Deutschland – Italien 1943–1945: Aspekte einer Entzweiung 9783110939095, 9783484670037

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Deutschland – Italien 1943–1945: Aspekte einer Entzweiung
 9783110939095, 9783484670037

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
NS-Deutschland als Besatzungsmacht in Italien
Der Nationalsozialismus in der Endphase des Krieges
Die Italiener zwischen Faschismus und Demokratie
Mussolinis Motive für seine Rückkehr in die Politik und die Übernahme der Führung der RSI (September 1943)
Der ungewisse Weg zur Demokratie: Regierungen und Parteien in Italien 1943-1945
Motive, Ziele und Grenzen vatikanischer Friedenspolitik im Zweiten Weltkrieg
Militärinternierte - italienische Kriegsgefangene in Deutschland
Gedankenschmuggel - die literarische Moderne Italiens im nationalsozialistischen Deutschland
Italien zwischen dem Sturz Mussolinis und der Errichtung der faschistischen Republik in der NS-Propaganda
Die Lageberichte der deutschen Militärverwaltungsgruppen als Quellen für die regionale Erforschung der Besatzungszeit: Die Provinzen Verona und Vicenza
Deutschsprachige Literatur / Übersetzungen ins Deutsche
Italienische Literatur / Übersetzungen ins Italienische

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REIHE DER VILLA VIGONI Deutsch-italienische Studien Herausgegeben vom Verein Villa Vigoni e.V.

Deutschland - Italien 1943-1945 Aspekte einer Entzweiung

Herausgegeben von Rudolf Lill

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1992

Gedruckt mit Unterstützung des Vereins Villa Vigoni e.V.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutschland - Italien 1943 - 1945 : Aspekte einer Entzweiung / hrsg. von Rudolf Lill. Tübingen : Niemeyer, 1992 (Reihe der Villa Vigoni; Bd. 3) NE: Lill, Rudolf [Hrsg.]; Villa Vigoni : Reihe der Villa ... ISBN 3-484-67003-7

ISSN 0936-8965

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1992 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz und Druck: Maisch + Queck, Gerlingen Buchbinder: Heinr. Koch, Tübingen

Inhaltsverzeichnis

Rudolf Lill NS-Deutschland als Besatzungsmacht in Italien

1

Heinrich Oberreuter Der Nationalsozialismus in der Endphase des Krieges

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Luigi Vittorio Ferraris Die Italiener zwischen Faschismus und Demokratie

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Renzo De Feiice Mussolinis Motive für seine Rückkehr in die Politik und die Übernahme der Führung der RSI (September 1943)

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Elena Aga Rossi Der ungewisse Weg zur Demokratie: Regierungen und Parteien in Italien 1943-1945

51

Ulrich Reusch Motive, Ziele und Grenzen vatikanischer Friedenspolitik im Zweiten Weltkrieg

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Gerhard Schreiber Militärinternierte - italienische Kriegsgefangene in Deutschland

95

Hansgeorg Schmidt-Bergmann Gedankenschmuggel - die literarische Moderne Italiens im nationalsozialistischen Deutschland

139

Bettina Goetzinger Italien zwischen dem Sturz Mussolinis und der Errichtung der faschistischen Republik in der NS-Propaganda

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Maddalena Guiotto Die Lageberichte der deutschen Militärverwaltungsgruppen als Quellen für die regionale Erforschung der Besatzungszeit: die Provinzen Verona und Vicenza

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Bibliographie, erstellt von Wolfgang Altgeld und Maddalena Guiotto

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Mein herzlicher Dank gilt außer den Autorinnen und Autoren Frau Gerti Goretzko für die Mitgestaltung des Manuskripts und manche Übersetzungshilfen, Herrn PD Dr. Wolfgang Altgeld für vielfache bibliographische Informationen, Johannes Lill für die Übersetzung der Beiträge von De Feiice und Guiotto, schließlich Frau Ursula Rieth für die sorgfältige Betreuung im Verlag. R. L.

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NS-Deutschland als Besatzungsmacht in Italien

Die Jahre 1943-1945 markierten den absoluten Tiefpunkt der deutsch-italienischen Beziehungen seit der Entstehung der beiden »verspäteten« Nationalstaaten. Nicht nur wurden damals Verbündete zu Gegnern, die Deutschen zu Okkupanten. 1943 manifestierten sich darüber hinaus die Unterschiedlichkeit von Faschismus und Nationalsozialismus sowie deren Hintergrund: die Unterschiedlichkeit des politischen Denkens und Handelns von Italienern und Deutschen. Der Faschismus brach aus seinem Inneren her zusammen, als die militärische Niederlage sich abzeichnete und die Italiener ihm vollends den schon seit 1938/40 geschwächten Konsens entzogen; abgesehen von einer radikalen Minderheit, die sich nun eng an die Deutschen anschloß und diese an Brutalität manchmal noch zu übertreffen suchte, resignierten die faschistischen Führer, offenbar auch Mussolini selbst. Ganz anders Hitler und seine Paladine: Der Nationalsozialismus setzte nun erst recht auf Krieg und Terror, dazu auf die immer noch vorhandene Bereitschaft der meisten Deutschen zur Befolgung staatlicher Weisungen. Die meisten Italiener erwiesen sich als antitotalitär und realistisch, auch als human; sie retteten, was noch zu retten war, sowohl die Kontinuität ihres Staates wie das Leben der meisten, nun erst direkt bedrohten Juden in ihrem Land. 1 Die Deutschen kämpften weiter bis zur totalen Niederlage; die meisten von ihnen haben nie verstanden, daß sich in und für Italien aufgrund der von den Italienern selbst heraufgeführten Wende schon in den Jahren 1943-1946 neue, tragfähige Gleichgewichte sowie eine günstigere Position gegenüber den Siegermächten ergeben hatten. Aber diese Tiefendimension der damaligen Entzweiung ist in der deutschen Historiographie und Publizistik kaum thematisiert worden, dagegen hat die Propaganda der Diktatoren in mancher Hinsicht nachgewirkt. So erinnern sich viele Deutsche zwar an die 1936 großspurig aufgezogene italienisch-deutsche »Achse« sowie an deren hypertrophe Verfestigung zum »Stahlpakt«. Aber daß Hitler und Ribbentrop 1939 Mussolini über das volle Ausmaß ihrer Kriegspläne getäuscht hatten und daß letzterer mit dem Pakt wesentlich begrenztere Ziele verfolgte, ist bei uns weitaus weniger bekannt; und ebenso, daß die Annäherung des Duce an NS-Deutschland von der Mehrzahl der Italiener mit besorgter Skepsis betrachtet wurde und eben den bis dahin breiten Konsens zum faschistischen Regime erst1

Frederick William Deakin, Die brutale Freundschaft. Hitler, Mussolini und der Untergang des italienischen Faschismus, Köln - Berlin 1964. S. jetzt auch: Jonathan Steinberg, All or Nothing. The Axis and the Holocaust 1941-1943, London / New York 1990.

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mals erheblich geschwächt hat. 2 Man macht sich nicht klar, daß Italien auf den von Hitler inszenierten Weltkrieg weder mental eingestellt noch militärisch gerüstet war und schon darum die Erwartungen seines Verbündeten weitgehend enttäuschen mußte. 3 Erst recht ist über den Sturz Mussolinis (25. Juli 1943) und über Italiens Kapitulation (3./8. September 1943) immer noch die Version vom »Verrat« der Italiener verbreitet, mehr oder minder im Sinne der von Goebbels im September 1943 ausgegebenen Parolen; aber die deutschen Reaktionen sind vergessen oder verdrängt worden. 4 Dabei hatten die faschistischen Politiker um Dino Grandi, welche mit Zustimmung König Viktor Emanuels III. Mussolini stürzten, ebenso vernünftig wie patriotisch gehandelt, weil sie ihrem Land die Katastrophe ersparen wollten, in die Hitlers Krieg, schon damals erkennbar, führen mußte. 5 Auch waren Italiens König und Regierung zur Kapitulation berechtigt und zum Frontwechsel (Mitte Oktober 1943) genötigt; zumindest für erstere fanden sie in ihrem Volk, welches längst Frieden wollte, breite Zustimmung. 6 Wo die alliierten Truppen einrückten, wurden sie als Befreier begrüßt. Aber das alles wird von vielen Deutschen eben heute noch ebenso verkannt wie im Herbst 1943, als mindestens 6000 italienische Offiziere und Soldaten erschossen worden sind, weil sie ihrer rechtmäßigen Regierung gehorchten. 7 Stattdessen verweist man gern auf die Zweideutigkeiten und Fehler, die Mussolinis Nachfolger als Regierungschef, Marschall Badoglio, zweifellos begangen hat; auch sie waren schon von Goebbels hochgespielt worden. Zwar war es militärisch verständlich, daß Deutschland im Herbst 1943, um den alliierten Vormarsch vom Süden her aufzuhalten, Nord- und Mittelitalien schnell besetzte; 8 auch hat der dort befehlende Feldmarschall Kesselring sich im allgemei2

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Renzo D e Feiice, Mussolini il duce II. Lo Stato totalitario 1936-1940, Torino 1981, Kap. V und VI. - Schon die weitgehende Übernahme des nationalsozialistischen Antisemitismus hatte einen ersten Bruch zwischen dem Duce und der Mehrzahl der Italiener bewirkt und katholische, konservative und liberale Gegenstimmen hervorgerufen. D e Feiice, Storia degli Ebrei italiani sotto il fascismo, Torino 4 1988, Kap. VI und VII. Darüber jetzt D e Felice, Mussolini l'alleato I. L'Italia in guerra 1940-1943, tom. 1: Dalla guerra »breve« alla guerra lunga, Torino 1990. Vgl. hierzu Jens Petersen, Deutschland und der Zusammenbruch des Faschismus in Italien im Sommer 1943: M G M 37 (1985), S. 51-69. Rudolf Lill, Geschichte Italiens in der Neuzeit, Darmstadt 4 1988, S. 3 5 9 - 3 6 6 . Dino Grandi, 25 luglio. Quarant'anni dopo, hrsg. von R. D e Feiice, Bologna 1983. Detaillierte Darstellung anhand aller bisher zugänglichen Quellen und mit gründlichen, teils exkursartigen Erörterungen von Einzelproblemen: D e Feiice, Mussolini l'alleato I. L'Italia in guerra 1940-1943, tom. 2: Crisi e agonia del regime, Torino 1990. S. a. die ebenfalls um Unparteilichkeit bemühte zusammenfassende Darstellung von Domenico Bartoli, L'Italia si arrende, Milano 1983. Präzise Angaben über die von der Wehrmacht an Italienern verübten Kriegsverbrechen enthält in diesem Band der Beitrag von Schreiber, S. 100-104. Josef Schröder, Italiens Kriegsaustritt 1943. D i e deutschen Gegenmaßnahmen im italieni-

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nen um korrekte Kriegsführung bemüht. 9 Aber der nun haßerfüllte Hitler und seine ebenso unmenschliche Umgebung wollten »die Italiener« bestrafen und, nach des Führers eigenen Worten, noch schlimmer behandeln als die Polen; vom Ärgsten ließen sie sich nur abhalten, nachdem Mussolini am 12. September 1943 von einem deutschen Kommandounternehmen »befreit« worden war10 und wieder an Deutschlands Seite trat. Nicht nur im September 1943 setzten sich die Deutschen über das Selbstbestimmungsrecht der Italiener und über das Völkerrecht hinweg. In den von der Wehrmacht besetzten Gebieten errichteten sogleich auch SD und SS ihr Regiment, schon im Oktober 1943 begann die Deportation der Juden mit dem Ziel ihrer Ermordung! Über 600000 italienische Kriegsgefangene wurden nach Deutschland verbracht und dort oft sehr schlecht behandelt." Die traditionell so vielfältigen kulturellen Beziehungen, welche im Zeichen der »Achse« erheblich intensiviert, zugleich instrumentalisiert worden waren, 12 wurden auf einen Schlag und völlig abgebrochen. Politisch am einschneidendsten war freilich für die Italiener die Zweiteilung ihres Landes: Im Süden bestand das Königreich und damit, wenngleich momentan sehr geschwächt und anfangs auf vier apulische Provinzen beschränkt, die staatliche Kontinuität weiter, freilich unter anglo-amerikanischer Kontrolle. 13 Die antifaschistischen Parteien konnten wieder aktiv werden. Im Januar 1944 hielten sie in Bari einen gemeinsamen Kongreß ab, der sich unter maßgeblicher Beteiligung Benedetto Croces zum politischen Neubeginn in liberalem und demokratischem Sinne bekannte; an der Regierung sind sie freilich erst nach der Rückeroberung Roms im Sommer 1944 beteiligt worden. Aber im Norden wurde unter Mussolini die »Repubblica sociale italiana« mit dem Regierungssitz in Salö am Gardasee errichtet, ein Satellitenstaat Hitlers, welcher seine Macht zudem durch die sehen Raum: Fall »Alarich« und »Achse«, Göttingen 1969 (auf breitester, vom Verf. sorgfältig aufbereiteten Quellenbasis). - Aufgrund eigener Erfahrungen hat über das Ende der Achse unparteilich berichtet und geurteilt Friedrich-Karl v. Plehwe, Schicksalsstunden in Rom. Ende eines Bündnisses. Mit einem Nachwort von Gustav R. Hocke, Berlin 1967. Vgl. auch Enno v. Rintelen, Mussolini als Bundesgenosse, Erinnerungen eines deutschen Militärattaches in Rom 1936-1943, 1965. 9 Albert Kesselring, Soldat bis zum letzten Tag, Bonn 1953. 10 Mussolinis Befreiung durch die deutsche Wehrmacht ist in allen Einzelheiten geschildert bei Schröder (A. 8), S. 320-325. " Vgl. dazu neben den Studien Gerhard Schreibers (s. hier ab S. 104) jetzt auch Luigi Cajani, Die italienischen Militär-Internierten im nationalsozialistischen Deutschland, in: Ulrich Herbert (Hrsg.), Europa und der »Reichseinsatz«. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991, S. 295-316. 12 Jens Petersen, Vorspiel zu »Stahlpakt« und Kriegsallianz: das deutsch-italienische Kulturabkommen vom 28. November 1938, in: Karl Dietrich Bracher / Leo Valiani (Hrsg.), Faschismus und Nationalsozialismus (Sehr, des Ital.-Dt. Hist. Inst.s in Trient, Bd. 1), Berlin 1991, S. 243 -282; zuvor in: VfZG 36 (1988), S. 41-77. 13 Edgar R. Rosen, Königreich des Südens. Italien 1943/44 (Forschungsberichte der Braunschweigischen Wiss. Ges.), Göttingen, T. 1 1988, T. 2 1990.

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SD- und Gestapozentrale im nahen Verona sowie durch eine schnell und kapillar aufgezogene deutsche Militärverwaltung ausüben ließ. Wirtschaftliche Auspowerung des Landes und Rekrutierung von Arbeitskräften wurden deren wichtigste Aufgaben. Außerdem wurden zwei »Operationszonen«: »Alpenvorland« (Provinzen Bozen, Trient und Belluno) und »Adriatisches Küstenland« (Provinzen Görz und Triest, Istrien und Slowenien) provisorisch ausgegliedert und den Gauleitern von Tirol und Kärnten unterstellt; 14 daß darüber den Südtirolern erstmals die vom Faschismus unterdrückte Amts- und Schulsprache zurückgegeben wurde, gehört zu den Paradoxien der damaligen Entwicklung. 15 Den Italienern wurden zwei weitere Kriegsjahre aufgezwungen, 16 die schon als solche schlimm genug waren. Denn die Deutschen kämpften tapfer und machten die alliierten Hoffnungen auf schnelle Eroberung der Halbinsel zunichte. Nach dem Fall Neapels (1. Oktober 1943) war auf Hitlers Befehl eine ca. 80-100 km nördlich davon verlaufende Verteidigungslinie errichtet worden. Englische Truppen konnten bis Jahresende an der adriatischen Küste bis Ortona vorrücken: aber davon abgesehen, erzielten die Alliierten auch in der ersten großen Schlacht um Monte Cassino (November 1943 - Ende März 1944) nur geringe Landgewinne. Sie waren daher im Januar 1944 in der Bucht von Anzio-Nettuno gelandet und hatten im Rücken der Deutschen einen Brückenkopf gebildet, der in den folgenden vier Monaten ebenso hart umkämpft worden ist wie Cassino, wo die Alliierten, die inzwischen ihre Kräfte noch verstärkt und zudem den Zuzug französischer, marokkanischer und polnischer Verbände erhalten hatten, dann in einer zweiten Schlacht im Mai 1944 den Durchbruch erzwungen haben. Am 4. Juni rückten die Alliierten ins unzerstörte Rom ein, welches noch im selben Monat wieder Sitz der italienischen Regierung wurde. In den beiden folgenden Monaten haben die Anglo-Amerikaner die Deutschen, welche weiterhin heftigen Widerstand leisteten, bis zur nördlichen Toskana abgedrängt; am 11. August fiel ganz Florenz, wo die Deutschen sich verteidigt und vor dem Abzug mit Ausnahme des ponte vecchio alle Arno-Brücken gesprengt hatten, in ihre Hände; auch anderswo wurde der Rückzug von sinnlosen Zerstörungen begleitet, nachdem er oft durch Luftangriffe vorbereitet worden war. Die deutschen Truppen zogen sich auf die von Viareggio über den Apennin bis Rimini verlaufende »Goten-Linie« zurück, die sie im wesentlichen bis zum April 1945 gehalten haben. Mussolinis Republik war seit dem Sommer 1944 auf die Gebiete nördlich dieser Linie beschränkt. Daß sie sich nur infolge der drückenden deutschen Besetzung noch halten konnte, mußte bei

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F. W. Deakin, Storia della repubblica di Salò, Torino 1963. Karl Stuhlpfarrer, Die Operationszonen »Alpenvorland« und »Adriatisches Küstenland« 1943-1945, Wien 1969. Vgl. darüber zuletzt Umberto Corsini, in: Ders. / Rudolf Lill, Südtirol 1918-1946, Bozen 1988. Zusammenfassende Darstellungen: Lill, Geschichte Italiens..., S. 372-385. Friederike Hausmann, Kleine Geschichte Italiens seit 1943, Berlin 1989, S. 9-18.

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den Antifaschisten und den Gegnern der Allianz mit Deutschland, aber auch bei vielen eigentlich unpolitischen Italienern zusätzliche Abneigung gegen Deutschland bewirken. Aber Italien wurde eben seit dem Herbst 1943 nicht nur, wie so oft in seiner früheren Geschichte, zum Schlachtfeld fremder Armeen. Auf die Gewaltmaßnahmen der Deutschen und der von ihnen abhängigen »Repubblichini« gegen Antifaschisten und Juden reagierten viele Italiener mit Verweigerung, Resistenz und mutiger Solidarität mit den Verfolgten; 17 die Rettung der meisten italienischen Juden wurde schon erwähnt. 18 Darüber hinaus leistete eine wachsende Minderheit aktiven Widerstand. Dieser wurde teils von den Comitati di Liberazione Nazionale (C.L.N.) gesteuert, in denen die wiedererstandenen antifaschistischen Parteien zusammenarbeiteten und für die Zeit nach dem Ende des Krieges planten, teils von vielen lokalen Partisanengruppen spontan geleistet. Die C.L.N. hatten ihre Zentren in Rom, wo die gemäßigten, seit dem Sommer 1944 an der Regierung beteiligten Kräfte dominierten, und im Mailänder Untergrund, wo die Linken bestimmten. Diese dirigierten die Resistenza im engeren Sinne, welche eine neuartige politische Legitimation begründete, eine für Italien ebenso neuartige politische Mobilisierung bewirkte und gegen Mussolinis Republik als Gegenautorität auftrat. Im Corpo volontario della Libertà schuf sie sich eine militärische Organisation, in der zuletzt fast 100000 Freiwillige kämpften, besonders in der letzten Phase des Krieges mit beträchtlichen Erfolgen. Beim Einmarsch der Alliierten amtierten in vielen Provinzen und Städten Nord- und Mittelitaliens bereits antifaschistische Präfekten und Bürgermeister! Die Deutschen reagierten, so lange sie konnten, mit Repressalien, auch gegen die Zivilbevölkerung, von denen nicht nur die beiden schlimmsten unvergessen sind: im März 1944 die Erschießung von 335 Geiseln in den Fosse Ardeatine bei Rom als Vergeltung für ein freilich ebenso unmenschliches kommunistisches Attentat auf eine deutsche Polizeikolonne, bei dem im Zentrum der Hauptstadt dreiunddreißig Männer (Südtiroler vom 1943 gebildeten Polizeiregiment Bozen) getötet worden waren; im September 1944 die Erschießung von mehreren hundert Zivilisten in Marzabotto (im Apennin nahe bei Bologna), ebenfalls nach kommunistischen Partisanenaktionen, welche die Verbindungslinien der Wehrmacht abzuschneiden versuchten. 17

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Über die Auswirkungen von Krieg, Partisanenkrieg und deutschen Repressalien und über die Reaktionen der toskanischen Landbevölkerung hat zuletzt eindrucksvoll berichtet Iris Origo, Toskanisches Tagebuch 1943/44. Kriegsjahre im Val d'Orcia. Aus dem Englischen übersetzt von Uta-Elisabeth Trott, München 1991 (zuvor engl., London 1985). Vgl. dazu jetzt: Liliana Picciotto Fargion, Italien, in: Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, hrsg. von Wolfgang Benz, München 1991, S. 199-277. S.a. PinchasE. Lapide, Rom und die Juden, Freiburg 2 1967, S. 8 8 - 9 7 , Turin 3 1972, Kap. 7 und 8, welche auch den in Deutschland durch die Hochhuth-Legende vergessen gemachten päpstlichen und generell kirchlichen Einsatz bei der Rettung der Juden in Italien hervorheben.

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Im staatlichen Vakuum erwies sich die katholische Kirche als stärkste Kraft moralischer und gesellschaftlicher Kontinuität; auch dies ein Faktum, welches die unterschiedliche Verfaßtheit der italienischen und der deutschen Gesellschaft im Kriege erweist. Die Kirche war die einzige Institution, die auf allen Ebenen im Interesse der Bevölkerung und besonders der Verfolgten zwischen Deutschen, Faschisten und Partisanen vermitteln konnte und vielen Übergriffen entgegengetreten ist. Pius XII., der diese Hilfen initiiert und koordiniert hat, ist darüber auch zu einer nationalen Integrationsfigur geworden. Krieg, Partisanenkrieg und Bürgerkrieg, Verhaftungen, Deportationen und Erschießungen (an die in den meisten nord- und mittelitalienischen Städten Gedenktafeln erinnern) mußten lange Schatten werfen und weitaus tiefere Ressentiments hinterlassen, als oberflächliche Beobachter und Reisende zur Kenntnis nehmen; so manche skeptische italienische Reaktion auf die Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Jahre 1990 beruhte auf Erinnerungen an den Machtmißbrauch Deutschlands, als es stark war. Zwar war auch im besetzten Italien zwischen Deutschen und Nationalsozialisten unterschieden worden, vor allem, weil es auch deutsche Diplomaten, 19 Offiziere und Soldaten gab, welche Härten des Krieges zu mildern und der Bevölkerung zu helfen suchten. 20 Aber der Konformismus der meisten Deutschen und die Unterordnung der Wehrmacht unter Hitlers rassischen Totalitarismus hatten diese Unterschiede verwischen müssen; nicht selten stellte die Propaganda der Resistenza die Deutschen insgesamt als Barbaren hin, welche seit tausend Jahren immer wieder Italien überfallen hätten. Solche Ressentiments sind vor allem in der linken Nachkriegskultur Italiens tradiert worden und haben auch die äußerst umfangreiche Historiographie über Antifaschismus und Resistenza mitbeeinflußt; vor allem haben sie über viele und eindrucksvolle literarische Werke in die Breite gewirkt. 21 Daß jüdische Autorinnen " So Ernst v. Weizsäcker, seit dem Sommer 1943 Botschafter beim Hl. Stuhl. Vgl. über seine dortige Tätigkeit: Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950, hrsg. von Leonidas E. Hill, Frankfurt 1974, S. 339-405. 20 Zwei Zeugnisse Deutscher, von denen der eine als ritterlicher Offizier, der andere als Italien eng verbundener, zugleich patriotisch engagierter Beobachter vom Vatikanstaat aus die damaligen Ereignisse miterlebt hat: Udo v. Alvensleben, Lauter Abschiede. Tagebuch im Kriege, Berlin 1979, S. 277-355: Zerstörung Italiens. Hubert Jedin, Lebensbericht, hrsg. von Konrad Repgen, Mainz 1984, Kap. 10: Ein Jahr »Città aperta« (1943-1944). Zu erinnern ist hier auch an die deutschen Offiziere, die mit dem Schutz von Kunstwerken betraut waren und dafür viel geleistet haben. Von Ludwig H. Heydenreich (damals in Florenz) berichtet in diesem Zusammenhang I. Origo, die ansonsten leider nur wenig Gutes über die Deutschen in der Toskana mitzuteilen hat; Wolfgang Hagemann (damals v. a. in Verona tätig) erteilte mir in mehreren Gesprächen detaillierte Auskünfte, z.B. über die Rettung der Etschbrücken in Verona. 21 Vgl. u.a.: Elio Vittorini, Uomini e no (1945); Italo Calvino, Il sentiero dei nidi di ragno (1947); Primo Levi, Se questo è un uomo (1947), La Tregua (1963). Ähnlich wirkten neorealistische Filme, so Roberto Rossellinis Trilogie: Roma, città aperta (1945), Paisà (1946), Germania anno zero (1947).

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und Autoren, so Giorgio Bassani, Natalia Ginzburg oder Primo Levi, mit dem besonderen Engagement Betroffener über Besatzung und Deportationen geschrieben haben, versteht sich von selbst. Die Mehrheit der Deutschen hat jedoch in den fünfziger und sechziger Jahren wohl die politische Hegemonie der Democrazia Cristiana und die infolge der Politik Konrad Adenauers und Alcide De Gasperis wiederhergestellten offiziellen guten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Italien erlebt; 22 daß aber in Italien die aus der Resistenza-Tradition schöpfende Linke kulturell dominierte, wurde kaum zur Kenntnis genommen. Auch weil die Kriegserinnerungen dabei nicht selten polemisch übertrieben wurden, wollten oder konnten viele Deutsche sie nicht gebührend ernst nehmen, jedenfalls wurde bei uns lange weder die politische noch die moralische Bedeutung verstanden, welche die Resistenza für die Italiener und für die Fundierung ihrer Republik gehabt hat. Die Politisierung der deutschen wie der italienischen Gesellschaft im Jahrzehnt nach 1968 hat endlich einen engagierten, die zeithistorischen Hypotheken nicht mehr ausklammernden Dialog hervorgebracht, welcher erheblich mitgeholfen hat und hoffentlich weiterhilft, die Nationalismen zu überwinden und das Bewußtsein europäischer Identität zu bilden. 23 Auch die erst diesem Dialog zu verdankende Präsenz der zeitgenössischen italienischen Literatur in Deutschland, deren breites Ausmaß z.B. der Italienschwerpunkt der Frankfurter Buchmesse des Jahres 1988 markierte, hat die Deutschen mit politischen und sozialen Problemen Italiens, so gerade auch mit Faschismus, Antifaschismus und Resistenza konfrontiert. Daß darüber zu den früheren, in rechten Kreisen immer noch tradierten Vorurteilen auch provokante Gegenpositionen wie die von Erich Kuby24 bezogen worden sind, zeigt freilich nur, wie notwendig eine unparteiliche Aufarbeitung und Diskussion der Fakten, Kontraste und Konsequenzen der Jahre 1943-1945 ist. Diesem doppelten Ziel war das deutsch-italienische Kolloquium in der Villa Vigoni gewidmet, aus dem dieser Band hervorgegangen ist; er enthält die meisten der dort gehaltenen, für den Druck noch erweiterten Referate. Um die Hintergründe zu erklären, behandelt Heinrich Oberreuter (Passau / Dresden) einleitend die Schlußphase des NS-Regimes insgesamt, die außer von Hitler zunehmend von Himmler und Goebbels geprägt wurde: Sie erzwangen den totalen Krieg und betrieben die totale, Exzesse an Zerstörung einkalkulierende Ideologisierung bei weitestgehendem Realitätsverlust; sie hielten unbeirrt an ihrer Lebensraumphilosophie fest und steigerten sich in Hoffnungen auf einen Bruch der gegnerischen Koalition hinein. - Luigi Vittorio Ferraris (Rom), der als 22

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Vgl. Konrad Adenauer e Alcide De Gasperi: due esperienze di rifondazione della democrazia, a cura di Umberto Corsini e Konrad Repgen, Bologna 1984. Rudolf Lill, Deutsche und Italiener, in: Deutschland, Porträt einer Nation, Bd. 10: Deutschland, Europa und die Welt (Bertelsmann Lexikothek) 1986, S. 165-176, 2 . A . 1991, S. 163-169. Erich Kuby, Verrat auf Deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte. Hamburg 1982.

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einer der aktivsten Gestalter des italienisch-deutschen Dialogs im letzten Jahrzehnt oft mit beiderseitigen Vorurteilen konfrontiert war,25 erklärt demgegenüber die ganze Zwiespältigkeit des Achsenbündnisses sowie die Konsequenzen, welche viele Italiener daraus und konkret dann 1943/44 aus der Kapitulation und den deutschen Überreaktionen gezogen haben: die Resistenza wird in die Tradition des Risorgimento gerückt und als national integrierende Absage an Faschismus und Nationalsozialismus interpretiert. - Renzo De Feiice (Rom) steuert ein erst von ihm erforschtes und bisher nicht dargestelltes Kapitel aus dem Zusammenhang seiner großen Biographie Mussolinis26 bei: Er führt aus, daß dieser sich mit seinem Sturz abgefunden hatte und die ihm von Hitler angetragene erneute Führungsrolle wohl nur übernahm, um die Pressionen des übermächtig gewordenen Verbündeten zu mildern und darüber die nationale Funktion des Faschismus zu zementieren. Aber dafür hatte Italien einen hohen Preis zu zahlen: eben den Bürgerkrieg, der eine jahrzehntelange innere Spaltung zur Folge hatte. - Elena Aga Rossi, ebenfalls bekannt durch profunde Studien der Geschichte Italiens im Zweiten Weltkrieg,27 skizziert die verschiedenen Phasen und die Hauptakteure des Übergangs vom Faschismus zur Demokratie, die Unterschiedlichkeit der Entwicklungen im Norden und im Süden, vor allem dann die Regierungen Badoglio und Bonomi, die Parteien, darunter besonders den Aufstieg des PCI und der DC zu Massenparteien, die Einwirkungen der westlichen Siegermächte, seit 1944 auch der Sowjetunion, die stabilisierende Rolle des Vatikans. Sie widerspricht lange üblich gewesenen ideologischen Vereinfachungen und plädiert einerseits für die unvoreingenommene Erörterung einer doppelten italienischen Realität, der antifaschistischen wie der faschistisch gebliebenen, sowie für eine international vergleichende Erforschung der Übergänge von totalitären oder autoritären zu demokratischen Systemen. Daß und warum der Hl. Stuhl, anders als auf der italienischen Ebene, international wenig bewirken konnte, weist Ulrich Reusch (Bonn) aufgrund alliierter und deutscher Quellen nach: Die vatikanische Diplomatie unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und Deutschland, sie riet zu einem Frieden der Verständigung und des internationalen Gleichgewichts und geriet darüber seit 1943 in deutlichen Gegensatz zu den Alliierten. Erst als seit dem 20. Juli 1944 ein Sturz des NS-Regimes aus eigener deutscher Kraft nicht mehr zu erhoffen und anderer-

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Vgl. Ferraris' Buch: Wenn schon, denn schon - aber ohne Hysterie. An meine deutschen Freunde, München 1988. Im letzten Band dieser Biographie, der in diesem Jahr erscheinen soll, wird D e Feiice Mussolinis Rolle an der Spitze der RSI ausführlich anhand der Quellen darstellen: Mussolini l'alleato II. La guerra civile 1943-1945. Vgl. v. a. Elena Aga Rossi, L'Italia nella sconfitta: Politica interna e situazione internazionale durante la seconda guerra mondiale, Napoli 1985. Id., L'armistizio italiano nella politica nazionale e internazionale, Roma 1992. - Bradley F. Smith / Elena Aga Rossi, Unternehmen »Sonnenaufgang«. Das Kriegsende in Italien, Frankfurt 1983 (zuvor engl.: The Secret Surrender 1979).

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seits das Vordringen des Bolschewismus nach Mitteleuropa und seine Festsetzung in Italien zu befürchten war, akzeptierte Pius XII. die amerikanische Deutschland- und Europapolitik und darüber insgesamt die westliche Demokratie; freilich widersprach er weiterhin, besonders unter Hinweis auf das christliche Deutschland, dem Vorwurf der Kollektivschuld.28 Daß auch diese Haltung auf das Deutschlandbild vieler Italiener gewirkt hat, entgeht den Autoren, welche nur auf das linke Spektrum der öffentlichen Meinung schauen. Gerhard Schreiber (Freiburg) hat lange und gründliche, inzwischen abgeschlossene Studien über die italienischen Militärinternierten durchgeführt, 29 welche die unmenschliche Konsequenz des nationalsozialistischen und deutschen Vergeltungswillens in allen Einzelheiten dokumentieren: Die nach Deutschland verbrachten italienischen Soldaten hatten dort generell für Badoglios »Verrat« zu büßen; sie wurden verspottet, ausgebeutet und in der sozialen Hierarchie des Hitlerschen Sklavenimperiums an die vorletzte Stelle gesetzt, nach ihnen kamen nur noch die Russen! Erste Verbesserungen wurden von Hitler und dessen »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel konzediert, um die optimale Ausnutzung der Italiener für die Kriegswirtschaft zu erreichen: sie hatten möglichst viele Deutsche zu ersetzen, die an der Front gebraucht wurden. Nachdrücklich und immerhin mit beachtlichen Erfolgen haben sich sodann der Päpstliche Nuntius in Berlin30 und die Regierung Mussolini, in Berlin vertreten durch den Botschafter Anfuso und den Gesandten Vaccari, um bessere Lebensbedingungen der Internierten bemüht. - Wenigstens einige »Lichtblicke« eröffnet Hansgeorg Schmidt-Bergmann (Karlsruhe) mit seiner ebenfalls aus den Quellen erarbeiteten Untersuchung der Rezeption zeitgenössischer italienischer Literatur im Weltkrieg, besonders im Umkreis der »Deutsch-italienischen Gesellschaft«, deren Zeitschrift »Italien« sich von der offiziellen Verteufelung Italiens nicht vereinnahmen ließ, sondern an ihren traditionellen humanistischen Maßstäben festhielt. Sie präsentierte auch nichtfaschistische Schriftsteller und setzte sich gelegentlich für italienische Zivilinternierte ein. Zwei Teilnehmer am Kolloquium haben leider ihre Zusage auch zur Mitarbeit an diesem Band nicht einhalten können: Karl Stuhlpfarrer (Wien) hatte die deutsche Besatzungspolitik in Italien als konkrete Anwendung der leitenden Ideen Hitlers interpretiert, Salvatore Sechi (Ferrara) die Resistenza vorgestellt. Sechis 28

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Vgl. auch Ulrich Reusch, Der Vatikan und die deutsche Kapitulation, in: Die Kapitulation von 1945 und der Neubeginn in Deutschland, hrsg. von Winfried Becker, Köln 1987, S. 211-244. Ders., »Ein Teufel jagt den anderen«. Das Verhalten des Vatikans im deutsch-sowjetischen Krieg: Rheinischer Merkur / Christ und Welt Nr. 25, 21. Juni 1991, S. 19. S. dazu jetzt Schreibers Buch: Die italienischen Militärinternierten im deutschen Machtbereich 1943-1945. Verraten - verachtet - vergessen, München 1990. Auch die Seelsorge an ausländischen Arbeitern unterlag schikanösen Restriktionen, welche der katholische Klerus so weit wie möglich zu unterlaufen suchte. Vgl. hierzu für die Jahre 1943ff.: Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. VI, bearb. von Ludwig Volk, Mainz 1985, S. 195, 205, 225ff., 269ff., 278, 450f.

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Rudolf Lili

Referat beeindruckte durch seine ausgebreiteten Detailkenntnisse wie wegen seiner nüchternen Bilanzierung: Einerseits wies er die immerhin beachtlichen militärischen Leistungen und das daraus erwachsene moralische Prestige der Resistenza auf, andererseits ihre Unfähigkeit zu praktischer Politik nach dem Ende der Kämpfe und die Mythisierung, welche auch zur Ablenkung von diesem Defizit auf der Linken so lange betrieben worden ist - u.a. mit der Konsequenz der hier schon erwähnten Gleichsetzung der Deutschen mit den Nationalsozialisten. Stattdessen sind zwei aufschlußreiche Fallstudien junger Historikerinnen hinzugekommen. Bettina Goetzinger behandelt anhand der Goebbelsschen Presseanweisungen aus dem Sommer und Herbst 1943 die damalige deutsche Italienpropaganda. Sogleich nach dem 25. Juli 1943 suchte diese Propaganda psychologischen Auswirkungen auf die Deutschen entgegenzuwirken, mußte jedoch bei der Beurteilung der neuen italienischen Regierung zunächst taktieren. Aber sogleich nach dem 8. September begann die Beschimpfung des »Verräterpacks Badoglio und Konsorten«, dem u.a. »Heimtücke« und »Unmoral« vorgeworfen wurde; wenig später dann auch der Versuch, die Führungsschicht der neuen Republik Mussolinis und darin besonders den Marschall Graziani als Vertreter eines heldischen Italiens von den »Verrätern« um den König und um Badoglio abzuheben. - Maddalena Guiotto skizziert die Struktur der deutschen Militärverwaltung und widmet sich sodann eingehend den Lageberichten der »Militärverwaltungsgruppen« für die Provinzen Verona und Vicenza (Herbst 1943 - Sommer 1944). Diese Berichte zeigen im Detail, daß es der deutschen Verwaltung vor allem um die Gewinnung italienischer Ressourcen für Hitlers Krieg ging und daß es dabei die immer massivere, schließlich gewaltsame Rekrutierung und Verschickung von Arbeitskräften gewesen sind, welche die Bevölkerung verbitterten, auf baldige Befreiung hoffen und zunehmend mit den Partisanen sympathisieren ließen. Guiotto betont die Schwächung der Wehrmacht und die Stärkung der SS infolge des 20. Juli 1944; daß deren Konsequenzen noch nicht hinreichend bekannt sind, ist nur ein Indiz dafür, daß die deutsche Besatzung in Italien noch intensiver und konkreterer Forschung bedarf. Überhaupt erhebt ja dieser Band nicht den Anspruch, das ganze Ausmaß der Tragödie zu umreißen, welche NS-Deutschland und die ihm verbunden gebliebenen Radikalfaschisten 1943/45 über Italien gebracht haben; wie sein Untertitel bekundet, soll er Hintergründe und signifikante Aspekte dieser Tragödie aufweisen. Seit dem Kolloquium in der Villa Vigoni sind leider mehr als drei Jahre vergangen, bis dieser Band erscheinen kann. 1988 ging es auch darum, durch die Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels der deutsch-italienischen Beziehungen zu deren weiterer Vertiefung beizutragen. Aber in der seitdem so völlig veränderten politischen Lage Mitteleuropas ist zudem Selbstvergewisserung noch mehr angesagt als zuvor. Den zweiten deutschen Nationalstaat können wir wohl uns selbst nur zutrauen und Europa zumuten, wenn wir uns bewußt bleiben, warum und woran der erste gescheitert ist.

