). Im Zusammenspiel können sich diese Faktoren gegenseitig verstärken und damit den nötigen Impuls für den Beginn einer Eiszeit aber auch für deren Ende geben. Die auf diese Weise klimabestimmenden Zyklen werden nach einem serbischen Mathematiker als Milanković-Zyklen bezeichnet. Die Insolation – das ist die Menge an Strahlung und damit an Energie, die auf die Erdoberfläche auftrifft – ist den langfristigen zyklischen Veränderungen unterworfen. In den verschiedenen Erdregionen ist sie abhängig vom Winkel der Erdoberfläche zur Richtung der Sonneneinstrahlung. Je flacher dieser ist, desto größer ist die Rückstrahlung und geringer die Insolation, da sich die ankommende Energiemenge auf eine größere Fläche verteilt (. Abb. 1.4). Deswegen befinden sich die kältesten Regionen der Erde an den beiden Polen, da hier die Energiebilanz am geringsten ist.

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1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

1.3

Interagierende Sphären im System Erde

1.3.1

Der Bereich des Wassers – Hydrosphäre

Die Erdoberfläche ist zu etwa 71 % mit Wasser bedeckt und sieht daher – aus dem All betrachtet – überwiegend blau aus (. Abb. 1.1). Wasser kommt auf der Erde flüssig, fest und gasförmig vor. Im Wasser sind erste Lebensformen entstanden, aus denen sich im Verlauf von über 3 Mrd. Jahren mehrere Millionen von Arten, darunter wir Menschen, entwickelt haben. Wasser ist eine natürliche Lebensgrundlage für den Menschen, der nur wenige Tage ohne Wasser auskommen kann. Trotzdem gibt es weltweit etwa eine Milliarde Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Etwa 2 Mrd. verfügen über keine Toilette. Jeden Tag sterben etwa 4500 Kinder an Krankheiten, die durch schmutziges Wasser entstehen. Überall dort, wo sauberes Wasser fehlt, wüten Hunger und Armut. Wasser ist auch wichtig für die Wirtschaft. 4 l sind nötig, um 1 l Milch herzustellen. Eine Getränkedose braucht sogar 10 l und 1 kg Kunststoff 500 l. Ein Auto bedarf mitunter sogar 380.000 l, bis es fertig ist. Kein Wunder also, dass Industrie und Kraftwerke in Deutschland jedes Jahr 330 Mrd. l Wasser verbrauchen. Mit der Hydrosphäre wird die Gesamtheit des Wassers auf der Erde bezeichnet. Sie lässt sich nicht so einfach abgrenzen wie die Lithosphäre, die den äußersten, festen Stoffanteil der Geosphäre umfasst, oder wie die Atmosphäre, mit der wir die gasförmige Umhüllung der Erde beschreiben. Die Hydrosphäre dringt in die Lithosphäre ein, liegt auf ihr, vermischt sich mit der Atmosphäre und präsentiert sich uns in drei verschiedenen Aggregatzuständen: Eis (fest), Wasser (flüssig) und Wasserdampf (gasförmig). Die Hydrosphäre umfasst sämtliche offen zutage liegenden Ozeane, Flüsse und Seen, aber auch das im Boden enthaltene Grundwasser, Porenwässer und das in Kristallen enthaltene Kristallwasser gehören dazu, womit die Hydrosphäre bis tief in den Erdmantel hineinreicht. Außerdem gehören alle Gletscher, Firnfelder und Schneedecken, in denen Wasser in Form von Eis längere Zeit gebunden ist, zur Hydrosphäre (. Tab. 1.3). Dieser vereiste Anteil wird als Untergruppe auch als Kryosphäre bezeichnet. Der Wasserkreislauf ist ein System. Die Elemente im System Hydrosphäre sind überall dort auf der Erde, wo Wasser sich angesammelt hat – die Wasserspeicher. Solche Speicher können auch Teil anderer Sphären sein. So sind Wolken Ansammlungen von Wasser in der Atmosphäre, und auch die meisten Lebewesen der Biosphäre bestehen überwiegend aus Wasser.

..Tab. 1.3  Hydrosphere / Hydrosphäre. (Aus King, 2014) Continental water

Location, processes of movement, uses

Kontinentales Wasser

Vorkommen, Bewegungsprozesse, Gebrauch

Oceanic water

Composition, processes of movement

Ozeanisches Wasser

Zusammensetzung, Bewegungsprozesse

Wasser ist ein Stoff, der von einem Speicher in andere gelangen kann. Wenn z. B. Wasser der Ozeane verdunstet, gelangt es als Wasserdampf in die Atmosphäre. Die Wechselbeziehung zwischen dem Element Ozean (Speicher) und dem Element Wolke (Speicher) bezeichnen wir daher als Stofffluss. In der Natur etabliert sich ein Wasserkreislauf, weil das Wasser in Meeren, Flüssen und Seen aufgrund der Sonneneinstrahlung verdunstet (. Abb. 1.5). Es steigt als Wasserdampf in die Atmosphäre auf und bildet dort kleine Tröpfchen (Fachbegriff: kondensieren). Die Tropfen vergrößern sich, bis sie so schwer werden, dass sie als Regen (Fachbegriff: Niederschlag) wieder zu Boden fallen. Dies passiert selbst in einer geschlossenen Plastikdose! Färbt man das Wasser mit Tinte blau, wird man bemerken, dass das Wasser am Dosenboden blau gefärbt ist, während die Tropfen am Deckel klar sind. Das kommt daher, dass nur das Wasser, aber nicht der Farbstoff verdunstet. In der Natur ist es so, dass Meerwasser salzig ist und das Wasser an Land nicht. Man bezeichnet das Wasser von Flüssen und Seen auch als Süßwasser, weil wir es im Gegensatz zum salzigen Meerwasser trinken können. Beim Meerwasser verdunstet auch nur das Wasser, während das Salz zurückbleibt. So können wir erklären, dass der Niederschlag kein Salz enthält, und da er sich in Flüssen und Seen an Land sammelt, bestehen diese dementsprechend aus Süßwasser. Der Wasserkreislauf ist ein Stofffluss, bei dem durch die Prozesse Verdunstung und Niederschlag der Stoff „Wasser“ von der Hydrosphäre (Meere, Flüsse, Seen) in die Atmosphäre (Luft) gelangt (Basiskonzept: System). Der größte Teil des Wassers auf der Erde ist salzig und befindet sich in den Ozeanen. Das salzige Ozeanwasser eignet sich nicht zum Trinken oder zum Bewässern. Nur etwa 3 % der gesamten Wassermenge auf der Erde ist Süßwasser, und davon befindet sich mehr als die Hälfte in gefrorenem Zustand in den Gletschern und in Eisbergen. Der Rest des Süßwassers fließt in Flüssen und Seen oder ist als Grundwasser unter der Erde versteckt. Auf die Wassermoleküle an der Erdoberfläche wirkt ständig die Massenanziehung der festen Erde in Richtung des Erdmittelpunktes. Sobald die Wassertropfen in den Wolken eine bestimmte Größe überschritten haben, setzen sie sich entsprechend in Bewegung und treffen schließlich in Form von Niederschlag auf die Erdoberfläche. Dort versickern

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.5  Der Wasserkreislauf an Land (Land – Atmosphäre – Land), zwischen Ozean und Land (Meer – Atmosphäre – Land) und über dem Ozean (Meer – Atmosphäre – Meer). (Aus Meschede et al., 2021)

sie entweder an Ort und Stelle im Untergrund bis hin zum Grundwasserleiter, fließen an der Oberfläche bis hin zum nächsten Fluss und mit ihm weiter in Richtung Ozean oder sammeln sich in Seen oder in Form von Gletschern an Land. Als Ergebnis haben sich über 95 % des Wassers in den großen Ozeanen angesammelt, die etwa 71 % der Erdoberfläche bedecken und die für die blaue Erscheinung der Erde aus dem All sorgen. Kleinere Mengen sammeln sich an Land in Fließgewässern und Binnenseen (0,014 %) oder als Grundwasser im Untergrund dort, wo er porös ist (1,69 %). Auch im Boden sammelt sich Wasser an. Die Verweildauer des Wassers auf dem Festland ist in Abhängigkeit der genannten Speicher sehr unterschiedlich. In Fließgewässern sind es 7,4 Tage, an Land, in Binnenseen, in Böden kann es 390 Tage verweilen, und im Grundwasser und in Gletschern können es mehrere Tausend Jahre sein. Das Wasser fließt so lange zu den tiefergelegenen Punkten auf der Erdoberfläche, bis es auf ein Hindernis trifft. Letztendlich gelangt alles Wasser in die Ozeane. Auf seinem Weg formt das Wasser die Erdoberfläche, indem es lockere Bestandteile abtransportiert. Auch das Eis in Gletschern schiebt sich langsam talwärts, Schmelzwasser stürzt Berge hinab, oder das Wasser in einem Fluss fließt zum Meer. Die gesamte kinetische Energie der Fließgewässer und der Gletscher stammt letztlich von der Sonne, denn durch sie wird Wasserdampf in große Höhen transportiert. Die kinetische Energie, die auf diese Weise in Wasser und Eis enthalten ist, formt beständig die Erdoberfläche, z. B. durch Erosion. Auch die Energie für Erosion stammt also letztlich aus der Sonne. In den tropischen Ozeanen sind die Wassertemperaturen (und die Lufttemperaturen) relativ hoch, was die

Verdunstung fördert. Weil die Sättigungsfeuchte mit der Temperatur steigt, kann die Luft im warmen Klima der Tropen viel Wasserdampf aufnehmen. Dazu kommt, dass die tropischen und subtropischen Ozeane weit ausgedehnt sind und das Wasser somit auf großen Flächen verdunsten kann. Daher sind die tropischen und subtropischen Ozeane die entscheidenden globalen Lieferanten des atmosphärischen Wasserdampfes: Zwischen 30° nördlicher Breite und 30° südlicher Breite erfolgen fast 70 % der gesamten globalen Verdunstung. Da die gesamte Wassermenge des Systems Erde gleichbleibt, sind die Größen Niederschlag und Verdunstung des Wasserkreislaufes miteinander verknüpft. Wenn die Verdunstung über dem Meer bekannt ist und zusätzlich die Niederschlagsmenge über dem Meer gemessen wird, kann berechnet werden, wie hoch die Niederschlagsmengen auf dem Festland sind. Niederschläge sind keine konstante Größe. Regional, aber auch jahreszeitlich oder im Verlauf mehrerer Jahre können diese mitunter sehr unterschiedlich verteilt sein. Hohe Niederschlagsmengen sind an hohe vorangegangene Verdunstungsraten gebunden. Die ergiebigsten Niederschläge fallen in den inneren Tropen und jahreszeitlich auch noch bis zu den Wendekreisen. Dort ermöglichen hohe Temperaturen eine hohe Verdunstung. Um hohe Verdunstungsraten zu erreichen, muss Oberflächenwasser vorhanden sein. Somit kann über den Ozeanen besonders hohe Verdunstung festgestellt werden. Um ihren Trinkwasserbedarf zu decken, fördern die Menschen schon seit Jahrtausenden Grundwasser aus Brunnen. Durch den stetig wachsenden Bedarf an sauberem Wasser werden die sich bei normaler Wasserentnahme erneuernden Grundwasserreserven durch den Menschen aber inzwischen so stark in Anspruch genommen, dass es vielerorts zu stark sinkenden Grundwasserspiegeln und teilweise zum völligen Verlust der Reserven kommt. Das fehlende Grundwasser wirkt sich neben dem Verlust der Wasserreserven auch deutlich auf die Vegetationsdichte an der Oberfläche aus, und in bebauten Gebieten sinkt die Stabilität des Untergrundes, was zur Zerstörung von Gebäuden und Infrastruktur führen kann. 1.3.2

Der Bereich der Luft – Erdatmosphäre

..Tab. 1.4  Atmosphere / Atmosphäre. (Aus King, 2014) Composition

Evolution, current composition

Zusammensetzung

Entwicklung, gegenwärtige Zusammensetzung

Flow

Processes of movement

Strömung

Bewegungsprozesse

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1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

Change

Greenhouse effect, planetary influences, human influence, impact on sea level

Wandel

Treibhauseffekt, planetare Einflüsse, menschlicher Einfluss, Auswirkungen auf den Meeresspiegel

Die Erdatmosphäre (Atmosphäre) ist die gasförmige Hülle unserer Erde. Sie besteht zu 78 % aus Stickstoff, zu 21 % aus Sauerstoff, zu knapp 1 % aus Argon und weiteren Edelgasen. Wasser ist als Wasserdampf mit einem Anteil von 0,25 % vorhanden. Die Atmosphäre schützt uns vor der schädlichen UV- und Röntgenstrahlung der Sonne, lässt aber das lebenswichtige Sonnenlicht zur Erdoberfläche durch. Ohne Atmosphäre würde die Temperatur an der Erdoberfläche statt 15 nur –18 °C betragen. Die Atmosphäre besteht aus verschiedenen Schichten, die unterschiedliche Schutzmechanismen bewirken. Wir leben in der Troposphäre, die etwa 10–15 km hoch reicht. Darüber befindet sich die Tropopause, in der die Temperatur auf Werte um −50 °C absinkt (. Abb. 1.6). Diese sog. Kältefalle verhindert das Entweichen von Wasser ins Weltall; es bleibt so der Erde erhalten, weil es als gefrorener Niederschlag wieder auf die Erdoberfläche zurückfällt. Die Stratosphäre, die bis ca. 50 km Höhe reicht, enthält im obersten Bereich ab etwa 40 km die Ozonschicht, in der sich Ozon (O3) anreichert. Luftsauerstoff (O2) wird durch UV-Strahlung des Sonnenlichtes in einzelne Sauerstoffatome gespalten, die sich sofort mit einem weiteren O2-Molekül verbinden und zu Ozon werden. Auf diese Weise schützt die Ozonschicht vor der für die Lebewesen gefährlichen UV-Strahlung. Die Stratosphäre wird durch die Stratopause von der Mesosphäre abgegrenzt, die bis in eine Höhe von 80 km reicht. Die größten vulkanischen Eruptionen können Aschen und Gase bis in diese Höhen transportieren. Über der Mesosphäre folgt die Thermooder Ionosphäre, in der z. B. die Polarlichter (Aurora) entstehen. Die ganz außen befindliche Exosphäre geht nach 300–500 km in den Weltraum über (. Tab. 1.4). Luft kann aus physikalischen Gründen stets nur eine bestimmte Höchstmenge an Wasserdampf enthalten. Diese Höchstmenge wird als Sättigungsfeuchte bezeichnet. Mit steigender Temperatur nimmt die Aufnahmekapazität schnell zu: So kann 10 °C warme Luft maximal 7,6 g Wasserdampf pro Kilogramm aufnehmen, während 25 °C warme Luft 21 g pro Kilogramm aufnehmen kann. Wird die maximale Aufnahmekapazität der Luft (Sättigungsfeuchte) überschritten, beginnt Wasserdampf zu flüssigem Wasser zu kondensieren. Die Ursache ist in der Regel ein Abkühlen der Luft, z. B. wenn feuchtwarme Luft aufsteigt und in höhere, kältere Schichten der Atmosphäre gelangt. Es bildet sich Tau oder bei Temperaturen unter 0 °C Reif. Findet der Tau keine feste Oberfläche, an der er kondensieren kann, bilden sich Wolken. In den Wolken schlagen sich die Wassermoleküle an Kondensationskernen (Feststoffteilchen

..Abb. 1.6  Aufbau der Erdatmosphäre. (Aus Meschede et al., 2021)

wie Ruß, Staub etc.) nieder und bilden Wassertröpfchen. Wolken sind also Ansammlungen von winzigen Wassertröpfchen oder, bei Temperaturen unter 0 °C, von Eiskristallen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Verdunstung und der Wolkenbildung: Wo viel Wasser verdunstet, bilden sich auch relativ viele Wolken. Jedoch ist dieser Zusammenhang nicht überall zwingend, da der Wasserdampf durch Wind über längere Strecken in der Atmosphäre transportiert werden kann, ohne dass es zu Kondensation kommt. Die Auflösung von Wolken geschieht auf umgekehrte Weise: Erhöht sich die Lufttemperatur (z. B. durch Absinken von Luftmassen oder Sonneneinstrahlung), steigt das Wasseraufnahmevermögen der Luft, und die Wassertröpfchen verdunsten zu Wasserdampf. Eine Sonderform ist Nebel – es sind Wolken in Bodennähe. Durch diese schnell ablaufenden Prozesse hält sich ein Wassermolekül etwa neun Tage in der Atmosphäre auf. Nur etwa 0,001 % des gesamten Wassers auf der Erde ist in der Atmosphäre gespeichert. 1.3.3

Der Bereich der Gesteine – die feste Erde, Lithosphäre

..Tab. 1.5  Geosphere / Geosphäre. (Aus King, 2014) Earth materials and properties

Minerals, fossils, sedimentary, igneous and metamorphic rocks, soil

Materialien und Eigenschaften der Erde

Mineralien, Fossilien, Sedimentgesteine, magmatische und metamorphe Gesteine, Böden

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

Earth processes and preserved characteristics

Surface processes, sedimentary, igneous and metamorphic processes, deformation

Prozesse auf und in der Erde, erhaltene Merkmale

Prozesse an der Erdoberfläche, sedimentäre, magmatische und metamorphe Prozesse, Deformation

Structure of the earth and evidence

Crust, mantle, core, lithosphere

Aufbau der Erde und Beweise

Erdkruste, Erdmantel, Erdkern, Lithosphäre

Plate tectonics and evidence

Unifying theory, plate construction and subduction, characteristics of plate margins, mechanisms, rates of movement, evidence

Plattentektonik und Beweise

Aktualitätsprinzip, Plattenaufbau und Subduktion, Charakteristika an Plattenrändern, Mechanismen, Bewegungsgeschwindigkeiten, Beweise

1.3.3.1

Lagenbau der festen Erde

Ein anschauliches Modell für den Aufbau der Erde ist ein aufgeschnittener Pfirsich (. Abb. 1.7; . Tab. 1.5): Er hat einen festen Kern, der von einem Mantel aus Fruchtfleisch umgeben ist, und ganz außen befindet sich eine sehr dünne Schale, die Pfirsichhaut (Meschede, 2022). Ganz ähnlich können wir uns die Erde vorstellen, wenn wir sie aufschneiden würden (. Abb. 1.8): Im Innersten befindet sich der Erdkern, dann folgt der Erdmantel und außen die dünne, harte Schale, die wir als Lithosphäre bezeichnen (nach dem griechischen Wort lithos für „Stein“). Umgeben ist die Lithosphäre von der Hydrosphäre, der Biosphäre und der Atmosphäre, wobei auch das Gasgemisch der Luft durch die Gravitation auf der Oberfläche der Erde gehalten wird. Der Lagenbau der Erde hat sich erst mit der Zeit aus einer ursprünglich homogenen Masse herausgebildet. Vor 4,51 Mrd. Jahren (das sind 4510 Mio. Jahre) entstand die Erde durch die Kollision von zwei Planeten: Die gegenüber der heutigen Erde etwas kleinere Protoerde stieß mit dem etwa marsgroßen Planeten Theia zusammen. Die ungeheure Aufprallenergie ließ die Planeten komplett schmelzen und vereinte sie zu einer homogenen Kugel, in der sämtliche heute auf der Erde befindlichen Elemente in einer Art Urbrei aus mehrere Hundert Grad heißem, glutflüssigem Gesteinsmaterial gleichmäßig vermischt waren. Doch unmittelbar nach der Entstehung des neuen Planeten begann sich die Gravitation auf dieses Gemisch auszuwirken. Schwere Elemente sanken nach unten und sammelten sich im Erdkern, während leichte Elemente nach oben an den Rand der Kugel wanderten. So kam es mit der Zeit zu einer Entmischung. Im Erdkern häuften sich schwere Elemente, vor allem Eisen und Nickel, an, in den äußeren Sphären hingegen sind leichte Elemente wie z. B.

..Abb. 1.7  Aufgeschnittener Pfirsich als Modell für den Aufbau der Erde mit einem festen Kern. (Meschede, 2022; Foto: pixabay)

Sauerstoff, Silizium und Aluminium häufiger zu finden. Man nennt diesen Prozess der Entmischung, der seit der Erdentstehung bis heute andauert, Differenziation. Die Temperatur im Erdkörper beträgt unterhalb der Lithosphäre etwa 1200 °C und steigt bis zum Erdkern auf über 6000 °C an. Trotzdem ist der innere Erdkern aufgrund der dort herrschenden extremen Druckverhältnisse fest. Eine dünne, feste Außenhaut um den glutflüssigen neuen Planeten entstand schon kurze Zeit nach der Kollision durch Abkühlung von außen. Dadurch wurde die bei der Kollision entstandene ungeheure Menge an Wärmeenergie von der kühlen Kruste eingeschlossen und konnte fortan nur noch langsam weiter abkühlen, weil feste Gesteine schlechte Wärmeleiter sind und wie eine Isolationsschicht um den Erdkörper wirken. Gleichzeitig wurde und wird im Erdkörper aber durch den Zerfall radioaktiver Elemente fortwährend weitere Wärmeenergie freigesetzt, denn jedes Mal, wenn ein radioaktives Teilchen zerfällt, entsteht ein wenig Wärmeenergie. Das ist ein Prozess, der bis heute andauert und das Gesteinsmaterial im Erdinneren kontinuierlich aufheizt. Wenn Materialien aufgeheizt werden, bewegen sich die Teilchen, aus denen der Stoff besteht, stärker, und sie beanspruchen mehr Raum. Dadurch dehnt sich der Stoff aus und wird geringfügig leichter. Infolge der Gravitation steigen deswegen aufgeheizte Stoffe innerhalb des teilweise glutflüssigen Erdkörpers nach oben. 1.3.3.2 Plattenbewegungen

Wenn wir in der Geologie von Bewegungen reden, meinen wir damit meistens für den menschlichen Erfahrungshorizont extrem langsam verlaufende Bewegungen, die wir, anders als Erdbeben, nur indirekt wahrnehmen können (Meschede, 2018). Mit sehr feinen Messgeräten können wir sie aber messen. Wenn wir uns einen Baum ansehen, so wissen wir, dass dieser wächst und größer wird. Auch das ist eine Bewegung, die wir nur über einen längeren Zeitraum hinweg wahrnehmen können. Ähnlich verhält es sich mit unseren Fingernägeln. Die Ge-

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1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

schwindigkeit, mit der Fingernägel wachsen (etwa 3 cm pro Jahr), stimmt ziemlich gut mit der Bewegung tektonischer Platten überein: Amerika und Europa bewegen sich pro Jahr etwa 3 cm voneinander weg. Der physikalische Grund für alle diese Bewegungen liegt wiederum in der Gravitation. Egal, ob es sich um horizontale oder vertikale Bewegungen handelt, sie alle werden ausgelöst durch unterschiedlich schwere Materialien und dem Streben nach Gleichgewicht, bei dem schwere Materialien unten zu liegen kommen. Wenn das Gleichgewicht gestört wird (z. B. durch seitliche Bewegungen von Lithosphärenplatten), sucht das System Erde nach Ausgleich, und die daraus resultierenden Ausgleichsbewegungen sind verantwortlich für alle Veränderungen auf und im Erdkörper. Das gilt im Kleinen wie auch im ganz großen Maßstab. Selbst das Wachstum der Pflanzen ist von der Gravitation abhängig. Pflanzen erkennen oben und unten anhand der Gravitation, sodass sie sich im Boden verankern und in entgegengesetzte Richtung dem Licht entgegenwachsen können. Warum aber können sich die aus festem Gestein bestehenden Lithosphärenplatten überhaupt auf dem Erdkörper bewegen? Alfred Wegener nahm ursprünglich an, dass sich die Kontinente quasi wie Schiffe durch die ozeanische Kruste bewegen, doch hat sich schnell herausgestellt, dass das nicht möglich ist, da die ozeanischen Lithosphärenplatten viel zu steif für eine solche Bewegung wären. Die Plattenbewegungen ergeben sich hingegen aus einem weltumfassenden System von Verschiebungen der Platten untereinander. Einerseits wird an mittelozeanischen Rücken neue ozeanische Lithosphäre aufgebaut, andererseits wird in Subduktionszonen ein gleicher Anteil an ozeanischer Lithosphäre wieder in den Erdmantel zurückbefördert. Es muss immer genauso viel Lithosphärenmaterial in den Subduktionszonen wieder in den Erdmantel befördert werden, wie an den mittelozeanischen Rücken neu gebildet wird. Wäre dies nicht der Fall und es gäbe nur die Neubildung ozeanischer Lithosphäre, würde die Erdkugel immer größer – was aber physikalisch gar nicht möglich ist (Frisch & Meschede, 2021). Direkt unter der Lithosphäre befindet sich eine Lage, die zu einem kleinen Teil (ca.  2–5 %) aufgeschmolzen und dadurch plastisch verformbar ist. Man bezeichnet diese Lage als die Asthenosphäre (nach dem griechischen Wort asthenés für „schwach“). Man kann sich das in etwa wie einen festen, auskristallisierten Honig vorstellen, der noch eine gewisse Streichfähigkeit besitzt. Auf dieser leicht verformbaren Unterlage können sich die Platten in geologischen Zeiträumen bis zu mehreren Zentimetern pro Jahr bewegen. Wenn wir eine Plattenbewegungsgeschwindigkeit von 3 cm/Jahr wie für den Zentralatlantik annehmen, dann summiert sich das in 1 Mio. Jahren bereits zu 30 km. Die Öffnung des Zentralatlantiks begann vor 180 Mio. Jahren, d. h.,

..Abb. 1.8  Schnitt durch den Erdkörper. (Meschede, 2022; Satellitenbild: pixabay)

die Lithosphärenplatten haben sich seitdem 5400 km auseinanderbewegt. Das entspricht ziemlich genau der Entfernung zwischen Lissabon (Portugal) am östlichen und New York (USA) am westlichen Rand des Atlantiks. >>Zeichnerische

Darstellung plattentektonischer

Prozesse Die Lithosphäre ist, wie das Analogbeispiel Pfirsich zeigt, nur eine sehr dünne Außenhaut um den heißen Erdkörper herum. In dieser im Durchschnitt etwa 100 km dicken Gesteinsschicht finden aber die meisten für uns relevanten tektonischen Prozesse statt. Wenn wir uns nun Lithosphärenplatten im globalen Maßstab wie z. B. in . Abb. 1.8 ansehen wollen, haben wir das Problem, dass die Lithosphäre nur als ein dünner Strich erscheint. Eine Unterscheidung der einzelnen Lagen wie Kruste und Mantel ist nicht möglich. Dafür bedient man sich der Überhöhung, d. h., der vertikale Maßstab wird um ein Vielfaches erhöht (Meschede, 2022). So beträgt z. B. in . Abb. 1.11 die Breite des Bildes über 10.000 km, während die ozeanische Lithosphäre nur etwa 80 km dick ist. Sie ist um mehr als das Zehnfache überhöht dargestellt, um den Aufbau der Lithosphäre zu zeigen. Die Erdkrümmung ist nur angedeutet; auch sie entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, denn vom linken bis zum rechten Bildrand decken die beiden Blockbilder schon etwa ein Drittel der Erdkugel ab. . Abb. 1.9 zeigt den Weg von der maßstäblich korrekten zur überhöhten und weniger gekrümmten Darstellung in einem 3-D-Blockbild.

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.9  Überhöhung von geologischen Schnitten zur Darstellung plattentektonischer Prozesse (. Abb. 1.11). (Meschede, 2022; z. T. verändert nach Frisch & Meschede, 2021)

1.3.3.3

Plattenaufbau und Plattengrenzen

Beim Blick auf eine Karte der Altersverteilung ozeanischer Kruste fällt auf, dass es bis auf wenige isolierte Reste (z. B. im östlichen Mittelmeer) keinen Ozean gibt, der älter ist als 200 Mio. Jahre (. Abb. 1.10). Auf den Kontinenten sieht es hingegen ganz anders aus. Hier gibt es sehr viel ältere Gesteine; stellenweise sind sogar noch Gesteine erhalten, die schon kurz nach der Geburt der Erde vor mehr als 4 Mrd. Jahren entstanden sind. Warum gibt es diese großen Unterschiede zwischen ozeanischer und kontinentaler Kruste? Ozeanische Kruste entsteht in den Spreizungszonen an mittelozeanischen Rückensystemen (. Abb. 1.3, 1.11). Dort wird aus einem Magma, das aus dem obersten Erdmantel stammt, neue ozeanische Kruste mit einer Dicke von 5–8 km gebildet. Zum allergrößten Teil sind dies Gesteine mit basaltischer Zusammensetzung. Darunter versteht man Gesteine, die vor allem aus den Mineralen Olivin, Pyroxen und Plagioklas (aus der Gruppe der Feldspäte) bestehen. Sie sind mit einem spezifischen Gewicht (Dichte) um 3,0 g/cm3 etwas leichter als die Gesteine des festen Erdmantels mit 3,3 g/cm3. Unterhalb der neuen ozeanischen Kruste bildet sich durch Abkühlung der lithosphärische Mantel, der sich in seiner stofflichen Zusammensetzung nicht von der darunterliegenden Asthenosphäre unterscheidet und mit zunehmender

..Abb. 1.10  Alter der ozeanischen Kruste. (Meschede, 2022)

Entfernung von der Spreizungszone immer dicker wird. Zusammen bilden die ozeanische Kruste und der lithosphärische Mantel die ozeanische Lithosphäre, die nach etwa 90 Mio. Jahren eine Dicke von 70–80 km erreicht hat und sich dann in einem Gleichgewicht mit der As­ thenosphäre befindet. Kontinentale Kruste ist im Laufe der Erdgeschichte aus den ursprünglich überwiegend basaltischen Gesteinen durch ein vielfach wiederholtes Durchlaufen des Gesteinskreislaufes entstanden. In der äußersten Schicht der Erdkruste hat sich ein Kreislaufsystem entwickelt, bei dem die leichten Materialien immer wieder umge-

1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

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..Abb. 1.11  Stark überhöhte Blockbilder durch die äußere feste Erde. Gezeigt werden am Beispiel des Atlantiks (oben) und des Pazifiks (unten) die drei Arten von Plattengrenzen, passive und aktive

Kontinentränder, ein Inselbogen, Vulkanketten, die von Hotspots verursacht werden, und ein Grabenbruch. Die Platten bestehen aus Kruste und lithosphärischem Mantel. (Aus Frisch & Meschede, 2021)

wandelt und verlagert werden. Vor allem kontinentale Kruste ist von den Oberflächenprozessen Verwitterung, Abtragung und Transport betroffen. Die entstehenden Sedimente werden in Subduktionszonen durchaus zunächst einmal nach unten gezogen. Sie werden allerdings, anders als ozeanische Kruste, nicht wieder in den Erdmantel integriert, da sie dafür zu leicht sind. Sie werden in vergleichsweise geringen Tiefen von maximal etwa 100–120 km durch Metamorphose verändert und schließlich aufgeschmolzen, sodass sich das Material als

flüssiger Gesteinsbrei in Magmakammern sammelt und wieder nach oben steigt. Dabei fanden und finden in den Magmakammern im Kleinen ähnlich wie bei der Entstehung des Lagenbaus der Erde weitere Differentiationsprozesse statt, die zur Bildung neuer, spezifisch leichter Minerale wie z. B. Quarz und Alkalifeldspat führten. Die daraus entstandenen Gesteine sind zu leicht für eine Rückführung in den Erdmantel, sodass sie in der äußeren Schale der Erde blieben und sich dort ansammelten. Das führte seit der Bildung des Planeten zur Bildung der im

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.12  Das Plattenmuster der Erde. (Aus Meschede, 2018)

Durchschnitt 30–35 km dicken kontinentalen Kruste. Die Gesamtdicke der kontinentalen Lithosphäre, die aus der kontinentalen Kruste und im unteren, mächtigeren Teil aus dem lithosphärischen Mantel besteht (. Abb. 1.11), kann unter sehr alten kontinentalen Platten auf über 150 km ansteigen. Das ist eine Folge der lang anhaltenden Abkühlung des obersten Teiles der Asthenosphäre, die, wenn sie keine Teilschmelze mehr enthält, zu lithosphärischem Mantel wird. Die feste äußere Schale des Erdkörpers ist in zahlreiche unterschiedlich große Lithosphärenplatten unterteilt, die gegeneinander in ständiger Bewegung sind (. Abb. 1.12). In den Spreizungszonen an mittelozeanischen Rücken bilden sich Spalten, in denen flüssiges Gesteinsmaterial nach oben dringt, erkaltet und die Spalte wieder verschließt. Solche Spalten reißen an diesen Spreizungszonen immer wieder neu auf, sodass infolge der kontinuierlichen Neubildung von Gestein die beiden hier aneinandergrenzenden zu beiden Seiten gleichmäßig von der Spreizungszone wegdriften. Wir haben es hier mit einer konstruktiven Plattengrenze zu tun, an der ozeanische Kruste neu gebildet wird. Die neu gebildete Kruste besteht zum größten Teil aus basaltischen Gesteinen, die aufgrund ihres Gehaltes an magnetisierbaren Mineralen das zur Zeit ihrer Bildung herrschende Erdmagnetfeld „einfrieren“ und konservieren können (. Abb. 1.13). Das Magnetfeld der Erde polt sich in unregelmäßigen Abständen von wenigen Zehntausend bis zu mehreren Millionen Jahren um. Das heißt, dort, wo sich der heutige Nordpol befindet, wird sich nach einer Umpolung der Südpol befinden. Diesen Umstand machen sich die Geologen zunutze, indem sie die in einem bestimmten Bereich ermittelten Umpolungsereignisse mit einer global gültigen Zeitskala der magnetischen Umpolungen vergleichen und so anhand der Abstände zwischen den Umpolungen das Alter bestimmen können. Es hat sich gezeigt, dass diese Methode der Altersbestimmung auf fast die gesamten Ozeane der Erde anwendbar ist (. Abb. 1.10). Wenn auf der Erdkugel an einer Stelle neue Lithosphäre eingefügt wird wie an den Spreizungszonen, muss sie anderer Stelle wieder weggenommen werden, denn

..Abb. 1.13  Bildung neuer ozeanischer Kruste an mittelozeanischen Rücken mit wechselnder Magnetisierung durch Umpolung des Magnetfeldes. (verändert nach Meschede, 2022)

andernfalls würde die Erdkugel immer größer werden. Diese Wegnahme der Lithosphäre geschieht durch ihre Rückführung in den Erdmantel in den Subduktionszonen (. Abb. 1.14), allerdings funktioniert das nur mit der ozeanischen Kruste, die in der Tiefe durch metamorphe Mineralumwandlungen ihre Dichte ändert und so schwer wird, dass sie bis zur Erdkerngrenze absinken kann. Kontinentale Kruste ist hingegen zu leicht, als dass sie in große Tiefen hinabgezogen werden könnte. Die in Subduktionszonen in den Erdmantel hinabgezogene ozeanische Kruste wird in einer Tiefe von 100–120 km inklusive der auf ihr abgelagerten Sedimente z. T. aufgeschmolzen, wobei das mitgeführte Wasser den Aufschmelzungsprozess noch verstärkt. Von hier dringen magmatische Schmelzen nach oben und speisen die über einer Subduktionszone sehr häufig vorkommenden Vulkane im Vulkanbogen und die plutonischen Körper, die im magmatischen Bogen über der Subduktionszone stecken bleiben. Der größte Teil der ozeanischen Lithosphäre sinkt jedoch tief in den Erdmantel ein, wird dort verändert und schließlich in einem riesigen Recyclingprozess aufgeschmolzen (. Abb. 1.17). Aufgrund der Plattenbewegungen, Neubildungen und Wegnahmen unterliegen die Kontinente und Ozeane der Erde einem ständigen Wandel; sie entstehen, vergehen und bilden sich innerhalb eines mehr als 100 Mio. Jahre andauernden Zyklus wieder neu. Durch das Miteinander, Spreizungszonen auf der einen und Subduktionszonen auf der anderen Seite, ist ein Kreislauf entstanden, der nun schon weit über 2 Mrd. Jahre anhält und die ozeanische Lithosphäre regelmäßig komplett erneuert. Da ozeanische Lithosphäre im Gegensatz zur kontinentalen Lithosphäre wieder in den Erdmantel zurückgeführt werden kann, gibt es keinen Ozean, der älter als 200 Mio. Jahre alt ist (. Abb. 1.10). Die kontinentale Kruste ist mit einer durchschnittlichen Dichte von 2,7 g/cm3 zu leicht, um in den Erdmantel absinken zu können. Die ozeanische Kruste hingegen wird in einer Subduktions-

1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

..Abb. 1.14  Schnitt durch eine Subduktionszone an einem aktiven Kontinentrand. Die gestrichelten Linien zeigen die Temperaturverteilung in einer Subduktionszone. Die Darstellung ist nicht überhöht. (Nach Frisch & Meschede, 2021)

zone durch den zunehmenden Druck schon in einer Tiefe von 40–50 km umgewandelt. Gesteine mit basaltischer Zusammensetzung werden dort durch Metamorphose zu Eklogiten, die eine Dichte aufweisen, die sogar höher ist als diejenige des Erdmantels. Sie ziehen deswegen die ozeanische Lithosphäre regelrecht in den Erdmantel hinunter und sinken bis zur Erdkerngrenze ab. Subduktionszonen sind destruktive Plattengrenzen; sie werden auch als konvergente Plattengrenze bezeichnet, da sich die beiden Platten hier aufeinander zubewegen. Dem gegenüber stehen die konstruktiven Plattengrenzen, die auch als divergente Plattengrenzen bezeichnet werden, da sich die beiden Platten hier voneinander wegbewegen. Dafür sorgt die an mittelozeanischen Rückensystemen neu gebildete ozeanische Kruste (. Abb. 1.13). Als vermittelndes geometrisches Element gibt es einen dritten Typ von Plattengrenzen, an denen es weder zur Neubildung noch zur Wegnahme von Lithosphäre kommt. Die Platten gleiten hier entlang von Transformstörungen lediglich aneinander vorbei (. Abb. 1.15). Sie werden als konservative Plattengrenzen bezeichnet. Ohne Transformstörungen wäre es nicht möglich, die Lithosphäre in große und kleine Platten zu unterteilen, die sich gegeneinander bewegen können. Sie sind ein ausgleichendes geometrisches Element, das zwischen verschiedenen Plattengrenzen vermittelt. Am häufigsten kommen Transformstörungen an mittelozeanischen Rücken vor, wo sie zwei Segmente eines Spreizungssystems miteinander verbinden (. Abb. 1.15). Sie können aber auch zwischen einer Subduktionszone und einer Spreizungszone oder zwischen zwei Subduktionszonen liegen. Werden zwei Segmente eines mittelozeanischen Rückens miteinander verbunden, ist die Länge der Transformstörung konstant, in anderen Fällen kann sie in Abhängigkeit von den Plattenbewegungsgeschwindigkeiten auch verlängert oder verkürzt werden. Die Transformstörung endet am sog. Transformationspunkt, an dem eine diver-

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..Abb. 1.15  Prinzip der Transformstörung. Beispiel an einem mittelozeanischen Rücken. Eine Transformstörung endet auf jeder Seite in einem Transformationspunkt. In der Fortsetzung liegt die Bruchzone, entlang der keine Seitenverschiebung mehr stattfindet, da sich beide Seiten der Bruchzone mit gleicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung bewegen. (Aus Frisch & Meschede, 2021)

gente oder konvergente Bewegung in eine Seitenbewegung transformiert (umgewandelt) wird (. Abb. 1.15). Am Beispiel des Atlantischen Ozeans lässt sich zeigen, dass die Länge einer Transformstörung zwischen zwei Rückensegmenten auch über längere Zeiträume hinweg konstant bleibt (. Abb.  1.10). Die Länge der Transformstörungen wurde bereits beim Aufbruch des Grabenbruchsystems, entlang dem der Großkontinent Gondwana in der Jura- und Kreidezeit auseinanderbrach, festgelegt. Die heutige Lage der Spreizungszonen und Transformstörungen am Mittelatlantischen Rücken stimmen recht gut mit den Rändern der kontinentalen Krusten Afrikas und Südamerikas überein (. Abb. 1.16). Ganz ähnlich wie die mittelozeanischen Spreizungssysteme funktionieren Lavaspalten in der Oberfläche eines aktiven Lavasees. An der Oberfläche des Sees bildet sich durch Abkühlung eine dünne, feste Kruste. Durch die darunter brodelnde Lava zerbricht diese Kruste jedoch in einzelne Schollen, zwischen denen sich Spalten bilden, in denen Lava nach oben dringt und an den Rändern der schon erkalteten Schollen (Analog zur Lithosphärenplatte) ebenfalls fest wird. Die Platten driften dadurch voneinander weg und verhalten sich damit in einem sehr viel kleineren Maßstab und in einem sehr schnell ablaufenden Prozess wie das Modell eines Spreizungssystems. Man kann beobachten, wie sich die Position der Spalten auf dem Lavasee ständig verändert. Und an manchen Stellen sieht man die festen Lavaplatten ähnlich wie in Subduktionszonen auch wieder in den Lavasee eintauchen, nur dass dieser Prozess der Umwälzung hier nicht Millionen Jahre, sondern nur wenige Minuten oder Stunden dauert. Physikalisch passiert jedoch genau das Gleiche: An der Lavaspalte (Analog zum Spreizungssystem) wird Wärme nach außen transportiert, und dort, wo die Platten wieder in den Lavasee eintauchen (Analog zur Subduktionszone), wird kühles Material in die Tiefe gezogen.

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.16  Passform der Transformstörungen zwischen Afrika und Südamerika. Links: Lage der Kontinente zu Beginn der Öffnung des Südatlantiks vor 115 Mio. Jahren. Rechts: heutige Situation. (Meschede, 2022)

1.3.3.4 Hotspots

Unabhängig von den Plattengrenzen gibt es über die ganze Erde verteilt sog. Hotspots (heiße Flecken), an denen lokal eng begrenzt aufgeheiztes Material des Erdmantels in röhrenförmigen Zonen von der Grenze des Erdkerns nach oben steigt. Erst in den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Hotspots einen deutlich wichtigeren Beitrag als bislang angenommen zum Wärmehaushalt der Erde leisten. Sie sind dafür verantwortlich, dass Gesteinsmaterial, das in Subduktionszonen bis an die Kern-Mantel-Grenze hinuntertransportiert wird, zumindest zum Teil wieder nach oben in die Lithosphäre gelangt (. Abb. 1.17). Das aufgeheizte und nach oben dringende Gesteinsmaterial wird an der Unterseite der Lithosphärenplatten gestoppt (. Abb. 1.18). Dort bildet sich ein Diapirkopf, von dem aus magmatische Schmelzen durch die Lithosphäre nach oben dringen und dort Magmakammern in relativ seichter Tiefe füllen. Deswegen kommt es an den Hotspots immer wieder zu Vulkanausbrüchen. Wenn sich der Hotspot unter einer ozeanischen Lithosphärenplatte befindet wie z. B. auf Hawai’i oder Galápagos, bilden sich darüber zunächst submarine Vulkane, die schließlich zu Inseln heranwachsen können. Befindet sich der Hotspot unter einer kontinentalen Lithosphärenplatte wie z. B. unter dem Yellowstone-Nationalpark, kann es darüber zu den heftigsten Vulkaneruptionen kommen, die wir aus der Erdgeschichte kennen, den sog. Supervulkanen. Hotspots werden als ortsfest angesehen, d. h., anders als die Lithosphärenplatten verändern sie ihre Position auf der Erdkugel nicht. Die driftenden Lithosphärenplatten bewegen sich deswegen langsam über die Hotspots hinweg. Die Vulkane, die von den Hotspots gespeist werden, geraten damit nach einer gewissen Zeit aus dem Förderbereich des Hotspots heraus und werden dann inaktiv. Über dem Hotspot baut sich hingegen ein neuer Vulkan auf. Im Laufe der Zeit ergibt sich daraus eine ganze Kette von Vulkanen, die mit ihrer Achse die

..Abb. 1.17  Modell für den Schalenaufbau der Erde und den Verlauf der Konvektionsströmungen im Erdmantel und Erdkern. (Aus Frisch & Meschede, 2021). PGZ  =  Plume Generation Zone, Entstehungsorte der Hotspots. D″  =  Lage über dem Erdkern, in der sich abgesunkenes Material aus Subduktionszonen sammelt

Bewegungsrichtung der Platte nachzeichnen. Besonders schön lässt sich das am Beispiel der Hawai’i-EmperorInsel- und Seamountkette (Kette von untermeerischen Bergen) beobachten (. Abb. 1.18). Das Alter der Inseln und Seamounts nimmt systematisch vom derzeit aktiven Vulkan Kilauea auf der Hauptinsel Hawai’i und dem noch submarinen Vulkan Lo’ihi nach Nordwesten hin zu (. Abb. 1.18). Die ältesten Seamounts dieser Kette sind bereits über 80 Mio. Jahre alt und befinden sich direkt vor der Subduktionszone von Kamtschatka im östlichen Russland, d. h., sie haben sich durch ihre Wanderung mit der Pazifischen Platte mittlerweile mehr als 6000 km von ihrem Ursprungsort am Hotspot von Hawai’i entfernt. 1.3.3.5

Kollision und Gebirgsbildung

Die Subduktion eines Ozeans endet mit der Kollision zweier kontinentaler Lithosphärenplatten (. Abb. 1.19). Während die ozeanische Kruste mit der Lithosphäre in den Erdmantel hinuntergezogen wird, bleibt die kontinentale Kruste an der Oberfläche und wird in einem mächtigen Deckenpaket übereinandergestapelt. Die Krustendicke kann dabei verdoppelt werden und im Zentrum des Gebirges über 70 km betragen. Zu Beginn einer Kollision finden die Deckenstapelungen in tieferen Bereichen statt und sind an der Erdoberfläche nicht zu erkennen, da die subduzierende Platte noch von der daran hängenden ozeanischen Platte nach unten gezogen wird. Wenn die Plattenzugkräfte jedoch zu groß werden, reißt die ozeanische Platte ab und sinkt weiter in den Erdmantel. In der verbleibenden kontinentalen Platte

1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

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..Abb. 1.19  Schließung einer Subduktionszone infolge der Kollision zweier kontinentaler Platten. Das Gebirge beginnt sich nach dem Plattenabriss der ozeanischen Lithosphäre isostatisch zu heben. In der Vorgebirgssenke bilden sich Molassesedimente. (Aus Meschede, 2018)

..Abb. 1.18  Hotspot unter Hawai’i mit der anschließenden Inselkette (überhöhte Darstellung). (Meschede, 2022)

setzt nun der Prozess des isostatischen Ausgleiches ein, der dazu führt, dass sich der Krustenstapel mit den leichten kontinentalen Gesteinen heraushebt. Auf diese Weise bildet sich ein oft mehrere Kilometer hohes, steiles Gebirge, das von Beginn an der Erosion unterliegt. Die bei der Erosion des Gebirges entstehenden Ablagerungen werden in einer Senke vor dem Gebirge gesammelt und bilden dort oft kilometermächtige Sedimentpakete. Sie werden nach dem auf diese Weise entstandenen Molassebecken vor den Alpen als Molassesedimente bezeichnet. Erosionsprozesse und tektonische Bewegungen finden gleichzeitig statt, sodass frühe Molasseablagerungen, die zu Beginn der Heraushebung entstanden, durch fortgesetzte Heraushebung ihrerseits wieder der Erosion unterliegen und die Grundlage für jüngere Molasseablagerungen bilden. 1.3.3.6

Plattentektonik in geologischen Zeiträumen

Die Entwicklungsgeschichte der Erde läuft in geologischen Zeiträumen ab. Damit sind Zeiträume gemeint, die unseren menschlichen Erfahrungshorizont um ein Vielfaches übertreffen. Während wir als Menschen einen Zeitraum von vielleicht 100 Jahren anhand eigener Erfahrungen und der Erzählungen von Eltern und Großeltern einigermaßen gut überblicken können, sprechen wir in den Geowissenschaften in der Regel von Millionen von Jahren. Dabei ist 1 Mio. Jahre, bezogen auf das Alter der Erde mit 4510 Mio. Jahren, nicht besonders viel. Für uns Menschen ist das jedoch ein ungeheuer großer Zeitraum, den wir nur schwer erfassen können. Die kulturelle Entwicklung der Menschheit begann mit den ersten städtischen Siedlungen vor ca. 10.000 Jahren.

Das bedeutet, dass die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit 100-mal in 1 Mio. Jahre stattfinden könnte (Meschede, 2018). Über lange Zeiträume hinweg führen Plattenbewegungen zu großräumigen Veränderungen der Kontinente und Meere. Die Öffnung eines mehrere Tausend Kilometer breiten Ozeans dauert 100 bis 200 Mio. Jahre, während gleichzeitig derselbe Anteil an ozeanischer Lithosphäre an anderer Stelle subduziert und im Erdmantel recycelt wird. Daraus ergibt sich ein Zyklus, der mit dem Zerbrechen eines Kontinents beginnt, darauf folgt die Bildung eines neuen Ozeans, der schließlich subduziert und infolge der Kollision zweier Lithosphärenplatten geschlossen wird. Nach der Einebnung des dabei entstandenen Gebirges beginnt der Zyklus, den wir als WilsonZyklus (. Abb. 1.20) kennen, von Neuem. Vor 250 Mio. Jahren begann der Zerfall des Großkontinents Pangäa in die Kontinente, die wir heute kennen. Etwa 500 Mio. Jahre davor gab es den Großkontinent Rodinia, zu dem sich die kontinentalen Lithosphärenplatten zusammenschlossen, um danach wieder zu zerbrechen. Pangäa entstand am Ende des Paläozoikums vor ungefähr 300 Mio. Jahren durch die Kollision der nördlichen Kontinente mit dem großen Südkontinent Gondwana. In Mitteleuropa entstand das Variszische Gebirge, das zu dieser Zeit in Nordamerika in den Appalachen seine direkte Fortsetzung hat, denn Mitteleuropa und Nordamerika hingen noch zusammen. Im nun folgenden Zeitalter des Perms wurden die Gebirge wieder weitgehend abgetragen und eingeebnet. Damit war die Voraussetzung für den Beginn eines neuen Wilson-Zyklus (. Abb. 1.21) gegeben. Der Zerfall Pangäas begann mit einem Grabenbruchsystem, das in der Triaszeit entstand und Pangäa in OstWest-Richtung zerteilte. Der Graben wurde immer breiter und weitete sich im Jura zu einem Ozean aus, den man sich anfänglich so vorstellen muss wie das heutige Rote

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.20  Der Wilson-Zyklus: vom Zerbrechen eines Kontinents zur Bildung und Subduktion eines Ozeans mit anschließender Gebirgsbildung und Einebnung. (Aus Meschede, 2018)

Meer. Entlang einer Linie von der heutigen Karibik bis in die nördliche Balkanregion zerbrach der Großkontinent Pangäa in einen südlichen und einen nördlichen Anteil. Ungefähr 100 Mio. Jahre später, in der mittleren Kreidezeit, veränderten sich weltweit die Plattenbewegungsrichtungen, und die Spreizungsachse verlagerte sich mehr in Nord-Süd-Richtung. Der südliche Kontinent wurde nun in mehrere kleinere Kontinente aufgeteilt: Südamerika trennte sich von Afrika, Indien spaltete sich ab und wanderte nach Norden, und im Süden blieben Australien und die Antarktis noch bis in die obere Kreide zusammen. Im Paläogen kollidierte Indien mit der eurasischen Platte und bildete das Himalaya-Tibet-Gebirge. Gleichzeitig kollidierte die zwischen Afrika und Eurasien gelegene Apulisch-Adriatische Platte mit Eurasien und bildete die Alpen und die damit zusammenhängenden Gebirge wie die Pyrenäen und das Balkangebirge. Der nördliche Kontinent spaltete sich in den westlichen Anteil Nordamerika und Grönland sowie den östlichen Anteil Eurasien auf. Teile des Mittelmeeres sind die Überreste eines ehemals viel größeren Ozeans, der Neotethys. Dieser Ozean wurde seit seiner Öffnung im Perm weitgehend subduziert, und nur noch das östliche Mittelmeer ist als Rest erhalten geblieben. Die Kollision zwischen Afrika und Eurasien hat bereits begonnen und wird sich in der (geologischen) Zukunft fortsetzen, sodass das Mittelmeer ganz verschwinden wird. An dessen Stelle wird sich in ungefähr 50–100 Mio. Jahren ein großes Gebirge erheben. Wenn man davon ausgeht, dass die plattentektonischen Bewegungen, wie wir sie heute kennen, seit etwa 2,5 Mrd. Jahren in gleicher Form ablaufen, sind rein rechnerisch mehr als zehn Wilson-Zyklen denkbar: Immer wieder öffnete sich danach ein großer Ozean

und wurde anschließend wieder subduziert. Den letzten Zyklus mit dem Zerfall Pangäas können wir gut rekonstruieren; auch der Zyklus davor, der Zerfall des Großkontinentes Rodinia, ist noch einigermaßen rekonstruierbar, doch für frühere Zyklen fehlen die Überlieferungen weitgehend. Vor dieser Zeit lief das plattentektonische Geschehen sehr viel schneller ab. Man geht heute davon aus, dass die Konvektionszellen bei einer deutlich dünneren Lithosphäre viel kleiner waren und die Bewegungen schneller abliefen. Außerdem gab es zu dieser Zeit weltweit verteilt sehr viel mehr aktive Vulkane, die den Wärmehaushalt der Erde steuerten. Mantelgesteine, die heute nur unter den mittelozeanischen Rückensystemen so weit aufgeschmolzen werden, dass sich daraus die basaltischen Magmen ableiten können, schafften es zu dieser Zeit noch, in flüssiger Form bis an die Erdoberfläche zu gelangen. Die Kontinente entstanden erst allmählich durch die von Beginn der Erdentstehung an einsetzende Differenziation der Magmen und die dadurch bewirkte Abtrennung von leichteren Gesteinen, die aufgrund ihrer geringen Dichte nicht mehr in den Mantel zurückgeführt werden können. Vor 2,5 Mrd. Jahren waren bereits etwa 80 % der heutigen kontinentalen Kruste entstanden. Die Lithosphäre war zu dieser Zeit so dick geworden, dass die schnellen und relativ kleinräumigen Austauschprozesse nicht mehr überall funktionierten und sich allmählich das heutige plattentektonische System mit Spreizungs- und Subduktionszonen etablierte. 1.3.3.7

Gesteine der Erde

Die Gesteine der Erde werden in die drei großen Klassen Magmatite, Metamorphite und Sedimentite eingeteilt (Hann, 2017). Ganz am Anfang der Gesteinsentstehung standen die Magmatite, die sich als Erstes aus den flüssigen Gesteinsschmelzen bildeten. Durch Erosion dieser Gesteine entstanden vor allem durch die Einwirkung von Wasser Sedimente, die zu Sedimentiten verfestigt und eventuell in große Tiefen verlagert wurden. Die Minerale, aus denen ein Gestein zusammengesetzt ist, sind jedoch nur in bestimmten Temperaturbereichen stabil. Wenn die Temperatur und der Druck zunehmen, können sich aus dem vorhandenen Elementbestand neue Minerale bilden, die den veränderten Bedingungen standhalten. Geraten die Gesteine in sehr große Tiefen und unter hohe Drucke, können sie aufgeschmolzen werden. Es bilden sich wieder Gesteinsschmelzen, und der Gesteinskreislauf kann von vorn beginnen (. Abb. 1.22). Die ersten magmatischen Gesteine bildeten sich aus Magmakammern, die von Teilschmelzen des oberen Erdmantels gespeist wurden. Ähnlich wie es auch heute noch an mittelozeanischen Rücken passiert, sammeln sich in diesen Teilschmelzen die leichter schmelzbaren Anteile des Erdmantels. Das Ergebnis ist eine basaltische Schmelze, die vor allem aus Silikatmineralen aufgebaut ist. Silikatminerale sind mit großem Abstand die

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1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

..Abb. 1.21  Globale Entwicklung der Kontinente und Ozeane seit dem Perm. (verändert nach Scotese, 1998)

häufigsten gesteinsbildenden Minerale der Erde. Sie enthalten immer eine sog. Silikatgruppe aus den Elementen Silizium (Si) und Sauerstoff (O), die mit anderen Elementen auf unterschiedliche Art und Weise verbunden sind. Zu diesen Elementen gehören vor allem Eisen (Fe), Magnesium (Mg), Aluminium (Al), Calcium (Ca), Natrium (Na) oder Kalium (K). Andere Elemente kommen in großer Zahl auch vor, doch treten sie in deutlich geringeren Mengen auf. Durch Differenziation in einer Magmakammer können sich je nach Zusammensetzung des Magmas unterschiedliche Minerale und Gesteine bilden. Unter der Differenziation versteht man einen Prozess, bei dem aus einem Magma zunächst die schweren, oft eisen- und magnesiumhaltigen Silikatminerale mit einem hohen Schmelzpunkt auskristallisieren. Sie sinken zu Boden und werden auf diese Weise dem Magma entzogen. Dadurch reichern sich die leichteren Minerale in der übrig bleibenden Schmelze an. Dieser Prozess geht über mehrere Stufen, sodass verschiedene Minerale mit ganz unterschiedlichen Zusammensetzungen gebildet werden können. Sind am Ende alle Elemente verbraucht, aber noch viele Silikatgruppen übrig, bildet sich sozusagen als letztes Differenziationsprodukt Quarz, der nur aus Si und O besteht: SiO2. Da die Abkühlung in einer Spreizungszone relativ schnell geht, bleibt hier nur wenig Zeit für eine Differenziation des Magmas, sodass die ozeanische Kruste fast vollständig aus basaltischen Gesteinen aufgebaut ist. Dringen Magmakammern jedoch in dickere Krusten wie über einem magmatischen Bogen an einer Subduktionszone, über einem Hotspot oder in kontinentale Kruste ein, dauert es oft längere Zeit, bis das Magma erkaltet

..Abb. 1.22  Gesteinskreislauf. (Aus Meschede, 2018)

ist. In solchen Situationen bilden sich in den Magmakammern leichtere Gesteine wie z. B. Granodiorit oder Granit. Magmatische Gesteine können entweder als Tiefengesteine, die als Plutonite oder Intrusivgesteine bezeichnet werden, entstehen oder oberflächlich austreten und dort in Vulkanen Extrusivgesteine oder Vulkanite bilden. So wird eine basaltische Schmelze in der Tiefe als ein Gabbro erstarren, an der Erdoberfläche hingegen einen Basalt bilden. Chemisch und mineralogisch sind diese beiden Gesteine gleich, sie sind nur unterschiedlich auskristallisiert. Ein Gabbro ist vollständig auskristalli-

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.23  Mineralzusammensetzung gesteinsbildender magmatischer Gesteine von ultramafischen Gesteinen (rechter Rand) über granitische Gesteine hin zu quarzfreien Gesteinen mit Feldspatvertretern (linker Rand). V. = Vulkanite, P. = Plutonite. (Verändert nach Frisch & Meschede, 2021)

siert mit zentimetergroßen Kristallen. Ein Basalt enthält oft auch auskristallisierte Minerale, jedoch ist hier ein großer Anteil so schnell erkaltet, dass sich nur vulkanisches Glas bilden konnte. Das vulkanische Pendant zum Tiefengestein Diorit ist der Andesit, zum Granodiorit der Dazit und zum Granit der Rhyolith (. Abb. 1.23). Wasser hatte sich schon kurz nach der Bildung der festen Erdkruste auf der Erdoberfläche in Senken angesammelt. Damit begannen die bis heute andauernden Prozesse Erosion, Transport und Ablagerung und damit die Bildung der Sedimentgesteine. Bei der Erosion werden Gesteine entweder mechanisch zerkleinert oder chemisch zersetzt und umgewandelt oder gelöst. Sie werden dann im Wasser, zu einem späteren Zeitpunkt in der Erdgeschichte auch durch Eis und Wind transportiert und an anderer Stelle wieder abgelagert oder ausgeschieden. Aus den zerkleinerten Gesteinen entstehen bei nachlassender Transportkraft des Wassers klastische Sedimente wie Kies, Sand oder Ton. Chemische Sedimente entstehen durch Ausfällung aus dem Wasser wie z. B. Salze. Viele Millionen Jahre nach der Erdentstehung begann das organische Leben auf der Erde, das fortan einen maßgeblichen Anteil bei der Sedimentbildung hatte. Zu den organischen Sedimenten gehören heute die meisten Kalke, Kohlen, Erdöl und Erdgas sowie einige weniger häufig vorkommende Abbauprodukte von organischem Material. Alle diese Sedimente wurden und werden durch die nachfolgende Verfestigung, die als Diagenese bezeichnet wird, zu Sedimentgesteinen oder Sedimentiten. Durch tektonische Prozesse können Gesteine versenkt werden und unter immer höhere Drucke und Temperaturen geraten, wodurch die Gesteine verändert und zu Metamorphiten werden. Die in den Gesteinen enthaltenen Minerale sind jedoch immer nur bei bestimmten Druckund Temperaturbedingungen stabil. Wenn sich diese Bedingungen ändern, passen sich die Gesteine an die veränderten Gegebenheiten an und wandeln sich schrittweise um. So wird z. B. bei zunehmendem Metamorphosegrad aus einem Ton zuerst ein Schiefer, dann ein Phyllit, später

ein Glimmerschiefer und schließlich ein Gneis. Ein Kalk wird durch Metamorphose zu Marmor, ein Sandstein zu Quarzit. Bei diesen beiden gibt es keine Änderungen im Mineralbestand, da sie von vornherein nur aus einem Mineral, dem Calcit bzw. dem Quarz, aufgebaut sind. Auch magmatische Gesteine können durch Metamorphose umgewandelt werden. So wird aus einem Basalt zunächst ein Grünschiefer, dann ein Amphibolit und bei extrem hoher Metamorphose ein Pyroxengranulit. Steigen die Temperaturen und Drücke noch weiter an, kommt es schließlich zur Aufschmelzung des Gesteins, und der Vorgang der Gesteinsbildung aus einem Magma heraus kann von Neuem beginnen. Der Gesteinskreislauf schließt sich. Es gibt verschiedene Typen von metamorphen Gesteinen. Je nach Druck- und Temperaturbedingungen sind unterschiedliche Minerale und Mineralvergesellschaftungen stabil; man spricht dabei von der metamorphen Fazies. Die typischen Minerale können von Geologen als sog. Faziesindikatoren genutzt werden, d. h., man kann anhand der Mineralzusammensetzung erkennen, in welchem Metamorphosebereich das Gestein gebildet wurde (. Abb. 1.24). Drei wesentliche Metamorphosetypen werden unterschieden: Bei der Kontaktmetamorphose werden die metamorphen Veränderungen fast ausschließlich durch Temperaturerhöhungen hervorgerufen, z. B. wenn ein Magma als Intrusion in seichter Tiefe (z. T. weniger als 5 km) in ein Nebengestein eindringt und dort im Kontaktbereich zu Umkristallisationen führt. In Subduktionszonen werden kühle Gesteine in relativ kurzer Zeit (auf geologische Zeiträume bezogen) in große Tiefen hinabgezogen, wo sie einem sehr hohen Druck unterliegen, der zu typischen Veränderungen der Mineralzusammensetzung führt. Die Regionalmetamorphose tritt bei Gebirgsbildungen auf, wenn sich kontinentale Platten infolge einer Kollision übereinanderstapeln und die Gesteine in große Tiefen versenkt werden. Bei dieser Versenkung kommt es gleichermaßen zu Druck- und Temperaturerhöhungen, die bis hin zur Aufschmelzung der Gesteine führen können. 1.3.4

Der Bereich der Lebewesen – die Biosphäre

..Tab. 1.6  Biosphere / Biosphäre. (Aus King, 2014) Evolution

Natural selection, fossil evidence, mass extinction

Evolution

Natürliche Auslese, fossile Nachweise, Massensterben

Impact on other systems

Role of biosphere in earth systems

Auswirkungen auf andere Systeme

Rolle der Biosphäre im Erdsystem

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1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

nicht zur Entwicklung organischen Lebens wie es auf der Erde existiert, gekommen, denn ohne Wasser ist Leben nicht möglich. Bis vor etwa 500 Mio. Jahren spielte sich das Leben auf der Erde ausschließlich im Wasser ab. Die obersten Schichten des Wassers und die Atmosphäre waren durch die ungehindert eindringende UVStrahlung des Sonnenlichtes lebensfeindliche Regionen, denn eine schützende Ozonschicht, die ein Produkt der Sauerstoffproduktion in der Biosphäre ist, gab es bis dahin nicht. 1.3.4.1

..Abb. 1.24  Metamorphe Fazies in Abhängigkeit von Druck und Temperatur. (Verändert nach Frisch & Meschede, 2021)

Die lebendige Welt wird auf der Erde mit der Biosphäre zusammengefasst. Ähnlich wie die Hydrosphäre ist sie auch über mehrere Sphären verteilt. Der größte Teil befindet sich direkt auf der Erdoberfläche, in der Luft darüber und in Spalten und Hohlräumen im Boden darunter. Mikroorganismen können in der Lithosphäre durchaus auch noch in mehreren Kilometer Tiefe in Porenräumen von Gesteinen existieren. Die Biosphäre vermischt sich somit mit der Atmosphäre, der Hydrosphäre und der Lithosphäre. Dass es überhaupt Lebewesen auf der Erde gibt, verdanken wir der Sonne, denn Pflanzen wachsen, indem sie Sonnenstrahlung durch Fotosynthese in chemische Energie umwandeln. Wir Menschen nehmen diese chemische Energie über unsere Nahrung auf. Für einen solchen Stoffwechsel benötigen die uns bekannten Lebensformen flüssiges Wasser von max. 50 °C. Eine solche Temperatur hängt wesentlich vom Abstand zur Sonne und von der Existenz einer Atmosphäre ab. Damit Lebewesen dauerhaft bestehen können, müssen sie ausreichend vor hochenergetischer Strahlung durch eine Atmosphäre und ein Magnetfeld geschützt sein. Außerdem braucht die Entwicklung von Leben Zeit: Von der Entstehung der Erde bis zur Entstehung von Einzellern hat es viele Hundert Millionen Jahre gedauert. Unter Berücksichtigung dieser und weiterer Bedingungen für die Entstehung von Leben schätzen Forscherinnen und Forscher, dass es allein in unserer Galaxie Milliarden von Planeten geben könnte, die lebensfreundliche Bedingungen aufweisen (Bovaird et al., 2015; scinexx, 2015). Die Hydrosphäre ist für die Lebewesen auf der Erde von fundamentaler Bedeutung. Ohne Wasser wäre es

Entwicklung der Lebensformen

Die Entstehung der ersten Lebensformen auf der Erde ist nicht endgültig geklärt. Man geht heute davon aus, dass es z. B. an Hydrothermalquellen in den Ozeanen zur Entwicklung eigenständiger Ökosysteme kam. Hochreaktive Flüssigkeiten führten zur Entstehung von immer komplexeren Molekülen, die schließlich Aminosäuren und darauf aufbauend die ersten organischen Verbindungen hervorbrachten (Protobionten). Daraus entstanden vor etwa 3,8 Mrd. Jahren die ersten einzelligen Lebewesen (Prokaryoten) in Form von Bakterien, die in der Lage waren, zunächst ganz einfache und dann immer komplexere Informationen in ihrer DNS zu speichern und durch Teilung weiterzugeben (. Abb. 1.25). Einige dieser Bakterien, die man als Vorläufer der Cyanobakterien ansehen kann, waren wohl bereits vor über 3 Mrd. Jahren in der Lage, aktiv Fotosynthese zu betreiben und ihre Energie über die Sonneneinstrahlung zu beziehen. Wenig später entstand eine weitere Gruppe von Prokaryoten, die Archeen, die eine zweite wichtige Lebensform darstellen. Die Einzeller lernten allmählich, mit ihrer Umgebung zu interagieren. Die Bakterien vereinten sich zu Biofilmen, mit denen die Mikroorganismen Mikrobenmatten bildeten. Diese Mikrobenmatten waren in der Lage, Sediment einzufangen und charakteristische kugelige Gebilde zu formen, die Stromatolithen. Stromatolithen sind die ältesten durch Organismen aufgebauten Gebilde, die vor ca. 3,5 Mrd. Jahren erstmals auftraten und die es auch heute noch rezent in unveränderter Form gibt. Da es zur Zeit ihrer Entstehung noch keine anderen Organismen gab, die in der Lage gewesen wären, die Mikrobenmatten abzufressen, konnten sie sich stark ausbreiten, sodass während des Präkambriums sehr viele Stromatolithen entstanden, die heute fossil überliefert sind (Margulis & Schwartz, 1989). Ein entscheidender Schritt für die Evolution der Tier- und Pflanzenwelt war die Entwicklung vielzelliger Lebewesen (. Tab.  1.6; Kutschera, 2008). Zunächst bildeten sich über einen Zeitraum von weit mehr als einer Milliarde Jahren hinweg aus symbiotischen Verbindungen der Bakterien und Archeen heraus einzellige Lebewesen, die einen Zellkern besaßen (Eukaryoten). So entstanden z. B. vor etwa 2,2 Mrd. Jahren einzellige Algen, die fotosynthesefähige Cyanobakterien in ihrer Zelle einschlossen und mit ihnen eine symbiotische Ver-

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Abb. 1.25  Entwicklung der Lebensformen im Lauf der Erdgeschichte und ihr Zusammenhang mit dem Anstieg des Sauerstoffgehaltes. Eigene Abbildung nach unterschiedlichen Quellen.

bindung eingingen. Die Eukaryote teilten sich weiter auf in verschiedene phylogenetische Entwicklungslinien: Pflanzenreich (Flora), Tierreich (Fauna), Pilze und Protoctisten, die alle eukaryotischen Lebewesen umfassen, die nicht zu den drei anderen Gruppen gehören (. Abb. 1.26). Die Algen sind ganz wesentlich an der Umwandlung der Uratmosphäre in eine sauerstoffreichere Atmosphäre beteiligt (. Tab. 1.6). Mehr und mehr schlossen sich Einzeller zu Gemeinschaften zusammen, woraus schließlich die Vielzeller entstanden. Die ältesten heute bekannten fossilen Überreste von vielzelligen Lebewesen sind etwa 2,1 Mrd. Jahre alt, die meisten vielzelligen Lebewesen entstanden allerdings erst vor etwa 1,3 Mrd. Jahren. Im Laufe der Evolution erfolgte der Schritt von einzelligen zu vielzelligen Lebewesen mehrfach unabhängig voneinander. Man geht heute davon aus, dass es über 20mal zu einer solchen Entwicklung kam. Viele der dabei entstandenen Linien sind heute längst wieder ausgestorben. In größerer Zahl treten die Vielzeller erst seit etwa 600–700 Mio. Jahren auf. Nach der Entstehung der einzelligen und vielzelligen Lebewesen dauerte es noch weitere 1,5 Mrd. Jahre, bis sich aus diesen Lebensformen die höheren Tiere und Pflanzen bildeten, die heute unseren Planeten formen. Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung höherer Lebensformen war ein erhöhter Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre, der durch die Fotosynthesetätigkeit der Algen und Bakterien allmählich wuchs, um im frühen Paläozoikum schließlich ähnliche Konzentrationen aufzuweisen, wie wir sie heute kennen. Eine weitere bedeutende Folge der Erhöhung des Sauerstoffgehaltes war, dass nun eine Ozonschicht entstehen konnte, die wiederum die schädlichen UV-Strahlen aus dem Sonnenlicht filterte und es so den Organismen überhaupt erst ermöglichte, in den obersten Schichten der Ozeane und in den Küstenbereichen zu überleben und dort noch wesentlich effektiver Fotosynthese zu betreiben.

..Abb. 1.26  Stark vereinfachte Darstellung des Phylogenetischen Baums der Eucaryoten, die aus einer Symbiose der Bakterien und Archeen (Procaryoten) entstanden. Die Verbindung zwischen Procaryoten und Eucaryoten ist unklar. Eigene Abbildung nach unterschiedlichen Quellen.

Ein erster „Versuch“ der Evolution höherer Lebensformen war die Entstehung der Ediacara-Fauna (benannt nach ihrem berühmtesten Fundort in Australien), die vor etwa 571–541 Mio. Jahren existierte (Dunn & Liu, 2017). Diese nur lokal vorkommende Fauna aus großen Einzellern und vermutlich auch vielzelligen Weichtieren verschwand aber wieder und bildete nicht die Vorfahren der heute lebenden Tierwelt. Die Entwicklung der Tier- und Pflanzenwelt, wie wir sie heute kennen, begann vor etwa 560 Mio. Jahren und hatte ihren ersten großen Entwicklungsschub im Kambrium, dem ältesten Zeitalter des Paläozoikums (Mutterlose, 2018). Man bezeichnet diese Entwicklung, bei der so gut wie alle heutigen Tier- und Pflanzenstämme mit frühen Formen entstanden, als Kambrische Explosion. Hier wurde die Grundlage für alle heutigen komplexen Lebensformen gelegt. Bis an die Grenze des Paläozoikums gab es noch zu wenig frei verfügbaren Sauerstoff, der für tierisches Leben benötigt wird (. Abb. 1.25). Während des späten Präkambriums und des Kambriums stieg der Sauerstoffgehalt jedoch permanent an, und die vielzelligen Organismen entwickelten zu Beginn einen neuen Stoffwechselprozess, der den Sauerstoff als eine wesentlich effizientere Energiequelle nutzen konnte: die Atmung. Der Anstieg des Sauerstoffgehaltes wurde damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung der höheren Tierund Pflanzenwelt. Nach neuesten Erkenntnissen kam es schon im Kambrium vor über 500 Mio. Jahren zur ersten Besiedlung des Landes durch primitive Pflanzen; höher entwickelte Gefäßpflanzen folgten nur wenig später und gaben auch den Tieren die Möglichkeit, sich an Land auszubreiten. Gliederfüßer (Insekten, Krebstiere, Spinnen) eroberten das Land schon kurz nach der Besiedlung durch Pflanzen, die ersten Wirbeltiere folgten vor etwa 400 Mio. Jahren.

1.3  •  Interagierende Sphären im System Erde

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1.3.4.2 Massenaussterbeereignisse

befördern die Evolution

Im Laufe der Erdgeschichte kam es immer wieder zu Ereignissen, die zum massenhaften Aussterben zahlreicher Tier- und Pflanzenarten führten (Ward & Kirschvink, 2018). Als Ursache für das Massenaussterben werden Ereignisse angenommen, die in sehr kurzer Zeit zu massiven Verschlechterungen der Lebensbedingungen führten. So können z. B. vulkanische Großereignisse oder Einschläge von kosmischen Körpern (Impakt) solche plötzlich auftretenden Veränderungen bewirken. Während des Phanerozoikums lassen sich mehrere Massenaussterbeereignisse feststellen, die sich z. T. mit solchen Großereignissen korrelieren lassen, wobei man die stärksten fünf als die sog. Big Five zusammenfasst (. Abb. 1.27). Es hat sich gezeigt, dass die Artenvielfalt unmittelbar nach einem solchen Ereignis zwar deutlich reduziert ist, sich danach das Leben aber in weit größerer Vielfalt von Neuem entfaltet. Am Ende der Kreidezeit kam es im heutigen Indien zu riesigen lang andauernden Vulkanausbrüchen, bei denen die teilweise über 3 km dicken Lavadecken des Dekkan-Trapps gebildet wurden. Das ökologische Gleichgewicht wurde vor allem durch den massiven Eintrag vulkanischer Gase in die Atmosphäre gestört. Viele Arten konnten sich an die neuen Umweltbedingungen nicht anpassen und starben aus. Das ohnehin geschwächte globale Ökosystem wurde dann aber durch den Impakt des Chicxulub-Asteroiden noch zusätzlich gestört, sodass es in der Folge zu einem großen Massenaussterben kam, bei dem u. a. die Ammoniten und fast alle Dinosaurier ausstarben. Lediglich die Vögel, die sich im Jura von den Sauriern als kleiner Seitenzweig abspalteten, haben das Ereignis überdauert und sich danach in großer Vielfalt über die ganze Erde verbreitet. Während des Mesozoikums waren die Saurier die bestimmende Tiergruppe; sie standen in vielen Fällen am Ende der Nahrungskette. Ihr Aussterben an der KreideTertiär-Grenze hatte zur Folge, dass die bis dahin nur wenig verbreiteten Säugetiere die vielen frei gewordenen ökologischen Nischen besetzen konnten und sich in der Folge schnell weiterentwickelten. 1.3.4.3 Überlieferung

durch Fossilentstehung

Woher wissen wir, wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hat? Die Paläontologie beschäftigt sich mit dieser Frage und damit, welche Lebensbedingungen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten herrschten (Mutterlose, 2018). Das ist möglich, weil die Natur Spuren des Lebens der vergangenen Zeiten zumindest eine Zeit lang konserviert und zur Erforschung bereithält. Im Normalfall werden alle organischen Materialien sehr schnell zersetzt, weil sie in einem fortlaufenden Recyclingprozess immer wieder von Neuem in den Kreis-

..Abb. 1.27  Massenaussterbeereignisse während des Phanerozoikums. Die fünf größten (Big Five) sind namentlich markiert. (Aus Meschede, 2018)

lauf des Lebens eingegliedert werden. Unter organischen Materialien versteht man die Weichteile der Organismen, die im Wesentlichen aus den Elementen Sauerstoff (O), Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C), Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phosphor (P) aufgebaut sind. Abgestorbene Organismen verwesen, d. h., ihre organische Substanz wird wieder in die einzelnen Elemente zerlegt. sodass sie spurlos verschwinden. Unter manchen Bedingungen wird dieser Prozess jedoch unterbrochen oder so stark verändert, dass Strukturen und teilweise auch die Ausgangsmaterialien in ihrer ursprünglichen Form überliefert werden. Viele Organismen haben während ihres Lebens auch harte, widerstandsfähige Teile ausgebildet: Schalen, Schuppen, Knochen, Panzer und andere Hartteile, die nicht aus organischen Substanzen bestehen und daher leichter zu erhalten sind. Die Überreste abgestorbener Organismen können im Sediment eingelagert werden und sind dort vor der Zersetzung geschützt. Vor allem Hartteile können auf diese Weise erhalten bleiben und zu Fossilien werden. Sie werden während der Diagenese, das ist der Prozess der Verfestigung der Sedimente zu Gesteinen, auch oft umgewandelt. So können z. B. Hölzer vollständig verkieselt werden, was bedeutet, dass die Holzsubstanz durch eine opalartige Substanz ersetzt wird. Die Strukturen des Holzes können dabei vollständig bis ins mikroskopische Detail erhalten bleiben. In abgeschlossenen Meeresbecken oder Seen gibt es häufig Bereiche, in denen das Bodenwasser nicht durch Strömungen ausgetauscht werden kann. Nach kurzer Zeit ist der anfangs dort noch vorhandene Sauerstoff durch Verwesung herabsinkender abgestorbener Organismen verbraucht, und es bildet sich eine sauerstofffreie Wasserschicht am Boden. Hier können die organischen Reste nicht mehr zersetzt werden, sodass es zu einer Ansammlung des organischen Materials kommt. Man spricht von anaeroben Bedingungen. Die organischen Reste werden später umgewandelt, und es entstehen daraus Erdöl und Erdgas. Schwarze Tonsteine zeichnen sich oft durch einen außerordentlichen Fossilreichtum aus, wie z. B. im schwäbischen Jura, wo

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

neben einer Vielzahl der unterschiedlichsten Fossilien extrem gut erhaltene Ichthyosaurierfossilien gefunden wurden. Für die Paläontologie sind nicht nur die Makrofossilien von Bedeutung, sondern auch die oft in großer Zahl vorkommenden Mikrofossilien, die uns viel über die Lebensbedingungen, aber auch über die zeitliche Einstufung eines Sedimentes erzählen können. Manche Sedimente, wie z. B. die weißen Kalke auf der Insel Rügen, die Rügener Schreibkreide, sind fast vollständig aus den Schalenresten von Mikroorganismen aufgebaut. Beim Rügener Kalk handelt es sich um sog. Coccolithen, das sind einzellige Algen, die von einer Schale aus winzig kleinen kalkigen Plättchen umgeben sind. Eine weitere Form der Überlieferung sind Spurenfossilien. Damit bezeichnet man Spuren im verfestigten Sedimentgestein, die von Organismen im ursprünglich weichen Sediment hinterlassen wurden, ohne dass der Organismus oder Hartteile von ihm selbst erhalten geblieben sind. Auch Exkremente, die mit ihrer Form in manchen Fällen erhalten geblieben sind, zählen zu den Spurenfossilien. Im Obernkirchener Sandstein aus der Kreidezeit gibt es z. B. eine Vielzahl von Spuren unterschiedlichster Arten von Sauriern. Sie lebten in einem Flussdelta, wo es im Uferbereich schlammige Flächen gab, auf denen die Fußabdrücke der Saurier erhalten blieben. Auch im Sediment lebende Arten, wie z. B. Muscheln oder Würmer, können Spuren ihrer Aktivität hinterlassen und uns etwas über ihre Lebensbedingungen aussagen. 1.3.4.4

Einfluss der Biosphäre auf das System Erde

Die Oberfläche der Erde ist im Laufe der Erdgeschichte ganz entscheidend durch das Wirken von Lebewesen verändert worden. Ihr Einfluss zeigte sich schon in der Frühzeit der Erdentwicklung. Zu Beginn war im Wasser der Ozeane sehr viel Eisen in zweiwertiger Form gelöst. Es war nicht genug Sauerstoff vorhanden, der das Eisen in der stabileren dreiwertigen Form hätte binden können. Schon vor etwa 3,8 Mrd. Jahren entstanden Vorläufer der Cyanobakterien, die in der Lage waren, Fotosynthese zu betreiben. Der dabei als giftiges Abfallprodukt entstehende freie Sauerstoff konnte nun das zweiwertige zu dreiwertigem Eisen oxidieren, das als Eisenoxid ausgefällt und abgelagert wurde, wodurch die Bändereisenerze entstanden. Dieser Prozess dauerte fast 1 Mrd. Jahre, bis der Vorrat an gelöstem zweiwertigem Eisen erschöpft war und andere oxidierbare Stoffe nicht genügend nachgeliefert wurden. Erst danach konnte der Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre ansteigen (. Abb. 1.25). Diese Veränderung der Lebensbedingungen für die bis dahin sämtlich anaeroben Lebewesen (Lebewesen, die für ihren Stoffwechsel keinen Sauerstoff benötigen) wird als die große Sauerstoffkatastrophe bezeichnet. Ein Großteil von ihnen wurde durch den Anstieg des Sauerstoffgehaltes im vermutlich größten Massenaussterben aller Zeiten ausgelöscht.

Ein großer Umbruch im Zusammenspiel der Biosphäre mit der Lithosphäre wurde durch den Landgang der Lebewesen hervorgerufen. Das global stark vermehrte Wachstum der Landpflanzen entzog der Atmosphäre zunehmend Kohlendioxid und führte zu einer Beeinflussung des Kohlenstoffzyklus. Verstärkend kam hinzu, dass die Pflanzen durch ihre immer tiefer greifenden Wurzeln Verwitterungsprozesse des Bodens verstärkten, die der Atmosphäre ebenfalls Kohlendioxid entzogen. Die im Ordovizium nachweisbare Vereisungsphase, die mit einem Massenaussterbeereignis einhergeht (. Abb. 1.27), wird als Folge dieser Veränderung des Kohledioxidgehaltes der Atmosphäre angesehen. Viele Lebewesen benötigen für den Aufbau ihrer Skelette, Schalen oder Hölzer Kohlendioxid. Wenn Kohlendioxid in großer Menge von den Lebewesen „verbraucht“, d. h. in Hartteile eingebaut wird, reduziert sich der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre. Dadurch verringert sich der Treibhauseffekt, und es kühlt sich ab. Ein großer Teil des Kohlendioxids wird durch Lebewesen in kalkiger Substanz (Karbonat) gebunden. Das funktioniert bei wärmeren Temperaturen deutlich effizienter, trägt aber unmittelbar zur Abkühlung bei. Sinken die Temperaturen, wird hingegen weniger Kohlendioxid gebunden, und die Abkühlung verringert sich. Die Bildung von Karbonaten erzeugt daher eine gewisse Pufferwirkung für starke Temperaturschwankungen, die sich allerdings nur auf lange Zeiträume gesehen auswirkt. Wird Kohlendioxid in so großen Mengen freigesetzt, wie es der Mensch seit über 150 Jahren macht, ist dieses Puffersystem überfordert, so schnell kann es nicht reagieren. Das meiste Kohlendioxid bleibt in der Atmosphäre und trägt zum steigenden Treibhauseffekt bei. 1.4

Rohstoffe im System Erde

..Tab. 1.7  Earth’s system produces resources / Das System Erde produziert Rohstoffe. (Aus King, 2014) Raw materials and fossil fuels

Naturally concentrated, non-renewable, uses, need careful managing (sustainable development), potentially polluting

Rohstoffe und fossile Brennstoffe

Natürlich konzentriert, nicht erneuerbar, Verwendung, erfordern sorgfältige Handhabung (nachhaltige Entwicklung), potenziell umweltschädlich

Renewable energy

Issues

Erneuerbare Energien

Kernpunkte

Neben den zum Überleben notwendigen Ressourcen Wasser und Nahrungsmittel benötigt der Mensch für

1.4  •  Rohstoffe im System Erde

seine Zivilisation viele Rohstoffe, die ihm das System Erde zur Verfügung stellt. Seit Beginn der Industrialisierung hat sich der Bedarf an Rohstoffen extrem vergrößert, sodass wir heute z. T. bereits an die Grenzen der Verfügbarkeit kommen. Die Verteilung der Rohstoffe ist auf der Erde nicht gleichmäßig, was immer wieder zu Konflikten führt, die nicht selten mit Kriegen einhergehen. In jüngerer Zeit wird mehr und mehr darauf geachtet, dass einmal verwendete Rohstoffe nicht weggeworfen, sondern in einem Recyclingprozess einer erneuten Nutzung zugeführt werden. Trotzdem ist es nötig, auch weiterhin Rohstoffe in immer größeren Mengen und aus größeren Tiefen zu gewinnen (. Tab. 1.7). Wir unterscheiden metallische Rohstoffe, die aus Erzen gewonnen werden, Kohlenwasserstoffvorräte, zu denen Kohle, Erdöl und Erdgas gehören, Steine und Erden, zu denen alle Massenrohstoffe wie Sand, Kies, Ton etc. und in Steinbrüchen gebrochene Schotter oder Naturwerksteine sowie Bindemittel (Zement, Gips etc.) gehören, Salzlagerstätten und Wasser, das in großen Mengen in der Industrie und in der Landwirtschaft benötigt wird. Metallische Rohstoffe werden aus Erzen gewonnen, die in unterschiedlichen Mengen in bestimmten Gesteinen vorkommen (Okrusch & Frimmel 2022). Sie können als große Erzkörper vorliegen, die z. B. unter Hydrothermalquellen im Ozean gebildet wurden. Solche Erzkörper gibt es z. B. im Oman, wo ein großes Stück ozeanische Kruste mit den darin enthaltenen Erzkörpern auf den Kontinent aufgeschoben wurde und damit für den Menschen gut erreichbar ist. Dort kommen vor allem Kupfer- und Buntmetallerze vor, die schon vor über 5000 Jahren gewonnen und auf den damals angelegten Handelswegen u. a. nach Europa gelangten. Heute wird Kupfer vor allem in riesigen Tagebauen gewonnen, in denen es sich lohnt, auch noch ein Gestein zu verhütten, das einen Kupfergehalt von gerade einmal 1 % aufweist. In solchen Tagebauen befinden sich, wie z. B. in Chuquicamata (Chile) oder in Bingham (USA), die größten vom Menschen geschaffenen, über 1 km tiefen Löcher. Buntmetalle (Silber, Zinn, Zink, Blei, Kupfer, Gold u. a.) und auch Uran werden überwiegend aus Gangvererzungen gewonnen. Sie sind durch hydrothermale Lösungen entstanden, die in einen Gesteinskörper eindrangen und dort ihre metallische Fracht in oft exotischen Mineralen abgeschieden haben. Die Erforschung dieser Lagerstätten begann in Europa schon vor über 1000 Jahren und hat im 17. und 18. Jahrhundert die Grundlagen für die geologischen und mineralogischen Forschungen gelegt. Von großer Bedeutung sind Eisenerzlagerstätten, die auf verschiedene Art und Weise entstanden sein können. Es gibt sowohl magmatisch gebildete Lagerstätten, die vor allem das Mineral Magnetit enthalten (z. B. Kiruna, Norwegen), als auch sedimentäre Eisenerze, in denen das Eisen meist als Hämatit oder als Eisenhydroxid vorliegt, z. B. die Minette-Erze im Elsass und in Lothringen (Frankreich) oder die Trümmereisenerze aus der Gegend um Salzgitter.

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Die nach wie vor wichtigsten Energierohstoffe sind Kohle, Erdöl und Erdgas. Sie alle sind durch Umwandlung aus organogenen Sedimenten entstanden. Kohlen entstehen aus mächtigen Holzablagerungen in einem Sumpfgebiet. Die Hölzer werden im sauerstofffreien Wasser der Sümpfe konserviert und nicht zersetzt. Durch einen Reifeprozess werden aus den Hölzern mit zunehmendem Überlagerungsdruck die Anteile an Sauerstoff, Stickstoff und Wasser herausgetrieben, sodass am Ende in den am höchsten entwickelten Kohlen (Anthrazitkohle) fast reiner Kohlenstoff übrig bleibt. Kohle wird heute überwiegend in Bergwerken, die über 1500 m tief sein können, gewonnen. Erdöl und Erdgas entstehen aus organischen Resten, die in einem schlecht durchlüfteten Meeresbereich oder einem See entstanden sind. Auch hier verhindert das sauerstofffreie Wasser am Boden die Zersetzung der organischen Reste. Durch einen Reifeprozess, der auch bei Erdöl und Erdgas vom Überlagerungsdruck und der mit der Tiefe ansteigenden Temperatur in Gang gesetzt wird, werden die organischen Reste bei geringeren Tiefen (zwischen 2 und 3 km) in Erdöl und bei großen Tiefen (über 3 km) in Erdgas umgewandelt. Erdöl und Erdgas wandern aufgrund ihrer geringen Dichte aus dem Erdöl‑/Erdgasmuttergestein nach oben und sammeln sich in einem klüftigen oder porösen Speichergestein, wenn dieses nach oben hin abgedichtet ist (z. B. durch eine undurchlässige Ton- oder Salzschicht). Aus diesem Speichergestein können die wertvollen Rohstoffe dann über Bohrungen gewonnen werden. Von großer Bedeutung für Industrie und Wirtschaft sind die Rohstoffe, die unter dem Sammelbegriff Steine und Erden zusammengefasst werden. Unter Steine und Erden verstehen wir zum einen Massenrohstoffe wie Sand und Kies für Straßenbau und Betonmischungen sowie gebrochene Gesteine, die in Steinbrüchen als Schotter und Beimischungen zu Beton gewonnen und zu Bauzwecken verwendet werden. Zum anderen zählen dazu Bindemittel wie Zement, Branntkalk und Gips, die aus Kalken bzw. Kalkmergeln und Anhydriten gewonnen werden, Tonminerale zur Herstellung von Keramiken (dazu zählt auch Kaolin zur Porzellanherstellung); Quarzsande werden für die Herstellung von Glas benötigt, Naturwerksteine werden für Fassadenverkleidungen, Massivsteinkonstruktionen und Kacheln verwendet, und es gibt noch eine Reihe von Industriemineralen, die für verschiedene Spezialzwecke zur Verfügung stehen (z. B. Kieselgur für Filterzwecke, Baryt als schweres Mineral für Bohrspülungen oder Diamant für Schleifmittel und Bohrkronen). Eine eigene Gruppe von Rohstoffen stellen Salzlagerstätten dar, die nicht zu den Steine- und Erden-Rohstoffen gezählt werden. Salze sind evaporitische Gesteine, die durch Ausscheidung gelöster Stoffe beim Verdunsten von Wasser entstehen. Die größten Mengen nehmen dabei Steinsalz (NaCl) und verschiedene Kalisalze (z. B. KCl = Sylvin). Auch andere Minerale, die in Salzlagerstätten vorkommen, wie z. B. das Magnesiumsulfat Kie-

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

serit (MgSO4 · H2O) sind von wirtschaftlichem Interesse. Kalisalze werden im Wesentlichen zu Düngemitteln verarbeitet, Steinsalz findet als Streusalz und in der Lebensmittelindustrie weitreichende Verwendung. Im Gegensatz zu den festen Rohstoffen wie Metallen, Kohle, Öl, Gas, Steinen und Erden sowie Salz erneuern sich die Wasservorräte. Wasser wird genutzt und fügt sich danach wieder in den Wasserkreislauf (. Abb. 1.5) ein. Global gesehen haben wir einen geschlossenen Wasserkreislauf, d. h., dass die Erde als Ganzes betrachtet keinen Wassermangel erleiden kann. Das zur Verfügung stehende Wasser und seine Nutzung sind allerdings regional sehr unterschiedlich. Industrie und Wirtschaft benötigen für die Herstellung von Waren unterschiedlichster Art enorme Mengen an Wasser, die an anderen Stellen wie z. B. für die Bewässerung in der Landwirtschaft fehlen. Es leben immer mehr Menschen auf der Erde, die sauberes Trinkwasser benötigen. Zwar sind zwei Drittel der Erde von Wasser bedeckt, doch nur ein winzig kleiner Teil davon, gerade einmal 3 %, ist Süßwasser. Fast 2 Mrd. Menschen haben derzeit keinen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser, ein Problem, das sich mit der Zunahme der Weltbevölkerung noch verstärken wird. Unser Trinkwasser wird in den meisten Fällen aus dem Grundwasser bezogen, eine Ressource, die sich erneuern kann und muss. Wird allerdings zu viel Wasser entnommen, kommt es auch an der Oberfläche zu Austrocknung, was wiederum einen Rückgang der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche nach sich zieht und regional zu starkem Wassermangel führen kann. Es ist daher wichtig, eine nachhaltige Wasserwirtschaft zu betreiben, bei der man immer nur so viel Grundwasser entnimmt, wie sich in der gleichen Zeit wieder nachbilden kann. Zu den Ressourcen gehören auch die erneuerbaren Energien, die auf Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie, Geothermie und nachwachsenden Rohstoffen (Biokraftstoffen) fußen und sich von den fossilen Energiequellen abgrenzen (. Tab.  1.7). Sowohl erneuerbare wie auch fossile Energiequellen nähren sich ursprünglich aus der Sonnenstrahlung, die durch Kernfusion im Inneren der Sonne entsteht, aus kinetischer Energie, die durch die Planetenbewegung entsteht (Gezeiten), und aus der im Erdinneren vorhandenen Wärmeenergie (7 Abschn. 1.3.3.1). Die Gewinnung der Energie erfolgt in den meisten Fällen über die Stromerzeugung, z. T. auf direktem Wege wie z. B. in Fotovoltaikanlagen oder über Generatoren, die mit Wind- oder Wasserkraftwerken betrieben werden können, oder über die Wärmegewinnung, die entweder direkt zum Heizen verwendet oder ebenfalls in Strom umgewandelt wird. Die erneuerbaren Energien haben gegenüber den fossilen Energieträgern den Vorteil, dass sie emissionsfrei Strom produzieren können und im Fall der Biokraftstoffe eine ausgeglichene CO2-Bilanz haben, da sie lediglich die ohnehin auf der Erdoberfläche ankommende Energie in andere Energieformen umwandeln. Bei der Nutzung fossiler Energieträger wird hingegen zusätzlich zu dem in der

Atmosphäre vorhandenen CO2 der in den Rohstoffen seit vielen Millionen Jahren gebundene Kohlenstoff freigesetzt, der dann zur Verstärkung des Treibhausklimas beiträgt. 1.5

Veränderungen im System Erde und ihre Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation

Hydrosphäre, Biosphäre und Lithosphäre sind auf verschiedenen zeitlichen Ebenen miteinander verknüpft. Veränderungen können in wenigen Jahren stattfinden, andererseits sind oft Millionen Jahre nötig, um die Voraussetzungen für bestimmte klimatische Bedingungen zu schaffen und zu verändern. So hängt das Ausmaß, wie weit sich die Sphären miteinander vermischen und wo sie sich ausbreiten können bzw. verschwinden, von langfristigen, Millionen Jahre dauernden plattentektonischen Veränderungen ab. Die Heraushebung eines Gebirges kann z. B. dazu führen, dass dort, wo sich ein tropischer Regenwald ausbreitete, Wüsten entstehen, weil die Niederschläge nicht mehr über das neu entstandene Gebirge hinüberkommen. Chemische Prozesse, die in der Hydrosphäre durch die Einwirkung von Wasser auf Gesteine ablaufen, können die klimatischen Bedingungen auf der Erde ebenfalls fundamental verändern. So nahm z. B. durch die fast gleichzeitige Heraushebung der Gebirgszüge, die sich durch fast das gesamte Eurasien ziehen (vom Himalaya-Tibet über den Pamir und die ZagrosKetten bis hin zu den Dinariden, Alpen, Pyrenäen und Betiden), die Verwitterung von Gesteinen enorm zu, da überall Berge dort entstanden, wo die Gesteine freigelegt wurden. Für die Verwitterung von Gesteinen werden aber große Mengen an Kohlendioxid benötigt, das dadurch der Atmosphäre entzogen wird. Je weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre enthalten ist, desto weniger wirkt sich der Treibhauseffekt aus, und es kommt zur globalen Abkühlung. Die Heraushebung der Gebirge war zwar nicht allein verantwortlich für die globale Abkühlung, aber sie trug zu einem erheblichen Anteil dazu bei. Ein weiterer Aspekt für die globale Klimaveränderung hin zu einer Vereisungsphase, in der wir uns auch heute noch befinden, bezieht sich ebenfalls auf das Zusammenspiel von Hydrosphäre und Plattentektonik. Die großen Ozeanströmungen werden durch die Verteilung der Kontinente und den dazwischen befindlichen Passagen, durch die Ozeanströmungen hindurchfließen können, bestimmt. Je offener die Passagen sind, desto besser funktioniert der Wärmeaustausch zwischen den Polen und der Äquatorialgegend, und desto wärmer wird es an den Polen. Zurzeit sind viele der noch im Miozän vor ca. 15 Mio. Jahren offenen Passagen geschlossen, wie z. B. die Panamastraße, die heute durch die Landbrücke zwischen den beiden Amerikas geschlossen ist. Deswegen ist heute dieser Austausch nur schwer möglich. Um

1.5  •  Veränderungen im System Erde und ihre Auswirkungen auf die menschliche Zivilisation

die Antarktis herum bewegt sich ein kontinuierlich andauernder Meeresstrom, der die Antarktis vom übrigen Klimageschehen auf der Erde abgrenzt. Das führt dazu, dass die Antarktis heute zu über 98 % mit Eis bedeckt ist. Auch die Biosphäre ist von der Verteilung der kontinentalen Platten und ihrer Verbindungen abhängig. So war z. B. die Lebewelt Südamerikas über lange Zeiträume hinweg isoliert, wodurch eigene, nur in Südamerika vorkommende Arten entstanden. Durch die Schließung der Landbrücke zwischen den beiden Amerikas kam es zu einem Austausch der nord- und südamerikanischen Arten, wodurch einige Arten sich ausbreiten konnten, andere hingegen verschwanden, weil sie sich gegen die neuen Konkurrenten nicht durchsetzen konnten. Sogar die Entwicklung der Vorfahren des Menschen lassen sich mit plattentektonischen Prozessen und dem Zusammenspiel der verschiedenen Sphären in Verbindung bringen. Vor etwa 5–6  Mio.  Jahren entstand der Zentralafrikanische Graben, indem zunächst durch aufsteigende Mantelschmelzen ein Gebiet herausgehoben wurde. Hier brach dann kurze Zeit später durch die Dehnung in der oberen Erdkruste der Graben ein. Die Heraushebung bewirkte eine Abtrennung des östlichen Teiles des bis zu dieser Zeit durchgängigen tropischen Regenwaldes von der Niederschlagszufuhr durch den hauptsächlich von Westen kommenden Regen. Dieses Gebiet verwandelte sich deswegen in eine Savanne, in der ganz andere Lebensbedingungen herrschten als in einem Regenwald. Die bis dahin vor allem auf Bäumen lebenden Primaten, die sich von Pflanzen ernährten, waren gezwungen, auf den Boden auszuweichen, um zu überleben. Dort stellten sie ihre Nahrung auf die energiereiche tierische Kost um und entwickelten das aufrechte Laufen, was sie zu erfolgreichen Jägern machte. Vom koordinierten Jagen in Gruppen zur Entwicklung eines zum reflektierenden Denken fähigen Gehirns war es dann nur noch ein kleiner Schritt. 1.5.1

Natürliche Geogefahren

Geogefahren, auch als Georisiken bezeichnet, sind durch geologische Prozesse bedingte Naturgefahren, die zu umfassenden Schäden an Infrastruktur und Gebäuden sowie zu Personenschäden mit Todesopfern führen können. Zu diesen Geogefahren zählen Naturereignisse wie Vulkanausbrüche, Meteoritenimpakte, Erdbeben, große Massenverlagerungen (z. B. Erdrutsche) und Überflutungen. Auch unterirdische Auslaugungen (Subrosion), die zu Einbruchsstrukturen führen können, zählen dazu. Verhindern können die Menschen Naturereignisse nicht, aber sie können die Prozesse, die sie hervorrufen, genau erforschen und ihre Funktionsweise verstehen. In manchen Fällen können sie die durch sie bedingten Gefahren durch Prävention verringern, indem z. B. Gebäude so stabil gebaut werden, dass sie den zu erwartenden Erdbeben standhalten können. Die Geowissenschaftler

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sind auch dabei, die Funktionsweise eines Vulkans immer besser zu verstehen, sodass es ihnen bei intensiver Beobachtung gelingen kann, Vulkanausbrüche kurz vor dem Ausbruch vorherzusagen, so wie es z. B. beim Vulkan Cumbre Vieja auf La Palma, der im Herbst 2021 ausbrach, gelang. Die auslösenden Faktoren von Erdbeben zählen hingegen zu den kompliziertesten Mechanismen, die es zu erforschen gilt. Bei ihnen kommt es sehr stark auf die lokalen Gegebenheiten an, und auch wenn ein Gebiet intensiv überwacht wird, kann man am Ende nur Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten eines Erdbebens angeben. Eine genaue Vorhersage, wann, wo und mit welcher Intensität ein Erdbeben auftritt, wird man wohl niemals erreichen. Die Prävention über erdbebensicheres Bauen oder auch der Verzicht auf Gebäude in bestimmten Hochrisikogebieten ist der einzig sichere Weg, hier Vorsorge zu leisten. Sowohl das Auftreten von Vulkanausbrüchen oder Erdbeben als auch natürlich ausgelöste Erdrutsche und Überflutungen lassen sich nicht verhindern. Es gibt aber auch Geogefahren, die erst durch menschliche Aktivitäten ausgelöst oder zumindest verstärkt wurden. So kommt es z. B. infolge von Bauarbeiten an Hängen immer wieder zu Erdrutschen, weil der Mensch in die Stabilität der natürlich gewachsenen Strukturen eingreift. Kurzfristige Wetterveränderungen wie z. B. Starkregenereignisse können die Parameter so verändern, dass große Massen ins Rutschen kommen. Überflutungen von ganzen Städten, wie es im Sommer 2021 im Ahrtal passierte, wurden durch das Eingreifen des Menschen in die natürlichen Gegebenheiten verstärkt. Flächen, die normalerweise bei starken Regenfällen als Puffer wirken, da hier viel Wasser versickern kann, wurden in der Vergangenheit versiegelt, sodass das Wasser nur noch oberflächlich abfließen kann. Als Folge kann sich der Wasserstand eines Flusses dramatisch erhöhen und auch Bereiche überfluten, die normalerweise gar nicht zum Einflussbereich des Hochwassers gehören. 1.5.2

Auswirkungen von Naturereignissen auf die geschichtliche Entwicklung der Menschheit

Neben den unmittelbaren Folgen von Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen oder Erdbeben gibt es auch langfristige Auswirkungen, die sich insbesondere in klimatischen Veränderungen zeigen. Dabei kann es sich um vulkanische Großereignisse handeln, die sich global auf das Klima auswirken. Große Ausbrüche von Supervulkanen wie z. B. des Toba vor 74.000 Jahren führten zu länger andauernden Abkühlungen, die sich in Temperaturkurven wiederfinden. Beim Toba-Ereignis gibt es die Theorie, dass unsere damals auf der Erde lebenden Vorfahren durch die Auswirkungen des plötzlichen Klimawandels bis auf eine kleine Population von etwa

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

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..Tab. 1.8  Human–Earth system interactions / Wechselwirkungen zwischen Mensch und Erdsystem. (Aus King, 2014)

..Abb. 1.28  Temperaturanstieg am Ende der jüngsten Vereisungsphase im obersten Pleistozän und Schwankungen der Temperatur im Holozän. (Verändert nach Meschede, 2018)

10.000 Individuen dezimiert wurde, der sog. Flaschenhals der Evolution des Menschen. Diese Theorie wird allerdings nicht von allen Wissenschaftlern akzeptiert, und hier wird es sicher noch neue Erkenntnisse geben. Aber nicht nur die globalen Großereignisse lassen ihre historischen Auswirkungen erkennen. 1783 kam es z. B. auf Island zu einem großen fast neun Monate dauernden Vulkanausbruch der Laki-Krater über der Eldgja-Spalte. Die dabei freigesetzten Aschen und vulkanischen Gase führten auch in Westeuropa zu einer Verschlechterung des Wetters, sodass es in den Folgejahren zu Ernteausfällen und Hungersnöten kam. Daran schloss sich eine Auswanderungswelle vor allem aus Irland nach Amerika an, und es wird auch diskutiert, dass die sechs Jahre später aus den Unruhen in der hungerleidenden Bevölkerung entstandene Französische Revolution (1789) eine mittelfristige Folge dieses Naturereignisses ist. Von großer Bedeutung sind aber auch die extraterrestrischen Parameter, die in längerfristigen Zyklen für Klimaschwankungen auf der Erde verantwortlich gemacht werden. Dabei handelt es sich z. B. um Schwankungen der Umlaufbahn der Erde um die Sonne oder um die Neigung der Erdachse (7 Abschn. 1.2, „Längerfristige Zyklen“). Man nimmt an, dass nicht nur diese großen Zyklen, die mit den Vereisungsphasen im Pleistozän in Verbindung gebracht werden können, sondern auch kleinere Zyklen wie z. B. der Sonnenfleckenzyklus ihre Auswirkungen haben. Die Schwankungen der globalen Durchschnittstemperatur während der letzten 2000 Jahre werden allerdings zum großen Teil auf eine Reihe starker Vulkanausbrüche zurückgeführt, bei denen große Mengen an Aerosolen und vulkanischen Gasen in die Atmosphäre eindrangen. Vor 2000 Jahren war die Zeit des Römischen Optimums, gefolgt vom Völkerwanderungs-Pessimum, das wiederum in das Mittelalter-Optimum überging (. Abb.  1.28). Etwa vom 15. bis zum 18. Jahrhundert folgte dann die sog. Kleine Eiszeit, bis es dann im 18. und 19. Jahrhundert wieder wärmer wurde. Im Vergleich zur letzten großen Eiszeit, bei der die Durchschnittstemperatur um 6–8 °C niedriger lag, sind die Temperaturschwankungen mit maximal 1 °C niedrigeren Werten allerdings deutlich geringer. Aber es lassen sich geschichtlich nachweisbare Auswirkungen feststellen. Dass es überhaupt zur Völker-

Natural hazards

Human impact, forecasting, mitigation

Natürliche Gefahren

Menschliche Auswirkungen, Prognosen, Minderung

Environmental issues

Local to global, mitigation

Umweltprobleme

Lokal bis global, Minderung

Impact on human history

Resource wars; migration due to climate change

Auswirkungen auf die Menschheitsgeschichte

Kriege um Rohstoffe; Migration aufgrund des Klimawandels

wanderung kam, wird auch als Folge der schlechteren Klimabedingungen gedeutet. 1.5.3

Das Anthropozän als jüngstes Erdzeitalter

Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Mensch mit der Industrialisierung. Dafür waren ungeheure Energiemengen nötig, die er zu einem ganz großen Teil aus fossilen Energiequellen wie Kohle und später Erdöl und Erdgas bezog. Damit veränderte er aber die Umwelt nachhaltig, und wir bemerken heute, dass der Klimawandel mittlerweile unumkehrbar ist und uns inzwischen merkbar erreicht (. Tab. 1.8). Wir stehen vor einem großen Artensterben, das in seiner Dimension vergleichbar ist mit den Massenaussterbeereignissen im Mesozoikum (. Abb.  1.27). Die Ursache dafür ist das Eingreifen des Menschen in nahezu alle Lebensbereiche, das dazu führt, dass viele Lebewesen aus den ihnen angestammten Umgebungen verdrängt werden und sie deswegen aussterben. Pestizide in der Nahrungsmittelproduktion, der unkontrollierte Eintrag von Medikamenten in das Wasser und die ungeheuren Mengen an Müll beeinflussen die Umwelt mehr und mehr, und die Auswirkungen schlagen auf uns selbst zurück. Hinzu kommt, dass der Mensch seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der Lage ist, Atomenergie zu nutzen. Atombombenversuche, der Einsatz der Atombombe am Ende des Zweiten Weltkrieges und Unfälle mit Atomreaktoren wie der Super-GAU des Atomkraftwerkes Tschernobyl 1986 haben in den seither abgelagerten Sedimenten eine Signatur in Form von typischen radiogenen Isotopen, die sich über den ganzen Erdball verteilt haben, hinterlassen. Sie können als Marker für die zurzeit diskutierte jüngste Stufe der Erdzeitalter, das Anthropozän, herangezogen werden. Die Einführung dieses neuen Erdzeitalters ist derzeit in der Fachwelt noch umstritten. Der Beginn wird auf das Jahr 1950, den Beginn des Atomzeitalters, festgesetzt.

1.6  •  Erkundung des Systems Erde mithilfe von Feld- und Laborarbeiten

1.6

Erkundung des Systems Erde mithilfe von Feld- und Laborarbeiten

..Tab. 1.9  Earth’s system is explored through fieldwork and practical work / Das Erdsystem wird durch Feldforschung und praktische Arbeit erforscht. (Aus King, 2014) Observation

Observation, measurement and recording

Beobachtung

Beobachtung, Messung und Aufzeichnung

Synthesis of observation

Interpretation

Synthese der Beobachtungen

Interpretation

Investigation and hypothesis-testing

Devising and implementing plans, processing data, drawing conclusions, evaluating results and communicating findings

Untersuchung und Testen der Hypothesen

Pläne erarbeiten und umsetzen, Daten verarbeiten, Schlussfolgerungen ziehen, Ergebnisse auswerten und Erkenntnisse kommunizieren

Die Geowissenschaften erforschen die Entwicklung der Erde seit ihrer Entstehung vor 4,6 Mrd. Jahren, einschließlich der Entstehung von Lebewesen bis hin zu uns Menschen, wie das System heute funktioniert, wie der Zustand der Erde in Zukunft sein wird, welche Einflüsse wir Menschen haben und wie eine nachhaltige Entwicklung des Systems Erde durch uns Menschen aussehen könnte. Die ersten wissenschaftlichen Betrachtungen zur Entstehung von Gesteinen gab es bereits im 15.  und 16. Jahrhundert. Im 18. Jahrhundert war es James Hutton (1726–1797), der versuchte zu verstehen, wie die Dinge funktionieren, welche Prozesse und Abläufe ihr Erscheinungsbild, ihre Vergangenheit und Zukunft bestimmen. Er brachte einen wichtigen neuen Aspekt in die Diskussion: die Frage der Entstehung in der Zeit – etwas, was die Geowissenschaften von anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen, die sich vor allem mit der Beschreibung und Einordnung des Sichtbaren beschäftigten, unterscheidet. Man versuchte in die ferne Vergangenheit zurückzublicken. Darüber hinaus war es notwendig, dass man zum Studium dieser Fragen in die Natur hinausgehen musste, oftmals an unzugängliche Stellen oder weit entfernte Orte. James Hutton ging dabei eher wie ein Physiker vor, der ein Experiment durchführt: Er stellte gründliche Überlegungen an und suchte dann im Gelände nach möglichst eindeutigen Beweisen für seine Hypothesen (. Tab. 1.9). Abraham Gottlob Werner (1749–1817) entwickelte Ende des 18. Jahrhunderts aus diesen Betrachtungen zunächst die Geognosie, in der alle geowissenschaftlichen Disziplinen zusammengefasst waren. Daraus erwuchsen in der Folgezeit die Geologie und Mineralogie als eigen-

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ständige Fachgebiete. Die Geologie beschäftigte sich vor allem mit der Entstehung und dem Zerfall von Gesteinen und Strukturen, während die Mineralogie sich vor allem um mineralische Rohstoffe und deren Gewinnung im Bergbau kümmerte. Im 18.  Jahrhundert waren die zeitlichen Vorstellungen von der Entstehung der Erde noch weitgehend durch die Kirche geprägt. Nun aber stellte sich heraus, dass man mit den dort verwendeten Zeiträumen nicht im Entferntesten auskam. James Hutton stellte dies z. B. an der heute nach ihm benannten Hutton’s Unconformity fest. Dort am Siccar Point im Nordosten Englands findet sich eine sehr gut erkennbare und von ihm auch nach heutigem Kenntnisstand richtig interpretierte Struktur, an der sich der zeitliche Ablauf besonders gut zeigt (Hofbauer, 2015). Pionierarbeit für die naturwissenschaftliche Forschung leisteten auch Charles Lyell (1797–1875) and Charles Darwin (1809–1882). Darwin fand beispielsweise an den Korallenriffen der pazifischen Atolle heraus, dass die Vulkaninseln im Laufe der Zeit sanken und aufstiegen. Er legte damit einen historischen Ansatz zugrunde und rekonstruierte die Prozesse rückwirkend. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen die Geologen systematisch die Erde zu untersuchen. Sie kartierten große Teil der Welt und erstellten mit den geologischen Karten die Grundlage für viele weitere Forschungen. Im 20. Jahrhundert kamen dann technische Untersuchungsmethoden wie z. B. die geophysikalische Erkundung des Untergrundes und die großflächige Erkundung der Ozeane und des Meeresbodens hinzu. Die modernen Geowissenschaften sind auf vielfältige Art und Weise mit den anderen Naturwissenschaften wie Biologie, Chemie und Physik verknüpft. Deswegen ist geowissenschaftliches Denken und Arbeiten immer interdisziplinär ausgerichtet. Dies trifft insbesondere auf die Erdsystemforschung zu (Orion & Ault, 2007; Orion & Libarkin, 2014). Rückblickendes naturwissenschaftliches Denken (retrospektives Denken) ist einzigartig für die Erd- und Weltraumwissenschaften. Es sollen Prozesse enträtselt werden, die vor Millionen und Milliarden Jahren stattfanden. Die geologische Forschung wendet dafür das Wissen über heutige Prozesse an, um Rückschlüsse auf die Beschaffenheit der Materialien, Prozesse und Umwelt in der Vergangenheit zu ziehen. Die Erde wird heute als ein komplexes System verstanden, in dem Wasser, Luft, Gesteine und das Leben jeweils komplexe Teilsysteme (Hydrosphäre, Atmosphäre, Lithosphäre und Biosphäre) bilden, die über die gesamte Erdkugel agieren und intergieren. Dafür ist es von großer Bedeutung, regionale und lokale Geschehnisse zu analysieren, um sie später auf das Gesamtsystem zu übertragen. Einzelphänomene können in verschiedenen zeitlichen und räumlichen Maßstäben Auswirkungen haben. So hinterlassen Meteoritenimpakte Spuren sowohl im mikroskopischen Bereich in Kristallen als auch in großen Dimensionen in der regionalen Topographie.

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Kapitel 1  •  Fachwissenschaftliche Grundlagen

In den Geowissenschaften werden sowohl die oft ungeheuer großen zeitlichen als auch räumlichen Dimensionen erfasst. Die Vorstellung von der tiefen Zeit (deep time) als theoretisches Konstrukt und konkret ausgedrückt in der geologischen Zeitskala ist zentraler Aspekt des Erdsystemdenkens (earth systems thinking). Dies gilt von atomaren bis zu planetaren Maßstäben. Für die Geowissenschaften sind Gesteine die Archive der Erdgeschichte. Mit ihrer genauen Analyse können wir heute Aussagen über die Entstehung des Sonnensystems machen. Die Erforschung von anderen Objekten des Sonnensystems liefert uns weitere Hinweise zur Erdgeschichte. Geologische Prozesse haben viele Beweise aus der Frühzeit der Erdentstehung überprägt, sie sind aber an anderen Orten im Sonnensystem wie z. B. in Asteroiden oder anderen Planeten noch vorhanden. Geowissenschaftliche Ergebnisse werden in Karten, Blockbildern, Profildarstellungen und 3-D-Visualisierungen dargestellt, um die dynamischen Prozesse im Erdsystem zu veranschaulichen. Die dafür notwendigen Daten werden in Tabellen, Diagrammen und digital angelegten Datenbanken hinterlegt. Mit der Entdeckung der konstanten Zerfallsrate von radioaktiven Isotopen erkannte der Physiker Ernest  Rutherford  (1871–1937) die Möglichkeit der radiometrischen Altersdatierung. Bislang war es nicht möglich, das absolute Alter der Gesteine zu bestimmen; man war auf Schätzungen angewiesen, die oft nur sehr ungenau waren und, wie wir heute wissen, die tatsächlichen Alter weit unterschätzten. Radioaktive Isotope wie z. B. 235U, 238U, 87Rb oder 40K u. v. a. zerfallen mit einer für jedes Isotop typischen Zerfallsrate, manchmal über viele Zwischenstufen hinweg über ebenfalls instabile Isotope bis zu einem stabilen Isotop, dem sog. Tochterisotop. Die Zerfallsrate zeigt die Zeit an, in der die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Isotope zerfallen ist und Tochterisotope gebildet hat; man spricht dabei von der Halbwertszeit. Vereinfacht ausgedrückt, lassen sich aus dem Verhältnis der Tochterisotope zu den radioaktiven Isotopen die Entstehungsalter der Gesteine aus einem Magma (Erstarrungsalter) oder ein Ereignisalter (Metamorphose) ermitteln, bei denen die Gesteine so weit aufgeheizt wurden, dass die „radiometrische Uhr“ wieder auf null zurückgesetzt wurde. Insgesamt sind die radiometrischen Altersdatierungen technisch sehr aufwendig, bei der viele Parameter zur Bestimmung der Mengenverhältnisse berücksichtigt werden müssen. Mithilfe der radiometrischen Altersdatierungen ist es aber gelungen, das Alter vieler Gesteine bis hin zum Ursprung der Erdentstehung und des Sonnensystems zu bestimmen. Durch Korrelationen mit fossilhaltigen Schichten (7 Abschn. 1.3.4.3) können wir heute für sämtliche Gesteine und geologische Zeiten einen absoluten Alterswert angeben (. Tab. 1.9).

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Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

Inhaltsverzeichnis 2.1

Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik  –  32

2.2

Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung – 37

2.3

Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung – 46

2.4

Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum  –  62 Literatur – 67

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_2

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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Zusammenfassung

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Dieses Kapitel möchte in die Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung einführen. Wir gehen davon aus, dass das bildungswissenschaftliche Hintergrundwissen der Leserschaft sehr unterschiedlich ist. Deshalb erläutern wir in 7 Abschn.  2.1 an einem geowissenschaftlichen Beispiel, wodurch sich Allgemeine Didaktik und die Fachdidaktiken grundsätzlich auszeichnen. Diese Erläuterungen können an dieser Stelle nur in gebotener Kürze erfolgen. Didaktische Praxis zu geowissenschaftlichen Inhalten erfolgt durch eine Vielzahl an Akteurinnen und Akteuren. 7 Abschn.  2.2 gibt einen Überblick über die deutsche Bildungslandschaft und stellt zudem deutsche und internationale Fachgesellschaften und Verbände vor. Interessierte können dort neue Betätigungsfelder entdecken und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit kennenlernen. In 7 Abschn. 2.3 wird die international etablierte Geowissenschaftsdidaktik (Geoscience Education) vorgestellt. Hierbei liegt der Fokus auf dem Konzept der Earth Systems Education, das heute als die zentrale Leitidee innerhalb der Geoscience Education fungiert. Eine frühe Initiative für die Implementation dieses Konzeptes in den deutschen Schulunterricht war das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ (7 Abschn. 2.3.3). Weiterhin werden relevante einzelfachliche Ansätze zur geowissenschaftlichen Vermittlung in Deutschland geschildert und diskutiert. 7 Abschn. 2.4 gibt schließlich einen kurzen kommentierenden Überblick über die aktuelle Situation geowissenschaftlicher Bildung in Deutschland.

2.1

Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik

Dirk Felzmann

3. Was soll konkret zum Thema vermittelt werden? (Inhalte) 4. Wie soll das Thema vermittelt werden? (Methoden) 5. Womit soll das Thema vermittelt werden? (Medien) Die Vermittlungswissenschaft Didaktik zielt entsprechend darauf ab, dass Lehrende in der Planung, Durchführung und Reflexion ihrer Vermittlungen diese „fünf didaktischen Fragen“ explizit für sich beantworten und dass sie dies theoretisch gut begründet und kohärent zu empirischen Befunden tun. Hierbei bedingen sich diese Fragen gegenseitig sehr stark, weshalb sie nicht isoliert voneinander bearbeitet werden können (7 Abschn. 2.1.1.1). 2.1.1.1

Das allgemeindidaktische Berliner Modell der Unterrichtsplanung

Das Berliner Modell der Unterrichtsplanung der Erziehungswissenschaftler Heimann et al. (1969) verdeutlicht die Wirkzusammenhänge zwischen den didaktischen Fragen und kann auch für die Planung außerschulischer Vermittlungsangebote genutzt werden (. Abb.  2.1). Deutlich wird daraus, dass eine Vorstellung von Didaktik als bloßes Anwenden von Methoden auf (nicht weiter hinterfragte) Inhalte deutlich zu kurz greift. Insbesondere der Bestimmung der Ziele, etwa im Rahmen einer „didaktischen Analyse“ innerhalb der Unterrichtsplanung, kommt eine sehr zentrale Funktion zu. Dabei gilt es im Sinne einer Nachvollziehbarkeit der Planung und Durchführung einer Vermittlung Lernziele so zu formulieren, dass sie überprüfbar sind. Entsprechend bedient man sich in der Zielformulierung sog. Operatoren, die man nach ihren kognitiven Anforderungen in drei Anforderungsbereiche unterteilt (Kasten „Anforderungsbereiche, Operatoren, Lernziele“). >>Anforderungsbereiche, Operatoren, Lernziele

Die Allgemeine Didaktik ist die Wissenschaft, die sich allgemein mit den Fragen des Lehrens und Lernens befasst (vgl. Terhart, 2019). Die Fachdidaktiken sind die Wissenschaften, die sich mit den Fragen des Lehrens und Lernens innerhalb eines Faches befassen. Im Folgenden werden diese „Fragen des Lehrens und Lernens“ erläutert. 2.1.1

Allgemeine Didaktik

Stellen Sie sich vor, wie Sie einer Gruppe Laien einen Aufschluss im Gelände erläutern, wie Sie eine Unterrichtsstunde zum Zusammenhang zwischen Klima und Meeresströmungen planen oder wie Sie eine Informationstafel zu Auwäldern entwickeln. Wahrscheinlich würden Sie in all diesen Vermittlungssituationen folgende fünf Fragen explizit oder implizit beantworten: 1. Wozu soll das Thema überhaupt vermittelt werden? (Ziele) 2. Wem soll das Thema vermittelt werden? (Lernende)

Für ein Lernziel wie „Die Lernenden sollen den Gesteinskreislauf verstehen“ ist nur schwer überprüfbar, ob es nach der Vermittlung von bestimmten Lernenden erreicht oder nicht erreicht wurde. Innerhalb der Unterrichtsplanung haben sich deshalb sog. Operatoren etabliert, die die eingeforderten kognitiven Leistungen konkretisieren. Gleichzeitig können diese Operatoren in Aufgabenformulierungen den Lernenden transparenter verdeutlichen, was von ihnen erwartet wird. Verbunden mit der Entwicklung von Lernzieltaxonomien, also einer Einordnung von Lernzielen nach verschiedenen Kriterien, u. a. nach ihrem Anspruchsniveau, haben sich deshalb nach Anforderungsbereichen unterteilte Operatorenlisten gebildet. Beispiele sind: Anforderungsbereich  I (Reproduktion): beschreiben, nennen Anforderungsbereich II (Reorganisation/Transfer): einordnen, erklären, erläutern, vergleichen Anforderungsbereich  III (komplexer Transfer/Reflexion/Urteil): beurteilen, entwickeln, erörtern

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Soziokulturelle Voraussetzungen

Anthropologischpsychologische Voraussetzungen

Ziele

Inhalt

Methoden

Medien

Soziokulturelle Folgen

Raum, Ort, Zeit, Institution ...

Bedingungsrahmen wie:

2.1  •  Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik

Anthropologischpsychologische Folgen

..Abb. 2.1  Berliner Modell der Unterrichtsplanung

Innerhalb der Lernzielformulierung hat sich auch eine Unterscheidung nach „Groblernziel(en)“ (weitgehend synonym: „übergeordnetes Lernziel“) einerseits und „Feinlernzielen“ (weitgehend synonym: „untergeordnete Lernziele“) andererseits entwickelt. Hierbei konkretisieren die Feinlernziele mithilfe der Operatoren das/ein Groblernziel.

2.1.2

Fachdidaktik als eigene wissenschaftliche Disziplin

Historisch gesehen sind die Fachdidaktiken primär aus der Lehrerinnen- und Lehrerbildung entstanden, um die Lehrkräfte auf die Vermittlung „ihrer Fächer“ vorzubereiten. Der Etablierung der Fachdidaktiken als eigene wissenschaftliche Disziplinen liegt die Annahme zugrunde, dass bei der konkreten Unterrichtsplanung die didaktischen Fragen nicht alleine aus der allgemeinen Didaktik und Pädagogik sowie dem Fachwissen zu beantworten sind. Eine weitere Annahme besteht darin, dass für bestimmte Themenbereiche diese didaktischen Fragen Ähnlichkeiten in den Antworten aufweisen, die eben eine Ausweisung solcher themenbereichsspezifischer Didaktiken zu sog. Fachdidaktiken rechtfertigen. Entsprechend stellen Fachdidaktiken in Form „lokaler LehrLerntheorien“ (Prediger et  al., 2012) ein spezifisches Wissen über die Vermittlung bestimmter Inhalte bereit. Gleichwohl stehen diese lokalen Lehr-Lerntheorien in Beziehung zu grundlegenden pädagogischen und didaktischen sowie zu lernpsychologischen Theorien. Die lokalen fachdidaktischen Theorien konkretisieren diese allgemeineren Theorien oder sollten ihnen zumindest nicht widersprechen. Wesentliche Tätigkeitsfelder der Fachdidaktiken sind damit: Ziele ihres entsprechenden Unterrichtsfaches im Rahmen normativer Argumentationen zu begründen Theoriegestützt Vermittlungskonzepte zu entwickeln

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Empirisch Voraussetzungen für das Lernen bestimmter Inhalte zu ermitteln Den Istzustand des Lehrens und Lernens zu diesen Inhalten zu messen Experimentell Vermittlungskonzepte zu prüfen Den Einfluss bestimmter Faktoren auf das fachliche Lernen zu analysieren

Dabei bedienen sich Fachdidaktiken in ihrer empirischen Forschung sozialwissenschaftlicher und psychologischer Methoden. 2.1.2.1

Die fünf didaktischen Fragen am Beispiel des Gesteinskreislaufes

Im Folgenden werden am Beispiel des Themas „Gesteinskreislauf“ die oben skizzierten fünf didaktischen Fragen kurz näher erläutert. Dadurch soll an einem konkreten Beispiel fachdidaktisches Planen in Orientierung am Berliner Modell verdeutlicht und auf jeweils vertiefende Abschnitte im Buch verwiesen werden.

Wozu? – Ziele Die Frage, wie sich Zielsetzungen für Vermittlungen begründen lassen, steht im Zentrum wissenschaftlichen Arbeitens in den Disziplinen Pädagogik und Didaktik. In der Begründung, wozu Wissen vermittelt werden soll, lassen sich subjektorientierte Ziele von gesellschaftlichen Zielen unterscheiden. Subjektorientierte Ziele fragen primär nach dem Wert des zu vermittelnden Wissens für das Individuum, wobei dieser Wert häufig über das spezifisch deutsche Konzept der Bildung begründet wird. Demnach ist die Aneignung von Weltwissen die Voraussetzung für einen Menschen überhaupt, sein Menschsein entfalten zu können. Eine Begründung über diesen Ansatz würde also im Falle des Gesteinskreislaufes fragen, ob und wie dieses Thema ein besonderes Potenzial hat, aus der Perspektive eines Schülers oder einer Schülerin als bedeutsam für sein oder ihr Leben wahrgenommen zu werden. Da geowissenschaftliches Wissen Teil unserer heutigen Gesellschaft und damit auch ein wesentlicher Teil ihrer Kultur ist, könnte auch aus einer subjektorientierten Begründung die Bedeutung dieses Wissens für die Teilhabe an einer gebildeten Gesellschaft analysiert werden: Welche Rolle spielt der Gesteinskreislauf oder spielen Aspekte des Gesteinskreislaufes in unserer Kultur, wie sehr hilft ein Wissen über den Gesteinskreislauf, sich selbst in dieser Kultur zurechtzufinden? Gesellschaftliche Begründungen fragen stärker nach der Funktion des Wissens für die Erreichung bestimmter gesellschaftlicher Zielsetzungen. Ein naheliegendes Ziel hierzu ist ein funktionierender Arbeitsmarkt. Entsprechend wäre zu analysieren, ob die Vermittlung des Gesteinskreislaufes relevantes Wissen für das Erlernen oder die Ausübung bestimmter Berufe bereitstellt und/ oder ob durch das Wecken von Interesse Arbeitskräfte für Berufe in diesem Feld rekrutiert werden sollen.

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

Eine andere gesellschaftlich orientierte Zielsetzung begründet Inhalte aus ihrer Bedeutung für eine demokratische Gesellschaft. Die daraus abgeleitete Zielsetzung, Individuen durch Bildungsangebote zu politischer Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft zu befähigen, ist im Sinne einer emanzipatorischen Bildung letztlich auch wieder anschlussfähig an den deutschen Bildungsbegriff und integriert damit auch subjektorientierte Begründungen (vgl. Klafkis Konzept einer „Allgemeinbildung“; Klafki, 1990). Mit Blick auf den Gesteinskreislauf würde also gefragt werden, wie Schülerinnen und Schüler durch dieses Wissen befähigt werden, an gesellschaftlichen Diskursen teilhaben zu können, sich eine reflektierte Meinung bilden zu können und Verfahren des gemeinschaftlichen Aushandelns lernen zu können. So kann Wissen zum Gesteinskreislauf für die Diskussion um geeignete Endlagerstätten für Atommüll oder um bestimmte Formate von Geoengineering relevant sein. Auch wenn die Diskussion um die Begründung von Vermittlungsangeboten hier nur sehr oberflächlich angerissen werden kann, sollte aus den Darlegungen deutlich werden, dass sich die Vermittlung von Sachverhalten nie alleine aus dem Thema heraus legitimieren lässt, also etwa aus der fachwissenschaftlichen Bedeutung bestimmter Themen, sondern immer auf normative Konzepte verweisen muss, die sich aus subjektorientierten und gesellschaftlichen Perspektiven ergeben. Eine vertiefte Zieldiskussion innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktiken findet sich in 7 Abschn. 4.1. Für den Schulunterricht stellt die Kompetenzorientierung die tiefgreifendste Neuausrichtung der Bildungsziele in den letzten zwei Jahrzehnten dar. Ausgehend von einem Verständnis von Schulbildung als die Befähigung zum Lösen von Problemen erfolgte eine Verschiebung der Bedeutung fachinhaltlichen Wissens zugunsten prozessbezogener Fähigkeiten. Damit verbunden wurden diese Kompetenzen outputorientiert, also stärker aus der Perspektive ihrer Überprüfbarkeit, formuliert. Waren viele Lehrpläne vor der Kompetenzorientierung noch recht umfangreiche Auflistungen von Inhalten, so haben sich seitdem die inhaltlichen Vorgaben deutlich reduziert, während die Vorgaben zu prozessbezogenen Kompetenzen zugenommen haben und gleichzeitig die Vorgaben stärker als überprüfbares Können formuliert sind. Prozessbezogene Kompetenzen erstrecken sich etwa auf die Fähigkeit, Formate wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns nachvollziehen, reflektieren und ansatzweise selbst durchführen zu können, fachliche Informationen adressatengerecht kommunizieren zu können oder Urteile zu öffentlichen Kontroversen mit fachlichem Hintergrund fällen zu können. Im Falle des Themas „Gesteinskreislauf“ könnte z. B. überlegt werden, wie daran das Lesen und das eigenständige Erstellen von Flussdiagrammen vermittelt und eingeübt werden können. Nähere Ausführungen zur Kompetenzorientierung in den Naturwissenschaftsdidaktiken finden sich in 7 Abschn. 4.1.

Eine für den Unterricht geowissenschaftlicher Themen sehr relevante Zielsetzung stellt die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) dar. Auch wenn es sich hierbei um ein überfachliches Konzept handelt, das etwa im Bereich Schule sich auf alle Schulfächer und auf die gesamte Institution Schule erstrecken soll, so bieten geowissenschaftliche Inhalte besonders hohe Potenziale hierfür. Entsprechend der aktuellen Kompetenzorientierung liegen auch für die BNE Sammlungen von Kompetenzen vor (z. B. systemisches und interdisziplinäres Denken, Szenarien entwickeln; vgl. Brundiers et  al., 2021). In 7 Abschn. 4.2 wird die Bildung für nachhaltige Entwicklung näher erläutert.

Wer? – Lernende Lernen lässt sich nach dem didaktischen Dreieck als ein Prozess zwischen Lehrendem, Lernendem und der Sache beschreiben. Lernende bringen in den Lernprozess individuelle Einstellungen, Interessen, Vorstellungen, Erfahrungen, Emotionen sowohl zur relevanten Sache als auch zum Lehrenden (und zum Lernen an sich) mit ein. Konstruktivistische Perspektiven (Kasten „Konstruktivismus und konstruktivistische Lerntheorie“) haben die Bedeutung dieser individuellen Voraussetzungen für das Lernen in den letzten Jahrzehnten noch einmal besonders hervorgehoben. Die Planung einer geowissenschaftlichen Vermittlung hat entsprechend – so weit möglich – diese Voraussetzungen zu berücksichtigen: in der Zielsetzung (vgl. Subjektorientierung), in der didaktischen Reduktion/Rekonstruktion der Sache (s. u.) und in der Wahl der Methoden und Medien. Die Anschlussfähigkeit der neu zu vermittelnden Inhalte an das Vorwissen der Lernenden und die Berücksichtigung möglicher Vorstellungen gehören – empirisch gut belegt (z. B. Gruber & Stamouli, 2020) – zu den wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Lernen. Im Falle des Gesteinskreislaufes ist also etwa zu klären, ob die Lernenden bereits einzelne Teilprozesse, wie Erosion, Transport und Sedimentation oder Bildung vulkanischer Gesteine kennen. Es ist aber auch zu klären, wie vertraut die Lernenden mit Kreislaufkonzepten sind, wie schwierig ihnen die Trennung von Teil und Ganzem fällt (z. B. dass ein Sandkorn im Rahmen des Gesteinskreislaufes nicht festes Gestein durchwandert, sondern Teil dessen ist). In 7 Kap. 5 werden Vorstellungen und Interessen zu geowissenschaftlichen Inhalten als wichtige Lernvoraussetzungen näher erläutert.

Was? – Inhalte Im Rahmen der Planung von Vermittlungen ist „die Sache“ aus einer didaktischen Perspektive zu analysieren („Sachanalyse“ bzw. „fachliche Klärung“ in Unterrichtsentwürfen). Dabei geht es in einem ersten Schritt darum, aus einer stärker fachwissenschaftlichen Perspektive den fachlichen Kern des Themas zu fassen („Elementarisierung“), und in einem zweiten Schritt darum, aus dem Verschränkungszusammenhang mit den Zielen und den

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2.1  •  Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik

..Abb. 2.2  Beispiel für eine mögliche didaktische Rekonstruktion des Gesteinskreislaufes

Erosion

or t

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Transp

im

en

tat

Verwitterung

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Sedimentgestein an der Oberfläche

Magmatische Gesteine: Basalt

ng

Lockergesteine

Granit an der Oberfläche

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Erstarrung

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Sedimentgesteine

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ng

Magmatische Gesteine: Granit

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>>Didaktische Rekonstruktion

Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (. Abb.  2.3) ist als Modell zur fachdidaktischen Forschung im Kontext „Schülervorstellungen“ entstanden. Es unterscheidet die drei Schritte „Erfassen der Lernerperspektiven“, „Fachliche Klärung“ und „Didaktische Strukturierung“ (Kattmann et al., 1997; 7 Abschn. 5.2). Das Modell hat aber auch zunehmend Eingang in die Unterrichtsplanung gefunden, wobei es grundsätzlich in das lehr-lerntheoretische Berliner Modell integrierbar ist und wie dieses die Interdependenz der einzelnen Schritte betont. Mit dem Begriff „fachliche Klärung“ als Alternative zur „Sachanalyse“ wird betont, dass dieser Prozess immer aus einer didaktischen Perspektive erfolgt; eine bloße Analyse aus der Sache heraus macht wenig Sinn. Mit dem Begriff „didaktische Rekonstruktion“ wird im Vergleich zum Begriff

ung un

ng

Voraussetzungen der Lernenden das Thema so neu zu konzipieren, dass es erfolgreiche Lernprozesse verspricht. Diese didaktische Umgestaltung des Themas wird – je nach theoretischem Hintergrund – als didaktische Reduktion oder als didaktische Rekonstruktion bezeichnet. Im Falle des Gesteinskreislaufes könnte (!) aufgrund der konkreten Lernvoraussetzungen, bestimmter Rahmenbedingungen und bestimmter Ziele das Ergebnis der didaktischen Reduktion/Rekonstruktion wie in . Abb. 2.2 aussehen: Im Vergleich zur fachwissenschaftlich orientierten Darstellung (. Abb. 1.22) wurden bestimmte Elemente ausgelassen, bestimmte Begriffe umformuliert und bestimmte Aspekte ergänzt.

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Absenk

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Hebung und Freilegung

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Didaktische Strukturierung

Fachliche Klärung

Erfassung von Schüler*innenperspektiven

..Abb. 2.3  Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion

„didaktische Reduktion“ noch stärker betont, dass die Sache, wie sie als Lerngegenstand für eine Vermittlung inhaltlich gestaltet ist, sich stark auch aus den Voraussetzungen aufseiten der Lernenden bildet und damit eben keine bloße Reduktion darstellt.

Wie? – Methoden Unterrichtsmethoden können als „Wege oder Verfahren der Vermittlung von […] Inhalten angesehen werden. Sie schließen die Mittel und Medien ein, die im Rahmen dieser Prozesse eingesetzt werden; sie betreffen auch die Formen der sozialen Organisation der Vermittlungsprozesse“ (Kron et al., 2014, S. 31). Unterrichtsmethoden können nach folgenden Kriterien unterschieden werden:

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

Sozialformen: Fokus auf die soziale Organisation eines Abschnittes der Vermittlung, z. B. Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum Organisationsformen: Fokus auf die Struktur der gesamten Vermittlung, z. B. darbietend – aufgebend – entdeckend/deduktiv – induktiv (7 Abschn. 6.3) Handlungsformen im engeren Sinn: Fokus auf einzelne Abschnitte der Vermittlung, z. B. Aufgabe in Einzelarbeit, Gruppendiskussion, Think-Pair-Share, Mystery

Unterrichtsmethoden sind von Fachmethoden zu unterscheiden, bei denen es sich um typische Arbeitsweisen der jeweiligen Fachdisziplin handelt, im Falle der Geowissenschaften also z. B. Profilanalysen, Korngrößenbestimmung und chemische Analysen im Labor. Empirisch gut belegt ist, dass es nicht „die geeignete Methode“ zur besonders erfolgreichen Vermittlung von Inhalten gibt. Einerseits ist eine gewisse Methodenvielfalt an sich von Vorteil (Meyer, 2003). Andererseits ergibt sich die Geeignetheit der Methode im Sinne ihres damit verbundenen Lernerfolges besonders aus einer guten didaktischen Analyse, also aus der guten Begründung und Konkretisierung der Ziele, der Berücksichtigung der Lernerperspektiven, der fachlichen Durchdringung der Sache und ihrer angemessenen Reduktion/Rekonstruktion (Kunter et al., 2011). In den letzten Jahrzehnten sind im Rahmen der Kompetenzorientierung Aufgaben stärker in den Fokus didaktischer und fachdidaktischer Forschung und Entwicklung gerückt (Schuler et al., 2017). Unter dem Begriff „Neue Aufgabenkultur“ werden Aufgaben entwickelt, die sich durch folgende Kriterien auszeichnen (Schuler et al., 2017): Berücksichtigung von Vor- und Alltagswissen (7 Kap. 5 und 6) Problemorientierung (7 Abschn. 6.3.1) Kontextualisierung (7 Abschn. 6.2.2) Offenheit/vorstrukturierte Offenheit (Es gibt nicht die eine Lösung oder den einen Lösungsweg.) Viel Potenzial für Binnendifferenzierung Kognitiv herausfordernd Bezug zu fachspezifischen Denk- und Arbeitsweisen Viel Potenzial zur Förderung der Metakognition (7 Abschn. 6.4)

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Die Unterrichtsmethode Mystery (7 Abschn. 6.5.1) ist ein Beispiel für ein Aufgabenformat, das diese Kriterien sehr umfassend umsetzt. Im Falle des Gesteinskreislaufes könnten methodische Entscheidungen z. B. darin bestehen, dass Verfahren, innerhalb derer Lernende eigenes Wissen und bereitgestelltes Wissen in einer systemischen Struktur zusammentragen und verknüpfen sollen, eingesetzt werden sollen. Denkbar wäre in Anlehnung an ein Mystery, die Lernenden in der Sozialform Gruppenarbeit die

Geschichte eines personifizierten „Gesteinsteilchens“ mithilfe bereitgestellter Kärtchen, die Bilder oder kurze Beschreibungen enthalten, entwickeln zu lassen. Dabei könnten durch die Bereitstellung unterschiedlicher Sets an Kärtchen verschiedene Komplexitätsgrade eingefordert werden, und die Lernenden könnten im Sinne der Metakognition aufgefordert werden, ihnen vertrautes Wissen und neue Informationen zu unterscheiden. In einer darbietenden Organisationsform könnte die Earth Learning Idea (7 Kap.  7) „Der Gesteinskreislauf in Wachs“ umgesetzt werden, bei der die Lehrkraft anhand verschiedener Prozesse mit Kerzenwachs Analogien (7 Abschn. 6.5) zum Gesteinskreislauf präsentiert und reflektieren lässt. >>Konstruktivismus und konstruktivistische Lern-

theorie Der radikale Konstruktivismus stellt eine erkenntnistheoretische Position zur Frage dar, ob ein Erkennen von Wirklichkeit möglich ist. Es handelt sich also um eine philosophische Theorie. Insbesondere auf Grundlage neurobiologischer Befunde versucht sie zu zeigen, wie das, was wir Wirklichkeit nennen, aus einem individuellen Konstruktionsprozess heraus erfolgt. „Realität“ sei damit ein Konstrukt des Gehirns (und wird deshalb meistens in Anführungszeichen gesetzt), sodass ein unmittelbares Erkennen von Wirklichkeit nicht möglich sei. Wesentlich für diesen Konstruktionsprozess sei hierbei die Selbstreferenzialität des Gehirns, das aus sich heraus in Wechselwirkung mit eintreffenden Signalen sich „seine eigene Wirklichkeit“ schaffe. In Verbindung mit dieser philosophischen Theorie (und weiteren theoretischen Grundlagen) haben sich in verschiedenen Sozial- und Geisteswissenschaften verschiedene „Konstruktivismen“ entwickelt. Innerhalb der Humangeographie etwa spielen sozialkonstruktivistische Ansätze eine wichtige Rolle, indem gesellschaftliche Konstrukte wie bestimmte Räume (z. B. „der Orient“, „Europa“) oder Dichotomien (z. B. „Mensch–Natur“) oder Begriffe (z. B. „Entwicklungsländer“, „Naturkatastrophen“) „dekonstruiert“ werden. Dabei wird analysiert, wie durch gesellschaftliche Kommunikation diese Räume, Dichotomien, Begriffe „gemacht“ wurden und wie dadurch bestimmte Interessen sich manifestiert haben. Diese Dekonstruktion verfolgt damit auch ein emanzipatorisches Ziel, indem sie diese Interessen aufdeckt. Identitätspolitische Ansätze (7 Abschn. 2.2.7.18) basieren u. a. auf diesem Ansatz. Über die Geographiedidaktik hat dieser Ansatz als eine Zielsetzung auch Eingang in den Geographieunterricht gefunden. In der Lernpsychologie führten konstruktivistische Ansätze zu einer Betonung der individuellen Voraussetzungen, die die Lernenden in den Lernprozess einbringen,

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2.2  •  Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

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der individuellen Konstruktionsleistungen der Lernenden während des Lernprozesses im Sinne von Interpretationen der neuen Informationen, der daraus folgenden Unterschiede zwischen den Lernenden darin, wie sie das Neugelernte verstehen. Konstruktivistische Ansätze in der Lernpsychologie betonen entsprechend die Unmöglichkeit transmissiver Lehre, also der „Übertragung“ des Wissens von der Lehrkraft zum Schüler oder zur Schülerin. Besonders verbreitet hat sich in der Lernpsychologie und den Fachdidaktiken eine „gemäßigte“ konstruktivistische Sicht unter der Bezeichnung „moderat-konstruktivistische Lerntheorie“, die also nicht alle Grundannahmen des radikalen Konstruktivismus voraussetzt und die eine gewisse Beeinflussbarkeit des individuellen Lernens durch die Gestaltung von Lernumgebungen anerkennt. Aus diesem Ansatz resultierten in den Fachdidaktiken eine verstärkte Berücksichtigung der Voraussetzungen der Lernenden, insbesondere der Vorstellungen zu den relevanten Inhalten (7 Kap. 5), und eine stärkere Integration der Metakognition (7 Abschn. 6.4) in LehrLernprozesse. Auch führte dieser Ansatz zu einer Bevorzugung von Unterrichtsmethoden, die den Lernenden viel Raum ermöglichen, die neuen Informationen umfassend vor dem Hintergrund ihres bisherigen Wissens zu interpretieren – möglichst auch im Austausch mit anderen Lernenden.

Womit? – Medien Die Wahl geeigneter Medien ist eng gekoppelt mit methodischen Entscheidungen. Dabei stellt die ständige Entwicklung neuer Medien, insbesondere digitaler Medien, aber auch z. B. neuer dreidimensionaler Modelle wie des Geowindow (7 Abschn.  6.5.4), eine Herausforderung dar, sich kontinuierlich über mögliche Angebote zu informieren. Medien lassen sich nach der Art der Sinnesrezeption unterscheiden in visuell, auditiv und audiovisuell. Wie im Falle der Methoden gilt auch für Medien, dass es nicht „die lernwirksamen Medien“ gibt, sondern dass vielmehr die Passung der Medien zu den didaktischen Entscheidungen und zu den daraus reduzierten/rekonstruierten Informationen entscheidend ist. In der Öffentlichkeit kursieren eine Reihe von Neuromythen (Lethmate, 2016) über die Wirksamkeit bestimmter Medien, besonders mit Blick auf ihre Sinnesrezeption, die theoretisch und empirisch nicht haltbar sind. Beispiele hierfür sind die Aussage, wonach wir „90 % dessen behalten, was wir tun, 30 % dessen, was wir sehen, 20 % dessen, was wir hören […]“, oder die Behauptung der Existenz von vier „Lerntypen“ (auditiv, visuell, haptisch, abstraktverbal). Eine theoretische und empirische Fundierung hat lediglich die Theorie der dualen Codierung, die von zwei Teilsystemen der Informationsverarbeitung ausgeht, einer auditiven und einer visuellen. Da gleichzeitig die Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses während der Informationsverarbeitung begrenzt sind, ist eine gleich-

zeitige Präsentation einer Information in Text und Bild lernwirksamer als eine Präsentation lediglich über Text oder Bild (Mulitmediaeffekt). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Text und Bild gleichzeitig und nicht nacheinander angeboten werden (Kontiguitätseffekt) und dass sich Text- und Bildinformationen explizit aufeinander beziehen (Kohärenzeffekt). Die Präsentation des verbalen Materials auf auditivem Wege ist der Präsentation auf visuellem Wege (also als Text) überlegen (Hasselhorn & Gold, 2022). Ein Beispiel für eine sorgsame Planung einer multimedialen Lernumgebung unter Berücksichtigung der Cognitive Load Theory (CLT), die die Kapazitätsbegrenzungen des Arbeitsgedächtnisses berücksichtigt, findet sich in 7 Abschn. 15.2. Für die Vermittlung des Gesteinskreislaufes kann aus den Lernvoraussetzungen und der Unmöglichkeit, viele Teilprozesse des Gesteinskreislaufes nicht sehen zu können, die Notwendigkeit des Einsatzes von Animationen abgeleitet werden, wobei möglichst die Kriterien für lernwirksame Arrangements von Text, Ton und Bild berücksichtigt werden. 2.2

Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

Sylke Hlawatsch, Dirk Felzmann

Zu Umfang und Qualität geowissenschaftlicher Bildung in Deutschland tragen Akteurinnen und Akteure auf verschiedenen Ebenen der Bildungslandschaft bei. Chris King (2008) wertete die verfügbare bildungswissenschaftliche Literatur mit Blick auf Faktoren aus, die nachweislich auf die Qualität geowissenschaftlicher Bildung wirken. Es sind die Bildungspolitik und -verwaltung, die verfügbare Unterrichtszeit und Maßnahmen der Qualitätssicherung regeln, und die Erkenntnisse der Bildungswissenschaften. Letztere erforschen, überprüfen und optimieren theoriebasiert die Lernwirksamkeit von Materialien und Vermittlungsformen im Unterricht. Hierfür sind auch normative Aspekte, die danach fragen, was gute geowissenschaftliche Bildung sein soll und wie sich diese begründen lässt, sehr bedeutsam. Unterrichtsmaterialien sollten erst regulär im Schulunterricht zum Einsatz kommen, wenn ihre Wirkung im Unterricht zuvor nachgewiesen werden konnte. Lehrkräfte übertragen in den Schulen die auf den verschiedenen Ebenen ausgehandelten Inhalte und Vermittlungsformen auf ihre jeweiligen Lerngruppen, angepasst an die verfügbare Unterrichtszeit. Sie greifen hierfür insbesondere auf die Unterstützung von Akteurinnen und Akteuren der Schulbuchverlage zurück. Im Falle der geowissenschaftlichen Vermittlung sind zudem Unterstützungsmaßnahmen von Geologischen Landesämtern, geowissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, außerschulischen Lernorten sowie den Fachgesellschaften und Fachverbänden sehr bedeutsam.

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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>>Der Bildungsauftrag im Grundgesetz

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In Deutschland ist ein Bildungsauftrag im Grundgesetz verankert. Dieser schafft die institutionellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, damit die Menschen sich unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und dem damit einhergehenden Zugang zu Wissen, Bildung und Chancen als kritische und informierte, vor allem aber neugierige Staatsbürgerinnen und Staatsbürger entfalten können. Akteurinnen und Akteure der Bildungspolitik und -verwaltung sind im Bund, in den Ländern oder in Gemeinden in Parlamenten, Ausschüssen, Regierungen, Ministerien und Verwaltungen tätig und arbeiten in Institutionen, die zwischen Bund und Ländern und zwischen den Ländern vermitteln. Zu den vermittelnden Institutionen gehören die Kultusministerkonferenz, die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, der Wissenschaftsrat, die Bildungsforschungsinstitute und viele weitere. Auch die Medien- und Parteienlandschaft spielen als Transmissionsmittel zwischen Gesellschaft, organisierten gesellschaftlichen Kräften und staatlichen Akteuren eine wichtige Rolle (Voßkuhle, 2019).

2.2.1

Akteurinnen und Akteure in Bildungspolitik und Bildungsverwaltung

Die Kultusministerien sind als oberste Landesbehörden für Angelegenheiten der Bildung zuständig. Die konkrete Vereinbarung von Unterrichtsinhalten erfolgt in Lehrplankommissionen auf Landesebene. Sie entwickeln Lehrpläne bzw. Fachanforderungen und berücksichtigen dafür fachliche, didaktische, pädagogische und schulpraktische Gesichtspunkte sowie – so weit vorhanden – die bundesweit gültigen Bildungsstandards (7 Kap. 4). 77Lehrplankommission – Beispiel Bayern

In Bayern richtet das Staatsministerium für Unterricht und Kultus Lehrplankommissionen ein (Art. 45 Abs. 3 Satz  1 BayEUG), beruft Mitglieder und bestimmt den Vorsitz. Die Mitglieder sollen fachlich und pädagogisch besonders qualifiziert sein. Bei der Auswahl sollen nach Möglichkeit Berufserfahrung, regionale Verteilung und Geschlecht berücksichtigt sein. Die Mitarbeit in einer Lehrplankommission ist bei Lehrkräften staatlicher Schulen Dienstaufgabe. 9

Die Länder sind befugt, eigene Schulfächer einzurichten, z. B. gibt es in Bayern und Baden-Württemberg regulär Geologie als Wahlfach in der Oberstufe (Baden-Württemberg, Ministerium für Kultus Jugend und Sport, 2016; Bayerisches Staatsministerium, 2004) und in Mecklenburg-Vorpommern den Rahmenplan „Fächerverbindender/fachübergreifender Wahlpflichtkurs

System Erde“ für Gymnasien und Gesamtschulen, Jahrgänge 9/10 (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, o. D.). Hierdurch besteht für alle Schulen des Landes die Möglichkeit, entsprechende Kurse oder Fächer einzurichten. Aber auch in anderen Bundesländern wurden auf Initiative von einzelnen Lehrkräften, Kollegien und Schulleitungen geowissenschaftliche Kurse genehmigt. Beispiele sind das Gymnasium Heidberg in Hamburg und die RichardHallmann-Schule in Schleswig-Holstein (7 Kap. 8). Durch das Einrichten von Fächern steht Unterrichtszeit für Geowissenschaften in der Schule zur Verfügung. Entscheidend dafür, dass in dieser Zeit auch tatsächlich effektiv unterrichtet wird, sind aber die Lehrkräfte. Sie erwerben ihre Kompetenzen während ihres Lehramtsstudiums oder durch Fortbildungen. Das Geozentrum Nordbayern bietet interessierten Lehrkräften hierfür das Zusatzstudium „Geowissenschaften im Lehramt“ als eine zusätzliche Qualifikation für Lehramtsstudierende an Gymnasium oder Realschule mit den Fächern Geographie, Chemie, Mathematik, Biologie oder Physik bzw. für Lehramtsstudierende an Mittelschule oder Grundschule. Nähere Informationen zu diesem Zusatzstudium finden sich am Ende des vorliegenden Kapitels im Interview mit Dr. Anette Regelous. zz Kultusministerkonferenz (KMK)

Die für Bildung in den Ländern zuständigen Ministerinnen und Minister bzw. Senatorinnen und Senatoren arbeiten in der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (kurz: Kultusministerkonferenz, KMK) zusammen. Zu ihren Aufgaben gehört es, die Vergleichbarkeit der schulischen Leistungen und die Mobilität von Schülerinnen und Schülern über Bundesländergrenzen hinweg zu sichern. Zur Qualitätssicherung hat die KMK im Oktober 1997 beschlossen, das deutsche Schulsystem im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen international vergleichen zu lassen (Konstanzer Beschluss). Die Ergebnisse dieser internationalen Studien (TIMSS, PISA und IGLU) veranlassten die KMK zu folgenden Maßnahmen: Erstellung bundesweit gültiger Bildungsstandards für die zentralen Unterrichtsfächer Deutsch, Mathematik, Englisch, Französisch, Biologie, Physik und Chemie (KMK, 2005a, b, c, d). Sie dienen als zentraler Orientierungsrahmen für alle Akteurinnen und Akteure im Bildungssystem. Erstellung von Standards für die Lehrerbildung in den Bildungswissenschaften sowie in den Fachwissenschaften und Fachdidaktiken (KMK, 2019a, b).

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Mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 hat sich die KMK auf die Einrichtung einer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) als unabhängiges wissenschaftliches Beratungsgremium

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2.2  •  Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

verständigt. Ihr gehören 16 Bildungsforscherinnen und -forscher aus unterschiedlichen Disziplinen an. Die SWK berät die Länder bei der Weiterentwicklung des Bildungswesens. Sie identifiziert bestehende Probleme und gibt evidenzbasierte Empfehlungen für deren Lösung. 2.2.2

Akteurinnen und Akteure in den Bildungswissenschaften

Die fachdidaktischen Lehrstühle bzw. Arbeitsgruppen sind an Hochschulen mit Lehramtsstudiengängen angesiedelt und inhaltlich analog zu den etablierten Schulfächern organisiert. Für die Vermittlung von Geowissenschaften gibt es in Deutschland aufgrund dessen keine eigenständige Fachdidaktik. Traditionell sind die Geowissenschaften in Deutschland Bezugsdisziplin für den Geographieunterricht in der Schule. Heute gibt es zudem Bezüge zu den naturwissenschaftlichen Fächern, beispielsweise für paläontologische Inhalte zur Biologie, mineralogische Aspekte zur Chemie und geophysikalische Themen zur Physik. International existieren Geosciences, Geology bzw. Earth Sciences als naturwissenschaftliches Schulfach. Dort hat sich Geoscience Education als eigenständige Wissenschaftsdisziplin etabliert. In Deutschland betätigte sich einzig das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ (2000–2005), Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel, systematisch und theoriebasiert mit der Vermittlung der naturwissenschaftlichen Geowissenschaften im deutschen Schulunterricht. Dies geschah interdisziplinär mit Expertise der Didaktiken der Biologie, Chemie, Physik, der Pädagogischen Psychologie und Implementationsforschung seitens des IPN und in Kooperation mit der Geographiedidaktik, Lehrkräften und geowissenschaftlichen Einrichtungen (7 Abschn.  2.3.3). Die Vorgehensweise eignet sich als Modell für zukünftige Initiativen. Die Länder in der Bundesrepublik Deutschland werden durch das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bei der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung im allgemeinbildenden Schulsystem unterstützt. Auf der Grundlage der Bildungsstandards der KMK überprüft das IQB regelmäßig, inwieweit die Bildungsziele in deutschen Schulen erreicht werden, und unterstützt die Länder bei der Implementierung der Bildungsstandards. Darüber hinaus ist es im Bereich der empirischen Bildungsforschung aktiv. 2.2.3 Schulbuchverlage

Schulbuchverlage binden Lehrkräfte und Forschende aus den Fachdidaktiken und den Fachwissenschaften als Au-

torinnen und Autoren in die Entwicklung ihrer Lehrmittel ein. Einige Dutzend Verlage teilen sich den deutschen Schulbuchmarkt untereinander auf. Allerdings entfällt der Löwenanteil auf nur drei Verlagsgruppen: Cornelsen, Ernst Klett und Westermann. Neben klassisch gedruckten Schulbüchern gibt es heute Arbeitshefte, interaktive Lernangebote, digitale Lernkurse, Online-Fortbildungen und Diagnose-Tools zur Lernstandserhebung. Das Angebot an Lehrmitteln orientiert sich an den etablierten Schulfächern. Geowissenschaftliche Lehrmittel, die inhaltlich den International Syllabus for Geoscience Education abdecken, sind in Deutschland nicht verfügbar. Teilbereiche werden mit disziplinärem Fokus von Lehrwerken für den Biologie‑, Chemie‑, Geographieund Physikunterricht abgedeckt. So veröffentlichte der Cornelsen Verlag das fächerübergreifende Schulbuch Abenteuer Weltmeere für die 9.  und 10.  Klasse in der Reihe „Naturwissenschaften – Biologie, Chemie und Physik“. Die Verlage bieten zudem Unterrichtszeitschriften, die einzelne Unterrichtsvorschläge und auch Sonderhefte für geowissenschaftliche Themen publizieren, z. B. gibt der Verlag Westermann die Zeitschrift Praxis Geographie heraus und der Friedrich Verlag geographie heute sowie Unterricht Biologie, Unterricht Chemie und Unterricht Physik. Hier sind auch Themenhefte oder Sonderdrucke möglich. Ausgewählte Beispiele: Bioplanet Erde (Unterricht Biologie, Nr. 299/2004) Biosystem Erde (Praxis der Naturwissenschaften – Biologie in der Schule 3/53. Jahrgang, 2004) Kreislauf der Gesteine (Unterricht Chemie, Nr. 86/2005) Klimabildung (Unterricht Chemie, Nr. 191/2022) Weltmeer (geographie heute, Nr. 341/2018) Unsere Erde: Für Kinder, die die Welt verstehen wollen (Die Grundschulzeitschrift, Nr. 20/2006) Der Mond – Begleiter der Erde (geographie heute, Nr. 329/2016) Geologie zum Anfassen (geographie heute, Nr. 218/2004) Klima(wandel) (Naturwissenschaften 5–10, Nr. 13/2020)

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2.2.4

Geologische Landesämter

Die Geologischen Landesämter geben Materialien für den Unterricht heraus, so etwa das Bayerische Landesamt für Umwelt mit den umfassenden Handreichungen „Lernort Geologie“ (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, 2009) und „Lernort Boden“ (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, 2006) sowie der Geologische Dienst Nordrheinwestfalen (2007) mit der Sonderveröffentlichung „Geologie macht Schule“.

2

40

Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

2.2.5

Akteure und Akteurinnen an geowissenschaftlichen Forschungsinstituten, Schülerlaboren und Museen

2

Eine große Personengruppe, die sich neben Forschung und Hochschullehre um die Vermittlung geowissenschaftlicher Inhalte an die Allgemeinheit kümmert, sind die Mitarbeitenden geowissenschaftlicher Institute und Einrichtungen. Sie präsentieren geowissenschaftliche Forschungsergebnisse im Rahmen von Tagen der Offenen Tür, Langen Nächten der Wissenschaft und Science Fairs. Die geowissenschaftlichen Einrichtungen konzipieren auch Wanderausstellungen, die sie im öffentlichen Raum, z. B. in Einkaufzentren, aufstellen (. Abb. 2.4), und bieten gezielte Unterstützungsmaßnahmen für Schulunterricht (7 Kap. 10). In den letzten 20  Jahren sind an Forschungseinrichtungen oder Universitäten verstärkt Schülerlabore eingerichtet worden. Sie erlauben eine originale Begegnung mit dem Wissenschaftsbetrieb, z. B. das GFZSchülerlabor am Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam, das GEO-Zentrum an der Kontinentalen Tiefbohrung (KTB) in Windischeschenbach, die Schulkooperationen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel und das Schülerlabor des Institutes für Ostseeforschung Warnemünde (7 Kap.  11). Die dortigen Angebote bereichern den Schulunterricht mit forschungsbasierten praktischen Aufgaben, die im herkömmlichen Schulunterricht nicht oder nur mit sehr großem Aufwand realisierbar wären. Die Entwicklung der Angebote erfolgt in Kooperation mit Fachdidaktiken und Lehrkräften. Auch gibt es geowissenschaftliche und naturkundliche Museen, die an geowissenschaftliche Institute angegliedert sind. Sie präsentieren Fossilien, Mineralien und Gesteine und bieten neben Führungen zunehmend auch praktische Angebote für Schulklassen an (7 Kap. 11). Angestellte der Museen sind häufig Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler, die von wissenschaftlichen Hilfskräften unterstützt werden, und/oder Museumspädagogen bzw. -pädagoginnen. 2.2.6

Akteurinnen und Akteure in Geoparks

In Deutschland existieren 23  Geoparks, die Gebiete von besonderer geologischer Bedeutung repräsentieren, wobei 18 dieser Geoparks als Nationale Geoparks zertifiziert sind (Stand 2022). Eine Kernaufgabe der Nationalen Geoparks ist die Bildungsarbeit:

» „[Diese] dient als Instrument der Bildung für nach-

haltige Entwicklung sowie der Lehre und Forschung.

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen die Geoparks dazu beitragen, die einzelnen Sehenswürdigkeiten öffentlich zugänglich zu machen und miteinander zu vernetzen. Hierzu muss der Geopark-Betreiber ein fachliches und touristisches Konzept vorlegen. Das Konzept soll didaktisch-methodisch so angelegt sein, dass es auf die Förderung von geowissenschaftlichem Grundlagenwissen und Bildung für nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist. Die Bildungsziele und -maßnahmen sollen nach Möglichkeit alle Träger im Geoparkgebiet einbinden.“ (SGD, 2018, S. 3)

Entsprechend existiert in den Nationalen Geoparks ein oft umfassendes Angebot an Ausstellungen, öffentlichen Führungen, Angeboten für Schulklassen zu geowissenschaftlichen Sachverhalten (7 Abschn.  11.1.2). Konkretes Bildungsmaterial für die einzelnen Geoparks wird meistens über die Homepages der jeweiligen Geoparks bereitgestellt. Acht dieser Nationalen Geoparks sind darüber hinaus als UNESCO-Geoparks zertifiziert (Stand 2022). Bei den UNESCO-Geoparks handelt es sich um Gebiete mit geologischen Stätten und Landschaften von internationaler geowissenschaftlicher Bedeutung. Die internationale Ausrichtung zeigt sich daran, dass diese Geoparks europaweit im European Geoparks Network (EGN) und international im Global Geoparks Network (GGN) organisiert sind. Innerhalb dieser Netzwerke erfolgen regelmäßig Tagungen und Publikationen, in denen die Präsentation und Evaluation von konkreten Bildungsangeboten in den jeweiligen Geoparks eine große Rolle spielen (7 Abschn. 11.1.3). 2.2.7

Akteurinnen und Akteure in Fachgesellschaften und Verbänden

Fachgesellschaften und Verbände bieten Möglichkeiten für den persönlichen Austausch durch Fachsitzungen, Arbeitsgruppentreffen, Fortbildungen, Exkursionen und Zeitschriften für die Darstellung von Vermittlungsansätzen und Lehr-Lernforschungsergebnissen. International existieren Verbände für Geowissenschaftsdidaktik (Geoscience Education) und Geowissenschaftslehrkräfte. In Deutschland findet Geowissenschaftsdidaktik bisher nur in geringem Umfang Berücksichtigung in den Verbänden der Fachdidaktiken für Geographie, Biologie, Chemie und Physik. Möglichkeiten einer systematischen gegenseitigen Unterstützung explizit für Lehrkräfte, die Geologie bzw. Geowissenschaften an Schulen im deutschsprachigen Raum unterrichten, bestehen bisher nicht. Ein fachlicher Austausch für Lehrkräfte ist aber dennoch möglich, da die nationalen geowissenschaftlichen Fachgesellschaften häufig mit den internationalen assoziiert sind.

41

2.2  •  Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

..Abb. 2.4  Wanderausstellung des geowissenschaftlichen Forschungszentrums MARUM Bremen im Einkaufzentrum Sophienhof in Kiel. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

2.2.7.1

Internationale Organisation für geowissenschaftliche Bildung (IGEO)

Zur Forderung und Förderung geowissenschaftlicher Bildung, die auf naturwissenschaftliche Weise die Erde als Gesamtsystem in den Blick nimmt, formierte sich in den 1990er-Jahren eine Interessengemeinschaft, aus der am 18. Januar 2000, auf der dritten Internationalen Konferenz für geowissenschaftliche Bildung (GeoSciEd III) in Sydney (Australien), die International Geoscience Education Organisation (IGEO) hervorging. Sie ist seither ein Forum für geowissenschaftliche Lehre. Die Ziele sind (IGEO, 2022): Die internationale Förderung geowissenschaftlicher Bildung auf allen Ebenen Die Qualitätssicherung von geowissenschaftlicher Bildung weltweit Die Förderung von Aktivitäten, die die Wahrnehmung von Geowissenschaften in der Öffentlichkeit verbessern, insbesondere bei jüngeren Menschen

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Zum Erreichen dieser Ziele analysiert die IGEO Konzepte geowissenschaftlicher Bildung auf allen Ebenen, fördert die Kommunikation zwischen Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern, die weltweit an der Vermittlung interessiert sind, und vernetzt sich mit internationalen und nationalen Einrichtungen, die sich mit geowissenschaftlicher Bildung befassen. Die IGEO ist der International Union of Geological Sciences (IUGS) angeschlossen und steht in enger Verbindung mit deren Commission of Geoscience Education (IUGS-COGE). Aktivitäten der IGEO sind:

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Konferenz und Sitzung für geowissenschaftliche Bildung: Alle zwei Jahre findet abwechselnd eine internationale Konferenz bzw. eine Sitzung für geowissenschaftliche Bildung statt: – Internationale Konferenz „GeoSciEd“: Die erste internationale Konferenz fand 1993 in Southampton statt und seitdem regelmäßig als GeoSciEd. Die fünfte Konferenz mit dem Titel „Understanding System Earth“ wurde von der IPN-Projektgruppe „Forschungsdialog: System Erde“ zusammen mit der Geographiedidaktik der Universität Bayreuth und dem außerschulischen Lernort KTB in Deutschland organisiert (Hlawatsch, 2006). – Eine Sitzung während des Internationalen Geologenkongresses (IGC) der International Union of Geological Sciences (IUGS) und ein Treffen für IGEO-Ratsmitglieder, das allen an IGEO Interessierten offensteht. Internationale Geowissenschaftsolympiade (IESO): Am Wettbewerb International Earth Science Olympiad (IESO) nehmen durch nationale Auswahlverfahren identifizierte Schülerinnen und Schüler teil. Sie bilden zusammen mit Mentorinnen und Mentoren die Nationalmannschaft. Interessierte dürfen die Nationalmannschaften als Beobachterinnen und Beobachter begleiten (7 Kap. 9) Internationaler Lehrplan (International Syllabus): Der Lehrplan umfasst die geowissenschaftlichen Inhalte, die alle 16-jährigen Jugendlichen wissen und verstehen sollten. Es handelt sich um ein gemeinsam von IGEO und IUGS-COGE erstelltes Dokument, das über die Webseite der IGEO frei

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2

Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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zugänglich ist und für Lehrplanarbeit genutzt werden soll. Der International Syllabus basiert selbst auf der Analyse bestehender Lehrpläne in der ganzen Welt, um so eine möglichst weltweit hohe Akzeptanz zu erreichen. Internationales Schulbuch: Das Buch wurde erstellt, um Lehrkräfte auf der ganzen Welt beim Unterrichten des International Geoscience Syllabus zu unterstützen. Die Struktur der Kapitelüberschriften im Buch spiegelt den internationalen Lehrplan direkt wider. Es ist in englischer Originalfassung mit dem Titel Exploring Geoscience – across the Globe auf der Webseite der IGEO kostenlos verfügbar. Weltweit soll das Schulbuch übersetzt und mit regionalen Beispielen versehen werden. Es gibt auch einen separat veröffentlichten Ergänzungsband mit Vorschlägen für Unterrichtsaktivitäten und Fragen, mit denen das Wissen und Verständnis der Schülerinnen und Schüler gefordert und gefördert werden kann.

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2.2.7.2

Nationaler Verband der Geowissenschaftslehrkräfte (NAGT): USA und Kanada

Die National Association of Geoscience Teachers (NAGT; bis 1995: National Association of Geology Teachers) wurde 1938 gegründet und ist ein Zusammenschluss von Personen in den USA und Kanada, die Geowissenschaften an den Schulen, Hochschulen und an außerschulischen Lernorten vermitteln. Wesentliche Aktivitäten sind u. a. (NAGT, 2022): Geowissenschaftliche Bildungsforschung (GER): Entwicklung, Anwendung und Evaluierung geowissenschaftlicher Lehrinnovationen und Unterrichtseinheiten Fortbildungsprogramme: Workshops, Webinare, Konferenzen, Online-Ressourcensammlungen und andere Maßnahmen zur Unterstützung von Geowissenschaftslehrkräften Zeitschrift Journal of Geoscience Education: Führende fachwissenschaftliche Zeitschrift in der internationalen Geowissenschaftsdidaktik Zeitschrift In The Trenches: Unterrichtspraktische Zeitschrift, in der NAGT-Mitglieder ihre besten Unterrichtsideen vorstellen und über Materialien informieren

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2.2.7.3

Europäische Vereinigung für naturwissenschaftliche Bildungsforschung (ESERA)

Die European Science Education Research Association (ESERA) stellt einen Zusammenschluss der Naturwissenschaftsdidaktiken in Europa dar. Wesentliche Aktivitäten sind die Förderung des wissenschaftlichen Austausches und Unterstützungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs, insbesondere über die ESERA-Konferenzen (European Science Education Research Association,

o. D.): In dieser zweijährlich stattfindenden Konferenz finden sich neben Beiträgen aus den Didaktiken der Biologie, Chemie und Physik auch Beiträge mit expliziter Verankerung in den Geowissenschaften. 2.2.7.4

International Union of Geological Sciences (IUGS)

Die 1961 gegründete International Union of Geological Sciences (IUGS) ist mit 121 nationalen Mitgliedern, die mehr als 1 Mio. Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler vertreten, eine der größten wissenschaftlichen Organisationen der Welt. Folgende Kommissionen innerhalb der IUGS befassen sich mit der Vermittlung von Geowissenschaften in Schule und Öffentlichkeit (IUGS, 2019–22): IUGS-Kommission für geowissenschaftliche Bildung (IUGS-COGE): Die Commission on Geoscience Education (COGE) wurde 2004 von der IUGS gegründet, um Programme zu prüfen und zu entwickeln, die der Aufrechterhaltung, Ausweitung oder Einführung einer besseren geowissenschaftlichen Bildung im jeweiligen Land dienen. Commission on Geoheritage (IUGS-ICG): Die Commission on Geoheritage arbeitet am Schutz geologischer Stätten, denen ein besonderer Wert im Sinne eines Erbes für die Menschheit zukommt. Im Rahmen dieser Schutzmaßnahmen, wie sie z. B. durch die UNESCO Global Geoparks (s. oben) erfolgt, spielen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit eine große Rolle.

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2.2.7.5

Europäische Geowissenschaftliche Union (EGU)

Die European Geosciences Union (EGU) ist die führende Organisation für erd-, planeten- und weltraumwissenschaftliche Forschung in Europa. Die EGU wurde im September 2002 als Zusammenschluss der Europäischen Geophysikalischen Gesellschaft (EGS) und der Europäischen Union der Geowissenschaften (EUG) gegründet und hat ihren Sitz in München. Innerhalb der EGU befasst sich das Committee on Education mit geowissenschaftlicher Bildung und Öffentlichkeitsarbeit. Aktuelle Initiativen sind (EGU, 2022): Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte: Jährlich finden in Wien die 2,5-tägigen Workshops „Geosciences Information for Teachers“ (GIFT) statt, auf denen jeweils zu einem bestimmten Thema aktuelle Forschungsergebnisse von Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern präsentiert werden und konkrete Unterrichtskonzepte ausprobiert werden können. European Chapter: Die EGU unterstützt die International Geoscience Education Organisation (IGEO) bei der Gründung einer europäischen EGU/IGEOAbteilung für Geowissenschaftslehrkräfte. Diese soll den Austausch und die Unterstützung zwischen den europäischen Ländern, in denen es bereits Unterstüt-

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43

2.2  •  Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

zungsstrukturen für Geowissenschaftslehrkräfte gibt, und denjenigen Ländern, die nicht hierüber verfügen, herstellen. Beauftragte für geowissenschaftliche Bildung: Im Jahr 2019 startete die EGU die Initiative Geoscience Education Field Officer (GEFO). Sie ernennt Field Officers für geowissenschaftliche Bildung, die sie für die berufliche Weiterbildung von Lehrkräften ausbildet, die geowissenschaftliche Elemente in ihren Lehrplänen haben. In 2022 gibt es europäische Field Officers für Portugal, Italien, Frankreich, Spanien, Deutschland, die Türkei, Albanien, Griechenland, Rumänien, Estland und das Vereinigte Königreich.

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2.2.7.6

Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo)

Der Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo) ist eine übergreifende geowissenschaftliche Vereinigung zur Förderung der Geowissenschaften und deren Anwendung in der Ausbildung, deren Vertretung in Politik und Gesellschaft sowie des Transfers von Wissen. Der Dachverband wurde am 3. September 2015 in Berlin von vier großen geowissenschaftlichen Vereinigungen in Deutschland gegründet: Deutsche Geophysikalische Gesellschaft e. V. (DGG), Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV), Deutsche Mineralogische Gesellschaft e. V. (DMG), Paläontologische Gesellschaft – Palges. Assoziierte Mitglieder sind die Deutsche Ton- und Tonmineralgruppe e. V. (DTTG) und die Fachsektion Hydrogeologie (FH-DGGV). Geowissenschaften in der Schule ist eines von drei Fachthemen, auf die die Tätigkeiten des Dachverbandes fokussieren (DVGeo, 2022): Geowissenschaftliche Themen im Unterricht (GeowidS): Zur Förderung geowissenschaftlichen Schulunterrichts betreut der DVGeo eine Plattform mit Links zu Unterrichtsmaterialien und Informationen, die Lehrkräfte dabei unterstützen können, geowissenschaftliche Inhalte in ihren Unterricht zu integrieren bzw. zu vertiefen (7 Abschn. 10.7). Arbeitskreis: Die zunächst lose Gruppierung, die sich unter dem Dach des DVGeo zusammengefunden hat, um das Thema „Mehr Geowissenschaften in der Schule“ zu diskutieren, sich auszutauschen und nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, hat sich in der Sitzung am 22. Mai 2022 dazu entschlossen, zukünftig als Arbeitsgruppe zu firmieren. Der DVGeo wird damit seinem satzungsgemäßen Auftrag gerecht, „Mitgestaltung und Förderung der geowissenschaftlichen Ausbildung an Schulen und Hochschulen“ (§ 2, Abs. 3, Punkt 8). Ziel der AG wird es vorwiegend sein, die Aktivitäten der Trägergesellschaften des DVGeo zu bündeln und für einen regen Austausch zu sorgen. Unterstützt wird sie dabei von weiteren Mitgliedern, die sich abseits der Verbände mit dieser Thematik beschäftigen.

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2.2.7.7

Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV)

Die Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV) ist eine internationale, nicht auf Gewinn ausgerichtete Organisation in den Geowissenschaften mit über 3500 Mitgliedern aus mehr als 64 Ländern. Prominente Gründungsmitglieder der 1848 in Berlin als Deutsche Geologische Gesellschaft (DGG) ins Leben gerufenen Gesellschaft waren u. a. Alexander von Humboldt und Leopold von Buch. Ihre Mission ist die Förderung der Geowissenschaften in Forschung und Lehre, in Wirtschaft und Verwaltung sowie die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Mit der Vermittlung geowissenschaftlicher Inhalte befassen sich zwei Fachsektionen (DGGV, 2022): Die Fachsektion Geodidaktik und Öffentlichkeitsarbeit der GeoUnion/AWS (DGGV/HGD) (7 Abschn. 2.2.7.11) setzt sich, bestückt mit je einem Vertreter bzw. einer Vertreterin aus der DGGV und dem HGD, für die Vernetzung bestehender Aktivitäten im Bereich der Didaktiken und der geowissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit ein. Der DGGV unterstützt seit 2012 die jährliche Teilnahme an der internationalen Geowissenschaftsolympiade, einem Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II (International Earth Science Olympiad, IESO; 7 Kap. 9). Die Fachsektion GeoTope und GeoParks der Deutschen Geologischen Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV) organisiert jährlich die Fachtagung „GeoTop“, in der häufig konkrete Konzepte aus der Bildungsarbeit zu Geotopen und Geoparks vorgestellt werden. Die Tagungsbände erscheinen in der „Schriftenreihe der DGG“ (SDGG), so z. B. GeoTop 2018 – Geotope als außerschulische Lernorte studieren, erleben und inszenieren (Peterek & Röhling 2018).

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Die DGGV-Projekte „Outcrop Wizzard“ und „Digital Geology“ (7 Abschn.  10.6) unterstützen bei der geologischen Feldarbeit mit Hinweisen auf interessante Aufschlüsse und virtuellen 3-D-Modellen. Die DGGVVideoreihe „Das System Erde“ liefert erforderliches Sachwissen, da geowissenschaftliche Sachverhalte in Schulbüchern vielfach falsch dargestellt sind (7 Abschn. 10.4). 2.2.7.8

Deutsche Mineralogische Gesellschaft (DMG)

Die DMG ist eine wissenschaftliche und gemeinnützige Gesellschaft mit dem Zweck, die mineralogische Wissenschaft mit allen ihren Teilgebieten in Lehre und Forschung zu fördern und die persönlichen und wissenschaftlichen Beziehungen der Mitglieder zueinander zu pflegen. Zwei Arbeitskreise befassen sich mit geowissenschaftlicher Vermittlung (DMG, 2022): Arbeitskreis für Schule und Hochschule: Förderung der schulischen und universitären Lehre geowissenschaft-

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

44

licher und insbesondere mineralogischer Inhalte. Das Hauptziel besteht darin, Lösungsvorschläge zur Verbesserung zu erarbeiten. Der Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Lehrkräften von MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) stellen einen Schwerpunkt des Arbeitskreises dar. Hierzu verleiht er auch verschiedene Mineralogielehrkoffer an Schulen (7 Abschn. 10.1). Arbeitskreis Mineralogische Museen und Sammlungen: Interessenvertretung öffentlich-rechtlicher mineralogischer Museen innerhalb der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft (DMG; 7 Abschn. 11.2).

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2.2.7.9

Paläontologische Gesellschaft – Palges

Die Paläontologische Gesellschaft fördert die Forschung und den wissenschaftlichen Austausch und fungiert dabei auch als Vermittlerin zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Mit ihren über 800 Mitgliedern ist die Paläontologische Gesellschaft eine der größten Vereinigungen von Wissenschaftlern, Sammlern, Studierenden, interessierten Laien, Fördernden von Wissenschaft und Kultur sowie Freunden des Faches. Die Paläontologische Gesellschaft ist international ausgerichtet (Paläontologische Gesellschaft, o. D.): Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit: Der Arbeitskreis Öffentlichkeitsarbeit wurde 2009 mit dem Ziel gegründet, die Öffentlichkeit über  paläontologische Themen zu informieren und die Bedeutung der Paläontologie für öffentliche und wissenschaftliche Belange herauszustellen. Hierzu wird insbesondere der Informationsaustausch zwischen Berufs- und Amateurpaläontologen durch gemeinsame Aktivitäten verbessert.

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2.2.7.10 Deutsche

Gesellschaft für Polarforschung e. V. (DPG)

In der DGP haben sich Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftler und interessierte Laien zusammengeschlossen, denen die Polarforschung am Herzen liegt. Ihre Ziele sind die Unterstützung von Wissenschaft und Forschung und die Öffentlichkeitsarbeit, um die Faszination und Einzigartigkeit der Polargebiete im System Erde zu verdeutlichen. Ein Arbeitskreis befasst sich mit der Vermittlung geowissenschaftlicher Themen (DPG, 2022): Arbeitskreis Polarlehrkräfte: Bundesweites Netzwerk von Lehrkräften der Fächer Geographie, Biologie, Physik, Chemie und Sozialkunde aus allen Klassenstufen und Schulformen. Die Mitglieder engagieren sich im Unterricht mit besonderer Aufmerksamkeit für die Implementierung von Polarthemen. Der Arbeitskreis organisiert Fortbildungen (Arbeitskreistreffen, Internationale Polartagungen der DGP), Kooperationen zwischen Wissenschaft und Schule sowie zwischen Schule und Schule, Teilnahme von Lehrkräften auf wissenschaftlichen Polarexpeditio-

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nen, Konzeption, Entwicklung und Publikation neuer Unterrichtseinheiten und -materialien, Projekte und Projektarbeiten und kooperiert dafür mit Polar Educators International (PEI; 7 Kap. 13). 2.2.7.11 Fachsektion

Geodidaktik und Öffentlichkeitsarbeit der GeoUnion/AWS (DGGV/HGD)

Die Fachsektion arbeitet an der Vernetzung von Akteuren und Akteurinnen der Fachdidaktiken (Geographie und Naturwissenschaften) mit Personen, die in den Geowissenschaften an der Vermittlung der Inhalte interessiert sind. So soll erreicht werden, dass alle Geowissenschaften in größerem Umfang im deutschen Schulunterricht und in der Lehr-Lernforschung berücksichtigt werden. Für die Verbesserung der Qualität geowissenschaftlichen Schulunterrichts arbeitet sie in und mit der International Geoscience Education Organisation (IGEO, 2022) und der European Geosciences Union (EGU, 2022) zusammen. Gegründet wurde die Fachsektion gemeinsam von den geowissenschaftlichen Verbänden und Institutionen, die in der GeoUnion/Alfred-Wegener-Stiftung zusammengeschlossen sind, während der GeoLeipzig 2004. Sie ist treuhänderisch in die Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV; 7 Abschn. 2.2.7.7) und den Hochschulverband für Geographiedidaktik (HGD; 7 Abschn. 2.2.7.13) eingebunden. Die Webseite ist in den Internetauftritt der DGGV (2022) integriert. Hauptaktivitäten: Geowissenschaftsolympiade für Schülerinnen und Schüler: Seit 2012 koordiniert die Fachsektion die deutsche Teilnahme an der International Earth Science Olympiad (IESO; 7 Kap. 9). Initiative Geoscience Education Field Officer (GEFO) der European Geosciences Union (EGU): Fortbildungen für Lehrkräfte der Fächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik in Kooperation mit Landesinstituten nach einem bewährten Konzept der „Earth Science Education Unit“ (7 Abschn. 7.2). International Geoscience Education Organisation (IGEO) (7 Abschn. 2.2.7.1): Ratsmitglieder: Aus der Fachsektion werden die Mitglieder für den International Council der IGEO abgeordnet. Earth Learning Ideas (ELIs) (7 Kap. 7): Bereits 70 der insgesamt fast 400 praktischen Unterrichtsaktivitäten für den geowissenschaftlichen Unterricht wurden ins Deutsche übersetzt. Erstellung des Buches Didaktik der Geowissenschaften, das Sie gerade lesen.

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2.2.7.12 Deutsche

Gesellschaft für Geographie (DGfG)

Die DGfG ist die Dachorganisation der geographischen Verbände und Gesellschaften in Deutschland. Sie wurde im Jahr 1995 gegründet, zählt 35.000 Mitglieder und ver-

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2.2  •  Akteurinnen und Akteure geowissenschaftlicher Bildung

tritt die Interessen von Geographinnen und Geographen an Schulen, Hochschulen und in der Praxis. Die DGfG koordiniert die in den geographischen Fachverbänden vertretenen Arbeitsbereiche und trägt die gemeinsamen Ziele nach außen (DGfG, o. D.). Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Bildungsabschluss: Die erste Auflage der Bildungsstandards wurde 2005/2006 durch eine Gruppe von Autorinnen und Autoren aus Fachwissenschaft, Geographiedidaktik und Schulgeographie entwickelt und von allen Teilverbänden der DGfG 2006 verabschiedet (7 Abschn. 4.1.2).

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Die DGfG befasst sich zudem mit den Bildungsstandards für die Sekundarstufe II und den Anforderungen für die geographische Lehrkräftebildung. 2.2.7.13 Hochschulverband

für Geographiedidaktik (HGD)

Der HGD ist der Interessenverband der Geographiedidaktikerinnen und -didaktiker an den Hochschulen. Er fördert die wissenschaftliche Entwicklung der Disziplin Geographiedidaktik in Forschung und Studium einschließlich der Hochschuldidaktik und Fortbildung von Lehrkräften, insbesondere auch durch Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (HGD, o. D.). Aspekte geowissenschaftlicher Bildung sind insbesondere in folgenden Aktivitäten berücksichtigt: Fachsektion Geodidaktik und Öffentlichkeitsarbeit (DGGV/HGD): Gemeinsam mit der DGGV ist der HGD Muttergesellschaft. Arbeitsgemeinschaft MINT/GERRN: Beschäftigt sich mit der Position des Faches Geographie in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Symposien: Die Symposien des HGD widmen sich aktuellen Forschungsanliegen und konzeptionellen Entwicklungen. Zum Beispiel erfolgten 2015 das Symposium „Geographie und naturwissenschaftliche Bildung – Der Beitrag des Faches für Schule, Lernlabor und Hochschule“ (Otto, 2016) und 2022 das Symposium „Komplexität und systemisches Denken im Geographieunterricht“. Zu den Symposien erscheinen Tagungsbände in der Reihe „Geographiedidaktische Forschungen“. Zeitschrift für Geographiedidaktik – Journal of Geography Education (ZGD): Diese Zeitschrift veröffentlicht aktuelle nationale und internationale geographiedidaktische Forschungsergebnisse.

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2.2.7.14 Verband

Deutscher Schulgeographen (VDSG)

Der VDSG, 1912 gegründet, ist der Interessenverband der Geographielehrkräfte in Deutschland und hat etwa 5000 Mitglieder. Aufgabe des Verbandes Deutscher Schulgeographen e. V. ist die Förderung des Geographie-

unterrichts und der Bildung für nachhaltige Entwicklung an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Neben der Arbeit auf Bundesebene erfolgt ein großer Teil der Arbeit auf Landesebene innerhalb der 16  Landesverbände. Die Landesverbände organisieren z. B. als Lehrerfortbildungen die Landesschulgeographentage mit Vorträgen, Ausstellungen, Workshops und Exkursionen. 2.2.7.15 MNU

– Verband zur Förderung des MINT-Unterrichts

Der MNU ist ein Zusammenschluss für Lehrkräfte der Fächer Mathematik, Biologie, Chemie, Physik, Informatik und Technik und hat etwa 6000 Mitglieder. Er vertritt als einziger Verband alle naturwissenschaftlichen Fächer und ist deswegen prädestiniert für den Blick über einzelne Fächer hinaus. So kooperiert er mit dem Dachverband Geowissenschaften (DVGeo) und der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft (DMG). Wesentliche Arbeit des MNU erfolgt innerhalb der 16 Landesverbände. Ausgewählte Aktivitäten mit Relevanz für die geowissenschaftliche Vermittlung (MNU, o. D.): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Naturwissenschaften (GERRN): Hierbei geht es um die Formulierung von Mindeststandards für die naturwissenschaftliche Bildung in Europa, wobei auch explizit geowissenschaftsdidaktische Aspekte mitberücksichtigt werden (vgl. Arbeitsgruppe MINT/ GERRN im HGD). MNU Journal: In dieser Zeitschrift werden fachdidaktische und unterrichtspraktische Beiträge publiziert, Publikationen besprochen, Veranstaltungen angekündigt und Vereinsinterna kommuniziert. Tagungen: Sie erfolgen als breit angelegte Lehrerfortbildungen mit Vorträgen, Workshops und Exkursionen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene.

