Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht [1 ed.] 9783428501083, 9783428101085

Treaty Overriding ist ein mittlerweile weit verbreitetes Phänomen des Internationalen Steuerrechts. Im Wege nachfolgende

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Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht [1 ed.]
 9783428501083, 9783428101085

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ANDREAS MUSIL

Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 66

Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht

Von Andreas Musil

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

MusiI, Andreas:

Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht I von Andreas Musi!. Berlin : Duncker und Humblot, 2000 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 66) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10108-1

0188 Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-10108-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1999 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Frühjahr 1999 abgeschlossen. Die bis zum Herbst 1999 erschienene Literatur konnte aber teilweise noch berücksichtigt werden. Da die Arbeit kurz nach Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages erscheint, sind zum besseren Verständnis des Lesers den Vorschriften des EGV noch die alten Numerierungen beigefügt. Mein herzlicher Dank gilt zu allererst meinem Doktorvater, Herrn Univ.-Prof. Dr. Markus Heintzen. Er hat die Arbeit in einer Art und Weise gefördert, wie man es jedem Doktoranden nur wünschen möchte. So hatte er jederzeit ein offenes Ohr für Fragen und Probleme und steuerte zahlreiche Anregungen und Ideen zu der Arbeit bei. Besonders hervorzuheben ist die zügige Korrektur des Manuskripts, die die Fertigstellung erheblich beschleunigt hat. Hinzu kam, daß er mich in der "heißen" Schreibphase von der täglichen Lehrstuhlarbeit freistellte. Weiterhin danke ich meinem Zweitkorrektor, Herrn Univ.-Prof. Dr. Albrecht Randelzhofer, für die Erstellung des Zweitgutachtens. Zu danken habe ich außerdem meinen Kolleginnen und Kollegen Martin Ribbrock, Volker Maaß, Sylvia Rosendahl, Andr~ Lietzmann sowie Miriam Dross Gutowski, die durch ihre ständige Bereitschaft, problematische Punkte der Arbeit mit mir zu diskutieren, aber auch durch ihre Hilfe bei den üblichen Motivationskrisen nicht unerheblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Danken möchte ich auch dem Verein Berliner Kaufleute und Industrieller e.V., der durch die Verleihung seines Preises für ,,Europaforschung in Berlin" 1999 den Druck der Arbeit ermöglicht hat. Nicht zuletzt danke ich den Herausgebern der "Schriften zum Europäischen Recht", Herrn Univ.-Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Univ.-Prof. Dr. Detlef Merten, für die Aufnahme der Arbeit in diese Reihe. Berlin, im November 1999

Andreas Musil

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

1. Kapitel

Gang der Untersuchung, Begriffsbestimmung, Völkerrechtliche Beurteilung von Treaty Overriding I. Gang der Untersuchung..........................................................

2S

n.

Der Begriff des Treaty Overriding ...............................................

26

1. Definition ....................................................................

26

2. Funktionsprinzipien der Doppelbesteuerungsabkommen ......................

27

a) Der grundlegende Regelungsgehalt der Doppelbesteuerungsabkommen ....

27

b) Verteilungs- und Vermeidungsnormen .....................................

28

3. Das Verhältnis von Doppelbesteuerungsabkommen und nationalem Steuerrecht. ... ... ..... ............ ......... ..... .......................... ..........

29

4. Einwirkungsformen des nationalen Rechts auf die Doppelbesteuerungsabkommen ..........................................................................

30

a) Auslegung abkommensrechtlicher Begriffe ................................

30

b) Anwendung nationalen Steuerrechts auf Fälle mit Abkommensbezug ......

32

c) Einwirkung auf die Doppelbesteuerungsabkommen im Wege der Gesetzgebung ....................................................................

33

5. Ergebnis ......................................................................

35

III. Grunde der Staaten fUr Treaty Overriding ........................................

36

IV. Völkerrechtliche Beurteilung von Treaty Overriding .............................

37

1. Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht und die Wiener Vertragsrechtskonvention ...........................................................................

37

2. Rechtfertigung des Verstoßes .................................................

38

3. Völkerrechtliche Reaktionsmöglichkeiten im Falle von Treaty Overriding .....

40

4. Ergebnis......................................................................

41

V. Deutsche Steuerrechtsnormen. fUr die die Frage nach einem Treaty Overriding diskutiert wird ...................................................................

41

8

Inhaltsverzeichnis

2. Kapitel

Treaty Overriding und deutsches Recht 1. Abschnitt VerfassungsrechtHcbe Grenzen und eiDfacbgesetzlicbe Vorgaben rlir Treaty Overriding

I. Vorbemerkungen zum Untersuchungsgegenstand ................................

42

ß. Das Rangverhältnis von in Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Normen (DBA-Normen) und einfachen Steuergesetzen ...................................

43

1. Rangerhöhung für DBA-Normen durch § 2 AO? ..............................

43

2. Der Rang von DBA-Normen nach dem Grundgesetz ..........................

44

a) Umsetzung völkerrechtlicher Verträge durch Art. 25 GG? . . . .. . . . . . . . . . . . . .

45

b) Das Zustimmungsgesetz als rangbestimmende Vorschrift..................

45

3. Kritik an der herrschenden Auffassung.......................................

48

4. V61kerrecht und Rechtsstaat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

a) Das Zustimmungsgesetz als speziellere Regelung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

b) Das Rechtsstaatsprinzip als Quelle einer Rangerhöhung ....................

49

aa) Die Rangbestimmung als ungeschriebenes Element des Rechtsstaatsprinzips ...............................................................

49

bb) Bindung an das Recht und Völkerrecht................................

50

cc) Rechtsstaat und die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes.....

51

5. V61kerrechtsfreundlichkeit und Rangbestimmung .............................

51

a) Herleitung und Inhalt des Prinzips der Völkerrechtsfreundlichkeit ..........

51

b) Die Rangbestimmung als Ausfluß der Völkerrechtsfreundlichkeit ..........

53

c) Stellungnahme ............................................................

53

aa) Die V6lkerrechtsfreundlichkeit als Staatsziel ..........................

53

bb) Die Rangfrage in den Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten...........

55

(1) Belgien .........................................................

56

(2) Dänemark .......................................................

56

(3) Finnland ........................................................

57

(4) Frankreich ......................................................

57

(5) Griechenland....................................................

58

(6) Irland ...........................................................

58

(7) Italien ...........................................................

58

(8) Luxemburg......................................................

59

Inhaltsverzeichnis

9

(9) Niederlande .....................................................

59

(10) Österreich.......................................................

59

(11) Portugal .........................................................

60

(12) Schweden.......................................................

60

(13) Spanien.........................................................

60

(14) Vereinigtes Königreich..........................................

61

(15) Zusammenfassung ..............................................

61

cc) Staatsziel und Rangbestimmung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . ·61 6. Ergebnis ......................................................................

63

III. Verstoß gegen andere Verfassungsnonnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

l. Treaty Overriding und Art. 25 GO ............................................

63

2. Treaty Overriding und Art. 59 II GG ..........................................

65

3. Ergebnis .....................................................................

67

IV. Treaty Overriding und § 2 AO ...................................................

67

l. Der Regelungsgehalt des § 2 AO . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

a) DBA-Nonnen als leges speciales ..........................................

67

b) § 2 AO als Derogation des Satzes ,,lex posterior derogat legi priori" .......

68

c) § 2 AO als Kodifikation des Grundsatzes völkerrechtskonfonner Auslegung. ........ .... ... ... .............. ......... ...... ...... ... ..... .... ...

69

d) Stellungnahme ............................................................

69

2. Anforderungen an ein DBA-Nonnen derogierendes Gesetz....................

71

3. Ergebnis .....................................................................

72

V. Gesamtergebnis

72

2. Abschnitt Deutsdle Treaty Overriding-Nonnen I. § 2 a I EStG .....................................................................

73

H. § 50 d I 1 EStG ..................................................................

74

IH. § 50 dIa EStG ..................................................................

76

IV. § 8 a KStG ......................................................................

76

V. § 6 AStG ........................................................................

77

VI. § 20 I i.V. m. §§ 7 -14 AStG - Hinzurechnungsbesteuerung .....................

78

l. Deutungsmöglichkeiten des § 20 I AStG ......................................

78

10

Inhaltsverzeichnis 2. Funktionsprinzipien der Hinzurechnungsbesteuerung

79

3. Das Verhältnis der Hinzurechnungsbesteuerung zu den Regelungen der Doppelbesteuerungsabkommen ...............................................

81

4. Ergebnis ......................................................................

83

VII. § 20 I LV.m. § 2011 AStG ........... ....................... ...... ...............

83

VIII. Ergebnis .........................................................................

85

3. Kapitel

Treaty Overriding und Europäisches Gemeinschaftsrecht 1. Abschnitt Grundlagen

I. Das Verhältnis des Gemeinschaftsrechts zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten...................................................... .....................

86

11. Europäisches Gemeinschaftsrecht und direkte Steuern ...........................

88

1. Die Rechtsangleichung durch sekundäres Gemeinschaftsrecht .. . . . . . . . . . . . . . . .

89

a) Kompetenztitel im EGV ...................................................

89

b) Bisherige Rechtssetzungstätigkeit der Organe..............................

90

2. Die Rechtsprechung des EuGH im Bereich der direkten Steuern. . . . . . . . . . . . . . .

90

III. Differenzierung des Untersuchungsgegenstandes - Der Tatbestand der Abkommensderogation und seine Auswirkungen ........................................

91

2. Abschnitt Der völkerrechtliche Tatbestand der Abkommensderogatlon und EuropiJsches Gemeinscbaftsrecbt

I. Verstoß gegen Art. 293 (ex-Art. 220) Spiegelstrich 2 EGV .......................

93

1. Die sich aus Art. 293 (ex-Art. 220) Spiegelstrich 2 EGVergebenden Pflichten

94

a) Art. 293 (ex-Art. 220) EGVals pflichtenbegrUndende Vorschrift ...........

94

b) Der Meinungsstand hinsichtlich einer Pflicht zum Vertragsschluß aus Art. 293 (ex-Art. 220) EGV ................ ....... ...... ..................

94

c) Stellungnahme ............................................................

95

d) Pflicht zur Einhaltung von Abkommen aus Art. 293 (ex-Art. 220) EGV? .. .

97

e) Pflicht zur Einhaltung von Abkommen aus Art. 293 (ex-Art. 220) LV. m. Art. 10 (ex-Art. 5) 11 EGV .................................................