Heinrich Oberreuter

Der Nationalsozialismus in der Endphase des Krieges

I. Illusion und Realität bei der Einschätzung der Kriegslage »Ich bin für Europa die letzte Chance« hatte Hitler trotzig und überheblich noch in seinen letzten Tagen im Bunker der Berliner Reichskanzlei verkündet 1 und damit bis zuletzt die Illusion aufrechterhalten, er und der Nationalsozialismus seien Europas Bollwerk gegen den östlichen Bolschewismus und die westlichen Plutokratien. Man muß unser Thema durchaus in derartige »abendländische« Dimensionen hineinstellen. Denn die führenden Nationalsozialisten hatten sich selbst bis zuletzt in solchen Dimensionen verstanden und interpretiert, vielleicht in der Endphase des Krieges sogar in besonderer Weise. Aber hatten sie wirklich bis ganz zuletzt Illusionen über ihre Situation? Ja, wenn Hitlers nervlicher Zusammenbruch die ganze Wahrheit wäre, als er die Ausweglosigkeit der Berliner Lage (am 22. 4. 1945) erkennen mußte und nach einem Zornesausbruch in sich zusammensank und wie ein Kind schluchzend hervorstieß »Es ist alles aus [ . . . ] der Krieg ist verloren [ . . . ] ich erschieße mich«.2 Erst recht, wenn man die Wunschträume vom 25. 4. 1945 zur Kenntnis nimmt, die Koalition der Alliierten könne noch zerbrechen, bevor der Krieg zu Ende sei, 3 der doch in diesem Augenblick bereits praktisch über dem Führerbunker in der Reichskanzlei tobte. Nein - also keine Illusionen - wenn man aus anderen Quellen erfährt, daß Hitler wohl schon im Winter 1941, nach dem Scheitern vor Moskau, eingesehen hatte, daß der Krieg verloren war, daß er erst recht 1942, als Rommel vor den Toren Ägyptens geschlagen war und die Alliierten in Französisch-Nordafrika landeten, wußte, »daß der Kriegsgott sich nun auch von Deutschland abgewandt und in das andere Lager begeben hatte« - wie Jodl im Nürnberger Gefängnis schrieb.4 So es noch 1

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Hitlers Politisches Testament. Die Bormann-Diktate von Februar und April 1945. Mit einem Essay von H. R. Trevor-Roper, Hamburg 1981, S. 117. »Warum dann überhaupt noch leben«. Hitlers Lagebesprechungen am 22. und 23. April 1945; vgl. H.-U. Thamer, Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945, Berlin 1986, S. 763f. Ebd. P. E. Schramm, Hitler als militärischer Führer. Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht, Frankfurt/Main 1962, S. 67f.; F. Halder, Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabs des Heeres 1939-1942, bearb. von H. A. Jacobsen, Bd. 3, Stuttgart 1964, S. 295. Zeichen der Resignation gab es schon im November 1941 im Kontext der Winterkatastrophe vor Moskau, vermischt mit den bekannten Drohungen gegen das deutsche Volk, das nach Hitler

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einen Zweifel gab, mußte ihn eigentlich die Katastrophe von Stalingrad endgültig beseitigt haben. Aber es gab diese Endgültigkeit nicht, wenn ich es recht sehe. Denn die Positionen der führenden Nationalsozialisten, insbesondere Hitlers, gründeten nicht nur auf realistischer Lageeinschätzung, sondern eben auch auf ideologischen Konzeptionen und Wunschträumen. Der europäische Krieg, den man zu führen vorgab, und der doch immer nur ein Krieg des Reiches geblieben ist, hatte eigentlich nicht zwei Fronten, sondern nur eine: die im Osten. 5 Er war, nachdem die Umstände endgültig dazu gezwungen hatten, weltpolitische Dimensionen ad acta zu legen, die eine Bekämpfung der USA auf ihrem Territorium eingeschlossen hätten, vordringlich ein Krieg gegen den Bolschewismus.6 Er stützte sich auf die Hoffnung, die westlichen Alliierten würden sich schließlich doch noch diesem Feldzug anschließen. Selbst wenn es so gekommen wäre, was wäre noch übriggeblieben von den ursprünglichen Siegeskonzepten, Lebensraumvisionen und vom Herrenmenschenwahn? Einen Endsieg mit dann neuen Bundesgenossen hätten die Nationalsozialisten wohl keineswegs so auskosten können, wie sie sich das vorgestellt hatten; denn die Idee, die westlichen Alliierten (oder ein Teil davon) hätten sich der NS-Ideologie angeschlossen, ist wohl allzu absurd, als daß man ihr nähertreten könnte. Eine Schadensbegrenzung in der Niederlage wäre wohl das Maximum gewesen. Aber es gab für derlei Konzepte nie einen realistischen Anhaltspunkt. Hitlers Schwanken zwischen Realitätssinn und Illusionsflucht ist die kindische und zugleich gefährliche Reaktion eines Gescheiterten in auswegloser Lage, und es ist nicht das geringste Indiz für die Inkompetenz der nationalsozialistischen Führung. Sie hatte in Wirklichkeit keine selbständigen Optionen mehr, sobald die Kriegsniederlage nur noch als Frage der Zeit angesehen werden konnte, abhängig geworden von den Zielen und Verhaltensweisen der Alliierten. Aber auch diese waren keineswegs, gab man sich keinen Illusionen hin, in der Schwebe. Schon frühzeitig, seit Casablanca (24.1. 1943), wußte man, worauf es ihnen ankam: auf unconditional surrender, Kapitulation ohne Wenn und Aber. Wenn sich der Widerstand daran schon die Zähne ausbiß, 7 Hitler konnte keineswegs mit einer Koalition rechnen. Nicht einmal dies scheint in seine von der Ideologie verblendeten Kalkulationen eingegangen zu sein. Schuld daran war wohl, neben den ideologischen Einpferchungen rationalen Kalküls, die man vielleicht manchmal unterschätzt hat, ein gewisser Realitätsver-

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eben »vergehen« und »vernichtet werden sollte«, wenn es sich als »nicht mehr stark und opferbereit genug« erweisen sollte. Vgl. mit Quellenangaben H.-U. Thamer, a.a.O., S. 668. E. Jäckel, Hitlers Weltanschauung, Stuttgart 1981; vgl. vom selben Autor auch: Hitlers Herrschaft, Stuttgart 1986. Zu den ideologischen Verblendungen vgl. H.-U. Thamer, a.a.O., S. 661ff. Dazu immer noch wichtig: P. Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 19854. Hinweise zur außenpolitischen Erfolglosigkeit in mehreren Beiträgen in: R. Lill / H. Oberreuter (Hrsg.), 20. Juli - Porträts des Widerstandes, Düsseldorf / Wien 1984, TB 1989.

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lust des in seine Hauptquartiere und Bunker zurückgezogenen Führers, zu dem der Zugang schwierig geworden und sorgsam kontrolliert war. In der engeren Umgebung gab es bis zuletzt keinen Widerspruch. Nicht einmal die Funktion des Hofnarren ist in diesem System irgendwo zu entdecken. Es sei denn, man billigt sie den regelmäßigen Stimmungsberichten des Staatssicherheitsdienstes zu. Es ist überliefert, daß der Führer über die darin mitgeteilten Witzeleien durchaus herzhaft zu lachen verstand. 8 Aber tatsächlich spielte er Krieg und setzte bis zuletzt Divisionen in Marsch, von denen die Landser witzelten, sie könnten wegen ihrer tatsächlichen Stärke aus einer einzigen Feldküche ernährt werden. Der Wille des Führers, auf den alles zugeschnitten und von dem alles abhängig war, bildete sich offensichtlich auf verzweifelt schlechten Informationsgrundlagen und in einer nicht minder problematischen Wirklichkeitseinschätzung. Aber selbst bei besseren Voraussetzungen darf gezweifelt werden, ob andere Ergebnisse herausgekommen wären. Zu sehr hatte man sich die Welt nach eigenem Willen und eigener Vorstellung zurechtgezimmert - von politisch-pathologischen und vielleicht auch persönlich-pathologischen Zügen gar nicht zu reden. Natürlich können die folgenden Bemerkungen nicht auf alle Einzelheiten, die in der Spätphase des Nationalsozialismus bedeutend gewesen sind, eingehen. Das Thema soll nur unter drei Stichworten etwas näher eingekreist werden: totaler Krieg, Motive des Durchhaltens und die Exzesse von Vernichtung und Zerstörung. Als Endphase des Krieges definiere ich dabei die Zeit, ab der mit dem Verlust des Krieges gerechnet werden mußte. Das war spätestens seit Stalingrad, aber doch wohl auch schon das davorliegende Jahr 1942.

II. D e r totale Krieg Nach dem Desaster vor Moskau hatte sich 1942 die Lage im Osten scheinbar wieder stabilisiert. Um so mehr mußte der Verlust von Stalingrad, der mit dem lOjährigen Jubiläum der nationalsozialistischen Machtergreifung in Deutschland zusammenfiel, als Kriegswende empfunden werden. Briefe aus Stalingrad, zu Propagandazwecken gesammelt, erwiesen sich dafür als unbrauchbar, weil sie Zweifel an der Führung und auch Verzweiflung widerspiegelten. 9 In der Heimat begann sich ähnliches zu entwickeln: »Während die kämpferischen Naturen Stalingrad als Verpflichtung zum letzten Einsatz aller Kräfte an der Front und in der Heimat empfinden, von diesem Einsatz aber auch den Sieg erhoffen, sind die labileren Volksge8

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Siehe H. Boberach, Meldungen aus dem Reich. Auswahl aus den geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes der SS 1939-1944, Neuwied 1965 und besonders M. Steinert, Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölkerung zum Zweiten Weltkrieg, Düsseldorf / Wien 1970. Sie wurden erst nach dem Krieg veröffentlicht, vgl.: Letzte Briefe aus Stalingrad, Gütersloh, o.J.

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nossen geneigt, im Fall von Stalingrad den Anfang vom Ende zu sehen«. 10 Die nationalsozialistische Führung setzte natürlich auf den ersten Aspekt, auf den »letzten Einsatz aller Kräfte an der Front und in der Heimat«, obgleich sie intern durchaus auch schon von Untergangsvisionen geplagt war. 1. Versuche zur völligen Erfassung des Volkes zu Arbeits- und Kriegseinsatz. Der totale Krieg als Illusion Im Grunde sind zwei Stichworte bedeutsam: Erfassung des Volkes und Ideologisierung. Beides nahm parallel zu den militärischen Niederlagen zwischen 1943 und 1945 erstaunlich zu. Um für den Endsieg alle Kräfte »zur höchstmöglichen Entfaltung zu bringen«, hatte schon eine Verordnung vom 27. 1.1943 den Arbeitseinsatz aller Männer vom vollendeten 16. bis zum vollendeten 54. und aller Frauen vom 17. bis zum 45. Lebensjahr verfügt. 11 Goebbels nahm in seiner Propaganda die alliierte Forderung nach bedingungsloser Kapitulation auf und stellte ihr die Forderung nach dem »totalen Krieg« entgegen. Den Anfang davon machte er bereits am 30.1. 1943 in seiner Rede zum 10. Jahrestag der Machtergreifung. In seiner berühmten Berliner Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 ist wohl der Höhepunkt des Versuches zu sehen, Stalingrad zu nutzen, um die Volksmeinung wieder einzufangen, die im Grunde gefährlich daran war, in Niedergeschlagenheit abzudriften. 12 Die rhetorischen Figuren sind bekannt. Sie kulminierten in der Frage: »Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?« 13 Alle Fragen wurden mit frenetischem Jubel bejaht. Goebbels benutzte die Versammlung gleichsam als repräsentativen Körper der Nation, indem er aus der Zustimmung folgerte: »Ich habe euch gefragt, ihr habt mir euere Antwort gegeben. Ihr seid ein Stück Volk, durch eueren Mund hat sich damit die Stellungnahme des deutschen Volkes manifestiert«. 14 Tatsächlich war das Volk, wie die getarnte Meinungsforschung des Regimes durchaus zur Kenntnis brachte, der Meinung, im Sportpalast 10 11

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zit. nach M. Steinert, a.a.O., S. 329. R G B L I , S. 67. Diese Maßnahmen gehen auf einen geheimen Führererlaß vom 13. 1. 1943 (abgedruckt bei W. Michalka, Hg., Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Bd. 2, München 1985, S. 294) zurück, der zusätzliche Arbeitskräfte zu gewinnen suchte, um mit den bisher u.k. ( = unabkömmlich) gestellten Männer die Front aufzufüllen. Zum Gesamtzusammenhang: A. Speer, Erinnerungen, Frankfurt/Main 19697; L. Herbst, Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939-1945, Stuttgart 1982. M. Steinert, a.a.O., S. 337; I. Kershaw, Der Hitler-Mythos. Volksmeinung und Propaganda im Dritten Reich, Stuttgart 1980, S. 168 berichtet vom »bisher nie gekannten Tiefstand«, in den nun auch die Person des Führers einbezogen würde (S. 170), den Mauerinschriften jetzt als »Massenmörder« und »Stalingrad-Mörder« bezeichneten. Zit. nach E. K. Bramsted, Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda 1925-1945, Frankfurt/Main 1971 (engl. Original: Michigan State, Univ. Press 1965), S. 358f. (359). Ebd.

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nicht durch freie Vertreter anwesend gewesen zu sein. Es handelte sich vielmehr um ein handverlesenes Kommando als Alibi für die nun folgenden Entscheidungen und Maßnahmen des Regimes. 15 Was wirklich davon zu halten war, kolportierten Reime aus Deutschlands Westen im Bombenkrieg: »Lieber Tommy, fliege weiter, wir sind alle Bergarbeiter. Fliege weiter nach Berlin, die haben alle >ja< geschrien.« 16

Goebbels' totaler Krieg war aber, darin ist die Literatur sich einig, mehr Propaganda als Wirklichkeit. Es ist auch erstaunlich, in den Quellen Hinweise darauf zu finden, welche Diskussionen im Volk selbst über die einzelnen Maßnahmen geführt worden sind: daß es offensichtlich genügend Chancen gab, sich vor den verschärften Maßnahmen zu drücken, daß es keine gerechte Belastung der Volksgenossen mit den angeblich allen gleich auferlegten Pflichten gab, daß man in der Heimat eine intensive Diskussion darüber pflegte, ob es gelingen würde, die Frauen der oberen Schichten endlich in gleicher Weise zu erfassen wie die anderen usf.17 Während die Fronten wankten, gab es im Reichsgebiet Zeit und Raum für Haß und Neid. Offensichtlich ist der Ernst der Lage nicht erfaßt worden. Trotz des Bombenkrieges waren die Fronten zu weit weg und vorgeschoben, um entsprechende Einsichten zu fördern. Erst nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 zum Beispiel erließ Goebbels, der »Reichsbevollmächtigte für den totalen Kriegseinsatz«, ein Rundschreiben über den Lebensstil im totalen Krieg und untersagte Prunk, Luxus und Festveranstaltungen. Aller Lebensstil hätte sich zu rechtfertigen vor den gestrengen Augen von Frontsoldaten und Rüstungsarbeitern. 18 Aus einem derartigen Dekret von oben ergibt sich, daß man im Volke selbst den Krieg aus den genannten Gründen noch nicht in angemessener Weise ernstnahm. Und allmählich erst wurden Geschäfte und Betriebe durchkämmt, um zusätzliches Personal für die Front zu rekrutieren. Die letzten verzweifelten Anstrengungen waren dann im Oktober 1944 die Gründung des deutschen Volkssturmes, die alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 heranzog, und noch am 12. Februar 1945 die Verpflichtung der deutschen »Frauen und Mädchen« zu Hilfsdiensten für diesen Volkssturm. Zum Schluß sollte der Volkskrieg auch noch das Volk zu Partisanen machen, als am 2. April 1945 noch die Bildung des Werwolfes proklamiert wurde, der als Untergrundarmee in einem militärisch besiegten Deutschland bis zum Endsieg weiterkämpfen sollte.19 Auch der Werwolf blieb eine Chimäre.

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Ebd., S. 356; W. Maser, Das Regime. Alltag in Deutschland, München 1983, S. 298. Zit. nach Steinert, a.a.O., S. 362. Ebd., S. 333f.; 347, 354ff. Vgl. neuerdings auch H.-J. Eitner, Hitlers Deutsche, Gernsbach 1990, S. 452ff. Steinert, S. 486. K. Hildebrand, Das Dritte Reich, München 1987 3 , S. 95.

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2. Ideologisierung Das zweite Stichwort lautete »Ideologisierung«. Es galt gegen die Skepsis in der Bevölkerung, gegen Lethargie und Bequemlichkeit in der Partei und gegen den Defätismus im Heer vorzugehen. - Mobilisierung von Volk und Partei, Indoktrination der Wehrmacht Dafür wurden vielfältige psychologische Mittel eingesetzt: die Ausnutzung der Neidinstinkte gegen die Oberschichten bei der Erfassung der gesamten Bevölkerung zum Arbeitseinsatz war eines davon; der Redeeinsatz von - möglichst ritterkreuzgeschmückten - Fronturlaubern vor Kinovorstellungen und in anderen Versammlungen ein anderes; ein drittes war eine im Dezember 1942 von Bormann ausgehende Kampagne zur Mobilisierung der offensichtlich satt und lethargisch gewordenen Partei und zur Unterbindung des süßen Lebens mancher Parteifunktionäre, die nun an den revolutionären Schwung der »Kampfzeit« erinnert werden mußten! 20 Am wichtigsten war wohl der Versuch, die Wehrmacht nun endgültig nationalsozialistisch zu indoktrinieren. Die weltanschauliche und politische Erziehung sollte nun einen angemessenen Platz innerhalb ihrer Gesamtausbildung beanspruchen. Hitler, ursprünglich das mangelnde politische Engagement der Wehrmacht begrüßend, da es ihm deren Instrumentalisierung erleichterte, forderte nun den »politischen Offizier«, den nationalsozialistisch wirkenden Offizier. Insgeheim war das Vorbild wohl die politische Schulung bei den Sowjets. Das Oberkommando der Wehrmacht gab nun in den Mitteilungen für das Offizierskorps einen Beitrag heraus, in dem es hieß: »Die treibende Kraft des bolschewistischen Feindes ist eine politische Idee [ . . . ] Politisch ist der Wille, der ihn vorwärts treibt, politisch sind die Beweggründe seiner militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Aufrüstung gewesen, politisch sind die Methoden seiner Schulung und Führung der Massen, politisch ist sein Ziel. Die politische Dynamik also, welche uns als harte Wirklichkeit auf dem östlichen Kriegsschauplatz entgegentritt, muß durch eine noch stärkere politische Dynamik der deutschen Wehrmacht überwunden werden. Das deutsche Schwert muß von Soldaten geführt werden, die tief davon durchdrungen sind, die stärkere, die sittlichere Idee zu vertreten. Wer wagt es, in einem solchen geschichtlichen Augenblick vom unpolitischen Offizier zu sprechen? [ . . . ] Heute sind die soldatischen und die politischen Forderungen, welche unser Volk erfüllen muß, eine Einheit. Für den Offizier ist es unmöglich, anders als politisch, als nationalsozialistisch zu denken [ . . ,]«21

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»Wir müssen damit rechnen, daß über eine durchzechte Nacht mehr geredet wird als über hundert durchgearbeitete [ . . . ] « , vgl. Steinert, a.a.O., S. 346 und 320f. Ebd., S.345f.

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Die Einsetzung von Sachbearbeitern für wehrgeistige Führung zu eben diesem Zeitpunkt war ein Versuch, den Vorrang der Partei gegenüber der Wehrmacht noch stärker zum Ausdruck zu bringen. Der Vorgang zeigt wohl zweierlei: zum einen, daß man zur dringend benötigten Stärkung der Wehrmacht wenig mehr anzubieten hatte als Ideologie; zum anderen, daß eben die ideologische Durchdringung gesellschaftlicher Bereiche absolute Priorität genoß bis zu einem Grade, in dem Ideologie zur Waffe umgeschmiedet wurde. Es sind Quellen überliefert, daß man sich Bereiche, auf die sich der Zugriff schwieriger gestaltete, wie etwa die katholische Kirche, für die Zeit nach dem Krieg aufhob: Mit Bischof v. Galen z . B . , der sich öffentlich der Euthanasie widersetzt hatte, werde man dann auf Heller und Pfennig abrechnen. 22 - Personelle

Konstellation

Einen Faktor der verschärften Ideologisierung wird man auch in Verschiebungen der personellen Konstellation im nationalsozialistischen Führungszentrum sehen müssen. Gemeint ist der Aufstieg von Josef Goebbels und Heinrich Himmler. Goebbels nahm seit dem Rußlandfeldzug und insbesondere seit Stalingrad jene Rolle ein, die Hitler selbst nicht mehr ausfüllte, und die eigentlich seine erfolgreichste war: die des ersten Propagandisten. Hitler scheute zusehends die Öffentlichkeit und das in einem Maße, das in der öffentlichen Meinung bedenkliche Konsequenzen hatte. Er kam aus seinen Bunkern kaum mehr heraus, 23 seine öffentlichen Auftritte und Appelle wurden zunehmend seltener, so selten, daß Goebbels sogar gegenüber Speer von einer »Führerkrise« 24 sprach. Hitler war weder zu einem Besuch der zerstörten Städte, noch zu einem öffentlichen Appell an die Opfer- und Einsatzbereitschaft zu bewegen. Es war Goebbels, der die Bedeutung der Propaganda erkannte für den Versuch, nationale Solidarität zu mobilisieren. Seine Sportpalastrede war ein herausragendes Beispiel. Er wurde für Hitler immer wichtiger, obwohl dieser selbst bei seinen wenigen späteren Rundfunkreden fast noch die alte Wirksamkeit entfalten konnte. 25 Goebbels wurde nicht nur unentbehrlich, er stieg schließlich in dessen Testament zum Erben des Führers als Reichskanzler auf. Seine eigenen Abschiedszeilen aus dem Führerbunker, auch seine Tagebuchnotizen sind ein Ausdruck ideolo22

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Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier 1941-1942. Aufgezeichnet von H. Pikker, Stuttgart 19652, S. 416. Mitte 1941 erklärte Hitler Christentum und Bolschewismus zur »Ausgeburt der Juden« und kündigte drohend an: »Auf die Dauer vermögen Nationalsozialismus und Kirche nicht nebeneinander zu bestehen«. Vgl. A. Hitler, Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich Heims, hrsg. von W. Jochmann, Hamburg 1980, S. 40ff. J. Fest, Hitler. Eine Biographie, Berlin / Frankfurt/Main 1973 registriert »schwindende Kontakte mit der realen Außenwelt« (S. 925). A. Speer, a.a.O., S. 271. Vgl. z.B. H. Boberach (Hrsg.), Meldungen aus dem Reich, a.a.O., S. 375; E. Bramsted, a.a.O., S. 372f.

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gischer Verblendung bis zuletzt, sowie auch Ausdruck einer geradezu verkitschten Treue bis hin zum Stolz darüber, daß Hitler am Vorabend seines Selbstmordes sein eigenes goldenes Parteiabzeichen vom Revers genommen und seiner Ehefrau Marga angeheftet hatte. 26 Der Reichsführer der SS und Chef der Polizei Heinrich Himmler stieg im August 1943 gleichzeitig zum Reichsinnenminister und nach dem 20. Juli 1944 noch zum Befehlshaber des Ersatzheeres auf. Dies dokumentierte seine und der SS Sonderstellung als angemaßter Regulator aller gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse - besonders der Rassenfragen - und auch ihren wachsenden Bedeutungsgewinn gegenüber der Wehrmacht als ungeliebtem, weil immer noch zu eigenständigem Konkurrenten. 27 Himmler, auf dessen ideologische Festigkeit noch zurückzukommen sein wird, verfügte auf dem Höhepunkt der Ausdehnung des SS-Staates 1944 über einen Bürokratie-, Polizei-, Wirtschafts-, Militär- und Lagerapparat, der alle staatlichen und militärischen Instanzen in den Schatten stellte - ein Sonderstaat und zugleich Speerspitze der NS-Ideologie auf allen Ebenen. Diese Macht wurde nicht zuletzt zur Einschüchterung und Repression nach innen eingesetzt. - Entrationalisierung des Staatsapparates Schließlich ging es um den Staatsapparat selbst, dessen Hoheitsbereich immer stärker eingeschränkt wurde. Das Reichskabinett hörte schon 1937 faktisch zu bestehen auf. 1943 legte Hitler die Bezeichnung Reichskanzler praktisch ab und unterzeichnete Gesetze, Erlasse und Verordnungen nur noch als »Der Führer«! Gegenüber dem Ausland firmierte er als »Der Führer des Großdeutschen Reiches«. 28 Wem dies überhaupt auffiel, der mag es als Indiz für die Tatsache genommen haben, daß mit der Radikalisierung der Politik eine zunehmende Auflösung rationaler Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen einherging, und daß in diesem Sinne der Krieg die »zweite Etappe der nationalsozialistischen Revolution« 29 gewesen ist: die Ersetzung des Staatsapparates durch die Partei und SS-Bürokratie und durch führerunmittelbare Befehlswege. Die Gesetzgebung wurde praktisch entformalisiert, und Verwaltung im üblichen Sinne fand nicht mehr statt. Der direkte Zugang zu Hitler und eine so oder so erlangte Führerermächtigung wurden zu den beherrschenden Faktoren der Machtausübung, keineswegs die nominelle Zuständigkeit und Organisation der Reichsregierung. Ein Führerwille, der sich in keinerlei Verwaltungsstrukturen und Kompetenzvorschriften mehr brach, gewann natürlich zusätzliche Effizienz. Wichtig wurden nun die persönli26

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J. Goebbels, Tagebücher 1945. Die letzten Aufzeichnungen, Hamburg 1977 (besonders S. 548). Ralf G. Reuth, Goebbels, München/Zürich 1990, S. 5 9 4 - 616. Dazu: K.-D. Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Köln/Berlin 19765, besonders S. 381ff. Steinert, a.a.O., S. 330. M. Broszat, der Staat Hitlers. Werdegang und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 19819, S. 381.

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che Vertrauensstellung und die Bedeutung der jeweiligen Vollmacht für die Herrschaftsziele und für die Kriegsführung des Regimes. Wichtig wurden also Nähe zur Macht und Zugang zum Machthaber. Nicht umsonst hatte Himmler sein Feldquartier neben dem Führerhauptquartier aufgeschlagen. So wuchs der Machtbereich des Exekutors des Führerwillens mit der Intensivierung der Gewalt- und Vernichtungspolitik. Diese Struktur (oder Unstruktur) war die Voraussetzung für Maßnahmen gemäß heimlicher Führererlasse sowie für die Usurpation weiterer staatlicher und militärischer Ämter durch Partei und SS, die nicht nur einen Staat im Staat aufbaute, sondern auch die bestehende Ämterorganisation mehr und mehr zu infiltrieren versuchte. 30 Wichtig war schließlich nicht nur der Zugang zum Machthaber, sondern die Verfügung über diesen Zugang. Das begründete die einzigartige Stellung des Leiters der Parteikanzlei und Sekretärs des Führers (Bormann), der sich sowohl die Kanzlei des Führers als auch die Reichskanzlei unterordnete. Bormann entschied de facto über die Geschäfte der Reichsregierung; der Sekretär des Führers hatte die Regierung gleichsam übernommen. 31 Es bestand, wie gesagt, keine rationale Verwaltungsstruktur mehr, sondern eine personalistische Herrschaftsordnung, die alle regelhaften Vorgänge untergraben hatte. 32 Es gab in diesem System persönlicher Vollmachten und Verselbständigungen auch keine mächtige bürokratische Führungszentrale der Partei. Am ehesten kann man vielleicht noch in der SS-Bürokratie so etwas ähnliches wie ein Gehäuse rationalen Verwaltungshandelns erblicken; aber es empfiehlt sich Vorsicht gegenüber dieser These. Im Bereich hoheitlicher staatlicher Aufgaben gab es wohl nicht einmal mehr den Doppelstaat als Nebeneinander von Partei- und Staatsbürokratie, 33 weil das Staatliche in den Hintergrund getreten war. Jedenfalls ist es durchaus falsch, das Dritte Reich als einen Exzeß an Staatlichkeit zu interpretieren. Dort, wo die Exzesse in der Praxis am stärksten waren, handelte es sich vielmehr um einen Verlust an Staatlichkeit schlechthin - nicht nur an Rechtsstaatlichkeit - und ihre Ersetzung durch ideologisch gesteuerte personalisti30

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Als Beispiel jüngst die Arbeit von H. J. Döscher, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich, Berlin 1987, S. 109ff., 192ff., 262ff. G. Franz-Willing, Die Reichskanzlei 1933-1945, Tübingen 1984; J. Wulf, Martin Bormann - Hitlers Schatten, Gütersloh 1962. F. Neumann, Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/Main 1984 (amerik. Original 1942 und erweitert 1944), spricht von »äußerster Formlosigkeit« (S. 554) und damit von der Bedeutungslosigkeit der Institutionen als Kennzeichen des damaligen »Verfassungslebens«. Vgl. dazu P. Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich, München 19712. E. Fraenkel. Der Doppelstaat. Recht und Justiz im Dritten Reich, Frankfurt/Main 1984 (amerik. Original 1940), hatte unter diesem Begriff den Dualismus von »Maßnahmenstaat« als Willkür und Gewaltherrschaft und »Normenstaat« als Herrschaftssystem zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung (S. 21) verstanden. Dem Nebeneinander von Partei und Staat maß er wenig Beachtung zu, weil beide »in zunehmendem Maße identisch« wurden (S. 23).

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sehe und politische Willkür. Schließlich hatte der Reichstag im April 1942 in einem seiner letzten Beschlüsse Hitler Vollmacht gegeben zu entscheiden, was immer er für richtig halte, in allen seinen Eigenschaften als Führer der Nation, oberster Befehlshaber der Wehrmacht, Regierungschef, oberster Inhaber der vollziehenden Gewalt, oberster Gerichtsherr und Führer der Partei. Hitler hatte gefordert, fortan allein ohne Rücksicht auf Gesetz, Justiz und traditionelle Gewohnheiten zu entscheiden, Richter ihrer Ämter zu entheben und neue Normen zu setzen. 34 Damit war nun endgültig subjektive Willkür Recht. Hitler erhielt nicht nur diese Vollmachten, sondern schuf im Schatten des militärischen Niedergangs auch die ihnen entsprechende personalistische Vollzugsstruktur. Dies war eine Voraussetzung für Kompetenzchaos und Konkurrenzverhältnisse im Rahmen des Systems. Die Entformalisierung der politischen Willensbildung durch Aushöhlung der Institutionen und Entstaatlichung machte den Führerwillen erst allmächtig und ermöglichte es ihm, Konkurrenten gegeneinander auszuspielen. Mehr noch: Aus entmachteten Institutionen können nicht nur keine Gegengewichte mehr ins Spiel gebracht werden - es nützt oppositionellen Kräften auch nichts mehr, sie zu besetzen; denn Gegenmacht und Umsturz können nicht von Bastionen ausgehen, die in sich selbst machtlos und randständig geworden sind. In diesem System gab es keine vom Führer unabhängigen Machtanteile oder eigenständige Machtpositionen. Ebensowenig gab es eine Legitimitätsreserve: Soldaten und Beamte waren auf Hitler persönlich vereidigt. Ganz anders war die Situation in Italien. Dort waren der faschistische Großrat und die Monarchie eigenständige, vom Duce getrennte Institutionen, die Monarchie sogar eine autonome Legitimationsquelle. Von diesen Positionen aus konnte Mussolinis Absetzung geradezu in einem geregelten Verfahren bewerkstelligt werden. In Deutschland fehlten für so etwas alle Voraussetzungen. Die personalistische Führungsstruktur konnte nur durch Beseitigung des Führers aufgehoben werden. Genau dies erkannte ein Teil der Widerstandskreise, aus denen das Attentat vom 20. Juli 1944 hervorging. Es wurde schon deswegen unternommen, um ein moralisches Zeichen zu setzen und zu zeigen, daß ein relativ breites Spektrum gesellschaftlicher Kräfte - konservativ, christlich, sozialistisch - sich der nationalsozialistischen Gleichschaltung entzogen hatte und die Kraft zum Widerstand 35 aufbrachte. Wie zuvor schon (1943) gegen die »Weiße Rose« schlug der Terrorapparat hart und unbarmherzig zu. Fast bis in die letzten Stunden des Regimes liquidierte er dessen Gegner, deren Ziel die Beseitigung des Hitler-Systems, die Beendigung des Krieges und die Herstellung von Recht und Freiheit war. Der Wider34 35

Text bei G. Franz-Willing, a.a.O., S. 112ff., Hildebrand, a.a.O., S. 71. Aus der Fülle der Literatur nur: J. Schmädeke, P. Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. D i e deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München / Zürich 1985.

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stand blieb einsam und verfemt. Das unter den Schlägen des Krieges längst taumelnde System bewies nach innen seine repressive Effizienz und fand Zeit und Kraft genug zur publikumswirksamen Inszenierung seiner mörderischen Abschreckung - praktisch bis zur Kapitulation, beseelt von einer historisch-weltanschaulichen Mission. III. Motive des Durchhaltens Grundsätzlich gab es wohl zwei ideologische Kernpunkte der nationalsozialistischen Kriegspolitik, die in ihrem rassistischen Ansatz wurzelten: die imperialistische Lebensraumphilosophie, die sich nach zunächst auch globalen Ansätzen nun auf den Osten konzentrierte, und die Vernichtungs- und Ausrottungspolitik gegenüber den Juden. 1. Imperialistische Lebensraumphilosophie Der Nationalsozialismus fühlte sich in einem weltanschaulichen Kreuzzug. Es ging ihm nicht nur um brutale Macht allein. Hitler selbst hat mehrfach beide Ziele eng miteinander verbunden und später selbst durch Manipulation der Daten seine Ankündigung, das europäische Judentum auszurotten, unmittelbar mit dem Datum des Kriegsausbruches verknüpft. 36 Für ihn waren beides historisch gleichrangige Ziele. Anders läßt sich ihre gleichrangige Behandlung in der Endphase des Krieges, die unter kriegstechnischen Gesichtspunkten angesichts des Aufwandes an Organisation, Transportmitteln und man-power geradezu absurd erscheint, nicht erklären. Daß die Front durchhalten mußte, um die industrielle Mordmaschinerie in ihrem Rücken zu decken, ist sicher eine richtige These. Hier ist zunächst einfach nur festzuhalten, daß der Angriff auf die Sowjetunion und die Konzipierung der Endlösung der Judenfrage terminlich ziemlich parallel geschaltet waren. Auf den Holocaust kommen wir später noch einmal zurück. Jenseits dieses Themenbereiches war wohl die Lebensraumpolitik wichtigstes Motiv für das Durchhalten: die Überzeugung von einer historischen Mission im Osten, die strategisch und geopolitisch bestimmt war und bis in den Nahen Osten reichte, die aber ebenso von rassenpolitischen Zielsetzungen gesteuert war.37 Es ging also nicht nur um einen Eroberungs-, sondern auch um einen Versklavungsund Vernichtungskrieg,38 für den die Planungen parallel zu den militärischen lie36

37 38

Vgl. E. Jäckel, Hitlers Herrschaft, a.a.O., S. lOlff. Schon 1939 hatte Hitler den kommenden Kampf als »Weltanschauungskrieg« und »Rassenkrieg« gekennzeichnet (vgl. ebd. S. 95). Vgl. zusammenfassend H.-U. Thamer, a.a.O., S. 656ff. E. Nolte, Der Faschismus in seiner Epoche, Neuausgabe München / Zürich 1984, S. 436; vgl. auch A. Hillgruber, Der Zweite Weltkrieg. Kriegsziele und Strategie der großen Mächte, Stuttgart u.a. 19833, und nun etliche Beiträge in: N. Frei, H. Kling (Hrsg.), Der nationalsozialistische Krieg, Frankfurt/New York 1990.

