Der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin (1819-1852): Ein rheinisches Gericht auf fremdem Boden [1 ed.] 9783428508860, 9783428108862

In Berlin wurde am 15. Juli 1819 der Rheinische Revisions- und Kassationshof als oberster Gerichtshof für die preußische

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Der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin (1819-1852): Ein rheinisches Gericht auf fremdem Boden [1 ed.]
 9783428508860, 9783428108862

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GUDRUN SEYNSCHE Der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin (1819 - 1852)

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Band 43

Der Rheinische Revisionsund Kassationshof in Berlin (1819 - 1852) Ein rheinisches Gericht auf fremdem Boden

Von Gudrun Seynsche

Duncker & Humblot . Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2001 /2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-10886-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/2002 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Das Manuskript war im Sommer 2000 abgeschlossen. Die mündliche Prüfung fand am 18. Januar 2002 statt. Berichterstatter waren Herr Prof. Dr. Reiner Schulze als Erstgutachter und Herr Prof. Dr. Franz Dom als Zweitgutachter. Beiden danke ich für die Erstellung der Gutachten. Herrn Prof. Dr. Schulze danke ich besonders für die Betreuung der Arbeit und die vielen wertvollen Anregungen, die ich von ihm im Laufe der Zeit erhalten habe. Mein besonderer Dank gilt darüber hinaus der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die diese Arbeit mit einem Stipendium im Rahmen des Graduiertenkollegs "Westeuropa in vergleichender historischer Perspektive" an der Universität Trier gefördert hat, und allen Mitarbeitern der Archive, in denen ich arbeiten durfte. Stuttgart, im September 2002

Gudrun Seynsche

Inhaltsübersicht

A. Einleitung ................................................................ . ..... . ..

17

I. Fragestellung..... ............... . .............. .. ....... .. ............. . ......

17

11. Aufbau und Quellen ............. . ........ . ....... . .. ..... ... . ............ .. ...

20

111. Forschungsstand ............ . ............ . .... ..... ... . . .. ....................

21

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision ... . . . ........ . . . . . ............... ....

27

B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819 ....... ... . ...... . . . . . . .

37

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht ................ . . . ....

57

c. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik . . . . . . . . . . . . . .

89

I. Die Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von

Beyme .... . ..................................................... .. ............

90

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den lustizministern Kircheisen und Danckelman ................................................................... 144 III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter dem Ministerium Kamptz .................................................................. 165 IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852 .... . ..... 201 D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

215

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes ....... ... .. . .. .. 218 11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof. .. . 261 III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes für die Reform des preußischen Rechts am Beispiel des obergerichtlichen Verfahrens .......................... 309

8

Inhaltsübersicht

E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 372 I. Materialien...... .. . . . . . . ... .. . . .. . .. .. . . ... .. . . ... . .. . .. . .. . . .. ... ... . . . .. . . .. 373

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit .. .. 381 IlI. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick . .. ..... 392 IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes für das rheinische Recht ................ . ..... .. ..... . ................................ 403 F. Schluß .. .. . . .. . .. .. . . . ... ... . .... . .. .. . .... . .. . ........ . . . . . ........ . .. .. . . . . . . ... . 442

Quellen und Literatur ............ . ........... . . . .. .... ... .. . . .. ... ... ... ..... . .... .. . 447 I. Ungedruckte Quellen.. . ... . . .. .. ... ... .. ..... . ..... .. . . .......... . ............ 447

11. Gedruckte Quellen .............................................. . .... ... ...... 449 111. Literatur................... .. ........... .. .................................. . .. 455

Personen verzeichnis .. . . .. ... . . . . . . ...... .. . . . . .. ... . . . . . .... . . ... . ..... . .. .. ... . . . ... 468 Sachwortverzeichnis ....................... . . . ............ . .......... . ... . ............ 470

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung .......... . ................................. ... ................... . . . ....

17

I. Fragestellung.... .. . . ... . .. . .... . .. ..... ...... . . . ....... .. .. . ... .. ... .. ........

17

11. Aufbau und Quellen .... . ............ . ............ . ............ . . . ....... . .. . ..

20

III. Forschungsstand ..... . ... . . . ...... .. ................. . ........................

21

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision .. ......... . . . ....... . .. . . .. .. ... .. . ..

27

1. Rechtsmitte1begriff ........................... .. . . ............. ...... . . ....

27

2. Kassation und Revision ....................... . . . .......... . . . .. ....... ....

29

a) Kassation .. ... .... ..... . ... ... .............. . ... . ...... .. ... . ..... . . ...

30

b) Revision ................................................. . ... ...... ....

31

B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819 . ...... .. ... .. .... . .. . ..

37

1. In französischer Zeit ............................... ... ......... . ..... . .....

37

a) Die linksrheinischen Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

aa) 1794 bis 1799 - die Obergerichtsbarkeit unter der Kontrolle des französischen Justizministers ..... . ........ ... .......... . ... ......

38

bb) 1799 bis 1813 - Übertragung der Kassation an eine unabhängige Justiz.................. ... ............ . ...........................

40

b) Das Großherzogtum Berg . .. ................ . . . ........................

44

2. In der Zeit des Übergangs von der französischen zur preußischen Herrschaft (1814-1819) . .. .... .......... ..... .............. ... .......... . ... . .... ....

46

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht ............. . .........

57

1. Stationen des "Kampfes um das rheinische Recht", 1815 bis 1818 .... .. ....

57

2. Die Frage der Obergerichtsbarkeit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

10

Inhaltsverzeichnis a) Instanzenzug und Verfahrensrecht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

aa) Die Gutachten für die Immediat-1ustiz-Kommission ..............

66

bb) Stellungnahme der Immediat-Justiz-Kommission .......... .... ...

71

ce) Die Konferenzen des Sommers 1818 ................ ...... ........

73

b) Standort und Eigenständigkeit des Gerichts . .................... . ......

79

c) Zusammenfassung ....................................... . ........ . ....

86

3. Das neue Gericht, ein Revisions- und Kassationshof? ......................

87

C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik . . . . . . . . . . . . . .

89

I. Die Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme ......... .... ............. .. ............................................

90

1. Person und Politik Beymes ................ . . . ..... .... ................. . ...

91

2. Die Auswahl des Gerichtspersonals ........ . ...... . ............. . ... .. .....

95

a) Die Zusammensetzung des ersten Kollegiums ............... . ..........

96

b) Auswahlgesichtspunkte ......................................... .. .....

99

aa) Beruflicher Werdegang ...... . ............ ... ............ . ... . .. . .

99

bb) Fachliche Qualifikation ...... . ...... . ...................... . . . .... 104 ce) Vertrauen der rheinischen Bevölkerung ... . .............. . ........ 110 dd) Eignung für die Gesetzrevision .................................... 112 ee) Politische Haltung ................................................ 117 c) Exkurs: Die Anwälte des Revisions- und Kassationshofes... .... . .. .... 120 d) Zusammenfassung.................................... . .......... .. .... 123 3. Die Umsetzung der Besetzungspläne ........................ . .. .... ........ 124 a) Die Aufnahme der Pläne in der Regierung ................ . . . .......... 124 b) Die Berufung der Richter .. .................................... . . . ..... 128 c) Die Reaktion der rheinischen Juristen........... . . . ............ . . . ..... 131 d) Zusammenfassung......... . ...................... . .................... 135 4. Einrichtung und Eröffnung des Gerichtshofes . ... .. . . .... . ..... .. . .. . ... ... 136 5. Der Beginn der Arbeiten.............................. . .................... 142

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizrninistern Kircheisen und Danckelman ... ...... ......................... . ................ . ... ...... ..... . 144 1. Die ersten Jahre (1820-1825) ......................................... .. .. 144

Inhaltsverzeichnis

11

2. Der Niedergang des Revisions- und Kassationshofes (1825 -1830) ......... 154 3. Zusammenfassung . ......... . .. ... .. . ........... . ... . . . . . . . .......... . ... . . 164 III. Die ..Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter dem Ministerium Kamptz.... ..... ... . ...... ... ... . ........ ....... ..... . ....... ..... ..... .. 165 1. Der .. Hasser aller rheinisch-liberalen Dinge" als rheinpreußischer Justizminister . .... . ..... . . ........ ..... ................. .. .................. . .... 166

2. Die Zusammensetzung des Gerichtspersonals ....... . ...................... 174 a) Die rheinische Herkunft der Richter. . . . . .. . . . .. . . . . . . .. . . . . . .. . . . . .. . .. 177 b) Das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung ... . .... ..... . . . . . . .... .... . 179 c) Die Mitarbeit an der Gesetzrevision .......... . .................... . .... 184 d) Zusammenfassung ....... . .............. .. ................. .. .......... 186 3. Erfolge der Reorganisation... ... ........... ....... .. . ..... ... ... .... .. ..... 187 4. Aufnahme des Besetzungskonzeptes ................ .... ................... 188 a) Das Zivilkabinett ..... ...... ................... .. ...................... 189 b) Die Zusammenarbeit mit Mühler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Das Verhältnis zum Gerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5. Zusammenfassung .......... . . ... ............... .. ... ...... ......... .. ..... 199 IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852 .... .... .. 201 1. Die Besetzung des Gerichtshofes .. ...... . .. .. . ... .. . ..... .. ... . ... . .. .... .. 201

2. Die Personalauswahl ............. .. .............. .. ............... ..... .... 203 3. 1848 bis 1852: die letzten Jahre des Revisions- und Kassationshofes vor dem Hintergrund von Revolution und einsetzender Reaktion .... . .. . . ...... 206 4. Die Vereinigung des Revisions- und Kassationshofes mit dem Obertribunal

209

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes ... ...... . . . ..... .... . . . 215 I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes ... .. . .... ...... . 218 1. Das französische Kassationsverfahren ........ . .. . ............. . . ... ........ 218

a) Geschichtliche Entwicklung .. .............. .. ............. .. .......... 219 aa) Anfange der Kassationsgerichtsbarkeit ..... . ...... ... .. .. . . ....... 219 bb) Ausgestaltung nach 1789 ...................... .... ...... .. .... .. . 222

12

Inhaltsverzeichnis b) Verfassung und Verfabren des französischen Kassationshofes

227

aa) Verfassung........................................................ 227 bb) Zuständigkeit..................................................... 230 (l) Kassation .................................................... 230

(2) Außerordentliche Zuständigkeiten ........................... 231 cc) Verfabren ......................................................... 234 (1) Kassationsgründe ...................... . ................ . .... 234 (2) Das Verfabren in Zivilsachen

238

(3) Das Verfabren in Strafsachen

242

(4) Besonderheiten des Kassationsverfabrens .................... 244 2. Das "rheinische" Kassationsverfahren ...................................... 246 a) Verfassung des Revisions- und Kassationshofes ........................ 248 b) Zuständigkeit .......................................................... 248 aa) Für die französisch-rechtlichen Gebiete ........................... 249 bb) Für den Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein .......... . .... 250 c) Verfabren .............................................................. 252 aa) Verfahrenseinleitung .............................................. 252 bb) Gang der Verhandlung ............................................ 254 d) Das Verfahren zwischen französischer Kassation und preußischer Revision .................................................................... 257 11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof . . .. 261 1. Die Entwürfe der Jahre 1818/19 ........................................... 261

a) Der Entwurf der Immediat-Justiz-Kommission ......................... 262 b) Der Entwurf Daniels ...... .. ........................................... 266 c) Reaktionen ............................................................ 270 d) Die Begutachtung durch den Revisions- und Kassationshof ............ 271 e) Zusammenfassung..................................................... 276 f) Das vorläufige Ende der gesetzgeberischen Arbeiten ................... 276

2. Die Entwicklung des rheinischen Kassationsverfabrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 279 a) Verfahrensrechtliche Neuordnung durch den Gerichtshof. . . . . . . . . . . . . .. 279 aa) Die Sachentscheidungsbefugnis ................................... 279 bb) Die Verfahrenseinleitung .................. . . . .......... . . . ........ 285

Inhaltsverzeichnis

13

cc) Die Kompetenz des Gerichtshofes ...... . ......... . . .. . .. ... .. . .. . 286 dd) Zusammenfassung .... ...... ... . ... . ... .... ... . ....... .. .. . . ... ... 288 b) Die Beschleunigung des Kassationsverfahrens ......................... 288 3. Das Kassationsverfahren als Gegenstand der Verhandlungen des rheinischen Provinziallandtages . . ... . . .. .... .... . ..... .. . ... .. ... .... . .... . . . . .... ..... 296 a) Die Landtage von 1833, 1841 und 1843 ............. ..... ... .... . . ... .. 296 b) Die "Wünsche der Provinz" als Ursache des gesetzgeberischen Stillstands? .... .... ......... ......... ...... . ..... . . . ........... . ... ...... .. 302 c) Die Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes aus Sicht der Landtagsabgeordneten .. . ...... . ....... . . ........ . .. . . . ... . .... ......... . . .. 306 III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes für die Reform des preußischen Rechts am Beispiel des obergerichtlichen Verfahrens ............. . . . ..... . .... 309 1. Die Rolle des Revisions- und Kassationshofes innerhalb des Reformprozesses . .......... ... .... . ...... ... . . . . ... .. .. .. ... . .... .. .. . ... ... .. ... . .. . .. . . 311

a) Zusammenarbeit rheinischer und altpreußischer Juristen .... . .......... 311 b) Öffentlichkeit der Verhandlungen ....................... . . . .. . ......... 314 c) Beteiligung der Richter an der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 315 aal Mitgliedschaft im Staatsrat . . . .... . . .... . . .... . . ......... ..... . ... . 315 bb) Mitgliedschaft in den Gesetzrevisionsgremien ........ . . . . .. ... .... 319 2. Das obergerichtliche Verfahren in Preußen ... .......... .. . .... . . . . . .... . .. . 323 a) Das Revisionsverfahren der AGO .. . ..... . ........... ... ... . .. . . .. . . ... 324 b) Mängel und Reformbedürfnisse ........ . .. .. . ... ............ ... . . .. . ... 326 c) Reformimpulse des Kassationsrechts ............. . . . ....... .. . . . ... .... 328 3. Die Reformschritte . . . . .. ... ... . . . ... ... .. ... .. .. .. .. .. ... .. .. ... .... . . . . . .. 329 a) Abfassung, Mitteilung und Veröffentlichung der Entscheidungsgriinde . 330 aal Abfassung und Mitteilung der Entscheidungsgriinde ... ... .. . ..... 330 bb) Veröffentlichung der Entscheidungen des Obertribunals . .... . . . . .. 335 cc) Zusammenfassung .... . . . . . ..... . . .. .. . ..... .... .. .... . . .. .. . . . ... 340 b) Konzentration des letztinstanzlichen Verfahrens auf die Rechtsfrage . . .. 341 aal Anfänge................. . ........... ... .. . .............. .. . .. .... 341 bb) Die Reform der Rechtsmittel als Gegenstand der Gesetzrevision .. 344 cc) Die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde vom 14. Dezember 1833 . .. . ..... . .... . ... . .. . 348

14

Inhaltsverzeichnis (1) Die Entstehung der Verordnung.............................. 348 (2) Das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde ................ 349 (3) Die Rolle des Revisions- und Kassationshofes und der rheinischen Kassation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 352 dd) Zusammenfassung ................................................ 356 ee) Fortführung der Reform des letztinstanzlichen Verfahrens.... . .... 357 (1) Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens.............. 358 (2) Der Strafprozeß .............................................. 362 ff) Ausblick.......................................................... 364

(1) Die Kassation in der preußischen Gesetzgebung .............. 364 (2) Die Kassation in den Arbeiten zur Reichszivilprozeßordnung

366

4. Zusammenfassung ......................................................... 367

E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 372 I. Materialien.................................................................... 373 1. Urteilsmaterialien.......................................................... 375

2. Gedruckte Materialien ..................................................... 376 a) Das Rheinische Archiv. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 376 b) Volkmars ,Jurisprudenz" ............................................... 378 c) Die "Annalen" ................. . .......... . ................ . ........... 379 d) Weitere Sammlungen .................................................. 380 e) Zusammenfassung..................................................... 381 11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit .... 381 1. Französische Ursprünge.................................................... 381

2. Entscheidungspublikationen zwischen 1814 und 1819 ...................... 383 3. Die Pläne für eine amtliche Sammlung ..................................... 384 4. Die Auswahl der veröffentlichten Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 387 5. Verhältnis veröffentlichtes - unveröffentlichtes Material . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 390 III. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick ........ 392 1. Rechtsquellen .............................................................. 392

Inhaltsverzeichnis

15

2. Inhalte .................. . ........................... . ...................... 393 a) Prozeßrecht..................................... . ...................... 395 b) Bestimmung des anzuwendenden Rechts ............................... 396 c) Materielles Recht ...................................................... 402 IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes für das rheinische Recht .............................................................. 403 I. Der Revisions- und Kassationshof und die rheinische Justiz ................ 403 2. Der Revisions- und Kassationshof und das rheinische Recht ................ 414 a) Anwendbarkeit des preußischen Rechts in den Rheinlanden ............ 415 b) Ablösung des französischen Rechts durch preußisches Recht........... 423 c) Weisungen des Justizministers an die rheinischen Gerichte............. 429 d) Zusammenfassung ..................................................... 433 3. Exkurs: Die Gutachten des Gerichtshofes .................................. 434 4. Zusammenfassung

440

F. Schluß ......... . .......... . ........................................................ 442 Quellen und Literatur................................................................ 447

I. Ungedruckte Quellen.......................................................... 447

11. Gedruckte Quellen ............................................................ 449 1. Zeitgenössische Literatur .................................................. 449 2. Periodika, Entscheidungssammlungen und Gesetzestexte ................... 453 IH. Literatur....................................................................... 455 Personenverzeichnis .................................................................. 468 Sachwortverzeichnis .................................................................. 470

Abkürzungsverzeichnis AcP

Archiv für die civilistische Praxis

ADB AGH AGO

Allgemeine Deutsche Biographie Appellationsgerichtshof

ALR ALVR

Allgemeine Gerichtsordnung Allgemeines Landrecht Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland

DJZ

Deutsche Juristenzeitung

FS GStAPK

Festschrift Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (Bestände der Abteilung Berlin-Dahlem sind mit einern (D) gekennzeichnet)

HRG HStA

Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte

HZ BK BOK JuS JZ Kalb

LA LHA NDB OLG RabelsZ

Hauptstaatsarchiv Historische Zeitschrift Immediat-Justiz-Komission Immediat-Justiz-Organisationskornrnission Juristische Schulung Juristenzeitung Karnptz Jahrbücher/Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und RechtsverwaItung. Landesarchiv Landeshauptarchiv Neue Deutsche Biographie Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RhA RHD RKH

Rheinisches Archiv

ZfP ZNR ZPO

Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte

ZRG

Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte Zeitschrift für ZiviIprozeß

ZZP

Revue historique de droit fran~ais et etranger Revisions- und Kassationshof

Zivilprozeßordnung

A. Einleitung In Berlin wurde am 15. Juli 1819 in feierlicher Sitzung der Rheinische Revisions- und Kassationshof als oberster Gerichtshof für die preußischen Rheinprovinzen eröffnet. Dieses Ereignis symbolisiert das Ende der ersten Auseinandersetzung um das Schicksal des französischen Rechts in den preußischen Rheinlanden. Die preußische Regierung hatte sich entschlossen, das französische Recht, das während der vorangegangenen französischen Herrschaft in den Rheinlanden eingeführt worden war, vorerst beizubehalten, die rheinischen Justizbehörden zu reorganisieren und an ihre Spitze ein eigenständiges Obergericht zu stellen. In Preußen herrschte fortan ein Nebeneinander zweier sehr unterschiedlicher Rechtsordnungen, der nachrevolutionären französischen und der durch das Allgemeine Landrecht von 1794 reformierten preußischen, die weiterhin auf den absolutistischen Staat ausgerichtetet war. Dies hat zu Beriihrungen und Verflechtungen geführt, die sich sowohl auf das preußische als auch auf das "rheinische Recht" 1 ausgewirkt haben.

I. Fragestellung Die Rolle der Justiz innerhalb dieser Entwicklung und ihr Beitrag zur Bewältigung des Aufeinandertreffens beider Rechte soll anhand der Geschichte des Revisions- und Kassationshofes untersucht werden. Der Gerichtshof stand an der Spitze der rheinischen Gerichte und wachte über die Anwendung französischen Rechts in den preußischen Rheinlanden. Er hatte seinen Sitz jedoch nicht am Rhein, sondern arbeitete als ein rheinisches Gericht "auf fremdem Boden,,2, d. h. im Gebiet des aus Sicht der Rheinländer "fremden" preußischen Rechts. In Berlin wandten die Richter des Revisions- und Kassationshofes das französische Recht in öffentlichen Gerichtsverhandlungen vor altpreußischem Publikum an. 1 Zur Entwicklung des Begriffs des "rheinischen Rechts" für das in den Rheinlanden fortgeltende französische Recht Karl-Georg Faber: Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolution. Probleme der rheinischen Geschichte von 1814 bis 1848 im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik, Wiesbaden 1966, S. 118; Reiner Schulze: Französisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 12), Berlin 1994, S. 29. 2 Zitat aus der Rede des Generalprokurators des Revisions- und Kassationshofes, Hubert Ambrosius Eichhorn, zur Eröffnung des Gerichts am 15.7. 1819; abgedruckt im Rheinischen Archiv (RhA), Bd. 1, Abt. 11, S. 7.

2 Seynsche

18

A. Einleitung

Als der Gerichtshof in Berlin errichtet wurde, befand sich die preußische Gesetzgebung im Umbruch. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts stand sie auf dem Priifstand der sogenannten "Gesetzrevision,,3. Das preußische Recht sollte reformiert und den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Veränderungen angepaßt werden, die seit Erlaß des Allgemeinen Landrechts eingetreten waren. Nur bis die "allgemein angeordnete Revision der preußischen Rechts- und Gerichtsverfassung und eine darauf zu griindende Gesetzgebung vollendet sein wird,,4, war das französische Recht 1818 in den Rheinlanden beibehalten worden. Es sollte durch die reformierten preußischen Gesetze ersetzt werden. Der Revisions- und Kassationshof wandte also ein Recht an, über dem stets die "Gefahr" der Ablösung schwebte. Da die 1815 vom preußischen König versprochene Verfassung ausblieb, erlangte die französische Rechtsordnung und Gerichtsverfassung, in der sich die Grundsätze der ersten geschriebenen Verfassung Europas niedergeschlagen hatten, für die Rheinländer die politische Bedeutung eines Verfassungsersatzes 5 . Die Auseinandersetzung um ihre Beibehaltung, der sogenannte "Kampf um das rheinische Recht,,6 lebte daher immer wieder auf. Die Richter des Revisions- und Kassationshofes nahmen an diesem "Kampf' teil, waren aber zugleich an den Arbeiten zur Reform des preußischen Rechts beteiligt. Diese Konstellation führt zu zwei Fragen: der Frage nach den rechts- und justizpolitischen Konzeptionen im Umgang mit dem rheinischen Obergericht und der Frage nach der Bedeutung des Revisionsund Kassationshofes für die preußische Rechtsentwicklung einerseits und für das Schicksal des französischen Rechts in der Rheinprovinz andererseits. Als die Rheinlande 1815 in den preußischen Staat eingegliedert wurden, unterschieden sie sich in ihren administrativen, wirtschaftlichen, sozialen, konfessionel3 Die Revision des Allgemeinen Landrechts (ALR), der Allgemeinen Gerichtsordnung (AGO) und der preußischen Kriminalordnung gehörte seit 1808 zu den Zielen der preußischen Rechtspolitik. 1817 wurde unter Karl Friedrich von Beyme ein eigenes Ministerium zur Revision der Gesetze eingerichtet. Eine Einführung in diese Thematik ist der Quellenedition von Werner Schubert und Jürgen Regge vorangestellt; W Schuben / J. Regge: Gesetzrevision (1825-1848) (Quellen zur preußischen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts), Vaduz 1981 ff. 4 § 4 der Kabinettorder des preußischen Königs vom 19. 11. 1818, mittels derer die vorläufige Beibehaltung des französischen Rechts und der Gerichtsverfassung in den Rheinlanden angeordnet wurde; abgedruckt bei Ernst Landsberg: Die Gutachten der rheinischen Immediat-Justiz-Kommission und der Kampf um die rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung 1814 bis 1819, Bonn 1914, S. 368. 5 K.-G. Faber: Rheinlande S. 113; ders. : Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970, S. 13 ff.; vgl. auch B. Dö[emeyer: Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, in: Ius Commune, Bd. VII (1978), S. 192. 6 So der Titel des Buches von Ernst Landsberg: Die Gutachten der rheinischen ImmediatJustiz-Kommission und der Kampf um die rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung 1814 bis 1819, Bonn 1914, S. 368. Zum weiteren Verlauf dieses Kampfes noch heute grundlegend: E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in Joseph Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz 1815-1915. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein, Bd. 1, Bonn 18917, S. 149 ff.; vgl. auch K.-G. Faber: Rheinlande, insbes. S. 110 ff.

I. Fragestellung

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len und rechtlichen Strukturen grundlegend von den altpreußischen Landesteilen. Ihnen galt daher das besondere Augenmerk preußischer Integrationspolitik. Mit zunehmender Eingliederung auf anderen - vor allem administrativen und wirtschaftlichen - Gebieten rückte das rheinische Recht in den Mittelpunkt dieser Integrationsbemühungen 7 . Die Entscheidung, 1819 ein eigenes Obergericht für die Rheinlande zu installieren, und die Zusammensetzung des Richterkollegiums in den Jahren nach 1819 können Aufschluß darüber geben, welche Bedeutung die Politik dem rheinischen Obergericht für die Auseinandersetzung mit dem französischen Recht zumaß. Die Beschäftigung mit dem Revisions- und Kassationshof bietet also die Möglichkeit, an einem Kristallisationspunkt die preußische Justiz- und Rechtspolitik in ihrem Umgang mit dem französischen Recht darzustellen. Die zweite Frage wendet sich der praktischen Arbeit der Richter, ihrer Teilnahme an der Gesetzrevision und ihrer Rechtsprechung, zu. Die Juristen des Revisions- und Kassationshofes haben in Berlin mit einem Recht gearbeitet, dessen "Institutionen"g während des frühen 19. Jahrhunderts im Mittelpunkt der politischen und wissenschaftlichen Debatte um eine Reform des deutschen Rechts standen. Bereits in der ersten Jahrhunderthälfte wurden viele dieser Institutionen, beispielsweise Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverhandlungen, Trennung von Richter- und Anklägerfunktion, Gleichheit aller Bürger vor Gericht und Gesetz sowie Laienbeteiligung am Strafprozeß, in das preußische Recht übernommen. Vor diesem Hintergrund soll nach dem Einfluß der mit dem französischen Recht vertrauten Juristen auf die Rechtsentwicklung in Preußen gefragt werden. Dabei liegt es nahe, den Ausgangspunkt einer Einflußnahme in einem Rechtsvergleich zu suchen. In der Errichtung des Revisions- und Kassationshofes, der in Berlin französisches Recht anwenden sollte, war die Möglichkeit eines Vergleichs gerade durch die Justizpraktiker angelegt. Altpreußische Juristen konnten das französische Recht in der Praxis des Obergerichts kennenlernen, rheinische Juristen konnten in Berlin Kontakte zur Praxis des preußischen Rechts knüpfen. Die Frage nach dem Einfluß der Juristen des Revisions- und Kassationshofes auf die Gesetzgebung ist 7 Statt vieler Rüdiger Schütz: Zur Eingliederung der Rheinlande, in: Peter Baumgart (Hrsg.): Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat, Köln, Wien, 1984, S. 195 ff.; ders.: Preußen und die Rheinlande. Studien zur Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979. 8 Der Begriff der rheinischen Institutionen oder der Institutionen des französischen Rechts wurde seit 1814/15 in den Auseinandersetzungen um die Beibehaltung des französischen Rechts in den Rheinlanden verwandt. Was genau darunter verstanden wurde, war nicht klar definiert. Teilweise wurde die gesamte französische Rechts- und Gerichtso~dnung, teilweise einzelne prozeß- oder gerichtsverfassungsrechtliche Einrichtungen wie die Offentlichkeit und Mündlichkeit der Prozesse, das Geschworenengericht, die Gleichheit vor dem Gesetz und die Trennung von Justiz und Verwaltung, teilweise aber auch politische und wirtschaftliche Errungenschaften der französischen Zeit wie die Abschaffung des Feudalsystems, gleiche Verteilung von öffentlichen Lasten oder die Gewerbefreiheit darunter gefaßt; Karl-Georg Faber: Die Rheinlande, S. 110 ff. Die vorliegende Arbeit verwendet den Institutionenbegriff im zweiten Sinne, also bezogen auf die verfahrens- und gerichtsverfassungsrechtlichen Maximen des französischen Rechts.

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A. Einleitung

also zugleich eine Frage nach der Existenz und den Früchten eines solchen Rechts"ergleichs. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes schließlich soll auf ihre Bedeutung für Bestand und Entwicklung des rheinischen Rechts untersucht werden. Anders als das französische Kassationsgericht arbeitete der Revisions- und Kassationshof mit einem Recht, das nicht unangefochten galt. Der preußische Gesetzgeber ersetzte, ohne zuvor das Ergebnis der Gesetzrevision abzuwarten, immer wieder einzelne französische Nonnen durch preußisches Recht. Angesichts dieser Entwicklung wird danach gefragt, wie weit der Gerichtshof die Tradition der französischen Kassationsgerichtsbarkeit fortgesetzt hat und wie sich der Status des französischen Rechts als Recht einer preußischen Provinz in der obergerichtlichen Rechtsprechung ausgewirkt hat.

11. Aufbau und Quellen Die Untersuchung folgt in ihrem Aufbau der durch die Fragestellung vorgegebenen Zweiteilung. Sie befaßt sich zunächst mit Entstehung und personeller Besetzung des Revisions- und Kassationshofes (RKH)9 als Ausdruck verschiedener rechtspolitischer Konzeptionen im Umgang mit dem französischen Recht und schwenkt dann auf die Untersuchung der Bedeutung des rheinischen Obergerichts für die preußische Rechtsentwicklung und den Bestand des rheinischen Rechts um. Sie beruht auf umfangreichem Quellenmaterial zur Entwicklung des Gerichts, zur preußischen 1ustizpolitik und zur Refonn der preußischen Gesetzgebung lO . Die Entwicklung, die zur Errichtung des Revisions- und Kassationshofes führte, läßt sich bis in die Zeit der rheinischen Immediat-1ustiz-Kommission hinein zurückverfolgen und hat in den Akten des Gesetzrevisionsministeriums starken Niederschlag gefunden. Anhand dieser Materialien werden der Diskussionsprozeß um die gerichtsverfassungsrechtliche Ausgestaltung der rheinischen Obergerichtsbarkeit und die Entscheidung für Berlin als Gerichtssitz nachgezeichnet. Die Analyse der personellen Besetzung des Gerichts greift in erster Linie zurück auf Akten des 1ustizministeriums und des Geheimen Preußischen Zivilkabinetts. Sie setzt an mit der Tätigkeit des Ministers Karl Friedrich von Beyme, der 1819 9 Die Abkürzung RKH findet sich nicht in den Quellen, sondern wird von der Verfasserin eingeführt. 10 Es wurde in erster Linie den Beständen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz entnommen. Dabei erwiesen sich sowohl die Materialien des ehemaligen Deutschen Zentralarchivs in Merseburg als auch der bisherigen Dahlemer Abteilung des Geheimen Staatsarchivs als überaus ergiebig. Ergänzend wurden Akten des Düsseldorfer Hauptstaatsarchivs, des Landeshauptarchivs in Koblenz und des Archivs des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim hinzugezogen.