97

2. Die von Art. 293 (ex-Art. 220) Spiegelstrich 2 EGVerfaßten Abkommen ..... 100

Inhaltsverzeichnis

11

a) Art. 293 (ex-Art. 220) EGVerfaßt nur Inter-se-Abkommen der Mitgliedstaaten .................................................................... 100 b) Bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen und Art. 293 (ex-Art. 220) Spiegelstrich 2 EGV ....................................................... 100 3. Ergebnis ..................................................................... 103

11. Beseitigung der Doppelbesteuerung als Ziel des Vertrages? ...................... 103 III. Verstoß gegen Art. 3 g) LV.m. Art. 10 (ex-Art. 5) 11 EGV ........................ 104 IV. Gesamtergebnis ................................................................. 104 3. Abschnitt

Die Auswirkungen von Treaty Overrldlng und die GrundfreJheiten des EGV I. Problemaufriß ................................................................... 105

11. Die Wirkungsweise von Doppelbesteuerungsabkommen und Grundfreiheiten .... 106 1. Begünstigende Wirkungen der Doppelbesteuerungsabkommen für grenzüberschreitend tätige Steuerpflichtige und deren Beeinträchtigung durch Treaty Overriding ..................................................................... 106 2. Die tatbestandliche Reichweite der Grundfreiheiten - Begriffsbestimmung .... 108 3. Die Wirkbedingungen der Grundfreiheiten bei der Erfassung nachteiliger Auswirkungen von Treaty Overriding ............................................. 109 4. Inter-se-Abkommen und Abkommen mit Drittstaaten im Rahmen der Grundfreiheiten ..................................................................... 112 III. Exkurs - Die Grundfreiheiten als Maßstabsnormen für die Doppelbesteuerungsabkommen selbst ................................................................ 112 IV. Bereits praktiziertes deutsches Treaty Overriding und Grundfreiheiten - § 20 11 AStG ............................................................................ 114

I. Anlaß der Vorschrift.......................................................... 114 2. Der Inhalt der Neuregelung ................................................... 116 3. Die Voraussetzungen des § 20 11 AStG im einzelnen. . .. . .... . . .. . . . ... . . . . .. . 117 4. Auswirkungen des § 20 11 AStG auf die Vermeidungsnormen der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen ............................................... 118 5. § 20 11 AStG und die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 (ex-Art. 30) EGV, die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 (ex-Art. 59) EGV sowie die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 (ex-Art. 48) EGV ......................... 119

12

Inhaltsverzeichnis 6. § 20 11 AStG und die Niederlassungsfreiheit gern. Art. 43 (ex-Art. 52) EGV ... 119 a) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich .......................... 119 b) Der Schutzumfang der Niederlassungsfreiheit als entscheidendes Kriterium für deren Anwendbarkeit auf § 2011 AStG ................................. 121 c) Der über das Gebot der Inländergleichbehandlung hinausgehende Gehalt der Niederlassungsfreiheit ................................................. 122 aa) Die Niederlassungsfreiheit als Verbot von Wegzugsbeschränkungen ... 123 (1) Der effet utile als ausreichende Legitimationsbasis für Rechtsfortbildung durch den EuGH .................................... 123 (2) Die den Wegzugsbeschränkungen zugrundeliegende Konzeption 125 bb) Die Niederlassungsfreiheit als Verbot nichtdiskriminierender Behinderungen ................................................................ 127 (1) Die Entwicklung der Niederlassungsfreiheit zu einem allgemeinen Beschränkungsverbot in der Rechtsprechung des EuGH ..... 127 (2) Die Diskussion in der Literatur .................................. 129 (3) Stellungnahme.................................................. 132 (4) Die konkrete Reichweite des allgemeinen Beschränkungsverbots - Beschränkungsverbot als Regel oder Ausnahme? .............. 134 cc) Ausnahmen vom Verbot nichtdiskriminierender Beschränkungen im Rahmen der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 dd) Ausnahme für Niederlassungsausübungsvorschriften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit ................................................ 137 ee) Ausnahme für direkt-steuerliche Vorschriften im Rahmen der Niederlassungsfreiheit? ...................................................... 139 (1) Das besondere Konfliktpotential direkt-steuerlicher Vorschriften im Rahmen der Grundfreiheiten ................................. 140 (2) Rechtsprechung des EuGH zu den direkten Steuern und allgemeines Beschränkungsverbot .................................... 143 (a) Daily Mail .................................................. 143 (b) lei...... ..... ............................................... 144

(c) Werner...................................................... 145 (d) Futura ...................................................... 145 (e) Gilly........................................................ 149 (f) Auswertung................................................. 151

(3) Schlußfolgerungen aus den bisher gefundenen Ergebnissen...... 152 d) Zwischenergebnis ......................................................... 155

Inhaltsverzeichnis

13

e) Inter-se-Abkommen und Drittstaatsabkommen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 155 f) Rechtfertigungsgriinde für die Switch-over-Klausel des § 2011 AStG ...... 156

aa) Die Kohärenz des Steuersystems als Rechtfertigungsgrund ............ 156 bb) Die Verhinderung steuerlichen Mißbrauchs als Rechtfertigungsgrund .. 159 (l) Die Berücksichtigung von Mißbrauchsargumenten in der Ge-

meinschaftsrechtsordnung ....................................... 159 (2) Steuerlicher Mißbrauch als Tatbestandsausschluß- oder Rechtfer-

tigungsgrund? ................................................... 162

(3) Zwischenergebnis............................................... 162 (4) Der Mißbrauchsbegriff - mitgliedstaatlicher oder gemeinschafts-

rechtlicher Maßstab? ............................................ 163 (5) Der gemeinschaftsrechtliche Begriff steuerlichen Mißbrauchs ... 165 (a) Steuerlicher Mißbrauch und Steuerumgehung ............... 165 (b) Quellen der Begriffsbestimmung............................ 167 (c) Deutschland ................................................ 168 (d) Großbritannien.............................................. 171 (e) Frankreich.................................................. 172 (f) Italien ...................................................... 173

(g) Übrige Mitgliedstaaten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 (h) Ergebnis des Vergleichs ..................................... 174 (i) Bedeutung des Ergebnisses flir einen europäischen Miß-

brauchsbegriff .............................................. 175

(j) Die Steuerumgehung als nicht einziger, aber hauptsächlicher Beweggrund................................................ 175

(6) Ergebnis ........................................................ 176 g) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Schranken-Schranke ........... 177 h) Ergebnis................................................................... 179 7. § 20 11 AStG und die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 56 (ex-Art. 73 b) EGV .......................................................................... 179 a) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich .......................... 179 b) Der Schutzumfang der Kapitalverkehrsfreiheit ............................. 180 c) Mittelbare Beschränkungen im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit ....... 181 aa) Rechtsprechung des EuGH ............................................ 181 (I) Bachmann ...................................................... 181

(2) Svensson/Gustavsson ........................................... 182 (3) Saftr ............................................................ 182

(4) Bewertung ...................................................... 183

14

Inhaltsverzeichnis bb) Die Unmittelbarkeit als entscheidendes Kriterium fUr die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit? ...................................... 183 ce) Die Einzelfallspezialität als entscheidender Gehalt der Aussagen des Gerichtshofs .......................................................... 185 dd) Die Sachnähe als entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Einzelfallspezialität ...................................................... 186 ee) Ergebnis.............................................................. 187

d) Das Verhältnis von Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit ..... 188 aa) Meinungsstand ........................................................ 188

bb) Stellungnahme........................................................ 189 e) Zwischenergebnis......................................................... 191 f) Inter-se-Abkommen und Drittstaatsabkommen ............................. 191

g) Rechtfertigungsgrilnde für die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch § 20 n AStG ........................................................ 192 aa) Rechtfertigung aufgrund von zwingenden Allgemeininteressen ........ 192

bb) Rechtfertigung aufgrund von Art. 58 (ex-Art. 73 d) Ia EGV ........... 192 (1) Stellung und Bedeutung von Art. 58 (ex-Art. 73 d) I a EGV und

sein Verhältnis zu Art. 58 (ex-Art. 73 d) In EGV ................ 192

(a) Meinungsstand .............................................. 193 (b) Stellungnahme.............................................. 193

(2) § 2011 AStG als Anwendungsfall von Art. 58 (ex-Art. 73 d) I a

EGV ............................................................ 194

(3) Die Schranken-Schranke des Art. 58 (ex-Art. 73 d) In EGV ..... 195

ce) Rechtfertigung aufgrund von Art. 58 (ex-Art. 73 d) I b EGV ....... .... 196 h) Ergebnis.................................................................... 196 V. § 50 dIa EStG .................................................................. 196 1. Treaty Shopping und Directive Shopping im Rahmen von § 50 dIa EStG . . . . . 197 2. Typische Treaty Shopping-Gestaltungen ...................................... 198 3. Tatbestandsvoraussetzungen und Anwendungsbereich des § 50 dIa EStG .... 199

a) Voraussetzungen .......................................................... 199 b) Rechtsfolgen und Anwendungsbereich ..................................... 200 4. Auswirkungen des § 50 dIa EStG auf die Verteilungsnormen der deutschen Doppelbesteuerungsabkommen ............................................... 202 a) Dividenden ................................................................ 202 b) Zinsen..................................................................... 203

Inhaltsverzeichnis c) Lizenzgebühren

15 204

d) Einkünfte von Künstlern und Sportlern .................................... 204 e) Auswertung ............................................................... 206 5. § 50 dia EStG und die Niederlassungsfreiheit ................................ 206 a) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich .......................... 206 b) Anwendung des allgemeinen Beschränkungsverbots auf § 50 dia EStG ... 208 c) Inter-se-Abkommen und Drittstaatsabkommen ............................. 208 d) Rechtfertigung der Beschränkung durch zwingende Allgemeininteressen .. 208 e) Die Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit .......................... 209 f) Ergebnis ................................................... ~ . . . . . . . . . . . . . .. 209

6. § 50 dia EStG und die Kapitalverkehrsfreiheit ............................... 209 a) Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich .......................... 209 b) Inter-se-Abkommen und Drittstaatsabkommen ............................. 211 c) Rechtfertigung aufgrund von legitimen Allgemeininteressen ............... 212 d) Ergebnis................................................................... 212 VI. Ergebnis der Untersuchung über die Vereinbarkeit deutscher Treaty OverridingVorschriften mit den Grundfreiheiten des EGV ................................... 212 VII. Verallgemeinerungsfähige Aussagen über die den Grundfreiheiten zu entnehmenden Grenzen f1lr Treaty Overriding .............................................. 213 1. Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ...................................... 213 a) Sachlicher Anwendungsbereich ............................................ 213 b) Persönlicher Anwendungsbereich - Inter-se-Abkommen und Abkommen mit Drittstaaten . ......... ... ...... ........... ......... ......... ..... ....... 214 2. Rechtfertigungsmöglichkeiten rur Treaty Overriding im Rahmen der Grundfreiheiten ..................................................................... 214 a) Die Grundfreiheiten als Schutznonnen rur die arn zwischenstaatlichen Handel Teilnehmenden .................................................... 214 b) Mögliche Rechtfertigungsgründe für Treaty Overriding-Vorschriften ....... 215 3. Der Maßstab der Verhältnismäßigkeit als entscheidendes Kriterium........... 216 4. Ergebnis...................................................................... 217