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fen. Himmler hatte freie Hand für die Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Osten erhalten, für Sonderaufgaben im Auftrage des Führers, die sich aus dem endgültig auszutragenden Kampf zweier entgegengesetzter politischer Systeme und Weltanschauungen ergaben. Es hieß (13. März 1941): »Im Rahmen dieser Aufgaben handelt der Reichsführer SS selbständig und in eigener Verantwortung«.39 Die Wehrmacht wurde mehr als je zuvor in diesen Aufgabenbereich mit einbezogen, wenn auch die eigentliche Ausrottungs- und Vernichtungspolitik den Einsatzgruppen vorbehalten blieb, die den Charakter des Ostkrieges entscheidend prägten. Ihre Aufgabe war die Liquidierung der feindlichen politischen und geistigen Führungsschichten und, mehr und mehr bedeutsam, des Judentums als der »biologischen Wurzel« des Bolschewismus. Himmler und Hitler entwarfen gigantische Pläne für die Besatzungspolitik im Osten, für die Umsiedlung von Millionen von Menschen und ihre Vernichtung, sowie für die völlige militärische Beherrschung des Gebietes bis zum Ural. Im zeitlichen Zusammenhang damit stand im übrigen auch der Befehl, die Endlösung der Judenfrage vorzubereiten. Solche Projekte mögen, wenn überhaupt, verstehbar sein in der Phase des ungebrochenen Vormarsches, in der sie in der Tat entwikkelt wurden. Aber sie waren mehr als Augenblickseuphorie, sie blieben bestimmend für die Führung des Krieges bis zuletzt. Sie bestimmten das politische und strategische Denken im Zentrum der Macht. Die konkreten Maßnahmen, die daraus entstanden, waren ebenso furchtbar, wie sie zugleich wirklichkeitsfremd gewesen sind gegenüber den vom Kriegsverlauf bestimmten Bedingungen und Tatsachen. Die entsprechenden Visionen wurden wörtlich genommen, die entsprechenden Maßnahmen pedantisch geplant und rücksichtslos durchgeführt - bis zuletzt, und speziell in einer Zeit, in der man das zwar noch konnte, eigentlich aber schon wissen mußte, daß die Möglichkeiten dazu terminlich begrenzt waren, wegen der Aussichtslosigkeit der Kriegslage. Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Heeresgruppe Mitte im Osten zusammengebrochen und daß die Invasion der Alliierten im Sommer schon erfolgreich gewesen war, als Himmler am 3. 8. 1944 in Posen diese Motivationslage vor den Reichs- und Gauleitern der Partei mit nackter Konsequenz und - das ist das Überraschende dabei - noch immer gläubig offenlegte: Inmitten der zusammenbrechenden Ostfront hielt er an den Utopien vom zukünftigen »Germanischen Reich« und von dem »Pflanzgarten germanischen Blutes im Osten« fest. In seinen Augen war die ideologische Basis der NS-Politik durch die Bedenken der Generalität bisher immer behindert worden. Nun - nach dem Umbau zu einer »nationalsozialistischen Volksarmee« unter ihm und der Gesamtorganisation zugunsten der SS - könne endlich das Imperium im Osten wiedergewonnen und gesichert werden. Darin wird die konkrete Instrumentalisierung der zuvor erwähnten wachsenden ideologischen Durchdringung

39

H. Krausnick / K. H. Wilhelm, Die Truppe des Weltanschauungskrieges, Stuttgart 1981, S. 117.

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deutlich, die ihre Kraft ganz offensichtlich aus dem Glauben an ihre Wirksamkeit bezog. Himmlers Bild der Zukunft sah wie folgt aus: »Über das Problem, daß wir die Hunderttausende von Quadratkilometern oder die Millionen Quadratkilometer, die wir verloren haben, im Osten wieder holen, brauchen wir uns überhaupt nicht zu unterhalten. Das ist unverrückbar, daß wir die Volkstumsgrenze um 500 Kilometer herausschieben, daß wir hier siedeln. Es ist unverrückbar, daß wir ein germanisches Reich gründen werden. Es ist unverrückbar, daß zu den 90 Millionen die 30 Millionen übrigen Germanen dazukommen werden, so daß wir unsere Blutbasis auf 120 Millionen Germanen vermehren. Es ist unverrückbar, daß wir die Ordnungsmacht auf dem Balkan und sonst in Europa sein werden, so daß wir dieses ganze Volk wirtschaftlich, politisch und militärisch ausrichten und ordnen werden. Es ist unverrückbar, daß wir diesen Siedlungsraum erfüllen, daß wir hier den Pflanzgarten germanischen Blutes im Osten errichten, und es ist unverrückbar, daß wir eine Wehrgrenze weit nach dem Osten hinausschieben. Denn unsere Enkel und Urenkel hätten den nächsten Krieg verloren, der sicher wieder kommen wird, sei es in einer oder zwei Generationen, wenn nicht die Luftwaffe im Osten - sprechen wir das ruhig aus - am Ural stehen würde [ . . . ] Außerdem finde ich es so wunderbar, wenn wir uns heute schon darüber klar sind: Unsere politischen, wirtschaftlichen, menschlichen, militärischen Aufgaben haben wir in dem herrlichen Osten. Wenn es den Kosaken geglückt ist, sich für den russischen Zaren bis ans Gelbe Meer durchzufressen und das ganze Gebiet allmählich zu erobern, dann werden wir und unsere Söhne es in Dreiteufelsnamen fertigbringen, Jahr für Jahr, Generation für Generation unsere Bauerntrecks auszurüsten und von dem Gebiet, das wir zunächst hinter der militärischen Grenze haben, immer einige hundert Kilometer zunächst mit Stützpunkten zu versehen und dann allmählich flächenmäßig zu besiedeln und die anderen herauszudrängen. Das ist unsere Aufgabe. Der Osten drüben wird unser Truppenübungsplatz sein, wo wir jeden Winter mit soundsoviel Divisionen in Eis und Schnee und Kälte üben werden. Wie die Väter im Jahre 1941, so werden die Söhne in späteren Jahren dort üben, werden dort ihre Zelte aufschlagen, werden im Finnenzelt leben, und jede Generation wird hier im scharfen Schuß üben, wird sich bewähren können, so daß wir die Gefahr, die ein Sieg mit sich bringen könnte, daß man wohlhabend und damit weich und bequem wird, wohl für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte bannen können.« 40 Diese Sätze stellen ein machtvolles Credo dar und offenbaren die Zielvorstellungen der NS-Führung und ihrer Herrschafts- und Eroberungspolitik. Ganz nebenbei wird in ihnen das Desaster von 1941, als der Vormarsch im russischen Winter zum Stehen kam, schlicht zur Winterübung der Vätergeneration herabgestuft. Natürlich ging es nicht um Europa, wie die Propaganda vorgab, sondern um die Lebensraumpolitik des Reiches. Sie war ein Glaubenssatz, den man zum Nennwert nehmen muß, wie man aus diesen Sätzen Himmlers lernen kann. Sie 40

Zit. nach K.-D. Bracher, a.a.O., S. 447f.

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war offensichtlich auch der Vorhang, der sich zwischen die Ideologen, die die Macht ausübten, und die Realität, die der Krieg schrieb, geschoben hatte. 2. Ein Wunschtraum: Hoffnungen auf den Bruch der Anti-Hitler-Koalition Neben diese eine Realitätsblindheit trat als Motiv für den Durchhaltewillen eine andere: die Illusion, die Kriegskoalition der Alliierten könnte doch noch zerbrechen und der Westen könnte sich dem Kampf gegen den Bolschewismus im letzten Augenblick noch anschließen. 41 Insbesondere Hitler saugte aus dieser Erwartung Hoffnungen für den Umschwung des Krieges - ebenso bis zuletzt. Jedenfalls war die potentielle Allianz mit England eine Konstante seines Denkens von Anfang an. Die Illusion eines Ausgleiches mit England tauchte wieder auf, als sich die ersten Zweifel an der eigenen Siegesfähigkeit einstellten, aber noch durch die Idee gemildert waren, keinem der beiden Hauptgegner könnte es vielleicht gelingen, den anderen entscheidend niederzuringen. 42 Der Gedanke setzte sich fort bis in die letzten Kriegstage und verdichtete sich zur Idee eines Separatfriedens mit dem Westen, die Hitler, das Heer und die SS teilten. Hitler schwebte eine Demonstration der deutschen Schlagkraft vor, welche die Briten doch noch dazu bringen sollte, aus ihrer Koalition auszuscheren und sein Bündnisangebot anzunehmen; 43 denn er hielt an der Vorstellung fest, daß London die Bolschewisten mehr als die Nationalsozialisten zu fürchten hätte. Hitler stützte sich dabei auf seine bündnispolitischen Grundüberzeugungen, an denen er bis zum Untergang festhielt und die er im Untergang selbst illusionär sogar noch auf die USA ausdehnte. 44 Zum anderen stützte er sich auf die sich häufenden Nachrichten von ideologischen und machtpolitischen Konflikten zwischen den Alliierten, die sich auf der Teheraner Konferenz Ende November 1943 offensichtlich zugespitzt hatten. Die Konstanz dieser Vorstellung bis zuletzt kann an einigen Daten demonstriert werden: Am 12. Dezember 1944 beschwört Hitler in der Lagebesprechung den Bruch der gegen ihn gerichteten Koalition, weil es in der Weltgeschichte niemals einen Zusammenhalt solch heterogener Elemente mit völlig auseinanderstrebenden Zielsetzungen gegeben hätte. Diese Gegensätze entwickelten sich von Stunde zu Stunde mehr und mehr. Nach einigen schweren Schlägen könnte jeden Augenblick diese künstlich aufrechterhaltene Front mit riesigem Donnerschlag zusammenfallen, vorausgesetzt, Deutschland offenbare keinen Schwächemoment. 45 Am 30. Januar 1945 empfiehlt er sich in seiner letzten Rundfunkrede erneut den Briten als Retter, weil sie nicht in der Lage sein würden, den Bolsche41 42 43 44 45

Vgl. auch K. Hildebrand, a.a.O., S. 88f. F. Halder, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 295. H.-U. Thamer, a.a.O., S. 748. K. Hildebrand, a.a.O., S.99. H. Heiber (Hrsg.), Hitlers Lagebesprechungen. Die Protokollfragmente seiner militärischen Konferenzen 1942-1945, Stuttgart 1965, S. 721ff.

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wismus zu bezähmen, sondern ihm selbst anheimfallen würden. 46 Schließlich am 25. April 1945 in einer der letzten Lagebesprechungen, in der er weitere Differenzen den Alliierten prognostiziert und in einer geradezu grotesken Verzerrung der Dinge im Berliner Häuserkampf und im Durchhalten dort noch eine Hoffnung für einen entscheidenden Schlag gegen den »bolschewistischen Koloß« erblickt. Er hofft: »Dann kommen die anderen vielleicht doch zu der Überzeugung, daß es nur einer sein kann, der dem bolschewistischen Koloß Einhalt zu gebieten in der Lage ist, und das bin ich und die Partei und der heutige deutsche Staat«. 47 Die hinhaltende Aktionsweise der Regierung Dönitz in den letzten Tagen vor der Kapitulation hatte nicht nur den Wunsch zur Grundlage, es möchten die Briten und Amerikaner sein, die Deutschland eroberten, sondern auch diesen irrlichternen Gedanken einer neuen Koalition im letzten Moment, der ja auch Himmler in seinem naiven Angebot an die Westmächte im April 1944 beseelt hatte. Hitler hatte aus diesem Gedanken bis zuletzt auch operative Konsequenzen gezogen. Denn er wollte sich für das neue Bündnis attraktiv machen durch eine Demonstration seiner Stärke. Darin liegt der Grund dafür, daß er den Schwerpunkt des Krieges nach dem Westen verlagerte, um in einer letzten großen Offensive die Wende herbeizuführen. Mit dieser fixen Koalitionsidee verband sich eine trotz Stalingrad aufrechterhaltene Sorglosigkeit gegenüber dem Osten, ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber »dem Russen«, den man letztlich wohl doch noch aufhalten und bezwingen könne. Dabei paarte sich das Vertrauen auf die immer noch weit nach Osten vorgeschobene Front wohl mit dem TannenbergMythos aus dem Ersten Weltkrieg.48 Mit dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte im Juni 1944 zerschmolz auch diese Illusion. Trotzdem blieb Hitler bei seiner Absicht, mit der Ardennenoffensive Stärke im Westen zu demonstrieren. Sebastian Haffners These trifft wohl nicht zu, Hitler hätte den Osten preisgegeben, um das deutsche Volk zu bestrafen, das sich als nicht heroisch genug erwiesen hätte, um den Endsieg doch noch zu erringen. 49 Es war vielmehr sein Streben nach einer neuen Koalition gegen den Bolschewismus. Er übersah dabei nur völlig, daß die weltanschaulichen Dimensionen seiner Politik und ihre unmenschlichen Konsequenzen jedes Zusammengehen der Westmächte mit einem auf Hitler gestützten Deutschland moralisch unmöglich machten. Daher stellten diese Ideen realpolitisch keinerlei Handlungsoption dar, trotz der frühen Vorboten des späteren Kalten Krieges zwischen Ost und West. Eine Koalition mit Verbrechern kam nicht in Frage.

46 47 48

49

Vgl. H.-U. Thamer, a.a.O., S. 758. Ebd., S. 764. A. Hillgruber, Der Zusammenbruch im Osten 1944/45 als Problem der deutschen Nationalgeschichte und der europäischen Geschichte, Opladen 1985, S. 12ff. S. Haffner, Anmerkungen zu Hitler, München 19782, S. 194f.

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IV. Verbrechen: Exzesse der Vernichtung und Zerstörung 1.

Die Ausrottung der Juden und Eliten

Es ist nicht zu bestreiten, daß die weltanschaulich bedingte Vernichtung der Juden, die Endlösung der Judenfrage, im Zentrum der Nazimacht praktisch die gleiche Bedeutung besaß wie der Weltanschauungskrieg gegen den Bolschewismus. Zwar verband sich der Endlösungsgedanke seit 1941 mit dem Feindbild vom jüdischen Bolschewismus. Aber auch ohne dies wäre die Judenvernichtung ein eigenständiges politisches Ziel gewesen,50 gleichrangig neben den anderen, die mit der Kriegsführung verbunden waren. Der Krieg bot höchstens die Chance, nach innen und nach außen einigermaßen zu verbergen, was mit den Juden geschah. Daß dies nicht gänzlich gelang, steht auf einem anderen Blatt. Aus Rassismus und Herrenmenschentum, aus dem Wüten der Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten, die systematisch die Führungsschichten der anderen Völker ausrotteten und sich ebenfalls bereits an die Judenvernichtung gemacht hatten, lagen Vorerfahrungen auf diesem Gebiet vor. Das Konzept der Endlösung war ein Konzept der Professionalisierung und Perfektionierung industriell organisierten Mordes. Die politische Gleichrangigkeit und Priorität, die hinzukam, verdeutlicht sich darin, daß in einer schwierigen Kriegsphase, in der sich die militärische Lage im Grunde permanent zuspitzte, nicht alle Energien darauf verwendet worden sind, sich eben auf den Krieg zu konzentrieren. Eine Fülle von Energien, Kapazitäten, Organisationsmacht und Man-Power, die man sehr wohl an den Fronten hätte gebrauchen können, wurde nun für diese Aufgabe reserviert und konsequent mobilisiert. Nach der Struktur des Führerstaates, aber auch nach seinen eigenen Interessen, gibt es keinen vernünftigen Zweifel, daß Hitler selbst Initiator der Endlösung war,51 daß Himmler sie mit seinem Apparat überzeugt und fanatisch und sich voll im Dienste weltanschaulicher Verantwortung wähnend durchführte, 52 und daß Goebbels sie mehr oder weniger bewundernd billigte und als Notwendigkeit empfand, wie fürchterlich sie ihm auch erscheinen mochte. In einer Tagebuchnotiz vom März 1942 schreibt er selbst von einem barbarischen und unbeschreiblichen Verfahren, nach dem »von den Juden selbst hier nicht mehr viel übrig(bleibt)«. Man meint Betroffenheit zu spüren, wenn er sich gegen Sentimentalität wehrt, auf den Kampf zwischen den Rassen abhebend. Aber zugleich stellt sich auch perverser Stolz ein: »Keine andere Regierung, kein anderes Regime könnte die Kraft aufbringen, diese Frage generell zu lösen«. Ebensowenig fehlt der Hinweis auf den Initiator: »Auch hier ist der Führer der unentwegte Vorkämpfer und Wortfüh-

50 51 52

Siehe nur: K. D . Adam, Judenpolitik im Dritten Reich, Düsseldorf 1972. Vgl. dazu jüngst E. Jäckel, Hitlers Herrschaft, a.a.O., S. 89ff. R. Höß, Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen, hrsg. von M. Broszat, Stuttgart 1978 4 , S. 153.

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rer einer radikalen Lösung«.53 Auch Hitler selbst hat an seiner Position keinen Zweifel gelassen. Er rühmt sich ihrer sogar in seinem politischen Testament. Dort steht, man werde »dem Nationalsozialismus ewig dafür dankbar sein, daß ich die Juden aus Deutschland und Mitteleuropa ausgerottet habe«. 54 Bis in den Tod blieb der rassenbiologische Antisemitismus das Zentrum seiner Weltanschauung,55 in deren tödliche Konsequenzen er nach dem Führerprinzip seine Umgebung mit fortriß. Denen, die gleich dachten, eröffnete er die Perspektiven für ihren Ausrottungsaktivismus. Es gibt wohl keinen Zweifel, daß diejenigen, die von der Spitze her die Endlösung geplant hatten, sich durchaus der Ungeheuerlichkeit ihres Tuns bewußt gewesen sind, daß ihnen bekannt war, daß sie gleichsam aus der Tradition abendländischer Humanität heraussprangen. Insofern hatten sie zum einen ein starkes Rechtfertigungsbedürfnis, in dem sie sich immer wieder als Vollzugsorgan einer Weltanschauungspolitik hinstellten, der natürlich eine gänzlich andere Wertefolie zugrundelag, als sie etwa einen normalen Rechtsstaat kennzeichnet. Zum anderen wird dieses Bewußtsein, Ungeheuerliches zu tun, durch das Bemühen um Geheimhaltung gekennzeichnet. Beides kommt in nuce in jener »berühmten« Himmler-Rede vom 4.10. 1943 in Posen zum Ausdruck, in der er sich auf eine »weltgeschichtliche Aufgabe« beruft, die man »heroisch durchstehen« und zugleich geheimhalten müsse. Es zeigt sich aber in dieser Rede auch, daß die Führung keineswegs mit einer glatten Folgebereitschaft des deutschen Volkes rechnete, das man zwar gegen »den Juden« als Abstraktum, aber nicht gegen die Juden als Menschen in der Nachbarschaft mobilisieren zu können glaubte. Für Himmler wußte das Volk nicht so recht Bescheid. »Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammenliegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte [ . . . ]«56 Dies ist eine im Grunde unfaßliche Redepassage. Aber sie hat ihre Logik im Rassismus und der darauf beruhenden Sprengung der traditionellen Wertordnung. Die Konsequenz sind pervertierter Heroismus und pervertierte Moral, die aber genau die Grundlagen für den Herrschaftsanspruch der SS abgaben. Bei Hitler mag es pathologischer Judenhaß gewe-

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54 55

56

Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung, hrsg. von H. Michaelis und E. Schraepler, Bd. 21, S. 470f. Hitlers politisches Testament, a.a.O., S. 122. Das letzte Testament vom 29. 4. 1945, in der Nacht vor dem Selbstmord verfaßt, schließt mit einer Verpflichtung der Nachwelt auf die »peinliche(n) Einhaltung der Rassegesetze« und auf »unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum«. Abgedruckt bei J.Goebbels, a.a.O., S.550ff., besonders S. 555. Zit. nach K.-D. Bracher, a.a.O., S. 459.

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sen sein, bei Himmler war eine so begründete weltanschauliche Pflicht Antriebsfeder seines Handelns. 2. Die Ausschaltung potentieller innerer Opposition Es ist wenig tröstlich, daß sich die verbrecherische Tendenz der nationalsozialistischen Führung auch konkret gegen das eigene Volk wendete; dies zeigt nur die Tiefe ihrer Überzeugung. Quasi in kleinem Maßstab ist man mit dem deutschen Volk in gleicher Weise umgesprungen. Zu erwähnen ist nur das Euthanasieprogramm, das jedoch eingestellt werden mußte, weil Widerspruch sich regte. Mit diesem Programm suchte man »lebensunwertes Leben« zu vernichten und das Erbgut rein zu halten. Zu erwähnen ist schließlich auch die gewaltsame Wendung gegen Eliten im eigenen Land, soweit sie die eigene politische und weltanschauliche Position nicht teilten. Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 richtete sich der Terror im Rahmen der »Aktion Gewitter« gegen rund 5000 ehemalige Minister, Bürgermeister, Parlamentarier, Parteifunktionäre und politische Beamte der Weimarer Republik, darunter auch Konrad Adenauer und Kurt Schumacher - weit über den Kreis der Attentäter hinaus. Sie alle wurden verhaftet und festgesetzt, nicht nur die Familien der Verschwörer des Hitlerattentates. Hitler hat sich mehrfach gescholten, daß er, anders als Stalin, sich nicht frühzeitig dieser Eliten entledigt hätte. Daß er dies vermochte, dafür hat er Stalin bewundert und gelobt. 57 Erst spät - und vom Zeitpunkt her wahrhaftig sinnlos - macht er sich nun daran, die für einen Regierungswechsel möglicherweise zur Verfügung stehende »politische Reserve Deutschlands« 58 auszuschalten, um, wie er gesagt hatte, »bis fünf Minuten nach zwölf«59 weiterkämpfen zu können. 3. Die Politik der verbrannten Erde gegenüber dem eigenen Volk Am Schluß war die Lebenssubstanz dieses Volkes selbst zur Disposition gestellt. Es hatte sich im Weltanschauungskampf als das schwächere erwiesen, hatte seine historische Aufgabe verfehlt und sollte nun absterben. Im März 1945 gab Hitler den Befehl »Verbrannte Erde«. Die Truppen wurden angewiesen, soweit sie sich zurückzogen, die für die Zukunft des deutschen Volkes lebenswichtigen Industrie- und Versorgungseinrichtungen zu zerstören. Die Durchführung dieses Befehls wurde auf die Parteischiene gestellt und den Gauleitern übertragen. Aber dies war vielleicht der erste Befehl des Führers, der nicht mehr mit aller Konsequenz durchgeführt, sondern weithin torpediert worden ist. Der Mut zum Widerspruch im engeren Führungskreis kam erst in der letzten Stunde. Der Mut zum Widerstand war früher aufgelebt, wenn auch nicht allgemein; aber ihm blieb Erfolg versagt. 57 58 59

Siehe M. Steinen, a.a.O., S. 386; Hitlers politisches Testament, a.a.O., S. llOf. S. Haftner, a.a.O., S. 188. Zit. nach H.-U. Thamer, a.a.O., S. 670.

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Bis zuletzt dauerte die ideologische Fixierung der Hitlerschen Politik, die Gültigkeit seiner sozialdarwinistischen und rassenbiologischen Glaubenssätze. Sie sind der Schlüssel für das Verständnis des Nationalsozialismus in den letzten Kriegsjahren. Gerade Italien hat es merken müssen, als nach dem Bruch der Allianz die deutsche Besatzungsmacht zuschlug mit ihren keineswegs nur militärischen Prioritäten: Der Zugriff auf die Juden Roms und einiger anderer Städte und ihre Deportation in die Vernichtungslager sowie die Ereignisse in den Fosse Ardeatine und in Marzabotto belegen, daß das Land nun in den rassischen Ausrottungskrieg der Nationalsozialisten in ihrer Untergangsphase mit einbezogen war.60 Aber dieser rassische Ausrottungskrieg war nicht gleichsam ein Abfallprodukt des gewendeten Kriegsglücks. Er war das Grundprinzip der Kriegsführung und -inszenierung überhaupt. Das wird gerade in der Endphase deutlich, in der den Nazis in dieser Hinsicht ein Perfektionismus gelang, der ihnen militärisch abhanden gekommen war.

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Lill, Geschichte Italiens in der Neuzeit, S. 374ff.

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1. Das Verhalten der Italiener im Zweiten Weltkrieg, zunächst mit der Teilnahme am Krieg auf der Seite des Dritten Reiches und dann seit 1943 mit der Widerstandsbewegung gegen die deutsche Wehrmacht und mit Mussolinis Repubblica Sociale, weist eine Verflechtung von Gefühlen und rationalen Bewertungen auf, die immer noch und immer wieder unmittelbaren Einfluß auf die Gegenwart und auf die Gestaltung der politischen Kultur Italiens ausübt. Der Zweite Weltkrieg wird in Italien bewußt oder unbewußt als eine Niederlage auf dem militärischen Feld und als ein Sieg auf dem politischen Gebiet empfunden; oder besser als Niederlage einer nationalistischen Politik und als Sieg einer fortschrittlichen und Europa zugewandten Politik. Der Krieg hat die Kontinuität des Staates nicht beeinträchtigt, sondern die Funktion des Durchbruches einer anderen Zielsetzung Italiens gehabt. Die Erinnerung an den Krieg ist jedoch präsent mit der Verschmelzung der zwei Phasen des Krieges, d. h. mit den Deutschen bis 1943 und mit den Alliierten bis 1945: Die erste war unpopulär und wird als faschistischer Krieg bezeichnet, während die zweite als die antifaschistische und vom Volk unterstützte Phase angesehen wird. Persönliche Erlebnisse oder allgemeine Erfahrungen tragen dieser ambivalenten Dimension Rechnung. Es ist den Italienern gelungen, diese zwei Phasen in ein Gesamtbild einzufügen, und zwar sicher mit Hilfe einer gewissen Heuchelei, als deren Rechtfertigung die Einheit Italiens gesehen wird. Den jungen Generationen ist der Zweite Weltkrieg sehr entfernt und völlig fremd. Der Krieg wird als ein deutscher Krieg betrachtet, als ob die italienische Teilnahme nur eine Randerscheinung gewesen wäre. Das Vergessen geht dabei so weit, daß jedes Gefühl der Verantwortung für die Unterstützung, die Italien, wenn auch nur für kurze Zeit, dem Deutschen Reich geleistet hat, abhanden kommt. Diese Haltung stößt in Deutschland auf sehr viel Unverständnis und mehr noch auf viel Unkenntnis. Man sollte daher zunächst klarstellen, daß, trotz der vielen Meinungen zu diesem Thema, zwischen Faschismus und Nationalsozialismus erhebliche Unterschiede bestanden. Der Totalitarismus des italienischen Faschismus hatte einen anderen, nämlich einen politisch-nationalen und wenig ideologischen Inhalt, auch wenn der Faschismus selbst von Anfang an ein Beispiel für die antidemokratischen und antiliberalen Kräfte war, die Europa zwischen den beiden Weltkriegen charakterisierten. Trotzdem bedeutete die Struktur des Konsens in Italien nicht die Akzeptanz der Ideologie, weil unter dem Faschismus ein Mindestmaß an Pluralismus verblieben war: So konnte auch der Konsens aus-

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einanderbrechen, sobald die Macht nicht mehr ausgeübt werden konnte. Spezifisch italienische Charakteristika konnten dazu beitragen, die Oberflächlichkeit des Faschismus zu enthüllen. 2. Zunächst ist festzustellen, daß die Entfesselung des Krieges am 1. September 1939 in der italienischen öffentlichen Meinung keine Unterstützung gefunden hatte: Es brach - im Unterschied zum Ersten Weltkrieg - keinerlei Begeisterung aus. Das Münchener Abkommen vom September 1938 hatte man in Italien gefeiert als Hoffnungszeichen gegen den Krieg der Deutschen. Die Kriegslust Hitlers von 1939 bis zum Einmarsch in Polen stieß dann auf heftige Kritik. Der Grund für diese Haltung bestand darin, daß die Ziele der faschistischen Außenpolitik sich nicht mit den Zielen des Nationalsozialismus deckten. Die nur passive Zustimmung Italiens zum Anschluß Österreichs, die Achse Rom - Berlin, der Stahlpakt, in einem Wort die plötzlich entdeckte deutsch-italienische Bruderschaft waren nicht das logische Ergebnis einer reflektierten Gleichschaltung der Politik, sondern überwiegend die Auswirkung der Isolierung Italiens, welches während des Abessinien-Krieges nur die Unterstützung des Dritten Reiches gefunden hatte. Diese Annäherung an Deutschland bedeutete eine unvernünftige Veränderung der faschistischen Grundlinien, welche gegen die wahren Interessen Italiens eine ideologische Identifizierung suchte. Die neue Politik war nicht mehr eine nationale Politik, als welche die faschistische Außenpolitik, auch wenn sie von Anfang an Grund zu Kritik gegeben hatte, bis dahin aufgetreten war. Das Bündnis mit dem Dritten Reich blieb fremd und unbeliebt, auch innerhalb der faschistischen Führerschaft: Man braucht nur die Memoiren von Ciano, Bottai oder Grandi zu lesen. Für den Faschismus war es der Anfang vom Ende: Die italienischen Ziele im Mittelmeer oder in Südosteuropa, die Ausdruck imperialistischer, aber auch inhaltsleerer Bestrebungen waren, hatten nichts gemeinsam mit dem deutschen Streben nach einem überdimensionalen Lebensraum oder nach der Hegemonie der »Neuen Ordnung« in ganz Europa: In einem solchen Rahmen mußte auch Italien unterdrückt werden und die Rolle eines »Dieners« oder Trabanten Deutschlands annehmen. Die Entfesselung des Krieges am 1. September 1939 nach der Überraschung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes wurde denn auch als Bruch des Einvernehmens mit Hitler bewertet. Noch 1943 sagte Mussolini dem abtretenden Ciano: »Ich kann alle Verratshandlungen der Deutschen dokumentieren, von den Vorbereitungen zum Krieg bis zum Krieg gegen Rußland.« Die Entscheidung für die Erklärung einstweiliger »non-belligeranza« entsprach somit der allgemeinen Meinung, die Verständnis für das mutige und unglückliche Polen und ausgesprochene Sympathie für England und Frankreich empfand. Die These war klar, auch im Denken Cianos, der doch anfangs die Notwendigkeit eines Bündnisses mit Berlin befürwortet hatte. Sie lautete wie folgt: Die Blindheit der polnischen Regierung nach Pilsudski und die egoistischen Interessen der »plutokratischen« Mächte (England und Frankreich) hatten jede friedli-

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che Lösung der polnischen Frage, die durch die Unvernunft von Versailles entstanden war, unmöglich gemacht; jedoch war ein allgemeiner Krieg nicht unvermeidlich; man mußte mit Vernunft eine neue Ordnung finden, welche die Absurditäten des Versailler Vertrages ohne Krieg beseitigen würde. Die Lektüre der von der Regierung kontrollierten Presse in den Jahren 1939-1940 macht deutlich, daß die italienische Öffentlichkeit kein Verständnis für den Krieg hatte, obwohl Rhetorik und Demagogie dies zu verschleiern suchten. Mussolini selbst hatte zudem gewisse Minderwertigkeitsgefühle gegenüber den Deutschen. Bei der öffentlichen Meinung hingegen deckte sich die Abneigung gegen den Krieg mit der Abneigung gegen die Deutschen: »Der Italiener ist vom antideutschen Haß verblendet,« schreibt Ciano unter dem Datum des 1. Septembers 1939. Nie zuvor waren die antideutschen Gefühle so tief wie zu dem Zeitpunkt, als das Bündnis diplomatisch an erster Stelle stand. Dieses unselige Bündnis zwischen dem Deutschen Reich Hitlers und dem Königreich Italien unter Mussolini entsprach von Anfang an einer verfehlten Beurteilung der Interessen Italiens und verursachte deswegen tiefe Gräben bis hin zum Haß. Die 1938 von Mussolini eingeleiteten Maßnahmen gegen die Juden mußten diesen Graben noch weiter vertiefen, weil sie dem italienischen Denken und Empfinden zutiefst zuwiderliefen: Es ist beileibe kein Zufall, daß 85% der italienischen Juden sich retten konnten, während die verlorenen 15% nur den Deutschen zuzuschreiben sind. Diese Haltung änderte sich unter dem Eindruck der Eroberung von Norwegen und der sich abzeichnenden raschen Niederlage Frankreichs. Der Krieg schien vom Deutschen Reich gewonnen, und England wollte sich wahrscheinlich mit Deutschland verständigen. Also glaubte Italien, dem Krieg - insbesondere gegen Frankreich - unverzüglich beitreten zu müssen, um etwas zu gewinnen und vor allem um nicht von dem siegreichen Dritten Reich beiseitegeschoben zu werden; es gab also keinerlei moralische Begründungen, sondern eine rein opportunistische Haltung des Regimes: Solch ein Anfang konnte keine Popularität, geschweige denn Begeisterung bei der Bevölkerung wecken. Und als man Ende 1940 begriff, daß der Krieg noch lange dauern würde, war die Enttäuschung ebenso groß wie die Entmutigung; man hatte die Interessen falsch eingeordnet und sich mit dem falschen Partner verbündet. 3. Ende 1940 schlugen die Enttäuschungen immer höhere Wellen: Die Verzweiflung über die Niederlagen in Albanien, im Krieg gegen Griechenland und in Nordafrika bestätigten die düstersten Vorahnungen für das Schicksal eines Krieges, den man in Italien bereits, ganz im Gegensatz zu Deutschland, für verloren hielt. Die anfängliche Bewunderung für Deutschland als erfolgreiche militärische Macht schwand rasch. Die Beziehungen zum Dritten Reich und zur Wehrmacht waren immer schlecht gewesen, weil das Herz niemals dabei war, und zwar auf beiden Seiten. Die Kameradschaft zwischen deutschen und italienischen Soldaten gab es nur in der Propaganda. Die Italiener klagten über den Hochmut der Deutschen und oft, in Afrika und auf dem Rückzug in Rußland, über zahlreiche Fälle

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ausgesprochener Verachtung und sogar der Mißhandlung. Auf der anderen Seite beklagten sich die Deutschen darüber, daß die Italiener schlecht organisiert und schlechte Soldaten und - wie oft auch an hoher Stelle später wiederholt wurde eine Belastung für die Kriegsmaschine des Dritten Reiches seien. Der Oberbefehlshaber des italienischen Korps in Rußland faßte seine antideutschen Gefühle in seinem letzten Aufruf an die Soldaten in einem Satz zusammen: »Sich erinnern, um später zu berichten« - über die Deutschen natürlich. Die Entfremdung war sehr tief, weil die Unterschiede in den Haltungen gegenüber dem Krieg sehr tief waren. Es gab italienischerseits keine Übernahme der Ziele des Dritten Reiches. Man versuchte, den Feldzug gegen Sowjetrußland als Kampf gegen den Bolschewismus hinzustellen, und die italienischen Soldaten haben dort mit Mut, aber mit der Trauer der Nutzlosigkeit brav gekämpft. Populär war der Krieg nie, und im Unterschied zu den Illusionen der Deutschen war die italienische öffentliche Meinung Ende 1941 tief erschüttert von der Überzeugung, daß das Dritte Reich und Italien den Krieg verloren hätten. Die Teilerfolge in Afrika von 1942 konnten keine Begeisterung wecken. Ende 1942 bezweifelte niemand mehr, daß die Niederlage unvermeidlich war. Die Versuche Mussolinis, dem Krieg ein politisches Ziel zu geben, das den italienischen Interessen hätte entsprechen können, schlugen kläglich fehl, denn es hatte sich erwiesen, daß das Dritte Reich eine ideologische und imperialistische Seele hatte, die Italien nachzuvollziehen nicht imstande war. Die Menschlichkeit, die die Italiener gegenüber den Juden oder der einheimischen, besetzten Bevölkerung zeigten, trug noch weiter dazu bei, den Graben zwischen ihnen und den Deutschen zu vertiefen. Den Italienern fiel es schwer, sich im Partisanenkrieg, wie in Jugoslawien, brutal durchzusetzen. Ebenso wenig konnte es der Propaganda gelingen, den Italienern die Engländer und - noch weniger - die Amerikaner als Feinde darzustellen. Solch eine tiefe psychologische Entfremdung zwischen Italienern und Deutschen fand ihre natürliche Unterstützung in der antifaschistischen Bewegung, die ohne Unterbrechung seit 1922 stark und verbreitet war. Der Druck der faschistischen Diktatur kann gewiß nicht mit den Maßstäben des Nationalsozialismus gemessen werden: Die Zahl der vollstreckten Todesurteile ist verhältnismäßig gering, doch hat es viele Verurteilungen zu Gefängnis oder Verbannung in kleine, abgelegene Ortschaften gegeben; Konzentrationslager allerdings existierten nicht. Für die Zukunft wichtig war die Kontinuität der Lebensfähigkeit der im Untergrund weiterbestehenden Parteien und damit der politischen Opposition, die sogar Beziehungen innerhalb der faschistischen Partei unterhalten konnte. Diese Opposition, die politisch und nicht militärisch oder putschistisch war, konnte die Kontinuität aufrechterhalten und so der Identifizierung zwischen Italien und dem Faschismus entgehen. Die Arbeiterstreiks in Turin von 1943 und das Warten auf die »Befreiung« durch die Alliierten sind Beweise dafür: Sie bereiteten das Ableben des Faschismus vor.