III. Forschungsstand

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die ersten Richter einstellte. Für die Folgejahre wird die Entwicklung des Revisions- und Kassationshofes im Spiegel der Personalpolitik der jeweiligen Justizminister untersucht. Im Mittelpunkt steht dabei die Amtszeit des Ministers Karl Albert von Kamptz, während der die Konflikte um eine Beibehaltung des rheinischen Rechts erneut auflebten, und daher rechtspolitische Erwägungen für die Zusammensetzung des Gerichtspersonals eine besondere Bedeutung erlangten. Der zweite Teil der Arbeit ist ebenfalls entsprechend seiner thematischen Ausrichtung gegliedert. Der Einfluß der Richter auf die Gesetzrevision wird exemplarisch anhand der Reform des preußischen obergerichtlichen Verfahrens untersucht. Die gute Quellenlage erlaubt es, im Anschluß an einen kursorischen Überblick über das Kassationsverfahren und seine rheinischen Modifikationen, zunächst die Bemühungen um eine Verfahrensordnung für den Gerichtshof sowie die Weiterentwicklung des Verfahrensrechts durch richterliche Rechtsfortbildung zu untersuchen, um daran anschließend der Frage nach der Auswirkung dieses Verfahrens auf die Reform des preußischen Revisionsverfahrens nachzugehen. Die Rechtsprechung des Gerichtshofes wird gestützt auf das veröffentlichte Urteilsmaterial dargestellt, da die Originale der Entscheidungen nicht erhalten sind. Im Rahmen eines ersten Zugriffs wird nach den Inhalten und den Schwerpunkten der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes gefragt. In einem zweiten Schritt wird dann diese Judikatur darauf untersucht, wie weit sie die Funktionen der französischen Kassationsgerichtsbarkeit fortgeführt hat und welche Mechanismen die Richter entwickelten, um die Berührung des französischen und des preußischen Rechts in den Rheinlanden zu bewältigen.

III. Forschungsstand Mit dem Rheinischen Revisions- und Kassationshof als Untersuchungsgegenstand reiht sich die vorliegende Arbeit in den großen Zusammenhang der Forschungen zum "rheinischen Recht" als dem in den Rheinlanden auch nach dem Ende der französischen Herrschaft weitergeltenden französischen Recht ein. Von ihrer zeitlichen Abfolge her lassen sich diese Forschungen in drei größere Abschnitte unterteilen. Die ersten Arbeiten zum Recht und der Justizorganisation der Rheinlande sind im Umfeld des lOOjährigen Jubiläums der preußischen Besitznahme entstanden 11. Diese Forschungsrichtung verebbte aber im Gefolge des ersten II Zu ihnen sind vor allem die Arbeiten Ernst Landsbergs zu rechnen: Die Gutachten der rheinischen Immediat-Justiz-Kommission und der Kampf um die rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung 1814 bis 1819, Bonn 1914; ders.: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: Joseph Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz 1815-1915, hundert Jahre preußische Herrschaft am Rhein, Bonn 1917; Gustav Croon: Der Rheinische Provinziallandtag bis zum Jahre 1874, Düsseldorf 1918, Nachdruck 1974, S. 151 ff.; Max Bär: Die Behör-

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Weltkrieges und des politischen Gegensatzes zwischen Deutschland und Frankreich wieder. Erst in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts ist das Interesse am rheinischen Recht wieder aufgelebt. Es entstanden Arbeiten zur politischen Bedeutung des rheinischen Rechts l2 , zur Geltung des französischen Rechts in Deutschland l3 und zur sozialhistorischen Rolle dieses Rechts l4 . Seit Anfang der 90er Jahre befaßt sich eine dritte Forschungsrichtung im Rahmen der europäischen Rechtsgeschichte mit der Briickenfunktion des rheinischen Rechts zwischen französischem und deutschem Rechtsraum l5 . Diese Forschungen umfassen Untersuchungen zur Gesetzgebung l6 , Justizorganisation 17 und Rechtsprechung l8 in den denverfassung der Rheinprovinz seit 1815, Bonn 1919; Wilhelm Weisweiler: Geschichte des rheinpreußischen Notariates, Bd. 2, Essen 1925. 12 Unter den hier entstandenen Arbeiten sind besonders herauszuheben: Karl-Georg Faber: Die rheinischen Institutionen, in: Harnbacher Gespräche 1962 (Geschichtliche Landeskunde, Bd. 1), Wiesbaden 1964, S. 20 ff.; ders: Die Rheinlande zwischen Revolution und Restauration. Probleme der rheinischen Geschichte von 1814 bis 1848 im Spiegel der zeitgenössischen Publizistik, Wiesbaden 1966; ders.: Recht und Verfassung. Die politischen Funktionen des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970. 13 Wemer Schubert: Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht, Köln 1977; ders. : Das französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit, 1814-1820, in: ZRG Germ. Abt. 94 (1977), S. 129 ff.; Hans-Jürgen Becker: Das Rheinische Recht und seine Bedeutung für die Rechtsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: JuS 1985, S. 338 ff. 14 Elisabeth Fehrenbach: Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoleon in den Rheinbundstaaten (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 13), Gießen Univ. Habil-Sehr., 3. Aufl., Göttingen 1983. IS Alfons Bürge: Neue Quellen zur Begegnung der deutschen und französischen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, in: ZRG Germ. Abt. 110 (1993), S. 546 ff.; ders. : Das französische Recht im 19. Jahrhundert (lus Commune, Sonderheft 51), Frankfurt a.M. 1995; Reiner Schulze: Die rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert zwischen gemeinrechtlicher Tradition und französischem Recht. Grundlagen und Ziele eines Forschungsprojekts, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hrsg.): Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie Bd. 2, Frankfurt a.M. 1993, S. 285 ff.; ders.: Französisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 12), Berlin 1994, S. 9 ff.; ders. (Hrsg): Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 24), Berlin 1998; zum Forschungsstand Hans Schulte-Nölke/Birgit Strack: Rheinisches RechtForschungsgegenstand und Forschungsstand, in: R. Schulze (Hrsg.): Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 24) Berlin 1998, S. 21 ff. 16 Elmar Wadle: Französisches Recht und deutsche Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Reiner Schulze (Hrsg.): Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte: Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 3), Berlin 1991; Elisabeth Koch: Zum Einfluß des Code de procedure civile auf die deutsche Zivilrechtsprozeßreform, in: Reiner Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 12), Berlin 1994, S. 157 ff. 17 Antonio Grilli: Konzeption für die Justiz der Rheinlande in der französischen Zeit, in: Christof Dipper/Wolfgang Schieder/Reiner Schulze (Hrsg.): Napoleonische Herrschaft in

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rheinischen Gebieten. Die vorliegende Arbeit, die sich mit der Errichtung, der Besetzung, dem Verfahren und der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes befaßt, ordnet sich diesen Forschungen zu. Da sie ein rheinisches Gericht zum Gegenstand hat, das nicht in den preußischen Rheinprovinzen selbst, sondern in Berlin seinen Sitz hatte und dessen Mitglieder an der Gesetzrevision beteiligt waren, bietet sie die Möglichkeit, die dem rheinisch-französischen Recht zugeschriebene Mittlerfunktion zwischen französischem und deutschem Recht in ihrer Auswirkung auf die preußische Rechtsentwicklung zu untersuchen. In diesem Zusammenhang kann sie auch einen Beitrag zu den bei weitem noch nicht abgeschlossenen Forschungen an dem umfassenden Reformprojekt der preußischen Gesetzrevision liefern 19. Innerhalb der umfangreichen Forschung zur juristischen und politischen Bedeutung des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert fehlt bisher eine monographische Aufarbeitung der Rolle des Rheinischen Revisions- und Kassationshofes. Soweit eine Auseinandersetzung mit den Institutionen der rheinpreußischen Justiz erfolgte, konzentrierte sie sich in erster Linie auf die Kölner Gerichtsbarkeit 2o . Erst Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 16), Berlin 1995, S. 243 ff.; ders: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 - 1803 (Rechtshistorische Reihe, Bd. 190), Frankfurt a.M., Berlin, u. a. 1999, zug!. Diss. iur. Trier. 18 So das von Reiner Schulze (jetzt Universität Münster) geleitete Projekt "Französisches Recht im linksrheinischen Deutschland 1804 - 1848 - die Berührung zweier Rechtskulturen in der Rechtspraxis" im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 235 der Universität Trier, das sich unter anderem mit der Erfassung und Auswertung der Rechtsprechung der Appellationsgerichtshöfe in Trier und Düsseldorf beschäftigt; dazu R. Schulze: Die rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert zwischen gemeinrechtlicher Tradition und französischem Recht. Grundlagen und Ziele eines Forschungsprojektes, in: Heinz MohnhauptiDieter Simon (Hrsg.): Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1993, S. 285 ff. Weitere Nachweise dazu unten im Zusammenhang des Überblicks über die Rechtsprechungsforschung. 19 Der Zugang zu den Fragen der Gesetzrevision ist in neuester Zeit vor allem durch grundlegende Quelleneditionen zur Reform der preußischen Gesetzgebung eröffnet worden, Wemer Schuhert / lürgen Regge: Gesetzrevision (1825 - 1848) (Quellen zur preußischen Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts), Vaduz 1981 ff. 20 An erster Stelle sind hier die Festschriften zum 150- bzw. 175jährigen Bestehen des OLG Köln zu nennen: lose! Wolffram/ Adolf Klein (Hrsg.): Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des OLG Köln, Köln 1969; Dieter Laum/Adolf Klein/ Dieter Strauch (Hrsg.): Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart. 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, Köln 1994; des weiteren A. Klein/Günther Rennen (Hrsg.): Justitia Coloniensis. Landgericht und Amtsgericht Köln erzählen ihre Geschichte(n), Köln 1981; Thomas Langen: Zur Geschichte der Zivilrechtspflege in Köln von 1780 bis 1877, Diss. Köln 1987. Recht häufig vertreten ist daneben noch die Düsseldorfer Gerichtsbarkeit; Walter Nellen: Die Entwicklung des Düsseldorfer Gerichtswesens von der Einführung des Code Civil in Berg bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze, in: Düsseldorfer Jahrbuch, Bd. 50 (1960), S. 28 ff.; Guntram Fischer: Die Entwicklung der Düsseldorfer Obergerichte bis zur Gründung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, in: Heinrich Wiesen (Hrsg.): 75 Jahre OLG Düsseldorf. Festschrift, Düsse1dorf 1981, S. 3 ff. Zu Trierer Gerichten

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A. Einleitung

in neuerer Zeit ist dieses Spektrum durch Arbeiten zur rheinischen Friedensgerichtsbarkeit und den oberen Zivilgerichten des Großherzogtums und des Generalgouvernements Berg erweitert worden 21 . Auch über den Rahmen der Forschungen zum rheinischen Recht und den Institutionen der rheinischen Gerichtsbarkeit hinaus hat der Revisions- und Kassationshof erstaunlich wenig Beachtung gefunden. Dies gilt sowohl für das an diesem Gericht entwickelte spezifische Verfahrensrecht als auch für seine Wirkung auf die Reform des preußischen Revisionsverfahrens. Soweit sich die Arbeit mit diesen Aspekten auseinandersetzt, ist sie der bisher noch wenig erforschten Geschichte des deutschen Revisionsrechts zuzurechnen. Innerhalb der Literatur zur deutschen Prozeßrechtsgeschichte stehen übergreifende Darstellungen zum Strukturwandel des gesamten Zivilprozesses oder aber zur Entwicklung einzelner Strukturmerkmale im Vordergrund 22 . Die Behandlung des obergerichtlichen Verfahrens steht demgegenüber noch zurück 23 .

bisher nur lose! Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte von 1794 bis 1813, Trier 1957. Literatur zu den Gerichten des nichtpreußischen Rheinlandes findet sich zumeist ebenfalls in der Festschriftenliteratur der Oberlandes- und Landgerichte. 21 Wolfgang Christian Andrea: Das rheinische Friedensgericht gezeigt am Beispiel des Oberlandesgerichtsbezirks Düsseldorf (1789-1879), Diss. Freiburg i.Br. 1986; Michael Nießen: Die Aachener Friedensgerichte in französischer und preußischer Zeit. Ein Beitrag zur Rechts- und Sozialgeschichte der Stadt Aachen im Zeitalter der Industrialisierung, Aachen 1991; Markus Erkens: Die französische Friedensgerichtsbarkeit 1789-1814 unter besonderer Berücksichtigung der vier rheinischen Departements (Rechtsgeschichtliche Schriften, Bd. 5), Köln 1994; Hennan Lohausen: Die obersten Zivilgerichte im Großherzogturn Berg und im Generalgouvernement Berg von 1812 - 1819 (Rechtsgeschichtliche Schriften im Auftrag des Rheinischen Vereins für Rechtsgeschichte e.Y., Bd. 8), Köln 1995; zur Gerichtsbarkeit in Kleve Elisabeth van Heesch: Französisches Recht in Kleve, Kleve 1998, zug!. Diss. iur. Univ. Trier. 22 Genannt seien hier nur Hans-Gerhard Kip: Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip. Geschichte einer Episode des Deutschen Zivilprozesses, Köln, Berlin 1952; Falk Bomsdorj: Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit. Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime im deutschen Zivilprozeß vorn gemeinen Recht bis zur ZPO (Schriften zum Prozeßrecht, Bd. 19), Berlin 1971; Gerhard l . Dahlmanns: Der Strukturwandel des deutschen Zivilprozesses im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der ZPO anhand ausgewählter Gesetzgebungsarbeiten, Aalen 1971; Knut Wolfgang Nörr: Hauptthemen legislatorischer Zivilprozeßreforrn im 19. Jahrhundert, in: ZZP, 1974, S. 277 ff.; ders.: Naturrecht und Zivilprozeß. Studien zur Geschichte des deutschen Zivilprozeßrechts während der Naturrechtsperiode bis zum beginnenden 19. Jahrhundert (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 41), Tübingen 1976; Peter Böhm: Der Streit um die Verhandlungsmaxime. Zum Einfluß der Verfahrenstheorie des 19. Jahrhunderts auf das gegenwärtige Prozeßverständnis, in: Ius Cornmune, Bd. 7 (1978), S. 136 ff.; Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3: Das 19. Jahrhundert, 2. Hbd.: Gesetzgebung zum allgemeinen Privatrecht und zum Verfahrensrecht (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte), München 1982; W Schubert: Entstehung und Quellen der Civilprozeßordnung von 1877 (Jus Commune, Sonderhefte Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 34), Frankfurt a.M. 1987; ders.: Die deutsche Gerichtsverfassung (1869-1877) - Entstehung und Quellen - (Jus Commune, Son-

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Die Auseinandersetzung mit Aspekten der praktischen Arbeit des Revisions- und Kassationshofes schließlich läßt sich den Forschungen zur praktischen Handhabung des Rechts im Deutschland des 19. Jahrhunderts zuordnen. Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte im 19. Jahrhundert ist, im Gegensatz zur rechtswissenschaftlichen oder normativen Entwicklung, bisher weitgehend von der Forschung vernachlässigt worden 24 . Erst seit Anfang der achtziger Jahre trat im Umfeld des MaxPlanck-Institutes für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt a.M. unter dem Stichwort der "Normdurchsetzung" ein Forschungsschwerpunkt hervor25 . derhefte Texte und Monographien, Bd. 16), Frankfurt a.M. 1981. Speziell zur preußischen Entwicklung K. W. Nörr: Reinhardt und die Revision der Allgemeinen Gerichts-Ordnung für die Preußischen Staaten. Materialien zur Refonn des Zivilprozesses im 19. Jahrhundert (lus Commune, Sonderhefte Texte und Monographien, Bd. 4), Frankfurt a.M. 1975. 23 Zur Geschichte speziell des Revisionsrechts immer noch grundlegend der Überblick bei Erich Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Aufl., Bonn 1960, S. 6 ff. Für die Entwicklung auf strafprozessualem Gebiet Herbert Behr: Die Rechtsmittel gegen Strafurteile in der Refonndiskussion und der Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts, Diss. iur., Göttingen 1984. Etwas größere Aufmerksamkeit hat die Gegenüberstellung der französischen Kassation und der Revision nach der ZPO gefunden. Dazu zwei an die Forschungen Schwinges anknüpfende Arbeiten: Wemer Freitag: Revision und Kassation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts, Diss. iur. Heidelberg 1933; Günter Schoppe: Revision und Kassation unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Kassationshofes, Diss. iur. Halle-Wittenberg 1935 und aus neue ster Zeit Frederique Ferrand: Cassation fran«raise et revision allemande. Essai sur le contröle exerce en matiere civile par la Cour de cassation fran«raise et par la Cour federale de Justice de la Republique federale d' Allernagne, Paris 1993. 24 Dieter Simon: Nonndurchsetzung. Anmerkungen zu einem Forschungsprojekt des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte, in: lus Commune, 15 (1988), S. 201 ff. Zum Forschungsstand auf diesem Gebiet Barbara Dölemeyer: Justizforschung in Frankreich und Deutschland, in: ZNR, 18 (1996), Nr. 3/4, S. 288 ff. Einen Überblick über neuere Forschungen zur Rechtsprechung des Reichsgerichts am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gibt Hans Peter Glöckner: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts: Thema mit Variationen, in: lus Commune XXV (1998), S. 391 ff. 25 Ausgehend von der Frage nach der gerichtspraktischen Durchsetzung des geltenden Rechts sind bisher Arbeiten erschienen, die eine entsprechende Forschung insofern vorbereiten sollen, als sie die grundlegenden Materialien der Rechtsprechung des vorigen Jahrhunderts zusammentragen; Filippo Ranieri: Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), 2 Bde. (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, Bd. 3), Frankfurt a.M. 1992; Barbara Dölemeyer: Repertorium ungedruckte Quellen zur Rechtsprechung. Deutschland 1800-1945,2 Bde. (Rechtsprechung. Materialien und Studien. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, Bd. 9), Frankfurt a.M. 1995. Ergänzt wird dies durch Arbeiten, die sich mit einzelnen Feldern der richterlichen Tatigkeit und richterlichen Berufslebens befassen; Andre Gouron, u. a. (Hrsg.): Subjektivierung des justitiellen Beweisverfahrens. Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (Ius Commune, Sonderheft 64), Frankfurt a.M. 1994; Thomas Ormond: Richterwürde und Regierungstreue. Dienstrecht, politische Betätigung und Disziplinierung der Richter in Preußen, Baden und Hessen 1866 -1918 (Ius Commune, Sonderheft 63), Frankfurt a.M. 1994; Sabine Werthmann: Vom Ende der Patrimonialgerichtsbarkeit. Ein Beitrag zur deutschen Justizgeschichte des 19. Jahrhunderts, (lus Commune, Sonderheft 69), Frankfurt a.M.1995.

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Betrachtet man den Forschungsstand speziell zur rheinischen Rechtsprechung, stößt man auf ein ganz ähnliches Bild. Allerdings hat das Aufeinandertreffen mehrerer Rechtsordnungen in der durch ihre Grenzlage exponierten Region die Aufmerksamkeit der Forschung schon etwas früher auf die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte gelenkt als auf die anderer deutscher Gerichte. Zu erwähnen ist hier aus den sechziger Jahren die Arbeit Detlef Schumachers, der unter einer methodisch ausgerichteten Fragestellung die Rechtsprechung verschiedener rheinischer Gerichte und des Reichsgerichts mit der französischen Praxis vergleicht 26 . Etwa zur seI ben Zeit ist ein Aufsatz Egon Schneiders 27 erschienen, der ebenfalls unter methodischen Gesichtspunkten die Rechtsprechungspraxis des Kölner Appellationsgerichtshofes für die ersten Jahre seiner Existenz untersucht. Diesen beiden Arbeiten folgte über zwei Jahrzehnte nichts mehr. Erst Anfang der neunziger Jahre wandte sich das Interesse der Forschung im Rahmen der eingangs vorgestellten Forschungen zum rheinischen Recht erneut auch der rheinischen Rechtsprechung zu. Zu nennen ist hier das von Reiner Schulze geleitete Projekt "Französisches Recht im linksrheinischen Deutschland 1804 - 1848 - die Berührung zweier Rechtskulturen in der Rechtspraxis" im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 235 der Universität Trier28 . Im Zusammenhang mit diesen Forschungen ist auch die vorliegende Arbeit entstanden.

26 Detlel Schumacher: Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen, Stuttgart 1969. Diese Arbeit greift kaum Urteile des Revisions- und Kassationshofes auf. 27 Egon Schneider: Aus der Spruchpraxis des rheinischen Appellationsgerichtshofes in den ersten Jahren seines Bestehens. Eine methodologische Untersuchung, in: J. Wolffram/ A. Klein (Hrsg.): Recht und Rechtspflege in den Rheinlanden. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Köln, Köln 1996, S. 307 ff. 28 Dieses Projekt hat sich unter anderem auch mit der Erfassung und Auswertung der Rechtsprechung der Appellationsgerichtshöfe in Trier und Düsseldorf beschäftigt; R. Schulze: Die rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert zwischen gemeinrechtlicher Tradition und französischem Recht. Grundlagen und Ziele eines Forschungsprojektes, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hrsg.): Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 2, Frankfurt a.M. 1993, S. 285 ff.; Antonio Grilli: Das linksrheinische Partikularrecht und das römische Recht in der Rechtsprechung der Cour d' Appell Cour Imperiale de Treve nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Bd. 12), Berlin 1994, S. 67 ff.; Hans Schulte-Nölke: Die CD-ROM Datenbank zur rheinischen Judikatur im frühen 19. Jahrhundert. Grundlagen - Gebrauchsanleitung und Anwendungsmöglichkeiten, in: R. Schulze (Hrsg.): Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 24) Berlin 1998, S. 99 ff.; zur Rechtsprechung des Trierer Appellationsgerichtes zwischen 1805 und 1817; ders.: Rheinische Judikatur im frühen 19. Jahrhundert. Justizforschung mit Hilfe einer Datenbank, ZNR 20. Jg. (1998), S. 84 ff. Mit der Rechtsprechung rheinischer Gerichte zwischen französischer und preußischer Herrschaft befaßt sich auch die Einzelstudie von H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 92 ff. Einen Überblick über das vorhandene Quellenmaterial gibt Birgit Strack: Ungedruckte Quellen zur Rechtsprechung im Gebiet des Rheinischen Rechts aus der Zeit zwischen 1804 und 1850, in: Rheinische Vierteljahresblätter, 60. Jg. (1996), S. 312 ff.

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision

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IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision Da die Arbeit sich mit einem Gericht beschäftigt, das schon in seinem Namen zwei verschiedenartige Rechtsmittel vereinigt, und da seine Geschichte auch als ein Aspekt der Entwicklung des preußischen und deutschen Rechtsmittelrechts untersucht werden soll, empfiehlt es sich, vorab zumindest drei zentrale Begriffe zu erläutern: den zugrunde gelegten Rechtsmittelbegriff, den Begriff der Kassation und den der Revision.

1. RechtsmittelbegritT Der grundlegende Wandel, den der Rechtsmittelbegriff seit dem friihen 19. Jahrhundert erfahren hat, und die Eigenheiten des gemeinrechtlichen, des preußischrechtlichen und des französischen Rechtsmittelwesens machen es notwendig, mit einer klaren, wenn nötig vereinfachenden Terminologie zu arbeiten. Die in der deutschen Rechtswissenschaft heute gängige Definition des Rechtsmittels als Rechtsbehelf im engeren Sinne, d. h. als Behelf, der eine Entscheidung vor ihrer Rechtskraft der Nachpriifung einer höheren Instanz unterbreitet und dem damit Suspensiv- und Devolutiveffekt als Wesensmerkmale zugeschrieben werden 29 , erweist sich als wenig hilfreich. Diese Definition ist erst im Zusammenhang der Arbeiten an der reichseinheitlichen Zivilprozeßordnung in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts und in bewußter Abkehr von gemeinrechtlichen oder preußischrechtlichen Traditionen entwickelt worden 3o . Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind dagegen Ereignisse und Reformbemühungen, die weit vor dieser "Wende" an29 Vgl. statt vieler Rimmelspacher, in: Münchener Kommentar zur ZPO, Bd. 2, München 1992, vor § 511, Fn. 3.; Adolj BaumbachlWoljgang LauterbachlJan AlberslPeter Hartmann: Zivilprozeßordnung, 58. Aufl., München 2000, Grundzüge zu § 511, Rn. 1 f.; Peter Gilles, u. a. (Hrsg.): Rechtsmittel im Zivilprozeß - unter besonderer Berücksichtigung der Berufung (Rechtstatsachenforschung), Köln 1985, S. 12; Jürgen Weitzel: Grundzüge des Rechts der Rechtsmittel, in: JuS 1992, S. 625 ff. 30 Absicht des Gesetzgebers der ZPO war es, von der Rechtsmittelvielfalt des gemeinen Rechts und von der streckenweise an das französische Recht erinnernden Rechtsmitte1begrifflichkeit des preußischen Rechts abzurücken und eine eigene Ordnung zivilprozessualer Rechtsbehelfe zu schaffen. Der heute gängige Rechtsmitte1begriff entstammt § 11 der Allgemeinen Begründung des Entwurfs der ZPO; abgedruckt bei C. Hahn: Die gesamten Materialien zur Civilprozeßordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben, 1. Abteilung, Berlin 1880, S. 139; P. Gilles: Rechtsmittel im Zivilprozeß. Berufung, Revision und Beschwerde im Vergleich mit der Wiederaufnahme des Verfahrens, dem Einspruch und der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand, Frankfurt a.M. 1972, S. 25 ff., 188 ff.; ders.: Ziviljustiz und Rechtsmitte1problematik. Vorstudie zur Analyse und Reform der Rechtsmittel in der Zivilgerichtsbarkeit. Beiträge zur Strukturanalyse der Rechtsmittel (Rechtstatsachenforschung), Köln 1992, S. 77 ff.; Panagiotis Kolotouros: Der Rechtsmittelgegenstand im Zivilprozeß. Die Rechtsmittel zwischen Kassation und Verfahrensfortsetzung (Schriften zum Prozeßrecht, Bd. 104), Berlin 1992, S. 15.

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A. Einleitung

zu siedeln sind. Des weiteren ist über diese Definition weder der Rechtsmittelbegriff des alten noch des heutigen französischen Verfahrensrechts einzubinden. Das französische Rechtsmittelrecht fußt nämlich - heute wie auch im 19. Jahrhundertauf einem weitergreifenden Rechtsmittelbegriff als das heutige deutsche Recht, indem es auch solche Behelfe als Rechtsmittel bezeichnet, denen ein Suspensiveffekt fehlt 3 ]. Die Verwendung des Rechtsmittelbegriffs der deutschen Zivilprozeßordnung würde also zwangsläufig zu Unstimmigkeiten führen und eine äußerst verwirrende und fruchtlose Übersetzung der Quellen in eine der heutigen Begrifflichkeit gerechte Sprache erfordern. Diese Schwierigkeiten lassen sich umgehen, wenn man zuriickgreift auf den Rechtsmittelbegriff des friihen 19. Jahrhunderts, wie ihn vornehmlich die deutsche Rechtswissenschaft herausgebildet hatte 32 . Dieser zeitgenössische Begriff ist außerordentlich weit gefaßt. Er geht sogar über den Kreis der eigentlichen Rechtsbehelfe nach heutigem Verständnis hinaus und verläßt die prozeßrechtliche Sphäre. Als Rechtsmittel wurde jedes Mittel zur Wahrung der Rechte verstanden 33 . In Beschränkung auf die prozeßrechtlichen Institute wurden Rechtsmittel definiert als Behelfe gegen einen rechts verletzenden Richterspruch mit dem Ziel, diesen richterlichen Akt zu vernichten oder - wo er schon von vornherein nichtig war - zu annullieren und ihn durch einen anderen zu ersetzen 34 . Als wirklich charakteristisches Merkmal diente nur die Ziel richtung des Behelfs, nicht dagegen die durchaus auch verwandten Begriffspaare des ordentlichen und außerordentlichen, des suspensiven und devolutiven Rechtsmittels. Sie stellen nur weitere Untergliederungen des Rechtsmittelbegriffs dar, die zur systematischen Ordnung der Rechtsmittel herangezogen wurden, aber keineswegs Wesensmerkmale bildeten. Dieser aus dem gemeinen Recht entlehnten Begrifflichkeit35 läßt sich sowohl das preußische Rechtsmittelwesen, das weitgehend mit den Definitionen des gemeinen Rechts übereinstimmt, als auch das französische unterordnen 36 . Letzteres 31 Dies trifft auf die außerordentlichen Rechtsmittel, die i.d.R. keine Suspensivwirkung haben - beispielsweise auf die Kassation -, zu; Hans Jürgen SonnenbergerlEugen Schweinberger: Einführung in das französische Recht, 2. Aufl. Darmstadt 1986, S. 182 ff.; Jean-Luc Aubert: Introduction au droit et themes fondamentaux du droit civile, 6. Aufl., Paris 1995, S. 147 f. 32 Einen sehr ausführlichen Überblick über den Stand der Rechtsmittellehre der ersten Jahrhunderthälfte gewährt Heimbach: Rechtsmittel, in: Julius Weiske: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesamte Rechtswissenschaft, Bd. 9, Leipzig 1855, S. 246 ff. Vgl. auch earl Joseph Anton Mittennaier: Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß in Vergleichung mit dem preußischen und französischen Civilverfahren und mit den neuesten Fortschritten der Prozeßgesetzgebung, 3. Beitrag, 2. Aufl., Bonn 1832, S. 1 ff.; August Wilhelm Heffter: System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts, 2. Aufl., Bonn 1843, S. 518 ff. und aus der neueren Literatur P. Gilles: Rechtsmittel im Zivilprozeß (1972), S. 211 ff.; ders.: Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik, S. 71 ff. 33 Heimbach: Rechtsmittel, S. 246; P. GUles: Rechtsmittel im Zivilprozeß (1972), S. 211 ff.; ders.: Ziviljustiz und Rechtsmitte1problematik, S. 74 ff. 34 Heimbach: Rechtsmittel, S. 247. 35 P. GUles: Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik, S. 74; Heimbach: Rechtsmittel, S.249.

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision

29

gilt allerdings nur mit gewissen Einschränkungen: Zum einen stellt das französische Recht die Einteilung nach ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln mehr ins Zentrum als das gemeine deutsche 37 , zum anderen unterscheiden sich gemeines deutsches und französisches Recht in der Definition dessen, was ein außerordentliches Rechtsmittel ausmacht. Wahrend nach gemeinem Recht diese Einordnung vor allem vom Fristverlauf abhängig ist und außerordentliche Rechtsmittel durch außergewöhnlich lange Rechtsmitte1fristen gekennzeichnet sind, kommt es nach dem französischen Recht entscheidend darauf an, ob ein Rechtsmittel innerhalb oder außerhalb des ordentlichen Instanzenzuges zu orten ise s. Diese Unterschiede berühren jedoch nicht den Wesensgehalt des Rechtsmitte1begriffes. Behält man sie im Hinterkopf, so hat man mit der Verwendung des Rechtsmitte1begriffs der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, d. h. mit der Orientierung am Angriffsgegenstand, einen Rechtsmittelbegriff in Händen, der gemeinrechtliche, preußische und französische Verfahrensrechtskomponenten terminologisch kompatibel macht. Diesem alten Rechtsmittelbegriff nähert sich auch die heutige deutsche Rechtsmittellehre wieder an, soweit sie das Dogma von der Wesensmäßigkeit des Devolutiv- und Suspensiveffektes kritisch beurteilt und aufbriche 9 .