4. Abschnitt

Die Auswirkungen von Treaty OverricUng und sekundäres Gemeinschaftsrecht I. Mutter-Tochter-Richtlinie ........................................................ 218 1. Anwendungsbereich .......................................................... 218

16

Inhaltsverzeichnis 2. Die Mißbrauchs vorschrift des Art. 1 11 Mutter-Tochter-Richtlinie

219

3. Ergebnis ..................................................................... 220 11. Fusionsrichtlinie ................................................................. 220

1. Anwendungsbereich .......................................................... 220 2. Die Mißbrauchsvorschrift des Art. 11 I a Fusionsrichtlinie .................... 221 3. Ergebnis ..................................................................... 221 111. Endergebnis ..................................................................... 221

4. Kapitel

Die erweiterte Auslegung der Personenverkehrsrreiheiten und ihre Bedeutung rür die Harmonisierung der direkten Steuern, insbesondere der Unternehmensbesteuerung I. Stand der Hannonisierungsbemühungen ......................................... 222 11. Die Auffassung der Kommission zu einer vollständigen Steuerhannonisicrung ... 223 III. Steuerhannonisierung oder Wettbewerb der Systeme? ........................... 224 IV. Zwischenergebnis ............................................................... 226 V. Der Einfluß des EuGH auf die Steuerhannonisierung ............................ 226 VI. Der bisherige Einfluß im Bereich der direkten Steuern ........................... 226 VII. Veränderungen durch eine erweiterte Auslegung der Personenverkehrsfreiheiten - Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen ........................................ 230

Literaturverzeichnis .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Auffassung

AbI.

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften

Abschn.

Abschnitt

AG amtl.

Aktiengesellschaft amtlich

Anm.

Anmerkung Abgabenordnung

AO Art. AStG BB Beil. Beschl. BFH

Artikel Außensteuergesetz Betriebsberater Beilage Beschluß Bundesfinanzhof

BFHE

Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesfinanzhofs

BFH-NV

Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

BGB BGBI. BStBI.

Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt

BT-Drs. BVerfGE C. Cass. C. Cost

Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts

C.M.L.Rev.

Cour de Cassation Corte Costitutionale Conseil d'Etat Chambre mixte Common Market Law Review

C.sJ.

Cour superieure de Justice du Grand-Duche du Luxembourg

C.E. Ch. Mixte

DAB DB

Deutsches Architektenblatt

DBA

Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen

ders.

derselbe

DÖV DTC D.R. DVBI. EC Ed.

Die Öffentliche Verwaltung

2 Mosil

Dominion Tax Cases Diario da Republica Deutsches Verwaltungsblatt European Community Editor

18

Abkünungsverzeichnis

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

EG

Europäische Gemeinschaft(en) .

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Einl.

Einleitung

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EStDV

Einkommensteuer-Durchführungsverordnung

EStG

Einkommensteuergesetz

ET

European Taxation

EuGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EuR

Europarecht

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische WIrtschaftsgemeinschaft

EWGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f.

folgende (eine Seite)

ff.

folgende (mehrere Seiten)

FG

Finanzgericht

Fn.

Fußnote

FR

Finanzrundschau

FS

Festschrift

FW GG Giur. cost. GmbH

Die Friedens-Warte Grundgesetz Giurisprudenza costituzionale Gesellschaft mit beschränkter Haftung

G.P.

Gazette du Palais

GS

Gedenkschrift

GYlL

German Yearbook of International Law

h.M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

HStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland

IFSC

International Financial Services Center

IGH

Internationaler Gerichtshof

I.L.R.M. IStR

lrish Law Reports Monthly Internationales Steuerrecht

ITC

Belgisches Einkommensteuergesetz

J.C.P.

La Semaine Juridique

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts

J.O.R.E

Journal Officiel De La Republique Francaise

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KGaA

Kommanditgesellschaft auf Aktien

AbkUrzungsverzeichnis KStG m.w.N. NJ NJW Nr. NVwZ OECD OECD-MA Pasic. Lux. Rec. RGBI. RIW RIW/AWD Rs. r.t.d.e. Rz.

S. StÄndG StAnpG STC St. Rspr. StuW Urt. USA

v. Verb. Rs. Vgl. WuV z.B. ZfB Zit.

Körperschaftsteuergesetz mit weiteren Nachweisen Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD-Musterabkommen Pasicrisie Luxembourgeoise Reeueil Reichsgesetzblatt Reeht der internationalen Wirtschaft Recht der internationalen Wirtschaft I AuBenwirtschaftsdienst Rechtssache revue trimestrielle de droit euro.,een Randziffer Seite Steueränderungsgesetz Steueranpassungsgesetz Simon's Tax Cases Ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft Urteil Vereinigte Staaten von Amerika von oder vom Verbundene Rechtssachen Vergleiche Wirtschaft und Verwaltung zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zitiert

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Einleitung Treaty Overriding ist eine relativ neue Erscheinung in der Praxis des Internationalen Steuerrechts. Im Jahre 1980 beschloß der US-amerikanische Gesetzgeber mit dem Foreign Investment in Real Property Act (,,FIRPTA") ein Gesetz, in dem vorgesehen war, daß bestimmte seiner Vorschriften, soweit sie zu Doppelbesteuerungsabkommen in Widerspruch stünden, erst nach fünf Jahren, dann aber ohne Rücksicht auf diese Abkommen in Kraft treten sollten 1. Offen wurden die völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA, die aus deren Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Staaten erwuchsen, durch eine einseitige staatliche Maßnahme übergangen. Für diesen Bruch von Doppelbesteuerungsabkommen im Wege staatlicher Gesetzgebung hat sich der Begriff "Treaty Overriding" eingebürgert2 • Der geschilderte Fall von Treaty Overriding ist in der Folgezeit kein Einzelfall geblieben. Mehrfach wurden durch die USA solche Steuergesetze beschlossen, die Verpflichtungen aus Doppelbesteuerungsabkommen negierten 3 • Dieses Vorgehen wurde durch mehrere Staaten heftig kritisiert4 . Vor allem die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich gegen ein solches Treaty Overriding der USA gewandt5 • Diese Kritik hat einige Mitgliedstaaten indes nicht daran gehindert, in der Folgezeit selbst das Vorgehen der Vereinigten Staaten zum Vorbild zu nehmen und ihrerseits Gesetze, die im offenen Widerspruch zu Abkommensverpflichtuogen stehen, zu erlassen6 • Treaty Overriding ist mittlerweile zu einer so verbreiteten Erscheinung in der Praxis des Internationalen Steuerrechts avanciert, daß sich sogar der OECD-Steuerausschuß genötigt sah, einen Bericht zu diesem Thema zu verfassen, in dem er die Mitgliedstaaten der OECD aufforderte, künftig derartige Praktiken zu unterlassen7 . Auch dieser Appell hat jedoch die Entwicklung nicht stoppen können. Vg!. Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 129. Näheres zur Begriffsbestimmung siehe 1. Kap., 11. 3 Vg!. zur immer noch zunehmenden Treaty Overriding-Praxis des US-Kongresses Eilers, Verschärfung des Steuerklimas für ausländische Investoren in den USA, RIW 1990, S. 741 ff., 743; Langbein, Treaty Overriding nach US-Recht, RIW 1989, S. 245; ders., "Treaty Overriding" durch nationales Recht, RIW 1988, S. 875 ff. 4 Vg!. Langbein. "Treaty Overriding" durch nationales Recht, RIW 1988, S. 875. S In einem gemeinsamen Schreiben vom 18. 2. 1988 haben sich zehn Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gegen ein amerikanisches Treaty Overriding verwahrt, vg!. Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 129. 6 Zu Fällen österreichischen Treaty Overridings siehe Lang, Entwicklungstendenzen in der Abkommenspolitik Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, IStR 1996, S. 201 ff., 206. 7 OECD Committee on Fiscal Affairs, Tax treaty Override, 1989, in: Model Tax Convention on Income and Capital, Volume 11, R (8)-1 ff. 1

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Einleitung

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Der Grund, warum immer mehr Staaten zum Mittel des Treaty Overriding greifen, ist vor allem darin zu sehen, daß sie ohne ein solches Vorgehen beträchtliche Steuerausfälle durch den Abfluß von Kapital zu befürchten hätten. Einige der Abkommensvorschriften machen durch die Gewährung von Steuererleichterungen und -befreiungen für grenzüberschreitend tätige Steuerpflichtige die Kapitalverlagerung ins Ausland attraktiv 8 • Bei der Ausnutzung derartiger Steuervorteile kommt es teilweise auch zur mißbräuchlichen Inanspruchnahme von begünstigenden Abkommensvorschriften (sog. Treaty Shopping)9 durch einzelne Steuerpflichtige, für deren Verhinderung viele Abkommen keine ausreichende Handhabe bieten. Viele Staaten sehen Treaty Overriding als Möglichkeit, die beschriebenen nachteiligen Auswirkungen für ihr Steueraufkommen zu beseitigen, ohne den oft beschwerlichen Verhandlungsweg zur Änderung der Doppelbesteuerungsabkommen gehen zu müssen lO• Mittlerweile hat sich auch Deutschland zu denjenigen Staaten gesellt, die sich des Mittels des Treaty Overriding bedienen. Seit Anfang der neunziger Jahre existieren im deutschen Steuerrecht einige Vorschriften, die als Treaty Overriding qualifiziert werden können 1I. Diese Entwicklung hat die Steuerrechtswissenschaft auf den Plan gerufen. Sie versucht, die mit Treaty Overriding verbundenen Probleme und Konflikte einer befriedigenden Lösung zuzuführen. In Übereinstimmung mit dem Steuerausschuß der OECD ist man allgemein der Auffassung, daß Treaty Overriding eine mißbilligenswerte Praxis des Steuergesetzgebers darstellt l2 • Dies sowohl wegen der damit verbundenen Auswirkungen auf die Vertragspartner der Abkommen, als auch wegen der Nachteile fUr die betroffenen Steuerpflichtigen. Die Tatsache, daß Treaty Overriding einen Völkerrechtsverstoß beinhaltet, ist aber de facto nicht geeignet, den Gesetzgeber von einem solchen Vorgehen abzubringen, denn auf völkerrechtlicher Ebene ist Treaty Overriding durch die betroffenen Vertragspartner nicht wirksam sanktioniert worden l3 • Dies hat vor allem damit zu tun, daß die Vertragsstaaten nicht geneigt sind, ein bestehendes Doppelbesteuerungsabkommen insgesamt zu gefährden, indem sie gegen die durch Treaty Overriding bewirkten Eingriffe in die Abkommenssystematik vorgehen, da die mit diesen Eingriffen verbundenen Nachteile im Vergleich zu den Vorteilen, die die Abkommen den Staaten bieten, Zur Wirkungsweise von Doppelbesteuerungsabkommen vgl. ausführlich 1. Kap., 11. 2. Vgl. hierzu ausführlich Kraft, Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, und unten 3. Kap., 3. Abschn., V. 10 Auf die wachsende Brisanz von Treaty Overriding in der Praxis des Internationalen Steuerrechts weist Lang, Entwicklungstendenzen in der Abkommenspolitik Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, IStR 1996, S. 201 ff., 206, hin. 11 Siehe ausführlich 2. Kap., 2. Abschn. 12 Siehe Leisner, Abkommensbruch durch AuBensteuerrecht?, RIW 1993, S. 1013 ff., 1014; Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, JZ 1997, S. 161 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.27, m. w. N. 13 So hat etwa das betroffene Irland gegen die noch zu besprechenden Änderungen des deutschen AuBensteuergesetzes im Jahre 1992 keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, siehe hierzu 3. Kap., 3. Abschn., IV. 1. 8

