Deutsch für Juristen: Vom Schwulst zur klaren Formulierung [4 ed.] 9783504385286

Die Sprache ist das Handwerkszeug des Juristen, das Recht wird mittels Sprache transportiert. Wenn die Worte missverstän

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Deutsch für Juristen: Vom Schwulst zur klaren Formulierung [4 ed.]
 9783504385286

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Schmuck Deutsch für Juristen

Deutsch für Juristen Vom Schwulst zur klaren Formulierung

von

Michael Schmuck Rechtsanwalt und Journalist Berlin

4. Auflage 2016

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64411-6 ©2016 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Das ist nun die vierte Auflage in 14 Jahren. Sie ist wieder etwas umfangreicher geworden, ergänzt um kleine Einführungen zu den zehn Tipps, einige Muster und Beispiele. Vielen Dank an alle, die mich wieder mit vielen schrecklich-schönen Beispielen versorgt haben. Manche davon konnte ich hier aufnehmen; alle zu verwenden, das hätte den Rahmen dieses kurzen, knappen Leitfadens gesprengt. Verloren ist aber nichts: Ich nutze die Beispiele in meinen Seminaren „Klares Juristendeutsch“. Aus den Erkennt­nissen dieser Seminare heraus habe ich schon die erste Auflage dieses Buches verfasst. Neue Erfahrungen bei der Beratung von Anwaltskanzleien, Rechtsabteilungen und Behörden tragen nun auch zur vierten Auf­lage bei. Der große Zuspruch zu diesem Buch und meinen Seminaren zeigt: Immer mehr Juristinnen und Juristen merken, wie wichtig klare Sprache für das Recht ist. Recht wird mit Sprache transportiert. Die Sprache ist das wichtigste Handwerkszeug des Juristen. Wenn die Worte missverständlich und verworren sind, können Recht und Gesetz nicht richtig angewendet werden. Ist das Transportmittel Sprache transparent, wird das Recht verständlicher. Ein Vorsitzender Richter am BGH hat sich einmal darüber beklagt, dass die Oberlandesgerichte die Rechtsprechung seines Senats nicht verstünden: Sie wendeten sie nicht so an, wie der Senat das wolle. Das zeigt, wie wichtig reibungslose Kommunikation ist. Und in einem großen Strafprozess im Kriminalgericht Berlin sagte eine türkischstämmige Zeugin zu einem bekannten Verteidiger: „Ich spreche sehr gut Deutsch, aber Ihre Sprache verstehe ich nicht.“ Verständigungsprobleme beginnen früh: Mandanten verstehen den Anwalt nicht, die Anwältin schreibt und redet an ihrer Kollegin vorbei, Zeugen missverstehen Fragen der Richterin. Vieles in der Juristerei könnte viel besser funktionieren, wenn die Beteiligten sich verstünden. Und viele juristische Diskussionen entstehen nur, weil Gesetze, Urteile oder Verträge rein sprachlich verworren und missverständlich formuliert sind. In vielen Unternehmen arbeiten Juristinnen und Juristen an Unter­ nehmenstexten, Rundschreiben, Arbeitsanleitungen und Kundenbriefen | V

Vorwort

mit – und machen sich wegen ihrer kryptischen, umständlichen Formulierungen unbeliebt. Sie stiften Verwirrung und verderben die Kommunikation. Kundenbriefe, die juristisch „verseucht“ sind, stören oder zerstören das Vertrauen in das Unternehmen. Juristendeutsch macht skeptisch. Diesem Sprachproblem soll das Buch abhelfen. Es soll Sie vor allem sensibilisieren. Sie werden mit geschärftem Blick an Ihre Texte herangehen. Sie bekommen Einfühlungsvermögen für die Sprache und für Ihre Leserinnen und Leser. Das Buch vermittelt Ihnen auf wenigen Seiten mit vielen Beispielen und Übungen die wichtigsten Regeln für verständliches Deutsch, zunächst mit einer Mischung aus normalen und juristischen Texten, erst dann mit rein juristischen Texten. Normale Sätze ohne juristischen Bezug sind nötig, damit Sie lernen, klar zu formulieren, ohne sich dabei gleich in inhaltlichen, juristischen Fragen zu verfangen. Vielen Dank für Ihr Interesse an einer klaren Sprache. Berlin, im Juli 2016 Michael Schmuck (www.Klares-Juristendeutsch.de)

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Tipps für klares Deutsch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Das Wichtigste nach vorn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Überflüssiges weglassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Vorsicht mit Adjektiven. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4. Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze. . . . . . . . 22 5. Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze . . . . 29 6. Kein Nominalstil, sondern kräftige Verben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 7. Viel Aktiv, wenig Passiv. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 8. Konkret, nicht abstrakt erzählen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 9. Positive Begriffe, keine Verneinungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 10. Wenige Fremdwörter und Fachbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Textgliederung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Praxis-Übungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Anklage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Klage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Leitsätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5. Orientierungssatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6. Aufsatz aus einer juristischen Zeitschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 7. Briefe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

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Inhaltsverzeichnis Seite

Briefmuster/Empfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. Brief an eine Kollegin/einen Kollegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. Briefe an die gegnerische Partei. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Grundlagen der Pressearbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Presse und Juristen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Voraussetzungen für gute Pressearbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. Die Pressemitteilung in Stichpunkten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 4. Was Journalisten interessiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

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Literaturempfehlungen Ahrens, Wilfried, Der Geschädigte liegt dem Vorgang bei. Juristische Stil­ blüten, C.H. Beck, 7. Aufl. 2010 Berger, Peter, Flotte Schreiben vom Amt, Carl Heymanns, 2004 Duden, Verständlichkeit als Bürgerrecht?, 2008 Hirsch, Eike Christian, Deutsch kommt gut, C.H. Beck, 2009 Lauterbach, Anja, Deutsch für Juristen, in Anwalt 2/2000, S. 20 Neuland, Eva (Hrsg.), Sprache und Schicht, Diesterweg, 1978 Reiners, Ludwig, Stilfibel, C.H. Beck, 2007 Rössner, Michael-Christian, Die Sprache des Rechtsanwalts, in Anwaltsreport, Serie in den Heften: 10/1998, S. 1; 12/1998, S. 2; 2/1999, S. 8; 3/1999, S. 5; 6/1999, S. 15 Schmuck, Michael, Professionell texten, Verlag Rommerskirchen, 2007 Schmuck, Michael, Recht und Sprache, in MDR 1995, S. 782 (= Berliner Anwaltsblatt 1996, S. 237) Schmuck, Michael, Klares Deutsch statt Schwulst, in Die Kanzlei 2000, Heft 8, S. 283 Schmuck, Michael, Die zehn Regeln für klares Deutsch, in NJW 33/2008, S. XIV Schmuck, Michael, Eine Sprachwissenschaft für sich, in Zeitschrift für Forderungsmanagement 5/2015, S. 191 ff Schmuck, Michael, Nein, nein und nochmals nein, in Kommunikation & Recht 9/2015, S. 608 Schneider, Wolf, Deutsch fürs Leben, rororo-Sachbuch, 1995 Schneider, Wolf, Deutsch für Profis, Goldmann-Taschenbuch, 2001 Schneider, Wolf, Deutsch für Kenner, Serie Piper, 4. Aufl. 2005 Walter, Tonio, Kleine Stilkunde für Juristen, C.H. Beck, 2002 Whorf, Benjamin Lee, Sprache – Denken – Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie, rororo – rowohlts enzyklopädie, 1988 Für die Suche nach treffenden und kürzeren Wörtern empfehle ich: Textor, A.M., Sag es treffender, rororo-Sachbuch, überarbeitete Neuauflage 2014 | IX

Tipps für klares Deutsch Juristische Texte gleichen Gebrauchsanweisungen. Wer sie nicht versteht, läuft Gefahr, etwas Falsches zu tun, mit womöglich schwerwiegenden Folgen. Wer Gebrauchsanweisungen oder juristische Texte verfasst, trägt die Verantwortung, wenn er Lesern und Leserinnen komplizierte Sätze zumutet und wenn er ihnen Rätsel aufgibt. Formulieren Sie Ihre Texte verständlich. Verständlichkeit ist die Basis aller guten Texte, seien es Gedichte, Romane, Reportagen oder Gesetze, Urteile, Schriftsätze oder Verträge. Was Leserinnen und Leser nicht verstehen, ist für den Papierkorb geschrieben oder führt zu Problemen. Das Wichtigste und gleichzeitig das Schwierigste ist der Perspektivwechsel. Sie müssen sich auf Ihre Adressaten einstellen, sich in Ihre Leser oder Zuhörerinnen hineinversetzen: Wissen sie, was ich ihnen sagen will? Sind es Fachleute oder Laien? Juristen oder Mandanten? Richterinnen oder Zeugen? Stets müssen Sie bedenken, wie Sie ihnen Ihre Botschaft vermitteln, mit welchen Wörtern und Formulierungen. Was können Sie voraussetzen, was müssen Sie erläutern? Eines gilt bei allen Zielgruppen gleichermaßen, seien es Laien oder Fachleute: klarer Satzbau, lesbare Sätze. Wenn Ihre Adressaten Ihre Texte nicht verstehen, haben Sie wertvolle Zeit vertan. Klare Texte sparen Zeit beim Verfassen – und die Zeit, Missverständnisse aufzuklären, die durch komplizierte Texte entstanden sind. Wenn Missverständnisse nicht mehr aufzuklären sind, kostet es unter Umständen sogar den Prozess. Und das alles kostet Geld. Verständlich heißt: kurz, klar und konkret. Einfach zu formulieren ist keine Hexerei. Wenn Sie zehn einfache Grundregeln beachten und sie nach und nach verinnerlichen, werden Ihre Texte kürzer und klarer. Der Inhalt wird sich dadurch nicht verändern. Es geht bei einfachen Formulie­ rungen nicht um den Inhalt, sondern  – wie das Wort es sagt  – um die Form. So sind die zehn Regeln rein formale Regeln. Sie machen das Transportmittel Sprache transparenter, und so ist das Transportgut, der Inhalt, besser zu erkennen. Es wird wohl etwas dauern, bis Sie die Regeln ganz selbstverständlich beachten, aber Sie werden von Text zu Text Fortschritte bemerken. Das wird | 1

Tipps für klares Deutsch

damit beginnen, dass Ihnen Nominalstil und Schachtelsätze immer abscheulicher vorkommen werden. Sie beginnen, damit zu „fremdeln“. Oft ist gerade das Einfache das Schwierige. Schon Goethe schrieb an seine Schwester:

Ich schreibe Dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit hatte, Dir einen kurzen zu schreiben. Nehmen Sie sich die Zeit. Das sind die zehn Regeln für klares Deutsch: – Wichtiges nach vorn – Überflüssiges weglassen – Vorsicht mit Adjektiven – Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze – kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze – keinen Nominalstil, sondern kräftige Verben – viel Aktiv, wenig Passiv – konkret, nicht abstrakt erzählen – positive Begriffe, keine Verneinungen – wenige Fremdwörter und Fachbegriffe Wenn Sie diese Regeln beachten, werden Ihre Texte automatisch kürzer – bis zu 50 Prozent.

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Tipps für klares Deutsch

Die Faustregel: der Küchenzuruf Die zehn Regeln lassen sich grob in einer Faustregel zusammenfassen. Sie halten die zehn Regeln beinah automatisch ein, wenn Sie bei all Ihren Texten vorweg diese Faustregel beachten  – den „Küchenzuruf“. Was ist das? Diesen Begriff hat Henri Nannen geprägt, Gründer der Zeitschrift „Stern“. Damit lässt sich sehr schön in ein alltägliches Bild umsetzen, was klare, adressatenorientierte Kommunikation bedeutet. Stellen Sie sich einmal vor: Sie kommen abends von der Arbeit nach Hause, Ihr Partner/Ihre Partnerin steht in der Küche und kocht Ihr Lieblingsgericht. Sie haben den ganzen Tag noch nichts gegessen, haben großen Appetit und möchten schnell zu Tisch. Doch bevor Sie essen, wollen Sie noch etwas sehr Wichtiges loswerden, das Sie am Tag erlebt haben. Während Sie im Flur Jacke und Schuhe ausziehen, rufen Sie in die Küche:

Stell Dir vor, was heute passiert ist: … Was dann, nach dem Doppelpunkt, folgt, ist der „Küchenzuruf“. Es ist das, was für Sie so wichtig ist, dass Sie nicht warten können, bis Sie die Hausschuhe angezogen haben oder gar am Tisch sitzen. Und dieses Wichtige rufen Sie als Erstes Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin in die Küche zu. Und intuitiv wählen Sie ein Thema, das auch oder vielleicht nur Ihren Partner interessiert. Denken Sie bei all Ihren Texten an den „Küchenzuruf“. Sie beachten damit wie selbstverständ­lich die meisten Regeln für klares Deutsch. Sie werden das Wichtigste nach vorn und nicht ans Ende setzen und Sie werden Verben und keinen Nominalstil benutzen. Sie werden keinen Schachtelsatz bauen, sondern einen klaren deutschen Satz. Sie werden beispielsweise rufen:

Du, wir haben den Prozess gewonnen. Sie werden aber wohl kaum rufen:

Du, nach der Durchführung der mündlichen Verhandlung seitens des Ge­ richts erging ein Urteil zu unseren Gunsten. Oder:

Heute ist bezüglich eines Prozesses diesseitig ein positives Ergebnis zu ver­ zeichnen gewesen. | 3

Tipps für klares Deutsch

Oder:

Es ist, nachdem der Prozess, den ich heute für einen Mandanten, dessen Namen ich hier aus Gründen meiner Verschwiegenheitspflicht nicht nen­ nen kann, festzustellen, dass das Urteil unstreitig nicht zu Gunsten der Gegners, sondern im Gegenteil zu unseren Gunsten ausging. Nein, das würden Sie nicht in die Küche rufen. Dann sollten Sie so etwas auch nicht einem Kollegen, Richter oder Mandanten zumuten. Schreiben Sie prinzipiell so, wie Sie es auch sagen würden. Dann können Sie Ihren Text noch zurechtschleifen.

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Das Wichtigste nach vorn

1. Das Wichtigste nach vorn Im Studium haben Juristen gelernt, im Gutachtenstil zu schreiben. Das heißt, zunächst all das zu prüfen und zu schreiben, was nicht in Betracht kommt. Der Gutachtenstil schiebt das Wichtigste ans Ende. Das entspricht nicht der natürlichen Erzählweise und ist nervend für die Zuhörerin oder den Leser. Normalerweise erzählen Menschen schon intuitiv zuerst das Wichtigste. Automatisch wählen sie auch aus, ob es für den Adressaten wichtig ist. Journalisten nennen das auch Nachrichtenstil. Auch bei einem Urteil steht das Wichtigste vorn, damit Klägerin und Beklagter oder die Angeklagten gleich wissen, wie das Gericht entschieden hat. Vermeiden Sie lexikalisch-historische Einstiege in Ihre Texte nach dem Schema Ur­­kund­lich zum ersten Mal erwähnt … oder Das deutsche Wort

Grundgesetz kam im 17. Jahrhundert auf und gilt unter Sprach­ wissenschaftlern … Erzählen Sie keine Märchen mit Es war einmal … ­Außer natürlich, Sie schreiben ein Lexikon oder ein Märchenbuch. Wäre zum Beispiel die Bundeskanzlerin zurückgetreten, so würden Sie das etwa so sagen: Stell Dir vor: Gestern ist die Kanzlerin zurückgetreten. Erst danach würden Sie die Umstände des Rücktritts erzählen. Sie würden aber wohl kaum so berichten: Gestern läuteten in Berlin wie gewohnt die Glocken des Doms zur Mittags­ stunde, der Brunnen am Platz vor dem Neuen Museum spritzte wie immer das Wasser in die Höhe und es war bewölkt, als die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zurücktrat. Gerade bei der Regel „Wichtiges nach vorn“, hilft Ihnen der „Küchenzuruf“. Was soll folgendes Schild in einer Regionalbahn dem Fahrgast sagen? Achtung, klimatisiertes Fahrzeug! Offene Fenster führen zum Ausfall der Klimanlage. Das ist um die Ecke gedacht. Der Küchenzuruf, und damit das Wichtigste vorn, wäre: Bitte Fenster geschlossen lassen. Bei offenen Fenstern fällt die Klimaanlage aus. Oder: Sonst fällt die Klimaanlage aus. | 5

Tipps für klares Deutsch

Oft kommt es in Arbeitsanleitungen oder Gebrauchsanweisungen vor, dass das Wichtigste hinten steht, weil es dem Autor als Fachmann schlichtweg zu klar ist.

Glühlampe wie folgt wechseln: Alte Glühlampe herausdrehen …. Und dann nach mehreren Zeilen ganz am Ende: Achtung! Vorher unbedingt die Sicherung ausschalten. Aber das findet sich leider auch sehr oft in Gesetzen und Urteilen, zum Beispiel in § 8 StVO: (1) An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Das gilt nicht: 1. Wenn die Vorfahrt durch Verkehrszeichen besonders geregelt ist (…) In früheren Zeiten, etwa bis in die 1970er-Jahre, mag diese Reihenfolge noch berechtigt gewesen sein. Heute ist das statistisch oder quantitiaiv gesehen wohl die falsche Reihenfolge. Die Vorfahrt wird durch Verkehrszeichen geregelt (…) Gibt es keine solche Regelung, hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Diese Fälle sind häufig. Mit der Zeit wurden die Ausnahmen zur Regel und die frühere Regel zur Ausnahme. Und damit dreht sich die Rangfolge um. Übung: Stellen Sie das Wichtigste nach vorn. 1. Ich habe mir keinen Opel gekauft, auch keinen Ford. Ein VW hat mir auch nicht gefallen. Einen Japaner lehne ich aus volkswirtschaftlichen Gründen ab, und amerikanische Autos mag ich nicht. Was ich mir schließlich gekauft habe, ich muss es jetzt sagen, es war ein Mercedes. 2. Gestern war der Prozess gegen Klaus Schmitt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn angeklagt, seine Frau ermordet zu haben. Sein Verteidiger hat Freispruch gefordert, der Staatsanwalt lebenslange Haft. Der Verteidi­ ger hat vorgebracht, man habe Schmitt nicht nachgewiesen, dass er der Täter gewesen sei, es gebe nur eine Reihe schwacher Indizien. Der Staats­ anwalt hingegen sah Schmitt als des Mordes überführt an. Das Gericht beriet fast zwei Stunden. Dann verkündete es das Urteil: Es sah die In­ dizien als nicht ausreichend an und sprach Schmitt frei. 3. Mein Mandant hat mich gestern aufgesucht und ein längeres Gespräch mit mir geführt. Dabei kam zur Sprache, dass er sich überlegt hat, sich 6 |

Das Wichtigste nach vorn

bei Ihnen zu entschuldigen. Das möchte er gern am Mittwoch um 13 Uhr in meiner Kanzlei persönlich tun. 4. Stell Dir vor, was passiert ist: Bei uns ist heute Nacht ein Dieb durch das Fenster eingestiegen, hat sich durch den Flur geschlichen und ist ins Schlafzimmer gegangen. Mein Mann wurde wach und fragte, was los sei. Da hat der Dieb ihn erschlagen. 5. Der Richter ist krank. Der Prozess, der am 17. Oktober stattfinden soll­ te, ist deshalb verschoben worden. Der neue Termin findet nunmehr am 31. Oktober statt. 6. In vorbezeichneter Angelegenheit möchten wir Ihnen hiermit mitteilen, dass wir aus den bereits mündlich besprochenen Gründen nicht länger bereit sind, für Sie tätig zu sein. Daher sehen wir uns zu unserem Be­ dauern gezwungen, das Mandat niederzulegen. 7. Mein Mandant ist Opfer einer Straftat geworden. Er ging gestern gegen 17 Uhr von zu Hause in Richtung Karstadt. Auf dem Weg wurde ihm von einem großen, kräftigen, blonden Mann mittleren Alters die Brief­ tasche geraubt. Lösungen: 1. Ich habe mir einen Mercedes gekauft. Andere Marken kamen nicht in Frage. 2. Klaus Schmitt ist freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm vorgeworfen, seine Frau ermordet zu haben, und lebenslänglich ge­ fordert. Der Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert, weil es nur weni­ ge schwache Indizien gebe. Das Gericht beriet fast zwei Stunden und folgte schließlich den Argumenten des Verteidigers. 3. Mein Mandant möchte sich gern persönlich bei Ihnen entschuldigen; wenn es Ihnen passt, am Mittwoch um 13 Uhr in meiner Kanzlei. Zu diesem Schluss ist er nach einem langen Gespräch mit mir gekommen. 4. Mein Mann ist von einem Dieb erschlagen worden. Der Dieb war heute Nacht in unser Schlafzimmer geschlichen. Mein Mann wurde wach, da hat der Dieb zugeschlagen. 5. Der Prozess am 17.  Oktober fällt aus; der neue Termin ist für den 31. Oktober festgesetzt. Der Richter ist krank geworden. 6. Wir legen das Mandat nieder. Wir wollen nicht länger für Sie tätig sein. Die Gründe haben wir Ihnen bereits mehrfach erläutert. | 7

Tipps für klares Deutsch

7. Meinem Mandanten ist gestern gegen 17  Uhr die Brieftasche geraubt worden. Der Täter war ein großer, blonder Mann mittleren Alters. Mein Mandant war gerade auf dem Weg von seiner Wohnung zu Karstadt. Wenn das Wichtige vorn steht, wird Ihre Botschaft klarer. Und weil das Wichtige nach oben gehört, sollten Sie Wichtiges nicht unten in Fußnoten verstecken, schon gar nicht, wenn Laien Zielgruppe eines Textes sind. Für Laien sind Fußnoten eher merkwürdig. Noch ein schönes Beispiel für falsch gewählte Reihenfolge aus einer Urteilsbegründung:

Was die von den Klägern begehrte Verpflichtung der Beklagten zur Leis­ tungsgewährung betrifft, geht die Kammer davon aus, dass diese sich nicht mehr auf den zunächst noch mit der Klagebegründung verfolgten Leis­ tungszeitraum von Juli bis einschließlich Dezember 2004 erstreckt, son­ dern lediglich der Juli 2004 erfasst sein soll. Denn insoweit haben sie mit der „Rücknahme“ ihrer mit Schriftsatz vom 7.12.2005 angekündigten und auf den Zeitraum August bis Dezember 2004 bezogenen „Klageerweite­ rung“ auf den im Beschwerdeverfahren ergangenen Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 1.3.2006 reagiert. In diesem Beschluss wurde – ebenso wie im Beschluss der Kammer vom 16.11.2005 – aufgezeigt, dass das von den Klägern verfolgte, über den Zeitraum des Juli 2004 hinausge­ hende Verpflichtungsbegehren nicht in zulässiger Weise zum Gegenstand gerichtlicher Überprüfung gemacht werden kann. Die Kläger haben mit der im Schriftsatz vom 22.3.2006 geäußerten „Zurücknahme“ ihrer auf diesen Zeitraum bezogenen „Klageerweiterung“ deutlich gemacht, dass sie diesen Zeitraum im vorliegenden Klageverfahren nicht weiter verfolgen wollen. Daher legt die Kammer diese Erklärung insoweit als Zurücknahme der Klage aus. Das Verfahren war daher, was den Zeitraum ab August 2004 betrifft, einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO). Das Wichtigste steht hinten. Hier können Sie den Text beinah Satz für Satz von hinten lesen und die Reihenfolge stimmt:

Das Verfahren war, was den Zeitraum ab August 2004 betrifft, einzustel­ len (§ 92 Abs. 3 VwGO). Die Kammer legt die Erklärung der Kläger im Schriftsatz vom 22.3.2006 als Klagerücknahme aus. Darin haben sie geäu­ ßert, dass sie ihre zuvor auf diesen Zeitraum bezogene „Klageerweiterung“ zurücknehmen. Die Kläger haben damit deutlich gemacht, dass sie diesen Zeitraum im vorliegenden Klageverfahren nicht weiter verfolgen wollen. Damit reagierten sie auf den Beschluss … 8 |

Überflüssiges weglassen

2. Überflüssiges weglassen Sie haben es bei der Übung oben wohl bemerkt: Wenn Sie den Inhalt der Sätze nach seiner Bedeutung ordnen, werden manche Teile überflüssig, weil Sie darin nur Belangloses mitteilen. Sie können in der Übung oben – nachdem Sie das Wichtigste nach vorn gestellt haben – oft die hinteren Sätze weglassen, ohne dass etwas Bedeutsames fehlt. Oft finden sich in juristischen Texten bei genauem Hinsehen versteckte Floskeln und Wiederholungen:

Sie können gegen den vorliegenden Bescheid innerhalb einer gesetzlichen Frist von einem Monat ab Zustellung bzw. Bekanntgabe in Schriftform Wi­ derspruch einlegen. Für den Fall, dass Sie Widerspruch gegen diesen Be­ scheid einlegen, so bitten wir Sie, den Widerpruch zu begründen. Viele Floskeln und viel Doppeltes: Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats ab Zustellung schriftlich Widerspruch einlegen. Bitte begründen Sie ihn. Es ist wohl klar, dass der Widerspruch nur begründet werden sollte, wenn er eingelegt wird. Überflüssiges kann aber nicht nur in Satzteilen stecken, sondern bereits in einzelnen Wörtern oder Wortteilen. Denken Sie daran: Jede Silbe, die Sie weglassen, spart Zeit – für Sie als Verfasserin oder Verfasser und für den Leser. Sich mit dem Wesentlichen zu begnügen, hat zudem mehr Aussagekraft. Denken Sie an die alte Regel: „Fasse Dich kurz!“ Was ist hier überflüssig? – Bauchnabel – er nickt mit dem Kopf – Zeitungskiosk – Zukunftspläne – Zukunftsperspektive – zugelassener Rechtsanwalt – der erfolgte Beschluss – das Ergebnis der Untersuchung hat ergeben – bei der Durchführung der Durchsuchung – die anwesenden Zuhörer klatschten Beifall – Danke für die ausgesprochene Einladung | 9

Tipps für klares Deutsch

Es genügt: – Nabel (wo ist er sonst?) – er nickt (womit sonst?) – Kiosk (dort gibt es immer Zeitungen) – Pläne (sind immer auf die Zukunft gerichtet) – Perspektive (ist auch immer auf die Zukunft gerichtet) – Rechtsanwalt (es gibt keinen ohne Zulassung; hier genügt meist sogar Anwalt) – Beschluss (erfolgt wird er wohl sein, sonst wäre er nicht Thema) – die Untersuchung hat ergeben (ja wohl aufgrund des Ergebnisses) – bei der Durchsuchung (das ist ja die Durchführung) – die Zuhörer applaudierten (hoffentlich waren sie anwesend, sonst waren sie sicher nicht zufrieden)

– Danke für die Einladung (wenn jemand sich dafür bedankt, wird die Einladung ausgesprochen worden sein) Beispiel: Floskeln mit Dubletten Oft sind Texte mit Floskeln überfrachtet, wie Sie in der Liste oben schon sehen konnten. Das ist schon schlimm genug. Aber viele Floskeln sind zudem Doppelungen, also aus zweifacher Sicht überflüssig. Wenn Sie aus Ihren Texten nur die Floskeln verbannen, werden Ihre Texte deutlich kürzer. Denn die Summe der Floskeln braucht viel Platz.

