Dialogus cui titulus Ciceronianus sive de optimo dicendi genere [7] 3534741331, 9783534741335

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Dialogus cui titulus Ciceronianus sive de optimo dicendi genere [7]
 3534741331, 9783534741335

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Ciceronianus sive De optimo dicendi genere · Der Ciceronianer oder Der beste Stil
Adagiorum Chiliades (Adagia selecta) · Mehrere tausend Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten (Auswahl)
Amicorum communia omnia · Freundesgut, gemeinsam Gut
Genius malus · Der böse Geist
Virgula divina · Der Zauberstab
Oleum camino addere · Öl ins Feuer gießen
Ululas Athenas · Eulen nach Athen tragen
Cygnea cantio · Schwanengesang
In alio mundo · In einer anderen Welt
Quot homines, tot sententiae · Viele Köpfe, viele Sinne
Nolens volens · Nolens volens
Contra stimulum calces · Wider den Stachel löcken
Ne per somnium quidem · Nicht einmal im Traum
Frusto panis · Für ein Butterbrot
Tunica pallio propior est · Das Hemd ist mir näher als der Rock
Extra telorum iactum · Weit vom Schuß
Evitata Charybdi in Scyllam incidi · Von der Skylla in die Charybdis
Fumum fugiens, in ignem incidi · Vom Rauch in die Flammen
Necessarium malum · Ein notwendiges Übel
Magis mutus quam pisces · Stumm wie ein Fisch
Umbram suam metuere · Sich vor seinem eigenen Schatten fürchten
Ne sutor ultra crepidam · Schuster bleib bei deinem Leisten
Quae supra nos, nihil ad nos · Was über uns ist, ist nichts für uns
Nosce teipsum · Erkenne dich selbst
Ne quid nimis · Allzuviel ist ungesund
Multi Thyrsigeri, pauci Bacchi · Thyrsosträger sind viele, doch echte Begeisterte wenig
Simia in purpura · Ein Affe im Purpur
Artern quaevis alit terra · Jeden nährt sein Handwerk
Cum lacte nutricis · Mit der Muttermilch
In diem vivere. Ex tempore vivere · In den Tag hinein leben. Aus dem Stegreif leben
Eodem bibere poculo · Aus demselben Becher trinken
Bis dat, qui cito dat · Bis dat, qui cito dat
A mortuo tributum exigere · Von einem Toten Steuern verlangen
Aureos montes polliceri · Goldene Berge versprechen
Post festum venisti · Post festum
Illotis manibus · Mit unreinen Händen
Elephantum ex musca facis · Aus einer Mücke einen Elefanten machen
Inexplebile dolium · Ein Faß ohne Boden
Festina lente · Eile mit Weile
In eadem es navi · Wir sind im selben Boot
Alterum pedem in cymba Charontis habere · Mit einem Fuß im Grabe stehen
Archilochia edicta · Archilochisch
Siculus mare · Das Meer will wieder Feigen
Venereum iusiurandum · Liebesschwüre
Cantilenam eandem canis · Immer dasselbe Lied
Ignavis semper feriae sunt · Der Faulpelz hat immer Feiertag
Tantali poenae · Tantalusqualen
Bellum haudquaquam lachrymosum · Ein unblutiger Krieg
Bellerophontes litteras · Ein Uriasbrief
Lotum gustavit · Lotos essen
Promeri canes · Die Hunde des Promeros
Nudus tanquam ex matre · Nackt wie aus dem Mutterleib
Foedum est mansisse diu vacuumque redisse · Es wär' eine Schmach, so lang zu verharren und leer zu enteilen
Oderint, dum metuant · Oderint, dum metuant
Melanione castior · Keusch wie Melanion
Labyrinthus · Ein Labyrinth
Vestis virum facit · Kleider machen Leute
Spes alunt exsules · Die Hoffnung ist das Brot der Heimatlosen
Colossi magnitudine · Kolossal
Contra torrentem niti · Gegen den Strom schwimmen
Cestum habent Veneris · Der Gürtel der Venus
Pontificalis coena · Ein Priestermahl
Vitiat lapidem longum tempus · Der Zahn der Zeit
Assidua stilla saxum excavat · Steter Tropfen höhlt den Stein
Plures adorant solem orientem quam occidentem · Man huldigt lieber der aufgehenden Sonne als der untergehenden
Hic Rhodus, hic saltus · Hic Rhodus, hic saltus
Tune canent cygni, cum tacebunt graculi · Wenn die Krähen schweigen, singen die Schwäne
In pulicis morsu Deum invocat · Wegen eines Flohs Gott zu Hilfe rufen
Ex Academia venis · Die leibhaftige Akademie
Caput vacuum cerebro · Kein Hirn im Kopf
Nudo capite · Mit unbedecktem Haupt
'Eϰπερδιϰίσαι · Durch die Maschen schlüpfen
Bellum omnium pater · Der Krieg ist der Vater aller Dinge
Leonis exuvium super crocoton · Unter dem Löwenfell das Frauenkleid
Prudens in flammam mitto manum · Die Hand ins Feuer legen
Panicus casus · Eine Panik
Lucri bonus est odor ex re qualibet · Geld stinkt nicht
Anicularum deliramenta · Altweibergefasel
Palpari in tenebris · Im Dunkeln tappen
Homerici versus aliquot proverbiales · Einige sprichwörtliche Homerverse
Lupus in fabula · Lupus in fabula
Concordia fulciuntur opes etiam exiguae · Vereint sind auch die Schwachen mächtig
Vita mortalium brevis · Kurz ist das Menschenleben
Canis panes somnians · Der Hund träumt vom
Brot
Aethiops non albescit · Mohrenwäsche
Culicem colant · Sie seihen die Mücke
Iustitiae oculus · Das Auge des Gesetzes
Aurum igni probatum · Gold, im Feuer geprüft
Hodie nullus, cras maximus · Aus dem Nichts gekommen
Deo nemo potest nocere · Niemand kann Gott etwas anhaben
Colubrum in sinu fovere · Eine Schlange am Busen nähren
Piscis primum a capite foetet · Der Fisch stinkt zuerst vom Kopf
Malum vas non frangitur · Unkraut verdirbt nicht
Tragicum malum · Tragik
Praestat habere acerbos · Erbitterte Feinde sind besser
Ne nomen quidem · Nicht einmal genannt soll es werden
Isthmum perfodere · Den Isthmus durchstechen
Melitaeus catulus · Ein Schoßhund
Sero molunt deorum molae · Gottes Mühlen mahlen langsam
Mercurius supervenit · Hermes ist zugegen
Sapiens sua bona secum fert · Sapiens omnia sua secum portat
Equi dentes inspicere donati · Dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul
Qualis hera, tales pedissequae · Wie der Herr, so der Knecht
Musarum aves · Musenvögel
Auris Batava · Bataverohren
Postico discedere · Durch die Hintertür verschwinden
Herculani lecti · Herkulesbetten
Corvus albus · Ein weißer Rabe
Campana superbia · Campanische Überheblichkeit
Myconiorum more · Wie die Mykonier
Praestat canem irritare quam anum · Ein altes Weib ist schlimmer als ein Hund
Respublica nihil ad musicum · Politik ist nichts für einen Schöngeist
Lacryma nihil citius arescit · Tränen trocknen schnell
Areopagita taciturnior · Verschwiegen wie ein Areopagit
Vita hominis peregrinatio · Das Menschenleben ist eine Pilgerfahrt
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ERASMUS VON ROTTERDAM

AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN

ACHT BÄNDE LATEINISCH UND DEUTSCH

HERA USGEGEBEN VON WERNER WELZIG

SIEBENTER BA ND

ERASMUS VON ROTTERDAM

DIALOGUS CUI TITULUS CICERONIANUS SIVE DE OPTIMO DICENDI GENERE DER CICERONIANER ODER DER BESTE STIL. EIN DIALOG

ADAGIORU M CHILIADES (ADAGIA SELE CTA) MEHRERE TAUSEND SPRICHWÖRTER UND SPRICHWÖRTLICHE REDENSARTEN (AUSWAHL)

übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von

THERESIA PAYR

WBG� Wissen verbindet

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Veiwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in Und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WEG ermöglicht 5., unveränderte Auflage 2016 (unveränderter Nachdruck der Sonderausgabe 1995,

basierend auf der 2., unveränderten Auflage 1990) © 197 2 W issenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de ISBN 978-3-534-26778-1 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF) 978-3-534-74133-5

INHALT XI

Einleitung Der

Ciceronianus sive De optimo dicendi genere Ciceronianer oder Der beste Stil Adagiorum Chiliades (Adagia selecta)

. ·

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2

Mehrere tau-

send Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten (Auswahl) .

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Amicorum communia omnia · Freundesgut, gemeinsam Gut. .

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Genius malus · Der böse Geist .

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Virgula divina · Der Zauberstab

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366

Oleum camino addere · Öl ins Feuer gießen

372

Ululas Athenas ·Eulen nach Athen tragen Cygnea cantio · Schwanengesang .

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374

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376

In alio mundo ·In einer anderen Welt

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Quot homines, tot sententiae ·Viele Köpfe, viele Sinne

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382

Nolens volens · Nolens volens

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Contra stimulum calces · Wider den Stachel löcken

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384

Ne per somnium quidem ·Nicht einmal im Traum

386

Frusto panis · Für ein Butterbrot

390

Tunica pallio propior est näher als der Rock .

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Evitata Charybdi in Scyllam incidi .

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Extra telorum iactum ·Weit vom Schuß Skylla in die Charybdis .

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Das Hemd ist mir .

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Von der .

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Fumum fugiens, in ignem incidi · Vom Rauch in die Flammen

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Necessarium malum ·Ein notwendiges Übel . Magis mutus quam pisces

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Stumm wie ein Fisch

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Inhalt

VI

Umbram suam metuere · Sich vor seinem eigenen Schatten fürchten

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Ne sutor ultra crepidam deinem Leisten

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Schuster bleib bei .

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Quae supra nos, nihil ad nos · Was über uns ist, ist nichts für uns

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Nosce teipsum ·Erkenne dich selbst

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Ne quid nimis ·Allzuviel ist ungesund

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Multi Thyrsigeri, pauci Bacchi · Thyrsosträger sind viele, doch echte Begeisterte wenig Simia in purpura ·Ein Affe im Purpur

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Artern quaevis alit terra ·Jeden nährt sein Handwerk .

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Cum lacte nutricis ·Mit der Muttermilch

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434

In diem vivere. Ex tempore vivere · In den Tag hinein leben. Aus dem Stegreif leben .

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. .

434

Eodem bibere poculo · Aus demselben Becher trinken .

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Bis dat, qui cito dat · Bis dat, qui cito dat

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438

A mortuo tributum exigere · Von einem Toten Steuern verlangen

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Aureos montes polliceri · Goldene Berge versprechen

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Post festum venisti · Post festum

454

Illotis manibus · Mit unreinen Händen

454

Elephantum ex musca facis · Aus einer Mücke einen Elefanten machen

.

. .

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458

Inexplebile dolium ·Ein Faß ohne Boden .

460

Festina lente ·Eile mit Weile

.

464

Wir sind im selben Boot

512

In eadem es navi

·

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Alterum pedem in cymba Charontis habere ·Mit einem Fuß im Grabe stehen . Archilochia edicta

·

Archilochisch

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514 516

Inhalt

VII

Siculus mare· Das Meer will wieder Feigen Venereum iusiurandum· Liebesschwüre Cantilenam Lied .

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eandem .

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canis · .

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Immer dasselbe .

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Ignavis semper feriae sunt · Der Faulpelz hat .

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Tantali poenae ·Tantalusqualen .

immer Feiertag

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Bellum haudquaquam lachrymosum· Ein unblutiger Krieg . . . . . . . . . . Bellerophontes litteras · Ein Uriasbrief Lotum gustavit · Lotos essen

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53°

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534

Promeri canes· Die Hunde des Promeros

536

Nudus tanquam ex matre· Nackt wie aus dem Mutterleib

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Foedum est mansisse diu vacuumque redisse· Es wär' eine Schmach, so lang zu verharren und leer zu enteilen

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Oderint, dum metuant· Oderint, dum metuant

540

Phormionis thori· Die Streu Phormions

542

Melanione castior· Keusch wie Melanion

.

542

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544

Vestis virum facit· Kleider machen Leute .

54 6

Labyrinthus · Ein Labyrinth

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Spes alunt exsules · Die Hoffnung ist das Brot der Heimatlosen .

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Colossi magnitudine· Kolossal .

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Contra torrentem niti· Gegen den Strom schwimmen

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550

Cestum habent Veneris · Der Gürtel der Venus

550

Pontificalis coena· Ein Priestermahl .

554

Vitiat lapidem longum tempus Zeit

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Der Zahn der

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Assidua stilla saxum excavat · Steter Tropfen höhlt den Stein

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558

Inhalt

VIII

Plures adorant solem orientem quam occidentem · Man huldigt lieber der aufgehenden

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560

Hie Rhodus, hie saltus ·Hie Rhodus, hie saltus

562

Sonne als der untergehenden

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Tune canent cygni, cum tacebunt graculi ·Wenn

564

die Krähen schweigen, singen die Schwäne In pulicis morsu Deum invocat Flohs Gott zu Hilfe rufen .

·

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Wegen eines

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564

Ex Academia venis · Die leibhaftige Akademie

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566

Caput vacuum cerebro · Kein Hirn im Kopf .

566

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568

'Exm:pik>t(aix� ·Durch die Maschen schlüpfen

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568

Nudo capite ·Mit unbedecktem Haupt .

Bellum omnium pater · Der Krieg ist der Vater aller Dinge

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Leonis exuvium super crocoton ·Unter dem Lö­ wenfell das Frauenkleid .

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Prudens in flammam mitto manum · Die Hand

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Panicus casus ·Eine Panik .

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ins Feuer legen

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Lucri bonus est odor ex re qualibet · Geld stinkt nicht .

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578

Anicularum deliramenta · Altweibergefasel

580

Palpari in tenebris · Im Dunkeln tappen

582 Einige

Homerici versus aliquot proverbiales sprichwörtliche Homerverse .

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Lupus in fabula · Lupus in fabula

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582

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584

Concordia fulciuntur opes etiam exiguae Vereint ·

sind auch die Schwachen mächtig.

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Vita mortalium brevis · Kurz ist das Menschenleben .

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586

Canis panes somnians · Der Hund träumt vom Brot

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Aethiops non albescit ·Mohrenwäsche

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586 588

Inhalt

IX

Culicem colant · Sie seihen die Mücke .

590

Iustitiae oculus · Das Auge des Gesetzes

592

Aurum igni probatum · Gold, im Feuer geprüft

592

Hodie nullus, cras maximus · Aus dem Nichts gekommen

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Deo nemo potest nocere · Niemand kann Gott etwas anhaben

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Colubrum in sinu fovere sen nähren .

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Eine Schlange am Bu.

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Piscis primum a capite foetet · Der Fisch stinkt . . . . . . . . . . . . zuerst vom Kopf .

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Malum vas non frangitur · Unkraut verdirbt nicht .

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Tragicum malum

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Tragik .

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Praestat habere acerbos · Erbitterte Feinde sind besser.

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Ne nomen quidem ·Nicht einmal genannt soll es werden .

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Isthmum perfodere · Den Isthmus durchstechen

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Melitaeus catulus · Ein Schoßhund .

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Sero molunt deorum molae · Gottes Mühlen mahlen langsam .

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Mercurius supervenit · Hermes ist zugegen

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Sapiens sua bona secum fert · Sapiens omnia sua secum portat

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Equi dentes inspicere donati · Dem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul .

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6io

Qualis hera, tales pedissequae ·Wie der Herr, so der Knecht

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Musarum aves · Musenvögel .

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Bataverohren.

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Auris Batava

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Postico discedere · Durch die Hintertür verschwinden .

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6i8

Inhalt

X

Herculani lecti Corvus albus

·

·

Herkulesbetten

Ein weißer Rabe

Campana superbia keit

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Myconiorum more

. ·

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Weib ist schlimmer als ein Hund Respublica nihil ad musicum für einen Schöngeist

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Lacryma nihil citius arescit .

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Areopagita taciturnior Areopagit .

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Wie die Mykonier

Praestat canem irritare quam anum

schnell

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Campanische Überheblich-

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Vita hominis peregrinatio ist eine Pilgerfahrt .

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Ein altes

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Politik ist nichts .

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Tränen trocknen .

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Verschwiegen wie ein . ·

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Das Menschenleben .

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EINLEITUNG I Von den zahlreichen Schriften, mit denen Erasmus nach dem Programm der >Antibarbari< seiner Generation und noch einigen Generationen nach ihm die Schätze der anti­ ken Literatur und die Schönheit der klassischen Sprachen erschloß, sind die >Adagia< und der >Ciceronianus< wohl die berühmtesten. An diesen beiden Werken soll hier sein Beitrag zur Verbreitung der humanistischen Bildung dar­ gestellt werden. Sie zeigen uns Erasmus als Philologen, doch schon ein kurzer Blick auf den vielfältigen Inhalt der >Adagia< be­ weist, daß seine Philologie wenig zu tun hat mit weltfrem­ der Buchgelehrsamkeit; sie hat auch, zumindest in den späteren Jahren, wenig zu tun mit Ästhetizismus, im Gegenteil: die ganze Schale seines Spottes hat er über den Kult der schönen Form in den Kreisen der italienischen Humanisten ausgegossen. Philologie ist ihm nie Selbst­ zweck, und sie ist ihm stets mehr als ancilla theologiae; hin­ ter seiner tiefen Abneigung gegen das 'barbarische' Latein des Spätmittelalters steht die Überzeugung, daß der Verfall der Sprache nur Ausdruck des geistigen Verfalles sei, und hinter all seinen Bemühungen, die Sprache in ihrer alten Schönheit wiederherzustellen, steht die freilich trügerische Hoffnung, daß sich aus der Erneuerung der Sprache die geistige, sittliche und religiöse Erneuerung ergeben werde. Erasmus ist nicht umsonst in die Schule der Brüder vom Gemeinsamen Leben gegangen, die sich auch Hieronymia­ ner nannten; indem er sich in die Schultradition des Alex­ ander Hegius und Rudolf Agricola stellte, bekannte er sich zu einem Ideal, das schon in dieser Erziehung grund­ gelegt war, wenn es auch erst durch die Begegnung mit John Colet klarere Umrisse gewann: die Verbindung von klassischer und christlicher Renaissance.1 Unter diesem 1

Vgl. R. Pfeiffer, Erasmus u. die Einheit der klassischen u. der christ-

XII

Einleitung

Gesichtspunkt ist es kein Widerspruch, wenn er in den >Antibarbari< die pagane Literatur gegen die Angriffe reli­ giös verbrämter Bildungsfeindlichkeit verteidigt und zur Grundlage der christlichen Bildung, ja geradezu für christ­ lich erklärt2, und im > Ciceronianus< gegen die übertriebene und ausschließliche Bewunderung der antiken Kultur selbst den Vorwurf des Paganismus erhebt. Mit seinem Bildungs­ ideal war Engstirnigkeit, gleichgültig auf welcher Seite, unvereinbar. Er selber hat beiden gedient, dem Humanis­ mus so gut wie dem Christentum; schon seine editorische Tätigkeit, die klassische Autoren und Kirchenväter, Cicero und

das

Neue

Testament

umfaßt,

beweist

dies

zur

Genüge. Wie die meisten seiner Zeitgenossen zweifelte Erasmus nicht daran, daß das Latein auch weiterhin die Sprache der Kultur sein werde, und er konnte nicht ahnen, wieviel gerade der Rückgriff auf die klassische Latinität dazu bei­ tragen sollte, die bis dahin kontinuierliche Entwicklung und ungebrochene Lebenskraft des Lateins zu zerstören und den Volkssprachen zum Sieg zu verhelfen. Doch seine Kritik an der klassizistischen Erstarrung und seine enga­ gierte Verteidigung einer persönlichen, lebendigen und zeit­ nahen Ausdrucksweise im >CiceronianusProsopopoeia BritanniaeCollectaneaFestina lente< S. 502f. Ebd. S. 5oof.

XVII

Einleitung

fang des Jahres

1508

begann Aldus mit dem Druck und

Erasmus mit der endgültigen Zusammenstellung des Ma­ terials. „Das war leichtsinnig von mir", pflegte er später zu sagen,80 sooft er auf jene acht Monate fieberhafter Arbeit zurückblickte, während welcher ihn zu allem Überfluß auch noch die Nierensteine plagten. Aldus druckte täglich „zwei Ternionen", und unterdessen bereitete Erasmus, unbeirrt vom Lärm und Getriebe der Druckerei, pausenlos kolla­ tionierend, übersetzend und kommentierend das Druck­ manuskript für den folgenden Tag vor. Er fühlte sich wohl in dieser Atmosphäre, bei dieser Arbeit, die für unsere Begriffe etwas Journalistisches an sich hat, und er betrach­ tete die Druckerpresse als ein „beinah göttliches Instru­ ment" 31, von dem er sich, zumal in Verbindung mit einem Verlagsprogramm wie dem des Aldus, für die Verbreitung der bonae literae und damit jeglicher Kultur wahre Wunder­ dinge versprach 32• In demselben Adagium > Festina lente

Herculei labo­

res Porta itineri longissima est< IV 5,96), und er beschreibt aus eigener Erfah­ rung, daß geistige Konzentration selbst von Zahnschmerzen und Nierenkoliken ablenken kann (>Mens videt, mens audit< IV 5,12). Zum Beispiel: >Pontificalis coena< (III 2,37 S. 554ff.); >In crastinum seria< (IV 7,60); >Myconiorum more< (IV 8,24 S. 626f.); vgl. auch >Esernius cum Pacidiano< (II 5,98).

"' II 8,65.

XXIV

Einleitung

zu sein, und den verhängnisvollen Einfluß der Bettelorden, die er verdächtigt, bei jeder Intrige und jedem Verbrechen die Hände im Spiel zu haben. Im Adagium >Ne bos quidem pereatAntibarbari< erinnert - und dies fast gleichzeitig mit dem >Ciceroni­ anus Cornucopiae< des Nicolaus Perottus81 und

den >Miscellanea< Polizianos82•

74 In den Quellenuntersuchungen (T. C. Appelt [Anm. 17), M. Mann Phillips [Anm. 3) 393ff.), die in Wahrheit nur Listen der zitierten Autoren sind, pflegt man diesem Umstand dadurch Rechnung zu tragen, daß man jeden Namen aufzählt, den E. nennt - ein eher skurriles Verfahren, wenn dann als 'Quelle' auch Sokrates oder Diogenes von Sinope erscheint. 1• Die Spitze halten Cicero mit fast 900, Homer, Aristophanes und Plutarch mit ca. 600 und Platon mit über 400 Zitaten. 78 Die Gründe dafür gibt E. III 10,91 S. 59of. an. Die Bibelzitate (einmal auch ein hebräisches: >Ferrum ferro acuitur< I 7,100) sind bei M. Mann Phillips (Anm. 3) 383-390 zusammengestellt. 77 II 10,51 S. 544 f. 71 II 8,78 (Erklärung von gastrimargus). 71 I 5,4 S. 402f. Incidit in Scyllam cupiens vitare Charybdim aus der Alexandreis des Walther von Chatillon. IO IV 6,52 s. 618 f. 11 I 7,33 S. 432f. 82 III 7'3 S. 576f.

Einleitung

XXVII

Dem überaus bunten Inhalt der Adagia vermögen weder eine Beschreibung noch die vorwiegend unter philologi­ schem Gesichtspunkt getroffene Auswahl 83 und am aller­ wenigsten der Titel des Werkes gerecht zu werden. Es ist weit mehr als eine Sammlung von Sprichwörtern, da dieser Begriff ziemlich weit gefaßt ist und auch 'geflügelte Worte' und allgemeine Lebensweisheit, Spruchdichtung und Bau­ ernregeln, sprichwörtliche Redensarten und stehende Wen­ dungen 84 einbezieht; es ist darüber hinaus ein Florilegium der antiken Literatur und ein Kompendium der klassischen Altertumswissenschaft - wenn es erlaubt ist, diesen Aus­ druck auf das Wissen des 16.

Jahrhunderts

anzuwenden.

Mit großer Gelehrsamkeit und echt philologischer Freude an den Einzelheiten wird hier die ganze Vielfalt antiken Lebens und Denkens vor dem Leser ausgebreitet, die staat­ lichen Einrichtungen und die Gesetze, Sitten und Bräuche, Mythos und Philosophie, die Künste und Wissenschaften mit allen ihren Zweigen, mit Mathematik und Musik, Ge­ schichte und Geographie, Zoologie und Botanik,86 kurz, wie Huizinga sagt, „die ganze Antike, ausgestellt als Waren­ haus und im Detail zu haben", aber, wie man gerechter­ weise hinzufügen muß, nicht lieblos aufgehäuft, sondern locker und gefällig arrangiert und dem Publikumsgeschmack entsprechend attraktiv aufgemacht. Mit bewundernswer­ tem pädagogischem Geschick versteht es Erasmus, Kurz83

8'

80

Dies scheint mir werkgetreuer zu sein als eine für den heutigen Geschmack zweifellos anziehendere Blütenlese kulturgeschichtlich interessanter Stellen. Letztere sind teilweise in der Einleitung zusammengestellt, wo auch versucht wird, die einzelnen Begriffe voneinander abzugrenzen (LB II p. 3) und eine Einteilung der Sprichwörter nach Entstehung und Sachbezug zu geben (p. l2c), die sich vielfach mit der Eintei­ lung im Art. Paroimia in: Pauly-Wissowa, Realencyklopädie 18/4, 1707-1735, berührt. Die Auswahl versucht, einen Querschnitt zu geben. Zusammenstel­ lungen zu den einzelnen Gebieten gibt M. Mann Phillips (Anm. 3). Zum Adagium Al� IM: 7t Proterviam fecit< (I 9,44) mit einem persönlichen Angriff auf einen „Ornithoplutus ab Isocomo", d. h. Heinrich von Eppendorf, vgl. M. Mann Phillips (Anm. 3) 13of.

Einleitung

XXIX

beschimpft er geradezu als Söldner Europas, räumt aber später, als er selber unter ihnen lebte, ein, daß sie doch ganz ordentliche Leute seien und es bei sinnvollerem Ein­ satz ihrer Fähigkeiten noch weit bringen könnten96; „der Italiener als Kriegsheld" dient ihm als Beispiel für ein Adynaton, doch auch diese spontan boshafte Bemerkung versucht er aus gegebenem Anlaß durch eine gequälte philo­ logische Interpretation wieder abzuschwächen.97 Und mit­ ten unter diesem Kunterbunt von philologischen Erörte­ rungen und biblischen Lehren, von heiteren Geschichten und geistreicher Satire stehen die gewichtigen Essays, in denen er sich die Sorge um seine zerrissene Welt von der Seele schreibt, stehen Erinnerungen an die Ereignisse und Vorbilder seines Lebens, steht der Dank an Freunde und Gönner98 und ein warmes Bekenntnis zu „seinem" Hol­ land99. Nach der ursprünglichen Absicht des Erasmus sollten die >Adagia< der Eleganz der Sprache und der Verbreitung des humanistischen Bildungsprogramms dienen. Die Möglich­ keiten, die die Sammlung darüber hinaus bot, sind wohl auch ihm selber erst im Laufe der

J ahre bewußt geworden.

Denn die Sprichwörter, allgemeingültig und dazu noch getragen von der Autorität der Alten, erwiesen sich als der schlechthin ideale Ansatzpunkt für die Intention des Eras­ mus, die zugleich philologisch und ethisch war. Sie gaben ihm Gelegenheit, seinen Lesern eine Fülle von sprachlichen und sachlichen Kenntnissen zu vermitteln und zugleich die H 11

98

99

>Bellum haudquaquam lachrymosum< (II 6,23 S. 53of.) und >In Care periculum< (1 6,14). >Myconius calvus< (II l,7). Diese Stelle wurde von Pietro Corsi aus Carpi in seiner >Defensio pro Italia ad Erasmum Rotero­ damum< (Rom, Bladus 1535) beanstandet; die abschwachende Er­ klärung steht in Erasmus' >ResponsioQuid cani et balneo< (I 4,39), das schon in den >Collectanea< (>Canis in balneoNe bos quidem pereat< (IV 5,r) mit dem Dank an William Warham; >Homo bulla< (II 3,48) mit dem Panegyrikus auf Philipp von Burgund. >Auris Batava< (IV 6,35 S. 612ff.).

XXX

Einleitung

Verhältnisse seiner Zeit an den Normen antiker humanitas zu messen. Wenn auch das in den Kommentaren aufge­ häufte Wissen nicht immer aus den reinsten Quellen des Altertums geschöpft war, so kam es doch der Freude, die das 16. Jahrhundert an allerlei Raritäten und Absonder­ lichkeiten hatte, weitgehend entgegen; und wenn seine Zeitkritik auch hart, seine Satire ätzend war, so vermochte der glänzende Stil, in dem sie vorgetragen wurde, selbst diejenigen noch zu fesseln, gegen die sie gerichtet war. Diese Vielseitigkeit machte die Sammlung zu einem beispiellosen Bucherfolg.100 Der unmittelbare Einfluß und die lang anhaltende Nach­ wirkung der >Adagia< spiegelt sich in der riesigen Anzahl von Ausgaben und Übersetzungen, von denen die Biblio­ theca Erasmiana, die den >Adagia< einen ganzen Band wid­ met,161 allein für das 16. Jahrhundert über 150 Titel ver­ zeichnet. Da das Werk beachtlichen Umfang hatte und wohl auch nicht für jedermann erschwinglich war, gesellten sich zu den vollständigen Editionen schon frühzeitig und mit dem Einverständnis des Erasmus Kurzfassungen wie etwa die von Adriaen de Barlandt besorgte >In omnes ada­ giorum chiliades epitome< (Löwen 1521); aus ähnlichen Gründen erlebte sogar die bescheidene Sammlung der > Col­ lectanea< zwischen 1500 und 1536 etwa 28 Auflagen. Die großen Essays wurden zum Teil unmittelbar nach ihrem Erscheinen im Rahmen des Gesamtwerkes separat ge­ druckt,102 kommentiert und sehr bald auch übersetzt, allen voran das berühmte >Dulce bellum inexpertoKraniche des Ibykus< sind durch die >Adagia< angeregt. Die großen, an Montaigne erinnernden Essays sind ein Stück

Geistes- und

Literaturgeschichte

geworden;

die

Sammlung als Ganzes ist, ebenso wie die ähnlich angelegten, aber minder eindrucksvollen >Parabolae< (1516) und >Apo­ phthegmata< (1531), für uns nur noch historisch interes­ sant; sie entspricht, was nur natürlich ist, nicht mehr dem Stande unseres Wissens, sie entspricht auch nicht mehr unserem Bildungsideal. Trotzdem wird keiner, der heute im zweiten Band der Leidener Ausgabe blättert, Erasmus die Bewunderung für sein Werk versagen können, das an

113

W. H. D. Suringer, Erasmus over nederl. spreekworden (Utrecht

1873), vgl. auch den Abschnitt De Batavis sive Hollandis, in

11'

adagio Auris Batava bei: P. Scriverius, Batavia illustrata (Leiden, 1609). Zum Beispiel: The plea of Reason, Religion and Humanity against

War, by Erasmus (New York 1813); Extracts from the Writings of Erasmus on the Subject of War, Tract. IV of the Society for the Promotion of Permanent and Universal Peace (London 1817); Extraits d'Erasme sur la guerre (London 1819, mit Nachdrucken bis 1855), etc.