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Einleitung

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kaum ins Gewicht fallen 14. Aufgrund dieser Sachlage ist nicht zu erwarten, daß Treaty Overriding in Zukunft auf wirkungsvolle völkerrechtliche Sanktionen triffi. Einzelne Steuerpflichtige, die von der Yersagung von Abkommensvergünstigungen schwer betroffen sein können, haben auf völkerrechtlicher Ebene aufgrund der Mediatisierung des einzelnen keine Möglichkeit, gegen Treaty Overriding vorzugehen. Es ist daher mehrfach versucht worden, dem deutschen Yerfassungsrecht Normen zu entnehmen, die bereits auf nationaler Ebene zur Unwirksamkeit deutschen Treaty Overridings führen lS . Gäbe es solche Normen, so stünde gegen Treaty Overriding der innerstaatliche Rechtsweg offen. Bisher ist es jedoch - wie noch zu zeigen sein wird - nicht gelungen, die Unwirksamkeit von Treaty Overriding aus dem deutschen Yerfassungsrecht herzuleiten 16. Damit fällt der Blick auf das Europäische Gemeinschaftsrecht. Möglicherweise lassen sich hier Normen identifizieren, die einem Treaty Overriding Schranken setzen können. Für Teilbereiche sind in der Literatur bereits solche Grenzen herausgearbeitet worden 17 • Eine umfassende Untersuchung des Problembereichs fehlt jedoch bisher noch. Es ist noch nicht hinreichend geklärt, inwieweit sich dem Gemeinschaftsrecht Beurteilungsmaßstäbe für die Erscheinung "Treaty Overriding" in ihrer Gesamtheit entnehmen lassen. Diese Lücke soll mit der vorliegenden Arbeit geschlossen werden. Die Erkenntnis, daß das Gemeinschaftsrecht dem mitgliedstaatlichen Steuerrecht - und hier vor allem dem Recht der direkten Steuern - in weitem Umfang Grenzen setzen kann, ist noch relativ neu. Der EGY hält im Bereich der direkten Steuern nur eine begrenzte Rechtsangleichungskompetenz bereit l8 • Jedoch hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden nur Gerichtshof oder EuGH) in den vergangenen zehn Jahren verstärkt mitgliedstaatliche Vorschriften aus dem Bereich der direkten Steuern am Maßstab des Gemeinschaftsrechts überprüft. Als Maßstab dienten vor allem die Grundfreiheiten des EGy I9 • Damit hat 14 Auf diesen Umstand weist lAngbein, "Treaty Overriding" und nationales Recht, RIW 1988, S. 875 ff., 878 besonders hin. " Zuletzt Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, JZ 1997, S. 161 ff. 16 Siehe hierzu ausführlich unten 2. Kap., 1. Abschn. 17 V gl. Seer, Grenzen der Zulässigkeit eines treaty overridings am Beispiel der Switchover-Klausel des § 20 AStG, IStR 1997, S. 481 ff.; Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 208 ff. 18 Lediglich auf der Grundlage von Art. 94 (ex-Art. 100) EGV kann das Recht der direkten Steuern harmonisiert werden, siehe ausführlich 3. Kap., 1. Abschn., 11. 1. a). 19 Vgl. EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. 270/83, Sig. 1986, S. 273 ff., Avoir fiscal; EuGH, Urt. v. 27. 9. 1988, Rs. 81/87, Sig. 1988, S. 5483 ff., Daily Mail; EuGH, Urt. v. 8. 5. 1990, Rs. 75/88, Sig. 1990, S. 1779, Biehl; EuGH, Urt. v. 28.1. 1992, Rs. C-204/9O, Sig. 1992, S. 1-249 ff., Bachmann; EuGH, Urt. v. 28. 1. 1992, Rs. C-300/9O, Sig. 1992, S. 1-305 ff., Kommission/Belgien; EuGH, Urt. v. 26. 1. 1993, Rs. C-1I2/91, Sig. 1993, S. 1-429 ff., Wemer; EuGH, Urt. v. 13. 7. 1993, Rs. C-330/91, Sig. 1993, S. 1-4017 ff., Commerzbank; EuGH, Urt. v. 12. 4. 1994, Rs. C-l/93, Sig. 1994, S. 1-1137 ff., Halliburton; EuGH, Urt. v. 14.2. 1995, Rs. C-279/93, Sig. 1995, S. 1-225 ff., Schumacker; EuGH, Urt. v. 11.8. 1995, Rs. C-80/94, Sig. 1995, S. 1-2493 ff., Wielockx; EuGH, Urt. v. 26. 10. 1995, Rs. C-lSl/94,

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Einleitung

der Gerichtshof gleichsam die mangelnde Rechtssetzungskompetenz teilweise durch die Ausnutzung seiner Rechtsprechungskompetenz ausgeglichen. Die Grundfreiheiten werden so mehr und mehr zu den entscheidenden Instrumenten der Integration. Vor allem im Bereich der Personenverkehrsfreiheiten (Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit) sind aber noch einige Fragen hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs und Schutzumfangs offen. Auch nach den Urteilen ,,Bosman,,20 und "Gebhard,,21 ist nicht klar, ob das vom Gerichtshof dort angewandte allgemeine Beschränkungsverbot auf alle mitgliedstaatlichen Vorschriften Anwendung finden soll oder ob es Ausnahmen geben muß. Weiterhin ist zu fragen, ob mit einer Ausweitung des tatbestandlichen Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten nicht auch eine Ausweitung mitgliedstaatlicher Rechtfertigungsmöglichkeiten aufgrund von legitimen Allgemeininteressen einhergehen muß. Besonderes Augenmerk verdient im Zusammenhang mit Treaty Overriding ein etwaiger Rechtfertigungsgrund der Bekämpfung steuerlichen Mißbrauchs, da die Staaten oft den Zweck der Mißbrauchsverhütung als Grund für Treaty Overriding angeben 22 . Auch hinsichtlich der Einordnung der mit Beginn des Jahres 1994 primärrechtlich neu geregelten Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit in den Kontext der übrigen Grundfreiheiten bestehen noch Unklarheiten. Will man die Grenzen exakt bestimmen, die sich den Grundfreiheiten für mitgliedstaatliches Treaty Overriding möglicherweise entnehmen lassen, muß man sich in vertiefter Form auch mit diesen ungelösten Problemen der Grundfreiheitsdogmatik befassen23 . Hierin wird ein Hauptteil der Arbeit liegen. Gewissermaßen als Nebenprodukt der Untersuchung werden sich im weiteren Verlauf Erkenntnisse über die Reichweite der Grundfreiheiten gewinnen lassen, die im Rahmen des Rechtes der direkten Steuern auch unabhängig vom Vorliegen eines Treaty Overriding Bedeutung erlangen können. Von Interesse ist hier insbesondere die Frage, inwieweit sich eine erweiterte Auslegung der Personenverkehrsfreiheiten auf den Harmonisierungsprozeß im Bereich der direkten Steuern, hier vor allem der Unternehmensbesteuerung, auswirkt24 • Demgegenüber wird das Sekundärrecht für die folgende Untersuchung aufgrund der geringen Rechtssetzungskompetenzen der Gemeinschaft im Bereich der direkten Steuern kaum eine Rolle spielen25 .

Sig. 1995, S. 1-3685 ff., Biehl 11; EuGH, Urt. v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94, Sig. 1996, S. 13089 ff., Asscher; EuGH, Urt. v. 15.5. 1997, Rs. C-250/95, Sig. 1997, S. 1-2471 ff., Futura; EuGH, Urt. v. 12. 5. 1998, Rs. C-336/96, Sig. 1998, S. 1-2793 ff., Gilly; EuGH, Urt. v. 16.7. 1998, Rs. C-264/96, Sig. 1998, S. 1-4695 ff., ICI. 20 EuGH, Urt. v. 15. 12. 1995, Rs. C-415193, Sig. 1995, S. 1-4921 ff., Bosman. 21 EuGH, Urt. v. 30.11. 1995, Rs. C-55 I 94, Sig. 1995, S. 1-4165 ff., Gebhard. 22 Vg!. Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 131. 23 Dazu die ausführliche Untersuchung im 3. Kap., 3. Abschn. 24 Siehe hierzu 4. Kap. 2!1 Siehe hierzu 3. Kap., 4. Abschn.