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Überflüssiges weglassen

Mögliches Risiko, mögliche ­Chancen, mögliche Gefahren Das ist sehr wahrscheinlich möglich Wie zum Beispiel … usw. Maximal bis zum Höchstbetrag von/bis zum Höchstbetrag von nicht mehr als Zeitlich befristet Das Ergebnis des Gutachtens hat ergeben Klar auf der Hand Noch weitere Fragen Prosperierender/zunehmender Wachstumsmarkt Permanente Dauerbelastung Ausgedrückte Formulierung Geballte Faust Größter anzunehmender GAU Kleine Nuancen Wichtige Eckpfeiler Bisher noch nie da gewesene Er tritt mit dem Fuß Sie blinzelt mit den Lidern Leere Worthülse Normaler Standard Wie ursprünglich geplant Jede sich bietende Gelegenheit Aktueller Status quo Im Termin zur Hauptverhandlung

Risiko, Chance, Gefahr (die Möglichkeit ist in den Wörtern enthalten) Das ist sehr wahrscheinlich Zum Beispiel; wie (usw. ist bei beispielhaften Aufzählungen überflüssig) Maximal bis/bis zum Höchstbetrag Befristet Das Gutachten hat ergeben Klar; es liegt auf der Hand Noch Fragen/weitere Fragen Wachstumsmarkt Dauerbelastung Formulierung Faust GAU/größter anzunehmender Unfall Nuancen Eckpfeiler Nie da gewesene Er tritt Sie blinzelt Worthülse Standard Wie geplant Jede Gelegenheit Status quo In der Hauptverhandlung | 11

Tipps für klares Deutsch

Schwulst Eine besondere Form von Überflüssigem sind gestelzte, schwülstige und umständliche Formu­lierungen. Benutzen Sie, wenn möglich, stets die kürzeste Formulierung für das, was Sie sagen wollen. Die meisten Leserinnen und Leser empfinden aufgeblasene Formulierungen zumindest intuitiv als heiße Luft, als „Dampfplauderei“ – und gerade nicht als das, was der Autor damit viel­leicht bewirken will: als gebildet und intellektuell. Das haben Untersuchungen bestätigt. Wunderbar schrecklich aufgeblasen ist die juristisch-akademische Umschreibung für das schlichte „kurz vor der Entlassung“ (eines Straftäters), die das Bundesverfassungsgericht einst in seiner Lebach-Entscheidung ersonnen hat:

In zeitlicher Nähe zu seiner bevor­stehenden Entlassung Die Richter waren damit wohl die „Bläh-Boys“ des Jahres 1973. Und Verwaltungsjuristen lassen das Mittelalter hochleben, wenn sie schreiben:

… ist der Antrag abschlägig zu be­scheiden. Verwaltungsrichter beweisen ihre Leiden­schaft für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation mit folgender literarischen Höchstleistung:

Ist dem Antrag der Erfolg verwehrt oder noch besser:

Es gebricht der Klage am Erfolg … Ganz typische Blähungen und Dubletten leiten oftmals Briefe und Schriftsätze ein:

… in vorbezeichneter Angelegenheit nehmen wir Bezug auf das heutige, gemeinsam geführte, fernmündliche Gespräch und bedanken uns für die Beauftragung. In welcher Angelegenheit schreibt die Anwaltin, wenn nicht in der im Betreff bezeichneten? Ein gemeinsam geführtes, fernmündliches Gespräch ist schlicht ein Telefonat oder Telefongespräch. Und genügt nicht der Dank für den Auftrag? Also:

… vielen Dank für das freundliche Telefonat und den Auftrag. – Das war’s. 12 |

Überflüssiges weglassen

Im folgenden „Blählexikon“ finden Sie einige Beispiele für Schwulst und Anregungen für kurze Formulierungen. Die Formulierungen in der linken Spalte sollten Sie vermeiden. Vor allem, wenn Sie von dieser Art zu viele einsetzen, klingt Ihr Text nach heißer Luft.

Beispiele für Schwulst – kleines Blählexikon in Abrede stellen auf den Weg bringen zum Verzehr bringen eine Untersuchung durchführen eine Abholung veranlassen die mit der Arbeit verbundene Zeit anzahlmäßig beziffern eine Vielzahl von in vollem Umfang in Gänze in ihrer Gesamtheit aus diesem Grunde in Anbetracht des er hat die Berechtigung ich bin in der Lage sie hat die Möglichkeit die Vertretung übernehmen zur Wehr setzen mit großer Spontaneität mit hoher Sorgfalt zum Wegfall bringen erfährt eine Verstärkung durch zur Anwendung bringen

leugnen, bestreiten beginnen, anfangen essen, verzehren untersuchen, testen abholen lassen Arbeitszeit zählen viele ganz ganz, alle alle darum wegen er darf ich kann sie kann vertreten wehren spontan sorgfältig streichen wird verstärkt von anwenden | 13

Tipps für klares Deutsch

ich bin der Überzeugung in nächster Zeit zeitnah notwendigerweise am heutigen Tag zu einem späteren Zeitpunkt Temperatur von 24 Grad es handelt sich dabei um im Protokoll festhalten unter Beweis stellen

ich bin überzeugt bald bald, schnell, kurz davor zwingend heute später 24 Grad das ist protokollieren beweisen

Auch hier sehen Sie, wie viel Platz Sie mit kurzen, klaren Worten sparen. Sie können Ihre Texte um bis zu 25 Prozent verkleinern, wenn Sie auf Blähdeutsch und Floskeln verzichten.

Beispiele für Silbenmüll in Verben Oft sind es nur Kleinigkeiten, die in der Summe Texte unnötig verlängern. So werden zum Beispiel gern gestelzte „Langversionen“ von Verben benutzt, obwohl die einfache Version meist ausreicht. Auch das bringt überflüssige Silben. Zur Klarstellung: Natürlich gibt es auch Fälle, in denen Sie die Verben aus der linken Spalte brauchen. gestelzt:

meist genügt:

behelfen losfahren weggehen bestrafen befragen herüberbringen herkommen besagen

helfen fahren gehen strafen fragen bringen kommen sagen

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Überflüssiges weglassen

nachzählen übergeben nachprüfen zusammentreffen verschicken, zuschicken zusammenpacken beschwören vorzeigen, herzeigen vorausplanen

zählen geben prüfen treffen schicken packen schwören zeigen planen

Beispiele für Silbenmüll in Substantiven Auch Hauptwörter kommen oft gestelzt daher. Auch hier sollten Sie ein Gespür dafür entwicklen, dass manche Silben hinten oder vorn nur überflüssige Garnitur sind. gestelzt:

meist genügt:

Bestrafung Begutachtung Beschrankung Beantragung Bevorratung Beantwortung Bestuhlung Befindlichkeit Unterschiedlichkeit Übermächtigkeit Mandantschaft Veränderung Eifrigkeit

Strafe Gutachten Schranke Antrag Vorrat Antwort Stühle Befinden (Zustand) Unterschied Übermacht Mandant(en) Änderung Eifer | 15

Tipps für klares Deutsch

Übung: Entfernen Sie das Überflüssige. 1. Die erhobene Klage war in der Sache unbegründet. 2. Die im Saal befindlichen Zuschauer waren entsetzt. 3. Der Angeklagte sagte vor Gericht zu den gegen ihn in der Anklage erho­ benen Tatvorwürfen aus. 4. Der Inhaber des betroffenen Ladens bemerkte den angewandten Trick. 5. Gegen den Täter wurde eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren Gefängnis verhängt. 6. Sein Strafverteidiger hielt das Plädoyer für den Angeklagten. 7. Aufgrund des Ergebnisses des vom Sachverständigen ausgearbeiteten Gutachtens traf das Gericht die entsprechende Entscheidung. Lösungen: 1. Die Klage war unbegründet. 2. Die Zuschauer im Saal waren entsetzt. Oder nur: Die Zuschauer waren entsetzt. 3. Der Angeklagte sagte aus. 4. Der Ladeninhaber bemerkte den Trick. 5. Der Täter bekam eine Strafe von fünf Jahren. 6. Sein Verteidiger hielt das Plädoyer. 7. Aufgrund des Gutachtens traf das Gericht seine Entscheidung. Sie haben bemerkt: Oft steckt in Sätzen Überflüssiges, das Sie auf den ersten Blick übersehen. Dafür müssen Sie Ihr Auge schulen. Es geht hier nicht darum, prinzipiell Wörter zu verbieten oder alles krampfhaft zu verschlanken. Nein, es geht darum, beim Schreiben oder Sprechen darüber nach­zudenken, ob all das, was Sie kommunizieren, einen „Nährwert“ für den Leser oder die Zuhörerin hat. Fehlt dieser, ist die Floskel, die Null-Information erkannt und das Wort oder die Blähung kann weg. Dafür möchte ich Sie sensiblisieren.

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Vorsicht mit Adjektiven

3. Vorsicht mit Adjektiven Im vorangehenden Abschnitt ist Ihnen wohl aufgefallen: Oft sind es Adjektive, Attribute oder Partizipien, die überflüssig sind (ich nenne sie hier alle schlicht Adjektive). Daher sollen sie besonders betrachtet werden. Denn sie sind oft nicht nur überflüssig, sondern können den Leser und die Leserin ver­wirren. Drei Grundtypen sind kritisch zu betrachten: a) Kombinationen mit Substantiven, so genannte Spreizkonstruktionen, die Sie durch ein treffendes, kräftiges Substantiv ersetzen können:

Ein anwaltlicher Berater ist ein Anwalt, eine männliche Person ist ein Mann, ein gerichtliches Verfahren ist ein Gerichtsverfahren, ein war­ nender Hinweis ist eine Warnung, ein literarisches Schriftwerk ist ein Buch, seelischer Beistand ist Trost oder Seelsorge, positive Entwicklun­ gen sind Verbesserungen oder Steigerungen, eine weibliche Begleitung ist eine Begleiterin. b) Nichtsagende Adjektive oder Zugaben. Sie sind uns schon als Wortmüll begegnet. Die durchgeführte Untersuchung hat ergeben, das eingenommene Me­ dikament wirkte, er hat die absolvierte Prüfung bestanden. Alle Adjektive sind hier überflüssig. c) Adjektive, die einem Substantiv die Wirkung nehmen, weil die Bedeutung des Adjektivs meist schon darin enthalten ist (meist ein so genannter Pleonasmus, eine Doppelung): Verheerende Verwüstungen, ein heftiger Orkan, ein großer Riese, ein hoher Wolkenkratzer, kleinwüchsige Zwergkaninchen, dunkle Nacht, letztinstanzliche BGH-Rechtsprechung, der zugelassene Rechtsanwalt, gesetzliche Mehrwertsteuer, konkreter Einzelfall, schweres Kapitalver­ brechen. Solche Zugaben können zudem bei Laien Verwirrung stiften: Ein Leser, dem das Thema fremd ist, kann eine gut gemeinte Verstärkung oder Erklärung als Unterscheidung verstehen: Der rote Schönfelder ist ein Standardwerk. Der ist selbstverständlich immer rot. Wer das aber nicht weiß, kann glauben, es gäbe auch einen blauen oder einen grünen. | 17

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Sein jüngerer Bruder lebt in Hamburg. Das kann den Eindruck erwecken, er habe auch einen älteren.

Mein Berliner Büro, das Karlsruher Bundesverfassungsgericht. Gibt es noch eines?

Sie wurde verhaftet, weil sie ihren netten Mann erstochen hat. Und wenn er nicht nett gewesen wäre? Wäre sie dann auch verhaftet worden? Und das alltägliche

zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer. Gibt es denn auch eine nicht gesetzlich festgelegte, etwa eine private? Im hochspeziellen Mehrwertsteuerrecht mag „gesetzlich“ ausnahmsweise nötig sein, im Alltag nicht. Die gut gemeinte Erklärung steht also besser in einem eigenen Satz; jedenfalls nicht in einem Adjektiv:

Der Schönfelder ist ein Standardwerk. Es ist eine rote Gesetzessammlung. Sein Bruder lebt in Hamburg. Er ist jünger als er. Er kann zwar auch einen älteren Bruder haben, aber der Gedanke wird so nicht erzeugt.

Er hat sein Büro in Berlin. Das Bundesverfassungsgericht ist in Karlsruhe. Sie wurde verhaftet, weil sie ihren Mann erstochen hat. Es war ein netter Mensch. Und noch immer steht in Formularen von Landgerichten:

Sie müssen sich von einem zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen. Darum stellen viele Mandanten die „seltsame“ Frage an ihre Anwältin oder ihren Anwalt: „Sind Sie denn zugelassen?“ Fazit: Wenn Sie Adjektive benutzen, bitte nur um zu unterscheiden, zu werten, zu bekräftigen oder zu charakterisieren:

Es war ein weiser Richter. (also ein besonderer) 18 |

Vorsicht mit Adjektiven

Das blaue Auto fährt vorn. (nicht das grüne)

Das ist eine gute Entscheidung. Er hat nur einige magere Fälle als Anwalt. Er beauftragte seine Frankfurter Anwältin. (nicht die Berliner)

Sie ist eine charmante Frau. Er hat einen neuen Kollegen. Resümee: Adjektive nur gezielt und mit Bedacht einsetzen. Schauen Sie genau hin, ob Sie diese Wörtchen benötigen. Gerade in juristischen Texten können überflüssige Adjektive verwirren und Diskussionen hervorrufen – wie im folgenden Schachtelsatz aus einem Urteil des Bundesfinanzhofes:

Eine promovierte Chemikerin, die Zertifikate als „DGQ-Fachauditor für die chemische Industrie“ und als „DGQ-Umweltsystem-Auditor“ besitzt und die Unternehmen auf die von diesen gewünschte Zertifizierung vorbe­ reitet, Umweltgefährungspotenziale analysiert, Managementsysteme für den betrieblichen Umweltschutz entwickelt, Arbeitsplätze des Unterneh­ mens im Hinblick auf die für die Arbeitnehmer ausgehende Gefährdung beurteilt, entsprechende Lösungen zur Gefahrenabwehr erarbeitet, geeignete Lagerungssysteme zur sicheren Aufbewahrung von das Grundwasser ge­ fährdenden Flüssigkeiten auswählt und entsprechenden Betriebsanweisun­ gen erstellt, übt eine einem Handelschemiker ähnliche Tätigkeit aus … Es stellt sich hier die Frage, ob das Adjektiv „promoviert“ von irgendeiner Bedeutung ist. Es könnte schließlich eine Voraussetzung für die Gleichstellung mit dem Handels-Chemiker sein. Ist es aber nicht. Das Adjektiv ist belanglos. Dort könnte ebenso gut blond oder 40-jährige stehen. Die Chemikerin, um die es in dem Fall ging, hatte promoviert und darum war das Wörtchen zufällig im Urteil enthalten. Ebenfalls überflüssig ist das g­ eeignet. Wenn die Lagerungssystem zur sicheren Aufbewahrung dienen, sind sie wohl geeignet.

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Tipps für klares Deutsch

Solche überflüssigen Wörtchen können bei Juristen zur überflüssigen Diskussion, etwa über argumento e contrario führen. Sie sehen: Sprachliche Probleme führen zu juristischen Problemen. Oft sind juristische Pro­ bleme genau betrachtet eher sprachliche Probleme. Wenn Sie nun den Text mit der Chemikerin weiter unter die Lupe nehmen, fällt noch einiges auf: Was sind Lagerungssysteme zur Aufbewah­ rung? Lagern und aufbewahren? Ist das doppelt gemoppelt? Genügt da nicht sichere Lagerungssysteme oder Systeme zur sicheren Lagerung? Und eine weitere Frage taucht auf: Müssen die entsprechenden Lösungen und die entsprechenden Betriebsanweisungen sein? Die Zugaben entspre­ chenden sind wohl nicht zwingend. Das alles bemerken Sie erst, wenn Sie sensibel an die Texte herangehen. Das entsprechende wird in Rechtstexten gern eingesetzt. Die entsprechende Lösung für ein Problem, die entsprechende Anwort auf eine entsprechende Frage. Sehr oft plustert das vorliegende Texte auf, ist aber meist entsprechend überflüssig. Sehr beliebt ist auch der konkrete Einzelfall. Einen allgemeinen Einzelfall gibt es wohl nicht. Der Text mit der Chemikerin wird uns übrigens später auch wegen des üblen, leserverachtenden Schachtelsatzes beschäftigen.

Übung: Entfernen oder ersetzen Sie überflüssige Adjektive. 1. Der mit mir verheiratete Mann. 2. Meine mir schon aus der Schule bekannte Freundin. 3. Die Vorsitzende Richterin ließ den angeklagten Mann hereinführen. 4. Das junge, achtjährige Mädchen lieferte uns ganz konkrete Beweise. 5. Der anwesende Zeuge nannte sein aktuelles Alter. 6. Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält oft gut ausgedrückte Formulierungen. 7. Die eingetroffene Polizei nahm die verdächtige Frau fest.

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Vorsicht mit Adjektiven

Lösungen: 1. Mein Mann. Oder, wenn nötig, zum Beispiel steuer- oder familienrechtlich: Mein Ehemann (bitte nicht Gatte oder Gemahl, das ist eher 19. Jahrhundert). 2. Meine Schulfreundin. 3. Die Vorsitzende ließ den Angeklagten hereinführen. 4. Die Achtjährige lieferte uns Beweise. 5. Der Zeuge nannte sein Alter. 6. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält oft gute For­ mulierungen. 7. Die Polizei nahm die Verdächtige fest.

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Tipps für klares Deutsch

4. Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze Vielfach stiften Juristinnen und Juristen in Gesetzen, Urteilen und Schriftsätzen Verwirrung, weil sie in ihren Sätzen die Inhalte nicht nach Bedeutung in die grammatische Struktur einordnen. Sie gehen eher nach dem Motto vor: Egal, wo etwas steht, wichtig ist nur, dass es im Satz enthalten ist. Das ist ein großer Irrtum. Inhalte müssen nicht nur im Text nach ihrer Bedeutung geordnet werden („Wichtiges vorn“), sondern auch in den einzelnen Sätzen. Sie müssen der grammatisch vorgesehenen Rangordnung folgen: Hauptsachen müssen in Haupt­sätzen, Nebensachen in Nebensätzen stehen. Der Leser orientiert sich unbewusst oder automatisch an dieser vorgegebenen grammatischen Abstufung. Dazu gibt es sie. Kennt er die Bedeutung der Inhalte und ihre Rangfolge nicht, geht er davon aus, dass im Hauptsatz Wichtiges steht und im Nebensatz weniger Wichtiges. Es kann zu Missverständnissen und Trugschlüssen führen, wenn in Nebensätzen Wichtiges steckt. Verstecken Sie Hauptsachen nicht in Nebensätzen. Sie verschleiern das Wichtige. Vor allem „so-dass-Sätze“ verdrehen die Bedeutung; meist sind das um­gedrehte „weil-Sätze“. Und „dass-Sätze“ schieben das Wichtige meist automatisch in den Neben­satz:

Tatsache ist, dass … Es steht fest, dass … Das sind zudem überflüssige Satzanfänge. Schreiben Sie nicht: Die Polizei hatte ihre Ermittlungen abgeschlossen, so dass sie die Akte an die Staatsanwaltschaft weitergab, wenn Sie mitteilen wollen, dass die Polizei die Akte an die Staatsanwaltschaft gab. Sondern: Die Polizei gab die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter, nachdem (oder weil) sie ihre Ermittlungen beendet hatte. Nicht: Müller hat aufgrund erdrückender Beweise gestanden, dass er die Bank überfallen hat.

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Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze

Sondern:

Müller hat die Bank überfallen, wie er aufgrund erdrückender Beweise ge­ standen hat. Oder:

Müller hat die Bank überfallen; das hat er aufgrund erdrückender Beweise gestanden. Die Hauptsache gehört in den Hauptsatz, die Nebensache in den Nebensatz oder eventuell in einen nachgestellen weiteren Hauptsatz. Stellen Sie sich vor, Sie dürften nur einen (Teil-)Satz schreiben. Das wäre dann die Hauptbotschaft in einem Hauptsatz. Denken Sie an den „Küchenzuruf“. Wie falsche Wertigkeiten zu Missverständnissen führen können, zeigt ein Satz aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

… Der Kläger hat eine Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde abgege­ ben, die er nicht für begründet hält … (aus: BVerfG – 1 BvR 199/00). Natürlich hält der Kläger die Verfassungsbeschwerde für nicht begründet – nicht seine eigene Stellungnahme. Der Leser versteht das aber erst, wenn er zweimal gelesen und nachgedacht hat. Richtig nach Bedeutung geordnet muss es heißen:

Der Kläger hielt die Verfassungsbeschwerde nicht für begründet, wie er in seiner Stellungnahme ausgeführt hat. Oder:

Der Kläger hat eine Stellungnahme abgegeben: Er hält die Verfassungsbe­ schwerde nicht für begründet. Übung: Packen Sie die Hauptsache in den Hauptsatz. 1. Der Richter, der im Saal zusammenbrach, hatte gerade ein Glas Wasser getrunken. 2. Es regnete in Strömen, als Müller auf der Parkbank starb. 3. Es ist eine historische Tatsache, dass Christian Wulff Bundespräsident war. 4. Als die Bombe explodierte, kam Peter zur Tür herein. 5. Die Angeklagte will einen neuen Verteidiger, was den alten so aggressiv macht. | 23

Tipps für klares Deutsch

6. Der Kläger betrat den Saal, nachdem gerade das Versäumnisurteil er­ gangen war. 7. Der Beklagte konnte die Mängel nicht beweisen, so dass er den Prozess verlor. Lösungen: 1. Der Richter brach im Saal zusammen, nachdem er ein Glas Wasser ge­ trunken hatte. 2. Müller starb auf der Parkbank, als es in Strömen regnete. 3. Christian Wulff war Bundespräsident. 4. Die Bombe explodierte, als Peter zur Tür hereinkam. 5. Der alte Verteidiger ist so aggressiv, weil die Angeklagte einen neuen will. 6. Das Versäumnisurteil war gerade ergangen, als der Kläger den Saal be­ trat. 7. Der Beklagte verlor den Prozess, weil er die Mängel nicht beweisen konnte. Exkurs: Vorsicht beim Relativsatz Eine erhebliche Gefahr für Missverständnisse steckt in Relativsätzen, vor allem bei Fachtexten. Ein Relativsatz ist ein zwielichtiger Nebensatz. Wer einen Relativsatz einsetzt, kann eine ganz gemeine Falle für den Leser aufbauen – ohne es auch nur zu ahnen. Das Hauptproblem ist dabei die fehlende logische Verknüpfung zwischen Hauptsatz und Relativsatz. Der Relativsatz dient nur dazu, ein Hauptwort näher zu bestimmen. Er wird aber oft falsch und ziellos eingesetzt, wo eine treffende Konjunktion hingehört. Darum lässt er Raum für Interpretationen und kann verwirrend für Leserin und Leser sein. Je nach Einstellung, Vorverständnis oder sogar Vorurteilen kann der Leser den Satz so oder ganz anders verstehen. Schreiben Sie nicht:

Die Frau, die ihren Mann geschlagen hatte, wurde gestern festgenommen, wenn Sie sagen wollen:

Weil sie ihren Mann geschlagen hatte, wurde die Frau gestern festgenom­ men. 24 |

Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze

Schreiben Sie nicht:

Der Mann, der aus dem Fenster geklettert war, wurde gestern festgenom­ men, wenn Sie sagen wollen:

Der Mann wurde festgenommen, nachdem er aus dem Fenster geklettert war. Vielleicht wollen Sie ja auch sagen:

Der Mann wurde festgenommen, obwohl er aus dem Fenster geklettert war oder weil er aus dem Fenster geklettert war. In dem Relativsatz ist das aber nicht zu erkennen. Was Sie sagen wollten, wissen zwar Sie, aber der Leser kann es nur raten. Wenn es eine treffende Konjunktion gibt (z. B. weil, obwohl, wenn), sollten Sie die treffende Konjunktion auch benutzen, nicht den schwammigen Relativsatz. Doch der Relativsatz birgt eine weitere Gefahr in sich: Auch wenn er richtig als Erklärung eines Hauptwortes eingesetzt ist, kann man gelegentlich erkennen, ob er bestimmend oder erklärend ist, ob er nur beiläufig etwas mitteilt oder für das Verständnis zwingend ist.

Richter, die sehr weise sind, entscheiden immer richtig. Wären alle Richter sehr weise, so wäre der Relativsatz eine bloße beiläufige Erklärung. Da aber nicht alle Richter sehr weise sind, ist der Relativsatz hier bestimmend; denn ohne ihn könnte der Leser zwar ahnen, dass nur die Gruppe der weisen Richter gemeint sein soll, aber das wäre nicht zwingend. Er weiß nicht genau, was die Autorin ihm sagen will. Um zu unterscheiden, würde allerdings genügen:

Weise Richter entscheiden immer richtig. Bestimmende Relativsätze können also meist durch eine kurze Ergänzung des Substantivs, ein Adjektiv, ersetzt werden. Wäre der Relativsatz oben nur erklärend gemeint, so müssten Sie formulieren:

Richter entscheiden immer richtig; denn sie sind sehr weise. So gibt es keinen Zweifel oder Irrtum über den Inhalt des Satzes. | 25

Tipps für klares Deutsch

Der Relativsatz wird oft auch fälschlich statt eines neuen Hauptsatzes eingesetzt:

Er erkannte den Täter, den er festnahm. Richtig muss es heißen:

Er erkannte den Täter und nahm ihn fest. Nicht:

Sie rannte auf den Mann zu, den sie anschrie. Sondern:

Sie rannte auf den Mann zu und schrie ihn an. Fazit: Setzen Sie Relativsätze nur mit Bedacht ein und wenn, dann gezielt, um ein Substantiv zu bestimmen:

Ich habe das Geld gefunden, das er verloren hatte. Wir haben den Comedian vertreten, der den Präsidenten beleidigt hat. Übung: 1. Die Stühle, die immer in der Küche stehen, stelle ich vorübergehend in den Flur. 2. Ein Kollege, der mit mir befreundet ist, vertritt den Gegner. 3. Der Zuschauer, der den Richter mit Zwischenrufen störte, bekam ein Ordnungsgeld. 4. Ein Richter, der studiert hat, kann manche Probleme einfacher Leute nicht verstehen. 5. Ein Rechtsanwalt, der Zwangsmitglied in der Rechtsanwaltskammer ist, kann bei unkollegialem Verhalten eine Rüge von der Kammer bekommen. 6. Ein Zivilgerichtsverfahren, das sehr lange dauert, kann den Kläger zur Verzweiflung bringen. 7. Juristen, die ohne zu überlegen Sätze formulieren, verwirren ihre Leser oder Zuhörer.

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Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze

Lösungen: 1. Ich stelle die Küchenstühle vorübergehend in den Flur. 2. Ein befreundeter Kollege vertritt den Gegner. 3. Der Zuschauer musste ein Ordnungsgeld zahlen, weil er den Richter mit Zwischenrufen gestört hatte. (Hier war eine Falle eingebaut: Der Zuschauer bekommt kein Ordnungsgeld, aber so wird es oft umgangssprachlich gesagt.) 4. Ein Richter kann manche Probleme einfacher Leute nicht verstehen, weil er studiert hat. (oder obwohl er studiert hat? Je nachdem, wie der Leser das sehen will.) 5. Ein Rechtsanwalt kann bei unkollegialem Verhalten eine Rüge von der Rechtsanwaltskammer bekommen. Jeder Anwalt ist Zwangsmitglied der Kammer. 6. Ein Zivilgerichtsverfahren kann den Kläger zur Verzweiflung bringen, wenn es sehr lange dauert. 7. Juristen verwirren ihre Leser oder Zuhörer, wenn sie ohne Bedacht Sät­ ze formulieren. Oder: …, weil sie ohne Bedacht Sätze formulieren. Oft gibt es bei Relativsätzen ein weiteres Problem, selbst wenn alles andere stimmt: Leser und Leserinnen können nicht erkennen, auf welches Hauptwort sich das Relativpronomen bezieht. Es gibt Bezugsprobleme:

Die Mutter der Frau, die wir bereits kannten, wollte juristischen Rat. Der Chef des Mandanten, der mit Kündigung drohte, will eine gütliche Einigung. Jungen und Mädchen, die sehr stark sind, können das schaffen. Tja, worauf beziehen sich nun die Relativpronomen? Kennen wir die Frau oder deren Mutter? Drohte der Chef oder der Mandant? Müssen nur die Mädchen stark sein? Der Duden empfielt: Der Relativsatz sollte sich auf das am nächsten vor dem Komma stehende Hauptwort beziehen; das entspricht dem natürlichen Leseverhalten. Aber das ist weder eine zwingende Regel, noch ist das immer möglich. In Urteilen oder Gesetzen kann das zu folgenreichen Irrtümern führen. | 27

Tipps für klares Deutsch

Auch die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, die Versicherten zusteht … Hier bezieht sich der Relativsatz eindeutig auf die Rente – obwohl diese am weitesten vom Komma weg steht. Aber hier ist das anders:

Versammlungsstätten im Freien mit Szenenflächen und Freisportanlagen, deren Besucherbereich jeweils mehr als 1000 Besucher/innen fasst und ganz oder teilweise … Hier hat der Gesetzgeber ein rettendes „jeweils“ eingebaut, um klarzumachen, was gemeint ist. Sonst wäre Raum für Spekulationen oder Auslegung. Und bei diesen Beispielen bekommen Sie fast „einen Knoten ins Hirn“:

Wer ist die Frau, die Beck beerbt? Darüber freut sich Petra Meyer, die Claudia Schulze im Urlaub vertritt. Beerbt Herr Beck die Frau oder beerbt die Frau Herrn Beck? Vertritt Petra Meyer ihre Kollegin Claudia Schulze oder umgekehrt?