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2.2.7.16 Naturwissenschaftsdidaktische

Verbände

Die Fachdidaktiken Chemie und Physik sind in der Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik (GDCP) zusammengeschlossen. Die Fachdidaktikerinnen und -didaktiker der Biologie sind in der Sektion Fachdidaktik der Biologie im VBIO organisiert. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften (ZfDN): Beide Verbände geben gemeinsam diese Zeitschrift für naturwissenschaftsdidaktische Forschung heraus.

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Auch die naturwissenschaftlichen Fachverbände Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) und der Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland (VBIO) richtet sich mit einigen Aktivitäten direkt an Schulen, Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler. So unterstützt die GDCh zusammen mit der Fachgruppe Chemieunterricht und dem Fonds der Chemischen In-

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

dustrie an sieben Lehrerfortbildungszentren ein breit gefächertes Programm an Kursen für Chemielehrkräfte, die von Akteurinnen und Akteuren aus Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Schulpraktik veranstaltet werden (GDCh, 2022). Die DPG versteht sich als Sprachrohr der Physik und Kontakt für Studierende, Professorinnen und Professoren, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, in der Industrie Tätige oder einfach nur an Physik interessierte Personen (DPG, 2022). Im VBIO setzt sich der Arbeitskreis „Schulbiologie“ deutschlandweit für einen exzellenten Biologieunterricht und für einen möglichst raschen Transfer biowissenschaftlicher Erkenntnisse in den Biologieunterricht ein (VBIO, 2022). 2.2.7.17 Gesellschaft

für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU)

Geowissenschaftliche Themen sind auch Teil des Sachunterrichtes in der Primarstufe. Die Sachunterrichtsdidaktik organisiert sich in der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts (GDSU) und gibt die fachdidaktische Zeitschrift GDSU-Journal heraus. 2.2.7.18 Weitere

Netzwerke

zz Steine in der Stadt

Im Netzwerk „Steine in der Stadt“ haben sich Interessierte zusammengeschlossen, die sich mit der Nutzung von Naturwerksteinen in der Stadt befassen und ihr Wissen in Führungen und Informationsmaterialien weitergeben. Im Rahmen des Netzwerkes erfolgen Arbeitstagungen, werden Vermittlungskonzepte ausgetauscht, Materialien zu diesem Exkursionsformat publiziert und wird eine Bibliographie zu geologischen Darstellungen der verbauten Steine in Städten gepflegt (7 https://www. steine-in-der-stadt.de/). zz Bundesverband „LernortLabor“

Viele Schülerlabore haben sich im Bundesverband „LernortLabor“ (7 https://www.lernortlabor.de/) zusammengeschlossen, der jährliche Tagungen veranstaltet, das LeLa magazin herausgibt und die Zugänglichkeit der Schülerlabore für Schulen erleichtert, etwa in Form einer interaktiven Karte, in der nach bestimmten Kriterien Schülerlabore gesucht werden können. 2.3

Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

International existiert eine Fachdidaktik für Geowissenschaften (Geoscience Education). Da deren Entwicklung eng gekoppelt ist mit den Entwicklungen innerhalb der Geowissenschaften, werden diese Entwicklungen in 7 Abschn. 2.3.1 kurz dargestellt. in 7 Abschn. 2.3.2

berichten wir über maßgebliche internationale Entwicklungen in der Wissensdomäne Geoscience Education (7 Abschn. 2.3.2). In Deutschland führt die Geowissenschaftsdidaktik eine Randexistenz, weil es kein eigenständiges Schulfach „Geowissenschaften“ gibt. Mitunter befassen sich Didaktikerinnen und Didaktiker der Biologie, Chemie, Geographie und Physik mit Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung in der Schule. Ein Beispiel für die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als Gesamtsystem ist das interdisziplinäre didaktische Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Forschungsdialog: System Erde“, das zur Jahrtausendwende am Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) angesiedelt war. Dieses Projekt und weitere Vermittlungsansätze aus den deutschen Fachdidaktiken stellen wir in 7 Abschn. 2.3.3 und 2.3.4 vor. Aktuelle hochschuldidaktische Ansätze werden in 7 Kap. 14 und museums- bzw. umweltpädagogische Konzepte in 7 Kap. 11 beschrieben. 2.3.1

Geowissenschaften – die interdisziplinäre naturwissenschaftliche Erforschung der Erde als Gesamtsystem

» „The demonstrated human role in global change requires

that we develop, quite rapidly, a comprehensive program of global Earth studies that transcends the traditional disciplinary boundaries to probe the interactions among the atmosphere, oceans, ice, solid Earth and biological systems that shape evolution.“ (Earth Systems Science Committee, 1988)

Seit Jahrhunderten gewinnen die Naturwissenschaften Erkenntnisse über unsere Welt. Zunehmend unterteilten sie ihr Forschungsobjekt in immer kleinere Bereiche. Dieses reduktionistische Vorgehen war lange Zeit sehr erfolgreich und hat u. a. auch dazu geführt, dass die Geowissenschaften heute in sehr viele Disziplinen untergliedert sind. In den 1970er- und 1980er-Jahren zeigte sich jedoch, dass dieser Methode Grenzen gesetzt sind. Die Forschenden einzelner geowissenschaftlicher Teildisziplinen erkannten, dass sie auf wichtige Beiträge anderer angewiesen sind, um wesentliche Forschungsfortschritte zu erzielen, z. B. bei der Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Ozean. Dies war eine von drei bedeutsamen Entwicklungen, die das Earth Systems Science Committee (1988) im Bretherton-Report zusammenfasst, der einen Paradigmenwechsel hin zu einer neuen Sichtweise auf die Erde als integriertes System dokumentiert. Weitere waren das damals neue Bild der Erde als Ganzes aus dem Weltraum und die Realisierung, dass menschliches Handeln auf einer Zeitskala von Jahrzehnten bis

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

Jahrhunderten das globale Klima und die Biologie beeinflusst und so die Natur gestaltet, in der unsere Nachkommen leben werden. Daraus folgte in den geowissenschaftlichen Disziplinen die Einsicht, dass wir die Folgen unseres eigenen Handelns nur abschätzen können, wenn wir zunächst die Funktionsweise des Erdsystems selbst verstehen. Das Earth Systems Science Committee beschreibt die „neuen“ Geowissenschaften so:

» „Die Geowissenschaften erforschen die Erde als System

mit dem Bewusstsein, das alle Teilsysteme der Erde und ihre Komponenten zusammenwirken und dass der Transport von Materie und Energie zwischen diesen Komponenten weltumspannend über eine Vielfalt von Zeitskalen erfolgt. In der Antizipation eines tiefgreifenden Verständnisses der Naturgesetze werden Daten von globalen Beobachtungsinstrumenten zu computergestützten Modellen zusammengeführt, mit denen sie sowohl die Erdentwicklung als auch den globalen Wandel erforschen. Der Forschungsansatz beinhaltet mit variierenden Anteilen Forschungsinteressen von allen traditionellen geowissenschaftlichen Disziplinen und neue werden sich etablieren. Diese Entwicklung wird die Bedeutung von vielen spezialisierten Forschungsfeldern verstärken.“ (Earth Systems Science Committee, 1988)

In Deutschland erscheint das Buch von Schellnhuber und Wenzel (1998) Earth Systems Analysis: Integrating Science for Sustainability, und die Senatskommission für geowissenschaftliche Gemeinschaftsforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1999) legt das Programm „Geotechnologien“ auf. Steffen et  al. (2020) diskutieren in ihrem ReviewArtikel die Entstehung und Entwicklung der Wissensdomäne Earth Systems Science (Erdsystemwissenschaft), die in den 1980er-Jahren entstand. Sie hat neue Konzepte und Rahmenwerke hervorgebracht, die für den Diskurs über den globalen Wandel von zentraler Bedeutung sind, darunter der Vorschlag des Anthropozäns als neue erdgeschichtliche Epoche sowie die Kenntnis um Kippelemente und planetarische Grenzen. Heute ist Earth Systems Sciences ein sich rasch entwickelndes interdisziplinäres Unterfangen, das darauf abzielt, Struktur und Funktionsweise der Erde als komplexes adaptives System zu verstehen (Steffen et al., 2020). Zuletzt empfahl die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2022) in ihrem Zukunftsreport Erdsystemwissenschaft – Forschung für eine Erde im Wandel, die Erde als Gesamtsystem zu begreifen. Darin wird beschrieben, dass die immer noch aktuelle Fragmentierung in eine Vielzahl geowissenschaftlicher Disziplinen und Subdisziplinen die drei wesentlichen Ziele geowissenschaftlicher Forschung erschweren: das Vorantreiben wissenschaftlicher Entdeckungen im Sinne von Grundlagenforschung, die Diagnose des Zustands der Erde und

die Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten. Deshalb solle geowissenschaftliche Forschung in Deutschland primär unter der Leitidee der Erdsystemwissenschaft erfolgen, und auch die Studiengänge seien entsprechend weiterzuentwickeln. >>Charakteristika der Geowissenschaften zu Beginn

des 21. Jahrhunderts „Erkenntnisgewinnung erfolgt in den Geowissenschaften auf naturwissenschaftliche Weise und beruht auf der Sammlung von Beweisen, die beobachtet und/oder getestet werden können. Es ist ein kollektiver und iterativer Prozess, der aber nicht unbedingt allen Schritten der Methode sequentiell folgt. Allerdings kann aufgrund der Komplexität und der räumlichen Ausdehnung der Erde nicht jeder Prozess und jedes Phänomen im Original oder im Labor beobachtet, getestet oder reproduziert werden. Um solche geologischen Prozesse und Phänomene zu erklären, zu simulieren und vorherzusagen, modellieren die Geowissenschaften diese und konnten so eine experimentelle Komponente hinzufügen. Aus Sicht der Earth Systems Sciences besteht das System Erde aus übergeordneten Teilsystemen, deren Materie durch geochemische und biogeochemische Kreisläufe und Energieflüsse eng miteinander verbunden sind. Die (In)Stabilität hängt von den dynamischen Wechselwirkungen und nichtlinearen (positiven und negativen) Rückkopplungsprozessen ab, die das Erdsystem als Ganzes funktionieren lassen. Eine Aktion in einem der Teilsysteme kann eine oder mehrere Rückwirkungen in anderen auslösen.“ (Ribeiro & Orion, 2021)

2.3.2

Geoscience Education

Die heutige Geoscience Education ist geprägt von dem geschilderten Paradigmenwechsel in den Geowissenschaften (7 Abschn. 2.3.1) und natürlich auch von aktuellen Entwicklungen innerhalb der Bildungswissenschaften. Im Jahr 1988 fand eine fünftägige gemeinsame Konferenz mit Vertreterinnen und Vertretern der Geowissenschaften und der Geowissenschaftsdidaktik statt – einige von ihnen hatten verantwortlich am Bretherton-Bericht des Earth Systems Science Committee mitgearbeitet. Diese Gruppe diskutierte, welche geowissenschaftlichen Inhalte und Kompetenzen jede Bürgerin und jeder Bürger kennen sollten (Mayer & Armstrong, 1990). Es war offensichtlich, dass wir die Folgen menschlichen Handelns nur abschätzen können, wenn wir zunächst die Funktionsweise des Erdsystems selbst verstehen, und dass es nicht ausreichen kann, wenn dieses Wissen nur einer kleinen Gruppe im Wissenschaftsbetrieb zugänglich sein würde. Frühe Ideen für die geowissenschaftliche Vermittlung in Schulen beschreiben Victor Mayer und Rosanne Fort-

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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..Abb. 2.5  Plakate, die in den frühen 2000er-Jahren an Schulen verteilt wurden. Sie wurden an der Ohio State University konzipiert und in mehrere Sprachen übersetzt. Abgebildet sind die amerikanische

Version (Rosanne Fortner und Victor Mayer), die japanische Version (Masa Goto) und die südkoreanische Version (Hyonyong Lee)

ner von der Ohio State University (USA) in ihrem Artikel „Science is a Study of Earth: A Resource Guide for Science Curriculum Restructure“ (Mayer, 1991; Mayer & Fortner, 1995). Sie postulierten Seven Understandings der Earth Systems Education (. Abb. 2.5): 1. Die Erde ist ein einzigartiger Planet von seltener Schönheit und großem Wert. 2. Menschliche Aktivitäten, kollektiver und individueller, bewusster und ungewollter Art, beeinflussen gravierend den Planeten Erde. 3. Durch wissenschaftliche und technologische Entwicklungen vergrößern sich unsere Möglichkeiten des Verständnisses und der Nutzung von Erde und Weltraum. 4. Das System Erde setzt sich aus den sich gegenseitig beeinflussenden Subsystemen Wasser, Land, Eis, Luft und Leben zusammen. 5. Der Planet Erde ist mehr als 4 Mrd. Jahre alt, und seine Subsysteme verändern sich kontinuierlich. 6. Die Erde ist ein kleines Subsystem des Sonnensystems in einem riesigen und alten Universum. 7. Viele Menschen befassen sich beruflich mit der Entstehung, den Prozessen und der Evolution der Erde.

Naturwissenschaften unterrichtet werden. Die Grundlage hierfür ist darin zu finden, dass die Geowissenschaften in ihren Projekten bei der Erforschung der Erde als Gesamtsystem nicht nur die verschiedenen geowissenschaftlichen Einzeldisziplinen, sondern auch explizit biologische, chemische und physikalische Expertise einbeziehen. Dass sich das neue Verständnis der Geowissenschaften durchsetzte, zeigte sich u. a. darin, dass Fachgesellschaften ihre Namen änderten. So hieß z. B. die heutige National Association of Geoscience Teachers (NAGT) bis 1995 National Association of Geology Teachers. Ähnliche Aktivitäten erfolgten auch in anderen Gesellschaften und für deren Zeitschriften und sollten zum Ausdruck bringen, dass die – zuvor auch im Schulunterricht übliche – disziplinäre Sicht auf die Erde von einer ganzheitlichen Betrachtung abgelöst wurde. Die Seven Unterstandings der Earth Systems Education wurden in der Folge in vielen anderen Nationen aufgegriffen (Mayer, 2002, 2003). Nir Orion und seine Arbeitsgruppe (Weitzman Institute for Science, Israel) etablierten daran anknüpfend theoretische und unterrichtspraktische Zugänge durch geowissenschaftsdidaktische Forschung (7 Kap. 3). In Großbritannien entwickelte Chris King (Keele University) Fortbildungsworkshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie, um sie für geowissenschaftlichen Unterricht zu befähigen (7 Kap. 7). In Deutschland leistete das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ einen Beitrag zur internationalen Diskussion (7 Abschn. 2.3.3).

Der Initiative liegt die Überzeugung zugrunde, dass die Earth Systems Sciences eine bessere konzeptionelle Grundlage für naturwissenschaftliche Lehrpläne bietet als die Bezugnahme auf die Einzeldisziplinen, insbesondere dann, wenn Biologie, Chemie, Geologie und Physik als integrierte

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

>>Sphärenmodelle

Je nach disziplinärem Hintergrund existieren in Unterrichtsmaterialien unterschiedliche Konzeptionen, wie das System Erde in unterschiedliche „Sphären“ untergliedert werden kann: Eine geowissenschaftsorientierte Perspektive, wie etwa im Earth System Education-Ansatz, weist die Geosphäre (das feste Gestein), die Hydrosphäre (das Wasser, inklusive der Kryosphäre), die Atmosphäre (die Luft) und die Biosphäre (inklusive des Menschen) aus (King, 2014). Hierbei dominiert ein systemisches Verständnis, wonach die Sphären Teilsysteme des Systems Erde darstellen. Entsprechend werden die systemischen Eigenheiten der Teilsysteme, insbesondere die darin erfolgenden Kreisläufe, betont, aber eben auch die Interaktionen zwischen den Teilsystemen, die erst ein Verständnis des Systems Erde als Ganzes erlauben. Im Leopoldina-Report Erdsystemwissenschaft wird zu diesen vier Sphären eine zusätzliche Anthroposphäre konzipiert. Geographieorientierte Perspektiven kommen stärker von der Frage, wie die erdoberflächlichen Ausprägungen in einem definierten Raum zu beschreiben und zu erklären sind. Entsprechend spielt der Fokus auf den Boden und das Relief eine wichtige Rolle, was zur Ausweisung einer Pedosphäre und einer Reliefsphäre/Morphosphäre führt. Zusätzlich wird auch der Mensch in Form der Anthroposphäre integriert, sodass damit weitgehend eine Übersetzung der Geofaktorenlehre in ein Sphärenmodell vorliegt. Insbesondere für die unterrichtliche Praxis ist die Ausweisung einer kohärenten Sphärenunterteilung wichtig.

Heute gilt Earth Systems Education als Leitmotiv für die geowissenschaftliche Vermittlung an Schulen (7 Abschn. 2.3.2; King, 2014). Die International Geoscience Education Organisation (IGEO) hat zusammen mit der International Union of Geological Science (IUGS), basierend auf den existierenden nationalen Lehrplänen, den Internationalen Lehrplan für Geowissenschaften veröffentlicht. Der Sammelband Earth Science Education: Global Perspectives (Greco & Almberg, 2016) und der Artikel „Geoscience education: An overview“ (King, 2008) werfen einen ausführlicheren Blick darauf, wie geowissenschaftliche Vermittlung im Schulunterricht strukturell und inhaltlich in verschiedenen Staaten der Welt ausgestaltet ist. Auf der inhaltlichen Ebene sind seit den Seven Unterstandings der Earth Systems Education eine Reihe weiterer Kataloge formuliert worden, die den Kern geowissenschaftlicher Bildung bestimmen möchten (. Abb. 2.6). Darin werden fachinhaltliche Konzepte, wie das Alter der Erde oder die Unterteilung der Erde in verschiedene Sphären, besonders aber fachspezifische Denk- und Arbeitsweisen, wie systemisches Denken, Retrodiktion und

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Modellieren, aufgelistet. In diesen Zusammenstellungen lassen sich zwei Ausrichtungen identifizieren: Die Erde als Gesamtsystem dient als übergeordnetes Gliederungssystem. Entsprechend der Earth Systems Education werden die Atmosphäre, Geosphäre, Hydrosphäre sowie Biosphäre, z. T. auch Kryosphäre, als übergeordnete Teilsysteme des Systems Erde für den Unterricht eingeführt. In den fachspezifischen Denk- und Arbeitsweisen spielen das systemische Denken und die Fähigkeit, unterschiedliche Daten integrieren, analysieren und visualisieren zu können, eine größere Rolle. Zusätzlich zu diesem systemischen Ansatz werden noch stärker die Spezifika einer geologischen Perspektive herausgestellt. Auf der inhaltlichen Ebene werden entsprechend Themen wie „Erdgeschichte“ und „Geologische Prozesse“ stärker betont, auf der Ebene der fachspezifischen Denk- und Arbeitsweisen spielt die Retrodiktion eine größere Rolle.

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Geowissenschaften sind eine Naturwissenschaft, und entsprechend bezieht sich die internationale Geoscience Education auf naturwissenschaftliche Unterrichtsentwicklung. Dies spiegelt sich in den beiden o. g. Schwerpunkten wider. Mit der Entwicklung des Earth System Education-Ansatzes ging es entweder darum, den Systemansatz im Fach Geologie/Earth Science zu implementieren, wenn dieses als vierte Naturwissenschaft unterrichtet wird, oder die Geowissenschaften als Kontext für ein integratives Fach Naturwissenschaften (Science) zu nutzen. Letztere Zielsetzung spielte insbesondere in den USA in der Initiative von Victor Mayer und seinen Kolleginnen und Kollegen eine wichtige Rolle, was sich in den amerikanischen National Science Education Standards (NSES; NRC, 1996) niederschlug. 2.3.2.1

Aktuelle Forschungsfelder im Bereich der Geoscience Education

Mit der strukturellen Neukonzeption einer Geowissenschaftsdidaktik ab den 1990er-Jahren erfolgte eine deutliche Zunahme geowissenschaftsdidaktischer Forschung (King, 2008; Arthurs, 2019). Ein Teil dieser Forschung bezieht sich auf didaktische Aspekte geologischer Feldarbeit/Exkursionen (7 Kap. 3). Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld sind Analysen zu den kognitiven und emotionalen Voraussetzungen von Schülerinnen, Schülern und Studierenden zum Lernen geowissenschaftlicher Sachverhalte. Hierunter fällt die Forschung zu Schülerinteressen und zu Schülervorstellungen (7 Kap. 5). Die Ausrichtung der Geowissenschaften als Systemwissenschaften beförderte die Erforschung systemischen Denkens in geowissenschaftlichen Kontexten. Hierzu wurden die Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen, systemisch denken zu können, analysiert. Darauf aufbauend wurden Curricula entwickelt, innerhalb derer

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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..Abb. 2.6  Zusammenschau unterschiedlicher Auflistungen zu Spezifika geowissenschaftlicher Bildung

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

eine Progression im systemischen Denken angelegt war, und diese entwickelten Curricula wurden mithilfe neu entwickelter Testinstrumente evaluiert (7 Kap. 3; King, 2008; Scherer et al., 2017). 2.3.2.2

Aktuelle Begründungen für Geoscience Education

Geowissenschaftliche Bildung wird seit dem Paradigmenwechsel 1988 bis heute primär über ihre Funktion zur Bewältigung der großen globalen Umweltkrisen begründet. Ein wesentliches Argument hierbei lautet, dass die fachinhaltliche Vermittlung von Themen wie „Klimawandel“, „Meeresverschmutzung“ und „Bodenerosion“ das notwendige Wissen bereitstelle, das als Grundlage privater und politischer Entscheidungen benötigt werde. Die meisten didaktischen Begründungen sind in dieser Hinsicht weiterführender und fragen darüber hinaus, wie gesellschaftliche Teilhabe an der Bewältigung dieser Herausforderungen durch geowissenschaftliche Vermittlung gefördert werden kann. Dabei wird auf das hohe Potenzial geowissenschaftlicher Vermittlung zur Förderung von Denkweisen wie systemisches Denken, prognostisches Denken und Modellieren verwiesen. Diese Denkweisen werden auch im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung als zentral dafür gesehen, sich als Bürgerin und Bürger in Diskussionen und Entscheidungsprozesse zu Mensch-Umwelt-Themen einbringen und an einer Lösung mitarbeiten zu können (7 Abschn. 4.2). Die Geowissenschaftsdidaktiker Clara Vasconcelos und Nir Orion (2021) begründen die hohen Potenziale geowissenschaftlicher Bildung, um eine nachhaltige Entwicklung zu befördern, über eine systemische Perspektive. Demnach soll eine am Earth System EducationAnsatz orientierte geowissenschaftliche Vermittlung verdeutlichen, dass die vier Teilsysteme sich gegenseitig beeinflussen, wie der Mensch als Teil der Biosphäre mit den anderen Teilsystemen verbunden ist und dass menschliches Handeln immer über Rückkopplungen auf sich selbst zurückwirke. Gleichzeitig werden so Regulationsmechanismen innerhalb und zwischen den Teilsystemen erkennbar, über die in der Erdgeschichte andere Systemzustände sich eingestellt haben, die aber mit großen Aussterbeereignissen verbunden waren. Eine solche holistische Perspektive, die die systemische Eingebundenheit des Menschen betont, komme der egozentrischen Natur des Menschen entgegen, weil durch die Erkenntnis der systemischen Rückwirkungen menschlichen Handelns ein egoistisches Interesse des Menschen an seiner Erhaltung verstärkt werde. Nicht „die Erde“ sei bedroht, sondern die Menschheit. Altruistische Ansätze der Umweltbildung, die umweltfreundliches Handeln über die Aufforderung, „die Erde“, „die Natur“ zu schützen, erreichen möchten, seien aufgrund ihres nicht angemessenen Menschenbildes bisher wenig erfolgreich. Die Geologin Marcia Bjornerud (2020) wählt als Begründung, warum geowissenschaftliche Bildung we-

sentlich zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen kann, eine erdgeschichtliche Perspektive. Sie sieht in geowissenschaftlicher Vermittlung viel Potenzial, eine „Zeitbewusstheit“ zu entwickeln, um „unser Verhältnis zur Natur, zu unseren Mitmenschen und zu uns selbst zu verändern“ (Bjornerud, 2020, S. 211). Das Wissen um die geologische Zeit mache das Eingebettetsein des eigenen Lebens in die fortlaufende Geschichte der Erde bewusst und führe so zu einem Verantwortungsgefühl gegenüber zukünftigen Generationen, die auch als Teil dieser fortlaufenden Geschichte gedacht werden. Gleichzeitig ermögliche ein gemeinsames Wissen um die gemeinsame Geschichte der Menschheit und um deren Verwobenheit mit der Geschichte der Erde ein Narrativ, das einen verbindenden Charakter hat und so weltanschaulichen Spaltungen entgegenwirke. Ein Wissen um die zeitlichen Dimensionen geologischer Prozesse fördere einen „Respekt für Dauerhaftigkeit und Unverwüstlichkeit“ (ebenda, S. 211). Heute gelte es, nicht mehr im Sinne Lyells gegen die Vorstellung, in der Vergangenheit sei der geologische Wandel schneller vonstattengegangen als in der Gegenwart, zu arbeiten, sondern zu verdeutlichen, dass der geologische Wandel heute viel rascher ablaufe als in der Vergangenheit. Letztlich sei eine solche Zeitbewusstheit, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammendenkt, ähnlich der Perspektive von Eltern, die „ihre Kinder aufwachsen sehen, sich gerührt an deren frühere Entwicklungsstadien erinnern und sich zugleich hoffnungsvoll ausmalen, wer sie einmal sein werden“ (ebenda, S. 211). Bjornerud (2020, S. 206) plädiert deshalb für eine verstärkte Vermittlung von Naturgeschichte, durch die Kinder „einen tiefen Instinkt für ihren Platz in der Zeit“ entwickeln könnten. 2.3.2.3

Aktuelle Weiterentwicklungen in der Geoscience Education Identitätspolitische Ansätze Identitätspolitische Ansätze, wie z. B. feministische, antirassistische, postkoloniale Theorien, haben in den letzten Jahren auch verstärkt ihren Einzug in die Geowissenschaften und in die Geowissenschaftsdidaktik gefunden. Vor dem Hintergrund sozialkonstruktivistischer und weiterführender Theorien dekonstruieren sie grundlegende Begriffe, die auch in den Geowissenschaften von zentraler Bedeutung sind, wie „Natur“, „Forschung“, „Erkenntnis“ (Kasten „Konstruktivismus und konstruktivistische Lerntheorie“ in 7 Abschn.  2.1.2.1). Damit verbunden sind Ansätze zum Abbau identitätsbedingter Benachteiligungen/Unterdrückungen, welche sich in solchen Begriffen manifestieren und dadurch reproduziert werden. Prominente Beispiele hierfür sind die Diskussionen um eine gendergerechte Sprache oder um rassistische Konnotationen bestimmter Begriffe und Redenswendungen. In den Geowissenschaften führte diese Perspektive zur Hinterfragung, wie etwa geowissenschaftliche Forschung in Vergangenheit und Gegenwart Ausdruck westlicher,

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

männlicher Perspektiven ist, wie dadurch alternative Verständnisse von z. B. „Natur“ und „Erkenntnis“ verdrängt wurden, wie individuelle wissenschaftliche Karrieren dadurch unangemessen begünstigt oder behindert wurden und wie letztlich aktuelle globale Herausforderungen auch Ausdruck eines bestimmten Wissenschafts- und Technikverständnisses sind (z. B. Pico & Pico, 2021). Sexton et al. (2014) dokumentierten, wie Fotografien auf Websites geowissenschaftlicher Fakultäten das Bild von geowissenschaftlich Forschenden als meistens weiß, männlich und im Beruf viel Zeit im Gelände verbringend reproduziert. In der Geowissenschaftsdidaktik wird im Rahmen dieser Perspektive z. B. hinterfragt, inwieweit aktuelle geowissenschaftliche Lehre an Universität und Schule sich implizit an bestimmten Identitäten orientiert und damit andere Identitäten benachteiligt und welche empirischen Befunde es zur Repräsentanz etwa von Frauen oder bestimmten Ethnien in geowissenschaftlichen Lehrangeboten gibt. So wurden in Zusammenarbeit mit Indigenen Unterrichtskonzepte entwickelt, die traditionelles Wissen (traditional knowledge) in die geowissenschaftliche Lehre integrieren und Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Synergien zwischen einer westlich-wissenschaftlichen Perspektive und einer indigenen Perspektive auf geowissenschaftliche Phänomene herausstellen (z. B. mit Navajos: Riggs & Semken, 2001; mit Indigenen in Puerto Rico und der Dominikanischen Republik zum Thema „Karst“: Garcia et al., 2020).

Geoethik In den Geowissenschaften erfolgte in den letzten Jahren die Ausweisung einer sog. Geoethik, die primär aus der Perspektive von Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern fragt, wo diese in ihrem Handeln mit ethischen Fragen konfrontiert sind (Peppoloni & Di Capua, 2015). Dabei wird unterschieden zwischen Fragen auf der individuellen Ebene als geowissenschaftlich forschende Person (z. B. Fragen nach wissenschaftlicher Integrität), auf der Ebene des Wirkens innerhalb einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, auf der gesellschaftlichen Ebene (z. B. bei der Kommunikation geowissenschaftlicher Befunde in die Öffentlichkeit) und auf einer grundsätzlichen Ebene, bei der es um das Verhältnis Mensch–Erde geht. Die beiden ersten Ebenen entsprechen weitgehend einer geowissenschaftsspezifischen Ausgestaltung einer Wissenschaftsethik. Hierbei werden ethische Fragen aufgeworfen etwa zur Verantwortbarkeit bestimmter Eingriffe in die Natur im Rahmen geowissenschaftlicher Forschung, z. B. bei der Durchführung von Sprengungen, Bohrungen und Eintragungen von Stoffen. Relevant können auch Fragen sein, wie etwa geowissenschaftliche Beforschung von Geotopen oder Landschaftsausschnitten, die für bestimmte – oft indigene – Personen als heilig oder spirituell bedeutsam wahrgenommen werden, erfolgen soll. Die dritte Ebene fokussiert auf typische gesell-

schaftliche Wertekonflikte in geowissenschaftsrelevanten Kontexten, wie z. B. „Rohstoffabbau“, „Energiewende“ und „Geoengineering“. Die vierte Ebene weist dann starke Übergänge in die Umweltethik auf, wenn grundsätzliche Begründungen zum Schutz von Natur oder Elementen der Natur (z. B. auch Geotopen) reflektiert werden. Diese verstärkte Reflexion ethischer Aspekte in geowissenschaftlichem Handeln und die damit verbundene Verbreitung des Begriffes „Geoethik“ innerhalb der Geowissenschaften wurden auch vonseiten der Geowissenschaftsdidaktik aufgegriffen. Aus der Zielsetzung heraus, die Fähigkeit zur Teilhabe an gesellschaftlichen Diskursen zu fördern (Abschn. 2.1.2.1), sind Unterrichtskonzepte zu „geoethischen“ Themen entwickelt worden (Vasconcelos et al., 2020). In diesen wird meistens eine konkrete Dilemmasituation skizziert, anschließend wird der geowissenschaftliche Hintergrund analysiert, und schließlich werden Fragen nach involvierten Werten, betroffenen Akteuren und Lösungsmöglichkeiten gestellt. Beispiele sind etwa Fragen der Wassernutzung, des Abbaues bestimmter Erze, aber auch der Schutzwürdigkeit von Geotopen, des Sammelns von Fossilien und der Verantwortlichkeit von geowissenschaftlichen Experten in der Kommunikation von Risiken (Vasconcelos et al., 2020). Auch eine Bildung für nachhaltige Entwicklung (7 Abschn. 4.2) zielt auf die Fähigkeit, etwa mit Zielkonflikten zwischen verschiedenen Sustainable Development Goals (SDGs) und Nachhaltigkeitsdilemmata reflektiert umgehen, Widersprüchlichkeiten ertragen und Formate eines lösungsorientierten Diskurses einüben zu können. 2.3.3

Earth Systems Education im deutschen Schulunterricht – das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“

Sylke Hlawatsch

In Deutschland knüpfte das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ an die internationale Geoscience Education an. Am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel befasste sich eine umfangreiche interdisziplinäre Projektgruppe systematisch mit Geowissenschaften im deutschen Schulunterricht. Sie analysierten die Chancen, die sich durch das Konzept Earth Systems Education eröffnen, und untersuchten die hemmenden und fördernden Bedingungen für eine Implementation. In die Arbeit waren Akteurinnen und Akteure der verschiedenen Bildungsebenen eingebunden: Die Chemie‑, Biologie- und Physikdidaktik sowie die pädagogische Psychologie des IPN Die Geographiedidaktik der Universität Kiel

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

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Geowissenschaftliche Forschungseinrichtungen und Institutionen Die Bildungsverwaltung durch Vertreterinnen und Vertreter der Landesinstitute

Basierend auf den Ergebnissen einer didaktischen Analyse des Lehrgegenstandes „System Erde“ erfolgten die Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Unterrichtseinheiten sowie begleitende Lehr- und Lernforschung. Im Jahr 2005 veröffentlichte das IPN eine Konzeption mit Unterrichtsmaterialien für einen fachübergreifenden und fächerverbindenden geographisch-naturwissenschaftlichen Unterricht in der Sekundarstufe II und für den Sachunterricht in den Grundschulen (Bayrhuber et al., 2005; Bayrhuber & Hlawatsch, 2005; Hlawatsch et al., 2003, 2005a). Zentrale Aspekte der didaktischen Analyse des Projektes, die Struktur der bis heute für den Einsatz im gesamten Bundesgebiet verfügbaren Unterrichtsmaterialien und das Implementationskonzept werden im Folgenden verkürzt und kommentiert dargestellt (Bayrhuber et al., 2000; Hlawatsch et al., 2005a). 2.3.3.1

Didaktische Analyse

Die didaktische Analyse für das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ erfolgte in Anlehnung an das von Klafki (1980) entwickelte Modell zur kritisch konstruktiven Didaktik sowie an das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997). Beide haben sich als Rahmen für naturwissenschaftsdidaktische Forschung und Entwicklung bewährt.

Allgemeine Zielsetzung und Begründung für den Lehrgegenstand „System Erde“ Schulische Unterrichtsinhalte sind begründet und gemäß bildungspolitischen Rahmenvorgaben auszuwählen. Letztere sehen vor, dass Schule Schülerinnen und Schüler befähigen soll, den gesellschaftlichen Diskurs zur nachhaltigen Entwicklung zu verstehen und sich an ihm beteiligen zu können. Da geowissenschaftliche Kompetenzen hierfür grundlegend sind, wurden die Groblernziele für das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ entsprechend formuliert. Die Schülerinnen und Schüler sollen ein Grundverständnis der Wissensbestände der Geowissenschaften zu Bau und Funktion unseres sich ständig wandelnden Planeten, zu dessen umweltschonender Nutzung sowie zur Entwicklung von Vorhersage- und Vorsorgestrategien erwerben; ihre Fähigkeit, interdisziplinär zu denken, eine basale ethische Analyse durchzuführen sowie kritisch-rational zu urteilen, entwickeln.

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Der Diskurs soll von den Schülerinnen und Schülern durch geowissenschaftlichen Unterricht praktisch geübt und die dafür nötigen Informationen sollen von ihnen eigenständig beschafft werden können.

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Voraussetzungen – Klärung der fachwissenschaftlichen und der schulischen Rahmenbedingungen Damit den o. g. Zielen exemplarische geowissenschaftliche Themen und geeignete unterrichtliche Vermittlungsformen bildungswissenschaftlich begründet zugeordnet werden können, wurden in einem weiteren Arbeitsschritt die fachwissenschaftlichen und die schulischen Rahmenbedingungen geklärt („fachliche Klärung“ nach dem Modell der Didaktischen Rekonstruktion). Für die Planung und Durchführung von Unterricht ist die Kenntnis der fachspezifischen Vorstellungen und Methoden unverzichtbar. Dies sind die fachwissenschaftlichen Rahmenbedingungen. Kattmann schreibt dazu:

» „Eine kritische Analyse der fachlichen Vorstellungen ist

nötig, weil fachliche Darstellungen oft persönliche Sichtweisen enthalten, weil innerfachliche Bezüge zu kurz kommen oder weil historische Verständnisse meist unreflektiert oder sogar unerkannt hineinspielen.“ (Kattmann 1992, in: Kattmann et al., 1997)

Für das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ wurden diese wie folgt zusammenfassend beschrieben:

» „Forschungsgegenstand der Geowissenschaften und

Lehrgegenstand für den Unterricht ist das ‚System Erde‘, mit den in seinem Inneren und an der Oberfläche ablaufenden Prozessen. Dazu gehören auch die Wechselwirkungen zwischen den Teilsystemen Lithosphäre, Atmosphäre, Hydrosphäre und Biosphäre. Die Untersuchung des Systems Erde erfolgt mit biologischen, chemischen, geologischen und physikalischen Methoden. Diese Ansätze umfassen einen weiten Bereich räumlicher und zeitlicher Skalen: von der globalen Beobachtung unseres Planeten aus dem Weltraum bis zur Analyse von Kristallgittern auf atomarer Ebene und von geologischen Zeiträumen der Bildung von Gebirgen (Millionen Jahre) bis zu schnellen Bruchvorgängen in Gesteinen bei Erdbeben (Mikrosekunden). Dementsprechend wird ein breites Spektrum an Methoden und Techniken eingesetzt. Dazu gehören spezielle Satelliten und raumgestützte Messsysteme sowie hochauflösende Verfahren der geophysikalischen Tiefenerkundung; weiterhin zählen dazu Laborexperimente, in denen z. B. die in Erdkruste und Erdmantel existierenden Druck- und Temperaturbedingungen simuliert werden.“ (Bayrhuber et al., 2000)

Die Situation vor Ort in der Schule bestimmt, ob eine Konzeption überhaupt praktisch umgesetzt werden kann. Die schulischen Rahmenbedingungen sind daher die Implementationsvoraussetzungen. Im Falle des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ war es eine Herausforderung, im disziplinär organisierten Schulsystem Raum

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

für die interdisziplinären geowissenschaftlichen Themen zu finden. Die Analyse ergab:

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» „Sowohl die Geowissenschaften als auch der naturwis-

senschaftliche Unterricht sehen sich dem Nachhaltigkeitskonzept verpflichtet. Daher können die Geowissenschaften einen wichtigen Teil der Wissensbasis liefern, die der unterrichtlichen Vermittlung von Urteils- und Handlungskompetenzen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung dient. Weil biologische, chemische und physikalische Prozesse im Inneren und auf der Oberfläche des Planten Erde untersucht werden, sind aus schulischer Sicht die drei Naturwissenschaften angesprochen. Zusätzlich ist das Fach Geographie betroffen, das sich mit Problemen der räumlichen Strukturierung befasst. Die Entwicklung eines umfassenden Grundverständnisses des Systems Erde macht es erforderlich, dass Wechselbeziehungen zwischen Elementen dieses Systems im Unterricht aus verschiedenen fachlichen Perspektiven bearbeitet werden, die jedoch in einem gemeinsamen interdisziplinären Zusammenhang verknüpft werden. Aus diesem Grund liegt im Schulunterricht ein fächerverbindendes Vorgehen nahe. Dieses ist aufgrund der Lehrpläne möglich: In den Bundesländern wurde in den letzten Jahren sowohl fachübergreifendes als auch fächerverbindendes Arbeiten in besonderem Maße gefördert, und zwar in allen Schulstufen. Das mehrperspektivische Vorgehen beim Thema System Erde entspricht auch dem interdisziplinären Arbeiten in den Geowissenschaften. Gerade in geowissenschaftlichen Großprojekten arbeiten unter anderem Biologen, Chemiker, Geologen und Physiker zusammen. Die interdisziplinäre Bearbeitung des hoch komplexen Systems Erde in der Forschung ermöglicht und vereinfacht ein fächerverbindendes Vorgehen in der Schule. Das Spezifische der jeweiligen disziplinären Sicht und Methodik wird erhalten und es erfolgt eine Zusammenarbeit auf ein gemeinsames Ziel hin.“ (Bayrhuber et al., 2000)

Kriterien für die Themenwahl und Vermittlungsformen Nachdem die fachwissenschaftlichen und schulischen Rahmenbedingungen im Hinblick auf die zuvor formulierten allgemeinen Ziele geklärt sind, wurden Kriterien für die Auswahl der Themen und Vermittlungsformen formuliert und bildungswissenschaftlich begründet: Auswahl inhaltlicher Basiskonzepte, also allgemeiner Begriffe, die für ein umfassendes Verständnis einer Fachdisziplin und ihrer spezifischen Denkweisen erforderlich sind. Ausgewählt wurden solche, die mehreren Disziplinen, welche das System Erde erforschen, gemeinsam sind (z. B. Energie, Wechselwirkung, Stoff, Bau, Funktion, Entwicklung). Dies fördert das vernetzte Denken. Die Systemtheorie wurde als allgemeinster Bezugsrahmen für die Vermittlung eines basalen Verständ-

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nisses des Systems Erde ausgewählt. Systemisches Denken liegt dem Modellieren zugrunde. Wissenschaftstheoretische Betrachtungen helfen, den Geltungsbereich geowissenschaftlicher Modelle, z. B. zur Klimaentwicklung, kritisch einzuschätzen. Eine Beschäftigung mit ausgewählten Wissenschaftsmethoden macht die Schülerinnen und Schüler mit den verschiedenen Zeitskalen vertraut, auf denen die Geowissenschaften ihre Ergebnisse beschreiben. Wissenschaftsgeschichtliche Betrachtungen zeigen Kontroversen auf, die die kritisch rationale Einstellung von Forschenden gegenüber wissenschaftlichen Theorien und Ergebnissen beleuchten. Normative Kriterien – Kriterien zum Nutzen und Schutz der Erde. Der Inhaltsauswahl dienen Komponenten des Konzeptes nachhaltiger Entwicklung. Solche Kenntnisse bieten eine Grundlage für ethische Analysen und Begründungen und damit für eine Urteilsbildung.

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Die Kriterien für die Themenwahl dienen gleichermaßen der Auswahl der Vermittlungsformen. Explizit eingegangen wird in der didaktischen Analyse auf Kriterien metakognitiver Art, da es aufgrund der Komplexität der Thematik unabdingbar ist, dass die Lernenden ihre eigenen Lern- und Erkenntnisprozesse reflektieren.

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Themen für den Unterricht Materialien zur Einführung in das Thema „System Erde“ Materialien zum Verständnis des Gesamtsystems Erde Materialien zur Nutzung und zum Schutz der Erde

Vermittlungsformen für den Unterricht Spezifische Vermittlungsformen zur Förderung des Verständnisses des Systems Erde sowie des rationalen Diskurses über die Nutzung und den Schutz der Erde sind: Die Nutzung des Computers zur Bearbeitung wissenschaftlicher Modelle sowie zur eigenständigen Beschaffung von Informationen z. B. im Internet. Die Geowissenschaften entwickeln Modelle von Teilsystemen des Systems Erde. Nach fachdidaktischer Umsetzung sollen diese in der gymnasialen Oberstufe mithilfe der neuen Medien, z. B. in Form von Simulationen im Unterricht, von den Lernenden (interaktiv) bearbeitet werden. Zu diesem Zweck sollte eine CDROM (bzw. DVD) entwickelt werden. Der eigentätige Umgang mit wissenschaftlichen Modellen und deren reflektierter Einsatz fördern die Einsicht in naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen. Videos von Realaufnahmen der Natur, die im Rahmen von Forschungsinstituten entstanden sind, können hierzu eine wertvolle Ergänzung bieten. In der direkten Kommunikation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vertiefen die Schülerinnen

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

und Schüler ihr Verständnis des Systems Erde, und zwar nicht zuletzt im Hinblick auf die Genese geowissenschaftlichen Wissens. Auch üben sie den rationalen Diskurs über die Nutzung und den Schutz der Erde. So soll auch der Dialog zwischen Forschung und Öffentlichkeit unterstützt werden. 2.3.3.2

Materialien des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“

Im Vorfeld der Materialentwicklung wurden folgende Prämissen aufgestellt, an denen sich die Projektarbeiten orientierten: Die Unterrichtsmaterialien sollen interdisziplinäres Lernen und Lehren ermöglichen und zur Strukturierung der Inhalte einen systemischen Ansatz verfolgen. Hierfür sollte die Erde als Gesamtsystem in den Blick genommen werden. Die naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) der Schülerinnen und Schüler soll gefördert werden. Die Materialien sollen modular aufgebaut sein, um flexibel sowohl im fachübergreifenden als auch im fächerverbindenden Unterricht eingesetzt werden zu können. Das selbstständige Arbeiten der Schülerinnen und Schüler soll gefördert werden: Hands-on-Experimente, praktische Arbeiten, computergestützte Materialien. Für die Sekundarstufe II sollte eine CD-ROM für Lehrkräfte entstehen, aus der eine Schülerversion abgekoppelt werden kann. Für die Primarstufe war ein Sachbuch für Grundschulkinder mit Begleitmaterialien für Lehrkräfte vorgesehen.

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Materialien für die Sekundarstufe II Für die Sekundarstufe II sind elf Module mit Sach- und didaktischen Informationen sowie mit Materialien für den Einsatz im Unterricht mit Lösungen entwickelt worden: 1. System Erde – Die Grundlagen 2. Chemie und Physik der Atmosphäre 3. Gesteinskreislauf: Gesteine als Dokumente der Erdgeschichte 4. Erbeben und Wellen: Nachrichten über das Innere der Erde 5. Plattentektonik und Vulkanismus 6. Wasserkreislauf und Trinkwasserschutz 7. Konvektion in Erdmantel, Ozean und Atmosphäre 8. Entstehung und Entwicklung des Lebens 9. Der Kohlenstoffkreislauf 10. Klimasystem und Klimageschichte 11. Rohstoffe und Recycling Alle Inhalte wurden auf der CD-ROM „System Erde – Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe II“ über

..Abb. 2.7  Materialien für die Sekundarstufe II

eine komfortable Navigationsstruktur mit Suchfunktion bereitgestellt. Im Bereich „Sachinformation“ werden zusätzlich zum Text weitere Medien wie Fotos, computergestützte interaktive Unterrichtsmaterialien oder Kurzvideos angeboten. Im Bereich „Unterrichtsmaterialien“ können die vorbereiteten Materialien aufgerufen werden (. Abb. 2.7). Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler können auch eigene Präsentationen erstellen.

Materialien für die Primarstufe Zu Beginn der Arbeiten in 2002 wurde ein grundlegendes Konzept zur Umsetzung der Projektziele in der Primarstufe entwickelt, das die Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler, die fachliche Ausbildung der Lehrkräfte sowie die schulischen Strukturen berücksichtigt. Für die Primarstufe wurde das Ziel formuliert, naturwissenschaftliche Inhalte im Kontext der Geowissenschaften im Sachunterricht der Grundschule zu erarbeiten. Von der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ausgehend soll ein Verständnis naturwissenschaftlicher Basiskonzepte aufgebaut werden. Dadurch sollen die Kinder befähigt werden, einfache biologische, chemische, geologische und physikalische Zusammenhänge zu erschließen, um Naturphänomene in ihrer Umwelt zu deuten. Die Schülerinnen und Schüler sollen anhand der geowissenschaftlichen Themen am Beispiel hypothesengeleiteten Experimentierens, kriterienbezogenen Vergleichens und beschreibender Beobachtung an basale Denk- und Arbeitsweisen der Naturwissenschaften herangeführt werden. Durch die Vernetzung von Inhalten aus unterschiedlichen Bereichen soll ein Verstehen grundlegender Zusammenhänge und Wechselwirkungen im System Erde ermöglicht werden. Das Aufzeigen von Zusammenhängen in der belebten und unbelebten Natur und die Vermittlung von Kompetenzen zur Erklärung dieser Zu-

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

..Abb. 2.8  Systemebenen und Aktivitäten zur Implementation im Projekt „System Erde“. (KlausHenning Hansen in: Hlawatsch et al., 2005a)

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sammenhänge sollen das Interesse an den Naturwissenschaften fördern und als Ausgangsbasis für ein erfolgreiches Lernen in den weiterführenden Schulen dienen. Die Materialien, die im Rahmen des Projektes für die Primarstufe entwickelt wurden, sind im Einzelnen: Das Sachbuch Unsere Erde: Für Kinder, die die Welt verstehen wollen (Bayrhuber (Hrsg.) 2005) Zwei Computerlernspiele für die Schülerinnen und Schüler Begleitmaterialien für Lehrkräfte Das Themenheft Unsere Erde: Für Kinder, die die Welt verstehen wollen der Zeitschrift Sachunterricht (Bayrhuber et al. (2005))

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Das Sachbuch Unsere Erde: Für Kinder, die die Welt verstehen wollen ist in zwölf Kapitel gegliedert, die jeweils aus drei Aufschlagseiten (Doppelseiten) bestehen. Die Themen der Kapitel sind der Lebens- und Interessenwelt der Schülerinnen und Schüler angepasst und ermöglichen die sukzessive Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses des Systems Erde. Die Inhalte der Kapitel sind modular aufgebaut und untereinander vielfältig verknüpft. Die inhaltlichen Verknüpfungen zu Themen in anderen Kapiteln werden den Schülerinnen und Schüler durch ein besonderes Symbol verdeutlicht. Das ermöglicht neben der Herstellung direkter Bezüge auch eine Vernetzung der Inhalte, die mit einem Blick zu erfassen ist. 2.3.3.3

Implementationsstudie und Maßnahmen zur Implementation

Eine zentrale Aufgabe des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ bestand darin, Maßnahmen zur Umsetzung der Projektergebnisse in die Bildungspraxis zu identifizieren und diese durch empirische Begleitforschung zu evaluieren. Die von dem Sozialwissenschaftler Klaus Henning Hansen konzipierte Implementationsstudie basierte auf einem systemischen Ansatz zur Implementation von „System Erde“, da die effektive Verbreitung der Materialien und Konzepte nur durch eine Abstimmung möglichst aller Beteiligten auf allen Ebenen des Bildungssystems möglich ist (. Abb. 2.8).

Technisch-praktische Voraussetzungen für geowissenschaftlichen Unterricht Entscheidend für die Implementation der Konzepte und Materialien von „System Erde“ sind die vielfältigen Randbedingungen in den Bundesländern. Um sie zu erfassen und angemessen berücksichtigen zu können, wurde eine Lehrplansynopse erstellt sowie eine qualitative Vorstudie mit ausgewählten Lehrkräften und einem Geowissenschaftler durchgeführt. Dabei ging es um eine Einschätzung des anvisierten curricularen Ansatzes und der schulischen Randbedingungen in Hinblick auf die Ausstattung und die Behandlung geowissenschaftlicher Themen im Geographie- oder naturwissenschaftlichen Unterricht durch „Experten“. Die Lehrplansynopse ergab, dass sowohl der Geographieunterricht als auch die naturwissenschaftlichen Fächer Ansätze zur Behandlung geowissenschaftlicher Themen bieten, jedoch unvollständig und kaum aufeinander abgestimmt. Die Befragten für die qualitative Vorstudie schätzten damals die multimedialen Voraussetzungen der Schulen als begrenzt ein. Gleichzeitig sahen sie pädagogische Chancen in der Zusammenarbeit von Schule und Wissenschaft sowie in einem fächerübergreifenden oder fächerverbindenden Ansatz zu Themen aus „System Erde“. Bemängelt wurde das Fehlen eines zusammenhängenden Konzeptes für die Behandlung geowissenschaftlicher Themen.

Maßnahmen zur Implementation Der Fokus der wissenschaftlichen Begleitforschung lag auf einer Untersuchung zur Klärung der Frage, welchen Beitrag die Unterrichtsmaterialien von „System Erde“ in Verbindung mit Workshops zur Lehrerfortbildung für die Umsetzung eines geographisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts in den Schulen leisten. Folgende Aktivitäten wurden zur Implementation durchgeführt: Durchführung exemplarischer Multiplikatorenfortbildungsveranstaltungen in sechs Bundesländern Präsentation der Projektergebnisse bei den Verbänden für einen geographischen und naturwissen-

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

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schaftlichen Unterricht sowie auf wissenschaftlichen Tagungen im In- und Ausland Abstimmung der Materialien mit den Lehrplänen zum Themengebiet „System Erde“ in den Bundesländern (Lehrplankonferenz; Fachgespräche in Beiratssitzungen), kooperative Materialentwicklung der Projektmitarbeiter im IPN mit externen Lehrkräften und der fachlichen Beratung durch Mitarbeiter in Geoinstituten auf gemeinsamen Workshops.

Bei diesen Aktivitäten wurde nicht nur der Ansatz des Projektes „System Erde“ einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht, sondern es wurden auch Informationen und Vorschläge zur Verbesserung des Materials gesammelt, die im Sinne der „wechselseitigen Anpassung“ die Umsetzung in der Praxis gefördert hat. 77Fortbildungsveranstaltungen für Multiplikatoren

In Zusammenarbeit mit dem Koordinierungsbüro für Geotechnologien (Potsdam) und den Landesinstituten von sechs Bundesländern wurden von der Projektgruppe „Forschungsdialog: System Erde“ 2,5-tägige Fortbildungsworkshops durchgeführt. Sie richteten sich an die Multiplikatoren der Landesinstitute und Lehrkräfte aus der Region der Fächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik. Sie bestanden aus drei Komponenten: 1. Fachvorträge renommierter Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler aus der Region 2. Demonstration der Unterrichtsmaterialien des Projektes 3. Eigenaktive Phase zur Entwicklung geowissenschaftlicher fächerverbindender Unterrichts- bzw. Fortbildungsszenarien Die Veranstaltungen wurden evaluiert und über den Projektzeitraum optimiert. Zu folgenden Bereichen wurden Daten erhoben: Einschätzung der Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmer zum Beitrag der Materialien und der Fortbildung zur Implementation Auswertung der Unterrichtszenarien: Materialanpassung und Ressourcennutzung in der Schule Umsetzung der Implementationsszenarien vor Ort 9

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Merkmale der Materialien des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“, die für die Implementation als förderlich angesehen werden Die Teilnehmenden der Workshops beurteilten insbesondere praktische Merkmale als ausschlaggebend für die Umsetzbarkeit der Materialien im jeweiligen Bildungsbereich: Verfügbarkeit schriftlicher Unterrichtsmaterialien (CD-ROM).

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Die Experimente und dass die dafür erforderlichen Materialien in Schulen im Allgemeinen vorhanden oder leicht zu beziehen sind. Viele basieren auf Anregungen, die heute als Earth Learning Ideas im Internet verfügbar sind (7 Kap. 7). „Die Betonung des Systemdenkens“ trägt aus Sicht der Workshopteilnehmenden zur Umsetzung bei. „Die modulare Struktur der Materialien“ deutet darauf hin, dass sich die Umsetzung in der Klasse durch eine flexible Struktur der Materialien fördern lässt.

Angebote zur Lehrerfortbildung gehören zu den wichtigen Ressourcen von Lehrkräften, die dazu bereit sind, neue Lerninhalte oder innovative Unterrichtsformen zu erproben. Die Teilnehmenden der Fortbildungsworkshops zu „System Erde“ wurden deshalb darum gebeten, sechs Statements zum Beitrag der Fortbildungsworkshops für die schulische Umsetzung zu beurteilen. Die überdurchschnittliche Bewertung aller Items kann als Indiz für die Wichtigkeit der Lehrerfortbildung zu „System Erde“ gewertet werden. Das erworbene Verständnis für den fachübergreifenden bzw. fächerverbindenden Ansatz und die Experimentiermaterialien scheint besonders zur Implementationsbereitschaft beizutragen. Neben der Fortbildung spielen Kontextfaktoren eine wichtige Rolle bei der schulischen Umsetzung innovativen Curriculummaterials. Daher wurden die Workshopteilnehmenden gefragt, welche Faktoren sich nach ihrer Meinung förderlich und welche sich eher hemmend bei der Umsetzung in der Praxis auswirken. Als förderlich für die Implementation des innovativen Ansatzes wurden die folgenden Faktoren bewertet: Internetzugang, Außerschulische Lernorte Der öffentliche Diskurs über geowissenschaftliche Themen

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Als hemmend wurden die folgenden Faktoren bewertet: Lehrpläne der Bundesländer Struktur der Lehrerbildung Bildungsverwaltung

2.3.4

Einzelfachliche Entwicklungen in Deutschland

Dirk Felzmann 2.3.4.1

Geographiedidaktische Konzepte für geowissenschaftlichen Unterricht

Im Unterrichtsfach Geographie werden geowissenschaftliche Inhalte vermittelt. Zuständig sind die hauptberuflich tätigen Geographiedidaktikerinnen und -didaktiker

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

an den Hochschulen und ausgebildete Lehrkräfte an Schulen und Landesinstituten. Geographiedidaktische Konzepte für den Unterricht von Geowissenschaften im Geographieunterricht sind vor dem innerfachlichen Diskurs um die inhaltliche Ausrichtung des Schulfaches Geographie zu sehen. Grob stehen sich dabei eine stark gesellschaftswissenschaftlich orientierte Position, die physische Geographie primär auf eine Zuträgerfunktion zu den eigentlich bildungsrelevanten Mensch-Umwelt-Themen reduziert, und eine eher fachpolitisch orientierte Position gegenüber, die die Gleichwertigkeit von Humangeographie und physischer Geographie betont.

Gerhard Hard: Physische Geographie als Didaktik der Geowissenschaften Hard (1982a, b) geht in seinen auch heute noch sehr lesenswerten Analysen zur Physischen Geographie und ihrer Vermittlung im Geographieunterricht davon aus, dass die akademische Disziplin „Physische Geographie“ primär als eine „Didaktik der Geowissenschaften“ zu verstehen sei. Die „Physische Geographie“ sei aus der Tradition naturgeschichtlicher Vermittlung der Geowissenschaften in Schule und Öffentlichkeit und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer entsprechenden Lehrerbildung an den Hochschulen entstanden. Als eigenständige Forschungsdisziplin könne sie sich nicht wissenschaftstheoretisch begründen (sehr wohl aber arbeiten), da sie je nach Forschungsfrage in den jeweils dazugehörenden geowissenschaftlichen Disziplinen aufgehe (z. B. Vegetationsgeographie und Geobotanik). Deshalb laufe jede Konstruktion von Unterschieden zwischen Teilen der Physischen Geographie einerseits und den jeweils entsprechenden Geodisziplinen andererseits auf „logischen Unsinn und schädliche Konsequenzen“ hinaus (Hard, 1982a, S. 265). Lediglich die Geomorphologie sei im deutschsprachigen Raum lange Zeit aufgrund ihrer geringen Bedeutung weitgehend alleine innerhalb der Physischen Geographie betrieben worden, woraus eine Überbetonung geomorphologischer Inhalte in Lehrerbildung und Geographieunterricht resultierte. Für den damaligen Geographieunterricht skizziert Hard drei idealtypische Konzepte: 1. Der landschaftsökologische Ansatz, der die Zusammenhänge zwischen „Boden“, „Klima (und Wasser)“ und „Vegetation“ thematisiert, analysiere diese Zusammenhänge stark aus einer Perspektive der (möglichen) menschlichen Nutzung und orientiere sich folglich stark an Ansätzen der land- und forstwirtschaftlichen Standortbeschreibung. Sein didaktisches Potenzial liege besonders in Geländearbeiten, innerhalb derer etwa Bodenprofile beschrieben, mikroklimatische Bedingungen gemessen, Pflanzen bestimmt werden würden und so Zusammenhänge und räumliche Verteilungsmuster, etwa über das Konzept der Zeigerpflanzen, erschlossen werden könnten.

2. Der ressourcenanalytische Ansatz fokussiert auf die Bedeutung natürlicher Ressourcen für sozioökonomische Entwicklungen und Entwicklungspotenziale bestimmter Räume. Er biete didaktisch neben der Möglichkeit zur hypothesengeleiteten Analyse der Korrelationen bestimmter räumlicher Ausprägungen viel Potenzial zur Reflexion von Geodeterminismen. Entsprechend gelte es zu fragen, was eine befriedigende Erklärung für die räumliche Ausprägung bestimmter sozioökonomischer Aspekte ausmache und welche Bedeutung hierbei historisch kontingenten, soziologischen, wirtschaftlichen und politischen Prozessen neben naturräumlichen Voraussetzungen zukomme. 3. Den umweltökologischen Ansatz sieht Hard vor dem Hintergrund der in 1970er-Jahren aufkommenden Umweltschutzdiskussion und damit verbundener pädagogischer Ansätze. Aus der damaligen Zeit heraus erkennt er allerdings nur einen marginalen Erkenntnisbeitrag der physischen Geographie hierzu (z. B. Bodenerosion, Smog, Verkarstung), da die Probleme primär humanbiologisch/medizinische, politisch-ökonomische und technologische Perspektiven benötigten, weshalb er diesen Ansatz nicht weiter ausführt. Aus seiner Beobachtung, dass aus den Geowissenschaften häufig „Supertheorien“ in den Geographieunterricht übernommen werden, die intellektuell sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkräfte überfordern und die in Form hochabstrakter Terminologien und Bildchen präsentiert würden, und dass häufig physisch-geographische Themen an entfernten Raumbeispielen vermittelt werden, leitet er die Forderung ab, die o. g. Ansätze „weniger global, weniger abstrakt, weniger trivial […] stärker Nahraum-bezogen, beobachtungs-, erfahrungs- und alltagsnäher, explorativer und originärer (d. h. nicht nur repetierend, was in jedem noch so dünnen Lehrbuch steht), verbal bescheidener und intellektuell anspruchsvoller“ auszugestalten (Hard, 1982b, S. 284). In der Tradition eines heimatkundlichen naturgeschichtlichen Unterrichts gelte es, „mehr die nicht-entfremdeten Fragen von aufmerksam gewordenen Laien und Bürgern […], die an ihrer Umwelt interessiert sind“ (ebenda, S. 285) zum Ausgangspunkt von geowissenschaftlichen Untersuchungen zu machen. Dabei gelte es auch, stärker als bisher städtische Räume als unmittelbaren Erfahrungsraum der Schülerinnen und Schüler für solche Untersuchungen zu nutzen, etwa in Form vegetationsgeographischer Untersuchungen an Wegesrändern, der Beobachtung der innerstädtischen Phänologie oder der geologischen Analyse der in der Stadt verwendeten Natursteine. Dieser Ansatz einer „Physischen Geographie als Exploration von Alltagsumwelten“ ermögliche den Einsatz gängiger Fachmethoden der geowissenschaftlichen Geländearbeit, ein hypothesengeleitetes Arbeiten entlang ggf. selbst entwickelter Fragen, aber

2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

auch die Verknüpfung mit sozial- und wirtschaftsgeographischen Fragen.

Helmuth Köck: Systemdenken im Geographieunterricht Seit den 1970er-Jahren gibt es Ansätze innerhalb der Geographiedidaktik, systemisches Denken im Geographieunterricht zu fördern und entsprechend geographische Unterrichtsthemen unter einer systemischen Perspektive zu vermitteln. Der Hintergrund hierzu waren Übernahmen systemtheoretischer Ansätze in der Fachwissenschaft Geographie, insbesondere im landschaftsökologischen Ansatz von Leser (Köck, 1985). Vor allem Köck (1985, 1986) sowie Köck und Rempfler (2004) arbeiteten diese Ansätze für den Schulunterricht auf. Köck (1985) unterschied zwischen drei Ebenen, denen die zu fördernden Qualifikationen systemischen Denkens zugeordnet werden können: 1. Eine systemanalytische Ebene, auf der die Wechselwirkungen eines einzelnen räumlichen Phänomens mit anderen räumlichen Phänomenen analysiert werden. 2. Eine systemtheoretische Ebene, auf der ein räumliches Phänomen als System und damit als eine Gesamtheit von internen Wechselbeziehungen modelliert wird. Hierbei gilt es, insbesondere das Fließgleichgewicht innerhalb dieses Systems zu verstehen, Wechselwirkungen dieses Systems mit anderen Systemen zu erkennen und das System unter der Perspektive einer Systemerhaltung und möglicher irreversibler Schädigungen zu analysieren 3. Eine allgemeinsystemtheoretische Ebene, auf der dieser theoretische Zugang reflektiert und die Übertragbarkeit ähnlicher systemischer Modellierungen zwischen geographischen Phänomenen analysiert wird. Köck (1985) verdeutlicht, dass eine große Herausforderung eines „systemadäquaten Denkens und Verhaltens“ darin bestehe, für geographische Sachverhalte zu erkennen, welche hierarchischen Systemebenen im jeweiligen Fall relevant sind. Diese Systemebenen stellen Raumsysteme unterschiedlicher Skalen oder unterschiedlicher Distanzen dar. So lasse sich die konkrete landwirtschaftliche Nutzung eines Betriebes nur erklären, wenn neben lokalen und regionalen Bedingungen auch nationale und internationale Bedingungen (z. B. nationale und internationale agrarpolitische Maßnahmen) und ihre Wechselwirkungen mit den verschiedenen Systemebenen, aber auch Wechselwirkungen zwischen weit entfernten Regionen (z. B. zwischen Futteranbaugebieten in Südamerika und Regionen intensiver Tierhaltung in Deutschland) berücksichtigt werden. Entwickelt wurde dieses geographiedidaktische Konzept unabhängig von den Entwicklungen in den Geowissenschaften und der Geoscience Education. Es

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versteht sich als sowohl für physisch-geographische als auch für humangeographische Unterrichtsinhalte geeignet. Gleichwohl weist Köck (1986) auf die Besonderheit „anthropogener Komponenten“ innerhalb modellierter Systeme hin, da Menschen und Gesellschaften aufgrund ihrer Fähigkeit zur Reflexion und zu damit verbundenen Handlungsänderungen nicht als bloße, determinierbare Komponenten eines Systems verstanden werden dürften. Entsprechend gelte es, im Geographieunterricht Funktion und Grenzen dieser Perspektive zu reflektieren.

Jürgen Lethmate: Physische Geographie im Unterricht als Geoökologie Die Forderung, physische Geographie im Unterricht weniger auf die Betrachtung großräumiger Sachverhalte (z. B. Klimazonen, Ökozonen) und ferner Gebiete (z. B. Arktis, Tropischer Regenwald) anzuwenden und mehr auf den Nahraum zu fokussieren, steht auch im Zentrum von Lethmates Konzept einer geoökologisch orientierten Physischen Geographie. Demnach gelte es, über entsprechende Freilandarbeit in Abgrenzung zum Biologieunterricht das Schwergewicht auf die Zusammenhänge zwischen abiotischen Geoökosystemkompartimenten (Atmosphäre, Biosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Lithosphäre) zu legen: „Denken in kompartimentübergreifenden Ökosystembereichen heißt geoökologisch denken“ (Lethmate, 1999, S. 38). Die Untersuchungsräume werden hierbei als vierdimensionale Geosphärenausschnitte (also unter Einbezug der Zeit) modelliert, in denen etwa Einflüsse des chemischen Klimas auf die Ablagerung bestimmter Stoffe durch die Vegetation, ihrer anschließenden Anreicherung im Boden und ihrer folgenden Auswaschung und Abreicherung im Gewässer analysiert werden. Lethmate verdeutlicht diese Herangehensweise an eigenen Untersuchungen zur Wirkung stickstoffhaltiger Einträge (z. B. aus der Massentierhaltung) über die Atmosphäre im Münsterland. Er warnt vor einem Verständnis von systemischem Denken als abstrakte Übung an komplexen Geoökosystemmodellen, die nach seiner Analyse von Unterrichtsmaterialien häufig auch noch unscharfe Terminologien und unklare Abgrenzungen zum Biologieunterricht aufweisen.

Volker Mosbrugger und Karl-Heinz Otto: Physische Geographie im Unterricht als „System Erde-Mensch“ Mosbrugger und Otto (2006) skizzieren ausgehend von den „modernen Geowissenschaften“ Inhalte und Ziele geowissenschaftlicher Vermittlung im Geographieunterricht. Der Fokus liege hierbei auf dem Verständnis des „Systems Erde–Mensch“, wobei folgende Perspektiven bei der geowissenschaftlichen Forschung von Bedeutung seien: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten des Systems (zwischen Kruste und Atmosphäre, zwischen Hydro‑, Bio- und Geosphäre), verschiedene Skalen von submikroskopisch bis global und die Dimension „Zeit“.

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

Geowissenschaftliche Forschung nutze Methoden und Erkenntnisse fast aller naturwissenschaftlicher Disziplinen, wobei Modellierungen zunehmend an Bedeutung gewinnen (Mosbrugger & Otto, 2006). Ihre Argumentation für das Unterrichten geowissenschaftlicher Themen rekurriert primär auf die Zielsetzung einer nachhaltigen Entwicklung: „Nur auf der Grundlage entsprechend solider und umfassender geographischer/geowissenschaftlicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten können die erforderliche raumbezogene Handlungs- und Gestaltungskompetenz im Sinne der Nachhaltigkeit aufgebaut und umgesetzt werden“ (Mosbrugger & Otto, 2006, S. 6). Das Schulfach Geographie eigne sich aufgrund seiner „Brückenfach“-Struktur besonders gut für die Vermittlung geowissenschaftlicher Themen, weil es eine mehrperspektivische Bearbeitung ermögliche, eine ganzheitliche Betrachtung anstrebe, übergreifende Zusammenhänge in einer immer komplexeren Welt erfasse und diese Zusammenhänge vernetzend integrativ auf unterschiedlichen Maßstabsebenen behandele. Entsprechend fordern sie, für den Geographieunterricht stärker „Klammer- bzw. Brückenthemen“, wie Georisiken, nachhaltiger Umgang mit Ressourcen, Megacitys, Nutzung der Ozeane und globale Umweltprobleme, zu berücksichtigen. 2.3.4.2

Das Verhältnis Geographie– Geowissenschaften

Das Verhältnis zwischen der Fachdisziplin Geographie und den (sonstigen) Geowissenschaften auf akademischer Ebene ist schwierig. Dies zeigt sich schon bei der Diskussion darüber, ob denn nur die physische Geographie oder die gesamte Geographie, und damit auch die Humangeographie, eine geowissenschaftliche Disziplin sei. Es geht in diesem Mit‑, Neben- und Gegeneinander von Geographie und Geowissenschaften um Anerkennung, Selbstverständnisse, Forschungsmittel, akademische Stellen, Studierende usw. innerhalb eines sehr ähnlichen Terrains. Dieses schwierige Verhältnis findet sich auch auf der Ebene des Schulunterrichtes, wenn es darum geht, wie sehr Geographie als Schulfach geowissenschaftliche Bildung ermöglichen kann und soll. Vonseiten der Geowissenschaften wird zuweilen ein weitgehendes Fehlen der Vermittlung geowissenschaftlicher Inhalte im deutschen Schulsystem behauptet, z. B. auch in den Ausführungen zum Schulunterricht innerhalb des Leopoldina-Zukunftsreportes Erdsystemwissenschaft (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022), das vereinzelt in einen Ruf nach einem eigenständigen verpflichtenden Schulfach „Geowissenschaften“ übergeht (z. B. Ruedas, 2002). Vonseiten der Geographie wird dies als Ignoranz gegenüber ihrem schulfachlichen Selbstverständnis sowie als Nichtwürdigung ihrer erbrachten Leistungen in diesem Feld wahrgenommen. Mit der Leipziger Erklärung zur Bedeutung der Geo-

wissenschaften in Lehrerbildung und Schule von 1996 liegt für Deutschland ein Dokument vor, in dem sich Vertreterinnen und Vertreter der Geowissenschaften und der Geographie für einen geowissenschaftlichen Unterricht innerhalb des Schulfaches Geographie aussprechen und damit verbunden eine Stärkung des Unterrichtsfaches fordern (Kasten „Leipziger Erklärung zur Bedeutung der Geowissenschaften in Lehrerbildung und Schule“). Das Schulfach Geographie/Erdkunde fungiert nach diesem Verständnis als „Zentrierungsfach“ für zahlreiche geowissenschaftliche Disziplinen und deren Inhalte. Aus den oben skizzierten geographiedidaktischen Ansätzen wird deutlich, dass es innerhalb des deutschen Geographieunterrichtes eine Tradition im Unterrichten geowissenschaftlicher Inhalte (mit Schwerpunkten in der Geomorphologie, der Klimatologie und der Pedologie) gibt und dass holistische und systemische Perspektiven schon vor der Entwicklung einer Earth System Education existierten (s. auch Hassenpflug & Hlawatsch, 2005). Gleichwohl wurde mehrfach aus der Geographiedidaktik heraus darauf hingewiesen, dass Geographiedidaktik und Schulgeographie den eigenen Ansprüchen geowissenschaftlicher Vermittlung oft nicht gerecht werden (Hard, 1982a, b; Lethmate, 2001, 2013; Hassenpflug & Hlawatsch, 2005). Diese Kritik bezieht sich einerseits auf die Qualität physisch-geographischen Unterrichts, wenn insbesondere eine ungenügende naturwissenschaftliche Fundierung und eine damit einhergehende eingeschränkte Anschlussfähigkeit an biologische, chemische und physikalische Konzepte bemängelt wird. Andererseits wird die geringe Quantität physisch-geographischen Unterrichts kritisiert, wenn geographische Lehrpläne ein Übergewicht an humangeographischen Inhalten aufweisen. Diesen Defiziten stehen die Potenziale der Geographie gegenüber, besonders gut integrative Perspektiven auf Mensch-Umwelt-Kontexte einnehmen zu können (z. B. Mosbrugger & Otto, 2006). Diese Perspektiven gewinnen auch innerhalb der Geowissenschaften aktuell an Bedeutung, wie aus dem Leopoldina-Zukunftsreport Erdsystemwissenschaft (Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, 2022) deutlich wird. Dort werden eine verstärkte interdisziplinäre Forschung der Geowissenschaften mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und die Anschlussfähigkeit erdsystemwissenschaftlicher Bachelorstudiengänge mit sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Masterstudiengängen gefordert. Das Konzept des Anthropozäns verdeutlicht ganz besonders die Notwendigkeit solcher integrativen Perspektiven in der geowissenschaftlichen Forschung. Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes (2015) argumentiert etwa in ihrem Beitrag „How Earth Science has Become a Social Science“, dass gesellschaftsrelevante Aspekte in der geowissenschaftlichen Forschung lange als implizit, als zweitrangig und als „angewandt“ betrachtet wurden, während sie heutzutage als explizit, prioritär und „grund-

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2.3  •  Didaktik geowissenschaftlicher Vermittlung

legend“ aufgefasst werden müssten. Aktuelle geowissenschaftliche Forschung lasse sich häufig nicht mehr ohne gleichzeitige gesellschaftswissenschaftliche Forschung (z. B. in der Klimaforschung) oder ohne eine zumindest umfangreiche Rezeption gesellschaftswissenschaftlicher Forschung durchführen (z. B. zu Kommunikation und politischer Beratung in der Naturrisikoforschung). Eine wesentliche Herausforderung wird dabei darin bestehen, eine systemische Perspektive für den Geographieunterricht didaktisch so zu rekonstruieren, dass sie den Andersartigkeiten gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse innerhalb von Mensch-Umwelt-Kontexten gerecht wird (Steiner, 2015). Aktuelle geographieinterne Initiativen (Roadmap 2030; HGD, o. D.) versuchen, den naturwissenschaftlichen Teil geographischer Bildung wieder zu stärken. In diesem Zusammenhang werden auch die Möglichkeiten von Wahlpflichtkursen in den Jahrgangsstufen 9/10 zu Geowissenschaften/Geoinformatik sowie eines Wahlfaches Physische Geographie/Geowissenschaften/Geoinformatik für die gymnasiale Oberstufe diskutiert, ähnlich dem Angebot in Bayern (Interview mit Dr. Anette Regelous am Ende dieses Kapitels). >>Leipziger Erklärung zur Bedeutung der Geowissen-

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Einfluß der polaren Eiskappen auf Klimawandel und Meeresspiegelschwankungen raum-zeitlicher Klimawandel und Auswirkungen auf regionale Lebensbedingungen Dynamik und Chemie der Stockwerke der Atmosphäre Lehrerausbildung und Lehrerfortbildung: Geowissenschaftliche Studienanteile müssen vorgesehen bzw. Studienfachkombinationen von Geographie mit anderen Natur- oder Geowissenschaften ermöglicht werden, um kompetente Fachlehrende auszubilden. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine qualifizierte geowissenschaftliche Dimension des Geographieunterrichts zu gewährleisten. Geowissenschaften als Bezugswissenschaften des Geographieunterrichts: Bei neuen Lehrplänen und Stundentafeln ist darauf zu achten, daß u. a. alle Geowissenschaften zu den Bezugswissenschaften des Geographieunterrichts in der Schule zählen. Dies bedeutet, daß der Geographieunterricht mehr als alle anderen Fächer breit interdisziplinär angelegt ist und deshalb entsprechende Entfaltungsmöglichkeiten benötigt.“ (Alfred-Wegener-Stiftung für Geowissenschaften et al., 1996)

schaften in Lehrerbildung und Schule

2.3.4.3 Biologieunterricht

In der Leipziger Erklärung zur Bedeutung der Geowissenschaften in Lehrerbildung und Schule von 1996 stellen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener geowissenschaftlicher Fachrichtungen sowie der Schulgeographie und der Geographiedidaktik die gesellschaftliche Relevanz aktueller geowissenschaftlicher Forschung heraus und fordern eine angemessene Vermittlung dieser Inhalte im Schulfach Geographie, das entsprechend zu stärken sei und zu gleichen Teilen naturwissenschaftliche wie gesellschaftswissenschaftliche Inhalte vermitteln solle. Begründet werden diese Forderungen besonders über das Konzept der nachhaltigen Entwicklung und die Bedeutung aktueller geowissenschaftlicher Forschung. Auszüge aus der Erklärung: „Die Erde – ein Forschungsgegenstand der Geowissenschaften: Zu den zentralen geographischen Inhalten des Schulunterrichts müssen die Geowissenschaften Beiträge leisten, die sich beispielsweise aus den folgenden Forschungs- und Arbeitsgebieten ergeben: erdgeschichtliche Entwicklung der Ökosysteme zur Beurteilung zukünftig möglicher Situationen irdische Stoffkreisläufe und ihre Bedeutung für den Menschen Dynamik der Erde, Plattentektonik und daraus erwachsende Naturgefahren Böden als eine Grundlage für eine ausreichende Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung Wasserhaushalt des festen Landes aktuelle Wechselwirkungen zwischen Geosphäre und Biosphäre Zirkulation der Ozeane und Klima

Der Biologiedidaktiker Kattmann (2004) beschreibt in Anlehnung an Lovelocks Gaia-Hypothese die gegenseitige Beeinflussung zwischen als abiotisch definierten Sphären (Atmosphäre, Lithosphäre, Hydrosphäre) und der Biosphäre, welche in Form von Rückkopplungseffekten letztlich die Entwicklung des Lebens auf der Erde ermöglichte. Dies betrifft etwa die Steuerung der globalen Temperatur durch entsprechende Treibhausgase, welche Produkte biologischer Prozesse darstellen, während überhaupt das Erreichen und Stabilisieren eines bestimmten Temperaturbereiches die weitere Entwicklung von Leben auf der Erde biochemisch erst ermöglichten. Kattmann folgert aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit biogener und geogener Prozesse, dass das Konzept der Ausweisung abiotischer Sphären einerseits sowie einer eigenen Sphäre „Biosphäre“ andererseits fachlich keinen Sinn mache und man stattdessen vom „Bioplaneten Erde“ sprechen sollte. Ohnehin stoße eine extra ausgewiesene „Biosphäre“ auf große Lernhindernisse seitens der Schülerinnen, da sich diese nur schwer z. B. einen Fisch losgelöst von seiner abiotischen Umwelt (der „Hydrosphäre“) vorstellen könnten. Ähnlich wie Lethmate warnt er vor einem Verständnis systemischen Denkens als Erstellen komplizierter Pfeildiagramme, die nicht über die Erkenntnis eines „Alles hängt mit Allem zusammen“ hinausgehen würden. Stattdessen plädiert er für einen naturgeschichtlichen Unterricht, der der Bedeutung geologischer Zeit und der Kontingenz erdgeschichtlicher Ereignisse gerecht werde und damit erst

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Ulrich Kattmann: Bioplanet Erde

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62

2

Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

ein angemessenes Verständnis von Evolution als dem Paradigma der Biologie ermögliche. Aus der Tatsache, dass sowohl Biologie als auch Geologie Naturwissenschaften sind, die neben nomologischen auch historische Erkenntnisziele verfolgen, und dass das Wissen aus beiden Disziplinen sich gegenseitig bedinge, fordert er eine stärkere Vermittlung geologischer Themen im Biologieunterricht: „Erdgeschichte ist Lebensgeschichte“ (Kattmann, 2004). 2.3.4.4

Geowissenschaftliche Themen als Kontexte für den Chemieunterricht

Insbesondere im Rahmen der Projekte „System Erde“ (7 Abschn.  2.3.2) und „Chemie im Kontext“ (7 Abschn.  6.2) wurde vonseiten der Chemiedidaktik herausgestellt, welches Potenzial geowissenschaftliche Themen für den Chemieunterricht haben, und wurden entsprechende Unterrichtsmaterialien entwickelt und evaluiert. Eine Begründungslinie für die Vermittlung geowissenschaftlichen Wissens im Chemieunterricht verweist auf die Bedeutung von Fachwissen, um an einer Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung teilhaben zu können. Dazu bedürfe es eines Wissens um die Funktionsweise des Planeten Erde als System (Hlawatsch et al., 2005b). Gleichzeitig erlaube ein entsprechendes Fachwissen auch die angemessene Beurteilung fachinhaltlicher Kommunikation, z. B. Aussagen aus dem Lager der Klimawandelleugner in den sozialen Medien (Pfeiffer et al., 2022). Eine andere Begründungslinie stellt heraus, wie geowissenschaftliche Kontexte ein Verständnis der chemischen Basiskonzepte (weiter‑)entwickeln können und wie die prozessbezogenen Kompetenzen der Bildungsstandards Chemie (Erkenntnisgewinnung, Kommunikation, Bewertung; 7 Abschn. 4.1) durch geowissenschaftliche Themen, besonders durch das Thema „Klimawandel“, gefördert werden können. So können z. B. Gesteine als Dokumente stofflicher Veränderungsprozesse wie Aufschmelzen, Verwittern, Kristallisation analysiert werden, wodurch das Basiskonzept „Stoff-Teilchen-Beziehungen“ eingeführt oder vertieft werden könne. Das Basiskonzept „Struktur-Eigenschafts-Beziehungen“ lasse sich anhand von Diamant und Graphit oder den unterschiedlichen Gasen der Atmosphäre vermitteln, wenn der Zusammenhang zwischen mineralischer/molekularer Struktur und Eigenschaft, z. B. mit Blick auf die Absorption von Wärmestrahlung in der Atmosphäre, thematisiert wird. Zum Basiskonzept „Chemische Reaktion“ können etwa Gleichgewichtsreaktionen wie diejenige im Kontext des Austausches von CO2 zwischen Atmosphäre und Ozean unterrichtet werden (Hlawatsch et al., 2005b; Parchmann, 2022; Pfeiffer et al., 2022). Auch Basiskonzepte für den naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht lassen sich gut durch geowissenschaftliche Kontexte vermitteln. So lasse sich durch das Herstellen von Sand durch Zerschlagen und Schmirgeln von Steinen das Konzept Materie („Auf der Welt geht nichts verloren“) und das Konzept

Energie („Nur mit Energie kann man etwas tun“) einführen oder vertiefen (Harder et al., 2012). Geowissenschaftliche Modellexperimente, z. B. zum Gesteinstransport durch Gletscher, lassen auch in jüngeren Jahrgangsstufen im Sinne des Kompetenzbereiches „Erkenntnisgewinnung“ die strukturierte Vorgehensweise experimentellen Erkenntnisgewinns (7 Abschn.  6.3.1) einüben (Harder et al., 2012). Die Kompetenzbereiche „Kommunikation“ und „Bewerten“ lassen sich im Chemieunterricht am Kontext Klimawandel fördern, wenn etwa Argumente von Klimawandelleugnern in den sozialen Medien überprüft (Wegner et al., 2022) oder politische Entscheidungen zur Sequestrierung von CO2 diskutiert (Menthe et al., 2022) und auf mögliche Interessen analysiert werden. 2.4

Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum

2.4.1

Die aktuelle Situation geowissenschaftlicher Vermittlung

Geowissenschaftliche Bildung in Deutschland ähnelt aktuell der Diagnose des Leopoldina-Reports zur geowissenschaftlichen Forschung in Deutschland: Sie präsentiert sich als fragmentiert. Eine Vielzahl unterschiedlicher außerschulischer Akteurinnen und Akteure ermöglichen geowissenschaftliche Bildung in sehr unterschiedlichen Formaten für interessierte Laien und für Schulen. Innerschulisch zeigt sich die Fragmentierung in der Existenz einzelner explizit geowissenschaftlicher Wahlangebote in Schulen, in der Aufteilung geowissenschaftlicher Inhalte auf die etablierten Schulfächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik, aber auch auf naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Verbundfächer, sowie in den bundeslandabhängigen unterschiedlichen Umfängen physisch-geographischer Inhalte innerhalb des Geographieunterrichtes. Letztere ergeben sich durch die unterschiedlichen Stundenkontingente für Geographieunterricht insgesamt und durch die unterschiedlichen Gewichtungen physisch-geographischer und humangeographischer Unterrichtsinhalte in den einzelnen Bundesländern. Diese Fragmentierung spiegelt sich auf der Ebene der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit geowissenschaftlicher Vermittlung. Einerseits erfolgt diese vor dem Hintergrund domänenunspezifischer Vermittlungswissenschaften (insbesondere Wissenschaftskommunikation, Museumspädagogik, Medienpädagogik; 7 Kap.  12), andererseits aus einer fachdidaktischen Perspektive. Letztere erfolgt nun wiederum aufgesplittet in eine an der internationalen Geoscience Education orientierten Fachdidaktik, in der Geographiedidaktik, in

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63

2.4  •  Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum

Anzahl

Physik

35

Biologie

30

Chemie

25 20 15 10 5 2016 - 2022

2011 - 2015

2006 - 2010

2001 - 2005

1996 - 2000

1991 - 1995

1986 - 1990

1981 - 1985

0

..Abb. 2.9  Publikationen mit dem Schlagwort „Geowissenschaften“ in unterrichtsbezogenen Zeitschriften

der Biologiedidaktik, in der Chemiedidaktik und in der Physikdidaktik mit ihren jeweiligen unterschiedlichen Kulturen. Eine hochschulorientierte Geowissenschaftsdidaktik ist im deutschsprachigen Raum bisher nur in Ansätzen erkennbar (7 Kap. 14). Für den Schulunterricht lässt sich konstatieren, dass insbesondere um 2000 geowissenschaftliche Bildung forciert wurde und dabei auch Strukturen zur Zusammenführung unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure gesucht wurden. Dies schlug sich nieder in der damaligen Gründung der Fachsektion Geodidaktik (7 Abschn. 2.2.7.5) und insbesondere in der fächerübergreifenden Konzeption und Durchführung des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“. Dieser Schub geowissenschaftlicher Bildung um 2000 zeigt sich auch in unterrichtsbezogenen Publikationen: Gibt man „Geowissenschaften“ als Suchbegriff im Fachportal Pädagogik ein und begrenzt die Suche auf Beiträge in deutschsprachigen unterrichtsbezogenen Zeitschriften, zeigen sich ein deutlicher Peak zu Beginn des neuen Jahrtausends und ein völliges Fehlen in der Zeit vor 1985 und nach 2015 (. Abb. 2.9). Getragen wurde/wird diese innerschulische Entwicklung besonders vonseiten des Schulfaches Geographie und der Geographiedidaktik, wie sich auch an der Verteilung der Publikationen auf die vier Unterrichtsfächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik ablesen lässt (. Abb. 2.10). Auch wenn sich in den hier berücksichtigten Artikeln viele aus der Zeitschrift Geographie und Schule befinden, die selbst nicht didaktisch konzipiert sind, sondern ausgewählte Forschungsbefunde präsentieren, oder in denen sich die Geoparks vorstellen, so

Geographie

..Abb. 2.10  Verteilung von Artikeln in unterrichtsbezogenen Zeitschriften zum Schlagwort „Geowissenschaften“ auf die Schulfächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik (1985–2022)

handelt es sich doch durchweg um Artikel, die sich an Lehrkräfte wenden. Ein Blick in die fachdidaktische Bearbeitung geowissenschaftlicher Themen nach dem Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ zeigt, dass insbesondere Arbeiten zu Schülervorstellungen (zu Meteoriten, Boden, Plattentektonik, Gletscher/Eiszeiten, Klimawandel, atmosphärischer Zirkulation, Wüsten, Grundwasser, Evolution; 7 Abschn. 5.2) erfolgten, wobei auch hier der Schwerpunkt innerhalb der Geographiedidaktik lag. Aktuelle deutschsprachige fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit verortet sich heute offensichtlich seltener explizit im Feld „Geowissenschaften“, wie die Befunde zur Verschlagwortung der unterrichtsbezogenen Artikel zeigen. Gleichwohl erfolgt aktuell Geowissenschaftsdidaktik-nahe Forschungs- und Entwicklungsarbeit besonders in zwei Bereichen: in der Klimabildung/climate change education und in der Förderung systemischen Denkens (7 Abschn. 15.3). Über die Qualität der aktuellen geowissenschaftlichen Bildung an deutschen Schulen lassen sich nur bedingt Aussagen treffen. Die in dieser Hinsicht belastbarsten Daten lieferten die PISA-Ergebnisse von 2015 (OECD, 2016), als schwerpunktmäßig naturwissenschaftliche Kompetenzen erhoben wurden. PISA unterschied bei dieser Erhebung thematisch nach „Erde und Weltraum“, „Physikalische Systeme“ und „Lebende Systeme“. Im Themenbereich „Erde und Weltraum“ schnitten die deutschen Schülerinnen und Schüler signifikant besser ab als im Themenbereich „Physikalische Systeme“ und

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2

Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

lagen mit einer mittleren Punktzahl von 512 deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 494. Die mittlere Punktzahl für alle drei Themenbereiche lag bei 509 für Deutschland und bei 493 für den OECD-Durchschnitt. Staaten, die eine höhere mittlere Punktzahl im Bereich „Erde und Weltraum“ aufwiesen, waren (in der abnehmenden Reihenfolge ihrer Punktzahl): Singapur, Japan, Estland, Finnland, Kanada, Slowenien, Neuseeland, die Niederlande. 2.4.2 Ausblick

Die Frage, wohin sich geowissenschaftliche Bildung und Geowissenschaftsdidaktik in Deutschland entwickeln werden, wird stark davon abhängen, wie angesichts der vorhandenen Fragmentierung auf einer organisatorischstrukturellen Ebene Kooperationen sich etablieren oder ausgebaut werden und wie durch diese Kooperationen auf einer inhaltlichen Ebene didaktische Konzepte (weiter)entwickelt werden können. Relevant wird darüber hinaus sein, wie sehr Bildungsarbeit zu den großen globalen Umweltfragen, insbesondere zum Klimawandel, sich theoretisch auch in geowissenschaftsdidaktischen Ansätzen verortet oder ob diese weitgehend unabhängig davon erfolgt. 2.4.2.1

Organisatorisch-strukturelle Ebene

Innerschulisch wird die Diskussion um angemessene Strukturen geowissenschaftlicher Vermittlung zwischen den drei Polen „explizite geowissenschaftliche Schulfächer“, „geowissenschaftliches Zentrierungsfach Geographie“ und „koordinierter fächerverbindender und fächerübergreifender geowissenschaftlicher Unterricht in Biologie, Chemie, Geographie und Physik (und ggf. auch in Informatik, Mathematik, Sozialkunde)“ oszillieren. Für die außerschulische geowissenschaftliche Bildungsarbeit stellt sich die Frage nach Strukturen, die mehr Synergien ermöglichen. Mögliche stärkere Zusammenarbeiten sind dabei auf ganz verschiedenen Ebenen denkbar: Schulische und außerschulische Bildungsakteure Verschiedene Fachdidaktiken untereinander Fachdidaktiken und Wissenschaftskommunikation/ Museumspädagogik Außerschulische Bildungsakteure und Fachdidaktiken/Wissenschaftskommunikation/Museumspädagogik, Hochschullehre und Fachdidaktiken/Wissenschaftskommunikation/Museumspädagogik

--

An den Hochschulen wird es eine Herausforderung sein, wie Lehrkräfte in einer an vorhandenen Schulfächern ausgerichteten disziplinären Ausbildung geowissenschaftliche Lehrkompetenzen erwerben können.

2.4.2.2

Inhaltliche Ebene

Im deutschsprachigen Raum haben geowissenschaftsdidaktische Ansätze in den letzten 25 Jahren besonders zur Förderung systemischen Denkens im Unterricht beigetragen. Auch in der aktuellen fachdidaktischen Forschung, besonders innerhalb von Biologie- und Geographiedidaktik, erfolgt hierzu Forschungs- und Entwicklungsarbeit (7 Abschn.  15.3). Die Bedeutung systemischen Denkens im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (7 Abschn. 4.2) oder die Ausweisung der Erdsystemwissenschaft als Leitidee geowissenschaftlicher Forschung führen wahrscheinlich dazu, dass dieser Schwerpunkt innerhalb der geowissenschaftlichen Bildung auch in näherer Zukunft erhalten bleibt. Neben identitätspolitischen Reflexionen und Ansätzen einer stärkeren Berücksichtigung ethischer Aspekte (7 Abschn. 2.2.7.18) könnte ein verstärktes Ziel geowissenschaftlicher Bildung in naher Zukunft darin liegen, Schülerinnen und Schüler sowie Laien die Validität geowissenschaftlicher Erkenntnisse und die Glaubwürdigkeit geowissenschaftlicher Informationen kompetenter einschätzen lassen zu können, denn in vielen gesellschaftlichen Diskursen spielt die Validität geowissenschaftlicher Erkenntnisse eine zentrale Rolle. Das prominenteste Beispiel hierfür ist die durch Klimawandelleugner initiierte öffentliche Diskussion um die Validität der Ergebnisse zum anthropogenen Treibhauseffekt. Hierzu gehören aber auch Diskussionen um die Vorhersagbarkeit bestimmter Naturrisiken, pseudowissenschaftliche Diskussionen um die Existenz von Erdstrahlen und Wasseradern, verschwörungstheoretische Ansätze wie die Flat Earth Theory oder religiös-fundamentalistische Behauptungen über eine nur wenige Tausend Jahre alte Erde (7 Kap.  12). Um Lernende im Sinne der Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe darin zu fördern, zu solchen Diskussionen beitragen zu können, ist insbesondere ein Wissen über die Natur der Geowissenschaften (nature of science) von Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein Wissen über grundsätzliche Merkmale geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, z. B. über die systemische Perspektive, über das Verfahren der Retrodiktion, über Möglichkeiten und Herausforderungen von Beobachtungen und Messungen im Gelände, über Funktion, Potenzial und Grenzen von (numerischen) Modellen. Ein solches Wissen erklärt die Ungewissheiten, die geowissenschaftlichen Aussagen inhärent sind, lässt das damit verbundene Vokabular in diesen Aussagen besser verstehen und erkennt deutlicher die Grenzen, wo der Bereich des Politischen beginnt. Eine Perspektive auf die Fähigkeit zur Teilhabe der Lernenden an gesellschaftlichen Diskursen nimmt aber auch stärker deren Kommunikation zu geowissenschaftlichen Themen in den Fokus. In den meisten Fällen werden geowissenschaftliche Inhalte und öffentliche Diskurse mit geowissenschaftlichem Hintergrund über journalistische Aufarbeitungen oder über ungefilterte Verbreitungen in den sozialen Medien rezipiert. Entsprechend ist ein Wissen um Kriterien für guten

65

2.4  •  Aktuelle Entwicklungen im deutschsprachigen Raum

Wissenschaftsjournalismus, um die Vertrauenswürdigkeit bestimmter (geowissenschaftsrelevanter) Quellen und um schnell erkennbare Merkmale zur Einschätzung von Quellen nötig. Im Rahmen der Katastrophenvorsorge spielt das Wissen um bestimmte Kommunikationsformate eine wesentliche Rolle und wird in vielen Staaten auch als Teil des (geowissenschaftlichen) Unterrichtes vermittelt. Die Ausweisung der Kompetenzbereiche „Erkenntnisgewinnung“ und „Kommunikation“ im Rahmen der Kompetenzorientierung sind ein Ausdruck dieser generellen Zielsetzung im Unterricht der Fächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik (7 Abschn. 4.1). Die ohnehin meist nur marginale schulische Vermittlung „klassischer“ geologischer Themen, gerade auch zur Geologie des Heimatraumes, dürfte durch die erdsystemwissenschaftliche Ausrichtung der Geowissenschaften und der Geowissenschaftsdidaktik in der nächsten Zeit eher weiter an Bedeutung verlieren. Die Zunahme außerschulischer geowissenschaftlicher Bildungsangebote könnte allerdings eine verstärkte geowissenschaftsdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit in diesem Feld zur Folge haben, wenn im Sinne der oben angeführten Zusammenarbeiten Fachdidaktik und außerschulische Bildungsarbeit stärker kooperieren. Insbesondere naturgeschichtliche Ansätze, wie sie bei Hard (1982b), Kattmann (2004) und Bjornerud (2020) begründet werden, haben viel Potenzial für die Entwicklung anregender Fragen und Vermittlungsformate und schlagen gleichzeitig Brücken zu den großen globalen Umweltfragen (Kasten „Geologisches Fragen“).

-

Was interessiert uns bei der Erklärung unserer natürlichen Umwelt: Geschichten oder Gesetzmäßigkeiten/das Einzigartige oder das Allgemeine? Zu welcher Interpretation der aktuellen anthropogenen Veränderungen auf der Erde führt eine geologische Perspektive: zu einer Relativierung, weil es große Änderungen (z. B. im Klima) und Artensterben schon immer gab, oder zu einer Alarmierung, weil der Zeitraum und das Ausmaß der Veränderungen enorm sind und große geologische Änderungen zu großen Aussterbewellen geführt haben? Zu welchen Gefühlen, zu welchen Schlüssen führt ein Inbeziehungsetzen meines Lebens zu den ungeheuren zeitlichen Dimensionen der Geologie (und den ungeheuren räumlichen Dimensionen der Astronomie)? Ziehe ich (bei geologischen Retrodiktionen) voreilig Schlüsse, etwa indem ich polykausal entstandene Phänomene monokausal erkläre (Herausforderung der Polykausalität), ähnlich aussehende Phänomene auf die gleiche Entstehung zurückführe (Herausforderung der Äquifinalität), nach wenigen Indizien einen Schluss ziehe, statt weiter nach Indizien zu suchen …?

-

zz Interview mit Dr. Anette Regelous

Anette Regelous ist Studiengangsmanagerin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am GeoZentrum Nordbayern an der Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen und Leiterin der Zusatzstudien „Geowissenschaften im Lehramt“.

>>Geologisches Fragen

Die Geologie verfügt über eine Reihe spezifischer Perspektiven, die sehr grundlegende Aspekte des Menschseins und des Mensch-Natur-Verhältnisses berühren. Im Folgenden wird eine Reihe solcher stark geologisch geprägter Fragen formuliert, die intellektuell herausfordernd sind und über didaktisches Potenzial verfügen (vgl. ähnliche Fragen in den Gedankenexperimenten der Earth Learning Ideas; 7 Kap. 7): Was an einem geowissenschaftlichen Phänomen ist anthropogen, was natürlich? Was bedingt(e) (geologischen) Wandel auf lange Sicht: kontinuierliche, kleine (gradualistische) oder einzelne, kurzwährende, umfassende (katastrophistische) Prozesse? Wie strukturieren wir (geologische) Zeit: als Zeitpfeil (linear) oder als Zeitkreis (zyklisch) oder als Kombination aus beidem? Wie determiniert – wie kontingent ist die Welt um uns herum? Welche alternativen geologischen Entwicklungen wären denkbar gewesen? An welchen Stellen erdgeschichtlicher Erzählungen hätten kleine Änderungen große Wirkungen gehabt? An welchen Stellen war relativ gut vorherbestimmt, wie es weitergehen würde?

-

In den bayerischen Gymnasien können die Schülerinnen und Schüler der 12. Klasse im Unterrichtsfach Geographie zwischen dem Fach Geographie und der Lehrplanalternative Geologie wählen – sofern diese Alternative von der Schule angeboten wird (z. B. ISB, 2004). Diese Wahlmöglichkeit wurde im Jahr 2004 durch das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB), München, eingeführt. Im Schuljahr 2021/22 wurde die Lehrplanalternative Geologie an 30 Gymnasien in Bayern durchgeführt. Um angehende Lehrkräfte, die sich verstärkt für die Inhalte der Lehrplanalternative Geologie interessieren, inhaltlich zu unterstützen, wurden im Jahr 2018 am GeoZentrum Erlangen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) die Zusatzstudien „Geowissenschaften im Lehramt“ eingeführt. Diese richten sich an Lehramtsstudierende aller Schularten mit dem Fach Geographie, sind aber insbesondere für das Gymnasiallehramt Geographie zugeschnitten (GeoZentrum Nordbayern, o. D.). Die Inhalte der Zusatzstudien sind an dem Lehrplan der Lehrplanalternative Geologie ausgerichtet, und die Studierenden erwerben grundlegende und umfassende theoretische und praktische Kompetenzen für das spätere

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

Unterrichten der Lehrplanalternative. Inhalte sind u. a. gesellschaftlich relevante Themen wie Rohstoffe/Ressourcen, Naturkatastrophen, Klimawandel und regenerative Energien, aber auch z. B. die endogene und exogene Dynamik des Systems Erde, die Hydrogeologie oder auch moderne geologische Arbeitsmethoden. Die erlernten theoretischen Inhalte werden anschließend in praktisch ausgerichteten Modulen angewandt und vertieft, z. B. bei Geländeübungen oder beim Erstellen von Unterrichtsmaterial. Die Geländeübungen haben spätere Exkursionen/ Wandertage mit Schulklassen im Fokus, und es werden innerhalb Bayerns vier Regionen erschlossen: das Grundgebirge, das Schichtstufenland, das Molassebecken und die Alpen. Darüber hinaus werden dabei auch der Besuch von außerschulischen Lernorten, Geotopen und Museen aufgezeigt und mögliche „Jugend forscht“-Projekte diskutiert. Die Zusatzstudien umfassen vier Module und werden mit einem eigenen Zertifikat abgeschlossen. Das Angebot wird von Lehramtsstudierenden gut angenommen und nun seit drei Jahren erfolgreich durchgeführt.

wir sowohl Ansätze aus der Geographiedidaktik als auch aus der Chemiedidaktik.

Sylke Hlawatsch:  Welche Fächer haben die Lehrkräfte,

Anette Regelous:  Nicht zwangsweise, das kommt auf das

die an der Zusatzqualifikation teilnehmen, studiert? Gibt es dazu Statistik? Muss eines der Fächer unbedingt Geographie sein?

Projekt an. Ich kooperiere aber mit mehreren Schulen in der Umgebung.

Sylke Hlawatsch:  Wie äußert sich das in der Praxis im

konkreten Modul? Anette Regelous:  Die Studierenden erforschen z. B. die

Ozeanversauerung aus geologisch-chemischer und biologischer Perspektive und diskutieren die Auswirkungen sowohl aus erdgeschichtlicher wie auch rezenter Perspektive. Sylke Hlawatsch:  Kannst du beschreiben, welcher Art die

didaktischen Projekte sind? Anette Regelous:  Meist geht es um Klimawandel oder

Rohstoffe und die Vermittlung der jetzigen Erkenntnisse im Unterricht. Sylke Hlawatsch:  Werden die entstehenden Unterrichts-

einheiten/-konzepte in der Schule erprobt?

Sylke Hlawatsch:  Welchen fachlichen Hintergrund haben Anette Regelous:  Die Lehramtsstudierenden können

auch ein anderes Fach als Geographie studieren, bisher haben aber nur Lehramtsstudierende mit Geographie als eines ihrer beiden Fächer die Zusatzstudien belegt.

die Dozentinnen und Dozenten, die die didaktischen Projekte anleiten? Sind sie aus der Geographiedidaktik oder der Naturwissenschaftsdidaktik? Anette Regelous:  Das übernehme ich, ich habe ja Physik

Sylke Hlawatsch:  Wo siehst du die größten Defizite der

Lehrkräfte?

Lehramt studiert und in der Didaktik der Physik gearbeitet.

Anette Regelous:  Im Grundverständnis des Systems

Sylke Hlawatsch:  Wer hat in Bayern die Lehrplanalter-

Erde und seinen Wechselwirkungen, sowohl geologisch als auch physikalisch und chemisch. Ein Beispiel: Plattentektonik. Die Studierenden wissen zwar von den Platten und auch den drei verschiedenen Plattengrenzen, haben aber keine genauere Vorstellung, was diese antreibt oder wie die Kruste überhaupt gebildet wurde oder wie es zum Aufschmelzen und Magmenbildung kommt.

native Geologie und die Zusatzstudien initiiert?

Sylke Hlawatsch:  Wie wird diesen begegnet?

Sylke Hlawatsch:  Was war der Anstoß dafür, Geologie

Anette Regelous:  Die Lehrplanalternative ist vom

Kultusministerium und Institut für Schulqualität und Bildung im Jahr 2004 eingeführt worden. Die Zusatzstudien habe ich gemeinsam mit einem Kollegen initiiert. als Lehrplanalternative in Bayern einzurichten?

Anette Regelous:  Indem ich in einer Vorlesung ein Semes-

ter lang diese Grundlagen vermittle und die Studierenden im darauffolgenden Semester diese komplexen Inhalte dann in einem eigenen didaktischen Projekt umsetzen.

Anette Regelous:  Das weiß ich nicht, ich kann aber im

Kultusministerium nachfragen. Sylke Hlawatsch:  An welchen didaktischen Leitlinien

Sylke Hlawatsch:  Gibt es hierfür didaktische Begründun-

orientiert sich die Lehrplanalternative?

gen? Anette Regelous:  Die Lehrplanalternative ist von einer Anette Regelous:  Ja, wir versuchen die relevanten Inhalte

zu vermitteln und durch eigenes Arbeiten zu verfestigen und zu vertiefen. Als didaktische Grundlage verwenden

Lehrplankommission entwickelt worden. Oder meinst du hier die Zusatzstudien? Diese orientieren sich didaktisch an der Didaktik der Geographie und Chemie.

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Literatur

Sylke Hlawatsch:  Welche organisatorischen Schritte und

Beschlüsse waren nötig, bis diese realisiert werden konnte? Anette Regelous:  Es mussten die Module erstellt und

eine Prüfungsordnung verfasst werden. Dazu haben wir uns den Lehrplan der Lehrplanalternative Geologie vorgenommen und dafür dann eigene Module entwickelt. Sylke Hlawatsch:  Welche Gremien waren involviert? Anette Regelous:  Zusatzstudien: Institut, Department,

Fakultät. Lehrplanalternative: Institut für Schulqualität und Bildungsforschung, Kultusministerium. Sylke Hlawatsch:  Was war der Anstoß dafür, die Zusatz-

studien bei euch am Institut einzurichten? Anette Regelous:  Ich habe auf den Lehrerfortbildungen

immer wieder gemerkt, dass die Lehrkräfte großes Interesse am Unterrichten der Lehrplanalternative Geologie haben, aber die Inhalte in ihrem Studium Lehramt Geographie nicht abgedeckt wurden. Sylke Hlawatsch:  Wie habt ihr das Konzept dafür erstellt? Anette Regelous:  Ein Kollege und ich haben uns zusam-

mengesetzt und überlegt, was es an Inhalten und Kompetenzen braucht, um die Lehrplanalternative zu unterrichten. Wir haben uns dabei am Lehrplan orientiert. Sylke Hlawatsch:  Welche organisatorischen Schritte und

Beschlüsse waren nötig, bis ihr die Zusatzstudien tatsächlich anbieten konntet? Anette Regelous:  Lediglich die internen Gremien der Universität mussten zustimmen und die Juristen eine Prüfungsordnung mit uns gemeinsam erstellen. Sylke Hlawatsch:  Was unternimmst du zusätzlich zu den

Zusatzstudien, damit bayerische Lehrkräfte tatsächlich befähigt und motiviert sind, die Lehrplanalternative zu unterrichten? Anette Regelous:  Ich unterstütze Lehrerfortbildungen,

indem ich dort Vorträge halte, insbesondere übernehme ich Inhalte der Lehrplanalternative. Zusätzlich erarbeite ich didaktisches Material zum Unterrichten von geologischen Inhalten in der Schule. Sylke Hlawatsch:  Welche Gremien sind in Bayern dafür

verantwortlich, welche Inhalte Gegenstand von Schulunterricht werden? Anette Regelous: Kultusministerium.

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2

Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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Kapitel 2  •  Einführung in die Geowissenschaftsdidaktik

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Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education Nir Orion (Übersetzung: Dirk Felzmann und Isolde Bauer)

Inhaltsverzeichnis 3.1

Einleitung – 72

3.2

Environmental insight – 73

3.3

Systemdenken – 73

3.4

Die Lernumgebung im Freien  –  77

3.5

Die emotional-soziale Komponente und die Theorie des learning instinct – 79

3.6

Wo sich das Professionsverständnis wandelt  –  80

3.7

Eine bedenkliche Kluft  –  81

3.8

Zusammenfassung – 82 Literatur – 83

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_3

3

72

Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

Zusammenfassung

3

Der earth system approach hat zu einer Neuorientierung innerhalb der Geowissenschaftsdidaktik geführt (7 Abschn.  2.3). In diesem Kapitel werden zentrale Ergebnisse geowissenschaftsdidaktischer Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu diesem didaktischen Konzept zusammengefasst (7 Abschn. 3.3). Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Bedeutung geowissenschaftlichen Unterrichts im Freien gelegt und dessen Verzahnung mit dem vorangegangenen und nachfolgenden Unterricht (7 Abschn. 3.4). Ausgehend von empirischen Befunden in der Umsetzung des earth system approach wird die hohe Bedeutung emotional-sozialer Aspekte in der Planung und Durchführung von geowissenschaftlichem Unterricht im Klassenzimmer und im Freien herausgestellt und auf Basis der Theorie des learning instinct interpretiert (7 Abschn.  3.5). Abschließend werden die Konsequenzen einer solchen Perspektive für die Professionalisierung der Lehrkräfte diskutiert (7 Abschn. 3.6).

3.1 Einleitung

Das Schulfach Earth Science hat Gemeinsamkeiten mit den anderen naturwissenschaftlichen Fächern, unterscheidet sich aber auch von ihnen. So kann Earth Science als konkreter Kontext fungieren, um grundlegende Konzepte aus Physik, Chemie und Biologie besser zu verstehen. Entsprechend teilt Earth Science mit den anderen Naturwissenschaften viele Gemeinsamkeiten. Der leicht zugängliche Kontext des Planeten Erde trägt dazu bei, junge Heranwachsende mit naturwissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen vertraut zu machen, z. B. mit Beobachtungen, Hypothesen und Schlussfolgerungen aus Evidenzen. Gleichzeitig bietet Earth Science aber auch besondere Herausforderungen und Möglichkeiten, die in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen nicht zu finden sind. Zu diesen Herausforderungen gehören die Lückenhaftigkeit der geologischen Dokumente, die dynamische Komplexität der Erdsysteme, die sich über viele Zeit- und Raumskalen erstreckt, und die Unsicherheiten, die bei der Vorhersage der Zukunft der Erde unvermeidlich sind. Die Bedeutung der Geowissenschaften nimmt rapide zu, da die meisten Umweltgefahren, die die Menschheit betreffen, mit der wissenschaftlichen Disziplin der Geowissenschaften zusammenhängen. Das größte Risiko, der globale Klimawandel, stellt sogar die Existenzfähigkeit der Menschheit auf der Erde infrage. Um diese Herausforderung zu bewältigen, übernehmen die Geowissenschaftler nach und nach das Konzept der Erdsysteme und bewegen sich auf eine ganzheitlichere Sicht der Erde und der Erdprozesse zu. Immer mehr Naturwissenschaftler erkennen die Rolle, die die Geowissenschaften und die Umwelt bei der Entwicklung von Phänomenen spielen, die als „physikalisch“, „biologisch“ oder „chemisch“ eingestuft werden. So lernen Genetiker

beispielsweise, dass Gene durch die Eigenschaften der physikalischen Welt ein- und ausgeschaltet werden können; dies hat erhebliche Auswirkungen auf medizinische Gentherapien und auf das Verständnis evolutionärer Prozesse. In ähnlicher Weise können Physikerinnen und Physiker den Planeten, auf dem sie arbeiten, nicht ignorieren. Die verschiedenen Wissenschaftsbereiche werden immer enger miteinander verwoben, wobei die Erde als Kontext dient, innerhalb dessen naturwissenschaftliche Forschung erfolgt. Die Erdsystemwissenschaft (Earth System Science, ESS) hat erkannt, dass interdisziplinäre Wissenschaft notwendig ist, um grundlegende Umweltprobleme zu lösen. Ähnlich wie die Geophysik die interdisziplinäre Grundlage für unser modernes Verständnis der Plattentektonik lieferte, bietet die ESS die komplexe und nuancierte Sicht auf die Erdsysteme, die unsere Gesellschaft braucht, um erfolgreich in die Zukunft zu navigieren. Die ESS-Perspektive betrachtet den Planeten als aus interagierenden Systemen, einschließlich des menschlichen Systems, bestehend. Diese Systeme beeinflussen sich grundlegend gegenseitig durch Prozesse, die die einst getrennten Bereiche der Erd‑, Meeres- und Atmosphärenwissenschaften überbrücken. Ein Verständnis der Wechselwirkungen zwischen diesen Systemen ist in einer Welt, in der Klimawandel, Eutrophierung der Küsten und Naturgefahren für das menschliche Leben und die Gesellschaft immer wichtiger werden, von entscheidender Bedeutung. Daher wird es immer wichtiger zu verstehen, wie das System Erde funktioniert und wie es mit der menschlichen Gesellschaft interagiert. Die Beschäftigung mit komplexen Systemen, die auf der Erde als Ganzes wirken (z. B. die verschiedenen „Sphären“: Hydrosphäre, Geosphäre, Atmosphäre und ihre Interaktion mit der Biosphäre, einschließlich der Anthroposphäre), sowie die Analyse ihrer Teilsysteme auf mehr regionaler und lokaler Ebene sind zwei der charakteristischen Merkmale der Geowissenschaften, wie Orion und Ault (2007) darlegten. Diese schlugen auch vor, dass das Konzept der Erdsysteme weitere spezifische Merkmale der Geowissenschaften umfasst, z. B. die Konzeptualisierung von sehr großräumigen Phänomenen über Zeit und Raum hinweg, räumliches Denken, retrospektives wissenschaftliches Denken und retrodiktives Erklären. Die inspirierende geowissenschaftliche Forschung und ihre hervorragenden Ergebnisse liefern wichtige Instrumente für den Umgang mit Umweltproblemen. Diese allein reichen jedoch nicht aus, um die Umweltprobleme zu lösen, denn die Lösung erfordert eine tiefgreifende Änderung des täglichen Verhaltens der Bürgerinnen und Bürger. Das Bildungssystem ist die wichtigste Plattform, auf der den künftigen Bürgerinnen und Bürgern das Wissen und die Fähigkeiten vermittelt werden sollten, die für das Verständnis unseres Planeten und der Rolle des Menschen als Teil des Erdsystems erforderlich sind.

3.3  •  Systemdenken

3.2

Environmental insight

Mit dem traditionellen Ansatz des Umweltbewusstseins ist es gelungen, bei der Bevölkerung eine positive Einstellung gegenüber der Umwelt zu wecken. Sein Erfolg bei der Veränderung des Umweltverhaltens war jedoch begrenzt. Aufgrund der Einschränkungen des „Bewusstseins“-Ansatzes hat Orion (1996, 1997, 2007, 2017) vorgeschlagen, den Schwerpunkt der Umweltbewegung auf die Entwicklung von environmental insight zu verlagern (Orion & Fortner, 2003). Environmental insight ist die Fähigkeit, die folgenden drei Prinzipien oder Ideen wahrzunehmen: 1. Wir leben in einer zyklischen Welt, die aus einer Reihe von Subsystemen aufgebaut ist: Geosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre und Atmosphäre, die alle durch einen Austausch von Energie und Stoffen miteinander in Wechselwirkung stehen. 2. Der Mensch ist Teil der Natur und muss daher im Einklang mit den Kreislaufgesetzen der Natur handeln. 3. Die Tiefenzeitwahrnehmung der Erde (deep time) zeigt, dass es auf der Erde und in ihren Teilsystemen (einschließlich der Biosphäre) keine Umweltkrisen gibt. Im Laufe der geologischen Geschichte der Erde sterben Arten aus, und neue Arten entwickeln sich. Das Studium der interagierenden Erdsysteme und der damit verbundenen enormen zeitlichen und räumlichen Dimensionen geologischer Prozesse wird den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, durch die Wahrnehmung der Tiefenzeit den realistischen Einfluss des Menschen auf die Erde zu erfassen. Darauf aufbauend wird der traditionelle altruistische Ansatz des Umweltbewusstseins durch den Ansatz der environmental insight (egozentrisch und geozentrisch) abgelöst. Diesem neuen Bildungsansatz zufolge ist das Ziel der Bildung im Bereich der Erdsysteme die Entwicklung von environmental insight. 3.3 Systemdenken 3.3.1

Forschung zum Systemdenken

Es gibt eine wachsende Bewegung innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktik, die die Entwicklung von environmental insight als eines der zentralen Ziele der naturwissenschaftlichen Bildung hervorhebt (Orion & Ault, 2007; Orion & Libarkin, 2014; Orion, 2016; Vasconcelos & Orion, 2021; Orion, 2021). Der earth systems approach ist ein ganzheitlicher Rahmen für Earth Science und naturwissenschaftliche Lehrpläne, der die Untersuchung des zyklischen Musters der Umwandlung von Materie und Energie zwischen den vier Erdsystemen – Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre und Biosphäre – in den Vor-

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dergrund stellt. Bei der Untersuchung von Kreisläufen wie dem Gesteinskreislauf, dem Wasserkreislauf, dem Nahrungsnetz und dem Kohlenstoffkreislauf werden die Beziehungen zwischen den Teilsystemen durch den Transfer von Materie und Energie auf der Grundlage der Erhaltungsgesetze hervorgehoben. In den letzten vier Jahrzehnten zielte fachdidaktische Forschung in Earth Science Education (ESE) darauf ab, Geowissenschaften nicht mehr als eine Reihe unabhängiger Bereiche, sondern als ein einziges, umfassendes System zu verstehen. Diese Entwicklung wurde von Orion und Ault (2007) sowie Orion und Libarkin (2014) untersucht und detailliert beschrieben. Am Ende des zweiten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts hat die ESE-Forschung eine solide theoretische Grundlage für die Praxis der ESE in Schulen geschaffen. Diese Grundlage umfasst eine breite Palette von Kriterien, die für einen effektiven K-12-Earth Science-Unterricht entscheidend sind. Sie vermittelt den Lernenden die kognitiven Fähigkeiten, die erforderlich sind, um ein Verständnis für die Umwelt zu entwickeln – die Fähigkeit, kognitive Barrieren für räumliches und zeitliches Denken, für Retrospektionen und für das Verständnis von Phänomenen über verschiedene Skalen hinweg zu überwinden, verschiedene Fächer miteinander zu verbinden und die kognitive Fähigkeit zum Systemdenken zu entwickeln. Eine Längsschnittstudie zu Curricula, die in den letzten zwei Jahrzehnten Fähigkeiten zum Systemdenken förderten, umfasst drei unabhängige Studien mit Schülerinnen und Schülern der 8. Klasse (Ben-Zvi Assaraf & Orion, 2005; Ben-Zvi Assaraf & Orion, 2010b), Grundschülerinnen und -schülern der 4.  Klasse (9– 10 Jahre alt) (Ben-Zvi Assaraf & Orion, 2010a) sowie Oberstufenschülerinnen und -schülern der Jahrgänge 11 und  12. Obwohl die drei Studien mit verschiedenen Altersgruppen aus unterschiedlichen Städten durchgeführt wurden, repräsentieren sie alle eine sehr ähnliche Population in Bezug auf das sozioökonomische Niveau und die schulischen Lernerfahrungen. Alle Studien basierten auf einem Curriculum für Erdsysteme, der entwickelt und modifiziert wurde, um ihn an die jeweilige Altersstufe und an die spezifischen nationalen Standards anzupassen. Das Grundschulprogramm und das Programm für die Sekundarstufe I (30–45 h, ohne Exkursionen) wurden im Rahmen des Lehrplans „Science for All“ mit Schwerpunkt auf dem Wasserkreislauf durchgeführt. Beide Programme zum Wasserkreislauf konzentrierten sich auf die Entwicklung spezifischer Fähigkeiten zum Systemdenken. Während sich die pädagogischen Bemühungen des Grundschulcurriculums auf die Entwicklung von Analyse- und Synthesefähigkeiten im Zusammenhang mit den Komponenten und Prozessen des Wasserkreislaufes konzentrierten, lag der Schwerpunkt des Lehrplanes für die Junior High School eher auf den Fähigkeiten zu high-order thinking. Darüber hinaus enthielt das Grundschulcurriculum ver-

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3

Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

einfachte Sprach- und Schreibaufgaben; Aktivitäten zur Wissensintegration, die viel strukturierter waren als die, die den Schülerinnen und Schülern der Junior High School gegeben wurden; konkretere Aktivitäten, bei denen die Elemente des Systems von den Schülerinnen und Schülern greifbar erlebt wurden; und forschungsbasierte Laboraktivitäten, die um vereinfachte Experimente herum organisiert waren, die jeweils nur eine Beobachtung und eine Erklärung enthielten. Im Gegensatz dazu konzentrierte sich das High-SchoolCurriculum auf das erste (von zwei) Jahren des geowissenschaftlichen Lehrplanes, der für die Hochschulzugangsberechtigung erforderlich ist. Dieses Curriculum bestand aus einem dreiteiligen, forschungsbasierten, lernerzentrierten Curriculum, das das Labor, den Außenbereich, den Computer und das Klassenzimmer als Lernumgebung einbezog. Die Curricula unterscheiden sich in Bezug auf das Alter der Lernenden, den Inhalt, den Umfang der Unterrichtszeit und die kognitiven Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler. Sie weisen jedoch die folgenden gemeinsamen Merkmale auf, die sich als wichtig für die Entwicklung systemischen Denkens durch die Schülerinnen und Schüler erwiesen haben (Orion, 2021): Identifizierung einer kontextbasierten authentischen Umwelt-„Titelgeschichte“: Die „Titelgeschichte“ jedes Curriculums wurde durch eine kontextbezogene authentische Frage eingeleitet, die die Schülerinnen und Schüler nach einer kurzen, Fragen generierenden Aktivität in der Umgebung ihrer Schulen stellten. Multidisziplinäre umweltbezogene Einheiten zu Erdsystemen: Die Entwicklung authentischer Fragen führt zu fächerübergreifendem Lernen, bei dem realistische, konkrete Erdphänomene die Schülerinnen und Schüler motivieren, sich mit abstrakteren Konzepten auseinanderzusetzen. Learning instinct: Der Stimulus, der den learning instinct auslöst, ist emotional. Die Programme konzentrieren sich darauf, die emotionalen, sozialen und physischen Bedingungen zu schaffen, die den learning instinct stimulieren können. Beim Lernen folgt das Kognitive den Emotionen. Forschendes Lernen (inquiry-based learning): Etwa 80 % der Lernsequenzen bedienten sich dieses Unterrichtsverfahrens und nutzten konkrete Materialien entweder im Labor oder im Gelände. Nutzung von Phänomenen der realen Welt als Lernkontext: Die Lernumgebung im Gelände, die in jedem Programm eine zentrale Rolle spielt, wurde in die Einheit nach dem ganzheitlichen Modell von Orion (1993) integriert. Der Lernprozess erfolgte als allmählicher Übergang vom Konkreten zum Abstrakten, wodurch er eine wichtige kognitive Grundlage für die Entwicklung abstrakter Konzepte bildete. Entwicklung von environmental insight: Environmental insight basiert auf dem Verständnis der systemischen

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und zyklischen Mechanismen, die unseren Planeten bestimmen (Orion, 1993; 2002). Einsatz von Aktivitäten zur Wissensintegration: Um das Verständnis der Schülerinnen und Schüler für den Kreislauf der Erdmaterie (z. B. Wasserkreislauf, Gesteinskreislauf) als dynamisches, zyklisches System zu fördern, nahmen sie an verschiedenen Arten von Aktivitäten zur Wissensintegration teil, wie z. B. Concept Maps, Zeichnungen und Zusammenfassungen der Erfahrungen im Freien. Die Aktivitäten zur Wissensintegration halfen den Schülerinnen und Schülern, die in den verschiedenen Lernumgebungen (Labor, Freiland und Klassenzimmer) gewonnenen Informationen zusammenzufassen.

Alle Studien wurden mit demselben ganzheitlichen Forschungsansatz durchgeführt. Sie untersuchten alle dasselbe theoretische Phänomen (Entwicklung von Fähigkeiten zum Systemdenken) mithilfe eines MixedMethods-Ansatzes, der qualitative und quantitative Methoden miteinander kombinierte, einschließlich Pre‑/ Postfragebögen über Fähigkeiten zum Systemdenken und über die von den Schülerinnen und Schülern erstellten Lernprodukte. Qualitative Daten wurden verwendet, um die Leistungen der Lernenden in ihren jeweiligen Lernumgebungen zu untersuchen und die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler besser zu verstehen. Quantitative Daten wurden verwendet, um die Korrelation und Kausalität zwischen den Variablen zu überprüfen. Die Sichtweisen der Lehrenden, einschließlich ihrer Ansichten über die Aktivitäten, dienten als sekundäre Datenquellen. Für jede Altersgruppe wurde eine Reihe von Forschungsinstrumenten entwickelt und modifiziert; die Komplexität dieser Instrumente verdeutlicht den komplexen Charakter der ESS-Bildungsforschung: Der Vergleich aller unabhängigen Studien ergab vier ähnliche Aspekte: 1. Das mehrschichtige Systems Thinking HierarchicalModell (STH-Modell) 2. Der geringe Einfluss des traditionellen naturwissenschaftlichen Unterrichts in der Mittel- und Oberstufe auf die Entwicklung von Fähigkeiten zum Systemdenken 3. Das Potenzial des fachdidaktischen earth systems approach für die Entwicklung von Fähigkeiten zum Systemdenken 4. Die kognitiven und emotionalen Eigenschaften der Schülerinnen und Schüler 3.3.2

Das mehrschichtige Systems Thinking Hierarchical-Modell (STH-Modell)

In allen o. g. Studien ähnelten sich die Befunde darin, dass die entwickelten kognitiven Fähigkeiten sich in einer hierarchischen und stufenförmigen Struktur ein-

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3.3  •  Systemdenken

..Abb. 3.1  Systems Thinking Hierarchical-Modell (STHModell)

9 8 7 6 5 4 3 2 1

Zeitliches Denken: vorwärts und rückwärts

Erkennen verborgener Komponenten von Systemen

Identifizierung von Mustern (Verallgemeinerung)

Stufe C: Problemlösung

Identifizierung von Stoffkreisläufen und Energieflüssen in Systemen (zyklisches Denken)

Strukturierung der Komponenten innerhalb eines Beziehungsgeflechts

Wahrnehmung eines Systems als dynamische Einheit (dynamisches Denken)

Identifizierung einfacher Wechselwirkungen zwischen oder innerhalb der Komponenten des System

Identifizierung der Prozesse, die an einem bestimmten Systems beteiligt sind

Identifizierung der Komponenten eines bestimmten Systems

ordnen ließen. Das Muster der erworbenen Fähigkeiten wird im Posttest besonders deutlich, wo fast alle Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit erlangt haben, das System in seine Komponenten zu zerlegen, und fast alle in der Lage waren, das System nach Prozessen zu analysieren. Je weiter wir uns in der Hierarchie der einzelnen Fähigkeiten des Systemdenkens nach oben bewegen, desto weniger Schülerinnen und Schüler erreichen diese anspruchsvolleren Fähigkeiten. Wie in . Abb. 3.1 dargestellt, besteht die Fähigkeit zum systemischen Denken aus drei Stufen: 1. Die untere Stufe (Stufe A) besteht aus der Fähigkeit, ein System hinsichtlich seiner Komponenten und den beteiligten Prozessen zu analysieren, und wird daher als Stufe der Analysefähigkeit bezeichnet. 2. Die nächste Stufe (Stufe B) umfasst drei abgestufte Komponenten: zuunterst die Fähigkeit, einfache Beziehungen zwischen zwei oder drei Variablen zu erkennen, darüber die Fähigkeit, ein System als eine dynamische Einheit zu verstehen, und darüber die Fähigkeit, ein System als Netzwerk von Variablen und Prozessen zu organisieren und darzustellen. Alle diese drei Fähigkeiten bilden die Stufe der Synthesefähigkeit. 3. Die obere Stufe (Stufe C) umfasst die Fähigkeit, ein Erdsystem in seiner zyklischen Struktur zu begreifen (zyklisches Denken), Muster innerhalb eines Systems zu erkennen und von einem System auf ein anderes zu verallgemeinern, sowie die Fähigkeit, ein System in einer zeitlichen Dimension vorwärts (Prognose) und rückwärts (Retrodiktion) zu betrachten. Schülerinnen und Schüler, die diese Stufe erreicht haben, waren in der Lage, diese Fähigkeiten für umweltbezogene Problemlösungsaufgaben einzusetzen, weshalb diese Stufe auch als Problemlösungsstufe bezeichnet wurde.

Stufe B: Synthese der Systemkomponenten Stufe A: Analyse der Systemkomponenten

Die interne Hierarchie kam in jeder der Studien dadurch zum Ausdruck, dass das Fehlen einer der Komponenten des Systemdenkens einzelne Schülerinnen oder Schüler daran hinderte, zu den höheren Stufen der Denkfähigkeiten vorzudringen. Folglich gab es keine Lernenden, die ein höheres Fähigkeitsniveau zum Ausdruck brachten, ohne auch die entsprechende niedrigere Fähigkeit zu zeigen. Somit dient jede spezifische Fähigkeit als Grundlage für die Entwicklung der nächsthöheren Fähigkeiten (nächste Stufe). Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt: Die Studie in der Mittelstufe ergab, dass nur Schülerinnen und Schüler, die eine dynamische Wahrnehmung der Prozesse des Wasserkreislaufes haben, eine zyklische Wahrnehmung des Systems entwickeln konnten. In interviewbasierten Fallstudien mit einer Oberstufenschülerin wurde festgestellt, dass deren Unfähigkeit, die eher einfache Fähigkeit des Übergangs von Materie zwischen Systemen zu verstehen, sie daran hinderte, den zyklischen und dynamischen Charakter des Systems zu erkennen und darüber hinaus in verschiedenen zeitlichen Dimensionen zu denken und Muster im System zu erkennen. Ein weiteres Beispiel, das bei einer anderen Fallstudie auftauchte, war, dass die Unfähigkeit einer Schülerin, den Calcitzyklus zu schließen (zyklisches Denken), sie daran hinderte, höhere Fähigkeiten zu entwickeln. Das aktuelle STH-Modell ignoriert eine sehr wichtige Komponente des Systemdenkens, nämlich die Fähigkeit, Rückkopplungsschleifen in einem System zu erkennen (Ossimitz, 2000). Dieser Aspekt kommt in diesem Modell nicht vor, da dieser Fähigkeit in keiner der Studien, auch nicht in der Sekundarstufe, Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese wichtige Fähigkeit sollte in zukünftigen Studien getestet werden. Außerdem kann sie als Vorher-

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3

Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

sage für das STH-Modell dienen, da sie gemäß der hierarchischen Natur dieses Modells auf höheren Ebenen angesiedelt sein sollte. Orion und Libarkin (2014) wiesen auf den direkten Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Systemdenkens und der Entwicklung von environmental insight hin. Orion (2016) zeigte anhand einer Vergleichsstudie, dass die Fähigkeiten zum Systemdenken bei Schülerinnen und Schülern der High School, die an einem Earth Systems Program teilnahmen, das alle oben beschriebenen Komponenten umfasste, signifikant höher waren als bei Schülerinnen und Schülern derselben Schulen, die nicht nach dem Earth Systems Program unterrichtet wurden. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass das Umweltverhalten der Schülerinnen und Schüler des Earth Systems Program signifikant höher war als das der anderen Schülerinnen und Schüler, einschließlich derjenigen, welche an einem traditionellen umweltwissenschaftlichen Unterricht teilgenommen hatten. Der Unterricht nach diesem ganzheitlichen Modell der Erdsysteme erwies sich auch als hilfreich zur Veranschaulichung und zum Verständnis chemischer, physikalischer und biologischer Prinzipien (Orion & Cohen, 2007; Orion et al., 2008). Im Folgenden wird an einer beispielhaften Lernsequenz zum Thema „Erdsysteme“ die praktische Anwendung der o. g. ganzheitlichen Prinzipien veranschaulicht. Das Beispiel ist ein Earth Systems Program mit dem Namen „Science for All“, das für eine Mittelschule in einer Stadt entwickelt wurde, die in einem Dünengebiet liegt. Die Lernsequenz dieses Programms beginnt in der 7. Klasse mit einer authentischen und relevanten Frage über die Zukunft des Dünengebietes, das an die Stadt grenzt. Diese Frage weckt das Bedürfnis, das Dünengebiet zu kennen und zu verstehen. Dieses Kennenlernen konzentriert sich auf die konkreten, sichtbaren geologischen und biologischen Phänomene, die dort existieren. Doch schon bald stellen die Schülerinnen und Schüler fest, dass ein vertieftes Verständnis jedes konkreten Phänomens dazu führt, dass sie Fragen zu Aspekten stellen, die überhaupt nicht konkret sind. Wenn sie z. B. die Quarzkörner untersuchen, die die Düne bilden, lautet eine der Fragen: „Woher kommen sie?“ Diese Frage eröffnet einen neuen Lernzyklus, der auch die Untersuchung der Verwitterung von Granit umfasst. In diesem Zusammenhang lernen die Schülerinnen und Schüler die Chemie, die für das Verständnis dieses Prozesses notwendig ist. Bei der Beschäftigung mit dem Prozess des Transports des Quarzkornes und der Dünenstruktur stellt sich die Frage, was die Richtung des Windes beeinflusst. Diese Frage eröffnet einen neuen Lernzyklus, der sich vor allem mit grundlegenden physikalischen Konzepten wie Strahlung, Wärmeabsorption, Wärmeumwandlung in der Luft, Luftdruck u. s. w. beschäftigt. Die für die Dünen charakteristische körnige Struktur führt die Lernenden zu den Beziehungen zwischen der

Geosphäre und der Hydrosphäre. Genauer gesagt führt sie zum Thema Grundwasserleiter und von dort zu der Frage, was die Qualität unseres Trinkwassers beeinflusst, was natürlich einen neuen Lernzyklus eröffnet, der bis zu den grundlegenden Konzepten der Chemie reicht. Nach dem Verständnis der Beziehungen zwischen der Geosphäre und der Hydrosphäre fragen die Schülerinnen und Schüler nach den Wechselbeziehungen zwischen diesen Erdsystemen und der Biosphäre. Dieser Aspekt ermöglicht es den Lernenden, sehr grundlegende Konzepte der Biologie zu studieren und sich mit anderen grundlegenden Konzepten der Physik und Chemie zu befassen, die wiederum im Zusammenhang mit konkreten biosphärischen Phänomenen studiert wurden. Das Konzept des earth systems approach wurde in den letzten zwei Jahrzehnten in mehreren Ländern umgesetzt. Diese Umsetzung wurde von Studien begleitet, die dessen Potenzial, das Interesse der Schülerinnen und Schüler zu wecken, anspruchsvolle Denkfähigkeiten und Umweltkompetenzen zu entwickeln, belegten (Hoffman & Barstow, 2007). Darüber hinaus wurde der earth systems approach von der International Geoscience Education Organisation (IGEO) als bevorzugter Unterrichtsansatz für Earth Science Education angenommen. Dennoch ist die Umsetzung des earth systems approach weltweit noch begrenzt, und es sind daher weitere Forschungsarbeiten erforderlich, um die beruflichen und kulturellen Hindernisse zu untersuchen, die dieser Umsetzung im Wege stehen, und um Strategien zur Überwindung dieser Hindernisse zu entwickeln. Vieles weist darauf hin, dass die Bürgerinnen und Bürger, ob jung oder alt, besser informiert sein und sich aktiver an der Lösung globaler Probleme beteiligen müssen, wie z. B. des derzeitigen Klimawandels, der Notwendigkeit der Ausbeutung neuer Mineralien, der nachhaltigen Nutzung von Wasserressourcen und des Schutzes der Bio- und Geodiversität. Angesichts der Grenzen des traditionellen (am Umweltbewusstsein orientierten) Ansatzes zur Änderung des Umweltverhaltens der Bürgerinnen und Bürger weltweit haben Forschende vorgeschlagen, den Fokus der Umweltbewegung auf die Entwicklung von environmental insight zu verlagern (Orion & Fortner, 2003; Orion, 2007, 2017). Nach Orion (2016) bedarf es noch umfangreicher Forschungsanstrengungen, um den Einfluss von Fähigkeiten des Systemdenkens und der geologischen Tiefenzeitwahrnehmung auf die Entwicklung von environmental insight zu erforschen. Diese Forschung könnte dazu beitragen, den Übergang vom traditionellen altruistischen Ansatz des Umweltbewusstseins zum Ansatz der environmental insight (egozentrisch und geozentrisch) zu ermöglichen. Alle oben erwähnten Studien haben ausnahmslos die zentrale Rolle von Lehrveranstaltungen im Freien herausgestellt. Die Lernumgebung im Freien dient als konzeptioneller Anker für die Schülerinnen und Schüler, um sowohl vor als auch nach der Exkursion Verbindungen

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3.4  •  Die Lernumgebung im Freien

zu den im Klassenzimmer gelernten Inhalten herzustellen (Orion, 1993). Die Outdoor-Komponente bildete einen konkreten, relevanten Rahmen für den Aufbau höherer Denkfähigkeiten (high-order thinking): die Fähigkeit, zwischen einer Beobachtung, einer Schlussfolgerung und einer Annahme zu unterscheiden; Denken in geologischen Zeitdimensionen (deep time); räumliches Denken; dreidimensionales Denken und Systemdenken (Kali & Orion, 1996; Dodick & Orion, 2003; Kali et al., 2003; Orion & Basis, 2008; Yunker et al., 2011; Vasconcelos et al., 2015, 2020). Die Entwicklung von Denkprozessen und das Verhältnis der Schüler zu ihrer physischen (natürlichen und nichtnatürlichen) Umwelt müssen gleichzeitig berücksichtigt werden. Die Beziehung zur unmittelbaren Umgebung beginnt mit authentischen Fragen, die sich auf die Lernenden selbst beziehen und ihr Bewusstsein für ihre Umwelt fördern. Später im Verlauf des Unterrichtes können die Schülerinnen und Schüler dann ihre Umwelt durch Aktivitäten erfahren, die auf der Aufnahme von Reizen mit allen Sinnen basieren. Darüber hinaus haben alle Studien für den Unterricht im Freien gezeigt, wie dadurch die Schülerinnen und Schüler zur Zusammenarbeit und zum Engagement beim forschenden Lernen ermutigt wurden. 3.4

Die Lernumgebung im Freien

Der geowissenschaftliche Unterricht hat ein großes Potenzial, den learning instinct der Schülerinnen und Schüler zu stimulieren, indem er ihnen hilft, die Relevanz des Gelernten für ihr eigenes tägliches Leben zu erkennen. Diese Aussage basiert auf dem dargestellten Unterricht nach dem earth systems education approach und der bestehenden ESE-Forschung, die die zentrale Rolle der Lernumgebung im Freien bei der Schaffung persönlicher Relevanz hervorhebt (Orion & Hofstein, 1991; Orion & Hofstein, 1994; Orion et al., 1997; Yunker et al., 2011). Diese persönliche Relevanz sollte den Mechanismus des learning instinct stimulieren, und sobald dieser Instinkt aktiv ist, werden die Schülerinnen und Schüler kooperieren und sich am Lernprozess beteiligen. Um genau zu sein, ist es wichtig zu betonen, dass die Lernumgebung im Freien nur das Potenzial hat, den learning instinct-Mechanismus zu stimulieren. Die Erfüllung dieses Potenzials erfolgt jedoch nicht einfach durch einen Ausflug ins Freie. Die Entfaltung dieses Potenzials hängt von der Art und Weise ab, wie es in die Lernsequenz integriert wird, und von den Lehrmethoden der Exkursion. Im Folgenden wird ein effektives Modell zur Integration von Aktivitäten im Freien als integraler Bestandteil einer Lernsequenz forschungsbasiert beschrieben (Orion, 1989; Orion, 1993; Orion & Hofstein, 1994; Orion, 2007; Orion & Ault, 2007; Yunker et al., 2011; Orion, 2019). Das Hauptpotenzial der Lernumgebung im Freien liegt in der Auseinandersetzung mit Phänomenen und

Prozessen, die in geschlossenen Räumen nicht ermöglicht werden können. Der Außenbereich ist eine sehr komplizierte Lernumgebung, da er viele Reize enthält, die die Schülerinnen und Schüler leicht vom Lernen ablenken können. Eine der ersten Aufgaben der Lehrenden besteht daher darin, Phänomene, Prozesse, Fähigkeiten und Konzepte zu identifizieren und zu klassifizieren, die nur im Freien sinnvoll und konkret erlernt werden können, und solche, die auch in Innenräumen konkret erlernt werden können. Außerdem muss die Lehrkraft jene abstrakten Prozesse und Konzepte identifizieren, zu deren Verständnis das Freie fast nichts beiträgt und die nur durch anspruchsvollere Hilfsmittel in Innenräumen, wie Bilder, Filme und Computersoftware, erklärt werden können. Die folgenden Beispiele veranschaulichen die Wechselbeziehungen zwischen dem Außen- und dem Innenbereich: Der beste Weg, die Bedeutung einer Verwerfungslinie oder -ebene zu verstehen, ist eine direkte Interaktion vor Ort. Die Fähigkeiten zur Gesteinserkennung, die für diese Interaktion erforderlich sind, sollten jedoch am besten in einem Labor-Workshop erlernt werden. Am besten können die Schülerinnen und Schüler eine Dünenstruktur verinnerlichen, indem sie den hinteren flacheren Hang erklimmen und den steilen vorderen Hang hinuntergleiten. Die Untersuchung der Sandkörner der Düne sollte jedoch im Labor durchgeführt werden. In einigen Gebieten kann man Aufschlüsse finden, an denen die Schülerinnen und Schüler eine Antiklinale erkennen und auf eine ganze Reihe von geologischen Prozessen schließen können, die an der Bildung dieser Struktur beteiligt waren. Viele Fähigkeiten und Konzepte, die zu diesen Schlussfolgerungen führen sollten, wie marine Sedimentation, Überlagerung und Faltung, lassen sich jedoch besser durch Beobachtungen und Simulationen im Labor erklären. Darüber hinaus kann das Verständnis der dreidimensionalen Natur einer Faltungsstruktur sowie des Faltungsmechanismus durch eine Computersoftware effektiv erreicht werden.

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Orion (1993) schlug ein Spiralmodell vor, welches sowohl den Innen- als auch den Außenbereich und Lernumgebungen mit Lernmitteln und Lernmethoden integriert (. Abb. 3.2). Die in dieser Abbildung beschriebene Abfolge von Lehren und Lernen entwickelt sich vom Konkreten zum Abstrakten. Der einzige Zweck der vorbereitenden Einheit besteht darin, die Schülerinnen und Schüler auf die Lernerfahrungen im Freien vorzubereiten. Diese Vorbereitung findet in der hierfür effektiveren Umgebung des Klassenzimmers statt. Sicherlich haben viele Lehrkräfte Schwierigkeiten damit, dass sich die Lernenden auf das Lernen im Freien konzentrieren. Mehrere

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Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

abstrakt

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konkret

..Abb. 3.2  Spiralmodell der Integration des Unterrichtes im Freien in eine Unterrichtssequenz

Studien haben gezeigt, dass der Hauptgrund für diese Schwierigkeit im novelty space der Außenumgebung liegt (z. B. Orion, 1993; Orion & Hofstein, 1994; Orion, 1997; Marques et al., 2003; Lima et al., 2010; Esteves et al., 2013; Ferreira et al., 2013). Der novelty space besteht aus drei Hauptkomponenten (. Abb. 3.2): 1. Kognitive Neuartigkeit: Sie ist der Grad der Vertrautheit der Lernenden mit den grundlegenden Konzepten und Fähigkeiten, die für die Durchführung von Aufgaben in der Lernumgebung im Freien erforderlich sind. 2. Psychologische Neuartigkeit: Hier handelt es sich um die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Schülerinnen und Schüler an die Veranstaltung und der tatsächlichen Veranstaltung. Wenn die Schülerinnen und Schüler beispielsweise eine Wanderung, d. h. eine gesellige Veranstaltung mit Pausen, erwartet haben und in der Praxis aufgefordert werden, eine strukturierte Lernaufgabe zu erfüllen, werden vermutlich die daraus resultierenden Emotionen in die Bearbeitung der Aufgabe einfließen. 3. Geographische Neuartigkeit: Sie ist der Grad der Vertrautheit mit der physischen Umgebung, den Lernstationen und dem Weg dorthin. In einer ungewohnten Umgebung werden die Lernenden einen Großteil ihrer Energie darauf verwenden, die neue Umgebung kennenzulernen, was auf Kosten ihrer Fähigkeit geht, sich auf die Lernaktivitäten zu konzentrieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Lernumgebungen in der Nähe der Schule die Notwendigkeit verringern, sich mit der geographischen Neuartigkeit zu befassen, da die Lernenden die Umgebung sehr gut kennen. Das Konzept des novelty space (. Abb. 3.3) hat eine sehr klare Auswirkung auf die Planung und Durchführung

von Lernerfahrungen im Freien. Es definiert die spezifische Vorbereitung, die für eine Exkursion erforderlich ist. Eine Vorbereitung, die sich mit den drei Neuartigkeitsfaktoren befasst, kann den novelty space auf ein Minimum reduzieren und so ein bedeutungsvolles Lernen während der Exkursion ermöglichen. Die kognitive Neuartigkeit kann durch konkrete Lernaktivitäten (im Klassenzimmer oder im Labor) reduziert werden, um die Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die für die Erkundung der Phänomene im Feld erforderlich sind. Beispiele sind die Untersuchung von Gesteinsproben, denen die Lernenden im Feld begegnen werden, sowie die Simulation von Phänomenen und Prozessen durch Laborexperimente. Die psychologische Neuartigkeit lässt sich in der Unterrichtsvorbereitung relativ leicht durch detaillierte Informationen über die Veranstaltung verringern: Zweck, Lehrmethode, Zeitplan, Anzahl der Lernstationen, Dauer, erwartete Wetterbedingungen, erwartete Schwierigkeiten auf der Strecke u. s. w. Nach der Outdoor-Erfahrung ist es jedoch nicht mehr notwendig, sich mit der psychologischen Neuartigkeit der Lernumgebung im Freien zu befassen, da die Schülerinnen und Schüler bereits wissen, was sie erwartet. Die geographische Neuartigkeit kann im Klassenzimmer durch Fotos, Filme und die Arbeit mit Karten reduziert werden. Die Begründung dafür, mit den Schülerinnen und Schülern ins Freie zu gehen, besteht darin, dass sie eine direkte, konkrete Interaktion mit den Lernphänomenen erleben. Daher sollte die Lernaktivität im Freien in den Teil des Lernprozesses eingeordnet werden, der sich mit den konkreten Aspekten befasst. Die Exkursion dient zusammen mit der vorbereitenden Einheit als konkrete Brücke zu abstrakteren Aspekten. Daher sollte eine Exkursion als integraler Bestandteil des Lehrplanes und nicht als isolierte Aktivität geplant werden. Die Lernerfahrung im Freien sollte auf Arbeitsblättern basieren, die die Schülerinnen und Schüler zur Interaktion mit dem Phänomen statt mit der Lehrperson anregen. Um mit der Lehrkraft zu interagieren, könnten die Schülerinnen und Schüler auch im Klassenzimmer bleiben. Die konkrete Interaktion sollte die Lernenden dazu bringen, zwei wichtige Lernziele zu erreichen: zum einen den Aufbau eines Verständnisses und zum anderen das Aufwerfen von offenen Fragen und Rätseln in Bezug auf das untersuchte Phänomen. Die Lehrkraft sollte als Moderator zwischen den Schülerinnen und Schülern und den konkreten Phänomenen fungieren. Einige der Fragen der Lernenden können vor Ort beantwortet werden, aber nur die Fragen, die anhand der Evidenzen gelöst werden können, die im entsprechenden Gelände vorhanden sind. Warum sollte man sonst die kostbare Zeit und die begrenzte Konzentrationsspanne nutzen, die für das Lernen im Freien charakteristisch sind? Vorträge, lange Diskussionen und Zusammenfassungen sollten für die nächste Phase aufgespart werden, die in der bequemeren Innenumgebung durchgeführt werden

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3.5  •  Die emotional-soziale Komponente und die Theorie des learning instinct

..Abb. 3.3  Konzept des novelty space für das Lernen im Gelände

kognitiv Vertrautheit mit Kenntnissen und Fähigkeiten

Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität

psychologisch

sollte. Dieses Modell wurde in mehreren Ländern und Kulturen getestet und erforscht (z. B. Esteves et  al., 2013; Vasconcelos, 2016). 3.5

Die emotional-soziale Komponente und die Theorie des learning instinct

3.5.1

Emotionale Aspekte des Lernens in den Geowissenschaften

Ein Dualismus zwischen kognitiven und affektiven Aspekten hat sich in mehreren Studien zum earth systems approach in der Grundschule (Ben-Zvi Assaraf & Orion, 2010a; Yunker et  al., 2011), in der Mittelstufe (Orion et  al., 2008; Ben-Zvi Assaraf & Orion, 2009) und in der Oberstufe (Orion & Cohen, 2007; Orion & Basis, 2008) herauskristallisiert. Orion (2007) schlug vor, dass der earth systems approach sowohl die Entwicklung von kognitiven als auch von affektiven Lernzielen fördern sollte. Der Meilenstein in der Forschung, der die zentrale Bedeutung des emotionalen Aspekts des Lernprozesses hervorhob, war jedoch die Studie von Merhav-Fischzang (2013). Diese Studie untersuchte das Engagement von Oberstufenschülerinnen und -schülern im Bereich der Geowissenschaften beim Verfassen von Exkursionsberichten. Diese Aufgabe erforderte von den Schülerinnen und Schülern, die o. g. Fähigkeiten systemischen Denkens auf hohem Niveau zu zeigen. Daher lautete die Forschungshypothese, dass die anfänglichen kognitiven Fähigkeiten der Lernenden der zentrale Faktor sind, der das Leistungsniveau bei der Bearbeitung dieser Aufgabe beeinflusst. Die Ergebnisse zeigten jedoch keine signifikante Korrelation zwischen den anfänglich diagnostizierten Denkfähigkeiten (wie systemisches Denken und

novelty space

Vertrautheit mit der Umgebung

geographisch

logisches Denken) und dem Engagement und der Leistung der Schülerinnen und Schüler beim Erstellen der Exkursionsprotokolle hinsichtlich der darin darzustellenden logischen Abfolgen und Zusammenhänge zwischen den Erdsystemen. Stattdessen wurde festgestellt, dass das Engagement und die kognitiven Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler hauptsächlich durch emotionale Aspekte beeinflusst wurden. Das forschende Lernen in kleinen Gruppen in der Schule ist in den Ansatz des earth systems approach eingebettet, und zwar sowohl in Lernumgebungen innerhalb als auch außerhalb der Schule. Der earth systems approach schafft dadurch zahlreiche Möglichkeiten für soziale Interaktion. Damit hängt er stark von der sozialen Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler ab, mit Gleichaltrigen in einem Lernprozess zu interagieren, sowie von der Fähigkeit der Lehrenden, mit diesem sozialen Aspekt umzugehen. So müssen die Lehrkräfte beispielsweise in der Lage sein, den Laborraum so zu gestalten, dass die Mobilität der Schülerinnen und Schüler zwischen den verschiedenen Gruppen möglich ist, die Interaktionen der Lernenden erleichtert werden und spontane soziale Interaktionen gefördert werden. Eyov (2017) stellte eine Form von Interaktionen vor, die die Fähigkeit, das eigene Lernen zunehmend unabhängig zu gestalten, grundlegend beeinflusst. Entscheidend für die Herausbildung dieser Fähigkeit ist eine positive soziale Situation, die soziale Beziehungen oder ein Gefühl der Zugehörigkeit beinhaltet, das sich aus dem Vorhandensein dieser Beziehungen ergibt. Diese Studie zeigt, dass der earth systems teaching approach (auch wenn er richtig angewandt wird) die Unterscheidung des formalen und nichtformalen Lernens bedeutungslos macht. Schechter (2020) führte die Studie von Eyov einen Schritt weiter und untersuchte die Wechselbeziehungen zwischen sozialem Wohlbefinden und dem Lernprozess in einem geowissenschaftlichen Programm der High

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Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

School. Es gibt mehrere grundlegende Bedürfnisse, die für den akademischen Erfolg von Schülerinnen und Schülern in der Schule wesentlich sind, darunter ein Gefühl der Zugehörigkeit, ein Gefühl der Verbundenheit und der Sicherheit. Dieser soziale Aspekt ist Teil eines umfassenden Bereiches, der als soziales Wohlbefinden (SW) bezeichnet wird. Da das Lernen in der Schule in einem sozialen Umfeld stattfindet, ist davon auszugehen, dass das soziale Wohlbefinden ein Hauptfaktor ist, der den optimalen emotionalen Zustand für das Lernen beeinflusst. Die Studie von Schechter (2020) bestätigt die Beziehungen zwischen sozialem Wohlbefinden und dem Engagement im Lernprozess. Es wurde festgestellt, dass das soziale Wohlbefinden der Earth Science-Schüler durch die folgenden Merkmale des progressiven earth systems approach positiv beeinflusst wurde: das forschungsbasierte Lernen, das Gelegenheiten zur sozialen Interaktion fördert und schafft, das im Gelände umgesetzte Exkursionsformat, die Architektur der Lernumgebung in den Räumen und die vertrauensvollen Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden.

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Das Entstehen und die Entwicklung der emotionalen Aspekte zeigen, dass Lernen in erster Linie ein emotionaler Prozess ist. Die Kognition schließt sich dem Prozess an, der dem emotionalen Bedürfnis folgt. Die Lehrmethode (forschendes Lernen) und die Lernumgebungen (drinnen, draußen, digital) sind Werkzeuge, um das emotionale Bedürfnis zu wecken und dann die kognitiven Fähigkeiten zu entwickeln und zu fördern und die emotional-sozialen Aspekte des Lernens zu erhalten. Auf diese Weise kreuzen sich all die verschiedenen Wege in der einheitlichen Theorie des learning instinct. 3.5.2

Die Theorie des learning instinct

Lernen ist ein natürlicher Prozess – es ist ein Instinkt. Wie jeder Instinkt wird auch der Drang zu lernen nur durch einen Reiz oder ein Bedürfnis ausgelöst. Die angeborenen Fähigkeiten, zu lernen und zu lehren, sind nicht nur der menschlichen Spezies vorbehalten, sondern auch den Tieren angeboren. So verfügen beispielsweise die Löwin und ihre Jungen über angeborene Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen, zu lehren und zu lernen, wie man Beute jagt. Der Lernmechanismus beim Menschen, wie auch bei anderen Tieren, ist instinktiv und erfolgt daher auf Anregung hin. Möglicherweise liegt der Unterschied zwischen Menschen und anderen Tierarten in der Beziehung zwischen Lernen und der natürlichen und intrinsischen Motivation für das Lernen. Bei der menschlichen Spezies hat sich das Lernen weit über das grundlegende Überleben hinaus entwickelt und dient auch der natürlichen Neugier des Menschen und seiner angeborenen Neigung, Neues

und Herausforderungen zu suchen. Beim Menschen ist der Hauptanreiz für das Lernen also emotionaler Natur, und die Kognition folgt diesem emotionalen Bedürfnis. Leider unterdrückt der traditionelle, essentialistisch-basierte Unterricht diesen natürlichen Instinkt und fördert dadurch Langeweile, Absentismus und Rebellion unter den Schülerinnen und Schülern (Orion, 2019). Diese Diskrepanz zwischen dem natürlichen learning instinct und dem traditionellen schulischen Ansatz ist ein zentraler Grund für das weltweite Phänomen, dass Kinder nur ungern in die Schule gehen und sich mit dem Lernen schwertun. Kinder müssen in dem, was sie in der Schule lernen, ihren eigenen Sinn und ihre eigene Relevanz finden, denn dieses Gefühl der Relevanz wird wahrscheinlich ihr Interesse am Lernstoff wecken und damit ihren learning instinct ansprechen. Der geowissenschaftliche Unterricht hat ein großes Potenzial, den learning instinct der Schülerinnen und Schüler anzuregen, indem er ihnen hilft, die Relevanz dessen, was sie lernen, für ihr eigenes tägliches Leben zu erkennen. Diese Aussage stützt sich auf den Inhalt des oben skizzierten Unterrichts und die bestehende ESE-Forschung, die die zentrale Rolle der Lernumgebung im Freien bei der Schaffung persönlicher Relevanz hervorhebt. Diese persönliche Relevanz sollte den Mechanismus des learning instinct stimulieren, und sobald dieser Instinkt aktiv ist, werden die Schülerinnen und Schüler kooperieren und sich am forschungsbasierten Lernen beteiligen. Folglich können die Schülerinnen und Schüler mit dem richtigen Lehrkonzept Denkfähigkeiten höherer Ordnung (high-order thinking) entwickeln, wie z. B. die Fähigkeit, zwischen einer Beobachtung, einer Schlussfolgerung und einer Annahme zu unterscheiden, in geologischen Zeitdimensionen (deep time) zu denken und sich mit räumlichem Denken, dreidimensionalem Denken und Systemdenken zu beschäftigen. Ein zentraler Bestandteil der ESE-Forschungsagenda sollte daher die Erforschung der Wechselbeziehungen zwischen dem earth system education approach und der Stimulierung des learning instinct von Lernenden der Erdwissenschaften sein. Diese Forschungskomponente sollte sich darauf konzentrieren, wie man Lernende oder Lernepisoden identifizieren kann, die vom learning instinct gesteuert werden, und dann die emotionalen Faktoren untersuchen, die den learning instinct verschiedener Individuen stimulieren. 3.6

Wo sich das Professionsverständnis wandelt

Der earth systems approach ist das Gegenteil des traditionellen Lehransatzes in Schulen und Universitäten. Der traditionelle Ansatz konzentriert sich hauptsächlich auf die Weitergabe von Informationen von Lehrenden an Lernende, die diese auswendig lernen und in einem einmaligen Ereignis, einer „Prüfung“, wiedergeben müssen. Im Gegen-

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3.7  •  Eine bedenkliche Kluft

satz dazu basiert der earth systems approach darauf, dass die Lehrkraft die Lernenden bei der Konstruktion ihres Wissens begleitet, weshalb er stark auf dem Engagement der Lernenden im Lernprozess beruht. In der Praxis unterscheiden sich die Lehrstrategien des earth systems approach in den folgenden Aspekten deutlich von der traditionellen Art des naturwissenschaftlichen Unterrichts (. Tab. 3.1). Für viele traditionell-orientierte Lehrkräfte der Naturwissenschaften in der ganzen Welt stellt die Umsetzung des earth systems approach nicht nur eine berufliche Weiterentwicklung dar. Ein traditionelles Verständnis beruflicher Weiterentwicklung versteht die Entwicklung einer Lehrkraft dergestalt, dass die Lehrkraft eine sehr solide Basis ihres Berufes hat und von diesem professionellen Kern aus wächst und sich erweitern kann. Damit sich Lehrerinnen und Lehrer jedoch von der linken Spalte von . Tab. 3.1 in die rechte Spalte bewegen können, müssen sie ihre Ziele, Inhalte, Methoden und ihre Philosophie des Unterrichts ändern. Der Wandel vom traditionellen Naturwissenschaftslehrer zum Earth System Teacher ist also nicht nur eine Entwicklung, sondern eine große Reform oder sogar eine Revolution – ein Wandel im Professionsverständnis. Aus diesem Grund hat die ESE-Arbeitsgruppe neben den bereits erwähnten Forschungen viel Mühe darauf verwendet, die Fähigkeit der Lehrenden zu untersuchen, den earth systems approach in den Schulen anzuwenden (Midyan & Orion, 2003; Orion et al., 2007). Diese Studien deuten darauf hin, dass es zwar sehr schwierig ist, die Gewohnheiten und Vorstellungen der Lehrkräfte vom naturwissenschaftlichen Unterricht zu ändern, dass dies aber selbst für ältere Lehrkräfte mit 20 Jahren Unterrichtserfahrung möglich ist. Diese Lehrerinnen und Lehrer änderten ihren naturwissenschaftlichen Schwerpunkt und unterrichteten geowissenschaftliche Themen, die für sie völlig neu waren. Sie begannen, in einer Lernumgebung im Freien zu unterrichten. Sie änderten ihre Art zu unterrichten und ihre Ansichten über den Zweck des naturwissenschaftlichen Unterrichtes. Ein solcher Wandel im Professionsverständnis wurde durch langfristige Fortbildungsprogramme erreicht, die in den Schulen mit enger Unterstützung der Lehrkräfte erfolgten – sowohl fachlich als auch emotional. Ein Paradigmenwechsel, wie er bei einem solchen Lernen auftritt, ist im Grunde ein psychologischer Prozess. Daher sollten Fachdidaktikerinnen und -didaktiker mit psychologischen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet sein, um mit Vorbehalten und Widerständen umgehen zu können, die aus einer Angst vor Veränderungen resultieren. Doch selbst das leistungsstärkste und effektivste Fortbildungsprogramm allein kann keine langfristige und nachhaltige Reform garantieren. Leider wird das Bildungswesen in vielen Ländern hauptsächlich durch wirtschaftliche und politische Entscheidungen und weniger durch pädagogische Entscheidungen gesteuert. Um einen solchen Paradigmenwechsel herbeizuführen,

..Tab. 3.1  Vergleich zwischen traditionellem Naturwissenschaftsunterricht und Earth Science-Unterricht Traditioneller Naturwissenschaftsunterricht

Earth Science-Unterricht

Das wichtigste Ziel sind zukünftige Naturwissenschaftler für die Gesellschaft

Das wichtigste Ziel sind zukünftige Bürger für die Gesellschaft

Fachdisziplinorientierte Lehre (reduktionistisch)

Multidisziplinäre Lehre

Lernen ist ein mechanischer Prozess („Essenzialismus“)

Lernen ist ein emotionalsozialer Prozess (instinct of learning)

Lehrerzentriertes Unterrichten („Essenzialismus“)

Schülerzentriertes Unterrichten (instinct of learning)

Inhaltsorientiertes Unterrichten

Integration von Fähigkeiten/ Kompetenzen in Inhalte

Die Lehrkraft ist eine Quelle von Wissen und Informationen

Die Lehrkraft ist ein Mediator, um den instinct of learning auszulösen

Tafel- oder PowerPoint-Präsentionen-basiertes Lehren

Forschendes Lernen

Weitgehendes Ignorieren von Outdoor-Lernumgebungen

Die Outdoor-Lernumgebung ist eine essenzielle und zentrale Lernumgebung

Klassenzimmerbasierter Unterricht

Verschiedenartige Lernumgebungen: Klassenzimmer, Labor, outdoor, Computer

Der Unterricht leitet sich aus der Welt der Naturwissenschaften ab

Der am Authentischen orientierte Unterricht leitet sich aus der realen Welt ab

Traditionelle Prüfungsformate

Alternative Prüfungsformate

sollten daher über einen langen Zeitraum von mindestens zehn Jahren viele Ressourcen investiert werden. Leider dauert ein echter Conceptual-Change-Zyklus viel länger als ein politischer Zyklus (die Zeit von einer Wahl zur nächsten), weshalb dieser Prozess nie auch nur annähernd zur Reife kommt. 3.7

Eine bedenkliche Kluft

Trotz der Verfügbarkeit dieser theoretischen und praktischen Forschungsergebnisse und der inzwischen weitverbreiteten Erkenntnis, dass das Verständnis der miteinander verbundenen Teilsysteme der Erde für die Zukunft der Welt von entscheidender Bedeutung ist, hat sich der Status der Earth Science Education in den Schulen kaum verändert. Jüngste Erhebungen (Greco & Almberg, 2018; King, 2013) haben gezeigt, dass die geowissenschaftliche Bildung in Schulen weltweit das gleiche niedrige Profil beibehalten hat, das im vorigen Jahrhundert zu beob-

3

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3

Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

achten war (King et al., 1995; Orion et al., 1999). Geowissenschaftliche Konzepte werden oft fälschlicherweise als weniger präzise und weniger substanziell angesehen als andere Naturwissenschaften (Hoffman & Barstow, 2007), und die Lehrmethoden vernachlässigen oft den forschungsbasierten Ansatz und die Lernumgebung im Freien, was die Lehrkräfte häufig dazu veranlasst, lediglich „für den Test zu unterrichten“. Orion (2017) schlug vor, dass die Kluft zwischen der Bedeutung und der Relevanz der Geowissenschaften für die Gesellschaft einerseits und ihrem niedrigen Status in den Schulen weltweit andererseits aus einem „Teufelskreis der Unkenntnis“ resultiert. Zu diesem Teufelskreis gehört auch die nicht angemessene Praxis des geowissenschaftlichen Unterrichtes in den meisten Ländern. Infolgedessen verlassen viele Schülerinnen und Schüler die Schule mit falschen Vorstellungen und Missverständnissen über die Relevanz der Geowissenschaften und die Bedeutung des geowissenschaftlichen Unterrichtes. Diese Einstellungen halten die engen Sichtweisen reduktionistisch denkender Entscheidungsträger im Bildungswesen, einschließlich Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Pädagoginnen und Pädagogen, aufrecht, mit dem Ergebnis, dass sich weder das Profil der Geowissenschaften in den Schulen noch die Art und Weise, wie sie unterrichtet werden, nennenswert verändert haben. Dieser Teufelskreis setzt sich somit über Generationen hinweg fort, ohne dass es zu nennenswerten Fortschritten gekommen wäre. Diese Situation wird noch dadurch verstärkt, dass Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler weltweit dazu neigen, sich aus dem öffentlichen Leben, einschließlich des Bildungssystems, herauszuhalten. Folglich gibt es keine ausreichende Unterstützung für die qualitative und quantitative Förderung der Geowissenschaften in den Schulen. Der „Teufelskreis der Unkenntnis“ ist jedoch nicht die eigentliche Ursache für die beunruhigende Kluft zwischen dem Potenzial der Geowissenschaften und ihrem geringen Bekanntheitsgrad in den Schulen. Vielmehr ist er nur ein Symptom einer essenzialistischen Philosophie, die die meisten Schulen in den meisten Ländern bewahren und unterstützen. Der Essenzialismus ist seit der Gründung der öffentlichen Schulen im 18. Jahrhundert der vorherrschende Bildungsansatz in der ganzen Welt. Dieser sozioökonomische Ansatz sieht das Kind als Rohmaterial und die Schule als Mittel, das Kind zu einem gehorsamen und produktiven Bürger zu formen. Der Essenzialismus ignoriert das Element der persönlichen Relevanz. Die Schülerinnen und Schüler müssen als Individuen akzeptieren, das zu lernen, was die Behörden beschlossen haben, unabhängig davon, wie relevant sie es für ihr heutiges Leben finden. Infolgedessen empfinden viele Schülerinnen und Schüler weltweit die meisten ihrer Pflichtfächer als langweilig und verlieren ihre intrinsische Motivation zum Lernen (Imig & Imig, 2006).

Die dringlichste künftige Forschungsaufgabe, auf die sich die Forschungsbemühungen im Bereich der Earth Science Education richten sollten, ist daher die Auflösung dieses Widerspruches und die Überbrückung dieser Kluft. Diese Forschungsagenda sollte sich darauf konzentrieren, die Ausbildung und das gesellschaftliche Selbstverständnis der Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler zu überarbeiten. Eine tiefgreifende Veränderung des Status von Earth Science Education in den Schulen erfordert eine tiefgreifende Veränderung der Einstellung der Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Diese Verantwortung ist Teil der Berufsethik eines Geoforschenden, wie sie 2016 während der 35. International Geological Conference in Kapstadt (Südafrika), in dem als „Cape Town Statement on Geoethics“ bekannten Dokument formuliert wurde (Di Capua et al., 2017). Daher sollten die Forschenden und Professorinnen und Professoren der Geowissenschaften an den Universitäten erhebliche Forschungsanstrengungen unternehmen, um einen tiefgreifenden Wandel auf allen Ebenen der geowissenschaftlichen Ausbildungsprogramme an den Universitäten herbeizuführen. Dieser Wandel sollte die Integration der folgenden drei Themen in die traditionellen geowissenschaftlichen Universitätsfächer umfassen: den earth systems approach, die Geoethikausbildung und die Förderung kommunikativer Fähigkeiten. 3.8 Zusammenfassung

Das Lehren und Lernen über die Erdsystemwissenschaft (Earth Systems Science, ESS) gewinnt in einer Welt, in der ein sich verändernder Planet dramatische Auswirkungen auf die menschliche Gesellschaft hat, zunehmend an Bedeutung. Um die Erdsystemwissenschaft zu verstehen, ist anzuerkennen, dass alle Sphären der Erde miteinander verbunden sind, dass die auf der Erdoberfläche ablaufenden Prozesse untrennbar mit der Atmosphäre, mit den Ozeanen und, bei ausreichender Zeit, sogar mit dem tiefen Erdinneren verflochten sind. Das Lehren und Lernen in den Erdsystemwissenschaften erfordert, dass die Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, 1) über drei verschiedene Zeiträume (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) zu denken, 2)  die grundlegenden Merkmale einzelner Sphären zu erkennen und gleichzeitig zu begreifen, wie Sphären miteinander interagieren und sich gegenseitig beeinflussen, 3) mit nichtlinearen Prozessen und Konzepten zu arbeiten, einschließlich negativer und positiver Rückkopplung in Systemen, und 4) Schlussfolgerungen aus den unsicheren Evidenzen zu ziehen, die den geologischen Aufzeichnungen und Modellen der zukünftigen Erde innewohnen. Die bestehende Forschung im Bereich der geowissenschaftlichen Bildung hat eine solide theoretische Grundlage sowie praktische Strategien und Techniken

Literatur

für einen sinnvollen Schulunterricht zu den Geowissenschaften geschaffen. Die Qualität dieser Forschung und der wachsende Bedarf an geowissenschaftlichen Kenntnissen haben jedoch nur wenig dazu beigetragen, den geringen Stellenwert der ESE in den Schulen weltweit zu verbessern. Um diese beunruhigende Kluft zwischen dem Bildungspotenzial der Geowissenschaften und ihrem geringen Bekanntheitsgrad in den Schulen zu verringern, bedarf es einer ganzheitlichen Agenda. Eine solche Agenda wird die bestehende Forschung zum earth systems approach in Bereichen wie der Entwicklung von environmental insight vertiefen. Sie wird Lernprozesse besser verstehen, indem sie diese eingebettet in einen menschlichen Instinkt auffasst, was hoffentlich dazu beitragen wird, die derzeitige, auf dem Essenzialismus basierende Unterrichtskultur zu verändern. Sie wird aber auch neue Forschungswege einschließen, die auf die Veränderung der Einstellung von Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler zu ihrer Rolle in der Gesellschaft und die Übernahme geoethischer Werte fokussieren.

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Kapitel 3  •  Stand der Forschung im Bereich der Earth System Science Education

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Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung von geowissenschaftlichen Sachverhalten Alexander Kauertz, Dirk Felzmann, Ingrid Hemmer, Sylke Hlawatsch

Inhaltsverzeichnis 4.1

Bildungsstandards – 86

4.2

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)  –  92

4.3

Strategie für Bildung in einer digitalen Welt  –  98 Literatur – 101

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_4

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Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

Zusammenfassung

4

Seitens der Kultusministerkonferenz wurden Bildungsstandards für die schulische Bildung entwickelt, die durch Lehr- und Bildungspläne der Länder zu konkretisieren sind (. Abb. 4.1). Außerdem wurden Empfehlungen beschlossen für Bildung in einer digitalen Welt und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Diese Vorgaben, die in Deutschland bei der Planung von Unterricht für Naturwissenschaften und Geographie zu berücksichtigen sind, werden im Folgenden erläutert.

4.1 Bildungsstandards Alexander Kauertz 4.1.1 Naturwissenschaftliche

Grundbildung

Der Begriff „naturwissenschaftliche Grundbildung“ ist im Kontext der internationalen Leistungsmessstudie PISA (Programme for International Student Assessment), die von der OECD durchgeführt wurde, genutzt worden, um in deutscher Sprache die durch den naturwissenschaftlichen Teil im Test gemessene Leistung zu benennen (Prenzel et al., 2001). Naturwissenschaftliche Grundbildung wird dabei verstanden als

„(Scientific) Literacy“ haben logische Verbindungen zum Kompetenzbegriff, der (vor allem im deutschsprachigen Raum) zur Beschreibung und Operationalisierung von vorrangig schulischem Bildungserfolg (Outcome) genutzt wird (Bybee et  al., 2009). Kompetenzen beschreiben, was eine Person an kognitiven, emotionalen und auf das Wollen bezogenen (volitionalen) Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Verfügung haben muss, um eine bestimmte Anforderung erfolgreich bearbeiten zu können (Hartig & Klieme, 2006). Anforderungen sind z. B. Aufgaben, Probleme, Fragen und Entscheidungen in Bezug auf das eigene Leben oder die gesellschaftliche Teilhabe. Im folgenden Abschnitt wird zunächst die Struktur der Bildungsstandards dargestellt, die eine für Deutschland verbindliche Operationalisierung naturwissenschaftlicher Bildung darstellen und aus denen das Zusammenspiel von Inhalten, Kompetenzen, Anforderungen und Outcome im Zusammenhang mit naturwissenschaftlicher Bildung deutlich wird (vgl. Gebhard et  al., 2017). Da naturwissenschaftliche Bildung vorrangig im Rahmen von Tests und ihrer Interpretation vorkommt, wird die Rolle von Aufgaben, Tests und ihrer Interpretation in den Blick genommen. Es schließt sich eine kritische Betrachtung dieser Operationalisierungen an, was in eine vertieftere Betrachtung des Begriffes und seiner Ableitung aus der Idee von Bildung und dem Konzept der Scientific Literacy mündet.

» „[…] die Fähigkeit,

4.1.2

Durch den PISA-Kontext steht der Begriff „naturwissenschaftliche Grundbildung“ in direkter Folge zum Begriff „Scientific Literacy“, mit dem im internationalen Bereich diese Leistung benannt wird (Baumert et  al., 1999). Gleichzeitig greift der Begriff „naturwissenschaftliche Grundbildung“ auf den im deutschen Sprachraum verbreiteten und etablierten Begriff „Bildung“ zurück, mit dem die Erwartungen an das Ergebnis vor allem schulischen Unterrichtes charakterisiert werden sollen. Sowohl der Begriff „(Grund‑)Bildung“ als auch der Begriff

Das Ergebnis (Outcome) naturwissenschaftlicher schulischer Bildung wird in Deutschland bundesländerübergreifend durch die Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss (BiSta-MSA) und die allgemeine Hochschulreife (BiSta-AHR) durch die Kultusministerkonferenz (KMK) festgelegt. Für die drei naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik werden in jeweils einzelnen, aber eng aufeinander abgestimmten Dokumenten die naturwissenschaftliche Grundbildung jeweils fachspezifisch beschrieben (KMK, 2005a, b, c, 2020a, b, c). Dabei werden auf der Grundlage von Kompetenzen die erwarteten, durchschnittlichen Ausprägungen dieser Kompetenzen als sog. Standards beschrieben. Die Standards sind jeweils vier Kompetenzbereichen zugeordnet: (Umgang mit) Fachwissen bzw. Sachkompetenz, Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. Ein Kompetenzbereich fasst Kompetenzen zusammen, die auf dieselbe Art von Anforderung bezogen sind oder denselben Aspekt komplexer Anforderungen. Im Kompetenzbereich (Umgang mit) Fachwissen bzw. Sachkompetenz sind Kompetenzen zusammengefasst, die beschreiben, wie Theorien, Modelle, Definitionen, funktionale Zusammenhänge, Routinen, Verfahren und Konzepte zur Lösung von Aufgaben und Problemen im

– die charakteristischen Eigenschaften der Naturwissenschaften als eine Form menschlichen Wissens und Forschens zu verstehen, – naturwissenschaftliches Wissen anzuwenden, um Fragestellungen zu erkennen, die sich naturwissenschaftlich bearbeiten lassen, sich neues Wissen anzueignen, naturwissenschaftliche Phänomene zu beschreiben und aus Belegen Schlussfolgerungen zu ziehen, – zu erkennen und sich dessen bewusst zu sein, wie Naturwissenschaften und Technik unsere materielle, intellektuelle und kulturelle Umwelt formen, – sowie die Bereitschaft, sich mit naturwissenschaftlichen Ideen und Themen zu beschäftigen und sich reflektierend mit ihnen auseinanderzusetzen […].“(Rönnebeck et al., 2010, S. 178)

Die Struktur der Bildungsstandards

4.1  •  Bildungsstandards

87

..Abb. 4.1  Bildungsstandard und Strategiepapiere der Kultusministerkonferenz werden in den Bundesländern seitens der Bildungsministerien anhand von Lehrplänen und Fachanforderungen konkretisiert

jeweiligen Fach genutzt werden. Zu den entsprechenden (kognitiven) Fähigkeiten gehören u. a. das Beschreiben, Berechnen, Erklären, Begründen, Herleiten und Zeigen (im Sinne von Beweisen). Die entsprechenden Anforderungen bestehen darin, vorhandenes Wissen und Information fachadäquat zu nutzen, um fachtheoretisch fundierte Lösungen zu finden. Damit repräsentiert dieser Kompetenzbereich den Aspekt naturwissenschaftlicher Bildung, der es erlaubt, Anforderungen als naturwissenschaftlich bearbeitbar und lösbar zu erkennen, Lösungen herbeizuführen und im Hinblick auf ihre Richtigkeit und Sinnhaftigkeit einzuschätzen (vgl. Kauertz et al., 2010). Der Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung (Wellnitz et al., 2017) fasst Kompetenzen zusammen, die beschreiben, wie in den naturwissenschaftlichen Fächern Arbeitsprozesse und Vorgehensweisen, allen voran das Experiment, genutzt werden, um Informationen über naturwissenschaftlich beschreibbare Vorgänge zu sammeln und diese Informationen abzusichern (zu validieren). Zu den damit verbundenen (kognitiven) Fähigkeiten gehören

das Experimentieren, Messen, Beobachten, Modellieren, Analysieren etc. Die Anforderungen, auf die diese Fähigkeiten bezogen sind, sind dadurch charakterisiert, dass naturwissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen genutzt werden müssen, um Erkenntnisse über ein System zu erhalten und diese mit naturwissenschaftlichen Konzepten und Theorien zu verbinden. Dieser Kompetenzbereich spiegelt den Aspekt naturwissenschaftlicher Bildung wider, der auf das Erschließen neuer Informationen und die Einschätzung der Naturwissenschaftlichkeit eines bestimmten Vorgehens und daraus gewonnener Erkenntnisse abzielt. Der Kompetenzbereich Kommunikation fasst die auf fachtypische Informationswiedergabe und Informationsaufnahme bezogenen Kompetenzen zusammen (Ziepprecht et al., 2017). Neben Fachsprache und fachtypischen Repräsentationsformen (Diagrammen, bestimmten Arten von Abbildungen) zählen auch Mathematisierungen und ihre Repräsentationen (Gleichungen, Formeln, Vektoren etc.) zu fachtypischen Kommunikationsformaten.

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Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

(Kognitive) Fähigkeiten, die damit verbunden sind, sind etwa das Erstellen, Deuten, Ablesen, Darstellen etc. Diese Fähigkeiten sind mit Anforderungen verbunden, naturwissenschaftliche Inhalte für bestimmte Zielgruppen angemessen darzustellen oder anspruchsvolle Darstellungen im Hinblick auf ihre Aussage oder Aussagekraft zu analysieren. Mit dem Kompetenzbereich Kommunikation wird der Anteil naturwissenschaftlicher Bildung repräsentiert, der die innerhalb der Gemeinschaft von Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern entstandene Kultur im Sinne von Sprache, Artefakten und Normen umfasst. Der Kompetenzbereich Bewertung bündelt jene Kompetenzen, die erforderlich sind, um naturwissenschaftliche Erkenntnisse, Denk- und Arbeitsweisen für individuelle und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse nutzbar zu machen und Entscheidungen hinsichtlich der Stärke und Qualität ihrer naturwissenschaftlichen Grundlagen zu evaluieren (Bögeholz et al., 2018). Dabei wird von einer Entscheidungstheorie ausgegangen, die vorrangig auf der rationalen Abwägung von Kriterien zur Entscheidung zwischen mehreren (Handlungs‑)Optionen basiert (Trade-off- und Cut-off-Prozesse), die zu relativ gut vorhersehbaren (Bündeln von) Resultaten oder Effekten führen (vgl. Eggert & Bögeholz, 2006). Mindestens ein Teil der Kriterien basiert dabei auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, oder mindestens eine Handlungsoption entspricht einem naturwissenschaftlichen Vorgehen. Die entsprechenden (kognitiven) Fähigkeiten sind dann etwa das Identifizieren (z. B. von Kriterien), Abwägen (z. B. von Handlungsoptionen), Einschätzen, Analysieren (von Entscheidungen) etc. Die Anforderungen sind meist auf komplexe Entscheidungssituationen bezogen, etwa Kaufentscheidungen oder aber globale Entscheidungen etwa über Energienutzung und -erzeugung. Mit dem Kompetenzbereich Bewertung wird der Anteil naturwissenschaftlicher Bildung abgebildet, der die Rolle und Funktion naturwissenschaftlicher Erkenntnis für eigene Entscheidungen und eigene Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen klärt. Übergreifend beschreiben die Dokumente neben den Kompetenzbereichen zudem Basiskonzepte der jeweiligen Fächer sowie Anforderungsbereiche. Mithilfe der Basiskonzepte soll die inhaltliche Struktur des Faches abgebildet und an auch bei PISA oder in Bildungsstandards anderer Nationen genutzte übergreifende Inhaltsstrukturen (basic concepts, core concepts, big ideas etc.) angeknüpft werden (Neumann et al., 2007). Die durch Basiskonzepte erzeugte fachinhaltliche Struktur entspricht dabei nicht notwendigerweise anderen Strukturen des Faches, z. B. in (universitären) Lehrbüchern, der Gliederung von Fachbereichen innerhalb des Faches (z. B. in Fachgesellschaften oder Lehrstühlen) oder aktuellen Forschungsgebieten. Vielmehr folgt die Struktur einer „Verstehensidee“, indem Konzepte gewählt werden, die in möglichst vielen verschiedenen (fachlichen)

Zusammenhängen zur Lösung genutzt werden können (z. B. Redoxreaktionen in Chemie) oder die als Konzept repräsentativ sind für eine bestimmte fachtypische Herangehensweise an Anforderungen (z. B. Wechselwirkungsprinzip; vgl. Wodzinski, 2020, S.  581 f.). Die Anzahl dieser Basiskonzepte soll möglichst gering sein und trotzdem einen größtmöglichen Teil etablierter schulischer Fachkonzepte integrieren. Einzelne Fachkonzepte sind dann Repräsentanten oder Anwendungsfälle der Basiskonzepte. Anforderungsbereiche beschreiben, wie sich eine Aufgabe, ein Problem oder eine andere Art von Anforderung zu bereits bekannten und geübten Anforderungen verhält (vgl. Kauertz et al., 2015). Entsprechen sich die Anforderungen weitestgehend, wird dies als Wiedergeben (Reproduktion) bezeichnet. Sind sich die Anforderungen sehr ähnlich und lassen sich aus einer expertenhaften, fachlichen Perspektive gleichartig bearbeiten, wird dies als Anwenden bezeichnet. Unterscheiden sich die Anforderungen so weit, dass die neue Anforderung nur durch Kombination bisheriger Anforderungen bearbeitet werden kann, bisherige Anforderungen nur als Analogie dienen können oder bisherige Anforderungen nicht ausreichend sind und ein Bearbeiten der neuen Anforderung nur durch Exploration (systematisches Ausprobieren) möglich ist, so wird dies als Transfer bezeichnet. Bei der Exploration werden dabei Grundideen (des Faches) angewendet, die als generalisiertes Prinzip aus bisher (erfolgreich) bearbeiteten Anforderungen abgeleitet werden müssen (oder abgeleitet worden sind). >>Bildungsstandards Geographie

Dirk Felzmann Im Gegensatz zu den Schulfächern Biologie, Chemie und Physik erteilte die Kultusministerkonferenz (KMK) für das Schulfach Geographie keinen Auftrag zur Erstellung von Bildungsstandards. Die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) entwickelte daraufhin aus eigener Initiative Bildungsstandards im Fach Geographie für den mittleren Schulabschluss, die 2006 publiziert wurden (DGfG, 2006). Auch wenn dieses Dokument damit keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, so orientieren sich die Lehrpläne/Curricula der Bundesländer für Geographie in Sekundarstufe I, die seitdem entwickelt worden sind, doch sehr stark daran (Schöps, 2017). Aus diesem rechtlichen Status heraus ergibt sich auch, dass es für das Schulfach Geographie in Deutschland keine bundesweiten Tests zur Überprüfung der Bildungsstandards gibt. Die Bildungsstandards Geographie für die Sekundarstufe I orientieren sich an den Bildungsstandards für die naturwissenschaftlichen Fächer in der Ausweisung der Kompetenzbereiche „Fachwissen“, „Erkenntnisgewinnung/Methoden“, „Kommunikation“ und „Beurteilung/Bewertung“. Darüber hinaus weisen sie zwei zusätzliche Kompetenzbereiche aus: „räumliche

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4.1  •  Bildungsstandards

Orientierung“ mit einem Fokus auf dem Umgang mit Karten, Geodaten, Kartierungen und Raumwahrnehmungen sowie Handlung mit einem Fokus darauf, zur Lösung von alltagsweltlichen und gesellschaftlichen Problemen beitragen zu können. Die Geographie wird in den Bildungsstandards als „Systemwissenschaft“ verstanden, woraus sich das Hauptbasiskonzept „Mensch–Umwelt“ ableitet. Entsprechend fokussiert der Kompetenzbereich „Fachwissen“ auf die Fähigkeit zur Analyse naturgeographischer (Sub‑)Systeme, humangeographischer (Sub‑)Systeme und von Mensch-Umwelt-Beziehungen (DGfG, 2006). Wie auch in den naturwissenschaftlichen Fächern hat die Ausweisung der prozessbezogenen Kompetenzbereiche „Erkenntnisgewinnung“, „Kommunikation“ und „Bewerten“ in der Geographie dazu geführt, dass die mit diesen Kompetenzbereichen verbundenen Zielsetzungen wie z. B. „wissenschaftliches Arbeiten“, „Argumentieren“, „ethisches Urteilen“ verstärkt in den Fokus geographiedidaktischer Forschungs- und Entwicklungsarbeit rückten.

4.1.3

Naturwissenschaftliche Bildung und Tests

Im Zusammenhang mit Tests, die bundesweit oder sogar international eingesetzt werden, erweisen sich Anforderungsbereiche als empirisch sehr schwierig handhabbar, da das individuelle Vorwissen der Getesteten sehr unterschiedlich und nicht normiert ist, etwa aufgrund der Freiheit der Lehre von Lehrkräften im Rahmen von Kerncurricula und der Adaptation an Lerngruppen. Hier werden für Schwierigkeitsabstufungen der Aufgaben andere hierarchisierende Merkmale von Aufgaben benötigt, etwa notwendige kognitive Prozesse der Informationsverarbeitung (im Projekt ESNaS: Kauertz et al., 2010) oder die Komplexität von Aufgaben und Lösungen (Kauertz & Fischer, 2006; Bernholt & Parchmann, 2011). Tests zur Erfassung von Kompetenzen, etwa zur Normierung oder Überprüfung von Standards, basieren meist auf Kompetenzmodellen, die den kognitiven Leistungsbereich der naturwissenschaftlichen Kompetenzen in mehreren Dimensionen erfassen, die neben den Kompetenzbereichen auch entsprechende hierarchische Dimensionen zur Beschreibung von kognitiven Prozessen oder anderen Merkmalen von Aufgaben enthalten. Aufgaben der Tests lassen sich dann in ein Koordinatensystem einordnen, aus dem hervorgeht, welche Merkmale die Aufgabe hat und welche Kompetenz mit der jeweiligen Aufgabe gemessen wird. Aus der Gesamtheit aller Aufgaben des Tests, die in diesem Koordinatensystem verortet sind, lässt sich dann erkennen, welche konkrete (operationale) Vorstellung der kognitiven Seite von naturwissenschaftlicher Grundbildung die Testentwickelnden haben. Da bei Large-Scale Assessments eine große Anzahl an Aufgaben

genutzt wird und die Tests aus naheliegenden Gründen nicht vollständig veröffentlicht werden sollten, werden meist eine Reihe von Beispielaufgaben und ihre Einordnung veröffentlicht, um eine Annäherung an diese operationale Vorstellung zu ermöglichen. 4.1.4

Grenzen der Operationalisierung

Beispielaufgaben aus Large-Scale Assessments wie PISA, zur Evaluation der Bildungsstandards (ESNaS) oder zu den BiSta-AHR spiegeln nur einen sehr punktuellen, unvollständigen und – aufgrund der zahlreichen weiteren Eigenschaften und Merkmale von Aufgaben – nicht vollständig validen Eindruck naturwissenschaftlicher Bildung wider. Tests sind zudem eine Verkürzung naturwissenschaftlicher Bildung auf den kognitiven Anteil und reduzieren Anforderungen, auf die sich die Kompetenzen und damit die naturwissenschaftliche Bildung beziehen, auf Aufgaben und Probleme, die aus vorrangig fachlicher Sicht ausgewählt oder entwickelt wurden und deren Verbindung zur Lebenswirklichkeit (z. B. im Sinne eines Aufgabenkontextes) stark variiert und z. T. diskutabel erscheint (vgl. z. B. Fensham, 2009). In Aufgaben operationalisierte emotionale Anteile basieren meist auf der Verbindung zur Lebenswirklichkeit, wie etwa die Forschung zu Aufgabenkontexten zeigt (vgl. Gilbert et al., 2011). Über solche Kontexte kann die Motivation der Lernenden erhöht werden, die Aufgabenbearbeitung zu beginnen (Catch-Komponente der Motivation). Inwieweit die fortdauernde Bearbeitung anspruchsvoller Probleme und Aufgaben durch die Aufgabenstellung beeinflussbar ist (Hold-Komponente) ist empirisch noch nicht hinreichend geklärt (vgl. Pozas et al., 2020). In welchem Umfang naturwissenschaftlicher Unterricht oder Aufgaben dazu beitragen können, dass sich Lernende gezielt und absichtlich (freiwillig) mit naturwissenschaftlichen Themen befassen (volitionale Anteile der Kompetenz), ist ebenfalls empirisch unzureichend untersucht. Entsprechend lassen sich emotionale und volitionale Anteile in Tests zur naturwissenschaftlichen Bildung nur begrenzt operationalisieren (Rönnebeck et al., 2010). Für die Bildungsstandards stellt dies ebenfalls eine Einschränkung dar, da sie auf empirisch prüfbare Beschreibungen von Kompetenzen angewiesen sind, um Standards definieren zu können. Daher sind auch die Bildungsstandards stark kognitiv geprägt und eher in den begleitenden Texten auf motivationale und volitionale Anteile bezogen (KMK, 2020a, b, c). Sie spiegeln das vor allem in der dort niedergelegten Beschreibung von epistemologischen Überzeugungen wider, die Lernende entwickeln sollen, also einem Verständnis von Naturwissenschaften im Hinblick auf deren Ziele, grundlegende rationale Vorgehensweisen im Zusammenspiel von Kreativität, Gesellschaft,

4

90

Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

bestehender Theorie und verfügbarer Empirie sowie ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Bedeutung (nature of science). 4.1.5

4

Naturwissenschaftlicher Unterricht – ein Blick ins Fach oder auf das Fach?