1. Kapitel

Gang der Untersuchung, Begriffsbestimmung, Völkerrechtliche Beurteilung von Treaty Overriding I. Gang der Untersuchung Das erste Kapitel der Arbeit widmet sich zunächst der Konkretisierung des Begriffs des Treaty Overriding und der Abgrenzung zu anderen Formen staatlicher Einflußnahme auf Regelungen von Doppelbesteuerungsabkommen. Im Anschluß daran wird die Vereinbarkeit von Treaty Overriding mit dem Volkerrecht untersucht. Im zweiten Kapitel verengt sich die Betrachtung auf die Zulässigkeit und Wirksamkeit deutschen Treaty Overridings nach deutschem Verfassungsrecht. Es werden dann die Vorgaben des deutschen Rechts für ein wirksames Treaty Overriding herausgearbeitet (1. Abschnitt). Im Anschluß daran lassen sich diejenigen Vorschriften des deutschen Steuerrechts identifizieren, die als wirksames Treaty Overriding zu qualifizieren sind (2. Abschnitt). Das dritte Kapitel enthält den Hauptteil der Untersuchung. Es gliedert sich in vier Abschnitte. Nachdem im ersten Abschnitt grundlegende Fragen des Verhältnisses von deutschem Steuerrecht und Europäischem Gemeinschaftsrecht behandelt werden, kann im zweiten Abschnitt gefragt werden, ob das Gemeinschaftsrecht Normen enthält, die einem Treaty Overriding der Mitgliedstaaten in seiner Eigenschaft als völkerrechtliche Erscheinung entgegenstehen. Anschließend wird auf die Vereinbarkeit der Auswirkungen von Treaty Overriding auf einzelne Steuerpflichtige mit den Grundfreiheiten des EGV eingegangen. Diese Untersuchung wird anhand deIjenigen Vorschriften des deutschen Steuerrechts durchgeführt, die als Fälle deutschen Treaty Overridings identifiziert werden konnten. Dabei wird in vertiefter Form die Dogmatik der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit zu behandeln sein. Im Anschluß daran lassen sich allgemeine Aussagen über die den Grundfreiheiten zu entnehmenden Grenzen für mitgliedstaatliches Treaty Overriding gewinnen. Schließlich wird im vierten Abschnitt gefragt, ob sich auch dem Sekundärrecht Schranken für Treaty Overriding entnehmen lassen. Das vierte Kapitel widmet sich der weitergehenden Frage, welche Auswirkungen eine Auslegung der Personenverkehrsfreiheiten als allgemeine Beschränkungsverbote auf den Harmonisierungsprozeß im Bereich der direkten Steuern hat.

1. Kap.: Begriffsbestimmung und Völkerrechtliche Beurteilung

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n. Der Begriff des Treaty Overriding I. Definition

Der Begriff des Treaty Overriding entstammt dem amerikanischen Steuerrecht. Übersetzt bedeutet Treaty Overriding soviel wie "Abkommensüberrollung,,26. Diese Übersetzung eignet sich nicht als Fachterminus27 , weshalb sie im folgenden nicht weiter verwandt werden soll. Treaty Overriding bezeichnet einen Vorgang, bei dem durch zeitlich nachfolgende nationale Steuergesetzgebung die innerstaatliche Geltung einzelner Vorschriften von Doppelbesteuerungsabkommen geändert oder aufgehoben wird. In diesem Sinne definiert der Steuerausschuß der OECD Treaty Overriding als "the enactment of domestic legislation intended by the legislature to have effects in clear contradiction to international treaty obligations,,28. Will man diesen Vorgang mit einem der deutschen Rechtssprache entlehnten Begriff belegen, so bietet es sich an, von legislativer Abkommensderogation zu sprechen, da aufgrund eines legislativen Aktes Abkommensbestimmungen in ihrer innerstaatlichen Geltung derogiert werden. Die Begriffe des Treaty Overriding und der legislativen Abkommensderogation können im folgenden synonym gebraucht werden, wobei wegen der größeren Gebräuchlichkeit vorrangig auf den englischen Ursprungsbegriff zurückgegriffen wird. Die Formen und Schreibweisen des Begriffs weichen in der Literatur leicht voneinander ab. Teilweise wird von "treaty override,,29 gesprochen, teilweise von "Treaty Overriding,,3o. Beide Formen tauchen jeweils in Groß- und Kleinschreibung auf. Bedeutungsunterschiede sind damit nicht verbunden. Im folgenden wird einheitlich der Terminus "Treaty Overriding" verwandt. Der Begriff wird einheitlich groß geschrieben, da er wie ein deutscher Fachterminus verwandt und somit auch den dafür geltenden Rechtschreibregeln unterworfen wird. Wie der Eingriff in Doppelbesteuerungsabkommen im Wege nachfolgender Gesetzgebung im einzelnen vonstatten geht, kann erst näher umrissen werden, nachdem die Funktionsweise der Doppelbesteuerungsabkommen beleuchtet worden und eine Abgrenzung zu anderen Einwirkungsformen auf die Abkommenssystematik erfolgt ist.

Debatin, StÄndG 1992 und "Treaty Override", OB 1992, S. 2159. Kritisch zu dieser Fonnulierung auch Leisner, Abkommensbruch durch Au8ensteuerrecht?, RIW 1993, S. 1013 ff., 1016. 28 OECD Committee on Fiscal Affairs, Tax treaty Override, 1989, in: Model Tax Convention on Income and Capital, Volume 11, R (8)-4. 29 Etwa Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 127 ff.; Debatin, StÄndG 1992 und "Treaty Override", OB 1992, S. 2159. 30 Seer, Grenzen der Zulässigkeit eines treaty overridings am Beispiel der Switch-overKlausel des § 20 AStG, IStR 1997, S. 481 ff.; SchwanlFischer-Zemin, Deutsches "Treaty Overriding" im Entwurf zum Steueränderungsgesetz 1992, RIW 1992, S. 49 ff. 26

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11. Der Begriff des Treaty Overriding

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2. Funktionsprlnzipien der Doppelbesteuerungsabkommen

a) Der grundlegende Regelungsgehalt der Doppelbesteuerungsabkommen

Teilweise wird angenommen, den in Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Vorschriften komme die Funktion zu, einen Staat im Verhältnis zum Vertragspartner zur Besteuerung eines Sachverhalts zu "ermächtigen,,31 oder den Vertragsparteien Besteuerungsrechte zuzuteilen 32 • Nach anderer Ansicht haben die Doppelbesteuerungsabkommen die Aufgabe, einen bestehenden Kompetenzkonflikt zu lösen 33 . Diese Ansätze werden überwiegend als verfehlt angesehen34 • Dies vor allem deshalb, weil zu Recht die Erkenntnis Raum gegriffen hat, daß Besteuerungsrechte den Staaten originär zustehen und nicht erst verliehen werden müssen3S . Die Doppelbesteuerungsabkommen treffen also auf einen Rechtszustand, der von einer nahezu unbeschränkten Steuerkompetenz der Staaten gekennzeichnet ist. Das V6lkerrecht verlangt lediglich, daß ein gewisser räumlicher oder personeller Anknüpfungspunkt für die Besteuerung durch einen Staat vorhanden ist36. Dementsprechend besteuern die meisten Staaten ihre eigenen Gebietsansässigen nach dem sogenannten Welteinkommensprinzip; das heißt, alle Einnahmen, gleich wo sie erzielt wurden, werden zur Besteuerung herangezogen. In dieser Rolle bezeichnet man den besteuernden Staat als Ansässigkeitsstaat. Gleichzeitig werden nach dem Territorialitätsprinzip alle auf dem eigenen Hoheitsgebiet erzielten Einkünfte, gleich wem sie zuzurechnen sind, besteuert37 . Aufgrund dieser Besteuerung von Einkünften an der Quelle ihrer Entstehung wird der besteuernde Staat als Quellenstaat bezeichnet. Die kumulative Anwendung von Welteinkommensprinzip und Territorialitätsprinzip führt in vielen Fällen grenzüberschreitender Wirtschaftsaktivität zu einer doppelten Inanspruchnahme des gleichen Steuerpflichtigen38 . Solche Doppelbesteuerungsfälle werden von den meisten Staaten wegen der mit ihnen Siehe hierzu Vogel in: Vogel, DBA, Ein\., Rz. 45 b. Schanz. Die Doppelbesteuerung und der Völkerbund, Finanz-Archiv Bd. 40 (1923), S.353. 33 Fischer-Zernin, Doppelbesteuerungsabkommen als Instrumente des Völkerrechts und des innerstaatlichen Rechts, RIW 1987, S. 785 ff., 786. 34 Zur Begründung siehe ausführlich Debatin, Zum Grundverständnis der Doppelbesteuerungsabkommen, R1W 1988, S. 727 ff., 728; vg\. auch Vogel in: Vogel, DBA, Ein\., Rz. 45 b. 35 Debatin, (Fn. 34), S. 728. 36 Zu völkerrechtlichen Determinanten des Besteuerungsrechts siehe Vogel in: Vogel, DBA, Ein\., Rz. 6. 37 Siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 5.2 ff. 38 Zu den möglichen Erscheinungsformen der Doppelbesteuerung, insbesondere zur Unterscheidung zwischen juristischer und wirtschaftlicher Doppelbesteuerung siehe Lehner, Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EG, in: Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, S. 903 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 12.2 ff. 31

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1. Kap.: Begriffsbestimmung und Völkerrechtliche Beurteilung

verbundenen Nachteile flir das Investitionsklima und den Kapitalfluß als unerwünscht angesehen. Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung werden - zumeist bilaterale - Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen. Die Doppelbesteuerungsabkommen stellen damit im Regelfall bilaterale völkerrechtliche Verträge dar. Deren Normen haben die Aufgabe, die theoretisch möglichen Steuertatbestände unter den Vertrags staaten aufzuteilen und so eine doppelte Inanspruchnahme der Steuerpflichtigen so weit wie möglich zu vermeiden. In Rechtsprechung und Literatur wird dieser Vorgang unterschiedlich umschrieben. Der BFH spricht in neueren Urteilen von sachlichen Steuerbefreiungs- und -ermäßigungsnormen39 • In der Literatur wird ausgeflihrt, die Doppelbesteuerungsabkommen setzten dem jeweiligen Besteuerungsrecht Schranken40 oder sie teilten das Steuergut unter den Vertragsstaaten auf l . All diese Umschreibungen stimmen vom inhaltlichen Ansatz her überein42 • Danach gibt es zunächst aufgrund originärer Besteuerungsrechte entstandene Steueransprüche der Staaten. Diesen werden dann durch Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen in der einen oder anderen Art Grenzen gesetzt. Dieser Ansatz soll der nachfolgenden Untersuchung zugrundegelegt werden.

b) Verteilungs- und Vermeidungsnormen

Die Grenzziehung für das staatliche Besteuerungsrecht wird mittels zweier Normgruppen innerhalb der Doppelbesteuerungsabkommen erreicht43 • Auf einer ersten Stufe teilen die sogenannten Verteilungsnormen, nach Einkunftsarten aufgeschlüsselt, den Vertragsstaaten bestimmte Besteuerungstatbestände zu. Im OECDMusterabkommen44 , dem die meisten Staaten bei der Gestaltung ihrer Doppelbesteuerungsabkommen folgen, finden sich die Verteilungsnormen in den Art. 6 bis 39 BFH, Urt. v. 14. 3. 1989, BStB!. 11 1989, S. 649 ff., 650; BFH, Besch!. v. 1. 10. 1992, IStR 1992, S. 103. 40 Debatin, Zum Grundverständnis der Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1988, S. 727 ff., 728. 41 Becker, Die Selbständigkeit der Begriffsbildung im Steuerrecht und ihr Einfluß auf die Auslegung" der internationalen Doppelbesteuerungsverträge vom Standpunkt der deutschen Entwicklung aus betrachtet, StuW 1939 I, S. 745 ff., 763. 42 Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 45 c führt aus, die genannten Umschreibungen seien einander gleichwertig. 43 Zu den Normgruppen innerhalb der Doppelbesteuerungsabkommen siehe zusammenfassend Lehner. Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EG, in: Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, S. 903 ff., 927 ff. 44 Siehe OECD Committee on Fiscal Affairs, Model Tax Convention on Income and on Capital, Volume I, Stand 1. Nov. 1997. Beim OECD-Musterabkommen handelt es sich nicht um einen völkerrechtlich verbindlichen Rechtsakt. Vielmehr stellt es eine Empfehlung der OECD an ihre Mitgliedstaaten dar, an der diese ihre Abkommenspraxis ausrichten sollen, was in der Regel auch geschieht, vg!. Vogel in: Vogel, DBA, Ein!., Rz. 01 ff.

