Determinismus und Freiheit im arabischen Denken heute: Eine chrischliche Reflexion im Gespräch mit Naturwissenschaften und Islam 9783666562389, 3535562381, 9783525562383

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Determinismus und Freiheit im arabischen Denken heute: Eine chrischliche Reflexion im Gespräch mit Naturwissenschaften und Islam
 9783666562389, 3535562381, 9783525562383

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Ulrich Schoen Determination und Freiheit im arabischen Denken heute

HERMANN SCHÜSSLER,

dem Freund, angesichts des Todes

ULRICH SCHOEN

Determination und Freiheit im arabischen Denken heute Eine christliche Reflexion im Gespräch mit Naturwissenschaften und Islam

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 33

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schoen, Ulrich Determination und Freiheit im arabischen Denken heute: e. christl. Reflexion im Gespräch mit Naturwiss. u. Islam. (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 33) ISBN 3-535-56238-1

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Dissertation Ev. Theol., Fak. Heidelberg) © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1976 - Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Druck und Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen

Zum Geleit . . . zeigte sich, daß der islamische Orient nicht nur insoweit Partner ist, wie der in Angst vor dem drohenden Nichtsein fragende Mensch aller Zeiten unser Partner ist. Er steht vielmehr in der gleichen Weltsituation mit uns. Er blickt auf das gleiche Schicksal, und bis in die Formen des Ausdrucks gleicht sein Fragen dem, das den Okzident bewegt. Auch er hat, wie wir täglich erfahren, Mächtigkeit, Form und Zukunftsgerichtetheit. Aber auch ihn bedroht Verzweiflung an den alten Antworten. Wie der Okzident klammert er sich fest an sie im Erschrecken vor der nicht antwortenden Leere. Wie der Okzident aber ist er zugleich gewahr, daß sie es sind, die in Sinnlosigkeit, Formverlust und Ohnmacht treiben. Weil er gewahr ist, daß das Alte erschüttert ist und mit Nichtsein droht, fragt er nach dem, was er stückweis und verworren hat, nach dem, was ihn umwandelt zu Neuem. Er ist Partner in unserer Weltsituation. Walther Braune: Der islamische Orient zwischen Vergangenheit und Zukunft. Bern I960, S. 194. Dialogue, as I see it, involves a readiness to respond positively (that is, with some degree of acceptance) to the assertions of the other religion yet without transferring one's allegiance to it. Without some readiness to learn on both sides dialogue is a kind of concealed proselytizing. W. Montgomery Watt: Islamic revelation in the modern world. Edinburgh 1969, S. VII.

Das Christentum bekennt sich heute weithin zum Dialog mit den anderen Religionen, und als gegebener Partner steht dabei neben dem Judentum der Islam an erster Stelle. Die katholische Kirche hat 1965 in der Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Christen und Muslime ermahnt, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam für Schutz und Förderung der sozialen und sittlichen Güter einzutreten. Zur Verwirklichung dieser Ziele hat sie schon 1964 ein Sekretariat für die Nichtchristen eingerichtet und ihm 1974 eine besondere Kommission für die Beziehungen zum Islam angeschlossen. Der Weltkirchenrat hat mit Konsultationen, die 1969 in Cartigny (Schweiz) und 1970 in 'Agaltün (Libanon) stattfanden, ähnliche Bestrebungen eingeleitet und sich dafür eine Abteilung „Dialog mit Menschen anderer Glaubensbekenntnisse und Ideologien" geschaffen. Auch unterhalb der offiziellen Ebene fehlt es nicht an Bemühungen, das Gespräch mit den anderen Religionen in Gang zu bringen. Erwähnen wir wenigstens einen bereits institutionalisierten Versuch, der einerseits evangelische und katholische 5

Christen und andererseits sowohl Islam wie Judentum einbezieht: die 1971 gegründete Ständige Konferenz Europäischer Juden, Christen und Muslime. Nun gibt es Kritiker, die in dem Dialog zwischen den Religionen nichts als eine modische Erscheinung sehen, und eine gefährliche obendrein. In der Tat wäre es leichtfertig, die Gefahren zu verkennen. Die Gesprächsform mag — wie in dem eingangs zitierten Wort von W. Montgomery Watt benannt — nur zur Tarnung von Proselytismus dienen. Umgekehrt mag das Gespräch nichts weiter bezwecken als ein oberflächliches Bündnis der Partner gegen Feinde der Religionen, wirkliche oder eingebildete. Oder das Gespräch mag bei aller guten Absicht auf ein Verwischen der Unterschiede zwischen den Konfessionen hinauslaufen, einen Synkretismus, der geistliche Armut, theologische Verwirrung und ethische Kraftlosigkeit bedeutet. So begriffen, ist Dialog schlimmer als nutzlos. Der Dialog jedoch, der gegenseitiges Verstehen und Voneinanderlernen der Menschen verschiedenen Glaubens bedeutet, ist in unserer historischen Situation notwendig. Diejenigen, die ihn anstreben, sind wohl alle letztlich von der Erkenntnis bewegt, daß unsere Welt eins geworden ist, daß sie ein gemeinsames Schicksal hat, daß ihre Bewohner vor denselben großen Problemen stehen. Die Erfahrung der einen Welt bringt die Tatsache ins Bewußtsein, daß die großen Religionen jeweils nur in partiellen Kulturbereichen verwurzelt sind, und zwingt, den Anspruch auf universale Gültigkeit ihrer Lehren in Frage zu stellen. Damit wird auch die Mission fragwürdig, jedenfalls in ihrem traditionellen Verständnis als Proselytismus. Alternative zur Mission ist aber der Dialog mit den anderen Religionen. Er gehört zum Verzicht auf den Weltherrschaftsanspruch des christlichen Abendlandes, zur Überwindung des Europa-Zentrismus in der Welt-Anschauung. Ich meine, daß das hier vorgelegte Buch einen wichtigen Beitrag zu einem Dialog in dem angedeuteten Sinne leistet. Sein Autor genießt den Vorzug, kein Islamwissenschaftler zu sein, obwohl er viele Jahre in arabischen Ländern gelebt hat und die arabische Sprache beherrscht. Aufgabe der Islamwissenschaft wäre es, die moderne Entwicklung des Islam in seiner ganzen Breite zu beschreiben und analysieren, wobei die Feststellung wesentlich wäre, inwieweit die einzelnen Erscheinungen und Positionen für die Mehrheit oder doch starke Gruppen der Muslime, bzw. nur für Individuen oder kleine Minderheiten von Bedeutung sind — insgesamt eine gewaltige Aufgabe, deren Bewältigung mit der Arbeit von Gelehrten wie H. A. R. Gibb, Wilfred Cantwell Smith und Walther Braune erst begonnen hat. Dagegen kann der Autor, als christlicher Theologe, selektiv 6

vorgehen und sich darauf beschränken, die Möglichkeiten abzustecken, die das islamische Denken im arabischen Bereich heute bietet, um sie dann von seiner Fragestellung her zu untersuchen. Auch das ist eine große Aufgabe, und der Autor hat sie auf erfolgreiche und nützliche Weise in Angriff genommen. Wenn er dabei die arabischen Christen ausführlich berücksichtigt und auch den Juden in den arabischen Ländern Aufmerksamkeit schenkt, trägt er damit nur dem Umstand Rechnung, daß für sie die historische Gemeinsamkeit mit den arabischen Muslimen seit langem Wirklichkeit ist. Ähnliches gilt für die Einbeziehung der Atheisten. Inhaltlich sind Untersuchungen der Probleme des modernen Islam bisher meist von der Polarität Offenbarung : Vernunft ausgegangen. Der Verfasser hat statt dessen die Spannung zwischen Determination und Freiheit als Ausgangspunkt gewählt, und es erweist sich, daß er damit unmittelbar in die Substanz der Problematik eindringt. Wenn er auf den Widerspruch Determination : Freiheit die Kategorie der Komplementarität im Sinne von Niels Bohr anwendet, die einander ausschließende Aussagen in die Einheit eines — obschon unanschaulichen — ZusammenDenkens einführt, so scheint mir das eine Arbeitshypothese, die tatsächlich hilft, viele Widersprüche des traditionellen und modernen arabischen Denkens zu begreifen, wie sie das wohl auch für westliches Denken zu leisten vermag. Möge die kenntnis- und gedankenreiche, methodisch hochinteressante Arbeit Ulrich Schoens die Aufmerksamkeit finden, die sie verdient und deren sie bedarf, um für den Dialog zwischen Christen und Muslimen, Europäern und Arabern fruchtbar zu werden! Berlin, Juli 1975

Fritz Steppat

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Inhalt Zum Geleit von Fritz Steppat

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Einleitung 1. Thema und Plan seiner Behandlung 17. — 2. Reflexionsbedingungen 21. — 3. Zum Anliegen 24

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1 Ansatzpunkte und Denkformen

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Das Ich und die ihm begegnende Wirklichkeit: eine unentrinnbare Aporie 111 Subjekt - Objekt 112 Ich und Du 113 Ich und Gott 1131 Denkwege des Ansatzpunktes „N" 35. — 1132 Denkwege des Ansatzpunktes „E" 38. — 1133 Zusammenfassung 41. — 1134 Gespräch mit Atheisten 42. Gegebenheiten aus der Kernphysik, um den alten Widerspruch neu zu denken 121 Niels Bohr und die Kopenhagener Deutung der Quantentheorie .... 122 Die Diskussion um die Kopenhagener Deutung 123 Die komplementäre Ausdrucksweise in anderen Sachbereichen 1231 Bohrs eigene Anregungen 52. - 1232 Jordans Denkanstöße für die Psychologie 52 — 1233 Kausal- und Sollensantinomie (Hartmann) 52. — 1234 In der Theologie: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (Bohr) 53. — Gotteslehre und Versöhnungslehre (Barth) 54. — Trinitätslehre (Ratzinger) 54. — Friedensethik (Howe) 55. 124 Determination und Freiheit des Menschen, ein im Bohrschen Sinn komplementärer Verhältnis? 1241 Bohr zum Subjekt-Objekt-Problem 57. - 1242 Strafrecht (Dombois und Bockelmann) 58. — 1243 Gonseths „déterminisme et libre arbitre" 58. — 1244 Komplementarität als Arbeitshypothese 60. — 1245 Fronten in der Wissenschaft vom Menschen 62. — 1246 Komplementarität und arabisches Denken 64. —

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Determination und Freiheit im arabischen Denken heute

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Die Situation der arabischen Welt 211 Varianten je nach der Zugehörigkeit zu einer der drei Religionsgemeinschaften 2111 Das arabische Judentum 67. — 2112 Die arabische Christenheit 68. - 2113 Der arabische Islam 70. 212 Varianten je nach der Intensität des kolonialen Einflusses und je nach dem seit der Unabhängigkeit eingeschlagenen Weg 2121 Beispiel Marokko: Nach wenig tiefgreifender Kolonisierung

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Kapitulation vor den Gesetzen der westlichen Industrieländer, d.h. eigene Unterentwicklung 72. — 2122 Beispiel: Algerien: Nach stärkstem Impakt durch die Kolonisierung und den Unabhängigkeitskrieg Option für einen eigenen, spezifischen Weg, der — den Gesetzen der Industrieländer sowohl gehorchend als auch ihnen trotzend — aus der eigenen Unterentwicklung hinausführen will 74. — EXKURS: „Fatalismus", „Determinismus" und „Determination" 73. 213 Zwei Dichter als Ausdruck des arabischen Denkens und Wollens . . . . 2131 Aus der Zeit der Kolonisierung: Si Mohand. Die alte Welt ersteht neu im Schmelztiegel des Einbruchs der Franzosen und der Vorstellungskraft des Dichters 75. — 2132 Aus der Zeit der beginnenden Unabhängigkeitsbewegung: as-Sabbl. Der Wille zum Leben und das Wunschbild einer neuen Gesellschaft wollen Wirklichkeit werden und zwingen das Schicksal dazu, zu gehorchen 76. — 214 Die Palästina-Frage — Kristallisationspunkt der Problematik der arabischen Situation heute 2141 Das Erwachen: al-'Azm's „Selbstkritik nach der Niederlage" 1967 78. - 2142 Die zwei Blöcke: eine harte Wirklichkeit und ihre lückenlosen Determinationen 78. — 2143 Die Ablehnung, sich ins 2-Block-System einzufügen und eigene Lösungen nach verschiedenen Denkmodellen 79. 22

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Die vom säkularisierten Westen kommenden Tatsachen und die damit verbundenen Gedankenwelten 221 Der „qalaq" der arabischen Intellektuellen 2211 Die neuen Gedanken dringen schnell ein und werden wohl verstanden 81. — 2212 Eine Definition des Qalaq: „zur Wahl gezwungen, und doch nicht frei, Zugehörigkeiten aufzugeben" 82. — 2213 Das Zerrissen-Sein zwischen der Welt des Westens und der eigenen 84. — 2214 Die arabische Freiheit nützt Verwerfungen innerhalb der Industrieländer zugunsten der eigenen Entwicklung aus 84. — 2215 Der Existentialismus und der Aufruhr des weltlosen Ich 85. — 2216 Die Frage nach der Selbstverwirklichung des arabischen Menschen in einer revolutionären Situation als Ort der Problematik „Determination-Freiheit" 86.

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222 Der arabische Nationalismus 2221 Die nationale Notgemeinschaft beim Kampf für die Unabhängigkeit 87. — 2222 Ein objektiver Arabismus beim Aufbau der Nation 88. — 2223 Die Schwächen des affektiven Nationalismus: die Ablehnung des Fremden; die „Verewigung" von Geschichte und Sprache; die Anlehnung an den Islam; die ungelöste Frage des Univeralismus 90. — 2224 Zur Theorie des panarabischen Nationalismus: Determination und Freiheit bei Säti' al-Husn 95. - 2225 Überleitung: marxistische Kritik am Nationalismus 97. —

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223 Der arabische Marxismus 2231 Der Marxismus kommt als Fremder in die durch den Einbruch des Westens unterentwickelte und entfremdete arabische Welt und weiß sich deshalb dort zuhause 98. — 2232 Der Ruf nach der Arabisierung des Marxismus; deren schmaler Weg und die Fronten, in deren Richtung sie sich abzugrenzen und zu definieren hat: der Islam; der Nationalismus; der arabische Sozialismus; der marxistische Dogmatismus (EXKURS: Abdallah Laroui); Versuche, das islamisch-arabische Erbe im marxisti-

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sehen Sinn aufzuwerten 100. - 2233 Die Dialektik des Übergangs von einer Bestimmung in die andere und die Dialektik der Beziehung von Subjekt und Objekt im Geschichtsprozeß. Betonung der einen oder der anderen Dialektik, je nach der Situation 107. - 2234 Feststellende und fragende Thesen 112. 23

Der Islam Einleitung: Die Option für den Islam stellt vor ein reichhaltiges Angebot . . . 231 Die Frage: „Vor die Wahl gestellt oder gesteuert?" in der alltäglichen Welt des Muslimen von heute 2311 Leben und Tod, Bekenntnis des Glaubens und ewiges Heil 118. — 2312 Das rituelle und das freie Gebet 118. - 2313 Das Fasten und die „Nacht des Dekrets" (lailat-ul-qadr) 119. - 2314 Der Koran und die Hinnahme der in ihm enthaltenen Widersprüche; die Tradition; traditionelle Katechismen des islamischen Glaubens 121. — 2315 Islamische Unterweisung in der Öffentlichkeit 125. - 2316 Die Pilgerfahrt nach Mekka und die islamische Ökumene 126. — 2317 Der Anspruch der Theokratie und die eigene Urteilsbildung des Muslimen 126.

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2318 EXKURS: Der nicht-arabische Islam 127. 232 Denkwege islamischer Gelehrter: die Moderne von gestern und die Tradition 2321 Die Erneuerung des Mu'tazUismus: Seine Wiederentdeckung und Aktualisierung 132. — Kritik an seinem undialektischen Denken 134. — Aktualität des Gegensatzes von Mu'taziliten und Asch'ariten in ihrem Schriftverständnis und in ihren theologischen Vermittlungsversuchen 135. — Kompromissbereitschaft als Hinweis dafür, daß das Anliegen der Gegenseite verstanden wurde 136. — Reste dialektischen Denkens in der mittelalterlichen Theologie und Jurisprudenz 137. 2322 MuhammacTAbduh und sein Erbe: Freiheit und Determination bei al-Afgani und 'Abduh 138. — 'Utmän Amins 'Abduh-Interpretation 139. — Lebendige Tradition und Moderne von gestern in den letzten Hochburgen der scholastischen Theologie 140. — 'Abduhs Erbe im Maghreb 141. — Unterschiedliche Behandlung des Glaubenssatzes vom göttlichen Ratschluß in zwei theologischen Lehrbüchern: Tabbära und Saltüt 142. — Qadä' und Qadar bei al-Hatïb und al'Aqqäd 143.

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233 Die Moderne von heute 2331 Theologie nach dem Ende des Kaläm: Kritik am Reformismus salafi 145. — Wer treibt Theologie nach dem Tod des Kalam? 145. — Kennzeichen eines modernen „offenen" Islam 146. — Der Mensch im Koran nach M. Talbi 146. 2332 Aus der Werkstatt eines „offenen Islam": Historisch-kritische Methoden in der Theologie 147. — Hisäm Ga'it und seine Arbeitsthemen 147. — „Befreit den Koran von diesen Ketten!" 148. — Freiheit und Determination im strukturalen Denken: Muhammad Arkoun 149. — Hasan Hanaff und seine Neuinterpretation des Islam 149. 2333 Bekannt gewordene Außenseiter und die schweigende Mehrheit 151. — Kami] Husain: Arzt und Seelsorger 152. — Hasan Sa'b: für einen liberalen Islam 153. — Mustafa Mahmüd: einer der ausspricht, was viele denken? 154.

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234 Die Mystik: ohne Zergehen (fanä') kein Bestehen (baqä') Einleitung: Seyyed Hossein Nasr über die Rolle des Sufismus heute

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2341 Gute Voraussetzungen im Sufismus für eine Behandlung des Determinations-Freiheits-Problems im Dialog mit Naturwissenschaften und Marxismus: Sein Vorrat an authentischen D- und F-Erfahrungen 156. — Seine Verwendung dialektischer Denkformen 157. — Seine Begegnung mit der Wirklichkeit auf dem Denkweg Ν 157. — Freiheit als Erfahrung und nicht als Axiom 158. 2342 Gott als erste Herausforderung: Die Liebe zu Gott als Motiv der freiwilligen Hingabe 158. — Die Angst vor der eigenen Freiheit und die Erfahrung von Gottes zuvorkommender Initiative 158. — Die Umkehr des Menschen und die Umkehr Gottes als Gegensatzpaar, das sich in einem Akt vereinigt 159. — 2343 Die Aktualisierung der großen Gestalten der islamischen Mystik im islamischen Denken heute 160. — al-Halläg: von Adonis besungen 160. — al-GazälT: Muhammad Arkoun und Mahmud Qäsim 161. — Ibn 'Arabï: 'Utmän Yahyä und Mahmüd Qäsim 162. — 24

Das arabische Christentum 241 Bewahrte Glut 2411 Selbstbehauptung zwischen zwei Determinationsbereichen 164. — 2412 Die Liturgie 165. - 2413 In Zeitraffung gelebte Geschichte 166. - 2414 Die Bibel (dazu Anm. 5) 167. - 2415 Fortleben der geschichtlichen Auseinandersetzung um das Verhältnis der Menschheit Jesu zu seiner Gottheit: der monphysitische Denkweg; der nestorianische Denkweg; der Schiedsspruch von Chalcedon; der Zusammenhang von Christologie und Anthropologie 169. — 2416 Der lange Weg der arabischen Christenheit mit dem Islam und seine Auswirkungen: moderne arabisch-christliche Literatur als Ausdruck einer bestimmten religiösen Psychologie; das Fehlen der Tragödie im ägyptischen Theater ('Awad gegen Hayek); traditionelle koptische Anthropologie 172.

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242 Der Einbruch des Westens: Rezeption und Reaktion 2421 Der Katholizismus und der Protestantismus treten mit Macht im Orient auf 174. — 2422 Der Anschluß an die westliche Theologiegeschichte 175. — 2423 Rezeptionen und Reaktionen angesichts der modernen Geistesströmungen des Westens 178.

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243 Abschließende Frage: der spezifisch christliche Beitrag im arabischen Denken heute

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Sichtung der Ergebnisse: eine christliche Reflexion

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Situation, Berechtigung u n d A u f g a b e einer solchen Reflexion . . . . 311 Ε-Wege trennen — N-Wege vereinen 3111 Entdeckung der Subjektivitäten im arabischen Denken 183. — 3112 Die Frage nach der Berechtigung des Denkens und Redens eines Christen über Nicht-Christen 183. - 3113 Verstärkung der Aporie bei Beziehungen zwischen universalen Religionen 184. — 3114 Entdeckung, daß im arabischen Denken auch islamisch-christliche Gemeinsamkeiten erfahren werden 184. - 3115 Konsequenzen für die Beurteilung der Situation in der arabischen Welt heute 187. — 3116 Querverbindungen im Laufe der Geschichte 187. — 3117 Gemeinsamkeiten ohne Querverbindungen 188. — 3118 Das gemeinsame jüdische Erbe 188. — 3119 Konsequenzen für die eigene Methode: Nicht-Berechtigung und Berechti-

gung einer christlichen Reflexion, in die Muslimen und Juden einbezogen werden 189. 312 Die Aufgabe von heute im Blick auf das Morgen 3121 Gemeinsames heute erkennen, um es zu leben; wahrhaft Unterschiedliches bezeugen 190. — 3122 Das eigene Denken auf die zukünftige Wirklichkeit bezogen sein lassen: unsere Sicht der Zukunft in der arabischen Welt 190. 32

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Determination und Freiheit im weltlichen und im geistlichen Bereich und in der Heilsgeschichte 321 Die weithin übliche Aufteilung der Zuständigkeiten von Determination und Freiheit auf verschiedene Bereiche, insbesondere auf einen „weltlichen" und einen „geistlichen" 192. — 322 Verlagerungen des Areals der Heilsgeschichte im weltlichen und geistlichen Bereich: Schwerpunkt auf HeilsGeschichte; Schwerpunkt auf Heils-Welt-Geschichte; Mitarbeiter Gottes sein in der Spannung von Determination und Freiheit; Umwechseln von dem einen auf den anderen Schwerpunkt 193. Häufigkeit und Gewicht der Determinations- und der FreiheitsAussagen 331 Kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Bibel und Koran und zwischen Islam und Christentum hinsichtlich des Gewichts des Determinations- und des Freiheits-Glaubens; allenfalls ein gradueller Unterschied 195. — 332 Im Islam heute hat allerdings der D-Glaube ein stärkeres Gewicht als im Christentum 195. Dialektik und Komplementarität: das Zwei-Welten-Bild und die Intensität der Determinations- und der Freiheits-Aussagen 341 Die im Christentum festgestellte große Intensität der Determinationsund der Freiheits-Aussagen erklärt sich daraus, daß — im Rahmen der Islam und Christentum gemeinsamen Vorstellung von zwei sich ablösenden Welten, deren Verhältnis zueinander als dialektisch zu bezeichnen ist — die kommende Welt für das Christentum näher herangerückt ist. Die Intensität der D- und der F-Aussagen — deren Verhältnis zueinander als komplementär zu bezeichnen ist — wird dadurch erhöht 196. — 342 Beide Aussagen erhalten dadurch jeweils einen beängstigenden und einen befreienden Aspekt. Dieser entspricht'der kommenden, jener der vergehenden Welt 197. — 343 Das spezifisch christliche Zeugnis gibt den Grund dieser — auch außerhalb des Christentums erlebten — Erhöhung der Intensitäten an und bezeugt den Inhalt dieser intensiven Aussagen 198. Die zum „leeren" und die zum „vollen" Handeln und Reden gehörenden Situationen 351 Die Bedeutung der Angabe der Situation in der eine Erfahrung gemacht wurde 198. — 352 Zur Bezeichnung: Determinations-Aussagen = „leeres" Reden; Freiheits-Aussagen = „volles" Reden 199. — 353 Situationen des „leeren" und Situationen des „vollen" Redens in der Welt-Erfahrung 199. — 354 Situationen des „leeren" und Situationen des „vollen" Redens in der Gott-Welt-Erfahrung 200. Die Gültigkeit der Determinations- und der Freiheits-Aussagen . . . . 361 D- und F-Erfahrungen können nicht gleichzeitig, sondern nur nach-

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einander gemacht werden. Daraus erwachsende unvollständige gedankliche Mitteilungen 200. — 362 Blockierungen auf eine Art von Erfahrungen als Grund für die Tendenz zur Abwertung der anderen Art von Erfahrungen 201. — 363 Schwierigkeiten des Zusammendenkens widersprüchlicher Erfahrungsberichte: die beobachtete Freiheit schließt die Determination aus und umgekehrt; eine unanschauliche Einheit durch gegenseitiges Bedingen; das Bekenntnis der Einheit Gottes (at-tauhid) trotz seiner widersprüchlichen Namen; wie kann die jeweils verdrängte Evidenz für mich ihre Gültigkeit bewahren? 202. — 364 Möglichkeiten: Kawwana-Nfya-Intention als Rest des Freiheits-Denkens beim Erleben der Determination; Rest des Determinations-Denkens beim freien Schaffen; die im arabischen grammatikalischen Denken gebräuchliche „Subintelligierung" 204. Wechsel und Reihenfolge der Determinations- und FreiheitsAussagen beim Reden von der Befreiung des Menschen 371 Wechsel der Denkwege 3711 Zur Determination befreit: die Befreiung von der Angst vor dem eigenen Ich, das um sich die Leere schafft, wird als Versetzung in die Determination erlebt, die die Bezogenheit mit der Wirklichkeit herstellt 205. — 3712 Zur Freiheit befreit: Die Befreiung von der Angst in der des Menschseins beraubenden Determination wird als Versetzung in das Land der Freiheit erlebt, in dem ich „Ich selbst" sein kann 207. - 3713 Der Grund der Befreiung: die letzte Welt hat begonnen. Die beängstigenden Aspekte der Freiheit und der Determination machen den befreienden Platz. Im auferweckten Jesus ist die befreiende völlige Determination und die befreiende völlige Freiheit verwirklicht 208. — 3714 Das österliche Licht und der Dialog mit Juden und Muslimen 208.

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372 Verbleiben auf demselben Denkweg 208 3721 Befreiung in der Freiheit: der von der eigenen Freiheit Beängstigte findet Befreiung im neuen Ich. Der Determinations-Denkweg läuft subintelligiert nebenher. Dieses Modell ist bei Juden und Muslimen gebräuchlicher als bei Christen 209. — 3722 Befreiung in der Determination: Der von der Determination Zerdrückte findet Befreiung durch das Aufgehen im Herrn. Der Freiheitsdenkweg läuft subintelligiert nebenher. Diese Befreiung ist eine sukzessive Verwirklichung der Gottesnamen „der Zwingende" und der „Barmherzige" 210. 373 Die Reihenfolge der Determinations- und Freiheits-Aussagen und die Frage der Priorität 212 3731 Priorität ohne Wechsel der Denkwege: Verbleiben auf dem Denkweg, dem die Priorität gilt. Die prophetische Rede als Gegengewicht 212. — 3732 Wechsel des Denkwegs in einer bestimmten Richtung und Priorität für den Denkweg, auf dem die Befreiung erfahren wurde: Wechsel von „voll-Angst" zu „leer-Befreiung"; Wechsel von „leer-Angst" zu „vollBcfreiung" 213. — 3733 Sukzessiver Wechsel des Denkweges in beiden Richtungen. Sukzessive Priorität für jeweils den Denkweg, auf dem die Befreiung erfahren wird: gelebte Komplementarität im Christentum und im Islam 215. — Die Aufgabe der Theologie: die Fülle der Erfahrungen in ihrem Denken zum Ausdruck bringen 215. — 3734 Ergebnis: Für das Reden von der Befreiung des Menschen ist eine bestimmte Reihenfolge der komplementären Aussagen nicht von vorneherein festlegbar 215. 374 Gefährdet das Wissen um die Komplementarität die HeUsgewißheit?

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Dialektik und Komplementarität: das Zwei-Welten-Bild und die feste Reihenfolge von Angst und Befreiung 216 381 Das Voranschreiten der Geschichte Gottes mit der Welt und die feste Reihenfolge von Angst und Befreiung: ein wesentlicher Zusammenhang. Das sich gegenseitig ausschließende Begriffs-Paar Angst-Freude als dialektischer Widerspruch 216. — 382 Zum Gespräch der drei semitischen Religionen mit dem Marxismus: das Zwei-Welten-Bild als Dialektik des Obergangs aus einer Bestimmung in die andere; das Verhältnis der objektivierenden zur subjektivobjektiven Redeweise als komplementäre Beziehung im Bohrschen Sinn 217. — 383 Die Bezeugung des Christlichen auf einem den drei semitischen Religionen und dem Marxismus gemeinsamen Grund 218.

Schluß-Thesen

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Literaturverzeichnis

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Erklärung und Definition einiger verwendeter Begriffe und Ausdrücke . . . .

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Personennamen-Register

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Einleitung

1 Thema und Plan seiner Behandlung Die arabische Welt muß heute ihre eigene Unterentwicklung überwinden. Sie kämpft für die Befreiung von ungerechten Strukturen. Angesichts des vom Westen kommenden kulturellen Angriffs sucht sie nach ihrer eigenen Persönlichkeit. Dies ruft nach Haltungen und Gedanken, die für rechtes Handeln und rechte Weltinterpretation brauchbar sind. Die drei seit alters im arabischen Raum einheimischen Religionsgemeinschaften — die jüdische, die christliche und die islamische — bieten solche Orientierungen an. Seit einem guten Jahrhundert sehen sie sich von neuen Gedankenwelten gefordert, die das arabische Handeln und Denken tiefgreifend beeinflußt haben, und zwar vor allem von den Naturwissenschaften und dem Marxismus 1 . Beim Prüfen dieser religiösen und nicht religiösen Orientierungen taucht immer wieder der Vorwurf des Determinismus auf, und zwar wirft man ihn seiner eigenen Tradition oder der des anderen vor 2 : Er verkenne und entfremde den Menschen. Er hindere ihn daran, frei seine und der Welt Zukunft zu gestalten. Er sei das große Hindernis, das die Köpfe der Leute gegen den Befreiungskampf blockiere 3 . Ein anderer Vorwurf ist der des Subjektivismus. Er verkenne die dem Menschen begegnende Wirklichkeit und tue ihr Gewalt an 4 . Beide Vorwürfe sind eng miteinander 1 Auch der Nationalismus muß in gewissem Sinn dazu gezählt werden: s. u. 222. 2 Christen sagen: „Muslimen sind Deterministen wegen ihres ,Kismet'-Glaubens"; Muslimen sagen: „Christen sind Deterministen weges ihres Glaubens an die Erbsünde". 3 Beispiel für den Vorwurf gegen die eigene Tradition: „Der Schicksalsglaube ist ein Abwasserloch und ein Abflußkanal für allen orientalischen Kehricht . . ." Mahmud·. Iblis. 1966, S. 131, vgl. hierzu unten: 2132. 4 Zur Definition des Subjektivismus: „Schiller hatte sich ganz mit dem höchsten Gefühl der Freiheit und Selbstbestimmung erfüllt, das in Kants praktischer Philosophie lebt. Das war ein äußerster Gegensatz zu Goethes Streben, die Natur in ihrer gesetzlichen Bildung zu betrachten und auch noch in sich selber das Naturbedingte zu bejahen. So warf ihm Goethe „Undankbarkeit gegen die große Mutter Natur, die ihn gewiß nicht stiefmütterlich behandelt habe", vor und in seinem Freiheitspathos sah er die ihm widrige Unnatur und Unwirklichkeit eines ethischen Selbstzwanges." H. G. Gadamer: Goethe und die Philosophie, in: Ders.: Kleine Schriften II, 1967, S. 88. 2 Schoen, Determination

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verflochten. Denn dem Determinismus wird auch vorgeworfen, daß er die Seinen in eine Gedankenwelt zwinge, die der Wirklichkeit nicht entspreche, und den Verfechtern der Willensfreiheit wird nachgewiesen, daß sie von ihrer Umwelt abhängig seien 5 . Dabei wissen Juden, Christen und Muslime — oder sie sollten es wissen —, daß die Frage des Verhältnisses von Determination und Freiheit des Menschen ein in ihren eigenen Reihen seit jeher heftig diskutiertes Problem ist, das zu tiefgreifenden — ζ. T. bis heute andauernden — Spaltungen geführt hat. Auch Marxisten und Naturwissenschaftler leben seit langem mit diesem Problem. Jüngste Ergebnisse gerade aus dem Bereich der Naturwissenschaften und insbesondere dem der Mikrophysik (s.u. Kap. 1) sind es, die es heute ermöglichen, das alte Problem neu zu durchdenken 6 . Hier soll untersucht werden, wie dieses Problem innerhalb der einzelnen Gemeinschaften begriffen wird, wo die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede liegen (Kap. 2). Dabei soll nach einer Theorie zur Entschlüsselung des Problems Umschau gehalten werden (Kap. 3). 5 In arabischen Ländern stehen Traditionen, die sich als Vertreter einer gottgewollten Weltordnung verstehen, gegen revolutionäre Kräfte, die sich in Einklang mit der der Geschichte innewohnenden Determination wissen. Der Vorwurf des „ethischen Selbstzwanges" ist gegenseitig: — Die Säkularisierung erscheint den einen als Aufruhr gegen von G o t t gesetzte Ordnungen, den anderen als Befreiung von theokratischen Strukturen und von der Idee als allwirksamen Gottes. — Die unbestreitbare Macht des gesprochenen arabischen Wortes erscheint einerseits als Werkzeug zur Einbettung in die von G o t t kommende Wirklichkeit, andererseits als Mittel zur eigenwilligen Schaffung von Gedankenwelten, die der Wirklichkeit nicht entsprechen (vgl. unten 2223, „Verewigung der Geschichte und der Sprache"). — Das J u d e n t u m weiß sich in einer objektiven, prophetischen Schau der Z u k u n f t verankert. Dem Zionismus ist vorzuwerfen, daß er den Glauben an die Erwählung u n d an die heilsgeschichtliche Z u k u n f t des J u d e n t u m s dazu mißbraucht, um eine selbstherrliche Schöpfung, die die arabische Wirklichkeit verkennt und vergewaltigt, zu sanktionieren. 6 Zum schnellen Bekanntwerden dieser Ergebnisse im arabischen Bereich s.u. S. 48, Anm. 41 und Abschnitt 2211. Auch für die in europäischen Sprachen üblichen philosophischen Begriffe gibt es im Arabischen eindeutige Äquivalente. Siehe hierzu das von uns verwendete „Vocabulaire philosophique — arabe — français — anglais". Hg. von M. Wahba, Y. Karam und Y. Chlala. 2. Aufl. 1971. Der Begriff „ O b j e k t " wird in unserer Arbeit im Sinne von „ m a u d ü ' ", der Begriff „ S u b j e k t " im Sinne von „ d ä t " verwendet. „Freiheit" bezeichnet zunächst immer die formale Freiheit, die Wahlfreiheit (ihtiyár oder genauer: hurriyyat-ul-ihtiyär). Soll von der inhaltlichen Freiheit gesprochen werden (al-hurriyya), so wird dies eigens angedeutet.

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D a ein solches V o r h a b e n nicht o h n e die Kenntnis der Traditionen der einzelnen G e m e i n s c h a f t e n möglich ist, m u ß t e n die historischen Wurzeln unserer Frage mitbehandelt w e r d e n 7 . D i e s e Teile ( s . u . 2 3 u n d 2 4 ) k ö n n e n wir w e g e n der Fülle des S t o f f e s nur auswählen u n d zusammenfassen. Sie w o l l e n keine geistes- und religionsgeschichtliche Darstellung liefern. D i e Auswahl ließ sich vielmehr v o n d e m Prinzip leiten, daß vor allem d e n Teilen der Geschichte R e c h n u n g getragen w e r d e n sollte, die im heutigen arabischen D e n k e n lebendig u n d b e s t i m m e n d sind 8 . Der S c h w e r p u n k t der Arbeit liegt in der Darstellung des zeitgenössischen arabischen Denk e n s 9 . J e d o c h auch da war es nötig, auszuwählen. Hierbei w u r d e n man7 Dies ist ζ. B. wichtig für das Verständnis der säkularisierten Gesellschaft. Unterschiedliche Kollektiv-Erinnerungen — vor allem islamische und christliche — bewirken wesentliche Unterschiede innerhalb dieser Gesellschaft. S. u. Abs. 2233 und S. 111 Anm. 54. 8 Die Kollektiverinnerungen des arabischen Denkens, die über den arabischen Kulturkreis hinaus führen, werden in der vorliegenden Arbeit nur angedeutet, da sie als dem europäischen Leserkreis bekannt vorausgesetzt werden können (s. u. die Abschnitte 221: der Einfluß des Westens im allgemeinen; 222: der Marxismus). Die Wurzeln des arabischen Christentums reichen durch die arabische „Bodenschicht" hindurch bis in den „Untergrund" der alten Kirchengeschichte des Nahen Orients, die ebenfalls weithin bekannt ist (s. u. 24). Auf die Geschichte des Islam, die mit dem Arabischen wesentlich verbunden ist, wurde etwas ausführlicher eingegangen, da sie dem Leser unbekannter sein dürfte (s.u. 23). 9 Die zionistische Auswanderung hat die arabische Welt fast völlig ihres jahrhundertelang dort einheimischen Judentums entblößt. Die in Israel ankommenden arabischen Juden werden dort kaum weniger schnell „ent-arabisiert" als die im übrigen Westen ankommenden. Das Judentum ist so heute zu einer fast ausschließlich westlichen Angelegenheit geworden. Es gibt nur noch Reste jüdischen Denkens in der arabischen Kultur. Der Dialog und die Kommunikation leiden darunter. Die wirtschaftliche und kulturelle gegenseitige Durchdringung im palästinensischen Raum gibt jedoch Grund zur Hoffnung auf eine Resemitisierung Israels und einen zukünftigen Dialog. Semitische Denkformen, die sich in der westlichen jüdischen Welt erhalten, können hierzu Entscheidendes beitragen. Wegen dieser großen .Jüdischen Lücke" in der arabischen Welt kommt dem Judentum in unserer Arbeit nur ein geringer Platz zu: im allgemeinen, mehr soziologischen Teil (2111); im Abschnitt über Palästina (214); in historischen Rückblicken als Begleiter der islamischen und christlichen Kollektiverinnerungen (2416), (3118); s. außerdem: 2221 und s.a. Anm. 13, S.88 und 2223: „Anlehnungan den Islam" Absatz: Kawäkibt und Rida'. Literatur zum Judentum im arabischen Raum: E.I.J. Rosenthal: Judaism and Islam. 1961 (im Schlußabschnittt: nur durch echtes, geistiges Verstehen kann das Palästina-Problem gelöst werden; wir können auf die arabischen Juden in Palästina als Agenten der Versöhnung hoffen!). — H. Z. Hirschberg: A history of the jews in North Africa from antiquity to our time. 2 Bände 1965. — A. Chouraqi: Marche vers l'occident: les juifs de l'Afrique du Nord. 1952. — D. Bensimon-Donath: Immigrants d'Afrique du Nord en Israël. 1970 (Darstellung der Integration „unterentwickelter und ex-kolonisierter" Bevölkerungsteile in einem Industrie-Land). — 19

che Außenseiter jenen vorgezogen, die den breiten Durchschnitt repräsentieren, und zwar deshalb, weil sie eine zukünftige Entwicklung kennzeichnen dürften 10 . Wirkliche Objektivität ist nicht ohne Engagement des Beobachters möglich. Da der Verfasser Christ ist, kann es sich hier letztlich nur um eine christliche Reflexion handeln. Auch für ihn ist die alte und immer wieder neue Frage unseres Themas zum Leben wichtig. Die Arbeit will auch eine solche christliche Reflexion sein. Sie ist systematisch-theologisch, jedoch weniger allgemein, als in einer besonderen Situation gültig; und zwar in folgender: 1. In der arabischen Welt, die sosehr eine Einheit ist, daß ihrer Eigenart dadurch Rechnung getragen werden kann, daß man sich auf sie beschränkt 11 . 2. Im Dialog eines Naturwissenschaftlers und Christen mit Muslimen, Juden und Marxisten; und zwar in einem Dialog, in dem nach den Identifikationsmöglichkeiten mit dem Gesprächspartner gesucht wird und in dem die Formulierung des spezifisch Christlichen erst dort einsetzt, wo das Gewissen die Identifikation mit dem anderen ablehnt. Trotzdem wird im einleitenden Teil (Kap. 1) versucht, vom Glauben zu abstrahieren und die Denkformen abzutasten, die auch einem Nicht-Glaubenden zugänglich sind. Die Möglichkeit, Gott und eine von ihm kommende Determination oder Freiheit zu denken, gehört in dieses Kapitel. Das hier begonnene Unternehmen wird erst vollständig sein, wenn ähnliche Versuche, insbesondere von islamischer und jüdischer Seite her, hinzukommen. Wenn wir auch jetzt getrennt sind und darunter leiden, so läßt vielleicht gerade die Behandlung dieser uns gemeinsamen Frage W. S. Freund: Die Juden Marokkos — ein ethnosoziologischer Exkurs. 1971. — E. Sebban: Eschatologie selon la tradition Juive, in: Le Jugement 1966/67, S. 19—28 (ein Beispiel für jüdisches Denken im arabischen Raum: ein Vortrag des Direktors der jüdischen Lehrerbildungsanstalt in Casablanca/Marokko). — Im Heft 1968/69 finden sich Vorträge des marokkanischen Juden Benizri über das jüdische Prophetentum. — A. J. Heschel: God in search of Man. 1955 (ein Beispiel für jüdisches Denken im westlichen Raum, das semitische Strukturen bewahrt hat!). 10 So wurde auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Islam und Marxismus ζ. B. den „wenigen und kaum einflußreichen Intellektuellen" (Meziane), die einen echten Dialog anstreben, mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als der Fülle von polemischen Schriften (s. S. 98, Anm. 29). 11 Daß die arabische Welt eine kulturelle Einheit ist, die als solche auf andere kulturelle Einheiten trifft, mag aus Larouis Kulturmorphologie der arabischen Welt heute erhellen. Um diese Einheit zu bezeichnen, kann man auch von der „arabisch-sprachigen Welt" reden. Dem Selbstverständnis der Mehrheit der Menschen der arabisch-sprachigen Welt folgend ziehen wir es hier vor, von der „arabischen Welt" zu reden.

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etwas von unseren gemeinsamen Wurzeln erahnen und die Hoffnung auf die gemeinsame Zukunft stärker werden 12 .

2 Reflexionsbedingungen Keine der im arabischen Raum alteingesessenen oder im 19. Jahrhundert neu dort entstandenen Kirchen kann für sich in Anspruch nehmen, daß sie in besonderem Maße das arabische Kulturgut aufgenommen habe und es in ihrer Theologie ausdrücke. Fast jede dieser zahlreichen Konfessionen steht ja in enger Beziehung entweder zu einer westlichen Kirche oder zumindest zu einem vom griechischen Denken stark beeinflußten vorislamischen und vorarabischen Erbe. Kaum eine von ihnen ist durch den Dialog mit dem Islam geprägt; es sei denn durch unbewußte Akkulturation und bewußtes Anders-Sein-Wollen. Im arabischen Westen, dem Maghreb, ist die alte einheimische Kirche seit rund einem Jahrtausend ausgestorben. Die wenigen dort einheimischen Christen sind entweder eingewanderte Ausländer, meist Europäer, denen der Maghreb zur Wahlheimat geworden ist, oder Konvertiten der ersten, zweiten oder höchstens dritten Generation. Sie leben nahezu konfessionslos. Wenn sie am Leben einer der Kirchen des Maghreb teilnehmen, dann ist für sie deren Tradition so offenkundig anderswo beheimatet, daß sie ihr im Maghreb kaum Heimatrecht zugestehen können. Ihr Denken will kurzweg christlich und nicht konfessionell sein. Der Verfasser, der zehn Jahre im arabischen Westen gelebt hat, macht sich dieses konfessionslose Denken-Wollen zu eigen, ist sich aber zugleich seiner Herkunft aus der reformatorischen Tradition bewußt. Er will auf keine der im arabischen Raum heimischen Kirchen besondere, sondern auf alle gleiche Rücksicht nehmen. Das hier vorgetragene christliche Denken sieht sich nun vor einer Art „Dreieckshermeneutik": 1. Es weiß sich in der heutigen arabischen Welt beheimatet und macht sich ihre Situation und ihre Anliegen zu eigen. 2. Es nimmt das westliche und griechische Erbe ernst und weiß, daß die arabische Welt angesichts des technisch und kulturell, wirtschaftlich und militärisch eingedrungenen Westens nicht unverändert bleiben kann. 3. Es will diese heutige zweipolige Orient-Okzident-Existenz des arabischen Christen auf die Offenbarung Gottes beziehen, die es in den semi12 Ob diese Gemeinsamkeit nur ein Erbe der drei semitischen Offenbarungsreligionen oder ob sie von allgemeinerer Art ist, konnte hier nicht untersucht werden.

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tischen Orient führt, und zwar insbesondere in das jüdische Palästina der Zeit Jesu I 3 . Da die Verbindung zwischen dem ersten und dem dritten Eckpunkt des Dreiecks nicht unbedingt über den zweiten Eckpunkt laufen muß, ist es bis zu einem gewissen Grad möglich, westkirchliche und ostkirchliche Traditionen zu überspringen. Denn diese sind nicht die einzigen Gestaltungsmöglichkeiten des christlichen Glaubens, auch wenn sie sich in der Geschichte in besonderer Weise durchsetzen konnten. Der Affinität zwischen der arabischen und der palästinensischen Welt kann so freier Lauf gelassen werden. Der eigene Glaube kann direkt mit der Botschaft Jesu und mit der juden-christlichenpalästinensichen Tradition in Verbindung gebracht werden. Die historisch-kritische Methode ermöglicht es hierbei, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu unterscheiden, welche biblischen Traditionen in einer semitischen Kultur gewachsen sind. Die Gefahr, eine Sekte zu werden, wird dadurch vermieden, daß wir wissen: Katholizität ist mehrstimmige Musik 14 . Es geht hier um die Frage der „Einheimischmachung" der christlichen Theologie im Raum der arabischen Welt. Diese ist leicht zu vollziehen, denn sie ist ja von ihrem Ursprung her schon dort heimisch. Sie wird aber dadurch erschwert, daß bislang die Verbindungen zwischen der arabischen Welt und dem christlichen Glauben fast ausschließlich auf dem Umweg über den zweiten Eckpunkt des erwähnten „hermeneutischen Dreiecks" hergestellt worden sind. 13 Michael Hayek, ein maronitischer Theologie, sagt, das östliche Herz und das westliche Denken der arabischen Christen zwinge diese dazu, sich sowohl zu „orientieren" als auch zu „okzidentieren". Die Frage, auf die es nun ankomme, sei die des Bezugspunktes, der „Qibla", d. h. der Gebetsrichtung. So wie die Qibla ihrer muslimischen Landsleute diese in Richtung Mekka kehre, finde die Masse der arabischen Christen ihren Bezugspunkt im Westen. Dieses bedauernswerte sich-gegenseitig-den-Rücken-Zukehren müsse jedoch nicht sein, denn die arabische Welt und der christliche Glaube seien nicht wesensfremd. M. Hayek: L'originalité de l'apport chrétien dans les lettres arabes, in: J. Berque et J. P. Charnay (Hg.): Normes et valeurs dans l'Islam contemporain. 1966, S. 115—131. Die erste und eigentliche Qibla sowohl der Muslimen als auch der Christen ist Jerusalem. Dieser gemeinsame Bezugspunkt begründet ihre Einheit. 14 Siehe hierzu G. Khodr: Der Pluralismus der Christenheit — Werk des Heiligen Geistes, in: Una Sancta 26, 1971, S. 186ff. — W. Pannenberg: Apostolizität und Katholizität in der Perspektive der Eschatologie, in: Theol. Lit. Zeitung 94, 1969, Sp. 9 7 - 1 1 1 . - H. W. Gensichen: Glaube für die Welt - theologische Aspekte der Mission. 1971, S. 143ff. — K. Cragg: Christianity in World Perspective. 1968 („Der wahre Oekumenismus besteht darin, zu suchen, wie die eine Kirche „Viele" werden kann . . .").

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Die Tatsache, daß das hier ausgedrückte Denken von einem Europäer stammt, will kein „Neo-Paternalismus" sein, sondern vielmehr das Ergebnis zweier Erfahrungen: 1. In weiten Bereichen der arabischen Welt gibt es keine einheimische Kirche. Für den dort lebenden Christen ist es unrealistisch, darauf zu warten, daß sich eine „junge Kirche" bildet, die dann ihre eigene Theologie formuliert. Er würde sich dadurch selbst von der Kommunikation mit den Menschen, mit denen er lebt, ausschließen 15 . 2. Dort, wo es Kirche in der arabischen Welt gibt, ist diese universell genug, den von außen Kommenden — der sich entschlossen hat, sein eigenes Schicksal an das der Wahlheimat zu binden — als denkenden Mitchristen aufzunehmen.

Die Naturwissenschaften sind heute in der arabischen Welt ein Faktum erster Ordnung. Niemand kommt daran vorbei, sich mit ihnen auseinanderzusetzen 16 . Aus dem Westen stammende naturwissenschaftliche Arbeitsweisen sind nötig, um die Unterentwicklung zu überwinden. Der Verfasser kam selbst in diesem Rahmen als Naturwissenschaftler in die arabische Welt. Daher kommt es, daß das hier vorgetragene theologische Denken sich für berechtigt hält, vor allem Strukturen anzuwenden, die auf naturwissenschaftlichem Grund gewachsen sind. So kommt es auch, daß gewisse in der Theologie übliche Unterscheidungen und Begriffe hier nicht angewandt werden. Etwa die von zeitlich und ewig. So kann nicht „sauber und scholastisch" getrennt werden zwischen Determination in der Zeit und Prädestination zum ewigen Heil. Hier wird vielmehr — je nach der Wahl der Methode — einmal von der gesamten Wirklichkeit geredet, so wie sie ohne Gotteserfahrung, und das andere Mal von der gesamten Wirklichkeit, so wie sie in der Gotteserfahrung erscheint. Aus der Denknähe zu den Naturwissenschaften erklärt sich eine andere Beschränkung: Es wird den Auswirkungen der göttlichen Wirklichkeit im Menschen nachgespürt. Es soll also keine Gotteslehre — andererseits nicht nur Anthropologie — betrieben werden. An Gott als begegnender Wirklichkeit wird festgehalten. Der Prophet, der von den Widersprüchen 15 Seit über einem Jahrhundert betreiben christliche Missionen in der arabischen Welt die Bildung „junger Kirchen", ohne sich selbst bis in die Theologie hinein einheimisch zu machen. Sie sind im islamisch-arabischen Bereich ohne Erfolg geblieben. Das Weitermachen im alten Stil wird dadurch begründet, daß das Evangelium ohnehin für die Welt eine Torheit sei (1. Kor. l,17ff.). Der Verfasser steht unter dem Einfluß des Wortes von Kenneth Cragg, das besagt, Christen im islamischen Bereich sollten, auch wenn sie allein die Bibel lesen, über die Schulter immer den Blick des unsichtbar anwesenden muslimischen Bruders spüren. 16 „Die Moderne verlangt von jedem Denker, daß er den wissenschaftlichen (und insbesondere den naturwissenschaftlichen) Geist erfaßt. Denn er stellt sich allen anderen geistigen Strömungen entgegen. Keine von ihnen widersteht ihm . . ." (A. Meziane: Le vide idéologique. 1971, S. 10).

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in Gottes Herzen berichtet (Hosea 11, 8 und 9), soll beim Wort genommen werden 17 .

3 Zum Anliegen Wer nach der Wahrheit sucht, muß die Wirklichkeit aufmerksam beobachten, getreu beschreiben und ehrlich erklären. Tut er dies, so gelangt er sowohl zu Tatbeständen, die die Wirklichkeit einen, als auch zu solchen, die sie trennen. Die Erfahrung des Einenden beseitigt nicht das durch die Erfahrung des Trennenden verursachte Leiden. Diesem Leiden stellt sich ein Bekenntnis der Einheit entgegen, das aus dem Glauben stammt, aus dem Bereich, in dem die Wirklichkeit im Licht der göttlichen Offenbarung beobachtet und erklärt wird. Dies Bekenntnis verstärkt zwar — durch die Kontrastwirkung — das Leiden der Zerrissenheit, aber verheißt ihm auch ein Ende. Die Passion der Einheit ist nicht das Monopol der Offenbarungsreligionen. Sie wird auch gelebt von Menschen, die die theologische Erklärung der Wirklichkeit nicht nachvollziehen, weil sie sich nicht in der Situation des Glaubens befinden. Beide von der Leidenschaft der Einheit Ergriffenen, der Glaubende und der Nicht-Glaubende, bilden eine Arbeitsgemeinschaft.

— Während heute in den Naturwissenschaften vieles in Bewegung geraten ist und man von der Einheit der Natur und von offenen Systemen redet, befindet sich die christliche Theologie weitgehend noch in der Festung der geisteswissenschaftlichen Orientierung, in die sie sich zurückgezogen hat, als die Naturwissenschaft noch mechanistisch-deterministisch war. Auf dem Wege zur Einheit sollte nach dem Theologischen in den Naturwissenschaften und nach dem Naturwissenschaftlichen in der Theologie gefragt werden; denn es gibt nicht mehrere Wirklichkeiten — etwa eine geistige und eine physiko-chemische — sondern nür eine Wirklichkeit 18 . — Trotz der Angleichung in manchen Gebieten — vor allem dem technischen — entwickeln sich der arabische Orient und die westlichen Industrieländer heute auch auseinander, wirtschaftlich durch die zu17 Uber das Scheitern der mittelalterlichen Gotteslehre (sowohl der islamischen als auch der christlichen) siehe H. E. Tödt: Einleitung zu G. Howe: Gott und die Technik. 1971, S. 13. 18 Pierre Teilhard de Chardin hat in exemplarischer Weise die Einheit der Naturwissenschaft und der Theologie und damit die Einheit der ganzen Wirklichkeit gelebt.

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nehmende Verarmung der Länder der dritten Welt und kulturell durch das Erstarken der eigenen Persönlichkeit im Befreiungskampf gegen Kolonialismus und Neo-Kolonialismus. Eine gewisse Nüchternheit hinsichtlich der Möglichkeiten der Kommunikation kennzeichnet daher den Verfasser. Die Erfahrung, daß kollektiv prägende Strukturen sich trennend zwischen den Einzelmenschen und die Einheit aller Menschen einschieben, ist zu offensichtlich 19 . Sein Bekenntnis zum Universalismus und zur Einheit kommt so in erster Linie aus dem „Trotzdem" seines Glaubens. — Im Islam wird der Universalismus intensiv gelebt und bekannt. Dies ist in dessen Bekenntnis der Einheit Gottes begründet. Alles was der Verwirklichung dieser Einheit im Wege steht — in der Beziehung der Menschen untereinander und in der Beziehung des Menschen zu Gott —, ist Götzendienst 20 . Dieses aus dem Glauben stammende Einheitsanliegen soll befruchtend in ein ehrlich wissenschaftliches christliches Denken aufgenommen 21 und die alte Aporie von der Determination und der Freiheit des Menschen anhand neuer naturwissenschaftlicher Gegebenheiten wieder einmal durchdacht werden. Vielleicht entdecken wir so inmitten der quälenden Trennung des Menschen von der ihm begegnenden Wirklichkeit, von seinem Mitmenschen und von seinem Schöpfer, eine Spur, die in Richtung der Einheit führt.

Dank: Naturwissenschaftliche Lehrer waren für mich auch theologische Lehrer dadurch, daß sie mir zeigten, wie sich Naturwissenschaft und Glaube in ihrem Leben vereinen: 19 Diese Nüchternheit hinsichtlich der Möglichkeiten der Kommunikation zwischen Menschen verschiedener Kulturen nähert den Verfasser dem Strukturalismus. Mit A. Laroui (s. S. 113, Anm. 58) lehnt jedoch der Verfasser den Strukturalismus ab, wenn er unhistorisch denkt. Für Laroui sind Strukturen — kulturelle zum Beispiel — nur „verhältnismäßig stabile Momente im geschichtlichen Werden". So liegen im geschichtlichen Werden Hoffnungen für die Einheit der Menschen verschiedener Kulturen. In der sich heute ausbreitenden technologischwissenschaftlichen Vereinheitlichung kann jedoch der Verfasser nicht ohne weiteres den Beginn der Einheit der erhofften neuen Welt erblicken. 20 „Die islamische Gemeinschaft ist ein Heiligtum, in dem die Einheit Gottes in der Einheit der Menschen reflektiert ist". D. Chalid: Die Problematik der Selbstbehauptung in islamischer Sicht, in: al-Islam 1969/70, S. 2 2 - 2 9 . 21 Der Islam ist äußerst wachsam gegenüber jeglichem Dualismus und gegenüber jeglichem nicht in der Einheit gegründeten Pluralismus. Von daher ist zu verstehen, daß der Islam dem Christentum „Beigesellung" (Sirk) vorwirft. Dieser Vorwurf soll hier durchaus ernst genommen werden. Für den islamischen Mystiker al-Halläg galt schon die Betonung des freien Willens als „Zoroastrismus". Al-Halladsch — Märtyrer der Gottesliebe. 1968, S. 62.

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F. Scheffer, C. W. Correns, G. Barbier, S. Henirt und insbesondere der zu früh abberufene Günter Howe, dessen Leben der Einheit von Naturwissenschaft und Theologie gewidmet war. Eine erste Skizze dieser Arbeit lag 1961 der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Hausarbeit vor. Prof. D. E. Schlink gab hierzu den Denkanstoß und hat seither den Verfasser und seine Arbeit mit beratender Anteilnahme begleitet. Verständnis, Rat und Kritik spendeten die Referenten dieser Arbeit: Prof. D. H. W. Gensichen und Prof. Dr. H. E. Tödt von der Theologischen und Prof. Dr. A. Schall von der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg. Die Theologische Fakultät der Universität Heidelberg hat die vorliegende Arbeit als Dissertation angenommen und ihr einen Preis verliehen. Besonderer Dank gebührt dem Islamologen Prof. Dr. F. Steppat von der Freien Universität Berlin, der im Blick auf eine mögliche Anerkennung der Arbeit als Habilitationsschrift ein zusätzliches Gutachten verfaßte. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft gewährte einen Druckkostenzuschuß für die Veröffentlichung dieser Studie. Wesentlichen Anteil an der Erarbeitung der hier vorgetragenen Ergebnisse haben Pastorin G. Schoen, Pastor Jean Faure, Prof. Dr. H. Schüssler und Pater F. Biot. C. Ehrig überprüfte kritisch das Manuskript. Schließlich sei all denen gedankt, ohne deren Beiträge, Anregungen u n d Kritik und vor allem ohne deren Freundschaft die vorliegende Schrift nicht zustande gekommen wäre 2 2 . Datum des Abschlusses des Manuskripts: 1. Mai 1972 22 Von all denen, die auf verschiedenste Weise zu dieser Arbeit beigetragen haben, können folgende genannt werden: I. Abd.-el-Masih, M. A. Abder-Ra'uf, Α. E. Alam, M. Allard, G. C. Anawati, M. al-Bayati, I. Baliç, G. A. Bashir, M. M. Begouën, M. S. Belguedj, J. Bloch, L. Blue, P. Bockelmann, H. und D. Boubakeur, P. L. Cambuzat, R. Caspar, M. Chartier, M. A. Chevallier, J. M. Cuoq, H. Daiber, A. Dietrich. J. Donohue, U. Duchrow, R. U. von Ehrenfels, O. Elwan, A. Fadel, T. Fahd, M. Farah, I. R. A. al-Faruqi, W. S. Freund, A. Friedlaender, L. Gardet, J. Gelot, W. A. Girgis, P. und A. Gentner, E. Grimaud, M. Hamzah, H. Hanafi, W. Höpfner, M. Hofmann, W. Holsten, G. Holthausen, R. al-Jamoussi, H. Johnson, M. Khan, E. Khouri, A. Th. Khoury, M. Lafon, A. Laroui, H. LeMasne, E. Lessing, G. Liedke, H. Löwe, J. Magonet, W. Maechler, D. Marmur, D. Masson, K. Molitor, Y. Moubarac, J. Newman, Ch. van Nispen, R. Oberthür, L. Perlitt, L. Pouzet, M. Qasim, J. Ratzinger, G. Rist, M. Rodinson, H. Saab, H. Saïagh, S. J. Samartha, P. Sachtleben, H. H. Schrey, W. Schütt, O. Schumann, W. Sotiman, M. Speight, M. M. Sprecher, R. Stehly, B. Steiner, Kh. as-Suknt, H. Teissier, H. Timm, M. Voss, M. Wahba, W. v. Waldenfels, S. Wild, O. Yahia, J. Zacklad, H. el-Zahraoui. Viele der in dieser Arbeit mitgeteilten Informationen stammen aus mündlichen Mitteilungen. Manchmal werden diese Autoren namentlich angeführt, des öfteren zogen diese es vor, nicht genannt zu werden. Diesen Mitteilungen k o m m t als „mündlicher Literatur" volles Gewicht zu. Denn für eine Arbeit, die sich mit zeitgenössischem Denken befaßt, ist zu beachten, daß gerade die besten Denker o f t nichts schreiben; sei es, daß sie es nicht wollen, oder daß ihnen ihre Arbeit hierzu keine Zeit läßt. Die der Arbeit aufliegende notwendige Beschränkung macht es verständlich, daß Autoren, die sich mit den hier angeschnittenen Themenkreisen befassen, vielfach

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Abkürzungen: Denkansatz Ν = der von der begegnenden Wirklichkeit ausgehende Denkansatz (= der vom Naturwissenschaftler bevorzugte Denkansatz) Denkansatz E = der von der Wahlfreiheit des Subjekts ausgehende Denkansatz (= der vom f t h i k e r bevorzugte Denkansatz) D-Aussagen = Determinations-Aussagen (D-Wege = vom Ansatz Ν ausgehende Denkwege) F-Aussagen = Freiheits-Aussagen (F-Wege = vom Ansatz E ausgehende Denkwege) Leeres Reden = die Redeweise der D-Wege Volles Reden = die Redeweise der F-Wege Alle Jahreszahlen nach christlicher (n.Chr.) und nicht nach islamischer (η.H.) Zeitrechnung

Transkription der arabischen 1 = a oder ä = h

t

i = d

Buchstaben: = b

i = d

= s

J" = d

J· = t

3

=q

¿J = k

J = 1

»

= h

tí = y oder i

O = t

= t

=r



J

Ji = ζ

r e

= m

j

£

_

t

ó = η

ε =8

w t

= s

=g

* =S O

=f

ì = w oder ü

= '

Die Namen solcher Autoren, die durch Veröffentlichungen in europäischen Sprachen bekannt geworden sind, werden so geschrieben, wie sie sich in diesen Veröffentlichungen schreiben, z.B. Anouar Abdel-Malek und nicht: Anwar 'Abd-ul-Mälik. Allgemein eingebürgerte Begriffe werden in der europäischen Schreibweise wiedergegeben, also ζ. B. Koran und nicht: Qur'än. Um dem nicht arabisch vorgebildeten Leser die phonetisch richtige Lektüre zu erleichtern, wurde die international anerkannte Transkription an manchen Stellen leicht abgewandelt, insbesondere die Schreibung des Artikels bei Status-constructusVerbindungen: 'Abd-ul-Mälik 'Abd-ur-Rahmän Abü-l-Qäsim

und nicht und nicht und nicht

'Abd-al-Mälik 'Abd-al-Rahmän Abu 1-Qäsim usw.

nicht referiert werden konnten, auch wenn sie für den Verfasser hilfreich waren. Da die Arbeit sich mit der arabischen Welt befaßt, wurden bei der Behandlung der verschiedenen Themen die arabischen Autoren jeweils den westlichen, die sich mit demselben Thema befassen, vorgezogen. Da der Verfasser selbst aus dem Westen stammt, hätte er allerdings — um den Rahmen vollständig zu machen — seine eigene Position deutlicher zu der der westlichen Autoren in Beziehung setzen müssen. Die Streuweite der interkulturellen und interreligiösen Beziehungen käme so deutlicher zum Ausdruck.

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1 Ansatzpunkte und Denkformen II

III

Das Ich und die ihm begegnende Wirklichkeit: eine unentrinnbare Aporie Subjekt — Objekt

Dem Reden über das Verhältnis des menschlichen Ich und der ihm begegnenden Wirklichkeit bieten sich zwei Denkansätze an: Entweder vom Ich des Menschen auszugehen, oder vom Ich zunächst abzusehen und bei den Gesetzmäßigkeiten der begegnenden Wirklichkeit einzusetzen. Zum ersteren wird eher der von der £thik Herkommende neigen, der es gewohnt ist, den Menschen auf seine Verantwortlichkeit hin anzusprechen, während der von der Naturwissenschaft Herkommende eher das letztere tun wird, da er gelernt hat, seinem Ich zu mißtrauen, das gar oft durch seine willkürliche „Zusammenschau" der Einzelfakten die Wirklichkeit vergewaltigt. Abkürzend sollen hier diese beiden Denkansätze „Ansatz E" und „Ansatz N" genannt werden 1 . Den Denkansätzen gehen Erfahrungen voraus: wer Freiheit nicht erlebt hat, wird auch in seinem Denken nicht bei ihr ansetzen; wer keine Schicksalsschläge erlebt hat, wird unbeschwert von Freiheit reden. J e d o c h nur bewußt gewordene Erfahrungen schlagen sich sinnvoll in einem wirklichkeitsbezogenen Denkansatz nieder: Ontogenetische und phylogenetische Frühstadien kommen ohne Bewußtwerden aus. Mittelmäßige Zeitgenossen wissen nicht, daß sie von ihrer kulturellen Sphäre bestimmt sind 2 . Der ohne es zu wissen vom Somnambulismus befallene Mensch kann diese Erfahrung nicht in seinem Denken verwerten 3 . 1 „Die Physiker haben immer gut daran getan, ihrem Instinkt zu folgen u n d Deterministen zu sein" antwortete Paul Langevin Louis de Broglie 1929, als dieser in der französischen philosophischen Gesellschaft von den Arbeiten Niels Bohrs und Werner Heisenbergs berichtete (Bull. Soc. Franç. Phil. 29, 1 4 1 - 1 6 0 ) . Auch heute, wo die „Krise des Determinismus" Allgemeingut geworden ist, hat der „Ansatz N " weiterhin seine Berechtigung. Er vertritt das Ideal der Wirklichkeitsbezogenheit gegenüber solchen, die ihre Vorstellungen in die Wirklichkeit hineinprojizieren und gegenüber solchen, die sich auf die Beschreibung des Wahrnehmbaren zurückziehen und nicht mehr nach der Wirklichkeit als solcher fragen. Jacques Monod, in seinem Buch „Le hasard et la nécessité" (1970), dürfte dieses Anliegen vertreten. 2 Siehe die Besprechung des Buches des Strukturalisten Michel Foucault: Les mots et les choses, in: / . M. Auzias: Structuralisme et marxisme. 1970, S. 18. 3 P. Jordan: Verdrängung und Komplementarität. 1947.

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Beide D e n k a n s ä t z e , k o n s e q u e n t u n d logisch z u Ende gebracht, führen zu e x t r e m e n S t a n d p u n k t e n : Ansatz

E: Das Ich schließt die Eigenexistenz der Welt aus, es s c h a f f t

sich — u m sich zu realisieren — eine eigene Welt, ein E c h o seiner selbst. Ansatz

N: D i e Welt, u m wirklich zu sein, m a c h t z w i s c h e n d e n Zahn-

rädern ihres Ablaufs ein unabhängiges Ich undenkbar. Beide — sich gegenseitig ausschließenden — E x t r e m e k ö n n e n gelebt werden, u n d zwar trotz der w o h l m e i n e n d e n Ratschläge derer, die nie zu d e n E x t r e m e n vorgedrungen sind u n d auf deren Sinnlosigkeit hinweisen. J e d e s der b e i d e n E x t r e m e enthüllt sich früher oder später als der Wirklichkeit unangemessen: „Ansatz E " erfährt, daß die ihm b e g e g n e n d e Wirklichkeit unabhängig v o n ihm existiert, daß er keine G e w a l t über sie hat, ja daß sein eigenes Ich zu ihr gehört. „Ansatz N " erfährt, daß es Wirklichkeit nicht abgelöst v o m Ich gibt. Pharao, der einen himmelstürmenden „Turm" baut, schließlich aber das Sinnlose seines Tuns einsehen muß und scheitert 4 , symbolisiert im Islam die Illusion des Extrems E. Ihm gleicht Hitler, der sich durch die Intensität seiner „suggestiven Wunschkraft" 5 eine eigene gigantische Welt schafft, bis sie schließlich an der Wirklichkeit zerbricht. Welche Kraft menschliche Vorstellung besitzen kann, zeigt ζ. B. die Möglichkeit der eingebildeten Schwangerschaft — sei es auf Grund eines Wunsches oder einer Phobie — die biologisch nachweisbare Schwangerschaftsphänomene hervorruft. Die naive Vorstellung dessen, der die Wirklichkeit, so wie sie sich ihm als Folge seines Eingreifens in sie darstellt, mit der Wirklichkeit kurzum gleichsetzt, wird gekennzeichnet durch die Geschichte von Monsieur Dupont, der von Frankreich nach Deutschland kommt, die weiße Trennungslinie zwischen den Fahrbahnen sieht und sagt: „Man muß schon ein ganz verdrehtes Gehirn haben, wenn man das, was die ,ligne jaune' ist, weiß anmalt!" (Die „Gelbe-Linie" ist im Französischen ein feststehender Begriff.) In ähnlicher Weise wird heute von mancher Seite der arabischen Welt vorgeschlagen, doch wirklichkeitsbezogen zu sein und sich nicht von kollektiven Erinnerungen konditionieren zu lassen, die sie in einer bestimmten sprachlichen, kulturellen und religiösen Struktur fixiere. Nur so komme sie aus der Unterentwicklung heraus und fände Anschluß an die moderne Welt. Dabei wird übersehen, daß hier zynisch vorgeschlagen wird, sich einer Wirklichkeit hinzugeben und sich von ihr entfremden zu lassen, in die ganz bestimmte Vorstellungen der westlichen Konsumgesellschaft eingegriffen haben 6 . 4 Koran, Sure 28,38 und Sure 40,38 (Koran nicht nach der Fliigelschen, sondern nach der kufischen Verszählung zitiert!). 5 A. Kubizek: Adolf Hitler, mein Schulfreund. 1953. 6 Dies erscheint als praktische Konsequenz in W. S. Freund: Religionssoziologische und sprachstrukturelle Aspekte des Entwicklungsproblems in der islamischen Welt, in: Internationales Jahrbuch für Religionsoziologie VIII, 1971, S. 105—126, und Ders.: Unterentwicklung in strukturalistischer Sicht, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie. Sonderheft 13, 1969, S. 5 1 7 - 5 5 1 .

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Die Folge des zu Ende gebrachten Denkansatzes Ν ist der „Tod des Menschen" 1 . Die exakte Beobachtung der Wirklichkeit hindert jedoch den denkenden Beobachter daran, naiv nur der Logik eines Denkansatzes zu folgen: — Dies erlebte die Kernphysik des beginnenden 20. Jahrhunderts, die — gegen ihren ursprünglichen aus der klassischen Physik des 17. bis 19. Jahrhunderts stammenden Denkansatz Ν — dazu gezwungen wurde, das frei sich für eine Versuchsanordnung entscheidende Ich des Beobachters mit bei der Beschreibung der physikalischen Vorgänge zu berücksichtigen. — Mineralogen, Geologen und Bodenkundler ζ. B. wissen sehr wohl — auch wenn es ihnen eine Last ist! —, daß sie ohne die vom menschlichen Geist geschaffenen und ständig zu korrigierenden Kategorien nicht auskommen. — Für Historiker bedeutet das Auftauchen des hermeneutischen Problems gewissermaßen die experimentelle Auffindung des nicht eliminierbaren Ich. Die so entstandene Lage beschreibt die Formel Martin Heideggers·. „In jedem Verständnis von Welt ist Existenz mit eingeschlossen und umgekehrt" 8 . Wer nicht in einer Illusion l e b e n will, m u ß die b e i d e n A n s ä t z e , die Wirklichkeit des Ich u n d die Wirklichkeit dessen, was i h m begegnet, irgendwie zusammenbringen. Es ist d e n n auch immer wieder versucht w o r d e n , beide in einem widerspruchsfreien S y s t e m zu vereinigen. Wohl alle derartigen Versuche zeigen irgendwo Lücken, e n t d e c k t v o n solchen, die ein widerspruchsloseres S y s t e m vorschlagen, oder v o n solchen, die die Unauflösbarkeit der Widersprüche aufzeigen u n d darauf verzichten, z u harmonisieren 9 . Für letztere schließen sich nicht nur die b e i d e n D e n k e x t r e m e , sondern bereits die A n s ä t z e aus. Sie ertragen b e w u ß t die K o e x i s t e n z der b e i d e n Ansätze u n d d e n Schmerz der o f f e n b a r sich selbst zerreißenden Wirklichkeit. Für den, der in ständigem H i n u n d Her in d e n Gesetzmäßigk e i t e n beider D e n k a n s ä t z e lebt, reduziert sich dann der unaufgebbare jeweils andere Denkansatz auf ein paradox b e h a u p t e t e s ,»Dennoch". Das E r n s t n e h m e n unserer Erfahrungen u n d unseres Wissens bringt e i n e n tragischen Zwiespalt m i t sich 1 0 . N i c h t alle M e n s c h e n aber sind bereit, im Widerspruch z u l e b e n 1 1 . Die Analysen Jean Paul Sartres beschreiben den Schmerz dieses Zwiespalts: Die Freiheit des Menschen — die letztlich seine Subjektivität konstituiert — kann nicht geleugnet werden. Sie bleibt mir trotz aller Anstrengungen, sie wegzuwerfen. Ich bin „zur Freiheit verurteilt" und kann mich nicht in die Solidarität der Dinge und der Menschheit auflösen, in die sinnlose Schönheit ihres Wirklich-Seins. Das wäre Befreiung von meinem zur Freiheit und zur Einsamkeit bestimmten Ich, Befreiung 7 Vgl. J, M. Auzias et al.: Structuralisme et marxisme, S. 10. 8 M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 152. S. hierzu auch G. Gusdorf: La découverte de soi. 1949, S. 485 und H. G. Gadamer: Wahrheit und Methode. 1968, S. 250. 9 Vgl. M. Wahba: Qissat-ul-falsafa („Philosophie erzählt"). 1968, S. 125. 10 F. Gonseth: Déterminisme et libre arbitre. 1944, S. 121. 11 H. Dombois: Mensch und Strafe. 1957, S. 158. 30

vom Ich, das verurteilt ist „von sich selbst zu voll zu sein, um nichts anderes mehr erwarten zu können". Ich bin jedoch „nicht frei, aufzuhören, frei zu sein" 12 .

112 Ich und Du Eine besondere Verschärfung erfährt die notgedrungene Koexistenz des Ich und der ihm begegnenden Wirklichkeit, wenn wir aus dem Sammelbegriff „begegnende Wirklichkeit" das — individuelle oder kollektive 13 — Ich anderer Menschen aussondern und es in seinem Verhältnis zum eigenen — individuellen oder kollektiven — Ich betrachten. Die Eigenart des „Du" bestünde demnach darin, daß es sowohl mir begegnende Wirklichkeit (d.h. „Umwelt", die nicht mit „Es" bezeichnet werden darf), als auch ein anderes Ich ist. Das Du ist mit Subjektivität und Freiheit begabte mir begegnende Wirklichkeit. Das sich befeindende Begriffspaar der beiden sich gegenseitig ausschließenden Denkansätze E und Ν heißt nun: meine Freiheit — deine Freiheit. Für diese neue Konstellation gilt: Bisher hatte mein Ich zumindest die Möglichkeit, so gut es geht nüchtern zu sein und die Wirklichkeit des ihm Begegnenden nicht zu vergewaltigen, sondern es — seinen eigenen Gesetzen nachspürend — neu zu formen, es seiner Entfaltung zuzuführen: dies ist echte technische Haltung. Nunmehr tue ich einem Menschen, will ich ihn in ähnlicher Absicht neu formen, in jedem Fall Gewalt an. Liegt mir — gehetzt von der Einsamkeit inmitten einer selbstgeschaffenen Welt — auch nur das geringste daran, mit einem anderen Menschen zusammenzukommen, ihn nicht seines eigenen und anderen Menschseins zu berauben, so bleibt mir keine andere Wahl, als meine eigene Freiheit dazu zu benutzen, mich selbst einzuschränken, um der Freiheit des anderen willen. Einschränkung bedeutet hier aber Eliminierung. Denn für den, der erlebt und weiß, daß die beiden Denkansätze sich ausschließen, gilt: alles oder nichts. Albert Camus, ein scharfer Beobachter der Menschen, sagt dem Sinn nach zu der Verwirklichung dieses Wunsches: Das erste, was ich — aus dem süßen Traum meiner selbstgemachten Welt erwachend — vernehme, ist der Chor der Ankläger meines Sklaven-Händler-Lebens, das „schuldig!" all derer, die ich — um selber zu leben — im Geist in Schatten verwandle, da es mir ja kaum möglich ist, den Planeten tatsächlich zu entvölkern. Um die anderen leben zu lassen, müßte ich ihr Urteil annehmen, müßte ich aufhören zu sein. Ich müßte aufhören, mich selber zu lieben um 12 / . P. Sartre: Le sursis, S. 157 und 168, und L'être et le néant. 1943, S. 515. 13 „Das individuelle und das kollektive Subjekt sind untrennbar in ihrer Eigenschaft als Urheber freier Akte und als Erleider von Determinationen". G. Gurvitch: Déterminismes sociaux et liberté humaine. 1963, S. 3.

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Andere lieben zu können. Dazu aber bin ich unfähig. Ein einziger Mensch hatte den Mut, sein Todesurteil anzunehmen: Jesus. Er wußte um seine Schuld (z.B. daß andere kleine Kinder getötet werden mußten, um ihm das Leben zu ermöglichen . . .). „Kluge Theologen haben es sich zwar ausgedacht, daß die Selbstentäußerung dieses einen für uns alle gelte — stellvertretend — aber wer kann diese Tricklösung annehmen!" 1 4

Besonders angsterregend und den anderen ausschließend kann das Gegenüber eines kollektiven Ich mit einem anderen kollektiven Ich sein. Die Wirklichkeit, so wie ich sie forme, verdrängt die Welt des anderen. Der Aufforderung Herzls folgend: „Wenn ihr nur daran glaubt, so ist es Wirklichkeit" schafft der Zionismus eine Wirklichkeit, die von Anfang an die arabische Welt verdrängt. So kann einem Palästina heute vorkommen, wie jene erhaben erscheinenden Würfelmuster auf Fußböden, deren Würfelkanten man — je nachdem wie man sich entscheidet — nur entweder von innen oder von außen sehen kann 1 5 . In Religionsgemeinschaften kann die Verdrängung des anderen kollektiven Ich besonders stark sein, weil der eigene Standpunkt als göttliche Tat und deshalb — um der Wahrheit willen — als nicht aufgebbar empfunden wird. Was dem Außenstehenden als ihn verdrängende Subjektivität eines anderen erscheint, gilt im Selbstverständnis der Religion als objektive Tat und Erwählung Gottes. Die Gemeinschaft, die nach außen hin als Produkt eines kollektiven Denkansatzes E erscheint, versteht sich selbst vom Ansatz Ν her. Dieser Ansatz entspricht durchaus einer Wirklichkeit, denn die ganze Gemeinschaft weiß sich unter göttlichem Wirken und formt so sich und ihren Nachwuchs. So wie Erinnerungen den Einzelmenschen bleibend verändern, werden hier Gemeinschaften auf einen Standpunkt festgelegt, den sie nicht mehr beliebig verlassen können 1 6 . Im Vergleich mit naturwissenschaftlichen Erkenntnisvorgängen könnte man sagen: hier wird der frei zwischen zwei Versuchsanordnungen wählende Beobachter zum Meßgerät, das nur zu einer Versuchsanstellung tauglich ist. Dem vom Denkansatz Ν Herkommenden erscheint die Eingliederung des Ich in ein kollektives Ich als Einverleibung in die Wirklichkeit, die als solche nichts Schreckliches hat 1 7 . Der „Tod des Menschen" (= Extrem 14 A. Camus: La chute. 1956. — S. hierzu auch das Kapitel „Die Freiheit gegen", in: G. Gusdorf: Signification humaine de la liberté. 1962, S. 239ff. 15 Mündlicher Hinweis von Bruce Steiner, Akko, Quaker Service, 1956. 16 Vgl. hierzu das Kapitel „Das Problem der Freiheit", in: A. J. Heschel: God in search of man — a philosophy of Judaism. 1966, S. 409ff. 17 Und nicht als „Einebnung" und als „desperatio", wie bei H. H. Schrey: Weltbild und Glaube im 20. Jahrhundert. 1961, S. 52 und 53, der, vom Ansatz E herkommend, den Ansatz Ν letztlich nicht versteht.

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des Denkansatzes Ν) (s. ο.) gehört so zur Teilhabe an allgemeinen Entwicklungen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist auch die Formung eines Menschen, insbesondere im embryonalen und im Kindheits-Stadium, keine Entpersönlichung und Vergewaltigung. Erschienen uns zuvor die Kulturen als einander ausschließende Sphären, solange wir betrachteten, wie jede eigenwillig ihre Welt schafft, so erkennen wir nun, wie sie sich durch Einwanderung und Vermischung durchdringen, wie dabei Neues entsteht und zum Fortschritt beiträgt 18 . Kulturen sind so nicht konkurrierende Schöpfungen kollektiver Ichs, von denen jedes die Welt beherrschen will, sondern verschiedene Zweige an dem einen Baum der Welt, der nicht den Gesetzen des Ichs gehprcht 19 . Das Verlangen, der Einsamkeit einer selbstgeschaffenen Welt zu entrinnen, findet seinen Grund nicht nur in meiner Angst vor dem Solipsismus (s.o.), sondern auch darin, daß ich die Wahrheit zu erkennen suche. Wenn ich weiß, daß die Wirklichkeit, so wie sie sich mir unter meinem Eingriff darstellt, nicht ihr einziger Aspekt ist, suche ich mich der Wirklichkeit des anderen zu öffnen, suche ich mich leer zu machen für sein Weltbild. Da wir beide in der Geschichte stehen und durch deren Fortschreiten in ständig neue Situationen gebracht werden, in denen wir die uns vorgegebene Wirklichkeit jeweils anders sehen, ist der Austausch der Informationen die permanente Lebensform derer, die nach Wahrheit suchen. Wir tauschen hierbei — in ständigem Hin und Her — auch unsere Ansatzpunkte aus: ich lasse den anderen seinen Ansatzpunkt E leben und wähle für mich den Ansatzpunkt N, der mich zum Teil der Wirklichkeit des anderen werden läßt; dieser formt mich bis ins Innerste („In-formation"). Geht hierauf mein Gesprächspartner vom Ansatz Ν aus, so erlaubt er mir, nunmehr auch den Ansatz E bis in sein Inneres hinzuführen. Das semitische Denken ist daran gewöhnt, mit der Erfahrung zu leben, daß dieselbe Wirklichkeit in verschiedenen Beobachtern sich in unterschiedlichen — mitunter sich ausschließenden — Bildern von dieser Wirklichkeit niederschlägt. Das Nebeneinander 18 N. Bohr: Erkenntnistheoretische Fragen in der Physik und die menschlichen Kulturen, in: Atomphysik und menschliche Kenntnis I. 1964, S. 31. Vortrag gehalten 1938 in Kopenhagen vor dem Internat. Kongress für Anthropologie und Ethnologie, als in Deutschland der Rassenzentrismus an der Macht war. Bohrs Mutter war Jüdin. 19 Hinsichtlich der Beziehungen zwischen kollektivem und individuellem Ich kann die Gesellschaft als ideal betrachtet werden, in der beim widersprüchlichen Zusammenspiel und Hin und Her von Ich und Ich, von Ich und begegnender Wirklichkeit, trotz der Determination, die ein jedes Ich auf seine Umwelt ausübt, zwischen den Zahnrädern der Determination genügend Lücken als Spielraum für die Freiheiten bleiben. G. Gurvitch: Déterminisme sociaux. 3

Schoen, Determination

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der Meinungen verschiedener Schulen zu einem selben Text kennzeichnet das vom römischen Recht so verschiedene jüdische und islamische Rechtsdenken 20 . Der bekannte, aus der islamischen Tradition stammende Spruch: „Wer den Koran recht auslegt, ist dennoch im Irrtum" zeugt davon 21 . Die im Koran gebotene gegenseitige Beratung (äürä) der Gläubigen (42,38) ist eines der Grundprinzipien der islamischen Gesellschaftsordnung 22 .

113 Ich und Gott Auch für diesen Sonderfall von „Ich und die mir begegnende Wirklichkeit" gilt, daß die beiden Ansätze, logisch zu Ende geführt, unweigerlich zu einseitigen Extremen führen: — Der Weg des Denkansatzes E führt dahin, daß der selbsterdachte, selbstgemachte Gott letztlich den wirklichen Gott verdrängt und tötet. Dies aber widerspricht der Intention des Ansatzes, die ja nicht sich selbst aus sich heraussetzen und sich „als G o t t " selber denken, sondern wirklich auf einen anderen stoßen wollte. — Auf dem Weg des Denkansatzes Ν verdrängt schließlich Gott das menschliche Ich ins Unwirkliche hinein. Dabei sollte doch gerade dieses Ich mit Gott zusammenkommen. Diese letzte Konsequenz des Ansatzes Ν widerspricht jedoch nicht unbedingt dem Anliegen dessen, der in das Experiment mit Gott eingetreten ist, denn das Aufgehen in der begegnenden göttlichen Wirklichkeit ist nichts Schreckliches oder Absurdes. Dabei kann der Mensch in einem immanent gedachten Göttlichen aufgehen. Er kann aber auch — bei einem transzendent gedachten Gott — entweder in die Solidarität mit der gesamten übrigen Schöpfung eingehen, oder sich mit Gott identifizieren und dabei der Welt entrinnen.

Auch hier gilt es, nicht aus dem Auge zu verlieren, daß zu Denkwegen Erfahrungen gehören. Ähnlich dem Versuch, der in der Naturwissenschaft das Subjekt mit dem Objekt verbindet 23 , zeugt auch hier das Denken ohne den Umgang mit Gott kaum von dessen Wirklichkeit. Da diese jedoch ehrfurchterregend ist, wird der sie Erfahrende nur mit Zögern und Zagen daran gehen, sie zu denken, um sie verständlich zu bezeugen. Da es sich 20 H. A. R. Gibb: Law and religion in Islam, in: Judaism and Christianity. 1969, S. 142—168, und Ch. Chehata: L'„ikhtiläf" et la conception musulmane du droit, in: ]. Berque und / . P. Charnay (Hg.): L'ambivalence dans la culture arabe, 1967, S. 258ff. 21 / . P. Charnay: Fonction de l'„ikhtiläf" en méthodologie juridique arabe, in: ]. Berque und / . P. Charnay: L'ambivalence, S. 19Iff. 22 S. z.B. M. Saltut: al-Islâm - 'aqîda wa sarî'a. 1968, S. 458ff. 23 Vgl. hierzu J. W. ν. Goethe: Der Versuch als Vermittler von Objekt und Subjekt.

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nicht um beliebig zugängliche und reproduzierbare Erfahrungen handelt, ist es schwer, allgemeinverständlich von Gott zu reden. Hinzu kommt, daß der Gott Erfahrende die Tendenz hat, seinen eigenen Ansatz E vom Ansatz Ν her zu interpretieren, d. h. seinen eigenen subjektiven Gesichtspunkt zu verobjektivieren. Die Beweglichkeit, sich in den Gesichtspunkt des Anderen — der Gott anders erlebt — zu versetzen, wird so gelähmt. 1131 Denkwege des Ansatzpunktes „N" („N-Wege"): Auf dem sich zuerst anbietenden Weg des Ansatzpunktes Ν tauchen für den sich von Gott völlig determiniert wissenden Menschen vor edlem folgende Denkmöglichkeiten auf: 1. Gott gehorcht selbst der Notwendigkeit und ist gespalten in eine notwendig gute und eine notwendig böse Kraft. 2. Gott gehorcht selbst der Notwendigkeit und ist ein einziger, guter Gott. Das Böse hat keine Realität. 3. Gott ist ein „anderes Ich", das seinen Geschöpfen seinen Willen aufzwingt. Der Gedanke des Satans, je nach der ihm zugemessenen Selbständigkeit und ontologischen Dichte, erlaubt Übergänge von jedem der drei Typen zum anderen.