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4. Der Sturz Mussolinis im Juli 1943 vollzog sich immerhin innerhalb der Struktur der faschistischen Partei und mit verfassungsmäßigen Mitteln. Die sofortige Anknüpfung an die aktive und einflußreiche antifaschistische Bewegung war spontan und kraftvoll. Die Italiener wollten sich vom Faschismus als Ursache der Niederlage und vom Krieg auf der Seite der Deutschen lösen. In den 45 Tagen der Übergangsregierung Badoglio (25. Juli bis 8. September 1943) zeigte sich die Ambivalenz deutlich: »Der Krieg wird fortgesetzt,« verkündete Badoglio, aber im selben Moment tauchten Persönlichkeiten des Antifaschismus auf mit der Feststellung, daß der Faschismus nur eine Parenthese der italienischen Geschichte gewesen sei. »Heri dicebamus«, war das Motto dieses Antifaschismus, der glaubte, die Verstrickung der Italiener mit dem Faschismus mittels grober Vereinfachung überwinden zu können. Die Verweigerung bis hin zum Abscheu gegen den Faschismus war nun total. Es wäre schwierig und vielleicht nutzlos analysieren zu wollen, inwieweit diese in der Allgemeinheit des Volkes verbreitete Verweigerung und Verneinung des Faschismus der Niederlage auf dem militärischen Feld zuzuschreiben ist. Tatsache ist, daß der Einfall der alliierten Streitkräfte 1943 in Italien keine Bewegung des Widerstandes zur Verteidigung des Vaterlandes auslöste. Im Gegenteil wurden diese Truppen sogleich als Befreier bejubelt, während man in den Deutschen einen Feind oder zumindest eine unerwünschte Hilfe sah. Deshalb entsprach die Entscheidung, den Krieg zu beenden, der Gesinnung der Bevölkerung und unterstrich damit den tiefen Widerwillen gegen den Krieg, den die Deutschen weiterführen wollten. Der ganze Prozeß der Umwälzung war immerhin weder ein Staatsstreich noch eine Rebellion innerhalb der Armee, um der Niederlage zu entgehen. Es war eine politische Entscheidung, die eine klare Wurzel hatte: die Nutzlosigkeit des Krieges. So verkündete Badoglio im Einvernehmen mit dem König am 15. September 1943: »Italien hat einen Waffenstillstand geschlossen, weil uns der Krieg in der Tat von den Deutschen aufgezwungen worden ist; wir haben diesen Krieg durchgestanden, aber niemals mitempfunden, weil er von der deutschen Seite geführt wurde, ohne unseren Interessen Rechnung zu tragen und weil er uns, und nur uns, die härtesten Opfer gekostet hat.« Diese Erklärung stimmte vielleicht nicht ganz mit der Realität überein, aber sie entsprach mit Sicherheit den allgemein verbreiteten Gefühlen, welche sich in folgenden Fakten manifestierten: - die Kontinuität des Staates durch die Monarchie. Es hatte sich als möglich erwiesen, sich durch die Anwendung der Verfassung von der faschistischen Diktatur zu befreien, ohne das Fortbestehen des Staates zu gefährden. Der Respekt für die Monarchie auf Seiten der Streitkräfte und besonders der Kriegsmarine ermöglichte die Aufstellung einer neuen Armee (Corpo Italiano di Liberazione). Trotz des Mißtrauens der Alliierten bestand im Süden des Landes eine Regierung, ohne daß die Kontinuität unterbrochen wurde; - die totale Abkehr vom Faschismus als etwas Fremdem und damit die unmittelbare Anknüpfung an die Parteien der präfaschistischen Ära;

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- die Aufkündigung des Bündnisses mit dem Dritten Reich als Konsequenz der Erkenntnis, daß dieses Bündnis den Interessen zuwiderlief. Die Legende des Verrates ist unbegründet und sogar lächerlich. Ein Bündnis als erster aufzukündigen ist immer die Willensentscheidung eines Staates oder eines Volkes, dessen oberstes Gebot die Aufrechterhaltung der Lebensinteressen oder sogar das Überleben des Gemeinwesens zu sein hat. Zweitens verband der Stahlpakt, wie in dessen Präambel ausdrücklich gesagt wird, nicht zwei Staaten oder zwei Völker, sondern zwei Regime und zwei Revolutionen, von denen das eine Regime durch den Sturz des Faschismus zunichte gemacht worden war. Drittens hatte Hitler den Krieg ohne Einvernehmen mit Italien und zu einem verfrühten Zeitpunkt angefangen. Viertens ist gerade die deutsche Geschichte, wie auch die Geschichte anderer Staaten, besonders reich an Beispeilen für derartige sogenannte Treuebrüche: Schließlich stammt von Bismarck das Wort, demzufolge Verträge nur ein »chiffon de papier« seien. Fünftens schließlich hatte die deutsche Führung gegenüber ihrem schwächeren Bundesgenossen schon lange vorher die Treue gebrochen. Der Kern der Sache soll jedoch nicht in diesen diplomatisch oder völkerrechtlich zweideutigen Rechtfertigungen gesucht werden. Es war Gebot und Recht, ein verbrecherisches Bündnis zu verlassen. Anders zu handeln hätte doch bedeutet, bis zum Ende die nationalsozialistischen Verbrechen mitzumachen. 1939 waren die verbrecherischen Ziele des deutschen Krieges und das Ausmaß der Unmenschlichkeit, die seitdem von Polen bis Rußland zutagetraten, noch nicht abzusehen gewesen. Auf der deutschen Seite waren der Glaube an den Sieg und die Verachtung für die Italiener die überwiegenden Gefühle, die die Reaktionen nach dem 8. September 1943 erklären, aber nicht rechtfertigen können. Die deutsche militärische und politische Führung hatte genug Zeit gehabt, um auch schon vor dem Sturz des Faschismus zu erkennen, daß Italien eine Beendigung des Krieges befürwortete: Zahlreiche fundierte Mitteilungen aus der deutschen Botschaft in Rom hatten diese Entwicklung längst dargestellt. Falsch eingebettete psychologische Komponenten bestärkten hingegen bei der deutschen Führung die Überzeugung, daß das unselige Bündnis eine tiefe ideologische Verbrüderung war und daß Italien in dieser Verbindung als Untertan in einer fast feudalen Beziehung mit seinem deutschen Herrn verbunden war. Darin lag der Gipfel des Mißverständnisses, das seit 1936 und besonders seit 1939 den deutsch-italienischen Beziehungen zugrundegelegen hatte. Die deutsche Reaktion auf die italienische Entscheidung war würdelos bis hin zum Verbrechen, wie im Falle der Erschießung von Kriegsgefangenen durch die Wehrmacht (in Korfu wurden sogar komplette Bataillone, die sich bereits ergeben hatten, erschossen). Die Verachtung hinderte die militärischen und diplomatischen Behörden des Dritten Reichs in Italien daran zu erkennen, daß die Auflösung der italienischen Streitkräfte nicht die Kapitulation eines Volkes bedeutete. Der Fehler beruhte auf der Auffassung,

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daß, im Unterschied zur deutschen Situation, Faschismus und Italien keine Identität bildeten. 5. Die Entwicklung der Psychologie, der Gefühle, der politischen Überlegungen führte zwangsläufig zu einer unausweichlichen und zugleich spontanen Entwicklung: nämlich zu der Entschlossenheit vieler tausend Italiener, eine Widerstandsbewegung ins Leben zu rufen und zwar genau in dem Augenblick, da die militärische Niederlage und die Auflösung der Streitkräfte von den Deutschen als finis Italiae bewertet und italienische Gebiete dem Deutschen Reich einverleibt wurden. Für ein Land, in dem der Skeptizismus zu Hause ist und die Staatsraison eine größere Rolle als die Ideale spielte, war der Widerstand eine unerwartete Offenbarung oder »der Aufruf einer Stimme, die sich verbreitete wie die Luft« (Calamandrei). Wie mein Vater in der Widmung eines Buches für mich schrieb, war es der Anfang »einer Zeit des Kampfes, die ihre Licht- und Schattenseiten hatte, aber alle Hoffnungen von zwanzig Jahren zusammenfaßte«. Der Widerstand endlich entsprach den aufrichtigen Neigungen einer antinationalsozialistischen, d. h. freilich damals auch einer antideutschen politischen Kultur. Im Unterschied zu anderen Widerstandsbewegungen, die sich nach gewisser Zeit und einer Phase der Vorbereitung auch dank der Beiträge von außen organisierten, entstand der italienische Widerstand sofort nach dem Waffenstillstand mit den Alliierten 1943 und war unabhängig vom Druck der deutschen Besatzungsmacht. Am 9. September trat das erste CLN (Komitee für die nationale Befreiung) in Rom, am 10. September in Genua und Turin zusammen; am 15. fand das erste Treffen zwischen den politischen CLN und den ersten Partisanenverbänden statt. Der Aufstand in Neapel (27.-30. September 1943) trug anarchische Züge und war eine Reaktion auf die Brutalität des örtlichen deutschen Befehlshabers Scholl; der militärische Wert des Aufstandes war eher gering, aber er gab ein Zeichen der Wende. In der Widerstandsbewegung fanden sich der alte Antifaschismus, der aus der Verbannung und dem Untergrund der vergangenen 20 Jahre zurückkam, und der neue Antifaschismus zusammen, der unter dem Faschismus entstanden war. Die regulären Streitkräfte lösten sich in großer Konfusion auf und vermittelten den Eindruck, daß die Italiener nicht mehr kämpfen wollten. Und plötzlich, zum großen Erstaunen der Deutschen, trat eine neue, im großen und ganzen gut organisierte und von großem Kampfgeist beseelte Armee auf. Der Waffenstillstand, die Überreaktionen der Wehrmacht und die drastischen Maßnahmen der Vergeltung, die Errichtung einer faschistischen Regierung im Norden waren die Elemente einer Kette, die den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und gegen die von den Deutschen bevormundeten Faschisten weiter stärkten. Der Kampf richtete sich gegen eine fremde Besatzung, aber er wurde ebenso ein Bürgerkrieg. Es war nicht der Widerstand der Offiziere oder Soldaten, sondern der Widerstand eines ganzen Volkes, in den Städten und in den Bergen: Vielleicht war dies der erste wirklich nationale Krieg Italiens. Es war die überzeu-

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gende Reaktion gegen den Faschismus und den Nationalsozialismus, welche die Tradition des Risorgimento widerspiegelte und die Zweideutigkeit des unseligen Bündnisses mit dem Deutschen Reich beseitigte. Die militärische Funktion des Widerstandes bei der Befreiung Italiens und in der Führung des Krieges sollte dabei natürlich nicht überschätzt werden. Doch weist diese größte antinationalsozialistische Bewegung im westlichen Europa immerhin 45000 Gefallene und 20000 Invaliden auf. Des weiteren ist es eine Folge der Widerstandsbewegung, daß Italien seine Befreiung nicht ausschließlich den alliierten Streitkräften verdankte: einige Tage lang hat das CLNAI vor dem Eintreten der alliierten Streitkräfte große Gebiete verwaltet. Der Widerstand wies der Politik neue Wege oder hat, in anderen Worten, dem Krieg auf der Seite der Alliierten einen politischen Gehalt vermittelt. Letztlich war die neue italienische Demokratie nicht ein Importprodukt der Besatzungsmächte, sondern der Ausdruck eines politischen Willens: eine liberale Revolution, wie manche die Bewegung genannt haben. Und mehr noch: Der italienische Widerstand war ein politischer Krieg, durch den ein neues Italien gestaltet werden sollte. Gewiß wurden nicht alle Ziele, von denen auch viele unvernünftig oder unrealistisch waren, erreicht. Aber der Widerstand hat die Verschmelzung der politischen Kultur Italiens in ihrem Pluralismus geprägt und die gesamte Bewertung des Zweiten Weltkrieges ganz und gar verändert. Er war der logische Schlußpunkt einer Entwicklung, die dialektisch mit dem unseligen Stahlpakt angefangen hatte. 6. Am Ende des Krieges wurde Italien trotzdem zu den besiegten Staaten gerechnet. Der Friedensvertrag wurde in dieser Atmosphäre erarbeitet, aber in seiner würdigen Rede auf der Pariser Friedenskonferenz (1946) konnte De Gasperi sich zu Recht auf eine selbst errungene Demokratie berufen. Die militärische Verwaltung durch die Alliierten brauchte nur von kurzer Dauer sein, und schon 1949 war Italien Gründungsmitglied des Atlantischen Bündnisses. Das Land hatte einen unpopulären Krieg verloren und eine populäre Politik gewonnen.

Renzo De Felice

Mussolinis Motive für seine Rückkehr in die Politik und die Übernahme der Führung der RSI (September 1943)*

Im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte, ist die Position Mussolinis an der Spitze der Repubblica sociale italiana (RSI) ein bis heute noch keineswegs geklärter Aspekt der politischen und persönlichen Lebensgeschichte Mussolinis und ebensowenig der Geschichte der RSI selbst und damit gleichzeitig der Beziehungen zwischen dieser und dem Deutschen Reich. Diejenigen, die diesbezüglich die Existenz einer »Frage Mussolini« ausgeschlossen haben, haben sich dazu durch politisch-ideologische Überlegungen verleiten lassen. Diese Überlegungen haben aber einerseits wenig mit der tatsächlichen Realität zu tun, jedenfalls berücksichtigen sie - nicht einmal im Sinne von Diskussion oder eventueller Widerlegung - verschiedene Gesichtspunkte, die aus historischer Sicht nicht a priori außer acht gelassen werden dürfen; auf der anderen Seite übersehen sie völlig die Persönlichkeit Mussolinis, seinen Gemütszustand und seine psychische Verfassung nach dem 25. Juli und dem 8. September 1943. Es soll daher hier versucht werden, einige Aspekte aufzuzeigen, die in dieser Frage zu größerer Klarheit oder zumindest zu einer weniger einseitigen und mechanischen Sicht der Dinge führen könnten, als dies bisher der Fall war. Dabei möchte ich mich auf einige Punkte konzentrieren, die von allgemeinerem Interesse sein dürften, denn in breiterem Umfang wird der letzte Band meiner Mussolini-Biographie auf dieses Thema eingehen. 1 Der erste Punkt betrifft die deutsche Haltung. Der Kürze wegen sollen die in Deutschland mindestens seit Anfang Juni 1943 umgehenden Befürchtungen eines Ausscheidens Italiens aus dem Krieg hier ebensowenig diskutiert werden wie die Gegenmaßnahmen, die bereits vor dem 25. Juli ausgearbeitet wurden (und die von J. Schröder schon ausführlich rekonstruiert worden sind): gemeint sind der »Alarich«-Plan und der »Konstantin«-Plan, die dann als Vorlage für den Plan »Achse« und für das Ultimatum dienten, welches am 7. September von Jodl vorbereitet worden war, um von der Regierung Badoglio die Übernahme der militärischen Kontrolle in Italien durch die Wehrmacht zu erzwingen. Auch soll hier außer acht bleiben, ob (und eventuell seit wann) Hitler den Verdacht gehabt hat, daß Mussolini selbst daran gedacht haben könnte, sich von * Ins Deutsche übersetzt von Johannes Lill. Für alle Einzelbelege wird daher auf diesen Band verwiesen: De Feiice, Mussolini l'alleato II, La guerra civile, Torino 1992, Kap. I.

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Mussolinis

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Deutschland loszulösen: ein Hinweis in diese Richtung findet sich in Goebbels' Tagebuch unter dem Datum des 23. September 1943, also fast einen Monat vor Badoglios Kriegserklärung an Deutschland am 13. Oktober. Was hier betont werden muß, ist der feste Wille Hitlers und des OKW, Italien nicht zu räumen, zumindest nicht Mittel- und Norditalien, um den Krieg so weit wie möglich von Deutschland entfernt zu halten und gleichzeitig das menschliche (Arbeitskräfte) und das wirtschaftliche Potential Italiens so weit wie möglich auszunutzen, außerdem auch das militärische, bezüglich dessen es aber nach dem 8. September Meinungsverschiedenheiten gegeben hat. Im Zusammenhang mit dieser Untersuchung ist vor allem daran zu erinnern, daß Hitler seit dem 25.-26. Juli sicher war, daß der Sturz Mussolinis - um es mit Goebbels' Worten auszudrücken - das Vorspiel zu einem »gigantischen« Fall von »Niedertracht« darstellte. Mit der Versicherung, den Krieg fortführen zu wollen, verheimlichten die Italiener nach Hitlers Ansicht ihre wahre Absicht, Deutschland zu »verraten« und sich vom Deutschen Reich loszulösen; deswegen wollte Hitler am liebsten sofort die Gegenaktionen auslösen, wurde aber davon durch das OKW abgehalten, welches Zeit gewinnen und die Dinge nicht überstürzen wollte. Von hier erwuchs auch nach dem 8. September sein Entschluß, in Italien nach Ende des Krieges ein Exempel zu statuieren und es mit der Abtretung der venetianischen Regionen zu bestrafen (um es nochmals mit den Worten Goebbels' zu sagen: die Italiener seien »ein Zigeunervolk«, welches wegen seiner Treulosigkeit und seines Verrats »jegliches Recht auf einen Nationalstaat« verwirkt habe). Auf der Halbinsel sollte nach der Kapitulation sofort wieder Ordnung hergestellt werden, um jegliche Anwandlung Ungarns oder Rumäniens, dem italienischen Beispiel nachzueifern, sogleich abzublocken; gleichzeitig sollte die antinationalsozialistische Opposition entmutigt werden, den durch den italienischen Waffenstillstand hervorgerufenen Schock auszunutzen und einen Handstreich zu versuchen. Und auch wenn es sich um bekannte Dinge handelt, verdienen die deutschen Pläne für eine im engeren Sinne politische Ordnung Italiens eine eingehendere Betrachtung. Sogleich nachdem Hitler von der Gefangennahme Mussolinis erfuhr, äußerte er im Kreise seiner engsten Mitarbeiter den festen Willen, »sofort wieder eine provisorische faschistische Regierung zu bilden, die ihren Sitz in Italien hat«. Im allerersten Moment mußte man daran denken, den Vorsitz an Farinacci zu übertragen. Sobald aber bekannt wurde, daß Farinacci erheblich dazu beigetragen hatte, Mussolini zur Einberufung des Faschistischen Großrates zu bewegen, und daß er sich während der Sitzungen wie ein »Tölpel« benommen hatte, begann der Stern des Parteiführers aus Cremona zu verblassen; er ging vollends unter, nachdem sich Farinacci am 27. Juli mit Hitler getroffen hatte. »Der Führer« - so vermerkte Goebbels in seinem Tagebuch - »hatte von ihm erwartet, daß er seine tiefe Erschütterung über die Entwicklung zum Ausdruck brächte und sich wenigstens rückhaltlos auf die Seite des Duce stellte. Das ist aber nicht der Fall. Sein Vortrag beim Führer besteht in der Hauptsache in einer weit-

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gehenden Kritik an der Person und an den Maßnahmen des Duce. [ . . . ] Farinacci ist [...], nach wie vor der Meinung, daß der König sich Mussolini gegenüber loyal verhalten habe und der Duce freiwillig zurückgetreten sei; [...]. Aus der Unterredung, die der Führer mit Farinacci hat, kann entnommen werden, daß dieser Mann für uns in großem Stil kaum zu gebrauchen ist.« [Um eine doppelte Übersetzung zu vermeiden, werden längere Passagen aus dem Goebbels-Tagebuch dem deutschen Original entnommen; d. Übers.] Auch die überstürzte Entwicklung seit dem 8. September ließ Farinaccis Aktien nicht wieder steigen. Da genaue Nachrichten über das Schicksal Mussolinis fehlten, dachte man auf deutscher Seite im ersten Augenblick an Farinacci nur als an einen von mehreren, der gemeinsam mit Pavolini, Ricci und Vittorio Mussolini (nach anderen Quellen Preziosi) eine Art provisorisches Quadrumvirat bilden sollte, welches im Namen des »Duce« hätte handeln sollen. Dies war jedoch eine Lösung, die Hitler wohl nicht gutgeheißen haben kann, wenn er (wahrscheinlich auf Anraten Himmlers und Dollmanns und Darres) ein Gespräch mit Tassinari wollte: in der Hoffnung, daß dieser der geeignete Mann für die Führung der neuen faschistischen Regierung sein könnte. Erst nach dem völligen Mißerfolg dieser Begegnung (Tassinari stellte eine Reihe von Bedingungen, die Hitler in Zorn versetzten) und nachdem in der Zwischenzeit Mussolini von den Fallschirmjäge.m Skorzenys befreit worden war, entschloß sich Hitler, alles auf die Karte Mussolini zu setzen, gegen alle Einwände, die mehr oder weniger explizit von verschiedenen seiner engsten Mitarbeiter als auch des OKW erhoben wurden. Keitel und Rommel hätten es vorgezogen, daß die Wehrmacht ohne irgendwelche Mittelsmänner die direkte Kontrolle des italienischen Territoriums übernommen hätte und daß keine neuen italienischen Streitkräfte gebildet, sondern die Italiener in die Wehrmacht integriert worden wären. Diese Extremlösung wurde aber von anderen Militärs abgelehnt, da diese eine direkte Verwaltung Italiens ohne eine italienische Rückendeckung für zu schwierig oder gar für unmöglich hielten. Dies um so mehr, da Himmler erklärte, nicht genügend Polizeikräfte zu haben, um dort »mit Gewalt zu regieren«. Einen ähnlichen Standpunkt, freilich nicht den selben, nahmen Speer und Sauckel ein; Speer kam es letztlich nur darauf an, alle Fragen der Produktion und der Bewaffnung - wenn nötig unter Umgehung der italienischen Behörden - entscheiden zu können; Sauckel betrachtete die Italiener besonders unter dem Gesichtspunkt der Arbeitskräfte, die man für Deutschland bereitstellen konnte, sowohl, um deutsche Facharbeiter den Kriegsindustrien zu entziehen und den Truppen zuführen zu können, wie für die Bereitstellung von Arbeitskräften für den Bau des »Ostwalls«. Auch auf einer im engeren Sinne politischen Ebene waren die Meinungen geteilt zwischen denjenigen, die Mussolinis erneute Machtübernahme für unerläßlich hielten, und denjenigen, die eine große »Quisling«-Regierung vorgezogen hätten, welche Deutschland weniger Schwierigkeiten bereitet hätte und dem Deutschen Reich freie Hand in Italien gelassen hätte. Ganz zu schweigen von fanati-

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sehen Pangermanisten wie den Gauleitern Tirols und Kärntens, Hofer und Rainer, welche die Südgrenzen Deutschlands schon soweit verschoben sehen wollten, daß sie nicht nur Südtirol, sondern auch das Trentino, das Veneto und Julisch Venetien einschlössen, und die sich mit dieser Absicht an Hitler wandten. Es ist bezeichnend, was darüber in Goebbels' Tagebuch zu lesen ist. Für den Propagandaminister war es für den Augenblick unumgänglich, »alles Mögliche daranzusetzen, die italienischen Regionen zu befrieden, von denen wir Besitz ergreifen werden«. Daher die Notwendigkeit, alle Initiativen hinauszuschieben, die widrige Auswirkungen haben, das italienische Volk empören und »jegliche neofaschistische Regierung zur Untertänigkeit verurteilen würden«, auch wenn diese Berlin noch so genehm gewesen und auch wenn sie von Mussolini geführt worden wäre. Persönlich sah Goebbels übrigens die Möglichkeit einer Regierung Mussolini besonders in Hinblick auf die Zukunft nicht gern. Kurz vor der Befreiung des Duce, unter dem Datum des 11. September, notierte er: Was nun den Duce selbst angeht, so bin ich der Meinung, daß es gefühlsmäßig gesehen natürlich außerordentlich bedauerlich ist, wenn wir ihn nicht zurückholen könnten. Politisch gesehen bedauere ich das nicht so sehr. Wir müssen alle diese Fragen aus kühlen Zweckmäßigkeitsrücksichten beurteilen. Würde der Duce ein neues faschistisches Italien führen, so wären wir ihm gegenüber zweifellos in vielen Dingen gebunden, was wir dem augenblicklichen Italien gegenüber nicht sind. Ich glaube nicht, daß der Führer - wenn er das auch heute bestreitet - den Mut aufbringen würde, einem vom Duce geführten faschistischen Italien, das sich für die weitere Dauer des Krieges anständig benehmen würde, sagen wir, Südtirol wegzunehmen. Wir müssen aber nicht nur Südtirol wieder in unsere Hand bekommen, sondern ich denke mir die Linie südlich von Venetien gezogen. Alles, was jemals in österreichischem Besitz war, muß wieder in unsere Hand zurückgelangen. Die Italiener haben durch ihre Treulosigkeit und ihren Verrat jedes Anrecht auf einen Nationalstaat moderner Prägung verloren. Sie müssen, wie das das Gesetz der Geschichte verlangt, dafür auf das Härteste bestraft werden. Und zwei Tage später im Zusammenhang mit der Befreiung Mussolinis: So sehr ich von der Befreiung des Duce menschlich berührt bin, so skeptisch beurteile ich die Frage politisch. Solange der Duce nicht da war, war für uns die Chance gegeben, in Italien tabula rasa zu machen. Wir konnten ohne jede Rücksicht und fußend auf dem grandiosen Verrat des Badoglio-Regimes die Fragen zur Lösung bringen, die bezüglich Italiens anstehen. Ich hatte mir gedacht, daß, ganz abgesehen von Südtirol, unsere Grenze eventuell noch bis Venetien vorverlegt würde. Das wird, wenn der Duce wieder eine politische Funktion übernimmt, kaum möglich sein. Wir werden schon die größten Schwierigkeiten haben, überhaupt Anspruch auf Südtirol zu erheben. Italien wird unter der Führung des Duce, wenn er wieder in Aktion tritt, ein nationales Rumpfleben wiederaufzumachen versuchen, demgegenüber wir in vielerlei Beziehung verpflichtet sind. [...] Ein Regime unter der Führung des Duce tritt vermutlich in alle Rechten und Pflichten wieder ein, die aufgrund des Dreierpaktes gegeben sind. Eine etwas unangenehme Aussicht! Von dieser Position sollte Goebbels nach den Gesprächen zwischen dem Führer und Mussolini in Rastenburg Abstand nehmen, obwohl entgegen seinen Befürchtungen Hitler dort im Grunde nicht von seinen ursprünglichen Befürchtungen

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abrückte. Typisch war seine Reaktion auf erste Andeutungen Mussolinis, er wolle die faschistische Rundfunkpropaganda wieder in die Hand nehmen, die bis dahin von den Deutschen kontrolliert und bestimmt gewesen war: Wie er in seinem Tagebuch verärgert schrieb, »werden wir die negativen Auswirkungen der Rückkehr des Duce auf die politische Bühne Italiens schon bald verspüren«. »Die einzige Sache, die in diesem Krieg sicher ist«, war für ihn, daß Italien ihn verloren hatte; das einzige, was zählte, war, daß Mussolini dank der Standhaftigkeit Hitlers »[...] auf einiges, was er früher für selbstverständlich hielt, (wird) verzichten müssen; denn schließlich und endlich muß ja der grausige Verrat, den Italien an der Achsenkriegführung begangen hat, irgendwie eine Kompensation erfahren.« Die erste Begegnung zwischen Hitler und Mussolini in Rastenburg am 14. September war »außerordentlich herzlich und freundschaftlich«, was auch nicht verwundern kann. Trotz des tiefen Grolls, den er seit langem gegen Hitler hegte, war Mussolini sich damals durchaus der Tatsache bewußt, daß er ihm die Freiheit und wahrscheinlich das Leben zu verdanken hatte. Hitler seinerseits wußte, daß er nun, nach Mussolinis Befreiung, ob er wollte oder nicht, alles daran setzen mußte, daß dieser wieder die Führung des Faschismus übernahm und an die Spitze der neuen italienischen Regierung trat. Abgesehen von einer ganzen Reihe eher »nebensächlicher« Überlegungen, die mit der Situation in Italien zusammenhingen, nötigten ihn vor allem zwei Motive dazu. Der Faschismus war eine Schöpfung Mussolinis, in den Augen der ganzen Welt waren die beiden Regime und die beiden Bewegungen identisch; und wenn der »Meister« nicht wieder seine Stellung eingenommen hätte, hätten alle geglaubt, daß er kein Vertrauen mehr in den »Schüler« hätte und daß er die Partie für verloren hielte. Und das konnte Hitler sowohl aus Propagandagründen als auch wegen seiner europäischen Verbündeten nicht zulassen. Ein anderes, nicht minder wichtiges Motiv kam hinzu: die Furcht, daß die Japaner, die seiner strategisch-politischen Kriegsführung ohnehin sehr kritisch gegenüberstanden, den »Rückzug« Mussolinis zum Vorwand nehmen könnten, um aus dem Dreimächtepakt auszuscheiden. Wenn die erste Begegnung in Anwesenheit von Journalisten, Fotografen und Filmreportern, sowie verschiedenen anderen angesehenen Persönlichkeiten »außerordentlich herzlich und freundschaftlich« war, so waren die folgenden, fast alle in privater Form durchgeführten Gespräche dies weitaus weniger. Nach Goebbels, der von Hitler selbst darüber eine ausführliche Zusammenfassung erhielt, war nämlich dessen Bild von Mussolini erheblich redimensioniert worden. Allerdings hat der Duce - so notierte er sofort, nachdem er mit Hitler darüber gesprochen hatte [Anm. d. Übers.: am 23. September] - diesmal persönlich nicht so stark auf ihn gewirkt wie bei den früheren Zusammenkünften. [ . . . ] Der Duce hat aus der Katastrophe Italiens nicht die moralischen Konsequenzen gezogen, die der Führer sich eigentlich davon erwartet hatte. [ . . . ] Der Führer hatte nun geglaubt, der Duce würde als erstes ein großangelegtes Strafgericht an seinen Verrätern abhalten. Das ist aber in keiner Weise der Fall, und darin zeigt sich eigentlich seine Begrenztheit. Er ist kein Revolutionär etwa im Sinne des Führers oder im Sinne Stalins. Er ist doch in seinem italienischen Volkstum

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so gebunden, daß ihm der große Zug zum weltweiten Revolutionär und Umwälzer fehlt. [ . . . ] Ich hatte mir vorgestellt, es würde aus der Zusammenkunft des Führers mit dem Duce wieder eine sehr dicke Freundschaft erwachsen, die uns politisch außerordentlich große Schwierigkeiten gemacht hätte. Das aber ist in keiner Weise der Fall; ganz im Gegenteil, ich habe den Führer über den Duce noch nie so enttäuscht gesehen wie diesmal. [ . . . ] Es kann nun keine Rede davon sein, daß etwa zwischen dem Führer und dem Duce ein ernstes Zerwürfnis stattgefunden hätte. Schon wenn der Führer erklärt, daß der Duce keine große politische Zukunft mehr habe, so bedeutet das bei seiner früheren Verehrung für ihn sehr viel. [ . . . ] Er kann als absolut ernüchtert seiner Person gegenüber angesehen werden. Das ist für die Führung unserer Kriegspolitik außerordentlich erwünscht. Der Führer ist in keiner Weise mehr entschlossen, unser Verhältnis zu Italien auf der Person des Duce aufzubauen. Er will jetzt territoriale Sicherungen, die uns vor jeder weiteren Krise bewahren.

Bevor Hitler von der Befreiung Mussolinis erfahren hatte, hatte er eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die seinen Willen bekundeten, Italien zu »bestrafen«, das Land einer eisernen Kontrolle zu unterstellen und seine wirtschaftlichen und militärischen Kräfte in höchstem Maße auszunutzen. Er hatte die volle Unabhängigkeit, die Albanien und Kroatien ausgerufen hatten, anerkannt und letzterem freie Hand in Dalmatien gelassen; er hatte festgelegt, daß Südtirol und das Trentino fast bis nach Verona der politischen Autorität des Gauleiters von Tirol, Julisch Venetien und ein Teil des Veneto der des Gauleiters von Kärnten unterstellt würden. Der Rest Italiens sollte aufgeteilt werden in eine »Operativzone« und eine »besetzte Zone«, deren erstere dem Kommando Rommels, die andere dem Kesselrings unterstellt werden sollte; er hatte verfügt, daß in der »besetzten Zone« die Kontrolle »aller Fragen der Bewaffnung und der Produktion« an Speer übertragen würde. Bezeichnend ist folgendes: als am 13. September die Nachricht von der Befreiung Mussolinis eintraf, glaubte Speer, daß die am Vortag erlassene Verordnung über seine Machtbefugnisse in Italien zurückgezogen würde. Er sprach darüber mit Hitler, der jedoch nicht nur die Gültigkeit der Verordnung bestätigte, sondern, um jeden Zweifel auszuschließen, eine neue Verordnung mit dem Datum des 13. erstellen ließ und sie sofort unterschrieb. In den zwei Tagen, in denen Hitler mit Mussolini Gespräche führte, tat er einerseits alles, um Mussolini dazu zu bringen, an die Spitze einer neuen faschistischen Regierung zu treten. Andererseits modifizierte er praktisch in keiner Weise seine Entscheidungen (»Alle unsere politisch-militärischen Maßnahmen bleiben bestehen; der Führer hat darauf bestanden, daß nichts daran geändert wird«, notierte Goebbels am 17. September). Er beschränkte sich darauf, entweder nicht davon zu reden (soweit man weiß, hat er nicht im geringsten von den finanziellen Abgaben, die er der RSI auferlegen wollte und später tatsächlich auferlegte, gesprochen) oder aber diese Entscheidung in doppeldeutiger, verschwommener Weise darzustellen, wie im Falle der Errichtung von »Operationszonen« im Voralpenland und entlang der adriatischen Küste. Diesbezüglich hatte Hitler, der nur ganz allgemein von Mittelmeer und Adria gesprochen hat - nach dem, was Mussolini dann Anfuso gesagt haben soll - sogar versucht, Mussolini indirekt zu beruhigen:

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nichts sei verändert und nichts sollte sich bei Ende des Krieges ändern. Das einzige neue Faktum sei, daß infolge des 8. September die »strategischen Aufgaben« Deutschlands sich nur »natürlich« dahingehend ausgeweitet hatten, »daß einige Situationen gelöst werden mußten, wie die Frage Albaniens, ohne gleichzeitig die italienischen Interessen zu berücksichtigen«. Das eigentliche Problem sei jedoch ein anderes: »Wir müssen den Krieg gewinnen.« »Wenn der Krieg gewonnen ist, wird Italien in seinen Rechten wiederhergestellt. Die Hauptbedingung ist die, daß der Faschismus wiedererwacht und Gerechtigkeit übt an all denen, die Verrat begangen haben!« Nur in diesem Punkt war Hitler klar und unnachgiebig: die »Verräter« vom 25. Juli und allen voran Graf Ciano (Verräter in vierfacher Hinsicht: gegenüber dem Vaterland, dem Faschismus, der Allianz und der Familie) mußten mit dem Tode bestraft werden; Mussolini mußte die Macht zurückerlangen; die neue faschistische Regierung sollte auf der Zusammenarbeit von Mussolini und Graziani beruhen, dem einzigen General, der über das notwendige Prestige verfügte, um eine italienische Streitmacht wiederaufzubauen. So sehr er auch alles andere zweideutig und verschwommen ausdrückte, in diesen drei Punkten war Hitler so intransigent, daß er Mussolini sogar ausdrücklich bedrohte: Wenn Mussolini diesen Forderungen nicht nachkäme, werde er (Hitler) Italien zu »verbrannter Erde« machen, wie es das wegen seines Verrats ohnehin verdiente. Wie Mussolini später Carlo Silvestrini mitteilte (aber in knapperer Form auch anderen), war Hitler diesbezüglich schon im ersten Gespräch vollkommen eindeutig: Ich muß sehr klar sein. Der italienische Verrat hätte, wenn die Alliierten ihn richtig auszunutzen gewußt hätten, den sofortigen Zusammenbruch Deutschlands hervorrufen können. Ich mußte sofort ein fürchterliches Exempel der Bestrafung statuieren, für diejenigen unter unseren Verbündeten, die versucht sein könnten, Italien zu imitieren. Ich habe die Ausführung eines Plans, der schon bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet ist, nur deswegen gestoppt, weil ich sicher war, daß ich Sie befreien könnte und daß ich verhindern könnte, daß Sie, wie es Badoglio geplant hatte, den Angloamerikanern ausgeliefert würden. Aber wenn Sie mich jetzt enttäuschen, muß ich die Anweisung geben, daß der Strafplan ausgeführt wird.

Und einen Tag später, als er begriffen hatte, daß Mussolini entmutigt war, nicht mehr an den Sieg glaubte und es vorgezogen hätte, nicht in die Politik zurückzukehren, versuchte Hitler erst einmal ihn aufzurichten. Er berichtete ihm von »Geheimwaffen« mit einer »ungeheuren Zerstörungskraft« (»wir haben teuflische Waffen«), die bald gegen England eingesetzt würden; darüber hinaus äußerte er die Bereitschaft, mit der Sowjetunion einen Vertrag auszuhandeln. Dann aber wiederholte er mit noch größerer Heftigkeit die Drohungen vom Vortag: Norditalien wird sogar das Schicksal Polens noch beneiden müssen, wenn Sie nicht darin einwilligen, der Allianz zwischen Deutschland und Italien ihren ursprünglichen Wert wiederzugeben, indem Sie sich an die Spitze der neuen Regierung stellen. Natürlich wird Ihnen in diesem Fall der Graf Ciano nicht ausgeliefert; er wird hier in Deutschland erhängt werden. [ . . . ] Entweder wird die neue faschistische Regierung auf der Verbin-

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dung Mussolini-Graziani basieren, oder Italien wird es schlimmer ergehen als Polen. Ich sage schlimmer, weil Polen als erobertes Land behandelt wurde, während Italien als das Land der Verräter ohne Unterschied angesehen wird.