H. Der Begriff des Treaty Overriding

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2245 . Wird eine Einkünftekategorie einem Staat vollständig und ausschließlich zur Besteuerung zugeteilt, spricht man von vollständigen Verteilungsnormen. Ein Beispiel hierfür bildet etwa Art. 8 des OECD-Musterabkommens über Einkünfte aus See- und Luftfahrt46 . Beläßt eine Norm beiden Staaten eine anteilige Besteuerungsmöglichkeit, wie dies z. B. Art. 10 OECD-Musterabkommen tut47 , so handelt es sich um eine unvollständige Verteilungsnorm. In der Regel weisen die Verteilungsnormen dem Ansässigkeitsstaat ganz oder teilweise das Besteuerungsrecht zu. Dem Quellenstaat, also dem Staat, in dem die Einkünfte erzielt wurden, verbleibt nur für bestimmte Einkunftsarten ein - dann meist beschränktes - Recht zur Besteuerung48. Auf einer zweiten Stufe verpflichten die sogenannten Vermeidungsnormen49 im OECD-Musterabkommen in Art. 23 enthalten50 - den Ansässigkeitsstaat dazu, die bereits im Quellenstaat der Besteuerung unterliegenden Einkünfte von der eigenen Besteuerung auszunehmen. Dies kann dadurch geschehen, daß diese Einkünfte von der inländischen Besteuerung befreit werden (Freistellungsmethode), oder dadurch, daß der Ansässigkeitsstaat die im anderen Staat erfolgte Besteuerung bei der Ermittlung der inländischen Steuerpflicht anrechnet (Anrechnungsmethode)51. Die Vermeidungsnormen greifen nur dann ein, wenn nicht bereits die Verteilungsnormen das Besteuerungsrecht ausschließlich zuweisen, also nur bei Anwendung unvollständiger Verteilungsnormen52 .

3. Das Verhältnis von Doppelbesteuerungsabkomrnen und nationalem Steuerrecht

Die Doppelbesteuerungsabkommen setzen dem nationalen Besteuerungsrecht Grenzen. Diese Funktion impliziert aber bereits, daß die Abkommen das Vorhandensein einer umfassenden nationalen Steuerrechtsordnung voraussetzen und auf dieser aufbauen 53 . Die Zuweisung bestimmter Einkünfte zur Besteuerung an einen 45 Zu den Verteilungsnormen im einzelnen siehe Vogel, DBA, Art. 6 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.204 ff. 46 Vgl. hierzu Vogel in: Vogel, DBA, Art. 8. 47 Vgl. hierzu 1ischbirek in: Vogel, DBA, Art. 10. 48 Ein Beispiel hierfür bildet Art. 10 Abs. 2 OECD-Musterabkommen, durch den dem Quellenstaat ein der Höhe nach begrenztes Recht zur Besteuerung von Dividendeneinkünften zugestanden wird. 49 Siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.523 ff. 50 Vgl. hierzu Vogel in: Vogel, DBA, Art. 23. 51 Siehe grundlegend zu Freistellungs- und Anrechnungsmethode Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in: Vogel (Hrsg.), Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, S. 135 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.524 ff. 52 Siehe Lehner, Beseitigung der Doppelbesteuerung innerhalb der EG, in: Birk (Hrsg.), Handbuch des Europäischen Steuerrechts, S. 903 ff., 931.

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1. Kap.: Begriffsbestimmung und Völkerrechtliche Beurteilung

der Vertragsstaaten setzt voraus, daß die Einkünfte zunächst nach nationalem Recht ermittelt und einem bestimmten Steuersubjekt zugewiesen wurden. Über die Einkünfteerrnittlung und -zurechnung enthalten die Abkommen nämlich keine RegelungS4• Die Doppelbesteuerungsabkommen errichten also keine vollständige Steuerrechtsordnung, die das nationale Steuerrecht in Fällen mit Abkommensbezug gänzlich verdrängen könnte. Vielmehr greifen Doppelbesteuerungsabkommen und nationales Steuerrecht bei grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit ineinander und führen so zu einer Entlastung von der DoppelbesteuerungSS für abkommensberechtigte Steuerpflichtige. Aufgrund dieser Abhängigkeit der Doppelbesteuerungsabkommen von den Vorgaben des nationalen Steuerrechts sind vielfältige Einwirkungsforrnen der nationalen Steuerrechtsordnung auf die Doppelbesteuerungsabkommen denkb~6.

4. Einwirkungsfonnen des nationalen Rechts auf die Doppelbesteuerungsabkommen

a) Auslegung abkommensrechtlicher Begriffe

Zunächst kann das nationale Steuerrecht der Vertragsstaaten von Doppelbesteuerungsabkommen die Abkommen insoweit beeinflussen, als es sich auf die Auslegung der in den Abkommen verwandten Begriffe auswirkt. Grundsätzlich ist es so, daß abkommensrechtliche Begriffe aufgrund der Natur der Abkommen als völkerrechtliche Verträge einem autonom völkerrechtlichen Begriffsverständnis unterliegenS7 • Insoweit ist bei der Auslegung auch Art. 31 WVKS8 zu beachten. Weitgehend unproblematisch ist die Auslegung nach autonomen Maßstäben dann, wenn die Doppelbesteuerungsabkommen selbst eine Begriffsdefinition enthalten, wie etS3 Zum Verhältnis von Doppelbesteuerungsabkommen und nationalem Recht siehe grundlegend Debatin, Zum Grundverständnis der Doppelbesteuerungsabkommen, RlW 1988, S. 727 ff. S4 Flick/Wassermeyer in: Flick/Wasserrneyer/Becker, AStG, § 7, Rz. 7c; Wassermeyer, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen durch den Bundesfinanzhof, StuW 1990, S. 404 ff., 408. ss Zum Begriff der Doppelbesteuerung siehe ausflihrlich Mössner, Die Methoden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung, in: Vogel (Hrsg.), Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, S. 135 ff. 56 Siehe hierzu auch die Ausflihrungen des OECD-Steuerausschusses in: OECD Committee on Fiscal Affairs, Tax treaty Override, 1989, in: Model Tax Convention on Income and Capital, Volume 11, R (8)-4. S7 SO mit ausführlicher Begründung Wassermeyer, Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen durch den Bundesfinanzhof, StuW 1990, S. 404 ff., 405; siehe auch Langbein, "Treaty Overriding" durch nationales Recht, RlW 1988, S. 875 ff., 879. SB Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, in Kraft getreten am 27. Januar 1980, BGBL 198511, S. 926.

11. Der Begriff des Treaty Overriding

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wa in Art. 5 OECD-Musterabkommen für die Betriebsstättes9 . Kommt es dennoch zu einer unterschiedlichen Deutung hinsichtlich der in den Abkommen definierten Begriffe, so handelt es sich um einen bloßen Subsumtionskonflikt60 • Dieser muß im Wege des in Art. 25 OECD-Musterabkommen vorgesehen Verständigungsverfahrens zwischen den Behörden der Vertragsstaaten ausgeräumt werden61 • Enthalten die Abkommen keine Definition, ist dennoch nach einem autonom abkommensrechtlichen Verständnis zu suchen62 • Als letztes Mittel ist hier auf die allgemeine Auslegungsrichtlinie des Art. 3 II OECD-Musterabkommen zurückzugreifen, wonach ein abkommensrechtlicher Begriff entsprechend dem nationalen Recht des das Abkommen anwendenden Staates auszulegen ist63 • Oft verweisen die Abkommensnormen zur Begriffsbestimmung aber auch direkt auf das nationale Recht eines der Vertragsstaaten, so etwa Art. 6 II OECD-Musterabkommen für den Begriff des unbeweglichen Vermögens. Im Falle einer solchen Verweisung und bei Anwendung von Art. 3 II OECD-Musterabkommen kann das nationale Recht eines Vertragsstaates Einfluß auf die Abkommenssystematik gewinnen. Besonders bedeutsam wird dieser Einfluß dann, wenn sich das Begriffsverständnis eines Vertragsstaats nach Abschluß des Abkommens grundlegend wandelt64 • Dadurch kann es zu signifikanten Verzerrungen bei der Anwendung eines Doppelbesteuerungsabkommens kommen. Die unterschiedliche Auslegung desselben Begriffs durch die Behörden der Vertragsstaaten kann zu einer doppelten Besteuerung des betroffenen Steuerpflichtigen führen. Man spricht in solchen Fällen von einem QualifIkationskonflikt6S • Vom Subsumtionskonflikt unterscheidet sich der Qualifikationskonflikt dadurch, daß bei ersterem über eine Begriffsbedeutung grundsätzlich Einigkeit besteht und lediglich die Zuordnung bestimmter Einzelfälle zu dem Begriff durch die Behörden der Vertragsstaaten unterschiedlich vorgenommen wird, während im Falle eines QualifIkationskonflikts bereits die Begriffsbedeutung als solche zwischen den Vertragsstaaten streitig ist. Für den Fall derartiger Qualifikationskonflikte sind mehrere Verfahren vorgesehen, in denen der Konflikt behoben und so die Doppelbesteuerung vermieden werden kann. Zu nennen ist hier wiederum das Verständigungs- und Konsultationsverfahren gemäß Art. 25 OECD-MusterabkomWassenneyer. (Fn. 57), S. 408. Siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.82. 61 Schaumburg, (Fn. 60), Rz. 16.83. 62 lAngbein, "Treaty Overriding" und nationales Recht, RIW 1988, S. 875 ff., 879; Schaumburg, (Fn. 60), Rz. 16.85; a.A. Wassenneyer. (Fn. 57), S. 409. 63 Wassenneyer. (Fn. 57), S. 409 hält die Auslegung anhand des nationalen Rechts für den Regelfall. 64 V g1. hierzu den im kanadischen Recht bekannt gewordenen Melford-Fall, 82 DTC (D0minion Tax Cases) 6281 ff., in dem der Supreme Court of Canada die Frage zu klären hatte, ob man bei der Auslegung von Abkommensbegriffen anhand von nationalem Recht auf die Ursprungsbedeutung bei Vertragsschluß oder die gewandelte spätere Bedeutung abzustellen habe. Das Gericht entschied in ersterem Sinne, vg1. lAngbein, "Treaty Overriding" und nationales Recht, RIW 1988, S. 875 ff., 877. 6S Siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 16.85. S9