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Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

5. Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze Zum nächsten großen Problem des Juristen­deutschs, nämlich den langen und verschachtelten Sätzen. In dem guten Willen, alles detailreich, mikroskopisch genau und trennscharf zu regeln, formu­lieren Juristen unendlich scheinende Satz-Ungetüme. Noch eine Ausnahme hineinstopfen, noch eine Variante und Alter­native einklinken – und dann, nach vielen, vielen Kom­mata, der rettende Punkt. Bloß nicht mehrere Sätze bilden, da sonst die Leserinnen und Leser womöglich nicht alles lesen könnten. Solche Kunststücke können sie vielleicht noch lesen, aber nicht mehr erfassen. Ein schwer­wiegendes Indiz für einen verworrenen langen Satz ist das Fazit der Leserinnen und Leser: „Oje, das muss ich noch einmal lesen. – Ganz langsam!“ Der Leser sollte aber den Text gleich­zeitig lesen und verstehen können. Kurze, übersichtliche Sätze zu schreiben bedeutet nicht, Hackstil oder Stakkato zu produzieren. Sätze sollten aber eine gewisse Länge einhalten, damit sie überschaubar und verständlich bleiben – und Leser oder Zuhörerinnen nicht in „Atemnot“ geraten. Lesen Sie sich den Satz zur Kontrolle einmal laut vor. Eine Faust­regel lautet: Nicht mehr als 20 Wörter pro Satz. Daran müssen Sie sich nicht akribisch halten. Es ist eine Faustregel. Sie sollten jedoch die Größenordnung wahren. Bei 25 Wörtern sollten Sie dringend über einen Punkt nachdenken und einen neuen Satz beginnen. Sätze dürfen selbstverständlich auch Neben­sätze haben, auch mehrere. Schwer zu erfassen und verworren sind aber Schachtel­sätze, also Sätze mit – meist mehreren – eingeschobenen Nebensätzen. Was will uns zum Beispiel der BGH mit folgendem Satz-Labyrinth sagen? (Pressemitteilung vom 20. Oktober 2015 zu XI ZR 166/14)

Die Auslegung der umfassend formulierten Regelung – die sich ihrem ein­ deutigen Wortlaut nach auf sämtliche Fälle bezieht, in denen der Kunde bei der Beklagten wegen der Ausstellung einer Ersatzkarte vorstellig wird – ergibt, dass die Bank hiernach auch dann die Zahlung des Entgelts in Höhe von 15 € verlangen kann, wenn die Ausgabe der Ersatzkarte wegen der verein­barungsgemäß erfolgten Sperrung der Erst- bzw. Originalkarte nach § 675k Abs. 2 BGB notwendig geworden ist, deren Verlust oder Diebstahl – als nicht in den Verant­wortungsbereich der Beklagten fallende Vorgänge – der Kunde gemäß § 675l Satz 2 BGB angezeigt hat. | 29

Tipps für klares Deutsch

Das können Sie zwar rein mechanisch lesen, aber auch beim zweiten oder dritten Mal kaum verstehen. Wie wäre es auch ohne Gewurschtel, also mit klarem Satzbau?

Die umfassend formulierte Regelung bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut auf alle Fälle, in denen der Kunde bei der Beklagten wegen der Ausstellung einer Ersatz­karte vor­stellig wird. Die Auslegung der Regelung ergibt, dass die Bank das Entgelt von 15 € auch dann verlangen kann, wenn die Ausgabe der Ersatz­karte notwendig geworden ist, weil die Erstbzw. Originalkarte nach § 675k Abs. 2 BGB verein­barungsgemäß gesperrt wurde. Der Verlust oder Diebstahl der Origi­nal­­karte, den der Kunde ge­ mäß § 675l Satz 2 BGB angezeigt hat, fällt nicht in den Verantwortungsbe­ reich der Be­klagten. Und vielleicht noch mit etwas volksnahen Formulierungen:

Die ausführliche Regelung betrifft nach ihrem klaren Wortlaut alle Fälle, in denen der Kunde von der Beklagten eine Ersatz­karte möchte. Danach kann die Bank die 15 € auch dann verlangen, wenn der Kunde eine Ersatz­ karte braucht, weil seine alte Karte nach §  675k Abs. 2 BGB verein­ barungsgemäß gesperrt wurde. Dafür, dass eine Karte gestohlen wird oder verloren geht, wie es der Kunde gemäß § 675l Satz 2 BGB angezeigt hat, ist die Be­klagte nicht verantwort­lich. Vermeiden Sie Konstruktionen mit „dass“. Denken Sie an die Regel „Hauptsachen in Hauptsätze, Nebensachen in Nebensätze“. Dass-Sätze sind oft eine Hauptursache für verworrene Sätze. Meist können Sie einen Satz ganz einfach entschachteln, indem Sie das weit entfernte Verb nach vorn vor das Komma ziehen. Das größte Pro­ blem bei Schachtelsätzen ist, dass Subjekt und Prädikat weit auseinandergezogen sind. Der Leser erfasst den Satzkern und damit die Aussage des Satzes erst, nachdem er mehrere Einschübe überwunden hat; und damit viel zu spät. Verben sind aber die wichtigsten Wörter im Satz. Ohne sie zu kennen, verstehen wir erst einmal nicht, um was es geht. Oder anders herum: Wir verstehen den Satz erst, wenn wir das Verb kennen. Bis dahin bauen wir unbewusst eine innere Anspannung auf. An einem Sondern-Satz ist das wunderbar zu zeigen:

Ich will nicht mit den Kollegen Meyer, Müller und Schulze, sondern mit den Kollegen Reis, Samimi und Schons zusammenarbeiten. 30 |

Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

Viel besser und entspannter zu erfassen ist die folgende Variante, weil das ganze Verb oder Prädikat vorn steht:

Ich will nicht mit den Kollegen Meyer, Müller und Schulze zusammenar­ beiten, sondern mit den Kollegen Reis, Samimi und Schons. Um für das Problem des Schachtelsatzes noch sensibler zu werden, sollten Sie sich in die Lage eines Simultan-Dolmetschers hineindenken. Er kann mit der Übersetzung, zum Beispiel ins Englische, erst beginnen, wenn er den ganzen Satz gehört hat, insbesondere, wenn er das Verb kennt. Hoffentlich hat er dann die Einschübe nicht wieder vergessen!

In Deutschland ist die Todesstrafe, auch wenn sie gerade bei Kindesentfüh­ rung, Kindesmissbrauch und Kindesmord vielen Menschen angemessen erscheint und die verständlichen Rachegefühle der Eltern befriedigt, aus guten Gründen abgeschafft. Klarer ist, weil das Verb vorn steht und der Lesers sofort erfährt, um was es geht:

In Deutschland ist die Todesstrafe aus guten Gründen abgeschafft, auch wenn sie gerade bei Kindesentführung, Kindesmissbrauch und Kindes­ mord vielen Menschen angemessen erscheint und die verständlichen Ra­ chegefühle der Eltern befriedigt. Noch deutlicher wird das Problem des Schachtelsatzes an folgendem Beispiel aus dem „Wechseljahr“ der Singularzulassung.

Im Hinblick auf die auch für alle zu einem Amts- und Landgericht im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz zugelassenen Kollegen zum 1.7.2002 bestehende Möglichkeit, sich unter Beibehaltung der bisherigen Niederlas­ sung gleichzeitig weiter zum Oberlandesgericht Koblenz zulassen zu kön­ nen, ist der Vorstand unserer Kammer der Auffassung, dass mit dem 1.1.2002 für die bisher singular am Oberlandesgericht zugelassenen Kolle­ gen die Möglichkeit bestehen muss, ihre weitere Zulassung zu einem Amtsund Landgericht nicht nur für Koblenz, sondern auch zu den weiteren Amts- und Landgerichten unseres Bezirks beantragen können. Und wer so kompliziert schreibt, denkt kompliziert, und wer kompliziert denkt, macht Fehler. Darum ist ein Schachtelsatz höchst fehlerträchtig. Der Autor verfängt sich irgendwann im Gestrüpp seiner Schachtelung, weiß nicht mehr, was er sagen wollte und wie er den Satz richtig been| 31

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den soll. Auch bei dem Beispiel oben ist es passiert: Vor dem letzten Wort (können) fehlt das „zu“. Aber noch schlimmer: Der Inhalt ist vermutlich falsch, jedenfalls aber fragwürdig: Die Kammer ist wohl kaum der Meinung, dass sich die Anwälte bei allen weiteren Amts- und Landgerichten zulassen können, sondern wohl nur bei einem der weiteren Gerichte. Die Form des Schachtelsatzes vernebelt den Inhalt. Wer den Schachtelsatz lesen muss, ist so beschäftigt, ihn überhaupt formal, grammatisch zu verstehen, dass er den Blick verliert für den Inhalt. Glauben Sie also nicht, Schachtelsätze sprächen für besondere Sprachgewandtheit. Aber selbst wenn es so wäre: Was nutzt die akrobatischste Wortgewandtheit, wenn sie keiner versteht? Warum nicht so, wie Sie es vermutlich zu Hause oder im Büro erzählen würden? Denken Sie wieder an den „Küchenzuruf“:

Die Kammer vertritt folgende Meinung zu den neuen Zulassungsmöglich­ keiten ab 1. Januar 2002: Kollegen, die bisher singular am Oberlandesge­ richt Koblenz zugelassen sind, dürfen ihre Zulassung an allen Amts- und Landgerichten unseres Bezirks beantragen und nicht nur in Koblenz. Zu dieser Auffassung ist die Kammer aus dem Umkehrschluss heraus gelangt, dass sich alle Kollegen, die an einem Amts- und Landgericht im Bezirk zugelassen sind, künftig auch am Oberlandesgericht zulassen können. Nachdem der Text transparent ist, können Sie ihn überhaupt erst inhaltlich genau betrachten. Nun taucht die Frage auf, ob die Kammer das wirklich so meint. Und nun wieder zu dem Urteil des Bundesfinanzhofes mit der promovierten Chemikerin, das Sie schon von den Adjektiven kennen (S. 19):

Eine promovierte Chemikerin, die Zertifikate als „DGQ-Fachauditor für  die chemische Industrie“ und als „DGQ-Umweltsystem-Auditor“ be­ sitzt und die Unternehmen auf die von diesen gewünschte Zertifizierung vorbereitet, Umweltgefährungspotenziale analysiert, Managementsysteme für den betrieblichen Umweltschutz entwickelt, Arbeitsplätze des Unter­ nehmens im Hinblick auf die für die Arbeitnehmer ausgehende Gefähr­ dung beurteilt, entsprechende Lösungen zur Gefahrenabwehr erarbeitet, geeignete Lagerungssysteme zur sicheren Aufbewahrung von das Grund­ wasser gefährdenden Flüssigkeiten auswählt und entsprechenden Betriebs­ anweisungen erstellt, übt eine einem Handelschemiker ähnliche Tätigkeit aus … 32 |

Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

Das verstehen Sie wohl selbst beim dritten Lesen nicht einmal ansatzweise. Das Hauptproblem ist die Schachtelung. Der Einschub im Hauptsatz ist 63 Wörter lang, bei der Zeilenlänge hier im Buch sind es elf Zeilen. Ohne Schachtelkunststück, also ohne Einschub, ist der Satz recht einfach zu lesen:

Eine promovierte Chemikerin übt eine ähnliche Tätigkeit wie ein Handels­ chemiker aus, wenn sie – die Zertifikate als „DGQ-Fachauditor für die chemische Industrie“ und als „DGQ-Umweltsystem-Auditor“ besitzt, – die Unternehmen auf die von diesen gewünschte Zertifizierung vorbe­ reitet, Umweltgefährungspotenziale analysiert, – Managementsysteme für den betrieblichen Umweltschutz entwickelt, – Arbeitsplätze des Unternehmens im Hinblick auf die für die Arbeitneh­ mer ausgehende Gefährdung beurteilt, – entsprechende Lösungen zur Gefahrenabwehr erarbeitet, – geeignete Lagerungssysteme zur sicheren Aufbewahrung von das Grund­ wasser gefährdenden Flüssigkeiten auswählt und – entsprechende Betriebsanweisungen erstellt. Nun fällt übrigens auch viel eher auf, dass das promoviert wohl keine Voraussetzung sein soll. Aber das hatten wir ja schon. Und auch die schon behandelten geeigneten Lagerungssysteme zur sicheren Aufbewahrung ­fallen eher ins Auge, weil der gesamte Text so viel besser zu lesen ist und Leserinnen und Leser nicht von der Schachtelung abgelenkt werden. Nach dem so genannten „Gesetz der drei Sekunden“ kann ein Leser einen Gedanken höchstens drei Sekunden behalten, dann springt er um. Das heißt: Ein eingeschobener Satz darf höchstens drei Sekunden lang sein, sonst vergisst der Leser den Satz, in den der andere eingeschoben wurde. Er verliert den Anschluss und muss das ganze Satzkonstrukt noch einmal lesen. Drei Lesesekunden sind etwa zwölf Silben oder drei bis vier Wörter. Zwingen Sie Ihre Leser nicht dazu, Ihre Texte zwei- oder dreimal zu lesen, um sie zu verstehen. Das raubt ihnen die Zeit. Das „Gesetz der drei Sekunden“ wurde ursprünglich hergeleitet aus der Zeit, die es dauert, bis ein so genanntes Springbild für den Betrachter umspringt. | 33

Tipps für klares Deutsch

Wer zuerst die Vase sieht, sieht nach etwa drei Sekunden die beiden Gesichter, und umgekehrt. Der erste Gedanke kann nur drei Sekunden gehalten werden.

Noch einmal der Tipp: Lesen Sie sich Ihre Sätze zur Kontrolle laut vor. Oft entsteht so wegen eines Einschubes auch ein falscher Zwischensinn:

Der Richter versagte, nachdem er das Urteil gegen den Angeklagten gefällt hatte, dem Verteidiger, von dem er sich nicht verabschiedete, den Respekt. Besser wäre:

Der Richter versagte dem Verteidiger den Respekt: Nachdem er das Urteil gefällt hatte, verabschiedete er sich nicht von ihm. Übung: Hier sollten Sie nicht nur entschachteln, sondern auch gleich Sprachschwulst und Blähdeutsch entfernen.

1. Die Häuser, die sich auf dem Weg, der vor dem Platz, der vor dem Rat­ haus liegt, abgeht, befinden, werden renoviert. 34 |

Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

2. Der Igel setzte sich der Schlange gegenüber, der er eine Reihe von Bissen beibrachte, schnell zur Wehr und fraß das getötete Tier dann auf. 3. Der Polizist, der an der Ecke, die abends den stärksten Verkehr auf­ weist, Dienst tat, ergriff, als er den Unfall, der ihm zunächst, weil er ei­ nen geparkten Wagen notierte, entgangen war, bemerkte, sofort alle nötigen Maßnahmen. 4. Noch nach 1945 versagte die Kirche, die Ausgebombten, Vertriebenen und auch Entnazifizierten half, den überlebenden Juden die Zuwendung. 5. Er war, als seine Eltern, die telefonisch herbeigerufen worden waren, eintrafen, schon tot. 6. Vor allem kommt es darauf an, dass sich sprachliche Wendigkeit mit dem Willen, wirklich verstanden zu werden, verknüpft. 7. Der Trend zur asynchronen Kommunikation, bei der Adressat und Empfänger nicht zeitgleich verbunden sein müssen, wächst. Lösungen: 1. Die Häuser am Weg zum Rathausplatz werden renoviert. 2. Der Igel biss die Schlange tot und fraß sie auf. 3. Der Polizist bemerkte an der abends meistbefahrenen Ecke einen Unfall nicht, weil er einen Falschparker notierte. Dann aber ergriff er alle Maß­ nahmen. 4. Die Kirche versagte den Juden auch nach 1945 die Zuwendung, obwohl sie Ausgebombten, Vertriebenen und Entnazifizierten half. Oder: Die Kirche half nach 1945 zwar den Ausgebombten, Vertriebenen und Entnazifizierten, aber nicht den Juden. 5. Er war schon tot, als seine Eltern eintrafen. Sie waren telefonisch ver­ ständigt worden. 6. Vor allem kommt es darauf an, dass sich sprachliche Wendigkeit mit dem Willen verknüpft, wirklich verstanden zu werden. Oder ohne einleitenden Nebensatz: Sprachliche Wendigkeit muss sich mit dem Willen verknüpfen, wirklich verstanden zu werden. 7. Es gibt immer mehr asynchrone Kommunikation. Dabei sind Sender und Empfänger nicht gleichzeitig verbunden. | 35

Tipps für klares Deutsch

Haben Sie den Fehler bemerkt, als Sie entschachtelt haben? Adressat und Empfänger sind dasselbe. Der Schachtelsatz versteckt den Fehler, weil er den Blick für den Inhalt vernebelt und ihn vor allem auf die Form lenkt. Sie können noch so klug und intelligent sein, noch so belesen. Irgendwann hat der Schachtelsatz Sie in den Fängen. Üblicherweise nutzen Sie beim Lesen 80 Prozent Ihrer Aufmerksamkeit für den Inhalt des Satzes (die Botschaft) und etwa 20 Prozent für die Form (grammatische Struktur, Satzbau). Bei einem oder gleich mehreren Schachtelsätzen hintereinander verdrängt aber die Aufmerksamkeit für die Form schleichend und unbemerkt nach und nach die für den Inhalt. Und irgendwann benötigen Sie mehr Aufmerksamkeit für die Form. Und spätestens dann verlieren Sie den Blick für den Inhalt und damit für Fehler. 80 %

20 %

Inhalt

Form

Fazit: Erst denken, dann schreiben oder diktieren.

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Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

Halbzeitstand Nach fünf Regeln können Sie bereits beginnen, Sätze mit mehreren Stilfehlern zu „zerschlagen“ und kurz und klar zu formulieren, auch wenn Sie die weiteren fünf Regeln erst noch näher kennen lernen werden. Denken Sie bei der Lösung wieder an den „Küchenzuruf“ (S. 2).

Übung: Wortmüll und Blähdeutsch. 1. Die gemachten Aussagen sind klar formuliert. 2. Ähnlich gelagerte Fälle werden oftmals von verschiedenen Gerichten unterschiedlich entschieden. 3. Die im Theater vorhandene Bestuhlung ist nicht ausreichend für die Zahl der Zuschauer. 4. Der Schweregrad der Unfälle geht einer Steigerung entgegen. 5. Die Schulklasse ist in überwiegender Mehrzahl aus Mädchen zusam­ mengesetzt. 6. Von der Kostenseite her ist dieses Buch zu preisaufwendig. 7. Seine Erwartungshaltung war sehr hochgeschraubt. 8. Wir werden kostenmäßige Reduzierungen auf dem Personalsektor vor­ nehmen müssen. 9. Außerdem verstärkte die Tatsache, dass die Demontage von Betrieben vor allem in der sowjetischen Zone in großem Maßstab vorgenommen wurde, die feindselige Einstellung der Bevölkerung zur Besatzungsmacht, d. h. zur Sowjetunion. Lösungen: 1. Die Aussagen sind klar. 2. Verschiedene Gerichte entscheiden ähnliche Fälle oft unterschiedlich. 3. Es gibt zu wenige Stühle im Theater. 4. Es gibt immer schwerere Unfälle. 5. In der Klasse gibt es mehr Mädchen. 6. Das Buch ist zu teuer. 7. Er hatte hohe Erwartungen. Oder: Er erwartete viel. | 37

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8. Wir müssen Leute entlassen. Oder: Wir müssen die Löhne senken. 9. Die Demontage vieler Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone ver­ stärkte die Feindseligkeit der Bevölkerung zur Sowjetunion. Als Höhepunkt der Halbzeit-Übungen ein Brief eines Schulamtes. Bitte formulieren Sie den Brief einfach und zielgruppengerecht und schreiben Sie das Wichtige an den Anfang. Der Brief richtet sich an eine Mutter und juristische Laiin. (Tippfehler und Kommafehler sind aus dem Original übernommen.)

Sehr geehrte Frau Mayer, Bezug nehmend auf unseres Bescheides vom 1.8.2016 bezüglich des Trans­ portes zwischen o. g. Wohnung und Sprachheilkita Lindenberger Weg ge­ mäß §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 BSHG i. V. m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 2 56 SGB IX als Hilfe zur Sicherstellung heilpädagogischer Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind für Hannah bis zu Ihrer Einschulung, voraussicht­ lich im August nächsten Jahres durch die Firma Fhurbetrieb Klaus Müller, Karl-Schweizer-Straße 321, 12345 Musterstadt (Fax: 01234  – 56789) in Höhe von beförderungstäglich 9,36  Euro bei Hin- und Rückfahrt bzw. 4,68 Euro bei Hinfahrt ohne Rückfahrt jeweils zzgl. gesetzlicher Mehrwert­ steuer laut Kostenvoranschlag der Firma vom 8.10.2015 ergeht folgender ergänzender Bescheid: Der Vorbehalt des fehlenden Nachweises über die Zugehörigkeit zum be­ rechtigten Personenkreis Hannahs wird aufgehoben, da der Nachweis er­ bracht wurde. Die Firma wird entsprechend informiert. Im Übrigen behält der Bescheid vom 1.8.2015 voll inhaltlich seine Wirk­ samkeit. Fundstellen: BSHG – Bundessozialhilfegesetz i. d. F der Bekanntmachung vom 23. März 1994 (BGBl. I S. 646), zuletzt geändert durch Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch – SGB IX (BGBl. I 2001 S. 1046)

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Kurze Hauptsätze, wenige Nebensätze, keine Schachtelsätze

Lösung: Sie haben es ganz sicher gesehen: Hier ist sehr viel überflüssig und falsch gewichtet. Das Wichtige steht unten. Von Bürgernähe kann da keine Rede sein, auch bei der Wortwahl: Fuhrbetrieb und Transport passen nicht so gut zu der kleinen Hannah. Und warum die Faxnummer? Was ist Hinfahrt ohne Rückfahrt? Doch wohl nur eine simple Hinfahrt. Und dann die typische gesetzliche Mehrwertsteuer; zudem fremde Wörter wie beför­ derungstäglich.

Sehr geehrte Frau Mayer, vielen Dank für das Attest. Nun übernehmen wir die Fahrtkosten für Ihre Tochter Hannah zur Sprachheilkita Lindenberger Weg ohne Vorbehalt. Umfang und Höhe haben wir Ihnen bereits in unserem Bescheid vom 1. August 2016 mitgeteilt. Mit freundlichen Grüßen …… Rechtsgrundlagen: §§  39, 40 Abs.  1 Nr.  8 Bundessozialhilfegesetz i. V. m. §§ 55 Abs. 2 Nr. 2, 56 Sozialgesetzbuch IX Nach diesen Übungen verdienen Sie zur Halbzeit, zur reinen Unterhaltung, eine kleine Belohnung – ein Schreiben eines Anwaltes an eine Ärztekammer:

Die Feststellung einer wie beim Kläger vorhandenen nahezu vollständigen Beseitigung des Knorpels sowohl im Ober- als auch Unterschenkelbereich, 3 Monate nach der durch­geführten Operation, während derer der Kläger unter den erheblichen voran benannten schmerzhaften Einschränkungen der Beweglichkeit sowie der starken Geschwollenheit des Knies litt, lässt sich unter Berücksichtigung von typischen Geschehensabläufen aus­schließ­ lich mit einer durch den Beklagten während der Operation durchgeführten diesbezüglichen Beschädigung der Knorpelschichten erklären. Hier ist jemand komplett versunken in seinem Wort-Morast. Danke für das schöne Beispiel.

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6. Kein Nominalstil, sondern kräftige Verben Die Juristensprache ist vor allem wegen des Nominalstils, wegen der substantivierten Verben bei Durchschnittsmenschen verpönt. Nominalstil ist Hauptmerkmal der Juristensprache: Verfügung, Bewertung, Befähigung, Verletzung. Verben mutieren zu Hauptwörtern. Nominalstil ist umständlich, gestelzt und daher meist schwer zu verstehen. Wir brauchen Verben. Verben sind die wichtigsten Wörter im Satz, Verben teilen uns mit, was passiert oder was wir tun sollen. Von Kindesbeinen an sind wir ganz natürlich an Verben gewöhnt.

Räum’ auf. Iss auf. Geh’ ins Bett. Wir laufen. Du sprichst. Sie streiten. Es ist unnatürlich, Verben durch ein Hauptwort zu ersetzen – das, was geschieht, mit einem Substantiv mitzuteilen: Gespräch führen, Streit durchführen. Besonders widernatürlich und irritierend ist es, Verben mittels - ung oder  -keit in Hauptwörter zu verwandeln. Aus durchsuchen wird Durchsuchung durchführen, aus verurteilen wird die Verurteilung erfolgt. Aus streiten wird eine Streitigkeit haben. Da jeder Satz ein Verb braucht, muss dem echten oder künstlichen Hauptwort ein aussageschwaches Stützverb zugegeben werden: durchführen, stattfinden, erfolgen, vollzie­ hen. Im normalen Leben sagt aber niemand: Führ’ eine Aufräumung deines Zimmers durch, lass eine Endbespeisung erfolgen, vollziehe eine Früh-ins-Bett-Gehung. Diese „künstliche Hauptwörterei“ im Juristendeutsch wird darum als distanziert, unfreundlich, aufgeblasen, arrogant und hoch­näsig empfunden. Die „Opfer“ des Nominalstils fühlen sich von oben herab behandelt. Nominalstil ist vermeidbar – für den, der es möchte. Wir betrauen ihn mit der Durchführung der Untersuchung des Falles, heißt nichts anderes als: Wir betrauen ihn damit, den Fall zu untersuchen. Oder: Er soll den Fall untersuchen. Der aufgeblasene Satz Es muss eine Beschlagnahme der Akten durch die Staatsanwaltschaft erfol­ gen, heißt nichts anders als: Die Staatsanwaltschaft muss die Akten beschlagnahmen. 40 |

Kein Nominalstil, sondern kräftige Verben

Schreiben Sie nicht:

Es erfolgt eine Umstrukturierung des Unternehmens durch einen Wirt­ schaftsberater, sondern:

Ein Wirtschaftsberater strukturiert das Unternehmen um. Das alles klingt umständlich und das ist es auch. Ein Grund für den Nominalstil mag sein, dass die Überschriften zu Gesetzen meist nur aus Nomina bestehen: Beschlagnahme, Festnahme, Personenbeförderung. Daraus folgt dann, dass die Beschlagnahme erfolgt, die Festnahme durchgeführt wird und die Personenbeförderung vorgenommen wird. Genauso gut  – und zudem viel kürzer – kann es heißen:

beschlagnahmen, festnehmen, Personen befördern. Indizien für Nominalstil sind die Substantiv-Endungen -ung und -keit und die Verben

erfolgen, durchführen, vornehmen, vollziehen. Also Achtung, wenn Sie diese Wörter diktieren oder schreiben.