2. Kassation und Revision Mit Blick auf die Quellenmaterialien und die Prozeßrechtsliteratur des frühen 19. Jahrhunderts ist besonders der Begriff der Revision geeignet, Verwirrung zu 36 Zum Rechtsmittelbegriff des preußischen Rechts Christian Friedrich Koch: Der Preußische Civil-Prozeß, 2. Aufl., Berlin 1855, S. 621 ff.; A. W Heffter: Civil-Proceß oder das gerichtliche Verfahren bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Gebiete des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten. Ein Leitfaden zum Selbstunterricht, Berlin 1856, S. 415 ff. Zum französischen Rechtsmittelbegriff J. Sonnenberger / E. Schweinberger: Einführung in das französische Recht, S. 182 ff. 37 Im heutigen französischen Recht ist diese Einteilung sogar gesetzlich festgelegt in Art. 527 Code de procedure civile. Zum gemeinen Prozeßrecht vgl. die oben angegebenen Literatur zum Rechtsmittelbegriff des 19. Jahrhunderts. 38 Zum gemeinen Prozeßrecht vgl. die oben angegebenen Literatur zum Rechtsmittelbegriff des 19. Jahrhunderts; zum französischen Recht: J. Sonnenberger/ E. Schweinberger: Einführung in das französische Recht, S. 182 ff. 39 Grundsätzliche Kritik am heute verwandten Rechtsmittelbegriff übt P. Gilles: Rechtsmittel im Zivilprozeß (1972); einen Überblick über Entwicklung und Stand der Rechtsmitteldiskussion bietet P. Gilles: Rechtsmittel im Zivilprozeß aus juristischer Sicht, in: ders. (Hrsg.): Rechtsmittel im Zivilprozeß - unter besonderer Berücksichtigung der Berufung, S. 11 ff.; P. Kolotouros: Rechtsmittelgegenstand im Zivilprozeß, S. 130; dazu auch J. Weitzel: Grundzüge des Rechts der Rechtsmittel, in: JuS 1992, S. 627 (mit Hinweisen auf die Kritiker der von Gilles begründeten Lehre; beispielsweise Karl August Bettermann: Anfechtung und Kassation. Vom rechten Verständnis der Rechtsbehelfe unserer Zivilprozeßordnung, in: ZZP 1975, S. 365 ff.); Rimmelspacher in: MüKo, Bd. 2, vor § 511, der allerdings nur den Suspensiveffekt als konstituierendes Merkmal ausschließen will.

30

A. Einleitung

stiften. Er stimmt nicht mit der heutigen juristischen Teminologie überein. Der Revisionsbegriff der Quellen bezieht sich nicht auf die uns geläufige Revision als Rechtsmittel des deutschen Zivil- oder Strafprozesses, sondern ist in das Rechtsmittelrecht des frühen 19. Jahrhunderts einzuordnen. Diese Revision war ebenfalls ein Rechtsmittel zur Anrufung der letzten Instanz, wich aber in ihrer Gestaltung von der modernen Revision des deutschen Rechtes ab 4o . Soweit im Rahmen dieser Arbeit ohne weitere Zusätze von der "Revision" die Rede ist, wird sich dies auf die Revision des preußischen Zivilprozesses beziehen. Der Revision trat, als das französische Recht in den deutschen Rechtsraum eindrang, die Kassation gegenüber. Auch die Kassation ist ein Rechtsmittelverfahren vor dem höchsten Gericht. Im Vergleich zur Revision bestehen jedoch gewichtige Unterschiede, die die Einordnung in den jeweiligen Instanzenzug, den Umfang, in dem die Gerichte die vorgelegten Entscheidungen überprüfen, und letztlich die Entscheidungsbefugnis betreffen.

a) Kassation

Die Kassation wurde, obwohl sie auf ältere Wurzeln zurückgeht, erst in der französischen Revolution ausgestaltet und 1790 gesetzlich verankert. Da sie sich in ihrer Struktur von 1790 bis heute nicht grundlegend verändert hat und ihre historische Entwicklung in Frankreich sowie der Wandel, dem sie seit 1814 in den Rheinlanden unterworfen war, unten näher dargestellt werden 41 , soll sie hier nur in ihren Grundzügen vorgestellt werden. Die Kassation bietet einen auf Rechtsfragen beschränkten Rekurs außerhalb des eigentlichen Instanzenzuges, der im französischen Recht über der Eingangsinstanz nur noch eine Instanz, nämlich die Appellation genannte Berufungsinstanz42 kennt. Die Kassation dient allein der Überprüfung letztinstanzlicher Urteile. Aufgabe des Kassationsrichters ist es lediglich, die richtige Anwendung der Gesetze auf die vom vorhergehenden Richter festgestellten Tatsachen zu kontrollieren, nicht aber eine dritte Tatsacheninstanz zu bieten. Soweit eine Tatsachenprüfung ausgeschlossen bleibt, steht auch das individuelle Interesse der Parteien an der Entscheidung ihres Rechtsstreites zurück. Gegenstand Vgl. dazu unten Kapitel A IV 2 b). Vgl. Kapitel D I I und 2. Dort auch ausführliche Literatumachweise. An dieser Stelle sei nur auf die einleitenden Darstellungen von J. Sonnenberger / E. Schweinberger: Einführung in das französische Recht, S. 183 f.; J.-L. Aubert: Introduction au droit et themes fondamentaux du droit civile, S. 150 ff. verwiesen. Letzterer bietet zugleich einen Einblick in die heutige Form des Kassationsverfahrens. Als Einführung zum Kassationsverfahren siehe Johann Heinrich Schlink: Commentar über die französische Civil-Prozeß-Ordnung, mit Vorausschickung einer Abhandlung über die Organisation, Competenz und Disziplin der Gerichte, so wie der dazugehörigen Nebenpersonen, Bd. I, Koblenz 1843, S. 300 ff. 42 Zwischen der französischen Appellation und der Berufung nach heutigem deutschen Recht bestehen keine so gravierenden Unterschiede, als daß sie nicht für die Zwecke dieser Arbeit gleichgesetzt werden könnten. 40

41

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision

31

des Kassationsverfahren ist nicht eine Neuentscheidung des ursprünglichen Prozesses, sondern das angegriffene Urteil als solches. Das Verfahren dient in erster Linie der Idee der Rechtseinheit. Das Kassationsgericht soll eine einheitliche Anwendung der Gesetze durch die Gerichte sicherstellen. Insoweit weist die Kassation große Nähe zu der ebenfalls auf Rechtsfragen beschränkten Revision des heutigen deutschen Rechts auf. Der entscheidende Unterschied liegt allerdings in der Entscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts begründet. Die Kassation beinhaltet kein reformierendes Element. Das bedeutet, daß das Kassationsgericht das angefochtene Urteil nur bestätigen oder aber vernichten, also kassieren, kann. Es ist aber nicht befugt, in der Sache selbst zu entscheiden. Kassiert der Gerichtshof ein Urteil, muß er die Sache zur erneuten Entscheidung an ein anderes Gericht zurückverweisen. Dieses Gericht ist nicht an die Rechtsauffassung des Kassationshofes gebunden. Sein Urteil kann wiederum mit der Kassation angefochten werden, auch dann, wenn diese Kassation sich auf dieselben Gründe stützt wie die erste. Einer unendlichen Wiederholung der Kassation aus denselben Gründen hat das französische Recht einen Riegel vorgeschoben. Anfang des 19. Jahrhunderts war dies die Vorlage an den Gesetzgeber: Wurde der Kassationshof zum dritten Mal in derselben Sache, aus denselben Gründen und durch dieselben Parteien angerufen, mußte er die streitige Rechtsfrage zur Entscheidung an die Legislative weiterleiten.

b) Revision

Die Ursprünge der preußischen Revision lassen sich in den gemeinrechtlichen Zivilprozeß zurückverfolgen. Die friderizianische Gesetzgebung hatte zwar mit wesentlichen Maximen des überkommenen Verfahrensrechts gebrochen und beispielsweise das Verhältnis der Parteien zum Richter durch eine Abkehr von der gemeinrechtlichen Eventualmaxime und durch die Einführung der Inquisitionsoder Untersuchungsmaxime in den Zivilprozeß43 sowie durch einen weitgehenden Verzicht auf das Formenwesen des gemeinen Prozesses, grundlegend umgestaltet, dies blieben aber nur einige besonders "prominente" Abweichungen44 . Abgesehen davon waren sowohl die Prozeßordnung von 1781 45 als auch die aus ihr hervorge43 Der schematische Gegensatz, gemeinrechtlicher Verhandlungsmaxime auf der einen und preußisch-rechtlicher Untersuchungsmaxime auf der anderen Seite, wird hier aus Gründen der Übersichtlichkeit der Darstellung benutzt. Zu Zweifeln an der Verwendbarkeit dieses Schemas und zu einer weitaus differenzierteren Ausgestaltung des Verhältnisses von Richter zu Parteienmacht sowohl im gemeinen als auch im preußischen Prozeß siehe aber F. Bomsdorf: Prozeßmaximen. 44 Einen Überblick über die etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Preußen einsetzenden Arbeiten an einer Reform des Zivilprozesses und ihre Vorläufer auch schon in der ersten Jahrhunderthälfte gibt G. Dahlmanns: Deutschland, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 2. Hbd.: Das 19. Jahrhundert. Gesetzgebung zum allgemeinen Privatrecht und zum Verfahrensrecht, S. 2645 ff.

32

A. Einleitung

gangene Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793 (AGO) weiterhin durch den gemeinrechtlichen Prozeß geprägt46 . Der gemeine Prozeß und das gemeinrechtliche Rechtsmittelwesen 47 waren keine real existierenden Institutionen 48, sondern Konstruktionen der gemeinrechtlichen Prozeßlehre, die in ihrer Reinheit in keinem der Staaten des Deutschen Reiches verwirklicht waren. Vielmehr hatten sie in den einzelnen Territorien eine jeweils nach dem Grad der Einbeziehung partikularrechtlicher Vorschriften divergierende Ausgestaltung erfahren 49 . Der Aufbau des Rechtsmittelwesens stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kampf der deutschen Staaten um Rechtsmittelautonomie 5o . Dieser Kampf war nach Jürgen Weitzel in erster Linie machtpolitisch - im Sinne der Bestrebungen um Territorialhoheit gegenüber dem Reich - motiviert. So gab es Staaten, die auf dem Wege über privilegia de non appellando den Rekurs an die Reichsgerichte weitgehend hatten ausschließen oder beschränken können und nun innerhalb ihres Staatsgebietes einen geschlossenen Instanzenzug 45 Diese Prozeßordnung erschien als erstes Buch des umfassender geplanten Corpus Juris Fridericianum; dazu Friedrich Ebel: 200 Jahre preußischer Zivilprozeß. Das Corpus Juris Fridericianum vom Jahre 1781 (Schriftenreihe der juristischen Gesellschaft Berlin e.V., Heft 71), Berlin, New York 1982. 46 K. W Nörr: Reinhardt, S. 1; ders.: Wissenschaft und Schrifttum zum deutschen Zivilprozeß, in: lus Commune X (1983), S. 177; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2645 ff.; F. Bomsdorf: Prozeßmaximen, S. 95 f.; E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 8. 47 Umfassende Darstellungen des gemeinen Zivilprozesses finden sich in der Literatur des vorigen Jahrhunderts, bspw. bei lustin Thimotheus Balthasar von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, 5 Bde. (zum Rechtsmittelwesen: Bde. 4 und 5, Gießen 1831 und 1840); A. W Heffter: System; Wilhelm Endemann: Das deutsche Civilprozeßrecht, Heidelberg 1868, Neudruck Aalen 1969; Georg Wilhelm WetzelI: System des ordentlichen Zivilprozesses, hier benutzt: 3. Aufl., Leipzig 1878, Neudr. Aalen 1969; Arthur Engelmann: Der Zivilprozeß, 3 Bde, Breslau 1889-1901, v.a. Bd. 2 Heft 3. Dort finden sich jeweils auch Ausführungen zum Rechtsmittelwesen. Darstellungen speziell des Rechtsmittelwesen des gemeinen Prozesses finden sich in der neueren Literatur bei P. Gilles: Rechtsmittel im Zivilprozeß (1972), S. 211 f.; lürgen Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich; Bd. 4), Köln, Wien 1976. Einen Überblick über die Wissenschaft des gemeinen Prozeßrechts gibt K. W Nörr: Wissenschaft und Schrifttum zum deutschen Zivilprozeß, In lus Commune X (1983), S. 161 ff. 48 F. Bomsdorf: Prozeßmaximen, S. 23 ff.; H.-G. Kip: Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 20; Adolf Wach: Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, Bd. 1, Leipzig 1885, S. 130, Anm. 2; C.J.A. Mittermaier: Vergleichung, 1. Beitrag, 2. Aufl., Bonn 1822, S. 24 ff.; A. W Heffter: System, S. 24 ff. 49 Einen Überblick zum Geltungsbereich und den jeweiligen partikularrechtlichen Ausprägungen des gemeinen Prozesses in den einzelnen deutschen Staaten geben A. Wach: Handbuch, S. 130, Anm. 2 mit jeweils weiterführenden Literaturhinweisen und A. W Heffter: System, S. 24 ff. in den Anmerkungen. 50 1. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, zusammenfassend S. 355.; Ulrich Eisenhardt (Hrsg.): Die kaiserlichen privilegia de non appellando (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich, Bd. 7), Köln, Wien 1980, in der Einleitung zur Edition, S. 1 ff.

IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision

33

bereitstellten 51 , und solche, vor allem kleinere und reichsunmittelbare Territorien, deren Untertanen ihre Rechtsstreitigkeiten weiterhin bis vor die Reichsgerichte bringen konnten. Die Ausbildung eines Instanzenwesens im deutschen Prozeß geht auf römisches Recht zurück52 . Über die Rezeption hat dieses System Eingang in den deutschen Prozeß gefunden und sich auf der Ebene des Reichsrechts und innerhalb der einzelnen Territorien weiterentwickelt. Hinsichtlich der Zahl der den Parteien offenstehenden Instanzen, bildete sich in Deutschland das Grundmodell eines dreistufigen Instanzenzuges53 . Gesetzlich festgeschrieben wurde er etwa in der Reichskammergerichtsordnung (RKGO) von 1495 54 . Dennoch handelte es sich nicht um einen allgemein verbindlichen Grundsatz, sondern eher um eine Richtschnur, von der aus Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten stets zu beobachten waren 55 . Das ordentliche Rechtsmittel dieses Prozesses war die Appellation. Die Appellation war ein mit Suspensivwirkung versehenes und vor ein höheres oder höchstes Gericht zu bringendes, also devolutives, Rechtsmittel. Sie bot eine Überprüfung der vorausgegangenen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Schon im römischen Recht war die Zahl der möglichen Appellationen nicht festgeschrieben, und auch im gemeinen Recht bestand die Möglichkeit, mehrfach Appellation einzulegen 56. Man sprach hier von einer zweiten Appellation oder Oberap51 Siehe dazu U. Eisenhardt: Die kaiserlichen privilegia de non appellando, S. I ff. (11 ff.); ders.: Die Rechtswirkungen der in der goldenen Bulle genannten privilegia de non evocando et appellando, in: ZRG Germ. Abt. 86 (1969), S. 75 ff.; G. Buchda: Appellationsprivilegien, HRG, Bd. I, S. 200 f.; Eduard Kern: Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, München, Berlin 1954, S. 12 ff., 30; G. W WetzelI: System, 365. Die privilegia de non appellando schlossen den Rechtsweg an die Reichsgerichte nicht unbedingt umfassend aus, so gab es neben den - v.a. an die Kurfürsten erteilten - privilegia illimitata nach Art und Umfang divergierend eine ganze Reihe von nur begrenzt geltenden (bspw. nur bis zu einer bestimmten Appellationssumme reichende) Appellationsprivilegien; U. Eisenhardt, ebd., S. 19 ff. 52 Noch nicht die Republik, aber schon die frühe Kaiserzeit kannte die Kontrolle des Richterspruchs durch eine übergeordnete Instanz; G. W WetzelI: System, S. 703; A. W Heffter: System, S. 70 ff., 526 ff.; P. Gilles: Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik, S. 71 ff. 53 J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 298; G. W Wetzell: System, S. 439. J. Th. B. von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd. 4, S. 14. 54 § 13 der Reichskamrnergerichtsordnung (RKGO); J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 298. 55 Insbesondere kleinere Territorien verfügten oft nur über eine einzige Instanz, während sich in größeren Staaten eine Tendenz zur Instanzenvermehrung zeigte. Befördert wurde die Vermehrung der Instanzen durch die gemeinrechtliche Lehre von den tres conformes, die sich für das Rechtsmitte1wesen wohl der meisten Territorien durchgesetzt hatte. Danach trat Rechtswegerschöpfung erst dann ein, wenn drei konforme - teilweise forderte man sogar drei gleichlautende - Urteile ergangen waren; J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 298 ff.; G. W WetzelI: System, S. 706 ff.; C.J.A. Mittennaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 24 f. Obwohl diese Lehre in den Territorien überwiegend anerkannt war, konnte sie sich für die Appellation an die Reichsgerichte nicht durchsetzen.

3 Seynsehe

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A. Einleitung

pellation. Neben oder anstelle der Appellation gab es, wiederum innerhalb des Reiches divergierend, eine große Zahl von anderen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln 57 , darunter die gemeinrechtliche Revision. Dabei handelte es sich um ein ebenfalls auf römischrechtliche Wurzeln, nämlich auf die sogenannte Supplikation, zurückzuführendes außerordentliches Rechtsmittel 58 , das sich über weite Strecken in Konkurrenz zur Appellation herausgebildet hatte. Die Supplikation war ein noch nicht spezifisch juristisch geprägtes, nicht devolutives und unmittelbar an den Landesherrn zu richtendes Gesuch um Abänderung nicht mehr anfechtbarer gerichtlicher Entscheidungen 59 . Diese Art der Beschwerde an den Landesherrn bildete sich im gemeinen Recht mit der Abkehr von dem Erfordernis einer "höchstpersönlichen, organisatorisch nicht abgelösten Entscheidung des Inhabers der Rechtsprechungsgewalt,,60 zu einem Rechtsmittel im technischen Sinne aus 61 . Der Begriff der Supplikation wurde nach und nach durch den der Revision verdrängt. Man kann allerdings nicht von einer völlig einheitlichen Terminologie ausgehen62 . Innerhalb des Reiches gab es drei Varianten eines als Revision bezeichneten Rechtsmittels 63 . Die reichsrechtliche, gegen die Entscheidungen des Reichskammergerichts gerichtete und die spezifisch partikularrechtliche Revision standen in Konkurrenz zur Appellation. Sie können als außerordentliche Rechtsmittel im soeben erörterten gemeinrechtlichen Sinne bezeichnet werden. Beide hatten allerdings im 19. Jahrhundert fast keine Bedeutung mehr64 • Neben diesen Rechtsmitteln ordnete das Reichsrecht ein - ebenfalls Revision genanntes G. W. Wetzell: System, S. 701 ff. Verwiesen sei hier nur auf die umfassende Darstellung des Rechtsmittelsystems bei G. W. WetzeIl: System S. 663 ff. 58 Zu den römischrechtlichen Ursprüngen und der gemeinrechtlichen Entwicklung dieses Rechtsmittels G. W. Wetzell: System, S. 773 ff.; A. W. Heffter: System, S. 558 ff. 59 Obwohl das Gesuch an den Kaiser zu richten war, kam ihm keine devolutive Wirkung zu, da bereits der als höchster Richter zuständige praefectus praetorio unmittelbar im Namen des Kaisers Recht gesprochen hatte. Das Gesuch wurde auch nicht vom Kaiser unmittelbar entschieden, sondern an diesen Richter zur erneuten Entscheidung zurückgewiesen; G. W. WetzeIl: System, S. 774. 60 J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 288. 61 Zusammenfassend J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation an das Reichskammergericht, S. 287 ff. Zum Ausschluß des Kaisers von den Entscheidungen des RKG, das als höchstes Gericht des Reiches, nicht des Kaisers, konzipiert wurde A. Engelmann: Der Civil-Prozeß, Bd. 2, 3. Heft, S. 109 f. 62 G. W. WetzeIl: System, S. 776 ff. 63 J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 289; G. W. Wetzell: System, S. 776 ff.; J. Th. B. von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd. 5, S. 376 ff. 64 Die erstgenannte wurde mit dem Ende des alten Reiches 1806 obsolet und die partikularrechtlichen Varianten waren teils schon im 18. Jahrhundert aufgehoben oder beschränkt worden. Nur in einzelnen Staaten des Deutschen Bundes lebten sie noch nach 1815 fort; G. W. WetzeIl: System, S. 778 f., 782; J. Th. B. von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd. 5, S. 377. 56

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IV. Die Rechtsmittel Kassation und Revision

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Rechtsmittel für diejenigen Staaten an, in denen die Appellation an das Reichskammergericht etwa durch Privilegien ausgeschlossen war65 • In diesen Staaten ersetzte die "Revision" an die obersten landesherrlichen Gerichte die Appellation an das Reichskammergericht. Dementsprechend wurde das hier entstehende Rechtsmittel auch als "Oberappellation" bezeichnet66 • Es stand nicht mehr in Konkurrenz zur Appellation an die Reichsgerichte und entwickelte sich zu einem ordentlichen Rechtsmittel 67 • Die Revision des preußischen Prozeßrechts des 19. Jahrhunderts hat sich aus dieser letztgenannten Variante der Revision entwickelt. Bereits 1702 hatte Preußen ein umfassendes privilegium de non appellando erhalten. An die Stelle der Appellation an das Reichsgericht war demgemäß eine Revision an das 1703 eingerichtete preußische Obergericht eingeführt worden68 . Diese Tradition nahm die AGO 1793 auf. Als ordentliches Rechtsmittel wurde die Appellation des gemeinen Rechts beibehalten, unter dieser Bezeichnung aber allein dem zweitinstanzlichen Verfahren zugeordnet. Das Verfahren in der dritten Instanz vor dem höchsten Gerichte Preußens, dem Geheimen Obertribunal, wurde weiterhin als Revision bezeichnet69 . Die preußisch-rechtliche Revision stand also nicht in Konkurrenz zur Appellation, sondern war im Gefolge der Privilegienerteilung im 18. Jahrhundert selbst als ordentliches Rechtsmittel ausgestaltet worden 7o . Sie war eine Oberappellation im oben dargestellten Sinne71. 65 J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskarnmergericht, S. 289 ff.; G. W WetzelI: System, S. 776 ff.; J. Th. B. von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd. 5, S. 377 ff., 383. 66 J. Th. B. von Linde: Handbuch des deutschen gemeinen bürgerlichen Prozesses, Bd. 5, S. 383; J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskarnmergericht, S. 291. 67 J. Weitzel spricht von einer "ordentlichen Revision als Surrogat der Appellation", J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskarnmergericht, S. 291. 68 F. H. Sonnenschmidt: Geschichte des königlichen Ober-Tribunals zu Berlin, Berlin 1879, S. 1 ff.; Adolf Stölzel: Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung, Bd. 1, Berlin 1888, neu herausgegeben von J. Regge, Vaduz 1989, S. 240, 370, 421 ff. (zur Verleihung derartiger Privilegien für einzelne preußische Territorien); Bd. 2, Berlin 1888, S. 5 (umfassendes Appellationsprivileg vom 16. 12. 1702). 69 Zu diesem Rechtsmittel weiter unten Kapitel D III 2. 70 C. F. Koch: Der preußische Civil-Prozeß, S. 664. Der wesentliche Unterschied zwischen Appellation und Revision dieses Prozesses lag in der Ausgestaltung des Novenrechts. Während die Appellation den Parteien generell das Vorbringen neuer Beweise, Tatsachen und Einreden gestattete, war dieses Recht in der Revisionsinstanz eingeschränkt. Nur in den im Katalog des § 10, 15. Titel, 1. Teil der AGO aufgeführten Fällen und unter den in den folgenden Paragraphen näher bestimmten Bedingungen konnten neue Tatsachen in der Revisionsinstanz Beriicksichtigung finden; K. W Nörr: Reinhardt, S. 23 f. Die Inkonsequenz der Beschränkung des Novenrechts angesichts der Pflicht des Richters zur umfassenden Wahrheitserrnittlung wurde u. a. im Zusammenhang der preußischen Gesetzrevision bei den Arbeiten zur Revision der AGO kritisiert, Bericht der vereinigten Deputationen, S. 92; abgedruckt bei W Schubert!J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9, 1. Hbd, S. 234. Ferner scheinen diese Ausnahmen Raum zu einer sehr extensiven Anwendung geboten zu haben, so daß der mit den entsprechenden Revisionsarbeiten betraute Anwalt Reinhardt 1832 von "einigen mehr

3*

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A. Einleitung

Die preußische Revision unterzog anders als die Kassation das vorhergehende Urteil in seinem ganzen Umfang, also sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht, der Nachprüfung72 . Indem sie so eine dritte Tatsacheninstanz bot, diente sie vor allem dem individuellen Interesse der Parteien an der Entscheidung des Rechtsstreites. Im Gegensatz zum Kassationsgericht war das Revisionsgericht des preußischen Rechts auch befugt, in der Sache selbst zu entscheiden und den Rechtsstreit so endgültig zu beenden. Ein weiterer wesentlicher Unterschied lag in der Reichweite dieser Verfahrensarten. Während die Kassation sowohl für zivil- als auch für strafrechtliche Verfahren zur Verfügung stand, eröffnete das preußische und gemeine Recht die Revision lediglich für Zivilsachen. Diese Unterschiede kennzeichnen die prozeßrechtliche Ausgangslage für die folgende Untersuchung des Aufeinandertreffens der französischen Kassation und der preußischen Revision.

scheinbaren als wirklichen Beschränkungen" des Novenrechts spricht, s. den 1832 für die Gesetzrevision angefertigten Entwurf einer Prozeßordnung, S. 44; bei W. Schubert/ i. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9, 1. Hbd., S. 670. 71 Dazu bspw. die rheinische Immediat-1ustiz-Kommission 1818 in ihren Resultaten, Punkt S: "Instanzenzug und Revisionshof'; bei E. Landsberg: Gutachten S. 238, aber auch der 1832 von der Gesetzrevision vorgelegte Entwurf eine Prozeßordnung (Entwurf Reinhardt), S. 44; bei W. Schubert/i. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1. Hbd., S. 670. Vgl. auch C. F. Koch: Der Preußische Civil-Prozeß, S. 618. 72 15. Titel, Teil 1 der AGO regelte das Revisionsverfahren.

B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes Der Rheinische Revisions- und Kassationshof war nicht das erste rheinische Kassationsgericht. Er stand in einer Tradition, die bis in die Zeit der Einführung des französischen Rechts in den Rheinlanden zurückreichte. Daher soll im folgenden die Entwicklung der Kassationsgerichtsbarkeit in den rheinischen Territorien während der französischen Herrschaft, ihre Beibehaltung nach dem Rückzug der Franzosen und die Entscheidung für die Übernahme in die 1819 reorganisierte Gerichtsverfassung der preußischen Rheinlande untersucht werden.

