Der Verlag Walter de Gruyter: 1749–1999 [Reprint 2014 ed.] 9783110816655, 9783110166989

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Der Verlag Walter de Gruyter: 1749–1999 [Reprint 2014 ed.]
 9783110816655, 9783110166989

Table of contents :
Geleitwort
Vorwort
Unternehmergeist und liberales Denken Der Georg Reimer Verlag
Zwischen Weimarer Klassik und populärer Wissenschaft Die G. J. Göschen’sehe Verlagshandlung
Hochgeachtet und vornehm Der Verlag Veit & Comp
Modern und praxisnah Die Verlagsbuchhandlung I. Guttentag
»...kein blosser Bücherfabrikant« Der Karl I. Trübner Verlag
Die Formierung eines wissenschaftlichen Großverlags Die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger
Vom Tagelied zum Kalkulationsbuch Walter de Gruyters Anfang als Verleger
Der Verlag Walter de Gruyter
Weimarer Republik und Nationalsozialismus
Entwicklungslinien seit 1945
Tradition und Zukunft
Auswahlbibliographie
Abbildungsnachweis
Personenregister

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Der Verlag Walter de Gruyter 1749-1999

1749

I

1999

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Anne-Katrin Ziesak

Der Verlag Walter de Gruyter 1749-1999 Mit Beiträgen von Hans-Robert Cram, Kurt-Georg Cram und Andreas Terwey

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Walter de Gruyter · Berlin · New York 1999

Begleitband zur Ausstellung Der Verlag Walter de Gruyter

• 1749-1999

in der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden 30. September—20. November 1999 Verantwortlich f ü r die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Staatsbibliothek Evelyne Glowka Wissenschaftliche Leitung Anne-Katrin Ziesak Ausstellungsarchitekt Rainer Lendler Restauratorische Betreuung Staatsbibliothek zu Berlin

© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek



CIP-Einheitsaufnahme

Der Verlag Walter de Gruyter : 1749-1999 ; [Begleitband zur Ausstellung Der Verlag Walter de Gruyter, 1749—1999 in der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden, 30. September—20. November 1999] / Anne-Katrin Ziesak. Mit Beitr. von Hans-Robert Cram ... — Berlin ; New York : de Gruyter, 1999 ISBN 3-11-016698-4 Gb. ISBN 3-11-016740-9 Brosch.

©

Copyright 1999 by Walter de Gruyter G m b H & Co. KG, D-10785 Berlin

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Z u s t i m m u n g des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin — Datenkonvertierung und Satz: Arthur Collignon G m b H , Berlin — Reproduktionen: Laserline, Berlin — Druck: H. H e e n e m a n n G m b H & Co, Berlin — Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer-GmbH, Berlin

Geleitwort

Ein großes Firmenjubiläum wie das des Verlages Walter de Gruyter ist Anlaß für einen Blick in die Vergangenheit, f ü r die detaillierte Aufarbeitung und zusammenfassende, aktuelle Darstellung der Geschichte dieser Einrichtung, die vor allem durch zahlreiche bemerkenswerte Verlagsfusionen gekennzeichnet ist. Dabei wird deutlich, welch hohen Anteil der Verlag an der kulturellen und wissenschaftlichen Ausstrahlung Berlins gehabt, welch wichtige Rolle er als Partner für die Berliner Universität, die Akademie der Wissenschaften, für die wissenschaftlichen Einrichtungen und Ministerien, aber natürlich auch für Generationen herausragender Wissenschaftler und f ü h r e n d e Personen der Zeitgeschichte eingenommen hat. Sein besonderes Kapital ist neben dem auch heute wohl einmaligen Lager lieferbarer Titel ein in zwei Jahrhunderten entwickeltes R e n o m m e e sowie ein unverwechselbares breites wissenschaftliches Verlagsprofil, das den jeweils veränderten Rahmenbedingungen geschickt angepaßt werden konnte. Der Verlag Walter de Gruyter ist in seiner heutigen Form nach dem Ersten Weltkrieg entstanden aus dem Zusammenschluß von fünf bis dahin selbständigen Firmen: G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, Verlagsbuchhandlung I. Guttentag, Georg Reimer, Karl I. Trübner und Veit & Comp. In den folgenden Jahren wurde er u m weitere wissenschaftliche Verlage erweitert. 1971 wurde in New York eine Tochterfirma gegründet, 1977 und 1978 Verlage in den Niederlanden und den USA übernommen. So hat er sich zu einem der wichtigsten europäischen Wissenschaftsverlage in privater Hand entwickelt. Der Bogen spannt sich von den Geisteswissenschaften und der Theologie bis zu den Sprachwissenschaften, der Rechtswissenschaft, der Medizin und den Naturwissenschaften. Viele berühmte Publikationen sind mit dem Namen de Gruyter verbunden, erinnert sei hier nur an die S a m m l u n g Göschen, Kürschners Deutscher Literatur- bzw. Gelehrten-Kalender, das Minerva-Jahrbuch der gelehrten Welt, Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache

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Geleitwort

und schließlich an das so weit verbreitete Klinische Wörterbuch, den Pschyrembel. Sie alle sind unverzichtbare Standardwerke einer jeden wissenschaftlichen Bibliothek, unentbehrlich für die Forschung. Die vorliegende Darstellung wendet nun den Blick zurück: auf 250 Jahre Geschichte des Verlages Walter de Gruyter und seiner Vorgängerinstitutionen. Eindringlich wird gezeigt, wie Verlagsgeschichte zugleich auch Geistes-, Wissenschafts- und Kulturgeschichte impliziert. Viele berühmte Zeitschriften spiegeln die historische Entwicklung wider, beispielsweise die Preußischen Jahrbücher. Der wissenschaftliche Diskurs der Vergangenheit, aber natürlich auch der Gegenwart, läßt sich an »klassischen« Publikationsorgangen wie Crelles Journal für die reine und angewandte Mathematik, Hoppe-Seylers Zeitschrift für Physiologische Chemie (heute: Biological Chemistry) oder der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft verfolgen. Veränderungen in den Wissenschaften führten auch zu Veränderungen im Verlag und seiner Tätigkeit, diese Interdependenz zeigt sich in allen Phasen des Unternehmens. Ähnliches gilt auch für die traditionsreichen Beziehungen zur Berliner Universität und zur Akademie der Wissenschaften, die in einigen Fällen trotz Berliner Mauer im geteilten Deutschland fortgesetzt werden konnten. Wie eng Verlags- und Bibliothekswelt schon vor über hundert Jahren zusammenarbeiteten, wird in der vorliegenden Publikation besonders am Beispiel der Rückgewinnung der berühmten Manesseschen Liederhandschrift deutlich. Durch die Vermittlung des Verlegers Trübner gelang es 1888, diesen großen Codex aus Frankreich, von der Bibliothèque Nationale, zurückzuerwerben, seitdem wird er als kostbarer Schatz in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt. Diese vorzüglich lesbare, zum Teil direkt spannende und instruktive Verlagsgeschichte ist zugleich wertvoller Begleitband zur Ausstellung des Verlages in der Staatsbibliothek zu Berlin über den Werdegang von 250 Jahren, seit den zunächst recht bescheidenen Anfängen als königlich privilegierte Realschulbuchhandlung in Berlin. Die Staatsbibliothek zu Berlin hat allen Anlaß zur Kooperation bei der Ausstellung, ist sie doch glücklich Beschenkte: Im Zusammenhang mit dem Firmenjubiläum hat sich der Verlag Walter de Gruyter entschlossen, sein gesamtes umfangreiches historisches Schriftgutarchiv von 1749 bis 1945 als Depositum der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu übergeben. Damit steht dieses Quellenmaterial, dessen wertvollster Bestandteil, das Briefarchiv, jetzt durch das Repertorium

der Briefe aus dem Archiv

Walter

de Gruyter erschlossen ist, der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung.