Soweit in den Grundzügen die deutsche Position und insbesondere die Hitlers. Wenden wir uns nun der Mussolinis zu. Mehr noch als bei Hitler ist es zum Verständnis der Position Mussolinis und seines Verhaltens in Rastenburg notwendig, auf die Ereignisse seit dem 25. Juli zurückzuschauen: Von der Art, wie der »Duce« auf die eigene Entlassung reagierte, über die völlige Zerstörung des Regimes und des Faschismus, bis hin zu Mussolinis Verhaftung und Gefangensetzung. Vor allem muß eines wenigstens in knappen Zügen erklärt werden: Wie auch immer Mussolini bis zum 25. Juli gedacht haben mag oder welches seine Illusionen gewesen sein mögen, um der dramatischen Situation, in der sich Italien und damit er selbst befanden, begegnen zu können - alles berechtigt zu der Annahme, daß die Ereignisse des 25. Juli ihn dazu bewogen haben, das Handtuch zu werfen, die Partie für beendet zu halten und folglich überhaupt nicht daran zu denken, wieder in die politische Arena zurückzukehren, selbst wenn eine Möglichkeit dazu bestanden hätte. Schon in den allerersten Tagen seiner Haft in Rom, aber vor allem in Ponza und La Maddalena und nochmals auf dem Gran Sasso hat darum Mussolini mehrfach betont, daß er seine Karriere für beendet halte und »politisch tot« sei. In diesem Sinne äußerte er sich gegenüber dem Admiral Maugeri sowie gegenüber anderen, und, was noch mehr zählt, in den »Pensieri pontini e sardi«, in denen man Passagen wie die folgende findet: »Mein System ist zerstört [ . . . ] mein Sturz ist endgültig [ . . . ] die unfehlbare Stimme des Blutes sagt mir, daß mein Stern für immer untergegangen ist: [ . . . ] Wenn ein Mann gemeinsam mit seinem System stürzt, ist sein Fall endgültig, und das um so mehr, wenn dieser Man über 60 Jahre alt ist [...]« Es gibt keinen stichhaltigen Grund zu glauben, daß das nicht ehrlich gemeint war, daß Mussolini simuliert hätte. Wenn man außerdem Carlo Silvestri Glauben schenken darf, habe er vorgehabt, sich nach seiner Befreiung in die Schweiz zurückzuziehen. Das Problem ist ein anderes: In welchem Maße haben der 8. September und seine Befreiung durch die Deutschen diesen Gemütszustand und Standpunkt Mussolinis modifiziert? Den Aussagen seiner Ehefrau zufolge, die sowohl vor seiner Abreise nach Rastenburg als auch unmittelbar nach seiner Rückkehr mit ihm sprechen konnte, hat ihr Mussolini vor der Begegnung mit Hitler auf die Frage nach seinen Plänen geantwortet, er sei entschlossen, »alles für die Rettung des italienischen Volkes zu tun, was möglich ist«: »Wenn ich nicht an ihrer Seite bleibe, um den Schlag abzufedern, wird die Rache der Deutschen furchtbar sein.« Aber er habe auch hinzugefügt: »Doch jeder Entschluß wird verschoben, bis ich mit Hitler gesprochen habe.« Und das berechtigt dazu anzunehmen, daß er in Wirklichkeit noch keinen wirklichen Entschluß gefaßt hatte, obwohl er die Haltung und die Forderungen Hitlers voraussah, und daß er in seinem Interesse hoffte, sich diesen entziehen zu

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können. Anders ließe sich nicht erklären, warum seine Frau ihm nach seiner Rückkehr aus Rastenburg empfehlen konnte, die ihm angetragene Führung der neuen republikanischen Regierung nicht zu übernehmen. Eng verknüpft hiermit ist ein weiteres Problem: Glaubte Mussolini noch an die Möglichkeit eines deutschen Sieges? Seiner Schwester Edvige, die ihm gegen Ende September auf der Rocca delle Caminate diese Frage stellte, antwortete er: »Wehe mir, wenn ich das nicht denken würde, wehe mir, wenn ich mit Sicherheit wüßte, daß die Repubblica Sociale [ . . . ] dazu bestimmt ist, eine Larve zu bleiben, eine Randerscheinung. So wie die Dinge stehen, werden die Deutschen siegen, wenn sie es schaffen, früher als die Alliierten die neuen Zerstörungsmittel anzuwenden, an denen die einen wie die anderen forschen [...]« In dieser Weise hat sich Mussolini auch gegenüber anderen unter seinen engsten Mitarbeitern geäußert. Um nur ein Beispiel anzubringen: Der Vizesekretär des Partito fascista repubblicano, Pino Romualdi, hat diese Frage in seinen Memoiren in der Weise aufgegriffen, daß er zu dem Schluß kommt, Mussolini habe nicht geglaubt, daß die Deutschen inzwischen alle Möglichkeiten zu siegen verloren hätten. Ein Schluß, der seine Rechtfertigung, aber auch seinen Schwachpunkt in jenem »alle« findet; weit entfernt davon, eine sichere Überzeugung auszudrücken, kommt der Inhalt dieses Satzes viel eher dem nahe, was Mussolini (unter Bezugnahme auf die »Geheimwaffen«) zu seiner Schwester gesagt hat. Und dies erklärt, wie ein Mann, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden stand, während der ersten Monate der RSI engen Kontakt zu Mussolini unterhielt und die Möglichkeit hatte, ihn genau zu beobachten und auch die kleinsten Schwankungen und Nuancen seines Gemüts zu erfassen, nämlich Giovanni Dolfin, der Meinung sein konnte, daß der Duce nicht mehr die geringste Hoffnung auf einen deutschen Sieg hegte. Und wenn er an diese Möglichkeit überhaupt dachte, so hätte Mussolini sie alles in allem für Italien nicht für sehr viel besser erachtet als einen Sieg der Alliierten; denn er hätte ihm sogar gesagt: »Wenn die Dinge gut für sie ausgingen, würden uns die Deutschen teuer für unseren >Verrat< und dafür, daß sie uns verteidigt haben, bezahlen lassen.« Und damit kommen wir zum Kern der Sache, den wir als »Frage Mussolini« bezeichnet haben: Warum hat sich Mussolini darauf eingelassen, die Führung der neuen republikanischen Regierung zu übernehmen? Aus Angst? Man kann es nicht vollkommen ausschließen, aber ich glaube es nicht. Erstens, weil er, was auch immer verschiedene seiner Gegner behauptet haben, kein ängstlicher Mensch war; zweitens, weil ihm klar gewesen sein muß, daß Hitler keine »Maßnahmen« gegen ihn hätte ergreifen können, nachdem er nun einmal wieder frei war, und zwar weil dies Hitler genau aus denselben Gründen unmöglich war, aus denen er Mussolini eigentlich auf seiner Seite haben wollte. - U m sich an seinen »Verrätern« zu rächen? Der eine oder andere hat dies behauptet, aber auch diese Erklärung ist nicht plausibel. Zum einen war er nicht

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Motive für seine Rückkehr

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ein blutiger Rächer wie Hitler oder Stalin; zum anderen - selbst wenn er ein solcher gewesen wäre - waren »große Fische«, an denen er sich hätte rächen können, in seinem Netz kaum noch geblieben. Und schließlich belegen die Tatsachen, daß er persönliche Racheakte nicht begangen hat und daß selbst der Prozeß von Verona ihm von den Deutschen (die vor allem den Kopf Cianos wollten) und vom Partito fascista repubblicano aufgezwungen worden ist. Ebensowenig kann man an ein unvorhersehbares Wiederaufflammen seines Willens glauben, dem der Ehrgeiz oder, wenn man so will, der Stolz sowie der Wunsch Mussolinis zugrunde gelegen hätte, durch eine aufsehenerregende Rückkehr zu seinen revolutionären und sozialistischen Ursprüngen »ein glanzvolles Ende« zu nehmen. Daß Mussolini an eine solche »Rückkehr« gedacht hat, sobald er begriffen hatte, daß er sich dem Zugriff Hitlers nicht entziehen konnte, ist freilich nicht zu bezweifeln. Das zeigt sein sofortiger Einspruch gegen die von Hitler gewollte Bezeichnung »Stato (oder >RepubblicaStaat< und >Nation< nicht mehr die höchsten Ideale des Zusammenlebens«; denn sie waren durch den Faschismus unwiderruflich kompromittiert, und sie sind nicht durch andere Kategorien ersetzt worden, welche Bezugspunkte für die Schaffung einer einheitlichen Konzeption der Geschichte Italiens bilden könnten.1 In diesem Sinne bedeuten die Jahre 1943 bis 1945 eine wirkliche Zäsur in der Geschichte Italiens: vom Sturz Mussolinis und der Zweiteilung des Landes, mit dem Zusammenbruch der staatlichen Institutionen, der Lähmung des wirtschaftlichen Lebens und der Zersplitterung des nationalen Lebens, bis zur Wiedervereinigung bei Ende des Krieges. Die Analyse und die Interpretation von Perioden wie dieser in der Geschichte eines Landes bedeuten für den Historiker eine besonders schwierige Aufgabe: Sei es wegen der Vielgestaltigkeit des Gesamtbildes, als auch wegen der Möglichkeit, die Geschichte ideologisch darzustellen, d. h. die widersprüchliche und komplexe Realität durch jenen Teil davon zu ersetzen, welchem man den Vorzug geben möchte. Im Falle der italienischen Geschichtsschreibung über diesen Zeitabschnitt haben ideologische Muster und einseitige Interpretationen nicht nur die Art und Weise konditioniert, in denen die Ereignisse dargestellt worden sind, sondern auch die Auswahl der Themen. * Ins Deutsche übersetzt von Rudolf Lill. Vgl. E. Gentile, Breve storia delle storie d'Italia dall'Unità alla Repubblica, in: Storia dell'Italia Contemporanea, diretta da R. De Felice, Bd. VII, Cultura e Società, 1870-1975, Napoli 1983, 320f.

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Viele Jahre hindurch haben die italienischen Historiker sich ausschließlich konzentriert auf einige Aspekte der Geschichte des Faschismus, welcher dabei meistens vom Gesichtspunkt der Opposition betrachtet wurde; sie haben damit das Problem des Konsensus, welchen das faschistische Regime bei der Bevölkerung fand, ignoriert oder wenigstens unterschätzt und haben zugleich die Rolle und die Stärke der antifaschistischen Opposition überbetont. 2 Die politischen Aspekte der Geschichte des Zweiten Weltkrieges sind jedoch bisher wenig vertieft worden; und dasselbe gilt für die Periode von 1943 bis 1945 sowohl für die Geschichte der Regierungen im Süden wie für die Geschichte der Repubblica Sociale Italiana (RSI), d. h. jenes faschistischen Staates, welcher im Norden von Mussolini unter deutscher Besetzung wieder aufgerichtet worden war. 3 Der am meisten untersuchte Aspekt ist der der antifaschistischen Opposition und der Resistenzabewegung gewesen, aber die Forschungen in diesen Bereichen haben nur selten eine Analyse der damaligen italienischen Gesellschaft wie auch der internationalen Zusammenhänge des Zweiten Weltkrieges in Angriff genommen. Bezeichnend für die vorherrschende Ausrichtung ist die Tatsache, daß die aktivste Institution auf dem Gebiet der Zeitgeschichte lange Zeit hindurch das nationale Institut für die Geschichte der Befreiungsbewegung in Italien (samt den damit verbundenen lokalen Instituten) gewesen ist; entstanden 1949, hat es sich auf die Sammlung der Quellen konzentriert und Studien über die antifaschistische Bewegung und über die Resistenza hervorgebracht und gefördert. Viele Studien sind veröffentlicht worden in der Zeitschrift des Instituts: II Movimento di Liberazione in Italia (inzwischen Italia Contemporanea), welche viele Jahre lang die einzige zeithistorische Zeitschrift in Italien gewesen ist. Die vorherrschende Interpretation hat in der Resistenza das Ergebnis einer langen Evolution der antifaschistischen Opposition gesehen, welche im Untergrund und in der Emigration stets lebendig gehalten worden war und dann in den »Volkskampf« der Befreiungsbewegung eingemündet war.4 Diese Vorstellung von der

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Bekannt ist die negative Reaktion, welche der 4. Band der Mussolini-Biographie von Renzo De Feiice (Mussolini il duce, Torino 1974) bei einem erheblichen Teil der italienischen Historiker hervorgerufen hat. De Feiice hatte in seinem Untertitel: »Gli anni del consenso« seine These umschrieben. Es gibt noch keine zusammenfassenden Studien, welche die kriegerischen Ereignisse mit der politischen Evolution des Regimes verbinden. Was die RSI angeht, so ist weiterhin die einzige auf archivalische Quellen gegründete Darstellung die von W. Deakin, Storia della Repubblica di Salö, Torino 1963. Vgl. daneben G. Bocca, La repubblica di Mussolini, Bari, 1977, und S. Bertoldi, Salö. Vita e morte della RSI, Milano 1976. Will man die Evolution des Konsens zum Faschismus und dann der Anfänge der republikanischen Demokratie analysieren, so wäre es sehr wichtig, erstens zwischen verschiedenen Formen der Zustimmung zur RSI zu unterscheiden und zweitens wenigstens annähernd die soziale Zusammensetzung und den Umfang der verschiedenen Gruppen von Anhängern festzustellen. Vgl. hierzu L. Longo, Un popolo alla macchia, Rom 1965. R Secchia hat die These vertreten, daß es während des Regimes »eine massive Opposition gegen den Faschismus« gege-

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Resistenza als einer einheitlichen und nationalen Bewegung war auch darauf zurückzuführen, daß die antifaschistischen politischen Parteien und die ersten demokratischen Regierungen es für notwendig hielten, ihre eigene Legitimierung auf eine antifaschistische Tradition zurückzuführen. So behauptete der erste Ministerrat der Regierung Bonomi, mit offensichtlicher Verzerrung der Fakten, »jene große Mehrheit des Landes« zu repräsentieren, »welche sich schon im Jahre 1940 gegen die faschistische Herrschaft gewandt und den Kriegseintritt an der Seite Hitler* Deutschlands abgelehnt hätte«. 5 Offensichtlich scheint ein Gegensatz zur deutschen Geschichtsschreibung zu bestehen, welche nämlich die Periode der deutschen Besetzung Italiens vernachlässigt und die italienische Resistenza geradezu ignoriert hat. 6 Dieser Gegensatz ist aber nur scheinbar: Diese beiden so einseitigen Ausrichtungen beruhen auf demselben Problem der Auseinandersetzung mit einer problematischen Periode der eigenen Geschichte, eben der des faschistischen respektive des NS-Regimes, welche deshalb unter manchen Aspekten lange zu wenig erforscht worden ist. Außerdem hatten beide Länder eine lange Periode des Totalitarismus hinter sich, und so ist in der zweiten Nachkriegszeit der Geschichtswissenschaft eine wichtige pädagogische Aufgabe zugewachsen: Sie hatte erneut die Ideale der Demokratie, der Freiheit und des Widerstandes gegen die Diktatur herauszustellen. Eine solche völlig verständliche Ausrichtung hat jedoch im Laufe der Jahre dazu geführt, daß eine partielle und ungenaue Betrachtungsweise der Ereignisse jener Zeit erhalten blieb. Insbesondere im Falle Italiens hat diese Interpretation zur Verzerrung der Realität beigetragen, indem sie das Ausmaß der Zustimmung der Bevölkerung zum Faschismus herunterspielte und die Rolle der Resistenza bei der Befreiung des Landes übertrieb. Ein kleines Beispiel kann diesen Punkt verdeutlichen: In verschiedenen Schulbüchern wird bis heute die Rolle der englischen und amerikanischen Truppen bei der Befreiung des Landes vernachlässigt, die der Partisanen dagegen an die erste Stelle gesetzt: Sie werden beschrieben als die hauptsächlichen Antagonisten der Deutschen und der faschistischen Kräfte. Diese Betrachtung wird auch angewendet auf die antifaschistischen Parteien, denen in vielen Studien ein ausschlaggebendes Gewicht beim Sturz des Regimes

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ben hätte: vgl. L'azione svolta dal partito comunista italiano durante il fascismo, 1926-1932, in: Istituto G. Feltrinelli, Annali IX (1969), S. XIII. Vgl. in diesem Band den Beitrag von Ferraris. Zit. in: E. Aga Rossi, La situazione politica ed economica dell'Italia nel periodo 1944-45: i governi Bonomi, in: Quaderni dell'Istituto romano per la la storia d'Italia dal fascismo alla resistenza, 1971, Nr. 2, S. 8, jetzt in: L'Italia nella sconfitta, Napoli 1985, S. 129. J. Petersen, Italia e Germania, due immagini incrociate, in: F. Ferratini Tosi / G. Grassi / M. Legnani (Hrsg.), L'Italia nella seconda guerra mondiale e nella Resistenza, Milano 1988, S. 58f. Ders., I tedeschi dopo Hitler: il difficile rapporto con il proprio passato, in: Storia Contemporeanea, XVIII (1987), S. 1009-1033. S. a. Lill, Deutsche und Italiener (s. S. 7, Anm. 23).

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zugeschrieben wird; außerdem wird bei den Streiks vom März 1943,7 die dem faschistischen Regime den entscheidenden Stoß versetzt hätten, der politische Charakter überbetont und der wirtschaftliche unterbewertet. Diese Behauptungen werden allerdings in der vorhandenen Dokumentation wenig bestätigt; aus ihr geht vielmehr hervor, daß die oppositionellen Kräfte sich auf kleine Gruppen beschränkt haben, bis sich die militärische Niederlage abzeichnete. Die antifaschistischen Parteien waren daher auf Mussolinis Sturz nicht vorbereitet, erst in der kurzen Zeit der 45 Tage zwischen der Ausschaltung Mussolinis und der Ankündigung des Waffenstillstandes haben sie begonnen, aktiv zu handeln und eine Gegenposition zur Regierung Badoglio einzunehmen. In den letzten Jahren hat eine neue Phase der Studien begonnen, welche dabei ist, diese ideologischen Schemata zu überwinden. Zugenommen haben die Forschungen über den Zweiten Weltkrieg und den Kampf um Italien, mit besonderer Berücksichtigung der sozialen Aspekte. 8 In den meisten Fällen hat sich jedoch die Geschichtsschreibung weiterhin vor allem mit der italienischen Innenpolitik beschäftigt, während einer der für unsere Periode charakteristischsten Aspekte, die Verflechtung innerer und internationaler Faktoren, nach wie vor weniger vertieft wird. 9 In einer Phase des Übergangs erweist sich nämlich als schwierigstes Problem das der Legitimität jener Regierung, welche eine doppelte Verantwortung auf sich nehmen mußte: den Bruch mit dem vorausgegangenen Regime und die Regierung des Landes bis zu dem Zeitpunkt, in dem freie Wahlen möglich waren. Im Falle Italiens haben zudem die Präsenz der anglo-amerikanischen Armee und die Errichtung einer alliierten Kontrollkommission faktisch die amtierende Regierung geschwächt, deren Autorität nicht auf dem Konsens der politischen Kräfte im eigenen Land beruhte, sondern auf der Unterstützung durch die alliierten Regierungen. Für diese Phase staatlicher Schwäche ist in Italien zudem ein anderes Element mitzubedenken: die Rolle, welche eine andere »auswärtige« Autorität, nämlich der Vatikan, wahrgenommen hat. 7

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T. Mason, Gli scioperi di Torino del marzo 1943, in: L'Italia nella seconda guerra mondiale e nella Resistenza, S. 399-422. Vgl. L'altro dopoguerra. Roma e il Sud 1943-45, hrsg. v. N. Gallerano, Milano 1985; L'Italia nella seconda guerra mondiale (s. Anm. 6); G. Rochat / E. Santarelli / P. Sorcinelli (Hrsg.), Linea gotica 1944. Eserciti, popolazioni, partigiani, Milano 1986. E. di Nolfo, Le paure e le speranze degli italiani (1943-1953), Milano 1986. Für die soziale und politische Situation in Süditalien bleibt für die Zeit von 1943 - 4 4 nach wie vor der Band von A. Degli Espinosa, II Regno del Sud, Firenze 1956, grundlegend. Die Mehrzahl der Beiträge zu diesen Aspekten stammt von ausländischen Forschern. Über die Beziehungen zwischen Italien und den Westalliierten: D. Ellwood, L'alleato nemico, Milano 1977; J. Miller, The United States and Italy, 1940-1950, Chapel Hill 1986; N. Kogan, Italy and the Allies, Cambridge 1961 (ital. Übers. Mailand 1963); s. freilich auch L. Mercuri, 1943 -1945, Gli alleati e l'Italia, Napoli 1975, und E. Aga-Rossi, L'Italia nella sconfitta, Napoli 1985. Für die deutsche Besetzung s. E. Collotti (Hrsg.), L'amministrazione tedesca dell'Italia occupata, 1943-1945, Milano 1963, sowie in diesem Band den Beitrag von M. Guiotto.

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In diesem Aufsatz geht es nun gerade um die Analyse der Funktionen und der Rollen der Regierungen wie der antifaschistischen Kräfte, der Alliierten wie des Vatikans bei dem schwierigen Übergang Italiens zu einem demokratischen System.

Die Bildung der Regierung Badoglio: in Richtung auf einen Faschismus ohne Mussolini? Bekanntlich ist der Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 die Folge zweier aufeinanderfolgender Initiativen gewesen: des Mißtrauensvotums im Großrat, dem obersten Organ des Faschismus, sodann der Entscheidung König Viktor Emanuels, den Duce von der Macht auszuschließen. Ohne Blutvergießen wurde in wenigen Stunden einem Regime, welches zwanzig Jahre bestanden hatte, das Ende bereitet. Es war das gemeinsame Ziel der Urheber des Staatsstreichs, das Land aus einem inzwischen verlorenen Krieg herauszuführen, dabei Mussolini zu opfern, aber das von ihm geschaffene System zu erhalten. Die Wege zur Erreichung dieses Zieles konnten verschieden sein. Man konnte unverzüglich das Bündnis mit Deutschland als beendet erklären und gleichzeitig einen Frontwechsel vollziehen (dies war der Vorschlag von Dino Grandi, der mehr als jeder andere den Staatsstreich gegen Mussolini vorbereitet hatte). Oder man konnte die dann vom König durchgesetzte Lösung wählen, d. h. den Eindruck erwecken, als wolle man den Krieg an Deutschlands Seite fortsetzen, während die Verhandlungen um eine Kapitulation eingeleitet wurden. Jedenfalls war es der Plan der Monarchie, eine autoritäre Regierungsform beizubehalten: die Alternative einer Abstützung bei den antifaschistischen Kräften wurde gar nicht erwogen, und der König beschränkte sich auf die Konsultation einiger präfaschistischer Politiker wie Ivanoe Bonomi und Vittorio Emanuele Orlando. Die Entscheidung für einen General wie Badoglio als Regierungschef sollte nach der Vorstellung des Hofes für die nächste Zeit die Kontrolle über das Land und über die Armee sichern, sie war wahrscheinlich als Übergangslösung gedacht. In einem Gespräch mit dem General Mason-MacFarlane, dem Chef der zur Aufnahme von Kontakten mit der italienischen Regierung nach Brindisi entsandten alliierten Militärmission, fragte der König am 26. September, ob die Anglo-Amerikaner eine Ablösung Badoglios und eine Rückkehr Grandis - den der König als »Symbol des Antifaschismus« bezeichnete - als Außenminister akzeptieren würden. Dieser zweite Vorschlag, den Badoglio im Namen des Königs in Malta bei den Gesprächen um den Endpunkt des »langen« Waffenstillstands wiederholte, wurde von Eisenhower entschieden abgelehnt.10

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Vgl. A . Garland / H. McGaw Smyth, Sicily and the Surrender of Italy, Office of the Chief of Military History, Washington 1965, S. 548f.; M. Toscano, Dal 25 luglio all'8 settembre, Firenze 1966, S. 222f.

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Die Erklärung, daß sich nichts geändert hätte (»Der Krieg geht weiter«, nach Badoglios Worten in seiner ersten Kundgebung) hat die Deutschen nicht getäuscht. Sie begannen sofort mit der Verlegung mehrerer Divisionen nach Italien, um das Land besetzen zu können; andererseits vergrößerten Badoglios Worte das Mißtrauen der Anglo-Amerikaner, welche an ein Doppelspiel der Italiener dachten. Außerdem hat die Zwangsvorstellung, nur ja nichts zu den Deutschen durchsickern zu lassen, die Regierung gelähmt; ihre Tätigkeit erwies sich als völlig unzureichend für die schwierige Lage. Die Divisionen, welche auf dem Balkan standen, wurden nicht zurückgerufen, und es wurde keinerlei Vorbereitung für militärischen Widerstand gegen die voraussehbare deutsche Reaktion getroffen. Gleichzeitig wurden die Verhandlungen mit den Anglo-Amerikanern um einen Waffenstillstand in die Länge gezogen, in der Illusion, Garantien und Konzessionen herausholen und die bedingungslose Kapitulation verhindern zu können. Hinzu kam die ebenso unbegründete Hoffnung, daß die anglo-amerikanische Armee nördlich von Rom an Land gehen würde und daß man ihr den Schutz Italiens vor seinen früheren deutschen Verbündeten anvertrauen könnte. Dieselbe Unsicherheit und Zweideutigkeit charakterisierten die Innenpolitik der Monarchie und Badoglios. Zu dessen ersten Initiativen zählte die Abschaffung einiger faschistischer Institutionen, so der Camera dei Fasci e delle Corporazioni und des Tribunale Speciale; auch verpflichtete er sich, innerhalb von vier Monaten nach Ende des Konflikts freie Wahlen für eine neue Kammer auszuschreiben. Aber gleichzeitig verbot er jede politische Aktivität; auf die spontanen Demonstrationen der Bevölkerung nach Mussolinis Sturz reagierte er mit dem Befehl, auf die Menge zu schießen; in den letzten Juli-Tagen gab es in vielen Städten Italiens Tote. Verhaftungen und Verurteilungen durch den Militärgerichtshof und die Weigerung, auf die Forderungen der sich reorganisierenden antifaschistischen Parteien einzugehen, wechselten einander ab mit eher furchtsamen Öffnungssignalen, so der schrittweisen Freilassung der politischen Gefangenen und der Ernennung antifaschistischer Gewerkschaftskommissare, welche den sich im Lande ausbreitenden Streiks entgegenwirken sollten. Die faschistische Geheimpolizei (OVRA) wurde nicht aufgelöst. Die Rassengesetze sollten erst im Januar 1944 abgeschafft werden, durch zwei Gesetzes-Dekrete, welche diejenigen, welche aus politischen oder rassischen Gründen entlassen worden waren, wieder in den Staatsdienst aufnahmen und ihre bürgerlichen und politischen Rechte wiederherstellten. Am 3. September hatte ein Vertreter der italienischen Regierung, der General Castellano, im geheimen in Cassibile (Sizilien) mit den Anglo-Amerikanern den »kurzen« Waffenstillstand unterzeichnet. Er ist unter diesem Namen bekannt geworden, weil er nur aus zwölf Sätzen bestand, welche die militärischen Aspekte der bedingungslosen Kapitulation regelten. Die Anglo-Amerikaner verpflichteten sich, gleichzeitig mit der Bekanntmachung dieser Kapitulation eine Landung auf der Halbinsel durchzuführen; aber aus naheliegenden Sicherheitserwägungen

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wollten sie deren Zeitpunkt und Ort nicht angeben. Durch die dann am 8. September erfolgende Mitteilung des Generals Eisenhower, daß diese Landung am 9., und zwar südlich von Rom stattfinden würde, ist die italienische Regierung völlig überrascht worden. Nach einem Versuch, die Verkündung des Waffenstillstands hinauszuschieben, sind Badoglio und die königliche Familie von Rom nach Brindisi geflohen, ohne den militärischen Kommandos Weisungen zu erteilen. Infolge dieses unverantwortlichen Verhaltens hat die italienische Armee, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keinerlei Widerstand geleistet; sie wurde vielmehr von den Deutschen unverzüglich entwaffnet, und mehr als 600000 Soldaten und Offiziere wurden nach Deutschland in Gefangenenlager deportiert. Jene Soldaten, welche der Gefangennahme zu entgehen wußten, bemühten sich entweder, nach Hause zurückzukehren, oder sie gingen in den Untergrund und trugen damit zur Verstärkung der entstehenden Partisanenbewegung bei. Bis zum 25. Juli war der König die einzige Bezugsperson für alle diejenigen gewesen, welche, entweder aus dem Inneren des Regimes oder aus der Opposition heraus, Mussolini stürzen und das Land aus dem Krieg herausführen wollten. Mit dem Staatsstreich des 25. Juli schien der Monarchie die Erhaltung der Staatskontinuität gelungen zu sein, aber der 8. September führte zu einem beängstigenden institutionellen Vakuum. Für viele Italiener bedeuteten die Flucht des Königs und der Regierung und die sich daraus ergebende Auflösung der Armee einen Wendepunkt: nun wurde klar, daß man sich auf den König nicht verlassen konnte; die Monarchie als solche war diskreditiert. Wenige Tage später wurde Mussolini durch ein deutsches Kommando befreit, sodann in der im Norden entstehenden »Italienischen Sozialen Republik« (RSI) eine faschistische Regierung gebildet: das Land wurde zweigeteilt, nominell zwischen zwei italienischen Regierungen, in Wirklichkeit zwischen zwei Besatzungsmächten. Unter diesen Umständen haben die meisten Italiener sich auf passives Verhalten zurückgezogen; es hing davon ab, daß man sich entweder im Teil des Landes südlich von Salerno befand, wo nach der anglo-amerikanischen Landung eine königliche Regierung wiedererrichtet wurde, oder aber nördlich davon, wo die deutsche Besatzung begann. Im ersten Falle ging das mit Leichtigkeit, weil es unproblematisch war, sich auf die Seite der »Sieger« zu stellen; im zweiten Fall war es schwieriger, passiv zu bleiben: besonders gegenüber der Mobilisierung, welche von den deutschen Behörden wie von der RSI in Gang gesetzt wurde, wie gegenüber den heftigen Repressionen, die gegen die Zivilbevölkerung und speziell in der Nähe der Kampflinien unternommen wurden. Das Verhalten der Bevölkerung in dem von den Deutschen besetzten Teil des Landes, in dem es zu einer tiefen Spaltung und zur Situation eines Bürgerkrieges kam, ist bisher nicht hinreichend gründlich erforscht: noch fehlen für die Jahre 1943-1945 Studien, welche einerseits die unterschiedlichen Erfahrungen der Bevölkerung im Norden und im Süden aufarbeiten und andererseits Analysen weiterführen, welche über die allmähliche Abwendung der Massen vom Regime in

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den Jahren 1939-1943, d. h. von der anfänglichen Neutralität Italiens bis zum Sturz des Faschismus, bereits geschrieben wurden. 11 Die vollständige, durch die Frontlinien bestimmte Teilung des Landes hat völlig unterschiedliche politische Entwicklungen eingeleitet. Im Norden, wo der Krieg zwei weitere Jahre dauerte, befand sich das Land unter der nationalsozialistischen Besetzung in einer permanenten Notstandssituation, und die ResistenzaBewegung wurde schrittweise zum politischen Bezugspunkt der Bevölkerung. Im Süden dagegen, wo der Krieg von jetzt auf gleich zu Ende ging und der Staat schwach und kaum präsent war, haben die Parteien, obwohl sie nun wieder mit einer gewissen Freiheit arbeiten konnten, sich nur langsam organisiert. Sehr langsam war daher der Politisierungsprozeß im Süden, wo es keine Tradition politischer Partizipation gab und wo die Bevölkerung sich auf das für sie drängendere Problem des Überlebens konzentrierte, während im Norden eine breite Mobilisierung erfolgte. Auch die Parteien bezogen unterschiedliche Positionen: im Süden moderatere; im Norden, wo sie nur im geheimen wirken konnten, offenere und innovativere. Badoglio hat drei aufeinanderfolgende Regierungen geführt: Die erste war am 25. Juli in Rom gebildet worden und nahm am 9. September in Brindisi ihre Tätigkeit wieder auf, freilich halbiert, weil die Zivilisten unter den Ministern in der Hauptstadt geblieben waren. Die zweite (November 1943, seit Februar 1944 in Salerno) bedeutete eigentlich nur eine Umbildung, weil Badoglios Versuch einer Erweiterung durch politische Exponenten des Antifaschismus mißlang und nur einige Fachleute als Unterstaatssekretäre eintraten. Im April 1944 kam dann eine dritte Regierung Badoglio unter Beteiligung der antifaschistischen Parteien zustande und dies, weil der Führer der Kommunisten, Togliatti, sich zum Übergang von der Opposition zur Zusammenarbeit mit der Regierung entschlossen hatte. Nach der Befreiung Roms im Juni 1944 ist Badoglio ersetzt worden durch einen führenden Vertreter des Antifaschismus: Ivanoe Bonomi, welcher bereits vor der faschistischen Zeit Ministerpräsident gewesen war und während der deutschen Besetzung in Rom das Komitee für die nationale Befreiung (CLN) geleitet hatte. Er bildete eine Regierung aus Vertretern der sechs Parteien des CLN, welche in dem soeben befreiten Gebiet bestanden. Diese Regierung amtierte bis zur völligen Befreiung des Landes im Mai 1945, nach der Bonomi durch einen Führer der Resistenza-Bewegung, Ferruccio Parri, ersetzt wurde. Im Unterschied zu Deutschland ist in Italien der Übergang vom faschistischen Regime zu einer republikanischen Demokratie ohne Bruch der staatlichen Institutionen erfolgt. Der Grundsatz der Staatskontinuität ist, freilich aus verschiedenen 11

Vgl. bes. den Band von S. Colarizi, La seconda guerra mondiale e la repubblica, Torino 1984, welcher der Entwicklung der öffentlichen Meinung besondere Aufmerksamkeit widmet; vgl. auch N. Gallerano, II fronte interno (1942-1943), attraverso i rapporti delle autorità, in: Il Movimento di liberazione in Italia, X X I V (1972).

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Gründen, von den hauptsächlichen Kräften, welche damals im befreiten Italien wirkten, nämlich den antifaschistischen Parteien und den Alliierten, akzeptiert worden.12

Das »Königreich des Südens«: Parteien, Regierung und Alliierte im befreiten Italien Die Gruppe von Personen, welche nach der Flucht von Rom nach Brindisi das Recht behauptete, Italien zu repräsentieren, kann man nur in formalem Sinne als Regierung bezeichnen. Tatsächlich bestand diese »Regierung«, abgesehen vom König und von dessen Familie, nur aus einigen Persönlichkeiten des Hofes, dem alten Marschall Badoglio, dem Marineminister De Courten sowie aus einer kleinen Gruppe von Generalen und hohen Offizieren. Es handelte sich also, wie Degli Espinosa geurteilt hat, mehr um »eine juristische Abstraktion« als um eine Regierung; und selbst deren Existenz hätte in Zweifel gezogen werden können, wenn die Alliierten sie nicht als legitime Regierung anerkannt hätten. Die Führer der alliierten Koalition hatten gehofft, daß die italienische Armee nach der Verkündung des Waffenstillstands aktiv am Krieg gegen die Deutschen teilnehmen würde. In den Gesprächen zwischen General Alexander, dem Kommandeur der alliierten Truppen in Italien, und General Castellano in Cassibile nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes waren einige militärische Ziele bestimmt worden, so die Kontrolle über die Häfen (Neapel und möglichst auch La Spezia) und die Flughäfen, die Durchkreuzung der Verbindungslinien usw. in der Überzeugung, daß die italienische Regierung sich auf eine organisierte Aktion gegen die Deutschen vorbereite. 13 Obwohl diese Erwartungen nicht in Erfüllung gingen, entschieden sich die Regierungen Großbritanniens und der USA zur Anerkennung der Regierung Badoglio. Damit wurde eine Regierung legitimiert, an deren Spitze ein Mann aus den obersten Rängen des faschistischen Regimes stand - im Widerspruch zu den erklärten Zielen, für die Zerstörung des »Nazifaschismus« zu kämpfen und Kontakte zum Faschismus »in jeglicher Form und Weise« zu verweigern, wie Roosevelt am 28. Juli 1943 im amerikanischen Rundfunk betont hatte. Es war im wesentlichen eine Wiederholung des »Falles Darlan«, d. h. der im November 1942 nach der alliierten Landung in Nordafrika getroffenen Entscheidung zur Zusammenarbeit mit einem General, der Gefolgsmann Petains gewesen war. Gegen diese Entscheidung hat es denn auch Einsprüche gegeben, sowohl seitens Vertreter der Labour Party in der englischen Regierung wie auch innerhalb der RooseveltAdministration, in welcher Harry Hopkins, der engste Berater des Präsidenten, 12

13

C. Pavone, Sulla continuità dello Stato 1943-45, in: Rivista di storia contemporanea, 1974, Nr. 2, S. 172 -205. Alexander Papers, W0214/36, Public Record Office, London (im folgenden PRO).

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eine eindeutig ablehnende Haltung bezog. Die Anerkennung Italiens als »mitkriegsführender« Macht - eine werbende Formel, die aber den Status des Besiegten nicht modifizierte - wurde abhängig gemacht von der Kriegserklärung an Deutschland, zu der sich Viktor Emanuel erst nach eindringlichen Forderungen der Anglo-Amerikaner am 13. Oktober entschließen konnte. Warum trafen die Alliierten diese Wahl? Für Roosevelt handelte es sich um einen »zeitweiligen Notbehelf«. Aber für Churchill und die englische Regierung stellte sie die beste Lösung dar, um die Autorität der Monarchie zu erhalten: und nur sie schien die Gefolgschaft des Heeres und die Ordnung im Lande in einem Moment zu garantieren, in dem die Errichtung der Repubblica Sociale eine durchaus zu fürchtende Alternative werden konnte. Darüberhinaus war Badoglio durch die Unterzeichnung der Waffenstillstandsklauseln der hauptsächliche Garant für ihre Annahme und Durchführung durch Italien geworden. 14 Gleichzeitig stand ein weiteres Problem zur Diskussion. Die Alliierten mußten entscheiden, ob auf der Unterzeichnung des »langen« Waffenstillstands mit seinen zum Teil schon überholten politischen und wirtschaftlichen Klauseln zu bestehen oder ob nicht dessen Strafcharakter zu mildern sei. Man entschied, daß die Klauseln in ihrer ursprünglichen Formulierung unterschrieben werden mußten. Die Militärmission, der auch die beiden politischen Berater H. Macmillan und R. Murphy angehörten, hatte sich am 13. September nach Brindisi begeben, um Kontakt mit Badoglio und dem König aufzunehmen; aber ihre Empfehlung, die Waffenstillstandsklauseln nicht aufzuerlegen und der italienischen Regierung gegen die Einbeziehung der antifaschistischen Parteien die Verwaltung aller befreiten Territorien zu übertragen, wurde nicht akzeptiert. 15 Die Allierten überließen der italienischen Regierung einstweilen nur vier apulische Provinzen, denen sich dann im Zuge des alliierten Vorrückens nach Norden die anderen Gebiete anschließen sollten. Die Beteiligung der antifaschistischen Kräfte an der Regierung war von den Alliierten von Anfang an zur Bedingung gemacht worden; und als solche wurde sie auf höchster Ebene von Molotow, dem sowjetischen Volkskommissar des Äußeren, auf der Moskauer Außenministerkonferenz im Oktober 1943 erneut formuliert. Badoglio versuchte dagegen zunächst die Alliierten davon zu überzeugen, daß »zwanzig Jahre Faschismus die 14

15

Vgl. die Stellungnahme Hopkins in: Hopkins Papers, Boxen 97 und 160. Italy, F. D. Roosevelt Library, Hyde Park (im folgenden FDRL) und R. Sherwood, Roosevelt and Hopkins, an Intimate History, New York 1948, S. 743-744. Über die Anerkennung der Regierung Badoglio seitens der alliierten Regierungen vgl. E. Aga Rossi, La politica alleata in Italia nel 1943, in: L'Italia nella sconfitta, Napoli 1985, S. 120f. Jedes Mitglied der Mission verfaßte für seine eigenen Vorgesetzten einen Bericht: Vgl. den Bericht Macmillans für Churchill in: WO 214/30, PRO; den Bericht von R. Murphy für Roosevelt in: 86501/4011/2 RG 59, National Archives, Washington D.C. (im folgenden NA); und den Bericht von Sir N. Macfarlane für General Eisenhower in: WO 204/9709. Vgl. auch die Beschreibung der Begegnungen zwischen den Anglo-Amerikanern und den Mitgliedern der Regierung Badoglio in: A. N. Garland / H. McGaw Smyth, Sicily and the Surrender of Italy, Washington D.C. 1965, S. 540f.