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819 1. In französischer Zeit Der Prozeß der Einführung der französischen Rechtsordnung und Gerichtsverfassung in den deutschen Territorien des linken und später auch des rechten Rheinufers ist schon oft und aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert worden 1 . An dieser Stelle sollen daher nur die wesentlichen Entwicklungsschritte noch einmal in Erinnerung gerufen werden, um vor diesem Hintergrund die Anfänge der Kassationsgerichtsbarkeit in den Rheinlanden darstellen zu können. Obwohl sich die französischen Eroberungen bzw. die französische Einflußsphäre des Rheinbundes von Kleve im Norden bis nach Bayern erstreckten, beschrän1 Verwiesen sei hier nur auf einige wenige Arbeiten: Direkt anhand der Quellen läßt sich der Prozeß der Einführung der französischen Verwaltungs- und Gerichtsverfassungsstruktur nachvollziehen bei Joseph Hansen: Quellen zur Geschichte des Rheinlandes im Zeitalter der französischen Revolution 1780-1801, 4 Bde., Bonn 1931-1938. Die Frage der tatsächlichen Verbreitung des französischen Zivilrechts im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts behandelt W. Schubert: Französisches Recht. E. Fehrenbach: Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht, greift neben den rechtsgeschichtlichen auch die sozialgeschichtlichen Aspekte dieser Entwicklung auf; vgl. dieselbe: Zur sozialen Problematik des Rheinischen Rechts im Vormärz, in: Helmut Berding, Kurt Düwell, u. a. (Hrsg.): Vom Staat des Ancien Regime zum modemen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder, München, Wien 1978, S. 197 ff. Speziell mit der französischen Justizorganisation auf dem linken Rheinufer befaßt sich in neuester Zeit A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 - 1803, Frankfurt a.M. 1999; vgl. auch ders.: Sprache und Recht in den französischen Rheinlanden. Die Einführung des Französischen als Gerichtssprache im Saardepartement 1798, in: Rheinische Vierteljahresblätter 57 (1993), S. 227 f.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

ken sich die folgenden Ausführungen im wesentlichen auf die 1815 an Preußen gefallenen Gebiete des linken Rheinufers und des rechtsrheinischen Berg; auf diejenigen Gebiete also, die später unter die Zuständigkeit des Revisions- und Kassationshofes fielen. Die Entwicklung in den südwestdeutschen Staaten Hessen, Baden und Bayern wird weitgehend außer Betracht bleiben.

a) Die linksrheinischen Gebiete

Entwicklung und Charakter der Gerichtsbarkeit auf dem linken Rheinufer in der ersten Zeit der französischen Herrschaft lehnten sich eng an den jeweiligen staatsrechtlichen und verwaltungstechnischen Status der von den Franzosen eroberten Gebiete an. Erst ein Prozeß allmählicher Angleichung brachte die Gerichtsbarkeit in Übereinstimmung mit der innerfranzösischen Justizorganisation 2 •

aa) 1794 bis 1799 - die Obergerichtsbarkeit unter der Kontrolle des französischen lustizministers

Unmittelbar nachdem die Franzosen 1794 ihre Herrschaft auf das gesamte linke Rheinufer ausgedehnt hatten, begann die in Aachen eingerichtete Zentralverwaltung mit der Umgestaltung des außerordentlich zersplitterten und von den Grundsätzen des gemeinrechtlichen Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrechts geprägten Justizwesens der ehemaligen Kleinstaaten auf dem linken Rheinufer 3 . Eine endgültige Entscheidung über das staatsrechtliche Schicksal der eroberten Gebiete, insbesondere über eine mögliche Eingliederung in den französischen Staat, stand zu diesem Zeitpunkt noch aus, und so war die Umstrukturierung in erster Linie darauf ausgerichtet, die mit dem Zusarrunenbruch der bisherigen Regierungen entstandenen Lücken in der Gerichtsbarkeit zu füllen 4 • Insgesamt waren diese Maßnahmen zwar am französischen Vorbild orientiert, übertrugen aber noch nicht die revolutionären Errungenschaften, wie Trennung von Justiz und Verwaltung, Gleichförmigkeit der Gerichtsverfassung und Gleichheit des Gerichtsstandes und der Gesetze, die die französische Justiz seit dem Decret sur l'organisation judiciaire vom 24. August 17905 prägten. Dazu A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 - 1803. Vgl. dazu nur M. Bär: Behördenverfassung, S. 40 ff.; J. Hansen: Quellen, Bde. 2 und 3. 4 Für die Länder zwischen Maas, Rhein und Mosel wurde etwa durch eine Anordnung der in Aachen ansässigen Verwaltungsbehörde am 14. 11. 1794 folgende Einrichtung getroffen: Die bestehenden Gerichte blieben erhalten, und darüber hinaus wurde bei jeder der sieben für das Gebiet eingerichteten Verwaltungen ein aus sieben Richtern bestehendes Obertribunal errichtet, das als Berufungsinstanz in Zivilsachen und als einzige Instanz über diejenigen Verbrechen erkennen sollte, die nach den Landesgesetzen und Gebräuchen Leib- oder Lebensstrafe zur Folge haben würden; J. Hansen: Quellen, Bd. 3, S. 311. Zur Einrichtung des Kölner Obertribunals J. Hansen ebd. S. 327 f. 2

3

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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Energischere Schritte zu eine Reform der Justiz wurden ergriffen nachdem die Verwaltung der linksrheinischen Gebiete 1796 neu geordnet und auf zwei Generaldirektionen in Aachen und Koblenz aufgeteilt worden war6 . Diesen Verwaltungsbehörden war zugleich die Aufsicht über die Justiz übertragen. Im Bereich der von dem Elsässer Bella geleiteten Koblenzer Generaldirektion nahm man noch im Sommer 1796 eine umfassende Neuorganisation des Gerichtswesens in Angriff7 . Im Mittelpunkt stand die Schaffung eines flächendeckenden Netzes von Friedensgerichten, die Errichtung dreier Appellationsgerichte sowie die Einführung einer französische und gemeinrechtliche Grundsätze verbindenden Verfahrensordnung 8 . Auf der Ebene der obersten Gerichtsbarkeit wurde der Status der Rheinlande als Besatzungsgebiet besonders deutlich. Man unterstellte sie weder dem Kassationshof in Paris, noch schuf man ein eigenständiges Obergericht. Die Trennung von Verwaltung und Justiz und die Unabhängigkeit der letzteren als tragende Grundsätze der französischen Gerichtsverfassung waren für die Spitze des Justizwesens noch ausgesetzt. Die höchste Gerichtsbarkeit war den Generaldirektionen übertragen, die nach Abstimmung mit dem Justizminister handelten 9 . Bei der Koblenzer Generaldirektion wurde eine mit drei einheimischen Juristen besetzte Justizkommission eingerichtet. Diese Kommission kann man als den ersten Vorläufer einer eigenen "rheinischen" Kassationsgerichtsbarkeit einordnen. Allerdings handelte es sich noch um eine in mehrfacher Hinsicht eingeschränkte Form der Rechtsprechungskontrolle: Zum einen war die Kommission nicht unabhängig, sondern stand unter der Aufsicht des Generaldirektors, und zum anderen konnte sie offenbar nur 5 Dieses auch noch über die Revolutionszeit hinaus grundlegende Justizorganisationsgesetz ist abgedruckt bei K. Th. F. Barmann/Alexander van Daniels: Handbuch der für die Königlich Preußischen Rheinprovinzen verkündigten Gesetze, Verordnungen und Regierungsbeschlüsse aus der Zeit der Fremdherrschaft, Köln 1841, Bd. I, S. 268 ff. 6 Verfügung vom 28. Floreal des Jahres IV (17. 5. 1796); J. Hansen: Quellen, Bd. 3, S. 784; K. Th. F. Barmann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 6, S. 359. Damit wurde die bisher noch für das Gebiet zwischen Rhein und Maas fortbestehende Zentralverwaltung in Aachen aufgelöst und die schon im August 1795 in Koblenz errichtete Generaldirektion in ihrer Existenz bestätigt. Zur U mstrukturierung der Verwaltung zwischen 1794 und 1796 in den Gebieten zwischen Rhein und Mosel und zwischen Rhein und Maas J. Hansen: Quellen, Bd., 3, S. 582 ff. und S. 733 ff. 7 J. Hansen: Quellen, Bd. 3, S. 868 ff. Auf dem Gebiet der Generaldirektion Aachen kam es nicht zu einer vergleichbaren Reform, dort ließ man die 1794 errichtete Gerichtsstruktur im wesentlichen bestehen, Reformversuche wurden lediglich für die Stadt Köln unternommen; dazu J. Hansen a. a. O. 8 Diese Reformen wurden Anfang 1797 für die kurze Zeit der cisrhenanischen Bewegung, in der man versuchte, die Bevölkerung u. a. durch die Rekonstruktion der alten Gerichts- und Verwaltungsbehörden zu gewinnen, ausgesetzt, ließen sich aber in der Kürze der Zeit bis zum Scheitern der cisrhenanischen Pläne nicht mehr vollständig rückgängig machen. Zur Wiedereinsetzung der alten Behörden in der Zeit der cisrhenanischen Bewegung J. Hansen: Quellen, Bd. 3, S. 901 ff. 9 W Schubert: Französisches Recht, S. 91.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

Beschwerden wegen richterlicher Formverstöße - "pour dCfaut de forme" - bearbeiten. Nach einer Anhörung der Parteien sollte die Kommission ihr Gutachten dem Generaldirektor vorlegen. Dieser traf dann im Einvernehmen mit dem Justizminister die Entscheidung und verwies die Sache im Falle einer begründeten Beschwerde an ein anderes Gericht lO •

bb) 1799 bis 1813 - Übertragung der Kassation an eine unabhängige Justiz

Nachdem 1797 im Frieden von Campo Formio die Grundlage für eine endgültige Abtretung der eroberten Gebiete an Frankreich gelegt worden war, beschloß das Direktorium in Paris eine umfassende Neuorganisation der linksrheinischen Territorien 11. Betraut mit dieser Aufgabe wurde der bisherige Richter des Pariser Kassationshofes, Franz Joseph Rudler, dem als Regierungskommissar die gesamte Verwaltung der eroberten Gebiete übertragen wurde. In der Folge wurden die linksrheinischen Territorien in die vier Departements Roer, Sarre, Rhin et Moselle und Mont Tonnerre eingeteilt, also verwaltungstechnisch an die Gegebenheiten in Frankreich angeglichen. Dieser Angleichungsprozeß erstreckte sich über die Verwaltung hinaus auch auf das Rechts- und Gerichtswesen: während der Amtszeit Rudlers wurde fast das gesamte intermediäre französische Verwaltungs-, Straf-, Zivil- und Prozeßrecht eingeführt. Des weiteren wurde eine dem französischen Vorbild entsprechende Gerichtsorganisation aufgebaut. Eingerichtet wurden Friedensgerichte als erste Instanz in Zivil- und Strafsachen und sogenannte Departementstribunale, die teils als erstinstanzliche Gerichte, teils als Berufungsinstanz für die Friedensgerichte bzw. für die Entscheidungen anderer Departementstribunale fungierten 12. Die tragenden Grundsätze der französischen Gerichtsverfassung, Unabhängigkeit und Trennung der Justiz von der Verwaltung, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege, Gleichheit des Gerichtsstandes und die Beteiligung von Laien an der Strafrechtspflege, galten uneingeschränkt. Auch die Spitze des Justizwesens wurde von diesen Reformen erfaßt. Zunächst hatte eine Verordnung Rudlers vom 4. Pluviöse des Jahres VI (23. 1. 1798) noch die bestehenden Einschränkungen perpetuiert. Kassationsbeschwerden waren da10 Art. 21 des Justizorganisationsdekrets vom 7. Vendemiaire des Jahres V (28. 9. 1796); abgedruckt bei K. Th. F. Bormann! A. v. Daniels: Handbuch, Bd. VI, S. 395 ff. (398); J. Hansen: Quellen, Bd. 3, S. 869; W Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 91. 11 Dazu A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 -1803. 12 In Strafsachen war dieser Aufbau etwas modifiziert: einfache Polizeisachen wurden unter Ausschluß der Berufung von den Friedensgerichten abgeurteilt, in Zuchtpolizeisachen waren gesonderte Zuchtpolizeigerichte zuständig, Berufungen gegen deren Entscheidungen gingen an den Departementsgerichten angegliederte peinliche Gerichtshöfe. In Kriminalsachen schließlich waren nach einer Anklageerhebung durch die Anklagejury des Zuchtpolizeigerichts die ebenfalls den Departementsgerichten bzw. den peinlichen Gerichtshöfen angegliederten Geschworenengerichten zuständig. In größeren für Handel und Wirtschaft wichtigen Städten wurden überdies noch gesonderte Handelsgerichte eingerichtet.

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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nach an die Regierung einzureichen, von der sie an den Justizminister zur Entscheidung weitergeleitet wurden \3. Dieses Verfahren sollte aber schon in den Fristen und Formen des französischen Kassationsrekurses ablaufen 14. Diese Regelung, die die Spitze der Justiz weiterhin vom Gewaltenteilungsgrundsatz ausnahm, stieß jedoch sowohl bei den Rheinländern als auch bei der französischen Verwaltung zunehmend auf Kritik l5 . Rudler selbst berichtete etwa ein Jahr nach Erlaß der Verordnung in Eingaben an das Direktorium in Paris über die Schwierigkeiten, die die bisherige Einrichtung der Oberaufsicht über die Justiz mit sich gebracht hatte l6 . Noch im Laufe desselben Jahres fiel dann in Paris die Entscheidung, ein eigenständiges oberstes Gericht für die vier rheinischen Departements zu schaffen l7 . Urspriinglich hatte man Mainz als Sitz dieser Gerichtsbehörde vorgesehen, schon wenige Wochen später wählte man jedoch Trier l8 . Am 5. Frimaire des Jahres VIII (26. November 1799) fand die feierliche Eröffnung des "Tribunal de revision" statt l9 . Besetzt war dieses Obergericht mit französischen und einheimischen Juristen, wobei ersteren mit dem Präsidium und dem Vertreter der Staatsbehörde die leitenden Funktionen vorbehalten blieben 20 . Das Gericht war von seiner Stellung her 13 Art. 191 der Verordnung Rudlers vom 4. Pluviose des Jahres VI (23.1. 1798), mit dem ein Beschluß des französischen Justizministers vom 11. Nivose des Jahres VI (31. 12. 1997) umgesetzt wurde; K. Th. F. Barmann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 6, S. 548; A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer, S. 215 f.; Sabine Graumann: Französische Verwaltung am Niederrhein: Das Roer-Departement 1798-1814, Essen 1990, S. 172. 14 Art. 191 des Rudlerschen Dekrets vom 4. Pluviöse des Jahres VI. 15 A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer, S. 216, teilt ein Protestschreiben eines Rheinländers an den Rat der Fünfhundert mit, in dem die Trennung von exekutiver und judikativer Gewalt angegriffen und scharfe Kritik an der Funktion des Justizministers als "politischem" Kassationsorgan geübt wird; vgl. auch W. Silberschmidt: Die Gründung der rheinischen Obergerichte vor 100 Jahren, in: Rheinische Zeitschrift für Zivilund Prozeßrecht, 7. Jg. (1915), S. 50 ff. 16 J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte, S. 28 bezieht sich hier auf zwei Berichte vom 29. Frimaire und vom 2. Nivöse des Jahres VII (19. und 22. 12. 1798). 17 Direktoriumsdekret vom 21. Fructidor des Jahres VII (7. 9. 1799); in den linksrheinischen Departements veröffentlicht am 20. Vendemiaire desselben Jahres (12. 10. 1799); K. Th. F. Barmann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 6, S. 810 ff. 18 Dekret vom 6. Vendemiaire des Jahres VIII (30. 9. 1799); K. Th. F. Barmann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 6, S. 811. 19 J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte, S. 28. Der Ablauf der Eröffnungsfeierlichkeit ist bei W. Silberschmidt: Rheinische Obergerichte, in: Rheinische Zeitschrift für Zivilund Prozeßrecht, 7. Jg. (1915), S. 51 dargestellt. 20 Die Namen der Richter und einige Angaben zur Personalentwicklung findet man bei W. Silberschmidt: Rheinische Obergerichte, in: Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht, 7. Jg. (1915), S. 52; J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte S. 29 ff.; A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 -1803, S. 215 ff., 285 f. In seiner ursprünglichen Besetzung wies das Gericht folgende Verteilung auf: der erste Präsident des Revisionsgerichts, Barris, der Kommissar der vollziehenden Gewalt, Dobsen, und die Richter Seignette, Garreau, Giraud und Dumey waren Franzosen. Ein weiterer Richter,

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

und in bezug auf seine Zuständigkeiten und Funktionen dem Pariser Kassationshof völlig gleichgestellt, auch das Verfahren entsprach dem vor dem Kassationshof. Gravierende Unterschiede ergaben sich nur hinsichtlich der inneren Organisation 21 : Da das Gericht einen wesentlich kleineren Einzugsbereich und deinentsprechend einen geringeren Geschäftsumfang aufwies, hatte man bei seinem Aufbau einen anderen Maßstab angelegt. Es war besetzt mit einem Präsidenten, acht Richtern, einem Beamten der Staatsbehörde und einem Gerichtsschreiber. Anders als in Paris konnte nur ein einziger Spruchkörper gebildet werden. Die Entscheidungen über die Zulässigkeit der Kassation in Zivilsachen sowie die eigentlichen Entscheidungen in Straf- und Zivilsachen, die in Paris unterschiedlichen Abteilungen des Gerichts oblagen, wurden durch die Geschäftsordnung lediglich auf verschiedene Verhandlungstage gelegt. Kassierte das Trierer Gericht die Entscheidungen eines Instanzgerichts, so mußte es die Sache an anderes Instanzgericht zur erneuten Entscheidung zuriickverweisen, d. h. an ein anderes Friedensgericht22 , an eines der vier Departementstribunale in Köln, Trier, Mainz und Koblenz oder an ein entsprechendes Assisen- oder Zuchtpolizeigericht. Es handelte sich bei dem in Trier errichteten Gerichtshof trotz der organisatorischen Modifikationen um ein Kassationsgericht französischen Zuschnitts. Deshalb muß nach allem, was eingangs über die Unterschiede zwischen Kassation und der Revision als drittinstanzlichem Verfahren des gemeinen oder auch des preußischen Rechts gesagt worden ist, die offizielle Bezeichnung des neuen Gerichts als "Tribunal de revision" bzw. "Revisions-Gericht,,23 erstaunen. Man hat es hier mit einer verwirrenden Namensgebung zu tun, die in der Geschichte der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit noch mehrfach auftritt und in der Regel in den überlieferten Quellenmaterialien nicht aufgelöst wird. In diesem Fall können vielleicht die überkommenen Gerichtsbarkeitsstrukturen der rheinischen Territorien eine Erklärung bieten. Bereits in der Zeit des Ancien regime war die dritte Instanz vielfach durch privilegia de non appellando aus der Zuständigkeit der Reichsgerichte herausgefallen und von einheimischen Gerichten übernommen worden. So gab es bereits vor Piorry, stammte aus Antwerpen. Als einheimische Richter sind Rebmann, Kremer und Gunther zu nennen, schließlich war der Gerichtsschreiber, der spätere Generalprokurator am Revisions- und Kassationshof, Eichhorn, Rheinländer. 21 Dazu J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte, S. 29, der die Geschäftsordnung des Gerichtshofes ihrem Inhalt nach wiedergibt. Eine Druckfassung der Geschäftsordnung als Auszug aus dem Register der Beschlüsse des Revisionsgerichts vom 5. Frimaire des Jahres VIII findet sich im Stadtarchiv Trier, Französische Zeit (Fz) 1794-1814, Stichwort Justiz, Fz 539. Zur Besetzung des Gerichts s.a. A. Grilli: Die französische Justizorganisation am linken Rheinufer 1797 -1803, S. 218. 22 Die Kassation gegen friedensrichterliche Urteile war allerdings anders als gegen die Entscheidungen höherer Gerichte nur in eingeschränktem Umfang zulässig, siehe unten Kapitel D I 1 b) bb) (1). 23 Diese Bezeichnungen finden sich beispielsweise in der am Eröffnungstag in deutscher und französischer Sprache niedergelegten Geschäftsordnung des Gerichtshofes; Stadtarchiv Trier, Fz 539 (5. Frimaire des Jahres VIII).

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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1792 in Trier ein Revisionsgericht, das für das gesamte Kurfürstentum Trier als drittinstanzliches Gericht im Sinne der gemeinrechtlichen Revisionsgerichtsbarkeit fungierte 24 • Es erscheint möglich, daß die französische Regierung 1799 mit der Bezeichnung des Gerichts an die überlieferte Begrifflichkeit anknüpfen wollte, um die Akzeptanz des Rechtsmittels und des neuen Gerichts zu befördern. Als im Frieden von Luneville 1801 die völkerrechtliche Abtretung der Rheinlande an Frankreich erfolgte, hatte die Organisation von Verwaltung und Justiz bereits einen Stand erreicht, der eine sofortige Eingliederung in den französischen Staat ermöglichte 25 . Die französische Gesetzgebung erlangte ab 1802 unmittelbare Geltung. Die Notwendigkeit für eine eigene Obergerichtsbarkeit war beseitigt. Die in Frankreich schon nach dem Staatsstreich Napoleons auf der Grundlage der Konsularverfassung von 1799 begonnene und durch das Loi sur I' organisation des tribunaux vom 27. Ventose des Jahres VIII (18. März 1800) geprägte zweite Phase der Justizreform 26 wurde auf das Rheinland ausgedehnt. Sie führte auf der Grundlage der revolutionären Gerichtsverfassung von 1790 vor allem eine Neuordnung des Gerichtsaufbaus herbei. 1802 wurde dementsprechend in den rheinischen Departements das zweistufige System der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit seiner horizontalen Berufung von einem Departementstribunal an ein anderes in ein dreistufiges überführt, das zwischen erstinstanzlichen Gerichten und Berufungsgerichten trennte. Im Zuge dieser Maßnahme wurde die Zahl der Gerichte erhöht. Im Anschluß an die Verwaltungsgliederung gab es jetzt in jedem Kanton ein, in Städten mit über 10.000 Einwohnern zwei Friedensgerichte, in jedem Arrondissement ein Tribunal erster Instanz und für jeweils mehrere Departements ein Appellationsgericht. Für die vier rheinischen Departements war zunächst ein gemeinsamer Appellationshof mit Sitz in Trier zuständig. Später wurde dann das Roer-Departement dem Appellationshof in Lüttich zugeordnet27 . Der Trierer Revisionshof wurde aufgelöst und die vier rheinischen Departements 1802 direkt dem Kassationshof in Paris unterstellt28 . Die Justizorganisation der vier linksrheinischen Departements war damit vollständig an die französische Organisation angeglichen.

J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte, S. 6. W. Schubert: Französisches Recht, S. 93. 26 Dazu bspw. M. Bär: Behördenverfassung, S. 52 ff. 27 M. Bär: Behördenverfassung, S. 54 f. Die Zuständigkeit des Lütticher Appellationshofes wurde arn 24. 1. 1804 begründet. 28 Mit Konsularbeschluß vom 14. Fructidor des Jahres X (1. 9. 1802) über die Neuorganisation der Justiz wurde die Aufhebung des Trierer Gerichts angeordnet. Es sollte seine Tätigkeit ab dem 1. Vendemiaire XI (23. 9. 1802), dem Datum der endgültigen Vereinigung mit Frankreich, einstellen; K. Th. F. Bormann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 6, S. 909 f.; W. Schubert: Französisches Recht, S. 93. 24

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

b) Das Großherzogtum Berg Die Entwicklung auf dem rechten Rheinufer29 verlief anders in den linksrheinischen Territorien. Hier entstand ein zumindest formal selbständiger Staat. 1806 von Bayern an Frankreich abgetreten, wurden das ehemalige Herzogtum Berg und mehrere kleine Territorien 3o, unter Joachim Murat, dem Schwager Napoleons, als Großherzogtum Berg zusammengefaßt. Von den anderen Staaten des am 17. Juli 1806 gegründeten Rheinbundes unterschied das Großherzogtum sich durch eine Zwitterstellung zwischen staatlicher Eigenständigkeit und unmittelbarer französischer Herrschaft. Nach der Abberufung Murats blieb die Staatsform zwar nach außen hin erhalten, doch neuer Großherzog wurde am 3. März 1809 ein Neffe Napoleons, ein dreijähriges Kind. Bereits während des Herzogtums Murats, aber erst recht mit der Einsetzung des neuen Großherzogs, für den der Kaiser die Vormundschaft übernahm, stand das Großherzogtum faktisch unter der direkten Herrschaft Napoleons 31 . Die Verwaltung des Landes oblag einer eigenen Regierungsstelle in Paris. Ihr waren die landeseigenen bergischen Verwaltungsinstitutionen untergeordnet, an deren Spitze zwei Ministerien standen; eines für Finanzen und auswärtige Angelegenheiten und eines für Inneres, Justiz, Kultur und Krieg. Daneben war als beratendes Organ ein Staatsrat gebildet worden, der in Organisations- und Gesetzgebungsangelegenheiten zugezogen wurde 32 . Obwohl das Großherzogtum eine der ersten Staatsbildungen des Rheinbundes war und unter der unmittelbaren französischen Vorherrschaft stand, wurde der Code Napoleon sehr viel später als in anderen Rheinbundstaaten übernommen 33 . Erst zum 1. Januar 1810 trat der Code civil in Kraft 34 . Die Einführung der anderen Gesetzbücher blieb noch ausgesetzt. Noch zögernder verlief die Entwicklung auf dem 29 Dazu Meent W. Francksen: Staatsrat und Gesetzgebung im Großherzogtum Berg (1806-1813), (Rechtshistorische Reihe, Bd. 23), Frankfurt a.M. 1982; H. Lohausen: Zivilgerichte. 30 Im einzelnen umfaßte es die ehemaligen Territorien Berg, die rechtsrheinischen Teile des früheren Herzogtums Kleve, einige kleinere Gebiete im Norden und Osten und die Reichsstadt Dortmund. 1808 wurden noch das ehemalige Stift Münster und die Grafschaften Mark, Tecklenburg und Lingen eingegliedert; H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 15; M. W. Francksen: Staatsrat, S. 18. 31 Einer unmittelbaren Eingliederung Bergs in den französischen Staatsverband standen die völkerrechtliche Absicherung der Rheingrenze im Frieden von Luneville und Verpflichtungen aus den Verträgen von Schönbrunn und Preßburg, denen das Großherzogtum seine Entstehung verdankte, entgegen; dazu H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 16; M. W. Francksen: Staatsrat, S. 19 f. 32 Zu Entwicklung, Funktion und Bedeutung dieser Institution ausführlich M. W. Francksen: Staatsrat. 33 H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 21 ff. 34 Erste Arbeiten zur Einführung des Zivilgesetzbuches und der französischen Gerichtsverfassung waren zwar bereits Anfang 1808 von seiten der Ministerien und des Staatsrats aufgenommen worden, aber erst Ende 1809 konnte eine Verordnung zur Einführung des Code Napoleon erlassen werden.

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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Gebiet der Justizorganisation 35 . Hier verschleppten in erster Linie Differenzen innerhalb der bergischen Verwaltungsspitze sowie Auseinandersetzungen mit der Pariser Zentrale eine rasche Ersetzung der immer noch arbeitenden alten bergischen Gerichtsbehörden. Erst am 1. Februar 1812 trat ein Justizorganisationsdekret in Kraft, das die Grundzüge der seit 1800 geltenden französischen Gerichtsverfassung mit ihrer Aufteilung in Friedensgerichte, Gerichte erster Instanz und Appellationsgerichte auch in Berg einführte. Zugleich wurden jetzt auch die anderen Codes in Geltung gesetzt. Damit hatten 1812, kurz vor dem Ende der französischen Herrschaft in Berg, Rechtsordnung und Gerichtsverfassung den Stand erreicht, auf dem sie sich in den linksrheinischen Departements bereits seit 1802 befanden. Die Ausgestaltung der Kassationsgerichtsbarkeit bildete innerhalb der kontroversen Beratungen über die künftige bergische Gerichtsorganisation einen Schwerpunkt36 . Während man sich offenbar recht schnell über die Errichtung nur eines einzigen Appellationshofes für das Großherzogtum mit Sitz in Düsseldorf hatte verständigen können, standen sich hinsichtlich der Kassationsgerichtsbarkeit verschiedene Konzepte gegenüber. Von der Errichtung eines eigenen Kassationsgerichtes hatte man wohl wegen der geringen Größe des Landes Abstand genommen. Als Alternativen wurden die Übertragung der Kassation an einen gemeinsamen Senat des Appellationshofes oder aber die Etablierung des Staatsrats als Kassationsbehörde erwogen37 . Letzteres hätte an das Beispiel anderer Rheinbundstaaten, etwa Westfalens, angeknüpft, die die Kassationsinstanz an eine Abteilung des Staatsrates gewiesen hatten 38 . Obwohl dieses Modell zeitweilig von der Führung in Düsseldorf und auch in Paris favorisiert worden zu sein scheint, brachte erst ein dritter Vorschlag die endgültige Entscheidung. Der im Großherzogtum für Finanzen und Auswärtiges zuständige Minister Beugnot regte im Herbst 1811 die Errichtung eines gemeinsamen Kassationshofs für Frankreich und alle Rheinbundstaaten an. Angesichts der inneren Verhältnisse des Rheinbundes 39 hatte dieser Plan wohl keine Chance, tatsächlich umgesetzt zu werden. Für Berg lieferte er aber den An35 Zum folgenden H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 25 ff.; W. M. Francksen: Staatsrat, S. 84 ff. 36 Vgl. H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 28 f.; M: W. Francksen: Staatsrat, S. 93 ff. Ein weiterer Streitpunkt war die Verteilung der Gerichte erster Instanz; dazu im einzelnen H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 27; M. W. Francksen: Staatsrat, S. 85 ff. 37 Francksen (Staatsrat, S. 91) teilt noch eine weitere, von seiten des bergischen Ministers für Inneres und Justiz, Graf Nesselrode, 1809 zwischenzeitlich vertretene, aber bald wieder aufgegebene Lösung mit: Danach sollte die Kassation nur noch auf die Verletzungen zivilprozessualer Vorschriften beschränkt und dem Appellationsgericht übertragen werden. Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Gerichten und zwischen Justiz und Verwaltung sollten dem Staatsrat zur Entscheidung vorgelegt werden. 38 Eine entsprechende Regelung war auch für das Großherzogtum Frankfurt getroffen worden; H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 28. 39 Bemühungen um eine institutionelle Ausgestaltung und Festigung des Rheinbundes, denen auch eine gemeinsame Gerichtsbarkeit gedient hätte, hatte man zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben; s. H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 30

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

stoß, die Justiz des Großherzogturns dem Kassationshof in Paris zu unterstellen. Der französische Kassationshof führte fortan die Aufsicht über die Justiz eines wenn auch nur formell selbständigen und souveränen Nachbarstaates. Verfahren und Zuständigkeiten entsprachen denjenigen für die innerfranzösischen Gebiete. Wenn der Gerichtshof ein Urteil des Düsseldorfer Appellationsgerichts aufhob, sollte er die Entscheidung an einen der Appellationshöfe in Lüttich, Briissel, Den Haag oder Hamburg verweisen. In der Praxis überwog die Verweisung an den nächstgelegenen Gerichtshof in Lüttich4o . Allein die Kassation gegen friedensrichterliehe Urteile verblieb der bergischen Justiz, sie wurde einer gesonderten Abteilung des bergischen Appellationsgerichtshofes in Düsseldorf zugewiesen41 .

2. In der Zeit des Übergangs von der französischen zur preußischen Herrschaft (1814-1819) Die rheinische Kassationsgerichtsbarkeit bot in den Jahren 1814 bis 1819 dem Betrachter ein trauriges Bild. Noch in einem Zivilprozeßkommentar von 1843 werden gerade die Gerichtsbehörden der Übergangszeit als "Flickwerk und ephemere Existenz" charakterisiert42 . Nach der Niederlage Napoleons 1813 und dem Rückzug der französischen Truppen stand das Gebiet der späteren preußischen Rheinprovinz unter der Verwaltung der Alliierten. Diese teilten es in die drei Generalgouvernements Berg, Nieder- und Mittelrhein auf'l3. Wahrend das bergische Gouvernement im wesentlichen den südlichen Teil des Großherzogturns, das alte Herzogtum Berg, umfaßte, schlossen die beiden anderen Generalgouvernements die vier rheinischen Departements ein (ausgenommen allerdings große Teile des Donnersberg-Departements). An der Spitze des bergischen Generalgouvernements stand zunächst der russische Staatsrat und ehemalige Polizeipräsident von Berlin, Justus Gruner44 , der aber schon im Februar 1814 durch den preußischen General40 Art. 145 der Justizorganisationsdekrets vom 17. 12. 1811 traf die Bestimmung der Appellationshöfe; H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 30. 41 Das geht u. a. hervor aus einem Bericht des Staatsratsmitgliedes und Generalprokurators des Düsseldorfer Appellationshofes, Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, den er in seiner späteren Funktion als preußischer Justizorganisationskommissar 1814 über die bergische Justizverfassung angefertigt hatte; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 630, fol. 16. 42 1. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 329. 43 Zu Entstehung und Entwicklung und zu den Einzelheiten der territorialen Erstreckung dieser Generalgouvernements J. F. Neigebauer: Darstellung der provisorischen Verwaltung am Rhein vom Jahre 1813 bis 1819, Köln 1821; M. Bär: Behördenverfassung, S. 69 ff; Fritz Vollheim: Die provisorische Verwaltung am Nieder- und Mittelrhein während der Jahre 1814-1816, Bonn 1912, insbes. S. 5 -17; Rüdiger Schütz: Preußen und die Rheinlande. Studien zur preußischen Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979, S. 18 ff. In ihrer Gesamtheit unterstanden die eroberten Territorien - aufgeteilt in insgesamt sieben Generalgouvernements - dem sogenannten Zentralverwaltungsdepartement unter Leitung des Freiherrn vom Stein.

1. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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major Prinz Alexander zu Solms-Lich abgelöst und mit der Verwaltung des Mittelrheingouvernements beauftragt wurde. Gouverneur des niederrheinischen Gouvernements wurde ebenfalls im Februar 1814 der preußische Staatsrat Johann August von Sack45 . Entsprechend dem provisorischen Charakter dieser Verwaltungsforrn blieb die vorgefundene französische Gerichtsverfassung weitgehend unverändert erhalten. Allein auf der Ebene der Obergerichtsbarkeit ergab sich durch das Ausscheiden aus der Zuständigkeit des Pariser Kassationshofes die Notwendigkeit, für Ersatz zu sorgen. Gerade die Einrichtung neuer Kassationsgerichte in den Generalgouvernements stellte neben der Abschaffung der napoleonischen Spezialgerichtshöfe (cours de justice speciale) und der auf Berg beschränkten Aufhebung der Geschworenengerichte eine der ganz wenigen Veränderungen der rheinisch-französischen Gerichtsverfassung dar. Für das Gebiet der späteren preußischen Rheinprovinz wurden zunächst vier derartige Kassationsgerichte errichtet. Ausdriicklich zur "Ersetzung des Cassationshofes in Paris" wurde im Februar 1814 in Düsseldorf ein Kassationshof für Berg gegriindet und mit Verordnung vom 6. Mai 1814 für das Generalgouvernement Mittelrhein die Errichtung eines Revisionshofes in Koblenz angeordnet46 . Ungeachtet der unterschiedlichen Bezeichnung handelte es sich bei beiden Gerichten der Funktion nach um Nachfolgeeinrichtungen des Kassationshofes. Das Koblenzer Gericht war kein Revisionsgericht im gemeinrechtlichen oder preußischen Sinne. Man hat es hier wieder mit der verwirrenden Begrifflichkeit innerhalb der rheinischen Obergerichtsbarkeit zu tun47 . Die Zuständigkeit des Düsseldorfer Gerichts wurde in der Folge über das eigentliche Generalgouvernement Berg hinaus ausgedehnt: auf die deutschsprachigen Sachen aus dem Gebiet des zweisprachigen Generalgouvernements Niederrhein und auf die nördlichen und östlichen Teile des ehemaligen Großherzogturns Berg48 . Letztere waren dem Militärgouvernement zwischen Weser und Rhein einverleibt worden, und zumindest vorläufig galt dort noch das französische Recht. 44 Justus Karl von Gruner; vgl. J. von Gruner: ADB, Bd. 10, S. 42 ff.; Stephan Skalweit, NDB, Bd. 7, S. 227 ff. 45 Sack (1764-1831) erhielt 1815 das Oberpräsidium von Nieder- und Mittelrhein, wurde dann aber 1816 nach Pommern versetzt; vgl. Horst Romeyk: Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz, 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 6165,279,707. 46 Für Düsseldorf vgl. die Verordnung vom 11./22. 2. 1814, für Koblenz die Verordnung vom 6. 5. 1814; abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung der für die königlich-preußischen Rheinprovinz seit dem Jahre 1813 hinsichtlich der Rechts- und Gerichtsverfassung ergangenen Gesetze, Verordnungen, Ministerial-Rescripte, etc., Bd. 1, Berlin 1834, S. 16 f., 100 f. 47 Es wäre auch denkbar, daß die Bezeichnung des Koblenzer Gerichts sogar in Anlehnung an das alte Trierer Gericht gewählt wurde. 48 Die Generalgouvernementsverordnung zur Gründung des Kassationsgerichts vom 11./ 22.2. 1814 ist daher sowohl durch den bergischen Generalgouverneur als auch durch den für das Militärgouvernement zwischen Weser und Rhein zuständigen Gouverneur unterzeichnet worden; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 16 f.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

Im April 1814 dehnte der Gouverneur dieses Gebietes, Freiherr Ludwig Vincke, die Zuständigkeit des Kassationsgerichts über die ehemaligen bergischen Besitzungen hinaus auf das gesamte Gebiet des Militärgouvernements aus49 . Für die in französischer Sprache abzuhaltenden Prozesse aus den westlichen Teilen des Gouvernements Niederrhein wurde eine Abteilung des Lütticher Appellationsgerichtshofes als dritte Kassationseinrichtung ausgestaltet50 . Die Entstehung des vierten Kassationsgerichts in Trier war eine Folge der schon wenige Monate später innerhalb der alliierten Verwaltung erfolgten Veränderungen. Mit dem ersten Pariser Frieden wurde das Generalgouvernement Mittelrhein im Juni 1814 aufgelöst und unter preußische und österreichisch-bayerische Verwaltung 5 ! aufgeteilt. Koblenz sowie der nördlich der Mosel gelegene Teil des Gebietes wurden mit dem bisherigen Gouvernement Niederrhein unter dem preußischen Staatsrat Johann August von Sack vereinigt. Die Verwaltung des bergischen Gouvernements war erneut Gruner übertragen worden. Die übrigen Gebiete unterstanden der österreichisch-bayerischen Landesadministrationskommission (LAK). Diese Veränderungen wirkten sich nicht unmittelbar auf die Gerichtsbarkeit aus, obwohl der Gerichtsbezirk des für das Mittelrheingouvernement gegriindeten Revisionshofes in Koblenz formal um das rechte Moselufer verringert wurde und das neue Generalgouvernement von Nieder- und Mittelrhein nun über drei verschiedene Kassationseinrichtungen - in Düsseldorf, am Lütticher Appellationsgericht und in Koblenz - verfügte. Sowohl der jetzt unter der Verwaltung der LAK stehende Trierer Appellationshof als auch der Revisionshof in Koblenz führten nämlich ihre Gerichtsbarkeit ungeachtet der Aufteilung des Verwaltungsgebiets zunächst unverändert fort 52 . Allerdings erwies sich dieses Modell als briichig: Im Laufe des Spätsommers kam es immer wieder zu Konflikten zwischen der preußischen und der österreichisch-bayerischen Verwaltung 53 , so daß Sack schließlich die Beteiligung seines Gouvernements am Trierer Appellationshof aufkündigte 54 . Die LAK sah sich dadurch veranlaßt, ein eigenes Kassationsinstitut, eine sogenannte "ReviZu dieser Entwicklung H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 33 f. Verordnung des Generalgouverneurs vom Niederrhein vom 28. 4. 1814; F. A. Lottner, Sammlung, Bd. I, S. 122 ff. 51 Zur österreichisch-bayerischen Verwaltung Friedrich Schmitt: Die provisorische Verwaltung des Gebietes zwischen Rhein, Mosel und französischer Grenze durch Österreich und Bayern in den Jahren 1814 bis 1816, Meisenheim am Glan 1962. 52 Dies geht u. a. aus einem Schreiben Sacks an den Trierer Appellationshof vom 14. 7. 1814 und aus einer umfangreichen Korrespondenz mit der LAK hervor; beides GStA Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629. 53 Nähere Auskunft zu dem schon seit Juli des Jahres schwelenden Konflikt mit der LAK, der sich vor allem an der Finanzierung der gemeinsamen Rechtspflege entzündete, gibt GStA Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629. Zum grundlegenden Gegensatz zwischen Preußen und Bayern und spezieller zwischen der preußischen und österreichisch-bayerischen Verwaltung vgl. u. a. K.G. Faber: Rheinlande, S. 17 ff., 34 ff.; F. Schmitt: Provisorische Verwaltung, S. 60 ff., 139 ff. m.w.N. 54 Durch eine Verordnung vom 12. 9. 1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 167 ff. 49

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sionskammer", am Appellationshof in Trier zu installieren 55 und die Zuständigkeit des Koblenzer Revisionshofes für das rechte Moselufer zu beenden56 . Die Revisionskammer nahm ihre Tätigkeit im Oktober 1814 auf. Die vier im Laufe des Jahres 1814 entstandenen Gerichtshöfe wiesen große Gemeinsamkeiten auf: Ihre Errichtung war nicht Ausdruck einer grundlegenden Neuorganisation der rheinischen Obergerichtsbarkeit, sondern diente einzig und allein dem unmittelbaren FunktionserhaIi einer durch die Abspaltung von Paris ihrer Spitze beraubten Rechtsprechung. Da man von seiten der Alliierten 1814 noch davon ausging, das französische Rechtssystem in Kürze ablösen zu können, waren diese Gerichte nur auf eine kurze Lebensdauer angelegt. Hinsichtlich Organisation und Verfahren wurde das französische Vorbild weitgehend beibehalten, aber in einigen Punkten modifiziert. In erster Linie ging es darum, die Kassationsrechtssprechung an die Gegebenheiten eines jeweils relativ kleinen Gerichtssprengels anzupassen. Angeordnet waren die Modifikationen in den Griindungsverordnungen, die einander in Inhalt und Form stark ähnelten. Das Verfahren der neuen Kassationsgerichte in allen vier Territorien war beinahe identisch ausgestaltet 57 . Als weitreichendste Veränderung 58 stellt sich die Abschaffung der obligatorischen Rückverweisung dar. Anders als der Pariser Kassationshof, der die Sache, wenn er ein Urteil aufgehoben hatte, zur Entscheidung an ein anderes Gericht verweisen mußte, waren die vier rheinischen Nachfolgegerichte mit einem sehr weitgehenden Recht zur Entscheidung in der Sache selbst ausgestattet 59 . Ein eher für die Revision des gemeinen deutschen und preußischen Rechts typisches reformierendes Element wurde an das eigentliche Kassationsverfahren angehängt, ohne jedoch das Verfahren im übrigen der Revision anzugleichen. Dariiber hinaus wurde das gesonDurch Verordnung vom 20.10.1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 298 f. Dies geschah per Verordnung vom 24. 9. 1814, eine Abschrift findet sich in GStA PK Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629, die sich ausdrücklich auf die vorhergehende Maßnahme Sacks als Auslöser bezieht. 57 Die verfahrensrechtlichen Modifikationen sind weitgehend in den Gründungsverordnungen der Gerichtshöfe enthalten. Die einzelnen Verordnungen weisen hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Regelungen keine größeren Abweichungen auf, so daß sie hier nicht gesondert dargestellt werden sollen. Für die Darstellung soll das Koblenzer Verfahren maßgeblich sein. Aus den Verordnungen tritt allein die österreichisch-bayerische Verordnung etwas heraus, indem sie die Anzahl der zu einer Entscheidung erforderlichen Votanten höher ansetzt als die übrigen; Punkt 2 der Verordnung vom 20. 10. 1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 298. 58 Zu diesen Modifikationen siehe die Verordnung des Generalgouverneurs vom MitteIrhein vom 6.5. 1814; abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 100 f., ergänzend die Verordnungen des Generalgouverneurs von Berg vom 11./22.2.1814; ebd. S. 16 und des Generalgouverneurs vom Niederrhein zur Errichtung des Düsseldorfer und Lütticher Kassationshofes vom 28. 4. 1814; ebd. S. 122 ff. sowie die Verordnung der österreichisch-bayerisehen Landesadministrationskommission vom 20. 10. 1814 zur Einrichtung des Trierer Revisionshofes vom 20. 10. 1814; ebd. S. 298 f. 59 § 5 der Verordnung vom 6. 5. 1814 zu Errichtung des Koblenzer Revisionshofes; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 100. 55

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

derte Zulassungs verfahren in Zivilsachen abgeschafft und die innere Organisation der Gerichtshöfe so ausgestaltet, daß, anders als in Paris, nur noch eine einzige, gleichermaßen für Zivil- und Strafsachen zuständige Kammer existierte. Unter den vier Gerichtsbehörden nahm der Koblenzer Revisionshof eine besondere Stellung ein60. Er war das einzige eigenständige Obergericht. In den übrigen Gouvernements hatte man die Kassationsinstanz an die ohnehin vorhandenen Appellationsgerichte angliedert und überwiegend mit Appellationsräten besetzt61 . Der Koblenzer Sonderweg erwies sich jedoch schnell als außerordentlich problematisch. Die Unterhaltung eines eigenen Beamtenapparates verursachte hohe Kosten62 , die kaum gerechtfertigt erschienen. Das Gericht war nämlich in der ersten Zeit nicht ausgelastet. Dies führte angesichts der geringen finanziellen Mittel, die den Gouvernementsverwaltungen für die Justiz zur Verfügung standen, dazu, daß der Revisionshof in den Anfangsjahren ständig von der Schließung bedroht war. Zumindest verwaltungsintern wurden schwere Vorwürfe gegen den vormaligen Generalgouverneur Gruner erhoben, der eine Angliederung an den damals noch zu seinem Gouvernement gehörenden Appellationshof in Trier zwar erwogen, aber letztendlich wieder verworfen hatte. Man unterstellte ihm, den Revisionshof in Koblenz nur zur Versorgung einiger Beamter seines Generalgouvernements geschaffen zu haben 63 . 60 Zur Geschichte dieses Gerichts Gudrun Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), in: R. Schulze (Hrsg.): Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 24), S. 37 ff. 61 Zur Besetzung des an den bergischen Appellationshof angegliederten Kassationshofes in Düsseldorf vgl. von H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 61 ff. Für das Generalgouvernement Niederrhein wurde in einer Verordnung vom 28. 4. 1814 (F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 122 ff.) angeordnet, daß Kassationen aus dem deutschsprachigen Teil dieses Gouvernements an den bergischen Kassationshof gelangen sollten und daß am Lütticher Appellationsgericht eine Kassationsinstanz für die französischsprachigen Sachen aus diesem Gebiet eingerichtet werden sollte. 62 Eine unter ökonomischen Gesichtspunkten wesentlich günstigere Angliederung an ein anderes Gericht hätte sich im Mai 1814 auch für das mittelrheinische Gouvernement angeboten. Man hätte lediglich den damaligen Appellationshof des Gouvernements in Trier entsprechend ausgestalten müssen. Diese Lösung war auch zunächst, unmittelbar nach der Gründung des Gouvernements im Februar 1814, erwogen worden. Hinweise auf derartige Vorüberlegungen finden sich in den Grunerschen Akten im Landesarchiv (LA) Speyer, Best. G 21, Nr. 199 (alte Nr. 160): Schreiben des Generaladvokaten des Trierer Appellationshofes vom 19. 2. 1814 an Gruner zur Notwendigkeit der Ersetzung des Pariser Kassationshofes; LA Speyer Best. G 21 Nr. 200 (alte Nr. 161): Bewerbungsschreiben eines Richters Schmitz vom 16.5. 1814, dem wohl eine Anstellung am zu errichtenden Revisionshof - und zwar für Trier - zugesagt worden war. 63 Im Entwurf eines Briefes des Generalgouverneurs vom Nieder- und Mittelrhein, Johann August Sack, an den Präsidenten des Revisionshofes begegnet man u. a. dem Vorwurf, "daß besondere Rücksichten für einzelne Mitglieder des Hofes, den vorigen Generalgouverneur bei dessen Errichtung geleitet zu haben scheinen.". Bei nochmaliger Überarbeitung wurde diese Passage durchgestrichen und der Text geändert, ohne daß aber der Vorwurf zurückgenommen wurde. FundsteIle des Entwurfs: aStA, Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629, Konzept vom

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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Die besondere Situation des Koblenzer Revisionshofes bildete noch 1814 den Ausgangspunkt für erneute Umgestaltungen der rheinischen Obergerichtsstruktur. Um die finanzielle Krise des Gerichtes, die während der Konflikte mit der österreichisch-bayerischen LAK besonders augenfällig geworden waren, in den Griff zu bekommen, bemühte sich die Leitung des mittlerweile für Koblenz zuständigen Gouvernement von Nieder- und Mittelrhein, das benachbarte bergische Generalgouvernement und das Gouvernement zwischen Rhein und Weser an Nutzung und Finanzierung des Revisionshofes in Koblenz zu beteiligen und den Gerichtshof zu einer zentralen Kassationsinstanz der nördlichen Rheinlande auszubauen 64 • Dieses Projekt scheiterte aber, als die LAK das Revisionsgericht in Trier griindete und auch die beiden anderen Gouvernements eine Zusammenarbeit in Koblenz ablehnten. Der Revisionshof in Koblenz verfügte jetzt nur noch über einen sehr kleinen Einzugsbereich, ihm war kein einziges Appellationsgericht mehr unterstellt. In dieser Situation hätte die Auflösung des Gerichts nahegelegen 65 . Dem stand aber eine Garantie entgegen, die der Generalgouverneur Sack, ohne eine Antwort der beiden nördlichen Gouvernements abzuwarten, für den Fortbestand des Revisionshofes gegeben hatte 66 . Er zog daher im Oktober 1814 die gesamte bisher auf Koblenz, Düsseldorf und Lüttich verteilte Kassationsgerichtsbarkeit seines eigenen Gouvernements in Koblenz zusammen 67 . Dies bedeutete zugleich das Ende der Kassationseinrichtung am Lütticher Appellationsgericht. Allerdings gelang es Sack

22. 11. 1814. Dieser Vorwurf hatte immerhin ein solches Gewicht, daß er 1818 - im Rahmen der Reorganisation der rheinischen 1ustiz - vom Vorsitzenden der Immediat-1ustiz-Kommission, Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, aufgegriffen wurde. In einem Schreiben an den Gesetzrevisionsminister von Beyme heißt es: "der ganze Revisionshof zu Coblenz ist keine fundirte Stelle, sondern eine [ ... ] Schöpfung des damaligen Generalgouverneurs vom Mittelrhein, " und "Man kann sich des Eindrucks nicht erwähren, daß der ganze Revisionshof nur der Personen wegen geschaffen worden, namentlich um den Gouvernementsräten, [ ... ], eine anderweitige Stellung zu geben"; Geheimes Staatsarchiv Berlin-Dahlem (GStA) Rep 841 Nr. 132, fol. I f., Schreiben vom 13. 12. 1818 an den Minister von Beyme. Sethe nimmt hier u. a. zur weiteren Verwendung einiger Beamter des Koblenzer Revisionshofes Stellung. Ausführlich zu diesen Vorgängen G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 39 ff. 64 Schreiben des Generalgouverneurs Sack (Konzept vom 7. 9. 1814) an Justus Gruner, der erneut die Leitung des Generalgouvernements Berg übernommen hatte; GStA PK Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629. 65 Von der Notwendigkeit, den Revisionshof bei einem Scheitern seiner Pläne aufzulösen, sprach Sack u. a. in einem Brief an Gruner vom 7.9.1814, er hatte sie aber auch den Richtern gegenüber bereits angedeutet (Brief des Revisionsrates Foelix vom 8. 9. 1814 an Sack); GStA PK Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629. 66 Punkt XIX einer Verordnung vom 12.9. 1814, mit der er aus der gemeinsamen Nutzung des Appellationshofes in Trier ausgetreten war, enthält diese Garantie; F. A. Lottner: Sammlung,Bd.l,S.171. 67 Verordnung vom I. 10. 1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 181 ff. § 9 dieser Verfügung ordnete die Abgabe der Kassationssachen von den Gerichtshöfen in Düsseldorf und Lüttich an den Koblenzer Revisionshof an. 4"

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auch mit dieser Neuorganisation noch nicht, die Existenz des Gerichtshofes im urspriinglich beabsichtigten Maße zu sichern68 . Eine weitergehende Stabilisierung erfuhr der Koblenzer Revisionshof durch die Umsetzung der Beschlüsse des Wiener Kongresses. Das Generalgouvernement von Nieder- und Mittelrhein wurde Preußen zugewiesen und wieder um das rechte Moselufer erweitert69 . Damit vergrößerte sich der Gerichtsbezirk des Revisionshofes beträchtlich. Die Revisionskammer am Trierer Appellationsgericht wurde aufgelöst und der Revisionshof in Koblenz war nun für das gesamte unter preußischer Herrschaft stehende linke Rheinufer als Kassationsgericht zuständig. Dariiber hinaus wurde seine Gerichtsbarkeit im September 1815 auf die neu erworbenen ehemals nassauischen Landesteile auf dem rechten Rheinufer ausgedehnt. Für diese Gebiete, in denen die alten Lokalrechte und subsidiär das gemeine Recht galten, wurde der Gerichtshof als Revisionsinstanz im Sinne der gemeinen deutschen Gerichtsverfassung eingesetzt 70. Mit diesen Zuständigkeiten blieb der Koblenzer Revisionshof bis 1819 erhalten. Da die Kassationseinrichtungen in Trier und Lüttich aufgegeben worden waren, existierte für die preußischen Rheinlande von 1815 an nur noch ein weiteres Kassationsgericht, der bergische Kassationshof. Das Düsse1dorfer Gericht hatte durch die Maßnahmen Sacks vom Oktober 1814 seinen zunächst sehr ausgedehnten Einflußbereich westlich des Rheins verloren. Wenige Monate später büßte es auch seine Zuständigkeit für das Gouvernement zwischen Weser und Rhein ein, da dort zum 1. Januar 1815 das preußische Recht und die preußische Gerichtsverfassung eingeführt wurden 71. Das Kassationsgericht war damit endgültig auf das relativ kleine Gebiet des Generalgouvernements Berg beschränkt. Der Revisionshof in Koblenz und der Düsseldorfer Kassationshof waren die unmittelbaren Vorgängergerichte des Revisions- und Kassationshofes in Berlin. 68 Am 8. 10. 1814 bot er deshalb der LAK noch einmal die Fortsetzung der Zusammenarbeit in Koblenz an, jetzt unter großen Zugeständnissen in der Finanzierungsfrage; GStA Rep 84a (2.5.1.) Nr. 629. 69 Zur Übernahme dieser Gebiete durch Preußen mit dem 28. 4. 1815: M. Bär: Behördenverfassung, S. 91 f. und F. Schmitt: Die provisorische Verwaltung, S. 22 f. Die Ausdehnung der Zuständigkeit des Revisionshofes war in einer Verordnung Sacks vom 27. 6. 1815 angeordnet; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 217. 70 Zugleich mußte er als Appellationsinstanz für privilegierte Sachen fungieren. Zum ganzen die Verordnung vom 9. 9. 1815; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 227 f.; M. Bär: Behördenverfassung, S. 94 ff.; Christoph Ludwig Hertel: Über die Rechtsverfassung der zum Regierungsbezirke Koblenz gehörigen, ostrheinischen Landesteile, in: Kamptz Jahrbücher (KaJb), Bd. 26 (1825), S. 3 ff. Soweit Teile der ehemals nassau-oranischen Gebiete zwischenzeitlich dem Großherzogturn Berg angehört und damit unter französischem Recht gestanden hatten, waren dort nach dem Rückzug der Franzosen erneut das gemeine Recht und die alten Lokalrechte eingeführt worden; C. W Kockerols: Das Rheinische Recht, seine zeitliche und räumliche Begrenzung, S. 47. Zur Tätigkeit des Revisions- und Kassationshofes für diese Gebiete ab 1819 vgl. bspw.: GStA PK Rep 97 B I, Dl (Acta betreffend die Gerichtsbarkeit des Revisionshofes über die ehemaligen nassauischen Landesteile, 1815 -1834). 71 H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 35.

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Obwohl beide Gerichte spätestens ab September 1815 ohne weitere Eingriffe und Veränderungen ihres Jurisdiktionsbezirkes arbeiteten, haftete ihnen bis zu ihrer Auflösung 1819 der Charakter eines bloßen Provisoriums an. Beispielhaft läßt sich dies an der Unterbringung des Koblenzer Revisionshofes verdeutlichen. Er mußte 1816 sein bisheriges Gerichtsgebäude, den repräsentativen direkt am Rheinufer gelegenen ehemaligen französischen Justizpalast, den preußischen Verwaltungsbehörden überlassen und wurde in ein wesentlich beengteres Gebäude in der Koblenzer Altstadt einquartiert 72 . Ähnlich symbolische Bedeutung ist wohl auch der Tatsache beizumessen, daß die Entscheidungen der Kassationsgerichte nie amtlich veröffentlicht wurden 73. Auch die Rechtsprechungstätigkeit beider Gerichte spiegelte den desolaten Zustand der rheinischen Obergerichtsbarkeit wieder. Der Koblenzer Revisionshof, der immerhin für das gesamte unter preußischer Herrschaft stehende linke Rheinufer zuständig war, verfügte nur über acht Richter einschließlich des Präsidenten 74. In dieser Besetzung war die ab 1815 ansteigende Geschäftslast kaum zu bewältigen. Der Revisionshof stand ständig am Rande der Beschlußunfähigkeit75 . Hinzu kam eine von Sparzwängen und persönlicher Bevorzugung geprägte Personalpolitie 6 . Der Vizepräsident des Gerichtshofes Lambert Joseph Krezzer war beispielsweise seit Mitte 1815 beinahe ständig abwesend, da ihm andere Amtsgeschäfte in Paris zugeteilt worden waren 77. Dennoch wurde ihm aufgrund der Fürsprache des 72 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Justiz und Verwaltung um diesen Umzug s. G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 43 f. 73 Nach immer noch geltendem französischen Recht war eine Veröffentlichung eigentlich zwingend vorgeschrieben und zumindest der Koblenzer Revisionshof hatte sich auch dafür ausgesprochen. Näher zur Veröffentlichungspraxis auch in der Übergangszeit siehe unten Kapitel E.II.2. Mit Blick auf den Düsseldorfer Kassationshof macht Lohausen (Zivilgerichte, S. 61) das Provisorische des Gerichts an der geschäftsmäßigen, nicht etwa feierlichen Eröffnung, und an der Besetzung mit Appellationsrichtern, die nebenher ihre bisherigen Ämter weiterführten, fest. 74 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629. In der hier erhaltenen Fassung der Verordnung des Generalgouverneurs vom 6.5. 1814 werden diese acht Richter namentlich genannt. Eine Personaltabelle des Revisionshofes, die auch Auskunft über Studium und beruflichen Werdegang der Richter gibt, findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629. Zur Besetzung des Koblenzer Gerichts im einzelnen G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S 45 ff. 75 Zwar hatte auch der ehemalige Trierer Revisionshof der französischen Zeit in etwa denselben Gerichtssprengel mit einer ähnlich geringen Richterzahl verwaltet, war aber anders als das Gericht in Koblenz nur zur Kassation der Entscheidungen berufen. Die Koblenzer Richter waren mit einem Mehr an Arbeit belastet, da sie, wie die Richter an den anderen neuen Kassationsinstanzen auch, die Entscheidung in der Sache selbst treffen mußten. 76 Dazu G. Seynsche: der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 45 ff. m. w. N. Eine nähere Beschäftigung mit den Umständen der Entstehung und Besetzung des Koblenzer Gerichtshofes bestätigt die eingangs erwähnten Vorwürfe, der Revisionshof sei von Gruner 1814 nur zur Versorgung einiger Beamter seines Gouvernements geschaffen worden. Es zeigt sich auch, daß die Fürsorge Gruners zumindest für Krezzer noch lange nach der Auflösung des Generalgouvernements anhielt.

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ehemaligen Generalgouverneurs Justus Gruner und des Staatskanzlers sein Koblenzer Amt und seine bisherige Besoldung reserviert. Damit waren erhebliche Mittel aus dem Gerichtsetat - das Gehalt Krezzers als Vizepräsident lag mit 8000 Francs doppelt so hoch wie das der ordentlichen Richter - dauerhaft blockiert. Andere Gelder für die Anstellung zusätzlicher Richter standen nicht zur Verfügung78 . Die mangelhafte Personalausstattung dürfte auch zu qualitativen Einbußen in der Rechtsprechung geführt haben. Um die für eine Entscheidung erforderliche Anzahl von sieben Votanten zu sichern und den Revisionshof funktionstüchtig zu erhalten, mußte das Richterpersonal immer wieder mit Mitgliedern des Koblenzer Tribunals erster Instanz ergänzt werden. Schon die fachliche Qualifikation der eigentlichen Revisionsrichter war keinesfalls herausragend79 , die Zuziehung untergerichtlicher Beamter dürfte aber die Qualität der Koblenzer Rechtsprechung noch zusätzlich herabgesetzt haben. Es kann davon ausgegangen werden, daß bei Ergänzungsrichtern aus der ersten Instanz eingehende theoretische Kenntnisse des französischen Rechts bzw. der Rechtssystematik nicht in dem Maße vorhanden waren, wie es für die Arbeit am Kassationsgericht erforderlich gewesen wäre 80 . Die Düsseldorfer Kassationsrechtsprechung befand sich in einem ähnlichen Zustand. Aufgrund der Angliederung an den Appellationshof kam es zwar kaum zu 77 Krezzer war Mitglied der sogenannten schiedsrichterlichen Kommission geworden, die nach Maßgabe des ersten Pariser Friedens die noch aus der Zeit der französischen Verwaltung stammenden Forderungen der Einwohner der Rheinlande gegen den französischen Staat regulieren; F. Vollheim: Die provisorische Verwaltung, S. 40 ff. Zur Mitarbeit Krezzers bei der Kommission und der Weiterführung seines Amtes in Koblenz findet sich ab Juli 1815 eine umfangreiche Korrespondenz in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert). 78 Erst im Frühjahr 1816 wurde ein Aushilfsrichter zumindest provisorisch und gegen bloße Diätenzahlung angestellt. Dieser Richter erhielt also weder das Gehalt noch die Stellung des Vizepräsidenten, die weiterhin für Krezzer offengehalten wurden; zum ganzen GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert), Schreiben vom 9.2. und 9.3. 1816. 79 Zur fachlichen Qualifikation, soweit diese aus beruflichem Werdegang und den überlieferten Beurteilungen vorgesetzter Behörden zu entnehmen sind, G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 49. Neben einigen positiven Urteilen findet man überwiegend zurückhaltende, teils sogar vernichtende Aussagen. Als Beispiel sei hier der Revisionsrat Maximilian von Nell genannt, über den eine 1815 erstellte anonyme Beurteilung (HStA Düsseldorf, Bestand 221.02 (Immediat-Justiz-Kommission) Nr. 29 a (Notizen und Nachfragen zur Kenntnis des geistigen und sittlichen Wertes der Justizbeamten, I» den knappen Hinweis "untätig" enthält. 1818 wurden gegen ihn in einer Beurteilung der Immediat-JustizKommission (GStA PK Rep 84 I Nr. 134, fol. 12 ff.) Vorwürfe der Parteilichkeit und nachlässiger Arbeitsweise erhoben. 80 Diese Annahme läßt sich nicht detaillierter etwa über genauere Angaben zur Qualifikation der jeweiligen Ergänzungsrichter belegen, da sich nicht mehr eindeutig ermitteln läßt, welche Richter zu welchem Zeitpunkt zu den Sitzungen zugezogen wurden. In den Materialien zur Neuorganisation der rheinischen Gerichtsbarkeit wird allerdings ein klarer Bezug hergestellt zwischen der ständigen Zuziehung von Richtern aus der ersten Instanz und der geringen Qualität der Revisionsrechtsprechung; vgl. den Vortrag des Gesetzrevisionsministers Beyme vor dem Staatsministerium vom 5. 8. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51.

I. Die Kassationsgerichtsbarkeit der Rheinlande vor 1819

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personellen Engpässen81 , doch scheint die Kassationsrechtsprechung von noch zweifelhafterer Qualität gewesen zu sein als in Koblenz. Die Zahl der Kassationssachen war seit der endgültigen Festlegung der Zuständigkeiten 1815 auf ein verschwindend geringes Maß zurückgegangen 82 , so daß wohl von einer durchgängigen Kassationsrechtsprechung gar nicht mehr die Rede sein konnte. Wahrend das Koblenzer Gericht seit 1815 ständig ausgelastet und personell unterbesetzt war83 , gingen die Prozeßzahlen in Düsseldorf rapide zurück. 1814 waren etwa 50 Prozesse anhängig, 1815 noch 24, 1816 nur acht und 1817 1984 . Darüber hinaus erwies sich die enge Verbindung mit dem Appellationsgericht und die Besetzung des Kassationssenats mit Appellationsräten als problematisch. Obwohl man bei der Errichtung der Kassationsabteilung 1814 eine Mitwirkung der vorentscheidenden Appellationsrichter an den jeweiligen Kassationssachen ausgeschlossen hatte und diese Regelung in der Praxis auch genau befolgt wurde 85 , erzeugten die personelle Überschneidung, die Unterbringung beider Gerichte im selben Gebäude und die Unterordnung unter denselben Präsidenten eine bedenkliche Nähe, die sich 1815 nach dem Ausscheiden des Lütticher Appellationshofes und der westfalischen Rechtsprechung aus der Zuständigkeit des Kassationshofes noch intensivierte. Der Gerichtshof war jetzt, soweit Appellationsurteile angegriffen wurden, nur noch mit der Rechtsprechung seiner Düsseldorfer Kollegen befaßt. Hinsichtlich seiner eigentlichen Rechtsprechung zeigte er - soweit sich das anhand des überlieferten Quellenmaterials sagen läßt86 - die Neigung, Entscheidungen des Appellationsgerichts wegen formeller, verfahrensrechtlicher Fehler, nicht aber wegen falscher 81 Insgesamt zur Besetzung und Personalausstattung des Düsseldorfer Gerichts H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 61 ff. 82 Auskunft über die geringe Auslastung des Düsseldorfer Kassationsgerichts gibt der Bericht des preußischen Gesetzrevisionsministers Beyme vom 5.8. 1818, mit dem er das Staatsministerium über den Zustand der rheinischen Justiz in Kenntnis setzte und eine Entscheidung zugunsten der Beibehaltung der rheinischen Rechts- und Gerichtsverfassung in die Wege leitete; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. 83 Zwei Geschäftstabellen aus der Anfangszeit der Koblenzer Revisionsrechtsprechung finden sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert). Zwischen November 1814 und April 1815 waren in Koblenz 53 Straf- und 12 Zivilprozesse anhängig. Für den Zeitraum zwischen dem 1. 10. 1815 und dem 1. 4.1816 waren insgesamt anhängig: 29 Straf- und 33 Zivilsachen, von ersteren waren noch fünf, von letzteren 20 Rückstände. Dieser leichte Rückgang scheint sich aber in den folgenden Jahren nicht fortgesetzt zu haben, siehe den Bericht des Gesetzrevisionsministers Beyme für das Staatsministerium vom 5.8. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. 84 Diese Zahlen sind dem Bericht Beymes für das Staatsministerium vom 5. 8. 1818 entnommen; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. 85 Dazu H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 62 f., der auch ausführlich auf die Problematik der personellen Überschneidung zwischen Appellations- und Kassationsgericht eingeht. 86 Zur schlechten Quellenlage für die Rechtsprechung des Kassationsgerichts H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 95. Danach sind Verhandlungsprotokolle nur für die Zeit zwischen dem 28.4. und dem 29. 12. 1814 und darüber hinaus nur einige wenige den Akten des Appellationshofes beigeheftete Urteilsabschriften erhalten. Allein die Verhandlungsprotokolle des Jahres 18141egt Lohausen seiner Analyse der Rechtsprechung zugrunde.