Geleitwort

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Hervorzuheben ist, daß der neue Standort für das große Archiv außerordentlich überlegt ausgesucht worden ist, zum einen wegen der zahlreichen Berlinbezüge, zum anderen, weil sich diese S a m m l u n g und der reiche Nachlaß- und Autographenbestand der Staatsbibliothek auf das Glücklichste ergänzen. Einzelne Archivteile, die in früheren Jahrzehnten vom Verlagsarchiv abgetrennt wurden, befinden sich bereits in der Staatsbibliothek. Briefe und Dokumente von über einhundert bedeutenden Vertretern der deutschen Geistesgeschichte aus dem Verlagsarchiv korrespondieren mit den schriftlichen Nachlässen oder größeren Teilen davon, die bereits in der Handschriftenabteilung aufbewahrt werden. D e m Verlag Walter de Gruyter sei auch hier f ü r diese großartige uneigennützige Ubergabe des historischen Archivs herzlich gedankt. Berlin, August 1999

Antonius Jammers Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin

Vorwort

Die »Gründungsurkunde« des Hauses de Gruyter, das Privileg vom 29. Oktober 1749, mit dem Friedrich II. von Preußen der Königlichen Realschule in Berlin die Einrichtung einer Buchhandlung gestattete, weist auf den ersten Blick keinen Zusammenhang mit dem internationalen Wissenschaftsverlag des Jahres 1999 auf. Um so mehr Grund, anläßlich des 250jährigen Jubiläums eine Unternehmensgeschichte vorzulegen, die den Weg nachzeichnet von der Realschulbuchhandlung, über deren Pächter Georg Andreas Reimer, der zum Begründer eines wissenschaftlichen Universalverlags, des Georg Reimer Verlags, wurde, bis hin zu dem Kohlengroßhändler und Doktor der Germanistik Walter de Gruyter, der das Traditionsunternehmen 1896 kaufte und mit vier weiteren renommierten Firmen zu einem modern strukturierten Großverlag zusammenführte: Zusammen mit dem einstigen Klassikerverlag G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung, dem Leipziger Haus Veit & Comp., bekannt für seine naturwissenschaftlich-medizinischen Publikationen, der juristischen Verlagsbuchhandlung I. Guttentag und dem Straßburger Karl I. Trübner Verlag, dessen Arbeitsschwerpunkte im Bereich der Sprach- und Literaturwissenschaften und der germanischen Altertumskunde lagen, ging Georg Reimer 1919 in der Vereinigung wissenschaftlicher Verleger auf. Seit 1923 trägt der Konzern den Namen seines Gründers Walter de Gruyter. Wie eng die Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart in diesem Unternehmen ist, zeigt ein Gang durch das Verlagshaus in der Genthiner Straße, wo sich in hohen Bücherschränken von den Titeln der Realschulbuchhandlung bis hin zu den modernen Jubiläumsausgaben 250 Jahre Geistes· und Wissenschaftsgeschichte aneinanderreihen. Wie fruchtbar sie ist, wird deutlich bei einem Blick in das heutige Programm, das seine beeindruckende Universalität den fünf Vorgängerfirmen verdankt, deren bedeutendste Titel noch immer gepflegt und ständig weiterentwickelt werden. Diese Aushängeschilder, darunter Crelles Journal fiir die reine und angewandte Mathematik, der »Pschyrembel«, die Zweitschrift für die gesamte Straf-

Vorwort

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rechtswissenschaft und Kluges Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, trugen auch wesentlich zum Wiederaufbau des Verlags nach 1945 bei. Sie bildeten den Grundstock des Programms, mit dem sich de Gruyter seit den siebziger Jahren erfolgreich auf dem internationalen Buchmarkt piazieren konnte. Entsprechend ihrer Bedeutung sind diesen Longsellern daher im folgenden Exkurse gewidmet, ebenso modernen Reihen, die auf dem besten Wege sind, zu Klassikern zu werden. Ihre Ergänzung findet die eben skizzierte Verlagsgeschichte in einem Beitrag zur Verlegerpersönlichkeit Walter de Gruyters, der sich in Ansatz und Darstellung von den übrigen Teilen unterscheidet. Ausgangspunkt und Grundlage jeder Beschäftigung mit dem Verlag Walter de Gruyter ist sein beeindruckendes Firmenarchiv. Trotz immenser Verluste, sei es durch Inhaberwechsel, durch das Verschenken von Autographen, Kriegsschäden oder auch durch zeitweilige Vernachlässigung, ist das Archiv Walter de Gruyter noch immer eines der umfangreichsten deutschen Verlagsarchive. Anläßlich seines 250) ährigen Jubiläums übergibt der Verlag diesen Bestand nun an die Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin als ständiges Depositum. Damit einher geht der Wunsch, daß das Archiv Walter de Gruyter rege genutzt werde — auch um die noch vorhandenen Lücken in der wechselvollen Unternehmensgeschichte zu schließen. Einen ersten Anstoß dazu gibt hoffentlich schon die Ausstellung Der Verlag Walter de Gruyter · 1749—1999, die vom 29. September bis zum 20. November 1999 in den Räumen der Staatsbibliothek Unter den Linden herausragende Stücke des Archivs einer größeren Öffentlichkeit präsentieren wird. Für sie ist der vorliegende Band auch als Begleitbuch zu nutzen. Parallel zur Übergabe an die Staatsbibliothek erscheint das Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter, das den wichtigsten Teil des Bestands, das Briefarchiv (BA), verzeichnet und zukünftigen Benutzern den Zugang erleichtern soll.1 Das Unterfangen, 250 Jahre Verlagsgeschichte in kurzer Zeit aufzuarbeiten, in Buchform zu bringen und gleichzeitig noch eine Ausstellung zu realisieren, gelingt nur, wenn viele helfen. Mein Dank gilt allen Personen und Institutionen, die das Unternehmen unterstützten, vor allem gebührt er der Staatsbibliothek zu Berlin für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Die Verlage R. Oldenbourg, J. B. Metzler und Peter Lang leisteten kollegiale Hilfe bei der Beschaffung neuester Literatur. Doris Fouquet-Plü-

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Otto Neuendorff, Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter, Berlin-New York 1999.