In allen drei angeführten Konzeptionen muß die Freiheit des Menschen — soll an ihr festgehalten werden — postuliert werden, und zwar gegen die Logik des eigenen Denkens. Motiv für diese Verweigerung sind gewisse, sich als unaufgebbar aufdrängende, Evidenzen: — Die Möglichkeit, Gott zu denken, beruht auf der Freiheit des menschlichen Geistes. — Der Mensch ist in der Lage, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. — Der Mensch ist für sein Tun verantwortlich. Für die dritte Konzeption — die des persönlichen Gottes, die im Bereich des Judentums, des Christentums und des Islam im Auge ist — bestünde die Möglichkeit, das Postulat sinnvoll zu begründen, indem man sagt: Gott als freie Person könnte frei dazu sein, meine Freiheit am Leben zu lassen, indem er die seinige einschränkt, das heißt aufgibt — falls er dies wollte. Trotz des eingeschlagenen Weges, auf dem objektivierend gedacht wird (Ansatz N), kommen wir also nicht umhin, mit der bereits empirisch wahrgenommenen Wirklichkeit des freien Ich zu operieren. Sobald dieses in gewissen Gotteserfahrungen sich als Wirklichkeit erwiesen hat, verlangt es danach, als solches auch in echter Beziehung zum ebenfalls wirklichen Gott gedacht zu werden. 35

Die Entwicklung der Naturwissenschaften in der Neuzeit erschwerte es ungemein, Gott als freien und allkausalen Täter zu denken. Galt er bislang als der Urheber aller Naturgesetze und aller Wunder, so mußte sich nunmehr das Wunder — ζ. B. der von den Gesetzen der übrigen Sterne freie Komet — in die absolute Kausalität des mechanistisch-deterministischen Weltbildes einreihen. Gott konnte nicht mehr innerhalb ein und derselben Wirklichkeit der Grund aller kausalen und aller akausalen Ursachen, der Urheber aller Determinationen und aller Indeterminationen sein. Dem allem Dualismus abholden Naturwissenschaftler wurde die von ihm experimentell beobachtete Wirklichkeit undurchlässig für die durch sie hindurchscheinende und sie in sich aufnehmende göttliche Wirklichkeit. Ein atheistisches Weltbild war die Folge. Die Wenigen, die Gott erfuhren und ihre Erfahrung ehrlich bezeugen wollten, mußten in einen Dualismus ausweichen, in dem das Gotteserlebnis nicht mehr im die gesamte begegnende Wirklichkeit erfassenden Denkansatz Ν Platz fand. In einer anderen Wirklichkeit, der des Geistes, erschien nun Gott als der Urheber des letzten, die physiko-chemische Wirklichkeit transzendierenden Wunders: des menschlichen Geistes und seiner Freiheit. Der Ansatzpunkt E erschien nun der einzig mögliche, um Gott zu denken, auch wenn dabei die Wirklichkeit des begegnenden Gottes gegen Feuerbachs unerbittliche Logik postuliert werden mußte. Geisteswissenschaftlichem war es dann ein Leichtes, die Einheit herzustellen, indem sie den Geist als das wahrhaft Wirkliche bezeichneten und die Materie in den Bereich der Erscheinungen verdrängten. An Gott glaubende Naturwissenschaftler dagegen, deren Liebe nicht nur Gott und den Ideen, sondern auch der Materie galt, hatten den ganzen Schmerz des dualistischen Risses zu ertragen. Die v o n der Kernphysik ausgehende Grundlagenkrise schaften

der

Naturwissen-

befreit den an G o t t glaubenden Naturwissenschaftler v o n einem

Denkzwang (Sie gibt ihm aber keineswegs neue, G o t t beweisende Argum e n t e gegenüber denen, die nicht an ihn glauben!). I n d e t e r m i n a t i o n e n erhalten nun ihren — w e n n a u c h nicht absoluten — Platz auf den Wegen des Denkansatzes N 2 4 . Die undurchlässige Wand, die sich zwischen die b e o b a c h t e t e physiko-chemische und die göttliche Wirklichkeit geschoben h a t t e , ist verschwunden, und der glaubende Mensch kann sich wieder mit allen F a s e r n seines Seins — auch dem freien Willen — in den L o b gesang der gesamten Schöpfung einreihen. Der freie Wille des Glaubenden erfährt seinen materiellen Z u s a m m e n h a n g mit der N a t u r . Die reale Präsenz G o t t e s b r a u c h t nicht m e h r vom freien Willen und über den Umweg der „Wirklichkeit des G e i s t e s " abgeleitet, sondern kann — an einigen privilegierten P u n k t e n — direkt in den Dingen dieser Welt erlebt werden 2 5. 24 S. hierzu G. Howe: Die Christenheit im Atomzeitalter. 1970, S. 24ff., K. D. Buchholtz: Isaac Newton als Theologe. 1965 und den Vortrag auf der Badischen Landessynode, gehalten von H. Timm: Die Theologie und das physikalisch-technische Weltverhältnis des neuzeitlichen Menschen, in: Moderne Theologie und Gemeinde. 1969, S. 6 3 - 8 4 . 25 Zur Kennzeichnung dessen, was nunmehr überwunden ist, kann der von Η. H. Schrey (Weltbild und Glaube im 20. Jahrhundert, S. 56ff.) zustimmend angeführte Satz F. H. Jacobis gelten, der lautet: „Die Stätte, da sich Gott ankündigt

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Experimentell u n d durch ehrliche B e o b a c h t u n g der k o m p l i z i e r t e n Wirklichkeit des A t o m k e r n s w u r d e die Physik, v o m D e n k a n s a t z Ν herkomm e n d , auf Wege geführt, auf d e n e n das Objekt so mit d e m Subjekt verquickt war, daß dieses sich nicht mehr eliminieren ließ. S o m u ß t e d e m Subjekt u n d seiner Freiheit — v o n d e m der Denkansatz E ausgeht — auf d e n Wegen des Ansatzes Ν — wider Willen — ein Platz eingeräumt werden. D a j e d o c h das Subjekt nur in seiner Verquickung m i t d e m Objekt erlebt w e r d e n kann, wird i h m hierbei j e d e Verabsolutierung versagt. Nur im R a h m e n der gespannten A u f m e r k s a m k e i t auf die b e g e g n e n d e Wirklichkeit u n d deren E n t w i c k l u n g sieht sich das Ich g e z w u n g e n , einzugreifen. D a es sich aber selbst v o n der B e w e g u n g dieser Wirklichkeit ergriffen d. h. determiniert w e i ß , wirkt das Wissen v o n dieser D e t e r m i n a t i o n auf das freie Eingreifen nicht lähmend, sondern zündend. D e n n durch diese Teilhabe b e k o m m t es seinen Sinn. Für den, der ausdrücken will, w a s er erfährt, w e n n er, in der Situation des an d e n freien u n d persönlichen G o t t G l a u b e n d e n , der v o n G o t t durchdrungenen unendlich k o m p l e x e n Wirklichkeit begegnet, erscheint dieses D e n k m o d e l l angemessen. D i e Freiheit des Ich erscheint n u n weniund den Menschen offenbar macht, ist nicht die stumme Natur, sondern der Mensch, der nicht der Notwendigkeit unterworfene freie Geist." (Werke III, 1816, S. 402 und 326f.). Man möge sich hier an die diametral entgegengesetzte Gottes- und Welterfahrung Pierre Teilhard de Chardins erinnern, etwa an sein Erleben der Realpräsenz, von dem seine Schrift „Die Messe über die Welt" zeugt. Nach jahrelanger im Dualismus gelebter Skepsis fand des Verfassers entstehender Glaube seinen ersten gedachten Ausdruck in der hier angedeuteten Weise: Die Universalität der Wirklichkeit Gott kam Uber den Denkansatz Ν zum Durchbruch. Die sinnlos grausam-schöne physiko-chemische, geologische und biologische Welt wurde durchdrungen vom überschwenglichen Gesang der Selbstverherrlichung Gottes, und das bisher anderswo stehende geistige Ich — zusammen mit der Christenheit und der ganzen Menschheit — wurde in diese Einheit einbezogen. Die Geschöpflichkeit der eigenen Subjektivität wurde so vor allem als für den Gesang der übrigen Schöpfung leer und rezeptiv erfahren. Erst später wurde sie dann auch — in ihrem Einstimmen — als voll erlebt; als voll von der durch die gesamte Schöpfung hindurch bis in die Freiheit des Menschen hinein ausstrahlenden Freiheit Gottes, des Gottes der Juden, Christen und Muslimen. Als fremd empfindet daher der Verfasser die Aussagen des dem Humanismus nahe stehenden Marxisten Roger Garaudy, dessen Sympathie für den christlichen Glauben in einer die Auferstehung Jesu als Geburt der Freiheit interpretierenden Rede zum Ausdruck kommt: „ . . . für mich liegt die Hostie der Realpräsenz in der Fähigkeit des Menschen, zu schaffen, diesem göttlichen Attribut des Menschen; und zwar überall dort, wo Neues dabei ist, geboren zu werden . . ." (Garaudy par Garaudy. 1970, S. 167) 37

ger als das Postulat, an dem festgehalten werden soll, um die Idee der sittlichen Würde des Menschen gegen die böse und entmenschlichende Determination der Dinge zu verteidigen, sondern vielmehr als die diese Determination Durchführende. Sie erscheint als vom freien Urheber der Determination geschaffenes Werkzeug, das diese Determination vorantreiben soll. Erfahrungen aus der Geschichte des Judentums, des Christentums und des Islam erweisen, wie falsch das gängige Argument ist, der Glaube an die göttliche Determination lähme die freie Schaffenskraft und die Verantwortlichkeit des Menschen 2 6 . Da alle drei genannten Religionen Offenbarungsreligionen sind, die sich einzig und allein von einer Selbstenthüllung Gottes in der Geschichte herleiten, ist es für Juden, Christen und Muslimen nur folgerichtig, ihre Gotteserfahrung von den Schriften her bestimmen zu lassen, die diese Offenbarung festgehalten haben, und von der Gemeinschaft sich formen zu lassen, die diese Offenbarung tradiert und aus ihr lebt. Die merkwürdige Absorptionskraft der drei Religionsgemeinschaften, die in den zwischen ihnen liegenden Grenzgebieten oder in einem No-mans-land kaum „freie Gottgläubige" übrig läßt, mag ein Hinweis sein dafür, wie weit verbreitet der Ansatz Ν bei den Menschen ist, die im historischen kulturellen Bereich dieser drei Religionen Gott erfahren.

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Denkwege des Ansatzpunktes „ E " („E-Wege"):

Die immer wieder — durch Postulat oder Experiment — auftauchende Freiheit des Menschen gebietet, auch den zunächst weniger naheliegenden Weg des Ansatzes E zu durchdenken: Mit aller Deutlichkeit wird immer wieder von aufmerksamen und denkenden Menschen betont, daß es keine Koexistenz von freier, souveräner Determination Gottes und menschlicher Freiheit geben kann. Die zu fällende Entscheidung heißt dann: entweder gibt es keinen Gott oder der Mensch ist nicht frei 2 7 . Das Freiheitspathos des Idealismus im 19. 26 S. hierzu S. 114f., Anm. 59 (Plechanow) und Abschnitt 2 3 1 8 (Hamidullah). 27 Cicero entschied im ersten, Luther im zweiten Sinne. H. J. McSorley: Luthers Lehre vom unfreien Willen. 1 9 6 7 , S. 63. Auch Nicolai Hartmann sieht klar, daß der freie Mensch keinen freien Gott sich gegenüber dulden kann, vgl. H. Theisen: Determination und Freiheit bei Nicolai Hartmann. 1 9 6 2 , S. 171, 181, 195. - S. hierzu auch G. Gusdorf: Signification de la liberté humaine. 1 9 6 2 , S. 8 5 , 9 2 , 2 5 1 , und: W. Pannenberg: Christlicher Glaube und menschliche Freiheit, in: Kerygma und Dogma 4, 1 9 5 8 , S. 2 6 9 .

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Jahrhundert führt folgerichtig zum Tod Gottes bei der Geburt des wahren Menschen 28 . Auch der ins Experiment mit Gott Eingetretene kann sich der letzten Konsequenz dieses Gedankenweges nicht entziehen. Erlebt er diese Konsequenz, so wird er mit Schrecken erkennen, daß er dabei ist, vom Weg der Wahrheit abzuirren (sündigen (hati'a) heißt im Arabischen wie im Hebräischen ursprünglich „das Ziel verfehlen"), Gott Gewalt anzutun und vom Menschen Gebildetes Gott zur Seite oder an Gottes Statt zu setzen. Wird jedoch auf dem vom freien Subjekt herkommenden Gedankenweg E an der — erfahrenen, der Logik dieses Weges aber widersprechenden — Wirklichkeit des Begegnenden festgehalten, so ist dieser Weg nützlich und unerläßlich zur getreuen Wiedergabe der Erfahrung in ihrer Gesamtheit. Angesichts einer heterogenen, in der Geschichte fortschreitenden und sich verändernden uns begegnenden Wirklichkeit kann das vom Ansatz Ν herstammende Anliegen der Hingabe an die Wirklichkeit nur verwirklicht werden unter Verwendung der Freiheit des Subjekts. Auswählend und entscheidend verschließe ich mich einem Wirklichkeitsangebot und gebe mich einem anderen hin. Der an Gott Glaubende „erinnert" sich an Taten Gottes in der Vergangenheit und in der Zukunft und läßt sich von ihrer Wirklichkeit integrieren. „Erinnern" hat hier, im Bereich des Glaubens an den allmächtigen Gott, die Bedeutung von „präsent werden lassen". „Ich erinnere mich (azkir) allein an Deine Gerechtigkeit", sagt der Psalmist und „kommt (so) mit den mächtigen Taten (gevurót) Gottes" (Psalm 71,16). Durch die Praxis der „Erinnerung" (dikr) an den Namen Gottes läßt der muslimische Beter Gott in seinen verschiedenen Eigenschaften hier und jetzt Wirklichkeit werden. Er reiht sich so in die Macht Gottes und seinen Zwang (gabr) ein. Die jeweils aus gemeinsamen semitischen Stämmen (dkr und gbr) kommenden Begriffe bezeichnen hier Ähnliches.

Dieses freiwillige Sich-in-die-Determination-Begeben bringt Freiheit mit sich. Weniger dadurch, daß dabei die Entscheidungs- und Wahlfreiheit gebraucht werden mußte — oft wird überhaupt nur der seine Methode gründlich Durchdenkende die Benutzung dieses Werkzeuges bemerken — als durch das befreiende Aufgehen in einem geschichtlichen Prozeß, 28 So A. von Spakowsky, ein von Nietzsche inspirierter Epigone dieses Idealismus, der die Ergebnisse der modernen Kernphysik zur Bestätigung seiner Vorstellung zu gebrauchen versucht: Freedom, determinism, indeterminism. 1963. — Auch R. Garaudy scheint von einem idealistischen Erbe beeinflußt zu sein, wenn er die Auferstehung Jesu als „Defatalisierung der Geschichte", als „Tod aller Götter" und als „neue Geburt des Menschen" versteht (Garaudy par Garaudy, S. 166 und 167).

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der von Gott gewirkt ist. Eine solche freiwillige Integration führt zur Kontestation, d. h. zur Infragestellung und Ablehnung des nicht gewählten Wirklichkeitsangebots. Diejenigen, von denen dieses Angebot ausgeht, können das Verhalten des Kontestierenden nur als „ethischen Selbstzwang" und als „eigenwilliges Sich-der-Wirklichkeit-Entziehen" auffassen. Im Rahmen der Gotteserfahrung wird die Wahl zwischen zwei Wirklichkeitsangeboten schwer und tragisch dann, wenn beide Angebote sich auf die „Erinnerung an Gottes mächtige Taten" berufen. Beide fordern dazu auf, sich in der Gruppe von Menschen, die den Willen Gottes tun, zu integrieren. Nur bejaht die eine Gruppe gewisse Gesellschaftsordnungen als gottgewollt, während die andere diese kontestiert, weil sie die Ankunft der Gottesherrschaft verhindern 29 .

Seinen berechtigten Platz hat der Ansatz E überall dort, wo ich aufgefordert bin, mein Leben nach einer von der göttlichen Offenbarung sich herleitenden Norm auszurichten. Im einfachsten Fall höre ich dann etwa folgende Rede: „Allen Wirklichkeitsangeboten und allen Motiven darfst du folgen, nicht aber denen, von denen ich sage: Du sollst n i c h t . . . ! " . In anderen Fällen heißt es positiv: „Du s o l l s t . . . ! " . In beiden Fällen wird die tätige Freiheit angesprochen, wenn es entweder heißt: „Du kannst ablehnen", oder wenn es heißt: „Du kannst Neues schaffen" 30 . Für die Offenbarungsreligionen entsteht dabei ein Problem wegen des historischen Abstandes zwischen heutiger Situation und Offenbarung. Diese muß aktualisierend interpretiert werden. Dabei ist die denkende und handelnde Freiheit angesprochen, und zwar im zweiten Fall noch stärker als im ersten. Das Gewissen spielt bei diesem In-Beziehung-Setzen von heutiger und damaliger Gotteserfahrung eine wichtige Rolle. Es kann sich gegen die Weisung der „offiziellen Hüter der Offenbarung" richten. Als Indikator der Stimme Gottes ist es vor allem dann zuverlässig, wenn es dazu auffordert, etwas abzulehnen. Kämil Husain zeigt dies in seinem Buch „qarya zälima" (the city of wrong) (s.u. 2333). In manchen Fällen ist die Aufforderung so stark, daß durch das Wort des Gewissens Gott selbst als Zwang Ausübender erlebt wird: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders". Die Freiheit ist hierbei ausgeschaltet.

29 Man spürt diese Tragik im Aufsatz von R. Mehl: Intégration et contestation, in: T. Rendtorff und A. Rich. (Hg.): Humane Gesellschaft. 1970, S. 1 4 1 - 1 5 5 . Mehl entscheidet sich für die Integration in unserer heutigen Gesellschaft gegen ihre Kontestation von seiten derer, die meinen, Gott selber kontestiere diese Gesellschaft. Der Verfasser kann der Entscheidung Mehls nicht folgen. 30 Der zweite Fall ist der religionsgeschichtlich jüngere: bei den 10 Geboten sind die „Du sollst nicht"-Gebote die älteren.

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Zusammenfassung:

1. Bei der Erkundung der beiden Denkwege entdeckten wir die Berechtigung beider Wege. Würde einer vernachlässigt, so würden wichtige Aspekte der Wirklichkeit vernachlässigt. Beide Wege müssen also abwechselnd begangen werden. Wir wollten uns nicht daran hindern lassen, beide Wege konsequent zu Ende zu gehen. Denn die Wucht der extremen Aussagen wird in gewissen Situationen benötigt, um Evidenzen auszudrücken, und zwar vor allem: die Allkausalität Gottes (Extrem N) und die Sünde des Menschen (Extrem E ) 3 1 . 2. Der Haltung des Glaubenden ist der objektivierende Weg der Determination angemessen. Auf ihm entdeckten wir „experimentell" — als nicht zu leugnende gegenteilige Evidenz — die Notwendigkeit, streckenweise auch den subjektivierenden Weg der Freiheit zu gehen. Die Situation dieses Freiheitsweges ist vor allem die der methodischen Ehrlichkeit, die die Rolle des ins Experiment mit Gott Eingetretenen nicht vernachlässigen will. 3. Ein solches — vom Weg der Determination aus geschehendes — gelegentliches Umwechseln auf den Weg der Freiheit, ist dem Denkmodell moderner naturwissenschaftlicher Versuchanstellungen ähnlich, bei denen es sich um die Beobachtung einer komplizierten Wirklichkeit handelt. 4. Das menschliche Subjekt und seine Freiheit erscheinen so einmal als Objekt — in der Gemeinschaft aller übrigen Dinge — und das andere Mal als Funken aus dem Feuer der göttlichen Freiheit. 5. Da diese Freiheit — sowohl in mir als in der mir begegnenden Wirklichkeit, in die ich eingreife — nie losgelöst vom Objekt beobachtet werden kann, bleibt ihre Verabsolutierung (etwa als „Geist an sich") als undenkbarer Idealismus hier ausgeschlossen. 6. Der hier bevorzugte Denkweg der Determination läuft die Gefahr, Metaphysik zu werden, bei der das Produkt freiheitlichen Eingreifens des Subjekts als „objektive Wirklichkeit" hingestellt wird. Nur wenn dem jeweils nötig werdenden Druck, auf den Weg der Freiheit umzuwechseln, nachgegeben wird, kann diese Gefahr vermieden werden. 31 „Wer sich an den freien Willen (des Menschen) hält, muß schließlich den Tod Gottes behaupten. Wer sich an die Prädestination hält, muß schließlich den Menschen köpfen. Jede Theologie, und vielleicht selbst jede Philosophie wird so zu dieser angsterregenden Alternative zwischen dem Tod des Menschen und dem Tod Gottes geführt. Oft muß sie gar beides abwechselnd behaupten." G. Gusdorf: Signification, S. 92.

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7. Weder die menschliche Freiheit, noch die ihr begegnende Wirklichkeit besitzen das Monopol, Einfallstor für die göttliche Wirklichkeit zu sein. Der Glaube, — ein Sammelwort durch welches die Haltungen dessen bezeichnet werden, der die Wirklichkeit unter Einschluß der Gotteserfahrung betrachtet — enthält also einen „leeren" und einen „vollen" Aspekt: er ist Leer-Sein angesichts der von Gott ausgehenden allkausalen Determination und er ist Voll-Sein im Sinne des selbständigen Eingreifens des Menschen. Das aufs Äußerste reduzierte volle Tun ist das Sich-leer-Machen für das leere, d.h. das von Gott determinierte Tun. Der alte Streit um das Verhältnis von „Religion" und „Glaube" könnte so interpretiert werden, daß „Religion" mehr als volles, „Glaube" mehr als leeres Tun verstanden wird. Beide Elemente haben Bürgerrecht im Reich der Gotteserfahrung. Nähert sich „Religion" ihrem gottesmörderischen Extrem, so wird es nötig, auf dem „Glauben" zu bestehen, der jede „Religion" ausschließt und in die Wirklichkeit der Offenbarung aufnimmt. Dies ist das Anliegen Karl Barths gegenüber aller die Ehre Gottes angreifenden „Religion". Auch die Entscheidung des Menschen für Gott wird dann als „Religion" verstanden. Daher muß Barth Bultmann ablehnen.

8. Beide Glaubenshaltungen — „ich weiß, daß ich determiniert bin" und „ich weiß, daß ich frei bin" — sind legitim, weil der Wirklichkeit entsprechend. Sie sind einer jeweils gegebenen oder gewählten Situation angemessen. Dabei ist das Determinations-Wissen keineswegs auf Vergangenes beschränkt, demgegenüber das Freiheits-Wissen das Reservat des Hier und Jetzt wäre. Die determinierte Haltung — in der alles, auch das Häßliche und Böse, als von Gott gegeben hingenommen wird — kann vor Gott ebenso recht sein wie die freie Haltung, in der man sich seiner Freiheit erfreut und sie im Grenzfall sogar gegen die von Gott kommende Determination ausspielt (Hiob!). In einer brennenden gegenwärtigen Situation, in der ich mein Schicksal verstehen und gestalten muß, muß geprüft werden, welche der beiden ethischen Haltungen zum Zuge kommen soll. 1134 Beim Gespräch mit Atheisten stoßen Juden, Christen und Muslimen auf die Ablehnung der Denkmöglichkeit Gott. Dabei entdecken sie heute jedoch zwei Tendenzen: Die erste gründet auf dem von der mechanistisch-deterministischen Naturwissenschaft geprägten Weltbild der drei letzten Jahrhunderte und beweist die Denkunmöglichkeit Gott. Die zweite hat die Ergebnisse der Naturwissenschaften des 20. Jahrhunderts verarbeitet und weiß, daß die Denkunmöglichkeit Gott nicht beweisbar ist, lehnt jedoch — aus freier Entscheidung! — ab, den Weg der Denkmöglichkeit Gott zu gehen. Denn diese sei unnötig, um die Welt zu verstehen und sie trage nichts dazu bei, die Welt

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zu verbessern. Im Gegenteil, wenn dennoch gelebt und gedacht, werde sie praktisch nur zu oft zum bewußten oder unbewußten Handlanger der Mächte, die die Befreiung der Massen zu verhindern suchen. Diese Analyse ist richtig. In arabischen Ländern kann die Religion — so wie sie von der Mehrheit gelebt wird — tatsächlich als Opium des Volkes bezeichnet werden, welches es erlaubt, der Welt zu entrinnen, anstatt sie zu verändern. „Welt" bedeutet hier vor allem jene unabänderlich erscheinenden Gesetzmäßigkeiten der internationalen wirtschaftlichen und politischen Konstellationen, die wie ein zu schweres Schicksal auf der Dritten Welt lasten. Religion wird so weitgehend in einer „sich determiniert vermeinenden Glaubenshaltung" (vgl. oben: der doppelte Aspekt des Glaubens) gelebt, die die Hinnahme des status quo impliziert. Die „freie Glaubenshaltung" (s. o.) kommt dabei zu kurz. „Religion" bedeutet hier nicht wie oben — wenn etwa Karl Barth den protestantischen Liberalismus kritisiert — zuviel volles Tun in dem Sinne, daß der Mensch sich frei wähnt, sondern in dem Sinn, daß er sich unfrei wähnt. Ein vom Menschen gemachtes Bild eines allkausalen Gottes wird hier an die Stelle des lebendigen Gottes gesetzt. Die Kritik richtet sich also nicht gegen Gott, sondern gegen die Art und Weise, wie er erfahren und gelebt wird. Dies dürfte die Situation und Tendenz der heutigen Religionskritik des wissenschaftlichen Sozialismus in den arabischen Ländern sein. Mit Vertretern einer solchen Kritik ist ein Gespräch über die Gotteserfahrung, das bei der begegnenden Wirklichkeit einsetzt (Ansatz N), durchaus möglich und angebracht. Einerseits entspricht dies ihrem eigenen von den Naturwissenschaften geprägten Denkansatz. Andererseits entdecken sie hierbei einen ihnen oft unbekannten Aspekt der Offenbarung und der sich auf sie beziehenden Gotteserfahrung, der den Kampf für die Veränderung der Gesellschaft nicht hemmt, sondern stimuliert. Bei Gesprächen mit Atheisten wird es auf jeden Fall angemessen sein, vom Menschen auszugehen. Sei es, daß beide Gesprächspartner — wie soeben angedeutet — vom Ansatz Ν ausgehen und sinnvoll von der Determination des Menschen sprechen — die sie allerdings verschieden deuten —, sei es, daß beide vom Ansatz E ausgehen und sich so in der Freiheit des Menschen, seiner Würde, seiner Schaffenskraft und seiner Verantwortlichkeit zusammenfinden. Auf dem Wege des Freiheitsdenkens werden beide die Existenz eines Gegenübers postulieren, eines „Du", dem der Mensch verantwortlich ist. Sie entrinnen so der Öde des Solipsismus. Ist für den Glaubenden dieses Gegenüber Gott, so tritt an dessen Stelle beim Atheisten der Andere, der Mitmensch, die Gemeinschaft, das Gemeinwohl der Menschheit. Auch diesen Gedanken können Glaubende — wenn auch nicht in seiner Gott ausschließenden Form — nachvollziehen. Ihre Theologie muß sich deswegen nicht „in Anthropologie auflösen". Sie wissen, ζ. B. daß von Gott nur in Bildern gesprochen werden kann. Nach Hasan Hanafi sind in einer ausgebeuteten und säkularisierten Dritten Welt „Mensch", „Freiheit" und „Fortschritt" als Bilder für Gott angebracht 3 2 . 3 2 H. Hanafi:

Théologie ou anthropologie?, S. 2 6 4 .

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12 Gegebenheiten aus der Kernphysik um den alten Widerspruch neu zu denken

121 Niels Bohr und die Kopenhagener Deutung der

Quantentheorie

1927 entdeckte Werner Heisenberg die Unbestimmtheitsrelation und formulierte sie mathematisch. Ihre erkenntnistheoretischen Folgerungen wurden 1927 und 1930 auf den Solvay-Konferenzen in Brüssel von .Niels Bohr und Werner Heisenberg vorgetragen: die Forderung der „Objektivierbarkeit", nämlich daß Ergebnisse in einem raum-zeitlich koordinierten System übersichtlich darzustellen seien, ist für die inneratomare Wirklichkeit undurchführbar. Fortan ist diese nur noch so zu beschreiben und zu erklären, daß jeweils eine bestimmte Versuchsanordnung — die weiterhin mit den klassischen Methoden der Eindeutigkeit und des Allgemeinbegriffs arbeitet — die Wirklichkeit in einem bestimmten Phänmen erfaßt. Eine darauf folgende andere Versuchsanordnung erfaßt die Wirklichkeit in einem anderen Phänomen. Da die Messungen am selben Objekt nicht gleichzeitig erfolgen können, das Objekt aber inzwischen seine Lage verändert hat, kann der Faktor „Zeit" nicht eliminiert werden, was erforderlich wäre für die Formulierung eines allgemeingültigen Satzes. Man kommt also notgedrungen zu zwei aufeinanderfolgenden Aussagen, die zwar beide in sich eindeutig sind, aber nicht zusammen in ein eindeutiges — „objektives" — System eingeordnet werden können. Denn die vom Versuchsansteller gewählten Beobachtungsbedingungen gehen mit in die erstrebte exakte Wiedergabe der Wirklichkeit ein. Werden Ort und Impuls kleinster Teilchen gemessen, so ergeben sich demnach eine Ort-Aussage und eine Impuls-Aussage. Wird ein und dasselbe Licht in der Korpuskel-Versuchsanstellung gemessen, so verhält es sich anders als bei der Wellen-Versuchsanstellung. Beide Aussagen — ja sogar beide Phänomene — verdrängen sich gegenseitig, schließen sich aus, da die Meßanordnungen, mit denen sie gewonnen werden, sich gegenseitig ausschließen. Die Kopenhagener Schule deutet diese Ergebnisse wie folgt: „Wir sind nicht in der Lage, den nach unterschiedlichen Methoden gewonnenen Ergebnissen Fehler nachzuweisen. Wir können daher, ohne voreingenommen zu sein, keines der Ergebnisse als falsch ausmerzen. Wenn aber die Tatsachen nicht zu leugnen sind, dann muß die Logik, die für solche widersprüchliche Aussagen keinen Platz hat, weichen". In der mathematischen Formulierung der Unbestimmtheitsrelation wurde der Grund gelegt für eine neue Logik, in der die Evidenz 44

der — wenn auch unanschaulichen — Einheit der sich ausschließenden Phänomene zum Ausdruck kommt 3 3 . Der dänische Physiker Niels Bohr3*, von dem der Denkanstoß zur Kopenhagener Deutung kam, war von der Passion der Ganzheit und der Einheit ergriffen. Ihm ging es um Synthese und Interpretation der Erfahrungen, wobei keine dieser Erfahrungen vergewaltigt werden sollte. Die Frage des Verhältnisses von Objekt und Subjekt hatte ihn seit langem beschäftigt und er hatte sie im Sinne der oben skizzierten „Kopenhagener Deutung" philosophisch im Wesentlichen schon gemeistert, als Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation den Sachverhalt entdeckte, für welchen diese Deutung wie geschaffen war. Bohr führte hierzu die Bezeichnung „Komplementarität" e in, um daran zu erinnern, daß die verschiedenen Phänomene erst zusammen alle definierbaren Aufschlüsse über die behandelten atomaren Objekte erschöpfend ausdrücken. Als er 1927 zum ersten Mal öffentlich vortrug, was mit dem Begriff Komplementarität gekennzeichnet werden könne, wies er auf das Verhältnis hin, das zwischen der Beobachtungsweise der klassischen Physik und der der Quantenmechanik besteht: in der klassischen Physik, die durch die Kernphysik keineswegs ihre Gültigkeit verliert, steht der Beobachter (das Subjekt = S) dem Objekt (= O) gegenüber und macht von ihm allgemeingültige Aussagen. Dies stellt Bohr dar durch die Formel S//0. In der Quantenmechanik steht der Beobachter einem mit dem Subjekt verhafteten Objekt gegenüber, denn die von ihm gewählten Versuchsbedingungen gehen mit in die Beschreibung des Objekts ein. Diese Lage, bei der „ich" (= S') mich beobachte, wie „ich" (= S) das Objekt beobachte 35 , symbolisiert Bohr mit S'//S/0. In ihr können 33 „Die aristotelische Logik genügt für den Grad von Wirklichkeit, für den sie aufgestellt wurde; so wie die französische Sprache für Frankreich genügt. Wenn man aber über die Grenze kommt, so ist es gut, eine andere Sprache zu können. So muß auch das Denken, wenn es sich einem anderen Grad der Wirklichkeit zuwendet, eine andere Logik anwenden." P. Foulquié: La dialectique. 1966, S. 96. Foulquié stellt auch die Unterschiede heraus, die diese neuen Denkformen wesentlich von aller ihr vorausgegangenen Dialektik differenzieren (S. 102ff.). 34 Zu Niels Bohr und seinem Werk: N. Bohr: Atomphysik und menschliche Erkenntnis, Bd. I: Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1933—1955; Bd. II: Aufsätze und Vorträge aus den Jahren 1958—1962. 1964 und 1966. — C. F. von Weizsäcker: Niels Bohr, der Schöpfer des Atommodells, in: Ders.: Zum Weltbild der Physik. 1958, S. 2 5 1 - 2 5 7 . - W. Pauli: Aufsätze und Vorträge über Physik und Erkenntnistheorie. 1961, S. 24ff. — K. M. Meyer-Abich: Korrespondenz, Individualität und Komplementarität. Eine Studie zur Geistesgeschichte der Quantentheorie in den Beiträgen Niels Bohrs. 1965, (mit vollständigem Verzeichnis der Schriften Bohrs). - A. M. K. Müller: Die präparierte Zeit, S. 293ff. L. Rosenfeld: Niels Bohr — biographical sketch, S. XVIIff. 35 Ν. Bohr: Atomphysik und menschliche Erkenntnis I, S. 104.

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keine allgemeingültigen Aussagen mehr gemacht werden, denn die vom Objekt gelieferten Bilder sind je nach der gewählten Methode verschieden. S / / 0 und S'l/S/O stehen zueinander in einem komplementären Verhältnis. Sie schließen sich gegenseitig aus und sie bedingen sich gegenseitig: — Ausschließen: Die Berücksichtigung des Beobachters macht die allgemein-gültigen Sätze ungültig, zerstört die Wahrheit der von ihnen „eingefangenen" Wirklichkeit, andererseits schließt die konsequente Anwendung der Wahrheit dieser Sätze die Existenz eines frei zwischen ihnen wählenden Beobachters aus. Beide sich ausschließenden Sätze sind unaufgebbar, denn der Beobachter kann sich weder von der Notwendigkeit, zwischen zwei Methoden frei zu wählen, noch von der, streng deterministische allgemeingültige Untersuchungsmethoden anzuwenden, dispensieren. — Bedingen: Die Infrastruktur der Wirklichkeit, von der die bislang als allgemeingültig betrachteten, weiterhin gültigen, Sätze zeugen, kann nur unter Berücksichtigung des Beobachters erfaßt werden, andererseits kann der Beobachter nur durch exakte Anwendung dieser Sätze und Methoden (auf denen seine Meßapparate basieren) zu Aussagen über diese Infrastruktur gelangen. Erst im Anschluß an diese erste Demonstration der Komplementarität wurde dieser Begriff auch auf das Verhältnis angewandt, das zwischen den Ergebnissen zweier durch S'//S/O symbolisierter Versuchsvorgängen besteht, d. h. vor allem das Verhältnis von Ort-Aussage zu Impuls-Aussage und das Verhältnis von Wellenbild zu Teilchenbild. Seit Ende des 17. Jahrhunderts hatten sich in der Physik des Lichtes die Huygenssche Wellentheorie und die Newtonsche Korpuskeltheorie bekämpft. Beide konnten durch experimentell gewonnene Versuchergebnisse erhärtet werden. Man konnte sich jedoch nicht vorstellen, daß beide Theorien recht haben könnten und meinte, daß einer der beiden in ihrem Ganzheitsanspruch notwendigerweise falsch sein müsse. Die Kopenhagener Deutung brachte hier eine Art Schiedsspruch, die beide Theorien für richtig und notwendig erklärte. Die Komplementarität von Ort-Aussagen und Impuls-Aussagen über kleinste Teilchen ist ein strenges Ausschließungsverhältnis. Dieses entspricht der Entdeckung, die Heisenberg in seiner Unbestimmtheitsrelation zum Ausdruck brachte. Sie wurde als „parallele" Komplementarität bezeichnet. Wellenbild und Teilchenbild dagegen stehen zueinander in einem komplementären Verhältnis, bei dem sich die beiden Bilder nicht nur ausschließen, sondern auch bedingen und begründen. Diese Art von Komplementarität yurde „zirkulär" genannt. Sie steht in Verwandtschaft zu den aus der Hermeneutik bekannten zirkulären Verhältnissen, wo der Sache nach zwei Aspekte nicht gleichzeitig betrachtet werden können. Niels Bohr hatte vor allem die „zirkuläre" Komplementarität im Auge. Davon zeugt auch das oft von

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ihm zitierte Wort, man könne nicht gleichzeitig Zuschauer und Mitspieler im Welttheater sein 36 .

Das Ganzheitsanliegen der Kopenhagener Schule greift das Polaritätsdenken der Alchemie auf. Bei ihr sollten die Prozesse in der Retorte mit Prozessen im Beobachter in wirklichem und nicht nur allegorischem Zusammenhang stehen. Begriffe wie „Spiritus", die sowohl für den Geist des Laboranten als auch für die Substanz, mit der experimentiert wird, gelten, weisen darauf hin. „Sowohl der menschliche Geist in uns, als auch das wahrgenommene Objekt außer uns, sind der gleichen kosmischen Ordnung unterworfen", bemerkt Wolfgang Pauli, der ebenfalls zum Kopenhagener Kreis gehört, und er zitiert Goethes Faust, der in seinem Labor sagt: „nichts ist drinnen, nichts ist draußen, denn was innen, das ist außen". Was der Alchemie nicht gelungen sei, könne nun wieder neu in Angriff genommen werden. Das Gegensatzpaar der mit materiellen Vorgängen sich befaßenden Naturwissenschaft und der von ihr abgelösten Geisteswissenschaft und Religion könne wieder als Ganzes gedacht werden37. Die arabische und persische Welt spielte als Träger der alchemistischen Gedankenwelt eine große Rolle. Die Einheitsidee des islamischen Denkens kam der alchemistischen Grundidee entgegen. Die dem arabischen Geist eigene Dialektik, die diskontinuierlich von einer konkreten Aussage zur anderen voranschreitet und sie gegeneinander setzt, war besonders geeignet, mit gewissen alchemistischen „Wahrheiten", die systematisch in widersprüchlicher Form ausgedrückt wurden, umzugehen38.

3 6 C. F. von Weizsäcker: Komplementarität und Logik. 37 W. Pauli: Aufsätze und Vorträge, S. 9, 9 1 , 102 und 109. - Carl Friedrich von Weizsäcker und Werner Heisenberg verstehen Goethe als Vorläufer. In seiner Farbenlehre vertrat dieser die Rolle des Subjekts gegenüber der objektivierenden Lehre Newtons und sah die Unverträglichkeit beider Standpunkte, vgl. W. Heisenberg: Die Goethesche und die Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik, in: Ders.: Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft. 1959, S. 8 5 - 1 0 6 . Ob ein Zusammenhang der Kopenhagener Schule mit dem Werk von Emile Boutroux (De la contingence des lois de la nature. 1 8 7 4 ) besteht, ist fraglich. 38 E. E. Ploss, H. Roosen-Runge, H. Schipperges und H. Buntz: Alchimia — Ideologie und Technologie. 1 9 7 0 , S. 2 1 , 36 (zu Goethes Faust und Farbenlehre s. o.) und S. 83. — L. Gardet: Spécificité de la dialectique arabe, in: J. Berque und / . P. Charnay (Hg.): L'ambivalence 1 9 6 7 , S. 3 5 9 - 3 6 5 . - J . Berque: Hellénisme et les alchimistes arabes, in: Ebd., S. 111—115. — H. Corbin: Jâbir ibn Hayyân et l'alchimie, in: Ders: Histoire de la philosphie islamique, Bd. 1. 1 9 6 4 , S. 184— 189.

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122

Die Diskussion

um die Kopenhagener

Deutung

Die Kenntnis v o n der Quantentheorie u n d ihren p h i l o s o p h i s c h e n Implik a t i o n e n verbreitet sich schnell in verschiedenen Kulturkreisen u n d Fachbereichen. Louis de Broglie berichtete vor der französischen philosophischen Gesellschaft, wobei auch Einstein zugegen war 39 . Im englischen Sprachbereich machte sich Sir Arthur Eddington zum beredeten Vertreter eines Antideterminismus, der sich von Heisenbergs Unbestimmtheitsrelation inspirieren ließ 40 Auch in der arabischen Welt finden die neuen Ergebnisse Eingang durch Wissenschaftler, die mit ihnen arbeiten, und durch Vulgarisationen in philosophischen Büchern 41 . Bohr und Heisenberg selbst hielten Vorträge vor Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen 42 . Ferdinand Gonseth und seine Schüler führten das schwierige Gespräch mit NeoThomisten und kämpften durch die Veröffentlichung von brilliant verfaßten fiktiven Streitgesprächen zwischen den Vertretern der verschiedenen Richtungen für eine den modernen Naturwissenschaften gegenüber „offene" Philosophie 43 . Die Diskussion ist heftig. Die Widerstände f u ß e n z u m großen Teil auf Einsteins A r g u m e n t e n , die er s c h o n 1 9 2 7 u n d 1 9 3 0 auf d e n SolvayK o n f e r e n z e n vorbrachte. Ihm ging es darum, am Postulat einer v o m B e o b a c h t e r unabhängigen Wirklichkeit festzuhalten. Ein solcher „Realism u s " ist letztlich das gemeinsame Anliegen so verschiedener D e n k e r w i e katholischer N e o - T h o m i s t e n , Nico lai Hartmanns u n d mancher Natur44 p h i l o s o p h e n des dialektischen Materiedismus . 39 L. de Broglie: Déterminisme et causalité dans la physique contemporaine, in: Bull. Soc. franç. Phil. 29, 1929, S. 141-160. 40 A. S. Eddington: The nature of the physical world. 1928. 41 Μ. Α. al-'Älim: Falsafat-ul-musädafa (Philosophie des Zufalls). 1970. - M.A. Lahbabi: De l'être à la personne — essai de personnalisme réaliste. 1954. — Ά. M. al-'Aqqäd: al-falsafat-ul-qur'âniyya. 1966, S. 129ff. 42 N. Bohr: Atomphysik und menschliche Erkenntnis I und II. — W. Heisenberg: Schritte über Grenzen. 1971. 43 F. Gonseth (Hg.): Philosophie néo-scolastique et philosophie ouverte. 1954. — Ders. (Hg.): La métaphysique et l'ouverture à l'expérience. 1961. — H. S. Gagnebin und F. Gonseth: Déterminisme et libre arbitre. 1944. — / . L. Destouches: Les thèses fondamentales de l'idonéisme, in: Etudes de philosophie des sciences. 1950, S. 4 1 - 5 2 . 44 S. hierzu G. Howe: Zu den Äußerungen von Niels Bohr über religiöse Fragen, in: Kerygma und Dogma 4, 1958, S. 29ff. - Ders.: Gott und die Technik. 1971, S. 8Off. - C. F. von Weizsäcker: Einstein und Bohr — der Streit um den Realitätsbegriff des Physikers, in: Ders.: Voraussetzungen des naturwissenschaftlichen Denkens. 1971, S. 41—50. — A. Diemer u n d / . Fremei (Hg.): Philosophie (zu48

Die angemeldeten B e d e n k e n gegen die philosophischen K o n s e q u e n z e n der K o p e n h a g e n e r Deutung w e r d e n verständlich, wenn m a n sieht, nach welcher R i c h t u n g hin diese v o n positivistischen und neo-positivistischen Denkern ausgelegt wird. U n t e r dem V o r w a n d , Pragmatiker zu sein, ordnen diese j e d e r korrekt beschriebenen B e o b a c h t u n g eine Wirklichkeit zu. „Wenn ein Fakir inmitten einer Menschenmenge ein Seil in die Luft wirft, an ihm hinaufklettert und alle dies sehen, ein Beobachter von weitem aber, mit einem Fernrohr beobachtend, nichts bemerken kann, so ist — von der positivistischen Auffassung aus — darauf zu verzichten, zu entscheiden, was wirklich und was eingebildet ist: man sagt besser, daß es sowohl für die nahen als für die entfernten Zuschauer je eine eigene Realität gibt" (Pascual Jordan: Verdrängung und Komplementarität, S. 67ff. Siehe auch dessen: Atom und Weltall — Einführung in den Gedankeninhalt der modernen Physik 1956). Das Anliegen der Kopenhagener Schule, die eine, wahre Wirklichkeit zu erkennen, bleibt hier unverstanden. A u c h die Genugtuung, mit der aus dem Idealismus K o m m e n d e a u f die Gelegenheit springen, u m mit Hilfe der Kopenhagener Deutung die N a t u r der Naturwissenschaften ihrem „ G e i s t " wieder einzuverleiben (und z. B . v o m „freien Willen des A t o m s " und einer akausalen Welt reden) m a c h t die B e d e n k e n der „ R e a l i s t e n " verständlich. „Seit Bohr und Einstein in Brüssel die Frage angeschnitten haben, hat sich nichts Grundlegendes geändert. Die Fragen und Antworten sind dieselben geblieben", sagte Heisenberg 1965 auf dem UNESCO-Kolloquium zum 10. Todestag von Albert Einstein und Pierre Teilhard de Chardin (Science et Synthèse. 1967, S. 2 5 3 - 2 7 6 ) . Gegenüber den B e d e n k e n der Realisten und O n t o l o g e n und gegenüber positivistischen und idealistischen Interpretationen hält die Kopenhagener Deutung an d e m Satz v o n der v o m B e o b a c h t e r unabhängigen Wirksammenfassende Darstellung). 1967, S. 195ff. — L. Krüger (Hg.): Erkenntnisprobleme der Naturwissenschaften. 1970, S. 318ff. — /. Moreau: Problèmes et pseudo-problèmes du déterminisme physique, biologique et psychologique. 1964. Moreau verficht die objektivierbare Wirklichkeit mit Argumenten Einsteins und de Broglies (der sich diesem später sehr genähert hatte), vgl. S. 164. — H. Theisen: Determination und Freiheit bei Nicolai Hartmann. 1972. Karl R. Popper (Logik der Forschung, S. 167ff.) und seine Schüler Hans Albert und Paul K. Feyerabend berufen sich auf Einstein. Insbesondere Feyerabend liefert eine beachtenswerte Kritik der Komplementarität (siehe Lit.-Verzeichnis). — Max Planck, der durch seine Arbeiten entscheidende Voraussetzungen für die Entwicklung der Quantentheorie geschaffen hatte, hielt bis an sein Lebensende an der Idee eines strengen universellen Determinismus fest. Für ihn war auch die menschliche Freiheit unerschütterlichen Gesetzen unterworfen, die allerdings bisher noch nicht bis ins Letzte bekannt seien. Siehe auch seinen Vortrag von 1923: Kausalität und Willensfreiheit, in: Vorträge und Erinnerungen. 1949, S. 161ff. 4

Schoen, Determination

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lichkeit fest. Für sie ist die bei der Untersuchung der mikroskopischen Wirklichkeit angetroffene Nicht-Objektivierbarkeit keine Subjektivität, sondern eine Objektivität, in die die Subjektivität unter kontrollierbaren, reproduzierbaren Bedingungen eingeht. Eine zwar unanschauliche, mathematisch aber widerspruchsfrei formulierte Zusammenfassung gegensätzlicher Aspekte liefert eine Synthese, die die eine, im Werden begriffene Wirklichkeit getreu beschreibt. Wie unterschiedlich auch die von verschiedenen Vorverständnissen her bedingten philosophischen Einstellungen gegenüber der Kopenhagener Deutung sein mögen, so ist es heute doch so, daß alle Physiker in der Praxis mit der von Niels Bohr vorgeschlagenen Denkweise ihre Versuchsergebnisse verarbeiten 45 . Ob sie dabei den vielen Mißverständnissen ausgesetzten Begriff der „Komplementarität" verwenden oder nicht, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. Die Rezeption der Kopenhagener Deutung im Marxismus bietet keine Schwierigkeiten, solange sich dieser wesentlich als wissenschaftliche und revolutionäre Praxis versteht und damit allem Dogmatismus abhold bleibt. Im Gegenteil, das mikrophysikalische Denkmodell stimuliert diese Praxis, denn der aktiv in die Natur und in den Erkenntnisvorgang eingreifende Naturwissenschaftler gleicht dem die Gesellschaft verwandelnden Menschen. Der zum philosophischen System ausgebildete dialektische Materialismus interpretiert dagegen die Ergebnisse der Quantenphysik so in seinem Sinn, daß er den Widerspruch der Wellen- und Korpuskeltheorie als den sich im Denken widerspiegelnden objektiven Widerspruch von Wellen- und Korpuskeleigenschaften der vom Beobachter unabhängigen Materie versteht. Er kann an der Objektivierbarkeit als Grundlage aller Wissenschaft festhalten, weil er die Wirklichkeit als solche für dialektisch hält und die in der Mikrophysik auftauchenden sich gegenseitig ausschließenden Phänomene mit der Wirklichkeit an sich identifiziert. Der sich aus dieser Sicht ergebende dialektische Determinismus der Naturgesetze gilt auch für die gesellschaftlichen Gesetze, die notwendigerweise die bestehende kapitalistische Ordnung dem Untergang weihen und den fortschrittlichen Kräften in der Welt den Sieg verleihen. Die Ablehnung des dialektischen Determinismus erscheint als sinnloser Widerstand gegen diese Entwicklung. Die Freiheit des Menschen k o m m t dann überall dort zum Zuge, wo der Mensch die historischen Gesetzmäßigkeiten erkennt, ihnen zum Durchbruch verhilft und so in der als wahr erkannten geschichtlichen Bewegung aufgeht 4 6 . Freiheit wird hier also nicht als formale Freiheit, d. h. als Wahlfreiheit, sondern ausschließlich als inhaltliche, als wesenhafte Freiheit verstanden. Die Kluft zwischen diesem philosophischen System und 45 Mündl. Mitt. von Wilhelm Frhr. von Waldenfels, Institut für Angewandte Mathematik der Universität Heidelberg. 46 H. Hörz: Der dialektische Determinismus in Natur und Gesellschaft. 1962, S. 135, 139 und 142. - R. O. Gropp: Uber Kausalität, Notwendigkeit und Zufälligkeit. 1959.

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dem tatsächlichen, empirischen Arbeiten marxistischer Wissenschaftler ist offenkundig 47 . Nur hingewiesen sei hier auf die Tatsache, daß in anderen Bereichen des nicht nur praktischen, sondern auch theoretischen Marxismus, insbesondere bei den dem Existentialismus nahestehenden Denkern, die Rezeption der Kopenhagener Deutung keine Schwierigkeit bereitet. In einer ausgezeichneten polemischen Abhandlung zeigt der marxistische Naturwissenschaftler / . C. Sage die Situation auf, in der das philosophische System des dialektischen Determinismus gewachsen ist: Jeweils in der Zeit aufgezwungenen Wartens, die auf eine Niederlage der revolutionären Kräfte folgt, seien die Werke der marxistischen Theoretiker entstanden; so etwa nach 1871, nach der Niederlage der Pariser Kommune. Der Glaube an den Determinismus der Geschichte schaffe in einer solchen Zeit Hoffnung und stärke den Widerstand gegen die siegreiche Rechte. Dieser in Zeiten erzwungener Passivität selbsterfundene Trost — Ersatz für die Prädestination in den Religionen — verschwinde von selbst in der Zeit der rechten Aktion, bei der er nur lähmend wirken könne. Die Revolution — ein schwieriger und gewalttätiger Vorgang — sei niemals im Voraus — dank einer fatalen, unvermeidlichen Entwicklung — gewonnen. Es sei bezeichnend, daß der marxistische Physiker Paul Langevin in dem Augenblick mit dem Determinismus gebrochen habe, als 1935 in Frankreich die Arbeiterklasse ihre revolutionäre Aktion wiedergefunden habe 4 8 . Nachdem in letzter Zeit in mehreren arabischen Ländern restaurative Kräfte Siege errungen haben, wäre es demnach nicht verwunderlich, wenn nunmehr der arabische Marxismus — nach einer Phase der Praxis in eine Phase der Reflexion gedrängt — mehr theoretische Werke hervorbringen würde.

123

Die komplementäre

Ausdrucksweise

in anderen

Sachbereichen

Die Lebhaftigkeit der Diskussion u m die Kopenhagener D e u t u n g über d e n Kreis der Physiker hinaus weist auf die allgemeine u n d erkenntnistheoretische B e d e u t u n g hin, die der k o m p l e m e n t ä r e n D e n k w e i s e zuk o m m t . Über die Implikationen für Mathematik u n d Logik — die Begleitwissenschaften der Mikrophysik — h i n a u s 4 9 h a t t e n die Physiker des Kopenhagener Kreises auf k o m p l e m e n t ä r e Ausdrucksweisen in anderen Sachbereichen hingewiesen und dazu b e m e r k t , daß es sich hierbei nicht 47 Wenn auch mit Blochinzew, Alexandrow und anderen Bohr und die Kopenhagener Schule des Idealismus beschuldigt werden, so wird doch praktisch nach ihrem Denkmodell gearbeitet (mündl. Mitt. von Waidenfels). — S. hierzu auch P. Naville: La psychologie du comportement. 1963. S. 369. 48 ]. C. Sage: La science contre la philosophie — déterminisme et indéterminisme, deux concepts philosophiques. 1964. 49 Vgl. P. Bernays: Mathematische Existenz und Widerspruchsfreiheit, in: Etudes de philosophie des sciences. 1950, S. 11—25, und C. F. von Weizsäcker: Komplementarität und Logik, ferner W. Stegmüller: Theorie und Erfahrung, S. 438ff. 51

um vage Analogien handle» sondern um dieselben, auf anderen Gebieten beobachteten, logischen Beziehungen 50 . 1231 Bohr, dessen Vater Biologe war, wuchs auf inmitten des die biologische Forschung bewegenden Streites um Mechanismus oder Vitalismus. Bohr erkannte die Rechtmäßigkeit beider Richtungen innerhalb ihrer Arbeitsweise und des im Rahmen ihrer Denkweise mitbewegten Koordinatensystems. Vitalismus war für ihn nicht das Zurückgreifen auf die primitive Vorstellung von Lebenskraft, sondern die Erkenntnis der Unzulänglichkeit der physiko-chemischen Betrachtungsweise des Mechanismus. Denn der experimentelle Eingriff in einen lebenden Organismus kann dessen Integrität nicht erfassen. Der Ganzheitsbetrachtung bleibt dagegen die Kenntnis der physiologischen Einzelmechanismen verschlossen. Ferner wies Bohr hin auf folgende komplementäre Beziehungen: — zwischen der Analyse eines Begriffes und seiner unmittelbaren Anwendung, — zwischen der Wiedergabe bewußter Erfahrungen, die durch Denken oder durch Fühlen gewonnen wurden, — zwischen vernünftigem und instinktivem Verhalten, — zwischen kausalpsychologischer Analyse und der Anwendung sittlicher Kategorien, die Freiheit voraussetzen, — zwischen den Worten Kontemplation und freier Wille, die auf sich gegenseitig ausschließende Situationen hinweisen, für bewußtes Leben jedoch gleichermaßen charakteristisch und seit den Uranfängen der Sprache in typisch komplementärer Weise gebraucht worden seien, — zwischen den Verhaltensweisen und Weltbildern verschiedener kultureller und religiöser Gemeinschaften (vgl. oben 112: kollektive Aspekte des Ich und Du). 1232 Pascual Jordan zeigte den komplementären Charakter des von Sigmund Freud entdeckten Verhältnisses der sich gegenseitig verdrängenden bewußten und unbewußten Gedankengänge: unerwünschte Wünsche werden ins Unbewußte abgeschoben; Wünsche und Träume werden ins Bewußtsein geholt und dadurch zerstört. Er verglich ferner die pathologische Persönlichkeitsspaltung — bei der hintereinander zwei verschiedene Personen den Körper beherrschen — mit Ort- und ImpulsAussagen über das Elektron — wobei die Beobachtung des Ortes die des Impulses unmöglich macht, und umgekehrt 5 1 . 1233 Komplementär scheint auch das Verhältnis der Kausalantinomie Sollensantinomie bei Nicolai Hartmann zu sein:

und der

— Ersterer zufolge m u ß die Determination des Willens vom ethischen Prinzip ausgehen (wie bei Kant, für den der Nachweis eines Sittengesetzes schon die Freiheit beweist). Hier ist die Willensfreiheit nicht individuell. Dies ist die Freiheit im positiven Verstände. 50 W. Pauli: Die philosophische Bedeutung der Idee der Komplementarität, in: Aufsätze und Vorträge, S. 10—17. — N. Bohr: Atomphysik und Philosophie, in: Atomphysik und menschliche Erkenntnis II, S. 1 — 16. 51 P. Jordan: Verdrängung und Komplementarität. 1947, S. 21 und 46.

52

— Zweiterer zufolge darf die Determination des Willens nicht vom ethischen Prinzip ausgehen. Hier ist die Willensfreiheit nur individuell. Dies ist die Freiheit im negativen Verstände. Die Autonomie des Prinzips steht also gegen die Autonomie der Person. Beide Antinomien schließen sich gegenseitig aus. Ihre Lösbarkeit ist keine gemeinsame, sondern eine alternierende. Ihre Koexistenz ist die gegenseitigen Bedingens 52 .

1 2 3 4 A u c h im Bereich der Theologie kam, in D e n k e n u n d Praxis, die Komplementarität hin u n d wieder zur A n w e n d u n g . Niels Bohr, der für sich persönlich den Gedanken einer personifizierten Vorsehung ablehnte, wies auf die komplementäre Beziehung der Begriffe Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (oder Liebe) hin: Ihre Vereinigung ist das Ziel vieler Kulturen. Dennoch schließt in konkreten Situationen die strikte Anwendung von Gerechtigkeit die von Liebe aus, und umgekehrt. Diese beiden Grundhaltungen stehen in vielen Religionen als göttliche Personifikationen im Widerstreit 53 . Karl Heim verfolgte die Krise der klassischen Naturwissenschaft und sah den Zusammenhang mit der Krise der Metaphysik in der Theologie. Er sah darin mit Freuden eine Öffnung der Naturwissenschaft gegenüber der Theologie, wartete jedoch vergebens darauf, daß auch die Theologie — verfangen im Akosmismus der Ritschl'schen Werturteilslehre, des Existenz- und des Kerygmabegriffs — sich nun auch der Naturwissenschaft öffne 5 4 . Günter Howe brachte, z u s a m m e n mit Carl Friedrich von Weizsäcker, das Gespräch z w i s c h e n Physikern u n d T h e o l o g e n in Gang, bei d e m in sehr gründlichen Einzeluntersuchungen e r w o g e n wurde, o b das eine oder das andere theologische Problem mit k o m p l e m e n t ä r e m D e n k e n angegangen w e r d e n k ö n n e oder nicht. Er vertrat dabei die A n s i c h t — der sich auch der Verfasser anschließt —, daß das Schiff der T h e o l o g i e nicht im sicheren H a f e n w a r t e n k ö n n e , bis die auf der Grenze v o n Physik u n d Philosophie betriebenen Forschungen ein abschließendes Urteil über die Kopenhagener D e u t u n g ermöglichen werde. Sie müsse, so w i e die anderen Disziplinen, m i t d e n erarbeiteten D e n k f o r m e n an die Arbeit g e h e n u n d sie dabei auf ihre Tragfähigkeit für die T h e o l o g i e prüfen. D i e s e Ansicht setzte er auch in die Tat u m 5 5 .

52 H. Theisen: Determination und Freiheit bei Nicolai Hartmann, S. 87. 53 N. Bohr: Physical science and the study of religions, in: Pedersen Festschrift. 1953, S. 389. — Ders.: Atomphysik und menschliche Erkenntnis II, S. 15. 54 H. Timm: Glaube und Naturwissenschaft in der Theologie Karl Heims. 1968, S. 48. 55 G. Howe: Zu den Äußerungen von Niels Bohr über religiöse Fragen. S. 20—46. — Ders.: Physik und Theologie in der gegenwärtigen geistigen Lage, in: Mensch und Physik. 1963, S. 76. - Ders.: Gott und die Technik. 1971, S. 82. 53

In seiner Theologie des Kirchenrechts greift Hans Dombois Bohrs Anregungen auf und beschreibt Gegensatz und Einheit von Gnade und Recht als komplementäre Beziehung 56 . Die mittelalterliche Gotteslehre — sowohl die islamische als auch die christliche — rang um die begriffliche Synthese von sich widersprechenden Eigenschaften Gottes, so etwa das Wissen und das Wollen Gottes. Thomisten betonten das erstere, Occamisten das letztere. Karl Barth formulierte — intuitiv — in seiner Gotteslehre die Eigenschaften Gottes in einer Serie von Gegensatz-Paaren (KD I I / l , S. 402, 414, 422, 424). Günter Howe entdeckte, daß die von Karl Barth verwandte Denkstruktur die der Bohrschen Komplementarität war. Dabei nimmt allerdings Karl Barth einen entscheidenden Eingriff vor: er entscheidet, welcher der beiden Gegensätze zuerst gesagt werden muß und bringt diese so festgelegte Reihenfolge in Verbindung mit dem Weg, den Gott in der Geschichte mit dem Menschen geht, von der Verhüllung zur Enthüllung. Außerdem schließen sich bei Karl Barth die Begriffe der Gegensatzpaare nicht so völlig aus, wie in der Physik: bei ihm ist die eine Aussage immer in die andere hineinverwoben 57 . Auch in seiner Versöhnungslehre arbeitet Karl Barth mit zweierlei sich gegenseitig ausschließenden und füllenden Begriffen. Er redet vom Glauben in negativer oder leerer Weise: er schließt alle Werke aus, er verneint die Kraft und den Wert allen menschlichen Tuns, und er redet von ihm in positiver oder voller Weise: der Glaube ist eine freie Tat des Menschen. Auch von der einen Liebe redet er unter zwei zu unterscheidenden Gesichtspunkten: er bezeichnet sie als göttliche und als menschliche Tat. Rechtfertigung und Heiligung, Glaube und Liebe, Empfangen und Hingabe sind ihrerseits Begriffspaare, die zwei real verschiedene Momente eines und desselben Heilsgeschehens ausdrücken (siehe z.B. Kirchliche Dogmatik IV/1, S. 700ff. und 846ff.; KD IV/2, S. 825ff.). Bewußt verwendet Joseph Ratzinger die Komplementarität in seiner Darstellung der Trinitätslehre: die Einheit Gottes liege auf der Ebene des Absoluten, des Substanzund Individuum-Denkens. Die Dreiheit könne auf dieser Ebene nicht gesucht werden. Sie liegt auf der Ebene des Relativen, des Relatio- und Person-Denkens. Beide Ebenen müssen als qualitativ gleichrangig ins Wort kommen. So wird klar, daß neben der Substanz der Dialog, die Relatio, als gleichermaßen ursprüngliche Form des Seines steht. Augustinus hat diesen Gedanken in folgende Formel gegossen: „Vater wird er nicht in Bezug auf sich, sondern in der Beziehung zum Sohn hin genannt, auf sich hin gesehen ist er einfach Gott". Die Substanz-Ebene könne dem Teilchenbild, die Relatio-Ebene dem Wellenbild zugeordnet werden 58 . In einem Arbeitspapier für einen Gesprächskreis der evangelischen Kirche Badens stellte Gerhard Liedke das lebhaft umstrittene Verhältnis der Praxis der Kinder- und der Erwachsenen-Taufe als ein komplementäres dar: beide schließen sich aus, seien 56 H. Dombois: Der Kampf um das Kirchenrecht, in: H. Assmussen und W. Stählin (Hg.): Die Katholizität der Kirche. 1957, S. 2 8 5 - 3 0 7 . - Ders.: Das Recht der Gnade, ökumenisches Kirchenrecht I. 1971, S. 190 und 199. 57 K. Barth: Kirchliche Dogmatik, Bd. I I / l , S. 386. - G. Howe: Parallelen zwischen der Theologie Karl Barths und der heutigen Physik, in: Antwort. 1956, S. 4 0 9 - 4 2 2 . 58 / . Ratzinger: Einführung in das Christentum. 1968, S. 135ff. und 141ff. 54

aber beide nötig, um das Ganze auszusagen. Die Erwachsenentaufe betone das Entscheidungsmoment, die Kindertaufe stelle das unserer Entscheidung zuvorkommende Handeln Gottes dar 59 . Das für echte Komplementarität typische sich gegenseitige Bedingen der Aspekte gilt jedoch nicht für das grundsätzliche Verständnis des Taufgeschehens. Denn ohne das Grundschema der Taufe bewußt Glaubender ist zwar die Säuglings-Taufe undenkbar. Die Taufe bewußt Glaubender kommt jedoch ohne die Säuglingstaufe aus (was die Praxis der allerfrühesten Christenheit beweist) und kann sehr wohl die ganze Fülle der vom Taufgeschehen auszusagenden Aspekte darstellen. Gerhard Liedke weist auch auf das komplementäre Verhältnis hin, das zwischen der deuteronomistischen Land-Theologie und der die Seßhaftigkeit ablehnenden Theologie der Rekabiten besteht. Der Prophet Jermias (Jer. 35) würdigt die alte Theologie der Rekabiten als der gegenwärtigen Situation durchaus angemessene Aktualisierung des israelitischen Glaubens. Komplementär dürfte auch das Verhältnis sein, das zwischen der Kerygma-Theologie und der Untersuchung der Worte und Taten des historischen Jesus besteht. Der vom Erlebnis der Auferstehung Jesu herkommende christliche Glaube greift rückwirkend auch in die Wirklichkeit des Lebens des irdischen Jesus ein und verändert sie. Er schließt damit das Wirklichkeitsbild aus, das die von der Auferstehung Jesu absehende historische Forschung entwirft. Etwas sehr allgemein referiert H. H. Schrey über die Komplementarität und schlägt vor, sie zur Bewältigung verschiedenster problematischer Beziehungen zu verwenden, und zwar u.a.: Theologie und andere Wissenschaften, Freiheit und Determination, menschliche und göttliche Natur Jesu, Institution und Ereignis und die zwei-ReicheLehre Luthers 60 . Weiteren Kreisen wurde der Begriff der Komplementarität b e k a n n t , als er auf ein aktuelles ethisches Problem angewandt wurde. Die „Heidelberger T h e s e n " v o n 1 9 5 9 beschrieben die in der Kirche sich schroff gegenüberstehenden Haltungen zur Frage der Atombewaffnung als komplementäres Handeln, w e l c h e s sich gegenseitig ausschließt, aber auch bedingt, u n d w e l c h e s den Frieden als gemeinsames Ziel hat. V i e l e n erschien es so, als ob hierbei die Abschreckungspolitik durch Besitz v o n A t o m w a f f e n der Kriegsdienstverweigerung als gleichwertig beigeordnet werde. Günter Howe und d e n A u t o r e n der T h e s e n war es j e d o c h klar, daß es sich hierbei nur u m eine für eine provisorische Situation gültige „ K o m plementarität für u n t e r w e g s " handelt u n d daß die eigentlich christliche Lösung die gewaltlose ist, die sich spätestens im k o m m e n d e n A e o n durchgesetzt haben wird. Wir s t e h e n hier vor der für die christliche Existenz 59 G. Liedke. Evang. Studiengemeinschaft Heidelberg; siehe auch H. D. Knigge: Komplementäre Taufpraxis als hermeneutisches Darstellungsmittel der Rechtfertigungslehre, in: Evang. Theologie 31, 1971, S. 2 7 6 - 2 7 7 . 60 H. H. Schrey: Weltbild und Glaube im 20. Jahrhundert. 1961. - Ders.: Der Begriff der Komplementarität und seine Bedeutung für Erkenntnistheorie und Theologie, in: Evang. Theologie 19, 1959, S. 3 9 1 - 3 9 8 . 55

t y p i s c h e n „Gleichzeitigkeit" (simul) des Jetzt-noch-in-dieser-Welt-Sein u n d des Jetzt-schon-in-der-kommenden-Welt-Leben, die allerdings in einer k o n k r e t e n S i t u a t i o n nicht b e i d e gleichzeitig gelebt w e r d e n k ö n n e n . D a das , J e t z t - s c h o n " h ö h e r e n Wert hat als das , J e t z t - n o c h " (das einst (olim) o h n e d e n Widerspruch des , J e t z t - s c h o n " alleingültig war!) u n d sich letztlich allein durchhalten wird, wurde diese „ K o m p l e m e n t a r i t ä t für unterw e g s " auch als „asymmetrische K o m p l e m e n t a r i t ä t " b e z e i c h n e t . Es wurde allerdings mit R e c h t v o n anderer Seite gefragt, ob es nicht besser sei, hier v o n einem dialektischen Verhältnis z u s p r e c h e n 6 1 . Ulrich Duchrow stellt Luthers Zwei-Reiche-Lehre als die Verschränkung einer komplementären mit einer dialektischen Beziehung dar. In komplementärem Zusammenhang stehen für den Menschen sein Welt- und sein Gottesverhältnis, in dialektischem Zusammenhang seine Teilhabe am alten und am neuen Adam. Die von der Zwei-ReicheLehre korrekt abgewogenen und beschriebenen Spannungen seien daher als „asymmetrisch komplementäre Bezüge" zu bezeichnen, so etwa das Verhältnis von Weltdienst und Gottesdienst, von weltlichem und geistlichem Beruf, von Ehe und von Ehelosigkeit um des Reiches Gottes willen . . . 62 . Ähnlich wie bei Karl Barths Eingriff in die Komplementarität — dadurch daß er sich für eine bestimmte Reihenfolge entscheidet — wird hier der Begriff der Komplementarität umgebogen, um damit christliche Glaubenaussagen darzustellen. Was hierbei auf der einen Seite durch bessere Verständlichkeit gewonnen wird, kann andererseits durch die Gefahr des Mißverständnisses verloren gehen. Jürgen Hübner diskutiert die Frage, ob das Verhältnis von theologischer und biologischer Wahrheit als komplementär bezeichnet werden kann 6 3 . Klaus Rosenthal berichtet — im Gespräch mit P. H. J^rgensen — über den naturwissenschaftlichen Diskussionsbeitrag zum Subjekt-Objekt-Problem der Philosophen und Theologen. Er sieht diesen Beitrag vor allem im Hinweis der Naturwissenschaftler darauf, daß die Trennung von Objekt und Subjekt zwar nicht rückgängig zu machen, jedoch zu problematisieren sei (s.o. 121 und s.u. 124). Die Aspekthaftigkeit der theologischen Erkenntnis werde so deutlich. Er erinnert in diesem Zusammenhang an das gleichwertige Nebeneinander objektivierender und nicht-objektivierender theologischer Aussagestrukturen (Doxologie und Lehre auf der ei-

61 G. Howe (Hg.): Atomzeitalter, Krieg und Frieden. 1959, S. 189ff. und 230. Ernst Wolf: Zur Frage der „Komplementarität", in: Junge Kirche 21, 1960, S. 3—7. — H. Bosse: Zur Frage der Komplementarität (über das Verhältnis von Komplementarität und Dialektik), in: W. Danielsmeyer (Hg.): Der Friedensdienst der Christen — Beiträge zu einer Ethik des Friedens. 1970, S. 94—111 ; in der Einleitung zu diesem Band, S. 8, äußert sich Ludwig Raiser zur Komplementarität; Besprechung dieses Bandes von G. Liedke in: Luth. Rundschau 21, 1971, S. 397. 62 U. Duchrow: Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zwei-Reiche-Lehre. 1970, S. 175 (Anm. 574), 317, 468, 469 (Anm. 112), 520, 571, 576. 63 J. Hübner: Theologie und biologische Entwicklungslehre. 1966, S. 304ff. 56

nen, Gebet und Zeugnis auf der anderen Seite), auf das E. Schlink macht hat 6 4 .

124

Determination und Freiheit, ein im Bohrschen Sinn täres Verhältnis?

aufmerksam ge-

komplemen-

Das einleitende methodische Kapitel abschließend muß nun gefragt werden, ob unsere alte Frage nach dem Verhältnis von Determination und Freiheit des Menschen — die sich dem arabischen Denken bei dessen Auseinandersetzung mit der Moderne neu stellt — mit Hilfe der aus der Mikrophysik stammenden komplementären Denkform neu angegangen werden kann, und zwar in allen Bereichen, in denen Wirklichkeit dem Ich begegnet, also auch bei der Beziehung der Menschen untereinander und bei dem Gegenüber von Mensch und Gott. Zuerst kann festgestellt werden, daß zuerst und am eigentlichsten die Komplementarität auf das Verhältnis angewandt wurde, das zwischen der objektivierenden deterministischen und der das Subjekt und dessen Wahlfreiheit implizierenden Denkform besteht (s.o. 121). Ob die Komplementarität auf zahlreichen anderen Gebieten zu Recht oder zu Unrecht angewandt wurde, braucht daher hier nicht geprüft werden (s. o. 123). Es genügt darauf hinzuweisen, daß Bohr selbst die nächstliegende Anwendung der Komplementarität überall dort sah, wo sich das Subjekt-Objekt-Problem stellt, ζ. B. bei der Frage der Willensfreiheit. 1241 Bohr bemerkte die komplementäre Weise, in der Worte wie Überlegung und Wille gebraucht werden. Das Gefühl, sozusagen imstande zu sein, aus den gegebenen Umständen das bestmögliche herauszuholen, sei eine gemeinsame menschliche Erfahrung. Willensfreiheit sei daher ein ebenso wichtiger Begriff wie Hoffnung und Verantwortung, die allerdings außerhalb des gebrauchten Zusammenhangs ebenso undefinierbar und unauffindbar seien. Wir seien frei, die Trennungslinie zwischen Subjekt und Objekt zu verschieben und könnten sie so einmal außerhalb des Ich verlagern — dies ist der Grenzfall der klassischen Physik — und ein andermal innerhalb des Ich festlegen — dies ist der allgemeinere Fall der Quantenphysik. In letzterem Fall, in dem unsere Mitteilung einen Hinweis auf uns selbst erhält, führten wir sozusagen ein neues Subjekt (S' genannt, s. o. 121) ein, das nicht als Teil im Inhalt der Mitteilung auftritt. Der reiche Wortschatz, der bei Mitteilungen unse64 K. Rosenthal: Die Überwindung des Subjekt-Objekt-Denkens als philosophisches und theologisches Problem. 1970, S. 135, 165, 146. - P. H. Jfrgensen: Die Bedeutung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses für die Theologie. 1967. — E. Schlink: Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, in: Ders.: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen. 1961, S. 25ff.

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rer Gemütszustände zur Anwendung komme, weise direkt auf eine typisch komplementäre Beschreibung hin, die einem ständigen Wechsel des von unserer Aufmerksamkeit erfaßten Inhaltes entspreche. Ebenso wie die Zusammenfassung atomphysikalischer Erfahrungen den Ganzheitszügen atomarer Phänomene Rechnung trage, könne in Biologie und Psychologie durch die ständig hin und her verschobene Trennungslinie zwischen Subjekt und Objekt — und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Mitteilungsinhalte — die Integrität der Organismen und die Einheit der Persönlichkeit bezeugt werden 65 . 1242 Auf dem Gebiet des Strafrechts wurde komplementäres Denken verwandt, um beiden Feststellungen Rechnung zu tragen: der der Verantwortlichkeit und Schuld des Täters und der der Schuldverflochtenheit mit der Umwelt: — Hans Dombois scheint dabei zunächst vom Denkansatz E auszugehen: er sagt J a zum strafrechtlichen Axiom der Willensfreiheit. Er sagt dann aber auch Nein zur reinen Tatschuld, diese enthalte immer auch Täterschuld, d. h. Schuldverflochtenheit. Dieses Nein scheint ihn aber nicht soweit in den Denkansatz Ν zu versetzen, daß dann für ihn der Gedanke der Strafe sinnlos würde. — Paul Bockelmann zeigt, wie im strafrichterlichen Empfinden des Volkes widersprüchliche Argumentationen koexistieren. So höre man etwa in einem Satz sagen: „Von so einem Schurken war nichts anderes zu erwarten. Nun soll er auch büßen für das, was er getan hat. Denn er hat es aus freien Stücken getan!" Auch der Richter kenne den tragischen Konflikt, ob er für ein zu fällendes Urteil auf dem Weg des Schuld-Denkens oder des Schicksal-Denkens zu gehen habe, ob er sich für Strafe oder für Resozialisierungsmaßregelung entscheiden solle. Bockelmann ruft ins Gedächtnis, wie in der Geschichte des Strafrechts im Schulenstreit um die Frage „Schuld oder Schicksal?" das Pendel in den verschiedenen, sich mit dem straffällig gewordenen Menschen befaßenden Fachbereichen bald nach der deterministischen, bald nach der humanistischen-idealistischen Seite hin ausgeschlagen und wie das Ergebnis sich dann im Strafrecht und seinen Kompromissen niedergeschlagen hat. Er tritt für eine gelebte, pragmatische Komplementarität ein — so wie auch der religiöse Mensch wisse, daß ohne des Schöpfers Willen kein Haar von seinem Haupte fällt und dennoch wisse, daß er Gott gegenüber verantwortlich ist — und er sagt J a zum Dichter, „der sich weigert, den Menschen einzig als Opfer der Pfeile und Schleudern des wütenden Geschicks oder umgekehrt einzig als den Handelnden zu sehen, der immer schuldig ist" 6 6 . 1243 Ferdinand Gonseth und H.-S. Gagnebin lassen in „Déterminisme et libre arbitre" Vertreter verschiedenster Berufsgruppen — jedoch ohne einen Theologen — über ihre Berufserfahrungen diskutieren. In einer ersten Gesprächsrunde wird ein Konsensus darüber erreicht, daß ein lückenloser praktischer — nicht theoretischer, a priori postulierter — Determinismus zur korrekten Berufsausübung unaufgebbar ist. 65 N. Bohr: Atomphysik und menschliche Erkenntnis I, S. 104 und II, S. 12ff. 66 H. Dombois: Mensch und Strafe, 1957, S. 13, 161. - Ders.: Die weltliche Strafe in der evangelischen Theologie. 1959, S. 169ff. — P. Bockelmann: Schuld, Schicksal und Verantwortung des Menschen, in: W. Wickler et al.: Freiheit und Determination. 1966, S. 9 1 - 1 2 0 .

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Der Protest „Ich lebe!" des „Individualist" genannten Gesprächsteilnehmers ändert in einer zweiten Runde schlagartig die Situation. Alle erinnern sich an Dinge, die in ihrem Fach ebenso evident sind: moralische Normen, Verantwortlichkeit, Notwendigkeit der Entscheidung, Aussinnen von Hypothesen. Der Ingenieur faßt zusammen: „Mit unserer Freiheit ist es so wie mit dem Determinismus. Sie ist einselbstverständliche Sache. Tagaus tagein reden wir von ihr und handeln ihr zufolge" (S. 125). Daraus ergeben sich für das konsequente Denken vier Nein, deren Ansprüche zueinander in komplementärem Verhältnis stehen: 1. Nein zu dem totalitären und alles-erschöpfenden Determinismus, aber auch 2. Nein zu der willkürlichen Grenzsetzung („bis hierher und nicht weiter!") für die kausale Analyse und die deterministische Erklärung der Welt. 3. Nein zu der totalen Freiheit, aber auch 4. Nein zu einer endgültigen Festsetzung der Grenze der Freiheit, denn es sei sehr wohl möglich, daß diese oder jene Begrenzung der Freiheit, so wie wir sie heute kennen, eines Tages von uns genommen sein werde (S. 147). (In der von uns verwendeten Terminologie hieße das: Es wird sowohl für den NWeg als für den Ε-Weg das Recht gefordert, ihn konsequent zu begehen, das Postulat, der eine oder der andere Weg sei der einzige Weg, wird jedoch abgelehnt.) Die Gesprächspartner suchen nun in der letzten Sitzung nach einer neuen Logik, die es erlaubt, die Evidenzen kohärent zusammenzudenken und so die Gesamtheit der Erfahrung zu erfassen (S. 129, 138, 147 und 156). Diese neue Denkform finden sie in der Bohrschen Komplementarität. Sie erlaube es, die Trennung der Aspekte ebenso klar zu denken, wie deren Einheit. Alle Bedingungen seien erfüllt, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die in der Physik beheimatete Komplementarität auf das besprochene Thema anzuwenden. Diese Bedingungen seien vor allem: 1. die gemeinsame Intention aller zu verschiedenen Ergebnissen kommenden Haltungen, nämlich die Wahrheit zu suchen und den Beruf korrekt auszuüben, 2. die Ausschließlichkeit der Aspekte, und 3. deren evidente, wenn auch unanschauliche Einheit, die sich im unlösbaren gegenseitigen Bedingen zeige: Determination kann nur unter Verwendung der Freiheit gedacht und ausgenützt werden, Freiheit kann nur zum Zuge kommen, wenn sie — zumindest streckenweise — den Gesetzen der Determination folgt (S. 167, 172, 183ff.). Ein echtes Zusammenklingen unseres Determiniert-Seins und unseres Frei-Seins erfolge dann, wenn es dem Geist gelinge, sich frei wählend von den Dingen determinieren zu lassen. Dies sei eine sinnvolle Zuordnung von „Wahrheit des Determinismus" und „Wirksamkeit (Effizienz) des freien Tuns". (In unserer Terminologie würde dies heißen: Auf dem N-Weg die komplexe (oder dialektische) Wirklichkeit abtastend, lehnt man — dazu streckenweise den E-Weg verwendend — einen Wirklichkeitsbereich ab und gibt sich einem anderen hin. Die im eigenen Subjekt und in der ihm begegnenden Wirklichkeit steckenden Möglichkeiten werden so effizient.) Dies stelle im Einzelfall in einen tragischen Zwiespalt. Denn beide Alternativen und ihre Wirklichkeit seien ernst zu nehmen. Solidarität und Barmherzigkeit spielten da herein. Nie könne jedoch in ein und demselben Augenblick gesagt werden: „das eine und das andere", sondern nur: „das eine oder das andere". Der Psychiater

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führt das sehr eindringlich für seine Praxis aus: er habe je und je zu entscheiden, ob er die Ursache mit ihrem auf den Kranken ausgeübten Zwang zu erkennen, oder ob er diesen auf seine Willenskraft, auf sein Gesund-werden-Wollen hin anzusprechen habe (S. 168ff.) 6 7 . Unser Problem ist hier in formal zwingender und überzeugender Weise angegangen. Inhaltlich scheint es dabei jedoch so, daß die Evidenz des freien Subjekts weniger dort entspringt, wo man hart am Objekt bleibt — so wie in der Mikrophysik — sondern mehr aus „moralischen Postulaten" wie sittlicher Wert, Verantwortlichkeit, Gerechtigkeit usw. (S. 122 und 123). Dem deterministischen Denkweg — in den Gonseth auch Zufall, Indétermination und Wahrscheinlichkeit, die in der Mikrophysik auftauchen, einordnet (S. 36—41) — stünde hier also ein subjektivierender Denkweg gegenüber, bei dem das Subjekt als Geist verabsolutiert wird. Diese inhaltliche Verschiebung gegenüber der ursprünglichen Bohrschen Anwendung der Komplementarität sei hier festgestellt. In unserer Arbeit soll jedoch der ursprüngliche Inhalt im Blick bleiben, bei dem die Evidenz des freien Subjekts nur am Objekt und mit ihm verquickt gewonnen werden kann.

1244 Wollen wir daher im weiteren Verlauf dieser Untersuchung das Bohrsche komplementäre Denken als Arbeitshypothese verwenden, um gegensätzlichen Erfahrungen und Meinungen Rechnung zu tragen (Kapitel 2) und um diese dann sinnvoll einander zuzuordnen (Kapitel 3), so würde sich diese Arbeitsmethode in groben Grundzügen etwa wie folgt darstellen: 1. Allgemein bekannt ist das komplementäre Verhältnis, in dem Ort-Aussagen und Impuls-Aussagen über ein Elektron, und in dem TeilchenBild und Wellen-Bild des Lichtes zueinander stehen. Die Freiheit des Subjekts besteht hierbei darin, daß es sich für das eine oder das andere Phänomen, für die eine oder die andere Aussage zu entscheiden hat. 2. Kommt jedoch die Komplementarität zur Anwendung für das Verhältnis, in dem das klassische objektivierende und das das Subjekt nicht eliminieren könnende objektivierende Denken zueinander stehen — dies ist die ursprüngliche, jedoch weniger allgemein bekannte Anwendung der Komplementarität — so besteht die Schwierigkeit darin, daß die Wahlfreiheit zwar auch hier unabdingbar ist — man muß sich für das eine oder das andere, sich auf bestimmte Erfahrungen gründende Denken entscheiden —, daß sie jedoch, wenn der klassische objektivierende Weg eingeschlagen wird, gemäß der inneren Logik des gewählten Weges nicht mehr denkbar ist. Auf diesem Weg kann sie dann nur noch im Zustand der Verdrängung in einen anderen Bewußtseinsbereich — als Postulat oder als Protest — Begleiterin sein. Die Frage ist, wie man sich diesen Zustand vorzustellen hat, wie, um der Gesamt-Wahrheit 67 Déterminisme et libre arbitre — entretiens présidés par Ferdinand Gonseth.

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1947.

willen, der Erinnerung an etwas im Augenblick Undenkbares Rechnung getragen werden kann. Die Frage stellt sich übrigens ebenso, wenn der andere Weg eingeschlagen wird, auf dem das Subjekt in den Mitteilungsinhalt mit eingeht, wozu ein zweites Subjekt eingeführt werden muß, um vom ersten Subjekt zu berichten („ich" sehe „mich" mit der Wirklichkeit). Auf diesem Weg möchte man wissen, wie an der vom Subjekt unabhängigen Wirklichkeit festgehalten werden kann.

3. Im Rahmen des komplementären Denkens ist dieses Problem verständlich und nicht verwunderlich. Denn auch nach der Entscheidung für Welle oder Teilchen, für Impuls oder Ort, bleibt die Wahlfreiheit eine zeitlang aus dem Spiel, weil man den allgemeingültigen Gesetzen der gewählten Versuchsanordnung zu gehorchen hat, wenn diese zu sinnvollen und effizienten Ergebnissen führen soll. Man ist also auf dem anderen Weg in einen „Gedankenzug" eingestiegen, von dessen Gesetzmäßigkeiten man geprägt wird. Dabei ist es durchaus möglich, daß ich nicht freiwillig in den „Zug" eingestiegen bin. Meine Freiheit besteht dann darin, daß ich nachträglich die Gesetzmäßigkeiten, die mich umgeben, akzeptiere, oder daß ich sie — in immer wieder erneuertem Aufruhr — ablehne und mich so in eine nicht mehr wirklichkeitsbezogene Subjektivität zurückziehe. Auch kann, nach der freien Wahl eines „Gedankenzuges", dessen „Programm" mich so stark prägen, daß ein erneuter Wechsel des „Zuges" erschwert oder verhindert wird.

4. — Auf dem Weg des klassischen objektivierenden Denkens begegnet mir die Wirklichkeit als lückenlos determiniert. Meine eigene Wahlfreiheit ist unauffindbar und ausgeschlossen. — Auf dem Weg, auf dem das „Erz" der Objektivität nicht vom „Ganggestein" der Subjektivität gereinigt werden kann, bringt die mir begegenende Wirklichkeit mein eigenes Ich mit. Meine Wahlfreiheit ist auffindbar und unvermeidlich. 5. Beide Wege können nicht gleichzeitig, sondern nur hintereinander eingeschlagen werden. In das Zusammendenken beider geht also die Geschichtlichkeit mit ein, denn es müssen jeweils zwei zeitlich aufeinander folgende Situationen zueinander geordnet werden. 6. Während in der Mikrophysik die einzelnen Phänomene durch ein „technisch verlängertes" Subjekt nach klassischen Spielregeln erfahren werden, ein „mathematisch verlängertes" Subjekt aber die Zusammenfassung vollzieht (W. Pauli, S. 99), bleibt bei der Anwendung auf unser Gebiet die Frage zunächst offen, auf welche Art und Weise die widersprüchlichen Phänomene widerspruchsfrei zusammengedacht werden sollen. Hat man vor allem die hart mit dem Objekt verquickte Freiheit im Auge — und nicht die verabsolutierte —, so 61

bleibt die Tatsache, daß die sich gegenseitig ausschließenden Aspekte sich auch gegenseitig bedingen, eine wichtige Hilfe beim Zusammendenken. 7. Komplementäres Denken erscheint auch angebracht bei der Beschreibung der Beziehung der Menschen untereinander. Denn das mir begegnende Du muß als mich determinierende und als von mir determinierte begegnende Wirklichkeit aufgefaßt werden. Verstehe ich die von mir ausgehende Determination als frei gewollt, so muß ich die vom Mitmenschen ausgehende Determination ebenso verstehen, soll dieser ein Mensch sein so wie ich. Im sich Gegenseitig-determinierenWollen wird der Stärkere seine prägende Wirkung durchsetzen, es sei denn, daß einer von beiden — oder beide alternierend — freiwillig auf die eigene determinierende Kraft verzichtet. 8. Auch das Gegenüber von Mensch und Gott bleibt in unserem Zusammenhang nicht vom komplementären Denken ausgeschlossen. Das Zergehen des menschlichen Subjekts bei der Begegnung mit Gott (auf arabisch: „fanä") ist eine ebenso evidente Erfahrung, wie dessen Bestehen-Bleiben (auf arabisch: „baqä"). Beide sich widersprechenden Aussagen tragen nur dann sinnvoll dem Ganzheitscharakter der Begegnung Rechnung, wenn sie als Gegensatz-Paar vereint und als alternierende Gegensätze hintereinander ausgesagt werden. Die Situation des „Fanä" ist die des Menschen, der vom Allmächtigen überwältigt wurde, aber auch die des Menschen, der sich freiwillig an Gott hingegeben hat. Die Situation des „Baqä" ist die des Menschen, der sich und seine Freiheit Gott aufzwingt, aber auch die des Menschen, dem Gott Spielraum läßt. Das den Weg des „Fanä" wiedergebende objektivierende Denken unterscheidet sich inhaltlich vom objektivierenden Denken der klassischen Physik. Es führt sämtliches Geschehen auf die vom freien und allmächtigen Gott ausgehende Determination zurück. Auf diesem Weg kann der Mensch seine Willensfreiheit nur leugnen. Der Gedanke an die eigene Hingabe an Gott lebt nur als in einen undenkbaren Bereich verdrängte Reminiszenz fort. 1245 Gegensätzliche Erfahrungen im Bereich der Wissenschaft vom Menschen und die sich daraus ergebenden miteinander im Widerstreit stehenden Meinungen dürften treffend mit komplementärem Denken dargestellt werden können: — Sigmund Freud weist nach, daß selbst reine Willkürakte, wie das Ausdenken eines Namens und das Hinschreiben einer Zahl, determiniert sind, und zwar durch unbewußte Motive. „Die Determinierung im Psychischen ist lückenlos. Das besondere

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Überzeugungsgefühl für die Existenz eines freien Willens ist davon nicht ausgeschlossen. Übrigens, in großen und wichtigen Willensentscheidungen äußert sich dieses Gefühl nicht einmal, so etwa bei Luther, wenn er sagt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders" 6 8 . Die heutige Verhaltensforschung steht in dieser Tradition, auch wenn sie die Ergebnisse der Determinismus-Krise eingearbeitet hat. Nach Einschluß von Plastizität, Anpassung und Wahrscheinlichkeit redet sie von einer „höheren Form der Determination" 6 9 . Es muß in Ubereinstimmung mit diesen Forschungen gesagt werden, daß sich alle freien Handlungen, bei geeigneter Untersuchung, deterministisch erklären lassen und es demnach auch sind. Dies hat nichts Verwunderliches, denn in weiten Kulturkreisen scheint die Willensfreiheit unbekannt. Sie scheint vor allem im Gefolge der semitischen Offenbarungsreligionen aufgetaucht zu sein. — Georges Gusdorf wirft Jean Piaget vor, er habe seine vor allem durch Untersuchungen des frühen Kindheitsalters gesammelten Erfahrungen zu Unrecht verallgemeinert: Hätte er das Jugendalter — das goldene Zeitalter der selbst ausgedachten Welten! — berücksichtigt, wäre er zu anderen Verallgemeinerungen gekommen 10 . Gusdorf geht auf dem Weg des subjektivierenden Denkens, weil er andere Ergebnisse im Auge hat, die offensichtlich mit nicht minder sauberen wissenschaftlichen Methoden gewonnen sind, nämlich im Bereich der Existenz-Analysen: Nach Sartre komme ich von meiner Freiheit nicht los, ich bin zu ihr verurteilt. Ich existiere immer jenseits meiner Motive und entscheide mich frei zwischen zwei angebotenen Möglichkeiten. Dies ist besonders deutlich beim Grenzfall gleicher Sinnlosigkeit zweier zum Akt drängenden Motive: im Roman „L'âge de raison" läßt Matthieu schließlich Marcelle im Stich, ohne daß für sein Handeln zwingende Motive vorliegen. Nach der üblichen Logik müßten wir angesichts dieser beiden in sich jeweils einwandfreien, aber sich widersprechenden Aussagereihen urteilen: Eine der beiden muß falsch sein. Entweder gilt die Determination, oder es gilt die jenseits der determinierenden Motive existierende Freiheit 71 . Die Komplementarität jedoch ordnet beide in verschiedenen Situationen gewonnenen Ergebnisse zueinander, und versucht so, den Ganzheitscharakter der wesentlich komplexen Wirklichkeit zu bekunden. Übrigens wird in beiden Lagern widersprüchlichen Ergebnissen durchaus Rechnung getragen. Nur die Inhalte der Gegensatzpaare scheinen verschoben. Hier wird auf 68 S. Freud: Zur Psychopathologie des Alltagslebens. 1954, S. 201ff. 69 P. Naville: La psychologie du comportement. 1963, S. 9. — S. hierzu auch H. Laborit: L'homme imaginant. 1970. 70 G. Gusdorf: Signification, S. 25ff. (und S. 75ff. über das Auftauchen des Freiheitsdenkens im Bereich der semitischen Offenbarungsreligionen). 71 Es fällt daher z.B. W. Pannenberg nicht schwer, die Ergebnisse von Psychologen, Philosophen und Theologen, die eindeutig auf „Willensfreiheit" lauten, zu widerlegen, nachdem er die Abwesenheit von Willensfreiheit aufgezeigt hat. Es ist nur die Frage, ob sie, weil widerlegt, auch ungültig geworden sind — auch der. berühmte Esel Buridans könnte sehr wohl als wirklich frei und wirklich unfrei erfunden werden! W. Pannenberg: Christlicher Glaube und menschliche Freiheit, in: Kerygma und Dogma 4, 1958, S. 266ff.

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dem N-Weg die Rolle des Subjekts nicht ausgeschlossen, dort werden — auf dem E-Weg — vor der Evidenz der Determination die Augen nicht verschlossen: — Die strukturale Philosophie stellt den Determinismus der logischen und experimentellen Systeme voran, die funktionale Anordnung der Bedingungen des Handelns, nicht das freie und denkende Subjekt. Sie weiß daher, daß zwischen ihr und der humanistischen Philosophie ein Bruch besteht. Wenn sie aber beim Gebrauch wissenschaftlicher Methoden die menschlichen Tatsachen „verobjektivert", so bedeutet das nicht, daß sie das Subjekt und den Sinn ausschließt. Die Wissenschaft will dabei die Philosophie nur dazu zwingen, nicht von der menschlichen Freiheit zu reden, als sei sie eine Überschreitung, eine Negierung von Wirklichkeit und Zeit, sondern vielmehr Freiheit und Wirklichkeit, Projekt und Situation zusammenzudenken 72 . Der hart am wissenschaftlichen Experiment bleibende Strukturalismus selbst weist extreme Versuche in seinen eigenen Reihen zurück — wie etwa Michel Foucaults Buch: Les mots et les choses — die das Subjekt leugnen und prophezeien, der Mensch werde bald verschwinden 73 . — Paul Ricoeur entdeckte das Paradox (oder die Reziprozität), daß im Willen selbst das willentliche und das unwillentliche Moment vereint sind. In allen drei von ihm aufgezeigten Formen des Wollens — der Wahl, der Anstrengung und der Zustimmung — sei dieses Paradox enthalten. Es werde durch die Gegensatzpaare Aktion-Passion, Initiative-Rezeptivität, Irruption-Aufmerksamkeit, Absolut-Relativ gekennzeichnet. Die Gegensätze bedingen sich gegenseitig und führen ineinander über: Freiheit führe zur Erkenntnis des in uns körperlich Bedingten, Determination zum Bekenntnis: „Ich bin's, der die Welt verändert!". Das Absolute sei das Abbild der göttlichen Freiheit, das Relative gehöre zum Reich der Kontingenz (Werte, Organe, Notwendigkeiten); beide zusammen bildeten die inkarnierte Freiheit des Menschen, die so eine nur menschliche Freiheit sei. Wollen sei nicht gleich Erschaffen . . . 74 . 1246

Abschließend sei mit Hilfe einiger v o n Louis

Gardet

stammen-

den Formulierungen angedeutet, daß für das arabische D e n k e n die K o m p l e m e n t a r i t ä t ein angemessenes Werkzeug sein k ö n n t e : Die semitischen und insbesondere arabischen Sprach- und Denkstrukturen kennzeichnet das dialektische Vorgehen. Dialektisch meint hier in einem sehr allgemeinen Sinn das Voran-Schreiten im alternierenden R h y t h m u s , vom Gleichen zum Gleichen oder zum Gegensätzlichen, v o m Mehr zum Weniger, oder umgekehrt. Dabei k o m m e n zwei T a t s a c h e n in den Blick, die einander b e s t i m m e n und widersprechen. Man m ö c h t e meinen, daß sie sich im D e n k e n dessen, der beide erfaßt, gegenseitig vernichten. Das Gegenteil ist der Fall: ihr Aufeinander-Prallen läßt das Wahre wie einen Blitz aufleuchten. Das schnelle Hin und H e r v o n Be72 Zitiert nach N. Mouloud: Langage et structures. Essais de logique et de séméiologie. 1969, S. 144 und 146. 73 /. Piaget: Le structuralisme. 1970, S. 114, vgl. hierzu: M. A. al-'Alim, Philosophie des Zufalls, S. 318ff., der die Arbeiten von Piaget im arabischen Raum bekannt macht. — S. hierzu ferner Anm. 7, Kap. 1. 74 P. Ricoeur: Le volontaire et l'involontaire (Schlußteil). 1950.