Übung: Weg mit dem Nominalstil. 1. Durch die vorgenommene Beschrankung des Bahnübergangs Müller­ straße wurde eine Senkung der Unfallquote an diesem Gefahrenpunkt auf null erreicht. 2. Schulseitig wird die Beantragung einer Bezuschussung der Klassenreise nach Amsterdam seitens der Schulbehörde in Erwägung gezogen. 3. Ich schaue zu, wie er die Arbeitseinteilung der Maurer vornimmt. 4. Die Erfolgsaussichten unterliegen der Beurteilung durch das Landgericht. 5. Die Akte wurde einer weiteren Bearbeitung durch die Staatsanwalt­ schaft zugeführt. 6. Die Abnahme der Arbeit kann erst nach Einarbeitung aller Änderungs­ wünsche erfolgen. 7. Eine Gefährdung der Resozialisierung ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung über eine schwere Straf­ tat nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe zu seiner bevorste­ henden Entlassung ausgestrahlt wird. | 41

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Kein Nominalstil, sondern kräftige Verben

Lösungen: 1. Seit es am Bahnübergang Müllerstraße eine Schranke gibt, geschehen dort keine Unfälle mehr. 2. Die Schule will einen Zuschuss zur Klassenreise nach Amsterdam bean­ tragen. 3. Ich schaue zu, wie er die Maurer zur Arbeit einteilt. 4. Das Landgericht beurteilt die Erfolgsaussichten. 5. Wir haben die Akte an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. 6. Wir nehmen die Arbeit erst ab, wenn alle Änderungswünsche eingear­ beitet sind. 7. Die Wiedereingliederung ist gefährdet, wenn nach oder kurz vor der Entlassung eines Straftäters ein Film über die Tat gezeigt wird, in dem der Täter zu identifizieren ist. Besonders gefährlich ist es, Nomina zu einer Nominalstilkette aufzureihen. Sie ist nicht nur umständlich und lang, sie kann auch zu Missverständnissen führen, wenn substantivierte Verben mittels Präpositionen oder Genitivkonstruktionen aneinandergereiht werden.

Ziel der Aktion waren Beschlagnahmen, Durchsuchungen und Identifizie­ rungen von Fahrzeugen und Kleidung des Täters. Was gehört wie zusammen? Sie können die Nominalstilkette unterschiedlich verstehen:

1. Fahrzeuge und Kleidung wurden beschlagnahmt, durchsucht und iden­ tifiziert. 2. Es gab Beschlagnahmen und außerdem wurden Fahrzeuge und Klei­ dung durchsucht und identifiziert. 3. Es gab Beschlagnahmen und Durchsuchungen und außerdem wurden Fahrzeuge und Kleidung identifiziert. 4. Es gab Beschlagnahmen, Durchsuchungen und es gab Identifizierungen der Fahrzeuge und außerdem war die Kleidung des Täters Ziel. Beispiel: Mit Verben kann das nicht passieren. Ziel der Aktion war es, Kleidung und Fahrzeuge des Täters zu beschlag­ nahmen, zu durchsuchen und zu identifizieren. | 43

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Oder:

Bei der Aktion sollten Kleidung und Fahrzeuge des Täters beschlagnahmt, durchsucht und identifiziert werden. Ein anderes Beispiel einer Nominalstilkette:

Neu eingeführt wurde in § 10 Ziff. 1 Kategorie 1e) die Bewertung von Au­ diodeskriptionen von Filmen für Blinde, wie sie insb. Arte sendet, mit fünf Punkten. Hier stellen sich zwei Fragen: 1. Was ist neu? – Die Bewertung insgesamt? Oder nur die Bewertung mit fünf Punkten? Oder ist neu, dass das Ganze jetzt in § 10 Ziff. 1 Kategorie 1e) steht? 2. Worauf bezieht sich der Nebensatz? Was also sendet Arte? – Etwa Filme für Blinde? Oder Audiodeskriptionen für Filme für Blinde? Oder die Bewertungen? Die Antworten auf Frage 1 weiß nur der Autor. Weil hier Nomina aneinandergereiht sind, ist der Sinn des Satzes nicht zu erfassen. Solche Konstruktionen kommen in Gesetzen häufig vor und führen dann zu unterschiedlichen Auslegungen und Rechtsproblemen  – nur weil jemand schlecht und mehrdeutig formuliert hat. Bei der Frage 2 kann man sich die Antwort erarbeiten: Arte sendet Audio­ deskriptionen (gesprochene Untertitel); denn Filme für Blinde zu senden, ist wohl Unsinn. Wegen solcher Konstruktionen kommt es auch in Gesetzen oft zu Missverständnissen. Und noch eine kurze Nominalstilkette:

In einer Stellungnahme vom 2. Oktober 2014 hatte sie sich deutlich positio­ niert und auf die negativen Konsequenzen der spürbaren Anhebung der Schwellenwerte für kleine Kapitalgesellschaften hingewiesen. Hat die Anhebung negative Konsequenzen für die Kapitalgesellschaften – oder für einen Dritten? Für die Kapitalgesellschaften:

… und auf die negativen Konsequenzen für kleine Kapitalgesellschaften hingewiesen, die die spürbare Anhebung der Schwellenwerte hat. Zum Schluss ein schönes Beispiel aus der ZPO. In § 755 können Sie diesen Satz „genießen“ (oder zum Genusse bringen): 44 |

Kein Nominalstil, sondern kräftige Verben

Ist der Schuldner Unionsbürger, darf der Gerichtsvollzieher die Daten nach Satz 1 Nummer 1 nur erheben, wenn ihm tatsächliche Anhaltspunkte für die Vermutung der Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts des Freizügigkeitsrechts vorliegen. Eine Übermittlung der Daten nach Satz 1 Nummer 1 an den Gerichtsvollzieher ist ausgeschlossen, wenn der Schuldner Unionsbürger ist, für den eine Feststellung des Nicht­be­stehens oder des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nicht vorliegt. Vermutung, Übermittlung, Feststellung, Nicht­bestehen, Verlust? Müssen so viele verkettete Substantivierungen und Hauptwörter sein? Nein! Es geht auch ohne:

Ist der Schuldner Unionsbürger, so gilt für die Daten nach Satz 1 Num­ mer 1 Folgendes: – Der Gerichtsvollzieher darf sie nur erheben, wenn ihm tat­sächliche An­ haltspunkte vorliegen, die vermuten lassen, es sei festgestellt, dass das Freizügigkeitsrecht verloren ge­gangen ist oder nicht besteht. – Sie dürfen dem Gerichtsvollzieher nicht übermittelt werden, wenn für den Schuldner weder festgestellt wurde, dass sein Freizügigkeitsrecht nicht besteht, noch, dass er es verloren hat. Sie haben es sicher bemerkt: Weil im ersten Satz des Gesetzestextes wieder so viele Substantivierungen aneinandergereiht sind, wissen Sie nicht, ob sich die Feststellung nur auf das Nichtbestehen oder auch auf den Ver­ lust bezieht oder die Vermutung direkt auf den Verlust. Das müssen Sie dann einfach wissen, sich erschließen oder es raten.

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7. Viel Aktiv, wenig Passiv Ein anderes Übel, das Juristen pflegen, ist das Passiv. Es ist meist mit dem Nominalstil symbiotisch verbunden und klingt ebenfalls unfreundlich und distanziert. Das Passiv ist umständlich, zäumt das Pferd sozusagen von hinten auf und verschweigt meist, wer der Handelnde ist. Es ist wie der Nominalstil eher unnatürlich. Wir nutzen im normalen Alltag selten Passiv; denn wir sagen Dinge direkt und nennen gern den Handelnden. Das Passiv braucht zudem immer zwei oder gar drei Prädikatsteile: ein oder zwei Hilfsverben und ein Hauptverb (wird geschlagen – ist geschlagen worden). Daher kann es bei längeren Sätzen auch noch passieren, dass die Prädikatsteile im Satz verstreut sind und das wichtige Verbteil hinten steht, was (siehe Schachtelsatz, S. 30) den Leser anspannt. Also nicht:

Er wird von einem großen Mann mit dunkler Brille und schwarzem Man­ tel im Park verfolgt. Sondern besser:

Ein großer Mann mit dunkler Brille und schwarzem Mantel verfolgt ihn im Park. Passiv ist nicht nur umständlich und klingt distanziert, es kann auch zu Missverständnissen führen, wenn Sie die Passivfalle aufstellen.

Die Sache konnte durch Befragung von Experten geklärt werden. Welche Rolle spielen in diesem Satz die Experten? Fragen sie jemanden oder werden sie von jemandem befragt? Das ist nicht klar, und zwar wegen des Passivs. Ein aktiver Satz birgt keine Missverständnisse in sich:

Experten klärten die Sache mittels Befragung. Oder: Wir klärten die Sache, indem wir Experten befragten. Und eine noch gemeinere Passivfalle:

Das kann von der verantwortlichen Stelle nicht erwartet werden. Tja? Erwarten wir etwas von der verantwortlichen Stelle? Oder erwartet sie etwas von uns?

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Viel Aktiv, wenig Passiv

Nun verfallen Juristen in solchen Fällen wie den Passivfallen in heftige Debatten und haben dazu verschiedene Auffassungen, herrschende und nicht herrschende. Sie verbreiten so genannte richtige Meinungen, überwiegend vertretene oder Mindermeinungen. Das ist wissenschaftlicher Disput  – der aber gar nicht nötig wäre, wenn die Autorin des Textes gleich verständlich und eindeutig hingeschrieben hätte, was sie sagen möchte. Doch die Autorin hat die Passivfalle, die sie in juristischer Feinarbeit gebaut hat, selbstverständlich nicht erkannt; denn sie weiß ja, was sie mit dem Satz sagen will, und kommt nicht auf die Idee, dass es ein Missverständnis geben könnte. Darum: Einfach das Passiv vermeiden, im Aktiv schreiben und die Gefahr, eine Passivfalle zu bauen, ist äußerst gering. In Schriftsätzen lesen Sie oft:

Es wird bestritten. Bedeutet das nun, dass jemand (wohl der Gegner) es bereits bestritten hat oder aber dass die Autorin es gerade mit diesem Satz bestreitet? Das müssen Leser und Leserinnen sich erschließen. Sie sehen: Passiv kann verwirren und zu juristischen Diskussionen führen.

Übung: Setzen Sie um ins Aktiv. 1. Der Gesuchte wurde am Freitag von der Polizei gefunden. 2. In das Ledergeschäft in der Schillerstraße ist am Freitag von drei Ju­ gendlichen eingebrochen worden. 3. Wir wissen nicht, ob der Antrag von Herrn Müller bearbeitet wurde. 4. In der Bar fand eine Durchsuchung seitens der Polizei statt. 5. Das Gesetz ist von der Regierung nicht beachtet worden. 6. Das Urteil wurde gestern verkündet. 7. Das vom Verteidiger gehaltene Plädoyer wurde vom Publikum bejubelt. Die Zuschauer wurden darum des Saales verwiesen.

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Tipps für klares Deutsch

Lösungen: 1. Die Polizei fand den Gesuchten am Freitag. 2. Drei Jugendliche brachen am Freitag in das Ledergeschäft in der Schil­ lerstraße ein. 3. Wir wissen nicht, ob Herr Müller den Antrag bearbeitet hat. Oder (Passivfalle!): Wir wissen nicht, ob Herr Müllers Antrag bearbeitet wurde. 4. Die Polizei durchsuchte die Bar. 5. Die Regierung hat das Gesetz nicht beachtet. 6. Das Gericht verkündete gestern das Urteil. 7. Die Zuschauer bejubelten das Plädoyer des Verteidigers, der Richter schickte sie daraufhin aus dem Saal. Und zum Schluss wieder ein kurioses Beispiel. Auf einem Hinweisschild auf dem Juristentag 2000 in Leipzig stand:

Achtung! Am heutigen Donnerstag findet in der Glashalle um 13.00 Uhr eine Füh­ rung durch Frau Dr. Ladwig-Winters durch die Ausstellung „Anwalt ohne Recht“ statt. Eine typisch juristische Sprachkonstruktion mit Passiv und Nominalstil. Wie Sie hoffentlich bemerkt haben, bringt das Passiv neben Passivfallen hier auch ungewollten Humor: Führung durch Frau Dr. Ladwig-Winters. Die arme Frau! Viel kürzer und klarer geht es ohne Passiv und ohne Nominalstil, mit Verben und Aktiv: Heute führt Frau Dr. Ladwig-Winters um 13 Uhr in der Glashalle durch die Ausstellung „Anwalt ohne Recht“. Wenn der Text so kurz und klar ist, wird die Überschrift Achtung! überflüssig – die ohnehin als boshaft verstanden werden kann: Achtung! klingt fast so, als solle vor der Führung gewarnt werden. Und damit Sie sehen, dass auch Text-Profis wie Journalisten solche Kuriositäten basteln, hier zwei schöne Überschriften: Mutter von sieben Kindern erstochen Trommler von Rock-Band erschossen 48 |

Konkret, nicht abstrakt erzählen

8. Konkret, nicht abstrakt erzählen Würden Sie so erzählen?

Ich habe anlässlich eines entsprechenden Feiertages einer nahen Angehöri­ gen Blumen geschenkt. Wohl kaum. Sie würden sagen:

Ich habe meiner Mutter zum Muttertag Rosen geschenkt. Wenn Sie das Konkrete kennen, dann schreiben Sie auch das Konkrete. Abstrakte Formulierungen sind zwar in Gesetzen nötig, um viele kon­ krete Fälle allgemein zu regeln, aber im konkreten Fall müssen Sie nicht abstrahieren. Dass wir als Juristen und Juristinnen lernen zu abstrahieren, heißt ja nicht, dass wir nicht auch das Konkrete nennen dürfen. Sie müssen also nicht schreiben:

Der Täter verletzte das Opfer, indem er ihm ein Messer ins Bein stach. Der Täter war Herr Müller, das Opfer hieß Meyer. Dass der Messerstich das Opfer verletzte, ist jedem Leser klar, wenn Sie nur das Konkrete schreiben, also:

Müller stach Meyer ein Messer ins Bein. Dass Müller Täter und Meyer Opfer war, können sich Leserinnen und Leser dann denken. Das Abstrakte ist nur dort nötig, wo eine Subsumtion unter einen Tatbestand gerade das Thema ist, etwa um zu klären, ob der Täter tatbestandlich gehandelt hat. Meist wissen die Beteiligten aber, um welchen Tatbestand es geht, und subsumieren automatisch. Daher können Sie meist auch vorangestellte abstrakte Einleitungen weglassen:

Gestern geschah wegen Unachtsamkeit im Straßenverkehr ein schwerer Un­ fall: Ein Lkw raste an der Kreuzung Rathausplatz in einen Schulbus. Zehn Kinder wurden verletzt. Der Lkw-Fahrer hatte das Rotlicht übersehen. Wenn Sie nur das Konkrete erzählen, weiß der Leser auch ohne die ab­ strakte Einführung, dass es ein schwerer Unfall wegen Unachtsamkeit war. Konkret zu formulieren, ist eine Säule der Kommunikation. Ohne Konkretes können Ihre Zuhörerer und Leserinnen oft nicht verstehen, was Sie ihnen sagen möchten. Ihnen fehlt die Vorstellung. Wenn Sie von „Getränk“ sprechen, ohne es zu konkretisieren oder Beispiele zu nennen, | 49

Tipps für klares Deutsch

sucht der Leser nach Konkretem; er stellt sich Konkretes vor: Kaffee, Tee, Wasser, Cola, Bier oder Wein. „Getränk“ als Sammelbegriff kann er in dieser Abstraktheit nicht vor seinem geistigen Auge sehen. Er stellt sich Konkretes vor, aber vielleicht etwas anderes, als Sie damit meinen. Oder er fragt nach: „Was genau meinen Sie damit?“ Wenn Juristen also von fahrlässig, gefährlich, ungeeignet, ausreichend, zumutbar, schwer oder grausam sprechen, sollten sie das konkretisieren oder typische Beispiele nennen, damit Leserinnen und Leser sich vorstellen können, was damit gemeint ist. Körperverletzung, Sachbeschädigung, Beleidigung, Diebstahl – das sind leere Worte, wenn Sie nicht das Konkrete nennen: niedergeknüppelt, zerkratzt, Ziege genannt, 1000 Euro gestohlen. In aller Regel kann man sich das abstrakte Delikt denken. Was Juristen allerdings so alles unter Konkretisierung verstehen, ist für Außenstehende oft das Gegenteil: ein Rätsel. Die „guten Sitten“ definieren Juristen als „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ und „verwerflich“ als „erhöhten  Grad sittlicher Missbilligung“. So recht hilft das nicht weiter, deshalb nennen Sie stets das möglichst Konkrete. statt:

Getränk Bekleidung sprechen

besser:

Kaffee, Tee, Wasser, Limonade, Bier, Sekt, Wein Hemd, Hose, Jacke, Rock, Hut, Schuhe faseln, flüstern, nuscheln, schreien, rufen, lamentie­ ren, lallen Tier Hund, Katze, Maus, Pferd, Kuh, Schwein, Vogel Vogel Adler, Drossel, Sperling, Specht, Amsel, Schwalbe Verwandter Onkel, Neffe, Vetter, Vater, Tochter Gebäude Haus, Fabrik, Stall, Kirche, Brücke, Turm getötet erschossen, ertränkt, erstickt, erdrosselt, vergiftet, erschlagen, erstochen, erhängt Straftat Mord, Raub, Diebstahl, Betrug, Körperverletzung Körperverletzung Stich, Schlag, Tritt, Hieb, Faustschlag, Ohrfeige, Schuss, Nasenstüber Kraftfahrzeug Auto, Lastwagen, Traktor, Motorrad Person Mann, Frau, Mädchen, Junge, Kleinkind bedroht Messer vor die Nase gehalten 50 |

Konkret, nicht abstrakt erzählen

Übung: Bei diesen Beispielen müssen Sie sich übungshalber das konkrete Geschehen meist ausdenken, da die abstrakte Formulierung es gerade offen lässt.

1. Gestern hat sich ein schwerer Unfall ereignet; daher sollen an der betref­ fenden Kreuzung unfallverhütende Maßnahmen getroffen werden. 2. Der Täter brach den Gewahrsam des Opfers an dessen Uhr und eignete sie sich zu. 3. Der Gatte brachte seine Frau ums Leben, indem er ihr mit einem elek­ trischen Küchengerät einen kräftigen Schlag auf den Kopf beibrachte. 4. Der Geschäftsführer schloss einen Kaufvertrag über eine neue EDV-An­ lage. 5. Er hat juristischen Rat eingeholt. 6. Das ist höchstrichterlich entschieden. 7. Sie ist winterlich gekleidet. Lösungen: 1. Gestern überfuhr ein Lkw drei Kinder an der Kreuzung Müllerstraße/ Meyerstraße. Nun will die Stadt dort Fußgängerampeln aufstellen. 2. Der 15-Jährige stahl die Uhr der Rentnerin. 3. Der Mann erschlug seine Frau mit einem Mixer. 4. Der Geschäftsführer kaufte fünf neue Computer. 5. Er hat seinen Anwalt gefragt. 6. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. 7. Sie trägt einen langen Wollmantel.

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Tipps für klares Deutsch

9. Positive Begriffe, keine Verneinungen Vielen Menschen, vor allem Juristen, sind Verneinungen schon in Fleisch und Blut übergegangen: unwesentlich, ungeeignet, nicht unerheblich, nicht mangelhaft. Verneinungen gehören zum Berufsalltag. Aber sie zwingen den Leser zu oft, um die Ecke zu denken. Menschen können strukturell gesehen nicht negativ denken. Sie denken geradlinig und positiv. Hören oder lesen sie eine Verneinung, übersetzen sie sie automatisch in ein positives „unverneintes“ Wort: unzulässig = verboten. So, als übersetzten sie Vokabeln aus einer Fremdsprache. Doppelte Verneinungen sind besonders gefährlich. In der Doppelform nicht unwesentlich ist die Verneinung ausgesprochen schwer zu erfassen – wenn Sie sie nicht kennen. Ein Beispiel: Wenn jemand sagt, er parke nicht unweit vom Gericht, glauben Sie, er parke nah. Na, klar! Aber: nicht unweit bedeutet weit. Die doppelte Verneinung verwirrt. Denn diese Vokabel kennen Sie noch nicht und können Sie nicht automatisch übersetzen. Oder eine Kettenverneinung wie bei diesem Parkverbotsschild auf einem Polizeiparkplatz:

Unerlaubtes Parken für Unbefugte unzulässig Genügt hätte schlicht Parken verboten oder noch besser Nur für Dienst­ fahrzeuge. Nutzen Sie das Positive. Schreiben Sie nicht:

Er hat den Ausweis nicht vergessen. Sondern besser:

Er hat den Ausweis mitgebracht. Lassen Sie Ihre Wertsachen nicht unbeaufsichtigt! bedeutet positiv und klar:

Achten Sie auf Ihre Wertsachen! 52 |

Positive Begriffe, keine Verneinungen

Wenn Sie ein Wort verneinen, transportieren Sie auch oft genau den Begriff, den Sie vermeiden wollen, nach dem Motto: Denken Sie jetzt nicht an einen Elefanten. Sie erzeugen die Vorstellung im Kopf des Zuhörers oder Lesers, die er gerade nicht haben soll oder von dessen Gegenteil Sie ihn überzeugen möchten: unkompliziert enthält kompliziert. Bei einfach würden Sie das Wort nicht servieren. Zudem erzeugen Sie unter Umständen negative Stimmung. Wenn Sie jemandem die Angst nehmen wollen, sollten Sie besser sagen

Alles in bester Ordnung, alles klar! Das kriegen wir hin! statt:

Keine Angst wegen der Schlangen! (Oder wegen der Anwaltskosten.) Ein typisches Beispiel aus einem juristischen Text zeigt, dass Verneinungen oft nur das Verständnis erschweren, den Text verlängern, aber sonst offenbar keine Funktion haben:

Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist ohne Bedeutung für Versicherte, die nicht wenigstens noch drei Stunden täglich erwerbstätig sein können. Wenn Sie die beiden Verneinungen ohne und nicht entfernen, bleibt der Text inhaltlich gleich, ist aber deutlich besser zu lesen und damit zu begreifen:

Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nur von Bedeutung für Versicherte, die wenigstens noch drei Stunden täglich erwerbstätig sein können. Oder aus einem Urteil des Bundesgerichtshofes:

Für den Warensektor „Schuhe und Schuhwaren“ ist im Regelfall nicht da­ von auszugehen, dass bei einem zusammengesetzten Wortzeichen die Her­ stellerangabe in der Sicht des Verkehrs nicht ins Gewicht fällt und den Ge­ samteindruck der Marke nicht mitprägt. Das ist schwer zu erfassen. Einfacher zu lesen ist es ohne Verneinungen:

Für den Warensektor „Schuhe und Schuhwaren“ ist im Regelfall davon auszugehen, dass bei einem zusammengesetzten Wortzeichen die Herstel­ lerangabe in der Sicht des Verkehrs ins Gewicht fällt und den Gesamtein­ druck der Marke mitprägt. Verneinungen zwingen den Leser, um die Ecke zu denken. Muten Sie ihm das nicht zu; juristische Texte sind ohnehin schon kompliziert genug. Be| 53

Tipps für klares Deutsch

nutzen Sie positive Begriffe. Das klingt besser und ist in aller Regel klarer für den Leser oder Zuhörer. Unten finden Sie einige Beispiele. Die Begriffe in der rechten Spalte sind nur mögliche Übersetzungen für den negativen Begriff links. Wenn Sie für „Un-Wörter“ stets den konkreten positiven Begriff suchen, wird sich Ihr Vokabular nach und nach erweitern. statt:

besser:

unzulässig, unerlaubt

verboten, untersagt, nur zulässig/ erlaubt für nackt jähzornig, aufbrausend heimlich, still und leise gering, klein, banal, belanglos belanglos, gering, bedeutungslos peinlich, lästig, aufdringlich rechtswidrig, verboten, falsch falsch zu spät sicher, es steht fest, sie sind einig über schamlos, schmutzig, anzüglich mangelfrei, in Ordnung ablehnen, sich verweigern verlieren kostenlos, gebührenfrei, gratis, frei zu Lasten

unbekleidet unbeherrscht unbemerkt unwesentlich unbedeutend unangenehm unrechtmäßig unrichtig unpünktlich unstreitig unanständig nicht mangelhaft nicht annehmen nicht gewinnen unentgeltlich zuungunsten

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Positive Begriffe, keine Verneinungen

Besonders umständlich und meist sinnlos sind doppelte Verneinungen, denn sie sagen in aller Regel nichts anderes als das nackte Wort ohne Verneinungen:

nicht unstreitig nicht unwesentlich nicht unglaubwürdig nicht ohne nicht unzweckmäßig nicht unweit nicht unabgeneigt

streitig, umstritten wesentlich, bedeutend glaubwürdig mit, inklusive zweckmäßig, sinnvoll weit abgeneigt

Übung 1: Entfernen Sie Verneinungen. 1. Ich habe den Prozess nicht gewonnen. 2. Er hat unverständlich und nicht laut gesprochen. 3. Rechtsanwalt Müller war unfähig. 4. Kommen Sie nicht ohne Ihren Ausweis. 5. Wenn Sie nicht glauben, dass ich Ihnen nicht schaden will, nehme ich das Mandat nicht an. 6. Die Polizei ist dem Täter nicht mehr auf der Spur, sie kann die Spur nicht mehr finden. 7. Der Richter hat die Sitzung unerwartet nicht fortgesetzt. Lösungen: 1. Ich habe den Prozess verloren. 2. Er hat genuschelt. 3. Rechtsanwalt Müller hat versagt. 4. Bringen Sie Ihren Ausweis mit. 5. Wenn Sie daran zweifeln, dass ich Ihnen helfen will, lehne ich das Man­ dat ab. 6. Die Polizei hat die Spur des Täters verloren. 7. Der Richter hat die Sitzung überraschend unterbrochen. | 55

Tipps für klares Deutsch

Übung 2: Sie kennen wohl alle § 164 Absatz 2 BGB. Er ist ein klassisches Beispiel für Kettenverneinung:

Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht. Versuchen Sie es mal mit positiven Begriffen. Juristisch muss Ihr Versuch nicht gleich mikroskopisch genau dasselbe sagen, er darf aber nicht stark danebenliegen.