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Vorwort

mâcher und Doris Reimer, die beiden Spezialistinnen für den »Firmenheiligen« Georg Andreas Reimer, standen stets als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung; Friedrich Ebel bot großzügig seine Unterstützung bei der Erarbeitung des Guttentag-Profils an. Helen Müller, die über den späten Reimer-Verlag promoviert, ließ mich wie selbstverständlich von ihren Arbeitsergebnissen profitieren, vor allem aber danke ich ihr f ü r die vielen anregenden und freundschaftlichen Gespräche. Andreas Terwey hatte wesentlichen Anteil an den Recherchen, ich danke i h m f ü r seinen Einsatz, seine kritischen Einwände und nicht zuletzt für seine Gesellschaft, die selbst staubige Archivarbeit angenehmer machte. Stefan Gläser las Korrektur und ertrug geduldig meine L a u n e n sowie eine massive de Gruyter-Präsenz in seinem Leben, wofür kein Dank genug ist. Ich danke d e m Verlag Walter de Gruyter sehr herzlich für die Unterstützung, die er mir zuteil werden ließ, besonders aber für die Offenheit, m i t der das U n t e r n e h m e n der eigenen Geschichte begegnet. Kurt-Georg Cram und Dietrich Rackow, nach jahrzehntelanger Firmenzugehörigkeit gewissermaßen das »lebendige Gedächtnis« des Verlags, versorgten mich mit Informationen, Joachim Oest und Christian Winter n a h m e n freundlicherweise die M ü h e auf sich, den Abschnitt zur jüngsten Verlagsgeschichte noch einmal zu überprüfen. Nicht allen de Gruyter-Mitarbeitern, die mir m i t Rat und Hilfe zur Seite standen, kann an dieser Stelle namentlich gedankt werden. Stellvertretend möchte ich n u r zwei nennen, deren Engagement über das Zumutbare hinausging: Wolfgang Konwitschny sorgte unter höchstem Zeitdruck dafür, daß aus dem Manuskript ein Buch — und noch dazu ein schönes — wurde. Evelyne Glowka initiierte den Band und setzte sich unermüdlich für seine bestmögliche Verwirklichung ein — ohne sie wäre diese Verlagsgeschichte nicht erschienen. Berlin, August 1999

Anne-Katrin Ziesak

Inhalt

Geleitwort V Vorwort VIII

Unternehmergeist und liberales Denken Der Georg Reimer Verlag 1 Zwischen Weimarer Klassik und populärer Wissenschaft Die G. J. Göschen'sehe Verlagshandlung 55

Hochgeachtet und vornehm Der Verlag Veit & Comp. 105

Modern und praxisnah Die Verlagsbuchhandlung I. Guttentag 141

» . . . kein blosser Bücherfabrikant« Der Karl I. Trübner Verlag 163

Inhalt

Die Formierung eines wissenschaftlichen Großverlags Die Vereinigung wissenschaftlicher Verleger 197

Vom Tagelied zum Kalkulationsbuch Walter de Gruyters Anfang als Verleger von Kurt-Georg Cram 209

Der Verlag Walter de Gruyter 259 Weimarer Republik und Nationalsozialismus 241 Entwicklungslinien seit 1945 257 Tradition und Zukunft von Hans-Robert Cram 275

Auswahlbibliographie 281

Abbildungsnachweis 285

Personenregister 287

1 Gottlob Berger: Georg Andreas R e i m e r (1776-1842) Ol auf L e i n w a n d Verlag Walter de Gruyter

Unternehmergeist und liberales Denken Der Georg Reimer Verlag m 29. Oktober 1749 erteilte Friedrich II. von Preußen der Königlichen ι. Realschule in Berlin das Privileg zur Eröffnung einer Buchhandlung, um »darin allerhand gute, nützliche und erbauliche Bücher [... ] verkaufen und kaufen, auch dergleichen gute und nützliche Bücher, wenn dieselbe gehörigen Orts revidiret und censiert worden, selbsten auflegen, drucken laßen, und verhandeln [zu] können«. Damit einher ging die Bedingung, »daß dieser Buchladen von einem tüchtigen Manne oder Handels-Diener respiciret werde«.1 Den wirklich tüchtigen Mann für diesen Posten fand die Realschule erst gut 50 Jahre später. Georg Andreas Reimer, ein junger Buchhändler aus Vorpommern, machte aus dem stillen Schulbuchverlag binnen weniger Jahre eines der führenden deutschen Verlagshäuser. Reimer ist in Erinnerung geblieben als Verleger der Romantiker, wie alle Verallgemeinerungen ist diese Bezeichnung zugleich wahr und unwahr. Reimer war der Verleger der deutschen Romantik, doch die schöne Literatur machte nur einen kleinen Teil eines Universalverlags aus, der alle wissenschaftlichen Disziplinen der Zeit umfaßte.

A

Herkunft und Ausbildung Georg Andreas Reimer (Abb. 1) wurde am 27. August 1776 in Greifswald geboren.2 Auf seine kaufmännischen Wurzeln — sein Vater war Schiffer und Brauereibesitzer — verwies er später mit Stolz. Zunächst machte Reimer Karriere in der Buchhandlung Lange. Mit vierzehn Jahren trat er als Lehrling in die Greifswalder Filiale ein; 1795 wechselte er als Gehilfe ins Berliner Hauptgeschäft; 1798 war er schon leitender Prokurist und Miteigentümer. Geradezu folgerichtig beabsichtigte Reimer, die Firma nach dem Tod des Besitzers zu kaufen, doch dann fiel seine Wahl auf ein anderes Objekt. Wahrscheinlich war es sein Mentor, der Verleger Johann Daniel Sander, selbst ehemals Lehrer an der Königlichen Realschule, der das Augenmerk

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Der Georg Reimer Verlag

seines Schützlings auf den sicheren Fundus der dazugehörigen Verlagshandlung und das Entwicklungspotential, das in diesem Geschäft steckte, lenkte. Zum 1. Juni 1800 übernahm Georg Andreas Reimer die Realschulbuchhandlung in Erbpacht. Auch den Zugang zur Berliner Gesellschaft eröffnete ihm Sander, in dessen Haus sich traf, wer in der preußischen Metropole über Geist und Gelehrsamkeit verfügte. Hier knüpfte Reimer erste Kontakte zu Friedrich von Schlegel, vermutlich auch schon zu Johann Gottlieb Fichte und Friedrich Schleiermacher. 5