Einleitung

XXXIII

Reichhaltigkeit alle älteren und neueren Sammlungen bei weitem übertrifft. Mag manches, was er da als Adagium an­ führt, nie wirklich lebendig gewesen, vieles andere längst außer Gebrauch gekommen sein, der erstaunlich große An­ teil an Adagien, die auch j etzt noch zum lebendigen Sprich­ wortschatz unseres Kulturkreises gehören, zeigt, daß Eras­ mus mit unvergänglichem Stoff gearbeitet hat. Während wir seine zeitkritischen Bemerkungen immer noch schmun­ zelnd oder nachdenklich lesen, stehen wir den Sachkommen­ taren ziemlich verständnislos gegenüber. Aber anstatt im stolzen Bewußtsein unseres differenzierteren Verständnisses der Antike darüber die Nase zu rümpfen, sollten wir uns bescheiden und vielleicht auch ein bißchen wehmütig daran erinnern, daß dieses Buch, in dem antiquarisches Wissen und sprachliches Können in einem Umfang dargeboten und vorausgesetzt wird, wie es heute manche klassischen Philo­ logen nicht besitzen, einst als nützliches Nachschlagewerk und anregende Lektüre allgemein verbreitet und beliebt war. Allgemein, das heißt natürlich nicht bei der breiten Masse des Volkes, sondern bei denen, die höhere Schulbil­ dung genossen und daher Latein gelernt hatten; doch diese Schicht kann so klein nicht gewesen sein, sonst hätte das Werk seinem Autor nicht den Vorwurf eingetragen, er popu­ larisiere die klassische Wissenschaft.115 In der Tat hat Erasmus wie kein anderer unter den Humanisten durch die >Adagia< nicht weniger als durch die > Colloquia< „das Gold des klassischen Geistes in Umlauf gebracht" (Huizinga) und zur Hebung des allgemeinen Sprachniveaus entscheidend beigetragen. III Ein so ungeteilter Erfolg war dem >Ciceronianus< nicht beschieden. Das ist verständlich, denn sein Thema, die Form der Ciceronachahmung und vor allem ihre Berech­ tigung in einer völlig veränderten Welt, war nur für die 116

Vgl. Beatus Rhenanus, Allen Nr. IV, n5 und Adagia II

1,1

S. 504f.

XXXIV

Einleitung

Elite unter den klassisch Gebildeten wirklich aktuell und in diesem Kreis eine vieldiskutierte Streitfrage. Indem Eras­ mus zu dieser Frage Stellung nahm, und er tat es nicht nur mit scharfsinnigen Argumenten, sondern auch mit der bewährten Waffe seiner Ironie, bewies er einmal mehr die innere Unabhängigkeit, die er sich allen Zeitströmungen gegenüber bewahrte, setzte sich aber, wie früher den An­ griffen aus dem theologischen Lager, so jetzt den Anfein­ dungen der Humanisten aus. Das Problem war nicht neu, und die Terminologie, in der es erörtert wurde, stammt schon aus der Antike.116 Denn die Imitatio, die stoffliche oder formale Nachahmung lite­ rarischer Muster,117 spielte, begünstigt durch die Verbind­ lichkeit der literarischen Gattungsgesetze, durch Kanon­ bildung und schulmäßige 'Handwerksüberlieferung', schon früh eine bedeutende und im allgemeinen positiv bewertete Rolle im Literaturschaffen und in der Literaturtheorie des Altertums. Seit hellenistischer Zeit gab es im Griechischen eine Nachahmung der Klassiker, und im Attizismus des ersten vorchristlichen Jahrhunderts,118 der auch für die literarische Produktion der byzantinischen Schriftsteller bestimmend wurde,119 begegnet uns bereits eine Form der Imitatio, die in ihrer lexikalischen Erstarrung und musealen Stilpflege dem Ciceronianismus der Renaissance nicht un­ ähnlich ist. Die römische Literatur stand von ihren Anfän­ gen bis hin zur klassischen Höhe unter dem Eindruck der

A. Reiff, Interpretatio, imitatio, aemulatio, Diss. Köln (Würzburg 1959). 111 Also nicht im Sinne des Aristotelischen Mimesisbegriffes (Poetik p. 1447a sqq.), nach dem jede Form der Dichtung Mimesis, d. h. Abbildung der Wirklichkeit durch literarische Darstellung oder Nachahmung handelnder Personen, ist. 118 Als Attizismus bezeichnet man die zu Beginn des 2. Jh. v. Chr. als Gegenbewegung gegen den Schwulst der asianischen Rhetorik ein­ setzende Nachahmung der attischen Stilmuster der klassischen Zeit, die ihre Blüte um die Zeitenwende erreichte und in der sog. 2. So­ phistik (2. Jh. n. Chr.) einen erneuten Aufschwung nahm. 119 R. R. Bolgar, The Classical Heritage and its Beneficiaries (Cam­ bridge 1954) 198f. n•

Einleitung

XXXV

großen Schöpfungen der Griechen, die als Vorbilder all­ mählich durch die Spitzenleistungen der eigenen Klassik, die Prosa der spätrepublikanischen und die Dichtung der Augusteischen Zeit, abgelöst wurden. Für die lateinische Literatur des Mittelalters, deren Vertreter nicht allein die Stilmittel, sondern die Sprache selbst durch das Studium der alten auctores lernen mußten, wurde die Imitatio, sei es als enger Anschluß an ein bewährtes Vorbild, sei es als Ein­ zelentlehnung, ein schlechthin konstitutives Element.120 Sie umfaßte, bei wechselnder Betonung der einen oder der ande­ ren Komponente, die Werke des heidnischen wie des christ­ lichen Altertums einschließlich der Bibel. Cicero war nicht unter den bevorzugten Stilmustern dieser Zeit. Erst als sein Oeuvre durch die Handschriftenfunde Petrarcas und Pog­ gios in größerem Umfang bekannt wurde und durch inten­ sive Beschäftigung mit Sprache und Stil auch der anderen klassischen Autoren die Voraussetzung dafür geschaffen war, die Vorzüge seiner rhetorischen Kunst zu erkennen und zu würdigen, nahm er als Stilideal wieder jene beherr­ schende Stellung ein, die ihm Quintilian zuerkannt und die er in den Jahrhunderten zwischen Augustinus und Petrarca allmählich verloren hatte.121 Schon Petrarca stellte Cicero in der Prosa und Vergil in der Dichtung über die anderen Autoren, aber sie galten ihm doch mehr als Repräsentanten einer Epoche, die er als Gan­ zes liebte und deren Geist er in ihren Werken zu erfassen und in seinen eigenen zu erneuern suchte. Das wollten zwei­ fellos auch die engherzigeren Bewunderer Ciceros; da aber die Manier eines Großen allemal leichter zu erfassen und zu kopieren ist als sein Geist, drängte sich in der Beschäftigung mit Cicero das stilistisch-rhetorische Element immer stär­ ker in den Vordergrund, und seine Nachahmung, von 1•0

121

Vgl. J. Schneider, Die Vita Heinrici IV. und Sallust, Studien zu Stil und Imitatio in der mittelalterlichen Prosa (Berlin 1965) l ff. Zur Geschichte der Ciceronachahmung vgl. R. Sabbadini, Storia de! Ciceronianismo (Torino 1885); Th. Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte (Leipzig-Berlin 1908) 210-236; W. Ruegg, Cicero und der Humanismus (Zürich 1946).

Einleitung

XXXVI

einflußreichen Lehrern wie Gasparino Barzizza und Gua­ rino von Verona erfolgreich propagiert, in der Schule geübt und so auch der Mittelmäßigkeit zugänglich, erstarrte zu peinlich genauer Beobachtung seines Wortschatzes, seiner Stilmittel und seiner Klauseltechnik. Petrarca selber schrieb keineswegs ciceronianisch, er konnte es nicht und er wollte es auch nicht, denn getreu den Lehren Quintilians betrach­ tete er die Imitatio nicht als Selbstzweck, sondern als unentbehrliches Hilfsmittel bei seinem Bemühen, die ihm gemäße Form des Ausdrucks zu finden.122 Und es ist bezeichnend, daß auch nach ihm die Größten unter den Humanisten Cicero alle Ehre widerfahren ließen, aber nicht bereit waren, sich rückhaltlos der Diktatur ciceronianischer Stilprinzipien zu unterwerfen, und dies nicht mehr nur aus Unvermögen oder Bequemlichkeit, sondern weil sie, nicht zuletzt am Beispiel Ciceros, gelernt hatten, ihren Stil zum Ausdruck ihrer Persönlichkeit zu machen. Die Kritik der Anticiceronianer richtete sich denn auch weniger gegen den Stil Ciceros als gegen seine Absolut­ setzung; eine Ausnahme aus der Regel war nur Lorenzo Valla, der in einer verlorenen Schrift Quintilian über Cicero stellte,123 zum großen Verdruß Poggios, der Cicero seinen Vater nannte und erklärte, daß er alles, was er könne, ihm verdanke124• Gleichwohl hat Poggio mit der lateinischen Sprache freier geschaltet als irgendein anderer, während umgekehrt Valla trotz seiner Vorliebe für das silberne La­ tein durch seine

>

Elegantiarum linguae Latinae libri sex
Über das rechte Handeln< mit 'Obwohl du, mein Sohn Markus' beginnt (und dabei eine Periode von fast neun Zeilen Länge baut), und die Rede für die Lex Manilia mit 'Obwohl mir stets'. Seine berühmte Rede für Milo leitet er mit den Worten: 'Zwar fürchte ich, hohes Gericht' ein, die

12.

Philippica mit: 'Zwar scheint

es nicht in Ordnung zu sein', die Rede für C. Rabirius mit: 'Zwar bin ich, Quiriten'; es gibt auch einige Brief­ anfänge mit 'zwar', und ich bin nicht sicher, ob die >Rhe­ torik an Herennius< nicht einfach deshalb dem Cicero zugeschrieben wird, weil sie mit 'zwar' anfängt. Das fünfte Buch >Über das höchste Gut< beginnt er mit dem Satz: 'Als ich damals, Freund Brutus, den Vortrag des Antiochus gehört hatte', die Gespräche in Tusculum leitet er mit den Worten ein: 'Als ich mich von meiner Arbeit als Verteidiger' und das vierte Buch dieses Werkes mit: 'Da ich in vielen Dingen die Begabung unserer Lands­ leute', die Rede für L. Flaccus: 'Als ich unter größten '1

41

Die attischen Redner (vor allem Lysias, Isokrates, Aischines, Demo· sthenes) waren die Stilmuster des Attizismus, der seit Anfang des 2. Jh. v. Chr. hochkam und im 2. Jh. n. Chr. fast absolut herrschte. Quintilian.

Ciceronianus

94

ad pontifices 'Cum multa divinitus', iterum pro Plancio 'Cum propter egregiam'; ad haec librum De natura deo­ rum primum 'Cum multae res in philosophia', et Scipionis somnium 'Cum multae res in Africa'91• Pro Rabirio dicens sie orditur 'Animadverti, iudices'92, rursus ad Brutum de paradoxis Stoicorum 'Animadverti, Brute'. Pro L. Cornelio Balbo sie orditur 'Si auctoritas patronorum', pro P. Sestio 'Si quis antea, iudices', pro Caecina 'Si quantum in agro', pro Archia poeta 'Si quid est in me ingenii', in Vatinium testem 'Si tua tantummodo, Vatini', ad equites iturus in exsilium 'Si quando inimicorum'93, ad senatum post reditum 'Si, patres conscripti, vestris', pro M. Caelio

'Siquis iudices', de provinciis

consularibus 'Siquis vestrum, patres conscripti'. Quid autem magis ridiculum ac Ciceroni dissimilius esse possit, quam nihil habere Ciceronis praeter tales voculas in ora­ tionis exordio? De quibus si quis percontetur Ciceronem, cur ab iis vocibus sit orsus, respondebit, opinor, quod in insulis fortunatis Luciano respondit Homerus roganti, cur primam Iliadis dictionem voluerit esse

µ�vtv

(nam

haec quaestio multis saeculis torserat grammaticos) 'illud', inquit, 'turn forte venit in mentem'94• Consimilis impu­ dentiae sunt, qui sibi plus quam Ciceroniani videntur, quod aliquoties infulciant 'etiam atque etiam' pro vehe­ menter et 'maiorem in modum'96 pro valde, 'identidem' pro subinde, 'cum' et 'turn', quoties inaequalis momenti sunt quae conectimus, 'turn' et 'turn' quoties aequalis, 'tuorum in me meritorum'96, 'quid quaeris' pro in sum­ ma aut breviter, 'non solum peto, verum etiam oro contendoque', 'antehac dilexisse tantum, nunc etiam amare mihi videor'97, 'valetudinem tuam cura et me, ut facis, ama', 'non ille quidem vir malus, sed parum diligens', 11

Cic. rep. 6,9 (cum in Africam venissem) immo Cic. Cluent. l H Ps. Cic. exil. l " Lucian, ver. hist. 2,20 p. u7 sq. H e. g. Cic. Verr. act. II 2,134. Plane. 19. al. 11 Cic. fam. 2,1,2. al. 12

t7 Cf. p. 10.

(mirandum in modum)

Der Ciceronianer

95

Gefahren', seine Rede >Pro Domo < vor den Pontifices: 'Da vieles durch göttliche Eingebung', die Rede für Plan­ cius: 'Als ich wegen der außerordentlichen Treue', das erste Buch>Über das Wesen der Götter< endlich: 'Obwohl viele Dinge in der Philosophie' und das Somnium Scipio­ nis: 'Als vieles in Afrika'. Die Verteidigung des Rabirius43 fängt mit 'Ich habe bemerkt, hohes Gericht' an, und in der Einleitung zu den Paradoxa der Stoiker schreibt er an Brutus: 'Ich habe bemerkt, lieber Brutus'. Die Rede für L. Cornelius Balbus beginnt folgendermaßen: 'Wenn das Ansehen der Advokaten', die Rede für Sestius: 'Wenn man sich bisher, hohes Gericht', die für Caecina: 'Wenn ebenso wie auf dem Lande', die für den Dichter Archias: 'Wenn ich einiges Talent besitze', die gegen den Zeugen Vatinius: 'Wenn ich, Vatinius, nur auf deine unwürdige Person', die Rede an den Ritterstand, als er ins Exil ging: 'Wenn ihr je die Angriffe der Feinde' und die an den Senat nach seiner Rückkehr: 'Wenn ich euch, hoher Senat, für eure Verdienste', die für M. Caelius: 'Wenn jetzt einer, hohes Gericht', und die für die konsularischen Provinzen: 'Wenn einer von euch, hoher Senat'. Ich wüßte nichts, das derart lächerlich und derart unciceronianisch wäre, als daß man mit Cicero nicht mehr gemeinsam hat als ein paar Floskeln am Anfang einer Rede. Würde man sich bei Cicero selbst erkundigen, warum er ausgerechnet mit diesen Worten begann,

so erhielte man wahrscheinlich die gleiche

Antwort, die Lukian auf den Inseln der Seligen von Homer bekam, als er ihn fragte, warum er just 'den Zorn' als erstes Wort der Ilias wählte (denn dieses Problem hatte die Philologen jahrhundertelang gequält); er sagte nämlich:

'Das kam mir damals gerade in

den Sinn'. Nicht minder aufreizend ist die Selbstgefällig­ keit derer, die sich für Superciceronianer halten, nur weil sie bei jeder Gelegenheit ein etiam atque etiam in der Bedeutung von 41

'heftig' anbringen oder maiorem in

irrtümlich für Cluentius.

96

Ciceronianus

qua locutionis formula sie M. Tullius videtur delec­ tatus, ut in eadem pagina crebro repetitam invenias98• Simile est, cum per 'illud' pronomen indicat non quod praecessit, sed quod mox sequitur.

Et in epistulis

fortassis semel atque iterum dixit 'cogitabam in Tuscu­ lanum'99; itaque Ciceronianus sibi videtur, qui subinde dixerit 'Romam cogitabam' pro eo quod erat 'in animo habebam' sive 'statueram proficisci Romam'. M. Tullius anni numerum non ascribit epistulis, sed tantum mensis diem: et Ciceronianus non erit, si quis a Christi natali annum ascripserit, quod saepe necessarium est, semper utile? Iidem non ferunt, si quis honoris gratia nomen eius, ad quem scribat, suo praeferat, quod genus sit 'Carolo Caesari Codrus Urceus salutem'. Par flagitium existimant, si quid dignitatis aut laudis addas proprio nomini, velut 'incluto Pannoniae Bohemiaeque regi Fer­ dinando Velius salutem dicit'. Nec Plinio iuniori possunt ignoscere, quod 'suum' appellat, si quando scribit amico, cum eius facti nullum apud Ciceronem exstet exemplum. Ut parum Tullianus reicietur, qui, quod exemplum a principum officiis mutuati docti quidam nuper usurpare coeperunt, summam eius epistulae, cui respondere parat, in initio proponat, quod id nusquam factum sit a M. Tullio. Novi quosdam notatos ut soloecos, quod in salu­ tatione pro S. D. posuerint S. P. D., i. e. salutem pluri­ mam dicit, quod negarent hoc apud Ciceronem inveniri. Nonnulli vero putant et illud Tullianum esse salutatio­ nem non in fronte, sed in tergo literarum ponere, quod his verbis admoneretur lator, quas quibus deberet reddere non sine salutationis officio. Quantula res facit, ut ab hac palma decidamus ! Multo vero minus erit Ciceronia­ nus, qui salutarit hac formula: 'Hilarius Bertulphus Levino Panagatho totius hominis salutem' aut 'salutem perpetuam'. Verum hie quoque longius aberit a Cicero­ niano, qui sie orsus fuerit epistulam: 'Gratia, pax et 18 91

Cic. loc. inc. cf. Thes. Ling. Lat. III 1470, 4 sqq.

Der Ciceronianer

97

modum für 'sehr', identi"dem für 'dauernd', weil sie cum tum verwenden, um zwei ungleichwertige Aussagen zu verbinden, tum - tum für zwei gleichwertige, weil sie

tuorum in me meritorum sagen, quid quaeris statt 'ab­ schließend'

oder

'kurz',

und

weil

sie

Wendungen«

gebrauchen, wie: 'Ich ersuche dich nicht nur, ich flehe dich an und beschwöre dich', 'Bisher habe ich dich gern gehabt, jetzt aber beginne ich dich zu lieben'45, 'Achte auf deine Gesundheit und bleib mir wie bisher gewogen', oder: 'Er ist kein schlechter Mensch, nur ein wenig ober­ flächlich', eine Phrase, die Cicero so sehr liebte, daß er sie oft mehrmals auf einer Seite gebraucht. Ähnlich ist es mit dem Pronomen 'jenes', mit dem er nicht etwas Vorausgehendes, sondern etwas unmittelbar Folgendes bezeichnet. Und in den Briefen hat er vielleicht das eine oder andere Mal den Ausdruck gebraucht: 'Mein Sinn stand nach Tusculum'; infolgedessen hält man sich für einen Ciceronianer, wenn man unentwegt sagt: 'Mein Sinn stand nach Rom' statt: 'Ich hatte die Absicht' oder 'Ich hatte mich entschlossen, nach Rom zu reisen'. Cicero schreibt in seinen Briefen die Jahreszahl nie dazu, sondern nur Monat und Tag; man ist also kein Cicero­ nianer, wenn man das Jahr nach Christi Geburt angibt, was oft unerläßlich und immer nützlich ist ?46 Desgleichen halten sie es für untragbar, den Namen des Adressaten aus Höflichkeit vor den eigenen zu setzen, also beispiels­ weise zu sagen: 'Dem Kaiser Karl entbietet Codrus Ur­ ceus seinen Gruß'. Ein gleiches Verbrechen ist es in ihren Augen, wenn man dem Eigennamen ein ehrendes oder lobendes Epitheton beifügt, wie etwa: 'Dem durch­ lauchtigsten König von Ungarn und Böhmen, Ferdinand, entbietet Velius seinen Gruß'. Und sie können es dem Jüngeren Plinius nicht verzeihen, daß er in seinen Briefen " Diese 'typisch ciceronianischen' Formulierungen sind im exakten Wortlaut nur teilweise bei Cicero nachzuweisen. " So drückt sich auch Nosoponus aus, siehe S. 11. H Vgl. dazu den Brief des Erasmus an Andrea Alciati von 1526 (Allen I 706,39 f.).

Ciceronianus

98

misericordia a Deo patre et Domino Iesu Christo'100, item, qui pro 'cura ut recte valeas' ita claudat epistulam: 'sospitet te Dominus Iesus' aut 'incolumen te servet Dominus totius salutis auctor'. Quos risus, quos cachin­ nos hie tollent Ciceroniani? Quid autem admissum est piaculi? An non verba Latina sunt, munda, sonantia atque etiam splendida? Iam si sensum introspicias, quanto plus est hie quam in 'salutem dicit' et 'bene vale' ? Quid vulgarius quam dicere salutem? Praestat hoc officium herus servo, inimicus inimico. Quis autem crederet esse Latinum 'dicit illi salutem' et 'iubet illum salvere', nisi nobis sermonem hunc veterum consuetudo commendaret? Hoc in aditu. Iam in digressu 'vale' dici­ mus et his, quibus male precamur. Quanto melior empha­ sis in formulis Christianorum, si modo vere et ex animo simus Christiani. 'Gratia' declarat gratuitam condona­ tionem admissorum, 'pax' quietem et gaudium conscien­ tiae, quod Deum pro irato habemus propitium, 'miseri­ cordia' dotes varias et corporis et animi, quibus suos locupletat arcani

Spiritus

benignitas,

quoque

magis

speremus nobis haec fore perpetua, additur 'a Deo patre et Domino nostro Iesu Christo'. Cum 'patrem' audis, ponis servilem trepidationem ascitus in affectum filii1ooa, cum 'Dominum' audis, confirmaris adversus vires sata­ nae. Non deseret ille, quod tarn care redemit, et unus potentior est universis satanae cohortibus. Quid suavius his verbis ei, qui iam haec apud se sentit, quid utilius

100

cf. 1 Tim 1,2 Rom 8,15

1008

Der Ciceronianer

99

die Freunde mit 'mein' anspricht, weil es hierfür bei Cicero keinerlei Beispiel gibt. Man ist auch kein rechter Ciceronianer und wird entsprechend eingeschätzt, wenn man, wie dies jetzt bei manchen Gelehrten in Anlehnung an die Praxis der staatlichen Behörden üblich geworden ist, am Anfang eine kurze Inhaltsangabe des Briefes gibt, den man beantwortet; denn das hat Cicero nirgendwo getan. Ich weiß von einigen, die sich den Vorwurf sprach­ licher Entgleisung gefallen lassen mußten, weil sie als Grußformel nicht 'Entbietet seinen Gruß', sondern 'Ent­ bietet seinen herzlichsten Gruß' verwendeten; denn dies, so wird behauptet, kommt bei Cicero nicht vor. Andere wiederum halten es für ciceronianisch, die Grußformel nicht an den Anfang, sondern an das Ende des Briefes zu setzen, da diese Worte zugleich auch Mahnung und Hinweis für den Überbringer seien, wem er den Brief, verbunden mit einem Gruß, auszuhändigen habe. Was für Kleinigkeiten oft schon genügen, daß wir den An­ spruch auf diese hohe Auszeichnung verlieren! Noch weniger kann natürlich der als Ciceronianer gelten, der seinen Gruß so formuliert: 'Hilarius Bertulphus wünscht dem Levinus Panagathos Heil an Leib und Seele' oder 'immerwährendes Heil'. Und noch viel weiter entfernt man sich vom ciceronianischen Ideal, wenn man einen Brief mit den Worten beginnt: 'Gnade, Frieden und Barmherzigkeit schenke dir Gott der Vater und unser Herr Jesus Christus' oder ihn statt mit 'Laß es dir gut­ gehen' mit dem Wunsch beschließt: 'Es behüte dich Jesus, der Herr' oder 'Möge dich heil erhalten der Herr, der Spender allen Heiles'. Nicht auszudenken, in was für ein Hohngelächter die Ciceronianer da ausbrechen wür­ den! Aber: Was ist denn eigentlich Furchtbares gesche­ hen? Sind das nicht tadellose, schöne, ja glänzende latei­ nische Wörter? Und wenn man den Inhalt betrachtet: Ist hier nicht viel mehr ausgesagt als mit einem 'Guten Tag' oder 'Lebewohl'? Gibt es etwas Banaleres, als jeman­ dem einen guten Tag zu wünschen? Das ist eine Höflich­ keit, die der Herr seinem Knecht, der Feind seinem

100

Ciceronianus

hac admonitione ei, qui nondum in hunc affecturr. trans­ iit. Verbis itaque non vincimur, immo vincimus potius, sententia longe superamus.

Restat illud decorum et

aptum101, quod ubique cum primis spectandum est. At haec quanto magis conveniunt homini Christiano quam illa 'salutem dicit' et 'cura ut valeas'? Tantum facessat illa puerilis imaginatio: non sie locutus est Cicero. Quid miri, si non sie locutus est, cum rem ignorarit? Quot milia sunt rerum, de quibus nobis frequenter dicendum est, de quibus M. Tullius ne somniavit quidem? At, si viveret, nobiscum eadem loqueretur. An non igitur frigidi videntur imitatores, qui talium rerum observatiunculis referunt M. Tullium ac, dissimulatis tot divinis viri vir­ tutibus, numeris tropis formulis ac dictiunculis ea imi­ tantur, quae M. Tullio vel placuerunt vel crebrius exci­ derunt?102 Haec ad te quidem nihil attinent, Nosopone,

101 101

cf. Cic. de orat. 1,132. orat. 74. Quint. n,3,177. al. cf. Quint. 10,2,15 sqq.

Der Ciceronianer

101

Feinde erweist. Wer würde übrigens die Formel: 'Einen guten Tag' oder 'Wünscht ihm alles Gute'47 für sprach­ lich einwandfrei halten, wenn sie uns nicht durch alte Gewohnheit vertraut und nahegelegt wäre? Dies bei der Begrüßung. Beim Abschied sagen wir Lebewohl auch zu Leuten, denen wir Übles wünschen. Wieviel ausdrucks­ voller sind da die Grußformeln der Christen, voraus­ gesetzt, daß wir wirklich und aus Überzeugung Christen sind. 'Gnade' bedeutet die aus freier Huld gewährte Vergebung der Sünden, 'Friede' die Seelenruhe und das freudige Bewußtsein, daß Gott uns nicht zürnt, sondern gnädig ist, 'Barmherzigkeit' die verschiedenen Gaben des Leibes und der Seele, mit denen die Güte des Heiligen Geistes die Seinen überhäuft, und auf daß wir noch zu­ versichtlicher hoffen, daß uns dies alles immerdar erhal­ ten bleibe, fügt man hinzu: 'Schenke dir Gott der Vater und unser Herr Jesus Christus'. Wenn du das Wort 'Vater' hörst, fällt die Furcht des Knechtes von dir ab, und du empfängst den Geist der Kindschaft, wenn du 'Herr' hörst, so fühlst du dich gestärkt gegen die Macht des Bösen, denn Er, der allein mächtiger ist als alle Heere des Satans, wird sein Geschöpf nicht verlassen, das Er so teuer erkauft hat. Klingen diese Worte nicht unend­ lich beglückend für den, der schon von diesem Gefühl durchdrungen ist, und sind sie nicht eine überaus heil­ same Mahnung für den, der diese Empfindung noch nicht kennt? Unsere Worte sind also nicht schlechter, sondern eher besser, und was den Gehalt anlangt, so sind wir sogar weit überlegen. Es bleibt nur noch zu fragen, ob diese Ausdrucksweise angemessen und schick­ lich 48 ist; denn darauf ist bei allem in erster Linie zu achten. Doch was das betrifft: Sind diese Worte für einen Christenmenschen nicht viel angemessener als 'Guten Tag' und 'Laß es dir gutgehen'? Nur sollten wir uns '7 '8

endlich

von

dieser

kindischen

Vorstellung

frei

Die lat. Grußformeln lassen sich im Deutschen nicht adäquat wieder· geben. Vgl. S. 127 und Anm. 55·

Ciceronianus

102

sed tarnen, quoniam incidit, ut de Ciceronis imitatoribus loqueremur, et haec commemorare non ab re visum est. Hoc hominum genus et nobis et ipsi Ciceroni pariter invisum esse debet; nobis, qui vere Ciceronem conamur exprimere, quia per istos vocamur in iocum et fabulam, dum ex illorum aestimamur stultitia, Ciceroni, qui per tales, ut ante diximus, imitatores non aliter infamatur quam bonus praeceptor per malos discipulos, probus vir per improbos liberos, formosa mulier per imperitum pictorem.

Perspexit

hoc Quintilianus, dum

queritur

Senecam infamari quorundam immodico studio103, qui vitia dumtaxat imitabantur itaque fiebat, ut, qui Sene­ cam non legerant, ex illorum scriptis Senecae facundiam aestimarent. Quemadmodum autem nulli magis se iac­ tant venditantque de praeceptorum ac maiorum nomine

lOI

Quint. 10,1,127

Der Ciceronianer

103

machen: Cicero hat sich nicht so ausgedrückt. Was Wun­ der, wenn er sich nicht so ausdrückte, da er doch die Sache nicht kannte? Wieviel tausend und abertausend Dinge sind es, über die wir ständig reden müssen, an die Cicero aber nicht einmal im Traume denken konnte? Doch wenn er jetzt lebte, würde er genauso reden wie wir49• Ist es nicht eine recht platte Form des Epigonen­ tums, wenn man durch kleinliche Beobachtung solcher Nebensächlichkeiten ciceronianisch wirken will, dabei so viele große Tugenden dieses Mannes außer acht läßt und statt dessen Klauseln, Tropen, Wendungen und ein­ zelne Wörter übernimmt, das heißt Dinge nachahmt, die Cicero besonders gefielen oder ihm öfter aus der Feder flossen? Das geht natürlich nicht gegen dich, N oso­ ponus, aber da es sich nun schon ergab, daß wir uns über die Nachahmer Ciceros unterhalten, so ist es wohl nicht unangebracht, auch das einmal zu sagen. Diese Sorte von Menschen muß uns und Cicero in gleicher Weise zu­ wider sein, uns, die wir um eine sinnvolle Nachahmung Ciceros bemüht sind, weil wir dieser Leute wegen nicht ernst genommen werden und ins Gerede kommen, da man uns für ebenso dumm halten muß wie sie, und dem Cicero, weil er, wie gesagt, durch derartige Nachahmer nicht minder in Verruf kommt als ein guter Lehrer durch schlechte Schüler, ein charaktervoller Mann durch cha­ rakterlose Kinder oder eine schöne Frau durch einen unfähigen Maler. Quintilian hat das sehr genau erkannt; er klagte, daß Seneca durch die übertriebene Bewunde­ rung mancher Anhänger in Verruf gebracht werde, da sie nur seine Mängel nachahmten, was zur Folge hatte, daß jemand, der Seneca selbst nicht gelesen hatte, die Quali­ tät seines Stiles nach den Schriften dieser Leute beur­ teilte50. Aber wie es meist die schlechten Schüler und die mißratenen Söhne sind, die sich besonders gern mit dem Namen ihrer Lehrer beziehungsweise ihrer Ahnen brüsten " Ähnlich außert sich Erasmus in einem Brief an Vergara vom 13. Okt. 1527 (Allen 1885,131 ff.). 60 Die Berufung auf Quintilian steht in der ersten Ausgabe noch nicht.

104

Ciceronianus

quam indocti discipuli et improbi filii, aliunde captantes virtutis opinionem, cum suis bonis eam conciliare non queant, ita nulli gestiunt insolentius nomine Ciceronis, quam qui Ciceronis surrt dissimillimi. Novi medicos insigniter artis quam profitebantur imperitos, qui, quo quaestum facerent uberiorem, celebris alicuius medici, quem vix viderant, se discipulos iactitabant rogatique, cur praeter artem hoc aut illud ministrarent aegrotis, convicio respondere solebant:

'Num tu illo doctior?

Rune praeceptorem sequor'. Atqui illius quem nomina­ bant paene nihil imitabantur praeter vitanda potius quam aemulanda, puta si forte celebris ille fuit in respon­ dendo consultoribus difficilior aut morosior vel in exi­ genda mercede durior. Quo tandem animo credis egre­ gium illum medicum esse erga tales discipulos? HvPoLoGus. Haud dubium quin pessimo, nisi prorsus nul­

lam habet existimationis suae rationem. BuLEPHORUS. Quonam reliquos eiusdem medici veros ac

germanos discipulos? HvPOLOGUS. Aeque malo, quod apud vulgus talcs habentur

discipuli, qualem experiuntur illum gloriosum imposto­ rem. Atqui, si pateris, ut orationis tuae cursum inter­ pellem, faxo ut videas. BuLEPHoRus. Licet. HYPOLOGUS. Quidam casu viderat Erasmum scribere cala­

mo, cui ob brevitatem additum erat lignum, coepit ilico suis pennis alligare baculum atque ita sibi visus est Erasmico more scribere. Sed perge, obsecro.