Diese Metasicht auf die naturwissenschaftlichen Fächer ist historisch im deutschen Sprachraum wenig etabliert und steht in Anbetracht der knappen vorgesehenen Lernzeit für naturwissenschaftliche Fächer mindestens in zeitlicher Konkurrenz mit der konkreten Bearbeitung einzelner Aufgaben, die mit für Lernenden angemessenen (einfachen oder vereinfachten) Fachmethoden und didaktisch rekonstruierten (oder nur reduzierten) Inhalten bearbeitet werden. Zudem ist unklar, wie beide Ebenen zusammenhängen (vgl. Muckenfuß, 2004): In welchem Umfang müssen beispielsweise konkrete Inhalte und Methoden gekonnt werden, um eine Metasicht erwerben oder verstehen zu können? Hilft eine Metasicht bei der konkreten Bearbeitung von Aufgaben? Wie sieht eine jeweils stufenadäquate Metasicht aus, und wie bezieht sie sich auf die für die jeweilige Stufe adäquaten Fachinhalte und -methoden? Neben diesen auf den konkreten Lernweg bezogenen Fragen stellt sich auch die Frage nach der Legitimation von naturwissenschaftlichem Fachunterricht, denn die Frage, inwieweit der naturwissenschaftliche Unterricht den Erwerb von Inhalten und Methoden oder das Verstehen der Metasicht zum Ziel hat, entscheidet mit über seine gesellschaftliche Bedeutung. Mit Blick auf die Physik beschreibt Muckenfuß (1995) das in der Schule zu erwerbende Wissen mit den Begriffen „Orientierungswissen“ und „Verfügungswissen“. Orientierungswissen dient dazu, die natürlichen Prozesse der Welt zu verstehen, den eigenen Platz darin zu erkennen, Neugierde zu wecken und zu befriedigen, und kann damit im Sinne einer humboldtschen Bildung gedeutet werden als Beitrag zur Entfaltung des Selbst. Das Verfügungswissen ist ein nützliches Wissen, um konkrete Anforderungen zu erfüllen, etwa im Sinne eines rezeptartigen Vorgehens, und notwendig, um etwa technische Entwicklungen zu ermöglichen und Einsatzmöglichkeiten und Funktionsweisen von Geräten zu verstehen. Mit ähnlichen Überlegungen – nur sehr viel allgemeiner – baute Klafki (1959) seine „kategoriale Bildung“ im Rahmen der allgemeinen Didaktik auf. Er schlägt epochaltypische Schlüsselprobleme vor, die als Ausgangspunkt sowohl individueller Entfaltung als auch tätiger Lösungsbeteiligung gesehen werden können und somit eine Verbindung beider Aspekte ermöglichen (Klafki, 1998).

4.1.6

Naturwissenschaftliche Bildung als Teil allgemeiner Bildung

Auf Baumert geht die Idee der „Modi der Weltbegegnung“ zurück, um verschiedene Aspekte allgemeiner Bildung mit Kompetenzen in Verbindung zu bringen. Daher erscheint dieser Ansatz gut geeignet, um den Zusammenhang zwischen naturwissenschaftlicher Bildung und allgemeiner Bildung zu diskutieren. Ein Modus der Weltbegegnung ist über die Rationalität definiert, mit dem in diesem Modus der Zugang zu den „Gegenständen der Kultur“ (Baumert, 2002, S. 7) erfolgt und eröffnet einen spezifischen Horizont des Weltverstehens. Modi der Weltbegegnung bilden nach Baumert (ebenda, S. 7) „die latente Struktur des kanonischen Orientierungswissens, das Grundlage moderner Allgemeinbildung darstellt“ und lassen sich sowohl über humboldtsche Bildung als auch soziologische und pädagogische Theorien argumentieren. Demnach ist die naturwissenschaftliche Bildung vor allem ein Beitrag zur kognitiv-instrumentellen Modellierung als Modus der Weltbegegnung und als solche von den anderen Modi (ästhetisch-expressiver Begegnung und Gestaltung, normativ-evaluativer Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft und Probleme konstitutiver Rationalität) abgegrenzt. Sie greift, wie alle anderen Modi, auf basale Sprach- und Selbstregulationskompetenzen sowie mathematische Modellierungsfähigkeit und IT-Kompetenz (Kulturwerkzeuge; Baumert, 2002, S.  8) zurück. Die Naturwissenschaften nutzen diese Kulturwerkzeuge auf spezifische Weise, wie etwa erkennbar wird durch Fachsprache, besondere Arten von Darstellungen (z. B. Schemazeichnungen, Regressionsgraden), Gleichungen als mathematische Modelle (z. B. Differenzialgleichungen, Reaktionsgleichungen), Sensoren, Messtechnik etc., aber auch durch besondere Herausforderungen an die Selbstregulation z. B. beim Experimentieren, indem Variablenkontrollstrategien und Messwiederholungen genutzt werden, oder beim Einhalten von Standards und Normen des jeweiligen Faches beim Interpretieren von Daten oder deren Darstellung. Im Modus der kognitiv-instrumentellen Modellierung wird also mithilfe der naturwissenschaftstypischen Ausgestaltung der Kulturwerkzeuge ein spezifischer Zugang zu „symbolischen kulturellen Gegenständen“ möglich, den man als naturwissenschaftliches Denken bezeichnen kann. Mit Zugang sind im Sinne Baumerts vor allem eine Kommunikation über diese Gegenstände und die Möglichkeit, sich diese Gegenstände durch Lernen anzueignen, gemeint. Aneignen meint dabei: 1. Diese Gegenstände als Prototypen oder Repräsentanten für Lebensbereiche zu kennen und zu beschreiben (vgl. Wiedergeben); 2. sie (ggf. mental) gezielt manipulieren oder nutzen zu können (vgl. Anwenden); 3. sie von anderen Gegenständen abzugrenzen oder diese mit ihnen in Ver-

4.1  •  Bildungsstandards

bindung zu bringen (vg. Transfer). Die symbolischen kulturellen Gegenstände sind die in den alltäglichen Lebensbereichen vorkommenden Situationen, Tätigkeiten und Anforderungen, die für Schule exemplarisch unter pädagogischen Annahmen ausgesucht wurden, um Lernende auf die verschiedenen Lebensbereiche vorzubereiten. Da naturwissenschaftliches Denken in zahlreichen Lebensbereichen üblich ist, Tätigkeiten und Entscheidungen darüber legitimiert werden und daher entsprechende Anforderungen entstehen (vgl. Baumert et al., 1999; KMK, 2020a, b, c), kann naturwissenschaftliches Denken an Beispielen aus zahlreichen verschiedenen Lebensbereichen erlernt werden. Das spiegelt sich z. B. auch in der Vielfalt und Nutzung von Kontexten für naturwissenschaftliches Lernen wider (Parchmann & Kuhn, 2018). Naturwissenschaftliches Denken ist gekennzeichnet durch das Bestreben, beobachtbare Effekte kausal mit Ursachen und Bedingungen für ihr Auftreten zu verbinden (Modellieren) und diese Verbindung durch formale Sprachen und Logiken, insbesondere die der Mathematik, auszudrücken und durch geeignete Verfahren, z. B. Messungen und Beobachtungen, zu quantifizieren oder zu kategorisieren. Für das Modellieren bedarf es einer verallgemeinerbaren Theorie über die Welt, die sich in den bisherigen Erkenntnissen des Faches manifestiert und mit der das Neue verträglich ist (zumindest im Regelfall). Für das Quantifizieren und Kategorisieren werden glaubwürdige (valide), verlässliche (reliable) und unabhängige (objektive) Verfahren benötigt, die im Idealfall als Instrument (mit Bedienungsanleitung) von jedem Menschen genutzt werden könnten. Die hohe Wertschätzung, die kausale Argumentation, Fakten und Evidenzen in unserer Gesellschaft und Kultur erfahren, sind Ausdruck davon, wie tief das naturwissenschaftliche Denken in unserer Kultur und Gesellschaft verankert sind, auch wenn das naturwissenschaftliche Faktenwissen nur von wenigen nach der Schulzeit wiedergegeben werden kann oder genutzt werden muss. Der geringe praktische Nutzen von naturwissenschaftlichem Faktenwissen für viele Alltagssituationen resultiert aus seiner wissenschaftlich intendierten Generalisierbarkeit und damit verbundenen Abstraktheit, sodass nur mit großem Aufwand wieder eine Spezifizierung und Konkretisierung erfolgen können. Dadurch ist es für den Alltag praktischer, wenn auf vereinfachte Tipps und Tricks zurückgegriffen wird (z. B. Bremswegformel, Blumen brauchen Licht, keine Putzmittel mischen), die zwar naturwissenschaftlich begründbar wären, aber nur für den „Normalfall“ gelten und auch ohne den naturwissenschaftlichen Bezug gelernt werden. Für das Erlernen des naturwissenschaftlichen Denkens hat das Faktenwissen dennoch Bedeutung, denn an ihm manifestiert sich die naturwissenschaftliche Theorie über die Welt und kann das naturwissenschaftliche Denken prototypisch nachvollzogen und geübt werden. Wird naturwissenschaftliches Denken aber ausschließlich an na-

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turwissenschaftlichem Faktenwissen gelernt, zeigen sich in dem Übertrag auf Probleme in realen Lebenssituationen erhebliche Defizite, wie etwa die ersten PISA-Ergebnisse für Deutschland zeigten (Leutner et al., 2012). Fake News, Verschwörungstheorien und Pseudowissenschaften (z. B. Homöopathie, Intelligent Design) zeigen, dass naturwissenschaftliches Denken, wenn es unvollständig verstanden wird, z. B. das Anknüpfen an naturwissenschaftliche Theorien oder die Berücksichtigung naturwissenschaftlicher Standards fehlt, zu unsinnigen bis gefährlichen Irrschlüssen führt. Daher ist naturwissenschaftliches Denken auf naturwissenschaftliches Faktenwissen angewiesen, aber nicht ausschließlich darüber erlernbar. Naturwissenschaftliches Denken ist in ähnlicher Weise für naturwissenschaftliche Bildung notwendig, aber nicht hinreichend. Es steht durch den PISA-Kontext auch in der Tradition des in den USA etablierten Konzeptes der Scientific Literacy (Bybee, 1997), das auf Deutsch etwa als eine inhaltsverstehende, kritisch-reflexive Lesefähigkeit in Bezug auf Naturwissenschaften verstanden werden kann. Auch hier steht somit der kommunikative Aspekt von Bildung und Lernen im Fokus, wobei das (verstehende) Lesen von Texten eher illustrativ für die Fähigkeit gemeint ist, sich mit allen möglichen Repräsentationen naturwissenschaftlicher Inhalte, also auch plastischen Modellen, Filmen, (technischen) Objekten etc., analysierend und kritisch auseinanderzusetzen. Der Begriff ist historisch entstanden, um eine Brücke zwischen literaturbasierter geisteswissenschaftlicher und empirisch basierter naturwissenschaftlicher Forschung zu schlagen (vgl. Laugksch, 2000). Naturwissenschaftliches Denken ist daher notwendig, um im Rahmen naturwissenschaftlicher Aufgaben und Probleme kompetent handeln zu können und um im Rahmen der Scientific Literacy naturwissenschaftliche Kulturgegenstände nachvollziehen und analysieren zu können. Damit aber Kulturgegenstände, Probleme und Aufgaben als „naturwissenschaftlich“ erkannt werden und somit klar ist, dass naturwissenschaftliches Denken gefordert ist, muss das naturwissenschaftliche Denken vergleichend und kontrastierend zu anderen Denkstilen und Modi der Weltbegegnung betrachtet werden. Gerade im Rahmen des Kompetenzbereiches „Bewertung“ in den Bildungsstandards der Naturwissenschaften, spielt die Unterscheidung zwischen einem naturwissenschaftlichen Argument und Argumenten aus anderen Bereichen (z. B. der Ethik; vgl. Eggert & Bögeholz, 2006) eine zentrale Rolle (KMK, 2020a, b, c). Naturwissenschaftliche Bildung ist daher auf das naturwissenschaftliche Denken angewiesen, kann sich darin aber nicht erschöpfen, wenn diese Abgrenzung zu anderen Denkweisen notwendig ist, um Anlässe für das naturwissenschaftliche Denken identifizieren zu können. Interdisziplinäre, fächerverbindende Lernangebote, Themen und Probleme sind daher besonders geeignet, diese Abgrenzung naturwissenschaftlichen Denkens zu entdecken und zu diskutieren.

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92

Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

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..Abb. 4.2  Sustainable Development Goals (SDGs)

Naturwissenschaftliche Bildung erfordert eine Auseinandersetzung mit dem naturwissenschaftlichen Fachwissen, den naturwissenschaftlichen Denkweisen und den Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltzuganges. Die kanonische Struktur der naturwissenschaftlichen Fächer in der Schule wie auch im Lehramtsstudium erschweren dabei sicherlich die reflexive Auseinandersetzung mit den Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltzuganges und begünstigen eine Überbetonung des naturwissenschaftlichen Fachwissens. Naturwissenschaftliche Bildungsprozesse, die dagegen die naturwissenschaftlichen Denkweisen in den Mittelpunkt stellen, können sowohl eine Auseinandersetzung mit dem Fachwissen als auch den Grenzen der Naturwissenschaften möglich machen. 4.2

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

Ingrid Hemmer

Klimawandel, kriegerische Auseinandersetzungen, Migration, Biodiversitätsverlust, Ressourcenkonflikte, Pandemien, Armut … Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Erforderlich sind wissenschaftliche Analysen mit Lösungsansätzen, aber auch schnelle und konkrete Maßnahmen von Politik und Wirtschaft und auch von uns als Individuen. Die große Transformation (WBGU, 2011) hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft ist Konsens. Um diese zu erreichen, steht die Forderung im Raum, dass die Bildung sich dieser vielschichtigen Thematik stärker annehmen muss als bisher.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) greift diese wichtigen, längerfristig bedeutsamen Umwelt- und Entwicklungsprobleme auf. Sie soll in alle Bildungsbereiche und Fachgebiete und damit auch in die Geowissenschaften implementiert werden, zumal viele dieser Herausforderungen geowissenschaftliche Dimensionen haben. Diese folgenden Ausführungen sollen dazu beitragen, BNE noch stärker in geowissenschaftlichen Bildungsbereichen zu verankern (. Abb. 4.2.) 4.2.1

Was ist BNE? – Entstehung und Begriffsklärung

Bildung für nachhaltige Entwicklung entwickelte sich im Nachgang der Konferenz von Rio de Janeiro 1992 aus den beiden Strängen Umweltbildung und Globales Lernen und führt diese zwei fachübergreifenden Anliegen zusammen. Die Konferenz machte deutlich, dass man Umwelt- und Entwicklungsprobleme nicht separat voneinander sehen kann, sondern dass diese mehrfach verflochten sind und man Lösungsansätze finden muss, die beide Anliegen berücksichtigen. Die oben genannten Herausforderungen, die nahezu alle im Bereich der MenschUmwelt-Wechselbeziehungen liegen, zeigen dies deutlich. Aus diesen Erkenntnissen heraus wurde in Rio 1992 das Leitbild einer nachhaltigen, d. h. umwelt- und sozialverträglichen Entwicklung konzipiert. 178 Staaten der Weltgesellschaft verpflichteten sich in der so genannten Agenda 21, diesem Leitbild zu folgen (UNCED, 1992). Man versuchte die Umsetzung des Leitbildes durch verschiedene Maßnahmen voranzubringen. 2015 wurde von

93

4.2  •  Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

den Vereinten Nationen die Agenda 2030 (UN, 2018) beschlossen, die 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) umfasst, die bis 2030 erreicht sein sollen. Viele der 17 Ziele weisen Bezüge zu den Geowissenschaften auf. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung in Deutschland definiert nachhaltige Entwicklung wie folgt:

» „Nachhaltige Entwicklung heißt, Umweltgesichtspunkte

gleichberechtigt mit sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern ein intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches Gefüge hinterlassen.“ (Rat für Nachhaltige Entwicklung, 2020)

Diese im zweiten Satz der Definition angesprochene Generationengerechtigkeit ist weltweit zu sehen und umfasst daher auch eine globale Gerechtigkeit. Um dieses Leitbild bei den Bürgerinnen und Bürgern zu verankern, wird eine Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) gefordert. Nicht in allen Nachhaltigkeitsstrategien verfügt BNE schon über den entsprechenden Stellenwert. Man versuchte, diesen in den Jahrzehnten nach der Konferenz in Rio durch eine Dekade für BNE (2005– 14) und Weltaktionsprogramme BNE (2015–2019 sowie 2020–2030) zu heben. Aktuell richtet sich das Ziel 4 der Agenda 2030 auf eine hochwertige Bildung, die unter Punkt 4.7 betont, dass u. a. durch BNE alle Lernenden die Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben, die zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung erforderlich sind. Aber was genau ist BNE? Im Nationalen Aktionsplan BNE (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017, S. 7) liest man dazu Folgendes: „BNE steht für eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt.“ Diese Zielsetzung ist eng verbunden mit dem Begriff der Gestaltungskompetenz (de Haan, 2008). Operationalisierter ist die Definition der UN, bei der die Anlehnung an die o. g. inhaltliche Definition von Nachhaltigkeit ersichtlich wird und die gleichzeitig deutlich macht, dass BNE auf Kompetenzförderung und Empowerment abhebt und in einem lebenslangen Prozess die verschiedenen Dimensionen des Lernens angesprochen werden müssen:

» „ESD [Education for Sustainable Development] empowers

learners with knowledge, skills, values and attitudes to take informed decisions and make responsible actions for environmental integrity, economic viability and a just society empowering people of all genders, for present and future generations, while respecting cultural diversity. ESD is a lifelong learning process and an integral part of quality education that enhances cognitive, social and emotional and behavioural dimensions of learning.“ (UN General Assembly Resolution, 2017)

Der Begriff bzw. das Konzept einer BNE ist komplex, was eine Implementierung nicht einfach macht. In der Diskussion wurden nicht selten Merkmale weggelassen oder überbetont. Vare und Scott (2007) erkannten die Strömungen ESD 1 („Inhalte“) und ESD 2 („Prozess“), die in Folge vielfach zitiert wurden. Vare (2014, S.  103 ff.)  betont jedoch in seiner späteren Veröffentlichung die notwendigen Verbindungen zwischen ESD 1 und 2 und sieht beide als untrennbar miteinander verbundene Komponenten von BNE. Zuweilen findet man in wissenschaftlichen Diskussionen, z. B. aus der Tradition des globalen Lernens heraus, etwas abweichende Begriffserläuterungen und in der Bildungspraxis z. B. wenig Trennschärfe zur Umweltbildung, aber BNE mit ihrem Mehrwert der Zusammenführung der Strömungen, Zielsetzungen und Dimensionen ist inzwischen Konsens. Klimabildung ist ein Teilbereich einer BNE (z. B. Adamina et al., 2018; Siegmund Space & Education gGmbH, 2021). BNE weist Überschneidungen mit anderen fachübergreifenden Anliegen, wie z. B. der politischen Bildung, auf. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass BNE eine Form transformativer Bildung (WBGU, 2011; Grund & Singer-Brodowski, 2020) und guter, qualitativ hochwertiger Bildung darstellt, aber nicht jede gute Bildung ist mangels entsprechender inhaltlicher Bezüge BNE. Bildung für nachhaltige Entwicklung hat zweifellos durch das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung einen schwach normativen, gleichzeitig aber über seine Kompetenzausrichtung auch einen reflexiven und emanzipatorischen Charakter. Um Bildungsprozesse und -materialien gemäß einer BNE konzipieren zu können, sind nähere Einblicke in die wesentlichen Faktoren eines BNE-orientierten Bildungsangebotes wichtig. Die wesentlichen Faktoren  einer BNE-Didaktik sind für alle Bildungsbereiche ähnlich, natürlich auch im geodidaktischen Bereich anwendbar (7 Abschn. 11.1), und werden im Folgenden näher erläutert. 4.2.2 Faktoren

eines BNE-Bildungsangebotes

Über alle Bildungsbereiche hinweg bedarf es bei der Konzeption von BNE-Bildungsangeboten der Verknüpfung von Kompetenzen, Inhalten sowie Methoden und Medien, um das Ziel von BNE zu erreichen (. Tab. 4.1). Daneben sei noch auf die Lernvoraussetzungen, auf die Evaluation und auf die Partizipation verwiesen. Darüber hinaus ist im Sinne einer BNE darauf zu achten, dass quer dazu der Lernprozess nicht nur kognitiv ausgerichtet ist, sondern kognitive, emotionale und konative Aspekte berücksichtigt, also nach einem alten pädagogischen Grundsatz (Pestalozzi 1746–1827) das Lernen mit Kopf, Herz und Hand erfolgt.

4

94

Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

..Tab. 4.1  Faktoren eines BNE-Bildungsangebotes. (Eigener Entwurf, verändert nach Bellina et al., 2020)

4

Elemente

Erläuterung

Lernvoraussetzungen

BNE beachtet BNE-bezogene Lernvoraussetzungen (Interessen, Einstellungen, Vorstellungen, umweltpsychologische Aspekte)

Ziele/ Kompetenzen

BNE fördert bestimmte Kompetenzen

Inhalte

BNE behandelt bestimmte Inhalte/Inhaltsaspekte

Methoden

BNE wählt Methoden bewusst zur Kompetenzförderung aus und gestaltet entsprechende Lehr-Lernumgebungen

Medien

BNE wählt adressaten-, kompetenz- und inhaltsgerechte Medien aus

Evaluation

BNE wählt kompetenz- und inhaltsadäquate Evaluationsformen aus

Partizipation

BNE ermöglicht Teilhabe und Mitbestimmung

4.2.3 Lernvoraussetzungen

Das Interesse an BNE-Themen ist im Regelfall sehr hoch. Bei den Jüngeren ist das Interesse an Themen, die sich mit Natur/Umwelt und besonders Tieren, aber auch mit anderen Ländern und Kulturen beschäftigen, sehr ausgeprägt; in der Pubertät entwickelt sich ein besonderes Interesse für Gerechtigkeitsfragen (vgl. z. B. Hemmer & Hemmer, 2017). Bedeutsam ist darüber hinaus auch zu wissen, dass Teilnehmende an Bildungsangeboten gewöhnlich bereits Vorstellungen (Präkonzepte, Alltagsvorstellungen) zu einer bestimmten Thematik mitbringen, die z. T. weit von den wissenschaftlichen Vorstellungen abweichen und eine sachgemäße Rezeption erschweren. Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen wurde in vielen empirischen Studien festgestellt, dass ein großer Anteil der Befragten die Phänomene Treibhauseffekt und Ozonloch verwechselt und darüber hinaus die Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels, auch nach der unterrichtlichen Behandlung, nicht ausreichend kennt (vgl. z. B. Reinfried et al., 2010). Ein weiteres wichtiges Beispiel ist darin zu sehen, dass der Verlust der biologischen Artenvielfalt in seiner aktuellen Dramatik kaum ins Bewusstsein gerückt ist (vgl. IPBES, 2019). Darüber hinaus wird die Hauptursache für diesen Verlust nicht erkannt (intensive Landwirtschaft; vgl. z. B. Heinrich-Böll-Stiftung, 2019; Limmer et al., 2019). Diese Verluste und ihre Auswirkungen werden in fernen Regionen und nicht in Deutschland vermutet. Diese Beispiele machen deutlich, wie bedeutsam die fachgerechte Behandlung von BNE-Themen ist, denn sie ist die Basis von sinnvollem Handeln.

Um vom Wissen bzw. von der Handlungsintention zum Handeln zu kommen, spielen weitere Faktoren eine Rolle, die uns beeinflussen. Hamann (2016) hat in ihrem psychologischen Modell zur Erklärung nachhaltigen Verhaltens die Bedeutung der persönlichen Norm, der sozialen Normen, der Kosten-Nutzen-Überlegungen sowie der Emotionen und der Gewohnheiten unterstrichen. Diese Faktoren erwiesen sich laut den bisherigen Studien als die einflussreichsten. Als Schlussfolgerungen daraus lassen sich durchaus didaktische Strategien entwickeln, welche die daraus erwachsenen Handlungsbarrieren zu überwinden helfen, wie z. B. Anreize, Selbstverpflichtungen, Anerkennung, positive Emotionen wecken. 4.2.4

Ziele und Kompetenzen

Ziel einer BNE ist es, die Lernenden zu fördern, sich die Befähigung zu zukunftsfähigem Denken und Handeln aufzubauen. In der Literatur wird diese auch häufig als Gestaltungskompetenz bezeichnet. Dieser Begriff geht auf Gerhard de Haan (2008; . Tab. 4.2) zurück, der in seinem Kompetenzmodell zwölf Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz ausweist. Er lehnt sich in seinem Modell an das internationale OECD-Kompetenzmodell an. Es finden sich in der Literatur weitere Kompetenzmodelle, z. B. das vom sog. Orientierungsrahmen (Engagement Global, 2016). Bei einem Abgleich findet sich jedoch eine sehr hohe Übereinstimmung mit dem Modell der Gestaltungskompetenz, sodass es reicht, hier das sehr bekannte Modell von de Haan (2008) vorzustellen. Es fällt auf, dass in diesem Modell soziale und personale Kompetenzen überwiegen und der Bereich der Sach- und Methodenkompetenz vergleichsweise knapp gefasst ist. Man ging hierbei davon aus, dass von den Fächern fachliche Grundlagen gelegt werden, auf welche die Gestaltungskompetenz aufbaut. Allerdings muss man kritisch anmerken, dass man davon nicht ohne Weiteres ausgehen kann, weil im jetzigen Fachunterricht nicht unbedingt alle BNE-relevanten Fachaspekte abgedeckt werden. Weniger explizit wird in dem Modell von de Haan (2008) die Systemkompetenz dargestellt, die implizit jedoch in der Sach- und Methodenkompetenz enthalten ist, allerdings bei anderen BNE-Kompetenzmodellen zentraler steht (vgl. z. B. Wieck et al., 2011). Sie sollte in ihrer Bedeutung (Mensch-Umwelt-Wechselbeziehungen) auch für den Unterricht nicht unterschätzt werden. Auffällig ist die Zukunftsorientierung, die bei den Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz sichtbar wird und auf die Generationengerechtigkeit verweist. Wichtig ist der Hinweis, dass in einer Unterrichtsstunde natürlich nicht alle Teilkompetenzen gefördert werden können. Hier ist die Sequenzplanung, wenn nicht sogar die Halbjahres- bzw. Jahresplanung wichtig.

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4.2  •  Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

4.2.5 Inhalte

Schon früh wurde die Diskussion darüber geführt, welche Inhalte im Rahmen einer BNE behandelt werden. Es gab eine ganze Reihe von Ansätzen zur Klärung dieser Frage. Man kann drei Ansätze unterscheiden: 1. Behandlung von BNE-Themen: Als BNE-Themen kann man die großen Umwelt- und Entwicklungsprobleme anführen. Rieß (2010) verwendete in seinen empirischen Studien einen Katalog entlang der drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Bagoly-Simó (2014) leitete seinen Katalog von mehr als 40 Themen aus den internationalen Dokumenten einer BNE ab. Der Orientierungsrahmen (Engagement Global, 2016) bietet einen Themenkatalog an, der aber relativ stark auf den Strang des globalen Lernens ausgerichtet ist. In jüngerer Zeit überwiegen die Stimmen (Bellina et al., 2020; Rieckmann, 2018), die vorschlagen, sich bei der Themenfindung an den 17 Nachhaltigkeitszielen zu orientieren. Dies bietet viele Vorteile, aber die Themengebiete der Ziele sind sehr breit und nicht alle unstrittig formuliert. Wichtig ist, darauf zu achten, dass das ausgewählte BNE-Thema auch nach den Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung inhaltlich operationalisiert wird (s. Punkt 3). 2. Kriterien zur Auswahl von Themen: De Haan (2002) schlug bereits früh vor, statt konkreter Themen Kriterien festzulegen, die zur Auswahl von Themen führen. Er schlug vier Kriterien vor (de Haan, 2002): – Zentrales, lokales und/oder globales Thema für nachhaltige Entwicklungsprozesse – Längerfristige Bedeutung – Differenziertheit des Wissens – Handlungspotenzial Zu ergänzen wäre aus pädagogisch-didaktischer Sicht der Bezug zum Alltag der Jugendlichen. Kernthemen einer BNE müssen also ermöglichen, möglichst viele Aspekte des (B)NE-Konstrukts anzusprechen und die Einsicht in die Vernetzung zu ermöglichen. 3. Aspekte der inhaltlichen Operationalisierung: Bei BNE besteht der Anspruch, alle Themen gemäß einer BNE zu behandeln. Dies gilt für typische BNEThemen wie z. B. den Klimawandel, aber auch für eher klassische geowissenschaftliche Themen wie etwa Gesteine. Suchinstrument für die Aspekte ist das oben beschriebene Nachhaltigkeitsverständnis, welches erfordert, ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte ebenso zu betrachten wie die globale Bedeutung und die in die Zukunft ausgerichtete Entwicklung. Sind Herausforderungen mit dem Thema verbunden, ist ein Wissen um mögliche Lösungsansätze wichtig, um Gestaltungskompetenz aufzubauen.

..Tab. 4.2  Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz und mögliche Methoden zur Förderung derselben. (Teilkompetenzen: de Haan, 2008; Methoden: eigener Entwurf) Teilkompetenzen

Methoden (Auswahl)

Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen

Informationsbeschaffung/­  -auswertung anhand verschiedener Medien, Recherchen, z. B. durch Interviews, Experimente

Vorausschauend Entwicklungen analysieren und beurteilen können

Zukunftswerkstätten, Szenariotechnik, Planspiele, Rollenspiele

Interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und handeln

Projekte, Werkstattarbeit, Stoffgeschichten, forschendes Lernen

Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können

SWOT-Analysen, Szenariotechnik

Gemeinsam mit anderen planen und handeln können

Projekte, Exkursionen, Experimente, Design Thinking, Open Space, World Café

Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können

Argumentationsketten, Fishbowl, Rollenspiele

An kollektiven Entscheidungsprozessen teilhaben können

Projekte, Zukunftswerkstatt

Sich und andere motivieren können, aktiv zu werden

Ausstellung, Pressearbeit

Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können

Wahrnehmungsspiele, Philosophieren, Reiseberichte; SDG-Materialien

Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungsund Handlungsgrundlage nutzen können

Dilemmadiskussion, z. B. bei Kinderarbeit; Weltverteilungsspiel

Selbstständig planen und handeln können

Projekte, Exkursionen, forschendes Lernen

Empathie für andere zeigen können

Fair-Trade-Projekte, Patenschaften, Eine-Welt-Spiele, Arbeit mit Filmen, Rollenspiele

4.2.6

Methoden und Medien

Es gibt keine Methoden oder Medien, die exklusiv für den BNE-Bereich wären. Die Wahl von Methoden und Medien ist vielmehr abhängig von der jeweiligen teilnehmenden Gruppe, von der Teilkompetenz, die man fördern, und vom Inhalt, den man behandeln möchte. . Tab. 4.2 macht die Vielfalt der Methoden deutlich, die man bei den verschiedenen Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz einsetzen kann.

4

96

Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

4.2.7 Evaluation

4

Bei der formalen Bildung in Hochschule und Schule spielt die Evaluation eine wichtige Rolle. Ändert man das Bildungsangebot und gestaltet es im Sinne einer BNE, so erscheinen die üblichen Evaluationen bzw. Prüfungsformen problematisch. Reine Wissensabfragen sind unzureichend bzw. weniger geeignet. Der Wandel zum kompetenzorientierten Unterricht hat hier bereits zu einem Bewusstseinswandel geführt und kompetenzorientierte Prüfungsformen, z. B. Portfolios oder Podcasts, haben Einzug gehalten. Hier ist jedoch noch einige Entwicklungsarbeit zu leisten. 4.2.8 Partizipation

Im Nationalen Aktionsplan BNE (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017) ist der Partizipation ein eigenes Kapitel gewidmet. Hier wird eine Synergie zwischen BNE und politischer Bildung besonders deutlich. Um das übergeordnete Ziel einer BNE, die Förderung von Gestaltungskompetenz, zu erreichen, ist es wichtig, auf verschiedenen Ebenen Partizipation zu realisieren. Im Bereich des Unterrichtes ist eine Mitsprache der Schülerinnen und Schüler spätestens seit dem Hamburger Modell (vgl. Schulz, 1980) in Diskussion und wird doch in der Praxis eher weniger realisiert. Um Selbstwirksamkeit und Gestaltungskompetenz zu stärken, ist bei der Konzeption von Bildungsangeboten und Lernumgebungen bis hin zu einem Whole Institution Approach (WIA) deutlich mehr Partizipation auf Augenhöhe erforderlich, als sie derzeit üblich ist. Das Ausmaß ist jedoch kontextabhängig. In den formalen Einrichtungen ist es z. B. eher möglich, die Lernenden stärker in die Planung mit einzubeziehen, als dies bei nonformalen Einrichtungen möglich ist. In der Schule kann die pädagogische Freiheit, die der Lehrplan durchaus lässt, kreativ ausgeschöpft werden. Schülerinnen und Schüler können mitwirken, um z. B. im Lehrplan optional gesetzte Themen auszuwählen oder auch im Lehrplan genannte Themenaspekte zu gewichten oder für sie interessante (Themen‑)Aspekte zusätzlich in den Unterricht aufzunehmen. Auch bei der Projektthemenwahl sowie bei der Methoden- und Medienauswahl kann sich eine Mitwirkung der Jugendlichen positiv auf die Motivation und Selbstwirksamkeit auswirken (vgl. z. B. Hemmer & Hemmer, 2010). 4.2.9

BNE in den Schulen

BNE ist im schulischen Bereich in Deutschland, Österreich und der Schweiz in den Lehrplänen als fachübergreifendes Ziel verankert. Eine Verankerung wird sowohl in fachübergreifenden Projekten als auch im Fachunter-

richt aller Fächer angestrebt. Empirische Studien zeigen, dass man von diesem Ziel im Fachunterricht noch recht weit entfernt ist (Bagoly-Simó, 2014, 2021; Brock, 2018). Ein höheres Ausmaß an Implementierung zeigen die Fächer Sachunterricht, Geographie, Biologie und mit Abstrichen Wirtschaft, Politik (Bagoly-Simó 2014, 2021; Brock, 2018). Es zeigt sich, dass fast alle BNE-Themen bereits als Fachthemen im Unterricht verankert sind und kein Add-on bilden. Allerdings ist eine Verknüpfung der Fachthemen mit den inhaltlichen Aspekten nachhaltiger Entwicklung sowie den angestrebten Kompetenzen und Methoden/Medien erforderlich, um eine BNE zu realisieren. Dabei kann das Fach Geographie auf eine besonders hohe Implementierung verweisen, die sich nicht nur in Lehrplänen und Unterrichtsmaterialien zeigt, sondern auch in der Lehrkräftebildung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Geographie hat eine hohe Affinität zu BNE bezüglich seiner Ziele, Kompetenzen, Konzepte, Inhalte und Methoden und kann damit den Anspruch erheben, Leitfach einer BNE zu sein. An den Schulen werden nicht selten attraktive fachübergreifende BNE-Projekte durchgeführt, aber mit ihnen ist das Ziel der strukturellen Verankerung einer BNE nicht zu erreichen. Gleichwohl sollte der Spielraum für solche BNE-Projekte, die auch im Fachunterricht stattfinden können, deutlich ausgeweitet werden, bieten sie doch Spielraum auch für transdisziplinäres Arbeiten, welches die Selbstwirksamkeit von Schülerinnen und Schülern deutlich erhöht. Abgesehen vom Sachunterricht sind die an den Schulen zunehmend vorzufindenden Fächerverbünde nicht als vorteilhaft für eine BNE einzustufen, weil sie einseitig gesellschaftswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich ausgelegt sind und somit den Herausforderungen, denen wir in der Realität gegenüberstehen, nicht gerecht werden. 4.2.10 BNE

an Hochschulen

Während der Prozess der Implementierung an den Schulen schon länger läuft, zeigten sich die Hochschulen zunächst noch wenig vorbereitet auf die Zielsetzung, allen Studierenden einen Zugang zu BNE zu verschaffen, und noch weniger, BNE in allen Studiengängen zu verankern, wie es der Nationale Aktionsplan (Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung, 2017), aber auch das Weltaktionsprogramm vorsieht. Analysiert man die gegenwärtige Implementierung, so zeigt sich auch hier, dass man von der Zielsetzung noch weit entfernt ist (Etzkorn & Singer-Brodowski, 2019), aber in den letzten Jahren, beginnend ab etwa 2015, ist zu erkennen, dass sich an den Hochschulen ein deutlicher Wandel vollzieht. Relativ viele begeben sich derzeit auf den Weg, Nachhaltigkeit stärker an den Hochschulen zu verankern, und erkennen, dass sie für den Bereich der Lehre dringend

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4.2  •  Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

mehr Engagement und Expertise für den Bereich BNE benötigen. Bisher gibt es kaum ein hochschuldidaktisches Angebot in diesem Bereich (Hemmer et al., 2022). Als Überbrückung werden zunehmend Zertifikate für den Bereich „Nachhaltige Entwicklung“ angeboten. In den geowissenschaftlichen Studiengängen finden sich viele der o. g. BNE-Themen, aber die Lehre beschränkt sich meistens auf ihre Behandlung im fachwissenschaftlichen Sinne und wird so dem oben formulierten Anspruch einer BNE noch nicht gerecht. 4.2.11 BNE

in der nonformalen Bildung

Die Implementierung von BNE in außerschulischen Bildungseinrichtungen setzte schon relativ früh und verstärkt mit der UN-Dekade BNE ein (Singer-Brodowski, 2019). Dank des engagierten Einsatzes der großen Trägerverbünde, insbesondere der Arbeitsgemeinschaft Naturschutz und Bildung (ANU), wurden früh einschlägige Fortbildungen angeboten und dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung bzw. BNE entsprechende Zertifizierungen entwickelt. Dies führte dazu, dass viele BNE-Akteurinnen und -akteure über gute Konzeptkenntnisse verfügen (Reinke, 2021). Allerdings findet man auch hier größere Unterschiede in der Expertise, aber auch Benennungen dieser Einrichtungen, die vielfach noch unter Namen wie „Umweltstation“ firmieren. Seit 2010 wird an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt der Masterstudiengang „Geographie: Bildung für nachhaltige Entwicklung“ angeboten, der bereits in der Ausbildung BNE-Expertise zur Konzeption von BNE-Bildungsangeboten vermittelt (Hemmer et al., 2018). Als besonders wichtig für den geowissenschaftlichen Kontext seien hier Biosphärenreservate sowie Geoparks hervorgehoben. Biosphärenreservate verfolgten von Beginn an das Ziel, in ihrer jeweiligen Region zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Folgerichtig begann man, auch die Bildungsarbeit entsprechend auszurichten, und formulierte bereits 2014 ein entsprechendes Positionspapier (UNESCO, 2014), welches die einzelnen Reservate dabei unterstützte, BNE-Bildungsangebote durchzuführen und zu konzipieren. Etwas später begann der gleiche Prozess auch bei den Geoparks. Mit Unterstützung der Deutschen UNESCOKommission wurden Workshops angeboten, um den jeweiligen Akteurinnen und -akteuren, welche für die Bildungsarbeit in den Geoparks verantwortlich waren, die Implementierung von BNE zu erleichtern. Bei den Geoparks war die inhaltliche Ausweitung der Aspekte gemäß BNE anfangs etwas schwieriger als bei den Biosphärenreservaten, weil die zunächst vorhandene rein geowissenschaftliche Perspektive um ökologische, ökonomische, soziale und globale Aspekt ausgeweitet werden musste.

BNE umfasst jedoch nicht nur eine entsprechende inhaltliche Ausweitung, sondern auch die Förderung von Gestaltungskompetenz. Hier ist die Bildungsarbeit vor Ort noch mehr gefordert als in den formalen Bildungssystemen, insbesondere, wenn nur ein begrenzter Zeitraum von wenigen Stunden zur Verfügung steht. Besteht jedoch die Gelegenheit, einen oder sogar mehrere Tage mit einer Gruppe arbeiten zu können, so sind die Chancen, BNE-Kompetenzen zu fördern, sogar als höher einzuschätzen. Schwierig ist es, eine Partizipation zu erreichen, müssen doch die Angebote schon lange im Voraus entwickelt und ausgeschrieben werden. Vielfach ungelöst ist die Frage einer guten Evaluation. Wichtig sind in jedem Fall eine gute Kooperation und, falls möglich, Vor- und Nachbereitung, insbesondere bei schulischen Gruppen, die häufig das Hauptklientel darstellen. Ganz ähnlich stellt sich die Situation bei der Bildungsarbeit in Nationalparks, geowissenschaftlichen Lehrpfaden bzw. Themenwegen sowie geowissenschaftlichen Museen, Welterbegebieten, Ausstellungen und ähnlichen Einrichtungen dar, die geowissenschaftliche Bereiche tangieren. Nach und nach findet BNE hier, abhängig von der BNE-Expertise der jeweiligen Akteure, Eingang. Besonders vorbildlich ist hier z. B. die Bildungsarbeit des Nationalparks Nordschwarzwald. 4.2.12 BNE-Whole-Institution-Approach

(WIA)

Effektives und zielgerichtetes Lernen im Sinne einer BNE kann nur stattfinden, wenn auch die Lernumgebung entsprechend gestaltet ist. Das im Bildungsangebot Vorgestellte muss glaubhaft vermittelt werden, in einer Umgebung, die das bestmöglich auch praktiziert, was sie vermitteln möchte. Dieser alte pädagogische Grundsatz wird auch im Weltaktionsprogramm aufgegriffen, in dem als eines von fünf Aktionsfeldern für Bildungseinrichtungen die Realisierung eines Whole Institution Approach (WIA) gefordert wird (UNESCO, 2020). Dies gilt für Schulen und Hochschulen ebenso wie für außerschulische Bildungseinrichtungen (. Abb. 4.3). Abstrahiert man die schon vorhandenen Konzepte von WIA für Schulen (z. B. Hemmer & Lindau, 2021) allgemein auf Bildungseinrichtungen, so sind als Handlungsfelder neben der Bildung in jedem Fall die Felder Governance (Leitung), Betrieb, Kultur des Miteinanders und Kooperation (mit externen Einrichtungen) festzuhalten. Andere Handlungsfelder (z. B. Forschung) können hinzutreten. Insbesondere der Betrieb, also die Bewirtschaftung der Einrichtung (z. B. Gebäudegestaltung, Energieverbrauch, Verpflegung, Gestaltung des Außengeländes), spielt für die Glaubwürdigkeit eine herausragende Rolle. Hilfreich für die Umsetzung eines WIA ist eine Strategie oder ein Konzept mit Zielen und Maßnahmen.

4

Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

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4

..Abb. 4.3  BNE-Whole-Institution-Approach in Bildungseinrichtungen. (Autorin)

4.2.13 Ausblick

Bildung für nachhaltige Entwicklung spielt auch in der geowissenschaftlichen Bildung eine zunehmend wichtigere Rolle und ist in der formalen und nonformalen Bildung gut zu realisieren. Gerade die recht hohe Affinität der Geowissenschaften zum Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung und ihr hohes Potenzial, zur Entwicklung von Lösungsansätzen beizutragen, zeigt die großen Chancen, aber auch die Verantwortung, welche in der Implementierung von BNE im Rahmen der geowissenschaftlichen Bildungsarbeit liegt. 4.3

Strategie für Bildung in einer digitalen Welt

Sylke Hlawatsch

Lernen im Kontext der zunehmenden Digitalisierung und das kritische Reflektieren sollen integraler Bestandteil des Bildungsauftrages sein, um junge Menschen zu einer aktiven und verantwortlichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu befähigen. Medienkompetenz soll demnach über alle Schulfächer hinweg systematisch erworben, gefordert und gefördert werden. Damit dies gelingt, hat die Kultusministerkonferenz (KMK, 2017) für alle Bildungsbereiche, also die Schule, die berufliche Bildung, die Hochschule und die Weiterbildung, die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ beschlossen:

» „[…] Für den schulischen Bereich gilt, dass das Lehren

und Lernen in der digitalen Welt dem Primat des Pädagogischen – also dem Bildungs- und Erziehungsauftrag – folgen muss. Das heißt, dass die Berücksichtigung des digitalen Wandels dem Ziel dient, die aktuellen bildungspolitischen Leitlinien zu ergänzen und durch Verände-

rungen bei der inhaltlichen und formalen Gestaltung von Lernprozessen die Stärkung der Selbstständigkeit zu fördern und individuelle Potenziale innerhalb einer inklusiven Bildung auch durch Nutzung digitaler Lernumgebungen besser zur Entfaltung bringen zu können. […] Die Digitalisierung beschreibt einen grundsätzlichen Wandel in der Verbreitung von Daten, Informationen und Wissen. Den Hochschulen kommt in diesem Zusammenhang eine doppelte Funktion zu. Einerseits sind sie die Orte, in denen die technologischen Innovationen erforscht und entwickelt werden, die den digitalen Wandel umsetzen. Andererseits wird dieses Wissen um digitale Prozesse und deren Konsequenzen an Hochschulen auch vermittelt. Darüber hinaus bieten sich den Hochschulen als Lehrbetrieb durch die Digitalisierung neue und innovative Formen der Wissensvermittlung an, die sich längst nicht nur auf die Digitalisierung als Forschungsgegenstand beziehen, sondern in unterschiedlicher Ausprägung für sämtliche Lehrinhalte der verschiedenen Disziplinen eine Bereicherung darstellen können. […]“(KMK, 2017, Präambel)

Das Ziel ist:

» „[…], dass möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder

Schüler jederzeit, wenn es aus pädagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können sollte. Vorrausetzung dafür sind eine funktionierende Infrastruktur, die Klärung verschiedener rechtlicher Fragen, die Weiterentwicklung des Unterrichts und vor allem auch eine entsprechende Qualifikation der Lehrkräfte.“ (KMK, 2017, S. 11)

Die Länder haben sich dazu verpflichtet, allen Schülerinnen und Schülern, die zum Schuljahr 2018/19 in die Grundschule eingeschult werden oder in die Sekundarstufe I eintreten, bis zum Ende der Pflichtschulzeit den Erwerb solcher Kompetenzen für ein Leben in der digitalen Welt zu ermöglichen. Die „Kompetenzen in der digitalen Welt“ umfassen die nachfolgend aufgeführten sechs Kompetenzbereiche (KMK, 2017): 1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren 1.1. Suchen und Filtern 1.1.1. Arbeits- und Suchinteressen klären und festlegen 1.1.2. Suchstrategien nutzen und weiterentwickeln 1.1.3. In verschiedenen digitalen Umgebungen suchen 1.1.4. Relevante Quellen identifizieren und zusammenführen 1.2. Auswerten und Bewerten 1.2.1. Informationen und Daten analysieren, interpretieren und kritisch bewerten 1.2.2. Informationsquellen analysieren und kritisch bewerten 1.3. Speichern und Abrufen

4.3  •  Strategie für Bildung in einer digitalen Welt

1.3.1. Informationen und Daten sicher speichern, wiederfinden und von verschiedenen Orten abrufen 1.3.2.  Informationen und Daten zusammenfassen, organisieren und strukturiert aufbewahren 2. Kommunizieren und Kooperieren 2.1. Interagieren 2.1.1. Mit Hilfe verschiedener digitaler Kommunikationsmöglichkeiten kommunizieren 2.1.2. Digitale Kommunikationsmöglichkeiten zielgerichtet- und situationsgerecht auswählen 2.2. Teilen 2.2.1. Dateien, Informationen und Links teilen 2.2.2.  Referenzierungspraxis beherrschen (Quellenangaben) 2.3. Zusammenarbeiten 2.3.1. Digitale Werkzeuge für die Zusammenarbeit bei der Zusammenführung von Informationen, Daten und Ressourcen nutzen 2.3.2. Digitale Werkzeuge bei der gemeinsamen Erarbeitung von Dokumenten nutzen 2.4. Umgangsregeln kennen und einhalten (Netiquette) 2.4.1. Verhaltensregeln bei digitaler Interaktion und Kooperation kennen und anwenden 2.4.2. Kommunikation der jeweiligen Umgebung anpassen 2.4.3. Ethische Prinzipien bei der Kommunikation kennen und berücksichtigen 2.4.4. Kulturelle Vielfalt in digitalen Umgebungen berücksichtigen 2.5. An der Gesellschaft aktiv teilhaben 2.5.1. Öffentliche und private Dienste nutzen 2.5.2. Medienerfahrungen weitergeben und in kommunikative Prozesse einbringen 2.5.3. Als selbstbestimmter Bürger aktiv an der Gesellschaft teilhaben 3. Produzieren und Präsentieren 3.1. Entwickeln und Produzieren 3.1.1.  Mehrere technische Bearbeitungswerkzeuge kennen und anwenden 3.1.2. Eine Produktion planen und in verschiedenen Formaten gestalten, präsentieren, veröffentlichen oder teilen 3.2. Weiterverarbeiten und Integrieren 3.2.1. Inhalte in verschiedenen Formaten bearbeiten, zusammenführen, präsentieren und veröffentlichen oder teilen 3.2.2. Informationen, Inhalte und vorhandene digitale Produkte weiterverarbeiten und in bestehendes Wissen integrieren 3.3. Rechtliche Vorgaben beachten 3.3.1. Bedeutung von Urheberrecht und geistigem Eigentum kennen 3.3.2. Urheber- und Nutzungsrechte (Lizenzen) bei eigenen und fremden Werken berücksichtigen 3.3.3. Persönlichkeitsrechte beachten

99

4. Schützen und sicher agieren 4.1. Sicher in digitalen Umgebungen agieren 4.1.1. Risiken und Gefahren in digitalen Umgebungen kennen, reflektieren und berücksichtigen 4.1.2. Strategien zum Schutz entwickeln und anwenden 4.2. Persönliche Daten und Privatsphäre schützen 4.2.1.  Maßnahmen für Datensicherheit und gegen Datenmissbrauch berücksichtigen 4.2.2. Privatsphäre in digitalen Umgebungen durch geeignete Maßnahmen schützen 4.2.3. Sicherheitseinstellungen ständig aktualisieren 4.2.4. Jugendschutz- und Verbraucherschutzmaßnahmen berücksichtigen 4.3. Gesundheit schützen 4.3.1. Suchtgefahren vermeiden, sich selbst und andere vor möglichen Gefahren schützen 4.3.2. Digitale Technologien gesundheitsbewusst nutzen 4.3.3. Digitale Technologien für soziales Wohlergehen und Eingliederung nutzen 4.4. Natur und Umwelt schützen 4.4.1.  Umweltauswirkungen digitaler Technologien berücksichtigen 5. Problemlösen und Handeln 5.1. Technische Probleme lösen 5.1.1. Anforderungen an digitale Umgebungen formulieren 5.1.2. Technische Probleme identifizieren 5.1.3. Bedarfe für Lösungen ermitteln und Lösungen finden bzw. Lösungsstrategien entwickeln 5.2. Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen 5.2.1. Eine Vielzahl von digitalen Werkzeugen kennen und kreativ anwenden 5.2.2. Anforderungen an digitale Werkzeuge formulieren 5.2.3. Passende Werkzeuge zur Lösung identifizieren 5.2.4. Digitale Umgebungen und Werkzeuge zum persönlichen Gebrauch anpassen 5.3. Eigene Defizite ermitteln und nach Lösungen suchen 5.3.1. Eigene Defizite bei der Nutzung digitaler Werkzeuge erkennen und Strategien zur Beseitigung entwickeln 5.3.2. Eigene Strategien zur Problemlösung mit anderen teilen 5.4. Digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen 5.4.1. Effektive digitale Lernmöglichkeiten finden, bewerten und nutzen 5.4.2. Persönliches System von vernetzten digitalen Lernressourcen selbst organisieren können 5.5. Algorithmen erkennen und formulieren 5.5.1. Funktionsweisen und grundlegende Prinzipien der digitalen Welt kennen und verstehen. 5.5.2. Algorithmische Strukturen in genutzten digitalen Tools erkennen und formulieren

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Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

5.5.3. Eine strukturierte, algorithmische Sequenz zur Lösung eines Problems planen und verwenden 6. Analysieren und Reflektieren 6.1. Medien analysieren und bewerten 6.1.1. Gestaltungsmittel von digitalen Medienangeboten kennen und bewerten 6.1.2. Interessengeleitete Setzung, Verbreitung und Dominanz von Themen in digitalen Umgebungen erkennen und beurteilen 6.1.3. Wirkungen von Medien in der digitalen Welt (z. B. mediale Konstrukte, Stars, Idole, Computerspiele, mediale Gewaltdarstellungen) analysieren und konstruktiv damit umgehen 6.2. Medien in der digitalen Welt verstehen und reflektieren 6.2.1. Vielfalt der digitalen Medienlandschaft kennen 6.2.2. Chancen und Risiken des Mediengebrauchs in unterschiedlichen Lebensbereichen erkennen, eigenen Mediengebrauch reflektieren und ggf. modifizieren 6.2.3. Vorteile und Risiken von Geschäftsaktivitäten und Services im Internet analysieren und beurteilen 6.2.4. Wirtschaftliche Bedeutung der digitalen Medien und digitaler Technologien kennen und sie für eigene Geschäftsideen nutzen 6.2.5. Die Bedeutung von digitalen Medien für die politische Meinungsbildung und Entscheidungsfindung kennen und nutzen 6.2.6. Potenziale der Digitalisierung im Sinne sozialer Integration und sozialer Teilhabe erkennen, analysieren und reflektieren . Tab. 4.3 veranschaulicht die vielfältigen Bereiche der Medienkompetenz, die bei der Erarbeitung eines Erklärvideos angesprochen werden. zz Herausforderungen und Chancen für das Lernen mit digitalen Medien

Die Lehr- und Lernforschung liefert Theorien und Befunde, die für die Entwicklung von digitalen Lernumgebungen hilfreich sein können. Hierzu gehört zum Beispiel die Cognitive Load Theory (CLT) des Lernens (Sweller et al., 2011). Demnach sollen Lernprozesse nur gelingen können, wenn die Gesamtbelastung die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht überschreitet. Die Gesamtbelastung ergibt sich aus der Schwierigkeit des Lerngegenstandes und der Qualität der Lernumgebung. Die kognitive Theorie des multimedialen Lernens (Mayer, 2014) sieht Vorteile für das Lernen durch den Einsatz digitaler Medien, weil auditive und visuelle Informationen in unterschiedlichen kognitiven Strukturen verarbeitet werden, also Hören und Sehen unterschiedlich verarbeitet werden können, und weil Schülerinnen und Schüler beim Lernen mit Bildern eher Bezüge zu alltäglichen Erfahrungen herstellen.

..Tab. 4.3  Kompetenzraster für die Erstellung eines Erklärvideos Dimension

Konkretisierung

1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren

Informationen zum Thema finden, die Richtigkeit prüfen Sinnvolle Auswahl von Inhalten für den Film treffen Film auf Datenträger übertragen und abrufen

2. Kommunizieren und Kooperieren

Rechercheergebnisse teilen (gemeinsames Ablagesystem) Dateien gemeinsam bearbeiten

3. Produzieren und Präsentieren

Darstellungsformen auswählen Drehbuch schreiben Film produzieren Inhalte verschiedener Formate weiterverarbeiten und integrieren Urheber‑, Nutzungs- und Persönlichkeitsrechte beachten

4. Schützen und sicher agieren

Maßnahmen zum Schutz der Privatsphäre, Datensicherheit und Datenmissbrauch berücksichtigen

5. Problemlösen und Handeln

Technische Probleme lösen Werkzeuge bedarfsgerecht einsetzen Eigene Defizite ermitteln und Lösungen suchen Digitale Werkzeuge und Medien zum Lernen, Arbeiten und Problemlösen nutzen

6. Analysieren und Reflektieren

Merkmale eines Erklärfilmes kennen Erklärfilme kriteriengeleitet bewerten

So kann einerseits davon ausgegangen werden, dass der Einsatz digitaler Medien lernförderlich ist, weil verschiedenartigere Lernkanäle angesprochen werden. Es besteht aber andererseits die Gefahr einer kognitiven Überlastung. Im Hinblick auf Einsatzmöglichkeiten von digitalen Medien und Lernwirksamkeit für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht lieferte eine Metastudie von 79 Einzeluntersuchungen, die nach 2000 erschienen sind, folgende Ergebnisse (Hillmayr et al., 2017): Generell zeigen Klassen, in denen mit digitalen Unterrichtsmedien gearbeitet wird, im direkten Vergleich mit Klassen, die traditionell unterrichtet wurden, durchweg bessere Ergebnisse in den durchgeführten Leistungstests. Der positive Einfluss der digitalen Unterrichtsmedien auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler ist höher, wenn neben digitalen Medien zusätzlich traditionelles Material verwendet wird. Je länger mit den eingesetzten Medien im Unterricht gearbeitet wird, desto weniger profitieren Schülerinnen und Schüler von den digitalen Lernumgebungen. Das Lernen mit digitalen Medien kann zu Beginn für die Lernenden ungewohnt und spannend sein und

-

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Literatur

sich allein dadurch positiv auf die Lernmotivation auswirken kann. Um diese Motivationssteigerung jedoch aufrechterhalten zu können, muss weniger die Begeisterung am Medium selbst, sondern vielmehr das Interesse der Schülerinnen und Schüler an den jeweiligen Lerninhalten und dem Unterrichtsfach langfristig gefördert werden. Wenn Schülerinnen und Schüler digitale Medien einzeln verwenden, können sie davon profitieren. Ein deutlich größerer positiver Effekt zeigt sich jedoch, wenn die Lernenden in Paaren an einem Gerät arbeiten. Wenn Lehrkräfte vor dem Einsatz digitaler Medien eine Schulung zur Nutzung des verwendeten Lernprogramms absolviert haben, zeigt sich ein größerer positiver Einfluss auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler. Schülerinnen und Schüler profitieren stärker vom Einsatz digitaler Medien, wenn sie bei der Verwendung des Mediums zusätzlich Unterstützung durch die Lehrkraft erhalten. Auch bei einer Unterstützung durch Mitschülerinnen und Mitschüler zeigt sich ein entsprechender Effekt. Arbeiten Lernende ganz ohne Anleitung mit digitalen Lernumgebungen, so ist die positive Auswirkung gering. Die Rolle der Lehrkraft kann sich durch den Einsatz digitaler Medien – hin zur Moderation einer Unterrichtseinheit – verändern. Der Einsatz digitaler Unterrichtsmedien führt insgesamt – über alle vier Unterrichtsfächer hinweg – zu einer Steigerung der Motivation. Im direkten Vergleich mit Klassen, die mit traditionellen Methoden und Materialien unterrichtet werden, lässt sich bei Schülerinnen und Schülern, die mit digitalen Medien arbeiten, eine höhere Motivation für das jeweilige Unterrichtsfach feststellen. Die positiven Effekte auf die Lernleistung sind höher, wenn Lernprogramme adaptiv sind. Intelligente Tutorensysteme, die eine Anpassung an den individuellen Lernstand der Nutzer sowie differenziertes Feedback zu Aufgabenlösungen ermöglichen, weisen daher eine vergleichsweise hohe Wirksamkeit auf. Tutorensysteme, die keine adaptive Funktion aufweisen, haben eine etwas geringere, aber weiterhin positive Wirkung auf die Lernleistung. Vergleichsweise wenig wirksam sind dagegen Programme, die unter die Kategorie Hypermedialernen fallen.

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zz Erforderliche Infrastruktur

Empfehlungen des Strategiepapiers für Bildung in einer digitalen Welt (KMK, 2017) sind nur mit stabilen Internetzugängen in jeder Schule, zuverlässig funktionierenden Lernmanagementsystemen sowie permanent einsatzbereit verfügbaren mobilen Endgeräten zu realisieren. Für situations- und bedarfsgerecht geplanten und durchgeführten Unterricht, bei dem analoge und digitale

Medien passgenau eingesetzt werden, ist es erforderlich, dass digitale Technik (Beamer, Dokumentenkamera, ActivBoard, eine ausreichende Anzahl von Arbeitsstationen für die Lernenden mit Rechner und Drucker und Bringyour-own-device-Arbeitsplätzen), Drucker, die von den eigenen Endgeräten aus angesteuert werden können, in Fach- und Klassenräumen zusätzlich zu analogen Lehrmitteln (Tafeln, Modellen, Experimentier- und Versuchsanordnungen, originalen Anschauungsobjekten, analogen Schulbüchern, Erdzeitalterplakaten, Hilfekarten, Heft, Klebestift, Schere, Lineal, Atlas etc.) verfügbar sind. Da bisweilen 30  elektronische Endgeräte in einem Raum gleichzeitig auf das Internet zugreifen, ist besonderes Augenmerk auf die Funktionstüchtigkeit der technischen Infrastruktur zu legen. Ein leistungsstarkes WLAN-System ist hierfür genauso unerlässlich wie die Verfügbarkeit von elektronischen Endgeräten für die Schülerinnen und Schüler.

Literatur Adamina, M., Hertig, P., Probst, M., Reinfried, S., Stucki, P., & Vogel, J. (2018). Klimabildung in allen Zyklen der Volksschule und in der Sekundarstufe II. Grundlagen und Erarbeitung eines Bildungskonzeptes. Schlussbericht Projektphase CCESO I 2016/2017 (Vollständige Fassung). Globe Schweiz. https://www.globe-swiss.ch/de/Aktuell/Projekte/Klimabildung_CCESO/. Zugegriffen: 14. Jan. 2022. Bagoly-Simó, P. (2014). Implementierung von BNE am Ende der UNDekade. Eine internationale Vergleichsstudie am Beispiel des Fachunterrichts. Zeitschrift für Geographiedidaktik, 42(4), 221–256. Bagoly-Simó, P. (2021). Are we sustainable yet? Results of a longitudinal. Curriculum study by means of topic-based indicator. Zeitschrift für Geographiedidaktik, 49(3), 130–148. Baumert, J. (2002). Deutschland im internationalen Bildungsvergleich. In N. Killius, J. Kluge & L. Reisch (Hrsg.), Die Zukunft der Bildung (S. 100–150). Suhrkamp. Baumert, J., Bos, W., Klieme, E., Lehmann, R., Lehrke, M., Hosenfeld, I., Neubrand, J., & Watermann, R. (Hrsg.). (1999). Testaufgaben zu TIMSS/III. Mathematisch-naturwissenschaftliche Grundbildung und voruniversitäre Mathematik und Physik der Abschlussklassen der Sekundarstufe II (Population 3). Materialien aus der Bildungsforschung, Bd. 62. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Bellina, L., Merle, K., Tegeler, M. K., Müller-Christ, G., & Potthast, T. (2020). Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Hochschullehre. BMBF-Projekt „Nachhaltigkeit an Hochschulen. Entwickeln – vernetzen – berichten (HOCHN), Bremen und Tübingen. https://www.hochn.uni-hamburg.de/-downloads/handlungsfelder/ lehre/hochn-leitfaden-lehre-2020-neu.pdf. Zugegriffen: 28. März 2022. Bernholt, S., & Parchmann, I. (2011). Assessing the complexity of students’ knowledge in chemistry. Chemistry Education Research and Practice, 12(2), 167–173. Bögeholz, S., Hößle, C., Höttecke, D., & Menthe, J. (2018). Bewertungskompetenz. In D. Krüger, I. Parchmann & H. Schecker (Hrsg.), Theorien in der naturwissenschaftsdidaktischen Forschung (S. 261– 281). Springer. Brock, A. (2018). Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung im Bildungsbereich Schule. In A. Brock, G. de Haan, N. Etzkorn & M. Singer-Brodowski (Hrsg.), Wegmarken zur Transformation – Nationales Monitoring von Bildung für nachhaltige Entwicklung in Deutschland (S. 67–118). Barbara Budrich.

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Kapitel 4  •  Schulische Rahmenvorgaben und Anforderungen mit Relevanz für die Vermittlung

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4

105

Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden Martin Xaver Müller, Dirk Felzmann

Inhaltsverzeichnis 5.1

Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze  –  106

5.2

Schülervorstellungen – 111 Literatur – 124

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_5

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Zusammenfassung

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Ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse ist Wissen darüber, mit welchen Vorstellungen, Einstellungen und Interesse aufseiten der Lernenden zu rechnen ist. Diese beeinflussen sehr wesentlich, wie neue Informationen aufgenommen und verstanden werden. Interesse kann hierbei als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Lernen gesehen werden oder aber auch eine Zielsetzung von Vermittlung darstellen, wenn etwa Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten geweckt oder gefördert werden soll. Vorstellungen sind Hemmnisse und Ansatzpunkte für das Lernen zugleich. Einerseits können bisherige Vorstellungen zum relevanten Sachverhalt das Aufnehmen neuer Informationen hierzu beeinträchtigen. Andererseits ist die Berücksichtigung von bisherigen Vorstellungen ein zentraler Ansatzpunkt für erfolgreiche Lernprozesse. In diesem Kapitel werden theoretische Ansätze und empirische Befunde aus der fachdidaktischen Forschung zum Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten (7 Abschn. 5.1) und zu Vorstellungen über geowissenschaftliche Inhalte (7 Abschn. 5.2) vorgestellt und daraus folgende praktische Hinweise für die Vermittlung gegeben.

5.1

Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze

Martin X. Müller

5.1.1 Interesse:

Eine gegenstandsspezifische und entwicklungsfähige Variable im Lernprozess

Bevor der Blick auf das Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten im Speziellen gerichtet wird, soll zuerst einmal betrachtet werden, was unter dem Konzept des Interesses zu verstehen ist. Dabei ist grundlegend festzustellen, dass Interesse stets an einen „Gegenstand“ gebunden ist, ganz ähnlich wie dies auch in der Alltagssprache formuliert wird, wenn man sich „für etwas“ oder „an einer Sache“ interessiert. Dieser Bezug von Interesse zu bestimmten Themen oder Tätigkeiten ist auch zentrales Merkmal der in der Interessenforschung seit den 1980er-Jahren weitverbreiteten Person-Gegenstands-Theorie des Interesses (Krapp, 1992; Prenzel et  al., 1986; H.  Schiefele et  al., 1983). Interesse zeichnet sich hier durch eine spezifische Person-Gegenstands-Beziehung aus, die durch besondere und bestimmte Merkmale herausgehoben ist. Dabei ist das Interessenkonstrukt mehrdimensional, indem es sich aus mehreren Komponenten zusammensetzt: Wer an einem Gegenstand individuell interessiert ist, bringt diesem

eine hohe subjektive Wertschätzung (Wertkomponente) entgegen. Zudem empfindet eine Person während der Interessenhandlung positive emotionale Zustände (emotionale Komponente) wie Freude, Vergnügen, Genugtuung. Darüber hinaus möchte eine individuell interessierte Person stets mehr über den Interessengegenstand erfahren, ihr Wissen erweitern und kompetenter im Umgang mit ihm werden (kognitiv-epistemische Komponente; Harackiewicz & Knogler, 2017; Krapp, 2010b; Krapp & Prenzel, 2011; Prenzel, 1988; U. Schiefele, 2009). Die Gegenstandsspezifität des Interesses bedingt auch, dass klar beschrieben werden muss, woraus dieser Gegenstand (hier: Geowissenschaften) genau besteht: In der einschlägigen Literatur werden unter den Geowissenschaften diejenigen Wissenschaften verstanden, die sich mit der naturwissenschaftlichen Erforschung des Systems Erde beschäftigen (Müller, 2013; Murawski & Meyer, 2010; Wefer, 2010a, b). Der Gegenstand ist also das System Erde oder vielmehr das System Erde– Mensch, das explizit auch die Anthroposphäre beinhaltet (Gerber, 2014; Kraas & Bork, 2010; Mosbrugger & Otto, 2006; VDSG, 2004). Die Berücksichtigung des Menschen als Akteur innerhalb des Systems Erde entspricht dabei auch dem aufkommenden Verständnis der prägenden Wirkung des Menschen auf das System Erde, wie es auch unter dem Schlagwort des Anthropozäns (Crutzen, 2002) als eine neue geologische Epoche in Nachfolge auf das Holozän postuliert wird. Eine Betrachtung des Interesses an geowissenschaftlichen Inhalten muss somit das System Erde–Mensch samt seiner vielfältigen Teilbereiche berücksichtigen. Darunter fallen etliche Aspekte, die unterschiedlichen Sphären entstammen, wie z. B. Gesteine, Boden, Klima, Entstehung des Lebens, Geomorphologie, Naturgefahren, Landnutzung, Umweltzerstörung, Stoffkreisläufe und Rohstoffe. Es zeigt sich somit: Das Interesse am Gegenstand Geowissenschaften ist konzeptionell umfangreich. Interesse kann weiterhin hinsichtlich seiner Verankerung in einer Person unterschieden werden, und zwar zwischen einem stabilen Interesse im Sinne eines Persönlichkeitsmerkmals (individuelles Interesse – man „hat“ ein Interesse an etwas) und einem momentanem Anregungszustand (situationales Interesse – etwas „ist gerade“ interessant; Harackiewicz & Knogler, 2017; Krapp, 2010a). Unter dem individuellen Interesse versteht man ein Interesse, das zeitlich relativ stabil bei einer Person vorhanden ist und als eine motivationale Disposition im Sinne eines Persönlichkeitsmerkmals aufgefasst werden kann. Dieses individuelle Interesse ist durch vielfältige Merkmale gekennzeichnet: Es ist lang anhaltend, hängt mit erhöhtem Wissen zusammen und findet Ausdruck in Interessenhandlungen. Weiterhin erzeugt individuelles Interesse Vorlieben und Prädisposition für bestimmte gegenstandsbezogene Aktivitäten (z. B. Hobbys), ist bezüglich unterschiedlicher Kontexte stabil, interpersonell stark unterschiedlich ausgeprägt und ein Ergebnis po-

5.1  •  Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze

sitiver und lang andauernder Auseinandersetzung mit dem Interessengegenstand. Individuen verfügen dabei nur über eine begrenzte Anzahl gut entwickelter individueller Interessen, haben dabei aber stets die Möglichkeit, diese zu erweitern. Sie können ihre individuellen Interessen meist nennen und auch bewusst reflektieren. Und zuletzt können individuelle Interessen die Entscheidungen von Personen erklären und auch das zukünftige Verhalten und Lernen sowie die zukünftige Motivation beeinflussen, wodurch sie eine selbstverstärkende Tendenz entwickeln. Das situationale Interesse hingegen ist derjenige kurzzeitige Interessenzustand, der nicht allein durch Merkmale in der Person erklärbar ist, sondern vor allem durch den Kontext in einer bestimmten Situation entsteht. Dabei weist das situationale Interesse folgende typischen Aspekte auf (Hidi & Renninger, 2006; Krapp, 2010a; Palmer et al., 2017; Renninger & Bachrach, 2015; U. Schiefele, 2009): 1. Zeitliche Beschränktheit der affektiven Reaktion: Situationales Interesse ist ein kurzfristiger Zustand, häufig ein emotionaler Affekt, der innerhalb einer Lernsituation fluktuieren kann. Ein Gegenstand erscheint kurzfristig als spannend und die Auseinandersetzung damit als angenehm. 2. Situationale Auslösung: Das Interesse an einem Gegenstand wird durch den Lernkontext ausgelöst, liegt also weder alleine in der individuellen Disposition begründet noch im Gegenstand selbst. Die PersonGegenstands-Auseinandersetzung wird durch Kontextbedingungen erzeugt. 3. Funktionaler Zusammenhang mit bestimmten kontextuellen Stimuli (auch: „Anreize“, triggers): Das situationale Interesse wird durch bestimmte Aktivitäten, Merkmale der Lernumgebung, attraktive Aufgaben etc. ausgelöst und ist hierdurch gekennzeichnet. Diese mit dem situationalen Interesse verbundenen Mechanismen bilden eine offene Kategorie und sind entsprechend in ihrer Anzahl unbegrenzt. Etliche bedeutsame Stimuli für situationales Interesse sind bereits bekannt, z. B. optimale Herausforderung, Neuheit, aktive Beteiligung, Freude. Aus didaktischer Sicht ist dabei spannend, dass Interesse situational ausgelöst werden kann und zudem (bei individuellem Interesse) eine inhärente Tendenz zur Verstärkung besitzt – Interesse ist also stark entwicklungsfähig. Das Four-Phase Model of Interest Development (FPM) beschreibt dies als kontinuierliche Entwicklung der Person-Gegenstands-Beziehung über vier sequenziell aufeinanderfolgende Phasen (Hidi & Renninger, 2006; Renninger & Su, 2012): 1. Triggered situational interest: Psychologischer Zustand, der aus kurzfristigen affektiven und kognitiven Reaktionen resultiert. 2. Maintained situational interest: Psychologischer Zustand, der fokussierte Aufmerksamkeit und Persistenz über einen gewissen Zeitraum beinhaltet.

107

3. Emerging individual interest: Psychologischer Zustand und der Beginn einer relativ anhaltenden Disposition, sich wiederholt mit einem Gegenstand zu beschäftigen. 4. Well-developed individual interest: Psychologischer Zustand und eine längerfristig anhaltende Disposition, sich wiederholt mit einem Gegenstand zu beschäftigen. Die Entwicklungsfähigkeit von Interesse ist also von der jeweiligen Phase im Prozess der Interessenentwicklung abhängig. Daran anknüpfende didaktische Zugänge werden in 7 Abschn. 5.1.3 aufgezeigt. In diesem Zusammenhang sind die drei Basic Needs (i.e. Kompetenzerleben, Autonomie und soziale Eingebundenheit) von Bedeutung, deren Erfüllung als Voraussetzung für die Entstehung und Aufrechterhaltung von fachlichen Interessen angesehen wird (Deci & Ryan, 2002). Zudem spielt auch die wahrgenommene inhaltliche Relevanz des Lerngegenstands eine große Rolle. Eine Möglichkeit, die Relevanzwahrnehmung und das Interesse bei den Lernenden zu steigern, stellt Unterricht in authentischen Kontexten dar (Habig et al., 2018; Parchmann & Kuhn, 2018), wie dies gerade in Schülerlaboren und Geoparks gut möglich ist. Wie aus dem Vorherigen nachvollziehbar wird, gilt Interesse als eine wirksame Variable im Lernprozess, die die Lernmotivation anhebt und im Falle von gut entwickeltem individuellem Interesse zu einem vertieften und selbstintentionalen Lernen führt (Krapp, 2010b). In diesem Sinne stellt Interesse, wie auch die nachfolgenden Schülervorstellungen, eine didaktisch bedeutende Lernvoraussetzung dar. Dementsprechend ist das Interesse auch in der geowissenschaftlichen Fachdidaktik recht intensiv beforscht, z. B.: Interessenausprägung an geographischen Themen (Erasmus & Obermaier, 2010; Golay, 2000; I. Hemmer, 2010; I.  Hemmer et  al., 2019; I.  Hemmer & M. Hemmer, 2021; Lorenz et al., 2016; Obermaier, 1997) Interesse am Schulfach Geographie (Golay, 2000) Interesse an geographischen Arbeitsweisen (Bette et al., 2015a, b; I. Hemmer, 2010) Interesse an bestimmten Regionen (M. Hemmer, 2010; Mohn, 2015; Spaeth, 2011) Interesse an interessenbezogenen Kontexten (Bayrhuber et al., 2002; I. Hemmer et al., 2007; M. Hemmer et al., 2011) Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten (Bayrhuber et al., 2002; I. Hemmer et al., 2007; I. Hemmer & M. Hemmer, 2010; Müller, 2021; Smith et al., 2003; Trend, 2007a)

--

Ein detaillierter Blick auf das zuletzt aufgelistete Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten wird im nun folgenden Abschnitt geworfen.

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5

108

Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

5.1.2

Interesse an der Domäne „Geowissenschaften“ aus empirischer Sicht

Über das Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten bei Schülern und Schülerinnen ist durch umfangreiche empirische Studien vieles bekannt. In unterschiedlichen Altersstufen zwischen der Primarstufe (Müller, 2021; Trend, 2007b) und der Sekundarstufe (Bayrhuber et al., 2002; I. Hemmer et al., 2007; I. Hemmer & M. Hemmer, 2010) konnten dabei übereinstimmend große Unterschiede zwischen Bereichen großen Interesses und Bereichen deutlich unterdurchschnittlich ausgeprägten Interesses festgestellt werden. Trotz abweichender Jahrgangsstufen und im Detail variierender geowissenschaftlicher Teilbereiche zeigen sich aussagekräftige Übereinstimmungen bei der Ausprägung des Interesses an geowissenschaftlichen Inhalten (Bayrhuber et al., 2002; I. Hemmer et al., 2007; I.  Hemmer & M.  Hemmer, 2010; Müller, 2021; Trend, 2007b): 1. Geowissenschaftliche Inhalte von sehr hohem und überdurchschnittlichem Interesse: Naturgefahren/Naturkatastrophen, Entstehung des Lebens auf der Erde, Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt, Klimaänderungen 2. Geowissenschaftliche Inhalte von erhöhtem Interesse, die dem mittleren Interesse an geographischen Inhalten entsprechen: Entstehung von Wetter, Trinkwasser, Rohstoffe der Erde, globale Stoffkreisläufe (z. B. Wasser, Kohlenstoff), Landschaftsgenese/Morphodynamik, Änderung der Biodiversität, Abhängigkeit der Landwirtschaft von natürlichen Bedingungen 3. Geowissenschaftliche Inhalte von niedrigem und deutlich unterdurchschnittlichem Interesse: Boden, Gestein, Oberflächenformen Diese Ergebnisse werden auch durch Interessenstudien in der den Geowissenschaften naheliegenden Domäne „Geographie“ unterstützt. So zeigt sich, dass im Interesse an geographischen Themen über alle Jahrgangsstufen der weiterführenden Schulen hinweg mit „Naturkatastrophen“, „Planeten/Sonnensystem“ und „Entstehung der Erde“ auch hier sehr ähnliche Inhalte vorherrschen wie im zuvor aufgezeigten Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten (I. Hemmer & M. Hemmer, 2021). Es lässt sich dabei zudem feststellen: Die herausgehobenen geographischen Interessen entstammen zum größten Teil der Domäne der Geowissenschaften. Dabei muss betont werden, dass zwischen den Bereichen des hohen und des niedrigen Interesses an geowissenschaftlichen Inhalten absolut gesehen sehr große Unterschiede liegen. Gerade in der Thematik „Boden und Gestein“ ist bei vielen Schülerinnen und Schülern nur sehr geringes individuelles Interesse vorhanden, ob-

wohl hier etliche relevante Bildungsinhalte (z. B. Bodenversiegelung, Rohstoffversorgung, Endlagersuche) angedockt sind. Das Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten ist auch hinsichtlich unterschiedlicher Arbeitsweisen und zugehöriger Kontexte untersucht. So zeigt sich, dass praktische Tätigkeiten, wie z. B. die Erhebung von Daten auf Exkursionen oder die Durchführung von geowissenschaftlichen Experimenten interessenförderlich sind (I. Hemmer & M. Hemmer, 2010, 2021). Die Arbeitsweisen im Rahmen von Exkursionen sind insbesondere dann von hohem Interesse, wenn sie eigenständiges Arbeiten und Interaktion beinhalten, während Arbeitsweisen, die auch häufig im regulären Unterricht Anwendung finden oder als abstrakt wahrgenommen werden, von geringem Interesse sind (Bette et al., 2015b). Zudem zeigt sich, dass auf geowissenschaftlichen Exkursionen die Feldarbeit, offene und herausfordernde Lernaufgaben sowie forschendes Lernen Interesse auslösen und festigen können (Müller, 2021; 7 Abschn. 5.1.3). Eine bedeutsame Rolle spielen auch die Kontexte, in denen die geowissenschaftlichen Inhalte gestellt werden. Es zeigt sich dabei, dass die Interessantheit von bestimmten Inhalten in unterschiedlichen Kontexten bisweilen variiert. So bestehen beispielsweise positive Zusammenhänge zwischen dem Kontext „Geschichte der Erde“ sowie „Wirtschaftliche Bedeutung“ bei Gesteinen, wodurch sich didaktische Möglichkeiten zur Förderung dieses allgemein wenig interessanten Themas ergeben. Der Inhalt „Klimaänderung“ hingegen, der durchwegs auf großes Interesse stößt, zeigt sich in den Kontexten „Individuelle Betroffenheit“, „Erde als komplexes System“ sowie „Geowissenschaftliche Forschung“ als besonders interessant (I.  Hemmer & M. Hemmer, 2010). Neben diesen recht speziellen kontextuellen Einflüssen auf das Interesse an bestimmten geowissenschaftlichen Inhalten sind auch übergreifende Zusammenhänge bekannt: So erweisen sich besonders die Kontexte „Individuum“, „Gesellschaft“ und „Soziale Verantwortung“ als interessesteigernd, bei den Jungen auch der Kontext „Wissenschaftsmethode“, z. B. das Durchführen von geowissenschaftlichen Versuchen (Bayrhuber et al., 2002; I. Hemmer & M. Hemmer, 2010). Die Ausprägung des Interesses an geowissenschaftlichen Inhalten ist sehr unterschiedlich und zugleich in Abhängigkeit von unterschiedlichen thematischen Kontexten und zur Anwendung gebrachten Arbeitsformen stark variabel. Gleichzeitig ergeben sich aus diesen Erkenntnissen, in Verbindung mit weiteren Überlegungen, mögliche didaktische Chancen, Interessen an geowissenschaftlichen Inhalten zu fördern. Hierzu mehr im nun folgenden Abschnitt.

5.1  •  Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten – Ausprägung und Förderansätze

Situationales Interesse

Interessenförderung

..Abb. 5.1  Schritte der Interessenförderung. (Harackiewicz & Knogler, 2017; Renninger & Hidi, 2011)

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Individuelles Interesse

5.1.3

Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten fördern

Interesse ist ein dynamisches Konstrukt, das durch Auseinandersetzung mit interessenbezogenen Inhalten oder durch bestimmte Aktivitäten veränderlich ist (Ainley, 2017). Gemäß den zuvor ausgeführten Grundlagen des Four-Phase Model of Interest Development (FPM) ist Interesse in Abhängigkeit der Interessenausgangslage auf unterschiedliche Weisen förderbar. Dabei ist eine sich wiederholende Auseinandersetzung mit dem Interessengegenstand notwendig, welche im Bereich des situationalen Interesses durch geeignete Stimuli (triggers) ausgelöst werden muss. Im Fall von bereits vorhandenem individuellem Interesse hingegen ist diese Auseinandersetzung mit dem Interessengegenstand bereits motivatorisch vorgezeichnet, und derartige Interessenhandlungen müssen nur ermöglicht werden. Zusammen betrachtet erscheint Interesse somit als förderbar (. Abb. 5.1). Um Interesse im Bereich des situationalen Interesses zu fördern, müssen Lernumgebung, Materialien und Arbeitsformen so gestaltet sein, dass kurzzeitige Interessenzustände in Form von affektiven Reaktionen und fokussierter Aufmerksamkeit kontextuell erzeugt werden (Hidi & Renninger, 2006). Dabei ist eine Vielzahl an möglichen Stimuli hierfür bekannt, darunter z. B. optimale Herausforderung, Erforschungsabsicht, unmittelbare Freude, Aufmerksamkeit, aktive Beteiligung, fachmethodische Arbeitsweisen, Authentizität, physische Aktivität, Überraschung, Bedeutungszuschreibung, Problemorientierung (Chen et al., 2001; Dohn, 2013; Engeln, 2004; Harackiewicz & Knogler, 2017; I. Hemmer, 2010; I. Hemmer & M. Hemmer, 2010; Hidi & Renninger, 2006; Palmer et  al., 2016; Pawek, 2009; Rotgans & Schmidt, 2014; Schüttler et al., 2021; Sun et al., 2008; Zahorik, 1996; Zhu et al., 2009). Situationales Interesse kann also durch vielfältige Stimuli ausgelöst werden. Im Bereich der Geowissenschaften ist dabei hervorzuheben, dass Exkursionen, die

ja eine zentrale Fachmethode der Geowissenschaften darstellen, deutliche interessenförderliche Effekte aufweisen, insbesondere wenn diese in Form von konstruktivistischen Arbeitsexkursionen gestaltet sind (I. Hemmer, 2010; Müller, 2021; Obermaier, 1997). Bei genauerem Blick zeigt sich dabei, dass vor allem die Anwendung von Fachmethoden vor Ort, die aktive Beteiligung sowie das Erleben von Kompetenz sich für Schülerinnen und Schüler als situational interessenförderlich erweisen (Müller, 2021). Als besonders geeignete außerschulische Lernorte für eine Förderung von situationalem Interesse können u. a. Geoparks und Schülerlabore genannt werden. Aus pädagogischer Sicht ist im Zusammenhang mit der Förderung von Interesse wichtig zu betonen, dass eine Auslösung von situationalem Interesse für sich allein noch keinen Wert besitzt. Seine zeitliche Begrenztheit und die primäre Wirkung als emotionaler Affekt gleichen einem Strohfeuer, welches schnell wieder zu erlöschen droht. Nach einem Auslösen von situationalem Interesse muss also dafür Sorge getragen werden, dass dieses wiederholt ausgelöst und sukzessive in individuelles Interesse überführt wird. Das individuelle Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten ist durch seine inhärente Motivation, sich mit dem Interessengegenstand auseinanderzusetzen, prinzipiell gut förderfähig, wenn hierzu geeignete Gelegenheiten vorhanden sind oder geschaffen werden. Dabei erscheint es als zielführend, die bekannten Themen großen Interesses (z. B. Naturgefahren/Naturkatastrophen, Entstehung des Lebens auf der Erde, Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt, Klimaänderungen; 7 Abschn. 5.1.2) aufzugreifen und eine intensive Auseinandersetzung damit zu ermöglichen. Da aber auch diese Themen von insgesamt hohem Interesse zwischen den einzelnen Schülerinnen und Schülern doch individuell unterschiedlich stark ausgeprägt sind, ist es notwendig, eine angemessene inhaltliche Öffnung des Unterrichtes anzustreben, um Möglichkeiten für eine Fokussierung auf individuelle Interessengegengestände zu schaffen (Cordova & Lepper, 1996; Høgheim & Reber, 2015;

5

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

..Tab. 5.1  Zentrale Förderzugänge für das Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten auf einer konstruktivistischen Arbeitsexkursion

5

Wenig interessierte SuS auf dem Niveau von triggered und maintained situational interest

Interessierte SuS auf dem Niveau von emerging individual interest und well-developed individual interest

Am wenigsten interessierte 25 % der SuS

Am zweitwenigsten interessierte 25 % der SuS

Am zweitmeisten interessierte 25 % der SuS

Am meisten interessierte 25 % der SuS

R2korr, unmittelbar = 0,246*** R2korr, nachhaltig =0,144***

R2korr, unmittelbar = 0,333*** R2korr, nachhaltig =0,359***

R2korr, unmittelbar =0,302*** R2korr, nachhaltig =0,243***

R2korr, unmittelbar =0,294*** R2korr, nachhaltig =0,090*

Aktive Beteiligung βnachhaltig =0,444***

βnachhaltig =0,551***

Authentizität der Inhalte βunmittelbar =0,283**

βunmittelbar =0,314**

Basic-Need-Autonomie βunmittelbar =0,264**

Aufmerksamkeit βunmittelbar =0,321***

βnachhaltig, E =0,317*

βnachhaltig =0,351**

Basic-Need-Kompetenz βunmittelbar =0,290** Fachmethoden βunmittelbar =0,338**

Optimale Herausforderung βnachhaltig =0,297** Aktualisiertes individuelles Interesse βunmittelbar =0,283** βunmittelbar =0,410*** βnachhaltig =0,660***

βunmittelbar =0,242** βnachhaltig =0,420***

βunmittelbar =0,285**

N = 302, quasiexperimentelle Feldstudie mit Pre‑, Post- und Follow-up-Kontrollgruppenplan, SuS = Schülerinnen und Schüler *** Signifikant auf dem Niveau von p ≤ 0,01 ** Signifikant auf dem Niveau von p ≤ 0,05 * Indiz auf dem Niveau von p ≤ 0,10

Müller, 2021; Ochsen et al., 2021; Walkington & Bernacki, 2014). Doch nicht nur durch eine vertiefende Auseinandersetzung mit geowissenschaftlichen Themen von großem individuellem Interesse lässt sich Interesse fördern. So bietet es sich gerade bei Teilbereichen, die nur bei wenigen Schülerinnen und Schülern von individuellem Interesse sind (z. B. im Bereich der Geologie oder Pedologie) an, diese Themen im Sinne des Mensch-UmweltSystems auch um Aspekte der Anthroposphäre oder um einen Lebensweltbezug (Kontexte „Individuum“, „Gesellschaft“ und „Soziale Verantwortung“) zu ergänzen (I. Hemmer et al., 2007; Müller, 2021). Dies kann z. B. gelingen, indem bei Bodenthemen auch die Landwirtschaft und Nahrungsmittelversorgung beleuchtet wird oder geologische Themen auch unter der Perspektive Naturgefahren oder Rohstoffversorgung behandelt werden. Zudem sollten gerade bei diesen Themen von allgemein geringem Interesse deren Bedeutung für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen explizit angesprochen werden, da diese Teilkomponente von Interesse (die Wertzuschreibung) am stärksten ausgeprägt ist und somit einen Anknüpfungspunkt für individuelles Interesse darstellt (Müller, 2021). Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten kann also auf unterschiedliche Weise gefördert werden, je nachdem, ob im Bereich von situationalem oder individuellem Interesse Impulse gesetzt werden sollen und ob

das Unterrichtsthema bereits auf bestehendes Interesse stößt oder hier noch Defizite vorliegen. Jenseits des regulären Unterrichtes im Schulgebäude bieten sich gerade Exkursionen (insbesondere konstruktivistische Arbeitsexkursionen) an, um Interessen an geowissenschaftlichen Inhalten zu fördern. Dabei haben sich folgende Maßnahmen als besonders interessenförderlich gezeigt (genauere Information in . Tab. 5.1): Fokussierte Aufmerksamkeit (z. B. durch sorgfältiges und konzentriertes Arbeiten, Aufmerksamkeit auslösende Beobachtungs‑, Such- und Verknüpfungsaufgaben) Authentische Inhalte (z. B. durch intensiven Kontakt zu originalen Gegenständen am außerschulischen Lernort, direkter Kontakt mit realen geowissenschaftlichen Phänomenen und Prozessen) Optimale Herausforderung (z. B. durch offene Aufgabenstellungen mit selbstbestimmter Bearbeitungstiefe sowie durch herausfordernde Aufgaben, insbesondere im Bereich „Problemlösen und Transfer“) Fachmethoden (z. B. Feldarbeit wie Kartieren, Orientieren, Identifizieren von Landmarken, räumliches Verorten, Skizzieren, Messen und Datensammeln zur späteren Auswertung, Zählen, Kategorisieren) Forschendes Vorgehen (z. B. durch genaues Beobachten und Dokumentieren, Anstellen von Vermutungen und kreatives Fragestellen, Thesenüberprüfen und Lösungssuche)

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5.2  •  Schülervorstellungen

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Aktualisierung bestehender individueller Interessen (z. B. durch vorbereitendes Erfassen bestehender themenbezogener Interessen und angemessen offener Exkursionsgestaltung mit Möglichkeit zur Fokussierung auf individuelle Interessengegengestände) 77Interessenförderliche Maßnahmen

Die Wirkung unterschiedlicher theoretisch interessenförderlicher Merkmale einer Arbeitsexkursion in ein Geotop auf unmittelbar und nachhaltig gefördertes Interesse an geowissenschaftlichen Inhalten wurden im Rahmen einer quasiexperimentellen Feldstudie (mit Pre‑, Postund Follow-up-Kontrollgruppenplan) ermittelt. Je nach Ausgangslage des Interesses vor der Intervention konnten dabei teils unterschiedliche relevante Einflussgrößen ausgemacht und bestimmt werden (Müller, 2021). Innerhalb eines umfassenden Regressionsmodells, das vielfältige theoretische Einflüsse in ihrem Zusammenwirken erfasst, konnte gezeigt werden, dass bedeutende Anteile der gemessenen Interessenveränderung (Bestimmtheitsmaß R2) durch die in den Blick genommenen Variablen erklärt werden können. Weiterhin konnte ermittelt werden, welche Merkmale der Arbeitsexkursion bedeutende und signifikante regressive Zusammenhänge mit einer unmittelbaren und nachhaltigen Interessenförderung (standardisierter Regressionskoeffizient β) aufweisen (. Tab. 5.1). 9

5.2 Schülervorstellungen Dirk Felzmann

5.2.1

Schülervorstellungen – Grundlagen

5.2.1.1

Merkmale von Vorstellungen – das Beispiel Mondphasen

Nehmen Sie sich möglichst drei unterschiedlich große Kugeln, die Sonne, Mond und Erde repräsentieren sollen, und erklären Sie sich selbst damit die Entstehung der Mondphase „Sichelmond“ (. Abb. 5.2). Alternativ können Sie auch jemanden bitten, Ihnen damit die Entstehung der Mondphase „Sichelmond“ zu erklären. Schlagen Sie nach der Erklärung dieser Mondphase im Buch eine Seite weiter, betrachten Sie das dort bereitgestellte Bild (. Abb. 5.3) und erklären Sie mit den Kugeln die Entstehung des dort abgebildeten Halbmonds. Lesen Sie erst danach an dieser Stelle weiter. Mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit dürfte der Sichelmond als das Ergebnis des Schattenwurfes der Erde erklärt worden sein. Und möglicherweise führte der Versuch, die Entstehung des Halbmondes zu erklären, dann zu einer gewissen Unzufriedenheit, denn die deutlich gerade Linie des Halbmondes lässt sich nur

..Abb. 5.2  Sichelmond. (Foto: Colourbox.de / Fotograf: ModeList)

schwerlich mit einem Schattenwurf der kugelförmigen Erde erklären. Tatsächlich hat die Entstehung der Mondphasen nichts mit dem Schattenwurf der Erde zu tun. Der Mond wird (außer in den wenigen Stunden einer Mondfinsternis) durchgängig von der Sonne beschienen, sodass also fortwährend eine Hälfte des Mondes beschienen ist und eine Hälfte eben nicht, weil sie im Eigenschatten liegt. Die Mondphasen sind ein Effekt der Tatsache, dass wir von der Erde je nach Stellung des Mondes zu Sonne und Erde immer nur einen bestimmten Anteil der beschienenen Mondhälfte sehen: 100 % beim Vollmond, wenn die Erde zwischen Sonne und Mond steht, 50 % beim Halbmond, 0 % beim Neumond, wenn der Mond zwischen Erde und Sonne steht, und eben nur wenige Prozent beim Sichelmond. Deutlich wird dies, wenn Sie sich einen zweifarbigen Ball nehmen und unterschiedliche Positionen zu diesem einnehmen. In einer bestimmten Position sehen Sie lediglich den Rand der beschienen Mondhälfte – in Form einer „Sichel“ (. Abb. 5.5). Schülervorstellungen werden als „subjektive gedankliche Prozesse verstanden, die zu einem mentalen Erlebnis führen“ (Gropengießer & Marohn, 2018). Am Beispiel der Vorstellung, wonach Mondphasen ein Ergebnis des Schattenwurfes der Erde seien, lassen sich zwei didaktisch relevante Merkmale von Schülervorstellungen verdeutlichen (vgl. auch Wandersee et al., 1994): Bestimmte Vorstellungen sind sehr verbreitet. Die Vorstellung vom Schattenwurf als Ursache von Mondphasen ließ sich z. B. in vielen Studien als weit verbreitet in verschiedenen Altersstufen und in verschiedenen Staaten nachweisen (vgl. Übersicht in Trundle et al., 2002).

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5

Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

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..Abb. 5.3  Halbmond. (Foto: Colourbox.de / ModeList)

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Bestimmte fehlerhafte Vorstellungen sind recht resistent gegenüber der Vermittlung fachlich angemessener Informationen. Sollten Sie sich zu Beginn des Lesens von 7 Abschn. 5.2.1 die Entstehung der Mondphasen als Schattenwurf erklärt haben, so ist doch mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Sie schon einmal eine korrekte Erläuterung der Mondphasen gesehen oder gehört haben. Möglicherweise hatten Sie nach der Konfrontation mit dem Halbmond auch zeitweilig eine Vorstellung, wonach bestimmte Mondphasen durch den Schattenwurf der Erde zu erklären seien und andere Mondphasen durch die Perspektive auf die beschienene Mondhälfte. Solche „hybriden“ oder „synthetischen“ Vorstellungen, die Teile der neuen Informationen mit der bisherigen Vorstellung verknüpfen, stellen ein häufig zu beobachtendes Verfahren da, letztlich die bisherige Vorstellung nicht aufzugeben (Chinn & Brewer, 1993).

5.2.1.2

Bedeutung von Schülervorstellungen für Lernprozesse

Reinfried und Tempelmann (2014) analysierten die Lernwege von 14  Siebtklässlerinnen und -klässlern zum Thema „Treibhauseffekt“. Zu Beginn des Unterrichtes verfügten vier Lernende nur über einzelne Wissenselemente zu dem Thema, drei Lernende äußerten die Vorstellung, wonach der anthropogene Treibhauseffekt Folge eines reduzierten Wärmeoutputs sei, fünf Lernende stellten sich dieses Phänomen als verstärkten Wärmeinput vor, z. B. durch ein Loch in der Ozonschicht. Diese fehlerhafte Vorstellung eines verstärkten

Wärmeinputs, wonach „Löcher“ (insbesondere das Ozonloch/Ozonlöcher) in der Atmosphäre zu einer verstärkten Einstrahlung und damit zum Klimawandel führen würden, ist international sehr weit verbreitet (vgl. Felzmann, 2018a). Während des Unterrichtes zum Thema „Treibhauseffekt“ formulierten die Lernenden mit der anfänglichen Vorstellung vom verstärkten Wärmeinput synthetische Vorstellungen, innerhalb derer neue Informationen wie etwa der Strahlungsgang oder CO2-Moleküle nachgezeichnet wurden, letztlich aber CO2 für Löcher in einer Atmosphärenschicht sorgte. Nach dem Unterricht erklärten diese Lernenden den Treibhauseffekt wieder weitgehend ähnlich wie vor dem Unterricht. Die Lernenden, die vor dem Unterricht nur über wenige Wissenselemente zum Thema verfügten, zeigten dagegen sehr deutliche Lernzuwächse hin zu einem fachlich angemessenen Verständnis. Schülervorstellungen lassen sich damit aus einer defizitorientierten Perspektive als Hindernisse für erfolgreiche Lernprozesse interpretieren. Sie lassen sich aber auch als zentrale Ansatzstellen für vergleichsweise erfolgreichen Unterricht auffassen. Unterricht, der explizit Schülervorstellungen in der Unterrichtsplanung und -durchführung berücksichtigt, weist überdurchschnittliche Lernerfolge auf. Hattie (2017) listet in seiner Metastudie zu lernrelevanten Faktoren conceptual change programs mit einer Effektstärke von 0,99 (Durchschnitt für alle getesteten Faktoren: 0,4) als achtwirksamsten von 252 Faktoren auf. Potvin et al. (2012) zeigen, dass das bloße Artikulieren der unterschiedlichen Vorstellungen zu Beginn eines ansonsten gleichen Unterrichtes einen positiven, wenn auch nur geringen Effekt auf die Lernleistungen hat. Kucharzyk (2022) untersuchte zum Thema „Bodenkunde“ in der Jahrgangsstufe 9/10 die Wirkung eines vorstellungsbasierten Unterrichtes, der sich durch eine problemorientierte Struktur sowie das Artikulieren und Reflektieren von Vorstellungen auszeichnete. Schülerinnen und Schüler, die vorstellungsbasiert zum Thema „Bodenkunde“ unterrichtet wurden und aus dem Vorunterricht mit einem solchen Unterricht vertraut waren, zeigten nach sechs Monaten den höchsten Lernerfolg. Schülerinnen und Schüler, die vorstellungsbasiert zum Thema „Bodenkunde“ unterrichtet wurden, aber bisher nicht mit einem solchen Unterricht vertraut waren, zeigten einen mittleren Lernerfolg. Schülerinnen und Schüler, die nicht mit einem solchen Unterricht vertraut waren und auch bei diesem Thema nicht entsprechend unterrichtet wurden, wiesen den geringsten Lernerfolg auf. McCuin et al. (2014) verwendeten zur Vermittlung des Treibhauseffektes sog. Konzeptwechseltexte (refutational texts), in denen in einem Vorspann verbreitete fehlerhafte Vorstellungen erläutert werden, bevor eine fachlich angemessene Erläuterung des Themas folgt. Studierende, die diese Texte lasen, wiesen einen höheren Lernerfolg auf als die Studierenden, die nur die fachlich angemessene Erläuterung gelesen hatten.

5.2  •  Schülervorstellungen

Diese Befunde widersprechen einer Argumentation gegen die Explikation von Schülervorstellungen im Unterricht, wonach die Thematisierung konkurrierender und damit zum Teil fehlerhafter Vorstellungen manche Schülerinnen und Schüler erst die fehlerhaften Vorstellungen erlernen lasse und sie dadurch überfordere, aus der erlernten Sammlung konkurrierender Vorstellungen nun die fachlich angemessene auszuwählen. Hätten sie von Beginn an nur die eine – fachlich angemessene – Vorstellung kennengelernt, würden sie nach dem Vermittlungsprozess fachlich angemessenere Antworten zum relevanten Sachverhalt äußern. Offensichtlich initiieren die Aufforderung zur Reflexion des eigenen anfänglichen Wissens und/oder die Konfrontation mit konkurrierenden Vorstellungen eine Metareflexion, die letztlich einen fachlich sichereren Umgang mit den vermittelten Informationen bedingt. 5.2.1.3

Theorien zur Entstehung von Schülervorstellungen

Zur Frage, wie Schülervorstellungen entstehen und wodurch sie sich ändern, existieren unterschiedliche theoretische Ansätze innerhalb der Conceptual-ChangeForschung. Die Conceptual-Change-Forschung war als Reaktion auf die Beobachtung, dass zu bestimmten Sachverhalten weltweit und über verschiedene Altersstufen hinweg bestimmte Vorstellungen dokumentiert werden konnten und diese Vorstellungen als Lernhindernisse fungierten, seit den 1970er-Jahren innerhalb der Naturwissenschaftsdidaktiken entwickelt worden (Gropengießer & Marohn, 2018). Wesentliche theoretische Wurzeln lagen in Piagets Äquilibrationstheorie, aber auch im psychologischen Konzept der „kognitiven Dissonanz“ von Festinger und in den wissenschaftshistorischen Analysen Kuhns zur Entwicklung naturwissenschaftlichen Wissens.

Der klassische Conceptual-Change-Ansatz Im klassischen Conceptual-Change-Ansatz, wie er besonders durch Posner et al. (1982) geprägt wurde, stand die Frage nach einem Austausch der fehlerhaften Vorstellung durch die fachlich angemessene Vorstellung im Vordergrund. Posner et al. (1982) formulierten vier Kriterien für einen erfolgreichen Conceptual Change (Konzeptwechsel): 1. Unzufriedenheit mit der bisherigen Vorstellung (dissatisfaction) 2. Verständlichkeit der neuen Vorstellung (intelligible) 3. Plausibilität der neuen Vorstellung (initially plausible) 4. Potenzial der neuen Vorstellung zur Beantwortung weiterführender Fragestellungen (fruitful research program) Die Initiierung eines kognitiven Konfliktes wird hierbei als passende Unterrichtsmethode gesehen. Demnach gelte es zu Beginn des Unterrichtes, die bisherigen Vorstellungen artikulieren zu lassen und diese Vorstellungen

113

dann Informationen und Erfahrungen auszusetzen, die im Widerspruch zur bisherigen Vorstellung stehen. Da die bisherige Vorstellung diese neuen Informationen und Erfahrungen nicht erklären kann, entstehe eine Unzufriedenheit mit der bisherigen Vorstellung. Diese Unzufriedenheit wiederum fördert die Bereitschaft, sich mit einer neuen Vorstellung auseinanderzusetzen. Im Laufe der Auseinandersetzung mit dieser neuen Vorstellung (s. Punkt 2 bis 4) komme es dann zu einem Auswechseln der bisherigen Vorstellung durch die neue Vorstellung. . Abb.  5.3 mit der gerade verlaufenden Linie im Halbmond stellt eine solche Information dar, die zu einem kognitiven Konflikt führen kann: Eine Kugel, wie die Erde, kann keine gerade Linie als Schatten werfen. Die Plausibilität der neuen Vorstellung, also der Perspektive von der Erde auf die beschienene Mondhälfte, kann etwa durch die daraus ableitbare Abfolge der Mondphasen erreicht werden. Die Fruchtbarkeit der neuen Vorstellung für weiterführende Fragestellungen kann daran aufgezeigt werden, dass mit dieser Vorstellung die ungefähren Uhrzeiten des Mondauf- und unterganges abgeleitet und mit eigenen Beobachtungen des Mondes am Tag- und Nachthimmel in Beziehung gesetzt werden können.

Der Rahmentheorieansatz nach Vosniadou Spätere Ansätze in der Conceptual-Change-Forschung verstehen Vorstellungen als bedingt durch bestimmte allgemeinere kognitive Ressourcen des jeweiligen Lernenden. So versteht der Rahmentheorieansatz nach Vosniadou (1994) und Vosniadou (2008) Vorstellungen zu bestimmten Sachverhalten als eingebettet in grundlegende epistemologische und ontologische Überzeugungen (Rahmentheorien). Durch die Einbettung der Vorstellungen in Rahmentheorien hätten die Vorstellungen insgesamt einen stark theorieähnlichen Charakter, d. h., dass sie weitgehend kohärent aufgebaut seien. Vorstellungsänderungen zum konkreten Sachverhalt bedürfen deshalb oft grundlegender Revisionen bestimmter epistemologischer und/oder ontologischer Überzeugungen, was die Resistenz bestimmter Vorstellungen erkläre. Entsprechend sei es nötig, im Unterricht dann diese grundlegenden ontologischen und epistemologischen Rahmentheorien einem kognitiven Konflikt auszusetzen. Als Beispiel wird etwa das Erlernen der Gestalt der Erde angeführt, das einer Aufgabe der ontologischen Annahme, Raum – und damit auch das Weltall – sei grundsätzlich in ein Oben und Unten gegliedert, bedürfe (vgl. Reinfried, 2010).

Der Fragmentierungsansatz nach diSessa DiSessas (2008) Fragmentierungsansatz sieht als relevante kognitive Ressourcen grundlegende Erfahrungsund Wissensbausteine, die er als p-prims (phenomenological primitives) bezeichnet. Diese würden häufig situativ und kontextbedingt zu spezifischen Vorstellungen miteinander verknüpft werden. Der situative Charakter der Vorstellungskonstruktion führe dazu, dass Vorstellungen

5

114

Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

Makrokosmos

5 Mesokosmos

Mikrokosmos

..Abb. 5.4  Übertragungen aus dem Mesokosmos in den Mikro- und Makrokosmos

wenig theorieähnlich und häufig inkohärent seien. Die Wissens- und Erfahrungsfragmente an sich seien oft nicht falsch und bedürften demnach auch keiner Änderung. Was es im Unterricht zu verändern gelte, wären die Verknüpfungen zwischen diesen Wissens- und Erfahrungsfragmenten. Die Schattenwurfvorstellung zu den Mondphasen könnte entsprechend als Ergebnis der Situation mit ihrer Aufforderung, eben eine Vorstellung zur Sichelmondentstehung formulieren zu müssen, interpretiert werden. Hierbei würden verschiedene Wissens- und Erfahrungsfragmente, wie etwa zu Schattenspielen, zu Konstellationen von Sonne, Erde und Mond, zum Wissen, dass der Mond eigentlich ja weiterhin da ist, miteinander verknüpft werden, die dann letztlich zur Schattenwurfvorstellung führen würden.

Die Theorie des erfahrungsbasierten Verstehens Die Theorie des erfahrungsbasierten Verstehens (Gropengießer, 2007) weist Ähnlichkeiten zu diSessas Fragmentierungstheorie auf. Sie bezieht sich auf das Verstehen von Sachverhalten, die nicht direkt erfahrbar sind. Hierzu unterscheidet sie zwischen einem Mesokosmos, dessen zeitliche und räumliche Dimensionen unseren Alltagserfahrungen entsprechen, sowie einem Makrokosmos und einem Mikrokosmos, die aufgrund ihrer großen oder kleinen Skalen nicht direkt erfahrbar sind (. Abb. 5.4). Für die Geowissenschaften ist diese Unterscheidung

fruchtbar, da sich geowissenschaftliche Phänomene und Prozesse auf alle drei Kosmen verteilen. Nach der Theorie des erfahrungsbasierten Verstehens werden nun Vorstellungen im Makro- und Mikrokosmos durch Übertragungen von Schemata, Metaphern und Analogien, die auf alltagsweltlichen Erfahrungen im Mesokosmos beruhen, konstruiert. Fehlerhafte Vorstellungen ergeben sich dann dadurch, dass andere Schemata, Metaphern oder Analogien genutzt werden, als diejenigen, die aus fachlicher Sicht angemessen wären. Diese Übertragungsprozesse erfolgen meist unbewusst, lassen sich aber durch die Analyse der verwendeten Wörter rekonstruieren. Entsprechend sind im Rahmen fachdidaktischer Vorstellungsforschung die dokumentierten Äußerungen der Lernenden auf Metaphern zu analysieren. Als didaktische Konsequenz folgt daraus, dass über die zugrunde liegenden Schemata/Metaphern/Analogien reflektiert werden soll, dass alternative Schemata/Metaphern/Analogien angeboten und dass insbesondere, so weit möglich, neue Erfahrungen gestiftet werden sollen. Im Mondphasenbeispiel würde aus der Perspektive der Theorie des erfahrungsbasierten Verstehens hervorgehoben werden, dass wir sehr häufige Erfahrungen dazu haben, wie wir mit dem eigenen Körper Schatten auf andere Gegenstände (z. B. Straßen oder Leinwände bei „Schattenspielen“) werfen. Wir haben aber kaum Erfahrungen zu Eigenschatten mit scharfen Grenzen, da im Alltag diffuse Strahlung meist auch den sonnenabgewandten Teil beleuchtet. Als didaktische Konsequenz wäre das Stiften von Erfahrungen nötig, etwa das Nachstellenlassen, wie bei entsprechender Perspektive auf eine zweifarbige Kugel von deren einen Farbe nur eine „Sichel“ zu sehen ist (. Abb. 5.5). Auch die Ermöglichung von Erfahrungen zum Eigenschatten in abgedunkelten Räumen kann hier hilfreich sein.

Koexistenzansatz nach Potvin Im Koexistenzansatz nach Potvin und Cyr (2017) spielen kognitive Ressourcen wie Rahmentheorien oder p-prims keine zentrale Rolle. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass mehrere Vorstellungen gleichzeitig im Gehirn einer Person „existieren“, aber eine Vorstellung intuitiver ist als die anderen. Ein erfolgreicher Conceptual Change besteht demnach weder im Auswechseln der Vorstellungen, wie ursprünglich bei Posner et al. (1982), noch in der veränderten Aktivierung der kognitiven Ressourcen (also der Rahmentheorien oder der p-prims oder der Metaphern/Analogien/Schemata), sondern im kontrollierten Unterdrücken der intuitiven Vorstellung(en). Unterstützt wird dieser Ansatz durch neurobiologische Messungen bei der Beantwortung von Fragen zu Themen mit häufig vorkommenden fehlerhaften Vorstellungen. In solchen Tests benötigen Expertinnen und Experten mehr Zeit zum Beantworten der Fragen als Laien, liegen hierbei aber mit ihren Antworten meistens richtig. Auch sind

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5.2  •  Schülervorstellungen

..Abb. 5.5  Nachvollzug der Mondphasenbildung durch unterschiedliche Perspektiven auf die beschienene Mondhälfte

bei den Expertinnen und Experten Gehirnareale, die der Kontrolle dienen, während solcher Tests besonders aktiv. Entsprechend gelte es, im Unterricht fachlich angemessene Vorstellungen nach ihrer Vermittlung zunehmend kontraintuitiven Aufgaben auszusetzen und dabei auch die fehlerhaften intuitiveren Vorstellungen kennenzulernen, um diese zunehmend besser kontrollieren zu können. Die Vorstellungen koexistieren also weiter, der fachlich angemessene Zugriff kann aber geübt und reflektiert werden. Im Mondphasenbeispiel würde das bedeuten, dass zuerst einmal eine fachlich angemessene Vorstellung über die Entstehung der Mondphasen vermittelt würde und dass dann etwa durch die Präsentation eines Sichelmondes die intuitive Erklärung eines Schattenwurfes reflektiert würde.

Parallelen im Inhalt und in der Darstellung Eine weitere Erklärung für die Entstehung von Schülervorstellungen sieht in der inhaltlichen Ähnlichkeit verschiedener Themen eine Ursache. Manche Themen weisen hinsichtlich ihres Begriffssystems und ihrer Visualisierungen große Parallelen untereinander auf, die dazu führen können, dass eine Vorstellung aus Elementen beider Themen konstruiert wird (Dove, 1998; Schuler, 2010). So zeigen sich zahlreiche Parallelen zwischen dem Thema „Ozonloch“ und dem Thema „Treibhauseffekt“: Zum Beispiel geht es bei beiden Themen um atmosphärische Prozesse, um anthropogene Gasemissionen, um Sonnenstrahlung und um Gefährdungen des Menschen; Visualisierungen hierzu zeigen bei beiden Themen die Sonne, Strahlungsgänge und oft eine Gasschicht in der

Atmosphäre. Aus der Kombination beider Themen entstehe dann eine Vorstellung, wonach der Treibhauseffekt durch Ozonlöcher verursacht sei (Schuler, 2010). Die Vorstellung vom Schattenwurf der Erde ließe sich demnach als eine Kombination der Themen „Mondfinsternis“ und „Mondphasen“ interpretieren. Auch hier finden sich zahlreiche inhaltliche Parallelen in den relevanten Inhaltselementen (Sonne, Erde, Mond) und in den bildhaften Erläuterungen (Aufsichten von außen auf die Dreierkonstellation Sonne–Erde–Mond). 5.2.1.4

Strategien zum Umgang mit Schülervorstellungen

Je nach zugrunde liegender Theorie bestehen unterschiedliche methodische Ansätze, wie mit Schülervorstellungen umgegangen werden kann. Die Konfliktstrategie orientiert sich am kognitiven Konflikt, weshalb zu Beginn die Vorstellungen zum relevanten Thema hervorgelockt werden sollen. Dazu eignen sich schriftliche Abfragen wie z. B. „Wie stellst du dir das Vorkommen von Grundwasser in der Natur vor?“ oder das Formulierenlassen von Hypothesen zu einer Frage wie z. B. „Warum findet man versteinerte Muscheln auf der Zugspitze?“. Eine andere Möglichkeit ist das Erstellenlassen von Zeichnungen, z. B. zur Entstehung des Reliefs der Heimatregion. An das Sammeln und Vergleichen der Vorstellungen schließt sich eine Phase, innerhalb derer eine Information präsentiert wird, die mit bestimmten Vorstellungen nicht vereinbar ist (vgl. Reinfried, 2010; Potvin, 2021). Hieraus entwickelt sich idealerweise eine Unzufriedenheit mit der bisherigen Vorstellung im Sinne

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

des klassischen Conceptual-Change-Ansatzes nach Posner et al. (1982), der sog. kognitive Konflikt. Anschließend gilt es, die Plausibilität und die Verständlichkeit der neuen Vorstellung anzubahnen und so den kognitiven Konflikt zu lösen. Hierzu müssen neue Informationen bereitgestellt, evtl. neue Erfahrungen ermöglicht und viel Raum geschaffen werden, um sich mit diesen neuen Informationen auseinandersetzen und dabei sich mit Mitschülerinnen und -schülern über diese Informationen und über die bisherige Vorstellung austauschen zu können. Aufgaben, innerhalb derer die Lernenden die neue Vorstellung anwenden müssen, sollen die neue Vorstellung als fruchtbar für die Beantwortung weiterführender Fragen erfahren lassen. Begleitet werden diese Schritte durch Metareflexionen über die individuellen Lernwege von der anfänglichen Vorstellung bis zum aktuellen Wissensstand (Reinfried, 2010). Bei der Brückenstrategie wird auf die Schaffung eines kognitiven Konfliktes verzichtet und zu Beginn die fachlich angemessene Vorstellung vermittelt (Potvin, 2021). Erst anschließend werden konkurrierende Vorstellungen präsentiert, die durch die Lernenden hinsichtlich ihrer Plausibilität und Fruchtbarkeit analysiert werden. Kontraintuitive Aufgaben, die einen Zugriff auf fehlerhafte Vorstellungen nahelegen, dienen dann dazu, zunehmend sicherer die fachlich angemessene Vorstellung anzuwenden und die fehlerhaften Vorstellungen zu unterdrücken (7 Abschn. 5.2.1.3, „Koexistenzansatz nach Potvin“). Viele geowissenschaftliche Themen weisen inhaltlich eine komplexe Struktur auf. Schülervorstellungen hierzu sind dann oft nicht grundsätzlich falsch, sondern unterkomplex oder enthalten einzelne fachlich problematische Facetten. So zeigen Erhebungen der Vorstellungen zum Thema „Folgen des Klimawandels“ etwa, dass bestimmte Folgen verhältnismäßig oft genannt werden (z. B. Schmelzen von Eis in den Polargebieten), dass manche Facetten hierbei fachlich fehlerhaft sind (z. B. Folgen des Schmelzens von Meereis auf den Meeresspiegel) und dass bestimmte Folgen verhältnismäßig selten genannt werden (z. B. sozioökonomische Folgen). Vorstellungsänderungen zu solchen komplexen Inhalten bedürfen dann eher Ausdifferenzierungen als grundlegender Änderungen und entsprechen damit eher Piagets Konzept der Assimilation. Hierfür eignet sich die Anknüpfungsstrategie. Bei dieser hebt die Lehrkraft nach einem anfänglichen Explizieren der Vorstellungen diejenigen Aspekte hervor, die fachlich weitgehend angemessen sind, um sukzessive darauf aufbauend die neue Vorstellung einzuführen. Hilfreich sind hierbei Darstellungsformate, die systemische Zusammenhänge zwischen vielen Elementen veranschaulichen (z. B. Concept Maps, Wirkungsgefüge, Mind Maps; 7 Abschn.  6.5). Diese erlauben den Lernenden, ihre anfängliche Darstellung mit ihrer Darstellung am Ende der Vermittlung zu vergleichen und so über ihren Lernzuwachs zu reflektieren.

5.2.1.5

Die Conceptual-Change-Forschung

Ein wichtiges Arbeitsfeld der in den 1970er-Jahren sich in den Naturwissenschaftsdidaktiken formierenden Conceptual-Change-Forschung ist die Dokumentation verschiedener Vorstellungen zu verschiedenen Unterrichtsthemen: Schülerinnen und Schüler werden im Rahmen qualitativer Forschung zur ihren Vorstellungen über bestimmte Sachverhalte interviewt. Aus den Interviews werden Vorstellungen rekonstruiert und dann in fachdidaktischen Publikationen präsentiert. Auf Basis bereits dokumentierter Vorstellungen können dann im Rahmen quantitativer Forschung Fragebögen entwickelt werden, die eingesetzt werden, um die Häufigkeit bestimmter Vorstellungen, etwa in Abhängigkeit von bestimmten Faktoren, zu analysieren oder um die Wirksamkeit bestimmter Vermittlungskonzepte auf die Veränderungen von Vorstellungen zu überprüfen (Kasten „Geowissenschaftliche Tests“). >>Geowissenschaftliche Tests

Fragebögen zur Überprüfung geowissenschaftlichen Wissens können Schülervorstellungen als Distraktoren in Tests mit geschlossenen Fragen (Single Choice oder Multiple Choice) nutzen. Das Geoscience Concept Inventory (GCI) des Geocognition Research Laboratory ist ein solcher aus der Vorstellungsforschung entwickelter Test zu geowissenschaftlichen Themen und frei verfügbar im Internet. Aus der gleichen Arbeitsgruppe um Julie Libarkin ist auch ein Climate Change Concept Inventory (CCCI; Libarkin et al., 2018) entwickelt worden. Arslan et al. (2012) haben ebenfalls einen Wissenstest zum Thema „Klimawandel“ erstellt, der explizit auf Ergebnissen der Schülervorstellungsforschung basiert. Der Oceanography Concept Inventory (OCI) testet das ozeanographische Verständnis und ist primär für den Einsatz in ozeanographischen Einführungskursen an College und Universität konzipiert (Arthurs et al., 2015). Ähnlich hierzu ist auch der Mineralogy Concept Inventory (MCI) zur Überprüfung des mineralogischen Verständnisses primär für den Einsatz in mineralogischen Einführungskursen an College und Universität entwickelt worden (Scribner & Harris, 2020). Der Volcanic Concept Survey (VCS) überprüft das Verständnis zum Thema „Vulkane“ (Parham et  al., 2010). Im Geological Time Aptitude Test (GeoTAT) wird die Fähigkeit von Lernenden, geologische Prozesse in ihrer zeitlichen Abfolge aus geologischen Phänomenen rekonstruieren zu können, überprüft (Dodick & Orion, 2003). Der Landscape Identification and Formation Test (LIFT) misst die Fähigkeit, geomorphologische Strukturen auf Fotos ansprechen und den Zeitraum ihrer Entstehung einschätzen zu können (Jolley et al., 2013).

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5.2  •  Schülervorstellungen

Weitere öffentlich zugängliche geowissenschaftliche Tests sind die Earth Science-Klausuren des Regents Examination am Ende der High School im Bundesstaat New York, die zurück bis zum Jahr 1998 frei zugänglich sind (7 https://www.nysedregents.org/earthscience/). Innerhalb der PISA-Tests zu den naturwissenschaftlichen Kompetenzen stellt „Erde und Weltraum“ eines der drei Inhaltsfelder neben „Lebende Systeme“ und „Physikalische Systeme“ dar. Aus den PISA-Tests werden nur einzelne Aufgaben als Beispiele der Öffentlichkeit bereitgestellt. Für die Erhebung 2015, die ihren Schwerpunkt im Bereich Naturwissenschaften hatte, finden sich in den veröffentlichten Aufgaben auch solche aus dem Bereich Geowissenschaften (7 https:// www.pisa.tum.de/pisa/beispielaufgaben/).

Indem die Einzelstudien zu Schülervorstellungen zusammengetragen werden, können Zusammenfassungen für Lehrkräfte zum Umgang mit Schülervorstellungen in ihrem Fachunterricht erstellt werden (Zusammenfassungen im deutschsprachigen Raum für Biologie: Hammann & Asshoff, 2014; Kattmann, 2015, 2017; für Chemie: Barke, 2006; für Physik: Schecker et al., 2018). Schülervorstellungen zu geowissenschaftlichen Themen werden in diesen angeführten Zusammenfassungen zum Teil mitbehandelt. Für den deutschsprachigen Geographieunterricht findet sich bisher keine entsprechende Zusammenstellung bisheriger Studien zu Schülervorstellungen. Einen Überblick zu geowissenschaftlichen Vorstellungen von Grundschulkindern, der auch auf eigenen empirischen Daten beruht, gibt Schubert (2018). International existieren Review-Artikel, die zu bestimmten Zeitpunkten einen Überblick über den Stand der Forschung zu geowissenschaftlichen Schülervorstellungen geben. Zu nennen sind hier insbesondere die Artikel von Dove (1998), King (2010), Cheek (2010), Francek (2013) sowie Guffey und Slater (2020). Solche Überblicksartikel eignen sich gut, um einen ersten Überblick über typische Vorstellungen in einem Themenfeld zu erhalten und um ggf. weiterführende Literatur zu finden. Neben der Dokumentation von Schülervorstellungen und der Entwicklung von Testinstrumenten spielen die Entwicklung und Evaluation von Lernumgebungen, die für eine fachlich angemessene Vorstellungsänderung besonders förderlich sind, eine wichtige Rolle in der geowissenschaftsdidaktischen Conceptual-Change-Forschung. Beispiele für solche Lernumgebungen sind für Plattentektonik: Gobert (2005), Conrad (2014, 2016), zum Aufbau der Erde: Denk (2019), für den anthropogenen Treibhauseffekt: Niebert (2010), Reinfried et al. (2012), für Gletscher und Eiszeiten: Felzmann (2013a, 2018b). Im deutschsprachigen Raum erfolgen diese kombinierten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten meistens mithilfe des Modells der Didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997; 7 Abschn. 2.1): Die Voraussetzungen aufseiten der Schülerinnen und Schüler, insbeson-

dere ihre Vorstellungen, werden zum relevanten Thema ermittelt (Erfassung der Lernendenperspektive), und die fachwissenschaftliche Darstellung des Themas wird aus einer didaktischen Perspektive analysiert (fachliche Klärung). Die Befunde dieser beiden Analysen werden aufeinanderbezogen, und aus diesem wechselseitigen Vergleich werden Vermittlungskonzepte entwickelt (didaktische Strukturierung), die dann ggf. evaluiert werden. 5.2.2

Grundsätzliche Schwierigkeiten bei der Konstruktion geowissenschaftlicher Vorstellungen

Die Spezifika geowissenschaftlicher Sachverhalte, also besonders ihre enormen zeitlichen und räumlichen Dimensionen und ihre hohe Komplexität, führen zu einer Reihe grundsätzlicher Schwierigkeiten für Lernende, wenn diese konkrete geowissenschaftliche Vorstellungen konstruieren. 5.2.2.1

Zeitliche Vorstellungen

Geologische Prozesse erfolgen auf sehr unterschiedlichen zeitlichen Skalen. Während wir im Mesokosmos Zeitskalen wie Sekunden, Stunden, Jahre erfahren und alltagsweltlichen Prozessen oft die passenden Zeitdimensionen zuordnen können, konfrontiert uns die geologische Tiefenzeit (deep time) mit Dimensionen von Tausenden, Millionen und Milliarden Jahren. In der Geowissenschaftsdidaktik wird kontrovers diskutiert, ob ein Verstehen der zeitlichen Dauer von geologischen Prozessen und Zeitabschnitten (durations) und der zeitlichen Abfolge geologischer Ereignisse (succession) sich qualitativ vom Verstehen alltagsweltlicher Zeit unterscheidet oder nur eine Ausweitung des Verstehens alltagsweltlicher Zeit darstellt (Cheek, 2013a, b).

Vorstellungen zu den zeitlichen Dimensionen (duration) Cheek (2013a, b) zeigt, dass zumindest ein Teil der Schwierigkeiten im Umgang mit langen Zeiträumen sich auf die grundsätzliche Schwierigkeit im Umgang mit großen Zahlen zurückführen lässt. Auch werden zeitliche Dimensionen mit räumlichen Dimensionen gekoppelt, was sich insbesondere in der Vorstellung äußert, dass mächtige geologische Schichten langen geologischen Zeiträumen und dünne geologische Schichten entsprechend kurzen geologischen Zeiträumen entsprechen. Cheek (2013a, b) sieht diese Schwierigkeiten primär durch mangelndes geologisches Wissen und eine auch im Alltag relevanten Verknüpfung zeitlicher Prozesse mit räumlichen Veränderungen begründet. Während Personen mit sehr wenig geowissenschaftlichem Wissen geowissenschaftliche Prozesse hinsichtlich ihrer Zeitdauer sowohl stark über- als auch unterschätzen,

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

weil sie offensichtlich raten, zeigt sich bei Personen mit etwas ausgeprägterem geowissenschaftlichem Wissen eine Tendenz zur Unterschätzung geologischer Zeiträume.

Vorstellungen zur Chronologie (succession)

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Historisch-geologisches Wissen wird in Form von Geschichten strukturiert, z. B. die Geschichte der Entstehung eines bestimmten geowissenschaftlichen Phänomens oder die Geschichte eines bestimmten geologischen Zeitabschnittes. Das Skelett geologischer Geschichten bilden Chronologien, die eine zeitliche Abfolge von Ereignissen bereitstellen. Erhalten Lernende neue Informationen über bestimmte historisch-geologische Ereignisse, so versuchen sie, diese in ihr bisheriges chronologisches Wissen zu integrieren, indem sie die neue Information in zeitliche Relation zu Landmarken setzen. Bei den Landmarken handelt es sich um bekannte historische Ereignisse, die möglicherweise sogar absolut datiert werden können (vgl. Turk, 2004). Bekannte erdgeschichtliche Landmarken sind etwa „Zeit der Dinosaurier“, „Aussterben der Dinosaurier“, „Eiszeitalter“, „Entstehung des Menschen“. Diese erdgeschichtlichen Chronologisierungen können eingebettet sein in allgemeinere Zeitraumkategorisierungen. Trend (1998, 2001a, b) zeigte, dass Zehn- bis Elfjährige, 17-Jährige und angehende Primarstufenlehrkräfte vorgegebene erdhistorische Ereignisse sehr grob auf Basis der Klassen „extrem alt“ (z. B. Entstehung der Sonne, Entstehung der Erde), „weniger alt“ (z. B. Aussterben der Dinosaurier, Eiszeitalter) und „geologisch rezent“ (z. B. Entstehung des Menschen) kategorisieren. Daraus ist zu folgern, dass eine erdgeschichtliche Chronologisierung von Ereignissen umso besser gelingt, je mehr Wissen über zentrale erdhistorische Ereignisse vorliegt. In einer Studie zu den Vorstellungen von 14-Jährigen zu Gletschern und zum Eiszeitalter (Felzmann, 2013a) zeigten sich große Schwierigkeiten in der Einordnung des Eiszeitalters. Die Lernenden verbanden die Landmarken „Aussterben der Dinosaurier“ und „Eiszeitalter“ kausal, indem die Dinosaurier entweder durch die Eiszeit ausgestorben seien oder durch einen Meteoriteneinschlag, welcher zugleich den Beginn des Eiszeitalters darstelle. Die Landmarke „Entstehung des Menschen“ wurde zum Teil in das Eiszeitalter gelegt mit dem Verweis auf das Wissen um die menschliche Bejagung von Mammuts, zum Teil erst an das Ende des Eiszeitalters mit dem Verweis, dass während des Eiszeitalters kein menschliches Leben möglich gewesen sei. Der Impakt an der Kreide-Paläogen-Grenze vor etwa 66 Mio. Jahren, die Entstehung der Erde und der Urknall wurden begrifflich zum Teil nicht differenziert.

Zeitliche Strukturierung geowissenschaftlicher Prozesse Geowissenschaftliche Prozesse und die gesamte Erdgeschichte lassen sich in ihrer zeitlichen Struktur als einmalig und linear verlaufend oder als sich ständig wie-

derholend fassen. Der Geologe Steven Jay Gould (1990) spricht in diesem Zusammenhang von den Metaphern des Zeitkreises und des Zeitpfeiles, deren Nutzung er als zentral für den Erkenntnisfortschritt in der Geschichte der Geologie sieht. So sei James Huttons Verdienst, dass er geologische Prozesse mithilfe des Zeitkreises strukturiert hätte und damit die Vorstellung einer kurzen, linear verlaufenden Erdgeschichte, wie sie im christlichen Kulturkreis der damaligen Zeit vorherrschend war, überwunden habe. Gleichwohl bedürfe es beim Verständnis der Tiefenzeit der Fähigkeit, mit der Dichotomie beider Metaphern zu arbeiten. Da in den westlichen Gesellschaften aktuell Zeitpfeilstrukturierungen vorherrschen, kann nach dieser Argumentation gefolgert werden, dass Lernende in westlichen Gesellschaften dazu neigen, geowissenschaftliche Prozesse und die gesamte Erdgeschichte stark linear zu beschreiben. In den Beschreibungen geologischer Prozesse oder geologischer Zeitabschnitte werden also sich wiederholende Vorgänge eher ausgeblendet, und die Abfolge von Veränderungen wird eher betont. 5.2.2.2

Räumliche Vorstellungen Umgang mit räumlichen Skalen (horizontal) Geowissenschaftliche Phänomene und Prozesse erfolgen häufig in enormen räumlichen Dimensionen. Wie im Falle der zeitlichen Dimensionen fällt es auch hier Schülerinnen und Schülern oft schwer, für geowissenschaftliche Prozesse das richtige Maß zu finden. Dabei können sowohl Unter- als auch Überschätzungen auftreten. Ein Beispiel sind Vorstellungen darüber, auf welchen räumlichen Skalen verschiedene Phänomene von Vulkanausbrüchen wirken. Einerseits wird nach Beobachtung des Verfassers häufig die Reichweite unmittelbar gefährlicher Phänomene (Bomben, Lavaströme, pyroklastische Ströme) überschätzt, andererseits die globale Dimension von Klimaveränderungen infolge katastrophaler Vulkanausbrüche z. T. unterschätzt wie etwa folgende Vorstellung eines Schülers zeigt: „Vulkanausbrüche auf Island führten zu einer Eiszeit (nur) in Europa“ (Felzmann 2013a). Auch beim Thema „Klimawandel und seine Ursachen“ wird die Klimaerwärmung manchmal nur in der Nähe der CO2-Quellen vermutet (Niebert, 2010).

Umgang mit räumlichen Skalen und Begriffen (vertikal) Abbildungen mit vertikalen Schnitten durch die Erdoberfläche zeigen häufig schichtartige Strukturen. Schülerinnen und Schülern ist offensichtlich dieser schichtartige Bau des „Untergrundes“ bekannt, allerdings haben sie häufig Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Größendimensionen und die inhaltlichen Perspektiven solcher Erdschnitte voneinander zu unterscheiden. Entsprechend werden Bodenhorizonte, Gesteinsschichten und Erdschalen nicht differenziert. Stattdessen werden oft Schichten gezeichnet oder beschrieben, die sich z. T. an

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5.2  •  Schülervorstellungen

bodenkundlichen Begriffen, z. T. an geologischen Begriffen und z. T. an Begriffen zum Schalenbau der Erde orientieren – häufig ergänzt um eine „Grundwasserschicht“ (vgl. Gapp & Schleicher, 2010; Kucharzyk, 2022; Russell et al. 1993). Bodenkunde wird entsprechend häufig mit Plattentektonik assoziiert (vgl. Kucharzyk, 2022).

Umgang mit unterschiedlichen systemischen Ebenen (Teil-Ganzes-Perspektiven) Geowissenschaftliche Erklärungen erfolgen häufig über unterschiedliche Skalen. Im Makrokosmos angesiedelte Phänomene werden etwa über Prozesse im Mikrokosmos erklärt, z. B. der globale Strahlungshaushalt über die Absorption von langwelliger Strahlung an CO2-Molekülen, die Subduktion von Platten über Dichteänderungen oder die Bewegung von Gletschern über Deformationen der einzelnen Eiskristalle. Schülerinnen und Schüler haben Schwierigkeiten, zwischen diesen Skalen zu wechseln und ihre jeweiligen Größenordnungen zu unterscheiden. Sie verharren in Erklärungen oft auf der Ebene des Ganzen (des Phänomens im Meso- oder Makrokosmos) statt auf die Ebene seiner Teile (z. B. der Minerale), also meistens auf die Ebene des Mikrokosmos, zu wechseln (Treagust et  al., 2003). Informationen zu bestimmten Prozessen werden dann möglicherweise mit der falschen Ebene verknüpft. So kann etwa die Information, dass sich ein Gletscher bewegt, zu der Vorstellung führen, dass sich der Gletscher als Ganzes einmalig rutschend bewegt, statt zu der Vorstellung von sich bewegenden Eiskristallen (Felzmann, 2013a). Auch beim Thema „Niederschlag“ ist z. B. ein Wechsel von der Ebene des Ganzen (der Wolke) auf die Ebene der Teile des Ganzen (flüssige oder gefrorene Wassertropfen in der Wolke) nötig, um unangemessene Vorstellungen von sich entleerenden Wolken überwinden zu können. 5.2.2.3

streit um die Gewichtung gradualistischer und katastrophistischer Prozesse. Nutzen Schülerinnen und Schüler, wie oben dargelegt, eher monokausale als polykausale, eher Zeitpfeil- als Zeitkreisstrukturierungen, entstehen eher katastrophistische als gradualistische Erklärungen (Hidalgo et al., 2004). Diese Neigung von Schülerinnen und Schülern lässt sich für eine Reihe geowissenschaftlicher Phänomene nachweisen, z. B. in der Interpretation der Grand-Canyon-Entstehung als Ergebnis einer einmaligen großen Flut (Sexton, 2012), in der Interpretation von Bergentstehungen als Ergebnisse von Vulkanausbrüchen (Ohler, 2021), in der Vorstellung, dass in den pleistozänen Eiszeiten die gesamte Erde mit Eis bedeckt war oder dass am Ende der Eiszeiten riesige Schmelzwasserfluten die Landoberfläche (Eurasiens) verändert hätten (Felzmann, 2013a).

Finalistische Erklärungen Geowissenschaftliche Prozesse erfolgen – im Gegensatz zu menschlichen Handlungen – ohne bestimmte Ziele. Erklärungen von Schülerinnen und Schülern enthalten aber oft solche Zielzuschreibungen. Insbesondere jüngere Kinder neigen dabei dazu, diese Ziele in einer Ermöglichung des menschlichen Wohlergehens zu sehen. So wird die Existenz der Ozonschicht damit begründet, dass sie Menschen vor gefährlicher Strahlung schütze. Die Ursache von Regen wird in dessen Funktion für Pflanzen gesehen (Malleus et al., 2016). Ältere Schülerinnen und Schüler verwenden häufig abstraktere Konzepte für finalistische Erklärungen. Besonders prominent ist hierbei die Vorstellung, wonach natürliche Prozesse mit dem Ziel der Einhaltung oder Wiederherstellung eines „natürlichen Gleichgewichtes“ erfolgen würden. Für die Evolutionstheorie ist die weite Verbreitung von finalistischen Vorstellungen und damit von Vorstellungen einer Zielgerichtetheit in der Stammesgeschichte gut belegt (Kattmann, 2015).

Vorstellungen zur Komplexität geowissenschaftlicher Phänomene Monokausalität – Polykausalität sowie Äquifinalität Anthropogene Erklärungen Viele geowissenschaftliche Phänomene sind das Ergebnis mehrerer z. T. gleichzeitiger, z. T. nacheinander ablaufender Prozesse. Schülerinnen und Schüler neigen dazu, solche Phänomene weitgehend monokausal zu erklären (Dodick & Orion, 2003; Raia, 2005). Einige geowissenschaftliche Phänomene, die aufgrund ihres ähnlichen Aussehens zumindest alltagssprachlich unter die gleiche Kategorie gefasst werden (z. B. „Berge“), können auf ganz unterschiedlichen Entstehungen beruhen („Äquifinalität“). Auch hier neigen Schülerinnen und Schüler zu einem monokausalen Denken, wenn sie solche Phänomene nur auf eine oder wenige Ursachen beziehen (Dove, 1998).

Katastrophistische – gradualistische Erklärungen Innerhalb der Geschichte der Geowissenschaften zeigt sich in der Interpretation der Erdgeschichte ein Wider-

Auch wenn geowissenschaftliche Prozesse zunehmend durch menschliches Handeln verstärkt, überprägt oder überhaupt erst verursacht werden, so ist doch bei vielen, insbesondere jüngeren Schülerinnen und Schülern eine Überschätzung des menschlichen Einflusses hierauf zu beobachten (Cheek, 2010). Ein Beispiel ist die Erklärung von Bergentstehungen als anthropogene Aufschüttung.

Statische Vorstellungen, göttliches Handeln Mit der Vorstellung, dass die Erde in ihrer Gestalt und mit den auf ihr ablaufenden Prozessen in einem einmaligen Akt entstanden sei, geht häufig die Vorstellung einher, dass seit diesem Entstehungsakt die Erde weitgehend statisch geblieben sei (Cheek, 2010). Bestimmte Berge etwa sind nach dieser Vorstellung eben „schon immer“ da (Ohler, 2021). Die Vorstellung von einem ein-

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

maligen Entstehungsakt kann religiös begründet sein. Damit wird ähnlich den anthropogenen Erklärungen ein personifizierter Schöpfer unmittelbar für geowissenschaftliche Prozesse verantwortlich gemacht, allerdings eben nun in vormenschlicher Zeit und einmalig handelnd.

Kreisläufe

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Ein Verstehen der großen biogeochemischen Kreisläufe bedarf eines Wissens um den Erhalt von Materie. Ein solches Wissen ist aber für Lernende nicht selbstverständlich, woraus sich Schwierigkeiten im Nachvollziehen und eigenständigen Konstruieren von Kreisläufen ergeben (Cheek, 2010). Damit verbunden ist die Notwendigkeit, die Entwicklung der Menge des entsprechenden Stoffes in einem Speicher innerhalb eines Kreislaufes aus seinen Zufluss- und Abflussraten abzuleiten. Ein solches dynamisches systemisches Denken fällt vielen Menschen schwer, wie Sterman und Sweeney (2007) am Beispiel des Kohlenstoffkreislaufes und Studierender an einer amerikanischen Eliteuniversität zeigt. 5.2.2.4 Naturkatastrophen

Bei der Erklärung von Naturkatastrophen werden sozioökonomische Ursachen oft ausgeblendet. Die Naturkatastrophe wird dann als Naturereignis dargestellt, dem menschliche Gesellschaften schutzlos ausgeliefert sind, sowohl mit Blick auf die Katastrophenvorsorge als auch mit Blick auf die Resilienz der Gesellschaft nach Eintritt des Ereignisses (Hemmer et al., 2011). Die Gefährlichkeit bestimmter Naturereignisse wird oft im unmittelbaren Wirken bestimmter Phänomene gesehen und nicht in – meistens zeitverzögerten – Folgewirkungen. So wird für Vulkanausbrüche etwa die Lava, für Erdbeben das unmittelbare körperliche Geschütteltwerden und für tropische Wirbelstürme der Sturm (etwa durch herumfliegende Teile) als Hauptgefährdung gesehen. In der Interpretation von Naturkatastrophen finden sich auch finalistische Vorstellungen wieder, wonach es sich hierbei um Ergebnisse einer willentlich agierenden Natur (z. B. im Sinne einer „Rache der Natur“) oder eines göttlichen Eingreifens handele. Schülerinnen und Schüler, die in Gebieten mit einem erhöhten Naturrisiko leben, zeigen meistens kein besseres Wissen über die Ursachen für die entsprechenden Naturereignisse (z. B. tropische Wirbelstürme: Lee, 1999; Erdbeben: Ross & Shuell, 1993), weisen aber meistens ein besseres Wissen um die Katastrophenvorsorge auf als Schülerinnen und Schüler, die außerhalb davon leben.

5.2.3

Konkrete fehlerhafte Schülervorstellungen zu geowissenschaftlichen Sachverhalten

Im Folgenden werden – aufbauend auf den Überblicksartikeln von Dove (1998), Cheek (2010), Francek (2013) sowie Guffey und Slater (2020) – ausgewählte fehlerhafte Schülervorstellungen aufgelistet. Die Vorstellungen wurden nach der subjektiven Einschätzung des Verfassers hinsichtlich ihrer Relevanz ausgewählt, wobei ein Schwerpunkt auf deutschsprachigen Publikationen gelegt wurde. 5.2.3.1 Geosphäre

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Aufbau und Struktur der Erde Im Inneren der Erde brennen Feuer (Francek, 2013). Mit zunehmender Tiefe wird es aufgrund der fehlenden Erwärmung durch die Sonne in der Erde kälter (Francek, 2013). Nur unter den Kontinenten, nicht unter den Ozeanen befindet sich Erdkruste (Clark et al., 2011). Der Erdmantel/Die Asthenosphäre ist „flüssig“/„halbflüssig“/„zähflüssig“ (Cheek, 2010; Francek, 2013).

Plattentektonik Plattengrenzen sind Kontinentgrenzen (Cheek, 2010; Conrad, 2014; Guffey & Slater, 2020). Die Platten sitzen unter den Kontinenten und tragen diese (Conrad, 2014). Die Platten schwimmen in den Ozeanen (Conrad, 2014). Platten driften aufeinander zu und stoßen aneinander (Conrad, 2014). Konvergierende Platten schieben sich dreiecksförmig nach oben (Conrad, 2014). Die Erdrotation verursacht die Plattenbewegung (Conrad, 2014). Die Erdanziehungskraft verursacht die Plattenbewegung (Conrad, 2014). Der Wasserdruck der Ozeane verursacht die Plattenbewegung (Conrad, 2014). Erdbeben verursachen die Plattenbewegung (Conrad, 2014). Der Urknall hat die Plattenbewegung ausgelöst (Conrad, 2014).

Relief Geomorphologische Phänomene entstehen durch einen Prozess statt durch mehrere gleichzeitige/aufeinanderfolgende Prozesse (z. B. Hebung und Tiefenerosion bei der Canyon-Bildung; Sexton, 2012). Die Erdoberfläche hat seit einem einmaligen Gestaltungsprozess weitgehend die gleiche Form behalten (Cheek, 2010).

5.2  •  Schülervorstellungen

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Geomorphologische Phänomene entstehen durch einmalige schnell ablaufende Prozesse (Erdbeben, Vulkan, Meteoriteneinschlag, Flut; Felzmann, 2013a). Berge entstehen durch ein punktuelles Hochdrücken/ Hochwachsen aus einem ebenen Untergrund heraus (Ohler, 2021).

Erdbeben, Tsunami Erdbeben sind vorhersagbar, Tiere können Erdbeben vorhersagen (Coleman & Soellner, 1995; Francek, 2013). Erdbeben verursachen Vulkanausbrüche, etwa durch die Entstehung von Rissen im Gestein, durch die dann Lava austritt (Francek, 2013). Bei Erdbeben reißen Gräben auf, in denen viel verschwindet (Francek, 2013). Erbeben werden durch Wärme verursacht. Zum Teil wird diese Wärme in der Lithosphäre verortet. Zum Teil wird die Wärme als atmosphärische Wärme verstanden, die den Untergrund als Trockenrisse aufbrechen lässt, weshalb dann Erdbeben nur in warmen oder heißen Regionen vorkommen (Francek, 2013; Leather, 1987). Die Gefährlichkeit von Erdbeben liegt im „Geschütteltwerden“ (Francek, 2013). Tsunamis erfolgen windbedingt (z. B. durch Hurrikane; Etterich, 2013).

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Vulkane Die Lava stammt vom Erdkern (Francek, 2013). Die räumliche Verteilung von Vulkanen auf der Erde ist zufällig, Vulkane können überall entstehen (Francek, 2013). Die räumliche Verteilung von Vulkanen beschränkt sich auf warme Regionen (Leather, 1987, Francek, 2013). Die Gefährlichkeit von Vulkanen wird primär in der Lava gesehen (Francek, 2013).

Gestein, Verwitterung „Verwitterung“ wird als Prozess verstanden, bei dem Wetterphänomene Gestein zerkleinern (Blitz, Hagel, Regen, Wind; Dove, 1998). Die Mächtigkeit einer Gesteinsschicht entspricht der Zeitdauer ihrer Entstehung (Dodick & Orion, 2003; Cheek, 2010; Francek, 2013) Gefaltete Sedimentschichten sedimentierten auch in dieser gefalteten Form (Dodick & Orion, 2003). „Bröseliges“ Gestein ist besonders alt (Cheek, 2010). Gesteinsteilchen (z. B. Sandkörnchen) oder Fossilien an einer Felswand lagerten sich dort (seitlich) an (Ault, 1984). Das schwerste Gestein im Profil ist am tiefsten (Raia, 2005).

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(Große) Steine entstehen durch Anlagerungen von Stoffen an kleine Steine (Francek, 2013). Steine entstehen („wachsen“) im Boden (Francek, 2013). Die Klassifizierung von Gestein erfolgt weniger auf Basis ihrer Genese als auf Basis ihrer Erscheinung (Farbe, Gewicht, Struktur; Ford, 2005; Happs, 1982a; Remmen & Frøyland, 2020). Der Begriff „Mineral“ wird selten mit dem Begriff „Gestein“ verbunden, eher mit den Begriffen „Mineralwasser“ und „Vitamine“ (Happs, 1982a).

5.2.3.2

Kryosphäre und Hydrosphäre Gletscher

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Gletscher entstehen durch Gefrieren von flüssigem Wasser (aus Quellen, Flüssen, Seen, Flutwellen, Überschwemmungen, Regen oder aus geschmolzenem Schnee; Happs, 1982b; Felzmann, 2013a). Gletscher entstehen durch ein „Gefrieren von Schnee“ (Conrad, 2012; Felzmann, 2013a) Gletscher sind sich ausdehnende und zusammenziehende Körper (ähnlich einem Luftballon; Felzmann, 2013a). Gletscher sind starre Körper. Wenn sie sich bewegen, dann nur als ganzer Körper, der einmalig rutscht (Felzmann, 2013a). Der Gesteinstransport erfolgt durch ein Vor-sichHerschieben an der Gletscherfront, z. B. als Folge des Sichausdehnens oder des Rutschens des Gletschers (Felzmann, 2013a). Eiszeitliche Gletscher haben im Ablationsgebiet großskalig das Relief primär durch ein Niederdrücken und Aufschieben eingeebnet und vertieft. Entsprechend sei das Norddeutsche Tiefland durch die eiszeitlichen Gletscher tiefer und ebener geworden (Felzmann, 2013a). Eisberge sind Berge mit Eis oder mit Schnee und Eis überzogene Berge bzw. Berge, die komplett aus Eis und Schnee bestehen (Conrad, 2012; Felzmann, 2013a; Reinfried & Hug, 2008).

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Lawinen Acht verschiedene Modelle sind nachweisbar, geordnet nach Nähe zur wissenschaftlichen Vorstellung (Rempfler, 2010): 1. Schneekugel 2. Ungeordnete Schneemasse (ungeordnetes Gleiten talwärts) 3. Geordnete Schneemasse (geordnetes Gleiten talwärts) 4. Staublawine (ohne Hinweise zum Anriss) 5. Lockerschneelawine (mit punktförmigem Anriss) 6. Schneebrett angedeutet (mit linienförmigem Anriss) 7. Schneebrett differenziert 8. Skizzierung mehrerer Lawinentypen (SchneebrettLockerschneelawine)

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

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Ozeanographie

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Das Schmelzen von Meereis (infolge des Klimawandels) ist eine Ursache für den Anstieg des Meeresspiegels (Conrad, 2012). Meeresströmungen sind eine einmalige Bewegung, entstanden durch eine einmal wirkende Kraft: Erdbeben/Plattentektonik, Wetterverhältnisse, Wind, Große Schiffe, ins Wasser fallende Gesteinsbrocken (Felzmann, 2013b). Meeresströmungen sind eine regelmäßige Hin- und Herbewegung, entstanden durch kontinuierlich wirkende Kräfte: Gezeiten/Mond (Felzmann, 2013b). Meeresströmungen sind eine kontinuierliche Bewegung in eine Richtung durch eine kontinuierlich wirkende Kraft: Reliefunterschiede auf dem Meeresboden, die zu einem kontinuierlichen „Herunterfließen“ führen, oder Schwerkraft (Felzmann, 2013b). Meeresströmungen werden nicht als dreidimensionale Kreislaufbewegungen verstanden (Felzmann, 2013b).

Grundwasser, Quellen Grundwasser kommt in Höhlen vor (unabhängig von Karstphänomenen; Reinfried, 2006). Grundwasser kommt in unterirdischen Seen vor (Reinfried, 2006). Grundwasser kommt als Wasseradern vor (Reinfried, 2006). Grundwasser ist die Wasserschicht am Grunde von Gewässern (Reinfried, 2006). Grundwasser tritt in Quellen aus, indem es gegen die Schwerkraft aufsteigt, weil es im Untergrund als in Hohlräumen eingeschlossenes Wasser unter Druck steht (Reinfried 2015).

5.2.3.3 Atmosphäre

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Klimawandel

Für einen Überblick s. Felzmann (2018a). Der anthropogene Treibhauseffekt ist eine Folge von (Ozon‑)Löchern in der Atmosphäre, die zu einer höheren Sonneneinstrahlung führen (Niebert, 2010; Schuler, 2011; Reinfried & Tempelmann, 2014). Die Erwärmung erfolgt lokal an den Emissionsorten der Treibhausgase (Niebert, 2010). Es gibt gutes (natürliches) CO2 und schlechtes (künstliches) CO2. Nur letzteres verstärkt den Treibhauseffekt (Niebert, 2010). Der anthropogene Klimawandel resultiert aus nicht näher differenzierten Abgasen von Fabriken, Autos etc. („Luftverschmutzungsmodell“), weshalb auch Luftschadstoffe wie Ruß, Feinstaub, FCKW, Stickoxide etc. oder generell „giftige Stoffe“ als Ursachen gesehen werden (Schuler, 2011). Der anthropogene Klimawandel resultiert aus einer nicht näher differenzierten Umweltverschmutzung („Umweltverschmutzungsmodell“), weshalb Aspekte wie Müll, Gewässerverschmutzung und

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Radioaktivität als Ursachen des Klimawandels und als Ansätze für den Klimaschutz gesehen werden (Schuler, 2011). Die Verbrennung fossiler Energieträger und nicht auch Landnutzungswandel ist die Ursache für den Klimawandel (Schuler, 2011). Als Folgen des Klimawandels werden primär geowissenschaftliche Phänomene (Gletscherschmelze, steigender Meeresspiegel etc.) und nicht sozioökonomische Phänomene geäußert (Punter et al., 2011).

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Klimageographie Die globale Verteilung des Niederschlages ist eine Folge der räumlichen Ausprägung der Temperatur, wobei gilt: je höher die jährliche Durchschnittstemperatur, desto geringer der Jahresniederschlag (Senger, 2021; Schwaibold, 2022). Der zeitliche Verlauf des Jahresniederschlages ist eine Folge der zeitlichen Ausprägung der Jahresdurchschnittstemperatur, wobei gilt: je höher die Monatsdurchschnittstemperatur, desto geringer der Monatsniederschlag (Schildknecht, 2018). Die globale Verteilung von Niederschlag und Vegetation erfolgt nach regionalen Stereotypen, insbesondere wird ganz Afrika als trocken und wüstenartig gesehen (Adamina, 2008; Brucker, 2020; Leufke, 2011). Die regionale Verteilung des Niederschlages ergibt sich aus der Entfernung zum Meer (Brucker, 2020). Passatwinde entstehen als eine Relativbewegung der Erdoberfläche gegenüber der ruhenden Atmosphäre (Basten, 2013). Die tropische Regenzeit ist das Ergebnis einer länger währenden Ansammlung (Füllen oder Stauen) von Wasserdampf in der Luft, bis diese ausreichend gefüllt ist und sich entleert (Basten, 2013).

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Meteorologie Wetter und Klima werden nicht unterschieden (Lombardi & Sinatra, 2012). Wolken bestehen aus Wasserdampf (Basten, 2013). Wolken sind mit flüssigem Wasser gefüllte Behälter (Basten, 2013). Regen entsteht, wenn Wolken durch den Wind gestört oder geschüttelt werden (Lane, 2015). Feuchte Luft ist schwerer als trockene (Aron et al., 1994; Basten, 2013). Luftdruck und Temperaturen werden eng gekoppelt: Hoher Luftdruck bedeutet hohe Temperatur und umgekehrt (Lane, 2015). Für Wetteränderungen werden korrelierende Entwicklungen der Wetterelemente Temperatur, Niederschlag, Bewölkung und Wind kausal zueinander in Beziehung gesetzt, z. B., dass die Temperatur (primär) wegen der Bewölkung sinkt, dass wegen des Windes die Bewölkung zunimmt und es zu regnen beginnt (Mandrikas et al., 2013).

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5.2  •  Schülervorstellungen

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Stürme

>>Tipps zum Umgang mit Schülervorstellungen

Tropische Wirbelstürme entsprechen ihrer Struktur und ihrer Wirkung Tornados (Lane & Coutts, 2012). Die Gefährlichkeit von tropischen Wirbelstürmen wird primär in ihrer windbedingten Zerstörung (und nicht in damit verbundenen Überschwemmungen) gesehen (Lane & Coutts, 2012).

5.2.3.4

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Boden

Pedosphäre und Biosphäre

Boden ist eine homogene Masse (Drieling, 2015; Kucharzyk, 2022). Pedologische und geologische Aspekte werden nicht unterschieden; Boden reicht z. B. bis zum Erdkern, Plattentektonik wird mit Boden assoziiert, eingezeichnete „Bodenschichten“ sind z. T. geologische Schichten (7 Abschn. 5.2.2.2, „Umgang mit räumlichen Skalen“; Drieling, 2015; Kucharzyk, 2022). Boden ist schon immer da (Drieling, 2015; Kucharzyk, 2022). Boden entwickelt sich nur aus zersetztem Pflanzenmaterial oder nur aus der Zerkleinerung von Gestein. Verwitterung, Humifizierung, Verrottung und Verwesung werden nicht unterschieden (Drieling, 2015; Kucharzyk, 2022). Im Boden erfolgen nur physikalische (z. B. Filterfunktion), aber keine chemischen Prozesse (z. B. Pufferfunktion; Kucharzyk 2022).

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Vegetationszonen Wüste wird als trockene, heiße und leere Sandwüste gesehen (Schubert, 2015). Den Böden des tropischen Regenwaldes wird aufgrund dessen üppiger Vegetation ein hoher Mineralstoffgehalt zugeschrieben (Dove, 2012). Die Problematik in der Vernichtung tropischen Regenwaldes wird in der Verringerung des globalen Sauerstoffgehaltes gesehen (Dove, 2012). Die Polarregionen werden als riesige Eisklötze gesehen (Conrad, 2012). Ökosysteme zeichnen sich durch Harmonie und Beständigkeit aus (Jelemenská, 2006).

5.2.3.5 Astronomie

Die Jahreszeiten entstehen durch unterschiedliche Entfernungen zwischen Erde und Sonne (Baxter, 1989; Schoon, 1989; Muthukrishna et al., 1993). Die Jahreszeiten entstehen durch unterschiedliche Grade der Bewölkung (Baxter, 1989). Die Jahreszeiten entstehen dadurch, dass die Sonne sich zur anderen Seite der Erde bewegt und diese (stärker) bescheint (Baxter, 1989). Mittags steht die Sonne auf der ganzen Erde im Zenit (Schoon, 1989).

Die folgenden Tipps sind primär mit Blick auf die außerschulische Vermittlung geowissenschaftlicher Themen formuliert: Informieren Sie sich aus fachdidaktischer Literatur über erwartbare Vorstellungen zum relevanten Thema (7 Abschn. 5.2.2 und 5.2.3). Schaffen Sie die Möglichkeit für die Lernenden, die eigene Vorstellung zu artikulieren/reflektieren. Das kann im außerschulischen Lernen z. B. auf einer Führung im Gelände erfolgen, wenn Sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bitten, sich vorzustellen, wie diese Landschaft vor einer bestimmten Zeit aussah. Das kann in einer Ausstellung innerhalb aufeinander aufbauender Exponate als Eingangsfrage formuliert sein. Schaffen Sie die Möglichkeit für die Lernenden, durch Ihre Vermittlung verbreitete fehlerhafte Vorstellungen kennenzulernen und sie mit der fachlich angemessenen Vorstellung vergleichend zu reflektieren. So könnten Sie auf einer Führung im Gelände zwei konkurrierende Vorstellungen zur Entstehung der Landschaft beschreiben. In Ausstellungen kann einer Erläuterung im Sinn von refutational textes ein Hinweis über verbreitete fehlerhafte Vorstellung(en) vorgeschaltet sein („Viele Leute stellen sich X vor als …“). Schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre, innerhalb derer die verschiedenen Vorstellungen wertgeschätzt werden und nicht als Stichwortgeber für die weiteren Erläuterungen fungieren (etwas karikierend: „Wer weiß denn, wie  X entstand?“ – „Antwort  A“ – „Nein! Das ist falsch!“ – „Antwort B“ – „Ja, das ist richtig / Ja, so ungefähr!“). Stellen Sie heraus, dass dieses Reflektieren über die eigene und über fremde Vorstellungen entscheidend für ein erfolgreiches Lernen ist. Überlegen Sie im Vorfeld, welche – insbesondere körperlichen – Erfahrungen als Analogien für den zu erklärenden Sachverhalt eingesetzt werden können (7 Abschn. 6.5.1: Analogien). Überlegen Sie im Vorfeld, ob bestimmte Modelle/ Modellexperimente bestimmte Erfahrungen ermöglichen können, die zum Verständnis des Themas relevant sind (7 Abschn. 6.5.4: Modellieren). Suchen Sie für Ihr Thema Fragen mit kontraintuitiven Antworten. Diese können zu Beginn der Vermittlung gestellt werden, um einen kognitiven Konflikt zu ermöglichen. Oder sie können in einer späteren Phase der Vermittlung gestellt werden, damit neu gelerntes Wissen sich bewähren muss. Ermöglichen Sie am Ende der Vermittlung die Reflexion über den eigenen Lernweg. Schaffen Sie in den verschiedenen Phasen der Vermittlung die Möglichkeit, dass sich die Lernenden untereinander austauschen können.

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

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Kapitel 5  •  Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden

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Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch, Dominik Conrad, Gregor C. Falk, Mathias Faller

Inhaltsverzeichnis 6.1

Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes – 130

6.2

Auswahl konkreter Fachinhalte  –  135

6.3

Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots  –  137

6.4

Darstellungsformate für systemische Beziehungen  –  142

6.5

Konkrete Methoden – 146 Literatur – 153

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_6

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Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

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Zusammenfassung

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Für die Planung von konkreten Vermittlungsangeboten, z. B. einer Schulstunde, einer Führung oder einer Ausstellung, werden Unterrichtsfaktoren, Rahmenbedingungen und Lernvoraussetzungen einzeln und in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit analysiert (. Tab. 6.1, 7 Abschn. 2.1). Hierbei führen die Spezifika geowissenschaftlicher Inhalte und der geowissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen zu Konsequenzen bei der Planung für die Bestimmung der Ziele im Rahmen eines kompetenzorientierten Unterrichts (7 Abschn. 6.1), die Bestimmung der konkreten Fachinhalte (7 Abschn. 6.2), methodische Entscheidungen zur Unterrichtsstrukturierung (7 Abschn. 6.3), Darstellungsformate für Systeme (7 Abschn. 6.4) und konkrete Unterrichtsmethoden (7 Abschn. 6.5). In diesem Kapitel werden solche Konsequenzen erläutert, wobei diese in Beziehung zu Beispielen aus dem Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe  I“ (7 Kap. 8) gesetzt werden.

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6.1

Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes

Im Folgenden werden die drei prozessbezogenen Kompetenzbereiche „Erkenntnisgewinnung“, „Kommunikation“ und „Bewertung“, die den Bildungsstandards von Biologie, Chemie, Physik und Geographie zugrunde liegen, dahingehend analysiert, wie die in ihnen formulierten Zielsetzungen sich im Rahmen geowissenschaftlicher Vermittlung spezifizieren lassen. Anschließend wird der für den Kompetenzbereich „Fachwissen“ besonders relevante Ansatz der Anwendung von Basiskonzepten mit Blick auf geowissenschaftliche Vermittlung analysiert. 6.1.1 Erkenntnisgewinnung Sylke Hlawatsch, Dirk Felzmann

Geowissenschaftliche Erkenntnisgewinnung weist viele Gemeinsamkeiten, aber auch Alleinstellungsmerkmale im Vergleich zu der Erkenntnisgewinnung in den anderen Naturwissenschaften auf (King, 2014). Entsprechend kann die Vermittlung spezifischer geowissenschaftlicher Denk- und Arbeitsweisen als Zielsetzungen ausgewiesen werden: Das Modellieren von Erdsystemen, etwa über die Nutzung von Wirkungsgefügen (7 Abschn. 6.3.1.3, 7 Kap. 3, 8). Hierdurch sind visuelle Repräsentatio-

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..Tab. 6.1  Aspekte der Unterrichtsplanung

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Unterrichtsfaktoren

Rahmenbedingungen

Lernvoraussetzungen

Ziele Inhalt Methoden Medien

Organisationsformen von Schulen, Museen etc. Rechtliche Vorgaben …

Vorstellungen Interessen Vorwissen …

nen von Datensätzen, sogar über langfristige Zeitskalen und die gesamte Erde, möglich. Die Feldarbeit in Form von Messungen und Bestimmungen im Gelände erfordert etwa neben der korrekten Nutzung von Messgeräten auch die Analyse, wie in einer komplexen und dynamischen Umwelt angemessen Messungen platziert werden. Geowissenschaftliche Feldarbeit ist auch meistens mit Laborarbeit kombiniert, innerhalb derer im Gelände gewonnene Proben analysiert werden (7 Kap. 3). Retrodiktion, also das Schlussfolgern über vergangene Ereignisse auf Basis aktueller Daten und unter Nutzung des Aktualismusprinzips, stellt eine für historische Naturwissenschaften, wie die Geologie, relevante Denkweise dar. Komplexe geologische Ereignisse lassen sich aufgrund ihrer inhärenten Kontingenz nur selten deduktiv aus Theorien ableiten, im Gegensatz z. B. zu vielen astronomischen Ereignissen, die sich für die Vergangenheit berechnen lassen. Vielmehr gleicht die Rekonstruktion solcher geologischen Geschichten einem Indizienschluss, bei dem auf Basis einer Vielzahl von Befunden und dazu erfolgter Retrodiktionen eine Hypothese als wahrscheinlicher beurteilt wird als eine andere. Entsprechend wird diese Erkenntnisgewinnung in der Geologie auch mit derjenigen eines Detektivs verglichen (Dodick & Orion, 2003). Experimente sind als Methode zum Aufdecken von Zusammenhängen und Gesetzmäßigkeiten von großer Bedeutung. So werden in Laboren Experimente durchgeführt, z. B. zur Entstehung von Mineralparagenesen in der Mineralogie oder zu Prozessen, die biogeochemische Stoffflüsse bedingen. Daneben werden auch Freilandexperimente durchgeführt, z. B. zum Entzug von CO2 aus der Atmosphäre. Hierbei dient das System Erde als konkreter Kontext zur interdisziplinären Anwendung grundlegender biologischer, chemischer und physikalischer Kenntnisse und Fertigkeiten. Modellexperimente/Modellversuche erfüllen das Kriterium eines Experimentes dahingehend, dass sie einer gezielten Variablenkontrolle unterliegen. Für den geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinn spielen z.  B. Simulationsexperimente computergestützter

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-

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6.1  •  Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes

Modelle eine wichtige Rolle. Auch materielle Modellexperimente sind von Bedeutung, z. B. werden in Sandkastenmodellen plattentektonische Prozesse unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt. Materielle Modellexperimente bieten auch Chancen für die Vermittlung, da hierüber nicht erfahrbare geowissenschaftliche Prozesse sichtbar gemacht und diesen Prozessen zugrunde liegende naturwissenschaftliche Konzepte verdeutlicht werden können (7 Kap. 7). An diesen didaktisch konzipierten Modellversuchen kann im Sinne des Kompetenzbereiches „Erkenntnisgewinnung“ wissenschaftliches Arbeiten, wie z. B. Hypothesengenerierung oder Variablenkontrolle, vermittelt und eingeübt werden. Da geowissenschaftliche Phänomene sich über große räumliche und zeitliche Dimensionen erstrecken, hat sich ein einzigartiges Zusammenspiel von Feldarbeit, Laborarbeit und computergestützter Modellierung innerhalb der Geowissenschaften etabliert. Erkenntnisse aus Laboroder Freilandexperimenten fließen in computergestützte Modellierungen ein. Überprüft werden diese dann wieder anhand von Daten aus realen Gesteinen, Eisbohrkernen oder Sedimentabfolgen. Orion (7 Kap. 3) erläutert aus didaktischer Sicht das Zusammenspiel zwischen Feldarbeit und der Arbeit im Klassenzimmer. Die an den deduktiv-hypothetischen Erkenntnisweg angelehnte Schrittfolge naturwissenschaftlichen Arbeitens im Unterricht (7 Abschn. 6.3.2) kann unabhängig davon, ob es sich um Modellbildungen, Experimente, Messungen im Gelände oder Rekonstruktion von geologischen Ereignissen handelt, als Rahmen für die Durchführung geowissenschaftlichen Arbeitens genutzt werden. >>Das Experiment in der Forschung und im Unterricht

„Das Experiment ist in der wissenschaftlichen Forschung ebenso wie im naturwissenschaftlichen Unterricht eine fundamentale Untersuchungsmethode. Die mit ihm verbundenen Zielsetzungen im Erkenntnisgewinn sind jedoch in diesen Bereichen grundlegend verschieden. Während der Forschung die Aufdeckung neuer Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge vorbehalten bleibt, geht es im Unterricht um das Nachvollziehen, Nachdenken und Illustrieren bereits bekannter Erkenntnisse. Genau darin liegt aber auch die immense didaktische Bedeutung des Experiments. […] im Schulalltag werden die Begriffe Experiment und Versuch […] synonym verwendet.“ (Berger, in: Mikelskis-Seifert & Rabe, 2007)

zz Retrodiktion und Modellversuche im Schulunterricht

Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ erlernen die Schülerinnen und Schüler die Strategie der Retrodiktion und erwerben verschiedene notwendige Vorwissenskomponenten mittels Spiralcurriculum.

131

Die Einführung erfolgt in Jahrgang 7 zu der Frage „Wie ist mein Fossil entstanden?“. Die Schülerinnen und Schüler wählen aus einem Sortiment von Fossilien (Steinkern, Abdruck, Körperfossil) eines aus, beobachten anhand einer praktischen Übung (Modellversuch) mögliche Entstehungsprozesse (7 Abschn. 8.2.2.2) und interpretieren aufgrund ihrer eigenen Beobachtung, wie „ihr“ Fossil entstanden sein könnte. Dabei achtet die Lehrkraft darauf, dass die Lernenden vor der Durchführung des Modellversuches ihre Vorstellungen dazu, wie die Fossilien entstanden sein könnten, schriftlich fixieren und naturwissenschaftlich begründen. Zur Wiederholung, Festigung, Erweiterung und Vertiefung in Bezug auf relevante Naturphänomene dienen viele weitere Modellversuche in den Jahrgängen 7 und 8, z. B. Vulkan im Labor (7 Abschn. 8.2.3.2), Wasser in der Dose (7 Abschn.  8.2.4.2), Grundwasser (7 Abschn.  8.2.4.3) und andere Formen praktischer Übungen, z. B. „Was bleibt vom Schulhof ?“ (7 Abschn.  8.2.2.4), Schlussfolgerndes Denken (7 Abschn. 8.2.5.1). In Jahrgang 9 wenden die Lernenden ihre Kompetenzen zur Beantwortung der Frage „Wie war es früher in Obernkirchen?“ an (7 Abschn. 8.2.5.2). Zur Einschätzung des Istzustandes, also der Kompetenzstufen, die Lernende zu einem Zeitpunkt erreicht haben, sind die Kompetenzstufenmodelle für die Fächer Biologie, Chemie und Physik, insbesondere die Beschreibungen der Kompetenzstufen I bis V des IQB-Bildungstrends, sehr aufschlussreich (Stanat et al., 2019). . Tab. 6.2 gibt eine sehr allgemein gehaltene Übersicht dazu, wie diese als Planungsgrundlage für geowissenschaftlichen Unterricht zusammengeführt werden könnten. Für eine Ergänzung spezifisch geowissenschaftlicher Kompetenzstufen sind entsprechende empirische Erhebungen erforderlich. 6.1.2 Kommunikation Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

Über geowissenschaftliche Sachverhalte wird im Alltag viel kommuniziert. Dies reicht vom Gespräch über das aktuelle Wetter, über den Austausch zu Naturereignissen in fernen Regionen bis zu Diskussionen über den Anteil menschlicher Aktivitäten am Klimawandel. Im Sinne des Kompetenzbereiches „Kommunikation“ kann es deshalb das Ziel sein, den kompetenten Umgang mit geowissenschaftlichen Informationen innerhalb dieser Kommunikationen zu fördern. Dazu ist ein Wissen um Quellen geowissenschaftlicher Informationen und um Kriterien zur Einschätzung der Glaubwürdigkeit dieser Quellen erforderlich. Auch die Fähigkeit, geowissenschaftliche Informationen adressatengerecht und verständlich kommunizieren zu können, stellt einen wesentlichen Teil

6

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

132

..Tab. 6.2  Übersichtsdarstellung einer möglichen interdisziplinären Zusammenführung der naturwissenschaftlichen Kompetenzstufenmodelle zur Erkenntnisgewinnung. (Nach Stanat et al., 2019) Stufen

Naturwissenschaftliche Untersuchungen Fragestellung

6

Hypothese (Variablen identifizieren)

Unterrichtsdesign

Untersuchungen durchführen und Messwerte erheben

Datenauswertung

Naturwissenschaftliche Modellbildung

Wissenschaftliche Reflexion

I

Che + Phy: Erkennen überprüfbarer Fragestellungen, Kennen einfacher Versuchsanordnungen und Modelle; Bio: Erkennen von Elementen naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung

II

Che + Phy: Nutzen einfacher Modelle, Anwenden einzelner Schritte der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung; Bio: Nutzen von Elementen naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung

III

Che + Phy: Anwenden von naturwissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung und Modellen in einfachen fachlichen Zusammenhängen; Bio: Anwenden und Begründen von Methoden naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung

IV

Che + Phy: Begründetes Auswählen und Nutzen von naturwissenschaftlichen Methoden der Erkenntnisgewinnung (Experimente und Modelle) in komplexen Zusammenhängen; Bio: Erklären und Prüfen von Methoden naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung in komplexen Zusammenhängen

V

Che + Phy: Berücksichtigen von Möglichkeiten und Grenzen von Experimenten und Modellen; Bio: Reflektieren von Methoden naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung in komplexen Zusammenhängen

dieser Kompetenz dar. Hierzu ist etwa ein Wissen um geeignete Darstellungsformate von Systemen hilfreich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Aufnahme und Weitergabe geowissenschaftlicher Informationen heute sehr stark über digitale Medien erfolgen. zz In der Schule über geowissenschaftliche Themen kommunizieren

Ein Schwerpunkt des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ für die Sekundarstufe II (7 Abschn. 2.3) war es, den Schülerinnen und Schülern die direkte Kommunikation mit Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern zu ermöglichen. So sollten sie ihr Verständnis des Systems Erde im Hinblick auf die Genese geowissenschaftlichen Wissens vertiefen und den rationalen Diskurs über die Nutzung und den Schutz der Erde üben. Auch die Nutzung des Computers war eine der projektspezifischen Vermittlungsformen, wobei explizit die Herausforderungen von komplexen Lernumgebungen, wie sie durch das Internet und interaktive Simulationen gegeben sind, berücksichtigt wurden (Bayrhuber et al., 2000). Das Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ (7 Kap. 8) knüpft an diese Erfahrungen an. In Jahrgang 7 werden gezielt das kriteriengeleitete Recherchieren von Informationen im Internet und das Bewerten der Zuverlässigkeit verschiedener Quellen geübt (Entdeckungen im Schulgarten; 7 Abschn. 8.2.1.1). Im Zusammenhang mit der Dokumentation von Beobachtungen im Schulgarten und den Ergebnissen der praktischen Unterrichtsaktivitäten mit dem eigenen Handy üben die Schülerinnen und Schüler das Abspeichern und Wiederfinden von Dateien. Diese benötigen sie dann für die Kommunikation ihrer Ergebnisse mittels PowerPoint-

Folien, die sie kooperativ anfertigen (7 Abschn. 8.2.2.1). So kommunizieren sie innerhalb von Lerngruppen. Darüber hinaus präsentieren und kommunizieren sie ihre Arbeitsergebnisse in Form von kleinen Ausstellungen innerhalb der Schule und auf Tagen der offenen Tür. Das Anfertigen eigener Foto- und Videodokumentationen ist hierbei sehr bedeutsam. Es hat sich gezeigt, dass die Schülerinnen und Schüler sich des Wertes ihrer eigenen Aufzeichnungen nicht immer bewusst sind. Die direkte Kommunikation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist auch in der Sekundarstufe  I eine wichtige Vermittlungsform. Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler aus der Region können über die Forschungsbörse gefunden werden (7 Abschn. 10.2). Darüber hinaus ist in der Sekundarstufe I aber auch der Besuch regionaler Versorgungseinrichtungen (7 Abschn.  8.2.4.5) und außerschulischer Lernorte wie Museen (7 Abschn. 8.2.2.6) und Schülerlabore vorgesehen. In Bezug auf die Entwicklung von Medienkompetenz und insbesondere die Nutzung des Computers und des Internets bietet die Strategie für Bildung in einer digitalen Welt ein Kompetenzmodell (7 Kap. 4; KMK, 2017), das hilfreich für die Planung von geowissenschaftlichen Unterricht sein kann. 6.1.3 Bewertung Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

Viele aktuelle gesellschaftliche Diskurse haben einen geowissenschaftlichen Hintergrund (z. B. Klimawandel, Umgang mit Naturrisiken, Nutzung von Ressourcen).

6.1  •  Bestimmung von Zielen im Rahmen eines kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterrichtes

Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, an diesen Diskursen teilhaben zu können, bedarf neben der Fähigkeit, geowissenschaftliche Informationen zu verstehen, ihre Entstehung in Ansätzen nachvollziehen und ihre Glaubwürdigkeit einschätzen zu können, auch der Fähigkeit, überfachliche Kriterien in Fremd- und Eigenurteilen zu berücksichtigen. Urteile dazu, wie etwa gesellschaftliches Handeln angesichts des Klimawandels oder der Endlichkeit von Ressourcen erfolgen soll, enthalten immer auch ethische und politische Kriterien. Mit dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung besteht ein sehr prominentes ethisches Kriterium für viele gesellschaftliche Diskurse mit geowissenschaftlichem Hintergrund. Gleichzeitig sind viele dieser Themen sehr komplex, was es Schülerinnen und Schülern erschwert, fachliche (geowissenschaftliche) Aspekte sowie ethische und politische Aspekte innerhalb des Themas differenzieren und mit Kriterien in Beziehung setzen zu können. Schülerinnen und Schüler können im Sinne des Kompetenzbereiches „Bewertung“ lernen zu unterscheiden, welche Aspekte des konkreten Falles einer fachwissenschaftlichen Klärung und welche Aspekte einer ethischen Auseinandersetzung bedürfen. In einer weiterführenden Analyse der ethischen Aspekte können dann die hierbei relevanten ethischen Kriterien (wie z. B. Gerechtigkeit oder Nachhaltigkeit) herausgearbeitet und so analysiert werden, ob Kontroversen im relevanten Fall auf unterschiedliche ethische Kriterien zurückgeführt werden können. Auch können die ethischen Aspekte danach analysiert werden, welche in geowissenschaftlichen Themen wiederkehrenden ethischen Fragen hier relevant sind und welche Positionen zu diesen Fragen existieren. Eine solche wiederkehrende Frage ist etwa diejenige nach dem Wert von Natur: Hat Natur einen Wert an sich oder „nur“ einen Wert für den Menschen? Weiterführend: Haben geologische, nicht lebendige Phänomene einen Wert an sich oder nur einen Wert für den Menschen (z. B. einen ästhetischen oder wissenschaftlichen)? Haben bestimmte Landschaften einen Wert an sich? Hat Wildnis einen Wert an sich? Eine andere oft wiederkehrende ethische Frage ist diejenige nach dem Umgang mit Risiken, wenn wissenschaftliche Aussagen zu einem Thema nur mit einem bestimmten Grad an Ungewissheit getroffen werden können, gleichzeitig aber ein politischer Handlungsdruck in diesem Bereich besteht. Diese Ungewissheit kann auf mangelnder Datengrundlage und theoretischen Ungewissheiten beruhen, weil das entsprechende Thema aktuelle „Forschungsfront“ darstellt, oder sie kann aus der Nutzung probabilistischer Modelle, z. B. zur Ausbruchwahrscheinlichkeit eines Vulkans, resultieren. Auch die Frage, was eine gerechte Nutzung bestimmter natürlicher Ressourcen darstellt, gehört zu solchen typischen ethischen Fragen in geowissenschaftlichen Kontexten (vgl. Felzmann & Laub, 2019). Eine Förderung von Bewertungskompetenz zu geowissenschaftlichen Sachverhalten, wie sie auch im Ansatz

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-

der Geoethik (Vasconcelos & Orion, 2021; 7 Kap. 2) gefordert wird, kann deshalb folgende Ziele haben: Fachliche und ethische sowie politische Aspekte innerhalb dieser Sachverhalte unterscheiden können Die unterschiedlichen Perspektiven innerhalb eines konkreten Konfliktes oder eines gesellschaftlichen Diskurses mit geowissenschaftlichem Hintergrund analysieren können Ethische Fragen und Kriterien, die für geowissenschaftliche Sachverhalte typisch sind, kennen, in Fremdurteilen rekonstruieren und eigene Urteile explizit damit begründen können Verfahren des gemeinsamen Aushandelns von Lösungsmöglichkeiten für allgemeine gesellschaftliche Diskurse und konkrete Konflikte einüben. zz Bewertung im geowissenschaftlichen Schulunterricht

Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ identifizieren die Schülerinnen und Schüler, ausgehend von der Kenntnis der Elemente und Prozesse im System Erde, aktiv Elemente menschlichen Handelns, die das System Erde beeinflussen. Sie nutzen ihre Stofffluss- und Wirkungsdiagramme, um mögliche Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu identifizieren und ihr Potenzial für Veränderungen systematisch zu bewerten (7 Abschn. 8.2.4.5, 8.2.6). Dabei wird gezielt Wert darauf gelegt, dass die Lernenden aktiv Maßnahmen im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung planen. Dies beginnt in Jahrgang 7 damit, dass sie konkret planen, wie der asphaltierte Schulhof verändert werden müsste, damit er mehr Lebewesen und mehr Arten als Lebensraum dienen kann, und endet in einem konkreten Projekt in Jahrgang 10, das einen Beitrag zur Reduzierung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre leisten soll. 6.1.4

Umgang mit Fachwissen: Basiskonzepte

Sylke Hlawatsch, Dirk Felzmann

In den Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss sind für die einzelnen Fächer im Kompetenzbereich „Fachwissen“ Basiskonzepte aufgelistet, mit deren Hilfe Fachwissen erschlossen und strukturiert werden kann. Auf diese Weise werden ein kumulativer Wissensaufbau gefördert und – im Sinne eines learning about science – wesentliche Fachperspektiven vermittelt (Abschn. 6.5.4): Biologie: System, Struktur und Funktion, Entwicklung (KMK, 2005a) Chemie: Stoff-Teilchen-Beziehungen, Struktur-Eigenschafts-Beziehungen, chemische Reaktion, energetische Betrachtung bei Stoffumwandlungen (KMK, 2005b)

-

6

134

-

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

System Erde

Physik: Materie, Wechselwirkung, System, Energie (KMK, 2005c) Geographie: Hauptbasiskonzept „System“ sowie Struktur, Funktion und Prozess (DGfG, 2020)

6

Geographie

Biologie System Struktur Funktion

In der Geographie hat sich in den letzten Jahren die auf Basis der Bildungsstandards erstellte Liste nach Fögele (2016) etabliert: Mensch-Umwelt-System, Struktur, Funktion, Prozess, Maßstabsebenen, Zeithorizonte, Nachhaltigkeitsdreieck/-viereck, Raumkonzepte. Auch für andere Fächer werden weitere Basiskonzepte formuliert; hier erfolgt eine Ausdifferenzierung in der Sekundarstufe II. zz Basiskonzepte im geowissenschaftlichen Schulunterricht

Für die geowissenschaftliche Vermittlung können im Sinne ihres interdisziplinären Ansatzes alle Basiskonzepte als relevant angesehen werden, wenngleich bestimmte eine besonders hohe Affinität zu geowissenschaftlichen Sachverhalten zeigen. Für das Unterrichtskonzept „Forschungsdialog: System Erde“ für die Sekundarstufe II (Bayrhuber und Hlawatsch, 2005) wurden die Basiskonzepte von Biologie, Chemie und Physik zusammengeführt (. Abb. 6.1). „System“, das Hauptbasiskonzept der Geographie, ist hierbei immanent. Das Kriterium für die Auswahl war, dass die Konzepte mehreren Disziplinen, welche das System Erde erforschen, gemeinsam sein sollten (Bayrhuber et al., 2000). Raum und Zeit sind implizit über das Systemkonzept berücksichtigt. Das Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ sieht vor, dass Basiskonzepte explizit und wiederholt in zunehmend komplexeren interdisziplinären geowissenschaftlichen Kontexten aufgegriffen werden. Das Basiskonzept System ist für den geowissenschaftlichen Unterricht von besonderer Bedeutung, da die Lernenden hierbei einen naturwissenschaftlichen Blick auf die Erde als System einnehmen. Somit eignet sich das Systemkonzept als Grundlage für ein übergeordnetes interdisziplinäres Gliederungssystem: Je nach betrachteter Problemstellung werden Einzelphänomene in das Gesamtsystem Erde als übergeordneter Zusammenhang verortet und einzelfachliche Perspektiven vernetzt. In einem ersten Schritt erarbeiten die Schülerinnen und Schüler einen grundlegenden Systembegriff am Beispiel des Ökosystems im Schulgarten (7 Abschn. 8.2.2.1), diesen übertragen sie dann auf die Erde als Gesamtsystem (7 Abschn. 8.2.1.2). Alle weiteren Basiskonzepte werden nacheinander auf ähnliche Weise explizit thematisiert. Da es den Schülerinnen und Schülern offensichtlich schwerfällt einzusehen, dass die Basiskonzepte jeweils für mehrere Naturwissenschaften relevant sind, entwickelte ein Geokurs des Jahrganges 9 Plakate für die Basiskonzepte, die in allen naturwissenschaftlichen Fachräumen dauerhaft aufgehängt wurden. Dies geschah in arbeitsteiliger Gruppenarbeit. Den Gruppen wurden relevante

Entwicklung

Chemie Stoffteilchen Struktureigenschaft Chemische Reaktion Energie Materie

Physik Wechselwirkung Systeme

Energie

..Abb. 6.1  Basiskonzepte des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ für die Sekundarstufe II. (Sylke Hlawatsch)

Auszüge aus den Originaldokumenten ausgehändigt (Bildungsstandards der KMK: KMK, 2005a, b, c; Fachanforderungen Biologie, Chemie, Physik, Naturwissenschaften des Landes Schleswig-Holstein: Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes SchleswigHolstein, 2014, 2015, 2016a, b, c). Das Ergebnis wurde den anderen Lerngruppen in den Jahrgängen 7, 8 und 10 sowie der Fachschaft aus Lehrkräften der Fächer Biologie, Chemie und Physik vorgestellt. Allgemein war man der Ansicht, dass diese Texte und Leitfragen das jeweilige Basiskonzept gut charakterisieren und dass die Plakate eine hilfreiche Lernhilfe darstellen. Alle Plakate sind in 7 Kap. 8 als Screenshot in den Abschnitten abgedruckt, in denen die Unterrichtseinheiten vorgestellt werden, die sie explizit thematisieren: System (7 Abschn. 8.2.1.1) Struktur und Funktion (7 Abschn. 8.2.1.1) Wechselwirkung (7 Abschn. 8.2.2.3) Entwicklung (7 Abschn. 8.2.2.6) Energie (7 Abschn. 8.2.3.2) Materie (7 Abschn. 8.2.3.2) Chemische Reaktion (7 Abschn. 8.2.6.1)

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Diese Basiskonzepte entsprechen auch denen, die in den Fachanforderungen Naturwissenschaften für SchleswigHolstein aufgeführt sind (Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein, 2014). Regulär werden Schülerinnen und Schüler im naturwissenschaftlichen Unterricht aufgefordert, Basiskonzepte in den jeweiligen Unterrichtsinhalten zu identifizieren. Die explizite Ansprache im geowissenschaftlichen Unterricht mit Übungsaufgaben dient der aktiven Vernetzung im interdisziplinären Kontext. Auch für den Umgang mit Fachwissen liegen Kompetenzstufenmodelle vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen vor (Stanat et al., 2019), die für eine Einschätzung der Kompetenzausprägung der Lernenden als Grundlage für die Planung von geowissenschaftlichem Unterricht hilfreich sein können (. Tab. 6.3).

6

135

6.2  •  Auswahl konkreter Fachinhalte

..Tab. 6.3  Übersichtstabelle einer möglichen Zusammenführung der Kompetenzstufenmodelle der Fächer Biologie, Chemie und Physik für den Umgang mit Fachwissen unter Berücksichtigung der durch das Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ erstellten interdisziplinären Basiskonzeptliste. (Stanat et al., 2019; Hlawatsch et al. 2005b) Stufen

Basiskonzepte System

Struktur und Funktion

Struktureigenschaften

Entwicklung

Chemische Reaktion

Kontextkomplexität

Identifizieren von chemischen Fakten und Phänomenen; Identifizieren und Wiedergeben von physikalischen Bezügen in lebensweltlichen Zusammenhängen; Identifizieren einfacher biologischer Sachverhalte

II

Beschreiben chemischer Zusammenhänge und Übertragen auf ähnliche Situationen; Wiedergeben und Anwenden von einfachen physikalischen und biologischen Zusammenhängen

III

Anwendung der Basiskonzepte auf einfache Beispiele; Bezug zwischen Basiskonzepten und funktionalen Zusammenhängen; Beschreiben und Erklären biologischer Zusammenhänge und Anwenden von Konzepten

IV

Selbstständige Anwendung der Basiskonzepte; Transfer bekannter Problemlösungen auf neue Situationen; Erklären komplexer biologischer Zusammenhänge unter Anwendung von Konzepten und Prinzipien

V

Selbstständige Anwendung der Basiskonzepte zur Erklärung von Sachverhalten auf Diskontinuumsebene; Anwendung theoretischer Konzepte zur Lösung von Problemen; Erklären und Begründen neuer komplexer biologischer Zusammenhänge unter selbstständiger Anwendung von Konzepten und Prinzipien

Auswahl konkreter Fachinhalte

Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

6.2.1

Didaktische Konzepte zur Auswahl geeigneter Beispiele

Wie auch in anderen Fachdisziplinen zielen geowissenschaftliche Vermittlungsangebote häufig auf das Erlernen von Begriffen, Regelhaftigkeiten, Naturgesetzen und Theorien (im Folgenden zusammengefasst als „theoretische Konzepte“). Diese theoretischen Konzepte stehen in einem Spannungsverhältnis zu konkreten (verortbaren) geowissenschaftlichen Phänomenen, die sie erklären, kategorisieren und berechnen möchten. Damit ergibt sich die didaktische Herausforderung, in welchem Verhältnis das konkrete geowissenschaftliche Phänomen (das Beispiel/Exempel, der konkrete Fall) zum zu vermittelnden theoretischen Konzept stehen soll. Das konkrete geowissenschaftliche Phänomen kann didaktisch unterschiedliche Funktionen übernehmen: In der didaktischen Begründung von Lernzielen bilden konkrete geowissenschaftliche Phänomene die Verbindung zwischen dem evtl. zu vermittelnden theoretischen Konzept und den didaktischen Kriterien der lebensweltlichen oder gesellschaftlichen Relevanz: Finden sich lebensweltlich oder gesellschaftlich relevante geowissenschaftliche Phänomene, zu deren Erklärung/Kategorisierung das anvisierte theoretische Konzept wesentlich beiträgt? Das konkrete geowissenschaftliche Phänomen kann als veranschaulichendes Beispiel während der Vermittlung des theoretischen Konzeptes dienen.