B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

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Anwendung des materiellen Rechts aufzuheben 87 . Er gewährte dem Appellationshof hinsichtlich der Anwendung des materiellen Rechts einen offenbar uneingeschränkten Ermessensspielraum. Herman Lohausen geht hier in seiner Arbeit zur Rechtsprechung der bergischen Zivilgerichte von einer Gleichstellung faktischer und materiellrechtlicher Fragen aus. Er deutet an, der Kassationshof habe die Beurteilung materiellrechtlicher Fragen, ebenso wie dies für Tatfragen gesetzlich vorgegeben war, aus seiner Beurteilungskompetenz ausgeschlossen. Inwieweit diese Zurückhaltung der Kassationsrichter, die selbst zum größten Teil zugleich Appellationsräte waren, auf Rücksichtnahme gegenüber den Kollegen aus den anderen Senaten des Appellationshofes zurückzuführen ist, bleibt weitgehend Spekulation. Gewisse Plausibilität erlangt eine solche Vermutung allerdings, wenn man sieht, daß eine vergleichbare Tendenz zur "Schonung" der Vorinstanz am eigenständigen Koblenzer Revisionshof nicht auftrat 88 . Festzuhalten ist, daß es in Düsseldorf zur Einschränkungen der kassationstypischen Kontrollfunktion auf dem Gebiet der materiellen Rechtsanwendung und zu einem weitgehenden Funktionsverlust der Kassationsrechtsprechung gekommen war. Der Zustand der rheinischen Kassationsrechtsprechung läßt sich für die ersten Jahre nach 1814 noch mit den Plänen der preußischen Regierung zur baldigen Einführung des Allgemeinen Landrechts und der preußischen Gerichtsverfassung erklären 89 . Vor diesem Hintergrund war es nicht sinnvoll, bloße Übergangsgerichte finanziell großzügig auszugestalten oder sie zur Einhaltung des französisch-rechtlichen Kassationsverfahrens anzuhalten. Der Umgang mit den beiden Obergerichten änderte sich jedoch auch dann nicht, als sich ab 1816 allmählich eine Beibehaltung der französischen Gerichtsverfassung abzeichnete: Die Debatte um die künftige rheinische Obergerichtsbarkeit setzte die Auflösung der beiden Gerichtshöfe selbstverständlich voraus und konzentrierte sich auf die Ausgestaltung einer neuen Gerichtsbehörde9o . 87

H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 124 ff. (129).

G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 52 ff. Anhand der nur beschränkten Überlieferung Koblenzer Urteile läßt sich diese Feststellung zwar nur explizit für das "Verhalten" des Gericht gegen Urteile einmal eines Friedensrichters und einmal eines Assisengerichts belegen, nicht aber gegenüber den Koblenzer Gericht erster Instanz, zu dem durch das Ergänzungsrichterwesen eine größere Nähe bestand. Aber dennoch erscheint eine vergleichbare Rücksichtnahme hier nicht sehr wahrscheinlich, da der Grad der Nähe ein wesentlich geringerer war. Wahrend in Düsseldorf der größte Teil des Kassationskollegiums aus Appellationsrichtern bestand, traten in Koblenz nur sporadisch einzelne Richter aus der ersten Instanz hinzu. 89 E. Landsberg: Gutachten S. XIX ff. 90 Dies geht aus dem bereits zitierten Vortrag Beymes für das Staatsministerium GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51 hervor, der sich auf die entsprechenden Vorschläge derlmmediat-Justiz-Kommission (IJK) in einem Bericht vom 28. 2. 1817 bezieht (bei E. Landsberg: Gutachten, S. 360 ff. nur teilweise, ohne den hier entscheidenden Abschnitt über die Revisionsgerichtsbarkeit, abgedruckt). In den entsprechenden Organisationsberichten und Gutachten aus dem Jahr 1818 wurde dann die Auflösung der beiden Gerichte selbstverständlich vorausgesetzt; siehe Punkt S. "Instanzenzug und Revisionshof' der Resultate der Arbeiten 88

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht Die Einrichtung des eigenständigen rheinischen Revisions- und Kassationshofes, die den provisorischen Zustand der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit beendete, war Ergebnis eines längeren, kontrovers verlaufenen Entscheidungsprozesses. Dieser schloß sich eng an die einzelnen Stationen der Entscheidung für die Beibehaltung des französischen Rechts an, die daher vorab in einem kurzen Überblick dargestellt werden sollen.

1. Stationen des "Kampfes um das rheinische Recht", 1815 bis 181891 Unmittelbar nachdem die beiden Generalgouvernements Berg und Nieder- und Mittelrhein im April 1815 in den preußischen Staat eingegliedert worden waren 92 , setzten Bestrebungen zur Herstellung staatlicher Rechtseinheit, d. h. zur Einführung des preußischen Rechts in die neugebildeten Rheinprovinzen 93 ein. Diese Beder Immediat-Justiz-Kommission; abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 239 f., ferner den Bericht des preußischen Staatsrats und Appellationsgerichtspräsidenten Heinrich Gottfried Wilhelrn Daniels vom 14.7. 1818 an Beyme; abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 353 ff., insbes. S. 356 und den Bericht Beymes für das Staatsministerium vom 5.8. 1818; GStA Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fo!. 50 ff. Der desolate Zustand der Gerichte veranlaßte die HK noch im Januar 1819, dringend Abhilfe zu fordern, obwohl die Entscheidung zugunsten der Errichtung eines neuen Gerichts bereits getroffen war; GStA PK Rep 74 R IX Nr. 1, vo!. 2, fo!. 47. 91 Der folgende Abriß beruht im wesentlichen auf der immer noch unverzichtbaren ausführlichen Darstellung von E. Landsberg: Die Gutachten, S. I ff., die der Autor seiner Quellenedition als Einleitung voranstellte. Herangezogen wurden aber auch vom selben Autor: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz 1815-1915, S. 149 ff.; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 439 ff.; M. Bär: Behördenverfassung, S. 384 ff.; W Weisweiler: Geschichte des rheinpreußischen Notariats, Bd. 2, S. 23 ff.; aus neuerer Zeit K.-G. Faber: Rheinlande, S. 110 ff.; A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, in: J. Wolffrarnl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 126 ff.; ders.: Hardenbergs letzte Reform, in: D. Laum, A. Klein, D. Strauch (Hrsg.): 175 Jahre Oberlandesgericht Köln, S. 9 ff.; W Schubert: Das französische Recht in Deutschland zu Beginn der Restaurationszeit (1814-1820), ZRG Germ. Abt. 94 (1977), S. 154 ff. 92 Dies geschah mittels zweier Besitznahmepatente des preußischen Königs vom 5. 4. 1815; M. Bär: Behördenverfassung, S. 86 ff.; ebd. auch zum nachträglichen oder nachträglich vollzogenen Erwerb weiterer kleinerer Gebietsteile, S. 91 ff.; zu den preußischen Erwerbungen auch die Übersichtskarten bei Hermann Conrad: Preußen und das französische Recht in den Rheinlande, in: J. Wolfframl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 99, 110; vg!. auch llja Mieck: Die Integration preußischer Landesteile französischen Rechts nach 1814/15, in: Otto Büsch, Monika Neigebauer-Wölk (Hrsg.): Preußen und die revolutionäre Herausforderung seit 1789. Ergebnisse einer Konferenz, Berlin, New York 1991, S. 345 ff.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

mühungen wurden energisch durch den damaligen preußischen Justizminister Leopold von Kircheisen 94 vorangetrieben 95 . In den rechts rheinischen Gebieten, die schon im 18. Jahrhundert zu Preußen gehört hatten, d. h. in den Kreisen Essen, Rees und Duisburg (jetzt der rheinischen Provinz Kleve-Berg zugehörig), und in den Gebieten des ehemaligen Gouvernements zwischen Rhein und Weser (jetzt der Provinz Westfalen angegliedert) war das preußische Recht durch ein Einführungspatent vom 9. September 1814 bereits zum 1. Januar 1815 eingeführt worden 96 . Nach Kircheisens Plänen sollte das preußische Recht durch ein ähnliches Patent auch auf die neuerworbenen Gebiete des linken Rheinufers und Berg übertragen werden 97 . Zur Vorbereitung der Einführung sandte er einen Justizorganisationskommissar an den Rhein. Es handelte sich um den aus Kleve stammenden Juristen Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, der zunächst im preußischen Justizdienst gearbeitet und dann ab 1808 im Großherzogturn Berg hohe Justizämter innegehabt hatte 98 . Obwohl Sethe die Einführung des preußischen Rechts und insbesondere 93 Infolge der Verordnung "wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden" vom 30. 4. 1815 (Gesetzsammlung 1815, S. 85 ff.) war das Gebiet in die Provinzen KleveBerg und Großherzogturn Niederrhein eingeteilt worden; E. Landsberg: Das rheinische Recht, S. 149; M. Bär: Behördenverfassung, S. 86 ff. Am 22 6.1822 wurden diese beiden Provinzen verwaltungsmäßig zur "Rheinprovinz" unter einem Oberpräsidium in Koblenz zusammengefaßt; H. Conrad: Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, in J. Wolffram I A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 85. 94 Friedrich Leopold von Kircheisen war seit 1810 preußischer Justizminister. Er hatte als Mitglied des Kammergerichts an der Ausarbeitung des ALR teilgenommen. Später war er zunächst zum Vizepräsidenten, dann 1809 zum Chefpräsidenten des Kammergerichts aufgestiegen; Teichmann: ADB, Bd. 15, S. 789 ff.; vgl. auch A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 418 ff. 95 Zum folgenden ausführlich E. Landsberg: Gutachten, S. XXX ff. 96 Aufgrund einer Kabinettsorder vom 9. 9. 1814; Gesetzsammlung 1814, S. 89 (Patent wegen Wiedereinführung des Allgemeinen Landrechts und der Allgemeinen Gerichtsordnung in den von den Preußischen Staaten getrennt gewesenen mit denselben wiedervereinigten Provinzen). Obwohl diese Kabinettsorder ihrem Titel nach die Wiedereinführung des ALR und des preußischen Prozeßrechts "in den von den Preußischen Staaten getrennt gewesenen, mit denselben wiedervereinigten Provinzen" bezweckte, also auch die ehemals preußischen Gebiete des linken Rheinufers, Kleve, Geldern und Moers hätte erfassen müssen und Kircheisen sich gerade die Geltung für diese Gebiete in einer weiteren Kabinettsorder vom 20. 11. 1814 hatte bestätigen lassen, ist sie dort nicht umgesetzt worden. Dafür gibt es zwei Ursachen: zum einen den Widerstand des zuständigen Generalgouverneurs Sack gegen eine regional begrenzte Einführung des preußischen Rechts auf dem linken Rheinufer und zum anderen die Untätigkeit des Staatskanzleramtes, das offenbar Anträge, die Kircheisen in dieser Angelegenheit einreichte, unbeantwortet ließ; zu diesen Vorgängen mit detaillierten Quellenangaben E. Landsberg: Gutachten, S. XXIV ff.; vgl. auch K.-G. Faber: Rheinlande, S. 123. Offiziell ausgesetzt worden ist die Gültigkeit der Kabinettsorder vom 9. 9. 1814 für das linke Rheinufer erst 1816 in der Instruktion für die Immediat-Justiz-Kommission vom 8.7. 1816; dazu E. Landsberg: Die Instruktion für die Preußische Immediat-Justiz-Kommission für die Rheinlande von 1816, in: ZfP, 6 (1913), S. 171 ff. 97 Dazu E. Landsberg: Gutachten S. XXIX ff. 98 Nach ersten Anstellungen in der Klevischen und der Münsteraner Justiz wurde Sethe Generalprokurator des bergischen Appellationshofes, Mitglied des bergischen Staatsrates,

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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die Umstrukturierung der Gerichtsbarkeit nach preußischem Vorbild vorbereiten sollte, äußerte er sich in seinen Berichten skeptisch zur Möglichkeit einer Einführung der unveränderten preußischen Gerichtsverfassung. So riet er insbesondere von einer Wiedereinführung der Patrimonialgerichtsbarkeit und des exemierten Gerichtsstandes ab. Im Herbst 1815 legte der Justizminister ungeachtet dieser Vorbehalte einen Entwurf für eine Verordnung zur weitgehend unmodifizierten Einführung des preußischen Rechts vor. Diese Pläne wurden jedoch nicht umgesetzt. Zwei Faktoren prägten den weiteren Gang der Ereignisse: gegensätzliche rechtspolitische Vorstellungen innerhalb der preußischen Staatsspitze und erhebliche praktische Probleme, die durch das Zusammentreffen der neu eingeführten preußischen Verwaltungsstruktur mit der noch französisch-rechtlich geprägten Justiz hervorgerufen wurden 99 . Die Pläne Kircheisens zur Einführung des preußischen Rechts stießen innerhalb des Staatsministeriums auf Widerspruch und gerieten ins Stocken. Anfang 1816 wurden sie dem Staatskanzler zur Entscheidung vorgelegt. Damit allerdings sanken die Chancen ihrer Realisierung. Denn gerade im Hinblick auf die Grundlagen der den Rheinlanden gegenüber einzuschlagenden Justizpolitik trat der ohnehin bestehende politische Gegensatz zwischen Hardenberg und dem Justizminister offen zu Tage 100. Anders als Kircheisen lehnten der Staatskanzler und seine Räte - zu nennen ist hier vor allem der Geheime Legationsrat Eichhorn 101 - eine unmodifizierte Einführung des preußischen Rechts ab. Eichhorn sprach sich dafür aus, zunächst den gegenwärtigen Rechtszustand der Rheinlande griindlich zu erforschen, um die Einführung mit Rücksicht auf die regionalen Gegebenheiten vorbereiten zu können. Der Staatskanzler unterstützte diese Vorgehensweise - soweit er sie nicht auch inhaltlich rnittrug 102 - indem er den Justizmidann 1814 preußischer Justizorganisationskommissar, 1816 Vorsitzender der Immediat-Justiz-Kommission und 1819 schließlich Präsident des Revisions- und Kassationshofes; vgl. : Adolf Klein/ Justus Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt. Erinnerungen des Rheinländers Christoph Wilhelm Heinrich Sethe aus der Zeit des europäischen Umbruchs, Köln 1973; Hermann Hüffer, ADB, Bd. 34, S. 45 ff. 99 Die politischen Gegensätze werden in der Darstellung E. Landsbergs: Gutachten, S. XL ff. in den Vordergrund gestellt, während M. Bär: Behördenverfassung, S. 387 ff. die Bedeutung der Konflikte zwischen Justiz und Verwaltung hervorhebt. 100 Zu den offenbar schon kurze Zeit nach der Berufung Kircheisens zum Justizminister einsetzenden Spannungen zwischen ihm und dem Staatskanzler A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 422 ff., 454 ff. Speziell mit Bezug auf das Schicksal des französischen Rechts im Rheinland E. Landsberg: Gutachten, S. XL ff., XLV ff.; A. Klein: Hardenbergs letzte Reform, in: D. Lauml A. Klein/D. Strauch (Hrsg.): 175 Jahre OLG Köln 33 ff. 101 Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, leitete später die Entstehung des Deutschen Zollvereins in die Wege und war ab 1840 preußischer Kultusminister; Stephan Skalweit: NDB, Bd. 4, S. 376 f.; E. Landsberg: Gutachten, S. XLI f. 102 Nach E. Landsberg: Gutachten, S. XLIII lassen die Quellen - insbesondere die Akten des Staatskanzleramtes - kein gesteigertes inhaltliches Interesse Hardenbergs an den Einzelheiten des Vorgehens erkennen. A. Klein: Hardenbergs letzte Reform, in D. Laum I A. Klein I D. Strauch (Hrsg.): 175 Jahre OLG Köln, S. 33 ff. zieht hingegen -leider ohne Heranziehung von Quellenmaterialien - den Schluß, es sei von vornherein Hardenbergs persönliche Inten-

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nister sehr effektiv von allen das künftige Schicksal des rheinischen Rechts betreffenden Fragen fernhielt. Etwa zur gleichen Zeit, wie die Gesetzgebungspläne Kircheisens gingen im Staatskanzleramt Berichte und Anfragen der Provinzialverwaltungsbehörden ein, die auf die mannigfachen kompetenzrechtlichen Streitigkeiten zwischen der neuen preußischen Verwaltung und den rheinischen Justizbehörden aufmerksam machten 103 . Als problematisch erwies sich darüber hinaus die Tatsache, daß die Generalgouverneure Funktionen der Justizaufsicht wahrgenommen hatten, die die französische Justizverfassung dem Justizministerium zudachte. Die Übernahme solcher Aufgaben war den neuerrichteten rheinpreußischen Verwaltungsbehörden, den Regierungen, unmöglich, so daß die Frage aufkam, welcher Instanz diese Aufsichtsbefugnisse künftig zustehen sollten. Sollten sie an das Justizministerium oder aber an eine eigens zu diesem Zweck einzurichtenden Behörde überwiesen werden lO4 ? Die Fäden der gesamten Problematik liefen im Staatskanzleramt zusammen. Von den Mitarbeitern Hardenbergs - im wesentlichen von den Räten Eichhorn und Stägemann 105 - wurde daraufhin Anfang 1816 der Plan entwickelt, die Lösung der rheinischen Rechtsfrage einer Kommission zu übertragen 106. Die Aufgabe dieser Kommission sollte angesichts der aufgetretenen Probleme eine dreifache sein: Sie sollte als Justizministerialbehörde die Leitung der laufenden Justizverwaltung übernehmen, ein Regulativ über den Ausgleich und die Kompetenzverhältnisse von Justiz und Verwaltung ausarbeiten sowie - dies war die zentrale Aufgabe Gutachten und Gesetzentwürfe über die künftige "Rechts- und Gerichtsverfassung,,107 der Rheinprovinzen vorlegen. Nachdem Hardenberg diesen Plänen zugetion gewesen, das französische Recht zu erhalten. Für die im Rahmen dieser Arbeit relevanten Fragen der Ausgestaltung der rheinischen Obergerichtsbarkeit läßt sich jedenfalls auch in den Quellen eine größere persönliche Anteilnahme Hardenbergs ausmachen, siehe unten Kapitel C I 3. 103 M. Bär: Behördenverfassung, 389 ff. 104 M. Bär: Behördenverfassung, S. 387 ff. 105 Zur Person Friedrich August von Stägemanns: Neuer Nekrolog, 18. Jg., Teil 2, Weimar 1842, S. 1167 ff.; Franz Rühl: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlass von F. A. von Stägemann, Leipzig, 1899 ff. 106 Hinsichtlich der Konflikte zwischen Justiz und Verwaltung war es wohl vor allem Stägemann, der sich gegen eine Übertragung des Aufsichtsrechts auf den Justizminister ausgesprochen hat; M. Bär: Behördenverfassung, S. 388. Neben Eichhorn und Stägemann war ein weiterer Mitarbeiter des Staatskanzlers, der Geheime Oberjustizrat Christoph Leopold von Diederichs, beteiligt; vgl. M. Bär: Behördenverfassung, S. 387 ff.; E. Landsberg: Gutachten, S. XL ff. 107 Der Begriff der "Rechtsverfassung" wird so in den Quellen verwendet; vgl. nur die bei E. Landsberg veröffentlichen Gutachten der IJK (z. B. Abschnitt S - Instanzenzug und Revisionshof - der "Resultate", S. 239) und die Kabinettsorder vom 19. 11. 1818 (a. a. O. S. 367). Landsberg hat diese Begrifflichkeit in den Titel seines Werkes aufgenommen: Die Gutachten

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stimmt hatte, erging am 20. Juni 1816 eine Kabinettsorder, die ein solches Gremium als "Immediat-Justiz-Commission für die Rheinprovinzen" einsetzte 108 . Die Immediat-Justiz-Kommission (IJK)109 wurde mit Sethe als Vorsitzenden, mit den rheinischen Juristen Bartholomäus Fischenich und Moritz Boelling sowie einem nicht aus dem Rheinland stammenden Juristen, dem Oberlandesgerichtsrat August Heinrich Simon, besetzt llO . Wesentlichen Anteil an den legislatorischen Arbeiten hatte dariiber hinaus ein Mann, der formell gar nicht der IJK angehörte. Auf Veranlassung Hardenbergs wurde der aus Köln stammende Jurist Heinrich Gottfried Wilhe1m Daniels an den Beratungen der Kommission beteiligt ll1 . Der Staatskanzler hatte diesen Juristen, dessen hervorragender fachlicher Ruf sich auf seine Tätigkeit als Professor an der ehemaligen Kölner Universität, als Generaladvokat am Pariser Kassationshof und schließlich als Generalprokurator am Appellationshof in Briissel griindete, 1817 aus niederländischen Diensten abgeworben. Die Kommission war direkt dem Staatskanzler unterstellt. Dem Justizminister blieben nur wenige eng begrenzte Zuständigkeitsfelder 112 . Für die gesetzgeberische Aufgaben wurde Kircheisen von jeder Teilnahme ausgeschlossen: Im November 1817 wurde auf Veranlassung Hardenbergs ein eigenes Ministerium für die Revision der Gesetze errichtet und dem ehemaligen Großkanzler und Vertrauten des Königs, Karl Friedrich von Beyme, einem Vertreter der friihen Reformbewegung, übertragen 113 . Dem neuen Ministerium wurde neben der mittlerweile für die preußischen Altlande beschlossenen Revision der Gesetzgebung l14 vor allem die Leitung der legislativen Arbeiten der IJK zugewiesen 115. der Immediat-1ustiz-Kommission und der Kampf um die rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung. 108 Grundlegend zur Arbeit der Kommission E. Landsberg: Gutachten, in seiner einleitenden Darstellung S. I - CXXX. 109 Diese Abkürzung wird hier im Anschluß an E. Landsberg: Gutachten benutzt. Auch in den Quellenmaterialien begegnet man ihr, teils wird dort auch das Kürzel !JC verwendet. 110 Da diese Beamten später auch an den Revisions- und Kassationshof berufen wurden, sei an dieser Stelle für die biographischen Angaben auf das folgende Kapitel über die Besetzung des Gerichtshofes verwiesen. Später wurde die Kommission durch zwei weitere aus den Rheinlanden stammende Mitglieder verstärkt, die jedoch keinen großen Anteil an den Gesetzesarbeiten hatten, da sie vorwiegend zu Verwaltungsarbeiten herangezogen wurden. 111 Zu Daniels Stephan Liermann: Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels, der erste Präsident des rheinischen Appellationsgerichtshofes in Köln, in: 1. Wolffram/ A. Klein (Hrsg.): ISO 1ahre OLG Köln, S. 57 ff.; Ernst LandsberglRoderich Stinzig: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt., 2. Hbd., München, Berlin 1910, unveränderter Nachdruck Aalen 1957, S. 99; ebd. Notenband, S. 48; J. Weisweiler: Geschichte des rheinpreußischen Notariats, Bd. 2, S. 177 ff. ll2 Vgl. E. Landsberg: Die Instruktion für die Preußische Immediat-1ustiz-Kommission für die Rheinlande von 1816, in: ZfP, 6 (1913), S. 171 ff. 113 Näheres zu Person und Werdegang Beymes unten Kapitel C I I. 114 Mit ihr sollten die preußischen Kodifikationen an die durch Befreiungskriege und Reformära gewandelten wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten angepaßt werden.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

Der Verlauf der Arbeiten an der künftigen Rechtsordnung war in groben Zügen der fOlgende 1l6 : Die Kommission forderte zunächst die rheinische Öffentlichkeit bzw. Juristen und interessierte Laien zur Abgabe von Gutachten und Stellungnahmen auf, um sich bei der Ausarbeitung ihrer eigenen Gutachten an diesen Stimmen orientieren zu können. Gleichzeitig setzte eine publizistische Auseinandersetzung um Beibehaltung oder Abschaffung des französischen Rechts ein, die hauptsächlich innerhalb einer neugegründeten und von der Kommission geförderten Zeitschrift, dem "Niederrheinischen Archiv für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspflege"lI7, geführt wurde l18 . Eine bisher in erster Linie auf den verwaltungsintemen Bereich beschränkte Auseinandersetzung um die künftige Gestalt der Rechtsordnung und der Gerichtsverfassung wurde auf diese Weise in die Öffentlichkeit getragen 119. Von den in großer Zahl eingehenden Gutachten und den Beiträgen im Archiv votierte die Mehrheit für eine Beibehaltung der sogenannten "rheinischen Institutionen,,12o, in deren Zentrum sie die Grundsätze des französischen Gerichtsverfahrens und der Gerichtsverfassung französischen Zuschnitts rückten. Die anschließenden Arbeiten der HK hatten ihren Schwerpunkt ebenfalls auf diesen Gebieten. Ergebnis waren die im Frühjahr 1818 fertiggestellten Gutachten zu Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens in Zivil- und Strafsachen, zum öffentlichem Ministerium und zu den Geschworenengerichten. Diese Stellungnahmen wurden in den sogenannten "Resultaten der Deliberationen der Immediat-Justiz-Commission über verschiedenen Hauptgegenstände der ihr gewordenen legislativen Aufgabe" zusammengefaßt. Später wurden die "Resultate" umgearbeitet und von der Kommission unter dem Titel einer "Normalverordnung" als Gesetzentwurf gefaßt 121. 115 Kabinettsorder "wegen der Geschäftsführung der Oberbehörden in Berlin" vom 3.11. 1817; Gesetzsammlung 1817, S. 289 ff. 116 Das Folgende ist im wesentlichen der Darstellung von E. Landsberg: Gutachten, S. LVIII ff. entnommen. 117 Niederrheinisches Archiv für Gesetzgebung Rechtswissenschaft und Rechtspflege, 4 Bde., Köln 1817 - 1819, herausgegeben von Generaladvokaten am Kölner Appellationshof, Gottfried von Sandt, und dem Appellationsrat earl Adolf Zum Bach. 118 Zur publizistischen Auseinandersetzung insgesamt K. -G. Faber: Rheinlande, S. 118 ff. 119 Zu den vorangegangenen hauptsächlich verwaltungsintern abgegebenen Stellungnahmen K.-G. Faber: Rheinlande, S. 122 ff.; ebd. S. 129 ff. auch zur publizistischen Auseinandersetzung nach Einrichtung der HK. 120 Zum Begriff der Institutionen bzw. der rheinischen Institutionen siehe schon oben A I und K.-G. Faber: Rheinlande, S. 110 ff. mit zahlreichen Beispielen. Als rheinische Institutionen werden verallgemeinernd alle im Gefolge der französischen Revolution eingeführten Elemente zur Verwirklichung staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit verstanden. Nur beispielhaft seinen genannt: Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, die Abschaffung des Feudalsystems, Gewerbefreiheit, Unabhängigkeit der Gerichte und Trennung von Verwaltung und Justiz. Der Begriff der Institutionen war also nicht allein auf das rheinisch französische Recht beschränkt, dieses Rechtssystem wurde aber in seinen Grundzügen als eine der Institutionen - und als Kernstück der Institutionen - angesehen; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 118 ff. 121 Die Gutachten, die Resultate und auch die Norrnalverordnung sind bei E. Landsberg: Gutachten, S. 1 ff. mitgeteilt.

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Inhaltlich sprach sich die HK für die Beibehaltung der verfahrens- und gerichtsverfassungsrechtlichen Errungenschaften des französischen Systems aus. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Zivil- und Strafverfahren, das öffentliche Ministerium als von den Gerichten unabhängige Anklagebehörde, die Geschworenengerichte sowie die freie richterliche Beweiswürdigung und die Grundzüge der Gerichtsverfassung sollten erhalten bleiben. Auf materiellrechtlicher Ebene plädierte die Kommission zwar dafür, die Ergebnisse der preußischen Gesetzrevision abzuwarten und erst das reformierte Recht einzuführen, dennoch erschien ihr aber die vorgezogene Übernahme zumindest von Teilen des ALR möglich. Sie sprach sich für eine Kombination von preußischem und französischem materiellem Zivilrecht aus und befürwortete die Übernahme des im Vergleich mit dem Code penal milderen Sanktionensystems des preußischen Strafrechts. Die von der HK vorgelegten Gutachten wurden im Sommer 1818 in Berlin unter der Leitung des Gesetzrevisionsministers Beyme in mehreren Konferenzen beraten. Zunächst fand in den ersten Junitagen eine sogenannte "kleine Konferenz" statt, an der außer Beyme Daniels und der Geheime Legationsrat Eichhorn teilnahmen. Schon am 15. Juni 1818 begannen dann Beratungen in größerem Kreis 122 . Während man in der ersten Konferenz teilweise weit hinter die Vorschläge der HK zuriickgegangen war und das preußische Recht wieder größeres Gewicht auch für das Verfahrensrecht hatte erlangen können, folgte die große Konferenz in ihren Ergebnissen wieder im wesentlichen den Vorschlägen der HK. Allein auf materiellrechtlichem Gebiet neigte sie noch immer mehr dem preußischen Recht zu. Die Resultate dieser Beratung wurden in Beymes Ministerium zu einer an ihn selbst gerichteten Instruktion über die "Grundzüge zur künftigen Rechts- und Gerichtsverfassung der Rheinischen Provinzen,,123 zusammengestellt. Im wesentlichen haben sich die Vorschläge der Immediat-Justiz-Kommission auch in diesen Beratungen erhalten. Beyme selbst verfaßte ein begleitendes Votum zur Instruktion, in dem er erkennen ließ, daß er zwar stärker als die Kommission zum preußischen Recht neigte, daß er aber wesentliche Institutionen, wie den öffentlichen und mündlichen Prozeß 124 , das Geschworenenverfahren und die freie Beweiswürdigung im Rheinland beibehalten wollte 125 . Den Instruktionsentwurf legte Beyme am 24. Juni 1818 zusammen mit seinem Votum dem Staatsministerium vor. Dort sollte er innerhalb weniger Tage beraten und dann an den König weitergeleitet werden. Die Kürze der Zeit, die Beyme für die Vorbereitung dieser Konferenz vorgesehen hatte - am 24. Juni wurde der 122 Protokolle dieser Konferenzen finden sich in GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 1, fol. 195 ff.; fol. 275 ff. 123 Abgedruckt unter diesem Titel bei E. Landsberg: Gutachten, S. 267 ff. 124 Hier scheint schon unter den Teilnehmern der ersten Konferenz vom 1. 6. 1818 eine spätere Übernahme in den preußischen Prozeß erwogen worden zu sein; vgl. die Zusammenfassung der Konferenzresultate bei E. Landsberg: Gutachten, S. XCVI. 125 Vgl. insgesamt zu dieser Haltung das bei E. Landsberg: Gutachten, S. C ff. mitgeteilte Votum Beymes zum Instruktionsentwurf vom 24. 6. 1818.