Der Ciceronianer

und wichtig machen

105

und sich mit fremden Federn

schmücken, um den Ruf eines tüchtigen Menschen zu erlangen, da ihre eigenen Fähigkeiten dafür nicht aus­ reichen, ebenso sind die am eifrigsten darauf bedacht, sich mit dem Namen Ciceros ein Ansehen zu geben, die mit Cicero nichts, aber schon gar nichts gemein haben. Ich weiß von Arzten, die von ihrem Beruf bemerkens­ wert wenig verstanden und die sich, um höhere Ein­ nahmen zu erzielen, als Schüler irgendeines angesehenen Arztes ausgaben, den sie kaum je zu Gesicht bekommen hatten, und der Frage, warum sie den Patienten gegen alle Regeln ärztlicher Kunst dies oder jenes verordneten, stets mit dem Vorwurf begegneten: 'Bist du vielleicht klüger als Herr X V? Er ist mein Lehrer, nach ihm richte ich mich'. Dabei machten sie dem Lehrer, auf den sie sich beriefen, fast nur die Dinge nach, die sie eher hätten meiden als nachahmen sollen, beispielsweise, wenn diese Kapazität bei Konsultationen auffallend schwierig und eigenwillig oder in den Honorarforderungen beson­ ders unerbittlich war. Wie, meinst du, ist dieser große Arzt auf derartige Schüler zu sprechen ? HvPoLoGus. Zweifellos äußerst schlecht, wenn ihm sein Ruf nicht völlig gleichgültig ist. BuLEPHoRus. Und die anderen, die wirklichen und echten Schüler dieses Arztes ? HvPoLoGus. Ebenso schlecht; denn die Leute werden sie nach den Erfahrungen beurteilen, die sie mit jenem An­ geber und Scharlatan gemacht haben. Doch wenn du gestattest, daß ich deinen Redefluß für einen Augen­ blick unterbreche, erzähle ich dir dazu ein anschauliches Beispiel. BuLEPHORUS. Bitte. HvPoLoGus. Jemand beobachtete einmal, daß Erasmus mit einer Feder schrieb, die er mit einem Stückchen Holz verlängert hatte, weil sie sonst zu kurz gewesen wäre. Daraufhin begann er, an allen seinen Federstielen ein Stäbchen zu befestigen, und war nun überzeugt, er schreibe im Stile des Erasmus. Aber fahr bitte fort!

Ciceronianus

106 BuLEPHORUS.

Nec illepidum

est

nec

&7tpocr�t6vucrov104,

quod narras. Ceterum ut institutum prosequar: An non audimus patres familias obiurgantes male moratos filios: 'Vos me redditis infamem et invisum civibus meis, vos obscuratis imagines maiorum, pudet me talium libero­ rum; si pergitis, abdicabo vos'? Nonne ad consimilem modum audimus interdum fratrem indignari fratri, quod illius improbis moribus detrimentum opinionis suae capi­ at? Hoc animo probabile est Ciceronem esse in istos ridi­ culos simios, hoc animo nos esse decet qui illius yv-ficrtoc

-rexvoc studemus haberi. N osoPoNus. In re tarn praeclara nonnihil est vel umbram asseqm. BULEPHORUS. Sit hoc aliquid iis quibus satis est umbra

vocari Ciceronis; ego nec Apollinis umbram dici me cupiam. Malim enim vivus esse Crassus quam umbrati­ cus Cicero. Verum ut quod instituimus peragamus, fac esse qui totum Ciceronem in verbis figuris et numeris ex­ primat, quod ipsum tarnen an multi possint nescio, quantulum is habebit Ciceronis ? Sit hoc in imitando Cicerone quod Zeuxis fuit in effigiando corpore muliebri. Expressit lineamenta colorem aetatem et, ut summum artificium praestiterit, affectus nonnihil, hoc est dolentis gaudentis irati metuentis attenti aut dormitantis. Haec qui

praestitit, nonne

1°' cf. Erasm. Adag. II 4,57

quicquid

ars

potest absolvit?

Der Ciceronianer

107

BuLEPHoRus. Recht hübsch, deine Geschichte, und nicht

unpassend in diesem Zusammenhang. Doch um unser Thema weiterzuführen61: Hört man nicht immer wieder, daß Familienväter ihren aus der Art geschlagenen Söh­ nen Vorwürfe machen: Ihr bringt mich in Verruf, ihr macht mich bei meinen Mitbürgern unmöglich, ihr seid ein Schandfleck auf der Ehre unserer Ahnen, ich schäme mich, daß ich solche Kinder habe, wenn ihr so weiter­ macht, werde ich euch enterben! Und hört man nicht des­ gleichen, daß sich manch einer über die Charakterlosig­ keit seines Bruders erbittert, weil sie auch seinem eigenen Ruf schadet? So ähnlich sind wahrscheinlich die Gefühle, die Cicero gegen diese lächerlichen Nachäffer hegt, und so ähnlich müssen auch unsere Gefühle gegen sie sein, wenn wir wollen, daß man uns für vollbürtige Söhne Ciceros hält. N osoPoNus. Bei einem so hohen Ideal will es schon etwas heißen, wenn man davon einen Schatten erreicht. BuLEPHORUS.

Das mag für diejenigen etwas bedeuten,

deren Ansprüchen es genügt, wenn man sie einen Schat­ ten Ciceros nennt; ich für meine Person würde nicht ein­ mal Wert darauf legen, als Schatten Apollos zu gelten. Lieber bin ich ein Crassus aus Fleisch und Blut als ein Schattenbild Ciceros. Doch um unser Thema weiterzu­ führen: Gesetzt den Fall, es gäbe einen Autor, der in Wortwahl,

Redefiguren und

Satzrhythmus

ein

voll­

kommenes Ebenbild Ciceros ist (ich glaube übrigens nicht, daß es sehr viele gibt, die dazu fähig wären), ist dann das, was er von Cicero besitzt, nicht immer noch bitter wenig? Angenommen, er könnte Cicero ebenso vollendet nachahmen, wie Zeuxis den weiblichen Körper darstellen konnte. Es ist ihm gelungen, die Gesichtszüge wiederzugeben, den Teint, das Alter und, wenn er ein Kunstwerk hohen Ranges schuf, auch etwas von den Empfindungen, das heißt Schmerz, Freude, Zorn, Furcht, 51

Das Beispiel des Hypologus und die entsprechende Überleitung zum Thema ist ein späterer Zusatz.

108

Ciceronianus

Quantum licuit, vivam hominis speciem in mutum simu­ lacrum transtulit. N ec aliud exigi potest a pictore. Agnos­ cis formam eius, quae depicta est, vides aetatem et affec­ tus, fortassis et valetudinem; adde quod a quibusdam effectum legimus: agnoscit indolem et mores et vitae spatium physiognomon io4a. Sed immane quantum illic abest hominis ! Quod ex summa cute conici potest, ex­ pressum est. Ceterum, cum homo constet ex anima et corpore, quantulum illic est unius partis eiusque deterio­ ris? Ubi cerebrum, ubi caro, ubi venae, ubi nervi et ossa, ubi intestina, ubi sanguis spiritus et phlegma, ubi vita, ubi motus, ubi sensus, ubi vox et sermo, denique ubi, quae sunt hominis propria, mens ingenium memoria consilium? Quemadmodum, quae sunt hominis praecipua, pictori sunt inimitabilia, ita summas oratoris virtutes nulla asse­ quitur affectatio105, sed a nobis ipsis sumamus oportet. Verum a pictore nihil aliud exigitur, si praestitit quod unum ars profitetur; a nobis, si totum Ciceronem expri­ mere volumus, multo aliud requiritur. Si nostrum simu­ lacrum, quo M. Tullium effingimus, careat vita actu affectu nervis et ossibus, quid erit imitatione nostra frigi­ dius? Sed multo magis erit ridiculum, si tuberibus naevis cicatricibus aliavemembri deformitate demum efficiamus, ut lector agnoscat nos legisse Ciceronem.

Plin. nat. 35,88 Quint. 10,2,12

1"'a 105

Der Ciceronianer

109

Spannung oder Müdigkeit. Wenn einer das zustande bringt, hat er da nicht alles geleistet, was die Kunst zu leisten vermag? Er hat, soweit dies möglich. ist, die lebendige Erscheinung eines Menschen auf ein stummes Bild gebannt. Mehr kann man von einem Maler nicht verlangen. Man erkennt die Frau, die dargestellt ist, man sieht ihr Alter, ihre seelische Verfassung, vielleicht auch ihr körperliches Befinden; von einigen wird sogar berichtet, sie hätten darüber hinaus noch den Effekt erzielt, daß ein Physiognom auf dem Bild Charakter, Wesen und Lebensdauer feststellen konnte. Und den­ noch: Wie unendlich viel fehlt auch hier noch vom leben­ digen Menschen! Was man an der äußeren Erscheinung ablesen kann, ist dargestellt. Aber der Mensch besteht aus Leib und Seele. Und wie wenig ist selbst von dem einen der beiden Teile erfaßt, der noch dazu der schlech­ tere ist! Wo sind Hirn, Fleisch, Adern, Sehnen und Kno­ chen, wo die inneren Organe, das Blut, der Atem und der Schleim, wo sind Leben, Bewegung, Sinneswahr­ nehmung, Stimme und Sprache, und wo ist endlich das, was den Menschen erst zum Menschen macht, Geist, Intelligenz, Gedächtnis und Einsicht? Ebenso wie sich die wesentlichsten Merkmale des Menschen der Darstel­ lung durch die Malerei entziehen, ebenso sind die höch­ sten rhetorischen Qualitäten mit Nachahmung nicht zu erreichen: Wir müssen sie aus uns selber schöpfen. Außer­ dem: Von einem Maler erwartet man weiter nichts, als daß er das leistet, was im Rahmen der Möglichkeiten seiner Kunst liegt. Doch von uns, die wir Ebenbilder Ciceros werden wollen, verlangt man mehr und anderes. Wenn das Bild, das wir von Cicero bieten, ohne Leben, ohne Tem­ perament, ohne Kraft und Mark ist, ist es dann nicht ein völlig nicht�sagender Abklatsch? Doch noch viel lächer­ licher wird es, wenn wir seine Beulen, Warzen, Narben und sonstigen Schönheitsfehler nachmachen, damit der Leser wenigstens daran merkt, daß wir Cicero gelesen haben52• 62

Vgl. zu diesem ganzen Passus Gianfrancesco Pico, op. cit. (S. 51, Anm. 17) p. 183.204 und Bembo, ibid. p. 199.

Ciceronianus

110

HvPoLoGus. Istius generis pictor quidam nuper risui nobis fuit. Susceperat effingendum ad vivam formam Murium sodalem nostrum cumque veram hominis formam red­ dere non posset, circumspectabat, si quid haberet in corpore seu vestitu notabile. Aestate coeperat iamque magna ex parte tabulam absolverat, pinxerat anulum quem gestabat, pinxerat crumenam et cingulum, turn pileum capitis diligenter expressit; animadvertit illi in laevae manus indice esse cicatricem: eam expressit accu­ rate, turn in dextra, qua manus paeninsula brachio com­ mittitur, tuber insigne: nec hoc praetermisit; rursus in supercilio dextro pilos aliquot in diversum flexos red­ didit, item in bucca laeva cicatricem effinxit vulneris vestigium. Ubi reversus, nam crebro redibat ad exem­ plar, vidisset barbam demessam, affinxit novum men­ tum, rursus, ubi barbam aliquantulum provenisse, quia magis id placebat, mutavit illi mentum. Interim oborta est Murio febricula; ea, ut solet, recedens in labrum eru­ perat: pictor expressit pustulam. Tandem venit hiems; sumptum

est

aliud

pileum:

mutavit

ille

picturam;

sumpta est vestis hiberna pellibus subducta: pinxit novam vestem; rigor mutarat colorem et cutem, ut solet, contraxerat: mutavit totam cutem; inciderat pituita, quae sinistrum oculum vitiarat et nasum, dum frequen­ ter emungitur, reddiderat et aliquanto maiorem et multo rubicundiorem: pinxit illi novum novum.

Si

quando

vidisset

oculum

impexum,

et

nasum

exprimebat

Der Ciceronianer

HYPOLoGus.

111

Ü ber einen Maler dieses Schlages haben wir

uns unlängst recht amüsiert. Er hatte den Auftrag, von unserem Freund Murius ein Porträt nach dem Leben zu malen. Da er aber nicht fähig war, das Charakteristische an der Erscheinung dieses Mannes darzustellen, achtete er sorgfältig auf alles, was an seiner Gestalt und seiner Kleidung auffällig war. Er hatte das Bild im Sommer angefangen und es schon zum größten Teil vollendet, er hatte den Ring, den er trug, gezeichnet, die Tasche und den Gürtel, er hatte ferner die Kopfbedeckung mit aller Sorgfalt dargestellt; er bemerkte auf dem Zeigefinger der linken Hand eine Narbe: er zeichnete sie getreulich nach, sodann auf dem rechten Handgelenk eine auffallende Beule: auch diese überging er nicht. An der rechten Augenbraue standen einige Haare seitwärts ab, und so stellte er sie auch dar. Ebenso zeichnete er auf der linken Wange eine Narbe, die von einer Verwundung zurück­ geblieben war. Als er eines Tages wiederkam - er kam nämlich oft, um sich sein Modell zu betrachten-, sah er, daß der Bart geschoren war: er zeichnete also das Kinn noch einmal; doch als er sah, daß der Bart wieder ein wenig nachgewachsen war und ihm das besser gefiel, än­ derte er das Kinn nochmals. Inzwischen befiel den Murius ein leichtes Fieber; dieses verursachte beim Abklingen auf der Lippe die übliche Fieberblase: er zeichnete sie. Schließlich kam der Winter. Murius nahm einen anderen Hut, entsprechend änderte der Maler das Bild. Er trug

j etzt

Winterkleidung mit Pelzfutter: also malte er die

Kleider neu. Infolge der Kälte hatte sich seine Gesichts­ farbe verändert und sich die Haut, wie das schon so ist, ein wenig gespannt: der Maler änderte das ganze Inkar­ nat. Er bekam einen Schnupfen, wodurch er am linken Auge etwas entstellt wurde und sich seine Nase wegen des häufigen Schneuzens ein wenig verdickte und ziem­ lich stark rötete: er zeichnete ihm also ein anderes Auge und eine neue Nase. Sah er ihn einmal unfrisiert, so stellte er die Haare in ihrer ganzen Unordnung dar, sah er ihn frisiert, so brachte er auch auf dem Bild die

Ciceronianus

112

capillorum inaequalitatem; rursum, si pexum, compone­ bat capillitium; forte dormitabat Murius, dum pingeretur: expressit dormitantem; sumpserat pharmacum hortatu medici, ea res addidit aliquid senii: mutavit faciem. Si veram ac nativam hominis formam potuisset exprimere, non confugisset ad haec 7tocpe:pyoc. Itaque, si ad istum modum imitemur Ciceronem, nonne merito clamet in nos Horatius: 0 imitatores, servum pecus, ut mihi saepe

Risum, saepe iocum vestri movere tumultus 1106 Sed finge nos feliciter expressisse in Cicerone, quicquid hominis exprimere potest absolutus pictor; ubi pectus illud Ciceronis, ubi rerum tarn copiosa, tarn felix inventio, ubi dispositionis ratio, ubi propositionum excogitatio, ubi consilium in tractandis argumentis, ubi vis in movendis affectibus, ubi iucunditas in delectando, ubi tarn felix ac prompta memoria, ubi tantarum rerum cognitio, deni­ que ubi mens illa spirans etiamnum in scriptis, ubi genius

181

Hor. epist. 1,19,19 sq. (bilem)

Der Ciceronianer

113

Haartracht wieder in Ordnung. Einmal war Murius beim Modellsitzen ein wenig eingenickt, da malte er ihn schla­ fend, ein andermal hatte er auf Anraten seines Arztes ein Medikament genommen, welches ihn etwas älter erschei­ nen ließ, da änderte er das ganze Gesicht. Wäre er im­ stande gewesen, das Typische und Charakteristische an diesem Mann darzustellen, so hätte er es nicht nötig gehabt, zu solchen Nebensächlichkeiten seine Zuflucht zu nehmen. Wenn53 wir nun Cicero auf diese Weise nachahmen, trifft uns da nicht mit Recht der Tadel des Horaz: Nachahmer ihr, ihr sklavisches Vieh, wie hat mich so häufig Euer Getu' zum Lachen gebracht, zu Spott mich veranlaßt! Doch angenommen, es wäre uns gelungen, bei unserer Nachahmung so viel von Cicero wiederzugeben, wie ein perfekter Maler von einem lebendigen Menschen im Bilde einzufangen vermag: dann fehlt immer noch die geistige Potenz Ciceros, sein Reichtum an schöpferischen Ideen, seine Kunst der planvollen Gestaltung, seine Geschicklichkeit bei der Darstellung des Sachverhaltes, seine Souveränität in der Behandlung der Argumente, seine

Fähigkeit,

die

Herzen der Zuhörer durch die

Macht seiner Rede zu beeinflussen und durch ihre Schön­ heit zu ergötzen, sein gutes und zuverlässiges Gedächtnis, seine reiche Sachkenntnis und schließlich der Geist, der

••

auch

j etzt

dem

er das Geheimnis seiner einzigartigen Wirkung

noch in seinen Schriften atmet, das Genie,

An dieser Stelle müßte ein Rollenwechsel sein; denn die Antwort des Nosoponus ist an Bulephorus gerichtet, dem dieser und die fol­ genden Sätze auch dem Inhalt nach zukommen. Doch scheint die Antwort Nosoponus' auch anzudeuten, daß Bulephorus schon langer gesprochen hat, außerdem ist der Übergang von der Beschreibung des Porträts - eine der typischen Einlagen des Hypologus - zum Horazzitat so bruchlos, daß ich geneigt bin, einen Lapsus des Eras­ mus anzunehmen, und auf die Einfügung eines 'Bulephorus' ver­ zichte.

114

Ciceronianus

ille peculiarem et arcanam afferens energiam? Haec si absint, quam erit frigidum imitationis nostrae simula­ crum? NosoPONUS. Ista diserte tu quidem, Bulephore, sed quor­ sum spectant, nisi ut adulescentes ab effingendo Cicerone deterreas? BuLEPHORUS. Bona verba, Nosopone ! Quin potius eo spec­

tant haec omnia, ut contempto simiorum quorundam inepto tumultu Ciceronem, quatenus licet, et totum et feliciter imitemur. NosoPoNus. Hie sane rem eandem agimus. BuLEPHORUS. Id ni fiat dextre, futurum est ut sedulo qui­

dem, sed parum feliciter aemulando Ciceronis dissimil­ limi reddamur. Nihil enim periculosius esse scito quam affectare Ciceronis imaginem.

Male cessit gigantibus

affectasse sedem Iovis. Nonnullis exitium attulit evo­ casse deos. 'Periculosae plenum opus aleae'107 est divinam illam et humana natura superiorem exprimere linguam. Cicero nasci fortassis potest aliquis, fieri nemo. NOSOPONUS. Quid nunc agis ? BuLEPHORUS. Quia virtutes illius, ut summae sunt, ita

vitiis sunt proximae. Porro fieri non potest, quin imi­ tatio defluat ab eo quod sequi tantum, non etiam vincere studet108• Proinde, quo impensius affectas illius simu­ lacrum, hoc vitio propior es. N osoPoNus. Non satis intelligo, quid dicas. BuLEPHORUS. Efficiam, ut intelligas. Nonne medici corporis

optimam valetudinem praedicant periculosissimam, quod adversae valetudini sit proxima? N osoPoNus. Audivi. Quid turn postea?

107 108

Hor. carm. 2,r,6 Quint. ro,2,r6 sqq.

Der Ciceronianer

115

verdankt. Wenn dies alles fehlt, ist dann das Bild, das wir von Cicero bieten, nicht ein gänzlich ausdrucksloser Abklatsch? N osoPoNUS. Du entwickelst Rednertalente, Bulephorus ! Doch dient dies alles nicht einzig dazu, junge Leute von der Nachahmung Ciceros abzuschrecken? BuLEPHoRus. Sag das nicht, Nosoponus ! Denn all das

dient vielmehr dazu, Cicero, soweit dies möglich ist, in seiner ganzen Größe und mit Erfolg nachzuahmen, ohne das blödsinnige Getue gewisser Nachäffer mitzumachen. N osoPoNus. In diesem Punkt sind wir uns ja wieder einig. BuLEPHoRus. Wenn das aber nicht auf vernünftige Weise

geschieht, so werden wir bei unserem eifrigen, aber uner­ leuchteten Bemühen, es ihm gleichzutun, nur erreichen, daß wir alles eher werden als Ebenbilder Ciceros. Denn darüber mußt du dir im klaren sein: Nichts ist so riskant wie das Streben, Cicero gleich zu werden. Für die Gigan­ ten hat der Versuch, den Thron Jupiters zu stürmen, ein schlimmes Ende genommen. Und gar mancher hat die Beschwörung von Geistern mit dem Tode bezahlt. Es ist 'ein gefährliches Spiel mit der Laune des Glückes', die göttliche Schönheit und übermenschliche Vollkom­ menheit der Sprache Ciceros nachahmen zu wollen. Ein Cicero kann man nicht werden, als Cicero muß man geboren sein. NosoPoNus. Worauf willst du jetzt hinaus? BuLEPHORUS. Darauf: Seine Tugenden sind so vollkommen,

daß sie eben deshalb sehr leicht zu Fehlern werden kön­ nen; außerdem ist es unvermeidlich, daß man hinter dem Vorbild zurükbleibt, wenn man es nur kopiert und nicht auch zu überbieten sucht. Infolgedessen nähert man sich in dem Maße, in dem man sich um Ähnlichkeit mit ihm bemüht, auch seinen Fehlern. N osoPoNus. Ich verstehe nicht recht, was du meinst. BuLEPHoRus. Ich werde es dir gleich verständlich machen.

Behaupten nicht die Ärzte, daß die allerbeste Gesundheit am ehesten in Krankheit umzuschlagen droht? N os oP oNus. Das ist mir bekannt. Was weiter?

116

Ciceronianus

BuLEPHORUS. Summa monarchia nonne tyrannidi proxima

est? NOSOPONUS. Aiunt. BuLEPHORUS. Et tarnen summa monarchia nihil est melius,

si absit tyrannis. Et summa liberalitas nonne vicina est profusionis vitio? Et summa severitas an non affinis est truculentiae? NosoPoNus. Sane. BuLEPHORUS. Et summa festivitas urbanitasque nonne ad

scurrilitatis ac levitatis accedit viciniam? NosoPONUS. Desine commemorare cetera, finge me de sin­

gulis esse confessum. BuLEPHORUS. Prius audies illud Horatianum:

Brevis esse laboro, Obscurus fio; sectantem lenia nervi Deficiunt animique; professus grandia turget109. Ita qui affectant Atticismum, pro argutis ac venustis fiunt aridi, qui genus Rhodiense, dissoluti, qui Asiaticum, tumidi. Laudata est in Sallustio compositionis brevitas: nonne, si quis hanc superstitiose conetur aemulari, peri­ culum sit, ne concisus et abruptus evadat110? NosoPoNus. Fortasse. BuLEPHORUS. Praedicatus est in Demosthene verborum et

argumentorum modus, cui nihil possis detrahere. NosoPoNus. Ita censuit Quintilianusm. BuLEPHORUS. Ad hanc laudem aemulandam si quis com­

ponat se anxie, quo Demosthenicus videatur, periculo vicinus est, ne minus dicat quam oportet. Applauditur

109 110 111

Hor. ars 25 sqq. Quint. 4,2,45. 10,1,32 Quint. 10,1,76

Der Ciceronianer BuLEPHORUS.

117

Kommt die Monarchie in ihrer vollkom­

mensten Ausprägung der Tyrannis nicht sehr nahe? N osoPoNUS. So sagt man. BULEPHORUS. Und doch ist keine Staatsform besser als die

Monarchie in ihrer vollkommensten Ausprägung, solange sie nicht zur Tyrannis wird. Grenzt großzügigste Frei­ gebigkeit nicht an das Laster der Verschwendung? Berührt sich höchste Strenge nicht eng mit Grobheit? N osoPoNus. Gewiß. BuLEPHoRus. Steht ein Höchstmaß an Humor und Witz

nicht an der Grenze von Possenreißerei und Leichtsinn? N osoPoNus. Spar dir die Aufzählung weiterer Beispiele, du kannst. meine Zustimmung für jedes einzelne voraus­ setzen. BULEPHORUS. Zuerst laß dir noch die Horazverse sagen:

Ich müh' mich sorgsam um Kürze, Werd' aber dunkel, und sucht man die Glätte, so mangelts an Nachdruck Und an Feuer, verspricht man Erhabenes, so wird man geschwollen. So verfallen die Anhänger des Attizismus, anstatt die Sachlichkeit und schlichte Eleganz der Attiker zu errei­ chen, in einen trockenen Stil, die Anhänger der Rhetoren­ schule von Rhodos in einen ordnungslos-verspielten, die Asianer in einen schwülstigen. An Sallust hat man die Kürze seiner Sätze gelobt; wenn das einer allzu ängst­ lich nachahmen wollte, bestünde da nicht die Gefahr, daß er knapp und abgehackt wirkt? N osoPoNus. Wahrscheinlich. BuLEPHORUS. An Demosthenes hat man gerühmt, daß er

im Gebrauch sprachlicher und sachlicher Mittel so maß­ voll ist, daß bei ihm kein Wort mehr entbehrlich ist. N osoPoNus. Das ist die Ansicht Quintilians. BuLEPHORUS. Wenn sich einer nun krampfhaft bemüht,

diese Vorzüge zu erreichen, um als Ebenbild des Demo­ sthenes zu gelten, so ist die Gefahr groß, daß er weniger sagt, als nötig wäre. Isokrates findet mit seinen kunstvollen

118

Ciceronianus

Isocratis structurae numerisque112; huc qui vehementer annitatur, in periculum veniet, ne superstitione compo­ sitionis sit molestus et artificii iactatione fidem amittat. Senecae laudata est copia113; huius incautus ac sedulus aemulator periclitatur, ne redundans et immodicus eva­ dat pro copioso. Bruti gravitatem si aemuleris anxie, for­ tassis tristis et asper evades114• Laudatur Crispi iucundi­ tas115; huius aemulator venit in discrimen, ne pro iucundo fiat ineptus aut levis. Novi, qui, cum mirabilem illam Ovidii facilitatem conarentur exprimere, versus effuti­ rent et nervis et spiritu carentes. Et ne singulos comme­ morando tibi fiam molestus, dicam in genere quod restat. In quibusdam eminet argumentandi subtilitas; hanc qui vehementer affectat, periclitatur, ne vel frigidus vel obscurus evadat. In aliis admiramur felicem artis neglec­ tum; hoc qui contendit effingere, fortassis in vulgare dicendi vel potius garriendi genus incidet. In alio dilucet summa artis observatio; id qui nitatur exprimere, incidet in scenicum quoddam dicendi genus. Atticae frugalitati proxima est exilitas, copioso verborum fiuxui vicina est loquacitas. Summam in movendis affectibus �1dvcuow ex­ cipit insaniae species, ut granditatem fastus, asseverandi fiduciam improbitas.

N osoPoNus. Confessa praedicas. BuLEPHORUS. Ex his vero sunt quaedam, quae sie eminent in auctoribus, ut pro vitiis habenda sint, nisi iunctis vir­ tutibus pensarentur, quemadmodum in Seneca composi­ tionis abruptum et sententiarum immodicam densitatem

m

111 11' 11'

cf. Quint. 10,1,79 Quint. 12,10,11 loc. cit. ioc. cit.

Der Ciceronianer

119

Perioden und Rhythmen allgemeinen Beifall; wer es mit aller Anstrengung auch dahin bringen will, setzt sich der Gefahr aus, durch übertriebenen Kult mit dem Satzbau störend zu wirken oder durch Ü berbetonung des Artifiziellen die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Seneca ist für seinen reichen Stil berühmt; ein unerfahrener und übereifriger Nachahmer läuft Gefahr, daß sein Stil nicht reich, sondern weitschweifig und überladen wird. Wenn einer den würdevollen Ernst des Brutus allzu kleinlich kopiert, wird er wahrscheinlich düster und hart wirken. An Crispus lobt man die unbeschwerte Heiterkeit, wer es ihm hierin gleichtun will, riskiert, daß er nicht heiter, sondern verspielt und oberflächlich wirkt. Ich kenne Leute, die beim Versuch, die wundervolle Leichtigkeit Ovids

zu

erreichen,

Verse

produzierten,

die

weder

Schwung noch Geist hatten. Doch um dir nicht mit der Aufzählung einzelner Autoren lästig zu fallen, will ich, was noch zu sagen bleibt, allgemein formulieren: Die einen zeichnen sich durch sachlich-knappe Darstellung aus; wer sich darum allzusehr bemüht, läuft Gefahr, daß er trocken oder unverständlich wird. Bei anderen bewun­ dern wir die souveräne Nichtachtung der Kunstregeln; wer dies nachahmen will, verfällt höchstwahrscheinlich in den Ton der

Umgangssprache oder des Alltags­

geschwätzes. Wieder andere lassen peinlich genaue Beob­ achtung aller Kunstvorschriften erkennen; wer es ihnen gleichtun will, verfällt in eine Art Theatralik. Attische Schlichtheit grenzt an Dürftigkeit, reiche Wortfülle an Geschwätzigkeit. Höchstes Pathos bei der Erregung von Affekten schlägt leicht in eine Art Hysterie um, erhabe­ ner Stil in hochtrabenden, Kühnheit bei der Aufstellung von Behauptungen in Unverfrorenheit. N osoPoNus. Das sind lauter Dinge, mit denen ich einver­ standen bin. BuLEPHoRus. Manche von diesen Eigenschaften treten nun

aber bei gewissen Autoren so stark hervor, daß man sie als Fehler werten müßte, wenn sie nicht gleichzeitig durch Vorzüge kompensiert würden; so wird zum Beispiel

120

Ciceronianus

multae virtutes excusant, ut praeceptorum sanctitas, verborum rerumque splendor ac iucunditas orationis; nec Isocratis laudaretur compositio, nisi perspicuitas dictionis et sententiarum gravitas illi patrocinaretur. N osoPoNus. Nihil adhuc audio falsi; ceterum, quorsum haec tendant, nondum video. BuLEPHORUS. Nimirum huc. Cum in uno Cicerone tarn multa

sint huiusmodi, periculosa mihi videtur illius

superstitiosa et addicta aemulatio, quando virtutes, qui­ bus ista vel commendavit vel texit, aemulari non possu­ mus. N osoPoNUS. Quaenam ista dicis ? BuLEPHoRus. Tarn fluidum est illi dictionis genus, ut remis­ sus ac solutus alicubi videri queat, tarn exuberans verbo­ rum copia, ut redundans, tarn artis observans, ut decla­ matori quam oratori propior, fidei iactura captans arti­ ficii gloriam, tarn liber in insectando, ut maledicus haberi possit, tarn effusus in iocos, ut Catoni consul risum moverit116, tarn blandus alicubi, ut abiectus, tarn com­ positus, ut severioribus ingeniis mollis ac parum vir dic­ tus sit117• Haec ut fateamur in Cicerone vitia non esse propter insignem illam naturae felicitatem quam decent quae facit omnia, ut etiam virtutes sint, sie tarnen insunt, ut ob viciniam non careant specie vitiorum sub iniquo iudice, attamen ille reprehensionem omnem eximiis

p. 52, not. 29 Quint. 12,10,12

111 v. 117

ac

Der Ciceronianer

121

bei Seneca die abgehackte Satzkonstruktion und das übermäßig häufige Vorkommen von Sentenzen durch viele Vorzüge aufgewogen, wie etwa durch die Lauterkeit seiner Lehren, seine glänzenden Formulierungen und Themen und seinen lieblichen Stil. Auch bei Isokrates würde man den kunstvollen Satzbau wohl kaum so sehr loben, wenn nicht auch die klare Diktion und der gewich­ tige Inhalt für ihn spräche. NosoPoNus. Bis jetzt habe ich noch nichts Falsches gehört; aber was du mit alledem sagen willst, vermag ich noch nicht zu sehen. BuLEPHORUS. Ich will damit folgendes sagen: Da gerade

bei Cicero alle diese Dinge in konzentrierter Form vor­ kommen, birgt meiner Meinung nach die übertriebene und sklavische Nachahmung Ciceros ganz besonders große Gefahren in sich, wenn wir nicht imstande sind, auch die Vorzüge nachzuahmen, mit denen Cicero diese Dinge annehmbar gemacht oder kaschiert hat. NosoPoNus. Und was sind das für 'Dinge'? BuLEPHoRus. Sein Stil ist so flüssig, daß er manchmal

formlos und salopp, seine Wortfülle so überreich, daß er schwülstig scheinen könnte, er beherrscht die rhetorische Technik so perfekt, daß er beinahe mehr Vortragskünst­ ler als Redner ist und dem Ruhm seiner Virtuosität sogar seine Glaubwürdigkeit opfert, er ist so offen in seinen Invektiven, daß man ihn für gehässig halten könnte, so unkontrolliert in seinen Scherzen, daß er unge­ achtet seiner konsularischen Würde Cato zum Lachen reizte, er ist so schmeichlerisch, daß er charakterlos scheinen könnte, und so

gemessen und berechnend,

daß ihn Leute mit strengeren Ansichten verweichlicht und unmännlich nannten. Wenn wir auch zugeben, daß alle diese Eigenschaften bei Cicero keine Fehler sind, weil sie dank seiner einmalig glücklichen Begabung, die sich alles leisten kann, sogar zu Tugenden werden, so besitzt er sie doch in einer Weise, daß sie wegen ihrer Nähe zu den Fehlern in den Augen eines übel­ wollenden Beurteilers als Fehler erscheinen könnten.