-

Wechselwirkung

Problemlösen

I

6.2

-

Energie

Beschreiben und Erklären

-

Das konkrete geowissenschaftliche Phänomen kann als Anwendungsbeispiel nach der Vermittlung des theoretischen Konzeptes dienen. Das konkrete geowissenschaftliche Phänomen fungiert im Einstieg dazu, Interesse – auch am abstrakteren theoretischen Konzept – zu wecken. Das konkrete geowissenschaftliche Phänomen lässt die Lernenden die Sinnhaftigkeit erfahren, warum das theoretische Konzept gelernt werden soll, wenn sie damit für sich relevante alltagsweltliche, gesellschaftliche oder berufsrelevante Fragen neu oder anders als zuvor beantworten können. Am Verhältnis zwischen konkretem geowissenschaftlichem Phänomen und theoretischen Konzepten kann über die Spezifika der Geowissenschaften und geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Sinne von nature of science bzw. learning about science (7 Abschn. 4.1) reflektiert werden.

>>Das exemplarische Prinzip

Mit dem exemplarischen Prinzip nach Klafki liegt ein didaktisches Prinzip für die Inhaltsauswahl vor, innerhalb dessen die Zugänglichkeit der theoretischen Konzepte („des Fundamentalen“ nach Klafki) im konkreten Beispiel („dem Elementaren“ nach Klafki) mit Blick auf dessen Bedeutsamkeit für die Lernenden analysiert wird. Entstanden ist dieses didaktische Prinzip aus dem Bedürfnis einer Reduktion der Stofffülle durch die Auswahl weniger, didaktisch gut begründeter und vertieft vermittelter Beispiele (Otto, 2013).

In den Naturwissenschaftsdidaktiken wird das Verhältnis zwischen konkretem Fall und theoretischem Konzept insbesondere im Rahmen der Kontextorientierung theo-

136

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

retisch und empirisch bearbeitet. Projekte wie „Chemie im Kontext“ und „Physik im Kontext“ fokussieren dabei auf die

» „Einbettung oder Situierung eines in der Regel fachsyste-

matischen Lehrplaninhalts in einen Anwendungszusammenhang, der auch außerhalb des Unterrichts bedeutsam ist und damit die Relevanz des fachsystematischen Inhalts aufzeigt.“ (Parchmann & Kuhn, 2018, S. 195)

6

Empirisch zeigen sich besonders in der Förderung eines situationalen Interesses positive Effekte eines solchen Unterrichtes. Hinsichtlich der Effekte auf das inhaltliche Lernen sind die Befunde weniger eindeutig (Habig, 2017). So können umfassend konzipierte Kontexte auch zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses und einer Ablenkung von den besonders relevanten Informationen führen (Habig, 2017). Auch geowissenschaftliche Phänomene fungieren in Chemie und Physik oft als Kontexte. So vergleichen etwa Parchmann und Kuhn (2018) die Kontexte „Kohlenstofffluss zwischen Ozean und Atmosphäre“ und „Soda-Streamer“ mit Blick auf die Vermittlung des theoretischen Konzeptes „Chemisches Gleichgewicht“. Sie empfehlen auf Basis der bisherigen Forschungsbefunde für jüngere Klassen eher alltagsweltlich fundierte Phänomene wie den Soda-Streamer, während in höheren Klassen Interesse und Verständnis besser an eher gesellschaftlich relevanten und abstrakteren Phänomenen, wie demjenigen zur Ozean-Atmosphären-Interaktion innerhalb des Kohlenstoffkreislaufes, gefördert werden könne. In der Geographiedidaktik wird das Verhältnis zwischen konkretem Fall und theoretischem Konzept insbesondere in der Frage nach der Gewichtung regionalgeographischer Inhalte zu allgemeingeographischen Inhalten diskutiert. Im Gegensatz zu Physik und Chemie versteht geographische Bildung die konkreten Fälle, hier also räumliche Phänomene, nicht nur als Anwendungen theoretischer Konzepte (allgemeingeographischer Ansatz), sondern auch als spezifische (idiosynkratische) Ausprägungen, die es zu beschreiben und ggf. zu dekonstruieren gilt und die auch einen Bildungswert haben können (regionalgeographischer Ansatz). Es kann also ein Ziel geographischer Bildung sein, Wissen über einen konkreten Raum zu vermitteln. Auch konkrete geowissenschaftliche Phänomene lassen sich selten als bloße Ausprägung eines bestimmten theoretischen Konzeptes fassen. Vielmehr bedarf ihre Erklärung oder Kategorisierung oft einer Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Konzepte (etwa unterschiedlicher Prozesse, die zur Ausgestaltung des Reliefs eines konkreten Berges beitrugen) und der Rekonstruktion kontingenter Prozesse, also Ereignissen, die so, aber auch anders hätten verlaufen können. Dies erschwert die Wahl geeigneter Beispiele zur Veranschaulichung theoretischer Konzepte. Auf der anderen Seite sind eine

Reihe geowissenschaftlicher Phänomene typische Elemente der Alltagswelt (Berge, Flüsse, Boden, Wolken etc.). Kontexte, innerhalb derer geowissenschaftliche theoretische Konzepte in Form von zu bearbeitenden Problemen zum Tragen kommen und die entsprechend für den Unterricht genutzt werden können, lassen sich wie folgt unterscheiden: Alltag/individuelle Ebene: Hier geht es häufig um das Reagieren von Individuen auf konkrete geowissenschaftliche Herausforderungen. Beispiele sind das Verhalten mit Blick auf das Wetter, der individuelle Umgang mit Naturrisiken, Bodennutzung im Garten und Möglichkeiten der Reduktion umweltschädlichen Verhaltens im Alltag. Beruf: In bestimmten Berufen spielt die Anwendung geowissenschaftlichen Wissens eine große Rolle, z. B. bei Planungen und Entscheidungen in der Land‑, Forst- und Fischereiwirtschaft, in der Stadt- und Landschaftsplanung sowie in der Exploration und Förderung von Rohstoffen. Entsprechende Kontextualisierungen können dann Schülerinnen und Schüler in die Rolle einer Person, die im Rahmen ihres Berufes bestimmte Entscheidungen treffen muss, schlüpfen lassen. Gesellschaft/politische Ebene: Als Kontextualisierungen können hier, ggf. im Rahmen von Plan- oder Rollenspielen, politische Aushandlungsprozesse dienen. Schülerinnen und Schüler können dann in die Rolle von Politikerinnen oder bestimmten Interessensvertreterinnen schlüpfen, die sich mit einer gesellschaftlichen Kontroverse mit geowissenschaftlichem Hintergrund befassen. Wissenschaft: Konkrete geowissenschaftliche Forschung kann auch als Kontext fungieren, gerade weil hierbei das Verhältnis zwischen fachlichen Konzepten und Untersuchungen an konkreten geowissenschaftlichen Phänomenen deutlich wird. Geowissenschaftliche Forschung, innerhalb derer aktuelle Theorieentwicklung erfolgt, ist für Schülerinnen und Schüler nur schwer nachvollziehbar. Entsprechend sind hier didaktische Aufarbeitungen vonseiten der Wissenschaft (7 Abschn.  11.3) oder die Angebote der Polarlehrkräfte (7 Kap. 13) hilfreich. Besonders fruchtbar sind auch wissenschaftshistorische Kontexte, innerhalb derer in der Untersuchung konkreter geowissenschaftlicher Phänomene theoretische Konzepte entwickelt und überprüft wurden.

-

-

Mögliche Kriterien bei der Auswahl konkreter geowissenschaftlicher Phänomene sind dementsprechend Alltagsbezug, Gesellschaftsrelevanz, Authentizität, Komplexität und Lernen über Geowissenschaften (. Tab. 6.4).

137

6.3  •  Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots

..Tab. 6.4  Kriterien zur begründeten Auswahl von Lehr- und Lerninhalten Beschreibung

Praxisbeispiele

Alltagsbezug

Die Forderung, die unmittelbare Umwelt der Lernenden zum Ausgangspunkt der Vermittlung theoretischer Konzepte zu machen, ist für den geowissenschaftlichen und physisch-geographischen Unterricht schon alt (Hard, 1982). Allerdings sind solche Phänomene oft sehr komplex und bedürfen eines entsprechend konkreten, fachlich fundierten Wissens der Lehrkraft zur spezifischen Ausprägung des relevanten Phänomens vor Ort

Schulgarten (7 Abschn. 8.2.1.2) Kläranlage (7 Abschn. 8.2.4.5)

Gesellschaftsrelevanz

Viele gesellschaftlich relevante Probleme haben einen geowissenschaftlichen Hintergrund. Dient die Wahl eines solchen Problems primär dem Ziel, daran ein theoretisches Konzept zu vermitteln, so sind Abwägungen zwischen Komplexität auf der inhaltlichen Ebene und der Förderung von Interesse zu treffen. Das Problem kann aber auch einen Bildungswert an sich haben, wenn Lernende zur Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs befähigt werden sollen. Das gesellschaftlich relevante Problem kann dann als eine – meist recht komplexe – Anwendung für zuvor vermittelte relevante theoretische Konzepte konzipiert werden

Klimawandel (7 Abschn. 8.2.6.5) Wasserverschmutzung (7 Abschn. 8.2.4.5)

Authentizität

Geowissenschaftliche Phänomene sind authentisch, aber sehr komplex. Die Konzeption eines konkreten inhaltlichen Kontextes erfordert starke Vereinfachungen, um Effekte der Ablenkung durch irrelevante Informationen und eine Überlastung des Arbeitsgedächtnisses zu minimieren. Kontextualisierungen für den Unterricht lassen sich auf einer Skala zwischen sehr authentisch und weitgehend fiktiv verorten. Im ungünstigen Fall entstehen sehr konstruiert wirkende Kontexte, die einer auch für Schülerinnen und Schüler durchschaubaren Mogelverpackung des „eigentlichen Inhaltes“, also der theoretischen Konzepte, entsprechen

Landschaft (7 Abschn. 8.2.5.2) Originale Gegenstände (7 Abschn. 8.2.2.1, 8.2.2.2)

Komplexität

Zur Veranschaulichung sind eher wenig komplexe Phänomene angemessen, die die relevanten theoretischen Konzepte vergleichsweise deutlich aufzeigen lassen. Gerade Lehrbücher enthalten häufig solche prototypischen Beispiele. Auch in der Wissenschaftsgeschichte sind häufig besonders anschauliche Phänomene zu finden, entlang derer sich ein bestimmtes theoretisches Konzept entwickelte. Um das theoretische Konzept zunehmend besser anwenden lassen zu können, kann es in der Unterrichtsplanung hilfreich sein, verschiedene geowissenschaftliche Phänomene hinsichtlich ihrer Komplexität zu ordnen und sukzessive bearbeiten zu lassen

Systemmodelle: Stoffflussdiagramm bzw. Wirkungsdiagramm (7 Abschn. 8.2.4, 8.2.6)

Lernen über Geowissenschaften

Die Wahl des konkreten geowissenschaftlichen Phänomens, das in Beziehung zum relevanten theoretischen Konzept gesetzt werden soll, kann auch unter der Frage analysiert werden, wie gut daran im Sinne von nature of science über geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinn und die Geowissenschaften reflektiert werden kann. So kann am konkreten Fallbeispiel reflektiert werden, wie geowissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen zum Einsatz kommen

Virtueller Aufschluss mit Dinosaurierfossilen (7 Abschn. 8.2.5), Fantasiereise (7 Abschn. 8.2.2.4)

Der internationale Lehrplan für geowissenschaftlichen Unterricht liefert eine Auswahl geowissenschaftlicher Lehr- und Lerninhalte auf der Basis vorhandener Lehrpläne (King, 2014).9

6.3

Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots

Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

Mit der Klärung der Ziele (7 Abschn. 6.1) und der Bestimmung der konkreten Fachinhalte (7 Abschn. 6.2) beginnt auch die eigentliche Planung des Lernangebotes. Typischerweise gibt es Unterrichtsphasen wie Einstieg,

Erarbeitung, Sicherung, Üben, Anwendung und Vernetzung, die jeweils individuell ausgestaltet werden. Dafür sind zunächst einmal grundsätzliche Entscheidungen zum inhaltlichen und organisatorischen Aufbau der gesamten Unterrichtseinheit zu fällen. Beispiele für erforderliche Überlegungen: In welchem zeitlichen und logischen Verhältnis sollen die geowissenschaftlichen Sachverhalte im Unterrichtsverlauf angeordnet werden? Hierbei lassen sich eine deduktive und eine induktive Vorgehensweise unterscheiden. Eigentlich beziehen sich die Begriffe „Deduktion“ und „Induktion“ auf die wissenschaftstheoretische Frage nach der Funktion von Einzelfällen für die Wahrheitsfindung. Echte induktive Schlüsse im Unterricht würden bedeuten, dass zuerst

-

6

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

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6

eine Vielzahl an Einzelfällen präsentiert würde und die Schülerinnen und Schüler dann aus der vergleichenden Zusammenschau der Phänomene bestimmte theoretische Konzepte ableiten würden. Häufiger dürfte dagegen ein „induktives Vorgehen“ im Unterricht so erfolgen: Es wird nur ein Fall präsentiert und dies in einer Weise, dass das der Lehrkraft bekannte theoretische Konzept darin recht deutlich wird. Anschließend wird dieses theoretische Konzept mit den Schülerinnen und Schülern aus dem Fall „herausgearbeitet“ und festgehalten. Im deduktiven Vorgehen wird zuerst das theoretische Konzept vermittelt, um von diesem aus konkrete Fälle zu bearbeiten. Wie erschließen die Lernenden sich die neuen Inhalte? Dies kann „darbietend“, z. B. als Text, als Vortrag, als Film, geschehen oder „entdeckend“. Beim entdeckenden Vorgehen wird das zu vermittelnde Konzept durch das Unterrichtsarrangement sukzessive entwickelt. Hierbei verknüpfen die Lernenden – angeleitet oder selbstständig – zunehmend bestimmte Aspekte miteinander, bis sich ihnen das zu vermittelnde theoretische Konzept in seiner Gesamtheit erschließt. Wer bestimmt über die Unterrichtsinhalte oder die Abfolge der Unterrichtsschritte? Es ist auch eine grundsätzliche methodische Entscheidung, wer über die Abfolge der einzelnen Phasen bestimmt und ggf. auch auf inhaltlicher Ebene entscheidet, wozu konkret gelernt werden soll. Dies kann durch die Lehrkräfte oder aber durch die Schülerinnen und Schüler gesteuert und kontrolliert werden. Welche Inhalte können schulisch, welche nur außerschulisch erarbeitet werden? Ganz allgemein sollte alles, was in der Schule unterrichtet werden kann, auch dort vermittelt werden (7 Kap. 3). Bestimmte Lernerfahrungen sind jedoch nur außerschulisch möglich. Dies betrifft insbesondere Orte in der Natur, die Einblicke in den Bau des Erdinneren ermöglichen (Aufschlüsse an Steilküsten, Flussläufen, Tagebau, Bergbau, Straßen); weiterhin Betriebserkundungen (Wasserwerk, Klärwerk) und die Begegnung mit dem Wissenschaftsbetrieb in Schülerlaboren und Museen. Diese werden von der Lehrkraft in der Unterrichtseinheit verortet, benötigen aber auch selbst eine lernförderliche Strukturierung.

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-

Die Entscheidungen beeinflussen die konkrete Ausgestaltung einer Unterrichtseinheit für die Schule oder eines Workshops an einem außerschulischen Lernort. Daraus ergibt sich eine Reihe prototypischer Unterrichtsverfahren. Im Folgenden werden ausgewählte Unterrichtsverfahren dargestellt, die für geowissenschaftlichen Unterricht besonders relevant sind.

6.3.1

Ausgewählte Unterrichtsverfahren für geowissenschaftliche Lehre

6.3.1.1

Problemorientierter Unterricht

In diesem Unterrichtsverfahren wird zu Beginn ein Problem dargelegt, zu dem sich eine Frage stellt, die im Folgenden als Leitfrage die Problembearbeitung strukturiert. Entsprechend der Definition des Begriffes „Problem“ sollte für die Bearbeitung des Problems keine vorgefertigte Bearbeitungsroutine vorliegen; stattdessen spielt die Entwicklung einer Lösungsbearbeitung eine zentrale Rolle. Daran schließt sich die tatsächliche Lösungsbearbeitung an, die in ein Ergebnis mündet, das dann mit Rückblick auf die Leitfrage reflektiert wird. Problemorientierte Verfahren sind typisch für kontextorientierten Unterricht. Entsprechend lassen sich alltagsweltliche Probleme, berufsweltliche Probleme, gesellschaftliche Probleme und wissenschaftliche Probleme unterscheiden. Eine ähnliche Struktur zeigen Unterrichtsverfahren, an deren Beginn ein kognitiver Konflikt steht (7 Abschn. 5.2.). Das Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe  I“ ist vollständig entlang von Leitfragen organisiert (7 Kap. 8). 6.3.1.2

Forschendes Lernen

Dieses Verfahren entspricht einem problemorientierten Verfahren, erfolgt aber explizit in einem wissenschaftsorientierten Kontext, innerhalb dessen die Schülerinnen und Schüler eine wissenschaftliche Fragestellung mithilfe einer fachtypischen Arbeitsweise zu beantworten versuchen. Für dieses Verfahren und den damit anvisierten Lernprozess existieren verschiedene Begriffe: entdeckendes Lernen, forschendes Lernen, inquiry-based learning, forschend-entwickelndes Unterrichtsverfahren, hypothetisch-deduktives Verfahren. Diese Konzepte können sich in Nuancen unterscheiden, ihnen ist aber die Orientierung am wissenschaftlichen Erkenntnisweg, insbesondere demjenigen des Experimentierens, gemeinsam. Daraus ergibt sich eine typische Schrittfolge für den Unterrichtsverlauf (vgl. deren Anwendung beim Modellieren in Abschn. 6.5.4): I. Hinführung zum Thema – Hypothese – Formulierung einer Forschungsfrage – Zusammenfassen des Vorwissens, Recherche in Schulbüchern – Formulierung von Hypothesen II. Planung und Durchführung der Untersuchung III. Beschreiben und Dokumentieren – Beschreiben der Untersuchungsdurchführung – Beschreiben der Beobachtung (Text, Messwertetabelle, Fotos, Zeichnungen)

139

6.3  •  Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots

IV. Interpretieren und Schlussfolgern – Beantworten der Forschungsfrage mit Blick auf die Hypothesen – Reflexion der Aussagekraft der Befunde – Einordnung der Befunde in bisheriges Wissen und Erklären Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ findet diese Schrittfolge insbesondere im Zusammenhang mit Modellversuchen statt (zahlreiche Beispiele in 7 Kap. 8). 6.3.1.3 Systemanalyse

Die Systemanalyse wurde für den geowissenschaftlichen Unterricht in Deutschland im Zusammenhang mit dem Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ als Unterrichtsmethode etabliert und evaluiert (Hlawatsch et al., 2005a, b). Bei der Systemanalyse wird ein Modell konstruiert. Dieses bildet eine Auswahl von Elementen und Beziehungen des Systems ab, die für eine bestimmte Fragestellung relevant sind. Ein Systemmodell stellt damit ein begrenztes Abbild eines Originals dar. Es ist eine idealisierte und abstrahierte Darstellung, die Struktureigenschaften oder Funktionsweisen des Systems verständlich macht. Mithilfe eines Systemmodells lassen sich auch hypothetische Aussagen über Elemente und Beziehungen eines real vorhandenen Systems machen, die einer unmittelbaren Erforschung nicht oder noch nicht zugänglich sind. Aussagen von Modellvorstellungen können anhand von geologischen Befunden überprüft werden. Kommt es zu guten Übereinstimmungen mit empirischen Befunden, kann ein Modell zu Prognosen über die zukünftige Entwicklung von Systemen eingesetzt werden. Eine Systemanalyse umfasst insgesamt folgende Arbeitsschritte (Hlawatsch et al., 2005b): Abgrenzung des Systems von der Systemumwelt Identifizierung der (relevanten) Systemelemente Identifizierung der (relevanten) Beziehungen (Wirkungen und Flüsse) zwischen den Elementen Identifizierung der Systemeigenschaften Identifizierung der Beziehungen des Systems zu anderen Systemen

---

Die Ergebnisse der Systemanalyse können in grafischer Form durch Stofffluss- und Wirkungsdiagramme dargestellt werden. Eine Vorstellung systemischer Darstellungsformate erfolgt in 7 Abschn. 6.4. Unterrichtspraktische Beispiele für die Einführung in das Systemkonzept in der Sekundarstufe  I liefern 7 Abschn. 8.2.1, 8.2.4.4 und 8.2.6.2.

6.3.2

Mit Methoden den Unterricht strukturieren

Unterrichtseinheiten sind in Phasen mit spezifischen Funktionen im Lernprozess strukturiert. Im Folgenden werden Methoden beschrieben, mit denen die für die jeweiligen Phasen erwünschten Funktionen in einem kompetenzorientierten geowissenschaftlichen Unterricht realisiert werden können. 6.3.2.1

Vorwissen klären und verknüpfen

Gemäß der konstruktivistischen Lerntheorie ist dem Vorwissen eine besondere Bedeutung beizumessen (7 Abschn. 5.2.). Dies erfolgt typischerweise in der Einstiegsphase. In allen genannten Fällen sollen die Ergebnisse schriftlich fixiert werden, damit die Lernenden am Ende der Erarbeitungsphase ihren Lernzuwachs und den eigenen Lernprozess reflektieren können. Gezielte Impulse eignen sich grundsätzlich zur Aktivierung und Externalisierung von Vorwissen: „Zeichne deine Vorstellung vom Bau der Erde.“ „Schreibe fünf Minuten lang alles auf, was du schon über Grundwasser weißt.“

--

zz Systemische Darstellungsformate

-

Methodisch fortgeschrittene Lerngruppen sollten aufgefordert werden, ihr Vorwissen zu strukturieren: „Zeichne eine Mind Map zum Thema ‚Wasser auf der Erde“: Weiterhin ist es möglich, dass die Lernenden auf Basis ihrer Kenntnisse aus dem vorherigen Unterricht ein Stoffflussdiagramm zeichnen (natürlicher Wasserkreislauf), wenn der nachfolgende Unterricht dazu dient, dieses zu erweitern (anthropogene Elemente; 7 Kap. 8). „Entwickele ein Stoffflussdiagramm zum natürlichen Wasserkreislauf“: Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ entwickeln die Schülerinnen und Schüler systematisch ihre Fertigkeit zur systemischen Darstellung ihrer Ergebnisse in Form von Stofffluss- und Wirkungsdiagrammen. Stoffflussdiagramme zu entwickeln erlernen sie am Beispiel des natürlichen Wasserkreislaufes in Jahrgang 8, der dann durch anthropogene Elemente ergänzt wird. In Jahrgang 10 wenden sie ihre Fertigkeiten auf das Thema „Kohlenstoffkreislauf“ an und erweitern es um die Kompetenz, Wirkungsdiagramme zu entwickeln am Beispiel des Klimasystems (7 Kap. 8).

-

zz Hypothesen entwickeln

Auch das Verfassen von Hypothesen unter Verwendung geeigneter Quellen im Vorfeld von Erarbeitungsphasen dient der Externalisierung von Vorwissen. Allerdings wird hier Vorwissen durch die Möglichkeit der Quellenrecherche gezielt aktiviert.

6

140

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ werden die Schülerinnen und Schüler im Zusammenhang mit Modellversuchen aufgefordert und dabei unterstützt, eigene Hypothesen quellengestützt zu formulieren. zz Schülerfragen

6

Das Formulierenlassen von Fragen im Vorfeld einer Vermittlung hilft Schülerinnen und Schülern, ihr eigenes Vorwissen und ihr gegenstandsspezifisches Interesse zum relevanten Sachverhalt zu klären. Damit können sie als Leitfragen den folgenden Unterricht strukturieren und bieten Ausgangspunkte für metakognitive Reflexionen am Ende der Vermittlung zum erfolgten Lernprozess. Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ werden die Schülerinnen und Schüler regelmäßig aufgefordert und dabei unterstützt, eigene Fragen zu formulieren und die Antworten möglichst selbstständig durch praktische Aktivitäten herauszufinden. Dies geschieht vor der Durchführung eines Modellversuches, für Rechercheaufträge und natürlich im Vorfeld von Ausflügen (Wasserwerk, Kläranlage) oder Besuchen von Fachleuten in der Schule (7 Abschn. 10.2), bei denen die Gelegenheit besteht, Expertinnen und Experten zu befragen. 6.3.2.2

Lernprodukte erstellen und diskutieren

Entscheidend im Lernprozess ist die Erarbeitungsphase. Hier erfolgt die Wissensaneignung unter Verwendung möglichst vielfältiger Methoden, die sich nachweislich als effektiv erwiesen haben sollten. Geowissenschaftliche Lernangebote fordern und fördern kumulativen Kompetenzerwerb. Dies ist darin begründet, dass die Denk- und Arbeitsweisen der Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik dem geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zugrunde liegen. In der Unterrichtspraxis in der Mittelstufe ist genau dieser Sachverhalt die zentrale Herausforderung. Es wird keine Lerngruppe geben, in der alle Mitglieder die naturwissenschaftlichen Grundlagen (Basiskonzepte) vollumfänglich verstanden haben und in jedem neuen Kontext selbstständig identifizieren können. Es ist daher unabdingbar, dass wichtige Grundlagen aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht gezielt reaktiviert bzw. bei Bedarf ergänzt werden. Daher muss mindestens ein phänomenologischer Zugang möglich sein. Eine Möglichkeit zur Binnendifferenzierung besteht in der Bereitstellung unterstützender Lernhilfen, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ liegen Lernhilfen ständig verfügbar im geowissenschaftlichen Fachraum bereit: Anleitungen für die Auswertung von Texten, Diagrammen, Bildern oder Karten und die Zusammenfassung der Erkenntnisse

-

-

Checklisten für das Schreiben von Versuchsprotokollen Kurzbeschreibungen der naturwissenschaftlichen Basiskonzepte mit Leitfragen

Für leistungsstarke Lernende bietet der geowissenschaftliche Unterricht die Möglichkeit, ihre naturwissenschaftlichen Kompetenzen anzuwenden und ein nachhaltiges Interesse an den Naturwissenschaften zu wecken. In der Unterrichtspraxis kommt es vor, dass Lernende sehr erstaunt ihre Verwunderung über den Lebensweltbezug chemischer und physikalischer Wissensbestände gegenüber der Lehrkraft äußern. Im kompetenzorientierten Unterricht sollen die Lernenden neben dem Umgang mit Fachwissen auch handlungsorientierte Kompetenzen entwickeln. Diese beziehen sich auf den Erkenntnisgewinn, auf die Bewertung und auf die Kommunikation (7 Abschn. 6.1). zz Geowissenschaftliches Wissen aneignen

Wissen zur Funktionsweise der Erde als System kann durch sinnentnehmendes Lesen aus Texten gewonnen werden. Dies geschieht z. B., wenn die Lernenden aufgefordert sind, eine Hypothese für eine Leitfrage zu formulieren, und dabei Quellen verwenden dürfen. Häufig zeigt sich aber, dass die Schülerinnen und Schüler in der Mittelstufe anschaulichere Verfahren benötigen. Für geowissenschaftliche Phänomene bieten sich hier sehr viele praktische Übungen und Modellversuche an (7 Kap. 7). Die Erkenntnisgewinnung mittels Modellversuchen erfolgt nach einem vorgegebenem Schema, das bereits beschrieben wurde (7 Abschn.  6.3.1). Die Lernenden führen den Modellversuch durch und beobachten und dokumentieren das Ergebnis. Das Lernprodukt sind in dem Fall vollständige Versuchsprotokolle in den Themenheften mit Fotos. zz Bewerten und Urteilen im geowissenschaftlichen Unterricht

Geowissenschaftlicher Unterricht zielt darauf, dass die Lernenden ein grundlegendes naturwissenschaftliches Verständnis von der Erde als System erwerben und einen rationalen Diskurs zu aktuellen Herausforderungen damit fundieren. In der 7.  Klasse erlernen die Schülerinnen und Schüler die Recherche von Informationen im Internet und in Schulbüchern zu den verschiedenen Sachverhalten. Viele Informationen und Behauptungen die Geowissenschaften betreffend sind falsch oder ungenau. Die Lernenden werden wiederholt aufgefordert, ihre Informationen aus mehreren zuverlässigen Quellen zu generieren (Zusammenfassungen zu schreiben). Dafür müssen sie im Impressum nachschauen, ob die Webseitenbetreibenden überhaupt über die erforderliche Kompetenz verfügen. Sie nutzen ihre Rechercheergeb-

141

6.3  •  Entscheidungen zur Strukturierung des Lehrangebots

nisse dann für einen kriteriengeleiteten Vergleich. Sie vergleichen den asphaltierten Schulhof mit dem Schulgarten und überprüfen die jeweilige Eignung als Lebensraum für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt mit dem Ziel, der Schulleitung einen Verbesserungsvorschlag zu unterbreiten (7 Kap. 8). In der 10. Klasse entwickeln die Schülerinnen und Schüler ein Wirkungsdiagramm zum Klimasystem als Lernprodukt und nutzen es für eine systematische Bewertung der Wirksamkeit verschiedener Maßnahmen im privaten Umfeld und in der Politik im Hinblick auf die Temperatur in der Erdatmosphäre. Schließlich sollen sie eine Maßnahme identifizieren, die sie im privaten oder im Schulumfeld umsetzen können, und dazu einen Projektplan entwickeln und diesen dann umsetzen. zz Über Geowissenschaften und den eigenen Lernprozess kommunizieren

Ganz allgemein bieten kooperative Methoden (Gruppenarbeit) den Lernenden die Möglichkeit, über die Unterrichtsinhalte zu kommunizieren. Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ werden z. B. PowerPoint-Folien, Erklärvideos und Lernplakate gemeinsam erarbeitet, die dann der Öffentlichkeit, z. B. auf einem Tag der offenen Tür, präsentiert werden. Zudem erlernen die Schülerinnen und Schüler, wie sie ihre Erkenntnisse gemeinsam in Modelle vom System Erde integrieren können, z. B. als Stoffflussdiagramme zum Wasser-, Gesteins- und dem Kohlenstoffkreislauf sowie Wirkungsdiagramme zum Klimasystem. Diese Modelle sind die Grundlage für die Identifikation und Beurteilung von Lösungsansätzen für aktuelle Probleme des Systems Erde. Diese Aufgaben erfordern die Abstimmung der inhaltlichen Struktur in der Gruppe und stellen deshalb für manche Lernenden bereits dann eine Herausforderung dar, wenn die Inhalte dafür zuvor gemeinsam vollständig erarbeitet und gesichert wurden. Noch anspruchsvoller ist es, wenn die Schülerinnen und Schüler sich Inhalte arbeitsteilig erarbeiten und selbstorganisiert für ihre Gruppe verfügbar machen sollen. Dies ist bei der Gruppenpuzzlemethode der Fall. Hier sind die einzelnen Schülerinnen und Schüler jeweils dafür verantwortlich, dass Inhalte im Endergebnis enthalten sind, die nur sie erarbeitet haben. Arbeitsteilige Gruppenarbeit zu geowissenschaftlichen Themen ist sehr anspruchsvoll, repräsentiert aber die interdisziplinäre Arbeitsweise der Geowissenschaften und auch anderer Tätigkeitsfelder. Immer wichtiger wird es, dass Einzelne ihr Expertenwissen tatsächlich in einem größeren Zusammenhang kommunizieren können. Die Lernprodukte werden sich gegenseitig vorgestellt und mit Blick auf „Was ist mir schon gut gelungen?“ und „Was muss ich korrigieren?“ diskutiert.

Für die Kommunikation über die eigenen Lernprozesse fordert das Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ das Führen von Themenheften von allen Schülerinnen und Schülern. Für jede Leitfrage entsteht ein eigenes Themenheft, das im Klassenraum als Nachschlagewerk verwahrt wird. Es ist also wichtig, dass Lehrkräfte darauf achten, dass alle Ergebnisse gesichert, Fehler in den Themenheften tatsächlich korrigiert und Ergänzungen vorgenommen werden. Hierfür ist es erforderlich, einen konstruktiven Umgang mit Fehlern zu pflegen. Dies wird möglich, wenn Übungs- und Leistungsphasen klar voneinander getrennt werden. In Übungsphasen dürfen Fehler gemacht und korrigiert werden. In Leistungsphasen werden Lernprodukte eingesammelt und bewertet. Lernende erbringen auch eine Leistung, wenn sie Fehler durch das Unterrichtsgespräch selbstständig erkennen können und in der Lage sind, diese zu korrigieren. Die Einträge in den Themenheften werden regelmäßig reflektiert (Portfolioanteil). Das gilt auch dann, wenn sie in Gruppenarbeit gewonnen wurden. 6.3.3

Wissen sichern, vernetzen und transferieren

Wesentliches Mittel zur Sicherung und Vernetzung des naturwissenschaftlichen Fachwissens sind die Basiskonzepte, die in mehreren Fächern relevant sind (7 Abschn. 6.1.4). Der geowissenschaftliche Unterricht fokussiert auf die Basiskonzepte der Naturwissenschaften für den mittleren Schulabschluss, besonders auf das Basiskonzept „System“, das Hauptbasiskonzept in den Bildungsstandards Geographie. Lehr-Lernforschungsstudien haben ergeben, dass einzelfachliche Perspektiven in interdisziplinären Kontexten vielfach nicht spontan zur Verfügung stehen (Weinert, 2014). Die regelmäßige Möglichkeit, Basiskonzepte in variierenden Kontexten identifizieren zu können, soll diesem entgegenwirken. Dies ist gezielt über Operatoren zu steuern. Ein Beispiel ist der Operator „Erkläre“, der es erfordert, Ursachen und Folgen bestimmter Sachverhalte in einen Zusammenhang zu bringen und zu deuten. Wurde beispielsweise das Basiskonzept „Struktur der Materie“ im Chemieunterricht oder das Basiskonzept „Wechselwirkungen“ im Physikunterricht erarbeitet, steht es im geowissenschaftlichen Unterricht für Erklärungen grundsätzlich zur Verfügung. Hier offenbart sich eine besondere Lernchance, die der geowissenschaftliche Unterricht für den Erwerb von naturwissenschaftlichen Kompetenzen bietet. Durch die Anwendung der einzelfachlich erworbenen Kompetenzen im interdisziplinären Kontext wiederholen, festigen, erweitern und vernetzen die Lernenden ihre Kenntnisse und Fertigkeiten.

6

142

6

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Ein Transfer erfolgt im Zusammenhang mit Aufgaben, in denen das neue Wissen in neuen Kontexten geübt wird. Im Konzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ (7 Kap. 8) erarbeiten die Schülerinnen und Schüler zunächst das Entwickeln eines Stoffflussdiagramms zum natürlichen Wasserkreislauf im Zusammenhang mit der Auswertung des Modellversuches „Wasser in der Dose“. Danach wenden sie das Wissen an. Sie sollen Wasserwerk, Haushalte, Kläranlage und landwirtschaftliche Betriebe als Elemente identifizieren und in ihrem Stoffflussdiagramm ergänzen. Die Kompetenzen, die sie in Jahrgang 8 im Zusammenhang mit dem Thema „Wasserkreislauf“ erworben haben, transferieren sie dann in Jahrgang 10 auf das Thema „Kohlenstoffkreislauf“ – eine wichtige Grundlage für ein Verständnis des Klimasystems. 6.3.4

Mechanisches Üben – Auswendiglernen

Helmke (2021) weist darauf hin, dass einer Informationsaufnahme in der Regel ein wiederholtes Bewusstmachen, eine Herstellung von Verbindungen zu anderen Informationen und ein Anwenden des Wissens folgen müssen und dass dies umso wichtiger ist, je komplexer die Gegenstände sind. Das System Erde ist ein sehr komplexer Gegenstand im Schulunterricht. Spezifische Maßnahmen, die dem Ziel der Festigung, Konsolidierung, Automatisierung, Vertiefung und des Transfers dienen (Arnold und Schreiner, in Helmke, 2021) sind also zwingend erforderlich. Grundsätzlich werden mechanisches und elaboriertes Üben unterschieden. Mechanisches Üben passiert ganz allgemein beim Wiederholen durch Lesen, Nachsprechen, Aufsagen, Abschreiben oder wiederholtem Durchspielen von Informationen und auch beim Ordnen und Strukturieren, durch Gruppieren, Gliedern und Hervorheben. In der Umsetzung des Unterrichtskonzeptes „System Erde für die Sekundarstufe I“ werden diese Aktivitäten des mechanischen Übens mit der Möglichkeit verknüpft, gleichzeitig den Umgang mit digitalen Medien einzuüben. Diese Möglichkeiten sind für die Schülerinnen und Schüler derzeit noch so neuartig, dass sie motiviert sind, diese auszuprobieren. Daraus ergeben sich viele Vorteile: Es gibt verschiedene Übungsvarianten, eine automatisierte Erfolgskontrolle ist möglich, und die Schülerinnen und Schüler können in eigener Zeiteinteilung, d. h. auch zu Hause, darauf zugreifen. Die Richard-Hallmann-Schule in Schleswig-Holstein verwendet das Lernmanagementsystem „ItsLearning“. Für jede Lerngruppe wird dort ein Kurs eingerichtet, in dem Aufgaben und Informationen, die im Unterricht Gegenstand waren, weiterhin digital verfügbar sind. Dort sind auch Tafelbilder oder besonders gelungene Heftein-

träge der Lernenden als Fotos dauerhaft abrufbar. Die Schülerinnen und Schüler haben die ständige Hausaufgabe, ihren Arbeitsstand in den Themenheften regelmäßig auf Vollständigkeit zu überprüfen, fehlende Inhalte nachträglich zu ergänzen und ggf. Fehler zu korrigieren. Anwendungen für mechanisches Üben in Form von Quizfragen können direkt bei „ItsLearning“ erstellt werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, Anwendungen aus anderen Applikationen dort über einen Link verfügbar zu machen, z. B. LearningApps. Bewährt hat sich die Lernplattform GRAASP, auf der Lehrkräfte gemeinsam Unterrichtseinheiten entwickeln und auch Schülerinnen und Schüler Übungsmaterialien bereitstellen können. 6.3.5 Metakognition

Metakognition bezeichnet das Wissen über das eigene Wissen. So kann zu Beginn der Vermittlung darüber reflektiert werden, was man zum relevanten Thema bisher weiß und was nicht und wie man sich bestimmte Inhalte bisher vorstellt und warum diese Vorstellungen möglicherweise unbefriedigend sind (7 Abschn. 5.2 und 6.4.1). Zum Ende einer Vermittlung bietet es sich an, sich über den Unterschied zwischen anfänglichen Vorstellungen/ dem anfänglichen Wissen und dem nun vorhandenen Wissen klar zu werden. Aber auch z. B. unmittelbar nach der Anwendung einer neuen fachlichen Arbeitsweise bieten sich solche Phasen an. Metakognition zeigt deutlich positive Effekte auf das Lernen (Hattie et al. 2013; Hasselhorn & Gold, 2022). Im Unterrichtskonzept „System Erde für die Sekundarstufe I“ ist Metakognition über die Portfolioanteile in den Themenheften ritualisiert. Dies geschieht in unregelmäßigen Abständen immer dann, wenn sich besondere Lernschwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler offenbaren, die besondere Maßnahmen erfordern, nach solchen Maßnahmen und am Ende jedes Themas. Leitfragen sind „Was habe ich nun verstanden?“, „Welche Fragen habe ich noch?“ oder „Worauf möchte ich zukünftig besonders achten?“. 6.4

Darstellungsformate für systemische Beziehungen

Dirk Felzmann, Sylke Hlawatsch

Die komplexe systemische Struktur vieler geowissenschaftlicher Sachverhalte widersetzt sich einer Darstellung in einer linearen Struktur, wie sie für Texte typisch ist. Entsprechend spielen grafische Darstellungsformate eine zentrale Rolle, um die Organisation und das Verhalten eines Systems zu analysieren und darauf aufbauend systemadäquate Handlungsoptionen abzuleiten (7 Abschn. 15.3.).

143

6.4  •  Darstellungsformate für systemische Beziehungen

..Abb. 6.2  Ausschnitt aus einer Mind Map

Ökologische F.

Ursachen Verbrennung fossiler Energieträger Heizen

Folgen

Soziale F. Ökonomische F.

Klimawandel

Land- und Forstwirtschaft

Gegenmaßnahmen

Mobilität

..Abb. 6.3  Ausschnitt aus einer Concept Map

Photosynthese ist Teil v

Kohlenstoff

ist Te

e

Im Kern bestehen diese Darstellungsformate zumeist aus Kästen oder Kreisen, die über Linien oder Pfeile miteinander verbunden sind. Welche Begriffe in den Kästen notiert werden, ist abhängig von der Art der grafischen Repräsentation. Im Falle von Mind Maps oder Concept Maps sind es Begriffe jeder Art. Sollen die Ergebnisse einer Systemanalyse (7 Abschn.  6.3.1.3) in grafischer Form als Stofffluss- oder Wirkungsdiagramme dargestellt werden, haben sowohl die Linien als auch die Kästen eine bestimmte Bedeutung (Hlawatsch et al., 2005a). Darstellungsformate systemischer Beziehungen liefern wertvolle Hinweise auf die Ausprägung der Systemkompetenz von Lernenden und werden daher auch in der Lehr-Lernforschung eingesetzt. Die Kästen werden dann als Knoten im Sinne der Grafentheorie bezeichnet und die Linien als Kanten (7 Abschn. 15.3). 6.4.1

Mind Maps

Mind Maps dienen der Sammlung und der hierarchischen Kategorisierung von Begriffen. Im Zentrum steht der relevante Begriff, von dem aus Unterkategorien gebildet

te nts

wird benötigt für on

i l vo n

ht b

CO2 CH4

ist e i ist e i

n

Treibhausgas(e)

n füh

ren

zu

ei

Klimawandel

werden können, innerhalb derer wieder weitere Unterkategorien gebildet werden können usw. (. Abb. 6.2). Die Linien bedeuten entsprechend „ist Teil von“/„gehört thematisch zu“. 6.4.2

Concept Maps

Concept Maps sind in ihren Gestaltungsvorgaben offener als Mind Maps und die folgenden Darstellungsformate. In Concept Maps werden Begriffe über Pfeile miteinander verknüpft, wobei die Art der Beziehung an jeden Pfeil notiert werden muss (. Abb. 6.3). Damit sind sowohl Beziehungsarten wie Kategorisierungen (z. B. „ist Teil von“) als auch Wirkungsbeziehungen (z. B. „je mehr, desto mehr“) oder Flüsse, (z. B. „bewegt sich von … nach …“) visualisierbar. Concept Maps können hierarchisch um einen zentralen Begriff oder nichthierarchisch strukturiert sein. Die Einführungseinheit für den Unterricht nach dem Konzept des Projektes „Forschungsdialog: System Erde für die Sekundarstufe II“ nutzt Concept Maps als Einstieg für die Erarbeitung der Systemanalyse und der grafischen Darstellung von

6

144

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

..Abb. 6.4  Ausschnitt aus einem Flussdiagramm

Atmosphäre Primärproduzenten Ozean Konsumenten

6 ..Abb. 6.5  Ausschnitt aus einem hierarchischen Wirkungsgefüge

Verbrennung fossiler Energieträger

Landnutzung

Klima

Systemen in Form von Stofffluss- und Wirkungsdiagrammen. Sie enthält sowohl Arbeitsbögen und Sachinformationen für die Schülerinnen und Schüler als auch ausführliche Handreichungen für Lehrkräfte (Hlawatsch et al., 2005a). 6.4.3 Flussdiagramme

Flussdiagramme zeigen den Fluss von Stoffen oder Energie in einem System. Dabei entsprechen die meist als Kästen dargestellten Systemelemente den Speichern/Pools des Stoffes/der Energie, die Pfeile zwischen den Pools geben die Fließrichtung des Stoffes, also der Atome oder Moleküle, oder der Energie wieder. Durch die Wahl von offenen Pfeilen kann ein Unterschied zu den Pfeilen in Wirkungsdiagrammen verdeutlicht werden (. Abb. 6.4). In quantitativen Bilanzierungen von Flussdiagrammen werden die Mengen des Stoffes in den Speichern und die

Durchflussraten angegeben. Zusätzlich können hierbei auch über die Dicke der Pfeile die unterschiedlichen Flussraten symbolisiert werden. An die Pfeile können die chemischen oder physikalischen Prozesse geschrieben werden, die für den Fluss des Stoffes von einem Speicher in einen anderen verantwortlich sind. Die großen biogeochemischen Kreisläufe wie der Kohlenstoff-, der Wasser- und der Gesteinskreislauf werden oft in diesem Format repräsentiert. 6.4.4 Ursache-Wirkungs-Diagramm/

Wirkungsdiagramm/ Wirkungsgefüge/Wirkgefüge

Wirkungsgefüge bilden die kausalen Beziehungen zwischen den Systemelementen ab. Die Pfeile bedeuten „wirkt auf“. Wirkungsgefüge sind in Schulbüchern bis-

6

145

6.4  •  Darstellungsformate für systemische Beziehungen

..Abb. 6.6  Ausschnitt aus einem quantifizierbaren Wirkungsgefüge

CO2-Konzentration der Atmosphäre

CH4-Konzentration der Atmosphäre

+ –

+

Globale Durchschnittstemperatur –

..Abb. 6.7  Ausschnitt eines Wirkungsgefüges mit dem Syndromansatz

Biosphäre

Atmosphäre

Nettoprimärproduktion Degradierte Flächen Waldflächen

+

CO2-Konzentration

+

+ +

Globale Durchschnittstemperatur

+ Bevölkerung

weilen hierarchisch strukturiert gezeichnet. Damit sollen die Ursachen eines komplexen Problems aufgezeigt werden. Der relevante Begriff (z. B. „Klima“; . Abb. 6.5) steht dann am Ende des Wirkungsgefüges und ist vorgegeben. Im Sinne der Förderung einer System- und Modellkompetenz kann die Entwicklung eines Wirkungsgefüges auf eine quantifizierbare Modellierung abzielen. Hierbei muss jedes Systemelement eine Messgröße darstellen, die Pfeile werden dann zusätzlich mit einem Plusoder einem Minuszeichen versehen. Dabei bedeutet ein Pluszeichen an einem Pfeil von Element A nach Element B: „je mehr A, desto mehr B“ und „je weniger A, desto weniger  B“ (gleichsinnige/parallele Beziehung). Ein Minuszeichen an einem Pfeil von A nach B bedeutet „je mehr A, desto weniger B“ und „je weniger A, desto mehr B“ (gegensinnige/antiparallele Beziehung) (. Abb. 6.6). Im Syndromansatz (vgl. de Haan & Harenberg, 1999) werden Wirkungsgefüge mit dem Sphärenkonzept kombiniert, indem die einzelnen Elemente in neun vorgegebenen Sphären eingeordnet werden (. Abb. 6.7).

6.4.5

+

Pedosphäre

Vergleich der Darstellungsformate

Ausgehend von der Annahme, dass Vorstellungen mentale Begriffsnetze darstellen, sind Concept Maps mit dem Ziel entwickelt worden, damit eigene Vorstellungen, insbesondere zu komplexen Sachverhalten, wiedergeben zu können. Über Concept Maps lassen sich deshalb die Vorstellungen vor und nach einem Lernprozess im Sinne von Metakognition individuell reflektieren. Entsprechend spielen Concept Maps auch eine wichtige Rolle in der Rekonstruktion von Schülervorstellungen (7 Abschn.  5.2). Der Einsatz von Concept Maps als Unterrichtsmethode weist im Durchschnitt hohe Effekte auf den Lernerfolg auf (Hattie et al., 2013). Mind Maps haben wie Concept Maps primär die Funktion, Vorwissen zu strukturieren, wobei die Vielfalt der Begriffe und die Hierarchie zwischen den einzelnen Begriffen herausgestellt werden. Mind Maps werden deshalb häufig zu Beginn einer Vermittlungseinheit eingesetzt, um im Plenum eine Übersicht über das Thema zu erhalten und dadurch eine Struktur für die folgende

146

6

Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Vermittlung zu schaffen. Zusammenhänge zwischen Begriffen jenseits ihrer kategorialen Hierarchisierung sind hierbei nicht darstellbar. Quantifizierbare Wirkungsgefüge mit Plus- und Minuszeichen an den Pfeilen und Flussdiagramme entsprechen der wissenschaftlichen Zielsetzung, computergestützte manipulierbare Systemmodelle zu entwickeln, über die sich etwa Szenarien berechnen lassen. Sie entsprechen damit einer zentralen Denk- und Arbeitsweise geowissenschaftlicher Forschung (7 Kap.  3). Solche Modelle eignen sich besonders gut zur Analyse von Beziehungen zwischen den Elementen hinsichtlich Eigenschaften wie positive und negative Rückkopplungen, antagonistische Wirkungen, lineare und komplexe Zusammenhänge sowie zentrale und periphere Elemente. Quantifizierbare Wirkungsgefüge sind sehr anspruchsvoll durch ihre Vorgabe, jedes Systemelement als Messgröße darzustellen. Im Sinne einer Lernprogression kann es daher sinnvoll sein, Schülerinnen und Schüler zuerst in die Arbeit mit Concept Maps einzuführen. Zu einem späteren Zeitpunkt können dann Wirkungsgefüge eingeführt werden. Hierbei kann es in der Praxis vorkommen, dass die Lernenden die Vorgaben der Elementbeschreibungen frei interpretieren, also auch Prozesse integrieren. Solche Wirkungsgefüge sollten dann in quantifizierbare Wirkungsgefüge überführt werden, indem konsequent danach gefragt wird, was sich wie messen lässt. zz Systemische Darstellungsformate in der geowissenschaftlichen Schulpraxis

Die Progression von Concept Maps über qualitative hin zu quantitativen Wirkungsdiagrammen wurde im Projekt „Forschungsdialog: System Erde für die Sekundarstufe II“ im fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht entwickelt, erprobt und evaluiert. Die vollständige Unterrichtseinheit mit Materialien für Schülerinnen und Schüler und ausführlichen Handreichungen für Lehrkräfte ist im Archiv des Leibniz-Institutes für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel verfügbar (Hlawatsch et al., 2005b). Aufgrund der nachgewiesenen Lernwirksamkeit wurde der Ansatz, Unterrichtsinhalte in Form von Stofffluss- und Wirkungsdiagrammen grafisch zu repräsentieren, für den Unterricht in der Sekundarstufe I übernommen. Dies erfolgt in Form eines Spiralcurriculums, das in 7 Kap. 8 beschrieben wird. In Jahrgang 8 sind die Schülerinnen und Schüler in der Lage, Stoffflussdiagramme zum natürlichen Wasserkreislauf zu zeichnen und anthropogene Elemente zu ergänzen. In Jahrgang 10 können sie kooperativ Klimasystemmodelle in Form von qualitativen Wirkungsdiagrammen entwickeln.

6.5

Konkrete Methoden

Im Folgenden werden ausgewählte Unterrichtsmethoden mit einem hohen Bezug zu den Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung vorgestellt. 6.5.1 Mystery Dirk Felzmann

Bei dieser Unterrichtsmethode erhalten die Lernenden statt Lerner eine „mysteriöse“/rätselhafte Leitfrage und eine Sammlung ungeordneter Informationen als einzelne Kärtchen. Ziel ist es, mithilfe dieser Kärtchen und ggf. zusätzlich recherchierter Informationen die Leitfrage zu beantworten. Dabei gilt es, die Informationskärtchen zu vergleichen, zu kategorisieren, ggf. auch auszusortieren, und Beziehungen zwischen diesen Informationen zu analysieren und z. B. in Form eines Plakates zu präsentieren. Entsprechend bietet diese Unterrichtsmethode viel Potenzial zur Förderung systemischen Denkens (Schuler, 2005; Schuler et al., 2017). Für geowissenschaftliche Phänomene bietet diese Methode viel Potenzial zur Verknüpfung abstrakter fachlicher Informationen (z. B. zu den plattentektonischen Ursachen eines konkreten Erdbebens) mit konkreten lebensweltlichen Ereignissen (z. B. zu den Wirkungen eines Erdbebens auf bestimmte konkrete Personen) und zur Reflexion von Prozessen auf verschiedenen Maßstabsebenen, wenn sich die Informationskärtchen sowohl auf lokale als auch damit verbundene regionale und globale Prozesse beziehen. Die Methode dürfte auch viel Potenzial haben, geologischen Erkenntnisgewinn zu vermitteln. Da viele geologische Erkenntnisse Ergebnisse von Indizienanalysen darstellen, könnte diese detektivistische Denk- und Arbeitsweise in Orientierung an die Mystery-Methode simuliert und reflektiert werden. Hierbei wäre die rätselhafte Leitfrage eine wissenschaftliche Frage, die auf die Rekonstruktion eines geologischen Ereignisses abzielt (z. B. Warum starben die Dinosaurier aus?), die Informationskärtchen würden die wissenschaftlichen Indizien (z. B. erhöhte Iridiumnachweise in der Kreide-PaläogenGrenzschicht, Fossilbelege, geomorphologische Kartierungen) enthalten. Ziel wäre es, wie im Falle der „typischen Mysterys“ eine Geschichte zur Beantwortung der Leitfrage zu erzählen. >>Analogien

Da viele geowissenschaftliche Phänomene und insbesondere viele geowissenschaftliche Prozesse nicht direkt erfahrbar sind, spielen Analogien für die geowissenschaftliche Vermittlung eine wichtige Rolle. So kann z. B. ein Förderband als Analogie für einen Gletscher fungieren. Hierbei erfolgt eine Übertragung von At-

147

6.5  •  Konkrete Methoden

tributen aus einem Quellbereich auf einen Zielbereich (hier: auf den geowissenschaftlichen Sachverhalt). So kann im Falle der Förderband-Gletscher-Analogie der Teil des Förderbandes, der mit Material beladen wird, mit dem Teil des Gletschers analogisiert werden, in dem der Gletscher Erosionsarbeit verrichtet, der Teil, in dem das Material aus dem Förderband fällt, mit der Gletscherstirn, das Material im Förderband mit dem transportierten Material des Gletschers usw. In Analogien werden aber vor allem Beziehungen zwischen Attributen aus dem Quellbereich in den Zielbereich übertragen (Gentner, 1983), also z. B. die räumliche Lage und funktionelle Beziehung zwischen den verschiedenen Teilen des Förderbandes, die im Zusammenwirken Prozesse ermöglichen, die in vergleichbarer Weise an einem Gletscher erfolgen. In einer Analogie werden aber nur bestimmte Attribute und bestimmte Beziehungen übertragen, während andere Attribute und Beziehungen nicht übertragen werden. So erfolgt z. B. die Aufnahme des Materials im Förderband ausschließlich passiv, im Gletscher zu einem erheblichen Teil aber auch aktiv aus der Interaktion zwischen Gletscher und Untergrund. Für Schülerinnen und Schüler kann damit die Schwierigkeit entstehen, die Grenzen der Analogie zu erkennen, im Falle des Gletschers z. B. nicht alles transportierte und sedimentierte Material als von den Talhängen stammend aufzufassen. Treagust et al. (1998) empfehlen für die Arbeit mit Analogien zu klären, wie vertraut die Lernenden mit der Analogie sind. Quellbereiche, die den Lernenden nicht unmittelbar bekannt und verständlich sind, sind wenig hilfreich zur Verständnisentwicklung zum relevanten Zielbereich. Während der Vermittlung ist mit den Lernenden zu reflektieren, was aus dem Quellbereich auf den Zielbereich übertragen werden kann und was eben auch nicht. Schülerinnen und Schüler eigenständig Analogien zu Sachverhalten entwickeln zu lassen, erwies sich in empirischen Studien als lernförderlich (Lancor, 2014). >>Personifizierungen

Auch wenn es ein didaktisches Ziel ist, Kinder in die Lage zu versetzen, animistische Beschreibungen und Erklärungen geowissenschaftlicher Sachverhalte überwinden zu können, können Personifizierungen auch als Unterrichtsmethode eingesetzt werden. Sie kommen den Bedürfnissen von Kindern, eine Beziehung zwischen sich selbst und ihrer natürlichen Umwelt aufzubauen, entgegen (Gebhard, 2020). Gleichzeitig können Personifizierungen motivierend wirken. Solche Personifizierungen können sich z. B. auf einzelne Atome (z. B. ein Kohlenstoffatom) oder Moleküle (z. B. ein Wasserteilchen) beziehen, wenn diese personifizierten Teilchen ihre „Reise“ entlang des entsprechenden Stoffflusses beschreiben (z. B. als Text oder als Comic oder

im Rahmen einer szenischen Darstellung). Auch geologische Geschichten können aus einer personifizierten Perspektive erzählt werden, etwa, wenn ein Berg über „sein Leben“ berichtet. Da es sich bei diesen Personifizierungen um Analogien mit Menschen handelt, gelten hierfür die gleichen didaktischen Hinweise zu deren Reflexion, wie sie oben zu Analogien aufgeführt sind.

6.5.2 Storytelling Dirk Felzmann

Storytelling wird als Methode für die Vermittlung von wissenschaftlichen theoretischen Konzepten genutzt, indem eine Geschichte um das relevante theoretische Konzept konstruiert wird. Dabei macht man sich die empirisch belegten Vorteile dieser Methode zunutze (Dahlstrom, 2014): Geschichten sind mental einfacher zu verarbeiten und erzeugen mehr Aufmerksamkeit und Engagement als typische Wissenschaftskommunikation. Laien rezipieren wissenschaftliche Befunde auch primär über narrative Formate, nämlich über die Medien. Narrationen zeigen in experimentellen Vergleichen zu typischen Formaten der Wissenschaftskommunikation über Daten und Argumente eine besonders hohe Überzeugungskraft in der Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen (was einen reflektierten und sensiblen Einsatz nötig macht).

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Für die Vermittlung geowissenschaftlichen Wissens haben Narrationen besonders viel Potenzial (Phillips, 2012). So kann damit der Schwierigkeit, sich die enormen zeitlichen und räumlichen Dimensionen vieler geowissenschaftlicher Phänomene und Prozesse vorstellen zu können, begegnet werden. Vor allem aber sind Geschichten ohnehin ein Erkenntnisziel geowissenschaftlicher, insbesondere geologischer Forschung (Frodeman, 1995). Geologische Geschichten können damit zwei Ziele verfolgen: die Anwendung und Veranschaulichung theoretischer Konzepte an konkreten Fällen, entsprechend dem Prinzip des Aktualismus, und die Vermittlung „wissenswerter Geschichten“, womit sich wiederum eine Reflexion geowissenschaftlichen Erkenntnisgewinns verbinden lässt (s. Retrodiktion in 7 Abschn. 6.1.1). Geschichten enthalten typischerweise folgende Elemente (Norris et al., 2005): Es geht um räumlich-zeitliche Einzelereignisse. Die Ereignisse geschahen in der Vergangenheit. Es gab mindestens einen zentralen Akteur, der auf das zentrale Ereignis reagiert.

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Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Typischerweise weisen solche Geschichten einen Erzähler auf, der durch die Ausgestaltung der Geschichte „Appetit macht“, wozu eine typische Struktur gewählt wird: Die Geschichte beginnt mit einem allgemeinen Zustand. Eingeleitet durch einen Wechsel in der Erzählzeit tritt das kontingente Ereignis ein, das eine Herausforderung darstellt, auf das der Akteur reagiert. Die Geschichte endet dann typischerweise mit einer Lösung der Herausforderung durch den Akteur (vgl. Norris et al., 2005). Geologische Narrationen (z. B. zur Entstehung einer Landschaft) haben nun die Besonderheit, dass sie zwar mit kontingenten Ereignissen zu tun haben, dass es aber keine absichtsvoll handelnden Akteure gibt. Damit unterscheiden sie sich grundlegend von historischen Geschichten, in denen Menschen in Form rekonstruierbarer Gründe auf kontingente Ereignisse reagieren (Felzmann, 2013). Ein methodischer Kunstgriff kann dann darin bestehen, im Rahmen einer Personifizierung (7 Abschn. 6.5.1) einen geowissenschaftlichen Akteur zu schaffen, z. B. eine Landschaft oder einen Berg. Besonders geeignet als Akteure in geologischen Kontexten sind Tiere (Felzmann, 2013). Eine weitere Möglichkeit stellen wissenschaftshistorische „Erforschungsgeschichten“ dar, innerhalb derer Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler der Herausforderung begegnen, eine wissenschaftliche Fragestellung zu beantworten. Phillips (2012) unterscheidet acht grundlegende Plots, nach denen geowissenschaftliche Geschichten typischerweise aufgebaut sein können: Ursache–Folge, Entstehung, Emergenz, Metamorphose, Zerstörung, Konvergenz, Divergenz und Oszillation. 6.5.3

Methoden für geowissenschaftliche Bildung im Gelände: Geländearbeit und Feldforschung

Sylke Hlawatsch

Untersuchungsgegenstand der Geowissenschaften ist die Erde als Gesamtsystem, einschließlich des Erdinneren, der Luft, des Wassers und der Lebewesen. Dabei werden verschiedene räumliche und zeitliche Dimensionen berücksichtigt. Da die Untersuchungen maßgeblich im Gelände erfolgen, ist dieses ein wichtiger Lernort für geowissenschaftlichen Unterricht, der in der Lehr-Lernforschung umfassend antizipiert wurde (King, 2008). Nir Orion schildert in 7 Kap. 3 des vorliegenden Buches das große Potenzial von Lernumgebungen im Freien zur Stimulierung des learning instinct der Schülerinnen und Schüler. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Entfaltung dieses Potenzials von den Lehrmethoden der Exkursion abhängt. Dabei soll die Exkursion sich auf eine Auseinandersetzung mit Phänomenen und Prozes-

sen konzentrieren, wie sie in geschlossenen Räumen nicht möglich wäre. Sie soll als integraler Bestandteil einer Unterrichtseinheit im Fachraum sorgfältig vor- und nachbereitet, d. h. nicht als isolierte Aktivität geplant werden (7 Abschn. 3.4). Im Gegensatz zu Experimenten, die im Fachraum aufgebaut werden, bietet das Gelände Lernanlässe mit direktem Lebensweltbezug. Schülerinnen und Schüler können bereits mit einem Blick aus dem Fenster und auf dem Schulweg etwas über den Zustand ihres Heimatplaneten vor Ort erfahren und auch bestimmte Phänomene, wie das Wetter, die Vegetation und Geländeformen, wahrnehmen. Im Unterricht lernen sie dann beispielsweise, wie Niederschlag und Wind entstehen (Chemie und Physik), warum es auf der Erde verschiedene Klimazonen gibt, welche Merkmale diese aufweisen, in welcher Klimazone sie selbst leben (Geographie) und wie diese anhand von typischer Vegetation (Biologie) charakterisiert werden kann. Dieses Wissen kann durch Exkursionen vertieft werden, wenn beispielsweise eine Wetterstation aufgesucht, eine Vegetationskartierung im Gelände vorgenommen oder eine Höhle aufgesucht wird. Die Methoden Geländearbeit (field work) und Feldforschung (field investigation), die hier beschrieben werden, repräsentieren zwei Betätigungsfelder der Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler. Sie untersuchen den Zustand der heutigen Erde durch regelmäßige Analysen in situ in Gesteinen, Wasser, Luft und auch Lebewesen oder entsprechende Proben im Labor. Die Erkenntnisse integrieren sie in internationaler Zusammenarbeit zu einem Gesamtbild von der Erde als System; Gesteine und identifizieren darin Merkmale, die bestimmte Zustände und Phänomene in Gesteinen hinterlassen, sowie ihre Verteilung an der Erdoberfläche und rekonstruieren damit die Erdgeschichte.

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Die Arbeit im Gelände soll für die Schülerinnen und Schüler so organisiert werden, dass sie ausgehend von einer geowissenschaftlichen Problemstellung selbstständig und aktiv Untersuchungen vornehmen und dann aus ihren eigenen Beobachtungen und Analyseergebnissen durch schlussfolgerndes Denken Antworten ableiten (7 Abschn. 8.2.5.1). Bei der Geländearbeit kommen zumeist traditionelle geologische, paläontologische und mineralogische Untersuchungsmethoden zum Einsatz. Auch geophysikalische Messkampagnen sind hier möglich. In der Regel werden Aufschlüsse aufgesucht und dort Merkmale in Gesteinen identifiziert und dokumentiert. Unter Verwendung ihres im Unterricht zuvor erworbenen Vorwissens sollen die Schülerinnen und Schüler aus ihren Beobachtungen auf vergangene Zustände und/oder Ereignisse in der Erdgeschichte schließen. Wie geologische

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6.5  •  Konkrete Methoden

Geländearbeit im Unterricht vorbereitet werden kann, wird in 7 Abschn. 8.2.5.2 veranschaulicht. Zu aktuellen umweltrelevanten Fragestellungen können die Jugendlichen selbst Feldforschung betreiben. Hierbei können Wasser- und andere Proben entnommen werden, wenn z. B. die Verteilung einer bestimmten Substanz in der Umwelt untersucht und Quellen identifiziert werden sollen. Wie Lehrkräfte eine solche zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern konzipieren können, ist in 7 Abschn.  11.3.3 für die International Earth Science Olympiad 2022 am Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) beschrieben. zz Interview mit Prof. Nir Orion

Nir Orion ist Geowissenschaftsdidaktiker am Weizmann Institute for Science Education (Israel), Lehrer für Geowissenschaften und Vorsitzender der International Geoscience Education Organisation (IGEO). Er ist Initiator der International Team Field Investigation (ITFI) für den Wettbewerb International Earth Science Olympiad (IESO; Kap. 9). Aufgrund der Pandemie wurde die Field Investigation in den Jahren 2021 bis 2023 auf nationaler Ebene als National Team Field Investigation (NTFI) durchgeführt. Sylke Hlawatsch:  Was sind die Merkmale der Unter-

richtsmethode Field Investigation (FI) für Schülerinnen und Schüler? Nir Orion: Eine Field Investigation (FI) ist eine Mini-

studie zu einem konkreten Phänomen des Erdsystems im Gelände. Dabei werden Geländearbeit und Laboranalysen kombiniert. Zeitrahmen und Inhalt ergeben sich in Bezug auf eine konkrete Forschungsfrage. Diese wird so formuliert, dass sie in ein bis drei Tagen auf Basis von Feldbeobachtung, Datenerhebung und Laboranalyse beantwortet werden kann. Die Auswahl der untersuchten Phänomene sollte auf den folgenden Kriterien beruhen: Die Studie soll sich auf ein reales und umweltrelevantes Phänomen des Erdsystems beziehen. Die Datenerfassung soll den Einsatz aktueller Feldinstrumente und aktueller Labormessungen umfassen. Nach einmaligen Messungen vor Ort kann den Schülerinnen und Schülern ein langfristiger Datensatz zur Verfügung gestellt werden.

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Sylke Hlawatsch:  Über welche Kompetenzen sollten

Jugendliche verfügen, damit sie bei der Internationalen Team-Feldforschung (ITFI) im Rahmen der IESO erfolgreich sein können? Nir Orion:  Zunächst einmal müssen sie selbstorganisiert

lernen, innerhalb des Teams kommunizieren und ihre Ergebnisse schriftlich und mündlich kommunizieren kön-

nen. Zudem sollten sie in der Lage sein, kritisch, logisch und in Systemen zu denken. Sylke Hlawatsch:  Erläutere bitte den Unterschied zwischen

Field Work und Field Investigation, wie du sie propagierst. Nir Orion:  Field Work beruht auf einfachen Methoden und

Geräten, wie z. B. Lupe, Salzsäure, Eisennägel oder Magnet usw. Diese können uns nur eine grobe Einschätzung der untersuchten Gesteine geben. Im Gegensatz dazu werden die Proben bei einer Field Investigation im Labor mit sehr viel genaueren Methoden untersucht. Heutzutage ist diese Unterscheidung jedoch nicht mehr so scharf, nachdem hochentwickelte und genaue Analysegeräte entwickelt wurden, die direkt im Gelände eingesetzt werden können. Field Investigation, egal ob auf nationaler oder internationaler Ebene im Team oder als Einzelstudie, beinhaltet Prozess und Methodik geowissenschaftlicher Forschung. Die Idee ist, dass die Schülerinnen und Schüler aktuelle Forschung kennenlernen und sich dadurch auch ihrer Bedeutung bewusst werden. Ministudien beinhalten die Datenerhebung und -analyse vor Ort und Laboranalysen mit modernen, hochentwickelten Forschungsinstrumenten, die sie im regulären Unterricht nicht kennenlernen können. Zum Beispiel wird eine wissenschaftliche geologische Untersuchung der Bestandteile eines klastischen Ablagerungsgesteines mithilfe von Sieben oder sehr viel ausgefeilteren Werkzeugen wie einem Laserstrahl durchgeführt und nicht durch Inaugenscheinnahme mit einer Korngrößenskala und einer Lupe. Sylke Hlawatsch:  Welche Analysegeräte eignen sich für

eine Field Investigation? Nir Orion:  Heutzutage gibt es viele hochentwickelte

Analysewerkzeuge, die von Schülerinnen und Schülern bedient werden können, z. B. Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA), auch Röntgenfluoreszenzspektroskopie (RFS; X-ray fluorescence spectroscopy, XRF spectroscopy), zur Analyse des Metallgehaltes in Gesteinen, Rasterelektronenmikroskop (REM; scanning electron microscope, SEM) zur Analyse des Gehaltes an seltenen Mineralien und seltenen Elementen. Multimessgeräte für die Analyse der Wasserqualität (Süß- und Meerwasser), Polarisationsmikroskop, optische Granulometrie, Instrumente zur Messung des organischen Kohlenstoffs, Feldfotospektrometer usw. Die Verfügbarkeit solcher Instrumente hängt jedoch von der Möglichkeit ab, mit einer wissenschaftlichen Einrichtung in der Nähe der Schule zusammenzuarbeiten. Sylke Hlawatsch:  Was sind „Erfolgsgeheimnisse“ in Bezug auf die Planung einer Field Investigation für Schülerinnen und Schüler?

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Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Nir Orion:  Das „Erfolgsgeheimnis“ des NTFI und des

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ITFI hängt in hohem Maße von der Fähigkeit einer Lehrkraft ab, Kontakte zu Forschenden zu knüpfen, um den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, moderne, relativ einfach zu bedienende und zugängliche Forschungsinstrumente kennenzulernen. Ich nehme persönlich Kontakt zu geowissenschaftlichen Einrichtungen auf und bespreche mit den Forschenden mögliche Forschungsfragen, die mit relativ billigem und einfachem Laborgerät, das sie in ihrem Labor haben, beantwortet werden können. Manchmal nehmen wir Proben im Gelände und gehen ins Labor, und manchmal können wir hochentwickelte Feldmessgeräte mitnehmen. Ich biete meinen Schülerinnen und Schülern jedes Jahr etwa zehn bis 15 verschiedene NTFI-Forschungsfragen an, da im Labor nur für kleine Gruppen von vier bis fünf Personen Platz ist. Sylke Hlawatsch:  Wie lange arbeiten die Jugendlichen an

solchen Ministudien? Nir Orion:  Die erste Phase der Arbeit besteht darin, dass

die Lernenden sich mit der Forschungsfrage, dem Standort, dem theoretischen Hintergrund der Forschung, dem Ablauf einer Field Investigation, dem Zeitplan und dem wissenschaftlichen Hintergrund der Feldmessgeräte vertraut machen. Das dauert einen halben bis einen ganzen Arbeitstag. Die zweite Phase ist die Feldarbeit (Feldmessungen, Probenahme usw.). Diese Phase kann ebenfalls einen halben bis einen ganzen Arbeitstag dauern, je nach Thema und Entfernung des Untersuchungsgebietes von der Schule. Die dritte Phase ist die Laborarbeit, die je nach Art der Labormessungen einen halben bis einen ganzen Arbeitstag in Anspruch nehmen sollte. Insgesamt mit Vorbereitung sowie Feld- und Laborarbeit kann es also zwei bis drei Tage dauern. Die letzte Phase, in der die Daten zur Beantwortung der Forschungsfrage gesammelt werden und die Präsentation vorbereitet wird, liegt in der Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler.

..Abb. 6.8  Die drei Grunddimensionen geographischer Modellkompetenz. (Eigene Abbildung nach Bette et al., 2019, S. 6, u. a. auf Basis von Hodson, 1992; Meisert, 2008)

6.5.4

Aufbau von Modellkompetenz im naturwissenschaftlichen Geographieunterricht: Modellieren geowissenschaftlicher Phänomene in einem Geowindow

Dominik Conrad, Gregor C. Falk, Mathias Faller

Modelle haben eine zentrale Funktion zum Verständnis wissenschaftlicher Phänomene, aber auch zum Verständnis der Wege wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. Dem adäquaten Einsatz von Modellen im Geographieunterricht wird u. a. das Potenzial der Förderung von Systemkompetenz, der Unterstützung beim Aufbau eines flexiblen, transferfähigen Wissens sowie der Ermöglichung eines reflexiven Wissenschaftsverständnisses zugesprochen (Bette, 2021; Faller & Falk, 2016; Otto & Mönter, 2015):

» „Modellkompetenz umfasst die Fähigkeiten, mit Mo-

dellen zweckbezogen Erkenntnisse gewinnen zu können und über Modelle mit Bezug auf ihren Zweck urteilen zu können, die Fähigkeiten, über den Prozess der Erkenntnisgewinnung durch Modelle und Modellierungen […] zu reflektieren sowie die Bereitschaft, diese Fähigkeiten in problemhaltigen Situationen anzuwenden.“ (Upmeier zu Belzen und Krüger [2010, S. 49])

Diese für die Biologiedidaktik entwickelte Definition wird in zahlreichen geographiedidaktischen Publikationen aufgegriffen (u. a. Bette, 2021; Bette et al., 2019; Otto & Mönter, 2015; Wiktorin, 2014) und ist nach unserer Auffassung gut auf den naturwissenschaftlichen Geographieunterricht übertragbar. Geographische Modellkompetenz kann demnach aus drei Grunddimensionen bestehend betrachtet werden: der Modellauswertung, bei der vorgegebene Modelle zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse genutzt werden, dem geographischen Modellverständnis, bei dem es um die Kompetenz zur Reflexion über das Wesen geographischer Modelle geht, und schließlich als dritte Dimension der Modellbildung und -anwendung, bei der

6.5  •  Konkrete Methoden

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..Abb. 6.9  Modellierung eines Stratovulkans im Geowindow. (Foto: Mathias Faller)

Modelle mit dem Ziel der Erkenntnisgewinnung entwickelt und angewandt werden (. Abb. 6.8; Bette, 2021; Bette et al., 2019). Da viele geowissenschaftliche Phänomene aufgrund ihrer räumlichen und zeitlichen Dimensionen und ihrer Verortung unterhalb der Erdoberfläche nicht direkt erfahrbar sind (Conrad & Libarkin, 2022; Felzmann et al., 2016), werden im naturwissenschaftlichen Geographieunterricht häufig Modelle in Form von Blockbildern, konkreten Modellen oder auch digitalen Animationen eingesetzt. Der Modelleinsatz dient in der Regel Visualisierungszwecken, vorgegebene Modelle werden hinzugezogen, um ein tieferes Verständnis des fachlichen Inhalts zu erlangen (Bette, 2021; Bette et al., 2019; Faller & Falk, 2016). Der Fokus liegt hierbei vielfach auf einer der drei Grunddimension geographischer Modellkompetenz: der Modellauswertung (. Abb. 6.9). Bette et al. (2019, S. 7) kommen auf der Basis der Analyse empirischer Forschungsdesiderata (z. B. Grünkorn et al., 2014; Terzer & Upmeier zu Belzen, 2007) zu dem Schluss, dass „nur wenige [Lernende] über ein vertieftes Modellverständnis verfügen“. Viele Schülerinnen und Schüler betrachten Modelle als eine Kopie der Wirklichkeit, die Rolle der Modellierenden wird in der Regel nicht hinterfragt. Modelle werden oft ausschließlich als Visualisierungswerkzeuge betrachtet. Dass Modelle auch der wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung dienen können, ist vielen Lernenden nicht bewusst. Forschungsergebnisse legen nahe, dass neben der Thematisierung von Modellen als Unterrichtsgegenstand, der Kontextualisierung und der Reflexion über das Wesen von Modellen auch die eigenständige Modellbildung den Aufbau von Modellkompetenz unterstützt (Bette et al., 2019; Justi & Gilbert, 2002; Terzer & Upmeier zu Belzen, 2007).

Das an der Pädagogischen Hochschule Freiburg entwickelte Geowindow (. Abb.  6.9 und  6.11) kann im Rahmen des naturwissenschaftlichen Geographieunterrichts ein förderliches Instrument beim Aufbau aller drei Grunddimensionen geographischer Modellkompetenz darstellen. Es bietet eine geeignete Infrastruktur, um zwischen zwei Glasscheiben Strukturen und Prozesse des Systems Erde (z. B. Vulkanausbrüche, Grundwasserneubildung, plattentektonische Prozesse, thermohaline Zirkulation, Küstenerosion) mit „echten“ Materialien wie Sand oder Wasser zu modellieren (Conrad et al., 2021; Faller, 2015; Faller & Falk, 2016). Schülerinnen und Schüler können anhand der Modellierung im Rahmen der Modellauswertung geowissenschaftliche Inhalte auf anschauliche Weise erschließen und damit ein vertieftes fachliches Verständnis aufbauen (learning science). So kann beispielsweise bei der Modellierung eines Stratovulkans dessen Aufbau ersichtlich werden (. Abb. 6.9). Auch Vorwarnzeichen wie das Aufwölben des Untergrundes können im Modell beobachtet werden. Bei der Modellbildung und -anwendung (doing science) können im Geowindow alle Schritte des Modellierungskreislaufes (. Abb. 6.10) durchlaufen werden. So können die Schülerinnen und Schüler erste Modellierungen vom Aufbau des Bodens im Geowindow auf Basis ihrer Vorerfahrungen und Alltagsvorstellungen entwickeln (. Abb. 6.11). Gegebenenfalls können Schülerinnen und Schüler in dieser Phase weitere Daten über den Aufbau des Bodens recherchieren oder aber Materialien von der Lehrkraft zur Verfügung gestellt bekommen. Die Suche nach dem Weg der Modellierung lässt die Unterschiede zwischen Modell und geographischem Phänomen ins Zentrum der Überlegungen rücken. Die

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Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

Reflexionsimpulse

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E= Eigenschaen

„Beschreibe, inwieweit das Modell aussieht, wie das Original“

A= Alternaven

„Erkläre, warum es verschiedene Modelle gibt“

Z= Zweck

„Erläutere den Zweck eines Modells“

T= Testen

„Erkläre, wie wir die Tauglichkeit der Modelle prüfen können“

Ä= Ändern

„Begründe, warum Modelle verändert werden können“

..Abb. 6.10  Idealtypischer Modellierungskreislauf. (Eigene Abbildung nach Bette et al. 2019, S. 8., basierend auf Fleige et al., 2012; Justi & Gilbert 2002; Köck 1985)

..Abb. 6.11  Modellieren von Grundwasserneubildung und Grundwasserverschmutzung im Geowindow im Rahmen eines Workshops. (Foto: Konrad Scheib)

in dieser Phase auftretenden offenen Fragen legen den Einbezug weiterer Daten, z. B. einen Vergleich mit einem Bodenprofil im Gelände, nahe. Damit werden im Handeln wesentliche Eigenschaften von Modellen deutlich: Entsprechung und Ähnlichkeit, Einfachheit und Anschaulichkeit, Exaktheit und Fruchtbarkeit (Kattmann, 2008). Dies führt zur Annahme, Optimierung oder gar zum Verwerfen der ersten Modellierung. Insgesamt ist darauf zu achten, dass bei der Modellierung nicht alle Schritte durch die Lehrkraft vorgegeben werden, sondern die Aufgaben so gestellt sind, dass eine hohe kognitive Aktivierung der Lernenden erfolgt (Bette, 2021).

Ein selbst erstelltes oder im Unterricht gemeinsam entwickeltes Modell eröffnet auch die Möglichkeit der Reflexion über das Wesen von Modellen (learning about science). So werden Grenzen von Modellen ersichtlich, wenn z. B. ein Vulkanausbruch im Geowindow durch eine chemische Reaktion ausgelöst wird. Entwickeln Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Modelle zu einem geographischen Phänomen, wird direkt erfahrbar, dass ein und derselbe geowissenschaftliche Sachverhalt unterschiedlich modelliert werden kann. Zudem wird bei der Modellbildung deutlich, dass Modelle einen Zweck erfüllen, der von den Modellierenden vorab festgelegt wird.

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Literatur

..Abb. 6.12  QR-Codes zur Projektseite „Modellierung mit dem Geowindow“ (a) und zum konkreten Beispiel „Grundwasser“ (b und c)

a

Das Geowindow ist für den Einsatz in allen Schularten, Klassenstufen, aber auch für Hochschulen und außerschulische Lernorte geeignet (. Abb.  6.11) Bei der Ausführung des Modells education entspricht die Glasfläche einer DIN-A4-Seite, bei der Ausführung des großen Geowindow-Modells science entspricht sie drei DIN-A4-Seiten. Dementsprechend eignet sich das große Geowindow insbesondere zur Arbeit im Plenum, während die kleinen Geowindows in Partner- und Gruppenarbeiten gut eingesetzt werden können. Um den Einstieg in die Arbeit mit dem Geowindow zu vereinfachen, entsteht derzeit im Rahmen des Kooperationsprojektes „Modellierung mit dem Geowindow“ (Conrad et al., 2021) des Geographischen Instituts der Pädagogischen Hochschule Freiburg und der Abteilung Geographie der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg eine stetig wachsende Sammlung von Modellierungsvorschlägen in Form von kurzen Videos und einer Beschreibung der Modellierung in Form einer PDF-Datei. Diese finden sich frei zugänglich auf der Projektseite (. Abb. 6.12 QR-Code a), wie z. B. die Modellierung von Prozessen und Strukturen rund um das Thema „Grundwasser“ (QR-Code b und c; . Abb. 6.12).

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b

c

Conrad, D., Falk, G. C., & Faller, M. (2021). Modellieren mit dem Geowindow. Ein Kooperationsprojekt der Pädagogischen Hochschulen Ludwigsburg und Freiburg. http://geowindow.ph-ludwigsburg.de/ projektinformationen. Zugegriffen: 25. März 2022. Dahlstrom, M. F. (2014). Using narratives and storytelling to communicate science with nonexpert audiences. Proceedings of the National Academy of Sciences PNAS, 111(4), 13614–13620. https:// doi.org/10.1073/pnas.1320645111. DGfG (Deutsche Gesellschaft für Geographie). (2020). Bildungsstandards Geographie Dodick, J., & Orion, N. (2003). Measuring student understanding of geological time. Science Education, 87(5), 708–731. Faller, M. (2015). Mit dem GeoWindow Stoffkreisläufen auf der Spur. Geographie heute, 326, 46. Faller, M., & Falk, G. C. (2016). Das Geowindow, ein innovatives Unterrichtsmedium. In K. H. Otto (Hrsg.), Geographie und naturwissenschaftliche Bildung. Der Beitrag des Faches für Schule, Lernlabor und Hochschule. Geographiedidaktische Forschungen, (Bd. 63, S. 258–262). Hochschulverband für Geographiedidaktik. Felzmann, D. (2013). Didaktische Rekonstruktion des Themas „Gletscher und Eiszeiten“ für den Geographieunterricht. Beiträge zur Didaktischen Rekonstruktion, Bd. 41. Didaktisches Zentrum Oldenburg. Felzmann, D., & Laub, J. (2019). Ethisches Urteilen im Geographieunterricht fördern. Praxis Geographie, 10, 4–11. Felzmann, D., Conrad, D., & Basten, T. (2016). Erfahrungsbasiertes Verstehen geowissenschaftlicher Phänomene. Wie mithilfe der Theorie des erfahrungsbasierten Verstehens typische Lernschwierigkeiten in geowissenschaftlichen Kontexten interpretiert und prognostiziert werden können. In K. H. Otto (Hrsg.), Geographie und naturwissenschaftliche Bildung. Der Beitrag des Faches für Schule, Lernlabor und Hochschule. Geographiedidaktische Forschungen, (Bd. 63, S. 84–103). Hochschulverband für Geographiedidaktik. Fleige, J., Seegers, A., Upmeier zu Belzen, A., & Krüger, D. (Hrsg.). (2012). Modellkompetenz im Biologieunterricht 7–10 Fögele, J. (2016). Entwicklung basiskonzeptionellen Verständnisses in geographischen Lehrerfortbildungen. Rekonstruktive Typenbildung. Relationale Prozessanalyse. Responsive Evaluation. Geographiedidaktische Forschungen, Bd. 61. Monsenstein und Vannerdat. Frodeman, R. (1995). Geological reasoning: Geology as an interpretive and historical science. Geological Society of America Bulletin, 107(8), 960–968. Gebhard, U. (2020). Die Beseelung der Natur. In U. Gebhard (Hrsg.), Kind und Natur. Die Bedeutung der Natur für die psychische Entwicklung (S. 51–77). Springer VS. Gentner, D. (1983). Structure-mapping: A theoretical framework for analogy. Cognitive science, 7(2), 155–170. Grünkorn, J., Lotz, A., & Terzer, E. (2014). Erfassung von Modellkompetenz im Biologieunterricht. Mathematisch Naturwissenschaftlicher Unterricht MNU, 67(3), 132–138.

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Kapitel 6  •  Spezifika geowissenschaftlicher Vermittlung

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155

Earth Learning Ideas (ELI) Chris King (Übersetzung: Sylke Hlawatsch)

Inhaltsverzeichnis 7.1

Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)– praktische Aktivitäten für den geographisch-naturwissenschaftlichen Schul­unterricht und darüber hinaus  –  156

7.2

Kurze und effektive Fortbildungs­workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographiesowie für angehende Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst  –  163

7.3

Diskussion – 169

7.4

Schlussfolgerung – 170 Literatur – 171

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_7

7

156

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

Zusammenfassung

7

Earth Learning Ideas (ELIs) wurden für Schulen, Hochschu­ len und die breite Öffentlichkeit zur kostenlosen Nutzung entwickelt und sind frei online abrufbar (7 https://www. earthlearningidea.com). Sie werden heute weltweit im Schul­ unterricht und an außerschulischen Lernorten eingesetzt. Davon sind schon 70 auf Deutsch übersetzt. ELIs sind praktische Übungsaufgaben, die geowissen­ schaftliche Kenntnisse vermitteln und für eine vertiefte Beschäftigung mit der Erde motivieren. In 7 Abschn. 7.1 wird das Konzept am Beispiel ausgewählter ELIs er­ läutert. Unter den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) sind die Geowissenschaften, die in den Lehrplänen und im Schulunterricht sehr vieler Länder wohl am meisten vernachlässigte Wissensdomäne. Um dem entgegenzuwirken, hat die European Geosiences Union (EGU) im Jahr 2019 eine Gruppe von Personen zur Fortbildung von Lehrkräften ausgebildet und beauftragt – die Geoscience Education Field Officer (GEFO). Es ist ein Programm zur Förderung geowissenschaftlicher Bildung in Europa und darüber hinaus. 2023 bieten elf europäische Field Officers (weltweit insgesamt 18) kurze Workshops für Lehrkräfte in ihren Heimatländern an. Das Konzept basiert auf den Erfahrungen der Earth Science Education Unit (Keele University, GB). Die Workshops dauern 1,5–2 h. Sie können so am Ende eines Schultages oder an einem Teil des Tages (vormittags oder nachmittags) durchgeführt werden. Sie setzen auf den Einsatz von ELIs. Die Begleit­ forschung zeigt, dass die Workshops trotz ihrer Kürze echte Auswirkungen auf die Schulpraxis haben. In 7 Abschn. 7.2 wird das Fortbildungskonzept erläutert.

7.1

Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)– praktische Aktivitäten für den geographischnaturwissenschaftlichen Schul­ unterricht und darüber hinaus

Earth Learning Ideas (ELIs) werden heute weltweit in Grundschulen, im Geographie- und Naturwissenschafts­ unterricht in der Sekundarstufe, in Universitätskursen, Outreach-Programmen und Kursen für Bürgerinnen und Bürger im Ruhestand eingesetzt. Seit dem interna­ tionalen Jahr des Planeten Erde (2008) bis heute wird alle zwei Wochen eine neue ELI auf der gleichnamigen Website veröffentlicht. In englischer Sprache sind es bald 430. Sie werden in zehn verschiedene Sprachen übersetzt, darunter auch Deutsch. Die ursprünglichen Unterrichts­ anregungen der Datenbank wurden für Lehrerfortbil­ dungsveranstaltungen der Earth Science Education Unit (Keele University, GB) ausgewählt, erprobt und evaluiert (7 Abschn. 7.2). Außerdem beteiligten sich Freiwillige aus anderen Nationen, indem sie weitere Unterrichts­

anregungen einreichten und die vorhandenen in ihre Landessprache übersetzten. Das Ergebnis ist ein Pool von spannenden Aktivitäten, die leicht in Unterrichts­ einheiten integriert werden können. Die ELIs vermitteln nicht nur Sachwissen über die Erde, sondern fordern und fördern gleichzeitig die Fä­ higkeit zum kritischen Denken. Dafür ist jede Aktivität nach den Grundsätzen des Programms Cognitive Acce­ leration through Science Education (CASE) konzipiert (Adey 1999). 77Das CASE-Programm zur Entwicklung der Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern, kritisch zu denken

Das Programm Cognitive Acceleration through Science Education (CASE) fördert nachweislich die Fähigkeiten zum kritischen Denken bei Schülerinnen und Schülern. Dies wurde durch Lehr-Lernforschungsstudien bestätigt, die erstmals 1995 veröffentlicht wurden (Adey et al., 1995). CASE basiert auf den Arbeiten der Bildungspsychologen Piaget und Vygotsky. Das CASE-Programm umfasste 30 speziell konzipierte Unterrichtseinheiten, die im Laufe von zwei Jahren im naturwissenschaftlichen Unterricht von elf- bis zwölfjäh­ rigen Kindern eingesetzt wurden. Die Effekte dieser Maß­ nahme wurden in Großbritannien anhand der nationalen Standard Assessment Tests (SATs) für 14-Jährige und der General-Certificate-of-Secondary-Education-(GCSE-) Prüfungen für 16-Jährige überprüft: Bei den SATs stieg der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Stufe 6 erreichten, in den Naturwis­ senschaften um 36 %, in Mathematik um 33 % und in Englisch um 35 %. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die GCSE-Prüfungen im Jahr 1996 bestanden, stieg um 18 % in den Naturwissenschaften, 15 % in Mathe­ matik und 16 % in Englisch. (Shayer, 1996). Bei einer Wiederholung der Untersuchung im Jahr 1999 stiegen die C-Level-Pass-Quoten beim GCSE um 26 % in den Naturwissenschaften, 29 % in Mathematik und 22 % in Englisch (Shayer, 2000) Dies sind bemerkenswerte Ergebnisse, die zeigen, dass 30 h Fachunterricht für Elf- bis Zwölfjährige zu einer deutlichen Verbesserung der Prüfungsergebnisse in allen getesteten Fächern (und vermutlich auch in nicht getesteten Fächern) führen können. Es waren diese beein­ druckenden Ergebnisse, die Schulen im gesamten Groß­ britannien ermutigten, sich der Initiative anzuschließen. Zeitweise war etwa ein Drittel der weiterführenden Schu­ len beteiligt. Aus CASE entwickelten sich die Initiative Cognitive Acceleration in Maths Education (CAME) und weitere ähnliche in anderen Fachbereichen und in der Grund­ schule. Seitdem haben Veränderungen der Regierung am britischen Lehrplan dazu geführt, dass die Initiativen fast verschwunden sind. Die Ressourcen sind heute verfügbar unter 7 https://www.letsthink.org.uk/.

-

157

7.1  •  Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)

(Messen von Kraft, pH-Wert, Temperatur usw.) (S. 14). 2. Beobachtungen (observations): Verschiedene Ak­ tivitäten (z. B. Sortieren und Klassifizieren oder Fest­ stellen von Ähnlichkeiten und Unterschieden) bieten den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, ihr Wissen und ihr Verständnis zu nutzen, um die wichtigsten Merkmale eines untersuchten Objektes oder Ereignisses zu beschreiben. Sie dienen als Aus­ gangspunkt für Untersuchungen und fördern die Formulierung von Fragen, Vorhersagen oder Hypo­ thesen (S. 16). 3. Veranschaulichungen (illustrations): Aktivitäten, die Schülerinnen und Schülern erlauben, ein Konzept oder ein Phänomen aus eigener Anschauung wahr­ zunehmen. Hierfür erhalten sie Anweisungen, die sie genau befolgen. So werden sie angeregt, über das Konzept oder Phänomen nachzudenken und ein tieferes konzeptionelles Verständnis zu erlangen. Solche Aktivitäten können auch wirkungsvoll durch eine Lehrkraft demonstriert werden (S. 17). 4. Untersuchungen (investigations): Für diese Aktivitä­ ten sollten die Schülerinnen und Schüler in der Lage sein, Entscheidungen über die Identifizierung und Manipulation von Variablen … (S. 18) sowie darüber zu treffen, wie die Untersuchung durchgeführt und die Ergebnisse interpretiert werden. Eines der Ziele des Leitfadens bestand darin, die Lehr­ kräfte zu ermutigen, von Arbeitsaufträgen, die die nied­ rigeren kognitiven Ebenen „Grundfertigkeiten“, „Beob­ achtungen“ und „Veranschaulichungen“ ansprechen, zu den höheren Ebenen der „Untersuchungen“ überzugehen. Beispiele für die Kategorie „Untersuchungen“ wurden in einer späteren Version des naturwissenschaftlichen Lehr­ planes unter dem Titel „How Science Works“ ausführlich behandelt (QCA, 2004, S. 37). 9

Die CASE-Aktivitäten basierten auf fünf Grund­ prinzipien: 1. Konkrete Vorbereitung: Die Bedingungen des Problems werden festgelegt und die Lernenden mit den Namen der Geräte, den beteiligten Materialien, den zu behandelnden Fragen usw. vertraut gemacht. 2. Konstruktion: Die Lernenden konstruieren ihre eige­ nen Argumentationsprozesse und werden ermutigt, Muster in den Daten zu erkennen. 3. Kognitiver Konflikt: Das Denken entwickelt sich als Reaktion auf die kognitive Herausforderung: Einige der Daten passen nicht in das Muster und stellen eine Herausforderung dar (cognitive dissonance ist der in den USA verwendete Begriff). 4. Metakognition: Die Reflexion über den Problemlö­ sungsprozess ist von wesentlicher Bedeutung: Die Schülerinnen und Schüler diskutieren oder reflektie­ ren individuell über die Art und Weise, wie sich ihr Denken entwickelt hat. 5. Transfer: Die entwickelten Denkmuster werden auf andere Kontexte übertragen: Die Schülerinnen und Schüler wenden das Gelernte auf neue Situationen an. 9

Wenn immer möglich, berücksichtigen die Earth Lear­ ning Ideas CASE-Prinzipien, manche nutzen alle fünf, andere weniger. 7.1.1

Der Earth-Learning-Idea-Ansatz – Überblick

Earth Learning Ideas (ELIs) verwenden eine Vielzahl von Herangehensweisen. Viele können auf der Grundlage des in Großbritannien entwickelten allgemeinen Leitfadens zur Verwendung von praktischen Unterrichtsaktivitäten im Schulunterricht den Kategorien „Grundfertigkeiten“, „Beobachtungen“, „Veranschaulichungen“ und „Unter­ suchungen“ zugeordnet werden. 77Allgemeiner Leitfaden zur Verwendung von praktischen Unterrichtsaktivitäten im Schulunterricht

Als der nationale Lehrplan für Naturwissenschaften in England und Wales zum ersten Mal veröffentlicht wurde, war die Regierung besorgt darüber, dass die Lehrkräfte den pädagogischen Wert der verschiedenen Arten von praktischen Aktivitäten, die im naturwissenschaftlichen Unterricht eingesetzt werden, nicht verstehen würden. Sie veröffentlichte daher einen Leitfaden und unterschied dafür vier Kategorien, denen die praktischen Aktivitäten zugeordnet werden konnten (NCC, 1993): 1. Grundfertigkeiten (basic skills): Aktivitäten dieser Gruppe werden genutzt zur Entwicklung der Fähig­ keit, Geräte auszuwählen und zu verwenden, Ergeb­ nisse darzustellen (Zeichnen von Diagrammen), grundlegende praktische Techniken zu erlernen

Die ELIs decken die unteren kognitiven Ebenen der Grundfertigkeiten, Beobachtungen und Veranschau­ lichung genauso wie die höheren Ebenen der Unter­ suchungen ab. Zudem nutzen die ELIs häufig Modelle. Dies ist darin begründet, dass viele Studien die Bedeu­ tung des Einsatzes von Modellen im Unterricht gezeigt haben (Harrison & Treagust, 2000; Coll et  al., 2005; Windschitl et al., 2008; Schwarz et al., 2009; Oh & Oh, 2011; Passmore & Svoboda, 2012; Krell et al., 2014), so auch speziell im geowissenschaftlichen Unterricht (Si­ bley, 2009; Jee et  al., 2010; Covitt et  al., 2015; Torres & Vasconcelos, 2016). Die meisten Modelle sind gegen­ ständlich, einige sind Schemazeichnungen (Harrison & Treagust, 2000; Gentner & Stevens, 1983; Johnson-Laird, 1983) oder auch mentale Modelle wie Gedankenexperi­ mente (Nersessian, 1992). Damit verwenden die ELIs (King, 2017) Ansätze der folgenden Kategorien (. Tab. 7.1): Grundfertigkeiten (basic skills)

-

7

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

158

..Tab. 7.1  Analyse der praktischen Aktivitäten von 350 Earth Learning Ideas

7

Kategorie

Anzahl

In Prozent

Grundfertigkeiten

 19

 5

Beobachtungen

 43

12

Illustrationen

142

41

Untersuchungen

 30

 9

Schemazeichnungen

 18

 5

Gegenständliche Modelle

159

45

Gedankenexperimente

 49

14

Nicht kategorisiert

 49

14

----

Beobachtungen (observations) Veranschaulichungen (illustrations) Untersuchungen (investigations) Gegenständliche Modelle (physical models) Schemazeichnungen (diagrammatic models) Mentale Modelle, inkl. Gedankenexperimente (mental models, inkl. thougt experiments)

Zwischen einigen dieser Kategorien gibt es Überschnei­ dungen, insbesondere zwischen der Kategorie „Veran­ schaulichung (illustrations)“ und der Kategorie „gegen­ ständliche Modelle (physical models)“, da viele Modelle zur Veranschaulichung verwendet werden. Spiele, Dis­ kussionen, Aktivitäten zu Fehlvorstellungen und solche, die sich mit berühmten Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern befassen, können keiner Kategorie zugeordnet werden. 7.1.2

Mit einer ELI kritisches Denken fördern

Ein gutes Beispiel für eine ELI, die sowohl eine Ver­ anschaulichung als auch ein gegenständliches Modell be­ inhaltet, ist High-flow, low-flow?: atmosphere and Ocean in a tank („Hoch-Strömen, Herunter-Strömen?: Atmo­ sphäre und Ozean in einem Becken)“. Diese Aktivität berücksichtigt alle CASE-Prinzipien, wenn sie richtig unterrichtet wird (Earthlearningidea-Team, 2021). Die hierfür benötigten Materialien sind leicht verfügbar (. Abb. 7.1). Für diese Aktivität gibt es ein Video, das den prakti­ schen Einsatz im Unterricht vorführt; Earthlearningidea team, 2022b). Das Skript für ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch ist hier vollständig abgedruckt (. Tab. 7.2).

..Abb. 7.1  Aufbau für „Hoch-Strömen, Herunter-Strömen?: At­ mosphäre und Ozean in einem Becken“: Ein Kunststoffbehälter, ein Rohr, heißes und eiskaltes Wasser, blauer und roter Farbstoff, Becher, ein Rührer, eine kleine Menge Milch und ein Tuch. (Foto: Chris King)

7.1.3

Beispiel für die Kategorie „Grundfertigkeiten (basic skills)“

Die ELI What happened when? Sorting out sequences using stratigraphical concepts („Was geschah wann? Sortierung von Ereignissen unter Verwendung strati­ grafischer Prinzipien“; Earthlearningidea team, 2019d) vermittelt die Nutzung stratigrafischer Prinzipien für die Ermittlung einer zeitlichen Abfolge von Ereignissen – so werden Grundfertigkeiten gefordert (. Abb. 7.2). 7.1.4

Beispiel für die Kategorie „Beobachtung (observation)“

Die ELI Urban Fieldwork – the stories from materials, colours, lines and shapes („Geländearbeit in der Stadt – die Geschichten von Materialien, Farben, Linien und For­ men“) nutzt die Hinweise auf Farben, Linien, Formen und Materialien in Verkleidungssteinen, Bodenplatten und anderen Baumaterialien, um die Geschichten ihrer Entstehung zu erzählen (Earthlearningidea team, 2019c; . Abb. 7.3). 7.1.5

Beispiel für die Kategorie „Veranschaulichung (illustration)“

Die ELI A time-line in your own backyard („Eine Zeitlinie in Ihrem eigenen Hinterhof“) veranschaulicht die Dimen­ sion der geologische Zeit anhand eines gegenständlichen Modells (Earthlearningidea team, 2020; . Abb. 7.4).

159

7.1  •  Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)

..Tab. 7.2  Skript für ein fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch zur Earth Learning Idea „Hoch-Strömen, Herunter-Strömen?: Atmosphäre und Ozean in einem Becken“ Impuls (Frage, Aktion)

Mögliche Reaktion

Begründung

Wenn wir uns im Unterricht mit der Erde befassen, verwenden wir oft prakti­ sche Aktivitäten, um etwas heraus­ finden. Mit diesem Beispiel erforschen wir die Atmosphäre und den Ozean in einem Becken



Vorbereitung, um den Bezug vom Modell zur Realität aufzuzeigen

Was ist das? – und das?

Ein Kunststoffbecken, Wasser, ein Rohr etc.

Konkrete Vorbereitung: Benennung der verfügbaren Materialien

Was passiert, wenn ich etwas Wasser koche, ihm in einem kleinen Gefäß rote Farbe hinzufüge, dies umrühre und dann das heiße rote Wasser in das senk­ rechte Rohr gieße, dort im Uhrzeiger­ sinn und gegen den Uhrzeigersinn rühre und dann das Rohr entferne? Diskutiere dies mit einem Tischnach­ barn oder einer Tischnachbarin und schlage verschiedene Antworten vor. Erkläre deine Logik

Das rote Wasser steigt auf und schwappt über die Oberseite des Beckens (es hat eine geringere Dichte als das Wasser im Becken). Rot steigt auf, schwappt über und sinkt dann unter Bildung einer Konvektions­ strömung. Das rote Wasser bleibt in einer Säule (gleiche Dichte wie das Wasser im Becken). Das rote Wasser verteilt sich allmählich über das Wasser im Becken (gleiche Dichte wie das Wasser im Becken)

Konkrete Vorbereitung: Erklären, was zu tun ist, und die Handgriffe andeuten Konstruktion: Ideen sammeln Metakognition: Begründen der Antworten

Führe die Aktivität durch

Beobachtung: Das rote Wasser breitet sich im oberen Bereich des Wasserkörpers im Becken aus



Was passiert, wenn ich etwas eisgekühl­ tes Wasser nehme und das Eis entferne, ihm in einem kleinen Gefäß blaue Farbe hinzufüge, umrühre und dann das kalte blaue Wasser in das senkrechte Rohr gieße, dort im Uhrzeigersinn und gegen den Uhrzeigersinn rühre und dann das Rohr entferne? Diskutiere dies mit einem Tischnach­ barn oder einer Tischnachbarin und schlage verschiedene Antworten vor. Erkläre deine Logik

Das blaue Wasser sinkt, fließt über den Boden des Beckens und prallt an der anderen Seite ab (geringere Dichte als das Wasser im Becken). Das blaue Wasser bleibt in einer Säule. Das blaue Wasser verteilt sich allmählich im Wasser des Beckens

Konkrete Vorbereitung: Erklären, was zu tun ist, und die Handgriffe andeuten. Konstruktion: Ideen sammeln Metakognition: begründen der Antworten

Führe die Aktivität durch

Beobachtung: Das blaue Wasser breitet sich am Boden des Wasserkörpers im Becken aus



Was passiert, wenn ich etwas Milch in das senkrechte Rohr gieße, dort im Uhr­ zeigersinn und gegen den Uhrzeigersinn rühre und dann das Rohr entferne? Diskutiere dies mit einem Tischnach­ barn oder einer Tischnachbarin und schlage verschiedene Antworten vor. Erkläre deine Logik

Milch enthält Fett – fließt über die Ober­ seite des Beckens. Milch ist dichter als kaltes Wasser, fließt über den Boden des Beckens. Milch ist dichter als Wasser bei Raum­ temperatur, aber nicht so dicht wie kaltes Wasser – fließt über die blaue Schicht. Milch verteilt sich allmählich über das Becken

Kognitiver Konflikt: Diskussion über eine unbekannte Flüssigkeit auf der Grundlage früherer Erfahrungen Konstruktion: Ideen sammeln Metakognition: Begründen der Antworten

Führe die Aktivität durch

Beobachtung: Milch fließt über den Boden im Becken, prallt an der Seite ab und kehrt zurück



Schlussfolgerung

Die Vorgänge werden durch Dichteunter­ schiede angetrieben



7

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

160

..Tab. 7.2 (Fortsetzung) Impuls (Frage, Aktion)

Mögliche Reaktion

Begründung

Vergleich Modell und Wirklichkeit

Übertragung auf Ozeane (und Seen) – Flüssigkeiten Übertragung auf die Atmosphäre – Gase Übertragung auf die feste Erde – Feststoffe

Transfer: Übertragung der Erkenntnisse auf neue Situationen

Schlussfolgerung

Du dachtest, dies sei ein Wasserbecken – aber es ist ein Modell der ganzen Erde



Welche Denkstrategien haben wir ver­ wendet?

Konkrete Vorbereitung Konstruktion Kognitiver Konflikt Metakognition Transfer

Metakognition: Das eigene Denken reflektieren

7

..Abb. 7.2  Schematische Darstellung eines Straßenabschnittes, bei dem die Asphaltdecke mehrmals für Bauarbeiten aufgerissen und wieder verschlossen wurde. (Diagramm: Earth Science Education Unit)

Die in 7 Abschn. 7.1.2 beschriebene ELI High flow, low flow?: atmosphere and ocean in a tank ist ein weiteres gutes Beispiel für die Veranschaulichung von Phänome­ nen der Erde anhand eines gegenständlichen Modells. 7.1.6

Ein Beispiel für die Kategorie „Untersuchung (investigation)“

Die ELI Will my gravestone last?’ („Wird mein Grabstein halten?“) fordert von den Schülerinnen und Schülern,

eine Reihe von Hypothesen durch eine Untersuchung von Grabsteinen zu überprüfen (. Abb. 7.5; Earthlear­ ningidea team, 2019c): Sandsteine verwittern schneller als Granite. Nach Westen gerichtete Seiten von Grabsteinen ver­ wittern schneller als nach Osten gerichtete. Grabsteine unter Bäumen verwittern schneller als solche im Freien. Die Basis von Grabsteinen verwittert schneller als der obere Teil.

--

7.1  •  Die Erde erforschen mit Earth Learning Ideas (ELIs)

161

..Abb. 7.3  Die weiße Farbe in den Bodenplatten zeigt, dass es sich um reines Kalziumkarbonat (Marmor) handelt. Der rote Marmor wird durch Eisen gefärbt, ist also weniger rein. (Foto: Chris King)

..Abb. 7.5  Schülerinnen und Schüler untersuchen Grabsteine im Schneegestöber. (Foto: Peter Kennett)

..Abb. 7.4  An einer Schnur in zeitlicher Abfolge hängende Karten veranschaulichen die Entwicklung des Lebens auf der Erde. (Foto: Peter Kennett)

Eine weitere Untersuchung, die ein gegenständliches Modell verwendet, ist die ELI Sedimentary structures – graded bedding („Sedimentäre Strukturen – gradierte Schichtung“; . Abb.  7.6; Earthlearningidea team, 2019b). 7.1.7

Ein Beispiel für die Kategorie „Modelle (models)“

Die ELI The Earth time jigsaw puzzle („Das Erdzeitalter­ puzzle“) erfordert von den Schülerinnen und Schülern, die Reihenfolge von Illustrationen zu ordnen, um zu mo­ dellieren, wie sich die Kontinente im Laufe der Zeit be­ wegt haben (. Abb. 7.7; Earthlearningidea team, 2019e). Viele ELIs verwenden gegenständliche Modelle, sodass hier eine Vielzahl von weiteren Beispielen aus­

..Abb. 7.6  Ein Glas mit gemischtem Sediment nach dem Schütteln und Absetzen lassen – das Glas kann auf verschiedene Weise geschüt­ telt werden, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen. (Foto: Peter Kennett)

gewählt werden könnte. Die ELI Investigating smallscale sedimentary processes AND modelling mighty rivers („Untersuchung kleinräumiger Sedimentationsprozesse UND Modellierung mächtiger Flüsse“) arbeitet auf zwei Ebenen: Sie ermöglicht eine Untersuchung der Sedimentbewegung (einschließlich verschiedener Arten von Kornbewegungen, verzweigter Strömung, Bildung

7

162

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

7

..Abb. 7.7  Die richtige Reihenfolge im „Erdzeitpuzzle“. (Illustration: Earth Science Education Unit)

von Mikrodeltas) und modelliert aber auch Flusspro­ zesse in größerem Maßstab (wie die verzweigte Strö­ mung am Beispiel des Ganges und die Deltabildung, wie das Gangesdelta; . Abb. 7.8; Earthlearningidea team, 2019a).

7.1.8

Ein Beispiel für die Kategorie „Gedankenexperimente (thought experiment)“

Die ELI All powerful („Allmächtig“) fragt, welche Ab­ folge von Handlungen eine „allmächtige“ Figur vor­ nehmen müsste, um eine geologische Szene, wie die in . Abb. 7.9 nachzubilden. In der Regel beginnen Abfol­

7.2  •  Kurze und effektive Fortbildungs­workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie

..Abb. 7.8  Sedimentbewegung in einer Rinne und ein Fluss / Delta­ modell. (Foto: Chris King)

gen mit dem Ablagern von Material auf einer horizonta­ len Fläche (Earthlearningidea team, 2019f). 7.1.9

..Abb. 7.9  Nachdenken darüber, wie man den Dekkan-Trapp in In­ dien „nachbilden“ könnte. (Foto: Chris King)

7.2

ELI around the world

Das Online-Portal „Earth Learning Ideas“ wird weltweit genutzt, mit bisher mehr als 4,5 Mio. Downloads, d. h. 45.000 pro Monat, die aus mehr als 200 Ländern abge­ rufen wurden. Das Diagramm der Übersetzungen zeigt bisher mehr als 1100 in zwölf Sprachen (7 https://www. earthlearningidea.com/home/ELI_around_the_world. html). Bilder von ELIs im Einsatz finden Sie in der Fo­ togalerie (7 https://www.earthlearningidea.com/home/ Photo_gallery.html). Dieser Text wurde während des Corona-Lockdown geschrieben, was die Frage aufwirft, ob praktische Un­ terrichtsaktivitäten wie die ELIs im Online-Unterricht verwendet werden können. Da die oben beschriebene Aktivität „Atmosphäre und Ozean“ im Online-Unter­ richt unter Verwendung des Frageskripts in . Tab. 7.2 eingesetzt wurde, wobei geeignete Lücken für Über­ legungen und Gedanken gelassen wurden, ist die Ant­ wort eindeutig positiv. Die Schlussfolgerung scheint zu sein, dass die Verwendung von Ansätzen wie ELIs alle Formen des geowissenschaftlichen Lehrens und Lernens verbessern kann. Dies war sicherlich die Er­ fahrung der Earth Science Education Unit (ESEU), die in 7 Abschn. 7.2.1 beschrieben wird. Untersuchungen zeigten, dass von allen Schulen, die nach einem Work­ shopbesuch der ESEU, bei dem ELIs eingesetzt wurden (33 %), diese in ihren Lehrplan aufgenommen haben (Lydon & King, 2009).

163

Kurze und effektive Fortbildungs­ workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie sowie für angehende Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst

Aus der Lehr-Lernforschung wissen wir, dass die folgen­ den von Adey (2004, S.  194) identifizierten Faktoren, wenn sie bei einer Fortbildungsveranstaltung für Lehr­ kräfte berücksichtigt werden, das Lehren und Lernen tatsächlich beeinflussen können: Die Innovation beruht auf einer angemessenen theo­ retischen Grundlage. Die Innovation führt Methoden ein, die nachweislich wirksam sind. Die Innovation wird durch qualitativ hochwertige Unterrichtsmaterialien unterstützt. Die Fortbildung beruht auf denselben Lehrmetho­ den, die Gegenstand der Innovation sind. Die Lehrkräfte arbeiten in einer Gruppe, um Erfah­ rungen auszutauschen. Die Lehrkräfte kommunizieren untereinander effek­ tiv über die Innovation. Die Lehrkräfte haben die Möglichkeit, ein Gefühl der Vertrautheit für die Innovation zu entwickeln. Die Lehrkräfte werden dabei unterstützt, ihre Über­ zeugungen über Lehren und Lernen zu hinterfragen.

-

Da jeder dieser Faktoren nachweislich in die von der ESEU entwickelten Initiativen zur beruflichen Weiterbildung (Ly­ don & King, 2009) einfließt, erklärt dies wahrscheinlich die erfolgreiche Wirkung der Initiative in allen Teilen Groß­ britanniens (King & Thomas, 2012; King, 2017) und im letzten Jahr in ganz Europa und darüber hinaus (Correia et al., 2020). Näheres wird in 7 Abschn. 7.3 dargelegt.

7

7

164

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

7.2.1

Einzelheiten zu den Workshops

Die ESEU wurde 1999 in Großbritannien an der Univer­ sität Keele mit finanzieller Unterstützung der Ölindus­ trie gegründet. Frühere Untersuchungen (King 2001) hatten gezeigt, dass die geowissenschaftlichen Inhalte des nationalen Lehrplanes für Naturwissenschaften in Großbritannien von Lehrkräften unterrichtet wurden, von denen 99 % keine Fachleute für Geowissenschaften waren, während 63 % überhaupt keine Ausbildung in Geowissenschaften erhalten hatten. Infolgedessen war der Anteil an praktischer Arbeit, den sie in ihrem Un­ terricht einsetzten, gering und der Anteil an praktischen Aufgaben sogar noch geringer. Die Hauptunterstützung, die diese Lehrkräfte für ihren geowissenschaftlichen Un­ terricht nutzten, waren naturwissenschaftliche Schulbü­ cher, und sie erhielten Unterstützung von ihren Kollegin­ nen und Kollegen. Dies ergab eine Regierungserhebung (CST, 2000). Die Daten zeigen, dass die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen nur wenig mehr Ausbildung in Geowissenschaften und deren Vermittlung erhalten hatten als sie selbst. Spätere Analysen bezüglich der Qualität der geowis­ senschaftlichen Inhalte der damals verwendeten Schul­ bücher zeigten große Variabilität, wobei die geowissen­ schaftlichen Inhalte im Allgemeinen schlecht abgedeckt wurden. Pro Schulbuchseite wurde durchschnittlich ein Fehler pro Seite gefunden (King, 2010). Die Unter­ suchung zeigte auch (King, 2001), dass die Lehrkräfte selten geowissenschaftliches Fachmaterial verwendeten und nur sehr selten an beruflicher Weiterbildung in den Geowissenschaften teilnahmen, obwohl 49 % an mehr Unterstützung für ihren geowissenschaftlichen Unter­ richt interessiert waren. Um diesem Bedarf an beruflicher Weiterbildung gerecht zu werden, hat die ESEU eine Reihe von Work­ shops entwickelt, die auf die geowissenschaftlichen Inhalte des nationalen britischen Lehrplanes für die Sekundarstufe (High School) ausgerichtet sind. Jeder Workshop war so konzipiert, dass er 1,5–2 h dauerte und am Ende eines Schultages oder an einem Teil des Tages (vormittags oder nachmittags) durchgeführt werden konnte. Dies ist die Zeit, die Schulen und Lehr­ kräfte für diese berufliche Weiterbildung aufbringen konnten. Die Workshops wurden sorgfältig entwickelt: Sie konzentrieren sich auf Materialien für den natur­ wissenschaftlichen Lehrplan. Sie beginnen mit einer Einstiegsaktivität, um die Teil­ nehmenden zu motivieren und einzustimmen. Sie bieten für die Vermittlung der naturwissenschaft­ lichen Lehrplaninhalte praktische Aktivitäten an. Die praktischen Aktivitäten sind bewusst so gestaltet, dass sie das kritische Denken von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern fördern und gleichzeitig deren Wissen und Verständnis erweitern.

-

..Tab. 7.3  Das Programm für den ESEU-Workshop „Der dynamische Gesteinskreislauf“ Plenum: Praktische Einstiegsaktivität

Produkte und Prozesse des dynamischen Gesteinskreislaufes*

Arbeitsteilige Arbeit an Stationen in Kleingruppen, Präsentation der erprobten Aktivitäten mit Diskussion durch die Work­ shopleitung

1: Verschiedene Arten der Verwitterung – Aufbrechen oder Abbauen der Gesteine 2: Erosion und Transport – Widerstands­ fähigkeit der Gesteine 3: Ablagerung – die Bewegung von Sand in fließendem Wasser* 4: Verdichtung und Zementierung – von Sand zu Gestein* 5: Metamorphose – Nachweis der Ver­ zerrung 6: Kristallisation – schnelle oder langsame Abkühlung, große oder kleine Kristalle 7: Extrusion – Erstarrungsgestein „im Labor“ 8: Verformung – Mache deine eigenen Falten und Verwerfungen*

Plenum: Konsolidierende Aktivität

Vulkan im Labor*

* In Abbildungen dargestellte Aktivitäten.

-

Die Lehrkräfte sind in kleinen Gruppen gefordert, die Aktivitäten selbst zu testen und sie dann den übrigen Teilnehmenden vorstellen. So kann jede Lehrkraft die Durchführung jeder Aktivität entweder aus erster oder zweiter Hand erfahren. Sie geben jeder Lehrkraft Gelegenheit, sich zu jeder Aktivität zu äußern, zu den Kenntnissen und dem Verständnis, das sie entwickeln kann, zu ihrem Po­ tenzial für den Unterricht sowie zu Aspekten der Gesundheit, der Sicherheit, des Zuganges zu den Geräten und Materialien usw. Die Workshopleitung erweitert den Lernprozess durch die Besprechung der didaktischen Aspekte der Aktivitäten und einer Diskussion der Fehlvor­ stellungen. Die Veranstaltung schließt mit einer Plenumsaktivität zur Festigung des Verständnisses ab.

-

Ein Beispiel für einen Workshop zum Thema „Der dy­ namische Gesteinskreislauf“ ist in . Tab. 7.3 dargestellt (. Abb. 7.12–7.15). Während der Corona-Pandemie wurden die ESEUWorkshops als Online-Versionen konzipiert. Hierbei wurden Videos der Aktivitäten in Aktion in eine Power­ Point-Präsentation eingearbeitet. Der Workshop „Dyna­ mischer Gesteinskreislauf“ kann von der Earth-Lear­

7.2  •  Kurze und effektive Fortbildungs­workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie

165

..Abb. 7.10  Die Earth-­ Learning-­Idea-­Webseite

ning-Idea-Website (7 https://www.earthlearningidea. com/home/Teaching_videos_workshops.html) herun­ tergeladen werden (. Abb. 7.10). Dort gibt es auch das vollständige Begleitheft zum Workshop (7 https://www. earthlearningidea.com/PDF/DRC_online_booklet.pdf; . Abb. 7.11). Zusätzlich wurde jede der Aktivitäten se­ parat als ELI und auf der Earth-Learning-Idea-Website veröffentlicht. Alle Aktivitäten können über die Such­ maschine der Website gefunden werden, wo derzeit fast 400 Aktivitäten auf Englisch und mehr als 70 Aktivitäten auf Deutsch zu finden sind. Die Workshops wurden auf Lehrkräfte der Primar­ stufe (Grundschule) und Schottland ausgeweitet und wurden in den letzten 20 Jahren von mehr als 40.000 Teil­ nehmenden in ganz Großbritannien besucht. Zwischen 1999 und 2015 wurden sie von der ESEU mit finanziel­ ler Unterstützung durch die UK Offshore Operators Association (UKOOA), später Oil and Gas UK, durch­ geführt. Als die Finanzierung der ESEU im Jahr 2015 auslief, wurden sie mit den verbleibenden Mitteln vom Ausschuss Building Earth Science Education Resilience (BESER) fortgesetzt, der die Workshops im tick overModus durchführte. Als diese Finanzierung auslief,

ging die Verantwortung für die Workshops an die Earth Science Teachers’ Association (ESTA) über, die von der Warwickshire Geological Conservation Group (WGCG) finanziert wurde. Es gab Pläne, ESTA-Mitglieder zu Regional Earth Educators auszubilden, die die Workshops auf freiwilliger Basis in ihren lokalen Gebieten durch­ führen sollten. Diese Ausbildung wurde zunächst auf­ grund der Corona-Pandemie verschoben. 77Die Field Officer-Initiative

Die European Geosciences Union (EGU) initiierte 2019 die Initiative Geoscience Education Field Officer (GEFO) zur Ausbildung und Beauftragung von Field Officers für geowissenschaftliche Bildung in Europa. Diese Initiative wurde von der International Geoscience Education Or­ ganisation (IGEO) mit finanzieller Unterstützung der International Union for Geological Sciences (IUGS) erweitert, um weitere Field Officers außerhalb Europas auszubilden. Vier EGU-Field Officers und zwei IGEO/ IUGS-Field Officers wurden 2019 ernannt und haben im Pilotjahr zusammen fast 400 Lehrkräfte fortgebildet (Realdon et al., 2022). 2022 wurden weitere Field Officers ausgebildet. 9

7

166

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

..Abb. 7.11  Die Broschüre für den Workshop „Dynamischer Gesteinskreislauf“

7

7.2.2 Evaluationsergebnisse

Nach den Workshops werden die Teilnehmenden jeweils gebeten, Fragebögen auszufüllen, in denen sie Infor­ mationen über ihren Hintergrund (praktizierende oder angehende Lehrkraft, Primar- oder Sekundarstufe) an­ geben und das „Interesse“ am Workshop auf einer Li­ kert-Skala von 1 (niedrig) bis 5 (hoch) einstufen, wobei eine offene Frage zu weiteren Kommentaren einlädt. Die Rückmeldungen waren im Allgemeinen ausgezeichnet, wie weiter unten gezeigt wird. Eine solche Rückmeldung nach einem Workshop wird von Forschenden auf dem Gebiet der beruflichen Fort-

und Weiterbildung als ein schlechter Anhaltspunkt dafür angesehen, dass tatsächlich Veränderungen im Lehren und Lernen initiiert wurden (Muijs et al., 2004), kann aber eine wichtige Voraussetzung für positive Ergebnisse auf anderer Ebene sein (Guskey, 2000). Um herauszufinden, ob sich die ESEU-Workshops tatsächlich auf den Unter­ richt in den Schulen ausgewirkt haben, führte die ESEU daher eine Umfrage durch, für die sie alle Schulen, die im Schuljahr 2003/2004, also ein Jahr nach dem Workshop, an den Workshops für den Sekundarbereich teilgenommen hatten, kontaktierte und sie aufforderte, eine Rückmeldung zu den Auswirkungen der Workshops in ihren Schulen zu geben und insbesondere mitzuteilen, ob die Schule ihr

7.2  •  Kurze und effektive Fortbildungs­workshops für Lehrkräfte der Naturwissenschaften und der Geographie

167

..Abb. 7.14  Deformation (Foto: Sylke Hlawatsch)

..Abb. 7.12  Produkte und Prozesse des Gesteinskreiskreislaufes (Foto: Earthlearningidea Team)

..Abb. 7.13  Kompaktion und Zementation (Foto: Earthlearningi­ dea Team ) ..Abb. 7.15  Vulkan im Labor. (Foto: Chris King)

Unterrichtsschema (Scheme of Work) im Sinne des Work­ shops geändert hatte (Lydon & King, 2009). Diese Umfrage wurde für das Schuljahr 2007/2008 wiederholt. Beide Um­ fragen zeigen erhebliche Auswirkungen auf den Unterricht, allerdings 2003/2004 stärker als 2007/2008 (. Tab. 7.4). Eine mögliche Erklärung für den Unterschied bei den Veränderungen des Scheme of Work (SoW) zwischen den beiden Forschungsphasen war, dass die Workshop­ aktivitäten während der Erhebung 2003/2004 zuvor nur selten von den Lehrkräften genutzt wurden, was jedoch während der Erhebung 2007/2008 nicht der Fall war, da einige der Aktivitäten bereits von den teilnehmenden Schulen genutzt wurden.

zz Post-Workshop-Rückmeldungen, Großbritannien

. Tab. 7.5 zeigt, dass in den 20 Jahren seit 1999 mehr als 2000 Besuche bei Einrichtungen in Großbritannien stattgefunden haben, wobei einige Besuche mehr als einen Workshop umfassten. Die Tabelle zeigt auch die Verände­ rung von einem Fokus auf praktizierende Lehrkräfte in Schulen hin zu einem Fokus auf angehende Lehrkräfte (. Abb. 7.16). Im Jahr 2015 besuchte die ESEU mehr als die Hälfte der Ausbildungseinrichtungen für Sekundar­ schullehrkräfte in England und Wales. Die Aufrechterhal­ tung dieser jährlichen Buchungen zeigt den hohen Wert,

7

168

7

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

..Tab. 7.4  Daten zur Untersuchung der Auswirkungen der Workshops. (Lydon & King, 2009)

..Tab. 7.5  Workshopinitiative in Großbritannien, einschließ­ lich England, Nordirland, Schottland und Wales

Details

Jahr

Träger

Anzahl der Besuche

Lehrkräfte im Beruf

Lehrkräfte in Ausbildung

Lehrkräfte gesamt

1999/2000

ESEU

  47

   360

   197

   557

Auswirkungen der Workshops nach einem Jahr 2003/2004 Workshops in Schulen

2007/2008 Workshops in Schulen

Methode

Fragebogen per Post

Online-­ Fragebogen

2000/2001

ESEU

  54

   403

   342

   745

2001/2002

ESEU

  74

   551

   542

   1093

Anzahl der Rückmel­ dungen

   15/46 (33 %)

   10/32 (31 %)

2002/2003

ESEU

  93

   660

   357

   1017

2003/2004

ESEU

 119

   931

   955

   1886

2004/2005

ESEU

 180

   1598

   908

   2506

2005/2006

ESEU

 125

   865

   1215

   2080

Frage: „Wurden infolge der ESEU-Workshops Änderungen am schulinternen Fachcurriculum (Scheme of Work, SoW) vorgenommen?“ SoW verändert

   13/15 (87 %)

   7/10 (70 %)

2006/2007

ESEU

  87

   478

   1230

   1708

SoW Änderung geplant

   1/15 (7 %)



2007/2008

ESEU

 131

   864

   1466

   2330

SoW Änderungen war nicht möglich/erlaubt

   1/15 (7 %)

   1/10 (10 %)

2008/2009

ESEU

 135

   760

   1804

   2564

2009/2010

ESEU

 192

   835

   2511

   3346

Workshopinhalte passten nicht zum SoW, keine Änderung geplant



   1/10 (10 %)

2010/2011

ESEU

 192

   1006

   2640

   3646

2011/2012

ESEU

 153

   717

   3180

   3897

2012/2013

ESEU

 153

   855

   2775

   3630

Kein Kommentar



   1/10 (10 %)

2013/2014

ESEU

 136

   571

   2558

   3129

Gesamt geplante und vollzogene Änderungen des SoW

   14/15 (94 %)

   7/10 (70 %)

2014/2015

ESEU

 121

   542

   1955

   2497

Sep./Dez. 2015

ESEU

  53

   282

   1000

   1282

Jan.–Aug. 2016

Keele Uni­ versity

Keine Daten

2016/2017

BESER

  48

    70

   996

   1066

2017/2018

BESER

  30

    22

   637

   659

2018/2019

BESER

  31

    38

   535

   658

2019–Feb. 2020

ESTA

  27

   157

   645

   802

2161

12.565

28.448

41.013

den die betroffenen Ausbildenden den ESEU-Workshops beimessen. Bedauerlicherweise gingen diese Buchungen zurück, als die ESEU geschlossen wurde. Die Rückmeldungen zeigen, dass das Interesse an den Workshops, während der gesamten Initiative sehr groß war. Die empirischen Daten werden durch Kommentare in offenen Antwortformaten gestützt. Interessanterweise zeigten die zwischen 2003/2004 und 2014/2015 erhobenen Daten, dass das Interesse der praktizierenden Lehrkräfte deutlich höher war als das der angehenden Lehrkräfte (. Tab.  7.6). Der Grund dafür ist unklar, hängt aber möglicherweise damit zu­ sammen, dass praktizierende Lehrkräfte aufgrund ihrer längeren Unterrichtserfahrung eine größere Wertschät­ zung haben. Die empirischen Daten werden durch Kom­ mentare in offenen Antwortformaten gestützt. 77Auswahl der positiven Antworten für die Workshops in Großbritannien 2019/2020 (verschiedene Workshopleitungen)

„Von keinem Interesse an Geowissenschaften/Geologie zu großem Interesse!“ – DT „Viel interessanter, als ich den Gesteinskreislauf in der Schule in Erinnerung habe.“ – DT

Summe

ESEU = Earth Science Education Unit, BESER = Building Earth Science Education Resilience, ESTA = Earth Science Teachers’ Association. Das Studienjahr 2019/2020 wurde durch die Corona-Pandemie unterbrochen.

„Wirklich fantastischer Workshop – eine der besten und nützlichsten Uni-Sitzungen, die wir je hatten.“ – PK/DT „Danke für Ihre Leidenschaft und Ihren Enthusiasmus – das ist ansteckend“ – PK/DT „Mir ist wirklich klar geworden, wie man Steine für Kinder lustig und ansprechend thematisieren kann.“ – DB „Ich hatte viel Spaß. Sehr informativ und nützlich!“ – DB „Ich habe viel gelernt, was ich vorher nicht wusste. Es war eine großartige Sitzung. Danke.“ – SL

169

7.3  •  Diskussion

..Abb. 7.16  Anzahl der an den ESEU-Workshops teilnehmenden praktizierende Lehrkräfte und der Lehrkräfte in Ausbildung (1999/2020)

..Tab. 7.6  Durchschnittliches „Interesse“ – Likert-Skala 5 (hoch) bis 1 (niedrig) –, angegeben von praktizierenden und angehenden Lehrkräften, 2003–2015 Akademisches Jahr

Praktizierende Lehrkräfte

Lehrkräfte in Ausbildung

Lehrkräfte gesamt

2003/2004

4,39

4,22

4,31

2004/2005

4,54

4,27

4,35

2005/2006

4,44

4,28

4,31

2006/2007

4,65

4,26

4,29

2007/2008

4,49

4,16

4,30

2008/2009

4,49

4,34

4,37

2009/2010

4,32

4,30

4,30

2010/2011

4,61

4,30

4,34

2011/2012

4,51

4,33

4,35

2012/2013

4,48

4,36

4,38

2013/2014

4,49

4,35

4,36

2014/2015

4,35

4,43

4,43

Mean of means

4,48

4,30

4,34

„Hervorragende Interaktivität – ich konnte mich an einige Details erinnern, die ich vielleicht aus der Schule vergessen hatte. Spannende und lustige Veranstaltung – ich habe viel gelernt.“ – CK 9

zz Post-Workshop-Rückmeldungen, Europa und Welt

Das Pilotjahr der Einführung von Workshops, die von geschulten und ernannten Field Officers in ihren eigenen Ländern und Sprachen durchgeführt wurden, wurde leider durch die Corona-Pandemie im März 2020 unter­ brochen. Die vor der Unterbrechung gesammelten Daten sind jedoch in . Tab. 7.7 aufgeführt.

7.3 Diskussion

Die Begleitforschung zeigt, dass die Workshops trotz ihrer Kürze (90 min–2 h) echte Auswirkungen auf den Unterricht in den Schulen haben. Lydon und King (2009) erklären diesen Effekt wie folgt:

» „[The workshops] include the transmission of practi­

cal science teaching ideas (and fostering of skills and confidence in using them, with the associated building of knowledge and understanding), where training is de­ livered by a well-trained provider, within a well-struc­ tured workshop which provides opportunities for ex­ ploration, practice and peer feedback.“ (Lydon & King, 2009, S. 81)

Diese Ergebnisse über die Auswirkungen von Kurzwork­ shops werden durch die Forschung in anderen Bereichen der wissenschaftlichen Weiterbildung unterstützt (Ben­ nett et al., 2010; Scott et al., 2010). Sowohl die Evaluationsforschung als auch die Wir­ kungsforschung zeigen, dass die beschriebene Work­ shopstrategie den Unterricht in einer Weise verändert, die von den Lehrkräften als effektiv angesehen wird. Dies könnte daran liegen, dass die Workshops die von Adey (2004, S. 194) in seiner Übersicht über Initiativen zur beruflichen Entwicklung aufgeführten Faktoren berück­ sichtigen: Die Innovation verfügt über eine angemessene theoretische Grundlage: Viele der Workshopaktivitäten zielen darauf ab, die Denkfähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu entwickeln, und basieren auf dem Ansatz Cognitive Acceleration through Science Education (CASE; Adey et al., 1995). Die Innovation führt Methoden ein, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist: Die verwendeten Aktivitäten

-

-

7

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

170

..Tab. 7.7  Rückmeldungen zur Field Officer-Initiative, einschließlich Frankreich, Indien, Italien, Portugal und Spanien. (Daten aus Correia et al., 2020) Akademisches Jahr

Träger*

Anzahl der Besuche

Anzahl praktizierender Lehrkräfte

Anzahl Lehrkräfte in Ausbildung

Lehrkräfte gesamt

Interesse** Mittelwert

2019–Feb. 2020

EGU and IGEO/IUGS

21

359

19

379

4,79

* EGU = European Geosciences Union, IGEO = International Geoscience Education Organisation, IUGS = International Union of Geological Sciences. ** Likert-Skala: 5 (hoch) bis 1 (niedrig). Das Studienjahr 2019/2020 wurde durch die Corona-Pandemie unterbrochen.

7

wurden in einer Reihe von Unterrichts- und Lehrer­ ausbildungssituationen getestet, und die Wirkungs­ forschung hat Veränderungen in den Unterrichts­ strategien der Schulen nachgewiesen. Die Innovation wird durch hochwertige Materialien unterstützt: Zu jedem Workshop gibt es eine Power­ Point-Präsentation, die den Workshop leitet, und eine Broschüre mit allen Hintergrundmaterialien für die Lehrkräfte, einschließlich „der Antworten“. In jüngs­ ter Zeit wurden alle Aktivitäten einzeln beschrieben, mit dem Unterstützungsmaterial für Lehrkräfte und auf der ELI-Website veröffentlicht. Die Website ent­ hält nun mehr als 350 Aktivitäten, wobei alle zwei Wochen eine neue Aktivität hinzukommt; die welt­ weiten PDF-Downloads der Materialien nähern sich 5 Mio. (7 Abschn. 7.1). Das Programm verwendet Methoden, die die einzuführenden Unterrichtsmethoden widerspiegeln: Die praktischen Aktivitäten können direkt am nächsten Tag im Klassenzimmer umgesetzt werden. Die Lehrkräfte arbeiten in Gruppen zusammen, um Erfahrungen auszutauschen: In der Regel verbringt jede Gruppe von Lehrkräften einen Teil des Workshops mit der Arbeit an einer bestimmten Aktivität. Die Lehrkräfte kommunizieren untereinander effektiv über die Innovation: Sie testen die ihnen zugewiesene Aktivität und „lehren“ sie dann allen Anwesenden interaktiv. Die Lehrkräfte erhalten die Möglichkeit, ein Gefühl der Eigenverantwortung für die Innovation zu entwickeln: Diese Methodik erhöht die Eigenverantwortung für jede einzelne Aktivität, aber diese Eigenverant­ wortung wächst und umfasst alle Aktivitäten, wenn sie gezeigt, diskutiert und als Plattform für weiteres Lernen genutzt werden. Die Lehrerkräfte werden dabei unterstützt, ihre Überzeugungen über das Lehren und Lernen zu hinterfragen: Die Workshopleitung hebt am Ende jeder Präsentation die wichtigsten Lehrpunkte hervor, weist auf (gezeigte oder potenzielle) Missverständ­ nisse hin und diskutiert die Relevanz der Aktivität für geowissenschaftliche Prozesse und deren Produkte in

-

der „realen Welt“. Wo immer möglich, wird ein tief­ greifender Frageansatz verwendet (King, 2017). Ein Grund für den Erfolg der kurzen ESEU-Workshops könnte in ihrer fachspezifischen Natur liegen. Adey be­ merkte in seinem Bericht:

» „In der Forschungsliteratur zur beruflichen Entwicklung

wird der einmalige ‚INSET-Tag‘ als Methode zur Herbei­ führung echter Veränderungen in der Unterrichtspraxis allgemein verurteilt“,

fügte dann aber hinzu:

» „Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist vielleicht die

Einführung einer sehr spezifischen technischen Fähigkeit, wie die Verwendung einer Software.“ (Adey, 2004, S. 161).

Die ESEU-Forschung deutet darauf hin, dass diese Aus­ nahme auf den Transfer praktischer wissenschaftlicher Unterrichtsideen ausgeweitet werden sollte, wie in den ESEU-Workshops. 7.4 Schlussfolgerung

Fazit Earth Learning Ideas nutzen die Erde als Kontext für den naturwissenschaftlichen Unterricht; sie bereichern Geographieunterricht und verbessern den Unterricht in der Primarstufe. Mit einer Vielzahl von Methoden modellieren und untersuchen sie Prozesse im System Erde und fördern gleichzeitig das kritische Denken. Sie sind kostenlos online verfügbar und können für Ihren Unterricht in Schulen und an außerschulischen Lern­ orten verwendet werden. Warum probieren Sie nicht selbst einige von ihnen aus? Sie verwenden nur ein­ fache Geräte und Materialien, die Sie wahrscheinlich zu Hause oder in der Schule haben, und es dauert nur wenige Minuten, sie zu testen. Dies ist die beste Art, Learning by Doing zu betreiben.

171

Literatur

Das vorgestellte nachweislich erfolgreiche Work­ shopkonzept für kurze Lehrkräftefortbildungsver­ anstaltungen setzt auf den Einsatz von Earth Learning Ideas. Es kann als Beispiel und Anregung dienen für künftige nationale Programme zur geowissenschaftli­ chen Fortbildung von Lehrkräften. Es zeigte sich, dass die Workshops besonders effektiv sind, wenn sie da­ rauf abzielen, den Unterricht unter Berücksichtigung der vorhandenen Lehrpläne zu verbessern, aber sie können auch viel breiter anwendbar sein. Die Initiative für geowissenschaftliche Workshops, die ursprünglich von der ESEU entwickelt wurde und nun auf breiterer Ebene umgesetzt wird, legt nahe, dass die folgenden Merkmale erforderlich sind, da­ mit ein solches Programm messbare Auswirkungen auf den Unterricht in Schulen hat (Liste nach King & Thomas, 2012, S. 34). Der Inhalt der Workshops sollte sich auf nationale Lehrpläne oder auf nationale Standards beziehen. Es müssen entsprechende Materialien und Aktivi­ täten gefunden oder entwickelt werden, die für die Workshops verwendet werden können. Lehrkräfte sollten an der Entwicklung der Work­ shops beteiligt sein. Die Workshopmaterialien sollten praxisnah und interaktiv sein und sich leicht in Klassenzimmern und Fachräumen umsetzen lassen. Die Materialien sollten gut aufbereitet sein und eine umfassende Anleitung für die Lehrkräfte ent­ halten (einschließlich der „Antworten“ und Hin­ weise auf weitere Materialien und Unterstützung). Eine enthusiastische Person wird benötigt, um die Initiative zu leiten. Es werden mindestens Mittel für die Ausbildung der Workshopmoderatoren benötigt, sodass die Workshops auf freiwilliger Basis durchgeführt werden können. Es sind jedoch umfangreichere Mittel erforderlich, wenn die Initiative ordnungsgemäß geleitet, profes­ sionell umgesetzt, gut bewertet und erforscht wer­ den soll und wenn die Workshopmoderatoren für die Durchführung der Workshops, die Vorbereitung und die Reisen angemessen entlohnt werden sollen. In allen Phasen der Initiative sollten wirksame Evaluierungsmethoden eingesetzt werden, damit der Erfolg und die Auswirkungen für alle Betei­ ligten, einschließlich der Geldgebenden und der teilnehmenden Lehrkräfte, nachgewiesen werden können. Das Workshopkonzept sollte zudem – auf einer angemessenen theoretischen Grund­ lage beruhen; – Methoden beinhalten, für die es Belege für die Wirksamkeit gibt; – durch qualitativ hochwertige Materialien un­ terstützt werden;

-

– Methoden verwenden, die die einzuführenden Lehrmethoden widerspiegeln; – die Lehrkräfte in Gruppenarbeit einbeziehen, um ihnen einen Erfahrungsaustausch zu er­ möglichen; – die Lehrkräfte ermutigen, sich untereinander effektiv über die Innovation auszutauschen; – den Lehrkräften die Möglichkeit geben, ein Gefühl der Eigenverantwortung für das Mate­ rial zu entwickeln: – die Lehrkräfte dabei unterstützen, ihre Über­ zeugungen über das Lehren und Lernen zu hin­ terfragen. Wie die anderen Kapitel in diesem Buch zeigen, sind starke geowissenschaftliche Bildungsstrategien wie die ESEU-Workshop-Initiative in Ländern auf der ganzen Welt notwendig, die mit Klima- und Meeresspiegel­ veränderungen, Ressourcenknappheit, Naturgefahren und einer Reihe von Umweltproblemen wie Abfall­ entsorgung und Verschmutzung zu kämpfen haben. Während einige Strategien zur Nutzung der Geowis­ senschaften in der Vergangenheit vielleicht als Teil des „Problems“ angesehen wurden, sind sie in der Zukunft ganz klar Teil der „Lösung“.

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7

172

7

Kapitel 7  •  Earth Learning Ideas (ELI)

Earthlearningidea team (2019c). Urban fieldwork – the stories from materials, colours, lines and shapes: Find out the stories told by materials used in building and for decoration. https://www.earth­ learningidea.com/PDF/306_Urban_fieldwork.pdf. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2019d). What happened when? Sorting out sequences using stratigraphical concepts: Are the age-based strati­ graphical concepts principles or laws? And how do you use them? https://www.earthlearningidea.com/PDF/307_What_happened_ when.pdf. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2019e). The earth time jigsaw puzzle: Plot the moving continents, from the past to the future. https://www.earth­ learningidea.com/PDF/250_Earth_time_puzzle.pdf. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2019f). Fieldwork: the ‚All powerful‘ strategy: Discussing geological histories in imaginative ways. https://www. earthlearningidea.com/PDF/203_All_powerful.pdf. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2020). A time-line in your own backyard: Hang pictures of the important events in the history of life on a string time-line. http://www.earthlearningidea.com. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2021). Hoch-Strömen, Herunter-Strömen?: Athmosphäre und Ozean in einem Becken. Heiße, kalte und teil­ chengefüllte Dichteströmungen. Wie sie in Atmosphäre und Ozean vorkommen. https://www.earthlearningidea.com/home/Translati­ ons.html. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Earthlearningidea team (2022). High flow, low flow?: Atmosphere and ocean in a tank: Hot, cold and particle-filled density currents as they flow in the atmosphere and ocean [Video]. https://www.earth­ learningidea.com/Video/Atmosphere_ocean.html. Zugegriffen: 14. Jan. 2023. Gentner, D., & Stevens, A. (Hrsg.). (1983). Mental models. Lawrence Erlbaum. Guskey, T. (2000). Evaluating professional development. Thousand Oaks: Corwin Press. Harrison, A. G., & Treagust, D. F. (2000). A typology of school science models. International Journal of Science Education, 22(9), 1011– 1026. Jee, B. D., Uttal, D. H., Gentner, D., Manduca, C., Shipley, T. F., Ti­ koff, B., Ormand, C. J., & Sageman, B. (2010). Analogical thinking in geoscience education. Journal of Geoscience Education, 58(2), 2–13. Johnson-Laird, P. (1983). Mental models. Harvard. Lawrence Erlbaum Associates. King, C. (2001). The response of teachers to new content in a natio­ nal science curriculum: the case of the earth-science component. Science Education, 85, 636–664. King, C. (2010). An analysis of misconceptions in science textbooks: Earth science in England and Wales. International Journal of Science Education, 32(5), 565–601. King, C. (2017). Fostering deep understanding through the use of geo­ science investigations, models and thought experiments – the earth science education unit and earth learning idea experiences. In C. Vasconcelos (Hrsg.), Geoscience education: Indoor and outdoor (S. 3–23). Springer. King, C., & Thomas, A. (2012). Earth science education unit work­ shops – an evaluation of their impact. School Science Review, 94(347), 25–35. Krell, M., Upmeier zu Belzen, A., & Krüger, D. (2014). Students’ levels of understanding models and modeling in biology: Global or aspect-dependent? Research in Science Education, 44, 109–132. Lydon, S., & King, C. (2009). Can a single, short CPD workshop cause change in the classroom? Professional Development in Education, 35(1), 63–82. Muijs, D., Day, C., Harris, A., & Lindsay, G. (2004). Evaluating CPD: an overview. In C. Day & J. Sachs (Hrsg.), International handbook

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173

Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule (RHS) in Schleswig-Holstein Sylke Hlawatsch

Inhaltsverzeichnis 8.1

Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule(RHS)  –  174

8.2

Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis – 182

8.3

Resümee und Ausblick  –  236 Literatur – 238

Ergänzende Information Die elektronische Version dieses Kapitels enthält Zusatzmaterial, auf das über folgenden Link zugegriffen werden kann https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_8. © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_8

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

Zusammenfassung

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Die Menschheit steht heute vor der Herausforderung, globale Umweltveränderungen so zu beeinflussen, dass der Planet Erde als Lebensraum erhalten bleibt. Wichtiges Wissen dafür liefern die Geowissenschaften (7 Kap. 2). Ihre Fragen, Vorgehensweisen und Ergebnisse müssen auch über die Schule in die Gesellschaft getragen werden, damit diese an den erforderlichen Strategien und Maßnahmen mitwirken kann. Die Richard-Hallmann-Schule (RHS) in SchleswigHolstein bietet für ihre Schülerinnen und Schüler von der 5.  Klasse bis zur Sekundarstufe  II fünf frei kombinierbare geowissenschaftliche Angebote. Zentral ist der Wahlpflichtunterricht „Angewandte Naturwissenschaften – Geowissenschaften“, der mit vier Wochenstunden von Jahrgang 7 bis 10 durchgängig belegt wird. Weitere Angebote mit der Bezeichnung „System Erde“ sind der Wahlpflichtunterricht in den Jahrgängen 9/10 sowie Arbeitsgemeinschaften für die Jahrgänge 5/6, 7/8 sowie 10 bis 12. Für besonders interessierte Schülerinnen und Schüler ist zudem die Teilnahme am Auswahlverfahren für den Schülerwettbewerb International Earth Science Olympiad (IESO) möglich (7 Kap. 9). Der Unterricht erfolgt kompetenzorientiert nach dem Konzept Earth Systems Education (7 Kap. 2, 3) und berücksichtigt die Anforderungen der bundesweit geltenden Bildungsstandards für die Fächer Biologie, Chemie, Physik (. Tab. 8.1) und Geographie (7 Kap. 4). Inhaltlich orientiert sich der Unterricht am International Syllabus for Geoscience Education (King, 2014). Die Anpassung des Konzeptes Earth Systems Education an die Anforderungen des deutschen Bildungssystems erfolgte durch das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ am Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel (7 Kap. 2). In Kooperation der Fachdidaktiken und Lehrkräfte der beteiligten Schulfächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik mit geowissenschaftlichen Institutionen in Deutschland wurden Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe II und für die Primarstufe entwickelt, erprobt und evaluiert (Bayrhuber, 2005; Bayrhuber & Hlawatsch, 2005). Das Fachcurriculum „Angewandt e Naturwissenschaften – Geowissenschaften“ der Richard-Hallmann-Schule knüpft mit einem konkreten Konzept für den Unterricht in der Sekundarstufe I daran an. Das vorliegende Kapitel beschreibt das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht und ausgewählte Praxisbeispiele. Lehrkräfte sind herzlich eingeladen, die Beispiele als Gerüst für die Entwicklung schulinterner Fachcurricula zu verwenden. Verschiedenste Organisationsstrukturen vom geographischen Fachunterricht über das Wahlpflichtfach „Angewandte Naturwissenschaften“ bis hin zum fachübergreifenden und fächerverbindenden naturwissenschaftlich-geographischen Unterricht sowie Arbeitsgemeinschaften und Projekte sind denkbar.

..Tab. 8.1  Zusammenfassung der bundesweit geltenden Bildungsstandards für die Naturwissenschaften für das Schulfach Geowissenschaften, erweitert um die vierte Naturwissenschaft Geologie. (KMK, 2005a, b, c) Umgang mit Fachwissen

Chemische, biologische (inkl. Lebewesen), geologische (inkl. Gesteine) und physikalische Phänomene, Begriffe, Prinzipien, Fakten, Gesetzmäßigkeiten kennen und Basiskonzepten zuordnen

Erkenntnisgewinnung

Beobachten, vergleichen, Experimente und andere Untersuchungsmethoden sowie Modelle nutzen und Arbeitstechniken anwenden – auch in der Natur

Kommunikation

Information sach- und fachbezogen erschließen und austauschen

Bewertung

Chemische, biologische, geologische und physikalische Sachverhalte in verschiedenen Kontexten erkennen und bewerten

8.1

Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule(RHS)

Die Richard-Hallmann-Schule (RHS) ist eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe in Trappenkamp, Schleswig-Holstein. Sie ist eine sog. gebundene Ganztagsschule. An diesem Schultyp können die Schülerinnen und Schüler bis zu einem Umfang von 18 % der wöchentlichen Unterrichtszeit eigene Schwerpunkte setzen. Dies erfolgt durch die Belegung von einem Wahlpflichtfach von Jahrgang 7 bis 10 und einem weiteren von Jahrgang 9 und 10. Zudem sind die Schülerinnen und Schüler durch den Ganztagsbetrieb verpflichtet, an einem Nachmittag eine Arbeitsgemeinschaft zu wählen. An Gemeinschaftsschulen kann zusätzlich zu den Sprachen das Fach Angewandte Naturwissenschaften angeboten werden. Geowissenschaften sind an der RHS sowohl im Wahlpflichtbereich als auch in Arbeitsgemeinschaften mit insgesamt fünf kombinierbaren Angeboten vertreten (. Tab. 8.2). Alle Angebote werden im Fachraum für Geowissenschaften unterrichtet. Hier sind Labortätigkeiten möglich und es besteht ein direkter Zugang zum Schulgarten (. Abb. 8.1). >>Gemeinschaftsschule (Schleswig-Holstein)

„In Schleswig-Holstein gibt es im Anschluss an die Grundschule zwei weiterführende Schularten: das Gymnasium und die Gemeinschaftsschule.  […] Die Gemeinschaftsschule ermöglicht alle allgemeinbildenden Schulabschlüsse: den Ersten allgemeinbildenden Schulabschluss (ESA), den Mittleren Schulabschluss (MSA), die Fachhochschulreife und das Abitur. […] Eine Gemeinschaftsschule beschult die Kinder und Jugendlichen von Jahrgang 5 bis 10. Ein Teil der Gemeinschaftsschulen hat eine Oberstufe (Jahrgang  11

8.1  •  Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule

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175

..Abb. 8.1  Alle geowissenschaftlichen Angebote finden im Fachraum für Geowissenschaften statt. Er verfügt über einen direkten Zugang zum Schulgarten. (Fotos Garten: Mats Paulat, Fotos Fachraum: Sylke Hlawatsch)

bis 13) und führt die Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur. Der Unterricht findet grundsätzlich gemeinsam und binnendifferenziert statt; möglich sind ab der Jahrgangsstufe 7 Lerngruppen, in denen nach Leistungsmöglichkeiten differenziert wird.“ (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2020a)

..Tab. 8.2  Das geowissenschaftliche Angebot der RichardHallmann-Schule (RHS) Jahrgang

Bausteine

Wettbewerb

Arbeitsgemeinschaft System Erde Jahrgänge 10 bis 12

International Earth Science Olympiad (IESO)

13 12 11 10  9

 8  7

 6  5

Wahlpflichtfach I Geowissenschaften Jahrgänge 7 bis 10

Wahlpflichtfach II System Erde Jahrgänge 9 und 10 Arbeitsgemeinschaft System Erde Jahrgänge 7 und 8

Arbeitsgemeinschaft System Erde Jahrgänge 5 und 6

zz Wahlpflichtfach I „Geowissenschaften – Angewandte Naturwissenschaften“

Der Wahlpflichtunterricht im Fach „Geowissenschaften – Angewandte Naturwissenschaften“ wird in den Jahrgängen  7 bis  10 mit 180 min pro Woche erteilt (. Abb. 8.2). Für diesen Kurs hat ein Lehrkräfteteam (Fächer: Biologie, Chemie, Geographie und Physik) eigens ein Fachcurriculum gemäß den Anforderungen der bundesweit gültigen deutschen Bildungsstandards entwickelt, das vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein genehmigt wurde. Der Unterricht ist entlang von folgenden Leitfragen bzw. Leitthemen organisiert: Einführung in die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als System Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte Wie sah es früher in Schleswig-Holstein aus? Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.2  Im 6. Jahrgang entscheiden die Schülerinnen und Schüler sich an der Richard-Hallmann-Schule für ein Wahlpflichtfach. Gezeigt ist die Vorstellung des Kurses „Geowissenschaften“ in der schuleigenen Informationsbroschüre

8.1  •  Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule

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Reise eines Wassertropfens in Trappenkamp Wie kommt das Salz ins Meer? Wie kommt die Muschel auf den Berg? Wie ist das Klima – wie ist das Wetter in Trappenkamp? Heiß-kalt, heiß-kalt – wie lange geht das schon so? Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima? Welche Rohstoffe stecken im Handy? Was können wir tun, damit unser Heimatplanet auch für die kommenden Generationen noch lebenswert ist?

Ausgehend vom Schulgarten aktivieren bzw. ergänzen die Lernenden in zunehmend komplexeren geowissenschaftlichen Kontexten ihre Kenntnisse von grundlegenden naturwissenschaftlichen Ideen, Regeln und Inhalten und wenden diese an. Sie vernetzen dabei aktiv biologische, chemische und physikalische Basiskonzepte, die sie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht kennen. Unterrichtspraktische Beispiele aus diesem Kurs werden in 7 Abschn. 8.2 beschrieben. zz Interview mit Kirsten Düßler

Lehrerin für das Fach Geowissenschaften an der RichardHallmann-Schule, Grund- und Hauptschullehrerin für Geographie und Deutsch.

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Sylke Hlawatsch:  Gab es besondere Herausforderungen? Kirsten Düßler:  Eine besondere Herausforderung ist es,

immer wieder zu sehen, dass grundlegende Arbeitstechniken, die im Weltkundeunterricht im 5. und 6. Jahrgang gelehrt werden, nicht vorhanden sind. Es muss viel Zeit investiert werden, diese Basistechniken, wie z. B. die Festlegung eines Maßstabes oder die Bestimmung geographischer Koordinaten, neu einzuführen. Ebenso müssen Arbeitstechniken, die sie eigentlich aus dem Deutschunterricht (z. B. Texte zusammenfassen) oder aus dem Nawi-Unterricht (z. B. Versuchsprotokolle schreiben) kennen müssen, ganz neu eingeführt werden. Sylke Hlawatsch:  Womit bist du besonders zufrieden? Kirsten Düßler:  Ich finde die vielfältigen Arbeitsmetho-

den, die das Fach ermöglicht, hervorragend. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten nicht nur kognitiv, sondern auch praktisch. So ganzheitlich wie das Fach ist, so ganzheitlich sind die Themen und Lehrmethoden, die die Schülerinnen und Schüler in ihrer ganzen Person fordern. Sie müssen unter anderem in Gruppen arbeiten, Versuche machen, eigenständig Recherchen durchführen und alles in eine angemessene Form im Heft dokumentieren.

Sylke Hlawatsch:  Warum hast du dich dafür entschieden,

das Wahlpflichtfach Geowissenschaften zu unterrichten?

Sylke Hlawatsch:  Welche Chancen siehst du im Fach

Geowissenschaften für dich als Lehrkraft? Kirsten Düßler:  Ich habe Geographie studiert und

mochte besonders Physische Geographie sehr gern. Da bei uns an der Schule Geographie nur kombiniert mit Geschichte im Fach Weltkunde unterrichtet wird, sah ich im Wahlpflichtfach Geowissenschaften eine Möglichkeit, diese Themen verstärkt zu unterrichten. Sylke Hlawatsch:  Welche Erwartungen oder Hoffnungen

hattest du? Kirsten Düßler:  Die Themen, die im Curriculum der Geowissenschaften in den Jahrgängen  7 bis  10 unterrichtet werden, sind in Anbetracht des Zustandes unserer Erde aktueller denn je. Meine Hoffnung war/ist es, die Schülerinnen und Schüler für diese Themen zu sensibilisieren und ihnen durch das Verstehen der komplexen Zusammenhänge, einen neuen Blick auf ihre Lebensumwelt zu ermöglichen. Sie nehmen ihre Umwelt vielleicht bewusster war und werden angeregt, sorgsamer mit den Ressourcen umzugehen. Sylke Hlawatsch:  Was hat sich bestätigt? Kirsten Düßler:  Die Kinder zeigen in der Regel großes

Interesse an den geowissenschaftlichen Themen und sind bereit, sich mit den vielfältigen und auch schwierigen Themen auseinanderzusetzen. Die Notwendigkeit des ressourcenschonenden Handels wird ihnen stellenweise bewusst.

Kirsten Düßler:  Ich lerne selbst noch sehr viel, da das

Fach interdisziplinär angelegt ist. Ich habe „nur“ Geographie studiert. Jetzt lerne ich, die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge mit den geographischen Phänomenen zusammenzubringen. In pädagogischer Hinsicht ermöglicht das Fach eine Abkehr vom reinen lehrerzentrierten Unterricht hin zum schülerzentrierten. Natürlich sind, besonders am Anfang in Jahrgang 7, noch größere Phasen lehrerzentriert, aber die vielfältigen Arbeitsmethoden ermöglichen schrittweise eine Veränderung, sodass die Lehrkraft immer mehr als Moderatorin bzw. Moderator des Prozesses fungiert. Sylke Hlawatsch:  Welche Chancen siehst du für die Schü-

lerinnen und Schüler? Kirsten Düßler:  Die Schülerinnen und Schüler lernen ein

Fach kennen, das definitiv Realitätsbezug hat. Sie erleben das Gelernte in ihrer eigenen Umwelt, erkennen zunehmend mehr Zusammenhänge und auch Probleme. Sie erfahren, warum es nötig ist, das eigene Handeln nachhaltiger zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler werden für die Natur und ihre Umwelt sensibilisiert. Hier gilt das Motto: „Was ich weiß, das sehe ich!“ Des Weiteren sind sie vielleicht nach vier Jahren Geowissenschaften in systemischem Denken geschult, erkennen ihre Einbindung und damit auch ihren Einfluss auf ihre Umwelt.

8

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.3  Der Projektkurs „System Erde“ ermöglicht eine individuelle Schwerpunktsetzung. Es entstehen Ausstellungsobjekte, z. B. auf dem Infoplatz der Schule (a), oder es werden besondere Projekte durch-

geführt, wie ein deutsch-indisches Klassenzimmer zum Thema „Wasserund Landwirtschaft“. b: Richard-Hallmann-Schülerinnen und -Schüler beim Besuch einer Kläranlage in Indien. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

zz Projektkurs „System Erde“ – Wahlpflichtfach II plus Arbeitsgemeinschaft

Die überwiegende Mehrheit der Lernenden entscheidet sich für eine vertiefte Recherche zu einem geowissenschaftlichen Aspekt und die anschließende Kommunikation der Ergebnisse mit digitalen und analogen Medien. So sind eine Museumsrallye für ein nahe gelegenes paläontologisches Museum, eine digital erarbeitete Posterausstellung zu Vulkanen, einzelne Ausstellungsobjekte, Animationen und Online-Lernforen entstanden (. Abb. 8.3). Zielgruppen sind Schülerinnen und Schüler (AG „System Erde“, gesamte Schule) oder die Öffentlichkeit (Tag der offenen Tür). In diesem Kurs bieten sich auch Chancen für besondere Lernanlässe. Zweimal wurde ein deutsch-indisches Klassenzimmer mit der Nasr Boys School in Hyderabad eingerichtet, und es wurden Aspekte der Wasserwirtschaft und der Landwirtschaft gemäß Kriterien der nachhaltigen Entwicklung an beiden Schulstandorten miteinander verglichen.

Für den jahrgangsübergreifenden Projektkurs mit der Bezeichnung „System Erde“ sind keine Vorkenntnisse erforderlich. Besonders Interessierte können bis zu vier Jahre teilnehmen. In den Jahrgängen 7 bis 8 wählen sie „System Erde“ als Arbeitsgemeinschaft und lernen das selbstorganisierte Lernen in einem bewertungsfreien Rahmen durch Anschauung am Beispiel der Älteren kennen. Erst in den Jahrgängen 9 und 10, wenn sie „System Erde“ als Wahlpflichtfach wählen, werden ihre Arbeitsergebnisse benotet. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten zu eigenen Themen weitestgehend frei nach der Projektmethode, so wie sie von Frey (1996) für den naturwissenschaftlichen Unterricht mit folgenden Lern- und Arbeitsphasen beschrieben wurde: Ideensammlung Konzeptentwicklung Arbeits- und Zeitplanung Produkterarbeitung Ergebnispräsentation

---

Dabei besteht auch die Möglichkeit, in die Rolle einer bzw. eines Forschenden zu schlüpfen und die naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung aktiv nachzuvollziehen (forschendes Lernen). Übergeordnetes Lernziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zu befähigen, vorhandene Informationen kritisch zu reflektieren, das naturwissenschaftliche Vorgehen als Möglichkeit der Welterschließung zu verstehen und zudem die Ergebnisse zielgruppengerecht zu kommunizieren. Zwanglos und selbstverständlich übernehmen die Schülerinnen und Schüler Verantwortung für den Arbeits- und Lernprozess der ganzen Gruppe. So helfen sie sich gegenseitig bei der Themenfindung, der Nutzung digitaler Medien oder erklären geowissenschaftliche Aspekte.

zz Arbeitsgemeinschaft „System Erde 5–6“

Die jüngsten Schülerinnen und Schüler aus der 5. und 6.  Klasse erarbeiten sich in der Arbeitsgemeinschaft „System Erde 5–6“ geowissenschaftliches Denken und Arbeiten anhand von praktischen Aufgaben. Sie wählen Themen eigenständig aus oder entdecken Themen durch Arbeitspläne. So bauen sie z. B. Vulkanmodelle aus Salzteig und lassen sie „ausbrechen“, stellen „Sandsteine“ her, züchten Kristalle, entdecken und beobachten Lebewesen im Schulgarten oder analysieren die Wasserqualität des Schulteiches mit einfachen Analysemethoden (Temperatur, pH-Wert, Sichttiefe). Dabei üben sie auch den zielorientierten Umgang mit digitalen Medien. Ergänzt werden die praktischen Aktivitäten durch Recherchen in Sachbüchern, die im Unterrichtsraum permanent verfügbar sind, das Ansehen von Videodokumentationen und das Spielen von Brett- bzw. Quizspielen mit geowissenschaftlichem Inhalt (. Abb. 8.4).

8.1  •  Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.4  Eindrücke aus der Arbeitsgemeinschaft „System Erde 5–6“. Die verfügbaren Materialien werden zu Beginn der Stunde im Stuhlkreis präsentiert, Arbeit mit Arbeitsplänen

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..Abb. 8.5  Der Meeresforscher Dr. Toste Tanhoa vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat für die Schülerinnen und Schüler ein Experiment auf hoher See durchgeführt. Die Fotos zeigen die Versuchsobjekte, die von den Kindern verziert wurden,

einmal vor und einmal direkt nach dem Versuch auf See. Ein weiteres Foto zeigt die Kinder beim Besuch im Labor von Dr. Tanhoa. (Fotos: Sylke Hlawatsch, n. n.)

Gäste sind in der Arbeitsgemeinschaft sehr willkommen. Der Meereschemiker Dr. Toste Tanhua vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat für die Schülerinnen und Schüler ein Experiment auf hoher See durchgeführt. Er hat Untersuchungsgegenstände (Styroporbecher) in große Wassertiefen verbracht. Anschließend hat er das Versuchsergebnis persönlich in die Schule gebracht und in der Schulmensa über seine Forschungsfahrt berichtet. Sehr beeindruckend fanden die Schülerinnen und Schüler dann auch den Gegenbesuch an seiner Wirkungsstätte im Labor (. Abb. 8.5). Eine Gruppe von Schülerinnen, die sich besonders für das Züchten von Kristallen interessierte, erhielt Besuch von Professor Depmeier (Mineraloge, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), der sie dahingehend beraten hat, wie es gelingen kann, besonders große Kristalle zu züchten und die Gelingfaktoren experimentell nachzuweisen.

zz Interview mit Susanne Korth

Leiterin der AG „System Erde“ für die Jahrgänge 5 und 6. Sekundarlehrerin für das Fach Weltkunde (Geographie/ Wirtschaft/Politik mit dem Schwerpunktfach Geschichte); ehemaliger Studiengang „Sozialwissenschaftlicher Sachbereich“ inklusive der Ausrichtung für Naturwissenschaften an Grund- und Hauptschulen

Sylke Hlawatsch:  Welche Erfahrungen möchtest du den Schülerinnen und Schülern mit der AG „System Erde“ für die Jahrgänge 5 und 6 ermöglichen? Susanne Korth:  Für mich ganz wichtig ist der Begriff „Freiarbeit“ oder „freies Arbeiten“. Ich wünsche mir, dass sie sich trauen, sich selbst zu überlegen, „Was möchte ich heute tun?“, und loslegen. Das braucht Zeit und kann in ihrem ersten AG-Jahr teilweise bis Ostern dauern. Dann sind sie so weit, dass sie anfangen zu fragen „Kann ich auch dies machen, darf ich zum Teich gehen, mir dort etwas herausholen, mikrosko-

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

pieren und fotografieren, darf ich mir Blätter holen, darf ich das festhalten?“ Dann fangen die Augen an zu leuchten, und es kommt so etwas wie Begeisterung auf. Sie gucken dann auch nicht mehr auf die Uhr und legen los, und das ist dann auch der Zeitpunkt, wo jegliches Anschauungsmaterial bei ihnen ganz viel Fantasie freisetzt und neue Ideen kommen, was man machen kann oder könnte. Das ist etwas, das in den Jahrgängen  5  und  6 gut möglich ist: Begeisterungsfähigkeit wecken. Es können auch – für die AG – abwegige Themen sein, die aber dann trotzdem die Fantasie anregen. Bei einer Schülerin war es beispielsweise so, dass wir festgestellt haben, dass sie einen adeligen Stammbaum hat, und auch dazu haben wir in der AG angefangen zu forschen. Über allem steht immer die Offenheit zu gucken, wo hole ich diese Gruppe ab; die Kinder sind ja aus dem Klassenverband herausgelöst und müssen sich erst einmal finden, manchmal entstehen ganz neue Gruppen im Jahrgang aus verschiedenen Klassen und auch aus verschiedenen Jahrgängen, die dann auch beschließen, dass sie im Wahlpflichtfach I „Geowissenschaften“ gemeinsam weitermachen möchten. Es kann auch ein Ergebnis sein, dass es Kinder gibt, die sagen, das ist gar nicht meine Richtung, gar nicht mein Ding. Auch diese gehen mit einem Mehrwert raus, weil sie nämlich entdeckt haben, dass sie ganz andere Schwerpunkte haben. Sylke Hlawatsch:  Was unternimmst du? Welche Impulse

kommen von dir? Susanne Korth:  Über allem steht das Learning by Doing.

Möglichst viel selbst auf den Weg bringen, völlig ungezielt, ohne Zeit- und Leistungsdruck und auch ohne Leitfrage. Das birgt dann inhaltlich sehr viel (ganzheitlicher Ansatz) und führt auch für mich zu Überraschungen. Ich bin immer auf dem Stand der Schülerinnen und Schüler, ich bin auch nicht weiter. Wir müssen das dann gemeinsam anpacken. Ich sage dann auch: „Das kann ich dir nicht sagen, lass uns mal schauen, ob wir es gemeinsam herausfinden können.“ Ein Beispiel fällt mir dazu ein: Als wir vom Vulkanausbruch auf Las Palmas erfahren haben, habe ich die digitale Tafel eingeschaltet und einfach eine Sache aufgerufen. Dann kamen Karten dazu, und ganz schnell haben die Kinder – in Absprache mit mir, wie wir damit umgehen, damit der Touchscreen auch keinen Schaden nimmt – selber weitergesucht. Da wurde ich ganz schnell zur Zuschauerin. Plötzlich kamen ganz andere Aspekte, und es haben sich auch ganz andere Fragen ergeben. Wir sind also ganz woanders gelandet; dadurch erkenne ich dann ja auch, was diese Altersgruppe eigentlich interessiert. Wir nehmen uns zum Beispiel auch eine Art Büchervorstellung vor, bauen uns im Raum einen Hörsaal auf

und machen es so, dass alle, entweder alleine, zu zweit oder als Gruppe – auch das wieder ganz frei organisiert – ein Buch vorstellen, erläutern, was er oder sie daran besonders bemerkenswert findet, und dadurch auch andere wieder einen komplett anderen Zugang von einer ganz anderen Seite her zu diesem oder anderen Themen bekommen. Den Jüngeren muss man dann schon etwas Struktur vorgeben. Ganz toll ist das Durchlässige in der AG, dass es jahrgangsübergreifend für die 5.  und 6. Klassen ist, sodass sie sich auch gegenseitig befruchten können. Wir gucken auch immer: Was gibt es denn sonst noch hier im Raum, was machen die Älteren gerade, was steht in den Zeitungsartikeln, die hier aufgehängt sind? Da gibt es große Unterschiede innerhalb der Gruppen. Es gibt zum Beispiel welche, die spielen gerne die GEOSpiele, für andere ist das gar nichts. Viele Impulse ergeben sich auch durch den Raum, in dem die AG stattfindet. Es ist ein Raum, in dem ich mich sehr wohlfühle. Wir haben alles zur Verfügung. Er erinnert nicht an einen Klassenraum. Wir können hier experimentieren. Wir sprechen die Regeln ab – Sicherheitsvorkehrungen und Hygienevorschriften – und können dann alles tun. Wir haben zwei Türen, durch die wir sofort draußen sind. Es ist mit den Hühnern im Schulgarten nicht immer ganz einfach, aber es kann vorkommen, dass die Kinder plötzlich auf die Idee kommen, Federn zu untersuchen. Auf der anderen Seite geht die Tür direkt zum Mensainnenhof mit dem Teich. Der andere Teich im Schulgarten verlandet zunehmend, aber wir haben hier noch Feuchtigkeit gefunden, keine Reptilien oder Amphibien mehr. Dass wir hier in der Schule, die mitten im Ort liegt, von diesem Raum direkt in die Natur gehen können, das ist toll. Das ist auch eine Möglichkeit, selber zu überlegen: „Ist das etwas, was ich noch hier im Raum machen möchte, oder gehe ich damit besser nach draußen?“ Und wichtig dabei ist zu wissen: „Ich kann alles machen, was ich möchte, aber bevor ich etwas Neues anfange, räume ich erst einmal das Alte weg.“ Es gibt Strukturen, die vielleicht nicht offensichtlich sind, sie sind aber da. Die Kinder haben jederzeit Zugang zu Sachbüchern und GEO-Spielen. Manche brauchen auch nachmittags eine Pause. Sylke Hlawatsch:  Gibt es etwas, das dich überrascht hat? Susanne Korth:  Ja, wir fragen immer wieder „Warum

bist du hier?“, „Was erwartest du von der AG?“. Denn am Anfang sind es ja ihre Ideen, dann wissen sie, „wie der Hase“ läuft, und es wird ja auch konkreter für sie selbst. Dabei stellt sich heraus, dass ganz viele gerne experimentieren möchten, sich aber nicht trauen. Manche klammern sich unglaublich an den Büchern fest. Die Kinder brauchen sehr lange, bis sie sich an das selbstständige Arbeiten gewöhnt haben, manche bis Ostern. Da ist es gut, dass sie zwei Jahre in der AG bleiben können. Es hat mich überrascht, dass die Gruppe sehr heterogen ist. Es

8.1  •  Das Organisationsmodell für den geowissenschaftlichen Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.6  Beispiele für Workshops der Arbeitsgemeinschaft „System Erde 10–12“. Dr. Petra Herms präsentiert ihre Forschungspraxis am Mineralischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu

Kiel (CAU). Am Urzeithof in Stolpe erarbeiten die Schülerinnen und Schüler sich charakteristische Merkmale von Fossilien. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

sind die Klassen 5 und 6, und sie wissen ja auch nicht, was sie erwartet, wenn sie die AG erstmals wählen.

entschieden, obwohl ich am Anfang dachte, dass ich es gar nicht kann und nicht über ausreichend Fachwissen verfüge. Ich bin genauso weit wie die Schülerinnen und Schüler, und alles andere erarbeiten wir uns gemeinsam. Fachwissenschaftlich weiß ich nicht alles so genau, aber die Begeisterung wecken, das kann ich. Es ist ja viel Physik, Chemie und Biologie, da lerne ich zusammen mit den Kindern noch sehr viel dazu. Was mir komplett fehlt, ist die Ausbildung zum Thema „Steine und Geologie“. Es wäre hilfreich, wenn ich da mehr Wissen hätte.

Sylke Hlawatsch:  Gibt es persönliche Gründe für dich,

die Arbeitsgemeinschaft anzubieten? Susanne Korth:  Ich komme ja aus dem Bereich Welt-

kunde und denke mein ganzes Leben dadurch ganzheitlich. Meine Lieblingsfächer waren Politik, Geschichte und Geographie an der weiterführenden Schule, und dann bin ich auch gleich in das Fach Weltkunde als Studienfach geraten. Das gab es damals für einen Zeitraum von nur wenigen Jahren in den 70er-/80er-Jahren in Schleswig-Holstein. Damit war ich damals auch verpflichtet, Naturwissenschaften (NaWi) zu unterrichten. Ich kann deshalb gar nicht in Fächern denken, ein Thema wie Klimawandel könnte ich niemals nur geographisch sehen. Es ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich und historisch. Das Gleiche ist es ja mit NaWi und Geowissenschaften; sie liegen genau an der Schnittstelle. In der Grundschule gibt es ja auch noch diese Verkopplung mit NaWi. Wir haben damals in den 90er-Jahren, als wir hier an der Schule angefangen haben, ganz gezielt zusammengearbeitet und immer überlegt, was können wir überkreuz (NaWi und Weltkunde) unterrichten. Wir haben viele Versuche gemeinsam vorbereitet. Damals gab es ein Programm, das hieß „Praxis Integrierter Naturwissenschaftlicher Grundbildung (PING)“. Das ist heute nicht mehr aktuell, die Ideen sind aber für die 5. und 6. Klasse noch interessant, wo die Kinder NaWi bei uns noch integriert lernen. Ich kann tatsächlich, wenn es darum geht, für welches Wahlpflichtfach ich die Kinder aus meiner AG geeignet halte, genauso Wirtschaft wie Geowissenschaften empfehlen. Wir können ja nicht von Globalisierung sprechen und das dann in der Schule nicht anbieten. Deshalb habe ich mich auch für diese AG

zz Enrichment – Arbeitsgemeinschaft „System Erde 10–12“

„Schule trifft Wissenschaft“ ist das Motto der Arbeitsgemeinschaft „System Erde 10–12“ für besonders interessierte ältere Schülerinnen und Schüler. Sie wählen die inhaltlichen Schwerpunkte gemeinsam aus und erarbeiten diese vertieft während regelmäßiger wöchentlicher Termine in der Schule. Zweimal pro Schuljahr begeben sie sich für Workshops an geowissenschaftliche Hochschulinstitutionen oder andere außerschulische Einrichtungen. Die Workshops sind inhaltlich so ausgewählt, dass sich das Programm alle drei Jahre wiederholt, weil Schülerinnen und Schüler bis zu drei Jahre in der AG verbleiben. Sie befassen sich inhaltlich mit der Funktion der Erde als System, aber jeweils mit paläontologischem, geophysikalischem, geologisch-mineralogischem, hydrogeologischem, astrophysikalischem oder meereskundlichem Schwerpunkt. Dabei erhalten sie auch Einblicke in die aktuelle Forschung der Institutionen (. Abb. 8.6). Diese AG bereitet auf die Teilnahme am Auswahlverfahren für den Wettbewerb International Earth Science Olympiad (IESO) vor (7 Kap. 9). Seit 2012 waren regelmäßig Schülerinnen und Schüler der Richard-HallmannSchule Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft und konnten Erfolge dabei erzielen.

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8.2

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

Der geowissenschaftliche Unterricht an der RichardHallmann-Schule ist nach dem Konzept Earth Systems Education (. Tab. 8.3) als Spiralcurriculum organisiert und soll dadurch die naturwissenschaftlichen Kompetenzen der Lernenden fordern, fördern und um spezifische geowissenschaftliche Denk- und Arbeitsweisen erweitern. Die geowissenschaftlichen Inhalte dafür werden in Anlehnung an den International Geoscience Syllabus ausgewählt, der von der International Geoscience Education Organisation empfohlen wird (King, 2014). Folgende Aspekte werden explizit und wiederholt im Unterricht aufgegriffen: Kumulativer Wissensaufbau: Die Schülerinnen und Schüler identifizieren zugrunde liegende biologische, chemische, geologische und physikalische Phänomene, Begriffe, Prinzipien, Fakten und Gesetzmäßigkeiten in zunehmend komplexeren interdisziplinären geowissenschaftlichen Kontexten und ordnen sie den Basiskonzepten (System, Struktur und Funktion, Entwicklung, Materie, Energie, Wechselwirkung und chemische Reaktion) der Bildungsstandards für die Fächer Biologie, Chemie, Geographie und Physik zu. Umgang mit komplexen Problemen: Mit der Systemanalyse wird eine Strategie zur ganzheitlichen Erschließung der komplexen Problemstellungen im System Erde erlernt. Hierzu gehört insbesondere das Integrieren der einzelfachlichen biologischen, chemischen und physikalischen Perspektiven in Systemmodelle in Form von Stofffluss- und Wirkungsdiagrammen. Betrachtung der Erde als Gesamtsystem: Die Aufgabenauswahl zielt darauf, die Erde als Gesamtsystem mit den übergeordneten Teilsystemen Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Geosphäre vollumfänglich zu thematisieren (. Tab. 8.3). Bildung für nachhaltige Entwicklung: Die naturwissenschaftliche Analyse berücksichtigt sowohl Einflüsse menschlicher Aktivitäten auf den Lebensraum „System Erde“ (auch: natürliche Lebensgrundlagen) als auch Einflüsse der induzierten Veränderungen auf die Menschheit. Zudem liefert die Analyse von Umständen, die den Zustand des Systems Erde in der geologischen Vergangenheit beeinflusst haben, Hinweise auf mögliche Veränderungen in der Zukunft. Bildung in einer digitalen Welt: Das Internet bietet einen unendlichen und wertvollen Pool an Informationen auch für geowissenschaftliche Themen. Allerdings sind nicht alle Quellen zuverlässig und die Informationen, die als Erstes erscheinen, nicht unbe-

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dingt die relevantesten. Die Lernenden werden daher systematisch in die Bewertung und das Angeben von Quellen eingeführt. Dabei lernen sie die Vielfalt digitaler Medien kennen und üben die Verwendung zur Kommunikation ihrer Erkenntnisse. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten im geowissenschaftlichen Unterricht forschend entdeckend, kooperativ und selbstorganisiert. Dafür erhalten sie Lern- und Arbeitspläne mit Aufgabenbündeln für die gesamte Einheit über das Lernmanagementsystem „ItsLearning“. Die Aufgaben sind als Bündel so zusammengestellt, dass sie verschiedene Lernkanäle ansprechen, insgesamt alle naturwissenschaftlichen und einige geographische Kompetenzbereiche abdecken und verschiedene Kompetenzstufen (Stanat et al., 2019) fordern. Alle Arbeitsergebnisse werden schriftlich in ihren Themenheften fixiert und der Lehrkraft zur Überprüfung des Arbeitsstandes und des individuellen Leistungsvermögens vorgelegt (. Abb. 8.7). Bei Bedarf werden individuell Maßnahmen zur Forderung bzw. Förderung ergriffen. Für diejenigen, die alle Aufgaben nachweislich bearbeitet haben, während andere noch mehr Zeit benötigen, sind Vertiefungsaufgaben vorgesehen. Die Ergebnisse werden dann im Plenum präsentiert. So sind alle Erkenntnisse,

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..Abb. 8.7  Die Schülerinnen und Schüler sind explizit gefordert, Arbeitsergebnisse in ihren Themenheften schriftlich zu dokumentieren sowie ihr Wissen reorganisiert und mit Bezügen zu anderen Unterrichtsthemen zu präsentieren. (Foto: Sylke Hlawatsch)

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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..Tab. 8.3  Leitideen der Earth Systems Sciences bzw. Earth Systems Education. Im Unterricht werden naturwissenschaftliche Kompetenzen aufgegriffen, im ganzheitlichen Kontext „System Erde“ interdisziplinär angewendet und um spezifische geowissenschaftliche Konzepte erweitert. (Verändert und ergänzt nach LaDue & Clark, 2012; Orion & Ault, 2007) Leitideen

Geowissenschaftlicher Unterricht als Angewandte Naturwissenschaft fordert und fördert …

Die Geowissenschaften erforschen die Erde durch Beobachtung, naturwissenschaftliche Schlussfolgerungen und Modellierung

… naturwissenschaftliche Erkenntnisgewinnung und erweitert diese Kompetenz, da durch Retrodiktion (auch: Nachhersage) Aussagen über vergangene Ereignisse und Zustände und durch Prädiktion (auch: Vorhersage) Aussagen über zukünftige Ereignisse und Zustände des Systems Erde zu treffen sind

Im System Erde sind Steine, Wasser, Luft und Lebewesen durch komplexe Wechselbeziehungen miteinander verknüpft

… vernetztes Denken und überwindet dabei die einzelfachlichen biologischen, chemischen, geologischen und physikalischen Perspektiven für ein ganzheitliches Verständnis der Erde als System, bei dem die Bereiche des Wassers (Hydrosphäre), der Luft (Atmosphäre), der Steine (Geosphäre) und des Lebens (Biosphäre) als übergeordnete Teilsysteme auf lokalem wie auf globalem Maßstab miteinander verwoben sind

Die Erde und ihre Teilsysteme verändern sich fortwährend

… das zeitliche und räumliche Vorstellungsvermögen auf verschiedenen Maßstabsebenen. Die Zeitspanne umfasst die gesamte, seit etwa 4,6 Mrd. Jahren andauernde Erdgeschichte und berücksichtigt dabei, dass Prozesse auf unterschiedlichen Zeitskalen ablaufen. Die räumliche Betrachtung umfasst die gesamte Erde, berücksichtigt aber Maßstabsebenen von atomar über lokal bis global

Die Menschheit ist untrennbar mit der Geosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre verbunden

… das Verständnis, dass der Mensch natürlicherweise für Atmung, Trinken und Essen Stoffe aus der Geosphäre, Atmosphäre und Hydrosphäre entnimmt und auch Substanzen an sie zurückgibt. Diese Stoffflüsse im System Erde und die zugrunde liegenden biologisch, chemisch, geologisch und physikalisch erklärbaren Prozesse werden in Form von Stoffflussdiagrammen visuell repräsentiert

Die Biosphäre ist abhängig von der Hydrosphäre, Atmosphäre und Geosphäre und wirkt auf diese zurück

… das Verständnis, dass menschliche Aktivitäten wie Landwirtschaft, Industrie, Mobilität, Wohnen die stoffliche Zusammensetzung der Atmosphäre, Hydrosphäre und Geosphäre sowie die Verteilung auf der Erdoberfläche dahingehend verändern, dass die Luft, das Wasser und die Nahrung, die wir aufnehmen, unseren Organismus schädigen können. Diese Wirkungen im System Erde und die zugrunde liegenden biologisch, chemisch, geologisch und physikalisch erklärbaren Prozesse werden in Form von Wirkungsdiagrammen visuell repräsentiert

die für den weiteren Unterrichtsverlauf bedeutsam sind, für die gesamte Lerngruppe verfügbar. Detailliertere didaktische und pädagogische Erläuterungen erfolgen zusammen mit den unterrichtspraktischen Beispielen in den Abschnitten mit der Bezeichnung „Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise“. Eine Übersicht über die ausgewählten Praxisbeispiele, die in diesem Kapitel erläutert werden, gibt . Abb. 8.8. >>Sonderpädagogischer Förderbedarf

Maßnahmen und Vorgehensweisen für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf sind nicht Gegenstand dieses Kapitels. Für eine optimale Kompetenzentwicklung müssen Förderlehrkräfte die Aufgabenstellungen an die individuellen Förderpläne anpassen und auch während des Unterrichtes bei der Bearbeitung der Aufgaben unterstützend tätig werden. Von allen Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge  1 bis  10 in Schleswig-Holstein haben etwa 7 % einen anerkannten sonderpädagogischen Förderbedarf. 70 % von ihnen besuchen eine allgemeinbildende Schule (Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, 2020b).

8.2.1

Einführung in die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als System

In Jahrgang  7 erfolgt der Einstieg in das neue Fach Geowissenschaften im Schulgarten der Richard-Hallmann-Schule. Dieser wird von der Arbeitsgemeinschaft „Schulgarten“ bewirtschaftet, die dort eine Kräuterspirale, Blumen‑, Beeren- und Gemüsebeete pflegt. Zudem gibt es ein Gewächshaus, einen Hühnerstall mit etwa zehn Hühnern und ein Bienenhotel. Eier, Früchte, Kräuter und Gemüse aus dem Schulgarten werden in der Schulküche verarbeitet, und die verarbeiteten Produkte werden auf Schulfesten verkauft. Aus der Einheit „Einführung in die naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als System“ werden zwei Unterrichtsbeispiele vorgestellt: Entdeckungen im Schulgarten (7 Abschn. 8.2.1.1) Modellvorstellung „System Erde“ (7 Abschn. 8.2.1.2)

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Dabei werden folgende Leitideen der Geowissenschaften (. Tab. 8.3) konkretisiert:

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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Chemische Reak on

Wechselwirkung

Entwicklung

Struktur und Funk on

Materie

Energie

System

Nachhal ge Entwicklung

Unterrichtseinheiten

8.2.1 Einführung in die naturwissenscha‚liche Betrachtung der Erde als System (Fokus: Gesamtsystem Erde) X

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X

▶ 8.2.1.1 Entdeckungen im Schulgarten ▶ 8.2.1.2 Modellvorstellung „System Erde“ 8.2.2.1 Ginkgo - lebendig oder fossil? 8.2.2.2 Erhaltungsformen von Lebewesen 8.2.2.3 Modellversuch zur Entstehung von Ablagerungsgesteinen 8.2.2.4 Was bleibt vom Schulhof? 8.2.2.5 Gesteinsprobe untersuchen und ihre Entstehung interpre‹eren ▶ 8.2.2.6 Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde

▶ ▶ ▶ ▶ ▶

8.2.2 Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte (Fokus: Teilsystem Biosphäre)

X

Wie sah es früher in Schleswig-Holstein aus? 8.2.3 Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe? (Fokus: Teilsystem Geosphäre) X

ausgewählte Praxisbeispiele

Keine Beispiele

▶ 8.2.3.1 Erdbeben – wo kommen sie vor? ▶ 8.2.3.2 Lernsta‹onen – dynamische Erde ▶ 8.2.3.3 Wie sind die Hawai’i-Inseln entstanden?

X

8.2.4 Reise eines Wassertropfens in Trappenkamp (Fokus: Teilsystem Hydrosphäre) X

Wie kommt das Salz ins Meer? Wie kommt die Muschel auf den Berg?

▶ ▶ ▶ ▶ ▶

8.2.4.1 Ohne Wasser kein Leben? 8.2.4.2 Modellversuch – Wasser in der Dose 8.2.4.3 Grundwasser 8.2.4.4 Der natürliche Wasserhaushalt – Stoffflussdiagramm 8.2.4.5 Welchen Einfluss hat der Mensch auf den Wasserhaushalt?

Keine Beispiele

Wie ist das Klima – wie ist das Weer in Trappenkamp? 8.2.5 Heiß-kalt, heiß-kalt … – Wie lange geht das schon so? (Fokus: Gesamtsystem Erde)

▶ 8.2.5.1 Schlussfolgerndes Denken ▶ 8.2.5.2 Wie war es früher in Obernkirchen?

8.2.6 Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima? (Fokus: Gesamtsystem Erde) X

X

Welche Rohstoffe stecken im Handy? Was können wir tun, damit unsere Heimatplanet auch für die kommenden Genera€onen noch lebenswert ist?

▶ 8.2.6.1 Biogeochemischer Kohlenstošreislauf Stoffflussdiagramm ▶ 8.2.6.2 Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm Keine Beispiele

Grau scha›erte Kästen zeigen an, ob die naturwissenschažlichen Basiskonzepte bzw. das Konzept der nachhal‹gen Entwicklung implizit berücksich‹gt ist, mit einem zusätzlichen „X“ sind Einheiten markiert, in denen sie jeweils explizit thema‹siert sind. In Klammern ist angegeben, ob die Einheit auf die Erde als Gesamtsystem oder auf einzelne Sphären fokussiert. ..Abb. 8.8  Übersicht über die ausgewählten Praxisbeispiele dieses Kapitels mit Informationen zu den jeweils berücksichtigten Basiskonzepten und den Sphären, deren Merkmale schwerpunktmäßig in den Einheiten erarbeitet werden

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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Im System Erde sind Steine, Wasser, Luft und Lebewesen durch komplexe Wechselbeziehungen miteinander verknüpft. Die Geowissenschaften erforschen die Erde durch Beobachtung, naturwissenschaftliche Schlussfolgerungen und Modellierung.