Lösung: Bleibt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, verborgen, so wird der Wille, in eigenem Namen zu handeln, angenommen. Lösung entschachtelt: Bleibt der Wille verborgen, in fremdem Namen zu handeln, so wird der Wille angenommen, in eigenem Namen zu handeln. Oder, noch einfacher:

Bleibt verborgen, dass jemand in fremdem Namen handeln will, so han­ delt er in eigenem. Gerade bei der Regel „positiv formulieren“ können Sie sehen: Der Blick auf den Inhalt ist schärfer, wenn der Text klar und lesbar ist, also das Transportmittel Sprache transparent formuliert. Hier kann man zeigen, wie formal die zehn Regeln für klares Deutsch funktionieren. Darum ­biete ich Ihnen zum Schluss ein Kabinettstück des BGH (X ZR 94/12 vom 25. März 2014):

Ein grob undankbares Verhalten kann sowohl mangels Umständen, die objektiv die gebotene Rücksichtnahme auf die Belange des Schenkers ver­ missen lassen, als auch deshalb zu verneinen sein, weil sich das Verhalten des Beschenkten jedenfalls subjektiv nicht als Ausdruck einer undankba­ ren Einstellung gegenüber dem Schenker darstellt. Die Beurteilung der subjektiven Seite des Tatbestands kann jedoch in der Regel erst dann erfol­ gen, wenn sich der Tatrichter darüber Rechenschaft abgelegt hat, welche Sachverhaltselemente objektiv geeignet sind, einen den Widerruf der 56 |

Positive Begriffe, keine Verneinungen

Schenkung rechtfertigenden Mangel an von Dankbarkeit geprägter Rück­ sichtnahme zum Ausdruck zu bringen. Was ist das? Das hat sich aber jemand große Mühe gegeben, bloß nicht positiv zu formulieren. Da stecken auch noch getarnte Verneinungen drin: mangels, vermissen lassen, verneinen, Mangel. Zwar sind das formal positive Begriffe, aber in Kombination mit klassischen Verneinungen sind sie Stolpersteine. Aber auch sonst ist das ein schönes Beispiel für grässliches Juristendeutsch. Viel einfacher und „ungrässlich“ wäre: Ein grob undankbares Verhalten liegt vor, wenn – es Umstände gibt, die objektiv die gebotene Rücksichtnahme auf die Be­ lange des Schenkers vermissen lassen, – sich das Verhalten des Beschenkten jedenfalls subjektiv als Undankbar­ keit gegenüber dem Schenker darstellt. Die subjektive Seite kann der Richter in der Regel erst beurteilen, wenn er sich klargemacht hat, was objektiv einen Mangel an von Dankbarkeit ge­ prägter Rücksichtnahme ausdrückt und deshalb den Widerruf der Schen­ kung rechtfertigt. Fraglich ist wegen der ganzen Wurtschelei und Bläherei, ob die beiden Punkte des grob undankbaren Verhaltens kumulativ oder alternativ gemeint sind, ob also dazwischen ein und oder ein oder stehen soll. Vermutlich soll das kumulativ sein, also und. Die von Dankbarkeit geprägte Rück­ sichtnahme ist wohl ein Fachbegriff und muss so bleiben. Es gibt allerdings eine Kurz-Lösung aus einem meiner Seminare von Expertinnen und Experten des IWW – Institut für Wissen in der Wirtschaft. Ich hätte mich das so kurz nicht getraut: Hat der Beschenkte weder objektiv gegen die Interessen des Schenkers ver­ stoßen noch zum Ausdruck gebracht, dass er von seiner inneren Einstel­ lung her undankbar ist, kann der Schenker sich nicht auf groben Undank berufen. Und auch hier: Sogar Text-Profis verwirren mit Verneinungen. Sie reist nie ohne geruchsarmen Proviant (Bahn mobil, 11/2015) Womit reist sie also? Immer mit geruchsarmem Proviant, etwa Tomaten. Die Häuser sind mehr intakt als befürchtet (Tagesschau, 17. April 2016) Das befürchtet konterkariert das intakt. Verwirrend. | 57

Tipps für klares Deutsch

10. Wenige Fremdwörter und Fachbegriffe In wissenschaftlichen Abhandlungen und auch in manchen Klagen sind juristische oder technische Fachbegriffe nötig. Meist aber geht es in Schriftsätzen und vor allem in Briefen an Mandanten nicht um tiefgreifende rechtswissenschaftliche Probleme, sondern um Sachverhaltsfragen. Benutzen Sie nur dort Fremdwörter oder Fachbegriffe, wo sie nötig sind und die Leserin und der Zuhörer sie kennt. Bedenken Sie: Fachleute verstehen auch die einfachen Begriffe, Laien nur die einfachen; das alles gilt auch für Abkürzungen. Einige Beispiele für Fachbegriffe oder Fremdwörter, die Sie für Laien übersetzen sollten:

kausal konkludent forensische Tätigkeit eruieren obiter dictum praktische Konkordanz er handelte mit Vorsatz Replik Präjudiz keine Passivlegitimation Rubrum Tenor, Urteilstenor substantiiert darlegen postulationsfähig Präzedenzfall 58 |

ursächlich stillschweigend bei/vor Gericht auftreten herausfinden nebenbei erwähnt/am Rande bemerkt Abwägung er tat es ganz bewusst Erwiderung, Einwand vorangegangene, einschlägige Entscheidung er kann nicht verklagt werden die Einleitung des Urteils, Zusam­ menfassung der wichtigsten Punkte und Daten das eigentliche Urteil, die Entschei­ dung konkret begründen am Gericht zugelassen Vorbild, Beispiel für Fälle gleicher Art

Wenige Fremdwörter und Fachbegriffe

contra legem Zeugnis verweigern Spruchkörper im Termin Geschäftsstelle Notfrist Zustellung Versäumnisurteil anhängig

gegen das Gesetz nicht aussagen die Richterinnen und Richter, das Schöffengericht, die Strafkammer in der mündlichen Verhandlung, im Prozess, vor Gericht, in der Gerichtsverhandlung Sekretariat, Vorzimmer der Richter/innen die Frist kann nicht verlängert werden, die Frist ist zwingend offizielle, amtliche, förmliche Postsendung Sie verlieren den Prozess, wenn Sie oder Ihr Anwalt nicht zur Gerichts­ verhandlung erscheint Klage ist bei Gericht eingegangen

Neben den echten Fachbegriffen und Fremdwörtern, die der Leser gleich als solche erkennt, gibt es auch Begriffe, die für den Laien nicht als Fachbegriff oder Fachsprache zu erkennen sind, weil es diese Begriffe auch in der normalen Sprache gibt. Allerdings haben sie dort eine andere oder nicht die spezielle Bedeutung, die sie in der Rechtssprache haben. Das beste Beispiel ist das Wort regelmäßig. Im normalen Deutsch bedeutet das: einer zeitlichen Regel folgend, in gleichen zeitlichen Abständen, also beispielsweise alle zwei Stunden, täglich, jeden Mittwoch, jeden Monat. Juristen benutzen das Wort aber anstelle von in aller Regel oder statt meist. Ähnlich verhält es sich mit grundsätzlich. Für Juristen sind bei grundsätzlich viele Ausnahmen möglich; andere Menschen können darunter auch ausnahmslos oder stets verstehen, vor allem Naturwissenschaftler. Probleme bereitet auch das vollendet beim Lebensalter. Das 18. Lebens­ jahr vollendet hat für viele Laien der, der seinen 19. Geburtstag begangen hat. Aber auch Juristen tun sich oft schwer mit dem vollendeten Lebens| 59

Tipps für klares Deutsch

jahr. Das vollendet verwirrt, weil es nach mehr klingt als nach schlicht 18 Jahre alt. Selbst das recht simple Im Übrigen, können Laien missverstehen, etwa bei dem Satz:

Im Übrigen behält der Bescheid seine Wirksamkeit. Manche verstehen das als ‚Übrigens‘, also so wie ein PS. Das mag für Juristen kaum zu glauben sein, aber gerade deshalb ist der Perspektivwechsel, ein Hineindenken in den Laien so wichtig. Bedenken Sie, was „normale“ Menschen unter den Begriffen verstehen können, und übersetzen Sie gleich richtig. Einige Denkanstöße: statt:

besser:

regelmäßig grundsätzlich

in der Regel, meistens in der Regel, fast immer, mit einigen Ausnahmen das ist so, wenn einen Bescheid, einen Brief schicken Darüber hinaus/über die Ände­ rung hinaus bleibt der Bescheid wirksam. Abgesehen davon bleibt der alte Bescheid wirksam ist 18 Jahre alt Aufforderung zu erscheinen die/der das Sagen im Prozess hat, der Haupt-Richter/in eher oberflächliche, grobe, einfache, schnelle Prüfung, Durchsicht anschauen, betrachten, vor Gericht zeigen

kommt in Betracht, wenn bescheiden Im Übrigen behält der Bescheid seine Wirksamkeit hat das 18. Lebensjahr vollendet Ladung Vorsitzender, Vorsitzende Summarische Prüfung Augenschein

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Wenige Fremdwörter und Fachbegriffe

Formulierungs-Tipps für Briefe und Schriftsätze Am Ende der Regeln, als Abschluss, noch einige Beispiele, wie Sie umständliche Standardformulierungen vereinfachen können: statt:

besser:

sehr geehrte Damen und Herren

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen (überflüssig, Sie schreiben nur in in vorbezeichneter Angelegenheit dieser) (überflüssig, was dann folgt, ist Ich weise darauf hin, dass … wichtig) (überflüssig, was dann folgt, ist Es wird darauf aufmerksam wichtig) gemacht, dass (überflüssig, was dann folgt, ist teilen wir mit, dass wichtig) beiliegend übersende ich Ihnen das beiliegend/hier das bei unserem fernmündlichen am Telefon Gespräch der Unterzeichner/Unterzeichnete ich wir bestätigen den Eingang Ihres vielen Dank für Ihren Brief vom Schreibens vom Rückantwort/Rückfrage Antwort/Frage Sie sind dem Zahlungsersuchen Sie haben trotz Mahnung nicht trotz Mahnung nicht nachgekom­ bezahlt men die seitens des Klägers geäußerte die Bitte des Klägers Bitte das klägerische Verhalten das Verhalten des Klägers Nichteinhaltung der im Vertrag der Kläger hielt sich nicht an festgelegten Vereinbarungen durch festgelegten Vereinbarungen den Kläger in der Sache unbegründet unbegründet | 61

Tipps für klares Deutsch

die Fälligkeit der Rechnung ist gegeben die Auftraggeberseite führte die Abnahme der Werkleistung durch der Beklagte hatte sich mündlich dahingehend geäußert unter Ausschluss jeglicher Gewähr­ leistung beim Kläger handelt es sich um einen seriösen Geschäftsmann der Automobilbranche die Wahrung der Fristen war nicht eingehalten die erfolgreiche Erreichung der klägerischen Zielsetzungen mit der Bitte um Mitteilung seitens des Gerichts, wann mit einer Terminfestsetzung zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sein wird

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die Rechnung ist fällig der Auftraggeber nahm das Werk ab der Beklagte hatte gesagt ohne Gewährleistung der Kläger ist ein seriöser Auto­ händler er hat die Frist versäumt das Ziel des Klägers erreichen wann wird die mündliche Ver­ handlung stattfinden?

Textgliederung Obwohl es in diesem Buch vor allem um Formulierungen geht, möchte ich Ihnen auch Tipps geben, wie Sie Texte gliedern und aufbauen können und einen roten Faden knüpfen. Sie haben es bereits bei einzelnen Sätzen und kurzen Textpassagen gemerkt: Wenn Sie einfach drauflos formulieren, können Sie sich ganz schön verrennen und viel Schwulst produzieren. Auch die Gliederung eines Textes kann den Leser verwirren. Darum gilt auch für den Aufbau eines Textes: Finden Leserinnen und Leser nicht sofort den roten Faden oder verlieren sie ihn sehr bald, steigen sie aus dem Text aus oder lesen unaufmerksam weiter.

Erst denken, dann schreiben. Zunächst einmal Hände weg vom Computer oder Diktiergerät. Machen Sie sich zuerst einmal eine Skizze, was Sie in Ihrem Text mitteilen wollen; zeichnen Sie einen „Text-Fahrplan“. Denken Sie dabei an Ihre Zielgruppe und an den Küchenzuruf. Schreiben Sie die Aspekte in Stichworten auf. So vermeiden Sie, dass Sie zusammengehörige Punkte über den ganzen Text verstreuen. Ein zusammenhängender Gedanke, ein Aspekt bildet einen Absatz. Ein Absatz ist eine inhaltliche Unterteilung, keine optische. Die optische Gliederung ist die Folge der inhaltlichen, nicht umgekehrt. Absätze sind die Schubladen, in die Sie Gedanken einsortieren. Was zusammengehört, muss in einen Absatz. Grundsatz der Textgliederung ist: Jeder neue Gedanke erfordert einen neuen Absatz. Ohne neuen Gedanken keinen neuen Absatz. Mit der Reihenfolge Ihrer Gedanken, also Ihrer Absätze, knüpfen Sie dann den roten Faden; Sie bauen damit die Logik Ihres Textes. Die Grundregel des Aufbaus „das Wichtigste nach vorn“ ist bereits vorne behandelt. Das Wichtigste sollte im ersten Absatz stehen. Dann gibt es vor allem zwei Grundmethoden: 1. Weiter nach der Bedeutung gliedern: die Absätze nach der Wichtigkeit ordnen. 2. Nach dem ersten Absatz chronologisch oder logisch aufbauen. | 63

Textgliederung

Welche Methode Sie wählen, hängt von Ihrem Text ab. Wenn Sie aufzählen, wenn Sie Fakten, Thesen oder Argumente aneinanderreihen, bietet sich die erste Methode an, vor allem bei Pressemitteilungen. Wenn Sie einen Vorgang, einen Ablauf oder eine Entwicklung beschreiben, bietet sich eher die zweite Methode an. Bei längeren Texten müssen Sie nicht nur in Absätzen, sondern auch in Abschnitten oder Kapiteln denken. Ordnen Sie Ihren Text zunächst nach einer der beiden Methoden in Abschnitte/Kapitel ein, dann ordnen Sie die Absätze innerhalb eines Abschnitts nach der einen oder anderen Methode, je nachdem, welche besser passt. Sie können die Methoden also mischen. Bei Klageschriften zum Beispiel können Sie, je nach Fallgestaltung, zunächst den gesamten Sachverhalt Aspekt für Aspekt und damit Absatz für Absatz darstellen und danach Ihre rechtliche Bewertung. Oder Sie schreiben zu jedem Teil oder Aspekt/Absatz des Sachverhaltes gleich die rechtliche Bewertung dazu. Welcher Aufbau zum besseren roten Faden führt, hängt von Ihrem Ziel und dem Fall ab. Jedenfalls muss der Text flüssig lesbar sein. Noch ein Tipp: Scheuen Sie sich nicht davor, bei Aufzählungen das Aufgezählte mit Gedankenstrichen oder Punkten aufzulisten. Das macht den Text übersichtlicher und lesbarer. Eine weitere Faustregel: Ein Absatz hat im Durchschnitt rund 500 Zeichen, wenn es ein guter lesbarer Absatz sein soll. Das zeigt nicht nur die Erfahrung, sondern ist auch wissenschaftlich bewiesen. Nach etwa 500 Zeichen (oder etwa 30 bis 40 Sekunden Lese-/Zuhördauer) braucht der Leser eine kurze Zäsur, um dem Text folgen zu können, um den roten Faden nicht zu verlieren. Absätze, die deutlich länger oder deutlich kürzer als 500 Zeichen sind, also 750 oder 250 Zeichen, geben in aller Regel keinen Aspekt wieder und stören das Leseverhalten. Fazit: Wenn Sie erst denken, dann schreiben, sparen Sie bis zu 70 Prozent Arbeitszeit! Sie werden sehen.

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Praxis-Übungen 1. Gesetze Gesetze müssen zwar abstrakt formuliert sein, aber nicht umständlich.

Übung: Schreiben Sie folgende Vorschriften in kurzes, klares Deutsch um. BGB § 538 Abnutzung der Mietsache durch vertragsgemäßen Gebrauch

Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache, die durch den vertragsgemäßen Gebrauch herbeigeführt werden, hat der Mieter nicht zu vertreten. Luftverkehrsordnung § 5a Startverbot (alte Fassung)

(1) Wird anlässlich des Ergebnisses einer luftaufsichtlichen Untersuchung eines nicht in einem deutschen Luftfahrzeugregister eingetragenen Luft­ fahrzeugs ein Startverbot verhängt, so hat die für die Gewährung der Ver­ kehrsrechte zuständige Behörde unverzüglich den betreffenden Eintra­ gungsstaat oder, falls dieser nicht die Aufsicht über den Flugbetrieb dieses Luftfahrzeuges führt, den für die Aufsicht über ein Flugbetrieb dieses Luft­ fahrzeuges zuständigen Staat über die Befunde, die zur Verhängung des Startverbotes führten, zu unterrichten und anschließend entsprechend sei­ ner Bewertung zu verfahren. StVO § 21 Personenbeförderung (alte Fassung)

(…) (1a) Kinder bis zum vollendeten 12.  Lebensjahr, die kleiner als 150  cm sind, dürfen in Kraftfahrzeugen auf Sitzen, für die Sicherheitsgurte vorge­ schrieben sind, nur mitgenommen werden, wenn Rückhalteeinrichtungen für Kinder benutzt werden, die amtlich genehmigt und für das Kind geeig­ net sind. Das gilt nicht in Kraftomnibussen mit einer zulässigen Gesamt­ | 65

Praxis-Übungen

masse von mehr als 3,5 t. Abweichend von Satz 1 dürfen Kinder auf Rück­ sitzen ohne Sicherung durch Rückhalteeinrichtungen befördert werden, wenn wegen der Sicherung von anderen Personen für die Befestigung von Rückhalteeinrichtungen für Kinder keine Möglichkeit mehr besteht. EGGVG § 8 (aufgehoben)

(1) Durch die Gesetzgebung eines Landes, in dem mehrere Oberlandesge­ richte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes gehörenden Revisionen in bürgerli­ chen Rechtsstreitigkeiten einem obersten Landesgericht zugewiesen wer­ den. (2) Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, in denen für die Entscheidung Bundesrecht in Betracht kommt, keine Anwen­ dung, es sei denn, dass es sich im Wesentlichen um Rechtsnormen handelt, die in den Landesgesetzen enthalten sind. Wohnungseigentumsgesetz § 6 Unselbständigkeit des Sondereigentums

(1) Das Sondereigentum kann ohne den Miteigentumsanteil, zu dem es gehört, nicht veräußert oder belastet werden. (2) Rechte an dem Miteigentumsanteil erstrecken sich auf das zu ihm ge­ hörende Sondereigentum. § 20 Gliederung der Verwaltung

(1) Die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums obliegt den Woh­ nungseigentümern nach Maßgabe der §§  21 bis 25 und dem Verwalter nach Maßgabe der §§ 26 bis 28, im Fall der Bestellung eines Verwaltungs­ beirates auch diesem nach Maßgabe des § 29. (2) Die Bestellung eines Verwalters kann nicht ausgeschlossen werden.

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Gesetze

Lösungen: BGB § 538 Abnutzung der Mietsache durch vertragsgemäßen Gebrauch

Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache durch vertragsge­ mäßen Gebrauch hat der Mieter nicht zu vertreten. Oder so kurz und einfach, wie es in der Überschrift der Vorschrift steht:

Abnutzung der Mietsache durch vertragsgemäßen Gebrauch hat der Mie­ ter nicht zu vertreten. Luftverkehrsordnung § 5a Startverbot (alte Fassung)

Wird nach einer luftaufsichtlichen Untersuchung für ein im Ausland einge­ tragenes Luftfahrzeug ein Startverbot verhängt, so hat die zuständige Behör­ de sofort den für die Aufsicht zuständigen Staat über den Grund des Start­ verbots zu unterrichten und dann nach seiner Bewertung zu verfahren. Anmerkung: Hier sehen Sie sehr deutlich, wie gefährlich Schachtelsätze sein können: – Ein ganzer Halbsatz ist überflüssig:

… den betreffenden Eintragungsstaat, und, falls dieser nicht die Auf­ sicht über den Flugbetrieb führt, … – Am Ende ist fraglich, ob der Gesetzgeber vor lauter Gewurstel nicht seiner mit ihrer verwechselt hat: Das Pronomen kann sich ja nach normalem Rechtsverständnis nur auf die deutsche Behörde beziehen und nicht auf den ausländischen Staat. Aber selbst wenn das Pronomen richtig ist und der ausländische Staat entscheidet, so hat die Schachtelei dazu geführt, dass der Leser es bezweifelt. Denn er findet kaum noch den Bezug. Außerdem der grandiose Schwulst:

die Befunde, die zur Verhängung des Startverbotes führten sind schlicht

die Gründe des Startverbots. Doppelt so viele Wörter und ein Einschub statt eines klaren Begriffs. | 67

Praxis-Übungen

StVO § 21 Absatz 1a Personenbeförderung (alte Fassung)

Kinder, die jünger als zwölf Jahre und kleiner als 150 cm sind, dürfen in Kraftfahrzeugen nur in Kindersitzen mitgenommen werden. Das gilt nicht – auf Sitzen im Kraftfahrzeug, für die keine Sicherheitsgurte vorgeschrie­ ben sind, – auf Rücksitzen, wenn wegen der Sicherung anderer Personen Kindersit­ ze dort nicht befestigt werden können, – in Kraftomnibussen mit mehr als 3,5 t Gesamtmasse. Kindersitze im Sinne dieser Vorschrift sind alle amtlich genehmigten und geeigneten Rückhalteeinrichtungen für Kinder. Anmerkung: So ist die Vorschrift übersichtlich gegliedert und einfach formuliert. Die Rückhalteeinrichtungen heißen nun schlicht Kindersitze und sind am Ende definiert – wie es bei Gesetzen oft üblich ist. EGGVG § 8 (aufgehoben)

Ein Land mit mehreren Oberlandesgerichten kann die Revisionen in bür­ gerlichen Streitigkeiten, für die der Bundesgerichtshof zuständig ist, einem obersten Landesgericht zuweisen, wenn es sich im Wesentlichen um Nor­ men handelt, die in Landesgesetzen enthalten sind. Wohnungseigentumsgesetz § 6 Unselbständigkeit des Sondereigentums

(1) Das Sondereigentum kann nur mit dem Miteigentumsanteil veräußert oder belastet werden, zu dem es gehört. (2) Rechte an dem Miteigentumsanteil erstrecken sich auf das zugehörige Sondereigentum. § 20 Gliederung der Verwaltung

(1) Die Verwaltung des Gemeinschaftseigentums obliegt – den Wohnungseigentümern nach §§ 21 bis 25, – dem Verwalter nach §§ 26 bis 28 und 68 |

Anklage

– dem Verwaltungsbeirat nach §  29, falls ein Verwaltungsbeirat bestellt

ist. (2) Die Bestellung eines Verwalters ist zwingend.

2. Anklage Anklagen sind oft überaus gestelzt formuliert, obwohl auch oder vor allem die Angeklagten sie verstehen sollten.

Übung: Schreiben Sie folgendes Beispiel um. Den Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt: Am Samstag, dem 17. Juli 2010, etwa gegen 11.45 Uhr, betraten die Ange­ schuldigten X und Y den in 12345 Berlin gelegenen Zeitschriften- und Ta­ bakladen des Geschädigten Z. Aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsa­ men Tatentschlusses verlangte der Angeschuldigte X die Herausgabe von Bargeld. Als der Geschädigte dem Verlangen nicht nachkam, zog der Angeschuldig­ te X zur Bekräftigung seines Begehrens eine nicht geladene Schreckschuss­ pistole aus der Jackeninnentasche, hielt sie in Richtung des Geschädigten und äußerte ihm gegenüber: „Beeil dich, kommt ein Kunde, bist du tot.“ Als der Geschädigte daraufhin in den Nebenraum gehen wollte, lehnte sich der Angeschuldigte X über die Ladentheke und entnahm der Kassenlade einen Bargeldbetrag in Höhe von 100 Euro. Sodann flüchteten beide. Die Angeschuldigten beabsichtigten, den Bargeldbetrag für eigene Zwecke zu verwenden. Lösung: Den Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt: Am Samstag, dem 17. Juli 2010, gegen 11.45 Uhr betraten die Angeschul­ digten X und Y den Zeitschriften- und Tabakladen des Geschädigten Z in 12345 Berlin. Aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses verlangte der Angeschuldigte X Geld vom Geschädigten. Weil der Geschädigte nichts herausgab, zog der Angeschuldigte X eine nicht geladene Schreckschusspistole aus der Jacke, richtete sie auf den Ge­ | 69

Anklage

– dem Verwaltungsbeirat nach §  29, falls ein Verwaltungsbeirat bestellt

ist. (2) Die Bestellung eines Verwalters ist zwingend.

2. Anklage Anklagen sind oft überaus gestelzt formuliert, obwohl auch oder vor allem die Angeklagten sie verstehen sollten.

Übung: Schreiben Sie folgendes Beispiel um. Den Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt: Am Samstag, dem 17. Juli 2010, etwa gegen 11.45 Uhr, betraten die Ange­ schuldigten X und Y den in 12345 Berlin gelegenen Zeitschriften- und Ta­ bakladen des Geschädigten Z. Aufgrund eines zuvor gefassten gemeinsa­ men Tatentschlusses verlangte der Angeschuldigte X die Herausgabe von Bargeld. Als der Geschädigte dem Verlangen nicht nachkam, zog der Angeschuldig­ te X zur Bekräftigung seines Begehrens eine nicht geladene Schreckschuss­ pistole aus der Jackeninnentasche, hielt sie in Richtung des Geschädigten und äußerte ihm gegenüber: „Beeil dich, kommt ein Kunde, bist du tot.“ Als der Geschädigte daraufhin in den Nebenraum gehen wollte, lehnte sich der Angeschuldigte X über die Ladentheke und entnahm der Kassenlade einen Bargeldbetrag in Höhe von 100 Euro. Sodann flüchteten beide. Die Angeschuldigten beabsichtigten, den Bargeldbetrag für eigene Zwecke zu verwenden. Lösung: Den Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt: Am Samstag, dem 17. Juli 2010, gegen 11.45 Uhr betraten die Angeschul­ digten X und Y den Zeitschriften- und Tabakladen des Geschädigten Z in 12345 Berlin. Aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses verlangte der Angeschuldigte X Geld vom Geschädigten. Weil der Geschädigte nichts herausgab, zog der Angeschuldigte X eine nicht geladene Schreckschusspistole aus der Jacke, richtete sie auf den Ge­ | 69

Praxis-Übungen

schädigten und schrie: „Beeil dich, kommt ein Kunde, bist du tot.“ Als der Geschädigte daraufhin in den Nebenraum gehen wollte, lehnte sich der Angeschuldigte X über die Theke und nahm 100 Euro aus der Kasse. Dann flüchteten die Angeschuldigten. Die Angeschuldigten wollten das Geld für eigene Zwecke verwenden.

3. Klage Die Lösungen sind inhaltlich nur Vorschläge. Es geht darum, sprachlich zu vereinfachen.

Übung: Den richtigen Inhalt müssen Sie im jeweiligen Fall bestimmen.

An das Amtsgericht … In der Sache … erhebe ich Klage und werde beantragen: 1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, ein Funkgerät in einer Weise zu betätigen, die den Rundfunk- und Fernsehempfang des Klä­ gers beeinträchtigt. 2. (…) Begründung: Der Kläger ist Eigentümer eines Fernsehgerätes sowie eines Rundfunkgerä­ tes, die er in seiner Wohnung regelmäßig benutzt. Seit einigen Wochen ma­ chen sich während des Abendprogramms häufige starke, über längere Zeit anhaltende Störungen im Fernseh- und Rundfunkempfang bemerkbar, für die zunächst weder der Kläger noch ein von ihm zu Rate gezogener Fach­ mann eine Erklärung besaßen. Nunmehr hat der Kläger durch mehrere Personen erfahren, dass die Störungen durch ein vom Beklagten betätigtes Funkgerät ausgelöst werden und der Beklagte sich hieraus sogar einen Spaß macht. Dies hat der Beklagte mehrfach gegenüber den nachbenann­ ten Zeugen geäußert. Beweis: Zeugnis … 70 |

Praxis-Übungen

schädigten und schrie: „Beeil dich, kommt ein Kunde, bist du tot.“ Als der Geschädigte daraufhin in den Nebenraum gehen wollte, lehnte sich der Angeschuldigte X über die Theke und nahm 100 Euro aus der Kasse. Dann flüchteten die Angeschuldigten. Die Angeschuldigten wollten das Geld für eigene Zwecke verwenden.

3. Klage Die Lösungen sind inhaltlich nur Vorschläge. Es geht darum, sprachlich zu vereinfachen.

Übung: Den richtigen Inhalt müssen Sie im jeweiligen Fall bestimmen.