122

Ciceronianus

plurimis virtutibus pensavit, ut omnium iudieio ealum­ niator et impudens habeatur, qui eonetur aliquid in huius oratione reprehendere. Verum has virtutes non studemus exprimere et, si Fabio eredimus, sunt inimita­ biles118 nee ab exemplo praeeeptisve peti possunt, sed a Minerva. Hae vero si absint, qualis erit eorum quae eom­ memoravimus imitatio? Colligimus igitur nullius imi­ tationem esse perieulosiorem quam Cieeronis, non tan­ tum eo nomine, quod summus orator et extra omnem ingeniorum aleam positus est119 (quo titulo Flaeeus ab aemulatione Pindari deterret, videlieet Icari exemplo120), verum etiam, quod pleraque in illo sie summa sunt, ut vitiis sint proxima121• Hie nimirum praeeipitii diserimen. N osoPoNus. At prius eonveniebat inter nos, quae rnaxime eminent, ad imitationem esse aeeomrnodatissima, quo videlieet, ut nonnihil deeidas ab eo quod effingere studes, tarnen laudem auferas reetae dietionis. BuLEPHORUS. Aliud est eadem reddere, aliud similia, aliud

imitari praeseriptum, aliud servire nee aliud quam sequi. Denique deftuit ab exemplo, qui non reddit et illa, quae reprehensionem excludunt. Atqui haee Fabius indieat fere inimitabilia felieibus etiam ingeniis118. N osoPoNus. Atque ego ad huius laudis ambitum non reeipio nisi vehementer eximia quaedam ae diis proxima ingenia,

118 111 120 121

Quint. 10,2,12 Plin. nat. praef. 7 Hor. carm. 4,2,r sqq. Quint. ro,2,16

Der Ciceronianer

123

Doch werden alle seine Mängel durch so viele und so außergewöhnliche Vorzüge aufgewogen, daß jeder, der an seinem Stil etwas auszusetzen wagt, nach allgemeiner Auffassung als böswilliger und unverschämter Kritika­

ster gilt. Aber wir geben uns ja nicht die Mühe, diese Vorzüge nachzuahmen, außerdem sind sie - darin wer­

den wir Quintilian recht geben dürfen - unnachahmlich und weder an Beispielen noch mit Hilfe von Regeln erlernbar: Sie sind ein Geschenk der Minerva. Wenn sie jedoch fehlen, wie sieht denn dann die Nachahmung der übrigen Eigenschaften aus, von denen wir eben sprachen? Wir kommen also zum Schluß, daß die Nachahmung bei keinem anderen Autor mit einem so großen Risiko ver­ bunden ist wie bei Cicero, und das nicht allein deshalb, weil er der beste Redner und über alle Zweifel an seiner Größe erhaben ist (mit derselben Begründung warnt übrigens Horaz davor, es Pindar gleichtun zu wollen, wo­ bei er die Gefahr am Beispiel des Ikarus deutlich macht), sondern auch deshalb, weil sehr vieles an ihm in einer Weise vollkommen ist, daß es unmittelbar ans Fehler­ hafte grenzt. Und hier liegt die Gefahr des Scheiterns. N osoPoNus. Aber vorhin waren wir uns doch darüber einig, daß sich die hervorstechendsten Merkmale am besten zur Nachahmung eignen, weil man dabei auf jeden Fall Anerkennung für seinen guten Stil ernten kann, auch wenn man ein wenig hinter dem Vorbild zurückbleibt. BuLEPHORUS. Es macht einen Unterschied, ob man sich

gleich ausdrückt oder ähnlich, ob man sich nach einer Vorlage richtet oder sich an sie klammert und ihr auf Schritt und Tritt folgt. Und schließlich fällt man dem Vorbild gegenüber ab, wenn es einem nicht gelingt, auch diejenigen Eigenschaften nachzuahmen, die jede Kritik unmöglich machen. Dies54 aber ist, wie Quintilian sagt, selbst für große Talente fast unerreichbar. N osoPoNus. Ich würde zur Bewerbung um diese Ehre ja ohnedies nur ganz außergewöhnliche und fast göttergleiche 14

Dieser Passus (bis S. r25ex-) steht in der ersten Ausgabe noch nicht.

124

Ciceronianus

quibus si accesserit indefatigabile studium, ita demum spes est fore ut feliciter exprimant phrasim Tullianam.

BuLEPHORUS. Fortasse, sed ita raros, ut numerari non valeant. Iam sunt arguti quidam, qui distinguunt imi­ tationem ab aemulatione122• Siquidem imitatio spectat similitudinem, aemulatio victoriam. Itaque, si totum et unum Ciceronem tibi proposueris, non in hoc tantum, ut illum exprimas, verum etiam, ut vincas, non praeter­ currendus erit, sed relinquendus magis123• Alioqui, si illius copiae velis addere, fies redundans, si libertati, fies petulans, si iocis, fies scurrilis, si compositioni, fies pro oratore cantor. Itaque fit, ut, si Tullium aequare studeas, pericliteris ne hoc ipso peius dicas, quod divinas hominis virtutes, quibus ea pensavit, quae vel vitia sunt vel vitio proxima, non possis assequi, cetera nimirum assecutus, sin coneris et antevertere, etiamsi in illis quae nullo studio possis assequi paria cum illo facias, tarnen vitio­ sum erit quicquid Ciceroni fuerit adiectum, de quo vere pronuntiatum videtur, quod illius eloquentiae nihil pos­ sit adici, quemadmodum Demosthenis nihil demi124• Vi­ des, Nosopone, periculum. N osoPoNus. Nihil me terret periculum, modo tandem hoc laudis assequi liceat, ut dicar Ciceronianus.

BuLEPHORUs. Haec omnia si contemnis, est alius scrupus qui magis urget animum meum, si non gravaberis audire. N osoPoNus. Utere pactis arbitratu tuo.

m e. g. Plin. epist. 7,30,5. Lucr. 3,3 sqq. 12a cf. Quint. 10,2,ro sqq. 1" Quint. ro,r,ro6

Der Ciceronianer

125

Genies zulassen, und wenn diese außerdem noch mit rastlosem Eifer zu Werke gehen, so besteht schließlich doch Hoffnung, daß sie bei ihrem Bemühen, sich den Stil Ciceros anzueignen, Erfolg haben. BuLEPHoRus. Möglich, aber das sind so wenige, daß sie

nicht zählen. Nun gibt es aber scharfsinnige Leute, die zwischen Nachahmen und

Wetteifern

unterscheiden.

Beim Nachahmen ist das Ziel die Ähnlichkeit, beim Wetteifern die Überlegenheit. Wenn man sich also den ganzen Cicero, und ihn allein, zum Vorbild nimmt, so muß man, gleichgültig, ob man ihn erreichen oder über­ bieten will, danach trachten, ihn nicht nur hinter sich zu lassen, sondern von ihm abzugehen. Andernfalls wird man schwülstig, wenn man ihn an Wortfülle, herausfor­ dernd, wenn man ihn an Offenheit, lächerlich, wenn man seine Scherze, und eher ein Sänger als ein Redner, wenn man ihn in der Art seines Vortrags übertreffen will. Das bedeutet: Beim Bemühen, es ihm gleichzutun, läuft man Gefahr, einen schlechteren Stil zu schreiben, weil man zwar alle seine sonstigen Eigenschaften nachahmen kann, nicht aber die grandiosen Vorzüge, mit denen er das wett­ gemacht hat, was bei ihm fehlerhaft ist oder ans Fehler­ hafte grenzt; beim Versuch, ihn zu überbieten, versagt man auch dann, wenn es gelingt, ihn in all den Dingen, die nicht lernbar sind, zu erreichen, weil jede Verbesserung Ciceros eine Verschlechterung ist; denn es heißt mit Recht, daß der reiche Stil Ciceros keine Steigerung mehr zuläßt, sowenig wie der maßvolle Stil des Demosthenes einen Ab­ strich duldet. Nun siehst du die Gefahr, Nosoponus54• N osoPoNus. Die Gefahr schreckt mich nicht, wenn mir nur letztlich die Ehre zuteil wird, daß man mich einen Cicero­ nianer nennt. BuLEPHORUS.

Wenn du diese Bedenken in den Wind

schlägst, so habe ich noch ein weiteres anzumelden, eines, das mich stärker bedrückt. Willst du es hören? N osoPoNus. Du kannst von unserer Vereinbarung ganz nach Belieben Gebrauch machen. 64

Ende des Zusatzes von S.

r

23.

126

Ciceronia nus

BuLEPHORUS. An censes ullum hominem eloquentis nomen

promereri, qui non dicat apte? NosoPONUS. Nequaquam, quandoquidem haec praecipua

virtus est oratoris apposite dicere12°. BuLEPHORUS. Verum illud appositum unde perpenditur?

Nonne partim a rebus, de quibus verba fiunt, partim a personis turn dicentium turn audientium, partim a loco tempore reliquisque cirumstantiis?126 NosoPONUS. Maxime. BuLEPHORUS.

Ciceronianum autem nonne

praestantem

oratorem esse vis? NOSOPONUS. Quidni? BuLEPHORUS. Itaque non erit Ciceronianus, si quis in thea­

tro disserat de Stoicorum paradoxis deque Chrysippeis argutiis aut apud Areopagitas in capitis discrimine lasci­ viat facetiis aut de re culinaria verbis ac figuris tragi­ corum loquatur? NosoPoNus. Iste nihilo minus ridiculus erit orator, quam si quis in tragico cultu saltet Atellanas aut feli, quod est in proverbio, inducat crocoton127, simiae purpuram128, Bacchum aut Sardanapalum leonis exuvio et clava exornet Herculis129• Nihil enim laudis meretur quamlibet per se magnificum, si sit ineptum. BuLEPHORUS. Et commode respondes et vere. Ergo M.

Tullius, qui suo saeculo dixit optime, non optime dixis­ set, si aetate Catonis Censorii, Scipionis aut Ennii simili modo fuisset locutus.

125 111 127 us 111

Cic. de orat. 3,37. al. Quint. u,x,x sqq. cf. Cic. de orat. x,r32. orat. 74 cf. Erasm. Adag. I 2,72 cf. Adag. I 7,ro p. 428sq. cf. Adag. III 5,98 p. 572sq.; III 7,27

127

Der Ciceronianer

BuLEPHORUS. Verdient deiner Ansicht nach jemand den Ruf eines gewandten Redners, wenn seine Ausdrucks­ weise nicht angemessen 55 ist?

N osoPoNus. Auf keinen Fall; denn die erste und wichtigste Tugend eines Redners ist, daß er in angemessener Weise spricht.

BuLEPHORUS. Und welches sind die Dinge, denen die Aus­ drucksweise Rechnung tragen muß, um angemessen zu sein? Das ist doch wohl die Sache, über die man redet, sodann die Person sowohl des Redners wie auch seiner Zuhörer, ferner Ort, Zeit und sonstige Umstände?

N osoPoNus. Gewiß. BuLEPHORUS. Und von einem Ciceronianer erwartest du, daß er ein vorzüglicher Redner ist?

N osoPoNus. Selbstverständlich. BuLEPHORUS. Demnach könnte zum Beispiel einer, der im Theater Vorträge über die Paradoxe der Stoiker und die Beweise Chrysipps hält, vor den Richtern des Areopags

in einem Prozeß um Leben und Tod ausgelassene Scherze zum besten gibt oder über die Kochkunst in Worten und Bildern der Tragödie spricht, kein Ciceronianer sein?

N osoPoNus. So jemand würde als Redner nicht weniger lächerlich wirken als ein Tänzer, der in tragischer Maske in einer Posse auftritt, oder, wie es im Sprichwort heißt, eine Katze in Damenkleidern, ein Affe in Purpurgewän­ dern und Dionysos oder Sardanapal im Schmucke des Löwenfelles und der Herkuleskeule. Denn es kann etwas noch so schön und großartig sein, wenn es nicht in den Rahmen paßt, wird niemand Gefallen daran finden.

BuLEPHORUS. Deine Antwort ist richtig und ganz nach meinem Sinn. Danach wäre also Cicero, der als Redner für seine Zeit ganz vorzüglich war, keineswegs ein so vor­ züglicher Redner gewesen, wenn er zur Zeit des Cato Censorius, des Scipio oder Ennius im gleichen Stil gespro­ chen hätte? 16

Zu dem in der Rhetorik sehr wichtigen Begriff des aptum vgl. Lausberg (Anm. 18) § 1055 sqq.

(n;pen;c.v)

128

Ciceronianus

N osoPoNUS. Non tulissent aures comptum illud et nume­ rosum dictionis genus, nimirum horridioribus assuetae. Nam istorum oratio moribus illorum temporum congrue­ bat. BuLEPHORUS. Dicis igitur orationem quasi vestem esse rerum? NosoPoNUS. Aio, nisi mavis picturam dici. BuLEPHORUS. Vestis igitur, quae decora est puero, non decet senem nec, quae feminae congruit, conveniret viro nec, quae decet in nuptiis, deceret in funere nec, quae laudi dabatur olim ante annos C, nunc probaretur.

N osoPONUS. Immo sibilis omnibus et risu omnium excipere­ tur. Contemplare in picturis non admodum vetustis, for­ tassis ante annos sexaginta editis, cultum muliercularum aulicarum ac procerum, quo si quis nunc prodeat in publicum, futurum sit ut putribus malis a pueris ac morionibus lapidetur. HvPoLoGus. Verissima narras. Quis enim nunc ferat in honestis matronis cornua pyramides metasque praelon­ gas in vertice prominentes, frontes ac tempora pilis arte vulsis glabra ad medium prope cranium, in viris pileorum toros cum ingenti cauda pensili, oras vestium insectas, toros in humeris tumentes, caesariem duobus digitis supra aures derasam, vestem longe breviorem, quam ut ad genua porrigatur, vix pudenda tegentem, calceos rostris in immensum porrectis, catenam argen­ team a genu ad talum usque revinctam. Nec illis tem­ poribus minus prodigiosus fuisset cultus, qui nunc habe­ tur honestissimus.

Der Ciceronianer

129

NosoPoNus. Damals hätten die Leute dieser gepflegten und

rhythmisch gestalteten Sprache keinen Geschmack abge­ winnen können; sie waren an gröbere Kost gewöhnt. Denn die Form ihrer Rede entsprach dem Charakter der Zeit. BuLEPHoRus. Du willst damit sagen, daß die Sprache

gewissermaßen das Kleid der Wirklichkeit ist ? N osoPoNus. Ja, wenn du sie nicht lieber ihr Bild nennen willst. BuLEPHORUS. Bleiben wir beim Beispiel vom Kleid: Die

Kleidung, die an einem Kind hübsch ist, steht einem alten Mann nicht an, die, die für eine Frau paßt, schickt sich nicht für einen Mann, die Kleidung, die man zur Hochzeit trägt, wäre bei einem Begräbnis unpassend und die, die einst vor hundert Jahren Bewunderung her­ vorrief, würde man heute wohl kaum schön finden. NosoPoNus. Im Gegenteil, sie würde von allen Leuten aus­

gepfiffen und ausgelacht werden. Schau dir doch auf Gemälden, die noch gar nicht so alt, vielleicht vor sech­ zig Jahren entstanden sind, die Mode der Damen des Hofes und der adeligen Herren an! Wenn sich heute einer in der Öffentlichkeit so sehen ließe, würden die Kinder und Narren mit faulen Äpfeln nach ihm werfen! HvPoLoGus. Du hast vollkommen recht. Wer könnte heute

an ehrbaren Matronen den Anblick dieser hörner-, kegel­ und turmartigen Gebilde ertragen, die als Hauben hoch von ihrem Kopf aufragen, dazu die kahle Stirn, das Ergebnis der Mode, die Haare von den Schläfen bis fast zum Mittelkopf künstlich zu entfernen, oder an den Män­ nern die turbanartigen Hüte mit den langen Sendel­ binden, die gezaddelten Ränder der Kleider, die riesigen Schulterwülste, das zwei Fingerbreit oberhalb der Ohren abrasierte Haar, die kurze Schecke, die bei weitem nicht bis zu den Knien reicht, ja kaum die Scham bedeckt, die Schuhe mit den weit vorgezogenen Schnäbeln und die silberne Kette, mit der das Bein vom Knie bis zum Knö­ chel umschnürt ist. Umgekehrt hätte damals die Mode, die heute als höchst schicklich gilt, nicht weniger aben­ teuerlich gewirkt.

130

Ciceronianus

N osoPoNus. De veste convenit. BuLEPHORUS. Da nunc, si libet, ex pictoribus Apellem,

qui suae aetatis et deos et homines optime pingere soli­ tus est, si quo fato rediret in hoc saeculum et tales pinge­ ret Germanos, quales olim pinxit Graecos, tales monar­ chas, qualem olim pinxit Alexandrum, cum hodie tales non sint, nonne diceretur male pinxisse? N osoPoNus. Male, quia non apte. BuLEPHORUS. Si tali habitu pingeret quis Deum patrem,

quali pinxit olim Iovem, tali specie Christum, quali turn pingebat Apollinem, num probares tabulam? NosoPoNus. Nequaquam. BuLEPHORUS. Quid? si quis Virginem matrem hodie sie

exprimeret, quemadmodum Apelles olim effigiabat Dia­ nam, aut Agnem virginem ea forma, qua ille pinxit illam omnium literis celebratam 'Avoc8uoµev'Y)v, aut divam Theclam ea specie, qua pinxit Laidem, num hunc diceres Apelli similem? NosoPoNus. Non arbitror. BuLEPHoRus. Et si quis templa nostra talibus ornaret

simulacris, qualibus olim Lysippus ornavit fana deorum, num hunc diceres Lysippo similem? NosoPoNus. Non dicerem. BuLEPHoRus. Cur ita?

N osoPoNus. Quia signa rebus non congruerent. Idem dice­ rem, si quis asinum pingeret specie bubali aut accipitrem figura cuculi, etiamsi ad eam tabulam summam alioqui curam et artem adhiberet.

Der Ciceronianer

131

NosoPoNus. Was die Kleidung betrifft, sind wir uns einig. BuLEPHORUS. Stell dir nun bitte einmal vor, von den

Malern der Antike würde etwa Apelles, der Götter und Menschen seiner Zeit hervorragend zu malen verstand, durch eine Laune des Schicksals in unsere Zeit versetzt und würde nun die Deutschen so malen, wie er seinerzeit die Griechen malte, die Könige so wie den Alexander, obwohl sie jetzt doch ganz anders aussehen: Würde man da nicht sagen, seine Malerei sei schlecht? NosoPoNus. Ja, und zwar deshalb, weil sie nicht den jetzi­ gen Verhältnissen entspricht. BULEPHORUS. Wenn jemand Gottvater in derselben Pose

malte wie Apelles seinerzeit den Jupiter, oder Christus in der Gestalt wie er den Apoll: Würdest du so ein Gemälde gut finden? NosoPoNus. Niemals. BULEPHORUS: Und wenn heutzutage jemand die jungfräu­

liche Gottesmutter so darstellte, wie Apelles einst die Diana malte, oder die Jungfrau Agnes in der gleichen Gestalt wie Apelles die in der gesamten Literatur gefei­ erte Anadyomene, wenn er der heiligen Thekla das Aus­ sehen der Lais56 gäbe: Würdest du von so einem Maler sagen, daß er an Apelles heranreicht? NosoPoNus. Wohl kaum. BuLEPHoRus. Und wenn einer unsere Kirchen mit den

gleichen Figuren ausschmückte, mit denen einst Lysipp die heidnischen Tempel geschmückt hat, würdest du von diesem Manne sagen, er reiche an Lysipp heran? NosoPoNus. Nein. BULEPHORUS. Und warum nicht?

NosoPoNus. Weil die Form der Darstellung nicht zum dargestellten Gegenstand paßt. Das gleiche würde ich sagen, wenn jemand einem Esel die Gestalt eines Büffels gäbe oder einem Adler das Aussehen eines Kuckucks, selbst wenn er auf das Gemälde ansonsten viel Kunst und Sorgfalt verwendet hätte. 61

Eine berühmte Hetäre

aus

Korinth.

132

Ciceronianus

HvPoLoGus. Ego nec illum appellarem probum pictorem, qui deformem hominem in tabula formosum redderet. BuLEPHORUS. Quid si alioqui summam artem praestaret? HvPoLoGus. Non artis expertem tabulam dicerem, sed mendacem. Potuisset enim aliter pingere, si voluisset. Ceterum ei, quem expressit, blandiri maluit vel illudere. Sed quid ? num hunc putas probum artificem? N osoPONUS. Ut sit, hie rerte non praestitit. BuLEPHORUS. Bonum igitur virum existimas? NosoPoNUS. Nec bonum artificem nec bonum virum. Siqui­ dem caput artis est rem, ut est, oculis repraesentare. BuLEPHORUS. Ad hoc non est magnopere opus eloquentia Ciceroniana. Nam vestri rhetores permittunt oratori mentiri nonnunquam, res humiles verbis attollere, magni­ ficas deicere130, quod sane praestigii genus est, obrepere insidiis in animum auditoris, postremo movendis affecti­ bus, quod veneficii genus est, vim adferre mentibus. NosoPoNus. Verum, ubi dignus est auditor, qui fallatur. BuLEPHORUS. Sed haer interim mittamus alieniora. Mihi satis est, quod amictum non probes corpori parum accom­ modum, quod picturam damnas non aptam ei rei, quam profitetur se velle effingere. NosoPoNus. Sed quem exitum habiturae sunt istae tuae Socraticae e:tmx.ywyod ?

iao

Quint. 2,17,27 sq. (Cic. Brut. 47. Plato, Phaidr. p. 267•. al.)

Der Ciceronianer

133

HvPOLOGUS. Für meine Begriffe ist nicht einmal der ein guter Maler, der einen häßlichen Menschen auf einem Bild idealisiert darstellt. BuLEPHORUS. Nicht? Auch wenn das Bild ansonsten eine künstlerische Leistung ist? HvPOLOGUS. Ich würde dem Bild nicht die künstlerische Qualität absprechen, sondern die

Wirklichkeitstreue.

Denn wenn er gewollt hätte, hätte er es auch anders ma­ len können. Aber er hat es vorgezogen, dem, den er por­ trätierte, zu schmeicheln oder einen Streich zu spielen. Und findest du, daß so jemand ein rechtschaffener Künstler ist? N osoPoNus. Wenn er es ist, so hat er sich jedenfalls hier nicht bewährt. BULEPHORUS. Hältst du ihn also für einen guten Menschen? NosoPoNus. Nein, weder für einen guten Künstler noch für einen guten Menschen. Denn das oberste Gebot der Kunst ist es, einen Gegenstand so darzustellen, wie er in Wirklichkeit ist. BULEPHORUS. Dazu ist aber ciceronianische Beredsamkeit nicht so unbedingt nötig. Denn eure Lehrer der Rhetorik gestatten dem Redner, gelegentlich die Unwahrheit zu sagen, Unbedeutendes aufzubauschen und Wichtiges zu bagatellisieren, was doch gewiß eine Art Betrug ist, sich die Sympathie des Publikums mit List zu erschleichen und schließlich mit allen Mitteln der Psychagogie, und das ist so etwas wie Gift, das Denken der Zuhörer zu ver­ gewaltigen. N osoPoNus. Aber nur dann, wenn der Zuhörer es verdient, daß man ihn irreführt. BuLEPHORUS. Das wollen wir jetzt beiseite lassen, es gehört nicht unmittelbar zur Sache. Mir genügt es, wenn du ein Kleid, daß nicht zu seinem Träger paßt, nicht schön findest, und ein Bild ablehnst, das den Gegenstand, den es darstellen soll, in einer ihm nicht gemäßen Form dar­ stellt. NosoPoNUS. Was ist denn nun eigentlich das Ziel deiner sokratischen Fragerei?

134

Ciceronianus

BuLEPHORUS. Videlicet huc ibam, mi Nosopone. Hoc mihi

tecum convenit Ciceronem omnium optime dicere. N osoPoNus. Convenit. BuLEPHORUS. Nec Ciceroniani pulcherrimum mereri cogno­

men, nisi qui similiter possit dicere. NosoPoNus. Prorsus. BuLEPHoRus. Turn ne bene quidem dicere, qui non dicat

apte. N osoPoNus. Convenit et istuc. BuLEPHORUS. Ut autem apte dicamus, ita demum fieri, si

sermo noster personis et rebus praesentibus congruat. N osoPoNus. Scilicet. BuLEPHORUS. Quid? Videtur praesens saeculi status cum

eorum temporum ratione congruere, quibus vixit ac dixit Cicero, cum sint in diversum mutata religio impe­ rium magistratus respublica leges mores studia, ipsa hominum facies, denique quid non? N osoPoNus. Nihil simile. BuLEPHORUS. Quid igitur frontis habeat ille, qui a nobis

exigat, ut per omnia Ciceronis more dicamus? Reddat is nobis prius Romam illam quae fuit olim, reddat sena­ tum et curiam, patres conscriptos, equestrem ordinem, populum in tribus et centurias digestum, reddat augu­ rum et haruspicum collegia, pontifices maximos, ßamines et vestales, aediles, praetores, tribunos plebis, consules, dictatores, Caesares, comitia, leges, senatus consulta, plebiscita, statuas, triumphos, ovationes, supplicationes, fana, delubra, pulvinaria, sacrorum ritus, deos deasque, Capitolium et ignem sacrum, reddat provincias, colonias, municipia et socios urbis rerum dominae. Porro, cum

Der Ciceronianer

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BuLEPHORUS. Ich bin bereits an diesem Ziel angelangt, mein lieber Nosoponus. Wir sind uns darin einig, daß Cicero der beste aller Redner ist? N osoPoNus. Einverstanden. BULEPHORUS. Und daß nur der den erhabenen Ciceroni­ anertitel verdient, der ebensogut reden kann wie er? N osoPONUS. Sehr wohl.

BuLEPHORUS. Daß ferner jemand, der nicht in angemesse­ nem Stil redet, auch nicht gut redet? N osoPoNUS. Auch damit bin ich einverstanden.

BuLEPHORUS. Daß unser Stil jedoch, um angemessen zu sein, den Personen und Verhältnissen der Gegenwart entsprechen muß ? N osoPoNus. Natürlich. BULEPHORUS. Nun sag, findest du, daß die Situation unseres Jahrhunderts mit den Verhältnissen jener Zeit, in der Cicero lebte und wirkte, noch etwas gemein hat? Es hat sich doch alles grundlegend gewandelt, die Religion, das Imperium, die Verwaltung, die Staatsform, die Gesetze, die Sitten, die Interessen, sogar das Aussehen der Men­ schen, ja - was eigentlich nicht? N osoPoNus. Ja, alles ist anders geworden. BuLEPHORUS. Wie kann sich also einer unterstehen, von uns zu verlangen, daß wir uns bei allem und jedem der Ausdrucksweise Ciceros bedienen? Wer das von uns ver­ langt, der soll uns zuerst das Rom von einst wiedergeben, den Senat und die Kurie, die Senatoren, den Ritterstand, das Volk mit seinen Tribus und Centurien, die Kollegien der Auguren und Haruspices, die Priesterschaft, die Sonderpriester und Vestalinnen, die Ädilen, Prätoren, Volkstribunen, Konsuln, Diktatoren und Caesaren, die Komitien, die Gesetze, Senatsbeschlüsse und Plebiszite, die Denkmäler, Triumphe und Ovationen, die Dankfeste, die Tempel und Heiligtümer, die Götterbewirtungen und Opferriten, die Götter und Göttinnen, das Kapitol und das heilige Feuer, er soll uns die Provinzen wiedergeben, die Kolonien, Munizipien und Bundesgenossen der Stadt, die die Herrin der Welt war. Nun aber, da sich der ganze

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Ciceronianus

undequaque tota rerum humanarum scena inversa sit, quis hodie potest apte dicere nisi multum Ciceroni dissi­ milis? Adeo mihi videtur hoc quod agebamus in diver­ sum exisse. Tu negas quenquam bene dicere, nisi Cicero­ nem exprimat, at res ipsa clamitat neminem posse bene dicere, nisi prudens recedat ab exemplo Ciceronis. Quo­ cunque me verto, mutata omnia, in alio sto proscenio, aliud conspicio theatrum, immo mundum alium. Quid faciam? Christiano mihi dicendum est apud Christianos de religione Christiana; num, ut apte dicam, imaginabor me vivere aetate Ciceronis et in frequenti senatu apud patres conscriptos in arce Tarpeia dicere, et ex orationi­ bus quas in senatu dixit Cicero voculas aliquot, figuras et numeros emendicabo? Habenda est contio apud pro­ miscuam multitudinem, in qua sunt et virgines et uxo­ res et viduae, dicendum est de laude ieiunii, de paeni­ tentia, de fructu orandi, de utilitate eleemosynarum, de sanctitate matrimonii, de contemptu rerum fluxarum, de studio divinarum literarum: quid hie opitulabitur mihi Ciceronis eloquentia, cui quemadmodum res, de quibus dicendum est, erant ignotae, ita non potuerunt usitata esse vocabula, quae post illum nova cum rebus novis exorta sunt. An non frigidus orator erit, qui ad has materias veluti pannos Ciceroni detractos assuat? Refe­ ram non rumore perlata, sed quod his auribus audivi, his oculis conspexi. Florebant id temporis Romae prae­ ter ceteros dicendi laude Petrus Phaedrus et Camillus, hoc aetate minor, sed eloquendi viribus maior, nisi quod

Der Ciceronianer

137

Schauplatz menschlichen Lebens von Grund auf geändert hat, muß man da, um so zu reden, wie es den Verhält­ nissen der heutigen Zeit angemessen ist, nicht eine völlig andere Sprache sprechen als Cicero? Ich habe den Ein­ druck, wir sind bei unserer Debatte zu einem ganz ent­ gegengesetzten Ergebnis gekommen: Du behauptest, daß einer nur dann ein guter Redner ist, wenn er sich ausdrückt wie Cicero, doch aus der Natur der Sache ergibt sich zwangsläufig, daß jemand nur dann ein guter Redner sein kann, wenn er sich vom Beispiel Ciceros bewußt distan­ ziert. Wohin ich schaue, ist alles anders geworden, ich stehe auf einer anderen Bühne und blicke in ein anderes Publi­ kum, ja in eine andere Welt. Was soll ich tun? Ich bin Christ und muß vor Christen über die christliche Religion reden; soll ich mich etwa, um dies in angemessener Weise tun zu können, in die Zeit Ciceros zurückversetzen und mir vorstellen, ich hielte meine Rede im vollbesetzten Senat vor der Versammlung der Senatoren auf dem Tarpejischen Felsen, und mir von den Reden, die Cicero im Senat hielt, einige Wörter, Wendungen und Klauseln ausborgen? Ich muß meine Rede vor einem gemischten Publikum halten, unter dem sich auch Mädchen, Frauen und Witwen befin­ den, ich muß über die Tugend des Fastens sprechen, über Reue, über den Segen des Gebetes, den Nutzen der guten Werke, über die Heiligkeit der Ehe, die Verachtung alles Vergänglichen,

die

Beschäftigung

mit

der

Heiligen

Schrift: Was nützt mir bei alldem die ganze Beredsam­ keit Ciceros, dem die Dinge, über die ich sprechen muß, unbekannt und infolgedessen auch die Ausdrücke nicht geläufig waren, die nach seiner Zeit zugleich mit den neuen Dingen neu aufgekommen sind? Wirkt ein Red­ ner nicht matt und langweilig, wenn er diesen Stoff mit ein paar Flicken vom Gewande Ciceros verbrämt? Ich will auch dazu eine Begebenheit erzählen, die ich nicht etwa nur gerüchteweise erfahren, sondern mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen habe. Es standen damals in Rom neben einigen anderen Pietro Fedra und Camillo ob ihrer rhetorischen Fähigkeiten

Ciceronianus

138

ille iam huius laudis arcem occuparat. Verum horum neuter, ni fallor, genere Romanus erat. Erat autem cui­ piam delegata provincia, qui de morte Christi diceret die sacro, quem parasceues appellant, idque apud summum pontificem. Aliquot ante diebus ad eam orationem audi­ endam sum invitatus ab eruditis. Cave, inquiebant, ne desis; nunc demum audies, quid lingua Romana sonet in ore Romano. Adfui percupide, astiti suggesto proxi­ mus, ne quid effugeret. Aderat ipse Iulius secundus, quod solet, valetudinis opinor causa, admodum raro, aderat frequens cardinalium episcoporumque consessus ac praeter ignobilem turbam docti plerique, qui turn Romae agebant. Nomen oratoris non edam, ne cui videar hominis probi et eruditi famam arrodere voluisse. Erat hoc animo quo tu nunc es, Nosopone, nimirum Cicero­ nianae facundiae candidatus. Prooemium et peroratio oratione paene tota longior consumebatur praedicandis Iulii secundi laudibus, quem appellabat Iovem 0. M„ qui dextra omnipotente tenens ac vibrans trisulcum et 'inevitabile fulmen'131 solo nutu faceret quicquid vellet. Quicquid aliquot annis gestum fuerat in Galliis, in Ger­

mania, in Hispaniis, in Lusitania, in Africa, in Graecia,

id unius nutu perfectum esse praedicabat. Atque haec

111

Ov.

met.