Pächter der Realschulbuchhandlung Reimers neue Wirkungsstätte war der Königlichen Realschule, Kochstraße 14/16, Ecke Friedrichstraße, angeschlossen. Zum Geschäft gehörte eine Pächterwohnung, die der frischverheiratete Jungunternehmer mit seiner Ehefrau Wilhelmine geb. Reinhardt (1784—1864), einer Pfarrerstochter aus Magdeburg, bezog. 500 Taler Pacht pro Jahr mußte Reimer für eine Firma aufbringen, die sich als wirtschaftlich angeschlagen herausstellte. Zu seinen Verpflichtungen zählte auch, was die »in Verlag zu nehmenden Schriften [betrifft,] allen einer geistlichen Anstalt nachtheiligen Anstoß [zu] vermeiden [...]«. Außerdem konnte er » [ . . . ] nur dann auf die Aufnahme von Lehr- und Lese-Büchern seines Verlags in der verpachtenden Anstalt Rechnung machen, wenn er solche mit Vorwissen und Genehmigung des Directors der Anstalt in Verlag genommen, und möglichst wohlfeile Preise macht.« 4 In späteren Jahren betonte Reimer, er habe »bei der Uebernahme der Handlung [ . . . ] beträchtlichen Vorschuß leisten und einen ansehnlichen Ausfall übernehmen müssen«, was ihm »als Anfänger ohne eigenes Vermögen nicht wenig drückend war«. 5 Die Mittel zur Existenzgründung lieh er sich von Verwandten und bei der Familie seiner Frau. 6 56 Titel der Realschulbuchhandlung überführte Reimer in sein Programm, vor allem Schulbücher, die neben Gesangbüchern eine der solidesten Einnahmequellen darstellten. Auch als etablierter Wissenschaftsverleger pflegte er diesen Zweig weiterhin, nicht zuletzt entstammte ihm das Werk, das der Firma jahrzehntelang die höchsten Verkaufszahlen bescherte: Prediger Friedrich Philipp Wilmsens Der deutsche Kinderfreund, das klassische deutsche I_,ehr- und Lesebuch des 19. Jahrhunderts. Um nur einige Zahlen rund um diesen Bestseller zu nennen: Allein von 1816 bis 1821 wurden 27 Auflagen zu 5.000 Stück, also insgesamt 135.000 Exemplare gedruckt, 1888 erschien die 226., verbesserte Auflage! 7 Während dieser »Brottitel« also fast im Alleingang das wirtschaftliche Fundament der Realschul-

Der Georg Reimer Verlag

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buchhandlung sicherte, gingen die Ambitionen ihres Pächters weit über die F ü h r u n g eines bloßen Schulbuchverlags hinaus. Bereits in den ersten Jahren seiner Selbständigkeit gelang es Reimer, eine Reihe illustrer Autoren anzuwerben. Aus »purer Freundschaft« f ü r einen »hiesigen jungen[,] mir von vertrauten Freunden sehr empfohlnen, wakern Mann, Herrn Reimer, der [... ] glaubt, daß es i h m zu einem guten Anfang dienen könne, wenn er etwas von mir zur Messe bringe« 8 , publizierte Johann Gottlieb Fichte seinen Sonnenklaren Bericht an das größere Publikum über das eigentliche Wesen der neuesten Philosophie (1801) unter dem Signet der Realschulbuchhandlung. Seine Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters (1806), die Anweisung zum seligen Leben (1806) und andere Titel folgten. 9 Reimer, der zeitlebens zäh daran arbeitete, seinen geistigen Horizont zu erweitern, setzte sich offenbar stärker mit den Inhalten der von ihm verlegten Werke auseinander, als es unter seinen Berufsgenossen üblich war. So besuchte er auch Fichtes Vorlesungen. Die geschäftlich und m e h r noch menschlich wichtigste Verbindung ging der Verleger mit d e m Theologen und Philosophen Friedrich Schleiermacher ein. Der »Vater des protestantischen Liberalismus« wurde sein engster Vertrauter, der Reimers Anschauungen nachhaltig formte. Über den Beginn ihrer Freundschaft schrieb Schleiermacher: »Der gestrige Tag [26. Mai 1802] ist mir noch recht merkwürdig geworden durch einen Abendbesuch bei Reimer. Eine herzliche Anhänglichkeit hatte ich schon lange bei i h m m i t Freuden bemerkt; auch ich liebte seinen schönen reinen Sinn. Gestern machte sich ein Moment, [... ] indem wir gleichsam Besitz von einander g e n o m m e n haben, zu inniger, herzlicher Freundschaft. Verlange n u r nicht, daß ich Dir jetzt so etwas beschreibe, ich bin viel zu überfüllt und zerstreut; Dein eignes Gefühl m u ß ganz nachhelfen. Ich sprach zu i h m über meine Freude an seiner Frau, m i t großer Offenheit zeigte er mir recht kindlich fromme, liebevolle Briefe von ihr, worin ich ihr ganzes Leben und ihr Verhältniß zueinander recht lebendig anschauen konnte. Ich drückte i h m die Hand, und nach einer kleinen Pause sagte ich: >Wenn mein Leben erst klar und vollständig dasteht, sollst du es auch so rein anschauen.< Er Schloß mich in seine Arme m i t den Worten: >Nichts Fremdes sei m e h r zwischen uns.< So war es und so wird es n u n auch bleiben. — Wir sprachen hernach noch viel darüber, wie die Freundschaft sich macht, und wie m a n den rechten Moment abwarten muß.« 1 0 17 Jahre lang wohnte Schleiermacher im Reimerschen Palais. Nach dem Tod des Freundes 1834 resümierte der Verleger: »Ich habe fast nichts gelebt, gethan, ja gedacht, wobei ich nicht alles auf ihn bezog«. 11

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Der Georg Reimer Verlag

Die Werbewirkung, die von einem Hausautoren wie Schleiermacher ausging, läßt sich kaum hoch genug einschätzen. Seit einer ersten Predigtsammlung (1801), der Kritik der Moral (1803), seiner Plato-Ubersetzung (5 Bde., 1804-1810) und den Reden Über die Religion (seit der 2. Aufl. 1806 in der Realschulbuchhandlung) veröffentlichte der Jahrhundertgelehrte fast ausschließlich bei Reimer, der für die persönliche Betreuung einstand, an der Schleiermacher viel lag. Das Verlagsprofil prägte er mit seinen Schriften weit über beider Lebenszeit hinaus. Reimers Sohn publizierte Schleiermachers Briefe (4 Bde., 1860—1863) und brachte 1864 die dreißig Jahre zuvor begonnene Werkausgabe zum Abschluß.12 Die ersten Jahre seiner Selbständigkeit belegen Georg Andreas Reimers unternehmerisches Geschick. Von 1800 bis 1805 stieg das Vermögen der Realschulbuchhandlung um das 7,5fache. »Ich weiß selbst nicht[,] warum mir in diesem Jahre so viel erquickliches zu Theil, und warum ein so rechtes Gedeihen über alles in allem ausgegossen ist, was ich beginne« 13 , fragte er sich 1804, dem Jahr, in dem auch die fruchtbare Verbindung zur Preußischen Akademie der Wissenschaften zustande kam (s. u.), nach den Gründen seines Erfolgs. Mit der Niederlage Preußens gegen Napoleon und der darauffolgenden Besatzungszeit endete der Aufschwung. 1806, so Reimer, brach der »Krieg aus, der unter allen Gewerben wohl am härtesten den Buchhandel traf[,] und die Lasten, welche er herbeiführte[,] habe ich fühlbar genug im Laufe der Jahre getragen. Alle diese unverschuldete Noth und Verlust habe ich auf mich genommen[,] ohne auch je der Anstalt etwas davon zugemuthet oder in Erfüllung meiner Verbindlichkeiten längere Zeit zurückgeblieben zu seyn.« 14