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Parteien in Italien eliminiert« hätten, aber dem ständigen alliierten Druck mußte er nachgeben. 16 Er wurde dadurch gezwungen, auf die Regierungsbeteiligung gemäßigter Exponenten des Antifaschismus zu drängen, erhielt von ihnen aber nur negative Antworten. Wie bereits gesagt, mußte er sich schließlich im November 1943 auf die Einbeziehung einiger Männer aus dem zweiten Rang beschränken. Die antifaschistische Opposition war vom Regime um die Mitte der dreißiger Jahre so gut wie vollständig unterdrückt worden. Nur die Kommunistische Partei und die Bewegung »Giustizia e libertà« hatten im geheimen eine Organisation aufrechterhalten, aber auch diese hatte sich in den letzten Jahren vor 1943 aufgelöst; die Beziehungen zwischen den oppositionellen Kräften im Ausland waren durch den deutsch-sowjetischen Pakt und die deutsche Besetzung Frankreichs unterbrochen worden, wiederaufgenommen wurden sie erst nach dem deutschen Angriff auf Rußland und nach den militärischen Niederlagen des faschistischen Regimes. 17 Auch der kommunistische Politiker Giorgio Amendola hat zugegeben: »In jenem Moment, nämlich Ende 1942, war dies die Situation des Antifaschismus: der Prozeß der Reorganisation begann erst.« 18 Vor dem Sturz des Faschismus gab es nur kleine Gruppen von Führern ohne jede Basis im Lande. Auch im Sommer 1943 waren die Parteien noch nicht fest strukturiert und über den einzuschlagenden Weg nicht einig. Nach der Verkündung des Waffenstillstands waren sowohl im befreiten wie im besetzten Italien die Comitati di Liberazione Nazionale (CLN) entstanden, als gemeinsame Organismen, die aus Vertretern von sechs Parteien gebildet wurden: Partito Comunista (PCI), Partito Socialista di Unità Proletaria (PSIUP), Partito d'Azione, Democrazia Cristiana (DC), Partito Liberale (PLI) e Democrazia del Lavoro. 19 Die CLN behaupteten eine nationale Dimension, aber dem entsprach kein effektives organisatorisches Netz über das ganze Land. Die Wirklichkeit war sehr verschieden, sowohl in den einzelnen Parteien wie im Süden und im Norden. Nach Mussolinis Sturz brauchten die aktivsten Antifaschisten, die aus der Emigration, aus dem Gefängnis oder aus der Verbannung zurückkehrten, zunächst einmal Zeit, um die in den Jahren des Regimes in der italienischen Gesellschaft vollzogenen Veränderungen zu verstehen und sich den neuen Realitäten anzupassen. Die Parteiführer und die Exponenten der antifaschistischen Kultur wie Croce, Bonomi, De Gasperi, welche im Land verblieben und dort überwacht und isoliert worden waren, mußten sich der Aufgabe stellen, die Reihen der eigenen 16 17

18 19

Map Room, Naval's Aide File, A/16, Italy and Sicily, FDRL. Über die antifaschistische Opposition im Ausland: S. Colarizi, L'Italia antifascista, Bari 1976, E. Aga Rossi, Giustizia e Libertà, il partito repubblicano e il partito d'azione, Bologna 1969. Vgl. G. Amendola, Lettere a Milano, Roma 1973, S. 73. Letztere war eine kleine und fast ausschließlich im Süden bestehende Partei; sie war im CLN vertreten, weil einer ihrer Führer Ivanoe Bonomi war, der zu den zentralen Persönlichkeiten des Antifaschismus gehörte.

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Parteien wiederherzustellen und Programme auszuarbeiten. Die Reorganisation ging daher nur sehr langsam voran. Überdies beschränkte die politische Gesamtszene sich nicht auf die in den CLN vertretenen Parteien. Es gab vorfaschistische Parteien wie die republikanische, welche sich nicht mit der Politik der CLN identifizierten, wie auch neue, im Untergrund sehr aktive Gruppierungen, so die »Christlich-Sozialen« und die »Kommunistischen Katholiken« (»cattolici comunisti«). Wie schon gesagt, ergab sich ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der politischen Entwicklung im Norden und der im Süden. Da wir uns auf die Lage im Süden beschränken, so ist vorab darauf hinzuweisen, daß es im befreiten Italien Persönlichkeiten ersten Ranges gab, welche auch im Hinblick auf die internationale öffentliche Meinung erheblichen politischen Einfluß besaßen. Dies gilt besonders für den Bereich des alten Liberalismus: Benedetto Croce etwa und der frühere Außenminister Francesco Sforza, der soeben aus dem Exil in den USA zurückgekehrt war. Die antifaschistischen Parteien, die sich im CLN mit Sitz in Neapel zusammengeschlossen hatten, fanden zunächst eine gemeinsame Basis in der Opposition gegen Badoglio und in der Forderung nach der Abdankung des Königs. Für letztere waren die Motivationen jedoch verschieden: Von der Haltung Croces, welcher hoffte, daß man die Monarchie als solche über die Abdankung des persönlich in den Faschismus verstrickten Königs retten könne, bis zu der der Aktionspartei, welche in dieser Abdankung einen ersten Schritt auf dem Weg zur Republik sah. So entstand im befreiten Italien eine Situation des politischen Dualismus, mit eindeutiger Gegensätzlichkeit zwischen der Monarchie und der Regierung Badoglio auf der einen, der antifaschistischen Opposition auf der anderen Seite. Beide behaupteten, Italien zu repräsentieren. Die Regierung Badoglio versuchte, die Tätigkeit der antifaschistischen Parteien zu behindern, und benutzte die noch bestehende Ausnahmesituation, um die Pressezensur beizubehalten und jede Kundgebung der Opposition zu verbieten. In der ersten Zeit haben die alliierten Kommandostellen in den noch direkt von ihnen kontrollierten Landesteilen dieselbe Linie befolgt. So verbot die alliierte Militärregierung einen Kongreß der CLN mit der Begründung, daß die dafür vorgesehene Stadt zu nahe bei den Frontlinien läge. Auf den Druck der antifaschistischen Kräfte hin gestattete sie dann jedoch seine Einberufung nach Bari. Dieser Kongreß hat im Januar 1944 in Bari stattgefunden: es nahmen erstrangige Exponenten der Opposition, so Croce und Sforza, teil, und ebenso die Delegierten der Parteien aus den noch vom NS-Regime besetzten Regionen. Einstimmig wurden die Abdankung des Königs und die Ablösung der Regierung Badoglio durch eine demokratische, von den antifaschistischen Parteien getragene Regierung gefordert. Zwar versuchten die alliierten Behörden, diesem Kongreß keine Resonanz zu verschaffen. Aber trotzdem fand er ein breites Echo in der öffentlichen Meinung der alliierten Länder, er hat dort eine Veränderung des Umgangs mit der antifaschistischen Opposition eingeleitet: In den folgenden

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Monaten verbreitete sich die Kritik am konkreten Vorgehen der alliierten Militärbehörden in Italien auch in der britischen und amerikanischen Presse. Mit der »New York Times« an der Spitze, forderte sie die Anerkennung der antifaschistischen Kräfte. Auf der Ebene der Regierung änderte sich die Situation jedoch nicht. Zwar bestanden zwischen Briten und Amerikanern unterschiedliche Auffassungen über die Unterstützung Badoglios und der Monarchie und darüber hinaus generell über die Italien-Politik; aber die Amerikaner hatten bis dahin die britische Forderung akzeptiert, die Regierung Badoglio zu stützen und die Verfassungsfrage nicht aufzurollen bis zur Befreiung Roms, welch letztere man anfangs für bald bevorstehend hielt. Aber der militärische Vormarsch erwies sich als viel langsamer als man angenommen hatte, so daß die Befreiung Roms in immer weitere Ferne rückte; und gleichzeitig verschlechterte sich die politische Situation im befreiten Italien. In dieser Lage äußerte das State Departement mehrmals seine Bedenken wegen der Opportunität weiterer Unterstützung einer so diskreditierten Regierung. Doch Roosevelt teilte weiterhin die Überzeugung Churchills, daß rebus sie stantibus Badoglio wenigstens ein gewisses Maß an Stabilität in dem in den Krieg verwickelten Land zu garantieren schien und zugleich vollständig kontrollierbar war: der Marschall war persönlich durch seine Verwicklung in das faschistische Regime stark kompromittiert und besaß darum nicht die Autorität, um eigenständige und von den Anglo-Amerikanern unabhängige Positionen einzunehmen. Gerade die Schwäche der Regierung Badoglio war für die alliierten Regierungen ein positives Element: sie fürchteten, daß eine stärkere Regierung sich weigern würde, die Italien bei der Kapitulation auferlegten Strafbestimmungen zu unterschreiben. Churchill hat diese Position in ganz deutlicher Weise in einem Telegramm vom 13. Februar 1944 bekräftigt: »Diese Regierung ist gefügig, ganz in unseren Händen und wird unseren Befehlen sehr viel mehr gehorchen als jede andere, die wir einsetzen könnten. Außerdem hat sie größere Macht über die Flotte und die Armee als jede andere Regierung«. 20 Die Situation änderte sich dann aber infolge eines radikalen Positionswechsels der alliierten Militärbehörden in Italien, welche bis dahin die Regierung Badoglio unterstützt hatten. Da die antifaschistischen Kundgebungen immer zahlreicher wurden, regten sowohl der General Mason - Macfarlane, der damals die Alliierte Kontrollkommission leitete, wie der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte im Mittelmeerraum, General Wilson, die Ablösung Badoglios an; beide warnten vor dem andernfalls entstehenden Risiko, zur Aufrechterhaltung der Ordnung gegen die antifaschistischen Parteien Gewalt anwenden zu müssen. Daraufhin hat Roosevelt sich von der Notwendigkeit einer politischen Wende überzeugt; am 22. Februar 1944 ermächtigte er Wilson, die Oppositionsparteien von 20

Freeman Matthews Files, Box 2, memoranda 1943-45, RG 59, NA; zitiert bei E. Aga Rossi, La politica degli Stati Uniti verso il governo Badoglio in: A A . W . , 1944 Salerno capitale. Istituzione e società, Napoli 1986, S. 55.

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dieser Entscheidung zu informieren. Am selben Tag hielt jedoch Churchill eine Unterhausrede, in der er erneut aussprach, daß die Alliierten eine Ersetzung Badoglios und einen Rücktritt des Königs nicht wünschten. Wörtlich sagte der britische Premier: »Wenn man eine kochende Kaffeemaschine in der Hand hat, ist es besser, nicht deren Henkel zu zerbrechen, solange man nicht sicher ist, eine andere und ebenso nützliche zu haben, oder wenigstens so lange, bis man ein Putztuch zur Hand hat.« Außerdem versicherte Churchill, daß Badoglio die Streitkräfte voll unter Kontrolle hätte. 21 Aber dieses Urteil war zumindest zweifelhaft, denn die Desertionen und die willkürlichen Präsenzversäumnisse bei den italienischen Truppen nahmen gerade damals besorgniserregende Ausmaße an. Jedenfalls hat die britische Regierung nach dieser eindeutigen Stellungnahme zwei Wochen lang jede Entscheidung über das Schicksal der Regierung Badoglio blokkiert. Der Kontrast zwischen den beiden Alliierten war nunmehr evident: Roosevelt und Churchill tauschten Telegramme aus, ohne jedoch ihre jeweiligen, einander entschieden widersprechenden Positionen zu modifizieren.22

Die Initiative der Sowjetunion und die Anerkennung der Regierung Badoglio Diese Patt-Situation ermöglichte es der Sowjetunion, die Initiative wegen der italienischen Probleme zu ergreifen, von deren Lösung sie bis dahin ausgeschlossen gewesen war. Zwar hatten nämlich die ersten alliierten Italien-Pläne im Frühjahr 1943 die Errichtung einer politisch-militärischen Drei-Mächte-Kommission vorgesehen. Aber nach dem Beginn des Feldzuges in Italien war der UdSSR nur die Beteiligung an einer Institution mit geringen Kompetenzen zugestanden worden, der Beratenden Kommission für Italien (Advisory Council for Italy), zu der ebenfalls Frankreich und später auch Griechenland und Jugoslawien eingeladen worden waren. 23

21

22

23

Über die Entwicklung der alliierten Politik: Caserta Files, 800 I Italy, Memorandum on Italian Political Situation, 15. März 1944; der Text der Rede Churchills ist gedruckt in: Parliamentary Debates, House of Commons, 5th Series, Bd. 397, Spalte 690ff.; und in: W. Churchill, The Second World War, Bd. V, Closing the Ring, Boston 1951, S. 498f. Bei der Präsentation dieser Erklärung behauptete Churchill völlig unbegründet, daß der »Präsident in der Grundsatzfrage mit mir übereinstimmt [...]« Zur Analyse der Korrespondenz zwischen Roosevelt und Churchill aus dieser Zeit: L. Woodward, British Foreign Policy in the Second World War, London 1971, Bd. II, S. 526f. Es ist festzuhalten, daß diese Briefe und überhaupt die Dokumente, aus denen Gegensätze zwischen der amerikanischen und der britischen Regierung hervorgehen, weder in Churchills Memoiren noch in der Sammlung der Foreign Relations of the United States des Staatsdepartements veröffentlicht worden waren. Über diese erste Phase der alliierten Italienpläne: G. Warner, L'Italia e gli Alleati,

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Die Sowjetunion überraschte die beiden verbündeten Regierungen damit, daß sie am 14. März 1944 die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zur Regierung Badoglio ankündigte. Mit diesem Akt überwand Italien zum ersten Mal seine Konditionierung als besiegtes Land; und gleichzeitig wurde einer Regierung, welche die Militärbehörden und die Regierung der USA bereits als ablösungsreif betrachteten, neue Kraft verschafft. Sowohl die britische wie die amerikanische Regierung reagierten mit Empörung auf diese Einmischung in die inneritalienischen Angelegenheiten und zwangen die Sowjets, ihren Schritt noch zu überdenken. In den folgenden Wochen erwies sich jedoch, daß die sowjetische Initiative kein isolierter Schritt gewesen war. Denn am 19. März forderte die UdSSR offiziell, die Basis der Regierung Badoglio zu erweitern. Eine Woche später kehrte der Führer des PCI, Palmiro Togliatti, aus dem russischen Exil zurück und erklärte sofort die Bereitschaft seiner Partei zur Beteiligung an der Regierung. Dieser radikale Positionswechsel der kommunistischen Partei, bekannt geworden als die »Wende von Salerno«, hat die Einheitsfront gegen Badoglio zerbrochen. Ihr Ergebnis: innerhalb von zwei Wochen löste sich die antifaschistische Opposition gegen dessen Regierung auf, welche bis dahin die italienische Szene beherrscht hatte; und es wurde eine dritte Regierung Badoglio gebildet, an der sich die sechs Parteien des CLN beteiligten. In denselben Tagen gab der König endlich den alliierten Pressionen nach und verkündete seine Entscheidung, daß er sich sogleich nach der Befreiung Roms aus dem öffentlichen Leben zurückziehen und seinen Sohn Umberto zum Statthalter des Königreichs ernennen werde. Die Bildung der dritten Regierung Badoglio bedeutete darum eine Kompromißlösung, sowohl in den Beziehungen zwischen den drei alliierten Großmächten wie auf der Ebene der italienischen Innenpolitik. Auf der internationalen Ebene schien diese Lösung alle zufriedenzustellen. So schrieb Churchill unmittelbar nach der Neubildung der Regierung an Roosevelt: »Wir haben beide das erreicht, was wir wollten. Das einzige, was uns noch fehlt, ist der Sieg«.24 Tatsächlich hatten ja die Amerikaner die Regierungsbeteiligung der antifaschistischen Parteien erreicht, und die Briten den Verbleib Badoglios im Amt. Seine Zufriedenheit darüber sprach Churchill ebenso in einem Brief an den Vertreter seiner Regierung in Italien, Sir Noel Charles, aus. In seiner Antwort unterstrich Charles sowohl die Unterstützung der sowjetischen Regierung für Badoglio wie die entscheidende Rolle, die Togliatti gespielt hatte: Dieser hatte Badoglio nicht nur versichert, daß er »ihm bis zum Abschluß des Krieges loyal dienen werde«; nach Ansicht des britischen Diplomaten eröffnete er durch diese

24

1943-1949, in: Italia, 1943-1950. La ricostruzione, hrsg. von Stuart Woolf, Bari 1974, S. 49ff. Der Text des Telegramms vom 24. April ist veröffentlicht bei: W. Churchill, Closing the Ring, S. 514f.

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seine bedingungslose Mitarbeit zugleich die Möglichkeit, die Gesamtlage auch nach der Eroberung Roms unter Kontrolle zu halten. 25 Da die Anerkennung der Regierung Badoglio durch die Sowjetunion und die »Wende von Salerno« eng miteinander zusammenhängen, wird an dieser Stelle deutlich, daß die Alliierten bis zum Frühjahr 1944 noch keine konsequente Strategie gegenüber der sowjetischen Italienpolitik entwickelt hatten. Sie betrachteten nämlich einerseits den ersten sowjetischen Schritt als Einmischung in die italienischen Angelegenheiten, hatten aber andererseits gegen den zweiten weder Argwohn noch Vorbehalte. Für die UdSSR dagegen dienten die Anerkennung Badoglios und die Teilnahme des PCI an der Koalitionsregierung nur dem einen Ziel, zur italienischen Regierung ein Vorzugsverhältnis herzustellen und darüber Einfluß auf die Politik des Landes zu gewinnen. Im April 1944 schrieb ein Kommentator: »Die Ereignisse des vergangenen Monats erweisen in größter Klarheit zweierlei: die Fähigkeit der kommunistischen Partei zu ausschlaggebender Einflußnahme in dem von den Alliierten besetzten Italien sowie die entscheidende Rolle der UdSSR für die Politik der Partei«. 26 Zunächst jedenfalls überwog die Genugtuung über Badoglios Verbleib im Amt gegenüber den Konsequenzen, welche sich aus der Stärkung des PCI und der sowjetischen Präsenz in Italien ergaben. Aber es blieb nicht lange bei dieser Reaktion: Schon bald trat die Furcht vor übermäßigem sowjetischem Einfluß in Italien in den Vordergrund; sie wurde begleitet von Churchills Enttäuschung über die Entwicklung auf dem Balkan, welche ihn eine mögliche kommunistische Umgestaltung Jugoslawiens und Italiens fürchten ließ.27

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26

27

Die beiden Telegramme befinden sich in: Fo 371/43792(1), PRO, London. Ich bringe hier den Text des Telegramms von N. Charles, welches die damalige Haltung der britischen Regierung und die enge Zusammenarbeit seiner Vertreter in Italien mit Badoglio sehr klar zum Ausdruck bringt: »I think we can be satisfied with Badoglio's new government which I feel sure has the support of the Russians. The Americans have played up well and are quite happy with Sforza's being included in the Cabinet. Badoglio, who has had a gruelling time, has behaved splendidly and was aware that you did not wish Sforza to have one of the main posts. We will help Badoglio all we can. He has told Macfarlane that he could not have succeded in the task for forming the government without Togliatti's assistance and that the latter has promised to serve him loyally so long as the war lasts and not to raise the institutional question it looks as though with luck Badoglio and Togliatti may be able to keep ultimate control even after arrival in Rome«. So ein nicht unterzeichnetes, aber von der politischen Sektion der ACC vorbereitetes Memorandum über die politische Situation Italiens vom 14. April 1944 in: ACC/101/405, N A , Suitland. Dieses Dokument wurde von R. Murphy einem Brief an das Staatsdepartement vom 15. Mai 1944 beigefügt, veröffentlicht in: Foreign Relations of United States, 1944, III, S. 1112ff. Vgl. den Text des Briefes Churchills in: Closing the Ring, S. 708f. Die britischen Vertreter brachten zunehmende Besorgnis wegen des Anwachsens des PCI und wegen dessen Verbindung mit der UdSSR zum Ausdruck. Vgl. dazu ein Telegramm von Charles für das Foreign Office vom 10. Mai 1944. (FO 3 7 1 . . . ) .

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Auf der inneritalienischen Ebene wurde der Kompromißcharakter der damaligen Lösung noch deutlicher. Die Ende April in Salerno gebildete Regierung bedeutete insofern eine echte Wende, weil zum ersten Mal der politische Dualismus im befreiten Italien überwunden wurde; die antifaschistischen Parteien waren als legitime Vertreter der italienischen Gesellschaft anerkannt. Gleichzeitig diente aber ihre Regierungsbeteiligung zur Verschleierung der früheren Bindungen Badoglios an das faschistische Regime. Diese einfache Überlagerung verschiedener Realitäten zeigte sich schon in der Zusammensetzung der neuen Regierung: Den Ressortministern, die zumeist Fachleute waren und aus der früheren Regierung übernommen wurden, traten fünf Minister ohne Geschäftsbereich zur Seite, darunter Togliatti, Croce und Sforza, welche, wie Badoglio dem König bei der Vorstellung des neuen Kabinetts erklärte, 28 von den fünf im CLN repräsentierten Parteien designiert worden waren. In dieser Situation konnte auch die neue Regierung wenig bewirken; schon in ihrem Programm mußte sie zugeben, daß »die Reformen der staatlichen, politischen, administrativen und wirtschaftlichen Ordnung weder auszuführen noch in Gang zu bringen sind, solange der Krieg tobt und solange Italien in zwei Teile zerrissen ist«. Die Tätigkeit der Regierung beschränkte sich daher auf den Wiederaufbau der Verwaltung. Die präfaschistischen Bezeichnungen der Ministerien, denen der Faschismus einen neuen Namen gegeben hatte, wurden wiederhergestellt, für verschiedene öffentliche Einrichtungen Kommisare ernannt; außerdem wurde ein Hochkommissar für die Entfaschisierung berufen. Es bestand jedoch nicht die Möglichkeit, eine wirkliche Erneuerung der Führungskräfte einzuleiten. Denn man regierte weiterhin mit den vom Faschismus ererbten Beamten und Gesetzen; die Mehrzahl der leitenden Beamten, abgesehen von solchen, die sich zu offen kompromittiert hatten, blieb auf ihren Posten. Diese Regierung Badoglio blieb jedoch nicht lange im Amt, denn einen guten Monat nach ihrer Bildung, am 4. Juni 1944, wurde Rom befreit. Die Befreiung der Hauptstadt war aber der Termin, welcher für die Bildung einer neuen Regierung aus den antifaschistischen Parteien bestimmt war. Die Führer des Comitato Centrale di Liberazione, welche in der Zeit der deutschen Besetzung im römischen Untergrund gearbeitet hatten, benannten in aller Eile den Präsidenten des CLN, Ivanoe Bonomi, zum Regierungschef und stellten damit die Alliierten vor vollendete Tatsachen. Gleichzeitig akzeptierte der König, gemäß seinen zuvor den Alliierten gemachten Zusagen, einen »institutionellen Waffenstillstand«, indem er auf die Ausübung seiner eigenen Rechte vorläufig verzichtete und seinen Sohn Umberto zum Generalstatthalter des Königreichs ernannte.

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Von dieser Dichotomie handelt der sehr gute Aufsatz von S. Cassese, Salerno capitale: governo e amministrazione, in: 1944. Salerno capitale, S. 211ff.

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Die Regierung Bonomi Die neue Regierung bedeutete nun tatsächlich eine Abwendung vom vergangenen Regime, nicht nur wegen der Ausschließung Badoglios, sondern vor allem, weil sie ganz aus den politischen Kräften gebildet wurde, die sich dem Faschismus widersetzt und nun im CLN vereinigt hatten. Ihre erste amtliche Maßnahme war das Gesetzesdekret vom 25. Juni 1944, in dem sie sich verpflichtete, die Bürger über die »Verfassungsformen des Staates« entscheiden und zu diesem Zweck eine verfassunggebende Versammlung wählen zu lassen, sobald Italien insgesamt befreit sei. Bis dahin versprach die Regierung, »keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, welche in irgendeiner Weise die Lösung der Verfassungsfrage präjudizieren könnten«. 29 Im folgenden Monat erließ die Regierung ein Gesetz über die »Säuberung«, d. h. Entfaschisierung. Darin wurde ein Hochkommissariat für die Sanktionen gegen den Faschismus errichtet und Carlo Sforza unterstellt; es wurden die Grundsätze formuliert für die Bestrafung der faschistischen Verbrechen, für die Säuberung der staatlichen Verwaltung, für die Feststellung der Gewinne unter dem Regime und für die Abwicklung des Vermögens der faschistischen Organisationen. Für jeden dieser vier Bereiche wurde auf Vorschlag der Parteien ein Unterkommissar ernannt. Diese gesetzgeberische Aktivität führte jedoch nicht zu wirksamen Ergebnissen, die Einleitung der Säuberungsmaßnahmen stellte niemanden zufrieden: die Linken hielten sie für zu langsam und unzureichend, die Konservativen befürchteten dagegen von ihnen den Umsturz der bestehenden Ordnung. Besonders in der Ernennung des Kommunisten Scoccimarro zum Kommissar für die staatliche Verwaltung sah man ein Instrument des PCI zur Vorbereitung der Revolution. Zudem hat der antifaschistische Charakter der Regierung Bonomi deren Stellung gegenüber den Alliierten durchaus nicht verstärkt: im Gegenteil begegnete sie von Anfang an dem Widerstand Churchills, welcher gegenüber der unerwarteten Ausbootung Badoglios den Standpunkt vertrat, daß der CLN nicht zur Ernennung des Regierungschefs berechtigt, daß diese vielmehr vom Advisory Council for Italy zu bestätigen sei. Die Minister mußten sich dann schriftlich zur Annahme der Waffenstillstandsbedingungen verpflichten, welche weiterhin geheim blieben, weil die Alliierten befürchteten, daß sie wegen ihres Strafcharakters und ihrer Schikanen nicht nur in der italienischen Bevölkerung, sondern auch in der internationalen öffentlichen Meinung negative Reaktionen auslösen würden. Bei jener Gelegenheit hat der Chef der Alliierten Kontrollkommission, Ellery Stone, von Bonomi gefordert, »vor der Ergreifung jeder wichtigen Maßnahme« konsultiert

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Eine gründlichere Analyse der Regierung Bonomi enthält mein Aufsatz: La situazione politica ed economica dell'Italia nel 1944-45: i governi Bonomi, in: L'Italia nella sconfitta, S. 125ff.

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zu werden; 30 und Bonomi hat sich genauestens an diese Forderung gehalten. Die alliierte Kontrolle dauerte während der ganzen restlichen Kriegszeit an und hat die administrative und legislative Tätigkeit der Regierung behindert; freilich wurden im Lauf der folgenden Monate offiziell der Regierung größere Selbständigkeit zugestanden und die Kompetenzen der alliierten Kommission eingeschränkt. Auch in der Wirtschaftspolitik hing die Regierung völlig von den Alliierten ab. Der kriegsbedingte Zusammenbruch der Produktion und der Importe und die Zerstörungen, die von den Bombardements und von den abziehenden Deutschen angerichtet wurden, hatten die ohnehin prekäre wirtschaftliche Lage des Landes immer weiter verschlechtert, so daß Waren, welche für das Überleben der Bevölkerung unerläßlich waren, eingeführt werden mußten. Die Hilfen waren aber von den Alliierten auf das unbedingt Notwendige begrenzt worden, um »disease and unrest« zu vermeiden, wie die alliierten Kommandos es ausdrückten; sie erwiesen sich jedoch als unzureichend und begünstigten den schwarzen Markt sowie die Inflation. Im November 1944 haben die Differenzen zwischen den Parteien, besonders in der Frage der »Säuberung«, eine Regierungskrise ausgelöst. Die ohnehin schwierige Lage wurde dadurch kompliziert, daß die britische Regierung ihr Veto gegen die Kandidatur des Grafen Sforza für das Außenministerium aussprach, weil Churchill diesen für wenig zuverlässig hielt, sowie dadurch, daß der neue amerikanische Staatssekretär Stettinius die Gelegenheit benutzte, um erstmals die Unterschiedlichkeit der amerikanischen und der britischen Position in die Öffentlichkeit zu tragen. In einer von der New York Times am 6. Dezember veröffentlichten Erklärung vertrat Stettinius den Standpunkt, daß die Regierungskrise eine »inneritalienische Angelegenheit« sei, in die es keine Einmischungen von außen geben dürfe. Die Sozialistische Partei und die Aktionspartei verweigerten ihre Teilnahme an einer weiteren von Bonomi geführten Regierung; doch dieser konnte die Krise überwinden, weil der PCI sich entschloß, auch ohne die Mitwirkung der anderen Linksparteien in die Regierung einzutreten. Aber die zweite Regierung Bonomi wurde allgemein als provisorische Lösung betrachtet, weil man glaubte, daß die Befreiung Norditaliens unmittelbar bevorstehe. Die Aktionspartei und noch mehr die Sozialistische Partei setzten nämlich auf den »Nordwind«, d. h. auf den revolutionären Impuls, der von den Kräften der Partisanenbewegung im Moment der Befreiung ganz Italiens auf das Land ausgehen würde. So ergab sich ein weiteres Mal eine Situation des politischen Dualismus zwischen den Kräften der Linken, welche die Resistenza-Bewegung Norditaliens repräsentierten, und der Regierung in Rom, welcher Unbeweglichkeit und völlige Abhängigkeit von den Alliierten vorgeworfen wurde. Die Wiederherstellung der Einheit wurde der neuen Regierung anvertraut, welche nach der deutschen Kapi-

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ACC Files, 10000/136/116, RG 331, National Archives, Washington, in: H. Coles - A. K. Weinberg, Civil Affairs, S. 466, Nr. 8.

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tulation gebildet wurde; sie hat sich als langer und schwieriger Prozeß herausgestellt.

D e r Vatikan Im Gegensatz zur offenkundigen Schwäche der Regierung und auch wegen des Autoritätsschwunds der staatlichen Institutionen nahm das Prestige der Kirche zu, da sie sich als einzige Führungskraft in dem von Krieg zerrissenen Land durchsetzte. Auf allen Ebenen, vom Papst bis zum Landpfarrer, bot sie während der beiden Besatzungsjahre einen Anhaltspunkt und ständige Präsenz an. Pius XII. stellte über seine vom Radio übertragenen Weihnachtsbotschaften und durch seine Besuche in den von Bombenangriffen getroffenen Stadtteilen Roms einen direkten Kontakt zur Bevölkerung her. Im befreiten Italien boten die Bischöfe den Funktionären der Militärregierung ihre Mitarbeit an und ermahnten in den Kirchen zum Gehorsam gegenüber den alliierten Behörden und deren Anordnungen; im besetzten Italien unterstützte der Klerus die Resistenza-Bewegung, gelegentlich traten Geistliche persönlich den Partisanengruppen bei. Die Kirche stellte damals nicht nur eine geistliche, sondern auch eine politische Führungskraft dar. Der Vatikan war die einzige Institution, welche unter dem faschistischen Regime eine eigene Organisation, die kapillar über das ganze Land verbreitete »Katholische Aktion« (AC), am Leben erhalten hatte; nach Mussolinis Sturz ließ diese sich sogleich reaktivieren. Bereits im August 1943 wandte sich Luigi Gedda, der Präsident der männlichen Jugend in der AC, an Badoglio: Er bot der neuen Regierung die volle Mitarbeit seiner Organisation an und schlug vor, die leitenden Mitarbeiter der vom Faschismus geschaffenen neuen Einrichtungen durch Mitglieder der katholischen Verbände zu ersetzen. 31 Die Veröffentlichung dieses Briefes hat unter den italienischen Historikern eine noch nicht zur Ruhe gekommene Debatte über die damalige Rolle der katholischen Organisationen in Gang gebracht. Gewiß gäbe es keinen besseren Quellenbeleg, um die These eines katholischen Projekts für die Ablösung des faschistischen Regimes aufzustellen und um die Schnelligkeit aufzuweisen, mit der die Katholische Aktion das politische Vakuum ausnutzte, um die durch den Sturz des Regimes entstandenen Freiräume zu »besetzen«. Und dies sowohl im wörtlichen Sinne (Übernahme der faschistischen Parteihäuser und der Gebäude der faschistischen Organisationen für die Jugend, für Mutter und Kind usw.), wie im politischen Sinne, um einen schmerzlosen Übergang vom Faschismus zur nachfaschistischen Ordnung zu garantieren. Die bedeutende Rolle, welche der Vatikan in den Jahren 1943-1945 als Garant staatlicher Kontinuität wahrnehmen konnte, beruhte letztlich auf seinem Verhal31

T. Sala, Un'offerta di collaborazione dell'Azione cattolica al governo Badoglio (agosto 1943), in: Rivista di Storia contemporanea, I, 1972.

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ten während des faschistischen Regimes. Verstärkt wurde diese inneritalienische Rolle des Hl. Stuhls noch durch das Gewicht, welches die Alliierten, besonders die Amerikaner, ihm beimaßen: einmal und schon seit Kriegsbeginn als einem Zentrum internationaler Vermittlungen (es genügt, hierzu an die römischen Missionen Myron Taylors als persönlichen Vertreters Roosevelts zu erinnern) und dann insbesondere als stabilisierender Kraft in Italien. Die amerikanische Regierung war nämlich davon überzeugt, daß der Vatikan einen entscheidenden Einfluß auf die italienische Bevölkerung ausüben konnte, »mehr als selbst die Regierung«. Schon in den ersten Plänen für die Verwaltung des besetzten Landes wurde daher die Notwendigkeit unterstrichen, »der besonderen Position des Vatikans« Rechnung zu tragen und zu ihm besonders enge Beziehungen herzustellen.32

Der Aufstieg der Massenparteien In den Jahren 1943-1945 haben schließlich die Parteien eine bestimmende politische Stellung errungen. Allerdings haben erst die Wahlen des Jahres 1946 das Gewicht der drei Massenparteien DC, PCI und PSI erwiesen, welche seitdem die eigentlichen Führungskräfte im politischen Leben Italiens geworden sind; die Phase angeblicher Gleichberechtigung aller Parteien in den CLN war damit vorüber. Der Erfolg der drei großen Parteien war begründet in den besonderen Erfahrungen, welche sie in der Formierungsperiode der beiden letzten Kriegsjahre durchlaufen hatten: Jede von ihnen hatte damals ihr eigenes Programm für die Zukunft des Landes entworfen und als Vertreterin der Interessen bestimmter Bevölkerungsschichten auftreten können, jede von ihnen hatte direkte und indirekte Beziehungen zum Vatikan, zu den westlichen Alliierten oder zur Sowjetunion herstellen sowie das je eigene oppositionelle Verhalten unter dem faschistischen Regime in eine Organisation zur Gewinnung von Wahlkämpfen umgestalten können. Von der Fähigkeit des PCI, sich einerseits als Regierungspartei durchzusetzen und andererseits die Resistenza-Bewegung zu führen, war schon mehrmals die Rede. Die Kommunistische Partei verstand eine Massenbasis zu finden, indem sie sich einerseits die innovativen Wünsche eines Teils der italienischen Bevölkerung zu eigen machte und zugleich als Partei auftrat, welche sowohl die bestehende Ordnung mitgarantierte wie die Forderungen der Arbeiter vertrat, letzteres mittels der überragenden Stellung, welche die wiedererstandene, als Einheitsgewerkschaft auftretende Confederazione Generale del Lavoro (CGL) 32

Über die Politik der Vereinigten Staaten gegenüber dem Vatikan vgl. E. Aga Rossi, La politica estera americana e l'Italia nella seconda guerra mondiale, in: L'Italia nella sconfitta; E. Di Nolfo, Vaticano e Stati Uniti, 1939-1952. Dalle Carte di Myron Taylor, Milano 1978. Bei der Besetzung der Halbinsel fanden die alliierten Offiziere und Beamten volle Unterstützung seitens des Klerus, an den sie sich vor allem zu Beginn oft wandten, um Ratschläge für die Besetzung öffentlicher Ämter zu erhalten. Vgl. auch in diesem Band den Beitrag von Reusch.

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gewann. Andererseits erzielte die Democrazia Cristiana einen unerwarteten Erfolg, welcher teils auf dem Erbe des Partito Popolare, teils auf der Verwurzelung der Kirche in der italienischen Gesellschaft beruhte. Die Aktivitäten, welche katholische Organisationen auf verschiedenen Gebieten, von der Presse bis zur Erziehung und zum Sport, zugunsten eines »Wiederaufbaus der Gesellschaft auf christlichen Grundlagen« entfalteten, haben entscheidend zum Erfolg der DC bei den ersten Wahlen im Jahre 1946 beigetragen. Dabei hat sich der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Katholischen Aktion und dem Erfolg der christlichdemokratischen Partei nicht unmittelbar und direkt ergeben. Die DC erhielt nämlich nicht sofort die volle Unterstützung des Vatikans, welcher zunächst eher an eine autoritäre Regierungsform nach dem Vorbild Salazars dachte und ein gewisses Mißtrauen gegenüber jenen Politikern bekundete, welche in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg den Partito Popolare gestaltet hatten, so De Gasperi und vor allem Don Sturzo. 33 Infolge der aktiven Rolle des Vatikans seit 1943 wurde die Kirche nicht in die Verurteilung des Faschismus hineingezogen, obwohl sie mit ihm zusammengearbeitet hatte. Im Gegenteil vermochte sie dank der vatikanischen Politik jener Jahre ein Wiederaufleben des Antiklerikalismus zu verhindern und erreichte schließlich die Aufnahme der Lateranverträge, welche die auf Mussolini zurückgehende privilegierte Rechtsstellung der katholischen Kirche symbolisierten, in die Verfassung des neuen republikanischen Staates. Die italienische Geschichtsschreibung hat den konservativen Kräften wenig Gewicht beigemessen oder von der DC das vereinfachende Bild der reaktionären Rechtspartei gezeichnet. Die Wirklichkeit war viel komplexer: Bei den Wahlen im Jahre 1946 verschwanden mehr oder minder die liberalen Gruppen, welche im vorfaschistischen Italien die bestimmenden Kräfte gewesen waren; aber die Monarchie erhielt beim Plebiszit über die Verfassung ca. 10 Millionen Stimmen und bewies damit, daß sie trotz ihrer Zusammenarbeit mit dem Faschismus und ihrer Verantwortlichkeit für die Katastrophe des 8. Septembers 1943 noch über beträchtlichen Konsens verfügte. - Es fehlt schießlich noch eine Gesamtwürdigung der Leistungen der politischen Parteien, der Regierung und des Staatsapparats in der entscheidenden Phase von 1945 bis 1947. Diese Phase endete mit der Verabschiedung der republikanischen Verfassung, welche den eigentlichen Wendepunkt für die italienische Innenpolitik der Nachkriegszeit bedeutete. Inzwischen beschreitet die italienische Geschichtsschreibung endlich neue Wege bei der Erforschung der politischen Entwicklungen des Landes zwischen dem Sturz des Faschismus und der Einsetzung einer frei gewählten republikanischen Regierung. Als unzureichend hat sich dabei die lange so weit verbreitete Interpretation erwiesen, welche von der »verratenen Resistenza« gesprochen hatte: vom 33

Vgl. hierzu das inzwischen als klassisch geltende Buch von P. Scoppola, La proposta politica di De Gasperi, Bologna 2 1978.