3,301

Der Ciceronianer

139

in hohem Ansehen57• Camillo war jünger, aber der bes­ sere Redner, wenngleich der andere bereits den Gipfel des Ruhmes erklommen hatte. Doch keiner von beiden war, wenn ich nicht irre, Römer von Geburt. Nun hatte jemand die Aufgabe übertragen bekommen, am heiligen Karfreitag über den Tod Christi zu sprechen58, und zwar in Anwesenheit des Papstes. Ein paar Tage vorher wurde ich von einigen Gelehrten eingeladen, mir die Rede anzu­ hören. Das darfst du auf keinen Fall versäumen, sagten sie, denn jetzt hast du endlich einmal Gelegenheit, zu hören, wie die Sprache Roms im Munde eines Römers klingt. Ich kam also voll gespannter Erwartung und stellte mich ganz in der Nähe des Rednerpultes auf, um mir nur ja kein Wort entgehen zu lassen. Julius II. war höchstpersönlich anwesend, was

-

aus Gesundheits­

gründen, vermute ich - nur sehr selten vorkommt, eine große Zahl von Kardinälen und Bischöfen war versam­ melt und abgesehen vom gemeinen Volk fast alle Gelehr­ ten, die sich damals in Rom aufhielten. Den Namen des Redners will ich nicht nennen, man könnte sonst meinen, ich wollte den Ruf eines tüchtigen und gebildeten Man­ nes untergraben. Jedenfalls war er dein Gesinnungs­ genosse, Nosoponus, das heißt ein eifriger Adept cicero­ nianischer Redekunst. Einleitung und Epilog waren fast länger als die ganze Rede und erschöpften sich in Lobes­ erhebungen auf Julius II. Er nannte ihn Jupiter, den Besten und Größten, der mit allmächtiger Hand das un­ abwendbare Blitzbündel hält und schleudert und mit dem bloßen Nicken seines Hauptes alles vollbringt, was er will. Alles, was sich im Laufe einiger Jahre in Frank­ reich, Deutschland, Spanien, Portugal, in Afrika und Griechenland ereignet hatte, sei, so verkündete er, einzig " Tommaso (nicht Pietro) Fedra Inghirami und Giulio Camillo, der spater eine Apologie gegen den Ciceronianus verfaßte, waren Mit­ glieder der römischen Akademie. 58

Dieser 'Jemand', der die Predigt am Karfreitag

1509

hielt, war

Fedra Inghirami; vgl. A. Renaudet, Erasme et l'Italie (Geneve

1954) s. 204.

140

Ciceronianus

quidem Romae Romanus ore Romano sonoque Romano. Sed quid haec ad Iulium Christianae religionis antistitem, Christi vices gerentem, Petri et Pauli successorem? Quid haec ad cardinales et episcopos reliquorum apostolorum vicem obtinentes? Iam argumento, quod susceperat trac­ tandum, quid sacratius, quid verius, quid mirabilius, quid sublimius, quid commovendis affectibus accommodatius? Quis hie vel vulgari quapiam eloquentia praeditus non saxeis etiam hominibus excitet lacrimas? Consilium ora­ tionis hoc erat, ut primum Christi martern faceret luctuo­ sam, mox in diversum flexa dictione redderet gloriosam ac triumphalem, nimirum ut nobis exhiberet exemplum Ciceronianae dinoseos, qua potuit auditorum animos in quemcumque vellet affectum rapere. HvPoLoGus. Quid? successitne? BuLEPHORUS. Mihi, cum maxime tractaret affectus illos

tragicos, quos rhetores appellant 7toc&!J, ne quid fingam, ridere libebat. Nec quenquam in toto illo consessu vidi pilo tristiorem, cum totis eloquentiae viribus exaggeraret indignos innocentissimi Christi cruciatus, rursum nec tantulo hilariorem quenquam, cum totus in hoc esset, ut martern illam redderet nobis triumphalem plausibilem et gloriosam. Commemorabat Decios et Q. Curtium, qui se pro salute rei publicae diis manibus devovissent, item Cecropem Menoeceum Iphigeniam et alios aliquot, qui­ bus patriae salus ac dignitas ipsa vita fuisset carior.

Der Ciceronianer

141

das Werk seines erhabenen Willens. Gewiß, dies alles ward in Rom gesprochen, von einem Römer, aus Römer­ mund und in Römerlaut. Doch was hat das mit Julius, dem höchsten Herrn der Christenheit, zu tun, mit Julius, dem Stellvertreter Christi und Nachfolger des Petrus und Paulus? Und was mit den Kardinälen und Bischöfen, die die Nachfolger der übrigen Apostel sind? Und das Thema, das er zu behandeln hatte, ist es nicht das heiligste, wahr­ haftigste, wundervollste und erhabenste, ist es nicht wie kein anderes geeignet, die Herzen zu erschüttern? Müßte es bei diesem Thema nicht auch einem mittelmäßigen Redner gelingen, selbst Menschen von Stein noch zu Tränen zu rühren? Die Grundkonzeption der Rede war, den Tod Christi zunächst als leidvolles Geschehen zu schildern, um ihn dann, in vollendeter Peripetie der Dar­ stellung, zum glorreichen und triumphalen Ereignis zu ge­ stalten und so ein Beispiel für die Macht ciceronianischer Psychagogie zu liefern, kraft der er die Herzen der Zuhörer zu jeder beliebigen Stimmung hinzureißen vermochte. HYPOLOGUS. Und? Ist es ihm gelungen? BuLEPHoRus. Was mich selber betrifft: Als er alle Register

zog, um die tragische Erschütterung hervorzurufen, die die Rhetoren Pathos nennen, da hätte ich, um die Wahr­ heit zu sagen, am liebsten gelacht. Und im ganzen Hörer­ kreise sah ich keinen, dessen Miene um ein Haar trauriger war, als er alle rhetorischen Mittel aufbot, um die unver­ dienten Leiden des schuldlosen Herrn in aller Eindring­ lichkeit zu schildern, oder auch nur eine Spur froher, als er ganz darin aufging, uns den Tod Christi als trium­ phales, freudvolles und glorreiches Ereignis vor Augen zu stellen. Er erwähnte die Decier und Q. Curtius, die sich zur Rettung des Staates den Göttern der Unterwelt geweiht hatten, ferner Kekrops59, Menoikos00, Iphigenie 61

•0

Kekrops ist der Sage nach der erste König Attikas und Erbauer der athen. Burg. Menoikos, Sohn des Kreon, tötete sich freiwillig, als bei der Belage­ rung Thebens durch die Sieben der Seher Teiresias den Thebanern den Sieg prophezeite, wenn Menoikos dem Ares geopfert würde.

142

Ciceronianus

Deplorabat autem valde lugubriter, quod fortibus viris, qui suis periculis rei publicae subvenissent, publicis decretis relata esset gratia, aliis in foro posita statua aurea, aliis decretis honoribus divinis: Christum pro suis benefactis ab ingrata Iudaeorum gente praemii loco tulisse crucem, dira passum summaque affectum igno­ minia. Atque ita nobis bonum illum et innocentem virum deque gente sua optime meritum reddebat miserandum, quasi Socratis aut Phocionis mortem deplorasset qui, cum nihil admisissent sceleris, civium suorum ingrati­ tudine coacti sunt cicutam bibere, aut Epaminondae, qui ob res praeclare gestas compulsus est capitis causam apud suos dicere, aut Scipionis, qui post tot in rem publi­ cam merita exsulatum abiit, aut Aristidis, quem populus Atheniensium non ferens cognominis invidiam, quod ob insignem morum integritatem vulgo iustus diceretur, ostracismo iussit in exilium proficisci. Quaeso, quid his dici potuit frigidius aut ineptius? Et tarnen Ciceronem pro viribus aemulatus est. Ceterum de arcano supremi numinis consilio, quod hac inaudita ratione voluit genus humanum a diaboli tyrannide redimere per mortem unici filii, turn de mysteriis, quid sit commori Christo, quid sit cum illo sepeliri, quid cum illo resurgere, nulla mentio. Deplorabatur illius mnocenua, traducebatur Iudaeorum ingratitudo, at non deplorabatur nostra malitia, nostra

Der Ciceronianer

143

und noch etliche andere, denen Heil und Ehre des Vater­ landes teurer war als ihr Leben. Er erging sich in Jammer und Wehklagen darüber, daß tüchtigen Menschen, die unter Einsatz ihres Lebens dem Staat gedient hatten, öffentlich Anerkennung und Dank zuteil wurde, daß man für die einen ein goldenes Standbild auf dem Forum errichtete, für andere sogar göttliche Ehren beschloß, während Christus zum Lohn für seine Wohltaten vom undankbaren Volk der Juden gekreuzigt wurde, bittere Schmerzen leiden und Schmach und Erniedrigung erdul­ den mußte. Er stellte ihn als guten und unschuldigen Mann dar, der für sein Volk Großes getan hat und unser Mitleid verdient, und er tat dies nicht anders, als hätte er den Tod des Sokrates oder Phokion zu beklagen, die, ohne sich eines Verbrechens schuldig gemacht zu haben, von ihren undankbaren Mitbürgern gezwungen wurden, den Schierlingsbecher zu trinken, oder das Schicksal des Epaminondas, der sich für seine großartigen Erfolge vor seinen eigenen Landsleuten in einem Kapitalprozeß ver­ antworten mußte, oder das des Scipio, der nach so vielen Verdiensten um den Staat ins Exil ging, oder des Ari­ stides, dem das Volk von Athen den Beinamen - man hatte ihn wegen der außergewöhnlichen Lauterkeit seines Charakters den Gerechten genannt - nicht gönnte und den es durch ein Scherbengericht zur Verbannung ver­ urteilte. Ich frage euch: Hätte man etwas noch Geist­ loseres und Unangebrachteres sagen können? Allerdings: Cicero hat er nach Kräften nachgeahmt. Der geheimnis­ volle Ratschluß Gottes, das Menschengeschlecht auf so unerhörte Weise

-

durch

den Tod

seines

einzigen

Sohnes - aus der Knechtschaft des Teufels zu erlösen, das Mysterium, was es heißt, mit Christus zu sterben, mit ihm begraben zu werden und mit ihm wieder aufzu­ erstehen, wurde mit keinem Wort erwähnt. Er erging sich in Klagen über die Unschuld Christi, in Vorwürfen gegen die Undankbarkeit der Juden, aber es fiel kein Wort der Klage über unsere eigene Schlechtigkeit und Undankbarkeit, in der wir ihn, der uns um einen so hohen

144

Ciceronianus

ingratitudo, qui sie redempti, tot beneficiis affecti, ad tantam felicitatem inaudita benignitate provocati rursus illum, quod in nobis est, crucifigimus, ultro revoluti in satanae tyrannidem, servientes avaritiae luxui voluptati­ bus ambitioni, magis huic mundo dediti quam unquam fuerint ethnici, quibus Deus nondum aperuerat hanc caelestem philosophiam. Iam in diversa parte, cum ille magno conatu id ageret, ut gaudio gestiremus, magis libebat fiere, cum audirem Scipionis, Pauli Aemilii et C. Caesaris triumphos et imperatores in deorum numerum relatos cum crucis triumpho conferri. Huius gloriam qui voluisset verbis attollere, Paulum apostolum potius sibi proponere debebat quam Ciceronem. Quam ille in hoc argumento exsultat attollitur superbit regnat triumphat omnia mundana velut e sublimi despiciens, quoties in crucis praedicationem incidit ! Quid multis? Tarn Ro­ mane dixit Romanus ille, ut nihil audirem de morte Christi. Et tarnen ille Ciceronianae dictionis ambitiosissi­ mus candidatus Ciceronianis videbatur mirifice dixisse, cum de re paene nihil diceret, quam nec intelligere nec amare videbatur, neque quicquam apposite dicebat nec ullos moverat affectus. Tantum hoc laudis ferebat, quod Romane pronuntiasset et aliquid Ciceronis rettulisset. Probari poterat hoc velut indolis ingeniique specimen, si a puero apud pueros in schola fuisset habita talis oratio. Verum ad talem diem, ad tales auditores, ad tale argu­ mentum quid faciebat, obsecro? N osoPoNus. Est &vwvuµoi;, de quo loqueris?

Der Ciceronianer

145

Preis erlöst, mit so reichen Gaben beschenkt und in seiner unbegreiflichen Güte zu so großer Seligkeit berufen hat, soweit es an uns liegt, von neuem kreuzigen und uns freiwillig wieder der Herrschaft des Bösen ausliefern, indem wir der Habgier, dem Luxus, dem Genuß und dem Ehrgeiz frönen und dieser Welt in viel stärkerem Maße verfallen als die Heiden, denen Gott die Lehre des Heiles noch nicht geoffenbart hatte. Umgekehrt war mir, als er alles daransetzte, Freude in uns zu wecken, eher nach Weinen zumute, da ich hören mußte, daß er die Triumphe eines Scipio, Aemilius Paulus und Caesar und die Auf­ nahme der Kaiser in den Kreis der Götter mit dem Tri­ umph des Kreuzes auf eine Stufe stellte. Wer den Ruhm des Kreuzes verkünden will, nähme sich besser den Apostel Paulus zum Vorbild als Cicero. Zu welchem J ubei reißt ihn dieses Thema hin ! Zu welcher Begeiste­ rung, Höhe, Größe, Macht und Herrlichkeit schwingt er sich empor, alles Irdische weit hinter sich lassend, wenn er den Lobpreis des Kreuzes anstimmt. Was soll ich noch viel sagen? So römisch redete dieser Römer, daß ich über den Tod Christi nichts zu hören bekam. Doch die Ciceronianer fanden den Vortrag dieses ehrgeizigen Adepten ciceronianischer Beredsamkeit wundervoll, und dies, obwohl er zum Thema selbst, für das er anscheinend weder Verständnis noch Liebe aufbringen konnte, so gut wie nichts sagte, obwohl nichts von dem, was er sagte, dem Anlaß gemäß war, und obwohl er keinerlei Gefühle zu wecken vermochte. Seine ganze Leistung bestand darin, daß er die Rede in römischer Aussprache vortrug und etwas von Cicero durchspüren ließ. Man hätte diese Rede als Beweis für Talent und Begabung gelten lassen können, wenn sie von einem Kind in der Schule vor anderen Kindern gehalten worden wäre. Aber was um Himmels willen sollte dies an einem solchen Tag, vor einem solchen Publikum, bei einem solchen Thema? N osoPoNus. Ist der Mann, von dem du sprichst, ein Unbe­

kannter?

146

Ciceronianus

BuLEPHORUS. Nomen, ut dictum est, intelligi malo quam

exprimi. Neque enim nobis hie propositum est ullius nomen aspergere, sed errorem vitandum ostendimus, qui non paucis hodie sub splendidi nominis umbra imponit. Hoc nostra refert, Nosopone; nomen hominis, de quo narravi fabulam, scire nihil refert. Pertinet autem hoc et ad Ciceronis gloriam, cui video te supra modum favere, cui quotquot usquam terrarum sunt eruditi merito favent. Nam isti simii non solum officiunt adulescentiae studiis ac moribus, verum etiam ipsum Ciceronis nomen obscu­ rant, cuius cognomine sese venditant, cum nihil sint mi­ nus quam Ciceroniani. Quemadmodum eximiae pietatis virum Benedictum infamant, quoties se cultu tituloque iactant Benedictinos etiam illi, qui vita propius ad Sar­ danapalum accedunt quam ad Benedictum, et minime malitiosum hominem Franciscum, qui se huius cogno­ mine iactitant, cum moribus Pharisaeos propius expri­ mant quam Franciscum, et Augustinum, qui se ferunt Augustinenses, cum a doctrina simul ac pietate tanti viri procul abhorreant, fortasse et Christum, qu1 praeter titulum nihil habent illius: ita Ciceronis famae labern aspergunt, qui nihil habent in ore praeter Ciceronem et Ciceronianos, cum nulli magis absint ab eloquentia Ciceronis. Mirum, quo supercilio Thomae, Scoti, Durandi similiumque barbariem exsecrentur, et tarnen, si res

Der Ciceronianer

147

BuLEPHORUS. Ich habe schon gesagt, es wäre mir lieber, wenn man seinen Namen erriete als wenn ich ihn nennen müßte. Denn es ist nicht der Zweck unserer Diskussion, den Ruf eines Mannes anzutasten, sondern den gefährli­ chen Irrtum aufzuzeigen, dem heute so viele verfallen, weil er sich hinter einem glanzvollen Namen verbirgt. Das allein ist für uns von Belang, doch ob wir den Namen des Mannes, von dem ich diese Geschichte erzählt habe, kennen oder nicht, ist belanglos. Zugleich geht es aber auch um das Ansehen Ciceros, das du, wie ich sehe, so hoch anschlägst und das auch die Gelehrten in aller Welt mit Recht hochhalten. Denn diese seine Nachäffer stiften nicht nur Schaden bei der wissenschaftlichen Ausbildung und sittlichen Erziehung der J ugend, sie verdunkeln auch den Ruhm Ciceros, indem sie seinen Namen als Aushänge­ schild für eine Haltung benutzen, die nichts weniger als ciceronianisch ist. Denn ebenso wie es der Ehre eines so tieffrommen Mannes, wie es der hl. Benedikt war, schadet, wenn sein Ordenskleid und seinen Namen auch Leute tragen, die in ihrer Lebensweise mehr an Sardanapal ge­ mahnen als an Benedikt, oder wie ein so schlichter Mann wie Franziskus in Verruf kommt, weil die, die sich seinen Namen anmaßen, ihrem Charakter nach eher in der Nach­ folge der Pharisäer stehen als in der Nachfolge des hl. Franz, und wie Augustinus durch die Leute diffamiert wird, die sich Augustiner nennen, obwohl ihre Geistes­ haltung zur Gelehrsamkeit und Frömmigkeit dieses großen Mannes in eklatantem Widerspruch steht, und vielleicht auch Christus durch die, die außer dem Namen nichts mit ihm gemein haben; ebenso wird die Ehre Ciceros von jenen in den Schmutz gezogen, die von nichts an­ derem reden als von Cicero und Ciceronianern, während sie

von ciceronianischer Eloquenz

sitzen

weit weniger

be­

als irgendwer sonst. Unglaublich, mit welcher

Hochnäsigkeit sie die Sprache eines Thomas, Scotus und Durandus61 als barbarisch abtun! Trotzdem können 81

Durandus von Mende, 1230/31-1296, Lehrer des Rechts in Bologna, berühmter Kanonist und Liturgiker.

148

Ciceronianus

vocetur ad exactum iudicium, illi, cum se nec eloquentes nec Ciceronianos iactitent, magis Ciceroniani sunt quam isti, qui postulant haberi non iam Ciceroniani, sed ipsi Cicerones. NosoPONUS. Monstri simile narras. BuLEPHORUS. Non est monstrosa veritas; qui mentitur,

monstri simile dicit. Nonne fateris Ciceroni simillimum, qui de quacunque re dicit optime? NosoPoNus. Fateor. BULEPHORUS. Ad bene dicendum duae potissimum res con­

ducunt, ut penitus cognitum habeas, de quo dicendum est, deinde ut pectus et affectus suppeditet orationem. NosoPoNus. Ista quidem docent Horatius132 et Fabius133 et alioqui citra auctorem verissima sunt; quare non conabor infitias ire. BuLEPHORUS. Unde igitur Ciceroniani nomen feret, hoc

est optime dicentis, qui de rebus loquitur, quas nec peni­ tus intelligit nec affectu pectoris prosequitur, ut ne dicam quas plane negligit oditque? HYPOLOGUS. Id quidem perdifficile est. Qui possit enim

pictor, quamvis probus artifex, effingere figuram homi­ nis, quem nunquam attente contemplatus est aut for­ tasse ne vidit quidem ? Deinde vix impetres ab hoc arti­ ficum genere, ut scite rem exprimant, nisi delectentur argumento. BuLEPHORUS. Illud igitur in primis curandum erat Cicero­

nianis, ut intelligant mysteria Christianae religionis nec

182 ua

Hor. ars 40 sq. 309 sqq.

Quint. passim, e. g. 12,1,28 sqq.

Der Ciceronianer

diese

Autoren,

die

sich

149

weder mit ihrer

Sprachge­

wandtheit noch mit ihrer Ciceronachfolge brüsten, bei sachlicher und gerechter Beurteilung der Dinge viel eher als Ciceronianer gelten als die, die mit dem Anspruch auftreten, schon nicht mehr nur Ciceronianer, sondern Cicero selbst zu sein. N osoPoNus. Du sagst ungeheuerliche Dinge. BuLEPHORUS. Die Wahrheit ist nichts Ungeheuerliches;

wer lügt, der sagt ungeheuerliche Dinge. Oder gibst du vielleicht nicht zu, daß man Cicero dann am nächsten kommt, wenn man über jedes beliebige Thema vorzüg­ lich zu reden versteht? N osoPoNus. Doch, das gebe ich zu. BULEPHORUS. Eine gute Rede aber hat vor allem zwei

Dinge zur Voraussetzung: erstens, daß man eine pro­ funde Kenntnis der Materie besitzt, über die man zu reden hat, und zweitens, daß man aus innerer Überzeu­ gung spricht. N osoPoNus. Dies lehren Horaz und Quintilian, aber auch

ohne ihre Autorität ist es vollkommen richtig, und es liegt mir fern, es zu bestreiten. BuLEPHORUS. Wie kann also jemand den Titel eines Cicero­

nianers, das heißt eines vorzüglichen Redners erwerben, wenn er über Dinge redet, für die er weder profunde Kenntnisse noch innere Anteilnahme besitzt, denen er vielleicht sogar gleichgültig und ablehnend gegenüber steht? HYPOLOGUS. Das dürfte schwer möglich sein. Denn wie

sollte ein Maler, selbst wenn er ein großer Künstler ist, einen Menschen porträtieren können, den er nie genau betrachtet und vielleicht nicht einmal zu Gesicht bekom­ men hat? Außerdem wird man auch von einem bildenden Künstler kaum verlangen können, daß er einen Gegen­ stand vollendet darstellt, wenn ihm der Vorwurf nicht zusagt. BULEPHORUS. Deshalb müßten die Ciceronianer zunächst

einmal danach trachten, tiefer in die Geheimnisse der christlichen

Religion

einzudringen

und

die

Heilige

150

Ciceronianus

minore studio libros sacros evolvant, quam Cicero philo­ sophorum poetarum iurisperitorum augurum et histori­ corum evolverat. His rebus instructus ille fuit Cicero. Nos, qui nostrae professionis nec leges nec prophetas nec historias nec interpretes attingimus, contemnimus etiam et horremus, qui tandem erimus Ciceroniani? Verum age, dicendum est apud Christianos, sed de re profana, puta de creando magistratu, de matrimonio aut de pangendo foedere aut de bello suscipiendo: an his de rebus Chri­ stiani apud Christianos eodem modo dicemus quo Cicero ethnicus loquebatur apud ethnicos? An non omnes vitae nostrae actiones conferendae sunt ad Christi regulas? A quibus si tua recedat oratio, iam nec bonus orator nec vir fueris bonus. Quodsi is qui dicit nullum verbum pro­ mit nisi ex indice suo, cum res mortalium in diversum commutatae novas voces invexerint, quid hie faciet Ciceronianus, cum eos non reperiet nec in M. Tullii libris nec in suo elencho? Si reicietur quicquid non deprehen­ ditur in libris illius, cum tarn multi interciderint, vide quam multa vitabimus ut barbara, quae sunt a Cicerone prodita, rursus quam multa quibus erat usurus, si de rebus huiusmodi dicendum fuisset. N usquam apud Cicero­ nem legimus Jesu Christi, verbi Dei, spiritus sancti aut trinitatis vocabulum nec 'evangelium' nec 'evangeli­ stam' nec 'Mosen' nec 'prophetam' nec 'pentateuchum' nec 'psalmos' nec 'episcopum' nec 'archiepiscopum' nec 'diaconum' nec 'hypodiaconum' nec 'acoluthum' nec 'exorcistam' nec 'ecclesiam' nec 'fidem', 'spem' et 'cari­ tatem' nec 'trium personarum eandem essentiam' nec 'haeresim' nec 'symbolum' nec septem ecclesiae sacra­ menta nec 'baptismum' aut 'baptistam' nec 'confirma­ tionem' nec 'eucharistiam' nec 'sacram unctionem' nec

Der Ciceronianer

151

Schrift mit ebenso großem Eifer zu studieren, wie Cicero die Schriften der Philosophen, Dichter, Juristen, Augu­ ren und Historiker studiert hat. Denn Cicero, er wußte über alle diese Dinge Bescheid. Und wir? Wie sollen wir jemals Ciceronianer werden, wenn wir die Schriften unseres Glaubens, das Gesetz und die Propheten, die geschichtlichen Bücher und Kommentare nie in die HancLnehmen, ja zutiefst verachten? Doch gesetzt den Fall, wir müßten zwar vor einer christlichen Zuhörer­ schaft sprechen, aber über ein weltliches Thema, wie etwa über die Wahl der Regierung, die Ehe, über einen Vertragsabschluß oder eine Kriegserklärung: Sollen wir als Christen vor einem christlichen Publikum über diese Dinge in derselben Weise reden wie der Heide Cicero vor einem heidnischen? Muß nicht für alles, was wir im Leben tun, das Gesetz Christi unsere Richtschnur sein? Wenn sich nicht auch deine Rede daran hält, so bist du kein guter Redner und auch kein guter Mensch. Wenn aber der Redner seinen Wortschatz ausschließlich aus seinem Index bezieht, was tut da so ein armer Ciceroni­ aner, wenn er die Ausdrücke, die mit den völlig verän­ derten

Lebensverhältnissen

neu

aufgekommen

sind,

weder in den Schriften Ciceros findet noch in seinem Lexikon? Wenn jedes Wort verpönt ist, das sich bei Cicero nicht nachweisen läßt, und wir auf der anderen Seite wissen, daß ein gut Teil seiner Werke verloren ist: Wie viele Wörter müssen wir da als barbarisch meiden, die Cicero möglicherweise verwendet hat, und wie viele, die er verwendet hätte, wenn er über derlei Dinge hätte reden müssen! Nirgendwo bei Cicero lesen wir die Aus­ drücke Jesus Christus, Sohn Gottes, Heiliger Geist oder Dreifaltigkeit, auch nicht Evangelium, Evangelist, Moses, Prophet,

Pentateuch,

Psalmen,

Bischof,

Erzbischof,

Diakon, Subdiakon, Akolyth, Exorzist, Kirche, Glaube, Hoffnung und Liebe, auch nicht 'Drei Personen und ein Wesen', Häresie, Credo, die Namen der sieben Sakra­ mente der Kirche, Taufe oder Täufer, Firmung, Euchari­ stie, Krankenölung, Buße, Sakrament der Beichte, Reue,

152

Ciceronianus

'poenitentiam' nec 'sacramentalem confessionem' nec 'contritionem' nec 'absolutionem' nec 'excommunica­ tionem' nec 'ecclesiasticam sepulturam' nec 'missam', nec alia innumera quibus constat omnis vita Christiano­ rum. Haec nusquam non sunt obvia, quacunque de re tentas dicere, ingerunt sese vel nolenti. Quid faciet, quo se vertet hie ille superstitiose Ciceronianus? An pro patre Christi dicet 'Jupiter 0. M.', pro filio dicet Apollinem aut Aesculapium, pro virginum regina dicet Dianam, pro ecclesia sacram contionem aut civitatem aut rem publi­ cam, pro ethnico perduellem, pro haeresi factionem, pro schismate seditionem, pro fide Christiana Christianam persuasionem, pro excommunicatione proscriptionem, pro excommunicare 'diris devovere' aut, quod nonnullis magis arridet, 'aqua et igni interdicere', pro apostolis lega­ tos aut veredarios, pro Romano pontifice flaminem Dia­ lem, pro consessu cardinalium patres conscriptos, pro synodo generali S. P. Q. rei publicae Christianae, pro episcopis praesides provinciarum, pro electione episco­ porum comitia, pro synodica constitutione senatus con­ sultum, pro summo pontifice summum civitatis prae­ fectum, pro Christo capite ecclesiae summum rei publicae praesidem, pro diaholo sycophantam, pro propheta vatem aut divinum, pro prophetiis oracula divum, pro baptismo tincturam, pro missa victimam, pro consecratione cor­ poris dominici sacrosanctum panificium, pro eucharistia sanctificum crustulum, pro sacerdote sacrificulum aut sacrorum antistitem, pro diacono ministrum aut curionem, pro gratia Dei numinis munificentiam, pro absolutione

153

Der Ciceronianer

Lossprechung, Exkommunikation, kirchliches Begräb­ nis, Messe und unzählige andere Ausdrücke, die im Leben der Christen eine beherrschende Rolle spielen. Auf Schritt und Tritt begegnen sie uns, bei allem, was wir sagen, drängen sie sich uns auf, auch gegen unseren Wil­ len. Was tut, wie behilft sich da unser fanatischer Cice­ ronianer? Soll er vielleicht Gott Vater

Juppiter

Opti­

mus Maximus nennen, Gott Sohn Apoll62 oder Äskulap, die Königin der

Jungfrauen

Diana? Soll er statt Kirche

'heilige Gesellschaft', 'heilige Gemeinde' oder 'heiliger Staat' sagen, statt Heide 'Staatsfeind', statt Häresie 'Parteiung', statt Schisma

'Abfall', statt christlicher

Glaube 'christliche Ü berzeugung'63, statt Exkommuni­ kation 'Proskription', statt exkommunizieren 'verfluchen' oder, was manchen Leuten mehr zusagt, 'den Gebrauch von Wasser und Feuer untersagen'M, statt Apostel 'Sendlinge'

oder

'Kuriere',

statt

Bischof

von

Rom

'Flamen Dialis', statt Kardinalskollegium 'Senatsver­ sammlung', statt Allgemeines Konzil 'Senat und Volk des christlichen Staates', statt Bischof 'Provinzialvorsitzen­ der', statt Bischofswahl 'Komitien', statt Konzilsdekret 'Senatsbeschluß', statt Papst 'oberster Gemeindevor­ steher', statt Christus, Haupt der Kirche, 'Höchster Leiter des Staates', statt Teufel 'Betrüger', statt Prophet 'Seher' oder 'Wahrsager', statt Prophezeiung 'Götter­ orakel', statt Taufe 'Eintauchen', statt Messe 'Opfer', statt Konsekration des Leibes des Herrn 'Bereitung des heiligen Brotes', statt Eucharistie 'heiliges Brot', statt Priester 'Opferdiener' oder 'Leiter der Kulthandlung', statt

Diakon

'Diener'

oder

'Herold',

statt

Gnade

'Großzügigkeit des göttlichen Wesens', statt Lossprechung 'Freilassung'? Du weißt, daß das, was ich da herausge­ griffen habe, nur ein winziger Bruchteil der riesigen

•2

Ähnliche Bemerkungen stehen in einem Brief des Erasmus an Vergara (Allen 1885,12off.), vgl. dazu Einleitung S. XLIIf. 63 So Bembo und Longolius (vgl. S. 31of.). " So z. B. Bembo.