Verleger der Romantiker Novalis, Heinrich von Kleist, Jean Paul, Ε. T. A. Hoffmann, Achim von Arnim, Friedrich und August Wilhelm von Schlegel, Theodor Gottlieb von Hippel, Friedrich de la Motte-Fouqué, Ludwig Tieck, Jacob und Wilhelm Grimm — Namen, die ein beredtes Zeugnis ablegen von der Bedeutung des Reimer-Verlags für die deutsche Literaturgeschichte. Doch hinter der beeindruckenden Aufzählung verbirgt sich die Tatsache, daß der Anteil an schöner Literatur bis in die zwanziger Jahre nicht mehr als zwei bis vier Titel der jährlichen Produktion ausmachte! 15 »Honorar überlasse ich Ihnen, wenn es nur gleich gezahlt wird«, lautete die in ähnlicher Form wiederkehrende Bitte des finanziell völlig abgebrannten Heinrich von Kleist an den Verleger seiner späten Werke. Für die

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2 F. Schleiermacher, eigenhändiges Manuskript des 2. Bds. der 2. Aufl. der Glaubenslehre, 1831 im Reimer-Verlag erschienen Archiv Walter de Gruyter [Schleiermacher A.31

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Ankündigung einer Gemäldeauktion im Reimerschen Palais (Juni 1855)

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Der Georg Reimer Verlag

Ein deutscher Jakobiner Dem Jubel über den Sturz Napoleons war schnell Ernüchterung gefolgt. Die Friedensordnung, die der Wiener Kongreß 1815 installierte, trug restaurative Züge, die national-liberalen Bewegungen, darunter auch die Burschenschaften und Turner, wurden unterdrückt. An die Stelle des politisch mündigen Staatsbürgers sollte der unpolitisch-harmlose, sich auf die häusliche Sphäre beschränkende Untertan treten. Mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 schlug die Restauration endgültig in Repression um. Revolutionsfurcht, die Sorge um Erhaltung des politischen und gesellschaftlichen Status quo, mündete in Bespitzelung und Verfolgung der politischen Opposition. Preußen tat sich in der Wahl der gegen die angeblichen demagogischen Umtriebe eingesetzten Maßnahmen durch unnachgiebige Härte hervor. Weit oben auf der Verdächtigenliste der Berliner Polizei rangierte Georg Andreas Reimer, wohl bekannt und inzwischen verdächtig wegen seiner liberalen Einstellung, seines Umgangs mit anderen vermeintlichen Demagogen sowie wegen seines Einsatzes vor und während der Befreiungskriege — wahrhaft ein deutscher »Jakobiner«. Am 11. Juli 1819 wurden bei einer Hausdurchsuchung im Reimerschen Palais sämtliche Papiere beschlagnahmt (Abb. 9) und zwei im Hause wohnende Studenten verhaftet. Der Verleger mußte sich mehrfach polizeilichen Vernehmungen stellen, zu einer Anklage kam es aber nicht, da die Verdachtsmomente gegen ihn sich doch als zu dürftig erwiesen. Damit waren die Nachstellungen aber keineswegs vorbei, sie verlagerten sich nur auf ein anderes Feld. Als Mittel politischer Verfolgung gegen den Verlagsbuchhändler setzte Karl von Kamptz, Direktor im Polizeidepartement des Innenministeriums und fanatischer Demagogenjäger, nun die Zensur ein. Ausschalten wollte man in der Person Reimers einen exponierten Vertreter des liberalen Bürgertums. Durch den Nachweis von Zensurvergehen suchte Kamptz eine Handhabe zu erlangen, um Reimers Gewerbeerlaubnis kassieren zu können, was das Ende seiner Existenz als Verleger bedeutet hätte.31 Die Zensurauseinandersetzungen entzündeten sich an zwei Werken: an einer Ausgabe Ulrich von Huttens sowie an den Mémoires de Napoléon. Der deutschen Hutten-Ausgabe verweigerte der Zensor das Imprimatur, auch einzelne Bände der lateinischen Version wurden beanstandet. Reimer wählte daraufhin den Ausweg, das Werk in der Weidmannschen Buchhandlung, einem Leipziger Verlag, den er 1822 erworben hatte (s. u.), erscheinen zu lassen. Dieses Vorgehen wurde ihm als »Verhöhnung« der preußischen Zensur ausgelegt. Die Ausgabe wurde beschlagnahmt, und nach einer Verfügung des Oberzensurkollegiums vom 22. Juli 1823 sollte Reimer künftig

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9 Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. betreffend die Beschlagnahmung von Reimers Papieren, 1. September 1819 Archiv Walter de Gruyter [BA R l ]

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jedes Werk, das er in Leipzig herausbringen wollte, nicht nur der sächsischen, sondern auch der preußischen Zensur vorlegen. 52 Von den Mémoires de Napoléon hatte sich der Verleger einen Bestseller versprochen, waren dies doch die ersten authentischen Erinnerungen aus der Feder des Ex-Kaisers und damit ein Werk von höchstem zeitgeschichtlichen Interesse. Reimer hatte sich die Exklusivrechte für ganz Deutschland und den europäischen Norden gesichert. Für den ersten Band (Abb. 10) gewährte ihm die Behörde noch ein bedingtes Imprimatur, das sie später, nachdem der Verleger davon Gebrauch gemacht hatte, wieder zurückzog. Die Ausgabe wurde beschlagnahmt, und Kamptz strengte gegen Reimer einen Prozeß wegen Zensurvergehen an, der zum Entzug der Gewerbelizenz führen sollte. Das Berliner Stadtgericht entschied am 29. November 1823 jedoch auf einen Freispruch Reimers. 33 Im Vollgefühl seines Sieges plante er daraufhin Anfang 1824 eine Neuauflage von Fichtes umstrittenen Reden an die deutsche Nation, die 1808 immerhin mit preußischer Druckerlaubnis erschienen waren. Auch in diesem Fall wurde Reimer das Imprimatur verweigert. Stattdessen sollten Neuauflagen von Büchern, die vor dem verschärften Zensuredikt von 1819 erschienen waren, künftig nur noch nach erneuter Zensur zulässig sein. 34 Derweil setzte Kamptz alle Hebel in Bewegung, um eine Annulierung des Freispruchs vor dem Berliner Stadtgericht zu erreichen. Zu Reimers Glück wehrten die preußischen Justizbehörden den Eingriff in ihre Unabhängigkeit ab. Die Verfolgungen endeten Anfang 1825. Obwohl freigesprochen, mußte Reimer den Schaden aus der Affäre selbst tragen, weder wurden ihm die erlittenen Umsatzeinbußen ersetzt, noch gewährte man ihm eine Ehrenerklärung. 35 Aus Sicht der Polizeibehörde stellte sich das Verfahren gegen Reimer als kompletter Fehlschlag dar. Nicht nur daß er noch immer seine Gewerbeerlaubnis besaß, vor allem war es trotz massiver Bedrohung nicht gelungen, den streitbaren Verleger einzuschüchtern. Reimer machte weiterhin kein Hehl aus seinen Überzeugungen — oder um mit seinen Worten zu sprechen: »Wenn ich mich hie und da unter Freunden freimüthig über mancherlei äußere[,] was mir (vielleicht in beschränkter Ansicht) mangelhaft scheint in den Einrichtungen und Verhältnissen des öffentlichen Lebens, so kann ich dies für kein Verbrechen gegen den Staat halten, und es muß der Regierung mehr damit gedient [sein], daß ein Bürger freimüthig seine Meinungen äußert, als gegen seine Ueberzeugung Gesinnungen heuchelt, die ihm fremd sind. Dazu würde ich mich auch nie bequemen[,] weil es Gottes Geboten zuwieder läuft.« 3 6 Ebenso handelte er auch: 1826 veranstaltete Rei-