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revolutionären Sturm, welcher durch konservative Gegenwehr abgeblockt worden sei. Diese Interpretation hatte für die Jahre 1943-1946 eben nur die von der Resistenza eröffneten und dann nicht realisierten Möglichkeiten oder die damals unbeachtet gebliebenen Hoffnungen wahrgenommen. Ausgangspunkt einer breiteren Analyse müßte aber die Erörterung der doppelten Erbschaft sein, welche in der italienischen Realität der direkten Nachkriegszeit koexistierte: einerseits die der antifaschistischen Kräfte, sowohl derer, die schon vor 1922 bestanden, wie derer, die unter dem Regime oder im Befreiungskampf entstanden waren; andererseits die des Faschismus, d.h. seiner Institutionen und bürokratischen Apparate, seiner politischen Orientierungen und Mentalitäten, welche in der italienischen Gesellschaft weiterbestanden, obwohl sie sich in der ersten Phase der Nachkriegszeit noch nicht wieder um eine Partei sammeln konnten. Um die in unserer Zeitgeschichtsschreibung immer noch anzutreffenden ideologischen Vereinfachungen definitiv zu überwinden, sollte man an den damaligen Umschwung in Italien mit einer komparatistischen Betrachtung herangehen, welche einen notwendigen theoretischen Bezugsrahmen herstellen könnte. In den letzten Jahren haben Politikwissenschaftler verschiedene Studien über den Prozeß des Übergangs von autoritären zu mehr oder weniger demokratischen Systemen in Lateinamerika, Spanien und Portugal veröffentlicht. Die jüngsten Ereignisse in Osteuropa haben das Interesse daran zusätzlich neubelebt und die Forscher veranlaßt, ihre Erklärungsmodelle auf die Übergänge von kommunistischen zu demokratischen Systemen anzuwenden oder umzustellen.34 Aber es gibt bisher nur sehr wenige vergleichende historische Studien über die politische Evolution der besetzten und besiegten Länder in den Schlußphasen des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach. Solche Studien können gemeinsame Aspekte wie auch nationale Besonderheiten ausmachen; 35 sie wären sehr nützlich für die Rekonstruktion des politischen Prozesses vom Krieg zum Wiederaufbau in Ländern, welche wie Italien, Deutschland und Japan damals vergleichbare Entwicklungen erlebt haben.

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G.O'Donell / P. Schmitter, Transitions from Autoritarian Rule, Baltimore 1986; J. Santamaría, Transiciones a la democracia en el Sur Europa y America Latina, Madrid 1982; G. Di Palma, To Craft Democracies, Reflections on Democratic Transitions and beyond, Berkeley, University of California Press, Berkeley 1991. Vgl. die Abschnitte über Italien von G. Di Palma in: J. Herz (Hrsg.), From Dictatorship to Democracy, Westport, Conn. 1982; und von L. Morlino und S. Colarizi in: S. Larsen (Hrsg.), Europe After Fascism, Oslo 1991. S. auch The Role of the United States in the Reconstruction of Italy and West Germany, 1943-1949, hrsg. von E. Krippendorff, Berlin 1981.

Ulrich

Reusch

Motive, Ziele und Grenzen vatikanischer Friedenspolitik im Zweiten Weltkrieg* *

Das internationale Ansehen des Papsttums erreichte in der Folge und nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen Höhepunkt. 1 Im Urteil der Zeitgenossen hing der weltweite Prestigezuwachs des Heiligen Stuhls untrennbar und ursächlich mit Politik und Person Pius' XII. zusammen. Der diplomatisch geschulte und staatsmännisch auftretende Pontifex personifizierte eine Kirche, deren moralische Autorität dem Totalitarismus getrotzt und die Vorstellung des alten Europas wachgehalten hatte; eine Kirche, welche zudem direkt oder indirekt sehr vielen bedrängten oder verfolgten Menschen zu Hilfe gekommen war. Indes geriet dieses Geschichtsbild in den 60er Jahren ins Wanken, nachdem Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter der katholischen Kirche und der römischen Kurie, vor allem aber dem Papst persönlich, eine Schuld durch »Schweigen« angelastet hatte. 2 Seither durchzieht das Verdikt historischen Versagens die Zeitgeschichtsschreibung über den Vatikan im Zweiten Weltkrieg. 3 Der erste Beitrag zur Versachlichung der im Gefolge der Hochhuth-Debatte ausgelösten zeitgeschichtlichen Kontroverse ging von der Kurie selbst aus. 4 Unter dem Pontifikat Pauls VI., der als Substitut und als Unterstaatssekretär Giovanni Battista Montini

* Diese Darstellung beruht auf Forschungen über den Vatikan im Zweiten Weltkrieg, die in den Jahren 1984 bis 1989 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft durchgeführt wurden und deren monographische Darstellung beabsichtigt ist. Anmerkungen und Nachweise konnten daher auf das Nötigste beschränkt werden. 1 Vgl. zusammenfassend Konrad Repgen, Papsttum und Völkerversöhnung. Pius XII. und die Deutschen in Kriegs- und Nachkriegszeit, in: Kehrt um und Glaubt - Erneuert die Welt. 87. Deutscher Katholikentag 1982 in Düsseldorf. Die Vortragsreihen, Paderborn 1982, S. 228-247, hier S. 229. 2 Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt-Taschenbuch Nr. 997) 1967 = 1984; 1963 in Berlin uraufgeführt. Zur Kontroverse und Rezeptionsgeschichte vgl. Karl-Heinz Wiest, Der Stellvertreter - Ein Stück und seine Wirkung, in: Kirche im Nationalsozialismus, hrsg. vom Geschichtsverein der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Sigmaringen 1984, S. 203 -247. 3 Ulrich Reusch, Approaches to Authenticity. Holy See, Holocaust, and Hochhuth's >historical< drama Der Stellvertreter, in: Hochhuth's The Representative at the Glasgow Citizens', 1986, hrsg. von Claude Schumacher und Derek Fogg, unter Mitarbeit von Joyce Allan, Glasgow 1988, S. 15-33; Francesco Malgeri, La Chiesa di Pio XII fra guerra e dopoguerra, in: Pio XII, hrsg. von Andrea Riccardi (Storia e Società), Rom - Bari 1984, S. 93-121. 4 Robert A. Graham, Alle origini degli »Actes et documents du Saint-Siège«, in: Pio XII (wie Anm. 3), S. 265-273.

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zu den Hauptakteuren päpstlicher Diplomatie im Zweiten Weltkrieg gezählt hatte, 5 begann das Staatssekretariat 1965 mit der Herausgabe einer schließlich elf Bände umfassenden Edition vatikanischer Akten im Zweiten Weltkrieg, die 1981 abgeschlossen wurde. 6 Die Forschung hat von dieser ebenso umfangreichen wie wichtigen Quelle jedoch nur wenig Gebrauch gemacht. Die internationale Zeitgeschichtsschreibung über das Pontifikat Pius'XII. verharrt bis heute in Klischees von Anklage und Apologie. Die folgenden Überlegungen sind Teil einer größeren Untersuchung über die Stellung des Vatikans in der internationalen Politik des Zweiten Weltkrieges.7 Die Untersuchung basiert auf der systematischen Auswertung der amtlichen Akten der kriegführenden Mächte, die zum Teil erstmalig für das Thema herangezogen wurden. Im Verlauf der Quellenstudien erwies sich die vatikanische Aktenedition, wo immer Bezüge mit den anderen amtlichen Überlieferungen eine Überprüfung zuließen, nicht bloß als zuverlässig, sondern darüber hinaus als besonders ergiebig. Auf vatikanischer Seite gibt es demnach kein Quellendefizit, obwohl die vatikanischen Archive selbst noch unzugänglich sind. Aufgrund dieser praktisch offenbar weniger wichtigen, dafür methodisch-grundsätzlich aber gravierenden Einschränkung kann die Untersuchung nicht aus der Sicht des Vatikans erfolgen. Vielmehr geht es darum, im Spiegel der anderen Überlieferungen authentische Aufschlüsse über die Vatikan-Perzeption der Mächte und über deren Wandlungen im Laufe des Krieges zu erhalten. Mithin wird nicht über die Motive päpstlicher Politik spekuliert, sondern ihren tatsächlichen Möglichkeiten und Grenzen nachgespürt. Aus dieser Themenstellung ergibt sich bereits die hauptsächliche Perspektive der Darstellung: Wie haben die Mächte, einzeln oder in den jeweiligen Bündnissen, den Vatikan als einen tatsächlichen oder potentiellen Faktor der internationalen Politik eingeschätzt? Immer wieder pflegten Zeitgenossen durchaus ähnliche Vorstellungen über Macht und Mythos vatikanischer Diplomatie. Tatsächlich aber war der Heilige Stuhl in einem Maße in der internationalen Politik eingebunden oder gefangen, das nur geringen Handlungsspielraum eröffnete. Der Papst konnte den Kriegsausbruch ebensowenig verhindern wie seine Ausweitung zum Weltkrieg. Frieden zu vermitteln blieb ihm ebenso versagt wie Einflußnahme auf

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Ders., G. B. Montini Substitute Secretary of State (in tandem with Domenico Tardini), in: Paul VI et la modernité dans l'église (Collection de l'Ecole Française de Rome, Bd. 72), Rom 1984, S. 67-82. - Mario Bendiscioli, in: Dizionario storico del movimento cattolico in Italia II (1982), S. 448-453. Secrétairerie d'Etat de Sa Sainteté, Actes et Documents du Saint Siège relatifs à la Seconde Guerre Mondiale, bearb. von Pierre Blet, Angelo Martini, Robert A. Graham (ab Bd. 3), Burkhart Schneider, 11 Bde., Città del Vaticano 1965-1981 (im folgenden zitiert als ADSS). Vgl. Ulrich Reusch, Der Heilige Stuhl in der internationalen Politik des Zweiten Weltkrieges, in: Bericht über die 36. Versammlung deutscher Historiker in Trier, 8. bis 12. Oktober 1986, Stuttgart 1988, S. 112f.

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die Nachkriegsordnung der Alliierten von 1945. Dabei hat es nicht an Situationen gefehlt, in denen der Vatikan in das Zentrum des diplomatischen Betriebes rückte, so z. B. vor der deutschen Offensive im Westen 1940, vor dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1941, an der Wende des Krieges 1943 sowie im Vorfeld des italienischen Frontenwechsels. Obwohl praktisch unwirksam oder gezwungenermaßen untätig, galt der Vatikan während des ganzen Krieges bei den Mächten als ein potentieller Akteur und wurde entsprechend als Faktor in das politische Kalkül aller Seiten einbezogen. 8 Mal massiv umworben, mal insgeheim gefürchtet, aber kaum einmal offen herausgefordert, wuchs der Vatikan in die Rolle einer internationalen Instanz hinein, der globale Geltung zugebilligt wurde. Die Wahrung strikter Neutralität oder - wie der Vatikan betonte -Unparteilichkeit9 war gleichermaßen Voraussetzung wie Preis für eine Politik, die dem Heiligen Stuhl weltweite Geltung sicherte, indem sie jeder auch nur denkbaren Kompromittierung durch einen der kriegführenden Staaten auswich.10 Erst in der Rückschau der 60er Jahre wurde der vordergründige Widerspruch zwischen Wahrung politischer Neutralität und Anspruch auf moralische Führung als innerer Zwiespalt einer Institution umgedeutet, die stets den Weg des geringsten Widerstandes gegangen sei. Eine solche Betrachtungsweise läßt sich mit geschichtlichen Tatsachen jedoch nicht belegen, im Gegenteil. Moralische Autorität und weltweites Ansehen des Papsttums beruhten letztlich auf der Einhaltung strikter Neutralität. 11 Die zahlreichen päpstlichen Verlautbarungen während des Krieges summierten sich zu einer Friedensethik, die allen Parteien unbequem war. Mit seinem rigorosen Friedensgebot war der Papst, der jedem möglichen Mißbrauch seines Amtes durch die Kriegspropaganda auszuweichen suchte, nicht nur für die Aggressoren Hitler und Mussolini, sondern auch für die siegreichen Alliierten Churchill, Roosevelt und Stalin stets problematisch. Eine Friedensordnung von nationaler Selbstbestimmung und internationalem Gleichgewicht, wie sie dem Papst als gerecht vorschwebte, war mit Eroberungskriegen und Hegemonialbestrebungen unvereinbar. Pius XII. hat die Selbstzerstörung des alten Europas als Folge des Weltkrieges ebenso vorhergesehen wie die Teilung der Welt in Ost und West als Ergebnis des »Kalten Krieges«. Die Kirche aus dem Chaos der Zeit zu retten war für ihn die größte Herausforderung seines 8

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Vgl. für Amerika Ennio Di Nolfo (Hrsg.), Vaticano e Stati Uniti 1939-1952. Dalle Carte di Myron C. Taylor, Milano 1978; für Großbritannien Owen Chadwick, Britain and the Vatican during the Second World War, Cambridge 1986. Papst Pius XII. an den Erzbischof von München, Michael Kardinal von Faulhaber, 31. Januar 1943: ADSS 2, Nr. 96, S. 293. Papst Pius XII. an den Bischof von Berlin, Konrad Graf von Preysing, 30. April 1943: ebda., Nr. 105, S. 324. Vgl. »Annual Report for the Year 1945« des britischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Sir D'Arcy Osborne, an Außenminister Ernest Bevin, 22. Februar 1946: Public Record Office (PRO), London, FO (Foreign Office) 371/60803, ZM 868/868/57.

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Amtes. Im Urteil der meisten Zeitgenossen hat Pius XII. diese Aufgabe hervorragend bestanden. 1 2 Die Bewertung der Rolle des Heiligen Stuhls im Zweiten Weltkrieg setzt die adäquate Würdigung seiner Möglichkeiten und Handlungsspielräume inmitten des Ringens der Ideologien und Nationen voraus. Dabei können nicht Handlungsmöglichkeiten, wie die politischen Mächte sie hatten, Maßstab sein. 13 Auch ist bei einer politischen Interpretation zu bedenken, daß der Heilige Stuhl sich in erster Linie als religiöse und caritative Einrichtung verstand. Mithin wurden Krieg und Frieden aus der Sicht des Vatikans anders gesehen als von der Warte der Mächte. Das traf insbesondere auf die im Januar 1943 von den Alliierten an die Achse gerichtete Forderung nach »bedingungsloser Kapitulation« zu. Ein solches Ansinnen und die entsprechenden Folgerungen waren nach Sozialethik und Völkerrechtsverständnis der Kurie illegitim und daher zu verurteilen. Hierin liegt die tiefere Ursache für die ab 1943, also seit der Kriegswende, zu beobachtende Verstimmung zwischen dem Vatikan und den Westmächten, deren Folgen die praktischen Möglichkeiten der päpstlichen Diplomatie immer weiter reduziert haben. 1 4 Aus der Rückschau läßt sich sagen, daß der Stellenwert des Heiligen Stuhls mit der Dauer des Krieges immer geringer wurde. Vor allem nachdem die Niederlage der Achsenmächte sich abzeichnete, verlor der Vatikan zusehends an Gewicht im politischen Kalkül der Alliierten, und zwar auch der Amerikaner. Demgegenüber hatte die deutsche Regierung dem Hl. Stuhl nie besondere Bedeutung beigemessen, zumal der Vatikan prinzipiell und konsequent eine propagandistische oder gar diplomatische Teilnahme an dem vermeintlichen Kreuzzug der Nationalsozialisten gegen den Bolschewismus verweigerte. 15 Bezüglich Italiens ist als ein erstes, vorläufiges Ergebnis festzuhalten, daß es so etwas wie ein positives »Sonderverhältnis« von Vatikan und faschistischem Italien

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Vgl. ebda, sowie Wladimir d'Ormesson (französischer Botschafter beim Heiligen Stuhl bis Oktober 1940), De Saint-Pétersbourg à Rome, Paris 1969; ein ähnliches Bild ergibt sich auch aus den amerikanischen Quellen bei Di Nolfo (wie Anm. 8). Darauf weist Graham (wie Anm. 4), S. 272, hin. Ulrich Reusch, Der Vatikan und die deutsche Kapitulation, in: Winfried Becker (Hrsg.), Die Kapitulation von 1945 und der Neubeginn in Deutschland. Symposion an der Universität Passau 30.-31. 10. 1985 (Passauer Historische Forschungen, 5), Köln 1987, S. 211-244. Auf die sich daraus ergebenden Auffassungsunterschiede zu Di Nolfo (Anm. 8 und 16) kann hier nicht weiter eingegangen werden. Der Papst hat den deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 weder begrüßt noch gerechtfertigt. Vielmehr vollzog er eine Neuinterpretation der Enzyklika Divini Redemptoris mit dem Ziele, amerikanischen Katholiken die Unterstützung des russischen Volkes (im Unterschied zum Kommunismus) im Kampf gegen Nazi-Deutschland zu ermöglichen. Vgl. Burkhart Schneider, Pius XII. Friede, das Werk der Gerechtigkeit, Göttingen 1968, S. 58-65; Konrad Repgen, Die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege, in: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 7, hrsg. von Hubert Jedin und Konrad Repgen, Freiburg - Basel - Wien 1979 (1985), S. 3 6 - 9 6 , hier S. 82, 87-89; J. Derek Holmes, The Papacy in the Modern World, London 1981, S. 138.

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entgegen weitverbreiteter Meinung Politik betraf, so registrierten die (Mussolini, Ciano) zwar sehr genau doch in der päpstlichen Diplomatie Rolle.

nicht gegeben hat. 16 Was die internationale Spitzenpolitiker des faschistischen Regimes sämtliche Bewegungen des Heiligen Stuhls, 17 spielte Italien keineswegs die entscheidende

Eine wichtige Ausnahme stellte allerdings das vom Vatikan aufmerksam beobachtete deutsch-italienische Verhältnis dar. 18 Mehr als einmal drohte die Kirchenpolitik des Dritten Reiches und dessen Haltung gegenüber dem Vatikan das Verhältnis der Verbündeten zu belasten. Denn die faschistische Regierung wurde von der ständigen Sorge geplagt, ebensolchen vatikanischen Verdikten zu verfallen wie das nationalsozialistische Deutschland. 19 Offenbar diente der amtliche diplomatische Verkehr des Vatikans mit dem italienischen Außenministerium vor allem dazu, dieses für die Kurie alles andere als unwillkommene Spannungsverhältnis aufrechtzuerhalten. Ein wirklich vertrauensvoller Meinungs- und Informationsaustausch über die internationale Lage fand mit dem Italien Mussolinis - anders als zwischen dem Heiligen Stuhl und den Westmächten 20 - nicht statt. Immerhin waren die Beziehungen zwischen dem Vati16

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Gegen die Thesen von Bernd Martin, Friedensinitiativen und Machtpolitik im Zweiten Weltkrieg 1939-1942, Düsseldorf 1974, der dem Vatikan eine Affinität zum Faschismus und im übrigen ein »national-italienisches Denken« unterstellt, vgl. schon Dieter Albrecht, Zur Friedenspolitik des Vatikans 1939-1941. Eine Auseinandersetzung mit Bernd Martin, in: Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag, hrsg. von Dieter Albrecht, Hans Günter Hockerts, Paul Mikat und Rudolf Morsey, Berlin 1983, S. 447-464. Ennio Di Nolfo, Von der Konfrontation zur Partnerschaft. Italien und der Vatikan 1943-1948, in: Italien und die Großmächte 1943-1949, hrsg. von Hans Woller (Schriftenreihe des Institut für Zeitgeschichte, Bd. 57), München 1988, S. 179-206, charakterisiert die Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber dem (faschistischen) Italien zutreffend als »Politik der relativen >Gleichgültigkeit< des Vatikans« (S. 180). Vgl. zur Italien-Politik des Vatikans seit 1943 in diesem Band auch den Beitrag von Aga Rossi, bes. S. 70f. Vgl. zahlreiche Vorgänge im Bestand des Ministero degli affari esteri/Archivio Storico (MAE/AS), serie »Affari Politici« (AP), Santa Sede, Büste N. 42-68. Die Annäherung Italiens an den Verbündeten, nicht zuletzt in der Rassenpolitik, war eine Dauerbelastung der vatikanisch-italienischen Beziehungen: Meir Michaelis, Christians and Jews in Fascist Italy, in: Judaism and Christianity under the Impact of National Socialism, hrsg. von Otto Dov Kulka und Paul R. Mendes-Flohr, Jerusalem 1987, S. 271-281. Vgl. auch Rudolf Lill, NS-Ideologie und katholische Kirche, in: Klaus Gotto und Konrad Repgen (Hrsg.), Die Katholiken und das Dritte Reich, 3. Aufl., Mainz 1990, S. 135-150, hier S. 140. Zum Gesamtproblem: Renzo De Feiice, Storia degli ebrei italiani sotto il fascismo, Torino 31972, Kap. VI-VIII. Vgl. MAE/AS, AP: Santa Sede, Büste N. 43 und 48. Vgl. Anm. 8. Di Nolfos (wie Anm. 16, S. 183) These von den »vatikanisch-amerikanischen Sonderbeziehungen«, für die zunächst der intensive und auch vertrauensvolle Verkehr der beiden Seiten spricht, bedarf einer wichtigen Einschränkung. Zumal seit der Kriegswende 1943 gab es eben den fundamentalen Dissens zwischen dem Heiligen Stuhl und den Amerikanern (allerdings mehr noch: den Briten) in den Fragen der Kriegsbeendigung und der dauerhaften Friedenssicherung; dabei war die vatikanische Ablehnung

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kan und Italien »normaler« als das deutsch-vatikanische Verhältnis, dem Regelmäßigkeit und jede Wechselseitigkeit fehlte. 21 Wie die deutschen amtlichen Überlieferungen, so sind auch die Akten des Ministero degli affari esteri vergleichsweise unergiebig, was die tatsächlichen Ansichten und Absichten des Vatikans anlangt. Das gilt besonders für die Zeit ab dem Sommer 1943. Denn mit seiner Kapitulation schied Italien als Subjekt aus der internationalen Politik praktisch aus.22 Das galt gleichermaßen für das königliche wie für das faschistisch-republikanische Italien. Nach der Kriegswende 1943 wurde die vatikanische Position in der internationalen Politik eben zunehmend schwieriger, der Aktionsrahmen des Heiligen Stuhls immer enger, und dies nicht nur aufgrund der deutschen Besetzung Roms. Die Haltung der Westmächte hatte sich mittlerweile derartig versteift, 23 daß die ständigen Bemühungen des Vatikans um Mäßigung und um gerechte Friedensbedingungen nicht nur ins Leere liefen, sondern mehr als einmal als pro-deutsch oder pro-faschistisch verdächtigt wurden. So erschien der Vatikan den Westmächten in den Jahren 1943 bis 1945 weniger als ein Verbündeter auf dem Weg zum Frieden denn vielmehr als ein potentieller Störfaktor bei der Verwirklichung der ihnen vorschwebenden Nachkriegsordnung. Das vatikanische Denken blieb ganz in traditionellen Vorstellungen eines europäischen Mächtegleichgewichts verhaftet. 24 Darin sollte Deutschland, das hieß, das Deutsche Reich, nicht Nazi-Deutschland, nach wie vor seinen wichtigen Platz zwischen West und Ost einnehmen. Aber genau der wurde ihm von den Alliierten bestritten. Aufgrund dieses Fundamentaldissenses standen sich die Friedens- und Nachkriegskonzepte des Vatikans und der Alliierten unversöhnlich gegenüber. Erst unter dem Eindruck des totalen deutschen Kriegseinsatzes und der Erkenntnis, daß die Deutschen sich nicht aus eigener Kraft vom Nationalsozialismus befreien konnten, erfolgte gegen Ende des Jahres 1944 eine Wiederannäherung der vatikanischen und alliierten Standpunkte. 25 Nun erkannte auch der Vati-

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der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands (und auch Italiens) der Streitpunkt: Reusch (wie Anm. 14), hier S. 216. So schon Graham (wie Anm. 4), S. 271. Vgl. dazu in diesem Bande Aga Rossi, S. 59, 63. Ein bemerkenswertes Stimmungsdetail enthält ein Vermerk für den Kabinettschef des italienischen Außenministers vom 19. August 1943; danach hatte der Substitut im Staatssekretariat, Montini, die geänderte Haltung der britischen Regierung gegenüber dem Heiligen Stuhl »in der letzten Zeit« als geradezu »flegelhaft« (»villano«) bezeichnet (in einem privaten Gespräch mit dritter Seite): MAE/AS, AP: Santa Sede, Busta N. 65/2. Ulrich Reusch, Le Saint-Siège, la France et l'idée de l'équilibre européen 1939-1945, in: Francia 19/111 (1992), S. 1-18. Dieser gewissermaßen »eurozentrischen« Perspektive ist die Sichtweise Di Nolfos (wie Anm. 16, hier S. 181-185) gegenüberzustellen, der vor allem Italien und die USA in den Blick nimmt und die »Neuorientierung der Außenpolitik« des Vatikans entsprechend anders datiert (nämlich früher) und jedenfalls zum Teil auch anders erklärt. Ohne darauf hier weiter eingehen zu können, bleibt jedoch festzuhalten, daß die »special relationship«

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kan, daß das besiegte Deutschland das vergleichsweise milde Schicksal Italiens nicht werde teilen können. Angesichts der sowjetischen Bedrohung setzte der Heilige Stuhl nun entschieden auf die »amerikanische Karte«, und mit Blick auf die Nachkriegsordnung Europas trug er französischen Sicherheitswünschen verstärkt Rechnung. 1943 war das Entscheidungsjahr des Zweiten Weltkrieges. Mit dem Fall Stalingrads, spätestens aber mit dem Abfall Italiens von der Achse wurde nicht wenigen Zeitgenossen die sich abzeichnende Kriegswende bewußt. In dieser Zeitspanne (Anfang Februar bis Anfang September 1943) rückte der Vatikan wieder in das Blickfeld des diplomatischen Interesses, 26 nachdem es um den Heiligen Stuhl im Vorjahr, abgesehen von Myron Taylors Mission im September 1942, vergleichsweise ruhig geworden war. Die damaligen diskreten Gepflogenheiten vatikanischer Diplomatie haben sich in den Akten entsprechend niedergeschlagen; die Quellenlage über Aktivitäten in dieser kritischen Phase durch oder um den Heiligen Stuhl ist ausgesprochen dürftig. Es gibt jedoch zahlreiche Indizien und Indikatoren für eine verstärkte Aktivität im vatikanischen Umfeld, die zu einer hypothetischen Kette verknüpft werden können. Dabei ging es meistens um den Fortbestand der Achse oder genauer: um das Schicksal Italiens, aber auch um andere katholische Achsenmächte wie Ungarn und um die Haltung der neutralen romanischen Mächte Portugal und vor allem Spanien, dem die vorausgegangenen vatikanischen Missionen des US-Sonderbotschafters Taylor mindestens ebenso gegolten hatten wie der Politik des Heiligen Stuhls.27 Mit der Achse allgemein und insbesondere mit Italien war ein Grundsatz vatikanischer Diplomatie und Friedenspolitik berührt oder herausgefordert, nämlich die Nichteinmischung in bestehende Bündnisse. In verschiedenen kritischen Situationen hat sich der Heilige Stuhl an dieses wohlbegründete Prinzip gehalten. Aber manches spricht dafür, daß er davon im Falle Italiens, wenn auch äußerst vorsichtig, abgewichen ist.28 Betrachten wir zunächst die Folge vermeintlicher oder wirklicher Aktivitäten im vatikanischen Umfeld, die hier nur stichwortartig angedeutet seien: der Wechsel von Ciano und von Weizsäcker - Spitzen und Köpfe der faschistischen bzw. nationalsozialistischen Außenpolitik - an die jeweiligen Vatikanbotschaften, der im ersten Fall im Februar erfolgte, in dem zweiten Ende März beschlossen, aber

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zwischen dem Vatikan und Washington, von der Di Nolfo (S. 183) zurecht spricht, trotz aller gegebenen Verbundenheit bei den politischen Werten nicht kontinuierlich sich entwickelte, sondern den Höhen und Tiefen des Kriegsverlaufs folgte. MAE/AS, AP: Santa Sede, Busta N. 65. Vgl. Carlton J. H. Hayes, Wartime Mission in Spain 1942-1945, New York 1946, S. 70-73; MAE/AS, AP: Santa Sede, Busta N. 61. Über vatikanische Vermittlungen bei den Bemühungen, Italien aus dem Krieg herauszuführen: De Feiice, Mussolini l'alleato 2. Crisi e agonia del regime, Torino 1990, Kap. V und VI, passim.

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erst Ende Juni 1943 vollzogen wurde; 29 die Visite des Erzbischofs von New York und amerikanischen Militärbischofs Spellman im Vatikan; 30 die Audienz des ungarischen Ministerpräsidenten Källay am 3. April, die insoweit enttäuschend verlief, als der Papst nicht nur eine offene Verurteilung der UdSSR ausschloß, sondern zu verstehen gab, daß es keine päpstliche Friedensvermittlung geben könne, solange Deutschland an seiner inhumanen Politik festhielte31 - eine Abfuhr auch an die Adresse der verbündeten Achsenmächte; und schließlich die Londonreise des britischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, Osborne, auf die hier näher einzugehen ist. Osbornes Londoner Visite im Frühjahr 1943 kommt besondere Bedeutung zu. Denn zur britischen Regierung unterhielt der Vatikan über weite Strecken des Krieges wenn nicht die engsten, so doch die intensivsten und informativsten Kontakte, die sich aus Osbornes fast ununterbrochener Präsenz im Vatikan und aus seinem guten Einvernehmen mit dem Substituten im Staatssekretariat, Montini, ergaben. 32 Dahinter blieben die Möglichkeiten seines amerikanischen Pendant, des in Vertretung Taylors agierenden Gesandten Tittmann, deutlich zurück. Darüber hinaus wußte man im Vatikan gewiß um das besondere Interesse Churchills an Italien als dem »soft underbelly« der Achse und um seine dementsprechende mediterrane Strategie. 33 Dabei gehört es zu der Tragik vatikanischer Friedenspolitik, daß weder Churchill und noch viel weniger sein Außenminister Eden dem Heiligen Stuhl so viel Bedeutung beizumessen bereit waren wie US-Präsident Roosevelt. Insoweit setzte das Staatssekretariat, setzten Kardinal Maglione und Möns. Montini auf die falsche Karte, indem sie Osborne zum Sprachrohr ihrer Vorstellungen zu machen suchten, während der tatsächlich am meisten aufgeschlossene Ansprechpartner, nämlich Taylor, in der kritischen Phase (1943) durch ein Einreiseverbot Mussolinis34 von jeder direkten Beteiligung ausgeschlossen blieb. Osborne hingegen genoß das Wohlwollen Cianos, dessen Fürsprache seine London-Reise erst ermöglicht hatte. 35 29

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Leonidas E. Hill, The Vatican Embassy of Ernst von Weizsäcker, 1943-1945, in: Journal of Modern History 39 (1967), S. 138-159; Robert A. Graham, La strana condotta di E. von Weizsäcker Ambasciatore del Reich in Vaticano, abgedruckt in: ders.. Il Vaticano e il Nazismo, Rom 1975, S. 49-73. Eine Studie des Verf. über Ernst von Weizsäcker als deutscher Botschafter beim Vatikan ist noch in Bearbeitung. John Cooney, The American Pope. The Life and Times of Francis Cardinal Spellman, New York 1984, S. 125-128. Vgl. Robert A. Graham, Pius XII. und seine Zeit, in: Herbert Schambeck (Hrsg.), Pius XII. zum Gedächtnis, Berlin 1977, S.227-259, hier S. 247f.; davon abweichend Nicholas Källay, Hungarian Premier. A personal account of a nation's struggle in the Second World War, London 1954, S. 144-174. Für Einzelheiten, vor allem aufgrund des Tagebuchs des britischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, (Sir) D'Arcy Osborne, vgl. Chadwick (wie Anm. 8). Michael Howard, The Mediterranean Strategy in the Second World War, London 1968, bes. S. 70. Di Nolfo (wie Anm. 8), S. 56. Vgl. unten Anm. 43. Osborne und Ciano kannten sich persönlich gut aus der Zeit vor dem italienischen Kriegseintritt, der den Briten in sein vatikanisches >Exil< zwang.

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Im März 1943 wurde der britische Gesandte nach London gerufen. 36 Die zugänglichen Akten des Foreign Office offenbaren nichts Außergewöhnliches über die Konsultationsreise, welche vielmehr als Reise in einen in der Tat lange überfälligen Erholungsurlaub (»on congé«) bezeichnet wurde. 37 Aber gegen diese offizielle Lesart sprechen nicht nur Zeitpunkt und Umstände, sondern auch Osborne selbst, der in seinem privaten Tagebuch von bevorstehenden anstrengenden Wochen in London spricht. 38 Daß der Gesandte dort wiederholt mit den Spitzen des Foreign Office, darunter Edens Privatsekretär Dixon, dem zeitweiligen Leiter des Southern Department, sowie maßgeblichen Politikern und Mitgliedern des Königshauses zusammentraf, steht aus anderen Quellen fest. 39 Osborne überflog am 7. April 194340 mit dem Kurierflugzeug Rom-Barcelona den mediterranen Kriegsschauplatz und erreichte nach einem Zwischenstop in Lissabon, wo sein Cousin Campbell als britischer Botschafter amtierte, mit dem britisch-niederländischen Linien-Klipper Southampton. Osbornes Rückreise verzögerte sich, nachdem die deutsche Luftwaffe den Flug der Gegenmaschine Lissabon-Southampton am 1. Juni über dem Golf von Biscaya »beendet« hatte. Bis heute sind die Gründe ungeklärt, die das deutsche Luftabwehrkommando SüdWest zu diesem beispiellos gebliebenen Vorgehen gegen die zivile Flugverbindung London-Lissabon veranlaßt haben mögen. 41 Für das Foreign Office war der Vorgang jedenfalls Grund genug, Osborne die Rückreise nach Rom freizustellen.42 Dieser ließ sich nicht abschrecken und erreichte nach einem etwas längeren Aufenthalt in Lissabon und einem abermals abenteuerlichen Flug über das Mittelmeer, dessen Luftraum inzwischen wegen verstärkter alliierter Aktivitäten zur 36

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Durch Femschreiben vom 6. März 1943: Chadwick (wie Anm. 8), S. 256. Chadwick bringt dies in Zusammenhang mit Überlegungen des Foreign Office hinsichtlich eines Regimewechsels in Italien und eines italienischen Ausscheidens aus dem Kriege. Vgl. ADSS 7, S. 281, Anm. 1. Professor Sir Owen Chadwick ermöglichte dem Verfasser dankenswerterweise die Einsichtnahme in Osbornes privates Tagebuch, das sich in Privatbesitz befindet. Der entsprechende Eintrag vom 5. April 1943 (»I wish I were going to have a holiday instead of some weeks of intense activity«) ist zitiert bei Chadwick (wie Anm. 8), S. 257. Harold Nicolson, The War Years 1939-1945. Volume II of Diaries and Letters, hrsg. von Nigel Nicolson, New York 1967, S. 298. Begegnungen mit Sir Pierson Dixon ergeben sich aus dem in Familienbesitz befindlichen privaten Tagebuch Dixons (Einträge vom 15. und 22. April 1943). Unzutreffende Datierung auf den 8. April bei Chadwick (wie Anm. 8), S. 257. Verschiedene Theorien, die Osbornes Mission, weil unbekannt, nicht einbeziehen, haben die Literatur ausgiebig beschäftigt: Ian Colvin, Flight 777, London 1957; Denis J. Fodor, The Neutrals (World War II. Time-Life Books), Alexandria, Va. 1982; Naomi Shephard, Wilfried Israel, Berlin 1985 (englische Originalausgabe 1984). Nachforschungen in deutschen Archiven, u. a. auch im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg, führten bislang nicht zu neuen Erkenntnissen. Ein Zusammenhang zwischen Osbornes Reise (die den deutschen Stellen bekannt gewesen ist) und dem Abschuß des Klippers kann daher nur vermutet werden. Nachträglicher Eintrag Osbornes vom 12. Juni 1943 in »Scrap of Diary 1943« nach Ankunft im Vatikan.