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hauptung und Verneinung gleicht einem Wechselstrom mit hoher Frequenz. Iranische und insbesonders griechische Einflüsse haben diese dem arabischen Geist eigene Logik überlagert. Spätestens ab dem 5. Jahrhundert nach der Higra beherrscht der Aristotelismus das logische Denken im Islam. Dies wiederum wirkte stark auf die Theologie. Doch selbst dann noch bleibt — untergründig — die ursprüngliche Denkweise erhalten, vor allem in der Jurisprudenz (al-fiqh), die dem Erkenntnisideal des überschaulichen, eindeutigen Systems weniger unterlag 75 . Eine aus der modernen Naturwissenschaft stammende und vom Westen her in die arabische Welt eingeführte Denkform könnte so bei deren Suche nach der eigenen kulturellen Persönlichkeit eine wesentliche Hilfe leisten. 75 L. Gardet: La dialectique en morphologie et logique arabes. 1967, S. 117, 126, 130, 132 und 359. Auf S. 123 und 364 die Darstellung des oben beschriebenen Gegensatzpaares fanä'-baqä' (Punkt 7: Gegenüber von Mensch und Gott). Vgl. hierzu: G.Picht (in: Die Epiphanie der ewigen Gegenwart. 1960), der das Eindringen des letztlich auf Parmenides zurückzuführenden Erkenntnisideals der Uberschaubarkeit ins christliche Denken beschreibt, und W. Pannenberg, dessen Anliegen es ist, eine Revision des griechischen Wirklichkeitsverständnisses zugunsten der hebräischen Wirklichkeitserfahrung zu betreiben (in: Α. M. K. Müller und W. Pannenberg: Erwägungen zu einer Theologie der Natur, S. 20).

5 Schoen, Determination

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2 Determination und Freiheit im arabischen Denken heute 21 Die Situation der arabischen Welt Der arabischsprachige Raum — ein breites Band zwischen Europa und Schwarzafrika, das von Mauretanien bis zum persischen Golf reicht — bildet eine Einheit, deren Zusammenhalt sich heute durch die wachsenden Kommunikationsmittel nur verstärkt. Die arabischen Dialekte spielen die Rolle eines „Schwyzerdütsch", das zwar mit Vorliebe gesprochen wird, aber dennoch dem modernen Schriftarabisch den Rang nicht streitig machen kann. Gebiete, die nicht oder nur teilweise arabisiert sind, wie das berberische und das kurdische, sind dennoch ein integrierter — wenn auch nicht assimilierter — Bestandteil der arabischen Kultur 1 . Die heutige arabische Welt ist nicht die Verlängerung einer die Jahrhunderte unverändert überdauernden und mit sich selbst identisch bleibenden Sphäre. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer neuen Entwicklung, ausgelöst durch den Einbruch des Westens, die in etwa mit dem Feldzug Napoleons nach Aegypten begonnen hat. Dieser von außen kommende Schock leitete die Zerstörung der alten arabischen Welt ein. Diese alte Welt war von außen durch das osmanische Imperium und von innen durch ein festgefügtes Konglomerat von Gebräuchen und Traditionen determiniert. Der Zerfall dieses festen Gefüges setzt den arabischen Menschen frei, als Gruppe und als Einzelnen: Er hat zu wählen, wovon er sich von nun an bestimmen lassen will. Das Ghetto ist zerstört. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß man in ihm lebt. Da der Einbruch des Westens neue Welten mit sich bringt — neue Tatsachen, neue Verhaltensweisen, neue Techniken, neue Gedanken — stellt sich dem arabischen Menschen ein reiches Angebot zur Wahl. Er kann eine der westlichen Welten zu der seinigen machen, oder aber seine eigene, aus der Zeit vor dem Einbruch des Westens stammende Welt wählen. Tut er letzteres, so lebt er fortan freiwillig, nicht mehr selbstverständlich, in der Tradition seines Volkes.

1 Die lebendige Umgangssprache der arabischen Dialekte und die durch den Koran fixierte Dichtersprache — auf der die Schriftsprache basiert — sind zwei zu unterscheidende Sprachen. Umgangssprache und Schriftsprache erfahren jedoch heute eine weitgehende Annäherung und Angleichung.

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Da das alte Gefüge jedoch zerstört ist, kann es sich nicht um ein einfaches Weiterleben im alten Hause handeln. Ein Neubau aus alten und neuen Elementen ist erforderlich, der immer wieder vor neue Entscheidungen stellt, nämlich darüber, was eingebaut werden soll. Zur Wahl gezwungen, lebt der arabische Mensch heute in einem notgedrungenen nachallen-Seiten-hin-offen-Sein. Sein Ich ist verschiedenen Welten ausgesetzt, die sich ihm anbieten. Welcher soll er sich ausliefern? Welche von ihnen erlaubt ihm die Entfaltung seiner Persönlichkeit? Welche befreit ihn von entfremdendem Zwang, so daß er durch die Hingabe an sie zu sich selbst kommt und wahrhaft frei wird?

211

Varianten je nach der Zugehörigkeit R eligio nsgem einschaft en

zu einer der drei

Innerhalb des festen Gefüges der arabischen Welt während der Jahrhunderte des Niedergangs (inhitä{) nahmen die drei religiösen Gemeinschaften ihren ihnen zubestimmten Platz ein. In der Epoche der vom Einbruch des Westens ausgelösten Erhebung (nahda) unterscheiden sich die drei Gemeinschaften in kennzeichnender Weise hinsichtlich des Zerfalls des alten Gefüges und der Begegnung der neuen Welten: 2111 Das arabische Judentum stark ausgesetzt.

ist dem Eingriff des Westens besonders

Der Westen enthält jüdische Elemente. Die Hingabe an westliche Welten mag so nicht als Entfremdung erscheinen. Der arabische Jude hat zu wählen zwischen seiner eigenen konservativen religiösen Welt und dem viel stärker emanzipierten westlichen Judentum. Die mit von außen kommender Hilfe intensiv betriebene Emanzipation im eigenen Land fördert die Desolidarisierung mit der übrigen arabischen Welt und schafft potentielle Emigranten. In Algerien z.B. gewährt das Décret Crémieux schon 1870den algerischen Juden die französische Staatsbürgerschaft, während deren muslimische Landsleute noch lange Jahrzehnte im Status des „Eingeborenenrechts" festgehalten werden. Neue geschichtliche Situationen, wie die Entstehung des Zionismus, des Staates Israel, und die mit der Dekolonisierung verbundene Auswanderung europäischer Bevölkerungsteile lösen dann die — nur scheinbar überrraschend plötzliche — tatsächliche Emigration aus. Die nicht-jüdische Umwelt, die — des jahrhundertelangen Zusammenlebens, der gemeinsamen Sprache und Kultur vergessend — ihre jüdischen Landsleute oft nicht als gleichwertige Bürger der neuen Nationalstaaten betrachtete, trug das ihrige dazu bei, um den Exodus des Judentums aus der arabischen Welt nahezu vollständig zu machen. Es bleiben fast nur alte Menschen und mit der Wirtschaft des Landes verflochtene reichere jüdische Bevölkerungsteile. So mag der sich nach Befreiung von Tradition sehnenden jüdischen Jugend die Wahl nicht schwer gefallen sein. Man möchte meinen, sie hätte sich weniger für den Westen entschieden, sondern sei eher von ihm aufgesogen worden.

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Das erschütternde Buch von Albert Memmi: „Die Salzsäule" weist die Meinung, die Juden seien vom Westen einfach „abgesaugt" worden als zu vereinfachend ab. Dieser autobiographische Züge tragende Roman des tunesischen Juden zeigt einen einsamen arabischen Menschen, der sich von einem doppelten Joch zu befreien sucht: von den Seinen und von den Anderen. Die Seinen, das ist die Welt des von abergläubischen Bräuchen durchtränkten arabisierten berberischen Judentums, die Anderen, das ist der Westen, der mit Gewalt eingedrungene Kolonisator, der in zynischer Weise die Emanzipation zwar anbietet, jedoch dem, der sie wählt, die Aufnahme in die eigenen Reihen verweigert und ihn so in die Welt der Seinen zurückstößt. Auf der Suche nach der eigenen Identität steht dieser Einsame vor einer schicksalsschweren Wahl, der er sich auch durch die Flucht nicht entziehen kann 2 . Die Wahl, vor der Mordechai Alexander Benillusch — die Hauptperson in Memmis Roman — steht, ist nicht nur die des arabischen Juden. Sie symbolisiert die des arabischen Menschen insgesamt. Der Unterschied zu seinen muslimischen und christlichen Brüdern und Schwestern besteht darin, daß für ihn der einseitig starke Druck einzelner Wirklichkeitsangebote die sich in seinem Inneren widerstreitenden Motive in unterschiedlicher Weise stark werden läßt. 2112 Die Situation der arabischen Christenheit der des arabischen Judentums ähnlich.

ist in mancher Hinsicht

Auch sie spürt in sich als starkes Motiv das Gefühl einer gewissen Wesensverwandtschaft mit dem eingedrungenen Westen. Wer dieser Neigung folgt, desolidarisiert sich immer irgendwie von seinen muslimischen arabischen Mitbürgern. Auch hier setzt der Westen mit seinem Tun besonders bei den Glaubensbrüdern ein. Daher ist seine emanzipatorische Wirkung bei den Christen stärker als in der muslimischen Umwelt. Und zwar ist die Tendenz zur Absonderung und zur Auswanderung umso größer, je kleiner die christliche Gemeinschaft ist — was ein Gefühl der Unsicherheit mit sich bringt — und je leichter die konfessionelle Zugehörigkeit der betreffenden Kirche diese mit konfessionsgleichen Kirchen des Westens verbindet: — Die zahlenmäßig schwachen Kirchen des Iraq zum Beispiel sind in ihrem Fortbestand vom Exodus bedroht, während dieser die große koptische Kirche nur erodieren, nicht aber ganz hinwegtragen kann. — Die katholischen (und zwar nicht nur die römischen, sondern auch die unierten) und die evangelischen Christen sind mehr nach dem Westen ausgerichtet, als die nicht-chalzedonensischen orthodoxen Kirchen, wie etwa die koptische und die syrisch2 A. Memmi: La statue de sei. 1953; Auszüge in: Anthologie maghrébine. 1965, S. 164ff.; besprochen von G. E. von Grunebaum: Studien zum Kulturbild und Selbstverständnis des Islams. 1969, S. 301ff., und G. Hatzfeld in: Jeunes Femmes 98, 1967, S. 78ff.; ferner von A. Memmi selbst in: Jeunes Femmes 100/101, 1967, S. 18ff. — Literatur zum arabischen Judentum s. Anm. 9, S. 19.

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orthodoxe, die (mit Ausnahme der Armenier) im Westen keine Wurzeln haben. Die Orthodoxen des byzantinischen Ritus nehmen hierbei eine Mittelstellung ein. Doch auch hier geht der Sog nach dem Westen nicht so vor sich, daß er den Einzelnen und die Gemeinschaft nicht vor schicksalsschwere Entscheidungen stellte: — Der eingebrochene Westen ist nicht nur Glaubensbruder, sondern auch Kolonialherr und Fremder. Wer sich ihm hingibt — und wem es gelingt, sich von ihm aufnehmen zu lassen! — erreicht die erhoffte freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit nur um den Preis einer gleichzeitigen Entfremdung, denn er begibt sich in den Determinationsbereich der westlichen Gesellschaft. — Die arabische Welt ist nicht nur Heimat, sondern auch eine islamische Welt. Wer sich zu seiner Heimat bekennt — und wer von ihr behalten wird — befürchtet immer auch eine Entfremdung durch den Druck der islamischen Mehrheit. Auch wer keine Angst vor dieser Befürchtung hat, steht unter dem Druck seiner Geschichte, die ihn daran erinnert, daß er selbst nur im Gefolge der Islamisierung arabisiert wurde, daß seine eigene Gemeinde ihren christlichen Charakter nur in ständiger Defensive und unter gleichzeitiger unvermeidlicher Akkulturation bewahren konnte. Diese Befürchtung ist bei den christlichen Libanesen, die eigenstaatliche Gebilde besaßen, stärker als ζ. B. bei den Kopten, die von Anfang an für den Status des „dimmi — d. h. des vom islamischen Staat beschützten jüdischen oder christlichen Mitbürgers — optiert hatten. Arabische Christen waren und sind in besonderem Maße an der Nahda beteiligt, und zwar in ihren beiden Formen, als kulturelle Renaissance und als politische Erhebung. Dabei tragen sie durch die Entsakralisierung der arabischen Sprache und die Verfechtung des laizistischen Prinzips wesentlich zur Differenzierung von Nationalismus und Islamismus bei. Das Verlangen, in der alten, aus der Zeit vor dem Einbruch des Westens stammenden Tradition weiterzuleben, sich vom politischen Leben zurückzuziehen und die in der eigenen Tä'ifa (Gemeinschaft) tradierte Spiritualität zu pflegen, beherrscht jedoch noch weite Kreise. J e n a c h der getroffenen Wahl — o b für die aus d e m Westen k o m m e n d e Säkularisierung, o b für die nationale E r h e b u n g der eigenen Heimat, o b für die eigene Religion in alter oder neuer F o r m — begibt sich der arabische Christ in einen Determinationsbereich, dessen Gesetzlichkeiten er bis zu einem gewissen Grad zu gehorchen h a t ; andernfalls k ö n n t e er den bei seiner Wahl ausgedrückten Wunsch nicht zur Verwirklichung bringen. Die Wahl der Bereiche schließt a u c h die Wahl der Brüder ein, die m a n als die eigentlichen haben m ö c h t e : Gesinnungsgenossen, K o m p a t r i o t e n , Glaubensbrüder. Dabei sind — wohlgemerkt — eigenwillige K o m b i n a t i o nen der verschiedenen Determinationsbereiche weithin möglich, was die e n t f r e m d e n d e n K o n s e q u e n z e n der schicksalsschweren Wahl lindert. Die Autobiographie des aus einer koptischen Familie stammenden liberalen Ägypters Saldmä Müsä, der die Gedankenwelt von Darwin, Marx und Freud in der arabischen Welt sein Leben lang in konsequenter Weise vertrat, zeigt die Abwendung vom versteinerten religiösen Traditionalismus — dem eigenen christlichen und dem der islamischen Umwelt — und die Zukehrung zum Westen. Das Leben des katholischen Algeriers Jean Amrouche, dessen Heimat die kabylischen Berge sind, verkörpert die Tragik dessen, der mit allen Fasern seines Herzens

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am Erbe der Väter hängt und sich doch nicht von der europäischen Kultur desolidarisieren kann. Schließlich erhebt er sich mit seinen Landsleuten gegen den Kolonialherren, seinen Gesinnungsbruder, und geht daran — wie einst Jugurtha — zugrunde 3 . Einer der algerischen Christen, die nicht d e m A b z u g der Algerienfranzosen gefolgt sind, sondern sich am A u f b a u der unabhängig g e w o r d e n e n Heimat aktiv beteiligen, k e n n z e i c h n e t e in einem Gespräch mit europäischen Christen die Lage des Algeriers — nicht nur des christlichen — im Unterschied z u der des Europäpers: „In euren Kirchen redet ihr viel v o m E x o d u s u n d v o n der Selbsthingabe an d e n Anderen. J e d o c h ihr seid nicht dazu gez w u n g e n . D e n n euer G h e t t o ist n o c h intakt. Ihr k ö n n t jederzeit in seine Sicherheit zurückkehren. Wir l e b e n diese Selbstauslieferung täglich, o b wir es w o l l e n oder nicht. D e n n unser G h e t t o ist zerstört. Wir leiden darunter u n d wir bezahlen dafür." 2 1 1 3 Im arabischen alten u n d der n e u e n u n d Christen n a h e z u nicht zwingend sein

Islam erhält die Wahl z w i s c h e n d e n A n g e b o t e n der Welten eine besondere N o t e dadurch, daß für J u d e n zwingende Motive für Muslime weniger oder gar können.

Der Islam empfindet den Einbruch des Westens als etwas Wesensfremdes, wenn auch der christliche Westen und der islamische Orient beide griechisches Erbe aufgenommen und im Laufe der Geschichte sich gegenseitig durchdrungen und befruchtet haben. Für einen arabischen Muslim ist es viel schwieriger, sich im Westen zu integrieren oder gar zu assimilieren, als für seinen jüdischen oder christlichen Landsmann, worauf etwa die Einwanderungsziffern von Arabern in Australien hinweisen, die sich zur überwiegenden Mehrheit aus Nicht-Muslimen zusammensetzen. Die Abwehr des Westens gegen die Aufnahme in die eigenen Reihen ist Muslimen gegenüber besonders zäh. Die Bewegungsfreiheit des arabischen Menschen ist so behindert: sucht er — auf der Flucht vor Arbeitslosigkeit und mangelnden Ausbildungsmöglichkeiten — Arbeit und Bildung in den wirtschaftlichen Zentren der Welt, so trifft sein „zentripetales" Wollen hart auf das „zentrifugale" Wollen der europäischen Staaten, die zwar — um des eigenen Nutzens willen — nach einem rigorosen „numerus clausus" und auf Zeit begrenzt aufnehmen, jedoch diesen „Weniger-als-Dimmxs" (Dimmi ist ein nicht-muslimischer Mitbürger der islamischen mittelalterlichen Gesellschaft, s. o. 2112) der modernen Industriegesellschaft die Gleichberechtigung verweigern. 3 ]. Amrouche: Aspects psychologiques du problème algérien. — Ders.: Chants berbère de Kabylie, in: Anthropologie maghrébine 1965. — S. auch die Sammlungen von Gedichten, die Romane (z. B. Rue des Tambourins. 1960) und die auf Schallplatten verbreiteten Gesänge seiner Schwester Marguerite Taos Amrouche (s. Anthologie maghrébine, S. 185ff.), sowie die Autobiographie ihrer Mutter, deren Eltern von den Weißen Vätern zum christlichen Glauben bekehrt wurden: Fadhma Arth Mansour Amrouche: Histoire de ma vie. 1968. — S. Mûsà: at-tarbiya (The education). 1. Aufl. 1947. Anhang: „Credo eines Sozialisten" in der 2. Aufl. von 1958. 70

Im Inland drangen Säkularisierung und Emanzipation zunächst verhältnismäßig langsam in den islamischen Bereich ein. Jedoch ist der Vorsprung der jüdischen und christlichen Araber in dieser Hinsicht von den Muslimen weitgehend aufgeholt, so daß heute die Religionszugehörigkeit bei der Konfrontation mit westlicher Lebensweise, westlichen Techniken und Gedanken nur noch ein wenig differenzierender Faktor ist. Die Option für die eigene Heimat und ihre Tradition fällt dem Muslim leichter als dem Juden und Christen, denn das alte gesellschaftliche Gefüge ist in manchen islamischen Bereichen noch wenig zerrüttet, was die Verwirklichung dieser Option ermöglicht. Der notwendige Einbau moderner Bausteine kann dann nach und nach und auf weniger dramatische Weise erfolgen. Die Verquickung des religiösen Anliegens mit der Sache der nationalen Erhebung ist dort besonders leicht, wo auf nicht-muslimische Minderheiten keine Rücksicht mehr genommen zu werden braucht, wie in Marokko, wo das marokkanische Judentum bis auf einen geringen Rest jüngst ausgewandert und wo die Tä'ifa (Gemeinde) der Christen seit dem frühen Mittelalter verschwunden ist. In Ländern mit starken nicht-muslimischen Minderheiten dagegen, wie in Ägypten, kann die Sache der Nation nicht ohne weiteres mit der des Islam identifiziert werden. Hier bringt die Option für den Aufbau eines modernen Nationalstaates — um der Einheit des Volkes willen — eine gewisse Distanzierung gegenüber der islamisch-theokratischen Staatsidee mit sich. Die erwählten nächstliegendsten Brüder sind dann die Angehörigen des gleichen Staates und erst an zweiter Stelle folgen die Glaubensbrüder der sich über die ganze Welt erstreckenden „Umma", d. h. der islamischen Gemeinde. Trotz des b e s o n d e r e n Stellenwerts, d e n b e s t i m m t e Motive für d e n arabischen Muslim e i n n e h m e n u n d der b e s o n d e r e n Möglichkeiten, gewisse Determinationsbereiche miteinander z u kombinieren — z . B . Nationalismus u n d Religion —, steht er letztlich vor derselben schicksalsschweren Wahl wie sein jüdischer u n d christlicher Bruder. Früher oder später stellen sich unausweichliche Fragen w i e diese: Wer soll m e i n Nächster sein? Soll es der Vetter aus d e m Hinterland oder der Kamerad v o m europäischen Arbeitsplatz u n d der europäischen Universität sein? J e d o c h nicht i m m e r m ö g e n b e i d e Motive sich ausbalanzieren u n d der Wahlfreiheit beliebig greifbar sein. D e n n allein der Gedanke an eine solche Frage mag s c h o n als undenkbarer u n d unmöglicher Verrat am Blutsbruder erscheinen, der e b e n s o w i e ich nach menschenwürdigen Lebensbedingungen strebt. Ein besonderer Konfliktfall von formaler Wahlfreiheit und inhaltlicher Freiheit ist die im islamischen Staat illegale Forderung der muslimischen Frau nach dem Recht, einen Nicht-Muslimen zu heiraten, der erwidert wird, nur im Verbleiben in der eigenen Gemeinschaft finde die Frau die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Wie schwer der Druck der traditionellen Gesellschaftsstrukturen auf dem jungen arabischen Menschen lastet, mit welcher Vehemenz er sich von den Seinen zu befreien sucht und schließlich vor ihnen flieht, anstatt sie zu verändern, schildern die 71

autobiographischen Romane des Algeriers Ali Boumahdi: „Le village des asphodèles" und des Marokkaners Driss Chraïbi: „Le passé simple". Beide entscheiden sich für das Leben im französischen Exil. Den Preis, den sie dafür zu bezahlen haben, ist die Bedrückung durch die Fremde und die tiefe Kluft, die zwischen ihnen und den Brüdern daheim aufbricht 4 .

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Varianten je nach der Intensität des kolonialen Einflusses und je nach dem seit der Unabhängigkeit eingeschlagenen Weg

Mag die wohlbehütete Welt, in der der arabische Mensch bisher lebte, zerschlagen oder nur angeschlagen sein, mag das Angebot neuer Welten den Motiven im Inneren des einzelnen Menschen unterschiedliches Gewicht verleihen, früher oder später steht er vor einer unausweichlichen Wahl. Trifft er die Wahl, so muß er — um das erwünschte Ziel zu verwirklichen — den Determinationen der Welt gehorchen, der sein Verlangen gilt. Nicht jedoch ist er gezwungen, sich der einmal gewählten Welt von nun an blindlings hinzugeben. In erneuten Entscheidungen kann er verschiedene Determinationsbereiche kombinieren und eigene Gedankenwelten schaffen, die der arabischen Eigenheit Rechnung tragen und dann auch tatsächlich die arabische Welt im Sinne der getroffenen Entscheidungen verändern. 2121 Die schicksalsschwere Wahl mag dort am weitesten aufgeschoben erscheinen, wo große Teile des alten Gefüges noch verhältnismäßig unversehrt weiterleben, wie etwa in Marokko. Der Eindruck einer unversehrten orientalischen Gesellschaft mag dadurch entstehen, daß erstens das französische Protektorat nur von kurzer Dauer war und die Fassade der marokkanischen Gesellschaft unberührt ließ und daß zweitens in der Zeit nach der Unabhängigkeit die wirtschaftlich und politisch herrschende feudalistische und großbürgerliche dünne Oberschicht eine stillschweigende und reibungslose Ehe einging mit den kapitalistischen Gesellschaftsformen der Industrieländer. Die Folgen der neuen, vom Westen bestimm4 A. Boumahdi: Le village des asphodèles. 1970. D. Chraïbi: Le passé simple. 1954; besprochen von G. E. von Grunebaum: Studien zum Kulturbild. 1969, S. 298. Im Roman von Kateb Yacine: Nedjma (1956) wird das Spannungsfeld, in dem Algerien lebt, in personifizierter Weise dargestellt: Kulturen durchdringen sich gegen-' seitig, aber verdrängen sich auch! — In dem ausgezeichneten Buch „Enfants d'hier" (1970) zeichnet Ν. Zerdoumi die traditionelle algerische Gesellschaft. — S. auch das Kapitel „The arabs: islamic crisis" in W. Smiths Buch: Islam in modern history. 1957. A. Demeerseman zeigt in seinem Buch: „Lumière et ombre au Maghreb" (1970), das eine Reihe von Interviews romanhaft verarbeitet, verschiedene Versuche tunesischer Menschen, die Synthese von Tradition und Moderne zu schaffen. 72

t e n Entwicklung sind j e d o c h unübersehbar u n d lasten schwer auf d e m Lande. Sie heißen: eigene U n t e r e n t w i c k l u n g als n o t w e n d i g e s Nebenprodukt der E n t w i c k l u n g der Industrieländer, demographische E x p l o s i o n , damit verbunden Raubbau u n d Ü b e r b e w e i d u n g des Landes, Erosion in d e n Gebirgen u n d Ü b e r s c h w e m m u n g e n in d e n E b e n e n 5 . Gerade in einem solchen Land, in d e m die Herrschenden sich zwar auf die Traditionen stützen u n d die A u t h e n t i z i t ä t der arabisch-islamischen Kultur verfechten, gleichzeitig j e d o c h K o m p l i z e n bei der A u s b e u t u n g der Dritten Welt durch die reichen N a t i o n e n sind, lastet h e u t e die internationale Machtverteilung als Schicksal schwerer auf d e n Massen als einst die unberechenbaren Ertragsausfälle, Hungersnöte u n d Krankheiten in d e m v o n Klima u n d Bodenqualität w e n i g begünstigten arabischen Raum. D i e Last dieser G e s e t z e treibt nicht unbedingt z u m Fatalismus. Sie mag auch die n o t w e n d i g e Wahl eines anderen Weges — der b e w u ß t diesen Ges e t z e n widerspricht — i m m e r stärker ins B e w u ß t s e i n r u f e n u n d die Vehem e n z der dann ergriffenen Position vorbereiten. Exkurs: Auf die vieldiskutierte Frage, ob die Völker des arabischen Raumes von Hause aus einen Hang zum Fatalismus haben, kann hier nicht eingegangen werden. Da diese Völker vor ihrer Annahme des Judentums, Christentums oder Islam und vor ihrer Arabisierung unterschiedlichen kulturellen und religiösen Bereichen angehörten, die auch heute ihren Einfluß noch nicht verloren haben, ist von vorneherein in dieser Frage nicht mit einheitlichen Voraussetzungen zu rechnen. Der aus der vor-islamischen Poesie der arabischen Halbinsel bekannte Schicksalsglaube ist bezeichnender Weise nie mit den Gestirnen verknüpft. In der Prosaliteratur aus derselben Periode fehlt jedoch der Schicksalsglaube. Die Poesie drückt also nur einen Teil des Lebensgefühles aus, und zwar insbesondere das wehmütige Der-Vergangenheit-Nachsinnen und das nachträgliche Erkennen der Macht des Schicksals. Daß aber Erleiden und Beeinflußen, Passivität und Aktivität gegenüber der Macht des Schicksals zusammengehören mag daraus erhellen, daß in den unter der Decke der drei Großreligionen des arabischen Raums heute fortlebenden „heidnischen" Volksbräuchen nicht nur der Schicksalsglaube eine Rolle spielt, sondern auch die Magie! Während im gemäßigten Klima Europas der Landwirt daran gewöhnt ist, mit dem Ertrag zu rechnen, den seine Aussaat ihm bringen wird, muß man im subtropischen Bereich sich daran gewöhnen, daß nur in guten Jahren das Zusammenspiel mehrerer unberechenbarer Faktoren einen Ertrag zustande bringt. Ein gewisser „Fatalismus" — der mit dem Islam nichts zu tun hat! — schätzt hierbei durchaus wirklichkeitsbezogen die Zufälligkeit des Ertrages richtig ein (Rodinson). Der Koran apostrophiert die mekkanischen Ungläubigen und ihre Schicksalsgläubigkeit. Er erweitert diese aber auch auf alle Lebensbereiche und schreibt einzig und allein Allah das vom Schicksal kommende „Stirb und Werde" zu (45,24—26). Aus 5 F. Oualalou: Einführung ins Studium der Wirtschaftswissenschaft (madhal 1-id-diräsät al-iqtisädiyya, där-un-nasr al-magribiyya). 1971. — S. Amin: L'accumulation à l'échelle mondiale. 1971. — P. Jalée·. Le pillage du tiers Monde. 1965. 73

dem „Fatalismus", d. h. dem Glauben an ein blindes Schicksal, wird so der Glaube an die vom freien und allmächtigen Gott ausgehende Determination. Da der Koran auch die Freiheit des Menschen betont, kann nicht einmal von dessen „Determinismus" geredet werden, denn dieser Ausdruck bezeichnet eine Weltbetrachtung, bei der die Wahlfreiheit ausgeschlossen bleibt. Ein unreflektiertes Nebeneinander von Fatalismus und Glaube an die göttliche Determination kennzeichnet demnach keinesfalls den Koran, vielleicht aber die heutige arabische Volksseele. Für den, der weiß, daß die Determinations-Aussagen des Korans kein aus vor-islamischer Zeit nur übernommener mittransportierter Ballast, sondern ein wesentliches Element des aus dem Koran lebenden islamischen Glaubens sind, wird gut daran tun, selbst zur Beschreibung der arabischen Volksfrömmigkeit mit der Bezeichnung „Fatalismus" vorsichtig zu sein. Es handelt sich höchstens um einen die Freiheit vergessenden „Determinismus", bei dem Gott der Herr auch des Schicksals ist. Die These Watts, den Koran und den Islam kennzeichne ein Nebeneinander von vorislamischem Fatalismus — der untypisch für den Islam sei — und von einer typisch islamischen Freiheitsbotschaft ist falsch. Determination und Freiheit sind zwei gleichwertige, über die vorislamische Zeit hinausgehende Aussagen im Koran, die in legtimer Weise beide den Islam prägen 6 .

2122 Die seit dem Einbruch des Westens notwendig gewordene Neuplanung und Neugestaltung der arabischen Welt ist dort am weitesten vorangeschritten, wo der Impakt am stärksten war. Bei der Behandlung der religiösen Gemeinschaften (s. o. 211) sahen wir, daß besonders kleine und den Westen besonders anziehende Gemeinschaften am stärksten betroffen sind. Hinsichtlich der Gesamtentwicklung sehen wir nun, daß diejenigen Länder sich am weitesten in einer neuen — bisher unbekannten — Richtung entwickelt haben, die der Westen besonders intensiv kolonisiert hatte, und die dann souverän einen eigenen und spezifischen Weg eingeschlagen haben. So z.B. Algerien: Die einseitig im Interesse des Kolonisators — oder zumindest von dessen Gesichtspunkt aus — betriebene Neugestaltung des Landes, die Zerstörung der Stammesstruk6 W. Caskel: Das Schicksal in der altarabischen Poesie. 1926. — Ders.: Zur altarabischen Teratologie. 1926 (zu: altarabische Prosa). — H. Ringgren: Studies in Arabian fatalism. 1955 (zu: Rezeption und Uminterpretierung des altarabischen Fatalismus im Koran). — J. Boulos: Les peuples et les civilisations du Proche Orient. Bd. 4. 1964 (Der Autor zitiert auf S. 151 G. Lebon La civilisation des arabes, der sagt, die Hingabe ans Schicksal sei ein Wesenszug der orientalischen Seele). — E. Dammann: Die Religionen Afrikas. 1963 (S. 4 zu Fatalismus und Magie: „Passivität und Aktivität gegenüber dem Mächtigeren"). — M. Rodinson: Islam et capitalisme. (in Kap. 4 : Die wirtschaftliche Stagnation in den Jahrhunderten des Niedergangs ist weder die Schuld des Islam im allgemeinen, noch eines „islamischen Fatalismus" im besonderen). — W. M. Watt: Free will and predestination in early Islam. 1948. S. hierzu auch den summarischen Vortrag von G. Mensching: Der Schicksalsgedanke in der Religionsgeschichte, in: Ders.: Topos und Typos. Bonn 1971, S. 15-24. 74

turen, die Erschütterung der einheimischen Kultur 7 , die Verdrängung der arabischen Sprache in den Bereich des Dialekts bewirkten u. a. den eine Nation schaffenden Unabhängigkeitskrieg. Dabei wurde mindestens ein Drittel der Bevölkerung durch die Kolonialmacht „umgruppiert". Die drängenden wirtschaftlichen Probleme nach der Unabhängigkeit zogen eine Reihe von Optionen nach sich — Nationalisierungen, staats-genossenschaftliche Betriebsformen, Industrialisierung und Bodenreform —, bei denen sich jeweils das ganze Spektrum der Angebote aus der neuen und der alten Welt zur Wahl gestellt hatte: Kapitalismus, Technokratie, wissenschaftlicher Sozialismus, algerischer Nationalismus, panarabischer Nationalismus und Islamismus. Die getroffenen Entscheidungen stellen eigenwillige Kombinationen verschiedener Elemente dieses Spektrums dar, wobei auf gewissen Elementen der Schwerpunkt und das Pathos liegen, andere dagegen, zumindest eine zeitlang, aus verschiedensten Gründen zum Aufbau der Nation mitverwendet werden müssen.

213 Zwei Dichter als Ausdruck des arabischen Denkens und Wollens Das Zustandekommen der Wahl, vor die jeder Einzele für den Aufbau seines Lebens gestellt ist, hängt nicht davon ab, ob die einzelnen Wirklichkeitsangebote verwirklicht werden können oder nicht. Ein stolzer, eigenwilliger und phantasiereicher Mensch — und an diesen Tugenden fehlt es nicht im arabischen Raum — wird oft gerade für die Welt optieren, die durch die Kolonisierung zerstört wurde. Zu der von außen kommenden Zerstörung gesellt sich so ein innerer Reinigungsprozeß, der nur das Beste und Eigentliche der alten Welt ergreift. Diese seine Welt, in der er und seine hochgehaltenen Werte — Würde, Zurückhaltung, Gastfreundschaft . . . — leben können, wird er mit allen Kräften seines Geistes aufbauen. Mag es auch eine Traumwelt sein! Sie wartet auf den Tag, an dem die äußeren Umstände es erlauben, daß das Wunschbild sich in greifbare Wirklichkeit umsetzen kann. 2131 Diese Haltung symbolisiert der in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Algerien lebende Dichter Si Mohand. Seine Familie war an einem Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft in den kabylischen Bergen beteiligt gewesen und durch Hinrichtungen und Verbannungen dezimiert worden. Ihr Grundbesitz wurde beschlagnahmt und an Kollaborateure vergeben. Der junge Mohand wird lieber „Ausländer im eigenen Land", als daß er 7 M. Lacheraf: Pour la définition d'une culture algérienne. 1968 (Vortrag auf dem Ersten Nationalen Kolloquium über die Kultur).

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sich vor den „Geiern" erniedrigt, die nun im Lande herrschen: seine eigenen Landsleute, die sich mit der Kolonialmacht liieren. Si Mohand bleibt dem von ihm gewählten „inneren Exil" treu und streift bis zu seinem Lebensende als heimatloser Vagabund durchs Land. Er klagt das unbegreifliche und ungerechte Schicksal an, das er erleidet. Und doch bemüht er sich auch, es zu akzeptieren. Er klagt Gott, den Urheber dieses Schicksals an. Und doch nimmt er Zuflucht zu Ihm und verzweifelt nicht an Ihm. Er wählt Ihn, trotz Seines offensichtlich ungerechten Handelns. Denn er weiß, daß Gott dennoch der Gerechte ist, der ihn — Mohand — und seine Taten richten wird. Gott ist der Garant und Herr der von Si Mohand erwählten Welt des freiwilligen Exils 8 .

Eine große Bedeutung, die der Figur Si Mohands heute zukommt, liegt darin, daß beim neuen Weg, den die unabhängig gewordene Heimat einschlägt, diese ihren Dichter gleichsam fragt und auffordert: erkennst du das Neue, was wir machen, als das Deinige, als deine echte Heimat an? Verlasse nun dein Exil und mache bei uns mit! Die Authentizität braucht nun nicht mehr in der Traumwelt des Exils zu leben! 2132 Das Wunschbild kann die ihm innewohnende potentielle Kraft, sich zu verwirklichen, verlieren. Ein unwürdiger Zustand der Gesellschaft kann als Geschick hingenommen werden, so wie man es seit alters gewohnt ist, die Schläge des widrigen Klimas hinzunehmen (s. o. 2121). Die Dissoziierung von Traumwelt und Wirklichkeit ist dann endgültig. Gegen eine solche Entwicklung und ihre Konsequenzen wehrt sich die junge Elite mit aller Vehemenz. Nicht selten wird dabei der Religion vorgeworfen, sie lehre Fatalismus und Weltabgeschiedenheit; sie verursache und konsakriere so die Stagnation der arabischen Welt. Ein Wort auf den Fahnen des Aufruhrs gegen eine solche Entwicklung stammt vom 1934 im Alter von 25 Jahren verstorbenen tunesischen Dichter Abü-l-Qäsim as-Sâbbï. Es lautet: „Wenn eines Tages das Volk das Leben will dann muß der „qadar" gehorchen!" 9 Der Dichter verwendet den bedeutungsschweren Begriff „al-qadar". Für die, die sich gegen die willenlose Hinnahme des unwürdigen Zu8 M. Feraoun: Les poèmes de Si Mohand. 1960 (Gedichte Nr. 11, 16, 31, 35, 37). M. Mammeri: Les Isefra. Poèmes de Si Mohand-ou-Mhand. 1969 (Gedichte Nr. 190, 197, 200, 215, 219, 220). 9 Auszüge des Werkes von Abü-l-Qäsim αί-Säbbi in: Anthologie maghrébine. 1965, S. 61—64; Anthologie de la littérature arabe contemporaine. Bd. II, S. 107—111; IBLA, Tunis, 9, 1946; 10, 1947; 12, 1949. Der zitierte Vers stammt aus dem Gedicht „irädat-ul-hayät" (Der Lebenswille) und lautet: idä aï-ïa'bu yauman aräda I-hayät falä budda 'an yastagiba 1-qadar.

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standes der Gesellschaft auflehnen bedeutet er: das blinde Schicksal, an dessen Macht das Volk glaubt, dessentwegen es sich nicht für die Naturgesetze interessiert, deren Beherrschung es ermöglicht, die Gesellschaft zu verändern 10 . In der Tradition der muslimischen Theologie bedeutet er: das Dekret Gottes, welches die Ereignisse der Welt hier und jetzt geschehen läßt (im Gegensatz zum „qadä' ", dem zuvor gefaßten göttlichen Ratschluß, d. h. der göttlichen Prädetermination) (s. 2313). Das Aufregende an diesem Vers besteht darin, daß hier die Determination sozusagen auf den Kopf gestellt ist. Die Ereignisse werden zwar weiterhin als vom „qadar" bestimmt betrachtet, nur ist derjenige, von dem der „qadar" ausgeht nicht mehr das blinde Schicksal oder der freie Gott, sondern der Mensch, der dem Schicksal und Gott seinen Willen aufzwingt!

214 Die Palästina-Frage — Kristallisationspunkt der arabischen Situation heute

der Problematik

An der Palästinafrage — dem Krisenherd der arabischen Welt heute — bricht die ganze Problematik der arabischen Situation in beispielhafter Deutlichkeit auf 1 1 . Sie ist wie ein letztes, unüberhörbares Pochen des in der arabischen Welt eingedrungenen Westens am traditionellen gesellschaftlichen Gefüge. Es weckt auch die letzten Schläfer aus ihrem Dornröschenschlaf, bevor das Gefüge zerbricht (2141). Hier ist der Punkt, an dem der arabische Mensch mit der harten und objektiven Wirklichkeit konfrontiert wird, so wie sie ist (2142). Hier wird aber auch die arabische Wahlfreiheit herauspräpariert durch die unausweichliche Herausforderung, auf diese harte Wirklichkeit zu antworten; sei es, sie hinzunehmen, sei es, sich für eine Lösung einzusetzen. Jede Lösung verlangt die Annahme eines Wirklichkeitsangebotes und der mit ihm verbundenen Gedankenwelt. Jeder eingeschlagene Weg impliziert die Erwählung bestimmter Gefährten, die ich als die meinigen haben will, und eine bestimmte Art von universeller Solidarität, die den engen regionalen Rahmen sprengt (2143). 10 M. Mahmud: Iblís, S. 131ff. 11 Zur Darstellung des geschichtlichen Werdegangs s. etwa M. Rodinson: Israel et le refus arabe. 1968. S. Hadawi: Bittere Ernte. Palästina 1 9 1 4 - 1 9 6 7 . 1969. - S. auch die vom Palästina-Forschungszentrum veröffentlichten Monatshefte „Su'ün falastînîyya" (Palestine Affairs), Beyrouth, und / . P. Alem: Le Proche-Orient Arabe. 1970.

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2 1 4 1 Die militärischen Niederlagen v o n 1 9 4 9 , 1 9 5 6 u n d insbesondere die v o n 1 9 6 7 , h a b e n eine ganz außerordentliche Bewußtseinsbildung hinsichtlich des eigenen Zustandes in der arabischen Welt ausgelöst. D i e Wucht der Erkenntnis, daß m a n z u wirksamem Handeln unfähig war, führte zunächst zu Selbstkritiken. D e r e n b e d e u t e n d s t e ist die v o n Sädiq öaläl al-'Azm in seinem B u c h „Selbstkritik nach der Niederlage". Al-'Azm brandmarkt zunächst die Neigung, die Verantwortung auf äußere, nichtarabische Faktoren abzuschieben, um dann die eigentliche Ursache für die Niederlage des Sechs-Tage-Krieges (die die arabische Welt so überrascht habe wie der japanische Sieg von 1904 den sich stark wähnenden russischen Koloß!) in der arabischen Gesellschaft selbst nachzuweisen. Er findet diese Ursache in gewissen traditionellen Verhaltensweisen: Vertrauen in die eigene Männlichkeit "und Stärke, Empfindlichkeit gegenüber Kritik durch andere, falsche Einschätzung seiner selbst und des anderen, Angst vor Blamage und Bloßstellung, Wahrung des Gesichts um jeden Preis. Die Niederlage sei also weder eine nichtzuerklärende Katastrophe, die wie ein Erdbeben oder ein Zyklon über uns hereingebrochen ist, noch sei die Wurzel des Übels anderswo als im arabischen Denken selbst zu suchen. Denn diesem sei eigene Würde und Ehre wichtiger, als das Verlangen nach Objektivität. Der große Erfolg dieses Buches d e u t e t an, wie t r e f f e n d u n d n ö t i g diese Selbstkritik war. Ihrzufolge ist das z u m Gefüge der alten arabischen Welt g e h ö r e n d e D e n k e n g e k e n n z e i c h n e t durch einen stark subjektivierenden A n s a t z p u n k t , der j e d o c h nicht ins B e w u ß t s e i n gelangt. Man vermeint so, in'einer objektiven Welt z u stehen, o h n e es tatsächlich z u sein. Das heilsame Zerbrechen des alten Gefüges u n d seines Weltbildes fordert nüchterne Einsicht u n d objektiven Wirklichkeitsbezug. Unter d e m M o t t o „Wir brauchen Klarheit!" verlangt der A u t o r u. a. eine naturwissenschaftlich-technische (und keine religiöse!) Erziehung der J u g e n d 1 2 . 2 1 4 2 Das Ergebnis der v o n al-'Azm geforderten w i r k l i c h k e i t s b e z o g e n e n Weltbetrachtung ist niederdrückend. E b e n s o w i e die H i n n a h m e der eigen e n U n t e r e n t w i c k l u n g — des n o t w e n d i g e n N e b e n p r o d u k t s der Entwick12 Sädiq öaläl al-'Azm: an-naqd ad-dâtî ba'd al-hazïma. Ubersetzung ins Englische im zweiten Teil der Magister-Arbeit von L. Scudder: Arab intellectuals and the implications of the defeat of 1967. 1971. Zwei andere Selbstkritiken nach den Niederlagen von 1949 und 1967: M. Bennabi: Vocation de l'Islam. 1954. (Die Öffnung nach dem Westen rettet uns nicht, jedoch auch die religiöse Reformbewegung — salafiya — hat versagt; die arabische Welt ist eine apathische, kolonisierbare Masse; hoffnungsvoller, später jedoch enttäuschter Blick auf die panislamisch-theokratische Bewegung der „Muslim-Brüder"; das Zentrum des Islam liegt von nun an nicht mehr in der arabischen Welt, sondern in Asien! S. 56, 65.) — S. Munadschid: Wohin treibt die arabische Welt? 1968. Munadschids Programm, das an seine Situationsanalyse anknüpft: „Die Ideologien der revolutionären Sozialisten sind uns fremd, sie entstammen nicht dem arabischen und islamischen Erbe . . .", S. 85. 78

lung des Westens ( s . o . 2 1 2 1 „Marokko") — k ö n n t e die H i n n a h m e der palästinensischen Lage als „realistischer Fatalismus"bezeichnet w e r d e n , d e n n sie n i m m t nüchtern die Fakten, w i e sie sind: Palästina steht im Kraftfeld zweier Weltmächte, die sich im N a h e n Osten die Waage halten müssen, sich dort aber k e i n e n o f f e n e n K o n f l i k t erlauben k ö n n e n . D i e Zweiteilung des Landes ist die Folge. Die Determination scheint lückenlos: — Auf der einen Seite der Brückenkopf des kapitalistischen Westens. Unter der Angst vor der umgebenden arabischen Welt und ihren Millionen und vor der demographischen Wachstums-Kraft der eigenen aus der arabischen Welt stammenden Bevölkerungsteile (arabische Juden und nicht-jüdische Minderheiten) sucht er — ähnlich den Algerienfranzosen — ein nicht-arabisches Musterland aufzubauen. Leider hat es den Nachteil, daß in ihm Araber wohnen. — Auf der anderen Seite ein von der Sowjetunion unterstützter arabischer Block. In seinem Bereich wird eines Tages Palästina auch Selbständigkeit gewährt werden. Doch wird es nur eine Art „Bantustan" sein, in der Westbank: der unterentwikkelte Teil des Landes, der den arabischen Palästinensern dann als ihr Land zugewiesen wird. 2 1 4 3 Die Ablehnung eines solchen Schicksals k e n n z e i c h n e t d e n Freiheitswillen des palästinensischen V o l k e s , w e l c h e s — als ethnische Einheit s c h o n zuvor b e s t e h e n d — durch die britische Mandatszeit, die darauf f o l g e n d e n Kriege, insbesondere d e n v o n 1 9 6 7 , u n d das Flüchtlingsschicksal als N a t i o n geboren wurde. D e m „ w e n n ihr nur daran glaubt, so wird es Wirklichkeit" Herzls steht n u n eine ähnliche Entschlossenheit der Palästinenser gegenüber. Der Verwirklichung ihres d e n Determinism e n der Geschichte t r o t z e n d e n Palästinabildes stehen aber ungleich größere Schwierigkeiten gegenüber als damals der zionistischen Vorstellung eines Judenstaates in Palästina: — Das dem Entschluß, dieses Schicksal abzulehnen, sich zunächst anbietende Denkmodell ist das des arabischen Nationalismus. Es ist sehr einfach und kommt den kollektiven Instinkten sehr entgegen: „Einheit der Araber gegen den eingedrungenen Fremden! Angesichts des gemeinsamen Feindes, laßt uns alle Klassenunterschiede vergessen! Wer diese Evidenz leugnet, widerstrebt den Gesetzen der Natur!" Und doch ist dieses Modell, an Ort und Stelle betrachtet, unbrauchbar. Denn es schließt die hebräische Nation aus, mit der die arabische Nation in Palästina zusammenleben muß, auch nach Zerstörung der zionistischen Staatsstruktur. Denn die logische Konsequenz dieses Modells: „alle Juden ins Meer" ist unrealistisch und von den Palästinensern selbst längst aufgegeben. — Das religiöse Denkmodell der Einheit aller Muslimen gegenüber den Juden, ist ebenso unbrauchbar, auch wenn es — vor allem außerhalb Palästinas! — weit verbreitet ist. Es setzt notwendigerweise eine andere, die Nicht-Muslimen diskriminierende Theokratie gegen die bekämpfte theokratische Staatsform in Israel. Es schließt auch die chrisdichen Palästinenser aus und übersieht deren bedeutende Rolle im Befreiungs79

kämpf 1 3 . Es wiederholt den tragischen Fehler Ghandis, der die religiösen Kräfte seines Volkes mobilisierte für den Freiheitskampf, aber gerade dadurch das von ihm so leidenschaftlich ersehnte Zusammenleben der Muslimen und Hindus in einem unabhängigen Staat unmöglich machte. Eine positive Rolle könnte dagegen den Religionen zukommen, wenn sie sich den primitiven religiösen Leidenschaften widersetzten, die Notwendigkeit der gegenseitigen Versöhnung predigten und die allen dreien gemeinsame Jerusalem-Frömmigkeit in ihrem einenden und nicht in ihrem den anderen aussschließenden Aspekt betonten. — Der tatsächlichen Lage kommt am stärksten das Denkmodell eines palästinensischen laizistischen Staates entgegen, in dem die hebräische und die arabische Kultur, sowie die drei Religionen in völliger Gleichberechtigung zusammenwohnen. Dieses Modell ist schwierig. Es löst keine leidenschaftlichen internationalen Solidaritäten aus, denn es schließt in einem gewissen Sinn das Weltjudentum, den Panislamismus und den Panarabismus aus. Aber es ist vernünftig und rechnet mit dem notwendigen Zusammenleben der Menschen in einer Gegend. Das Erlernen des Hebräischen unter Arabern und des Arabischen unter Israelis ist eine praktische Konsequenz für die, die diesem Weg folgen. — Auch das marxistische Denkmodell des Klassenkampfes ist sehr hilfreich, denn es weist den fiktiven Charakter der Idee von der Einheit der Nation auf. Dienen doch z.B. über 50% Palästinenser in der jordanischen Armee, die die palästinensische Befreiungsbewegung bekämpft. Es lehrt, die wahre Solidarität nicht in der Nation, sondern in der Gemeinschaft aller Unterdrückten zu sehen. Die Schwäche dieses Modells liegt an der augenblicklich mangelnden Verwirklichung dieser Solidarität über die Grenzen der Sprache hinweg — etwa gemeinsamer Aktion mit den israelischen Arbeitern! — und an der ihm innewohnenden Konsequenz, auf mehreren Fronten gleichzeitig, nach innen und nach außen, kämpfen zu müssen.

Nach der Skizzierung der allgemeinen Lage des arabischen Menschen heute, die ihn zur Wahl zwingt und ihn auffordert, sich bestimmten Wirklichkeitsbereichen hinzugeben, soll nunmehr untersucht werden, welchen Gedankenwelten und welchen Kollektiverinnerungen er innerhalb der einzelnen Bereiche begegnet, und wie innerhalb dieser Gedankenwelten das Problem von Determination und Freiheit angegangen wird. Wir beginnen bei den mit dem Westen gekommenen Gedankenwelten (22) und untersuchen dann die Kollektiverinnerungen des Islam (23) und des Christentums (24). 13 Für die Christen, ebenso wie für die Muslimen, kann es nur von nachteiliger Wirkung für die palästinensische Befreiungsbewegung sein, wenn sie den in ihrer Religion enthaltenen anti-jüdischen Tendenzen folgen. — Erinnert sei an den „Appell der Weltkonferenz der Christen für Palästina", die vom 7. bis zum 10. Mai 1970 in Beirut tagte, veröffentlicht in: Murqus, Kairo, (koptische Zeitschrift): Gott, der Verteidiger der Unterdrückten, stand Jahrtausende auf Seiten der Juden. Wenn diese — kaum zu einem selbständigen Staat gelangt — selber zu Unterdrückern werden, kann Gott sehr wohl sich gegen sie wenden.

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22 Die vom säkularisierten Westen kommenden Tatsachen und die mit ihnen verbundenen Gedankenwelten 221 Der „qalaq" der arabischen

Intellektuellen

2211 Manche europäischen Soziologen sehen heute die arabische Kultur nach dem Denkmodell, das u. a. von Ethnologen der Schule von Claude Lévi-Strauss an südamerikanischen „primitiven" Völkern entwickelt wurde: die Kultur als ein in sich geschlossenes und ruhendes Ganzes, das von allgemeingültigen, jedoch verborgenen Gesetzen bestimmt ist. Der Wirklichkeitsbezug ist von Kollektiverinnerungen geprägt, die in die Vergangenheit der eigenen Sphäre zurückgreifen. Die von außen kommenden Einflüsse dringen nur langsam ein. Sie werden nur eklektisch und halbverstanden hereingenommen 1 . Dieses Bild mag für einzelne Lebensbereiche zutreffen, vor allem das Familienleben, gewisse traditionelle Verhaltensweisen (s. o. 2141) und die Ansprechbarkeit für kultureigene Musik und Poesie. Hier sind die Menschen des arabischen Kulturbereichs offensichtlich anders „programmiert" und der Fremde kommt sich zu Recht als Fremder vor. Falsch ist jedoch dieses Bild für den Bereich der intellektuellen Beziehungen. Hier hat der seit anderthalb Jahrhunderten dauernde Einbruch des Westens die in sich ruhende Sphäre, d.h. das alte Ghetto, gründlich zerstört. Die geistigen Beziehungen gehen mit ebenso großer Schnelligkeit vor sich, wie die Ubersetzungen der großen europäischen Denker ins Arabische. Ein europäischer Intellektueller, der sich mit einem arabischen Intellektuellen etwa über philosophische Probleme unterhält, fühlt sich, wenn er nur mit dem entsprechenden Philosophischen arabischen Vokabular vertraut ist, schnell „wie zuhause" (vgl. oben S. 18 Anm. 6 und S. 48 Anm. 41). Es sei hier beispielsweise erinnert an die erste Verbreitung der Gedanken von Darwin, Marx und Freud durch Sibli Sumayyil und Salämä Müsä (vgl. oben 2112) und an die dann nicht mehr abbrechende Kette ähnlicher Gedankenbrücken bis hin zu den heutigen Übersetzungen und Untersuchungen von denen einige hier genannt seien: der heute in Tripolis in Lybien lehrende ägyptische Professor der Philosophie, 'Abd-ur-Rahmän Badawt schrieb über Nietzsche, Schopenhauer und Spengler. Er selbst steht dem Existentialismus nahe. Suhail Idris, der Direktor der in Beirut erscheinenden Zeitschrift „al-Adäb" übersetzte Schriften von Sartre und 1 U. Simson: Typische ideologische Reaktionen arabischer Intellektueller auf das Entwicklungsgefälle, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie. Sonderheft 13, 1969, S. 136—162. — W. S. Freund: Unterentwicklung in strukturalistischer Sicht, in: Ebd., S. 5 1 7 - 5 5 1 . 6 Schoen, Determination

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Camus, George Taràbïïï solche von Lukács, Marcuse und Sartre. Der Personalismus von Emmanuel Mounier wird von René Habachi, einem libanesischen Christen und von Muhammad Lahbabi, einem muslimischen Marokkaner in der arabischen Welt bekannt gemacht. Säcliq öaläl al-'Azm verwendet Ernst Cassirers wissenschaftstheoretische Methode, um in seiner polemischen Schrift „Iblis" den Mechanismus der religiösen Legendenbildung aufzuzeigen. Zahl Nagib Mahmùd übersetzte Bertrand Russeis Logik. Muräd Wahba arbeitete über Bergson. 2212 Die Situation des arabischen Intellektuellen heute kann mit dem in der arabischen Welt wohlbekannten Wort „qalaq" bezeichnet werden. Es bedeutet Unruhe und Angst, Spannung und innerliches Gespaltensein. Mustafä Mahmùd sagt vom „qalaq", er sei nicht nur ein Wort, das man aufs Papier schreibe, sondern ein Schrei auf jedem Gesicht, ein Zustand, von dem die ganze Gesellschaft in allen ihren Aspekten zeuge. Zwischen den Trümmern der zerstörten alten Welt stehend, hat der arabische Mensch seine Ruhe und seine Sicherheit verloren. Er ist dem Ansturm verschiedenster Angebote ausgeliefert und sucht nach einer Welt, die die seinige sein könnte, die ihm nicht nur die „Freiheit von" — d. h. die Unabhängigkeit nach außen hin — garantiert, sondern ihm auch die eigentliche, nämlich die inhaltliche Freiheit gewährt. Nun wäre aber die tragische Spannung und das Leiden des Qalaq nur unvollständig bezeugt, geschähe dies nur vom Denkweg der evidenten Wahlfreiheit aus, demzufolge der arabische Mensch, zur Wahl gezwungen, frei zwischen verschiedenen Angeboten wählt. Auf dem Denkweg der Determination stellt sich der Qalaq dar als Kampfzone, als Front zwischen zwei widerstreitenden in sich lückenlos determinierten Welten, die mitten durch das Innere des arabischen Menschen verläuft. Anouar Abdel-Malek weist mit Recht darauf hin, daß es kein inneres Zerrissensein gibt ohne das Bewußtsein, etwas zu sein und zu etwas zu gehören. Er will damit betonen, daß — trotz des zwingenden, vom Westen kommenden Einflusses — der stabile arabische Kulturgrund durchaus noch als objektive und subjektive Tatsache besteht 2 . 2 A. Abdel-Malek: La pensée politique arabe contemporaine. 1970 (in der Einleitung zu dieser Anthologie, S. 9). — M. Mahmüd: Mihnat-ul-qalaq (Das Leiden des qalaq), in: Ders.: Iblïs. 1966, S. 85—120. — J. Berque: L'inquiétude arabe des temps modernes, in: Revue des Etudes Islamiques 26, 1958, S. 87—107. — A. Meziane: Le vide idéologique. 1971. — H. Sharabi: The arab intellectual crisis, in: Muslim World 47, 1957, S. 1 8 7 - 1 9 3 . - Die Frau des Dichters Adûnïs (Ali Ahmed Said), der auch Direktor der Zeitschrift „Mawäqif" ist (s.u.), schreibt zur Zeit an einer Arbeit über den Qalaq in der modernen arabischen Literatur (unter der Leitung von Jacques Berque, Paris).

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Bei der Darstellung der Situation der arabischen Welt haben wir bereits gesehen, daß es besonders dann nahe liegt, vom Denkweg der Freiheit (freie Wahl zwischen dem Angebot verschiedener Motive) auf den Denkweg der Determination (der arabische Mensch als Kollisionszone zweier, eigenen Gesetzen gehorchender Welten) umzuwechseln, wenn eines der beiden Angebote eindeutig das stärkere ist und sich so aufdrängen kann. Wir sahen ζ. B. wie einerseits die arabischen Juden nahezu unwiderstehlich der arabischen Welt entzogen wurden (s.o. 2111) und wie andererseits in gewissen Gebieten die Menschen noch geborgen im großen Block einer unerschütterten arabisch-islamischen Kultur zu leben scheinen (s.o. 2121). Daß der Qalaq keine Erscheinung jüngsten Datums ist, sondern die arabischen Intellektuellen seit dem Einbruch des Westens begleitet und immer weitere Kreise gezogen hat, zeigen Darstellungen der Geschichte des arabischen Denkens in den letzten 150 Jahren, ζ. B. die von A. Hourani, sowie Anthologien, wie etwa die von A. Abdel-Malek herausgegebenen 3 .

Zeitschriften spiegeln die heutige Lage der arabischen Intellektuellen wider. Von diesen seien vor allem die in Beirut erscheinenden Revuen „al-ädäb", „diräsät 'arabiyya" und „mawäqif " erwähnt. Aber auch auf die in Kairo erscheinende Zeitschrift ,ßl-fikr-al-mu'äsir" (Chefredakteur: Fu'äd Zakariyya) und auf die Freitags-Ausgabe der Tageszeitung „al-Ahräm", in dessen kulturellem Teil Louis 'Awad u.a. schreiben, sei hingewiesen. Nicht nur intellektuelle Probleme drücken sich in den Artikeln dieser Zeitschriften aus, sondern auch eine implizite Philosophie von Männern der Tat. Nur am Rande kann hier auf das Werk der arabischen Schriftsteller aufmerksam gemacht werden, das die tiefe Ungesichertheit des heutigen arabischen Denkens ausdrückt. Genannt seien hier nur drei Ägypter, die die Welt der „kleinen Leute" aufmerksam beschreiben. Ihre — meist nur diskret angedeutete — eigene Uberzeugung läßt die tiefe Spannung spüren, die mit dem Hereinbrechen neuer Bezugssysteme in eine alte Welt entstanden sind. Mit Hilfe dieser neuen Kriterien muß die bestehende Gesellschaft einer radikalen Kritik unterzogen werden. Es handelt sich um Nagïb Mahfùz, Yúsuf Idrïs und 'Abd-ur-Rahmän aS-Sarqâwï. Im Blickwinkel unserer Frage nach dem Verhältnis von Determination und Freiheit würde sich demnach der Qalaq des arabischen Menschen darstellen als Widerspruch zweier Evidenzen, die in sich jeweils Zerrissenheit und Ungeborgenheit enthalten:

3 A. Hourani: Arabic thought in the liberal age. 1 7 9 8 - 1 9 3 9 . 1962. - Α. AbdelMalek: Anthologie de la littérature arabe contemporaine 1965. — Ders.: La pensée politique arabe contemporaine. 1970. — A. Abdel-Malek, A. A. Belai et H. Hanafi (Hg.): Renaissance du monde arabe. 1972.

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— ich bin frei und habe zu wählen zwischen verschiedenen Angeboten; — ich bin unfrei und bin hin und her gerissen zwischen verschiedenen Welten, denen ich angehöre 4 . 2213 Die nächstliegendste Zerrissenheit — die sich jeweils vom Standpunkt der eigenen Freiheit und von dem der eigenen Unfreiheit her verstehen läßt — ist die Unverträglichkeit zwischen den Gesetzen des eingebrochenen Westens und denen der eigenen arabischen Welt. Denken wir vor allem an diejenigen, die das eigene Land aus der Unterentwicklung zu führen haben und in Verantwortung der Bevölkerungsexplosion und den damit verbundenen beängstigenden Problemen ins Auge sehen. Ihnen ist dieser Widerspruch wohlbekannt: So verhindern beispielsweise auf dem Gebiet der Wiederaufforstung und der Geburtenregelung einheimische Gegebenheiten die Anwendung der zur Entwicklung des Landes notwendigen Methoden 5 . Als Symbol für die gegenseitige Verdrängung zweier Determinationsbereiche, d e n j n man angehört, mag die Tatsache der unverlierbaren Heimatstaatsangehörigkeit und der doppelten Staatsangehörigkeit gelten: ein Marokkaner ζ. B., der Staatsbürger eines anderen Landes geworden ist, bleibt weiterhin Marokkaner. Kommt er in seine Heimat zurück, so gilt er dort nur als Marokkaner trotz seiner doppelten Staatsbürgerschaft 6 .

2214 Der Tatsachenbereich des eingebrochenen Westens und seiner Gesetzlichkeiten steht unter der Spannung der Schwerpunkte in seinem Inneren. Für die Technokraten und Politiker der arabischen Welt ist diese Spannung vor edlem die zwischen dem Block der kapitalistischen und dem der sozialistischen Staaten. In gewissen Situationen wissen sie sich unfrei und einem der beiden Blocks ausgeliefert, in anderen widerum erleben sie ihre Freiheit bei der Ausübung der Kunst, zum Nutzen des eigenen Landes das Höchstmögliche aus dieser Spannung herauszuholen. In letzterem Falle erscheint die Freiheit weniger als freies Wählen eines Technokraten, der in den Bereich der Gesetzlichkeiten der Industrieländer „ausgewandert" ist, sondern vielmehr als Manifestierung der Eigenständigkeit der arabischen Welt. So ist die Kunst, das Mögliche zu verwirklichen — bei deren Aus4 Vgl. oben 111 und 1243: tragischer Zwiespalt wegen des Ernstnehmens der beiden Denkansätze (N und E). 5 Vgl. oben 2132: Schicksalsgläubigkeit und Interesse für Naturgesetze. 6 Eine andere Repräsentation des Gesagten ist die muslimische Frau, die einen NichtMuslimen heiratet: sie wird aus ihrer Religionsgemeinschaft entlassen — für die eine solche Heirat undenkbar ist — und gehört dennoch von nun an — de facto — zwei Gemeinschaften an. Das oben beschriebene Phänomen der doppelten Staatsbürgerschaft kann als zusätzlicher Ausschließlichkeits-Aspekt eine solche Ehe häufig noch spannungsreicher machen.

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Übung die m e n s c h l i c h e Freiheit auftaucht — s o w o h l ein Transzendieren des westlichen Milieus u n d seiner D e t e r m i n a t i o n als auch ein ihm Gehorchen. In Befolgung des Ausspruches v o n Bacon: „Man b e f i e h l t der Natur nur, indem m a n ihr gehorcht", gelingt es so klugen u n d e n t s c h l o s s e n e n T e c h n o k r a t e n der arabischen Welt, die Entwicklung des eigenen Landes voranzutreiben, indem sie die Regeln der Industrieländer zwar b e f o l g e n , sie aber auch in eigenwilliger Weise k o m b i n i e r e n 7 . Einer der führenden Männer, der die Industrialisierung Algeriens zu planen hat, sagte einmal: „Daß es große und kleine Fische im Meer gibt, und daß die großen Fische die kleinen gerne fressen, daran kann man nichts ändern. Aber kluge kleine Fische können es lernen, wie auch sie zu ihrem Recht kommen, wenn sie nur das Verhalten der großen Fische genau studieren. Es kann tatsächlich in deren Interesse sein, nicht immer die kleinen Fische zu fressen." Diese Einstellung erhellt auch der Bau des algerischen Stahlerzeugungskomplexes in Annaba (ehem. Bòne). Er erfolgte gegen die Gutachten der Experten internationaler Organisationen, die nachgewiesen hatten, daß der Bau eines eigenen Komplexes für ein Land wie Algerien unrentabel sei. Marokko dagegen, das — unter sehr ähnlichen Voraussetzungen — sich mit dem Gedanken des Baus eines Stahlkomplexes in Nador trug, ließ sich dieses Vorhaben durch die Gutachten der Experten ausreden. Es entbehrt so der die eigene Industrialisierung in Gang bringenden Grundindustrie. Aus einer ähnlichen Haltung — aber unter noch stärkerer Betonung des Trotzdem! — kommt folgender Satz eines Wirtschaftswissenschaftlers in Marokko: „Unsere Gründe zu hoffen, die aus dem Glauben an den Menschen und seine Möglichkeit stammen, sind stärker als die Verzweiflung, in die uns die Statistiken und Extrapolationen versetzen, die uns die Experten über die demographische Entwicklung und die Möglichkeit der Schaffung von Nahrung, Schulen, Arbeitsplätzen und Wohnungen liefern." 2 2 1 5 Der arabische Intellektuelle, der w e i ß , daß er in festen, durch die Geschichte verhärteten R a h m e n gefangen ist — d e n e n der eigenen Welt u n d d e n e n des eingedrungenen Westens — sinnt auf Befreiung v o n diesen R a h m e n . Hierzu schlägt ihm der Existentialismus eine radikale Lösung vor. Er versichert ihm, daß er frei sei, u n d daß „keine äußere Kraft ihn dazu z w i n g e n k ö n n e , e i n e n anderen Weg zu gehen, als d e n er selbst gewählt h a b e " 8 . 7 Vgl. oben 121 („gegenseitiges Bedingen"): der freie Beobachter kann nur durch exakte Anwendung der Methoden, auf denen seine Meßapparate basieren, zu sinnvollen Aussagen kommen. — Siehe auch P. Foulquié: La dialectique, S. 105. „ . . . das Mögliche ist das Symbol der Freiheit", sagt M. Wahba in seinem Aufsatz „harakat-ut-tärih", in: Ders.: Aufsätze, S. 224. — Vgl. hierzu auch 1245: Determination führt zum Bekenntnis: ich bin's der die Welt verändert! (Ricoeur). 8 Charakterisierung der Herausforderung des Existentialismus durch einen christlichen Theologen: Mattä-l-Miskin: al-hurriyya bi-r-ru'ya al-masihiyya, in: Murqus, März 1967, S. 5. 85

Das breite Echo, welches der Existentialismus in der arabischen Welt gefunden hat, zeigt, wie sehr diese Zusage „du bist frei:" dem Verlangen nach Befreiung entgegen kommt. Sie liefert eine geistige Waffe beim „Aufruhr gegen die festgelegten Rahmen, gegen die Unterdrückung, gegen die altehrwürdigen Schicksale der Kulturen, ja selbst gegen die Determinismen, deren Verwendung den Aufruhr wirksam macht." 9 Und doch enttäuscht der Existentialismus, oder zumindest seine praktischen Konsequenzen. Denn er läßt den Aufruhr in der Unwirksamkeit stecken. Er läßt den Aufrührer nicht zum Revolutionär werden. Er versichert zwar die Verwirklichung der eigenen Freiheit und der eigenen Identität, aber er hilft nicht, die arabische Welt zu befreien. So dürfte der alte Sartre, der sich dem Marxismus genähert hat, heute ein weiteres Echo finden als der junge. „Der Existentialismus beraubt mich meiner Aufgabe und trennt mich von der Welt, so daß mir nichts anderes übrigbleibt als der Selbstmord oder die Kapitulation. Da legte ich seine Schriften beiseite . . ." sagt Mustafa Mahmüd in seinem Aufsatz: „Vor die Wahl gestellt und nicht gesteuert!", dessen Titel eindeutig Partei ergreift hinsichtlich der im Islam seit je heftig diskutierten Frage, ob der Mensch wählen könne, oder ob er von Gott in allen seinen Taten gesteuert werde (s.u. 231). Den angemessenen Ausdruck für die Freiheit des Menschen, die ihm am Herzen liegt, findet Mahmüd dann bei Karl Marx, der ihn lehrt, daß „die Wissenschaft es ist, die die Türe zur wirksamen Freiheit öffnet, durch die Entdeckung der Gesetze der Luft und des Meeres und durch die Erfindung der Schiffe und der Flugzeuge . . ." 1 0 .

2216 Die alte Frage nach dem Verhältnis von Subjektivität und Objektivität, von Freiheit und Determination hat heute in der arabischen Welt ihren „Sitz im Leben" in der Revolution, die geleistet werden muß. Bei ihr gilt es, von der Selbst-Behauptung des arabischen Menschen zu dessen Selb st-Verwirklichung durch effizientes Tun durchzustoßen. Die wahre Revolution ist ein jeweils einmaliges und unwiederholbares Ereignis, bei dem das Selbst in die vom Milieu ausgehende Determination eingreift und sie transzendiert. Eine solche Revolution, die mehr ist als ein Aufruhr, verwirklicht die Identität und Würde des arabischen Menschen und ist eine wirksame Veränderung der Welt. Im Gespräch mit Existentialismus und Marxismus zeigt Murad Wahba auf, wie das menschliche Selbst und das Milieu, wie die Subjektivität und die Objektivität (Wahba nennt es auch „das Absolute" und „das Relative") sich gegenseitig durchdringen und so — im ständigen dialektischen Hin und Her — die Einheit der Wirklichkeit zerreißen. Wird bei dieser Dialektik das Selbst vernachlässigt, so führt dies zur Versteinerung der 9 So stellt sich für R. Habachi (s. u. 24) der arabische Qalaq dar (nach ]. L'inquiétude arabe des temps modernes, S. 104). 10 M. Mahmüd: Muhayyar là musayyar! in: Ders.: Iblts, S. 128 u. 129.

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Berque:

Gesellschaft und zu Verfestigung ihrer Entwicklung auf einem nicht überschreitbaren Punkt. Werden hierbei die objektiven Gegebenheiten vernachlässigt, so führt dies zum Aufhören des zielgemäßen Ablaufs der Revolution. „Wir aber wollen weder das eine noch das andere. Wir wollen weder eine versteinerte Macht, die die Form einer Filiale westlicher Regierungsformen annehmen kann (sei es nach dem kapitalistischem oder nach dem sozialistischem Modell), oder die einer Theokratie (die eine einmalige historische Situation verewigt). Noch wollen wir eine Versammlung unwirksamer Aufrührer, die sich in einer form- und farblosen gelatinösen Masse bewegen" 11 .

222

Der arabische

Nationalismus12

2 2 2 1 Die nationale Notgemeinschaft beim Kampf für die Unabhängigkeit: Bei der g e m e i n s a m e n A b w e h r des F r e m d e n entsteht ein Nationalismus, in d e m verschiedenste M o t i v e u n d Tendenzen Seite an Seite stehen. Traditionalisten und Progessive finden sich während dieses Ausnahmezustandes im g e m e i n s a m e n Anliegen z u s a m m e n : die Freiheit nach außen hin zu sichern. D i e jeweils v o m Verlangen nach Freiheit ergriffene arabische Entität und die ihr gegenüberstehende Kolonialmacht — die durch ihre Grenzziehung dieser arabischen Entität o f t erst Form verlieh! — müssen dabei (und bei allen f o l g e n d e n Entwicklungen) — d e m Denkansatz E f o l g e n d — als kollektive Subjektivitäten und — d e m Denkansatz Ν folgend — als verschiedenen D e t e r m i n a t i o n e n g e h o r c h e n d e S c h w e r p u n k t e innerhalb der einen Wirklichkeit verstanden w e r d e n (vgl. o b e n I I I u n d 1 1 2 ) . 11 Af. Wahba: at-tawri w-al-mutamarrid, in: Ders.: Aufsätze, S. 203—213. — Ders.: harakat-ut-tärih, in: Ebd., S. 2 1 4 - 2 2 4 . - Ders.: qissat-ul-falsafa. 1968, S. 125ff. 12 S. hierzu F. Steppat: Die arabische Welt in der Epoche des Nationalismus, in: F. Taeschner: Geschichte der arabischen Welt. 1964, S. 1 7 8 - 2 3 6 (Geschichte der „arabischen Neuzeit", die 1798 mit Napoleons Expedition begonnen hat). — G. Antonius: The Arab awakening. 1938 (das klassische Werk über die Geschichte der arabischen Erhebung, mit Schwerpunkt auf der Zeit des 1. Weltkrieges). — H. Saab: The Arab federalists of the ottoman empire. 1958 (Anfänge des arabischen Nationalismus bei Auseinandersetzung mit dem ottomanischen Reich). — A. Abdel-Malek: La formation de l'idéologie dans la renaissance nationale de l'Egyptp. 1969 (sehr eingehende Darstellung der Entwicklung in Ägypten). — B. Tibi: Nationalismus in der Dritten Welt am arabischen Beispiel. 1971 (S. 59 bis 111: Darstellung der Geschichte des arabischen Nationalismus). — S. G. Haim: Arab nationalism — an anthology. 1962 (Anthologie mit ausführlicher Einleitung der Herausgeberin). — I. Ibrahim: Der Aufstieg des Nationalismus, in: F. Büttner (Hg.): Reform und Revolution in der islamischen Welt. 1971, S. 8 7 - 1 1 7 . (Vergleich des türkischen, des ägyptischen und des pariarabischen Nationalismus). 87

Drei zeitlich aufeinanderfolgende verschiedene Richtungen der arabischen Gegenbewegung können unterschieden werden: — gegen den Osmanismus lief diese Bewegung nur langsam an, denn für einen Muslimen ist der Aufstand gegen den Kalifen — sei er Türke oder Araber — mit schwerwiegenden Fragen verbunden. Erst die Rückbeziehung auf islamische Bewegungen in der Geschichte, wie die Qadariyya (s.u. 23), konnten den Entschluß, sich am Umsturz des Kalifen zu beteiligen, reifen lassen 13 . Für die von diesem Zögern nicht befangenen arabischen Christen war es viel leichter, die aus dem europäischen 19. Jahrhundert kommende und im arabischen Raum ganz neue Idee eines arabischen Nationalismus zu rezipieren (vgl. oben 2112: Entsakralisierung des Arabischen). — gegen den westlichen Kolonialismus konnte sich leicht und schnell ein schlecht definierter arabischer Nationalismus erheben. Denn hier konnte der Islam mit der Sache der arabischen Nation' verquickt werden: handelte es sich doch um „christliche Nationen", die Erben der Kreuzfahrer. Das Auftauchen von christlichen Missionaren im Gefolge der kolonialen Unternehmungen machte eine solche Vermengung besonders leicht. — gegen den Zionismus entzündet sich besonders leicht ein arabischer Nationalismus. Denn in der islamischen und der christlichen Tradition mitgeführte antijüdische Motivationen helfen mit beim Widerstand gegen die eingedrungene völkisch fremde Macht (s.o. 2143).

2222 Ein objektiver Arabismus beim Aufbau der Nation: Nach Erlangung der politischen Selbständigkeit muß in wirksamer Weise der Aufbau eines arbeitsfähigen und einheitlichen Staates betrieben werden. Hierzu gehört die Erkenntnis, daß man gewissen Einheiten angehört. Das Verhältnis der Zugehörigkeiten untereinander muß abgewogen und deren Rangordnung entschieden werden. So muß in Algerien etwa entschieden werden, welche Rollen die „Algerianität", die Zugehörigkeit zum Maghreb und die zur gesamten arabischen Welt zu spielen haben. Uber das Verhältnis des im einzelnen arabischen Staat vorherrschenden arabischen Dialekts zur arabischen Schriftsprache sind Entscheidungen zu treffen. Politische und pädagogische Erfordernisse sind hierbei gegeneinander abzuwägen. Letztere gebieten ζ. B. im Interesse der wirksamen Beseitigung des Analphabetentums eine Inbezugsetzung von Dialekt und Schriftsprache. Den das Arabische nicht als Muttersprache sprechenden Einheiten muß sinnvoll Rechnung getragen werden. Erinnert sei hier vor allem an die in der arabischen Welt lebenden Berber, Kurden, Turkmenen, Armenier und Südsudanesen. Andererseits darf der Aufbau einer arbeitsfähigen nationalen Einheit nicht gefährdet werden. Das gleichberechtigte Nebeneinander der hebräischen und der arabischen Sprache in einem zukünftigen Palästina soll in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Die schwierige Technik der Erziehung zur Zweisprachigkeit ist auf ihre Anwendbarkeit hin zu beurteilen. Dies ist besonders wichtig, wenn das Verlangen, auch die europäischen Sprachen gründlich zu beherrschen, verwirklicht werden soll. Der Blick auf die deutschsprachige Schweiz, die schon genügend Probleme 13 Das Zögern arabischer Muslimen beim Aufstand gegen den Kalifen mag in etwa mit dem Zögern arabischer Juden heute verglichen werden, sich beim Widerstand gegen den Staat Israel zu beteiligen.

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mit ihrer Hochdeutsch-Dialektdeutsch-Zweisprachigkeit hat und Französisch und Italienisch meist nur in der Oberschule unterrichtet, kann hierbei manchen Verfechter des totalen Bilinguismus eines besseren belehren.

Solche aus dem sachlichen Wissen um die Zugehörigkeit zu sprachlichen und kulturellen Strukturen stammende Bemühungen können mit Abdelmajid Meziane als „objektiver Arabismus" bezeichnet werden, der im Gegensatz zum weiter unten zu behandelnden „affektiven Arabismus" steht 14 . Er sichert den Bürgern des jungen Staates die „Nestwärme", die sie zu einer harmonischen Entwicklung und zu gesundem Selbstvertrauen brauchen. Dies ist um so wichtiger im Rahmen des die arabische Welt so wie die ganze Dritte Welt bedrohenden „Abflusses der Gehirne" (brain drain): Gesetzliche Maßnahmen allein können den Abzug in die Industrieländer nicht verhindern. Nur mit Menschen, die an sich und ihr Land glauben und sich daran erfreuen, kann in der Dritten Welt — gegen den wirtschaftlichen und kulturellen Druck der Industrieländer — eine Nation aufgebaut werden. Der „Nationalismus" in der Dritten Welt heute ist daher grundlegend zu unterscheiden vom europäischen Nationalismus des 19. und 20. Jahrhunderts 1S . Er ist kein Rassismus, sondern eine notwendige Abwehrmaßnahme, die solange dauern wird, wie die Industrieländer die Länder der Dritten Welt — trotz deren formaler Selbständigkeit — beherrschen. Die oben als Ausnahmezustand beschriebene nationale Notgemeinschaft beim Kampf für die Unabhängigkeit verlängert sich so bis in die Zeit der „Dekolonisation" hinein. Während sich in der Periode der Sicherung der Freiheit nach außen hin Progressive und Traditionalisten in einer nationalen Befreiungsfront zusammenfanden (s.o. 2221), bricht nunmehr im Inneren der Kampf der Zugehörigkeiten aus, die mit ihren Determinismen die Freiheit aufzureiben drohen: Hier werden die auf den Westen hin ausgerichteten Fortschrittlichen von den Gesetzen geleitet, die das Land aus der Unterentwicklung führen sollen, dort befolgen die Hüter des arabischen Patrimoniums dessen altehrwürdige Spielregeln. Ob die einen oder die anderen sich durchsetzen, in jedem Fall bedeutet dies das Ende der Freiheit. Gelingt es dagegen, die Welten dieser feindlichen Fronten nüchtern zu sichten, aus ihnen die geeigneten Elemente auszuwählen, sie in einer der Situation des Landes angemessenen Weise zu kombinieren und sie schließlich auch folgerichtig anzuwenden, dann verwirklicht sich Freiheit. 14 A. Meziane: Le vide idéologique, S. 8. 15 Anouar Abdel-Malek will ihm daher auch einen anderen Namen geben, er nennt ihn „Nationalitarismus". A. Abdel-Malek: Aegypten: Militärgesellschaft. Das ArmeeRegime, die Linke und der soziale Wandel unter Nasser. 1971, S. 39.

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Abdallah Mazouni bezeichnet es als die schwerste, aber auch schönste Aufgabe für einen revolutionären Intellektuellen, Effizienz und Authentizität zu vereinigen. Dabei dürfe er die in verschiedenen Bereichen unterschiedlich ablaufende Geschichte nicht als Notwendigkeit hinnehmen. Er müsse sowohl die Fatalität des Fortschritts als auch die Fatalität der Tradition ablehnen 16 . Mahmüd Qäsim analysierte in einem Vortrag die Struktur des arabischen Denkens und und wies auf zwei Merkmale hin, die es auszeichnen: Einerseits ein Sinn für das Konkrete, der Einzelheiten sachlich Rechnung trägt und sie nicht einer Theorie zuliebe preisgibt. Andererseits ein Sinn für die Bedeutung der Vorstellungskraft, der die zu wissenschaftlichem Arbeiten nötigen Hypothesen ins Leben ruft und Synthesen ermöglicht. Qäsim greift hier einen alten Vorwurf auf, der den Arabern viel zu schaffen macht. Indem er das Wahre an ihm aufzeigt, entkräftigt er nicht nur den Vorwurf, sondern verwandelt ihn zu einer positiven Aussage über die guten Voraussetzungen, die das arabische Denken für das moderne wissenschaftliche Arbeiten mitbringt: Ernest Renan hatte den Arabern vorgeworfen, sie seien zu wissenschaftlichem und systematischen Denken unfähig, weil sie einerseits im Aufzählen der Details stecken blieben und andererseits eine zu blühende Phantasie hätten! 1 7 Qâsim s Analyse gehört zum „objektiven Arabismus", der Zugehörigkeiten ernst nimmt. Seine Schlußfolgerung könnte auch auf die guten Voraussetzungen ausgedehnt werden, die das arabische Denken für eine echte Revolution mitbringt: dazu gehört, daß den Gesetzen des Milieus gehorcht und so Effizienz erreicht wird und daß der Mensch wählend in die diskontinuierliche Wirklichkeit eingreift und dabei zu sich selbst kommt. 2 2 2 3 Die Schwächen des affektiven Nationalismus: Der Weg des „objektiven" Arabismus ist eine schwierige Gratwanderung. K o m m t er vom rechten Weg ab, so gerät er in die zahlreichen Niederungen des „affektiven" Arabismus (nach dem Ausdruck von A. Meziane, s. o. 2222): — D a die Hüter der Tradition für sich beanspruchen können, auch die Verfechter der arabischen Authentizität zu sein, demgegenüber die Fortschrittlichen als Komplizen der fremden westlichen Kultur erscheinen, wird Xenophobie zum Nebenprodukt eines Nationalismus, der sich mit den ererbten Traditionen identifiziert. Abdahllah Mazouni wendet sich leidenschaftlicheren einen solchen alles Fremde ablehnenden Nationalismus: „Wenn es den Reaktionären gelingt, den Modernen einen Maulkorb vorzuhängen oder gar sie zu liquidieren, dann hat zwar die Dogmatik und die Poesie eine schöne Zukunft in unserem Land, dann heißt es aber 16 A. Mazouni: Culture et enseignement en Algérie et au Maghreb. 1969, S. 202f. 17 M. Qäsim: musâhamat-ul-fikr al-'arabï fi tahdïd manähig al-'ulûm al-insânîya. 1970. — Renan hatte den arabischen Philosophen auch vorgeworfen, sie hätten lediglich Kommentare zu Piaton und Aristoteles geschrieben, ohne in der Lage zu sein, eigene schöpferische Gedanken zu formulieren (s. B. Tibi: Nationalismus in der Dritten Welt, S. 243, Anm. 119). 90

auch: Ade, Technik, Fortschritt und Universalismus!" 18 . Er drückt damit den ungestümen Protest der Jugend aus, die es sich nicht verwehren lassen will, „an den Quellen des Universalismus zu trinken" und die sich nicht dazu zwingen lassen will, „aus Gewässern zu trinken, die seit Jahrhunderten stagniert haben". Dieser Protest beruft sich seinerseits auf die Geschichte und hält den Wächtern der Tradition vor, daß die Tradition selbst Revolution war, bevor sie zur Tradition wurde und damit ihre innere Freiheit verloren hat. Auch damals schon bedeutete Revolution ein Platzen von alten Strukturen durch Anregungen von außen und ein souveränes Eingreifen in diesen Prozeß durch Verwertung von altem Eigenem und neuem Fremden.

— Der Nationalismus gründet sich auf einer Aktivierung des Bewußtseins, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Nun ist aber ein solcher — von Ibn Haldün ,,'asabiyya" genannter — Clangeist keineswegs von vornherein auf eine bestimmte Einheit festgelegt. Er wächst vielmehr aus den verschiedensten, sich im Laufe der Geschichte verändernden Verbänden: Sippe, Stamm, Stadt, völkische Minorität usw. Seine Belebung kann daher auch zu unerwünschten Partikularismen führen wie der Kurdismus und die Berberismen. Vor allem aber führt seine Koppelung mit den beiden wichtigsten verbindenden Größen der arabischen Welt heute — Nationalstaat und arabischer Gesamtraum — zu einem Antagonismus oder zumindest zu einer schwer zu lebenden doppelten Loyalität: hie politische Einheiten meist jungen Datums, hie die Einheit der arabischsprachigen Welt. In Ägypten löste um 1930 — nicht ohne heftige Spannungen — der panarabische den bislang vorherrschenden ägyptischen Nationalismus ab. Letzterer hatte in der „pharaonischen Bewegung" versucht, eine Kontinuität der ägyptischen Geschichte zu schaffen (Ibrahim, S. lOOff.). Im unabhängig gewordenen Algerien drückte sich innerhalb weniger Jahre ein ähnlicher Wandel in den Schulbüchern aus: anfänglich ließen sie die algerische Geschichte bei den numidischen Fürsten, später mit dem Auftreten des Propheten in Mekka beginnen.

Jede Einheit regt seine Angehörigen dazu an, sie zu akzeptieren, und sich in ihr geborgen zu fühlen. Sie tut dies, indem sie ihre selbstverständliche Vorgegebenheit betont und so die Problematik ihres geschichtlichen Gewordenseins vergessen läßt. Eine „verewigende" Zuriickprojizierung des gegenwärtigen Zustandes in die Geschichte ist daher ein anderes Nebenprodukt des Nationalismus19. Die arabische Sprache, in ihrer klassischen Form ist wegen ihrer einzigartigen Rolle, die ihr im arabischen Raum zukommt, besonders dazu ge18 A. Mazouni: Culture et enseignement en Algérie et au Maghreb, S. 202. 19 Β. Tibi erinnert an Renans Ausspruch, daß eine ins Detail gehende Geschichtsforschung eine Gefahr für das Nationalbewußtsein sei! B. Tibi: Nationalismus in der Dritten Welt, S. 138.

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eignet, d e m beunruhigten ( s . o . 2 2 1 2 ) S e l b s t b e w u ß t s e i n des arabischen Menschen Geborgenheit u n d Trost zu sichern. D a sie auch die Sprache des Korans („Qur'än") ist, steht sie in unmittelbarer Nähe zur göttlichen Offenbarung. Dies erhöht ihren z e i t l o s e n objektiven Wert. Man kann sich ihr hingeben, dabei seine wahre Identität f i n d e n u n d v o m im Hier u n d J e t z t b e d r o h t e n u n d geängstigten Ich befreit werden. Abdahllah Laroui geisselt diese weitverbreitete Tendenz aufs schärfste. Er meint, gewisse Mu'taziliten (2321) hätten im Dogma vom ungeschaffenen Koran bereits diese Gefahr gewittert. Ihre orthodoxen Gegner damals seien jedoch nicht so weit gegangen wie manche heutige verzweifelte Wächter der Kontinuität, die man sagen hören könne: „Wenn eines Tages der Islam sich in der Indifferenz auflösen sollte, der Koran bliebe immer noch unter uns gegenwärtig". Die hypostasierte Sprache — das kondensierte Bild der Vergangenheit — werde so zum Fetisch, den man anrufe, um die immer problematischer werdende Authentizität und die immer illusorischer werdende Kontinuität zu garantieren 20 . Die Behauptung, die man in einer Wochenzeitung lesen konnte, alle anderen semitischen Sprachen stammten vom Arabischen ab, illustriert dieses völlig ungeschichtliche Denken, das sich in Geschichts- und Sprachkonstruktionen ergeht. — Die immer wieder praktizierte Anlehnung des Nationalismus an den Islam mag als Zeichen seines eigenen Gefühls der S c h w ä c h e u n d der Leere g e l t e n 2 1 . Tatsächlich b e s t e h t eine gewisse formale V e r w a n d t s c h a f t zwischen d e m islamischen Begriff der „ U m m a " , d . h . der G e m e i n s c h a f t aller Gläubigen, u n d der nationalen Einheit. Beide w o l l e n es d e m Individuum ermöglichen, sich selbst zu realisieren durch A u f g e h e n in der Gemeinschaft. Die inhaltlichen Unterschiede m a c h e n j e d o c h d e n Islam zu einem schlechten u n d unzuverlässigen Bundesgenossen d e s Nationalismus. S o kann der Islam u. U. sehr plötzlich z u m deklarierten Gegner des Nationalismus w e r d e n : — Die Betonung des Islam gefährdet die arabische Einheit, denn die nicht-islamischen Minderheiten im arabischen Raum fühlen sich dabei ausgeschlossen und werden so in ihre eigenen Partikularismen oder zum Anschluß an andere Blocks getrieben. Erinnert sei hier vor allem an die Maroniten, die Drusen, die Armenier, die Kopten und die Südsudanesen. — Die Umma ist eine sich nach Gottes Willen ausrichtende Entität, die nationale Gemeinschaft ist autonom. — Der unumstößliche Grundsatz des Islam: „kein Unterschied zwischen den Arabern und den Nicht-Arabern ! " macht echte Muslimen zumindest kritisch gegenüber dem Solidaritätspathos des Nationalismus. Die Anwendung des Begriffs „Umma" auf die arabische Gemeinschaft (al-umma al-'arabiyya) muß ihnen letztlich als Usurpation erscheinen. 20 A. Laroui: L'idéologie arabe contemporaine, S. 89ff. 21 A. Meziane (Le vide idéologique, S. 9) sagte 1970 von Algerien: „Man kann bei uns keinen finden, der das Wort Arabismus ausspricht, ohne den Islam mit hineinzumischen." 92

Die nicht nur in der Praxis gelebte, sondern auch von muslimischen Denkern — wie 'Abd-ur-Rahmän al-Kawâkibï und Raitd Ridä' — theoretisch untermauerte enge Verbindung von Islam und Arabismus 22 erklärt sich aus der Tatsache, daß die arabische Sprache und die Araber das „Gefäß" waren, das den Islam und seine Botschaft in die Welt getragen haben. Trotz des eindeutig universalistischen Charakters des Islam ist daher die von ihm verkündete göttliche Offenbarung nicht ohne weiteres von ihrem arabischen Träger zu trennen. Dies gilt — wegen des theokratischen Charakters des Islam — nicht nur für den geistlichen, sondern auch für den weltlichen und politischen Bereich. Zum Vergleich mag darauf hingewiesen werden, wie schwierig es für in Israel lebende Juden ist, ihren hebräischen Nationalismus von ihrem universellen jüdischen Glauben zu trennen.

So erklärt sich die eigenartig anmutende gemeinsame Frontstellung konservativer und moderner Muslime gegen den Arabismus: Die panislamisti sche Muslim-Bruderschaft und die ihnen nahestehenden einfachen Gläubigen lehnen den Nationalismus ebenso ab, wie moderne muslimische Denker, die nicht zögern, zu erklären, daß er mit dem islamischen Glauben nichts zu tun habe 23 . Auch die gegenüber dem Nationalismus weniger empfindlichen Muslime werden letztlich, solange sie an ihrem Glauben festhalten, die Interessen der islamischen Gemeinschaft über die der territorialen Nationalstaaten und über die der arabischen Einheit stellen. — Der „affektive" Arabismus kann unversehens entweder einem indifferenten oder einem aggressiven Rassismus verfallen. Der letzte Grund hierfür scheint darin zu liegen, daß im Nationalismus die Frage des Universalismus ungelöst bleibt. Der vom Nationalismus getriebene Verband von Menschen bleibt als kollektive Persönlichkeit in einem Schwerpunkt der Wirklichkeit gefangen, ohne mit den anderen Schwerpunkten kommunizieren zu können. Er ist ein letztlich weltloses und gottloses Ich. Er kann den im Islam so zentralen Wert der „Einheit des Wirklichen" nicht leben. Er verliert die lebendige Beziehung zur Bewegung der Geschichte und zu deren Endziel:

22 Ein jüngerer Versuch dieser Art stammt von Isma'tl Ragi A.-al-Faruqi in seinem Buch: On arabism —'urubah and religion. 1962. — Sogar der aus christlicher Familie stammende Ideologe des Arabismus, Michel 'Aflaq, versuchte eine solche Synthese, in der auch die nicht-muslimischen Araber ihren Platz haben sollten. Dies war allerdings nur nach gründlicher Denaturierung des Islam möglich. 'Aflaqs Ansichten stellt dar: P. von Sivers: Arabismus — arabischer Nationalismus und Sozialismus seit dem Zweiten Weltkrieg, in: F. Büttner (Hg.): Reform und Revolution, S. 1 1 9 - 1 4 7 . 23 H. Hanafi: Le monde islamique entre révolutionnaires et réactionnaires, in: Y. Moubarac (Hg.): Les musulmans. 1971, S. 112. — H. Saab: The arab federalists of the ottoman empire. 1958, und ders.: mündliche Mitteilung.