An das Amtsgericht … In der Sache … erhebe ich Klage und werde beantragen: 1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, ein Funkgerät in einer Weise zu betätigen, die den Rundfunk- und Fernsehempfang des Klä­ gers beeinträchtigt. 2. (…) Begründung: Der Kläger ist Eigentümer eines Fernsehgerätes sowie eines Rundfunkgerä­ tes, die er in seiner Wohnung regelmäßig benutzt. Seit einigen Wochen ma­ chen sich während des Abendprogramms häufige starke, über längere Zeit anhaltende Störungen im Fernseh- und Rundfunkempfang bemerkbar, für die zunächst weder der Kläger noch ein von ihm zu Rate gezogener Fach­ mann eine Erklärung besaßen. Nunmehr hat der Kläger durch mehrere Personen erfahren, dass die Störungen durch ein vom Beklagten betätigtes Funkgerät ausgelöst werden und der Beklagte sich hieraus sogar einen Spaß macht. Dies hat der Beklagte mehrfach gegenüber den nachbenann­ ten Zeugen geäußert. Beweis: Zeugnis … 70 |

Klage

Außerdem ist der Beklagte verschiedentlich von der Zeugin X beim Fun­ ken beobachtet worden, und zwar zu folgenden Zeiten: … Beweis: Zeugnis … … Lösung: In der Sache … erhebe ich Klage und werde beantragen: 1. Der Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, ein Funkgerät so zu be­ tätigen, dass es den Radio- und Fernsehempfang des Klägers stört. 2. (…) Begründung: Seit einigen Wochen stört der Beklagte mit seinem Funkgerät abends stark und lang anhaltend den Empfang des Radios und des Fernsehgerätes des Klägers, unter anderem am … von … und … Uhr … von … und … Uhr … Beweis: Zeugnis … Der Beklagte hat Nachbarn erzählt, dass er sich einen Spaß daraus mache, den Kläger damit zu ärgern. Beweis: Zeugnis … Die Zeugin X hat den Beklagten mehrfach beim Funken beobachtet, und zwar am … Beweis: Zeugnis … … Haben Sie bemerkt, wie kurz und klar die Begründung wird, wenn Sie Nominalstil, Passiv und Überflüssiges wegnehmen?

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Praxis-Übungen

4. Leitsätze Manche Gerichte glauben, ein Leitsatz müsse aus einem einzigen grammatischen Satz bestehen, und bauen die unglaublichsten Schachtelkunststücke. Außerdem ist im Leitsatz oft zu viel enthalten. Vereinfachen Sie die folgenden Leitsätze:

Leitsatz 1: Zur Frage der Abgrenzung eines typischen Bolzplatzes, der auch und vor allem der spielerischen und sportlichen Betätigungen Jugendlicher und junger Erwachsener dient, von einem Ballspielbereich innerhalb eines Kin­ derspielplatzes, der auf die körperliche Freizeitbetätigung von Kindern zu­ geschnitten ist. Leitsatz 2: Auch bei einer Entfernung von 80 m zwischen Verkaufsstand und Bundes­ straße kann der für eine Untersagung des Anbietens von Waren und Leis­ tungen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO erforderliche enge Zusammen­ hang zwischen dem Anbieten von Waren bzw. Leistungen und Straße (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.1991 – 11 C 44.92, BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082) noch gegeben sein, wenn eine Einwirkung der Verkaufsstätte auf den Straßenverkehr beabsichtigt ist, um Verkehrsteilnehmer (spontan) als Kunden zu gewinnen. Leitsatz 3: Im Prozesskostenhilfeverfahren sind Erklärungen und Unterlagen des An­ tragstellers vom Gericht des ersten Rechtszugs auch dann zu berücksichti­ gen, wenn diese zwar nicht innerhalb der vom Gericht hierfür gesetzten Frist, jedoch noch vor einer Abhilfeentscheidung über die Beschwerde ge­ gen einen zunächst auf das Fehlen der Unterlagen gestützten ablehnenden Beschluss vorgelegt werden. Leitsatz 4: Ebenso wenig wie ein lediglich gerade erreichter „Stand der Dinge“ inner­ halb eines ständig wechselnden Geschehens ohne weiteres zu Gunsten eines Asylsuchenden einen objektiven Nachfluchttatbestand begründen kann 72 |

Leitsätze

(vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 13.5.1993 – 9 C 59/92, InfAuslR 1993, 354), muss sich ein bis vor Kurzem beachtlich wahrscheinlich gefährdeter Rück­ kehrer Prozesse und Abläufe innerhalb länger dauernder Entwicklungen gefährdungsmindernd entgegenhalten lassen, wenn diese nicht eindeutig eine völlig neue Tendenz zur (positiven) Veränderung des Geschehens an­ zeigen. Lösung Leitsatz 1: Zur Frage, was einen typischen Bolzplatz von einem Ballspielbereich in einem Kinderspielplatz unterscheidet. Lösung Leitsatz 2: Selbst bei 80 Metern Entfernung zwischen Verkaufsstätte und Bundesstra­ ße liegt der für ein Verbot des Anbietens von Waren erforderliche enge Zu­ sammenhang zwischen Anbieten und Straße (§  33 Abs.  1 Satz  1 Nr.  2 StVO) vor, wenn mit der Verkaufsstätte Verkehrsteilnehmer spontan als Kunden geworben werden sollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.10.1991 – 11 C 44.92, BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082). Lösung Leitsatz 3: Im Prozesskostenhilfeverfahren muss das Gericht des ersten Rechtszuges Erklärungen und Unterlagen des Antragstellers auch nach der vom Gericht gesetzten Frist berücksichtigen, falls sie noch vorgelegt werden, bevor über die Beschwerde gegen einen ablehnenden Beschluss entschieden wurde. Das gilt auch, wenn der Beschluss zunächst auf das Fehlen der Unterlagen gestützt war. Lösung Leitsatz 4: Für einen kürzlich noch wahrscheinlich gefährdeten Rückkehrer sind Ver­ änderungen innerhalb langer Entwicklungen nur dann gefährdungsmin­ dernd, wenn sie eine deutliche Verbesserung der Lage anzeigen – ebenso wie ein gerade erst erreichter „Stand der Dinge“ in einem wechselhaften Geschehen nur ausnahmsweise einen Nachfluchttatbestand zu Gunsten eines Asylsuchenden begründet (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 13.5.1993 – 9 C 59/92, InfAuslR 1993, 354). | 73

Praxis-Übungen

5. Orientierungssatz Achten Sie insbesondere auf Doppeltes.

Übung: Wenn ein Rechtsanwalt auf seiner Website Informationen über den Stand verschiedener (verwaltungs-)gerichtlicher Verfahren und dazu auch Schrift­ sätze der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite veröffentlicht, so besteht hiergegen kein Verfügungsanspruch, wenn aufgrund einer Einzelfallabwä­ gung nicht feststellbar ist, dass die Veröffentlichung der Schriftsätze einen betriebsbezogenen Eingriff darstellt, der sich nach seiner objektiven Stoß­ richtung gegen den betrieblichen Organismus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Prozessvertreter der Gegenseite richtet und eine Schadensgefahr birgt, die über die bloße Belästigung oder sozialübliche Be­ hinderung hinausgeht und geeignet ist, den Betrieb in empfindlicher Weise zu beeinträchtigen. Nicht jede Berichterstattung über Interna ist unzuläs­ sig; zudem fehlt es vorliegend an jeglicher Darlegung, dass Betriebsinterna oder Betriebsgeheimnisse veröffentlicht wurden. Weiter sind die Informati­ onen nicht rechtswidrig beschafft worden. Lösung: Wenn ein Rechtsanwalt auf seiner Website über (Verwaltungs-)Gerichts­ verfahren informiert und dabei Schriftsätze der gegnerischen Prozessbe­ vollmächtigten veröffentlicht, so kann dagegen nur dann ein Verfügungs­ anspruch bestehen, wenn dies einen betriebsbezogenen Eingriff darstellt. Die Veröffentlichung muss sich objektiv gegen den betrieblichen Organis­ mus oder die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Prozessbevoll­ mächtigten richten und die Gefahr bergen, den Betrieb empfindlich zu be­ einträchtigen. Nicht jeder Bericht über Interna ist unzulässig. Zudem ist hier nicht dargelegt, dass Betriebsinterna oder -geheimnisse veröffentlicht wurden; und die Informationen sind rechtmäßig beschafft worden.

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Aufsatz aus einer juristischen Zeitschrift

6. Aufsatz aus einer juristischen Zeitschrift Strukturieren Sie den Beitrag, indem Sie zunächst alles Überflüssige und Doppelte wegstreichen und dann Schachtelsätze und Nominalstil zerschlagen. Danach können Sie sich an die Detailarbeit machen und konkret und aktiv formulieren. Um Ihnen zu zeigen, wie Sie Schritt für Schritt Wortmüll entfernen können, sind die Arbeitsschritte abgedruckt.

Ursprungsfassung: Im polnischen Strafgesetzbuch von 1997 wird die Problematik des grenz­ überschreitenden Frauenhandels in Art. 204 Abs. 4 geregelt, der lautet: „Mit der in Abs.  3 genannten Strafe (Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahre – Anm. d. Verf.) wird auch derjenige bestraft, der eine andere Person zum Zwecke des Nachgehens der Prostitution ins Ausland lockt oder entführt.“ Eine einschlägige (veröffentlichte) Rechtsprechung polnischer Gerichte zu der oben zitierten Bestimmung des Art. 204 Abs. 4 StGB liegt hier nicht vor, was angesichts der relativ kurzen Geltungsdauer dieser, in dem bis 1998 geltenden polnischen StGB von 1968 nicht vorgesehenen Strafbestim­ mung auch erklärbar ist. Die folgenden Bemerkungen zum Inhalt dieser strafrechtlichen Regelung stützen sich somit auf die entsprechenden Äuße­ rungen in den polnischen StGB-Kommentaren und haben einen „theoreti­ schen“ Charakter. Inwieweit diese Interpretationen auch von den Gerich­ ten übernommen werden, kann zur Zeit noch nicht vorausgesehen werden. a) Unterschiede zum tschechischen Recht Im Vergleich zum Straftatbestand des „Frauenhandels“ im Sinne des § 246 des geltenden tschechischen StGB, weist die hier zitierte Bestimmung des Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB von 1997 folgende Unterschiede auf: – Anders als § 246 des tschechischen StGB findet diese Bestimmung nicht

nur dann Anwendung, wenn das „Opfer“ eine Frau ist, sondern auch dann, wenn es sich bei diesem um eine männliche Person handelt, – der Täter muss mit der Handlung das Ziel verfolgen, dass die von ihm ins Ausland „gelockte“ bzw. „entführte“ männliche oder weibliche Per­ son zum Nachgehen der „Prostitution“ also zu sexuellen Handlungen | 75

Praxis-Übungen

mit einer größeren unbestimmten Zahl wechselnder Partner, die grund­ sätzlich nicht ausgewählt werden, gegen Bezahlung bestimmt wird. Nicht strafbar nach dieser Bestimmung ist (anders als nach § 246 des tschechischen StGB) der Täter, wenn er das Opfer ins Ausland lockt oder entführt, damit es dort „gelegentlich“ sexuelle Kontakte mit ande­ ren Personen aufnimmt, ohne dass es die Absicht des Täters ist, dass das Opfer solchen Kontakten sozusagen „professionell“ mit einer Vielzahl wechselnder Personen gegen Bezahlung (d. h. der Prostitution) nach­ geht. Wesentliche Unterschiede zwischen der tschechischen und der polnischen Regelung gibt es auch bezüglich der Formen, in denen die Straftat nach § 246 des tschechischen bzw. nach Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB be­ gangen werden kann. Während in Tschechien zu diesen Formen die Verlo­ ckung (mit anderem Inhalt als in Polen), die Vermittlung oder die Beförde­ rung der Frau ins Ausland gehören, sieht Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB lediglich die folgenden zwei Begehungsformen der Straftat vor: – Die „Verlockung“ der betroffenen Person ins Ausland; dem Begriff „Lo­

cken“ (zwabiac) wird dabei in den polnischen StGB-Kommentaren ein anderer Inhalt als in Tschechien beigemessen; demnach ist das „Locken“ mit der Irreführung des Opfers bzw. der Ausnutzung des Irrtums des Opfers bezüglich des tatsächlichen Zwecks der Ausreise ins „Ausland“ verbunden. Das Verlocken einer Frau durch (wahrheitsgemäße) Ver­ sprechungen zum Nachgehen der Prostitution im Ausland gilt als er­ füllt, wenn die Frau diesen Zweck kannte und damit einverstanden ist. – Die „Entführung“ der betroffenen Person ins Ausland; Merkmal der „Entführung“ ist die Handlung gegen den Willen des Opfers. Nach Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB wäre ein Täter, der eine Frau auf deren Bitte ins Ausland „vermittelt“, damit sie dort der Prostitution nachgehen kann, diese dazu allerdings nicht mit unwahren Verspre­ chungen „lockt“, nicht strafbar; in Frage käme hier allerdings unter Um­ ständen die Strafbarkeit wegen der Straftat des „Menschenhandels“ nach Art. 253 StGB (vgl. unten). Ebenfalls unterliegt ein Täter, der die Frau ins Ausland lediglich beförderte, ohne ihren Entschluss (den er kannte), der Prostitution im Ausland nachzugehen, durch irgendwelche Versprechungen beeinflusst zu haben, nicht (anders als in Tschechien) der Strafbarkeit nach Art.  204 Abs.  4 StGB. Dabei sei zu vermerken, 76 |

Aufsatz aus einer juristischen Zeitschrift

dass nach dem bis zum Inkrafttreten des StGB von 1997 geltenden Rechtszustand eine Vermittlung einer Person für die Ausübung der Pros­titution (im In- oder im Ausland) auch dann strafbar gewesen ist (auf Grund der Einführungsvorschriften zum StGB von 1968), wenn dies mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgte. (…)

Erster Schritt Entfernen Sie Überflüssiges und Schwulst und entschachteln Sie nach den oben dargestellten Regeln. Nun bleibt noch übrig:

Im polnischen Strafgesetzbuch von 1997 wird der „grenzüberschreitende Frauenhandel“ in Art. 204 Abs. 4 geregelt: (…) „Mit der in Abs.  3 genannten Strafe (Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahre – Anm. d. Verf.) wird auch derjenige bestraft, der eine andere Person zum Zwecke des Nachgehens der Prostitution ins Ausland lockt oder ent­ führt.“ Veröffentlichte Rechtsprechung polnischer Gerichte dazu gibt es noch nicht. Die folgenden Bemerkungen stützen sich auf die polnischen StGB-Kom­ mentare. a) Unterschiede zum tschechischen Recht Im Vergleich zum Straftatbestand des „Frauenhandels“ im Sinne des § 246 des tschechischen StGB weist Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB folgende Unterschiede auf: – Er findet nicht nur Anwendung, wenn das „Opfer“ eine Frau ist, son­

dern auch, wenn es ein Mann ist, – der Täter muss das Ziel verfolgen, dass die von ihm ins Ausland „gelock­ te“ bzw. „entführte“ Person zum Nachgehen der „Prostitution“, also zu sexuellen Handlungen mit einer größeren unbestimmten Zahl wech­ selnder Partner, die grundsätzlich nicht ausgewählt werden, gegen Be­ zahlung bestimmt wird. Nicht strafbar nach dieser Bestimmung ist der Täter, wenn er das Opfer ins Ausland lockt oder entführt, damit es dort | 77

Praxis-Übungen

„gelegentlich“ sexuelle Kontakte aufnimmt, ohne dass es die Absicht des Täters ist, dass das Opfer solchen Kontakten „professionell“ mit einer Vielzahl wechselnder Personen gegen Bezahlung nachgeht. Während in Tschechien zu den Begehungsformen die Verlockung (mit an­ derem Inhalt als in Polen), die Vermittlung oder die Beförderung der Frau ins Ausland gehören, sieht Art. 204 Abs. 4 des polnischen StGB lediglich die folgenden zwei Begehungsformen der Straftat vor: – Die „Verlockung“ der betroffenen Person ins Ausland; „Locken“ (zwabiac)

ist mit der Irreführung des Opfers bzw. der Ausnutzung des Irrtums des Opfers bezüglich des tatsächlichen Zwecks der Ausreise ins „Ausland“ verbunden. Das Verlocken einer Frau durch (wahrheitsgemäße) Ver­ sprechungen zum Nachgehen der Prostitution im Ausland ist erfüllt, wenn die Frau diesen Zweck kannte und damit einverstanden ist. – Die „Entführung“ der betroffenen Person ins Ausland; Merkmal der „Entführung“ ist die Handlung gegen den Willen des Opfers. Nach pol­ nischem Recht wäre ein Täter nicht strafbar, wenn er eine Frau auf de­ ren Bitte ins Ausland „vermittelt“, damit sie dort der Prostitution nach­ gehen kann, diese dazu allerdings nicht „lockt“; in Frage käme hier allerdings unter Umständen die Strafbarkeit wegen „Menschenhandels“ nach Art. 253 StGB. Ebenfalls nicht strafbar ist es, eine Frau ins Aus­ land zu befördern, ohne ihren Entschluss (denn er kannte), der Prostitu­ tion nachzugehen, beeinflusst zu haben. Dabei sei zu vermerken, dass nach dem bis zum Inkrafttreten des StGB von 1997 geltenden Rechtszu­ stand eine Vermittlung einer Person für die Ausübung der Prostitution (im In- oder im Ausland) auch dann strafbar gewesen ist (auf Grund der Einführungsvorschriften zum StGB von 1968), wenn dies mit Zu­ stimmung der betroffenen Person erfolgte. (…)

Zweiter Schritt Formulieren Sie mit kürzeren Worten, entfernen Sie übrig gebliebenen Wortmüll, gliedern Sie neu, wenn nötig.

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Aufsatz aus einer juristischen Zeitschrift

Dann bleibt noch: Im polnischen Strafgesetzbuch von 1997 wird der „grenzüberschreitende Frauenhandel“ in Art. 204 Abs. 4 geregelt: (…) „Mit der in Abs. 3 genannten Strafe (von einem bis zehn Jahre – Anm. d. Verf.) wird auch bestraft, wer jemanden ins Ausland lockt oder entführt, damit er der Prostitution nachgeht.“ Rechtsprechung polnischer Gerichte dazu ist nicht veröffentlicht. Meine Bemerkungen stütze ich auf polnische StGB-Kommentare. a) Unterschiede zum tschechischen Recht Zum „Frauenhandel“ nach §  246 des tschechischen StGB weist Art.  204 Abs. 4 des polnischen StGB folgende Unterschiede auf: – Er greift auch, wenn das „Opfer“ ein Mann ist. – Der Täter muss das Ziel verfolgen, dass die Person, die er ins Ausland „gelockt“ bzw. „entführt“ hat, zur „Prostitution“ bestimmt wird, also zu sexuellen Handlungen gegen Bezahlung mit vielen wechselnden Part­ nern. Nicht strafbar ist es, das Opfer ins Ausland zu locken oder zu ent­ führen, damit es dort „gelegentlich“, nicht „professionell“, sexuelle Kon­ takte aufnimmt. In Tschechien gehören zum Tatbestand das Verlocken, das Vermitteln und die Beförderung der Frau ins Ausland; das polnische Recht sieht hingegen nur zwei Begehungsformen vor: 1. Die „Verlockung“ ins Ausland; „Locken“ (zwabiac) ist verbunden mit Irreführung oder mit Ausnutzen des Irrtums des Opfers über den Reise­ zweck. Das „Verlocken“ nach tschechischem Recht kann hingegen mit wahren Versprechen geschehen, also wenn die Frau mit dem Zweck ein­ verstanden ist. So war es in Polen nach altem Recht. Eine bloße Vermitt­ lung (auf Wunsch der Frau) kann aber heute noch „Menschenhandel“ nach Art. 253 sein. 2. Die „Entführung“ ins Ausland; Merkmal der „Entführung“ ist die Handlung gegen den Willen des Opfers. (…) Sie sehen, wie kurz der Text geworden ist, ohne dass etwas vom Inhalt fehlt. | 79

Praxis-Übungen

7. Briefe Die folgenden Briefe sind aus gängigen Prozessformularbüchern entnommen. Schreiben Sie sie klarer, kürzer und freundlicher. Es geht vor allem um sprachliche Kürzungen; lassen Sie aber auch alles weg, was inhaltlich überflüssig ist. Bei Briefen an „Normalbürger“ denken Sie daran, dass Laien Fachbegriffe nicht verstehen; wenn nötig, müssen Sie sie erklären. Die Lösungen sind nicht zwingend, sondern nur Vorschläge, wie Briefe kürzer und klarer formuliert sein können. Was Sie davon für sich inhaltlich übernehmen, müssen Sie selbst entscheiden.

a) Korrespondenz-Mandat Ursprungsfassung: Sehr geehrter Herr Kollege, ich bitte Sie darum, ein Mandat der von mir ständig vertretenen Firma A. zu übernehmen. Diese wurde von der Firma B. mit der in Kopie anliegen­ den Klage überzogen. Das wirksam als zuständig vereinbarte Landgericht … hat Termin auf den … bestimmt und eine Frist zur Klageerwiderung bis … gesetzt. In der Anlage füge ich einen Entwurf für die Klageerwiderung bei mit der Bitte um Überprüfung, ggf. Ergänzung nach Ihrem Ermessen und Einreichung bei Gericht. Die Korrespondenz bitte ich mit mir zu füh­ ren. Für eine Bestätigung des Mandats wäre ich dankbar. Sollten Sie an der Übernahme oder Durchführung des Mandats verhindert sein, bitte ich Sie, das Mandat einem geeigneten Kollegen weiterzugeben. Rechtsanwalt Lösung: Sehr geehrter Herr Kollege, könnten Sie ein Mandat der Firma A übernehmen? Ich vertrete A ständig. Am … hat die Firma B sie verklagt. Zuständig ist das Landgericht L. Es hat Termin auf den … bestimmt und eine Frist für die Klageerwiderung auf den … gesetzt.

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Briefe

Den Entwurf einer Klageerwiderung füge ich bei. Ergänzen Sie ihn, falls nötig, und reichen Sie ihn bei Gericht ein. Bitte führen Sie die Korrespon­ denz mit mir. Bitte bestätigen Sie mir das Mandat. Mit freundlichen und kollegialen Grüßen Rechtsanwalt

b) Mandatsniederlegung Ursprungsfassung: Sehr geehrter Herr …, nachdem Sie mein Vorschussersuchen bis heute trotz Mahnung ignoriert haben, sehe ich mich nicht in der Lage, für Sie weiter tätig zu sein. Ich lege daher das Mandat nieder. Die Niederlegung habe ich gegenüber dem Landgericht … angezeigt. Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Ter­ min zur mündlichen Verhandlung ansteht am … Ich werde den Termin nicht wahrnehmen. Sofern für Sie kein anderer Anwalt auftritt, müssen Sie mit dem Erlass eines Versäumnisurteils gegen sich rechnen. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwalt Lösung: Sehr geehrter Herr …, da sie trotz Mahnung meinen Vorschuss nicht gezahlt haben, werde ich nicht länger für Sie tätig sein und lege mein Mandat nieder. Das habe ich dem Landgericht … bereits angezeigt. Die mündliche Verhandlung wird am … stattfinden. Ich werde den Ter­ min nicht wahrnehmen. Falls Sie keinen anderen Anwalt finden, der in dem Termin für Sie auftritt, müssen Sie mit einem Versäumnisurteil rech­ nen; das bedeutet, Sie können den Prozess allein deshalb verlieren, weil Sie keinen Anwalt haben. Mit freundlichen Grüßen Rechtsanwalt | 81

Praxis-Übungen

c) Abtretungsanzeige durch den Zedenten Ursprungsfassung: Sehr geehrte Frau …, Wie Ihnen bekannt ist, haben Sie Ihre Verbindlichkeit mir/uns gegenüber aus unserem Kaufvertrag vom … (Datum) über … (Kaufgegenstand) trotz Fälligkeit bislang nicht beglichen. Zu Ihrer Unterrichtung teile/n ich/wir Ihnen mit, dass ich/wir von dieser Forderung über Euro … (Betrag) heute am … (Datum) an Herrn/Frau/Firma … (Name/Anschrift) einen Teilbe­ trag in Höhe von Euro … (Betrag) mit Vorrang zugunsten des Abtretungs­ empfängers abgetreten habe/n. Mit freundlichen Grüßen … Lösung: Sehr geehrte Frau …, Sie haben den … bisher nicht bezahlt, den Sie am … bei uns gekauft ha­ ben. Wir haben heute …  Euro der Kaufpreisforderung an die Firma … abgetreten. Das bedeutet: Sie müssen zuerst die … Euro an die Firma … zahlen und dann den Rest des Kaufpreises in Höhe von … Euro an uns. Mit freundlichen Grüßen …

d) Abtretungsanzeige durch den Zessionar Ursprungsfassung: Sehr geehrter Herr …, aus Ihrem Kaufvertrag vom … (Datum) mit Herrn/Frau/Firma … (Name des Zessionars) über … (Kaufgegenstand) ist eine Verbindlichkeit Ihrer­ seits trotz Fälligkeit offen. Ich/Wir geben Ihnen hiermit zur Kenntnis, dass Herr/Frau/Firma … (Name des Zedenten) von seiner/ihrer Forderung an Sie über Euro … (Betrag) heute am … (Datum) an mich/uns einen Teilbe­ 82 |

Briefe

trag in Höhe von DM … (Betrag) mit Vorrang zu meinen/unseren Guns­ ten abgetreten hat. (Ggf.: Eine beglaubigte Abschrift der Abtretungserklä­ rung überreiche/n ich/wir in der Anlage.) Bitte überweisen Sie diesen Betrag binnen vier Wochen mit dem Vermerk … auf eines der im Kopf dieses Schreibens angegebenen Konten. Ich/wir möchte/n Sie darauf aufmerksam machen, das eine Zahlung an den Zedenten Herrn/Frau/Firma (Name des Zedenten) Sie nicht von Ihrer Ver­ pflichtung befreien würde, den abgetretenen Betrag der Forderung an mich/ uns zu erbringen. Im eigenen Interesse werden Sie sicherlich vermeiden wol­ len, diesen Betrag gegebenenfalls zum zweiten Mal zahlen zu müssen. Sollte die Forderung nicht mehr bestehen oder sollten Ansprüche Dritter oder zur Aufrechnung geeignete Gegenansprüche vorhanden sein, so be­ nachrichtigen Sie mich/uns bitte umgehend. Mit freundlichen Grüßen … Lösung: Sehr geehrter Herr …, Sie haben bisher den … nicht bezahlt, den Sie am … bei Herrn A … ge­ kauft haben. Herr A … hat heute … Euro von der Kaufpreisforderung an uns abgetreten. Bitte überweisen Sie diesen Betrag bis zum … auf unser Konto Nr. … bei der … Sollten Sie trotz der Abtretung die … Euro an Herrn A … zahlen, müssten Sie trotzdem auch an uns zahlen. Sollten Sie schon bezahlt haben, teilen Sie uns das bitte sofort mit. Mit freundlichen Grüßen …

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Praxis-Übungen

e) Rechtsgeschäft durch einen Minderjährigen Ursprungsfassung: Sehr geehrte Frau …, sehr geehrter Herr …, Ihre/Ihr Tochter/Sohn … (Name) hat am … (Datum) bei uns eine Cam­ pingausrüstung zum Preis von Euro … (Betrag) bestellt. Nachträglich ist uns zur Kenntnis gekommen, dass Ihre/Ihr Tochter/Sohn noch gar nicht volljährig ist und deshalb derartige Verträge nicht rechtswirksam abschlie­ ßen kann. Zu unserem Bedauern sehen wir uns deshalb genötigt, unsere Annahme dieser Bestellung Ihrer/Ihres Tochter/Sohnes vom … (Datum) entspre­ chend den gesetzlichen Bestimmungen hiermit zu widerrufen. Gleichzeitig möchten wir Sie bitten, Ihre/Ihren Tochter/Sohn von diesem Vorgang in Kenntnis zu setzen. Mit freundlichen Grüßen … Lösung: (Hierbei habe ich berücksichtigt, dass das Unternehmen wohl nicht da­ ran interessiert ist, den Kauf abzulehnen, sondern vernünftigerweise eine Genehmigung möchte. Das ist schon dem Grunde nach falsch in dem Muster.)