Ciceronianus

154 manumissionem?

Vides

ex

innumera

vocabulorum

turba quantulam portionem attigerim. Quid hie faciet Ciceronianae phraseos candidatus? Utrumne tacebit an ad hunc modum immutabit recepta Christianis vocabula?

N OSOPONUS. Quidni? BuLEPHORUS. Fingamus igitur exemplum. Hanc senten­ tiam: 'Iesus Christus, verbum et filius aeterni patris, , 134 iuxta prophetias venit in mun­ dum ac factus homo sponte se in martern tradidit ac red­ emit ecclesiam suam offensique patris iram avertit a nobis eique nos reconciliavit, ut per gratiam fidei iustificati et a

135 tyrannide

liberati inseramur ecclesiae

et in ecclesiae communione perseverantes post hanc vitam consequamur regnum caelorum' sie efferet Cicero­ nianus: 'Optimi Maximique Iovis interpres ac filius, ser­ vator, rex, iuxta vatum responsa ex Olympo devolavit in terras et hominis assumpta figura sese pro salute rei publicae sponte devovit diis manibus atque ita contionem (sive civitatem sive rem publicam) suam asseruit in liber­ tatem ac Iovis 0. M. vibratum in nostra capita fulmen restinxit nosque cum illo redegit in gratiam, ut persua­ sionis munificentia ad innocentiam reparati et a syco­ phantae dominatu manumissi cooptemur in civitatem et in rei publicae societate perseverantes, cum fata nos evocarint ex hac vita, in deorum immortalium consortio rerum summa potiamur'.

N os oP oNus . Ludis tu quidem, Bulephore. BuLEPHORUS. Ita me bene amet nostra Ilt�&w, rem seriam ago. Iam, si usus venerit, ut de difficillimis dogmatum

1" 116

supplevi supplevit ed.

Der Ciceronianer

Zahl

der

in

Frage

kommenden

155

Wörter

ist.

Was

macht da so ein eifriger Anhänger des Ciceronianismus? Soll

er nichts sagen, oder soll er die allgemein ge­

bräuchlichen

christlichen Ausdrücke in dieser Weise

abändern? NosoPoNus. Und wenn er es tut? BuLEPHoRus. Gut, dann nehmen wir als Beispiel den Satz:

'Jesus Christus, Wort und Sohn des ewigen Vaters, , ist, wie es die Propheten vorherver­ kündet haben, in die Welt gekommen und Mensch geworden, er hat aus freiem Willen den Tod auf sich genommen und so sein Volk erlöst, er hat den Groll des zürnenden Vaters von uns abgewendet und uns mit ihm versöhnt, auf daß wir, durch die Gnade des Glaubens gerechtfertigt und aus der Knechtschaft des Satans befreit, Glieder seiner Kirche würden und in der Gemein­ schaft der Kirche verharren, bis wir nach diesem Leben zur ewigen Seligkeit gelangen'. Diesen Satz würde ein Ciceronianer folgendermaßen formulieren: 'Des größten und besten Jupiter Sprecher und Sohn, der Retter und König, ist gemäß den Orakeln der Seher vom Olymp auf die Erde geflogen und hat die Gestalt eines Menschen angenommen, er hat sich für die Rettung des Staates freiwillig den Göttern der Unterwelt geweiht und so seine Gesellschaft (oder seine Gemeinde oder seinen Staat) befreit, er hat den Blitzstrahl, den Jupiter, der Größte und Beste, schon auf unser Haupt schleudern wollte, ausgelöscht und uns wieder seine Gunst erworben, damit wir, durch die Gabe der Überzeugung in den Zustand der Unschuld zurückversetzt und aus der Skla­ verei des Verführers freigelassen, Bürger seiner Gemeinde würden und in der Gesellschaft des Staates verharren, bis wir, wenn das Geschick uns aus diesem Leben abbe­ ruft, im Verein mit den unsterblichen Göttern des höch­ sten Glückes teilhaftig werden'. NosoPoNus. Jetzt machst du Witze, Bulephorus. BuLEPHORUS. So wahr mir unsere Peitho helfe, es ist mir

durchaus ernst! Und wenn sich erst die Notwendigkeit

Ciceronianus

156

nostrorum quaestionibus sit disserendum, quantum lucis habebit disputatio, si talibus fiosculis ornatus incedat sermo? Quid aliud quam fumum ingeram materiae tene­ bris? Quoties ad has salebras restitabit lector? Sed age, liceat hactenus ludere Ciceronis imagine, quid fiet, ubi res poscet divinarum scripturarum testimonia? An, cum erit citandum aliquid ex decalogi praeceptis, tantum ascribam 'recita legem'136? Cum pronuntiandum erit constitutio

synodi,

ascribam

'recita senatus

consul­

tum'137? Cum erit aliquid promendum ex prophetis aut apostolis, ascribere sat erit 'recita testimonium'138? Sie enim omnino solet Cicero. Itaque vitabo, ne dictionem Ciceronianam verbis non Ciceronianis contaminem? N osoPoNUS. Quid igitur? Num auctor eris nobis sie loquen­ di, quemadmodum scripserunt Thomas et Scotus? BuLEPHORUS. Si melius dicit qui dicit aptius, sie de rebus sacris loqui praestiterat quam in his Ciceronem expri­ mere. Quanquam est medium quiddam inter Scotos et Ciceronis simias. Nec statim male Latinum est, quod apud Ciceronem non exstat, qui, ut saepe iam dictum est, nec exstat totus, et si totus exstaret, non tractavit omnes materias, et si tractasset omnes illorum temporum, nostras res nec tractavit nec novit. Postremo, quod ad sermonis proprietatem et elegantiam attinet, nec Ciceroni cedit M. Varro et hac dote praefertur C. Caesar.

lH 117 111

e. g. Cic. Verr. act. II 2,127 e. g. Cic. Phil. 1,3 e. g. Cic. Verr. act. II 1,94

Der Ciceronianer

157

ergibt, die kompliziertesten Probleme unserer Dogmatik zu erörtern, meinst du, daß da die Darstellung sonderlich lichtvoll wird, wenn die Sprache im Schmuck solcher Floskeln einherstelzt? Würde man auf diese Weise eine ohnedies schon dunkle Materie nicht noch undurch­ sichtiger machen? Und wird der Leser nicht dauernd über diese sprachlichen Fußangeln stolpern? Aber schön, vielleicht kann man den Ciceronianismus sogar bis zu diesem Punkt noch treiben: Doch was geschieht, wenn es nötig ist, Belege aus der Heiligen Schrift zu zitieren? Soll ich vielleicht, wenn ich eines der Zehn Gebote anfüh­ ren muß, nur hinschreiben: 'Lies das Gesetz'? Wenn ich mich auf ein Konzilsdekret berufen will, soll ich da schreiben: 'Lies den Senatsbeschluß'? Oder wenn ich eine Stelle aus den Propheten oder Aposteln brauche, soll ich da einfach schreiben: 'Lies die Zeugenaussagen'? Denn so und nicht anders macht es Cicero. Soll ich auf diese Weise der Gefahr zu entgehen suchen, die cicero­ nianische Diktion mit nichtciceronianischen Ausdrücken zu durchsetzen und zu verderben? N osoPoNus. Wie denn? Willst du uns etwa dazu an­ stiften, im Stil der Schriften des Thomas und Scotus zu reden? BULEPHORUS. Wenn sich von zwei Autoren derjenige besser

ausdrückt, der sich sachgemäßer ausdrückt, so ist bei einem theologischen Thema ihr Stil der Nachahmung Ciceros zweifellos vorzuziehen. Obwohl es ja immer noch ein Mittelding zwischen Autoren wie Scotus und Nach­ äffern Ciceros gibt. Außerdem ist etwas, das bei Cicero nicht vorkommt, nicht eo ipso schon schlechtes Latein, zumal er ja, wie ich schon oft genug gesagt habe, nicht vollständig erhalten ist, und wenn er vollständig erhalten wäre, nicht alle Probleme behandelt hat, und wenn er alle Probleme behandelt hätte, so doch nur die Probleme seiner Zeit, während er die unseren weder behandelt noch überhaupt gekannt hat. Und was schließlich die Präzi­ sion und Schönheit des Ausdrucks angeht, so steht hierin M. Varro dem Cicero nicht nach, und Caesar übertrifft

158

Ciceronianus

N eque emm M. Tullius fuit auctor ac parens Romani

sermonis, sed orator maximus et in causarum civilium actionibus primae laudis, in aliis inferior nonnullis, in carmine frigidus, in vertendis Graecis parum felix, qualis futurus in ceteris incertum. Si mihi de matrimonio dicen­ dum sit, cuius multo alia nunc est ratio quam fuit olim et de quo M. Tullius nihil memoriae prodidit, num vere­ bor ex Aristotele Xenophonte Plutarcho, e divinis libris, e Tertulliano Hieronymo et Augustino sententias ac verba legere, ne cui videar parum Ciceronianus? Item si de re rustica praecipiendum fuerit, fas non erit ex Virgilio Catone Varrone Columella decerpere quae placent? Si barbarum habetur, quicquid est novum et recens natum, nulla vox non fuit aliquando barbara. Quam multa repe­ ries apud ipsum Ciceronem nova, praesertim in his libris, in quibus tractat artem rhetoricam aut rem philosophi­ cam? Quis ante Ciceronem audivit 'beatitatem' et 'beati­ tudinem'?139 Quid apud Latinos sonat 'finis bonorum', cum apud illum significet summum bonum aut id in quo quis statuit summam felicitatem? Quid nobis sonat 'visum' et 'visio' 'species' 'praepositum' et 'reiectum'? Quid Latinis auribus sonat 'occupatio', quid 'contentio', quid 'superlatio', quid 'complexio', quid 'traductio', quid 'frequentatio' 'licentia' 'gradatio', quid 'status' et 'con­ stitutio', quid 'iudicatio', quid 'continens', quid 'firma­ mentum', quid 'demonstrativum genus', quid 'inductio', quid 'propositum', quid 'aggressio', quid 'insinuatio',

111

cf. Quint. 8,3,32 (Cic. nat. deor. r,95)

Der Ciceronianer

159

ihn sogar. Denn Cicero war nicht der Schöpfer und Ahn­ herr der römischen Sprache, er war der größte Redner, ein Prozeßverteidiger ersten Ranges, in anderen Dingen gar manchem unterlegen, als Dichter schwach, als Über­ setzer aus dem Griechischen unbeholfen, und wie er sich auf anderen Gebieten bewährt hätte, ist eine offene Frage. Wenn ich über die Ehe zu sprechen hätte, die heute etwas völlig anderes ist als damals und über die uns Cicero nichts hinterlassen hat, soll ich mich da scheuen, von Aristoteles, Xenophon, Plutarch, aus der Heiligen Schrift, von Tertullian, Hieronymus und Augustinus Gedanken und Formulierungen zu übernehmen, aus Angst, ich könnte dadurch mein Ansehen als Ciceronianer gefähr­ den? Wenn man Ratschläge über die Landwirtschaft zu geben hätte, sollte es da nicht erlaubt sein, aus Vergil, Cato, Varro und Columella das auszuwählen, was einem zusagt? Wenn alles als barbarisch gilt, was neu und erst kürzlich aufgekommen ist, so war jedes Wort einmal barbarisch. Wie viele Neubildungen finden sich doch gerade bei Cicero, zumal in den Schriften, in denen er die Theorie der Rhetorik und die Philosophie behandelt. Wer kannte vor Cicero die Wörter beatitas und beati­ tudo766 Was heißt für den gewöhnlichen Lateiner finis bonorum7 Bei ihm bedeutet es jedenfalls das höchste Gut

oder das, was einer für den Gipfel des Glückes ansieht. Was heißt bei uns visum, visio, speci"es, praeposi'tum und reiectum7 Was bedeutet für den Lateiner occupatio, con­ tenti"o, superlatio, was complexio, traductio, frequentatio, li­ centia, gradatio, was status und constitutio, was iudicatio, continens, firmamentum, demonstrativum genus, inductio, proposi'tum, aggressio, insinuatio, acclamatio66, was heißen 16 H

beatitas und beatitudo kommt erstmals bei Cicero, nat. deor. 1,95 vor. Philosophische bzw. rhetorische Termini, die Cicero entweder (in Anschluß an das Griechische) neu gepragt oder in spezileler Bedeu­ tung verwendet hat: visum und visio Florida< gelten, aber in seiner >Apologie< kommt er ihm nahe. NosoPoNus. Sagen wir lieber: dort ist er nicht ganz so weit von ihm entfernt, aber der Abstand ist immer noch groß genug. Im übrigen hast du auch Martianus Capella ver­ gessen, wenn du schon meinst, daß du Autoren dieser Art anführen mußt. 81

Nach der äsopischen Fabel die Dohle, die 'sich mit fremden Federn schmückt'.

Ciceronianus

228

BuLEPHORUS. Quid si veniamus ad semichristianos? Quis tibi videtur Boethius? NosoPoNUS. Egregius philosophus, poeta non pessimus, a Ciceronis dictione longe semotus. BuLEPHoRus. Quis Ausonius? NosoPoNus. Ingenium ac doctrinam tribuo, stilus aulae delicias licentiamque resipit

quemadmodum

et vita;

Ciceronianus adeo non est, ut studio habuisse videatur aliter dicere quam dixit Cicero. Proinde qui Ciceroniani nomen illi velit ascribere, pro honore contumeliam irro­ garit homini, non aliter quam si quis Germanum appel­ laret qui studeret haberi Gallus, etiamsi Germanus esset. BuLEPHORUS. Ne te longis ambagibus circumagam, venia­ mus, si videtur, ad Christianos, si quem forte reperiamus qui Ciceronianus dici mereatur. Inter hos, opinor, proba­ bis Lactantium, qui Ciceronianae eloquentiae lacteo flumine manare dictus estl79• NosoPoNUS. Dictus, sed ab eo qui Ciceronianus non erat. BuLEPHORUS. Verum illud infitiari non potes Lactantium Ciceronis eloquentiam affectasse. ld declarat in tertium Institutionum librum praefatio, in qua defensurus Chri­ stianae philosophiae veritatem optat eloquentiam si non Tullianam, certe Tullianae proximam180• NosoPoNus. Nec porsus infeliciter affectavit, quanquam assecutus non est.

Franc. Petrarc. ot. relig. 19 p. X 180 Lact. inst. 3,1,1 171

2

(Opp. ed. Basil. 1554 p. 363), cf. CSEL

Der Ciceronianer

229

BuLEPHORUS. Sollen wir lieber zu den halben Christen

übergehen? Was hältst du von Boethius? N osoPoNUS. Er ist ein großer Philosoph, als Dichter nicht übel, aber von ciceronianischer Diktion ist er meilenweit entfernt. BuLEPHORUS. Und von Ausonius?

N osoPONUS. Talent und Bildung spreche ich ihm nicht ab; sein Stil verrät - wie übrigens auch sein Leben - die Ver­ weichlichung und Freizügigkeit des Hofes. Ciceronianer ist er nicht im mindesten, man könnte geradezu meinen, er habe sich absichtlich bemüht, anders zu formulieren als Cicero. Wenn man ihn daher als Ciceronianer bezeichnen wollte, so wäre das für ihn kein Lob, sondern eine Be­ leidigung, nicht anders, als wenn man jemanden als Deut­ schen anspricht, der Wert darauf legt, daß man ihn für einen Franzosen hält, auch wenn er ein Deutscher ist. BuLEPHORUS. Ich will dich nicht lange aufhalten, kommen

wir, wenn es dir recht ist, ohne Umschweife zu den Chri­ sten; vielleicht finden wir da einen, der es verdient, daß man ihn einen Ciceronianer nennt. Als solchen wirst du vermutlich Laktanz anerkennen, von dem man gesagt hat, seine Rede ströme von der Milch ciceronianischer Eloquenz87. N osoPoNus. Ja, aber der das sagte, war selber kein Cicero­ nianer88 . BULEPHORUS. Trotzdem kannst du nicht leugnen, daß sich

Laktanz um ciceronianischen Stil bemühte. Das geht aus der Vorrede zum 3. Buch der lnstitutiones hervor, wo er sich für die Verteidigung der christlichen Lehre eine Sprachgewandtheit wünscht, die der ciceronianischen wenn schon nicht gleich, so doch möglichst ähnlich ist. N osoPoNus. Er hat ihn auch nicht ungeschickt nachge­ ahmt, doch erreicht hat er ihn nicht89. 8

7

88 81

Wortspiel (Petrarcas) mit dem Namen Lactantius und lac. Nämlich Petrarca. Die folgende Kritik an Laktanz ist vielleicht (das Werk war mir nicht zugänglich) von Antonius Raudensis, Dialogi III de Lactantii erratis (1443) beeinflußt.

230

Ciceronianus

BuLEPHORUS. Qui sie? N osoPoNus. Quoniam in prima statim operis praefatione

sie Iocutus est: 'Alioqui nihil inter Deum hominemque distaret, si consilia et dispositiones

illius maiestatis

aeternae cogitatio assequeretur humana'181• Ubi Cicero dixit 'dispositiones' pro 'decretis'? Immo dum Ciceronia­ nus esse studet, factus est Ciceroni dissimilis. Est enim hoc Ciceronis rem eandem duabus vocibus idem aut prope­ modum idem significantibus inculcare. Hinc est illud 'con­ silia et dispositiones'. Qui scis, an et vocalium hiatum captarit, ut Ciceronianus esset, in 'consilia et', rursus in 'cogitatio assequeretur'. Fortassis et compositionem af­ fectavit scazontis clausula comma finiens velut in 'balnea­ tore' et 'archipirata'182• Cuiusmodi clausulis frequenter utitur in eadem praefatione183, ut in prima statim periodo 'inhaerere' et rursus 'instruere possimus' ac mox 'apud Graecos' atque iterum 'luce orationis ornata' et oti).ltt� oti'i 'honesta suscepta', mox et 'honorasti' nec multo post 'nominis tradas', iterum 'ut sequerentur hortarer', item aliquanto post 'reliquerunt'. Hoc certe Tullianum habet, quod subinde ditrochaeo finit, ut 'contulerunt', 'convo­ camus', 'sopiamus', 'inchoamus'; semel ponit in clausula 'quaesisse videatur' 183• Haec indicant illum magno studio Ciceronis imaginem affectasse. Verum hoc nomine iustius reiceres Lactantium a titulo Tullianorum, quod nec eruditionem nec vim nec pectus attulerit ad defensionem philosophiae Christianae, quae M. Tullius

attulit ad

actionem causarum civilium. BuLEPHORUS. E reliquorum numero quem primum aut

ultimum proferam? Cyprianum?

lBl 181 181

ibid. 1,1,5 exemplum est Quint. 9,4,97 Lact. inst. 1,1,1 - 1,1,20

Der Ciceronianer

231

BuLEPHoRus. Warum das? NosoPoNus. Schon in der ersten Vorrede zu seinem Werk steht die folgende Formulierung:

'Es bestünde kein

Unterschied zwischen Gott und dem Menschen, wenn menschliches Denken imstande wäre, die Ratschlüsse und Entscheidungen der Majestät des Ewigen zu erfas­ sen'. Wo hat Cicero jemals 'Entscheidungen' für 'Be­ schlüsse' gesagt? Das heißt, daß er gerade dadurch von Cicero abweicht, daß er sich bemüht, es ihm gleichzutun. Denn Cicero liebt es, eine Sache mit zwei synonymen oder annähernd synonymen Wörtern auszudrücken. Daher dieses 'Ratschlüsse und Entscheidungen'. Und kann man wissen, ob er nicht auch den Hiat in consilia et und cogitatio assequeretur absichtlich gesucht hat, um cicero­

nianisch zu wirken ?90 Vielleicht wollte er auch seine Klauseltechnik nachahmen, wenn er Satzglieder mit einem Hinkjambus wie balneatore und archipirata enden läßt? Diese Klauselform verwendet er in der genannten Vorrede häufig,

so

schon im ersten Satz i"nhaerere, dann

instruere possimus, gleich darauf apud Graecos, und luce orationis ornata, und nochmals honesta suscepta, dann honorasti, kurz danach nomint"s tradas, darauf ut sequeren­ tur hortarer und ein wenig später relt"querunt. Sicher von

Cicero übernommen hat er die Gewohnheit, die Sätze mit einem Ditrochäus enden zu lassen, wie contulerunt, convocamus, sopt'amus, inchoamus, und einmal steht auch quaesisse videatur91 in der Klausel. Das zeigt doch, daß

er sich alle Mühe gegeben hat, das ciceronianische Vor­ bild zu erreichen. Aber mit noch mehr Recht kann man Laktanz den Ciceronianertitel deshalb verweigern, weil er für die Verteidigung des christlichen Glaubens weder so viel Bildung noch so viel Begeisterung und innere Anteilnahme aufbringt wie Cicero bei der Verteidigung in Zivilprozessen. BuLEPHORUS. Wen soll ich dir nun von den anderen zuerst, wen zuletzt nennen? Cyprian? 80 11

Vgl. oben S. 85. Vgl. S. 93.

Ciceronianus

232

NosoPoNus. Christiane scripsit verius quam Ciceroniane. BuLEPHORUS. Hilarium?

NosoPoNus. Ohe, nihil simile. Difficilis est et obscurus in eloquendo et Gallico, ut inquit ille, cothurno attollitur184, verba quoque multa secum trahens quae non sunt Tulli­ anae puritatis. BuLEPHORUS. Sulpicius, opinor, videbitur hoc honore dig­

nus. NosoPONUS. Est ille quidem et mollior et iucundior et dilu­ cidior et illaboratior Hilario, sed phrasis Gallum fuisse declarat. Non deest pietas, sed abest vis et gravitas et est floridum dicendi genus magis quam nervosum. BuLEPHORUS. Tertullianum igitur admittes.

NosoPoNus. Irrides; is prudens ac sciens obscuravit malis verbis bonas sententias vel ipso durior Apuleio. BuLEPHORUS. Certe facundissimum illum simul et doctissi­ mum

Hieronymum non repelles.

NosoPoNus. Agnosco virum doctrina facundiaque prae­ cellentem, Tullianum non agnosco, qui flagris ab imita­ tione Ciceronis depulsus est186• BULEPHORUS. Augustinum igitur?

N osoPoNus. Is hoc habet Ciceronis, quod praelongo ambitu circumducit periodum, ut frequenter ergo revocet a diver­ ticulo in viam. Verum non aeque ac Cicero prolixum orationis ductum membris et incisis distinguit nec facili­ tatem in dicendo nec felicitatem in tractando reddit.

1"

186

Hier. epist. 58,10,2 ibid. 22,30,4 sq.

Der Ciceronianer

233

NosoPoNus. Aus seinem Stil spricht eher der Christ als der Ciceronianer. BULEPHORUS. Hilarius?

NosoPoNus. Nichts da, er hat gar keine Ähnlichkeit mit Cicero. Er ist schwierig und dunkel im Ausdruck, stelzt wie jener92 sagt - auf gallischem Kothurn einher und schleppt viele Wörter mit, die nicht rein ciceronianisch sind. BuLEPHORUS. Ich glaube, Sulpitius könnte dieser Ehre

würdig sein. NosoPoNus. Er ist zugegebenermaßen etwas weicher, gefäl­ liger, klarer und ungekünstelter als Hilarius, doch auch er kann im Stil den Gallier nicht verleugnen. An Frömmigkeit fehlt es ihm nicht, doch es mangelt ihm an Schwung und Nachdruck, und sein Stil ist mehr blumig als kraftvoll. BuLEPHORUS. Dann läßt du vielleicht Tertullian gelten?

NosoPoNus. Du machst wohl Witze? Er hat seine guten Gedanken vorsätzlich und bewußt mit schlechten For­ mulierungen verdunkelt und ist im Ausdruck noch härter als Apuleius. BuLEPHORUS. Doch den großen Sprachkönner und Wissen­

schaftler Hieronymus wirst du gewiß nicht ablehnen. NosoPoNUS. Er hat meine Anerkennung, was seine her­ vorragende Gelehrsamkeit und sein großes sprachliches Können betrifft, aber als Ciceronianer kann ich ihn schon deshalb nicht anerkennen, weil ihm die Ciceronachah­ mung mit Prügeln ausgetrieben wurde93• BuLEPHORUS. Dann also Augustinus?

NosoPoNus. Er hat mit Cicero gemein, daß er außerordent­ lich umfangreiche Perioden baut, daß er häufig mit einem 'also' den Faden wieder aufnimmt, aber er ver­ steht es nicht so gut wie Cicero, die langen Sätze in kleinere Teile und Abschnitte zu gliedern, und er besitzt auch nicht die gleiche Gewandtheit des Ausdrucks und Geschicklichkeit der Darstellung. 12

Hieronymus.

••

Anspielung auf den berühmten Traum des Hieronymus, in dem er gezüchtigt wurde, weil er 'kein Christ, sondern Ciceronianer' war.

Ciceronianus

234

BuLEPHORUS. Paulinum? NosoPoNus. Vix umbram habet Ciceronis, nec sententiis nec verbis admodum felix. BuLEPHORUS. Ambrosium igitur. NosoPONUS. Romanum oratorem agnoscas, non Cicero­ nianum. Gaudet argutis allusionibus, acclamationibus nec praeter sententias quicquam loquitur; membris incisis comparibus numerosus ac modulatus suum quoddam dicendi genus habet aliis inimitabile, sed a Tulliano genere diversissimum. BULEPHORUS. Saltem agnosce Romanum Gregorium eius nominis inter pontifices primum. NosoPoNUS. Agnosco virum pium ea loquentem quae sentit. Et hie propius accedit ad M. Tullium quam Ambrosius, sed 'fluit lutulentus'186 et Isocraticae structurae quasi servit oratio, quod est a Cicerone alienum. Sie enim puer in scholis assueverat. BuLEPH01ws. At Tusci Leonis qui fuit eius nominis primus Romanae urbis pontifex eloquentiam mirantur omnes. NosoPoNUS. Est, fateor, huius bene numerosa satisque perspicua dictio nec ineptis sensibus, sed nihil ad Cicero­ nem. BuLEPHORUS. Quid si tibi Bernardum e Burgundionibus adducam? NosoPoNus. Agnosco virum bonum, quae pars est oratoris, natura compositum ad urbanitatem et ad dictionis lepo­ rem, sed adeo non Ciceronianum, ut ex scriptis vix sub­ oleat unquam illi lectum Ciceronem.

1se

cf. Hor.

serm.

I,4,II

Der Ciceronianer

235

BULEPHORUS. Paulinus von Nola? N osoPoNus. Er hat von Cicero kaum eine Spur und ist weder inhaltlich noch stilistisch besonders gut. BULEPHORUS. Dann also Ambrosius. N osoPoNus. Als römischen Redner kann man ihn gelten lassen, als ciceronianischen Redner nicht. Er liebt tref­ fende Vergleiche und Ausrufe und redet fast nur in Sen­ tenzen;

mit seinen

rhythmisch

gegliederten Sätzen,

Satzteilen und Isokola wirkt sein Stil harmonisch und hat etwas ganz Persönliches und Unnachahmliches, aber keinerlei Ähnlichkeit mit Cicero. BuLEPHoRus. Dann erkenne doch wenigstens den Römer Gregor, den ersten Papst dieses Namens, als Ciceronianer an. N osoPoNus. Er hat meine Anerkennung - als frommer Mann, der das sagt, was er denkt. Und er steht Cicero auch etwas näher als Ambrosius, aber 'er fließt schlam­ mig dahin'94, und sein Stil ist im Satzbau dem Isokrates verpflichtet und somit anders als der Ciceros. So hatte er es eben als Kind in der Schule gelernt. BULEPHORUS. Doch allgemeine Bewunderung findet die rhetorische Kunst Leos, der aus der Toscana stammt und der erste römische Papst dieses Namens war. N osoPoNus. Seine Diktion ist, das gebe ich zu, voller

Rhythmus, Harmonie und Klarheit, und was er sagt, ist nicht unvernünftig, aber mit Cicero hat das alles nichts zu tun. BuLEPHORUS. Wenn ich dir nun Bernhard von Clairvaux nenne? N osoPoNus. Ich schätze ihn als Mann von Format - und das macht zum Teil den Redner aus - , Stilgefühl und Eleganz des Ausdrucks sind ihm angeboren, aber von Cicero hat er so wenig, daß man aus seinen Schriften kaum erkennen kann, ob er ihn überhaupt je gelesen hat.

" Das sagt Horaz von Lucilius.

236

Ciceronianus

BuLEPHORUS. Posteaquam hunc reicis, non ausim tibi pro­

ponere Bedam Remigium Claudium Hesychium Ansel­ mum Isidorum. N osoPoNus. Desine mihi

xoJ..oßw't"De bello Pannonico Ferdinandi !.< gelungen, vgl. A. Lhotsky, Österr. Historiographie (Wien 1962)

111

Ursinus Velius hatte Erasmus 1527 in einem Brief aus Gran (Allen 1917,76ff.) mitgeteilt, daß Borsody sein gesamtes Vermögen ver­ loren habe und gestorben sei. Nämlich Quintilian, der dies von Asinius Pollio sagt.

1„

s. 86.

288

Ciceronianus

multos habet, in his Antonium Nebrissensem virum eru­ ditionis variae, sed cuius mentionem laturus non sis in catalogo Tullianorum. NosoPoNus. Rem divinasti. BuLEPHORUS. Ne Lopidem quidem, opinor, aut Sanctium.

NosoPoNus. Hie theologus est nec affectavit hanc laudem, ille multo infelicior est in laudando quam in reprehen­ dendo; nec hie nec ille Ciceronianus. BuLEPHORUS. Demirabor, si Ioannem Ludovicum Vivem

ab hoc honore submovebis. NosoPoNus. Equidem nec ingenium nec eruditionem nec memoriam in illo desidero, adest illi parata sententiarum ac verborum copia, cumque fuerit initio duriusculus, in dies magis ac magis in illo maturescit eloquentia; quem si nec vita nec studium destituerit, bona spes est fore ut inter Ciceronianos numeretur. Sunt enim quibus scri­ bendi conatus iuxta Mandrabuli morem, ut habet pro-

289

Der Ciceronianer

besitzt ebenfalls viele gelehrte

und

sprachgewandte

Männer, doch nicht so sehr viele, die durch Publikationen bekannt geworden sind. Einer von ihnen ist Antonio de Nebrija, ein vielseitig gebildeter Mann, dessen Namen du jedoch im Katalog der Ciceronianer nicht wirst dulden wollen. NosoPONUS. Du hast es erraten. BULEPHORUS. Das gleiche gilt vermutlich auch von Lopez

de Zufiiga und Sancho Carranza. NosoPONUS. Der letztere ist Theologe und hat nie nach cice­ ronianischen Ehren gestrebt, der erstere versteht sich auf das Loben bei weitem nicht so gut wie auf das Ta­ deln, . und Ciceronianer ist weder der eine noch der andere135• BULEPHORUS. Sehr wundern würde es mich, wenn du diesen

Ehrentitel auch Juan Luis de Vives vorenthieltest136• N osoPONUS. An ihm vermisse ich freilich weder Begabung noch Bildung und parates Wissen, er verfügt über eine Fülle von Ideen und Ausdrucksmöglichkeiten, und wäh­ rend sein Stil zu Anfang noch ein wenig hart war, wird er nun mit jedem Tag reifer; wenn ihm Leben und Fleiß erhalten bleiben, hat er alle Chancen, ein Ciceronianer zu werden. Manche Leute machen nämlich bei ihren schrift­ stellerischen Versuchen Fortschritte, die an das sprich­ wörtliche Beispiel des Mandrabulos137 erinnern, doch er n•

136

117

Beide zählt Erasmus zu seinen Feinden, vor allem Diego Lopez Zuiiiga, der als Mitarbeiter an der complutensischen Polyglotte einer der ernstesten und feindseligsten Widersacher des E. im Zusammenhang mit seiner Bibelausgabe war (Annotationes contra Erasmum Roterod. in defensionem tralationis Novi Testamenti. 1520). Vgl. M. Bataillon, Erasme et l'Espagne (Paris 1937) S. 98ff. Der ganze Abschnitt über Vives fehlt in der ersten Ausgabe (Erasmus hatte ihn vergessen, vgl. Allen 2163,51 ff.), wo sich an das Urteil über Lopez und Carranza der Satz anschließt: 'Gines gibt zu größeren Erwartungen Anlaß'. Als Mandrabulos einen Schatz gefunden hatte, opferte er aus Dank­ barkeit der Hera zuerst ein goldenes Kalb, dann ein silbernes und schließlich nur noch ein bronzenes. Sprichwörtlich für Dinge, die immer schlechter werden.