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Der zur Indifferenz tendierende Pluralismus kommt — worauf Rodinson und Laroui hinweisen — der heutigen Situation sehr entgegen, die durch das Bewußtsein eines Mißerfolges gekennzeichnet ist: Mißerfolg des assimilierenden und universalisierenden Kolonialismus; Mißerfolg des Marxismus angesichts der nationalen Schismen in seinem Inneren. So könne man in der heutigen kulturalistischen und totalisierenden Welle in der Soziologie eine Art Renaissance des wissenschaftlichen Rassismus à la Renan erblicken 24 . Eine andere Form von Indifferenz und Verlust der Einheit der Wirklichkeit ist eine angesichts des eingedrungenen Westens und der Fortschritte, die er gebracht hat, von manchem gläubigen Muslim eingenommene Haltung, die sich in folgendem Satz summarisch ausdrückt: „wir haben den Himmel und das Paradies, laßt ihnen die Erde . . . " Den aggressiven Nationalismus kennzeichnet das Verlangen, den Anderen zu vereinnahmen und so das Problem der mangelnden Kommunikation mit ihm zu lösen. Diese Haltung verkörpert in ihrem Extrem der Nazismus, der beispielsweise in blonden Pharaonen einen Beweis sah für die weltdurchdringende Kraft der hochwertigen nordischen Rasse. Ein solcher Versuch eines „universellen Nationalismus" ist eine grausame Farce, ein Ersatz für die universale weltverändernde Durchschlagskraft, die einer mit der Einheit der Wirklichkeit in lebendige Beziehung getretenen Gruppe von Menschen zukommt. Mazouni führt Beispiele an für eine solche Vereinnahmung, die allerdings recht harmlos bleibt. Denn es wird nur im Geiste vereinnahmt, um Minderwertigkeitskomplexe angesichts der eigenen Machtlosigkeit abzureagieren. Angesichts der Wiederentdeckung Ibn Haldüns und seines Werks, der von manchen als der erste Soziologe gefeiert wurde, könne man folgende Einstellung beobachten: „Wir sind doch nicht so dumm wie ihr meint, denn wir waren ja eure Vorläufer!" 2 5 Auch der universelle Charakter des Islam wird in diesem Sinne — wenn auch meist unbewußt — zu Hilfe genommen und verunstaltet: — Angesichts des vom Westen kommenden Fortschritts wird behauptet, alle diese Entdeckungen seien schon im Koran enthalten.

24 A. Laroui: L'idéologie arabe contemporaine, S. 167ff. — M. Rodinson: Dynamique interne ou dynamique globale? L'exemple des pays musulmans, in: Cahiers internationaux de sociologie 42, 1967, S. 27—47. Die beachtliche Rezeption, die Ibn Haldüns Geschichtsphilosophie heute findet, kann nach B. Tibi (Nationalismus in der Dritten Welt, S. 128) hierin seine Erklärung finden. 25 Oder man vereinnahme Augustin, den „Nordafrikaner" anstatt einzusehen, daß er vor allem ein lateinischer Kirchenvater war, und daß man viel besser mit ihm in Kontakt komme, wenn man ihn als solchen ernst nehme — d. h. auf dem Umweg über den Universalismus!—, als wenn man sich an den Geburtsschein des „Eingeborenen von Souk Ahras" klammere . . . (A. Mazouni: Culture et enseignement, S. 137 und 73). Der große Erfolg, den Sigrid Hunkes Buch, welches den Einfluß der islamischarabischen Kultur auf den Westen darstellt, in der arabischen Welt hat, deutet in dieselbe Richtung: S. Hunke: Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe. 1960.

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— Den nicht-arabischen islamischen Völkern wird versichert, sie könnten nur dann zu ihrer eigenen kulturellen Identität gelangen, wenn sie sich von der arabisch-islamischen Kultur formen lassen, welche als Typus für alle islamischen Nationen zu gelten habe. Man macht sich dabei zunutze, daß das Arabische das Gefäß der Offenbarung ist (s.o.). Die Richtung, in der hier gesprochen wird, weist auf die Nationen, die die Rolle des Arabischen eingeschränkt haben, wie ζ. B. die türkische 26 . Wenn sich auch d e m kritischen D e n k e n die S c h w ä c h e n des Nationalism u s in aller Klarheit darstellen, so m u ß dieses d o c h zugeben, daß im praktisch gelebten Arabismus gegensätzliche Zugehörigkeiten in subjektiv ehrlicher K o e x i s t e n z gelebt w e r d e n , auch w e n n dies d e m kritischen Beobachter inkohärent erscheinen mag. Als Beispiel soll hier Nassers „Philosophie der Revolution" dienen. Sie' spricht von den Quellen, aus denen unsere Kraft kommt und von den drei Kreisen, in die wir eingebunden sind und die unsere Kraft garantieren: Die Quellen sind das eigene Land, seine Bodenschätze (Erdöl!) und seine Kultur — der die drei heiligen himmlischen Religionen entsprungen sind. Die Kreise sind: 1) die arabische Welt, 2) Afrika und 3) die islamische Umma. So wird ein de facto-Universalismus erreicht, der sich über weite Gebiete, wenn auch nicht über die ganze Erde erstreckt 27 . 2 2 2 4 Zur Theorie des panarabischen Nationalismus: Der panarabische Nationalismus, der in der ersten Hälfte des 2 0 . Jahrhunderts groß wurde u n d sich gegenüber d e n Lokalnationalismen d u r c h z u s e t z e n hatte, sah in der d e u t s c h e n Situation des 19. Jahrhunderts Ä h n l i c h k e i t e n mit der seinigen u n d m a c h t e sich die Lehren Herders u n d Fichte s zu eigen: In einer Zeit fehlender staatlicher Einheit, die zwar h e f t i g ersehnt, aber schwer zu verwirklichen ist, erscheint die vorgegebene g e m e i n s a m e Sprache u n d Geschichte als Band u n d gemeinsames Schicksal. Die arabischen Lokalnationalismen hingegen k o n n t e n in der französischen Situation u n d in d e n Ä u ß e r u n g e n Renans z u m Nationalismus eine ihnen angemessene D i s p o s i t i o n finden: Ein sinnvoller Nationalismus erwächst aus 26 Badawi kritisiert wegen der ersten Behauptung Tantawi öawhari, vgl. Ά. Badawi: Der Islam in Ägypten in den letzten hundert Jahren, in: R. Italiaander (Hg.). Die Herausforderung des Islam. 1965, S. 71—82. Ibrahim kritisert wegen der zweiten Behauptung einen Ausspruch von Taha Husain aus dem Jahre 1940, vgl. I. I. Ibrahim: Der Aufstieg des Nationalismus, S. 102. Sabir nennt die hier gekennzeichnete, den Anderen vereinnahmende Haltung „kulturelle Illusion" und „subjektives Verhalten", vgl. M. ad-D. Sâbir: Spécificité nationale et universalité, in: A. Abdel-Malek (Hg.). La pensée politique arabe contemporaine. 1970, S. 159-164. 27 Ö. 'Abd -un-Nàsir: falsafat-ut-taura, S. 103ff. — Einen Vergleich von Nasserismus, syrischem Ba'thismus und dem Nationalismus Bourguibas liefert Hicham Djaït in seinem Beitrag „Problématique et critique de l'idée d'unité arabe" zum Colloque interarabe de Louvain (A. Abdel-Malek et al., Hg.: Renaissance du monde arabe). 95

einer unter bestimmten historischen Umständen erfolgten Staatsbildung. Die Nation ist keine vorgegebene Einheit, in die man schicksalhaft oder naturmäßig hineingeboren ist, sondern entsteht aus der freien Option der Individuen für diesen Staat. So ist es verständlich, daß der einflußreichste Theoretiker des panarabischen Nationalismus Säti' al-Husri, der sich gegen die Lokalnationalismen zu wenden hatte, Renan ablehnt und Fichte folgt 2 8 . Da Deutschland seit Ende des Ersten Weltkrieges keine Kolonialmacht mehr war, während England und Frankreich die arabische Sache betrogen und hinterrücks den Nahen Osten unter sich aufgeteilt hatten, ist die damalige Germanophilie der Araber verständlich. Die Tendenz Fichtes, das deutsche Volk, seine Sprache und Kultur zu überhöhen und zu „verewigen" erscheint wie zugeschnitten auf ein gewisses arabisches Selbstverständnis (s.o. 2223), welches sich als nationale Persönlichkeit erlebt, deren Seele die Sprache und deren Bewußtsein und gemeinsame kollektive Erinnerung die Geschichte ist. Der überzeitliche Charakter dieser Persönlichkeit spendet Hoffnung und gibt Kraft, nun auch für die Verkörperung dieser „Seele" in der Geschichte zu kämpfen. Die Wahlfreiheit des Menschen begegnet hier einer vorgegebenen Determination, der sie sich selbstverständlich hingeben kann. Denn der mächtige Anspruch dieser Determination läßt jede andere Entscheidung als sinnlose Flucht in die Entfremdung oder die Weltlosigkeit erscheinen. Husri greift nicht nur die deutsche Idee der Kulturnation auf, sondern aktualisiert auch einen Denker aus der eigenen Geschichte (den er besser kennt als Fichte!): Ibn Haldün, demzufolge der Mensch von seiner Gemeinschaft und deren Solidaritätsgefühl bestimmt wird. Er folgt dabei einer verbreiteten modernisierenden Interpretation des Geschichtsphilosophen aus dem 14. Jahrhundert, die Ibn Haldüns' „Zugehörigkeitsgefühl" (die ,,'asabiyya") einseitig auf eine im 14. Jahrhundert weder geistig noch politisch bestehende Größe festlegt: die panarabische Nation. Die Religion spielt bei Ibn Haldün nur am Rande eine Rolle: Sie verstärkt den Korpsgeist, der die Gemeinschaft hält. Dies kommt Husris Anschauungen entgegen, der vor allem in der Sprache die alle — auch die nichtmuslimischen — Araber einende Größe erblickt. Husri, dessen Frontstellung nicht nur gegen die Lokalnationalismen — vor allem Ägyptens und Syriens — sondern auch gegen den sich auf alAfgänt berufenden Panislamismus richtet, wirft dem Islam und dem Christentum vor, es sei ihnen nicht gelungen, eine kohäsive Gemeinschaft aufzubauen. Nur das Judentum, weil es eine Nationalreligion sei, habe dies leisten können . . . Husri stellt auch hier Fichte als Vorbild hin, der die Reformation im 16. Jahrhundert als „deutsches Ereignis" gefeiert habe . . . 28 S. zum Folgenden: Säti'al-Husrt: al-'urüba awwalan! 1961. — B. Tibi: Nationalismus in der Dritten Welt, S. 123, 135, 139, 143, 159, 166. - A. Laroui: L'idéologie arabe contemporaine, S. 90. — ]. Hafez: Zu einigen kleinbürgerlichen Begriffen über die nationale Frage, in: B. Tibi (Hg.): Die arabische Linke, S. 72—85. — A. Megherbi: Ibn Khaldoun — sa vie et son oeuvre. 1970 (insb. S. 28ff.: „La loi du déterminisme"). — I. I. Ibrahim: Der Aufstieg des Nationalismus, S. 105ff.

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Renan hatte 1882 in einem Vortrag aufgezeigt, wie eine Nation nicht mit einer Sprache und noch weniger mit einer Rasse identifiziert werden könne, sondern ein vergängliches geschichtliches Gebilde sei, dem die Staatsbürger aus freiem Willen anhängen. Diese Analyse trifft sehr wohl auf Frankreich zu, zu dem sich — im Gegensatz zu Deutschland — nicht-französisch-sprachige Menschen bekennen und dann auch als echte Franzosen integriert werden. In dieser voluntaristischen Sicht mußten die Elsässer und die Lothringer als Franzosen erscheinen. Dem deutschen Nationalismus hingegen mußten sie als Deutsche erscheinen, da sie j a zu der vorgegebenen Größe „deutsche Sprache" gehörten. Renans Argumente mögen Husri an die seiner Gegner erinnert haben, die ihm den wenig wirklichkeitsbezogenen Charakter seiner Ideologie von der Sprache vorhielten . . .

Der theoretische panarabische sonders den deterministischen

Nationalismus sah und betonte also beAspekt der Zugehörigkeit zur Nation.

Die jungen nationalen Staaten hingegen erblickten im voluntaristischen Aspekt der Zugehörigkeit zur Nation eine Aufforderung an ihre Bürger, dem Staat freiwillig anzuhängen, allerdings ohne es dabei zu unterlassen, auch die Vorgegebenheit und die altehrwürdige Geschichte des Staates zu betonen. Aus der Praxis des Panarabismus ist es jedoch hinreichend bekannt, daß man sich auch hier an die Menschen des arabischen Kultur- und Sprachbereichs wendet, um sie aufzufordern, diese Gegebenheit zu ratifizieren und die Sache der arabischen Einheit und ihrer klassischen Sprache zu der ihrigen zu machen. Dies geschieht vor allem im Blick auf die nichtarabischen Minderheiten, auf die Massen, die in arabischen Dialekten leben, und auf die Intellektuellen und Schriftsteller, die diese Dialekte wegen ihrer Volksnähe zu der.ihrigen machen oder sich des Französischen bedienen, wie vor allem zahlreiche maghrebische und libanesische Schriftsteller. 2 2 2 5 Harte Kritik am arabischen Nationalismus kommt heute nicht nur — wie wir sahen (2223) — von Seiten des Islam, sondern auch und vor allem von Seiten des Marxismus. Er sieht in ihm — dessen Theorie „aus dem Sumpf der europäischen und insbesondere deutschen bürgerlichen Ideologie geholt wurde" (Hafez, S. 77) — eine Ursache für die Verfälschung der Revolution zu dem in manchen arabischen Staaten herrschenden Pseudo-Sozialismus. Die heftige Ablehnung des deterministischen Aspekts der Panarabismus-Theorie al-Husrïs — wie wir sie bei Bassam Tibi finden, dessen Husri-Darstellung wir hier weitgehend gefolgt sind — muß jedoch darüber hinaus aus der besonderen Situation der „neuen arabischen Linken", zu der sich Tibi zählt, verstanden werden: Sie befindet sich in Frontstellung nicht nur gegen den Nationalismus, sondern auch gegen den Islam, so wie er von den Massen gelebt wird, und gegen die nach der UdSSR ausgerichteten arabischen kommunistischen Parteien, denen gegenüber Tibi die Autonomie der sozialistischen Bewegungen Castros, Guevaras und Ho Chi Minhs innerhalb des Internationalismus betont (Tibi, Die arabische Linke, S. 5 und S. 16). 7

Schoen, Determination

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Die Theorie des Panarabismus wird daher nicht nur deswegen abgelehnt, weil sie eine Importware aus einer bürgerlichen Ideologie ist, sondern auch deswegen, weil sie formale Ähnlichkeiten aufweist mit dem Islam und dem Kommunismus, die beide aus einem Determinationsbewußtsein heraus gelebt werden. Damit wird jedoch im Grunde etwas vom Anliegen Renan s — die Partikularität des Individuums und dessen Freiheit — vertreten und eine ebenfalls aus dem Westen kommende Importware rezipiert. Doch hiermit stehen wir bereits in der Frage nach dem Verhältnis von Determination und Freiheit, so wie sie innerhalb des arabischen Marxismus gestellt wird.

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Der arabische

Marxismus

2 2 3 1 Der Marxismus kommt mit dem Westen: Für die arabische Welt war zunächst der Marxismus eine der mit d e m Westen eingedrungenen G e d a n k e n w e l t e n . Seine R e z e p t i o n im arabischen D e n k e n verlief j e d o c h verhältnismäßig langsam. Als Grund hierfür kann zunächst gelten, daß s o w o h l der Islam als auch der arabische Nationalismus ihn entschieden ablehnten, o h n e ihn eines g e n a u e n Studiums z u würdigen 2 9 . Eine weitere Ursache mag sein, daß es d e n arabischen k o m m u n i s t i s c h e n Parteien nur schlecht gelang, die Islam u n d Nationalismus gegenüber kritisch eingestellten fortschrittlichen Kräfte anzuziehen, so daß sich deren revolutionäre Begeisterung d e m — ebenfalls antimarxistischen — arabischen Sozialismus z u w a n d t e 3 0 .

29 Die von J. P. Charnay zusammengestellte Bibliographie über die Beziehungen zwischen Marxismus und Islam (Le marxisme et l'Islam — essai de bibliographie, in: Archives de sociologie des religions 10, 1960, S. 133—146) spiegelt die damalige Situation wider: sie bringt neben marxistischen Autoren eine Fülle von Schriften über den Marxismus und von Polemik gegen ihn. — Auch die von W. Ule angeführte umfangreiche Literatur (Der arabische Sozialismus und der zeitgenössische Islam — dargestellt am Beispiel Ägyptens und des Iraks. 1969) gibt eine Vorstellung von der großen Breite und der geringen Tiefe des „Dialogs" zwischen Marxismus und Islam. Der summarische Satz von S. Munadschid (Wohin treibt die arabische Welt? 1968, S. 85): „Die Ideologien der revolutionären Sozialisten sind uns fremd, sie entstammen nicht aus dem arabischen und islamischen Erbe" kennzeichnet diese Ablehnung. al-'Azms Buch „Kritik des religiösen Denkens" (s.u. 2233) verursachte einen Sturm der Entrüstung nicht zuletzt deswegen, weil der Autor sich offen als Marxist deklarierte (siehe hierzu St. Wild: Correspondance d'Orient no 11 — 5 ème Congrès internat, d'arabisants et d'islamisants à Bruxelles 1970 — Actes - , S. 507-513). 30 Vgl. hierzu G. Tarabischi: Sartre und die arabische Marx-Rezeption, in: B. Tibi: Die arabische Linke, S. 161 ff. 98

Heute verbreitet sich jedoch eine gründlichere Kenntnis des Marxismus und der unterschiedlichen Denkmodelle, die er in seinem Inneren birgt. Sein Angebot, das er dem arabischen Denken macht, ist somit reichhaltiger geworden 31 . Man muß den Marxismus als die wichtigste kohärente Gedankenwelt und Alternative zum Islam bezeichnen, vor der der arabische Mensch heute steht. Die liberale Gedankenwelt war vom Westen her in die arabische Welt eingedrungen als Ausdruck der gesellschaftlichen Schicht, unter deren Herrschaft der Westen entwickelt und die arabische Welt unterentwickelt worden war. Auf demselben Weg folgt nun der Marxismus als Ausdruck der Klasse, auf deren Kosten in den westlichen Heimatländern die Entwicklung zum Industrieland gegangen war. Die Ideologie der ehemaligen Unterentwickelten des Westens — die sich inzwischen die Teilhabe an dessen Entwicklung erkämpft haben — kommt nun in die arabische und die übrige Dritte Welt und bietet sich als Methode an für deren Befreiungskampf gegen die Ausbeutung von seiten der Industrieländer. Da die Unterentwicklung eine aus dem Westen kommende Tatsache ist, erhebt die aus dem Westen kommende fremde Methode den Anspruch, ein erprobtes und wirksames Mittel gegen die fremde Tatsache der Unterentwicklung zu sein. Der innere Klassenkampf des Westens weitet sich so zum internationalen „Interzonen-Klassenkampf" aus: der Kampf zwischen der industrialisierten zentralen Weltzone und der breiten sie umgebenden unterentwickelten Randzone. Der Marxismus — als ein Fremder in eine fremde Welt kommend — kommt so dennoch in das Seinige! Er weiß sich als der gedankliche Ausdruck der Massen in der Dritten Welt, auf deren Kosten die Entwicklung der Industrieländer geht.

31 S. hierzu M. Rodinson: Marxisme et monde musulman. 1972. — Β. Tibi: Skizze einer Geschichte des Sozialismus in den arabischen Ländern, in: Ders.: Die arabische Linke, S. 7—41 (S. 46—172: Textsammlung arabischer marxistischer Autoren). — A. Abdel-Malek: Problématique du socialisme (Anthologie), in: Ders. (Hg.): La pensée politique arabe contemporaine. 1970, S. 229—308. — S. A. Hanna und G. H. Gardner: Arab socialism. 1969. — W. Markow (Hg.): Kolonialismus und Neokolonialismus in Nordafrika und Nahost. 1964 (vor allem Darstellung der kommunistischen arabischen Parteien). — I. Murqus: tärih-ul-ahzäb aï-Suyù'iyya fi-l-watan al-'arabï. 1964, S. 139—175. Auszug übersetzt in: B. Tibi: Die arabische Linke, S. 46ff. (Geschichte der kommunistischen Parteien im arabischen Vaterland). — Ders.: al-marksiyya fi 'asrinä (Der Marxismus in unserer Zeit). 1965 (Lehrbuch des Marxismus). — S. G. al-'Azm: madhal ilä-t-tasawwur al-'ilml-almäddi 1-il-kawn wa tatawwurihi (Einführung in die wissenschaftlich-materialistische Vorstellung von der Welt und ihrer Entwicklung), in: Ders.: naqd-ul-fikr ad-dînî. 1969, S. 2 0 1 - 2 3 0 .

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2232 Die Arabisierung des Marxismus: Dem Menschen der Dritten Welt, der für die so dringende Aktion den Marxismus als Anleitung ergreift, widerstrebt dennoch deren fremder oder gar entfremdender Charakter. Er kommt sich nur als Ableger und Nachzügler dessen vor, was im Ursprungsland der Lehre schon normativ geschehen ist. Er sieht, daß alles, was er an Neuem und Umwälzendem schafft, nicht nur nach fremden, sondern auch nach vergangenen fremden Maßstäben normalisiert wird. Wenn der arabische Revolutionäre bereit ist, die neue Sprache zu lernen, ohne sie „in seine eigene Muttersprache zu übersetzen, um so — frei von Rückerinnerungen — frei in ihr produzieren zu können" — was Karl Marx in seinem „18. Brumaire des Louis Napoleon" ihm rät —, so ist er nicht bereit, sich von der Vergangenheit der fremden Sprache beschweren zu lassen, deren Geister seine orthodoxen westlichen Genossen heraufbeschwören. Er findet es entwürdigend, wenn seine Revolution in Kategorien gesehen, beurteilt oder gar abgeurteilt wird, die aus dem europäischen 19. Jahrhundert stammen und bei ihm nur in stark variierter Form oder überhaupt nicht existieren 32 . Der für die Beseitigung der Ausbeutung zu zahlende Preis erscheint zu hoch: Im Nacheinander der sich ablösenden Determinationen war das Ghetto der alten arabischen Welt durch die Entwicklung des Westens und die von ihm ausgehende Unterentwicklung zerstört worden. Soll ich nun — um der Befreiung willen — von einer dritten Determination ergriffen werden, zwischen deren Zahnrädern mein etwas Besonderes seiendes Ich erneut zerdrückt wird? Zu dem grundsätzlichen J a zum Marxismus hinsichtlich seiner Zuständigkeit als Ausdruck des Anspruchs der arabischen Massen gesellt sich also ein Vorbehalt oder gar ein Nein hinsichtlich seiner vorgeschlagenen Lösungen und seiner Theorie. Die kritische, die eigene Besonderheit betonende Haltung gegenüber dem Marxismus, so wie er aus dem Westen kommt, drückt sich in den unterschiedlichsten Versuchen aus, den Marxismus zu islamisieren und zu arabisieren. Die an Scharfsinn so reiche arabische Intelligenz unterzieht diese Versuche ihrerseits einer gründlichen Analyse und Kritik, stellt ihnen neue Denkmodelle entgegen und setzt sie auch in die Tat um: — In einer an Variationen reichen Antwort in Richtung des auf ihn zukommenden Marxismus sagt der Islam von sich: Ich bin der wahre Sozialismus. Neben totaler Ablehnung — vor allem in den wenigen nicht-sozialistischen Ländern — begegnet man heute mehr und mehr einer auslesenden Haltung: gewisse — für Marxisten meist als wesentlich geltende — Inhalte werden eliminiert, weil sie den Grundlehren 32 Ein Beispiel für ein solches Vorgehen, welches einer spezifischen Wirklichkeit Gewalt antut, ist das Nachwort A. Scheils (Eine gescheiterte Revolution) zu F. Fanon: Aspekte der Algerischen Revolution (Sociologie d'une révolution). 1969, S. 1 2 9 - 1 4 3 .

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des Islam widersprechen; der Rest wird als aus den eigenen Reihen stammender säkularisierter Mitarbeiter integriert. Dabei wird auf den Koran, die Tradition und die eigene Geschichte zurückgegriffen. Stellen, die Affinitäten zum Anliegen des Marxismus aufweisen, werden aktualisierend neu interpretiert 33 . Einer solchen sei es generell ablehnenden oder selektiv sich den Marxismus einverleibenden Haltung des Islam steht ein in manchem vergleichbares Verhalten des Marxismus gegenüber: Einerseits vertritt er die Meinung, daß der Weg in eine bessere Zukunft nur über eine gründliche Säkularisierung führe 34 . Andererseits greift er kritisch in den Islam ein und macht sich kleinere oder größere Teile seines Gebäudes zu eigen. Abgelehnt werden dabei durchweg seine theokratischen und den status quo der Gesellschaft konservierenden Aspekte, sowie der „Fatalismus" der Massen (s.o. 2121). Vereinnahmt werden die vom Korangebotene Sozialabgabe (zakät), der von ihm verbotene Wucherzins (ribä), der Gemeinschaftscharakter des Islam, sowie sein Universalismus. Angesichts des „Fatalismus" des Islam, gegen den Sturm gelaufen werden muß, erinnert man sich lieber an das Recht und die Pflicht des Muslimen eine ungerechte Regierung zu stürzen — einen Gottes Gesetze nicht erfüllenden Kalifen etwa — als an den islamischen Glauben an die Determination der auf ihr Ende zulaufenden Geschichte 35 . Von der Erkenntnis, daß der andere eine Wirklichkeit ist, mit der man rechnen muß, und daß man selbst in dieser Hinsicht bisher viel versäumt hat, bis hin zu einem Gespräch, bei dem dem anderen das Recht zugestanden wird, er selbst zu sein und seine Tradition so zu leben und zu interpretieren, wie er es für richtig hält 3 6 , müssen der Islam und der Marxismus noch manches Stück Weg nicht nur 33 Siehe hierzu beispielsweise den Abschnitt „al-iätiräkiyya fi-l-isläm" (der Sozialismus im Islam) in M. Saltùts Lehrbuch: al-islâm — 'aqîda wa ïarï'a, S. 113. 34 So etwa S. al-'Azm in seinen beiden Büchern: Selbstkritik nach der Niederlage (s.o. 2141) und: Kritik des religiösen Denkens (s.u. 2233) sowie /. Hafez: Arabisierung des Marxismus, S. 115ff. 35 Die Gruppe tunesischer Marxisten Perspectives vertrat auf dem Kolloquium der arabischen Sozialisten in Algier im Mai 1967 die Meinung, die sie durch Beispiele belegte, daß der Marxismus bei den gläubigen islamischen Massen durchaus Resonanz finden könne (Β. Tibi: Die arabische Linke, S. 109). 'Abd-ul-Häliq Mahgüb, der 1970 hingerichtete erste Sekretär der sudanesischen kommunistischen Partei, war der Ansicht, daß das Bündnis der reaktionären Kräfte mit dem Islam nur aufgrund einer Verfälschung desselben möglich sei (A. Abdel-Malek, Hg.: La pensée politique arabe contemporaine, S. 304). 36 W. Ule untersucht die Koranstellen über Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, um die die „hermeneutische Schlacht" zwischen Islam und Marxismus entbrannt ist. Er weist die Verschiedenheit der heutigen und der damaligen Situation auf, leitet daraus jedoch die Unmöglichkeit einer aktualisierenden Neuinterpretation ab. Der Islam sei letztlich ebensowenig reformierbar, wie der Marxismus sich in der arabischen Situation erneuern könne, ohne sein Wesen zu verlieren. Als „nur objektivem" und nicht subjektiv engagiertem Beobachter fehlt ihm das Verständnis für die Erneuerungskraft lebendiger Gemeinschaften. S. Der arabische Sozialismus und der zeitgenössische Islam, und die Zusammenfassung dieser Arbeit unter dem Titel: Islam und Wirtschaft, in: Der Islam 47, 1971, S. 136 bis 167.

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in gemeinsamem Gespräch, sondern auch in gemeinsamer Aktion zurücklegen. Dann erst wird das Sich-gegenseitig-einverleiben-Wollen einer konstruktiven gegenseitigen Kritik und einer Selbstkritik beider Partner als Frucht des Dialogs Platz machen. Da sich weite Kreise des Islam in die Defensive gedrängt sehen und befürchten, auch noch die letzten Machtpositionen in der Gesellschaft zu verlieren, ist das Klima für einen solchen Dialog zunächst recht ungünstig. — Der arabische Nationalismus identifiziert sich mit dem Sozialismus und behauptet so, das Anliegen des Marxismus zu übernehmen und ihn so überflüssig zu machen. Der Sozialismus sei der Körper, in dem sich die Idee der arabischen Einheit als Seele inkarniere 37 . Ein solcher von al-Husri und 'Aflaq gelehrter Nationalismus — auch wenn er versucht, sinnvoll dem Universalismus Rechnung zu tragen, indem er betont, daß die Weltgesellschaft nur durch entfaltete und in ihren Bedürfnissen befriedigte Nationen bereichert werden könne — wird vom arabischen Denken heute mehr und mehr abgelehnt. Für den arabischen Marxisten ist er die am ersten Scheideweg abgelehnte Alternative: entweder an die Erwählung des arabischen Volkes glauben oder Marxist sein! Und dennoch! Nach der Exkommunikation des Nationalismus taucht die Frage der Nation, in neuer Form innerhalb des Marxismus wieder auf. Die Diskussion geht um das rechte Verständnis des Begriffes der Nation im Marxismus und seiner Tradition, etwa um Marx' Aussagen über die unterdrückten Polen und Iren und um Lenins Kampf mit den russischen Volkstümlern. Jeder nicht doktrinär und wirklichkeitsfremd sein wollende Marxismus einerseits anerkennt, daß nationalitäre Kämpfe heute zum Klassenkampf hinzukommen. Den arabischen Marxisten, die auf die historische Spezifität und den „Nationalitarismus" Gewicht legen, wird andererseits warnend das abschreckende Beispiel eines Nationalismus à la Hitler vorgehalten 38 . Es geht hierbei um die Frage der gedanklichen Fassung doppelter Zugehörigkeiten: — Gemäß der weltweiten Ausweitung des „inneren" Klassenkampfes zwischen Kapitalismus und Proletariat gehören die internationale Arbeiterbewegung und die sozialistischen Industriestaaten zu den ausgebeuteten Massen der Dritten Welt. Feudalherren und Bourgeoisie der Dritten Welt gehören jedoch zum westlichen Kapitalismus. — In der Sicht des Klassenkampfes zwischen der Welt-Industrie-Zone und ihrem unterentwickelten Hinterland — der Dritten Welt — gehören die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Staaten der Welt-Industrie-Zone nicht zur Dritten Welt, sondern zu den Kolonialherren und Neo-Kolonialherren, während die Feudalherren und Bürgerlichen der Dritten Welt mit den Massen ihrer Länder zu einer nationalen Notgemeinschaft verbunden sind. 37 M. 'Aflaq: ma'rakat-ul-masïr al-wähid. 38 So M. Rodinson (in: Dynamique interne ou dynamique globale?) gegen A. AbdelMalek, der den „Nationalitarismus" der Dritten Welt grundsätzlich vom Nationalismus des europäischen 19. und 20. Jahrhunderts unterscheidet und daher auch den Begriff „qaumiya" grundsätzlich mit „Nationalitarismus" übersetzt (s. o. 2222, Anm. 15). Unterschiedliche Auffassungen von der Rolle, die das palästinensische Volk als Nation zu spielen habe, werden in den palästinensischen Befreiungsbewegungen vertreten (s.o. 2143).

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Die Vernachlässigung der ersten Tatsache führt zu einem wirklichkeitsfremden Dritte-Welt-Nationalismus. Die Nichtbeachtung der zweiten Tatsache führt zu einem doktrinären marxistischen Subjektivismus. — Der sogenannte „arabische Sozialismus" ist ein Sammelbegriff verschiedener Ideologien. Sie sind weniger Ausdruck einer Bewegung und ihrer Theorie als einer Staatsbildung mit allen hierbei nötigen Rücksichtnahmen und Kompromissen. Trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen Nationalstaaten kann die Absicht, den Marxismus zu arabisieren und in diese Synthese von Nationalitarismus und Marxismus den Islam irgendwie einzubeziehen, als gemeinsames Merkmal gelten. Die Dominanten dieser nicht-kommunistischen (und häufig anti-kommunistischen) Sozialismen sind folgende 39 : — am Prinzip des Privateigentums und des Erbrechts wird festgehalten, enteignet (Nationalisierung verschiedener Zweige der Industrie und Wirtschaft, Bodenreform usw.) werden nur die ausbeuterischen Auswüchse, und zwar im Prinzip meist gegen Entschädigung; — der innere Klassenkampf als Grundsatz wird abgelehnt und die nationale Einheit betont; ausbeuterische Klassen im Inneren werden als „innere Feinde" den äußeren Feinden angeglichen und erscheinen als Brückenkopf des Kolonialismus und Imperialismus. — Materialismus und Atheismus werden abgelehnt. In mehr und mehr arabischen Ländern kommt ein solcher Sozialismus zur Macht. Die Monarchien und Feudalstaaten sind zum abnehmenden Rest geworden. So wird dieser „praktische" Sozialismus zum wichtigsten Gesprächspartner des Marxismus. Seine Verwirklichungen rufen die Kritik von Seiten der Intellektuellen hervor, die den wissenschaftlichen Sozialismus kennen und wollen. Es findet sich bei ihnen jedoch auch Bereitschaft zur konstruktiven Kritik und zur Zusammenarbeit. Zahlreiche Kritiker leben allerdings im — freiwilligen oder gezwungenen — inneren oder äußeren Exil, was den Dialog und die Zusammenarbeit nicht erleichtert. Der allgemeinste erhobene Vorwurf ist der, daß es sich um Pseudo-Sozialismus handele, dessen Eklektizismus sich von den geistigen und kulturellen Wurzeln des Sozialismus abschneide und ihn so seines Inhalts entleere 40 . Im einzelnen gehen die Urteile auseinander. Sie sind im allgemeinen umso härter, je weniger Bürgerrecht dem Nationalitarismus im Marxismus zugestanden wird. Die meist militärischen Führungen werden dann als bonapartistisch bezeichnet, und als Ausdruck der Interessen des Kleinbürgertums, oder gar der Feudal- und Kolonialherren. Wer der nationalen Frage und der historischen Spezifität mehr Bedeutung beimißt, kommt zu positiveren Einstellungen und kann ζ. B. militärische Führungen als „Hebammen der Revolution" betrachten 41 . — Die kommunistischen Parteien in den verschiedenen arabischen Ländern sind sehr aufmerksam gegenüber den Gegebenheiten der arabischen Welt und gelangen so zu oft erstaunlichen Anpassungen und Kompromissen. In der Absicht, die Bildung eines Proletariats zu fördern, unterstützten sie so ζ. B. bürgerliche Kräfte, die in bestimmten 39 S. als Ausdruck eines solchen mehr oder weniger offiziellen Sozialismus das 1960 in 2. Auflage in Kairo erschienene Buch von Mustafa as-Sibä't·. iStiräkiyyat-ul-isläm. 40 / . Hafez: Arabisierung des Marxismus, S. 113. 41 S. hierzu B. Tibi: Linke Kritik am arabischen Sozialismus, in: Ders.: Die arabische Linke, S. 87ff. als Beispiel für ein hartes Urteil, und: A. Abdel-Malek: Ägypten: Militärgesellschaft. 1971, als Beispiel für eine positive Einstellung.

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Situationen als die einzig möglichen Träger einer Industrialisierung angesehen werden mußten. Auf den internationalen Kongressen der kommunistischen und Arbeiterparteien berichten ihre Vertreter von ihren Erfahrungen und Verwirklichungen und erinnern so daran, daß in der Dritten Welt die kommunistischen Parteien nicht die alleinigen Vertreter der revolutionären Bewegung sind, sondern daß auch die nationalen Befreiungsbewegungen dazu gehören. Eine Zusammenarbeit mit diesen sei daher erforderlich 42 . Die Kritiker dieser Parteien sehen hier einen Pragmatismus und Opportunismus am Werk, der nur die Kehrseite eines marxistischen Dogmatismus sei, der die Partei von den arabischen Massen und von der Korrektur durch die Praxis fern halte. Dadurch werde aber die Arabisierung des Marxismus vereitelt. Galt es gegenüber dem arabischen Sozialismus den Inhalt der marxistischen Theorie zu verteidigen, so wendet man sich hier gegen die starre „Objektivität" der Lehre und ihres Weltbildes und betont die Eigenständigkeit marxistischer Bewegungen und ihrer Führer, wie Guevara, Castro und Ho Chi Minh. Sollte Peking die Rolle Moskaus als Garant der objektiven Wahrheit übernehmen wollen, so wendet man sich auch gegen Peking. Parallel zu solcher Kritik — sei diese nun gerechtfertigt oder nicht — verläuft die Entstehung zahlreicher und unterschiedlicher Parteien und Gruppen, die die geforderte Eigenständigkeit praktizieren, neue Formen der Arabisierung des Marxismus herausbilden und so immer wieder als Subjekt freiheitlich in die objektiven Gegebenheiten eingreifen und sie verändern 43 .

Exkurs: Einen originellen und radikalen Weg der Arabisierung des Marxismus — der sich als Überwindung eines orthodoxen Dogmatismus versteht — beschreitet der marokkanische Philosoph Abdallah Laroui. Er stellt sich explizit gegen Louis Althussers unhistorisches Denken und 42 Die kommunistische Partei im Sudan war am weitesten von allen arabischen Ländern in der Arabisierung des Marxismus vorangeschritten. Dort bestand auch eine gemeinsame Front und enge Zusammenarbeit mehrerer fortschrittlicher Bewegungen. Sie erlitt jedoch einen schweren Rückschlag nach dem mißglückten Staatsstreich im Juli 1971, in den sie verwickelt wurde. Ihr erster Sekretär, 'Abd-ulHäliq Mahgüb, wurde hingerichtet. Siehe dessen Rede auf der „Internationalen Beratung der kommunistischen und Arbeiterparteien" in Moskau, 1969, auf der er sich zum Sprecher der Besonderheiten der Dritten Welt machte. S. auch die Rede von Ali Yata auf derselben Konferenz in Moskau, 1969, die in dieselbe Richtung geht. Sie ist unter dem Titel: Liberation nationale et revolution sociale: l'exemple de la Palestine, veröffentlicht in: A. Abdel-Malek (Hg.): La pensée politique arabe contemporaine, S. 321—330. 43 Erinnert sei hier an Mehdi Ben Barka, den von der Reaktion ermordeten Führer der linken marokkanischen Opposition, als Beispiel für ein realistisches und wenig ideologisches Eingehen des revolutionären Handelns in die gegebenen lokalen Verhältnisse, ohne dabei den Kontakt mit der internationalen Bewegung zu verlieren. El Mehdi Ben Barka: Problèmes d'édification du Maroc et du Maghreb. 1959. — Ders.: Option révolutionnaire au Maroc. 1966. — A. Ben Barka: El Mehdi Ben Barka, mon frère. 1966 (Biographie, verfaßt nach dem Verschwinden Ben Barkas am 29.10.1965 in Paris).

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seinen Versuch, den Strukturalismus in den Marxismus einzubeziehen, und bekennt sich zu dem von Althusser denunzierten Historizismus. Mehr noch: er reiht Karl Marx in das evolutionistische Denken des 19. Jahrhunderts ein und bekennt sich zu ihm als dem Lehrer einer, der Logik des Seins radikal feindlichen, Logik des Werdens. „Der Marx, der die kapitalistische Gesellschaft analysiert und sein Klassensystem in zu wenig nuancierter Weise auf andere Gesellschaften verallgemeinert, interessiert uns Araber und Menschen der Dritten Welt nicht. Für ihn sind wir nur Nachzügler ohne Bedeutung . . . " Durch aufmerksame kulturmorphologische Betrachtung der Dynamik der jüngsten arabischen Geschichte kommt Laroui zu folgendem Ergebnis: Im arabischen Bewußtsein, welches sich und den Okzident — seine große Herausforderung! — zu verstehen sucht, sind drei Momente zu unterscheiden. Diese Momente existieren zwar heute gleichzeitig nebeneinander, stellen aber drei sich unerbittlich ablösende Phasen dar. Man kann sie durch drei Personentypen symbolisieren: den „Kleriker", den „Liberalen" und den „Technophilen". Diese Abfolge steht in engem Zusammenhang mit dem Einbruch des Westens: Der erste Moment — die erste Determination — ist der der arabischen Authentizität, die vom „Kleriker" verfochten wird. Die zweite Determination ist der Einbruch des Westens, dessen Ausdruck der „Liberale" ist. Der dritte Moment ist der lange und mühsame Weg des technokratischen arabischen Nationalstaates hin zu einer unvermeidlichen universalen Zukunft, die weder dem Orient noch dem Okzident, sondern beiden gemeinsam gehört. Dabei ist der erste Moment, das arabische Ich, die These. Der zweite Moment ist die Anti-These, die das Ich zum Nicht-Ich auflöst. Der dritte Moment — die Synthese — taucht ein in die Tiefen des arabischen Bewußtseins und seines neuen Ich; er ist es, der dem in der arabischen Welt noch weitgehend unterschwellig wirkenden „objektiven Marxismus" am nächsten kommt und ihn an die Oberfläche bringt. Ein solcher „objektiver" Marxismus ist nicht ein Bezugspunkt, nach dem der eine oder der andere Intellektuelle sich in „subjektiver" Weise orientiert, sondern vielmehr der Ausdruck eines Bewußtseins, welches in Tausenden zum Zuge kommt und andere Betrachtungsweisen als deren logische Folge und Krönung ablöst. Eine solche Entwicklung, die die Geschichte eint, den Besonderheiten der einzelnen Kulturen ihr Recht zugesteht und sie zu einer gemeinsamen, unausweichlichen Zukunft führt, sei — so bemerkt Laroui am Rande — auch die Abfolge der drei „Religionen des Buches" 105

— Judentum, Christentum und Islam — in der Sicht des Koran. Von daher ein Zusammenhang zwischen der Sicht des Koran und dem arabischen Denken in Evolutionen . . , 4 4 . — Wenn auch — wie oben zu summarisch festgestellt wurde — der arabische Marxist im allgemeinen die neue marxistische Sprache lernt, ohne sie in seine Muttersprache zurückzuübersetzen, auf daß nicht „die Traditionen aller toten Geschlechter wie ein Alp auf den Gehirnen der Lebenden lasten" (Marx, 18. Brumaire), so fehlt es doch nicht an Versuchen, das islamisch-arabische Erbe im marxistischen Sinn aufzuwerten. Die Gegenseite antwortet auf solche Versuche durch eine dem Marxismus entgegengehaltene Neuinterpretation des eigenen Erbes. Es ist also eine Art „hermeneutischer Schlacht" um den Besitz des Erbes entbrannt: Es geht vor allem um den Koran, seine Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und seine diesbezüglichen Anweisungen 45 . Es geht aber auch um die Person Muhammads: Der bekannte ägyptische Schriftsteller 'Abd-ur-Rahmän ai-Sarqäwt veröffentlichte 1962 eine historische Studie über den Ursprung des Islam, die den bezeichnenden Titel „Muhammad, der Gesandte der Freiheit" trägt. Das Buch, das nicht atheistisch sein will, sondern vielmehr den säkularisierten modernen Muslimen den islamischen Glauben nahebringen, interpretiert den frühen Islam im Sinne eines weitgefaßten nicht-deterministischen Marxismus 46 . Die islamische Orthodoxie lief Sturm gegen dieses Buch. Hinsichtlich der späteren islamischen Geschichte geht es vor allem um Denker und Bewegungen, die der Marxismus gern als seine Vorläufer bezeichnet: Ibn Sinä (Avicenna) und Ibn RuM (Averroes), den Hauptvertretern der — nach einem Ausdruck Ernst Blochs — Aristotelischen Linken, femer Ibn Haldün sowie die Bewegungen für soziale Reform und Gerechtigkeit im 9. bis 12. Jahrhundert (christl. Zeitrechn.), die den Sammelnamen Qarmaten tragen. as-Sarqäwt (in seiner Einleitung zu „Muhammad — der Gesandte der Freiheit) und Bassam Tibi (Die arabische Linke, S. 9) weisen zwar auf Ibn Sina, Ibn RuSd und Ibn Haldün hin, jedoch scheinen solche Versuche vor allem von europäischen Marxisten unternommen zu werden, die nicht paternalistisch sein wollen und denen die Einheimischmachung des Marxismus im nicht-europäischen Kulturbereich am Herzen liegt, wie Ernst Bloch und Roger Garaudy. Solche Versuche stoßen auf zweifachen Widerstand:

44 Abdahllah Laroui: L'idéologie arabe contemporaine — essai critique. 1967; zur dialektischen Abfolge der Religionen siehe S. 145 und 163. — Ders.: L'intellectuel du Tiers Monde et Marx, ou encore une fois le problème du retard historique, in: Diogène, 64, 1968, S. 134—157. — Ders.: L'histoire du Maghreb — un essai de synthèse. 1970. (Die Geschichte Nord-West-Afrikas in geschichtsphilosophischer Sicht: eine Abfolge dialektischer Entwicklungen im Sinne der für die letzten 100 Jahre in der „Zeitgenössischen arabischen Ideologie" aufgezeigten Abfolge „Orient — Okzident — gemeinsame Zukunft".) Besprochen von S. Mounir in: Lamalif 45, Jan. Febr. 1971, S. 35ff. — A. Laroui: mündliche Mitteilung an den Verfasser. — L. Althusser: Für Marx, S. 11. 45 S.o. 2232 und S. 101, Anm. 36 („Ule"). - S. hierzu auch die Behandlung der einschlägigen Koranstellen durch M. Rodinson in: Islam und Kapitalismus. 46 'Abd-ur-Rahmän ai-Sarqiwt: Muhammad rasül-ul-hurriyya. 1962.

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— Von Seiten des orthodoxen Islam wird entweder den erwähnten arabischen Denkern und Bewegungen kurzweg ihr genuin islamischer Charakter abgesprochen, indem man sie als fremden Geistes Kinder hinstellt, oder aber es wird auf ihren religiösen Charakter hingewiesen, um sie so der marxistischen Sicht als Vorläufer des Materialismus zu entziehen. — Von Seiten des arabischen Marxismus und des für den Marxismus offenen Islam brandmarkt man den hierbei angewandten Konkordismus, der doch eigentlich Sache der Rechten sei, die sich auf Traditionen stützen müsse, oder man weist auf den Eklektizismus solcher Bemühungen hin und fordert eine die Gesamtheit des Geistes des Islam würdigende Arabisierung des Marxismus 47 .

2233 Dialektik des Übergangs aus einer Bestimmung in die andere und Dialektik der Beziehung von Subjekt und Objekt im Geschichtsprozeß: Wir sahen zunächst den Marxismus als zu der aus dem Westen kommenden Determination gehörig (s.o. 2231); und zwar erscheint er dem arabischen Menschen als ein Teil des durch Verwerfungen diskontinuierlich gewordenen Westens (vgl. o. 2214). In marxistischer Sicht versteht er diese Diskontinuität als eine Folge sich ablösender Determinationen. Angesichts der hinzunehmenden Tatsache, daß der Westen bestimmend in seine arabische Welt eingreift, tauchte für ihn die Frage auf (s. o. 2232), ob er nur ein spätes Opfer dieser sich einander.ablösenden Determinationen sei, oder ob Neues entsteht, wenn die aus dem Westen kommende Determination mit seiner eigenen Besonderheit zusammentrifft. Dies wäre von ihm geschaffenes Neues, Neues, das nur entsteht, wenn er — den Determinationen gegenüber souverän — eine der in realer Schwebe stehenden Möglichkeiten ergreift. Wer sich — in zweideutiger Antwort auf diese Fragen — sowohl als Bestimmter als auch als Bestimmender weiß, erlebt die Tiefen des arabischen „qalaq" (s.o. 2212). Bei der Betrachtung der Fronten, in deren Richtung die Rezeption des Marxismus in der arabischen Welt sich zu definieren hat, sahen wir, daß es dabei immer und irgendwie auch um die Frage nach dem rechten Verhältnis von Determination und Freiheit ging: Die in primitiven Stadien des Dialogs festzustellende Absicht, den Anderen sich einzuverleiben und dabei die Geister der Vergangenheit in Dienst zu nehmen, entspringt 47 E. Bloch: Avicenna und die Aristotelische Linke. 1963. Drei Vorträge R. Garaudys in Kairo im November 1969: 1) Einfluß der arabischen Zivilisation auf die Kultur der Welt, 2) Der Sozialismus und der Islam, 3) Zur Vermehrung der sozialistischen Modelle. Zusammenfassung dieser Vorträge und Wiedergabe der Diskussionsbeiträge durch M. Chartier: L'islam et le socialisme 1971. — Vgl. H. Hanafi·. Garaudy ff Misr. 1970 (Vorwurf des Konkordismus).

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einer Subjektivität, die sich für pure Objektivität hält. In fortgeschritteneren Stadien des Gesprächs ging es darum, der Situation gemäß abzuwägen, welcher der beiden Pole der Subjekt-Objekt-Dialektik zu betonen sei — ohne dabei den anderen zu vergessen — : — Angesichts eines Islam, dessen religiöse Praxis dem Determinismus oder gar dem Fatalismus (s.o. 2121) zu verfallen droht, betont aX-Sarqäwi gleich zu Beginn seines Buches „Muhammad — der Gesandte der Freiheit", daß der Islam die Befreiung vom Glauben an die Schicksalsgöttin Manät gebracht habe. Er betont so die Rolle des Subjekts, was im Islam, zu dem er sich bekennt, ebenso legitim ist, wie im Marxismus. Im Blick auf die nicht nur dem Aberglauben, sondern auch dem Glauben und der Metaphysik verhaftete arabische Gesellschaft besteht Yäsin Hafiz auf der Ideologiekritik und der Säkularisierung. Er betont, daß der Mensch sein Werden und seine Normen selbst bestimmen, daß er seine Gesellschaft frei und rational organisieren könne. Durch die Befreiung von dem Zwang selbstgeschaffener Gedankenwelten wird der Mensch frei, den wirklichen Zwang der mit Notwendigkeit ablaufenden Geschichtsprozeß bewußt zu erleben: „In unserer Welt, in der der Widerspruch zwischen fortgeschrittenen und unterentwickelten Ländern immer tiefer wird, ist die Revolution der rückständigen Länder das notwendige Resultat nicht nur des inneren, sondern ebenso des internationalen Klassenkampfes." 4 8 In seiner Abhandlung „Satans Tragödie" interpretiert Sädiq öaläl al-'Azm. die koranische Erzählung von Satans (Iblts') Weigerung, sich vor Adam niederzuwerfen, mit Hilfe von Ernst Cassirers Arbeiten über die Mythenund Legendenbildung: Der Mensch — das legenden-bildende Tier — stellt in den Gebilden, die er sich vorstellt und unter deren Zwang er sich begibt, sich und seine Probleme dar, wie die Frage nach Gut und Böse und nach Determination und Freiheit. Es gilt zunächst, die Tragödie Satans klar zu sehen: Gott befiehlt ihm etwas zu tun, was Gottes eigenem Gesetz widerläuft, nämlich nichts Geschaffenes anzubeten. Hierauf heißt es, den Menschen vom Gott-Satan-Mythos zu befreien und das in diesem Mythos Gedachte auf den Menschen zurückzuwerfen, damit dieser sich und seine Situation klar sehe: seine eigene Tragödie der notwendigen Verstrickung in nicht verschuldete Schuld 49 . Auch hier zeigt sich folgendes Anliegen: den freien Menschen von der einge48 / . Hafez in: B. Tibi (Hg.): Die arabische Linke, S. 116 und 118. 49 S. Ö. al-'Azm: ma'sât Iblïs, in: naqd-ul-fikr ad-dïni. 1969, Besprechung von ]. van Ess: Libanesische Miszellen. Eine Ehrenrettung des Satans und ihre Folgen, in: Welt des Islams 11, 1968, S. 2 2 3 - 2 2 8 . - St. Wild: Gott und Mensch im Libanon. Die Affare Sädiq al-'Azm, in: Der Islam 48, 1972, S. 2 0 6 - 2 5 3 .

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bildeten Objektivität seines subjektiven Glaubens befreien, damit er zur wahren Objektivität gelange. Diese besteht aber darin: sowohl die Dialektik der Natur und der Geschichte erkennen, als auch die Dialektik des Eingreifens des Subjekts in Natur und Geschichte praktizieren. Daß innerhalb des Marxismus al-'Azm die Bedeutung des Subjekts vertritt, ist aus seinen Beziehungen zum Neukantianismus und zu Sartre verständlich. Im Anschluß an Roger Garaudys Vortrag „Sozialismus und Islam" im November 1969 in Kairo, entspann sich ein kleiner Dialog zwischen ihm und Muhammad Kämil Husain, dem bekannten ägyptischen Arzt und Schriftsteller, der eine Synthese von islamischem Glauben und modernen Naturwissenschaften lebt (s. u. 23). Garaudy lobte den Islam für die Rolle, die er dem Menschen und seinem Eingreifen in die Geschichte zugestehe und erinnerte an die Rolle des Islam als Ferment nationaler Freiheitsbewegungen. Der Islam sei mehr als einfach „Unterwerfung" („isläm" bedeutet „Selbst-Uebergabe"). Dr. Husain, als Muslim, widersprach ihm nicht, zumal er zu den „Liberalen" des Islam gehört, die die Freiheit des Menschen gegenüber der von Gott ausgehenden Determination betonen. So kommt es auch, daß er dem Redner den Determinismus des Marxismus vorhielt, der zwar logisch, aber nicht wissenschaftlich sei, wobei er auf die Determinismus-Krise der Naturwissenschaften anspielte. Worauf Garaudy betonte, daß der Marxismus vor allem eine Kampfmethode sei, die den Unterdrückten zur Verfügung stehe und nicht ein Dogma, das um jeden Preis den Determinismus der geschichtlichen Gesetze und des Klassenkampfes aufzuzwingen suche. Einer solchen Darstellung gegenüber warnte jedoch der dem Marxismus offene islamische Philosoph Hasan Hanafî vor einer Aufweichung der Grundlagen des Sozialismus, denn ohne die Determination der Gesetze der Natur und des Klassenkampfes gebe es keine Befreiung der Dritten Welt 50 .

— Angesichts der Frage nach der Bedeutung der Nation geht es um das Auftauchen neuer Zugehörigkeiten, die das klassische Schema der Dialektik der Determinationen nuanciert oder gar sprengt. Befinden sich in der arabischen und der ganzen Dritten Welt heute wirklich die Massen des Weltproletariats, so entsteht dadurch ein neuer Determinations-Schwerpunkt, der die Arbeiterbewegung und die sozialistischen Staaten der entwickelten Zone aus dieser abziehen und zur Dritten Welt hinziehen müßte. Die ausbeuterischen Klassen der Dritten Welt würden hierbei auf den überentwickelten Westen hin abgestoßen. Oder ist der Zusammenhalt der Kulturen doch stärker als der Zusammenhalt der Welt des Proletariats? Dann würde sich der alte Beduinen-Ausspruch bewahrheiten: „Ich und mein Bruder gegen den Fremden. Ich allein gegen meinen Bruder." 5 1 Das hieße, daß das Gesetz des Klassenkampfes zwar so allgemein ist, daß dieser, kaum ist die Unabhängigkeit erreicht, im Inneren der Nation wieder aufbricht, 50 Marc Chartier: L'islam et le socialisme, S. 3 und 12. S. hierzu auch oben 2232: Das islamisch-arabische Erbe. 51 Zitiert bei M. Rodtnson: Dynamique interne ou dynamique globale?

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daß die internationale Kohäsion des Proletariats aber nicht so determinierend ist, daß die zweite Hälfte des Ausspruchs wie folgt korrigiert werden könnte: „Ich und mein fremder Bruder gegen meinen Bruder". Der Exodus des Proletariers des Westens in Richtung Dritte Welt wäre dann weniger der Sog einer starken Determination, sondern vielmehr die freiwillig geleistete Antwort auf einen Appell, sich zu desolidarisieren. Der Exodus des fremden Bruders wäre dann Entschluß zur Solidarität mit der arabischen Welt, trotz der Tatsache, daß er ihr Ausbeuter ist. Er wäre in die Tat umgesetztes Bekenntnis zu seinen eigentlichen Brüdern, trotz seiner Zugehörigkeit zum Kulturkreis des Westens. Schließlich ist zu fragen, ob das klassische Schema der dialektischen Abfolge der Determinationen für die arabische Welt nicht nur einen veränderten, sondern einen gänzlich verschiedenen Inhalt erhält, so wie Laroui ihn sieht, demzufolge sich bei uns die Ablösung der Determinationen letztlich so darstellt: Alte arabische Welt (= These) — Einbruch des Westens (= Antithese) -- neue arabisch-europäische Welt (= Synthese). — Der in der Mehrzahl der arabischen Nationalstaaten gelebte arabische Sozialismus stellt das marxistische Denken vor das Phänomen eines empirischen und freiheitlichen Handelns, welches, gemäß den Bedürfnissen des aufzubauenden Staates, disparat erscheinende Elemente miteinander kombiniert und sich dabei zum Sozialismus bekennt (vgl. o. 2122). Die Diagnose und die angemeldeten Bedenken lauten: Subjektivismus, Empirismus, Entfernung von der objektiven Wirklichkeit, Mißachtung allgemeingültiger Gesetze. Deshalb könne auch keine wirkliche Befreiung der Massen stattfinden, die nur dann erfolge, wenn deren Bewußtsein in Einklang mit den Gesetzen der Geschichte erweckt werde. Es ist daher nicht von ungefähr, daß Kritiker des tunesischen Staates sich in den theoretischen Rahmen Althussers stellten, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, „die Demarkationslinie zu ziehen zwischen der marxistischen Theorie und den Formen des philosophischen (und politischen) Subjektivismus, in die sie sich eingelassen hat oder die sie bedrohen: vor allem Empirismus und dessen klassische oder moderne Varianten, Pragmatismus, Voluntarismus, Historizismus etc." Dennoch beweisen dieselben Kritiker, daß sie die Subjekt-Objekt-Dialektik nicht vernachlässigen, wenn sie feststellen, daß die sozialistische Revolution in den arabischen Ländern nicht nur eine unvermeidliche Notwendigkeit, sondern auch eine Aufgabe ist, und wenn sie sich auf Guevara und den Kampf in Vietnam berufen, zwei Beispiele eigenständiger sozialistischer Modelle innerhalb des proletarischen Internationalismus 52 ·

Es ist allerdings zu fragen, ob nicht solche Bedenken und Urteile — um 52 Gruppe Perspectives: Allgemeine Charakteristika der gegenwärtigen Entwicklungsphase Tunesiens, in: B. Tibi (Hg.): Die arabische Linke, S. 90ff., insb. S. 98 und 109f. - L. Althusser: Für Marx, S. 11.

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der Treue zur Theorie willen und aus dem Verlangen heraus, in ihr geborgen zu sein — das Wagnis der Praxis falsch einschätzen. Es ist keineswegs ausgeschlossen, daß in gewissen Formen des arabischen Sozialismus eine genuine Neuinterpretation des Marxismus am Werk ist, deren Echtheit auch von den Kritikern eines Tages anerkannt werden muß. — In Frontrichtung auf einen Dogmatismus, der das von Marx entdeckte große Bewegungsgesetz der Geschichte in nahezu metaphysischer Weise interpretiert, so daß das Subjekt betrachtend vor einer unberührten Wirklichkeit verharrt, ohne sie durch die Praxis zu verändern, bezeichnet arabische Kritik — mit Worten, die an Lukács' Kritik an Engels erinnern — die Subjekt-Objekt-Dialektik als den Kern des Marxismus. Sobald diese „Dialektik der menschlichen Praxis in der objektiven Wirklichkeit" abgedankt habe, entstehe ein Anspruch auf reine Objektivität, der nicht bemerke, daß er zugleich Riickfall in tiefen Subjektivismus ist. So wird es auch verständlich, warum Lenin im arabischen Marxismus eine besondere Bedeutung erhält als nicht immer orthodoxer Aktualisator des Marxismus in einem vom Feudalismus beherrschten und nur wenig industrialisierten „orientalischen" Land. Als Praktiker habe er die subjektiven (oder subjektiv-objektiven) Faktoren gekannt und gewußt, daß die Phasen der Revolution in ihrem Ablauf nicht von einer „objektiven Notwendigkeit" bestimmt sind, sondern vom „Grad der Bereitschaft des Proletariats und vom Grad seines Bündnisses mit den armen Bauern abhängen" 5 3 . — Die Versuche, das islamisch-arabische Erbe im marxistischen Sinn aufzuwerten, sieht das kritische arabische Denken im Licht der im arabischen Nationalismus praktizierten „Verewigung der Geschichte" (s. o. 2223) und warnt vor dem Verlangen, welches „sich aus den Gefahren der Revolution zurück nach den Fleischtöpfen Aegyptens sehnt" und in der Kontinuität der Geschichte seine Zuflucht findet. Und doch kann die Zugehörigkeit zu kulturellen Strukturen nicht geleugnet werden, denn wie wäre es sonst zu erklären, daß ai-Sarqäwi Muhammad und daß Gardavsky Jesus als Gesandten der Freiheit sieht und nicht umgekehrt? 54 53 Elias Morkus' Kritik an der syrischen kommunistischen Partei und ihrem ersten Sekretär Hälid Bakdàï in: B. Tibi (Hg.): Die arabische Linke, S. 62 und 63. Zu Lenin: Ebd. S. 61, 63, 65 und 114. — Vgl. hierzu Georg Lukács·. Geschichte und Klassenbewußtsein, in: Ges. Werke, Bd. 2. 1968, S. 16, und: Fr. Engels' Vorrede zur 3. Auflage des „18. Brumaire . . ." von Karl Marx. 1885. — / . Hafez fand zum Marxismus seinen Weg über Lenin (vgl. B. Tibi, (Hg.): Die arabische Linke, S. 40. 54 aì-ìarqàwt: Muhammad rasül-ul-hurriyya, und V. Gardavsky: Gott ist nicht ganz tot. 1968.

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2234 Unsere Untersuchung des arabischen marxistischen Denkens heute vorläufig abschließend gelangen wir zu einigen feststellenden und fragenden Thesen: 1. Die Spannung, in der evidente Determinations-Aussagen zu ebenso evidenten Freiheits-Aussagen stehen, wird im arabischen Marxismus gelebt und erkannt. J e nach den Erfordernissen der Situation wird das eine oder das andere betont, ohne daß dabei einer der beiden Pole gänzlich fallen gelassen wird. Letzteres würde als Abfall vom genuinen Marxismus empfunden werden. 2. Die augenblickliche Humanismus-Debatte im europäischen Marxismus 55 ist zu sehr vom Erbe der europäischen Geistesgeschichte belastet, um im arabischen Marxismus zunächst unmittelbaren Widerhall zu finden, obwohl sie diesem nicht unbekannt bleibt 56 . 3. Die Frage nach dem Verhältnis von Determination und Freiheit hat ihren ,.Sitz im Leben" im arabischen Marxismus innerhalb des Problemkreises der Arabisierung des Marxismus. Die Forderung nach eigenständigen sozialistischen Modellen innerhalb der Einheit der internationalen Bewegung und deren Verwirklichung bedeutet ein freiheitliches Eingreifen in die Wechselwirkung der sich ablösenden Determinationen. Ein Zusammenhang mit der europäischen Debatte besteht insofern, ¿ils auch dort Garaudys Freiheitsanliegen sich zum Anwalt der Legitimität eigenständiger sozialistischer Modelle macht. Die Selbstverwirklichung des arabischen Menschen in einer revolutionären Situation (vgl. oben 2216) hat es mit zweierlei Determinationen zu tun: die sich ablösenden Determinationen im Sinne des verobjektivierenden dialektischen Determinismus auf . der einen, und die Determinationen der Strukturen des arabischen Kultur55 Gedacht ist vor allem an die Auseinandersetzung zwischen R. Garandy und L. Althusser, bei der — nach ihrer Rezeption im Marxismus — Existentialismus und Strukturalismus aufeinanderprallen, wobei der erstere ein Nachkomme des Idealismus und der letztere ein Nachkomme der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts ist. Die die Freiheit des Menschen betonende Seite macht sich dabei vor allem die Schriften des jungen Marx zu eigen (vor 1845), die die Determination betonende Seite die des älteren Marx. Bei dieser Debatte bricht eine alte Auseinandersetzung in neuer Form wieder auf: die um den Revisionismus des sozialistischen Neukantianismus. Auch die hiermit in Beziehung stehende Diskussion um die Rezeption der Kopenhagener Deutung im Marxismus (s. o. 122) ist vom philosophischen Erbe des 19. Jahrhunderts belastet. 56 Als Beispiel für das schnelle Bekanntwerden dieser Fragen in der arabischen Welt sei das Buch „Falsafat-ul-musädafa" (Philosophie des Zufalls) des dem Marxismus nahestehenden ägyptischen Autors Mahmud.Amin al-'Alim genannt (s. o. S. 48, Anm. 41), das sich gegen eine humanistische Interpretation der Ergebnisse der Quantentheorie stellt.

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kreises auf der anderen Seite. Es geht darum, der einen und der anderen zu gehorchen ohne ihnen einfach anheimzufallen, wenn Neues und Befreiendes entstehen soll. Die Intensität, mit der die Frage der Nation innerhalb des arabischen Marxismus diskutiert wird, findet so eine Erklärung. 4. Das marxistische Denken ist gut ausgerüstet, um das objektive und das subjektiv-objektive Denken in ihrem Widerspruch und in ihrer Einheit sinnvoll einander zuzuordnen und beiden ihr ungeschmälertes Recht zuzugestehen. Wenn es das Verhältnis beider Denkwege zueinander als eine „dialektische Beziehung von Subjekt und Objekt im Geschichtsprozeß" bezeichnet 57 so drückt es damit den Sachverhalt aus, den Nisls Bohr als die „Komplementarität" der Betrachtungsweise der klassischen Physik (S//0) und der Quantenphysik (S'//S/0) beschreibt (s.o. 121), in welche die Geschichtlichkeit als nicht eliminierbare Größe mit eingeht (s.o. 1244 Abs. 5). Der arabische Marxismus verwirklicht beide Denkweisen, zieht jedoch den subjektiv-objektiven Denkweg vor, und zwar aus zwei Gründen: Er befindet sich erstens in einer Phase der Praxis, und zweitens in Abwehrstellung gegen deterministische Tendenzen im Islam, im arabischen Nationalismus (s. o. 2224) und in der Orthodoxie des dialektischen Materialismus. Dem arabischen und islamischen Bewußtsein jedoch kommen marxistische Denker besonders dann nahe, wenn sie jenseits einer solchen Abwehr auch den objektiven Denkweg begehen, ohne dabei in unhistorisches Denken zu verfallen 58 . Denn 57 G. Lukács: Geschichte und Klassenbewußtsein, S. 15 f. Dort findet sich auch folgender Satz: „Fatalismus und Voluntarismus sind nur für eine undialektische, unhistorische Betrachtungsweise einander ausschließende Gegensätze. S. hierzu auch den Abschnitt: Das „nach Möglichkeit" und das „in Möglichkeit Seiende", Kälte- und Wärmestrom im Marxismus, in: E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung. 1959. 1. Bd., S. 235ff. (= Kap. 17). 58 Gedacht ist hier an A. Laroui, dessen Denken die Zyklen der arabischen Geschichte und ihre Determinationen zu erfassen sucht. Sein Denken konnte daher als „Neo-Haldünismus" bezeichnet werden (Samira Mounir, s.o. 2232, Abs.: Abgrenzung gegen den marxistischen Dogmatismus, Anm. 44). Dem Vorwurf des Determinismus entgeht er jedoch, indem er bewußt geschichtlich denkt und nicht ungeschichtlich, wie der Strukturalismus. Wer Marx sich als Lehrer der Logik des Werdens nehme, könne ihn nicht zum Gefangenen der Antinomie von Humanismus und Strukturalismus und von Wahlfreiheit und Determination werden lassen. Die Determinationen des Zyklus der Geschichte sind für Laroui Strukturen, die einen verhältnismäßig stabilen Moment im geschichtlichen Werden darstellen. Die Freiheit des Menschen entspringt im tätigen Vollzug dieses Werdens und antwortet auf die Erfordernisse einer Epoche, die in der Gesellschaft und im Bewußtsein der Menschen auftauchen. So kann Laroui die Freiheit des Menschen voll erfassen, ohne deswegen der Logik des Seins, der Logik des Logos zu huldigen, wovon er sich bewußt distanziert. 8 Se hnen, Determination

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so drücken sie die dem arabischen Menschen so teure Einbettung in die wahren Kräfte der Natur und der Geschichte aus, welche aufs engste verknüpft ist mit dem Ausgeliefert-Sein des Muslimen an Gott, den allwirksamen Herren dieser Kräfte. 5. Damit stellt sich die Frage der Beziehung des Marxismus zu den drei semitischen Religionen. Auch diese leben und kennen die Dialektik der Beziehung vom Ich und der ihm begegnenden Wirklichkeit. Auch sie begehen den subjektiv-objektiven und den objektiven Denkweg, und schrecken insbesondere nicht vor letzterem zurück, auch wenn das Ich dabei von den Determinationen der begegnenden Wirklichkeit aufgerieben wird. Im Gegenteil: sie schätzen den Verlust der formalen Freiheit für gering im Vergleich zur inhaltlichen Freiheit, zur Befreiung, die sie durch die völlige Einbettung in die objektive Wirklichkeit und in ihren allwirksamen Herren gewinnen. Denn sie wissen, daß diese Wirklichkeit sich auf ein Ende zubewegt, auf eine Neuschöpfung, die die Entfremdung beendet und die Gerechtigkeit bringt. So kommt es, daß Juden, Christen und Muslimen sich einem Marxismus, der sich nicht scheut, konsequent den Weg des objektivierenden Denkens zu gehen — weil er weiß, daß dieses in Einklang steht mit der notwendigerweise auf den großen Abend zugehenden Welt — näher fühlen als einem Marxismus, der zwar von der Freiheit des Menschen redet, dieser aber kein befreiendes Ende verheißt, denn für ihn wird „weder ein Mahdi, noch eine Parusie, noch ein großer Abend die Dialektik des Geschichtsprozesses unterbrechen" 5 9 . Die den Arabern altbekannte Frage der Wahlfreiheit stellt sich für Laroui heute neu in der Frage: was vermag ich gegenüber den anderen? und nicht mehr in der alten Form: was vermag ich gegenüber Gott? Die alte Frage stelle sich also nicht mehr unter dem Aspekt: theologische Determination und theologische Freiheit sondern unter dem Aspekt: politische Determination und politische Freiheit (mündl. Mitt. an den Verfasser). Laroui, der sich zum marxistischen Historizismus bekennt (s.o. 2232), distanziert sich „vom liberalen Marxismus der Nationalökonomen, vom wissenschaftlichmethodologischen Althussers, vom ideologisch-dogmatischen der Chinesen und vom humanistischen Gramscis" und erklärt sich für Lukäcs, denn er stelle „einen lebendigen Moment der revolutionären Bewegung im Übergang der liberalen Bewegung zum Dogmatismus" dar, dieser Moment aber könne sich in der Dritten Welt reproduzieren (in: Diogene 64, 1968). 59 So M. Rodinson, Dynamique interne ou dynamique globale?, S. 47. In diesem Sinn ist auch an A. Laroui — der Rodinson nahe steht — die Frage zu richten, ob die sich einander ablösenden stabilen Momente der arabischen Geschichte Zyklen bilden oder ob sie einem Ende zugehen? Ist letzteres nicht der Fall, so befriedigt der von ihm verheißene Universalismus nur wenig und ist fern von dem des Islam, denn er bringt nur die Synthese der europäischen und der arabischen Kultur. — In seiner Schrift „Über die Rolle der

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Der Islam»

Nach allen bisherigen Betrachtungen fällt unser Blick nun endlich auf den arabischen Menschen, der in einem aus den Tiefen der eigenen Heimat kommenden Wirklichkeitsangebot lebt: dem Islam. Auch wenn die alte arabische Welt erschüttert oder gar zerstört ist, weiß er sich dennoch im wesentlichsten Element der alten arabischen Welt zu Hause, und ist davon überzeugt, daß auch für die arabische Welt heute der Islam die wahrhaft belebende Quelle ist und zu sein hat. Dieses Bekenntnis zur Tradition der eigenen Heimat· kommt sei es von Menschen, die wie selbstverständlich noch in unzerstörten Teilen des Gefüges der alten Welt leben und von ihnen bestimmt werden (vgl. oben 2113 und 2121), sei es von solchen, die nach einer Periode der Skepsis aus freiem Entschluß zum Glauben der Väter zurückgekehrt sind 2 . Eine solche Aufteilung in Gläubige aus Bestimmung und Gläubige aus Wahl wäre jedoch zu vereinfachend. Denn einerseits weiß der von Anfang an in den Glauben Eingefügte, daß jegliches religiöse Tun nur durch den freiwilligen Entschluß, dieses sinngemäß zu vollziehen, zu einem solchen Persönlichkeit in der Geschichte" (1946, 1. Aufl. 1898) betont G. W. Plechanow die Identität von Freiheit und Notwendigkeit. Dadurch fühlt er sich jedoch nicht beengt. Dieses Fehlen von Freiheit ist für ihn vielmehr die vollständigste Äußerung der Freiheit. Er sieht die ihm daraus erwachsende Tatkraft im Zusammenhang mit den Eroberungen der Muslimen und der Dynamik des Calvinismus . . . Der Verfasser kann einem solchen „harten" Denken seine Sympathien nicht versagen. 1 Gesamtdarstellungen: S. H. Nasr: Ideals and realities of Islam. 1971. — M. M. Sharif (Hg.): A history of Muslim philosophy. 2 Bde. 1963/1966. - S. Baliç: Ruf vom Minaret. Ein Lehrbuch des Islam für Jugend und Erwachsene. 1963. — Ά. Ά. Tabbära: Rüh-ud-din il-islämi. 1969. — M. Sal tut: al-Isläm — 'aqïda wa sari'a. 1968. — M. Hamidullah (Hg.): Initiation à l'Islam. — S. A. Maudoodï: Weltanschauung und Leben im Islam. Islamische Fibel. 1971 (aus dem Englischen übers.). — L. Gardet: L'Islam — religion et communauté. 1970 (deutsch: Islam. 1968). — W. Braune: Der islamische Orient zwischen Vergangenheit und Zukunft. Eine geschichtstheologische Analyse seiner Stellung in der Weltsituation. 1960. — K. Cragg: The house of Islam. 1969. — W. M. Watt: Islamic philosophy and theology. 1862. 2 Die gegenwärtig am weitesten bekannte Rückkehr zum Islam ist die des ägyptischen Arztes und Schriftstellers Mustafa Mahmüd. Er hat die Etappen dieser seiner „Reise vom Zweifel zum Glauben" in einem Buch beschrieben: rihlatî min aä-äakk ilä-l-imän . 1971. — Besprechung dieses Buches von Marc Chartier p . b . „Du doute à la foi: l'itinéraire spirituel d'un musulman contemporain" in: Comprendre 101, 1971. — Erinnert sei hier auch an Muhammad Husain Haikal (1888—1956), der in seinem Alter zum Islam zurückfand. Siehe dessen Biographie: B. Johansen: M. H. Haikal — Europa und der Orient im Weltbild eines ägyptischen Liberalen. 1967. 115

wird, daß es ohne eine solche „mya" nicht gottgefällig ist. Andererseits weiß der freiwillige Rückkehrer, daß die Heimat ihn nie verloren hat. Dachten wir bisher an arabische Menschen, die die aus dem Westen gekommenen Tatsachen und Gedankenwelten zu den ihrigen machen, so gilt unsere Besinnung nunmehr denjenigen, die in einem bodenständigen Element der arabischen Welt leben, und zwar ihrem wichtigsten. Der Anspruch dieses Wirklichkeitsangebotes der eigenen Heimat: „Gib dich mir hin, bei mir findest du deine Identität!" ist daher verständlich. Wir fragen nun: wie stellt sich die Frage nach des Menschen Determination und Freiheit innerhalb der Gotteserfahrung des Muslimen? Wie stellt sich diese Frage innerhalb seiner Welterfahrung im Rahmen dieser Gotteserfahrung? Wie ordnen sich seine individuellen Erfahrungen in die von der Gemeinschaft der Glaubenden (Umma) tradierten, dieses Problem betreffenden, Lehren und Kollektiverinnerungen ein? Die Erinnerungen führen nicht — wie bei der bisherigen Betrachtung — in fremde Welten und Vergangenheiten, sie fuhren nicht zu Fichte, Bergson und Sartre, zu Comte, Darwin und Freud, zu Marx, Lenin und Lukas, sondern sie führen in die eigene Vergangenheit. Innerhalb dieser Vergangenheit verherrlichen sie nicht eine Idee von Geschichte und Sprache — so wie der Nationalismus es tat (s. o. 222) — sondern geleiten bis ins Herz der eigenen Tradition, hin zur treibenden Kraft, die die arabische Welt in ihrer Besonderheit hat entstehen lassen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß der Muslim durch die Hingabe an die Religion seiner Heimat nicht mehr vor den fremden Angeboten stünde oder nicht mehr von ihnen ergriffen sei (s.o. 2212: „qalaq"), deren wichtigste die liberale Skepsis, die Technokratie, die Macht des Kapitalismus und seiner marxistischen Antithese sind. Auch die Art seines Muslim-Seins ist von der Gegenwart dieser Kräfte bestimmt: sei es, daß er in der Defensive lebt, im Dualismus, in der Apologetik oder im offenen Gespräch (s.o. 2223 und Anm. 26; 2232 „Islam").

Wer sich dem Islam und der in ihm tradierten und immer wieder lebendig angebotenen Gotteserfahrung hingegeben hat, braucht nicht mehr zu wählen,#denn er wird von nun an geführt. Und doch ist er der Wahl nicht enthoben. Das „Haus des Islam" ist groß und weit und birgt in sich eine Fülle von Traditionen, Schulmeinungen, Bewegungen und wegweisenden Einzelgängern. Alle diese Formen leben miteinander, trotz der Spannungen und der Gegensätze. Das islamische Denken fand in der Lehre vom „ihtiläf" den Ausdruck einer gedanklichen Vereinigung der Vielheit mit der Einheit. Der Ihtiläf ist besonders in der Jurisprudenz zuhause, die auf die unterschiedlichen zeitlichen und örtlichen Bedingungen, unter denen Meinungen geäußert wurden, besonders achtgibt 3 . Auf dem Gebiet 3 K. A. Fâruqï: Islamic Jurisprudence. 1962. S. hierzu oben 112, Anm. 20 und 21; dazu 1246: Arabische Dialektik.

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der Beziehungen G o t t e s mit d e n Menschen j e d o c h h a b e n die verschieden e n T h e o l o g i e n d e m Verlangen nach logischen S y s t e m e n in w e i t e m Umfang nachgegeben, so daß hier die Meinungen harter u n d ausschließlicher aufeinanderprallen. Der Muslim, der das, was er v o n seiner D e t e r m i n a t i o n u n d seiner Freiheit erlebt, d e n Erfahrungen der G e m e i n s c h a f t u n d deren gedanklichem Ausdruck z u o r d n e n will, steht also w i e d e r u m vor sich widersprechenden A n g e b o t e n . Er wird sich dort am liebsten einreihen, w o er seine eigene Erfahrung bei anderen gelebt u n d gedacht w i e d e r f i n d e t . Dabei bleibt nicht ausgeschlossen, daß es einer vorherrschenden Lebens- u n d D e n k w e i s e gelungen ist, ihn in seinem Erleben zu orientieren u n d zu bestimmen. Beim Umsehen in dieser Vielfalt soll unser Blick zuerst auf die alltägliche Welt des arabischen Muslimen fallen, auf seine Erfahrungen bei der religiösen Praxis, bei seinem Nachsinnen über sein eigenes Schicksal, über Gott und über die von Gott gewollte Gesellschaft (s.u. 231). Hierauf wollen wir uns denen zuwenden, die durch ihr Lehren Wege aufzeigen, Freiheit und Determination zu denken. Es handelt sich hierbei vor allem um die mit dem Gewicht der Autorität versehenen Hüter der Tradition und der Orthodoxie, die nahezu alle die Anliegen der Reform Muhammad 'Abduhs zu Ende des 19. Jahrhunderts mehr oder weniger in ihr Denken eingebaut haben. Wir fassen daher diese Gruppe unter dem Titel: „Tradition und Moderne von gestern" zusammen, wobei mit „Tradition" nichts Verächtliches gemeint ist, sondern vielmehr das Leben in Kollektiverinnerungen, die zum Ursprung der islamischen Gotteserfahrung führen (s. u. 232). Im Abschnitt „Denkwege Moderner von heute" kommen einige Muslimen zu Worte, die keine hauptamtlichen Theologen sind und keine Schulen bilden, sondern als Einzelne ihre Erfahrungen den Glaubensbrüdern mitteilen, aus dem Verlangen nach Erneuerung der islamischen Religion (s.u. 233). Schließlich wollen wir versuchen, einige Schritte mit auf dem Weg derer zu gehen, die sich selbst als zum „Weg" (tarïqa) gehörig bezeichnen. Es handelt sich um die islamische Mystik, die Sufismus oder „tasawwuf" genannt wird. Von Anbeginn des Islam ist sie ihren einsamen und oft angefochtenen Weg gegangen, hat sich der „Herausforderung Gott" in ihrer ganzen Intensität gestellt und dabei erfahren, daß es für den Menschen ohne Aufgehen (fanä') in Gott und seiner Schöpfung kein Bleiben (baqä') mit Gott und seiner Wirklichkeit gibt. In der Tradition dieses Weges bricht in erstaunlichen Erneuerungen immer wieder — bis heute — Leben durch (s.u. 234):

231

Die Frage: vor die Wahl gestellt Welt des Muslimen heute

oder gesteuert?"

in der

alltäglichen

D i e in der islamischen Tradition auf die Formel „ m u h a y y a r am m u s a y y a r ? " (vor die Wahl gestellt oder gesteuert?) ( s . o . 2 2 1 5 , A n m . 10) gebrachte alte Frage nach der Freiheit u n d der D e t e r m i n a t i o n des M e n s c h e n begegnet d e m Muslimen in seinem täglichen L e b e n auf Schritt u n d Tritt: 117

2311 Er erfährt die sein Leben und seinen Tod bestimmenden Faktoren als eine von Gott kommende Bestimmung, denn Gott beschert den Unterhalt (rizq), wem er will, und Gott setzt die Frist (agal) des Lebens fest (Sure 3,37 und 145) 4 . Der Glaube, in dem er — in Gemeinschaft mit den anderen Muslimen — lebt, gibt ihm die Gewißheit, daß er nach seinem Tod und nach dem Tag des Gerichts (yaum-ud-dln) in den „Garten" (jjjanna) und zu Gottes Gegenwart eingehen wird. Dennoch ist dieses Heil nicht „automatisch", es ist bedingt durch den Glauben des Muslimen und insbesondere durch das Bekenntnis dieses Glaubens (Sahäda) vor seinem Tod. Keiner der beim Tode Anwesenden — und ihm bei diesem Bekenntnis notfalls Helfenden — zweifelt daran, daß das Heil ihm gewiß sei. Daraus erhellt das dialektische Zusammenspiel von allumfassender göttlicher Bestimmung und freiheitlichem, den Ablauf der Dinge beeinflußendem Akt des Anhangens von seiten des Menschen. Schließlich wird daraus auch ersichtlich, daß kein grundsätzlicher Unterschied gemacht wird zwischen der Festsetzung des Lebensunterhalts und des Todes-Zeitpunkts auf der einen und des ewigen Heils auf der anderen Seite. 2312 Das tägliche rituelle Gebet (salât) stellt den Glaubenden immer wieder in die unauflösbare Spannung von göttlichem „Zwang" (gabr) und menschlicher Wahlfreiheit (ihtiyär) und Verantwortlichkeit (mas'üliyya). Diese Spannung ist der Abglanz zweier gegensätzlicher Namen Gottes: — al-gabbar, der (allmächtigen) Zwang Ausübende, und — al-muntaqim, der (jegliches) Unrecht Rächende. Die Verrichtung des Gebetes „im Namen Gottes" (b-ism-illäh) ist ein freiheitlicher Akt, der die von Gott dem Menschen anvertraute Rolle als sein Stellvertreter übernimmt (vgl. Sure, 15, 29 und 33, 72). Dasselbe gilt für jede Tat des Menschen, zu deren Beginn der gläubige Muslim die Formel „im Namen Gottes" ausspricht und dabei auch meint, was sie besagt. Das Einleitungswort „Allähu-akbar" (Gott ist der größte) duldet keine Größe neben Gott, auch nicht die der menschlichen Freiheit. Das auf den ersten Lobpreis folgende Zufluchtsbekenntnis „ich nehme bei Gott Zuflucht vor dem Satan . . ." ist eine freiwillige Hingabe an die göttliche Determination um dem Determinationsbereich des Satans zu entfliehen. In der anschließend gesprochenen „fätiha" (Sure 1) geht der Beter Gott um Hilfe an (iyyäka nasta'ïn), d. h. er will auf Gott Einfluß ausüben: Er möge ihn auf dem

4 S. hierzu Tabbära: rüh-ud-din-il islämi, S. thoughts on death — a thematic study of Der Koran ist nach der kufischen Zählung der Fluegel'schen Verszählung zitiert. Die nach der von Rudi Paret.

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154 und Th. Shaughnessy: Muhammad's the qur'anic data. 1969. S. 27. (kairiner Staatsausgabe) und nicht nach Ubersetzung richtet sich im wesentlichen

geraden Weg führen — auf dem Weg derer, denen er Gnade erwiesen hat, die nicht seinem Zorn verfallen sind und nicht irregehen. Der in seinem Gebet und seinem Leben Gott als Sklave Dienende (iyyäka na'budu) weiß, daß er von Gott ergriffen werden muß, um auf dem rechten Weg zu gehen. Es bleibt jedoch offen, ob die, die von diesem Weg abirren, dies aus freiem Willen tun oder von Gott irregeleitet werden. Die in der Fätiha angerufenen Namen Gottes: „der Barmherzige und Gütige" (ar-rahmän, ar-rahim) und: „der Herr am Tage des Gerichts" (mälik yaum-id-dïn) stehen zueinander in Spannung: der Richter beim Endgericht gehorcht den Normen der Gerechtigkeit; der Barmherzige ist nicht an diese Nonnen gebunden, überschreitet sie in seiner Freiheit und verwirklicht in seiner Allmacht die beschlossene Vergebung. Bei der ,jqa'da" zu Ende des Gebets heißt es: „Mache, o Herr, daß ich und die Meinigen zu dir beten, und nimm mein Gebet an. Vergib mir und meinen Eltern und allen Gläubigen am Tag der Abrechnung." Diese Worte drücken das Bewußtsein der Unfähigkeit zu jeglichem eigenständigen Tun und das Sehnen nach völliger Determination durch Gott aus 5 . Die freien, nicht-rituellen Gebete (du'ä' pl. ad'iyä') stellen in dieselbe Spannung: Die „Erinnerung" (dikr) an G o t t ist ein frei g e w o l l t e s Untern e h m e n , w e l c h e s die alles freie T u n des M e n s c h e n verdrängende AllD e t e r m i n a t i o n G o t t e s für d e n Bereich dieses Erinnerns u n d seiner Int e n t i o n (nïya) e f f i z i e n t w e r d e n l ä ß t 6 . Die architektonischen Formen der Moscheen, in denen, und die Muster der Teppiche, auf denen gebetet wird, drücken ihrerseits die unauflösbare Spannung und die Einheit der Wirklichkeit aus, so wie sie der Beter erfährt. Von ihnen konnte einerseits gesagt werden, daß sie „in einer irrational versponnenen Ornamentik verharren" und andererseits, daß sie „die einzelnen Figuren in ein rythmisch geordnetes Ganzes einordnen und unterordnen" 7 . 2 3 1 3 Das insbesondere im Monat Ramadan geübte Fasten (saum) ist ein willentlich G o t t dargebrachter A k t der Selbst-Entleerung u n d Selbst-Enteignung. Das Ergebnis dieses A k t e s , das völlige HingegebenSein an G o t t u n d an die v o n ihm ausgehende b e s t i m m e n d e Kraft, bringt nicht nur Teilhabe an G o t t e s in sich selbst ruhender, unergründlicher Fülle (samadiyya) m i t sich, sondern auch Teilhabe am Uni5 Der Text des rituellen Gebetes findet sich in A. Weisser: Das moslemische Gebet und der Gottesbegriff im Islam. o . J . 6 Die beste und für den europäischen Leser am leichtesten zugängliche Sammlung islamischer Gebete findet sich bei C. E. Padwick: The language of Muslim devotion. In: The Muslim World 47, 1959, S. 5 - 2 1 ; 98-11.0; 194-209; 2 9 9 - 3 1 7 . - Dies.: Muslim devotions — a study of prayer manuels in common use. 1961; Zu „dikr" s. S. 13ff. ; zu „nïya" S. 48ff.; zu Zwang (gabr) und Prädetermination (qadä') S. 266ff. 7 E. Diez: Islamische Kunst. 1964, S. 30 u. 59. 119

versum und Solidarität mit der Menschheit. Konkret äußert sich diese Selbstentleerung nicht nur im physiologischen Fasten, sondern auch im Verzicht auf alles vom Selbst ausgehende, Gott und die Menschen beleidigende Tun und im gegenseitigen Verzeihen. So lädt man etwa im Ramadàn Nachbarn ein, mit denen man bisher keine Beziehungen hatte oder mit denen man im Streit lebte. Ein solches Fasten kann als Symbol gelten für die den Islam kennzeichnende Obergabe (= „islam") an Gott, die im radikalen Gegensatz zur Autarkie und Selbstgenügsamkeit (istignä') steht. Die zu Ende des Ramadan gefeierte „Nacht des Dekrets" (lailat-ul-qadr) bringt aktualisierend das göttliche Dekret par excellence in Erinnerung: die Herabsendung (tanzïl) des Korans. Selbst für islamische Denker, die das Gottesbild von jeglicher Willkür und allem Determinismus zu bereinigen suchen, bleibt dieser Beschluß und seine Durchführung als freiheitlicher und ungeschuldeter Eingriff bestehen.