Sehr geehrte Frau …, sehr geehrter Herr …, Ihre Tochter/Ihr Sohn … hat am … eine Campingausrüstung für … Euro bei uns bestellt. Wir haben festgestellt, dass Ihre Tochter/Ihr Sohn minder­ jährig ist und deshalb in dieser Höhe nichts bestellen durfte. Vorsichtshal­ ber wenden wir uns daher an Sie. Wir können die Bestellung nur anneh­ men, wenn Sie einverstanden sind. Bitte teilen Sie uns mit, ob wir die Bestellung ausführen dürfen oder stornieren sollen. Mit freundlichen Grüßen …

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Briefe

f) Antrag des Kindes, den Namen seiner Mutter zu bekommen Ursprungsfassung: An das Standesamt … Nachdem rechtskräftig festgestellt worden ist, dass Herr Oskar Scheiner, …, dessen Familiennamen Scheiner ich, Michael Scheiner, derzeit führe, nicht mein leiblicher Vater ist, beantrage ich hiermit, den Namen, den meine Mutter, Frau Amalie Mayer, …, bei meiner Geburt geführt hat, zu führen, so dass ich Michael Mayer heiße. Ich, Frau Amalie Mayer, stimme hiermit als alleinige gesetzliche Vertrete­ rin meines Sohnes Michael diesem Antrag zu. Amalie Mayer Michael Scheiner Lösung: An das Standesamt … Ich, Michael Scheiner, beantrage, den Familiennamen Mayer zu führen; das ist der Name, den meine Mutter, Frau Amalie Mayer,…, bei meiner Geburt geführt hat. Derzeit führe ich den Familiennamen des Herrn Os­ kar Scheiner. Nachdem rechtskräftig festgestellt worden ist, dass Oskar Scheiner nicht mein leiblicher Vater ist, möchte ich diesen Namen nicht mehr führen. Ich, Frau Amalie Mayer, stimme als alleinige gesetzliche Vertreterin mei­ nes Sohnes Michael diesem Antrag zu. Michael Scheiner

Amalie Mayer

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Briefmuster/Empfehlungen 1. Brief an eine Kollegin/einen Kollegen In Briefen an Kollegen erscheinen Anrede, Einleitungssatz und Schlussformel oft sehr „verstaubt“, kühl und geschäftsmäßig. Doch gerade mit diesen Elementen können Sie den Ton des Briefes steuern. Schreiben Sie nicht:

Sehr geehrter Herr Kollege Steffen, … wenn Sie eine besonders freundliche und warme Atmosphäre mit dem Brief erzeugen wollen. Das ist zwar freundlich, aber doch sehr geschäftsmäßig. Schreiben Sie:

Lieber Herr Kollege Steffen, … Verehrte Frau Kollegin kann ich nicht empfehlen; es klingt antiquiert und gestelzt. Den Zusatz Kollege/Kollegin empfinde ich als zu geschäftsmäßig, antiquiert und vor allem überflüssig. Jeder weiß doch, dass er Kollege oder Kollegin des anderen ist. Man muss es nicht noch schreiben. Zudem steht es ja bereits im Adressfeld des Briefes. Aber es gehört wohl noch zum guten Ton. Viel wichtiger als die Anrede ist der Einleitungssatz. Vermeiden Sie vor allem die floskelhafte Standardformulierung: in vorbezeichneter oder o. g. Angelegenheit. Das ist erstens überflüssig, weil sie ja wohl in keiner anderen Sache schreiben als der im Betreff bezeichneten, und zweitens ausgesprochen kalt, schwülstig und geschäftsmäßig. Also bitte nicht so:

In vorbezeichneter Angelegenheit nehmen wir Bezug auf das heute geführ­ te Telefonat und be­danken uns für die Beauftragung. Sondern so:

Vielen Dank für das freundliche Telefonat und den Auftrag. | 87

Briefmuster/Empfehlungen

Beginnen Sie beispielsweise damit, dass Sie den Brief, auf den Sie antworten, bekommen haben, oder knüpfen Sie an ein Gespräch an, so wie in dem Beispiel oben. Sie sparen Sie so auch die amtlich wirkende Bezugszeile und lassen gleich den gewünschten Ton anklingen. Stufen Sie ab:

Ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom … (kühl und geschäftsmäßig)

Ihr Schreiben vom … habe ich erhalten. Die xy GmbH hat mich gebeten, Ihnen auf Ihre Mahnung/Ihren Brief vom 3.4.2016 zu antworten. (geschäftsmäßig, aber nicht so kühl)

Vielen Dank für Ihren Brief vom … (freundlich)

Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief vom … (freundlich und dialogbereit)

Herzlichen Dank für Ihren Brief vom … (besonders freundlich und offen) Wenn Sie natürlich gar nicht auf einen Brief des Empfängers antworten, sondern den Briefverkehr eröffnen, helfen Ihnen die Vorschläge nichts. Dann sollten Sie beginnen mit

Frau …, … X-straße … in …, hat mich gebeten, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen. Es geht um … Nach der Einleitung schreiben Sie kurz und klar – ohne Nominalstil und Schachtelsätze – Ihr Anliegen. Die Schlussformel sollte in der Regel lauten:

Mit freundlichen Grüßen oder, wenn Sie darauf Wert legen,

Mit freundlichen und kollegialen Grüßen, aber nicht

Mit freundlichen kollegialen Grüßen. 88 |

Brief an eine Kollegin/einen Kollegen

Denn was freundliche kollegiale Grüße (ohne Komma und ohne „und“) sind, konnte mir bis heute noch keiner erklären. Ist freundlich kollegial etwas anderes als freundlich oder eine besondere Form der Freundlichkeit oder eine besondere Form der Kollegialität? Offenbar wird diese Schlussformel seit vielen, vielen Jahren durch Generationen hindurch übernommen, ohne dass je einer darüber nachgedacht hat, was das heißen soll. Auch bei der Schlussformel können Sie den zu Beginn gewählten Ton steuern:

Mit kollegialer Hochachtung (abweisend, an der Grenze zur Beleidigung)

Mit kollegialen Grüßen (geschäftsmäßig und kühl)

Mit freundlichen und kollegialen Grüßen (freundlich, aber noch geschäftsmäßig)

Mit besten Grüßen (freundlich und offen)

Mit herzlichen Grüßen (besonders freundlich und sehr offen) Mit der Mischung der drei Elemente Anrede, Einleitung und Schluss­ formel können Sie den Ton des Briefes bestimmen und damit die At­ mosphäre, die zwischen Ihnen und dem Empfänger herrschen soll. Wie Sie das tun, ist Geschmackssache und natürlich Ihnen überlassen.

Muster für einen Standardbrief – Entgegnung /Antwort Sehr geehrte Frau Kollegin Musterfrau, der Verlag „Blindtext“ hat mich gebeten, Ihnen auf Ihr Schreiben vom 23.  November 2015 zu antworten. Ich vertrete den Verlag „Blindtext“ ständig. Die Vollmacht versichere ich anwaltlich und reiche sie in den nächsten Tagen schriftlich nach.

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Briefmuster/Empfehlungen

Mein Mandant wird den umstrittenen Satz alsbald von seiner Website ent­ fernen und in der Druckversion unkenntlich machen – allerdings nur, um hier überflüssigen Streit zu vermeiden, ohne Anerkennung einer Rechts­ pflicht und ohne Präjudiz für künftige Fälle. Mein Mandant wird daher nicht die Anwalts­kosten Ihrer Mandantin ersetzen. Somit kann ich für meinen Mandanten folgende Unterlassungserklärung abgeben: … Muster für einen freundlichen Brief: An Frau Rechtsanwältin Petra Schmitt … Schulz ./. Sander Ihr Zeichen: … Sehr geehrte Frau (Kollegin) Schmitt, herzlichen Dank für Ihren Brief vom … Januar 2006. Dass Ihr Mandant unseren Vergleichsvorschlag angenommen hat, freut uns sehr. Mein Mandant wird die Vergleichssumme von 2500 Euro noch heute auf Ihr Konto überweisen. Mit besten Grüßen … Muster für einen geschäftsmäßigen, kühlen, leicht ironischen Brief: Sehr geehrter Herr Kollege Mustermann, Ihr Fax-Schreiben von heute habe ich erhalten und den Inhalt zur Kennt­ nis genommen: Sie rechnen die Geschäftsgebühr nicht zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr an. Wegen unserer unterschiedlichen Auffassungen dazu bitten Sie mich, den Kostenfestsetzungsbescheid abzuwarten. Gern warte ich den Kostenfestsetzungsbescheid des Landgerichts ab und bin sehr gespannt, was darin zur Geschäftsgebühr steht. Offenbar lernt man nie aus. Bislang war mir weder bekannt, dass im Kostenfestsetzungs­ verfahren die Geschäftsgebühr festgesetzt wird, noch, dass es zur An­rech­ nung auf die Verfahrensgebühr ein neues Gesetz gibt. Ich lasse mich über­ raschen. 90 |

Briefe an die gegnerische Partei

Bitte teilen Sie aber noch mit, wann Sie den KFA gestellt haben. Mit kollegialen Grüßen …

2. Briefe an die gegnerische Partei An … Müller ./. Meyer AG Sehr geehrter Herr Meyer, Herr Peter Müller, Kirchstraße 5 in … Köln, hat mich gebeten, seine recht­ lichen Interessen wahrzunehmen. Sie haben Herrn Müller am 10. Januar 2001 eine Mahnung über 1998 Euro für einen Scanner geschickt und darin gedroht, das Geld einzuklagen. Mein Mandant hatte Ihnen aber bereits in seinem Brief vom 3. Dezember 2000 mitgeteilt, dass er Ihr Paket mit dem Scanner nicht bekommen hat. Mein Mandant wird daher trotz Ihrer Mahnung nicht bezahlen. Mit freundlichen Grüßen …

Böser Brief an gegnerische Partei Meier . /. Betrugsbande Ihre Rechnung Nr. 123456 für irgendwelche angeblichen Leistungen Kunden-Nr. 789 10 Widerruf und Feststellungsklage Sehr geehrter Herr Langfinger, sehr geehrte Damen und Herren, Frau Sabine Muster, Musterstraße 73 in 12345 Berlin, hat mich gebeten, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen. Die Vollmacht liegt bei. Sie haben meiner Mandanten mit Datum vom 15. April 2015 eine Rech­ nung (Nr. 123456) über 474,67  Euro für irgendwelche angeblichen Leis­ tungen ge­schickt. Meine Mandantin hatte Ihnen im April 2015 irrtümlich einen aus­ge­füllten Frage­bogen geschickt. Diesen Fragebogen hielt sie – das | 91

Briefe an die gegnerische Partei

Bitte teilen Sie aber noch mit, wann Sie den KFA gestellt haben. Mit kollegialen Grüßen …

2. Briefe an die gegnerische Partei An … Müller ./. Meyer AG Sehr geehrter Herr Meyer, Herr Peter Müller, Kirchstraße 5 in … Köln, hat mich gebeten, seine recht­ lichen Interessen wahrzunehmen. Sie haben Herrn Müller am 10. Januar 2001 eine Mahnung über 1998 Euro für einen Scanner geschickt und darin gedroht, das Geld einzuklagen. Mein Mandant hatte Ihnen aber bereits in seinem Brief vom 3. Dezember 2000 mitgeteilt, dass er Ihr Paket mit dem Scanner nicht bekommen hat. Mein Mandant wird daher trotz Ihrer Mahnung nicht bezahlen. Mit freundlichen Grüßen …

Böser Brief an gegnerische Partei Meier . /. Betrugsbande Ihre Rechnung Nr. 123456 für irgendwelche angeblichen Leistungen Kunden-Nr. 789 10 Widerruf und Feststellungsklage Sehr geehrter Herr Langfinger, sehr geehrte Damen und Herren, Frau Sabine Muster, Musterstraße 73 in 12345 Berlin, hat mich gebeten, ihre rechtlichen Interessen wahrzunehmen. Die Vollmacht liegt bei. Sie haben meiner Mandanten mit Datum vom 15. April 2015 eine Rech­ nung (Nr. 123456) über 474,67  Euro für irgendwelche angeblichen Leis­ tungen ge­schickt. Meine Mandantin hatte Ihnen im April 2015 irrtümlich einen aus­ge­füllten Frage­bogen geschickt. Diesen Fragebogen hielt sie – das | 91

Briefmuster/Empfehlungen

war ja wohl auch so Ihre Absicht – für einen amtlichen Frage­bogen zu sta­ tistischen Zwecken und hat ihn nur darum ausgefüllt. Selbstverständlich wird meine Mandantin die Rechnung nicht begleichen. Sie wissen, dass meine Mandantin den Bogen nur ausgefüllt hat, weil sie von Ihnen ganz bewusst getäuscht wurde. Ihr Angebot war betrügerisch. Meine Mandantin macht vorsichtshalber auch von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch. Falls Sie mir nicht bis zum 5. Mai 2015 bestätigen, dass die Rechnung stor­ niert und hinfällig ist, werde ich eine negative Feststellungsklage erheben. Solche Fest­stellungs­klagen habe ich schon oft mit Erfolg gegen Unterneh­ men eingelegt, die ähnlich arbeiten wie Sie. Wie eine solche Klage ausgeht, wissen Sie ja bestens. Zudem werde ich Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn wegen Betruges stellen, wenn Sie nicht die Stornierung bestätigen. Rechtsanwalt

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Grundlagen der Pressearbeit 1. Presse und Juristen Gerade für Anwältinnen und Anwälte sind Pressemitteilungen ein Marketinginstrument, mit dem sie sich in die Öffentlichkeit und damit ins Gespräch bringen können. Aber Juristen kommunizieren oft anders als „normale“ Menschen. Juristen haben andere Ziele, Schwerpunkte, Interessen und vor allem ein anderes Verständnis. Ihr Blickwinkel auf viele Sachverhalte ist anders geprägt. Das zeigt sich ganz besonders in der PR und Pressearbeit von Juristen. Journalisten haben in vielen Fällen einen völlig entgegengesetzten Blickwinkel. Journalisten interessieren sich oft für Themen oder Aspekte eines Themas, die Juristen für bedeutungslos halten oder für völlig banal. Vor allem ein möglicher Unterhaltungswert, eine Skandalträchtigkeit und die Kuriosität eines Gesetzes oder Urteils sind für den Journalisten von großer Bedeutung, für den Juristen aber eher belanglos. Auch Aspekte, die aus juristischer Sicht keine Rolle spielen, können für die Presse wichtig sein, zum Beispiel Alter, Herkunft, Familiengeschichte oder Aussehen eines Beteiligten, oft sind das rein menschliche Aspekte. Journalisten fragen danach, wo es in einer Geschichte „menschelt“. Vor allem in Social Media ist das wichtig. Gerade bei Rechtsthemen fragen Journalisten auch nach dem Nutzwert eines Urteils oder eines neuen Gesetzes für den Leser, Zuhörer oder Zuschauer. Was bedeutet das konkret? Welche Folgen und Auswirkungen hat das? Griffige Beispiele und klare Darstellungen sind gefordert. Nur wenn Sie Journalisten knapp und verständlich informieren, werden sie sich für Ihre Pressemitteilung interessieren. Journalisten und Juristen sollen zwar nicht fünf immer gerade sein lassen, aber dem Leser oder Zu­schauer Sachverhalte einfach, ver­ständ­lich und anschaulich darstellen. Dabei kann es legitim sein, auf haarkleine Abgrenzungen und mikroskopisch genaue Betrachtungen verzichten. Aus einer gewissen Distanz, aus größerer Höhe, gewinnt man einen besseren Überblick über eine Sache, verliert aber die Trennschärfe für De| 93

Grundlagen der Pressearbeit

tails. Aber genau diese Trennschärfe lieben Juristen und Juristinnen. Auch das ist ein anderer Blickwinkel. Dieser Perspektivwechsel, der veränderte Blick  – sich einzustellen auf den Journalisten – ist Voraussetzung für erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wer nicht erkennt, was die Presse und die Öffentlichkeit interessiert, arbeitet an seinen Kunden vorbei. Pressearbeit ist Kundendienst am Journalisten. Sie müssen sich auf die Bedürfnisse und Interessen der Journalisten und der Öffentlichkeit einstellen. Die Pressemitteilung oder Ihr Beitrag in einer Zeitung muss nicht Ihnen und den Kanzleiinhabern gefallen, sondern Ihrer Zielgruppe. In der Pressearbeit gilt der alte Satz: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Negativbeispiel: Ob der folgende Bandwurm aus einer Pressemitteilung des BGH vom 28. Januar 2015 zum Glücksspielrecht dem Fisch schmeckt, ist fraglich:

… Der EuGH hat die Vorlagefragen dahin beantwortet, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen sei, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grund­ sätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaa­ ten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Recht­ sprechung des EuGH aufegstellten Anforderungen an die Verhältnismäßig­ keit genügt. Ob dies der Fall sei, sei durch das das vorlegende Gericht zu prüfen. …

2. Voraussetzungen für gute Pressearbeit Informativ, kurz und schnell wollen Journalisten von Presse- und Öffentlichkeitsarbeitern bedient werden; keine Belanglosigkeiten, kein ­Geschwafel, keine Zeiträuberei. Das gilt für alle Formen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, auch für die Pressemitteilung, das Hintergrundgespräch und das Interview. 94 |

Grundlagen der Pressearbeit

tails. Aber genau diese Trennschärfe lieben Juristen und Juristinnen. Auch das ist ein anderer Blickwinkel. Dieser Perspektivwechsel, der veränderte Blick  – sich einzustellen auf den Journalisten – ist Voraussetzung für erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wer nicht erkennt, was die Presse und die Öffentlichkeit interessiert, arbeitet an seinen Kunden vorbei. Pressearbeit ist Kundendienst am Journalisten. Sie müssen sich auf die Bedürfnisse und Interessen der Journalisten und der Öffentlichkeit einstellen. Die Pressemitteilung oder Ihr Beitrag in einer Zeitung muss nicht Ihnen und den Kanzleiinhabern gefallen, sondern Ihrer Zielgruppe. In der Pressearbeit gilt der alte Satz: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Negativbeispiel: Ob der folgende Bandwurm aus einer Pressemitteilung des BGH vom 28. Januar 2015 zum Glücksspielrecht dem Fisch schmeckt, ist fraglich:

… Der EuGH hat die Vorlagefragen dahin beantwortet, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen sei, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grund­ sätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaa­ ten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Recht­ sprechung des EuGH aufegstellten Anforderungen an die Verhältnismäßig­ keit genügt. Ob dies der Fall sei, sei durch das das vorlegende Gericht zu prüfen. …

2. Voraussetzungen für gute Pressearbeit Informativ, kurz und schnell wollen Journalisten von Presse- und Öffentlichkeitsarbeitern bedient werden; keine Belanglosigkeiten, kein ­Geschwafel, keine Zeiträuberei. Das gilt für alle Formen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, auch für die Pressemitteilung, das Hintergrundgespräch und das Interview. 94 |

Voraussetzungen für gute Pressearbeit

Journalisten bekommen täglich viele Pressemitteilungen und viele Einladungen; je nach Medium und Verbreitung mehr oder weniger viel. Journalisten sind im Zweifel stets in Zeitnot und überarbeitet. Daher müssen sie sich schnell einen Eindruck verschaffen können, ob die Pressemitteilung es wert ist, veröffentlicht zu werden, oder ob es sich lohnt, einer Einladung zu folgen.

Medienkenntnis Medienkenntnis ist Grundvoraussetzung. Schlecht ist, wenn Sie die Presse ansprechen, aber die Presse nicht kennen. Wichtig ist dabei vor allem, die Interessen der Journalisten zu kennen, also die Fragen zu beantworten, die Journalisten zu einem Thema, zu einem Fall haben. Das sind in erster Linie die so genannten W-Fragen: Wer hat was wann wie wo wa­ rum und wozu getan? Und diese Fragen wollen Journalisten so konkret wie möglich beantwortet haben. Hier spielt also die Regel „konkret“ aus den zehn Regeln eine wichtige Rolle. Sie müssen aber auch wissen, wie Ihre „Kunden“ funktionieren: zum Beispiel Arbeitsweise, Erscheinungsweise, Verbreitung, Zielgruppe, Redaktionsschluss. Sonst machen Sie sich nicht nur lächerlich; Sie arbeiten nicht effektiv. Einer Tageszeitung sollten Sie nicht erst um 16 Uhr eine Pressemitteilung oder einen Beitrag anbieten, wenn sie/er Informationen enthält, die Sie ebenso gut bereits um 9 Uhr hätten schicken können. Die beste Zeit für Pressemitteilungen an Tageszeitungen ist 9 Uhr, weil Ihre Informationen dann eine Chance haben, in den Redaktionskonferenzen besprochen zu werden. Außerdem kann die Meldung zusätzlich über eine Presseagentur in die Redaktion gelangen (selbstverständlich nur, wenn Sie sie dort hingeschickt haben). Und das wiederum erhöht die Chance, publiziert zu  werden. Ohne Not kurz vor oder nach Redaktionsschluss (zwischen 17 und 18 Uhr) etwas zu schicken, was noch für den nächsten Tag „mitgenommen“ werden soll, zeigt fehlende Medienkenntnis. Fürs Web und für Social Media können Sie im Grunde immer schreiben und Ihre Themen anbieten. Da gibt es prinzipiell keinen Redaktionsschluss; vor allem, wenn Sie die eigenen Kanäle bedienen. Twittern und bei Facebook posten können Sie immer. Ob diese Kanäle Ihnen allerdings | 95

Grundlagen der Pressearbeit

viel Aufmerksamkeit und lohnenden Zuspruch bei Ihren Kunden und potenziellen Kunden bringen, das sollten Sie zuvor genau prüfen. Auch das gehört zu Medienkenntnis. Wenn Sie Zeitschriften „bedienen“, müssen Sie wissen, dass dort besonders gern Bilder zu einer Geschichte gedruckt werden. Also schicken Sie Bilder mit. Die Erscheinungsweise und der Redaktionsschluss sind sehr wichtig für Ihre Pressearbeit. Einer Wochenzeitschrift können Sie nicht zwei Tage vor Erscheinen noch Informationen für die nächste Ausgabe schicken; dann ist sie in aller Regel bereits gedruckt. Schicken Sie Ihre Informationen zehn Tage vor Erscheinen. Monatszeitschriften sollten Sie Ihre Informationen vier, besser fünf Wochen vor Erscheinen schicken, damit sie eine Chance haben, in der nächsten Ausgabe veröffentlicht zu werden. Falls Sie auf die Idee kommen, das Fernsehen einzuladen, um etwas über Sie oder einen Ihrer Fälle zu berichten, muss es etwas geben, was das Fernsehteam filmen kann. Fernsehen ohne Bilder funktioniert nicht. Also müssen Sie zum Beispiel einen Interviewpartner und Akten im Bild anbieten können. Kommt ein Hörfunkreporter zu Ihnen, muss es etwas zu hören geben: Gesprächspartner, Geräusche, Aussagen (so genannte O-Töne) von Mandanten, Mitarbeitern, Firmenleitung. Irgendwohin muss er sein Mikrofon richten können. Das müssen Sie vorbereiten.

Sachkenntnis Sachkenntnis erwarten Journalisten ganz selbstverständlich auch: Es ist blamabel, wenn Sie auf Nachfragen zu einem Ihrer Rechtsgebiete oder einem Ihrer Fälle keine Antwort kennen. Sie können durchaus um Zeit bitten, um sich erst einmal kundig zu machen oder den Spezialisten in Ihrer Kanzlei nennen. Aber eine Antwort schuldig zu bleiben, hinterlässt einen sehr schlechten Eindruck bei Journalisten und Journalistinnen.

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Voraussetzungen für gute Pressearbeit

Pfiff und Humor Auch Pfiff und Humor sind von Nutzen. Staubtrockene Typen werden in Journalistenkreisen eher übersehen. Das ist für Juristen oft ein Problem, weil sie per Definition als Menschen gelten, die zum Lachen in den Keller gehen. Dieses Vorurteil müssen Sie zunächst beseitigen. Die Kanzlei und die Themen angemessen locker und witzig (aber trotzdem seriös) zu präsentieren, kommt gut an. Verwechseln Sie aber bitte nicht Witz und Humor mit Albernheit. Und: Zuverlässigkeit geht vor Witz.

Zuverlässigkeit Zuverlässigkeit wird hoch geschätzt; von Journalisten ganz besonders. Sie haben mit Terminen und dem Redaktionsschluss zu kämpfen. Wer ihnen Arbeit abnimmt oder zumindest nicht noch zusätzliche bereitet, genießt ihre Sympathie. Wenn Sie zum Beispiel zusagen, dass ein Journalist bis 16 Uhr die gewünschte Information hat, muss er sie dann auch haben, denn er hat ein Problem, wenn er sich darauf verlassen hat.

Stets die Wahrheit sagen Wenn Sie mit der Presse Kontakt haben wegen einer Ihrer Fälle oder einer Ihrer Mandanten: Wahrhaftig und offen zu sein, ist die Basis für Vertrauen. Sie müssen ja nicht immer gleich alles verraten und können einige Informationen etwas zurückhalten, wenn sie nicht schon aus anderen Quellen bekannt sind. Aber Lügen ist ein Tabu. Wenn ein Journalist Sie bei einer Lüge ertappt, ist nicht nur Ihr Ruf, sondern oft auch der Ihrer Kanzlei und Ihrer Mandanten dahin. Wie sollen Ihnen die Journalisten und Journalistinnen beim nächsten Mal glauben, dass Ihre Informationen richtig sind? Kein Journalist nimmt Ihnen übel, wenn Sie sagen: Das weiß ich jetzt nicht, ich muss mich erst einmal schlau machen; Sie bekommen die Informationen in einer Stunde. Aber jeder reagiert sauer, wenn Sie vorgeben, nichts zu wissen oder etwas leugnen und sich später herausstellt, dass Sie damit gelogen haben. Und es nimmt Ihnen auch keiner übel, wenn Sie als Anwalt oder Anwältin gewisse Daten eines Falles zum Schutz des Mandanten nicht nennen können oder dürfen. Das sollten Sie dann aber auch so offen sagen. | 97

Grundlagen der Pressearbeit

Überhaupt: Seien Sie so offen wie möglich. Irgendwann bekommen Journalisten heraus, was sie wissen wollen. Es ist besser, es ihnen zuvor selbst mitzuteilen. Dann können Sie gerade bei negativen Dingen noch die Richtung und den Tonfall vorgeben. Sie können erklären und entkräften, wenn Sie selbst an die Öffentlichkeit gehen. Agieren ist immer besser als reagieren. Offenheit darf aber nicht mit Kumpanei verwechselt werden. Freundschaftlich dürfen Sie sein zu „Ihren“ Journalistinnen und Journalisten, aber es muss stets klar sein, dass Sie auf der anderen Seite des Tisches sitzen.

Aktive Pressearbeit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit muss aktiv sein. Sich in den Sessel zu setzen und auf Anrufe von Journalisten zu warten, ist die falsche Haltung. Ständig müssen Sie sich fragen: Was könnte die Presse und die Öffentlichkeit interessieren von dem, was meine Kanzlei macht oder was sich in meinem Rechtsgebiet tut, und wie kann ich es so interessant darstellen, dass es gedruckt oder gesendet wird? Haben Sie die Antworten gefunden, müssen Sie sie in Pressemitteilungen gießen. Sie stehen in ständigem Wettbewerb zu allen anderen Pressestellen  – nicht nur der Ihrer Konkurrenten. Zeitungen, Zeitschriften und Sender haben nur begrenzten Platz, und davon müssen Sie sich etwas sichern. Passivität ist da der falsche Weg.

3. Die Pressemitteilung in Stichpunkten – – – –

Inhalt: interessant und ansprechend Sprache: kurz, klar, einfach Stil: Nachricht – Wichtigstes nach vorn Überschrift: einladend und appetitlich, darüber die Zeile „Pressemitteilung“ – Umfang und Form: maximal zwei Blatt à 30 Zeilen zu 35 Zeichen je Zeile, also nicht mehr als rund 2000 Zeichen; weitere Informationen, wenn nötig, anhängen. Eine zu lange Pressemitteilung kann im Papierkorb landen, nur weil sie zu lang ist. Journalisten lieben die Kürze. 98 |

Grundlagen der Pressearbeit

Überhaupt: Seien Sie so offen wie möglich. Irgendwann bekommen Journalisten heraus, was sie wissen wollen. Es ist besser, es ihnen zuvor selbst mitzuteilen. Dann können Sie gerade bei negativen Dingen noch die Richtung und den Tonfall vorgeben. Sie können erklären und entkräften, wenn Sie selbst an die Öffentlichkeit gehen. Agieren ist immer besser als reagieren. Offenheit darf aber nicht mit Kumpanei verwechselt werden. Freundschaftlich dürfen Sie sein zu „Ihren“ Journalistinnen und Journalisten, aber es muss stets klar sein, dass Sie auf der anderen Seite des Tisches sitzen.