290

Ciceronianus

verbium193, succedat. Hie quotidie vincit se ipsum. Et habet ingenium ad quidvis versatile eoque ad declamandi facultatem unice compositus. Aliquot tarnen M. Tullii virtutes nondum absolvit, praecipue iucunditatem dic­ tionis ac mollitudinem.

BuLEPHORUS. Et Lusitanos aliquot eruditos novi, qui vul­ garint ingenii sui specimen, neminem novi praeter Hermi­ cum quendam in epigrammatibus felicem, in oratione soluta promptum ac facilem, ad argutandum dexterri­ mae dicacitatis, et Genesium, qui nuper edito Romae libello praeclaram de se spem praebuit. Vide, quot regio­ nes peragraverimus, Nosopone, dum unum quaerimus Ciceronianum, nec quisquam adhuc repertus est quem digneris huius cognominis honore cuius amor te macerat. Quot priscos commemoravimus, quot saeculorum poste­ riorum, quot nostrae memoriae, quot nostrae aetatis recensuimus in quibus, ut sint nonnulli quos fastidiosus censor possit contemnere, quam multi sunt qui suum quisque saeculum, suam patriam, qui ecclesiam, qui rem literariam doctrina facundiaque sua ornarunt illustrarunt nobilitarunt, nec ullum tarnen adhuc invenimus Cicero­ nianum. Quid reliquum est, nisi ut proficiscamur in insu­ las fortunatorum inde petituri quem donemus hoc nomi­ ne? Moderatius perpetimur mala nobis cum plerisque communia. Non maeret Hispanus, si non habet flavam

111

cf. Erasm. Adag. I 2,58 (Diogen. 4,62. Zenob. 3,82)

Der Ciceronianer

291

übertrifft sich täglich selber. Und er ist ein ausgesprochen versatiles Talent und ist daher auch für die literarische Form der Deklamation einzigartig begabt138•

Einige

Eigenschaften Ciceros hat er allerdings noch nicht voll­ kommen erreicht, vor allem nicht die Anmut der Sprache und ihre Geschmeidigkeit. BULEPHORUS. Auch unter den Portugiesen kenne ich einige

gebildete Männer, aber keinen, der Proben seines Kön­ nens veröffentlicht hat, mit Ausnahme eines gewissen Juan Hermico, der ein guter Epigrammatiker ist, eine flüssige und gewandte Prosa schreibt und außerordentlich munter zu plaudern versteht, und Gines de Sepulveda, der jüngst in Rom ein Buch erscheinen ließ, das ein viel­ versprechender Anfang ist139• - Nun siehst du, Noso­ ponus, so viele Länder haben wir durchstreift, auf der Suche nach einem einzigen Ciceronianer, und bis jetzt haben wir noch keinen entdeckt, der deiner Meinung nach den Ehrentitel verdient, nacr dem du so sehnlich verlangst. So viele Autoren der ältesten Zeit haben wir uns in Erinnerung gerufen, so viele Autoren der späteren Jahrhunderte, der jüngsten Vergangenheit und unserer Tage haben wir besprochen; gewiß waren manche darun­ ter, die den Ansprüchen eines strengen Kritikers nicht genügen können, aber doch auch sehr viele, die durch ihre Bildung und ihr sprachliches Können die Zierde, der Stolz und der Ruhm ihrer Zeit und ihrer Heimat, der Kirche und der Literatur waren; einen Ciceronianer haben wir jedoch bis jetzt nicht gefunden. Was bleibt uns da viel anderes übrig, als auf die Inseln der Seligen zu gehen, um uns von dort einen zu holen, dem wir diesen Titel verleihen können? Mit einem Unglück, das die meisten anderen Menschen auch betrifft, findet man sich bekanntlich leichter ab. Ein Spanier leidet nicht darunter, daß er keine blonden Haare hat, sowenig wie 118 111

Von Vives waren 1514 Declamationes erschienen. Gemeint ist sein Buch >De fatov yap oÖi3ev ti3Lov, or -rwe:� (f>LAOL 'Op.&&� 7te:rpuxoccr', &.1.Aoc XOLVOC xp�µoc-roc.5 i.e. Nam vere amicis proprium prorsus nihil, Sed i"nter ipsos cuncta sunt communia. Terentius in Adelphis: Nam vetus quidem hoc verbum: amicorum inter se communia esse omnia6• Testantur et apud Menandrum fuisse in eadem fabula 7• M. Tullius lib. Offi­ ciorum primo: Ut in Graecorum, inquit, proverbio est, amüo­ rum esse omnia communia8• Citatur et ab Aristotele lib. Moralium octavo9 et a Platane De Legibus quinto10• Quo loco conatur demonstrare felicissimum reipublicae statum rerum omnium communitate constare: Ilpwni µev -rolvuv

4,79. Diogen. 5,76 6,72 (6,37), cf. Erasm. apophth. p. l77A (de Diog. Cyn. ) • Eur. Androm. 376 sq. • Eur. Phoen. 243 Eur. Orest. 735 8 Cic. off. l,16,5 l 7 Men. frg. lD (9) Körte Ter. Adel ph. 803 sq. 10 Plato, leg. 5 Arist. eth. Nicom. 8 p. u59b, 31 p. 739c

1

cf. Zenob.

2

Diog. Laert.

a • 1

359 AUSGEWÄHLTE SPRICHWÖRTER l

1,

I. FREUNDESGUT, GEMEINSAM GUT

Freundesgut, gemeinsam Gut. Kein Sprichwort ist so beglückend und so berühmt wie dieses, darum soll es als gutes Omen meine Adagiensammlung eröffnen. Würden die Menschen dieses Wort so bewußt im Herzen tragen, wie es ein jeder beständig im Munde führt, wahrhaftig, unser Leben wäre um ein gut Teil seiner Sorgen leichter. Aus diesem Spruch zog Sokrates1 den Schluß, daß ein guter Mensch alles besitzt, genau wie die Götter. Den Göt­ tern, sagt er, gehört alles. Die guten Menschen sind Freunde der Götter. Unter Freunden ist jeder Besitz gemeinsam. Also besitzt ein guter Mensch alles. Das Sprichwort steht bei Euripides im Orest: Denn Freundschaft ist Gemei·nsamkeit. Und in den Phönikerinnen: Das Leid auch teilen die Freunde. Und in der Andromache: Denn Freunde haben nichts gesondert, sind sie Freund' In Wahrheit, nein, gemeinsam ist all ihr Besitz. Terenz in den Adelphoi: Es gi"bt ein altes Wort: Gemeinsam sollte unter Freunden alles sein. Das soll auch in der gleich­ namigen Komödie Menanders gestanden haben. Cicero im 1.

Buch >Vom rechten HandelnDeipnosophistenVom Redner< über Crassus: Düse Rede war sozusagen der Schwanengesang des unvergleichlichen Mannes, und gleichsam in der Erwartung, den Klang seiner Stimme zu hören, gingen wir nach seinem Tode in die Kurie, um wenigstens die Stelle zu betrachten, wo er das letzte Mal gestanden hatte.

Adagia

380 I

2,

97. IN

ALIO MUNDO

'Qi; EV &AA

Tischgesprächen' �pyov oöx �IHL 't"6i>e:.104 i.e. Cunctis idem si pulchrum et egregium foret,

Nulla esset anceps hominibus contentio. At nunc simüe nil, nil idem mortalibus, Nisi verba forsan inter istos concinunt, At re tamen factisque convenit nihil. 16

Ter. Phorm. 454

••

Pers. 5,52 sq.

100

Hor. epist. 2,2,61 sq. 102 Ter. Phorm. 449-457 1°' Eur. Phoen. 499 sqq.

97 •• 101 1oa

ibid. Mart. sat. 8,18,9 sq. Hor. carm. i,r Röm. i4,5

Sprichwörter I 3, 7

383

I 3, 7. VIELE KÖPFE, VIELE SINNE

Kaum ein Sprichwort ist auch heutzutage so geläufig wie die Terenzianische Sentenz: Viele Köpfe, viele Sinne. Ähn­ lich ist, ebenfalls bei Terenz, der Spruch: jeder hat seine Art. Ebenso Persius: Menschlicher Arten sind tausend, buntscheckig der Dinge Benützung, Jeder hat eigenen Wunsch, man lebt nicht nach einerlei Willen. Hierher gehört auch das bekannte Epigramm, in dem es heißt, daß es zwar Leute gibt, die bereit sind, auf ihren ererbten Besitz zu verzichten, aber keinen, der seine geistige Eigenart aufgeben will. Bei Horaz steht dazu noch ein sehr treffendes Bild: Unter drei Gästen ist auch ein jeder anderen Geschmackes, Für den verschiedenen Gaumen verlangen sie drum auch Besondres. Und er schrieb auch seine erste Ode über das Thema, daß sich ein jeder von anderen Interessen leiten lasse und an anderen Dingen seine Freude habe. Sehr hübsch spielt Terenz im Phormio auf diesen Gedanken an, wo von drei Advokaten der eine ja, der andere nein sagt und der dritte vorschlägt, sich alles nochmals zu überlegen. Auch der hl. Paulus scheint daran gedacht zu haben, wenn er uns ermahnt, daß wir, um Unfrieden zu vermeiden, jedem seine ehrliche Überzeugung lassen sollen. Würde man in Theolo­ genkreisen auf diesen Rat hören, so gäbe es heutzutage nicht diese feindseligen Auseinandersetzungen über Prob­ leme, die gar keine sind; denn es gibt schließlich Dinge, die man auf sich beruhen lassen kann, ohne dadurch dem Glau­ ben Abbruch zu tun. Euripides führt in den Phönikerinnen diesen Gedanken weiter aus: Wär' e i n Verhalten schön und klug für alle, Gäb' s in der Welt nicht zwei/elvollen Streit. In Wahrheit ist den Menschen nichts gemeinsam Als Worte nur. Das Wort ist nicht die Sache.

384

Adagia

Idem in Hippolyto coronato:

"AAA.mcnv &/../.o . � &ewv Te x' &v&pwmuv µef..et.105 i.e. Hic his, ht"c illis, et homo cordi est et deus.

�: &v�p &m't"ep7tt't"Über die Beherr­ schung des Zornes< von einem Pankratiasten namens Ktesi­ phon, der in einem Wutanfall einem Esel, der ihn getreten hatte, Gleiches mit Gleichem vergalt.

l 3, 62. NICHT EINMAL IM TRAUM

Nicht einmal im Traum. Das ist bei den Griechen ein sprichwörtlicher Ausdruck, der soviel bedeutet wie: unter keinen Umständen, niemals. Denn es ist wohl niemand so ganz von allem Glück verlassen, daß er nicht wenigstens im Schlaf hin und wieder von erfreulicheren Dingen träu­ men würde.

388

Adagia

Lucianus ev 't"� Ifapt 't"WV e1d µLcr.&� c;uv6v-rcuv: Oö8'

5vocp AEUXOÜ 7t0't"E &p-rou eµcpop'Y).&e:l.:;,122 i. e. Ne per somni­ um quidem unquam albo pane satiatus. Idem usurpavit in Gallo, quum ait regibus ne per somnium quidem aliqua re iucunda

frui licere:

öcp' liv oö8' 5vocp cbtoAocÜcrocl -rLvo.:;

�aeo.:; eyylve:-rocL123. Rursus Ili::pt 't"OÜ �Mx-rpou: At86v-rcuv ae �au xoct o!ov cru cp�.:; oö8' 5vocp &x'Y)x6ocµe:v124, i.e. Porro sua­ viter canentes, et eo modo quo tu praedicas, ne per somnium quidem audivimus. Huc eleganter allusit Theocritus ev Bou­

xoAlcrxcp, apud quem Eunica puella civilis rusticum basium

dare conantem ab se repellit dicens tantum abesse ut illi datura sit basium, ut hoc ne per somnium quidem oporteat sperare. Carmen sie habet:

t:pp &7t' eµo"fo, Bcux6Ao.:; C::,v µ' e.&eAe:L.:; XOGOCL; 't"OCAOCV oö µeµoc.&'Yjxoc 'Aypolxcu.:; cpLAte:Lv, OCAA' &mLxoc :x.e:lAe:oc 3-Alße:w.

M� 't"O ye: µe:u XOCT(JÜ ber die, die sich für Geld ver­ dingenHahnElektronÜber die Wohltaten < in einer ähnlichen Wendung 'fern allen Anwürfen': Dem Gott kann der Tempelschänder kein Unrecht zufügen, denn er steht kraft seiner göttlichen Natur fern allen Anwürfen. Bei Lukian in den >WünschenNigrinus< spielt er darauf an: Wie Zeus den Hektor, so entzog ich mich, wt"e man sagt, den Geschossen, Fern aus dem Morden der Männer, aus Blut und dem Toben des Kampfes, und faßte den Beschluß, den Rest met"nes Lebens friedlich zu Hause zu sitzen.

Bei Homer, Ilias 14, steht der Vers: Fern den Würfen, daß nicht wir Wunde zu Wunde erlangen. 10

11

Es ist nicht der 10., sondern der 9. Gesang, ein Irrtum, der um so leichter möglich war, als Erasmus ja nicht aus der Odyssee, sondern aus Lukian zitiert. fragt Aphrodite den Eros

396

Adagia

Contra, quem obnoxium periculo videri volemus, hunc evrbc; 't'OÜ ße/..ouc; dicere poterimus. Lucianus in Baccho: oM' tv't'OGegen einen UngebildetenHahnTischgesprächenHalkyonGast­

mahles der Gelehrten< Mnaseas von Patra als Zeugen für die Behauptung, daß es im Clitor, einem Fluß21 in Arkadien, stimmbegabte Fische gibt, ferner den Philostephanos für

16 17 18

canis marinus ist eigentlich der Hai. ein indisches Fabeltier

eigtl.: boca bzw. phoca, doch ist die Schreibung voca seit der Spät­ antike bekannt.

19 •o

Hermes Logios, der Gott der Rede

xct&elpyvuµ�, einschließen

410

Adagia

Aorno, qui Pheneum urbem interfluit, piscibus dictis poe­ cilis vocem esse ferme qualis est turdorum; tametsi Aristo­ teles adimit omnibus piscibus vocem excepto scaphro et porco fluviatili.192 Veteres autem quemvis piscem vocabant

�AA07tot, quod vocem edere non posset ;193 tAA.e:O'&ott siquidem est e:tpye:O"&ott, i. e. cohiberi, et 6\ji vox. Unde apud Theo­ critum eAA.ome:ue:tv pro piscari.194 Addit Athenaeus Pytha­ goricos a caeteris animantibus non prorsus abstinere, sed quibusdam ex his vesci, quaedam etiam sacrificare, solos pisces non gustare quasi sacros ob ex_e:µu&lotv quam Pytha­ goras docuit.196

l 5, 65. UMBRAM SUAM METUERE

T� v otÜToÜ O"Xtocv qioße:'i:O'&ott,196 i.e. Suam i"psius umbram metuere dicuntur, qui pueriliter trepidant, ubi nihil omnino

sit periculi. Translatum vel ab his, qui forte conspecta cor­ poris sui umbra subito expavescunt, vel a melancholicis quibusdam, qui, auctore Aristotele, propter oculorum im­ becillos spiritus in aere proximo veluti suam quandam imaginem

contemplantes arbitrantur

sese

suos

videre

manes.197 Socrates in Phaedone Platonis: Tuo vero tuam, quemad­ modum dici solet, metuens umbram,198 i.e. tibi diffisus. Q. ad Ciceronem de consulatu petendo: Alter vero, quo, dii boni, splendore est. Primum nobilitate eadem qua Catilina. Num 182

113 1°' 116 196 117 11 8

Athen. 8 p. 33rde (= Mnas. Frg. Hist. steph. ibid. 32; Arist. frg. 272 R.) Plut. loc. cit. Theocr. r,42 Athen. 7 p. 308c

Gr. III 150 Müller; Philo-

cf. Corp. Paroemiogr. ed. Leutsch-Schneidewin praef. p. Arist. Joc. inc. Plato Phaid. p. rord

XIX

Sprichwörter 1 5,65

411

die Nachricht, daß im Fluß21 Aornos, der durch die Stadt Fonia fließt, die sog. Buntfische eine Stimme ähnlich wie die der Drosseln haben; Aristoteles jedoch spricht allen Fischen die Stimme ab außer dem Papageifisch und dem Seehund. Die Alten nannten aber jeden Fisch Laut von sich geben kann;

tAJ.r::cr&oc�

i!J.J.olji,

weil er keinen

heißt nämlich unter­

61ji die Stimme. Entsprechend steht bei Theo­ �AJ.omr::or::�v für fischen. Athenaios fügt noch hinzu,

drücken und krit

daß die Pythagoreer nicht vollständig auf die Tiere ver­ zichten, sondern manche als Nahrung, manche zum Opfer verwenden, und daß sie nur die Fische nicht anrühren, weil sie ihnen gewissermaßen heilig sind, wegen des Schweigens, das Pythagoras gelehrt hat.

l 5, 65. SICH VOR SEINEM EIGENEN SCHATTEN FÜRCHTEN Sich vor seinem eigenen Schatten fürchten heißt: in kin­

dische Angst geraten, wo es gar nichts zu fürchten gibt. Der Ausdruck geht entweder darauf zurück, daß manche Menschen erschreckt zusammenfahren, wenn sie zufällig den Schatten ihrer eigenen Gestalt sehen, oder darauf, daß Leute, die an einer bestimmten Art von Melancholie leiden, wegen der Schwäche ihrer Augen unmittelbar vor sich so etwas wie ihre eigene Gestalt wahrnehmen und meinen, sie sähen ihren eigenen Geist; das steht bei Aristoteles. Sokrates sagt in Platons Phaidon: Aus Furcht vor deinem eigenen Schatten,

d. h. aus

Mangel an

Selbstvertrauen.

Quintus schreibt an Cicero >Über die Bewerbung um das Konsulat6poL, 7tocÜpot 8e Te: Bocx:x.ot.257 i.e. Plureis thyrsigeros, paucos est cernere Bacchos. Carmen hexametrum proverbio Graecis celebratum, quo significatum est compluribus mortalium adesse virtutis insignia aut etiam famam, qui tarnen vera virtute vacent. Ut non omnes vere theologi, qui pileum theologicum gerunt quive hoc nomine sunt donati. Non omnes poetae, qui se eo titulo circumferunt. Non omnes monachi, qui cucullo one­ rantur. Non omnes Christiani, qui ceremoniis agunt Chri­ stianum. Non omnes generosi, qui torquem gestant auream. Non omnes virgines, quae passis sunt capillis. Non omnes reges, qui diademate insigniuntur. Non omnes episcopi, qui mitram gerunt bicornem aut pedum argenteum. Non omnes summi pontifices, qui vocantur sanctissimi quique triplici corona insigniuntur. Non omnes imperatores, qui in SH 115

IH 157

Plut. Cam. 6,6 Arist. eth. Eudem. 8,3 p. 1249b, 16 sqq., et Nicom. 10,7 p. 11778, 12 sqq. al. Athen. 2 p. 37b (= Panyass. frg. 14 Kinkel) Zenob. 5,77. Diogen. 7,86. Apostol. 14,61. al. cf. AnthPI. Pa!. 10,1o6.

Sprichwörter I 7 ,6

427

Frömmigkeit in der Mitte zwischen Verachtung der Götter und Aberglauben liegt: Frömmigkeit30und Mäßigung, das ist das beste. In allen Dingen kann man durch Übertreibung

Fehler begehen, außer in der Liebe zu Gott. Das sagt - mit etwas anderen Worten - auch Aristoteles, nur setzt er an die Stelle von Gott die Weisheit. Hierher gehören auch die Verse, die Athenaios beim Lob des Weines im

1.

Buch aus irgendeinem Dichter zitiert:

Alle Sorgen verscheucht der Wein aus den Herzen der Menschen, Wenn du mit Maßen ihn trinkst, im Übermaß wird er dt'r schaden.

l 7, 6.

THYRSOSTRÄGER SIND VIELE, DOCH ECHTE BEGEISTERTE WENIG

Thyrsosträger sind viele, doch echte Begeisterte wenig.

Ein Hexameter, der bei den Griechen als Sprichwort ver­ breitet war. Gemeint ist damit, daß viele Menschen die äußeren Zeichen oder auch den Ruf von Größe haben, denen in Wirklichkeit echte Größe fehlt. Zum Beispiel: Es ist nicht jeder im wahren Sinn des Wortes Theologe, der den Theologenhut trägt und diesen Namen führt. Und nicht jeder ist ein Dichter, der sich überall mit diesem Titel ein­ führt. Nicht jeder, der eine Kutte trägt, ist ein Mönch. Nicht jeder, der an den kirchlichen Zeremonien teilnimmt, ist ein Christ. Nicht jeder, den eine goldene Kette ziert, ist adelig. Nicht jedes Mädchen, das mit offenem Haar einher­ geht,ist eine Jungfrau. Nicht jeder,den eine Krone schmückt, ist ein König. Nicht jeder, der die Mitra trägt und den sil­ bernen Stab, ist ein Bischof. Nicht jeder, der sich Heilig­ keit nennen läßt und als Zeichen seiner Würde die Tiara hat, ist ein Papst. Nicht jeder, der stolz den Adler im ao

E. verwechselt EuAvoqiop(oc, quernadrnodurn loquitur Plutarchus, philoso­ phurn facit,258 h. e. gestata barba aut gestatum pallium. Translaturn a caerernoniis Bacchanaliurn, in quibus thyr­ sos, id est hastas quasdarn viteas, quatiebant afflati furore. Usurpatur a Platone in dialogo, cui titulus Phaedon.259 Allusit huc eleganter Plutarchus in libello, quern scripsit ad versus Colotarn: Etc; -rwv h·oc(p(J)v 'Apta-r6il-Y)µoc; o A l ­ yte:uc;, ofo&oc yiXp 't'OV &v8poc 't'WV ex. 't"ijc; 'Ax.oc8'Y)µ(occ; ou vocp&'Yjx.oqi6pov, &.N.iX eµµocvta't'IX't'OV opyLocaTtjv IIA.&'t'(J)VOc;,260 i. e. Quidam amicus Aristodemus Aegiensis, nam homi'nem nosti', Academicorum non thyrsigerum, sed ardentissimum my­ stem Platonis. Nocp&'Yjxocp6pov

appellat nornine et cultu

duntaxat Acadernicurn, non re. Sciturn est et illud Herodis Attici in palliaturn, criniturn, barba ad pubern usque por­ recta: video barbam et pallium, philosophum nondum video.261

l 7,

IO.

SIMIA

IN PURPURA

IH&'Y)x.oc; ev 7topqiup�,262 i. e. Simia purpurata. In varios

usus potest adhiberi paroernia, nernpe vel in hos, qui ta­ rnetsi rnagnifico cultu sint ornati, tarnen cuiusrnodi sint, ex ipso vultu rnoribusque cognoscitur; vel in hos, quibus dignitas indecora additur; vel quoties rei per se foedae ad­ scititia peregrinaque ornarnenta indecenter adrnoventur. Quid enirn tarn ridiculurn, quarn simia vestita purpurea veste 7 Atque id tarnen non raro fieri vidernus apud istos qui

sirnias habent in deliciis, ut quarn rnaxirne possunt ad hurnanurn rnorern ornent ac vestiant, aliquoties et purpurn, quo parurn attentos aut irnperitos fallant proque hornine salutetur sirnia, aut si deprehensus fuerit fucus, res rnagis 258 zu aeo 211

Plut. Isid. et Osir. 3 p. 352c (rmiywvo't'po Phaidon Rittern Von den Wohltatenm�, i.e. Post festum venisti. Re­ fertur a Diogeniano320. Dicitur in eos, qui negocio cuipiam egregio non interfuerunt, propterea quod serius, iam re per­ acta, accesserint. Socrates in Gorgia Platonis: 'AM.' � -ro

:Ae:y6µe:vov xor.-r6mv eopTij� �xoµe:v xor.i ucrnpoüµe:v ;321 i. e. Num, inquit, post festum, quemadmodum dici consuevz"t, veni­ mus ac serius? Legitur et hoc pacto: Ilor.vor.-lhjvor.(wv xor.-r-

6mv,322

i. e. post Panathenaea, item:

Ilu·lHwv tlcrnpov

�>m�,323 i. e. post Pythia venisti.

l 9, 55·

l LLOTIS MANIBUS

'Avt7t''t'Ot� x.e:pcr(v, i. e. lllotis manibus. A Diogeniano re­ fertur324 pro eo quod est: irreverenter atque imparate. Translatum item325 a sacrorum puritate. 817

Athen.

12 p. 53oe

318

320 Diog. Pers. 3,65 821 Plato, Go rg. p. 447a 322 Apostol. 14,6 (v. notam ed.) 319

823 324

Apostol. 15,ro (v. notam ed.) D iogen. l .43

Sall. Catil. 23,3 5,73. Greg. Cypr. 2,85. Apostol. 9.44

325

cf. adag. I 9,54 lllotis pedibus

Sprichwörter I 9,52. 55

455

'Schiß' sagt er in der Freiheit der Alten Komödie für 'ver­ richtete seine Notdurft'. Bei Athenaios, Buch 12, gebraucht Phoinix von Kolophon bei der Schilderung der Reichtümer des Königs Ninos statt 'Berg' das Wort 'Meer': er besaß ein Meer von Gold.

Ein wenig anders drückt sich Sallust im Catilina aus: Meere und Berge begann er zu versprechen. Ebenso Persius: gewaltige Berge versprechen.

Die Übertreibung liegt hier also nicht im Gold, sondern einfach in den Bergen.

I 9, 52.

PosT FESTUM

Du bist nach dem Fest gekommen. Das steht bei Diogenian.

Man sagt es von Leuten, die bei einem bedeutenden Ereig­ nis nicht anwesend waren, weil sie erst später, als alles schon vorüber war, eintrafen. Sokrates in Platons Gorgias: Wir sind also verspätet und sozusagen post festum gekommen I

Es findet sich auch in der Form: Nach den Panathenäen und: Du bist nach den Pythien gekommen.

I 9, 55.

MIT UNREINEN HÄNDEN

Mit ungewaschenen Händen. Das steht bei Diogenian und

heißt soviel wie: ohne Ehrfurcht und unvorbereitet. Wie dem vorigen37 so liegt auch diesem Ausdruck die Vorstel­ lung von kultischer Reinheit zugrunde.

a1

Mit unreinen Füßen.

456

Adagia

Hesiodus in Operis et Diebus vetat, ne quis mane Iovi libet vinum xe:pcrh1 OCVL7t't"OLc;, i. e. manibus illotis:

M"YJa� 7t0't"'

e� �oüc; Lid A.e:lße:Lv otr.ll·omx o!vov

Xe:pcrtv OCVL7t't"OLO"LV, {J."YJa' &A.A.mc; oc.&otv&-roLmv.326 i.e. Ne unquam mane lovi vinum libaveris ardens lllotis manibus, neque divum praeterea ulli.

Ac ne vel amnem quispiam ingrediatur aut fontem xe:�potc;

&vm-roc; idem vetat327, i. e. manibus illotis. Unde x�pvtßoc; apud Homerum crebra mentio.328 Ea vox perinde sonat quasi dicat manuum lotionem, a qua rem divinam antiquitus auspicabantur atque etiam convivium utpote rem sacram. Gregorius cognomento Theologus in Apologia de fuga sua in Pontum coniungit utrumque: 'Avl7t-rmc; xe:pcrtv, 8 8e Aeye:'t"otL, X.ott ocµu1j't"OLc; 7tOO"t 't"O�c; 0tyto-r&-r0Lc; totU't"OOc; e7tE:LO"­

&youmv,329 i. e. lllotis, ut dici solet, manibus ac prophanis pedibus semet rebus sacratissimis ingerunt. Caius 1.

dect.

1.

1.

Pan­

Titulo De Origine iuris: Si in foro, inquit, causas

dicentibus nefas, ut ita dixerim, videtur esse, nulla praefatione /acta iudici rem exponere, quanto magis interpretationem pro­ mittentibus inconveni"ens erit, omissis initi'is atque origine non repetita atque illotis, ut ita dixerim, manibus protinus mate­ riam interpretationis tractare J330

Utrumque proverbium recte usurpabitur in eos, qui vel audacius vel parum instructi rebus his, quibus oportuit, negocium invadunt. Veluti si quis principis munus capessat, nulla neque virtute neque sapientia neque rerum usu prae­ ditus. Aut si Divinas Literas interpretari conetur, Graecae, Latinae et Hebraicae Iinguae, denique et omnis antiqui­ tatis rudis et imperitus, sine quibus non stultum modo, verum etiam impium est theologiae mysteria tractanda suscipere. Quod tarnen, heu nefas ! iam passim plerique faciunt, qui frigidis aliquot instructi syllogismis et puerili­ bus sophismatis, Deum immortalem, quid non audent? quid non praecipiunt? quid non decernunt? Qui si possent

••• 121 aao

827 ibid. 737 sqq. 328 e. g. Hes. op. 724 sq. Greg. Naz. orat. 2,8 (PG 35, 416) &µu�To•• Der Ursprung des

RechtsLob der Fliegepove:rv ycX:p ot 't"OC)(Er� OUX OCKönig

Ödipus< des

Sophokles: Wer allzu rasch ist, kommt gar leicht zu Fall. Außerdem wäre hier noch das Wort Platons anzuschließen, das ich schon an anderer Stelle zitiert habe: Wer am Anfang zu schnell i'st, kommt als Letzter ans Zz"el. Ein wenig anders, 67

68

Die Angaben beziehen sich auf das Druckerzeichen Frobens. Die Sammlung der Sentenzen des Publilius Syrus liefen unter dem Titel >Proverbia Senecae< und werden auch von Erasmus noch gelegentlich als 'Seneca' zitiert (vgl. S. 57); doch später hat er sie selbst aufgrund der Angaben des Gellius als 'Mimen des Publius' . identifiziert (Londini 1514).

508

Adagia

diversius est, sed tarnen ad hanc referendum formam, quod ait Quinctilianus: Praecox illud ingeniorum genus non

temere pervenire ad frugem,398 et quod vulgo dicunt, qui

pueri adhuc et velut ante tempus sapiunt, eos in senectute stultos evadere; quod Actius approbare videtur, qui apud Gellium ait sibi in iuvenilibus ingeniis itidem ut in pomis immaturis placere acerbitatem, nam haec demum matures­ cere; porro

maturitas tempestivam

adfert suavitatem,

reliqua ante tempus putrescere.399 Alter usurpandi modus fuerit, cum admonebimus adfe­ ctus animi rationis velut habenis reprimendos esse. Siqui­ dem Plato animum hominis in treis partitus parteis, ratio­ nem

iracundiam concupiscentiam, in hoc

philosophiae

summam sitam esse putat, si affectus pareant rationi non aliter quam regi, cui quidem ob id ipsum sedem in cerebro velut in arce datam existimat.400 Peripatetici, quorum signifer Aristoteles401, affectus, qui sunt animorum impetus quidam, ceu stimulos quosdam a natura datos existimant, quibus ad virtutis usum excitemur, quanquam reclamanti­ bus Stoicis et nominatim Seneca in libris quos ad Neronem scripsit de Ira.402 Putant enim affectus huiumodi non modo nihil conducere ad virtutem, verum etiam officere; quan­ quam ne isti quidem inficias eunt in animo sapientis illius, quem imaginantur, relinqui primos impetus antevertere solitos rationi, quos funditus exstirpare non queas; verum

ii, ne consequatur assensio, protinus a ratione reiiciuntur. Hoc innuit Homerus, cum Iliados primo Pallas a tergo adstat Achilli iamque manum admoventem gladio coer­ cet.403 Igitur violentos illos animi motus delphinum recte dixeris, ancoram moderatricem sapientiam.