Auch der Zukunft wird gedacht: das „Dekret" dieser Nacht des Friedens gilt als Prototyp des höchsten und letzten Beschlusses, durch den Gott am Tage des Gerichts Gerechtigkeit und Frieden zur Herrschaft bringen wird. In einer solchen Vorwegnahme löst sich — für die Dauer einer Nacht — der Widerspruch auf, der zwischen dem willkürlich die Schicksale Bestimmenden und dem einem jeden nach seinen Taten Vergeltenden besteht. Denn alle Schicksale, ihr Gutes und ihr Böses kommen aus der göttlichen Allbestimmung und sind daher letztlich gerecht und gut. So faßt denn in dieser Nacht die glaubende Erinnerung (dikr) die Fülle der Zeit und des Raumes zusammen und schafft sie nach dem von Gott geoffenbarten Modell in Gedanken gleichsam neu. Dennoch weiß sie sich in diesem eigenständigen Tun völlig aufgegangen in Gottes Prädeterminatiom (qadä') und Dekret (qadar), die das All umfassen. In einem derartigen Zusammenhang steht letztlich die Menge der Gebete und Gebräuche dieser Nacht, in der Gott durch seine Engel und seinen Geist in engster Beziehung zu seiner Schöpfung steht. In ihr werden außerdem — der Tradition zufolge — die Schicksale der Einzelnen neu bestimmt. Auch deswegen wird zu Gott gebetet, um ein gutes Los zu erhalten. Dabei besteht besonderer Anlaß, bei Gott Zuflucht zu suchen, denn für die Dauer dieser Nacht sind die dem Menschen feindlichen Geister entfesselt. Vielleicht ist sogar dieser Volksglaube eine vorwegnehmende Erinnerung an den endzeitlichen Kampf 8 . 8 J. M. Abd-el-Jalil: Le jeûne du Ramadan, in: P. R. Regamey (Hg.): Redécouverte du jeûne. 1959, Kap. 7 (Fasten als Gottes- und Menschendienst). — A. Schall: Die Sichtung des Christlichen im Koran, in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 9, 1971, S. 7 6 - 9 1 (Islam gegen Istignä', S. 84). - Sure 44',

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2 3 1 4 Der Koran spielt eine zentrale R o l l e im L e b e n des Muslimen. Die allenthalben v e r n o m m e n e n Worte dieser seit 14 Mondjahrhunderten dauernden „ D e k l a m a t i o n " prägen das L e b e n des Muslimen. S o bleibt es d e n n k e i n e m u n b e k a n n t , daß der Koran s o w o h l Verse enthält, in deren Sicht die D e t e r m i n a t i o n des M e n s c h e n als o f f e n s i c h t l i c h e Tatsache erscheint, als auch solche, aus d e n e n die Wahlfreiheit d e s Menschen e b e n s o klar hervorgeht 9 . Beide gegensätzlichen Aussagen s t e h e n o f t 2—8 (Hinabsendung der Schrift in einer gesegneten Nacht). — J. Berque: Normes et valeurs dans l'Islam contemporain. 1966 (im Gottesbild, das Mahmüd Saltüt in seinem Lehrbuch „al-Islam, 'aqîda wa Sari'a" entwirft, tritt Gott nur beim „tanzll" als willkürlich Handelnder auf . . . , S. 257). — N. Bammate: Massignon, le désir et la prière, in: / . F. Six (Hg.): Massignon. 1970 (die Nacht des Dekrets als Prototyp des letzten Dekrets am Tage des Gerichtes, vor dem die ganze Natur und der Lauf der Geschichte innehalten werden, S. 245). — Sure 97, 1—5 (Die Nacht der Bestimmung im Koran: Herabsteigen der Engel und des Geistes, Gebote ihres Herrn ausführend; Friede bis zum Anbruch der Morgenröte). — K. Cragg: Ramadan prayers, in: Muslim World 47, 1957, S. 2 1 0 - 2 2 3 (Gebetstexte für die Nacht des Dekrets); siehe auch Padwick: Muslim devotions. — U. Schoen: Ramadan, Nuit du destin, Aid-es-seghir. 1969 (Ramadan-Volksbräuche). 9 Koran nicht nach der Flügel'schen, sondern nach der kufischen Verszählung (= fettgedruckte Ziffern in der Paret'schen Übersetzung) zitiert ! Einige Aussagen des Korans: - über· Gottes absolute Freiheit, ungeschuldet durchzuführen, was er will: 28,68: Gott schafft, was er will und wählt. Nicht den Menschen steht die Wahl zu. 5,118: Gott kann (je nach seinem Belieben) strafen oder vergeben. 3,37: Gott gewährt Unterhalt, wem er will, ohne abzurechnen. 21,23: Niemand verlangt von Gott Rechenschaft. 6,125; 14,4; 16,93; 74,31: Gott führt in die Irre, wen er will und leitet recht, wen er will. 6,107; 10,99; 32,13: Wenn Gott gewollt hätte, hätte er alle Menschen zum Glauben gefuhrt — über den Zwang, den Gott ausübt, sei es um auf den rechten Weg zu führen, sei es um in die Irre, ins Verderben zu führen: 6,18: Gott hat über seine Sklaven (d.h. die Menschen) Gewalt. 57,27: Gott selbst gab Güte und Barmherzigkeit in die Herzen derer, die Jesus folgten. 94,1: Gott hat Muhammad, bei seiner Berufung, die Brust erschlossen. 58,22: Gott „schreibt" (= bestimmt) den Glauben ins Herz. 74,56; 76,30; 81,29: Nur wenn Gott es will, könnt ihr wollen . . . 5,41; 16,37: Wenn Gott jemand irreführen will, so kannst du, Prophet, nichts dagegen machen . . . 2,7; 6,25; 18,57; 45,23: Gott hat ihnen Herz und Gehör versiegelt . . . 3,8: „Lenke unsere Herzen nicht (vom rechten Weg) ab, nachdem Du uns rechtgeleitet hast!" 121

in unmittelbarer Nähe und scheinen sich so gegenseitig zu korrigieren 10. Wer den Einfluß der Worte des Korans auf den islamischen Menschen abschätzen will, darf nicht vergessen, daß der Muslim grundsätzlich den ganzen Koran als Gottes verbindliches Wort akzeptiert — trotz aller Vorliebe für die eine oder die andere Art von Schriftstellen. Man wird daher kaum fehlgehen, wenn man annimmt, daß der einfache Muslim 2,286: „Herr, belaste uns nicht mit etwas, wozu wir keine Kraft haben. Verzeih uns, vergib uns und erbarme dich unser!" Einige Aussagen des Korans über die Freiheit des Menschen, über den Menschen als freien Urheber seiner guten und bösen Taten, seines Glaubens und seines Unglaubens, und über seine Verantwortlichkeit: 73,19; 74,55; 76,29: Dies ist eine Botschaft für den, der sie annehmen will! 73,16: Pharao war ungehorsam und wurde bestraft. 41,17: Sie zogen ihre Blindheit der rechten Leitung vor. 50,27: An jenem Tag wird der Engel, der den Menschen begleitet hat, sagen: „Herr, ich habe ihn nicht verführt, er selber war (von sich aus) verirrt!" 18,29: Die Wahrheit geht aus von eurem Herrn. Wer es will, der glaube, und wer es will, der glaube nicht! 32,22; 18,57: Das größte Unrecht begeht der, der die Predigt gehört hat und sich dann abkehrt. 2,286; 3,25; 14,51; 40,17; 42,30: Jedem geschieht, wie er es sich verdient hat, wie er es sich „erworben" hat . . . und zahlreiche andere Stellen über das Endgericht nach den Werken. 3,20: Jeder wird vor sich finden, was er getan hat. 14,4; 28,59: Gott bindet sich an seine Gerechtigkeit und straft nicht, ohne vorher in verständlicher Sprache gewarnt zu haben. 13,11: Gott richtet sich — erst abwartend, dann strafend und belohnend — nach den Handlungen des Menschen. Er zögert noch, seiner eigenen Gerechtigkeit zu gehorchen. 11,74: Abrahm streitet mit Gott . . . (über das Geschick der Leute von Lot). Ähnliche Zusammenstellungen ergeben sich mit Hilfe der den meisten KoranÜbersetzungen beigefügten Schlagwörter-Verzeichnisse (ζ. B. bei Henning, Bell, Blachère und Masson) und aus den Zitaten in koranischen Untersuchungen: Ά. M. al-'Aqqäd: al-insän fi-l-Qur'än al-kanm. o.J., S. 12—56. — 'À. Ά. Bint-uH-Säti': maqäl fi-l-insän — diräsa qur'äniyya. M. Talbi: L'homme dans le Coran. 1970. — M. Mahmud: al-Qur'ân — muhäwala li-fahm''asrï li-l-Qur'än. 1970, insb. S. 2 5 - 5 0 . — Außerdem finden sich solche Gegenüberstellungen in Spezialuntersuchungen: D. Rahbar: God of Justice — a study in the ethical doctrine of the Qur'än. 1960. — H. Ringgren: Studies in Arabian fatalism. 1955. — F. Ulrich: Die Vorherbestimmungslehre im Islam und Christentum. Eine religionsgeschichtliche Parallele. 1912, S. 47ff. — D. Masson: Le Coran et la révélation judéo-chrétienne. 1958, S. 185ff. und 649ff. 10 Beispiele für engstes Nebeneinander von Determinations- und Freiheits-Aussagen, im Koran: 4,78+79; 7,43. 14,4. 18,57; 42,13. 45,23; 74, 5 4 - 5 6 . 7 6 , 2 9 - 3 0 ; 81,27-28.

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mehr in der Spannung von geglaubter Determination und geglaubter Freiheit lebt, als der Bücher schreibende Theologe oder theologisch gebildete Laie, von denen gar manche — wie wir noch sehen werden — die Praxis des systematischen Um-Interpretierens der ihrem Vorverständnis widersprechenden Koranstellen in erstaunlichem Umfang entwickelt haben. So hat denn die einfache Hinnahme der Schrift in ihrem Wortsinn und die Hinnahme der in ihr enthaltenen Widersprüche seit je die gelehrten theologischen Meinungen korrigierend begleitet. Dies hat auch heute seine Bedeutung, angesichts der allgemeinen Betonung der Rolle des Menschen und seiner Freiheit, die vielerorts die koranischen Aussagen über die Determination zu verflüchtigen droht. Eine solche Hinnahme der Widersprüche wird durch die, von den „Traditionisten" (muhadditún) gesammelten und überlieferten, Taten und Aussprüche Muhammads sehr gefördert. Denn mehrere solcher Aussprüche (ahädit; Sing, hadït) verbieten ausdrücklich den Streit um Koranstellen, und zwar insbesondere den Streit um den „qadar" in seinem Verhältnis zur Gerechtigkeit Gottes und zur Verantwortlichkeit des Menschen: „Der Koran ist nicht dazu geoffenbart, daß ihr den einen (Vers) mit dem anderen schlagt, sondern er bestätigt sich gegenseitig. Und was ihr davon versteht, danach handelt, was euch aber nicht klar ist, das nehmt (einfach) gläubig hin" 1 1 . Diese weitverbreitete und die Frömmigkeit stark beeinflussende Traditionsliteratur verstärkt aber auch — im Vergleich zum Koran — das Gewicht der Determinai ions-Aussagen und neigt ihrerseits dazu, die Spannung der gegensätzlichen Aussagen in Richtung des Determinismus hin aufzulösen. Dies ist eine Frucht der Opposition, in der diese Traditionen und ihre Sammler — vor allem al-Buhari und at-Tirmidi — zu den damaligen liberalen Theologen standen. Sie wirkte über die Jahrhunderte hinweg auf die Frömmigkeit. Wenn auch die damaligen Liberalen, die die Freiheit des Menschen betonenden Mu'taziliten — nach ihrer gewaltsamen Unterdrückung durch die Orthodoxie — während der Jahrhunderte des islamischen Niedergangs (inhität) völlig verschwunden waren, so kann in der heutigen Epoche der islamischen Erhebung (nahda) diese versteinerte Opposition wieder neues Leben und neuen Sinn bekommen angesichts der weitverbreiteten neo-mu'tazilitischen Theologie 12 . 11 M. Ibn Sa'd: kitàb-ut-tabaqât al-kabïr. 1906. Bd. IV, 1, S. 141. - Ά. al-Hatïb führt am Schluß seiner Monographie „die Prädetermination und das Dekret zwischen Philosophie und Religion" (al-qadä' wa-l-qadar baina-l-falsafa wa-d-din, 1961, einige solcher Sprüche an. 12 S. u. 232 (neo-Mu'tazilismus). — El Bokhari: (810—870): L'authentique tradition musulmane — choix de hadiths. 1964 (Sprüche über das Schicksal: S. 97ff.). — Α. Guillaume: Some remarks on free will and predestination in Islam, together, with

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Auch die Formulierung der für den Muslimen verbindlichen Glaubenssätze — so wie sie sich in den verschiedenen in der islamischen Welt verbreiteten Fibeln der Glaubens- und Lebensordnung findet — geht auf einen von der Tradition überlieferten Prophetenspruch zurück. Dieser gibt als Glaubensinhalt sechs Elemente an: An den einen Gott glauben, an seine Engel, an seine Schriften, an seine Gesandten, an den Jüngsten Tag und an die von Gott ausgehende Bestimmung des Guten und des Bösen. Der letzte Glaubenssatz bedeutet, daß alle Schicksale — „mit ihrem Guten und ihrem Bösen, mit ihrem Süßen und ihrem Bitteren" — als von Gott determiniert hingenommen werden. Denn „Gott ist zu erhaben, als daß in Seinem Reich etwas existieren könne, das Er nicht will, oder daß jemand Seiner entbehren könne, oder daß außer Ihm jemand etwas schaffen könne — Er, der Herr Seiner Geschöpfe, der Herr ihrer Taten, der Bestimmer ihrer Bewegungen und Termine, der die Propheten zu ihnen gesandt hat, um vor ihnen das beweiskräftige Zeichen aufzurichten" 1 3 . Dieser letzte Glaubenssatz erfährt — wie wir sehen werden — in moderneren Lehrbüchern des Glaubens entscheidende Uminterpretationen. Oder er wird schlichterhand weggelassen, wozu der gute Grund angeführt werden kann, daß diese Formulierung nur aus den Hadits und nicht aus dem Koran stammt. Die koranischen formelhaften Definitionen der Frömmigkeit bezeichnen als Glaubensinhalte: Gott, den jüngsten Tag, die Engel, die Schrift und die Propheten,

a translation of the Kitab-ul-Qadar from the Sahih of al-Bukhari, in: The Journal of the Royal Asiatic Soc. 1924, S. 43—53 (eindeutige Stellungnahme des Verfassers gegen die „schreckliche" Lehre von der Prädestination, so wie sie in Bukhari zum Ausdruck kommt. Historische Begründung dieser Lehre aus der Reaktion gegen die Mu'taziliten). — H. Ringgren: Studies in Arabian fatalism (Zusammenstellung von Hadits, die die Qadar-Ihtiyär-Debatte betreffen). 13 Ibn Abi Zaid al-Qairawänt (geb. 922 n.Chr.): al-risäla. 1960 (Glaubens- und Lebens-Fibel des malekitischen Gelehrten, der im Maghreb großen Einfluß hatte). Das angeführte Zitat auf S. 20f. Wohlgemerkt, selbst diese massive Behauptung der göttlichen Allwirksamkeit endet mit einer Aussage, die die Freiheit des Menschen impliziert: die die Offenbarung überbringenden Gesandten richten vor den Menschen ein „Argument" (hugga) auf, welches überzeugen soll und auf die Verantwortlichkeit hin anspricht! — Der 1910 in Kairo in 5. Auflage erschienene, vom Modernismus nicht beeinflußte Katechismus „al-a§wiba al-galiya" (die klaren Antworten) des Muhammad b. 'Abdallah al-Gurdäni (abgedruckt in A. Jeffrey, Hg.: A reader on Islam. 1962) hält am sechsten Glaubenssatz fest. — Ausdrücklich auf den traditionellen Prophetenspruch berufen sich — um die von ihnen dargebotene Sechszahl der verbindlichen Glaubenssätze zu begründen — die beiden Lehrbücher des Islam von Tabbära: der Geist der islamischen Religion. 1955, S. 150, und von Hamidullah: Initiation à l'Islam. 1963, S. 49.

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nicht aber, oder zumindest nicht explizit, die v o n G o t t ausgehende Bes t i m m u n g (so vor allem Sure 2, 1 7 7 ) 1 4 .

2 3 1 5 D i e islamische Unterweisung in der Öffentlichkeit benützt ausgiebig die m o d e r n e n Mittel: R a d i o , Fernsehen, Schulbücher u s w . Sie erreicht so die gesamte Bevölkerung. Im Vergleich zu seinem — o b e n ang e d e u t e t e n — traditionellen Glaubensgut steht der Muslim hier vor einer in vielen Bereichen recht b e z e i c h n e n d e n Akzentverschiebung: Der soziale A s p e k t der Religion wird b e t o n t . Die R o l l e u n d die Würde des Menschen w e r d e n hervorgehoben. D i e traditionelle Gotteslehre wird auf ein M i n i m u m beschränkt u n d vor edlem in ihren a n t h r o p o l o g i s c h e n Konseq u e n z e n dargestellt: Das a u t o n o m e T u n des M e n s c h e n f i n d e t seinen Grund u n d seine Garantie darin, daß der allmächtige S c h ö p f e r ihn z u seinem Halïfa (Stellvertreter oder gar Nachfolger) eingesetzt hat; G o t t als gerechter Richter garantiert R e c h t u n d Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Es wird ferner darauf bestanden, daß in Glaubensfragen kein Zwang ausgeübt w e r d e n darf. Die v o l l k o m m e n e Ü b e r e i n s t i m m u n g v o n Glaube u n d Wissenschaft wird apodiktisch konstatiert 1 S . 14 Zwei Beispiele hierzu aus dem nicht-arabischen Raum: Uminterpretation: „Der sechste Artikel (die Maßbestimmung des Guten und Bösen) ist von Einigen irrtümlicherweise mit dem Fatalismus verwechselt worden; ein Muslim glaubt weder an den Fatalismus, noch an eine Vorbestimmung; er glaubt an feststehende Richtmaße des Guten und des Bösen. Alles von Gott Geschaffene ist gut bei sachgemäßer Anwendung und unter bestimmten Verhältnissen. Sein Mißbrauch bringt das Böse und das Leiden hervor." (A. Weisser: Das moslemische Gebet und der Gottesbegriff im Islam, S. 23) Weglassung: In seiner Islamfibel „Weltanschauung und Leben im Islam" — die von der Islamic Foundation unter Gastarbeitern verbreitet wird — läßt Maudoodi den sechsten Glaubensartikel aus: er müßte auf S. 127f. behandelt werden (s. u. 2318, Anm. 21). 15 Olivier Carré·. L'idéologie des manuels religieux dans l'Egypte actuelle. 1971 (reduzierte Gotteslehre). — 'Ali abbi: Mauqif-ul-Isläm min karämat-il-insän. 1971. (Eine Serie von 8 Vorträgen, die jeweils in der „Nacht des Dekrets" gehalten und im Radio übertragen wurden, d. h. in den letzten 8 Jahren. Der Vortrag über die Würde des Menschen zeigt auf, daß schon vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und vor der Französischen Revolution Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit Grundprinzipien des Islam waren, d. h. von je gewesen sind.) Der Untertitel dieser Veröffentlichung heißt: min wahy lailat-il-qadr (aus der Inspiration der Nacht des Dekrets). Zur religiösen Toleranz: Der zu ihrer Begründung regelmäßig angeführte Koranvers „In der Religion gibt es keinen Zwang!" (Sure 2,256) ist zweideutig: 1) In Glaubensangelegenheiten darf man niemanden zwingen; 2) In Glaubensangelegenheiten kann man niemanden zwingen. Die erste Deutung ist die allgemein übliche, die im Islam Toleranz bewirkt. Die zweite Deutung ist ein Argument für die göttliche 125

2316 Die Pilgerfahrt nach Mekka (hajjjjjj) kann für die, die sie unternehmen und für die, die sie aus den Berichten der Heimkehrer miterleben, zu einer Entdeckung der islamischen Ökumene werden. Während für alle nicht-arabischen Muslimen das Arabische als religiöser Bezugspunkt gilt, ist in der Gedankenwelt der arabischen Muslimen der außerarabische Islam vielfach weitgehend abwesend. Die Entdeckung der islamischen Ökumene mag so zum überwältigenden Erlebnis werden, bei welchem der Einbruch einer unbekannten Wirklichkeit als eine Befreiung von der eigenen — wenn auch mit dem Siegel der Offenbarung versehenen — arabischen Subjektivität erfahren wird. Beim sich so anknüpfenden Dialog zwischen arabischem und nichtarabischem Islam wird die von letzterem gebrachte In-Formation zur heilsamen Determination für den arabischen Islam. Denn sie ist ein Schlag für die Neigung zur Selbstgenügsamkeit (istignâ'). Das EingebettetSein in die weite islamische Ökumene und das Hingegeben-Sein an sie kann so zur praktischen Übung der islamischen Haltung werden, d. h. des Hingegeben-Seins an Gott (vgl. oben 112; 2223, Anm. 26; und 2141, Anm. 12). Da die islamische Ökumene nicht nur eine mögliche Entdeckung, sondern auch eine gelebte Tatsache ist, soll — in Form eines Exkurses — zu Ende dieses Abschnitts an den nicht-arabischen Islam heute erinnert werden. 2317 Im modernen Nationalstaat, in dem sich die islamische Gesetzgebung mehr und mehr auf den Bereich des Ehe-Scheidungs- und Erbrechts zurückziehen muß, wird die geleistete Almosensteuer (zakät) mehr und mehr zur freiwilligen Antwort auf den Appell an die Besitzenden, den Armen zu geben. Damit stellt sich aber die Frage, wie sich die heutige Gesellschaft und der in ihr lebende Muslim gegenüber dem theokratischen Anspruch zu verhalten hat. In der alten islamischen Welt verstand sich die in religiöse Normen gefaßte Gesellschaftsordnung (Sarï'a) als der selbstverständliche weltliche Ausdruck der göttlichen Wirklichkeit (haqïqa). Für den heutigen Muslimen ist die Hingabe an die göttliche Haqïqa durch die „Ikon" der Sari'a keine Selbstverständlichkeit mehr: die persönliche „Anstrengung" (igtihäd) schaltet sich nunmehr sichtend und entscheidend zwischen beide Größen ein. Die lebhafteste Reaktion richtet sich gegen das auf dem alten Baum der Sarï'a gewachsene, heute tote Holz, das ausgeschnitten werden muß. In der Mehrzahl der Fälle dürfte daher die FreiAllkausalität: Gott führt auf den Weg des Glaubens, wen er will, daran kannst du, Prophet, mit deinem Tun nichts ändern! — S. hierzu S. 54f. des Kommentars zum Koran von R. Paret. Zur Übereinstimmung von Glaube und (Naturwissenschaft: 'Abd-ur-Razzäq Naufal: baina-d-dïn wa-l-'ilm. o.J.

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heit des Einzelnen nicht den göttlichen Anspruch, die Gesellschaft zu regieren, ablehnen, sondern nur den Anspruch der „Institution", Widerhall der göttlichen Determination zu sein. Die Säkularisierung im islamischen Bereich ist demnach weniger atheistisch als „antiklerikal" und selbst das theokratische Ideal einer nach Gottes Willen regierten Gesellschaft scheint sich hierbei — in einer höheren Form — durchzuhalten 1 6 . Der kritische Vergleich zwischen der bestehenden Gesellschaft — die von sich behauptet, sie baue auf dem Islam auf — und der Norm der göttlichen Wirklichkeit kann aber auch auf einen der Säkularisierung entgegengesetzten Gedankenweg führen und dort die Möglichkeiten zur Verwirklichung der Kritik suchen, nämlich zur Forderung nach konsequenter Theokratie. Auf diesem von der Muslim-Bruderschaft eingeschlagenen Weg wird die Freiheit und die Verantwortlichkeit der Gläubigen stark betont, nicht zuletzt um damit die eigene politische Aktion gegen bestehende Regierungformen zu rechtfertigen 17 .

2318

Exkurs:

Der nicht-arabische

Islam

Im Rahmen einer Arbeit, die sich auf die arabische Welt beschränkt, soll an den Islam außerhalb dieses „Kernbereiches" zumindest kurz erinnert werden, um den 16 S. die für alle weiteren Theokratie-Debatten grundlegende Arbeit von Ά. 'Abd-urRäziq: al-Isläm wa usui al-hukm. 1925. Der Autor weist nach, daß der Prophet kein Staatsmann war, sondern ein Prediger! Er führt hierzu an: Sure 17,54: „Wir haben dich nicht als Sachwalter über sie gesandt!" Er fordert daher die Trennung von weltlichem und geistlichem Regiment. Die Kalifen sind Nachfolger Muhammads nur hinsichtlich der weltlichen Rolle, die dieser gespielt hat! H. M. Hälid brandmarkte in seinem umstrittenen Buch: min hunä nabda' (11. Aufl. 1969, 1. Aufl. 1950) die Willkürherrschaft, zu der der theokratische Traum de facto führe, weil die heutige Wirklichkeit nicht mehr mit der Zeit übereinstimmt, für die die religiöse Gesetzgebung geschaffen worden war. Zur sich hieran anschließenden Debatte s. W. Braune: Der islamische Orient zwischen Vergangenheit und Zukunft. 1960, S. 182. 17 S. Qutb: fi ziläl al-Qur'än 1/31 (Der Beweis für den freien Willen des Menschen ist das Verbot, eine gewisse Frucht im Garten von Eden zu essen. Denn „ohne Verbot kann kein Wille geformt werden") (zit. bei: / . M. S. Baijon: Modern Muslim Koran Interpretation S. 60). Der unter Nasser in Ägypten hingerichtete Sayyid Qutb war nach der Ermordung des Gründers Hasan al-Bannä' der wichtigste Theoretiker der Muslim-Bruderschaft (al-Bannä'·. 1906-1949; Qutb: 1906-1966). - Ishak Musa Husaini: The Moslem Brethren — the greatest of modern-islamic mouvements. 1956 (Versuch einer unparteiischen Darstellung). — R. P. Mitchell: The Society of the Muslim Brothers. 1969. Zur Möglichkeit des Tyrannenmordes und des Umsturzes der Regierung, wenn diese gegen den Koran und die Sunna handelt, nachgewiesen aus der islamischen Geschichte: S. Eid: Gewalt und Gewaltfreiheit im Islam, in: Gewaltfreie Aktion. W. Maechler (Hg.): 1969, S. 5 8 - 7 5 . 127

bestehenden Querverbindungen und dem Universalismus des Islam Rechnung zu tragen. Die Kollektiv-Erinnerungen an sein heimatliches Erbe führen den arabischen Muslimen über die Grenzen seines eigenen Kulturbereichs hinaus. Dies erhellt aus der Tatsache, daß das Arabische für mehrere der in unserer Arbeit genannten historischen Bezugspersonen nicht die Muttersprache war. So al-öazält (s.u. 2343), der Perser, und aiAfgani (s.u. 2322), der, wie sein Name besagt, aus Afghanistan stammte. Auch bei den heutigen arabischen Denkern trifft man auf solche, die zwar zur arabischen Kultur gehören, jedoch nicht assimiliert sind, so etwa Muhammad Arkoun, der berberischen Ursprungs'ist (s.u. 2332). Mehr als ein paar Hinweise auf islamische Denker in einigen islamischen Läpdem können hier nicht gegeben werden: Die Beziehungen zwischen dem arabischen und dem iranischen Islam sind nicht nur von dem kulturellen, sondern auch von dem konfessionellen Unterschied geprägt: dieser ist hauptsächlich schi'itisch, jener hauptsächlich sunnitisch. Dadurch sind die Schätze des iranischen Islam in der arabischen Welt wenig bekannt. Der zahlenmäßig nur schwache arabische Schi'ismus ist für diese Schätze ein unzureichendes Sprachrohr: Erinnert sei hier an einige Zentren mystischen Lebens im Iraq. Ein libanesischer schi'itischer Theologe, Muhammad Gawwäd Magniyya vertritt mit Emphase die alten mu'tazilitischen Thesen über die Freiheit des Menschen: „sie ist eine evidente Wirklichkeit und eine menschliche Notwendigkeit. Durch sie wird der Mensch zum Menschen, was bliebe von diesem übrig, wenn man ihm die Freiheit nähme? Die Macht des Menschen, seine eigenen Werke zu tun, ist vom allmächtigen Gott geschaffen. Wenn der Mensch das Gute tut, so kommt es Gott und ihm zu, weil er es ja gewählt hat, tut er das Böse, so kommt es nur von ihm, denn Gott tut nichts Böses . . . " Auch der im Iran heute am weitesten verbreitete Katechismus „Imamitische Glaubenssätze" vertritt diese Thesen 18 . Der mancherseits als der bedeutendste heutige islamische Denker bezeichnete Seyyed Hossein Nasr (geb. 1933) ist dagegen von der Mystik beeinflußt. Er lehrt an der Universität Teheran. Der indo-pahistanische Raum des Islam enthält, so wie der arabische und der iranische, verschiedene Tendenzen: Als Ausdruck für alle die, die das Gewicht der koranischen Aussagen über Gottes Allkausalität anzieht, sei hier angeführt, wie der 1908 im Dekkan geborene Gelehrte 18 al-'aqä'id al-imämiyya (imamitische Glaubenssätze). Erwähnt bei L. Gardet in: Bull. Secr. Non-Chrétiens 15, 1970, S. 180. Ein Vertreter mu'tazilitischen Denkens im heutigen Persien: D. Falaturi: Der Islam nützt auch dem Atheisten. 1969 („Der Mensch bestimmt in allem, was ihn betrifft, sein Schicksal", S. 62). — M. ö. Magniyya: Ma'alün äl-falsafa alislämiyya. 1960, S. 150ff. - Ders.: al-Isläm ma' al-hayät. 1961 (S. 38ff.: .Jegliches menschliche Tun ist völlig unabhängig von seinen Bedingungen und Umständen . . . Wenn der Mensch nicht frei wäre, wäre er wie die Steine und die Pflanzen, er wäre keinen Schritt voran gekommen und noch wie an seinem ersten Tag . . ."). Ein hervorragender schi'itischer Denker ist der Inder Asaf A. A. Fyzee, der zu den Ismä'iliten gehört und den Dialog zwischen Islam und Hinduismus fuhrt (A modern approach to Islam. 1963).

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Hamidullah auf die Frage eines christlichen Theologen antwortete, der gefragt hatte, wie die alte, schon von Johannes Damaszenus in seiner Diskussion mit den islamischen Theologen aufgeworfene Frage des Verhältnisses von göttlichem und menschlichem Wollen im Islam heute gesehen werde: „Die Bibel ist genauso fatalistisch und prädestinationistisch wie der Koran. Wenn die Christen die Lehre des Gründers ihrer Religion durch die gewisser heidnischer, griechischer Philosophen ersetzten, so ist das ihre Sache . . . Der islamische Fatalismus hat bewirkt, daß die Prophetengenossen in 15 Jahren drei Kontinente erobert haben. Und wer konnte den Sinn des Korans besser praktizieren als diese ersten Muslimen? Seitdem haben die Muslimen nichts an ihren Dogmen über Gottes Prädestination und Prädetermination geändert . . . " 1 9 Jedoch hat mit dem islamischen Liberalismus ein weitverbreiteter Neo-mu'tazilismus eingesetzt, der die koranischen Aussagen über die Rolle des Menschen — oft bis zur Einseitigkeit hin — ans Licht kehrt. Im Gefolge Seyyid Amir Alis (geb. 1849), praktizierten Azad (geb. 1888), Mashriqi (geb. 1888) und Parwez (geb. 1903) eine solche Exegese. Bei dieser wird ζ. B. der Gottesname „al-Gabbär" (der Zwingende) mit Hilfe etymologischer Argumente mit der „Wiedereinrenker" übersetzt, denn „gibära" ist die Kunst des Wiedereinrenkens von Gelenken! 2 0 Zu dieser Tendenz gehört auch Maudoodi, der in seiner Islamfibel den Glaubensatz von der göttlichen Determination ausmerzt 21 . In ähnlicher Weise verfährt Daud Rahbar in seiner koranischen Untersuchung über Gottes Gerechtigkeit, in der alle Stellen über Gottes Wollen, Führen und Irreführen systematisch anti-deterministisch interpretiert werden. Er fordert seine Leser zum Mißtrauen gegenüber den arabischen Wörterbüchern auf, die alle von der späteren deterministischen islamischen Theologie beeinfluß seien . . . (s. o. 2314, Anm. 9 ) 2 2 . Weniger extrem erscheint der Abschnitt über die koranische Anthropologie in Sharifs „Geschichte der muslimischen Philosophie": In ihr werden zwar ζ. B. die Stellen, die dem Propheten hinsichtlich der Ungläubigen versichern, daß es nicht Gottes Wille war, sie zu Gläubigen zu machen, so verstanden, daß der Mensch kein getriebenes Schaf sei, sondern daß Gott dessen freien Willen respektieren wolle (Sure 2, 171; 7, 179; 10, 99); andererseits wird aber betont, daß Gottes Wille größer sei, als der des Menschen 23 . 19 Af. Hamidullah in: Y. Moubarac (Hg.): Les musulmans, S. 44. Vgl. oben 2314 und Anm. 13: eine Islamfibel, die an dem Glauben an den „qadar" festhält, dabei allerdings auf die dadurch aufgeworfenen Probleme aufmerksam macht. 20 Zit. bei J. Baijon: Modem Muslim Koraninterpretation, S. 58. 21 S. A. Maudoodi, Weltanschauung und Leben im Islam. 1971. Der Glaube an die Bestimmung von Gut und Böse durch Gott müßte auf S. 127ff. als 6. Glaubensartikel angeführt werden! 22 / . Bouman führt D. Rahbar als Kronzeugen dafür an, daß der Islam keine ungeschuldete Liebe Gottes kenne (Dialogue avec l'Islam). W. A. Bijlefeld verteidigt — was aus seinem kongenialen Verständnis des Islam entspringt — zu Recht den Islam gegen eine solche engführende Darstellung (Initiative and response). 23 Sharif beleuchtet in seinem Abschnitt über die koranische Anthropologie die von ihm hervorgehobenen Schriftworte durch folgende Bezeichnungen: — Der Mensch als Stellvertreter Gottes auf Erden: 2,30; — Geboren mit göttlicher Einhauchung: 38,72; — Menschliche Vollkommenheit besteht darin, von göttlicher Färbung durchtränkt zu sein: 2,138 (diese schwierige Stelle, bei der Paret das Wort „sibga" (Farbe) 9

Schoen, Determination

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Der im deutschsprachigen Raum verbreitete von der A hmadiyya-Bewegung herausgegebene zweisprachige Koran liefert für manche Stellen eine anti-deterministisch interpretierende Ubersetzung (ζ. B. Sure 16,37 und 95,5). Die schwierige, im Sinne der Mystik auslegbare Stelle 2,138 wird vom ethischen Ansatzpunkt her übersetzt. Muhammad Iqbal (geb. 1873) der vielleicht größte Denker und Erneuerer des modernen Islam, betont in seinem berühmten „Gespräch zwischen Gott und dem Menschen", daß der Mensch nicht mir der Urheber des Bösen auf Erden sei, sondern daß er auch durch sein verbesserndes Tun — Gottes Schöpfung erst zu ihrem vollen Glanz führe 24 . Dank seines Hanges zur Mystik weiß er aber um Gottes Allkausalität und baut deshalb des Menschen Freiheit auf einem wesentlich höheren Niveau in die Einheit Gottes und seiner Schöpfung ein, als die Mu'taziliten und ihre Widersacher, die Asch'ariten, mit ihren Kompromissen (s. 2343 M. Qäsim über Ibn 'Arabi). Hasan Askari (geb. 1932), Professor für Soziologie an der islamischen Universität in Aligarh (Indien) mag als Vertreter einer Orientierung gelten, die bisher wenig vertreten ist, aber für eine zukünftige Entwicklung im Islam bezeichnend sein könnte. Er weiß, daß sowohl Muslimen als auch Juden und Christen vom „paradoxen Komplex" der gegensätzlichen Begriffspaare belastet sind. Dazu zählt er u.a.: Gottes Barmherzigkeit und Gottes Zorn, Gott und „Gott im Menschen". Er steht der mystischen Haltung kritisch gegenüber, denn diese übersehe — in ihrem Hang zur Verobjektivierung und Einheit mit Gott — die eigene Subjektivität, habe daher auch für die des Gott anders Erfahrenden kein Verständnis und führe — soziologisch gesehen — zu Fanatismus und Grausamkeit. Eine methodisch ehrliche „Distanz" Gott gegenüber liefere einen — den Dialog fördernden — Vorrat an Individualität und Freiheit. Ein solcher Dialog kann zur In-Frage-Stellung der eigenen Institution als historische und politische Größe führen: z. B. sei der Islam in seiner bisherigen Geschichte eine ständige Verleugnung der Eschatologie des Korans gewesen . . . mit „baptisma" übersetzt (bei Masson: „Oelung"), wird von der AhmadiyyaAusgabe moralisierend mit „Gott als bestem Glaubenslehrer" wiedergegeben). — Dem Menschen ist Macht gegeben über alle Dinge auf Erden: 14,32; 16,12ff.; 21,81; 25,45; 31,20; 36,33+71; 45,12; 55,22; 79,30. (darunter finden sich auch Stellen, die nur von Gottes Werk für den Menschen sprechen!) — Die natürliche Neigung des Menschen, Gutes zu tun: 82,7 — Gott rät den Menschen, Böses mit Gutem zu vergelten: 13,22; 23,96; 41,34. — Gott übt keinen Zwang aus: 8,53; 13,11. — Alles Gute kommt letztlich von Gott, alles Böse letztlich vom Menschen selbst: 4,79. — Gott will dem göttlichen Attribut „Macht und Freiheit" im Menschen freies Spiel lassen: 6,107; 6,104; 18,29; 76,29. — Der Mensch ist kein getriebenes Schaf: 2,171; 7,179. — Die Propheten wirken durch Überredung: 6,107; 10,99. — Kein Zwang zum Glauben: 18,29; 76,29; 81,28. — Gottes Wille ist größer als des Menschen Wille: 76,30; 81,29. (M. M. Sharif: Philosophical teachings of the Qur'än, in: Ders. (Hg.): A history of Muslim philosophy. Bd. 1, S. 136—154). 24 M. Iqbal: Persischer Psalter. 1968, S. 76. M. A. Lahbabi zitiert dieses Gedicht in: Le personnalisme Musulman (1964) bei der Behandlung des Themas: Die Person angesichts der Allmacht Gottes, auf S. 70ff.

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Die Pilgerfahrt nach Mekka (wobei die nach Medina wohlgemerkt nur ein Anhängsel bilde!) öffne ein „großes eschatologisches Fenster" nicht nur hin zum Universalismus des Islam, sondern vor allem auch zum Universalismus schlechthin . . , 2 5 Der aus Nord-Kaukasien stammende Haidar Bammate (geb. 1890) zitiert lobend den großen indischen Neo-mu'taziliten Seyyid Amir Ali und interpretiert selbst den göttlichen „qadar" als Gottes Vorherwissen: dieses sei kein hic et nunc notwendigerweise ablaufendes Eingreifen Gottes in alle menschlichen Akte. Nadjm-oud-Dine Bammate hingegen liefert ein schönes Beispiel moderner Mystik, die, trotz ihres eigenen Verlangens nach Einheit mit Gott, in bewegenden Worten die Rolle des Subjekts und seiner Nïya (Intention, Wunsch, Gelübde . . .) hervorheben kann. Der Gegensatz, der zwischen des Menschen Wunsch und seinem Schicksal bestehe, löse sich mit dem Einbruch der kommenden Welt am „Tage der Religion" (yaum-ud-dîn) auf: dann besteht auch kein Gegensatz mehr zwischen dem rächenden (al-muntaqim) und dem zwingenden (al-gabbär) Gott, zwischen dem, der den Menschen nach seiner Verantwortlichkeit richtet und dem, der den Menschen und sein Schicksal in allem bestimmt 2 6 . Den Exkurs abschließend soll das von Yves Montand gesungene und so bekannt gewordene Gedicht des türkischen Dichters Nazim Hikmet: „Mein Bruder, du bist wie ein Skorpion . . ." zu Worte kommen: Nach der Anklage des Menschen, der „eigenartigsten aller Kreaturen", weil sie nicht „wie der Fisch im Meer lebt, ohne das Meer zu wissen", von der so viel Elend auf Erden ausgehe, heißt es:

„Wenn wir zerrissen sind und erschöpft, Wenn wir geschunden sind bis auf's Blut, Gepresst wie die Traube um unseren Wein zu geben . . . Soll ich dann sagen: das ist deine Schuld? Nein, Aber viel bist du mit dran Schuld, mein Bruder." Den Schuldigen, der außer dem Menschen das Elend auf Erden verursacht, bezeichnet der marxistische Dichter inhaltlich zwar anders als ein Muslim. Formal jedoch ist für den säkularisierten und für den gläubigen Muslim die Problematik dieselbe 27 .

25 H. Askari: Dialogue and devotion, in: S. J. Samartha (Hg.): Dialogue between men of living faiths. 1971, S. 103—106. — Ders.: Le complexe islamo-chrétien de foi et d'engagement, in: y. Moubarac (Hg.): Les musulmans, S. 127—134. 26 H. Bammate: Visages de l'Islam, S. 34 und 356. — Ν. Bammate: Massignon, le désir et la prière. — Siehe hierzu auch 2313: Nacht des Schicksals (oder des „Dekrets" = „qadar"). 27 Zu Nazim Hikmet s. auch M. Rodinson: Sur Nazim Hikmet et le communisme turc, in: Ders.: Marxisme et monde musulman, S. 390—411. — Stimmen aus dem asiatischen Islam (Türkei, Iran, Pakistan, China, Indonesien) kommen in der von K. W. Morgan herausgegebenen Anthologie: Islam the straight path, zu Worte. — Der autobiographische Züge tragende Roman des Senegalesen Cheikh Hamidou Kane: L'aventure ambiguë gibt einen tiefen Einblick in Leben und Fragen des heutigen Islam in Schwarzafrika. Er beschreibt u. a. die Freiheit als eine Ablehnung der vom Okzident ausgehenden Determination (S. 178ff.).

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232 2321

Denkwege

islamischer

Die Erneuerung

des

Gelehrter:

Moderne

von gestern

und

Tradition

Mu'tazilismus

Die Wiederbelebung der mu'tazilitischen T h e o l o g i e ist eines der wichtigsten Ereignisse im islamischen Bereich der arabischen Renaissance (nahda) 2 8 . D i e Wiederentdeckung u n d Herausgabe v o n Manuskripten mu'tazilitischer D e n k e r trug viel hierzu bei. Die jüngste Überraschung in dieser Hinsicht war die Herausgabe der mehrbändigen theologischen Summe des „großen Qädi" 'Abd-ul-öabbär (gest. 1025), die von Taha Husain und Ibrahim ·Madkür — zwei markanten Persönlichkeiten der modernen arabischen Geisteswelt — zusammen mit Georges Anawati (Qanawàtï), dem bekannten ägyptischen Dominikanerpater, besorgt wurde. Das Manuskript hatte im Jemen „geschlafen", wohin sich manche Mu'taziliten vor der Verfolgung durch die Orthodoxie hatten retten können, die unter dem Kalifen al-Mutawakkil (846— 861) eingesetzt hatte 2 9 . Es war vor allem die mu'tazilitische T h e s e v o n der Freiheit d e s Menschen, die das m o d e r n e islamische D e n k e n aufgriff u n d für seine eigene Situation aktualisierte. Diese T h e s e entspricht einem Lebensgefühl, das mit Muhammad Yüsuf Müsä ( 1 8 9 9 — 1 9 6 3 ) w i e folgt beschrieben w e r d e n kann: „die Freiheit u n d die Macht, die der Mensch in seinen T a t e n spürt, G o t t hat sie v o n seinem Wollen u n d seiner Macht abgetrennt u n d d e m M e n s c h e n verliehen" 3 0 . Der gedankliche Ausdruck einer solchen Erfahrung erscheint wie zugeschnitten auf die Lage, in der sich die islamische R e f o r m b e w e g u n g b e f a n d , die sich in mehreren Frontstellungen durchzusetzen h a t t e : 28 Allgemeine Darstellungen: Modern Renaissance, in: M. M. Sharif (Hg.): A history of Muslim philosophy. Bd. 2, S. 1445—1656 (mehrere Artikel). — F. Rahman: Revival and reform in Islam, in: P. M. Holt et al. (Hg.): The Cambridge history of Islam. Bd. 2. S. 6 3 2 - 6 5 6 , 1970. (Rahman betont, daß die Nahda nicht nur ein Produkt des Einbruchs des Westens war, sondern im Islam selbst schon ersehnt und vorbereitet war. S. 641). — R. Caspar: Un aspect de la pensée musulmane moderne: le renouveau du mo'tazilisme, in: MIDEO 4, 1957, S. 141—201. 29 Abü-l-Hasan 'Abd-ul-öabbär·. al-mugnï fï abwâb it-tauhld wa-l-'adl (im 6. Band ein Abschnitt über das Wollen Gottes, im 11. Band ein Abschnitt aber die Verantwortlichkeit des Menschen). Besprechung und Inhaltsangabe dieses Werks in: MIDEO 4, 1957, S. 2 8 1 - 3 1 6 (G. C. Anawati, R. Caspar, M. el-Khodeiri). 30 M. Y. Müsä: al-Qur'än wa-l-falsafa. 1958 (Der Verfasser, ein wichtiger Vertreter des Neo-Mu'tazilismus, präzisiert allerdings in seinem in Schulen verwandten Lehrbuch, daß er hinsichtlich der Freiheit des Menschen den Mu'taziliten nahe stehe, daß er aber nicht mit ihnen übereinstimme in ihrer These, Gott könne das Böse nicht wollen, S. 136). — Ein Abschnitt dieses Buches ist unter dem Titel „L'apport des Mo'tazilites" übersetzt in: A. Abdel-Malek (Hg.): Anthologie de la littérature arabe contemporaine, S. 206ff. 132

— nach innen: gegen eine versteinerte Tradition (taqlid), die den Anspruch erhebt, daß man sie einfach hinnehmen müsse, und gegen eine bis zum Rande des Aberglaubens entartete Mystik, denengegeniiber es galt, die Freiheit des Subjekts zu betonen, welches in persönlicher Anstrenung (igtihäd) das alte Glaubensgut sichtet (s.o. 2317); — nach außen: gegen den vom Westen kommenden Vorwurf des „islamischen Fatalismus" und gegen den Determinismus der Naturwissenschaften des europäischen 19. Jahrhunderts, denengegeniiber es galt, die Freiheit des Muslimen und seinen Glauben an Gott in vernünftiger Weise zu vertreten. So haben sich denn in der arabischen Nahda zwei Anliegen in glücklicher Weise gepaart: Erstens die eigene Vergangenheit in ihrer ganzen Vielfalt kennenzulernen und vor allem die Stimme der Mu'taziliten — dieser „ersten Denker des Islam" 31 — in ihrer ursprünglichen Frische zu Gehör zu bringen, und zweitens diese modernen Denker von damals — die den Islam nach außen hin gegenüber dem Christentum, dem iranischen Dualismus und der griechischen Philosophie und nach innen hin gegenüber einer buchstabengläubigen Volksfrömmigkeit in einer gedanklich klaren Synthese vertraten — das eigene Denken befruchtend zu aktualisieren um angesichts der neuen Moderne und angesichts der Starrheit der eigenen — Gottes Garantie gewissen — Theokratie gerüstet zu sein. Ahmad Amin (1886—1954), der Verbreiter des mu'tazilitischen Gedankenguts urteilt in seinem großen Geschichtswerk: „Der Tod der Mu'taziliten war das größte Unglück, das die Muslimen betroffen hat. Er war ein Verbrechen, das sie gegen sich selbst begangen haben." 3 2 In einer Reihe von Vorträgen im tunesischen Rundfunk in den Jahren 1954/55 die unter dem Titel „Das Wachschütteln der Eingeschlafenen" veröffentlich wurden, preist Mahgüb Ibn Miläd (geb. 1916) die Vernünftigkeit der mu'tazilitischen 31 Α. N. Nader: Le système philosophique des Mu'tazila — premiers penseurs de l'Islam. 1956 (Der Untertitel ist bezeichnend, im übrigen enthält diese streng wissenschaftliche Arbeit kaum eine persönliche Stellungnahme des ägyptischen Autors christlicher Konfession). Wie sehr das theologische Bemühen dieser modernen Denker von damals sich von der Skepsis abzusetzen und doch ihr Anliegen aufzunehmen hatte zeigt der Vers von 'Umar al-Hayyäm (gest. 1132): Was sollen Kreuz, Moschee, Verrechnung unsrer Taten Schrieb doch am ersten Tag der Meister unsre Ernte auf seine Tafel schon und schrieb auch unsre Saaten: wir mußten ohne Wahl auf falschen Weg geraten. M. Barth (Ubers, und Hg.): Die Rubaijat des Omar Khaijam, Nr. 151. 32 A. Amin: Duhä-l-Isläm. 1952, 3,207 (Darlegung des Verhältnisses von menschlicher Freiheit und göttlicher Allmacht: 3,52—67).

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Lehre, die Einsichtigkeit der menschlichen Freiheit gegenüber der dunklen Lehre vom alles bestimmenden Qadar, die Klarheit von Gut und Böse als rationale Prinzipien. Es klingt mehr nach einem Hymnus an die Vernunft als nach dem Zeugnis von einer religiösen Erfahrung 33 . Ismail al-Fàrûqï (geb. 1921) macht sich zum Sprecher der Mu'taziliten, die nicht nur muslimische Philosophen, sondern die Philosophen des Islam gewesen seien. In Frontstellung nicht nur gegen die Vorwürfe der Orthodoxie, sondern wahrscheinlich auch gegen die säkularisierten Muslimen, für die der Neo-Mu'tazilismus die letzte Etappe der Religion auf dem Weg zum „Tode Gottes" ist, betont er, daß diese Philosophen — die gleichzeitig Gläubige waren! — nicht nur die These der der Freiheit des Menschen, sondern auch die der von Gott ausgehenden allmächtigen Bestimmung vertraten. Offensichtlich kann jedoch al-Färüqt — ebenso wie die Mu'taziliten — die letzten Konsequenzen der Determinationsaussagen nicht akzeptieren. Sein ethischer Ansatzpunkt hindert ihn daran. Die Prinzipien der rationalen Ethik — wie das dem Menschen angeborene Vermögen, Gottes Plan und Führung zu erkennen, sowie die Unzerstörbarkeit der menschlichen Seele — sind für ihn unaufgebbar. So stellt er denn auch Kant in die Linie die Mu'taziliten. In einer Untersuchung der christlichen Interpretation des Alten Testaments wirft al-Färüqt dieser folgerichtig vor, sie sei in einem spekulativen historischen Determinismus verfangen. Das islamische Verständnis der hebräischen Schrift dagegen erfasse deren Sinn. Mehr noch, es merze aus ihm die deterministischen Schlacken aus: der willkürliche und ungerechtfertigte Befehl: „Gehe hinaus", der nach Genesis 12 an Abraham ergeht — „der Ausgangspunkt für das rassistische hebräische Erwählungsbewußtsein" — werde vom Koran verstanden als das Ergebnis von Abrahams Streit mit seinen Landsleuten über deren Götzendienst 34 . Im Lichte der heutigen M o d e r n e zeigt sich j e d o c h auch manches, was an j e n e n M o d e r n e n v o n damals kritisiert w e r d e n m u ß . S o weist Ibn Mlläd. darauf hin, daß ihr D e n k e n an d e n berühmten z w e i d e u t i g e n Versen des Korans (al-mutaääbihät) gescheitert sei: „Durch gelehrte Interpretationen h a b e n sie d e n widersprüchlichen Charakter dieser Schriftstellen zu vertuschen gesucht, in deren „logischem Widerspruch" sie eine Bedrohung der V e r n u n f t erblickten. H ä t t e n sie es verstanden, mit d e m „dialektischen Widerspruch" u m z u g e h e n , d e n wir h e u t e k e n n e n u n d der uns einen Zugang z u m Verständnis der sich dauernd ändernden Wirklichkeit gibt, wäre es ihnen ganz im Gegenteil am Herzen gelegen, diese h e f t i g kontrasierenden Gegensätze herauszustellen, auf daß m a n sich ihrer b e w u ß t werde. D a n n h ä t t e n sie gemerkt, daß der dialektische Widerspruch dieser z w e i d e u t i g e n Verse die grundlegende Zweideutigkeit des Seins aussagt!". Ibn Milad ist der Meinung, daß die v o n d e n Kom33 M. Ibn Mllad: tahrlk as-sawäkin — al fikr al-isläml baina-l-ams wa-l-yaum. 1955. Besprochen in: Caspar, MIDEO 4, 1957, S. 192f. 34 I. R. al-Fàrûqï: The self in Mu'tazilah thought, in: Internat. Philosophical Quarterly 4, 1966, S. 366—388. — Ders.: A comparison of the Islamic and Christian Approaches to Hebrew scripture, in: The Journal of Bible and Religion 31, 1963, S. 2 8 3 - 2 9 3 . 134

mentatoren des Korans verschieden verstandenen sieben „matäni", von denen Vers 87 in Sure 15 spricht, nichts anderes bedeuteten als die „mutaSäbihät". So übersetzt er „matäni" mit „Paare" und versteht darunter die Gegensatz-Paare des „dialektischen Widerspruchs". Unter diese sieben „Paare", von denen der Koran spreche, reiht Ibn Mlläd auch die Gegensätze ein, nach denen wir hier fragen: — Der Mensch ist nur Staub: Der Mensch ist der Stellvertreter Gottes auf Erden. - Des Menschen Wille ist unfrei: Des Menschen Wille ist frei 35 . So führt die mu'taziiitische Renaissance auch den alten Streit der Kommentatoren um die Freiheits- und Determinations-Aussagen des Korans wieder neu vor Augen. Denn anstatt die Spannung zu ertragen, hatten nicht nur die Mu'taziliten, sondern auch ihre orthodoxen Gegner die Schriftstellen auf ein Podest erhoben, die ihr eigenes Vorverständnis bestätigten, während sie das Gewicht der anderen Stellen durch ihrem Standpunkt günstige koranische Argumente zu verringern suchten. Damit taten sie gerade das, was der Prophetenspruch so heftig denunziert: sie schlugen einen Teil des Korans mit dem anderen (s.o. 2314). Aufgrund dieser Unfähigkeit, die Wucht beider koranischen Aussagen freudig aufzunehmen, stellt sich auch die Frage nach dem Wert aller damals in den theologisch-philosophischen Systemen unternommenen Kompromisse. Aller asch'aritischen und maturidischen Vermittlungen zutrotz verharrten die sich widersetzenden Denkansätze bei der Meinung, daß in diesem Punkt „entweder die Henne oder das Ei zuerst gewesen sein müsse": Für das Freiheits-Denken — das letztlich das Anliegen: „Gott ist gerecht" vertrat — war Gottes Handeln nur eine Folge der Entscheidung des Menschen für Recht oder Unrecht. Für das Determinations-Denken — dem Gottes Allmacht am Herzen lag — war die menschliche Entscheidung die Folge des göttlichen Beschlusses. Daran hatten auch die Zugeständnisse auf beiden Seiten nicht geändert: Wenn etwa die Verfechter der menschlichen Freiheit der göttlichen Allmacht zugestanden, daß sie die Werke schaffe, die der Mensch nur gewählt und gewollt habe, aber selbst nicht schaffen könne (nach I. Faruqi, S. 383) und wenn die Verfechter der absoluten Determination dem Menschen zugestanden, daß er frei und deswegen verantwortlich sei, daß sein Wahlvermögen sich „erwerben" (kasaba) könne, was Gott zuvor bestimmt 35 M. Ben Milad: Ambiguïté et „mathani" coraniques, in: J. Berque und J.-P. Charnay (Hg.): L'ambivalence, S. 3 6 6 - 3 8 1 .

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habe (asch'aritische Lösung) oder daß er dem Akt, den Gott nur in seiner Wurzel (asl) geschaffen habe, seine gute oder schlechte Qualität (sifa) geben könne (maturidische Lösung) 36 . Das Gegeneinander-Ausspielen der Koranstellen erscheint dort besonders deutlich, wo im Koran Determinations- und Freiheits-Aussagen in unmittelbarer Nähe stehen (s. o. 2314, Anm. 10). Der zufriedenen Feststellung, daß diese Koranstelle genau die theologische Ansicht des Kommentators ausdrücke, muß dann alsbald ein Argument folgen, das die Gegenaussage schwächen soll: — az-ZamahZari (gest. 1143), ein Kommentator mu'tazilitischer Tendenz, erklärt in Sure 81 die Verse 27 und 28 mit Freude in ihrem Wortsinn. Die Verse lauten: „Dies ist eine Mahnung für die Menschen in aller Welt, für die unter euch, die dem geraden Weg folgen wollen." Zu dem Gegensatz, dem Vers 29: „aber ihr werdet nicht wollen, außer wenn Gott, der Herr der Welten, es will" meint er jedoch, daß der göttliche Gnadenbeistand (lutf) oder der göttliche Gnadenentzug (hidlän oder ilgä') erst die Folge des Ja- oder Nein-Sagens des Menschen seien. — Die orthodoxen Kommentare dagegen gehen über Vers 27 und 28 ziemlich schnell hinweg, indem sie erklären, der menschliche Wille sei nichts Selbständiges neben Gottes Willen, um dann in Vers 29 den Beweis für die Richtigkeit ihrer Meinung zu finden: „Dann aber zeigt der Allerhöchste, daß der Wille des Sklaven gehalten wird durch Seinen Willen . . , " 3 7

Der Koran hält seine Hörer und Kommentatoren in einer strengen Disziplin. Denn durch seine prompten Gegenaussagen hindert er das reliigöse Denken daran, seinen Lieblings-Denkweg in Ruhe bis zu den letzten Konsequenzen zu Ende zu denken: auf dem F-Weg darf es nicht bis zur Leugnung der Allmacht Gottes gehen, auf dem D-Weg wird es ihm verboten, 36 Abü-l-Hasan al-Aï'arï (873—935) selbst war ein vormals hochangesehener Mu'tazilit, der sich zu einem fast hanbalitischen (Ibn Hanbai, der Vertreter des Glaubens an den Wortsinn des Korans) Glauben bekehrt hatte, als er schon 40 Jahre alt war. Diese berühmte Bekehrung kann als Reaktion gegen die mu'tazilitische „Domestizierung" Gottes aufgefaßt werden, die Gott in einen dem Menschen gehorchenden unpersönlichen Gütemechanismus zu verwandelt droht: al-Asch'ari kehrt zurück zu dem persönlichen, freien, allmächtigen und unerforschlichen Gott. — Siehe hierzu R. ]. Mac Carthy: The theology of al-Ash'arî. 1953 (S. 53ff.: Diskussion um den Qadar; S. 33ff.; Diskussion um Gottes Wollen; S. 241: Der Glaubenssatz: „ich glaube an den Qadar, sein Gutes und sein Böses, sein Süßes und sein Bitteres, sie kommen von Gott . . ." Art. 19 und 20 der beiden Credo's von al-Asch'ari). Die die islamische Orthodoxie bestimmende asch'aritische Theologie stammt von al-Asch'aris Schülern, die eine oben angedeutete Vermittlungstheologie vertraten. S. hierzu die Gesamt-Darstellungen: L. Gardet und G. C. Anawati: Introduction à la Rhéologie musulmane. 1948. — L. Gardet: Dieu et la Destinée de l'Homme. 1967 37 A. az-Zamahiarï: al-ka&âf 'an haqâ'iq at-tanzïl. S. 1585—1551. — Ά. al-Häzin: lubâb at-ta'wïl fi ma'âni-t-tanzîl. 1881, Bd. IV, S. 469. Der von al-Häzin verfaßte Kommentar ist ein in der Orthodoxie verbreitetes Schulbuch. Al-Häzin ist 1340 gestorben.

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die Verantwortlichkeit des Menschen zu leugnen. So zwang der Koran seine im Widerstreit liegenden Kommentatoren dazu, das Anliegen der Gegenseite mit einzubauen: der Mu'tazilismus entwickelte eine Lehre vom „lutf", dem den menschlichen Taten mehr oder weniger zuvorkommenden göttlichen Gnadenbeistand; die Orthodoxie bildete die Lehre vom „kasb" aus, der freiwilligen Aneignung der von Gott gewirkten Taten, die es dem Menschen ermöglicht, Belohnung oder Strafe dennoch zu „verdienen". Auch wenn die massive Gegenaussage nur in abgeschwächter Form in den eigenen Denkweg einbezogen und ihm untergeordnet wird, so scheint ihre ganze Schwere doch gefühlt und wahrscheinlich auch gelebt zu werden! Sie kann nur nicht in ihrer ganzen Schwere gedacht werden. In der arabischen Grammatik spricht man von „virtuellen" Formen, die — wenn auch nicht ausgedrückt oder der äußeren Form gar widersprechend — dennoch ihre Realität bewahren. Der Fachausdruck hierfür ist „muqaddar" d.h. wörtlich: „determiniert": die ausgedrückte Form enthält in ihrem Inneren eine Bestimmung, deren Realität sich auch während des virtuellen Stadiums durchhält. Man könnte versucht sein, zu glauben, im Denken der damaligen Theologen habe ein solcher — dem grammatikalischen „Subintelligieren" ähnlicher — Vorgang stattgefunden: — der Asch'arit habe in seinem ausgedrückten Denken — um der Allkausalität Gottes willen — die schöpferische Freiheit des Menschen zum bloßen „kasb" entwertet, und dennoch sei sie ihm — in gefühlter, gelebter, subintelligierter Weise — mit ihrem ganzen Gewicht bekannt gewesen; — der kompromißbereite Mu'tazilit habe — um der Freiheit des Menschen willen — die Allkausalität Gottes zum bloßen Vorherwissen degradiert, und dennoch habe sie in ihm und in seinem Denken in virtueller oder „determinierter" Form ihre ganze Realität aufrecht erhalten! Eine eigenartige Tatsache mag als Hinweis für die Realität dieser unterschwelligen Überzeugungen gelten: Wenn auch die Widersacher sich gegenseitig das erschreckliche, gotteslästerliche Ziel ihres Gedankenweges vorhalten und sich vorwerfen, sie seien dort schon angelangt, so weisen sie doch für sich selbst den Vorwurf des anderen entschieden zurück, weil sie wissen, daß er nicht stimmt: — der Mu'tazilit weiß, daß er kein „muirik" ist, der einen zweiten Schöpfer neben Gott stellt, nur weil er die schöpferische Freiheit des Menschen verteidigt; im Gegenteil: die Einheit Gottes ist eines seiner großen Anliegen! — der Asch'arit weiß, daß er vor Gott verantwortlich ist·, auch er kennt und vertritt mit Nachdruck, daß Gott gerecht ist! In diesem Zusammenhang sei nochmal darauf hingewiesen, daß das den arabischen Geist kennzeichnende dialektische Denken in den ersten islamischen Jahrhunderten im „kaläm" (Theologie) durchaus seinen Platz hatte, und zwar sowohl bei den Mu'taziliten als auch bei den Asch'ariten (s.o. 1246). Gardet und Anawati führen als Beispiel für ein solches Denken den Asch'ariten as-Sumnänt an, der ein Schüler 137

al-Bàqillânïs war. Chafik Chehata berichtet, daß al-Käsäni, ein hanefitischer Autor des 6. islamischen Jahrhunderts, keine Schwierigkeit darin sah, zwei sich widersprechende Argumentationen eine nach der anderen vorzutragen, woraus ersichtlich wird, daß das dialektische Denken sich im „fiqh" (Jurisprudenz) länger erhalten hat als im „kaläm" 3 8 .

Die Wiederentdeckung des Mu'tazilismus und ihre Indienstnahme für die Erfordernisse der Gegenwart ließ also alte, totgeglaubte Gegner der Orthodoxie neu erstehen und zwang auch letztere zu neuen Stellungnahmen. Damit wurde aber die alte Frage, ob der Mensch vor die Wahl gestellt oder ob er gesteuert sei, neu aufgeworfen. Mit junger Frische ging man dieser Frage im Koran nach. War man jedoch bereit, so wie damals, das Anliegen der Gegenseite in das eigene Denken einzubauen? Fühlte und lebte man dieses Anliegen noch in seiner ganzen Schwere, trotz der eigenen Unfähigkeit, es gedanklich auszudrücken? 2322 Muhammad

'Abduh und sein Erbe

Bisher sprachen wir von der Wiederbelebung des Mu'tazilismus, ohne die überragende Persönlichkeit zu nennen, die zwar auch ein Neo-Mu'tazilit war, aber noch viel mehr als das: Muhammad 'Abduh (1849—1905), der Urheber der großen Reform des Islam zu Ende des 19. Jahrhunderts und die Bezugsperson des Reformismus des 20. Jahrhunderts. Er vertiefte die religiösen und politischen Impulse seines Meisters öamäl-ud-Din alAfgänt (1838—1897) in theologischem und philosophischem Denken 39 . Dieser hatte unter dem Wahlspruch „Wahrlich, Gott ändert nicht das Geschick eines Volkes, wenn dieses nicht sich selbst ändert!" (Sure, 13, 11, ähnlich Sure 8, 53) die islamischen Völker wachgerüttelt. Damit war die Reform von Anfang an unter den Schlachtruf von der Freiheit des Menschen gestellt, der an den inneren und äußeren Fronten der Reform benötigt wurde (s.o. 2321 u. 2317). Jedoch auch die Determination kommt zu Wort: Weit davon entfernt, die Freiheit des Muslimen zu lähmen, sei der Glaube an den „qadä'" und 38 L. Gardet et G. Anawatt: Introduction à la théologie musulmane, S. 184—185; 3 6 5 - 3 6 7 . - L. Gardet, in: / . Berque (Hg.): L'ambivalence, S. 126. - Ch. Chehata, in: Ebd. S. 2 6 5 . 39 Zu al-Afgani: M. 'Amära: al-a'mäl al-kämila li-öamäl-id-Din al-Afgani — ma' dirâsa 'an hayâtihi wa-âtârihi. — N. R. Keddie: An islamic response to imperialism — political and religious writings of Sayyid Jamâl ad-Dïn „al-Afghanï". 1 9 6 8 . — H. Pakdaman: Djamal-ed-Din Assad Abadi dit Afghani. 1 9 6 9 (Vorwort von Maxime Rodinson). Zu Muhammad 'Abduh: 'U. Amin: Rä'id-ul-fikr al-misri — al-imäm Muhammad 'Abduh. 1965. — W. Braune: Der islamische Orient zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 1 2 1 - 1 3 7 .

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den „qadar" für ihn auch heute eine Quelle unerschrockenen und mutigen Handelns, ebenso wie zur Zeit der Ausbreitung des Islam. Dieser Glaube gebe inneren Frieden und Gewißheit des Sieges, denn Gott umschließe ihn: Er, in dessen Hand alle Dinge liegen und der über sie verfügt nach seinem Willen. Hinsichtlich der gedanklichen Fassung dieses gepriesenen Glaubens an Qadä' und Qadar und seiner Beziehung zum Leitmotiv der Reform — ähnlich der ethischen Verantwortlichkeit des Menschen - zeigt sich jedoch, daß die Determinations-Aussagen dieses Glaubens sosehr in den ethischen Denkansatz des Leitmotivs eingebaut und dadurch abgeschwächt sind, daß es kaum mehr möglich scheint Qadä' und Qadar mit von Gott ausgehender „(Prä)determination" zu übersetzen. 'Abduh versteht nämlich diese Begriffe im Sinne des göttlichen Vorherwissens, welches das frei entscheidende Handeln des Menschen in keiner Weise hindere. 'Abduh bezeichnet die (Gabariten — welche den göttlichen Zwang (£abr) verfechten — als Leute die in einer Illusion leben; es habe sie zwar in den ersten islamischen Jahrhunderten gegeben, heute aber seien sie völlig verschwunden. Der Glaube an Qadä' und Qadar müsse von der Vorstellung des „abscheulichen Zwanges" entblößt werden. Daß aber das von Gott vorher-Gewußte notwendigerweise eintreffe, das komme daher, daß es von Gott umgriffen sei; daher müsse es in Ubereinstimmung mit der Wirklichkeit stehen; die Wirklichkeit aber ändere sich nicht . ¡ . Ganz folgerichtig wendet sich 'Abduhs Denken gegen jenen alten Muslimen, der seines Heiles gewiß ist, weil er bei seinem Tode das Glaubensbekenntnis gesprochen hat (s. o. 2311). Für 'Abduh sind auch die Werke heilsnotwendig!

Es ist daher nicht von ungefähr, daß 'Utmän Amin (geb. 1905), der 'Abduhs Lebenswerk und Denken darstellte, eine philosophische Richtung vertritt, die er selbst „al-guwwäniyya" (.Innerlichkeit) nennt. Diese Richtung betont die intuitive (Bergson!) Kenntnis der Dinge von ihrem Inneren her, stellt sich in eine Reihe mit Plato, Descartes und Kant und setzt die „Innerlichkeit" — die synonym mit Freiheit sei — gegen die „Äußerlichkeit" — die synonym mit Automatismus sei. Amin sieht bei 'Abduh denselben ethischen Ansatzpunkt und bezeichnet ihn als einen „innerlichen Philosophen". So bezieht Amin in seine Lehre von der „islamischen Innerlichkeit" das mu'tazilitische Erbe islamischer Ethik und islamischen Rationalismus' mit ein. Erstaunlich bleibt immerhin die Disproportion zwischen der Entschärfung der göttlichen Determination auf dem von 'Abduh eingeschlagenen ethischen Denkweg und der Emphase, mit der er vom Glauben an Qadä' und Qadar und von der alles — auch den Willen des Menschen — umfassenden Macht Gottes spricht. Es erscheint dem Verfasser wahrscheinlich, daß diese Emphase aus einem vom ethischen Denkweg verdrängten „subintelligierten" Erfahrungsvorrat schöpft. Denn aus dem 139

blassen Gedanken an den zum Vorherwissen entschärften göttlichen Ratschluß kann sie nicht kommen. 'Utmän Amin deutet an, wie breit der Erfahrungsbereich, und wie methodisch präzis das Denken dieses großen Mannes gewesen sein muß, wenn er sagt, Muhammad 'Abduh habe einerseits — so wie jeder „innerliche" Philosoph mit ausgewogenem Denken — den prioritären Bereich gewählt und auf ihn alles von der Ethik und vom Handeln kommende Licht geworfen, andererseits aber erklärt, daß das Problem des göttlichen Vorherwissens und seines Verhältnisses zu den Taten der Menschen zu dem Geheimnis der Determination (sirr-ul-qadar) gehöre, das für die Vernunft unerreichbar sei 40 . Der Einfluß Muhammad 'Abduhs und der mit ihm ausgelösten Reformbewegung (salafiyya) ist kaum zu unterschätzen. In die islamische theologische Reflexion ist damit ein Anliegen eingebrochen, das nicht mehr wegzudenken ist. Es hat auch die letzten Hochburgen der alten arabischen Welt erreicht und durchdringt die dort lebende Tradition. So braucht es den westlichen Besucher nicht zu verwundern, wenn ihm bei Gesprächen innerhalb der alten Mauern solcher geschützter Bereiche griechische philosophische Kategorien der mittelalterlichen Theologie ebenso lebendig entgegenkommen wie apologetisch aufgearbeitete Herausforderungen der Moderne des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die auf Muhammad 'Abduh und die Seinen eingestürmt waren. Kaum einer der Theologen dieser Bereiche wird sich nicht als Jünger 'Abduhs bezeichnen. Der Grad, bis zu welchem sie 'Abduhs kritischen und prophetischen Impuls ins traditionelle Denken eingebaut haben, ist jedoch verschieden. Das bedeutet für unsere Frage, daß die mu'tazilitische Betonung der Freiheit des Menschen den Rahmen der asch'aritischen Theologie in unterschiedlicher Weise auffüllt, ihn jedoch nur selten sprengt. Die asch'aritische Lehre vom „kasb" ist genügend flexibel, um in ihr das ganze Gewicht der Rede vom freien und verantwortlichen Menschen aufzufangen 41 und dennoch daran festzuhal4 0 ö. al-Afgänt und M. 'Abduh: Risala fî-1-qadâ' wa-l-qadar, in: 'Amära: al-Afgânïs ges. Werke, S. 184+185. Dieser Brief über den Qadä' und den Qadar, der erstmals 1884 in Paris veröffentlicht wurde, ist auszugsweise übersetzt in: A. Abdel-Malek (Hg.): Anthologie, S. 7 5 - 7 8 . - 'U. Amin: Rà'id-ul-fikr al-misri, S. l l l f f . - Ders.: Sur la philosophie „intimiste", in: Α. Abdel-Malek (Hg.): Anthologie, S. 319— 325. 41 S. hierzu die indignierte Zurückweisung „gabaritischer" Gedankengänge in al-'Azms „Satans Tragödie" durch den islamischen Theologen Muhammad Hasan Al Yâsïn, für den solche deterministische Gedankengänge Zacken aus der Krone der menschlichen Verantwortlichkeit und der göttlichen Gerechtigkeit brechen. Letztere sei von so notwendiger Evidenz, daß sie nicht durch explizite Stellen aus Schrift und Tradition belegt zu werden brauche (s. o. 2233 und Anm. 49). 1971, M. H. Äl Yäsln: hawämiä 'ala kitäb naqd-ul fikr ad-dînl. S. 68ff.

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ten, daß das T u n des „Sklaven" ('Abd, d . h . des Menschen) v o n G o t t bewirkt sei. Trotz dieses A u f f a n g e n s l e b e n alle irgendwie in der Spannung z w i s c h e n d e n D e n k n o t w e n d i g k e i t e n des ethischen A n s a t z p u n k t e s u n d d e m — in d e n undenkbaren, subintelligierten Bereich verdrängten — Vorrat an Erfahrungen der g ö t t l i c h e n Allwirksamkeit, der nur n o c h mit d e m Stichwort „Geheimnis des göttlichen Ratschlusses" b e z e i c h n e t w e r d e n kann. Der in der „ S a l a f i y y a " ( R e f o r m i s m u s ) übliche Rationalismus — ein dreifaches Erbe: 1. des Mu'tazilismus, 2. der Frontstellung gegen Trad i t i o n (taqlïd) u n d degenerierte Mystik („Marabutismus"!) und 3. der Herausforderung durch das europäische 19. Jahrhundert — kann dabei die Verdrängung dieses Schatzes an Erfahrungen so w e i t treiben, daß der schlecht informierte Gesprächspartner sich fragen mag, w o bei all dieser Moral und Philosophie das religiöse Erleben geblieben sei . . . K e n n t er dagegen die G e b e t s w e l t , in der sein gelehrter ('älim, pi. 'ulama') Gastgeber lebt, so mag er etwas v o n der Quelle erahnen, aus w e l c h e r der 'Älim s c h ö p f t , trotz aller gegenteiliger dogmatischer Formulierungen. Einer der wirkungsvollsten Jünger 'Abduhs war 'Abd ul-Hamid. Ibn Bädis (1889— 1940), der Vater der maghrebischen und insbesondere algerischen Reformbewegung. Diese Bewegung hat jedoch 'Abduhs Erbe vornehmlich in der von Ra&d Ridä' kanalisierten Form übernommen. Diese mehr konservative Richtung sagt J a zur Reform, aber Nein zum Modemismus und ist von daher auch dem Mu'tazilismus gegenüber ablehnend. Dies entsprach den Absichten und Bedingungen der algerischen Reform, die das algerische Volk — ohne es durch moderne Schulmeinungen zu schockieren — um die Grundprinzipien des Islam sammeln und durch die Bewußtmachung des eigenen religiösen und kulturellen Erbes zum Kampf gegen die französische Herrschaft führen wollte. Dennoch kann die Meinung vertreten werden, daß der algerische Befreiungskampf auch eine gelungene praktische Anwendung speziell des Freiheitsanliegens 'Abduhs gewesen sei, von dem Ibn Bädis sich durchdrungen hatte 4 2 .

42 / . Jomier: Le commentaire coranique du Manâr. Tendances modernes de l'exégèse coranique en Egypte. 1954 (Besprechung des umfangreichen exegetischen Werkes, das — von RaStd Ridi' herausgegeben — sich auf Muhammad 'Abduhs Lehre gründet und sie fortführt). — A. Merad: Ibn Bâdî;,commentateur du Coran. 1968. — Ders.: Le réformisme musulman en Algérie de 1925 à 1940. Essai d'histoire religieuse et sociale. 1967. — M. Qâsim: ai-Imam 'Abd-ul-Hamîd Ibn Bädis — az-za'ïm arruhï li-harb-it-tahrïr al-gazâ'iriyya. 1968 („Direkter Einfluß des Freiheitsanliegens der Theologie 'Abduhs auf Ibn Bädis und die Unabhängigkeitsbewegung"). — M. Bennabi: La vocation de l'islam, (s. o. Anm. 12, Kap. 21). Bennabi könnte als .Jünger 'Abduhs mit stark fundamentalistischem Einschlag" bezeichnet werden. Er kritisiert die algerische „salafiyya": es sei ihr nicht gelungen, die islamische Seele zu ändern und bringe die soziale Funktion des Islam nicht zum Zug (S. 56). Bennabi vertritt heute eine konservative Richtung innerhalb des algerischen Sozialismus. — F. Ibn 'Aiür: Volonté de rapprochement islamique, in: IBLA 29, 1966, S. 239—252 (Großmufti der tunesischen Republik und Dekan der theologischen Fakultät, geb. 1909 Steht unter dem Einfluß 'Abduhs). 141

Ein würdiger Nachkomme 'Abduhs ist 'Allai al-Fâsï (1910—1974) und die von ihm geleitete Partei „al-Istiqläl" (die Unabhängigkeit), die entscheidenden Anteil an der marokkanischen Unabhängigkeitsbewegung hatte und auch heute dem von 'Abduh geforderten „igtihäd" (s.o. 2317) Ehre macht: 'Abduh kritisierte „im Namen des Islam" die mit der Autorität des islamischen Kalifen versehene türkische Herrschaft: 'Allai al-Fäsi und seine Partei wenden sich gegen ein Regime, dessen Monarch Nachkomme des Propheten ist und sich als „Prinz der Gläubigen" bezeichnet. Laroui nennt 'Allai al-Fäsi einen Vertreter des von ihm „Kleriker" genannten Typus', der die alte arabische Welt verkörpere (s.o. 2232 Exkurs) 43 . V o n der erstaunlichen Streubreite der gedanklichen Formulierungen der Spannung v o n Freiheits- u n d Determinations-Aussagen zeugt die völlig verschiedene Behandlung des A b s c h n i t t s über d e n Glauben an d e n Qadar in zwei verbreiteten Lehrbüchern des islamischen Glaubens ( s . o . 2 3 1 4 u n d A n m . 13 u n d 14). Bei Tabbära w e r d e n Freiheits- u n d DeterminationsAussagen als gleichermaßen evident nebeneinandergestellt u n d die gedankliche Nicht-Ubereinstimmung schlicht konstatiert, bei Saltüt sind die Determinations-Aussagen aus d e m Bereich der Beziehungen z w i s c h e n G o t t und d e m M e n s c h e n verdrängt. Tabbära schaltet dem Kapitel über den Glauben an den Qadar, das traditionsgemäß als sechster Glaubenssatz die Glaubenslehre abschließt, einen Abschnitt vor, in dem er die Wahlfreiheit des Menschen ausdrücklich betont. Hier zeigt er mit mu'tazilitischen Gedankengängen auf, daß Gott nur die irreleite, die es wegen ihres Frevels und ihres Unglaubens nicht anders verdient hätten und deshalb weit von Gottes Barmherzigkeit entfernt seien. Diejenigen dagegen, die es verdienten, leite Gott recht (Entsprechende Stellen: Sure 13,11; 5,51; 39,3; 64,11; 13,27 werden zitiert). Im darauf folgenden Abschnitt „des Menschen Wille unter dem Willen Gottes" weist er jedoch auf die Koranstellen hin, die dem Menschen die Wahl absprechen und sie Gott zusprechen (81,29; 28,68; 6,17 und 18) und stellt fest, daß des Menschen Wille und Wahlvermögen das tue, was Gott wolle. Damit folgt er aber dem asch'aritischen Gedankenweg. Zu Erläuterung der Unvereinbarkeit beider Gedankengänge zitiert er 'Abduhs „risälatut-tauhid" (S. 72, 10. Aufl.), wo es heißt, daß die Suche nach der Ubereinstimmung von Gottes allumfassendem Wissen und Wollen mit dem spontan und wählenden Tun des Menschen in den Bereich des für die Vernunft undurchdringlichen Mysteriums des Ratschlusses (sirr-ul-qadar) gehöre. Abschließend weist er in warmen seelsorgerlichen Worten auf den Trost hin, den der Glaube an den Qadar verleihe: Sure 57, Vers 22 u. 23 erklärend versichert er sowohl dem, dem Gott Böses, als auch dem, dem er Gutes zuteilt, daß sie dieses nicht zu wählen brauchten, denn es sei von Gott bestimmt. Den Besitzer des guten Teils macht 43 Ά. al-Fäsi: an-naqd ad-däti. 1952. S. 8 1 - 9 1 übersetzt in: A. Abdel-Malek (Hg.): Anthologie, S. 190—196. — Muhammad al-'Alawï, eine theologische Autorität in Marokko hatte zur dem Volk zum Volksentscheid angebotenen Verfassung ein Rechtsgutachten (fatwä) erteilt, welches die in der Verfassung verankerte erbliche Dynastie als den islamischen Prinzipien widersprechend bezeichnete (im Jahre 1962). 142

er darauf aufmerksam, daß die Erinnerung an die zuvor feststehende Gnade ihn am Stolzwerden hindere ('Aftf 'Abd-ul-Fattäh Tabbära, S. 150ff.) V Saltüt, der jüngst verstorbene Groß-Imam der theologischen Hochschule al-Azhar, behält in seinem Lehrbuch zwar einen kurzen Abschnitt über den göttlichen Ratschluß bei, erklärt in ihm jedoch nur noch einmal — was er im vorgeschalteten Abschnitt über das Wahlvermögen des Menschen schon getan hat — daß der Mensch frei sei, weil Gott ihn so geschaffen habe. Gott lasse den Menschen allein mit seiner Wahlfreiheit, damit er — ohne von außen kommende Kraft und ohne Überwältigung von Seiten Gottes — zwischen der Rechtleitung und dem Irregehen, zwischen Gut und Böse wählen könne. Gott — in seinem allumfassenden Wissen — wisse zwar im voraus, welches von beiden der Mensch wählen werde, jedoch bedeute dies keineswegs, daß in diesem Wissen irgendetwas von Machtausübung und Nötigung Inbegriffen sei. Ohne diese Grundwahrheit sei alle göttliche Offenbarung, aller an den Menschen ergehende Ruf eitel. Der Autor beschließt seinen Abschnitt über den Qadä' und den Qadar mit dem apodiktischen Satz: „dies ist die Meinung des Islam, was des Menschen Freiheit und seinen Zwang betrifft" (Mahmüd Saltüt, S. 64 u. βδ 44 ; s. Anm. 8, S. 121: J. Berque über Saltüt) Zwei vor einigen Jahren in Ä g y p t e n erschienene Abhandlungen über den göttlichen Qadar z e u g e n — trotz ihres r e z e n t e n Charakters — v o n der Weichenstellung, die in der R e f o r m b e w e g u n g vor n u n bald hundert Jahren v o l l z o g e n wurde: Auf der einen Seite befährt m a n das „Denkgeleise" der Freiheit u n d zieht zur Absicherung der eingeschlagenen R i c h t u n g Garanten aus der eigenen Tradition u n d aus der w e s t l i c h e n M o d e r n e heran, die — w o h l g e m e r k t — innerhalb dieser Tradition u n d dieser Moderne dasselbe Denkgeleise befahren. Auf der anderen Seite bleibt der v o m religiösen Erbe reichlich gelieferte Schatz an Determinations-Erlebnissen u n d -Aussagen auf einem Nebengeleise liegen, auf d e m der gedankliche Ausdruck dieses Schatzes zwar verkümmert, der aber d e n n o c h in der Lage ist, denjenigen, der sich an ihn erinnert, mit überraschendem S c h w u n g zu beseelen. Es handelt sich u m 'Abd-ul-Karlm al-Hatibs Buch „Qadä' u n d Qadar z w i s c h e n Philosophie u n d R e l i g i o n " u n d u m das Kapitel: „Die Frage des Qadar" in 'Abbäs Mahmüd al-'Aqqäds Buch „ D i e koranische Philosophie". al-Hatïb setzt im Korpus seines Buches alle Akzente auf die Freiheitsaussagen. Er zitiert dazu Koran und Tradition. Er erklärt mu'tazilitisch, daß der göttliche Gnadenentzug (hidlän) erst die Folge der Widerspenstigkeit des Menschen sei, wenn dieser nicht „die Weideplätze der Rechtleitung bewohnen" wolle (während anderer44 ëaltûts Amtvorgänger Muhammad 'Abdallah Draz weist in seiner Habilitationsschrift ausdrücklich auf die Koranstellen hin, die die freie göttliche Determination bezeugen: „Der Mensch kann nichts schaffen": 52,35; 7,191; 22,73; 34,22. „Gott erhält die Weltordnung und ändert sie, wenn er will; er ist die letzte Ursache: 14,19; 22,65; 33,62; 35,16.41.43; 39,62; 48,23; 53,42ff.; 56,70. — M. A. Draz: Initiation au Coran, 1951. — Ders.: La morale du Coran, 1951. 143

seits das von Gott gewährte Gelingen (taufiq) eine Folge ihres Ja-Sagens zur Offenbarung sei) (s.o. 2321 und Anm. 37: az-Zamahsari). Seine Gewährsmänner in der modernen Wissenschaft und Philosophie sind Henri Bergson, John Stuart Mill, Josiah Royce und William James. Nur die Vertreter der introspektiven und subjektiven Psychologie, nicht aber die der Verhaltens-Psychologie, scheinen ihm bekannt zu sein. Aus der Sicht des eingeschlagenen Weges führt folgender Vergleich das Verhältnis von Determination und Freiheit klar vor Augen: diese ist „der in seinem Denken und Wollen absolut freie Steuermann eines Schiffes", jene sind „die Winde, die des Steuermanns Freiheit dämpfen". Von daher kommt ein gründliches Unverständnis gegenüber dem Anliegen der Mystik und ihrer konsequenten Aussagen, von daher harte Worte gegen „gewisse" Mystiker: „diese fiebrigen Dummköpfe meinen, sie seien in allem, was sie tun, vom Qadar bewegt, und wähnen, auch ihr unfrommes Tun werde so zum Gottesdienst!" Diese absolute Freiheit, die der Islam gewähre — trotz des Festhaltens am Qadar — finde sich nicht im Christentum. Denn „den Christen bekleidet — nach dem Bilde Jesu — Gottes Wille und wohnt in ihm". Mit überraschender Emphase setzt gegen Ende des Buches der Preis des Glaubens an den Qadar ein: Er gibt die Gewißheit, daß das Schiff (vgl. oben) letzlich nicht aufs Trockene läuft, seiner bedürfen wir, wenn wir Gott um Vergebung für unsere Sünden bitten! Kein Argument aus der modernen Naturwissenschaft stützt diese Rede. Die entsprechenden Koranstellen (s.o. S. 121 Anm. 9 u. S. 143, Anm. 44) werden nur andeutungsweise zitiert und offenbar als bekannt vorausgesetzt. Eine gedankliche Zueinander-Ordnung der durch die Vernunft erhärteten F-Aussagen und der mit aller Wucht des traditionellen Glaubens vorgetragenen D-Rede erfolgt nicht. Als Begründung wird der Prophetenspruch angeführt, der es den Gläubigen verbietet, über die Frage des Qadar zu streiten (s.o. 2314, Anm. 11). Auch der Mitte der sechziger Jahre verstorbene theologisch gebildete Laie und Schriftsteller al-'Aqqäd ist den Hütern der Tradition und den letzten Vertretern des „Kaläm" zuzuordnen. Dies gilt trotz seiner zahlreichen zusammengelesenen und alsbald weitergegebenen Informationen über die Moderne von heute. In seiner Abhandlung über „die Frage des Qadar" führt er in kühnem Überflug die Ergebnisse und Stellungnahmen der Philosophen und Naturwissenschaftler zu dieser Frage von den Griechen bis hin zu Bohr, Heisenberg und Eddington vor und behandelt dann in ähnlich summarischer Weise die jüdische, die christliche und die islamische Dogmengeschichte. All dies, um schließlich zu einem Ergebnis zu kommen, welches überbrachte Positionen des Reformismus bestätigt: — Der Mensch ist frei, wovon der Koran zeugt. Die Überwindung des Determinismus in der Kernphysik hat ihrerseits die Türe zu dieser Freiheit weit geöffnet. — Dennoch darf der Muslim getrost allen Aussagen des Korans über den göttlichen Ratschluß glauben, denn dieser Glaube gehört zu den unsagbaren Geheimnissen 45 . 45 Ά. al-Hatïb: al-qadä' wa-l-qadar baina-l-falsafa wa-d-dîn. 1961 (Siehe S. 44ff., 50, 53, 193f., 200, 205f., 219. Zu Ende der Einleitung wird Sure 3,8 gebetet. So schließt sich, durch starke D-Aussagen zu Ende des Buches und in der Einleitung, der Rahmen, in den das F-Korpus des Buches eingespannt ist). — Ά. M. al-'Aqqäd: al-falsafa al-qur'äniyya. 1966, S. 117-149. - S. das Urteil von J. Berque über al-'Aqqad in: J. Berque und J. P. Charnay (Hg.): Normes et valeurs, S. 254f. 144

233 Die Moderne von heute 2331 Theologie nach dem Ende des Kalärn Gegen die Nachkommen der Reform der scholastischen Theologie, des „Kaiam", erhebt sich heute heftige Kritik. 'Abduh, von dem die Reform ausgegangen war, hatte von den „alten Turbanen" gesprochen, „die die Religion ins Verderben führen". Dem Reformismus, der sich auf ihn beruft, wird vorgeworfen, er sei seinerseits zur Hochburg des Konservatismus geworden, die von „alten Turbanen" gehütet werde. Die Anklagepunkte sind mannigfaltig: er verstehe die Jugend nicht und widersetze sich der Emanzipation der Frau, er sei gegen die modernen wissenschaftlichen Methoden und lehne alles Fremde ab, kurz, er sei ein Hemmschuh des Fortschritts 46 . Es mag stimmen, daß die Welt der scholastischen Theologen (al-mutakallimün) sich selbst überlebt hat und sich nur noch in einigen Festungen erhält. Es stimmt aber auch, daß es zum guten Ton gehört, sich über die „alten Turbane" zu entrüsten. Kommt die Kritik von Seiten der Atheisten (al-mulhidün), so ist es verständlich, daß es für sie gilt, die letzten Festungen baldigst einzunehmen. Geschieht die Kritik aber „im Namen des Islam", so ist zu fragen: was setzt sie dagegen, um das in den Hochburgen gelebte Erbe zu aktualisieren und landauf, landab zu verbreiten? Schon macht sich Enttäuschung breit: die konsequente Modernisierung des Islam — wie etwa in Tunesien — habe nicht zu seiner Erneuerung geführt, sie habe keine modernen Theologen gezeitigt, sondern habe zu einem platten, säkularisierten, häufig religiös verbrämten Humanismus geführt, der sich darin gefalle, nach der Art der Mu'taziliten von der Freiheit des Menschen zu reden, und dabei deren religiöses Anliegen völlig über Bord geworfen habe. Es hat sich tatsächlich keine neue Schule gebildet, die die alte des Kaläm ersetzen könnte. Damit ist aber nicht gesagt, daß es nicht Einzelne gäbe, die zwar keine Theologen sind, die aber die Theologie „umtreibt": Muslimen, „deren Religion für sie eine Quelle der Beunruhigung, des Fragens und des Suchens ist, die nach dem Besten und nach dem Absoluten dürsten, die den Sinn für das Tragische nicht verloren haben" (Talbi); und zwar solche, die — noch im Glauben lebend — sich durch die Herausfordeung der Moderne zu einer heilsamen Anzweiflung (taSkik) des Überkommenen führen lassen, und solche, die im Qalaq der Skepsis an den Rand des alten Glaubens gelangen. Deshalb braucht die „Suche nach den Teilhard 46 A. Meziane: Le vide idéologique. S. 6. 10 Schoen, Determination

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de Chardins und den Bernanos' des Islam, nach den Vorläufern, deren Denken die kommende Generation der Gemeinde beeinflußt" (öa'it),die Hoffnung nicht aufzugeben. Wie aber kann — wenn überhaupt — dieser „offene Islam ", dieser „Islam einer intellektuellen Elite" (Meziane), diese sich nur an einigen Stellen durch Lichtsignale zu erkennen gebende Bewegung im Untergrund, gekennzeichnet werden? Meziane versucht, eine Beschreibung zu liefern: „der offene Islam" ist ein echter Erbe der Reform 'Abduhs, er teilt ihren revolutionären Impuls, ihren Ruf nach Reinigung der Religion, ihre Abscheu gegen die Orthodoxie des Asch'arismus und gegen die Riten (madähib) der Jurisprudenz, ihren Rationalismus, ihre Neuinterpretation des Islam angesichts der neuen wissenschaftlichen Ergebnisse, und ihre Offenheit gegenüber modernen Geistesströmungen" 47 . Muhammad Talbi, Historiker und Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Tunis, hat in einem aufsehenerregenden Vortrag seine Kritik des Reformismus vorgetragen und dessen Scheitern konstatiert. In seiner Studie „Der Mensch im Koran" manifestiert sich ein solchermaßen gekennzeichneter „offener Islam". Hingewiesen sei hier auf die Punkte, bei denen es um unsere Frage nach Determination und Freiheit geht: Talbi stellt zuerst Vers 72, Sure 33 heraus, den er wie folgt übersetzt: „Wir wollten den Himmeln, der Erde und den Bergen den anzuvertrauenden Schatz ( , / i m ä n a " , franz. „ d é p ô t " ) anvertrauen. Sie alle weigerten sich, ihn auf sich zu nehmen und hatten Angst. Nur der Mensch akzeptierte ihn. Er nahm so die Herausforderung an und das Risiko auf sich, der Ungerechtigkeit und dem Irrtum zu verfallen". Hierauf setzt er diesen Vers in Beziehung zu den zahlreichen Stellen über die Aufforderung Gottes an die Engel, sich vor dem Menschen niederzuwerfen (2,34; 7,11—8; 1 5 , 2 8 - 4 2 ; 1 7 , 6 1 - 6 5 ; 18,50; 20,116; 3 8 , 7 1 - 8 5 ) und lokalisiert beide Szenen im Denken Gottes als Vorspiel der Schöpfung. Das J a des Menschen zu seiner privilegierten, aber auch gefahrenvollen Stellung innerhalb des Schöpfungs-Vorhabens Gottes erscheint so wie ein „ F i a t ! " des Menschen zur Schöpfungsordnung, welches ihn von allem Anfang an als privilegierten Partner in ihr einführt. Es mag ein Verwandter des von Maria gesprochenen „Fiat", sein, welches — in der Sicht des katholischen Christentums — sie und die durch sie vertretene Menschheit von Anbeginn als verantwortliche Mitspielerinnen in den Heilsplan einschließt. Die die Offenbarung des Korans eröffnenden Verse 96,1—5 — wobei er „iqra'!" mit „lehre!" übersetzt — interpretiert Talbi hierauf als Konkretisierung des Adam anvertrauten Schatzes, dessen vornehmster Verwalter die menschliche V e r n u n f t sei. Den Fall des Menschen, von dem es heißt, Gott habe ihn „ins Allertiefste hinabgestürzt, außer die, die glauben und das Rechte t u n " (95,4), bringt er in Verbindung mit der Annahme der „ a m ä n a " (s. o.), die das Risiko der Ungerechtigkeit und des Irrtums einschließt: „der Mensch ist verfügbar, das Gute und das Böse liegen potentiell in seiner Natur".