Aktive Pressearbeit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit muss aktiv sein. Sich in den Sessel zu setzen und auf Anrufe von Journalisten zu warten, ist die falsche Haltung. Ständig müssen Sie sich fragen: Was könnte die Presse und die Öffentlichkeit interessieren von dem, was meine Kanzlei macht oder was sich in meinem Rechtsgebiet tut, und wie kann ich es so interessant darstellen, dass es gedruckt oder gesendet wird? Haben Sie die Antworten gefunden, müssen Sie sie in Pressemitteilungen gießen. Sie stehen in ständigem Wettbewerb zu allen anderen Pressestellen  – nicht nur der Ihrer Konkurrenten. Zeitungen, Zeitschriften und Sender haben nur begrenzten Platz, und davon müssen Sie sich etwas sichern. Passivität ist da der falsche Weg.

3. Die Pressemitteilung in Stichpunkten – – – –

Inhalt: interessant und ansprechend Sprache: kurz, klar, einfach Stil: Nachricht – Wichtigstes nach vorn Überschrift: einladend und appetitlich, darüber die Zeile „Pressemitteilung“ – Umfang und Form: maximal zwei Blatt à 30 Zeilen zu 35 Zeichen je Zeile, also nicht mehr als rund 2000 Zeichen; weitere Informationen, wenn nötig, anhängen. Eine zu lange Pressemitteilung kann im Papierkorb landen, nur weil sie zu lang ist. Journalisten lieben die Kürze. 98 |

Was Journalisten interessiert

– Schreiben Sie die Pressemitteilung in die E-Mail selbst und hängen Sie sie zusätzlich als PDF an. Dann können die Redaktionen sie auf jeden Fall lesen. – Denken Sie immer an Ihre Zielgruppen: Journalisten, Öffentlichkeit, Laien. Kurzum: Die Pressemitteilung muss einen „Küchenzuruf“ haben. Um im Gespräch zu bleiben, sollten Sie etwa alle zwei bis drei Wochen eine Pressemitteilung verschicken; nicht viel seltener, aber auch nicht viel öfter. Keine inflationäre Pressearbeit: Sagen Sie nur etwas, wenn Sie etwas zu sagen haben. Fragen Sie in den Redaktionen, wer für Rechtsthemen zuständig ist. Wenn Sie einen neuen „Kunden“ bedienen, fragen Sie, ob Sie ihm Ihre Pressemitteilungen per E-Mail oder noch per Fax schicken sollen. Stellen Sie sich auf den Kunden ein.

4. Was Journalisten interessiert … weil es Leser/Zuhörer/Zuschauer interessiert. Die Interessen von Journalisten und Juristen sind, wie gesagt, oft sehr unterschiedlich. Den Journalisten interessiert das Besondere, das Außergewöhnliche – jedenfalls nicht das Langweilige. Für Juristen ist aber oft (für andere) Langweiliges das Interessante. Interessant – Neues, Aktuelles – Superlative, Rekorde, Zahlen – Kurioses, Witziges – Klatsch und Tratsch – Skandale – Geheimnisvolles – Herz-Schmerz-Geschichten

Beispiele Statistiken und Studien jeglicher Art Bankräuber bedroht Kassiererin mit bunter Wasserpistole Wer mit wem Bankchef besticht Politiker Schatzsuche in versunkenen Schiffen, Berichte aus geheimen Akten Wal wird gerettet, Eltern finden verlorenes Kind wieder | 99

Was Journalisten interessiert

– Schreiben Sie die Pressemitteilung in die E-Mail selbst und hängen Sie sie zusätzlich als PDF an. Dann können die Redaktionen sie auf jeden Fall lesen. – Denken Sie immer an Ihre Zielgruppen: Journalisten, Öffentlichkeit, Laien. Kurzum: Die Pressemitteilung muss einen „Küchenzuruf“ haben. Um im Gespräch zu bleiben, sollten Sie etwa alle zwei bis drei Wochen eine Pressemitteilung verschicken; nicht viel seltener, aber auch nicht viel öfter. Keine inflationäre Pressearbeit: Sagen Sie nur etwas, wenn Sie etwas zu sagen haben. Fragen Sie in den Redaktionen, wer für Rechtsthemen zuständig ist. Wenn Sie einen neuen „Kunden“ bedienen, fragen Sie, ob Sie ihm Ihre Pressemitteilungen per E-Mail oder noch per Fax schicken sollen. Stellen Sie sich auf den Kunden ein.

4. Was Journalisten interessiert … weil es Leser/Zuhörer/Zuschauer interessiert. Die Interessen von Journalisten und Juristen sind, wie gesagt, oft sehr unterschiedlich. Den Journalisten interessiert das Besondere, das Außergewöhnliche – jedenfalls nicht das Langweilige. Für Juristen ist aber oft (für andere) Langweiliges das Interessante. Interessant – Neues, Aktuelles – Superlative, Rekorde, Zahlen – Kurioses, Witziges – Klatsch und Tratsch – Skandale – Geheimnisvolles – Herz-Schmerz-Geschichten

Beispiele Statistiken und Studien jeglicher Art Bankräuber bedroht Kassiererin mit bunter Wasserpistole Wer mit wem Bankchef besticht Politiker Schatzsuche in versunkenen Schiffen, Berichte aus geheimen Akten Wal wird gerettet, Eltern finden verlorenes Kind wieder | 99

Grundlagen der Pressearbeit

– Ungerechtigkeiten

Arme Rentnerin muss Millionär Schmerzensgeld wegen Beleidigung zahlen: „Geldsack“ – David-Goliath-Geschichten Arme Rentnerin gewinnt Prozess gegen Millionär – Schadenfreude Verkehrsrichter wird beim Rasen erwischt – Persönliche oder lokale Nähe Jede Form von Nachbarstreit, ­Familienkrach, Ärger mit dem Chef – Nützliches/Tipps/Service: Geld, Gesundheit, Erfolg, Schönheit, Image, jung bleiben, Handwerk, Haus und Garten, Zeit sparen, Bequemlichkeit, Schutz, Cleverness, modern sein, Mode Für Anwältinnen und Anwälte ist meist das Interesse an Servicethemen und Tipps der Schwerpunkt ihrer Pressearbeit: Steuern sparen, Unterhaltsfragen und Erbschaftssachen, Nachbarstreitigkeiten, Mietrecht, Wohnungseigentumsrecht, Baurecht, Verkehrsunfallrecht – und seit einigen Jahren ganz wichtig: IT-Recht. Was darf man aus dem Web runterladen, welche Bilder darf der Schüler posten, wann haften die Eltern? Sie sehen dabei, dass die persönliche Nähe zur Sache eine wichtige Rolle spielt. Seerecht oder Internationales Handelsrecht sind dem Leser und damit den Medien weniger nah. Nachbarrechtsfälle zum Beispiel enthalten meist kuriose Aspekte, Schadenfreude und David-Goliath-Geschichten, wenn etwa der reiche Nachbar mit protzigem Swimmingpool gegen die arme, alte Nachbarin wegen ihrer Katze streitet und verliert. Das Juristische daran interessiert eher weniger. Sie müssen sich aus Ihrem Repertoire an Fällen und Rechtsgebieten also Themen auswählen, die sich für die Medien eignen. Dabei müssen Sie die Perspektive wechseln. Suchen Sie nach dem Anteil an Kuriosem, Außergewöhnlichem und Witzigem in Ihren Fällen. Die folgende alte Pressemitteilung der Rechtsanwaltskammer Berlin ist wegen ihres Anteils an Kuriosem, Witzigem, der Spur Schadenfreude und der Prise Klatsch und Tratsch bundesweit gedruckt worden und sogar die Tagesthemen haben damals darüber berichtet. 100 |

Was Journalisten interessiert

Pressemitteilung Anwälte klauen Roben wie die Raben

In Berliner Gerichten werden immer öfter Roben stibitzt. Es handelt sich dabei um Roben, die Anwälte bei Bedarf im Gericht auf Vertrauensbasis ausleihen können, wenn sie keine eigene mithaben. Offenbar „vergessen“ manche Anwälte, die Roben wieder zurückzugeben. Allein im vergangenen Jahr kamen 25 Roben abhanden. Der Preis einer Robe liegt bei 380 Mark. Der Berliner Anwaltskammer, die die Leihroben angeschafft hat, ist so ein Schaden von rund 10 000 Mark entstanden. 12. Februar 1996 (Name) Noch Fragen: Telefon … Aber auch weniger kuriose Themen haben ein Chance auf Veröffentlichung, wenn sie gut dargeboten und vor allem klar formuliert und gegliedert sind. Ein Beispiel der Schultze & Braun GmbH Anwaltsgesellschaft:

Beispiel 1 für eine gelungene Pressemitteilung Schultze & Braun gewinnt Verfahren vor dem französischen Bundesgerichtshof zur Frage der Zulassung von deutschen Anwälten in Frankreich

Ein jahrelanger Rechtsstreit um die Zulassung einer deutschen Rechtsan­ waltsgesellschaft in Frankreich ist nun von der Cour de Cassation in Paris (vergleichbar mit dem deutschen Bundesgerichtshof) zu Gunsten der Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft entschieden worden. Ausgangspunkt für den Rechtsstreit war die Weigerung der Straßburger Rechtsanwaltskammer, die französische Niederlassung der Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft zur Kammer zuzulassen. Schultze & Braun hatte argumentiert, dass die Straßburger Rechtsanwaltskammer damit ge­ gen Europäisches Recht verstößt. Das wurde jetzt auch durch die Cour de Cassation in Paris bestätigt. Das Gericht führt in seiner Entscheidung aus, dass eine wirksam nach dem Recht eines Mitgliedsstaates gegründete Gesellschaft mit dem Sitz in­ nerhalb der Europäischen Union im Hinblick auf die Niederlassungsfrei­ | 101

Grundlagen der Pressearbeit

heit behandelt werden müsse wie eine natürliche Person. Sie müsse also im Rahmen der Ausübung ihrer Niederlassungsfreiheit in dem Staat der Nie­ derlassung behandelt werden wie deren eigene Staatsangehörige. So müsse eine ausländische Rechtsanwaltsgesellschaft auf der eigens für Rechtsan­ waltsgesellschaften vorgesehenen Liste einer französischen Rechtsanwalts­ kammer eingetragen werden, wie dies auch für französische Anwaltsgesell­ schaften praktiziert wird, sofern diese ausländische Gesellschaft die gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen hinsichtlich der Geschäftsfüh­ rung, Kontrolle und Zusammensetzung des Stammkapitals erfüllt. Die Cour de Cassation in Paris hat damit zugleich auch die Frage beant­ wortet, ob eine deutsche Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer Gesell­ schaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zugelassen werden kann. Die Gegenseite, die Straßburger Rechtsanwaltskammer, hatte sich auf den Standpunkt gestellt, dass das nicht möglich sei. Mit dieser Argumentation war sie bereits in der ersten Instanz vor der Cour d’Appel in Colmar (ver­ gleichbar mit einem deutschen Oberlandesgericht) gescheitert, hatte aber dennoch im November 2006 Revision bei der Cour de Cassation in Paris eingelegt. Die Leiterin der Straßburger Niederlassung, Rechtsanwältin und Avocate Ellen Delzant, freut sich über das Ergebnis: „Dieses Urteil ist von grund­ sätzlicher Bedeutung für das europäische Anwaltberufsrecht und bestätigt, dass die Niederlassungsfreiheit in der  Europäischen Union nicht nur für Rechtsanwälte als natürliche Personen, sondern auch für Anwaltsgesell­ schaften gilt. Es wird europäischen Anwaltsgesellschaften den Schritt über die französischen Grenzen erheblich erleichtern.“ Kontakt: Rechtsanwältin und Pressesprecherin Ronja Sebode, Schultze & Braun, Niederlassung Achern, [email protected], Tel.: 07841/708-0 Die Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft berät Mandanten in allen Rechtsfragen, insbesondere insolvente Unternehmen in Fragen der Sanierung und Restrukturierung, und zeigt gesunden Unternehmen vor­ beugende, insolvenzvermeidende Maßnahmen auf. Neben Achern beste­ hen weitere Niederlassungen in Berlin, Bremen, München, Nürnberg und Straßburg.

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Was Journalisten interessiert

Ganz wichtig ist hier die so genannte nachrichtliche Gliederung: Das Wichtigste muss in den ersten Absatz, dann wird es von Absatz zu Absatz immer weniger wichtig. So können Journalisten den Text von hinten nach vorn kürzen, ohne dass etwas Wichtiges fehlt. Selbst wenn nur der erste Absatz gedruckt wird, ist das Wichtigste veröffentlicht.

Beispiel 2 für eine gelungene Pressemitteilung Pressemitteilung Alt – und wieder sexy Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) bleibt eine attraktive, weil sichere Altersvorsorge. In Zeiten niedriger Zinsen ist eine Sondereinzahlung für viele eine sinnvolle Verbesserung der Altervorsorge. Ab 1. Juli 2016 wird die Altersgrenze für Sondereinzahlungen vom 55. auf das 50. Lebensjahr gesenkt. „Private Zusatzversicherung“ war in den vergangenen 15 Jahren die Zau­ berformel für einen sicheren Lebensabend. Es wurde heftig geriestert – aber von zu wenigen. Doch was tun, wenn die privaten Ver­träge wegen sinkenden Zinsniveaus kaum noch Dividenden bringen? Wenn das sorgen­ freie Leben im Alter doch nicht mehr so sicher ist? Das neue Zauberwort heißt „Ausgleichs­zahlungen in die DRV“. Wer sein Erspartes, eine Abfin­ dung, eine kleine Erbschaft oder das 13. Monatsgehalt in der DRV „an­ legt“, erhöht seine Rente und kann dabei Steuern sparen – profitiert also doppelt. Das wird in der aktuellen Renten­diskussion bisher völlig verges­ sen. Zwischen 3,5 und 3,9 Prozent Dividende verspricht die DRV und unab­ hängige Experten bestätigen das. Manche sprechen von „nur“ 2 bis 3 Pro­ zent. Das ist in Zeiten von Nullzins recht hoch. Hinzu kommt der Steuer­ vorteil: Der Betrag, der als Ausgleichszahlung in die DRV eingezahlt wird, muss meist nicht versteuert werden. Der Fiskus greift zwar je nach Höhe auf die Rente zu, da aber Rentner weniger Steuern zahlen, sparen sie mit einer Ausgleichszahlung zusätzlich. Für ältere Arbeit­nehmerinnen und Ar­ beitnehmer ist es in aller Regel die letzte Möglichkeit, die Rente aufzubes­ sern, und das ohne Gesundheits­prüfung. Rechtsanwalt Dietrich Growe, Fachanwalt für Arbeitsrecht, hat mit einem Berater der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg dazu | 103

Grundlagen der Pressearbeit

Tipps, Checklisten und Beispielsrechnungen zusammengestellt. Besonders vorteilhaft kann eine Ausgleichszahlung sein, wenn sie über den Arbeitge­ ber gezahlt wird. Dann sind die Steuerersparnisse besonders hoch. Bei ei­ ner Scheidung kann eine Ausgleichszahlung deren Schäden für die Rente auffangen. Auch wer früher in Rente gehen möchte, kann mit der Sonder­ zahlung den Abschlag ausgleichen, den die Frühverrentung mit sich bringt. Ein Beispiel: Eine 55-jährige alleinstehende Mitarbeiterin mit einem Jah­ reseinkommen von 32.500 Euro plant, zwei Jahre früher in Rente zu ge­ hen. Bis dahin hatte sie einen gesetzlichen Rentenanspruch von monatlich 1.000 Euro. Die geplante vorzeitige Rente mindert die Rente um 72 Euro monatlich. Zahlt sie rund 18.100 Euro ein, gleicht sie damit die 72 Euro Minderung aus. Durch die Einzahlung in die DRV wird sie zudem etwa 5.000 Euro Steuern sparen. Unterm Strich zahlt sie also nur rund 13.000 Euro mit eigenem Geld ein. Und: Wenn sie später doch bis zur Regelaltersgrenze arbeiten will, wird ihre Rente um 72 Euro höher ausfallen. 25. April 2016, Kanzlei Growe, ArbeitsrechtMannheim.com Der Aufsatz, der im Juni in der Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ (AiB) erschei­ nen wird, hängt zur Information an. Bitte beachten Sie das Urheberrecht und zi­ tieren nur mit dem Hinweis auf AiB. Gern steht Ihnen Dr. Dietrich Growe für Fragen zur Verfügung. Wir freuen und über Ihren Anruf unter (0621) 862 4610 oder eine E-Mail: [email protected].

Hier war es vor allem wichtig, das eher dröge und komplizierte Thema Rente appetitlich, anschaulich und verständlich darzustellen.

Übung Pressemitteilung 1: Die überaus schleppende Regulierung eines Schadenfalles kann eine Ver­ sicherung teuer zu stehen kommen. Das Landgericht Saarbrücken ver­ hängte gegen ein säumiges Assekuranzunternehmen in einem Prozess um Schmerzensgeld einen erheblichen Aufschlag. In dem Verfahren ging es um ein Kind, das bei einem Verkehrsunfall sehr schwerwiegende Schädel- und Hirnverletzungen erlitten hatte. Das Mäd­ chen wird sein Leben lang entstellt bleiben, leidet weiter psychisch und physisch unter den Unfallfolgen und ist nur noch in der Lage, eine Sonder­ schule zu besuchen. 104 |

Was Journalisten interessiert

Unter Verweis auf angebliche Vorschäden und wegen behaupteter Zweifel, dass die gesamten Ausfallerscheinungen Folgen des Unfalls sind, hatte die beklagte Versicherung auch über zwei Jahre nach dem fatalen Unfall erst 13  000  Euro überwiesen. Selbst nach einem Urteil, das die Haftung der Versicherung dem Grunde nach feststellte und das Kind von einem Mitver­ schulden freisprach, dauerte es vier Monate, bis weitere 50 000 Euro flos­ sen. Das Gericht, das unter Berufung auf mehrere ärztliche Gutachten sämtli­ che Behinderungen des Mädchens als unfallbedingt ansah, setzte auch un­ ter Berücksichtigung der verspäteten Regulierung das Schmerzensgeld drastisch herauf. Fünf Jahre und zwei Monate nach dem Unfall bekam das Kind 300 000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Aufgaben: Bitte bearbeiten Sie folgende Punkte, die für die Medien sehr wichtig sind. 1. Welche wichtigen Fragen bleiben für Journalisten offen? Welche Fragen wird der Journalist stellen? Hier fehlt Konkretes. 2. Schreiben Sie den Text um in eine verständlichere Formulierung und beantworten Sie fiktiv die offenen Fragen.

Lösung Pressemitteilung 1: Zu 1: 1. Wie hoch ist der Aufschlag für die verspätete Regulierung oder wie hoch war das ursprüngliche Schmerzensgeld? 2. Was war das für ein Unfall? Konkretes? Zum Beispiel mit dem Fahrrad oder beim Überqueren der Fahrbahn? Unfallgegner: Auto, Lkw oder Bus? 3. Verletzungen? Etwas konkreter bitte, ohne Blutrünstigkeit zu bedienen. 4. Wie alt war das Mädchen? 5. Welche „Vorschäden“ und welches Mitverschulden hat die Versicherung behauptet? 6. Welches Versicherungsunternehmen war das? | 105

Grundlagen der Pressearbeit

Zu 2: Die konkreten Details sind hier für die Lösung erfunden.

Die überaus schleppende Regulierung eines Unfallschadens kann eine Ver­ sicherung teuer zu stehen kommen. Das Landgericht Saarbrücken ver­ hängte gegen die XY-KFZ-Versicherung 100  Prozent Aufschlag auf das Schmerzensgeld. Fünf Jahre und zwei Monate nach einem Verkehrsunfall bekam das schwer verletzte Opfer 300 000 Euro zugesprochen. Ohne diese Verspätung hätte die Versicherung nach den einschlägigen Schmerzens­ geldtabellen etwa 150 000 Euro zahlen müssen. In dem Verfahren ging es um einen Verkehrsunfall zwischen einem sieben­ jährigen Mädchen und einem Lkw. Der Lkw hatte das Kind auf einem Zebrastreifen erfasst; der Fahrer hatte es übersehen. Das Mädchen erlitt schwere Schädel- und Hirnverletzungen, wird sein Leben lang durch Nar­ ben entstellt bleiben und nur noch eine Sonderschule besuchen können. Die XY-Versicherung behauptete, dass Kind habe bereits Kopfverletzungen von einem früheren Sturz gehabt, die Behinderungen seien nicht alle Fol­ gen des Unfalls. Zudem sei das Kind ganz plötzlich auf den Zebrastreifen gelaufen. Die Versicherung überwies daher mehr als zwei Jahre nach dem Unfall nur 13 000 Euro. Selbst nach einem ersten Urteil, das dem Lkw-Fah­ rer die alleinige Schuld an dem Unfall gab, dauerte es vier Monate, bis weitere 50  000  Euro flossen. Das Gericht sah aufgrund von Gutachten sämtliche Behinderungen als unfallbedingt an und setzte auch wegen der verspäteten Regulierung das drastische Schmerzensgeld fest. Übung Pressemitteilung 2: Vor allem, wenn Sie für Nichtjuristen schreiben, müssen Sie darauf achten, dass Sie alles weglassen, was den Laien nicht interessiert oder für ihn belanglos, unverständlich und daher überflüssig ist. Für die Endverbraucher, die Leserinnen und Leser – die „Medien-User“ –, sind nicht alle Feinheiten wichtig, die juristisch relevant sein können oder die der medizinische Sachverständige aufgeschrieben hat. Daher können Sie hier stark kürzen.

1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in dem in Berlin-Spandau gelege­ nen Wohnheim für Asylbewerber dem ihm bekannten Zeugen Alaskar S. im Verlauf eines verbal geführten Streits in Tötungsabsicht ein Kü­ chenmesser wuchtig in den Unterleib gerammt zu haben. 106 |

Was Journalisten interessiert

Der Geschädigte erlitt eine mehrfache Verletzung des Dick- sowie des Dünndarms. Sein Leben konnte nur durch eine sofort eingeleitete Not­ operation im Krankenhaus gerettet werden. 2. Dem Angeklagten, der seit mehreren Jahren alkoholabhängig und sui­ zidgefährdet ist, wird vorgeworfen, seine Lebensgefährtin und noch zwei weitere Personen im Zeitraum März/April körperlich misshandelt zu haben. Außerdem soll er mit einem Gasrevolver dreimal auf seine Lebensge­ fährtin geschossen sowie zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Kü­ chenmesser in Richtung ihres Gesichts eingestochen haben. Die Geschä­ digte, die den Stich mit der linken Hand abwehren wollte, erlitt eine tiefe Schnittverletzung am linken Zeigefinger. Dieser musste aufgrund einer später eintretenden Wundinfektion amputiert werden. Auch auf andere Personen, die der Geschädigten helfen wollten, sich dem Ein­ flussbereich des Angeklagten zu entziehen, soll er teils mit einem Beil, teils mit einer Flasche eingeschlagen haben, wodurch es zu ernsthaften Verletzungen kam. Lösungen Pressemitteilung 2: 1. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, in einem Spandauer Asylbewerberheim Alaskar S. im Streit ein Küchenmesser in den Unter­ leib gerammt zu haben, um ihn zu töten. Dabei wurde Alaskar schwer verletzt; sein Leben konnte durch eine Notoperation gerettet werden. 2. Außerdem soll der Angeklagte seine Lebensgefährtin und zwei andere Personen misshandelt haben. Mit einem Gasrevolver soll er dreimal auf seine Lebensgefährtin geschossen und mit einem Küchenmesser in Rich­ tung ihres Gesichts gestoßen haben. Als seine Lebensgefährtin das Mes­ ser abwehren wollte, verletzte sie sich am linken Zeigefinger. Die Wunde infizierte sich, der Finger musste amputiert werden. Auf Personen, die der Frau helfen wollten, soll der Angeklagte mit einem Beil eingeschla­ gen haben. Übung Pressemitteilung 3: Schreiben Sie die folgende Pressemitteilung des Deutschen Anwaltvereins um und achten Sie dabei vor allem auf eine sinnvolle Gliederung. Auch hier müssen Sie natürlich alles Doppelte und Überflüssige strei| 107

Grundlagen der Pressearbeit

chen; denn der Journalist, der die Mitteilung bekommt, will so wenig wie möglich lesen:

Das Präsidium des Deutschen Anwaltvereins (DAV) hat die Änderungs­ vorschläge der Bundesregierung bzw. der Regierungsfraktionen zum Ent­ wurf der Änderungen der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfas­ sungsrechts beraten und ist befriedigt darüber, dass Anregungen, Bedenken und Forderungen des DAV von der Rechtspolitik wahrgenommen und schließlich auch teilweise berücksichtigt worden sind. Entsprechend der Forderungen des DAV soll nunmehr weiterhin auch im Berufungsverfah­ ren eine Überprüfung der Tatsachenfeststellung möglich sein. Zudem soll in der Berufungsinstanz grundsätzlich ein Richterkollegium aus drei Rich­ tern entscheiden. Nach wie vor lehnt der DAV eine Konzentration aller Berufungen bei den Oberlandesgerichten (OLG) ab. Daher stößt die in den Änderungsvorschlägen den Ländern nunmehr eingeräumte Experimen­ tiermöglichkeit auf erhebliche Bedenken. „Es ist gut, dass schließlich die Bedenken, Forderungen und Anregungen der Anwaltschaft doch Gehör gefunden und zu den jetzt vorliegenden Än­ derungen geführt haben“, so Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, ehemaliger Präsident des DAV. Nach wie vor seien die gewichtigen Argumente gegen eine Konzentration der Berufung bei den OLGs, wie Verstopfung der Beru­ fungsinstanz, Kostenerhöhungen und weite Wege, nicht widerlegt worden. Dies seien Barrieren für den Zugang des Bürgers zum Recht. Erfreulich ist, dass nach den Änderungsvorschlägen auch in der ersten In­ stanz beim Landgericht anstelle des Einzelrichters ein Richterkollegium die Sache an sich ziehen kann, wenn die Parteien dies durch übereinstimmen­ den Antrag wünschen. Sinnvoll scheint auch der Änderungsvorschlag, dass – wenn beide Parteien zustimmen – das Gericht per Videokonferenz verhandeln kann. Hiermit werde die Voraussetzung geschaffen, den Ge­ richtsprozess durch Einführung eines neuen Kommunikationsmittels zu modernisieren, so der DAV. Lösung Pressemitteilung 3: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt die meisten Änderungsvor­ schläge der Bundesregierung und Regierungsfraktionen zum Änderungs­ entwurf der Zivilprozessordnung und des Gerichtsverfassungsrechts. Viele Anregungen und Forderungen des DAV sind darin berücksichtigt: 108 |

Was Journalisten interessiert

– Wie bisher soll es in der Berufung möglich sein, die Tatsachenfeststel­

lung zu überprüfen.

– In der Berufungsinstanz sollen grundsätzlich drei Richter entscheiden. – In der ersten Instanz beim Landgericht kann anstelle des Einzelrichters

ein Richterkollegium entscheiden, wenn beide Parteien das wünschen.

– Das Gericht kann per Videokonferenz verhandeln, wenn die Parteien

zustimmen.

Nach wie vor lehnt der DAV allerdings ab, alle Berufungen bei den Ober­ landesgerichten zu konzentrieren. Dagegen spricht, dass – die Berufungsinstanz verstopft wird, – die Kosten steigen – und die Wege weit sind.

Das behindert den Zugang des Bürgers zum Recht.

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