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1. Kap.: Begriffsbestimmung und Völkerrechtliche Beurteilung

men. Aber auch durch die im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft geltende EG-Schiedsverfahrenskonvention66 kann eine doppelte Besteuerung aufgrund von Qualifikationskonflikten vermieden werden67. Das nationale Recht eines Vertragsstaats kann also vor allem dann Einfluß auf die Abkommenssystematik gewinnen, wenn Begriffe in dem betreffenden Doppelbesteuerungsabkommen nicht definiert sind. Die entstehenden Konflikte liegen aber in der Natur der Abkommen begründet und müssen auf der Grundlage der für diese Fälle vorgesehenen Verfahren gelöst werden.

b) Anwendung nationalen Steuerrechts auf Fälle mit Abkommensbezug

Das nationale Steuerrecht eines Vertragsstaates kann aber auch insoweit auf Abkommensrecht einwirken, als einzelne Steuerrechtsnormen durch die Finanzverwaltung oder die Gerichte dergestalt auf Fälle mit Abkommensbezug angewandt werden, daß Abkommensvergünstigungen eingeschränkt oder verwehrt werden. Wichtigster Anwendungsfall dieser Einwirkungsmöglichkeit ist § 42 A068 • Aufgrund dieser Vorschrift zur Verhütung von Steuerumgehung kann im Einzelfall eine Abkommensvergünstigung mit der Begründung verwehrt werden, der Steuerpflichtige habe diese durch Schaffung mißbräuchlicher rechtlicher Gestaltungen erschlichen. Viele deutsche Doppelbesteuerungsabkommen enthalten keine gegen ihre mißbräuchliche Inanspruchnahme gerichtete Abkommensvorschrift69 • Daher sehen Finanzverwaltung und Rechtsprechung in der Anwendung von § 42 AO oft die einzige Möglichkeit, um der Steuerumgehung entgegenzuwirken7o• Von Treaty Overriding unterscheidet sich diese Fallgruppe dadurch, daß nicht durch den Gesetzgeber eine neue Vorschrift geschaffen wird, die in die Abkommenssystematik 66 Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Fall von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen, 90/436 EWG, ABI. L 225, 10, in Kraft getreten am 1. 1. 1995. 67 Schaumburg, (Fn. 65), Rz. 16.86. 68 V gl. hierzu ausführlich Kraft, Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, S. 53 ff.; Fischer-Zernin, Mißbrauch von Doppelbesteuerungsabkommen, RIW 1987, S. 362 ff. 69 Vgl. Vogel in: Vogel, DBA, Art. I, Rz. 107 ff. 70 Der BFH hält die Anwendung von § 42 AO auf Doppelbesteuerungsabkommen flir unproblematisch, vgl. BFH, Urt. v. 5. 3. 1986, BStBl.1I 1986, S. 496 ff., 498; Urt. v. 7. 2.1975, BStBI. 11 1976, S. 608; ihm folgend Piltz. Doppelbesteuerungsabkommen und Steuerumgehung unter besonderer Berücksichtigung des treaty-shopping, Beilage 14 zu BB 1987, S. 1 ff., 6; Pi/tz, Doppelbesteuerungsabkommen und Steuerumgehung unter besonderer Berücksichtigung des treaty-shopping, Beilage 14 zu BB 1987, S. 1 ff. In der Literatur wird die Anwendung von § 42 AO aber auch kritisch gesehen bzw. völlig abgelehnt, vgl. Vogel, Steuerumgehung nach innerstaatlichem Recht und nach Abkommensrecht, StuW 1985, S. 369 ff., 378; siehe auch die zusammenfassende Darstellung bei Kraft, Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, S. 56 ff.

11. Der Begriff des Treaty Overriding

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eingreift, sondern daß eine bereits bestehende Vorschrift mit abkommensderogierender Wirkung angewandt wird. Ob speziell die Anwendung von § 42 AO auf die Doppelbesteuerungsabkommen - insbesondere völkerrechtlich - zulässig ist, ist umstritten71. Insoweit stellen sich aber keine wesentlich anderen Fragen als im Hinblick auf die völkerrechtliche Zulässigkeit von Treaty Overriding, so daß auf die hierzu später anzustellenden Überlegungen verwiesen werden kann72 .

c) Einwirkung auf die Doppelbesteuerungsabkommen im Wege der Gesetzgebung

Schließlich ist es auch denkbar, daß der nationale Steuergesetzgeber Einfluß auf Abkommenregelungen nimmt. Dies ist in mehreren Formen möglich. Zum einen kann er diejenigen nationalen Steuerrechtsnormen verändern, die gewissermaßen die Grundlage für die Abkommensanwendung bilden, nämlich die Vorschriften über die Einkünfteermittlung, -zurechnung und das Besteuerungsverfahren 73 . Da die Abkommen hierzu weitgehend auf eine Regelung verzichten, ist die Abkommenssystematik durch diese Gesetzgebung direkt nicht betroffen. Dennoch kann es durch derartige Vorschriften faktisch zu einer Einschränkung der Abkommenswirkungen kommen. Wurden etwa bestimmte Einkünfte bisher einem abkommensberechtigten Steuersubjekt zugerechnet und verändert der Gesetzgeber nunmehr die Zurechnung dahingehend, daß ein nicht abkommensberechtigtes Subjekt diese Einkünfte erzielt, so sind faktisch bestimmte Abkommenswirkungen suspendiert, ohne daß direkt auf die Doppelbesteuerungsabkommen Bezug genommen wurde74 . Ein Beispiel für ein solches Vorgehen des Gesetzgebers bildet die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG75 • Zum anderen kann der Gesetzgeber, so ihm dies verfassungsrechtlich möglich ist76, direkt auf Regelungen in den Doppelbesteuerungsabkommen Zugriff nehmen und durch einseitige nationale Regelungen ihre innerstaatliche Geltung ändern oder aufheben. Hier wird also unmittelbar in die Regelungssystematik der Doppelbesteuerungsabkommen eingegriffen. Der Gesetzgeber regelt einen Regelungsgegenstand anders als in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehen. Kennzeichen dieser Form der Einflußnahme auf Doppelbesteuerungsabkommen ist demnach, Vgl. bereits Fn. 70. Siehe 1. Kap., IV. 73 Vgl. bereits oben 1. Kap., 11.3. 74 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.27 spricht in diesem Zusammenhang von verdecktem Treaty Overriding. 75 So auch Widmann, Zurechnungsänderungen und Umqualifikationen durch das nationale Recht in ihrem Verhältnis zu den DBA, in: Vogel (Hrsg.), Grundfragen des Internationalen Steuerrechts, S. 235 ff. 76 Hierzu im einzelnen unten 2. Kap., 1. Abschn., 11. und III. 71

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3 Musil

1. Kap.: Begriffsbestimmung und Volkerrechtliche Beurteilung

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daß es zwischen einer Vorschrift der Doppelbesteuerungsabkommen und einer unilateralen Steuerrechtsnorm aufgrund gleicher Regelungsbereiche zu einer Normenkollision kommt, die dann zugunsten der nationalen Vorschrift gelöst wird. Von einer Normenkollision wird im folgenden mit dem Bundesverfassungsgericht immer dann gesprochen, wenn zwei Normen auf einen Sachverhalt anwendbar sind und bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können77 . Beispiele dieser Form der Einflußnahme sind die §§ 50 dIa EStG und 20 11 AStG78 . Es fragt sich, ob beide geschilderten Formen der Einflußnahme des Gesetzgebers auf Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Begriff Treaty Overriding belegt werden können. Man könnte daran denken, im ersten Fall von einem indirekten und im zweiten von einem direkten Treaty Overriding zu sprechen oder, in der Terminologie Schaumburgs, von einem verdeckten und offenen Treaty Overriding79 • Gegen die Einbeziehung beider Einwirkungsformen in den Treaty Overriding-Begriff sprechen aber gewichtige Argumente. Zunächst müßte man die oben gegebene Definition für Treaty Overriding erweitern, wollte man auch indirekte Einwirkungsformen in sie aufnehmen. Durch die indirekte Einwirkung wird die innerstaatliche Geltung der Doppelbesteuerungsabkommen nicht angetastet. Die Definition müßte dahingehend geändert werden, daß unter Treaty Overriding eine Gesetzgebung verstanden wird, durch die nachträglich bestimmte Abkommensvergünstigungen entzogen werden. Abzustellen wäre also auf die Begünstigungswirkung der Doppelbesteuerungsabkommen für einzelne Steuerpflichtige und nicht auf die innerstaatliche Geltung einzelner ihrer Vorschriften. Gegen eine solche Extension spricht aber der Sinn des Begriffs Treaty Overriding. Zwar soll damit auch die Suspendierung bestimmter Abkommensvergünstigungen erfaßt werden, hinzukommen muß aber eine bestimmte Form dieser Suspendierung. Eine "Überrollung" liegt nur vor, wenn der Gesetzgeber offen und bewußt in die Regelungssystematik von Abkommen eingreift8o• Der Begriff des Treaty Overriding umfaßt damit gleichsam zwei Ebenen der Abkommensbeeinflussung: auf der einen Seite das Verhältnis von Treaty Overriding-Staat und Steuerpflichtigem, auf der anderen Seite das der Vertragspartner untereinander, also die völkerrechtliche Ebene. Beide Ebenen kennzeichnen den Begriff des Treaty Overriding gleichermaßen. Stellte man nur noch auf den Entzug von Abkommensvergünstigungen für den einzelnen ab, so würde man der Tatsache nicht gerecht, daß Treaty Overriding eine starke völkerrechtliche Dimension aufweist81 . In den Fällen der indirekten Einflußnahme Vgl. BVerfGE 36,342,363. Siehe hierzu 2. Kap., 2. Abschn., III. u. VI. 79 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rz. 3.27. 80 In diesem Sinne auch der OECD-Steuerausschuß, OECD Committee on Fiscal Affairs, Tax treaty Override, 1989, in: Model Tax Convention on Income and Capital, Volume 11, R (8)-4. 81 So stellt etwa Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, IZ 1997, S. 161 ff. allein auf die völkerrechtliche Ebene, eben den "Wortbruch", ab, um eine Verfassungswidrigkeit von Treaty Overriding zu begründen. 77