47 Ebd. S. 7.

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Die Konsequenz des Gesagten könnte sein, daß Gott den Menschen allein läßt. áaltút sprach diese Konsequenz aus: „Gott hat den Menschen allein gelassen mit seinem Wahlvermögen . . ." (s. o. 2322). Talbi lehnt diese Konsequenz ab. Die koranische „Führung" (hudä) dürfe zwar nicht mit der christlichen effizienten Gnade verwechselt werden, doch sei des Menschen Freiheit eingebettet in die ursprüngliche und totale Abhängigkeit Gott gegenüber, die ihren Wert nicht verloren habe, auch wenn Gott beim Planen seiner Schöpfung das Heil des Menschen von dessen Anstrengung hat abhängen lassen: „Letztlich handelt es sich um ein unergründliches Geheimnis". Zum Schluß fuhrt Talbi zwei Haltungen des Glaubens vor, die von zwei großen Muslimen vertreten wurden, Ibn Haldün und Iqbal: Für Ibn Haldün ist der Mensch — so wie auch die Tiere es sind — integriert in die Entwicklung der Welt, die nach dem Gesetz, der „Sünna" Gottes abläuft (vgl. oben 2224); für Iqbal ist der Mensch der freie Partner Gottes, so wie er es in seinem „Gespräch zwischen Gott und dem Menschen" ausdrückt (s.o. 2318). Talbi deutet in unverkennlicher Weise an, daß er die zweite Haltung vorzieht . . . Diese erfrischende und klare Darstellung der koranischen und islamischen Anthropologie scheint dem Verfasser ein getreuer Nachvollzug der von 'Abduh bedächtig getroffenen Wahl zu sein: Wahl des ethischen Denkweges, ohne dabei den Determinations-Erfahrungsschatz aufzugeben, der, wenn auch nicht denkbar, so doch dank des Wissens um ein Geheimnis mit einbezogen wird. Die Betonung eines schon vor der Schöpfung in Gottes Denken als Prototyp geschaffenen Menschen weist allerdings auf einen Einfluß aus der Mystik hin, die die Frage von Determination und Freiheit des Menschen auf einem anderen Niveau angeht als die mu'tazilitisch-asch'aritische Debatte (s.u. 234) 4 8 . 2332

Aus der Werkstatt

eines „offenen

Islam"

Die, die d e n Ruf nach Neuinterpretation des Islam angesichts der neuen, durch Wissenschaft u n d Technik g e s c h a f f e n e n Tatsachen ernst n e h m e n , m a c h e n sich früher oder später an die A n w e n d u n g wissenschaftlicher u n d kritischer M e t h o d e n zur Sichtung der eigenen Geschichte, z u m Verständnis der Tradition und des islamischen R e c h t s und zur Interpretation der Offenbarungsschrift. Hüäm 6a 1t rief 1 9 6 5 in T u n e s i e n d e n Juristen zu: ,.Macht, w a s m a n in Europa schon im 19. Jahrhundert zu t u n beg o n n e n hat, prüft kritisch die Grundlagen (usül) eurer Wissenschaft!". Im selben Jahr legte in Ä g y p t e n ein junger Philosoph eine Arbeit vor, in der diese Usül einer Kritik u n d Neuinterpretation u n t e r z o g e n w e r d e n ( s . u . S. 149 H a n a f í ) . Hiiäm Ga'tt, der in Presse und Rundfunk ein neues Kalifat gefordert hat — diesmal als zentrale Autorität nur für geistliche Angelegenheiten — zeichnet eine Marschroute ab für die islamische Theologie: es gelte, „den Inhalt der islamischen Frömmigkeit mit unseren eigenen Finger-Abdrücken zu versehen und insbesondere die Darstellung des Gottesbildes voranzutreiben". Er schlägt einige Arbeitsthemen vor, die in diese 48 M. Talbi: L'Islam et le monde moderne. 1960. — Ders.: L'homme dans le Coran. 1970. - Ders.: Islam et dialogue. 1972. 147

Richtung weisen: „Der Gott der Barmherzigkeit und der Vollkommenheit ist es, der meine Existenz gegen die Auslöschung durch das Nichts hält und garantiert". „Der geistliche Funke — welches Wunder! — tröstet mich angesichts der Indifferenz der Materie". Zum Menschen sagt óa'ít: „Er ist ein gewalttätiges Tier, das vom Ich beherrscht wird. Das religiöse Gefühl ist eine Bewußtwerdung seiner Hinfälligkeit und Grausamkeit". Zur eigenen Geschichte meint er, die Neigung, Widersprüche zu vertuschen, sei eine wichtige Ursache für die Dekadenz des Islam gewesen. Dagegen sei gerade das Aufbrechen von Widersprüchen für ihn heilsam geworden: „Die mu'tazilitische Affaire war eine Chance für die islamische Sunna. Der Kolonialismus war eine Gunstbezeigung Gottes für den Islam, denn er hat die Nahda ausgelöst!" 4 9 Angesichts dieses feinen Sinnes für wesentliche Widersprüche und für die Notwendigkeit eines neuen Durchdenkens des Gottes- und Menschenbildes dürfen wir von HiSäm V Ga'it, der heute in Paris lehrt, auch für die Problematik von Determination und Freiheit auf einen weiteren Beitrag hoffen. A u f dem Gebiet der Interpretation

(tafslr) des Korans

verbreitet sich nach

und nach eine Infragestellung der A u t o r i t ä t derer, die für sich das alleinige R e c h t benaspruchen, eine solche I n t e r p r e t a t i o n der Offenbarungsschrift zu liefern, u n t e r der Begründung, nur sie verfügten über die genügende Vorbildung: Kenntnis des klassischen Arabischen, der Theologie ( K a l ä m ) , der Jurisprudenz (fiqh) und der Tradition (sunna, hadit). Hin und wieder manifestiert sich diese K o n t e s t a t i o n durch theologische Schriften, die meist von Nicht-Theologen s t a m m e n und in denen sie den K o r a n auf ihre Weise auslegen. A u c h w e n n — verglichen e t w a m i t m o d e r n e r jüdischer und christlicher Bibelexegese — diese A u t o r e n k a u m oder nur sehr vorsichtig historisch-kritische M e t h o d e n verwenden, so genügt dies bereits, u m heftige R e a k t i o n e n v o n Seiten der Hüter der Tradition hervorzurufen. Das jüngste derartige öffentliche Bekanntwerden verborgener Spannungen war die Diskussion um das Buch „Der Koran — Versuch eines modernen Verständnisses", das der Arzt und Schriftsteller Mustafa Mahmüd geschrieben hatte, nachdem er nach langen Jahren der Skepsis und des Suchens zum islamischen Glauben zurückgefunden hatte. Die Monatszeitschrift „al-Hiläl" brachte ein Sonderheft „Der Koran" heraus, in dem verschiedenste Beiträge zu Wort kommen, darunter ein Interview mit Mustafa Mahmüd über sein Buch. Der vom Chef-Redakteur Ra£ä' an-Naqäi stammende Leitartikel trägt den bezeichnenden Titel: ,,Befreit den Koran von diesen Ketten\" Unter den Beiträgen findet sich auch einer von Muhammad Ahmad Halafalläh, dessen Methode der Koran-Interpretation vor 20 Jahren in ähnlicher Weise die Öffentlichkeit erregt hatte s o . 49 H. Djaït: Réflexions sur l'Islam contemporain, in: IBLA 29, 1966t S. 2 5 9 - 2 6 4 . 50 M. Mahmûd: al-Qur'ân — muhäwala li-fahm 'asrï. 1970. - Ά. Bint aï-$âtï·. al-Qur'ân wa-t-tafsïr al-'asri. (Reaktion auf Mahmuds Buch von Seiten einer konservativen Theologin). — al-Qur'än — nazra 'asriyya g adida (der Koran — ein moderner, neuer Gesichtspunkt) Sonderheft der Revue „al-Hilal". Dezember 1970. — / . Jomier: Quelques positions actuelles de l'exégèse coranique en Egypte, révélées par une polémique récente 1 9 4 7 - 1 9 5 1 in: MIDEO 1, 1954, S. 3 9 - 7 2 (Bericht über die Debatte um M. Halafallähs historisch-kritische Koran-Exegese). 148

Wer kritisch seine eigenen Methoden überprüft, stößt unweigerlich auf die Rolle des Subjekts. Er wird feinfühlig für den Gehalt an Subjektivität, der in der religiösen Erfahrung und in deren Tradierung über die Generationen hinweg mit einbegriffen ist. In gleichem Maße wird er kritisch gegen die in den Religionsgemeinschaften übliche metaphysische „Verewigung" und „Verobjektivierung" historisch einmaliger Ereignisse. Von daher ist es verständlich, daß in der Werkstatt der Denker eines offenen Islam der subjektive und freiheitliche Eingriff in die Wirklichkeit eine wohlbekannte Größe ist, die wohl oder übel gemessen werden muß. Der Weg des subjektiv-objektiven Denkens, der hierbei begangen wird, führt u. a. zu drei Ergebnissen: 1. Die Verantwortung die ich trage, angesichts der Wirklichkeit und ihrer Erforschung, läßt mich mit anderen Beobachtern Verbindung aufnehmen, damit ein Team mehrerer subjektiver Wirklichkeitsbilder gemeinsam diese Verantwortung wahrnehme. 2. Die Implikationen der individuellen und kollektiven Subjektivitäten führen zur Entdeckung von Strukturen, deren Zwang determinierend auf uns lastet. 3. Die Möglichkeit eines freiwilligen Exodus aus diesen Strukturen wird erkannt und wahrgenommen; vollzieht auch der andere Team-Arbeiter diesen Exodus, so können beide in gemeinsamer, risiko-reicher Suche neuen und getreueren — wenn auch noch immer subjektiven! — Bildern der Wirklichkeit auf die Spur kommen. Muhammad Arkouns Arbeiten liegen in der hier angedeuteten Richtung: Er schlägt seinen christlichen Brüdern eine gemeinsame Erforschung des religiösen Phänomens vor, bei dem beider Offenbarungsschriften zu einem gemeinsamen Schatz an erfahrener Wirklichkeit vereint werden 51 . In diesem Zusammenhang muß ein Blick in die Werkstatt eines jungen Denkers geworfen werden, aus der noch manches zu erwarten und zu erhoffen ist. Es handelt sich um Hasan Hanafi (geb. 1935), dem wir im Laufe unserer Untersuchung schon mehrmals begegnet sind. Bei seiner ersten großen Arbeit, dem „Essai über die Wissenschaft der Wurzeln der islamischen Jurisprudenz", handelt es sich um nichts geringeres als um eine völlige Neuinterpretation des Islam, um eine „Transposition", die das Wesentliche der Zeit der Offenbarung in unsere Zeit überträgt. Bei dieser Transaktion werden die beiden Endpunkte mit modernen wissenschaftlich-kritischen Methoden erfaßt: 51 M. Arkoun: Supplique d'un musulman aux chrétiens, in: Y. Moubarac (Hg.): Les musulmans, S. 29, 121 — 126. — Ders.: Aufzeichnungen des Gesprächskreises „Kirche und Islam", Paris, 13.10 und 9.11.1971, zu dem Ai. Arkoun einen wichtigen Beitrag lieferte. — M. Arkoun (geb. 1928 in Algerien) lehrt an der Sorbonne in Paris.

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— der Situation der Offenbarung wird nachgegangen unter Aufwertung und Neuwertung· des alten theologischen Begriffs der „Anläße der Offenbarung" (asbäb an-nuzül"), der die Sammler der mündlich überlieferten Prophetensprüche (s.o. 2314) geleitet hatte, wenn sie die Worte (und die dazugehörigen Taten) des Propheten zum Verständnis der koranischen Offenbarung heranzogen; — in gründlichen Analysen wird versucht, den heutigen Menschen in seiner konkreten Situation zu verstehen. Auch das „Transponieren", das Herstellen der Beziehung zwischen beiden Endpunkten, fußt auf einer traditionellen Operation — die dabei ebenfalls neu interpretiert wird — nämlich dem „Analogieschluß" (qiyäs), der es den Juristen erlaubte, offenbarte ethische Normen auf bisher nicht gekannte neue Situationen anzuwenden. Ausgehend von den Prämissen, daß die Theologie in die Anthropologie zurückprojiziert werden müsse, und daß der Islam keine „Dogmatik", sondern ein Aktionsprinzip sei, erfährt so die von vielen modernen Muslimen verabscheute islamische Jurisprudenz (fiqh) eine Aktualisierung, die alle Trennung eines geistlichen und eines weltlichen Bereichs von sich weist und das gesamte Humanuni erfaßt. Deshalb bezeichnet HanafT auch die in dieser Richtung von 'Abd-ur-Räziq und Hälid unternommenen Versuche (s. o. 2317, Anm. 16) als einen falschen Modernismus, der sich von Kategorien des christlichen Westens habe beeinflußen lassen. Summarisch könnte man HanafTs Anliegen in folgendem Satz wiedergeben: die göttliche Wirklichkeit (al-haqTqa) existiert in den Menschen als neu verstandene àarï'a, als Praxis göttlicher Ethik. Innerhalb des anthropologischen Ansatzpunktes begeht HanafT also — unter vorläufiger Hintanstellung des Gedankens vom determinierten Menschen — eindeutig den vom ethischen Ansatzpunkt kommenden Weg. Die islamischen Denker, von denen er sagt, sie haben auf ihn eingewirkt, ziehen denselben Weg vor: Iqbal (s. o. 2318); Maudoodi (s.o. 2318); Sayyid Qutb (s.o. 2317, Anm. 17) und sein geschätzter Lehrer an der philosophischen Fakultät in Kairo: 'Utmän Amin (s. o. 2322). So kommt er zu Aussagen, die an Bultmann erinnern könnten (dem er — nach seinen eigenen Angaben — Anregungen verdankt, ebenso wie Bergson, Husserl, Scheler und Loisy): „Das Heil ist nicht eine einmal geschehene Tatsache. Jedem ist das Heil angeboten. Jeder muß sein Heil vollziehen. Gott ist nicht etwas Objektives, sondern eine befreiende Kraft für den Menschen in dessen jweiliger Situation. Das Denken dirigiert die Wirklichkeit." Trotz dieser Projektion ins Menschliche — ins freiheitlich Menschliche — behält das Göttliche seine Realität: „es gehört zum Wirklichen, denn die Massen glauben". Es ist, konkret, die bei den Muslimen sich immer neu wiederholende „anonyme Erfahrung", die sich auf die geoffenbarte Wahrheit bezieht. Daran hält HanafT fest in Frontstellung gegen al-'Azm, dessen Ansatz und Denkweg dem seinigen zwar ähnlich ist, der auf ihm aber bis zur Entledigung von der Religion durchstößt, um so zum wahren Wirklichkeitsbezug zu gelangen (s. o. 2233). Weit davon entfernt, ins Leere durchzustoßen, trifft in HanafTs Erfahrung von Gott und Welt der vom Subjekt kommende Ansatz auf eine starke Wirklichkeit, die ihrerseits prägt und den subjektiven Ansatz „verobjektiviert" (vgl. oben 112, Abs. „Religionsgemeinschaften"). Als Christ mag man dies bedauern, in der Meinung, dies erschwere den Dialog. Denn HanafTs Anthropologie ist letztlich eine islamische Anthropologie (worauf Allard hinweist). Man kann darin aber auch die Fingerabdrücke der

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einen göttlichen Haqïqa erblicken, die sich in der subjektiven Erfahrung meines anders-gläubigen Bruders determinierendes Gewicht verleiht. Zwar schließt zunächst seine Erfahrung die meinige aus, so wie die meinige die seinige. Denn auch meine Anthropologie ist letztlich eine christliche: so wie für ihn der islamische Mensch der Prototyp einer neuen Menschheit ist, ist es für mich der christliche. Jedoch die formalen und inhaltlichen Ähnlichkeiten einen uns auch: wenn wir beide unsere Anthropologie auf dem Weg der Determination erneut durchdenken, so erleben wir uns als Zweige am Baum der Einen Haqïqa 52 .

2333 Bekannt gewordene Außenseiter

und die schweigende

Mehrheit

Durch ihren Schwung gründlicher Erneuerung, ihre Ungebundenheit gegenüber den Institutionen der Religion und ihren Bekennermut für den Glauben der Väter, dem sie treu bleiben, sind in jüngster Zeit drei Männer bekannt geworden: Muhammad Kämil Husain, dessen geistliche Autorität Vertiefung und Verinnerlichung der Religion bewirkt; Hasan Sa'b, dessen Kenntnis der Staatsstrukturen den Islam aus seinem Ghetto heraus und in die Moderne hinein führt; Mustafä Mahmüd, dessen Spontaneität nach der Art eines Michel Quoist frei und ohne theologischen Jargon ausspricht, was viele denken und noch mehr brauchen. In der Frage der Freiheit und der Determination des Menschen jedoch begehen sie die alten Wege kaum in neuer Weise. Alle drei lassen dem Denkweg der Freiheit die Priorität, ohne allerdings den Weg der Determination aus dem Gedächtnis zu verlieren. Dem Marxismus gegenüber — den sie als vorwiegend deterministisch interpretieren — sind sie ablehnend. Im Christentum erblicken sie ein dem ihrigen artverwandtes Anliegen. Der Widerhall, den sie finden, zeugt davon, in welchem Umfang ihre Art zu denken im Islam heute verbreitet sein mag. Die Ablehnung, auf die sie stoßen, läßt erkennen, wie stark die traditionellen Formen verwurzelt sind. Die Tatsache, daß sie Außenseiter bleiben, wirft die Frage nach der „schweigenden Mehrheit der modernen Muslimen" auf: die Vielen, die nichts veröffentlichen, wie leben sie ihren Glauben und was 52 Bisher wurde Hanaft in folgenden Abschnitten erwähnt: 1134: Gespräch mit Atheisten (Anm. 32); 2223·. Gegen Vermischung von Islam und Nationalismus (Anm. 23). 2233 (Anm. 47+50). H. Hanafi: Les méthodes d'exégèse — essai sur la Science des Fondements de la Compréhension „'Ilm Usûl-al-Fiqh". 1965. Besprochen von M. Allard: Un essai d'anthropologie musulmane, in: Travaux et Jours 32, 1969, S. 83—97, und in: Comprendre 53, 1970. — H. Hanafi: Le monde islamique entre révolutionnaires et réactionnaires, S. 31, 98, 100.103, 118. - Ders.: at-tagdïd wa-t-tardïd fi-l-fikr ad-dïnï al-mu'âsir, in: al-Fikr al-Mu'âsir 62, April 1970, S. 2 7 - 4 1 . - Ders.: persönliche Mitteilung an den Verfasser. 1971.

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denken sie? Wäre es möglich, daß sie in der Frage der Freiheit und der Determination dem Freiheits-Pathos gegenüber kalt bleiben, und zwar aus zwei Gründen: 1. die im Islam lebendige Erfahrung der Allkausalität Gottes und 2. die in Wissenschaft und Technik selbstverständliche Erfahrung der Determination? Der verehrungswürdige ägyptische Arzt und Schriftsteller Muhammad Kämil Husain (geb. 1901), der zu Recht als „ein Ruhm des modernen, offenen Islam" bezeichnet wird, ist uns im Laufe unserer Untersuchung schon begegnet (113: „Ε-Wege" und 2233: „Dialog mit Garaudy"). Mit der Ruhe und Autorität eines Arztes für Leib und Seele gibt er in den wenigen aber gewichtigen Büchern, die er geschrieben hat, seinen Mitmenschen Lösungen für die wesentlichen Probleme ihres Lebens. Seine zentralen Anliegen sind folgende: 1. Frontstellung gegen den „taqlid"; gegen eine falsche Objektivität, die sich aus Tradition und unbesehenem Korps-Geist nährt; gegen das Abweichen vom rechten Weg, das sich als Rechtleitung ausgibt und im Namen Gottes, der Orthodoxie und der theokratischen Gesellschaft das Böse tut. 2. Entscheidung für den „igtihäd", die freiheitliche, persönliche Anstrengung des Einzelnen zur Auffindung des rechten Weges; für die Verinnerlichung der Religion und das Hören auf die Stimme des Gewissens — eine Leuchte vom Lichte Gottes!; für den Gott der Güte, des Friedens und der Liebe, der nie das Böse befiehlt. In seinem Buch „ungerechte Stadt", durch welches er im Westen bekannt geworden ist — eine Meditation über die Ereignisse am Karfreitag in Jerusalem — kommen diese Anliegen klar zum Ausdruck. Hinsichtlich seines Verständnisses von Freiheit und Determination des Menschen steht er dem Neomu'tazilismus nahe: Der Anruf Gottes, sein Angebot zur Rechtleitung, kann vernommen werden dank einer angeborenen Disposition und dank der Stimme des Gewissens. Alle, die zum „größten Verbrechen der Geschichte" — der Hinrichtung Jesu — beitrugen, hatten auf die eine oder die andere Weise gespürt, daß sie Unrecht tun. Alle waren frei, ihrem Gewissen zu folgen oder nicht zu folgen . . . Kenneth Cragg — ein anglikanischer Theologe und Orientalist — der Husains Buch ins Englische übersetzt hat — führt in Fußnoten die Koranstellen an, auf die der Verfasser anspielt und erklärt sie seinerseits im mu'tazilitischen Sinn: „Gott hat den Irregehenden nicht gefuhrt". Dieser ist aus freier Entscheidung vom rechten Weg abgewichen. Diese Betonung der Freiheit des Einzelnen stammt jedoch nicht aus einem liberalen Freiheits-Pathos — auch wenn Einflüsse des liberalen Westens bei Husain nicht abzustreiten sind. Vielmehr wird sie als ein Werkzeug aufgefaßt, welches die „Hingabe an das Transzendente, an die Wahrheit" vollbringen kann. Damit besteht die Möglichkeit, kollektiven Subjektivitäten, die sich selbst als Objektivität ausgeben, zu entrinnen. Um dieses Transzendente geht es Kämil Husain: Dieses Transzendente kann ein krankes Volk durch wohldosierte Medikamente, durch das „Opium" der Religion an Leib und Seele heilen. Diese Wahrheit ist so stark, daß sie sich durchsetzen wird. Von daher darf man auch auf die Annäherung von Islam und Christentum hoffen. Denn die Wahrheit ist für ihre Gläubigen dieselbe. Gewiß, bei den Einzelnen sind die psychischen „Empfänger" verschieden konditioniert — durch Angeborenes und freiheitlich Erworbenes — was die Kommunikation zu unterbinden

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droht. Diese Konditionierung ist jedoch kaum je so stark, daß der eigene „Empfang" die Öffnung für den Empfang des Anderen ausschließt. So ist für Husain die transzendente Wahrheit das letztlich Mächtige und Determinierende 53 . Den jüngeren Beobachter mag der moralisierende und platonisierende Unterton in Husains Weisungen befremden. Er mag in ihm das Verständnis für das tragische Verstricktsein zwischen Freiheit und Determination vermissen. Er sollte jedoch zumindest verstehen, wie treffend dieses Wort eines bedächtigen und entschlossenen Arztes für eine theokratische Gesellschaft ist, die sich „in Verbindung mit dem Kosmos weiß" (W. C. Smith) und dazu neigt, ihre eigenen Orthodoxie unbesehen für Gottes Satzung zu halten. Hasan Sa'b, Professor für politische Wissenschaften an der libanesischen Universität in Beirut, tritt ein für ein neues Verständnis des Islam angesichts der Herausforderungen der Moderne und für eine Rezeption der Säkularisierung und der modernen Wissenschaften, die der Islam nicht zu fürchten brauche, da er eine vernünftige Religion sei. Sa'b kämpft gegen überlebte theokratische Strukturen und verwendet hierbei die in der Mystik gebräuchliche Unterscheidung zwischen Haqïqa (Wahrheit, göttliche Wirklichkeit) und áarí'a (Gesamtheit der islamischen Lebensregeln). Das Werkzeug der Aktualisierung und der Revolutionierung des Islam sei der persönliche, freiheitliche Igtihäd des Einzelnen Gläubigen. So vollziehe dieser das göttliche Gesetz des Werdens, verwirkliche das Eingebundensein seines freien menschlichen Werdens in den göttlichen Willen und nehme die ihm von Gott verliehene Statthalterrolle in Verantwortlichkeit wahr. Jegliche Vermischung von Arabismus und Islam ablehnend (s.o. S. 87, Anm. 12 und S. 93, Anm. 23) betont Sa'b den Universalismus des Islam: es sei seine Aufgabe, aus der universalen Menschheit, die heute schon

53 M. K. Husain: Qarya zâlima. o . J . (s. S. 2, 38, 41, 52); Ubersetzung von K. Cragg: City of Wrong - a Friday in Jerusalem. 1959 (S. 42, 213f., 221); Übersetzung ins Niederländische . Übersetzung ins Spanische von J. M. Forneas: La Ciudad inicua. Madrid 1963; Übersetzung ins Französische von R. Arnaldez: La cité inique. — Besprochen von G. Anawati in: MIDEO 2, 1955, S. 71—134, und von ]. Berque in: Les arabes d'hier à demain, S. 255ff., und in: Normes et valeurs S. 232. — M. K. Husain: al wâdî 1-muqaddas. 1968. S. Kapitel „al huda wa-ddalâl („die (rechte) Führung und das Abweichen (vom rechten Weg)") S. 83f.; Übersetzung ins Französische in Vorbereitung von Y. Moubarac. — S. außerdem das von M. K. Husain verfaßte Nachwort zu Y. Moubarac (Hg.): Les musulmans, S. 33f., 53, 135f., und zwei Artikel von M. K. Husain über den Exodus des Volkes Israel und die Bedeutung des Begriffes „zulm" im Koran in: Muslim World 49, 1959, S. 3Off. und 196ff. (mit Anmerkungen von K. Cragg). - Die Affinität zwischen M. K. Husains und K. Craggs mu'tazilitischen Denkwegen ist frappierend. Seine Lösung der F-D-Problematik fuhrt K. Cragg deutlich aus im Kapitel „The divine and the human will" (S. 162—171) seines Buches: The dome and the rock. Für Cragg ist Gott „wie ein Lehrer in der Schule, der zwar nicht abdankt, aber den Kindern zu deren Erziehung eine gewisse Freiheit schenkt". Für den Verfasser ist dieses vereinfachende Bild, das der sonst so bewunderswerte und verehrungswürdige Cragg liefert, enttäuschend. Zum Gespräch zwischen Husain und Garaudy: Ai. Chartier: L'Islam et le socialisme. 1971, S. 9.

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eine Tatsache ist, eine geistliche Wirklichkeit werden zu lassen. Das Christentum, eine ebenso universale Religion, ruft er hierbei zum Dialog und zur Synthese auf 5 4 . Man mag sich daran stören, daß dieses Plädyoer für die Ehre Gottes, die Würde des Menschen und die Einheit der Welt Hand in Hand geht mit einer Vorliebe für das westliche Lager, in dem von Freiheit und Demokratie viel die Rede ist. Die eigenständige und höchst bedeutsame Rolle Hasan Sa'bs als „liberaler Muslim" im besten Sinne des Wortes bleibt jedoch unbestritten. In einem eigenen Kapitel, gleich zu Beginn seines Buches: „Der Koran — Versuch eines modernen Verständnisses" behandelt Mustafa Mahmud die Frage: „Vor die Wahl gestellt oder gesteuert?". Seine Erklärungen zu einzelnen angeführten Koranstellen bringen nichts wesentlich Neues gegenüber der mu'tazilitischen Linie: „Gott hat im Inneren des Menschen, in seinem „Allerheiligsten" ein Schutzrevier abgegrenzt, wo das Wahlvermögen des Menschen herrscht und kein Zwang Zutritt hat. Gottes Determination geht der Entscheidung des Menschen nicht voraus, sondern folgt ihr und richtet sich nach ihr: Wer sich dem rechten Weg zuwendet, dem gibt Gott „Erleichterungen", wer sich von ihm abwendet, den leitet er noch weiter in die Irre." Mahmüd interpretiert den in der Mystik wichtigen Begriff „tawakkul" mit „Vertrauen" und setzt ihm den abzulehnenden Begriff „tawäkul" entgegen, den er mit „Selbstaufgabe" definiert. Die Situation des Menschen Gott gegenüber entspreche den Ergebnissen der Psychologie, die erkannt habe, daß der Mensch frei ist: „Die deterministische Psychologie und die marxistische Lehre der Klassenzugehörigkeit sind eine unexakte, unwissenschaftliche Rede . . ." In anderen Abschnitten seines Buches finden sich jedoch sehr starke Aussagen über die Allkausalität Gottes: „Er ist der alleinig wahr und wirklich Existierende, wir sind nur ein Ausfluß seiner Großzügigkeit. Er ist der Lobende und der Gelobte". Durch einen Vergleich erhellt Mahmüd die logische Beziehung zwischen seinen Fund D-Aussagen: „Der Mensch gleicht einem Reisenden, der seine Reise sorgfältig vorbereitet, dann aber — wenn er erst im Wagen sitzt — sich ganz und gar dem Fahrer, seiner Kunst und den Gesetzen des Fahrens hingegeben hat". Der Grund jedoch, aus dem letztlich Mahmuds Aussagen über die Einzigkeit Gottes ebensowohl wie seine Betonung der Freiheit des Menschen zu schöpfen scheinen, ist die in der islamischen Mystik verbreitete Lehre vom Bund Gottes mit dem Menschen noch vor der Schöpfung: Der seit dem Schöpfungsplan konstituierte „vollkommene Mensch" ist ein Prototyp und eine Möglichkeit, an die der Mensch sich erinnern und sie dadurch in seinem Leben verwirklichen kann. Der Sitz des freien Wahlvermögens des Menschen ist nicht seine „Seele" (nafs), sondern sein „Geist" (ruh). Dieser aber ist der göttliche Funken im Menschen. Habe erst Askese und Selbstverleugnung die Nafs zurückgedrängt, so bestehe Einheit zwischen Gottes und des Menschen Willen: „dann will Gott, was der Mensch will. Dieser Zustand des vollkommenen Menschen wird sich durchsetzen und den Anti-Christ vernichten. Dies ist die Türe zum Heil, auf welche der Islam die von der Nacht des Materialismus bedrohte Menschheit hinweist. Durch ihn erfährt sie von der Möglichkeit der harmonischen Einheit von Materie und Geist." Der autobiographische Bericht „Meine Reise vom Zweifel zum Glauben", den Mahmüd ein Jahr nach seinem Essai über den Koran veröffentlicht hat, drückt 54 H. Sa'b: al-Isläm wa tahaddiyät-ul-'asr. 1971 (S. 29, 33, 37, 54, 204, 215, 224). Ders.: Modèles islamiques de modernisation au Moyen Orient, in: A. Abdel-Malek et al.: Renaissance, S. 2 7 7 - 2 9 1 .

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erneut die Erfahrung der eigenen Freiheit aus: „Ich hätte sehr wohl die Stimme meiner Natur hören und ihr folgen können. Dies hätte mich in Verbindung gebracht mit dem in mich eingeborenen aus der Schöpfungsordnung stammenden Prototyp. Schließlich habe ich es getan und bin zur Wirklichkeit zurückgekehrt . . . " s s

234 Die Mystik: ohne Zergehen (fana') kein Bestehen

(baqä')

Der Einbruch der Moderne bewirkte nicht nur, daß weite Vorfelder des Islam der Säkularisierung anheim fielen, sondern hatte auch — worauf Seyyed Hossein Nasr hinweist — eine wesentlich beängstigendere Folge: im Inneren des Islam selbst, der auf die Herausforderung der Moderne reagierte, machten sich verschiedene Typen von Rationalismen breit und bewirkten eine Verengung der religiösen Schau. Hier liegt die Aufgabe des Sufismus (der islamischen Mystik): er lebt und verteidigt die geistlichen und wahrhaft intellektuellen — d. h. weisheitlichen — Aspekte des Islam, für die dem Rationalismus das Verständnis abgeht. Dabei kann der Sufismus mit Recht von sich behaupten, daß das, was er lebt, kein Randgebiet ist, keine „natürliche Mystik", die ebenso in anderen Religionen vorkommt, sondern daß es in der Offenbarung, d. h. dem Koran, selbst wurzelt, und zwar in derem Herzen: „Diejenigen, die behaupten, der Sufismus habe nichts mit dem Islam zu tun, wissen ganz einfach nicht, was der Islam ist!" Daß die sich aus der Offenbarung ableitende islamische Gnosis ('irfän). ihr „Rohmaterial" aus griechisch-hellenistischen, indischen und persischen Quellen erhalten hat, braucht der Sufismus dabei nicht abzustreiten; im Gegenteil: dies ist für ihn ein Hinweis auf den Universalismus des Islam.

Diese Betonung des islamischen Herzstücks bringt ein — nur für den außenstehenden Beobachter überraschendes — Nebenprodukt mit sich: der Sufismus bereitet besser für den Dialog mit der Welt vor, als das rationalistische Erbe des Reformismus: „Der Sufismus ist immer noch eine lebendige Kraft in der islamischen Welt. Weil nur er Lösungen für viele der Probleme vorschlägt, mit denen es die muslimische Intelligenz bei ihrer Begegnung mit dem Okzident zu tun hat, kann es nicht ausbleiben, daß gerade viele junge Menschen sich besonders für ihn inter55

M. Mahmud: Ders.: rihlati

al-Qur'än - muhäwala li-fahm 'asri, S. 27f., 40, 43, 162, 242, 248. min ai-äakk ilâ-1-imân, S. 116. — M. Chartier: Un essai récent d'interprétation du Coran. 1971 (Besprechung von „der Koran — Versuch eines modernen Verständnisses"). — Ders.: Du doute à la foi — l'itinéraire spirituel d'un musulman contemporain. 1971 (Besprechung von: Meine Reise vom Zweifel zum Glauben).

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essieren. Zeugnisse dieses Interesse gibt es heute in mehreren Gebieten der islamischen Welt"56. 2341 Gute Voraussetzungen im Sufismus für eine Behandlung des Determinations-Freiheits-Problems im Dialog mit Naturwissenschaften und Marxismus Diese Feststellung Nasrs erscheint uns besonders zutreffend für den Dialog mit den Naturwissenschaften und dem Marxismus zu dem der Sufismus bessere Voraussetzungen mitbringt als der islamische Rationalismus, dessen Vertretern wir in den obigen Abschnitten über die Moderne von gestern und von heute begegnet sind. Die in der Mystik geübte Haltung des „Sich-leer-Machens" gegenüber Gott führt nicht unbedingt zur Interesselosigkeit gegenüber der Materie und zur Weltflucht, sondern kann ebensowohl zur Empfänglichkeit gegenüber der Natur und zur Vereinigung mit der Wirklichkeit führen. In jedem Fall ist die Verfolgung des jedem Dualismus abholden Ideals des Auslöschens der Persönlichkeit und ihrer Subjektivität eine der Naturwissenschaft verwandte Grundeinstellung. Angesichts dieser gemeinsamen Haltung der Wirklichkeit gegenüber ist es erst von zweitrangiger Bedeutung, ob die Wirklichkeit ohne Gott oder mit Gott als ihrem lebendigem Zentrum erfahren wird.

Die gute Ausrüstung des Sufismus für die Behandlung der Problematik von Determination und Freiheit liegt erstens in seinem Vorrat an Erfahrungen, und zwar solchen, in denen die Determination des Menschen evident ist, und solchen, in denen seine Freiheit erlebt wird: Die bekannten von al-Gazäli beschriebenen drei Stadien der Hingabe an Gott (tawakkul) spiegeln unterschiedliche Erfahrungen wider: — Im ersten Stadium vertraut sich der Sufi bewußt seinem Verteidiger (wakil) an. Er ist sich seiner Initiative bewußt und behält ständig die Kontrolle über sie. — Im zweiten, dem Ubergangsstadium, gleicht die Hingabe der eines kleinen Kindes an seine Mutter. Es handelt sich um ein affektives Zuwenden, bei dem man zwar von seiner Wahlfreiheit weiß, aber freiwillig aufhört, sie auszuüben. — Im dritten Stadium gleicht der Sufi einem Toten in der Hand des Leichenwäschers; oder einem Kind, das aufgehört hätte, seine Mutter um etwas zu bitten, oder sich an seinen Rockzipfel zu hängen, weil es wüßte, daß die Mutter ihm auf jeden Fall gibt, was es braucht und es auf jeden Fall in ihre Arme nimmt. Im ersten Stadium wird die Freiheit des Menschen als unaufgebbare Größe erfahren, im dritten Stadium ist sie undenkbar, denn in ihm wird die göttliche Allwirksamkeit, wird Gott als der alleinige Täter erlebt. Im Übergangsstadium ist das Wahlvermögen zwar nicht aus dem Bewußtsein verdrängt, wird jedoch als eine von Gott übermächtig angezogene Größe erlebt. Die Verwirklichung dieser drei Stadien ist kein graduelles Emporsteigen und dann in der Höhe Verbleiben, sondern ist ein ständiges Hin und Her. Dabei ist das erste 56 S. H. Nasr in: Y. Moubarac (Hg.): Les musulmans, S. 7Iff.

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Stadium das dem Gläubigen am meisten vertraute: es dauert wie die Blässe einer längeren Krankheit. Das zweite ist viel kürzer: wie die Fieberblässe während ein oder zwei Tagen. Das dritte huscht nur wie die von der Furcht bewirkte Blässe über den Menschen: dieser hört dabei einen Augenblick auf, an das eigene Tun und an die eigene Macht zu denken 5 7 .

Zweitens bezeugt die Verwendung dialektischer Denkstrukturen zur Wiedergabe der unterschiedlichen Erfahrungen eine Gemeinsamkeit des Sufismus mit den modernen Naturwissenschaften und dem Marxismus: im Zuge der voranschreitenden Denkbewegung wird zunächst die reelle Unterschiedlichkeit konstatiert, die zwischen der Freiheit des Menschen und seiner aus der Allkausalität Gottes fließenden totalen Determination besteht. In einer diskontinuierlich folgenden zweiten Aussage wird die Einheit beider gegensätzlichen Unterschiede bezeugt. Der Indétermination, die in dem Verhältnis beider Aussagen zueinander besteht, wird gedanklich standgehalten 58 . Als drittes Merkmal der Affinität des Sufismus zum naturwissenschaftlichen Denken kann der Denkansatz Ν (s.o. 111) gelten, der im Sufismus den Vorrang hat. Diesem Ansatz folgend wird der mystische Kontakt mit den Gesandten des Zentrums der Wirklichkeit gesucht und die Persönlichkeit zum Erlöschen gebracht. Der bekannte Ausspruch des 922 in Bagdad gekreuzigten al-Halläg: ,,anà 1-haqq" („Ich bin Gott", oder „ich bin die Wahrheit", oder „ich bin der Wirkliche") ist der Endpunkt des vom Ansatz Ν kommenden Denkweges. Er muß allen vom Ansatzpunkt E Herkommenden unverständlich bleiben: sie sehen das Transparent-Werden des Menschlichen für Gottes Wirklichkeit, die völlige Determination des Menschen durch Gott, als Anmaßung eines Menschen, der sich zu Gott macht. Dieser Zustand der mystischen Einheit mit der Wirklichkeit und ihrem lebendigen Zentrum ist grundsätzlich verschieden vom Zustand des auf dem Ε-Weg gehenden freien und verantwortlichen Menschen: sein Kontakt mit dem Zentrum der Wirklichkeit ist nicht mystische Einheit, sondern autarkes Erwählen, Ergreifen und Verwirklichen der ihm angebote57 G. C. Anawati et L. Gardet: Mystique musulmane — aspects et tendances — expériences et techniques. 1961, S. 154ff. — S. hierzu auch Β. Reinert: Die Lehre vom tawakkul in der klassischen Sufik. 1968 (auf S. 94ff. über die negative Ausprägung des tawakkul: Aufgeben von Wünschen, Wollen, Wählen, Planen und Lenken. Dabei soll selbst das Wollen des Nicht-Wollens aufhören. Hinweis auf Sure 28,68: Gott wählt, den Menschen steht die Wahl nicht zu. Näheres über das in der Sufik klassische Beispiel des Toten in der Hand des Leichenwäschers, der jegliches Lenken aufgegeben hat (tark-ut-tadbîr)). 58 L. Gardet: La dialectique en morphologie et logique arabes, in: J. Berque (Hg.): L'ambivalence, S. 132. — Roger Arnaldez: Dynamique et polarité des états mystiques, in: Ebd. S. 150.

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nen ethischen Norm. Um den Kontakt mit der Wirklichkeit nicht zu verlieren, muß er am absoluten a priori seiner eigenen Freiheit festhalten und es mit allem nötigen Pathos verteidigen. Ein vierter gemeinsamer Punkt ist die Entdeckung der eigenen Freiheit bei der gespannten und aufmerksamen experimentellen Beobachtung der Wirklichkeit. Dieser Fund löst nicht das auf dem Ε-Weg übliche freudige Pathos aus, sondern wird zunächst als Störung der Objekt-Bezogenheit erlebt. Im weiteren Verlauf der gespannten Hinwendung zur begegnenden Wirklichkeit trägt diese beim Versuch hart am Objekt entsprungene Freiheit jedoch dazu bei, die Fülle der in realer Schwebe stehenden Möglichkeiten der Natur zu erkennen und im Ergreifen einer von ihnen die Bewegung des Kosmos voranzutreiben. 2342 Gott als erste

Herausforderung

Die von uns hervorgehobenen Konvergenz-Erscheinungen im Sufismus und in den modernen Naturwissenschaften dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß solche Affinitäten für den Sufismus nur ein Nebenprodukt des Anliegens sind, dem er den Vorzug gibt: die Liebe zu Gott als AnU wort auf die von ihm ausgehende Herausforderung. Aus Liebe zu Gott wählt der islamische Mystiker die geistliche Übung (riyäda). Aus Liebe zu Gott optiert er für das Schwinden des Ichbewußtseins, für die Entwerdung (fanä'), und stößt die Türe auf, durch die Gott das Licht herein läßt, das den Fanä' bewirkt. In dieser Selbstaufgabe des Ego (nafs) schwindet alles, was zum Ich gehört. Übrig bleibt nur der göttliche Funke (rüh), welcher die tiefste Eigenheit des Menschen, aber auch seine Gottesebenbildlichkeit und Gottesabhängigkeit konstituiert. Dies ist das Bestehen (baqä') des Menschen nach seinem Zergehen (fanä'). Liebe zu Gott ist das frei gewählte Motiv, welches das Zergehen des Selbst auslöst. Im Zustand des Zergangen-Seins wird die völlige Determination als inhaltliche Freiheit erfahren und der enge Zusammenhang des göttlichen Namens „der Zwingende" (al-öabbär) mit seinen beiden schönsten Namen „der Barmherzige" (ar-Rahmän) und „der Friede" (as-Saläm) erlebt. Dies ist die Verwirklichung des „Islam" („islam" = Uebergabe), bei der Gott zu liebe die Autarkie des Menschen ohne Bedenken zurückgelassen wird (s.o. 2313 und Anm. 8). Der Gedanke, Gott könne aus Strafe mein Ich zerstören und so die alleinige Initiative ergreifen, liegt bei dieser Option aus Liebe zunächst fern. Das Wissen um die Sündhaftigkeit des Sich-selbst-Behauptens und -Betätigens kann jedoch zum Grund dafür werden, den Fanä' zu wählen. Denn wer „Ich" sagt, stiehlt Gott etwas. 158

Ein Sufi wurde von einer Polizeistreife aufgegriffen, die nach einem Dieb fahndete. Man fragte ihn: „Bist du der Dieb?" Der in Gedanken über seinen eigenen Zustand versunkene Sufi erwiderte ohne zu zögern: , J a " (obwohl er nicht der gesuchte Dieb war!) 59 . Abu Hamid. al-Gazält (1058—1111) berichtet von seiner Lehrtätigkeit als Professor der Theologie in Bagdad: „Wenn ich die Intention meines Lehrens betrachtete, entdeckte ich, daß ich — anstatt es aus Liebe zu Gott zu tun — keinem anderen treibenden Motiv folgte als dem Verlangen nach Ruhm und Ansehen. Ich merkte, daß ich am Rande eines Abgrundes stand". Da jedoch sein Wahlvermögen nicht in der Lage war, dem Ruf Gottes zu folgen und diese Professur aufzugeben — so berichtet er weiter von seiner Bekehrung — griff Gott selbst ein und hinderte ihn durch ein Nervenleiden und eine Sprachstörung daran, die Lehrtätigkeit auszuüben und brachte ihn an den völligen Nullpunkt seiner Entschlußkraft. Erst nach dieser gänzlichen „Entleerung" (vgl. Sure 94,7 u. 8) gab ihm Gottes Gnade neue Entschlußkraft, dem Ruf zu folgen und Bagdad zu verlassen. Eines seiner Gebete zeugt davon, wie Gott ihn von der Angst vor seiner eigenen, das Böse tuenden Intention befreit hat: bei Dir finde ich Zuflucht vor dem Bösen, das ich getan habe . . , " 6 0

Die Frage, ob ich wirklich aus Liebe zu Gott die Türe zu ihm aufstieß, die Erkenntnis, daß meine Motive unrein sind, läßt also Angst aufkommen, Angst vor dem eigenen Ich und seiner Freiheit. Gott, der gerechte Rächer (al-muntaqim) steht vor mir auf und brandmarkt meine ScheinHeiligkeit. Die einzige Rettung vor dem Ich, seinem bösen Tun und der göttlichen Rache, die es hervorruft, ist dann die Zuflucht zum Rahman, dem Gott, der seinen freien Entschluß, der Unerbittlichkeit der eigenen rächenden Gerechtigkeit nicht zu folgen, mit unwiderstehlichem Zwang verwirklicht. Die Hoffnung des Sünders besteht darin, daß die Gottesnamen „der Barmherzige", „der Zwingende" und „der Friede" sich letztlich gegenüber dem Namen „der Rächer" durchsetzen werden. Die Determination ist dabei das Werkzeug der von Gott erhofften Befreiung. Beide Erfahrungen: „die Initiative geht vom Mensch aus: der Mensch stößt die Türe auf" und: „die Initiative geht von Gott aus: Gott stößt die Türe auf" sind im Koran verankert. Besonders deutlich wird dies an dem doppelsinnigen Ausdruck „at-tawwäb" (der Umkehrende, der sich Zuwendende), der sowohl den Menschen als auch Gott bezeichnen kann: „Gott liebt die Umkehrenden" (2,222) und: „Gott kehrte sich zu ihnen um, damit sie umkehren. Er ist der barmherzige Umkehrer!" (9,118). Die Mystik gibt nach beiden Seiten hin diesem ambivalenten Ausdruck sein volles gegensätzliches Gewicht. Sie erkennt aber auch 59 Mündliche Mitteilungen von Mahmood Khan. 1971. 60 K. Cragg (Hg.): Alive to God — muslim and christian prayer compiled with an introductory essay by Kenneth Cragg. 1970, S. 90 und 101. — Η. Ritter (Hg. und Übers.): Al Ghasali: das Elixir der Glückseligkeit. 1923 (S. 5—14 biographische Einleitung von H. Ritter).

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in einem anderen Gedankengang — der zum ersten in Diskontinuität steht — daß beide Initiativen, beide Akte letztlich einen einzigen Akt bilden, in dessen Dynamik der Mensch sich zu Gott und Gott sich zum Menschen kehrt. Das Bestehen des Menschen bei der Betätigung seiner Freiheit und das Zergehen des Menschen bei der von Gott ausgehenden Initiative und Determination sind ein unzertrennliches, eine Einheit bildendes Gegensatzpaar 61 . Das Zergehen des Ich ist allerdings schmerzhaft; nicht umsonst spielt daher das Leiden eine besondere Rolle im Sufismus.

2343 Die Aktualisierung der großen Gestalten der islamischen im islamischen Denken heute

Mystik

An den großen Gestalten der islamischen Mystik entzündet sich das heutige Denken, sei es in ablehnender Kritik oder in zustimmendem Aufgreifen. So leben die Erfahrungen der großen Sufis nicht nur fort, sondern sie werden auch aktualisiert. Diejenigen, die die Botschaft der großen Sufis für die heutige Zeit neu interpretieren, verleihen dadurch dem alten islamischen Glauben einen neuen Ausdruck: - Adonis ('Ali Ahmad Sa'id) (geb. 1930) singt eine Totenklage für den großen Husain Ibn Mansür al-Halläg (857? bis 922), die weniger nach rückwärts als nach vorwärts blickt, in eine Zukunft der Erweckung, die al-Halläg — ähnlich dem großen Galiläer — antizipiert: Deine Feder, vergiftet und grünend, Deine Feder mit Adern, geschwellt von Flammen Und von dem Gestirn, das von Bagdad steigend loht — Unsre Geschichte und nahe Erweckung zusammen In unserm Land, in unserm vielfachen Tod. Auf deine Hände legt sich die Zeit, In deinen Augen die Glut Flackert zum Himmel auflodernd. O Sternbild, das da von Bagdad aufbricht. Beladen mit Geburt du und Gedicht, O Feder vergiftet und grünend! 61 R. Arnaldez: Dynamique et polarité, S. 150 (tawwàb als ambivalenter Ausdruck). — L. Gardet: La dialectique en morphologie et logique arabes, S. 123. Gardet weist darauf hin, daß dem Gegensatzpaar Fanä' — Baqä', das in der Mystik gebräuchlich ist, in der Theologie des Kaläm das Gegensatzpaar „absolutes Dahinschwinden bei der Stunde, d . h . dem Ende der Welt" — „Auferweckung der Toten" entspricht. — Zum Gegensatzpaar Fanä'-Baqä' s. o. 1244, Punkt 8.

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Nichts blieb mehr für die, so von ferne kommen — Trotz Tod und trotz Eis und Echo beklommen — Auf dieser Erde, auferstehungsträchtig . . . Nichts blieb mehr: nur noch du, und die Präsenz. O Sprache galiläisch-mächtgen Donners; Auf dieser Erde, rindenoberflächlich, O Dichter der Mysterien und der Wurzeln! 62 - Abu Hämid al-Gazäli (1058—1111) ist eine Schlüsselfigur des Islam und ein Prüfstein, an dem sich die Geister heute scheiden. Für die einen ist er „der Versteinerer einer Situation, der Ausdruck einer eingeschlafenen Gesellschaft, die sich immer wieder in ihm erkannt hat" (Mazouni, S. 140) und ein Grund für den Niedergang der islamischen Kultur — vor allem wegen seiner Weltentsagung und einer Prädestinationslehre (Ijaltl Ahmad. Haiti). Für die anderen ist er der Retter der geistigen Substanz des Islam, weil er die Abspaltung von Mystik und Orthodoxie durch eine Synthese beider vermieden hat. Er, dessen Bekehrung ihn in eine Linie mit al-Ai'ari stellt und an Augustin und Luther erinnert, ist der Träger einer Erfahrung, deren gedanklichem Ausdruck alle diejenigen verständnislos oder ablehnend gegenüberstehen, die einer solchen — wenn auch noch so bescheidenen — Erfahrung entbehren. So ist es denn nicht verwunderlich, daß die liberale, neo-mu'tazilitische Koran-Auslegung Sturm läuft gegen al-Gazälis Verständnis von Sure 37, 94: „Er hat euch geschaffen und was ihr macht (was ihr tut)", der darin eine gewichtige Determinations-Aussage erblickt (Rahbar, S. 227 s.o. 2318). al-Afgäni und 'Abduh stellen sich in eine Linie mit al-Gazäli wenn sie das Lob von Qaclä' und Qadar singen: „eine Quelle der Kraft und nicht der Schwäche hat die Muslimen von den Pyrenäen bis zur chinesischen Mauer gebracht . . . al-Gazäli sagt nichts anderes . . .". Bedenkt man, daß sie den göttlichen Ratschluß nicht als Determination, sondern nur als Vorherwissen verstehen, so mag eine solche Aussage als eine vergewaltigende Einverleibung von al-Gazälis Erfahrung und Denken erscheinen (s.o. 2322 und Anm. 40). Muhammad Arkoun (s.o. 2332 und Anm. 51) nimmt sich vor, „aktualisierend und neu interpretierend al-Gazälis Reflexion in die heutige Zeit hinein zu verlängern und so beizutragen zur Rekonstruktion des religiösen Denkens im Islam", die heute ebenso erforderlich sei wie im 5. Jahrhundert nach der Higra. Seine Untersuchungs-Methode ist die einer strukturalen Sicht der Gesamtheit von al-Gazälis Werk im Rahmen seiner Zeit. Es handle sich darum, in ein und derselben Bewegung des Herzens und des Intellekts al-Gazälis Appell zu vernehmen und dessen Situation in der damaligen Gesellschaft zu verstehen. Deutlich distanziert er sich dabei von den al-Gazäli-Darstellungen anderer Orientalisten (die von Watt und insbesondere die von Jabre), durch die ein verfänglicher Idealismus durchschimmere, der von der unumstößlichen Prämisse vom Menschen als freiem Subjekt ausgehe 63 . Man kann nur gespannt sein auf die Fertigstellung dieses Werkes, das sich — im Sinne al-äazälis — als „Wiederbelebung der Religion" für das 20. Jahrhundert versteht. 62 Adonis: Totenklage für Halladsch, S. 172. 63 M. Arkoun: Révélation, vérité et histoire d'après l'oeuvre de Gazali, in: Studia Islamica 31, 1970, S. 5 3 - 6 9 . 11 Schoen, Determination

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Mahmud Qäsim weist auf die Spannweite von al-Gazälis Leben und Denken hin: er, der in der Evidenz der Determination des Menschen lebte, die ihm aus der Tradition und aus seinem eigenen Erleben zukam, habe als aufmerksamer und intelligenter Beobachter ebensowohl die Evidenz seiner Freiheit erfahren. Dies äußere sich in seiner Kritik des Asch'arismus und vor allem in seiner Betonung der Niya (Intention): „diese widerspricht — durch ein Wollen des Guten — dem „konformen" Tun des in die Gesellschaft und die religiösen Obligationen eingebetteten Menschen und schafft so ein Gegengewicht gegen die gefahrlichen Folgen des Ansatzes D im Leben und im Denken, nämlich Trägheit und Tatenlosigkeit im geistlichen und weltlichen Bereich" 64 . — Muhyi'-d-Din Ibn 'Arabi (1165—1240) ist besonders lebendig in den kollektiven Erinnerungen des heutigen Islam. Mancher Beobachter fragte sich verwundert, wie seine starken D-Aussagen mit den starken F-Aussagen, die sich ebensowohl bei ihm finden, koexistieren können. So konnte die Meinung geäußert werden, Ibn 'Arabi gehe so sehr auf dem Denkweg der Determination (selbst Gott habe keinen freien Willen bei ihm!), daß seine Aussagen über die Verantwortlichkeit des Menschen nicht überzeugend seien, sondern eher als „halbherzig den Orthodoxen hingeworfener Brocken, der sie beruhigen soll", zu werten sei (Landau). Dies zeugt jedoch von einem Unverständnis der Spannweite und Reichhaltigkeit der Welt- und Gotterfahrung Ibn 'Arabis. Beide Aussagen sind für voll zu nehmen, und müssen in ihrer Gegensätzlichkeit nebeneinandergestellt werden: „So wie er uns Leben und Existenz durch sein Dasein gegeben hat, so gebe auch ich ihm das Leben dadurch, daß ich ihn in meinem Herzen kenne" (zit. nach Henri Cor bin). Bei der gedanklichen Formulierung des Verhältnisses beider Aussagen spielt der vor aller anderen Schöpfung existierende Archetyp des „vollkommenen Menschen" (al-insän al-kämil) eine große Rolle. Die Freiheit des Menschen rückt so ganz nahe an die Gottes heran und erscheint mitunter in sie eingebettet und von ihr determiniert: „Wenn du dich Mir näherst, so ist es deswegen, weil Ich mich dir genähert habe. Ich bin dir näher als du selbst, näher als deine Seele, näher als dein Atem." „Durch Mein Auge siehst du Mich, und siehst du dich" (zit. nach Osman Yahia)6s. Osman Yahia, der am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris an der Herausgabe der Werke Ibn 'Arabis arbeitet, gibt in seinen Vorträgen und Diskussionsbeiträgen ein Bild des Islam, das gründlich verschieden ist von dem, welches in neomu'tazilitischen rationalistischen Kreisen geliefert wird. Ibn 'Arabis Welt- und Gotteserfahrung findet in ihm einen Sprecher, der bis in die metaphysische gedankliche Formulierung dieser Erfahrung dem großen Meister treu bleibt. Auch wenn dieses gedankliche Kleid die im nicht-metaphysischen Denken in aller Schärfe herausge64 M. Qäsim: al-'aql wa-t-taqlid fl madhab al-Gazäli, in: Abu Hamid al-Gazäli. 1961, S. 169—205. — J.-P. Charnay: Psychologie religieuse et réformisme social chez Ghazali, in: / . Berque: L'ambivalence, S. 153—163, (S. 157: Niya bei alGazäli). 65 R. Landau: The philosophy of Ibn 'Arabi, in: The Muslim World 47, 1959, S. 149ff. — H. Corbin: L'imagination créatrice dans le soufisme d'Ibn 'Arabi. 1958, S. 185. — S. H. Nasr: Three muslim sages: Avicenna — Suhrawardï — Ibn 'Arabi. 1964.

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stellten Widersprüche der D- und F-Aussagen harmonisiert, so ist es dennoch offenbar, daß sich unter diesem Kleid weitgespannte authentische Erfahrungen verbergen: die Begegnung mit der (göttlichen) „Wirklichkeit der Welt, dem Zentrum und dem Umfang" (Ibn 'Arabi) und ihre Einheit mit ihr 66 .

Ein anderer Sprecher Ibn 'Arabls und seiner Botschaft im heutigen Islam ist Mahmüd Qäsim, Direktor der Pädagogischen Hochschule („Där-ul'Ulúm") in Kairo. Er zeigt die Gemeinsamkeiten auf, die zwischen Ibn 'Arabi und Leibniz bestehen, insbesondere in der Art und Weise, wie sie die Frage des Verhältnisses von Freiheit und Determination des Menschen gedanklich lösen. In seiner persönlichen Aktualisierung von Leben und Denken des großen südspanisch-arabischen Mystikers entsagt er jedoch weitgehend der metaphysischen gedanklichen Einkleidung und gibt die gegensätzlichen Erfahrungen in ihrem ganzen Gewicht durch ebenso gegensätzliche Aussagen wieder: ,,Die verschiedenen Namen Gottes, die dessen Fülle in unterschiedlichen Aspekten personifizieren, entsprechen verschiedenen Situationen, in welchen der Mensch den einen oder den anderen Namen Gottes realisiert. Entscheidend ist hierbei die Erfahrung, daß man zu einem gegebenen Zeitpunkt und in einer bestimmten Situation jeweils nur einen der gegensätzlichen Namen Gottes realisieren kann: Einmal stehe ich vor dem „Muntaqim", dem gerechten Rächer, und ein andermal stehe ich vor dem „Gabbär", dem der Zwang ausübt. Der „vollkommene Mensch" jedoch, auf dessen Verwirklichung wir hoffen, findet seinen Frieden in den beiden schönsten Namen Gottes: „der Friede" und „Der Barmherzige". Dann wird das Böse verschwinden. Dann kehren alle zu Gott zurück. Denn Gott ist kein Sklave seines Attributs „Gerechtigkeit". Die Hölle ist nicht ewig!" 67 66 'U. Yahyä: Man and his perfection in Muslim theology, in: The Muslim World 49, 1959, S. 1 9 - 2 9 (S. 20: „der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen", ein in mystischen Kreisen tradierter Prophetenspruch). — Osman Yahia: Pour un dialogue islamo-chrétien, in: Le Monde non-chrétien 51—52, 1959, S. 120—134. — H. Corbin (avec la collaboration de S. H. Nasr et O. Yahya): Histoire de la philosophie islamique. 1964, (s.o. S. 47, Anm. 38). — O. Yahia: Aspects intérieurs de l'Islam, in: / . Β erque et al.: Normes et valeurs, S. 37. — Ders.: La condition humaine en Islam, in: Ebd. S. 48—67. 67 M. Qäsim: al qadâ' wa-l-qadar 'inda Leibniz wa Muhyi'-d-Dïn Ibn 'Arabi, in: al-Fikr al-mu'âsir 76, Juni 1971, S. 58—67. — Ders.: tafsïr ma£hül wamutír li-1-Qur'än li-l-mutasawwif al-kabïr Muhyi'-d-Dïn Ibn 'Arabi, in: al-Hilâl. Sonderh. al-Qur'ân. 1970, S. 7 8 - 8 9 (auf S. 87: D- und F-Aussagen im Koran). Ders.: Mündliche Mitteilungen an den Verfasser. 1971. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch das Buch eines marokkanischen Autors in dessen Denken die von Ibn 'Arabi betonte Wesenseinheit aller Dinge (wahdat-ul-wugüd) eine Rolle spielt: M. H. al-'Aziz·. Allah wa-l-insän wa-1mugtama'. 1970.

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Die getreue Wiedergabe der eigenen in verschiedenen Situationen gemachten Erfahrungen und die ehrliche Haltung gegenüber den widersprüchlichen Redeweisen in der Offenbarungsschrift — Qäsim läßt sowohl die D- als auch die F-Aussagen des Korans in ihrem vollen Umfang gelten — kann als „gelebte Komplementarität" im Bohrschen Sinn bezeichnet werden. Der vom Sufismus geprägte zeitgenössische Islam beweist so seine Fähigkeit, die alten im Islam tradierten Erfahrungen von der Freiheit und von der Determination des Menschen in einer dem modernen Denken ohne weiteres verständlichen Weise auszudrücken und das altbekannte Problem einer Lösung zuzuführen.

24 Das arabische Christentum 241 Bewahrte

Glut

2411 Etwa fünf Prozent der Bevölkerung des arabischen Kulturraumes bilden die arabische Christenheit, die nicht nur weitgehend säkularisiert ist, sondern auch inmitten ihrer traditionellen Frömmigkeit intensive Erneuerungsbewegungen erlebt. Ihre individuelle und kollektive Selbstbehauptung steht in und zwischen zwei mächtigen DeterminationsBereichen: der mehrheitlich christliche Westen und die mehrheitlich islamische arabische Heimat. Die Emigration in den Westen droht, die arabische Eigenheit zum Erlöschen zu bringen 1 , das Verbleiben in der Heimat wird als Bedrohung der christlichen Eigenheit verstanden (s. o. 2112). Die arabischen Christen schätzen die Chancen ihrer Selbstbehauptung sehr unterschiedlich ein: die einen prophezeien das baldige Ende des Christentums in den arabischen Ländern — „außer vielleicht im Libanon" — für die anderen sind die arabischen Christen eine aus der arabischen Welt und ihrer Zukunft nicht wegzudenkende Elite 2 . 1 Diese Gefahr wird gemindert durch intensive Wechselbeziehungen mit der Heimat. So entstand ein bedeutendes Exil-Arabertum, als dessen kulturelles Symbol öibrän Haiti öibrän gelten kann, der vor allem in Nordamerika lebte und dort in arabischer (und auch in englischer) Sprache dichtete. Die Tendenz zur Emigration wird besonders gefördert durch die Länder, die sich vorzugsweise nach weißen Einwanderern umsehen: Südafrika, Australien, Kanada. Auch die Vereinigten Staaten, Südamerika (insbesondere Brasilien) und die afrikanische Küste besitzen arabische — vorzugsweise christlich-arabische — Kolonien. Der Sitz des Patriarchen der assyrischen (nestorianischen) Kirche ist in Chikago. 2 René Habachi sagt in seinem Buch „Philosophie chrétienne, philosophie musulmane et existentialisme" 1957 das baldige Ende des Christentums im Nahen

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2412 Wenn wir nach den Kollektiverinnerungen suchen, die die arabischen Christen bei ihrer Einstellung zur Frage „Determination und Freiheit" beeinflußen, so gelangen wir zunächst zu dem Ort, an dem sie immer wieder neu erweckt werden: die Liturgie. „Die Liturgie ist das von Gottes Vorsehung gegebene Mittel, durch das die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes in allen Wechselfällen der Geschichte durch die J a h r h u n d e r t e erhalten worden ist . . . Es kann dahin kommen, daß die einzig mögliche Seinsweise der Kirche die liturgische ist. Die Kirche m u ß dann schweigend und geduldig im Leiden ausharren" . . Λ

Das Denken des an der Liturgie Teilnehmenden setzt bei der begegnenden Wirklichkeit ein, die ihn so mächtig anzieht, daß er dadurch von sich selbst befreit wird. „Wer an der Liturgie teilnimmt, wird von sich und seinem Zustand weg- und auf Gottes Majestät hingewiesen. Er erfährt eine einzigartige Befreiung von sich selbst, denn die Liturgie gibt sich mit den Besonderheiten seiner persönlichen Sünden nicht ab, sondern eröffnet stattdessen den weiten Horizont des ewigen Heilsdramas — mit Gott, dem Himmel, den Engeln, Christus und seinem Kreuz und dem Heil der Welt, mit der Gottesmutter, dem göttlichen Heilsplan und der geheimnisvollen persönlichen Gegenwart Christi in Brot und Wein der Eucharistie" 3 .

Und doch erfährt der Teilnehmende, daß sein „Ich selbst" nicht unbeteiligt bleibt: es vollzieht die Memoria, den Akt, der die Vergangenheit und die Zukunft in die Gegenwart hereinzieht (vgl. 1132, 2313 und 364 („dikr" und „niya")). Das Wort des gegenwärtigen Christus gebietet dieses Tun und verheißt ihm seine Wirksamkeit: „Denn jedesmal, wenn ihr von diesem Brot eßt und von diesem Kelch trinkt, verkündet ihr meinen Tod, bekennt ihr meine Auferstehung und gedenkt meiner, bis ich k o m m e " . Der Erinnerung an die Z u k u n f t k o m m t dabei ein bemerkenswertes Gewicht zu: — Sie ermähnt einerseits den ganz in der Objektivität der Welt der Liturgie Aufgehenden an die Verantwortlichkeit seines Tuns: Nach der Nennung der vergangenen Heilstaten Christi betet der Priester am Schluß der Anamnese: „und wir erwarten sein zweites, vom Himmel kommendes Erscheinen — das gefürchtete, das mit Herrlichkeit erfüllte — am Ende dieser Zeit; wenn er kommen wird, den Erdkreis in Gerechtigkeit zu richten, und einem jeden nach seinen Werken zu vergelten — den guten und den bösen". — Sie regt andererseits zur Bitte um Befreiung von dieser Verantwortung an: als Antwort auf diesen Schlußsatz der Anamnese flüchtet sich das Volk vor der erschreckOsten — „außer vielleicht im L i b a n o n " — voraus. Zur psychologisch schwierigen Lage der arabischen Christen siehe: Ch. H. Malik: Die geistige Situation der nahöstlichen Christenheit, in: H. W. Gensichen (Hg.): Theologische Stimmen aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Bd. 1. 1965, S. 1 2 7 - 1 4 6 . 3 Ch. H. Malik: Die geistige Situation der nahöstlichen Christenheit, S. 128, 129 und 141.

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liehen eigenen Verantwortlichkeit in die göttliche Determination: „Nach deiner Barmherzigkeit, o Herr, und nicht nach unseren Sünden!" (Liturgie des Cyrill von Alexandrien, die neben der des Basilius und der des Gregorius in der koptischen Kirche gebraucht wird).

Dem objektivierenden Denken stellt sich also — im Verlauf des Vollzugs der Liturgie — ein subjektiv-objektives Denken zur Seite, das sich individuell in der vorantwortlichen Intention des Einzelnen äußert und kollektiv in der Tatsache, daß diese so „objektive" Liturgie der Ausdruck der Frömmigkeit einer bestimmten kirchlichen Familie ist. Die beängstigende Tatsache, daß das Ich, von dem ich befreit werden will, dennoch durch seine Memoria eigene Gedankenwelten schaffen muß, die in Gottes Wirklichkeit eingreifen und ihr entgegengehen, drückt sich in der wiederholten Bitte aus, Gott möge das eigene Opfer annehmen, das heißt meine eigene vom Denkansatz E kommende Welt möge nicht ins Leere, sondern auf Gott und seine Welt stoßen und in ihr aufgehen. 2413 Die „Wurzeln" der so betätigten Kollektiverinnerungen gehen durch die arabische „Bodenschicht" hindurch bis in den „Untergrund" der vorislamischen Christenheit des Nahen Ostens und ihrer Geschichte (s.o. S. 19, Anm. 8) 4 . Diese alte Geschichte ist in den orientalischen Kirchen in einer für den westlichen Christen erstaunlichen Weise lebendig. Die alten Liturgien und die dazugehörigen Theologien, die in den heutigen arabischen Kirchen weiterleben, konservieren kulturell unterschiedliche Räume, die in den übrigen Lebensbereichen durch die Arabisierung längst nivelliert worden sind. Deren wichtigste sind der syrische, der ägyptische und der griechische Das syrische Erbe steht — weil semitisch — dem arabischen Denken am nächsten. Es lebt in der assyrisch-chaldäischen, der syrischen und der maronitischen Kirche fort. Das ägyptische Erbe hat sich in der ¿optischen (d. h. ägyptischen) Kirche einen starken Hort erhalten und ist deutlich vom semitischen Denken unterschieden. Das fremde griechische Erbe findet sich in Reinform in den Kirchen des byzantinischen („kaiserlichen") Ritus, hat aber auch die syrische (insbesondere west-syrische) und die koptische Kirche stark beeinflußt. 4 Allgemeine Darstellungen der Geschichte der Kirchen des Nahen Ostens und ihrer heutigen Lage: B. Spuler: Die morgenländischen Kirchen. 1964. — Oers.: Gegenwartslage der Ostkirchen in ihrer nationalen und staatlichen Umwelt. 1968. — P. Rondot: Les chrétiens d'Orient. 1956. — A. J. Arberry (Hg.): Religion in the Middle East. 2 Bd. 1969. - P. Löffler: Die Gegenwart der Kirchen im Orient von heute, in: ökumenische Rundschau 21, 1972, S. 4 8 1 - 4 9 2 . - A. S. Atiya: A history of Eastern Christianity. 1968.

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Es versteht sich aus den Querverbindungen der als präsent weitergelebten altkirchlichen Zeit und ihrer verschiedenen kulturellen Areale, daß die orientalischen Kirchen einen Universalismus bewahrt haben, der während der Zeit der Isolierung zwar mehr oder weniger latent war, aber beim Einbruch des Westens wieder in Erscheinung trat und sich in einer besonderen Empfänglichkeit für den kirchen-politischen, proselytischen und theologischen Einfluß der europäischen und amerikanischen Kirchen äußerte (s.o. Einleitung S. 22 und 23, Anm. 13 und 15; als Vergleich zum Islam siehe 2113, Einleitung zu 23 und 2316). Die orientalischen Kirchen sind sich dessen wohl bewußt, daß sie das alte kirchliche Erbe reiner erhalten haben als die westlichen, die sich „von ihnen abgespalten" und sich in einer dem alten Erbe gegenüber nicht immer treuen Weise weiterentwickelt haben. Sie sind stolz darauf und erblicken in der Bewahrung der Orthodoxie ihre Aufgabe. Auch dem Islam gegenüber kann sich dieses Selbstbewußtsein äußern. Man betont dann die Einflüsse der christlichen Kirche auf den entstehenden Islam und seine Theologie (s. 3116) und sieht den Islam als häretisches Kind der Kirche.

2414 Das „Hauptwurzelbüschel", aus dem sich das christliche Denken nährt, sind die Bücher des Alten und des Neuen Testaments, die durch das Verlesen und Hören im Verlauf der Liturgie und das Lesen und Beten in den Häusern lebendig bleiben. Die gegensätzlichen Aussagen der Bibel über die Freiheit und die Determination des Menschen 5 sind 5 1) Biblische Aussagen über die Freiheit Gottes und die von ihm ausgehende Determination: — das ureigene Ich Gottes, seine absolute Freiheit, seine Unbegreiflichkeit, sein Ungebunden-Sein an Normen, seine Ungerechtigkeit: Ex. 33,19 + Rö. 9,14ff.: Er ist frei zu lieben, wen er will Jes. 4 5 , 9 - 1 3 ; Jer. 18,1-12 + Sir. 33,7ff. + Rö. 9,21: Die Freiheit des Töpfers Mal. 1,2—5 + Rö. 9,10ff.: Er ist frei, Jakob zu lieben und Esaù zu hassen Jes. 29,16; Hiob 9,12 + Rö. 9,20: Wer kann es wagen, zu sagen: Was tust du? Hiob 7,20: Er hat es nicht nötig, auf die Sünde des Menschen zu reagieren Hiob 9,22+24: Er ist ungerecht — die Allmacht Gottes und seine Allursächlichkeit: Gen. 1,3ff.: Er schafft durch sein Wort Jes. 55,10—11: Sein Wort bleibt nicht unwirksam: es tut auf jeden Fall das, was Gott mit ihm tun will Jer. 32,17 + Matt. 19,26: bei ihm ist nichts unmöglich 1. Kö. 22,34: Er lenkt die Bahn des Pfeiles, der ins Leere geschossen war Matth. 10,29,30: Kein Spatz fällt vom Dach ohne ihn. Alle unsre Haare sind gezählt 1. Kor. 12,6; 15,28; Eph. 1,11: Er wirkt alles in allem Pred. 3,14: Kein Beitrag des Menschen zu Gottes Tun — der Zwang den Gott ausübt: der Zwang zum Guten: er führt seine gute Absicht durch, ohne daß er irgend etwas dazu nötig hätte, etwa die Zustimmung des Menschen: Gen. 45,8; 50,20: Gott führt seinen Plan durch, die Menschen wie Marionetten bewegend 167

Num. 24,13: Bileam muß gegen seinen Willen segnen Amos 3,8: Die Berufung des Propheten geschieht „automatisch' Prov. 21,1: Gott neigt das Herz des Königs Mark. 4,26—29: Die Saat wächst „automatisch": Gott schafft sein Reich ohne die Mitarbeit des Menschen Joh. 6,44: Der Vater muß ziehen Joh. 15,19: Ich habe euch aus der Welt heraus erwählt Act. 13,48: Es glaubten die zum Heil Vorbestimmten Gal. 2,20: Nicht ich lebe mehr, sondern Christus lebt in mir Phil. 2,13: Gott schafft in euch das Wollen und das Tun Apoc. 3,9: Er wird die Lügner dazu zwingen, seine Liebe anzuerkennen — der Zwang, den Gott ausübt: der Zwang zum Bösen: er führt seine Unheilsabsicht durch, ohne daß er irgend etwas dazu nötig hätte, etwa die Ablehnung des Menschen: Ex. 4,21; 6,28 bis 7,7; 9,12+16 + Rö. 9,17; Gott verhärtet daß Herz des Pharao, damit alle Welt weiß, daß er es ganz allein war, der Israel befreit hat. Er tut dies, um sich selbst zu verherrlichen Deut. 2,30: Jos. 11,20: Er verstockt das Herz des Sihon und das der Kanaaniter 1. Sam. 16,14: Ein böser Geist von Gott quält Saul 2. Sam. 24,Iff.: Gott selbst verführt David zur Sünde Jes. 6,10 + Mark. 4,12 + Joh. 12,40: die Predigt verstockt die Herzen der Hörer: sie werden zum Nein-Sagen gezwungen Amos 3,6: Gibt es ein Unheil in der Stadt, das Gott nicht gemacht hat? Jes. 45,6: Gott macht Frieden und schafft (auch) Böses Ez. 20,25+26: Gott hat dem Volk schlechte Gebote gegeben, es verführt und und verunreinigt Hiob 12,1—10: Gott hat diese ganze Ungerechtigkeit gemacht 2) Aussagen über die Freiheit und Macht des Menschen: — Das Wahlvermögen des Menschen, seine Freiheit, das Angebot Gottes zu ergreifen oder abzulehnen, sich Gott zu öffnen und sich ihm hinzugeben oder sich ihm zu verschließen, er hat die Macht, durch seine eigene Umkehr Gott zur Umkehr zu bewegen: Deut. 11,26: Ich biete euch an Segen und Fluch Deut. 30,15+16; Jer. 21,8; Sir. 15,11-20: Vor dir liegt's, Tod und Leben, wähle aus! Jos. 24,15: Sucht euch aus, wem ihr dienen wollt Jes. 3 0 , 8 - 1 7 + Matth. 23,37: Sie haben nicht gewollt . . . Sach. 1,3; Mal. 3,7: Kehrt um zu mir, dann kehre ich um Ps. 33,8+9: Gott als Berater und Lehrer: Seid nicht ohne Verstand wie Pferd und Maultier, die Zügel brauchen Ps. 95,7ff: Verhärtet nicht selbst eure Herzen und irrt nicht mit euren Herzen selbst vom rechten Weg ab Matth. 19,17+21; Luk. 9,23: Jesus spricht den Willen an: wenn mir jemand nachfolgen will Luk. 16,1—7: kluges Abwägen und entschlossenes Ergreifen einer Möglichkeit in einer kritischen Situation

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so dem Christen wohlbekannt und leiten ihn bei seiner eigenen Gottesund Welterfahrung. Der libanesische Dichter Georges Schehadé beschreibt die starke Bezogenheit zur biblischen Wirklichkeit und das Aufgehen in ihr,· was Unerschrockenheit gegenüber einer in einem anderen Wirklichkeitsbezug lebenden Umwelt bewirkt: Der, der denkt und nicht redet Ein Pferd zieht ihn zur Bibel. Ein Stock macht ihm keine Angst Denn der Geist hat ihn nicht verlassen. Der, der träumt, vermischt sich mit der Luft 6 .

2415 Ein das Selbstverständnis der arabischen Kirchen besonders beherrschender Punkt der eigenen Geschichte ist die im 5. Jahrhundert einsetzende Auseinandersetzung um die Art und Weise der Einheit von Jesu Mensch-Sein und Jesu Gott-Sein. — Der „monophysitischen" Seite ging es und geht es darum, die Einheit der Person und der Natur Jesu dergestalt zu betonen, daß unter Erhaltung der vollen Menschheit Jesu — „ohne Vermischung, Verschmelzung oder Veränderung" — diese doch „keinen Augenblick von seiner Gottheit getrennt" (koptische Liturgie), d.h. daß sie völlig von ihr determiniert ist. Das Anliegen ist hierbei ein soteriologisches, wobei Jesus als Archetyp, als Erstgeborener der Menschheit gilt: nur wenn 1. Kor. 14,32: die Geister der Propheten sind den Propheten Untertan Phil. 2.12: erarbeitet euer Heil Apoc. 14,6+7: das Evangelium wird allen Menschen angeboten — die Verantwortlichkeit des Menschen, das Endgericht nach den Werken, Lohn und Strafe, der Mensch als Urheber seiner Taten, Gott tut nichts Böses: Ez. 18: die persönliche Verantwortlichkeit Amos 5,4—6, 18—20; 8,7: der „automatisch" berufene Prophet wendet sich an die Verantwortlichkeit der Menschen Ex. 20,5+12: Gott bindet sich seinem Volk gegenüber, zu strafen und zu belohnen Matth. 5,12: euer Lohn im Himmel Matth. 12,36: Rechenschaft über jedes unnütze Wort Matth. 16,27: der kommende Menschensohn richtet nach den Werken Matth. 25,31ff.: Endgericht der Völker nach ihren Werken Rö. 14,10—11; 2. Kor. 5,10: Wir haben alle zu erscheinen vor dem Richterstuhl Gottes Jak. 1,13: Gott versucht und verführt niemand 1. Petr. 1,17; Apçjc. 2,23; 20,12+13; 22,12: Endgericht nach den Werken 6 G. Schehadé·. Les poésies. 1952, S. 98.

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die menschliche Natur jegliche Eigenständigkeit gegenüber Gott verliert, kann sie von ihrer Sünde befreit, kann sie gerettet, kann sie erlöst werden. Die mystische Frömmigkeit — auf deren Grund das monophysitische Anliegen gewachsen ist und heute noch lebt — nimmt teil an der in Jesus geschehenen Befreiung und erlebt dies als eigene Vergottung (Theosis). „Wenn man nach der Vereinigung der Menschheit und der Gottheit Jesu noch von zwei Naturen reden würde, dann würde das keine wirkliche und gute Vereinigung bedeuten . . . Wir lehnen den Ausdruck der Westlichen: „zwei vereinte Naturen" ab . . . Wie aber ist es möglich, daß in Jesus Christus die Attribute beider Naturen vorhanden sind, ohne daß zwei Naturen in ihm sind? Dies ist eines der göttlichen Geheimnisse . . . " 7

Die monophysitische Seite trägt also ihr Anliegen in einer gedanklichen Fassung vor, die eine mystische Erfahrung widergibt, bei der das Subjekt sich als Objekt erfährt. Der hierbei angemessene Denkweg ist der objektivierende Weg N. Die gewichtigste monophysitische Kirche im arabischen Raum — die sich wie alle übrigen monophysitischen Kirchen von dem auf dem Konzil von Chalcedon verurteilten Monophysitismus distanziert — ist die koptische. Die gleiche Christologie vertritt die syrisch-orthodoxe („jakobitische") Kirche, die — ebenso wie die maronitische — der west-syrischen Kirchenfamilie angehört. Die maronitische Kirche ist eine ursprünglich monotheletische Kirche und gehört so zur Familie derer, die das Anliegen der Einheit der menschlichen Eerson Jesu mit Gott in monophysitischer Weise vortragen. Sie ist allerdings in ihrer Frömmigkeit und Theologie durch ihren nunmehr 6 Jahrhunderte dauernden Anschluß an Rom — unter Beibehaltung der eigenen Liturgie — stark latinisiert worden. Eine Verstärkung hat die monophysitische Familie im arabischen Raum durch die armenische Kirche erfahren, seit in jüngster Zeit Armenier in ihn eingeströmt sind.

— Auch die „nestorianische" Seite vertritt in ihrer Christologie ein die ganze Menschheit betreffendes soteriologisches Anliegen, beschreitet dabei jedoch den subjektiv-objektiven Denkweg, der vom ethischen Ansatz herkommt: an der Eigenständigkeit der Menschheit Jesu — zu der seine Freiheit gehört — ist unbedingt festzuhalten, wenn Gott und die von ihm kommende Befreiung wirklich beim Menschen ankommen und von ihm in einer befreienden Tat ergriffen werden soll. Im Gegensatz zu den Monophysiten, für die die „eine Natur" Jesu evident ist, während die Selbständigkeit seiner menschlichen Entität — die nicht aufgegeben werden soll! — nur als undenkbares Geheimnis bezeugt werden kann, 7 W. Ά. öirjfis (jetzt Bischof Gregorius): ta'lïm kanïsa al-askandariyya wa ahawätihä al-kanä'is al-urtüduksiyya aäi-Sarqiyya al-qadïma fimä yahtass li-tabï'a as-sayyid al-masih . 1961 (Vortrag gehalten auf einer Tagung des Weltkirchenrates in Jerusalem, April 1959).

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sind für die Nestorianer die „zwei Naturen" Jesu evident. Die Gegenaussage jedoch, die beide Naturen verbindende Einheit — die auch für sie zur Befreiung des Menschen unerläßlich ist! — bekennen sie als undenkbares Geheimnis. Das nestorianische Anliegen wird im arabischen Raum nur von der assy riseh-chaldäischen Kirche vertreten. Sie stammt aus der ostsyrischen Kirchenfamilie, die der Hellenisierung besser als die westsyrische Familie widerstanden und daher ihren semitischen Charakter reiner bewahrt hat. Während sie im Mittelalter eine bedeutende Rolle gespielt hat und auch zum Islam fruchtbare Beziehungen unterhielt, ist sie heute, ebenso wie die westsyrische „jakobitische" Kirche stark dezimiert. Beide zählen je etwa 200 000 Mitglieder.

— Der auf dem Konzil von Chalcedon im Jahre 451 gefällte Schiedsspruch ist eine Kompromißformel, die den monophysitischen und den nestorianischen Denkansatz festhält, sie jedoch beide in der Reinform ihres Denkgefälles ausschließt: zwei in sich geschlossene Denksysteme werden abgelehnt, ohne dabei genauer zu definieren, wie das, was es zu verteidigen gilt — nämlich das wahre Verhältnis der Menschheit Jesu zu seiner Gottheit — bezeichnet werden soll. Dieser Schiedsspruch kann als der Ausdruck des Willens gelten, der Spannung gegensätzlicher Aussagen standzuhalten und nicht dem Druck eines philosophischen Systems nachzugeben. Die Triebkraft dieses Kompromisses ist die Erfahrung, daß beide Aussagen nötig sind, um die komplexe Wirklichkeit der Durchdringung von Gott und Mensch zu bezeugen. Praktisch war jedoch dieser Schiedsspruch ein Mißerfolg. Denn weder die nestorianische, noch die monophysitische Seite fühlte sich betroffen. Sie waren sich dessen bewußt, daß auch sie der Spannung der Gegensätze standhielten, denn sie betonten jeweils eine Evidenz und bekannten die andere — an der sie festhielten — als göttliches Geheimnis. Die Tatsache, daß beide Kirchenfamilien, die nestorianische und die monophysitische, seit anderthalb Jahrtausenden als lebendige Gemeinschaften fortbestehen, weist darauf hin, daß in Chalcedon zwar zurecht zwei Denkextreme als der Wirklichkeit nicht entsprechend gebrandmarkt wurden, daß aber die Gemeinschaften, in denen sich diese Extreme abzeichneten, damit nicht in der Fülle ihrer Gotteserfahrung verstanden und beschrieben wurden. Die Folge war die bis heute andauernde Spaltung der orientalischen Kirchen. Die dem byzantinischen Ritus der Reichskirche und der Entscheidung von Chalcedon folgende „kaisertreue" (melchitische) Kirche spielt auch heute im Konzert der Kirchen des arabischen Raumes eine bedeutende Rolle. Auch wenn sie von den „zwei Naturen" Christi redet, so steht sie doch auf Seiten des monophysitischen Anliegens der Vergottung des Menschen und seiner Determination durch Gott: „die Kirche ist keine Art von Synergie, keine Zusammenarbeit zwischen Gott und Mensch in der Geschichte. 171

Sie ist vielmehr die vergottete Menschheit Christi, erweitert durch unsere Menschheit, die dabei ist, durch den Heiligen Geist vergottet zu werden." 8 So wie auch in den monophysitischen Kirchen liefern bei ihr „pelagianisierende" Aussagen über die Rolle des Menschen beim Ergreifen des Heils das notwendige ethische Gegengewicht gegenüber der quietistischen Tendenz der monophysitischen Christologie.

— Der enge Zusammenhang von Christologie und Anthropologie erhellt aus der Tatsache, daß auf dem Konzil von Ephesus 431 — auf dem das monophysitische Anliegen das Übergewicht hatte — auch der Pelagianismus verurteilt wurde. Ein und dasselbe Anliegen betonte die von Gott ausgehende Determination in ihrer totalen Wirkung auf den Menschen Jesus und auf jeden einzelnen Menschen und befürchtete, die Eigenständigkeit des Menschen und seine Initiative führe ihn nicht zu seinem Heil, sondern zu seinem Unheil. In der Folge gewöhnte man sich allerdings im Osten daran, die Bereiche der Christologie und der Anthropologie gedanklich zu trennen und in ersterem vor allem auf die Vergottung der Menschheit Jesu und in letzterem vor allem auf die Freiheit des Menschen das Schwergewicht zu legen. Dies war eine — wenn auch vereinfachende — Weise, die Spannung von Determinations- und Freiheits-Aussagen zu meistern. Eine solche Aufteilung der Gegensätze auf zwei verschiedene Bereiche (s.u. 321) mag schon bei den griechischen Kirchenvätern angelegt sein, die gegenüber Stoa und Gnosis (und ägyptischen Vergottungsanschauungen? ) die Freiheit des Menschen zu verteidigen hatten. 2416 Die über die unterschiedlichen Kollektiverinnerungen der heutigen christlichen Gemeinschaften entscheidenden Weichenstellungen geschahen in der vor-islamischen Kirchengeschichte. Nun muß aber auch gefragt werden, welchen Einfluß die islamische Umwelt ausgeübt hat während der langen Wegstrecke, die die arabische Christenheit zusammen mit dem Islam — als Minderheit in seiner Umma — zurückgelegt hat. Als die beiden wichtigsten Arten von Einfluß können dabei das bewußte Anderssein-Wollen und das unbewußte Akkultiert-Werden gelten. — Michel Hayek, ein maronitischer Theologie, charakterisiert die Besonderheiten des Beitrags der arabischen Christen zur Renaissance der arabischen Literatur. Er sieht darin den Ausdruck einer religiösen Psychologie, die sich im bewußten Gegensatz zur islamischen Umwelt ausgebildet habe. Er hebt drei Kennzeichen hervor: — gegen die islamische Heilssicherheit verstärke sich der Sinn für die unglückliche Sündhaftigkeit des Menschen und den beängstigenden Kampf zwischen Sünde und Gnade; der Dichter Ilyäs Abu $abaka (1904—1947) verkörpere diese Richtung;

8 G. Khodr: An Eastern orthodox viewpoint, in: International Review of Mission 60, 1971, S. 6 5 - 6 9 .

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— gegen die konsequente Trennung von Schöpfer und Geschöpf im Islam (tanzïh) entstehe die Neigung zum pantheistischen Monismus und zur Vergottung des Manschen; öibrän Haiti öibrän (1883—1931) und Mlhä'il Nu'ayma (geb. 1894) seien Vertreter dieser Richtung; — im Gegensatz zum spannungslosen islamischen Atomismus und Determinismus sehe man die Eigengesetzlichkeit der Welt und die Freiheit des Menschen im Konflikt mit der unmittelbaren Allkausalität Gottes; die Tragödie, die in der arabischislamischen Literatur fehle, sei daher eine christlichen Autoren wie Fauzt al-Ma'lüf (1899-1930) und Sa 'id 'Aql (geb. 1912) zueigene Literaturform 9 . — Man mag in dieser Darstellung die Vorliebe Hayeks für den Ansatzpunkt E spüren, sowie die Meinung, der Islam begehe nur den Denkweg Ν und vermiße daher eine belebende innere Spannung. Ebenso wie den Muslimen der Sinn für die Tragödie abgehe, kennten sie demnach auch nicht die Abgründe des Zerrissenseins, die im Qalaq erlebt werden (s.o. 2212). Der tragische Schluß des Romans „Ich lebe!" der libanesischen islamischen Schriftstellerin Leila Baalbaki (geb. 1936) 1 0 zeigt die Einseitigkeit einer solchen Schlußfolgerung. Eine diametral entgegengesetzte Interpretation des Fehlens der Tragödie im ägyptischen Theater gibt Louis 'Awad (1915 in christlicher Familie geboren). Für ihn ist die ägyptische ländliche Gesellschaft eine moralisierende, grausame Welt, in der alle Beziehungen zwischen den Menschen und der Menschen mit Gott sich auf der Basis von Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und ethischer Norm abspielen. Die literarischen Ausdrucksformen einer solchen Gesellschaft seien die Komödie und das Heldenepos. In ersterer wird der böse Mensch belacht und bestraft, der gute belohnt; in letzterer wird der gute Held verherrlicht. Um Tragödien hervorzubringen, bedürfe es des Sinnes für Determination und letzüich für Barmherzigkeit und Vergebung. Nur so könne die tragische Spannung zwischen Schuld und Schicksal erlebt werden. Dieser Sinn aber gehe dem ägyptischen Volke ab, trotz aller frommen Sprüche vom Gott, der die Schicksale bestimmt! 1 1 Angesichts solch entgegengesetzter Analysenergebnisse kann immerhin konstatiert werden, daß dort, wo das Tragische abwesend ist, es an Spannung zwischen Gegensätzen fehlt: sei es daß die Freiheit des Menschen oder daß seine Determination nicht erlebt wird. — In den traditionellen dogmatischen Lehrbüchern — die jüngeren Datums sind als die Liturgien — kommt bei der Behandlung des Kapitels von Qadä' und Qadar eine sich der islamischen Orthodoxie gegenüber distanzierende Haltung zum Ausdruck. So wird das in diesem Punkt schon bei den Vätern der alten Kirche angelegte „pelagianisierende" Denken noch verstärkt. Die Art und Weise der theologischen Argumentation, das Voranstellen der Freiheits-Aussagen und das Um-Interpretieren der Determinations-Aussagen in der Offenbarungsschrift erinnern in frappierender Weise an den Mu'tazilismus (s. o. 232) und an Moses Maimonides. Dies ist ein Hinweis auf die Querverbindungen, die zwischen den theologischen 9 M. Hayek: L'originalité de l'apport chrétien dans les lettres arabes, in: J . Berque (Hg.): Normes et valeurs, S. 115-121. - Zu Öibrän s, auch St. Wild: Friedrich Nietzsche und Gibran Khalil Gibran, in: al-Abhath 22, 1969, S. 4 7 - 5 7 . 10 L. Baalbaki: J e vis! (traduit de l'arabe par M. Barbot). 1961. 11 Louis 'Awad·. Prédestination et liberté dans le théâtre égyptien, in: A. AbdelMalek (Hg.): Anthologie, S. 4 0 8 - 4 1 3 .

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Lehren der drei Religionen bestanden haben, die im selben arabischen Kulturraum lebten: „Das Heil des Menschen ist ein gemeinsames Werk Gottes und des Menschen: es ist eine vom Menschen bedingte Gabe Gottes" . . . „Gott wirkt in der Taufe das Heil des Menschen als Antwort auf dessen Reue und Verlangen nach der Taufe, die beide ein Werk der Freiheit des Menschen sind" . . . „Gott will, daß alle Menschen gerettet werden (1. Tim. 2,4): denen, die verloren gehen und nicht zum Glauben kommen, geschieht dies demnach ihrem eigenen Willen zufolge." . . . „Gott hat — schon vor ihrer Geburt — Jakob in Voraussicht seiner Tugend erwählt und Esaù in Voraussicht seiner Untugend verworfen" (zu Rom. 9,11). Diese Meinungen werden getreu über die Jahrhunderte hinweg tradiert und heute noch gelehrt. Autoren zitieren dabei ihre Vorgänger und werden später von ihren Nachfolgern lehrend und schreibend angeführt12.