8.2.1.1

Entdeckungen im Schulgarten Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Entdeckungen im Schulgarten Gärten sind Orte, die die meisten Schülerinnen und Schüler einer weiterführenden Schule bereits im familiären Umfeld, im Kindergarten oder in der Grundschule kennengelernt haben. Für den Einstieg besteht daher im Schulgarten die größtmögliche Wahrscheinlichkeit, dass sie gemäß der konstruktivistischen Lerntheorie aktiv an Vorerfahrungen anknüpfen können. Für den Fall, dass die Lernenden im Umgang mit Lernund Arbeitsplänen noch ungeübt sind, empfiehlt es sich, zunächst nur die erste Aufgabe im Lernmanagementsystem freizuschalten und sich die Arbeitsergebnisse vor der Freischaltung der weiteren Aufgaben vorlegen zu lassen. Die Schülerinnen und Schüler üben typische Tätigkeiten der Feldarbeit im Schulgarten aus. Dazu gehören das Lokalisieren eines Untersuchungsgebietes mit einem digitalen Navigationssystem (hier: Google Maps) und das Anfertigen einer Handskizze mit typischen Merkmalen. Das Auffinden der eigenen Schule im Satellitenbild bei Google Maps mit dem Handy ist für sie eine sehr motivierende und leicht zu bewältigende Aufgabe. Danach erkunden sie die im Schulgarten vorkommenden Pflanzen und Tiere und dokumentieren ihre Beobachtungen exemplarisch: Ein Insekt ihrer Wahl wird mit einer Becherlupe eingefangen und der Fundort in der Handskizze vom Schulgarten mit einem Symbol verortet. Das Insekt wird mit seinen charakteristischen Merkmalen zeichnerisch und fotografisch dokumentiert. Am Beispiel der Pflanzen des Schulgartens identifizieren die Lernenden Beispiele für die Anpassung von Lebewesen an ihren Lebensraum. Die Fundorte werden ebenfalls in der Handskizze verortet und die Ergebnisse schriftlich und zeichnerisch im Themenheft fixiert.

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Das Einfangen von Insekten mit einem Becherlupenglas ist eine Herausforderung für viele Kinder. Manche verfügen über eingeschränkte motorische Fähigkeiten, und einige Kinder ekeln sich vor Insekten. Im Zusammenhang mit der Ergebnissicherung wird im Unterrichtsgespräch herausgearbeitet, warum es wichtig ist, Beobachtungen getrennt von möglichen Interpretationen zu dokumentieren. Dadurch sind sie gezielt gefordert, ihre naturwissenschaftliche Kompetenz zu entwickeln. Der praktischen Erkundung des Schulgartens folgt eine Recherche von vorgegebenen Fachbegriffen der Ökologie (u. a. Ökosystem, Biotop, Biozönose, Nah-

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rungsnetz, Standortbedingungen) im Schulbuch und im Internet. Die Ergebnisse werden in Form von Merksätzen unter Angabe der Quellen schriftlich zusammengefasst. Die Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse erfolgt direkt im Anschluss, indem die Schülerinnen und Schüler das Nahrungsnetz im Schulgarten grafisch darstellen, erklären, warum es heute keine Teichmolche mehr im Schulgarten gibt (. Abb. 8.12), Stellung dazu nehmen, ob der Schulgarten ein System ist, die Lebensräume Schulgarten und asphaltierter Schulhof qualitativ im Hinblick auf Artenvielfalt vergleichen und bewerten.

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Sollte sich bei der Ergebnissicherung herausstellen, dass die Lernenden mit den Basiskonzepten „System“ und „Struktur und Funktion“ noch nicht vertraut sind, werden diese durch die Lehrkraft eingeführt bzw. vorhandene Kenntnisse im interdisziplinären Kontext „Schulgarten“ reaktiviert (. Abb. 8.9 und 8.10). Dies ist ein Beitrag zum kumulativen Wissensaufbau. Abschließend werden die Schülerinnen und Schüler zum Handeln aufgefordert. Diejenigen, die schneller als andere alle Aufgaben bearbeitet haben, erhalten eine Vertiefungsaufgabe. Sie sollen für einen Bereich des Schulgeländes konkret planen, wie er umgestaltet werden müsste, damit sich mehr und verschiedenartigere Lebewesen ansiedeln. Ihren Vorschlag sollen sie der gesamten Lerngruppe präsentieren und sie dazu motivieren, die Idee für einen kleinen Bereich des Schulgeländes praktisch zu realisieren. Dies ist ein Beitrag zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Von den sechs Dimensionen der Medienkompetenz (KMK, 2017) werden je eine oder mehrere Teilkompetenzen gefordert und gefördert. So lernen die Schülerinnen und Schüler die mediale Vielfalt kennen, wenn sie den Schulgarten bei Google Maps auffinden sollen, und trainieren ihre Recherchekompetenz. Beim Anfertigen der Fotos sind sie gefordert, Persönlichkeitsrechte zu beachten, da Personen auf den Fotos nicht erkennbar sein sollen. Das Ausdrucken eines digitalen Fotos vom eigenen Handy erfordert das zielgerichtete Speichern und Wiederfinden. zz Vorwissen

Das Wahlpflichtfach Geowissenschaften kann ohne spezifisches Vorwissen belegt werden.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können die Internetseite Google Maps auf ihrem Handy öffnen und dort den Schulgarten lokalisieren. eine Handskizze vom Schulgarten mit auffälligen Merkmalen, wie Wegen, Beeten und Schuppen, sowie Maßstab und Legende anfertigen.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.9  Plakat „System“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

..Abb. 8.10  Plakat „Struktur und Funktion“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

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im Schulgarten aus verschiedenen Lebewesen ein Insekt für die nähere Untersuchung auswählen, mit einer Becherlupe einfangen und den Fundort in der Handskizze des Schulgartens markieren. eine Detailzeichnung von einem Insekt mit erkennbaren Merkmalen, wie Flügeln, Anzahl der Beine, Gliederung des Körpers und Augen, anfertigen. ein bildausfüllendes, scharfes Foto von einem Insekt anfertigen, auf dem die charakteristischen Merkmale gut erkennbar sind. Merkmale von Biotopen nennen, die eine vielfältige Lebensgemeinschaft begünstigen; die Bedeutung von Fachbegriffen der Ökologie (Biotop/Lebensraum, Biozönose/Lebensgemeinschaft, Ökosystem, Nahrungsnetz, Standortfaktor) wiedergeben. „System“ als Basiskonzept benennen und eine einfache Definition wiedergeben (. Abb. 8.9). den Garten als „System“ identifizieren, exemplarisch Pflanzen und Tieren als Elemente benennen sowie Beziehungen zwischen Lebewesen, Wasser, Boden und Luft (z. B. Nahrung, Rückzugsorte zur Aufzucht des Nachwuchses, Schutz vor Feinden, Atmung, Fotosynthese) beschreiben.

das Basiskonzept „Struktur und Funktion“ im Zusammenhang mit der Verbreitung der Pflanzen im Schulgarten identifizieren und eine einfache Definition wiedergeben (. Abb. 8.10). ein Nahrungsnetz vom Schulgarten zeichnen, in dem die Lebewesen im Sinne von „… wird gefressen von …“ in Beziehung zueinander stehen. den Schulgarten und den asphaltierten Schulhof als Ökosysteme tabellarisch (z. B. im Hinblick auf verfügbare Nahrung, Rückzugsorte zur Aufzucht des Nachwuchses, Schutz vor Feinden) vergleichen und kriteriengeleitet die Eignung des asphaltierten Schulhofes als Lebensraum für eine vielfältige Lebensgemeinschaft beurteilen. eigene Handlungsalternativen entwickeln. – als Vertiefungsaufgabe begründet Vorschläge für eine Schulhofumgestaltung entwickeln, die dort zu einer vielfältigeren Lebensgemeinschaft führen könnte, und die Bereitschaft zur Realisierung entwickeln. – sich den Plan der Mitschülerinnen und Mitschüler über eine Schulhofumgestaltung präsentieren lassen und die Bereitschaft entwickeln, dabei mitzuhelfen.

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zum Thema „Entdeckungen im Schulgarten“. Die Aufgabenstellung berücksichtigt Möglichkeiten einer differenzierten Bearbeitung. Im Schulgarten z. B. werden einige sehr lange für die Handskizze benötigen, während es anderen schwerfällt, zügig ein Insekt einzufangen; insgesamt benötigen sie möglicherweise die gleiche Zeit für beide Aufgaben zusammen. Schülerinnen und Schüler, die die Aufgaben nicht selbstständig bearbeiten können, erhalten Unterstützung durch Teillösungen, Anleitungen oder zusätzliche mündliche Erläuterung durch die Lehrkraft oder Mitschülerinnen und Mitschüler, z. B.: Diejenigen, die noch keine Erfahrung mit Google Maps haben, erhalten Hilfe von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern. Für einen Teil der Lerngruppe ist das Zeichnen des Umrisses des Schulgartens als Handskizze ein Problem. Für sie kann die Projektion des Schulgartens im Satellitenbild hilfreich sein. Die Schülerinnen und Schüler, die zu Hause keinen Zugang zu einem Drucker haben, werden darauf hingewiesen, dass Fotos in Drogeriemärkten ausgedruckt werden können. Die Recherche zur Klärung der Fachbegriffe erfolgt zunächst mit Schulbüchern. Die Ergebnisse werden schriftlich zusammengefasst und mit Lösungsfolien selbstständig kontrolliert, verbessert und ergänzt. Die Internetrecherche dient der Vertiefung und Ergänzung. Sehr langsam arbeitende Schülerinnen und Schüler schreiben die knapp gefassten Begriffserklärungen von den Lösungsfolien ab. So haben alle die wichtigsten Informationen in ihren Themenheften verfügbar. Schülerinnen und Schüler, die alle Aufgaben nachweislich zügig und umfänglich bearbeitet haben, planen ein kleines Projekt. Sie identifizieren einen Bereich auf dem Schulgelände, auf dem wenige Insekten vorkommen und sammeln Ideen, wie dieser verändert werden müsste, damit Insekten sich dort wohlfühlen. Sie planen ein Projekt zur Realisierung und präsentieren die Idee der gesamten Lerngruppe mit dem Ziel, ihre Planung gemeinsam in die Tat umzusetzen.

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Unterrichtspraxis: Entdeckungen im Schulgarten

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>>Material

Klemmbretter mit unliniertem Papier, Bleistift Becherlupen Digitalkamera oder eigenes Handy Bücher oder Apps, die bei der Bestimmung von Pflanzen und Tieren helfen

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Schulbücher Internetzugang, möglichst eigenes mobiles End­gerät

zz Einstieg: „Finde die Schule bei Google Maps!“

Mit dieser Aufforderung werden die meisten Schülerinnen und Schüler begeistert ihre Handys oder anderen elektronischen Endgeräte hervorholen und sich auf die Suche machen. Mit gleichzeitigem Blick auf das Satellitenbild und den Schulgarten erläutert die Lehrkraft die anstehenden Aufgaben und zeigt, wo diese im Lernmanagementsystem jederzeit abgerufen werden können. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k (. Abb. 8.11)

1. Zeichne eine Handskizze vom Schulgarten mit Maßstab und Legende. Der Umriss soll etwa ein DIN A 4 großes Blatt ausfüllen. – Ergänze Bauten (Insektenhotel, Hühnerstall), Beete, Teich, Wege und andere Objekte. 2. Identifiziere und dokumentiere Pflanzen und Tiere im Schulgarten. – Fange ein Insekt deiner Wahl vorsichtig mit der Becherlupe ein. Lokalisiere den Fundort mit einem Symbol in deiner Handskizze vom Schulgarten. – Zeichne das Insekt mit einem Bleistift ca. DIN A 5 groß sorgfältig ab, beschrifte die Körperteile und ergänze eine Größenangabe. – Fotografiere es mit deinem Handy. Drucke das Foto aus und klebe es neben deine Zeichnung in dein Themenheft ein. – Kannst du das Lebewesen identifizieren? Benenne es. – Gibt es Pflanzen, die nur an bestimmten Stellen im Schulgarten vorkommen? Benenne ein Beispiel und lokalisiere das Vorkommen mit einem Symbol in deiner Handskizze. – Erkläre, warum die Pflanzen sich dort angesiedelt haben bzw. dort angesiedelt wurden. 3. Recherchiere die folgenden Fachbegriffe in den bereitliegenden Schulbüchern: Lebensraum (Biotop), Lebensgemeinschaft (Biozönose), Nahrungsnetz, Standortfaktoren, Ökosystem und System. – Fasse die Informationen in deinem Themenheft schriftlich und in eigenen Worten zusammen. Es soll ausreichend Platz für Ergänzungen und Verbesserungen bleiben. Gib deine Quelle an. – Vergleiche mit der Lösungsfolie deiner Lehrkraft und überarbeite deine Aufzeichnungen bei Bedarf mit einem andersfarbigen Stift. – Recherchiere weitere Informationen im Internet, ergänze deine Aufzeichnungen und gib jeweils die Quelle an.

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..Abb. 8.11  Aufgaben im Schulgarten. Lebewesen werden vorübergehend in Becherlupengläsern gehalten, fotografiert und gezeichnet sowie Handskizzen vom Schulgarten angefertigt, ein Nahrungsnetz grafisch dargestellt und Pflanzen dokumentiert. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

..Abb. 8.12  Teichmolche im Schulgarten (2015). (Foto: Sylke Hlawatsch)

4. Stelle das Nahrungsnetz im Schulgarten grafisch dar. – Welche Pflanzen und Tiere im Schulgarten sind Nahrung für andere? Erstelle eine Liste und fertige Fotos an. – Zeichne zunächst das Nahrungsnetz im Schulgarten als Skizze in deinem Themenheft und erstelle dann eine PowerPoint-Folie. Verwende deine eigenen Fotos. 5. Im Jahr 2015 gab es viele Teichmolche im Schulgarten (. Abb. 8.12), die wir heute nicht mehr beobachten können. Erkläre, warum es heute keine Teichmolche mehr gibt. 6. Nimm Stellung zu folgender Aussage deiner Mitschülerin Cathrine: „Der Schulgarten ist ein System, die Lebewesen sind die Elemente des Systems, und sie stehen über das Nahrungsnetz in Beziehung miteinander.“ 7. Lebensraum Schulgelände – Benenne Bedingungen, die Pflanzen zum Wachsen und Tiere zum Überleben und Sichvermehren benötigen. – Vergleiche den asphaltierten Schulhof mit dem Schulgarten. – Beurteile, welcher Lebensraum, Schulhof oder Schulgarten besser geeignet ist für vielfältiges Insektenvorkommen. – Projekt – Alternative 1: Plane eine Maßnahme, damit auf dem Schulgelände mehr Insekten leben können,

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Abb. 8.13  Blick auf die Erde als Ganzes aus dem All. Naturalistische Zeichnung von der Erde als System. (a 7 www. pixabay.com. b Zeichnung eines Schülers)

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und bereite dich darauf vor, deinen Plan vorzustellen. Dokumentiere deinen Plan im Themenheft. – Alternative  2: Informiere dich über die Pläne deiner Mitschülerinnen und Mitschüler, die den Schulhof umgestalten möchten. Kannst du sie dabei unterstützen, die Pläne in die Tat umzusetzen? Was kannst du tun? Beschreibe deinen möglichen Beitrag in deinem Themenheft. 77Bericht

„Wir aus dem Geo-Kurs haben in den letzten Wochen etwas über den Schulgarten erfahren. Wir haben eine Handskizze vom Schulgarten mit allen Gebäuden, Beeten, Büschen und Pflanzen gezeichnet. Danach haben wir eine Handskizze von einem Krabbeltier gezeichnet und den Fundort in die Karte eingefügt. Dann lernten wir die Basiskonzepte kennen. Beim Basiskonzept System haben wir gelernt, was passiert, wenn ein Element fehlt. Zum Beispiel war im Schulgarten einmal ein Teich. Jetzt hat der Teich aber kein Wasser mehr, und deshalb gibt es keine Teichmolche. Das ist eine Landschaftsentwicklung vom Schulgarten. Außerdem haben wir uns gefragt, ob der Schulgarten ein System ist und warum. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass unser Schulgarten ein System ist, weil es verschiedene Elemente (Lebewesen, Pflanzen, Wasser, Luft, Erde und Gestein) gibt, die miteinander in Beziehung stehen.“ (Vier Schüler, Jahrgang 7) 9

8.2.1.2

Modellvorstellung „System Erde“

Ein Satellitenbild von der gesamten Erde zeigt den Lebensraum von uns Menschen als Ganzes und offenbart die Hauptbestandteile: Wasser in flüssiger Form (blau) und als Eis  (weiß), Steine der Wüsten  (bräunlich) und Gebirge  (grau), Lebewesen in Form von Vegetation (grün), und die Atmosphäre zeigt sich durch Wolken (. Abb. 8.13).

b

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Modellvorstellung „System Erde“ Eine Betrachtung der Erde als Ganzes ist nur aus großer Entfernung möglich (. Abb.  8.13). Die Schülerinnen und Schüler werten ein Satellitenbild von der Erde in drei Schritten aus: 1. Beschreibung: Die Schülerinnen und Schüler benennen zunächst Art, Herkunft und Alter der Quelle und beschreiben dann die abgebildeten Farben und wie sie auf dem Bild verteilt sind. 2. Interpretation: Die Schülerinnen und Schüler haben den Schulgarten im Satellitenbild betrachtet und wissen daher aus eigener Anschauung, dass Pflanzen grün dargestellt sind. Auch weitere Farben können sie Materialien zuordnen, da sie über Vorwissen bezüglich der Land-Meer Verteilung auf der Erde verfügen. Durch den Vergleich des Satellitenbildes mit einer Weltkarte im Atlas sind weitere Aussagen möglich. So können sie im Satellitenbild sehen, dass die Erde aus Wasser, Steinen, Luft und Lebewesen besteht. Für weitere Interpretationen können sie Kenntnisse aus der vorherigen Einheit anwenden und schlussfolgern, dass die Erde als Ganzes aus vielen verschiedenen Ökosystemen zusammengesetzt ist und daher auch als Ganzes wie ein System funktioniert. 3. Bewertung: Die Schülerinnen und Schüler reflektieren die Aussagekraft der Quelle.

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Es folgt ein Kurzvortrag der Lehrkraft mit folgenden Inhalten: Die Erde besteht aus Wasser, Luft, Steinen und Lebewesen. Es sind die übergeordneten Teilsysteme des Systems Erde, und sie stehen miteinander in Beziehung. Die übergeordneten Teilsysteme werden als Hydrosphäre  (Wasser), Atmosphäre  (Luft), Lithosphäre (Steine) und Biosphäre (Lebewesen) bezeichnet. Zwischen ihnen fließen Stoffe und Energie. Im gelenkten Unterrichtsgespräch entwickeln die Lernenden dann eine einfache Modellvorstellung in Form

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190

8

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

..Abb. 8.14  Anleitungen helfen Schülerinnen und Schülern, vorhandene Kompetenzen bezüglich der Auswertung von Quellen zu aktivieren und bei Bedarf zu ergänzen. (Foto: Mats Paulat)

einer Schemazeichnung von der Erde als System, die sie in ihr Themenheft übertragen (. Abb. 8.13). Sie dient den Lernenden als übergeordnete Gliederungsstruktur, die durch den nachfolgenden Unterricht zunehmend ausdifferenziert wird. So wird der kumulative Wissenserwerb aktiv unterstützt. Bei der Auswertung des Satellitenbildes entwickeln die Lernenden ihre Medienkompetenz durch die Beschäftigung mit Art und Herkunft der Quelle. Das Satellitenbild von der Erde stammt von der Plattform Pixabay (7 www.pixabay.com/de). Es ist eine kreative Community, die Bilder und Videos frei von Urheberrechten mit anderen teilt. Die Lehrkraft erläutert an diesem Beispiel die Bedeutung von Urheberrecht und geistigem Eigentum und wie Urheber- und Nutzungsrechte bei eigenen und fremden Werken zu berücksichtigen sind. zz Vorwissen

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Die Schülerinnen und Schüler benötigen Vorwissen aus der vorherigen Einheit. Sie sollten im direkten Vergleich des Schulgartens – real und im Bild – gesehen haben, dass Pflanzen im Satellitenbild grün erscheinen. eine physische Weltkarte in einem Atlas finden können. eine einfache Systemdefinition (Basiskonzept „System“) wiedergeben und diese auf den Schulgarten anwenden können.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können die Verteilung der Farben im Satellitenbild beschreiben und ihnen Naturmaterialien zuordnen (blau = Wasser, weiß = Wolken, Schnee, bräunlich, grau = Sand, Steine, grün = Vegetation).

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Ozeane, Pflanzen, Wüsten, Wolken, Schnee und Eis im Satellitenbild identifizieren; die Bedeutung von Urheberrecht und geistigem Eigentum erklären. Urheber- und Nutzungsrechte bei eigenen und fremden Werken berücksichtigen sowie Quellenangaben verfassen (Referenzierungspraxis). die Erde als Ganzes bestehend aus sehr vielen verschiedenen Ökosystemen beschreiben, die sich in der Anordnung, in Mengenverhältnissen und in der Erscheinungsform der Materialien Wasser, Lebewesen, Steine und Luft unterscheiden. eine Schemazeichnung von der Erde als System entwickeln, die Wasser (Hydrosphäre), Luft (Atmosphäre), Steine (Lithosphäre) und Leben (Biosphäre) beinhaltet. die Erde als System mit den übergeordneten Teilsystemen beschreiben, die sich über die ganze Erdkugel hinweg erstrecken. Beispiele für Beziehungen beschreiben, die zwischen den übergeordneten Teilsystemen des Systems Erde bestehen (z. B. Fotosynthese, Atmung). 77Bericht

„Erst hat sich eine von uns nicht so gefreut, dass sie nun Geowissenschaften als WP-Kurs hat, doch es hat nur zwei Wochen gedauert, bis sie richtig viel Freude daran hat. Denn wir sind viel draußen und haben interessante Themen wie zum Beispiel das Basiskonzept System, welches sich langweilig anhört, doch eigentlich einfach ist. Denn, wenn ein Zahnrad in einer Uhr fehlt, ist das System unbrauchbar. Die Erde klingt nicht interessant, doch sie verbirgt so viel, dass es in jeder Themenecke irgendwie spannend wird, und man traurig ist, wenn die Stunde so schnell vorbei ist. Überarbeiten muss man, aber es wird nicht so streng bewertet wie in anderen Fächern. Später in der 7. Klasse macht man auch einen Ausflug. Das wird bestimmt spannend, leider können wir dies zurzeit noch nicht beurteilen.“ (Drei Schülerinnen, Jahrgang 7) 9

zz Differenzierung

Damit der geowissenschaftliche Unterricht an vorhandene Kompetenzen anknüpfen kann, stehen im Fachraum Anleitungen zur Verfügung (. Abb. 8.14).

Unterrichtspraxis: Modellvorstellung „System Erde“

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>>Material

Satellitenbild von der Erde aus dem All (. Abb. 8.13) – an die Wand projiziert – als Farbausdruck (DIN-A5-Querformat) zum Einkleben in die Themenhefte Elektronische Endgeräte möglichst für jede Schülerin und jeden Schüler Lernhilfe: Anleitung „Auswertung von Bildquellen“

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

zz Einstieg

Ein Satellitenbild von der Erde aus dem All wird präsentiert (. Abb. 8.13). Der erste Teil der Bildauswertung erfolgt mündlich im Unterrichtsgespräch. Der Impuls lautet: „Beschreibe das Bild.“ zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Ordne den Farben im Satellitenbild Materialien zu (Wasser, Wolken, Schnee, Sand, Steine, Vegetation). 2. Modellvorstellung „System Erde“ – Die Geowissenschaften betrachten die Erde auf naturwissenschaftliche Weise als System. Erkläre, warum sie das tun. – Stelle grafisch dar, wie du dir die Erde als System vorstellst. 8.2.2

Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte

Die Schülerinnen und Schüler untersuchen Überreste vergangener Lebensformen, die heute als Fossilien in Gesteinen gefunden werden. Dadurch vertiefen und erweitern sie ihre Kenntnisse über die Biosphäre, insbesondere die zeitliche Dimension der Entwicklung des Lebens sowie über Beziehungen der Biosphäre zu den anderen übergeordneten Teilsystemen des Systems Erde Atmosphäre, Hydrosphäre und Lithosphäre. Schon die Tatsache, dass es überhaupt Fossilien gibt, ist ein offensichtlicher Beweis für eine fortwährende Veränderung der Erde. Aus der Einheit „Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte“ werden die folgenden Beispiele im vorliegenden Kapitel beschrieben. Ginkgo – lebendig oder fossil? (7 Abschn. 8.2.2.1) Erhaltungsformen von Lebewesen (7 Abschn. 8.2.2.2) Ein Modellversuch zur Entstehung von Ablagerungsgesteinen (7 Abschn. 8.2.2.3) Was bleibt vom Schulhof ? (7 Abschn. 8.2.2.4) Eine Gesteinsprobe untersuchen und die Entstehung interpretieren (7 Abschn. 8.2.2.5) Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde (7 Abschn. 8.2.2.6)

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Folgende Leitideen der Geowissenschaften (. Tab. 8.3) werden im Unterricht zum Leitthema „Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte“ besonders berücksichtigt: Die Erde und ihre Teilsysteme verändern sich fortwährend. Die Geowissenschaften erforschen die Erde durch Beobachtung, naturwissenschaftliche Schlussfolgerungen und Modellierungen.

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>>Fossilien im Schulunterricht

Das Arbeiten mit originalen Gegenständen im Unterricht erleichtert es den Schülerinnen und Schülern, einen Lebensweltbezug herzustellen. Fossilien sind originale Gegenstände, die in großer Zahl und Vielfalt für den Schulunterricht verfügbar sind. Als Überreste vergangener Lebensformen eignen sie sich als Informationsquelle für die Entwicklung des Lebens auf der Erde und Zustände vergangener Ökosysteme. Die Erkenntnisgewinnung aus Fossilien erfolgt indirekt – erst der Vergleich der Ergebnisse einer Untersuchung von Fossilien mit Kenntnissen über heutige Lebensformen und Ökosysteme erlaubt Rückschlüsse auf vergangene Zustände und Ereignisse. Dieses Vorgehen wird als Retrodiktion (auch: Nachhersage) und das geowissenschaftliche Prinzip, das hier angewendet wird, als Aktualitätsprinzip (auch: „Die Gegenwart ist der Schlüssel zur Vergangenheit“) bezeichnet. Diese Denk- und Arbeitsweise eröffnet in der Schule einzigartige Chancen, da sie die integrierte Anwendung biologischer, chemischer und physikalischer Kompetenzen zwingend erfordert. Die Anforderung, aus eigenen Beobachtungen an originalen Gegenständen Rückschlüsse über die Vergangenheit zu ziehen, ist anspruchsvoll und muss daher systematisch eingeführt und wiederholt geübt werden.

8.2.2.1

Ginkgo – lebendig oder fossil?

Ginkgos (. Abb. 8.15) gibt es in Deutschland in vielen Gärten und Parks. Sie werden als lebende Fossilien bezeichnet, da sie heute lebendig, aber auch als Fossilien vorkommen.

Allgemeine pädagogische und didaktische Hinweise: Ginkgo – lebendig oder fossil? Ginkgos sind eine heutige Lebensform, die schon so lange auf der Erde vorkommt, dass es auch Fossilien von ihnen gibt. Die Gegenüberstellung veranschaulicht im Unterricht das Potenzial von Fossilien als Informationsquelle für die Erdgeschichte. Das „lebende Fossil“ Ginkgo eignet sich sehr gut für den Einstieg in den Unterricht zum Thema „Fossilien“, da die Blätter lebender Bäume für Lehrkräfte leicht und kostengünstig in großer Zahl zu beziehen und fossile Exemplare in vielen Museen ausgestellt bzw. Fotos davon im Internet leicht verfügbar sind. Den Schülerinnen und Schülern werden zunächst Ginkgoblätter ausgehändigt, die sie in ihre Themenhefte einkleben dürfen. Diese Blätter betrachten sie mit dem bloßen Auge und mit einer Handlupe. So identifizieren sie die charakteristischen Merkmale eines Ginkgoblattes, die sie mittels einer Zeichnung und einem Foto dokumentieren.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

..Abb. 8.15  Ein Ginkgo in einem Garten in Schleswig-Holstein (links). Die Laubblätter sind fächerförmig und in der Mitte mehr oder weniger stark eingekerbt (rechts). (Fotos: Sylke Hlawatsch)

>>Umgang mit einer Handlupe

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Der Umgang mit einer Handlupe erfordert etwas Übung. Der Untersuchungsgegenstand wird mit einer Hand so gehalten, dass viel Licht auf ihn fällt, während die Lupe mit der anderen Hand direkt vor ein Auge gehalten wird. Dann wird der Abstand von Untersuchungsgegenstand und Auge langsam verringert, bis der Gegenstand scharf zu erkennen ist.

Der praktischen Arbeit an originalen Ginkgoblättern folgt ein Rechercheauftrag zum Auffinden weiterer Informationen zum Ginkgo und zur Klärung der Begriffe „fossil“ und „lebendig“ in Sachbüchern und im Internet. Die gewonnenen Erkenntnisse wenden sie dann an, um Überreste von Ginkgoblättern in Gesteinen als solche zu identifizieren. Idealerweise werden ihnen hierfür mehrere verschiedenartige Fossilien im Original ausgehändigt, unter ihnen auch ein fossiles Ginkgoblatt. Alternativ können Fotos aus dem Internet vorgelegt werden, da sie die charakteristischen Merkmale auch sehr eindeutig zeigen. Die Lernenden sind leicht davon zu überzeugen, dass es sich um die gleiche Pflanze handelt. Schließlich beantworten die Schülerinnen und Schüler in Einzelarbeit die Frage „Ist der Ginkgo Baum ein lebendes Fossil?“. Sie führen eine Analyse durch und berücksichtigen dafür die charakteristischen Merkmale von Ginkgos und die Definitionen der Begriffe „lebendig“ und „fossil“. Die Ergebnisse stellen sie übersichtlich als dreispaltige Tabelle dar. Für jedes charakteristische Merkmal von Ginkgos überprüfen sie, ob es für „lebendig“ und „fossil“ zutrifft (. Abb. 8.17). Die Ergebnisse fassen sie schriftlich zusammen und begründen ihre Aussage unter Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse. Hier sind Bilder von lebendigen Ginkgos und von fossilen Überresten einzufügen und ebenfalls die Quellen anzugeben. Sie dürfen hierfür eine DIN-A4-Seite mit einem Textverarbeitungsprogramm erstellen, diese ausdrucken und in ihr Themenheft einkleben. Von den sechs Dimensionen der Medienkompetenz (KMK, 2017) werden je eine oder mehrere Teilkompeten-

zen gefordert und gefördert. Die Lernenden entwickeln ihre Medienkompetenz schwerpunktmäßig in Bezug auf den Kompetenzbereich „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ von Informationen und Fotos. Ein Teil der Lerngruppe erstellt eine Seite mit einem Textverarbeitungsprogramm und ist dabei auch gefordert, Fotos einzufügen. 77Beispiel für eine vollständige Quellenangabe

Bundesamt für Naturschutz (keine Angabe): Ginkgo. Internet: 7 https://naturdetektive.bfn.de (Abruf: 16.03.2022) 9

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten Grundbegriffe der Ökosystemlehre in der Unterrichtssequenz „Entdeckungen im Schulgarten“ erarbeitet und die Ergebnisse in den Themenheften schriftlich fixiert haben, sodass sie die Bedeutungen nun bei Bedarf nachschlagen können. charakteristische Merkmale von Lebewesen identifizieren und zeichnerisch und fotografisch dokumentieren können. zielorientiert die Bedeutung von Fachbegriffen unter Verwendung eines Schul- oder Sachbuches klären können. einen vorgegebenen Link in die Adresszeile eines Internetbrowsers eingeben können. Präsentations- und Textverarbeitungsprogramme auf dem eigenen Endgerät öffnen und die Dateien so abspeichern können, dass sie sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederfinden. die Bereitschaft zeigen, verwendete Quellen angeben zu wollen. zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können eine Handlupe sachgemäß anwenden und bei Bedarf Mitschülerinnen und Mitschülern helfen. charakteristische Merkmale eines Ginkgoblattes mithilfe einer Lupe identifizieren, diese zeichnerisch und fotografisch dokumentieren.

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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..Abb. 8.16  Im Fachraum (a) befindet sich eine Auswahl an Sachbüchern, die auch Informationen zu Ginkgobäumen enthalten und als weitere Quelle hinzugezogen werden können. Es kann hilfreich sein, wenn die Schülerinnen und Schüler die gefundenen Informationen

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Fotos von Ginkgoblättern bzw. Abdrücke davon in Gesteinen im Internet finden, abspeichern und ggf. in einen digitalen Text einfügen. Kriterien des „Lebendigen“ benennen. den Begriff „fossil“ definieren. begründen, dass ein Ginkgo ein „lebendes Fossil“ ist. gewonnene Erkenntnisse schriftlich zusammenfassen und Quellen angeben.

zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zu der Frage „Ginkgo – lebendig oder fossil?“. Unterstützungsmaßnahmen: Einige Schülerinnen und Schüler sind mit dem Umgang einer Handlupe wenig vertraut, und einige können die Struktur der Ginkgoblätter nicht erkennen. Die Lehrkraft sieht diese Probleme anhand der Zeichnungen im Themenheft und gibt gezielt die erforderlichen Hilfestellungen im persönlichen Gespräch. Die im Internet verfügbaren Texte sind nicht immer für Kinder geschrieben. Bei einer freien Recherche kann es passieren, dass die Schülerinnen und Schüler keine verständlichen Sachinformationen finden. Daher wird eine Kinderseite für die Internetrecherche vorgegeben, die zuerst vollständig auszuwerten ist. Die freie Internetrecherche erfolgt nur für diejenigen, die die erste Aufgabe vollständig bewältigt haben. Als weitere Informationsquelle sind im Fachraum gut bebilderte Sachbücher zur Klärung der Sachverhalte verfügbar.

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auf Zettel schreiben, die sie dann in Gruppenarbeit in eine sinnvolle Reihenfolge bringen (b). Das Ergebnis ist ein Gerüst für das Schreiben ihrer Zusammenfassung der Rechercheergebnisse. ((a): Mats Paulat. (b): Sylke Hlawatsch)

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Manche Lerngruppen müssen das schriftliche Zusammenfassen der aus verschiedenen Quellen gewonnenen Erkenntnisse noch üben. Diese erhalten die Aufgabe, zunächst ihre Informationen auf separate Zettel zu schreiben. In kleinen Gruppen können sie sich die Informationen dann gegenseitig vorlesen, sie gemeinsam sortieren und in einer sinnvollen Reihenfolge anordnen. So erhalten sie ein Textgerüst, das sie für ihre Zusammenfassung verwenden können (. Abb. 8.16). Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler schreiben ihre Zusammenfassung mit einem Textverarbeitungsprogramm, fügen geeignete Abbildungen ein und versehen sie mit Bildunterschriften und Quellenangaben. Anschließend wird die Seite ausgedruckt und in das Themenheft eingeklebt.

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Unterrichtspraxis: Ginkgo – lebendig oder fossil?

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>>Material

Originale Ginkgoblätter, ggf. ausgedruckte Fotos vom Baum mit Information zum Probenahmedatum und -ort Handlupen Fossilien von Ginkgos und ggf. weiteren Fossilien bzw. Fotos davon Elektronische Endgeräte mit Internetzugang sowie einem Textverarbeitungsprogramm Zugang zu einem Drucker

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

– Ist der Ginkgo ein Fossil? Begründe deine Antwort. – Analysiere tabellarisch, ob die Kriterien, die für „lebendig“ gelten, auf den Ginkgo zutreffen. 77Schülerantworten (Jahrgang 7)

Beispiel 1: „Der Ginkgo ist ein lebendes Fossil, weil alle Kriterien zutreffen.“ Beispiel 2: „Der Ginkgo ist ein lebendes Fossil, weil er sowohl die Kriterien für Fossilien als auch die Kriterien des Lebendigen erfüllt.“ Beispiel 3: „Ginkgobäume gibt es heute in Gärten, wo sie wachsen, sich fortpflanzen, Stoffwechsel haben, sich entwickeln und auf Reize reagieren. Sie verfügen über alle Merkmale von Lebewesen, sind also lebendig. Es gibt aber auch Überreste von Ginkgobäumen in 200 Mio. Jahre alten Gesteinen. Somit gibt es den Ginkgo auch als Fossil. Lebewesen, die so lange auf der Erde existieren, dass sie sowohl lebendig als auch fossil vorkommen, nennen wir lebende Fossilien. Ginkgobäume sind Beispiele dafür.“ 9

..Abb. 8.17  Analyse, ob die Kriterien des Lebendigen auf den Ginkgo zutreffen

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zz Einstieg

Die Lehrkraft zeigt der Lerngruppe ein Ginkgoblatt und erläutert die anstehende Aufgabe. Dann wird im Unterrichtsgespräch gemeinsam eine Forschungsfrage oder eine andere Überschrift für die Aufzeichnungen im Themenheft entwickelt, z. B.: „Was ist das?“ Während die Schülerinnen und Schüler die Überschrift notieren, teilt die Lehrkraft die Ginkgoblätter aus. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Beobachte und dokumentiere. – Betrachte das Untersuchungsobjekt mit einer Handlupe. Zeichne es mit einem angespitzten Bleistift. Versieh deine Zeichnung mit einem Größenmaßstab. – Klebe das Objekt ein und ergänze eine geeignete Bildunterschrift mit Informationen zum Fundort und Probenahmedatum. – Beschreibe die äußere Form und die Struktur mit eigenen Worten. 2. Recherchiere zum Begriff „Ginkgo“. – Verwende zunächst die bereitliegenden Sachbücher, besuche dann die Internetseite „Ginkgo – lebendes Fossil und Jahrtausendbaum“ (Lexikon „Natur­ detektive“ vom Bundesamt für Naturschutz; 7 https://naturdetektive.bfn.de/lexikon/pflanzen/ ginkgo.html). – Notiere deine Rechercheergebnisse mit Quellenangabe in deinem Themenheft. – Schreibe eine Zusammenfassung deiner Rechercheergebnisse handschriftlich in dein Themenheft oder mit einem Textverarbeitungsprogramm auf dein elektronisches Endgerät. Ergänze ein geeignetes Foto von einem fossilen Ginkgoblatt mit Bildunterschrift und Quellenangaben. 3. Ist der Ginkgo ein „lebendes Fossil“? – Kläre die Begriffe „lebendig“ und „fossil“.

8.2.2.2

Erhaltungsformen von Lebewesen

Lebewesen können in verschiedenen Formen erhalten bleiben: als originale Körperteile, Füllungen von Schneckengehäusen, Spuren, Ausscheidungen oder Abdrücke (. Abb. 8.18). Sie entstehen, wenn Lebewesen von Ablagerungen so überdeckt werden, dass sie nicht verwesen können. Dies geschieht insbesondere in den Ozeanen, wo sich Verwitterungsschutt, der über Flüsse dorthin gelangt, ablagert oder Kalkschlamm ansammelt.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Erhaltungsformen von Lebewesen Viele Schülerinnen und Schüler haben bereits bei Spaziergängen zu Hause oder im Urlaub Fossilien gefunden und sind gerne bereit, eigene Fundstücke mit in den Unterricht zu bringen. So kann für sie selbst und auch für die anderen, die bisher keine eigenen Fossilien gefunden haben, ein Lebensweltbezug hergestellt und das Interesse geweckt werden. Die Lehrkraft stellt im Fachraum eine Auswahl an Fossilien in verschiedenen Erhaltungsformen in so großer Anzahl zur Verfügung, dass alle ein eigenes Exemplar auswählen können (. Abb. 8.18). Folgende Erhaltungsformen sollten dabei sein: Körperfossilien: Zähne, Knochen, Schneckengehäuse, Muschelschalen. Steinkerne: Verfügt ein Lebewesen über ein Gehäuse wie etwa eine Schnecke oder ein Seeigel, kann das Gehäuse nach dem Tod des Tieres mit Schlamm ausgefüllt werden. Die Füllung verfestigt sich mit der Zeit und wird zu Stein. Ein solcher Steinkern kann lange Zeiträume erhalten bleiben, selbst wenn die ursprüngliche Schale bereits aufgelöst ist. Spurenfossilien: Selbst wenn der Körper eines Lebewesens komplett verschwunden ist, kann es fossile Überreste in Form von sog. Spurenfossilien geben.

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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..Abb. 8.18  Beispiele für Erhaltungsformen von Lebewesen: Vom Seeigel ist das Originalgehäuse als Körperfossil erhalten und darunter ein Steinkern zu erkennen (a). Die zarten Blüten sind Körperfossilien  (b), die Muschelschale ist als Körperfossil und als Abdruck er-

halten (c), der lang gestreckte bräunliche Klumpen ist ein Koprolith (Urzeithof Stolpe, Schleswig-Holstein) (d), der Fußabdruck ist ein Spurenfossil von einem Dinosaurier (e), der Fisch ist als Körperfossil erhalten (f). (Fotos: Sylke Hlawatsch)

Genauso wie wir heute z. B. bei einem Spaziergang Fußabdrücke in weichem Untergrund hinterlassen, erzeugten vor Jahrmillionen Saurier und andere Lebewesen Fußspuren in weichem Schlamm. Weitere Spuren entstehen, wenn eine Schnecke den Grund abweidet, ein Wurm sich durch Sandablagerungen am Meeresgrund frisst, Baumwurzeln im Boden wachsen oder Tiere Wohnbauten für sich herstellen. Abdruck: Es ist auch möglich, dass z. B. die Schale einer Schnecke, die Haut eines Dinosauriers oder sogar weiche Körper von Quallen einen Abdruck in Gesteinen hinterlassen haben.

Die Durchführung und Auswertung erfolgen nach folgendem Schema: Forschungsfrage formulieren Hypothese entwickeln Versuchsaufbau skizzieren Versuchsdurchführung beschreiben Ergebnisse bzw. Beobachtung dokumentieren Schlussfolgerung schreiben

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Auch Kothaufen können fossil überliefert sein. Sie werden als Koprolith bezeichnet (. Abb. 8.18d). Die Forschungsfrage für die Unterrichtsphase lautet: „Wie ist ‚mein‘ Fossil entstanden?“ Die Schülerinnen und Schüler notieren diese Frage zunächst im Themenheft und entwickeln dann eine Hypothese bezüglich der möglichen Entstehung, für die sie auch eine Zeichnung und ein Foto von „ihrem“ Fossil anfertigen. Den Prozess, der dazu führt, dass Überreste von Lebewesen als Fossilien erhalten bleiben, können wir aufgrund der erforderlichen Zeiträume, in denen Fossilien in der Natur entstehen, nicht direkt und in situ beobachten. Die Schülerinnen und Schüler können aber die Entstehung mehrerer Erhaltungsformen durch einen einfachen Modellversuch nachvollziehen (. Abb. 8.19).

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Wenn eine Lerngruppe das erste Mal einen Modellversuch zur Erkenntnisgewinnung nutzt, ist eine ausführliche und schrittweise Einführung erforderlich. Dafür ist im Unterrichtsverlauf für jeden Abschnitt eine Zwischensicherung durchzuführen und die Ergebnisse jeweils an einer Tafel zu fixieren. So können alle den gesamten Vorgang in ihrem Themenheft protokollieren. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Lernenden Beobachtungen und Interpretationen getrennt darstellen. Die oben vorgestellte Abfolge ist generell für Erkenntnisgewinnung im kompetenzorientierten naturwissenschaftlichen Unterricht üblich. Im Fall von Modellversuchen ist es Bestandteil der Schlussfolgerung, das Modell mit dem Original zu vergleichen und die Aussagekraft zweckbezogen kritisch zu bewerten. >>Naturwissenschaftlich Arbeiten

Die Bildungsstandards für die drei naturwissenschaftlichen Fächer definieren Ziele für die naturwissenschaftliche Grundbildung, die im angelsächsischen

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.19  Modellversuch zur Entstehung von Fossilien. Das Ergebnis zeigt Originalerhaltung und Abdruck. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

Sprachraum auch als scientific literacy bezeichnet wird (7 Kap. 4; KMK, 2005a, b, c). Eines der Ziele ist es, „sich mit ihren spezifischen Methoden der Erkenntnisgewinnung und deren Grenzen auseinanderzusetzen. Dazu gehört das theorie- und hypothesengeleitete naturwissenschaftliche Arbeiten, das eine analytische und rationale Betrachtung der Welt ermöglicht.“ (KMK, 2005c)

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Die Lehrkraft weist bei der Ergebnissicherung des Versuches darauf hin, dass sich zunächst lockere Materialien aufgrund von Zementation verfestigen. Dieser Sachverhalt ist bei der Entstehung von Ablagerungsgesteinen, die Gegenstand einer späteren Unterrichtseinheit sein werden, wichtig. Ihre Erkenntnisse aus dem Modellversuch wenden die Schülerinnen und Schüler dann zunächst an „ihrem“ Fossil an, das sie zu Beginn des Unterrichts ausgewählt haben. Sie erstellen eine Tabelle mit den drei Spalten „Bezeichnung“, „Beschreibung“ und „Foto“ und ergänzen für „ihr“ Fossil die Bezeichnung, eine Beschreibung des Entstehungsprozesses und ein Foto. Dann wenden sie sich den anderen bereitliegenden Fossilien zu, wählen für jede weitere mögliche Erhaltungsform ein Beispiel aus und tragen diese ebenfalls in ihre Tabelle ein. Zumindest ein Teil der Lerngruppe verwendet ein Textverarbeitungsprogramm für die Erstellung der Tabelle und füllt diese mit den Fotos und Texten. Von den sechs Dimensionen der Medienkompetenz (KMK, 2017) wenden die Lernenden bereits eingeübte Tätigkeiten in Bezug auf „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ an, wenn sie ihre Fotos abspeichern und wiederfinden müssen.

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten mit ihrem eigenen Endgerät Fotos anfertigen und abspeichern können. eigene Fotos entweder ausdrucken oder in ein Textverarbeitungsprogramm einpflegen können. zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können

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Erkenntnisse über Erscheinungsformen von Fossilien aus einem Modellversuch gewinnen und ihre Entstehung mit eigenen Worten beschreiben. charakteristische Merkmale von Erhaltungsformen von Fossilien als Zeichnung oder mit Fotos dokumentieren. einen Modellversuch vollständig mit Forschungsfrage, Hypothese, Versuchsaufbau, Beschreibung der Versuchsdurchführung, Ergebnisse und Schlussfolgerung durchführen und protokollieren. den Erhaltungsformen (Körperfossilien, Steinkernen, Spuren und Abdrücken) Fossilien zuordnen. Informationen (Fachbegriffe, Fotos, Beschreibungen) zu den Erscheinungsformen in einer Übersichtstabelle zusammenstellen – ein Teil der Lerngruppe mit einem Textverarbeitungsprogramm.

zz Differenzierung

Für die Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche sind Arbeitsschritte mit den unterschiedlichen Anforderungsbereichen (Wiedergabe, Anwendung, Transfer) vorgesehen. Die gesamte Lerngruppe führt den Modellversuch durch und dokumentiert ihn im Themenheft. Das Bearbeitungsniveau der Dokumentation wird gemäß dem individuellen Leistungsvermögen variieren. Die Forschungsfrage kann durch die Lehrkraft vorgegeben werden. Im Sinne der konstruktivistischen Lerntheorie empfiehlt es sich aber, die Schülerinnen und Schüler selbst eine Frage formulieren zu lassen. Einigen wird dies gelingen, und sie werden gebeten, ihre Ergebnisse vorzustellen. Im Unterrichtsgespräch wird dann überprüft, welche Fragen so formuliert sind, dass sie mit dem geplanten Modellversuch beantwortet werden können. Alle, die keine eigene geeignete Frage formulieren konnten, erhalten ein geeignetes Beispiel zum Abschreiben von der Lehrkraft oder einem Mitschüler bzw. einer Mitschülerin. Im nächsten Schritt sollen die Lernenden eine Antwort auf die Frage finden und dafür überlegen, was sie zu dem Thema schon wissen. Für diesen Schritt ist es ausdrücklich erlaubt, Schulbücher oder andere Quellen zu nutzen (Hypothese). Auch jüngere und leistungsschwä-

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

chere Lernende sollten dazu aufgefordert werden, da sie dadurch ihr Vorwissen aktivieren. Die Ergebnisse sind entsprechend mehr oder weniger differenziert ausgearbeitet. Sie müssen an dieser Stelle auch noch nicht richtig sein. Da wir bestimmte Ziele mit dem Modellversuch verfolgen, ist es erforderlich, den Unterricht inhaltlich zu steuern. Das geschieht hier, indem die Schülerinnen und Schüler zu Beginn ein Fossil auswählen. Sie benötigen aber auch Informationen zu den verfügbaren Materialien für den Modellversuch. Diese werden zur Ansicht bereitgestellt. Dies geschieht auf eine Weise, dass sie direkt als Versuchsskizze abgezeichnet werden können. Vertiefend kann ein Foto vom Versuchsaufbau angefertigt und im Protokoll zusätzlich ergänzt werden. In beiden Fällen – Foto und Zeichnung – sind alle Teile zu beschriften. Als Lernhilfe eignet sich eine Schemazeichnung des Versuchsaufbaues als Kopie zum Einkleben und Beschriften. Die Durchführung von Versuchen macht allen Beteiligten viel Spaß, ist mit kompletten Schulklassen aber eine Herausforderung für die Lehrkraft. Für die Versuchsdurchführung erhalten die Schülerinnen und Schüler eine Anleitung. Probleme entstehen, wenn nicht alle die Anleitungen lesen bzw. manche sie nicht verstehen können oder wollen. Hier bietet die beschriebene Vorgehensweise Möglichkeiten zur Differenzierung, da die Protokolle von einigen schneller bearbeitet werden als von anderen. So hat die Lehrkraft die Möglichkeit, den Versuch erst von einem kleineren Teil der Lerngruppe durchführen zu lassen und mit diesen alle offenen Fragen zu klären, während die anderen weiter an ihren Aufzeichnungen arbeiten. Diejenigen der ersten Gruppe können dann den anderen bei der Versuchsdurchführung helfen. Ein Problem bei dem hier beschriebenen Modellversuch ist z. B., dass die Schülerinnen und Schüler zu viel Wasser für ihr Gips-Sand-Gemisch verwenden, da manche die Mengenverhältnisse nicht richtig abmessen können. Von den Ergebnissen sollen für das Protokoll Fotos und Zeichnungen angefertigt werden, die mit eigenen Worten beschrieben werden sollen. Anhand der Fotos und Zeichnungen ist für die Lehrkraft ersichtlich, ob die Lernenden das beabsichtigte Ergebnis überhaupt erkannt haben. Hier muss ggf. individuelle Hilfe geleistet werden. Für diejenigen, die weder geeignete Fotos noch geeignete Zeichnungen anfertigen können, stellt die Lehrkraft Fotos zum Einkleben bereit. Zur Schlussfolgerung gehört es für alle, die Forschungsfrage zu beantworten. Leistungsfähigere Schülerinnen und Schüler erstellen zudem eine Übersichtstabelle über verschiedene Fossilien. Dies kann auf verschiedene Arten erfolgen: Handschriftlich im Themenheft mit bereitgestellten Fotos und bei Bedarf auch mit Textbausteinen Handschriftlich mit eigenen Fotos Mit einem Textverarbeitungsprogramm auf einer Seite, die dann ausgedruckt und in das Themenheft eingeklebt wird

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Da alle in ihrem eigenen Tempo arbeiten, wird es einen Zeitpunkt geben, zu dem ein Teil der Schülerinnen und Schüler ihre Protokolle fertig hat, während andere gerade erst die Forschungsfrage beantwortet haben. Zu diesem Zeitpunkt soll die gemeinsame Ergebnissicherung erfolgen.

Unterrichtspraxis: Erhaltungsformen von Lebewesen

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>>Material

Etwa 30 Fossilien: Steinkern, Abdruck, Spurenfossil, Körperfossil (. Abb. 8.18) Handlupen Für den Modellversuch: Tetra-Pak-Behälter (z. B. leere Milchtüte) und zwei natürliche Objekte (Schneckengehäuse, Tannenzapfen, Stein), Vaseline, Leitungswasser, Gips, Sand, Gipsbecher mit Stock zum Umrühren, Hammer und Schutzbrille Lernhilfen: Checkliste für Versuchsprotokolle

zz Einstieg

Die Lehrkraft präsentiert Fossilien von Schnecken, Muscheln oder Seeigeln in verschiedenen Erhaltungsformen in so ausreichender Zahl, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler sie nahezu zeitgleich anschauen können. Diese werden mit einer Handlupe betrachtet, und im Unterrichtsgespräch werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausgearbeitet. Dann soll jede Schülerin und jeder Schüler ein Exemplar auswählen und die Forschungsfrage als Überschrift im Themenheft notieren: „Wie ist ‚mein‘ Fossil entstanden?“ zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Forschungsfrage – Notiere deine Forschungsfrage als Überschrift auf einer neuen Seite in deinem Themenheft. 2. Hypothese – Zeichne und beschreibe dein Fossil, fertige ein Foto an und klebe es in dein Themenheft ein. – „Was glaubst du, wie es entstanden sein könnte?“ Überlege selbst und recherchiere in Schulbüchern zum Thema, fasse deine Erkenntnisse zusammen und schreibe deine Vorstellungen auf. – Begründe deine Vorstellungen und notiere, wo du die Informationen gefunden hast (Quellenangabe). 3. Versuchsskizze – Zeichne den Versuchsaufbau mit Bleistift und Lineal sauber ab und beschrifte alle Teile. 4. Versuchsdurchführung – Du benötigst einen Tetra-Pak-Behälter (z. B. leere Milchtüte) und zwei natürliche Objekte (Schneckengehäuse, Tannenzapfen, Stein), Gips, Sand, Gipsbecher mit Stock zum Umrühren, Hammer und Schutzbrille.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

– Schneide den oberen Teil des Tetra-Pak-Behälters so ab, dass du eine ca. 10 cm hohe Box erhältst, und beschmiere deine natürlichen Objekte mit Vaseline. – Vermische einen Teil Gips mit einem Teil Sand. Gib so lange löffelweise Wasser hinzu, bis die Mischung fließfähig ist. Fülle den Behälter bis zu einem Drittel mit der Gips-Sand-Mischung. – Lege deine Naturobjekte hinein und schütte den Rest deiner Mischung darüber. Warte, bis die Mischung gehärtet ist. Je nachdem, wie viel Wasser du hinzugegeben hast, kann es eine Woche oder sogar länger dauern. – Entferne den Tetra-Pak-Behälter und lege deinen Gips-Sand-Block auf eine feste Unterlage – am besten auf Gehwegplatten draußen – und fertige ein Foto an. – Schlage mit dem Hammer mittig – nicht zu fest – auf den Gipsblock. Er soll nur in zwei bis drei Teile zerspringen. Sammele alle Teile ein. – Beschreibe deine Versuchsdurchführung so, dass eine Person, die nicht dabei war, ihn alleine mit deiner Beschreibung richtig durchführen kann. 5. Ergebnis – Dokumentiere das Ergebnis mit Fotos, Zeichnungen, Beschriftungen und Beschreibungen. 6. Schlussfolgerung – Fasse alle deine Ergebnisse und Erkenntnisse schlussfolgernd zusammen: Beantworte die Forschungsfrage, erkläre das Ergebnis, vergleiche die im Modellversuch stattfindenden Prozesse und das Ergebnis mit den entsprechenden natürlichen Vorgängen. – Erstelle eine Tabelle mit den Spaltentiteln „Bezeichnung der Erhaltungsformen“, „Entstehungsprozess“ und „Beispielfoto“. Fotografiere für jede mögliche Erhaltungsform (Körperfossil, Steinkern, Abdruck, Spurenfossil) ein Beispiel aus der Sammlung so, dass die typischen Merkmale gut zu erkennen sind. Erstelle die Tabelle handschriftlich in deinem Themenheft oder arbeite mit einem Textverarbeitungsprogramm. 8.2.2.3

Modellversuch zur Entstehung von Ablagerungsgesteinen

Fossilien finden wir – wenn überhaupt – in Ablagerungsgesteinen (auch: Sedimentgesteinen, Sedimentiten), besonders in solchen, die in Ozeanen entstehen. Ein Modellversuch veranschaulicht die Entstehung von Ablagerungsgesteinen und deren typische Merkmale Schichtung und klastische Bestandteile.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Modellversuch zur Entstehung von Ablagerungsgesteinen Ablagerungsgesteine entstehen aus lockeren Ablagerungen unterschiedlichen Ursprungs, die aufgrund von Verwitterung aus Gesteinen entstehen und durch Wasser und Wind an der Erdoberfläche transportiert werden. Solche, die durch Verwitterung von Gesteinen im Mittel- oder Hochgebirge entstehen, werden als Klastika bezeichnet. Während des Transportes vom Gebirge bis zum Meer werden sie nach Größe sortiert und zunehmend runder. Die Ablagerungen verschiedener Orte unterscheiden sich daher auf charakteristische Weise in der Korngröße und auch dem Rundungsgrad der klastischen Bestandteile. Die Lehrkraft informiert darüber, dass häufig im Alltag verwendete Begriffe wie „Sand“ und „Kies“ in der Bauindustrie und den Geowissenschaften Fachbegriffe sind, die sich auf bestimmte Korngrößen beziehen (. Tab. 8.4). So können auch während der Einheit noch Lebensweltbezüge hergestellt werden. Es bietet sich an, im Zusammenhang mit dieser Einheit, den Unterschied von Fachsprache und Alltagssprache am Beispiel des Begriffes „Sand“ zu erläutern. Es ist ein Begriff, der im Alltag viel verwendet wird, in geowissenschaftlichen Zusammenhängen aber nur für Körner mit Durchmessern von 0,063–2 mm. Auch die Begriffe „Blöcke“, „Sand“ oder „Ton“ sind Fachbegriffe für bestimmte Korngrößen. Die Schülerinnen und Schüler können Ablagerungsprozesse im Wasser gut im Klassenraum mit einem Modellversuch untersuchen. Hierfür wird ein Gemisch aus klastischen Bestandteilen (Korngrößenspektrum: Ton bis Sand) portionsweise in einen mit Wasser gefüllten Glasbehälter gefüllt und beobachtet, wie sich diese am Boden ablagern. Der Sinkvorgang und die Ablagerungen am Boden werden mit Fotos und Videos dokumentiert. Das Glasgefäß ist ein Modell für einen Ozean. Beim Sinken der Körner in der Wassersäule kommt es zu einer Sortierung der Bestandteile nach Korngröße aufgrund von Wechselwirkungen zwischen dem Wasser und den Körnern: Je größer die Körner sind, desto schneller sinken sie. Die größeren Körner liegen bei jeder Schicht unten, und darauf folgen kleinere. Diese Korngrößensortierung ist im Versuch die Ursache dafür, dass deutlich sichtbare Schichten am Gefäßboden entstehen. Diese nennt man auch gradierte Schichtung. Die naturwissenschaftlichen Bildungsstandards (7 Kap. 4) sehen vor, dass Basiskonzepte das Fachwissen strukturieren. Dieser Modellversuch zur Sedimentation ist eine gute Gelegenheit, das Basiskonzept „Wechselwirkung“ (. Abb.  8.20) explizit zu besprechen. Es beschreibt die Wirkung von Kräften im System Erde. Ein Beispiel ist, dass Massen sich gegenseitig anziehen (Gravitation). Daraus resultiert die Gewichtskraft, die überall auf der Erde wirkt, im gesamten Sonnensystem und

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Tab. 8.4  Fachlich richtige Bezeichnung von Korndurchmessern gemäß DIN (Deutsche Industrie Norm) Bezeichnung

Korndurchmesser

Ton

 63 mm

Blöcke

> 200 mm

darüber hinaus. Alle losen Objekte, auf die die Erde eine größere Kraft ausübt, als auf sie zurückwirkt, werden so lange Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt, bis sie auf ein Hindernis treffen. Das ist der Grund dafür, dass auf der Erde alles Wasser sich in Flüssen sammelt, bis zum tiefsten Punkt auf der Erdoberfläche (Ozeane) fließt und sich dort sammelt. Auf dem Weg nimmt es alle lockeren Bestandteile mit. In der Natur findet man Blöcke in der Nähe des Ursprungsortes (Liefergebiet), Kies in Gebirgsbächen, Sand am Strand und Ton beispielsweise in der Tiefsee. Naturgemäß sind im Ablagerungsprozess die unteren Schichten älter als die weiter oben liegenden. Dieser Sachverhalt nennt sich Lagerungsgesetz und wird in der folgenden Einheit wieder aufgegriffen. Die Geowissenschaften gehen davon aus, dass dies seit Entstehung der Erde immer so gewesen ist, und haben aufgrund dieser Annahme das geowissenschaftliche Prinzip des Aktualismus formuliert. Wenn möglich, sollte das Versuchsergebnis im Klassenraum auf einem Schrank für den nachfolgenden Unterricht stehen bleiben, damit darauf verwiesen werden kann. zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler haben in der vorherigen Einheit einen Modellversuch durchgeführt und verfügen daher über ein vollständiges Versuchsprotokoll in ihrem Heft. So können sie nachlesen, falls sie den generellen Ablauf (Forschungsfrage, Hypothese, Versuchsskizze, Durchführung, Ergebnis, Schlussfolgerung) vergessen haben sollten.

-

zz Lernziele dieser Einheit

Schülerinnen und Schüler können beobachten und beschreiben, dass die größeren Bestandteile in der Wassersäule schneller sinken als die kleineren und dies auch mittels Videoaufzeichnung dokumentieren. Schichtung in lockeren Ablagerungen am Boden identifizieren und sowohl zeichnerisch als auch mit einem Foto dokumentieren.

..Abb. 8.20  Poster „Wechselwirkung“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

-

die interne Struktur der einzelnen Schichten mit eigenen Worten beschreiben: Größere Bestandteile liegen jeweils zuunterst gefolgt von feineren. unter Verwendung des Basiskonzeptes „Wechselwirkung“ erklären, dass Gesteinsbruchstücke aufgrund ihrer Masse im Wasser zu Boden sinken, weil auf sie die Gewichtskraft wirkt. das Lagerungsgesetz wiedergeben, das besagt, dass bei dem Prozess der Ablagerung Schicht auf Schicht folgt und somit die oberen Schichten jünger sind als solche, die sich darunter befinden. Beispiele für Sedimentation im Alltag nennen, z. B. Absatz in Saftflaschen. erklären, wie die charakteristischen Merkmale „Schichtung“ und „Fossilien“ in Ablagerungsgesteinen entstehen. die Prozesse im Modellversuch mit dem Original vergleichen und die Aussagekraft des Modellversuches bewerten.

zz Differenzierung

Für die Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche sind Arbeitsschritte mit den unterschiedlichen Anforderungsbereichen (Wiedergabe, Anwendung, Transfer) vorgese-

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

200

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

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..Abb. 8.21  Modellversuch zum Ablagerungsprozess mit Ergebnis. (Verändert nach Earthlearningidea team, 2019c)

hen. Dieser Versuch kann als Demoversuch mit einem hohen Glaszylinder für alle sichtbar vorn am Pult von der Lehrkraft durchgeführt werden. Darüber hinaus erhalten die Tischgruppen durchsichtige Getränkeflaschen mit einem Ton-Sand-Kies-Gemisch in Leitungswasser für eigene Beobachtungen. Die Protokolle werden gemäß dem jeweiligen Leistungsvermögen erstellt.

Unterrichtspraxis: Modellversuch zur Entstehung von Ablagerungsgesteinen

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>>Material

Hohes Glasgefäß, gefüllt mit Leitungswasser Probenmaterial: Gesteinsbruchstücke mit dem Korngrößenspektrum Ton–Sand Handy zur Dokumentation der Versuchsergebnisse Hilfe: Versuchsprotokoll im Themenheft, Checkliste für Versuchsprotokolle

zz Einstieg

Die Lehrkraft informiert die Lerngruppe darüber, dass Fossilien in Ablagerungsgesteinen (auch: Sedimentgesteine, Sedimentite) zu finden sind, während sie in Erstarrungsund Umwandlungsgesteinen generell nicht vorkommen, und dass sie typische Merkmale dieser Gesteine durch einen Modellversuch (. Abb. 8.21) kennenlernen werden, damit sie im Urlaub auch wissen, in welchen Gesteinen sie suchen können, wenn sie Fossilien finden wollen. Die Forschungsfrage wird vorgegeben: „Woran erkenne ich Ablagerungsgesteine?“

1. Forschungsfrage – Notiere die Forschungsfrage „Woran erkenne ich Ablagerungsgesteine?“ als Überschrift auf einer neuen Seite in deinem Themenheft. 2. Hypothese – Schau dir die bereitliegenden Materialien an und informiere dich über Ablagerungsgesteine. Was glaubst du, wird im Modellversuch passieren? Welche Kräfte werden wirken? Schreibe deine Vorstellungen dazu auf (Protokollabschnitt: Hypothese), begründe sie naturwissenschaftlich und notiere, wo du die Informationen gefunden hast (Quellenangabe). 3. Versuchsskizze – Zeichne eine Skizze vom Versuchsaufbau und beschrifte alle Teile. 4. Versuchsdurchführung – Gib das Ton-Sand-Gemisch jeweils als Portion mit einem Esslöffel in das Gefäß und beobachte, was passiert. Dokumentiere den Vorgang mit einem Slow-Motion-Video. – Warte, bis die Wassersäule wieder klar ist. – Dokumentiere die Ergebnisse mit einem Foto. – Wiederhole den Vorgang mehrmals. Beschreibe Schritt für Schritt, wie du den Versuch durchgeführt hast, und zwar so, dass Personen, die den Versuch nicht kennen, ihn nachmachen können (Protokollabschnitt: Versuchsdurchführung). 5. Ergebnis – Beschreibe und zeichne das Ergebnis. Ergänze Fotos und beschrifte sie. 6. Schlussfolgerung – Beantworte die Forschungsfrage. – Erkläre das Ergebnis naturwissenschaftlich. – Vergleiche Merkmale des Modellversuches mit denen eines natürlichen Ablagerungsraumes in einer Tabelle. – Bewerte: Ist der Versuch geeignet, die Entstehung von Ablagerungsgesteinen in der Natur zu veranschaulichen? 77Chatverlauf im Distanzunterricht

Die Schülerinnen und Schüler haben den Modellversuch alleine zu Hause durchgeführt und dokumentiert. Nachdem wir die Erkenntnisse in einer Videokonferenz gesichert haben, erhielten sie den Auftrag, den Satz „Ich finde interessant, dass …“ zu vervollständigen. S1: … man dort auch Schichten erkennen kann. S2: … man genau sieht, wie sich die Schichten bilden. S3: … es verschiedene Arten von Gesteinen gibt. S4: … durch Druck dieser Stein gepresst wurde. S5: Es ist cool, dass es Steine gibt.

201

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

 6:  …  sich mit der Zeit so viele Schichten gebildet S haben. S7: … der Sand in der Wüste rund ist und hier bei uns so eckig. S8: … man da so viele Schichten sieht. S9: … es so viele verschiedene andere Orte gibt. S10: … die Schichten nicht immer gleich aussehen. S11: … die Schichten verschiedene Farben haben. S6: Ich glaube, Sie verlangen zu viel von uns. (Denke ich) … S7: Ich denke nicht. 9

8.2.2.4

Was bleibt vom Schulhof?

Die Gruppe begibt sich auf den Schulhof. An diesem sehr vertrauten Ort wird das Vorstellungsvermögen der Schülerinnen und Schüler gefordert: „Was wird vom Schulhof nach 100, 1000 oder gar Millionen von Jahren zurückbleiben?“

zz Differenzierung

Leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler müssen so auf die Gruppen aufgeteilt werden, dass sie von den Ideen der stärkeren Gruppenmitglieder profitieren können. Bei Bedarf muss die Lehrkraft unterstützend eingreifen und ggf. darauf hinweisen, dass sich in den Themenheften eine Tabelle befindet, die die Erhaltungsformen von Lebewesen und die jeweiligen Entstehungsprozesse zusammenfassend darstellt.

Unterrichtspraxis: Was bleibt vom Schulhof?

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>>Material

Schulhof mit Blick auf einen Baum und eine Fläche mit weichem Untergrund, möglichst mit Fußoder anderen Spuren Für jede Gruppe ein Kartenset, bei dem auf jeder Karte die Fragen jeweils einzeln abgedruckt sind Feste Schreibunterlage und Stift

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Was bleibt vom Schulhof? Die Schülerinnen und Schülern wenden Vorwissen zum Thema „Erhaltungsformen“ an, indem sie mögliche zukünftige Entwicklungen des Schulhofes vorhersagen. Dafür werden sie durch Fragen geleitet (. Tab. 8.5). Dieses Vorgehen wird als Prädiktion (auch: Vorhersage) bezeichnet und ist für die Geowissenschaften typisch. Auf der Basis von Erkenntnissen aus der Vergangenheit werden, naturwissenschaftlich begründet, Prognosen für die Zukunft entwickelt. Wenn wir unseren Heimatplaneten zukünftig nachhaltig entwickeln möchten, ist diese Vorgehensweise unerlässlich. Sie wird in folgenden Unterrichtseinheiten mit zunehmend komplexeren Sachverhalten eingeübt.

-

zz Vorwissen

Schülerinnen und Schüler sollten aus der Unterrichtssequenz „Erhaltungsformen von Lebewesen“ die möglichen Erhaltungsformen Körperfossil, Steinkern, Abdruck und Spurenfossil kennen und in ihren Themenheften eine Tabelle dazu vorfinden, in der sie die Entstehungsprozesse nachschlagen können, falls sie sich nicht alles merken konnten. im Vorfeld darüber informiert werden, dass Vulkane Asche ausstoßen, die sich in Schichten auf der Erdoberfläche ablagert.

-

zz Einstieg

Die Lehrkraft begibt sich mit der Lerngruppe auf den Schulhof und erläutert, dass nun Fantasie benötigt wird, um eine Serie von Fragen bezüglich der Zukunft des Schulhofes zu beantworten. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgabe k

Beantworte zusammen mit deiner Gruppe die folgenden Fragen nacheinander und notiere die Antworten in einer Tabelle in deinem Themenheft (. Tab. 8.5): Was passiert in diesem Augenblick oder passierte kürzlich? Welche Beweise gibt es für Dinge, die gerade passieren oder kürzlich passierten? Welche Beweise könnten durch eine dicke Lage vulkanischer Asche erhalten werden? Welche Beweise würden noch nach 200 Mio. Jahren erhalten sein?

-

8.2.2.5

Eine Gesteinsprobe untersuchen und die Entstehung interpretieren

Gesteine sind Archive der Vergangenheit. In dieser Einheit liegen der Fokus und die Herausforderung auf der Anwendung zuvor eingeübter Tätigkeiten der Erkenntnisgewinnung.

zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können Vorwissen bezüglich der Erhaltungsformen von Fossilien anwenden und für unterschiedliche Ereignisse und Zeitskalen beschreiben, was möglicherweise vom Schulhof noch erhalten sein könnte.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Eine Gesteinsprobe untersuchen und die Entstehung interpretieren Die Geschichte einer Gesteinsprobe soll rekonstruiert werden. An der Richard-Hallmann-Schule verwenden

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

..Tab. 8.5  Lösungsbeispiel „Die Gegenwart ist der Schlüssel zur Vergangenheit“. (Verändert nach Earthlearningidea team, 2019b)

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Was passiert in diesem Augenblick oder passierte kürzlich?

Welche Beweise gibt es für Dinge, die gerade passieren oder kürzlich passierten?

Welche Beweise könnten durch eine dicke Lage vulkanischer Asche erhalten werden?

Welche Beweise würden noch nach 200 Mio. Jahren erhalten sein?

Wind weht Wolken bewegen sich Es regnet Die Sonne scheint Fotosynthese Atmung Insekten krabbeln Vögel singen Schüler laufen über den Schulhof Tannenzapfen fallen

Wir sehen, dass Blätter sich bewegen und spüren einen Luftstrom Regentropfen hinterlassen nasse Flecken, die wir sehen Für Atmung und Fotosynthese gibt es nur indirekte Beweise Vogelgesang können wir hören

Laubhaufen Straßen Abdrücke von Eicheln Wurzel und Holzreste, verkohlt Menschenskelette Autos

Versteinerungen Strukturen der Gebäude­ mauern Fußabdruck

wir ein Gestein vom Ostseestrand (. Abb. 8.22), das im Inneren eines Gletschers von Skandinavien nach Schleswig-Holstein transportiert wurde. Es hat daher äußerlich eine runde Form, die während des Transportes entstand, und innen hat es deutlich sichtbare Schichten und Spuren von wurmähnlichen Lebewesen. Die Schülerinnen und Schüler untersuchen die Gesteinsprobe mit einer Handlupe. Dafür feuchten sie die Proben an, damit sie die Strukturen besser erkennen können. Sie identifizieren Sandkörner, Schichtung und eine senkrecht dazu erkennbare Struktur. Die Ergebnisse werden sorgfältig mit Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen im Themenheft dokumentiert. >>Gesteinsstrukturen untersuchen

Strukturen sind in vielen Gesteinen im feuchten Zustand besser sichtbar.

Mit Blick auf die Entwicklung naturwissenschaftlicher Kompetenz ist auch bei der Untersuchung von Gesteinsproben darauf zu achten, dass zunächst alles beschrieben und dokumentiert wird, was tatsächlich sichtbar ist, und erst im zweiten Arbeitsschritt interpretiert, also aus den Beobachtungen auf die Erscheinung der Umwelt, in der die Bestandteile des Gesteines abgelagert wurden, geschlossen wird. Die Erkenntnisse werden zusammenfassend in Form einer Bildgeschichte „Entstehungsgeschichte des Fundstückes vom Strand“ dargestellt. Dies erfordert eine Reorganisation.

-

zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sind in der Lage, Gesteinsstrukturen mit einer Handlupe vergrößert zu betrachten. Körner (Gesteinsbruckstücke) nach Größe ihrer Bestandteile (Korngrößen) zu klassifizieren und Schichten zu identifizieren.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können beschreiben, dass lockere Gesteinsbruchstücke durch Wasser, Wind und Eis transportiert werden, bis sie sich an bestimmten Stellen der Erdoberfläche ansammeln. beschreiben, dass Strukturen in Gesteinen auf Bedingungen zur Zeit ihrer Ablagerung zurückzuführen sind (Würmer, Ablagerung). die rundliche äußere Form der Probe auf natürliche Prozesse zurückführen (Transport in einem Gletscher). die Entstehungsgeschichte der Gesteinsprobe rekonstruieren, also die Abfolge von der Ablagerung über die Versteinerung unter der Erdoberfläche bis zur Emporhebung und den Transport durch Gletscher von Skandinavien nach Schleswig-Holstein, und diese in Form einer Bildgeschichte darstellen. zz Differenzierung

Die Gesteinsuntersuchung sowie die zeichnerische Dokumentation und Beschreibung der Ergebnisse erfolgt auf individuellem Leistungsstand. Für die Interpretation erhalten die Schülerinnen und Schüler bei Bedarf Hilfestellungen im persönlichen Gespräch. Die Zusammenführung aller Erkenntnisse der Einheit in Form einer Bildgeschichte werden nicht alle Schülerinnen und Schüler bewältigen können. Diejenigen, die hierbei Unterstützung benötigen, erhalten Bilder und Texte als Teillösungen. kVertiefung k

Wenn die Bilder und Texte der Bildgeschichte vorliegen, ist es nur noch ein kleiner Schritt, diese Bildgeschichte zu animieren. Dieses ist mit einem Präsentationsprogramm (z. B. MS PowerPoint) einfach möglich, oder es kann auch ein Video gedreht werden. Dies ist eine weiterführende Aufgabe für die Leistungsstärkeren der Lerngruppe, die ihre Ergebnisse dann während der Sicherungsphase der gesamten Lerngruppe präsentieren.

203

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Abb. 8.22  Sandstein. Typische Merkmale sind klastische Bestandteile (Sandkörner) und rötliche Strukturen senkrecht zur Schichtung (a), die als Spurenfossilien von wurmähnlichen Organismen (Scolithus; b) gedeutet werden

a

Unterrichtspraxis: Eine Gesteinsprobe untersuchen und die Entstehung interpretieren

--

>>Material

Gesteinsproben, möglichst für jede Schülerin und jeden Schüler eine eigene Handlupen Die Möglichkeit, die Probe anzufeuchten, da sich im feuchten Zustand manche Strukturen besser zeigen.

zz Einstieg

Die Schülerinnen und Schüler erhalten eine Gesteinsprobe zur Untersuchung ausgehändigt und werden darüber informiert, dass es ihre Aufgabe ist, aus ihren Beobachtungen auf die Entstehungsgeschichte zu schließen. Im Unterrichtsgespräch wird eine Leitfrage formuliert, die als Überschrift in das Themenheft eingetragen wird: „Wie sah eine Landschaft aus, in der diese Gesteinsprobe entstanden sein könnte, und wie ist sie an ihren Fundort gelangt?“ zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Notiere dir die Leitfrage in deinem Themenheft und untersuche die Gesteinsprobe zunächst mit dem bloßen Auge und dann mit einer Lupe sowohl im trockenen als auch im angefeuchteten Zustand. Leitfragen: – Ist die äußere Form der Probe eine natürliche Verwitterungsfläche, oder handelt es sich um eine gesägte oder durch einen Hammer entstandene Fläche? – Ist die Probe einfarbig? Welche Farbe ist es? – Ist die Probe mehrfarbig? Welche Farbe kommt in der Probe hauptsächlich vor? Wie sind die Farben verteilt? – Kannst du Bestandteile der Probe erkennen? – Wie sind die Bestandteile in der Probe verteilt?

b

2. Zeichne die Probe als Ganzes mit Maßstab. Fertige eine oder mehrere Ausschnittvergrößerungen (Zeichnung und Fotos) mit Größenangaben an, die besonders typische Strukturen oder Bestandteile zeigen. Notiere die Bezeichnung der Probe, Fundort und Funddatum als Bildunterschrift. Beschreibe zusätzlich die einzelnen Bestandteile, Farben, Strukturen in eigenen Worten. 3. Erzähle die Geschichte des Gesteins als Bildgeschichte. Das erste Bild soll die Ausgangssituation zeigen, weitere Bilder sollen wichtige Ereignisse darstellen, und das letzte Bild soll zeigen, wie der Stein am Ostseestrand liegt. Schreibe neben jedes Bild einen kurzen Text (. Abb. 8.23). 4. Erstelle ein Kurzvideo von deiner Bildgeschichte. 8.2.2.6

Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde

Da Lebewesen jeweils zu bestimmten Zeiten erstmals in Erscheinung traten und wieder ausstarben, finden wir einige nur in bestimmten Gesteinsschichten (. Abb. 8.25). Diese werden als Leitfossilien bezeichnet. Sie eignen sich, um Gesteinsschichten weltweit zu parallelisieren und die Geschichte des Lebens zu rekonstruieren. Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler ordnen die Gesteinsschichten in zeitlicher Abfolge und fassen alle Erkenntnisse in einer sog. stratigrafischen Tabelle zusammen (Menning & Hendrich, 2016).

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde Der Zeitraum der Entwicklung des Lebens auf der Erde ist so enorm, dass er das Vorstellungsvermögen der Schülerinnen und Schüler überfordert. Zur Veranschaulichung übertragen die Schülerinnen und Schüler die etwa 4,6 Mrd. Jahre seit Entstehung der Erde maßstabsgetreu auf eine 4,6 m lange Wäscheleine. Daran verorten sie in Gruppenarbeit das erstmalige Auftreten bestimmter

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

..Abb. 8.23  Bildgeschichte aus Jahrgang 7. In dem Fall wurde zuvor ein Video gezeigt, das die Entdeckung von Überresten einer Schildkröte in einem Steinbruch zeigt

Lebewesen auf der Erde und anderer Ereignisse, indem sie Bilder mit einer Wäscheklammer anhängen. Diese Übung ist eine Earth Learning Idea (Earthlearningidea team, 2020). Zur Ergebnissicherung zeichnen sie eine Zeitleiste in ihren Themenheften (. Abb. 8.26). Schließlich gliedern sie die Zeitleiste in ihren Themenheften in die Abschnitte Erdneuzeit (Känozoikum), Erdmittelalter (Mesozoikum), Erdaltertum (Paläozoikum) und Erdurzeit (Präkambrium) und verorten Lebensformen. Sie vertiefen so ihr Verständnis vom Basiskonzept „Entwicklung“ (. Abb. 8.24). zz Vorwissen

-

Die Schülerinnen und Schüler haben im vorherigen Unterricht erfahren, dass Fossilien Überreste vergangener Lebensformen sind. Gesteinsschichten eine zeitliche Abfolge von Ereignissen dokumentieren, wobei die unteren Schichten zuerst abgelagert werden und daher älter sind (Lagerungsgesetz).

-

..Abb. 8.24  Poster „Entwicklung“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zum Thema „Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde“. Unterstützungsmaßnahmen: Schülerinnen und Schüler, die Probleme bei der Übertragung der Zeitleiste auf den Maßstab ihres Heftes haben, holen sich Anregungen von den Mitschülerinnen und Mitschülern oder erhalten Teillösungen von der Lehrkraft.

-

zz Lernziele dieser Einheit

kVertiefung k

Schülerinnen und Schüler können die vier Abschnitte der Erdgeschichte Erdneuzeit, Erdmittelalter, Erdaltertum und Erdurzeit benennen. das Vorkommen ausgewählter Fossilien zeitlich richtig in den vier Abschnitten der Erdgeschichte verorten. beschreiben, wie die Entwicklung des Lebens aus Fossilfunden in Ablagerungsgesteinen rekonstruiert wurde. die Entwicklung des Lebens unter Einbeziehung des Basiskonzeptes „Entwicklung“ erklären.

Durch die Beschäftigung mit der Stammesgeschichte der Ammoniten (. Abb. 8.27) gewinnen die Lernenden Erkenntnisse darüber, wie Entwicklung sich in Fossilien manifestiert. Bei den Ammoniten verändert sich die Lobenlinie in den Gehäusen auf so charakteristische Weise, dass Ammoniten als Leitfossilien helfen können, das Alter von Gesteinsschichten einzugrenzen. Hierzu können leistungsfähigere Schülerinnen und Schüler eine Präsentation ausarbeiten, damit die ganze Lerngruppe diesen Sachverhalt kennenlernt. Diese Informationen sind dann in der Zeitleiste im Themenheft zu ergänzen.

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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..Abb. 8.25  Seeigel in Gestein (Lägerdorf, Schleswig-Holstein). (Foto: Sylke Hlawatsch)

Unterrichtspraxis: Meilensteine der Entwicklung des Lebens auf der Erde

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>>Material

Gruppenarbeit: Wäscheleine (ca. 5 m), Bilder von Fossilien, die Beweise für Meilensteine der Entwicklung des Lebens sind, Wäscheklammern Fotokopien von Fossilien für die Themenhefte Lernhilfen: Teillösungen

zz Einstieg

Die Lehrkraft zeigt ein Foto von einer Felswand mit erkennbaren Schichten (Steilküste, Hochgebirge, Steinbruch) und erläutert, dass Geowissenschaftler und Geowissenschaftlerinnen Fossilien in solchen Schichten auf der ganzen Welt finden und dass wir daher heute wissen, wie das Leben sich entwickelt hat. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Die Paläontologin Dr. Anette Richter vom Landesmuseum Hannover hat die im Folgenden genannten Ereignisse als Meilensteine für die Entwicklung des Lebens auf der Erde zusammengestellt. Rechne aus, welcher Strecke auf einer Wäscheleine die Altersangaben entsprechen, wenn 1 Mrd. Jahre 1 m entsprechen: – Erste Menschen (vor 2 Mio. Jahren) – Erste Bestäubungsinsekten (96 Mio. Jahren) – Erste Blütenpflanzen (vor 130 Mio. Jahren) – Erste echte Vögel (vor 133 Mio. Jahren) – Erste vogelhafte Dinosaurier (vor 150 Mio. Jahren) – Erste Säugetiere (vor 195/205 Mio. Jahren) – Erste Dinosaurier (vor 220 Mio. Jahren) – Erste pflanzenfressende Landwirbeltiere (290 Mio. Jahren) – Erste Koniferengewächse an Land (310 Mio. Jahren)

..Abb. 8.26  Zeitleiste im Themenheft, im vorliegenden Fall mit ausgeschnittenen Bildern aus einem Arbeitsbogen und zugeordneten Fossilien

– Erste Reptilien (vor 325 Mio. Jahren) – Erste Amphibien an Land (vor 360 Mio. Jahren) – Erste Tintenfische mit Spiralgehäuse im Meer (400 Mio. Jahren) – Erste Pflanzen an Land (vor 420 Mio. Jahren) – Erste Tiere mit Hartteilen im Meer (vor 545 Mio. Jahren) – Erste vielzellige Lebewesen (vor 580 Mio. Jahren?) – Erste Bakterien (vor 3500 Mio. Jahren) – Erdentstehung (vor etwa 4600 Mio. Jahren) 2. Hänge eine Wäscheleine auf und befestige Fotos von Fossilfunden entsprechend deiner Berechnungen. 3. Zeichne eine maßstabsgetreue seitenfüllende Zeitleiste (. Abb. 8.26) in deinem Themenheft, färbe sie ein und ergänze eine Legende: – Erdneuzeit gelb (66,5 Mio. Jahre bis heute) – Erdmittelalter mittelblau (252,5–66,5 Mio. Jahre vor heute) – Erdaltertum blaugrün (541–252,5 Mio. Jahre vor heute) 4. Ergänze Informationen zu den Meilensteinen und Fotos von Fossilfunden. 5. Recherchiere das Vorkommen von massenhaften Aussterbeereignissen und markiere diese an der Wäscheleine und in deiner Tabelle.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.27  Besuche außerschulischer Lernorte bereichern den geowissenschaftlichen Unterricht. Beim Urzeithof (Stolpe, Schleswig-Holstein) präparieren die Schülerinnen und Schüler ein Fossil selbst und können dazu in einer Ausstellung die große Vielfalt der Fossilien bewundern. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

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>>Meilensteine der Entwicklung des Lebens

Die Zeitangaben zum jeweils ersten Auftreten der Lebewesen schwanken, und die Auswahl der Ereignisse, die als Meilenstein für diese Übungsaufgabe ausgewählt werden, führt regelmäßig zu Diskussionen unter Paläontologinnen und Paläontologen. Die Übung zeigt dennoch sehr anschaulich, dass die Erde sich ständig verändert.

8.2.3

Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?

Offensichtliche Anzeichen dafür, dass auch die feste Erde einem Wandel unterliegt, sind Erdbeben. Die meisten Schülerinnen und Schüler in Deutschland wissen aus den Medien, dass es zu Erschütterungen an der Erdoberfläche mit katastrophalen Folgen kommen kann. Nun lernen sie die naturwissenschaftlichen Hintergründe der Erbebenentstehung kennen und erfahren, wie die Geowissenschaften die Entstehung von Ozeanen und Gebirgen erklären. Aus dem Unterricht zur Leitfrage „Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?“ werden die folgenden drei Praxisbeispiele im nachfolgenden Text erläutert: Erdbeben – wo kommen sie vor? (7 Abschn. 8.2.3.1) Lernstationen – dynamische Erde (7 Abschn. 8.2.3.2) Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden? (7 Abschn. 8.2.3.3)

--

Dabei werden von den insgesamt fünf Leitideen der Erdsystembildung (. Tab. 8.3), zwei explizit angesprochen, nämlich Die Erde und ihre Teilsysteme verändern sich fortwährend. Die Geowissenschaften erforschen die Erde durch Beobachtung, naturwissenschaftliche Schlussfolgerungen und Modellierung.

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b

8.2.3.1

Erdbeben – wo kommen sie vor? Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Erdbeben – wo kommen sie vor? Informationen von historischen Erdbeben beruhen auf dokumentierten Augenzeugenberichten, während heute ein globales seismisches Überwachungssystem aus Geofonen (Oberbegriff: Seismometer) in Echtzeit über Erdbeben informiert. Die Daten sind jederzeit sehr zeitnah online im „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ; 7 http://geofon.gfz-potsdam.de/eqinfo/seismon/ globmon.php) einsehbar. Seismometer detektieren Erschütterungen der Erdkruste, da sie so konstruiert sind, dass ihre Bauteile aufgrund ihrer unterschiedlichen Masse zeitversetzt reagieren. Die Auseinandersetzung mit der Konstruktion eines Geofons eignet sich daher im Unterricht zur Veranschaulichung physikalischer Grundlagen (Basiskonzept „Wechselwirkung“; . Abb. 8.20). Von den beweglich angeordneten Bauteilen reagiert eines zeitverzögert („träge“), da es mit einer größeren Masse versehen wurde. So kommt es, dass Erschütterungen mit einem Stift als Seismogramm auf einer Papierrolle bzw. heute digital aufgezeichnet werden. Martina Rische vom Observatorium der Ruhr-Universität Bochum zum Aufbau eines „modernen“ Seismometers (. Abb. 8.28):

» „Das Seismometer ist so konstruiert, dass eine Masse (Kupferspule) entkoppelt vom restlichen Gerät (Gehäuse und Permanentmagnet) frei an Federn aufgehängt ist. Wird nun eine Erschütterung/Bodenbewegung auf das Gerät übertragen, so bewegt sich dieses und die aufgehängte Masse bleibt relativ zur Bewegung des Bodens, aufgrund ihrer Trägheit in Ruhe. Durch die Bewegung zwischen Permanentmagnet und Spule wird eine Spannung induziert, welche proportional zur Bodengeschwindigkeit ist. Bei unserem Vorführseismometer wird die vertikale Bodenbewegung gemessen. Hier ist

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

207

lich ausgewertet. Dazu gehört auch eine vollständige Angabe der Datenquellen. Schließlich sollen die Lernenden erkennen, dass Erdbeben an bestimmten Stellen der Erdoberfläche vermehrt vorkommen. Im weiteren Unterrichtsverlauf erfahren sie dann, dass genau dort Lithosphärenplattengrenzen vorliegen und dass diese sich bewegen. Die Platten verhaken sich zunächst, und wenn sie sich mit einem Ruck voneinander lösen, entstehen Erdbeben. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre Medienkompetenz im Bereich „Kommunizieren und Kooperieren“ (KMK, 2017), da sie am Beispiel Erdbeben erfahren, dass wissenschaftliche Einrichtungen ihre Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Sie verwenden diese Daten für ihre eigene thematische Karte und üben die Referenzierungspraxis im Zusammenhang mit der schriftlichen Auswertung. zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten im Umgang mit geographischen Koordinaten vertraut sein.

-

zz Lernziele dieser Einheit ..Abb. 8.28  Erdbeben sind Erschütterungen an der Erdoberfläche, die mit Seismometern registriert werden. Das Foto zeigt ein Vorführseismometer mit transparenter Hülle und aufgeschnittenem Permanentmagneten. (Foto: Martina Rische)

der Permanentmagnet (grün) aufgeschnitten, damit man die Relativbewegung der aufgehängten Spule besser betrachten kann. Die induzierte Spannung kann direkt mit einem Voltmeter gemessen werden oder wird mit einer Digitalisierungseinheit aufgezeichnet.“ (M. Rische, pers. Kommunikation, September 16, 2022)

Die Schülerinnen und Schüler erhalten zunächst Gradnetzkoordinaten für ausgewählte gut dokumentierte historische Erdbeben und entwickeln eine thematische Weltkarte mit dem Titel „Erdbebenvorkommen“. Dadurch aktivieren und erweitern sie ihre geographischen Kompetenzen in Bezug auf thematische Karten. Der „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ bietet eine ähnliche thematische Weltkarte mit sehr vielen weiteren Erdbeben und zeigt die Daten eines weltweiten Netzwerkes aus Seismometern. Erdbeben werden dort in Echtzeit automatisch eingetragen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Aufgabe, darin Orte zu lokalisieren, an denen es in den vergangenen 14 Tagen zu Erdbeben kam. Diese Erbeben ergänzen sie in ihrer eigenen Karte. Durch den Vergleich der Karte des Erdbebenmonitors mit ihrer eigenen Karte erfahren die Schülerinnen und Schüler, ob ihre eigene Karte ein realistisches Verteilungsmuster der Erdbeben zeigt. Entweder die eigene Karte oder die Karte des „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ wird schrift-

Schülerinnen und Schüler können Orte, an denen in der Vergangenheit Erdbeben vorkamen, mittels geographischer Koordinaten in einer stummen Weltkarte verorten. Einige fertigen die stumme Karte selber an, andere verwenden eine Kopie. Informationen zum Vorkommen aktueller Erdbeben einer ständig aktualisierten digitalen Karte, die mit dem weltweiten GEOFON-Netz verbunden ist, entnehmen und diese ebenfalls in ihrer eigenen Karte verorten. die eigene thematische Karte mit Titel, Legende und Quellenangaben versehen. die eigene thematische Karte oder den „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ im Hinblick auf die Verteilung von Erdbeben auf der Erdoberfläche auswerten. zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zu der Frage „Erdbeben – wo kommen sie vor?“. Unterstützungsmaßnahmen: Schülerinnen und Schüler können entweder eine eigene Handskizze von der Land-Meer-Verteilung auf der Erde anfertigen oder die Kopie einer stummen Karte verwenden. Für einige Schülerinnen und Schüler in Jahrgang 7 wird die Lokalisierung von Erdbeben mittels geographischer Koordinaten, selbst nach wiederholter Erläuterung, eine große Herausforderung darstellen. Diejenigen, die nicht in der Lage sind, eine eigene Karte anzufertigen, benötigen einen Screenshot der

-

8

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

208

..Abb. 8.29  Anleitung zur Auswertung von Karten

8

Weltkarte des „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ als Kopie, damit sie dem weiteren Unterricht folgen können. Für die Auswertung der Karte sollte im Fachraum eine Anleitung verfügbar sein (. Abb. 8.29).

-

Unterrichtspraxis: Erdbeben – wo kommen sie vor?

--

>>Material

Foto von einem Seismometer (z. B. . Abb. 8.28) Tabelle mit Informationen zu historischen Erdbeben (. Tab.  8.6) und ggf. stumme Weltkarte als Kopie Zugang zur Webseite „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ). Lernhilfen: Anleitung zur Auswertung von Karten (. Abb. 8.29), stumme Weltkarte als Kopie

zz Einstieg

Die Lehrkraft zeigt Fotos von Orten, an denen Erdbeben stattfanden, und erläutert, dass Informationen über historische Erdbeben aus dokumentierten Augenzeugenberichten stammen, während es heute ein weltumspannendes GEOFON-Netz gibt. Sie präsentiert ein Bild von einem Geofon (auch: Seismometer) und erläutert die Funktionsweise. Dann wird die Leitfrage für den Unterricht formuliert, z. B.: „Wo kommen Erdbeben auf der Erdoberfläche vor?“

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Entwickle eine thematische Weltkarte zur Erdbebenverbreitung. – Zeichne die Umrisse der Kontinente als Weltkarte (Handskizze) auf einer Doppelseite in deinem Themenheft. Versieh deine Karte mit einem Titel und einer Legende. Verfügbare Hilfe: kopierte Weltkarte. – Lokalisiere die Positionen in deiner Weltkarte, an denen in der Vergangenheit Erdbeben stattfanden (. Tab. 8.6) und markiere sie mit einem Symbol. Ergänze deine Legende. – Ergänze etwa 15  Erdbeben der vergangenen 14  Tage in deiner Weltkarte mit einem anderen Symbol. Informationen dazu findest du auf der Internetseite „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ des GeoforschungsZentrums (GFZ) unter 7 http://geofon.gfz-potsdam.de/eqinfo/seismon/globmon.php. Ergänze deine Legende. 2. Werte deine thematische Weltkarte schriftlich aus. Verfügbare Hilfe: Anleitung zur Auswertung von Karten (. Abb. 8.29). 3. Ergänze die Grenzen der Lithosphärenplatten (s. Atlas) in deiner Weltkarte und benenne die sechs größten. 8.2.3.2

Lernstationen – dynamische Erde

Nachdem die Schülerinnen und Schüler in der vorgehenden Unterrichtsphase erfahren haben, dass Erdbeben

209

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Tab. 8.6  Ausgewählte Erdbeben der Vergangenheit aus: www.wikipedia.de Ort

Jahr

Geographische Koordinaten

Ort

Jahr

Geographische Koordinaten

San Francisco

1906

N 37° 47′, W 122° 25′

Lissabon

1755

N 38° 43′, W 9° 10′

Südchile

1960

S 39° 50′, W 73° 13′

Messina

1908

N 38° 11′, O 15° 33′

Chimbote

1970

S 9° 4′, W 78° 34′

Agadir

1960

N 38° 11′, O 15° 33′

Nicaragua

1972

N 12° 9′, W 86° 16′

Osttürkei

1975

N 39°, O 36°

Kangra

1905

N 32° 6′, O 76° 16′

Kanto

1923

N 36° 10′, O 139° 47′

Iran

1962

N 36° 16′, O 50° 0′

Neuguinea

1976

S 5°, O 142°

Pakistan

1974

N 29°, O 69°

Tangschan

1976

N 39° 38′, O 118° 11′

..Tab. 8.7  Übersicht über die Lernstationen „Dynamische Erde“ mit Forschungsfragen Stationsbezeichnung

Forschungsfragen

Quellen

1. Reise zum Mittelpunkt der Erde

Wie ist die Erde im Inneren aufgebaut?

Earthlearningidea team, 2022b Erklärvideos „Lithosphäre“ (DGGV, 2022a)

2. Konvektion

Wie breitet sich Wärme im System Erde aus?

Unbekannt

3. Kontinente-Puzzle

Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler glauben seit etwa 1960, dass die Kontinente sich langsam bewegen. „Welche Beweise gibt es dafür?“

Earthlearningidea team, 2018

4. Erdbebenvorhersage

Bei Erdbeben kommen viele Menschen durch herabstürzendes Mauerwerk, Glas, zerstörte Straßen und Erdrutsche zu Schaden. „Können wir vorhersagen, wann ein Erdbeben erfolgt und wie schwer es sein wird?“

Earthlearningidea team, 2019a

5. Vulkan im Labor

Wie ist ein Vulkan aufgebaut?

Earthlearningidea team, 2019e

6. Vulkangesteine

Wie sehen Vulkangesteine aus? Kannst du typische Merkmale zeichnen?

Unbekannt

an bestimmten Stellen der Erdoberfläche gehäuft vorkommen, sollen sie sich nun die naturwissenschaftlichen Ursachen dafür erarbeiten.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Lernstationen – dynamische Erde Earth Systems Education sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler Erkenntnisse gewinnen können, indem sie Schlussfolgerungen aus eigenen Beobachtungen ziehen. Die Plattform Earth Learning Ideas (ELI) bietet hierfür eine Fülle von Unterrichtsanregungen (7 Kap. 7), und viele sind bereits auf Deutsch übersetzt. Diese können grundsätzlich im Klassenverband vorgeführt und diskutiert werden. Einige dieser Anregungen werden für die Lernstationen zum Thema „Dynamische Erde“ verwendet. Für leistungsstarke und im Umgang mit Modellversuchen vertraute Lerngruppen empfiehlt sich die Organisation als Stationsarbeit. Sie bietet den Vorteil, dass die Lernenden sie selbstständig ausführen können. Die Materialien für die praktischen Übungen müssen dann für jede Station nur einmal verfügbar sein. Das vorliegende Praxisbeispiel veranschaulicht eine mögliche Vorgehensweise.

Die Schülerinnen und Schüler werden in Gruppen eingeteilt. Jeder Gruppe wird eine Station zugewiesen, und sie ist für den Aufbau zu Unterrichtsbeginn bzw. den Abbau am Ende der Stunde verantwortlich. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten zudem die Inhalte „ihrer“ Station so ausführlich, dass sie während der Einheit zusätzlich zur Lehrkraft als Expertinnen und Experten zur Verfügung stehen (. Tab. 8.7, . Abb. 8.32). Hierdurch sind sie gefordert, sich die Inhalte zumindest einer Station vollumfänglich zu erarbeiten und sich darum zu bemühen, auch wirklich alles zu verstehen. Nur so können sie Hilfestellungen anbieten und die grundlegenden naturwissenschaftlichen Sachverhalte kommunizieren. Für die Einarbeitung der Expertengruppen sind zwei bis drei Unterrichtsstunden einzuplanen. Am Ende dieser Einarbeitungszeit präsentieren die Schülerinnen und Schüler „ihre“ Station der gesamten Lerngruppe. Sie beschreiben die verfügbaren Materialien und erläutern die jeweils zu erledigenden Aufgaben. Im weiteren Unterrichtsverlauf besuchen die Gruppen die Stationen im Rotationsverfahren. Für jede Station steht eine Unterrichtsstunde für die praktische Ar-

8

210

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

8

..Abb. 8.30  Poster „Energie“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

beit zur Verfügung. Die Ergebnisse werden schriftlich in den Themenheften fixiert. Dabei ist es wahrscheinlich, dass die Dokumentation der Ergebnisse nicht während der Unterrichtsstunde abzuschließen ist. Die Lehrkraft entscheidet dann, ob das Fertigstellen als Hausaufgabe möglich ist oder ob ggf. eine weitere Unterrichtsstunde eingeplant wird, damit offene Fragen angesprochen und geklärt werden können. Die Dynamik der Geosphäre ist Folge von Wechselwirkungen zwischen Energie und Materie. Daher werden die Kompetenzen der Lernenden in Bezug auf die Basiskonzepte „Energie“ (. Abb. 8.30) und „Materie“ (. Abb. 8.31) im interdisziplinären Kontext gefördert.

-

zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten die Verteilung der Erdbeben auf der Erdoberfläche kennen und wissen, dass diese vermehrt an Lithosphärenplattengrenzen vorkommen. grundsätzlich mit dem selbstorganisierten Lernen vertraut sein und Verantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen können. Sie sollten die Bereitschaft entwickelt haben, sich tiefer gehend mit den geowissenschaftlichen Inhalten zu beschäftigen, also „der Sache auf den Grund gehen“ wollen.

..Abb. 8.31  Poster „Materie“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

-

Erkenntnisse aus Modellversuchen gewinnen und typische Merkmale von Gesteinsproben dokumentieren können. Die Einführung in diese Fertigkeiten erfolgt im Zusammenhang mit der Einheit „Fossilien – stumme Zeugen der Erdgeschichte“ (7 Abschn. 8.2.2.3 und 8.2.2.5).

-

zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können den Aufbau der Erde unter richtiger Verwendung der Fachbegriffe „Lithosphäre“, „ozeanische Erdkruste“, „kontinentale Erdkruste“, „Erdmantel“, „Erdkern“, „lithosphärischer Mantel“ und „Asthenosphäre“ mit eigenen Worten beschreiben. den Bau der Lithosphäre grafisch als Schemazeichnung darstellen und dabei folgende Baueinheiten berücksichtigen: – Den festen oberen Erdmantel mit der Bezeichnung „lithosphärischer Mantel“ – Ozeanische und kontinentale Erdkruste – Lithosphäre als feste äußerste Schicht, zerbrochen in riesige bewegliche Platten und als Einheit aus lithosphärischem Mantel und kontinentaler bzw. ozeanischer Erdkruste

211

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

-

– Die Asthenosphäre als teilweise geschmolzene Schicht im Erdmantel das Vorhandensein von Vulkanen an der Erdoberfläche mit dem Austritt von Gesteinsschmelzen aus dem Erdinneren an Schwächezonen (Risse, Brüche) der Lithosphäre erklären. Merkmale von Gesteinen benennen, die im Zusammenhang mit Vulkanen entstehen. die Entstehung von Konvektionsströmen aufgrund von Dichteunterschieden mit dem Teilchenkonzept (Basiskonzept „Materie“ (. Abb. 8.31), Basiskonzept „Energie“ (. Abb. 8.30)) erklären. die Bedeutung der Konvektionsströme in der Asthenosphäre für die Bewegung der Lithosphärenplatten an der Erdoberfläche beschreiben und beurteilen sowie erläutern, dass dem Ziehen der abtauchenden Platte und dem Drücken des aufsteigenden Magmas an den Mittelozeanischen Rücken diesbezüglich größere Bedeutung zugeschrieben wird. die Entstehung von Erdbeben dadurch erklären, dass Lithosphärenplatten sich aufgrund ihrer Bewegungen an ihren rauen Kanten verhaken, dass sich eine Spannung aufbaut und diese sich plötzlich mit einem Ruck entlädt. typische Gesteinsmerkmale von Vulkangesteinen identifizieren, benennen und beschreiben.

-

zz Differenzierung

In Lerngruppen, die im selbstorganisierten Arbeiten ungeübt sind, empfiehlt es sich, die Lern- und Arbeitsweise am Beispiel der ersten Station zu demonstrieren. In dem Fall erhalten alle die Materialien und Aufgaben der ersten Station. So kann die Ergebnissicherung und Reflexion im Klassenverband für alle gemeinsam erfolgen. Das hier beschriebene Unterrichtsbeispiel wird an der Richard-Hallmann-Schule als vierte Unterrichtseinheit im Wahlpflichtfach Geowissenschaften unterrichtet. Dies geschieht entweder zum Ende des 7. Schuljahres oder zu Beginn des 8. Schuljahres, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die ohnehin diversen Lerngruppen einer Gemeinschaftsschule sich auch mit Blick auf die Entwicklung der geowissenschaftlichen Kompetenzen ausdifferenziert haben. Nicht alle können bereits komplexe naturwissenschaftliche Zusammenhänge im Kontext Erde unter Anwendung der Basiskonzepte beschreiben, erklären und Probleme durch die Anwendung theoretischer Konzepte lösen, so wie es für den Übergang in die Sekundarstufe II gefordert wird (Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein, 2015, S. 29). Die Schülerinnen und Schüler arbeiten daher in Gruppen, damit sie sich gegenseitig unterstützen. Die Lehrkraft berücksichtigt sowohl bei der Gruppeneinteilung als auch bei der Zuteilung der Themen für die Expertengruppen das Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler. Eine weitere Differenzierung erfolgt

an den Stationen durch das Bündeln von Aufgaben verschiedener Niveaustufen. kVertiefung k

Anhand der Ausbreitung von Erdbebenwellen im Erdinneren kann eine Einführung in die Wellenlehre erfolgen. Online abrufbare Unterrichtsanregungen, die sich hierfür bewährt haben: „Forschungsdialog“: System Erde (Bayrhuber & Hlawatsch, 2005): – Modul 4 – Erdbeben und Wellen: Nachrichten aus dem Erdinneren (Gudjons et al., 2005) Earth Learning Ideas (Earthlearningidea team, 2022a): – „Waves in the Earth  1 – the slinky simulation: Using a long spring to find out how earthquake waves travel through the Earth“ (Earthlearningidea team, 2019f) – „Waves in the Earth 2 – Human molecules: Pupils are pushed around to demonstrate the properties of seismic waves“ (Earthlearningidea team, 2019g) – „The slinky seismic waves demo: Using slinkies to show how earthquakes produce P-, S- and surface waves“ (Earthlearningidea team, 2019d)

-

Unterrichtspraxis: Lernstationen – dynamische Erde >>Material für die sechs Stationen

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1. Reise zum Mittelpunkt der Erde 64 zusammenhängende Blätter einer Klopapierrolle Abbildung zum Aufbau des Erdinneren (Earthlearningidea team, 2022b) Vertiefende Erklärvideos: Eigenes elektronisches Endgerät mit Erklärvideos „Lithosphäre“ aus der Videoreihe „System Erde“ von Prof.  Martin  Meschede (DGGV, 2022a) 2. Kontinente-Puzzle Eigene Weltkarte aus vorheriger Unterrichtsphase oder Atlas Kopie der Kontinente-Puzzleteile auf hell gefärbtem Papier Sachinformationen – Landlebewesen und Süßwasserreptilien auf Gondwanaland (Earthlearningidea team, 2018) – Lage der Kontinente vor ungefähr 200  Mio. Jahren (z. B. Bayrhuber, 2005, S. 13) 3. Konvektion Kochtopf mit Wasser, Herdplatte, Papierschnipsel Sachinformationen: Wärmeausbreitung (Schulbuch Physik) Sachinformation: Was treibt die Lithosphärenplatten an? 4. Erdbebenvorhersage Vier Ziegelsteine o. Ä.

--

8

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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a

b

c

d

e

f

8 ..Abb. 8.32  Lernstationen – dynamische Erde Reise zum Mittelpunkt der Erde (a), Kontinentepuzzle (b), Konvektion (c), Erdbebenvorhersage (d) Vulkan im Labor (e) Vulkangesteine (f) (Fotos: Mats Paulat, Sylke Hlawatsch)

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Spiralfeder, elastisches Seil, Bindfaden oder Draht Lineal 5. Vulkan im Labor 500-ml-Becherglas gefüllt mit farbigem Kerzenwachs, gewaschenem Sand und kaltem Wasser Bunsenbrenner, Gaskartuschenbrenner mit Ventil oder Herdplatte Stativ, hitzebeständige Matte Streichhölzer, Schutzbrille oder Sicherheitsschirm Sachinformationen zum Aufbau von Vulkanen (z. B. Bayrhuber, 2005, S. 20) 6. Vulkangesteine Vulkanmodell, Kärtchen mit Fachbegriffen zum Zuordnen Typische Gesteine, die auf Vulkanismus zurückzuführen sind (Rhombenporphyr, Basalt, Lavagestein, Bims, Obsidian), Handlupe Sachinformationen: Typische Gefüge von Tiefengesteinen und Vulkangesteinen (porphyrisches Gefüge; z. B. Hlawatsch et al., 2005b, S. 6) Vertiefung: Weitere Gesteinsproben und ein Bestimmungsschlüssel (z. B. Hlawatsch et al., 2005b, Baustein 3, Material 7)

zz Einstieg

Anknüpfend an die vorherige Unterrichtssequenz wird im Unterrichtsgespräch thematisiert, dass Erdbeben an der Erdoberfläche nicht gleichmäßig verteilt sind. Hierfür empfiehlt es sich, die Weltkarte „Automatic GEOFON Global Seismic Monitor“ des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ; 7 http://geofon.gfz-potsdam.

de/eqinfo/seismon/globmon.php) mit einem ActivBoard aufzurufen oder mit einem Beamer so zu projizieren, dass die gesamte Lerngruppe diese gemeinsam betrachten kann. Dann wird eine Leitfrage für den Unterricht formuliert, z. B.: „Warum kommen Erdbeben an der Erdoberfläche an manchen Stellen gehäuft vor?“ Im Anschluss informiert die Lehrkraft darüber, dass die Schülerinnen und Schüler sich die Hintergründe der Erdbebenverteilung anhand von Lernstationen erarbeiten werden, erläutert die verfügbaren Materialien (. Abb. 8.32), nimmt die Gruppeneinteilung vor und teilt die Stationen zu. zz Lern- und Arbeitsplan

Station 1 – Reise zum Mittelpunkt der Erde „Wie ist die Erde im Inneren aufgebaut?“ Darüber wirst du an dieser Station etwas erfahren!

kAufgaben k

1. Übertrage die Informationen zum Erdaufbau maßstabsgetreu auf die Klopapierrolle: Ein Blatt Klopapier soll 100 km darstellen. – Entrolle das Klopapier und zeichne die durchschnittliche kontinentale Kruste auf das erste Blatt. – Entrolle weiter und markiere nacheinander die Grenze zwischen dem Erdmantel und dem Erdkern, die Grenze zwischen dem Inneren und äußeren Erdkern und zum Schluss den Erdmittelpunkt. 2. Zeichne einen maßstabsgetreuen Schnitt von der Erdoberfläche bis zum Erdmittelpunkt in dein

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

Themenheft, sodass deine Zeichnung den linken Teil einer Doppelseite ausfüllt, und beschrifte deine Zeichnung. 3. Stelle den Aufbau der Lithosphäre als Ausschnittvergrößerung und überhöht auf dem rechten Teil der Doppelseite dar. Als Quelle für weitere Informationen kann dir die Videoreihe „System Erde“ dienen (7 https:// www.dggv.de/das-system-erde/; DGGV, 2022a). Station 2 – Kontinente-Puzzle Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler glauben seit etwa 1960, dass die Kontinente sich langsam bewegen. „Welche Beweise gibt es dafür?“ kAufgaben k

1. Vergleiche die Küstenlinien von Südamerika und Afrika. Was fällt dir auf ? Beschreibe. 2. Verwende die bereitliegenden Kontinente-Puzzleteile, füge sie zunächst möglichst gut zusammen, vergleiche dann dein Ergebnis mit der Lage der Kontinente vor etwa 250 Mio. Jahren (z. B. Unsere Erde; Bayrhuber, 2005, S. 13) und ordne deine Kontinente-Puzzleteilen entsprechend an. 4. Markiere die Fundorte von Fossilien von Landlebewesen und Süßwasserreptilien auf deinen KontinentPuzzleteilen. Verwende die bereitliegende thematische Karte als Informationsquelle. 5. Ordne die Kontinente-Puzzleteile entsprechend der heutigen Lage der Kontinent an und klebe sie im Zentrum einer Doppelseite in deinem Heft ein. Ergänze Titel und Legende. 6. Du hast zwei Beweise kennengelernt, die dafür sprechen, dass die Kontinente sich bewegen könnten. Beschreibe die Beweise, erkläre, warum sie Indizien für eine Bewegung der Kontinente sind, und bewerte ihre Aussagekraft. Station 3 – Erdbebenvorhersage Bei Erdbeben kommen viele Menschen durch herabstürzendes Mauerwerk, Glas, zerstörte Straßen und Erdrutsche zu Schaden. Mit diesem Versuch sollst du untersuchen, ob eine Vorhersage möglich ist. kAufgaben k

1. Forschungsfrage – Formuliere eine Forschungsfrage, z. B. „Wie lange kann ich am Ziegel ziehen, bevor er sich in Bewegung setzt?“ oder „Wie weit wird der Ziegel sich bewegen?“ 2. Hypothese – Formuliere eine Hypothese für die Forschungsfrage. Benutze dein Vorwissen und überprüfe es mithilfe von Schulbüchern. 3. Versuchsskizze – Zeichne und beschrifte den Aufbau des Modellversuchs.

213

4. Versuchsdurchführung – Stapele drei Ziegelsteine übereinander und befestige ein Gummiseil o. Ä. um den mittleren Stein. Sorge dafür, dass der unterste Stein nicht wegrutschen kann. – Ziehe gleichmäßig am Gummiseil, bis der obere Stein über den unteren rutscht. Stoppe die Zeit, bis der Stein sich in Bewegung setzt, und miss die Entfernung, die er ruckartig zurückgelegt hat. Trage die Ergebnisse in eine Messwertetabelle ein. – Beobachte den Vorgang und dokumentiere ihn mit Fotos. – Beschreibe die Versuchsdurchführung. 5. Ergebnis – Beschreibe die Beobachtung bzw. das Versuchsergebnis. – Übertrage die Messwertetabelle in dein Heft, beschreibe das Ergebnis in eigenen Worten und ergänze es mit aussagekräftigen Fotos. 6. Schlussfolgerung – Beantworte die Forschungsfrage. – Erkläre das Versuchsergebnis. – Erkläre mit deinen Beobachtungen aus dem Modellversuch, wie Erdbeben entstehen können. – Vergleiche den Modellversuch mit der Wirklichkeit. Erstelle dafür eine Tabelle. Station 4 – Konvektion „Wie breitet sich Wärme im System Erde aus?“ Eine dieser Möglichkeiten wirst du im Versuch beobachten können, weitere durch Sachinformationen kennenlernen. kAufgaben k

1. Forschungsfrage – Notiere die Forschungsfrage „Wie breitet Wärme sich im System Erde aus?“ in deinem Themenheft 2. Hypothese – Formuliere eine Hypothese für die Forschungsfrage. Benutze dein Vorwissen und überprüfe es mithilfe von Schulbüchern. 3. Versuchsskizze – Zeichne und beschrifte den Aufbau des Modellversuchs. 4. Versuchsdurchführung – Erwärme das Wasser, warte, bis sich Blasen bilden, und lege dann Papier auf die Wasseroberfläche. Beobachte und dokumentiere das Ergebnis mit einem oder mehreren Fotos. – Beschreibe die Versuchsdurchführung 5. Ergebnis – Beschreibe das Versuchsergebnis 6. Schlussfolgerung – Beantworte die Forschungsfrage. – Erkläre das Versuchsergebnis. Verwende die Begriffe „Wärmeausbreitung“, „Konvektion“ und „Dichte“.

8

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

– Erkläre mit deinen Beobachtungen aus dem Modellversuch einen Prozess, der die Lithosphärenplatten in Bewegung versetzen könnte. – Vergleiche den Modellversuch mit der Wirklichkeit. Beachte: Der Erdmantel ist teilweise geschmolzen und zähflüssig. Station 5 – Vulkan im Labor „Kannst du einen Vulkanausbruch simulieren?“ Du findest ein Becherglas vor, das mit verschiedenen Materialien gefüllt ist. Ganz unten befindet sich eine Schicht Wachs, darüber eine Schicht Sand und schließlich Wasser. kAufgaben k

8

1. Forschungsfrage – Formuliere eine Forschungsfrage, z. B. „Was passiert, wenn man den Inhalt des Becherglases erhitzt?“. 2. Hypothese – Formuliere eine Hypothese für die Forschungsfrage. Überprüfe und ergänze sie mithilfe von Schulbüchern. 3. Versuchsskizze – Zeichne und beschrifte den Aufbau des Modellversuches. 4. Versuchsdurchführung – Setze dir eine Schutzbrille auf. – Stelle das Becherglas auf eine Wärmequelle und erhitze es langsam. Halte Abstand und beobachte vorsichtig, was geschieht. Dokumentiere das Ergebnis mit Fotos. – Beschreibe die Versuchsdurchführung. 5. Ergebnis – Beschreibe und zeichne das Versuchsergebnis. Ergänze es mit aussagekräftigen Fotos. 6. Schlussfolgerung – Beantworte die Forschungsfrage. – Erkläre das Versuchsergebnis, verwende u. a. den Begriff „Dichte“. – Vergleiche den Modellversuch mit der Wirklichkeit. – Zeichne das Versuchsergebnis und daneben einen Vulkan. Ordne die richtigen Bezeichnungen für die Strukturelemente eines Vulkans zu: Magmakammer, Schlot, Grundgebirge, Lavastrom, Kraterwall, Bomben, Lapilli, Asche. – Bewerte die Eignung des Modellversuches zur Veranschaulichung eines Vulkans. Station 6 – Vulkangesteine Gesteine, die im Erdinneren aus flüssiger Gesteinsschmelze erstarren, sehen anders aus als solche, die in der Nähe der Erdoberfläche erstarren.

kAufgaben k

1. Informiere dich zunächst über die typischen Merkmale und ordne dann die ausliegenden Gesteinsproben den folgenden drei Gruppen „Tiefengestein“, „Vulkangestein“, „Sonstige“. 2. Zeichne und beschreibe je ein typisches Gestein aus der Gruppe „Tiefengestein“ und aus der Gruppe „Vulkangestein“. kVertiefung k

Bestimme die Gesteine, die du unter „Sonstige“ abgelegt hast. 8.2.3.3

Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden?

Im Satellitenbild sieht man, dass die Hawaiʻi-Inseln im Pazifischen Ozean wie eine Kette in einer Reihe angeordnet sind. Aus der Untersuchung von Gesteinsproben wissen wir, dass die Inseln mit zunehmender Entfernung zur Hauptinsel immer älter werden. Die älteren Inseln sind kleiner als die jüngeren. Aus diesen Beobachtungen können wir schließen, dass die Lithosphärenplatten sich bewegen. Die Hawaiʻi-Inseln sind daher ein spektakulärer Beweis für die Dynamik der Erde.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden? Unter der Pazifischen Platte bei der Hawaiʻi-Inselkette befindet sich ein sog. Hotspot. Es ist ein Bereich im Erdinneren, in dem die Temperaturen so hoch sind, dass Gesteine schmelzen. Die entstehenden Gesteinsschmelzen (Magma) verfügen – im Vergleich zum umgebenden Gestein – über eine geringere Dichte. Sie steigen daher auf, durchdringen die Pazifische Platte und verursachen an der Erdoberfläche Vulkanismus. Gesteinsschmelze, die sich an der Erdoberfläche befindet, bezeichnen wir als Lava. Lava erkaltet und erstarrt zu einem Vulkan aus Lavagestein. Sobald der Vulkan die Wasseroberfläche durchbricht, entsteht eine Insel. Im Laufe der Jahre verwittern die Gesteine, und die Inseln werden abgetragen, wenn keine neue Lava nachströmt. Durch die Korrelation der Größe der einzelnen Inseln der Hawaiʻi-Inselkette mit den Informationen zum Alter der jeweiligen Gesteine kann auf die Entstehung der Inseln geschlossen werden (Kreuzberger, 2011). Die Auseinandersetzung mit der Entstehung der Hawaiʻi-Inseln dient der Konsolidierung des zuvor Gelernten. Damit die Lerngruppe die Gelegenheit erhält, ihre geographischen Kompetenzen anzuwenden, werden die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, die Hawaiʻi-Inselkette zu lokalisieren. Es empfiehlt sich, ihnen zunächst nur die Gradnetzkoordinaten anzugeben und diese im Atlas suchen zu lassen. Danach sollten sie zudem Google Maps (Satellitenbildansicht) verwenden und so den Umgang mit digitalen Medien üben. Damit alle Schülerinnen und

215

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

Schüler zentrale Aspekte (Anordnung der Inseln in einer Reihe, Größe der einzelnen Inseln) erkennen, erhalten sie die Aufgabe, eine Handskizze von den Hawaiʻi-Inseln anzufertigen. Hierbei kann es erforderlich sein, darauf hinzuweisen, dass ein Maßstab und eine Legende hinzuzufügen sowie alle Inseln zu benennen sind. Die Schülerinnen und Schüler sollen erfahren, dass sie aufgrund von Beobachtungen in einem Satellitenbild und den Ergebnissen von Gesteinsuntersuchungen (Altersdatierung) die Entstehung der Hawaiʻi-Inseln erklären können, wenn sie Kenntnisse aus vorherigem Unterricht (in ihren Themenheften) verfügbar haben. Was zählt, ist die Logik der naturwissenschaftlichen Argumentationskette.

--

zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten Orte mit Gradnetzangaben im Atlas finden können. Land- und Meerflächen (hier: Anordnung der HawaiʻiInseln) in einem Satellitenbild identifizieren können. Vulkane als Orte beschreiben können, an denen heißes Magma aus dem Erdinneren austritt. den Bau der Erde (Kruste, Mantel, Kern) beschreiben und dabei zwischen der äußeren festen Schicht (Lithosphäre), die in Platten zerbrochen ist, die sich relativ zueinander bewegen, und einer darunterliegenden teilweise geschmolzenen Schicht (Asthenosphäre) unterscheiden können.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können eine Handskizze von den Hawaiʻi-Inseln als Kette von kontinuierlich kleiner werdenden Inseln im Pazifischen Ozean mit Maßstabsleiste, Legende und Bezeichnungen der Inseln anfertigen. ein schematisches geologisches Profil für die Pazifische Platte mit den Hawaiʻi-Inseln zeichnen. den Inseln in ihrer Handskizze Daten bezüglich ihres Alters zuordnen. einen Je-desto-Satz zum Verhältnis des Alters und der Größe der Hawaiʻi-Inseln formulieren. die Entstehung der Hawaiʻi-Inselkette mit der Plattentektoniktheorie erklären. zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zu der Frage „Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden?“. Unterstützungsmaßnahmen: Während einige selbstständig eigene Ideen zur möglichen Entstehung entwickeln können, werden andere Teillösungen benötigen. Alle Ideen werden im Plenum präsentiert und diskutiert, bevor die Lösung gemeinsam an der Tafel als Schemazeichnung visualisiert und von allen ins Themenheft übertragen wird.

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..Abb. 8.33  Satellitenbild der Hawaiʻi-Inseln. (Foto: 7 www.pixabay.de)

Unterrichtspraxis: Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden?

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>>Materialien

Atlanten Themenhefte der Schülerinnen und Schüler mit ihren Ergebnissen der Arbeit an den Lernstationen Internetzugang und elektronische Endgeräte

zz Einstieg

Die Lehrkraft projiziert ein Satellitenbild der HawaiʻiInselkette (. Abb. 8.33) und erläutert, dass im nachfolgenden Unterricht die Entstehung geklärt werden soll. Die Forschungsfrage lautet: „Wie sind die Hawaiʻi-Inseln entstanden?“

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Fertige eine Handskizze von der Hawaiʻi-Inselkette an. 2. Auf den Hawaiʻi-Inseln wurden Lavaproben genommen und ihr Alter bestimmt. Ordne die Altersangaben den Inseln in deiner Handskizze zu: – Insel Hawaiʻi: 0–0,4 Mio. Jahre – Kauai: 5,1 Mio. Jahre – Midway: 27,2 Mio. Jahre 3. Formuliere einen Je-desto-Satz zum Verhältnis des Alters und der Größe der Hawaiʻi-Inseln. 4. Recherchiere die geowissenschaftliche Bedeutung des Begriffs „Hotspot“. 5. Entwickle ein schematisches geologisches Profil für die Pazifische Platte mit den Hawaiʻi-Inseln und erkläre die Entstehung der Hawaiʻi-Inseln mit der Plattentektoniktheorie.

8

216

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

8.2.4

Reise eines Wassertropfens in Trappenkamp

Die Sphäre des Wassers (Hydrosphäre) rückt in dieser Einheit als Dritte der insgesamt vier Sphären ins Zentrum des Unterrichtsgeschehens. Am Beispiel des Stoffes „Wasser“ wird aufgezeigt, wie Materie zwischen Speichern innerhalb des Systems Erde fließt und wie dies grafisch durch ein Stoffflussdiagramm repräsentiert werden kann. Ohne Wasser kein Leben? (7 Abschn. 8.2.4.1) Modellversuch – Wasser in der Dose (7 Abschn. 8.2.4.2) Grundwasser (7 Abschn. 8.2.4.3) Der natürliche Wasserhaushalt – Stoffflussdiagramm (7 Abschn. 8.2.4.4) Welchen Einfluss hat der Mensch auf den Wasserhaushalt? (7 Abschn. 8.2.4.5)

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Die folgenden Leitideen der Geowissenschaften (. Tab. 8.3) werden durch den Unterricht zum Thema „Reise eines Wassertropfens“ konkretisiert: Die Menschheit ist untrennbar mit der Geosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre verbunden. Die Biosphäre ist abhängig von der Hydrosphäre, Atmosphäre und Geosphäre und wirkt auf diese zurück.

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8.2.4.1

Ohne Wasser kein Leben?

Leben ist im Wasser entstanden, und bis heute benötigen alle Lebewesen, also Pflanzen, Tiere und natürlich auch wir Menschen, Wasser als Lebensmittel. Es kann durch nichts ersetzt werden.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Ohne Wasser kein Leben? Erwachsene Menschen bestehen zu etwa 70 % aus Wasser. Sie verlieren täglich mehr als 2 l Wasser durch Atmung, Ausscheidungen von Kot bzw. Urin und Schwitzen und nehmen über Getränke und Nahrung Wasser auf. Dies ist ein Beispiel für Stoffflussbeziehungen zwischen Biosphäre und Hydrosphäre. Es ist lebensnotwendig für Menschen, Wasser aufzunehmen. Wenn wir über viele Stunden nichts trinken, fühlen wir uns schwach, verspüren Kopfschmerzen und Übelkeit. Im weiteren Verlauf dickt das Blut ein, das Herz schlägt schneller, die Kapillaren werden schlecht durchblutet, und die Temperaturregelung wird gestört (Hitzewallungen, Hitzeschlag). Schließlich kann es zu Nierenversagen, Muskelkrämpfen, Halluzinationen bis hin zum Tod kommen. Niere, Herz und Gehirn arbeiten als System zusammen, damit der Wasserhaushalt des Menschen gesichert ist. So schüttet das Gehirn ein Hormon aus, wenn es Wassermangel bemerkt. Dieses hemmt die Wasserausscheidung über die Nieren, die wiederum ein Hormon an

das Gehirn senden, wenn sie einen Mineralstoffmangel registrieren – als Signal zum Trinken. Als Einstieg erfolgt eine kleine Erhebung, ob bzw. wie viel die Schülerinnen und Schüler an dem Tag schon getrunken haben. Die Ergebnisse werden an der Tafel gesammelt und möglichst in Form eines Säulendiagramms dargestellt. In den meisten Lerngruppen wird es Schülerinnen und Schüler geben, die selbst am späten Vormittag noch gar nichts getrunken haben. Daran schließt eine Recherche an, was im menschlichen Körper passiert, wenn wir nichts trinken. Hierfür stehen zwei Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung zur Wahl: Internetrecherche Interview mit einer Expertin oder einem Experten

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Die Lernenden entwickeln ihre Medienkompetenz, sie wenden bekannte Suchstrategien an und entwickeln sie weiter. Hierbei ist es von Bedeutung, dass ein Teil der Gruppe Experteninterviews durchführt und dass geklärt wird, welche Berufsgruppen hierfür infrage kommen. Ein Blick in das Impressum der Webseiten zum Thema offenbart dann, dass nicht alle Informationen tatsächlich von Fachleuten dort bereitgestellt werden.

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten einen Browser öffnen und im Internet recherchieren können.

zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können unter Verwendung des Impressums zuverlässige Quellen im Internet identifizieren und zielorientiert Informationen gewinnen. ggf. zielorientiert Fragen für ein Interview formulieren, geeignete Interviewpartnerinnen und -partner identifizieren, Kontakt aufnehmen und einen Termin vereinbaren. Informationsquellen (Experten, Internetquellen) kriteriengeleitet bewerten und die Quellen angeben. Informationen zu Auswirkungen, die Wassermangel auf das eigene Wohlbefinden hat, zusammenfassen und wiedergeben. das eigene Trinkverhalten überprüfen. zz Differenzierung

Die Lernenden entscheiden, ob sie ihre Erkenntnisse durch eine Internetrecherche oder durch ein Experteninterview gewinnen möchten. Die Schwächeren profitieren davon, dass die Ergebnisse der Klasse präsentiert und an der Tafel gesammelt werden. Sie übernehmen den Tafelanschrieb im Themenheft oder ergänzen so ihre eigenen Aufzeichnungen.

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

Unterrichtspraxis: Ohne Wasser kein Leben?

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>>Material

Eigene elektronische Endgeräte und Zugang zum Internet.

zz Einstieg

Die Lehrkraft fragt: „Wie viel hast du heute schon getrunken?“ Die Antworten werden gesammelt, in Kategorien unterteilt, z. B. „nichts“, „ein Glas (200 ml)“, „zwei Gläser (400 ml)“, „mehr als 1 l“, und als Säulendiagramm grafisch dargestellt. Die Lehrkraft formuliert die Leitfrage für einen Rechercheauftrag: „Was passiert in unserem Körper, wenn wir längere Zeit nichts trinken?“

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Notiere die Leitfrage „Was passiert in unserem Körper, wenn wir längere Zeit nichts trinken?“. 2. Nenne Personengruppen, die für eine zuverlässige Beantwortung der Leitfragen qualifiziert sein könnten. Begründe deine Antwort. 3. Recherchiere Informationen zur Leitfrage und fasse sie schriftlich zusammen. Bereite dich darauf vor, sie der Lerngruppe zu präsentieren. Wähle zwischen folgenden Optionen: – Internetrecherche: Notiere die gewonnenen Informationen. Entnimm dem Impressum Hinweise zur Herkunft der Informationen. – Experteninterview: Formuliere Fragen und fixiere sie schriftlich (Interviewleitfaden). Finde eine geeignete Person, die bereit für ein Interview ist. Notiere dir Namen und Beruf und bewerte die Zuverlässigkeit deiner Quelle. 4. Identifiziere Informationen in den Präsentationen deiner Mitschülerinnen und Mitschüler und ergänze deine eigenen Aufzeichnungen. 5. Bewerte die Zuverlässigkeit der Quellen mit Blick auf die Herkunft der Informationen. 6. Überprüfe dein eigenes Trinkverhalten. 8.2.4.2

Modellversuch – Wasser in der Dose

Überall auf der Erde etabliert sich ein Wasserkreislauf aus Verdunstung und Niederschlag – sogar in einer Plastikdose auf einem Schrank im Fachraum.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Modellversuch – Wasser in der Dose Für diesen Versuch wird eine durchsichtige Plastikdose zu einem Drittel vorsichtig mit Leitungswasser gefüllt. Diese wird verschlossen möglichst auf eine sonnenbeschienene Fensterbank gestellt. Sollte sich dort kein

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Platz finden, an dem er mehrere Wochen ungestört stehen kann, eignet sich auch ein Regal. Die Lehrkraft präsentiert den Schülerinnen und Schülern den Versuchsaufbau und ermutigt sie, eine Forschungsfrage zu formulieren und diese in ihren Themenheften zu notieren, z. B. „Was passiert, wenn ich eine teilweise mit Wasser gefüllte Plastikdose verschlossen für mehrere Wochen auf eine Fensterbank stelle?“. Anschließend wird die Lerngruppe daran erinnert, dass Modellversuche nach einem vorgegebenen Ablaufplan durchgeführt und protokolliert werden, den sie aus vorherigem Unterricht kennen (7 Abschn. 8.2.2.2, 8.2.2.3). Als Nächstes ist eine Hypothese zu formulieren. In Jahrgang 8 verfügen Schülerinnen und Schüler grundsätzlich über ausreichend Wissen, das sie für ihre Hypothese verwenden zu können. So wissen sie, dass Wasser verdunstet und dann aufsteigt. Aufgrund der Kenntnis der Gewichtskraft (Basiskonzept „Wechselwirkung“; . Abb. 8.20) können sie antizipieren, dass die Tropfen zurück in den Wasservorrat fallen werden. An der Wasser-Gas-Grenzfläche verdunstet das Wasser und wird zu Gas, Teilchen steigen auf (Basiskonzept „Materie“; . Abb. 8.31) und kondensieren am Deckel und an der Wand, wo sie aufgrund von Wechselwirkungen (Adhäsion) zunächst hängen bleiben, bis schließlich die Gewichtskraft bewirkt, dass die Tropfen vom Deckel wieder ins Wasserreservoir am Dosenboden gelangen. Die Schülerinnen und Schüler kennen auch eine einfache Definition des Basiskonzeptes „System“ (. Abb. 8.9) und könnten erkennen, dass der Modellversuch ein System darstellt, also über Elemente verfügt, die miteinander in Beziehung stehen. Die Hypothese muss noch nicht fachlich richtig sein. Sie dient der Externalisierung des Vorwissens, damit die Lernenden aktiv daran anknüpfen können, so wie es die konstruktivistische Lerntheorie vorsieht. Die Schülerinnen und Schüler zeichnen dann eine Versuchsskizze mit Bleistift und beschreiben die Versuchsdurchführung. Auf einer sonnenbeschienenen Fensterbank wird sich schon in der kommenden Unterrichtsstunde das Versuchsergebnis etabliert haben: In der verschlossenen durchsichtigen Plastikdose sind am Deckel und an den Wänden Tropfen zu sehen (. Abb. 8.34). Die Schülerinnen und Schüler beschreiben ihre Beobachtung möglichst genau mit eigenen Worten und dokumentieren sie mit Fotos und einer Zeichnung. Die Lehrkraft achtet darauf, dass wirklich nur das beschrieben wird, was zu sehen ist. Die Interpretation erfolgt im Protokollabschnitt Schlussfolgerung. Hier beantworten die Schülerinnen und Schüler zunächst die Forschungsfrage und erklären dann die Ergebnisse. Die Hypothese liefert der Lehrkraft Hinweise auf den Kenntnisstand der Lernenden. Möglicherweise sind diese nicht in der Lage, die Vorgänge in der Plastikdose unter Verwendung der zugrunde liegen-

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218

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten mit den Schritten der Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche vertraut sein. Versuchsprotokolle erstellen können. die Prozesse Verdunstung und Kondensation sowie die Aggregatzustände von Wasser kennen. eine einfache Systemdefinition (7 Abschn. 8.2.1.2) und die Bedeutung der Gewichtskraft auf der Erde kennen (7 Abschn. 8.2.2.3).

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zz Lernziele dieser Einheit

..Abb. 8.34  Wasserkreislauf in der Dose – Ergebnisse des Modellversuches (Foto: Sylke Hlawatsch)

8

den naturwissenschaftlichen Basiskonzepte zu erklären. In diesem Fall stellt die Lehrkraft die erforderlichen Informationen zur Verfügung (z. B. Schulbücher, Faktenblätter). Als Teil der Schlussfolgerung werden die Prozesse im Modellversuch mit Abläufen in der Natur verglichen und die Eignung des Versuches als Modell für die Realität bewertet. Die Wasserverteilung auf die verschiedenen Speicher in der Natur beruht auf den gleichen Prozessen wie in der Dose. Im Anschluss an den Modellversuch erfolgt die Ergebnissicherung durch die Lehrkraft, verknüpft mit einer Einführung in die Methode der Systemanalyse (7 Kap. 2; Hlawatsch et al., 2005a): Die Elemente und die Beziehungen im Modellversuch werden identifiziert und mit denen in der Natur verglichen. Die Elemente sind hier die Orte, an denen Wasser gespeichert wird. Der Wasservorrat am Dosenboden, die Luft und die Tropfen am Deckel und den Wänden sind Speicher, auf die sich die Gesamtwassermenge in der Dose verteilt. In der Natur sind die Gewässer und die Wolken die Speicher. Diese Elemente (Speicher) stehen über die Prozesse Verdunstung und Niederschlag miteinander in Beziehung. Der Stoff Wasser fließt zwischen den Speichern hin und her. Es handelt sich um eine Stoffflussbeziehung. Die Systemgrenze im Modellversuch wird festgelegt. Es ist das Plastik der Dose. In der Natur ist es die äußere Begrenzung der Atmosphäre. Ist das System offen oder geschlossen? Die Dose ist ein geschlossenes System bezogen auf Materie und offen bezüglich Energie. Das Gleiche gilt für das System Erde.

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Nach der Besprechung der Systemanalyse erlernen die Schülerinnen und Schüler, ein einfaches Systemmodell zu ihrem Modellversuch zu entwickeln. Sie zeichnen ein Stoffflussdiagramm.

Die Schülerinnen und Schüler können Wasser im Modellversuch als Materie bzw. Stoff identifizieren und die vorliegenden Aggregatzustände „flüssig“ und „gasförmig“ benennen. Wasser als Stoff beschreiben, der aus Wassermolekülen aufgebaut ist, die aus Sauerstoff- und Wasserstoffatomen bestehen. im Modellversuch beobachten und beschreiben, dass Wasser, das zunächst nur am Boden der Dose vorhanden war, nach einer Weile auch an den Wänden und am Deckel in Form von Wassertropfen vorkommt. Beobachtungen und Interpretationen voneinander getrennt im Protokoll vermerken. erklären, wie sich Wassermoleküle aufgrund von Verdunstung aus dem Wasservorrat am Dosenboden lösen, aufsteigen und beim Auftreffen an den Deckel und an den Wänden zu Wassertropfen kondensieren. erklären, dass Energie auf das Wasser übertragen wird (thermische Energie, kinetische Energie), die Teilchen sich schneller bewegen, an der Wasser-GasGrenzfläche aufsteigen und am Deckel und an der Wand kondensieren, wo sie aufgrund von Wechselwirkungen (Adhäsion) zunächst hängen bleiben, bis schließlich die Gewichtskraft bewirkt, dass die Tropfen vom Deckel wieder ins Wasserreservoir am Dosenboden gelangen. die mit Wasser gefüllte und verschlossene Dose als System identifizieren, die Systemgrenze beschreiben und relevante Speicher als Systemelemente benennen. die Prozesse, Verdunstung, Kondensation und Niederschlag erklären und die Verlagerung von Wasser von einem Speicher zu einem anderen als Stoffflüsse beschreiben. Schlussfolgerungen aus dem Modellversuch in Bezug auf die Fachinhalte und auch in Bezug auf die eigenen Lern- und Arbeitsweisen ziehen, insbesondere mithilfe der Lehrkraft Fehlvorstellungen identifizieren und den Lernprozess reflektieren und eigene Aufzeichnungen korrigieren. Beobachtungen, die sie im Zusammenhang mit dem Modellversuch machen konnten, mit dem Wasserkreislauf in der Natur vergleichen und Elemente und

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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219

Prozesse identifizieren, die sowohl in der Natur als auch in der Dose vorkommen. Elemente benennen, die in der Natur vorkommen, im Modellversuch aber nicht repräsentiert sind.

zz Differenzierung

Für die Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche sind Arbeitsschritte mit den unterschiedlichen Anforderungsbereichen (Wiedergabe, Anwendung, Transfer) vorgesehen. Die gesamte Lerngruppe führt den Modellversuch durch und dokumentiert ihn im Themenheft. Das Bearbeitungsniveau der Dokumentation wird gemäß dem individuellen Leistungsvermögen variieren. Das Erklären einer Beobachtung unter Einbeziehung naturwissenschaftlicher Basiskonzepte ist für viele Schülerinnen und Schüler zu Beginn der Jahrgangsstufe  8 eine Herausforderung. Je nach Leistungsstand wird es erforderlich sein, Sachinformationen in Form von kurzen Texten bereitzustellen.

..Abb. 8.35  Modellversuch „Wasser in der Dose“ – Ausgangssituation. Eine Tintenpatrone wird nur für die Vertiefung benötigt

dose, die zu einem Drittel mit Leitungswasser gefüllt ist, auf eine Fensterbank stelle?“

kVertiefung k

Leistungsstarke Lerngruppen verwenden für den Versuch zwei gleiche Behälter, die für die Dauer des Versuches direkt nebeneinander aufgestellt werden. Einziger Unterschied soll sein, dass in das Wasser des einen Behälters eine Patrone blauer Tinte entleert wird. Dadurch kann der Verbleib des im Meer gelösten Salzes thematisiert werden (die Tinte repräsentiert in dem Fall das Salz). Die Schülerinnen und Schüler können zu Beginn überlegen, welche Bedeutung die Tinte haben könnte. Im Modellversuch ist es so, dass in beiden Fällen die Tropfen, die sich jeweils an den Behälterdeckelunterseiten bilden, farblos sind. In der Natur ist es so, dass beim Verdunsten von Meerwasser das Salz im Meer verbleibt. Niederschlag ist Süßwasser und enthält weniger als 0,1 % gelöste Salze (Hassenpflug et al., 2005).

Unterrichtspraxis: Modellversuch – Wasser in der Dose

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>>Material

Durchsichtige Plastikdose mit Deckel Leitungswasser Vertiefung: Zusätzlich weitere Behälter und eine Tintenpatrone Lernhilfen: Checkliste zum Erstellen von Versuchsprotokollen, Versuchsprotokolle aus vorherigen Einheiten, Teillösungen

zz Einstieg

Die Lehrkraft präsentiert die benötigten Materialien und den Versuchsaufbau (. Abb. 8.35). Im Unterrichtsgespräch wird gemeinsam eine Forschungsfrage entwickelt, die mit dem Versuch beantwortet werden kann, z. B.: „Was passiert, wenn ich eine geschlossene Plastik-

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Notiere die Forschungsfrage als Überschrift auf einer neuen Seite in deinem Themenheft. 2. Hypothese – Was glaubst du, wird wohl in der Plastikdose geschehen? Recherchiere in Schulbüchern zum Thema und schreibe deine Vorstellungen auf. Begründe sie naturwissenschaftlich und notiere, wo du die Informationen gefunden hast (Quellenangabe!). 3. Versuchsskizze – Zeichne den Versuch mit Bleistift und Lineal sauber ab und beschrifte alle Teile. Fertige ein Foto von der Ausgangssituation an und drucke es aus (Hausaufgabe). 4. Versuchsdurchführung – Baue den Versuch auf und beschreibe Schritt für Schritt, wie der Versuch durchzuführen ist, und zwar so, dass Personen, die nicht am Unterricht teilgenommen haben, nur durch die Anleitung in der Lage sind, den Versuch nachzumachen. 5. Ergebnis – Beschreibe das Ergebnis nach einigen Tagen. Was hat sich verändert? Mache ein Foto, auf dem dies gut zu erkennen ist. Beschreibe und zeichne deine Beobachtung, klebe das Foto in dein Heft. 6. Fasse alle deine Erkenntnisse als Schlussfolgerung zusammen. – Beantworte die Forschungsfrage – Erkläre das Ergebnis – Vergleiche das, was in der Dose passiert mit der Natur.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

Wasserkreislauf visualisieren. So externalisieren sie ihr Vorwissen und können daran anknüpfend ihre Vorstellungen erweitern.

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten mit den Schritten der Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche vertraut sein. Versuchsprotokolle erstellen können. zz Lernziele dieser Einheit ..Abb. 8.36  Modellversuch zum Grundwasser

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Leitfragen: a Wo befindet sich Wasser in der Natur? Benenne die Orte (auch Speicher). b Wie gelangt Wasser in der Natur von einem Ort zum anderen? Beschreibe die zugrunde liegenden Prozesse. – Erstelle eine Tabelle mit den Spaltentiteln „Speicher und Prozesse“, „Wasser in der Natur“ und „Wasser in der Dose“ und überprüfe für jeden Speicher und jeden Prozess, ob Entsprechendes im Modellversuch beobachtbar ist. – Beurteile für den Modellversuch, wie gut er geeignet ist, das Verhalten von Wasser in der Natur zu veranschaulichen. 8.2.4.3 Grundwasser

Die Wasserversorgung der Haushalte erfolgt entweder aus Oberflächen- oder aus Grundwasser.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Grundwasser Wenn Niederschläge aufgrund der Gewichtskraft Richtung Erdmittelpunkt beschleunigt werden und im porösen Untergrund versickern, sammelt sich das Wasser auf einer undurchlässigen Schicht als Grundwasser. Dort bildet es einen zusammenhängenden Wasserkörper und fließt, wenn ein Gefälle vorliegt. Die Oberfläche dieses Wasserkörpers wird als Grundwasserspiegel bezeichnet. Es gibt auch Wasser, das nicht bis zum Grundwasser sickert, sondern an Bodenteilchen haften bleibt – das Porenwasser. Schülerinnen und Schüler haben keine oder unzutreffende Vorstellung vom Grundwasser (7 Abschn.  5.2). Aufgrund der Bedeutung von Grundwasser für die Wasserversorgung in Deutschland ist es daher wichtig, ihm im Schulunterricht mit besonderer Aufmerksamkeit zu begegnen. Dies erfolgt hier anhand eines Modellversuches (. Abb. 8.36). Der Einstieg in die Einheit sieht vor, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Vorstellungen vom natürlichen

Die Schülerinnen und Schüler können Grundwasser als zusammenhängenden Wasserkörper unter der Erdoberfläche beschreiben, der alle Hohlräume im Untergrund bis zu einem bestimmten Wasserstand (Grundwasserspiegel) füllt. an Bodenteilchen haftendes Wasser als Porenwasser bezeichnen. zz Differenzierung

Für die Erkenntnisgewinnung durch Modellversuche sind Arbeitsschritte mit den unterschiedlichen Anforderungsbereichen (Wiedergabe, Anwendung, Transfer) vorgesehen. Die gesamte Lerngruppe führt den Modellversuch durch und dokumentiert ihn im Themenheft. Einige Schülerinnen und Schülern werden den Versuch nur einmal durchführen, während andere ihn mehrmals durchführen und dabei die Korngrößen der Schichten variieren. Das Bearbeitungsniveau der Dokumentation wird gemäß dem individuellen Leistungsvermögen variieren.

Unterrichtspraxis: Grundwasser

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>>Material

Becherglas Kies Sand Leitungswasser Messzylinder Lernhilfen: Checkliste für Versuchsprotokolle, eigene Protokolle zu vorherigen Versuchen

zz Einstieg

Die Schülerinnen und Schüler erhalten die Aufgabe, den natürlichen Wasserkreislauf nach ihren Vorstellungen zu zeichnen. Die Ergebnisse werden in der Klasse ausgehängt und im Hinblick auf ggf. eingezeichnetes Grundwasser im Unterrichtsgespräch verglichen. Danach zeigt die Lehrkraft den Versuchsaufbau, also das Becherglas zur Hälfte gefüllt mit Kies und darüber eine Schicht aus Sand, und erläutert, dass damit die Bildung von Grundwasser in einem Modellversuch beobachtet werden soll.

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Forschungsfrage – Notiere dir eine Forschungsfrage als Überschrift auf einer neuen Seite, z. B.: „Was passiert, wenn Wasser im Untergrund versickert?“ 2. Hypothese – Was wird im Becherglas in den verschiedenen Schichten passieren? Begründe deine Vermutung naturwissenschaftlich. 3. Versuchsskizze – Zeichne den Versuchsaufbau mit Bleistift und beschrifte alle Teile. 4. Versuchsdurchführung – Du benötigst ein Becherglas zur Hälfte gefüllt mit trockenem Kies und darüber eine mehrere Zentimeter dicke Schicht trockenen Sandes. Fülle 10 ml Wasser in das Becherglas. Schreibe deine Beobachtung auf. Fertige ein Foto von der Ausgangssituation an und wiederhole den Vorgang so lange, bis die Kiesschicht etwa zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist. Beschreibe den Versuch so, dass eine Person, die den Versuch nicht kennt, ihn nachmachen kann. 5. Ergebnis – Zeichne und beschreibe das Ergebnis. – Hebe das Becherglas an und neige es vorsichtig nach links und rechts. Beobachte und beschreibe, wie sich die Oberfläche des Wasserkörpers verhält. – Beschreibe, wie der Sand nun aussieht. 6. Schlussfolgerung – Beantworte deine Forschungsfrage. – Definiere den Begriff „Grundwasser“ sehr knapp und präzise mit typischen Merkmalen. Eigene Zeichnungen und/oder Fotos können helfen. – Erkläre, warum es Grundwasser gibt. – Bewerte den Modellversuch, wie gut er geeignet ist, das Verhalten von Wasser in der Natur zu veranschaulichen. 7. Finde heraus, woher das Wasser aus deinem Wasserhahn zu Hause stammt. Das Wasserwerk, das es für dich bereitstellt, entnimmt es entweder aus Gewässern an der Erdoberfläche oder aus dem Grundwasser. 8.2.4.4

Der natürliche Wasserhaushalt – Stoffflussdiagramm

Von der Gesamtwassermenge auf der Erde steht den Lebewesen nur ein geringer Teil als Trinkwasser zur Verfügung. Es ist das Wasser, das an Land, in Seen, Flüssen und im Grundwasser gespeichert ist. Wir bezeichnen es als Süßwasser. Der sehr viel größere Teil befindet sich in

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den Meeren und ist aufgrund des Salzgehaltes als Trinkwasser nicht geeignet.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Der natürliche Wasserhaushalt – Stoffflussdiagramm Systeme bestehen aus Elementen, die miteinander in Beziehung stehen. Die Gesamtheit des Wassers auf der Erde bildet die Hydrosphäre, eines der vier übergeordneten Teilsysteme des Gesamtsystems. Teilsysteme sind einerseits Elemente des Gesamtsystems, bestehen aber auch selbst aus Elementen. Elemente der Hydrosphäre sind die Orte, an denen Wasser gespeichert wird. Das sind Ozeane, Wolken, Oberflächengewässer, Grundwasser, Lebewesen, Gletscher und Gesteine. Diese stehen über Stoffflüsse miteinander in Beziehung. Das Wasser fließt aufgrund verschiedener Prozesse zwischen den Speichern hin und her. So fließt Schmelzwasser von Gletschern in die Ozeane, wo es verdunstet, als Wasserdampf in die Atmosphäre aufsteigt und sich in Wolken ansammelt. Manchmal verändert es dabei den Aggregatzustand. Die Schülerinnen und Schüler identifizieren die Speicher (Elemente) der Hydrosphäre und die Prozesse, die dafür verantwortlich sind, dass Wasser von einem Speicher in einen anderen fließt. Ihre Ergebnisse stellen sie grafisch als Stoffflussdiagramm dar (Hlawatsch et al., 2005a): Die Flüsse zwischen Systemelementen werden durch Pfeile repräsentiert. Die Pfeile geben an, in welche Richtung die Flüsse oder Umwandlungen erfolgen. Die Pfeile haben die Bedeutung „fließt in Richtung …“, „wird umgewandelt zu …“. Die Systemelemente (Speicher) werden als Kästen gezeichnet.

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Am Beispiel der Hydrosphäre üben die Schülerinnen und Schüler, in Kreisläufen zu denken (7 Kap. 3) und die Elemente und Beziehungen grafisch mit Stoffflussdiagrammen zu repräsentieren. Stoffflussdiagramme sind einfache Systemmodelle. Die Abstraktion der natürlichen Vorgänge als Stoffflussdiagramm ist eine erhebliche kognitive Herausforderung. Daher wird in dieser Einheit auf eine praktische Gruppenarbeit gesetzt. Die Lernenden erhalten zunächst die Kästen (Elemente) und offene Pfeile (Beziehungen) aus Papier und legen die Stoffflussdiagramme auf ihrem Tisch aus. Die Möglichkeit des Verschiebens erleichtert die Besprechung der Ideen mit Gruppenmitgliedern und der Lehrkraft. Das Ergebnis wird fotografiert und entweder per Hand in die Themenhefte übertragen oder als Foto eingeklebt (. Abb. 8.37).

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

Schülerinnen und Schüler, die sich nicht vorstellen können, wo in der Natur überall Wasser gespeichert ist und durch welche Prozesse es abgegeben und aufgenommen wird, wird die erforderliche Information in Form von Begriffslisten bereitgestellt.

Unterrichtspraxis: Der natürliche Wasserhaushalt – Stoffflussdiagramm

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>>Material

Kästen und Pfeile aus Papier für jede Gruppe Lernhilfen: Anleitung zur Erstellung eines Stoffflussdiagramms, Begriffslisten

..Abb. 8.37  Gruppenergebnis Stoffflussdiagramm zum natürlichen Wasserkreislauf (Foto: Sylke Hlawatsch)

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten zuvor den Modellversuch „Wasser in der Dose“ durchgeführt haben (7 Abschn. 8.2.4.2).

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zz Einstieg

Im Unterrichtsgespräch wird gesammelt, wo in der Natur Wasser gespeichert ist und durch welche Prozesse Wasser aufgenommen und abgegeben wird. Daran anknüpfend erläutert die Lehrkraft, wie Stoffflüsse durch Stoffflussdiagramme grafisch repräsentiert werden, und erklärt die Aufgabe. zz Lern- und Arbeitsplan

zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können Wolken, Seen, Flüsse, Lebewesen, Ozeane, Gletscher, Grundwasser als Elemente des natürlichen Wasserkreislaufes identifizieren. Verdunstung, Niederschlag und Kondensation als Prozesse identifizieren. beschreiben, dass das Wasser der Ozeane verdunstet, als Wasserdampf in die Atmosphäre gelangt und dort zu Wolken kondensiert, aus denen es als Niederschlag wieder in die Ozeane, die Oberflächengewässer und das Grundwasser fließt. ihr Wissen reorganisieren, indem sie aus den identifizierten Elementen und Beziehungen in Gruppenarbeit ein Stoffflussdiagramm zum Wasserhaushalt im System Erde entwickeln. weitere Elemente in ihrem Stoffflussdiagramm ergänzen, z. B.: – Lebewesen, die Süßwasser durch Trinken aufnehmen und es durch Atmen und Urin auch wieder ausscheiden – Gletscher, die Wasser in Form von Schnee aufnehmen und durch Schmelzen und Sublimation wieder freisetzen – Gesteine, die Wasser durch Gesteinsumwandlung und durch Vulkanismus freisetzen zz Differenzierung

Die Entwicklung der Stoffflussdiagramme erfolgt mittels Pfeile und Kästen aus Papier in Gruppenarbeit. Erst das Endergebnis wird dann in die Hefte übertragen. Schwächere Gruppenmitglieder profitieren hierbei von stärkeren.

kAufgaben k

1. Schreibt die Bereiche, in denen Wasser im System Erde gespeichert wird, auf hellblaue Rechtecke aus Papier (Kantenlänge ca. 3 × 6 cm). Es sind die Elemente des Teilsystems der Erde „Hydrosphäre“. Verteilt diese auf dem Tisch. 2. Verbindet die Kärtchen (Elemente) mit Pfeilen, die ihr aus mittelblauen Papierstreifen bastelt (Kantenlänge ca. 2 × 10 cm). Beschriftet die Pfeile mit Prozessen, die Wasser von einem Speicher in den anderen transportieren. 3. Präsentiert euer Ergebnis eurer Lehrkraft, fotografiert das Ergebnis, druckt das Foto aus und klebt es in eure Themenhefte ein. 8.2.4.5

Welchen Einfluss hat der Mensch auf den Wasserhaushalt?

Ausgehend vom heimischen Wasserhahn wird Herkunft und Verbleib des täglich genutzten Wassers erkundet.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Welchen Einfluss hat der Mensch auf den Wasserhaushalt? In fußläufiger Entfernung der Richard-Hallmann-Schule befinden sich eine Kläranlage, ein Wasserwerk, eine Mineralwasserabfüllstation der Firma Hansa Heemann, mehrere Regenrückhaltebecken und ein öffentliches Schwimmbad. Die Region ist zudem von Landwirtschaft geprägt. Der Kläranlage wird das Abwasser der Gemeinden Trappenkamp und Dahldorf sowie von mehreren Industriebetrieben zugeführt. Das Wasser für die Haushalte wird

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Abb. 8.39  Besuch einer Kläranlage. (Foto: Sylke Hlawatsch) ..Abb. 8.38  Wie gelangen wir von der Schule zur Kläranlage? Wie weit ist der Weg? Wie lange wird es dauern? Fragen, die im Vorfeld geklärt werden können. Dies kann mit dem Handy geschehen (Foto: Sylke Hlawatsch)

vom Wasserwerk bereitgestellt und nach der Nutzung über die Kanalisation dem Klärwerk zugeführt. Regenwasser von den Dächern und Straßenabfluss gelangen über ein gesondertes Kanalsystem in Regenrückhaltebecken. Dabei werden dem Wasser verschiedenste Stoffe hinzugefügt. Die Schülerinnen und Schüler erkunden Einflüsse des Menschen auf den natürlichen Wasserkreislauf in unmittelbarer Schulumgebung. Dafür folgen sie zu Fuß der Kanalisation von der Schule bis zum Klärwerk und vollziehen so den Fluss von einem Element (Haushalt) zu einem anderen (Kläranlage) aktiv nach. Auf dem Weg kommen sie auch an einem Regenrückhaltebecken vorbei. Sie sehen, dass das Rückhaltebecken nur über eine Ölabscheidevorrichtung verfügt, während die Kläranlage aus diversen Becken besteht. Diese und weitere anthropogene Elemente werden im Stoffflussdiagramm ergänzt. Der Besuch der Kläranlage muss sorgfältig vorbereitet werden. Lernorte im Freien (outdoor learning environment) sind durch vielfältige Reize gekennzeichnet, die die Schülerinnen und Schüler ablenken können. Lehrkräfte müssen genau analysieren, welche Aspekte am außerschulischen Lernort, welche im Vorfeld und welche nachher erarbeitet werden. Nir Orion bezeichnet dieses Vorgehen als Spiralmodell (spiral model) zur Integration einer außerschulischen Lernumgebungen in eine Unterrichtssequenz (7 Kap. 3): Vor dem Ausflug (Fachraum) aktivieren, ergänzen und erweitern die Schülerinnen und Schüler zunächst ihre Kenntnisse über biologische, chemische und physikalische Trennverfahren. Dann werden Fragen formuliert, die durch den Besuch der Kläranlage beantwortet werden sollen. Die Schülerinnen und Schüler informieren sich über den Weg zur Klär-

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anlage (. Abb. 8.38) und die Anordnung der Becken der Kläranlage bei Google Maps (Satellitenbild). Während des Ausflugs (Kläranlage) erkunden die Lernenden, wo die Menschen die Flüsse des Wassers für ihre eigenen Zwecke umlenken. Bei der Kläranlage erfahren sie, welche Stoffe sich im Haushaltsabwasser befinden und welche Stoffe durch Trennverfahren wieder aus dem Wasser entfernt werden können. Noch offene Fragen klären sie im Gespräch mit dem Mitarbeiter vor Ort (. Abb. 8.39). Nach dem Ausflug (Fachraum) erfolgt die Ergebnissicherung. Die beim Ausflug beobachteten Elemente (Haushalte, die Kläranlage und das Regenrückhaltebecken) werden im Stoffflussdiagramm ergänzt und weitere Elemente erfasst (Schwimmbad, ansässige Industriebetriebe, Landwirtschaft). Im Unterrichtsgespräch wird explizit herausgearbeitet, wie die Nutzung von Trinkwasser im Haushalt, durch die Landwirtschaft und für industrielle Zwecke die Mengenverhältnisse in den Speichern und die stoffliche Zusammensetzung verändert (. Abb. 8.40).

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Die Visualisierung der Elemente und Beziehungen erlaubt eine ganzheitliche Betrachtung des Wasserhaushaltes und damit die Identifikation von zielführenden Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung. Vor dem Besuch informieren die Lernenden sich über die verschiedenen Becken der Kläranlage im Satellitenbild und über den Weg dorthin mithilfe des Navigationsprogrammes auf ihrem Handy. So lernen sie weitere digitale Medienanwendungen kennen und erweitern so ihre Medienkompetenz. zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten in der vorherigen Einheit (7 Abschn. 8.2.4.4) ein Stoffflussdiagramm zum natürlichen Wasserkreislauf entwickelt haben; dieses muss vorliegen, da es nun um anthropogene Elemente erweitert wird.

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

224

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zz Lernziele dieser Einheit

8

Schülerinnen und Schüler können Verwendungszwecke von Trinkwasser benennen (Körperpflege, Geschirr abwaschen, Wäsche waschen, Bodenreinigung, Toilettenspülung) und mögliche Veränderungen durch die Nutzung im Hinblick auf verfügbare Menge und stoffliche Zusammensetzung beschreiben. den Fachbegriff „Suspension“ am Beispiel von Haushalts- und Industrieabwässern erklären (Stoffgemische aus Flüssigkeiten mit fein verteilten Feststoffen aller Art und unterschiedlicher Größe). benennen, welche Bestandteile in der Kläranlage getrennt werden, beschreiben, wie dies geschieht, und die biologischen, chemischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten erklären, durch die die Trennung möglich ist. Fragen formulieren, notieren und klären. anthropogene Einflüsse im Stoffflussdiagramm vom natürlichen Wasserkreislauf ergänzen.

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zz Differenzierung

Zur Aktivierung des Vorwissens aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht eignet sich die Erstellung eines digitalen Quiz auf einer Lernplattform, mit dem Sachinformationen verlinkt sind. Dieses Vorgehen erlaubt die selbst gesteuerte Bearbeitung im eigenen Lerntempo. Die Lehrkraft kann bei Bedarf gezielt und individuell auf Fragen eingehen und helfen.

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kVertiefung k

Schülerinnen und Schüler, deren Haushalte nicht an die öffentliche Kläranlage angeschlossen sind, gestalten eine PowerPoint-Folie zur eigenen Abwasserentsorgung. Recherche zu vertiefenden Fragen in Bezug auf spezifische Stoffe, die sich im Abwasser befinden können (Hormone, Medikamente) und mögliche Klärverfahren.

Unterrichtspraxis: Welchen Einfluss hat der Mensch auf den Wasserhaushalt?

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>>Material

Elektronische Endgeräte für den Zugriff auf die digitale Lernplattform und Google Maps Themenhefte mit Stoffflussdiagramm zum natürlichen Wasserhaushalt aus dem vorherigen Unterricht (7 Abschn. 8.2.4.4).

zz Einstieg

Die Lehrkraft schreibt den Impuls für die kommende Unterrichtssequenz an die Tafel oder projiziert sie mit dem Beamer: „Woher kommt das Wasser, das aus der Leitung der Schule kommt? Was passiert mit ihm, nachdem es im Abfluss verschwindet?“

Die Lehrkraft erläutert, dass die Antworten auf diese Fragen im folgenden Unterricht zunächst durch theoretische Überlegungen und danach durch einen Ausflug zur Kläranlage gefunden werden sollen. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Vorbereitung – Bearbeite zunächst selbstständig Wiederholungsaufgaben zu den Themen „Stoffeigenschaften und Trennverfahren“, „Herkunft unseres Trinkwassers“, „Abwasser“ – Informiere dich bei Google Maps, wie du von der Schule zur Kläranlage gelangst und wie die Becken in der Kläranlage angeordnet sind (Satellitenbild). – Hast du etwas nicht verstanden? Interessiert dich etwas besonders? Notiere deine Fragen, damit du sie während des Besuches klären kannst. 2. Besichtigung der Kläranlage Trappenkamp – Wie fließt das Wasser durch die Kläranlage? Notiere die Bezeichnung der Klärstufen und beschreibe, was jeweils passiert. – Sind alle deine Fragen beantwortet? Frag nach, wenn du etwas nicht verstanden hast. 3. Nachbereitung – Ergänze die Kläranlage in deinem Stoffflussdiagramm zum natürlichen Wasserkreislauf. – Ergänze weitere anthropogene Elemente (Haushalte, Wasserwerk, Regenrückhaltebecken, u. a.). – Beantworte die Leitfrage für die Unterrichtseinheit: „Woher kommt das Wasser, das aus der Leitung der Schule kommt? Was passiert mit ihm, nachdem es im Abfluss verschwindet?“ 8.2.5

Heiß-kalt, heiß-kalt … – Wie lange geht das schon so?

Erkenntnisse über vergangene Ereignisse und Zustände unseres Heimatplaneten verdanken wir den spezifischen Denk- und Arbeitsweisen der naturwissenschaftlich arbeitenden Geowissenschaften. In mühseliger Kleinarbeit sammeln Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler auf der ganzen Welt Beweise, aus denen sie auf die Vergangenheit der Erde schließen. Diese fügen sie zu dem 4-D-Puzzle „Erdgeschichte“ zusammen. Wie dies geschieht und welche Rolle geologische Geländeforschung dabei spielt, ist Gegenstand der Unterrichtseinheit „Heiß-kalt, heiß-kalt  … – Wie lange geht das schon so?“. Zwei Unterrichtssequenzen wurden zur Veranschaulichung der Vorgehensweise im vorliegenden Abschnitt ausgewählt. Sie dienen der Vorbereitung einer Exkursion, bei der Schülerinnen und Schüler gefordert sein werden, im Gelände aus ihren eigenen Beobachtungen

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

225

..Abb. 8.40  Arbeitsergebnis im Themenheft. Stoffflussdiagramm zur Hydrosphäre mit natürlichen und anthropogenen Elementen. (Foto: n.n.)

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selbstständig auf vergangene Ereignisse und Zustände zu schließen. Es sind: Schlussfolgerndes Denken (7 Abschn. 8.2.5.1) Wie war es früher in Obernkirchen? (7 Abschn. 8.2.5.2) Die beiden Beispiele konkretisieren zwei Leitideen der Geowissenschaften (. Tab. 8.3) Die Geowissenschaften erforschen die Erde durch Beobachtung, naturwissenschaftliche Schlussfolgerungen und Modellierung. Die Erde und ihre Teilsysteme verändern sich fortwährend. 8.2.5.1

Schlussfolgerndes Denken

Eine besondere Herausforderung für die Geowissenschaften ist es, dass wir die vergangenen Ereignisse und Zustände nicht direkt beobachten können, sondern auf diese schließen müssen. >>Geowissenschaftliche Kompetenz

Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler können heutige Ereignisse (z. B. Vulkanausbrüche, Stürme, Überflutungen) und Zustände (z. B. globale Temperatur, Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre) des Systems Erde mit biologischen, chemischen und physikalischen Prinzipien, Fakten und Gesetzmäßigkeiten (Naturgesetzen) erklären. Dieses Wissen wenden sie an, um aus charakteristischen Gesteinsmerkmalen auf vergangene Ereignisse und Zustände zu schließen und Vorhersagen für zukünftige Entwicklungen zu machen.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Schlussfolgerndes Denken Beim schlussfolgernden Denken wird von einer Beobachtung auf einen Zustand oder ein Ereignis geschlossen. Diesen Vorgang sollen die Schülerinnen und Schüler nachvollziehen. Als Impuls erhalten sie dafür ein Foto (. Abb. 8.41). Abgebildet sind Strukturen, aus denen sie auf einen aktuellen Zustand (Temperatur) und auf ein vergangenes Ereignis (Auto fuhr dort) schließen können (. Tab. 8.8). zz Vorwissen

Vorwissen ist nicht erforderlich.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können einer Bildquelle Informationen entnehmen und diese mit eigenen Worten beschreiben. am Beispiel von Schnee und Reifenspuren erklären, wie wir aus Beobachtungen aufgrund von Erfahrungen auf Zustände und Ereignisse schließen können. zz Differenzierung

Diese Übung erfordert die Beschreibung eines Fotos. Hierfür sollten Anleitungen im Fachraum vorliegen (. Abb. 8.14). Einige Schülerinnen und Schüler präsentieren ihre Beschreibungen im Plenum.

8

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

226

..Abb. 8.41 Straßenszene. (Foto: Dan Fador auf Pixabay)

8 ..Tab. 8.8  Lösungsbeispiel „Schlussfolgerndes Denken“ Beobachtung

Schlussfolgerung

Begründung

Es schneit

Temperaturen unter 0 °C

Schnee entsteht bei Temperaturen unter 0 °C. Dies ist eine allgemeingültige Erkenntnis. Im Winter können wir diesen Zusammenhang in der Natur direkt beobachten, wenn wir Schnee sehen und gleichzeitig die Temperatur messen. Dass Wasser bei 0 °C gefriert, lässt sich aber auch zu anderen Jahreszeiten experimentell im Labor beweisen

Zwei parallele Streifen auf der Straße im Schnee

Ein Fahrzeug mit vier Rädern, vermutlich ein Auto, fuhr dort vorbei.

Fahrzeuge mit vier Rädern oder Kufen, die durch eine feste Achse verbunden sind, hinterlassen Streifen mit gleichbleibendem Abstand in weichem Untergrund oder im Schnee. Da in . Abb. 8.41 sowohl eine Straße als auch parkende Autos zu sehen sind, können wir schließen, dass auf dieser Straße kürzlich ein Auto fuhr

Unterrichtspraxis: Schlussfolgerndes Denken

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>>Material

Foto als Projektion (. Abb. 8.41) Foto als Kopie zum Einkleben in die Themenhefte Lernhilfe: Anleitungen für Bildauswertungen

zz Einstieg

Den Schülerinnen und Schülern wird ein Foto (. Abb. 8.41) von einer Winterszene vorgelegt, die sie zunächst in Einzelarbeit beschreiben. Die Ergebnisse notieren sie in ihren Themenheften. Im Unterrichtsgespräch sichert die Lehrkraft, dass alle die Schneeflocken und die Spuren im Schnee beschrieben haben. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Beschreibe, was du auf dem Foto siehst. 2. Erstelle eine Tabelle mit den Spaltentiteln „Beobachtung“, „Schlussfolgerung“ und „Naturwissenschaftliche Begründung“. 3. Erkläre, wie in den Geowissenschaften aus Beobachtungen auf vergangene Ereignisse geschlossen wird. 8.2.5.2

Wie war es früher in Obernkirchen?

Vor über 200  Mio. Jahren spazierten in Deutschland Dinosaurier durch feuchten Strandsand. Die Spuren, die sie dabei hinterließen, können wir in der Nähe von Hannover bis heute im Original ansehen (. Abb. 8.42). Die Gesteinsschichten mit den Dinosaurierfährten aus Obernkirchen sind aus folgenden Gründen sehr gut geeignet: Die Gesteine verfügen über mehrere charakteristische Merkmale (Rippel, Sandkörner, Spuren), die so eindeutig sind, dass sie auch von schwächeren Schülerinnen und Schülern identifiziert, dokumentiert und beschrieben werden können. Lehrkräfte können vor Ort Originalproben erhalten und dazu Fotos von den Dinosaurierfährten zeigen. So können die Schülerinnen und Schüler eine eigene

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227

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

..Abb. 8.42  Schichtfläche mit Dinosaurierfährten und Rippelstrukturen in der Nähe von Obernkirchen. (Foto: Sylke Hlawatsch)

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Hypothese selbstständig aus ihren eigenen Beobachtungen entwickeln. Mehrere Schichtflächen der Obernkirchener Aufschlüsse sind als digitale 3-D-Modelle durch das Projekt „Digital Geology“ der DGGV (2022b) verfügbar. Die Bedingungen, unter denen Rippel entstehen, können durch einen Modellversuch erarbeitet werden. Zahlreiche Artikel zur Erdgeschichte der Region sind verfügbar – auch populärwissenschaftliche. Der Obernkirchener Aufschluss und weitere der Region sind für die Öffentlichkeit geöffnet und sicher begehbar.

für die Schülerinnen und Schüler, die ohne Wissen nicht möglich ist. Es empfiehlt sich, die hier für die Vorbereitung als Beispiel ausgewählten Dinosaurierfährten während der Exkursion im Originalaufschluss aufzusuchen. So sind die Schülerinnen und Schüler gefordert, die im Unterricht an den Lernstationen bearbeiteten Gesteinsmerkmale auch im Originalaufschluss zu identifizieren und die Stellen wiederzuentdecken, an denen die Daten für die virtuellen Modelle mit Drohnen aufgenommen wurden (7 Kap. 10). Wenn alle Beobachtungen aus der Vorbereitung wiederentdeckt und die grundlegenden Wissensbestände aktiviert und wiederholt wurden, können andere Aufschlüsse in der Nähe aufgesucht und weitere Indizien für die Erdgeschichte gefunden und ausgewertet werden, auch im nahe gelegenen Dinopark Münchehagen. So können die vorab erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten gefestigt werden, bevor in unbekannteren Aufschlüssen Strukturen identifiziert werden sollen, aus denen auf vergangene Zustände geschlossen werden kann. >>Hinweis zur Unterrichtsvorbereitung

Mit steigender Eignung eines Aufschlusses für den Schulunterricht sind vermehrt Hinweise im Internet und im Gelände verfügbar, die es verhindern, unbeeinflusst aus eigenen Beobachtungen auf vergangene Ereignisse und Zustände schließen zu können. Der Begriff „Dinosaurier“ ist bei den virtuellen Modellen der Obernkirchener Gesteinsschichten bereits im Titel enthalten, taucht bei Google Maps im Internet auf und steht im Gelände auf Informationstafeln. Eine Lehrkraft muss gezielt Maßnahmen ergreifen, damit die Schülerinnen und Schüler überhaupt eine Chance haben, eigene Ideen zu entwickeln können.

>>Aufschluss

Schon lange verwenden die Menschen Steine für verschiedene Baumaßnahmen. Natürlicherweise würden sie in der Region nicht an der Erdoberfläche in Erscheinung treten, sondern von Boden und Vegetation bedeckt sein. Orte, an denen Gesteine des Untergrundes durch natürliche Verwitterungs- und Erosionsprozesse oder durch menschliche Abbautätigkeit freigelegt sind, werden als Aufschluss bezeichnet.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Wie war es früher in Obernkirchen? Die hier beschriebene Einheit wird vollständig im Fachraum durchgeführt. Sie dient der Vorbereitung einer Exkursion, bei der die Lernenden gefordert werden, aus eigenen Beobachtungen Schlüsse zu ziehen. Nir Orion beschreibt die Komplexität von außerschulischen Lernorten in der Natur und empfiehlt die Vor- und Nachbereitung im Schulunterricht in Form eines Spiralmodells (7 Kap. 3). Nur das, was ausschließlich im Gelände erarbeitet werden kann, soll auch dort geschehen, alles andere entweder vorher oder nachher im Fachraum. Aus Beobachtungen im Gelände auf die Vergangenheit zu schließen, ist eine anspruchsvolle Problemlöseaufgabe

Die Dinosaurierfährten wurden in verschiedenen Steinbrüchen in der Region Hannover entdeckt. In Münchehagen zeigt der Dinopark originale Dinosaurierfährten und bietet viele weitere Informationen rund um das Thema „Erdgeschichte und Dinosaurier“. Die Obernkirchener Steinbrüche GmbH hat einen Teil ihres Steinbruches in Obernkirchen von weiteren Abbrucharbeiten verschont und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht (N 52° 15′ 37.93′′ und E 09° 08′ 36.80′′, Topografisches Blatt 3721 Auetal). Aufgeschlossen ist eine etwa 40 × 80 m große ebene Fläche. An zwei Seiten (Nord und Ost) wurden Felswände vom Abbau verschont, und an den anderen Seiten grenzt der Aufschluss mit steilen Abbruchkanten direkt an den aktiven Steinbruch. Er ist durch Zäune gesichert (. Tab. 8.9). Diese Unterrichtseinheit liefert verschiedene Anlässe für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung: Die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass Deutschland vor gut 200 Mio. anders war als heute und dass es damals Lebewesen (Dinosaurier) gab, die heute nicht mehr vorkommen. Das eröffnet grundsätzliche

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8

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

..Tab. 8.9  Beobachtungen, die im öffentlichen Teil des Steinbruches der Firma Obernkirchener Steinbrüche GmbH möglich sind

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Beobachtung (dokumentiert im Feldbuch)

(Vor)Wissen

Schlussfolgerung

Die Gesteine sind fest und insgesamt beigefarben. Mit der Lupe sind Körner zu erkennen, die wie Sand am Strand aussehen. Felswände zeigen Gesteinsschichten

Steine, die aus lockeren Ablagerungen der Korngröße „Sand“ (0,6–2 mm) bestehen, bezeichnen wir als Sandsteine. Bis aus Sand Steine werden, vergehen viele Millionen Jahre. Es passiert, wenn sie von weiteren Schichten bedeckt werden. Dann wird die Flüssigkeit aus den Poren gepresst (Prozess: Kompaktion); gleichzeitig kristallisieren die gelösten Stoffe und verbinden die Körner wie ein Zement (Prozess: Zementation). Schichten aus lockeren Ablagerungen mit sandkorngroßen Bestandteilen entstehen heute in Meeren oder bleiben nach Überflutungsereignissen an Land zurück

Der Sand, aus dem der Stein besteht, könnte von einem Strand oder aus einer Wüste stammen. Da mehrere Schichten vorhanden sind, muss die Region mehrmals überflutet worden sein. Der Stein ist heute fest, es muss also eine Substanz vorhanden sein, die die lockeren Bestandteile verbindet, ein Zement

Die Bodenfläche im Aufschluss ist eben und gleichmäßig, abgesehen von einigen Vertiefungen, die gleich weit voneinander entfernt, aber zufällig verteilt sind

Heute hinterlassen Lebewesen Spuren im Sand, wenn er feucht ist. Wenn der Sand nach kurzen Regenereignissen trocknet, verschwinden die Spuren. Am Strand direkt an der Wasserlinie bleiben sie länger erhalten

Es war ein Strand

Auf der ebenen Bodenfläche sind Rippelmarken zu erkennen

Rippelmarken gibt es heute in flachem Wasser

Flachwasserbereich

Fragen zu Ursachen von Aussterbeereignissen. Im heutigen Binnenland existierte eine Lagune, und das Klima war sehr viel wärmer, weil sich die Region viel näher am Äquator befand. Die Dinosaurierfährten wurden in Steinbrüchen entdeckt, in denen der Natur Materialien für verschiedene Zwecke entnommen werden. So wurden die Obernkirchener Sandsteine in der Vergangenheit für repräsentative Gebäude und bis heute als Natursteine im Gartenbau verwendet. Dort, wo vorher Bergrücken waren, bleiben flache Landschaften oder sogar Vertiefungen zurück. Beweise für Bergbautätigkeit gibt es in der Region viele, auch Schächte für Kohlebergbau. Die Flächen mit Dinosaurierfährten werden explizit vor weiterem Abbau geschützt. Wären diese Maßnahmen nicht ergriffen worden, wären wichtige Hinweise auf die Geschichte der Erde zerstört worden, so wie es an anderen Orten regelmäßig passiert.

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Durch die Arbeit mit digitalen Aufschlussmodellen erweitern die Schülerinnen und Schüler ihre Kenntnisse über Einsatzbereiche digitaler Medien und üben die Nutzung von 3-D-Geländemodellen zur Erkenntnisgewinnung. So entwickeln sie ihre Medienkompetenz. zz Vorwissen

Ohne Vorwissen können Schülerinnen und Schüler keine Erkenntnisse aus Beobachtungen im Gelände gewinnen. Für das geschilderte Beispiel sollten sie Sandsteine als solche identifizieren können.

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Erscheinungsformen von Fossilien benennen und ihre Entstehung erklären können (7 Abschn. 8.2.2.2).

zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können den Begriff „Aufschluss“ erklären und Orte benennen, an denen Gesteine grundsätzlich aufgeschlossen vorkommen können: Gebirge, Steilküsten, Flussbetten, Straßenränder, Steinbrüche und Bergwerke. in einer Ansammlung von Gesteinen Sandsteine identifizieren und typische Merkmale wie Korngröße, Schichtung, Rippel und Fossilien benennen. für die Ablagerungsorte Flüsse, Strand, Tiefseeboden oder Wüsten typische Merkmale beschreiben, die sich in dortigen Ablagerungen ausprägen. am Beispiel Obernkirchen erklären, wie aus Beobachtungen in der Natur bzw. Originalproben Erkenntnisse über die Erdgeschichte der Region gewonnen werden können, in der sie gefunden wurden. Erkenntnisse über die Entstehung von Rippeln aus einem Modellversuch gewinnen. Erkenntnisse über ein Untersuchungsgebiet aus einem 3-D-Geländemodell gewinnen. auf Basis der eigenen Beobachtungen Schlüsse über die Erdgeschichte des Fundortes ziehen, diese schriftlich zusammenfassen und dabei naturwissenschaftlich begründen.

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

229

zz Differenzierung

kAufgabe k

Drei Lernstationen können in selbst gewählter Reihenfolge individuell oder in Gruppen im eigenen Tempo bearbeitet werden. Danach erfolgt eine Zwischensicherung durch die Lehrkraft. Es wird besprochen, ob die Lernenden im Lern- und Arbeitsplan voranschreiten können oder mit Lernhilfen zurück an die Lernstationen geschickt werden. Eine Anleitung zur Erkenntnisgewinnung aus Modellversuchen steht im Fachraum zur Verfügung. Schülerinnen und Schüler, die die Aufgaben der Lernstationen nachweislich vollständig bearbeitet haben, erhalten die Information, wo sie die 3-D-Modelle der Schichten, denen die Gesteinsproben entstammen, online aufrufen können. Sie schreiten im Lern- und Arbeitsplan voran bis hin zu den Wahlaufgaben. Diejenigen, die länger an den Lernstationen verweilt haben, erfahren von den Inhalten der Wahlaufgaben durch die Präsentationen der Mitschülerinnen und Mitschüler. Im Unterrichtsgespräch werden die Kernaussagen herausgearbeitet und schriftlich fixiert.

Untersuche die Gesteinsprobe und dokumentiere die Ergebnisse anhand einer Bleistiftzeichnung, die du mit einem Maßstab und einer Bildunterschrift versiehst. Fertige eine oder mehrere Ausschnittvergrößerungen mit Größenangabe an, die besonders typische Strukturen oder Bestandteile hervorheben. Leitfragen: Ist die Probe einfarbig? Welche Farbe ist es? Ist die Probe mehrfarbig? Welche Farbe kommt in der Probe hauptsächlich vor? Wie sind die Farben verteilt? Kannst du Bestandteile der Probe erkennen? Wie sind die Bestandteile in der Probe verteilt? Schau dir die bereitliegenden Fotos an. Sie zeigen eine typische Schichtfläche des Steinbruches, aus dem die Gesteinsproben stammen. Ergänze deine Aufzeichnungen.

Unterrichtspraxis: „Wie war es früher in Obernkirchen?“

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>>Materialien

Handlupen Gesteinsproben, möglichst Originale aus Obernkirchen oder detailreiche Fotos davon Aquarium, gefüllt mit Leitungswasser und Sand Elektronische Endgeräte zum Aufrufen der 3-D-Geländemodelle des Projektes „Digital Geology“. Sachinformationen zu Ablagerungsräumen und dort entstehenden typischen Merkmalen, die dauerhaft in Gesteinen fixiert werden Artikel für die Wahlaufgaben (z. B. Hornung et al., 2012; Richter, 2016).

zz Einstieg

Die Lehrkraft erläutert in einem kurzen Vortrag, dass man die Stellen, in denen Gesteine untersucht werden können, als „Aufschluss“ bezeichnet. Sie erläutert, dass diese natürlich vorkommen oder vom Menschen geschaffen werden. Die Lehrkraft nennt Beispiele, schreibt die Leitfrage als Impuls für die folgende Unterrichtssequenz an die Tafel oder projiziert sie: „Was können wir aus Steinen über die Vergangenheit von Obernkirchen erfahren?“ Dann erläutert die Lehrkraft den Lern- und Arbeitsplan sowie die verfügbaren Materialien. zz Lern- und Arbeitsplan

Station 1 – Gesteinsbestimmung

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Station 2 – Modellversuch kAufgabe k

Fülle ein Aquarium zu einem Drittel mit Leitungswasser, streue Sand gut verteilt auf den Boden und hebe und senke das Aquarium an einer Seite vorsichtig, sodass Wellen an der Wasseroberfläche entstehen. Beobachte, was am Boden mit dem Sand passiert. Fertige ein vollständiges Versuchsprotokoll an. Station 3 – Ablagerungsmilieus kAufgaben k

1. Informiere dich, wie typische Ablagerungen am Strand, in Seen, in der Tiefsee, in Gebirgen und in Flüssen aussehen. Notiere dir die Ergebnisse tabellarisch. Ergänze Fotos oder Zeichnungen. 2. Welche Schlüsse kannst du aus deinen Beobachtungen über die Vergangenheit der Region ziehen, in der die Gesteinsproben (Station  1) gefunden wurden? Schreibe für alle Beobachtungen deine Schlussfolgerungen auf und begründe deine Ansicht naturwissenschaftlich. 3. Analysiere die virtuellen 3-D-Modelle des Projektes „Digital Geology“. Sie zeigen weitere Merkmale der Schichten, denen die Gesteinsproben entnommen wurden. Den Link erhältst du von deiner Lehrkraft, nachdem du Aufgabe 2 vorgelegt hast. Ergänze deine Beobachtungen in deinen Aufzeichnungen. 4. Wahlaufgaben a. Du bist fertig, während andere noch länger für die Aufgaben brauchen? – Stell dir vor, während einer Übung der Freiwilligen Feuerwehr werden durch große Wassermengen Strukturen in einer Gesteinsschicht freigelegt, von denen selbst Laien annehmen können, dass sie bedeutende Indizien für die Erdgeschichte sind. Mehrere Mitglieder der Familie,

8

230

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

a

b

..Abb. 8.43  Gesteinsproben mit Rippelstruktur aus Obernkirchen. (Foto: Mats Paulat)

8 die den Steinbruch bewirtschaftet, sind anwesend und mit dir gut bekannt. Am nächsten Tag beobachtest du, dass der Steinbruchbetrieb wie üblich fortgeführt wird und die Gesteinsschicht mit den interessanten Funden vermutlich in wenigen Wochen zerstört werden würde. Was tust du? Wäge wirtschaftliche, soziale und ökologische Interessen sorgfältig ab. Bereite dich darauf vor, deine Ergebnisse der Klasse zu präsentieren. –Es gibt weitere Funde in der Region, die Informationen sind in verschiedenen Artikeln zusammengetragen, die deine Lehrkraft dir zur Verfügung stellt (z. B. Hornung et al., 2012; Richter, 2016). Lies einen oder mehrere Artikel, erstelle eine Tabelle mit den Spaltentiteln „Beobachtung“, „Fundort“ „Schlussfolgerung“ und „Naturwissenschaftliche Begründung“, die du so gut wie möglich ausfüllst. Bereite dich darauf vor, deine Ergebnisse der Klasse zu präsentieren. b. Du hast lange an den Lernstationen gearbeitet? – Mitschülerinnen und Mitschüler von dir präsentieren die Ergebnisse der Wahlaufgaben. Notiere dir, was du jeweils interessant findest, in deinem Themenheft. Hast du Fragen? Schreibe sie auf. 77Interpretation

„The area must have been flooded from time to time to lay down the sediment and keep it sloshy enough to retain footprints. The water must have been shallow enough or dried out so the dinosaurs could walk there. Muddy areas like these (river floodplains or tidal flats) are usually broad flat areas. There must have been fresh water here or nearby to allow the vegetation to grow. The vegetation was green – to allow the plants to photosynthesise. The sand, silt, mud was grey. The sky was blue (as today) and had white/grey clouds at least from time

to time, to produce the fresh water for the vegetation. The sun shone, to allow the vegetation to grow. There were predator/scavenger animals around – some of these may have been able to fly. There must have been dinosaur poo around – of similar colours to poo today! The area may have smelt of the sea or rotting vegetation.“ (King, 2020, pers. Kommunikation) 9

8.2.6

Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima?

» „It is unequivocal that human influence has warmed

the atmosphere, ocean and land. Widespread and rapid changes in the atmosphere, ocean, cryosphere and biosphere have occurred.“ (IPCC, 2021)

Diese Aussage stammt vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC; deutsch: Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen). Das IPCC beruft Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die naturwissenschaftlichen Grundlagen und den weltweiten Forschungsstand über die Auswirkungen der globalen Erwärmung zusammentragen und wissenschaftlich bewerten. Die Erwärmung wird maßgeblich auf den Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen (u. a. Kohlenstoffdioxid) in der Atmosphäre seit 1750 zurückgeführt. Die Wissenschaftsgemeinschaft ist sich einig, dass die Verbrennung fossiler Energieträger dafür ursächlich verantwortlich ist. Die Einheit „Welchen Einfluss hat der Mensch auf das Klima?“ fokussiert auf die biogeochemischen Prozesse, durch die Kohlenstoff zwischen den Sphären hin- und herfließt, analysiert, was der Kohlenstoff dort jeweils bewirkt und wo der Mensch Einfluss nimmt bzw. nehmen könnte. Zwei Einheiten veranschaulichen die Unterrichtspraxis in diesem Abschnitt:

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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Biogeochemischer Kohlenstoffkreislauf – Stoffflussdiagramm (7 Abschn. 8.2.6.1) Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm (7 Abschn. 8.2.6.2)

Damit werden die folgenden Leitideen der Geowissenschaften (. Tab. 8.3) konkretisiert: Die Biosphäre ist abhängig von der Hydrosphäre, Atmosphäre und Geosphäre und wirkt auf sie zurück. Die Erde und ihre Teilsysteme verändern sich fortwährend. 8.2.6.1 Biogeochemischer

Kohlenstoffkreislauf – Stoffflussdiagramm

Die globale Erderwärmung ist ein Schlüsselproblem unserer heutigen Gesellschaft, an dem jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin in Deutschland allein aufgrund des Lebensstiles seinen bzw. ihren Anteil hat. Mit den Auswirkungen sind die Schülerinnen und Schüler bereits heute konfrontiert, und es wird eine große Herausforderung für sie sein, der Erwärmung zukünftig wirkungsvoll zu begegnen. >>Kohlenstoff im System Erde

Kohlenstoff ist mit ganz unterschiedlichen Mengen auf die Sphären verteilt: Fast alles (> 99 %) ist in Kalksteinen (Lithosphäre) gespeichert, während die Anteile in der Atmosphäre, der Hydrosphäre und der Biosphäre sehr gering sind. Zwischen den Sphären findet ein Kohlenstoffaustausch statt. Er gelangt beispielsweise von der Hydrosphäre über die Biosphäre in die Lithosphäre. Dies geschieht, wenn im Meerwasser gelöste Kohlenstoffverbindungen durch Tiere aufgenommen und in ihre Kalkschalen eingebaut werden. Nach dem Absterben sinken die Schalen zu Boden und versteinern. Kohlenstoffflüsse passieren auch durch chemische Reaktionen, z. B. wird Kohlenstoff aus der Lithosphäre an die Atmosphäre abgegeben, wenn wir fossile Energieträger nutzen (Kohle, Erdöl, Erdgas). Hierbei ist es besonders wichtig zu erkennen, dass diese Prozesse auf ganz unterschiedlichen Zeitskalen stattfinden.