118

Quint. inst. l,3,3 Gell. 13,2,5 d •00 Plato resp. 4 p. 435a-441c. Tim. 16 p. 44 '«ll Arist. eth. Nicom. 2 p. 1105b, 21 sqq. rhet. 2,2-u al. '«II Sen. dial. 3,10.17 al. - A 193 sqq. 1119

Sprichwörter II

1,1

509

aber doch auch in diesen Zusammenhang einzuordnen ist der Satz aus Quintilian: jene frühreife Art der Begabung trägt nicht leicht Früchte, und das Wort aus dem Volks­ mund: Kluge Kinder, dumme Greise. Diese Auffassung scheint Accius zu teilen; denn bei Genius sagt er, er schätze an jungen Talenten die gleichen Eigenschaften wie an unreifem Obst: Saures Obst würde einmal reif, und mit der Reife stelle sich auch der süße Geschmack ein, das andere aber verfaule vor der Zeit. Zweitens könnte man das Sprichwort als Mahnung ver­ wenden, die psychischen Affekte mit

den

Zügeln

der

Vernunft zu bändigen. Platon unterscheidet bekanntlich an der menschlichen Seele drei Teile, die Vernunft, das Muthafte und das Begehren, und er sieht es als Ziel der Philosophie an, die Affekte der Vernunft gleich einem König unterzuordnen; denn seiner Meinung nach hat sie aus eben diesem Grund ihren Sitz im Gehirn, also gleich­ sam in der Herrscherburg. Die Peripatetiker mit Aristoteles an der Spitze halten die Affekte, d. h. die psychischen Triebkräfte, für einen naturgegebenen Ansporn zur Ver­ wirklichung der Tugenden. Dieser Auffassung widerspre­ chen jedoch die Stoiker, namentlich Seneca in den Büchern >Über den ZornDe ira< ist nicht Nero, sondern Novatus gewidmet.

Adagia

510

Seneca scripsit nulli rei prodesse moram ms1 iracun­ diae.404 Imo quicquid impense cupimus aut odimus, ibi salutaris est mora. Plutarchus in Apophthegmatis Roma­ norum narrat Athenodorum Philosophum, cum ob senium impetrasset ab Octavio Augusto veniam redeundi domum, admonuisse illum, ut ne quid iratus diceret faceretve, prius quam viginti quatuor Graecorum literas apud se nomina­ tim recensuisset. Quo audito respondit sibi illo adhuc opus esse, quo disceret et tacendi artem atque hoc praetextu totum annum hominem apud se detinuit.405 Huc spectat etiam Terentianum illud: Vide, ne nimium calidum hoc sit modo.406 Sunt autem quaedam ingenia, quibus calcaribus

est opus, sunt quibus freno. Proinde recte veteres illi a del­ phino ancoram complecti voluerunt, quod oporteat alterum altero temperari et utrumque cum altero coniungi, quo videlicet eiusmodi quidam animi habitus existat, qualem Plato conflari putat ex musica gymnasticaque, si pariter exerceantur.407 Tertia utendi ratio fuerit, cum admonebimus in omni negocio vitandam praecipitem celeritatem, quod vitii qui­ busdam ingeniis peculiariter insitum est, ut illis in omni re quantulacunque mora longa videatur. Huiusmodi festi­ nationis comites esse solent error et poenitentia, iuxta ver­ siculum illum apud Graecos celebrem: Ilpoite't'e:�CX ltOAAoi:c; Ea't"LV cxh[cx xcxxwv.408 i.e. Multis malorum est causa praecipitanti"a. His occinendum nobile illud Catonis dictum: Sat dto, si sat bene, cuius mentionem fecit divus Hieronymus scribens ad

Pammachium in haec verba: Scitum est illud quoque Cato­ nis: Sat cito, si sat bene, quod nos quondam adolescentuli, cum a perfecto oratore in praefatiuncula diceretur, risi·mus. Meminisse te puto errori"s mutui, cum omne Athenaeum scholasticorum vocibus consonabat: Sat cito, sit sat bene.

Hactenus Hieronymus.409

'°' '°' '°"

Publil. sent. R 2 Ter. Eun. 380 Monost. Menand. 7 o6

'05 '07 '°1

Plut. apophthegm. reg. p. 207c Plato resp. 3,10 sqq. p. 398e-412b Hier. epist. 66,9,2 (Cato dict. 80)

Sprichwörter II

1,1

511

Seneca schreibt: Nirgendwo i"st Zaudern nützlich, außer bei erregtem Zorn. Mehr noch: Immer, wenn wir etwas über alle :Maßen begehren oder hassen, ist Zaudern heilsam. Plutarch erzählt in den Dicta Romanorum, der Philosoph Athenodoros habe Augustus, als er sich von ihm aus Alters­ gründen beurlauben ließ, zuletzt noch ermahnt, nie im Zorn etwas zu sagen oder zu tun, bevor er nicht die 24 Buchstaben des griechischen Alphabetes der Reihe nach bei sich hergesagt habe. Darauf antwortete er, er brauche seine Dienste noch, um auch die Kunst des Schweigens noch zu lernen, und behielt den Mann unter diesem Vorwand noch ein volles Jahr bei sich. Hierher gehört auch das Wort des Terenz: Wenn das nur nt"cht zu brenzlig wird I Manche sind ja so veranlagt, daß sie immer einen Ansporn, andere wieder so, daß sie Zügel nötig haben. Darum haben die Alten recht daran getan, den Anker mit einem Delphin zu umwinden, weil man das eine mit dem andern so harmonisch verbin­ den muß, daß jene geistige Haltung entsteht, die nach Platon das Ergebnis von Musik und Eurhythmie ist, wenn man beides gemeinsam übt. Drittens kann man das Sprichwort als Mahnung verwen­ den, bei allem, was wir tun, überstürzte Eile zu vermeiden, einen Fehler, zu dem manche Charaktere so sehr neigen, daß ihnen die kleinste Verzögerung wie eine Ewigkeit·vor­ kommt. Dieser Hast folgen gewöhnlich Irrtum und Reue auf dem Fuße, nach dem bekannten griechischen Vers: Überei"ltheit ist bei vi"elen schuld an allem Ungemach. Solchen Menschen kann man auch den berühmten Aus­ spruch Catos entgegenhalten: Schnell genug, wenn nur gut genug. Diesen Satz erwähnt der hl. Hieronymus in seinem Brief an Pammachius; er schreibt dort: TreOend ist auch der Ausspuck Catos: Schnell genug, wenn nur gut genug, ein Wort, über das wir uns seinerzeit, als wir noch dumme Jun­ gen waren, lustig machten, obwohl es ein ausgezeichneter Rhe­ tor i"n einer Vorrede angeführt hatte. 1eh denke, Du eri"nnerst

Dich noch unseres bei"derset"tigen lfftums, als die ganze Schule wie aus einem Munde ri"ef: Schnell genug, wenn nur gut genug. Soweit Hieronymus.

Adagia

512

Quadrabit et in illos, qui praepropere famam affectant maluntque paratam ac magnam quam solidam et perpe­ tuam. Solent enim praecocia subito flaccescere. Quod autem paulatim accrescit, durabile est. Horatius: Crescit occulto velut arbor aevo Fama Marcelli.410

Et Pindarus in Nemeis, hymno VIII.: Aö�&"t"IXL ae &pe"t"cX,

xl.wpoci:i:; �epcrocti:; wi:; lhe 8ev8pov &tcrcret, croqioi:i:; &v8pwv &ep.ß-e"i:croc �v 8Lxoc[oti:;

n

7tpoi:; öypov oct.ß-epoc411, i. e. Augescit

autem virtus, veluti cum arbor virenti rore surgit, sapientes inter viros sublata iustosque ad liquidum aethera.

In summa, quicunque vel socordia peccant vel immo­ derato impetu, iis illud Octavii Caesaris, crTteü8e ßpoc8ewi:;, simul symbolum illud olim Titi Vespasiani, nunc Aldinum, oportebit in memoriam revocare, ut delphini atque ancorae meminerint.

II

1, 10.

IN EADEM ES NAVI

M. Tullius Epistolarum familiarium libro secundo ad

Curionem: Etsi, ubicunque es, ut scripsi ad te antea, in eadem es navi, tamen quod abes gratulor.412 In eadem es navi dixit

pro eo, quod est: in communi periculo. Siquidem ad eos, qui eodem vehuntur navigio, periculum naufragii commu­ niter pertinet, neque magnopere refert in prora sint an in puppi an carina, cum nihilo magis absint a discrimine. Idem alibi: Hoc mi'ror eni·m querorque quenquam hominem ita pessundare alterum velle, ut etiam navim perforet, in qua ipse naviget,413 h. e. ut rempublicam evertat, cum qua sit

etiam ipsi pereundum. Aristophanes in Vespis:

Ilepl -riJi:; 7t6/.ewi:; yocp fo"t"L "t"OÜ crxocqioui:; /5).ou.414 i.e. De civitate est, nave de tnta puta. uo

Hor. carrn. 1,12,4_5 sq. "1 Pind. Nem. 8,40 sq. Cic. or. frg. B 13 Schoell. (ex Quint. inst. 8,6,47) '" Aristoph. vesp. 29 ua

"2

Cic. fam. 2,5,1

Sprichwörter II

1,ro

513

Das Sprichwort paßt auch auf Leute, die möglichst rasch berühmt werden wollen und billigen und großen Ruhm einem wohlfundierten und dauerhaften vorziehen. Denn alles Frühreife welkt auch schnell. Was aber langsam wächst, ist von Dauer. Horaz:

Wie der Baum unmerklich im Laufe der Jahre Wächst Marcellus' Ruhm. Und Pindar in den Nemeen, Hymnus 8: Tugend aber gedeiht, wie wenn ein Baum von Perlen des Taues empor­ schießt in des feuchten Äthers Blau, durch Weise, die Recht üben, erhöht. Um noch einmal zusammenzufassen: Wer durch Träg­ heit Fehler macht oder durch unbeherrschtes Tempera­ ment, dem sollte man die Devise des Augustus: Eile mit

Weile, und das Signet, das sich einst Titus, jetzt Aldus zu eigen gemacht hat, ins Gedächtnis rufen, damit er stets an Delphin und Anker denkt.

II Im

2.

1, 10.

WIR SIND IM SELBEN BooT

Buch der Briefe an seine Freunde schreibt Cicero

an Curio: Du befindest Dich zwar, wie ich Dir neulz"ch schon

schrieb, im selben Boot, magst Du sein, wo Du willst; trotz­ dem beglückwünsche ich Dich, daß Du nicht hier bist. 'Im sel­ ben Boot' sagt er für: in der gleichen Gefahr. Denn alle, die mit demselben Schiffe fahren, sind gemeinsam von der Gefahr des Schiffbruchs betroffen, und es macht keinen großen Unterschied, ob sie sich am Bug, am Heck oder mittschiffs befinden, bedroht sind sie in jedem Fall. An einer anderen Stelle schreibt er: Es erfüllt mich mit Staunen und Schmerz, daß jeder Mensch so sehr darauf aus ist, den anderen ins Verderben zu stürzen, daß er sogar das Schiff anbohrt, in dem er selber fährt, d. h., daß er den Staat zu­ grunde richtet, mit dem er selbst zugrunde gehen muß. Aristophanes in den >Wespen �X.OV't"V 7tep� ;'39 i.e. Quae cantio haec, quibusve de rebus metus1 Idem in Hecuba:

"H�i::�

·n

µeA.oc; yoi::pov yoi::pocLc;.440

i.e. Aliqua accedet cantio tristis tristibus. Sumtum est a cantoribus, qui si quando diutius eandem occinant cantionem, taedium adferunt auribus. Proinde periti subinde variant carminis genus, quo satietatem devi­ tent.

II 6,

12.

lGNAVIS SEMPER FERIAE SUNT

Qui vacant ocio, feriari dicuntur, et ociosi feriati et ocium feriae, quae metaphorae tanquam in proverbium receptae sunt. Theocritus in Bucolicis:

'Ai::pyoLc; octev eop"t'oc.441 i.e. Semper feriae inertibus. Nam feriis etiam ethnici a profanis negociis abstinebant. Qui fugitant laborem, optant dies festos, quo liceat ociari ventrique et voluptatibus indulgere. Siquidem antiquitus in hoc dabantur agricolis feriati dies aliquot, ut lusu reficerent lassitudinem. Admiscuerunt autem religionem, quo moderatiores essent lusus. At hodie Christianorum vulgus feriis olim ad pietatis usum insti­ tutis in compotationes, in scorta, in aleas, in rixas, in pugnas abutitur, nec ullo tempore plus committitur fiagi­ tiorum, quam quo maxime conveniebat fiagitiis abesse, nec unquam magis imitamur ethnicos, quam cum praecipue Christianos oportebat agere. Cumque palam sit rem iuvan­ dae religioni repertam in religionis perniciem vergere, tarnen '11

Fur. Ion 757

"0

Eur. Hec. 84

"1

Theocr. 15,26. cf. Plut. tranqu.anim. 20 p.477. Erasm. adag. II 9,28

lnertium chorus.

Sprichwörter II 6,12

523

Bei den Dichtern wird eine Nachricht oft 'Lied' genannt. Euripides im Ion: Welch' Trauerlied vernehm' ich? Was befürchtest du7

Und in der Hekabe: Für die Klagende wi"eder ein klagendes Lied.

Es ist eine Übertragung aus der Praxis der Sänger, die das Ohr ermüden, wenn sie längere Zeit hindurch immer diese!be Weise singen; erfahrene Künstler variieren daher öfter ihre Melodien, um Langeweile zu vermeiden.

II 6, 12.

DER FAULPELZ HAT IMMER FEIERTAG

Für 'müßig sein' sagt man feiern, ein Müßiggänger hat Feiertag, und die Mußestunden heißen Feierabend, lauter

Metaphern, die gleichsam sprichwörtlich geworden sind. Theokrit in den Hirtengedichten: Stets hat der Müßige Festtag. An den Festtagen enthielten sich nämlich auch die Heiden

weltlicher Geschäfte. Wer also arbeitsscheu ist, wünscht sich Festtage, damit er der Ruhe pflegen und seinen Gelü­ sten und Vergnügungen frönen kann. In früheren Zeiten gewährte man den Bauern eine An­ zahl von Feiertagen, zu dem Zwecke, daß sie sich bei fro­ hem Spiel von den Anstrengungen erholten; doch brachte man die Religion dazu in Beziehung, um die Vergnügungen in Grenzen zu halten. Aber jetzt mißbraucht das Christen­ volk die Feiertage, die einstmals im Interesse der Frömmig­ keit eingeführt wurden, für Saufgelage, Hurerei, Glücks­ spiel, Streit und Schlägereien, und zu keiner Zeit werden mehr Schlechtigkeiten begangen als zu der, wo man sich am allermeisten vor Schlechtigkeiten hüten müßte, und nie gebärden wir uns heidnischer als an den Tagen, an denen wir ganz besonders gute Christen sein sollten. Da nun eine Einrichtung, die zur Förderung der Religion geschaffen

524

Adagia

haud scio, qua consilio pontifices quotidie ferias addunt feriis, cum potius conveniat prudentes imitari medicos, qui pro ratione morborum mutant remedia, tantum illud ceu scopum spectantes, ut bonae valetudini conferant. Proinde cum videant rem olim pro temporum illorum ratione salu­ briter institutam nunc mutatis Christianorum moribus pestem esse pietatis, quae tandem religio est constitutionem eodem mutare consilio, qua veteres illi constituerunt? Quod de festis diebus dico, de multis aliis sentiendum est; non quod damnandas existimen Christianorum ferias, sed quod in immensum nolim crescere, et paucas eas, quas instituit priscorum auctoritas, ad id converti cupiam, ad quod repertae sunt. Nam vere Christianis omnis dies festus est, malis vero, quae maxima turba est442, festi dies minus festi sunt quam profani. Sed ut ad proverbium revertamur: Apte accommodabi­ tur in eos, qui nunquam non causantur aliquid, qua sint in ocio, veluti quibus insuaves sunt literae, nunc excusant valetudinem, nunc occupationes rei domestiae; nonnun­ quam obstat rigor hyemis, alias aestatis fervor, interdum autumni periculosum coelum, demum avocat a libris veris amoenitas max fugitura. Pransi negant esse rem habendam cum libris, antequam concoxerit stomachus, impransis ob­ strepit fames, quominus libeat. Luci dicunt ignavum esse domi desidere, caeterum ad lucernam vigilare oculis inimi­ cum. Si suppetit res domestica, quorsum opus, inquiunt,

cn

Verg. Aen. 6,6n

Sprichwörter II 6, r 2

525

wurde, sich ganz offensichtlich immer mehr zu ihrem Scha­ den entwickelt, weiß ich nicht recht, was sich die Päpste dabei denken, wenn sie tagtäglich ein Fest nach dem an­ dern neu einführen, während sie doch besser daran täten, nach dem Beispiel von guten Ärzten zu handeln, die je nach der Art der Erkrankung die Therapie variieren, immer nur mit dem einen Ziel vor Augen, daß sie der Heilung diene. Wenn sie daher sehen, daß eine alte Institution, die für die damaligen Verhältnisse gut und nützlich war, nun, da sich die Sitten der Christen so sehr gewandelt haben, der Reli­ gion zum Verhängnis geworden ist: Was hindert sie eigent­ lich, diese Institution aus derselben Überlegung heraus, aus der sie einst eingeführt wurde, jetzt abzuändern? Was ich von den Festtagen sage, gilt in gleicher Weise von vielen anderen Dingen. Das soll nicht heißen, daß ich die christ­ lichen Feiertage samt und sonders ablehne, ich möchte nur nicht, daß ihre Zahl ins uferlose wächst, und wünschte, daß dafür die wenigen, die eine lange und ehrwürdige Tradition haben, wieder der Bestimmung dienen, für die sie geschaf­ fen wurden. Denn für die guten Christen ist jeder Tag ein Festtag, für die schlechten jedoch - 'und das ist die Mehr­ zahl' - sind die Festtage noch weniger heilig als der Alltag. Aber um auf unser Sprichwort zurückzukommen: Es läßt sich passend auf Leute anwenden, die immer eine an­ dere Ausrede dafür finden, daß sie nichts tun. Wer z.B. dem Studium keinen Reiz abgewinnen kann, entschuldigt sich einmal mit Krankheit, ein andermal mit häuslichen Ge­ schäften; häufig ist die Winterkälte ein Hindernis, dann wieder die Hitze des Sommers, bisweilen auch das unge­ sunde Herbstwetter, endlich lockt der Zauber des Früh­ lings - er vergeht ja so bald! - von den Büchern fort. Nach dem Essen sagen sie, sie wollen nichts mit Büchern zu tun haben, solange die Verdauung nicht beendet ist, vor dem Essen ist es der knurrende Magen, der ihnen die Lust ver­ dirbt. Bei hellichtem Tag in der Stube zu hocken, ist Träg­ heit, doch bei künstlichem Licht zu arbeiten, schadet den Augen. Ist Vermögen vorhanden, wozu, sagen sie, braucht man da noch Bildung? Ist keines da, heißt es, ein Armer

526

Adagia

litteris? Si deest, negant pauperem posse philosophari. Iuvenis negat aevi fiorem curis senilibus absumendum, provectior ait valetudini parcendum.

II 6, 14.

TANTAL! POENAE

Tocv-r&Ae:wL -rLµcup(ocL, i. e. Tantali supplicia. De iis dicen­ dum, quibus adsunt quidem bona, verum his frui nega­ tum est.443 A fabula Tantali sumtum, quem poetae fingunt apud inferos adsistere fiumini sitientem, quod si quando admoverit se potaturus, repente aquam labris contactam refugere; turn capiti imminere arborem pomis onustam, sed eam subito porrigenti manum alio subducere sese, atque ita miserum praesente copia inopia discruciari. Id olim in divites parcos et sordidos dici vulgo solere testis est Horatius in Sermonibus: Tantalus a labris st"tiens fugientia captat Pocula. Quid rides? mutato nomine de te Fabula narratur. Congestis undique saccis lndormis inhians et tanquam parcere sacris Cogeris aut pictis tanquam gaudere tabellis.444

Idem in Odis: Magnas t"nter opes inops.445

Gregorius Nazianzenus in epistola ad Basilium eleganter detorquet ad huius mundi delicias, quae nunquam explent animum: Tocv-r&Ae:LoL, inquit, 't'Lvtc; xoct xoc-rocxpL't'OL 8Llji6w-r&c;

tv ß8ocV't'Ot 't'O �e:ü8oc; xocl 't'O f.v hepcp cpwpiicrocL 7tocV't'wv o�u't'oc't'ov, xatv 15't'L µocALCJ't'Ot crocpo'i:c; 7tAtX'1)­ 't'OtL xocl 7tOLx(A.oLc; A.ocßup[v.3-0Lc;,488 i. e. Quoniam cum eo viro loquor, qui non solum non amet mendacium, sed et qui in alio possit quam ocyssime deprehendere, etiamsi vel maxime calli­ dis variisque lab_vrinthis involvatur.

Huic non dissimilis erat Maeander; id erat picturae genus ortum ab exemplo labyrinthorum, cuiusmodi videmus et hodie in nonnullis pavimentis. Utitur Prudentius

m

car­

mine, cuius initium Cultor Dei: 0 tortuose serpens Qui mille per Maendros Fraudesque fiexuosas Agitas quieta corda.489

Hinc et Maeandro Lydiae fluvio nomen, quod flexuosus erret.

•ea 481 ••• uo

cf. Suda A 11 loc. cit. Greg. Naz. epist. 16 (PG 37, 49 B) Prud. cath. 6,141 sqq. (Cultor Dei: 6,125)

Sprichwörter II 10,5I II

IO,

51.

545

EIN LABYRINTH

Ein Labyrinth nannte man in der Antike eine Rede oder überhaupt alles, was äußerst verwirrend und ausweglos war. So könnte man beispielsweise die Beschäftigung mit der Philosophie ein Labyrinth nennen, weil sie keinen, der einmal tiefer in sie eingedrungen ist, je wieder losläßt; ein Labyrinth könnte man auch die Genußsucht nennen, weil man sehr leicht hineinschlittern, den Weg heraus aber nur sehr schwer wieder finden kann. Der Ausdruck geht auf das Labyrinth des Dädalus zu­ rück. Es lag der Sage nach in Kreta und war eine un­ übersichtliche Grottenanlage, die mit ihrem Wirrwarr von Irrgängen ein Zurechtfinden oder Entkommen unmöglich machte; es diente als Behausung des Minotaurus. Suidas leitet das Wort von 't"O

µ� &upocv A.ocße:'i:v,

d. h. die Tür nt'cht

finden, ab und gibt an, daß es sich auf Schwätzer und Wich­ tigtuer bezieht, die bei ihrem Gerede nie ein Ende finden können, wenn sie erst einmal zu schwätzen angefangen haben. Gregor der Theologe wendet es in einem Brief an Eusebius von Cäsarea auf einen Schwindler an: 1eh spreche ja zu einem Mann, der nicht nur selbst dt"e Lüge haßt, son­ dern sie auch bei anderen sehr schnell durchschauen kann, mag sie sich auch in einem Labyrinth von raffint"erten und schil­ lernden Wendungen verbergen. Etwas Ähnliches war ein Mäander. Das war eine Art Ornament nach dem Muster von Irrgängen; derlei ist heute noch gelegentlich auf Fußböden zu sehen. Diesen Ausdruck gebraucht Prudenz in seinem Hymnus >Verehrer GottesVögeln Über die Methode der Geschichtsschreibungvtxwc;, serio sequimur: 0 cives, cives, quaerenda pecunia primum,

Vt'rtus post nummos. 681

Cephisodorus apud Athenaeum lih. III. docet apud poe­ tas celebres ac sapientes viros inveniri sententias quasdam improbatas,588 velut illud apud Archilochum: IlocV't'' &v8p'

iX7toax.ol.u1t-r&tv, i.e. Quemvis hominem excoriare sive spoliare; apud Theodorum illud: Ke:J.e:ue:tv 7tl.fov �x.e:tv, �mxwe:i:v 8e:

-ro foov, i.e. Quod iubet plus aequo habere, laudare tamen, quod aequum est; apud Euripidem -ro yl.wffa.v oµ.Ci>µ.oxbJa.t tpocva.t, i. e. quod dixerit linguam iurasse, quo de nobis alias 589 dictum est; apud Sophoclem:

Tota.ü-ra. -rol crot 7tpoc; x.ocptv -re: xou ßl� AeyCi> cru 8' a.u-roc; lJ.i=e:p o! croipol -r.X µ.€.v Lllxa.t' �7ta.(ve:t, -roü 8e xe:p8a.lve:tv �x.ou. i.e. Ad gratiam tibi ista dico, haud impero, At ipse, uti solent facere prudentes viri, Laudato iusta, caeterum lucro haereas;

idem alibi dixit µ.'Yj8tv e:!va.t cruv xep8e:t xa.x6v, i. e. nul­ lum esse malum, quod cum lucro coniunctum sit; apud Ho­

merum, quod facit Iunonem insidiantem Iovi, quod Mar­ tern fingit adulterum. Haec Athenaeus.588 Mirum autem populum indignari poetis aut histrionibus, si quando talia recitant in theatris, cum magis debuerit indignari quisque sibi, quod ea sequeretur in vita, quorum commemorationem in theatro ferre non poterat.

III 7, 16.

ANICULARUM DELIRAMENTA

rpa.wv M·J.oc;,590 i.e. Anicularum deliramenta. De nugis inanibus, cuiusmod i solent effutire vetulae, cum iam sexus

181 1117 181 181

Iuv. 14,207 (fort. Lucil„ Friedländer) Hor. epist. 1,1,59 sq. cf. Erasm. adag. II 9,38 Athen. 3 p. 122bc: Archil. frg. 124 B 4. Eur. Hippol. 612. Soph. frg. 25 Nauck. Soph. EI. 61. Horn. E 153 sqq. .& 266 sqq. adag. II 5,41 610 Zenob. 3,5. Diogen. 3,79. al.

Sprichwörter III 7,16

581

Wo du was her hast, fragt keiner, nur daß du es hast, das ist nötig. Ja, selbst die ironischen Worte des Horaz machen wir ganz im Ernst zur Richtlinie für unser Handeln: 0 ihr Bürger, ihr Bürger, zunächst gilt's, Geld zu erwerben,

Tugend erst nach dem Geld. Kephisodoros führt bei Athenaios im 3. Buch aus, daß sich auch bei namhaften Dichtern und vernünftigen Männern Ansichten finden, die man nicht gutheißen kann, z. B. bei Archilochos, man solle jedem Menschen die Haut abziehen, d. h. alle ausbeuten, bei Theodoros, man solle zusehen, mehr zu haben als die anderen, im übrigen aber 'Gleiches Recht für alle' schreien, bei Euripides der Satz: Nur die

Zunge hat geschworen (Ich habe darüber schon in anderem Zusammenhang gesprochen), bei Sophokles:

Das sag' ich dir als guten Rat, nicht als Befehl, Daß du dich danach richtest und als kluger Mensch Das Rechte lobst, jedoch den Vorteil nicht vergißt, und an einer anderen Stelle die Äußerung, daß nichts vom Übel sei, wofern es nur Gewinn bringe; bei Homer, daß er Hera den Zeus hinters Licht führen läßt und den Ares als Ehebrecher hinstellt. Soviel Athenaios. Es ist paradox, daß sich die Menge über Dichter und Schauspieler entrüstet, wenn sie einmal derartiges auf die Bühne bringen, statt daß sich ein jeder über sich selbst entsetzt, weil er im Leben Dinge tut, deren bloße Erwäh­ nung auf der Bühne er nicht ertragen kann.

III 7, 16.

ALTWEIBERGEFASEL

Altweibergefasel nennt man das leere Gewäsch, wie es alte Weiber daherplappern, wenn zu ihren artbedingten

Adagia

582

vitio vitium aetatis accedens nugacitatis morbum condu­ plicat. Exstat proverbium apud Platonem in Theaeteto: TotÜ't'ot µev yiXp ecrm o J.ey6�oc; ypotwv G&t.oc;,691 i. e. Nam haec quidem sunt, qUQd dici solet, anicularum nugae. Itidem Cicero in Oratione pro Domo sua dixit anilem superstitionem6'n.

III 7, 59·

PALPARI IN TENEBRIS

'f'Yjl.cxcpt'i:v ev 't'ij> ax6't'cp, i. e. Manu tentare in tenebris dicuntur, qui rem obscuris vestigant coniecturis. Aristo­ phanes in Pace:

Ilpo 't'ou µE:v ouv 'Elji'Yjt.otcpwµtv ev ax6't'cp 't'oc 7tpiiyµot't'ot, Nuvt 8' &7totV't'ot 7tpoc; Mxvov ßoul.tucroµtv.693 i.e.

Antehac negocia,

Velut in tenebris manibus attentavimus, Nunc ad lucernam cuncta pensitabimus.

Allusit poeta ad Hyperboli artificium, qui ex lychnopola, i. e. lucernario, factus fuit imperator. Usurpat idem pro­ verbium Plato in Phaedone.6114 Quod quidam et hodie dici­ tur de coniecturis incertis: �'Y)Aotcpt'i:.

III 8.

HoMERICI VERSUS ALIQUOT PROVERBIALES

Tantum honoris antiquitas habebat Homero, quem­ admodum testatur Macrobius, ut singuli pene versus illius proverbii vice celebrarentur.696 Quorum nos nonnullos spar­ sim in hoc opere recensuimus, praesertim quos in auctorum litteris usurpatos deprehendissemus. Nunc itaque mihi videor facturus operae precium, si ex omni Homericae 1t1

111 n1

Plato Theait. p. 176b Aristoph. pax 690 sqq. Macr. sat. 5,16,6

512

Cic. dom. 105 "' Plato, Phaid. p. 99 b

Sprichwörter III 7 ,59. 8

583

Schwächen als weitere Schwäche das Alter hinzukommt und die krankhafte Schwatzsucht vervielfacht. Das Sprichwort steht bei Platon im Theaitet: Das t"st ja, wie man sagt, Altweibergefasel. Desgleichen spricht Cicero in seiner Rede> Pro domo< von altwei"berhaftem Aberglauben.

III 7' 59.

IM DUNKLEN TAPPEN

Im Dunklen tappen heißt, einer Sache mit vagen Vermu­

tungen auf die Spur zu kommen suchen. Aristophanes im >FriedenTe:pov x.pucr(ou ToÜ &7to)..)..uµevou 3tcX.

7tupoc; 3e 3oxtµoc�oµevou,620 i. e. Multo preciosius auro, quod perditur (sive auro pesti"fero), quod tamen per ignem probatur. Est autem illud auro non citra miraculum peculiare, ut igni non solum non fiat deterius, sed magis ac magis enites­ cat. Itidem is, qui vere bonus est, obiectus malorum pro­ cellis, illustrat animi virtutem, non amittit. Plinius libro xxxm.

scribit ob eam praecipue causam aurum omnibus

metallis praelatum, quod uni rerum nihil igni depereat, tuto etiam in incendiis durante materia, quin imo, quo saepius arserit, hoc magis proficiat ad bonitatem, idque argumentum esse probi auri, si similiter rubeat ut ignis, atque ipsum obrizum appellant.621

IV

1,

88.

HomE

NULLus, CRAS MAXIMUS

'0 VÜV µev ou3dc;, otÖpLOV 3' 07te:pµeyocc;. 622 i.e. Qui nullus hodie, cras erit vel maximus. De eo, cui repente praeterque spem ingens aliquis honos accesserit. Et vulgo, qui ex infima conditione ad dignitatem evehuntur, e nihilo dicuntur emersisse. Exstat apud Ari­ stophanem in Equitibus.

811 Theogn. no5 sq. ((&mi