Das bewußte Anders-sein-Wollen — von dem wir bisher sprachen — ist ein verhältnismäßig leicht zu erfassender Vorgang. Denn bei ihm handelt es sich um die Reaktion auf ein bestimmtes, einfaches — und oft vereinfachendes — Bild, das sich der Christ vom Islam macht. In Hinblick auf unsere Frage entwickelt er sich dabei meist gegen einen vorzugsweise deterministisch verstandenen Islam. Die häufiger unbewußt und ungewollt geschehende als frei gewählte Akkulturation und Angleichung an die andere Religion („Arreligionation") ist ein weniger leicht zu bestimmender Vorgang. Denn dabei wirkt das ganze Spektrum der islamischen Gesellschaft und Religion — welches reichhaltiger ist als das Bild, das man sich davon macht — auf die nicht-islamische Minderheit ein. Als Hinweis auf eine solche (unbewußte oder zustimmende?) Übernahme islamischer Werte mag die Formel gelten, die — im koptischen Raum — häufig das liturgische „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" ersetzt, wenn in einem nicht-liturgischen Rahmen im Namen Gottes geredet oder gehandelt wird. Sie lautet: „Im Namen Gottes, des Starken" (bismillähil-qawïy).

242 Der Einbruch des Westens: Rezeption und Reaktion 2421 Der Einbruch des Westens brachte die arabische Christenheit erneut in unmittelbare Beziehung mit den westlichen Kirchen. Daraus entstand Schiechtes und Gutes, Entfremdung und Belebung. 12

I. al-Maktrt: al-häwf. Etwa 1960 (Lehrbuch eines koptischen Theologen, der im 13. Jahrhundert wirkte. S. 141ff.: über den göttlichen Ratschluß). — M. Mtnä: 'ilm-ul-lahüt. 1938 (Bd. 2, S. 1 3 - 8 5 , 166ff.; Bd. 3, S. 71ff.). - Mündliche Mitteilungen von Bischof Gregorius, Direktor der koptischen theologischen Hochschule in Kairo an den Verfasser 1971.

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Die römischen Einheitsbestrebungen vermehrten noch die schmerzliche Trennung der Christen, denn sie bewirkten in allen orientalischen Kirchen — außer der maronitischen — ein Schisma zwischen einer „katholischen" und einer „orthodoxen" Kirche desselben Ritus. Dies bewirkte — zumindest in der Theologie — eine Latinisierung, die sich umso stärker auswirken konnte je älteren Datums der Anschluß der betreffenden Kirche war. Allen voran geht hier die maronitische Kirche, die schon während der Kreuzzüge begann, sich als geschlossene Gruppe mit Rom zu verbinden. Auch der lateinische Ritus hielt allenthalben Einzug. Die heutigen Bestrebungen der „Ent-latinisierung" können diese Entwicklung nur ändern, nicht aber rückgängig machen. Immerhin verschaffte der Anschluß den arabischen Kirchen einen festen Sitz im Katholizismus. In ihm kann so die Stimme des nicht-römischen orientalischen Christentums in den eigenen Reihen und nicht nur über den „Umweg" der Ökumene dringlich vernommen werden. Neben einer solchen proselytischen Wirkung — d. h. nach dem Verständnis der orientalischen Kirchen einer Abspenstigmachung von Christen anderer Konfession — verursachte die katholische Kirche auch einige Bekehrungen von Muslimen 13 . Dem proselytischen Effekt, der von den evangelischen Kirchen ausging, ist u. a. die Entstehung der koptisch-evangelischen und der armenisch-evangelischen Kirche zuzuschreiben. Die Konvertierung von Muslimen führte nirgends zu .jungen Kirchen" im islamischen Raum (s.o. S. 23, Anm. 15). Die westlichen Kirchen versuchen heute, durch zwischenkirchlich-ökumenische diakonische und theologische Hilfe gegen die von ihnen ausgehende proselytische Wirkung anzukämpfen. A u f s Ganze der arabischen Christenheit gesehen bilden — v o n einigen lokal e n A u s n a h m e n abgesehen — die k a t h o l i s c h e n u n d die evangelischen Kirc h e n eine zahlenmäßig meist u n b e d e u t e n d e Minderheit. Der theologisch v o n ihnen ausgehende Einfluß ist j e d o c h verhältnismäßig groß. 2 4 2 2 Das Erscheinen v o n Christen westlicher Prägung auf der Bühne der arabischen Christenheit brachte d e n Anschluß an die westliche Theologiegeschichte, die im D e n k e n dieser Christen lebendig ist u n d es programmiert. — Ein globaler Unterschied z w i s c h e n der G e s c h i c h t e der Ostkirche und der Westkirche wird so durch verschärfte Kontrastwirkung besonders deutlich: die große soteriologische Auseinandersetzung — in die die Frage nach d e m Anteil des M e n s c h e n u n d seiner Freiheit an d e m v o n G o t t gewirkten Heil eingeht — wird im O s t e n in der Christologie — unter Be13 Eine der markantesten Persönlichkeiten in der katholischen Kirche, die aus dem Islam stammen, ist der marokkanische Franziskaner 'Abd-ul-öalil, der seiner geistlichen Heimat weitgehend treu geblieben und innerhalb des Katholizismus ein Sprachrohr des islamischen Anliegens ist. Als speziell christliches Bekenntnis im Rahmen des islamischen Denkens gilt für ihn die Betonung der Immanenz des Göttlichen, der aktiven Rolle des Menschen bei der mystischen Vereinigung mit Gott und der Hoffnung auf das Eingehen aller Menschen in die Subjektivität des totus Christus zu der Stunde, in der er das himmlische Jerusalem sein wird (J. M. Abd-el-Jalil: Aspects intérieurs de l'Islam. 1949, S. 55). 175

t r a c h t u n g J e s u , des Erstgeborenen unter den T o t e n — ausgetragen, im Westen dagegen r i c h t e t sich das Interesse auf die Anthropologie,

auf den

Menschen im allgemeinen. Jetzt hält der ganze Augustin seinen Einzug. Bislang wurde mit Vorliebe nur der Augustin zitiert, der die Freiheit des Menschen betont; so etwa folgendes Wort und in folgender Übersetzung: „Gott, der dich ohne dich geschaffen hat, kann dich nicht ohne dich retten", wobei das Nicht-Können Gottes betont wird: „würde er den Menschen ohne dessen Zustimmung retten, so widerspräche das seinem Attribut der Vollkommenheit (al-kamäl)" I 4 . — D u r c h die gleichzeitige Anwesenheit von Katholiken und P r o t e s t a n t e n wird der große

Disput

zwischen

Erasmus

und Luther

u m den freien oder

unfreien Willen des M e n s c h e n 1 5 lebendig. Die T a t s a c h e , daß L u t h e r diese Auseinandersetzung als den v o r n e h m s t e n Grund für die T r e n n u n g der Evangelischen v o n den Katholischen ansah, ist zwar aus dem Bewußtsein vieler Christen dieser beiden Konfessionen verschwunden. D o c h mag so mehr und mehr ans L i c h t k o m m e n , wie ähnlich in vielen P u n k t e n die D e b a t t e zwischen Erasmus u n d L u t h e r der zwischen den Mu'taziliten al-Asch'ari

und

war. D e n n letztere ist j a nicht nur dem islamisch-arabischen,

sondern a u c h d e m christlich-arabischen Denken w o h l b e k a n n t . In der Sicht unserer Fragestellung und der hierbei angewandten Arbeitshypothese „Komplementarität im Bohrschen Sinn" (s.o. 1244) liegt der Grund des Zerwürfnisses zwischen Luther und Erasmus darin, daß weder der eine, noch der andere in der Lage war, seinen Gesprächspartner davon zu überzeugen, daß er auch am Anliegen des von ihm nicht begangenen Denkweges festhielt (s.u. 36). Beide warfen sich gegenseitig die verwerfliche logische Konsequenz ihres Denkweges vor, obwohl sie für sich selbst diese Konsequenz gar nicht ziehen wollten, sondern sie sogar ausdrücklich ablehnten: — Luther war nicht der Determinist, für den ihn Erasmus hielt: in der entsprechenden Situation verteidigte er die Freiheit des Menschen sogar sehr heftig (ζ. B. gegen den Antinomer Agricola); — Erasmus drang keineswegs bis zum gottesmörderischen Extrem des Denkweges der „vollen" Redeweise vor, bei dem der Mensch sich selbst erlöst: er hatte — in allerdings reichlich ungeschickter Weise — durch Klauseln zugunsten der Allkausalität Gottes allerhand Sicherungen eingebaut, die sein Denken gegen dieses Extrem schützen sollten. Er hat daher die Heftigkeit der Reaktion Luthers gegen ihn nie verstanden. — Mißverständnisse zwischen Christen, deren Erfahrungen sich auf gegensätzlichen Denkwegen niedergeschlagen haben — was bei Erasmus und Luther der Fall war — erschweren heute den Dialog zwischen der koptisch-orthodoxen und der koptischevangelischen Kirche, die in der Theologiegeschichte des amerikanischen Presbyteria14 „Allah ul-ladî halaqaka bidünika, lä yaqdir an yuhallisaka bidünika". Vgl. hierzu H. J. McSorley: Luthers Lehre vom unfreien Willen. 1967, S. 6 4 - 1 0 9 : freier und unfreier Wille bei Augustinus. 15 Eine zusammenfassende Darstellung: H. J. McSorley: Luthers Lehre vom unfreien Willen. 1967. 176

nismus beheimatet ist. Auf die „pelagianisierenden" Aussagen der traditionellen koptischen Anthropologie (s.o. 2416) stoßen hier massive D-Aussagen wie: „wir sind gesteuert im Bereich der Materie und im Bereich des Geistes" (die an die islamische Fragestellung „gesteuert oder vor die Wahl gestellt?" (s.o. 231) anknüpfen). Der Gefahr, daß gedankliche Engführungen zum Zerwürfnis führen, kann dabei begegnet werden, wenn sich beide Seiten an die Reichhaltigkeit ihrer Erfahrungen erinnern. Sie erkennen dann, daß beide gemeinsam bei ihrem Beten den D-Weg und bei ihrem Predigen den F-Weg benützen, daß aber bei den einen die Struktur des „Predigt-Denkens" und bei den anderen die des „Gebets-Denkens" auf dem Gebiet der Anthropologie die „offizielle" Theologie beherrscht. — A u c h o h n e evangelisch-katholischen Dialog bleibt die Frage lebendig, ob der Mensch das Heil erleidet oder o b er es ergreift. D e n n die katholisch-evangelische Kirchentrennung h a t t e ja nicht die F-Wege u n d die DWege des D e n k e n s auf die T h e o l o g i e n der b e i d e n Lager aufgeteilt: K a u m hatte m a n ein gefährliches D e n k e x t r e m erfolgreich e x k o m m u n i z i e r t , so verursachte der alte Widerspruch im eigenen Lager neue Spannungen u n d Spaltungen! Im Katholizismus — besonders dem französischen, der von tiefgreifendem Einfluß in der christlich-arabischen Welt ist — brennt die Wunde von Port Royal weiter. Das Stichwort ,,Jansenismus" beschwört Pascal mit seinen „Lettres Provinciales" herauf, zusammen mit seinen Gegnern, gegen die er Protest und Spott schleuderte: die Jesuiten und die Dominikaner, die selbst im Molinisten-Streit in der Frage um die Wirksamkeit der Gnade Gottes gegeneinander zu Felde zogen. Im evangelischen Lager ist die lutherische Kirche geprägt durch den Vorwurf des „Mahumetanismus", (Philipp Nicolai, Abraham Calov) der gegen die Reformierten erhoben wurde seit man in ihr — im Gefolge Melanchtons — die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen wieder in ihren logischen Konsequenzen durchdachte. Dabei taten die Reformierten nichts anderes, als Luthers Anliegen gegen Erasmus konsequent zu verfechten. Eine derartige Entwicklung mag manchen christlichen Araber an die im Asch'arismus übliche entrüstete Ablehnung „gabaritischer" Tendenzen (Betonung des göttlichen Zwanges) (s.o. 2322, Anm. 41) erinnern, wo doch deren Anliegen dasselbe ist wie das al-Asch'aris: Sie richten sich gemeinsam gegen den Mu'tazilismus. Mit dem Einfluß Karl Barths in der Theologie des Orients erstehen auch die — in derselben Richtung liegenden — Vorwürfe von lutherischer (und katholischer) Seite, die darauf hinaus verlaufen, daß man Karl Barth nachweist, er lehre an Stelle der Rechtfertigung durch den Glauben eine „Rechtfertigung ohne den Glauben". Dabei wird nicht bemerkt, daß Karl Barth neben der „leeren" Redeweise, die er konsequent zu Ende spricht, sich auch der „vollen" Redeweise bedient, die sich seiner leeren Redeweise widersetzt und dem Anliegen der lutherischen (und katholischen) Vorwürfe gerecht wird (s.o. 1234). — Selbstverständlich gelangen alle neueren t h e o l o g i s c h e n S t r ö m u n g e n in die arabische christliche Welt u n d f i n d e n dort ihre Vertreter 1 6 . Insbesondere 16 Ein Vertreter des Neo-Thomismus ist Yusuf Kararit (1886—1959). Er knüpft gleichzeitig an die aristotelische Tradition der islamischen Philosophie an und verficht 12

Schoen, Determination

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verbreitet die historisch-kritische Forschung neues Verständnis für die Situationen und die traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge, aus denen die gegensätzlichen Aussagen der Bibel über Determination und Freiheit des Menschen erwachsen sind (s. S. 167ff., Anm. 5). 2423 Unter den modernen Geistesströmungen aus dem Westen (s. o. 22) bewirkte zunächst der Existentialismus — mit seinen Vorläufern und Verwandten — die meisten Rezeptionen und Reaktionen, die im arabischen Christentum einen besonderen Charakter erhalten können: — Während in dem an Kafka anklingenden Werk von Venus Khoury die Trennung von der Umwelt und die Einsamkeit dessen erlebt wird, der von der Freiheit seiner Existenz weiß 17 , drängt in den Gedichten von Georges Schehadé diesselbe Erfahrung nach einer christliche Züge tragenden Uberwindung: Er weiß, daß er „Bergblume" sagt, um Einsamkeit zu sagen, und „Freiheit", um Verzweiflung zu sagen, nimmt sich aber vor, als „Holzhauer in einem Wald voller Gerechtigkeit und Romanzen" diese „Lügen" zu beseitigen, damit Bergblume und Freiheit wirklich und Einsamkeit und Verzweiflung unwirklich werden 18 . Halli Rämiz Sarhis lebt ganz in der Erfahrung der Freiheit des Menschen, im Glauben an ihn und seine Zukunft. Jedoch „bleibt er bei diesem großen Abenteuer nicht allein". Er spürt, wie sich „in ihm die Energien der Millionen und der Erde kondensieren — in ihrer Entwicklung nach vorne und nach oben" — und bringt sie Gott als Opfer dar mit der Bitte: „Laß Deine Welt die meine sein, dann bin ich Schöpfer meines Schicksals, ohne die Gesetze der Natur und der Vernunft zu verletzen!" 19 Charles Habib Malik weiß, daß es „des Menschen Schicksal ist, sich in seiner Freiheit auf eine Möglichkeit zu werfen und dabei andere zu zerstören", will dabei aber „Heidegger mit der jüdisch-christlichen Tradition versöhnen" und fordert „demütige Nietzscheaner". Im selbstverständlichen Er— mit den Mu'taziliten und mit Averroes — die Freiheit des Menschen und die sekundären Ursachen gegen alle die, die — um Gott die Ehre zu geben — diese angesichts der Prima Causa verflüchtigen. Yüsuf Karam ist ein Schüler von Jacques Maritain. Y. Karam: Sur la cause efficace, in: A. Abdel-Malek (Hg.): Anthologie, S. 2 9 8 - 3 0 1 . - Zu Yüsuf Karam siehe M. Wahba: Yüsuf Karam - al-failasüf al'aqll al-mu'tadil, in: Ders.: Philosophische und politische Aufsätze. 1971, S. 152— 171 und N. Nassar: Remarques sur la renaissance de la philosophie dans la culture arabe moderne, in: A. Abdel-Malek (Hg.): Renaissance, S. 331—341. 17 F. Khoury: Les indaptés. 1971. 18 G. Schehadé: Les poésies. Bd. II. 1948, Nr. 7: Quand la nuit est brillamment éparpillée. 19 H. R. Sarkïs: Masïr. S. 291ff. - Ders.: Ardunâ al-gadïda. 1962.

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tragen der Spannung gegensätzlicher Aussagen redet er an anderer Stelle von der Allwirksamkeit Gottes und bekennt sich zu dem mit ihr verbundenen „Geheimnis des Leidens um des Herrn Namen willen" 20 . In einem weniger dichterisch-theologischen und mehr philosophischen Wurf vertritt René Habachi den besonders mit Emmanuel Mounier verbundenen Personalismus, der an alle großen Traditionen des Nahen Ostens anknüpfe und daher eine letztlich in ihm heimische Philosophie sei. Der Existentialismus habe ihr den Sinn für die Freiheit, der Marxismus den für die Erde erweckt. Der Personalismus jedoch könne Freiheit und Erde verbinden, ohne etwas von der Transzendenz und von der Dichte der Geschichte zu opfern. Letztlich fallen jedoch harte Worte für den Marxismus, der Atheismus, Materialismus und Determinismus an die Stelle von Gott, Geist und Freiheit gesetzt habe 21 . - Eine völlig andere Antwort auf den Existentialismus gibt der einflußreiche koptische Mönch und Theologe Mattà-1-Miskïn (Matthäus der Arme). In ihr zeigt sich die soteriologische Durchschlagskraft der mono· physitischen Christologie, der gegenüber das in der koptischen Anthropologie gebräuchliche Freiheits-Denken nahezu verdrängt erscheint: In seinem Standard-Werk über das orthodoxe Gebetsleben erhält zwar im Kapitel über „die Aspekte des inneren Eifers zum Gebet" die Wahlfreiheit des Menschen ihren gebührenden Platz. Dabei wird Clemens von Alexandrien zitiert mit seiner Meinung, das Christ-Sein als tätiges Geschehen sei „Askese" und das asketische Tun sei ein Beweis für das Wahlvermögen des Menschen. Dieses Wissen ist jedoch eingebettet in ein anderes Wissen, nämlich daß „die Glaubenden aus dem Samen des Menschensohns stammen (zu Matth. 13,35—43), daß sie deshalb zur göttlichen Natur gehören und rein wie die Sonne sind. So sind sie stärker als der Satan und können kämpfen bis zu dem Tag, an dem der Lolch aus ihren Herzen gerissen wird". „Der Menschensohn aber ist der auferstandene Messias, der uns in seiner Natur trägt und mit uns leidet, solange der Tod nicht endgültig unterworfen ist (zu 1. Kor. 15,20—28). Am Ende aber, wenn er sich Gott unterwerfen wird — nach dem Sieg über den letzten Feind, den Tod — wird die mit Christus vereinte Menschheit notwendigerweise — in Christus — Gott unterworfen". 20 Ch. Malik: Man in the struggle for peace. 1963, S. XLI. — Ders.: Die geistige Situation der nahöstlichen Christenheit, S. 145f. 21 R. Habachi: Une philosophie pour notre temps. 1960, S. 78 und 107. — Ders.: Commencement de la créature. 1965, S. 7, 47, 55, 72, 173.

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Von daher die Antwort auf den Existentialismus: „Die wirkliche, die wesentliche Freiheit ist nicht die Wahlfreiheit (die Mattâ-1-Miskïn nicht leugnet, sie könne aber nichts mehr als nur wählen . . .) sondern die Freiheit, die ihrem Wesen nach Gott ist. Die Wesenszüge dieser wirklichen Freiheit aber können wir im Menschen nicht erblicken!" Der Existentialismus dehne in ungebührlicher Weise die Freiheit zu wählen auf die Freiheit zu tun aus: „der Mensch ist zwar frei zu wählen und zu wollen, aber nicht frei zu tun! . . . Tut er das Böse, so ist er geknechtet, und um das Gute zu tun, braucht er eine höhere Kraft . . . Hier tritt Christus auf als der wahre Befreier . . . durch seine Natur und aufgrund seiner Natur . . . Er stellt die dem Menschen fehlende Freiheit wieder her, indem er ihn von sich selbst und seinem Egoismus enteignet. Aufgrund von Jesu Tod ist der Christ frei von sich selbst, aufgrund von Jesu Auferstehung lebt er durch ihn und ist frei im vollen, wirklichen Sinn: Wenn euch der Sohn befreit hat, dann seid ihr wirklich frei (Joh. 8,36)! . . . Ohne mich könnt ihr nichts tun (Joh. 15,5)!" 22 — In einem seiner kurzen, präzisen und gewichtigen „Worte zum Sonntag", welches den Titel „Die große Freiheit" trägt, vertritt der griechischorthodoxe Metropolit George Khodr diesselbe elementare Wahrheit wie Mattä-l-Miskin, nämlich daß Befreiung zum Leben wichtiger ist als Wahlfreiheit. Dazu weist auch er hin auf das Wort des Johannesevangeliums: Die Wahrheit wird euch frei machen (8,32). Das Gewand seiner Sprache ist weniger das der alten Theologie — sowie bei Mattâ-1-Miskïn — vielmehr geht er sehr genau auf die Ergebnisse der modernen Psychologie und Verhaltensforschung ein. Zu Beginn spottet er diskret über die (islamischen und christlichen) Theologen, die sich die Antwort auf die alte Frage „gesteuert oder vor die Wahl gestellt? " durch die Prämisse einfach machen, daß die verheißene Belohnung und Strafe die Verantwortlichkeit voraussetzen: „So wird für sie die Freiheit zum verborgenen Strahlungspunkt für alles Studium der Aussagen der Schrift über da's Verhalten des Menschen, wie auch immer der Wortsinn und die Anstrengungen der Exegeten sein mögen" . . . „Die Psychoanalyse aber hat uns gelehrt, wie tief versunken und gebunden unser Verhalten in der fernen Kindheit und im Unbewußten ist . . . Von daher fällt neues Licht auf die Begrenztheit unserer Freiheit . . . Jedoch die Befreiung vom Zwang unserer Vergangenheit ist möglich, und vor uns zeigt sich der Kommende, der Dauernde, der die Macht hat, uns neue 22 Mattä-l-Miskin: hayät-us-salät al-urtüduksiyya . 1969, S. 306 und 333f. — Ders.: al-imän bi-1-masïh. 1970. — Ders.: al-hurriyya bi-r-ru'ya al-masîhiyya, in: Murqus, 1. März 1967, S. 4f.

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Freiheits-Energien zu bringen . . . Besser als nach der alten Freiheit, die wir besitzen, ist es daher, nach der neuen Freiheit zu fragen, in der wir uns selbst transzendieren und in der wir mächtig sind zu unwahrscheinlicher geistiger Schöpfung . . . Diese neue, große Freiheit, die uns die Kenntnis Gottes schenkt, bedeutet für uns, daß wir der alten, der angeborenen entrinnen . . . Gewiß, die psychologische Befreiung ist ein Ziel, es gibt kein edleres, und doch ist sie nur eine Schwelle, die zur Befreiung von der Sünde führen kann. Die große Freiheit aber, wenn sie ins Leben eintritt, wird in ihm zur Quelle von Heilung und verblüffender geistiger Schöpfungskraft. Von daher ist es nicht verwunderlich, daß die moderne Psychologie im geistlichen Leben einen Weg zur Behandlung von aller Krankheit sieht" 2 3 . — Yüsuf Muräd (1902—1966) und die von ihm und seiner Schule vertretene komplementäre Psychologie ('ilm-un-nafs at-takämuli ) setzen es sich — unter dem Einfluß von Henri Walion — zum Ziel, die beiden gegensätzlichen psychologischen Methoden der Struktur-Analyse und der Existenz-Analyse (s. o. 1245) einer Synthese zuzuführen. Gegen die beiden „blinden und den Wachstumsgesetzen der Natur fremden Bewegungen, nämlich den mechanistischen Determinismus und die absolute Freiheit" setzen sie die Vorstellung einer spiralenförmigen, auf ein Ende und ein Ziel zugehenden Entwicklung, deren jeweilige Etappe ein Symbol der zukünftigen ist 24 . Ein derartiges Denken — das an Teilhard de Chardin erinnern mag — wächst deutlich spürbar aus einem christlichen Boden. — Selbstverständlich finden auch alle anderen in den arabischen Raum einströmenden Erkenntnisse und Gedankenwelten ihre Korrespondenten im arabischen Christentum und ihre von diesem geprägten Rezeptionen und Reaktionen 25 . 23 G. Khodr: hadit-ul-ahad. 1970, S. 67f. 24 M. Wahba: Yüsuf Muräd wa-l-manhag at-takâmulï, in: jOers.: Philosophische und politische Aufsätze, S. 172—189. — Y. Muräd: al madhab at-takâmulî, in: almagalla 4, 39, 1960, S. 4 1 - 4 4 . 25 al-Montada, Beirut, eine Zeitschrift junger fortschrittlicher Christen, spiegelt diese sehr lebendige Auseinandersetzung wider. Zum Gespräch mit dem Marxismus s. auch M. Wahba: maqälät falsafiyya wa siyäsiyya. 1971. — Wahba, ein koptischer Philosoph, der an der Universität 'Ain áams in Kairo unterrichtet, berichtet auf S. 55ff. über die „Angelegenheit Mensch" in der modernen sowjetischen Philosophie und seine Gespräche während eines Aufenthalts in Moskau: Es geht ihm darum, experimentell die Subjektivität, d. h. auch die Freiheit des Menschen nachzuweisen. Und zwar tut er das auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie: man braucht die Subjektivität um durch Hypothesen schließlich zur Erkenntnis zu gelangen.

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Auf dem Gebiet des politischen Engagements ist heute besonders unter den jungen arabischen Christen eine lebhafte Reaktion zu spüren gegenüber zwei traditionellen Haltungen und Tendenzen in der arabischen Christenheit; und zwar erstens die vom mönchischen Ideal geprägte und durch die Minderheits-Situation noch geförderte Abkehr von der Welt und zweitens die Neigung nach dem Westen, in der Hoffnung er könne — als christliches Abendland — ihre eigene morgenländische christliche Gesellschaft als solche sichern 26 . Junge Christen wollen heute ganz im Gegenteil sich in der Gesellschaft engagieren und haben dabei keine Angst vor den islamischen theokratischen Strukturen in der arabischen Welt. Wissen sie doch, daß diese weithin nur noch als Fassade vor einem de facto gelebten pluralistischen Säkularismus fungieren. Sie lehnen auch ganz nüchtern jeglichen christlichen „Neo-Theokratismus" ab, der meint, er könne in die Gesellschaft als solche christliche Formen einbringen. Für viele von ihnen ist der einzige Ort, an dem es christliche Gesellschaft gibt, die eucharistische Gemeinschaft. Im übrigen wissen sie, daß der Christ als Individuum — wegen seiner Teilhabe am Christus — seine Theosis ausstrahlt und ausstrahlen soll. Dies aber kann sich — im Kontext des israelisch-arabischen Krieges und des Engagements für die Befreiung Palästinas — als Feindesliebe, als Vergebung, als Bereitschaft zur Versöhnung und als Gewaltlosigkeit äußern. 243 Abschließende Frage: der spezifisch christliche Beitrag im arabischen Denken heute Fragen wir abschließend nochmals nach dem spezifisch christlichen Beitrag im arabischen Denken heute, so mag das Sinnen auf Antwort zuerst auf den erstaunlichen Universalismus des arabischen Christentums stoßen, der die Fülle der Kirchengeschichte und der modernen Gedankenwelten umgreift. Die arabischen Christen sind deshalb „Brückenmenschen" zwischen den Kulturen und zwischen den Religionen. Als weiterer und wichtigster Beitrag erscheint mir jedoch — inmitten eines modern gelebten Lebens — die kindlich treue Bewahrung der Glut einer alten Frömmigkeit, die den Inhalt der christlichen Offenbarung unmittelbar und wie durch göttlichen Zwang in die Welt von heute hineinstrahlt. 26 Eine solche Hoffnung auf den Westen drückt sich aus in Ch. Malik: Man in the struggle for peace.

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3 Sichtung der Ergebnisse: eine christliche Reflexion 31 Situation, Berechtigung und Aufgabe seiner solchen Reflexion 311 Ε-Wege trennen — N-Wege vereinen 3111 In unserer Darstellung des heutigen arabischen Denkens haben wir versucht, dem Denken innerhalb der verschiedenen Gemeinschaften zu folgen. Wir hatten hierbei — „in den Bahnen der Wurzelsäfte stromaufwärts gehend" — den Kollektiverinnerungen nachzugehen. Dabei konnte es geschehen, daß wir — einmal von der einen, das anderemal von der anderen Gemeinschaft, die sich durch „Propfung" unterschiedlich entwickelt haben, herkommend — jeweils zu denselben Wurzeln gelangten. Oder es geschah, daß wir — in zwei verschiedenen „Gewächsen" uns bewegend — zu Wurzeln gelangten, die sich im selben nährenden Boden nahezu berührten. Dann war es für uns offensichtlich, daß die in den Kollektiverinnerungen geschaffenen Gedankenwelten „reinere Systeme" waren als die objektive Wirklichkeit, die wegen mannigfaltiger gegenseitiger Durchdringungen ein „unreines System" darstellt. Ein frappierendes Beispiel hierfür war die Ähnlichkeit, mit der die Mu'taziliten, Maimonides und der koptische mittelalterliche Theologe Ibn-alMakin die Frage nach Freiheit und Determination des Menschen angingen und ihre Offenbarungsschrift interpretierten (s.o. 2416, Anm. 12). Sie waren in Wirklichkeit viel weniger getrennt als sie es heute im Denken der Muslimen, der Juden und der Christen sind. Wer das Denken seiner andersgläubigen Gesprächspartner begleitet, aber dennoch die objektiven Quer-Beziehungen kennt, leidet unter solchen Trennungen, die das Denken — dem Ansatz E folgend — vollzieht (s.o. 111 und 112). Die Verdrängung des gemeinsamen jüdischen Verwandten aus dem heutigen Bewußtsein erlebt er dabei besonders schmerzlich. 3112 Von daher ergibt sich die methodische Frage nach den Implikationen der Subjektivität beim Gespräch mit Anderen und beim Denken und Reden über sie. Zunächst muß sie als etwas durchaus Positives und sogar Notwendiges anerkannt werden, denn sie rettet vor der Illusion einer „objektiven Darstellung" und ermöglicht Verständnis von innen her 1 . 1 W. Holsten:

Religionswissenschaft, in: RGG Bd. 5. 1961, S. 1 0 3 8 - 4 2 .

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Die Subjektivität hat aber auch einen Aspekt, der über alle zwischenreligiösen Beziehungen Beunruhigung und Angst wirft. So haben wir uns zu fragen, ob nicht die „Dreiecks-Hermeneutik" eines Christen (s.o. S. 21) streng auf den inner-christlichen Bereich hätte beschränkt bleiben sollen. War das Ausdehnen eines solches Verstehen-Wollens einer OkzidenzOrient-Existenz und ihrer Beziehung zu den eigenen Wurzeln auf die ganze arabische Welt nicht eine Anmaßung, ein Zuschneiden des Anderen nach meinem Maß? Muß dann nicht die Reaktion des Anderen ein Zurückstoßen sein, das mir die Illusion der Objektivität nimmt und mich einsehen läßt, wie ich den Anderen und seine Wirklichkeit verletzt habe? 2 3113 Im Bereich der Beziehungen zwischen Islam, Christentum und Judentum, die von ihrem Auftrag her universalistisch sind, verstärkt sich diese beängstigende Spannung. Weil an ein und demselben geschichtlichen Ort heimisch, enthalten sie alle ein subjektives Elemente, welches von Hause aus „zu voll von sich selbst ist, um noch Andere empfangen zu können" (s.o. S. 31). Muß da nicht dem Auftraggeber gegenüber Auflehnung laut werden: „Du machst mich zum Gefangenen meiner eigenen Kultur und Religion und heißt mich dennoch, zum Anderen zu gehen und allgemein menschlich zu reden. Ich soll den Anderen zu seiner rettenden Entfaltung bringen und vergewaltige ihn dabei notwendigerweise!" (vgl. oben S. 32 und S. 150f.). 3114 Nun erlebten wir aber auch, daß im arabischen, islamischen und christlichen Denken der Andere nicht nur durch Schaffung „reiner — d. h. auf das eigene Selbst bezogener — Systeme" ausgeschlossen wird (wozu ebensowohl das so gebräuchliche Einverleiben des Anderen gehört!), sondern daß in ihm auch die engen geschichtlichen Beziehungen 3 und die Gemeinsamkeiten durchaus bewußt und präsent sein können. Angesichts der eigenen Subjektivität und der wesentlichen Unterschiede, die bestehen, ist es vor allem das Bewußtsein, der Wirklichkeit desselben Gottes zu begegnen, die das Einende spüren läßt (Κ. Husain, s. o. S. 152. Die Bezogenheit auf dieselbe Wirklichkeit macht aus Islam und Christentum einen einzigen „Glaubenskomplex" (H. Askari, s. S. 130, Anm. 25). Auch wenn es zu gemeinsamem Gebet nur selten k o m m t 4 , so bildet das Bewußtsein, zum selben Gott zu beten — welches bis in die 2 Ein solches gegenseitiges Zurückstoßen wird besonders klar im Roman: A. Memmi: Agar. 1955. 3 A. S. Atiya: Kreuzfahrer und Kaufleute — die Begegnung von Christentum und Islam. 1964. 4 K. Cragg: Alive to God — muslim and christian prayers. 1970: eine Anleitung zu gemeinsamem Gebet.

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Zeit der ersten Begegnung zwischen dem Islam und den christlichen Kirchen zurückreicht — ein objektives Band, von dem man weiß, daß es letztlich stärker ist als die eigene Subjektivität, selbst wenn diese — aus Treue zur Offenbarung, so wie man sie empfangen hat — den Anderen des Irrtums zeihen muß s . Solche Erfahrungen können sich in mehr oder weniger offiziellen kirchlichen Äußerungen niederschlagen; so etwa in dem Beitrag des koptischen Bischofs und jetzigen Patriarchen Sch'nuda zu dem von einer ägyptischen Zeitschrift veröffentlichten Sonderheft über den Koran (s. o. S. 148, Anm. 50). Ohne der wesentlichen Unterschiede zu vergessen („Trinität, Inkarnation, Erlösung, Gottheit Jesu und sein Kreuzestod, kirchliche Sakramente, Auffassung vom Koran . . . und vieles andere mehr"), weist er in ihm deutlich auf die gemeinsamen Punkte hin. Auch Vatikan II formuliert Gemeinsamkeiten 6 . Im gemeinsamen Engagement auf sozialem, politischem oder gar religiösem Gebiet äußert sich das Einende in bevorzugter Weise. Wir sahen, wie M. Arkoun und H. Sa'b dazu aufrufen (s.o. S. 149 und 154). Das Gespräch über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, die zwischen uns bestehen, ist dann nicht ein akademisches, sondern es spielt sich „nach den Gefechten und nach der Hitze des Tages an den Abenden in den Oasen der Freundschaft" ab. Folgende Punkte werden am häufigsten als gemeinsam empfunden: die Notwendigkeit der Offenbarung für den Menschen, der von sich aus nicht zu Gott kommen kann. Der eine und persönliche Gott. Die deutliche Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf. Die Offenbarung Gottes in der Geschichte. Der Mensch als von den übrigen Geschöpfen deutlich unterschiedene freie Person. Das verwandte Problem des Verhältnisses von Schrift und Tradition. Abraham als gemeinsamer V a t e r 7 . Die jungfräuliche Geburt Jesu und die Verehrung der Maria. Christus als Logos. Die formale Ähnlichkeit der kirchlichen Auseinandersetzung um die Christologie mit der islamischen um die Frage des geschaffenen oder ungeschaffenen Korans (s.o. 2415). Die Verwendung griechischer Philosophie in der Theologie. Die gegensätzlichen Eigenschaften Gottes und die so erfahrenen Aporien. Das zwei-AeonenWeltbild und die Eschatologie: Neuschöpfung, Auferstehung der Toten, End-Gericht nach den Werken der Menschen und nach der Barmherzigkeit Gottes, Paradies und Hölle. Die Naherwartung des Welt-Endes zur Zeit der Offenbarung (s. H. Askari, S. 131).

Auf dem Gebiet unserer Frage, ob der Mensch frei oder determiniert sei, wird die Gemeinsamkeit besonders empfunden (S. 21, Anm. 12). Wie dieses Gemeinsame aussieht, wird allerdings sehr verschieden beschrieben. Die einen betonen, daß Christentum und Islam gleichermaßen deter-

5 M. Kamil: Die Dreieinigkeit Gottes und der Koran, in: P. Beyerhaus (Hg.): Theologische Stimmen. Bd. 3, S. 6 1 - 7 1 . 6 G. C. Anawati, in: Das Zweite Vatikanische Konzil. Teil II. Lexikon für Theologie und Kirche. 1967, S. 485—487 (Erklärung des Konzilstexts über die Muslimen: der Verfasser ist ein ägyptischer Dominikaner). 7 Y. Moubarac, maronitischer Theologe und Schüler von L. Massignon, hebt das gemeinsame abrahamitische Erbe hervor: Y. Moubarac: Abraham dans le Coran. 1958. - Ders.: L'Islam. 1962

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ministisch seien 8 . Die anderen beleuchten die beiden Religionen gemeinsame Auffassung vom Menschen als freiem Statthalter Gottes. Wieder andere wissen, daß das Gegensatzpaar Freiheit — Determination ein wohlbekannter, idter Hausgenosse beider Religionen ist, in denen es seit je in demütigem Glauben einfach hingenommen oder mit Hilfe der meist griechischen Philosophie mehr unglücklich als glücklich gedanklich gefaßt wurde. Sie weisen dann auch auf die Gefahr hin, die für den Glauben darin besteht, daß er sich auf eine Art von Erfahrung festlegt — auf die Determinations- oder die Freiheits-Erfahrung — und so dem trägen und verantwortungslosen Fatalismus oder dem rationalisierenden und grausamen Moralismus verfalle. Mit einem solchen Nachgeben gegenüber dem Druck einer der beiden Erfahrungen verliere sich auch der Sinn für das Tragische, der ohne das Aushalten der Spannung nicht lebensfähig sei. Diese Gefahren werden zwar gedanklich klar denunziert; viel schwieriger aber ist es, das Bild mit der Wirklichkeit zur Deckung zu bringen. So kommt es vor, daß ein und dieselbe Wirklichkeit von dem einen Beobachter als dem Fatalismus, von dem anderen als dem Moralismus zutreibend bezeichnet wird (s.o. 2416: Hayek und 'Awad). Eine derartige entgegengesetzte Lektüre der Phänomene geschieht besonders dann, wenn die Religion des Anderen beurteilt werden soll. Dann bezeichnet der Christ den Islam als deterministisch wegen seines Glaubens an Qadä' und Qadar (s.o. 2416) und der Muslim das Christentum als deterministisch wegen seiner Lehre von der Erbsünde oder seiner mystischen Einheit mit Gott und Christus (s. o. S. 144). Oder es bezeichnet der Christ den Islam als Legalismus und Werkerei, wegen seines Verständnisses vom Gesetz, während der Muslim das Christentum beschuldigt, es habe den in der Bibel gelehrten Determinismus über Bord geworfen (s.o. S. 129: Hamidullah). Die subjektive Urteilskraft findet hier eine Gelegenheit, den anderen zu verdrängen, indem sie ihn grundlegend verschieden sein läßt. Der den objektivierenden Denkweg Ν Begehende wird jedoch gerade hierin einen Hinweis auf die Gemeinsamkeit der Determination-FreiheitKomplementarität erblicken. Denn das Nebeneinanderstellen aller vier Urteile zeigt ihm, daß in beiden Gemeinschaften Determination und Freiheit stark erfahren werden, und zwar so stark, daß jeweils die dem einen nicht greifbare Erfahrung beim anderen konstatiert und als Häresie bezeichnet wird. Die Heftigkeit dieser „Zeigerausschläge im Empfangsgerät der religiösen Erfahrung" weist darauf hin, daß es sich nicht nur um hier und dort gekannte formale Gegensatzpaare handelt, sondern daß auch der gegensätzliche Inhalt dieser Paare zumindest in seinen Grundzügen in beiden Lagern erfahren wird: nämlich der freie Mensch, 8 H. Bammate:

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Visages de l'islam, S. 32.

dessen Freiheit ein F u n k e aus der Freiheit des einen, persönlichen G o t t e s ist; u n d der determinierte Mensch, der d e m z w i n g e n d e n u n d barmherzigen G o t t ausgeliefert ist. D a ß s o w o h l im Islam als auch im Christentum das völlige Hingegebensein an G o t t — die völlige D e t e r m i n a t i o n — als inhaltliche Freiheit erfahren wird, ist ein weiterer Hinweis dafür, daß im Inneren der getrennten Subjektivitäten derselbe G o t t auf dieselbe Weise erfahren wird.

3115 Für die Beurteilung der Situation in der arabischen Welt heute lernen wir daraus, daß ein gedanklicher Ausdruck in der Mehrzahl der Fälle nicht die Fülle der Lebensgefühle wiedergibt. Sure 9,51: „Sprich: Kein Unheil wird uns treffen, außer dem, das Gott für uns bestimmt („geschrieben") hat!" (oder 57, 22 und 23) als Devise in einem Café ausgehängt, beweist noch nicht, daß der Besitzer Determinist ist. Im Gegenteil, seine Freiheits-Erfahrung kann viel stärker und häufiger sein. Das Schild mit seinem Ausspruch wartet nur auf den Tag, an dem es zu einer anderen Erfahrung — nämlich der des Determiniert-Seins — seine Aussage als Trost zum Zuge bringen kann. Louis 'Awad mag recht haben, mit seiner Meinung, daß dort, wo es an belebender Spannung fehlt, das Pendel nach der Seite des grausamen Moralismus ausgeschlagen hat und dort stecken geblieben ist (s.o. 2416). Der Tumult, der sich in Beirut unter den Massen erhob, als al-'Azm von der Unschuld des Satans gesprochen hatte (s. o. S. 108) — von der übrigens auch al-Halläg sprach — weist darauf hin, daß für diese Menschen Gottes Gerechtigkeit und des Menschen Freiheit rational einsichtige und unumstößliche Wahrheiten sind. Auch der eisige Wind fehlender Mystik und Liebe, der einem heute nicht selten aus theologischen Schriften entgegenweht (z. B. Maudoodi und Saltüt, s.o. S. 129 und 143) mag davon zeugen. Der Chor all derer, die gegen den herrschenden Fatalismus sprechen und ihr Denken darauf einstellen, würde sich dann nur gegen ein unechtes Gerede vom Ratschluß Gottes, das die Freiheit und Autarkie des Menschen religiös verbrämt, gegen eine Nicht-Wirklichkeit richten? Auch dieses Urteil dürfte zu sehr verallgemeinern und nur fur bestimmte Bereiche und Situationen zutreffen. Nur die aufmerksame Beobachtung und weise Einschätzung der jeweiligen Situation wird hier zu treffenden Urteilen führen. Sicher wird im arabischen Raum beides erlebt, die Freiheit des Menschen und seine Determination, und zu Recht finden beide ihren gedanklichen Ausdruck sowie ihre vor den Extremen warnenden Wächter.

3 1 1 6 A u c h die Querverbindungen auf d e m Gebiet der Diskussion u m D e t e r m i n a t i o n u n d Freiheit im Laufe der Geschichte kommen heute ins Bewußtsein. A u s begreiflichen M o t i v e n heraus wird hierbei o f t danach geforscht, wer w e n b e e i n f l u ß t hat. Für unsere m e t h o d i s c h e Frage nach d e n erlebten G e m e i n s a m k e i t e n ist dieses Anliegen v o n nebensächlicher Bedeutung. So k o m m e n z. B. die engen B e z i e h u n g e n ans Licht, die hinsichtlich der B e t o n u n g der Verantwortlichkeit u n d Freiheit des 187

Menschen zwischen der Theologie des Johannes Damaszenus und der der Qadariten und Mu'taziliten bestehen 9 . Solche Querverbindungen können sich entweder in unbewußter Art auswirken, oder das Ergebnis von bewußten Beziehungen und Dialogen sein, bei welchen die Partner sich in ihren Anschauungen gegenseitig nähern, oder aber sich absichtlich von ihm weg entwickeln (s.o. 2416).

3117 Dort, wo Gemeinsamkeiten bestehen, aber keine Querverbindungen nachgewiesen werden können (s.o. 2422: Erasmus-Luther und Mu'taziliten-al-Asch'ari), stellt sich die Frage nach dem Stellenwert von Konvergenzerscheinung und gemeinsamem Erbe.

3118 Manche Konvergenzerscheinungen können aus dem gemeinsamen jüdischen Erbe erklärt werden, dessen sich allerdings das heutige arabische Denken nur wenig bewußt ist. Im jüdischen Denken sind bereits die Denkmodelle angelegt, die — um unsere Frage gedanklich anzugehen — im Christentum und im Islam immer wieder zur Anwendung kamen und kommen: - Zunächst finden wir dort das für das semitische Denken so typische Nebeneinander-Stellen widersprüchlicher Aussagen (s.o. 1246, 2321, 2341), das vor allem im weisheitlichen Denken seine Heimat hat (worauf G. von Rad nicht müde wurde hinzuweisen). Der Spruch „Alles ist vorhergesehen, aber die Freiheit ist gegeben" (Pirqë Avöt 3,19) setzt zwei solche Gegen-Sätze nebeneinander und stammt aus diesem Denken. — Doch auch die den logischen Drucken nachgebenden Denk-Patterns sind schon da: Ben Sira hatte gegen die die Freiheit leugnende Stoa die Freiheit des Menschen betont, jedoch auch D-Aussagen in seinem Denken Heimatrecht belassen (33,7ff.). Sadduzäer, Essener und Pharisäer bauten auf Ben Sira auf; dabei isolierten die Sadduzäer die F-Aussagen, die Essener die D-Aussagen und die Pharisäer wählten den Mittel-Weg des Aufteilens der Widersprüche auf verschiedene Bereiche (s.u. 321) nach dem Motto: „Gott herrscht über alle Dinge, außer über das Herz des Menschen" 10. 9 M. S. Seale: Muslim Theology — a study of origins with reference to the Church Fathers. 1964, S. 3Off.; 79ff. - A.-Th. Khoury: Les théologiens byzantins et l'Islam. 1969, S. 68ff. 10 G. Maier: Mensch und freier Wille — nach den jüdischen Religionsparteien zwischen Ben Sira und Paulus. 1971. — G. Friedländer: The jewish sources of the sermon of the mount. 1969 (Den Spruch „Alles ist in den Händen des Himmels, außer der Gottesfurcht" (Berachot 33b) kommentiert Friedländer: „Gott herrscht über alle Dinge, außer über das Herz des Menschen").

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3 1 1 9 Worin kann n u n eine Berechtigung erblickt w e r d e n für das „anm a ß e n d e " D e n k e n u n d R e d e n eines Christen über Nicht-Christen, das in unserer Arbeit geschieht? D i e erfahrbaren G e m e i n s a m k e i t e n z w i s c h e n d e n drei Religionen — insbesondere auf d e m Gebiet unseres T h e m a s — s c h a f f e n ein G e g e n g e w i c h t gegenüber der ebenfalls ernst z u n e h m e n d e n beängstigend-trennenden Erfahrung der eigenen Subjektivität. Die der starken b e g e g n e n d e n Wirklichkeit „ G o t t " A u s g e s e t z t e n w e r d e n — trotz der trennenden Subjektivitäten, z u d e n e n sie gehören — in die Objektivität G o t t e s h i n e i n g e z o g e n u n d so miteinander vereint. B e d e n k e n sie hierauf diese Erfahrung v o m Ansatz E her, so w e r d e n sie merken, daß die Vereinigung zwar nicht v o n der Subjektivität befreit, daß es sich j e t z t aber nicht mehr u m z w e i gegeneinander, sondern u m z w e i miteinander programmierte „Empfangsapparaturen" handelt (vgl. S. 3 2 f . u n d 1 5 2 f . ) , das heißt aber letztlich u m eine g e m e i n s a m e Subjektiviíáí. Nur wer in dieser G e m e i n s a m k e i t lebt, kann sinnvoll die Unterschiede b e z e u g e n , die auf d e m Niveau der S u b j e k t i v i i ä i e n nicht a u f h ö r e n zu b e s t e h e n 1 1 . Eine ähnliche Aufteilung der Bereiche von göttlicher Determination und menschlicher Freiheit findet sich bei Moïse Maïmonide: Le livre de la connaissance. 1961, S. 301, und bei dem indischen Neo-Mu'taziliten Parwez (zit. bei Baijon S. 60). — Über den Freiheit-Determination-Zwiespalt, der dem Judentum, dem Christentum und dem Islam gemeinsam ist siehe auch W. Rudolf: Die Abhängigkeit des Qorans vom Judentum und Christentum. 1922. — E. I. J. Rosenthal: Islam, in: Judaism and Christianity II. 1969, S. 181 und Ders.: Judaism and Islam. 1961. 11 W. A. Bijlefelds „congenial interpretation and emphatic understanding" des Islam (A prophet and more than a prophet? S. 28) beruht meines Erachtens auf dieser Muslimen und Christen gemeinsamen Subjektivität und nicht auf der Möglichkeit eines werturteils-freien, auf christlich-theologische Interpretation verzichtenden, objektiven Verstehens. Denn nicht nur letztlich, sondern von Anfang an wird der Christ nicht um theologisches Werturteil herumkommen: — Sei es, daß er seinen islamischen Gesprächspartner „christianisiert" und so über ihn verfügt; gerade dies wirft Bijlefeld K. Cragg vor (The danger of christianizing). Nun ist aber dieses theologische Einverleiben des anderen bei Cragg mit einem Ausziehen der eigenen christlichen Sandalen (sandals at the mosque) in der Moschee des muslimischen Freundes gekoppelt, was ebensosehr ein „Islamisieren" des Christen zur Folge hat. So kann man in Craggs Nachfolge eine interreligiöse Interpénétration und eine gemeinsames weiteres Werden in der Geschichte miterleben, wobei — um der Wahrheit willen — nicht nur das Unterschiedliche bezeugt, sondern auch das Gemeinsame gelebt wird. Denn was nützt das „congenial understanding", wenn es nicht dazu beiträgt, die schmerzliche Trennung beider Glaubensgemeinschaften zu überwinden? (s.o. S. 23, Anm. 15). — Sei es, daß — so wie bei J. Bouman — die christliche Subjektivität eine solche (barthianische) Durchschlagskraft erhält, daß die andere Subjektivität — nämlich 189

312 Die Aufgabe von heute im Blick auf das Morgen 3121 Die kultur- und réligionsgeschichtliche Frage nach dem Stellenwert des gemeinsamen Erbes, der Konvergenzerscheinungen und der Querverbindungen kann hier zurückgestellt werden. Immerhin hat sie uns auf objektive Gemeinsamkeiten aufmerksam gemacht, die uns Zutrauen gaben zu der Möglichkeit, trotz der eigenen, das Weltbild des Anderen verdrängenden Subjektivität, sinnvoll von ihm und mit ihm zu reden.

Aufgabe eines auf die heutige Wirklichkeit bezogenen Denkens ist es vor allem, zu sehen, wie die einzelnen Überzeugungen in den verschiedenen Gemeinschaften heute gelebt werden und wie in ihnen das Beste und Eigentliche der eigenen Botschaft gegenüber der Herausforderung der heutigen Welt selbstkritisch neu interpretiert wird. Dies soll miteinander verglichen werden. Aus dem Vergleich soll eine christliche Reflexion erwachsen, die der heute und morgen gelebten Wirklichkeit entsprechend und in Treue gegenüber dem eigenen Ursprung und dem eigenen Auftrag, das Gemeinsame und das Verschiedene herausstellt. Das Gemeinsame kann dann dankbar heute schon als mögliche Identifizierung mit dem nichtchristlichen Mitmenschen erkannt werden, das Verschiedene führt zu Zeugnis und Absonderung. Diese sollen aber nicht dem Partikularismus, sondern der zukünftigen Einheit dienen, denn Wahrheit ist der Vorläufer der wahren Einheit. Wegen des heterogenen Milieus kann die Reflexion als angemessene Reaktion keine einheitliche Haltung sein. Manchmal ist sie mehr Reaktion auf Islamisches, manchmal mehr auf Marxistisches. Manchmal ist sie mit Muslimen gemeinsame Reaktion auf Marxistisches, manchmal ist sie mit Marxisten gemeinsame Reaktion auf Islamisches. Oft ist sie kritische Reaktion gegenüber christlichen Vorstellungen und Traditionen. Dabei ist zu bedenken, daß man selbst in Vorstellungen gefangen sein kann, ohne es zu bemerken.

3122 Eine angemessene Reaktion antwortet also nicht auf Gestriges, sondern auf Heutiges und Morgiges. Sie verlangt daher bei der Analyse der Entwicklung eine Extrapolation in die Zukunft hinein. Die Wahl der eigenen Sprache hat dementsprechend auszufallen. „Wer den Islam und die arabische kulturelle Persönlichkeit ernst nimmt und sein Schickdie muslimische — unterdrückt wird und jeglichen bestimmenden Einfluß auf den Christen verliert (vgl. oben S. 33). Dabei wird nicht nur dem Selbstverständnis des Muslimen Unrecht getan, sondern auch die Erfahrung der Christ und Muslim gemeinsamen Subjektivität totgewalzt. Auch dem Selbstverständnis des Christen, der diese Erfahrung des Gemeinsamen bezeugt, kann hierbei Unrecht getan werden: Bouman wirft D. Massen vor, sie „amputiere die christliche Botschaft und vergesse die Erlösung . . ." (Dialogue avec l'Islam, S. 112).

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sal an sie bindet, besucht nicht ein Museum, sondern steigt in einen Schnellzug ein!" Eine solche Prognose enthält notwendigerweise Subjektives. Insbesondere ist sie der Gefahr ausgesetzt, daß man die Zukunft dem eigenen Denken anpaßt und nicht dieses der Zukunft. Unsere Sicht der zukünftigen Situation enthält folgende Elemente: — Der Islam als Religion erhält sich und modernisiert sich. Der theologisch wenig gebildete Glaube der Massen bleibt lebendig, jedoch hält auch historische und kritische Forschung in der Theologie langsam ihren Einzug. Unser Dialog muß sich auf „fundamentalistische" Gesprächspartner einstellen. Ein solcher ist möglich, weil auch wir widersprüchliche Schriftworte nebeneinander setzen und für voll nehmen; wir verstehen nur besser deren Entstehung in bestimmten historischen Situationen. Die wenigen historisch-kritische Methoden verwendenden theologischen Denker allerdings werden von uns als Gesprächspartner freudig begrüßt 12 . — Das arabische Christentum erhält sich und öffnet sich weiter der Moderne. Der christlich-islamische Dialog in der arabischen Welt vertieft sich. Die Versuchungen der äußeren und inneren Auswanderung können das arabische Christentum nicht daran hindern, an der Entwicklung der modernen arabischen Welt aktiv teilzunehmen. — Der Marxismus erhält sich in der arabischen Welt als Aktionsprinzip und verstärkt sich, trotz vorübergehender Mißerfolge. Ein vertiefter Dialog mit dem Christentum, aber auch mit dem Islam ist zu erwarten. Eine gemeinsame Sprache mit dem Marxismus erwächst uns aus unser beider Frontstellung gegen Idealismus und Dualismus. Die Erfahrung, daß das Erkenntnisideal der Widerspiegelung der Wirklichkeit unerreichbar ist, bringt uns zusammen auf den Denkwegen der modernen Physik. — Die griechische Philosophie als theologisches Ausdrucksmittel ist am Ende. Diese Denkformen, die in traditionellen theologischen Kreisen noch wirksam sind, sterben aus. Daher wird ihre Sprache hier vernachlässigt. — Neue Denkformen, darunter naturwissenschaftliche, werden vom Islam als Ausdruck seines Glaubens verwendet. Starke Widersprüche zur Beschreibung komplexer Gegebenheiten erhalten wieder Bürgerrecht. Die Trennung von geistlich und weltlich, von Theologie und Naturwissenschaft wird weiter abgebaut. Dies ist vorgezeichnet durch die Tatsache, daß im Islam heute gewichtige Theologie von Nicht-Theologen betrieben wird. — Es ist möglich, daß Christentum, Islam und Marxismus zu einem genuin semitischen und eschatologischen Denken finden 13 . Das jüdische Erbe dürfte so aktiv bleiben, allerdings auf dem Umweg über den Westen. Es besteht Hoffnung, daß durch eine gewisse Arabisierung des israelischen Fremdkörpers im Nahen Osten dieses jü12 Besprechung einiger Ansätze historisch-kritischer Methoden im islamischen Denken und in der Koran-Exegese: Rotraud Wieland: Offenbarung und Geschichte im Denken moderner Muslime. 1971. 13 Untersuchung der koranischen Aussagen über das zukünftige Leben und Besprechung der traditionellen, der mystischen und der modernen Interpretation dieser Aussagen: S. el-Saleh: La vie future selon le. Coran. 1971.

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dische Erbe dort wieder einheimisch wird und so an Durchschlagskraft gewinnt. Juden, Christen, Muslimen und Marxisten entdecken Jesus von Nazareth und seine Botschaft. Manche von ihnen antizipieren in gemeinsamer Aktion die — wenn auch jeweils anders vorgestellte — Zukunft. Dies können Wege des Dialogs und der zukünftigen Einheit sein. — Juden, Christen, Muslimen und Marxisten leben gemeinsam in der Spannung: sie halten an der unaufgebbaren letzten Determination fest, nämlich, daß die vor uns liegende endzeitliche Entwicklung letztlich nicht von uns gemacht wird. Sie halten aber auch gemeinsam an der unaufgebbaren Freiheit des Menschen fest: nämlich daß es ohne freie Mitarbeit des Menschen keine gute Weltveränderung gibt.

32 Determination und Freiheit im weltlichen und geistlichen Bereich und in der Heilsgeschichte 321 Der Einfluß griechischer Philosophie auf jüdisches, christliches und islamisches Denken brachte das Erkenntnisideal der Überschaubarkeit, der Perspikuität und der Monovalenz (s.o. 1246, Anm. 75). So entstanden Systeme, in die widersprüchliche Aussagen abgeschwächt und amputiert eingepreßt wurden. Ein anderer Weg, um dem Ideal der Überschaubarkeit zu huldigen, besteht darin, daß man jeder der beiden Aussagen einen Bereich zuweist, in dem sie voll zum Zuge kommt. Eine gängige Unterscheidung und Aufteilung ist die zwischen einem weltlichen und einem geistlichen Bereich. Es kann dann heißen: „im weltlichen Bereich sind wir frei (Weib zu nehmen, Krieg zu führen . . .), im geistlichen Bereich sind wir unfrei (in ihm wirkt Gott alles, alles ist Gnade . . .)". Eine solche Aufteilung finden wir im Luthertum und im Calvinismus. Oder es kann heißen: „im weltlichen Bereich sind wir unfrei, da haben wir den Naturgesetzen zu gehorchen, im geistlichen Bereich sind wir frei, denn Gott zwingt niemanden gegen seinen Willen". Eine solche Aufteilung kommt bei modernen Muslimen vor, die ihren geistlichen Raum vom Fatalismus befreien wollen. Sie ist ebenfalls in der traditionellen koptischen Dogmatik anzutreffen. Innerhalb des geistlichen Bereiches, in dem die Determination zum Zuge kommen soll, wird oft wiederum aufgeteilt und eingeengt. Um dem calvinistischen Schreckgespenst der doppelten Prädestination (d. h. der Determination des Einzelnen zu seinem Heil oder seinem Unheil) zu entkommen, wird die (Prä)determination auf den Bereich der Heilsgeschichte eingeengt. Die Verstockung Pharaos ist dann nicht eine persönliche, unverschuldete Verdammung, sondern ein Mittel zur Durchführung des 192

göttlichen Heilswillens. Ähnliches kann man zu Texten über die Verstockung der Juden hören: Gott verwende sie nur im Rahmen seines Handelns für die Kirche und schließlich für die ganze Menschheit. 322 Nun liegt aber der Bereich der Heilsgeschichte auf der Wasserscheide zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Gebiet und ist je nach der Weltbetrachtung verschoben: — Für die, die in der Welt das Böse stark am Werk sehen und für die Gottes Handeln in der Welt nirgends offen und eindeutig zu Tage liegt — es sei denn durch das Zulassen des Bösen — ist der Bereich der Heilsgeschichte stark nach dem Geistlichen hin verschoben. Sie machen bei der Welt nicht — oder nicht in gläubiger Begeisterung — mit und warten auf die Transzendenz, die im räumlichen Jenseits oder im endgeschichtlichen zeitlichen Heilshandeln Gottes bestimmt zur Macht kommen wird. So entstanden im Judentum, im Christentum und im Islam „Stille im Lande"; hier etwa ein Chasid, dort ein koptischer Eremit und dort ein Sufi. Die weltverleugnende Art dieser Stillen ist a-politisch. Die dem Handeln in dieser Welt Wert beimessende Sorte führt zu abwägenden Pragmatikern und öfters zu Konservativen. Die Ohnmacht dieser Stillen, Gottes Handeln in die Weltgeschichte einzubringen, führt nicht notwendig zur Ohnmacht im geistlichen Bereich: Gott gegenüber braucht der „Stille im Lande" nicht oder nicht immer wie eine „Leiche in der Hand des Leichenwäschers" zu sein oder sein zu wollen. In freiem, ringendem oder gar sich auflehnenden Gebet kann er von Gott die Beschleunigung seines Kommens am Ende der Zeit oder die Änderung seines Heilsplanes erzwingen. Für viele von ihnen ist also nicht nur die völlige Determination im Bereich der Heilsgeschichte evident, sondern auch die Freiheit des Menschen Gott gegenüber. — Für die, die Gottes Handeln und Reden in den Ereignissen der Welt sehen, schiebt sich die Heilsgeschichte in das Gebiet der Weltgeschichte. Für sie wird der Mensch zum Mitarbeiter Gottes, der die Welt in Erwartung der göttlichen Veränderungen verändert. Menschen, stimuliert vom Glauben, daß die göttlichen Veränderungen schon irgendwo eingesetzt haben, nehmen als begeisterte Mitarbeiter Gottes an weltlichen Bewegungen teil. Oft lenken sie diese dann aber in Bahnen, die ihren Vorstellungen von den göttlichen Veränderungen entsprechen. Die Kreuzzugsbewegung und die Gründung des Königreichs Jerusalem kann hier als Beispiel dienen. Als Grund für ein solches Abweichen vom Wege Gottes kann ein Übersehen oder Nicht-Eingestehen der immerhin notwendigen eigenen Entscheidung gelten, bei der Bewegung mitzumachen. Eine solche Vernachlässigung der eigenen Freiheit und ein solches mangelndes Mißtrauen 13

Schoen, Determination

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gegenüber der eigenen Freiheit unterläuft leicht, wenn man ganz in der Evidenz des allwirksamen göttlichen Handelns in der Geschichte aufgeht. Das Mitmachen bei ihm ergibt sich dann wie von selbst und man wird von der Bewegung mitgerissen. Und doch wäre, angesichts einer heterogenen Welt, ein Abwägen am Platze gewesen, wo denn nun eigentlich Gott in der Geschichte handelt. So kann es kommen, daß Gläubige vom gleichen schwärmerisch-utopischen Heils-Weltgeschichte-Typ zu Gegnern in einander widerstreitenden Bewegungen werden: hie jüdische und christliche Zionisten in ihrer Begeisterung für den Staat Israel, hie jüdische, christliche und muslimische palästinensische Freiheitskämpfer, für die ihr Ideal des zukünftigen Staates Palästina eine würdigere Antizipation der göttlichen Zukunft darstellt als der Staat Israel. Das Mitgerissen-Werden in der Weltbewegung Gottes führt jedoch nicht notwendig dazu, daß die eigene Entscheidung übersehen wird und die Freiheit nicht zum Zuge kommt. Für die echten Vertreter des Heils-WeltgeschichteTyps ist nicht nur ihre Determination evident, d.h. sie wissen sich ergriffen, sondern auch ihre Freiheit, d. h. sie wissen, daß sie unter den verschiedenen Weltbewegungen Gottes Bewegung auszusuchen haben. — Das Anliegen des wartenden und leidenden Gläubigen und das des jetzt schon aktiv mitmachenden ist dasselbe: beide wollen Mitarbeiter Gottes sein und zwar sosehr, daß sie in Gottes Bewegung aufgehen, von ihm ganz determiniert werden. Für den einen ist das Mitmachen vor allem das wartende Gebet, denn Gott selbst wartet noch. Für den anderen ist es vor allem das Handeln in dieser Welt. Für beide — wenn sie echt ihren Glauben leben und nicht dem Druck eines vereinfachenden Denksystems nachgeben — bleibt dabei ihre eigene Freiheit eine zu beachtende Gegebenheit. Sie drückt sich beim einen im Ringen mit Gott um eine gute und baldige Verwirklichung seines Friedens- und Heilsplans aus, beim anderen im Auswählen der Bewegung Gottes. — Für beide ist es von entscheidender Bedeutung, daß sie das Weltgeschehen genau beobachten und zu welchem Schluß sie dabei kommen. Geht es doch darum, herauszufinden, was Gott in der Geschichte tut, um bei ihm mitmachen zu können. Daß man sich angesichts der schwer lesbaren Landkarte dieses Geschehens nach Legenden am Kartenrand umsieht, die aus der göttlichen Offenbarung stammen, liegt auf der Hand. Wird diese Beobachtung der Wirklichkeit ernst genommen, so kann aus dem wartenden Gläubigen ein aktiver werden, oder umgekehrt: Der abwartende jüdische, christliche oder islamische Apokalyptiker kann durch eine Weltbewegung zum politisch Aktiven werden. Der Jude, Muslim oder Christ, der begeistert an einer der Revolution dieser Welt teilgenommen hat, kann zum betenden „Stillen im Lande" werden. 194

33 Häufigkeit und Gewicht der Determinations- und der Freiheits-Aussagen 331 Sowohl in der Bibel als im Koran fanden wir widersprüchliche Aussagen über die Determination und die Freiheit des Menschen. Statistisch ließe sich vielleicht nachweisen, daß im Koran die auf das Wissen um die Allursächlichkeit Gottes gegründeten Determinations-Aussagen häufiger sind, als die Freiheits-Aussagen. In der islamischen Frömmigkeit jedenfalls erhielten sie ein stärkeres Gewicht. Zwei häufig vorgebrachte Sätze spiegeln diese Tatsache wider: — Christen pflegen zu sagen: „Gott läßt das Böse zu, aber er will es nicht". — Muslimen pflegen zu sagen: „Gott will das Böse, aber er hat kein Gefallen daran." Man kann hier den starken Ton der Allkausalitäts-Aussage im Islam heraushören und darin den Unterschied zum Christentum finden. Beide Sätze sind sich jedoch gleich in dem Versuch, unseren Widerspruch a b zugleichen. Denn jeweils die erste Hälfte des Satzes geht vom Wissen um die Allkausalität Gottes aus, während jeweils die zweite Hälfte (er hat kein Gefallen daran — er will es nicht) vom Wissen um die Gerechtigkeit Gottes herkommt und vom Wissen um die Freiheit des Menschen, der der Urheber seiner bösen Taten ist. Der einzige Unterschied scheint darin zu bestehen, daß der islamische Ausspruch den Konflikt etwas weiter in das Herz Gottes hineinverlegt, des Gottes, der gerecht ist, und in seiner Allkausalität doch das Böse tut. Übrigens kennzeichnen beide Sätze nur unvollkommen die Gesamtheit des Christentums und des Islam. Denn der „christliche" Satz kann sehr wohl von einem Mu'taziliten und der „islamische" Satz sehr wohl von einem Calvinisten gesagt werden. Nimmt man immerhin an, daß eine größere Häufigkeit der Determinations-Aussagen in der Offenbarungsschrift und deren stärkeres Gewicht in der gelebten Frömmigkeit den Islam kennzeichnen, so muß alsbald dazugesagt werden, daß er sich darin keinesfalls grundsätzlich, sondern nur graduell vom Christentum unterscheidet. Es ist daher unzulässig, zu behaupten, die Allkausalität Gottes und die Determination des Menschen sei im Islam ein zentraler Glaubenssatz, im Christentum dagegen nicht. 332 Betrachtet man allerdings den gegenwärtigen Zustand der Religionsgemeinschaften, so muß man feststellen, daß im Christentum der Glaube an die von Gott kommende Determination des Menschen in stärkerem Maße aus der Theologie in die Volksfrömmigkeit abgewandert ist als im 195

Islam. Die Lehre vom Ratschluß Gottes nimmt daher heute im Islam einen wesentlicheren Platz ein als im Christentum, insbesondere dem westlichen. Dieser Unterschied kennzeichnet jedoch nur eine vorübergehende Phase, denn auch im Islam wandert der Glaube an die Determination stark aus der „öffentlichen Theologie" in die Volksfrömmigkeit ab.

34 Dialektik und Komplementarität: das Zwei-Welten-Bild und die Intensität der Determinations- und Freiheits-Aussagen 341 Wenn wir nach der Intensität der Determinations- und der Freiheits-Aussagen fragen, können wir feststellen, daß diese in vielen biblischen Texten besonders groß ist. Der Mensch vor Gott sagt in ihnen gleich stark: „ I c h " und: „Ich bin nichts". Bezeichnend ist auch, daß im Koran die Stimme des sich gegen Gott auflehnenden Beters kaum zu Worte kommt. Diese im Vergleich zum Koran stärkere Intensität der beiden sich widersprechenden Aussagen — die nur in der Du-Ich-Beziehung beide gelebt werden können — unterscheidet jedoch das Christentum vom Islam nur graduell, nicht aber grundsätzlich. Denn auch Muslimen kennen nicht nur die Auslöschung des Ich vor Gott, sondern auch ein dringliches oder gar vorwurfsvolles Gebet zum persönlichen Gott. Die stärkere Intensität und qualvollere Koexistenz der D- und der FAussagen im Christentum kann wie folgt erklärt werden: — Zwar ist dem Islam und dem Christentum das Zwei-Welten-Bild grundsätzlich gemeinsam, d. h. die Vorstellung von einem kommenden Aeon. Diese und die kommende Welt stehen zueinander in einem bestimmten Verhältnis. Im Islam heißt es: „die Granatäpfelbäume im Paradies werden zwar echte Granatäpfelbäume sein, aber sie werden ganz anders sein, als die Granatäpfelbäume, die wir kennen." Im Christentum heißt es: „unser Leib, wird zwar ein Leib sein, aber kein Leib so wie wir ihn in dieser Welt kennen" (1. Kor. 15,35ff). Das heißt, die Identität wird gewahrt, aber die kommende Wirklichkeit hebt die vergehende auf: sie wird sowohl erhöht als eliminiert. Das Verhältnis der beiden zueinander kann demnach als dialektisch bezeichnet werden. Von Komplementarität allerdings darf man hier nicht reden. Denn „These" und „Anti-These" sind nicht symmetrisch, nicht auswechselbar. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus und gehen nicht ganz, unverändert und ungekürzt in die „Synthese" ein. Komplementär dagegen ist das Verhältnis der D-Aussagen zu den F-Aussagen. Sie sind symme196

irisch und auswechselbar. Sie schließen sich gegenseitig aus und sie gehen ganz und unverändert in die Einheit des unanschaulichen Zusammendenkens ein. Jeweils beide Aussagen sind nötig, um in dieser und der kommenden Welt bewußt zu leben und sie zu beschreiben. — Jedoch liegt im Rahmen des gemeinsamen Zwei-Welten-Bildés ein bezeichnender Unterschied darin, daß für den Christen durch die Auferweckung Jesu die kommende Welt näher herangerückt ist als für den Muslimen. Dies wird vom Christen als Befreiung erlebt. Dem Muslimen und dem Juden dagegen mag dieser christliche Glaube als ein unangemessener Ausbruch endzeitlicher Ungeduld erscheinen. Zwar ist auch der Koran eine endzeitliche Botschaft, die unter dem Zeichen der Naherwartung verkündet wurde, jedoch versteht der Islam die Erhöhung Jesu nicht als Siegel auf dessen endzeitliche Botschaft, so wie das Christentum es tut. Das Besondere am christlichen Glauben ist also, daß für ihn mit Jesu Botschaft, seinem Tod und seiner Auferstehung eine Wirklichkeit begonnen hat, die allgemeingültig, aber nur den Christen bewußt zugänglich ist.

342 Beim Übergang dieser Welt in die kommende Welt werden die D- und die F-Aussagen besonders intensiv. Dabei erhält jede von ihnen zwei Aspekte, von denen der erste unserer vergehenden Welt und der zweite der beginnenden kommenden Welt entspricht: Die nahe herbeigekommene zürnende Gerechtigkeit Gottes gibt der Fund der D-Aussage jeweils einen beängstigenden Aspekt: — Ein Fluch liegt über der Selbst-Behauptung des Ich, weil es die Umwelt, den Mitmenschen und Gott zerdrückt. — Voller Angst spürt man die das alte Ich zerdrückende Wucht und Evidenz der D-Tatsachen und der D-Aussagen. Das Kreuz als Aufhebung des alten Ich ist schmerzhaft. Man fühlt sich wie ein „Granattrichter". Die nahe herbeigekommene liebende Barmherzigkeit Gottes gibt der F- und der D-Aussage jeweils einen befreienden Aspekt: — Der Glaubende ist von der Angst des Solipsismus befreit. Er hat die Möglichkeit, sich freiwillig der neuen Welt hinzugeben. Er kann freiwillig bei ihr mitmachen. Sein neues Ich läßt sich freiwillig vom Umwelteinfluß der neuen Welt beeinflußen. Er folgt freiwillig dem Meister nach. Dieser geht auf ihn persönlich ein. — Der Glaubende ist von der Angst vor der totalen Determination befreit. War er früher Sklave dieser Welt und spürte er, wie seine Persönlichkeit ausgelöscht wurde, so verspürt er jetzt keine Angst, wenn er Sklave der neuen Welt geworden ist; wenn er in ihr integriert und assimiliert wird. 197

In Christus ist er eine neue Kreatur (2. Kor. 5,17). Dabei weiß er aber von sich, daß nicht mehr es ist, der lebt, sondern daß Christus in ihm lebt (Gal. 2,20). „Sein Granattrichter wird vom Auferstandenen ausgefüllt". 343 Auch außerhalb des Christentums werden die beängstigenden und die befreienden Aspekte gespürt. Auch dort sind dann jeweils starke Dund F-Aussagen nötig, um die Fülle der Evidenzen zu erfassen. Vereinfachenden Darstellungen gegenüber kann in brüderlicher Gemeinsamkeit die Notwendigkeit betont werden, beide Aussagen intensiv zu verwenden. Der speziell christliche Beitrag jedoch besteht in der Angabe des Grundes für die Intensität der Erlebnisse und ihrer Beschreibungen: die nahe herbeigekommene neue Welt läßt die Sünde der alten Welt groß erscheinen, aber auch die Befreiung stark empfinden. Der Inhalt der Botschaft Jesu, dazu sein Tod und seine Auferweckung sind als erkannte Gehalte der von ihm bewirkten Antizipation der Zukunft zu bezeugen. Dem Marxismus gegenüber, der starke F - und starke D-Aussagen sowie Antizipationen der Zukunft kennt, ist darüber hinaus das Du-Ich-Verhältnis Jesu zu Gott — der persönlichen und freien „Zentrale" der Materie — zu betonen: es lädt uns ein, an ihm teilzuhaben (=F-Aussage); wir werden ohne unser Zutun in dieses Verhältnis hineingenommen (= D-Aussage). 35 Die zum „leeren" und „vollen" Handeln und Reden gehörenden Situationen 351 Eine objektive Beschreibung und Erklärung der evidenten Determinations· und Freiheits-Tatsachen erfordert eine genaue Angabe der Situation, aus welcher sie stammen. Der Naturwissenschaftler würde sagen: die Bedingungen der Versuchsanstellung, unter welchen Ergebnisse gewonnen wurden, müssen exakt vermerkt werden. Nur so ist Verständigung möglich, nur so weiß man, wovon der Andere redet. Ergebnisse werden unverständlich, unbrauchbar und unreproduzierbar, wenn ihre Situation vernachlässigt wird. Denn sie sind einer Situation angemessen und nur in ihr gültig. Wird diese nun unterschlagen, so werden die Ergebnisse ungültig oder gar falsch, und zwar dann, wenn sie in andere Situationen „hineingedacht" und auf sie angewendet werden. Für unsere Fragestellung handelt es sich um die Angabe der Art der Erfahrung: Gemütsverfassung, existenzielle Situation, Lage des Handelnden und Redenden, in die ihn seine Geburt, sein gesundheitlicher Zustand, sein Lebensalter, andere Umwelteinflüsse oder aber sein freier Entschluß gebracht haben, usw. 198

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Im f o l g e n d e n sei — im A n s c h l u ß a n das v o n Karl Barth geprägte

Bild v o m Granattrichter — v o n „ l e e r e m " u n d „ v o l l e m " H a n d e l n u n d R e d e n g e s p r o c h e n . D e t e r m i n a t i o n s - A u s s a g e n w e r d e n als „ l e e r " b e z e i c h net; b e i i h n e n w e i ß das Ich v o n seiner L e e r e gegenüber der U m w e l t , gegenüber d e m a n d e r e n o d e r d e n a n d e r e n M e n s c h e n u n d gegenüber G o t t . Freiheits-Aussagen w e r d e n als „ v o l l " b e z e i c h n e t ; b e i i h n e n n i m m t sich das Ich für voll.

Zur K e n n z e i c h n u n g der S i t u a t i o n d e s l e e r e n u n d v o l l e n H a n d e l n s u n d Redens — von Individuen oder v o n menschlichen Gruppen — diene folgende Aufstellung:

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Welt-Erfahrung

leer

voll

Solidarität mit der gesamten anorganischen und organischen Natur

Aporie des denkenden Menschen vor der unvermeidlichen Wahl zwischen zwei Motiven

einer starken Norm ausgesetzt-Sein

sich-Umsehen nach Normen bei der Wahl zwischen zwei Aktionen

Verbundenheit mit anderen Menschen

Einsamkeit des Individuums

Beobachtung und Kontemplation

tätiges Eingreifen

Erleben des eigenen Determiniert-Seins durch Natur, Schicksal, Mitmensch, Milieu . . . (häufig bei Alten und Kranken anzutreffen)

Erfahrung der eigenen Freiheit, der schöpferischen und determinierenden Kraft gegenüber Natur, Schicksal, Mitmensch, Milieu . . . (häufig bei Jungen und Gesunden)

befreiendes Beschenkt-Werden

befreiende Tat

Mitgerissen-W erden

frei gewählter Übergang von einem zu einem anderen Tun, z. B. Austritt aus der Aktion und Eintritt in die Kontemplation

Nicht-Verantwortlich-Sein

Verantwortlich-Sein

Erleiden

Wählen (bei der Tat oder beim Denken)

Akzeptiert-Haben von Evidentem und Aufgezwungenem

Akzeptieren oder Nicht-Akzeptieren von Evidentem und Aufgezwungenem (= nachträgliches Wählen)

keine Verfügungsgewalt mehr Haben über den eigenen Weg

Verfügungsgewalt Haben über den eigenen Weg 199

354

Gott-Welt-Erfahrung leer

voll

Kontemplation vor G o t t

tätiges Eingreifen in Gottes Unternehmung; Kampf mit Gott

Proskynese vor Gott

Gebet als Bitte

Tanz vor Gott

Gebet als Auflehnung

„Er"-Sagen von G o t t (= Doxologie)

„Du"-Sagen zu Gott

unmittelbar aus meiner Situation fließendes Zeugnis

auf die Situation des Anderen eingehendes Zeugnis

„Tat in G o t t " : G o t t tut Werke in mir

„Tat mit G o t t " : Ich tue

Gott hat mich gewählt

Ich habe Gott gewählt

Leben vor dem „Ich b i n " Gottes

Leben vor der Selbsthingabe Gottes

Leben vor dem überwältigenden Geheimnis Gottes, vor seinem ungeschuldeten Wählen

Leben vor der Forderung: „Sucht Gott, strebt ihm zu, erkennt ihn!"

Leben vor dem verzehrenden Feuer und dem Zwang Gottes

Leben vor Gott, der sich von den Menschen zwingen läßt, der den Engeln verodnet, sich vor Adam niederzuwerfen

Leben in der Allkausalität Gottes

Statthalter Gottes Sein

Leben vor Gott, der frei ist, auch das Böse zu tun

damit Rechnen, daß G o t t zu den von ihm gesetzten gerechten Normen steht

„Die Z u k u n f t liegt in der Hand G o t t e s "

„Die Z u k u n f t liegt in der Hand des Menschen"

Werke

36 Die Gültigkeit der Determinations- und der Freiheits-Aussagen 361 Da nicht gleichzeitig „voll" und „leer" geredet werden kann, ist ein Wechsel von voller und leerer Rede nötig, um die Fülle der Eindrücke zu erfassen. Unsere Denkmöglichkeiten sind daher mit den musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einer Blockflöte zu vergleichen, auf der Melodien nur hintereinander, nicht aber gleichzeitig gespielt werden können. Dies ist eine alte Erfahrung von Menschen, die ehrlich ihre Erlebnisse analysieren. Wegen der Schwierigkeit des Zusammendenkens widersprüchlicher Erfahrungen ist es jedoch häufig so, daß die Berichte von diesen Erfahrungen soweit voneinander getrennt werden, daß bei der Wiedergabe der einen Erfahrung die jeweils andere Erfahrung als in 200

die Nicht-Existenz verbannt erscheint. D i e Gefahr der Mißverstehens ist deshalb groß, besonders bei m a n g e l n d e m persönlichem K o n t a k t mit d e m , der die Erfahrungen g e m a c h t hat u n d sie m i t t e i l t 1 4 . Viele kennen Calvins Lehre von der doppelten Prädestination, wissen aber nicht, daß derselbe Calvin in seinen Predigten seine Hörer auf ihre Freiheit und ihre Verantwortlichkeit hin anspricht . . . Viele kennen den Glauben des Anderen nur aus Dogmatiken, nicht aber aus liturgischen Texten und Gebeten, die die gelebte Frömmigkeit widerspiegeln. Wer den ganzen Glauben des Anderen kennen lernen will, muß auf beide Redeweisen hören. Die Tatsache, daß manche Autoren in ihren theoretischen Schriften nicht ihre ganze Erfahrung zu Worte kommen lassen oder gar absichtlich den Teil zu verschweigen scheinen, der nicht in ihr System paßt, erschwert noch das gegenseitige Verständnis. 362 Der n o t w e n d i g e ständige Wechsel der R e d e w e i s e n v o n d e m Bohr spricht — d e n n nur so kann die Fülle der Erfahrungen w i e d e r g e g e b e n w e r d e n — wird dadurch erschwert oder gar u n m ö g l i c h g e m a c h t , daß gewisse Konditionierungen, Strukturen u n d S y s t e m e M e n s c h e n auf eine Erfahrung festlegen. D i e andere Erfahrung kann dann nicht m e h r erlebt w e r d e n u n d wird so in völliger, subjektiver Ehrlichkeit ignoriert u n d abgewertet. Es kann daher nicht genug vor der A b w e r t u n g einer Evidenz, die ein Anderer in einer anderen Situation erlebt hat — oder die mir selbst zu anderer Zeit deutlich w a r 1 5 — gewarnt werden. Es ist die Aufgabe des synthetischen Z u s a m m e n d e n k e n s , beide Evidenzen ganz mit eingehen zu lassen. Die Gründe für die Abwertung

der anderen Evidenz sind mannigfaltig:

a) Willkürliche Entscheidung darüber, ob Aussagen zentral oder marginal sind: Wesley tut Whitefield's mit Bibelzitaten gestützte Einwände dadurch ab, daß er letztere als „vereinzelt und marginal in der Heiligen Schrift vorkommend" ab14 Beispiel für den großen räumlichen Abstand von F- und D-Aussagen: M. G. Magniyya, dessen pathetische Freiheits-Rede jegliche D-Aussage für den Bereich des Menschen auszuschließen scheint, verwendet in einem biographischen Anhang zu seinem Buch: „al-lsläm ma' al-hayät" (der Islam mit dem Leben) (s.o. 2318 und Anm. 18) eine D-Aussage, wenn er davon berichtet, daß Gott ihm einen Bruder erwählt habe, der Theologe war (S. 294). Die Tatsache, daß innerhalb des Werkes eines Autors die F- und die D-Aussagen von einander weit getrennt sind und sich zu ignorieren scheinen, oder eine von beiden in ihm überhaupt nicht fungiert und dem Autor nur im persönlichen Gespräch entlockt werden kann, ist eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle, die in der vorliegenden Arbeit sehr wohl zum Zuge gekommen sein kann. 15 Als Beispiel dafür, wie sich innerhalb eines Lebens die Evidenzen ablösen können, kann M. H. Haikai gelten, bei dem am Ende seines Lebens das Wissen um das Determiniert-Sein das Freiheits-Bewußtsein des jungen Haikai unterdrückt zu haben scheint (s.o. 23 und Anm. 2) (nach der Darstellung von B. Johansen). 201

wertet, während er die Bibelstellen, die seinen eigenen Erfahrungen entgegenkommen, als viel zahlreicher und als „für den christlichen Glauben zentral" bezeichnet 16 . b) Unzulässige Verwertung der Ergebnisse historisch-kritischer Untersuchungen: W. M. Watt stellt nach einer historischen und kritischen Analyse fest, daß der islamische Determinations-Glaube eine Erbschaft aus der vor-islamischen nichtjüdischen und nicht-christlichen orientalischen Welt sei. Das Eigentliche des Islam sei dagegen das Wissen um die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen. Dieses Werturteil geht an der Tatsache vorbei, daß die Abstammung einzelner Glaubenselemente aus verschiedenen Kultur-Bereichen den gelebten Glauben keineswegs daran hindert, diese in gleicher und gleichberechtigter Intensität zu leben (s.o. 2121 und Anm. 6). Der Leser von L. Schmidts: „Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative" könnte dazu neigen, Texte, die die Analyse ids spät ausmacht, zugunsten der älteren Texte abzuwerten, damit die nachträgliche theologische Reflexion „letztlich war es doch Gott, der dies alles geplant und durchgeführt, den Menschen aber im Voraus davon unterrichtet hat" nicht die frühere Erfahrung unterdrücke, die dem Menschen Planen und Handeln zuschrieb, ohne von einem vorgefaßten Plan Gottes zu wissen. Ganz abgesehen von dem Problem, ob Offenbarungen, weil sie älter oder jünger sind, größeren oder geringeren normativen Wert haben, ist es nicht zulässig, daß Erfahrungen des einen Berichterstatters gegen die des anderen ausgespielt werden und „sich gegenseitig totschlagen" (s.o. 2314 und Anm. 11). Und zwar gilt das auch dann, wenn die eine Aussage dem „historischen Kern" näher zu stehen scheint als die andere 17 . c) Einseitige Interpretation psycho-analytischcr Beobachtungen: Die Psychoanalyse hellt nachträglich die unbewußte Motivierung auf und stellt so das subjektive Freiheitsgefühl als objektiv irrig heraus, da eine kausale Determinierung vorlag. Aufgrund der Ergebnisse der Quantenphysik widerlegt P. Jordan S. Freud und stellt den Wirklichkeitscharakter des subjektiven Freiheitsgefühls heraus: dieses erweise sich als empirisch gekoppelt mit dem Auftreten von objektiver Akausalität. Im Zuge seiner Widerlegung Freuds wertet Jordan jedoch die objektivierende Redeweise ab, die im Rahmen der von Freud gewählten Versuchsanstellung zur Mitteilung der so gewonnenen Ergebnisse verwendet werden muß 18 .

363 Letztlich liegt der Grund für die Praxis des Abwertens in der Denk Schwierigkeit, zeitlich und örtlich auseinander liegende — von demselben oder von verschiedenen Menschen stammende — Erfahrungsberichte zusammenzudenken. Dies ist verständlich, denn einmal hat die Freiheit einen bestimmten Wert und ist beobachtbar, einmal hat die Determination einen bestimmten Wert und ist beobachtbar. Sie können jedoch nicht gleichzeitig beobachtet werden. Durch den „experimentellen Ein16 C. W. Williams: Die Theologie John Wesley s. 1967, S. 48. 17 L. Schmidt: Menschlicher Erfolg und Jahwes Initiative — Studien zu Tradition, Interpretation und Historie in Uberlieferungen von Gideon, Saul und David. 18 P. Jordan: Verdrängung und Komplementarität, S. 48ff.

202

griff" — d. h. die Änderung der Situation durch die Entscheidung für die eine oder die andere Denkweise — wird einmal die Größe „Freiheit", das anderemal die Größe „Determination" verdrängt und damit unbeobachtbar. Sie erscheint daher auch als undenkbar. Und doch gehören beide Ergebnisse eng zusammen. Sie bedingen sich sogar gegenseitig. Denn ohne das Wissen um die Determination und ihre Gesetze kann die Freiheit nicht erlebt und gebraucht werden. Andererseits kann nur das Gefühl einer gewissen Indétermination des menschlichen Handelns zum Gedanken der Determination führen 19 . Die von der Kopenhagener Schule verwendete „komplementäre" Denkweise erlaubt es, die gerade „undenkbare" andere Evidenz nicht abzuwerten, sondern mit der gerade denkbaren Evidenz zusammenzudenken und zu einer, wenn auch unanschaulichen, Einheit zu vereinen (s.o. 121 und 1243). In der Theologie kann die unanschauliche Einheit gedanklich hergestellt werden, indem man die Einheit Gottes bekennt (at-tauhïd); und zwar die Einheit desselben Gottes, der sich in gegensätzlichen Namen personifiziert. Damit wird auch die Einheit des determinierten und des freien Menschen bekannt, dessen jeweilige Situation jeweils einen der gegensätzlichen Namen Gottes realisiert (s.o. 2343: Mahmüd Qäsim). Hierbei bleibt jedoch als Frage, wie — in Übereinstimmung mit der Einheit der Wirklichkeit — die undenkbare andere Evidenz trotz ihrer Undenkbarkeit ihre Gültigkeit bewahren kann (s.o. 1244 Abs. 2 und 6). Das Wissen, daß sich beide Erfahrungen gegenseitig bedingen, muß sich irgendwie ausdrücken. Dies kann geschehen in Form einer Erinnerung, die im Augenblick zwar nicht vergessen, aber „beiseite gestellt", „am Rande angemerkt" wird. Es handelt sich also um einen — zur späteren Korrektur — aufbewahrten Vorbehalt. Dieses so aufgesparte Korrektiv hat jedoch nicht die Macht, in den gerade eingeschlagenen Weg des Denkens oder der Tat einzugreifen, um ihn in seiner Evidenz abzuschwächen oder gar in Frage zu stellen. So bleibt ζ. B. das Determinations-Bild voll gültig für den, der es erlebt und denkt, auch wenn er sich daran erinnert, daß es durch den Gebrauch der Freiheit mit bedingt ist und daß sein subjektives Determinations-Gefühl empirisch gekoppelt ist mit objektiver Indétermination. Denn jegliches Freiheits-Denken ist im Determinations-Bild aus dem „Spielfeld des Geistes" ins „Abseits" verdrängt. Im Falle des Erlebens der Determination durch G o t t — dabei ist es ohne Bedeutung ob der frei jetzt Entscheidende oder der von Ewigkeit her Vorbestimmende handelt — ist es offenbar, daß G o t t selbst der Freiheit jegliche Möglichkeit genommen hat, einzugreifen.

19 P. Foulquié:

La dialectique, S. 105.

203

364 Die im Judentum als Kawwana, im arabischen Islam und im arabischen Christentum als Niya bezeichnete Intention des Gläubigen kann als ein solches aufbewahrtes Korrektiv fungieren: Während ich Gefangener und Sklave Gottes hin, — in der Determination — bewahre ich die Erinnerung an meinen Entschluß, mich Gott hinzugeben, mich ihm freiwillig als Sklave auszuliefern. Auch der Gemeinschaft der Gläubigen gegenüber, deren Produkt ich bin, tritt die Niya als Gegenaussage in Funktion: „ich will mich ihr hingeben und bewirke deswegen selbst die Erzeugung des „Produktes". Das Gebet und Opfer vor Gott, das sich völlig von ihm determiniert weiß, ist dennoch — von seiner Intention her — ein frei gewähltes sich-Versetzen in eine selbstgeschaffene Gedankenwelt, die Gott dargebracht wird. Dabei kann die Niya des Gläubigen — sein persönliches, zustimmendes Engagement — nicht nur im Voraus gefaßt, sondern ebensogut auch nachträglich — als Akzeptieren — vollzogen sein. Beidem kommt die gleiche Qualität zu. (Fehlt dagegen die Intention, so kann kaum mehr von Glaube, sondern nur noch von Determinismus geredet werden.) Sie bewirkt es dann, ob das Aufgezwungene gut oder böse ist: „Bringt mich Gott in die Hölle und ich akzeptiere es, dann wird die Hölle zum Himmel" 2 0 ,

Für den hingegen, der sich in der Aktion — im freien Schaffen — befindet und für den das Freiheits-Bild voll gültig zum Zuge kommt, besteht die Möglichkeit, sich ein Wissen um die Determination zu bewahren. Dieses Wissen lähmt weder seine Aktivität, noch seine Verantwortlichkeit: beschützt ihn aber vor prometheischem Hochmut. Mitten in der freien, abwägenden Tat, weiß der Glaubende, daß er determiniert ist, daß er in Gnade eingebettet ist. Goethe beschreibt einen ähnlichen Sachverhalt, indem er Eckermann an den Soldaten erinnert, der in allen Gefahren Mut und gute Laune bewahrt, weil das Vertrauen ihn begleitet, daß die Kugel, die seinen Namen nicht trägt, ihn nicht trifft. Diese Bemerkung wird von einem islamischen Gelehrten unter voller Zustimmung angeführt 21 . 20 Zur Kawwana siehe A. J. Heschel: God in search of man — a philosophy of Judaism. 1966, S. 314ff. - Vgl. hierzu Psalm 51,12: erneure in mir einen bereitwilligen Geist" und Psalm 57,8: „ . . . mein Herz ist bereit . . .". Zu „das Akzeptieren von Bösem macht dieses gut": mündliche Mitteilung an den Verfasser von Imam G. A. Bashir, Den Haag, 1970. Vgl. hierzu auch den Prophetenspruch: „Märtyrer ist nicht nur der, der für die Sache Gottes getötet wird . . . sondern auch der, der aus natürlicher Ursache für die Sache Gottes stirbt . . . wer an einer Epidemie stirbt und wer an der Cholera stirbt und tut dies für die Sache Gottes, der ist auch ein Märtyrer." (zit. in: Der Islam 23, Oktober 1971, S. 6. Zu „Niya" s. auch N. Bammate: 2318 und Anm. 26, und: 2343 (Niya bei al-Gazali). 21 H. Bammate: Visages de l'Islam, S. 32 (s.o. 2318 und Anm. 26).