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11. Der Begriff des Treaty Overriding

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des Gesetzgebers auf Abkommensvergünstigungen kommt es zu keiner Kollision mit völkerrechtlichen Normen. Verlangt man für den Begriff des Treaty Overriding demgegenüber auch das formale Element der "Überrollung", also des offenen Eingriffs in die Abkommenssystematik, so entsteht ein Begriff mit homogenem Inhalt, da solche gesetzgeberischen Maßnahmen, die das völkerrechtliche Verhältnis eines Staates zu seinen Vertragspartnern nicht berühren, von vornherein nicht von dem Begriff erfaßt werden. Diese Begriffsbestimmung befindet sich auch im Einklang mit der Definition des OECD-Steuerausschusses82 , da diese nur solche Maßnahmen erfaßt, die in "c1ear contradiction" zu völkerrechtlichen Verpflichtungen eines Vertragsstaates stehen83 . Mithin soll nur dann von Treaty Overriding gesprochen werden, wenn der Gesetzgeber einen durch Doppelbesteuerungsabkommen geregelten Sachverhalt offen anders regelt und dieser Regelung den Vorrang vor den Abkommen einräumt84 • Erforderlich für Treaty Overriding ist demnach immer das Vorliegen einer Normenkollision 8s • Der Begriff eines verdeckten Treaty Overriding verwischt die qualitativen Unterschiede beider Einwirkungsformen und ist damit als nicht sachdienlich abzulehnen. In Deutschland wäre ein verdecktes Treaty Overriding ohnehin nicht möglich, weil der Gesetzgeber die Derogation von Abkommensrecht wegen § 2 AO offenlegen muß 86•

5. Ergebnis

Treaty Overriding stellt nur eine von mehreren möglichen Einwirkungsformen des nationalen Rechts auf die Systematik der Doppelbesteuerungsabkommen dar. Abzugrenzen ist der Begriff insbesondere von der Auslegung anhand nationaler Begrifflichkeiten, von der Anwendung bereits existierender nationaler Steuerrechtsnormen und der nur faktischen Beeinflussung von Abkommensvergünstigungen durch den Gesetzgeber. Erfaßt werden von dem Begriff des Treaty Overriding nur solche Einflußnahmen des Gesetzgebers, durch die bei gleichen Regelungsbereichen die Regelung in Doppelbesteuerungsabkommen durch eine Regelung national-rechtlichen Charakters ersetzt wird.

82 OECD Committee on Fiscal Affairs. Tax treaty Override, 1989, in: Model Tax Convention on Income and Capital, Volume 11, R (8)-4. 83 So hat der OECD-Steuerausschuß etwa § 50 d I 1 EStG, der nur unter den Begriff des verdeckten Treaty Overriding zu fassen wäre, nicht als Treaty Overriding angesehen, vg!. Kraft. Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen, S. 45. 84 Auch § 2 AO, der das Verhältnis von Doppelbesteuerungsabkommen zu einfachen Steuergesetzen im deutschen Recht regelt (siehe hierzu ausführlich 2. Kap., 1. Abschn., IV.), setzt das Vorliegen einer Normenkollision voraus. 85 Auch das FG Hamburg, Besch!. v. 15. 1. 1987, RIW 1987, S. 482 fordert das Vorliegen einer Normenkollision. 86 Vg!. hierzu ausführlich 2. Kap., 1. Abschn., IV. 2.



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1. Kap.: Begriffsbestimmung und Völkerrechtliche Beurteilung

ill. Gründe der Staaten für Treaty Overriding

Für die nachfolgende Untersuchung ist die Frage von Interesse, aus welchen Gründen die Staaten zu einem Treaty Overriding greifen. Ein möglicher Grund scheidet in der Praxis von vornherein aus. Treten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vertragsparteien eines bestimmten Abkommens über die Reichweite einzelner Vertragsbestimmungen auf, so ist nicht zu erwarten, daß ein Vertragsstaat zu Treaty Overriding greift, wenn es zu keiner Einigung kommt 87 • Dies deshalb, weil eine nationale Vorschrift, die offen ein Abkommen mit nur einem Staat derogierte, eine so offensichtliche V6lkerrechtsverletzung gegenüber diesem Staat darstellte, daß dieser letztlich gezwungen wäre, durch eine völlige Kündigung oder Suspendierung des Doppelbesteuerungsabkommens darauf zu reagieren. Damit wäre der Zweck des möglichen Treaty Overriding, nämlich die Derogation nur einzelner Vertragsbestimmungen, verfehlt. Dementsprechend beziehen sich die bisher aufgetretenen Treaty OverridingNormen ausnahmslos auf alle Doppelbesteuerungsabkommen, die der betreffende Staat geschlossen hat88 • Treaty Overriding dient in dieser Ausprägung dem Zweck, durch das Verhalten von Steuerpflichtigen, etwa durch Kapitalverschiebung ins Ausland, bedingten Steuerausfallen entgegenzuwirken 89• Aufgrund der immer größeren Beweglichkeit von Kapital kann die Verhinderung von dessen Verlagerung nicht erreicht werden, indem mit allen Vertragsstaaten der Doppelbesteuerungsabkommen neu verhandelt wird, da eine solche Vorgehensweise zu zeitaufwendig wäre90. Also greifen manche Staaten zum Mittel des Treaty Overriding, um durch nur einen Akt der Gesetzgebung gleichzeitig alle einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen zu modifizieren. Dieser Weg verspricht den Staaten mehr Erfolg bei der Verhinderung von Kapitalverlagerungen als Neuverhandlungen. Aufgrund der Tatsache, daß Treaty Overriding unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten problematisch ist91 , versuchen die Staaten oft, ihre Normen, die ein Treaty Overriding beinhalten, unter dem Gesichtspunkt der Verhütung steuerlichen Mißbrauchs zu rechtfertigen 92 • Ob eine solche Rechtfertigung völkerrechtlich relevant sein kann, wird noch zu ermitteln sein. 87 Der OECD-Steuerausschuß erwähnt diese denkbare Möglichkeit eines Treaty Overriding denn auch mit keinem Wort, vg\. OECD Committee on Fiscal Affairs, (Fn. 82), R (8)-1 ff. 88 Deutsche Treaty Overriding-Vorschriften sprechen immer nur von ..den Doppelbesteuerungsabkommen", vgl. etwa § 50 dIa EStG. Auch die bisher aufgetretenen amerikanischen Treaty Overriding-Vorschriften beziehen sich auf alle Doppelbesteuerungsabkommen, vg\. Vogel in: Vogel, DBA, Ein\., Rz. 129. 89 Vg\. Leisner, Abkommensbruch durch Außensteuerrecht?, RIW 1993, S. 1013 ff., 1014. 90 Manchmal verweigert ein Vertragspartner auch eine Verhandlungslösung, so etwa im Falle Irlands, siehe hierzu ausführlich unten 3. Kap., 3. Abschn., IV. 1. 91 Zur völkerrechtlichen Beurteilung siehe 1. Kap., IV. 92 Vg\. Vogel in: Vogel, DBA, Ein\., Rz. 131; siehe auch die Regierungsbegründung zu § 20 AStG, in der es heißt: ..... Ein solches mißbräuchliches Unterlaufen unter Berufung auf

IV. Völkerrechtliche Beurteilung von Treaty Overriding

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IV. Völkerrechtliche Beurteilung von Treaty Overriding Doppelbesteuerungsabkommen stellen völkerrechtliche Verträge zwischen zwei oder mehreren Staaten dar. Damit sind die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln über Verträge 93 und möglicherweise auch die Wiener Vertragsrechtskonvention94 (im folgenden WVK) anwendbar.

1. Verstoß gegen Völkergewohnheitsrecht und die Wiener Vertragsrecbtskonvention

Das Volkergewohnheitsrecht gebietet es einem Staat, der mit anderen Staaten Verträge schließt, diese Verträge einzuhalten. Dieser Grundsatz "pacta sunt servanda,,95 ist unproblematisch auch auf Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar. Durch Treaty Overriding wird zwar nicht die völkerrechtliche Geltung eines Doppelbesteuerungsabkommens berührt, denn darauf kann der Gesetzgeber im Wege innerstaatlicher Gesetzgebung keinen Einfluß nehmen. Jedoch macht sich ein Staat, der Treaty Overriding praktiziert, die Vertragserfüllung hinsichtlich einzelner Normen von Doppelbesteuerungsabkommen unmöglich, da diese innerstaatlich nicht mehr angewandt werden können. Der Grundsatz "pacta sunt servanda" verbietet dieses Vorgehen, da er auch sicherstellen will, daß sich Vertrags staaten nicht selbst der Möglichkeit zur Vertragserfüllung berauben96• Treaty Overriding ist somit als Verstoß gegen den gewohnheitsrechtlich geltenden Satz "pacta sunt servanda" anzusehen 97 .

DBA schließt § 20 Abs. 2 AStG aus; dies folgt aus dem Grundsatz, daß Abkommen nicht mißbräuchlich beansprucht werden können ...... Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf desStÄndG 1992v.l.ll.l991.BT-Drs.12/1506,S.163.181;kritischzudiesemRechtfertigungsversuch Seer, Grenzen der Zulässigkeit eines treaty overridings am Beispiel der Switch-over-Klausel des § 20 AStG. IStR 1997. S. 481 ff.• 482. 93 Vgl. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht. S. 432 ff.; Heintschei v. Heinegg in: Ipsen. Völkerrecht, S. 96 ff.; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht. S. 94. 94 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969. in Kraft getreten am 27. Januar 1980, BGBl. 198511, S. 926. 95 Zu diesem Grundsatz vgl. ausführlich Heintschei v. Heinegg in: Ipsen. V