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Vorbereitung des Landeunternehmens auf Sizilien heftig umkämpft war, am 18. Juni Rom. Bemerkenswert ist nicht allein, daß London dem Gesandten die äußerst gefährliche Reise anfangs überhaupt zugemutet hatte, sondern mehr noch, daß die italienische Regierung nicht nur Osbornes Ausreise gestattete, sondern auch seine Wiedereinreise zusicherte und tatsächlich auch zuließ. 43 Aus amtlichen britischen Quellen wissen wir nichts Bestimmtes über die Hintergründe dieses Unternehmens, doch deuten spätere amerikanische geheimdienstliche Dokumente darauf hin, daß es wieder einmal darum ging, möglichen oder gar wahrscheinlichen vatikanischen Aktivitäten vorzubeugen. Wie delikat für die Alliierten die Haltung des Vatikans in dieser kritischen Phase tatsächlich war, darüber gab Osborne am 22. April 1943 in London erstaunlich freimütig Auskunft. Über eine Unterredung mit dem Gesandten fertigte René Massigli, Kommissar für auswärtige Angelegenheiten des Französischen Befreiungskomitees unter General de Gaulle, einen geheimen Aktenvermerk »Le Saint-Siège et la Paix«.44 Einleitend hieß es dort, es sei klar, daß Osborne vom Papst mit keinerlei Sondermission beauftragt worden sei. Indes betonte Osborne laut Massigli das Interesse, welches die Alliierten daran haben müßten, Italien und Deutschland sehr bald zu trennen, da der italienische Abfall sofort den Ungarns und Rumäniens nach sich ziehen würde. In diesem Zusammenhang war die Haltung des Heiligen Stuhls, wie wir wissen, für alle Seiten von Wichtigkeit. Doch nach außen übte sich die Kurie in Zurückhaltung. Osborne erklärte die Reserve des Vatikans mit dem großen Wunsch Pius' XII., eine Rolle ersten Ranges bei den Friedensverhandlungen zu spielen. Zur Begründung verwies er darauf, daß Pacelli seinerzeit als Unterstaatssekretär eng mit der Friedensinitiative Benedikts XV. vom Sommer 1917 verbunden gewesen sei und an dem Scheitern jenes Versuches persönlich schwer getragen habe. Der Papst sehe es als Notwendigkeit an, diese Scharte auszuwetzen, und gerade weil er seine Möglichkeiten nicht schmälern wollte, übe er sich augenblicklich in wohlüberlegter Zurückhaltung. Daß Pius XII. ein Diplomat von hohen Graden sei, dessen Ambitionen auf kurialen Prestigegewinn abzielten, entsprach nicht allein der Auffassung der Alliierten, sondern auch der der Achse. 45 Beide Seiten befürchteten daher vatikani43

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Diesbezüglich hatte sich Ciano bei Mussolini verwendet, vgl. A D S S 7, S. 281, Anm. 1; eine entsprechende Zusicherung war dem britischen Gesandten (Tagebuch, 25. März 1943) mündlich durch Montini übermittelt worden. Über Kontakte zwischen Ciano und Osborne vgl. jetzt auch D e Feiice, Mussolini l'alleato 2, S. 1341. Vermerk Massigiis »(RM/MC, Secret)« vom 22. April 1943 »Le Saint-Siège et la Paix«: Ministère des affaires étrangères ( M A E ) , Archives Diplomatiques ( A D ) , Paris, série Guerre 1939-1945, Alger 1470, fol. 5. Bericht des italienischen Botschafters, Berlin, Telespresso Nr. 1808 vom 3. März 1939, an das Außenministerium in Rom über ein Gespräch mit Staatssekretär Ernst von Weizsäkker nach der Wahl Pius' XII. sowie Bericht des italienischen Konsuls in München über

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sehe Vorstöße und blieben dementsprechend bemüht, den Heiligen Stuhl als Akteur in der internationalen Politik zu neutralisieren. Möglicherweise hat das Staatssekretariat diese unausgesprochene Übereinstimmung der Kriegsgegner nicht oder nicht zeitig genug zur Kenntnis genommen und auch deshalb keinen Einfluß auf die Ereignisse gewinnen können, denn wegen der allgemein ablehnenden Haltung der Mächte konnte weiteres vatikanisches Abwarten nur Verlust, nicht aber Gewinn von Aktionsmöglichkeiten bedeuten. Zu einer von den Mächten und deren Bereitschaft weitgehend unabhängigen Friedenspolitik des Heiligen Stuhls hätte es überdies eines stärkeren institutionellen Eigengewichtes des Vatikans auf dem Felde internationaler Politik bedurft. Das jedenfalls war wohl auch der Kurie bewußt. Daß nicht etwa Ratlosigkeit, sondern Kalkül die vatikanische Politik bestimmte, ergab sich weiter aus der Massigli von Osborne gegebenen Einschätzung, daß bei Friedensverhandlungen die katholischen Länder die Frage der Internationalisierung der Lateran-Verträge vorbringen würden. Auf Nachfragen Massigiis präzisierte Osborne, daß künftig die Verbindungen des Vatikans mit der Außenwelt zu verbessern seien, u. a. auch durch einen mit der Vatikanstadt über einen Korridor verbundenen Hafen und einen Flugplatz.46 Mittelbar läßt sich aus diesen Äußerungen an die französische Adresse schließen, daß die Möglichkeiten des Vatikans angesichts des gegebenen Verhältnisses zu Italien mindestens als begrenzt, wenn nicht als minimal galten, daß der Heilige Stuhl aber dennoch bemüht blieb, seinen Aktionsrahmen zu erweitern oder abzusichern. Dahinter stand die offenbar in katholischen Kreisen gehegte und der Kurie von den Briten unterstellte Hoffnung, der Vatikan könne eine mögliche aktive Beteiligung an einem Friedensschluß mit der Aufwertung oder doch mindestens mit der multilateralen Absicherung seiner internationalen Stellung verbinden. Demgegenüber konnte die britische Regierung an einer eigenständigen Politik des Vatikans eigentlich nur insoweit und allenfalls vorübergehend interessiert sein, als sie den Abfall Italiens von der Achse beschleunigen, also kurzfristig und unmittelbar den alliierten Interessen dienen würde. Das war jedoch nicht zu erwarten und noch weniger zu erzwingen. Deshalb mußte der Vatikan mit Blick auf die aktuelle Labilität der Achse als handlungsunfähig oder gar als handlungsunwillig dargestellt werden. So konnte man gegenüber Italien den alliierten Friedensbedingungen, das hieß, auch der Forderung der »bedingungslosen Kapitulation«, zusätzlichen Nachdruck verleihen. Mithin war das merkwürdige Verhalten Osbornes auf seiner Rückreise Mitte Juni in Lissabon nur konsequent im Sinne der auf Auflösung der Achse zielenden alliierten Politik. Wider besseres Wissen und in nahezu wörtlicher Umkehrung der Massigli sechs Wochen zuvor gegebenen Einschätzung streute nämlich der

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die dortigen Reaktionen auf die Wahl Pacellis vom 27. April 1939: MAE/AS, AP: Germania, Busta N. 65/8. Wie oben Anm. 44.

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Brite nun das Gerücht aus, der Papst habe seinen jahrelang gehegten Lieblingstraum, eine herausragende Rolle bei den Friedensverhandlungen zu spielen, aufgegeben. 47 Daß es sich dabei nur um Zweckpropaganda handeln konnte, liegt auf der Hand. Bei den Westmächten, die ihre Operation HUSKY, die am 10. Juli erfolgte Landung alliierter Verbände auf Sizilien, mit Hochtouren vorbereiteten, galten die Tage der Regierung Mussolini und des italienischen Faschismus seit geraumer Zeit als gezählt, und selbst Berliner Wehrmachtsstellen rechneten damals mit einem baldigen Kollaps Italiens.48 In dieser Situation war eine Friedensinitiative oder gar Friedensvermittlung des Papstes wahrscheinlicher denn je. Das mußte Osbome wissen, hatte doch Tardini ihm kurz vor seiner Abreise nach London die eindringlichsten Vorhaltungen an die Adresse seiner Regierung aufgetragen: Man solle die zweifache Gefahr des Kommunismus - im Äußeren wie im Innern - nicht unterschätzen! Mit besonderem Nachdruck hatte der Unterstaatssekretär die Alliierten wieder vor einem Festhalten an der »bedingungslosen Kapitulation« gewarnt, einer »unvernünftigen« Formulierung, weil sie allzu demütigend für den Besiegten sei, der seinen Durchhaltewillen bis zum Äußersten steigern werde, um seine Ehre zu wahren. Es wäre besser, praktischer, nützlicher und menschlicher zu erklären: »Ergebt Euch! Wir werden Euch gut behandeln!«. Zum Schluß hatte Tardini den Gesandten noch beschworen: Es liege doch im Interesse der Alliierten, den Krieg nicht zu verlängern, die Gemüter nicht zu verbittern und die Zukunft nicht zu verspielen. Stattdessen tue man genau das Gegenteil: man treibe die Gegner zu hartnäckigem Widerstand, steigere ihre Wut und ebne den Weg für den Triumphzug des zerstörerischen Kommunismus. 49 In London stießen die Warnungen des Staatssekretariates offenbar auf taube Ohren. Das Gespräch, das Osborne am Tage nach seiner Rückkehr in den Vatikan (19. Juni) mit Tardini führte, war für diesen in jeder Beziehung enttäuschend. Nicht einmal für Italien vermochte der Gesandte eine vage Hoffnung zu eröffnen. Über seine Gespräche in London teilte er keine Einzelheiten mit, ließ aber keinen Zweifel daran, daß die Westmächte an ihrem kompromißlosen Kurs festhielten, auch wenn ihre Italien-Propaganda eine gewisse Konzessionsbereitschaft zu signalisieren schien.50 Demgegenüber war in der englischen Presse »fast täglich« zu lesen, »daß die Feindseligkeiten nicht eingestellt werden könnten ohne die bedingungslose Über47

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Bericht des Office of Strategie Services, 21. Juni 1943 (»Intelligence Report from Naval Attaché at Lisbon, Source: Contacts«): National Archives (NA), Washington, RG (Record Group) 266 (OSS), 45696 R. Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950, hrsg. von Leonidas E. Hill, Frankfurt/M., Berlin, Wien 1974 (im folgenden zitiert als WP), S. 381. - Über auswärtige Sondierungen der Frondeure gegen Mussolini: De Feiice, Mussolini l'alleato 2, passim. Notiz Tardinis, 31. März 1943, mit Nachtrag aus der Erinnerung vom 4. September 1944: ADSS 7, Nr. 153. Notiz Tardinis, 19. Juni 1943: ebda., Nr. 255.

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gabe< der Achse«. 51 Der Papst selbst sah »zur Zeit keinen Ansatz zu irgendeiner praktischen Friedensarbeit«, wie er dem deutschen Botschafter anläßlich der Überreichung des Beglaubigungsschreibens am 5. Juli erklärte. 52 Und wie zur Bestätigung fügte von Weizsäcker weisungsgemäß hinzu, »daß meine Regierung derartiges auch nicht erwarte«. Daß der Papst aber gegenüber dem deutschen Botschafter so weit ging, die »geistlose Formel« der Alliierten von einer »bedingungslosen Übergabe« zu verurteilen, zeigt deutlich, daß der Heilige Stuhl nicht bereit war, sich damit abzufinden, und bemüht blieb, die Gesprächsfäden nach beiden Seiten nicht abreißen zu lassen. Das gebot schon die labile Situation Italiens mit ihren n)öglicherweise fatalen Folgen für den Zusammenhalt der Achsenmächte. Niemand konnte im Juli 1943 mit Gewißheit voraussagen, ob und wie lange NaziDeutschland einen Zusammenbruch und Abfall seines wichtigsten Verbündeten überdauern würde. 53 Unter diesen Bedingungen wollte der amerikanische Botschafter Taylor nicht länger abseits stehen und warb bei Präsident Roosevelt für die Idee einer neuerlichen Vatikan-Reise, offenbar um auch amerikanischerseits etwas zur Entschärfung der vatikanischen Situation beizutragen. Der Präsident folgte indes den energischen Vorstellungen Churchills und Edens, die eine solche Mission mit Rücksicht auf die stets mißtrauischen Sowjets für wenig opportun hielten. 54 Es sollte nicht der geringste Anschein erweckt werden, als ob der Vatikan zum Terrain von Friedensfühlern werden könne. In seiner Radioansprache am 1. September 1943 sprach sich der Papst noch einmal indirekt, aber unmißverständlich gegen die »unconditional surrender« aus: »Allen Nationen soll die begründete Hoffnung auf einen würdigen Frieden gegeben werden, der weder ihr Lebensrecht noch ihr Ehrgefühl verletzt.« Zuvor hatte es geheißen: »der wahrhaft Starke braucht sich nicht vor dem Edelmut zu fürchten, er besitzt selbst die Mittel, um jede falsche Auslegung seiner Bereitwilligkeit zum Friedensschluß zurückzuweisen und sich gegen jeden Rückschlag zu schützen«. Schließlich segnete der Papst »alle, welcher Kriegspartei sie auch angehören, die mit nicht minder ehrlichem Willen und Sinn für die Wirklichkeit sich bemühen, den toten Punkt zu überwinden, auf dem heute die fatale Waage [italienisch: bilancia] zwischen Krieg und Frieden angekommen ist!«.55

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Der Apostolische Delegat in London, Msgr. Godfrey, an Kardinal Maglione, 20. Juni 1943: ebda., Nr. 256. Telegramm von Weizsäckers an Auswärtiges Amt, 5. Juli 1943: Akten zur deutschen Auswärtigen Politik, Serie E, Bd. VI bis VIII, Göttingen 1979 (im folgenden zitiert als A D AP), hier VI, Nr. 134. Vgl. Churchill an Roosevelt, 26. Juli 1943, zitiert bei Winston S. Churchill, The Second World War, Vol. V: Closing the Ring, London 1952, S. 51. NA, RG 59 (Department of State), DF (Decimal File) 121.866A/326. Acta Apostolicae Sedis (im folgenden zitiert als AAS) 35 (1943), S. 277-279, hier S. 278f. Entwurf: ADSS 7, Nr. 377.

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Diese Ansprache, so notierte der britische Gesandte in seinem Tagebuch,56 werde wohl niemandem gefallen: »Das Motiv war, so nehme ich an, ein wenig Rampenlicht auf sich zu ziehen. 57 Sie rief zum Frieden auf, war aber völlig unrealistisch insoweit, als sie verkannte, daß der größte Teil Europas auf die Befreiung von den Nazis wartete. Die Feststellung, daß es einen wachsenden Zweifel unter den Völkern gebe, ob die Fortführung des Krieges im internationalen Interesse liege, ist [Unsinn],58 aber zweifellos für die Achse zutreffend.« Damit bestätigte Osborne indirekt, daß der päpstliche Appell gar nicht so schlecht terminiert gewesen sein konnte. Die Stoßrichtung dieses Appells war eindeutig: Der Papst »hat den Engländern und Amerikanern ziemlich scharf die Leviten gelesen«, notierte der deutsche Botschafter von Weizsäcker für seine Familie. 59 An das Auswärtige Amt hatte er am 30. August telegraphiert: 60 »[...] solange die anglo-amerikanische Politik nichts besseres (!) weiß, als von bedingungsloser Übergabe zu reden, wird sie von der Kurie streng verurteilt.« Von Weizsäckers nach »nunmehr zweimonatiger Beobachtung« gegebener »Überblick über die vom Vatikan zur Zeit verfolgte Politik« blieb nicht bei scharfsinnigen Deutungen stehen, sondern war Teil seiner eigenen raffinierten Politik, die gegen den offiziellen Kurs Berlins auf Frieden hinsteuerte und im wohlverstandenen Sinne das Geschäft des Vatikans betrieb oder doch zu flankieren suchte. 61 Daher mußte der versierte Diplomat die Differenzen des Vatikans mit den Westmächten betonen, zwischen dem Vatikan und dem Reich jedoch Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Sowjetrußland konstruieren oder mindestens nahelegen. Auf diesem Hintergrund skizzierte er als »Grundlinien« vatikanischer Politik »in den letzten Wochen« zunächst die Notwendigkeit einer raschen Beendigung des Krieges und der Schaffung eines dauerhaften Friedens durch »Verzicht auf alle extremen imperialistischen Forderungen«, ein Postulat, welches sich wohl nur an die eigene, die deutsche Adresse richten konnte. Die »Aufgabe der Kurie« bestand nach von Weizsäcker darin, »jetzt allgemein und öffentlich zur Mäßigung zu raten, speziell aber und eindringlich auf diplomatischem Wege in London und 56

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Tagebuch Sir D'Arcy Osborne (wie Anm. 38), 1. September 1943; dieser Teil der Aufzeichnungen liegt in Maschinenschrift vor. Dieser Satz ist in der (ursprünglichen) maschinenschriftlichen Fassung des Tagebuchs mit Bleistift durchgestrichen (wohl nachträglich von Osborne selbst, vermutlich im Rahmen einer Ende der 50er Jahre vorgenommenen Durchsicht im Hinblick auf eine geplante Teil-Veröffentlichung). Ebenso das Wort »nonsense«, aber ersatzlos, d. h. ohne einen den Satzzusammenhang wiederherstellenden neuen Begriff. WP, S. 348 (3. September 1943). A D A P E VI, Nr. 263. Vgl. z. B. A D S S 7, Nr. 372, mit S. 590, Anm. 6. Zur Bewertung von Weizsäckers vgl. Rudolf Lill, Vatikanische Akten zur Geschichte des Zweiten Weltkrieges (II), in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven 54 (1974), S. 5 5 6 - 5 8 1 , der sich kritisch mit der Auffassung Robert A . Grahams (wie Anm. 29) auseinandersetzt (S. 578f.).

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Washington«, jedoch nicht, »Vermittlungsdienste zu leisten, solange nicht eine der beiden Gruppen (die anglo-amerikanische oder die italienisch-deutsche) sie darum ersucht. 62 [ . . . ] Aufgabe der Kurie ist es vorläufig noch nicht, aus eigener Initiative etwa nach dem Vorgang Benedikts XV. im letzten Krieg, Detailvorschläge zur Erzielung eines Gesamtfriedens zu machen. Der Mißerfolg von damals steht der Kurie noch zu deutlich vor Augen.« Damit war präzise die Position des Vatikans umrissen, wie sie ähnlich auch im Lager der Alliierten gesehen wurde. Überdies offenbarte von Weizsäcker ein sicheres Gespür für die Psychologie des Papstes, die sich auf die persönlichen Erfahrungen des Diplomaten Pacelli von 1917/18 gründete: »Der Papst hat eine heiße Friedenssehnsucht und möchte nur zu gern einen entscheidenden Beitrag zum Frieden liefern. Er ist aber zugleich auf seine Autorität und auf sein Prestige viel zu sehr bedacht, um mit unzeitgemäßen Friedensschritten einen Mißerfolg zu riskieren. Er ist auf diplomatischem Gebiet ein Zögerer.« 63 Wer wollte, konnte in der Wilhelmstraße daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. Nach allem, was die Kurie diplomatisch getan und der Papst öffentlich erklärt hatte, wäre nun Berlin am Zuge gewesen. Indes hätte ein bloßer Wink wohl kaum ausgereicht, den Papst zu mobilisieren. War 1917 die Reichsleitung nicht verhandlungsbereit gewesen, so war 1943 die deutsche Führung nicht einmal verhandlungsfähig. Auch aus dieser Erkenntnis heraus hatte ja der Staatssekretär von Weizsäcker seinen Berliner Posten zugunsten der Vatikanbotschaft geräumt. Alles hing jetzt offensichtlich davon ab, ob sich die Machtverhältnisse innerhalb Deutschlands verändern ließen. Um die Jahreswende 1943/44 hoffte der Papst immer noch auf eine - entsprechend fundierte - Friedensvermittlung. 64 Doch es bewegte sich nichts. Davon blieb aber das »politische Programm des Vatikans« im Kern unberührt: Das Staatssekretariat nährte noch im März 1944 die Hoffnung, daß angesichts des noch unentschiedenen Krieges ein Verständigungsfrieden nach wie vor möglich und eine vatikanische Friedensvermittlung unter bestimmten Bedingungen durchaus denkbar sei. 65 In der Praxis jedoch war dieses Programm an einem toten Punkt angelangt. Von Weizsäcker faßte die Situation Mitte April gut unterrichtet und treffsicher zusammen, wobei er den heiklen Punkt - Deutschland - nur zwischen den Zeilen erkennen ließ: »In Rom [ . . . ] wird jetzt die Frage besprochen, ob der Papst sich nicht aufraffen werde, um ernsthaft für den Frieden etwas zu tun. Was er bisher getan hat, weiß niemand so recht [ . . . ] Was er aber auch getan haben mag, es kann sich nur an die Westmächte gerichtet haben. Denn in Moskau hört niemand auf ihn. An uns aber hat er sich nicht gewendet. Von London schließlich soll er kalt62 63 64 65

Direkt bestätigt von Notiz Magliones, 27. August 1943: ADSS 7, Nr. 372, S. 589. Wie Anm. 60. Repgen (wie Anm. 15), S. 89. Vgl. von Weizsäcker an Auswärtiges Amt, 22. März 1944: A D A P E VII, Nr. 284.

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schnäuzige Bemerkungen bekommen haben. Am wenigsten grob ist noch Washington [...] Ich glaube, daß der Vatikan sich handlungsfreier fühlen würde, wenn wir Deutschen nicht in Rom säßen. Vielleicht hofft er auf einen späteren direkten Kontakt mit den maßgeblichen Leuten der Westmächte [...] Die Beteiligung des Vatikans in der großen Politik bleibt also ein Fragezeichen. In unserem Hauptquartier wird das schwerlich bedauert, an eine Räumung Roms wird dort nicht gedacht.« 66 Aber bereits im Frühsommer 1944 schienen sich günstige Verhältnisse zu entwickeln. Wenige Tage vor der Befreiung Roms beklagte der Papst in seiner Ansprache an die Kardinäle am 2. Juni - so berichtete der britische Gesandte Osborne 67 daß man das deutsche Volk mit der Wahl zwischen totalem Sieg oder totaler Zerstörung konfrontiere, weil dieses Dilemma den Krieg nur verlängere. Obwohl sich in der Ansprache kein ausdrücklicher Hinweis auf bestimmte Völker fand, war Osbornes Interpretation zweifellos zutreffend. Zum Schluß hatte der Papst die potentiellen Sieger davor gewarnt, »einen nicht billigen Gewaltfrieden zu diktieren«. 68 Auch die amerikanische Regierung deutete die Ansprache des Papstes, die - so Botschafter Taylor - zu einem Zeitpunkt kam, da sich die Entscheidung des Krieges zugunsten der Alliierten abzeichnete, als Versuch, einen Verhandlungsfrieden auf den Weg zu bringen. 69 Unverzüglich reiste Taylor jetzt nach Rom, um den Papst vom Sinn und Zweck einer bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu überzeugen. Er werde, so schrieb er Roosevelt, sein Bestes tun, »um den Vatikan im Gleichgewicht zu halten, eingedenk der Endziele, nach denen wir streben«. 70 Doch sollte der Erfolg dieser neuerlichen Mission noch etwas auf sich warten lassen. Zwar nahm der Papst den Botschafter besonders herzlich auf, zeigte sich aber wenig beeindruckt von der abgemilderten Interpretation, die Taylor der »unconditional surrender« zu geben bemüht war. In der Privataudienz am 21. Juni 1944 unterschied der Papst vielmehr deutlich zwischen dem deutschen Volk und dem Nazi-Regime, er wies also Vorstellungen von Kollektivschuld und kollektiver Bestrafung zurück. 71 Doch akzeptierte er offenbar den Gedanken, daß Teile des 66 67

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WP, S. 374 (13. April 1944). Vgl. auch oben Anm. 23. Vgl. »Annual Report for the Year 1944«, 4. April 1945, S. 23: PRO, FO 371/50084, ZM2608/2608/57. Text: AAS 36 (1944), S. 166-175. Vgl. Franklin D. Roosevelt Presidential Library (FDRL), Hyde Park, New York, Myron C. Taylor Papers (MCT), Box 11: Documentation, Tätigkeitsbericht an Roosevelt, 10. November 1944; abgedruckt bei Di Nolfo (wie Anm. 8), Nr. 196. Taylor an Roosevelt, 14. Juni 1944, kurz vor seiner bereits feststehenden Abreise: FDRL, President's Official File (OF), 3865. Nicht bei Di Nolfo (wie Anm. 8). NA, RG 59, DF 121.866/6-3044. Vgl. auch Di Nolfo (wie Anm. 8), Nr. 149 und 152. Schon früher hatte Pius die Möglichkeit kollektiver Schuld des deutschen oder überhaupt eines ganzen Volkes bestritten: Schreiben an den Kapitelsvikar von Gurk, 15. Oktober 1942, und an Kardinal Faulhaber, 31. Januar 1943: ADSS 2, Nr. 92, S. 278 und Nr. 96, S. 294.

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Ulrich Reusch

deutschen Ostens, namentlich Ostpreußen und Schlesien, an Polen fallen sollten. Was ihn aber stark beunruhigte, war das Ausgreifen Rußlands nach Westen auf Kosten polnischer, katholischer Gebiete. Im August 1944 registrierte Taylor dann aber eine einschneidende Veränderung in der Einstellung des Papstes zu Krieg und Frieden. Seit letztem August, so faßte der Botschafter im April 1945 seine Eindrücke zusammen, 72 habe der Papst ihm gegenüber niemals mehr einen anderen Plan zur Beendigung des Krieges genannt als »unconditional surrender«, ja der Papst habe sogar oftmals genau diese Formulierung benutzt, wenn er von der Beendigung des Krieges sprach. »Meiner Meinung nach teilt er die Auffassung, daß >bedingungslose Kapitulation unverzichtbar sei für eine ordentliche Beendigung der Feindseligkeiten und die Grundlage schaffe, auf welcher ein dauerhafter Weltfriede sicher begründet werden könne.« Vor dem August 1944 habe Seine Heiligkeit die verschiedenen Möglichkeiten in dem Lichte erwogen, was für die gesamte Menschheit das Beste wäre, dabei in erster Linie mit Blick auf die Schonung von Menschenleben und die Unversehrtheit von Menschen und Eigentum. Auch in Amerika hätten sich damals bestimmte Kreise für einen milden Frieden verwendet. Jetzt, im April 1945, glaubte Taylor nicht mehr daran, daß der Papst von sich aus irgendwelche Friedensfühler bestärke. Denn solche Vorstöße seien mit einer gewissen Verantwortung verbunden und brächten den Heiligen Stuhl möglicherweise in Verlegenheit. Wenn ihn dennoch Friedensfühler erreichten, dann kämen sie durch kirchliche Kanäle und gänzlich ungebeten. Auch Osborne stellte rückblikkend fest, 73 daß der Papst seit einer Unterredung am 29. Juli 1944 Verständnis für die britische Haltung eines »No compromise, no armistice« gezeigt habe. Man werde nichts anderes als »unconditional surrender« akzeptieren, hatte Osborne damals erklärt und daraufhin feststellen können, daß der Papst »keinerlei Kritik oder Vorbehalte gegen diese Politik Ihrer Majestät Regierung« erkennen ließ.74 Für diesen plötzlichen Umschlag gibt es nur eine plausible Erklärung: das Scheitern des Aufstandes vom 20. Juli 1944. Diese These wird auch durch den »Sprechzettel« gestützt, den das Staatssekretariat dem Papst für die Audienz

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Taylor an Roosevelt, 9. April 1944: FDRL, MCT, Box 11; abgedruckt bei Di Nolfo (wie Anm. 8), Nr. 234. Vgl. Jahresbericht Osboraes für 1945 vom 22. Februar 1946 (wie oben Anm. 11), auszugsweise abgedruckt nach den Akten des Foreign Office bei Ludwig Volk (Bearb.), Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933-1945, Bd. VI: 1943-1945 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, A, Bd. 38), Mainz 1985, Nr. 10*, S. 902ff., hier S. 904. Eine ausführlichere Version mit der genauen Datumsangabe der Unterredung enthält bereits Osbornes Jahresbericht für 1944 vom 4. April 1945 (wie Anm. 67). Nach Jahresbericht für 1944, ebda. Osborne zuvor: Man werde der deutschen Armee nicht erlauben, »to establish an alibi for defeat by jettisoning the Nazi Party« (möglicherweise eine Anspielung auf den 20. Juli); man sei entschlossen, den preußischen Militarismus ebenso wie die Nazi-Diktatur zu zerstören.

Motive, Ziele und Grenzen vatikanischer

Friedenspolitik

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Churchills am 23. August 1944 unterbreitete. 75 Darin wurden zwar die Situation Italiens und die Gefahr des Kommunismus ausführlich behandelt - dieses Thema beschäftigte dann die Gesprächspartner sehr76 das Schicksal Deutschlands aber nur denkbar knapp skizziert. Vor allem fehlte in der Ausarbeitung jegliche Kritik an der »bedingungslosen Kapitulation«, die bis dahin doch als »ceterum censeo« zum Kernbestand vatikanischer Vorstellungen an die Adresse der Westmächte gehört hatte. Immerhin erinnerte die betreffende Passage der Unterlage eindringlich an das »andere Deutschland«, genauer: an das christliche Deutschland, 77 und suchte offensichtlich dem verbreiteten Gedanken einer Kollektivschuld der Deutschen entgegenzuwirken. Im Gegensatz zu der kompromißlosen Linie der alliierten Politik, die auf der Vorstellung deutscher Kollektivschuld beruhte und den Widerstand gegen Hitler bewußt ignorierte, jedenfalls nie ernsthaft ins Kalkül zog,78 war der Papst von der ungebrochenen Existenz des »anderen Deutschlands« und damit von einer genuinen Regenerationsfähigkeit der deutschen Nation überzeugt. 79 Mit dem Scheitern des 20. Juli 1944 hatten sich die Hoffnungen des Papstes auf einen Verständigungsfrieden jedoch gründlich und nachhaltig zerschlagen. Da Deutschland unter dem NS-Regime bei militärisch aussichtsloser Lage weiterkämpfte, gab es selbst für den Papst nichts mehr zu vermitteln. Es galt nun, mit Blick auf den Vormarsch der Roten Armee zu retten, was zu retten war. Botschafter Taylor stellte am 10. November 1944 fest, daß der Papst seit dem 2. Juni keinerlei weitere Ermutigungen mehr für einen Verhandlungsfrieden ausgesprochen habe, sondern sich vielmehr in seiner Ansprache am 1. September 1944 den alliierten Vorstellungen merklich angenähert habe. 80 Tatsächlich hatte der Papst nicht nur den »alliierten Mächten« ausdrücklich für ihre Hilfsmaßnahmen in Italien gedankt, sondern auch sein »Wohlgefallen« und seine guten Wünsche für die Arbeiten an einer neuen Friedensordnung zum Ausdruck gebracht. Das war ein Hinweis auf die in Dumberton Oaks tagende Konferenz zur Vorbereitung der Gründung der Organisation der Vereinten Nationen

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ADSS 11, Nr. 333. Vgl. ebda., S. 510, Anm. 20. Eine direkte Anspielung auf den 20. Juli - so Léon Papeleux, Le Vatican et l'Expansion du Communisme (1944-1945), in: Revue d'Histoire de la Deuxième Guerre Mondiale 35 (1985), S. 6 3 - 8 4 , hier S. 77, Anm. 27 - ist nicht gesichert. Zusammenfassend Walther Hofer, Das Attentat der Offiziere und das Ausland, in: Rudolf Lill und Heinrich Oberreuter (Hrsg.), 20. Juli. Portraits des Widerstands, Düsseldorf, Wien 1984, S. 47-62; vgl. auch oben Anm. 74. Von »un espoir confiant en son relèvement« und »la croyance en l'existance d'une >bonne AllemagneBefreien. Diese Tendenz neuerdings verstärkt durch die Landungsversuche an französischer Küste.« 26 Gleichzeitig mit der Ausbreitung der Überzeugung, daß die alliierte Offensive bis zu den Alpen vorrücken würde, daß die deutsche Niederlage nun nicht mehr zu vermeiden sei und daß infolgedessen die Befreiung bevorstehe, registrierten die Berichterstatter besonders im Vicentino eine beachtliche Zunahme der Partisanengruppen. Im August schrieb der Berichterstatter der Abteilung Ernährung und Landwirtschaft, daß die Aktivität der »Rebellen« ein derartiges Ausmaß

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Lagebericht für die Zeit vom 16. Februar bis 15. März 1944, in: B A MA, RH 36/478. Lagebericht für die Zeit vom 16. April bis 15. Mai 1944, a.a.O. Lageberichte für die Zeit vom 16. März bis 15. April 1944 (a.a.O.) und vom 16. Juni bis 15. Juli 1944, in: B A MA, RH 36/498. Lagebericht für die Zeit vom 16. Mai bis 15. Juni 1944, in: B A MA, RH 36/478.

Die Lageberichte der deutschen

Militärverwaltungsgruppen

185

erreicht habe, »daß bei weiterem Ansteigen eine ordnungsmäßige Bewirtschaftung in Frage gestellt wird.« 27 Während des Sommers 1944, als die militärische Entwicklung in Mittelitalien weiter voranschritt, wurden an der Spitze der Militärverwaltung wichtige personelle Änderungen vorgenommen. Nach dem Attentat auf Hitler wurde Toussaint in seinem Amt als Bevollmächtigter General durch den Höchsten SS- und Polizeiführer Karl Wolff ersetzt, der dadurch in seiner Person die beiden wichtigsten Leitungspositionen vereinigte, die über das Militär und die über die Polizei. Anhand des mir vorliegenden Quellenmaterials läßt sich jedoch noch nicht feststellen, in welchem Maße sich diese Veränderung bei der Führung auf die gesamte Struktur der Militärverwaltung auswirkte und welche Veränderungen bei der deutschen Administration in den besetzten Gebieten bis zum Ende des Krieges erfolgten.

27

Lagebericht für die Zeit vom 16. Juli bis 15. August 1944, in: B A M A , R H 36/498.

Deutschsprachige Literatur / Übersetzungen ins Deutsche zusammengestellt

von Wolfgang

Altgeld

Die folgende Zusammenstellung soll lediglich einen Eindruck von den Möglichkeiten in der deutschsprachigen Öffentlichkeit vermitteln, sich über das Geschehen in Italien und die deutsche Behandlung der Italiener zu informieren. Sie strebt also keine Vollständigkeit an.

Bibliographien Josef Schröder, Italien im Zweiten Weltkrieg. Eine Bibliographie. Mit einem Geleitwort von Renzo De Feiice, München 1978. Aja Tauschinsky / Ute Krauss-Leichert, Italien. Bibliographie der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Monographien und Zeitschriftenartikel 1945-1984, München 1985.

Erinnerungen Udo von Alvensleben, Lauter Abschiede. Tagebuch im Kriege, Berlin 1979 (S. 277-355: Zerstörung Italiens 1943). Hubert Jedin, Lebensbericht, hg. von Konrad Repgen, Mainz 1984. (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte; Reihe A; Quellen; 35) (Kap. 10: Ein Jahr >Cittä apertaMischehen< während der Rassenverfolgung in Italien . . . Briefe der deportierten und in Auschwitz ermordeten Clara Pirani Cardosi, Darmstadt 1985. Friedrich-Karl von Plehwe, Schicksalsstunden in Rom. Ende eines Bündnisses, Frankfurt 1967; 2. Aufl. unter dem Titel: Als die Achse zerbrach. Das Ende des deutsch-italienischen Bündnisses im 2. Weltkrieg, Wiesbaden 1980. Iris Origo, Toskanisches Tagebuch 1943/44, München 1991. Rudolf Rahn, Ruheloses Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Düsseldorf 1949. Enno von Rintelen, Mussolini als Bundesgenosse. Erinnerungen eines deutschen Militärattaches in Rom 1936-1943, Tübingen-Stuttgart 1965. Edmund Theil, Hg., Gegen Hitlers Befehl. Ein Augenzeugenbericht über den Zusammenbruch der Achse und die geheimen Waffenstillstandsverhandlungen 1945 in Italien, Bergisch Gladbach 1982. Max Waibel, 1945. Kapitulation in Norditalien. Originalbericht des Vermittlers, Basel 1981.

Monographien, Sammelbände Alba Libera. Die Partisanenrepublik von Alba. 10. Oktober bis 2. November 1944. Zwei Vorträge (von Bodo Guthmüller und Rudolf Lill) aus Anlaß einer Ausstellung, Marburg 1986. Sophie G. Alf, Leitfaden Italien. Vom antifaschistischen Kampf zum historischen Kompromiß, Berlin 1977.

188 Walter Baum / Ernst Weichold, Der Krieg der »Achsenmächte« im Mittelmeer-Raum. Die »Strategie der Diktatoren«, Göttingen 1973. Hubertus Bergwitz, Die Partisanenrepublik Ossola 1944, Braunschweig 1972 (Mailand 1979). Von der Diktatur zur Demokratie. Deutschland und Italien in der Epoche nach 1943, Braunschweig 1973. Max Domarus, Mussolini und Hitler. Zwei Wege - gleiches Ende, Würzburg 1977. Karl Gundelach, Die deutsche Luftwaffe im Mittelmeer 1940-1945, 2 Bde., Frankfurt 1981. Werner Haupt, Kriegsschauplatz Italien 1943-1945, Stuttgart 1977. Erich Kuby, Verrat auf deutsch. Wie das Dritte Reich Italien ruinierte, Hamburg 1982. Conrad F. Latour, Südtirol und die Achse Berlin - Rom, Stuttgart 1962. Esther Modena-Burckhardt, Von >Giustizia e Libertà< zum >Partito d'AzioneReichseinsatzReichseinsatz< (wie Cajani), 51-89.

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Italienische Literatur / Übersetzungen ins Italienische zusammengestellt von Maddalena Guiotto

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Deportierte und Internierte in Deutschland Federico Cereja e Brunello Mantelli, Per una storia della deportazione italiana nei campi di sterminio nazisti, in: P. P. Poggio (a cura di), op. cit., S. 387-394. F. Cereja e B. Mantelli, La deportazione nei campi di sterminio nazisti, Milano 1986. Nicola Della santa (a cura di), I militari italiani internati dai tedeschi dopo 1*8 settembre 1943 (Atti del Convegno di studi, Firenze, 14-15 novembre 1985), Firenze 1986. Spostamenti di popolazione e deportazioni in Europa 1939-1945 (Atti del Convegno di studi, Carpi [Modena], 4 - 5 ottobre 1985), Bologna 1987 (s. bes. die Beiträge über Deportationen aus Italien von Liliana Picciotto Fargion, Giorgio Rochat, Alberto Cavaglion, Luciano Casali, Leopold Steurer, Galliano Fogar, Bruno Vasari: S. 297-488). Una storia di tutti. Prigionieri, internati, deportati italiani nella seconda guerra mondiale (Atti del Convegno di studi, Torino 2 - 3 - 4 novembre 1987), Milano 1989 (s. bes. die Beiträge von Enzo Collotti, Gerhard Schreiber, Waclaw Dlugoborski und Karl Heinz Roth: S. 99-190).

Vergleiche auch: Jean-Dominique Durand, L'Église catholique dans la crise d'Italie (1943- !"!8), École française de Rome, Paris - Padova 1991.