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14 C. Ritter, Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen Teil 1, Bd. 1 (1822) Verlag Walter de Gruyter

Der Georg Reimer Verlag

15 Verlagsvertrag zwischen Reimer und W. von Humboldt über die Gesammelten Werke, 13. Dezember 1839 Archiv Walter de Gruyter [BA R l ]

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Zusammenarbeit m i t der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Sie n a h m ihren Anfang mit den Abhandlungen, die seit 1804 jährlich in dem damals noch Realschulbuchhandlung genannten U n t e r n e h m e n erschienen. Das nächste Projekt war die Aristoteles-Gesamtausgabe der Akademie (5 Bde., 1831—1870). Auch die f ü r seine Nachfolger so bedeutende Verbindung zum (Kaiserlich) Deutschen Archäologischen Institut wurde noch unter Georg Andreas Reimer angebahnt. Seit 1829, dem Gründungsjahr des Instituts, publizierte er die Annali (57 Bde., 1829—1865), das Bulletino (55 Jg., 1829-1885) und die Monumenti (12 Bde., 1829-1885). Auf die Intensivier u n g dieser Beziehungen wird in den folgenden Abschnitten einzugehen sein. Entsprechend seiner Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen setzte Reimer auch in seiner Druckerei auf Fortschritt: Stereotypie, Lithographie und Mehrfarbendruck fanden f r ü h Einlaß in seine Offizin. Typographische Meisterwerke, wie sie sein Zeitgenosse und Konkurrent Georg Joachim Göschen hervorbrachte, sucht m a n unter seinem Signet allerdings vergebens. Achim von Arnim sprach gar von »Sudeldruck«, und ein anderer Spötter schrieb: »Zwar ist des braven Ritters Erd- und Völkerkunde hier, Doch unbrauchbar wird sie durch das Reimersche Löschpapier«. 4 5 Eine ausgedehnte Reisetätigkeit, die natürlich auch die Leitung seines Zweitverlags, der Weidmannschen Buchhandlung in Leipzig, erforderlich machte, diente Reimer der Kontaktanbahnung und -pflege zu Autoren und Kollegen. I m Börsenverein der Deutschen Buchhändler gehörte er von 1838 bis zu seinem Tod dem Wahlausschuß an. So sehr er die Gründe befürwortete, die 1825 zur Bildung einer in sich geschlossenen Standesorganisation geführt hatten, verwahrte er sich gegen zu enge Reglementierungen. Sein besonderer Einsatz auf berufsständischem Gebiet galt d e m Kampf gegen den Nachdruck. 4 6

»Reimer ist todt!« titelte das Börsenblatt vom 29. April 1842. Drei Tage zuvor, am 26. April, war Georg Andreas Reimer in Berlin verstorben. »Mühsam und mit der ganzen Anstrengung seines kräftigen und feurigen Geistes hat er sich heraufgearbeitet von kleinen Anfängen bis zum Besitze einer Verlagshandlung, die an Werth und U m f a n g höchstes einer [gemeint ist Cotta], an Ehrenhaftigkeit und Gediegenheit des Verlags im Vaterlande keiner weicht«, urteilten die Berufskollegen, denen sein Tod als Einschnitt in die Geschichte des deutschen Buchhandels erschien, über sein Lebenswerk. 4 7 Dessen Erhalt war

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gesichert: Drei Söhne und ein Schwiegersohn führten die Verlagsunternehmen Georg Andreas Reimers fort. Die Weidmansche Buchhandlung in Leipzig ging an seinen ältesten Sohn, Karl August (1801—1858), und an seinen Schwiegersohn Salomon Hirzel, zwei Buchhändler mit Universitätsabschluß. Sie führten den Verlag zwar schon seit 1830 auf eigene Rechnung, doch hatte Georg Andreas Reimer immer noch einen bestimmenden Einfluß auf das Geschäft ausgeübt. Verheiratet war Karl in zweiter Ehe mit der Buchhändlerstochter Johanna Winter, womit Familienbande zum Heidelberger Winter-Verlag geknüpft waren. Der zweite Sohn, Georg Ernst, erhielt das Reimersche Hauptgeschäft in Berlin. Dietrich Arnold (1818—1899), der seine Ausbildung bei Bädeker absolviert hatte, bekam die Atlanten, Landkarten und Geographie- und Kunsttitel aus dem väterlichen Unternehmen und gründete damit 1845 den Dietrich Reimer Verlag in Berlin, der bis heute besteht. 48 Jenseits des Zenits Mit Georg Ernst Reimer (1804—1885) trat nun ein Akademiker an die Spitze des Unternehmens. Vor seinem 1826 erfolgten Eintritt in den G. Reimer Verlag hatte er in Berlin und Bonn Philologie studiert. 1837 kaufte sein Vater für ihn die Sandersche Buchhandlung, um dem potentiellen Nachfolger die Möglichkeit zu geben, Leitungserfahrung zu sammeln. 1842, beim Tod Georg Andreas Reimers, war Georg Ernst also bestens vorbereitet auf die vor ihm liegenden Aufgaben. 42 Jahre lang führte er einen hochangesehenen wissenschaftlichen Universalverlag — die schöne Literatur gab er auf —, der sich seit 1851 Georg Reimer Verlag nannte. Seine Geschäftspolitik war verhaltener, der Innovationsgeist, die Dynamik und Risikobereitschaft, die seinen Vater beflügelt hatten, fehlten dem neuen Inhaber. Um den Reimer-Verlag wurde es stiller. Sinnbildlich für das veränderte Selbstverständnis steht wiederum das Reimersche Palais in der Wilhelmstraße. 1858 verkaufte Georg Ernst den Prachtbau für 200.000 Taler an die preußische Krone. Kontor, Druckerei und Wohnung verblieben für die nächsten 40 Jahre in einem weniger auffälligen Gebäude in der Anhalter Straße 12.49 Sein größter verlegerischer Wurf gelang Georg Ernst Reimer 1847 im Vertrauen auf zwei junge Mediziner (Abb. 17). Rudolf Virchows und Benno Reichhardts Archiv fiir pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin (bei Reimer 227 Bde., 1847—1920) entwickelte sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten zu einem maßgeblichen, wenn nicht sogar dem wichtigsten Publikumsorgan auf dem Gebiet der anatomischen Patho-

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16 G. Engelbach: Die Familie Georg Andreas Reimer* 1851; Steinzeichnung Privatbesitz