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Instruktionsentwurf verteilt, bereits für den 27. war die beratende Sitzung vorgesehen -, bot dem bisher von allem ferngehaltenen Justizminister Kircheisen die Möglichkeit, den gesamten Prozeß ins Stocken zu bringen. Unter Berufung auf die zu kurze Vorbereitungszeit und mangelnde Kenntnis der Ergebnisse der großen Konferenz, die ihm eine Stellungnahme unmöglich machten, beantragte er, die Ministerialkonferenz zu verschieben, um den Gegenstand zunächst selbst begutachten zu können. Mit diesem Einwurf fand er beim Staatskanzler Gehör, die Konferenz wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Das daraufhin im Justizministerium ausgearbeitete und von Kircheisen selbst redigierte Gutachten sprach sich grundsätzlich zugunsten einer Einführung sowohl des materiellen preußischen Rechts als auch des preußischen Prozeßrechts und der Gerichtsverfassung aus l26 . Entscheidende Bedeutung für den Ausgang der ganzen Angelegenheit erlangte es jedoch nicht mehr, jedenfalls nicht für die inhaltliche Gestaltung der Pläne zur künftigen rheinischen Rechtsordnung. Rückblickend nimmt es im Gang der Ereignisse deshalb eine wichtige Position ein, weil es faktisch die Verabschiedung der ursprünglichen Instruktion und damit die Einführung preußischen materiellen Rechts bzw. die Verbindung bei der Rechtsordnungen verhinderte. Statt dessen kam es, ausgelöst durch das von Landsberg ausführlich dargestellte Eingreifen Daniels, zu einer Reorganisation der rheinischen Justiz unter Beibehaltung des unmodifizierten französischen Rechts 127. Daniels hatte im Juli 1818 den desolaten Zustand der rheinischen Gerichtsbehörden zum Anlaß genommen, bei Beyme auf eine unverzügliche Abhilfe zu drängen. Er machte darauf aufmerksam, daß die ursprünglichen Pläne nun durch das Eingreifen Kircheisens auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben seien, daß die rheinische Justiz jedoch sofort reformiert werden müsse und daß den Rheinländern angesichts der bevorstehenden Revision der preußischen Gesetze und der geplanten Einführung dieser reformierten Rechtsordnung für die Zwischenzeit kein neuerliches Provisorium zugemutet werden könne. Seine Vorschläge gingen also von der Reorganisation der Justizbehörden aus, führten aber tatsächlich auf eine Beibehaltung des gesamten französischen Rechts hin. Denn zur Vermeidung eines erneuten "Provisoriums" sollte das französische Recht unverändert und ohne Verbindung mit dem preußischen erhalten werden. Die Argumentation Daniels' überzeugte Beyme offenbar vollständig. Auf der Grundlage des Danielschen Berichtes arbeitete er einen Vortrag über die Grundzüge der künftigen Gerichtsverfassung der Rheinlande aus, den er am 5. August vor dem Staatsministerium hielt. Obwohl er sich für die Beibehaltung des französischen Rechts- und Gerichtswesens in einem weit über die Vorstellungen der IJK hinausgehendem Maße aussprach, wurde sein Kon126 Das Gutachten Kircheisens findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 650, fol. 142 ff. In derselben Akte sind auch die Vorgänge um das Entstehen dieses Gutachtens dokumentiert. Ausführlich zu Entstehung und Inhalt des Gutachtens auch E. Landsberg: Gutachten, S. CV ff. 127 E. Landsberg: Gutachten, S. CX ff.

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zept von den Ministern einstimmig angenommen 128. Zur Vorbereitung der Umsetzung dieser Beschlüsse trat Beyme im August 1818 eine Informationsreise in die Rheinprovinzen an, in deren Verlauf er von den Gerichten erster Instanz aufwärts alle Gerichte besuchte und den öffentlichen Sitzungen beiwohnte. In Zusammenarbeit mit der HK entstand der Entwurf für eine wiederum an ihn selbst gerichtete Instruktion, die schließlich in der Kabinettsorder vom 19. November 1818 umgesetzt wurde l29 . Diese Kabinettsorder, in der die Auflösung der HK angeordnet und die "Leitung des gesamten Justiz-Angelegenheiten dieser Provinzen,,130 auf Beyme übertragen wurde, bildet den Endpunkt der Ereigniskette. Sie ordnete die vorläufige Beibehaltung des rheinisch-französischen Rechts an, regelte alle für die künftige Gestalt der rheinischen Gerichtsverfassung entscheidenden Fragen und bildete so auch die Grundlage für die Errichtung des Revisions- und Kassationshofes.

2. Die Frage der Obergerichtsbarkeit Ausgestaltung und Verfahren des künftigen rheinischen Obergerichts standen nicht im Zentrum der "Kämpfe um das rheinische Recht", dennoch wurde diesen Fragen in den verschiedenen Stadien von den Arbeiten der HK bis zu den Entscheidungen des Sommers 1818 erhebliche Aufmerksamkeit zuteil. Die Stellungnahmen, die dazu bei der HK eingingen, waren immerhin so zahlreich, daß die Kommission eine eigene Gutachtensammlung zu diesem Fragenkomplex anlegte 131. In der Debatte traten politisch motivierte Fragen, wie die nach Standort und Eigenständigkeit des Gerichtshofes und theoretisch-wissenschaftliche Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung des Instanzenzuges und die Zweckbestimmung des obergerichtlichen Verfahrens hervor. Die Ausführungen, die die Kommission ihrerseits in den "Resultaten" zur Frage des höchstgerichtlichen Verfahrens machte, wertet Landsberg als ein eigenes kleines Gutachten 132 . In den letztlich für das Schicksal des rheinischen Rechts entscheidenden Stellungnahme 128 Original des Vortragskonzepts in Beymes Handschrift und versehen mit den Unterschriften aller anwesenden Minister in GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 2, fol. 48 ff. 129 Die entscheidende Norm ist § 4 der Kabinettsorder: "Die in den Rheinprovinzen bestehende Gesetzgebung namentlich in Beziehung auf die dasige Gerichts-Verfassung, soll zwar im Wesentlichen so lange noch beibehalten werden, bis die mitte1st Kabinetts-Befehls vom 23. October 1817 allgemein angeordnete Revision der ganzen preußischen Rechts- und Gerichtsverfassung und eine darauf zu gründende allgemein gültige Gesetzgebung vollendet sein wird"; zitiert nach E. Landsberg: Die Gutachten, S. 368. 130 § 2 der Kabinettsorder; zitiert nach E. Landsberg: Gutachten S. 368. 131 Hauptstaatsarchiv (HStA) Düsseldorf Bestand IJK Nr. 53 (Sammlung Nr. XVI: Gerichtsverfassung: Instanzenzug, Cassationshof, privilegirter Gerichtsstand) und Nr. 65 (Sammlung Nr. 11: Gerichtsverfassung). 132 E. Landsberg: Gutachten, S. XCIII.

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Daniels' und dem Staatsministeriumsvortrag Beymes vom Sommer 1818 bildete die Obergerichtsfrage einen der zentralen Punkte. Im einzelnen waren es drei Fragen, um die die Debatte kreiste: Sollte man das höchstrichterliche Rechtsmittelverfahren an der Kassation oder an der preußischen Revision ausrichten? Sollte das Obergericht in den Rheinprovinzen oder in Berlin angesiedelt werden? Und sollte man, wie 1814 in Koblenz, einen eigenständigen Gerichtshof griinden oder das Gericht an eine bereits bestehende Gerichtsbehörde angliedern? Aus den zwischen 1816 und 1818 entwickelten Lösungsvorschlägen und Entscheidungsschritten läßt sich ersehen, welche politischen Intentionen und welche rechtstheoretischen Überlegungen die Entscheidung für die Beibehaltung des vorgefundenen Verfahrens, für Berlin und letztlich für die Eigenständigkeit des Gerichtshofes beeinflußt haben.

a) Instanzenzug und Verfahrensrecht

Den Ausgangspunkt bildete die Diskussion um die künftige Ausgestaltung des Instanzenzuges. Sie drehte sich vorwiegend um die Frage, ob in den Rheinlanden künftig drei prinzipiell gleich gestaltete Instanzen nach preußischem bzw. gemeinrechtlichem Vorbild zur Verfügung stehen sollten oder ob es bei dem französischen Modell eines zweigliedrigen Instanzenzuges mit dem außerhalb des Instanzenzuges stehenden Rechtsmittel der Kassation bleiben konnte.

aa) Die Gutachten für die Immediat-justiz-Kommission

Die Auseinandersetzung begann bereits mit den an die IJK eingereichten Gutachten rheinischer Juristen und Laien. Entsprechend der zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Prämisse der Einführung des preußischen Rechts, beschränkten sich die friihen Gutachten darauf, die französischen Rechtsinstitute zu benennen, die bei Einführung des preußischen Rechts erhalten werden sollten. Im Mittelpunkt stand daher die grundsätzliche Ausgestaltung des Instanzenzuges, nicht so sehr die Einzelheiten des Verfahrensablaufs. Dariiber hinaus konzentrierte sich die Diskussion auf die Gestaltung des zivilrechtlichen Verfahrens, da das preußische Verfahren in Strafsachen ohnehin keine dritte Instanz, also kein der Kassation oder der Revision vergleichbares Instrument kannte 133.

133 Nur zwei Gutachten setzen sich ausdrücklich mit der Frage auseinander, ob wenigstens in Strafsachen für die Rheinprovinzen die Möglichkeit der Kassation aufrechterhalten werden sollte, so ein Minderheitenvotum des Koblenzer Revisionshofes, HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 66 ff. und ein Gutachten des Düsseldorfer Appellationsgerichtsrates Bewer, der in Kriminalsachen ein auf die Überprüfung vom Prozeßförrnlichkeiten und Gesetzesverstößen beschränktes "Revisionsmittel" einführen will; ebd. fol. 18 ff.

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Die Mehrzahl dieser Gutachten sprach sich gegen den zweigliedrigen Instanzenzug und die Kassation aus und bevorzugte ein drittes Instanzgericht. Sie orientierten sich dabei überwiegend an einem der gemeinrechtlichen Doktrin entnommenen Instanzbegriff. Das gemeine Recht, dessen ordentliches Rechtsmittel die Appellation war, hatte das Grundmodell eines drei stufigen Instanzenzuges mit der Appellation als zweiter und einer zweiten Appellation oder Oberappellation als dritter Instanz ausgebildet 134 . Den Parteien standen damit mindestens drei gleichgestaltete Instanzen zur Verfügung. Auch das Verfahren der dritten Instanz erstreckte sich entsprechend dem Verfahren vor dem Eingangs- und dem Appellationsgericht auf Rechts- und Tatfragen und führte zudem den Rechtsstreit einer endgültigen Entscheidung zu. Auf der Grundlage der gemeinrechtlichen Rechtsmittellehre und der differierenden Umsetzung dieser Theorie in der Rechtspraxis der deutschen Einzelstaaten 135 lieferten die Gutachten eine breite Palette von Lösungsvorschlägen. Einige wollten unmittelbar die Revision des preußischen Rechts einführen, andere bevorzugten die nah verwandte Oberappellation des gemeinen Rechts und wieder andere plädierten für eine Einschränkung des Instanzenzuges in dem Sinne, daß sie eine volle dritte Instanz nur bei zwei einander widersprechenden Vorentscheidungen zulassen wollten. Vertreter einer vermittelnden Ansicht schlugen vor, die dritte Instanz zwar in Zivilsachen einzuführen, in Strafsachen aber, für die weder die gemeinrechtliche Oberappellation noch die preußische Revision offenstanden, die Kassation beizubehalten. Gegen die Kassation wurde - sofern die Gutachten hier überhaupt differenziert argumentierten !36 - der hohe Zeit- und Kostenaufwand angeführt, der aus der obligatorischen Rückverweisung und der Möglichkeit eines zweiten und dritten Kassationsgesuches folge!37. Vereinzelt wurden in der Auseinandersetzung mit dem 134 s. oben Kapitel A IV 2 b); J. Weitzel: Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 289; Buddeus: Instanz in: J. Weiske: Rechtslexikon, Bd. 5, S. 498 ff .. 135 Einen Überblick zum Geltungsbereich und den jeweiligen partikularrechtlichen Ausprägungen des gemeinen Prozesses in den einzelnen deutschen Staaten geben A. Wach: Handbuch, Bd. 1, S. 130, Anm. 2 mit jeweils weiterführenden Literaturhinweisen und A. W Heffter: System, S. 24 ff. in den Anmerkungen. Wenn im folgenden oft von "dem gemeinrechtlichen Prozeß" oder "dem gemeinrechtlichen Verfahren" die Rede ist, darf nicht übersehen werden, daß dieser "gemeine Prozeß" keine real existierende Institution, sondern ein Konstrukt der gemeinrechtlichen Prozeßrechtslehre war, das in seiner Reinheit in keinem der deutschen Staaten verwirklicht war; F. BomsdoTf: Prozeßmaximen, S. 23 ff.; H.-G. Kip: Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 20; A. Wach: Handbuch, Bd. 1, S. 130, Anm. 2. 136 Viele Gutachten sprechen sich ohne nähere Begründung für eine Einführung der Revision aus. So heißt es etwa in dem ansonsten sehr ausführlichen Gutachten des Düsseldorfer Appellationsrats Bewer lapidar: "Ich glaube nicht der erste zu seyn, der den Wunsch äußert, daß das CassationsmitteIl : flebile beneficium: I beseitigt, und dafür das Rechtsmittel der Revision substituiert werden mögte"; HStA Düsseldorf, HK Nr. 53, fol. 17. 137 Siehe bspw. Gutachten des Kreisgerichts Kleve; HStA Düsseldorf, HK Nr. 53, fol. 80 sowie ein Gutachten, das zusammen mit einem Gesuch eines H. Haan aus Pfaffendorf auf Anstellung als Beisitzer am Justizsenat in Ehrenbreitstein (wohl von diesem) an die IJK eingesandt worden ist; HStA Düsseldorf, HK Nr. 65, fol. 41.

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französischen Modell zwar Vereinheitlichung der Rechtsprechung und Rechtsanwendungskontrolle als mögliche Vorteile anerkannt, aber mit dem Hinweis auf die in Preußen mit seiner Kombination aus ALR und subsidiär geltenden Partikularrechten noch fehlende Einheitlichkeit der Rechtssysteme abgetan 138 . Ein weiteres gängiges Argument gegen die Kassation resultierte aus der Vorstellung, es handele sich in erster Linie um ein Rechtsmittel zur Aufrechterhaltung des als übertrieben empfundenen Formalitätenwesens des französischen Prozesses 139. Ausgehend von der vermeintlichen Nähe der Kassation zur Nichtigkeitsklage des gemeinen bzw. des preußischen Rechts 140 , verkannten einige Gutachten das Wesen der Kassation sogar gänzlich, indem sie sie auf die Ahndung bloßer Formverstöße reduzierten. So heißt es beispielsweise im Gutachten des Klever Kreisgerichts: "Die Beibehaltung eines Kassationshofes scheint nicht notwendig, da derselbe blos eine der Heilung der Nullitäten, und keineswegs zur Handhabung des materiellen Rechts gewidmete Behörde ist,,141. Die Nichtigkeitsklage eröffnete in der Tat keine Kontrolle über die Anwendung des materiellen Rechts durch die Gerichte. Sie war, zumal in ihrer gemeinrechtlichen Ausgangsvariante, als außerordentliches Rechtsmittel genuin zur Beseitigung besonders schwerwiegender formellrechtlicher Fehler einer bereits rechtskräftig gewordenen Entscheidung bestimrnt 142. Das preußi138 Diese Argumentation findet sich in einern anonymen Gutachten in HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 7. 139 Der hohe Stellenwert, den formalrechtliche Fragen im französischen Zivilprozeß einnahmen, ist einer der Hauptangriffspunkte, den die Gutachten nicht nur gegen die Kassation, sondern gegen das Verfahren insgesamt vorbringen; vgl. etwa Gutachten des Kreisgerichts Krefeld, HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 59 ff.; Gutachten des Kreisgerichts Kleve, ebd. fol. 79 ff.; Gutachten des Kreisgerichts Prüm, ebd. fol. 118 und das aus Pfaffendorf eingesandte Gutachten, HStA Düsseldorf, HK Nr. 65, fol. 41 ff. 140 W Sellert, HRG, Bd. 3, S. 974 ff.; A. W Heffter: System, S. 574 ff.; ehr. F. Koch: Der Preußische Civil-Prozeß, S. 680 ff.; G. W Wetzell: System, S. 782 ff.; inwieweit die Nichtigkeitsklage sich darüber hinaus auf das römische Recht zurückführen läßt, ist streitig, während WetzeIl diese Verbindung herstellt, wird sie von anderer Seite bestritten; Arthur Skedl: Die Nichtigkeitsbeschwerde in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Eine civilprocessuale Abhandlung, Leipzig 1886, Nachdruck 1970, S. 1 ff. und 111 ff. sieht das Statuarrecht als Quelle der Nichtigkeitsklage an. 141 HStA DüsseIdorf HK Nr. 53, fol. 79. Ganz ähnliches dürfte im Hintergrund stehen, wenn es im Gutachten des Kreisgerichts Krefeld heißt, man befürworte die Revision als ein Rechtsmittel, das "in allen Fällen, nicht bloß wegen Verletzung der Form, sondern auch über die Wesenheit der Sache selbst zulässig seyn müßte"; ebd. fol. 59 ff. Auch das aus Pfaffendorf eingesandte Gutachten stellt die für die Kassation ausschlaggebende Nichtigkeit des vorherigen Urteils mit der Nichtbeachtung von Förmlichkeiten gleich; HStA Düsseldorf IJK Nr. 65, fol. 41. 142 Die Nichtigkeitsklage stellte eine Handhabe gegen solche Urteile dar, die bereits in Rechtskraft erwachsen waren, denen aber von vornherein ein Nichtigkeitsgrund anhaftete. Das war beispielsweise dann der Fall, wenn das Urteil auf einer Täuschung des Richters durch Vorbringen falscher Beweise beruhte, wenn der inkompetente Richter oder aber eine völlig unbefugte Person Recht gesprochen hatte oder wenn eine der Vertretung bedürfende Person, wie ein MindeIjähriger, ohne den vorgeschriebenen Vertreter vor Gericht aufgetreten war; A. Skedl: Nichtigkeitsbeschwerde, S. 167 ff. Selbst wenn es sich dabei um eine unheil-

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sehe Recht hatte zwar, anders als das gemeine, die Nichtigkeitsgründe in einem abschließenden Katalog gesetzlich festgeschrieben 143 und dabei auch die Nichtigkeit einer Entscheidung wegen Verstoßes des Richters gegen ein klares Gesetz aufgenommen. Allerdings eröffnete dies keine eigentliche Rechtsanwendungskontrolle, da die Allgemeine Gerichtsordnung ausdrücklich bestimmte, es sei "zur Nichtigkeitserklärung nicht hinreichend, wenn bloß behauptet wird, daß gegen die Analogie der Gesetze gesprochen, oder daß die Entscheidung aus einem für den vorliegenden Fall nicht passenden Gesetze genommen, oder daß das Gesetz nicht richtig erklärt oder auf den Fall nicht richtig angewendet worden sey"I44. Anders als die Kassation, die neben der Ahndung verfahrensrechtlicher Fehler auch die Kontrolle über die Anwendung des materiellen Rechts durch die Gerichte eröffnete 145 , war genau diese Kontrolle durch die Nichtigkeitsklage nicht bezweckt 146 . Setzte man die Kassation mit diesem Rechtsmittel des preußischen Prozesses gleich, so sprach man ihr einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Funktionen ab. Von diesem Standpunkt aus mußten dann in der Tat Revision oder Oberappellation als die wirkungsvolleren Instrumente einer Rechtsanwendungskontrolle erscheinen. Unter den wenigen die Kassation befürwortenden Beiträgen l47 verdient ein ausführliches Gutachten der Mehrheit der Koblenzer Revisionsrichter besondere Bebare Nichtigkeit handelte, bedeutete dies eben nicht die Nichtexistenz des Urteils als formaler Tatbestand. Das Urteil mußte vielmehr als formal rechtskräftig behandelt oder aber auf dem Weg über die Nichtigkeitsklage vernichtet werden. 143 Der Kanon der Nichtigkeitsgründe war im einzelnen unter der Herrschaft des gemeinen Rechts nicht abschließend festgelegt und stark umstritten. Eine dieser Streitfragen war die der Beschränkung der Nichtigkeitsklage auf Verstöße gegen formelles Recht, d. h. gegen prozessuale Vorschriften bzw. ihre Ausdehnung auch auf Fälle der Mißachtung des materiellen Rechts; W. Sellert, HRG, S. 976 f. 144 § 2 Nr. 2, 16. Titel, 1. Teil der AGO. Sofern hier und im folgenden im Zusammenhang mit dem noch unreforrnierten Revisionsrecht (vor 1833) auf Vorschriften der AGO Bezug genommen wird, sind diese der neuen Ausgabe der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, Berlin 1816, 1. Teil, 1. Halbband entnommen. 145 Zur Entwicklung des Kassationsgrundes eines Verstoßes gegen materielles Recht, der 1790 zunächst noch auf Verstöße gegen den Wortlaut eines Gesetzes beschränkt war, aber vom Gesetzgeber und vor allem durch den Kassationshof selbst schon in den ersten Jahren nach der Revolution zu einem Instrument der Rechtsanwendungskontrolle ausgeweitet wurde, sei hier nur auf die Darstellung des Kassationsverfahrens verwiesen; siehe unten Kapitel D I 1 b) cc) (1). 146 Für diese Zwecke standen im gemeinen oder preußischen Prozeß Oberappellation bzw. Revision als ordentliche drittinstanzliche Rechtsmittel zur Verfügung. 147 Das Gutachten des Koblenzer Gerichts findet sich in HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 66 ff. Es handelt sich dabei um einen Ausschnitt aus einem sehr umfangreichen, auf verschiedenste Fragen der "Rechtsverfassung" eingehenden Gutachten, das die IJK speziell von diesem Gerichtshof angefordert hatte. Komplett erhalten ist dieses Gutachten als eigener Aktenband in GStA PK Rep 97 B I, L 3. Siehe das anonyme Gutachten HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 92 ff. und die Stellungnahme der Notabien des Kantons Brühl, ebd. fol. 100 ff. sowie den Entwurf von Einschaltungen in die Gesetzgebung für das gerichtliche Verfahren in Civilsachen von einem Justizkommissar des Oberlandesgerichts Paderborn (Bessei 11), ebd. fol. 105 ff.

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achtung, da diese Richter praktische Erfahrungen im Umgang mit dem modifizierten Kassationsverfahren der Übergangszeit hatten sammeln können l48 . Sie definierten Rechtssicherheit und Einheitlichkeit der Rechtsprechung als vorrangige Ziele der Obergerichtsbarkeit. Als wirksames Mittel, diese zu erreichen, erschien ihnen weder die Einführung der preußischen Revision noch die Beibehaltung des modifizierten Kassationsverfahrens von 1814, sondern eine Rekonstruktion des zweigliedrigen Instanzenzugs und der Kassation in ihrer französisch-rechtlichen Gestalt, d. h. ohne die Befugnis zur Sachentscheidung l49 . In ihrer Gesamtheit lassen diese frühen Urteile Rückschlüsse auf den Stellenwert des Kassationsinstitutes im Rechtsverständnis der Rheinländer zu. Es fällt auf, daß die Ablehnung der Kassation keinesfalls von erklärten Gegnern aller französischen Institutionen geäußert wurde. Vielmehr geht aus den meisten Gutachten hervor, daß die Verfasser andere Einrichtungen wie Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Rechtspflege, das öffentliche Ministerium oder die Friedensgerichte durchaus befürworteten, sich aber gegen die Kassation aussprachen l5o . Weitgehend unbeachtet blieben dabei die theoretischen und historischen Grundlagen des Kassationsrechts, während viele der Gutachten auf die gemeinrechtliche Rechtsmittellehre und die Gerichtsverfassung des Ancien regime Bezug nahmen i51 • Das Kassationsrecht hatte sich im Gegensatz zu anderen Instituten des französischen Rechts nicht so weit durchgesetzt, daß der Ruf nach seiner Beibehaltung laut geworden wäre. Dies galt erst recht für das modifizierte Verfahren der Generalgouvernementsverordnungen, das noch eindeutiger abgelehnt wurde l52 .

148 Die Argumentation dieses Gutachtens wurde noch einmal aufgenommen und wissenschaftlich fundiert in einern Aufsatz, den einer dieser Richter, der Revisionsrat Christoph von Breuning, offenbar im Zusammenhang mit den hier vorgestellten Gutachten verfaßt hat; erhalten als Teil einer Aufsatzsarnrnlung Breunings in den Akten des Ministeriums für Gesetzrevision; GStA PK Rep 84 I Nr. 49, fol. 100 ff. Er ist zwar nicht datiert, aus dem Inhalt geht aber hervor, daß er vor 1819 als Stellungnahme zur künftigen Gerichtsverfassung der Rheinprovinzen geschrieben worden ist. Da viele Akten, die der IJK zugänglich gewesen sind, später in die Bestände des Gesetzrevisionsministeriums CGStA PK Rep 84 I) übernommen worden sind, schließt die heutige Einordnung dieser Akte nicht aus, daß die IJK auch diesen Aufsatz zur Kenntnis genommen hat. Zu den verfahrensrechtlichen Modifikationen, die die Generalgouvernementsverordnungen mit sich gebracht hatten, vgl. oben Kapitel B I 2 und unten Kapitel D I 2. 149 Gutachten des Koblenzer Gerichtes, HStA Düsseldorf HK Nr. 53, fol. 69 f. und das anonyme Gutachten, ebd. fol. 96 ff. 150 Siehe bspw. die Gutachten des Düsseldorfer Appellationsgerichtsrats Bewer, des Kreisgerichts von Saarbriicken und des Kölner Kreisgerichts; HStA Düsseldorf IJK Nr. 53, fol. 17 ff., 23 ff. und 29 ff. 151 So schlägt beispielsweise Bewer eine sehr differenzierte Ausgestaltung des Revisionsmittels vor und orientiert sich ausdriicklich arn Vorbild der ehemaligen jülich-bergischen Gerichtsverfassung; HStA Düsseldorf HK Nr. 53 fol. 17 ff., 20. 152 Nur zwei sehr oberflächlich an diesen Punkt herangehende Beiträge sprechen sich für die Beibehaltung des seit 1814 bestehenden Verfahrens aus; Gutachten der Kreisgerichte Bonn und Priim; HStA Düsseldorf IJK Nr. 53, fol. 36 und fol. 118.

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Die geringe Akzeptanz der Kassation ist mit der Geschichte dieses Rechtsmittels in den Rheinlanden zu erklären. Der in relativ kurzen Intervallen erfolgte Wechsel vom Justizministerium als zuständiger Behörde zum Revisionshof in Trier, dann zum Pariser Kassationshof und schließlich zu den Übergangsgerichten der nachfranzösischen Zeit hat institutionelle Kontinuität nicht aufkommen lassen. Der ständige Wandel der Institution dürfte auch die Herausbildung von inhaltlicher Kontinuität der Rechtsprechung erschwert haben. Zu einer Verwurze1ung dieses Instituts im Rechtsbewußtsein der Bevölkerung oder auch nur der Juristen ist es nicht gekommen. Während die meisten der von den Rheinländern verteidigten Institutionen spätestens seit den Reformen Rudlers in ihrem Kern unangefochten bestanden hatten, traf dies auf die Kassation nicht zu. Sie war zunächst nicht der Justiz, sondern der Exekutive zugeordnet gewesen, und dann hatte man ihr nach 1814 die wesensfremde Sachentscheidungsbefugnis aufgepfropft. Darüber hinaus schlägt sich in den Stellungnahmen die Tatsache nieder, daß sich die Vorteile, die die Kassation gegenüber dem gemeinrechtlichen oder preußischen Verfahren bieten konnte, ungleich schwieriger zu vennitteln waren als die Vorzüge anderer französischer Institutionen. Anders als beispielsweise das untergerichtliche Zivilverfahren oder das Strafverfahren in Geschworenenprozessen war das Kassationsverfahren kaum einem der Gerichtseingesessenen oder der Juristen aus eigener Anschauung bekannt. Erschwert wurde die Akzeptanz des Instituts auch dadurch, daß die Kassation anders als die gemeinrechtliche oder preußische Revision nicht auf das Individualinteresse der prozeßführenden Parteien ausgerichtet war, sondern über die Ausschließung aller Tatfragen eher der Vereinheitlichung der Rechtsprechung diente.

bb) Stellungnahme der Immediat-justiz-Kommission

Die Diskussion um die Ausgestaltung des letztinstanzlichen Rechtsmittels wurde in den Arbeiten der HK und den daran anschließenden Konferenzen des Sommers 1818 fortgesetzt. In der als "Resultate" bezeichneten zusammenfassenden Darstellung ihrer Beratungsergebnisse führte die Kommission unter dem Gliederungspunkt "Instanzenzug und Revisionshor d53 ein Konzept ein, das sowohl im Zivil- als auch im Strafverfahren in der Regel zwei Instanzen gewährte und darüber hinaus ein als "Revision" bezeichnetes Rechtsmittel zur Verfügung stellte. Dieses Rechtsmittel trug aber deutlich Züge der Kassation. Im Zusammenhang des zivilrechtlichen Verfahrens hieß es ausdrücklich: "Was die Revisions-Instanz betrifft so hält die Commis si on dafür, daß es bei den in den rheinischen Provinzen bisher nur zuläßig gewesenen zwei Instanzen sein Bewenden behalten könne,,154. Die Übernahme einer dritten Instanz im engeren gemein- oder preußisch-rechtlichen Sinne lehnte man hingegen ab. "Wenn gleich also die Comrnission der Mei153 Abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 237 ff. 154 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 238.