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Biogeochemischer Kohlenstoffkreislauf – Stoffflussdiagramm Kohlenstoff in der Atmosphäre ist ein entscheidender Faktor für die Erwärmung der Erde. Damit die Schülerinnen und Schüler zukünftig einen Beitrag zur Reduzierung leisten können, erarbeiten sie die biogeochemischen Prozesse im System Erde, die die Kohlenstoffverteilung in den Sphären bedingen. Als Quelle für die erforderlichen Sachinformationen dient u. a. das „Bildungswiki Klimawandel“. Es ist ein

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Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Bildungsserver, dem Climate Service Center und dem Hamburger Bildungsserver zum Aufbau einer Enzyklopädie über den anthropogenen Klimawandel und seine Folgen. In der sachlichen Richtigkeit sind die Artikel an den Ergebnissen aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen orientiert, die in renommierten Fachzeitschriften erschienen und zumeist in die zusammenfassenden Sachstandsberichte des Weltklimarates IPCC eingegangen sind (7 Abschn. 10.3). Für das hier beschriebene Unterrichtsbeispiel wurde Baustein  1 des Moduls  9 „Der Kohlenstoffkreislauf“ des Projektes „Forschungsdialog: System Erde“ (Lucius et al., 2005) für den Unterricht in Sekundarstufe I verändert. Die Schülerinnen und Schüler wenden Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie im Kontext „Wasserhaushalt“ (7 Abschn. 8.2.4) erworben haben, nun auf den „Kohlenstoffhaushalt“ an. Es ist ein Beitrag für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung, dass die Schülerinnen und Schüler ein grundlegendes Verständnis des Kohlenstoffhaushaltes im System Erde erlangen. Aus der Lehr-Lernforschung ist bekannt, dass Problemlösungen ohne Wissen im Gegenstandsbereich nicht möglich sind (Weinert, 2014). Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre Medienkompetenz (KMK, 2017), da sie neue digitale Umgebungen kennenlernen. Es handelt sich um den deutschen Bildungsserver und das dort befindliche Klimawiki (Kasang, o. D.) und die Webseite der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe, die die Energiestudien bereitstellt (Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe, 2020). Im Zusammenhang mit der Auswertung der Daten üben sie die kritische Bewertung von Daten und Datenquellen.

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zz Vorwissen

Die Schülerinnen und Schüler sollten Speicher als Elemente eines Systems identifizieren und ausgewählte Prozesse, die Stoffflüsse bedingen, benennen können. eine Systemanalyse vornehmen können bzw. im Themenheft nachschlagen, welche Schritte erforderlich sind (7 Abschn. 8.2.4.4). ein Stoffflussdiagramm entwickeln können. Entstehungsprozesse von fossilen Energierohstoffen beschreiben und dabei realistische Zeitdimensionen antizipieren können.

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zz Lernziele dieser Einheit

Die Schülerinnen und Schüler können Informationen zum Anstieg von Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre einem Diagramm entnehmen und wiedergeben. Informationen zu Speichern und Flüssen von Kohlenstoff im System Erde dem Klimawiki auf dem deutschen Bildungsserver entnehmen:

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

der Energieversorgung von Deutschland beschreiben. Die Informationen können einige direkt aus der aktuellen Energiestudie der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe (2020) gewinnen, während andere davon durch einen Vortrag von Mitschülern und Mitschülerinnen erfahren. die Bedeutung des menschlichen Lebensstiles für die Kohlenstoffflüsse im System Erde beschreiben. den Anstieg in der Atmosphäre seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts als Folge der Verbrennung fossiler Energieträger zur Energieversorgung identifizieren.

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zz Differenzierung

Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in ihrem eigenen Tempo und auf ihrem eigenen Niveau am Lern- und Arbeitsplan zum Thema „Biogeochemischer Kohlenstoffkreislauf – Stoffflussdiagramm“. Unterstützungsmaßnahmen: Für die Auswertung von Diagrammen und das Anfertigen von Stoffflussdiagrammen stehen Anleitungen und Teillösungen im Fachraum zur Verfügung.

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..Abb. 8.44  Poster „Chemische Reaktion“. (Aus Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9, 2021/22) Hintergrundfoto: Pixabay

– Beispiele für Speicher: Kalksteine, Erdöl, Kohle, Ozeane, Atmosphäre, Tiere und Pflanzen – Beispiele für Flussbeziehungen: Fotosynthese, Atmung, Verwitterung, Vulkanismus, Diffusion, Verbrennung, Versenkung und Ausfällung am Beispiel des Kohlenstoffs die Begriffe „Stoffspeicher“ und „Stofffluss“ erläutern. eine Systemanalyse für den Kohlenstoffhaushalt des Systems Erde ausführen und ein Stoffflussdiagramm entwickeln. mit dem Basiskonzept „Chemische Reaktion“ (. Abb. 8.44) erklären, wie durch den Prozess Fotosynthese Kohlenstoff aus der Atmosphäre in die Biosphäre gelangt. mit dem Basiskonzept „Energie“ (. Abb. 8.30) erklären, wie Strahlungsenergie von der Sonne durch Fotosynthese auf das System Erde übertragen, in Form von chemischer Energie kurzfristig in Pflanzen und langfristig in Kohle, Erdgas oder Erdöl gespeichert wird. den kurz-, mittel- und langfristigen Kohlenstoffkreislauf farblich differenziert in einem Stoffflussdiagramm darstellen. die Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauches und den Anteil der fossilen Energieträger an

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Die Aufgaben zur Energiestudie werden nur von den leistungsfähigeren Schülerinnen und Schülern der Lerngruppe selbstständig bearbeitet. Diese fassen die Ergebnisse zusammen und präsentieren sie der gesamten Lerngruppe, sodass die Kernaussagen von allen in den Themenheften schriftlich fixiert werden können.

Unterrichtspraxis: Biogeochemischer Kohlenstoffkreislauf – Stoffflussdiagramm

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>>Materialien

Kopie des Diagramms „Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre“ (. Abb. 8.45) Elektronische Endgeräte für die Recherche der Sachinformationen Lernhilfen: Anleitungen

zz Einstieg

Die Lehrkraft präsentiert ein Diagramm zur Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre. Die Messwerte stammen von der Station „Mauna Loa“ auf Hawaiʻi (. Abb.  8.45). Die Kernaussagen werden im Unterrichtsgespräch herausgearbeitet und daran anknüpfend Leitfragen für die Unterrichtseinheit entwickelt, z. B. „Welche Prozesse steuern die Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre?“ und „Was sind die Ursachen für den Anstieg?“. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Werte das Diagramm „Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre“ (. Abb. 8.45) schriftlich aus.

233

8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

Energieversorgung von Deutschland und fasse deine Ergebnisse schriftlich zusammen. 8.2.6.2

Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm

Die Prognosen über die Entwicklung der Temperaturen der Erdoberfläche des Intergovernmental Panel for Climate Change (IPCC) basieren auf computergestützten Modellberechnungen, denen ständig aktualisierte wissenschaftliche Erkenntnisse über Flüsse und Wirkbeziehungen im System Erde zugrunde gelegt werden. >>Wirkungen im System Erde

..Abb. 8.45  Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre an der Station „Mauna Loa“. (Quelle: NOAA Earth System Research Laboratory (2018): Trends in Atmospheric Carbon Dioxide, Lizenz: NOAA public domain. https://www.esrl.noaa.gov/gmd/ccgg/trends/ )

2. Besuche das "Klimawiki des Deutschen Bildungsservers" auf dem deutschen Bildungsserver (7 https:// wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Klimawandel:Portal). – Benenne Bereiche der Erde, in denen Kohlenstoff gespeichert wird. Gib die Menge an. – Benenne die Prozesse, durch die Kohlenstoff natürlicherweise von einem Speicher in andere gelangt. Erstelle eine Tabelle mit den Spaltenköpfen „Speicher“, „Kohlenstoffgehalt“ und „Prozesse, die Kohlenstoff entfernen bzw. hinzufügen“. – Entwickle ein Stoffflussdiagramm zum Kohlenstoffkreislauf. Gib die jeweils gespeicherten Kohlenstoffmengen an. – Erkläre die Prozesse, durch die Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt, und die Prozesse, durch die Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre entfernt wird, naturwissenschaftlich. Berücksichtige die Basiskonzepte. – Färbe die Elemente und Flüsse des kurz-, mittelund langfristigen Kohlenstoffkreislaufes in deinem Stoffflussdiagramm unterschiedlich ein und ergänze eine Legende. kVertiefung k

Finde die aktuellste Energiestudie der Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe und darin ein Diagramm zur Entwicklung des weltweiten Primärenergieverbrauchs (Bundesanstalt für Geologie und Rohstoffe, 2020). Beschreibe das Diagramm und interpretiere die Daten im Hinblick auf die Bedeutung für die Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre. Informiere dich in der Energiestudie über die Entwicklung des Anteiles fossiler Energieträger für die

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Je nachdem, wo im System Erde sich Stoffe befinden, können sie unterschiedliche Wirkungen entfalten: „Je mehr Kohlenstoff sich in Form von Kohlenstoffdioxid oder Methan in der Atmosphäre befindet, desto höher ist die Temperatur in der Atmosphäre.“

Allgemeine didaktische und pädagogische Hinweise: Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm Die Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich in dieser Einheit vertieft mit den Wirkungsbeziehungen im Klimasystem und entwickeln arbeitsteilig ein Wirkungsdiagramm dazu (. Abb. 8.47). Die Reorganisation von Wissen durch die grafische Repräsentation ist ein didaktisches Prinzip der Earth Systems Education (7 Kap. 3), das durch das Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ für die Sekundarstufe II an die Anforderungen des deutschen Schulsystems angepasst wurde (Hlawatsch et al., 2005c). Die grundsätzliche Vorgehensweise wird im Modul 1 „Einführung in das Systemkonzept“ erläutert (Hlawatsch et al., 2005a). Mit den naturwissenschaftlichen Hintergründen von Klimamodellen befasst sich der Baustein 5 „Modellierung“ des Moduls „Klimasystem und Klimageschichte“ (Kasang et al., 2005), der für die hier vorgestellte Einheit „Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm“ verändert wurde. Die Schülerinnen und Schüler lernen die Darstellung von Wirkungsbeziehungen (kausale Beziehungen) zwischen Systemelementen durch Pfeile mittels Wirkungsdiagramm. Die Pfeile verlaufen in die Richtung der Wirkung und haben die Bedeutung „wirkt auf“. Die Korrelationen zwischen zwei Systemgrößen können positiv oder negativ sein: Positive Korrelationen werden durch Pfeile dargestellt, die mit einem + versehen sind. Sie stehen für „je mehr …, umso mehr …“ und „je weniger …, umso weniger …“. Negative Korrelationen werden durch Pfeile dargestellt, die mit einem – versehen sind. Sie stehen für „je mehr …, desto weniger …“ und „je weniger …, desto mehr …“. Sie werden daher auch als gegensinnige Korrelationen bezeichnet.

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234

Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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..Abb. 8.46  Globale Jahresmitteltemperatur 1880-2018 im Verhältnis zum Mittel des 20. Jahrhunderts. Links in °C, rechts in °F (Fahrenheit). (Quelle: NOAA National Centers for Environmental information (2019): Climate at a Glance: Global time Series, Lizenz: public domain. https://www.ncei.noaa.gov/access/monitoring/climate-at-a-glance/global/time-series/globe/land_ocean/ytd/12/1880-2018)

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist hier dadurch realisiert, dass die Schülerinnen und Schüler Handlungsalternativen, mit denen sie zukünftig dem Klimawandel begegnen könnten, nicht nur identifizieren, sondern ihre Wirksamkeit auch gezielt systematisch überprüfen und beurteilen. Medienkompetenz (KMK, 2017) entwickeln die Schülerinnen und Schüler durch die Beschäftigung mit computergestützten Modellierungen. zz Vorwissen

Schülerinnen und Schüler sollten den Treibhauseffekt erläutern können.

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zz Lernziele dieser Einheit

Schülerinnen und Schüler können Informationen zum Temperaturanstieg einem Diagramm entnehmen, wiedergeben (. Abb. 8.46) und den Treibhauseffekt als Ursache benennen. Wirkbeziehungen als Je-desto-Sätze formulieren. (Beispiel: Je höher die Temperatur der Ozeane ist, desto mehr CO2 wird gespeichert). den Treibhauseffekt als Beispiel für eine Wirkungsbeziehung im System Erde benennen und beschreiben. arbeitsteilig Wirkungen von Klimasystemelementen recherchieren und naturwissenschaftlich begründet erklären. arbeitsteilig ein Wirkungsdiagramm (PowerPointFolie) entwickeln.

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zur Erklärung der Erderwärmung das Basiskonzept „System“ anwenden und sich dafür auf das von der Klasse entwickelte Wirkungsdiagramm beziehen.

zz Differenzierung

Für das Identifizieren von Elementen und Beziehungen im Klimasystem kann es erforderlich sein, den Schülerinnen und Schülern zusätzlich zum Bildungsserver (Kasang, o. D.), weitere Informationen über eine aktuelle TV-Dokumentation anzubieten, wie Klimawandel – die Fakten mit Harald Lesch aus der ZDF-Mediathek. In Gruppen unterstützen die Lernenden sich gegenseitig. kVertiefung k

Sind die Grundlagen in Bezug auf Flüsse und Wirkungen von Kohlenstoff im Klimasystem erarbeitet, können die Schülerinnen und Schüler mit dem Klimamodell MSCM (Monash Simple Climate Model) experimentell verschiedene Bedingungen untersuchen, die die Temperatur auf der Erde beeinflussen (7 Abschn. 10.3).

Unterrichtspraxis: Klimawandel – was kann ich tun? – Wirkungsdiagramm

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>>Material

Anleitung „Wie entwickle ich ein Wirkungsdiagramm“ Papier (DIN-A0-Format), selbstklebende Zettel, dicker Filzstift

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8.2  •  Ausgewählte Beispiele der geowissenschaftlichen Unterrichtspraxis

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Elektronische Endgeräte für alle Schülerinnen und Schüler, Online-Zugang zu PowerPoint und dem MSCM-Modell.

7. Begründe, warum du glaubst, dass deine ausgewählte Maßnahme wirksam sein wird. 8. Beurteile, wie wahrscheinlich es ist, dass du dein Vorhaben tatsächlich in die Tat umsetzen wirst.

zz Einstieg

Die Lehrkraft präsentiert ein Diagramm (. Abb. 8.46), das die Temperaturveränderungen in der Atmosphäre darstellt, und fordert die Schülerinnen und Schüler auf, dieses mündlich im gemeinsamen Unterrichtsgespräch auszuwerten. Im Unterrichtsgespräch wird herausgearbeitet, dass der Temperaturanstieg mit der im gleichen Zeitraum angestiegenen Kohlenstoffdioxidkonzentration in der Atmosphäre korreliert. Die Lehrkraft informiert, dass diesem Sachverhalt im Unterricht nachgegangen werden soll und dass die Schülerinnen und Schüler gemeinsam ein Wirkungsdiagramm zum Klimasystem entwickeln werden. Es folgt ein Kurzvortrag dazu, was ein Wirkungsdiagramm ist, wozu es dient und wie man ein solches entwickelt. zz Lern- und Arbeitsplan kAufgaben k

1. Benenne Elemente des Klimasystems in Form einer Liste und charakterisiere jedes mit wenigen Worten. Vergleiche deine Liste mit den Listen von zwei weiteren Mitschülerinnen bzw. Mitschülern und ergänze ggf. 2. Bildet im Kurs Gruppen mit maximal sieben Personen nach einem Zufallsverfahren. Erläutert euch gegenseitig die Klimasystemelemente auf euren Listen, wählt aus allen Elementen der Gruppenmitglieder gemeinsam die 20 Elemente aus, die ihr als besonders relevant im Hinblick auf das Thema „Klimawandel“ erachtet. Schreibt die Bezeichnungen einzeln mit dickem Filzstift auf gelbe Klebezettel und ordnet sie auf einem DIN-A0-Papier an. Verbindet sie mit Pfeilen, wenn die Formulierung eines Je-desto-Satzes möglich ist. Präsentiert der Klasse euer Gruppen-Wirkungsdiagramm. 3. Wähle in Absprache mit allen anderen Schülerinnen und Schülern ein Klimasystemelement für eine vertiefte Bearbeitung aus: – Charakterisiere „dein“ Klimasystemelement. – Identifiziere Wirkbeziehungen zu den anderen für eine vertiefte Bearbeitung ausgewählten Klimasystemelementen. 4. Erstellt gemeinsam ein Wirkungsdiagramm zum Klimasystem (PowerPoint-Folie). 5. Erkläre die Erderwärmung anhand des Wirkungsdiagramms. 6. Analysiere deinen eigenen Lebensstil und wähle anhand des Klassen-Wirkungsdiagramms eine Maßnahme aus, mit der du zukünftig einen Beitrag dazu leisten möchtest, dass weniger Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre angesammelt wird.

77Berichte

„Ich […] weiß jetzt detaillierter, wie wichtig es ist, den Klimawandel zu stoppen mit auch einfachen Methoden, wie weniger Fleisch zu konsumieren usw. Auch was das Klima alles beinhaltet, was man wissen müsste: Kohlenstoffkreislauf, die Sphären und auch, wie man ein Wirkungsdiagramm zeichnet, um besser verstehen zu können, was das Klimasystem im Einzelnen umfasst, was wir Menschen alles verbrauchen/benutzen und wie man stattdessen handeln kann. […]“ „[…] was ich auch gelernt habe, ist, dass das, was sich gut anhört, nicht immer umweltfreundlicher ist als das, was sich schlecht anhört, z. B. Biodiesel. Es sorgt dafür, dass weniger Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, aber der Mais für die Produktion wird umweltschädlich mit Düngemittel zugepumpt und auch verbrauchen Maisfelder Wälder.“ „Ich habe gelernt, dass alles bis aufs Kleinste miteinander verbunden ist und wenn sich eine Sache verändert, es sich auf alles andere auswirkt: Dass Vulkane auch die Erde abkühlen können durch Ausbrüche. Ich frage mich: Warum nutzen Politiker solche Wirkungsdiagramme nicht?“ „Ich habe gelernt, dass alle Elemente, die etwas mit der Umwelt zu tun haben und mit uns, wirklich sich gegenseitig beeinflussen. Ich habe auch gelernt, dass man mit einem simplen Prinzip (Wirkungen im Wirkungsdiagramm) komplexe Themen ansichtlich darstellen kann. […]“ „In den letzten Wochen habe ich gelernt, dass die Politiker nicht halb so viel nachgedacht haben, als sie hätten tun müssen. Sowohl die Politik als auch die Medien lassen viel zu viele Faktoren in Bezug auf Klimawandel aus oder vergessen sie. Ich habe gelernt, was Albedo ist und mit was Albedo in Beziehung steht.“ „Alles ist ein System, wenn man etwas an einer Stelle positiv verändert, kann es an einer anderen Stelle im System negative Auswirkungen haben. Man muss das [Wirkungs]Diagramm genau analysieren. […]“ „Ich habe gelernt, wie viel sich negativ auf das Klima auswirkt, auch Sachen, die man nicht unbedingt gedacht hat.  […] Ich dachte immer, wenn jeder weiß, welche Probleme es gibt, warum tun die, die ein hohes Ansehen haben, nichts dagegen? Aber es ist schwieriger, als man denkt.“ „Ich habe gelernt, dass nicht nur ein Element für eine Situation zuständig ist, sondern unzählige. Dass nicht nur die Industrie und Politik schuld sind, sondern auch wir mit unserem großen und rücksichtslosen Konsum.“ „[…] Außerdem habe ich gelernt, dass man sich selber von der Situation ein Bild machen sollte, denn auf den ersten Blick ist vielleicht das meiste nicht richtig. Lösungen, die vom Staat kommen und z. B. Minimierung von fossilen Rohstoffen beinhalten, sollte man so überdenken, welche Alternative besser ist. Dazu kann ich nun eigene Lösungsvorschläge umsetzen und kenne den Zusammenhang von

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

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lichen Kontext anzuwenden. Manche sind ungläubig, und es kommen Äußerungen vor wie „Das können Sie nicht von mir verlangen“ oder „Ich glaube, Sie überfordern uns“, die immerhin ein Hinweis darauf sind, dass die Lernenden sich aktiv mit den Anforderungen auseinandergesetzt haben. Dies gilt besonders für den Umgang mit Fachwissen, aber auch für die Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung und ist aus anderen Zusammenhängen durch Lehr-Lernforschung belegt:

» „Disziplinär erworbenes Wissen ist in interdisziplinären Kontexten nicht spontan verfügbar.“ (Weinert, 2014)

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..Abb. 8.47  Beispiel für ein Klassenwirkungsdiagramm

allem. Ich frage mich ‚Warum wird nicht viel geändert? Warum haben wir es so weit kommen lassen?‘“ (Schülerinnen und Schüler des Geokurses Jahrgang 10) 9

8.3

Resümee und Ausblick

An der Richard-Hallmann-Schule ist es mit dem Fach „Angewandte Naturwissenschaften – Geowissenschaften“ gelungen, die Einsatzmöglichkeiten der Konzeption „Forschungsdialog: System Erde“ (Bayrhuber & Hlawatsch, 2005) auf die Sekundarstufe I auszuweiten. Es gibt erste Hinweise, dass diejenigen, die Geowissenschaften in der Sekundarstufe I belegten, Kompetenzen entwickeln, von denen sie in der Sekundarstufe II nicht nur in den Naturwissenschaften profitieren. Bei der Planung des schulinternen Fachcurriculums wurde explizit darauf geachtet, dass der geowissenschaftliche Unterricht an Inhalten konkretisiert wird, die in den schulinternen Fachcurricula für Weltkunde, Naturwissenschaften, Biologie, Chemie und Physik nicht oder mit deutlich anderem Schwerpunkt vorkommen. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass es den meisten Schülerinnen und Schülern schwerfällt, Kompetenzen, die in einem Fach entwickelt wurden, im geowissenschaft-

Das Fach Geowissenschaften zielt explizit darauf ab, die naturwissenschaftlichen Kompetenzen im interdisziplinären Kontext „System Erde“ anzuwenden. Gemäß den Bildungsstandards sind Basiskonzepte das didaktische Instrument für den kumulativen Aufbau einer vernetzten Wissensbasis. Leider sind viele Schülerinnen und Schüler wenig damit vertraut, obwohl sie in allen naturwissenschaftlichen Fachräumen der Schule auf Plakaten vorgestellt werden. Dieser Sachverhalt wurde im Fach Geowissenschaften in Jahrgang 9 zur Diskussion gestellt. Dieser entwickelte daraufhin arbeitsteilig neue Plakate, die über die Basiskonzepte informieren, und hat dazu einige Leitfragen formuliert (. Abb. 8.9, 8 .10, 8.20, 8.24, 8.30, 8.31, 8.44). Diese wurden bebildert und als Plakate gestaltet sowohl anderen Schülerinnen und Schülern als auch der Naturwissenschaftsfachschaft vorgelegt. Alle gemeinsam haben entschieden, dass diese, nun als größere Schilder, auch auf den Fluren aufgehängt werden sollen. Im nächsten Schritt soll die Naturwissenschaftsfachschaft Aspekte identifizieren, die für alle auf eine Weise in Jahrgang 5 und 6 verpflichtend so unterrichtet werden, dass für die Schülerinnen und Schüler ein Wiedererkennungseffekt im geowissenschaftlichen Unterricht entstehen kann. Das schulinterne Fachcurriculum für Weltkunde sieht u. a. für Jahrgang 9 eine physisch geographische Einheit vor. Hierzu verfügen viele Schülerinnen und Schüler, die das Fach Geowissenschaften belegt haben, über so viel Vorwissen, dass sie darauf vorbereitet werden sollen, zukünftig den Weltkundeunterricht als Expertinnen und Experten mit ausgewählten praktischen Übungen bereichern zu können. zz Interview mit Renate Holfter

Oberstudiendirektorin für Deutsch und Wirtschaft/Politik, Schulleiterin der Richard-Hallmann-Schule Sylke Hlawatsch:  Was sind Geowissenschaften für dich? Renate Holfter:  Für mich ist es ein Fach, das sehr exem-

plarisch für ein integriertes Fach und damit für unsere Schulform steht. Geowissenschaften schien mir von Anfang an ein sehr ideales Fach dafür zu sein. Es vereint

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8.3  •  Resümee und Ausblick

als Schulfach viele verschiedenen Disziplinen der Naturund Gesellschaftswissenschaften und spielt in sehr viele Bereiche hinein, bis hin zur Verbraucherbildung. Es ist sehr übergreifend und auch so zentral für unsere heutigen gesellschaftlichen Fragestellungen, z. B. den Klimawandel, dass ich bis heute nicht verstehe, warum es kein reguläres Unterrichtsfach ist – gerade an Gemeinschaftsschulen, weil wir als integrierte Schulform ja auch für integrierte Fächer stehen und fachübergreifend arbeiten wollen. Deswegen war ich auch völlig begeistert, als ich meine Stelle an der Schule neu antrat und davon hörte. Ich habe gedacht, das ist das größte Geschenk, was man einer Schule machen kann. Als Lehrkraft mit geisteswissenschaftlichen Fächern kannte ich das Fach gar nicht.

grierte Fächer wie Naturwissenschaften und Weltkunde werden an vielen Gemeinschaftsschulen spätestens ab der 7. Klasse wieder in die Einzelfächer aufgespalten. Auch an unserer Schule haben wir die Diskussion immer wieder. Eigentlich müsste es doch in die Gegenrichtung gehen, Phänomene viel vernetzter zu betrachten und auch untereinander vernetzt zusammenzuarbeiten. Hier wünsche ich mir auch eine noch stärkere Verzahnung im Verbund der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Natürlich sind die Geowissenschaften eine angewandte Naturwissenschaft, aber die gesellschaftliche Dimension gehört doch immer dazu. Ich wünsche mir, dass wir uns da stärker ergänzen und einander zuarbeiten. Sylke Hlawatsch:  Ist etwas Positives eingetreten, was du

Sylke Hlawatsch:  Kannst du dich noch erinnern, was der

nicht erwartet hast?

Anstoß dafür war? Renate Holfter:  Ich nehme schon wahr, dass SchülerinRenate Holfter:  Der Anstoß war tatsächlich, dass du

schon gemeinsam mit dem vorigen Schulleiter einen Schulversuch für einen Kurs Geowissenschaften beim Ministerium eingereicht hattest, der zu meinem Dienstantritt im Schuljahr 2012/2013 bewilligt wurde. Dafür bekamen wir 1500 € und die Genehmigung, dass du das Fach aufbauen darfst. Daraus hat sich eigentlich alles andere entwickelt. Für mich war dann irgendwann klar, als ich etwas tiefer in die Materie eingestiegen bin, dass das Fach Geowissenschaften über einen Angebotskurs hinaus auch im Wahlpflichtbereich der Mittelstufe verankert werden müsste. Ich habe dich gefragt, ob du dir die Umsetzung vorstellen könntest, weil da ja auch unglaublich viel Arbeit mit verbunden ist. Ein Curriculum muss ausgearbeitet werden und so weiter. Es fanden sich aber zum Glück schnell vier Kolleginnen und Kollegen, die dabei mitarbeiten wollten. Sylke Hlawatsch:  Es gibt viele Lehrkräfte, die Geowis-

senschaften gerne unterrichten würden. Renate Holfter:  Ja, es ist ein tolles Fach. Für uns war

es die logische Konsequenz, wenn wir bei den Kleinen in Jahrgang 5 mit einer AG anfangen und bei den Großen in der Oberstufe an der International Earth Science Olympiad (IESO) teilnehmen wollen, dann brauchen wir auch ein Angebot für die Mittelstufe. Sylke Hlawatsch:  Welche Erwartungen hattest du?

nen und Schüler, die Geowissenschaften belegt haben, sehr viel eher in der Lage sind, vernetzt zu denken und Zusammenhänge wahrzunehmen. Das sagt jetzt nicht, dass die anderen das gar nicht können. In Geowissenschaften wird das jedoch offenbar stärker trainiert. Die Schüler und Schülerinnen haben Kompetenzzuwächse nicht nur in der Sachkompetenz, sondern ganz besonders in der Argumentationskompetenz. Das zeigt sich vor allem an den Schülerinnen und Schülern in der Oberstufe. Was ich am Anfang nicht so stark gesehen habe, ist ein Renommee, das die Schule dadurch bekommen hat. Das ist nicht unwichtig für uns. So besuchte uns der damalige Ministerpräsident Albig vor einigen Jahren, um sich über schulische Aktivitäten zum Thema „Nachhaltigkeit“ zu informieren. Ein wesentlicher Punkt, warum wir ausgewählt wurden, war das Angebot der Geowissenschaften. Es gibt auch viele Eltern zukünftiger Schüler und Schülerinnen, die begeistert sind, wenn sie hier zum Tag der offenen Tür kommen und davon hören. Nicht zuletzt bekomme ich Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen anderer Schulen, die das spannend und interessant finden, was wir da machen. Das ist schon eine schöne Außenwirkung. Sylke Hlawatsch:  Ein Schwerpunkt der Geowissen-

schaften ist die Geländearbeit, und wir fahren ja zum Urzeithof, zur Forscherwerkstatt nach Kiel, besuchen das örtliche Wasser- und das Klärwerk und haben zudem die fünftägige Exkursion. Insgesamt sind das neun Tage über die vier Jahre verteilt. Wie stehst du dazu?

Renate Holfter:  Ich habe erwartet, dass in diesem Fach

Zusammenhänge erklärt werden, den Kindern forschendes Lernen im besten Sinne des Wortes anhand einer realen Fragestellung ermöglicht wird, ohne dass die Antwort künstlich verknappt wird auf irgendwelche physikalischen, chemischen, geographischen oder sonstigen Zusammenhänge. Der Trend geht ja im System Schule leider schon wieder Richtung Einzelwissenschaften. Typische inte-

Renate Holfter:  Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Eigentlich müssten alle viel mehr Exkursionen unternehmen. Aus pädagogischer und fachlicher Sicht wäre das absolut sinnvoll. Auf der anderen Seite bedeutet es gerade in unserem System, dass viel Vertretungsunterricht anfällt und durch die Verkursung immer wieder Kinder in ihren anderen Unterrichten fehlen. Dann habe ich hier natürlich die Eltern und die Kolleginnen und

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Kapitel 8  •  Geowissenschaften in der Schule – das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule

Kollegen stehen, die sagen, es gehe zu viel Unterrichtszeit verloren und die Ruhe im System fehle. Die Schwierigkeit muss ich ausbalancieren. Sylke Hlawatsch:  Hast du noch sonstige Anmerkungen zum Thema „WPI Geowissenschaften“? Renate Holfter:  Mein Traum ist eine Schule, in der alles

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vernetzt abläuft. Wenn ich hier Leute durchführe, nehme ich immer die Garten-AG als Ausgangspunkt, um zu zeigen, was Zusammenarbeit auch organisatorisch bedeutet. Die von der Garten-AG geernteten Früchte werden von den Verbraucherbildungskursen zu Marmelade verkocht und z. B. auf dem Flohmarkt verkauft. Der Erlös fließt dann aber nicht zurück an die Garten-AG, sondern die Verbraucherbildungskurse finanzieren davon auch Kurse für „Eltern auf Probe“ und geben den Überschuss z. B. an den Förderverein, der davon wiederum die Musikkurse unterstützt, die dann bei ihren Konzerten Spenden z. B. für die Garten-AG einwerben. So haben wir einen Kreislauf. Das ist in diesem Fall ein finanzieller Kreislauf, aber kann noch viel weiter gehen. Ein Beispiel wäre, dass die Bau-AG der Garten-AG das Insektenhotel baut oder ihr Geowissenschaftler euch das Wetterhäuschen zum Messen von den Technikkursen bauen lasst, sodass da wirklich eine Zusammenarbeit und ein übergreifendes Denken stattfinden. Das wäre mein Traum, meine Vision, wie Schule funktionieren kann: Jede und jeder hat das Gefühl, am großen Ganzen mitzuwerkeln und auch mitzuentscheiden. Auch ich als Deutsch- und Geschichtslehrkraft könnte mit meinen Fächern einen Beitrag leisten, zum Beispiel in Deutsch Öffentlichkeitsarbeit machen, wenn wir zu Kommunikation und Sprache arbeiten. Es gibt immer Möglichkeiten ineinanderzugreifen. Das geht auch kleiner: Einer meiner Lieblingsschwerpunkte ist Klimageschichte und die Frage „Wie beeinflusst das Klima historische Ereignisse?“. Ganz viele Ereignisse und Umbrüche haben etwas mit klimatischen Veränderungen oder Vulkanausbrüchen zu tun.

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Kreuzberger, N. (2011). Neue Aufgabenformate im Erdkundeunterricht: Material auswerten – Aufgaben vernetzen – Probleme lösen – kreativ denken. 7.–9. Klasse LaDue, N. D., & Clark, S. K. (2012). Educator perspectives on earth systems science literacy: Challenges and priorities. Journal of Geoscience Education, 60(4), 372–383. Lucius, E. R., Bayrhuber, H., Hildebrandt, K., Lochte, K., Peinert, R., Queisser, C., Parchmann, I., Schlüter, K., & Starke, K. H. (2005). Modul 9 – Der Kohlenstoffkreislauf [Begleittext für Lehrkräfte]. Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN). Forschungsdialog: System Erde – Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe II. https://archiv.ipn.uni-kiel.de/System_Erde/pdf/09_ Begleittext_oL.pdf. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Menning, M., & Hendrich, A. (2016). Stratigraphische Tabelle von Deutschland 2016. http://www.stratigraphie.de/std/Bilder/5_2.pdf. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (2020a). Die Gemeinschaftsschule. https://www.schleswig-holstein.de/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (2020b). Inklusion macht Schule: Bildungsministerin Karin Prien hat den Bericht zur schulischen Inklusion vorgestellt – mit guten Ergebnissen für die Schulen im echten Norden. https://www.schleswig-holstein. de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/III/_startseite/Artikel_2020/02_Februar/200221_inklusionsschueler.html (Erstellt: 21. Febr. 2020). Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Ministerium für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein (2015). Leitfaden zu den Fachanforderungen Naturwissenschaften: Allgemein bildende Schulen. Sekundarstufe I. https:// fachportal.lernnetz.de/sh/fachanforderungen/naturwissenschaften. html?file=files/Fachanforderungen%20und%20Leitf%C3%A4den/ Sekundarstufe/Leitf%C3%A4den/Leitfaden%20Naturwissenschaften%20Sekundarstufe%20I%20%282015%29.pdf&cid=16997. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Orion, N., & Ault, C. (2007). Learning earth sciences. In S. K. Abell, K. Appleton & D. Hanuscin (Hrsg.), Handbook of Research on science education (S. 653–688). Routledge. Richter, A. (2016). Die Dinosauriersteine. Landschaftsverband WeserHunte. Stanat, P., Schipolowski, S., Mahler, N., Weirich, S., & Henschel, S. (Hrsg.). (2019). IQB-Bildungstrend 2018: Mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen am Ende der Sekundarstufe I im zweiten Ländervergleich. Waxmann. Wahlpflichtkurs Geowissenschaften 9 (2021/22). Beschreibung und Leitfragen zu den naturwissenschaftlichen Basiskonzepten: Texte für Informationsplakate in den Fachräumen. Richard-HallmannSchule, Trappenkamp. Weinert, F. E. (2014). Leistungsmessungen in Schulen (3. Aufl.). Beltz.

8

241

International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­ wissenschaftlicher Wett­ bewerbfür Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II Sylke Hlawatsch

Inhaltsverzeichnis 9.1

Einleitung – 242

9.2

Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)  –  244

9.3

Auswahl einer Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der IESO  –  252 Literatur – 253

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_9

9

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

242

Zusammenfassung

9

Die International Earth Science Olympiad (IESO; Internationale Olympiade der Geowissenschaften) ist ein naturwissenschaftlicher Wettbewerb für Schülerinnen und Schüler, der als Initiative der International Geoscience Education Organisation (IGEO) jährlich an wechselnden Orten weltweit ausgetragen wird (Greco et  al., 2013; Orion et  al., 2020). Der Ablauf und die Organisation einer IESO sind durch Statuten geregelt (IESO, 2016). Durch nationale Auswahlverfahren werden jeweils vier Schülerinnen und Schüler identifiziert, die ihr Land beim internationalen Wettbewerb vor Ort vertreten. Deutschland ist seit 2012 dabei. Die Teilnehmenden stellen ihre geowissenschaftlichen Kompetenzen im freundschaftlichen Wettstreit mit Gleichgesinnten unter Beweis. Dafür sind sie in international gemischten Teams gefordert, kooperativ Lösungsvorschlage für aktuelle Herausforderungen des Systems Erde zu entwickeln und zu präsentieren. Zudem nehmen sie an theoretischen und praktischen Einzelwettbewerben teil. Gegenstand sind die Geowissenschaften, insbesondere ihre charakteristische interdisziplinär-naturwissenschaftliche Betrachtung der Erde als Gesamtsystem. Diese Sicht auf die Erde kann in Schulen durch das Konzept Earth Systems Education vermittelt werden – auch in Deutschland (7 Kap. 2 und Kap. 8). Die IGEO möchte mit dem Wettbewerb und den damit verbundenen nationalen Aktivitäten Schülerinnen und Schüler für Geowissenschaften interessieren und zugleich die Wahrnehmung der Geowissenschaften in der der Öffentlichkeit verbessern; die Qualität geowissenschaftlicher Schulbildung verbessern; internationale Kooperationen für den Austausch von Ideen und Materialien über Geowissenschaften und geowissenschaftliche Schulbildung ermöglichen; junge Menschen zu freundschaftlichen Beziehungen zu Jugendlichen aus anderen Ländern ermutigen; geowissenschaftlich talentierte Schülerinnen und Schüler fordern und fördern. Dieses Kapitel beschreibt den Ablauf und die Wettbewerbskategorien der internationalen Veranstaltung und zudem das bisherige Auswahlverfahren für die deutsche Nationalmannschaft.

-

9.1 Einleitung 9.1.1

Historischer Abriss

Die International Earth Science Olympiad (IESO) ist die jüngste einer Reihe von Naturwissenschaftswettbewerben (science olympiads) für die talentiertesten Schülerinnen und Schüler der Welt. Die teilnehmenden Jugendlichen testen

ihr Leistungsvermögen in einer naturwissenschaftlichen Wissensdomäne und werden dadurch angeregt, sich vertiefend mit der Wissenschaft zu beschäftigen. Es gibt Hinweise darauf, dass durch die Olympiaden die genannten Ziele erreicht werden (Petersen & Wulff, 2017). Die erste Naturwissenschaftsolympiade fand 1959 in Rumänien als Mathematikwettbewerb satt, danach wurden weitere etabliert: 1959: International Mathematical Olympiad (IMO) 1967: International Physics Olympiad (IPhO) 1968: International Chemistry Olympiad (IChO) 1989: International Olympiad in Informatics (IOI) 1990: International Biology Olympiad (IBO) 1996: International Astronomy Olympiad (IAO) 2007: International Olympiad on Astronomy and Astrophysics (IOAA) 2007: International Earth Science Olympiad (IESO)

----

Seit 1996 gibt es zudem die International Geography Olympiad (iGeO) Deutschland nimmt seit 2012 mit einer Nationalmannschaft an der IESO teil (. Tab. 9.1, . Abb. 9.1), bisher mit 48 Schülerinnen und Schülern von neun Schulen aus fünf Bundesländern. 9.1.2

Schülerwettbewerbe in Deutschland

Grundsätzlich sind Schulen offen für die Teilnahme an Wettbewerben, und in Deutschland gibt es zahlreiche Wettbewerbe – vom einzelnen Quiz mit wenigen Fragen bis hin zu umfangreichen Auswahlwettbewerben für Nationalmannschaften (. Tab. 9.2). Aufgrund der großen Vielfalt hat die Kultusministerkonferenz (KMK, 2009) Qualitätsmerkmale formuliert. Demnach sollen Wettbewerbe für Schulen den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule unterstützen; Schülerinnen und Schüler bei der Entfaltung und Weiterentwicklung ihrer individuellen Begabungen und Interessen sowie ihrer Lern- und Leistungsbereitschaft unterstützen; grundlegende fachliche, methodische, soziale und personale Kompetenzen fördern, an unterrichtliche Arbeit anknüpfen und diese spezifisch erweitern; innovative Lern- und Arbeitsformen anregen oder die Anwendung angemessener Methoden der Problemlösung auf fachlich hohem Niveau fordern; den Austausch unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern fördern; die produktive Wirkung einer Konkurrenzsituation erfahrbar machen und vermitteln, dass die Teilnahme an sich lohnt, unabhängig vom persönlichen Abschneiden; geeignet sein, die Schulentwicklung zu fördern, indem der Wettbewerb die teilnehmenden Schülerinnen und

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243

9.1  •  Einleitung

..Tab. 9.1  Geschichte der International Earth Science Olympiad (IESO) Jahr

Land

Motto

Deutschlands Partizipation

2007

Republik Korea

Earth for Life, Universe for Future Life



2008

Philippinen

Cooperation in Addressing Climate Changes



2009

Taiwan

Human and Environment



2010

Indonesien

The Present is the Key to the Future



2011

Italien

Earth Science Renaissance: Science, Environment and Art



2012

Argentinien

Energy, Water and Minerals for Sustainable Development

Schleswig-Holstein (RHS), Bremen (SZR, ÖG)

2013

Indien

The Earth is but one family

Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2014

Spanien

Sea and Mountains

Berlin (FG)

2015

Brasilien

Soil

Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2016

Japan

Earth & Space

Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2017

Frankreich



Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2018

Thailand

Earth Science for All

Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2019

Republik Korea

Passion for Earth Science … Continued

Schleswig-Holstein (RHS), Berlin (FG)

2020

Entfallen





2021

Online



Schleswig-Holstein (RHS), Bayern (EGF), Thüringen (LGH, ASG)

2022

Online – Italien

A Cool Inspiration for an Earth Without Mask, Against Global Warming

Schleswig-Holstein (RHS, LGR), Berlin (ERS)

RHS = Richard-Hallmann Schule, Trappenkamp; FG = Französisches Gymnasium, Berlin; SZR = Schulzentrum Rübekamp, Bremen; ÖG = Ökumenisches Gymnasium, Bremen; EGF = Ehrenbürg-Gymnasium, Forchheim; LGH = Lingemann-Gymnasium, Heiligenstadt; ASG = Albert-Schweitzer-Gymnasium, Erfurt; LGR = Lauenburgische Gelehrtenschule, Ratzeburg; ERS = Ernst-ReuterSchule, Berlin

..Abb. 9.1 Medaillenvergabe an einen Schüler der deutschen Delegation bei der IESO 2019 – Südkorea. (Foto: Sylke Hlawatsch)

9

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

244

..Tab. 9.2  Wettbewerbe zur Aufstellung der Mannschaften der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an internationalen Olympiaden für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II. (KMK, 2018)

9

Wettbewerbe

Träger

Auswahlwettbewerb zur Internationalen Mathematik-Olympiade

Verein Bildung und Begabung e. V.1

Auswahlwettbewerb zur Internationalen Physikolympiade

Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) Kiel2

Auswahlwettbewerb zur Internationalen Chemieolympiade

Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) Kiel2

Bundesweite Informatikwettbewerbe

Gesellschaft für Informatik, Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie, Max-Planck-Institut für Informatik3

Auswahlwettbewerb zur Internationalen Biologieolympiade

Leibniz-Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) Kiel2

1

 7 https://www.mathe-wettbewerbe.de/bundeswettbewerbmathematik, 2 7 https://www.ipn.uni-kiel.de/de/wettbewerbe/ wettbewerbe-am-ipn-die-scienceolympiaden, 3 7 https://bwinf. de/

Schüler und ihre Lehrkräfte zu einem Engagement auch für ihre Schule anspornt und in der Schule eine Kultur der Anerkennung dieses Einsatzes und der dabei erbrachten Leistungen anregt. Zu den Qualitätskriterien für Schülerwettbewerbe gibt es eine Anlage, die am 15. Juni 2022 aktualisiert wurde. Sie benennt Wettbewerbe, die von der Kultusministerkonferenz empfohlen werden. Zudem wurden für die Wettbewerbe zur Mannschaftsaufstellung für die internationalen Olympiaden der Physik, Chemie, Mathematik und Informatik Verfahrensrichtlinien festgelegt (KMK, 2018). Die Auswahlwettbewerbe für die internationalen Olympiaden der Biologie, Chemie und Physik führt das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel durch (Petersen & Wulff, 2017). Die Verantwortung und Organisation des gesamten Verfahrens des Bundeswettbewerbes Mathematik (BWM) sowie der Auswahl und Vorbereitung der deutschen IMO-Mannschaft liegen beim Verein Bildung und Begabung e. V., für die Durchführung ist das deutsche Organisationsbüro für die IMO in der Geschäftsstelle des BWM zuständig. Der Bundeswettbewerb Informatik wird gemeinsam von der Gesellschaft für Informatik, dem Fraunhofer-Verbund IUK-Technologie und dem Max-Planck-Institut für Informatik getragen.

Von den 3,6 Mio. Schülerinnen und Schülern, die eine deutsche Oberstufe besuchten, nahmen im Jahr 2005 etwa 2500 Schülerinnen und Schüler an den Olympiaden für Biologie, Chemie und Physik teil. Diese Zahl konnte bis 2016 auf insgesamt 8000 gesteigert werden (Petersen & Wulff, 2017). Geowissenschaftliche Beiträge können bei „Jugend forscht“ und dem „Bundesumweltwettbewerb“ eingereicht werden. Sie sind aber unterrepräsentiert, wie das Beispiel Niedersachsen für „Jugend forscht“ zeigt. 77Geowissenschaftliche Beiträge bei „Jugend forscht“ (Niedersachsen, 2016)

„Insgesamt traten 2016 im Fachgebiet Geo- und Raumwissenschaften in Niedersachsen 19 Projekte für Jugend Forscht und 44 Projekte für Schüler Experimentieren (bis 14 Jahre) an. Zum Vergleich: In Biologie traten 74 Projekte für Jugend Forscht und 137  Projekte für Schüler Experimentieren an. Für Physik lagen die entsprechenden Zahlen bei 51  bzw. 113. In keinem der weiteren Fachgebiete (Arbeitswelt, Biologie, Chemie, Mathematik/Informatik, Physik, Technik) wurden so wenig Arbeiten eingereicht wie in Geo- und Raumwissenschaften. Insgesamt lässt sich damit konstatieren, dass innerhalb Niedersachsens nur wenige geowissenschaftliche Projektarbeiten im Rahmen von Jugend Forscht und Schüler Experimentieren durchgeführt werden.“ (Dirk Felzmann, Personal Communication, September 24, 2020). 9

9.2

Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)

Die gesamte Logistik und die Durchführung einer IESO erfolgt durch nationale Earth Science Olympiad Committees mit ortsansässigen geowissenschaftlichen Einrichtungen. Sie bewerben sich bei der International Jury darum, eine IESO gemäß den IESO-Statuten und in Kooperation mit dem IESO Coordinating Committee ausrichten zu dürfen (IESO, 2016). Die erforderlichen Kompetenzen erwerben sie einerseits durch die regelmäßige Planung und Durchführung der nationalen Trainings- und Auswahlverfahren und andererseits durch die regelmäßige Teilnahme an IESOs. Je nachdem, welchen Status Geowissenschaften in dem Austragungsland als Schulfach haben, werden diese Committees seitens der Bildungsministerien institutionalisiert und unterstützt, von geowissenschaftlichen Verbänden getragen oder eine Kombination von beidem. Der Prüfungsausschuss (examination board) der IESO unterstützt bei der Entwicklung der Aufgaben für den Wettbewerb und sorgt dafür, dass sie den Anforderungen des Syllabus entsprechen. Die offizielle Sprache für den Wettbewerb ist Englisch.

9.2  •  Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)

245

..Abb. 9.2  IESO 2013 in Indien. Die Nationalmannschaften werden am Flughafen freundlich empfangen, gesammelt und mit Reisebussen zum Austragungsort transportiert

9.2.1

Delegationen zur Teilnahme an einer IESO

An der IESO können alle Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen teilnehmen, die am 30. Juni des Jahres, in dem die internationale Olympiade stattfindet, das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, d. h., sie dürfen nicht vor dem 1. Juli X−19 geboren sein, wobei X für das Jahr der Olympiade steht. Jede Nation entsendet eine eigene Delegation mit Nationalmannschaft (national team) und Beobachtern bzw. Beobachterinnen (observers; . Abb. 9.2). Ein national team besteht aus vier Schülerinnen und Schülern (students) und zwei Mentoren bzw. Mentorinnen (mentors). An online IESOs dürfen acht students teilnehmen. Mentors sollten vorzugsweise über Qualifikationen in Geowissenschaftsdidaktik verfügen, oder, wenn es Geowissenschaftler oder Geowissenschaftlerinnen sind, bereits in Schulen unterrichtet haben. Sie sollten die Wettbewerbsaufgaben erörtern und kriteriengeleitet optimieren können. Außerdem müssen sie bei Bedarf bereit und in der Lage sein, die Fragebögen und die dazugehörigen Materialien vom Englischen in die Muttersprache zu übersetzen. Die meisten mentors arbeiten an Forschungsinstituten, in Ministerien oder als Lehrkräfte. Observers begleiten die Nationalmannschaften aus verschiedenen Gründen. Manche sind in die nationalen Trainings- und Auswahlverfahren involviert und möchten sich über aktuelle Entwicklungen der Earth Systems Education und die Art und Weise der Aufgabenstellung informieren, während andere als Vertreterinnen und Vertreter der Bildungsministerien auch eine Kontrollfunktion ausüben. Observers sollten den Stand der geowissenschaftlichen Bildung in ihren Ländern erörtern können, insbesondere welche Maßnahmen zur Förderung der

geowissenschaftlichen Bildung ergriffen wurden, was erreicht werden konnte und welche Hindernisse es gab. Mentors und observers bilden gemeinsam die International Jury. Sie sind in der Regel dauerhaft von den Ministerien oder anderen Trägergesellschaften für diese Aufgabe berufen. Schülerinnen und Schüler können auch als Gäste (guest students) außerhalb der Wertung teilnehmen. 9.2.2

Ablauf einer IESO

Eine IESO findet regulär jedes Jahr in einem anderen Land in Präsenz für einen Zeitraum von ungefähr zehn Tagen nach einem vorgegebenen Musterprogramm statt, das durch die lokalen Organisationsteams regionaltypisch mit Inhalt gefüllt wird (. Tab. 9.3, . Abb. 9.3). Dabei unterscheiden sich die Programme der students von denen ihrer Begleitung. In der Regel sind sie sogar in verschiedenen Hotels untergebracht, wo die students von Studierenden der Geowissenschaften betreut werden, die bei Bedarf in engem Kontakt mit den mentors stehen. Die mentors und observers sind als International Jury dafür zuständig sicherzustellen, dass alle Aufgaben für alle Kulturen und Sprachen gerecht und verständlich sind. 9.2.3

Die Wettbewerbsinhalte einer IESO

Als Erdsystemwissenschaft integrieren die modernen Geowissenschaften Kenntnisse und Methoden der Biologie, Chemie, Geologie und Physik für die Erforschung der Erde in ihre Denk- und Arbeitsweise. Entsprechend sind die students gefordert, die Erde auf naturwissenschaftliche Weise als Gesamtsystem zu betrachten. Sie sollen über ein fundiertes Verständnis über die Funkti-

9

246

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

..Tab. 9.3  Idealtypisches Programm einer International Earth Science Olympiad (IESO) Schülerinnen und Schüler (students)

Begleitpersonen (mentors, observers)

Feierliche Eröffnungszeremonie Exkursionstag

Konferenz der International Jury zur Überprüfung der Aufgaben für den schriftlichen Test (written test)

Schriftlicher Test

Konferenz der International Jury zur Überprüfung der Aufgaben für den praktischen Test (practical test) sowie für die internationale Mannschaftsfeldforschung (International Team Field Investigation, ITFI) und die Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs)

Praktischer Test

Exkursionstag

Sightseeing-Tour, kulturelles Rahmenprogramm

9

Internationale Mannschaftsfeldforschung (International Team Field Investigation, ITFI)

Die Begleitpersonen suchen die internationalen Teams im Gelände auf, einige bewerten dabei die sozialen Aspekte der Gruppenarbeit (verdeckt)

Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs)

Konferenz der International Jury zur Auswertung und Anerkennung der Auswertung der theoretischen und praktischen Tests; Festlegen der Rangfolge für die Einzeltests Ggf. Workshop „Geowissenschaftsdidaktik“, Besuch einer Schule

Präsentation ITFI

Besuchen der Präsentation, ggf. als Mitglied einer Bewertungskommission

Präsentation ESP

Besuchen der Präsentation, ggf. als Mitglied einer Bewertungskommission Abschlusskonferenz der International Jury

Abschiedsparty (farewell party) Offizielle Abschlusszeremonie (closing ceremony)

onsweise der Erde als System, einschließlich der zugrunde liegenden Prozesse und der Auswirkungen menschlicher Handlungen, verfügen (deep understanding: King, 2016; environmental insight: Orion, 2016). Diese Kompetenzen sind für die Bewältigung aktueller Herausforderungen, wie dem Klimawandel und eine zukünftig nachhaltige Entwicklung unseres Heimatplaneten unerlässlich. Der Lehrplan für die IESO beschreibt die Kenntnisse und Fertigkeiten, über die Schülerinnen und Schüler für den Wettbewerb verfügen sollen (Orion et al., 2012). Die vier übergeordneten Teilsysteme des Systems Erde (Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Geosphäre) sind das strukturierende Gerüst der Aufgaben. Elemente und Prozesse innerhalb dieser Sphären und

zwischen den Teilsystemen (Sphären) und ihren Elementen sollen identifiziert, beschrieben und für Erklärungen genutzt werden können. Schülerinnen und Schüler, die an einer IESO teilnehmen möchten, sollen ein natürliches Phänomen im Kreislauf der Gesteine verorten können und dafür biogeochemische Stoffkreisläufe (Wasserkreislauf, Gesteinskreislauf, Kohlenstoffkreislauf) im System Erde beschreiben und erklären können; Systeme im Hinblick auf Elemente, Prozesse, Grenzen, Eigenschaften analysieren können; die Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Materie und Energie über Milliarden von Jahren für die heutige Erscheinung der Erde kennen; Zeitdimensionen kennen, in denen Prozesse ablaufen, z. B. kurzfristig (rezent), mittelfristig (historisch) oder langfristig (geologisch); Umweltprobleme mit Wirkungszusammenhängen identifizieren und Lösungen vorschlagen können, die auf dem Verständnis der Prinzipien der wechselseitigen Beziehungen zwischen und innerhalb der übergeordneten Teilsysteme des Systems Erde basieren; denken können, also zwischen Beobachtung und Interpretation unterscheiden, Hypothesen entwickeln und schlussfolgern können; Daten aus schriftlichen und computergestützten Quellen sammeln, sie mit geeigneter Software verarbeiten und mithilfe von Diagrammen, Tabellen, Zeichnungen grafisch repräsentieren können; Ergebnisse schriftlich und mündlich präsentieren können, z. B. in Form von Forschungsberichten, wissenschaftlichen Postern oder als Computerpräsentation; Naturphänomene wie Erdbeben, Vulkanismus, Taifun/Hurrikan, Tsunami, Erdrutsche und Überschwemmungen kennen und wissen, unter welchen Bedingungen diese vorhergesagt werden können, und präventive Maßnahmen kennen.

-

Die Wettbewerbsaufgaben vergangener IESOs sind auf der offiziellen Webseite der IESO verfügbar. Materialien zur Vorbereitung auf die Teilnahme am Auswahlverfahren für die International Earth Science Olympiad (IESO)

Internationaler Lehrplan Fähigkeiten und Fertigkeiten, über die 16-jährige Jugendliche weltweit verfügen sollen International Geoscience Syllabus, to be encountered by all pupils by the age of  16. International Geoscience Education Organisation (IGEO) und International Union of Geological Sciences Commission on Geoscience Education (IUGS-COGE; 7 http://www. igeoscied.org/activities/international-geoscience-syllabus/; King, 2014)

9.2  •  Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)

a

b

c

d

247

..Abb. 9.3  Das etwa zehntägige Programm einer IESO wird liebevoll an die örtlichen Gegebenheiten angepasst. Die Fotos zeigen die Willkommensparty, den Exkursionstag und den eigens für die Ver-

anstaltung organisierten food market mit lokalen Köstlichkeiten der IESO 2018 in Thailand

Lehrbuch Exploring Geoscience Across the Globe Geschrieben von Chris King von der International Geoscience Education Organisation, genehmigt von der International Geological Union (IUGS) und der European Geoscience Union (EGU) Textbook Exploring Geoscience Across the Globe. International Geoscience Education Organi­ sation (IGEO; 7 http://www.igeoscied.org/download/ exploring-geoscience-across-the-globe-english-original-version/; King, 2019) Aufgabensammlung Activities and questions (English original version; 7 http://www.igeoscied.org­/ wp-content/uploads/2020/11/Exploring-geoscienceactivities-and-questions.pdf; King, 2020) Lösungsbuch Some Answers Book (English original version; 7 http://www.igeoscied.org/download/activities-and-questions-some-answers-book/; King, 2020)

Forschungsdialog: System Erde In Deutschland befasste sich das Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel von 2000 bis 2005 im Zusammenhang mit dem Projekt „Forschungsdialog: System Erde“ mit der Earth Systems Education und entwickelte Konzeptionen für den geowissenschaftlichen Unterricht an deutschen Schulen. Für die Sekundarstufe  II eignet sich die Konzeption für fachübergreifenden und fächerverbindenden geographisch-­naturwissenschaftlichen Unterricht (Bayrhuber & Hlawatsch, 2005a). Die Unterrichtsmaterialien stehen im Archiv des LeibnizInstitutes für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) bereit (7 https://archiv.ipn. uni-kiel.de/System_Erde/materialien_Sek2_2.html; Bayrhuber & Hlawatsch, 2005b).

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9

248

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

..Abb. 9.4  Die Einzeltests werden von den Mentorinnen und Mentoren auf Vollständigkeit überprüft und für jede Schülerin und jeden Schüler einzeln verpackt und versiegelt. Bei Bedarf werden Übersetzungen in der Landessprache hinzugefügt

9

9.2.4 Wettbewerbskategorien

Analog zu den anderen naturwissenschaftlichen Wettbewerben – den Olympiaden der Biologie, Chemie und Physik – bearbeiten die Schülerinnen und Schüler in Einzelarbeit schriftliche und praktische Aufgaben. Ein Hauptziel der IESO ist es aber, Brücken der Freundschaft zwischen den Schülerinnen und Schülern auf der ganzen Welt zu schlagen und die Zusammenarbeit zu fördern. Daher gibt es auch Aufgaben, die in multinationalen Teams bearbeitet werden: Internationale Mannschaftsfeldforschung (International Team Field Investition, ITFI) Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs)

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Die Teams werden während der IESO aus den anwesenden students so gebildet, dass in jeder Gruppe jede Nation nur einmal vertreten ist. Die Kompetenz, in internationalen Teams arbeiten zu können, ist charakteristisch für die geowissenschaftliche Erforschung der Erde als System. Diese erfolgt im internationalen Forschungsverbund auf interdisziplinäre Weise. Durch diese intensive Zusammenarbeit lernen die students sich so gut kennen, dass häufig Freundschaften geschlossen werden, die über viele Jahre Bestand haben. 9.2.4.1

Einzelwettbewerbe – schriftlich und praktisch

Der schriftliche Test besteht aus Multiple-Choice-Aufgaben, für die es erforderlich ist, Diagramme, Texte, Fotos, Schemas, computergestützte Modellierungen, Datensätze und andere Materialien auswerten zu können. Die Aufgaben sind so konzipiert, dass häufig zwar eine der vier übergeordneten Sphären im Fokus steht, aber trotzdem die Beziehungen zu den anderen Sphären

herausgearbeitet werden müssen (. Abb. 9.4). Im Zusammenhang mit dem praktischen Test untersuchen die Schülerinnen und Schüler selbstständig originale Materialien (z. B. Gesteine, Mineralien, Fossilien, Wasseroder Bodenproben) oder erheben Daten im Gelände. 9.2.4.2 Internationale

Mannschaftsfeldforschung (International Team Field Investigation, ITFI)

Ein ITFI-Projekt ist eine Ministudie im Gelände zu einem Naturphänomen, das auch Laboranalysen beinhaltet. Hierfür werden aus allen Teilnehmenden internationale Teams zusammengestellt. Die Kriterien für die ITFI gemäß den IESO-Statuten (IESO, 2016) sind: Das Phänomen soll auf Interaktionen innerhalb und zwischen den übergeordneten Teilsystemen des Systems Erde zurückzuführen sein. Das Phänomen soll „umweltrelevant“, also in Bezug zu unseren natürlichen Lebensgrundlagen bedeutsam sein. Eine gezielt formulierte Forschungsfrage begrenzt die Studie zeitlich auf ein bis zwei Forschungstage. Das Phänomen soll von den Schülerinnen und Schülern selbst mit Feldinstrumenten (MultiparameterWasserqualitätsmessgeräten oder Kits) und modernen Laborgeräten, die nicht zu kompliziert oder zu teuer sind, analysiert werden können. Der Einsatz von komplizierteren Laborgeräten ist ebenfalls möglich, aber nur, wenn die Schülerinnen und Schüler die Geräte selbst oder mit minimaler Hilfe von Technikern bedienen können. Wenn die Geräte zu kompliziert sind, um von den Lernenden selbst bedient zu werden, sollten sie zumindest die Proben für die Tests vorbereiten. Nach einmaligen Messungen vor Ort kann den Gruppen ein langfristiger Datensatz zur Verfügung gestellt werden.

-

9.2  •  Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)

249

Güte der PowerPoint-Folien und der Präsentation bewertet.

National Team Field Investigation (NTFI)

..Abb. 9.5  Internationale Mannschaftsfeldforschung (International Team Field Investigation, ITFI) in Thailand

Bei der IESO 2018 in Thailand galt es beispielsweise herauszufinden, aus welchen Gründen eine Thermalquelle vorhanden sein kann, warum sie nicht mehr für touristische Zwecke genutzt wurde und welche Maßnahmen man ergreifen könnte, um sie wieder in Betrieb zu nehmen (. Abb. 9.5). Weitere Gruppen beschäftigten sich mit den Ursachen und Auswirkungen der regelmäßigen Überschwemmungen des Flusses Kwae Yai sowie möglichen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation (Hlawatsch, 2019). Die erzielten Ergebnisse werden mit einer PowerPoint-Präsentation den anderen Teilnehmenden der IESO präsentiert und von der International Jury im Hinblick auf die Tiefe der inhaltlichen Darstellung, die

..Abb. 9.6  Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft für die IESO 2021 (Online-Edition) bei der nationalen Mannschaftsfeldstudie in Thüringen. (Foto: Sylke Hlawatsch)

Für die Teilnahme an den Online-IESOs in den Jahren 2021 und 2022 wurde die Wettbewerbskategorie ITFI als NTFI von den mentors zusammen mit Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern konzipiert und durchgeführt. Die Ergebnisse wurden in einer Videokonferenz der International Jury präsentiert. 2021 war die regionale Geologie von Uder (Thüringen) Gegenstand der NTFI. Die fachliche Betreuung erfolgte durch Dr. Heinz-Gerd Röhling (Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung, DGGV, FS Geotop) und Prof. Roland Stalder (Deutsche Mineralogische Gesellschaft, DMG). Die Forschungsfrage lautete: „What are the conditions of formation of selected rock bodies and what are the relationships between the geological development and human life in the area of Heiligenstadt?“ Die beteiligte Schülerin und die beteiligten Schüler (. Abb. 9.6) präsentierten ihre Ergebnisse am 25. August 2021 der International Jury in einer Videokonferenz auf beeindruckend souveräne Weise. Ihre Arbeit wurde von der International Jury schließlich mit „very good“ bewertet (Hlawatsch, 2019). >>„Geowissenschaften sind Naturwissenschaften live.“

(Marvin, 17  Jahre, Nationalmannschaft der IESO 2021)

2022 wurde das NTFI-Projekt von Dr. Sven Hille am Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW) organisiert.

9

250

9

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

..Abb. 9.7 Die National Team Field Investigation (NTFI) für die IESO 2022 absolvierten die Schülerinnen und Schüler am Leibniz-Institut für Ostseeforschung (IOW). Sie untersuchten Glyphosat in der

Warnow und in der Ostsee. Die Fotos zeigen sie bei der Probenahme und der Datenauswertung. (Fotos: Sylke Hlawatsch)

Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich mit Glyphosateinträgen in die Ostsee (. Abb. 9.7, 7 Kap. 11).

Ein Thema, das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der IESO 2018 in Thailand bearbeiteten, war die wissenschaftlich bestätigte Feststellung, dass Bangkok sinkt. Die internationalen Teams recherchierten Ursachen anhand von Literatur und erarbeiteten Lösungsvorschläge. Simon Gerner vom deutschen Team erhielt mit seiner Gruppe eine silberne Auszeichnung für das Erdsystemposter (. Abb. 9.8). Die ESPs konnten unverändert auch während der online Bericht zur IESO stattfinden.

9.2.5

Erdsystemprojekte (Earth Systems Projects, ESPs)

Eine der wichtigsten Herausforderungen der IESO besteht darin, den aktuellen Stand der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts im Allgemeinen und der Geowissenschaften im Besonderen darzustellen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, wurde auf der siebten IESO in Indien eine neue Aktivität mit der Bezeichnung Earth Systems Project eingeführt. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Bewertung und Entwicklung folgender wissenschaftlicher Fähigkeiten: Datenerfassung Datenanalyse Argumentation Systemdenken Kommunikation Zusammenarbeit Mündliche und schriftliche Präsentation

----

Multinationale Teams recherchieren und bearbeiten das Thema unter Verwendung und Analyse von Daten, die sie im Internet gesammelt haben. Sie präsentieren ihre Ergebnisse und Erkenntnisse in Form von Postern, die von allen IESO-Teilnehmenden eingesehen werden können. Die International Jury bewertet die Präsentationen. Das Bewertungsschema für die ESPs berücksichtigt die inhaltliche Tiefe der Ausarbeitung unter Berücksichtigung des Systemkonzepts, die grafische Repräsentation in Form eines Posters sowie die Gruppenarbeit und die mündliche Präsentation.

77Bericht zur IESO 2012 vom 8. bis zum 13. Oktober 2012 in Olavarria (Argentinien)

Als ich zum ersten Mal davon erfuhr, hielt ich es für ein großes Abenteuer. Ein Wettbewerb in einem fernen Land, eine Olympiade mit Teilnehmern aus der ganzen Welt und dann auch noch auf einem anderen Kontinent? Soll ich meinen Sohn nach Südamerika schicken? Aber klar, das ist doch eine einmalige Gelegenheit, da muss man doch mitmachen. Die Entscheidung fällt dann doch schneller und leichter als die Vorbereitung auf den Wettbewerb. Die Teilnahme an mehreren Vorbereitungsveranstaltungen und ein Auswahltest müssen überstanden werden. Und ich entscheide mich, das deutsche Team als Gast zu begleiten und zu unterstützen. Vielleicht auch für mich eine einmalige Sache. Nach geglückter Qualifikation sind dann die Reisevorbereitungen zu erledigen. Notwendige Impfungen, fehlende Ausweise und alle weiteren Formalitäten wollen rechtzeitig abgeschlossen sein. Kurz vor der langen Anreise steigt die Aufregung. Was erwartet uns vor Ort? In Argentinien angekommen, begrüßt uns die kleine, aber liebliche Stadt Olavarria in der argentinischen Pampa mit ihrer ganzen Gastfreundschaft. Die Schüler haben ihr eigenes Hotel, und die Mentoren und Gäste sind getrennt

9.2  •  Der internationale Wettbewerb – International Earth Science Olympiad (IESO)

251

lich beeindruckendes Erlebnis für mich, von dem ich noch lange zehren kann. Viele junge Menschen aus vielen Ländern, die sich problemlos verständigen können und so schnell Freunde werden. Was kann es für uns und unsere Zukunft Schöneres geben. Und als ich meinen Sohn auf dem Flughafen Hamburg so ansehe, habe ich das Gefühl, dass er daran wieder ein wenig gewachsen ist. 16.10.2012 Detlef Sowinski, Vater von Teammitglied Maik Sowinski, begleitete das deutsche Team zur ersten Teilnahme an einer IESO nach Argentinien 9

9.2.6

..Abb. 9.8  Simon Gerner präsentiert mit seiner internationalen Gruppe das Earth Systems Project (ESP). (Foto: Sylke Hlawatsch)

von den Schülern in einem anderen Hotel untergebracht. Nachdem die Mentoren die Aufgaben festgelegt haben, gibt es bis zum Ende des Wettbewerbs keinen Kontakt zu meinem Sohn; sein Mobiltelefon wird eingesammelt. Aber die Schüler werden durch Studenten betreut, da kann eigentlich nichts schiefgehen. Nur selten lässt sich ein kurzer Blick aus der Ferne auf die Teilnehmer erhaschen. Können sie sich untereinander verständigen? Das geforderte Programm ist sehr anspruchsvoll. Ein umfangreicher, mehrstündiger Test zu verschiedenen geowissenschaftlichen Themenbereichen. Als Highlight eine praktische Arbeit am Fluss durch die Stadt, der häufig Probleme bereitet. Die Teams sind international gemischt, wobei sie jeweils eine gemeinsame Präsentation erstellen müssen. Dann noch ein praktischer Test. Vier Tage voller Aufgaben für die Teilnehmer. Zwischendrin aber immer wieder Ausflüge und gemeinsame Events. Erstes richtiges Wiedersehen dann zur Präsentation der Teamarbeiten. Tolle Präsentationen der noch jungen Menschen, die schon so schnell als Team zusammenwirken. So interessant sollte mancher Kongress sein. Am letzten Tag die mit großer Spannung herbeigesehnte Siegerehrung. Umso größer die Überraschung und die Freude, als Namen des deutschen Teams genannt werden. Das ist ein unbeschreiblich schönes Erlebnis. Der Wettbewerb wird abgerundet durch eine tolle Party, bei der alle Teilnehmer fröhlich und glücklich feiern. Freundschaften wurden in der Woche geschlossen. Man tauscht kleine Geschenke und Mail-Adressen aus. Wird man sich je wiedersehen? Schon wenige Stunden später ist der Wettbewerb vorbei, und die Heimreise beginnt. Wieder wartet der lange Flug, der aber irgendwie schneller als auf dem Hinweg vergeht. Ob ich diese anstrengende Reise wieder mitmachen würde? Keine Frage, kein Zögern. Das war ein unglaub-

Spezifische Wettbewerbskategorien der Online-IESOs

Eine IESO ist grundsätzlich als Präsenzveranstaltung konzipiert, da es im Wesentlichen darum geht, sich mit Gleichgesinnten austauschen und Netzwerke bilden zu können. In den Jahren der COVID-Pandemie erfolgte die IESO online, und die Wettbewerbskategorien wurden entsprechend angepasst (. Tab. 9.4). 199 students aus 33 Nationen nahmen insgesamt an der ersten OnlineAusgabe einer IESO 2021 und über 250 aus 40 Nationen an der Online-IESO 2022 teil. Für den Written Test wurden für zwei Themen mittels spezieller Programme Daten bereitgestellt (data mining), z. B. exakte Bilder des Ätnas vor, während und nach seinem Ausbruch im Mai und seismische Daten, mit denen Erdbeben lokalisiert werden konnten (Tectoglob3D). Die Ergebnisse wurden in Online-Multiple-Choice-Tests eingegeben, auch in Form von Screenshots. Eine weitere Aufgabe war Mission to Mars, eine eigens entwickelte App, in der eine Marsmission geleitet wurde. Auch social events fanden online statt; die students trafen sich in kleineren Gruppen in Breakout-Rooms 40 min lang und konnten über ihr Leben, ihr Land oder auch sonstige Themen sprechen und sich einfach nur miteinander unterhalten (Hlawatsch, 2021). 77Bericht einer Beobachterin der ersten Online-IESO 2021

Ich nahm dieses Jahr zum ersten Mal an einer IESO teil und kam als observer ohne großes Vorwissen, wie die IESO normalerweise abläuft, dazu. Trotz des Online-Formats, das sicher ein abgespecktes Format gegenüber der üblichen Präsenzveranstaltung ist, habe ich den Eindruck, dass die IESO den Teilnehmenden tolle Chancen bietet, sich auszutauschen, zu vernetzen und vor allem gemeinsam Spaß an Geowissenschaften zu haben. Einblick bekam ich besonders in die National Team Field Investigation (NTFI). Die Präsentationen über diese Mini-Projekte, in denen die Geländearbeit im Fokus stand, gaben einen Einblick in die verschiedensten geowissenschaftlichen Fragestellungen weltweit. Für mich als observer fast beeindruckender als der inhaltliche Einblick war, die Begeisterung und das Engagement der Teilnehmenden mitzubekommen und das

9

Kapitel 9  •  International Earth Science Olympiad (IESO) – ein natur­wissenschaftlicher Wett­bewerb

252

..Tab. 9.4  Vergleich der Wettbewerbskategorien einer IESO in Präsenz mit den Online-IESOs in 2021 und 2022

9

Präsenz

IESO online 2021

IESO online 2022

Written Test

Data Mining Test

Practical Test



International Team Field Investigation

National Team Field Investigation

Earth System Project

Earth System Project



Mission to Mars



Earth System Pledge



IESO Art and Science





Astronomic Game

Earth Learning Idea (ELI)

Gefühl von weltweiter Vernetzung. Ein Gefühl davon, anderen Ländern und Kulturen ein Stückchen näher zu rücken und damit auch ein Stückchen aus seinem eigenen Alltag und seiner eigenen Blase heraus. Es ist auch eindrücklich und berührend, welche Probleme und Lösungen die verschiedenen Schülerinnen und Schüler in ihren Earth System Pledges thematisieren. Das reicht zum Beispiel vom Thema Wasserverbrauch und Wasserknappheit (die bekannte 20-Sekunden-Händewaschanweisung in Corona-Zeiten ergänzt durch den Beisatz „aber nicht mit bei durchgängig laufendem Wasser“) über den Wunsch, Alternativen zu Öl und Gas zu finden, umweltfreundlichere Straßenbausysteme zu erforschen und an der Vermeidung von Luftverschmutzung zu arbeiten, bis zu dem Wunsch, selbst Geowissenschaften zu lehren und zu kommunizieren. Quer durch alle Pledges ziehen sich die Faszination an der Natur und der emotionale Wunsch nach einem harmonischen Zusammenleben der Menschen mit ihrer Umwelt. Der kurze Einblick in die Online-IESO 2021 hat mich begeistert, und ich werde gerne wieder dabei sein und mit daran arbeiten, dass in Zukunft weiterhin viele Schülerinnen und Schüler aus Deutschland an der IESO teilnehmen können. Lina Seybold, Deutsche Mineralogische Gesellschaft (DMG) 9

9.3

Auswahl einer Mannschaft der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an der IESO

In Deutschland koordiniert die Fachsektion Geodidaktik und Öffentlichkeitsarbeit der GeoUnion/AWS (DGGV/ HGD) die Auswahl von Schülerinnen und Schülern für

die deutsche Nationalmannschaft. Der Aufruf zur Teilnahme erfolgt bundesweit über die Webseite 7 www. die-deutsche-olympiade-der-geowissenschaften.de, die eigens zu diesem Zweck nach der ersten Teilnahme eines deutschen Teams in Argentinien von Detlef  Sowinski programmiert und seitdem technisch betreut wird. Jedes Jahr bis zum 20. Dezember registrieren sich Lehrkräfte mit interessierten Schülerinnen und Schülern für das Auswahlverfahren über die Webseite. Für die Vorbereitung auf die Teilnahme an einer IESO oder am Auswahlverfahren besuchen die Schülerinnen und Schüler zusätzliche Kurse oder Arbeitsgemeinschaften an ihren Schulen. Dies kann in Kooperation mit Geoinstituten erfolgen ( 7 Kap. 10 und 11). Die beteiligten Lehrkräfte einigen sich Anfang Januar gemeinsam auf das Auswahlverfahren, organisieren Workshops an Geoinstituten für alle Schülerinnen und Schüler sowie weitere Treffen jeweils bei sich vor Ort, die der Vorbereitung der IESO-Teilnahme dienen. Wenn das Interesse größer ist als die verfügbaren Plätze in der Nationalmannschaft, werden Auswahltests (theoretische und praktische) am Ende der gemeinsamen Workshops in Präsenz geschrieben. Die Aufgaben dafür werden aus Tests vergangener IESOs von allen Lehrkräften zusammengestellt. Die Lehrkräfte betreuen und begleiten ihre eigenen Schülerinnen und Schüler während des gesamten Prozesses persönlich und sind dafür zuständig, für ihre eigene Gruppe Sponsoren für die Fahrt und die anteilige Teilnahmegebühr zu finden. Für die IESO-Nationalmannschaft werden aus dieser Gruppe zwei als mentors festgelegt, die anderen Lehrkräfte begleiten die Gruppe als observers. Die Deutsche Gesellschaft für Geologie – Geologische Verbindung (DGGV) unterstützt die deutsche Teilnahme seit 2012 kontinuierlich fachlich und auch als Sponsor. Aufgrund des mit Blick auf die geowissenschaftliche Bildung defizitären deutschen Schulwesens können keine vorderen Platzierungen in den Einzeltests erwartet werden, aber in den Wettbewerbskategorien Earth Systems Projects (ESP) und International Team Field Investigation (ITFI) haben viele deutsche Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ihren Teams gute Erfolge erzielen können, und sie schlossen Freundschaften, die auch viele Jahre später noch Bestand haben. Fazit Die International Earth Science Olympiad (IESO) erfüllt alle der von der Kultusministerkonferenz (KMK) für Schülerwettbewerbe genannten Qualitätskriterien vollumfänglich, insbesondere auch durch die zusätzlichen Aktivitäten International Team Field Investigation (ITFI) und Earth Systems Projects (ESPs), die explizit die internationale Kooperation zwischen den Teilnehmenden erfordern.

Literatur

Im Vergleich zu anderen Nationen, in denen Earth Sciences oder Geosciences ein reguläres viertes naturwissenschaftliches Schulfach sind, ist das deutsche Bildungssystem defizitär. Schulen müssen ihren Schülerinnen und Schülern überhaupt erst einmal geowissenschaftliche Lernangebote im Sinne einer Earth Systems Education unterbreiten. Das Beispiel der Richard-Hallmann-Schule zeigt, dass dies möglich ist (7 Kap. 8). Die Diskussion der Wettbewerbsaufgaben im Zusammenhang mit der deutschen Teilnahme an der IESO und der Vergleich mit anderen Bildungssystemen, in denen Earth Sciences, Geosciences oder Geology als naturwissenschaftliches Schulfach regulär etabliert sind, zeigt innovative Ansatzpunkte für zielführende Initiativen im eigenen Land auf.

Literatur Bayrhuber, H., & Hlawatsch, S. (Hrsg.). (2005a). Forschungsdialog: System Erde: Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe II. CDROM. Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften – IPN. https://archiv.ipn.uni-kiel.de/System_Erde/materialien_ Sek2.html. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Bayrhuber, H., & Hlawatsch, S. (Hrsg.). (2005b). Forschungsdialog: System Erde: Materialien für die Sekundarstufe II. 11 Module als PDF-Files. Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften – IPN. https://archiv.ipn.uni-kiel.de/System_Erde/materialien_Sek2_2.html. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Greco, R., Hlawatsch, S., & Nicholls, B. (2013). The International Earth Science Olympiad (IESO): A way to raise public awareness of geoscience, particularly amongst younger people and enhance the quality of geoscience education internationally. Episodes, 36(3), 235–239. Hlawatsch, S. (2019). International Earth Science Olympiad 2018, Thailand. GMIT –Geowissenschaftliche Mitteilungen, 76, 59. Hlawatsch, S. (2021). 14. International Earth Science Olympiad (IESO) – online. GMIT – Geowissenschaftliche Mitteilungen, 86, 112–114. IESO (International Earth Science Olympiad) Statutes of the international earth science olympiad. http://www.igeoscied.org/wp-content/uploads/2022/11/Statutes_OF_THE_INTERNATIONAL_ EARTH_SCIENCE_OLYMPIAD_V.4_PUBL_NOV-01-2016. pdf (Erstellt: 1. Nov. 2016). Zugegriffen: 15. Jan. 2023. King, C. (2014). International geoscience syllabus, to be encountered by all pupils by the age of 16. International Geoscience Education Organisation (IGEO) and International Union of Geological Sciences Commission on Geoscience Education (IUGS-COGE). http://www.igeoscied.org/activities/international-geoscience-syllabus/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. King, C. (2016). Fostering deep understanding through the use of geoscience investigations, models and thought experiments: The earth science education unit and earthlearningidea experiences. In C. Vasconcelos (Hrsg.), Geoscience education: indoor and outdoor (S. 3–23). Springer. King, C. (2019). Exploring geoscience across the globe. http://www. igeoscied.org/download/exploring-geoscience-across-the-globeenglish-original-version/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. King, C. (2020). Exploring geoscience across the globe: Some answers book. http://www.igeoscied.org/download/activities-and-questions-some-answers-book/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. KMK (Kultusministerkonferenz) (2009). Qualitätskriterien für Schülerwettbewerbe. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroef-

253

fentlichungen_beschluesse/2009/2009_09_17-Schuelerwettbewerbe. pdf. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17.09.2009. Kultusministerkonferenz. KMK (Kultusministerkonferenz) (2018). Verfahrensrichtlinien für die Aufstellung der Mannschaften der Bundesrepublik Deutschland zur Teilnahme an den Internationalen Olympiaden in Physik, Chemie, Mathematik und Informatik. https://www.kmk.org/fileadmin/ Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/1980/1980_03_21-Verfahrensrichtlinien-Internationale-Olympiaden.pdf. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 21.3.1980 i. d. F. vom 01.03.2018. Kultusministerkonferenz. Orion, N. (2016). Earth systems education and the development of environmental insight. In C. Vasconcelos (Hrsg.), Geoscience education: Indoor and outdoor (S. 59–72). Springer. Orion, N., Aktar, A., Juan, X., Lee, M.-W., & Shankar, R. (2012). The International Earth Science Olympiad (IESO): Goals and syllabus. International Earth Science Olympiad, Syllabus Commission. http://www.igeoscied.org/activities/ieso-2/syllabus/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Orion, N., Shankar, R., Greco, R., & Berenguer, J. L. (2020). Promoting the earth system approach and the meaning of learning. European Geologist, 50, 73–77. https://doi.org/10.5281/zenodo.4311722. Petersen, S., & Wulff, P. (2017). The German physics olympiad – identifying and inspiring talents. European Journal of Physics. https:// doi.org/10.1088/1361-6404/aa538f.

9

255

Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke Maria Mrosko, Sylke Hlawatsch, Dieter Kasang, Martin Meschede, Yamirka Rojas-Agramonte, Christian Winter, Germaine Damm, Peter Appel, Gösta Hoffmann, Edouard Grigowski, Valeska Decker, Tamara Fahry Seelig.

Inhaltsverzeichnis 10.1

Mileko: Der Mineralogische Lehrkoffer  –  256

10.2

Fachvorträge in der Schule – Rent a Prof – 258

10.3

Bildungsserver – 260

10.4

Erklärvideos in der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“  –  267

10.5

Urbane Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken  –  268

10.6

#Geologie-einfach-digital – 272

10.7

Plattform „Geowissenschaften in der Schule“ (GeoWidS)  –  275 Literatur – 276

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_10

10

256

Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

Zusammenfassung

10

Für die Vermittlung geowissenschaftlicher Inhalte in Schulen fehlen Strukturen im deutschen Bildungssystem, die für die anderen naturwissenschaftlichen Wissensdomänen Biologie, Chemie und Physik institutionell fest verankert sind (7 Kap. 2). Es gibt kein Lehramtsstudium, keine fachdidaktischen Institute an den Hochschulen und keine Fachberater bzw. Fachberaterinnen an den Landesinstituten. Fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit für die Geowissenschaften erfolgt in Deutschland aus einzelfachlichen Perspektiven der Biologie‑, Chemie‑, Geographie- und Physikdidaktik – wenn überhaupt. Zur Überbrückung dieser Lücke ergreifen seit einigen Jahren Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler beherzt Initiative. Sie unterstützen Lehrkräfte, die an der Vermittlung geowissenschaftlicher Themen interessiert sind, auf vielfältige Weise. Einige besuchen Schulen für Vorträge, andere versorgen Lehrkräfte mit Fossilien sowie Gesteins- und Mineralproben oder entwickeln und pflegen digitale Medien. Die folgenden Beispiele wurden ausgewählt, um die Vielfalt der Aktivitäten aufzeigen – zum Nachahmen und Mitmachen. Allen gemeinsam ist, dass die didaktischen Überlegungen und Entscheidungen für den konkreten Unterricht in der Verantwortung der Lehrkraft verbleiben. Um eine vollumfängliche Sammlung bemüht sich derzeit der Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo, 2022; 7 Abschn. 10.7).

10.1 Mileko:

Der Mineralogische Lehrkoffer

Maria Mrosko 10.1.1 Beschreibung

des Projektes

und Ziele

Der Mineralogische Lehrkoffer – kurz Mileko – ist eine Initiative der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft (DMG) und wurde im Jahr 2014 vom gesellschaftsinternen Arbeitskreis Schule und Hochschule entwickelt. Ziel des Projektes ist es, die mineralogischen und allgemein geowissenschaftlichen Inhalte im Schulunterricht wieder präsenter zu machen und mithilfe von Anschauungsmaterial den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht spannend und abwechslungsreich zu gestalten. Der Mileko besteht aus derzeit fünf Holzkoffern zu fünf unterschiedlichen Themen, die einzeln oder im Set bestellt oder ausgeliehen werden können. Im Mittelpunkt jedes dieser Module steht dabei das tatsächliche Begreifen und Anfassen der im Koffer enthaltenen Gesteine und Minerale unter Anleitung und mit Hinführung auf ein spezifisches Thema. Neben geowissenschaftlichen Kernthemen wie z. B. dem Kreislauf der

Gesteine sollen die Schülerinnen und Schüler vor allem aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt abgeholt werden, also beispielsweise ein direkter Bezug zwischen Rohstoff und Alltagsprodukt hergestellt werden. „Woher stammt das Kupfer für unsere Stromkabel?“, „Welche Rohstoffe sind in meinem Smartphone verbaut, und wie werden diese gewonnen?“ oder „Woraus besteht eigentlich eine gewöhnliche Teetasse?“ sind nur ein paar der Fragen, die initiiert und im gemeinsamen Beschäftigen mit den Koffern erarbeitet werden können. Als Hilfestellung und Ausgangspunkt für die oftmals fachfremden Lehrkräfte werden dabei Handreichungen in Form von Glossaren, Arbeits- und Infoblättern und Lösungsbögen sowie Vorschläge für fortführende Projekte gegeben. 10.1.1.1

Entwicklung der Module

Der Mileko ist neben dem Geographieunterricht vor allem für den Einsatz in den naturwissenschaftlichen Fächern und Fächerverbünden konzipiert. Nach der ursprünglichen Entwicklung des mit Anschauungsmaterial befüllten Demomoduls unter dem Motto „Kennst du deine täglichen Minerale?“ wurde gemeinsam mit Lehrkräften der gymnasialen Sekundarstufe der Bedarf für eher anwendungsbezogene Module zum Experimentieren und Ausprobieren ermittelt. Dazu wurde eine Lehrplananalyse der unterschiedlichen Curricula der einzelnen Bundesländer durchgeführt, um Schnittpunkte zwischen bereits in den Lehrplänen verankerten Themen und geowissenschaftlichen bzw. mineralogischen Inhalten zu erkennen und aufzugreifen. Die Analyse ergab, dass mineralogische Themen sich vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie, Physik, Mathematik sowie den dazugehörigen Fächerverbünden wiederfinden. Im Austausch zwischen fachkompetenten Mineraloginnen und Mineralogen mit Lehrkräften, Didaktikerinnen und Didaktikern sowie Pädagoginnen und Pädagogen wurden daraufhin vier weitere Experimentierkurse entwickelt, welche schwerpunktmäßig den Themen „Farbe und Symmetrie“, „Vom Mineral zum Gestein: ein heterogenes Gemisch“, „Gesteinskreislauf“ und „Rohstoffe“ zugeordnet werden können. Diese werden direkt für in den Lehrplänen verankerte Inhalte verwendet und decken Themen ab wie die „Gitterstruktur von Salzen“, welche anhand von Kristallen veranschaulicht wird, oder das Thema „Redoxreaktionen“, welches mittels der Gewinnung von Kupfer aus dem Erzmineral Malachit im Schülerversuch für den Chemieunterricht Anwendung findet. 10.1.2 Einsatzbereiche

Der Kerneinsatz des Mileko findet vorrangig in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern und Fächerverbünden statt. Darüber hinaus unterstützt der

10.1  •  Mileko: Der Mineralogische Lehrkoffer

257

..Abb. 10.1  Der Mileko im schulischen Einsatz. Oben: Basismodul. Unten (von links nach rechts): Doppelbrechung an einem Calcitkristall, Säuretest an einem Kalkstein, Kupfergewinnung aus Malachit im Experiment. (Foto: Maria Mrosko)

Lehrkoffer, wo möglich, den fächerübergreifenden Einsatz. So wird beispielsweise im Zuge der experimentellen Metallgewinnung aus einem Erz ein Exkurs über Ötzis Kupferbeil bereitgestellt, der den chemischen Prozess der Redoxreaktion mit geschichtlichem Hintergrundwissen zur Kupfersteinzeit ergänzen soll. Neben der Vermittlung der fachlichen Inhalte legt die Initiative ebenfalls viel Wert auf kompetenzstärkendes Arbeiten. Innerhalb der Aufgaben werden immer wieder verschiedene Lernund Arbeitsvarianten angeboten bzw. wird dazu ermutigt. Dazu zählen Gruppenarbeit und das gegenseitige

Präsentieren der Ergebnisse, Vorschläge zu Vorträgen oder Interviews sowie Produktion und Präsentation von eigenen kleinen Videos. Des Weiteren sollen wichtige Fertigkeiten und Kompetenzen ausprobiert und trainiert werden. Das detaillierte Beobachten und Beschreiben von Objekten und Prozessen, die zeitliche Einhaltung von Arbeitsschritten, das Erstellen von Protokollen, die Planung und Durchführung von Experimenten oder eine Literaturrecherche gehören zu den Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens, welche die Schülerinnen und Schüler hier kennenlernen und umsetzen sollen.

10

258

Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

Anschließend an die Beschäftigung mit den Materialien aus dem Lehrkoffer besteht die Möglichkeit, über ein Rent a Scientist-Programm eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler in die Klasse einzuladen, die oder der Spannendes aus dem Forschungsalltag berichtet und in Bezug zu den bereits erfahrenen Grundlagen aus den Koffern einen Einblick in aktuelle Forschungsthemen bietet. Die Module des Mileko stehen ebenfalls an mehreren Museen und Forschungseinrichtungen für Workshops und zum Ausleihen zur Verfügung (. Abb. 10.1). 10.1.3 Weiterentwicklung

und Bezugsmöglichkeiten

10

Seit Beginn des Projektes wurden weit über 650 Koffer hergestellt und an ca. 150 Schulen sowie 15 Ausleihstationen deutschlandweit versendet (Stand 2022). Dabei ist das Team um den Mileko an der kontinuierlichen Verbesserung und Erweiterung der Inhalte des Lehrkoffers interessiert. Aus diesem Grund suchen wir immer wieder den Austausch mit Lehrkräften zur Evaluierung der vorhandenen Materialien sowie den Kontakt zu neuen engagierten Mitwirkenden, die mit Ideen und Motivation die Begeisterung für die Geowissenschaften weitertragen möchten. Workshops für Lehrkräfte zur Anwendung des Mileko im naturwissenschaftlichen Unterricht wecken das Interesse für die Geowissenschaften, bieten eine gute Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch und führen zu neuen Ideen und zur stetigen Verbesserung der bereits bestehenden Module. Die Anwendung der Koffer im schulischen Unterricht zeigt an vielen Stellen, dass das Bewusstsein für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen noch in viel größerem Ausmaß geschaffen werden muss, um die folgenden Generationen zu einem nachhaltigen Umgang mit diesen zu ermutigen und unsere Erde als ganzheitlich komplexes System zu verstehen, in dem eine Vielzahl von Parametern aufeinander einwirkt. Holt man die Schülerinnen und Schüler in ihren Lebenswelten ab, weckt dies Interesse für die dynamischen Prozesse, welche unseren Planeten prägen, und damit für das Fach der Geowissenschaften im Allgemeinen und der Mineralogie im Speziellen. Weitere Informationen zum Mileko (Kontakt, Bezugsmöglichkeiten, Ausleihstationen) können über die Homepage der Deutschen Mineralogischen Gesellschaft (DMG, 2022) abgerufen werden.

..Abb. 10.2  Dr. Jörg Geldmacher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zu Besuch in der Richard-HallmannSchule. (Foto: Sylke Hlawatsch)

und interessiert zuhören. Ein Fachvortrag kann und soll eine Unterrichtseinheit sinnvoll ergänzen und bietet dann auch die Chance, gezielt offene Fragen zu klären und Fehlvorstellungen aufzudecken. Solche Begegnungen können über die Forschungsbörse für sehr viele Themen angebahnt werden. Auch viele Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler sind dort bereits registriert (DLR Projektträger, 2022; Geldmacher et al., 2020). 10.2.1 Erfahrungsbericht

Sylke Hlawatsch

Am 5. März 2021 besuchte Dr. Jörg Geldmacher vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel die Richard-Hallmann-Schule und hielt einen interessanten Fachvortrag über Meeresvulkane und seine Arbeit als Vulkanforscher (. Abb. 10.2, . Tab. 10.1). Eingeladen wurde er vom Jahrgang 8 des Wahlpflichtkurses I Geowissenschaften zum Ende der Einheit „Kommt unsere Erde denn nie zur Ruhe?“ (7 Kap. 8). So verfügte die Lerngruppe bereits über grundlegendes Vorwissen zum Thema „Vulkanismus und Plattentektonik“. Selbst wenn sie Seamounts am Ende nicht interessant oder wichtig fanden, so gefiel ihnen doch der Vortrag an sich. Sie nannten folgende positive Aspekte: Texte, Bilder und Vortrag waren schlüssig miteinander verbunden. Schülerinnen und Schüler wurden über Fragen eingebunden, und es gab eine Belohnung für richtige Antworten. Animationen und Filmchen waren integriert. Begriffe wurden ausführlich und gut erklärt. Es wurde laut und deutlich gesprochen.

Der Besuch von Forschenden im eigenen Klassenraum ist ein besonderes Ereignis für die Schülerinnen und Schüler. In der Regel werden sie gespannt auf den Besuch sein

Ganz allgemein waren sie beeindruckt von dem Forscher: Er „wusste, wovon er redete“, er war „sehr locker“ und „freundlich“.

10.2 Fachvorträge

Rent a Prof

in der Schule –

--

259

10.2  •  Fachvorträge in der Schule – Rent a Prof

..Tab. 10.1  Antworten von Schülerinnen und Schülern nach dem Fachvortrag auf die Fragen „Was war für dich interessant?“ und „Was war wichtig für dich?“, kategorisiert Kategorie

Antworten

Grundlagenwissen

Entstehung und Aufbau von Seamounts, Hotspots, Oasen im Ozean bzw. Auswirkungen, die die Seamounts auf die Unterwasserwelt haben, dass Vulkane unter Wasser ausbrechen und daraus Inseln entstehen können, Plattentektonik (Altersabfolge der Seamounts als Beweis), Abtragung der Vulkaninseln, Rohstoffvorkommen, Gesteine unter Wasser, Tsunamis

Untersuchungsmethoden

Technik der Meeresforschung, die Erfindung des Echolots, Satelliten

Nutzen für die Menschen

Themen, die auf heute bezogen wurden, z. B. der Verbrauch von Mineralien/Metallen in Bezug auf Elektronik

Umweltschutz

Die Frage, ob wir Kobalt abbauen sollten oder nicht, darüber sollten wir uns Gedanken machen

Alle gaben im Anschluss an, dass sie auch zukünftig gerne wieder einen Forscher oder eine Forscherin für einen Fachvorträge einladen würden! zz Interview mit Dr. Jörg Geldmacher

Jörg Geldmacher ist Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Forschungsbereich Dynamik des Ozeanbodens und Privatdozent an der Christian-Albrechts Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte sind mariner Vulkanismus und die Zusammensetzung und Dynamik des Erdmantels.

und einzelne Schülerinnen und Schüler einzubinden. Es macht mir immer besonders viel Spaß, wenn ich „einen Draht“ zu den Schülern finde, also zum Beispiel, wenn da einer in der Gruppe Versteinerungen sammelt oder sonst irgendwas erlebt hat, was mit dem Vortragsthema zusammenhängt. Dann versuche ich, das einzubauen. Sylke Hlawatsch:  Wie häufig hältst du heutzutage Vor-

träge für Schulklassen in Schulen? Jörg Geldmacher:  Vor der Pandemie etwa zwei bis drei-

mal im Jahr. Sylke Hlawatsch:  Was war für dich der erste Anlass für

einen Fachvortrag in einer Schule?

Sylke Hlawatsch:  Welches Ziel verfolgst du persönlich

damit? Jörg Geldmacher:  Ich bin vor vielen Jahren von einer be-

freundeten Lehrerin angefragt worden, und später haben mich dann Kollegen auf die Internetplattform der Forschungsbörse aufmerksam gemacht (7 www.forschungsboerse.de), die Vorträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Schulen vermittelt. Ich war schon während meines Studiums in dieser Richtung aktiv, da mein ursprünglicher Berufswunsch eher in Richtung Geodidaktik ging (zum Beispiel als Mitarbeiter in einem naturwissenschaftlichen Museum). Dann bin ich aber durch die Teilnahme an einer Schiffsexpedition zur Meeresgeologie gekommen. Das hat mich so fasziniert, dass ich dann doch eine „klassische“ Forscherlaufbahn verfolgt habe. Meeresgeologie ist so vielfältig und spannend, dass sich deren Inhalte gut für Präsentationen für die Öffentlichkeit oder Schulen eignen. Und so kann ich beides (Forschung und Didaktik) miteinander verbinden. Sylke Hlawatsch:  Was hast du dabei empfunden? Jörg Geldmacher:  Ein Fachvortrag ist ja erstmal etwas

Langweiliges für die Schülerinnen und Schüler (Stichwort: Frontalunterricht). Sie werden aber später im Leben vielen solchen Formaten ausgesetzt und können sich so schon mal daran gewöhnen. Ich versuche daher immer, meine Vorträge möglichst unterhaltsam zu gestalten

Jörg Geldmacher:  Zum einen will ich nicht verhehlen,

dass es mir einfach Spaß macht, mal vom Computerbildschirm wegzukommen und ganz woanders über meine Arbeit zu berichten. Zum anderen bin ich sehr besorgt über die Zukunft unserer Gesellschaft, insbesondere den Klimawandel, das Artensterben und die Auswirkungen (Kriege und Konflikte). Die Schülerinnen und Schüler werden schon in wenigen Jahren Wählerinnen und Wähler sein und in weiteren Jahren teilweise sogenannte „Entscheider“. Naturwissenschaftliche Bildung ist wichtig, damit Zusammenhänge erkannt werden und man nicht falschen Ideologien leichtfertig folgt. Wenn durch den Besuch von uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Schulen (egal, worüber wir reden) ein positives Bild der Wissenschaft entsteht, ist schon mal viel gewonnen und hoffentlich auch Vertrauen in die Wissenschaft erzeugt. Nichts ist schlimmer, als wenn naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht vertraut wird, zum einen, weil Nichtwissenschaftler oft nicht verstehen, wie diese Erkenntnisse zustande kommen, oder man uns zum anderen unterstellt, dass wir eine politische Agenda verfolgen. Sylke Hlawatsch:  Erreichst du das Ziel? Woran erkennst

du das?

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

Jörg Geldmacher:  Das ist eine typische Frage der Pä-

dagogin! Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Es ist ja ein Unterschied, ob ich als Person bei den Schülerinnen und Schülern sympathisch rüberkomme (das bekommt man ja schon irgendwie mit) oder ob auch die Wissenschaft dahinter positiv gesehen wird. Letztlich darf man einen einzelnen Besuch eines Wissenschaftlers hier auch nicht überbewerten. Es ist viel entscheidender, dass die jeweiligen Fachlehrkräfte im regulären Schulalltag ein grundsätzliches Interesse für die Naturwissenschaften wecken oder zumindest die Erkenntnis vermitteln wie Wissenschaft funktioniert, also dass eine wissenschaftliche Erkenntnis keine „Meinung“ ist, sondern auf nachvollziehbaren Beobachtungen (Daten) beruht. Sylke Hlawatsch:  Was würdest du Kollegen oder Kolle-

ginnen raten, die in Erwägung ziehen, ebenfalls Vorträge für Schulklassen anzubieten, aber noch unsicher sind? Jörg Geldmacher:  Sie sollten ihre Präsentation zwar

10

schon sorgfältig auf die jeweilige Altersgruppe/Schulart vorbereiten und auch unterhaltsame Elemente nicht vergessen (Anekdoten kommen immer gut), aber dann beim eigentlichen Vortag einfach selber Spaß haben! Diese Authentizität kommt dann hoffentlich auch rüber. 10.3 Bildungsserver Dieter Kasang 10.3.1 Einleitung

Durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg ist der Klimawandel in der öffentlichen Wahrnehmung gegenwärtig in den Hintergrund getreten. Dennoch ist die Bewältigung des Klimawandels weiterhin eine zentrale Aufgabe der Weltgemeinschaft und besitzt besonders für Schülerinnen und Schüler eine ungebrochen große Bedeutung für ihre eigene Zukunft. Sich mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen, muss daher ein zentrales Anliegen im Schulunterricht bleiben. Dabei sind seriöse Informationen und wissenschaftsorientierte Arbeitsformen von grundlegender Bedeutung. Zwei Bildungsserver können hier wichtige Unterstützung leisten: das ..Abb. 10.3 Kooperation zwischen Forschung (links) und Bildungsserver (rechts). (links: DKRZ/MPI-M; rechts: Klimawiki, HBS)

„Bildungswiki Klimawandel“ (Klimawiki, 7 klimawiki. org) des Deutschen Bildungsservers und die Klimaplattform des Hamburger Bildungsservers (HBS; 7 klimawissen.de). Beide Angebote wurden von der Hamburger Schulbehörde und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) gegründet und sind Kooperationsprojekte der beiden Bildungsserver mit Instituten der Hamburger Klimaforschung (. Abb. 10.3), dem Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), dem Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ), dem Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) und dem Climate Service Center Germany (GERICS). Sie bieten einerseits wissenschaftlich fundierte Fachinformationen zum Klimawandel, andererseits didaktische und methodische Anleitungen zur Arbeit mit Klimadaten und einem einfachen Klimamodell. Von den wissenschaftlichen Instituten werden die Bildungsserver finanziell und institutionell (z. B. durch den Zugang zu Datenbanken und wissenschaftlichen Zeitschriften, einen Arbeitsplatz am DKRZ) sowie durch die Beratung einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und die Mitarbeit von Studierenden der Meteorologie unterstützt. Didaktische Beratung hat sich aus der Kooperation mit dem Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften der Universität Kiel ergeben, der Geographiedidaktik der Universität Hamburg, dem Landesinstitut für Lehrerbildung in Hamburg, dem Austausch mit dem Deutschen Bildungsserver und den anderen Landesbildungsservern auf regelmäßigen nationalen Bildungsservertreffen, den Erfahrungen des Verfassers als Leiter des „Schulprojektes Klimawandel“, einer Kooperation zwischen den genannten wissenschaftlichen Instituten und etwa zehn Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein, in der die Materialien der Bildungsserver im Unterricht angewandt wurden. Die Koordination lag größtenteils in den Händen von Dieter Kasang und Hans Luthardt, einem Wissenschaftler vom DKRZ. 10.3.2

Das „Bildungswiki Klimawandel“

10.3.2.1 Artikel

Das „Bildungswiki Klimawandel“ (im Folgenden Klimawiki) verfolgt das Ziel, wissenschaftlich fundierte Informationen so aufzubereiten, dass sich Oberstufen-

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10.3  •  Bildungsserver

..Abb. 10.4 Semantische Verknüpfungen zum Artikel „Hitzewellen“ auf dem Klimawiki. (7 https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/index. php/Hitzewellen)

schülerinnen und -schüler Basiswissen zu verschiedenen Themen des Klimawandels und seiner Folgen selbst aneignen können. Erfolgreich eingesetzt wurde es z. B. über viele Jahre in dem von der Robert-Bosch-Stiftung und wissenschaftlichen Instituten in Hamburg wie vor allem dem DKRZ geförderten „Schulprojekt Klimawandel“ (7 klimaprojekt.de) für das projektorientierte, forschende Lernen. Die Plattform umfasst über 600 Artikel zum Klimawandel und seinen Folgen sowie eine Sammlung von wiederverwendbaren Bildern mit offenen Lizenzen und ist eine der erfolgreichsten Plattformen seiner Art im deutschsprachigen Raum, mit ca. 1 Mio. vor und 500.000 Seitenaufrufen pro Monat seit der Corona-Pandemie. Lehrende können auf der Grundlage der Artikel und der zahlreichen Abbildungen eigene Unterrichtsmaterialien entwickeln, und Schülerinnen und Schüler können sie für Facharbeiten, Präsentationen etc. nutzen. Die Inhalte des Klimawiki beruhen sachlich auf der Auswertung aktueller wissenschaftlicher Veröffentlichungen, die in renommierten Fachzeitschriften erschienen und zumeist in die zusammenfassenden Sachstandsberichte des Weltklimarates IPCC eingegangen sind. Wissenschaftliche Informationen, die in der Regel in englischsprachigen und für Laien kaum zugänglichen Quellen erscheinen, werden hier so aufbereitet, dass sie auch an Schulen genutzt werden können. Dazu dienen eine im Vergleich zu den wissenschaftlichen Originalbeiträgen, die nahezu ausschließlich auf Englisch und in einer Lehrenden und Lernenden an Schulen nur begrenzt zugänglichen Fachsprache erscheinen, einfache Sprache, eine übersichtliche Gliederung und die Veranschaulichung von Sachverhalten mit zahlreichen Abbildungen (7 Abschn. 10.3.2.3). 10.3.2.2

Verknüpfungen und Strukturen

Neben einer Suche gewähren Kategorien von „Aerosole“ bis „Ökosysteme“ das themenorientierte Auffinden der Beiträge. Diese selbst sind durch semantische Strukturen mit zahlreichen anderen Beiträgen zu ähnlichen Themen verknüpft, sodass das Auffinden thematisch zusammenhängender Artikel deutlich erleichtert wird. Dazu werden zum einen die in den Texten verwendeten Fachbegriffe und sachlichen Bezeichnungen wie z. B. „Aerosole“, „Verdunstung“, „Methan“ oder „Meeresspiegelanstieg in Asien“ auf weiterführende Artikel verlinkt. So wird etwa

in dem Text des Artikels „Dürren 2018–2020 in Europa“ auf die Beiträge „Hochdruckgebiet“, „Blockierende Wetterlage“, „Wälder im Klimawandel: Deutschland“ etc. verwiesen. Zum anderen besteht ein besonderer Service in der am Ende jedes Textes vorhandenen Verknüpfung der einzelnen Beiträge durch semantische Kontexte mit inhaltlich zusammenhängenden Artikeln. Auf der Basis dieses sog. semantischen Webs lassen sich zu einem Beitrag mit einem bestimmten Thema andere Beiträge nach Gesichtspunkten wie räumlichen oder zeitlichen Zusammenhängen, Beeinflussung, Ursachen, Folgen, Ähnlichkeiten, zukünftige Entwicklung usw. finden, die mit dem Thema des Ausgangsartikels in den genannten Zusammenhängen stehen. Das kann z. B. Anregungen dafür bereitstellen, ein bestimmtes Thema zu strukturieren, und versieht eine solche Struktur zugleich mit Materialangeboten. Als Beispiel sei hier der Artikel „Hitzewellen“ genannt. Am Ende dieses Textes wird gezeigt, dass es auf dem Klimawiki noch eine ganze Reihe anderer Artikel gibt, die sich grob in Ursachen, Folgen und regionale Beispiele von Hitzewellen einteilen lassen (. Abb. 10.4). Zahlreiche Artikel sind außerdem am Ende mit Verweisen auf die Klimadaten des Hamburger Bildungsservers, auf Schülerarbeiten des Schulprojektes Klimawandel und auf die Bildersammlung auf dem Klimawiki versehen (. Abb.  10.5). So verweist z. B. der Artikel „Gletscher auf Island“ auf hochaufgelöste Regionaldaten zu Europa, mit denen Karten zur Änderung der Temperatur, der Schneebedeckung oder von Eistagen auf Island visualisiert werden können (. Abb. 10.5). Die von Oberstufenschülerinnen und -schülern aus Hamburg und Schleswig-Holstein angefertigten Schülerarbeiten basieren zu einem großen Teil auf der Nutzung der beiden Bildungsserver. Die Bildergalerie des Klimawiki (7 Abschn.  10.3.2.3) bietet die Möglichkeit, sachliche Ausführungen zu veranschaulichen. 10.3.2.3

Bilder mit offenen Lizenzen

Ein besonderes Angebot auf dem Klimawiki ist die Sammlung von zurzeit etwa 1600 Bildern mit offenen Lizenzen, die eine Wiederverwendung der Abbildungen, z. T. mit gewissen Einschränkungen, ermöglichen. Der Aufbau der Sammlung wurde vom Deutschen Bildungsserver gefördert und ist im Rahmen einer zeitweiligen Ko-

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.5  Verweise am Ende des Artikels „Gletscher auf Island“ auf Klimadaten, Schülerarbeiten und eine Bildergalerie zum Thema

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operation mit der Initiative Open Educational Resources (OER) entstanden; sie wird fortgesetzt. Die Bilder erleichtern es Lehrenden wie Lernenden, die inhaltlichen Aussagen ihrer Unterrichtsmaterialien, Aufgabenstellungen, Referate und Präsentationen zu veranschaulichen und z. B. auf einer Schulhomepage zu veröffentlichen. Die Abbildungen werden durch fachkompetente Recherchen, die z. B. durch Mitarbeitende mit Meteorologiestudium und aus der Geographiedidaktik gewährleistet sind, in wissenschaftlichen Zeitschriften, Portalen von Klimaforschungsinstituten und zum Thema arbeitenden Organisationen, in Büchern u. a. Quellen gefunden und bei Bedarf bearbeitet, z. B. übersetzt. Bei Auswahl und Bearbeitung wird der Adressat (Bildungssektor) berücksichtigt. Eine Übersicht findet sich unter der Kategorie „Bildergalerien“. Sie ist nach Themen wie „Antarktischer Eisschild“, „Gletscher in den Alpen“, „Hitzewellen“, „Treibhausgase“, „Waldbrände“ etc. aufgeschlüsselt und bietet eine Vorschau der Bilder im Kleinformat an (. Abb. 10.6). Mit Klick auf ein Bild gelangt man auf das Großformat der Abbildung, mit Informationen zum Inhalt, zur Quelle und Lizenz sowie zu passenden Artikeln zum Thema. 10.3.3 Die

Klimaplattform auf dem Hamburger Bildungsserver (HBS)

Auch auf der Klimaplattform des HBS finden sich Beiträge zu verschiedenen Themen des Klimawandels und seiner Folgen. Im Vergleich zur enzyklopädischen Struktur des Klimawiki ist der Aufbau auf dem HBS bezogen auf die grundlegenden Sachgebiete wie z. B. „Klimawandel“, „Klimafolgen“ und Extremereignisse systematisch angelegt und oft in etwas vereinfachter Form angeboten. Der Schwerpunkt der Klimaseiten des HBS liegt jedoch bei der Unterstützung des wissenschaftsorientierten Arbeitens mit Klimadaten und einem einfachen Klimamodell.

10.3.3.1

Klimadaten als Unterrichtsmaterial

Klimadaten sind die Basis eines Großteiles der Klimaforschung, die die Daten auswertet, um z. B. das Klima der letzten Eiszeit, der letzten 1000 Jahre oder der nächsten 100 Jahre global, in Europa oder in Norddeutschland in Fachbeiträgen zu beschreiben. Entsprechend aufbereitete Klimadaten können auch an Schulen ausgewertet werden, wodurch Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, methodisch ähnlich wie Klimaforscher zu arbeiten. Durch die Umwandlung von Daten in Karten und Diagramme lassen sich Aussagen über die Änderungen des Klimas und die Folgen für Mensch und Natur treffen. Schülerinnen und Schülern bietet sich damit die Möglichkeit, eigenständig Erkenntnisse zu gewinnen und nicht mehr nur Aussagen aus fremden Quellen zu referieren.

Beobachtungsdaten Auf dem HBS werden für Schulen sowohl Daten zur bisherigen Klimaentwicklung als auch Daten über die zukünftigen Veränderungen des Klimas zugänglich gemacht. Bei den einen handelt es sich in der Regel um Beobachtungsdaten, bei den anderen um Daten, die von Klimamodellen errechnet wurden. Beobachtungsdaten werden vom HBS nicht auf dem eigenen Server angeboten, sondern über Verweise auf Datenportale wissenschaftlicher Institute. Der Grund liegt in der sehr unterschiedlichen, weil historisch gewachsenen Struktur der Datenangebote der einzelnen Institute sowie in der stetigen Aktualisierung der Daten. In manchen Fällen kann man auf den externen Portalen, z. B. der amerikanischen Weltraumbehörde NASA oder der amerikanischen Wetterbehörde NOAA, relativ einfach direkt online aus Daten Karten oder Diagramme erstellen. In anderen Fällen muss man die Daten herunterladen und mithilfe eines Programmes auf dem eigenen Rechner visualisieren. Dafür bietet der HBS Anleitungen an, wobei es zum einen um das Auffinden der gesuchten Daten und deren Download und zum anderen um deren Visualisierung geht (. Abb. 10.7).

263

10.3  •  Bildungsserver

..Abb. 10.6  Beispiel einer Bildauswahl zum Thema „Gletscher auf Island“ in der Vorschau

Ein wichtiges Datenangebot sind ohne Zweifel die Stationsdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD), die in vielen Fällen über mehrere Jahrzehnte zurückreichen und damit die Klimaentwicklung an zahlreichen Orten in Deutschland dokumentieren. Sie sind eine wertvolle Quelle bei allen Fragen nach bisherigen Klimaänderungen und seinen Folgen in Deutschland, z. B. nach der Zunahme von Sommertagen oder tropischen Nächten, nach der bisherigen Ausbreitung von Zecken oder Änderungen der Anbaubedingungen von Weizen. Sowohl der Download der Daten wie deren Visualisierung bedeuten durch z. T. englischsprachige Zugänge, die Verwendung von ID-Nummern für die Stationen und nicht unmittelbar erschließbare Abkürzungen für Schulen eine gewisse Herausforderung. Auf dem HBS gibt es dafür ausführliche Anleitungen, die die Erschließung und Verwendung der Daten erleichtern (7 https://bildungsserver.hamburg.de/themenschwerpunkte/klimawandel-und-klimafolgen/daten-zum-klimawandel/daten-zu-klimaaenderungen; Kasang, o. D. b).

Modelldaten Die Modelldaten auf dem HBS entstammen den Datenarchiven des Deutschen Klimarechenzentrums, z. B. dem ESGF (Earth System Grid Federation; . Abb.  10.8). Sie sind vor der Veröffentlichung auf dem HBS für die Nutzung an Schulen so aufbereitet worden, dass sie auch mit den an Schulen zur Verfügung stehenden Mitteln ge-

nutzt werden können. Das bedeutet vor allem, dass sie stark gemittelt sind: über Monate, Jahreszeiten, Jahre und dann noch einmal über 30 Jahre. Es finden sich auf diese Weise gemittelte Daten sowohl für die jüngste Vergangenheit (zumeist 1971–2000) als auch für die nähere (2031–2060) und fernere Zukunft (2071–2100). Teilweise stammen die Daten von globalen Klimamodellen und haben eine grobe Auflösung von z. B. 200  ×  200 km. Teilweise wurden sie von regionalen Klimamodellen mit deutlich höherer Auflösung, z. B. von 50  ×  50 km für Afrika oder 12 × 12 km für Europa, berechnet. Für alle Szenarien gibt es eine ganze Reihe von Klimaparametern wie Temperatur, Verdunstung, heißen Tagen, CO2-Gehalt des Ozeans, Vegetationsbedeckung usw. Außerdem liegen die Daten für verschiedene mögliche Entwicklungen des zukünftigen Klimas vor, etwa für das Klimaschutzszenario RCP2.6 des Weltklimarates IPCC oder das hohe Szenario RCP8.5, die jeweils von verschiedenen Treibhausgaskonzentrationen und deren Strahlungswirkung ausgehen. . Abb. 10.9 zeigt eine Tabelle, die den Download mit Temperaturdaten zu Deutschland für die beiden Szenarien RCP2.6 (Klimaschutzszenario) und RCP8.5 (hohes Szenario) anbietet. Der Tabelle vorangestellt sind kurze Erläuterungen zu den Daten. Inzwischen werden auch Daten der neuesten IPCCSzenarien für den Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates von 2021, der sog. SSP-Szenarien, zur Ver-

..Abb. 10.7  Schematische Darstellung der Umwandlung von Beobachtungsdaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in eine Grafik zum Anstieg der Jahresmitteltemperatur Hamburgs von 1970 bis 2018

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.8  Ein Blick in die Forschung: Großrechner und Datenarchive am Deutschen Klimarechenzentrum (DKRZ)

10.3.3.2

10 ..Abb. 10.9  Temperaturdaten für Deutschland der jüngsten Vergangenheit und nach den Szenarien RCP2.6 und RCP8.5 der näheren und ferneren Zukunft. Die Daten werden als absolute Werte angeboten und für die beiden Szenarien außerdem als Differenzwerte, aus denen die Veränderung hervorgeht

fügung gestellt, deren Berechnungen anders als bei den RCP-Szenarien nicht von einer vorgegebenen Konzentration der Treibhausgase und deren Strahlungswirkung, sondern von den sozioökonomischen Entwicklungen der Weltgesellschaft ausgehen. Die Bezeichnungen RCP (Representative Concentration Pathways = Repräsentative Konzentrationspfade) und SSP (Shared Socioeconomic Pathways = Gemeinsame sozioökonomische Entwicklungspfade) bringen das zum Ausdruck. Die Daten können auf jeden beliebigen Rechner als Zip-Dateien heruntergeladen, entpackt und mit einem Visualisierungsprogramm als Karten veranschaulicht werden (. Abb. 10.10). Für die Visualisierung wird das NASA-Programm Panoply empfohlen, das sehr leistungsfähig und trotzdem verhältnismäßig leicht zu bedienen ist. Mit Panoply lassen sich aus unübersichtlich vielen Daten Karten erzeugen, die für Schülerinnen und Schüler einfach zu interpretieren sind. Eine Anleitung zum Download des einfachen Stand alone-Programmes und seiner Anwendung steht auf dem HBS zur Verfügung (7 https://bildungsserver.hamburg.de/themenschwerpunkte/klimawandel-undklimafolgen/arbeitsanweisungen-panoply-263990; Kasang, o. D. b).

Ein einfaches Klimamodell

Eine weitere Möglichkeit, sich mit den Methoden der Klimaforschung zu befassen, bietet das Monash Simple Climate Model (MSCM), ein für den Universitätsunterricht an der Monash University in Melbourne entwickeltes einfaches Klimamodell, das in Hamburg in Teilen noch einmal für den Schulunterricht heruntergebrochen und ins Deutsche übersetzt wurde. Das MSCM liegt auf einem Server des DKRZ (7 http://mscm.dkrz.de/) und kann über einen Browser direkt im Internet zum Laufen gebracht werden. Auf dem HBS finden sich zum Einsatz des MSCM an der Schule Arbeitsblätter, Lehrerhandreichungen und weitere Materialien (7 https://bildungsserver.hamburg.de/themenschwerpunkte/klimawandelund-klimafolgen/mscm-klimamodell; Kasang, o. D. b). Mit dem Modell können zwei Arten von Experimenten durchgeführt werden: Experimente, die es ermöglichen, das Klimasystem zu verstehen Experimente, die die Veränderung des Klimas im 21. Jahrhundert anhand von Szenarien darstellen

-

Die erste Gruppe von Experimenten zeigt den Einfluss einzelner Klimakomponenten, z. B. von Eis und Schnee, des Ozeans, von Wolken oder Kohlendioxid, auf die Temperaturverteilung der Erde im Jahresverlauf. Dazu werden zwei Experimente miteinander verglichen: zum einen die Temperatur der Erde mit einem vollständigen Klimasystem, zum anderen mit einem Klimasystem, bei dem eine wichtige Komponente fehlt, beispielsweise die Wolken. Auf diese Weise werden die Rolle von Wolken im Klimasystem und ihre Wirkung auf die Temperatur zu verschiedenen Jahreszeiten und in verschiedenen Regionen deutlich. Die Angabe der globalen Mitteltemperatur über den Karten (. Abb. 10.11) zeigt, dass es ohne Wolken auf der Erde im Juli um 23,6 °C wärmer wäre, die Wolken also eine starke Abkühlung bewirken. Neben der Analyse des Klimasystems besteht auch die Möglichkeit, Szenarien des Klimawandels bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu untersuchen. Hierfür werden im Modell verschiedene CO2-Konzentrationspfade für mögliche zukünftige Emissionen von Treibhausgasen

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10.3  •  Bildungsserver

..Abb. 10.10 Schematische Darstellung der Visualisierung von Klimamodelldaten zum Meeresspiegelanstieg der Nordsee in einer Karte mit dem Programm Panoply

..Abb. 10.11  Die Temperaturverteilung der Erde im Juli mit einem vollständigen Klimasystem (links) und mit einem Klimasystem ohne Wolken (rechts)

vorgegeben, aus denen das MSCM die Temperatur und andere physikalische Variablen wie die Ozeantemperatur und die Eis- und Schneebedeckung ableitet. Neuerdings können auch die Veränderungen nach den SSP-Szenarien dargestellt werden, die für den aktuellen Bericht des Weltklimarates IPCC von 2021 entwickelt wurden. Die Modellläufe beginnen im Jahr 1950 und enden 2095. Dabei werden zwischen 1950 und 2095 sowohl die Änderung der Jahresmitteltemperatur wie die Mittelwerte für Sommer und Winter gezeigt (. Abb.  10.12). Bei allen Szenarien werden charakteristische Muster der Erwärmung deutlich. Die Kontinente erwärmen sich stärker als die Ozeane, die hohen Breiten stärker als die niederen Breiten und die Tropen stärker als die Subtropen. Diese Unterschiede regen zu der Frage an, warum das so ist. Die Gründe lassen sich größtenteils aus den Experimenten zur Analyse des Klimasystems ableiten. Arbeitsblätter und Lehrerhandreichungen auf dem HBS bieten dabei hilfreiche Unterstützungen. Das MSCM bietet auch die Möglichkeit, zwei Szenarien, z. B. das hohe Szenario RCP8.5 und das niedrige Szenario RCP2.6, miteinander zu vergleichen (. Abb. 10.13). Bei RCP2.6 handelt es sich um ein Szenario, bei dem die Zunahme der globalen Mitteltemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit die auf der Pariser Klimakonferenz von 2015 geforderte Grenze von 2 °C bzw. 1,5 °C bis 2100 nicht überschreitet. Bei dem hohen Szenario RCP8.5 liegt die globale Mitteltemperatur dagegen am Ende dieses Jahrhunderts bei fast 5 °C, in einzelnen Regionen deutlich darüber. Der starke Unterschied zwischen den beiden Szenarien kann im Unterricht zu der Frage anregen, was jeder Einzelne und die Weltgemeinschaft tun müssen, um den Klimawandel auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.

10.3.4

Wälder im Klimawandel – ein Beispiel

Im Folgenden soll an einem Beispiel gezeigt werden, wie sich die Materialangebote auf dem Klimawiki und dem Hamburger Bildungsserver nutzen lassen, um ein bestimmtes Thema zu bearbeiten. Auf der Seite „Unterrichtsmaterial zum Klimawandel“ des HBS (7 https:// bildungsserver.hamburg.de/themenschwerpunkte/ klimawandel-und-klimafolgen/schulprojekt-klimawandel/ue-klimawandel-267198) werden Vorschläge für ein mögliches Unterrichtskonzept und Materialien zu seiner Umsetzung angeboten. Der hier vorgeschlagene Unterrichtsverlauf wurde mit Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein entwickelt und erprobt. Er beruht im Wesentlichen darauf, dass Schülerinnen und Schüler – nach einer Einführung in Grundlagenwissen zum Klimawandel durch die Lehrkraft – in Kleingruppen ein selbst gewähltes Thema eigenständig bearbeiten. Für jede der einzelnen Phasen des Unterrichtsverlaufes wird in einer Kurzdarstellung auf die zugehörigen Materialien verwiesen (. Abb. 10.14). Bevor eine Arbeitsgruppe (alternativ: im Klassenunterricht) sich mit einem speziellen Thema wie „Wälder im Klimawandel“ befasst, sollte ein gewisses Grundverständnis des Klimawandels, d. h. Kenntnisse über das Klimasystem, über bisherige (natürliche) Klimaänderungen und über Klimaszenarien, vermittelt werden. Dazu eignet sich besonders die Arbeit mit dem MSCM-Klimamodell. Das Finden eines bestimmten Themas wird durch Vorschläge auf der Seite „Themenfelder“ unterstützt. Zu dem Thema „Wälder im Klimawandel“ sollte man sich zunächst Sachinformationen beschaffen. Auf dem Klimawiki findet man dazu einen

10

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.12  Darstellung der Temperaturänderungen nach dem Szenario RCP8.5 mit dem Klimamodell MSCM

10 ..Abb. 10.13 Vergleich der Temperaturänderung bei einem hohen (RCP8.5; links) und einem niedrigen Szenario (RCP2.6; rechts) bis zum Ende des 21. Jahrhunderts

Grundsatzartikel, der zeigt, dass Wälder nicht nur durch den Klimawandel verändert werden, sondern selbst eine wichtige Komponente im Klimasystem sind, indem sie CO2 aufnehmen, den Wasserkreislauf beeinflussen, die Albedo und damit die Strahlung verändern und durch ihre Rauigkeit die atmosphärische Dynamik verringern. Speziellere Artikel gehen auf die Rolle der Wälder in Deutschland, in Europa und in Nordamerika ein. Eine weitere wichtige Quelle ist die Buchreihe „Warnsignal Klima“, in der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu ihren Spezialgebieten auf Deutsch schreiben und an der Dieter Kasang als Herausgeber und Autor mitgearbeitet hat. Der gerade erschienene und auch im Internet verfügbare Band Boden und Landnutzung (7 https:// www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/buchreihe/ boden-und-landnutzung/; Lozán et al., o. D.), enthält gleich mehrere Artikel zum Thema „Wälder im Klimawandel“, u. a. zu den biochemischen und biophysikalischen Effekten von Änderungen der Waldbedeckung,

zur Vernichtung der tropischen Regenwälder und zur Bedeutung der Wälder für den Klimaschutz. Abbildungen auf dem Klimawiki (7 https://wiki. bildungsserver.de/klimawandel/index.php/Wälder_(Bilder); Kasang, o. D. a) veranschaulichen wichtige Prozesse, auf die Wälder einen Einfluss besitzen. Daraus geht hervor, dass Wälder sowohl einen erwärmenden als auch einen abkühlenden Effekt besitzen. Aus den oben erwähnten Artikeln lässt sich die Erkenntnis gewinnen, dass das stark von der geographischen Breite abhängt. Eine Ausdehnung der Waldbedeckung in den Tropen hätte auf jeden Fall eine abkühlende Wirkung zur Folge, weil die tropischen Wälder in der Lage sind, sehr viel Kohlendioxid zu speichern. Dagegen bewirkt eine Erweiterung der Fläche der borealen Wälder eine Erwärmung, u. a. weil die Wälder hier helle Schneeflächen, die sehr viel Sonnenstrahlung reflektieren, durch dunkle Flächen ersetzen, die die Solarstrahlung absorbieren und in Wärmestrahlen umwandeln (. Abb. 10.15).

267

10.4  •  Erklärvideos in der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“

..Abb. 10.14  Schematische Darstellung eines möglichen Unterrichtsverlaufes mit Verlinkungen passender Materialien

Auf der Grundlage von Sachkenntnissen zum Thema sollten dann Klimadaten genutzt werden, die die Veränderung von Wäldern durch den Klimawandel belegen. Die Visualisierung dieser Daten (nach dem hohen Szenario SSP585) zeigt, dass besonders in den Tropen die Baumbedeckung zurückgeht (. Abb. 10.16), wodurch die globale Erwärmung infolge der Freisetzung von CO2 verstärkt wird. In den hohen Breiten nimmt die Baumbedeckung über große Gebiete dagegen leicht zu, was die Erwärmung zumindest regional ebenfalls verstärkt. Erklärungen dieser Veränderungen lassen sich ebenfalls durch Daten belegen. Wälder in niederen Breiten sind vor allem durch Dürren in Gefahr. Sie werden dagegen in hohen Breiten in ihrem Wachstum durch höhere Temperaturen, eine damit verbundene verlängerte Wachstumszeit und einen höheren CO2-Gehalt in der Atmosphäre begünstigt. Inwieweit möglicherweise eine zunehmende Trockenheit am Rückgang der Baumbedeckung in den Tropen (neben direkten menschlichen Eingriffen) betei-

..Abb. 10.16  Änderung der Baumbedeckung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts nach dem hohen Szenario SSP585. (Visualisiert nach Daten auf dem HBS)

..Abb. 10.15  Wichtige Prozesse zwischen Wald und Klima

ligt sein wird, lässt sich durch Regionaldaten von Südamerika, Afrika und Südostasien zu den Parametern Niederschlag, Regentage, Verdunstung, relative Feuchte und Bodenfeuchte aufzeigen. Günstigere Wachstumsbedingungen für Bäume in den hohen Breiten belegen Daten von Nordamerika und der Arktis durch die Zunahme der Temperatur, der Sommertage sowie den Rückgang der Frosttage und der Schneebedeckung. 10.4 Erklärvideos

in der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“

Martin Meschede

In vielen Schulbüchern und weiterführenden Lehrbüchern lassen sich immer wieder fachliche Fehler feststellen, von denen manche über viele Jahre hinweg weitergetragen werden, ohne dass korrigierend eingegriffen

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.17 Bildschirmaufnahme eines Erklärvideos der DGGV-Videoreihe „Das System Erde“

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wird. Mit der Zusammenstellung von umfangreichem Lehrmaterial, das den Bildungseinrichtungen kostenfrei zur Verfügung gestellt wird, möchte die Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung (DGGV) den aktuellen Stand der Geowissenschaften fachlich fundiert und korrekt vermitteln. Die großen Themenbereiche „Feste Erde“, „Hydrosphäre“, „Biosphäre“ und „Atmosphäre“ sollen mit zahlreichen Erklärvideos ausgestattet werden, in denen die Grundlagen der wissenschaftlichen Zusammenhänge vermittelt werden. Die Hauptthemenbereiche sind in Kapitel mit mehreren Unterkapiteln untergliedert. Jedes Unterkapitel enthält ein erklärendes Video zu einem bestimmten Sachverhalt, also z. B. zur „Bildung der Lithosphäre“. Die Videos dauern zwischen 8 und 15 min, und anhand von Grafiken und animierten kurzen Videosequenzen werden die Grundlagen erläutert. Sämtliche Erklärungen im Video sind zusätzlich mit Text und Abbildungen auf den Webseiten der Kapitel abrufbar. Das Projekt ist seit Juli 2022 auf der Webseite der DGGV abrufbar (7 https://www.dggv.de/das-systemerde/; DGGV, 2022a). Es soll eine umfangreiche Sammlung von erklärenden Videos entstehen, die alle nach dem gleichen Prinzip aufgebaut sind und ähnlich einem größeren Lehrbuch die verschiedenen Bereiche der Geowissenschaften abdecken. Hauptziel dieses Projektes ist, geowissenschaftliche Zusammenhänge auf eine verständliche Art und Weise allen an diesem Thema Interessierten zugänglich zu machen. Zurzeit sind 13 Kapitel mit Videos, Text und Abbildungen verfügbar, es werden jedoch laufend neue Kapitel entworfen und auf der Webseite freigestellt. Grundlage für die erklärenden Videos ist ein möglichst einfacher und nachvollziehbarer Aufbau der Vermittlungsplattform. Im Hauptfeld werden die Sachverhalte erläutert, seitlich daneben finden sich die wichtigsten Eckpunkte als Merksätze oder Stichworte zusammen-

gefasst (. Abb. 10.17). Der Autor der Videos ist bei seinen Erklärungen im Bild zu sehen. Dieses Format wurde gewählt, weil die Vermittlung der oft komplexen wissenschaftlichen Zusammenhänge über eine persönliche Ansprache besser funktioniert, als wenn eine Stimme im Hintergrund die Sachverhalte erklärt. Die Videos werden mit einfacher technischer Ausrüstung – Webcam, externem Mikrofon – und mithilfe einer PowerPoint-Präsentation erstellt. Für die Aufnahmen und die anschließende Bearbeitung werden frei verfügbare Open-Source-Programme verwendet. Die Ausarbeitung des Projektes und die Erstellung der Videos und Textseiten mit Abbildungen sind noch in der Anfangsphase. Die ersten Videos wurden im Unterricht an der Richard-Hallmann-Schule (7 Kap. 8) mit verschiedenen Lerngruppen getestet. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich die Videos ansehen und anschließend bewerten, wie sie mit den Informationen zurechtkamen. Es zeigte sich, dass das erste einführende Video ab Klassenstufe 8 eingesetzt werden kann, während die Videoreihe insgesamt sich für die Sekundarstufe II eignet. Die Rückmeldung der Schülerinnen und Schüler war durchweg positiv und ermutigend, sodass die Videoreihe in diesem Format weiter ausgebaut wird. 10.5 Urbane

Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken

Yamirka-Rojas-Agramonte, Christian Winter, Germaine Damm, Peter Appel

Viele Denkmäler und Bauwerke in den Städten sind aus Natursteinen gefertigt. Diese bleiben oft unbeachtet, trotz ihrer Schönheit und interessanten Eigenschaften:

10.5  •  Urbane Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken

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..Abb. 10.18  Beispiel für die Verortung von Orten in der Stadt in FieldMove

Gesteine können uns die Erdgeschichte erzählen – wenn wir sie erkennen. In diesem Abschnitt wird eine didaktische Anwendung mittels Google Earth am Beispiel der Stadt Kiel vorgestellt. Dies sei eine Anregung auch für andere Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler, die ebenfalls ortsspezifische Inhalte vermitteln möchten. Das können geowissenschaftliche Anwendungen an anderen Orten sein oder Verzeichnisse von architektonischen, künstlerischen, historischen, biologischen oder sonstigen Inhalten. Die Fassaden vieler Gebäude in Kiel, auch Denkmäler, Skulpturen, Treppenstufen und Pflasterungen aus Naturstein, zeigen eine Vielfalt von Farben, Formen und Strukturen und sind Zeugen von Epochen der Erdgeschichte. Gesteine zu entdecken, die Sinne für die Geologie zu schärfen und Wissen zu erfahren, soll hier im Rahmen einer digital unterstützten Expedition durch die Stadt gefördert werden. Dabei werden Orte und Bilder mit Hintergrundwissen über Klassifizierungen, Herkunft, Entstehung und Alter der Gesteine durch digitale Kataloge (Google Earth, Apps) verknüpft. Auch wenn das hier vorgestellte Beispiel für die Hochschullehre in den Geowissenschaften entwickelt wurde, ermöglicht das offene digitale Format eine Anpassung der Inhalte und Methoden an die Bedürfnisse anderer Zielgruppen. So können auch Lehrkräfte an Schulen fachlich unterstützt werden, die ihren Schülerinnen und Schülern die faszinierende Vielfalt und Schönheit der Gesteine anhand von originalen Anschauungsobjekten nahebringen möchten. Die folgenden Ausführungen liefern die technische Anleitung dafür.

10.5.1 So 10.5.1.1

wird’s gemacht

FieldMove Clino

Für die Erhebung verschiedener Lokalitäten in der Innenstadt Kiel wurde das freie Programm FieldMove verwendet (Midland Valley Inc.; Muir, 2015). FieldMove (oder FieldMove Clino für Smartphones) ist eine digitale Kartierungs-App für Apple‑, Android- und WindowsTablets. Felddaten auf Expeditionen im Gelände, oder eben wie hier in der Stadt, können auf einem Tablet unter Verwendung des GPS-Standortes und der jeweiligen Himmelsrichtung gespeichert werden. Die App bietet die Möglichkeit, einzelne Orte mit Beschreibungen, Koordinaten und Fotos zu verknüpfen und als KMZ-Daten in GIS-Programme oder zu Google Earth zu exportieren. Für unser Projekt wurden in einem ersten Schritt verschiedene frei zugängliche Orte (Fassaden, Gebäude, Denkmäler, Treppenstufen) in der Stadt Kiel ermittelt, die mit Natursteinen gebaut oder verziert sind. Dafür wurde ein Projekt in der FieldMove-Anwendung erstellt. Jeder Standort wurde als neue Station angelegt (. Abb. 10.18). Jede neu angelegte Station bekommt einen eindeutigen Namen, etwa „Fassade Bahnhof Kiel“. Von jeder Station werden beschreibende und eindeutige Fotos mit entsprechender Skala (Lineal, Münze, Objektivdeckel) gemacht, die durch die Software automatisch mit den GPS-Koordinaten eindeutig versehen werden. Im Kommentarfeld werden Ort und Gestein so detailliert wie möglich beschrieben und klassifiziert. Generell sollen alle Gesteine nach folgendem Schema beschrieben und notiert werden:

10

270

Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.19  Beispiel für Kiel: Fassade des Bahnhofs von Kiel in FieldMove

10 1. Name 2. Farbe 3. Struktur (Korngefüge) 4. Textur (Lagengefüge) 5. Mineralbestand 6. Ausgangsgestein bei Metamorphiten oder klastischen Sedimenten Ein Beispiel dafür ist die Beschreibung der Fassade des Bahnhofs von Kiel (. Abb. 10.19): Es handelt sich hier um einen Sandstein. Das Gestein ist beige und rötlich. Die Korngröße ist Feinsand. Vereinzelnd treten Körner bis zu 10 mm auf. Sukzessive werden verschiedene Stationen in Clino erstellt und gespeichert und anschließend als KMZDateien exportiert. Diese KMZ-Dateien können durch einfaches Drag & Drop in Google Earth verwendet werden. 10.5.1.2

Google Earth

Mit Google Earth lassen sich diese Daten dann im räumlichen Kontext visualisieren, organisieren und beschreiben (. Abb.  10.20). Hier können die Standorte unterschiedlicher Gesteine in der Stadt angezeigt werden und diese Orte verbunden, beispielsweise als Touren durch die Stadt geplant werden, je nach Zweck des Spaziergangs. Nachdem die Punkte in Google Earth geladen wurden, ist es möglich, Änderungen und Sortierungen vorzunehmen. Beispielsweise können Gesteins-

arten gruppiert werden, indem man die Farben der einzelnen Orte ändert und einen Buchstaben zur Kennzeichnung der Gesteinsart hinzufügt, z. B. S: Ablagerungsgestein (Sedimentgestein), I: Erstarrungsgestein (magmatisches/Igneous-Gestein), M:  Umwandlungsgestein (metamorphes Gestein). In diesem Schritt kann auch die Beschreibung überprüft und erweitert werden (. Abb. 10.21, 10.22). Anwenderinnen und Anwender sollten Google Earth auf ihrem Mobiltelefon, Tablet oder Computer installieren. Für die Übung erhalten sie eine KMZDatei mit den zu besuchenden Orten, die sie in ihrem Notizbuch beschreiben sollen. Später können sie ihre eigenen Ergebnisse mit der vorgegebenen Beschreibung vergleichen. Die Daten können wiederum in verschiedene Strukturen aufgeteilt werden, angepasst an den Wissensstand der Schülerinnen und Schüler und das Konzept und Ziel der zu realisierenden Übung. So mag beispielsweise die Beschreibung der Gesteine zunächst nicht oder nur in Teilen veröffentlicht werden. Dafür ist es notwendig, mit mehreren Dateien zu arbeiten. Die Originaldatei in den Händen der Lehrenden enthält Fotos, Gesteinsarten und detaillierte Beschreibungen der einzelnen Stationen. Verschickt werden entsprechend reduzierte Inhalte. Die zeitliche Einbindung dieser didaktischen Maßnahme, ob also Inhalte vor, während oder nach einer Expedition durch die Stadt diskutiert werden, sei der Lehrkraft überlassen.

10.5  •  Urbane Geologie: Mit digitalen Medien Gesteine auf einem Stadtspaziergang entdecken

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..Abb. 10.20  Beispiel für Standorte, die aus FieldMove in Google Earth importiert wurden. Standorte mit roter Ortsmarkierung „S“ bezeichnet beispielsweise die Lage von Sedimentgesteinen

..Abb. 10.21  Beispiel der Verortung einer Steinfassade an der Andreas-Gayk-Straße in Kiel im Google-Earth-Projekt: Verknüpfung mit Fotos

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10

Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.22  Beispiel der Verortung einer Fassade an der Andreas-Gayk-Straße in Kiel im Google-Earth-Projekt: Verknüpfung mit einer Kurzbeschreibung des in . Abb. 10.21 gezeigten Fotos; hier bioklastischer Kalkstein mit Stromatoporen, Brachiopoden und Echinoderma

10.6 #Geologie-einfach-digital Gösta Hoffmann, Edouard Grigowski, Valeska Decker

Das Berufsbild des Geowissenschaftlers bzw. der Geowissenschaftlerin hat sich in den letzten Jahren fundamental geändert: von einer rohstoffsuchenden Tätigkeit zur nachhaltigen Anwendung von Kenntnissen geologischer Prozesse zum Schutze der Umwelt. Die modernen Geowissenschaften sind die fundamentale Grundlage für Zukunftstechnologien. Digitale Zugänge zu Fachinformationen sind dabei wichtige Werkzeuge, die auch den Schulunterricht bereichern können. Mit dem Projekt „OutcropWizard“ haben wir eine selbsterklärende App entwickelt, mit deren Hilfe man Informationen zur Geologie direkt im Gelände bekommt. Das Projekt „30 Geotope3“ bietet die Möglichkeit, geologische Aufschlüsse dreidimensional zu erleben, ohne selbst vor Ort sein zu müssen. Warum „Geologie-einfach-digital?“ Das Adjektiv „einfach“ bezieht sich sowohl auf den Informationszugang als auch auf die Inhalte. Einfach ist der digitale Zugang zu geologischen Fachinformationen, da er über das Handy erfolgt. Intuitiv und somit einfach sind die entsprechenden Webseiten und Apps zu bedienen. Hier sind keine gesonderten Kenntnisse zu Datenbankstrukturen oder geographischen Informationssystemen notwendig. Wir arbeiten hier auf verschiedenen Ebenen, die verschiedene Zielgruppen ansprechen. Die Texte richten

sich in erster Linie an ein geologisch vorgebildetes Publikum. Die von uns produzierten, über den YouTubeKanal „OutcropWizard“ abrufbaren Videos richten sich vor allem an geologische Laien. Eine im Schulunterricht didaktisch sinnvolle Methode zur Vermittlung geologischer Kenntnisse sind Exkursionen. In Deutschland gibt es von den Alpen im Süden bis zu den Stränden von Nord- und Ostsee eine Vielzahl von Landschaftsräumen. Genauso abwechslungsreich und spannend ist die Geologie dieser verschiedenen Landschaften. Sichtbar wird der Untergrund, also die Geologie, jedoch nur selten. Jene besonderen Orte, an denen ein Blick auf den geologischen Aufbau möglich ist, sind bei Geowissenschaftlern als Aufschlüsse bekannt. Diese können entweder natürlich entstanden sein, wie z. B. schroffe Bergkämme, Felswände oder auch Uferböschungen an Gewässern. Alternativ handelt es sich um anthropogene Strukturen wie Steinbrüche oder auch Straßenanschnitte. Solche Orte bleiben allerdings Ausnahmen, denn die klimatischen Bedingungen in Deutschland führen dazu, dass es in der Regel Bodenbildung und eine geschlossene Vegetationsdecke gibt und die Gesteine somit nicht direkt zu beobachten sind. Die schönsten und wissenschaftlich bedeutendsten Aufschlüsse sind daher als wertvolle Bestandteile unserer Landschaft geschützt und werden als Geotope gepflegt und erhalten. Jeder Aufschluss erzählt dem Betrachter seine Entstehungsgeschichte, man muss sie nur ablesen können. Im

273

10.6  •  #Geologie-einfach-digital

..Abb. 10.23  Die Smartphone-App „OutcropWizard“ ist selbsterklärend in der Anwendung und kostenfrei

Studium der Geologie erlangen Studierende Kenntnisse verschiedener Entstehungsmechanismen von Gesteinen und Mineralen und können sich so diese Geschichten erschließen. Auch für Nichtgeologen sind solche Aufschlüsse interessant und bieten Einblicke, wie unser Planet Erde funktioniert. Deshalb werden immer mehr Punkte touristisch erschlossen, z. B. durch Georouten in Geoparks. Dort gibt es auch Angebote für Kinder. Mit digitalen Wegen der Wissensvermittlung ist es möglich, Informationen spielerisch zu vermitteln. Der Zugang zu Informationen über digitale Medien ist für Kinder und Jugendliche selbstverständlich und wird von ihnen vorausgesetzt. 10.6.1 Die

Smartphone-App „OutcropWizard“

Smartphones sind heute der primäre Zugang zu Informationen. Diese Aussage trifft insbesondere auf junge Menschen zu, die als Digital Natives natürlicherweise erwarten, dass alle erdenklichen Informationen über das Smartphone abrufbar sind. Mobiles flächendeckendes Internet ist mittlerweile in Deutschland weitestgehend vorhanden. Es ist zu erwarten, dass in naher Zukunft auch in entlegeneren Gebieten Mobilnetzabdeckung besteht. Allerdings wird sich auch in Zukunft nichts daran ändern, dass Netze im Wesentlichen aus Löchern bestehen, Verbindungen gibt es lediglich an den Knoten. Deshalb werden auch in Zukunft Angebote von OfflineDarstellungen und -Diensten wichtig bleiben. Mit der Smartphone-App „OutcropWizard“ wurde ein einfacher digitaler Zugang zu geologischen Fachinformationen geschaffen (. Abb. 10.23). Die Informationen zu Aufschlüssen und geowissenschaftlich relevanten Punkten liegen in einer Datenbank und sind für die interessierten User durch die App zugänglich. Zu diesen Informationen zählen neben der Ver-

ortung und Beschreibung auch Anschauungsmaterial in Form von Fotos, Skizzen, Videos und 3D-Modellen. Die Darstellung dieser raumbezogenen Daten über mobile Kartenanwendungen ist nicht nur naheliegend, sondern auch einfach in der Anwendung. Ein entscheidender Vorteil von Smartphones ist die integrierte Positionsbestimmung. Die Navigationsfunktion der zugrunde liegenden Kartenanwendungen erlaubt das einfache Auffinden der jeweiligen Punkte. Weitere Vorteile von Smartphones sind gerade bei jungen Menschen der spielerische Umgang, wie er z. B. durch Geocaching bekannt ist. Des Weiteren können Informationen mit Ortsbezug (neue Aufschlüsse, Fotos, Kommentare etc.) auch einfach durch die User digital aufgenommen werden. Somit ist, ähnlich wie bei Wikipedia, ein Crowdsourcing-Ansatz möglich. Die sich daraus ergebende Interaktivität und Multimedialität steht im Gegensatz zu klassischen, statischen Methoden der Wissensvermittlung wie Büchern, Broschüren oder Informationstafeln. Durch eine Besucherbefragung im Geopark Ruhrgebiet ist deutlich geworden, dass digitale Medien zu einer Erweiterung der Zielgruppen beitragen (Kroschel, 2018). Die App „OutcropWizard“ wurde mit dem digitalen Lehrpreis der Uni Bonn und der RWTH Aachen ausgezeichnet. Des Weiteren wurde das Projekt „OutcropWizard“ im Rahmen des Stifterverband-Wettbewerbs „MINTdigital“ ausgezeichnet. 10.6.2

Das Projekt „30 Geotope3“

Die Dokumentation von Aufschlüssen wird traditionell mit relativ einfachen Methoden durchgeführt. Viel mehr als einen Hammer, eine Lupe und ein Feldbuch werden nicht benötigt. Aufschlussskizzen dienen der grafischen Dokumentation, unterstützt von Fotos. Neben den traditionellen gibt es heute aber auch moderne Möglichkeiten: Zur dreidimensionalen digitalen Erfassung geologischer

10

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.24  Von den Aufschlüssen werden Fotos aus jedem Blickwinkel und mit einer Überlappung von 50–80 % aufgenommen

10 Objekte hat sich in den letzten Jahren eine Reihe von Methoden etabliert. Bei der drohnengestützten Photogrammetrie wird eine Vielzahl von Fotos zu einem 3D-Modell verrechnet. Zunächst wird mit einer Kamera oder Drohne ein Bilddatensatz des Modells erfasst. Hierbei ist es vor allem bei freistehenden Objekten wichtig, ein Foto aus jedem Blickwinkel und die einzelnen Fotos mit einer Überlappung von 50–80 % zu schießen. Dieser Bilddatensatz kann dann in entsprechender Software weiterverarbeitet werden (. Abb. 10.25). Dafür müssen einige technische Eckdaten der Kamera bekannt sein, z. B.  Größe des Sensors und Brennweite der Aufnahme. Solche Daten sind bei modernen Digitalkameras bereits in den Metadaten abgelegt. Mithilfe dieser Metadaten kann über die Software nun ein zweidimensionales Koordinatensystem pro Bild berechnet werden. Über einen Rückwärtsschnitt werden die Bilder im lokalen Koordinatensystem dreidimensional verortet. Wenn der Bilddatensatz mithilfe eines Differenzial-GPS georeferenziert wird, kann das Modell zudem millimetergenau geographisch verortet werden. Darüber hinaus werden auf jedem Bild Passpunkte definiert, die auch auf weiteren Bildern auftreten (s.  oben „Überlappung“). Die resultierende Passpunktwolke wird anschließend verdichtet, und man erhält eine Punktwolke. Solche Punktwolken können ebenfalls mit terrestrischen Laserscannern (LiDAR) erzeugt werden. Aus der Punktwolke kann wiederum ein 3D-Netz trianguliert werden. Auf die-

ses kann, nach optionalen Bereinigungsschritten, nun noch eine Textur aus den Bildpixeln projiziert werden (. Abb. 10.24). Anlässlich des 175-jährigen Bestehens der Deutschen Geologischen Gesellschaft – Geologischen Vereinigung (DGGV) im Jahr 2023 werden auf einer Website (7 www. digitalgeology.de; DGGV, 2022b) die 30 schönsten Geotope Deutschlands in 3D präsentiert. Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftler aus der gesamten Bundesrepublik erklären die Geologie und Entstehungsgeschichte dieser besonderen Orte und zeigen, wie heutzutage mit modernsten Methoden gearbeitet wird. Die Sammlung an 3D-Geotopen wächst beständig. Jeden Monat wird ein neues präsentiert. Das Projekt bindet dabei viele geowissenschaftliche Institutionen wie Geoparks, geologische Landesämter und Hochschulen ein und ist damit standortübergreifend. Die hochauflösenden Modelle der einzelnen Aufschlüsse wie z. B. der Teufelstisch in der Pfalz, ein Stollensystem aus dem Silberbergbau in Freiberg und die Kreidefelsen auf Rügen, sind öffentlich auf der Webseite 7 v3geo.com der Virtual Outcrop Geology Group (VOG Group, o. D.) zugänglich. Für den Schulunterricht sind diese besonders interessant, weil sie den reinen Aufschluss ohne weitere Informationen bieten. Den Schülerinnen und Schülern kann der Link bereitgestellt werden, und sie können aus ihren eigenen Beobachtungen Schlussfolgerungen ziehen. Gemeinsam kann dann im Unterricht der geologische Entstehungsprozess erarbeitet und vermittelt werden.

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10.7  •  Plattform „Geowissenschaften in der Schule“ (GeoWidS)

10.7

Plattform „Geowissenschaften in der Schule“ (GeoWidS)

Tamara Fahry-Seelig

Der 2015 von den Fachgesellschaften aus Geologie, Geophysik, Mineralogie und Paläontologie gegründete Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo) verfolgt u. a. gemäß seiner Satzung das Ziel, die geowissenschaftliche Ausbildung an Schulen mitzugestalten und zu fördern. Auf dieser Basis wurde 2022 eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel gegründet, die Aktivitäten seiner Trägergesellschaften zu bündeln und für einen regen Austausch zu sorgen. Unterstützt wird die Arbeitsgruppe dabei von weiteren Mitgliedern, die sich abseits der Verbände mit dieser Thematik beschäftigen. Aus dieser Gruppierung heraus entstand der Auftrag, geowissenschaftliche Schulmaterialien, die bereits vorhanden sind, zu sammeln und verlinkt über ein Portal verfügbar zu machen. GeoWidS („Geowissenschaften in der Schule“) ist seit September 2022 online und erreichbar über 7 geowissenschaften-unterrichtsmaterial.de. Hierüber können Lehrkräfte – in der Regel frei verfügbare – Materialien von wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Verbänden, Landes- und Bundesbehörden sowie der Wissenschaft und weiteren finden. Unterteilt sind sie nach Fachthemen, außerschulischen Lernorten sowie Unterstützung (z. B. Mentoring-Programmen oder Einladung von Expertinnen und Experten). Natürlich darf hier auch ein Hinweis auf die International Earth Science Olympiad (IESO) nicht fehlen – zu finden unter dem Menüpunkt „Wettbewerbe“ (7 Kap. 9). Neben didaktisch aufbereiteten Materialien für den Schulunterricht sind auch Videos, Kartenmaterial, Ideen für Experimente und Wissensposter verlinkt. Die Fachthemen versuchen die ganze Breite der Geowissenschaften abzudecken und auch aktuelle Themen, wie z. B. die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle oder das Anthropozän, abzudecken (. Abb. 10.26).

..Abb. 10.25  Schematische Darstellung der Arbeitsschritte zur Erstellung eines 3D-Modells mit den Methoden der Photogrammetrie und des Laserscannings für das Projekt „30  Geotope³“. Gerundetes Rechteck: Methodik, Rechteck: Datensatz, Raute: Arbeitsschritt

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Kapitel 10  •  Unterstützungsmaßnahmen von der Wissenschaft für die Schule – didaktische Brücke

..Abb. 10.26  Screenshot der Plattform GeoWidS

Literatur

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DGGV (Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung) (2022a). Das System Erde: Videoreihe. https://www.dggv. de/das-system-erde/. Zugegriffen: 25. Aug. 2022. DGGV (Deutsche Geologische Gesellschaft – Geologische Vereinigung) (2022b). Digital Geology: Deutschlands schönste Geotope in 3D. https://digitalgeology.de/. Zugegriffen: 25. Aug. 2022. DLR Projektträger (2022). Forschungsbörse. DLR Projektträger. https://forschungsboerse.de/. Zugegriffen: 25. Aug. 2022. DMG (Deutsche Mineralogische Gesellschaft) (2022). Der mineralogische Lehrkoffer: Sehen – Staunen – Anfassen – Experimentieren – Verstehen: Der Mileko als Brücke zwischen Natur, Naturwissenschaft und Technik. https://www.dmg-home.org/mineralogie/mineralogischer-lehrkoffer/der-lehrkoffer/. Zugegriffen: 25. Aug. 2022. DVGeo (Dachverband der Geowissenschaften) (2022). Geowissenschaftliche Themen im Unterricht. Webseite mit Schulmaterialien aus dem Bereich Geowissenschaften für alle Altersstufen. https://www.geowissenschaften-unterrichtsmaterial.de/. Zugegriffen: 25. Aug. 2022. Geldmacher, J., Hlawatsch, S., & Neumann, F. (2020). Sending scientists into classrooms: The online platform „Forschungsbörse“ linking schools with active research scientists. GeoUtrecht. https://www.dggv. de/e-publikationen/sending-scientists-into-classrooms-the-onlineplatform-forschungsboerse-linking-schools-with-active-researchscientists/ (Erstellt: 24. Aug. 2020). Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Kasang, D. (o. D.a). Bildungswiki „Klimawandel“. https://wiki.bildungsserver.de/klimawandel/. Zugegriffen: 15. Aug. 2022. Kasang, D. (o. D.b). Hamburger Bildungsserver: Klimawandel und Klimafolgen. Hamburger Bildungsserver. https://bildungsserver. hamburg.de/klimawandel/. Zugegriffen: 15. Aug. 2022. Kroschel, S. (2018). Geotourismus und Umweltbildung im Geopark Ruhrgebiet: Zielgruppenerweiterung durch Digitale Medien. Universität Bonn, Steinmann-Institut. Bachelorthesis Lozán, J. L., Breckle, S.-W., Graßl, H., & Kasang, D. (o. D.). Warnsignal Klima. https://www.klima-warnsignale.uni-hamburg.de/. Zugegriffen: 15. Aug. 2022. Muir, R. J. (2015). Digital field mapping – Making the change from paper to touchscreen technology. Geology Today, 31(6), 232–236. VOG Group (Virtual Outcrop Geology Group) (Hrsg.). (o. D.). Virtual 3D geoscience: capturing the world’s significant outcrops and field localities. NORCE Norwegian research centre in Bergen, Norway, and the university of Aberdeen, Scotland, UK. https://v3geo.com. Zugegriffen: 25. Aug. 2022.

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Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor Ingrid Hemmer, Tobias Fischer, Mariam El Hourani, Marie-Luise Frey, Chriostine Hogefeld, Pascal Schmitz, Klaudia Wolf, Gilla Simon, Andrea Koch-Hillmaier, Dorothée Kleinschrot, Kristina Riemenschneider, Sven Hille, Joachim Dengg, Marion Kanwischer, Una Reck, Sylke Hlawatsch, Barbara Hentzsch, Kristin Beck

Inhaltsverzeichnis 11.1

Lernort Natur – 278

11.2

Lernort Museum – 297

11.3

Lernort Schülerlabor – Forschung erleben  –  310 Literatur – 322

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_11

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

Zusammenfassung Außerschulische Lernorte wie Themenpfade, Geoparks, Weltkulturerbestätten, Museen und Schülerlabore an geowissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sind von essenzieller Bedeutung für die Kommunikation geowissenschaftlicher Wissensbestände hinein in die Schulen und an die Öffentlichkeit. Das vorliegende Kapitel zeigt die Vielfalt der Angebote. An der Vermittlung interessierten Geowissenschaftlerinnen und Geowissenschaftlern können die Beschreibungen der Vermittlungsansätze als Anregung für eigene Projekte dienen. Lehrkräfte erhalten einen Überblick über außerschulische Lernorte, die sie mit ihren Lerngruppen aufsuchen können, und erfahren, was sie dort erwarten wird.

11.1 Lernort

Natur

11.1.1 Didaktisch-methodische

Anregungen zur Gestaltung eines Themenweges

Ingrid Hemmer

11

Themenwege bzw. Lehrpfade sind sehr weit verbreitet. Man findet sie praktisch in jedem Geopark, Naturpark, Nationalpark, aber auch in Kommunen und Landkreisen in verschiedenen Natur- und Kulturräumen, wie z. B. Wald, Moor, Gebirge, und mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Sie werden gern genutzt, um Besuchende mit den Eigenarten der Natur- und Kulturräume vor Ort vertraut zu machen. Zuweilen sind sie neben Führungen und Ausstellungen in Bildungskonzepte eingebettet. Die für die Themenwege verantwortlichen Akteurinnen und Akteure trifft die Aufgabe, einen solchen Weg zu gestalten, häufig unvorbereitet. Sie sind meist fachlich mit dem Raum vertraut, aber in vielen Fällen nicht didaktisch qualifiziert. Dies führt dann nicht selten zu einer fachlichen Überfrachtung der Stationen eines Themenweges und einem schnell nachlassenden Interesse der Besuchenden. Wie kann man dem vorbeugen? Die folgenden Ausführungen möchten dazu beitragen, Praxisakteurinnen und -akteure bei der didaktisch-methodischen Gestaltung eines Themenweges zu unterstützen und ihnen eine Kriterienliste an die Hand zu geben, die gleichermaßen für die Erstellung und Evaluation geeignet ist. 11.1.1.1

Welche Erkenntnisse der Lehr-Lernforschung können bei der Gestaltung von Themenwegen helfen?

Sowohl im Schulunterricht als auch bei den Themenwegen geht es darum, ausgewählte Inhalte fachlich richtig, didaktisch reduziert, ziel- und adressatengemäß methodisch angemessen darzustellen. Allgemeine Didaktik und

Fachdidaktiken gelangten hier zu Erkenntnissen, indem sie Modelle konzipierten, aus denen fundierte Kriterien zu entwickeln sind, die über das bloße Wiedergeben von Erfahrungen deutlich hinausgehen. Zwei Modelle erscheinen im Kontext der Fragestellung besonders geeignet: das Angebot-Nutzungs-Modell (Helmke, 2007; Seidel, 2014) sowie das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (Kattmann et al., 1997).

Das Angebot-Nutzungs-Modell Das Angebot-Nutzungs-Modell (. Abb. 11.1) ist ein derzeit sehr häufig verwendetes Modell. Es besagt im Kern, dass Unterricht ein Angebot an Schülerinnen und Schüler darstellt, das nur dann zum Lernerfolg führt, wenn es auch wahrgenommen und genutzt wird. Die individuellen Lernaktivitäten der Lernenden bestimmen somit die Lernerfolge bzw. die Wirkungen (Stangl, 2021). Das Modell macht sehr deutlich, dass das eigentliche Bildungsangebot (hier: Themenweg) nur einen Teilbereich des komplexen Zusammenhanges darstellt. Als Gestaltende von solchen Wegen schlüpft man in die Rolle der Lehrperson. Mangels Informationen über Kontext und Familie sollen sich die folgenden Ausführungen auf die Bereiche Lernpotenzial der Besuchenden und das Angebot konzentrieren.

Lernpotenzial zz Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion

Beim Lernpotenzial setzt das Modell der Didaktischen Rekonstruktion (. Abb. 11.2, 7 Kap. 2) an, das eine Weiterführung der didaktischen Analyse von Klafki (1957) darstellt. Es fokussiert auf das Bildungsangebot, hier didaktische Strukturierung genannt, und macht deutlich, dass zur Gestaltung eines guten Bildungsangebotes auf der einen Seite Fachwissen und fachdidaktisches Wissen zur fachlichen Klärung und auf der anderen Seite Wissen über das Lernpotenzial, vor allem die Perspektiven der Schülerinnen und Schüler (Alltagsvorstellungen, Interessen), erforderlich ist. Auf Lehrpfade übersetzt heißt das: Um die Gegenstände vermittelbar zu machen, muss aus Sicht der didaktischen Rekonstruktion an das Alltagswissen und die Interessen der Besuchenden als Lernvoraussetzungen angeknüpft werden. Um die Vorstellungen der Lernenden für das fachliche Lernen und die Konstruktion von Unterricht zu nutzen, bedarf es daher des systematischen InBeziehung-Setzens von lebensweltlichen Vorstellungen und fachlich geklärten Vorstellungen. Dabei sollen fachliches Wissen sowie Alltagswissen gleichrangig zum Ausgangspunkt der Gestaltung gemacht werden. Damit schließt das Modell an die Grundideen des Konstruktivismus an. Die didaktische Rekonstruktion beschäftigt sich zunächst mit zwei Fragen:

279

11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.1  Angebots-Nutzungs-Modell. (Stark vereinfacht nach Helmke, 2007, S. 65)

1. Welches ist die fachliche Grundstruktur des Inhaltes, der auf dem Themenweg vermittelt werden soll? Der fachliche Inhalt wird bei der fachlichen Klärung aus der didaktischen Perspektive auf seine elementaren Strukturen analysiert. Die Planung der Sachstruktur für das Bildungsangebot kann jedoch keineswegs allein durch Vereinfachung gekennzeichnet werden. Vielmehr gilt es, auch Bezüge zur Lebenswelt herzustellen. Die Frage nach der fachlichen Grundstruktur ist natürlich für jedes Thema einzeln zu klären. Häufig lässt sich ein Thema wie folgt strukturieren: Phänomen, wie es heute im Raum zu sehen ist, Gründe bzw. Entstehung samt Einflussfaktoren, Auswirkungen auf den Raum. 2. Welches sind die wichtigsten Elemente der Interessen und Alltagvorstellungen von Besuchenden, die beim Themenweg berücksichtigt werden sollten? Auch die Beantwortung dieser Frage ist vom jeweiligen Thema abhängig. Allerdings gibt es inzwischen grundlegende internationale Forschungsergebnisse, die hilfreich sind.

..Abb. 11.2  Modell der Didaktischen Rekonstruktion. (Vereinfacht nach Kattmann et al., 1997, S. 4)

zz Interesse an geowissenschaftlichen Themen

Bezüglich der Interessen (7 Kap. 5) an geowissenschaftlichen Themen ermittelten Bayrhuber et al. (2002) bei Jugendlichen unter elf geowissenschaftlichen Themengebieten generell ein mittleres Interesse. Am wenigsten interessierten sich die Probanden für die Themengebiete

„Gesteine“ und „Mineralien“, „Kohlenstoffkreislauf“ und „Boden“. Das höchste Interesse fanden die Themengebiete „Erdbeben“, „Klimaänderungen“ und „Meer“. Trends (2005) Ergebnisse in Großbritannien bestätigten

11

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Tab. 11.1  Kriterien für ein gutes Bildungsangebot Faktor

Kriterien Unterricht

Kriterien Themenweg

Lernpotenzial der Zielgruppe

Schülerorientierung

Besucherorientierung

Umgang mit heterogenen Voraussetzungen

Umgang mit heterogenen Voraussetzungen

Ziele/Kompetenzen

Ziel- und Kompetenzorientierung

Ziel- und Kompetenzorientierung

Inhalte

Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit

Strukturiertheit, Klarheit, Verständlichkeit

Methoden/Medien

Angemessene Variation von Methoden

Angemessene Variation von Methoden und Medien

Motivierung, kognitive Aktivierung, Konsolidierung

Motivierung, kognitive Aktivierung, Konsolidierung

Klassenführung, Unterrichtsklima, Zeitnutzung, Wirkungsorientierung



Sonstige

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die von Bayrhuber et al. (2002) insofern, als auch seine Probanden wenig Interesse an Oberflächenformen, geomorphologischen Prozessen und Erdmaterialien hatten. Eine bedeutsame Rolle spielen jedoch die Kontexte, in denen die Themengebiete vermittelt werden. Von acht verschiedenen Kontexten erwiesen sich bei Bayrhuber et al. (2002) bei allen Jugendlichen besonders die Kontexte individuell, gesellschaftlich und soziale Verantwortung als interessesteigernd, bei den Jungen auch der Kontext Wissenschaftsmethode, wobei die Durchführung eigener geowissenschaftlicher Versuche bei den Arbeitsweisen priorisiert wurde. Von Fall zu Fall, z. B. bei Gesteinen und Mineralien, führte auch der Kontext Geschichte der Erde sowie wirtschaftliche Bedeutung zu höherem Interesse. Hemmer und Hemmer (2010) ermittelten in einer weiteren Studie mit Jugendlichen, dass bei Naturrisiken der Inhaltsaspekt „Auswirkungen“, insbesondere auf den Lebensalltag, das höchste Interesse nach sich zog. Trend (2005) stellte fest, dass die Kinder ein Interesse an zukünftigen geowissenschaftlichen Ereignissen hatten, die Einfluss auf ihr eigenes gegenwärtiges und zukünftiges Leben haben. Darüber hinaus hatten sie aber auch ein Interesse an deep time, also an dem, was vor Millionen von Jahren war und wie der Planet Erde entstanden ist, wobei es jedoch ein Problem mit der Vorstellung der geologischen Zeitskala gibt. zz Alltagsvorstellungen von geowissenschaftlichen Phänomenen

Eine wichtige Lernvoraussetzung bilden die Alltagsvorstellungen (7 Kap.  5) von geowissenschaftlichen Phänomenen. In den letzten Jahren sind dazu etliche Forschungsarbeiten, insbesondere in der Geographiedidaktik entstanden, so z. B. zum Planeten Erde, zum Aufbau der Erde, zu Grundwasser, Wasserkreislauf, Plattentektonik, zur Entstehung von Inseln und Bergen, zu Flüssen, Boden, Naturrisiken und Klimawandel. Schubert (2018) hat einen Übersichtsartikel unter dem Blickwinkel des Sachunterrichtes der Grundschule ge-

schrieben. Dabei werden interessante Forschungsergebnisse deutlich. Die Vorstellungen der Kinder zeigten eine große Spannbreite bezüglich der Gestalt der Erde von der Scheibe bis zur Kugel. Grundwasser wird grundsätzlich als statisch und unabhängig vom umgebenden Gestein wahrgenommen. Flüsse werden als mäandrierend, nicht als kanalisiert wahrgenommen, Quellen entstehen durch Druck oder Erdbeben, Gestein wird als hart und wasserundurchlässig bezeichnet, Boden wird als homogene braune Masse ohne Luft und organische Anteile beschrieben. Darüber hinaus gibt es noch Arbeiten, die sich auf andere geowissenschaftliche Phänomene beziehen, die eher Unterrichtsgegenstand in der Sekundarstufe I sind, wie z. B. Gletscher und Eiszeiten (Felzmann, 2014). Der abschließende Schritt der didaktischen Rekonstruktion besteht dann in der entsprechenden Gestaltung des Bildungsangebotes (hier: Themenweg) unter Berücksichtigung sowohl der fachlichen Grundstruktur (Inhalte) als auch des Lernpotenzials, also der Interessen und Vorstellungen der Lernenden (Besuchenden).

Kriterien für ein gutes Bildungsangebot Bei der Ausdifferenzierung des Bildungsangebotes (hier: Themenweg) ist es unabdingbar, neben den Inhalten und dem Lernpotenzial im Rückgriff auf das Modell der Berliner Schule (Heimann et al., 1979) und das Berner Modell (Furrer, 2009) die Faktoren Ziele, Methoden und Medien in die Planung einzubeziehen (. Tab. 11.1). Diese Faktoren spiegeln sich auch wider, wenn man die Kriterien für guten Unterricht betrachtet, die von verschiedenen Autoren (Helmke, 2007; Hattie, 2009; Meyer, 2016) mit weitgehender Übereinstimmung im Rahmen von Review-Studien ermittelt wurden und die sich sowohl für die Planung als auch für die Evaluation eignen. Klieme (2018) fasst die verschiedenen Ansätze zur Unterrichtsqualität in drei Grunddimensionen zusammen: 1. Aufmerksamkeit und Disziplin 2. Motivation und Engagement, Schülerorientierung

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11.1  •  Lernort Natur

3. Lernen und Verstehen, kognitive Aktivierung Die ersten beiden Dimensionen sind selbsterklärend. Die letzte umfasst z. B. die Formulierung von herausfordernden Aufgaben, das Anknüpfen an Erfahrungswelt sowie einen problemlösenden Ansatz. Wichtig ist zu wissen, dass diese Faktoren natürlich nicht unabhängig voneinander sind, sondern interagieren, also Ziele/Kompetenzen sind nicht unabhängig von den Inhalten und von den Voraussetzungen der Lernenden, Methoden und Medien sind wiederum abhängig von den Inhalten und Zielen/Kompetenzen. >>Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)

Spätestens mit der Agenda 2030 und dem Weltaktionsprogramm BNE für 2030 sowie dem Nationalen Aktionsplan BNE 2017 ist deutlich geworden, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in allen Bildungsbereiche strukturell verankert werden soll. Damit sind auch Bildungsangebote des informellen bzw. nonformalen Bildungsbereiches, zu denen Themenwege zuzuordnen sind, daran auszurichten. Nationalparks, Biosphärenreservate und auch Geoparks haben sich inzwischen in ihren Bildungskonzepten weitgehend daran orientiert. Als Modellregionen für nachhaltige Entwicklung arbeiten UNESCO-Geoparks an tragfähigen Zukunftsoptionen für die Landschaft einer Region und greifen globale gesellschaftliche Herausforderungen auf, wie die Endlichkeit natürlicher (vor allem geologischer) Ressourcen und den Klimawandel (DUK, 2020, S. 23). Dabei ist eine Orientierung an den Sustainable Development Goals (SDGs) grundlegend. Im Detail geht es darum, die dargestellten Fachinhalte mehrdimensional entsprechend den Dimensionen der Nachhaltigkeit darzustellen, also auf ökologische, ökonomische sowie soziale Aspekte der Themen einzugehen und lokale Gegebenheiten, wenn möglich, mit globalen Verhältnissen zu vergleichen. Darüber hinaus sind Prinzipien wie Zukunftsorientierung, Mehrperspektivität und Alltagsorientierung wichtige Kriterien. Gut ausgearbeitet ist z. B. das Positionspapier BNE in Biosphärenreservaten (UNESCO & MAB, 2014). BNE erhebt den Anspruch der Partizipation bzw. Teilhabe. Hier überschneiden sich die Anforderungen von BNE und Inklusion. Möchte man in den Anspruch der Teilhabe auch Menschen mit Förderbedarf einbeziehen, dann sind entsprechende Vorüberlegungen unumgänglich. Diese umfassen Aspekte wie Weglänge und Wegbeschaffenheit, aber auch leichte Sprache oder das Lernen mit allen Sinnen. Nähere Informationen zu BNE in der geowissenschaftlichen Bildung findet man in 7 Abschn. 4.2.

11.1.1.2

Welche Kriterien ergeben sich aus der Lehr-Lernforschung und dem Konzept einer BNE für die Konzeption von Themenwegen?

Aus diesen theoretischen Grundlagen und Forschungsergebnissen lassen sich didaktische, also inhaltliche, und methodische Kriterien ableiten, die sowohl für die Konzeption (vgl. Hemmer et al., 2010; Hemmer & Loreth, 2011) als auch für die Evaluation von Themenwegen genommen werden können (vgl. auch Eder & Arnberger, 2007).

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Überlegungen im Vorfeld Übergeordnetes Ziel, Inhalt/Thema und Raum des gesamten Themenweges festlegen Weglänge und -beschaffenheit, Raumausnutzung prüfen

Besucherpotenzial Zielgruppe analysieren, heterogene Voraussetzungen feststellen Interessen und Vorwissen/Vorstellungen der Besuchenden einschätzen

Ziele/Kompetenzen Teilziele in Abstimmung mit den Inhalten formulieren Förderung von fachlichen Teilkompetenzen reflektieren Förderung von BNE-Teilkompetenzen prüfen

Inhalte Inhaltliche/fachliche Grundstruktur ermitteln: roter Faden für den gesamten Pfad Inhaltsaspekte bzw. Teilinhalte fach- und besuchergemäß für die einzelnen Tafeln sinnvoll auswählen und strukturieren Bezüge zu Aspekten des Lebensalltags herstellen Sachliche Richtigkeit und Aktualität gewährleisten BNE-Orientierung einbringen (ökologische, ökonomische und soziale sowie lokale und globale Aspekte der jeweiligen Inhalte thematisieren; Zukunftsorientierung); bezogen auf den ganzen Pfad, es wird nicht alles auf jeder Tafel möglich sein

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Methoden Problemlösende und motivierende Darstellung wählen, z. B. durch einleitende Fragen Übereinstimmung zwischen Tafelinhalt und dem, was im Raum zu sehen ist, herstellen Besucheraktivierende Elemente integrieren Fachsprache sparsam verwenden, ggf. erklären

Medien Ziel-, themen-, besucher- sowie BNE-orientiert auswählen und anwenden Motivierend und sinnvoll variieren

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

Mehrperspektivische Auswahl treffen, z. B. zwei Bilder aus zwei Perspektiven Grafische Gestaltung (Design, Corporate Identity) festlegen

Infrastruktur und Wegleitung Über diese o. g. Kriterien hinaus sind die Infrastruktur (entlang des Weges, Spielplätze, Toiletten etc.) sowie die innere und äußere Wegleitung einzubeziehen (vgl. Megerle, 2003; Eder & Arnberger, 2007): Standort, Wegleitung und Infrastruktur – Standort insgesamt und der einzelnen Schautafeln analysieren und optimieren – Innere Wegleitung (von Modul zu Modul bzw. Tafel zu Tafel) integrieren – Äußere Wegleitung (Fahnen, Plakate, Schilder) herstellen – Infrastrukturelle Ausstattung (Spielplätze, Toiletten, Imbisse) prüfen – Zustand des Weges prüfen – Erreichbarkeit von Personal prüfen Einbettung und Vernetzung – Infomaterial und Begleitmaterialien verfügbar machen – Einbettung des Themenweges (Vor- und Nachbereitung) konzipieren – Vernetzung mit anderen Angeboten herstellen

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Die Reihenfolge der Schritte ist sinnvoll, aber nicht zwingend, denn es bestehen, wie bereits oben erwähnt, deutliche Interaktionen zwischen den verschiedenen Bereichen, insbesondere bei den Faktoren Ziele, Inhalte, Methoden und Medien. 11.1.1.3

Praxisbeispiel Themenweg „Zurück zur Natur“

Natürliche Auwälder verfügen über eine sehr hohe Biodiversität und haben gleichzeitig eine sehr wichtige Funktion im Rahmen des natürlichen Hochwasserschutzes. Nur 1 % der heutigen Auen wird nach dem „Auenzustandsbericht 2021“ als sehr gering und 8 % werden als gering verändert eingestuft (BMU & BfN, 2021). Die anderen Auwälder haben durch Flussregulierung ihre Verbindung zum Fluss und ihre Dynamik und damit auch ihre Biodiversität verloren. Durch Redynamisierungsprojekte, wie z. B. das entlang der Donau zwischen Neuburg und Ingolstadt, versucht man, den Auenwald wieder zu dynamisieren, indem man ihn durch ökologische Flutungen und Umgehungsgewässer wieder mit dem Fluss in Verbindung bringt. Durch diese Maßnahmen gelingt es, die Artenvielfalt zu erhalten bzw. wieder zu erhöhen. Gleichzeitig kann dieser Auwald bei Hochwasserspitzen als Retentionsraum genutzt werden. Die für diese Maßnahmen erforderlichen technischen Bauwerke sind für Spaziergänger zunächst einmal auffällig, wenn nicht gar störend. Der Themenweg dient

zum einen dazu, die Öffentlichkeit für die Themen „Biodiversitätsverlust“ und „Hochwasser“ zu sensibilisieren und zum anderen den Sinn der technischen Maßnahmen in der Landschaft zu erläutern. Er greift also wesentliche gesellschaftliche Herausforderungen auf und erläutert Lösungsansätze. Der Auenweg „Zurück zur Natur“ ist der zweite von mehreren Themenwegen (Auenweg 2) in der Umgebung des Auenzentrums Neuburg/Ingolstadt im Schloss Grünau (. Abb. 11.3). Das Auenzentrum besteht aus drei Einheiten: dem Auenforum, dem wissenschaftlichen Aueninstitut, welches gemeinsam mit den Wasserwirtschafts- und Naturschutzbehörden das Redynamisierungsprojekt durchführt, und dem Aueninformationszentrum (AIZ). Der Themenweg ist eingebettet in das Bildungskonzept des AIZ, das nebst weiteren Themenwegen noch Führungen und eine Ausstellung umfasst. Flyer und Kurzdarstellung Themenweg „Zurück zur Natur“

Für jeden Themenweg gibt es einen Flyer und eine Kurzdarstellung im Internet. Diese ist auch auf der App „Donauerleben“ herunterzuladen. Die Besuchenden erhalten damit einen Überblick über den Themenweg. 7  https://www.auenzentrum-neuburg-ingolstadt. de/aueninformationszentrum/themenwege/index. html

Im Folgenden wird anhand des gesamten Auenweges 2, der von der Autorin gemeinsam mit Peter Loreth konzipiert wurde, aufgezeigt, inwiefern die o. g. Kriterien bei der Gestaltung angewendet wurden. Anschließend wird exemplarisch an der ersten Thementafel des Weges das Vorgehen nochmals im Detail deutlich.

Überlegungen im Vorfeld Die Länge des Auenweges 2 „Zurück zur Natur“ beträgt ca. 7,5 km (. Abb. 11.3). Er wird auf einem bereits vorhandenen Weg, der entlang der Donau führt, angelegt. Die übergeordneten Ziele sind es, für die hohe Biodiversität eines natürlichen Auenwaldes zu sensibilisieren und über das Redynamisierungsprojekt zu informieren. Übergeordnetes Thema ist die Redynamisierung des Auwaldes zwischen Neuburg und Ingolstadt.

Besucherpotenzial Zielgruppe des Themenweges ist die breite Öffentlichkeit. Daraus leiteten sich keine besonderen Konsequenzen ab. Eine zusätzliche, besonders einfache Darstellung für Kinder wurde aus Kostengründen verworfen. Im Vorfeld der Konzeption der Ausstellung im Schloss sowie der Themenwege wurden zwei Studien durchgeführt: eine im Rahmen eines Projektseminars über das Interesse an Ausstellungsthemen und deren

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11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.3  Übersichtskarte zum Auenweg 2 „Zurück zur Natur“. (Grafik: C. Pietsch; Auenzentrum Neuburg-Ingolstadt)

Präsentationen und eine zweite im Zuge einer Masterarbeit über Alltagsvorstellungen von Schülerinnen und Schülern zum Auwald und zur Biodiversität des Auwaldes (Altmann, 2012). Die erste Studie ergab z. B. ein sehr hohes Interesse für das Thema „Hochwasser“ und eine Unkenntnis des lokalen Dynamisierungsprojektes. Die zweite Studie zeigte, dass die Jugendlichen das Besondere eines Auwaldes und der angrenzenden Auen nicht kannten, einen sehr eingeschränkten Begriff von Biodiversität hatten und eine hohe Biodiversität sowie eine Gefährdung derselben in weiter Ferne vermuteten, aber nicht in Deutschland. Weitere vorliegende Studien zu Vorstellungen von Flüssen ergaben ebenfalls einige sachlich nichtzutreffende Vorstellungen. So vermuten Kinder und Jugendliche, dass der Fluss vom Meer ins Landesinnere fließt, am Ende des Flusses eine Mauer ist und das Fließen durch den Wind entsteht. Die Ursache von Hochwasser wird ausschließlich in der Schneeschmelze vermutet und der Fluss eher als Badewanne aufgefasst, die überläuft – ein Zusammenhang zwischen Fluss und Umgebung wird nicht realisiert. Diese Ergebnisse trugen bereits dazu bei, das übergeordnete Ziel und Thema in dieser Form zu formulieren, zeigten aber auch die Notwendigkeit von Darstellungen, welche die Dynamik zwischen Fluss und Auwald und innerhalb des Auwaldes abhängig von der Bewegung des Grundwasserspiegels deutlich machen.

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Beschreiben können, welche technischen Maßnahmen zur Dynamisierung erforderlich sind Beschreiben können, wie das Dynamisierungsprojekt wissenschaftlich begleitet wird

Bei der Konzeption wurde darauf geachtet, insbesondere Systemkompetenz (Fluss–Auwald) zu fördern, eine Kompetenz, die sowohl fachlich (Geographie/Biologie) als auch aus Sicht einer BNE wichtig ist.

Inhalte Das Redynamisierungsprojekt bildet den roten Faden dieses Themenweges. Die Sachstruktur lässt sich wie folgt aufzeigen: Gründe für das Projekt Das Phänomen Projekt mit seinen Maßnahmen Mögliche Auswirkungen des Projektes

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Ziele/Kompetenzen

Der Themenweg wurde entsprechend der Teilinhalte mit fünf Tafeln konzipiert: 1. Was ist eine Aue? (Gründe) 2. Warum werden im Auwald ökologische Flutungen durchgeführt? (Projekt, Maßnahmen) 3. Warum wurde hier ein Umgehungsgewässer gebaut? (Maßnahmen) 4. Welche technischen Maßnahmen sind zur Dynamisierung erforderlich gewesen? (Maßnahmen) 5. Wie wird das Dynamisierungsprojekt begleitet? (Auswirkungen)

Die Teilziele wurden in Abhängigkeit von den Teilinhalten formuliert: Die Kennzeichen einer Aue erläutern können Begründen können, warum im Auwald ökologische Flutungen durchgeführt werden Erklären können, warum hier ein Umgehungsgewässer gebaut wurde

Aufgrund der o. g. Alltagsvorstellungen entschied man sich zunächst, den Auwald mit seinen Besonderheiten darzustellen, um aufzuzeigen, warum ein solches Projekt sinnvoll ist (Tafel 1). Das Dynamisierungsprojekt als solches besteht fachlich aus den beiden großen Maßnahmen ökologische Flu-

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11

284

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.4  Tafel 1 des Themenweges „Zurück zur Natur“. (Grafik: C. Pietsch; Auenzentrum Neuburg-Ingolstadt)

11

tung sowie Umgehungsgewässer. Um diese Maßnahmen durchführen zu können, sind technische Bauwerke erforderlich. Diese zwei Elemente werden von Tafel 2 bis 4 übernommen. Tafel 4 stellt gleichzeitig eine Sicherung des komplexen Projektes da, weil bei der Erläuterung der technischen Bauwerke die beiden Maßnahmen nochmals angesprochen werden. Tafel 5 widmet sich der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes, die sich auf die Auswirkungen des Projektes auf Fauna, Flora, Wasserhaushalt und Oberflächenformen richtet. Sie greift somit ein durchaus vorhandenes Interesse an geographischer und naturwissenschaftlicher Forschung auf (s. o.) und leitet bedingt durch seinen Standort vor dem Gebäude des Auenzentrums direkt über zur dortigen Ausstellung sowie der im Aueninstitut betriebenen Forschung.

Methode Alle fünf Tafeln wurden durch Fragen eingeleitet (Problemorientierung, kognitive Aktivierung). Fachsprache wurde sparsam verwendet und erläutert. Die Tafeln sind jeweils so platziert, dass die auf den Tafeln dargestellten Teilinhalte vor Ort zu sehen sind.

Medien Es wurde ein Corporate Design für alle Themenwege und alle Thementafeln verwendet. Die Tafeln selbst sind in einem einheitlichen Design gestaltet (. Abb. 11.4). Texte, Abbildungen und Fotos führen zu einer Variation und zu einer Anschaulichkeit der komplexen Sachverhalte.

Infrastruktur und Wegleitung Zum Zwecke der inneren Wegleitung wurden auf jeder Thementafel eine kleine Übersichtsskizze über den

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11.1  •  Lernort Natur

ganzen Themenweg mit Markierung des jeweils aktuellen Standortes sowie der Name des Themenweges angebracht. Eine äußere Wegleitung erfolgt durch Hinweise und Flyer im Auenzentrum. Dort befinden sich auch Toiletten.

Einbettung Der Themenweg ist in das Bildungskonzept des Auenzentrums eingebunden. Der Flyer bzw. Informationen zum Themenweg sind dort und im Internet erhältlich. Die Ausstellung im Auenzentrum ergänzt den Themenweg, insbesondere zu den Bereichen Ökologie des Auwaldes sowie Hochwasser.

Gestaltung von Tafel 1 des Themenweges „Zurück zur Natur“ Am Beispiel von Tafel 1 (. Abb. 11.4) des Themenweges soll aufgezeigt werden, inwiefern die o. g. Kriterien im Detail berücksichtigt wurden. Die Tafel beginnt mit der Frage „Was ist eine Aue?“. Diese löst eine kognitive Aktivierung und die Motivation, eine Antwort zu finden, aus. Sie entspricht dem Kriterium der Problemorientierung bzw. -lösung. Den gleichen Zweck erfüllt die zweite Frage auf der Mitte der Tafel: „Wie veränderte der Mensch die Aue?“ Die Tafel versucht, in aller Kürze die fachliche Grundlegung dafür zu leisten, wesentliche Grundzüge einer Aue darzustellen sowie den Eingriff des Menschen, die Flussregulierung, die wiederum nicht nur Vorteile hatte, sondern auch Nachteile, und damit den Sinn einer Renaturierung bzw. Dynamisierung der Aue. Der klein geschriebene Text rechts oben macht den Zusammenhang zum Redynamisierungsprojekt deutlich. Der Text umfasst vier Textblöcke, zwei Abbildungen und zwei Fotos. Der erste Textblock oben auf der Tafel vermittelt das wesentliche Charakteristikum einer Aue: die systemische Wechselwirkung zwischen dem Fluss. Wie die Studien zur Alltagsvorstellung zeigten, muss man davon ausgehen, dass gerade dieses Merkmal – der Zusammenhang zwischen Fluss und Umgebung – den meisten Besuchenden nicht klar ist. Aus diesem Grund wurde der Text zusätzlich mit den zwei Abbildungen versehen, die diesen Zusammenhang deutlich machen. Sie zeigen dazu eine Situation mit niedrigem und eine Situation mit hohem Wasserstand (Hochwasser) im Vergleich. Das Foto direkt unter den Abbildungen veranschaulicht, wie die Situation bei Hochwasser in der Aue aussieht. Einleitend mit der Frage, wie der Mensch die Aue verändert, beschreiben die nächsten drei Textabschnitte ab der Mitte der Tafel die Situation der Aue vor dem Eingriff des Menschen (veranschaulicht durch das Foto unten rechts), die Gründe und die Art der Regulierung sowie die Auswirkungen des anthropogenen Eingriffes auf Fluss, Aue sowie Hochwasser. Das Hochwasser hat dabei eine Schlüsselfunktion: einerseits fachlich, anderer-

seits anknüpfend an das hohe Interesse der Besuchenden (s. o.) für dieses Naturrisiko. Eine BNE-Orientierung der Ausführungen wird dadurch sichtbar, dass sowohl ökologische als auch wirtschaftliche und soziale Aspekte von Aue und Hochwasser thematisiert werden. Verschiedene Perspektiven werden überdies durch eine zeitliche Dimension sichtbar (früher–heute), eine dezente Zukunftsorientierung erfolgt durch die Ausrichtung des klein gedruckten Textes oben rechts, in dem angesprochen wird, dass man durch das Projekt den Lebensraum bewahren möchte. Eine Anknüpfung an die Erfahrungs- bzw. Alltagswelt erfolgt durch die Formulierung „Die Aue ist die Lebenspartnerin des Flusses“. Eine Interaktion wird allenfalls angedeutet durch die Formulierung „In etwa so sah es früher an dieser Stelle aus“ unter dem Foto unten rechts, durch die die Besucher und Besucherinnen die indirekte Aufforderung erhalten, das ästhetisch schöne Foto von einer Aue mit der heutigen Situation am Standort zu vergleichen. Der Text der Tafel ist kurzgehalten und durchweg in relativ einfacher Sprache (Inklusion) formuliert. Längere Sätze sowie unnötige Fachbegriffe werden vermieden. Absätze, Abbildungen und Fotos erleichtern die Rezeption des Textes. Die Tafel ist in einem klaren Design im Rahmen der Corporate Identity des Auenzentrums gestaltet.