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Ein solches „Anmerken" einer Tatsache, die im Augenblick nicht gedacht werden kann, ist ein dem genuin arabischen Denken geläufiges Verfahren. Denn in ihm sind dialektische Denkformen zuhause (s. o. 1246 und 2321: as-Sumnäni und al-Käsäni). Die in der arabischen Grammatik gebräuchliche Subintelligierung (taqdir) einer virtuellen Form steht hiermit in Zusammenhang (s.o. 2321). Die im Augenblick nicht denkbare, jedoch subintelligierte Evidenz könnte demnach auch als „muqaddar" bezeichnet werden 22 .

37 Wechsel und Reihenfolge der Determinations- und Freiheits-Aussagen beim Reden von der Befreiung des Menschen 371

Wechsel der Denkwege

Wir sahen, daß Gott gegenüber zwei widersprüchliche Verhaltens- und Redeweisen gemäß sind, die aus jeweils verschiedenen Situationen stammen: Einmal ist Gott der Allursächliche, dem allein die Macht zukommt. Ich bin dann ,,'Abd-ul-Qädir", d.h. Sklave des Mächtigen, und ,,'Abd-ulöabbär", d. h. Sklave des allgewaltigen Zwang Ausübenden. Ich bin dann der Besitz des „Goel", des Freikäufers, dem das Besitzrecht zusteht und der am Ende der Zeiten kommt, um sein Besitzrecht auszuüben. Mir muß dann alles recht sein, was Gott tut, selbst wenn er das Böse tut. Ein andermal ist Gott der, der den Kampf mit Jakob aufnimmt und der von Hiob, nach dessen Auflehnung gegen Gott sagt, er habe recht geredet. Der, der die Engel sich vor Adam niederwerfen heißt, den Menschen zur erlösenden Tat aufruft und ihm seine eigene und der Welt Zukunft als Bauprojekt aufgibt. Beide Erfahrungen können nur gemacht werden, wenn der Glaubende jeweils in die eine, dann in die andere Situation versetzt wird oder aus eigenen Stücken sich in sie versetzt. 3711 Zur Determination befreit: Das Wissen um die Unreinheit der eigenen Motive, die Frage, ob ich wirklich aus Liebe zu Gott handle, 22 Herr Prof. Dr. Anton Schall machte den Verfasser auf diese Parallele aufmerksam, die zwischen dem arabischen grammatikalischen Denken und dem der modernen Naturwissenschaften besteht. (S. auch M. G. Carter, a.a.O.)

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läßt Angst aufkommen; Angst vor dem eigenen Ich und seiner Freiheit (s.o. 2342). Gott selbst zeigt in seinem Zorn auf diese Schein-Heiligkeit: „Wenn ihr fastet — Symbol der Selbstauflösung um für Gott Platz zu machen (s. o. 2313) — ist es nicht doch für euch ein Mittel zur Selbstbehauptung?" (Sach. 7,4ff.) Die Flucht in die völlige Determination erscheint dann als Befreiung. Denn die Erinnerung an meine eigene unreine Wahl, an die schlechte Intention (niya), will sich nicht subintelligieren lassen und macht die Selbsthingabe zum Götzendienst. Mit Schrecken erkenne ich mein Nächsten- und Gottesmörderisches Tun und Denken, das zum Solipsismus führt. Der Kunstgriff, das eigene Ich und seine Freiheit zu benützen, um diese zu eliminieren erscheint als unmöglich. Der Ruf nach Befreiung oder Erlösung wird der Ruf nach Gott: Er möge selbst die Türe aufstoßen, um das Licht hereinzulassen, das mein Ich verzehrt. Der Glaube der Christen an die Befreiung durch die Heilstat Gottes in Jesus, dem Messias, findet hier eine angemessene Sprache. Die geschehene Befreiung wird ausgedrückt durch das Umwechseln von FreiheitsAussagen zu Determinations-Aussagen: die großgewordene sündhafte Freiheit (s. o. 34) kann verlassen werden, weil Gott selbst, ohne unser Zutun, durch seine mächtige und wirksame Gnade, uns in einen anderen Bereich versetzt hat, in dem Er alles in allem ist. Die Befreiung ist hier wohlgemerkt nicht ein Finden der Freiheit, sondern ein Loskommen von ihr. Der Mensch, der erfahren hat, daß sein Herrschaftsanspruch über die Natur nur deren Gelächter verursacht (Hiob 39,5—8) und daß statt des Lobliedes, das er hätte anstimmen sollen, die ganze Schöpfung mit ihm und wegen ihm seufzt (vgl. Rom. 8,18ff.), erlebt die befreiende Solidarität mit den Tieren, den Pflanzen und den Steinen: er kann sich in ihre Verhaltensweisen hinein auflösen und in ihren Gesang miteinstimmen. Er hält es nicht eines Menschen für unwürdig, daß sein Gesang determiniert ist, so wie der der Vögel. Er erlebt die Gemeinsamkeit der KaliumIonen seines eigenen Stoffwechsels mit denen im Granit der Berge und der Altäre . . . Er erlebt so „die neue Freiheit" (s.o. 2423: Khodr), eine „Freiheit ohne Wahl", d. h. eine Befreiung durch Versetztwerden in einen Zustand, den er nicht selbst wählen brauchte (vgl. o.S. 142: Tabbära), eine Erlösung durch Beschenktwerden. Dem Ich, das weiß, daß es mit allen Fasern seines Wesens determiniert ist, genügt es, zu erfahren, daß es, ohne die trennende Zwischenschicht des Subjekts, mit der von Gott bewegten Schöpfung — der alten und der neuen — vereint ist. Die Befreiung zur Determination kann auch von kollektiven Persönlichkeiten erlebt werden: Einer Menschheit, die sich durch strenge ethnologische, soziologische und linguistische Strukturuntersuchungen als pluralistisch und in Sphären eingeschlossen entdeckt, als getrennt und in die verschiedenen Gefängnisse der Welten der kollektiven Ichs eingesperrt, mögen deterministische — ebenso streng wissenschaftliche — Aussagen wie eine befreiende Predigt erscheinen: „die gegenseitige Verdrängung

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der Kulturen ist nicht vollständig; es gibt gegenseitige Durchdringung der Sphären, es gibt eine allgemeingültige Gegenstandswelt; es gibt eine gemeinsame Zukunft!" Die Befreiung, die ein Einzelner, der stark von seiner Persönlichkeit geprägt ist, erlebt, wenn er in der Universalität der Gemeinschaft aller Gläubigen aufgeht, kann auch von einer Gruppe von Gläubigen gegenüber der Gesamt-Kirche oder der Gesamt-Umma (Gemeinschaft der Muslimen) erfahren werden. Man mag hierbei an die stark national geprägte armenische Kirche denken, oder an den arabischen Islam (s.o. 2316).

3 7 1 2 Zur Freiheit befreit: Nicht nur das k o n s e q u e n t e z u - E n d e - D e n k e n der Freiheitstatsachen läßt Angst a u f k o m m e n . In gewissen Lagen erlebt m a n Angst auch unter d e m erdrückenden G e w i c h t der D e t e r m i n a t i o n . Diesmal ist es nicht die Angst vor d e m „Hitler in mir", der — u m selber zu s c h a f f e n — die Welt der anderen einreißt; nicht die Angst vor d e m Wuchern des Ich im freien Tun. Es ist vielmehr — in Situationen, in d e n e n es mir verwehrt ist, eigene Projekte zu haben oder durchzuführen — die bedrückende Erfahrung d e s eines Menschen unwürdigen Zerdrücktwerdens. Es ist die Angst, z u m Spielball der Mächte z u werden. Es ist die Sünde dessen, der seine Statthalterrolle, seine Gottesebenbildlichkeit nicht wahrnimmt. Der Ruf nach Befreiung ist dann die Bitte, aus d e n B a n d e n der D e t e r m i n a t i o n ins Land der Freiheit auswandern zu dürfen, in der es mir gegeben ist, mich selbst z u verwirklichen u n d z u entfalten. Es ist die H o f f n u n g auf einen A u s z u g aus d e m Lande der K n e c h t s c h a f t u n d der Entfremdung ins eigene Land, w o ich — als einzelner u n d als Gruppe — ich selbst sein kann. Der Glaube, der v o n der durch G o t t gewirkten Befreiung berichtet, drückt die Heilstat aus durch das „ U m s t e i g e n " v o n einem Gedankengeleis auf das andere: „Ich litt unter der erdrückenden D e t e r m i n a t i o n , n u n aber bin ich zur Freiheit befreit". Auch das nachträgliche Akzeptieren einer Befreiung zur Determination ist eine Wahl und eine Befreiung zur Freiheit. Ohne diesen diskreten Gebrauch der Freiheit im Sinne einer Zustimmung könnte der befreiende Aspekt der Determinations-Aussagen nicht voll erlebt werden. Sie würden dann nur ein aufgezwungenes und nicht angenommenes Erleiden eines Schicksals beschreiben. Einem Volk, das im Determinations-Zahnrad der Weltmächte aufgerieben ist und an seiner Volkwerdung gehindert wird, mag die Möglichkeit, zu dieser Determination „Nein" zu sagen und entsprechend zu handeln, zur Befreiung werden. Eine derartige Befreiung erleben die Palästinenser heute in ihrer Widerstandsbewegung. Ein ähnliches Erlebnis steht den Christen im Maghreb noch bevor. Die Rücksichtnahme auf die Katholizität der Kirche, die innerhalb der Denominationen als homogenisierender Anschluß an konfessionelle Weltorganisationen gedeutet wird, hindert sie daran, zur wirklich einheimischen Kirche zu werden und dabei die Einheit einer eigenen „Konfession" zu finden. 207

3713 Der Grund der Befreiung: die letzte Welt hat begonnen. Seit der Auferweckung Jesu — des „Erstgeborenen unter den Toten" — hat die kommende Welt (die „letzte" Welt: al-àhira) ihren Anfang genommen. Der Glaubende — durch seine mystische Einheit mit dem Auferweckten (s.o. 2423: Mattä-l-Miskin) — hat Teil an dieser begonnenen Neuschöpfung. Seine Beziehung zur Zukunft ist nicht nur noetische Antizipation, sondern auch Einbettung in schon verwirklichte letzte Welt. Deshalb machen für ihn die beängstigenden Aspekte der Freiheit und der Determination den befreienden Platz. Ohne Angst kann er sich ganz der Freiheit und ganz der Determination hingeben. Denn wir erhoffen von der letzten Welt, daß in ihr die Qual der Trennung von Subjekt und Objekt, von Ich und Welt, von Ich und Du, von Ich und Gott aufhört: — Ohne Angst vor der subjektiven Realisierung seines Glaubens wirft er sich mit ganzer Wucht ins Ich. Der alte Adam ist tot, er kann den neuen mit ganzer Intensität leben. — Ohne Angst vor der Determination des Glaubens wirft er sich ohne Bedenken ins „Es" und ins „Du". Denn der erschreckliche, entmenschlichende Aspekt der Determination ist verschwunden. Ohne für das Subjekt zu fürchten kann er im Objekt aufgehen. — Sein altes und störendes Ich ist abgelöst durch das Ich eines neuen Menschen: das Ich des auferweckten Jesus, in dem Gott schon alles ist. In ihm findet er völlige Freiheit und völliges Determiniert-Sein. 3 7 1 4 Die so angedeuteten intensiven Handlungs- und Redeweisen des Christen sind dem Heilsgeschehen, auf welches er sich bezieht, angemessen. Dem Muslimen und Juden erscheinen sie als verfrüht. Denn „theoretisch hält er es zwar für durchaus möglich, daß das Eschaton jetzt schon begonnen habe, praktisch spart er sich aber diesen Glauben für die Endzeit auf und fragt sich, wie die Christen dieses „enthusiastische Up" durchhalten können." Besonders schwierig wird die Kommunikation jedoch, wenn sich die intensiven christlichen Redeweisen von ihrem österlichen Ursprung ablösen und in anderen Gebieten verwandt werden. Für den Christen ist das Hineinprojizieren des österlichen Lichtes in nicht-österliche Situationen zwar gang und gäbe, für den Juden und Muslimen ist dies aber unverständlich oder gar gotteslästerlich. Ein solches — dem Ε-Weg folgendes — In-Gedanken-neu-Schaffen der Welt von der eigenen österlichen Erfahrung her verdrängt den Nicht-Christen und erschwert die Kommunikation mit ihm, denn es reduziert den Raum der gemeinsam besessenen und allgemeinverständlichen Gegenstandswelt.

372

Verbleiben auf demselben

Denkweg

Bisher sahen wir, wie das allen Menschen bekannte Erlebnis einer Befreiung durch „Umsteigen" von einem „Gedankenzug" in den anderen 208

ausgedrückt wurde. Dabei wurden allerdings bei Berichten über die vom Christen erlebte Befreiung diese Gedankenzüge — der „Determinationszug" und der „Freiheitszug" — mit besonderen Inhalten gefüllt. Nun muß aber auch gesagt werden, daß das Umwechseln von einem Gedankengeleis auf das andere keinesfalls unerläßlich ist, um Erfahrungen mit Gott und zwar auch befreiende — und um heilsgeschichtliche Tatsachen auszudrücken. Es kann durchaus möglich und angebracht sein, auf einem der beiden „Geleise" von Anfang bis zu Ende zu verbleiben (Dabei muß dann allerdings das andere „Geleise" subintelligiert nebenher laufen): — Der von der eigenen Freiheit Beängstigte findet Befreiung im neuen Ich. Dabei bleibt vor wie nach der Befreiung seine Subjektivität, sein freier Wille erhalten. — Der von der Determination Zerdrückte findet Befreiung darin, daß er zum Sklaven des Herrn wird. Auch nach der Befreiung ist es nicht er, der lebt. Jetzt lebt der Auferstandene in ihm. Es scheint eine der Schwierigkeiten des Gesprächs von Muslimen und Juden mit Christen zu sein, daß diese daran gewöhnt sind, jeweils an einer bestimmten Stelle ihre Aussage-Form zu ändern: Beim Bericht über das Heilsgeschehen in Jesus Christus gehen sie von D-Aussagen zu F-Aussagen über oder umgekehrt (so wie es in Obigem angedeutet wurde). Muslimen und Juden pflegen viel häufiger eine Aussage-Struktur durchzuhalten — und die widersprüchliche andere nur nebenher zu erwähnen.

3721 Befreiung in der Freiheit. Die Möglichkeit des durchgehenden „vollen" Handelns und Redens, das sich vom Denkansatz E her versteht, könnte etwa so skizziert werden: Der freie Mensch denkt, wählt, tut und schafft das Gute oder das Böse. Sind keine ethischen Normen vorhanden, so enthebt dies den Menschen nicht der Notwendigkeit einer Entscheidung. Gut ist dann, sich zu entscheiden und sich zu engagieren, schlecht ist, dies nicht zu tun („ein Schweinekerl ist, der sich nicht engagiert",/. P. Sartre). Spielt sich die Entscheidung und das Engagement in Übereinstimmung mit ethischen Normen ab, so ist dem Menschen das Ausdenken des Guten im Beginn abgenommen. Das Denken des Guten beschränkt sich dann auf dessen Aktualisierung für die gegenwärtige Situation. In der Entscheidung erfährt der Mensch das Befreiende einer Wahl. Er springt in Neues, schafft dieses und realisiert sich dabei selbst. Er verwirklicht so sein Heil. Für Christen stellt sich so die Heilsgeschichte als eine Folge von ergriffenen Chancen dar. Nach den Befreiungen aus Ägypten und dem babylonischen Exil ist — in einer neuen geschichtlichen Situation — die Botschaft Jesu ein neues Angebot: „Entscheidet euch und kehrt um, denn 14

Schoen, Determination

209

das Reich Gottes kommt. Seid Täter des Wortes!" Je nach der Dichte des subintelligierten Determinationsdenkens heißt es dann: „Das Reich Gottes kommt", „will kommen", „will sich von euch beschleunigen und anziehen lassen", „will sich durch euch überhaupt erst realisieren lassen . . ." Ohne die Initiative des Menschen kann die begegnende Wirklichkeit nicht zum Zuge kommen: „Vergib uns unsere Sünden, so wie wir unseren Schuldigern (schon) vergeben haben." „Unsere Revolution soll deiner Revolution den Einstiegspunkt schaffen". „Wir wollen unsere Zukunft nach deiner Vorlage selbst schaffen". . . . heißen dann die Antworten, wiederum gestaffelt je nach der Intensität des subintelligierten Wissens um die Allkausalität der begegnenden Wirklichkeit. Bei Juden ist eine solche Darstellung des Heilsgeschehens häufig. Den Heilstaten Gottes entspricht auf selten des Volkes eine Annahme des Angebots. Die Verwirklichung der Annahme wird zur Befreiung von der Knechtschaft. Die Offenbarung der Thora ist ein solches Angebot. Der Mensch kann sie, wenn er sie annimmt, auch halten. Das subintelligierte Determinations-Denken hält dann allerdings an der Aussage fest, daß das Gesetz als allmächtiges Wort Gottes sich selbst seinen Effekt schafft. Die messianische Thora am Ende der Zeiten wird wieder ein solches Angebot sein. Der Messias wird der neue Mose sein. Das freie Tun des Menschen wird so zur erlösenden Tat (A. Heschel, S. 409ff.). Der islamischen Theologie, in der die Begriffe Heilstat und Offenbarung der Forderung Gottes ohnehin nahezu zusammenfallen, ist das durchgehende Freiheitsdenken recht angemessen. Die Folge der Gesandten Gottes als Bringer der Offenbarung ist so eine Folge von neuen Angeboten durch Bringen neuer Kenntnis, die dem Menschen nur durch Offenbarung zukommen kann. Der von Muhammad, dem letzten der Gesandten, gebrachte Qur'än, leitet die Aera des Islam ein, der die Menschheit endgültig von der Unwissenheit (gähiliyya) befreit. Denn sie kann so die von Gott angebotene Führung (huda) ergreifen und sich recht leiten lassen.

3722 Befreiung in der Determination. Die Anwendung eines durchgehenden „leeren" Handelns und Redens, das vom „Denkansatz N" herkommt, ist in bestimmten Situationen angebracht und wird in unseren drei Religionsgemeinschaften verwandt. Wir sind dann Zuschauer im Welttheater, ergriffen von der Handlung. Das Modell unseres Denkens und Handelns ist dabei das der völligen Transparenz gegenüber der begegnenden Wirklichkeit. Es ist verwandt mit dem eines unvoreingenommenen Naturwissenschaftlers, der zu einer Ethik der Kenntnis gelangt, wenn er durch getreue Beobachtung die Natur kennen lernt, so wie sie wirklich ist, und ihre Gesetze und Forderungen in seinem eigenen Handeln zum Zug kommen läßt. Dieses Denkmodell entspricht der Dialektik des Übergangs von einer Bestimmung in die andere (s.o. 2233). Denn der Zuschauer im Welttheater wird von den sich ablösenden Akten ergriffen. Befreiung ist dann Überwältigung 210

der reaktionären Kräfte des vergangenen Aktes, die sich gegen die Determination des neuen Aktes stemmen. Die Tatsache, daß Befreiung innerhalb der Determination sinnvoll erlebt und beschrieben werden kann, macht deutlich, daß sie mit der Komplementarität von Determination und Freiheit nicht wesensmäßig verbunden ist. Diese wird in gewissen Fällen als adäquates Ausdrucksmittel nur zugezogen, um verschiedenen Aspekten der Befreiung Rechnung zu tragen (s.o. 371: Wechsel der Denkwege). In christlicher Sicht gehört die Befreiung zur Ablösung dieser Welt durch die letzte Welt. Ihr bestes Ausdrucksmittel ist daher die Dialektik (s.o. 34). Für den Christen, der dem Denkmodell der Befreiung in der Determination folgt, befreit Gott den Menschen in einer Reihe von Heilstaten von satanischen Weltmächten. Er erwählt die Seinen in unergründlichem Ratschluß. Sein allmächtiges, führendes Wort verwirklicht sich selbst in denen, die es tun. Sein Geist ruft in denen, die beten. Er bewirkt selbst die Vielstimmigkeit im Gesang der Selbstverherrlichung Gottes. Die pluralistischen Strukturen der Welt sind demnach nicht Schöpfungen kollektiver Subjektivitäten, sondern Zweige am Baum einer Determination (s.o. S. 32f.: Ansatz N; S. 151: Hanafi). Die Evidenz, daß der Mensch ja frei ist, daß er aus freien Stücken die Leitung annimmt — oder hinterher die ihm durch die unwiderstehliche Gnade aufgezwungene Situationsveränderung ratifiziert — läuft stillschweigend neben all diesen intensiven Determinations-Aussagen her. Das Verhältnis der subintelligierten Evidenz der Freiheit zur Evidenz der Befreiung in der Determination ist ein komplementäres. Beim Verbleiben auf dem Denkweg F sah sich die Angst dem rächenden Gott gegenüber. Die Befreiung sah sich dem Gott gegenüber, der den freien Menschen anredet und ihm sagt: ich kann dich noch brauchen, ich habe noch eine Aufgabe für dich, gehe hin und tue das und das (1. Kön. 19,15ff.) (s.o. 3721). Beim Verbleiben auf dem Denkweg Ν sieht sich die Angst dem öabbär gegenüber, der mich zerdrückt. Die Befreiung ist ein Ergriffenwerden vom selben allkausalen Gott, der nun jedoch — in der Enthüllung — von sich sagt, daß er auch der Barmherzige, der Liebende, der sich wieder Zuwendende (tawwäb, s.o. S. 159) ist. Auch das, was wir als befreienden Wechsel vom Weg der Freiheit auf den Weg der Determination bezeichneten (s.o. 3711), ist letztlich „Befreiung in der Determination". Denn die Freiheit, zu der ich verurteilt bin — in der ich mich immer wieder selbst und nicht den Anderen wähle — ist eine Form von Determination. Die Angst, die dabei entsteht, sieht sich dem ungerechten Gott gegenüber, der Unfreie zur Verantwortung zieht.

211

3 73 Die Reihenfolge der Determinationsund die Frage der Priorität

und

Freiheits-Aussagen

Bisher betrachteten wir die „Möglichkeiten des Flötenspielers, der zwei Melodien nicht gleichzeitig spielen kann": Er kann von einer Weise auf die andere überspringen — entweder in ständigem Hin und Her oder indem er die eine zu Ende spielt und dann erst die andere beginnt (s. o. 371). Er kann aber auch nur eine Weise spielen, ohne dabei die andere Weise, die er zwar selbst nicht spielt, aber gehört hat, dabei zu vergessen (s. o. 372). Nun wollen wir danach fragen, ob bei der getreuen Wiedergabe dessen, was bei unserer Befreiung geschieht, eine der beiden Weisen, die „leere" oder die „volle", Priorität besitzt. Vorausschickend sei daran erinnert, daß in der Tatsache, daß Gott etwas tut, was wir nicht tun können, die stillschweigende Voraussetzung einbegriffen ist, daß wir es bei ihm mit einer begegnenden Wirklichkeit zu tun haben. Weder in der objektivierenden Redeweise „S//0" noch in der subjektiv-objektiven Redeweise „S'//S/0" ist das uns begegnende „0" eliminierbar (s.o. 121). Ein idealistisches Heraussetzen der uns begegnenden Wirklichkeit aus uns selbst wird hier als für Erfahrungen mit Gott unangemessen nicht in Betracht gezogen. Das reine „S" kommt für uns nicht in Frage. Andererseits ist das Tun Gottes für uns, auch wenn es ohne uns geschieht, ein Hinweis darauf, daß die Eliminierung von „S" ebenso unmöglich ist. Die Möglichkeit des reinen „0" wird demnach als unangemessener Determinismus ebensowenig in Betracht gezogen. Der „voll" Redende subintelligiert immer die Tatsache, daß die Wirklichkeit, der er begegnet, unabhängig von ihm besteht, der „leer" Redende subintelligiert immer die Existenz des eigenen Subjekt-Seins.

Aus dem bisherigen scheint hervorzugehen, daß theologische Aussagen nicht auf eine bestimmte Reihenfolge der Redeweisen festgelegt werden können. Die Aufeinanderfolge scheint allerdings nicht beliebig, denn immer entspricht sie dem zeitlichen Aufeinanderfolgen von verschiedenen Situationen. Es wäre also die Reihenfolge der Situationen, in denen der Mensch sich nacheinander befindet, die die Reihenfolge der Handlungs- und Redensweisen dessen bestimmt, der sich als unter der Einwirkung Gottes stehend erfährt. 3731 Die Tatsache, daß Gott etwas tut, was auf mich gemünzt ist, bewirkt zwar immer eine Veränderung meiner Situation, nicht aber notwendig eine derartige Veränderung, daß mein Handeln und Denken in getreuer Entsprechung dieser Tat von der Determinations-Struktur in die Freiheits-Struktur — oder umgekehrt — umwechseln müßte. Freiheit oder Unfreiheit des Menschen können jeweils vor und nach der Tat Gottes erhalten bleiben (s.o. 372). In beiden Fällen wird einem Aspekt der Aus212

Wirkungen des g ö t t l i c h e n Handelns in mir Priorität g e g e b e n u n d diese Priorität durchgehalten. Der andere Aspekt läuft nur stillschweigend nebenher. Er kann zum Beispiel bei der Verweigerung aus Gewissensgründen zum Vorschein kommen, einem Widersacher gegenüber, der mich auf die andere Evidenz hinweist und empört sagt: , J a glaubst du denn da nicht dran?" Worauf die Antwort erfolgt: „Ich glaube sehr wohl auch daran, selbst wenn es dem, was ich gewöhnlich sage, widerspricht!" In einem vom Aktivismus bedrohten Okzident könnte die theologische Rede als prophetisches Gegengewicht bezeugen, daß Gott ungeschuldet und mit unwiderstehlicher Gnade die Seinen erwählt, um sie in Sein Reich zu versetzen, in dem weiter allein seine allwirksame Gnade herrscht. Einem durch Ausbeutung unterentwickelten, durch chronisches Elend handlungsunfähig gewordenen Orient könnte Gott die Möglichkeit, für ihn und mit ihm etwas zu tun, zusprechen und dazu behaupten, daß dies seiner im Orient zu Genüge bekannten Allkausalität nicht widerspreche. Gott würde dabei sagen: „halte dich an die Freiheit, die ich dir gebe, und nicht an meine Allmacht!" Der Spruch des Dichters Sabbi: „Wenn das Volk eines Tages die Freiheit will, dann muß das Schicksal Folge leisten" (s.o. 2132) könnte ein prophetisches Wort sein. Die Beurteilung der Frage, ob die konkrete prophetische Rede der Wirklichkeit „Gott" und der Wirklichkeit „meine Gesellschaft" entspricht, bleibt der Weisheit vorbehalten, die den wahren Propheten vom falschen zu unterscheiden hat (vgl. oben 3115: 'Awad gegen Hayek). Innerhalb einer weltweiten Religionsgemeinschaft, die sich über verschiedene Kulturkreise erstreckt, ist folgendes zu beachten: Der Zeuge, der berichtet (was Gott in ihm getan hat, oder was er mit Gottes Angebot getan hat) und dies „unmittelbar" tut — d.h. in der Struktur bleibt, in der er die Erfahrung gemacht hat (s.o. 354: Zeugnis) — wird, wenn er in einen anderen Kulturkreis kommt, oft besser nicht mehr unmittelbar, sondern nur noch „mittelbar" reden: er muß auf die neue Situation eingehen und unter Benutzung seiner eigenen Freiheit seine Botschaft in eine andere Struktur übersetzen.

3 7 3 2 Häufig wird j e d o c h ein Wechsel der Aussage struktur nötig sein, u m getreu das Erlösende widerzuspiegeln: „Als ich dermaßen in e i n e m Geleis verfahren war, daß mir sein absurdes D e n k - E x t r e m zu Schrecken des T o d e s wurde, hat G o t t m i c h auf das andere Geleis versetzt u n d dessen Möglichkeiten mit b e f r e i e n d e m Inhalt gefüllt!" U n d zwar wird bei d e n einen das Denk-Gefälle des Determinations-Weges und bei d e n anderen das des Freiheits-Weges als befreiend u n d prioritär b e z e i c h n e t . 1. So wird in kirchlichen Traditionen, in denen Luthers persönliches Erleben nachhaltig wirkt, die Heilserfahrung häufig etwa so dargestellt: Unter der Forderung der zürnenden Gerechtigkeit Gottes (dem „Gesetz") wird das angesprochene verantwortliche Ich groß und zugleich der Todesschuld überführt („Zweiter Gebrauch des Gesetzes"). Die anderswo vernommene Rede von der allmächtigen Gnade Gottes verhallt, ohne zum Zuge zu kommen (Luther vernahm sie von Johannes von Staupitz). 213

Da ändert sich die Situation: die Befreiung wird erfahren in der Gewißheit der getilgten Schuld und der Undenkbarkeit — ja gar Gotteslästerlichkeit — des geringsten eigenen Tuns als mitwirkende Voraussetzung zu Gottes Tun (= „Rechtfertigung allein aus dem Glauben"). Im darauf folgenden Durchschreiten der verschiedenen Räume dieser neuen Situation wird auch der subjektive Aspekt des Geschehens als evident entdeckt. Er muß mit „voller" Rede beschrieben werden. Diese kann subintelligiert bleiben, oder als auch nötig gerade noch zugestanden werden. Sie kann aber auch — in erneutem Umwechseln auf die volle Rede — ihrerseits Priorität und Betonung erfahren (= „Heiligung" — zu der die subjektive Annahme des Glaubens im Rechtfertigungsprozeß mit hinzugenommen werden kann — und „dritter Gebrauch des Gesetzes"). Die adäquate Reihenfolge der Redeweisen ist dann wie folgt: „leer" für Schöpfung; „voll" für Forderung Gottes; „leer" für Rechtfertigung; „voll" für Heiligung. Der Haupt-Ton liegt hier auf dem Wechsel von „voll-Angst angesichts der Forderung Gottes und „leer"-Befreiung angesichts der Heilstat. Denn zwischen beiden liegt die entscheidende Situationsveränderung. Eine solche Reihenfolge — bei der Schwergewicht und Priorität auf dem befreienden Leer-Werden liegen, auf welches das freie Tun als weniger betonte Konsequenz folgt — findet sich auch in den islamischen Traditionen, deren Anliegen das Bekenntnis der Allmacht Gottes ist. Für sie wirkt Gott allein das Heil. Das „volle" Reden vom Menschen, der sich das, was Gott zuvor erwählt, gewollt und geschaffen hat, erwerben (kasaba) muß, folgt erst an zweiter — mehr oder weniger betonter oder gerade noch zugestandener — Stelle (s. o. S. 135). Sure 94,7 u. 8 spielt für dieses Abfolge-Modell eine wichtige Rolle. Es heißt dort: „Nachdem du leer geworden bist (fertig geworden, entlastet), bemühe dich und wende zum Herrn dein Begehren!" In der Mystik, die gegensätzliche Denkstrukturen kennt, kann der sekundäre „voll-Satz" dasselbe Gewicht erhalten wie der prioritäre „leerSatz". al-Gazâlî beschreibt seine Bekehrung als eine von Gott gewirkte Entleerung. Erst nach dieser war er im Stande, Gottes Ruf zu folgen (s. o. 2342). 2. Andere Traditionen, in denen die persönlichen Erfahrungen anderer Gottesmänner gepflegt werden, berichten von dem das Leben verwandelnden Wechsel, indem sie den Haupt-Ton auf den Wechsel von „leer"-Angst und „voll"-Befreiung legen. Gottes Forderung ist dann nicht etwas von vorneherein mich Verdammendes und hintennach noch positiv mehr oder weniger deutlich dazu-Gesagtes, sondern das eigentlich mich Befreiende. Die biblischen und koranischen Berichte von der langen Geschichte der „Söhne Israels" sind dann eine Kette von Taten Gottes, durch die er sie von Sklaverei und Ohnmacht befreite, indem er sie mit seinem Willen bekannt machte, sie von Unwissenheit und Unkenntnis erlöste und in die Lage versetzte, diesen Willen zu tun. Eine solche Reihenfolge, bei der Schwergewicht und Priorität auf dem befreienden Voll-Werden liegen, kommt in den islamischen Traditionen vor, deren Anliegen das Bekenntnis der Gerechtigkeit Gottes ist. Für sie ist das Heil nicht das alleinige Werk Gottes, denn Gottes Werk richtet sich nach dem Werk des Menschen, nach seinem sich für Gott entscheidenden Glauben. Die „leere" Rede vom gnädigen Tun Gottes (lutf) (s.o. S. 137) folgt — meist stark abgeschwächt — erst an zweiter Stelle. 214

3733 In weiten Bereichen des Christentums und des Islam sind die in den Schultheologien der einzelnen Traditionen üblichen Akzentsetzungen kein Ausdruck der Fülle der Frömmigkeit, in der Komplementarität gelebt wird, die die Schultheologie nicht ausdrückt. In der koptischen Kirche ζ. B. wird mit derselben Intensität von dem bald zum Gericht kommenden Zorn Gottes gepredigt (z.B. Hebr. 10,19ff.) — d . h . zur befreienden Tat aufgerufen — als an die Erwählung des Menschen zu seinem Heil (s. o. S. 179) und zu seinem besonderen Stand — dem Priesterstand z. B. — geglaubt wird. Ähnliches gilt für den Islam, in dem sukzessiv sowohl befreiendes Erleiden als auch befreiendes Tun gelebt wird, ohne daß entschieden werden kann, welchem von beiden die Priorität zukommt (vgl. oben S. 159 u. S. 164).

Die Aufgabe der Theologie besteht hier darin, in methodischer Ehrlichkeit alle Erfahrungen nachzuvollziehen und mit gleicher Gültigkeit in ihrem Denken zum Ausdruck zu bringen (s. o. 36). Auch in ihrer Interpretation der Schrift, die der D- und der F-Erfahrung ihr ganzes Gewicht verleiht (s.o. 2314, Anm. 9 und 2414, Anm. 5), soll sie sich von dieser Ehrlichkeit leiten lassen. 3734 In der Aufeinanderfolge komplementärer theologischer Aussagen ist also — ebensowenig wie bei komplementären naturwissenschaftlichen Aussagen — eine bestimmte Reihenfolge nicht von vorneherein festlegbar. Die Reihenfolge ist eine Funktion der Abfolge der Situationen, in denen sich der Redende befindet. „Volles" und „leeres" Handeln und Reden sind nicht in ihrer geschichtlichen Abfolge festgelegt — Freiheit folgt zum Beispiel nicht unbedingt auf Determination — sie sind vielmehr symmetrisch und austauschbar.

374 Gefährdet das Wissen um die die Heilsgewißheit?

Komplementarität

Die Erfahrung des befreienden Wechsels von einem Denkweg auf den anderen bedeutet Trost und Zuspruch. Nur die konsequente Gültigkeit der befreienden Aussage schützt vor der im vorausgegangenen Denkweg erlebten Angst und Verlorenheit. Nur die Flucht in die Gnade Gottes und die völlige Verantwortungslosigkeit rettet vor dem Satan, der fragt: „tust du auch wirklich das Gute?" Der Gedanke, auch auf dem Denkweg der Freiheit könne Trost und Rettung zu finden sein, muß hier — um der Heilsgewißheit willen — ausgeschlossen bleiben. Nun ist es aber tatsächlich so, daß auch der entgegengesetzte Wechsel als Rettung und Trost erfahren wird. Nur die Flucht in die befreiende 215

und verantwortliche Tat rettet vor dem Satan, der sagt: „sei zufrieden als Zuschauer des Welttheaters!" Nur das feste Wissen, daß das Heil nicht in der Determination liegt, läßt mich dann dem Satan antworten: „Ich kenne Gott anders und besser: er sagt mir, daß ich entscheiden und handeln soll und daß ich es auch kann!". Wie aber kann der, der um die Komplementarität der Evidenzen weiß und beiden Gültigkeit zugesteht, noch Zuflucht und Trost in einer der beiden finden? Mischt nicht selbst das subintelligierte Wissen von der Gültigkeit der anderen Evidenz Angst in meinen Trost? Eine Antwort könnte im Blick auf die Praxis eines Seelsorgers gesucht werden, der zu dem einen Menschen vom befreienden Erleiden und zu dem anderen von der befreienden Entscheidung redet, sich dabei aber so der Logik des jeweiligen Menschen und dessen Situation hingibt, daß er für sich selbst dabei Trost empfindet . . . Die Reihenfolge des von ihm sukzessiv gespendeten Determinations-Trostes und Freiheits-Trostes richtet sich ganz nach den Menschen und ihren Nöten, die er antrifft . . .

38 Dialektik und Komplementarität: das Zwei-Welten-Bild und die feste Reihenfolge von Angst und Befreiung 381 Zeitlich in der Abfolge festgelegt ist dagegen das Umschlagen von Angst in Befreiung bei Entwicklungen, die in Zusammenhang stehen mit der Geschichte Gottes mit der Welt, mit dem Weg der Welt von dieser Welt zur letzten Welt. Hier ist im Weiterschreiten von Begriff zu Begriff eine bestimmte Ordnung einzuhalten. Die Reihenfolge der Berichte entspricht dann dem Fortschreiten Gottes von der Verhüllung zur Enthüllung, von Karfreitag zu Ostern, wie Karl Barth es nennt, (vgl. 3734). Man mag allerdings angesichts des unbegreiflichen, zuschlagenden und zerstörenden Gottes geneigt sein, den „Hohlraumcharakter" des Glaubens voranzustellen, — der auch die uns der Freiheit beraubende Angst zur „Tochter Gottes" (G. Bernanos, Dialogues des Carmelites) werden läßt — und in dieser Situation „leer" werden. Andererseits erscheint es angebracht, angesichts der Enthüllung Gottes in freudiger Entfaltung auf jeden Fall „voll" zu reden und so auch die befreiende Determination — wegen ihrer inhaltlichen Freiheit — als „voll" zu bezeichnen (vgl. K. Barth, KD IV/1, S. 700, 707 , 709, 8 5 9 - 8 6 7 ) . Im strengen Sinn der oben definierten und hier verwendeten Determinations- und Freiheits-Redeformen ist jedoch die Ablösung der D-Formen durch F-Formen nicht unbedingt zusammenfallend mit dem, was mit uns geschieht, wenn wir in die Ab-

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lösung dieses Aeons durch den kommenden Aeon mit hineingezogen werden. Um dies auszudrücken, sind dialektische Denkformen angemessen.

Der Widerspruch des ,Jetzt-schon-ganz-der-neuen-Welt-zugehörig-Seins" und des „Noch-ganz-dieser-Welt-verhaftet-Seins" ist ein dialektischer Widerspruch. Auch das „jetzt noch" und das „doch schon" können nicht gleichzeitig gesagt werden, sondern nur hintereinander, ja sie schließen sich gegenseitig aus, denn „die Frau, wenn sie geboren hat, denkt nicht mehr an die Schmerzen der Wehen" (Joh. 16,21). Es handelt sich hierbei aber nicht um einen komplementären Widerspruch, denn die Begriffspaare „Angst" und „Freude" sind keine je und je nebeneinander her laufenden „Geleise": die Angst wird ein Ende haben und die Freude wird allein übrig bleiben. Beide, Angst und Freude, tragen aber immer, solange wir sie denkend erfassen können, in sich einen „vollen" und einen „leeren" Aspekt, die beide gesagt werden müssen, um der Wahrheit treu zu sein. 382 Eine solche Abgrenzung der Begrifflichkeiten scheint uns am nützlichsten für das Gespräch unserer drei Religionen mit dem Marxismus, das wegen der zahlreichen Gemeinsamkeiten so nahe liegt (vergleiche hierzu 121: Bohr; 1234: Howe; 2233: Marxismus; 2341: islamische Mystik; 343: Intensität der komplementären Ausságen; 3722: Befreiung in der Determination). Das Zwei-Welten-Bild eignet den drei semitischen Religionen und dem Marxismus: „Et notre règne arrivera quand votre règne finira", sangen die Seidenweber von Lyon. Es kommt der Wirklichkeit am nächsten, wenn man dieses Zwei-WeltenBild als „Dialektik des Übergangs aus einer Bestimmung in die andere" bezeichnet (s. o. 2233). Alle vier Gemeinschaften halten an diesem Grundschema fest, um Zeugen der Wirklichkeit zu sein. Andernfalls verlieren sie ihren Bezug zur Wirklichkeit, die sie bezeugen sollen, das heißt ihren Glauben, ihre Überzeugung. Für alle vier ist die wesentliche Freiheit des befreiende Aufgehen in der Bestimmung, deren Echtheits-Siegel sie als zum Ziel der Geschichte gehörig ausweist. Diese Freiheit ist eine inhaltliche. Die von ihr zu unterscheidende Wahlfreiheit leitet sich zwar von ihr her. Jedoch ist inhaltliche Freiheit ohne Wahlfreiheit durchaus denkbar. Sie ist sogar ein wesentlicher Aspekt der Wirklichkeit. Die objektivierende „leere" Redeweise drückt ihn aus (Für Luther z. B. bedeutet „Freiheit eines Christenmenschen" Befreiung und nicht Wahlfreiheit). Das Verhältnis dieser „objektiven Dialektik" zur Rolle des Subjekts im Geschichtsprozeß wird unter einer — jeder der vier Gemeinschaften altbekannten — internen Diskussion zu beschreiben versucht. Dabei treten ähnliche Denkmodelle und Zerwürfnisse auf, die innerhalb der Gemein217

Schäften zu verschiedenen Traditionen und Konfessionen geführt haben. Es entspricht daher nicht der Reichhaltigkeit dieser Gemeinschaften, wenn man sie global nach den Kriterien „Determinismus" und „Voluntarismus" unterscheidet oder gar deshalb von der einen in die andere überwechselt. Wir schlagen vor, das Verhältnis der objektivierenden zu der subjektiv-objektiven Redeweise nicht als dialektisch, sondern als im Bohrschen Sinn komplementär zu bezeichnen. Denn das symmetrische Aspekt-Paar „Ieer"-„voH" wird sich auch im Ziel der Geschichte — soweit wir dieses gedanklich erfassen können — durchhalten. Zu unserer Hoffnung gehört weniger die Aufhebung der Gegensätze von „leer" und „voll" als vielmehr das Aufhören des quälenden Zerrissenseins dieser Gegensätze. Dann wird der Objektivität nichts Fremdes mehr anhaften! 383 Da für den Christen die letzte Welt effektiv schon begonnen hat und nicht nur zeichenhaft antizipiert wird, ist die gedankliche Erfassung der Übergangs-Situation des „noch nicht-" und des „doch schon"-in der-Bestimmung-der-letzten-Welt-Seins" ein Problem, das die christliche Theologie der jüdischen und der islamischen „voraus" hat und sie auch vom Marxismus unterscheidet. Auch diesen dreien ist dieses Problem bekannt, denn auch sie leben auf die letzte Welt hin und antizpieren sie. Für den Christen, der mit ihnen lebt und redet und auf der gemeinsamen Leinwand die spezifisch christlichen Pinselstriche auftragen will, ist es besser, in solchen biblischen Traditionen seinen Schwerpunkt zu suchen, die das .jetzt schon" weniger dick auftragen. Diese kennzeichnenden Pinselstriche zeigen erhöhte Intensität der Freiheits- und der Determinations-Aussagen und spezifische Inhalte, die beide durch das Leben mit der nahe herbeikommenden letzten Welt bewirkt sind: — Die Intensivierung der Freiheits-Aussagen bezeugt das gott- und weltfeindliche starke Ich-Sagen und die damit verbundene Sünde und Angst. Sie bezeugt aber auch — in der Befreiung — ein gott-ähnliches freies Ich. — Die Intensivierung der Determinatons-Aussagen ist ein Ausdruck des durch das Zergehen dieser Welt und das Sterben des alten Menschen verursachten Leidens und der damit verbundenen Angst. Sie bezeugt aber auch — in der Befreiung — den Beginn des Endes, an dem Gott alles in allem sein wird. Auch außerhalb des Christentums gibt es solch intensive Freiheits- und Determinations-Aussagen und ihre beängstigenden und befreienden Aspekte. Im Koran rät Gott dem Menschen, Böses mit Gutem abzuwehren (13, 22; 218

23, 96; 41, 34). Das heißt, er soll frei sein und sich nicht der vom Bösen ausgehenden Determination hingeben. Das heißt aber auch, daß er determiniert und in Gottes Güte „eingefärbt" ist (2,138), aus dessen Güte das Gate vom Menschen als „leeres" Tun getan wird. Wir glauben allerdings, daß diese intensiven Aussagen sich auf die Wirklichkeit Jesus Christus beziehen, in dem die letzte Welt schon verwirktlicht ist, der aber auch alle Ängste dieser Welt — die zergeht — mit uns erlebt. Er ist das Modell, nach dem sich unser Planen und Tun richten kann. Er ist das Determinations-Zentrum, von welchem aus Gottes Feindesliebe in die Welt dringt.

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4 Schluß-Thesen Zu 1: Die Komplementarität von Determination und Freiheit im Sinne von Niels Bohr ist keine dem arabischen Denken fremde Ausdrucksform. Denn es kennt von Hause aus den Umgang mit Gegensatz-Paaren. Diese Art zu denken wurde jedoch vom griechischen Ideal der Überschaubarkeit weitgehend verdrängt. Zu 21: Ein bevorzugter Ort, an dem die Frage nach Determination und Freiheit heute zum Ausdruck kommt, ist die Palästina-Frage. An ihr erwecken sich die unterschiedlich prägenden Kollektiv-Erinnerungen der drei semitischen Religionen sowie die des Marxismus und des Nationalismus. Zu 222: Für die drei semitischen Religionen und den Marxismus spielt die nationale Frage und das damit aufgeworfene Problem des Verhältnisses von Determination und Freiheit eine Rolle im Rahmen ihres jeweiligen Universalismus. Als selbständiger Wert jedoch ist für sie der Nationalismus undenkbar und ausgeschlossen. Zu 223: Der bevorzugte Ort der Auseinandersetzung um Determination und Freiheit innerhalb des arabischen Marxismus ist die Frage nach der Rolle der Nation und der Eigenständigkeit der jeweiligen Revolution. Der Marxismus ist gut ausgerüstet, diese Frage gedanklich anzugehen, denn er unterscheidet zwischen der Dialektik des Ubergangs von einer Bestimmung in die andere und der Dialektik der Beziehung von Subjekt und Objekt im Geschichtsprozeß. Zu 23: Die Determination des Menschen und seine Freiheit wurden im Islam von Anbeginn gelebt und gedacht. Der heutige Islam — insbesondere der vom Sufismus geprägte — ist in der Lage, diese seine Erfahrungen in einer dem modernen naturwissenschaftlichen Denken verständlichen Form auszudrücken und das altbekannte Problem einer Lösung zuzuführen. Zu 23: Vor verallgemeinernden Urteilen über die tatsächlich gelebte islamische Wirklichkeit muß gewarnt werden. Denn es bestehen zuverlässige Aussagen sowohl darüber, daß dem Denkgefälle der Gesetzlichkeit folgend innere Spannung verloren wurde, als auch darüber, daß dem des Determinismus folgend ein Spannungsverlust auftrat. Am wahrscheinlichsten ist, daß die Masse der Muslimen Determination und Freiheit lebt und keinem der zum Spannungsverlust führenden Drucke nachgibt. Tatsächlicher Spannungs220

Verlust ist eine nur in Randzonen auftretende Erscheinung. Auf „in Determinismus-Nähe" oder „in Moralismus-Nähe" lautende Urteile treffen besser die in gewissen Traditionen üblichen Ausdrucksweisen als die tatsächlich gelebte Wirklichkeit. Zu 24: Auch im Christentum wurde von Anbeginn die Spannung von Determination und Freiheit gelebt und gedanklich ausgedrückt. Stärker jedoch als im Islam wurden in ihm die dem semitischen Denken eigenen — dem Gegensatz von Determination und Freiheit gut angemessenen — Denkformen durch das Ideal der widerspruchsfreien Überschaubarkeit verdrängt. Zu 24: Bei der Beurteilung des tatsächlich gelebten Christentums hat dieselbe Vorsicht zu walten, wie bei der des Islam. Auch in ihm geht häufig nicht die ganze Erfahrungsbreite ins Denken ein. Es ist gegenüber dem Spannungsverlust in Richtung „Pelagianismus" — zumindest was den bevorzugten Denkweg anbetrifft — besonders anfällig. Zu 32: Die Determinations- und die Freiheits-Aussagen sind in gleich konsequenter Weise auf alle Lebensbereiche auszudehnen. Eine Aufteilung der Gültigkeit von Determination und Freiheit auf bestimmte Gebiete ist der Wirklichkeit unangemessen. Zu 33: Es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Islam und Christentum hinsichtlich der Häufigkeit der Determinations- und der Freiheits-Aussagen. Keiner der beiden Aussagen kommt in den beiden Gemeinschaften eine diese kennzeichnende größere Gewichtigkeit zu. Zu 34: Im Christentum ist — im Vergleich zu Judentum, Islam und Marxismus — die Intensität der Determinations- und der Freiheits-Aussagen erhöht und beinhaltet jeweils einen beängstigenden und einen befreienden Aspekt. Der Grund hierfür ist die nach dem Zeugnis des Christentums nahe herbeigekommene letzte Welt, die mit der Auferweckung Jesu schon begonnen und in ihm ihren bestimmenden Schwerpunkt gefunden hat. Das hierbei zugrunde liegende Zwei-Welten-Bild ist jedoch — im Rahmen der Frage nach Determination und Freiheit — für die vier Gemeinschaften in gleicher Weise als „Dialektik des Ubergangs von einer Bestimmung in die andere" zu bezeichnen. Das Verhältnis der Determinations- zu den Freiheits-Aussagen — d. h. der objektivierenden zu der subjektiv-objektiven Redeweise — ist dagegen ein im Bohrschen Sinn komplementäres. Zu 36: An der Gültigkeit der Determinations- und der Freiheits-Aussagen ist — trotz der Schwierigkeit des Zusammen-Denkens beider — festzuhalten. Jede von ihnen drückt einen Aspekt der Wirklichkeit aus. Beide zusammen bezeugen ihren Ganzheits-Charakter und ihre Einheit. 221

Dies bedeutet einerseits, daß in einer Situation, in der die völlige Determination des Menschen evident ist, die Gegenaussage der Freiheit des Menschen diese Evidenz nicht abschwächt, und andererseits, daß dann, wenn der Mensch offensichtlich frei ist, das Wissen von seiner Determination das Gewicht der Freiheits-Aussage nicht schmälert. So bleibt sowohl das absolut objektivierende, als auch das unter der Prämisse der absoluten Freiheit geschehende Denken ausgeschlossen. Die freiheitliche Rede bezeugt die unabdingbare Rolle der Freiheit als Werkzeug für die Hingabe an Gott und an die von ihm ausgehende Determination. Die Wahl der objektivierenden — jegliche Wahlfreiheit ausschließenen — Rede ist unerläßlich, um die Allmacht Gottes und die Solidarität des Menschen mit der übrigen Schöpfung zu bezeugen. Zu 3 7: Eine bestimmte Reihenfolge der nur hintereinander, nicht aber gleichzeitig ausdrückbaren komplementären Aussagen kann nicht von vorneherein festgelegt werden: die Reihenfolge der Situationen bestimmt die Reihenfolge der Aussagen. Der in ihrem Voranschreiten festgelegten Dialektik des heilsgeschichtlichen Übergangs von einer Determination in die andere entspricht jedoch — innerhalb der Determinationsund der Freiheits-Aussagen oder beim Umwechseln von einem Denkweg auf den anderen — die bestimmte Ablösung der Angst durch die Befreiung. Zu 38: Die das Christentum kennzeichnende erhöhte Intensität der Determinations- und der Freiheits-Aussagen und die damit auftauchenden beängstigenden und befreienden Inhalte sind in Jesus Christus in ihrer ganzen Spannweite verwirktlicht: ganz F-Angst und ganz D-Angst, ganz F-Befreiung und ganz D-Befreiung. Er ist das Modell für die christliche Freiheit und das Determinations-Zentrum für die christliche Determination. Zu 38: Den drei semitischen Religionen und dem Marxismus gemeinsam ist die Uberzeugung, daß die eigentliche Freiheit nicht die Wahlfreiheit, sondern eine inhaltliche ist, und zwar die, die dem Determinations-Schwerpunkt entspricht, der sich als zur letzten Welt gehörig ausweist. Diese und andere — nicht nur formale, sondern auch inhaltliche — Gemeinsamkeiten sollten die vier Gemeinschaften zu vereinten Aktionen veranlassen. Der Ort des Dialogs wären dann die Oasen der Freundschaft, in denen am Abend — nach der Hitze und den Kämpfen des Tages — die unterschiedlichen Motivationen und Glaubensinhalte im Gespräch bezeugt werden.

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Schoen, Determination

241

— : Aspects intérieurs de l'Islam in: J . Berque et al.: Normes et valeurs dans l'Islam contemporain, S. 15—37. — : La condition humaine en Islam, in: J . Berque et al.: Normes et valeurs dans l'Islam contemporain, S. 48—67. Muhammad Hasan ÀI Yäsin : hawamiä 'alä kitâb naqd-ul-fikr id-dïnï (Randbemerkungen zum Buch: Kritik des religiösen Denkens). Beirut, 1971, 157 S. Kateb Yacine (Kätib Yäsin)·. Nedjma. Seuil, Paris, 1956. Dt.: Nedschma. Suhrkamp, Frankfurt, 1963, 275 S. Ali Yata: Liberation nationale et révolution sociale: l'exemple de la Palestine, in: Α. Abdel-Malek (Hg.): La pensée politique arabe contemporaine, S. 321 — 330. Abü-1-Qäsim az-Zamahïari: al-kaäääf 'an haqâ'iq it-tanzïl (der Pfadfinder für die Wahrheiten der Offenbarung). Hg. von Nassau Lees, Calcutta, 1856. Nefissa Zerdoumi: Enfants d'hier. Maspéro, Paris, 1970 302 S.

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242

Erklärung und Definition einiger verwendeter Begriffe und Ausdrücke (die Definitionen beziehen sich auf den spezifischen Sinn, in dem die Begriffe in dieser Arbeit verwendet sind)

adäquat Aeon Akkulturation Akosmismus

= angemessen = Weltzeitalter = Angleichung an eine andere Kultur = eine Denkrichtung, bei der die Natur und der Kosmos keine Beachtung finden das Tun, die Praxis, die Tat Aktion jemand der neu interpretiert Aktualisator das Algerisch-Sein Algerianität 'Alim (Plural : 'Ulamä') = islamischer Gelehrter, dem rechtliche und geistliche Autorität zukommt Allkausalität Gottes = Gott als Allverursacher, Gott als Allein-Wirksamer Ansatzpunkt Ν Ort einer evidenten Determination, von dem aus sich ein sinnvoller Gedankengang ergibt, der diese Determination ernst nimmt Ansatzpunkt E = Ort einer evidenten Wahlfreiheit, von dem aus sich ein Gedankengang ergibt, der diese Freiheit ernst nimmt Aporie = Ausweglosigkeit Arabismus = arabischer Nationalismus 'Asabiyya = Zugehörigkeitsgefühl, Korps-Geist (Schlüsselbegriff in Ibn Haldüns Denken) Asch'ariten = Anhänger der mittelalterlichen Theologenschule, die sich von al-Asch'ari herleitet und die Determination des Menschen betont assyrisch-chaldäisch = zur ostsyrischen, „nestorianischen" Kirche gehörend Authentizität Echtheit Baqä' = das „Bleiben" des Menschen vor Gott: die aus der mystischen Wiedergeburt entstehende Identität des Menschen Beigesellung (Sirk) = höchste Sünde im Islam: dem Schöpfer etwas Geschöpfliches beiordnen und es zusammen mit Gott anbeten (z. B. den Menschen Jesus) Zweisprachigkeit Bilinguismus Buridan, J e a n Philosoph des 13. Jahrhunderts, der — um das Problem der Determination und der Wahlfreiheit zu illustrieren — das Beispiel eines Esels verwendet, der genau zwischen zwei Heuhaufen steht: verhungert er deswegen? byzantinisch zum byzantinischen Ritus gehörig, den Gottesdienst nach der Liturgie des Johannes Chrysostomus feiernd (sog. „ o r t h o d o x e " Kirche, auch „melchitisch" d. h. kaisertreu, genannt)

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Chalcedon

= ökumenisches Konzil im J a h r e 451, auf dem die „monophysitischen" und die „nestorianischen" Lehren als häretisch erklärt wurden D Symbol für Determination D-Aussagen Determinations-Aussagen D-Erfahrungen Erfahrungen der Determination des Menschen und der Dinge D-Wege Gedankengänge, bei denen das Determiniert-Sein des Menschen bedacht wird (= vom „Ansatzpunkt N " ausgehende Denkwege) Denaturierung Entartung, Verfälschung Denk-Ansatz E der von der Wahlfreiheit des Subjekts ausgehende Denkansatz, der vor allem auch dazu führt, die Kreativität des Menschen zu bedenken (= der vom Ethiker bevorzugte Denkansatz) Denk-Ansatz Ν = der von der begegnenden Wirklichkeit ausgehende Denkansatz, der vor allem auch dazu führt, die strenge Determination der Dinge zu bedenken (= der vom Naturwissenschaftler bevorzugte Denkansatz) extreme Aussage, zu der man gelangt, wenn man der inneren Denk-Extrem Logik eines bestimmten Denkweges bis zum Ende folgt Tendenz, die einer bestimmten Denkrichtung innewohnt Denk-Gefälle Denk-Schema Denk-Pattern bestimmte Richtung eines Gedankenganges, der einer inneren Denk-Weg Logik folgt Bestimmung, Bestimmt-Sein Determination Determinismus auf der Determination fußendes Denksystem (oder Weltbetrachtung), bei dem die Wahlfreiheit des Menschen ausgeschlossen bleibt Dimmi der in der islamischen Gesellschaft „geschützte" Nicht-Muslim (Juden und Christen, die — allerdings mit gewissen Einschränkungen — Bürgerrecht genießen) Trennung Dissoziierung Dritte Welt Afrika, Lateinamerika, Asien (ohne J a p a n ) , Ozeanien (ohne Neuseeland) d. h. die wirtschaftlich unterentwickelten Länder der von den Industrienationen (= „erste" und „zweite" Welt) abhängigen „Peripherie" Symbol für die im allgemeinen den Ethiker kennzeichnende Verhaltens- und Denkweise E-Wege die im allgemeinen vom Ethiker eingeschlagenen Richtungen des Handelns und Denkens effektiv tatsächlich, Wirklichkeit geworden Effizienz Wirksamkeit Einheimischmachung = Anpassung und Einbürgerung eines von außen kommenden Gedankengutes in einem bestimmten Kulturkreis Eklektizismus die Tendenz, aus unterschiedlichen Systemen Gedanken auszuwählen und diese zu einem uneinheitlichen Ganzen zusammenzufügen Entität Größe, Menge, Wesenseinheit, Sein Extrapolation Verlängerung einer mehrere Meßpunkte verbindenen Kurve in einen nicht gemessenen Bereich hinein F = Symbol für Freiheit (= Wahlfreiheit) F-Erfahrungen = Erfahrungen der (Wahl)freiheit des Menschen

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F-Aussagen F-Wege Fana' Fatalität Fiqh al-Gabbär Ganggestein Gedankenzug

Gegensatz-Paar

Freiheits-Aussagen Gedankengänge, bei denen die Wahlfreiheit des Menschen bedacht wird (= vom „Ansatz E " ausgehende Denkwege) das „Zergehen" des menschlichen Subjekts bei der Begegnung mit Gott Schicksalhaftigkeit islamische Jurisprudenz, Wissenschaft vom islamischen Recht der Zwingende, der (allmächtigen) Zwang Ausübende: einer der Namen Gottes das erzführende Gestein, aus welchem bei der Erzgewinnung das Erz herausgeschlagen werden muß ein Gedankengang, der so zwingend ist, daß er nicht beliebig verlassen werden kann (Vergleich mit der Eisenbahn: „D-Zug" = Gedankengang des menschlichen Bestimmt-Seins; ,,F-Zug" = Gedankengang des menschlichen Frei-Seins) = paarweise auftretende gegensätzliche Tatsachen (z. B. Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit) Deutschenliebe

Germanophilie Goél (hebräisch) der Freikäufer, der Erlöser; einer der Namen Gottes Gott-Welt-Erfahrung = die gesamte Wirklichkeit, so wie sie unter Einschluß der Gotteserfahrung erfahren wird und beschrieben werden kann Haqïqa = Wirklichkeit Heils-Geschichte = Gottes Heilshandeln, so wie es vornehmlich in der Geschichte der Israeliten und der Kirche deutlich wird Heils-Welt-Geschichte = Gottes Heilshandeln, so wie es nicht nur in der Geschichte der Israeliten und der Kirche, sondern auch in der ganzen übrigen Welt deutlich wird Hellenisierung Angleichung an die griechische Kultur Hypostasierung Verewigung Ihtiläf Unterschied der Lehrmeinungen in der islamischen Jurisprudenz Impakt beeinflußendes Ergreifen Indétermination das Nicht-bestimmt-Sein, die Natur eines Vorganges, der nicht dem Kausalgesetz gehorcht inhärent innewohnend, unauflöslich mit etwas verbunden inkohärent ohne inneren logischen Zusammenhang jakobitisch zur westsyrischen, „monophysitischen" Kirche gehörend Kai am scholastische islamische Theologie des Mittelalters Kohäsion Zusammenhalt Kollektiv-Erinnerung = das was innerhalb einer menschlichen Gruppe von der eigenen Geschichte lebendig ist (vor allem Konditionierung durch Erziehung) Zusammenstoß Kollision Konkordismus Geistesrichtung, die versucht, nicht Zusammen-Stimmendes in Einklang zu bringen Kontestation Infragest eilen, Anzweifeln (insb. der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung) Landsmann Komp atrio t Konditionierung Festlegung auf eine bestimmte Art von Bedingungen, Programmierung

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koptisch

= zur koptischen Kirche gehörend, das Wort leitet sich vom selben Stamm ab wie ägyptisch, die koptischen Kirche ist also die ägyptische Kirche; sie gehört zu den nicht-chalcedonensischen Kirchen (s. diese) Korpuskel theorie Erklärung der Natur des Lichtes als Aussendung kleinster Teilchen die Tendenz innerhalb der Soziologie, die Einheitlichkeit und Kulturalismus Stabilität der verschiedenen Kulturkreise und deren Unterschiede zu betonen laizistisch nicht konfessionell, nicht religiös, säkular Latinisierung Angleichung der katholisch-unierten Kirchen an den lateinischen Ritus leeres Reden die Redeweise derer, die die Erfahrung des völligen BestimmtSeins des Menschen bedenken (nach Karl Barth: „leer wie ein Granattrichter sein . . .") Legalismus Werkgerechtigkeit, Rechtfertigung des Menschen vor Gott durch die Werke des Menschen (und nicht durch den Glauben) Lokalnationalismus = Nationalismus, der seinen Patriotismus einer Unterabteilung einer größeren Einheit zuwendt (ζ. B. ägyptischer Nationalismus, im Unterschied zum panarabischen Nationalismus) Madhab (Plural Madähib) = Ritus, einer der Rechtsschulen der islamischen Jurisprudenz (mit ihrem jeweiligen Kodex von Lebensordnungen) islamische Volks-Mystik im Bereich der (nordafrikanischen) Marabutismus religiösen Bruderschaften, die sich um ihren Leiter, den „Marabu" oder um dessen Grab scharen maronitisch zur maronitischen Kirche gehörig: im Libanon beheimatete „unierte" Kirche, d. h. zur katholischen Kirche gehörig, ohne dem römischen Ritus anzugehören : Monophysitismus Bezeichnung einer auf dem Konzil von Chalcedon 451 verurteilten Häresie (die heute als „monophysitisch" bezeichneten Kirchen sagen von sich, daß sie diese Häresie nicht lehren und auch nie gelehrt haben) Monotheletismus Häresie, die darin besteht, Christus nur einen und nicht zwei Willen (d. h. den göttlichen und einen menschlichen) zuzuschreiben (verurteilt auf dem 6. ökumenischen Konzil 680/81) Monovalenz nur eine Art von Gültigkeit, Eindeutigkeit al-Muntaqim der Rächer, der jegliches Unrecht Rächende : einer der Namen Gottes Mu'taziliten Anhänger der mittelalterlichen Theologenschule, die die (Wahl)freiheit des Menschen betont Ν Symbol für die im allgemeinen den Naturwissenschaftler kennzeichnende Verhaltens- und Denkweise N-Wege die im allgemeinen vom Naturwissenschaftler eingeschlagenen Richtungen des Handelns und Denkens Nationalitarismus = nationale Bewegungen in der durch Kolonialismus und NeoKolonialismus unterdrückten Dritten Welt (im Unterschied zum europäischen Nationalismus) Neo-Theokratismus = Bestrebungen, die mittelalterlichen Vorstellungen von einem christlichen (oder islamischen usw.) Staat in der heutigen Gesellschaft zu verwirklichen

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Nestorianismus

= Bezeichnung einer auf dem Konzil von Chalzedon 451 verurteilten Häresie (die heute als „nestorianisch" bezeichneten Kirchen sagen von sich, daß sie diese Häresie nicht lehren und auch nie gelehrt haben) nicht-chalcedonensische Kirchen = Kirchen, die sich dem Schiedsspruch des Konzils von Chalcedon (451) nicht unterwerfen und von der byzantinischen Kirche getrennt sind (sog. nestorianische und monophysitische Kirchen) Nïya = Intention, persönliches Wollen und Einstimmen beim Gebet objektivierende Redeweise = Redeweise im Sinne der klassischen Physik, bei der die begegnende Wirklichkeit objektiviert werden kann („S//0" nach der Formel Bohrs) Ontogenese individuelle Entstehungsgeschichte eines einzelnen Lebewesens (ζ. B. eines Menschen) Option entschlossenes Ergreifen eines Weges, Entscheidung für . . . (ζ. B. ein bestimmtes Entwicklungsmodell) die vom osmanischen Reich ausgehende, andere Völker inteOsmanismus grierende Wirkung und die dazu gehörende Denkrichtung sich auf die gesamte arabisch-sprechende Welt beziehend panarabisch Bewegung seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Panislamismus auch die politische Einheit der islamischen Länder anstrebt Besonderheit Partikularität Paternalismus herablassende und gängelnde „väterlich"-autoritäre Haltung Patrimonium von den Vätern ererbter Besitz einer Nation an Kultur und Land Schema Pattern auf dem Konzil von Ephesus 431 verurteilte, auf Pelagius Pelagianismus zurückgeführte Häresie: Pelagius betonte gegenüber der Gnade Gottes die eigenständige Fähigkeit des Menschen, sich für Gott zu entscheiden und das Heil zu erwerben der Häresie des Pelagianismus nahestehend pelagianisierend klare Einsichtigkeit Perspikuität Phylogenese die Entstehungsgeschichte einer Gattung von Lebewesen (ζ. B. des Menschen) proselytischer Effekt = Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft, Angehörige anderer Religionsgemeinschaften sich einzuverleiben, und zwar mehr durch wirtschaftliche und kulturelle als durch religiöse Faktoren qadä' und qadar = Zwei Ausdrücke für die von Gott ausgehende Determination, wobei im allgemeinen qadä' die Prädestination, qadar die Bestimmung im hier und jetzt bezeichnet mittelalterliche islamische Denkrichtung, die die Macht des Qadariyya menschlichen Willens betont (qadar bezeichnet hier die vom (Qadariten) Menschen ausgehende kreative und freiheitliche Bestimmungskraft) al-Qadir der Mächtige, der Bestimmende; einer der Namen Gottes Qalaq Bezeichnung für existenzielle Angst in der arabischen Welt heute (infolge innerer Zerrissenheit usw.) Qarmaten für soziale Gerechtigkeit eintretende Muslimen revolutionärer Bewegungen des 9. bis 12. Jahrhunderts 247

ar-Rahmän

= der Barmherzige, einer der (schönsten) Namen Gottes, sein Attribut par excellence Realpräsenz wirkliche Gegenwart Christi in der Eucharistie (im Abendmahl) Reminiszenz ein (schwaches) Sich-Erinnem Rezeption Sichtung, Verarbeitung und teilweise A u f n a h m e von fremdem Gedankengut im eigenen Denken Ribä vom Koran verbotener Zins (der damals allgemein ein Wucherzins war) Reformbewegung innerhalb der islamischen Theologie zu Beginn Salafiyya des 20. J a h r h u n d e r t s Schi'a islamische Konfession (im Gegensatz zur mehrheitlichen Konfession der „Sünna"), besonders im Iran, im Libanon, im Irak und in Indien verbreitet (die Angehörigen der Schi'a nennt man Schi'iten) Schicksalsglaube = Glaube an eine unpersönliche Macht, die alles Geschehen bestimmt Seidenweber von Lyon (les canuts) = aufständische Arbeiter in Lyon in den Jahren 1831 und 1834; ihr Kampflied gegen die katholische Bourgeoisie war: „unser Reich wird kommen, wenn euer Reich zu Ende ist . . Sitz im Leben = konkrete Situation, aus der ein bestimmtes Denken erwächst Solipsismus = totale Vereinsamung des Ich Somnambulismus = Nachtwandeln, Mondsüchtigkeit Soteriologie = die Lehre vom Heil, von der Erlösung Souk Ahras = heutiger Name des Geburtsortes Augustins (in Ost-Algerien) subintelligieren = im Geist etwas aufbewahren, was man gegenwärtig nicht denken kann, was aber doch seine Gültigkeit behält subjektiv-objektive Redeweise = Redeweise im Sinne der Mikrophysik, bei der die begegnende Wirklichkeit nicht objektiviert werden kann und das in die Wirklichkeit eingreifende Subjekt des Beobachters immer mitberücksichtigt werden muß („S'//S/0" nach der Formel Bohrs) Sufismus islamische Mystik Sunna der sich auf die Tradition stützende Islam. Selbstbezeichnung der mehrheitlichen Konfession im Islam gegenüber der Minderheit der Schi'a (die Angehörigen der Sunna nennt man Sunniten) Synergie Zusammenwirken von Gott und Mensch (beim Erlangen des Heils des Menschen) Theosis „Vergottung", Einswerden (des Menschen oder anderer Kreaturen) mit Gott totus Christus die Gesamtheit der Glieder des erhöhten Christus, sein mystischer Leib, die gesamte erlöste Menschheit Tradition (Sunna) = Gesamtheit der islamischen Tradition, zu der auch die nichtkoranischen Überlieferungen gehören, insbesondere die Sprüche des Propheten (hadït) Umma Gemeinschaft aller Muslimen unierte Kirchen Kirchen, die sich der katholischen Kirche angeschlossen haben, ohne den römischen Ritus angenommen zu haben (z. B. unter Beibehaltung der koptischen Liturgie) Usurpation unrechtmäßiges An-sich-Reißen der Macht Verwerfung Diskontinuität innerhalb einer geologischen Schicht (durch

248

volles Reden voluntaristisch Wellentheorie Welt-Erfahrung Xenophobie Zakät

tektonische Einflüsse); im übertragenen Sinn: Diskontinuität, Unterbrechung eines im übrigen ähnlichen Milieus = die Redeweise derer, die die Erfahrung der Wahlfreiheit des Menschen und seiner Kreativität bedenken = den freien Willen betonend = Erklärung der Natur des Lichtes als Wellenerscheinung = die gesamte Wirklichkeit, so wie sie ohne Gotteserfahrung erfahren wird und beschrieben werden kann = Ablehnung alles Fremden

= Sozialabgabe: vom Koran gebotene Steuer, die den Armen zugute kommt Zeitraffung = Zusammenschau von zwei zeitlich auseinander liegenden Bildern oder Ereignissen („telescoping") zentrifugales Wollen = das Verlangen der Bewohner der Industrieländer, die Menschen der sog. Dritten Welt in die Peripherie abzudrängen zentripetales Wollen = das Verlangen der Menschen der sog. Dritten Welt, am Leben der Industrieländer teilzuhaben und in diese einzuwandern Zoroastrismus = Dualismus des persischen Weltbildes

249

Personennamen-Register (die angegebenen Zahlen beziehen sich auf die Seitenzahlen) 'Abd-ul-Gabbär, A. 132, 223 Abd-el-Jalil ('Abd-ul-Galil), J . M. 120, 175, 223 Abdel-Malek, A. 82f., 87, 89, 95, 99, 101-104, 132, 140, 142, 154, 173, 178, 223ff., 228, 2 3 1 - 2 3 4 , 236, 238 Abd-el-Masih, I. 26 Abder-Ra'uf, M. A. 26 'Abd-un-Näsir (Abdel-Nasser), G. 95, 223 'Abd-ur-Räziq, Ά . 127, 150, 223 'Abduh, M. 138-142, 161, 223, 224 Abü Sabaka, I. 172 Adonis 82, 160f„ 223 al-Afgani, G. 96, 128, 138, 140, 161, 223, 224 'Aflaq, M. 93, 102, 223 Agricola, J . 176 Alam, Α. E. 26 al-'Alawï, M. 142 Albert, H. 49, 223 Alem, J . P. 77, 223 Alexandrow, A. D. 51 Ali, S. A. 129 al-'Àlim, M. A. 48, 64, 112, 223 AUard, M. 26, 150f., 223 Althusser, L. 104, 106, 110, 112, 223 'Amara, M. 138, 140, 223f. Amin, A. 133, 224 Amin, S. 73, 224 Amin, 'U. 138ff„ 150, 224 Amrouche, F. A. M. 70, 224 Amrouche, J . 69f., 224 Amrouche, M. T. 70 Anawati, G. C. 26, 132, 136f., 153, 157, 185, 224 Antonius, G. 87, 224 al-'Aqqâd, Ά . M. 48, 122, 143f., 224 Aql, S. 173

250

Arberry, A. J . 166, 224 Arkoun, M. 128, 149, 161, 185, 224, 242 Arn aidez, R. 153, 157, 160, 224 al-AS'arï (Asch'ari), A. 136, 161, 176 Askari, H. 130, 184f„ 224, 242 Assmussen, H. 54 Atiya, A. S. 166, 184, 224, 242 Augustin 94, 161, 176 Auzias, J . M. 28, 30, 224 Averroes (Ibn RuSd) 106, 178 Avicenna (Ibn Sina) 106, 162 Ά wad, L. 83, 173, 186f„ 213, 225 Àzâd, Α. Κ. 129 al-'Azïz, M. H. 163, 225 al-'Azm, S. G. 78, 82, 98f„ 101, 108, 140, 150, 187, 225

Baalbaki, L. 173, 225 Bacon, R. 85 Badawï, Ά . 81, 95, 225 Bakdàï, H. 111 Baliç, I. 26, 115, 225 Baljon, J . M. S. 127, 129, 225 Bammate, H. 131, 186, 204, 225 Bammate, N. 121, 131, 204, 225 al-Bannà', H. 127 Barbier, G. 26 Barbot, M. 173 Barth, Κ. 42f., 54, 56, 177, 199, 216, 232 Barth, M. 133, 231 Bashir, G. A. 26, 204 al-Bayati, M. 26 Begouën, M. M. 26 Belai, A. A. 83, 223 Belguedj, M. S. 26 Bell, R. 122 Benbarka, A. 104, 225

Benbarka, M. 104, 225 Ben Milad, M. siehe Ibn Milad Bennabi, M. 78, 141, 225 Benizri 20 Bensimon-Donath, D. 19, 225 Ben Sira 188 Bercher, L. 237 Bergson, H. 82, 139, 144, 150 Bernays, P. 51, 225 Berque, J . 22, 34, 47, 82, 121, 135, 138, 143f., 153, 162f., 173, 224f„ 227, 229, 231 Bernanos, G. 216 Beyerhaus, P. 185, 233 Bijlefeld, W. A. 129, 189, 225 Biot, F. 26 Bint-uï-Sâti, 'À. Ά . 122, 148, 226 Blachère, R. 122 Bloch, E. 106f., 113, 226 Bloch, J . 26 Blue, L. 26 Blochinzew, D. I. 51 Bockelmann, P. 26, 58, 226 Bohr, Ν. 28, 33, 44ff„ 4 8 - 5 3 , 57f., 113, 201, 217, 220, 226, 232, 235 Bosse, Η. 56, 226 el-Bokhari, 123, 226 Boubakeur, H. und D. 26 Boulos, J . 74, 226 Boumahdi, A. 72, 226 Bouman, J . 129, 189f. 226 Boutroux, E. 47, 226 Boyens, E. 228 Braune, W. 115, 127, 138, 226 Broglie, L. de 28, 48f„ 226 Brunschwig, R. 231 Buchholtz, K. D. 36, 226 Bultmann, R. 42, 150 Buntz, H. 47, 237 Büttner, F. 87, 93, 232

Calov, A. 177 Calvin, J . 201 Cambuzat, P. L. 26 Camus, A. 31 f. 82, 226 Carré, O. 125, 226 Carter, G. 205, 226 Caskel, W. 74, 227

Caspar, R. 26, 132, 224, 227 Cassirer, E. 82 Chalid, D. 25, 227 Charnay, J . P. 22, 34, 98, 135, 144, 162, 224f. 227 Chartier, M. 26, 107, 109, 115, 153, 155, 227, 229, 234 Chehata, Ch. 34, 138, 227 Chevallier, Μ. Α. 26 Chi ala, Y. 18, 241 Chouraqi, Α. 19, 227 Chraibi, D. 72, 227 Cicero, M. T. 38 Clemens von Alexandrien 179 Colodny, R. G. 229 Corbin, H. 47, 162f. 227 Correns, C. W. 26 Cragg, K. 22f., 115, 121, 152, 159, 184, 189, 223, 227, 232 Crémieux, I. Α. 67 Cuoq, J . M. 26 Cyrill von Alexandrien 166 Daiber, H. 26 Dammann, E. 74, 228 Danielsmeyer, W. 56 Darwin, Ch. 69, 81 Demeerseman, A. 72, 228 Descartes, R. 139 Destouches, J . L. 48, 228 Diemer, A. 48, 228 Dietrich, A. 26 Diez, E. 119, 228 Djaït (Ga'ït), H. 95, 146ff., 228 Dombois, H. 30, 54, 58, 228 Donohue, J . 26 Draz, M. A. 143, 228 Duchrow, U. 26, 56, 228 Eddington, A. 48, 228 Ehrenfels, R. U. von 26 Ehrig, C. 26 Eid, S. 127, 228 Einstein, A. 48f. El wan, O. 26 Engels, F. I l l Erasmus von Rotterdam 176 Ess, J . van 108, 228

251

Fadel, Α. 26 Fanon, F. 100 Fahd, T. 26 Falaturi, D. 128, 228 Farah, M. 26 al-Färüqi, I. R. A. 26, 93, 134, 228 Färüql, Κ. A. 116, 228 al-Fâsï, Ά . 142, 228 Faure, J . 26 Feraoun, M. 76, 235 Feuerbach, L. 36 Feyerabend, P. Κ. 49, 229 Fichte, J . G. 95, 96 Flügel, G. 29 F orneas, J . M. 153 Foucault, M. 28, 64, 229 Foulquié, P. 45, 85, 203, 229 Frenzel, I. 48, 228 Freud, S. 52, 63, 69, 202, 229 Freund, W. S. 20, 26, 29, 81, 229 Friedlaender, A. 26 Friedländer, G. 188, 229 Fyzee, A. A. A. 128, 229

Gropp, R. O. 50, 230 Grunebaum, G. E. von 68, 72, 230 Guillaume, A. 123, 230 al-Gurdânï, M. 124 Gurvitch, G. 31, 33, 230 Gusdorf, G. 30, 32, 38, 41, 63, 230

Habachi, R. 82, 86, 164, 179, 230 Hadawi, S. 77, 230 Hafez, J . (Y. Hafiz) 96f., 101, 103, 108, 111, 230 ' Haikal, M. H. 115, 201, 232 Haim, S. G. 87, 231 Halafallah, M. A. 148, 234 Hâlid, H. M. 127, 150, 231 ài-Hallâ| (al-Halladsch), H. 25, 157, 160f., 187, 223, 231 ' Hamidullah, M. 38, 115, 124, 129, 186, 231 Hamzah, M. 26 Hanafi, H. 26, 43, 83, 93, 107, 109, 149ff., 223, 231 Halli, H. A. 161 Hanna," S. A. 99, 231 Gadamer, H. G. 17, 30, 229 Hartmann, N. 38, 48f., 52 Gagnebin, H. S. 48, 58, 230 al-Hatïb, Ά . 123, 143f., 231 Ga'ït, H. siehe Djait Hatzfeld, G. 68 Garaudy, R. 37, 39, 106f., 109, 112, Hayek, M. 22, 172f., 186, 213, 231 153, 229 al-Hayyâm, 'U. 133, 231 Gardavsky, V. 111, 229 al-Häzin, Ά . 136, 231 Gardet, L. 26, 47, 64f., 115, 128, 136f., Heidegger, M. 30, 178 157, 160, 224, 229 Heisenberg, W. 28, 44, 46ff. 49, 231 Gardner, G. H. 99, 231 Heim, Κ. 53, 240 Gawharï, T. 95 Henin, S. 26 al-Gazâlî, A. H. 128, 156, 159, 161f., Henning, M. 122 214, 230 Herder, J . G. 95 Gelot, J . 26 Herzl, Th. 32 Gensichen, H. W. 22, 26, 165, 229 Heschel, A. J . 20, 32, 204, 210, 231 Gentner, P. und A. 26 Hikmet, N. 131 Gibb, H. A. R. 34, 230 Hirschberg, H. Z. 19, 231 Gibrân, G. H. 164, 173 Hitler, A. 29, 233 Girgis, W. 'Ä. 26, 170, 174, 230 Hofmann, M. 26, 231 Gisr, N. 230 Holsten, W. 183, 232 Goethe, J . W. von 17, 34, 47, 204, Holt, P. M. 132 230 Holthausen, G. 26 Gonseth, F. 30, 48, 58, 60, 225, 230 Höpfner, W. 26 Gregorius (Bischof) siehe Girgis Hörz, H. 50, 232 Grimaud, E. 26 Hourani, A. 83, 232

252

Howe, G. 24, 26, 36, 48, 53ff., 217, 232, 240 Hübner, J . 56, 232 Hunke, S. 94, 232 Husain, Μ. Κ. 40, 109, 151ff., 184, 232 Husain, T. 95, 132 Husainï, I. M. 127, 232 Husserl, E. 150 al-Husrî, S. 96, 102, 232 Huygens, Ch. 46

Ibn 'Arabï, M. 130, 162f., Ibn 'ASûr, F. 141, 232 Ibn Bàdïs, A. 141 Ibn Haldûn 91, 94, 96, 106, 147 Ibn Hanbal, A- 136 Ibn Hayyän, J . 227 Ibn-al-Makïn 174, 183, 232 Ibn Mïlâd, M. 133ff., 225, 232 Ibn RuSd siehe Averroës Ibn Sa'd, M. 123, 232 Ibn Sïnâ siehe Avicenna Ibrahim, I. 87, 91, 95f. 232 Idrîs, S. 81 Idrïs, Y. 83 Iqbal, M. 130, 147, 150, 232 Italiaander, R. 95, 225

Jabre, F. 161 Jacobi, F. H. 36 Jalée, P. 73, 232 James, W. 144 al-Jamoussi, R. 26 Jeffery, A. 124, 232 Johannes Damaszenus 188 Johansen, B. 115, 201, 232 Johnson, H. 26 Jomier, J . 141, 148, 233 Jordan, P. 28, 49, 52, 202, 233 J^rgensen, P. H. 56f„ 233 Jugurtha 70

Kafka, F. 178 Kamil, M. 185, 233 Kane, Ch. H. 131, 233 Kant, I. 17, 52, 139

Karam, Y. 18, 177f„ 233, 241 al Kawâkibï, A. 19, 93 Keddie, N. R. 138, 233 Khan, M. 26, 159 el-Khodeiri, M. 132, 224 Khodr (Hudr), G. 22, 172, 180f., 206, 233 Khouri, E. 26 Khoury, A. Th. 188, 233 Khoury, V. 178, 233 Knigge, H. D. 233 Krüger, L. 49, 229, 233 Kubizek, A. 29, 233 Kuhn, D. 230

Laborit, H. 63, 233 Lacheraf, M. 75, 233 Lafon, M. 26 Lahbabi, M. A. 48, 82, 130, 233 Landau, R. 162, 233 Langevin, P. 28, 51 Laroui, A. 20, 25, 92, 94, 96, 104, 106, 110, 113f., 233 Lebon, G. 74 Leibniz, G. W. 163 Lemasne, H. 26 Lenin, W. I. I l l Lessing, E. 26 Lévy-Strauss, C. 81 Liedke, G. 26, 54ff. Lippert, V. 232 Löffler, P. 166, 234 Löwe, H. 26 Loisy, A. 150 Lukács, G. 111, 113f„ 234 Luther, M. 38, 56, 161, 176, 213, 217, 228

Madkür, I. 132 MacCarthy, R. J . 136, 234 al-Madanï, M. M. 234 Maechler, W. 26, 127, 228 Magniyya, M. G. 128, 201, 234 Magonet, J . 26 Mahfüd, N. 83 Mahgüb, Ά . 101, 104, 234

253

Mahmùd, M. 17, 77, 82, 115, 122, 148, 151, 1 5 4 f „ 234 Mahmud, Ζ. Ν. 82 Maier, G. 188, 234 Maimonides, M. 173, 189, 234 Malik, Ch. H. 165, 178f., 182 al-Ma'lúf, F. 173 Mammeri, M. 76, 235 Marcuse, H. 82 Maritain, J . 178 Markow, W. 99, 234 Marmur, D. 26 Marx, K. 69, 81, 86, 106, 223 Mashriqï, M. Ί. 129 Massignon, L. 185, 225 Masson, D. 26, 122, 190, 234 Maudoodi, S. A. 115, 125, 129, 150, 187, 234 Mazouni, A. 90f., 94, 161, 235 McSorley, H. J . 38, 176, 235 Megherbi, A. 96, 235 Mehl, R. 40, 235 Memmi, A. 68, 184, 235 Mensching, G, 74, 235 Merad, A. 141, 235 Meyer-Abich, K. M. 45, 235 Meziane, A. 20, 23, 82, 89f., 92, 145f., 235 Mill, J . St. 144 Mïnà, M. 174, 235 Mattâ-l-Miskîn 179f., 208, 235 Mitchell, R. P. 127, 235 Mohand, Si 75, 235 Molitor, K. 26 Monod, J . 28, 235 Moore, R. 235 Moreau, J . 49, 235 Morgan, K. W. 131, 235 Morkus (Murqus), E. 99, 111, 236 Moubarac, Y. 26, 93, 129, 131, 149, 153, 156, 185, 224, 235 Mouloud, N. 64, 236 Mounier, E. 82, 179 Mounir, S. 106, 113 Müller, A. M. K. 45, 65, 236 Munadschid, S. 78, 98, 236 Muràd, Y. 181, 236, 242 Murqus, I. siehe Morkus Müsä, M. Y. 132, 236

254

Mùsà, S. 69f., 81, 236 Musa'ad, I. 223 Nader, Α. Ν. 133, 236 an-NaqâS, R. 148 Nasr, S. H. 95, 115, 128, 155f., 162f., 227, 236 Nassar, N. 178, 236 Nasser siehe 'Abd-un-Näsir Naufal, Ά . 126, 236 Naville, P. 51, 69, 236 Newman, J . 26 Newton, I. 36, 46f., 226 Nicolai, P. 177 Nietzsche, F. 39, 81, 173 Nispen, Ch. van 26 Nu'ayma, M. 173 Oberthür, R. 26 O'Shaughnessy, Th. 118, 236 Oualalou, F. 73, 236 Padwick, C. E. 119, 121, 237 Pakdaman, H. 138, 237 Pannenberg, W. 22, 38, 63, 65, 236f. Paret, R. 118, 126, 237 Parwez, G. A. 129, 189 Pauli, W. 45, 47, 52, 61, 237 Perlitt, L. 26 Piaget, J . 63f., 237 Picht, G. 237 Planck, M. 49, 237 Platon 139 Plechanow, G. W. 38, 115, 237 Ploss, E. E. 47, 237 Polanyi, M. 242 Popper, K. R. 49, 237 Pouzet, L. 26 al-Qairawânî, I. A. Z. 124, 237 Qâsim, M. 26, 90, 130, 141, 162ff., 203, 237 Quoist, M. 151 Q u t b , S. 127, 150, 237

Rad, G. von 188 Räisänen, H. 242

Rahbar, D. 122, 129, 161, 238 Rahman, F. 132, 238 Raiser, L. 56 Ratzinger, J . 26, 54, 238 Régamey, P. R. 120 Reinert, B. 157, 238 Renan, E. 90f., 95, 97f. Rendtorff, T. 40 Rich, A. 40 Ricoeur, P. 64, 85, 238 Rida', R. 19, 93, 141 Riñggren, H. 74, 122, 124, 238 Rist, G. 26 Ritter, H. 159, 230 Ridinson, M. 26, 73f„ 77, 94, 99, 102, 106, 109, 114, 131, 238 Roncaglia, M. P. 238 Rondot, P. 166, 238 Roosen-Runge, H. 47, 237 Rosenfeld, L. 45, 238 Rosenthal, E. I. J . 19, 189, 238 Rosenthal, Κ. 56f., 238 Rosenthal, F. 238 Royce, J . 144 Rudolf, W. 189, 239 Rüssel, B. 82 Sa'b, H. 26, 87, 93, 151, 153f., 185, 238 aï-àâbbï, A. Q. 76, 125, 213, 238 aS-àâbbï, Ali 239 Säbir, M. 95, 239 Sachtleben, P. 26 as-Sadr, S. M. 239 Sage, J . C. 51, 239 Saïagh, H. 26 el-Saleh (as-Sälih), S. 191, 239 Saltüt.M. 34, 101, 115, 121, 143, 147, 187, 239 Samartha, S. J . 26, 131, 224 Sarkïs, H. R. 178, 239 as-Sarqâwï, A. 83, 106, 108, 111, 239 Sartre, J . P. 30f., 63, 81, 86, 209 Schall, A. 26, 120, 205, 239 Schehadé, G. 169, 178, 239 Scheffer, F. 26 Scheil, A. 100, 239 Scheler, M. 150 Schiller, F. 17

Schimmel, A. 223, 2 3 l f . Schipperges, H. 47, 237 Schlink, E. 26, 57, 239 Schmidt, L. 202, 239 Sch'nuda (Bischof) 185 Schoen, G. 26 Schoen, U. 121, 239 Schopenhauer, A. 81 Schrey, H. H. 26, 32, 36, 55, 239 Schüssler, H. 26 Schiitt, W. 26 Schuman, L. O. 236 Schumann, O. 26 Scudder, L. 78, 239 Seale, M. S. 188, 239 Sebban, E. 20, 239 Sharabi, H. 82, 240 Sharif, M. M. 115, 129f., 132, 240 as-Sibâ'ï, M. 103, 240 Simson, U. 81, 240 Sivers, P. von 93, 240 Six, J . F. 121, 225 Smith, W. C. 72, 153, 240 Soliman, W. 26 Spakowsky, A. von 39, 240 Speight, M. 26 Spengler, O. 81 Sprecher, M. M. 26 Spuler, Β. 166, 240 Stählin, W. 54 Staupitz, J . von 213 Stegmüller, W. 51, 240 Stéhly, R. 26 Steiner, B. 26, 32 Steppat, F. 26, 87, 240 as-Suhrawardï, S. 162 as-Sukni, K. 26 Sumayyil, S. 81

Tabbära, Ά . Ά . 115, 118, 124, 142f., 206, 240 Taeschner, F. 240 Talbi, M. 122, 145ff., 240 Tarâbîïî (Tarabischi), G. 82, 98, 240 Teilhard de Chardin, P. 24, 37, 49, 181, 240 Teissier, H. 26 Theisen, H. 38, 49, 53, 240

255

Tibi, Β. 87, 90f., 94, 96ff., 99, 101, 103, 106, 108, l l O f . , 236, 240 Timm, H. 26, 36, 53, 240 Tödt, Η. E. 24, 26, 241

Ule, W. 98, 101, 106, 241 Ulrich, F. 122, 241

Voss, M. 26

Wahba, M. 18, 26, 30, 82, 85ff., 178, 181, 241 Waidenfels, W. von 26, 50f. Walion, H. 181 Watt, W. M. 74, 115, 161, 202, 241 Weisser, A. 119, 125, 241 Weizsäcker, C. F. von 45, 47f., 51, 53, 226, 241

256

Wesley, J . 201, 241 Wessels, A. 242 Whitefield, G. 201 Wickler, W. 58 Wieland, R. 191, 241 Wild, S. 26, 98, 108, 173, 241 Williams, C. W. 202, 241 Wolf, E. 56 Yahyä, 'U. (Yahia, O.) 26, 162f., 227, 241 À1 Yâsïn, M. H. 140, 242 Yacine (Yâsïn)', Κ. 72, 242 Yata, Α. 104, 242

Zacklad, J . 26 Zafrani, Η. 242 el-Zahraoui, Η. 26 Zakariyya, F. 83 az-Zamahïarï, Α. 136, 242 Zerdoumi, Ν. 72, 242