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logie. Das Archiv blieb immer Virchows ureigenstes Werk, seit 1852 war er Alleinherausgeber und Redakteur in einer Person. Mit zahlreichen Beiträgen sowie durch die Vorgabe eines thematischen Kerns und ein besonderes Augenmerk auf die sprachliche Gestaltung der Manuskripte verlieh er der Zeitschrift seine Handschrift. Trotzdem blieb sie stets ein Forum für wissenschaftlichen Meinungsstreit. Dem prägenden Einfluß ihres Gründers wurde 1903 durch die Umbenennung in Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und fiir klinische Medizin Rechnung getragen. 50 Auch für ein weiteres Projekt konnte Virchow seinen Verleger gewinnen: Die medizinische Reform (1848/49), eine Wochenschrift, die er gemeinsam mit Rudolf Leubuscher während der Revolutionszeit herausgab. Sie sollte wissenschaftliche Erkenntnisse in die Ärzteschaft tragen sowie als Kampfblatt für soziale Reformen streiten. Der Absatz der Medicinischen Reform blieb hinter den Erwartungen zurück. Trotz Virchows beschwörender Bitten an die Adresse seines Verlegers erschien sie daher nur wenig länger als ein Jahr. 51 Georg Ernst Reimer, selbst Vorstandsmitglied der Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Medizin, bewies sein Interesse am Ausbau des medizinischen Programms noch bei zwei weiteren Gelegenheiten. 1870 übernahm er die Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin (Bd. 27-106, 1870-1937 bei Reimer), 1875 die Deutsche Medizinische Wochenschrift (12 Jg., 1875—1886 bei Reimer). Auf naturwissenschaftlichem Gebiet konnte sich der Georg Reimer Verlag mit drei exponierten Vertretern der jüngeren Gelehrtengeneration

* Die Familie Georg Andreas Reimer. Von oben: Siegfried Reimer (1815—1860), Dr. med. in Berlin. 1. Reihe: Albert Zeller (1804-1877), Dr. med. in Winnental, und Marie R. (1807-1847). Anna R. ( 1 8 1 3 - 1 8 8 5 ) und Salomon Hirzel (1804-1877), Dr. phil. Verlagsbuchhändler in Leipzig. 2. Reihe: Johanna Winter ( 1 8 1 7 - 1 9 0 2 ) und Karl August R. (1801-1858), Verlagsbuchhändler in Berlin und Leipzig. Adelheid R. (1809-1866) und Julius Sethe (1804-1872), Oberstaatsanwalt und Eisenbahndirektor in Berlin. Rudolf Lebrecht R. (1819—1860), ausgewandert nach Australien. In der Mitte: Georg Andreas R. (1776-1842) und Wilhelmine Reinhardt (1784-1864). 3. Reihe: Moritz R. (1816—1867), Gutsbesitzer in Amalienhof/Ostpr., und Amalie Posselt (1821-1858). Bernhard R. (1824-1903), Gutsbesitzer in Alt-Golm. Marie Stavenhagen ( 1 8 1 0 - 1 8 8 9 ) und Georg Ernst R. (1804-1885), Verlagsbuchhändler in Berlin. 4. Reihe: Dietrich Arnold R. (1818—1899), Verlagsbuchhändler in Berlin, und Henriette Hirzel (1827-1853). Anna Jung (1826-1902) und Hermann R. (1826-1902), Sanitätsrat Dr. med. in Stuttgart.

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7 Abrechnung für Wielands Fürstenausgabe mit Originalunterschrift DBSM Leipzig, Göschen-Sammlung [Gr. A, Kasten 15, Wieland]

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8 Göschens Haus in Hohnstädt

ker« in verschiedenen Ausgaben zu verlegen. »Meine Verbesserungen der Typographie möchte ich nun gern praktisch zeigen in einer Bibliothek der lateinischen Klassiker für den Mann von Geschmack, nicht für den Philologen; ich muß hinzusetzen: für den begüterten Mann von Geschmack, der gern seine Meubles und seine Wohnung, mithin auch seine Bibliothek gern elegant hat« 57 , erläuterte der Verleger am 4. März 1796. Sein zur Ostermesse 1804 groß angekündigtes Corpus scriptorum latinorum stand jedoch unter keinem guten Stern. Die Zusammenarbeit mit den beteiligten klassischen Philologen erwies sich als enervierend zäh, die ungünstigen Zeitumstände (s. u.) taten ein übriges, das ehrgeizige Vorhaben nach Erscheinen der ersten Bände im Sande verlaufen zu lassen. 38 Zur typographischen Meisterleistung entwickelte sich Göschens Arbeit mit griechischen Lettern. Die luxuriöse Ausgabe des Neuen Testaments in griechischer Sprache 39 (1802—1807), betreut von dem Jenaer klassischen Philologen Johann Jakob Griesbach (Abb. 9), und die prachtvolle Ilias40, die Friedrich August Wolf herausgab, ließen Rezensenten Göschens Namen erneut in einem Atemzug mit Didot und Bodoni nennen. 41 Nur rund 1 5 % der Produktion der Göschen'schen Verlagshandlung erschienen in Antiqua- oder Griechisch-Lettern, und weder Klopstocks

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9 Band 1 des Neuen Testaments in griechischer Sprache (1803) Verlag Walter de Gruyter

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Werke, noch das Corpus scriptorum latinorum oder die Homer-Ausgabe wurden abgeschlossen. Dessen ungeachtet prägten sie das Bild Göschens als eines Reformers der Typographie und Wegbereiters der Buchkunst. In den Hintergrund rückt dabei das aufklärerische Engagement des Verlegers. Gerade in den Anfangsjahren nahm die Volksbildung einen festen Platz in seinem Programm ein. Rund 130.000mal wurde der Bestseller Nothund Hülfs Büchlein für Bauersleute42 von Rudolf Zacharias Becker verkauft, der dem gemeinen Mann Themen aus den verschiedensten Wissensbereichen in romanhafter, unterhaltsamer Form nahebrachte. Um der enormen Nachfrage gerecht zu werden, mußte Göschen bis 1798 sechzehn Auflagen produzieren. 43

Göschens Gedanken über den Buchhandel Der deutsche Buchhandel sah sich um 1800 mit Schwierigkeiten konfrontiert, die hauptsächlich aus dem Strukturwandel der vorangegangenen Jahrzehnte resultierten. Die Abwendung vom Tauschhandel hin zum Konditionsverkehr oder Nettohandel, d. h. Geldverkehr, sowie ferner der durch die »Leserevolution des 18. Jahrhunderts« bedingte rapide Anstieg der Buchproduktion hatten das Erscheinungsbild des gesamten Berufsstands gründlich verändert. Zu den vordringlichsten Problemen zählten der Nachdruck, die gehäuft auftretenden geschäftlichen Mißstände, die sich in einer zunehmenden Zahl von Bankrotten und zweifelhaften Wettbewerbsmethoden bemerkbar machten, sowie die Statuierung einer Standesorganisation. Eine Reform Versammlung während der Leipziger Ostermesse 1802 sollte Wege aus der Krise aufzeigen. Aus den 46 Gutachten, die im Anschluß eingereicht wurden, ragt die Schrift Meine Gedanken über den Buchhandel und über dessen Mängel von Georg Joachim Göschen hervor (Abb. 10). 44 Nach einer Definition des Handels im allgemeinen und des Buchhandels im speziellen analysierte der Verleger die vorliegenden »Mängel«, als deren schwerwiegendste er Nachdruck, Schleuderei und überzogene Kundenrabatte ausmachte. Auf die Frage nach einem Ausweg aus dem Dilemma antwortete Göschen: »Man verschaffe der Börse Fond, Würde und Dauer«, und legte die Skizze einer Organisation der Börsengesellschaft vor, deren Gesetzen und Artikeln sich jeder Buchhändler unterwerfen sollte. Durchdrungen ist diese »erste Grundordnung des modernen Buchhandels« von einem hohen Berufsethos. »Der Buchhandel ist ein Handel mit Büchern. Versteht man unter Buch mehrere Bogen Papier mit Buchstaben bedruckt; und unter Buchhandel die Mühe, einige Bücher à Condition zu verschreiben:

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10 G. J. Göschen, Meine Gedanken über den Buchhandel (1802) DBSM Leipzig [Bö C VII 979]

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so ist nichts leichter als der Buchhandel, und ein Buchhändler ist noch weniger als ein Heringsweib. Sind aber Bücher die Geistesprodukte der vorzüglichsten Männer ihres Zeitalters, welche fähig sind, die Menschen zu unterrichten und zu bessern, oder das Leben zu verschönern: so ist der Buchhändler ein Kaufmann, der m i t den edelsten Waaren handelt: und wenn er seinen Beruf m i t W ü r d e treibt, so gebührt i h m unter Handelsleuten der erste Rang« 4 5 , war Göschens stolze Auffassung von seiner Profession. Die Reformversuche des Jahres 1802 blieben ergebnislos. In den nächsten Jahren überlagerten die Napoleonischen Kriege die internen Probleme des Buchhandels. Erst nach d e m Wiener Kongreß von 1815 wurden die R e f o r m b e m ü h u n g e n wiederaufgenommen. 1825, noch zu Lebzeiten Göschens, erfolgte die G r ü n d u n g des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler.

Bestseller und Journale Begleitet auch die Göschen'sche Verlagshandlung meistens das Attribut »Klassikerverlag«, so offenbart doch die Verlagsbibliographie, daß schon in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Zusammenarbeit m i t den Weimarer Dichterheroen zurücktrat und dafür ein größerer Teil des Programms zeitgenössischen Populärschriftstellern vorbehalten war. Der heute nur noch als Schauspieler und Theaterdirektor bekannte August Wilhelm Iffland galt seinen Zeitgenossen auch als hochgeschätzter und vielgespielter Dramatiker. Selbst Goethe eröffnete das Weimarer Nationaltheater mit einem Iffland-Stück. Seit 1791 publizierte Göschen seine Werke in Einzelausgaben, 1796 Schloß er m i t dem Erfolgsautor einen Vertrag, der interessanterweise seiner im Streit m i t der Weidmannschen Buchh a n d l u n g vertretenen Position entgegenlief. Iffland übertrug darin das Exklusivrecht an seinen bisherigen und künftigen Stücken seinem Verleger und dessen Erben. 4 6 Auch 1811, beim Vertragsabschluß m i t August von T h ü m m e l , hieß es wieder, der Verfasser überläßt »[...] f ü r sich u n d seine Erben an den H e r r n Buchhändler Georg Joachim Göschen und dessen Erben seine sämmtlichen bis jetzt und fürderhin gedruckten Werke [ . . . ] als völliges und ausschließliches E i g e n t h u m f ü r alle Zeiten.« 4 7 In diesen Fällen hatte Göschen also keine Einwände gegen das ewige Verlagsrecht! Ifflands Dramatische Werke48 (Abb. 11) publizierte er von 1798 bis 1802 in 16 Bänden. T h ü m m e l s Sämmtliche Werke49 erschienen 1811/12 in sechs Bänden, nachdem schon seine zehnteilige Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich50 Göschen 1791 bis 1805 einen vollen Publikumserfolg beschert hatte.

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»Es ist sehr schwer, jetzt ein Buch in Umlauf zu bringen. Wer kann kaufen, da das Geld für das Brot kaum hinreicht?« 51 klagte Göschen am 8. Dezember 1805. Oder, ein Jahr später: »Ich lebe in einer toten Handlung. Seit den unglücklichen Tagen des Oktober ist der Buchhandel geschlossen. Als ein ehrliebender Bürger habe ich am Zahltage meine Schulden bezahlt. Nach dem Zahltage sollte ich einnehmen. Aber niemand schickt mir Geld, und borgen kann man nicht. Zu weich, um meine verheirateten Setzer und Drucker betteln zu lassen, behielt ich sie, in der Hoffnung, daß doch nicht alle Zahlungen aufhören könnten. Jetzt hab ich dafür die Sorge. An neue Unternehmungen ist nicht zu denken.« 52 Es waren die Napoleonischen Kriege und ihre Folgen, das Ende des Heiligen Römischen Reiches, der Zusammenbruch Preußens, die Kontinentalsperre und die französische Besatzungzeit, die das Wirtschaftsleben seit 1805 massiv beeinträchtigten, bis es dann im Königreich Sachsen unter dem Eindruck der direkten Kriegseinwirkung 1813 endgültig zum Erliegen kam. Göschen bewegte sich in dieser Zeit am Rande des Ruins. 1812 siedelte er ganz nach Hohnstädt um, da er sich seine Leipziger Wohnung nicht mehr leisten konnte. 55 Um seine Druckerei in Gang zu halten, konzentrierte sich Göschen auf die Produktion von Journalen. Das Journal für deutsche Frauen, von deutschen Frauen geschrieben (1805—1806, 1807—1808 unter dem Titel Selene), nannte als Herausgeber u. a. Wieland, Schiller und Seume. Die großen Namen dienten allerdings nur Werbezwecken. Göschen versäumte nicht, der populärsten Frau der Zeit, Königin Luise von Preußen, ein Exemplar seines Journals zu schicken. Luise, deren Porträt den ersten Jahrgang der Zeitschrift auch als Frontispiz schmückte, dankte dem Verleger, daß er ihrem »Wunsche gewissermaassen zuvorzukommen, so gefällig gewesen ist [...]« (Abb. 12 u. 13).54 Der Kriegs-Kalender fiir gebildete Leser aller Stände (1809—1811) verband historische Exkurse mit Nachrichten von den Kriegsschauplätzen, während der Almanach aus Rom fiir Künstler und Freunde der bildenden Kunst (1810/1811) den Mythos Rom beschwor und archäologische und moderne kunstwissenschaftliche Beiträge zusammenführte. Als langlebigste Gründung erwies sich das Grimmaische Wochenblatt für Stadt und Land (seit 1815, unter verschiedenen Verlegern und Bezeichnungen bis 1945). Es umfaßte unterhaltende und informative Aufsätze und einen Anzeigenteil lokaler Natur, den Göschen auch für Werbung in eigener Sache nutzte. Abschließend sei noch eine Zeitschrift späteren Datums erwähnt: Amerika, dargestellt durch sich selbst (1818—1820) zielte auf Emigrationswillige und die Verwandten von Ausgewanderten. Ein Partner in Übersee sandte Beiträge aus amerikanischen Blättern an Göschen, der diese dann sichtete und größtenteils auch selbst übersetzte. 55

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12 Brief Königin Luises von P r e u ß e n an G. J. Göschen m i t eigenhändiger Unterschrift, 30. J a n u a r 1805 Archiv Walter de Gruyter [BA Gö]

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13 Journal für deutsche Frauen, Jg. 1 (1805) Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin [119w:f8]

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