Kritische Nachlese Der Themenweg wurde unter Mitwirkung der Autorin gestaltet. Bei kritischer Betrachtung könnte man eine Textlastigkeit und fehlende Interaktivität bemängeln. Die Schönheit und hohe Biodiversität der Aue werden im Rahmen dieser Tafel durch die Umgebung des Standortes und das Foto unten rechts deutlich. Globale Aspekte werden nicht thematisiert. Diese Argumente sind bei der Konzeption durchaus diskutiert worden. Dennoch blieb es bei dieser Gestaltung. Eine Textlastigkeit ist nahezu bei allen Thementafeln und -wegen zu verzeichnen. Methodische bzw. technische Möglichkeiten mit zwei Ebenen oder interaktiven Elementen wie Schiebern usw. sind kostspieliger und reparaturanfälliger. Deswegen wurde darauf verzichtet. Ein Lernen mit allen Sinnen bietet der Wald selbst, das Umgehungsgewässer und der, wenn auch begradigte, Fluss. Deswegen wurde beim Themenweg auf solche Elemente verzichtet. Es wurde sehr darauf geachtet, den Text leicht rezipierbar zu gestalten und die Aussagen mit Abbildungen und Fotos zu veranschaulichen (s. o.). Die nicht ausgeführten inhaltlichen Aspekte, hohe Biodiversität der Aue sowie globale Aspekte, werden im Rahmen der anderen Themenwege sowie der Ausstellung im Schloss Grünau ausführlich und anschaulich vermittelt. Hier gibt es darüber hinaus ein Modell, bei dem die Besuchenden den Grundwasseraustausch zwischen Fluss und Aue interaktiv auslösen und beobachten können.

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

11.1.1.4 Ausblick

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Zwei Aspekte seien abschließend noch kurz angesprochen, welche zukünftig bei Themenwegen verstärkt eine Rolle spielen könnten. Erstens findet man sehr selten im Rahmen eines Themenweges einen Standort, bei dem Besuchenden selbst entdeckend und unter Zuhilfenahme der bisher vermittelten Informationen die Antwort auf eine Frage und/oder Aufgabenstellung anhand von Phänomenen im Realraum selbst, wie z. B. einem Aufschluss, beantworten können. Dies könnte eine sinnvolle und sichernde Funktion sein. Die Antwort könnte auf der Rückseite der Tafel oder in Begleitmaterialien zu finden sein. Zweitens sind digitale Lösungen im Bereich von Themenwegen differenziert zu beurteilen. Weniger bewährt haben sich Wege, bei denen auf den Tafeln oder Pfosten lediglich eine Nummer oder ein QR-Code abgebildet ist. Um gerade jugendliche Besucher einzubinden, haben sich digitale Rallyes oder Geocaches bewährt. Vertiefende Zusatzinformationen, z. B. kleine Filme, sind dagegen über QR-Codes gut abzurufen und können auch dem Anliegen einer Inklusion dienen, indem z. B. Varianten für Kinder oder Sehbehinderte abrufbar sind. Letztlich geht es auch um das Ziel des Themenweges. Für einen Naturerlebnispfad ist der Einsatz digitaler Medien eher kontraproduktiv (Eder & Arnberger, 2007), für andere Zielsetzungen ggf. sehr geeignet. Dotterweich (2020) weist darauf hin, dass z. B. Augmented Reality gute Möglichkeiten bietet. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit für diese Technologie wären holografische Brillen z. B. zur Interaktion in einer Landschaft: Bereits vorhandene Daten zur Geologie können dazu dienen, an einem Standort ein holografisches Bild und Informationen zu den Gesteinsschichten zu erhalten. Mit entsprechender Gestik könnte man aber auch durch die Zeit reisen und z. B. Gletscher entstehen lassen, oder es wäre möglich, den Landschaftswandel bei einer fortschreitenden Klimaerwärmung in 100 Jahren zu simulieren (Dotterweich, 2020, S. 5). 11.1.2

Geowissenschaften vermitteln im Natur- und Geopark TERRA.vita

Tobias Fischer, Mariam El Hourani

Der Natur- und Geopark TERRA.vita bildet die nordwestlichsten Ausläufer der Mittelgebirge und umfasst den nördlichen Teutoburger Wald, das Wiehengebirge, das Osnabrücker Bergland sowie die Ankumer Höhen. Auf einer vergleichsweise kleinen Fläche von 1560 km2 sind nahezu lückenlos die vergangenen 300 Mio. Jahre Erdgeschichte an der Erdoberfläche aufgeschlossen (Fischer, 2020). Dabei ist TERRA.vita als sedimentologischer Geopark zu bezeichnen, der durch tektonische und glazigene Prozesse sowie durch ein mesozoisches Aufheizungsevent geprägt wurde. Der hohe internationale

Stellenwert der Region ergibt sich überwiegend aus paläontologischen und archäologischen Funden (Fischer, 2022). Die ältere Erd- und Lebensgeschichte wie der karbonische Sumpfwald, die zechsteinzeitliche Kupferschieferlagune und das mitteltriassische Kalkwatt kann aus Sedimentgesteinen und Fossilien des Osnabrücker Berglands abgelesen werden. Im Wiehengebirge wurden Fährten und Skelette jurassischer Dinosaurier gefunden, während am Teutoburger Wald die Sand‑, Kalk- und Mergelsteine des Kreidemeeres abgebaut werden.  Die durch die Ur-Nordsee und den eiszeitlichen Gletschervorschub geprägte känozoische Erdgeschichte findet sich in Sand- und Kiesgruben sowie im Landschaftsrelief der Ankumer Höhen wieder. Eine besonders hohe Dichte an Großstein- und Hügelgräbern, die Ausgrabungsstätte bei Kalkriese als wahrscheinlichster Schauplatz der Varusschlacht,  die durch die Plaggenwirtschaft gekennzeichnete Kulturlandschaft und eine jahrhundertelange Bergbauhistorie repräsentieren die Kulturgeschichte in der Region (Fischer, 2020). Weiterhin kennzeichnet eine aus der hohen Geodiversität hervorgegangene hohe Vielfalt unterschiedlicher Bodentypen  den Geopark TERRA.vita (Dahlhaus et al., 2018). Bereits im Jahr 1962 als Naturpark gegründet, vermittelt TERRA.vita aufgrund des besonderen geologischen Erbes seit 2001 als Europäischer Geopark und seit 2015 als UNESCO Global Geopark unter dem Motto „Erdgeschichte zum Anfassen“ geowissenschaftliche Themen für Groß und Klein (DUK, 2020). Die obersten Ziele und Aufgaben des Natur- und Geoparks sind nicht nur die Förderung eines naturverträglichen Tourismus und einer nachhaltigen Regionalentwicklung, sondern auch das Schaffen einer regionalen Identität, einer Wertschätzung bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Besuchenden für die Region sowie eine Bewusstseinsschaffung bei diesen für ihre Umwelt. Erdgeschichtliche Themen werden wiederum im Zuge eines Erlebnisses vermittelt. Diese Erlebnisse können sehr vielfältig sein. Eigenständig durchführbare Erlebnisse ermöglicht der Natur- und Geopark durch Wanderungen auf den TERRA.track-Wanderwegen, auf Lehr- und Erlebnispfaden entlang geologischer Highlights sowie durch Radtouren auf den erdgeschichtlichen TERRA.trail-Themenradrouten. Einrichtungen wie der TERRA.vita-Pavillon am Baumwipfelpfad Bad Iburg, das Plaggeneschzentrum an der Lechtinger Mühle in Wallenhorst, das TERRA.vita-Infozentrum im Museum am Schölerberg oder der TERRA.park Erlebniswelt Boden in Osnabrück sind informative und museale Anlaufstellen. Anwendungen wie die Geopark-Game-App The Lost Collection, der Wanderpass-Wanderspaß oder Rallyes für Kinder entlang der Erlebnis- und Lehrpfade schaffen weiterhin Anreize zum eigenständigen Befassen mit geologischen Themen und zur Selbstreflexion. Der Natur- und Geopark TERRA.vita arbeitet eng mit außerschulischen Partnern im Umweltbildungs-

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11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.5  In der Geopark-Game-App „The Lost Collection“ können Interessierte anhand einer vereinfachten virtuellen Karte in der Landschaft auf Schatzsuche gehen. (Foto: Natur- und Geopark TERRA. vita)

bereich wie Bildungszentren und Museen zusammen. Die von ihnen betreuten Lernangebote und Erlebnisse gewährleisten ein hohes pädagogisches Niveau.  Das direkte Naturleben, eigenes Erkunden und Entdecken stehen im Vordergrund vieler Angebote, die sich auf Elemente der Erlebnis‑, Natur- und Umweltpädagogik sowie der Bildung für nachhaltige Entwicklung stützen. Neben Umwelt- und Gesundheitsbildung und -bewusstsein  sollen Teamwork, Kommunikation, Bewegung, Konfliktlösungskompetenzen und die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gestärkt werden. TERRA.vita stellt für Umweltbildungseinrichtungen, Schulen und Kindergärten geologische Lernmodule wie den Bodenkoffer oder das Lernmodul „Erdgeschichte zum Anfassen“ bereit. Geführte geologische Erlebnisse ermöglichen die TERRA.guide-Naturführerinnen und -führer durch Veranstaltungen wie geführten Wanderungen oder Exkursionen in Steinbrüche. Geologisches Wissen wird nach dem Past-Present-Future-Konzept vermittelt: Die Besuchenden sollen aus der (erdgeschichtlichen) Vergangenheit lernen, um das Jetzt zu verstehen und für die Zukunft zu handeln (z. B. Doe, 1983, Harris, 2017). Dadurch kann der hohe Einfluss des Menschen auf die Erde dargestellt werden, der in geologischen Maßstäben bereits quantifizierbar ist. Daher werden in den Geowissenschaften heute das Zeitalter des Menschen, das sogenannte Anthropozän, und das derzeit stattfindende, anthropogen verursachte, sechste große Massenaussterben diskutiert (Crutzen & Stoermer, 2000; Crutzen, 2002, Barnosky et al., 2011). Mit diesem Konzept können gesellschaftlich relevante (globale) Themen anhand lokaler Gegebenheiten verständlicher dargestellt werden, wie beispielsweise der Klimawandel, nachhaltige Landnutzung, die Bedeutung des Bodens für den Menschen oder Georisiken wie Bodenerosion oder die Biodiversitätskrise. Ein Interesse für erdgeschichtliche Themen erreicht der Natur-

und Geopark TERRA.vita bei Besuchenden häufig durch die Verknüpfung mit anderen Themen wie Landschaftsentwicklung und -ökologie, Bergbau- und Kulturhistorie oder Archäologie. 11.1.2.1

Geopark-Game-App „The Lost Collection“

Gemeinsam mit dem UNESCO Global Geopark De Hondsrug in den Niederlanden entstand im Rahmen eines von INTERREG geförderten deutsch-niederländischen Gemeinschaftsprojektes die Geopark-GameApp „The Lost Collection“. Durch die App können die beiden Geoparks auf spielerische Art erkundet werden. Ziel ist es, im Gelände, beispielsweise während einer Wanderung, Points of Interest über eine schematische Karte aufzusuchen, 3-D-Objekte freizuschalten und in einem Highscore Punkte zu sammeln (. Abb. 11.5). Die geoparkspezifischen 3-D-Objekte entsprechen animierten Tieren (z. B. Mammut, Seeadler), Pflanzen, Mineralen, Mythen oder kulturhistorischen Objekten, die in einer Sammlung zusammengeführt werden (vergleichbar mit dem Mobile Game „Pokémon GO“). Um ein 3-D-Objekt einzusammeln, muss zunächst ein Minigame oder Quiz gelöst werden. Jede Animation enthält in der Sammlung weiterführende ökologische, paläontologische und geologische Informationen und kann mit einer Augmented-Reality-Funktion in der Umgebung dargestellt werden. Über eine Share-Funktion kann ein Foto des gesammelten Objektes mit Freunden in gängigen Kommunikations-Apps geteilt werden. 11.1.2.2

Silbersee-Stollen im Hüggel

Eine „Wattwanderung im Mittelgebirge“ ermöglicht der Natur- und Geopark im Besucherbergwerk Silbersee im Hüggel. Die geschulten Tourguides (TERRA.guides) führen Besuchende durch die Versteinerungen eines

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.6  Eine Führung im Silbersee-Stollen. (Foto: Hartwig Wachsmann)

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etwa 245 Mio. Jahre alten Kalkwatts. In der eineinhalbstündigen Führung werden spannende Fakten und Geschichten zu den zahlreichen Lebensspuren des längst vergangenen Ökosystems, zur Gebirgsbildung, zur einzigartigen Ökologie des umgebenden Fauna-Flora-Habitat-Gebietes und zur einstigen Bergbauhistorie erzählt (. Abb. 11.6). 11.1.2.3

HaiTec-Center am Umweltbildungszentrum Kuhlhoff Bippen

Warum finden wir Haifischzähne an einem Ort über 120 km von einem Meer entfernt? Dieser Frage können Gruppen mit Kindern im HaiTec-Center nachgehen. Hier werden Kinder zu Forschenden und begeben sich auf eine Unterwasserreise in die Ur-Nordsee vor rund 45  Mio. Jahren. Nach einer kleinen Zeit- und Weltraumreise, eingeführt per Film in einem Minikino, geht es in einen als Unterwasserforschungsstation gestalteten Ausstellungsbereich. Hier bilden die Kinder Forschungsteams und bearbeiten an sechs mit digitalen Medien ausgestatteten Stationen (z. B. Augmented Reality) gemeinsam ihren Forschungsauftrag (. Abb. 11.7). So wird auf spielerisch-forschende Weise Wissen über die urzeitlichen Haie und die damals herrschenden Bedingungen erworben. Im Anschluss an die Erlebnisausstellung können die Kinder an einer Wasch- und Siebstation in die Rolle einer Paläontologin bzw. eines Paläontologen schlüpfen. Aus heimischen Sedimenten werden hier echte, rund 45 Mio. Jahre alte Haifischzähne herausgesiebt. 11.1.2.4 Wanderpass-Wanderspaß

Die 86-seitige Broschüre Wanderpass-Wanderspaß ist ein kostenloses Aufgaben- und Rätselheft, das Familien moti-

..Abb. 11.7  Lernstation im HaiTec. (Foto: Natur- und Geopark TERRA.vita)

viert, den Geopark zu erwandern, Geotope zu besuchen und vor Ort Aufgaben zu erfüllen und Rätsel zu lösen. Familien können die ausgefüllten Wanderpässe (. Abb. 11.8) an den Geopark zurücksenden und erhalten eine Belohnung durch den Natur- und Geopark TERRA.vita.

11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.8  Titelbild des Heftes Wanderpass-Wanderspaß. (Naturund Geopark TERRA.vita)

11.1.3

Außerschulischer Lernort UNESCO-Weltnaturerbe Grube Messel, Hessen – gestern, heute, morgen

Marie-Luise Frey, Christine Hogefeld, Pascal Schmitz, Klaudia Wolf zz Zeitorientierter Wissenstransfer und Vermittlung unter Einbeziehung gesellschaftlichen Wandels und von Perspektiven

Weltweit haben aktuell insgesamt 1157 Stätten in 167 Ländern das Gütesiegel „UNESCO-Welterbe“ gemäß der 1970 von der Völkergemeinschaft anerkannten Welterbekonvention (World Heritage Convention) zur Schaffung und zum Erhalt von Frieden in der Völkergemeinschaft erhalten. Es handelt sich hier insbesondere um Stätten von einzigartigem und universellem Wert für die Völkergemeinschaft. Nur etwa 218 Stätten sind als UNESCO-Weltnaturerbe der Völkergemeinschaft zertifiziert. Darunter sind nur acht Stätten, die unter erdgeschichtlichen Themen dieses Gütesiegel einzigartiger, universeller Wertigkeit mit entsprechender Authentizität

289

erhalten haben. Diese Stätten besitzen weltweit gesehen die höchste Schutzkategorie. Das Management der Stätten ist in jeder Nation verschieden. Oft erfolgt es über Nationalparkstrukturen. Antragstellungen zum Erhalt des Gütesiegels erfolgen jeweils über die nationale Ebene. In Deutschland ist dies z. B. die Kultusministerkonferenz (KMK). Je Bundesland können zwei Bewerbungen jährlich auf die sog. Tentativliste gelangen und durchlaufen in der Folge den Prüfungs- und Zertifizierungsprozess. Die finale Entscheidung über eine Aufnahme in die Liste der UNESCO-Welterbestätten wird vom UNESCOWelterbekomitee in Sitzungen der Vertreter der Völkergemeinschaft getroffen. Mit der positiven Entscheidung verpflichten sich die Mitglieder den Zielen der UNESCO inklusive ihrer Ansätze der Schaffung eines Zuganges für alle Menschen in diese Stätten und der Schaffung bzw.  des Erhaltes von Frieden über Aktivitäten des Schutzes und Erhaltes wie auch der Vermittlung der Bedeutung dieser Stätten. Dabei spielen die Ziele der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen zur Nachhaltigkeit eine besondere Rolle. Dies gilt auch für das UNESCO-Welterbe Grube Messel. Das UNESCO-Welterbe Grube Messel hat seit April 2004 einen regelmäßigen Zugang in die Fossilienlagerstätte Grube Messel entwickelt. Seit dem 9. Dezember 1995 trägt dieses Naturerbe, welches ein Bodendenkmal des Landes Hessen ist, das UNESCO-Welterbe-Gütesiegel. Zur Erfüllung der Ziele einer Weltnaturerbestätte der UNESCO wie auch derjenigen einer gemeinnützigen gGmbH ist mit Aktivierung des Geschäftsbetriebes ein Konzept zur Vermittlung der Bedeutung und der wissenschaftlichen Erkenntnisse für diesen weltweit einzigartigen Ort entwickelt worden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben die UNESCO-Entscheidungen von Rio de Janeiro (Brasilien) zur Entwicklung nachhaltiger Bildungsaktivitäten richtungsweisende Aspekte geliefert, auch wenn die Zahl der Weltnaturerbestätten der UNESCO im Vergleich zu den Weltkulturerbestätten deutlich niedriger ist (unter 1 % der Gesamtzahl der Welterbestätten). Die Grube Messel wurde in der UNESCOKonvention unter dem Kriterium viii – erdgeschichtliche Zeugen, Zeitstufen usw. – in die Liste der UNESCO Welterbestätten aufgenommen. Mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebes im Frühjahr 2004 ist für das Welterbe Grube Messel, das Ziel „außerschulischer Lernort zu werden“, mit den langjährigen Erfahrungen aus der Vulkaneifel und den daher bestehenden Kontakten zum Europäischen und Globalen Geopark-Netzwerk, deren Grundlage das geowissenschaftliche Erbe der Landschaften dieser Gebiete und ihre Verknüpfung zu deren Menschen und Kultur über Projektkooperationen ist, für die Welterbe Grube Messel gGmbH ins Auge gefasst worden.

11

290

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

a

b

..Abb. 11.9  Verschiedene Landschaftseindrücke. Odenwald (a) und Alpen (b). (Fotos: Marie Luise Frey, Christine Hogefeld)

zz Die Entwicklung der Vermittlung von geologischem Erbe

11

Geowissenschaftliches Erbe einer Landschaft als Grundlage für die Entwicklung einer Region zu wählen, reicht in die 1980er-Jahre zurück (Kasig et al., 1984). Das Ziel der ersten Aktivitäten, die im Jahr 2000 zur Gründung des Europäischen Geopark-Netzwerkes führten, war die Bewusstmachung der Bedeutung geowissenschaftlicher Vorgänge und Phänomene einer Landschaft für das Leben von Menschen gestern, heute und morgen. Ein Start wurde möglich durch das Interesse der Verbandsgemeinden Hillesheim (Kasig et al., 1989a, b), Gerolstein (Frey, 1994) und Manderscheid (Koziol & Röhl, 2002) in der Eifel, die thematischen Geopfade für den längeren Aufenthalt von Gästen im rheinland-pfälzischen Teil der Eifel zu nutzen. Von Beginn an stand hier die nachhaltige Entwicklung der Regionen über den touristischen Bereich im Vordergrund. Aufgrund dessen waren dort von Beginn an Themen zur Vermittlung der geologischen und geomorphologischen Entstehung der Landschaft und ihre Nutzung über Bergbautätigkeit usw. an Gäste verschiedenen Bildungs- und Herkunftshintergrundes von großer Bedeutung. Sie wurden von den damaligen Akteurinnen und Akteuren im Rahmen von Umweltbildung angeboten. Diese Einrichtungen sind, oft auch in Verbindung mit bereits bestehenden oder dann neu geschaffenen musealen Einrichtungen (Anonym 2022a), bereits direkt nach ihrer Entstehung als „außerschulische Lernorte“ von zahlreichen Schulklassen mit großem Interesse besucht worden (Frey & Schillak 1995). Zu dieser Zeit haben die biologischen Wissenschaften, aufgrund der Naturschutzbewegung, bereits eine wichtige Lobby für den Schutz der Natur geschaffen. Erst mit der erfolgreichen Zertifizierung des Geopfades in Hillesheim mit dem Preis für „intelligenten Tourismus“ und über die touristische Vermarktung dieser Infrastrukturen über die Eifel-Touristik und ab 2000 die Eifel Tourismus GmbH

gelangten diese Aktivitäten stärker in das Bewusstsein der Menschen in der Region, in Deutschland und über geowissenschaftliche Fachtagungen zu Geofachkollegen auch im In- und Ausland (Frey, 1997, Anonym 2022b). Als Besonderheit der Aktivitäten in der Verbandsgemeinde Gerolstein wurden dort mehrere Themenpfade über die Region verteilt, mit der Fertigstellung der Route 1 im Jahr 1994 als Geopark Gerolstein/Vulkaneifel ab 1992 entwickelt und in vier Routen mit insgesamt 86 Standorten im Gelände realisiert. Auch hierbei war die Zusammenarbeit mit den Kommunen vor Ort wichtiger Bestandteil der Umsetzung des Geoparkes Gerolstein/Vulkaneifel. Die touristische Zielsetzung bezog von Beginn an die Aus- und Fortbildung von Tourenbegleitern zur Vermittlung der Themen ein, sodass auch für Anfragen von Schulklassen aus der näheren und weiteren Region kompetente Tourenbegleiter zur Verfügung standen. Die benannten Themen und Aktivitäten haben über einen ersten Projektaustausch ab 1994 mit dem Réserve Géologique de Haute Provence (Frankreich) zur Beteiligung der Verbandsgemeinde Gerolstein und der Vulkaneifel am Projekt „Entwicklung des Geotourismus in Europa“ mit der Gründung des Europäischen Geopark-Netzwerkes im März 2000 auf der Internationalen Tourismusbörse in Berlin geführt (Zouros, 2004). Daraus ist in der Folge ab 2004 das Globale GeoparkNetzwerk entstanden. Mit der Zertifizierung der in diesem Netzwerk im November 2015 vorhandenen Mitglieder als UNESCO Global Geoparks durch die Generalversammlung der Völkergemeinschaft in Paris besteht dieses neue Gütesiegel und „Internationale Programm für Geowissenschaften und Geoparks“ (IGGP) bei der UNESCO. Es unterscheidet sich grundsätzlich von UNESCO-Welterbestätten dadurch, dass sich Gebiete bewerben können, die Landschaftsteile, Aufschlüsse und/oder Stätten besitzen, die ein geowissenschaftliches Erbe von internationaler Bedeutung nachweisen können. Allerdings ist dieses Erbe in Verbindung mit kulturellem und anderem Erbe des Gebietes

11.1  •  Lernort Natur

291

in Wert zu setzen, zusammen mit seiner nachhaltigen Entwicklung als Zukunftsperspektive für dieses Gebiet Kern der Auszeichnung. Es ist somit nicht verwunderlich, dass der Fokus der Geoparkaktivitäten auf aktiver Zusammenarbeit und aktivem Austausch mit anderen Mitgliedern des Globalen Geopark-Netzwerkes liegt, im Gegensatz zum Gütesiegel „UNESCO Welterbe“, bei dem der Schutz der „Einzigartigkeit“ Kern der Auszeichnung ist. Für das UNESCO-Welterbe Grube Messel zeigte sich aufgrund der Lage im Nordteil des UNESCO Global Geopark Bergstraße-Odenwald eine ungewöhnliche Chance, beide „Welten“ miteinander zu verknüpfen. Seit 2003 ist die Zusammenarbeit zwischen den beiden Partnern über Kooperationsprojekte kontinuierlich entwickelt und realisiert worden. Der Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald hat das UNESCO-Zertifikat erst Ende 2015 erhalten, mit der Entscheidung der Generalkonferenz für das neue IGGP. Der regelmäßige Austausch der beiden Partner mit den verschiedenen Gütesiegeln hat sich bewährt. zz Die Arbeitsgruppe „Education“ und Geo-Identität

Das Welterbe Grube Messel gGmbH ist Mitglied des Vereins Deutscher UNESCO Welterbestätten und seit der Existenz der Arbeitsgruppe „Education“ in dieser aktiv. Das Thema „Bildung“ ist konkret seit 2012 Bestandteil der Welterbekonvention der UNESCO (Albert und Ringbeck 2005). Ausgangspunkt des Wissenstransfers der Welterbe Grube Messel ist von Beginn an ihr Outstanding Universal Value (OUV) – ihr weltweit einzigartiger und universeller Wert, welcher auch als Geo-Identität dieser Welterbestätte bezeichnet werden kann (Frey, 2021). Dieser wurde gewählt, da Menschen, die in einer Landschaft geboren werden, dort leben und arbeiten, einen unverwechselbaren Bezug zu ihrer Landschaft, oft unbewusst, in sich tragen (. Abb. 11.9). Das Globale Geopark-Netzwerk der UNESCO nutzt dieses „Urbewusstsein“, um diese oft unbewusste Prägung bewusst wiederzubeleben. Sie ist die Grundlage der „Identität“ der Menschen des jeweiligen Geoparkes und führt zu einem „neuen Stolz“ mit höherer Wertbeimessung des Gebietes. In der Vulkaneifel (Rheinland-Pfalz) hat dies dazu geführt, dass die politischen Entscheidungsträger den einst als Daun bekannten Kreis in der Eifel in Vulkaneifel umbenannt haben. Heute benennen sie ihre Herkunft stolz mit „Ich komme aus der Vulkaneifel“. Der OUV ist somit quasi als vergleichbare Möglichkeit betrachtet worden, diese Funktion für das Welterbe Grube Messel mittel- bis langfristig zu übernehmen. Ausgangspunkt hierzu war die langjährige Erfahrung der Geschäftsführerin aus dem Geopark Gerolstein/Vulkaneifel (Deutschland) mit dem Europäischen Geopark-Netzwerk. So folgten von 2004 an ein reger Austausch mit dem Europäischen Geopark-Netzwerk und seit 2009 die Kooperation mit weiteren Partnern des Globalen Geopark-Netzwerkes der UNESCO. Durch den fruchtbaren Austausch mit den Partnern, insbesondere auch mit dem

..Abb. 11.10  Eine Schülerin betrachtet ein Stück Ölschiefer mit einer Lupe. (Foto: Kohls)

Lesbos UGGp (Griechenland), dem Naturtejo UGGp (Portugal) und dem Hongkong UGGp (VR China). Es wurden Bildungsaktivitäten im internationalen Austausch entwickelt und umgesetzt, wie z. B. Rangerbesuche und Teilnahme an Fortbildungsseminaren. Das UNESCO-Welterbe Grube Messel gilt heute als das „weltweit beste Fallbeispiel“ einer Kooperation zwischen einer UNESCO-Welterbestätte und UNESCO Global Geoparks (McKeever et al., 2014). Insbesondere für junge Menschen sind der Kontakt und die Begegnung mit der Landschaft, welche sie umgibt, und mit den Elementen der Erde (Wasser, Wind usw.) und Vorgängen (Vulkanausbrüchen, Rutschungen usw.), die darin ablaufen, besonders nah. Kinder lieben es, mit Wasser, Sand und im Schlamm zu spielen. Diese Orte und Erlebnisbereiche sind somit wichtig als Entwicklungs- und Bewegungsräume, etwa in der Zeit der Entwicklung ihrer motorischen Fähigkeiten und ihrer Kreativität. Kinder können ihre Neugierde, etwas zu entdecken, „draußen“ ausleben und dem Drang folgen, etwas, was sie sehen, näher zu betrachten und zu erforschen (. Abb. 11.10). Es gilt dann für den schulischen Bereich, nicht nur die kindliche und jugendliche Neugierde zu befriedigen, sondern auch aus Beobachtungen, dem Entdecken und der Dokumentation und Analyse heraus Abläufe und Veränderungen zu verstehen. Über Ausflüge in diese Landschaften bestehen somit Möglichkeiten, direkte und eigene Erfahrungen zu machen.

11

292

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

a

b

..Abb. 11.11  Blick in die Grube Messel (a) und ein Fundstück (Rieseneichhörnchen) von dort (b). (Fotos: Archiv Welterbe Grube Messel gGmbH)

zz Gütesiegel und ihre Bedeutung in der Vermittlung

11

In jüngerer Zeit sind gesellschaftlich hochwertige Gütesiegel, wie die Anerkennung durch die UNESCO für Stätten in der Natur oder auch kultureller Art oder UNESCO Global Geoparks, für Menschen interessant geworden. Dies zeigt sich etwa in der angestiegenen Zahl der Gäste nach der Verleihung solcher Gütesiegel. Bewusst haben diese Stätten in der Folge der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) Eingang in den Schulunterricht gefunden. Mittlerweile sind in Deutschland rund 300 UNESCO Projektschulen (Anonym 2022c) entstanden. Nach fast 100 Jahren haben sich seit Mitte der 1980er-Jahre außerschulische Lernorte als für den Schulunterricht wertvolle Einheiten Schritt für Schritt positionieren können. Sie sind heute im Rahmen der Agenda 2030 wichtiger Bestandteil für die authentische Erfahrung mit der Natur und der Natur der Erde. Das UNESCO-Welterbe Grube Messel ist hierfür prädestiniert. Zahlreiche und weiter steigende wissenschaftliche Untersuchungen wurden im Ölschiefer der Grube Messel und an den außergewöhnlich gut erhaltenen, fossilen Fundstücken seit Ende des 19.  Jahrhunderts und insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts durchgeführt (Smith et al., 2018). Die Ergebnisse haben bewiesen, dass sie von außergewöhnlicher Bedeutung für die Entwicklung des Lebens in einem Zeitabschnitt der Geschichte unserer Erde, des Eozäns, sind (Hughes et al., 2011; Rose, 2012; Scanferla & Smith, 2020; Selden & Wappler, 2019; Vianey-Liaud et al., 2019; Wappler et al., 2015; Wedmann et al., 2021) und weltweite Einzigartigkeit besitzen (. Abb. 11.11). Die UNESCO hat diese Stätte daher am 9. Dezember 1995 in die Liste der UNESCO Weltnaturerbestätten aufgenommen. Seitdem ist diese Stätte, die seit 1991 Eigentum des Landes Hessen ist, eine Stätte des Forschungsbergbaues der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main, des Hessischen Landesmuseums in

Darmstadt wie auch anderer internationaler Forschungseinrichtungen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist per Vertrag seit 1992 offizieller Betreiber des UNESCO-Weltnaturerbes Grube Messel. zz Das erweiterte Wissenstransferkonzept

Die Mitteilung von Neufunden an die Öffentlichkeit seitens der wissenschaftlichen Institute ist wichtig. Allerdings benötigen Empfänger dieser Information, wie Kindergärten und Schulen, weitere Aktivitäten um aus der Information die Bedeutung zu erfassen, ein Verständnis dafür zu entwickeln und dies mit dem Ort Grube Messel zu verknüpfen. Der eingangs genannte direkte Kontakt mit solch einer einzigartigen Stätte ist daher nicht nur im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Das Augenmerk liegt im Verständnis der Wertigkeit und der Bedeutung für jeden Menschen. Dies erfordert als Erstes die Schaffung eines regelmäßigen Zuganges in diese Stätte und darüber hinaus ein Konzept, welches die Vielfalt der Menschen unter ihren kulturellen wie geistigen und alltäglichen Aspekten berücksichtigt. Seit 2008 liegt ein erweitertes Wissenstransferkonzept für das UNESCO-Welterbe Grube Messel vor (Frey & Wurche, 2009). Es ist die Grundlage für alle Aktivitäten, welche es Gästen von vier bis 100 Jahren ermöglicht, diesen Ort zu besuchen (. Abb. 11.12), ihn kennenzulernen und in seiner Einzigartigkeit zu erkennen, zu begreifen und insbesondere seine Bedeutung für unser zukünftiges Leben auf dem Planeten Erde zu verstehen. Das Vermittlungskonzept besteht zum einen aus Angeboten das UNESCO Welterbe persönlich kennen zu lernen. Dies sind insbesondere Führungen mit akademisch ausgebildeten Tourenbegleitern. Ergänzend sind Infotafeln vor Ort entwickelt und realisiert worden und kostenfreie Angebote zu Grube Messel Themen. Spiele, wie auch Flyer und Magazine sind über die Webseite abrufbar.

293

11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.12 Besuchenden in der Grube Messel. (Foto: M. Wolf, Archiv Welterbe Grube Messel gGmbH)

70.000 Anzahl verkaufter Tickets

Für junge Menschen (Kindergärten, Schulklassen etc.) sind von Beginn an verschiedene Tourenlängen und Themenschwerpunkte vorbereitet worden. Seit 2008 werden Girls’ Days angeboten und erfolgreich durchgeführt. Im Durchschnitt von 20 Jahren liegt der jährliche Anteil an Jugendlichen bei ca. 10 %, bezogen auf die Gesamtzahl der jährlich verkauften Tickets. Wird die Gesamtzahl der Gäste seit Beginn der Führungsangebote durch die Welterbe Grube Messel gGmbH betrachtet – diese liegt bei ca. 500.000 Gästen insgesamt (. Abb. 11.13) –, so haben bis heute, also Frühjahr 2023, ca. 52.200 junge Menschen im Schulalter die Grube Messel besucht. Pro Jahr sind es folglich nach 19 Jahren durchschnittlich ca. 2630 Schülerinnen und Schüler, und in den drei bis vier Monaten, in welchen Lehrkräfte Ausflüge mit Schulklassen durchführen können, sind es zwischen 660 und 880. Wird von ca. 30 Schülerinnen und Schülern pro Klasse ausgegangen, so sind dies 22 bis 29 Klassen im Zeitraum von zwölf bis 16  Wochen, also zwei bis drei Schulklassengruppen pro Woche. Aufgrund der limitierten Termine seitens der Schulen besteht manchmal die Herausforderung, für die Welterbe Grube Messel gGmbH pro Tag drei bis vier Gruppen fast zeitparallel mit Führungen bedienen zu können. Ergänzend zu den Führungsangeboten wurden neben Standardtouren von 1 oder 2 h Spezialführungen und/ oder Themenmodulprogramme für Schulklassen, Kindergärten, Girls’ Days, Kindergeburtstage und themengestaffelte Juniorprogramme (. Abb. 11.14) entwickelt, um den Entwicklungen der Fachdisziplinen sowie den gesellschaftlichen Erwartungen nachzukommen. Die Kooperation mit Partnern wie dem UNESCO Global Geopark Bergstraße-Odenwald und anderen internationalen Partnern wie den UNESCO Global Geoparks Lesbos (Griechenland), Naturtejo (Portugal), Hongkong (VR China) und den UNESCO-Welterbestätten wird beispielsweise in Form von Projekten wie

60.000 50.000 40.000 30.000 20.000 10.000 0

Jahr

..Abb. 11.13  Gästeentwicklung von 2004 bis 2021, gemessen an der Anzahl der in diesem Zeitraum von der Welterbe Grube Messel gGmbH verkauften Tickets. Die Daten bis 2010 beinhalten nur die Anzahl der für Führungen verkauften Tickets. Ab 2011 wurden Tickets für Führungen und den Eintritt in das Besucherzentrum zusammen angegeben. (Welterbe Grube Messel gGmbH)

Rangeraustausch, Erfahrungsaustausch und Sonderausstellungen (z. B. im Jahr 2012 und 2021; hier „Klimawandel verstehen“) oder Lernmitteln (z. B. Quartett zum Welterbe Grube Messel und UNESCO Global Geopark Bergstraße-Odenwald) deutlich. zz Themenräume im Besucherzentrum „Zeit und Messel Welten“

Mit der Eröffnung des Besucherzentrums am UNESCOWelterbe Grube Messel stehen seit August 2010 nun auch sechs Themenräume mit Exponaten (. Abb. 11.15) und wissenschaftlichen Geräten vor Ort zur Verfügung, die als Themenprogramme z. B. von Grundschulen gebucht werden und so Teil des Schulunterrichtes sein können. Aufgrund der außergewöhnlichen Situation, dass in der Grube Messel außer den Forschenden niemand selbst nach Fossilien suchen darf, sind weitere Angebote ent-

11

294

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

a

b

..Abb. 11.14  Vulkane bauen am Girls’ Day (a) und praktische Aufgaben im Juniorprogramm (b)

11

standen, welche den „Entdecker‑, Jagd- und Sammler‑ instinkt“ ansprechen (. Abb. 11.16). Die Themen der Grube Messel werden gesamt‑ heitlich vorgestellt durch Fotos von Orten, die im Ge‑ lände gesucht werden müssen und an denen ein Code zu finden ist. Sie ermöglichen es den Teilnehmenden, mithilfe der Codes ein Lösungswort zu erhalten oder Felder auszumalen und dadurch einen Vulkanausbruch zu erkennen. Der Vulkanausbruch ist die Voraussetzung für die in der Folge im Maarkrater entstandene Fossil‑ lagerstätte. Ergänzend wurde über den Gästefragebogen des Jah‑ res 2019 (Hogefeld & Frey, 2021) danach gefragt, was Gästen nach einer Führung als Thema noch präsent war (. Abb. 11.17). 12–18 % der 747 befragten Gäste nannten die Themen „Vulkanismus“, „Ehemaliger See“ und „Regen‑ wald“, „Welterbe“ nannten mehr als 20 % der Befragten. Bemerkenswert ist dies, da alle Themen stets auf den Status der Stätte als Welterbe der UNESCO bezogen werden. Wird dieses in neuer Form mit den weiteren Themen verknüpft, so ergibt sich nicht nur aus Mosaikteilchen ein Gesamtbild, sondern auch ein besseres Prozessver‑ ständnis der sonst sehr komplexen Situation. Die Anzahl der von Gästen gebuchten neuen „Spu‑ rensuche-Paketen“ zeigt ebenso, dass über Freude und Spaß bzw. über Spiele ein Zugang zu den geowissen‑ schaftlichen Themen der Grube Messel geschaffen werden kann. Solche sind nach dem Bekanntwerden der COVID-Pandemie ab 16. März 2020 vom geotouristi‑ schen Team der Welterbe Grube Messel systematisch und mit sehr gutem Erfolg entwickelt worden, wie die Dia‑ gramme in . Abb. 11.18 zeigen. zz Bildung und Vermittlung während der COVID-Pandemie

Es wurden sechs verschiedene Arten von Aktivitäten während der COVID-Pandemie über die Webseite für

..Abb. 11.15  Vulkanismusraum. (Foto: Kurth)

---

Menschen verschiedenen Alters entwickelt und realisiert (. Abb. 11.18, . Abb. 11.19): Rätsel Kurze Videos zu Messel-Themen Ausmalbilder (Zeitreisencrew) Tödliches Paradies – Fossilienporträts: Vorstellung von Fossilien, die in der Grube Messel gefundenen wurden. Videodokumentation (Video-Clips) von kurzen Führungen durch die sechs Ausstellungsräume des Besucherzentrums. Zeitreisencrew - Virtuelle Vorlesestunden (Kinder‑ geschichten). Entsprechend vielfältige Fertigkeiten werden bei den ver‑ schiedenen Angeboten gefördert. Von Mitte März 2020 bis März 2022 haben 14.917 Personen die Rätsel insgesamt angeklickt und so auch die Worträtsel kennengelernt, 9803 Personen die Ausmalbilder genutzt, 22.209 Personen die Fossilienporträts gelesen,

--

295

11.1  •  Lernort Natur

..Abb. 11.16  Inhalte des Paketes: Spurensuche. (a): Inhalt des Pakets, (b): Ergebnis der Veröffentlichung und vorbereitete Pakete im Foto

a

b

--

Fragebogen-Auswertung 2019 Nges = 747

3205 Personen die Kurzvideos angesehen, 847 Personen den virtuellen Vorlesegeschichten zugehört.

20,0 Anteil [%]

Die Abbildungen 11.18 und 11.19 zeigen die Entwicklung der Klick-Zahlen auf der Webseite der Welterbe Grube Messel von November 2020 bis Juni 2022. Der Trend ist auch über diesen Zeitraum hinaus bis Juli 2023 anhaltend. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben zum einen Angebote gewählt, bei denen sie selbst aktiv etwas tun konnten, z. B. etwas ausmalen, Worträtsel lösen, lesen oder zuhören. Die Videos mit den Kinder-Vorlesegeschichten wurden auch gerne angeklickt, liegen aber mit insgesamt 847 Klicks niedriger als die anderen Angebote. Bei der Entwicklung der Video-Clips von den kurzen Führungen durch die Räume des Besucherzentrums (. Abb. 11.19) war es das Ziel, junge Menschen über den Blick in die künstlerisch gestalteten Themenräume für die naturwissenschaftlichen Themen der Grube Messel zu interessieren. In diesen sechs Clips werden neue Eindrücke zu den Themen der weltweit einzigartigen Grube Messel vermittelt. Gemeinsam begeben sich darin zwei Angestellte der Welterbe Grube Messel gGmbH auf Tour zu den Themen „Landschaft“, „Vulkanismus“, „Bohren“, „Klima“, „Forschung“ sowie „Schätze der Natur“ und können dabei von Menschen aus der ganzen Welt virtuell begleitet werden. Sie möchten mit ihrer Begeisterung für diese wunderbare Ausstellung ihre Mitmenschen anstecken, ihre Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Inhalte lenken, sie neugierig machen und einen Anreiz schaffen, das Besucherzentrum zu erkunden. Um auch Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu den unterschiedlichsten Themen zu verschaffen, werden die Angestellten vom dreijährigen Henry begleitet, und es werden Auszüge aus den Zeitreisegeschichten vorgelesen. So wird die Auf-

25,0 15,0 10,0 5,0 0,0

Führungsinhalte

..Abb. 11.17  Ergebnis der Fragebogenauswertung 2019 zum Thema „Was wurde Ihnen als Gast auf der Führung in das UNESCO Welterbe Grube Messel bewusst?“ (Welterbe Grube Messel gGmbH)

merksamkeit auf die verschiedenen Themen, die im Besucherzentrum präsentiert werden, gelenkt, um neugierig zu machen und einen Anreiz zu schaffen, es zu besuchen. Die Entwicklungen über fast drei Jahre zeigen an, dass die Menschen immer wieder auf die Webseite schauen. Am außerschulischen Lernort UNESCO Welterbe Grube Messel wird der Ansatz „gelebt“, insbesondere über Führungen in das UNESCO-Welterbe hinein, einen ehemaligen Vulkankrater, der als See fast 1 Mio. Jahre lang existierte und dadurch zum Archiv von Lebewesen des Eozäns wie auch des Klimas der damaligen Zeit wurde, die Vorgänge von „gestern“ mit Prozessen oder Lebensformen von „heute“ zu verknüpfen. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen und Funde können so von Kindern wie auch Erwachsenen besser verstanden werden. Insbesondere ist hier der Klimawandel zu nennen, der über die Fossilienfunde in der Grube Messel erkannt werden kann. Es herrschte im Eozän ein Treibhausklima, welches sich in den Ablagerungen des Ölschiefers zeigt. So wie er heute von den Menschen direkt erlebt wird, auch wenn er heute durch andere Ursachen hervor-

11

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

8.000 6.000 4.000

Nov. Dez.-2020 Jan.-2021 Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov.-2021 Dez.-2021 Jan.-2022 Febr. März April Mai Juni

2.000

6.000 4.000 2.000

c

0

November 2020 bis Juni 2022

12.000

Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

8.000

11

5.000

Ausmalbilder Zeitreisen-Crew

10.000

0

10.000

b

November 2020 bis Juni 2022

12.000

15.000

Kurze Videos zu Messel-Themen

10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0

d

November 2020 bis Juni 2022

Nov. Dez.-2020 Jan.-2021 Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov.-2021 Dez.-2021 Jan.-2022 Febr. März April Mai Juni

10.000

20.000

Nov. Dez.-2020 Jan.-2021 Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez.-2021 Jan.-2022 Febr. März April Mai Juni

12.000

0

25.000

Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

14.000

a

Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

Tödliches Paradies - Fossilienporträts

Rätsel

16.000

Nov. Dez.-2020 Jan.-2021 Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez.-2021 Jan.-2022 Febr. März April Mai Juni

Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

296

November 2020 bis Juni 2022

..Abb. 11.18  Online bereitgestellte Angebote zum Mitmachen und zum Anschauen. Entwicklung der Klick-Zahlen während der COVIDPandemie von November 2020 bis Juni 2022 auf der Web-Seite

Video-Clips Ausstellungsräume

Zeitreisencrew – virtuelle Vorlesestunden 350 Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

Gesamtklick-Zahlen (aufaddiert)

700 600 500 400 300 200 100 0

Landschaft Bohrkern Evolution

Vulkanismus Regenwald Schatzkammer

November 2020 bis Juni 2022

300 250 200 150 100 50 0

1-ZR-C 2-UU-Not 4-Ida+Sw 5-Weihn November 2020 bis Juni 2022

3-P-Wa

..Abb. 11.19  Aufgezeichnete Angebote von und mit dem pädagogischen Team am Welterbe Grube Messel. Entwicklung der Klick-Zahlen während der COVID-Pandemie von November 2020 bis Juni 2022 auf der Web-Seite. )

gerufen wird, zeigt sich der Wechsel vom damaligen zum heutigen Klima. Diese Eindrücke erfahren Schülerinnen und Schüler authentisch beim Besuch der UNESCO-Welterbestätte und durch die Beschäftigung mit den Themen dieses außergewöhnlichen Ortes – vom Vulkanismus bis hin zum Anfassen des Originalfundstückes eines ehemaligen Lebewesens des Eozäns, etwa eines fossilen Fisches

– oder den Besuch einer Grabungsstelle mit Erläuterung der wissenschaftlichen Bearbeitung (. Abb. 11.20). Dank der Ablagerungen im Ölschiefer und der wissenschaftlichen Untersuchungen ist heute eine Perspektive auf die Zukunft hin möglich. Wir haben es in der Hand, das menschliche Wirken zu beeinflussen, damit wir selbst eine weitere Überlebens-

297

11.2  •  Lernort Museum

..Abb. 11.20  Besuch von Frau Staatssekretärin Asar auf der Grabungsstelle des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (HLMD) und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) im UNESCO-Welterbe Grube Messel. (Foto: Welterbe Grube Messel gGmbH)

chance auf dieser Erde haben und wir auch unserer Verantwortung unseren Mitlebewesen gegenüber gerecht werden, welchen wir aufgrund unserer Lebensweise, wenn auch z. T. unwissentlich, oft die Lebensgrundlage entziehen. Dies an authentischen Orten zu erleben, stärkt das Bewusstsein und führt zu einem Verantwortungsgefühl für unsere Mitmenschen und unsere Mitlebewesen und lässt unser Leben noch lebenswerter werden. So sind außerschulische Lernorte wie das UNESCOWelterbe Grube Messel außerordentlich wichtige Orte schulischer Bildung, welche auch Menschen anderen Alters authentisches Erfahren ermöglicht und neue Blickwinkel öffnet. 11.2 Lernort

Museum

Gilla Simon, Andrea Koch-Hillmaier, Dorothée Kleinschrot

Ausstellungen mit geowissenschaftlichen Inhalten können auf vielfältige Weise Wissen weitergeben; dabei spielt das Alter der Besuchenden (fast) keine Rolle. Sie bieten ein viel breiteres Spektrum an Erfahrungen und Erlebtem als beispielsweise die Lektüre eines Buches. Durch Ausstellungen können alle Sinne angesprochen, Emotionen ausgelöst und neben Fakten auch ein Alltagsbezug hergestellt werden. Die Frage „Was hat das mit mir zu tun?“ sollte dabei immer wieder aufgegriffen werden. Besonders nachhaltig bleibt der Besuch einer Ausstellung in Erinnerung, wenn er durch eine persönliche Führung begleitet wird, denn dabei erfolgt die Vermittlung direkt am Objekt. Die Besuchenden haben die Möglichkeit, dieses selbst in die Hand zu nehmen und so die Inhalte besser zu verstehen, die während der Führung erklärt werden. Dabei ist es wichtig, immer das Auffassungsvermögen der Besuchenden im Blick zu behalten.

Im Folgenden werden Praxiserfahrungen beschrieben, welche Kriterien bei der Konzeption einer Dauerausstellung beachtet werden sollen, wie geowissenschaftliche Objekte zum „Sprechen“ gebracht werden, wie durch die Entwicklung interaktiver Exponate abstrakte Themen erläutert werden können, wie mit „leblosen“ Stücken viele Sinne angesprochen und Emotionen ausgelöst werden, wie Besuchende in Ausstellungen einbezogen werden und nicht zuletzt wie geführte Rundgänge konzipiert und durchgeführt werden können. 11.2.1

Geowissenschaftliche Vermittlung durch Dauerausstellungen

11.2.1.1

Konzeption von Dauerausstellungen

Dauerausstellungen ermöglichen die Präsentation von größeren Themenkomplexen über einen längeren Zeitraum. Dabei werden unterschiedliche Ausstellungsobjekte in einem thematischen Zusammenhang der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bei den Geowissenschaften bieten sich reale, oft äußerst attraktive Objekte wie Fossilien und Minerale geradezu an. Abstraktere Themen können durch interaktive Stationen verdeutlicht werden, Film- und Tonmaterial ergänzen die visuellen Exponate. Bei der Entwicklung von Ausstellungen ist von Anfang an zu bedenken, dass kein „Lehrbuch im Raum“ präsentiert werden soll, sondern – nach dem Motto „Weniger ist mehr“ – durch einprägsame Beispiele geowissenschaftliche Inhalte vermittelt werden sollen. Egal, ob eine Ausstellung in einem Neubau oder in einem bestehenden Gebäude präsentiert wird, die Ausstellungsflächen sind immer limitiert. In der Regel besteht kein Mangel an Inhalten, sondern an Platz. Dennoch sollten sich die Ausstellungsmacherinnen und -macher

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Tab. 11.2  Beispiele für eine inhaltliche Zusammenstellung von Themen, Aussagen, Präsentationszielen und Exponaten bzw. Installationen bei der Ausstellungsentwicklung. (Gilla Simon)

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Thema

Inhalt

Präsentationsziel

Exponat/Installation

Vulkanismus

Definition und Ursachen Vulkanismus in Deutschland, Europa und weltweit Historische Vulkane Begriffe: verschiedene Vulkantypen, Viskosität, verschiedene Eruptionsformen, Magma, Lava Verschiedene vulkanische Gesteine

Bewusstsein für Gefahren durch Vulkane fördern Gegenüberstellung Nutzen bzw. Gefahren durch Vulkane Vulkanismus erlebbar machen Gefahren durch Vulkane in D/EU/weltweit Möglichkeiten der Vorhersage bzw. Monitoring

Vulkanmodell Merapi mit O-Ton Riechstation mit verschiedenen Gasen Unterschiedliche Gesteinsproben mit Tiefengesteinspendant Echte Basaltsäule mit Dünnschliffmikroskop, „sprechender Stein“ Unterschiedliche Flüssigkeiten mit verschiedenen Viskositäten Livebilder verschiedener Vulkane Filme zu Vulkanen

Minerale und Kristalle

Begriffe: Mineral, Kristall Aufbau von Kristallen, Kristallgitter, Kristallstruktur Formenreichtum, Symmetrie Eigenschaften: Farbe, Strichfarbe, Härte, Magnetismus

Bausteine der festen Erde vorstellen Zusammenhang zwischen chemischer Zusammensetzung, Kristallstruktur und Bildungsbedingungen herstellen

Ästhetische Kristallstufen zur Verdeutlichung von Form und Farbe Kristallstruktur- und Holzmodelle zur Veranschaulichung von Gitterbau, Symmetrie und Form Interaktive Station zur Bestimmung von Härte, Strich, Magnetismus

Meilensteine zur Entwicklung des Lebens

Leben gibt es schon sehr lange in verschiedenen Formen. Entwicklung des Lebens ist (auch) abhängig von Umweltfaktoren. Große Sterbeereignisse können ein Neuanfang sein

Hinweise aufzeigen, von denen diese Erkenntnisse erlangt werden können Demut erzeugen für die Einzigkeit unseres Planeten

Forschungsexperiment zur Entstehung des Lebens Gebändertes Eisenerz (Entwicklung freier Sauerstoff) Stromatolith (Präkambrium) Trilobit (Kambrische Explosion) Fossile Pflanzen aus dem Karbon (Karbonwälder, Entstehung Kohlelagerstätten) Gestein mit Iridiumanomalie (Meteoriteneinschlag Kreide-Tertiär-Grenze, Siegeszug Säugetiere)

zunächst von äußeren Einschränkungen lösen und in einem Brainstorming Ideen sammeln. Idealerweise sind von Anfang an in einem Konzeptionsteam neben Kuratorinnen und Kuratoren aus den verschiedenen geowissenschaftlichen Bereichen auch Museumspädagoginnen und -pädagogen sowie Gestalterinnen und Gestalter involviert. Letztere bilden die Brücke zu den Laien und sprechen deren Sprache. Nach der Ideenfindung werden die „bunten Zettel“ sortiert und tabellarisch aufgelistet. Hierfür eignet sich eine Tabelle, in der mit Stichpunkten bzw. kurzen Sätzen die übergeordneten Themen, Aussagen, Präsentationsziele/Erkenntnisse und mögliche Exponate/Inszenierungen eingetragen werden (. Tab. 11.2). Zu Beginn der Ausstellungskonzeption sollte auch überlegt werden, ob ein zentrales Objekt oder eine im Mittelpunkt stehende Inszenierung in die Ausstellung führen soll. Die Gründe für eine solche Gliederung können vielfältig sein: In der Sammlung existiert ein außerordentlich wertvolles Exponat (auch im wissenschaftli-

chen Sinn), das in der Ausstellung unbedingt präsentiert werden sollte, oder eine zentrale Inszenierung wird rein optisch als Ausgangspunkt zur Erkundung der Ausstellung und der verschiedenen Themen wahrgenommen. In beiden Fällen sollten „Brückenexponate“ in die nachfolgenden Themencluster führen. Als Beispiel sei hier eine große Eingangsinszenierung zur Ausstellung „Unruhige Erde“ im Museum Mensch und Natur in München beschrieben: ein Großdiorama mit dem Titel „Auf der Erde vor vier Milliarden Jahren“ (. Abb.  11.21). Es zeigt eindrucksvoll, wie die Kräfte der Naturgewalten schon zu Urzeiten wirkten. Auf der einen Seite des Dioramas zeugen Vulkane (und die Bildung von Basaltsäulen) von inneren Kräften unseres Planeten, auf der anderen Seite wirken Wind und Wetter – äußere Kräfte. Durch Verwitterung wird festes Gestein abgetragen und führt zu sich abwärts bewegenden Schuttströmen. Die Gegenüberstellung der inneren und äußeren Kräfte zieht sich durch die gesamte Ausstellung.

11.2  •  Lernort Museum

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..Abb. 11.21  Das Diorama zeigt eine Situation vor 4 Mrd. Jahren auf der Erde. (Museum Mensch und Natur)

..Abb. 11.22 Der Kreislauf der Gesteine wird hier als dreidimensionales Exponat gezeigt. Dem Bild sind exemplarisch Handstücke hinzugefügt. Drei repräsentative Vertreter erzählen in einer Audiostation ihre „Lebensgeschichte“. (Museum Mensch und Natur)

Als Zusammenfassung solcher Prozesse findet sich am Ende der Ausstellung eine Installation zum Kreislauf der Gesteine. Der hinterleuchtete Kasten erlaubt einerseits durch Beleuchtung den Effekt, dass alles im Fluss ist, vergeht und wieder entsteht (. Abb. 11.22). Andererseits wird es möglich, in diesem Kasten kleine Gesteinsproben als repräsentative Vertreter der magmatischen, sedimentären und metamorphen Gesteine zu platzieren. Die Beziehungen untereinander, d. h., was aus was entstehen kann, wird durch die dargestellte Bewegung sofort verständlich. Drei „sprechende“ Steine (Basalt, Sandstein und Gneis) berichten von ihrem „persönlichen Schicksal“, welches jeweils repräsentativ für den Entstehungsprozess einer Gesteinsart steht. Die Themen „Erdbeben“ und „Vulkanismus“ sind vielen von uns vertrauter als der Gesteinskreislauf.

Hierfür sind insbesondere Meldungen in den Medien verantwortlich, wenn irgendwo auf der Welt ein Erdbeben verheerende Schäden verursacht oder ein Vulkanausbruch den Flugverkehr lahmlegt. Wie sich ein Erdbeben anfühlt, ist hingegen den meisten von uns weniger bekannt und lässt sich am besten durch simulierte Erdbeben erfahren. Es gibt einige Ausstellungshäuser in Deutschland mit eindimensionalen Bewegungen zum Teil realer Erdbeben; eindrücklicher sind Simulationen von zweidimensionalen Bodenbewegungen wie beispielsweise in einem Container im Museum Mensch und Natur. Hier können die gewaltigen Kräfte sechs verschiedener Erdbeben, die in der Vergangenheit in verschiedenen Ländern aufgetreten sind, nachvollzogen werden.

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.23  Bei der Sonderausstellung „WASSER – wie es unsere Erde formt“ standen großformatige Fotografien von Bernhard Edmaier im Mittelpunkt. Die Ausstellung wurde um zahlreiche, zum Teil interaktive Exponate und Gesteinsproben ergänzt. (Museum Mensch und Natur)

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..Abb. 11.24  An der Augmented-Reality-Sandbox konnten Landschaften mit der Hand gestaltet werden und es konnte beobachtet werden, wie sich das Wasser verteilt. (Museum Mensch und Natur)

11.2.1.2

Vermittlung durch wechselnde Ausstellungen

Wechselnde oder Sonderausstellungen bieten die Möglichkeit, Themen zu vertiefen oder bestimmten Objekten einer Sammlung einen eigenen Raum zu geben. Sie bieten sich ebenfalls an, über den fachlichen Tellerrand zu schauen und mit anderen Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern oder Künstlerinnen und Künstlern zusammenzuarbeiten. Da Sonderausstellungen zeitlich begrenzt sind und im Idealfall regelmäßig erneuert werden, locken sie immer wieder das Publikum an. Sie bieten ebenfalls die Möglichkeit, lehrplanrelevante Themen aufzugreifen. Im Folgenden werden exemplarisch zwei Sonderausstellungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vorgestellt.

Sonderausstellung „WASSER – wie es unsere Erde formt“ Die Sonderausstellung entstand als Kooperationsprojekt zwischen dem Geologen und Fotografen Bernhard Edmaier, seiner Partnerin und Wissenschaftsautorin Angelika Jung-Hüttl sowie dem Museum Mensch und Natur. Im Mittelpunkt standen 45 großformatige Fotografien, die mit Bildtexten zu geographischen und geologischen Hintergründen ergänzt wurden. Das Museum Mensch und Natur hat die Ausstellung um zahlreiche Exponate erweitert, darunter Medien‑, Audio- und interaktive Stationen, aber auch Gesteinsproben, meist zum Anfassen, wurden gezeigt (. Abb. 11.23). Bernhard Edmaier und Angelika Jung-Hüttl haben über mehrere Jahre verschiedene Regionen unserer Erde bereist, um Wasser von einer bisher kaum wahrgenommenen Seite zu dokumentieren: als die wichtigste landschaftsgestaltende Kraft auf unserem Planeten. Die Fotos wurden zumeist aus einem Helikopter oder

11.2  •  Lernort Museum

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..Abb. 11.25  Ein ästhetischer Blickfang in der Sonderausstellung „Alle Zeit der Welt – vom Urknall zur Uhrzeit“ waren die „Meilensteine“. Hier wurden vier wichtige Ereignisse der Erdgeschichte vorgestellt. (Museum Mensch und Natur)

Flugzeug aufgenommen. Bernhard Edmaier verzichtet dabei bewusst auf einen Maßstab und lässt mit seiner Komposition die Bilder von einer reinen Fotodokumentation zu fotografischen Kunstwerken werden. Durch die ergänzenden Bildtexte verbinden sich Fotokunst und Wissenschaft. Im Museum Mensch und Natur wurden die Besuchenden durch eine Eingangsinszenierung in die Ausstellung gezogen und auf das Thema „Wasser“ eingestimmt. Daran schloss sich ein einführender Teil an, bei dem auf die Eigenschaften des Wassers und seine Bedeutung auf der Erde eingegangen wurde. Ein Spiel mit drehbaren Tafeln gab Antworten auf viele unterschiedliche Aspekte. So konnte beispielsweise erkundet werden, warum es flüssiges Wasser auf der Erde gibt, wie viel eine Wolke wiegt und woher das Wasser auf der Erde kommt. Nach der Einführung tauchten die Besuchenden in die Fotoausstellung ein. Diese war thematisch in drei Bereiche gegliedert. Im ersten Kapitel „WASSER – flüssig fest, gasförmig“ wurden die drei Aggregatzustände Wasser, Eis, Dampf anhand der eindrucksvollen Bilder von Bernhard Edmaier vorgestellt. Kompliziertere Themen wie beispielsweise der Aufbau eines Wassermoleküls oder die Frage, wie Wasser zu Eis bzw. Wasserdampf wird, wurden in einem kindgerechten Film mit Kermit als Hauptfigur erklärt. Der ewige Wasserkreislauf der Erde konnte mithilfe eines kleinen Modells inklusive einer Hörstation erkundet werden. Das Kapitel „WASSER – destruktiv, bewegend, konstruktiv“ stellte das eigentliche Kernthema der Ausstellung dar. Neben den großformatigen Fotografien wurden Gesteinsproben ausgewählt, die ihre eigene Geschichte zu diesen Themen – teilweise im wahrsten Sinne des Wortes – über eine Audiostation erzählten. Beispielsweise wurden kristalline Gerölle aus der Isar, Gletscher-Ge-

schiebe aus dem Ostseeraum, gekritztes Geschiebe aus dem Chiemgau oder eine Gesteinsplatte mit fossilen Rippelmarken gezeigt. Ein Highlight zu dieser Thematik war eine Sandbox, bei der man selbst aktiv werden konnte. Bei diesem Augmented-Reality-Exponat können Landschaften mit Bergen, Tälern, Flüssen und Seen in Sand geformt werden. Eine Kamera scannt diese ab, und durch einen Beamer werden in Echtzeit die Höhenlinien und die Morphologie auf die Sandoberfläche projiziert. Die Besuchenden konnten es regnen lassen und beobachten, wohin das Wasser fließt, wo es sich sammelt und wie sich Veränderungen der Landschaft auf diese Prozesse auswirken (. Abb. 11.24). Im letzten Kapitel „WASSER – und der Klimawandel“ waren in Bernhard Edmaiers Bildern das Auftauen der Permafrostböden und der Rückzug der Gletscher festgehalten. Andererseits wurde aber auch mit einem Bild des kornatischen Archipels vor der kroatischen Adriaküste darauf aufmerksam gemacht, dass es in der Erdgeschichte häufiger Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten gab. Aktuelle Auswirkungen der Erderwärmung konnten die Besuchenden u. a. an zwei Medienstationen erkunden: An einem Touchscreen konnten die Auswirkungen des Meeresspiegelanstieges in Abhängigkeit vom globalen Temperaturanstieg auf reale Städte und Küstenregionen erkundet werden. Zur Auswahl standen Städte wie Tokio, Kairo und New York, aber auch für uns nähere Ziele wie Venedig, London und der Küstenbereich der deutschen Nordsee. An einer weiteren Medienstation konnte der Rückgang acht verschiedener Schweizer Gletscher verglichen werden. Hierzu wurden virtuell Fotografien übereinandergeschoben, die von gleicher Stelle in Zeiträumen von maximal zehn Jahren aufgenommen wurden.

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.26  In der Sonderausstellung „Alle Zeit der Welt – vom Urknall zur Uhrzeit“ wurde auch das Altern eines Individuums thematisiert. An Händen, wie den hier gezeigten Abgüssen, lässt sich das Älterwerden gut sehen. (Museum Mensch und Natur)

Sonderausstellung „Alle Zeit der Welt – vom Urknall zur Uhrzeit“

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Die Idee zu dieser Ausstellung wurde bei einem Treffen der Regionalmuseen der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns und des Museums Mensch und Natur „geboren“. In rund 15 Monaten wurde ein inhaltliches Konzept erarbeitet und in eine Wanderausstellung umgesetzt, die im Anschluss an den Standort München noch an weiteren Museen gezeigt wurde bzw. wird. An der inhaltlichen Erarbeitung der Themen waren zahlreiche Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus den Bereichen Astrophysik, Biologie, Medizin und Geowissenschaften eingebunden. Die Szenografie wurde an ein externes Ausstellungsgestaltungsbüro vergeben, vorformulierte Texte wurden von einem Texter überarbeitet. Weiterhin wurde mit einer Grundschule kooperiert: Die Kinder einer 4. Klasse erarbeiteten zusammen mit einer Museumspädagogin mehrere Fragen, die durch Interviewpartnerinnen und -partner aus verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen kindgerecht beantwortet wurden. Inhaltlich war die Ausstellung in vier Bereiche gegliedert: „Universum“, „Erde“, „Leben“ und „Rhythmen“. Die Besuchenden durchschritten zunächst einen Raum, in dem sie Teil einer Inszenierung des Urknalls wurden. Direkt im Anschluss wurden sie von einem prominenten Welterklärer begrüßt, der für das Ausstellungsprojekt gewonnen werden konnte: Prof. Dr. Harald Lesch. Er brachte an dieser Stelle etwas Licht in die so schwer begreifbaren Vorgänge am Anfang von Raum und Zeit. Über dem räumlichen Mittelpunkt der Ausstellung, der alle vier Themenbereiche verband, schwebte leuchtend unsere Sonne, umringt von ihren Planeten. Darunter markierte ein Chondrit, sozusagen als „Gruß“ aus der Geburtsstunde des Sonnensystems, den Beginn des Themenbereichs „Erde“ (. Abb. 11.25). „Meilensteine“ wie etwa ein gebändertes Eisenerz, das Pate

für die Bildung der Sauerstoffatmosphäre stand, oder fossile Trilobiten, die stellvertretend für die Explosion des Lebens im Kambrium gezeigt wurden, spiegelten wichtige Ereignisse auf dem Weg von der kargen Erde bis zum Blauen Planeten. Unterschiedlich lang andauernde geologische Prozesse wurden in der Ausstellung gegenübergestellt: Für einen, in menschlichen Zeitdimensionen gesehen, sehr langen Prozess wurde das Wandern der Kontinente dargestellt. Eine Animation zeigte die Kontinentaldrift aus der Vergangenheit in eine mögliche Zukunft. Dass Veränderungen auf der Erde manchmal sehr schnell verlaufen können, wurde anhand von zwei Bohrkernen aus dem Nördlinger Ries gezeigt: Die Entstehung des Suevits verlief in Sekundenschnelle, während die Ablagerung eines Seetons über einen Zeitraum von Jahrtausenden ablief. Die Frage nach dem Alter eines Gesteins wurde anhand eines mächtigen Gneisblockes verdeutlicht: Er trägt mehrere Alter (Alter des Ausgansgesteines, Metamorphosealter etc.) in sich, sodass das Bildungsalter gar nicht so eindeutig ist, wie es zunächst scheint. Die grundlegende Frage, woher man eigentlich weiß, wie alt etwas ist, wurde anschaulich anhand von Leitfossilien, aber auch durch eine interaktive Station zur radiogenen Altersbestimmung erklärt. Die Besuchenden konnten weiterhin an einem Hands-on-Tisch selbst Hand anlegen und das Alter einer Holzprobe bestimmen. Dieses Exponat leitete zum Themenbereich „Leben“ über. Der dritte Teil der Ausstellung widmete sich der Entwicklung des Lebens auf der Erde und den Zeiträumen, welche ein einzelnes Leben bestimmen. An einem großen Schaubild vom Stammbaum des Lebens ließen sich Fragen wie „Wann entstand das Leben auf der Erde?“, „In welchen Zeiträumen entfaltete sich die große Vielfalt der Arten?“ und „Wann trugen besondere Ereignisse dazu bei, dass ein Teil der Arten auch wieder verschwand?“

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11.2  •  Lernort Museum

beantworten. Der Frage nach der Geschwindigkeit von Evolution wurde in der Gegenüberstellung zweier Fischarten nachgegangen: Während der Quastenflosser sich scheinbar seit Urzeiten kaum verändert, entwickelte sich in einem jungen Kratersee in Tansania in kurzer Zeit eine Vielzahl an Buntbarscharten. Auch der Tatsache, dass manche Arten extrem lange leben, während andere ihr Leben im Zeitraffer durchlaufen, wurde anhand verschiedener Beispiele erläutert. Für unterschiedlich lange Lebensphasen verschiedener Arten standen Eintagsfliege (mehrjährige Jugend, wenige Stunden Erwachsenenalter) und Krallenfrosch (größter Teil seines Lebens verbringt dieser im Erwachsenenstadium) Pate, und die Lebensphasen des Menschen wurden anhand einer Bronzeplatte mit Handabgüssen dargestellt. Hier konnten sich die Besuchenden in eine Reihe von fünf unterschiedlich alten Handrücken selbst einordnen (. Abb. 11.26). Im letzten Kapitel widmete sich die Ausstellung den rhythmisch wiederkehrenden Ereignissen, die im steten Fluss der Zeit die Prozesse des Lebens steuern. So wird ein bestimmter Zeitpunkt im Jahr von vielen Arten über die veränderliche Tageslänge wahrgenommen. Aber auch die Vorgänge im Organismus selbst werden bei vielen Arten durch innere Uhren gesteuert. Wie die Verteilung zwischen Früh- und Spätaufstehenden bei uns Menschen ist, konnten die Besuchenden aktiv nachvollziehen, indem sie einen Chip in eine Röhre warfen, die ihrer natürlichen Aufstehzeit entspricht. Diese Verteilung entsprach (bei entsprechender Beteiligung der Besuchenden) derer der durchschnittlichen Bevölkerung. 11.2.2

Personelle Vermittlung

Für viele liegt der Reiz eines Museumsbesuches nicht allein in der Attraktivität der Ausstellungen, sondern auch in einem zielgruppenorientierten Vermittlungsangebot. Museen werden zunehmend als außerschulische Lernorte wahrgenommen und deren Vermittlungsformate verstärkt von Schulklassen genutzt. Ein Leitfaden des Deutschen Museumsbundes weist darauf hin, dass es vor allem die personelle Vermittlung ist, die den Museumsbesuch bereichert und es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, in direkte Kommunikation mit dem Museum zu treten. Auf vorhandene Erfahrungen, Kenntnisse, Kompetenzen, Bedürfnisse und Interessen einzelner Gruppen einzugehen, ist dabei die große Stärke der personellen Vermittlung (Deutscher Museumsbund e. V. & Bundesverband Museumspädagogik e. V., 2020). Es steht außer Frage, dass die Qualität der Führung immer von der pädagogischen, kommunikativen und fachlichen Kompetenz der Referentinnen und Referenten abhängt: Sprache, Methodenwahl und Auswahl des didaktischen Zusatzmaterials, insbesondere aber die Auswahl passender Exponate, muss sich an den Bedürfnissen

..Abb. 11.27  Der fossile Meeresboden aus einem ehemaligen Steinbruch im fränkischen Rottershausen ist ein idealer Einstieg in die Führung „Erdgeschichte im Heimatraum“. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

der jeweiligen Zielgruppe (Vorschule, Grundschule, weiterführende Schulen, Erwachsene etc.) orientieren. Im Folgenden werden die Kriterien eines Führungskonzeptes kurz beschrieben und praktische Beispiele zur Durchführung von zielgruppenorientierten Vermittlungsformaten in geowissenschaftlichen Ausstellungen aufgezeigt. 11.2.2.1

Inhalte und Ziele

Bei der Entwicklung eines neuen Führungskonzeptes spielen verschiedene Kriterien eine Rolle. Zum Beispiel sieht man sich schnell mit folgenden Fragestellungen konfrontiert: Welche Ziele sollen im Vordergrund stehen? Welche Inhalte sollen vermittelt werden? Geht es um das Heranführen an ein geowissenschaftliches Grundverständnis oder soll ein schulisches Unterrichtsthema vertieft werden? Gilt es, ein Begleitprogramm zu einem Schulprojekt zu erstellen? Sollen interdisziplinäre Verknüpfungen in den Naturwissenschaften hergestellt werden? Oder richtet man den Schwerpunkt auf aktuelle Forschungsthemen? Stehen aktuelle Themen wie „Rohstoffverbrauch“ und „Recycling“ im Fokus und soll die Gewinnung von Bodenschätzen in Zusammenhang mit der Umweltproblematik aufgezeigt werden? Oder sollte man die Führung zum Anlass nehmen, im Sinne von Bildung für nachhaltige Entwicklung, Kompetenzen und Wissen zu vermitteln, die für eine nachhaltige Entwicklung notwendig sind? Dies sind nur einige Beispiele, die veranschaulichen, welch unterschiedlichen Inhalte und Ziele es beim Erstellen eines Konzeptes zu beachten gilt. Ergänzend zu all diesen Sachzielen und Fragestellungen, müssen aber vor allem die Besuchenden im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, deren Erwartungen und Interessen sich in einer möglichst spannungsvollen und anregenden Führung widerspiegeln.

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.28  Das dreidimensionale Modell ermöglicht den Besuchenden das im Workshop „Gesteine bestimmen“ Erlernte zu festigen. Die Gesteinsproben können mit Klettverschluss an das Modell angeheftet werden. Dieses Modell entstand im Rahmen einer Zulassungsarbeit im Fach Geographie. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

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11.2.2.2

Wahl der Exponate, Methoden

Nach Czech et al. (2014) wird für einen geführten Museumsbesuch eine Reihe von Exponaten zu einem thematischen Leitfaden, der Führungslinie, zusammengestellt. Bei der Erstellung dieser Führungslinie gilt es, die Exponate nicht nur entsprechend der räumlichen Anordnung aneinanderzureihen, sondern auf eine sinnvolle, für die Zielgruppe geeignete, stimmige Abfolge zu achten. Hier gilt das Prinzip „Beginne beim Einfachen und gehe über zum Komplexen“ (Czech et al., 2014). Geowissenschaftliche Museen verfügen über ausreichendes originales Anschauungsmaterial wie Gesteine und Minerale, auch in Form ausgebildeter Kristalle, die für Erläuterungen und zum eigenen Erforschen durch die Besuchenden eingesetzt werden können. Der fossile Meeresboden aus der Zeit des Muschelkalkes hängt im Eingangsbereich zum Mineralogischen Museum der Universität Würzburg. Ein idealer Einstieg in die Führung zum Thema „Erdgeschichte unseres Heimatraumes“ (. Abb. 11.27). Ein weiteres Beispiel ist ein Eisenmeteorit, der als außerirdisches Exponat sofort Begeisterung findet und Interesse weckt. Das Arbeiten mit Originalen wird ergänzt durch Modelle, die Originalschauplätze nachempfinden. Das erlernte Wissen zum Kreislauf der Gesteine z. B. kann mit einem Modell überprüft werden, das leicht zu bauen ist, ebenso wie das Modell Sonnensystem zur Erläuterung der relativen Größen unserer Planeten und deren Position (. Abb. 11.28 und 11.29). Andere Modelle zeigen die Vielfalt der Kristallformen und werden für Symmetrieübungen zum besseren Verständnis eingesetzt. Die Auswahl der Exponate sollte immer an die Zielgruppe, den gewählten Inhalt und das Vermittlungsformat angepasst werden.

..Abb. 11.29  Sind die Planeten in der richtigen Reihenfolge angeordnet, findet man schnell den Herkunftsort des Eisenmeteoriten, der in der Führung herumgereicht wird. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

Dioramen sind sehr anschauliche Modelle, die nicht nur originale Schauplätze zeigen, sondern eine komplette Szenerie. Sie versetzen die Betrachtenden z. B. in eine vergangene erdgeschichtliche Zeit. Solche Modelle stehen meist in Museen, die große Räume zur Verfügung haben. Die Methodik der Vermittlung geowissenschaftlicher Themen ist vielfältig; dabei steht die Wahl der Methode immer in engem Zusammenhang mit der Zielgruppe und dem gewählten Vermittlungsformat. Zum Einsatz kommen neben der „klassischen“ Methode wie dem Gespräch, beispielsweise auch Recherche- und Arbeitsmethoden sowie haptische, narrative, partizipative, spielerische und sinnesorientierte Methoden. Wichtig hierbei ist, dass auch während einer museumspädagogischen Veranstaltung immer wieder ein Methodenwechsel stattfindet, um die Aufmerksamkeit der Besuchenden zu behalten. Tipp

Anregungen finden sich hierzu auf der Online-Datenbank Xponat, die Methoden der Vermittlung im musealen Bereich anhand von Exponaten zeigt: 7 https://www.xponat.net

11.2.2.3 Vermittlungsformate

Die Art der Vermittlung hängt von der zur Verfügung stehenden Zeit und den Bedürfnissen der Besuchenden ab. Bei der personellen Vermittlung werden vor allem Führungen und Workshops angeboten. In Führungen

11.2  •  Lernort Museum

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..Abb. 11.30  Die Zeitstrahlrolle ist eine anschauliche und spielerisch-interaktive ­Methode, mit der die ab­strakte 4,6 Mrd. Jahre währende Erdgeschichte veranschaulicht werden kann. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

können Teile der Dauer- oder eine Sonderausstellung oder ein ausgewähltes Thema aus diesen Ausstellungen vorgestellt werden. Dabei kommen zur Anschaulichkeit sowohl originale Exponate als auch Modelle zum Einsatz. Die vermittelnde Person steht dabei immer im Dialog mit den Besuchenden. Zeitlich aufwendiger sind Workshops, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter Anleitung selbstständig am Objekt oder einem Thema arbeiten; hierzu gehören auch Experimentierstationen, an denen entweder selbstständig oder unter Anleitung von Personal experimentiert werden kann. In Ausstellungen bieten sich zahlreiche Möglichkeiten der medialen Vermittlung an, wie z. B. Hands-on-Stationen, Installationen mit Videos, Fotos oder anderen Medien (Deutscher Museumsbund e. V. & Bundesverband Museumspädagogik e. V., 2020). Digitale Vermittlungsarbeit in Form von Podcast oder Video, die auf der Website eines Museums präsentiert werden können, findet seit Beginn der Pandemie immer häufiger statt. 11.2.2.4

Ausgewählte Zielgruppen

Im Folgenden werden praktische Beispiele aus verschiedenen Museen vorgestellt. Die Auswahl der Zielgruppen zeigt, dass geowissenschaftliche Themen und Inhalte für alle Altersstufen aufbereitet werden können. zz Vor- und Grundschule

Vor- und Grundschulkinder greifen auf eine andere Erfahrungswelt zurück als Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen oder Erwachsene. Sie verfügen über weniger naturwissenschaftliche Vorkenntnisse, haben eine andere Auffassungsgabe und ein geringeres Abstraktionsvermögen. Gerade ihnen ist aber ein enormer Wissensdurst zu eigen, und sie sind sehr an der sie umgebenden belebten und unbelebten Natur interessiert. Ihre Neugierde und

ihre Faszination bezogen auf Geowissenschaften sind groß: „Wie sah unsere Erde in der Urzeit aus?“ „Wie lebten die Dinosaurier?“ „Wie kommen Versteinerungen eigentlich in den Stein?“ Jeder, der mit Vorschul- und Grundschulkindern in (geowissenschaftlichen) Museen arbeitet, kennt diese Fragen nur zu gut. Immer wieder sind Kindern Namen und Darstellungen von urzeitlichen Tieren, vor allem die von einzelnen Sauriern, aus Büchern und Filmen bekannt. Teilweise verfügen sie über ein erstaunliches Detailwissen. Im Zuge einer Museumsführung wird dabei auf bekannte didaktische Grundprinzipien zurückgegriffen: ein Wechsel zwischen handlungsorientiertem, dialogischem, entdeckendem oder mehrkanaligem Lernen, bei dem möglichst viele Sinne angesprochen werden. Anhand einiger Schilderungen aus der Praxis soll versucht werden, dies etwas näher zu verdeutlichen. Wie kann man beispielsweise Vor- und Grundschulkindern große Zeiträume, die sich über Millionen Jahre erstrecken, begreifbar machen und ihnen dabei gleichzeitig einen Überblick zur zeitlichen Orientierung vermitteln? Als Einstieg zu einer Führung zum Thema „Saurier und Dinosaurier“ eignet sich der „Zeitstrahl“ (Prinzip der Visualisierung) – das kann ein langes Seil, eine lange Papier- oder Stoffrolle sein, worauf wichtige Stationen der Erdgeschichte, wie beispielsweise die Entstehung der Erde, das Auftreten der ersten Einzeller oder das Aussterben der Dinosaurier etc. markiert werden (. Abb. 11.30). Es ist eine anschauliche und spielerisch-interaktive Methode, mit der die abstrakte 4,6 Mrd. Jahre währende Erdgeschichte veranschaulicht werden kann. Der Zeitstrahl wird zusammen mit den Kindern aufgerollt. Einzelne Stationen der Entwicklungsgeschichte der Erde werden nun besprochen und zusammen mit den Kindern mithilfe von Spielfiguren, Bildern oder Fossilien, die neben dem Zeitstrahl platziert werden,

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.31  Das Diorama „Vor 275 Millionen Jahren“ zeigt die Segelechse Dimetrodon inmitten ihres paläozoischen Lebensraumes. (Museum Mensch und Natur)

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veranschaulicht. Am Schluss können die Kinder auf einen langen, ereignisreichen und selbst erstellten „Zeitverlauf“ zurückblicken, und es ist für sie verblüffend zu sehen, wie viel Zeit von der Entstehung der Erde bis zum Auftreten der Dinosaurier vergangen ist und wie verhältnismäßig „kurz“ sie auf der Erde lebten. Die größte Überraschung ist aber, wie klein der Zeitraum der Menschheitsgeschichte im Vergleich zur gesamten Evolution ist. Mit dieser erlebten Erkenntnis ausgerüstet, können sich Kinder der näheren Betrachtung der Lebenswelten der urzeitlichen Echsen widmen. Auch Dioramen stellen speziell für die Altersklasse der Vor- und Grundschulkinder eine sehr reizvolle Ausstellungs- bzw. Veranschaulichungsvariante dar. Sie laden ein, in vergangene, fremde Welten einzutauchen und sie mit eigenen Augen zu entdecken (Prinzip der Veranschaulichung; entdeckendes Lernen). Ausgehend vom Vorwissen, das die Kinder aus Buchdarstellungen und Filmen in die Museumsführung mitbringen, lässt sich mithilfe der Lebensraumrekonstruktionen und deren zugrunde liegenden fossilen Belegstücke eine konkrete Vorstellung vom Aussehen und der Lebensweise der Saurier vermitteln. Als Beispiel sei das Diorama aus dem Museum Mensch und Natur (. Abb. 11.31) mit dem Titel „Vor 275 Millionen Jahren“ genannt: Das lebensgroße Modell der Segelechse Dimetrodon als Vertreterin eines urtümlichen Reptils wird inmitten ihres paläozoischen Lebensraumes eindrucksvoll in Szene gesetzt. Die üppige Vegetation bestehend aus Nadelbäumen, Farnsamern, Siegelbäumen und Schachtelhalmen vor dem Hintergrund hoher Bergketten bildet den szenischen Rahmen. Ein Gewässer, dessen Ufer mit Pflanzen bewachsen sind, ist erkennbar. Im Vordergrund kann man bei genauerem Hinsehen den Horn-Lurch Diplocaulus unter der Wasseroberfläche entdecken.

Gleich neben dem Diorama sind in einer Vitrine die fossilen Belegstücke zu dieser Rekonstruktion ausgestellt. Vielen Kindern ist der als Blickfang in der Mitte des Dioramas stehende Saurier Dimetrodon bekannt. Sie erkennen ihn zumeist sofort an dem imposanten Rückensegel, seinem herausragendsten Körpermerkmal. Folgende Fragestellungen können mit den Kindern bei der Betrachtung nun herausgearbeitet werden: „Welche Funktion hatte wohl das rätselhafte Rückensegel?“, „Wie sehen die Beine des Sauriers aus?“, „Welche anderen Tiere haben heute auch solch eine seitliche Beinstellung?“, „War Dimetrodon ein Fleisch- oder Pflanzenfresser?“ (Prinzip des dialogischen Lernens). Mit der Frage „Was könnte der Fleischfresser Dimetrodon in dieser Umgebung gefressen haben?“ werden die Kinder nun aufgefordert, ein potenzielles Beutetier in dem Diorama zu suchen (Prinzip des handlungsorientierten/entdeckenden Lernens). Meist ist der auf dem Grund des Gewässers sitzende Horn-Lurch Diplocaulus erst auf den zweiten Blick zu erkennen. Oft erfolgt zunächst eine aufgeregte Diskussion über die möglichen Folgen einer Konfrontation beider Tiere. Die Vor- und Grundschulkinder erkennen und benennen in der Folge Körpermerkmale und lernen, daraus Rückschlüsse auf die Lebens- und Fortbewegungsweise der Tiere zu ziehen. Vielen Kindern macht es Spaß, die seitlich ausgestellten Beine des Dimetrodon selbst mit einem Liegestütz nachzuahmen. Dies erfordert viel Beobachtungsgabe, Koordination und natürlich auch Kraft, und sie merken schnell, wie anstrengend und kraftraubend diese urtümliche Beinstellung ist (Prinzip des handlungsorientierten Lernens). Sie erfahren zudem, welche Körperteile nach dem Tod eines Tieres unter optimalen Bedingungen erhalten bleiben und welche nicht, wie Knochen versteinern und, letztendlich, was man aus versteinerten Überresten lesen kann.

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11.2  •  Lernort Museum

..Abb. 11.32  „Wie unterscheidet sich ein fossiler von einem nicht fossilen Knochen?“ An originalen Handstücken lässt sich dies gut „begreifen“. (Museum Mensch und Natur)

Um auch eine haptische Wahrnehmung zu ermöglichen, werden nun ein fossiler und ein nicht fossiler Knochen – sie sollten idealerweise gleich groß sein – herumgereicht. Die Kinder nehmen jeweils einen Knochen in die Hand und vergleichen deren Beschaffenheit und ihr Gewicht (Prinzip des mehrkanaligen Lernens). Sie erkennen schnell, dass der „versteinerte“ Knochen anhand seines höheren Gewichtes und seiner anderen Materialität leicht zu identifizieren ist (. Abb. 11.32). Da die ausgestellten Fossilien in den Museen normalerweise nur selten angefasst werden dürfen, bietet es sich an, verschiedene Handstücke wie beispielsweise fossile Zähne oder Knochen mitzuführen, die die Kinder problemlos in die Hand nehmen dürfen. Ein Highlight bilden zwei originale PlateosaurusKnochen, die in der Ausstellung im Museum Mensch und Natur, gut erreichbar platziert sind und ausdrücklich zum Anfassen einladen (Prinzip des entdeckenden, ganzheitlichen Lernens). Um einen Einblick in die Arbeitsweise der Forschenden zu bekommen, werden die Kinder aufgefordert, in der benachbarten Vitrine nach den fossilen Beweisen zu den Modellen im Diorama zu suchen und die Pflanzenund Skelettteile zu benennen. Anhand der unvollständigen Überlieferung mancher Fossilien begreifen sie, wie schwierig und mühevoll die Rekonstruktion eines Skelettes bisweilen sein kann. Suchaufgaben wie diese regen zum eigenständigen Erkunden und Entdecken der Ausstellung an. So können die Kinder anhand von Abbildungen von Fossilien die dazugehörende Rekonstruktion oder anhand von Detai-

laufnahmen einzelne Exponate in der Ausstellung suchen (Prinzip des entdeckenden Lernens). Immer wieder wird auch der Bezug zum eigenen Körper hergestellt: Anhand eines Skelettabgusses des Vogelbeckendinosauriers Camptosaurus erfahren sie z. B., dass Wirbeltiere (am Beispiel Mensch und Dinosaurier), obwohl sie doch so unterschiedlich scheinen, einen ähnlichen Grundbauplan haben. Beim Größenvergleich ihres eigenen Oberschenkelknochens mit dem des Langhalsdinosauriers Plateosaurus und ihres Kopfes mit dem Schädel des Raubdinosauriers T-Rex lernen sie, die riesigen Körperdimensionen dieser ausgestorbenen Tiere einzuordnen. Auf die abschließende Frage „Warum gibt es die Dinosaurier heute eigentlich nicht mehr?“ sprudelt es meist nur so aus den Kindern heraus, und sie erzählen begeistert, was sie über den Asteroideneinschlag wissen, der mitursächlich für das Massenaussterbeereignis vor 66 Mio. Jahren war. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass Museumsführungen mit Vor- und Grundschulkindern sehr wertvoll sind. Sie machen die Kinder neugierig und hinterlassen bleibende Eindrücke von Museen und öffnen ihnen die Augen für Wissenschaft und Forschung. zz Weiterführende Schulen

Diese Zielgruppe beinhaltet die Mittelschulen, Gymnasien und Berufsfachschulen. Das Alter der Museumsbesuchenden reicht von zehn bis etwa 20 Jahren. Statistiken über die Besuchenden der vergangenen zehn Jahre aus dem Mineralogischen Museum der Universität Würzburg zeigen, dass Schulklassen durchschnittlich 26 % des Publikums des Museums ausmachen. Da diese ihre Begeisterung weitergeben, kommen sie mit Freunden oder der Familie wieder und feiern Geburtstag im Museum. Insgesamt liegt der Anteil an jungen Besuchenden, die ein museumspädagogisches Angebot buchen, bei 35 %. Schulklassen besuchen den außerschulischen Lernort vor allem zur Vorbereitung oder Ergänzung des Unterrichtes. Welches Format ausgewählt wird, hängt von der Anzahl der Schülerinnen und Schüler und der zur Verfügung stehenden Zeit ab. Meist werden die Inhalte lehrplanbezogen ausgewählt. Kommen die Gruppen kurz vor Beginn der Schulferien oder am Wandertag, werden auch Themen gebucht, die im Lehrplan nicht beschrieben sind. Der geowissenschaftliche Anteil an Unterrichtsstunden im Fach Geographie ist in den weiterführenden Schulen sehr gering. Geowissenschaftliche Themen lassen sich aber auch in den naturwissenschaftlichen Fächern Chemie und Physik sowie in Mathematik finden. Erstaunlich ist es deshalb nicht, dass der außerschulische Lernort Mineralogisches Museum von nahezu allen Klassenstufen besucht wird, vor allem aber von Schülerinnen und Schülern der Unter- und Oberstufe. Unter den berufsbildenden Schulen sind es die Dolmetsch-, die Metallbau- und die Goldschmiedeschulen, die sich im Museum weiterbilden lassen.

11

308

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.33  Diese Station ist Teil des Stationenlernens „Mit allen Sinnen Gesteine und Minerale erforschen“. Hier werden Dichte und Ritzhärte von Mineralen geprüft. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

11

Lehrkräfte der Unterstufe wünschen sich häufig lehrplanbezogene Inhalte im Vermittlungsformat Stationenlernen; so lassen sich die Themen „Planet Erde als Teil des Sonnensystems“, „Vulkanismus“ und „Gesteinskreislauf“ gut in kleinen Gruppen vermitteln. Die Arbeit mit Originalmaterial bereitet den Schülerinnen und Schülern sehr viel Freude. Dabei steht das erforschende und handlungsorientierte Lernen im Vordergrund. Eifrig untersuchen sie die Gesteine mit Lupen, fotografieren, beschreiben und ordnen diese. Vulkangesteine sind dabei besonders interessant. Auffällig still und aufmerksam werden die Zuhörenden, wenn Studierende von ihren Exkursionen zu aktiven Vulkanen berichten. Kleine Videosequenzen oder Fotografien ergänzen diese narrative Methode. Aufbau und Alter der Erde werden in der 5. Klasse gelehrt; die Frage, woher man diese Erkenntnis hat, wird im Unterricht normalerweise nicht besprochen. Im Museum ist es möglich dies selbst herauszufinden, unter Verwendung einfacher und verständlicher Modelle, verschiedener Gesteine, eines Eisenmeteoriten und einer Spirale, mit deren Hilfe man die Ausbreitung von Erdbebenwellen darstellen kann (Prinzip des entdeckenden und handlungsorientierten Lernens). Am Modell Sonnensystem setzen die Schülerinnen und Schüler ihr bereits erworbenes Wissen ein und ordnen die Planeten, über deren Größenunterschiede sie immer wieder staunen, in der richtigen Reihenfolge. Die Frage, woher der Meteorit kommt, kann dann auch schnell geklärt werden (. Abb. 1.29). In der Mittelstufe soll im Chemieunterricht das Periodensystem gelernt werden. Ergänzend zu den

Schulstunden bietet das Museumsteam originales Anschauungsmaterial in Form von Metallen und ihren Verbindungen und ein Stationenlernen zum Thema „Salze“ an. Hier wird u. a. der Evaporitzyklus erklärt, und mit einem Blick in die Erdgeschichte werden auch die Salzvorkommen in Deutschland aufgezeigt. An den Experimentierstationen testen die Schülerinnen und Schüler die verschiedenen Salze mit allen Sinnen, züchten Salzkristalle und betrachten diese unter dem Binokular. Anhand der äußeren Form von Steinsalz lernen sie die regelmäßige Struktur von Kristallen kennen; das Modell des Kristallgitters dient zusätzlich zur Veranschaulichung. Besonders spannend erleben die Besuchenden die Station „Salz und Eis“. Zum einen lässt sich Eis durch Salz schmelzen, andererseits kann man mithilfe von Salz Erdbeereis selbst herstellen. Ein Infrarotthermometer zeigt ganz schnell, dass durch Verrühren von Eiswürfeln mit Salz die Temperatur von −3 auf −18 °C absinkt und die Erdbeermasse tatsächlich zu Eis wird. Ein weiteres Angebot stellt die Führung „Mineralische Rohstoffe in unserem Alltag“ dar. Die einzelnen Stationen führen durch einen Tag im Leben der Schülerinnen und Schüler. An einem gedeckten Frühstückstisch entdecken diese, woraus ihr Trinkglas, ihr Teller und das Besteck hergestellt werden, welche Minerale verantwortlich sind, dass der Strom aus der Steckdose kommt und dass sogar in der Zahnpasta Minerale stecken. Eine weitere Station führt in die Ausstellung über das Smartphone. Hier haben die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, dieses für sie wichtige mobile Gerät zu zerlegen und die zur Herstellung benötigten Minerale kennenzulernen. Ein weiterer Aspekt bei diesem Vermittlungsformat ist das Thema „Nachhaltigkeit“. In der Ausstellung werden die Konflikt- und kritischen Minerale vorgestellt. Zwei verschiedene Spiele sollen die Herstellungs- und Lieferketten sowie die unmenschlichen Abbaubedingungen und Kinderarbeit im Kleinbergbau aufzeigen, und ein Ampelspiel verdeutlicht, wie nachhaltig jeder selbst mit seinem Mobilgerät umgeht. Mit allen Sinnen an fünf Stationen Gesteine und Minerale erforschen ist ein Vermittlungsformat, das sehr gerne gebucht wird, vor allem von Schulen, die mit dem Bus anreisen und gleich mehrere Klassen mitbringen. Da die Stationen nicht aufeinander aufbauen und unabhängig voneinander durchgeführt werden können, ist es möglich, in kleineren Gruppen an den einzelnen Stationen gleichzeitig zu arbeiten. Diese fünf Stationen kann man inhaltlich an verschiedene Zielgruppen anpassen. Gesteine und Minerale werden auf ihre Oberflächenrauigkeit und ihre Dichte getestet, die Härte von Mineralen und die Spaltbarkeit überprüft. Mit den Augen sehen die Lernenden die Farben und Formen, probieren die Strichfarbe der Minerale aus und lernen Symmetrieübungen kennen. Natürlich kann man Gesteine auch hören, vor allem das Stonephone; man muss nur herausfinden, dass hierfür zwei Exemplare nötig sind, die gegen-

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11.2  •  Lernort Museum

..Abb. 11.34  In der Ausstellung des Mineralogischen Museums stehen einige Exponate, die befühlt werden dürfen. Dieses Exponat war in der Sonderausstellung „Geologie trifft Kunst – Eklogit“ der Künstlerin Susanne Specht zu sehen und zu befühlen. (Mineralogisches Museum Universität Würzburg)

einandergeschlagen werden. So klingen z. B. Sandsteine anders als Phonolithe. Wenn es um das Riechen von Gesteinen geht, sind die Reaktionen sehr unterschiedlich (. Abb. 11.33 und 11.34). Im LehrplanPLUS für Bayern steht für die Jahrgangsstufe Q13 Geologie als sog. Lehrplanalternative zum Geographieunterricht. Im Mineralogischen Museum der Universität Würzburg wird deshalb ein Lehr-Lern-Labor für die Oberstufe angeboten, d. h. Bachelor- und Lehramtsstudierende führen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern einen vierstündigen Workshop durch. Die theoretischen Grundlagen werden bereits im Unterricht in der Schule vermittelt. Im Lehr-Lern-Labor arbeiten die Lernenden vor allem an Originalmaterialien. Sie lernen die Methoden zur Bestimmung von Mineralen und Gesteinen kennen. In Übungen erkennen sie die wichtigsten gesteinsbildenden Minerale und Gesteine. In einer weiteren Übung lernen sie, die wichtigsten Gesteine im plattentektonischen Kontext einzuordnen. Dabei dürfen sie auch ausgewählte Gesteine mit einem Polarisationsmikroskop betrachten. Um für Exkursionen gut gerüstet zu sein, lernen die Schülerinnen und Schüler auch den Umgang mit einer geologischen Karte. Ein weiteres Angebot aus dem Museum ist eine geologische Exkursion, die gemeinsam mit Studierenden und dem Q13-Kurs durchgeführt werden kann. Das Vermittlungsangebot des Mineralogischen Museums ist vielfältig und viele Themen können auch miteinander kombiniert werden. Ein Blick auf die Homepage zeigt den Besuchenden dieses Angebot.

..Abb. 11.35  Einfache Experimente, wie das hier gezeigte zu Konvektionsströmen, lassen sich sehr gut in eine Führung einbauen und sind auch für Erwachsene durchaus interessant. (Museum Mensch und Natur)

zz Erwachsene

Erwachsene schließen sich in der Regel freiwillig einer Führung an, auch wenn diese als gebuchtes Programm von einer Gruppe wahrgenommen wird. Sie suchen sich ein Thema aus, welches sie interessiert und worüber sie mehr erfahren möchten. Für die Vermittlerin oder den Vermittler gilt es zunächst herauszufinden, welche persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen bei den Teilnehmenden vorliegen; nicht selten sind sie heterogen. Der Einstieg bei einer Führung beispielsweise zum Thema „Unruhige Erde“ kann über die Frage erfolgen, ob jemand selbst schon einmal einen Vulkanausbruch oder ein Erdbeben erlebt hat. In der Regel verstummen die Teilnehmenden nach dieser Frage nicht, sondern es erfolgt ein reger Erfahrungsaustausch. Weiterhin bietet es sich an, aktuelle Daten über aktive Vulkane und Erdbeben bzw. Tsunamis zu recherchieren. Hierbei stellt sich meist heraus, dass Meldungen über solche Ereignisse gar nicht so selten sind und nicht immer in den Nachrichten Erwähnung finden. Um später genauer auf die Ursachen von Vulkanismus und Erdbeben eingehen zu können, bietet es sich an, sich zunächst mit dem Aufbau der Erde zu beschäftigen. In einem sehr einfachen Versuch kann das Prinzip der Konvektion erklärt werden: Unter ein Glas mit kühlem Wasser wird eine Wärmequelle (z. B. warmes Wasser in einem Thermobecher) gestellt und Farbtinte über der Wärmequelle eingebracht. Nach einer kurzen Zeit können die Teilnehmenden beobachten, wie die Tinte aufsteigt und randlich dann wieder absinkt (. Abb. 11.35). Nach dem Kennenlernen dieses „Motors“ der Platten-

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310

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

tektonik bietet es sich an, über dieses Thema zu sprechen. Dabei können Fragen wie „Wo sind die Nahtstellen auf unserer Erde?“, „Wo treten die meisten Erdbeben und Vulkane auf ?“ und „Was ist Subduktion und welche anderen Arten von Plattenbewegungen gibt es noch?“ diskutiert werden. Es sollte ein Rückblick auf die Historie dieser Erkenntnisse erfolgen und insbesondere Alfred Wegeners damals revolutionäre Idee der Kontinentalverschiebung erläutert werden. Um wieder den Schritt zur eigenen Erfahrungswelt und zu der Frage „Was hat das alles mit mir zu tun?“ zu finden, sollte auch auf das Thema „Vorhersagbarkeit und Maßnahmen beim Auftreten von Naturereignissen“ eingegangen werden. Sehr bereichernd bei einer Führung sind Handstücke zum Anfassen wie beispielsweise vulkanische Bombe, Stricklava oder ein Pflasterstein aus Basalt. 11.3 Lernort

erleben

11.3.1

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Schülerlabor – Forschung

Das Schülerlabor MariSchool am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) – Konzept und Erfahrungen

Kristina Riemenschneider, Sven Hille

Wie konzipiert man ein meereswissenschaftliches Schülerlabor, das die Ansprüche und Bedürfnisse sowohl der regionalen Schulen als auch des Forschungsinstitutes berücksichtigen soll? Dieser Frage sahen wir uns gegenübergestellt, als uns im Herbst 2008 angetragen wurde, ein Schülerlabor im Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, kurz IOW, einzurichten. Diese Initiative entstand vor dem Hintergrund stetig zunehmender Nachfragen nach Angeboten vonseiten der Schule und dem Wunsch der Institutsleitung, den Bereich „Wissenstransfer“ weiterzuentwickeln und zu professionalisieren. Die Möglichkeit der Umsetzung bot sich im Rahmen des vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern von 2010 bis 2013 geförderten Projektes „MariSchool“. In einer Kooperation zwischen dem Institut für Didaktik der Chemie der Universität Rostock unter der Leitung von Prof. Dr. Alfred Flint und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des IOW unter der Leitung von Dr.  Barbara  Hentzsch wurden das Konzept und die Lehrmaterialien gemeinsam entwickelt. Ist uns die Umsetzung der o. g. Ziele gelungen? Wir resümieren! Die theoretischen Ausarbeitungen des vorliegenden Artikels beziehen sich auf die Dissertation: „Das maritime Schülerlabor Ostsee (MariSchool) am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde, Konzeption und erste Evaluationsergebnisse“ von Dr. Kristina Riemenschneider.

11.3.1.1

Was ist eigentlich ein Schülerlabor?

Laut Definition werden alle außerschulischen Lernorte als Schülerlabore verstanden,

» „in denen sich Schülerinnen und Schüler durch eigenes

Experimentieren im Rahmen schulischer Veranstaltungen mit modernen Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Mathematik und Informationstechnologie auseinandersetzen können. Dazu zählen Angebote in Universitäten, Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen, Museen, Science Centern, Technologie- und Gründerzentren und der Industrie, die in geeigneten Laboren Begegnungen mit diesen Feldern ermöglichen. Die Experimentiertage finden regelmäßig, täglich oder wöchentlich, statt.“ (Dähnhardt et al., 2009, S. 8)

Breites Engagement zur Beförderung dieser außerschulischen MINT-Angebote (MINT steht für „Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik“) wird sowohl von Unternehmens- und Wirtschaftsseite als auch von politischer Seite deutlich. Dieses ist einerseits auf die Absicht der Qualifizierung von Schülerinnen und Schülern im naturwissenschaftlichen Bereich, andererseits aber auch, im Zuge des demografischen Wandels, auf den Wunsch, qualifizierte Schülerinnen und Schüler an die Region zu binden, zurückzuführen. Während der Fokus bei der institutionellen Bildung durch Schulunterricht mehr auf gesellschaftlich-allgemeinbildenden Aspekten und auf formalem Lernen liegt, stehen beim wirtschaftlich-politischen Engagement hauptsächlich ökonomische Aspekte im Vordergrund. Die Anliegen der Beförderung naturwissenschaftlicher Kompetenzentwicklung und Interessenverstärkung im MINTBereich sowohl von schulischer als auch von wirtschaftlicher und politischer Seite sind in . Abb. 11.36 zusammengefasst. Schülerlabore besetzen durch das theoretische und praktische Potenzial, das ihnen innewohnt, eine Nischenfunktion, da sie zur Annäherung innerschulischer, außerschulischer und unterrichtlicher Bildungsabsichten mit dem übergeordneten Ziel der Befähigung von Schülerinnen und Schülern zum verantwortungsbewussten Umgang mit unser aller Zukunft beitragen können. Diese Möglichkeit setzt voraus, dass den Laboren konkrete Konzeptionen unterliegen, dass die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern reflektiert wird und dass ein Austausch zwischen Schule/Unterricht, Wissenschaft und Alltagswelt/Gesellschaft/Politik vorgenommen und die Interdependenz zwischen diesen Bereichen Beachtung findet. Dazu müssen sich alle Beteiligten (Lehrkräfte, Didaktikerinnen und Didaktiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Politikerinnen und Politiker und weitere außerschulischen Mitwirkende) über Ziele, Methoden und Inhalte dieser Zusammenarbeit im Klaren sein. Generell werden als Motive, die zum Aufsuchen von Schülerlaboren im Bereich der Naturwissenschaften

311

11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

..Abb. 11.36  Zusammenfassung der Bildungsabsichten im schulischen und außerschulischen Bereich. (Riemenschneider, 2013)

..Abb. 11.37 Gesamtmodell des Zusammenhanges zwischen unabhängigen Variablen, Basic Needs und dem aktualisierten Interesse als abhängige Variablen. (Nach Glowinski 2007, S. 162)

Merkmale der Schülerinnen und Schüler

Kompetenz Merkmale der Schülerlabore

Autonomie

Aktualisiertes Interesse

Soziale Eingebundenheit

Integration in den Unterricht

seitens der Lehrkräfte führen, z. B. die bessere Ausstattung außerschulischer Lernorte, die Praxisorientierung, die Zeitkomponente, die Authentizität der Lernumgebung, die Einblicke in die Berufs- und Studienwelt, die Möglichkeit des externen Beobachtens für Lehrkräfte und vor allem die Steigerung des Interesses und der Begeisterung für naturwissenschaftliche Themen genannt (Huck et al., 2010). Die Ergebnisse einschlägiger Studien (Krapp, 1992; Glowinski, 2007) belegen, dass die Interessenentwicklung in entscheidendem Maße

von der Befriedigung lerntechnischer Grundbedürfnisse (Basic Needs: Kompetenzerleben, Autonomieerleben, soziale Eingebundenheit) abhängig ist und durch die Gestaltung der Lernumgebung und die Einbindung des Besuches in den Unterricht beeinflusst werden kann (. Abb. 11.37). Aufgrund des Bedingungsgefüges von multidimensionalen Einflüssen, die zeitlich begrenzte aktuelle Interessen erregen können (vgl. Krapp, 1998), aufgrund der Beziehung zwischen dem aktuellen Interesse und der Ver-

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312

Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

Dass praktisches Arbeiten in authentischer Atmosphäre mehr denn je notwendig ist, ergibt sich durch die monate-, jahrelange Schul- und Laborabstinenz der Schülerinnen und Schüler während der COVID-Pandemie 2020 bis 2022. Geowissenschaftliche Schülerlabore bieten hier Möglichkeiten, in einer motivierenden und inspirierenden Lernumgebung diese Defizite abzubauen. Auch die Tatsache, dass Flutkatastrophen, Dürreperioden, Tornados, Hurrikane zum Alltag werden, erfordert nicht mehr nur die Bewusstwerdung, sondern die präzise Auseinandersetzung mit dem sich vollziehenden Klimawandel und den sich anschließenden gesellschaftlichen Umbrüchen. Um diese Veränderungen zu meistern und den Problemen aktiv entgegenzutreten, bedarf es der Zusammenarbeit aller Mitwirkenden im Bildungssystem. >>Konzeptionsparameter von Schülerlaboren all-

gemein (Riemenschneider, 2013)

Parameter Beschreibung Authentizität

Autonomie- und Kompetenzerleben

11 ..Abb. 11.38  Interessenentwicklung beeinflusst durch eine Matrix an Einflüssen. (Riemenschneider, 2013)

änderung und Ausprägung individueller Interessen (vgl. Hidi, 2000; Mitchell, 1993; Krapp, 1998), die ggf. einen Schüler oder eine Schülerin dazu bewegen, ein Studium oder entsprechend einen Beruf im naturwissenschaftlichen Bereich zu ergreifen (vgl. Nagy & Husemann, 2010), kann der Einfluss eines einzelnen Besuches eines Schülerlabors auf die Veränderung der Gesamtmatrix nicht abgeschätzt werden (. Abb. 11.38). Trotz dieser Erkenntnis können Schülerlabore dennoch bei entsprechender Konzeption entscheidend zur situativen Anregung der Schülerinnen und Schüler und zur Befruchtung, Ergänzung und Mitgestaltung des naturwissenschaftlichen Unterrichtes und naturwissenschaftlicher Grundbildung, zur Anregung informellen Lernens und aktueller Interessen beitragen (. Abb. 11.38). Um letztendlich langfristige Effekte durch die Befruchtung und Ergänzung zu erzielen, dürfen Schülerlaborbesuche aber nicht losgelöste Einmalerlebnisse bleiben:

» „Es bedarf einer möglichst häufigen Begegnung mit Natur und Naturwissenschaften in möglichst authentischen – schulischen und außerschulischen – Lernkontexten, damit das Potenzial dieser Bildungsanreize wirksam wird und nicht ‚wie ein Tropfen auf dem heißen Stein‘ verpufft.“ (Bolte, 2003, S. 44)

Klare Strukturen

Vernetzung von Wissen

Um authentisch zu sein und damit das aktuelle Interesse der Schülerinnen und Schüler zu beeinflussen, müssen Schülerlabore Realitätsnähe und Anwendungsbezug aufweisen Um Autonomie- und Kompetenzerleben der Schülerinnen und Schüler zu befördern und damit wiederum das aktuelle Interesse positiv zu beeinflussen, müssen die Angebote der Schülerlabore praxis- und handlungsorientiert angelegt sein. Ebenso müssen die Angebote der Schülerlabore im Unterricht vor- und nachbereitet werden Um soziale Eingebundenheit, Autonomieund Kompetenzerleben zu sichern, müssen Angebote der Schülerlabore eindeutige Instruktionsqualität, klare Strukturen und Verständlichkeit aufweisen Um vernetztes Wissen aufzubauen, das wiederum in Zusammenhang mit Kompetenz- und Autonomieerleben steht, müssen die Angebote der Schülerlabore einen Bezug zum Lehrplan haben. Schulisches Wissen muss aufgegriffen werden und Anwendung finden. Um ebenso informelles Lernen zu befruchten und Interessen nachhaltig zu beeinflussen, dürfen Schülerlabore nicht nur einmalig im Rahmen des Unterrichtes genutzt werden. Schülerlaborbesuche müssen integraler, regelmäßiger Bestandteil des unterrichtlichen Lernens sein und darüber hinausgehend Möglichkeiten bieten, die Lernenden über den Unterricht hinaus zu informellem Lernen anzuregen, indem sie Freizeitangebote anbieten oder die Schülerinnen und Schüler bei außerschulischen Projektarbeiten betreuen

313

11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

Parameter Beschreibung Emotionale Um vornehmlich die emotionale BedeuBindung tung des Lernens, die die soziale Eingebundenheit bedingt, positiv zu betonen, müssen Schülerlabore eine anregende Lernatmosphäre schaffen

11.3.1.2 Konzeptionsparameter

des Schülerlabors MariSchool

Um nicht nur interessierten Jugendlichen die Möglichkeiten zu geben, sich mit Meereskunde zu beschäftigen, sondern auch allgemeinbildend meereskundliche Themen in den Schulalltag zu transferieren und damit Kinder und Jugendliche stärker für den Bereich der Meereskunde aufzuschließen sowie aktuelle Interessen für den Bereich der Meeresforschung mannigfacher anzuregen, wurde das Schülerlabor MariSchool am IOW eingerichtet. Erste Angebote standen Schülerinnen und Schülern ab Juni 2010 zur Verfügung. Da aufgrund der Größe des Bundeslandes das Labor nicht von allen Schulen besucht werden kann, wurden entsprechende Lernmodule erarbeitet, die im Unterricht eingesetzt werden können (Riemenschneider, 2013). Das Schülerlabor MariSchool zeichnet sich in seiner Art an einer Forschungseinrichtung durch Folgendes aus: Schülerinnen und Schüler untersuchen in authentischer Atmosphäre didaktisch reduzierte Forschungsfragen experimentell und theoretisch. Damit werden die Bedingungen des Anwendungsbezuges und der Kontextorientierung bedient. Inhalte sind auf die Rahmenpläne bzw. das Vorwissen der einzelnen Klassen, Kurse oder Besucher abgestimmt, sodass auch auf das Vorwissen der Schülerinnen und Schüler zurückgegriffen und dieses auch eingebunden und gefestigt wird. Dieses zielt auf das Autonomie- und Kompetenzerleben der Schülerinnen und Schüler und damit auf die Anregung des aktuellen Interesses ab. Aufgrund des zur Verfügung gestellten Materials gibt es eine konkrete Erwartung an den Tag, die es der Lehrkraft ermöglicht, eine optimale Vor- und Nachbereitung zu betreiben. Dies wiederum dient der Beförderung des Autonomie- und Kompetenzerlebens der Schülerinnen und Schüler durch die Einbettung der Angebote in den unterrichtlichen Alltag und damit der Anregung aktuellen Interesses. Es werden die Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen, nicht nur Interessierte und schon Motivierte, angesprochen. Es werden insbesondere Berufsperspektiven und -orientierung im Bereich der Meeresforschung aufgezeigt. Es wird unter Einbeziehung von fachlichen Schwerpunkten interdisziplinär gearbeitet, wodurch vernetztes Wissen aufgebaut werden soll. Hierbei ist zu

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betonen, dass aufgrund der einzelnen Sektionen am Institut die Angebote des Schülerlabors sehr breit aufgestellt sind. Die Expertise aus den unterschiedlichen Sektionen des Hauses leistet einen entscheidenden Beitrag zur wissenschaftlichen Befruchtung der Angebote des Schülerlabors. Inhalte und Kontexte der Meeresforschung können auch ohne den Besuch des Schülerlabors im Unterricht integriert werden, um Anwendungsbezüge darzulegen und an Kontexten zu arbeiten.

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Hinsichtlich der methodischen Konzeption wurde darauf geachtet, dass die Angebote folgende Bedingungen erfüllen: Sie sind sowohl praxis- und handlungsorientiert als auch problem- und kontextorientiert angelegt. Dies beinhaltet, dass die Angebote eine klare Struktur, Realitäts- und Anwendungsbezug aufweisen, was auf das Autonomie- und Kompetenzerleben sowie auf die soziale Eingebundenheit der Schülerinnen und Schüler abzielt. Sie sind wissenschaftspropädeutisch, also der Wissenschaft nachempfunden, angelegt, sodass die Lernenden entsprechend eigenständig Hypothesen formulieren, diese im Experiment überprüfen und zuvor aufgeworfene Fragen im Sinne forschend-entwickelnden Arbeitens (vgl. Schmidkunz & Lindemann, 2003, S. 23 ff.) beantworten. Dies zielt neben dem Aufbau vernetzten Wissens auf Autonomie‑, Kompetenzerleben der Schülerinnen und Schüler und prozessbezogenes Vorgehen ab. Sie können binnendifferenziert bearbeitet werden. Dies betont die Persönlichkeitsmerkmale der Lernenden und dient damit wieder dem Autonomie- und Kompetenzerleben sowie der sozialen Eingebundenheit der Schülerinnen und Schüler. Sie involvieren  vornehmlich Gruppenaktivitäten. Dies dient der Förderung sozialer Kompetenzen und der positiven Beeinflussung der sozialen Eingebundenheit. Sie involvieren Außenaktivitäten und unterschiedliche Medien (Experimente, Modelle, Computer). Neben der Schaffung einer authentischen, angenehmen und abwechslungsreichen Arbeitsatmosphäre zielen die Verknüpfung von theoretischer und praktischer Arbeit im Außenbereich und der Wechsel von Medien wiederum auf den Einbezug von Persönlichkeitsmerkmalen der Schülerinnen und Schüler ab.

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Bezüglich der Betreuung und der Kooperationspartner zeichnet sich das Labor durch Folgendes aus: Der Laborbesuch wird sowohl von Wissenschaftlerinnen und/oder Wissenschaftlern als auch pädagogischem Personal betreut. Angebote und Materialien wurden in Kooperation zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Didaktikerinnen und

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

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Didaktikern und Lehrpersonen erarbeitet und konzipiert. Durch die Kooperationsinstitutionen, wie z. B. das Lehrerfortbildungszentrum Rostock (LfbZ), kann eine optimale Vernetzung zwischen Lehrkräften, Didaktikerinnen und Didaktikern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und damit eine Vernetzung und Koordination außerschulischer, schulischer und unterrichtlicher Anliegen sowie formaler, nichtformaler und informeller Lernprozesse vorgenommen werden. Lehramtsstudierende, die im IOW betreut werden, werden mit den Inhalten des Labors sowie den Belangen des außerschulischen Lernens vertraut gemacht und wirken damit als Multiplikatoren bei der Koordination und Vernetzung außerschulischer, schulischer und unterrichtlicher Anliegen wirken. Durch die Anbindung des LfbZ können Fortbildungen zu den entsprechenden Angeboten des MariSchool abgehalten werden, sodass eine optimale Vorund Nachbereitung vorgenommen werden kann, die wiederum dem Kompetenz- und Autonomieerleben der Schülerinnen und Schüler dienlich ist. Den interessierten Schülerinnen und Schülern stehen durch den Kontakt mit Forschenden Ansprechpersonen zur Verfügung, um beispielsweise im Rahmen von „Jugend forscht“ weiterzuarbeiten. Dies zielt darauf ab, aktuelle Interessen zu stabilisieren und nachhaltig Interessen im Bereich der Meeresforschung auszubilden.

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>>Materialien zur Vorbereitung des Besuches beim

Schülerlabor MariSchool Das Skript „CO2 – und Me(e)hr“ inklusive Handreichung für Lehrkräfte ist vom Server des IOW bzw. der Didaktik der Chemie herunterladbar. Die Inhalte der Tage sind auf der Internetseite des MariSchool einsehbar. Auf Anfrage wird vorab das Material, das den Schülerinnen und Schülern am jeweiligen Projekttag zur Verfügung gestellt wird, zugeschickt (7 https:// marischool.de/).

11.3.1.3

Bisherige Erfahrungen und potenzielle Weiterentwicklungsoptionen

Der Wunsch, den Wissenstransfer an der Schnittstelle Wissenschaft und Schule im IOW auszubauen und zu professionalisieren, war die primäre Motivation hinter diesem Projekt. Durch die Einbindung der Expertise der Bildungswissenschaften für ausgewählte aktuelle Themen der Ostseeforschung unter Anwendung dafür geeigneter methodisch-didaktischer Konzepte konnten umfangreiche Lehrmaterialien als Grundlage für ein Schülerlabor entwickelt werden. Gemeinsam ist es uns gelungen, dass sich Schülerinnen und Schüler in einer

authentischen Umgebung überwiegend selbstständig und aktiv mit aktuellen und oftmals gesellschaftsrelevanten Fragestellungen der Ostsee auseinandersetzen können. Mit diesem Schülerlabor konnten wir ein fundiertes Angebot für Schulen schaffen, was als großer Meilenstein betrachtet werden kann, weil wir damit die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entlasten konnten, immer wieder auf neue Nachfragen zu reagieren und neue Angebote zu entwickeln. Das Feedback der Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte in der Fragebogenstudie von Riemenschneider (2013) lässt auch die Schlussfolgerung zu, dass die Qualität der Angebote deutlich verbessert werden konnte. Aus Sicht des Forschungsinstitutes kann festgehalten werden, dass durch das Schülerlabor der Wissenstransfer an der Schnittstelle von Wissenschaft und Schule eine deutliche Aufwertung erfahren hat. Eine langfristige Nutzung wurde durch die Einrichtung einer unbefristeten Teilzeitstelle im Bereich „Wissenstransfer“ am Institut ermöglicht. Jährlich konnten bis zu 42 Kurse mit über 800 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern durchgeführt werden. Waren es in den ersten Jahren schwerpunktmäßig Schulen aus der Region, die diese Angebote wahrnahmen, so erweiterte sich die Reichweite kontinuierlich innerhalb Deutschlands sowie dem benachbarten Ausland (Dänemark und Polen). Der modulare Aufbau der Lernmodule erlaubt eine flexible Anpassung an die inhaltlichen Wünsche der Lehrkräfte und das Zeitbudget. Die Mehrheit der Kurse (etwa 80 %) sind Tageskurse, der Rest zweitägige Kurse. Die Kursinhalte sowie der zeitliche Ablauf werden mit den Lehrkräften individuell abgestimmt. Die Mehrheit (75 %) der Schulen nutzt die Angebote des Schülerlabors regelmäßig. Diese sind dort in der Regel fest in die Kursplanung eingeplant. Leider übersteigen die Anfragen für Kurse die verfügbaren Kapazitäten. Können wir Terminwünsche nicht berücksichtigen, verweisen wir auf Lernmodule, die im Unterricht eingesetzt werden können (vgl. Riemenschneider, 2013) und stellen auf Wunsch auch Geräte und Anschauungsmaterialien leihweise zur Verfügung. Während der durch die COVID-Pandemie bedingten Schließung des Schülerlabors seit März 2020 war dieser Weg auch die einzige Option, Schülerinnen und Schüler zu erreichen. Um die Reichweite des Schülerlabors weiter zu steigern, wurden zur Vermittlung der Angebote überwiegend regional Lehrerfortbildungsveranstaltungen organisiert. In den letzten Jahren wurde die Zusammenarbeit mit der Fachdidaktik Biologie des Institutes für Biowissenschaften der Universität Rostock ausgebaut, um Lehramtsstudierenden frühzeitig einen Einblick in einen außerschulischen Lernort zur Vermittlung meereswissenschaftlicher Inhalte zu ermöglichen. Eine Weiterentwicklung des Schülerlabors MariSchool zu einem Lehr-Lern-Labor ist dabei eine Vision. Daran arbeiten wir gemeinsam, weil es für beide Seiten eine Win-WinSituation ist: Für die Lehramtsstudierenden bietet es die

11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

Chance, frühzeitig Kompetenzen im Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis aufzubauen (Priemer & Roth, 2020); als Forschungsinstitut gewinnen wir die neue Generation von Lehrkräften als Multiplikatoren für unsere Themen noch vor deren Eintritt in das Berufsleben. Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz der Nähe zur Wissenschaft und Forschung im Schülerlabor MariSchool die Einbeziehung didaktischer Expertise nicht vernachlässigt wird. Dadurch kann sichergestellt werden, dass eine optimale Überschneidung schulisch-unterrichtlicher, gesellschaftlich-politischer sowie wissenschaftlicher Anliegen umgesetzt wird. Nur durch die diffizile Abstimmung zwischen Forschenden (Fachwissenschaft, Didaktik) und Lehrkräften bei der Konzeption und Umsetzung der Inhalte und Angebote können Zusammenhänge sinnstiftend von Schülerinnen und Schülern erarbeitet und in Zusammenhang mit schon bestehenden Wissensstrukturen gebracht werden. Entsprechend resultiert aus der Wissenschaftsnähe auf der einen Seite und aus der Zusammenarbeit mit Didaktikerinnen, Didaktikern und Lehrkräften auf der anderen Seite eine Grundlage, außerschulisches Lernen fruchtbringend im Unterricht zu integrieren. Nur aus dieser Integration heraus kann bei Nichtinteressierten informelles Lernen angeregt werden und für alle Beteiligten (Schule, Wissenschaft, Didaktik) ein optimaler Nutzen aus der Zusammenarbeit resultieren.

11.3.2

Der Freitags-Forschungs-Club am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel

Joachim Dengg

Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel bietet seit 2013 den Freitags-Forschungs-Club für besonders motivierte Jugendliche an. Schülerinnen und Schüler ab der 7. Klasse haben hier die Möglichkeit, unter professioneller Betreuung kleinere forschungsnahe Projekte über längere Zeiträume zu verfolgen. Die Jugendlichen kommen freitagnachmittags nach der Schule ans Forschungszentrum und widmen sich dann alleine oder in Teams ihren jeweiligen Themen aus der Meeres- und Klimaforschung. Es gibt keinen festen Zeitplan; die Abläufe werden von den Teilnehmenden je nach Projekt selbst festgelegt. Arbeitsschluss ist meist zwischen 18 und 19 Uhr. Die Anzahl der Teilnehmenden ist derzeit auf 14 Jugendliche beschränkt, da die verfügbaren Räumlichkeiten kein sinnvolles Arbeiten mit einer größeren Gruppe erlauben (. Abb. 11.39). In der Regel werden die Fragestellungen der Untersuchungen zunächst von den Betreuenden an neue Teil-

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nehmende herangetragen, weil sie sich z. B. als Fortführung eines bereits bearbeiteten Themas anbieten oder weil in einem existierenden Team noch Hilfe gebraucht wird. Auf diese Weise lernen die „Neuzugänge“ die Methoden und Arbeitsmöglichkeiten kennen und finden sich leichter in den Räumlichkeiten und der Gruppe zurecht. Allmählich kann sich hieraus dann eine eigene Fragestellung entwickeln, welche die Teilnehmenden weiterverfolgen möchten. Manchmal entstehen Projekte aber auch durch Anfragen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Forschungszentrums, die Aspekte ihrer Arbeit „auskoppeln“ und von Jugendlichen durchführen lassen können. (Auf diese Weise kamen z. B. Arbeiten mit Messverankerungen in der Kieler Förde oder zur potenziellen Plastikzersetzung durch marine Mikroorganismen zustande.) Die Durchführungsdauer der Arbeiten kann stark variieren: Während einfachere Fragestellungen nach einigen Wochen bearbeitet sind, können manche Themen über viele Monate oder sogar mehrere Schuljahre tragen. Auch die Teilnahmedauer der Jugendlichen ist von Fall zu Fall verschieden; es gibt keine vorgegebenen Fristen. In einigen Fällen stellen die Schülerinnen und Schüler noch in der sechswöchigen Probezeit fest, dass sie sich doch etwas anderes vorgestellt haben, andere arbeiten über mehrere Jahre bis zum Abitur im ForschungsClub. Seit Beginn haben 49 Jugendliche teilgenommen, davon 21 (43 %) bis zum Abitur. Die durchschnittliche Teilnahmedauer liegt knapp über zwei Jahre, die derzeit längste Teilnahme erstreckte sich über vier Jahre und acht Monate. Die Teilnehmenden selbst kommen von unterschiedlichen Schulen aus Kiel und der näheren Umgebung. (Der Einzugsradius beträgt bis zu einer Fahrstunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln.) Einige bewerben sich selbst, andere werden durch Lehrkräfte vermittelt, welche besonders geeignete Kandidatinnen und Kandidaten im Unterricht identifiziert und empfohlen haben. Aufgrund der begrenzten Räumlichkeiten ist meist eine Auswahl unter den Bewerbungen nötig. Hier werden vor allem die Motivation und das Interesse der Jugendlichen als Maßstab genommen, weniger die Schulnoten. Die Schwerpunkte der bearbeiteten Themen hängen von den Möglichkeiten vor Ort und den Kenntnissen der Betreuenden ab. Da Meeresforschung aber in der Öffentlichkeit überwiegend als Meeresbiologie wahrgenommen wird, erstreckt sich ein Großteil der Anfragen auf biologische Themen. Andere am Forschungszentrum vertretene Forschungsbereiche wie z. B. physikalische Ozeanografie, Meteorologie, Geophysik, Geologie oder auch Meerestechnik werden von den Jugendlichen seltener nachgefragt. Zudem sind diese im Rahmen des ForschungsClubs oftmals auch deutlich schwieriger zu bearbeiten: Beobachtende oder messende Arbeiten im Ozean bieten sich zumeist aufgrund der großen räumlichen oder langen Zeitskalen nicht an oder würden die Verfügbarkeit

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.39 Diskussionen zwischen Betreuenden und Jugendlichen im Freitags-Forschungs-Club. (Foto: Joachim Dengg)

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von Schiffen und sehr kostspieligen Messgeräten erfordern. Theoretische Themen (z. B. die Auswertung von Beobachtungsdaten, einfache numerische Modelle, die Nutzung von Klimamodellen oder deren Daten) sind unter den Jugendlichen dagegen nicht sehr populär, weil Meeresforschung natürlich mit der Erwartung „selbst experimentieren und nass werden“ verbunden ist. Deshalb konzentrieren sich die Arbeiten meist auf Projekte, die mit nicht allzu großem Aufwand in Etappen von jeweils einigen Stunden und mit Unterbrechungen (von mehreren Tagen bis zum nächsten Freitag oder durch die Schulferien) möglich sind. Beispiele sind: Tankversuche zu Wellenphänomen im Ozean, Entwicklung und Bau eines Unterwassergleiters, Experimente zur Besiedelung von Substraten durch Seepocken und andere benthische Lebewesen, Stressreaktionen von Miesmuscheln auf verschiedene Umweltfaktoren, numerische Modellsimulationen der Vertikalwanderung einer pelagischen Krebsart oder Untersuchungen der Oberflächenmikroschicht im Ozean. Parallel dazu wird mit den Jugendlichen ein monatliches biogeochemisches Monitoring-Programm an der Kieler Förde durchgeführt, wo am Anleger vor dem Forschungszentrum verschiedene Parameter erfasst werden (. Abb. 11.40): So werden Temperatur, Salzgehalt und Sauerstoffkonzentration mit einem Multimeter von der Wasseroberfläche bis zum Boden in 50-cm-Abständen elektronisch bestimmt, Wasserproben aus drei Tiefen werden auf ihren pH-Wert untersucht, und die Konzentrationen von Nitrat und Phosphat wird fotometrisch gemessen, von Proben der Wasseroberfläche wird der Chlorophyllgehalt durch Filtration und spätere fotometrische Messung festgehalten, und die Zellzahlen werden von bis zu 30 Gattungen von Phytoplankton optisch unter dem Mikroskop ausgezählt. Aus diesen Daten entstand eine mittlerweile zehnjährige Zeitreihe, die ebenfalls in Projekten der Jugendlichen ausgewertet wird. Die Teilnehmenden bekommen so einen Eindruck davon, welche Veränderungen im jahreszeitlichen und mehrjährigen Wechsel im Meer stattfinden. Gleichzeitig entwickeln sie

aber auch einen Sinn dafür, dass viele Forschungsfragen erst durch Langzeitmessungen sinnvoll zu bearbeiten sind. Bemerkenswert ist, dass für die Jugendlichen bei allen Arbeiten zunächst immer das Explorative im Vordergrund steht: messen, beobachten, experimentieren, bauen, vielleicht auch noch berechnen und Grafiken erstellen. Schon beim Dokumentieren scheiden sich aber die Geister: Messdaten zu protokollieren, wird meist noch als notwendiges Übel gesehen, aber eine Versuchsdurchführung in eigenen Worten schriftlich zu beschreiben, wird als sehr mühsam empfunden. Die Interpretation von Ergebnissen und der Vergleich mit Literatur schließlich erfolgen oft nur noch, wenn äußere Umstände wie z. B. die Benotung einer Facharbeit oder die öffentliche Präsentation der Ergebnisse auf einem Poster oder in einem Vortrag es absolut erfordern. Die COVID-Pandemie verstärkte diesen Eindruck: Aufgrund der Schließung des Forschungszentrums für Besuchende musste der Forscherklub über weite Strecken immer wieder „virtuell“ durchgeführt werden. In diesen Phasen waren dann vor allem Auswertungsarbeiten möglich, und es wurde auch versucht, z. B. Programmierkurse als Grundlage für die Datenauswertung durchzuführen. Während die Jugendlichen aber „in Präsenz“ oft bis nach 18 Uhr begeistert arbeiten, waren im Virtuellen eine deutlich kürzere Beteiligung und häufigeres Fehlen zu verzeichnen, zum Teil mit komplettem Abbruch der Teilnahme nach einiger Zeit. Obwohl die Konstellation des Forschungs-Clubs für die Erstellung von Beiträgen zum Wettbewerb „Jugend forscht“ ideal wäre, ist überraschenderweise bisher nur eine einzige Wettbewerbsarbeit entstanden. (Immerhin konnte sich diese dann sogar bis zum Bundeswettbewerb qualifizieren.) Über die Gründe für diese Zurückhaltung bei Wettbewerben kann nur spekuliert werden: So werden die Teilnehmenden zwar ermutigt, über eine Wettbewerbsteilnahme nachzudenken, wenn sie gute Ergebnisse haben, aber es besteht nicht von vornherein der Anspruch, die Projekte zu „Jugend forscht“ zu bringen.

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11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

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..Abb. 11.40  Probenahmen am Anleger vor dem Forschungszentrum (a) und Bestimmung von Nährstoffkonzentrationen in Seewasser als Teil der monatlichen Routinemessungen (b). (Fotos: Sylke Hlawatsch und Joachim Dengg)

Im Forschungs-Club sollen vielmehr das Interesse und Verständnis für Forschung gefördert werden, wozu auch das Bewusstsein gehört, dass Experimente scheitern und sich Hypothesen als falsch erweisen können. Ein auf Wettbewerbe ausgerichteter Erfolgsdruck wird deshalb bewusst vermieden. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich Arbeiten aus der Meeresforschung aufgrund ihrer inhärenten Interdisziplinarität nur selten einer der vorgegebenen Wettbewerbskategorien (Biologie, Chemie, Physik, Geowissenschaften) klar zuordnen lassen. Oftmals kommen Projekte auch erst im letzten Schuljahr zum Abschluss, und die Ausführenden möchten sich dann neben den Abiturprüfungen nicht auch noch durch einen Wettbewerb belasten. Um den Teilnehmenden dennoch die Vorteile zu vermitteln, die „Jugend forscht“ auch bietet (z. B. der Austausch mit anderen naturwissenschaftlich Interessierten und die Anerkennung der eigenen Arbeit), wird vonseiten des GEOMAR versucht, ähnliche Anreize zu schaffen. Der größte ist dabei oft schon die Teilnahme am Klub selbst: In ihren Schulklassen fühlen sich die Jugendlichen mit ihrem Interesse an Naturwissenschaft oft isoliert, während sie in dieser Gruppe unter Gleichgesinnten sind. Immer wieder bekommt man auf Nachfrage zu hören, dass sie sich in dieser Runde einfach wohlfühlen, weil „die Leute so ticken wie man selbst“. Zusätzliche Akzente können von Veranstalterseite gesetzt werden durch Besuche von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die den Jugendlichen eigene Arbeiten präsentieren und sich mit deren Arbeiten auseinandersetzen; Teilnahme an Veranstaltungen wie dem Tag der offenen Tür am GEOMAR, wo die „Freitagsforscherinnen und Freitagsforscher“ ihre Arbeiten interessierten Besuchenden zeigen können; Präsentation der Arbeiten bei Fortbildungen für Lehrkräfte; (als seltenes Highlight) die Teilnahme an Exkursionen (z. B. bei Tagesfahrten auf einem Forschungsschiff).

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Entscheidend ist hierbei vor allem, dass die Jugendlichen durch ihre intensive Beschäftigung mit ihren Themen allmählich Kompetenzen erlangen, die sie befähigen, viele Arbeiten eigenständig auszuführen und auch mit Experten nahezu auf Augenhöhe zu diskutieren. Diese spürbare Anerkennung ihrer Kompetenz ist ein wichtiger Aspekt in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Fazit Die Umsetzung eines solchen Angebotes an einer Forschungseinrichtung oder an einer Schule erfordert in erster Linie einen vielseitig nutzbaren Raum und motiviertes Personal. Nicht zu unterschätzen ist auch der Zeitfaktor: Ein regelmäßiger Termin muss auch ausreichend lang sein, sowohl um den Auf- und Abbau von Experimenten sowie ihre Durchführung zu ermöglichen, aber auch, um den Jugendlichen nach einem langen Schultag Gelegenheit zum Plaudern oder Herumalbern zu geben. Die Betreuenden sollten dabei ein gewisses Fachwissen mitbringen und außerdem bereit sein, sich zusammen mit den Jugendlichen in neue Themengebiete einzuarbeiten. Auch ein nicht allzu knapp bemessenes Budget für Material und Geräte ist empfehlenswert, wobei aber immer die Bereitschaft zur Improvisation nötig ist. Die Betreuung solcher Aktivitäten kann dabei durchaus anstrengend und fordernd sein. Dennoch werden alle, die Jugendlichen gerne Wissen vermitteln und auch selbst Freude am Tüfteln und Entdecken haben, feststellen, dass dieses Format die Beteiligten bereichert.

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

11.3.3

Konzeption und Durchführung einer Minifeldstudie (National Team Field Investigation) für die International Earth Science Olympiad 2022 am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW)

Marion Kanwischer, Sven Hille, Una Reck, Sylke Hlawatsch, Barbara Hentzsch, Kristin Beck

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Vom 15. bis 17. August 2022 besuchten die sechs Schülerinnen und Schüler der deutschen Delegation für die International Earth Science Olympiad (IESO) 2022 (7 Kap.  9) das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW), um hier mit Unterstützung der Forschenden die Arbeiten für ihren praktischen Wettbewerbsbeitrag auszuführen. Der Forschungsfokus des Projektes, mit dem sie die internationale Wettbewerbsjury überzeugen wollen, ist der Nachweis des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat in der Warnow, verschiedenen Zuflüssen sowie in der Ostsee. Minifeldstudien richten sich an besonders interessierte und begabte Schülerinnen und Schüler, die durch die reale Begegnung mit dem Wissenschaftsbetrieb und den dort Forschenden dauerhaft für Naturwissenschaften als Betätigungsfeld gewonnen werden sollen. Die Jugendlichen werden von ihren Lehrkräften begleitet, die sie im Vorfeld auf den Besuch vorbereiten. Vor Ort gewinnen die Lehrkräfte auch selbst neue Erkenntnisse, die sie in ihren Unterricht einbinden, besonders wenn die Schulen sich dafür entscheiden, dauerhaft am Trainingsund Auswahlprozess für die IESO teilzunehmen. Die IESO 2022 wurde online durchgeführt. Daher wurde die Wettbewerbskategorie „Minifeldstudie“ im Vorfeld als National Team Field Investigation (NTFI) am IOW durchgeführt. Am 29. August 2022 präsentierten die Schülerinnen und Schüler des deutschen Teams ihre Forschung der internationalen Jury und den anderen Teilnehmenden aus 37 Ländern als Live-Videostream. Bewertet wurden nicht nur die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, sondern auch die Fähigkeit der Forschenden, ein solches Forschungsprojekt konzipieren zu können. Das deutsche Team erreichte mit dem Projekt den Silberrang. Jedes Jahr müssen neue Minifeldforschungsstudien für die IESO konzipiert werden, entweder zur Vorbereitung des deutschen Teams auf die Teilnahme an einer IESO in Präsenz oder als National Team Field Investigation im Vorfeld einer Online-IESO. Wir schildern hier das Vorgehen des IOW als Anreiz für zukünftige Minifeldstudien.

11.3.3.1

Team Field Investigation – national und international

Die IESO gibt es seit 15 Jahren. Es ist eine der 13 internationalen Wissenschaftsolympiaden und richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II, die ihr interdisziplinäres naturwissenschaftliches Verständnis von der Erde als Gesamtsystem unter Beweis stellen möchten. Bezugsdisziplin ist die Erdsystemforschung, die je nach Fragestellung anteilig verschiedene geowissenschaftliche Wissensdomänen integriert; dazu gehören beispielsweise Geologie, Meteorologie, Geophysik, Paläontologie, Umweltwissenschaften, Meeresforschung und terrestrische Astronomie, aber auch Physik, Chemie und Biologie (7 Kap. 9). Ziel einer Minifeldstudie als Wettbewerbskategorie der IESO ist es, dass Schülerinnen und Schüler an moderner (up to date) geowissenschaftlicher Forschung teilhaben können. Der Ausgangspunkt ist jeweils ein reales und gesellschaftlich relevantes Problem des Systems Erde. Das Team befasst sich in ein bis drei Tagen praktischer Arbeit mit einem aktuellen Umweltproblem, nimmt dafür selbst die Proben und führt Analysen im Gelände und im Labor durch. Hierfür und für die Datenauswertung sollen Geräte zum Einsatz kommen, die sie nicht üblicherweise in der Schule benutzen. Ergänzende Daten dürfen den Olympioniken zusätzlich zu ihrer eigenen Arbeit im Feld und im Labor ausgehändigt werden. Phasen einer Minifeldstudie, für die jeweils ein halber oder ein ganzer Tag veranschlagt wird: Einführung im Seminarraum: Forschungsfrage, Arbeitsschritte einer wissenschaftlichen Untersuchung, Untersuchungsgebiet, theoretischer Hintergrund, Probenahmemethoden und Analysegeräte Geländearbeit: Probenahme und Analysen im Gelände Laborarbeit: Aufarbeitung und Analysen der Proben Datenanalyse und -auswertung mit Blick auf die Beantwortung der Forschungsfrage Ausarbeitung der Präsentation durch die Schülerinnen und Schüler

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11.3.3.2

Die Minifeldstudie des IOW – Bestimmung von Glyphosat in Wasserproben aus dem Ostseeästuar

Die Erforschung von Glyphosat in der Ostsee ist gesellschaftlich relevant. Es gehört zu den Breitbandherbiziden und ist weltweit eines der meistgenutzten Unkrautvernichtungsmittel. In Deutschland wird es vor allem in Landwirtschaft und Gartenbau, aber auch auf Industrieflächen und in Parkanlagen eingesetzt. Die Anwendung von Glyphosat wird jedoch in Bezug auf mögliche krebserregende Eigenschaften kontrovers diskutiert. Im System Erde wird es – angehaftet an Bodenpartikel – durch Niederschlag und Wind verteilt und gelangt so in die Gewässer. Aufgrund der chemischen Eigenschaften

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11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

des Glyphosats ist die Gewässersalinität ein entscheidendes Kriterium bei der Entwicklung und Auswahl der Analysemethode. Das IOW hat Methoden für die Bestimmung von Glyphosat in Gewässern verschiedenen Salzgehaltes erarbeitet (Skeff et al., 2015, Wirth et al., 2021). Ziel der Minifeldstudie war es, das Vorkommen von Glyphosat und seinem Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure (AMPA) im Warnowästuar zu untersuchen (vgl. . Abb. 11.43). Der Fluss Warnow ist ein Tieflandfluss in Mecklenburg-Vorpommern und gehört mit seinem Einzugsgebiet zu den größten, welche in Deutschland in die Ostsee münden. Die Warnow ist verschiedenen anthropogenen Einflüssen ausgesetzt: Im Oberlauf fließt sie vor allem durch landwirtschaftlich genutztes Gebiet. Das Warnowästuar wird hauptsächlich durch die Stadt Rostock beeinflusst (Bitschofsky & Nausch, 2019). Hier hat auch die Kläranlage der Stadt ihren Auslass.

Konzept und Durchführung Die Minifeldstudie wurde so konzipiert, dass den Schülerinnen und Schülern ermöglicht wurde, alle Schritte zur Bearbeitung dieser Forschungsfrage konkret nachzuvollziehen (. Tab. 11.3). Das Protokoll zur Probenaufarbeitung und -analyse für die Glyphosatbestimmung beansprucht jedoch gewöhnlich einen längeren Zeitraum, als im Rahmen der Minifeldstudie zur Verfügung steht. Da während der Minifeldstudie nur sehr wenig Zeit zur Verfügung steht, konnten nur wenige Proben analysiert werden. Daher haben die Forschenden des IOW bereits im Juli an allen Stationen Proben genommen und diese im Vorfeld analysiert. Um dennoch eine ausführliche Auswertung in Bezug auf die Forschungsfrage zu ermöglichen, wurde im Vorfeld vom IOW eine vergleichbare Probenahmekampagne durchgeführt, die Proben wurden analysiert, und das Datenset wurde den Schülerinnen und Schülern für die Auswertung zusätzlich zum Datensatz der Minifeldstudie zur Verfügung gestellt. Die Probenahme erfolgte mit dem Forschungskatamaran des IOW an zehn Stationen entlang des Warnowästuars vom Beginn der Unterwarnow bis zur Mündung in die Ostsee und auch an einigen Warnowzuflüssen (. Abb. 11.43). Mit der Entnahme der Wasserproben für die Glyphosat- und AMPA-Bestimmung wurden die Begleitparameter Salzgehalt und Temperatur mit einer Messsonde bestimmt. Ausgewählte Proben wurden anschließend im Labor auf Glyphosat und AMPA analysiert. Anschließend erfolgten die Auswertung der instrumentellen Daten und die Ermittlung der Konzentrationen von Glyphosat und AMPA in den Umweltproben sowie die Qualitätskontrolle der erhobenen Daten (. Abb. 11.41). Für die Zeit der Minifeldstudie stellte das IOW Arbeitsmittel und Räumlichkeiten zur Verfügung. Dies beinhaltete Labore, Probenahme- und Analysegeräte, Forschungskatamaran, Minibus und Seminarraum mit Internetzugang.

Bei vielen Arbeitsschritten konnten die Jugendlichen selbst aktiv werden (. Abb. 11.41); dies waren vor allem die Probenahmen und die Bestimmung der Begleitparameter sowie die Probenfiltration als erster Schritt in der Probenaufarbeitung. Bei bestimmten Laborarbeiten waren sie aus Sicherheitsgründen auf den „Blick über die Schulter“ von Fachleuten per Videoübertragung angewiesen, da dort mit Substanzen gearbeitet wurde, die sie aufgrund von Jugendschutzbestimmungen nicht selbst handhaben durften (. Abb. 11.42).

Sicherheit und Jugendschutz Bei der Analyse der Wasserproben auf Glyphosat und AMPA werden Chemikalien eingesetzt, mit denen Schülerinnen und Schüler unter 18 Jahren laut Jugendschutzgesetz nicht arbeiten dürfen. Das Jugendschutzgesetz geht aber noch weiter. In § 22 steht, dass Jugendliche keine Arbeiten durchführen dürfen, bei denen sie schädlichen Einwirkungen von Gefahrstoffen ausgesetzt sind. Deshalb musste auch indirekter Kontakt ausgeschlossen werden, d. h., zu dem Zeitpunkt, als die Jugendlichen im Labor waren, durften keine Arbeiten mit schädigenden Stoffen durchgeführt werden. Das Jugendschutzgesetz benennt neben dem Schutz vor Gefahrstoffen noch weitere dringend zu beachtende Aspekte. Leider ist es daher fast ausgeschlossen, dass Jugendliche in bestimmten Laboren praktisch arbeiten dürfen oder sich die dortigen Arbeitsplätze in Funktion ansehen können. Ohne gute Ideen, Jugendschutz und solche Projekte wie die Minifeldstudie unter einen Hut zu bekommen, wird es schwer, Jugendliche für MINTFächer oder Geowissenschaften zu begeistern. Deshalb ist es wichtig, die Gefährdungen einzeln zu analysieren und abzuschätzen, was die Jugendlichen mit entsprechenden Schutzmaßnahmen noch machen dürfen und wie man sie bei den Tätigkeiten, die für Jugendliche nicht mehr vertretbar sind, trotzdem teilhaben lassen kann. In diesem Bestreben wurde das Labor für das Projekt im Vorfeld genauestens begutachtet. Es wurde alles entfernt, womit Jugendliche weder direkt noch indirekt Kontakt haben dürfen, und es wurde ein Zeitfenster festgelegt, in dem die regulären Arbeiten in dem Labor unterbrochen wurden. Die Idee, die gefährlichen Arbeiten per Videotechnik zu übertragen und gleichzeitig Kommunikation zu ermöglichen, hat den Plan abgerundet (vgl. . Abb. 11.42).

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

..Abb. 11.41  Die Schülerinnen und Schüler bei der Probenahme mit dem Wasserschöpfer, der Analyse von Salzgehalt und Temperatur mit der Messsonde, der Probenaufbereitung und bei der Auswertung der Daten. (Fotos: Sylke Hlawatsch, Sven Hille, Kristin Beck)

..Tab. 11.3  Programm – National Team Field Investigation am IOW im Rahmen der IESO 2022

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Montag, 15. August 2022 11:00 Uhr

Treffen am IOW, Begrüßung/Vorstellung des Programmes/Belehrung (Konferenzraum Villa: Hille/Reck)

12:00 Uhr

Mittagessen

13:00 Uhr

Probennahme auf der Warnow (Arbeitsboot: Rose + eine Lehrkraft) und in Zuflüssen (landseitig: Hille + Lehrkraft) sowie in der Kläranlage inklusive Führung, Teilung der Gruppe

17:00 Uhr

Filtration der Proben und Vorbereitung für die weitere Bearbeitung (Steg)

19:00 Uhr

Abendessen

Dienstag, 16. August 2022 7:30 Uhr

Frühstück

8:30 Uhr

Einführung in die Glyphosatforschung am IOW, Vorstellung Methodik zur Probenaufbereitung, Analytik und Auswertung (Konferenzraum Villa: Kanwischer)

9:30 Uhr

Führung im Schadstofflabor (Kanwischer, Reck)

10:00 Uhr

Laboranalysen Liveübertragung online (Schadstofflabor + Konferenzraum Villa/Seminarraum 227)

12:00 Uhr

Mittagessen

13:00 Uhr

Datenauswertung (Konferenzraum Villa/Seminarraum 227: Unterstützung durch Kanwischer/Hille)

18:00 Uhr

Abendessen

19:00 Uhr

Arbeiten am Vortrag

22:00 Uhr

Ende

Mittwoch, 17. August 2022 7:30 Uhr

Frühstück

8:30 Uhr

Synthese (Konferenzraum Villa/Seminarraum 227: Unterstützung durch Kanwischer/Hille)

12:00 Uhr

Mittagessen

13:00 Uhr

Vortrag ausarbeiten (Konferenzraum Villa/ Seminarraum 227)

Später Nachmittag

Rückreise

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11.3  •  Lernort Schülerlabor – Forschung erleben

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..Abb. 11.42  Die Arbeitsschritte, die den Umgang mit Substanzen erfordern, mit denen Jugendliche nicht in Kontakt kommen dürfen, werden von Dr. Marion Kanwischer im Labor durchgeführt (a) und

..Abb. 11.43  Übersichtskarte Probenahmepunkte. (Karte: Sarah Piehl, IOW)

77Erfahrungsbericht der National Team Field Investigation

Dr. Kristina Riemenschneider, Studienrätin für Chemie und Deutsch an der Lauenburgischen Gelehrtenschule, Ratzeburg Komprimierte Wissenschaft erfahren die Schülerinnen und Schüler vom 15. bis 17. August 2022 am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) am bei der National Team Field Investigation (NFTI). Von der Vorbereitung, die schon zu Hause teilweise vonstattenging, über die Probennahme vor Ort, die Instruktion der Analysemethode, Laborbesuche, beobachtete Laborarbeit am Computer bis hin zur Auswertung der Daten war alles enthalten.

als Videokonferenz in den Seminarraum übertragen (b). Dabei können jederzeit Fragen gestellt werden. (Foto: Kristin Beck, Sylke Hlawatsch)

Während die Schülerinnen und Schüler während der ersten Online-Treffen und auch am Anfang am IOW noch relativ zurückhaltend waren, zeigte sich doch schon bei der Probenahme, vor allem auch bei der Auswertung der Daten und der Erstellung der Präsentation, wo die Stärken der einzelnen Schülerinnen und Schüler liegen. Dass hier Teamwork gefragt ist, stellen alle Beteiligten relativ schnell fest. Mathematische, sprachliche und chemische Kompetenzen sind gefragt und müssen zusammengeführt werden. Auch Zeitmanagement ist eine wichtige Fähigkeit, denn theoretische Arbeit und die beobachtete praktische Arbeit im Labor müssen kombiniert werden (vgl. . Abb. 11.42). Für den notwendigen fachlichen Hintergrund sorgt eine großartig ausgearbeitete Online-Plattform, die allen Schülerinnen und Schülern schon vorab zur Verfügung stand und steht und über die Informationen abgerufen und ausgetauscht werden können. Diese vorbereitete Arbeitsumgebung wird durch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter- von der Fachkraft für Arbeitssicherheit bis zu den Wissenschaftlerinnen- nur umso mehr bereichert. Nicht nur während der Minifeldstudie, die an diesem Tage durchgeführt wird, sondern auch im Vorfeld wurde viel Zeit in die Vorbereitung dieses Tages investiert. Für mich als Lehrkraft bereichernd ist die Aktualität des Forschungsvorhabens, in das dieses Forschungsprojekt der NFTI eingebettet ist. Der Zusammenhang zwischen der Grundlagenforschung am IOW – in diesem Fall der Detektierung und Analyse von Glyphosat und dessen Abbauprodukt AMPA – und dem Nutzen für die Gesellschaft ist mehr als offensichtlich und wird auch meinen Unterricht maßgeblich bereichern. Dass während all der Tage die Sonne in „Warnifornia“ fast ausschließlich scheint, rundet die praktische Arbeit vor Ort, aber auch die theoretische Arbeit im Konferenzraum ab. Denn was ist atmosphärisch bereichernder als ein Blick auf eine sonnenbeschienene türkisblaue Ostsee. 9

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Fazit

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Das IOW hat mit dem Thema „Glyphosat in der Umwelt“ ein hochaktuelles Thema identifiziert und verfügt zudem über eine ideale Infrastruktur: ein Forschungslabor mit hochspezialisierter Analytik, ein Messtechnikteam zur Probenahmeunterstützung, eine Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie einen erfahrenen Beauftragten für den Wissenstransfer in den Schulunterricht. Forschung findet üblicherweise in Projekten statt, die über Jahre konzipiert sind. Laboranalysen erfordern Probenaufbereitungsschritte, die über mehrere Tage andauern können. Eine der größten Herausforderungen bei der Konzeption einer Minifeldstudie ist daher, die Forschungsfrage so zu konkretisieren und zu reduzieren, dass die Schülerinnen und Schüler sie durch ihre eigenen Beobachtungen auch tatsächlich beantworten können. Dann gilt es, einen straffen Arbeits- und Zeitplan aufzustellen und zu antizipieren, von welchen Feldproben (vgl. . Abb.  11.43) aussagekräftige Ergebnisse zu erwarten sind. Es müssen Analysemethoden ausgewählt werden, bei denen alle Arbeitsschritte in den wenigen Tagen, die für die Durchführung der NTFI vorgesehen sind, bearbeitet werden können. Vor allem müssen bei all dem die Sicherheitsvorschriften des Jugendschutzgesetzes berücksichtigt werden, um die Jugendlichen bei der Projektarbeit zu schützen. Es ist daher ratsam, direkt zu Beginn der Planung eines NTFI entsprechend fachkompetente Personen, wie z. B. die Fachkraft für Arbeitssicherheit, einzubeziehen. Aus Sicht des Forschungsinstitutes konnte das Fazit gezogen werden, dass sich das Engagement in vielfacher Weise gelohnt hat. Zum einen ergänzte dieses Format die vorhandenen Angebote für Schülerinnen und Schüler, praxisnahe Einblicke in aktuelle Themen der Ostseeforschung zu erhalten um den Aspekt, dass hier besonders interessierte und begabte Jugendliche gefördert wurden. Zum anderen entstanden neue Kontakte zur Fachsektion  Geodidaktik  der GeoUnion sowie zu engagierten Lehrkräften, die mit Sicherheit über die Minifeldstudie hinaus anhalten und zur Ausweitung der Kooperation führen werden. Die enge Zusammenarbeit zwischen Forschenden, Didaktikerinnen und Didaktikern und Lehrkräften ist unerlässlich für die Entwicklung neuer zielgruppengerechter Angebote, die Jugendlichen einen Einblick in die Arbeitswelt der Geowissenschaften ermöglichen und dafür begeistern sollen. Die Gelegenheit einer Untersuchung der natürlichen Umwelt mit naturwissenschaftlichen Methoden, die den gesamten Erkenntnisgewinnungsprozess von der Forschungsfrage über die Probenahme, Datenerhebung, Auswertung, Interpretation bis hin zur Schlussfolgerung umfasst, ist in der Schule eher eine

Ausnahme. Die Teilnahme an einer Minifeldstudie ermöglicht den teilnehmenden Schülerinnen und Schülern den Kontakt mit dem Wissenschaftsbetrieb, wirkt aber auch in die Schulen hinein, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten und die beteiligten Lehrkräfte Teilaspekte in ihre Unterrichtsroutine einbauen. Die Schülerinnen und Schüler halten Vorträge in ihren Klassen. Für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ist es interessant, die Themen von ihresgleichen präsentiert zu bekommen. Sie haben zukünftig ja auch die Möglichkeit, an einer Minifeldstudie teilzunehmen, wenn sie sich für eine kommende IESO qualifizieren. Da die Geowissenschaften kein reguläres Unterrichtsfach in deutschen Schulen sind, sind Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Geoinstitute sehr wichtig, wenn es darum geht, die naturwissenschaftliche Sicht auf die Erde als System im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Das Fehlen trägt sicher dazu bei, dass unsere Gesellschaft auf übergreifende Probleme des Erdsystems, wie etwa den Klimawandel oder auch die industrielle Intensivlandwirtschaft, so schwerfällig und unzureichend reagiert. Die Minifeldstudie ist ein Anlass, der für örtliche Zeitungen interessant und relevant ist, sodass auch die allgemeine Bevölkerung über die Medienberichte Einblicke in die Forschung bekommt. Die IESO ist eine sehr gute Möglichkeit, sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schüler für eine interdisziplinäre, naturwissenschaftliche Erdsystembetrachtung zu sensibilisieren und zu begeistern. Aufgrund der Tatsache, dass Lehrkräfte im deutschen Auswahlverfahren ihre Schülerinnen und Schüler begleiten und sie inhaltlich vorbereiten, werden sie fortgebildet. Wenn ihre Schule regelmäßig am Auswahlverfahren für die IESO teilnimmt, werden sie die Inhalte in ihren Unterricht einfließen lassen. Die Teilnahme an einer Minifeldstudie ist sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler ein Anreiz und kann diese für eine Teilnahme an einer IESO motivieren.

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Literatur

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11

324

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Kapitel 11  •  Vermittlungsansätze der außerschulischen Lernorte Natur, Museum und Schülerlabor

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Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst Simon Schneider

Inhaltsverzeichnis 12.1

Was ist diese Wissenschaftskommunikation?  –  326

12.2

Wer kommuniziert da eigentlich?  –  327

12.3

An mehreren Fronten gleichzeitig – wie Wissenschaftskommunikation funktioniert – 328

12.4

Wege der Kommunikation  –  330

12.5

Medialisierung – 330

12.6

Soziale Medien und die Macht der Lauten  –  332

12.7

Audiovisualität als Fluch und Segen – Sexy Science sells – 333

12.8

Was bleibt nach der Informationsflut? Lernorte  –  335

12.9

Interkulturelle Wissenschaftskommunikation – 335 Literatur – 337

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_12

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Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

Zusammenfassung

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In den letzten Jahrzehnten hat sich das Selbstverständnis der Geowissenschaften vom Charakter einer starken Binnendifferenzierung in eigenständige Disziplinen hin zum systemischen Verständnis verändert. Dies hat auch einen Wandel im Verständnis von Kommunikation bewirkt. Wissen wird nicht mehr nur präsentiert – es werden aktiv der Dialog, die Anschlussfähigkeit und der Wechsel von Perspektiven und Betrachtungsweisen gesucht. Dies hat in engem Bezug zu den sich im System Erde vollziehenden Wechselwirkungen und deren Konsequenzen z. B. auf die Anthroposphäre dazu geführt, dass die Kommunikation in alle Teile der Öffentlichkeit hinein einen immer größeren Stellenwert innerhalb der Geowissenschaften zugesprochen bekommt. Outreach ist so zu einer Kernaufgabe der Geoforschung geworden. In diesem Kapitel wollen wir uns dieses moderne Verständnis von Wissenschaftskommunikation aus der Perspektive der Geowissenschaften genauer ansehen. Wie bereits angedeutet, geht es in der Wissenschaftskommunikation nicht mehr nur um die Vermittlung von Forschungsergebnissen. Vielmehr will Wissenschaftskommunikation authentisch sein, den Wissenschaftsprozess selbst und die daraus gewonnenen Erkenntnisse vermitteln. Zudem bezieht Wissenschaft heute immer öfter auch Stellung. Neben Themen der Medizin (z. B. Stammzellenforschung) oder der Biologie (Gentechnik) sind hier besonders die Themen und Erkenntnisse der Geoforschung zunehmend im Licht der gesellschaftlichen Verantwortung zu sehen. Wissenschaftskommunikation ist daher heute auch durch eine selbstkritische Perspektive geprägt, die sich mit den Auswirkungen von Forschung auf alle Bereiche des Lebens befasst. Dieses neue Selbstbild der Wissenschaftskommunikation hat zu einer Professionalisierung eben dieser geführt, was sich z. B. im Konzept der Geoethik (International Association for the Promotion of Geoethics, IAPG; 7 www.geoethics.org) oder auch in der vermehrten Nutzung integrierter Vermittlungskonzepte zeigt. Solche integrierten Konzepte nutzen nicht nur die volle Bandbreite an Medienkanälen – von klassischen Massenmedien bis zu sozialen Medien –, sondern sie nutzen zunehmend auch Dialogformate und partizipatorische Elemente. So sind heute Bürgerforen und Citizen Science – also die aktive Partizipation von nichtwissenschaftlichen Gesellschaftsgruppen an Forschung – eng mit der Wissenschaftskommunikation verbunden.

12.1 Was

ist diese Wissenschaftskommunikation?

Zerlegt man den Begriff „Wissenschaftskommunikation“ in seine Einzelelemente – Wissenschaft und Kommunikation – werden schon auf den ersten Blick Konfliktpotenziale sichtbar. Eine wesentliche Antriebskraft von Wissenschaft ist Kritik. Die Ergebnisse wissenschaftlicher

Forschung sind robuste Hypothesen über Phänomene und Prozesse unserer Lebens- und Umwelt. Mehr noch sind diese Ergebnisse meist mit einem klaren Hinweis auf Unsicherheiten und Probleme in der Interpretation versehen. Wissenschaft erlebt einen Fortschritt, wenn solche Hypothesen kritisch untersucht und manchmal auch widerlegt werden. Dann entstehen neue Ideen, neue Hypothesen, die sich als wissenschaftlicher Fortschritt bezeichnen lassen. Auch wenn Kommunikation – der zweite Bestandteil von Wissenschaftskommunikation – als eine zentrale Funktion die Kritik selbst beinhaltet, wird sie in aller Regel aber Informationen und Botschaften vermitteln wollen, die der Entscheidungsfindung ein robustes, evidenzbasiertes Fundament bieten. In der Kommunikation sind aber Kritik und Unsicherheiten für Wahrnehmung und Akzeptanz eher hinderlich. Besonders wenn wir unser Verhalten neuen Erkenntnissen anpassen sollen, sind wir als Partner in der Kommunikation auf eindeutige, fundierte und sichere Botschaften angewiesen. Wir möchten unseren gewohnten Lebensrhythmus und unsere längst etablierten Handlungsmuster nicht verändern müssen – schon gar nicht, wenn die Argumente für eine Veränderung selbst mit Angaben zu Unsicherheiten und Kritik verbunden sind. In der Wissenschaftskommunikation treffen also Partner aufeinander, die auf Grundlage grundsätzlich unterschiedlicher Wertesysteme agieren. In der Soziologie spricht man hier von der funktionell ausdifferenzierten Gesellschaft. Dieses Konzept beschreibt, wie sich Subsysteme einer Gesellschaft ausbilden, die auf jeweils eigenen Sets an Werten, Codices und Normen beruhen (vgl. ­Hoffjann & Arlt, 2015). Diese Beobachtung zur Wissenschaftskommunikation ist wichtig, denn sie liefert uns einen Ansatz, um Missverständnisse und Hürden des Transfers von Wissen besser zu verstehen. Die Wissenschaftskommunikation hat sich in den letzten Jahren stark professionalisiert (Trench, 2017). Forschungseinrichtungen und Hochschulen haben sich der Herausforderung einer umfassenden Vermittlung aktueller Forschung und gesellschaftsrelevanter Inhalte verschrieben. Gleichzeitig kann aber auch ein grundlegender Wandel in der wissenschaftlichen Berichterstattung in den Massenmedien zum Beispiel aufgrund des Abbaus von Ressourcen in Redaktionen und Verlagen beobachtet werden (Schäfer et al., 2015). Immer mehr und professionellere Kommunikation konkurriert um immer weniger Platz in den etablierten Massenmedien und wandert daher zunehmend in andere Medienkanäle wie SocialMedia-Plattformen ab. Dies ist auch – vielleicht sogar insbesondere – in den Geowissenschaften zu sehen, die immer öfter die traditionellen Kommunikationswege verlassen und sich neuen Vermittlungskonzepten zuwenden. Außerschulische Lernorte sind hier stark in den Fokus gerückt. So werden die Themen der Erd- und Umweltforschung in Museen und Geoparks, in Naturlehrpfaden

12.2  •  Wer kommuniziert da eigentlich?

und Nationalparks, aber auch mithilfe von Schülerlaboren in die Öffentlichkeit getragen. Zudem findet die Vermittlung von Geowissen, das naturgemäß mit spektakulären Bildern oder inhaltsreichen Animationen ein vielschichtiges, alltagsbezogenes Wissen kommunizieren kann, verstärkt auch in sozialen Medien statt. All diese Maßnahmen sprechen dabei das große Informationsbedürfnis der Menschen an. Sie greifen zudem das sich verändernde Medienverhalten auf und bieten audiovisuelle Angebote für unterschiedlichste Zielgruppen an. 12.2 Wer

kommuniziert da eigentlich?

Wie bereits angedeutet wird die Wissenschaftskommunikation in der Regel als Vermittlung von Forschungsergebnissen und Erkenntnissen aus der Wissenschaft in andere Bereiche der Öffentlichkeit hinein angesehen. Bei genauerer Betrachtung müssen aber weitere Dimensionen der Wissenschaftskommunikation beachtet werden. Neben der Kommunikation aus der Wissenschaft heraus (dies wird häufig als Wissenschafts-PR bezeichnet) kommt es auch zur Kommunikation über die Wissenschaft durch andere sowie zur Kommunikation innerhalb des Wissenschaftssystems (Herrmann-Giovanelli, 2013). Alle drei Kommunikationsfelder zeigen deutliche individuelle Unterscheidungen, z. B. in ihrer Ausprägung, in ihrer Motivation und in ihren Funktionen und Leistungen der Öffentlichkeit oder Teilen der Öffentlichkeit gegenüber. Dies gilt es bei der Diskussion über Wissenschaftskommunikation mitzudenken. Sollte eine Differenzierung notwendig sein, so schlagen Hagenhoff et al. (2007) vor, sich an der englischsprachigen Literatur zu orientieren. Hier wird in der Regel von Science Communication als Austausch der Wissenschaft mit anderen Systemen (egal ob aus der Wissenschaft heraus oder von außen über die Wissenschaft) und der Scholarly Communication als Austausch innerhalb des Wissenschaftssystems gesprochen. In der Wissenschaftskommunikation ist also sowohl die an externen Anspruchsgruppen ausgerichtete als auch die nach intern abzielende Kommunikation enthalten. Wir werden uns – Hagenhoff et al. (2007) folgend – im Weiteren auf die Kommunikation aus der Wissenschaft und die Kommunikation über die Wissenschaft konzentrieren, also Wissenschaftskommunikation als Science Communication ansehen. Da die Wissenschaft auch von anderen Teilsystemen beobachtet wird, ist somit auch die Kommunikation über Wissenschaft Teil der Wissenschaftskommunikation. Wird von anderen Systemen, z. B. dem Politiksystem (z. B. in der Diskussion um Förderlinien oder Fördermittel), dem Wirtschaftssystem (z. B. bei der Entwicklung neuer Technologien) oder der Religion (z. B. im Diskurs um Schöpfung und Evolution), über und mit Wissenschaft kommuniziert, dann ist all dies auch Wissenschaftskommunikation. Diese Abgrenzungen

327

sind nicht immer trennungsscharf: Im Bildungssystem beispielsweise wird sowohl über Wissenschaft gesprochen als auch (in gewissen Grenzen) interne Wissenschaftskommunikation betrieben. Ein wesentliches Werkzeug, dem sich die Teilsysteme der Gesellschaft bedienen, um Wissenschaft zu beobachten und über Wissenschaft zu kommunizieren, ist der Journalismus (in all seinen Ausprägungen). Im Weiteren werden wir also von Wissenschaftsjournalismus sprechen, wenn wir von Kommunikation über die Wissenschaft von anderen reden. Aus diesen Überlegungen heraus ist nun eine Abgrenzung zwischen Wissenschafts-PR (Kommunikation aus der Wissenschaft heraus) und Wissenschaftsjournalismus (aus dem Mediensystem über die Wissenschaft) möglich. Notwendig sind diese Überlegungen, weil wir nun in die Lage versetzt werden zu verstehen, dass die Kommunikation über Wissenschaft sowohl auf der Beobachtung der Wissenschaft von außen als auch auf der Vermittlung von Wissenschaft aus der Wissenschaft selbst beruht. Beide Ebenen – interne wie externe Beobachtung der Wissenschaft – haben unterschiedliche Motivation. Wenn beispielsweise das Funktionssystem der Politik ein Interesse an einer Beobachtung der Wissenschaft hat, dann geschieht dies aus einer individuellen Intention des Funktionssystems Politik heraus. Um Wissenschaftskommunikation individuell zu interpretieren, ist es also sinnvoll, die Motivationen und Prozesse zu verstehen, die die entsprechende Wissenschaftskommunikation antreiben. 77Vulkanausbruch – Wissenschaft vs. Öffentlichkeit

Ende 2021 kommt es auf der Kanarischen Insel La Palma zu einem Vulkanausbruch. Bei der Eruption des Cumbre Vieja werden große Mengen Asche und Lava ausgestoßen. Die Eruption hat sich durch die stetige Intensivierung seismischer Aktivitäten rund um den Cumbre Vieja angedeutet, doch reichten diese Signale allein nicht aus, die Eruption genau vorherzusagen. Nach mehreren Wochen teils heftiger Aktivität sind mehrere Hundert Hektar Land unter einer Lavadecke verschwunden, ein Lavadelta hat sich an der südwestlichen Küste gebildet, und Behörden gehen von Schäden in Milliardenhöhe aus. Die Wissenschaft diskutiert die Eruption intern, da sich die Anzeichen des bevorstehenden Ausbruches nicht eindeutig haben interpretieren lassen. Vulkanologinnen und Vulkanologen, Seismologinnen und Seismologen sowie Geologinnen und Geologen diskutieren, welche Anzeichen klar auf eine Eruption hingedeutet haben und warum man u. a. die Intensität und Dauer des Ausbruches so nicht hat kommen sehen. Wissenschaftsintern besteht aber Konsens, dass sich durch eine engmaschige Beobachtung des Vulkans zukünftige Ausbrüche besser vorhersehen lassen könnten. Ein besonderes Augenmerk gilt wissenschaftsintern auch den Untersuchungen, die an der Küste gemacht wurden. Hier analysieren Geoforscher und

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Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

Geoforscherinnen, wie und welche Gase beim Kontakt der Lava mit dem Meer entstehen. Sie erwarten sich aus diesen Untersuchungen neue Erkenntnisse über die chemische Zusammensetzung und die physikalischen Bedingungen in der Erdkruste unter der Vulkanregion. Das Mediensystem berichtet mit spektakulären Bildern von Lavafontänen und mit Drohnenaufnahmen von Gebäuden, die meterdick mit Asche bedeckt sind, über den Ausbruch. Außerhalb von Spanien wird die Eruption häufig als Spektakel inszeniert – eine Ausnahme bildet die traurige Tatsache, dass es auch Todesopfer zu beklagen gibt. Allgemein wird aber nur wenig auf die Erkenntnisse der Geoforschung eingegangen. Als diese aber erklären, dass beim Kontakt der Lava mit dem Meerwasser giftige Gase entstehen können, rückt auch die Forschung (wenn auch nur kurz) in das Blickfeld der Medien. 9

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Wissenschaftsintern liegt der Fokus auf neuen Erkenntnissen und innovativen Methoden, z. B. zur Beobachtung von Georisiken. Die inhaltliche Diskussion dreht sich mit Blick auf die Zukunft dabei um die bessere Vorhersage von Vulkanausbrüchen. Ein Teil der wissenschaftsinternen Kommunikation adressiert aber auch die Schnittstelle zwischen Forschung und Administration. Es wird diskutiert, wie die Erkenntnisse der Forschung besser und effektiver in politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse eingebunden werden können. Die Kommunikation innerhalb der Wissenschaft wird also sowohl von fachlichen als auch von eher altruistischen Motiven getragen. Die Medien hingegen berichten aus der Logik des Mediensystems über Beobachtungen und Phänomene, die einen hohen Nachrichtenwert haben. Die Schicksale von Einzelnen und das Spektakel stehen im Vordergrund. Die Wissenschaft wird dabei mehr oder weniger als reiner Informant betrachtet. Dabei geht es nicht um den wissenschaftlichen Prozess oder um die Erkenntnisse, die die Beobachtung des Ausbruches für zukünftige Ereignisse haben – auch nicht um die Forscher und Forscherinnen, ihre Arbeit am Vulkan und ihre Motivation, sich bei der Erforschung eines solchen Vulkans selbst in Lebensgefahr zu begeben. 12.3 An

mehreren Fronten gleichzeitig – wie Wissenschaftskommunikation funktioniert

Die Kommunikation aus der Wissenschaft in die Öffentlichkeit hinein wird oft als Wissenschafts-PR bezeichnet. Auch wenn PR – also Public Relations – eher negativ konnotiert ist, betrachten wir sie zunächst neutral als eine aus einer eigenen Motivation heraus initiierte Kommunikation. Die Triebkräfte für Wissenschafts-PR liegen dabei im Wissenschaftssystem begründet. Wissenschaft

ist (zumindest in Großteilen der Welt) staatlich finanziert und versucht durch eigene PR-Arbeit (Öffentlichkeitsarbeit), um Legitimation zu werben. Die Bringschuld der Wissenschaft ist es, den Steuerzahlenden zu berichten, was mit den Steuergeldern erforscht wird. Neben dieser von manchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als populistisch bezeichneten Perspektive gilt es für die Wissenschaft auch, sich im systemeigenen Wettbewerb zu behaupten. Zum einen ist dies der Wettbewerb um Forschungsgelder, zum anderen aber auch der um die „klügsten Köpfe“ (ein Slogan der Deutschen Forschungsgemeinschaft, DFG). Auf der individuellen Ebene gilt es zudem, sich selbst als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin einen Namen zu machen, im Gespräch zu sein. Beides, die individuelle wie die Systemperspektive, führen dazu, dass Wissenschaft gegen sich selbst im Wettbewerb steht. Betrachtet man nun auch noch die immer knapperen Ressourcen für journalistische Berichterstattung über Wissenschaft, so steht die Wissenschaft im Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Um den immer knapperen journalistischen Ressourcen zu begegnen, hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten begonnen, die eigene PR massiv zu professionalisieren. Öffentlichkeitsarbeit ist nicht mehr nur ein Anhängsel, das irgendwann in freien Minuten mal schnell gemacht wird. Heute bieten Forschungseinrichtungen und Hochschulen, aber auch Fördermittelgeber Weiterbildungsangebote für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an, damit sich diese in der dynamischen Medienlandschaft besser behaupten und positionieren können. Interviewtraining, Schreibwerkstätten, Foto- und Videoschulungen und vieles mehr erlauben es, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen selbst zu Kommunikationsprofis werden. Einige Kommunikationsforscher und -forscherinnen sprechen schon von der Popularisierung der Wissenschaften – sie fürchten, dass Kommunikationskompetenz bald wichtiger wird als Forschungskompetenz. So weit sind wir womöglich aber noch nicht, da sich das Wissenschaftssystem in seinen Belohnungsroutinen noch nicht den neuen Anforderungen angepasst hat. Öffentlichkeitsarbeit wird systemintern noch nicht honoriert. Wissenschaftsinterne Kommunikation (Scholarly Communication) hingegen stellt immer noch das Währungssystem der Wissenschaft dar: Wer in Fachjournalen publiziert, gewinnt an Ansehen. Wer in Tageszeitungen oder sozialen Medien präsent ist, steigert seinen Wert im Wissenschaftssystem derzeit noch nicht. Tatsächlich sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich im Mediensystem auskennen und als solche eine hohe Medienpräsenz haben, heute aber auch nicht mehr als Selbstdarsteller verpönt. Dies ist in der Forschung zur Wissenschaftskommunikation unter der Bezeichnung Sagan-Effekt bekannt. Dieser Effekt, der besagt, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich in populären Medien etablieren und engagieren,

12.3  •  An mehreren Fronten gleichzeitig – wie Wissenschaftskommunikation funktioniert

in ihrer wissenschaftlichen Kariere aktiv behindert werden, ist heute zum Glück nur noch selten zu beobachten. Benannt ist dieses Phänomen nach dem Planetenphysiker Carl Sagan, dem vermeintlich eine unkündbare Professorenstelle an der Harvard-Universität versagt wurde, da er von einigen einflussreichen Kollegen als „Wissenschaftspopulist“ angesehen wurde, der den Ruf der Wissenschaft mit seinen von der Öffentlichkeit sehr geschätzten Fernsehauftritten beschädigen würde (Fahy, 2015). Die Wissenschaft ist im Wandel – bekannte Forscherinnen und Forscher werden zunehmend als Bereicherung für die Wissenschaft gesehen. Inzwischen gibt es schon Celebrity Scientists, die sich in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen erarbeitet haben und gleichzeitig das Ansehen der Wissenschaft maßgeblich prägen. Zum Beispiel erstellte das renommierte Science Magazine, basierend auf einer nicht ganz ernst gemeinten Idee des Genetikers Neil Hall (2014) eine Liste der bekanntesten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf Twitter. Diese wurde anhand des sog. Kardashian-Index erstellt (You, 2014). Den klassischen Massenmedien kommt dabei immer seltener eine tragende Rolle zu. Wie erwähnt werden die Ressourcen auf Verlagsseite immer weiter zusammengeschrumpft. Die Wissenschaft reagiert durch die Aufarbeitung der eigenen Forschung in journalistischem Stil. Pressemeldungen sind heute keine Informationen über Forschungsergebnisse mehr – sie sind zunehmend eigene Medienbeiträge, die inzwischen oft teils wortgetreu von Verlagen übernommen werden (Comfort et al., 2022). Zudem sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst zunehmend besser für die Medienlandschaft ausgebildet. Sie schreiben eigene Reportagen und liefern gleich das passende Bildmaterial. Dies erlaubt es auch, dass Wissenschaft immer häufiger ohne die klassischen Massenmedien als Mittler ihren Weg in die Öffentlichkeit finden. Soziale Medien und professionelle Online-Präsenzen sind als neue und hocheffiziente Medienkanäle hinzugekommen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen betreiben und pflegen eigene Forschungsblogs, füttern YouTube-Kanäle mit teils brillanten Animationen und Erklärvideos oder nutzen andere Kommunikationskanäle, in denen sie authentische und manchmal ganz persönliche Einblicke in ihre Forschung geben. Neben dieser eher technischen Annäherung an die Wissenschaftskommunikation kann diese auch systemtheoretisch beschrieben werden. In den letzten Jahrzehnten haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Kommunikationswissenschaften das theoretische Modell der Kommunikation, das diesen Überlegungen zugrunde liegt, immer weiter verfeinert. Das einfache aristotelische Sender-Empfänger-Modell der Kommunikation hat sich durch Ergänzungen wie das informationstheoretische Modell von Shannon und Weaver (1949) und diverse Erweiterungen weiterentwickelt (vgl. Maletzke, 1963: Einführung des sozialen Kontextes; Schulz von Thun, 1981: Einbeziehung der vier Kerndimensionen

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der Information; z. B. von Glasersfeld, 1987: Trennung von Sender- und Empfängerprozessen auf der Basis konstruktivistischer Ansätze). Eine entscheidende Neuerung ist die Implementierung von Encodierung und Decodierung nach Stuart Hall (1973), die auf der Grundlage konstruktivistischer Ideen beruht. Hiernach beinhalten beide Codierroutinen ein sehr individualistisches Vorgehen der Informationsverarbeitung und beschreiben Quellen für Missverständnisse innerhalb der Kommunikation. Wird der eine Codierprozess ohne Berücksichtigung der vielfältigen Mechanismen der anderen Codierroutine durchgeführt, wird die Kommunikation wahrscheinlich scheitern. Das Wissenschaftsmanagement nimmt dies bereits auf, indem es auf einer vereinfachenden Ebene unterschiedliche Strategien für verschiedene Zielgruppen anwendet (z. B. auf der Ebene der Identifizierung von Zielgruppen als „Öffentlichkeit“, „Politik“ oder „Industrie“). Dennoch sind das Verständnis und die Wertschätzung für das Codierungs-Decodierungs-Konglomerat bisher noch meist unzureichend. Das Wissenschaftsmanagement versucht daher, über Meinungsumfragen und verschiedene Medienanalysen (z. B. für Deutschland: WiD, 2017; für die EU: European Commission, Directorate-General for Climate Action, 2017) die unterschiedlichen Bedürfnisse, Anforderungen und Erwartungen zu identifizieren. Aber: Identifikation ist nicht gleichbedeutend mit Verständnis. Daher gelingt Wissenschaftskommunikation oft nur auf einer oberflächlichen Ebene (meist nur in einer kognitiven Dimension). Der Schulunterricht, ein hochspezialisierter Teilbereich der Wissenschaftskommunikation, ist ein gutes Beispiel hierfür: Schulen ermöglichen einen erfolgreichen Decodierungsprozess innerhalb der Gruppe der Schülerinnen und Schüler, indem die Lehrkräfte wissenschaftliche Forschungsergebnisse encodieren, also z. B. von akademischer in jugendgerechte Sprache übertragen. Das ist zwar gut gemeint, die individuellen Decodierroutinen werden aber nur selten berücksichtigt. Die Bildungsforschung konnte hier zeigen, dass z. B. Jungen und Mädchen Informationen auf signifikant unterschiedliche Weise decodieren (OECD, 2015). Diese Unterschiede werden noch deutlicher, wenn Kinder mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund beobachtet werden (Aikenhead & Jegede, 1999). Es ist daher wichtig für die Wissenschaftskommunikation, für den stark inhomogenen Charakter des Publikums sensibel zu werden und ihre Codierroutine bei der Definition ihrer Zielgruppen entsprechend zu ändern. Als Beispiel für das Problem von Encoding und Decoding kann die Vermittlung auf dem Niveau einzelner Wörter der Risikowahrnehmung oder der Wahrscheinlichkeit gesehen werden. So wird der in der Wissenschaft oft und obligatorisch eingesetzte Begriff des Fehlers (grafisch in der Regel als Fehlerbalken dargestellt) vom Wissenschaftssystem im Sinn von „ungewiss“ betrachtet – die Angabe möglicher Fehler sogar als Qualitätsmerkmal

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330

Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

von Forschung angesehen. In der Öffentlichkeit wird der Begriff des Fehlers aber in aller Regel als „ungenau“ oder sogar „unwahr“ interpretiert. Beide Interpretationen sind im jeweiligen Kontext fest verankert und etabliert, sorgen aber dafür, dass eine Botschaft, die vonseiten der Wissenschaft routiniert mit Informationen zu Messfehlern ergänzt wird, vonseiten der Öffentlichkeit als falsch und damit irrelevant angesehen wird. 12.4 Wege

12

der Kommunikation

Wie bereits kurz angesprochen, findet Wissenschaftskommunikation auf unterschiedlichsten Kanälen statt. Zwar wurde den klassischen Massenmedien schon öfter das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit vorhergesagt, doch gilt, dass etablierte Medien von neuen Kanälen nicht vollständig verdrängt, sondern in aller Regel durch diese ergänzt werden. So wurden das Radio nicht vom Fernsehen, das Theater nicht vom Kino und die Zeitungen nicht vom Internet verdrängt. Stattdessen erfinden sich etablierte Verlage und Produzenten neu, reichen in die neuen Medienkanälen hinein und entwickeln nicht selten selbst neue Formate und Angebote. Was nach Monopolisierung durch einige wenige Verlage (wie es z. B. in den Printmedien zu beobachten ist) klingt, ist in der Realität eine Demokratisierung der Medien. Jede Stimme, jede Meinung und jede These können in den immer neuen Kommunikationskanälen verbreitet werden – von jedem. Die ehemals fast hoheitliche Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten, die sich unter der Bezeichnung Gatekeeper-Funktion subsumieren lässt, hat sich durch User-Generated-Content-Inhalte, die durch die Nutzer selbst erstellt werden, zu einem kritischen Element in der Imageentwicklung von Massenmedien entwickelt. Konnten Journalistinnen und Journalisten früher durch eine geschickte Auswahl an Themen (dem erwähnten Gatekeeping) den öffentlichen Diskurs lenken, erzeugt die Öffentlichkeit heute ihre eigene Agenda. Die Prozesse, die hier angesprochen sind, beinhalten zum einen eine große Macht, gleichzeitig verlangen sie aber auch das An- und Wahrnehmen der eigenen Verantwortung im Kommunikationsprozess. Wurden bisher Themen anhand ihrer newsworthiness, ihres Nachrichtenwertes, von Journalistinnen und Journalisten bewertet und wurde entsprechend groß (oder gar nicht) darüber berichtet, bestimmt heute der Nutzer bzw. die Nutzerin von Kommunikation, über was wie und wann berichtet wird. Allerdings wirken hier gerade im Umfeld der Online-Kommunikation Algorithmen entgegen, die sich in Eli Parisers (2011) Konzept der Filterblase beschreiben lassen. Diese selektieren das gewaltige Informationsangebot des Internets anhand von individuellen Nutzerdaten, um eben diesem Nutzer oder dieser Nutzerin im besten Fall Orientierung zu bieten, im schlimmsten Fall aber auch beeinflussend wirken können.

12.5 Medialisierung

Die Aufgabe der Wissenschafts-PR an Forschungseinrichtungen und Hochschulen ist es heute meist immer noch, Forschung und Forschende (und somit die Einrichtung selbst) „in die klassischen Massenmedien“ zu bringen. Gemeint ist damit, dass über Forschung in Printmedien, im Radio oder Fernsehen berichtet werden soll. Damit soll mediale Aufmerksamkeit für einzelne Forschende oder eben die Einrichtung selbst erzeugt werden. Legitimation sowie die öffentliche Positionierung der Einrichtung als kompetenter und exzellenter Ansprechpartner rund um Themen der Wissenschaften sind dabei die angestrebten Ziele. Legitimation meint hier u. a. auch, dass die traditionelle Bringschuld der Wissenschaft gegenüber der geldgebenden Gesellschaft erfüllt wird. Beides wird erreicht, indem Pressestellen enge Kontakte zu den traditionellen Massenmedien halten. Die altehrwürdige Pressemitteilung ist daher selbst heute noch eines der gängigsten Werkzeuge, um das Mediennetzwerk mit immer neuen Themen anzusprechen. Daneben werden Pressekonferenzen, Pressegespräche oder auch Themenfortbildungen für Pressevertreter organisiert. Und dennoch: Pressemitteilungen – wenn auch heute nicht mehr mit dem Fax verschickt – sind das Mittel der Wahl, um die Aufmerksamkeit der Medien auf bestimmte Forschungsthemen zu lenken. Um entsprechende Pressemeldungen für die Medien attraktiv zu machen, reicht es aber schon lange nicht mehr, neue Erkenntnisse aus der Forschung kurz zusammenzufassen und die entsprechenden Publikationen aus wissenschaftlichen Journalen anzuhängen. Um aus der Flut von Meldungen, die tagtäglich auf die Journalistinnen und Journalisten einstürzen, herauszuragen und attraktiv zu sein, orientieren sich Pressemitteilungen heute stark an der sog. Medienlogik. Medienlogik beschreibt hierbei, wie das Mediensystem intern Auswahlen und Entscheidungen trifft, welche Werte als besonders wichtig gelten. Während das Wissenschaftssystem auf der Basis von Theorien neue Aussagen und Erkenntnisse, die aus Beobachtungen hergeleitet werden, als entweder „wahr“ oder „falsch“ bewertet, fußt das Mediensystem auf Themen, die als „informativ“ oder „nicht informativ“ eingeschätzt werden (z. B. Roth, 2014). Wie ein Teilsystem der Öffentlichkeit intern funktioniert, lässt sich also in der dem Teilsystem eigenen Operationalisierung der Realität beschreiben. Einzige Schnittmenge scheint die Beobachtung der jeweiligen Umwelt zu sein, die sowohl vom Wissenschaftssystem als auch vom Mediensystem ständig erfolgt. Wurde die Wissenschaft bis vor einigen Jahrzehnten noch intensiv vom Mediensystem beobachtet, gilt dies aufgrund des Druckes und des damit verbundenen Wandels der Medienlandschaft heute nur noch in Ausnahmefällen. Kaum eine Redaktion hat heute noch ein Team von Wissenschaftsjournalisten und -journalistinnen, die

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12.5  •  Medialisierung

sich mit ihren Kompetenzen in den unterschiedlichen Feldern der Forschung bewegen können. Vielmehr ist es so, dass Wissenschaftsressorts heute häufig mit Journalisten und Journalistinnen besetzt sind, die als Allrounder alle Forschungsfelder abdecken können müssen – oft sogar parallel dazu noch in den Regional‑, Wirtschafts- oder anderen Ressorts beheimatet sind. Die Gründe hierfür sind vielfältig, laufen aber meist auf den ökonomischen Druck auf die klassischen Massenmedien hinaus. Will die Forschung nun die Aufmerksamkeit der Massenmedien gewinnen, scheint es sinnvoll, dass dieser Kontakt für die Medienseite so einfach wie möglich gestaltet wird. Die Wissenschaft passt sich daher zunehmend der Medienlogik an. Dies bedeutet, dass sich in der Wissenschaft ein Verständnis für die Funktionsweise der Medien entwickelt hat. Wie entscheiden Journalisten und Journalistinnen, ob sie sich mit einem Thema weiter vertraut machen? Hier kommen die sog. Nachrichtenwertfaktoren ins Spiel. Sie beschreiben, welche Kriterien eine Information zu einer für die Medien interessanten Information machen. Dabei ist hiermit im Selbstverständnis der Medien gemeint, dass Informationen, wenn sie für die Medien interessant sind, auch für die Allgemeinheit interessant sind. Die Nachrichtenfaktoren spiegeln daher auch Faktoren wider, die das Interessenniveau für ein Thema in der Öffentlichkeit beschreiben. Die Kommunikationsforschung versucht seit einigen Jahrzehnten schon, diese Nachrichtenwerte zu definieren. Klar ist, dass es eine Reihe von Nachrichtenwertfaktoren gibt, die allgemein akzeptiert scheinen, und andere, die z. B. je nach strategischer Ausrichtung des Mediums selbst, nach thematischem Bezug der Information oder nach anderen, oft eher subjektiven Kriterien zum Einsatz kommen. Die üblichen Nachrichtenwertfaktoren sind in . Tab. 12.1 zusammengefasst. Aus der Kombination unterschiedlicher Operationalisierungen innerhalb der Systeme Wissenschaft und Medien sowie aus der immer intensiveren Aneignung des Konzeptes der Nachrichtenwertfaktoren durch die Wissenschaft folgt die Beobachtbarkeit einer Medialisierung der Wissenschaften. Kritisierende werfen der Wissenschaft daher vor, sie verlasse zunehmend die eigene, interne Ausrichtung auf Fakten und die Bewertung nach wahr oder falsch zulasten einer zunehmenden Orientierung an Unterhaltungswerten (den Nachrichtenwertfaktoren). Klar ist aber auch, dass es die Wissenschaft heute mehr denn je schafft, in weiten Teilen der Öffentlichkeit präsent zu sein – möglicherweise gerade weil sie sich heute stärker an den Nachrichtenwertfaktoren orientiert. Kommunikationsformate, mit deren Hilfe sich die Wissenschaft deutlich geöffnet hat, erlauben eine immer stärkere Partizipation und die Initiierung eines Diskurses über Wissenschaft in allen Teilen der Gesellschaft. Die Medialisierung – oder zumindest die vorsichtige Aneignung der Nachrichtenwerte für die eigene Kommunika-

tion – hat die Wissenschaften aus ihren Elfenbeintürmen herausgeholt. Die Wissenschaft muss nun aber das richtige Maß finden, um sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, dass sie sich nur noch mit medial wirksamen Themen befasst. Kohring (1997) nennt das Bedürfnis nach Akzeptanz als eine treibende Kraft hinter der zunehmenden Popularisierung der Wissenschaft – eine Bezeichnung, die von Kritikerinnen und Kritikern des zunehmenden Einflusses der Medienlogik auf die Wissenschaftskommunikation gerne im Zusammenhang mit der Medialisierung genutzt wird. Akzeptanz wird, so die Sozialwissenschaft, durch eine individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung aufgebaut (L’Orange Seigo, 2013), die insbesondere vor dem Hintergrund selbst erlebter, aktueller Kontexte stattfindet. Wenn die Wissenschaft also durch Kommunikation die Akzeptanz für Forschung erhöhen will, dann muss sie mit aktuellen Themen verknüpft werden, damit die einzelnen Kommunikationspartner das Nutzen-RisikoVerhältnis der entsprechenden neuen Informationen individuell bewerten können. In den Mittelpunkt der Wissenschaftskommunikation rückt folgerichtig die Relevanz der Wissenschaft für Individuum und Gesellschaft (Herrmann-Giovanelli, 2013). Wenn Wissenschaft aber evidenzbasiert und faktenorientiert kommuniziert, reicht dies in aller Regel nicht aus, um Akzeptanz aufzubauen oder zu stärken. Affektive Einflüsse auf das Verstehen und Wahrnehmen von Wissenschaft sind für den Aufbau von Akzeptanz gleichsam von größter Bedeutung (Finucane et al., 2000). Emotionen haben daher in den letzten Jahren zunehmend Einzug in die Wissenschaftskommunikation gefunden. Die Wissenschaft steht der Integration von Emotionen in die Vermittlung von Forschung und Forschungsergebnissen aber immer noch kritisch gegenüber. 77Integrierte Kommunikation als Teil der Projektkonzeption

Die Arktis-Expedition MOSAiC hat es verstanden, sich die Medienlogik anzueignen, ohne dabei die wissenschaftsinterne Operationalisierung zu verlieren. Dies war erfolgreich, da sich die Öffentlichkeitsarbeit als gleichwertiger Partner neben der eigentlichen Forschung verstanden hat und gleichzeitig von der Wissenschaft als wichtiger Bestandteil eines so großen Forschungsprojektes angenommen wurde. Medienvertretungen wurden schon in die Vorbereitungen der Expedition des Forschungsschiffes Polarstern eingebunden. Sie waren live dabei, wenn Bordkisten gepackt und technisches Equipment getestet wurden. Sie konnten von Anfang an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihren individuellen Vorbereitungen begleiten und Forschung so authentisch und in engem Bezug zu den Menschen, die hinter dieser Forschung stehen, aufbereiten. Tatsächlich waren Medienvertreterinnen und -vertreter auch während der Expedition eingeladen, sich gemeinsam mit den Forscherinnen und Forschern im Eis

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Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

..Tab. 12.1  Beispiele von für Wissenschaftskommunikation wichtigen Nachrichtenfaktoren. (Leicht verändert nach Ruhrmann & Göbbel, 2007)

12

Nachrichtenfaktor

Erläuterung

Reichweite

Je mehr Personen vom Gegenstand der Berichterstattung/Meldung betroffen sind, desto höher ist der Nachrichtenwert dieser Meldung (Beispiel: starke Erdbeben)

Deutsche Beteiligung

Entweder ist eine Meldung wichtig, weil es eine starke deutsche Beteiligung gibt, oder aber auch, weil es gerade keine deutsche Beteiligung gibt (Beispiel: bemannte Raumfahrtmissionen)

Negative Folgen/Schaden/Misserfolg

Intensive negative Folgen werden in der Berichterstattung als hoher Nachrichtenwert angesehen (Beispiel: Flutkatastrophen)

Überraschung

Überraschend ist ein Ereignis, das nicht ankündbar ist, sowie ein Ereignis, das bestehenden Erwartungen widerspricht (Beispiel: plötzlicher Vulkanausbruch)

Meinungsunterschiede/ Kontroverse

Meinungsunterschiede in einer Anspruchsgruppe des Themas, die verbal oder schriftlich (oder handgreiflich) ausgetragen werden (Beispiel: Schneeball-Erde-Theorie)

Positive Folgen/Nutzen/Erfolg

Positive Folgen oder gesteigerter Nutzen sind ein wichtiger Nachrichtenwert, jedoch nicht so wirkungsvoll wie negative Folgen (Beispiel: Verbesserungen im Hochwasserschutz)

Prominenz

Der Bekanntheitsgrad einer namentlich erwähnten Person unabhängig von ihrer politischen/wirtschaftlichen Macht (Beispiel: der Astronaut Alexander Gerst)

Räumliche Nähe zu Deutschland

Je näher ein Ereignis geographisch an Deutschland heranreicht, umso wertvoller ist die Meldung (Beispiel: extreme Stürme)

Personalisierung

Für eine Meldung ist es wichtig, dass eine Person direkt damit verbunden wird. Anonyme Meldungen haben einen geringeren Nachrichtenwert (Beispiel: eine Berühmtheit besucht einen Geopark)

Etablierung von Themen

Je länger die Medien bereits berichten, desto etablierter ist das Thema – die dann sowohl für als auch gegen eine Meldung sprechen. Dieser Nachrichtenwert ist daher immer mit weiteren Werten verbunden (Beispiel: Klimawandel in den Medien)

Visualität

Ist ein Thema audio-visuell abwechslungsreich zu präsentieren, hat es einen hohen Nachrichtenwert (Beispiel: explosive Vulkanausbrüche gegenüber „stillen“, effusiven Ausbrüchen)

Ortsstatus (bei Ereignissen in Deutschland)

Ist der Ereignisort einer Meldung wichtig, hat er z. B. eine hohe Einwohnerzahl oder betrifft eine kritische Infrastruktur, so ist eine Meldung als wichtiger anzusehen (Beispiel: Erdrutsche auf ICE-Trassen)

Status der Ereignisnation

Darunter wird die wirtschaftliche, politische und militärische Bedeutung von Nationen verstanden (Beispiel: Erdbeben in Los Angeles, USA, vs. Erdbeben in Quito, Ecuador)

Gewalt/Aggression

Darunter wird die Androhung oder Anwendung von Gewalt verstanden (Beispiel: Aktionen der Just-StopOil-Bewegung in Großbritannien)

Demonstration

Hierbei geht es um die kollektive Darstellung von Zielen (Beispiel: Fridays-for-Future-Bewegung)

Bildliche Darstellung von Emotionen

Die bildliche Darstellung von menschlichen Gefühlen steigert den Nachrichtenwert (Beispiel: Fotos von Betroffenen nach Naturkatastrophen)

der Arktis einfrieren zu lassen. Diese enge Einbindung der Medien in die Forschungsarbeit war es, die von Anfang an das Human Interest und die gesellschaftliche Relevanz der Polarforschung zum Zentrum der Aufmerksamkeit der Medien gemacht hat. Hierdurch ist es dem Projekt auch gelungen, Emotionen in die Berichterstattung über Forschung einzubinden, ohne dass dies künstlich wirkte. Tatsächlich hat es die MOSAiC-Expedition auch geschafft, nachhaltige Verbindungen und Kontakte zwischen Polarforschung und den Medien zu initiieren. MOSAiC hat hierzu eine integrierte Kommunikationsstrategie umgesetzt, die auf allen Medien- und Kommunikationskanälen aktiv war. Nicht nur klassische Massenmedien sind involviert worden, auch Social-Media-Plattformen und Online Content, der von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst erzeugt wurde, waren fester

Bestandteil der Vermittlung. Und mehr noch: Bildungsangebote sprechen Schulen an, Instagram (mit über 20.000 Followers) und YouTube (Playlist mit derzeit 82 Beiträgen) haben neben den wissenschaftsinteressierten Zielgruppen über das Hervorheben ästhetischer Aspekte auch Kunstinteressierte angesprochen. ( 7 Abschn. 13.5.2). Mehr zur MOSAiC-Expedition unter 7 https://mosaic-expedition. org/ (Alfred Wegner Institut, 2019). 9

12.6 Soziale

Medien und die Macht der Lauten

Der bereits beschriebene Mangel an Emotionen in der Wissenschafts-PR scheint ein Hindernis auf dem Weg zu mehr Akzeptanz und Wahrnehmung zu sein. Während

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12.7  •  Audiovisualität als Fluch und Segen – Sexy Science sells

die Wissenschaft selbst fordert, dass Wissenschafts-PR der wissenschaftlichen Logik folgt (indem sie sich z. B. auf überprüfbare Fakten konzentriert), bevorzugen andere Kommunizierende wie etwa Aktivistinnen und Aktivisten oder Lobbygruppen Kommunikation, die emotionsgeladen ist und entsprechend Gefühle ansprechen kann. Es wird mit stolzen Eisbären auf winzigen Eisschollen, mit Papageien vor abgeholzten Wäldern oder mit drastischen Visualisierungen zum Meeresspiegelanstieg über Themen der Geoforschung berichtet. Die so implizierten Emotionen werden mit klaren Botschaften begleitet, die sich auf diesem Weg fest in die Wahrnehmung der Rezipierenden einbauen. Die journalistische Kommunikation konzentriert sich aufgrund des höheren Nachrichtenwertes von Emotionen und Konflikten gegenüber dem von Daten und Fakten auf Akteure wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Bürgerinitiativen. Eklatant sichtbar wurde dies Anfang 2022, als der Ukraine-Krieg die Schlagzeilen beispielsweise in Deutschland beherrschte und der zeitgleich veröffentlichte IPCC-Report (3. Teil, 6. Sachstandbericht) fast gar keine mediale Aufmerksamkeit erhielt. Da zudem meist eine Fokussierung auf Konflikte und negative Folgen für Umwelt und Gesellschaft erfolgt, wird auch die Medienberichterstattung von negativen Positionen zum Thema dominiert. Die Wissenschaftskommunikation wird der Wissenschaft selbst aus der Hand genommen. Diejenigen, die Emotionen am geschicktesten einzusetzen wissen (die Lautesten), übernehmen die Hoheit über die Kommunikation. Dies ist zunächst nichts Negatives und könnte der Wissenschaftskommunikation sogar dienlich sein. Doch werden diese Taktiken zunehmend auch von Pseudowissenschaften und für Verschwörungserzählungen genutzt. 77Klimakommunikation: Doomists and deniers

In der Kommunikation rund um den anthropogen verursachten Klimawandel haben sich in den letzten Jahrzehnten einige Stimmen prominent positioniert, die zwar dominant auftreten, nach Überprüfung von Fakten und Argumenten aber nicht als vertrauenswürdig gelten müssen. Ihr dominantes und überwiegend hochprofessionelles Auftreten sowie das Vertreten kontroverser Positionen im Klimadiskurs sind aber aus Sicht der Massenmedien hochwillkommen. Sie sprechen nicht selten den wichtigen Nachrichtenwert des Konfliktes an, indem sie die evidenzbasierte Argumentation teils hochgradig aggressiv angehen. Sie befeuern zudem individuelles Erleben, wenn sie scheinbar spielerisch Zeit- und Raumskalen vermischen (z. B. in der Klimadebatte mit Wetterdaten argumentieren). Die Massenmedien müssen sich hier den Vorwurf gefallen lassen, sich mehr an Quoten zu orientieren als an einem Informations- und Bildungsauftrag, den zumindest die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten auferlegt bekommen haben. Michael E. Mann (2021) sezierte die Kommunikationsstrategien von doomists and deniers

– von Schwarzsehern und Leugnern – und kommt zu dem Schluss, dass hier professionell und intentional die Prozesse der Medienlogik instrumentalisiert werden. Dies kann in dem angesprochenen hohen Grad der Professionalität nur gelingen, wenn Konzerne und Unternehmen mit Milliardengewinnen entsprechende Kampagnen unterstützen. Hier kann die Wissenschaft mit ihrer ohnehin prekären Finanzsituation, in der Wissenschaftskommunikation meist lediglich einen Bruchteil der zur Verfügung stehenden Gelder einnimmt, nur bedingt kontern. Mann zieht hier Parallelen zum Disput um die gesundheitlichen Schäden des Rauchens, die ebenfalls lange vehement von der Tabakindustrie in budgetreichen Kampagnen geleugnet wurden. 9

Wenn die Wissenschaft sich den Pseudowissenschaften, Verschwörungstheorien und verborgenen Intentionen entgegenstellen will, muss sie ihre Position als starke und konstruktive Kommunikationspartnerin wiederherstellen. Die Wissenschaft muss also – zumindest in der Kommunikation mit anderen Teilsystemen der Gesellschaft – zu einem intensiveren Einsatz von Emotionen übergehen. Andernfalls werden andere gesellschaftliche Systeme die Darstellung der Wissenschaft zunehmend dominieren, was zu einer unverhältnismäßigen Betonung eines externen und heteronomen Bildes der Wissenschaft führt. Emotion allein ist aber noch nicht genug: Die Wissenschaft sollte auch auf die Anforderungen und Erwartungen der Rezipierenden reagieren. Wenn es der Wissenschaft gelingt, auf einer soziokulturellen Ebene einen Bezug zur individuellen Lebenswelt der Rezipientinnen und Rezipienten herzustellen, kann sie ihre Alltagsrelevanz erfolgreich demonstrieren. Zumindest in Teilen der Medienberichterstattung über Wissenschaft ist bereits heute gut zu erkennen, dass die Wissenschaft als primäre Kommunikatorin wissenschaftlicher Themen durch andere gesellschaftliche Systeme abgelöst wurde. Dies wurde z. B. sichtbar in einer umfangreichen Analyse der Berichterstattung in deutschen Printmedien zur Abtrennung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid (Carbon Capture and Storage, CCS) durch Schneider (2017). Die Wissenschaft – und die Wissenschafts-PR – muss akzeptieren, dass sie schon lange nicht mehr das alleinige Recht hat, über Wissenschaft zu sprechen, und dass sie – in einigen Themenfeldern – dabei ist, gerade ihre Themenhoheit zu verlieren. 12.7 Audiovisualität

als Fluch und Segen – Sexy Science sells

Die Kritik an der Medialisierung, also der Adaption der Medienlogik in der Wissenschaftskommunikation, wurde bereits angesprochen. Kritikerinnen und Kritiker merken dabei an, dass sich Wissenschaft nicht emotio-

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Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

nalisieren sollte, nicht zum Entertainment werden darf. Eine These wird dabei immer wieder angesprochen, die sich mit drei Worten beschreiben lässt: Sexy Science sells. Wenn Wissenschaft – so die Kritik – popularisiert wird und Akzeptanz für sowie Legitimität von Wissenschaft auf Werten und Charakteristika begründet werden, die nicht wissenschaftsinhärent sind, dann scheint daraus zu folgen, dass auch nur noch die bestmöglich popularisierbare Wissenschaft gefördert wird. Forschung wird nach dieser These dann finanziert, wenn sie medientauglich scheint (vgl. Sagan-Effekt; 7 Abschn. 12.3). Sogar den Fördereinrichtungen wird in diesem Diskurs vorgeworfen, dass sie die Wissenschaft dazu nutzen, um das eigene Standing in der nationalen und internationalen Wissenschaftsgemeinschaft sowie in der Öffentlichkeit zu optimieren. Wissenschaft muss sexy sein, muss auffallen, emotional sein, attraktiv werden, wenn sie in der Öffentlichkeit akzeptiert werden will. Parallel zu dieser Kritik wird auch der Trend zum Edutainment gesehen. Edutainment beschreibt dabei Vermittlungsformate, die durch den massiven Einsatz von unterhaltenden Elementen gleichzeitig ein Bildungsziel erreichen wollen. Der Begriff stammt von Walt Disney, der in den späten 1940er- und in den 1950er-Jahren insbesondere in Dokumentationen zu Naturphänomenen und der Biodiversität versuchte, durch die Mischung von Bildungskonzepten und Unterhaltungselementen Kinder und Erwachsene für naturwissenschaftliche Themen zu begeistern. Science Shows in Museen und im Fernsehen, aber auch Wissenschaftstage werden dafür kritisiert, dass sie mit Effekten statt Inhalten für Wissenschaft werben. Zum Set von Popularisierung und Edutainment kommt seit einigen Jahren auch die Gamification von Wissenschaft hinzu (mehr über Gamification bei Morris et al., 2013, oder in der Metastudie von Kalogiannakis et al., 2021). Auch hier werden wissenschaftliche Inhalte unterschwellig im Umfeld von Spielen – in der Regel sind damit digitale Spiele gemeint – vermittelt. Wenn spielerisch Pinguine vor dem Abschmelzen des Meereseises gerettet werden, wenn in Strategiespielen Grundlagen der Rohstoffwissenschaften genutzt werden oder wenn Dinosaurier durch digitale Paläolebensräume streifen, werden Forschungserkenntnisse genutzt, um den Rahmen oder gar die Strategien für den Spielerfolg zu legen. 77Gamification

Gamification bezieht sich zunächst auf die Instrumentalisierung von Spielen in sozialen Interaktionen zu anderen Zwecken als zur reinen Unterhaltung. Aus Sicht der Wissenschaftskommunikation bedeutet dies, dass wissenschaftliche Arbeitsweisen, Erkenntnisse und die Anwendungen dieser Erkenntnisse in den Kontext von Spielen eingebunden werden. Dies geschieht sowohl auf der analogen wie auch der digitalen Ebene. Ziel ist es, durch die spielerische Annäherung an Forschung auf kognitiver, affektiver und auch handlungsorientierter Ebene zu

wirken. Dabei soll zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung mit den Themen motiviert werden. Ansätze sind das aktive Mitwirken an Entwicklungen, die im Spiel sichtbar gemacht werden, die Förderung sozialer Kompetenzen im Diskurs dieser Themen sowie die Visualisierung von Prozessen und Strukturen auf unterschiedlichsten Zeit- und Raumskalen (eine Metastudie zu den Wirkmechanismen findet sich bei Galeote et al., 2021). Gerade im Bereich von Themen der Nachhaltigkeit und des Klimawandels haben sich hier in den letzten Jahren zahlreiche Spiele etabliert, die den Spielenden häufig in die Lage versetzen, verschiedene Handlungsoptionen in ihren Konsequenzen zu testen und so systemische Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Einige Beispiele für solche Spiele sind: Plasticity: Ein Spiel, das von Studierenden der University of Southern California (USC) konzipiert und umgesetzt wurde. In Form eines kombinierten Adventure-Puzzle-Spieles erfährt die spielende Person, welche Prozesse und Dynamiken hinter der Verschmutzung der Umwelt mit Plastik stecken und wie sich einige dieser Prozesse abfangen lassen. Ice Flows: Das Spiel, das von dem Natural Environment Research Council (NERC) gefördert wurde, beschreibt die Eisdynamik der Antarktis. Neben den spielerischen Elementen werden Hintergrundinformationen und neuste Erkenntnisse der Glazialforschung vorgestellt. Never Alone: Ein Spiel, das Umweltthemen der Nordpolarregionen aufgreift und gleichzeitig für die Belange und Perspektiven der indigenen Bevölkerung in den Polarregionen wirbt. Das Spiel schafft es, Emotionen mit starkem Storytelling zu verbinden, sodass das im Spiel erlebte eine langfristige Wirkung auf Vorstellungen zur Komplexität des Lebensraumes der nördlichen Polarregion hat. Free Rivers: Dieses Spiel, das von der World Wildlife Foundation (WWF) konzipiert wurde, ist ein Beispiel für den Einsatz von Augmented Reality im Umfeld der Gamification in den Erd- und Umweltwissenschaften. Mithilfe eines Smartphones oder Tablets kann eine virtuelle Flusslandschaft auf einen Tisch übertragen werden. Anhand dieser Landschaft werden verschiedene Prozesse rund um den Wasserkreislauf spielerisch erlebbar. 9

-

All das sehen Puristen der Wissenschaftskommunikation kritisch. Sie bezweifeln vor allem den nachhaltigen Mehrwert der Vermittlung. Elemente der Unterhaltung würden von tatsächlichen Inhalten ablenken, Forschungsobjekte vermenschlichen oder den wissenschaftlichen Prozess simplifiziert und trivial darstellen, was letztlich zu einem falschen Bild von Wissenschaft und Forschung führt. In den letzten Jahren konnten aber verschiedene Studien zeigen, dass Sitcoms, TV-Serien oder Kinofilme trotz des klaren Fokus auf Unterhaltung in der Lage sind, kritisches Denken und Neugier für bisher unbe-

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12.9  •  Interkulturelle Wissenschaftskommunikation

kannte Themenfelder zu wecken (Bieniek-Tobasco et al., 2019). Die Bekanntheit spezialisierter Forschungsfelder (z. B. aus der Paläontologie, der Mineralogie oder anderen Bereichen) wird ebenfalls durch Filme (z. B. Jurassic Park) und Serien (z. B. CSI; auch bekannt als CSI-Effekt) nachhaltig verbessert (Attwood, 2021; Funk et al., 2017; Li, 2016). Einige Studien konnten auf der Ebene individueller Kompetenzniveaus zeigen, dass die Einbindung wissenschaftlicher Inhalte in Computerspiele die Fähigkeiten zur Hand-Auge-Koordination, das Kommunikationsvermögen und die Gedächtnisleistungen steigern konnte. Dandashi et al. (2015) konnten z. B. positive Effekte insbesondere bei geistig Behinderten Nutzergruppen aufzeigen. Welchen Wert Spiele, Kinofilme und TV-Serien für ein wissenschaftliches Verständnis der Prozesse und Wechselwirkungen im Erdsystem haben, ist derzeit noch Gegenstand umfangreicher Studien und wissenschaftlicher Debatten. Cole (2015) diskutierte am Beispiel des CSI-Effektes etwa, dass zwar die Kenntnis über forensische Wissenschaften in der Gruppe der CSI-Zuschauerinnen und -Zuschauer anstieg, dass aber gleichzeitig ein verfälschtes Bild der realen forensischen Arbeit erzeugt wird. 12.8 Was

bleibt nach der Informationsflut? Lernorte

Audiovisualität, Gamification und der stetig steigende Einsatz von Social-Media-Plattformen in der Wissenschaftskommunikation sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit ständig von neuen Informationen, Beiträgen, Meinungen und Empfehlungen quasi zugedeckt wird. Was die Wissenschafts-PR freut, denn sie ist damit konstant Teil der öffentlichen Agenda, sorgt bei den individuellen Nutzerinnen und Nutzern für Effekte der Abnutzung und des Überdrusses. Die sog. Informationswelle ist inzwischen eine Lawine geworden, der man sich nur schwer entziehen kann. Tatsächlich verschiebt sich mit dem Überangebot an Nachrichten auch unsere Aufmerksamkeitsschwelle. Wo vor Jahrzehnten noch jedes größere Erdbeben für Beiträge in den verschiedenen Kommunikationskanälen sorgte, sind heute nur noch extreme Katastrophen wirklich „medientauglich“. Über Erdbeben in Deutschland wird, wenn überhaupt, nur noch in regionalen Medien berichtet; über Vulkanausbrüche nur noch, wenn der internationale Flugverkehr eingeschränkt wird. Was im Umfeld von Human-Interest-Storys als primärer Nachrichtenfaktor angesehen wird, ist im Fall von Wissenschaftskommunikation eher kontraproduktiv: being specific. Das Marketing und die Kommunikationspraktikerinnen und -praktiker sprechen davon, dass Einzelfälle, individuelle Schicksale, die Aufmerksamkeit der Zielgruppen besser und intensiver anregen als eine hohe Anzahl oder anonyme Gruppen von Betroffenen. In den Geowissenschaften – insbesondere in der Kom-

munikation rund um Naturgefahren – scheint diese Regel aber auf den Kopf gestellt. Erst wenn ganze Völker von nahezu unaussprechlichen Vulkanen bedroht werden (s. den Ausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai im Januar 2022), erfolgt eine Medienberichterstattung, die sowohl die geologischen Prozesse als auch deren Auswirkungen auf andere Teilsysteme im Gesamtsystem Erde integrieren. Was aber kann die Geoforschung tun, wenn sie aus der Informationslawine herausragen und die Öffentlichkeit erreichen will? Anders als die meisten anderen Naturwissenschaften befasst sich die Geoforschung mit dem System Erde selbst, mit der Natur und Umwelt, mit unserem Lebensraum. Die Öffentlichkeit nutzt genau diesen Lebensraum, die Natur und Umwelt, um sich zu erholen, zu entspannen, aus dem Alltagstrott auszubrechen. Dies können die Geowissenschaften nutzen. Sie können in der Natur und Umwelt, ihrem ureigenen Untersuchungsobjekt, Präsenz zeigen. Waldlehrpfade, Informationstafeln an Aussichtspunkten, Exponate in freier Natur zum selbstentdecken – all das nutzen die Geowissenschaften seit einigen Jahren z. B. in Natur- und Geoparks. Hier wird den Wandernden und Spazierengehenden im Rahmen einer unterhaltsamen und erholsamen Tätigkeit von aktuellen Erkenntnissen und Forschungsfragen berichtet. Bereits seit den 1950er-Jahren hat sich hier das Konzept der Cultural and Natural Heritage Interpretation (Tilden, 1957) entwickelt, das für die Wissenschaften in Form der Science Interpretation (Schneider, 2006) adaptiert wurde. Ein anderer Ort, an dem die Öffentlichkeit Erholung sucht, sind Museen. Auch hier versuchen die Geowissenschaften, mehr Raum für Themen aus der Erdsystemforschung einzunehmen. Kuratoren und Kuratorinnen reagieren auf die wachsende Relevanz von Geothemen und bringen Themen wie z. B. „Rohstoffe“, „Klimawandel“ und „Naturgefahren“ in die Ausstellungsräume und pädagogischen Programme. Museen bieten dabei auch noch einer anderen Zielgruppe die Möglichkeit, geowissenschaftliche Forschung zu thematisieren: den Lehrkräften. Während im schulischen Kontext die Geowissenschaften in der Form des Schulfaches Erdkunde/ Geographie immer weiter zurückgedrängt werden, greifen die Naturkundemuseen den entsprechenden Themenkanon auf und bereichern ihn um Fragestellungen, die keinen Platz mehr in den Lehrplänen finden. 12.9 Interkulturelle

Wissenschaftskommunikation

Das bereits erwähnte Konzept des Encodierens und Decodierens (Hall, 1973) liefert neben grundsätzlichen Erkenntnissen zum Kommunikationsprozess auch einen Ansatz, Herausforderungen im Umfeld interkultureller Kommunikation besser zu verstehen. Gerade in den Geo- und Naturwissenschaften sind soziokulturelle

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Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

Präkonditionierungen verantwortlich dafür, dass Kommunikation schwierig wird, wenn nicht gar oft scheitert. Als soziokulturelle Präkonditionen verstehen wir dabei zunächst Vorstellungen von Umwelt oder Natur, aber auch von der Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, die sich in der Regel auf ein kulturell verwurzeltes Verständnis von Umwelt, Natur, Menschsein oder Individualität berufen. So sehen Menschen mit aufgrund unterschiedlicher, kultureller Sozialisation verschiedene natürliche Phänomene sehr unterschiedlich und interpretieren Auslöser, Ereignisse oder Objekte sehr differenziert. Meist sind solche Differenzen auf religiöse Deutungen zurückzuführen, können aber auch das Resultat kulturell-spezifischer Überlieferungen (z. B. Mythologie) oder kultur-kollektiver Erfahrungen (z. B. Vertreibung) sein. Wir vergleichen die in der Kommunikation enthaltenen Informationen mit unseren Erwartungen und Vorstellungen, die aber durch eben diese soziokulturelle Präkondition geprägt sind. Wie also in der Kommunikation Inhalte individuell interpretiert werden (Decodierung), hängt stark davon ab, wie wir konditioniert sind. Werden solche möglichen „Anders-Interpretationen“ in der Encodierung berücksichtig, wird eine erfolgreiche „Decodierung“ aufseiten der anderen Kommunikationspartnerin oder -partner wahrscheinlicher. Kommunikation funktioniert also dann effektiv, wenn wir uns mit den Interpretationsroutinen vertraut machen und diese berücksichtigen. Tatsächlich wird dies in der Theorie des Konstruktivismus auf einer sehr individuellen Ebene gesehen, die zunächst soziokulturelle Präkonditionierung, also eine Konditionierung, die ganze Gruppen von Individuen betreffen, nicht berücksichtigt. Das Contextual Model of Intercultural Communication (CMIC; Neuliep, 2006) kombiniert nun alle o. g. Punkte. CMIC bezieht alle Arten von Kontext mit ein. Dabei beschränkt sich CMIC nicht auf klassische Definitionen von Kultur, sondern betrachtet vielmehr den physischen, sozialen oder auch psychologischen Kontext und deren Einfluss auf den Kommunikationsprozess. Vor der Konzeption von Kommunikationsprojekten sollte die Wissenschaft daher eine eingehende Stakeholder-Analyse durchführen, die die individuellen und zielgruppenspezifischen Entschlüsselungsroutinen berücksichtigt. 77Etuaptmumk und Mātauranga

Beispielhaft sind Elemente des CMIC in der High Arctic Research, der Erforschung des Systems Erde mit dem Fokus auf die Regionen der Arktis, umgesetzt. Hier treffen akademisches Denken und „westlich orientierte“ Wissenschaft auf indigenes Wissen und auf von naturreligiösen Einflüssen geprägte Kulturen. Es ist gelungen, die Erwartungen und Anforderungen der akademischen Wissenschaft mit denen der Menschen vor Ort zu verknüpfen und seit einigen Jahren im Modus des Co-Designs von Forschung umzusetzen. Erwartungen und das Rollen-

verständnis der Menschen, deren Kulturen im äußersten Norden unseres Planeten wurzeln, werden bereits beim Entwurf erster Forschungsideen eingebunden und mitgedacht. Dabei stehen z. B. die Bedürfnisse und Fragen der Menschen vor Ort stärker im Mittelpunkt der Forschung, als dies in vielen anderen Regionen der Erde der Fall ist. Ähnliche Ansätze können auch in der Forschung rund um die Öko- und Geosysteme Polynesiens beobachtet werden, wo beispielsweise in Neuseeland die in der Kultur der Maori verankerten Konzepte des Mātauranga Māori (Hikuroa, 2017; Royal, 2007) immer stärker in politisches Entscheiden und Handeln eingebunden werden (MoRST, 2007). Auch in Kanada wird das von Albert Marshall aus der Tradition der Mi’kmaq-Nation entworfene Konzept des Etuaptmumk (Two-Eyed Seeing) inzwischen als wichtiger Bestandteil der Forschungspolitik (insbesondere der Gesundheitspolitik; Forbes et al., 2020) angenommen. 9

Das Co-Design von Forschung hat Auswirkungen auf die Kommunikation eben dieser Forschung. Da bereits zu Beginn der Konzeption von Forschungsvorhaben die Perspektive der beteiligten und betroffenen Kulturen berücksichtig wird, wird auch Wissenschaftskommunikation klar auf die Interpretationsroutinen ausgerichtet, die durch die soziokulturelle Präkonditionierung charakterisiert werden. Dies führt dazu, dass Forschung an Anschlussfähigkeit gewinnt und die Menschen vor Ort sich mit der Forschung identifizieren können. 12.10

Eine Frage des Vertrauens

Viele Mitglieder der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik sind in letzter Zeit zunehmend besorgt über das, was sie als einen Rückgang des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Wissenschaft wahrnehmen. Diese Grundprämisse scheint jedoch sehr subjektiv und eher falsch zu sein. Es gibt, so die Kommunikationsforschung, keinen wirklichen Beweis dafür, dass die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Wissenschaft an sich verloren hat. Im Gegenteil: Die meisten Umfragen – beispielsweise das jährliche Wissenschaftsbarometer, eine repräsentative Umfrage, mit deren Hilfe Wissenschaft im Dialog (WiD) regelmäßig die Einstellungen der Bevölkerung zu Wissenschaft und Forschung ermittelt – zeigen, dass die Mehrheit der Öffentlichkeit der Wissenschaft und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vertraut und diese respektiert. Während der COVID-19-Pandemie konnte sogar ein Zuwachs des Vertrauens in die Wissenschaft beobachtet werden. Die Beobachtungen dieser Studien deuten darauf hin, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie die Wissenschaft an sich hochgeschätzt werden. Die Öffentlichkeit sieht die hohe Relevanz der Wissenschaft und unterstellt den Forschenden eine hohe altruistische Motivation. Hinterfragen muss man allerdings, ob und wie das Konzept Vertrauen, das in den

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Literatur

meisten dieser Umfragen genutzt wird, interpretiert bzw. in den Umfragen selbst dargestellt wird (Weingart et al., 2017). Vertrauen bedeutet aber nicht, dass die Öffentlichkeit oder Teilsysteme der Öffentlichkeit, wie z. B. die Politik, Entscheidungen auf der Basis von wissenschaftlich fundierten Empfehlungen treffen. Die Sozialwissenschaften konnten zeigen, dass Entscheidungen nur sehr selten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse getroffen werden. Soziale Faktoren wie etwa das soziokulturelle und sozioökonomische Umfeld sowie persönliche Biografien und Erfahrungen sind deutlich prägender in den Entscheidungsprozess eingebunden. Ein Faktor für das scheinbare Übergehen wissenschaftlicher Erkenntnisse und Empfehlungen resultiert möglicherweise aus dem Unvermögen, sich mit einem divergierenden Verständnis für Natur und die Rolle des Menschen in der Natur zu identifizieren. Dies betrifft zum einen die Verschiedenheit des Naturverständnisses zwischen Individuen, die sich selbst verschiedenen Subsystemen der Gesellschaft zuordnen. So sehen stark religiös erzogene Menschen die Rolle des Menschen in seiner Umwelt anders, als es stark wissenschaftsorientierte Menschen tun. Noch deutlicher wird dies, wenn man das Naturverständnis auch interkulturell betrachtet: Indigene Gemeinschaften haben eine andere Beziehung zu Umwelt und Natur als Menschen in kapitalistisch-industriellen Lebensumwelten. Darüber hinaus ist das Fremdbild der Wissenschaft ein anderes als das Selbstbild der Wissenschaft. Im Selbstbild der Wissenschaft ist Kritik eine treibende, positive Kraft. Wissenschaftliche Theorien werden der Kritik ausgesetzt, damit sie stetig verbessert oder gar widerlegt werden können. Die Wissenschaft akzeptiert, dass Kritik ein fester und wesentlicher Bestandteil des wissenschaftlichen Prozesses ist. Kritik wird aber in weiten Teilen der Gesellschaft anders interpretiert. Kritik wird dort häufig mit fehlerhaften Argumentationsketten, mit falschen Schlussfolgerungen oder mit fehlender Präzision verbunden. Die deutlichen Unterschiede in der internen Struktur von Wissenschaft zu Gesellschaft führen zu Missverstehen und letztlich auch zum Entzug von Vertrauen. 77Dynamische Gletscherschmelze

Beispielhaft kann hier die Klimaforschung angesehen werden: Klimamodelle unterliegen einem stetigen Wandel. Neueste Erkenntnisse, wie z. B. die Beobachtung des massiven Abschmelzens von Gletschern der Antarktis (s.  Thwaites-Gletscher), sorgen dafür, dass die bisherigen Modelle revidiert werden müssen. In einer nicht an den Prozess der Falsifizierung gewöhnten Öffentlichkeit wirkt dies, als habe die Wissenschaft bisher mit falschen Modellen gearbeitet. Wenn die bisherigen Modelle falsch waren, warum sollte dann das neue Modell richtig sein? Vertrauen in Klimaforschung geht verloren, wenn die Klimaforschung es nicht schafft, den Prozess der Falsifi-

kation für die Öffentlichkeit darzustellen und zu erläutern. Die Klimaforschung hat hier in den letzten Jahren aber herausragende Kommunikationsarbeit geleistet. Die stetig notwendige Anpassung der Modelle an neue Erkenntnisse wird akzeptiert – zumindest in den Kreisen, die den Klimawandel als solchen anerkennen und als dringende Herausforderung der Gesellschaft sehen. 9

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338

12

Kapitel 12  •  Outreach – Wie sich die Wissenschaftskommunikation der modernen Mediennutzung anpasst

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Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany) In der Schule aktuelle Forschung authentisch durch aktive Expeditionsteilnahme vermitteln

Rainer Lehmann, Monika Kallfelz, Friederike Krüger

Inhaltsverzeichnis 13.1

Ansatz und Konzept des Arbeitskreises  –  340

13.2

Werkzeuge zum Umsetzen der gesetzten Ziele  –  341

13.3

Aktivitäten der Expeditionslehrkräfte  –  342

13.4

Ergebnisse der Expeditionen  –  344

13.5

Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften  –  344

13.6

Expeditionsteilnahme und Fortbildungen für Lehrkräfte – 360

13.7

Voraussetzungen und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele  –  361 Literatur – 365

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_13

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

Zusammenfassung

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Mit Beginn des Internationalen Polarjahres (International Polar Year, IPY) 2007/08 wurde auf schulischer und wissenschaftlicher Seite schnell klar, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Schulen und der deutschen Polarforschung geben soll. Vertreter der Deutschen Kommission für das Internationale Polarjahr und schulische Teilnehmende initiierten das Projekt „Coole Klassen“, aus dem innerhalb eines Jahres der Arbeitskreis Polarlehrer der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP) hervorging. Die Zusammenarbeit zwischen Schulen und der Polarforschung basiert auf dem Interesse von Schülerinnen und Schülern sowie ihren Lehrkräften an den Polargebieten und insbesondere am Klimawandel, der sich in diesen Gebieten dramatisch bemerkbar macht. Das Interesse der Polarwissenschaft, ihre Forschungsfragen, -methoden und -ergebnisse auch an junge Menschen heranzutragen, führte und führt maßgeblich zu einer engen Zusammenarbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Lehrkräften auf Projektebene. Zahlreiche unterschiedliche Ansätze und Werkzeuge werden in einem Netzwerk aus nationalen und internationalen Kontakten des Arbeitskreises mit der Polarforschung genutzt. Zentraler Punkt ist hierbei die Einbindung von Lehrkräften in aktuelle Forschungsarbeiten der Polarforschenden. Die Partizipation der Lehrkräfte ist aktiv und individuell auf die jeweiligen gemeinsamen Projekte zugeschnitten. Die Lehrkräfte sind Multiplikatoren und erhalten die notwendigen Informationen zu den Angeboten einer Mitarbeit durch den Arbeitskreis. Eigene Ideen der Lehrkräfte für Projekte sind stets willkommen. Eine Besonderheit ist hierbei die Möglichkeit, als Lehrkraft an wissenschaftlichen Polarexpeditionen teilzunehmen. Die unmittelbare Anbindung an die aktuelle Polarforschung führt zu einer hohen Motivation bei Lehrkräften und Lernenden und deren Umfeld. Lehrkräfte arbeiten aktiv an Forschungsarbeiten in den Polargebieten mit und vermitteln ihre Erfahrungen an ihre und viele andere Schulen, an Museumsbesucher und -besucherinnen sowie die Öffentlichkeit. Zwei Beispiele der Teilnahme an Polarexpeditionen in die Arktis und die Antarktis zeigen spannende und völlig unterschiedliche Möglichkeiten, wie Lehrkräfte ihre Erfahrungen aus den Polargebieten in die Gesellschaft transferieren können. Wichtige Ergebnisse werden für einen breiten Kreis von Interessierten bereitgestellt, um diesen eine Partizipation zu ermöglichen. Dabei spielen neben der direkten Begegnung, beispielsweise bei Vorträgen, die Veröffentlichung von Publikationen und die Durchführung von Fortbildungen eine wichtige Rolle. Die Voraussetzungen zur Teilnahme am Arbeitskreis sowie mögliche Herausforderungen bei der Realisierung einer Mitarbeit zeigen auf, worauf interessierte Lehrkräfte achten sollten, wenn sie sich für eine Mitarbeit im Arbeitskreis entscheiden.

13.1 Ansatz

und Konzept des Arbeitskreises

Das Interesse der Schüler und Schülerinnen an Unterrichtsinhalten steigt mit der Aktualität der Themen, wie die Erfahrungen aus dem eigenen Unterricht immer wieder zeigen. Schulbücher können hochaktuelle Forschungsarbeiten kaum zeitnah aufgreifen. Besonderes Interesse bringen junge Menschen heute den aktuellen Umweltthemen im Zusammenhang mit deutlichen weltweiten Veränderungen in der Geo‑, Bio- und Anthroposphäre entgegen. Das belegen beispielsweise das Fridays-for-Future-Phänomen (z. B. Beckh & Limmer, 2022) oder Projekte mit Lernenden an schulnahen Gewässern (Lehmann, 2006). Demgegenüber werden die Lernenden in den Schulen nur ansatzweise oder gar nicht über fundamentale Grundlagen der einzelnen Sphären der Erde und ihre Zusammenhänge aufgeklärt (Lehmann & Rudolph, 2020). Diese sind aber für ein Verständnis der globalen Zusammenhänge, der anthropogen verursachten Auswirkungen auf die Umwelt und ein daraus resultierendes, nachhaltiges Verhalten unabdingbar. Zudem sind die Polargebiete ein Hotspot der Veränderung der geogenen Systeme der Erde und in der Folge der biologischen und sozialen Systeme (. Abb. 13.1). Darüber hinaus hat der Klimawandel in diesen Gebieten Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Demgegenüber sind polare Ökosysteme für viele Menschen per se faszinierend (maribus gGmbH, 2019, S. 12), und das gilt insbesondere für die junge Generation. Die Motivation zur aktiven, konzentrierten Unterrichtsteilnahme in der Schule steigt nach eigenen langjährigen Erfahrungen im Unterricht in der Regel bei Themen rund um Eisbär, Pinguin und Co. stark an. Der Klimawandel und seine Folgen für die kalten Regionen der Erde sind in den Medien immer wieder präsent, und das weckt Interesse bei den Schülern und Schülerinnen. Dieses Interesse und damit zusammenhängende Fragen der Wissenschaft werden durch den Arbeitskreis aufbereitet und der jungen Generation zugänglich gemacht. Der Arbeitskreis Polarlehrer (AK Polarlehrer) möchte daher zweierlei verknüpfend bewirken: die Förderung der Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler hinsichtlich des Grundlagenwissens über die Polargebiete sowie die Vermittlung der aktuellen Forschungsfragen und deren Hintergründe, der Untersuchungsmethoden und -ergebnisse der Polarforschung in der Arktis und Antarktis.

-

Dazu gehören grundlegende geographische, biologische, physikalisch-chemische und astronomische Sachverhalte, eingebettet in aktuelle Forschungsthemen wie

341

13.2  •  Werkzeuge zum Umsetzen der gesetzten Ziele

..Abb. 13.1  Beispiel für Veränderungen in der Arktis infolge des Klimawandels (Graphik: Sarah Paulik)

Klimaveränderungen, Meereisbildung, Plankton und Nahrungsnetze oder Stofftransporte, -speicher und Prozesse. Populäre Themen wie der Klimawandel oder die Verschmutzung der Meere, ihre Ursachen und Folgen werden über die üblichen Informationen aus den Medien hinaus vertieft. Das wichtigste Ziel ist die Entwicklung eines Verständnisses über einen maßgeblichen Teil des Systems Erde. Das Konzept sieht seit Beginn der Arbeitskreisaktivitäten daher vor, Lehrkräfte als Multiplikatoren zu inspirieren und motivieren, sodass sie ihre Begeisterung und ihr neu erworbenes Fachwissen sowie vor allem die neuen Erfahrungen aus im besten Fall den Polargebieten selbst ihren Schülerinnen und Schülern und auch den interessierten Kollegen und Kolleginnen hautnah vermitteln können (Lehmann, 2021). Eine Initiative aus der Lehrer- und der Wissenschaft entwickelte zum Internationalen Polarjahr (IPY) 2007/08 das bundesweite Projekt „Coole Klassen“, das von der Robert Bosch Stiftung maßgeblich unterstützt wurde. Die im Projekt engagierten Lehrkräfte bilden seit 2008 den bundesweit aktiven AK Polarlehrer in der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP). Der Arbeitskreis ist einer der fünf Arbeitskreise der DGP neben dem AK Polargeodäsie und Glaziologie, AK Biologische und ökologische Prozesse, AK Geologie und Geophysik der Polargebiete und AK Permafrost, in denen hauptsächlich Fachwissenschaftler und Fachwissenschaftlerinnen aktiv sind (DGP, o.D.).

13.2 Werkzeuge

zum Umsetzen der gesetzten Ziele

13.2.1 Aktivitäten

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in Deutschland

Das Konzept baut in Deutschland auf unterschiedlichen Aktivitäten auf: Netzwerkbildung Wissenschaft – Lehrkräfte – Lernende Vernetzung der Lehrkräfte mit jährlichen Arbeitskreistreffen, Fortbildungen, Workshops Enge Zusammenarbeit mit der DGP Kooperation mit Forschungseinrichtungen: AlfredWegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polarund Meeresforschung (AWI), Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), Universitäten Internationale Zusammenarbeit mit Polar Educators International (PEI) Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften plus Umsetzung der Erfahrungen (Publikationen, Vorträge, Schulbesuche, Videos etc.) Präsentationen auf nationalen und internationalen Tagungen Veranstaltungen an Schulen Webinare Newsletter Instagram

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

Der Schwerpunkt wird in diesem Kapitel auf die Expeditionsteilnahmen durch Lehrkräfte gelegt. Hintergrund ist die Funktion der Lehrkraft als Multiplikator. Neben der Einbindung der „eigenen“ Lernenden übernimmt er oder sie diese Funktion auch gegenüber Kolleginnen und Kollegen und deren Lernenden bundesweit. 13.2.2

13

Internationale Vernetzung

Neben seinem Engagement in Deutschland ist der Arbeitskreis international eingebunden. Bereits 2007 engagierte sich eine deutsche Lehrkraft in einem schwedischen Polarforschungsprojekt und arbeitete auf dem schwedischen Forschungseisbrecher Oden im Raum Spitzbergen zu Themen der Ozeanographie/Geophysik. Eine schwedische Lehrkraft wurde 2008 in ein deutsches Projekt auf FS Polarstern ebenfalls mit Themenschwerpunkt Ozeanographie/Geophysik eingebunden (. Tab. 13.1). Ein großes internationales Forschungsprojekt mit Beteiligung der USA, Neuseelands, Italiens und Deutschlands, in dem der AK Polarlehrer mitarbeitete, war die ANDRILL-Expedition 2006/2007 in die Antarktis (Forschungsstation McMurdo). In die Forschungsarbeiten auf dem Eis waren insgesamt 15 Lehrkräfte aus den beteiligten Ländern eingebunden. Dazu liegt eine quantitative und qualitative Forschungsarbeit von Pound et al. (2019) vor, die die positive und verstärkende Wirkung des Einsatzes insbesondere eines Teams aus Lehrkräften bei Expeditionen sowie die Bedeutung des Zuganges zur Wissenschaft über einen längeren Zeitraum im Forschungsgebiet aufzeigt. Es wird deutlich, welche fördernde Wirkung das „wissenschaftliche Handeln“ als Mittel des Lernens und die davon ausgehende Inspiration sowohl bei Pädagoginnen und Pädagogen als auch bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat. Ein Ergebnis dieser Einbindung in das wissenschaftliche Forschungsprojekt in der Antarktis ist das Praxisbeispiel in 7 Abschn. 13.5.3. In den Jahren 2012 und 2013 wurde die internationale Polarlehrervereinigung Polar Educators International (PEI) gegründet, wobei der AK Polarlehrer Pate stand und seitdem aktiv mitarbeitet. Seit 2013 führt PEI internationale Workshops in unterschiedlichen Ländern Europas mit internationaler Beteiligung in zweijährigem Rhythmus durch. 2015 war eine Schule in Hannover Tagungsort. In Hannover und der folgenden Tagung in Rovereto (Italien) waren italienische und deutsche Schülerinnen und Schüler der Oberstufe bei der Vorbereitung und Durchführung beteiligt. Das internationale Forschungsprojekt MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) war die größte Arktisexpedition jemals und wurde federführend durch das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) von September 2019 bis September 2020

durchgeführt. Während der ersten sechs Wochen begleiteten zwei Lehrkräfte aus Deutschland und zwei aus den USA auf dem Forschungseisbrecher Akademik Fedorov das dann im Packeis eingefrorene Forschungsschiff Polarstern im Nordpolarmeer. Sie waren Teil der MOSAiC School, die von APECS (Association of Polar Early Career Scientists) initiiert wurde und die sich hauptsächlich an Studierende und Promovierende der Polarforschung aus den beteiligten Ländern richtete. Ergebnisse dieses deutschen Engagements sind in 7 Abschn.  13.5.2 in Form von Erfahrungsbericht und Expeditionsteilnahme der Arktis dargestellt und finden sich beispielweise bei Lehmann und Krüger (2021). 13.3 Aktivitäten

der Expeditionslehrkräfte

13.3.1 Teilnahmen

seit 2007

Die Idee, Lehrkräfte mit auf Polarexpeditionen zu nehmen und sie an aktuellen Forschungsarbeiten zu beteiligen, entstand im IPY 2007/08. Ziel war schon zu Beginn der Lehrkraftbeteiligung bei der ersten Expedition 2007 mit dem schwedischen Forschungseisbrecher Oden ins Nordpolarmeer, neben der fachlichen Fortbildung durch diese Lehrkraft im Sinne eines Botschafters viele, wie man heute so schön sagt, E&O-Aktivitäten (Education & Outreach) durchzuführen. Lehrkräfte aller Klassenstufen und Fachrichtungen sind angesprochen; ein Schwerpunkt liegt auf den Naturwissenschaften und der Oberstufe. Seit 2007 nahmen 17 Lehrkräfte an Expeditionen in die Arktis und Antarktis teil, im Sommer 2022 wurde erstmalig eine Schülerin beteiligt (. Tab. 13.1). Voraussetzungen und Struktur der Lehrkraftbeteiligung bei Expeditionsbeteiligung ähneln sich im Grundaufbau, können aber im Einzelfall individuell gestaltet sein. Grundsätzlich gilt: Die Lehrkraft sollte vom Fach sein, je nach Forschungsthema der Expedition z. B. eine Lehrkraft der Geographie mit physisch-geographischem Hintergrund (Geomorphologie, Klimatologie, Bodenkunde, Hydrologie), der Biologe, Chemie, Physik oder auch Geschichte. Die Lehrkraft bewirbt sich auf eine ausgeschriebene Stelle mit einem Projekt oder Konzept. Die im Projektentwurf anvisierten E&O-Resultate sollen durchführbar sein, wobei Vorkenntnisse bzw. Fachkenntnisse auch in der Öffentlichkeitsarbeit von Vorteil sind. Die Lehrkraft gestaltet ihr Projekt individuell, wobei neue Ideen immer willkommen sind. Sie kann sich dabei an ihren eigenen Rahmenbedingungen und Kontakten orientieren. Ein Team aus mehreren Gutachtern und Gutachterinnen aus der Wissenschaft und dem AK Polarlehrer

-

343

13.3  •  Aktivitäten der Expeditionslehrkräfte

..Tab. 13.1  Überblick über die Polarexpeditionen mit Lehrkraftbeteiligung Schiff

Station

Gebiet

Zeitraum

Thema

Herkunft der Lehrkraft

1

Oden

Raum Spitzbergen

27.05.–06.06.2007

Geophysik, Hydrovents

Karlsruhe

2

Polarstern

Europäisches Nordmeer

10.07.–25.07.2007

Tiefseebiologie

Eislingen

3

Merian

Grönlandsee

18.07.–20.08.2007

Geophysik

Überlingen

Antarktis, Ross Island

30.09.–18.12.2007

Geowissenschaften

Hannover

4

McMurdo

5

Polarstern

Antarktis, Kapstadt–Punta Arenas

06.02.– 16.04.2008

Ozeanographie

Kiel

6

Polarstern

Antarktis, Kapstadt-Punta Arenas

06.02.–16.04.2008

Ozeanographie

Hamburg

7

Polarstern

Grönlandsee

12.06.–02.07.2008

Geophysik

Stuttgart

8

Polarstern

Nördliche Grönlandsee

04.07.–10.08.2008

Geophysik

Schweden

9

Polarstern

Arktischer Ozean, Baffin Bay, Nordwestpassage

12.08.–17.10.2008

Geowissenschaften

Winterbach

10

Polarstern

Antarktis, Kapstadt–Kapstadt

05.12.2007–05.01.2008

Hydroakustik

Berlin

Spitzbergen

10.09.–22.09.2009

Biologie, Geowissenschaften

Bad Belzig

Antarktis, Pazifik, Punta Arenas–Wellington

27.11.2009–27.01.2010

Geowissenschaften

Stuhr-Brinkum

Antarktis, Victorialand

18.12.2009–22.01.2010

Geologie

Kiel

11 12

AWIPEV Polarstern

13

Gondwana

14

Polarstern

Antarktis, Neumayer III

03.12.2011–05.01.2012

Ozeanographie, Biologie

Bad Dürkheim

15

Polarstern

Antarktis, Neumayer III

30.11.2012–18.01.2013

Geologie, Biologie, Ozeanographie

Herrenberg

16

Akademik Fedorov

Nordpolarmeer

22.09.–19.10.2019

Meereis, Biologie, Ozeanographie, Atmosphäre

Berlin

17

Akademik Fedorov

Nordpolarmeer

22.09.–19.10.2019

Meereis, Biologie, Ozeanographie, Atmosphäre

Hannover

18

Ulla Rinman

Spitzbergen

10.08.–31.08.2022

Archäologie, Ökologie

Neumünster

-

begutachtet die Bewerbungen und wählt die teilnehmende Lehrkraft aus. Ein Engagement vor, selbstverständlich während und vor allem nach der Expedition ist Voraussetzung. Die Lehrkraft arbeitet mit Forschenden oder einem Wissenschaftsteam und mit weiteren Lehrkräften zusammen. Die Lehrkraft wird in der Regel in die Arbeitsabläufe auf der Expedition eingebunden und ist für die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Sinne eines Hiwis tätig. Neben den Arbeiten für die Wissenschaft im Labor der Station, im Gelände oder an Bord ist die teilneh-

mende Lehrkraft für ihre eigenen E&O-Arbeiten aktiv. Das bedeutet lange Arbeitstage und keinerlei freie Tage während der Expedition. Die Vorbereitungszeit benötigt mehrere Monate, und nach der Expedition gibt es noch auf Jahre hinaus die Möglichkeit, mit den Erfahrungen und Ergebnissen der Expedition zu Workshops beizutragen, Unterrichtsmaterial zu publizieren oder Vorträge zu halten. Eine Expeditionsteilnahme ist kein kurz aufflackerndes Strohfeuer, sondern ein besonderer Lebensinhalt für eine lange Zeit. Die meisten Lehrkräfte werden durch ihre außergewöhnlichen Erfahrungen geprägt und können sehr authentisch ihr Wissen weitergeben.

-

13

344

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.3  Logo des Pfalzmuseums für Naturkunde

13.5 Beispiele

für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

13.5.1 Expeditionsteilnahme

Antarktis – Außerschulischer Lernort Museum

Monika Kallfelz ..Abb. 13.2  Monika Kallfelz auf FS Polarstern in der Antarktis

13.4 Ergebnisse

13

der Expeditionen

Die Ergebnisse der seit 2007 durchgeführten 17 Expeditionen mit Lehrkraftbeteiligung sind inhaltlich, in ihrer Breitenwirkung und zeitlichen Streuung unterschiedlich. Das lässt sich auf die gegebenen Möglichkeiten bzw. Angebote durch die Wissenschaft und die verschiedenen Ausgangspositionen der Lehrkräfte zurückführen. Je nach Fachrichtung, Vorbildung, Fragestellung der Forschungsarbeiten, vor allem aber der Einbindung in den Schulunterricht nach der Expedition und nicht zuletzt der familiären Situation, fallen das Engagement der Lehrkräfte, ihre Möglichkeiten und letztlich die Ergebnisse unterschiedlich aus. Alle Resultate umfassen in der Regel: Öffentliche Vorträge und Beiträge in Tageszeitungen Besondere Unterrichtseinheiten an der Heimatschule wie z. B. Polartage Vorträge vor der Elternschaft Vorträge und Workshops an weiteren Schulen Entwicklung von neuen Unterrichtseinheiten und Arbeitsmaterialien für den Unterricht Publikationen in schulischen Fachzeitschriften, Themenheften und/oder Schulbüchern (s.a. Fuchs et al., 2022, Hoppe et al., 2022) Fachvorträge und Workshops bei internen Arbeitskreistreffen im Sinne von Fortbildungen für Lehrkräfte Vorträge und Workshops auf wissenschaftlichen Tagungen, z. B. der Internationalen Polartagung der DGP

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Umsetzung von Expeditionserfahrungen am Beispiel Pfalzmuseum für Naturkunde – POLLICHIA-Museum Bad Dürkheim (. Abb. 13.3). Meine Freude ist gigantisch als ich die Nachricht bekomme: Ich darf an einer Forschungs- und Versorgungsfahrt des deutschen Eisbrechers FS Polarstern zur deutschen Station Neumayer III in der Antarktis teilnehmen (. Abb. 13.2). Schon drei Jahrzehnte davor war ich fasziniert von der Idee, dass Deutschland eine ganzjährig bewohnte Station in der Antarktis errichten wollte. Nach so langer Zeit wird mein Traum tatsächlich wahr. Fünf Wochen bin ich unterwegs. Von Kapstadt aus steuern wir entlang des Nullmeridians nach Süden Richtung Neumayer-Station. Jeden Tag wird es ein wenig kälter, und ich bin froh, als das Eis auf der Wasseroberfläche mehr wird und das Schiff nicht mehr schaukelt. Die ersten Pinguine umkreisen das Schiff, Albatrosse folgen ihm, und Wale erkennen wir an dem Blas, der ausgeatmeten warmen Luft, die durch das kondensierende Wasser wie eine Fontäne weithin sichtbar ist. Unterwegs erheben verschiedene Wissenschaftsgruppen Daten, und ich darf bei allen zuschauen, nachfragen, die Geräte kennenlernen und hier und da auch selbst Hand anlegen (. Abb. 13.4). Eine Gruppe beschäftigt sich beispielsweise mit Temperatur und Salzgehalt des Meerwassers in verschiedenen Tiefen und mit der Vermessung von Strömungen. Eine andere registriert die Verbreitung nahe verwandter Kieselalgenarten in Korrelation mit den ozeanographischen Daten. Die Gruppe der Universität Kapstadt erforscht die Reproduktionsrate von Ruderfußkrebsen in Abhängigkeit von der Temperatur. Die Forschenden der Uni Bremen interessieren sich für die Überwinterungsstrategien bei Ruderfußkrebsen, und wieder andere untersuchen die Stoffwechselaktivitäten

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

345

..Abb. 13.4  Mit einem Korb werden Meereisbrocken an Bord geholt. Dem Forscher geht es um die Kieselalgen im Eis

..Abb. 13.5  FS Polarstern dient als Wetterstation, denn Daten aus dem südlichen Ozean sind rar. Jeden Tag um 11 Uhr wird ein Wetterballon gestartet. Hier darf ich das übernehmen

von Bakterien. Schließlich sind Walbeobachterinnen und Walbeobachter an Bord, und zwei Kollegen aus Belgien beobachten zum wiederholten Mal die Verbreitung von Seevögeln, um Veränderungen zu dokumentieren. Ich verabrede mich jeden Tag mit einer anderen Arbeitsgruppe, lerne die Fragestellungen und deren Bedeutung im Kontext der Klimaforschung kennen, besuche die Labore, zähle Ruderfußkrebse, mikroskopiere Kieselalgen, starte einen Wetterballon (. Abb. 13.5) und finde heraus, warum Temperaturen mit zwei Fühlern und vier Stellen hinter dem Komma gemessen werden. Sehr hilfreich für das Verständnis sind die abendlichen Vorträge der Wissenschaft. Es entstehen Hunderte Fotos von der wissenschaftlichen Arbeit, von Einrichtungen und Aktivitäten an Bord und natürlich von eisbedecktem Meer, von Sonnenuntergängen und vorbeiziehenden Eisbergen. Täglich schreibe ich ca. zwei Seiten als Blog, der von der Online-Redaktion der regionalen Zeitung in der Heimat veröffentlicht wird. Wegen des begrenzten Datenvolumens darf ich maximal zwei Fotos mitschicken. Neben den wissenschaftlichen Projekten beschreibe ich Begebenheiten aus dem Alltag an Bord wie die Einrichtung meiner Kammer, den Swimmingpool, die Wiegeaktion zur Gewichtskontrolle am Sonntag, eine Geburtstagsfeier, Weihnachten und Silvester, die Übung der Rettungsboote (. Abb. 13.6), die drei Uhren, die MEZ, UTC und die Ortszeit anzeigen, oder die Führung durch den Schiffsbauch mit den vier eindrucksvollen Maschinen, den Verstärkungen der Außenwand, der Kläranlage, der Wasseraufbereitungsanlage, dem Operationsraum und der Vorratskammer der Küche.

Nicht fehlen dürfen der Menüplan und die aktuellen Wetterdaten. Ganz wichtig sind die Telefongespräche mit Schulklassen. Der unmittelbare Kontakt über eine so weite Entfernung beeindruckt die Lernenden außerordentlich. Inhaltlich fragen die Kinder nicht nur nach dem Menüplan und der Kälte, sondern auch, wie ich mich fühle, so weit weg, in der Kälte, in einer so fremden Umgebung. Danach interessiert sie z. B., ob wir den Klimawandel spüren können und was wir denn eigentlich im Südpolarmeer forschen. Nach zwei Wochen sehen wir in der Ferne die Schelfeiskante. FS Polarstern braucht seine eisbrechenden Qualitäten, um die Meereisbedeckung vor der Schelfeiskante zu brechen. Das ist ein besonderes Erlebnis: Anlauf nehmen, mit Schwung in das Eis fahren, einen Riss im Eis produzieren, eine Kurve fahren und damit eine Eisscholle heraushebeln, Anlauf nehmen und wieder von vorn … wieder und wieder. Nach 48 h liegt FS Polarstern an der Schelfeiskante. Ich nutze die Gelegenheit, in meinem Blog den Polartag und die unterschiedlichen Eisarten zu thematisieren, insbesondere Eisberge, ihre Entstehung und ihren weiteren Weg. In den nächsten Tagen wird sehr viel Diesel für die Versorgung der Neumayer-Station und die fast 20 Pistenbullys in Tankwagen umgepumpt, Container werden aus dem Schiffsbauch von einem Kran auf Schlitten gesetzt, die von Pistenbullys zur Station gezogen werden. Zwei neue Pistenbullys für die Station haben wir auch im Gepäck (. Abb. 13.7). Im Gegenzug nehmen wir Gerät-

13

346

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

zz Säule Fortbildungsveranstaltung

13

..Abb. 13.6  Die grandiose Kulisse der Eisberge lädt zu einer Einsatzübung der Rettungsboote ein

schaften und Müll von der Station mit, denn im Antarktis-Vertrag ist festgeschrieben, dass niemand irgendetwas in der Antarktis zurücklassen darf. Nach Abschluss der Ent- und Beladung dürfen die Menschen von Bord auf das Schelfeis – eine willkommene Bewegungsmöglichkeit in dieser herrlichen Winterlandschaft. Sogar ein Ausflug zur 13 km entfernten Station ist wegen des guten Wetters möglich (. Abb. 13.8). Bei der Führung lernen wir ein modernes, aus Containern zusammengesetztes Gebäude kennen, ausgestattet mit Laboren, vielen Geräten, einer komfortablen Küche, einem Essraum und Wohnzimmer sowie zehn Schlafzimmern, die jeweils mit maximal vier Personen belegt werden. Besonders interessant sind die hydraulisch betätigten Stützen, mit denen die ganze Station ein- bis zweimal pro Jahr um fast 1 m angehoben wird. Damit wird ein Versinken im Eis durch das eigene Gewicht und den Schneezutrag verhindert (. Abb. 13.9). Kurz vor Weihnachten verabschieden wir uns von der Mannschaft der Neumayer-Station und treten die Heimreise an. Lange vor der Reise, schon bei der Erstellung der Bewerbung, habe ich ein Konzept entwickelt, um meine Reise für Lernende und Lehrkräfte nutzbar zu machen.

Eine wichtige Säule dieses Konzeptes war eine Fortbildungsveranstaltung für Lehrkräfte, die ich sehr frühzeitig organisatorisch auf den Weg gebracht habe, sodass ich einige Wochen vor der Expedition interessierte Lehrkräfte informieren und mit einbeziehen konnte. Der wissenschaftliche Fahrtleiter als Referent erläuterte sehr anschaulich Fragestellungen und Methoden der wissenschaftlichen Vorhaben. Zugleich wurde deutlich, dass die Lehrkräfte noch wenige Kenntnisse über die Polargebiete, das Leben auf einem Forschungsschiff und auch die Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hatten. Und sicherlich würden auch Schülerinnen und Schüler einige Zeit zur Einstimmung benötigen, bis sie sich mit konkreten Forschungsfragen beschäftigen würden. Aus dieser Veranstaltung resultierten einige Vereinbarungen: Die Schulen stellten an einer für alle gut zugänglichen Stelle eine wachsende Stellwand auf, an der meine Informationen vom Schiff oder aus den Medien und mögliche Produkte der Schülerinnen und Schüler ausgehängt wurden. Einige Broschüren und Fotos beispielweise von FS Polarstern, der Neumayer-Station oder dem Alfred-Wegener-Institut hatte ich schon zur Verfügung gestellt. Von dieser Stellwand konnten sich alle interessierten Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte für den eigenen Unterricht bedienen und ihre Ergebnisse anderen zur Verfügung stellen. Mit den Lehrkräften der Fortbildungsveranstaltung habe ich Termine und Uhrzeiten vereinbart, an denen sie ihre Klassen unterrichteten und zu denen ich sie von FS Polarstern aus anrufen wollte. Das hat in den meisten Fällen funktioniert, nur zweimal brauchten wir den ebenfalls vereinbarten Ersatztermin. Diese Telefongespräche haben sich als das absolute Highlight für die Schulklassen entpuppt. Die authentische Situation ist so wertvoll! Einige Schulen haben mich schon vor der Expedition eingeladen, um mich vorzustellen und über meine Pläne zu berichten. Sie haben mir etliche Fragen und Aufträge mitgegeben: „Kannst du uns Fotos von Pinguinen schicken?“ Bei allen Veranstaltungen, auch nach der Expedition, hat sich eine Gliederung in drei Teile bewährt: Wie sieht es dort aus (Landschaft, Lichtverhältnisse, Temperatur, Bewohner, Tiere)? Wie kommt man dort als Mensch zurecht (Häuser, Station, Kleidung, Verpflegung, Survival-Kiste, WLAN)? Was wollen die Forschenden dort?

-

zz Säule Museum

Eine weitere Säule war meine Teilabordnung an das Pfalzmuseum für Naturkunde – POLLICHIA-Museum in Bad Dürkheim. Dieses Museum hat über Georg von Neumayer, den Namensgeber der deutschen Station, eine

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

347

..Abb. 13.7  Ein Kran setzt einen neuen Pistenbully von FS Polarstern aus auf die Schelfeiskante

..Abb. 13.8  Ein Pistenbully zieht uns auf diesem Schlitten zurück zu FS Polarstern. Container mit Lebensmitteln und Gerätschaften, die FS Polarstern mitgebracht hat, stehen noch vor der Station

starke Verbindung zur Polarforschung. Georg von Neumayer war Pfälzer und mehrere Jahre lang Präsident der POLLICHIA, eines naturforschenden Vereines, der die Grundlage der Sammlungen des Pfalzmuseums liefert. Daher gibt es am Museum nicht nur eine Büste von Neumayer, sondern auch Messgeräte und Gegenstände aus seiner Zeit, ein Modell von FS Polarstern, ein Präparat eines Kaiserpinguinkükens und eine Menge alter und neuer Literatur. Diese spezielle Konstellation erlaubte mir die intensive Beschäftigung mit polaren Themen, der Entwicklung von Experimenten und interaktiven Modellen und sogar der Gestaltung einer ganzen Sonderausstellung „Polarforschung zum Anfassen“ im Nachgang zu der Expedition. Für die Ausstellung war es mir wichtig, verschiedene Fachrichtungen zu thematisieren, ist doch die Polarforschung ein extrem interdisziplinär arbeitender Forschungsbereich. Ein echter Sedimentkern in der

Ausstellung wurde modellhaft an einem Stapel aus Petrischalen, die mit Moosgummiplättchen befüllt waren, untersucht. Für die Ozeanographie veranschaulichten Aräometer den Zusammenhang zwischen dem Salzgehalt und der Dichte, und schließlich bauten Besuchende selbst ein einfaches Aräometer aus einem Strohhalm und Knete. Das PALAOA-Projekt stand für die Walforschung, bei dem die Anwesenheit von Walen mit Unterwassermikrofonen registriert wurde. Die Gesänge der Wale erfüllten die ganze Ausstellung. Dabei deckte ich einige Bereiche in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ab, die ich auf FS Polarstern kennengelernt hatte. Über den AK Polarlehrer konnte ich Materialien einbeziehen, die schon früher von AK-Mitgliedern entwickelt worden waren, beispielsweise ein Modell der Neumayer-Station, das die Hydraulik der Stützen mit Spritzen nachstellt (. Abb. 13.10).

13

348

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.10  Lehrkräfte erproben das Hydraulikmodell der Station

..Abb. 13.9  Hydraulikstützen der Neumayer-Station. Die Station wird insgesamt hochgefahren, die Stützen werden länger. Anschließend werden die 16 Stützen einzeln angehoben, also kürzer, und mit Schnee unterfüttert

13

..Abb. 13.11  Viele Ideen, Experimente, Aktivitäten und Modelle, die im Zusammenhang mit meiner Expedition entstanden, sind hier zugänglich gemacht

Die Ausstellung wanderte zunächst an verschiedene Schulen in Rheinland-Pfalz. Schließlich entwickelte ich in Anlehnung an die Sonderausstellung eine mobile Experimentierwerkstatt, einige Alukisten voll Material, mit der ich auch Jahre später Schulen besuche, die nicht an das Museum kommen können. Mit diesen Materialien lassen sich auch weitere Events der Polarforschung bearbeiten, beispielsweise die MOSAiC-Expedition, zu der wir am Museum einen Arctic Day veranstaltet haben und

uns über rekordverdächtige Zahlen an Besuchenden freuen konnten (Kallfelz, 2020, 2021). zz Säule Öffentlichkeitsarbeit und Veröffentlichungen

Das Museum bot auch die passende Umgebung für öffentliche Vorträge, in denen ich mit meinen schönsten Fotos von dem Projekt berichtete. Zudem löste die Expeditionsteilnahme eine unerwartet heftige Medienresonanz aus. Es entstanden landesweit zahlreiche Beiträge

349

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

..Abb. 13.12 Friederike Krüger begleitete die MOSAiCExpedition im Herbst 2019 sechs Wochen auf dem Begleitschiff Akademik Fedorov

in Zeitungen, dem Hörfunk und dem Fernsehen. Das wirkte sich wiederum auf die Anzahl an Besuchenden im Museum aus. Auch über andere Veranstaltungsformate konnte ich polare Themen kommunizieren. So veranstaltete das Museum eine „Polare Nacht“, ein Ferienprogramm und eine offene Forschungswerkstatt zum Thema. Eine ganz andere Möglichkeit, polare Themen in den Unterricht an Schulen zu tragen, ist die Veröffentlichung in einer Zeitschrift für Lehrkräfte. In meinem Fall ist es die Zeitschrift Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10 des Friedrich Verlages, für die ich schon etliche Jahre gearbeitet hatte. So füllten sich große Teile eines Einzelheftes mit Beiträgen rund um meine Expedition (Heft 12, 2015 „Polarforschung hautnah“; . Abb. 13.11), die teilweise von kooperierenden Lehrkräften beigesteuert wurden (Bal, 2015; Erdmann, 2015; Kallfelz, 2015a, b, d, d; Urschel, 2015). Im zugehörigen Materialpaket befindet sich ein Heft mit dem Titel „Experimentierwerkstatt Polarforschung“. Darin sind viele der am Pfalzmuseum entstandenen Ideen für Aktivitäten und Experimente aufbereitet und laden zum Nachmachen ein.

13.5.2 Expeditionsteilnahme

bei MOSAiC (Arktis-Expedition 2019-2020): Ablauf und Arbeitsergebnisse

Friederike Krüger zz Bewerbung zur Expeditionsteilnahme

Als besonders große Herausforderung einer Expeditionsteilnahme (. Abb. 13.12) stellt sich bereits die Bewerbung dafür heraus. Die Bekanntmachung möglicher Teilnahmeplätze für Lehrtätige kann insgesamt als eher kurzfristig und wenig öffentlichkeitswirksam beschrieben werden. Dies hat zur Folge, dass interessierte Lehrpersonen stetigen Kontakt mit der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP) und insbesondere mit dem Arbeitskreis (AK) Polarlehrer pflegen sollten, um über mögliche Einsätze informiert zu werden. Überdies – und das gilt für jede Art von Expeditionsteilnahme – ist auch eine Initiativbewerbung an Forschungsinstituten unter genauer Aufstellung möglicher didaktischer Umsetzungen während und im Nachgang der Expedition empfehlenswert. Eine offizielle Stelle, die die Verbindung zwischen Lehrpersonen und Wissenschaftsinstituten herstellt, gibt es bisher noch sehr selten. Die Bewerbung für die MOSAiC-Expedition (. Abb. 13.13) war ab März 2019 für den Expeditionszeitraum Herbst 2019 möglich. Die kurzfristige Ankündigung des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung o.D., zur Mitnahme zweier Lehrkräfte aus dem deutschsprachigen Raum mit naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächern forderte einen hohen Grad an Spontanität. Diese Spontanität musste nicht nur von den Bewerberinnen und Bewerbern, sondern auch von Schullei-

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350

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.14  Logo der IGS Bothfeld ..Abb. 13.13  Logo der MOSAiC-Expedition

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tungen und Schulbehörden geleistet werden. Hier scheint im Bewerbungsverfahren die größte Hürde vorzuliegen, weil Lehrpersonen eine offizielle Dienstbefreiung bzw. einen Sonderurlaub beantragen müssen, wenn die Expeditionsteilnahme außerhalb der gesetzlichen Schulferien liegt. Die in englischer Sprache zu verfassende Bewerbung beinhaltete neben harten Fakten zur Berufserfahrung und den üblichen Aspekten eines Lebenslaufes auch weiche Fakten zu speziellen Interessen und der eigenen Verbindung zum arktischen Raum und dem Einfluss des Klimawandels am Nordpol. In meinem Fall konnten meine hohe Motivation und meine thematische Beschäftigung mit der Gletscherschmelze weltweit in der Abschlussarbeit des Staatsexamens an der LudwigMaximilians-Universität (LMU) München überzeugen. Während meine Berufserfahrung als Lehrkraft zum Zeitpunkt der Bewerbung eher gering einzustufen war (. Abb. 13.14) , blickte ich bereits auf einige Aufträge und Jahre als freie Journalistin in München zurück, weshalb ich in der Bewerbung auch konkrete Vorschläge zu didaktisch reduzierten und für den Unterricht nutzbaren Filmsequenzen, die ich selbst drehen wollte, machen konnte. Letztlich sind für die DGP und den AK Polarlehrer das Engagement der Lehrkraft und die Lehrbefähigung, respektive Lehrerfahrung, die einen didaktischen Umgang mit komplexen Themen erlaubt, von höchster Bedeutung. Der Bewerbung kann ein Auswahlgespräch folgen. Bei Expeditionen im polaren Raum sind grundsätzlich gute bis sehr gute Englischkenntnisse und eine große Portion Abenteuerlust Voraussetzung. zz Vorbereitung der Expeditionsteilnahme

Die Vorbereitung für die Expedition hängt von den wesentlichen Faktoren Ort, Dauer und Arbeitsziel ab. Im Folgenden stelle ich meine Vorbereitung zur sechswöchigen Expeditionsteilnahme in die Arktis im Rahmen der MOSAiC-Expedition vor. kEquipment k

Zur Ausstattung einer begleitenden Lehrkraft gehören im Prinzip nur wenige wirklich relevante Dinge. Einen Grundstock an notwendigen Kleidungsstücken wie Mützen, Handschuhen, Schneeanzug, Schuhe etc. erhalten alle Teilnehmenden vom Alfred-Wegener-Institut in der Regel vor Ort. Sie dienen für die Zeit der Teilnahme als Leihgabe. Ratsam sind Hausschuhe oder Sportschuhe für den Innenraum sowie Süßigkeiten und Snacks für

gemeinsame Abende. Eine angemessene Hausapotheke und ggf. Tabletten gegen Reiseübelkeit gehören zum Equipment selbstverständlich dazu. Unter notwendige technische Ausstattung fallen Laptop oder Tablet, Handy, Kamera, ggf. Videokamera und Tonaufnahmegerät, Ladegeräte, Adapter, Batterien, ggf. Ersatzgeräte oder -kabel und Speichermedien in mehrfacher Ausführung. Zu bedenken ist bei allen technischen Geräten die extreme Kälte von bis zu −45 °C am Nordpol und weitaus geringeren Temperaturen am Südpol, die Speichermedien beschädigen und den Akkus aller Geräte schnell zusetzen kann. Geräte sollten deshalb bei Arbeiten an Deck oder auf dem Eis gut verpackt und beispielsweise vom Körper gewärmt, also unter der Schutzkleidung montiert werden. Weiter ist darauf zu achten, dass Unterlagen digital zur Verfügung stehen sollten und Wörterbücher, Nachschlagewerke, Enzyklopädien, Werke, Bücher etc., die während der Reise für die Erstellung von Unterrichtsmaterialien benötigt werden, zuvor heruntergeladen werden, weil an Bord kein Internet zur Verfügung steht. kPlanung k der Tätigkeit

Bereits lange vor der Reise ist die intensive Arbeit an Themen rund um die Expedition ratsam, um eigene Wissenslücken zu erkennen und interessante Fragestellungen zu entwerfen. Ferner ist die konkrete Planung der eigenen Tätigkeit von hoher Bedeutung, um die richtigen Materialien bzw. notwendiges Equipment frühzeitig zu organisieren, in meinem Fall beispielsweise Tonaufnahmegeräte und eine Kamera, die 4k-Aufnahmen machen konnte, sowie ein Stativ. In Abgrenzung zu bereits bestehendem Material sollte die Teilnahme einen gewissen Fokus erhalten und dahingehend aktive Vorbereitung betrieben werden. Ist der Plan eine aufwendige und vor Ort durchgeführte wie dokumentierte Experimentierreihe, ist im Voraus abzuklären, inwieweit gewisse Fragestellungen und Experimente bereits existieren und, wenn nicht, welche vorzuziehen und ggf. mit eigens mitzubringenden Geräten, Gegenständen etc. durchzuführen sind. Sollen Interviews geführt werden, ist die Teilnahmeliste durchzugehen, um sich bereits mit einzelnen Personen zu befassen. Möchte man sich mit der Logistik befassen, ist dies bereits im Voraus anzufragen. Überdies ergeben sich selbstredend viele Möglichkeiten und spontane Ideen, die je nach Ausstattung und Chancen realisierbar sind. Trotzdem ist die eigentliche

351

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

Forschungsarbeit auf dem Schiff nicht zu unterschätzen, sodass die Arbeit der Lehrpersonen stets einen hintergründigen Charakter aufweist und hinter die eigentliche Forschungsarbeit zurücktritt. Konkret heißt dies auch, dass wichtige eigene Ziele zuvor abgesprochen und, wenn möglich, vonseiten der Organisation zugesichert werden sollten (beispielsweise ein Helikopterflug oder das Recht auf Filmaufnahmen in einem gewissen Umfang), um sich auch vor Ort hierauf berufen zu können. Insgesamt ist nichtsdestotrotz ein hoher Grad an Flexibilität, Spontaneität und nicht zuletzt auch Geduld vonnöten, weil sich vieles erst unmittelbar bei einer Forschungsreise ergibt. kPressek und Netzwerkarbeit

Bereits vor Antritt der Reise ist eine öffentlichkeitswirksame Pressearbeit in Form von Kontaktaufnahme mit regionalen und überregionalen Medien möglich und hilfreich, um die eigenen Anliegen bzw. die Ziele der Expedition aus der eigenen Sicht mit größerer Streuung verbreiten zu können. Die Tatsache, dass viele Medien auch noch während und nach der Teilnahme ausführlich davon berichten, sollte im Sinne einer großen Medienwirksamkeit für das Ansehen als Lehrkraft und die eigene Schule nicht unterschätzt werden – und kann auch als positiver Faktor gesehen werden, sollte Überzeugungsarbeit der eigenen Schulleitung geleistet werden müssen. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen rate ich außerdem dringend zur aktiven Netzwerkarbeit mit anderen Schulen und Lehrpersonen und auch über den AK Polarlehrer, um entstandenes Unterrichtsmaterial anschließend möglichst weit verbreiten zu können. Einen deutschlandweiten Verteiler hat das Alfred-Wegener-Institut für diese Zwecke leider nicht. kTätigkeiten k während der Expedition

Weil ich aus der Zeit während des Studiums journalistische Vorerfahrungen mitbrachte, setzte ich mir das laienhafte Dokumentarfilmen zum Ziel. Aus diesem Grund organisierte ich mir im Vorfeld eine in der Handhabe einfache, aber qualitativ hochwertige Spiegelreflexkamera und Mikrofone, die mir die Firma Sennheiser für den Zeitraum lieh. Hiermit drehte ich Szenen auf dem Schiff über die Freizeit der Forschenden, über Mahlzeiten und Meetings, an Deck beim Zusammenbauen von Instrumenten, im Labor beim Testen von Geräten und auf dem Eis beim Ausladen, Bohren und Installieren. Ich führte hierbei Interviews, die ich zum Teil später auch transkribiert als Textversionen oder auch als fiktive Texte für den Deutschunterricht nutzte. Meinen Tag organisierte ich abhängig von dem der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ich begleiten wollte. So begleitete ich sie in ihrem Rhythmus und war mal still beobachtend, mal aktiv helfend. Aus meinen Beobachtungen ergaben sich für mich relevante Fragen, aus denen ich im Anschluss dann Aufgaben und Unterrichtsmaterialien entwarf. Beispielsweise drängte sich mir währenddessen die Frage auf, wie man

Schritt für Schritt ein Instrument installiert und welche verschiedenen Instrumente mit welchen zu messenden Parametern aufs Eis gelangen. Hierfür erstellten wir, ein Team aus den USA und ich, später Folien aus Zeichnungen, Fakten und Fotos und ein groß angelegtes Gruppenmaterial in englischer und deutscher Sprache. Ich dokumentierte aber auch einfach viele Tage, um später sowohl auf Textbasis als auch im Film erklären zu können, wie die Expedition während meiner Teilnahme ablief und wie man sich einen „normalen“ Tag an Bord vorstellen kann. Darüber hinaus sind aber auch Lehrpersonen aktive Teilnehmende, die sich in der Eisbärenwache auf der Brücke neben dem Kapitän oder in Forschungsreihen zur Beobachtung vorbeiziehenden Eises beweisen dürfen. Auch Lehrpersonen dürfen helfen beim Aufräumen an Deck und beim Aufbau von Geräten. Vielleicht dürfen sie auch im Helikopter mitfliegen oder eigene Messreihen durchführen. Die eigene Tätigkeit an Bord während der Expedition hängt vor allem maßgeblich vom eigenen Engagement und der individuellen Bereitschaft zur Eigeninitiative ab (. Abb. 13.24). zz Didaktische Umsetzung der Expeditionsthemen und -erfahrung

Aus den oben geschilderten Vorplanungen und konkreten Zielen sind in meinem Falle der sechswöchigen Teilnahme sehr unterschiedliche Umsetzungen gefolgt, die ich im Folgenden knapp darstelle: kUnterrichtsmaterial k

Zum einen habe ich Arbeitsblätter zu unterschiedlichen Themen rund um die Arktis als Naturraum, den Einfluss des Klimawandels auf die Region, und die Forschungsexpedition im Speziellen erstellt. Das Material, das nach der Expedition beispielsweise über 7 mosaic-expedition. org/bildung hochgeladen wurde, ist frei verfügbar und veränderbar (Alfred-Wegener-Institut o. D.). Dies ist eine wesentliche Voraussetzung bei der Erstellung der Materialien, weil auch die gesamte Expedition unter dem Charakter einer freien Zugänglichkeit von Daten über nationale Grenzen hinweg steht. In . Abb. 13.15 steht das Ablesen von Koordinaten im Fokus. Hierbei befassen sich die Lerngruppen mit der sinnvollen Nutzung von Koordinaten im Schiffsverkehr. In . Abb. 13.16 und 13.17 ist ein Ausschnitt aus einer größer angelegten Gruppenarbeit zu sehen, bei der die Lerngruppen sich mit unterschiedlichen Instrumenten und ihren wesentlichsten Funktionen und Herausforderungen bei der Installation beschäftigen. Ich habe aber auch fiktive Texte auf Basis meiner Erfahrungen verfasst, die im Deutschunterricht oder anderweitig für den inhaltlichen Input genutzt werden können. Außerdem habe ich in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BmBF) Material zu der Frage, wem die Arktis eigentlich gehört und wer sie nutzen darf, erarbeitet.

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352

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

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..Abb. 13.15  Im Rahmen der MOSAiC-Expedition erstelltes Arbeitsblatt zur Koordinatenübung. (Lehmann & Krüger, 2021)

kPublikationen k und Schulbucharbeit

Über die frei verfügbaren Materialien hinaus können im Zuge einer Expeditionsteilnahme auch Publikationen entstehen, in denen sowohl für pädagogisch-didaktische

Zwecke als auch auf wissenschaftlicher Ebene Beiträge geleistet werden können (. Abb. 13.18, 13.19). Zudem ist es möglich, die eigenen Erfahrungen in Schulbüchern zu verarbeiten.

353

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

..Abb. 13.16  Zeichnung zur Veranschaulichung der Arbeit auf dem Eis (Zeichnung Krüger & Rackow 2019)

..Abb. 13.17  Instrumente stehen mit ca. 30 bis 50 m Abstand auf dem Eis (Zeichnung Krüger & Rackow 2019)

kFilmmaterial k

Aus dem an Bord gedrehten Filmmaterial ist in wochenlanger Schnittarbeit und letztlich unter finanzieller Unterstützung der DGP und mit professioneller Schnittarbeit von Eike Sorgatz eine ca. zehnminütige Dokumentation entstanden, die alle wesentlichen Fragen rund um die Expedition, ihr Ziel, ihren Ablauf und das Leben an Bord beantwortet. Der Film ist auf Englisch und Deutsch über YouTube (7 https://www.youtube.com/watch?v=emAhmmC-9po) verfügbar (. Abb. 13.20). kKooperation k mit außerschulischen (Lern‑)Orten

An Orten außerhalb der Schule erreicht man ebenfalls lernbereite und wissbegierige Menschen, die die Themen und Ideen der Expedition durch die didaktische Reduktion wesentlich leichter verarbeiten können. Der eher

niederschwellige Zugang, den wir als Lehrkräfte zu komplexen Themen ermöglichen können, sollte auch in Museen (. Abb. 13.21), an Universitäten etc. genutzt werden. Deshalb darf und sollte man bei Teilnahme an einer Expedition auch offen für die Zusammenarbeit mit diesen Institutionen sein, auch wenn ein ggf. ein höherer Anspruch an Materialien geltend gemacht wird. In meinem Fall konnte ich beispielsweise mit dem Landesmuseum Hannover oder im Sommer 2022 mit dem Gletschergarten Luzern Kooperationen realisieren, bei denen der Dokumentarfilm gezeigt wurde oder meine Erfahrungen gefragt wurden. kPressearbeit k

Auch im Anschluss an die Expedition habe ich über mehr als ein Jahr aktive Pressearbeit geleistet bzw. auf An-

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.18  Beispiele für Publikationen, hier Biologie heute (Krüger, 2021)

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..Abb. 13.19  Beispiel für Thematisierung im Schulbuch "Gesellschaft bewusst 7/8" (Westermann) (Krüger, 2021)

355

13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

..Abb. 13.20  Der gut zehnminütige Dokumentarfilm über die MOSAiC-Expedition mit eigenen Aufnahmen erklärt den Einfluss des Klimawandels auf die Arktis und gibt einen persönlichen Einblick. (Screenshot/Krüger)

..Abb. 13.22  Interview für einen Fernsehbeitrag (Eisbärengehege im Zoo Hannover)

..Abb. 13.21  Ausstellungsecke zur Expedition und dem Einfluss des Klimawandels in der Arktis und global – Landesmuseum Hannover

..Abb. 13.24  Vortrag vor Studierenden an Bord der Akademik Fedorov, dem Forschungsschiff, auf dem ich die MOSAiC-Expedition begleitete

fragen regelmäßig geantwortet, um auch für mich bereits neue Erkenntnisse über die Arktis oder die Expedition weitergeben zu können (. Abb. 13.22). kVortragsarbeit k

..Abb. 13.23  Vortrag an einer Schule in Hannover

Im Laufe der ersten Wochen nach meiner Rückkehr stellte sich bereits ein großes Interesse an meinen Erfahrungen in Form einer lebendigen und fotoreichen Berichterstattung ein, sodass ich darauf mit einer sich bis heute ständig in Überarbeitung befindenden Präsentation reagiert und zahlreiche Vorträge in Schulen, Museen, Uniseminaren und Vereinen gehalten habe (. Abb. 13.21, 13.22, 13.23, 13.24). Die zum Teil aufwändige Tätigkeit ermöglicht eine sehr breite Weitergabe meiner Informationen und Erkenntnisse und ist im Zusammenhang mit dem Forschungsziel, der Erkenntnis über den Einfluss des Klimawandels in der Arktis, sehr sinnvoll.

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356

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.25  Das ANDRILLLehrkräfte-Team aus Deutschland, Italien, Neuseeland und den USA 2007. (Foto: ANDRILL ARISE Team)

..Abb. 13.26  Der Mount Erebus ist der südlichste aktive Vulkan der Erde. Er liegt im Rossmeer-Graben auf Ross Island und erreicht eine Höhe von 3794 m NHN

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13.5.3 Expeditionsteilnahme

und Publikationen

Rainer Lehmann

Die aktive Teilnahme an wissenschaftlichen Polarexpeditionen ist für Lehrkräfte ein einmaliges und besonderes Erlebnis. Neben der Wahrnehmung eines extremen und fremden Lebensraumes erfahren sie sehr viel über aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen, Methoden und Ergebnisse. Eine Expeditionsteilnahme ist eine Fortbildung, wie sie im heimatlichen Deutschland nie angeboten und durchgeführt werden könnte. Eine wichtige Aufgabe einer Expeditionslehrkraft ist es, die neu gewonnenen und erarbeiteten Erfahrungen im

möglichen Rahmen in die Gesellschaft zu tragen. Dabei können verschiedene Ansätze genutzt werden. Neben den Medien bieten sich Vorträge und Publikationen an. Wesentlich ist die Authentizität der Expeditionslehrkraft, die sie im eigenen Unterricht und bei Vorträgen vermittelt, die aber auch in Medien und Publikationen wahrnehmbar ist. Die neuen Kenntnisse zu den wissenschaftlichen Fragen, Methoden und Ergebnissen bilden die Grundlage für das zu entwickelnde Unterrichtsmaterial, das in Form von Publikationen in Themenheften oder Schulbüchern bundesweit an weitere Lehrkräfte und Lernende weitergegeben wird. Die Lehrkraft muss die Inhalte aus der wissenschaftlichen Ebene in die schulische Ebene übersetzen und die schulischen Materialien für die jun-

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13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

..Abb. 13.27  Der Rossmeergraben im Querprofil mit Sedimenten unterschiedlichen Alters und Vulkanismus in wissenschaftlichen Publikationen. (ANDRILL Science Team, 2007)

gen Menschen anschaulich und gleichzeitig spannend gestalten (z. B. Kallfelz & Lehmann, 2015; Lehmann & Krüger, 2021). Daneben bieten Zusatzinformationen für die Lehrkräfte anschaulich die Rahmenbedingungen, die bei der Umsetzung der Themen im Unterricht wichtige Hilfen sind. Neben Informationen für Lehrkraft und Lernende bieten die Publikationen auch Arbeitsblätter und Experimente an. zz Praxisbeispiel Klimageschichte der Antarktis Klasse 7–10

Die Lehrkraft war Mitglied der internationalen Antarktis-Expedition ANDRILL (Antarctic Geologic Drilling Project) 2007, an der sich die USA, Neuseeland, Italien und Deutschland beteiligten. Das Bohrprojekt entnahm Sedimentkerne aus dem Rossmeer-Graben, um die Klimageschichte der Ostantarktis im Zeitraum von ca. 20 Mio. Jahren zu erforschen und damit Prognosen für das Verhalten des Antarktischen Eisschildes in der Zukunft modellieren zu können. Die Expeditionslehrkraft war Fachperson für Geographie und Biologie und arbeitete während der Expedition als Mitglied des Education-Teams (ANDRILL ARISE; . Abb. 13.25) in den wissenschaftlichen Arbeitsgruppen Sedimentologie, Biostratigraphie und XRF-Core-Scanning mit. In . Abb. 13.26 ist Mount Erebus zu sehen, der den aktiven Vulkanismus des Rossmeer-Grabens eindrucksvoll zeigt. Die Erfahrungen, die die Lehrkraft während der Expedition sammeln konnte, und die persönlichen Kontakte zur Wissenschaft, bildeten die Grundlage für die folgenden Arbeitsblätter. Das erste Arbeitsblatt (. Abb. 13.30) dient der Einführung in das Thema. Es zeigt die geowissenschaftliche Ausgangslage und klärt Schüler und Schülerinnen über die geologischen Sachverhalte und Besonderheiten des Rossmeer-Grabens auf. . Abb. 13.27, 13.28 und 13.29 zeigen wissenschaftliche

..Abb. 13.28  Der Rossmeergraben mit Sedimenten und Vulkanismus als Blockbild in wissenschaftlichen Publikationen. (ANDRILL Science Team, 2007)

Darstellungen dazu, . Abb. 13.30 das entsprechende Arbeitsblatt. Das zweite und das dritte Arbeitsblatt gehen auf die aktuellen Fragestellungen des Bohrprojektes ein.

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kArbeitsblätter k

Arbeitsblatt 1 „Hölle im ewigen Eis“: Hier wird der Vulkanismus im Rossmeer-Graben aufgegriffen und thematisiert (. Abb. 13.30). Hintergrund ist die mit der Bildung des Grabens gekoppelte Vulkanaktivität und seine Funktion als Sedimentfalle und damit als geowissenschaftliches Archiv. Der Vergleich mit dem Rheingraben stellt eine lokale Beziehung her und führt zu weiteren Fragen in der Schülerschaft, z. B. nach vulkanischer Aktivität im Rheingraben bzw. in Deutschland (Lehmann & May, 2013, S. 38). Arbeitsblatt  2 „Coole Steine“: Dieses Arbeitsblatt greift die aktuellen Forschungsarbeiten zur

-

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.29  Ergebnis einer seismischen Sondierung im Rossmeer-Graben. (ANDRILL Science Team, 2007)

..Abb. 13.30  Beispiel eines Arbeitsblattes zur Geologie des Rossmeergrabens. (Arbeitsblatt 1, Lehmann & May, 2013, S. 38)

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13.5  •  Beispiele für Expeditionsteilnahmen von Lehrkräften

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..Abb. 13.31  Bohrturm des ANDRILL-Projekts auf dem Eis des Rossmeeres 2007

Klimageschichte der Antarktis mittels Bohrkernentnahme aus dem Rossmeer-Graben konkret auf. . Abb. 13.31 zeigt den Bohrturm auf dem Meereis im Rossmeer. Das Arbeitsblatt besteht wiederum aus Textbausteinen, Foto und Grafiken sowie einer Tabelle zum Aufgabenteil (Lehmann & May, 2013, S. 39 f.). Die Textbausteine vermitteln grundlegende geogene Prozesse wie Verwitterung, Transport, Ablagerung und Schichtung sowie deren Nutzung als Proxidaten (indirekte Daten zu ehemaligen Umweltbedingungen) zur Interpretation des Klimageschehens in der Vergangenheit. Die Korngrößenzusammensetzung spielt eine entscheidende Rolle, wobei aufgrund der Generalisierung und Vereinfachung für die Lernenden Schluff und Ton als „Schlamm“ zusammengefasst sind. Als wissenschaftliche Quelle dient eine schematische Darstellung der Korngrößenzusammensetzung (. Abb. 13.32). Die ersten beiden Aufgaben können mithilfe der Textbausteine bearbeitet werden. Aufgabe drei ist mit viel Eigenleistung verbunden und gliedert sich in fünf Unteraufgaben. Es müssen Schichtdicken und Ablagerungszeiträume aus vorgegebenen Daten errechnet und anschließend interpretiert werden. Dazu wird eine Kurvengrafik selbstständig erstellt (. Abb. 13.33). Schülerinnen und Schüler lernen so die Entstehung von Daten und Grafiken sowie ihre Auswertung im Bereich der Geowissenschaften kennen. Auf die Methoden der Altersbestimmung wurde hinsichtlich des Alters der Lernenden (ca. 13–16 Jahre, Klasse 7–10) verzichtet, sie können jedoch in der Oberstufe aufgegriffen und erklärt werden. Arbeitsblatt  3 „Coole Skelette“: Zusätzlich zu den Daten der mineralischen Bestandteile im Bohrkern in Arbeitsblatt 2 werden in diesem Arbeitsblatt die Daten zu den biogenen Sedimenten aus den Bohrker-

-

..Abb. 13.32  Wissenschaftliche schematische Darstellung eines Teiles des Bohrkernes. (ANDRILL Science Team, 2007)

nen mit dem Fachbereich Paläontologie dazugestellt (Lehmann & May, 2013, S. 41). Das Arbeitsblatt hat den gleichen Grundaufbau wie die vorangegangenen

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360

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Abb. 13.33  Auf Grundlage einer Datentabelle errechnete Tiefe und Mächtigkeit verschiedener Sedimentschichten (links), deren grafische Darstellung mit zeitlicher Zuordnung (rechts) sowie die klimatische Interpretation in Form einer relativen Temperaturkurve (Mitte). (Lehmann & May, 2013, S. 41)

Die Erkenntnis, die grundsätzlich bei Schülerinnen und Schülern angelegt wird, ist die wissenschaftliche Vorgehensweise, wie sie in . Abb. 13.35 dargestellt ist. Es handelt sich um die Methodik, die Erdgeschichte zu erforschen und Zusammenhänge mit Daten zu belegen, die heutige Situation mit aktuellen Messdaten zu bestimmen und mit den Ergebnissen Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung mithilfe von Modellen treffen zu können.

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..Abb. 13.34  Diatomeenarten aus ANDRILL-Bohrkerndaten und ihre Lebensräume bzw. Toleranzbereiche. (Lehmann & May, 2013, S. 48)

Arbeitsblätter. Vermittelt wird das Phänomen, dass die Toleranzbereiche bestimmter Diatomeenarten Hinweise auf den Lebensraum und damit das Klima zur Zeit der Existenz und Ablagerung dieser Arten geben (. Abb. 13.34). Es ergeben sich damit auch fachübergreifende Aspekte zur Geoökologie. Ziel der Aufgabe ist es, dass die Lernenden erkennen, wie sich unterschiedliche Proxidaten gegenseitig stützen und bestätigen können oder wie neue Fragen entstehen. Die Schülerinnen und Schüler schreiben einen erklärenden Text zu den Diatomeen und ihrer Bedeutung für die Klimaforschung. Daneben nutzen sie die Tabelle aus Arbeitsblatt 2 mit Informationen zur Korngrößenverteilung und übertragen die gewonnenen Erkenntnisse zum Vorkommen der jeweiligen Diatomeen-Art auf die Sedimente im Bohrkern.

13.6 Expeditionsteilnahme

und Fortbildungen für Lehrkräfte

Die persönliche Vermittlung der bei einer Expedition gewonnenen Erfahrungen erfolgt am besten durch den direkten Kontakt. Der Vorteil ist die Authentizität bei Arbeitskreistreffen, Workshops und auf Polartagungen, die diese Veranstaltungen maßgeblich lebendig macht. Es werden nicht nur die Inhalte hautnah vermittelt, es können auch Fragen durch die teilnehmenden Lehrkräfte direkt an die Expeditionslehrkraft gestellt und von dieser auch vertieft beantwortet werden. Nachteil dieses Ansatzes ist die geringere Breitenwirkung im Vergleich zu z. B. Publikationen in schulischen Fachzeitschriften oder dem Medieneinsatz mittels TV- oder Zeitungsbeiträgen. Beide Ansätze und Methoden ergänzen sich. Workshops bieten den Teilnehmenden die Möglichkeit, neu entwickelte Unterrichtsmaterialien wie z. B. Experimente auszuprobieren und erste eigene Erfahrungen damit zu machen.

361

13.7  •  Voraussetzungen und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele

77Aktuelle Klimaforschung in der Arktis: MOSAiC – ein Jahrhundertprojekt

„Ja, wir haben in der Tat Großes vor!“ So beginnt der Projektkoordinator des Projektes MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate), Prof. Dr. Markus Rex seine Präsentation. Der deutsche Forschungs- und Versorgungseisbrecher FS Polarstern wird sich ab Herbst 2019 für ein ganzes Jahr im Eis der Arktis einfrieren lassen und mit dem Eis durch das Nordpolargebiet driften. Das übergeordnete Ziel ist die Erhöhung der Genauigkeit von Klimaprognosen insbesondere für den Bereich der Arktis. Unter der Federführung des Alfred-Wegener-Instituts, HelmholtzZentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) werden in sechs Fahrtabschnitten ca. 600 Personen aus 17 Nationen in fünf großen Fachbereichen Daten für ihre Forschungen erheben. In den ersten sechs Wochen werden zwei deutsche Lehrkräfte von einem begleitenden russischen Eisbrecher aus an der Expedition teilhaben. Beabsichtigt ist, dass sie, authentisch und orientiert an der Lebenswelt der Schülerschaft, Polarforschung in Schulen tragen. Die genaue Gestaltung dieser Mission ist noch offen. In der Fortbildung bekommen die Teilnehmenden Informationen über die Expedition und die Rahmenbedingungen. Sie lernen Materialien aus früheren Aktivitäten des Pfalzmuseums zu polaren Themen kennen, die auch im Kontext von MOSAiC eingesetzt werden können. Darüber hinaus entwickeln Lehrkräfte in der Gruppe Ideen für Materialien und Unterrichtssequenzen, sodass Kooperationen mit Personen am Ort des Geschehens vorangebracht werden können. 9

13.7 Voraussetzungen

und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele

..Abb. 13.35  Schematische Darstellung wissenschaftlicher Arbeitsweisen der Geowissenschaften. (Graphik: Sarah Paulik, nach Leser, 1997, S. 8)

Ein Beispiel für einen Workshop ist die MOSAiCFortbildung für Lehrkräfte, eine bundesweit angebotene Veranstaltung am Pfalzmuseum für Naturkunde – POLLICHIA-Museum in Bad Dürkheim im August 2019 (. Tab. 13.2, . Abb. 13.3). . Abb. 13.36 und 13.37 zeigen die Vermittlung von Rahmenbedingungen und von fachlichen Inhalten der MOSAiC-Expedition (. Abb. 13.3) sowie das Experimentieren mit expeditionsbezogenen geowissenschaftlichen Phänomenen, die an die Lernenden weitervermittelt werden sollen. Hier der Ausschreibungstext:

13.7.1 Der Weg

zum Polarlehrer

Am Arbeitskreis (AK) beteiligen sich zurzeit etwa 300 Lehrkräfte aus ganz Deutschland. Das Engagement der einzelnen Lehrkräfte ist unterschiedlich: Es beginnt bei reinem Interesse für das Thema „Polargebiete“ oder „Klimawandel“ und reicht beispielsweise bis zur Umsetzung von größeren Projekten wie z. B. „Polartagen“ im Sinne von Projekttagen, der Einladung von Polarwissenschaftlerinnen und Polarwissenschaftlern an die eigene Schule oder eben der Beteiligung an Polarexpeditionen mit großer Reichweite über die eigene Schule hinaus. Die meisten Lehrkräfte greifen das Thema „Polargebiete“ in einzelnen Unterrichtseinheiten oder Jahren auf und wechseln das Thema dann wieder, je nachdem was im jeweiligen Curriculum vorgegeben und möglich ist. Eine

13

362

Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Tab. 13.2  Programm der MOSAiC-Fortbildung für Lehrkräfte am Pfalzmuseum für Naturkunde – POLLICHIA-Museum in Bad Dürkheim Donnerstag, 29. August 2019 09.00 Uhr

Begrüßungskaffee und Organisation

09.30–10.00 Uhr

Begrüßung Einführung: Pfalz(museum) und Polarforschung (Wieland)

10.00–10.30 Uhr

Einführungsvortrag: Das Projekt MOSAiC (Kallfelz)

10.30–11.30 Uhr

MOSAiC-Summerschool (Krüger) Eine begleitende Lehrkraft erzählt von den Vorbereitungen

11.30–12.00 Uhr

Polarforschung und Lehrplananbindung (Kallfelz)

12.00–13.00 Uhr

Polarforschung und BNE-Anbindung (N. N.)

13.00–14.15 Uhr

Mittagessen (Selbstverpflegung oder Gelegenheit zur Pizzabestellung)

14.15–15.30 Uhr

Workshop: Aktivitäten für Schülerinnen und Schüler zu den geographischen und biologischen Gegebenheiten in der Arktis und zum Leben als Forscher in der Arktis (Kallfelz, Schönborn)

15.30–16.30 Uhr

Sichtung von Materialien

16.30–17.30 Uhr

Gesprächsrunde: Ideen und Wünsche zur Kooperation mit der Expedition, Entwicklung möglicher Aktivitäten von Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern (Kallfelz)

18.00 Uhr

Abendessen im Museum (Angebot Polarforscher-Menü aus der Survival-Kiste)

Angebot

Präsentation der Videoaufzeichnung des Vortrages von Prof. Dr. Markus Rex am Pfalzmuseum vom 06. Mai 2019

Freitag, 30. August 2019

13

Ab 8.00 Uhr

Frühstück

09.00–09.15

Begrüßung und Organisation

09.15–11.00 Uhr

Workshop: Aktivitäten zur Forschung in der Arktis (Kallfelz, Schönborn)

11.00–12.15 Uhr

Arbeit in Kleingruppen: Erarbeitung erster Skizzen von Materialien und Vorhaben insbesondere zu Forschungsvorhaben. Welche Informationen und Materialien werden von der Expedition gebraucht? Integrierte Kaffeepause

12.15–13.00 Uhr

Vorstellung und Diskussion der Gruppenergebnisse

13.00–14.30 Uhr

Mittagspause (Gelegenheit zur Pizzabestellung)

14.30–15.00 Uhr

Vorstellung des Arbeitskreises Polarlehrer in der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (Lehmann)

15.00–16.30 Uhr

Voranbringen konkreter Vorhaben: Absprachen, Terminvereinbarungen, Informationsbeschaffung Integrierte Kaffeepause

16.30–17.00 Uhr

Abschlussplenum

Handvoll Lehrkräfte bleibt über Jahre aktiv im AK tätig oder kommt nach einer Auszeit wieder dazu. Lehrkräfte, die den AK noch nicht kennen und auf ihn aufmerksam werden, sehen oft das Problem im Erreichen der Mitgliedschaft. Die Voraussetzung ist: Die Person ist eine Lehrkraft. Schulart, Klassenstufen und Fachrichtungen sind irrelevant. Daneben beteiligen sich auch Lehramtsstudierende, junge sowie etablierte Polarforscher und -forscherinnen und sogar Lernende. Grundsätzlich kann die interessierte Lehrkraft bzw. Person Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP) werden, aber das ist kein Muss. Dann wird ein jährlicher Mitgliedsbeitrag bezahlt, die Gesellschaft unterstützt im Gegenzug die Person z. B. bei Teilnahmen an Tagungen. Ein Antrag kann online bei der DGP gestellt werden.

Wie werde ich nun Polarlehrer? Wenn die Voraussetzung „Lehrkraft“ erfüllt ist, melde ich mich per Mail beim Arbeitskreisleiter mit dem Namen meiner Schule und meiner Fächerkombination sowie den Klassenstufen, in denen ich unterrichte. Damit werde ich in den Verteiler aufgenommen und erhalte automatisch den Newsletter und alle relevanten Informationen zu den Aktivitäten des AK. An diesen kann ich mich dann beteiligen, also beispielsweise an Fortbildungen und AK-Treffen teilnehmen, mich an Publikationen beteiligen oder eben eine Bewerbung für eine Polarexpedition einreichen.

13.7  •  Voraussetzungen und mögliche Herausforderungen zum Erreichen der Ziele

363

..Abb. 13.36 MOSAiC-Workshop im Vorfeld der Expedition im August 2019 am Pfalzmuseum für Naturkunde, Bad Dürkheim

zz Curricula

Eine wichtige Vorgabe für die Lehrkräfte sind die Curricula oder Lehrpläne, die dem Unterricht zugrunde liegen. Die dort zu entnehmenden Kompetenzen, die bei den Lernenden angelegt werden sollen, können mit unterschiedlichen Themen vermittelt werden. Sie sind nicht streng an bestimmte Fachinhalte geknüpft, sodass die Lehrkraft Themen mit Polarbezug aufgreift und in den Unterricht einbauen kann. Dabei ist die Lehrkraft an die Curricula des Faches, der Klassenstufe und Schulart sowie des jeweiligen Bundeslandes gebunden. Als Beispiel wird für das Fach Geographie bzw. Erdkunde das Kerncurriculum für das Gymnasium 2015, Schuljahrgänge 5–10 für Niedersachsen bezüglich der Inhalte ausgewertet, bei denen die Kompetenzen mithilfe polarbezogener Inhalte angelegt werden können (. Tab. 13.3). zz Direktorium/Schulführung

..Abb. 13.37  MOSAiC-Workshop: Teilnehmerinnen erproben Modellexperimente zum Meeresspiegelanstieg und zum Salzgehalt des Meerwassers.

13.7.2 Zu

überwindende Hürden

Lehrkräfte, die sich im AK engagieren wollen, stehen oft gewissen Hürden gegenüber, die sie überwinden müssen. Diese können sich je nach Bundesland und Schule verschieden zeigen.

Die Leitung einer Schule kann eine Lehrkraft bei der Mitwirkung am AK und insbesondere die aktive Beteiligung derselben an einer Polarexpedition wirkungsvoll unterstützen. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit, bei denen die unterrichtlichen Ausfallzeiten an der Schule, die eine Expeditionsbeteiligung mit sich bringt, durch eine vom Projekt begeisterte Schulführung und hilfsbereite weitere Lehrkräfte aufgefangen wurden. Der Gewinn für die Schule liegt klar auf der Hand: Für die Schüler und Schülerinnen ist es ein ganz besonderes Ereignis, wenn „ihre“ Lehrkraft in die Polargebiete fährt und die Erfahrungen auf unterschiedliche Weise hautnah in den Unterricht transferiert. Das begeistert und motiviert sie in ganz besonderer Weise, und nach unseren Erfahrungen ist dies mit keinem anderen Motivationsformat zu vergleichen. Ein weiterer Gewinn ist der Motivationsschub bei der Expeditionslehrkraft selbst. Wenn es

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

..Tab. 13.3  Beispielhafte Auszüge aus dem Kerncurriculum für das Gymnasium 2015, Schuljahrgänge 5–10, Erdkunde, Niedersachsen. Kursiv dargestellt sind Kompetenzen, die mit dem Thema „Polargebiete“ angelegt werden können (NIBIS 2015) Kompetenz Räumliche Orientierung Kenntnis grundlegender topografischer Wissensbestände Die Schülerinnen und Schüler … Verfügen auf den unterschiedlichen Maßstabsebenen über ein basales Orientierungswissen (z. B. Name und Lage der Kontinente und Ozeane, der großen Gebirgszüge der Erde, der einzelnen Bundesländer, von großen europäischen Städten und Flüssen) Kennen grundlegende räumliche Orientierungsraster und Ordnungssysteme (z. B. das Gradnetz, die Klima- und Landschaftszonen der Erde, Regionen unterschiedlichen Entwicklungsstandes) Erkenntnisgewinnung durch Methoden Kompetenz, Informationen zur Lösung geografischer Fragestellungen zu gewinnen Die Schülerinnen und Schüler … Wenden grundlegende Strategien der Informationsgewinnung aus traditionellen und technikgestützten Informationsquellen und -formen sowie Strategien der Informationsauswertung an Wählen sach- und zielgerecht Informationen aus Karten, Texten, Bildern, Statistiken, Diagrammen usw. aus Gewinnen sach- und zielgerecht Informationen im Gelände (z. B. Beobachten, Kartieren, Messen, Zählen, Probenentnahme, Befragen) oder durch Modelle, Versuche und Experimente Inhaltsbezogene Kompetenzen Übersicht über Kern-Themen: Inhaltliche Schwerpunkte (Schuljahrgang 9/10) Kern-Thema 7 Regionale Strukturen und Prozesse

Kern-Thema 8 Räumliche Disparitäten

Kern-Thema 9 Globale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts

Strukturwandel – Ursachen und Folgen

Merkmale unterschiedlichen Entwicklungsstandes

Natürlicher und anthropogener Klimawandel

Demografische Entwicklungen

Aspekte einer Raumanalyse (kultur-, naturgeografische Faktoren; räumliche Gliederung der Erde, z. B. Kulturerdteile; „Vier Blicke“)

Formen des Ressourcenmanagements

Politische und wirtschafts-räumliche Verflechtungen

13

Globale Verflechtungen im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie Ursachen und Auswirkungen von Mobilität und Migration

möglich ist, eine derart einmalige Erfahrung zu machen, führt das in der Regel zu einem hohen Engagement dieser Lehrkraft, die sich in einer besonderen Situation befindet und zahlreiche, unterschiedliche Werte daraus schöpfen kann. Letztlich ist eine Expeditionsteilnahme ein Gewinn für die ganze Schulgemeinschaft. Die aktive Teilnahme am AK kann für eine Lehrkraft aufgrund von Entscheidungen der Schulführung nur eingeschränkt möglich sein. Angebote des AK wie z. B. Fortbildungsveranstaltungen können von interessierten Lehrkräften nicht immer wahrgenommen werden, da aufgrund unterschiedlicher Tagungsorte im ganzen Bundesgebiet die Anreise oft weit und die Freistellung aus dem laufenden Unterricht meistens nur für einen Tag gewährt wird. Rein organisatorische Gründe an einer Schule können auch dazu führen, dass eine Lehrkraft nicht die Genehmigung erhält, beispielsweise an einer Fortbildung teilzunehmen. Das gilt natürlich insbesondere für die Teilnahme an Expeditionen, die Wochen oder Monate dauern. Es ist insgesamt nicht auszuschließen, dass in den Fällen eines negativen Bescheides für eine Expeditionsteilnahme durch die Schulführung der

Mehrwert für die Schule, die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkraft selbst und andere partizipierende Lehrkräfte nicht erkannt oder gewürdigt wird. zz Zeitrahmen

Das Engagement im AK bringt es mit sich, dass Zeit investiert werden muss. Während Tagungsteilnahmen sich auf einen oder wenige Tage beschränken und daher noch gut wahrnehmbar sind, kann die Mitwirkung an einer Expedition mehrere Monate Feldarbeit auf dem Schiff oder an Land in den Polargebieten bedeuten. Diesem Zeitfaktor steht der Gewinn durch Weiterbildung gegenüber. Wenn eine Lehrkraft für eine längere Zeit ausfällt, bringt das im Alltagsleben der Schule natürlich organisatorische Probleme mit sich. Lehrkräfte haben diese Hürde teilweise genommen, indem sie an einer Expedition in ihrem Sabbatjahr teilgenommen haben. Andere Expeditionslehrkräfte hatten eine Schulführung sowie Kolleginnen und Kollegen, die den Unterrichtsausfall aufgefangen haben. Wie tatsächlich mit diesem Problem umgegangen wird, ist eine individuelle Einzelfallentscheidung bzw. -lösung.

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Literatur

zz Finanzierung

Fazit

Expeditionen in die Polargebiete sind ein teures Unterfangen. Eine Privatperson kann sich das kaum leisten, es ist Unterstützung für die Expeditionslehrkräfte notwendig. Diese erfolgt bei den Lehrkräften, die an wissenschaftlichen Expeditionen teilnehmen, durch die ausführenden Organe oder die Projekte, in denen die jeweilige Lehrkraft eingebunden ist. Da es eine Win-Win-Situation ist und die Wissenschaft sowie die Schulen von der Teilnahme profitieren, übernimmt die wissenschaftliche Seite den größten Teil der Kosten, indem z. B. ein Platz auf FS Polarstern inklusive Verpflegung und Polarkleidung zur Verfügung gestellt wird. Die finanzielle Basis für einen Lehrkraftplatz wird bereits in der Planungsphase einer Expedition angelegt. Da die Lehrkraft in den Projekten in der Regel mitarbeitet, fährt sie als sog. Hiwi mit und kann daher bei der wissenschaftlichen Antragstellung berücksichtigt werden. Da die Lehrkraft im E&O-Bereich arbeitet und somit neben den schulischen Anteilen auch Öffentlichkeitsarbeit übernimmt, ist sie förderungswürdig. Die Reisekosten zum und vom jeweiligen Hafen, von dem das Schiff bzw. die Flugzeuge in die Polargebiete starten, übernimmt jede Lehrkraft in der Regel selbst. Das waren in der Vergangenheit z. B. Kapstadt, Ushuaia oder Tromsø.

Der Arbeitskreis Polarlehrer in der Deutschen Gesellschaft für Polarforschung (DGP) ist ein bundesweites Netzwerk und bietet Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, durch direkten Kontakt mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen hautnah an der aktuellen Polarforschung zu partizipieren. Die Wissenschaft und insbesondere junge Polarforscherinnen und -forscher wiederum können ihre Forschungsarbeiten einer breiteren Öffentlichkeit mit Fokus auf junge Menschen aktuell vermitteln. Beides dient der Fortbildung im Kontext wichtiger Umweltthemen wie beispielsweise des Klimawandels, von dem die Arktis weltweit am stärksten betroffen ist. Schwerpunkte der Kooperation zwischen Wissenschaft und Schule sind Fortbildungen für Lehrkräfte und Publikationen von Lehrmaterial für Schulen. Die Teilnahmen von Lehrkräften an Polarexpeditionen und ihre Einbindung in Forschungsarbeiten sind fraglos Highlights und die Grundlage vieler Aktivitäten des Arbeitskreises. Die Expeditionslehrkräfte engagieren sich vor, während und nach den Expeditionen auch in der Öffentlichkeitsarbeit in Form von Beiträgen in Medien und bei öffentlichen Vorträgen. Zudem partizipieren Museen an den Aktivitäten der Expeditionslehrkräfte. Der seit 2007 bestehende Arbeitskreis ist ehrenamtlich tätig und überwindet zeitliche, finanzielle, organisatorische sowie schulinterne Hürden. Eine breit aufgestellte Kooperation zwischen dem Arbeitskreis, den wissenschaftlichen Einrichtungen und den Schulbehörden wäre jedoch hilfreich, um die Ziele, also die Förderung junger Menschen im Kontext der Polarforschung, umfassender erreichen zu können. Darunter sind auch eine finanzielle Förderung und eine regelmäßigere Einbindung von Lehrkräften in wissenschaftliche Projekte bei Polarexpeditionen zu verstehen.

zz Expeditionsplätze

Voraussetzung für die Teilnahme einer Lehrkraft an wissenschaftlichen Expeditionen ist per se ein Angebot eines vakanten Platzes auf einem Forschungsschiff oder einer Station, das in der Regel aus der Wissenschaft kommt. Die diesbezügliche Kooperation zwischen Wissenschaft und dem AK funktionierte während des Internationalen Polarjahres 2007/08 bis 2013 sehr gut, da die Integration des schulischen Bildungsbereiches in aktuelle Forschungsarbeiten erkannt war und international gefördert wurde. Grundlage für eine Einwerbung von Expeditionsplätzen für Lehrkräfte sind auch heute die Motivation der Verantwortlichen in der Wissenschaft (Expeditionsleitung, z. B. Fahrtleiter) und die Erkenntnis, dass die Beteiligung einer Lehrkraft ein Gewinn für die Expedition und das Projekt ist. Sie entscheiden letztlich, ob eine Lehrkraft mitgenommen wird. Die Entscheidung, welche Lehrkraft mitfahren kann, wird durch eine Kommission ermittelt, die die Bewerbungen sichtet und nach einem aufwendigen Auswahlverfahren die Entscheidung fällt. Die Expeditionsplätze stellen hinsichtlich ihrer Anzahl eine Hürde dar, da sie nur sehr begrenzt angeboten werden. Diese Hürde kann mit fortschreitender, erfolgreicher Arbeit der Polarlehrer überwunden werden, indem ihre Arbeit im entsprechenden Kontext immer wieder vorgestellt wird. Eine politische Weichenstellung mit Ziel einer regelmäßigen Beteiligung wäre hilfreich.

Literatur Alfred-Wegener-Institut (o. D.). Bildungsmaterial (DT.). Von und mit MOSAiC lernen. https://mosaic-expedition.org/education/ bildung/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. ANDRILL Science Team (2007). Bal, G. (2015). Das coole Klassenzimmer. Polarforschung hautnah, Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 20–21. Beckh, P., & Limmer, A. (2022). The fridays for future phenomenon. In P. A. Wilderer, M. Grambow, M. Molls & K. Oexle (Hrsg.), Strategies for sustainability of the earth system (S. 427–432). DGP (Deutsche Gesellschaft für Polarforscher) (o. D.). Arbeitskreis Polarlehrer. https://polarforschung.de/arbeitskreise/ak-polarlehrer/. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. Erdmann, B. (2015). Museum trifft Schule. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 6–9. Fuchs, N., Kallfelz, M., Lehmann, R., & Hoppe, C. (2022). Ökosystem Meereis im Klimawandel. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 40, 24. Materialpaket.

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Kapitel 13  •  Der Arbeitskreis Polarlehrer (Polar Educators Germany)

Hoppe, C., Kallfelz, M., Lehmann, R., & Fuchs, N. (2022). Algen in der Polarnacht: allzeit bereit? Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 40, 14–17. Kallfelz, M. (2015a). Experimentierwerkstatt Polarforschung. Friedrich. Kallfelz, M. (2015b). Schwimmende Strohhalme. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 16–19. Kallfelz, M. (2015c). Modelle bauen. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 34–37. Kallfelz, M. (2015d). Auf Forschungsreise in die Antarktis. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 38–43. Kallfelz, M. (2020). Aktuelle Klimaforschung in der Arktis. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 30, 40–41. Kallfelz, M. (2021). Arctic Day – Ein Event für die ganze Schulgemeinschaft gestalten. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 34, 32–35. Kallfelz, M., & Lehmann, R. (2015). Kieselalgen im Dienst der Klimaforschung. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 28–31. Krüger, F. (2021). Als Lehrerin auf Expedition in die Arktis: Ein Tag auf dem Eis. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 33, 36–39. Lehmann, R. (2006). Geoecological investigation of a small creek: An interdisciplinary project of the 12th grade. Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Geowissenschaften, 8, 48. Lehmann, R. (2021). Der Arbeitskreis Polarlehrer. Polarforschung, 89, 73–76. https://doi.org/10.5194/polf-89-73-2021. Lehmann, R., & Kallfelz, M. (2019). Die Polarlehrer – Coole Klassen an den Polen der Erde. Biologie in unserer Zeit, 49(4), 277–281. https://doi.org/10.1002/biuz.201910682. Lehmann, R., & Krüger, F. (2021). Lehrentwurf: Die MOSAiC-Expedition und das Gradnetz der Erde – Wie können Lehrkräfte als Expeditionsteilnehmer die Polarforschung in die Klassenräume bringen? Polarforschung, 89, 89–91. https://doi.org/10.5194/polf89-89-2021. Lehmann, R., & May, I. (2013). Polargebiete. Themenhefte Erdkunde – Landschaftszonen der Erde entdecken. Verlag an der Ruhr, 48 S. Lehmann, R., & Rudolph, E. (2020). Polar educators Germany. ECO magazine polar special issue, 124–125. http://digital.ecomagazine. com/publication/?i=674747&ver=html5&p=124 Leser, H. (1997). Ökosystemansatz und Umweltschutz als Thema von Schule, Öffentlichkeit und Wissenschaft. In H. Leser (Hrsg.), Umwelt: Geoökosysteme und Umweltschutz. Handbuch des Geographie-Unterrichts, (Bd. 11, S. 3–7). maribus gGmbH (Hrsg.). (2019). Arktis und Antarktis – extrem, klimarelevant, gefährdet. World ocean review: Mit den Meeren leben, Bd. 6. Maribus. https://oceanrep.geomar.de/id/eprint/54471. Zugegriffen: 15. Jan. 2023. NIBIS 2015: Kerncurriculum für das Gymnasium Schuljahrgänge 5-10http://www.cuvo.nibis.de, abgerufen am 22.06.2023. Pound, K., Huffman, L., Hubbard, J., Cattadori, M., Dahlman, L., Dooley, J., Frisch-Gleason, R., Lehmann, R., & Trummel, B. (2019). ANDRILL ARISE: A model for team-based field research immersion for educators. Polar Record, 55(4), 251–273. https://doi. org/10.1017/S0032247419000056. Urschel, D. (2015). Eine eiskalte Projektwoche. Biologie im naturwissenschaftlichen Unterricht 5–10, 12, 14–15.

367

Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften Malte Junge, Silke Weiß, Donja Aßbichler, Johannes Miocic

Inhaltsverzeichnis 14.1

Einleitung – 368

14.2

Theorien aus der Hochschuldidaktik  –  369

14.3

Aufbau von Hochschuldidaktik-Zertifikaten  –  371

14.4

Analoge und digitale Lehrmethoden in den Geowissenschaften – 372

14.5

Zukünftige Entwicklung der Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften  –  374 Literatur – 374

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_14

14

368

Kapitel 14  •  Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

Zusammenfassung Die geowissenschaftliche Hochschulausbildung fördert eine Vielzahl unterschiedlicher fachspezifischer, aber auch allgemeiner Kompetenzen. Es ist besonders die Fülle an unterschiedlichen Lehrformaten, die ein Studium der Geowissenschaften so vielfältig macht. Studierende lernen somit nicht nur in Vorlesungen, Seminaren und Übungen, sondern können durch Gelände- und Laborarbeit ihr Wissen direkt in der Praxis erlernen. Diese besondere Vielfalt an Lehrformaten führt dazu, dass Lehrende sehr viele unterschiedliche hochschuldidaktische Lehr-Lernmethoden anwenden können. Insbesondere die Entwicklung im Bereich von E-Learning in den letzten Jahrzehnten durch die Einbindung von digitalen Medien ermöglicht es, Lernziele von Lehrveranstaltung vielseitig zu erreichen. Diese Methoden reichen von virtueller oder eigenständiger Geländearbeit bis zur Erstellung von Wikis. Diese Methoden im Sinne des Flipped Classroom zielen auf einen lernendenzentrierten Ansatz. Lehrende an Hochschulen und Universitäten können die Fülle an Lehr-Lernmethoden, Theorien zur Hochschullehre und hochschuldidaktische Fähigkeiten in strukturierenden Qualifizierungsprogrammen erlernen. Diese Programme werden in den meisten deutschsprachigen Universitäten angeboten, und Teilnehmende erhalten zum Abschluss in der Regel ein Zertifikat über die erfolgreiche Teilnahme an diesen Qualifizierungsprogrammen.

14.1 Einleitung

14

Die geowissenschaftliche Hochschulausbildung deckt eine Vielzahl von fachspezifischen und fachübergreifenden Themen ab, wie beispielsweise den Aufbau der Erde, ihre Veränderung über Raum und Zeit, Minerale, Geomaterialien und Rohstoffe, oberflächennahe und hydrologische Prozesse, Themen des Klimawandels und der Umwelt, geophysikalische Messmethoden und planetare Wissenschaften. Außerdem werden Kompetenzen im Studium gefördert, die über die ausschließlich fachliche Ausbildung hinausgehen. Diese Kompetenzen beinhalten das Vorstellungsvermögen und die Denkweise in Zeit und Raum (Lernziel: z. B. Ereignisse in geologischen Zeitskalen kennen und diese anhand eines Gesteinsaufschlusses in einen räumlichen Zusammenhang bringen), Gelände und Laborarbeit (Lernziel: z. B. Resultat der Laboruntersuchungen von Gesteinsproben interpretieren), Datenanalyse (Lernziel: z. B. Modellierung von Datensätzen und Aussagen treffen über entscheidende Parameter für einen spezifischen Prozess), kritisches und problemorientiertes Denken sowie quantitative und rechnergestützte Fähigkeiten. Diese geowissenschaftlichen Kernthemen sind weltweit in den universitären Curricula verankert. Beispielsweise zeigt die Zusammenstellung Vision and Change in the Geosciences – The Future of Undergraduate Geoscience Education von Mosher und

Keane (2021) umfassend, welche geowissenschaftlichen Themen in der angloamerikanischen Universitätsausbildung behandelt werden. Diese unterscheiden sich im Kern nicht von der europäischen Universitätsausbildung. 14.1.1 Lehr(kompetenz)entwicklung

in den Geowissenschaften

Die vielfältigen geowissenschaftlichen Fachinhalte, aber auch die sozialen, affektiven und psychomotorischen Kompetenzen (Bloom, 1972; Anderson & Krathwohl, 2001), werden im deutschsprachigen Raum in Bachelorund Masterstudiengängen aufgebaut. Die universitäre geowissenschaftliche Ausbildung beinhaltet neben Fachinhalten, die in Vorlesungen und Übungen vermittelt werden, auch Labor- und Geländearbeit. Vorlesungen und Übungen in den Geowissenschaften werden meistens von promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gehalten, die zum größten Teil über befristete Zeitverträge mit wissenschaftlichem Schwerpunkt finanziert werden. Somit befindet sich ein großer Anteil von Dozierenden, die eine akademische/wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollen, auf Qualifikationsstellen. „Wer Karriere an der Uni machen will, konzentriert sich auf Forschung statt auf Lehre“, heißt es in einem Artikel aus der Süddeutschen Zeitung zum Thema „Ausbildung von Hochschuldozierenden“ (Janker, 2014). Dieser Satz beschäftigt sicherlich viele junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer deutschen Universität und zeigt sehr deutlich, was die Herausforderungen an die Hochschuldidaktik als Wissenschaftsdisziplin und für hochschuldidaktische Einrichtungen sind. Dennoch gibt es für Dozierende diverse Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich der Hochschuldidaktik an den Universitäten. Innerhalb des Angebotsspektrums werden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in ihren Lehrkompetenzen gefördert, in denen u. a. Konzepte, Strategien und Methoden transferorientiert bearbeitet werden, die bei der Gestaltung einer effizienten und erfolgreichen Lehre unterstützen sollen, sowie in der Reflexion und Weiterentwicklung der Lehre. Dabei werden u. a. unterschiedliche didaktische Konzepte thematisiert, welche zu einer kompetenzorientierten Lehre beitragen. Hochschullehre wird in unterschiedlichen Fachrichtungen und ihren Fachkulturen mannigfaltig gelebt. Ausgehend von Vorlesungen, die in der Regel mit einer größeren Gruppe von Studierenden dazu dienen, einen Überblick über bzw. erste vertiefenden Einblick in spezifische Themenfelder zu geben, die oftmals von Studierenden im Selbststudium nachbearbeitet werden. Allerdings belegen verschiedene Studien, dass solche traditionellen Formate einer Frontallehre einem modernen Verständnis von Lehren und Lernen an der Hochschule nicht mehr entsprechen (z. B. Deslauriers et al., 2011; Freeman et al., 2014; Handke, 2020), denn bezogen auf die Wirksam-

369

14.2  •  Theorien aus der Hochschuldidaktik

keit des Lernens bestehen hier insofern Optimierungspotenziale, als beispielsweise die Konzentration über die komplette Zeit der Vorlesung bei den meisten Studierenden gar nicht möglich ist, sodass stärker dozierendenzentrierte Konzepte der Frontallehre zugunsten lernprozessorientierter Formate minimiert werden sollten (z. B. Bradbury, 2016; Keengwe et al., 2018). Es erweitert sich das tradierte Bild von Hochschullehre hin zu stärker lernendenzentrierten und aktivierenden Lehr-Lernformaten, die nicht zuletzt auch Kerngegenstand der hochschuldidaktischen Weiterbildung sind. Dies zeigt, dass wissenschaftliche Studien zunehmend Einfluss auf die Gestaltung und Durchführung der Lehre nehmen (z. B. Urban & Meister, 2010; Jenert et al., 2019). Die Veränderung der Lehre ist in den ersten Schritten zeitintensiv. Sich mit der eigenen Lehre aktiv auseinanderzusetzen und auch hochschuldidaktische Aspekte zu implementieren bzw. seine Lehre generell zu hinterfragen, ist jedoch für Studierende, aber auch Lehrende lohnenswert. Dabei steht allerdings die Weiterentwicklung der Lehre und der Lehrkompetenzen in zeitlicher Konkurrenz zur Profilierung als Wissenschaftlerin und Wissenschaftler. Die Auseinandersetzung mit Hochschuldidaktik eröffnet aber neue Perspektiven und kann zur effizienteren Gestaltung von Lehre führen. So kann z. B. das oft arbeitsaufwendige Erstellen von Vorlesungen für klassische Frontalvorlesungen bei der Umsetzung von didaktischen Konzepten wie des Flipped Classroom, das auch als Inverted Classroom bekannt ist, minimiert werden (Bishop & Verleger, 2013; Handke & Sperl, 2012; Hanke, 2021). Studien zeigen zudem, dass der Lernerfolg bei diesen Methoden durchaus höher ist als bei einer reinen Frontallehre (Deslauriers et al., 2011; Freeman et al., 2014; Handke, 2020). Daher ist die Auseinandersetzung mit der Lehr-Lernthematik durchaus von Interesse für Dozierende – auch oder gerade in der Qualifikationsphase. Mit Blick auf die hochschuldidaktische Weiterbildung geht der Fokus weit über die reine Durchführung von Lehrveranstaltungen hinaus und umfasst auch andere Bereiche von Lehraufgaben, wie z. B. die Betreuung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Doktorandinnen und Doktoranden, der Evaluation von LehrLernformaten oder Aspekten des kompetenzorientierten Prüfens. Deshalb sollten solche universitären Strukturen hergestellt werden, welche die Wertschätzung der Weiterbildung der Lehrenden stärken, sodass die Lehr(kompetenz)entwicklung bei den Lehrenden und letztlich erfolgreiches, effizientes Lernen bei den Studierenden flächendeckend möglich sind. 14.1.2 Konzeptionelle

Perspektiven der Lehre in den Geowissenschaften

In den Geowissenschaften sind in den letzten Jahren große Entwicklungen im Bereich der Hochschuldidak-

tik zu beobachten. Dies ist nicht zuletzt auf die immer weiter umgreifenden digitalen Möglichkeiten zurückzuführen, die vor allem hinsichtlich Geländepraktika und Exkursionen große didaktische Vorteile mit sich bringen (z. B. Dolphin et al., 2019; Heintzman, 2020; Klippel et al., 2019; Carena, 2021; Friedrich, 2021; Plitz et al., 2021a). Dies beinhaltet auch eine Kombination unterschiedlicher Methoden und integriert selbstgesteuerte Geländearbeit mit der Auseinandersetzung und der Anwendung theoretischer Grundlagen. Die European Geosciences Union widmet sich seit einigen Jahren auch diesem Thema und hat das Programm „Higher education teaching of geoscience“ ins Leben gerufen, das sich expliziert auf die Hochschullehre in den Geowissenschaften fokussiert und diverse innovative Lehrkonzepte würdigt. Auch im Lehramtsstudium gibt es Zusatzangebote, die Geowissenschaften im Lehramt anbieten (seit Wintersemester 2018/19 im Geozentrum Nordbayern an der Universität ErlangenNürnberg). In diesem Zusatzangebot werden geowissenschaftliche fachliche, methodische und didaktische Kompetenzen vermittelt (Regelous, 2018). Da dieses Kapitel nur eine kurze Übersicht über existierende Programme der Hochschuldidaktik an deutschsprachigen Universitäten liefert und einen Eindruck mit dem Fokus auf die Geowissenschaften vermittelt, sei auf die Vielzahl an Publikationen zu dem Thema der Hochschuldidaktik verwiesen, die Inhalte, Methoden und Studienergebnisse in einer großen Fülle zusammenstellen. 14.2 Theorien

aus der Hochschuldidaktik

Die Hochschuldidaktik beschäftigt sich mit Lernen und Lehren speziell an Hochschulen. In den letzten Jahren hat insbesondere die Digitalisierung Einfluss auf die Hochschuldidaktik genommen, und die Anzahl an Büchern und Publikationen hat stetig zugenommen. In diesem Kapitel liegt der Fokus auf einigen grundlegende Artikeln und Büchern, um einen Eindruck zu vermitteln, wie mannigfaltig die Hochschuldidaktik und ihre Konzepte sind, und darauf aufmerksam zu machen, wie intensiv sich auch die Lehr-Lernforschung weiterentwickelt. Ein sehr schnell wachsender Bereich der Hochschuldidaktik sind Konzepte des E-Learnings. Gerade in den ersten Semestern während der COVID-Pandemie hat die digitale Lehre eine immense Dynamik erfahren. Es wurden didaktische Methoden und digitale Werkzeuge kombiniert, um gezielt in digitalen Formaten Inhalte von Lehrveranstaltungen vor- und nachzubereiten, Veranstaltungen in synchronen und/oder asynchronen E-Learning-Szenearien zu realisieren oder auch digitale Prüfungsformate zu entwickeln.

14

370

Kapitel 14  •  Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

14.2.1 Übersicht

über allgemeine Theorien aus der Hochschuldidaktik

14

Die allgemeinen Theorien und Methoden unterscheiden sich sehr stark, je nachdem wann und unter welchen Bedingungen sie benötigt werden. Daher gibt es je nach Lehrformat und Situation eine ganze Reihe an unterschiedlichen Lehrmethoden basierend auf aktueller Lehr-Lernforschung. Methodensammlungen und Fachliteratur bieten den Lehrenden viele relevante Informationen (z. B. Macke et al., 2016; Ulrich, 2016; Noller et al., 2019, 2021). In der Hochschullehre kann auf einer übergeordneten Ebene zunächst zwischen einem dozierenden- und einem lernendenzentriertem Ansatz differenziert werden, wobei diese unabhängig voneinander sind und nicht separat betrachtet werden müssen (Lübeck, 2009). Allerdings können in lernendenzentrierter Lehre eine höhere kognitive Aktivierung und Verarbeitung der Inhalte der Studierenden beobachtet werden, welche wiederum höhere studentische Lernerfolge begünstigen (Ulrich & Brieden, 2021). Folgt man dem Primat der Kompetenzorientierung (vgl. Schaper et al., 2012), sollten gerade jene Lehr-Lernformate gestärkt werden, welche die Studierenden darin fördern, konkrete Fähigkeiten zu entwickeln, die sie in die Lage versetzen, Herausforderungen oder Probleme erfolgreich zu lösen. Vor diesem Hintergrund spielen daher aktivierende Methoden eine immer wichtigere Rolle in der Gestaltung von Lehrveranstaltungen, beginnend mit Unterbrechungen durch Impulse, um die Aufmerksamkeit der Studierenden neu zu lenken, Diskussionen oder individuelle Vertiefung und Rekapitulation zu ermöglichen. Dafür eignen sich beispielsweise Methoden zu Partner‑/Gruppenarbeit oder Think-Pair-Share (z. B. Macke et al., 2016). Ulrich und Brieden (2021) stellen dabei die folgenden Leitfragen auf: Was ist mein jeweiliges Lernziel? Mit welchen Lehrmethoden werden die besten Lernerfolge erreicht? Können diese Lernziele mit lernendenzentrierten Ansätzen erreicht werden?

--

Sie greifen damit das grundlegende Modell guter Lehre und ein etabliertes Konzept der Hochschuldidaktik auf: Constructive Alignment. Biggs und Tang (2011) stellen drei zentrale Elemente in einen Zusammenhang, deren Kohärenz in der Lehre hergestellt werden sollte: Lernziele, Lernaktivitäten und Prüfungsformen. Zentral dabei sind die Lernziele als jene Fähigkeiten, Haltungen und Einstellungen, welche die Studierenden im Lernprozess aufbauen sollen. Dabei ist das Lernziel auch der Kompass für die Lernaktivitäten, d. h., eine Lernumgebung so zu gestalten, dass die Studierenden Gelegenheiten erhalten, ihr Wissen und Kön-

nen weiterzuentwickeln. Lernziele fungieren dabei als Raster, um aus der Fülle an Aktivierungsmöglichkeiten angemessene didaktische Methoden auszuwählen, um Lernprozesse anzuregen, die zur Zielerreichung beitragen (z. B. Lernquiz, Gruppenpuzzle, Think-Pair-Share, Fallarbeit). In ähnlicher Weise beziehen sich Lernziele und Prüfungsformate aufeinander. Hier sollten solche Prüfungsformate ausgewählt werden, welche ermitteln, ob Studierende die zentralen, intendierten Kompetenzen aufgebaut haben. Dabei gilt es zu reflektieren, ob etablierte Prüfungsformate ggf. hinsichtlich ihrer Lernzielorientierung hinterfragt, ersetzt oder modifiziert werden müssten. All dies verdeutlicht die Relevanz der Definition von Lernzielen bei der Konzeption einer Lehrveranstaltung, der Gestaltung geeigneter Lehr-Lernsituationen und auch der Prüfung bzw. Prüfbarkeit der Lernziele. Diese kleine Übersicht zeigt bereits, wie unterschiedlich Lehrmethoden sein können. Dabei gibt es nicht die eine richtige Methode, es ist vielmehr eine Kombination verschiedener Gestaltungselemente, angepasst an die jeweilige Lernsituation. Daher ist es hilfreich, wenn Dozierende unterschiedliche Lehrmethoden kennen und nutzen und so auch individuell auf Ereignisse eingehen können. Schließlich ist jede Lehrsituation wieder neu und individuell, genauso wie die Vielzahl an unterschiedlichen Methoden. Es liegt in der Verantwortung der Lehrenden, diese Lehr-Lernsituationen bestmöglich zu gestalten. 14.2.2 Kompetenzbegriffe

in der Hochschuldidaktik

Das Primat der Kompetenzorientierung wurde bereits angesprochen. Bei Kompetenz- und Lernzielen differenziert man im Allgemeinen zwischen kognitiven, psychomotorischen und affektiven Lernzielen (Bloom, 1972; Bachmann, 2014). Die kognitiven Kompetenzdimensionen umfassen dabei u. a. Verständnis, Anwendung, Analyse und Bewertung, Entscheidung und Begründung. Hierbei ist bereits bei der Konzeption darauf zu achten, wie die unterschiedlichen Kompetenzen am Ende im Sinne eines Constructive Alignment (Biggs, 1996; Biggs & Tang, 2011), also einer schriftlichen Klausur, überprüft werden können. Ein allgemeines kognitives Ziel ist, dass die Studierenden nach Abschluss des Moduls die Grundlagen der Thematik der Lehrveranstaltung erklären können. Dies impliziert, dass sie die relevanten Definitionen benennen und korrekt in einen Zusammenhang und größeren Kontext bringen können. Die Studierenden sollen die grundlegenden Prozesse aus der Lehrveranstaltung verstehen und mit eigenen Worten erklären können. Am Ende der Lehrveranstaltung sollten die Studierenden ihr Wissen

371

14.3  •  Aufbau von Hochschuldidaktik-Zertifikaten

auch auf andere Fachbereiche, die nicht in der Lehrveranstaltung behandelt wurden, anwenden können. Sie sollen somit in der Lage sein, basierend auf ihren eigenen Beobachtungen und der Betrachtung von beispielsweise Datensätzen, einen gezielten Themenbereich aus der Lehrveranstaltung zu beschreiben und zusammenfassend zu erklären, sodass sie eigenständig ein neues Konzept synthetisieren können. Unter Berücksichtigung dieser Interpretation sollen die Studierenden ihr Modell mit einem anderen System vergleichen können und in der Lage sein festzustellen, ob relevante Kriterien fehlen. Allgemein sollen die Studierenden Zusammenhänge zwischen den Grundlagen anderer Lehrveranstaltungen finden. Zusammenfassend sollten die Studierenden also anschließend auch in der Lage sein, ihr Grundwissen aus anderen Veranstaltungen innerhalb des neuen Fachgebietes anzuwenden. Je nach Fachthema kann ein weiteres wichtiges Lernziel sein, dass die Studierenden über die gesellschaftlichen und politischen Aspekte mitdiskutieren können. 14.3 Aufbau

von Hochschuldidaktik-Zertifikaten

Seit einigen Jahrzehnten bieten Universitäten im deutschsprachigen Raum bereits Weiterbildungsmaßnahmen für Dozierende zur Verbesserung der Lehre und Weiterentwicklung individueller Lehrkompetenzen an. Dies erfolgt im Rahmen von strukturierten hochschuldidaktischen Qualifizierungsprogrammen. Die Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik (DGfH) fungiert als Dachverband, mit dem Ziel, als wissenschaftliche Fachgesellschaft für Hochschuldidaktik im deutschsprachigen Raum die Hochschuldidaktikzentren der deutschen, schweizerischen und österreichischen Hochschulen miteinander zu vernetzen und den Diskurs zu fördern. In diversen Kommissionen der DGfH wird aufgezeigt, dass auf dem Gebiet der Hochschuldidaktik in den letzten Jahren sehr viel in Bewegung gekommen ist und der Fokus auf die Optimierung der Lehre und die Anpassung an Erkenntnisse aus Studien wächst. Dabei hat sich die Community der Hochschuldidaktik selbst Leitprinzipien und Qualitätskriterien auferlegt, die auch Gegenstand von Akkreditierungsverfahren durch die Akkreditierungskommission (akko) sind. Der modulare Aufbau und die inhaltliche Strukturierung der Qualifizierungsprogramme ermöglichen eine individuelle und flexible Gestaltung für Lehrende. Die mannigfaltigen Kurse der einzelnen Module bieten theoretische und praktische Erkenntnisse sowie Selbstreflexion für Lehrende, die in einer Optimierung der Lehre mündet. Aus diesen Gründen ist das Absolvieren eines Qualifizierungsprogrammes in der Hochschuldidaktik eine Bereicherung für die Lehre allgemein, aber

auch für die individuelle persönliche Weiterentwicklung der Absolventinnen und Absolventen dieser Qualifizierungsprogramme (vgl. Eggensperger et al., 2016; Weiß & Ebner, 2021). Die Qualifizierungsprogramme der Hochschuldidaktik gliedern sich in der Regel in aufeinander aufbauende Module, in denen Basiswissen und darauf aufbauendes Wissen vermittelt werden. Grundlage für die Kurse sind aktuelle Lehr-Lernforschung sowie internationale und nationale Standards (Estner et al., 2020). Neben Workshops und Kursen sind Lehrhospitationen und didaktische Reflexionen essenzielle Bestandteile dieser Zertifikate. Der Fokus der Hochschuldidaktik zielt auf die Bereiche Prüfen, Lehren, Beraten und Bewerten. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser Programme ist der Austausch mit anderen Dozierenden innerhalb der Hochschule. In den verschiedenen Formaten werden positive und negative Erfahrung geteilt und Dozierende nehmen nicht nur durch kollegiale Hospitationen und Praxisberatungen wahr, welche Herausforderung auch andere Dozierende in der Lehre haben. 14.3.1 Lehren

und Lernen

Der Bereich von Lehren und Lernen deckt eine Kernkompetenz der Hochschuldidaktik ab. Bei diesen Angeboten werden unterschiedliche Aspekte des Lehrens und Lernens thematisiert, welche lernpsychologische Grundlagen oder auch die Rolle von Dozierenden und Lernenden umfassen. Dabei werden Modelle und Forschungsergebnisse herangezogen, welche die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Lernens und Lehrens darlegen. 14.3.2 Lehrveranstaltungen

planen und vorbereiten

Wichtige Bereiche in der Hochschuldidaktik beziehen sich auf eine effiziente, lernzielorientierte Planung und Vorbereitung von Lehrveranstaltungen. Es ist natürlich von Relevanz, bereits bei der Planung einer Lehrveranstaltung konkrete und kompetenzorientierte Lernziele auf verschiedenen Stufen zu bestimmen. Außerdem wird das Konzept des Constructive Alignment (Biggs, 1996; Biggs & Tang, 2011) ins Zentrum gestellt, um eine generelle Struktur für die Lehrveranstaltung zu schaffen. Dies impliziert eine Abstimmung von Lehr-Lernmethoden sowie Prüfungsformen mit den angestrebten Lernzielen. Bei der Planung ist es außerdem relevant, vorab die Zielgruppe klar zu definieren und die Lehrveranstaltung im Kontext des fachlichen Curriculums zu betrachten. Dementsprechend sollten die Inhalte ausgewählt, lernförderlich aufbereitet und angemessene Lernaktivitäten identifiziert werden.

14

372

Kapitel 14  •  Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

14.3.3 Lehrveranstaltungen

durchführen

Bei der Durchführung einer Lehrveranstaltung steht der gemeinsame Lehr-Lernprozess im Vordergrund, bei dem es darum geht, eine Lernumgebung zu gestalten, die es den Studierenden ermöglicht, ihr Wissen und Können zu erweitern. Dabei können auch unerwartete Ereignisse eintreten, die eine Änderung der ursprünglichen Planung bedingen. Hilfreich sind hierbei hochschuldidaktische Methoden, die den Lernfortschritt der Studierenden während der Lehrveranstaltung ermitteln bzw. Feedbackmöglichkeiten bieten. Hierdurch können Dozierende auch während einer laufenden Lehrveranstaltung intervenieren und den Lehr-Lernprozess selbst anpassen, z. B. durch das Bereitstellen von passendem Zusatzmaterial für das Selbststudium. 14.3.4 Lehrveranstaltungen

14

auswerten

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Hochschuldidaktik ist die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Auf diese Weise können die vorher definierten Lernziele überprüft, Rückmeldungen von Studierenden eingeholt und diskutiert werden. Diese Erkenntnisse sind eine wichtige Informationsquelle, die es Lehrenden ermöglicht, Konzepte weiterzuentwickeln und die eigene Lehre zu optimieren. Die Hochschuldidaktik greift hierbei auf ein breites Methodenrepertoire zurück, um eine effiziente Evaluation einer Lehrveranstaltung zu realisieren und diese mit standardisierten Evaluationsverfahren der Hochschule zu kombinieren. 14.3.5 Studierende

beraten und prüfen

Zu den Aufgaben von Dozierenden gehört auch, die Studierenden im Lernprozess zu beraten und deren Lernerfolge zu prüfen. Dabei spielen u. a. kompetenzorientierte Prüfungsformate eine große Rolle (vgl. Schaper, 2015). Das können Formate wie mündliche und schriftliche Prüfungen oder alternative Formen wie Portfolios sein. Ziel hochschuldidaktischer Weiterbildung in diesem Bereich ist es, Lehrende in die Lage zu versetzen, Prüfungsformen zu konzipieren, die Lerninhalte und Lernziele auf unterschiedlichen Ebenen abdecken und durch geeignete Aufgabenstellungen den Lernerfolg ermitteln. Generell ist es auch wichtig, den Verantwortlichkeitsbereich von Dozierenden zu definieren. Hierbei ist hervorzuheben, dass Dozierende bei bestimmten Themen auch Kontakt zu anderen Institutionen der Universität herstellen, da Dozierende nicht alle Bereiche abdecken können und dürfen. Bei der Prüfung von Studierenden ist generell eine transparente Vorgehensweise empfehlenswert. Die Durchführung einer Prüfung soll daher nicht nur für die Benotung und

den Abschluss relevant sein, sondern auch einen Teil des Lernprozesses darstellen. 14.4 Analoge

und digitale Lehrmethoden in den Geowissenschaften

In der Hochschuldidaktik wird eine Vielzahl von aktivierenden Methoden thematisiert, die disziplinunabhängig Anwendung finden können (z. B. Bachmann, 2014; Macke et al., 2016; Riedel et al., 2016). In den vergangenen Jahren wurden diese um eine Vielzahl von digitalen LehrLernszenarien erweitert, die unter dem Begriff „E-Learning“ subsumiert werden. Für die Geowissenschaften bieten sich daraus viele Ansätze, die in diesem Kapitel beispielhaft skizziert werden. Eine hohe Studierendenaktivierung ist von essenzieller Bedeutung für eine erfolgreiche Durchführung von Lehrveranstaltungen. In Präsenzveranstaltungen können mehrere Möglichkeiten genutzt werden, Studierende aktiv zu beteiligen, sodass es durch gezieltes provokantes Fragen auch während der Lehrveranstaltung zu Diskussionen über den Inhalt kommen kann. 14.4.1 Flipped

Classroom

Die Methode Flipped Classroom hat zum Ziel, den Unterricht auf den Kopf zu stellen. Das bedeutet im Allgemeinen, den Prozess des Wissenserwerbs in das Selbststudium vorzulagern, indem sich die Studierenden die Lerninhalte eigenständig erarbeiten. In der gemeinsamen Präsenz- bzw. synchronen Phase bleibt somit viel mehr Zeit, im Diskurs zwischen Lehrenden und Studierenden Konzepte kritisch prüfen oder konkret in Kontexten anzuwenden (z. B. Bishop & Verleger, 2013; Handke & Sperl, 2012; Hanke, 2021). Diese Methode distanziert sich somit von einer primären Frontallehre und ermöglicht, unterschiedliche Kompetenzen zu erlangen. Es existiert eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten, die im Sinne des Flipped-Classroom-Konzeptes angewendet werden können. Gängige Methoden aus der Praxis sind beispielsweise Peer-Review, das Erstellen von Wikis, virtuelle Geländearbeit und Seminare mit eingebundener selbstständiger Geländearbeit. Dies zeigen auch die Möglichkeiten, wie in den Geowissenschaften diese Methoden genutzt werden können. 14.4.1.1 Peer-Review

und Erstellung von Wikis am Beispiel des GEOWiki@LMU

Die Methode des Peer-Review (z. B. Lehmann et  al., 2015; Riedel et al., 2016) bietet eine Vielzahl von wichtigen Aspekten, um nicht nur fachliche, sondern auch methodische und soziale Kompetenzen (z. B. Beachtung der Feedbackregeln, die vorher jeweils dokumentiert

373

14.4  •  Analoge und digitale Lehrmethoden in den Geowissenschaften

und besprochen werden) zu fördern. Im Rahmen von schriftlichen Ausarbeitungen zu geowissenschaftlichen Themen lernen Studierende neben dem Erstellen von wissenschaftlichen Texten auch die Korrektur und Evaluation von Texten anderer Studierenden. Dies ermöglicht eine flexible Bearbeitung der Aufgabe und hilft, fachliche Themen über die Inhalte der Vorlesung hinaus auf den Punkt zu formulieren und anschließend die Texte von anderen Studierenden zu betrachten. Ausgewählte Themen, die beispielsweise sonst in der Frontallehre vermittelt würden, können somit von den Studierenden eigenständig erarbeitet werden. Die Erarbeitung von Wikis ist eine weitere didaktische Gestaltungsmöglichkeit, bei der unterschiedliche Kompetenzen gefördert werden können. Dies beinhaltet zum einen das eigenständige Verfassen von Fachartikeln, aber auch das redaktionelle Bearbeiten dieser Texte. Das Prinzip des Peer-Review lehrt zusätzlich die Kompetenz, kritisches und konstruktives Feedback zu geben. Die Erstellung von Wikis bietet darüber hinaus aber noch die Möglichkeit, weitere Kompetenzen der Studierenden zu fördern. Ein Beispiel hierfür ist das GEOWiki@LMU, eine öffentlich zugängliche online Lehr-Lernplattform zur Vermittlung von geowissenschaftlichen Methoden. Es wurde seit 2019 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München unter Leitung von Dr. Donjá Aßbichler und Prof. Dr. Eileen Eckmeier gemeinsam mit einer Vielzahl von Studierenden entwickelt (Aßbichler et al., 2021). Die Artikel werden von Studierenden geschrieben, wobei sich die Studierenden zunächst gegenseitig Feedback zu ihren Artikeln geben, bevor sie abschließend von Dozierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegengelesen werden. Im GEOWiki@ LMU werden zudem die Grafiken von den Studierenden erstellt, und auch die Webseite selbst wird von den Studierenden programmiert, sodass sie in diesen Gebieten ebenfalls ihre Kompetenzen erweitern können. Die Studierenden können hier aber auch im Rahmen der Softskills ihre Kompetenzen erweitern. Die Themen werden im Rahmen von fächer- und semesterübergreifenden Teams erstellt; „neue“ Studierende werden dabei von Studierenden, welche bereits länger im Team sind, in die Organisation und die Programmierung der Webseite eingeführt und können so im Laufe der Zeit immer mehr Organisations- und Führungsaufgaben übernehmen, indem sie beispielsweise Projektideen einreichen oder eine der Arbeitsgruppen leiten. In wöchentlichen Redaktionsmeetings werden organisatorische Aufgaben besprochen und die Strukturierung neuer Themengebiete diskutiert. So entstand auch auf Initiative zweier Lehramtsstudentinnen aus dem Team die Idee für das GEOWiki@Schule, das sich derzeit im Aufbau befindet. Ziel ist es, geowissenschaftliche Themen speziell für Schülerinnen und Schüler und für den Einsatz im Schulunterricht zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise dient die Erstellung von Wikis nicht nur

den Studierenden, sondern bietet auch eine Möglichkeit, geowissenschaftliche Themen besser in den Schulunterricht zu integrieren (Plitz et al., 2021b). 14.4.1.2 Virtuelle

Geländearbeit in den Geowissenschaften

Geländearbeit ist weiterhin eine der wichtigsten Methoden, um die in den Geowissenschaften relevanten Kompetenzen wie beispielsweise räumliches-zeitliches Vorstellungsvermögen und Gesteinsansprache zu vermitteln und zu erwerben. Studien haben außerdem gezeigt, dass Studierende bei einer Geländearbeit nachhaltigeres Wissen erlangen können als bei einem ähnlichen Kurs im Hörsaal (Elkins & Elkins 2007; Petcovic et al., 2014). Daher ist es essenziell für Studierende, möglichst viel Zeit mit Exkursionen und Kartierkursen zu verbringen, um geowissenschaftliche Beobachtungen, Messungen und Interpretationen zu machen. Allerdings ist mit diesen Kursen häufig auch großer logistischer und finanzieller Aufwand verbunden. Die technische Entwicklung in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ermöglicht zudem die Integration unterschiedlicher digitaler Modelle in die Hochschullehre der Geowissenschaften (Dolphin et al., 2019; Heintzman, 2020; Klippel et al., 2019; Carena, 2021). Auf diese Weise ist es möglich, auch bei einer virtuellen Geländearbeit geowissenschaftliche Kompetenzen vermitteln zu können. Die Geländearbeit vor Ort bleibt selbstverständlich weiterhin eine essenzielle Methode in der geowissenschaftlichen Hochschulausbildung und ist zwingend erforderlich. Die virtuelle Geländearbeit sollte hierbei vielmehr als eine zusätzliche und ergänzende Methode angesehen werden. Sie ermöglicht zusätzlich, dass durch eine große Menge an vorhandenen digitalen Modellen von geowissenschaftlichen interessanten Gegenden (z. B. besondere Aufschlüsse, großräumige Strukturen) mehrere unterschiedliche geowissenschaftliche Gegenden betrachtet werden können. So können Studierende noch mehr Gebiete sehen, was bei einer analogen Geländearbeit aus zeitlichen und logistischen Gründen nicht möglich wäre. Außerdem ermöglichen virtuelle Modelle, die beispielsweise mittels Drohnen aufgenommen wurden, auch großräumige Strukturen zu betrachten und zu diskutieren, was bei analoger Geländearbeit nicht immer möglich ist. Ein wichtiger Aspekt einer Ausweitung von virtueller Geländearbeit sind auch klimabedingte Hintergründe. So bedarf es nicht immer Flugreisen, um spezifische Geländearbeit durchzuführen, da geologische Strukturen bereits digital sehr gut vermittelt werden können. Hierbei ist es wichtig zu betonen, dass eine virtuelle Geländearbeit auch didaktisch ansprechend gestaltet sein sollte und beispielsweise analoge Aspekte mit in diese Lehreinheiten integriert werden (z. B. Gesteine, Dünnschliffe, Strukturmessungen, Korngrößenverteilungskurven). Eine Kombination aus diesen unterschiedlichen Ansätzen eignet

14

374

Kapitel 14  •  Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

sich somit auch für die Vor- und Nachbereitung von analoger Geländearbeit und ermöglicht zusätzlich einen internationalen Austausch. Abgesehen von der fachlichen Kompetenzerwerbung können Studierende zusätzlich digitale Kompetenzen erwerben, indem sie selbst neue virtuelle Geländemodelle erstellen und erlernen, welche Aspekte hierfür relevant sind. 14.4.1.3 Selbstständige

Geländearbeit und Seminararbeit

14

Neben virtuellen Geländemodellen wird auch analoge Geländearbeit in die Hochschulausbildung integriert, ohne dass dies im Rahmen von geführten Geländeveranstaltungen passieren muss (Shinneman et  al., 2020; Friedrich, 2021; Washko, 2021). Hierfür eignet sich beispielsweise die Einbindung von Geotopen oder digital beschriebenen geowissenschaftlich-relevanten Aufschlüssen (Gajek et  al., 2019; Henriques et  al., 2019). Geowissenschaftliche Apps führen zu Geländeaufschlüssen weltweit und beinhalten vielfältige Informationen, sodass diese Apps direkt in die Lehre eingebaut werden können (Myrbo et al., 2018; Shinneman et al., 2020; Hoffmann et al., 2021; Loeffler et al., 2021). Geotope sind hierfür ebenfalls ein ideales Ziel, denn sie sind in der Regel auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Diese Programme und Entwicklungen werden z. B. am Lehrstuhl für Geologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München durch Prof. Anke Friedrich angeboten (Friedrich, 2021). Studierende besuchen geowissenschaftlich interessante Gebiete, dokumentieren die wichtigen Beobachtungen und stellen diese den anderen Studierenden in einem Seminar vor. Das ermöglicht eine flexible zeitliche Gestaltung der Geländeveranstaltung durch die Studierenden. Im Rahmen von selbstständigen Geländearbeiten haben die Studierenden somit die Möglichkeit, auch reale Beobachtungen im Gelände zu machen und die vorher definierten Aufgaben der Lehrenden zu bearbeiten. 14.5 Zukünftige

Entwicklung der Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

Die Relevanz von hochschuldidaktischer Weiterbildung und die Resonanz auf diese hat bei Lehrenden auf Qualifikationsstellen in den vergangenen Jahren immer weiter zu genommen. Mit ihnen wachsen auch das Selbstverständnis und die Wertschätzung für die Hochschuldidaktik, die Lehrkompetenzentwicklung und die Qualität der Lehre. Allerdings sind diese Aspekte bei Berufungsverfahren für Professuren zurzeit immer noch sehr stark unterrepräsentiert. Daher wird es sicherlich noch einige Jahre dauern, bis der Lehrqualität an deutschsprachigen Universitäten ein höherer Stellenwert beigemessen wird.

Dies spiegelt sich auch in der Stellenlandschaft der Universitäten wider. zz Herausforderungen der Hochschuldidaktik

Die Bedingungen für eine freie, eigenständige Konzeption und Durchführung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen sind nicht immer gegeben (z. B. Prüfungsordnung, befristete Arbeitsverträge, Absprachen mit anderen Dozierenden). So ist eine Veränderung unter hochschuldidaktischen Aspekten nicht immer einfach durchzusetzen. Auch die generelle Entwicklung der Hochschullandschaft mit zunehmend heterogeneren Studierenden stellt ebenfalls eine Herausforderung dar, bei der allerdings hochschuldidaktische Konzepte umso relevanter werden, damit alle Studierenden die gleichen Lernchancen haben und nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen effizient lernen können (Last, 2020). Allerdings zeigen die mannigfaltigen Angebote von Lehrformaten in den Geowissenschaften, dass durchaus viel passiert und sich Engagement in der Konzeption neuer Formate unter Einbindung aktueller Lehr-Lernforschung lohnt. Die Teilnahme an hochschuldidaktischen Qualifizierungsprogrammen ist aus vielerlei Hinsicht lohnenswert, sowohl mit einem Fokus auf die eigenen Lehrkompetenzen als auch mit Raum für die Weiterentwicklung von Schlüsselkompetenzen wie Zeitmanagement, die es beispielsweise für eine effiziente Konzeption und Durchführung von Lehrveranstaltungen braucht.

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14

376

Kapitel 14  •  Hochschuldidaktik in den Geowissenschaften

Ulrich, I., & Brieden, M. (2021). Studierendenzentrierte Hochschullehre aus lernpsychologischer Sicht. In J. Noller, C. Beitz-Radzio, D. Kugelmann, S. Sontheimer & S. Westerholz (Hrsg.), Studierendenzentrierte Hochschullehre: Von der Theorie zur Praxis (S. 3–22). Springer. Urban, D., & Meister, D. (2010). Strategien der Professionalisierung in der Hochschuldidaktik. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 5, 104–123. Washko, S. (2021). Designing an asynchronous, self-led aquatic ecology field trip. CourseSource, 8, 1–6. Weiß, S., & Ebner, M. (2021). Weiterbildungsinformation und Onlineformate in der Hochschuldidaktik. In R. Korts-Freudinger, N. Schaper, A. Scholkmann & B. Szczyrba (Hrsg.), Handbuch Hochschuldidaktik. wbv Media.

14

377

Geowissenschaftsdidaktische Forschung Dirk Felzmann, Sascha Henninger, Tanja Kaiser, Maike Sauer, Alexander Kauertz, Sandra Nitz

Inhaltsverzeichnis 15.1

Räumliches Denken in geowissenschaftlichen Kontexten – 378

15.2

Digitale Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln– Videoanalysen zur Optimierung eines digital geführten Lernzirkels  –  379

15.3

Kompetenzbetrachtung im Umgang mit Systemen  –  390 Literatur – 396

© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 S. Hlawatsch, D. Felzmann (Hrsg.), Didaktik der Geowissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66354-7_15

15

378

Kapitel 15  •  Geowissenschaftsdidaktische Forschung

Zusammenfassung

15

Geowissenschaftsdidaktische Forschung betreibt Grundlagenforschung zum fachlichen Lehren und Lernen, führt unterrichtsbezogene Entwicklungsforschung durch und beforscht Vermittlungsprozesse in informellen Zusammenhängen (z. B. an außerschulischen Lernorten). Hierzu entwickelt und nutzt sie Tests, Beobachtungen, Dokumente, Interviews und Fragebögen (vgl. Schecker et al., 2014). Ab den 1990er-Jahren erfolgte eine deutliche Zunahme geowissenschaftsdidaktischer Forschung (King, 2008; Arthurs, 2019). Ein Teil dieser Forschung bezieht sich auf didaktische Aspekte geologischer Feldarbeit/Exkursionen (7 Kap.  3). Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld sind Analysen zu den kognitiven und emotionalen Voraussetzungen von Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden zum Lernen geowissenschaftlicher Sachverhalte. Hierunter fällt die Forschung zu Schülerinteressen und zu Schülervorstellungen (7 Kap.  5). Die Ausrichtung der Geowissenschaften als Systemwissenschaften beförderte die Erforschung systemischen Denkens in geowissenschaftlichen Kontexten. Hierzu wurden Curricula entwickelt, innerhalb derer eine Progression im systemischen Denken angelegt war (7 Kap. 2 und 8). In diesem Zusammenhang wurden die Voraussetzungen von Kindern und Jugendlichen, systemisch denken zu können, analysiert und die entwickelten Curricula mithilfe neu entwickelter Testinstrumente evaluiert (King, 2008). Ein weiteres relevantes Feld geowissenschaftsdidaktischer Forschung stellt die Fähigkeit zum räumlichen Denken in geowissenschaftlichen Kontexten dar. In diesem Kapitel werden in 7 Abschn.  15.1 überblicksartig aktuelle Forschungsbefunde zum räumlichen Denken in geowissenschaftlichen Kontexten vorgestellt. In 7 Abschn. 15.2 wird die Entwicklungsforschung einer digital gestützten Lernumgebung zu Klimazonen an einem außerschulischen Lernort präsentiert. In 7 Abschn. 15.3 erfolgt eine Zusammenschau fachdidaktischer Literatur zur Messung der Kompetenz, systemisch denken zu können („Systemkompetenz“), was an einem Anwendungsbeispiel verdeutlicht wird. Damit dienen 7 Abschn. 15.2 und 15.3 auch als mögliche Orientierungen für die Konzeption eigener geowissenschaftsdidaktischer Forschung.

15.1 Räumliches

Denken in geowissenschaftlichen Kontexten

Dirk Felzmann

McLaughlin und Bailey (2022) kommen in einem Review der Literatur zu räumlichem Denken in geowissenschaftlichen Kontexten zu folgenden Ergebnissen: Eine gute Fähigkeit zum räumlichen Denken korreliert deutlich mit dem beruflichen Erfolg in Naturwissenschaften, Technik und Mathematik.

-

-

Die Fähigkeit zum räumlichen Denken ist zwischen Individuen unterschiedlich ausgeprägt und zeigt auch einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, insbesondere zur Fähigkeit der mentalen Rotation. Ob in die Unterschiede zwischen Männern und Frauen auch genetische Faktoren hineinspielen, ist umstritten. Jedenfalls lassen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen durch entsprechendes Training beheben, wobei sich kein Unterschied im Lernzuwachs zwischen den Geschlechtern zeigt. Räumliches Denken kann gut über entsprechende Aktivitäten gefördert werden.

-

Newcombe und Shipley (2015) unterscheiden elf geologisch relevante Fähigkeiten räumlichen Denkens (vgl. McLaughlin & Bailey, 2022, S. 1), und zwar 1. ein Objekt, z. B. ein Fossil, aus seiner Umgebung gedanklich herauszulösen, 2. das Objekt zu kategorisieren, 3. die dreidimensionale Gestalt eines Objektes mithilfe einer zweidimensionalen Darstellung zu visualisieren, 4. sich die interne Struktur eines Objektes vorzustellen, z. B. die Struktur von Gesteinsschichten innerhalb eines gedanklichen Schnittes durch die Erdkruste (penetrative thinking), 5. sich die geologische Veränderung eines Ausschnittes vorzustellen, 6. die einzelnen Änderungen in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen, 7. ein Objekt räumlich zu verorten, 8. Zusammenhänge zwischen zeitlichen Ereignissen und räumlichen Verteilungen zu erkennen, 9. sich einen Ausschnitt aus verschiedenen Perspektiven vorzustellen, 10. sich Beziehungen zwischen unterschiedlichen räumlichen Objekten vorzustellen, 11. sich Bewegungen durch den Raum hindurch vorzustellen. Diese Fähigkeiten lassen sich durch verschiedene Techniken unterschiedlich gut fördern. Wichtige Techniken sind die Nutzung von Computeranimationen, die Erstellung von Zeichnungen, etwa zur Skizzierung von Schnitten durch die Erdkruste, gestische Darstellungen und die Nutzung von Modellen. Beispielsweise können Blockbilder mithilfe von Knetmasse erstellt werden (vgl. z. B. Teaching with Playdough von carleton.edu oder entsprechende Earth Learning Ideas), oder es kann Augmented Reality in Sandkastenmodellen eingesetzt werden. Hilfreich zur Förderung räumlichen Denkens sind dabei sowohl die Nutzung fachspezifischer Methoden, also z. B. die 3-D-Visualisierung geologischer Karten, als auch die Nutzung grundlegender Methoden der Förderung räumlichen Denkens, z. B. dreidimensionale Puzzles.

379

15.2  •  Digitale Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln

15.2 Digitale

Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln– Videoanalysen zur Optimierung eines digital geführten Lernzirkels

mationen und Arbeitsmaterial bietet, zum Handeln und Beobachten anleitet und ihre Antworten in Form von Textantworten, Foto- und Videodokumentationen sowie Multiple-Choice-Auswahloptionen erfasst.

Tanja Kaiser, Sascha Henninger

zz Herausforderung im Rahmen der Projektentwicklung

15.2.1

Digital gestütztes Lernen am außerschulischen Lernort – das Projekt „In 80 Minuten um die Welt“

Das Projekt hatte u. a. zum Ziel, den Lernzirkel in angemessener mediendidaktischer Aufbereitung in einer Web-App umzusetzen, zu erproben und schülerorientiert zu entwickeln. Eine didaktische Integration mobiler Medien in Lehr-Lernsituationen muss auf die Erkenntnisse Für den Botanischen Garten der Rheinland-Pfälzischen der Mediendidaktik zurückgreifen, die sich als eine geTechnischen Universität Kaiserslautern-Landau, Kai- staltungsorientierte Disziplin mit den Funktionen und der serslautern (RPTU) wurde nach dem Design-Based-­ Bedeutung von Medien in Lehr-Lernprozessen beschäftigt Research-Ansatz ein digital gestützter Lernzirkel für die (Kerres, 2000, S. 113). Dabei sollte das Lernarrangement Sekundarstufe II in den Fächern Erdkunde und Biologie möglichst so gestaltet sein, dass die Computerkompetenz entwickelt. Die projekteigene Web-App wurde den Schü- der Nutzerinnen und Nutzer wenig Einfluss auf den Lernlerinnen und Schülern auf Tablet-PCs zur Verfügung prozess hat. In solchen Lernumgebungen ohne direkten gestellt. Der vorliegende Beitrag stellt exemplarisch die personellen Kontakt zwischen Lernenden und Lehrenden Entwicklung einer digital gestützten Lernumgebung an ist es eine Herausforderung, das Lernmaterial an die Beeinem außerschulischen Lernort vor. dürfnisse der Lernenden anzupassen (Kerres, 2018, S. 227). Ziel des Projektes „In 80 Minuten um die Welt“ war Insbesondere Leahy und Sweller (2011) haben im Rahmen es, einen interdisziplinären Lernzirkel nach dem Prinzip ihrer Cognitive Load Theory (CLT) Designprinzipien forder Schülerorientierung zu entwickeln, bei dem die Ler- muliert, um die Belastung des Arbeitsgedächtnisses durch nenden mit Tabletunterstützung Lerninhalte an den Ori- das Arbeitsmaterial zu reduzieren. Vor diesem Hinterginalen in den Gewächshäusern erarbeiten. grund waren die Usability der App sowie die Eignung der Der Projekttitel ist abgeleitet aus Jules Vernes Roman angebotenen Originale und multimedialen Materialien bei In 80 Tagen um die Welt. Darin wettet die Hauptfigur, in der Entwicklung des Lernzirkels von Bedeutung. eben diesem Zeitraum die Welt zu umrunden. Davon inZiel war es, die sachfremde Beanspruchung des Arbeitsspiriert sollte der Lernzirkel im „Zeitraffer“ ermöglichen, gedächtnisses durch lernirrelevante Aspekte (Extraneous in rund 80 min die vier großen Klimazonen (kalte, gemä- Load) zu reduzieren. In mehreren iterativen Designprozesßigte, subtropische und tropische Zone) in den entspre- sen wurden die Lernangebote an den Stationen sowie die chend temperierten Gewächshäusern des Fachbereichs- dafür erforderlichen Instruktionen in der Web-App und gartens der Biologie an der RPTU zu bereisen. Zu jeder Materialien so optimiert, dass die Schülerinnen und SchüKlimazone wurden jeweils vier handlungsorientierte ler eigenständig in Kleingruppen den Lernzirkel koopeStationen entwickelt und entweder als Schülerversuche, rativ erarbeiten können. Um dies zu erreichen, wurden an die direkt am Original in den Beeten angeboten werden ausgewählten Stationen Videoaufzeichnungen angefertigt oder als Beobachtungsaufgaben, die anhand der Arbeit und in Korrelation mit den Schülerantworten ausgewertet. mit den Originalen im Garten gelöst werden können, um- Im Folgenden wird die Entwicklung einer ausgewählten gesetzt. Die zugehörigen Inhalte wurden in einer Web- Station mittels Videoanalyse exemplarisch dargelegt. App als digital gestützter Lernzirkel implementiert. So begeben sich die Lernenden in Zweier- oder Dreierteams, begleitet von einem Tablet-PC, auf ihre Forschungsreise. 15.2.2 Erprobungsphase: Formative Evaluation einer ausgewählten Die Unterrichtsstruktur in Form des Stationenlernens ist aus der Schule bekannt. Darauf aufbauend werden Station mittels Videografie den Forschenden zusätzliche Repräsentationsmedien oder auch digitale Karten angeboten, die das gewohnte 15.2.2.1 Beschreibung der Teilnehmenden papierbasierte Materialportfolio erweitern. Neben der multimedialen Informationsvermittlung modifizieren Insgesamt nahmen 414 Personen an der 18-monatigen Videoreportagen und Fotodokumentationen als Lern- Erprobungsphase teil, überwiegend aus den Leistungsprodukte gängige Aufgabenformate und lassen die Ler- kursen Erdkunde und/oder Biologie von Integrierten nenden Einsatzmöglichkeiten digitaler Unterrichtskon- Gesamtschulen und Regelgymnasien. Durch eine bezepte erproben. Die App ermöglicht ihnen eigenständiges gleitende Befragung können die Teilnehmenden näher Entdecken, da sie von Station zu Station führt, Infor- beschrieben werden. Das Geschlechterverhältnis war

15

380

Kapitel 15  •  Geowissenschaftsdidaktische Forschung

Im Vergleich zum Erdkunde- bzw. Biologieunterricht in der Schule empfand ich die geistige Anstrengung beim Lösen der Stationen im Lernzirkel als...

..Abb. 15.1 Vergleichende Einschätzung der geistigen Anstrengung beim Bearbeiten des Lernzirkels

50 44,1

Prozent [%]

40

30,8

30

20

20,4

10 4,3 0,5

0

sehr viel leichter

leicht zugunsten der weiblichen Gäste (53,9 %) verschoben. Rund 70 % der Teilnehmenden hatten das Fach Erdkunde als Leistungskurs gewählt, nur 9,3 % hatten Erdkunde in der Oberstufe nicht belegt. Das Fach Biologie hatten rund 64 % als Leistungskurs gewählt, 14 % hatten in der Oberstufe Biologie nicht bzw. nicht mehr belegt. Im Vergleich zum Unterricht in der Schule fanden die Teilnehmenden den Lernzirkel insgesamt überwiegend als kognitiv weniger schwierig, wie . Abb. 15.1 zeigt. 15.2.2.2

15

Zielsetzung der Videografie im Rahmen der Evaluation des Lernzirkels

Im Schulunterricht erfährt die Lehrperson direkt, wie der Unterricht auf die Schülerinnen und Schüler wirkt. Sie kann beobachten, ob die Lernenden mitarbeiten, ob sie gelangweilt sind oder an welchen Stellen Schwierigkeiten auftauchen. An einem außerschulischen Lernort kann das Lernangebot aufgrund der Heterogenität der besuchenden Gruppen noch weniger individuell angepasst werden, dennoch sollten insbesondere apersonale, digitale Angebot so gestaltet sein, dass sie durchführbar sind. Alleine bezogen auf die Ebene der Softwareinteraktion fordert Niegemann (2008, S.  448) Interaktionstests mit Nutzenden: „Softwarebenutzer verfügen über ein nahezu unerschöpfliches Potenzial, das Produkt falsch zu interpretieren und nicht in vorgesehener Weise zu benutzen. Deshalb sind Usability-Tests mit Nutzern zwingend erforderlich.“ Der Erfolg einer mobilen Lernumgebung wird maßgeblich beeinflusst von den technischen Einschränkungen durch das mobile Endgerät selbst und dem Erreichen einer hohen Nutzerzufriedenheit (Kumar & Mohite, 2018, S.  2). Die Berücksichtigung der Usability stellt daher ein wesentliches Element bei der Entwicklung mo-

sehr viel schwerer

biler Lernumgebungen dar. Usability Testing für mobile Lernumgebungen ist ein sich rasch entwickelndes Forschungsfeld, das die Herausforderungen, die sich durch die Einzigartigkeit mobiler Geräte wie die kleine Bildschirmgröße und begrenzte Eingabemöglichkeiten untersucht. Studien belegen, dass kognitive Überlastung einen herausragenden Aspekt der Usability darstellt (Adams, 2007; Harrison et al., 2013, S. 1). Insbesondere aus mediendidaktischer Sicht sind die angebotenen Informationen, Arbeitsaufträge und Materialien dahingehend zu prüfen, ob die Lernenden diese verstehen und welche Alternativen es gibt, Verständnisschwierigkeiten zu reduzieren. In diesem Lernzirkel in einer für die Besucherinnen und Besucher fremden Umgebung muss den Lernenden auch der Transfer von digital in der Web-App angebotenen Informationen mit den real vor Ort angebotenen Originalen und Versuchsmaterialien gelingen. Daher sollen auch diese dahingehend geprüft werden, inwiefern sie den Lernprozess unterstützen. Die Extraneous Load – die sachfremde Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses durch lernirrelevante Aspekte – als beeinflussbarer Teil der Cognitive Load sollte reduziert werden. Eine möglichst ganzheitliche didaktische Verzahnung von digitalen und physischen Lehr-Lernelementen wurde angestrebt. Zumbach (2010, S.  39) fordert insbesondere für prototypische Lehr-Lernangebote den Einsatz von Beobachtungen, die wertvollen Aufschluss darüber geben, welche Verbesserungsmöglichkeiten möglich sind bzw. wo die Lernenden Schwierigkeiten mit der Lernumgebung haben könnten. Daher wurden die Interaktionen der Teilnehmenden an ausgewählten Stationen videografiert und im Sinne eines Usability Testings als formative Evaluation ausgewertet.

381

15.2  •  Digitale Lernumgebungen schülerorientiert entwickeln

77[Entwicklung der Videografie im Kontext der Bildungsforschung]

Die Entwicklung der Videografie in der Lehr-Lernforschung hat stark vom technischen Fortschritt profitiert. Neben der Entwicklung kleinerer, robuster und benutzerfreundlicher Kameratypen wie Action-Cams spielt vor allem die enorm gestiegene Speicherkapazität sowohl bei den Filmaufnahmen selbst als auch bei der langfristigen Datenspeicherung eine bedeutende Rolle (Seidel & Thiel, 2017, S. 2). Außerdem sind die Entwicklung von standardisierten Aufnahmeverfahren und eine Vielzahl von Auswertungsmethoden zu nennen, die Videostudien zu einem anerkannten Analysetool machen, um den empirischen Zugang zur Erforschung von Lehr-Lern-Interaktionen zu erweitern (Dinkelaker & Herrle, 2009, S. 8). Ein Meilenstein in der methodischen Entwicklung von Videostudien stellt die TIMMS-Videostudie von 1997 dar (vgl. Stigler et  al., 1999). Bei dieser international angelegten Studie zum Mathematikunterricht gelang es erstmalig, den Ansatz einer Survey-Studie auf den Bereich der Videostudien zu übertragen, indem Verfahrensschritte wie Stichprobenziehung, Datenerhebung und Datenauswertung standardisiert und systematisch eingesetzt wurden (vgl. Pauli & Reusser, 2006). So konnten typische Lehr-Lernprozesse in der deutschen, japanischen und US-amerikanischen Unterrichtspraxis verglichen werden (vgl. Baumert & Lehmann, 1997; Klieme et al., 1999; BMBF, 2001). Auch vertiefende Analysen in der Fachdidaktik halfen, fachspezifische Besonderheiten herauszuarbeiten (vgl. Drollinger-Vetter, 2011; Linsner et al., 2007). Nachfolgend wurden in unterschiedlichen Ländern und in unterschiedlichen Fächern Videosurveys durchgeführt, um so ein breiteres Grundlagenwissen zu Unterrichtsprozessen zu gewinnen (Seidel & Thiel, 2017, S. 6). Ergänzt wurden die Videosurveys im Rahmen von Mixed-Methods-Designs (vgl. Gläser-Zikuda et al., 2012) zunehmend um weitere Erfassungsmethoden zur Innensicht der Lehrenden (z. B. Intention) sowie der Lernenden (z. B. empfundene Lernmotivation). Bislang richtet sich der Einsatz von Unterrichtsaufzeichnungen in erster Linie auf Interaktionen zwischen Lehrperson und Lernenden sowie der Lernenden untereinander. Weniger Aufmerksamkeit wird der Beziehung von Lernendem und Lerngegenstand in Form von Originalen entgegengebracht (Asbrand et al., 2013). Videostudien an außerschulischen Lernorten sind noch rar. 9

15.2.2.3

Konzeption des Auswertungsdesigns in Anlehnung an die Mensch-Computer-Interaktionsforschung

Der Umgang mit dem Tablet-PC oder mit Apps kann frustrierend sein. So gibt manch einer nicht gerne längere Texte auf einer Touchscreen-Tastatur ein oder fühlt sich durch ein kleineres Display im Vergleich zu DesktopComputern stark eingeschränkt. Dies führt unter Um-

ständen auch dazu, dass dieselbe Aufgabe auf einem mobilen Endgerät als weitaus komplexer empfunden wird als auf einem Desktop-PC (Gerlicher & Jordine, 2018, S. 163). Um die Stimmigkeit des Lernzirkels im Detail zu prüfen, wurde auf Kriterien aus der Human-ComputerInteraction-Forschung (HCI, Mensch-Computer-Interaktion) zurückgegriffen. Dieser Forschungszweig betreibt Interaktionsforschung zwischen menschlichen Handlungen mit dem Computer und in Bezug der Reaktionen des Computers auf dessen Handlungen (Niegemann, 2008, S. 277). Um eine passende Gestaltung von multimedialen Angeboten zu untersuchen, setzt die HCI-Forschung die formative Evaluation bestimmter Merkmale eines multimedialen Lernangebotes mittels Usability-Tests in allen Phasen der Produktentwicklung ein (ebd, S. 420). Die Usability (umgangssprachlich Gebrauchstauglichkeit) ist ein Konstrukt, das darauf abzielt zu prüfen, inwiefern ein Produkt in seiner Handhabung zu den Bedürfnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten seiner Benutzerinnen und Benutzer passt. Usability-Tests zielen darauf ab, Usability-Probleme zu identifizieren, analysieren jedoch auch zeitgleich Nutzerverhalten, um beim Re-Design eher auf die Bedürfnisse der Nutzenden einzugehen. Nur wenn in der App Orientierungs‑, Navigations- und Interaktionselemente so gestaltet wurden, dass sie den Lernprozess unterstützen, können Frustrationserlebnisse verhindert sowie die Aufgaben effizient gelöst werden. In der Lehr-Lernforschung wird Effektivität einer Lernumgebung häufig mit Lernzuwachs gleichgesetzt und auch der Output der gesamten Intervention betrachtet. Die Zielsetzung dieser Studie war jedoch in erster Linie die Produktoptimierung. Daher wurde die Effektivität in diesem Projekt auf die einzelnen Arbeitsschritte heruntergebrochen und beschrieben, inwiefern die Lernenden aufgrund der Gestaltung des Lernangebotes ihre Arbeitsaufträge durchführen können. Dabei werden unter „Gestaltung des Lernangebotes“ sowohl multimediale als auch analoge Arbeitsmaterialien verstanden. Der Grad der Zielerfüllung konnte mittels eines Vergleiches der in den Lernzielen formulierten Performanz und den Interaktionen auf den Videoaufzeichnungen mit den Schülerantworten abgeglichen werden. Zudem konnte die User Experience als Teilkonstrukt „Zufriedenheit“ in der Videografie beobachtet werden. Ziel war es, dass die Lernenden möglichst frustfrei an ihrer Aufgabe arbeiten können.

Stationenauswahl, Kameraskript und Sampling Um das Instruktionsdesign zu überprüfen und Schwachstellen zu identifizieren, wurden an folgenden ausgewählten Stationen Videoaufzeichnungen angefertigt: Stationen, die Handlungsaufforderungen (z. B. Schülerversuch) anbieten. Dieser Kategorie ist die in diesem Abschnitt dargestellte Station K1 zuzuordnen (s. unten). Stationen, bei der die Interaktion mit dem Original (z. B. Beobachtung) direkt erfolgt.

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15

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Kapitel 15  •  Geowissenschaftsdidaktische Forschung

Kartenauswertung Frost

Wuchsformen sortieren

K1

Kognitiver Konflikt