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nung ist, daß eine zweite oder Ober-Appellation, was das remedium revisionis im Sinne der Preußischen Proceß-Ordnung ist, beseitigt werden könne, und namentlich es ungeeignet sey, die Erörterung der Sachverhältnisse einer dritten Dijudicatur zu unterwerfen, so würde sie doch ein eigenes remedium revisionis zulassen" 155. Das hier vorgesehene Rechtsmittel sollte weiterhin auf Rechtsfragen beschränkt bleiben und keine dritte Tatsacheninstanz bilden, wie sie noch in den an die Kommission eingesandten Gutachten gefordert worden war. Die Zulässigkeit der Revision sollte in drei Fällen begründet sein 156: bei Verstößen "gegen klare Gesetze"157 oder gegen den Inhalt einer von den Parteien anerkannten Urkunde und bei Verletzung von unter Strafe der Nichtigkeit stehenden Förmlichkeiten. Die "Ausschließung aller factischen Fragen,,158 von der Beurteilung des Revisionsrichters begründete die Kommission mit dem Hinweis auf die größere Nähe der unteren Instanzen zu den zu beurteilenden Sachverhältnissen, die es ihnen viel eher als dem Revisionsgericht ermögliche, zu einer angemessenen Beurteilung zu kommen, zumal es zu diesem Zweck auch keiner speziellen oder qualifizierteren Rechtskenntnisse bedürfe. Die Aufgabe des höchsten Gerichtshofes näherte die Kommission dem französischen Recht an, indem sie sie in der "Aufrechterhaltung der Gesetze und einer conformen Jurisprudenz,,159 begründet sah: "Durch ihn werde die Gesetzgebung und Rechtsverfassung des Staats in fortschreitender Ausbildung und Ergänzung erhalten; durch ihn würden die Mängel derselben, die Widersprüche, Dunkelheiten und Lücken der Gesetze aufgedeckt; die Gesetzgebung werde, wo ihr Einwirken nöthig sei, darauf aufmerksam gemacht; durch die Entscheidungen dieses höchsten Gerichtshofes (dem jus praetorium der Römer ähnlich) werde über den Sinn und die Anwendung der Gesetze Gewißheit und Sicherheit hervorgebracht und verbreitet, und die Einheit und Gleichförmigkeit der Jurisprudenz erhalten.'d60 Allerdings kam die Kommission von hieraus nicht zum Ausschluß auch der Sachentscheidungsbefugnis, ganz im Gegenteil nahm sie an, es würden mit der Fortführung des modifizierten Verfahrens, also der Beibehaltung der Befugnis zu Sachentscheidung, "alle die Vortheile erreicht, welche der Cassationshof in der französischen Rechtsverfassung bezwecke; ohne damit die Nachtheile zu verbinden, welche das bloße Cassiren und Hinverweisen an andere Gerichte, als welche früher erkannt hätten, für die Partheien mit sich führen" 161.

Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 238. E. Landsberg: Gutachten, S. 238. 157 Die Verwendung dieser Formulierung wirft die Frage nach dem Verhältnis dieses neuen Rechtsmittels zur preußischen Nichtigkeitsbeschwerde nach § 2 Nr. 2, Titel 16, Teil 1 AGO auf. 158 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 238, Punkt S.1.4 c) der Resultate. 159 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 238; im seihen Sinne auch die folgenden Ausführungen der Kommission, a. a. O. S. 239. 160 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 239. 161 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 239. ISS

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Während die Vorschläge der Kommission in den "Resultaten" als weitgehende Adaption des modifizierten Kassationsrechts der Generalgouvernementsverordnungen erscheinen und damit ein der Kassation ähnliches Rechtsmittel befürwortet wurde, ging die HK in ihrer sogenannten "Normalverordnung" wieder einen Schritt dahinter zurück. In §§ 68 und 74 der Normalverordnung 162 wurde die Frage der Sachentscheidungsbefugnis offengelassen und die endgültige Festlegung auf die zukünftig zu entwerfende Verfahrensordnung für das Obergericht verschoben. Die Kommission begnügte sich damit, letztlich nur die Kassation nach französischem Vorbild und eine "Revision", wie sie sie in den "Resultaten" vorgeschlagen hatte, als Alternativen nebeneinanderzustellen.

ce) Die Konferenzen des Sommers 1818

Die "Resultate" und später auch die "Normalverordnung" der HK lagen den anschließenden Konferenzen vom Juni 1818 zugrunde 163. Im Ergebnis billigte man hier das Konzept, das die HK in den "Resultaten" aufgestellt hatte, und kam zu einem als "Revision" bezeichneten Rechtsmittel, das auf Rechtsfragen beschränkt werden und mit einer Entscheidung in der Sache selbst abschließen sollte. Weder die Kassation noch eine dem preußischen Recht entsprechende Revision, d. h. eine volle dritte Tat- und Rechtsfrageninstanz, wurden noch näher erwogen 164. In zwei Punkten wich man allerdings von dem Ausgangsmodell der HK ab. Der erste betraf die von der HK aufgestellten Revisionsgründe. Den Verstoß gegen den Inhalt einer von den Parteien anerkannten Urkunde - in Frankreich selbst ein äußerst umstrittener, von der Rechtsprechung nicht als Kassationsgrund anerkannter Tatbestand 165 - wurde fallengelassen und der Revisionsgrund des Verstoßes "geAbgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 257 f. Die Protokolle der beiden im Juni unter Beymes Leitung abgehaltenen Konferenzen finden sich in GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vo!. I, fo!. 195 ff.; 208 ff.; 244 ff.; 276 ff. Für jede der Konferenzen wurden zwei im Aufbau abweichende und auch in kleineren inhaltlichen Punkten differierende Protokolle gefertigt. Für die Fragen der Ausgestaltung der Obergerichtsbarkeit erlangen diese Unterschiede jedoch keine Bedeutung. 164 Dazu aus dem Protokollen der ersten Konferenz GStA PK Rep 84 I Nr. 121 fo!. 196, 200,220. Aus der zweiten Konferenz ebd. fo!. 269, 280. 165 Siehe die ausführliche Darstellung dieses Problems bei F. J: Perrot: Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preußischen Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen, Teil I: Verfassung und Zuständigkeit, Trier 1842, S. 464 f. Zur Begründung einer derartigen Kompetenzerweiterung wurde in erster Linie Art. 1134 des Code civil herangezogen, den man im Sinne einer Gleichstellung ordnungsgemäß abgeschlossener Verträge mit gesetzlichen Vorschriften auslegte und von daher eine Verletzung dieser Verträge ebenso wie eine Gesetzesverletzung der Nachprüfbarkeit durch das Kassationsgericht unterstellt sah. Nach anderer Ansicht, der sich der Pariser Kassationshof in der überwiegenden Zahl der Fälle angeschlossen hatte, hatte Art. 1134 Code civillediglich den Zweck, einmal abgeschlossenen Verträgen im Verhältnis der Parteien untereinander dieselbe Autorität zu verleihen, wie sie das Gesetz beanspruchen konnte. Vg!. auch unten Kapitel II 2 a) cc). 162 163

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gen ein klares Gesetz" in seiner Handhabung ausdrücklich auf die gesetzlichen Bestimmungen über den entsprechenden Tatbestand der preußischen Nichtigkeitsklage bezogen 166. Schon die Teilnehmer der ersten sogenannten kleinen Konferenz hatten darauf aufmerksam gemacht, daß die von der HK gewählte Fassung Anlaß zu Streitigkeiten geben werde l67 . Dahinter stand offenbar die Unsicherheit darüber, in welchem Umfang Rechtsverstöße der Gerichte überhaupt durch das Obergericht geahndet werden sollten. Innerhalb der HK hatte Simon einen sehr weiten Standpunkt vertreten, indem er über die Verletzung klarer Gesetze hinaus alle Rechtsverstöße, also auch Rechtsanwendungsfehler jeder Art, hatte ahnden wollen 168. Innerhalb der Konferenzen setzte sich dann - offenbar unter dem Einfluß Beymes - die wesentlich engere, Rechtsanwendungsfehler generell ausschließende Sicht durch. In den von Beyme ausgearbeiteten Instruktionsentwurf vom 24. Juni 1818 wurde dementsprechend der Verweis auf § 2 Nr. 2, Titel 16, Teil I der AGO, der die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage regelte, aufgenommen 169. Die Kritik an der Kassation, die noch 1817 gerade aufgrund einer angeblichen Nähe zur Nichtigkeitsklage geäußert worden war, zeigte keine Wirkung mehr. Das neue Rechtsmittel wäre hinsichtlich einer Rechtsanwendungskontrolle auf den Umfang der preußischen Nichtigkeitsklage beschränkt gewesen. Die zweite Veränderung, die der Kommissionsvorschlag in den Konferenzen erfuhr, betraf die Sachentscheidungsbefugnis. Die HK hatte entsprechend den Generalgouvernementsverordnungen dem Gericht in jedem Fall die Pflicht zur Sachentscheidung auferlegt. Demgegenüber wurde dem Gericht jetzt die Möglichkeit eingeräumt, für den Fall, daß eine Sache noch nicht zur Entscheidung geeignet sei, sie im Anschluß an das aufhebende Erkenntnis an ein anderes Gericht zur "weiteren Erörterung und Entscheidung"170 zurückzuverweisen. Die Aufnahme dieser Verweisungsmöglichkeit bei mangelnder Entscheidungsreife näherte das neue Rechtsmittel, gemessen am Verfahren der Übergangszeit, wieder einen Schritt dem französischen Kassationsverfahren an. Unter den Teilnehmern der Konferenzen ist dieser Punkt weitgehend einhellig als eine offenbar selbstverständliche Ergänzung aufgenommen worden 171. GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 1, fol. 284. GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 1, fol. 220. 168 Er lehnte in einern Separatvotum zur Normalverordnung die französische Kassation auch deshalb ab, weil sie seinem Verständnis nach eine wirksame Rechtsanwendungskontrolle nicht ermöglichte. Aus seinen Ausführungen geht hervor, daß er - ähnlich wie einige der Gutachten von 1817 - die Kassation mit der preußischen Nichtigkeitsklage vollkommen gleichsetzt; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 1, fol. 358. 169 § 60 des Instruktionsentwurfes, abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 275 f. Nach der AGO Vorschrift war es "zur Nichtigkeitserklärung nicht hinreichend, wenn bloß behauptet wird, daß gegen die Analogie der Gesetze gesprochen, oder daß die Entscheidung aus einern für den vorliegenden Fall nicht passenden Gesetze genommen, oder daß das Gesetz nicht richtig erklärt oder auf den Fall nicht richtig angewendet worden sey", siehe dazu oben Kapitel B 11 2 a) aa). 170 § 62 des Instruktionsentwurfs; zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 276. 166 167

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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In den bei den Juni-Konferenzen war damit ein Rechtsmittelverfahren entwickelt worden, das auf dem modifizierten Verfahren des Jahres 1814 beruhte. Es wies einerseits große Ähnlichkeit zum französischen Kassationsverfahren auf, indem es sich auf Rechtsfragen beschränkte, auch in Strafsachen offenstand und zumindest bei mangelnder Entscheidungsreife eine Verweisung an die ordentlichen Gerichte vorsah. Andererseits aber legte es die definitive Entscheidung des Rechtsstreites grundsätzlich in die Hand des Obergerichtes und schränkte die materielle Rechtsanwendungskontrolle ein. Diese recht klare Position, die in den ersten Instruktionsentwurf für Beyme vom 24. Juni 1818 aufgenommen wurde, verlor allerdings in den folgenden Monaten wieder an Schärfe. Nachdem der gesamte Instruktionsentwurf durch das Einschreiten Kircheisens gescheitert war, beschränkten Beyme und seine Mitarbeiter sich im folgenden auf wesentlich allgemeinere Aussagen. Weder das Gutachten Daniels' vom Juli 1818 noch der Staatsministeriumsvortrag Beymes vom 5. August 1818 gingen auf die Einzelheiten der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ein. An die Stelle der konkreten Aussagen über Einlegungsgriinde und Rückverweisungsmöglichkeiten trat der pauschale Hinweis auf das bisher in Koblenz und Düsseldorf praktizierte Verfahren. Auf die Erstellung eigener verfahrensrechtlicher Regelungen, etwa nach dem Muster der Instruktion vom 24. Juni 1818 wurde verzichtet. Dieses Vorgehen wurde vom den Ministern am 5. August 1818 gebilligt und erhielt auch die Zustimmung des Königs. Eine detaillierte Regelung des Verfahrensrechts behielt man sich für später vor. In die Kabinettsorder vom 19. November 1818 wurde dementsprechend der Auftrag zum Entwurf einer Verfahrensordnung aufgenommen. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, aus welchen Griinden hier ein Verfahren beibehalten wurde, das auf dem modifizierten Kassationsmodell des Jahres 1814 beruhte, also auf einem Verfahren, das am Beginn der Debatte, in den 1817 an die HK eingereichten Gutachten, klar abgelehnt worden war und unter den rheinischen Rechtspraktikern offenbar keine Anhänger hatte. Warum wurde nicht die preußische Revision eingeführt, warum das Verfahren nicht wieder auf die Kassation zuriickgeführt? Ausschlaggebend für diese Entwicklung dürften sowohl verfahrensrechtliche als auch politische Griinde gewesen sein. Auf der rechtlichen Seite galt 171 Jedenfalls schweigen die Konferenzprotokolle, die an anderen Stellen durchaus den Blick auf Meinungsverschiedenheiten unter den Teilnehmern eröffnen, hier. Auch andere Äußerungen der Teilnehmer der Konferenzen, bspw. das vom 23.6. 1818 stammende Gutachten des Obertribunalsrats Busse, eines Teilnehmers der großen Konferenz, setzen diesen Punkt selbstverständlich voraus; GStA Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646 vor fol. 1, Blatt 7. Eine Erklärung könnte die Ähnlichkeit der Verweisung bei mangelnder Entscheidungsreife zu § 8, 1. Teil, 15. Titel der AGO gewesen sein. Allerdings wich das dort geregelte Verweisungsverfahren erheblich von den Vorschläge zum rheinischen Verfahren ab. Das preußische Revisionsgericht verwies nämlich, ohne zuvor über die Aufhebung des vorherigen Urteils zu entscheiden. Von daher dürfte das für die Rheinlande vorgeschlagene Verfahren eher mit Blick auf die Kassation entwickelt worden sein, bei der jeder Verweisung eine kassierende Entscheidung vorausging.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

es zunächst, die Vorteile von Kassation und gewöhnlichem drittinstanzlichem Verfahren gegeneinander abzuwägen. Gegen die Kassation hatten sich schon unter den rheinischen Juristen erhebliche Bedenken erhoben. Sie resultierten in erster Linie aus der obligatorischen Rückverweisung und der Möglichkeit einer zweiten und dritten Kassation. Nachdem diese Kritik auch von der HK aufgenommen worden war, stand kaum noch zu erwarten, daß die mit wesentlich mehr altpreußischen Juristen besetzten anschließenden Beratungsgremien ihr entgegentreten würden. Eher hätte man von dieser Seite ein Votum zugunsten der preußischen Revision erwartet. Dies blieb jedoch aus. Einzig der preußische Justizminister Kircheisen setzte sich noch für eine auf Tat- und Rechtsfragen ausgreifende dritte Instanz ein. Die Ursache für die Skepsis auch dem preußischem Modell gegenüber lag in den Schwächen des Revisionsverfahrens 172. So war das preußische Revisionsgericht, das Geheime Obertribunal, ständig derart überlastet, daß die Revisionsrechtsprechung zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter mehrere Gerichtshöfe hatte aufgeteilt werden müssen. Faktisch gab es damit kein einheitliches oberstes Gericht in Preußen mehr. Die Kritik des preußischen Revisionsverfahrens dürfte in den Beratungen erhebliches Gewicht erlangt haben, da ein Mitglied des Obertribunals, der Geheime Obertribunalsrat Busse l ?3, an der "großen" Konferenz teilgenommen hatte. Er konnte den Konferenzteilnehmern Auskunft über die aktuelle Situation der preußischen Oberinstanz aus der Sicht des Rechtspraktikers geben. Diese Auskunft war verheerend: Busse, der selbst im ehemaligen Königreich Westfalen als Richter mit dem französischen Recht gearbeitet hatte, legte unmittelbar nach der Konferenz seine Auffassungen in einem separaten Gutachten nieder 1?4. Dieses liest sich als eine umfassende Kritik des aktuellen preußischen Revisionswesens. Busse sprach der Revision die Eignung zur effektiven Rechtsanwendungskontrolle ab. Entschieden trat er für den Vorschlag der HK ein, den er als ideale Lösung auch für die preußischen Altlande ansah. Gerade in der Befassung des Obertribunals mit Tatfragen lag für ihn die Ursache für die völlige Überlastung des Gerichts, die zur Aufsplitterung der Revisionsinstanz geführt und jede Möglichkeit einer effektiven Rechtanwendungskontrolle und einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung zunichte gemacht hatte. Es scheint sich dabei nicht um die Ansicht eines einzelnen und möglicherweise ohnehin zugunsten des französischen Rechts eingenommenen Juristen gehandelt zu haben. Als Indiz für eine bis in Ministerkreise verbreitete kritische Haltung zur preußischen Revision kann die Stellungnahme des Innenministers Schuckmann dienen. In einem eigenen Gutachten zu den Resultaten der HK sprach er sich für 172 Zu der bereits Ende des 18. Jahrhunderts einsetzenden Kritik und den anschließenden Reformbemühungen unten Kapitel DIll 2 b). 173 Sein Lebenslauf und andere biographische Angaben in GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 8. 174 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, vor fol. 1. Das Gutachten hat Busse kurz nach der Konferenz (Begleitschreiben vom 23.6. 1818; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, vor. fol. I) schriftlich niedergelegt. Die dort enthaltenen Kritikpunkte dürfte er in den vorangegangenen Beratungen, auf die er auch Bezug nimmt, angesprochen haben.

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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die Einführung eines zweigliedrigen Instanzenzuges mit einem außerhalb desselben stehenden Obergericht in die preußische Gerichtsverfassung aus 175. Dies war noch kein Votum für die Kassation in ihrer Ausgangsform - Schuckmann scheint sich hier den Vorschlägen der IJK anzuschließen -, zeigt aber doch deutlich die Ablehnung des bisherigen preußischen Modells. Wenn als größter Nachteil der preußischen Revision die Erstreckung auf Tatfragen und als Nachteil der Kassation die Rückverweisung angesehen wurde, mußte ein Verfahren, das die Nachprüfung auf Rechtsfragen beschränkte und zugleich die Möglichkeit zur Sachentscheidung durch das Obergericht eröffnete, als ideale Lösung erscheinen 176. Eine derartige Verbindung kassierender und reformierender Elemente könnte in den Augen der Beteiligten auch experimentellen Charakter gehabt haben: Bewährte sich dieses Verfahren in den Rheinprovinzen, konnte es später im Rahmen der Gesetzrevision auch zur Reform des preußischen Obergerichtsverfahrens herangezogen werden. Die Diskussion um das Verfahren vor dem künftigen rheinischen Obergericht wurde nicht allein von derartigen rechtstheoretischen Erwägungen, sondern auch von politischen Überlegungen beeinflußt. Ein Argument, das die Weiterführung des modifizierten Verfahrens befördert hat, war seine - wenn auch nur äußerliche, formale - Nähe zum preußischen Verfahren. Diese Nähe stellte die Sachentscheidungs befugnis her, die sowohl das preußische als auch das modifizierte rheinische Verfahren dem Obergericht einräumten. Bei einer Rekonstruktion der Kassation nach französischem Vorbild wäre diese Annäherung rückgängig gemacht worden. Beyme selbst verwandte in seinem Staatsministeriumsvortrag vom August 1818 den Assimilierungsgedanken als tragendes Argument für die Beibehaltung des modifizierten Verfahrens 177. In der Betonung dieser Ang1eichung an die preußische Revision lag wohl auch der Schlüssel für die einstimmige Befürwortung, die Beyme unter den Ministern erlangen konnte. Dementsprechend dürfte das modifizierte Verfahren eine Grenze bezeichnet haben, hinter die ein Zurückgehen auf das französische Vorbild politisch kaum mehr durchzusetzen war. Ein anderer politischer Beweggrund ist die Rücksichtnahme auf die bundesrechtliche Anordnung eines dreigliedrigen Instanzenzuges gewesen. In Artikel 12 der Deutschen Bundesakte von 1815 178 fand sich eine Regelung zu Errichtung und Erhaltung drittinstanzlicher Gerichte in den kleineren deutschen Staaten. Sie eröff175

GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 650, fol. 127; Punkt "X. Instanzenzug" dieses Gutach-

tens. 176 So schon die Argumentation der HK in den "Resultaten", E. Landsberg: Gutachten, S.239. 177 GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 52 f. Auch während der später folgenden Arbeiten an der Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof hielt Beyme an diesem Gedanken fest, siehe unten Kapitel D.n.1 c). 178 Dazu Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 616 ff.; Heinrich Getz: Die deutsche Rechtseinheit im 19. Jahrhundert als rechtspolitisches Problem (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 70), Bonn 1966, S. 34.

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

nete diesen Staaten die Möglichkeit, sich zur Bildung eines gemeinsamen obersten Gerichtshofes zusammenzuschließen. Gleichzeitig wurde diese Norm aber über einen Umkehrschluß als Verpflichtung aller, also auch der größeren Staaten gelesen, einen dreigliedrigen Instanzenzug tatsächlich einzurichten l79 . Diese Verpflichtung mußte bei den Beratungen über die Einrichtung der Obersten Gerichtsbarkeit für einen so großen Teil des preußischen Staates, wie ihn die Rheinprovinzen bildeten, ebenfalls berücksichtigt werden. Die Existenz dieser Vorschrift hat die Debatte merklich beeinflußt. Ausgehend von dem aus dem gemeinen Recht entnommenen Prinzip eines mindestens dreigliedrigen Instanzenzuges, innerhalb dessen auch die dritte Instanz auf Tat- und Rechtsfragen bezogen war und die Entscheidung in der Sache selbst umfaßte l80 , hätte es nahe gelegen, die Kassation schon von vornherein mit dem Hinweis auf Artikel 12 zu verwerfen. Auch das von der IJK vorgeschlagene Verfahren hätte diesem Instanzbegriff wohl kaum standhalten können, da es wie die Kassation keine Tatfragenprüfung mehr kannte. Tatsächlich aber wurde die Vorschrift nur selten gegen die Kassation l81 und gar nicht gegen das modifizierte Verfahren ins Feld geführt. Vielmehr bemühte man sich, die Vereinbarkeit der jeweiligen Vorschläge mit Art. 12 der Bundesakte zu begründen. Dies ließ sich nur bewerkstelligen, wenn man vom Erfordernis des Tatfragenbezuges für den Instanzbegriff abrückte. So macht sich in den entsprechenden Gutachten ein Wandel des Instanzbegriffes bemerkbar. Den Ausgangspunkt des gemeinrechtlichen Instanzbegriffes mußte man notwendigerweise verlassen, da die Einbeziehung von Tatfragen in die Prüfungskompetenz des Obergerichts überwiegend abgelehnt wurde. Besonders deutlich trat dieser Wandel im Gutachten der Mehrheit der Koblenzer Revisionsrichter zutage, das zwischen einer wahren dritten Instanz und einer Kassationsinstanz unterschied und sogar die letztere, für deren Rekonstruktion es sich aussprach, noch als Instanz im Sinne der Bundesakte ansehen konnte. Dies war möglich, wenn man 179 Johann Ludwig Klüber: Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1840, S. 302 (erste Aufl. von 1817); der insoweit von einem "Analogieschluß a contrario" spricht. J. Th. B. von Linde: Beitrag zur Lehre über die Remission des Prozesses an die vorige Instanz, AcP Bd. 15 (1832), S. 181. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich diese Verpflichtung aller Staaten auf einen gleichartigen Instanzenaufbau noch nicht unmittelbar; vgl. den Text der Bundesakte mitgeteilt bei E. R. Huber: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Nr. 30. Bereits am 12.6. 1817 hatte die Bundesversammlung in einer provisorischen Kompetenzbestimmung angenommen, daß Art. 12 der Bundesakte "die Justizpflege nach drei Instanzen als einen im Teutschen Bund festgesetzten Grundsatz ausspreche"; zitiert nach J. L. Klüber: Öffentliches Recht, S. 302, Anm. d) 2). Den nachfolgend zitierten Gutachten zur Frage der rheinischen Obergerichtsbarkeit liegt offensichtlich eben diese Auslegung des Art. 12 der Bundesakte zugrunde. 180 Oben Kapitel B 11 2 a) aa). 181 Dies geschieht in dem Gutachten der die Kassation ablehnenden Minderheit des Koblenzer Revisionshofes, das darauf hinweist, daß die Einrichtung dreier gleichgestalteter Instanzen "nach der deutschen Bundesakte constitutiomsmäßig" festgelegt sei; HStA Düsseldorf, HK Nr. 53, fol. 73. Ähnlich auch Simon in seinem Separatvotum zur Normalverordnung; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 1, fol. 358.

II. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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den Artikel als eine Art Rahmenvorschrift ansah, die die Ausgestaltung dieser "dritten Instanz" den jeweiligen Einzelstaaten überließ. So heißt es in diesem Gutachten: ,,[ ... ,] wenn auch die Fürsten der Bundesstaaten gehalten sind, eine dritte Instanz zu errichten, es Ihnen jedoch wahrscheinlich überlassen bleibt, die Kompetenz derselben zu bestimmen" 182. In diesem Sinne war auch die Kassation eine dritte Instanz mit eben beschränkter Kompetenz. Dieser weite Instanzenbegriff, der auf Tatfragenpriifung und Sachentscheidung zugleich verzichtete, konnte sich zwar im folgenden nicht durchsetzen, dennoch wurden zur Rechtfertigung des modifizierten Verfahrens, dessen Einordnung als drittinstanzliches Verfahren nur über die Sachentscheidungsbefugnis zu leisten war, im Grunde dieselben Argumente verwandt. Wahrend die IJK in ihrem Instanzbegriff noch schwankte, begegnet man in dem Votum Beymes, das er zur Instruktion vom 24. Juni 1818, also zu den Ergebnissen der großen Konferenz, abgefaßt und im Staatsministerium hatte verteilen lassen, wieder den Argumenten der Koblenzer Richter. Dort heißt es mit Bezug auf das neue Verfahren: "An einer dritten Instanz fehlt es hiernach nicht: Wie weit und in welchem Maaße aber der Gebrauch einer solchen Instanz aus sonstigen Griinden zu beschränken sey, dariiber sind selbst in den Landen der deutschen Bundes-Staaten keine allgemeinen Normen vorhanden,,183. Damit war die Form des obergerichtlichen Verfahrens durch seine Bezeichnung als dritte Instanz noch keineswegs vorgegeben, sie stand vielmehr der Ausgestaltung durch die Gesetzgebung offen. Das Erfordernis einer vollen Rechts- und Tatfragenpriifung als Merkmal des Instanzbegriffes war aufgegeben.

b) Standort und Eigenständigkeit des Gerichts Deutlicher als die Diskussion um den künftigen Instanzenzug war die Entscheidung über Standort und Eigenständigkeit des Obergerichts von politischen Einflüssen geprägt. Die Rheinprovinzen stellten innerhalb des preußischen Staates ein großes Territorium mit einer in sich geschlossenen Rechtsordnung dar; einer Rechtsordnung, die mit der preußischen zumindest auf institutioneller und verfahrensrechtlicher Ebene kaum Gemeinsamkeiten aufwies 184. Je klarer sich nun im Verlauf der Arbeiten der IJK und der anschließenden Beratungen die vorläufige Beibehaltung dieser Rechtsordnung abzeichnete, desto näher hätte es vom rein juristischen Standpunkt gelegen, das Obergericht nicht in Berlin, sondern in der Provinz anzusiedeln. Auf diese Weise wären Verzögerungen durch lange Akten-

HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 68. GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 1, fol. 379 f. 184 Weniger gravierend, wenn auch nicht völlig bedeutungslos, waren hingegen die Unterschiede auf dem Gebiet des materiellen Zivilrechts. Dieses hat auch - abgesehen von familienrechtlichen Thematiken und Hypothekenrecht - kaum einmal im Zentrum der Auseinandersetzung gestanden. 182 183

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

transport- und Reisewege vermieden und ein ständiger fachlicher Austausch und Kontakt der Richter mit anderen rheinischen Juristen gefördert worden. Diesen Weg hatte die Regierung in einem anderen Teil der Monarchie, nämlich im Großherzogturn Posen, bereits eingeschlagen. Dort hatte während der Zeit der Zugehörigkeit zum Herzogtum Warschau ebenfalls französisches Recht gegolten. Nach dem Ende der französischen Herrschaft war die preußische Allgemeine Gerichtsordnung wieder eingeführt worden, allerdings unter Beibehaltung eines mündlichen und öffentlichen Verfahrens französischer Prägung l85 . Dieses von seinem Rechtsgefüge her weitgehend an die Zustände in den alten Provinzen angeglichene Gebiet hatte man nicht dem Obertribunal unterstellt, sondern dort ein eigenes Oberappellationsgericht eingerichtet. Ähnliches war auch in Neuvorpommern mit der Errichtung des Oberappellationsgerichts Greifswald geschehen. Die Situation in diesem Landesteil ist sogar noch eher mit der in den Rheinprovinzen zu vergleichen, als auch im gemeinrechtlichen Pommern wie in der Rheinprovinz (und anders als in Posen) eine in sich geschlossene Rechtsordnung beibehalten worden war 186 . Da genau dieser Weg für die Rheinlande nicht eingeschlagen wurde, drängt sich sofort eine Erklärung auf, die sich aus dem Integrationsbestreben herleitet, das die preußische "Rheinpolitik" auch auf anderen Feldern beherrschte 187. Gerade den westlichen Provinzen, d. h. den Rheinprovinzen und Westfalen gegenüber, waren diese Integrationsbemühungen besonders ausgeprägt. Anders als die östlichen Erwerbungen unterschieden sich die Rheinprovinzen in ihrer sozialen, wirtschaftlichen, administrativen und auch rechtlichen Struktur grundlegend von den altpreußischen Provinzen. Zudem hatten sie - wenigstens soweit das Gebiet dem französischen Staat eingegliedert gewesen war - auch ein vollkommen anderes politisches System kennengelernt, nämlich einen auf eine Verfassung gestützten Rechtsstaat, innerhalb dessen die Bevölkerung über Wahlen zu einer Vertretungskörperschaft an der Gesetzgebung teilgehabt hatte - trotz aller Einschränkungen insbesondere der napoleonischen Zeit l88 . 185 Verordnung betreffend die Justizverwaltung im Großherzogturn Posen vom 9. 2. 1817; Gesetzsammlung 1817, S. 37. Näher dazu K. W. Nörr: Reinhardt, S. 3 ff., der die Verordnung als ein Experiment der Verknüpfung des französischen mit dem preußischen Verfahren wertet; vgl. auch Joseph Evelt: Die Gerichtsverfasung und der Civil-Prozess in Preußen nach ihren Entwicklungs-Perioden bis auf die jüngste Zeit, 3. Aufl. Amsberg 1852, S. 69 f. 186 J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess in Preußen, S. 70; Franz Duesberg: Übersicht der Justizverfassung in den Preußischen Staaten von der Publication der Allgemeinen Gerichtsordnung bis auf die neueste Zeit, in: Kalb. Bd. 42 (1833), S. 64 ff., 75 ff. 187 Zur preußischen Integrationspolitik Rüdiger Schütz: Preußen und die Rheinlande. Studien zur Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979. Peter Baumgart (Hrsg.): Expansion und Integration. Zur Eingliederung neugewonnener Gebiete in den preußischen Staat (Neue Forschungen zur brandenburgisch-preußischen Geschichte, Bd. 5), Köln, Wien 1984. 188 Peter Claus Hanmann: Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (14501980). Ein Überblick, Darmstadt 1985, 45 ff., auch zu den teilweise massiven Beschränkungen der Legislative während der Herrschaft Napoleons. Gerade die Teilhabe an der Gesetz-

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All dies war für die preußische Staatsführung Anlaß, die Eingliederung der Provinzen in das preußische Staatswesen mit besonderer Energie in Angriff zu nehmen, ihre Zugehörigkeit zu den Altlanden in besonderem Maße zu betonen 189. Angesichts der Eigenständigkeit, die die Rheinprovinzen auf so vielen Feldern aufwiesen, ging die Grundtendenz der preußischen Politik dahin, die Entstehung eines Staates im Staate zu verhindern. Daher hatte man schon unmittelbar nach der Besitzergreifung mit einer Assimilierung auf dem Gebiet der Staatsverwaltung begonnen. Die Verwaltung wurde bereits 1816 mit der Übernahme des preußischen Regierungsbezirkssystems und der Anstellung einer großen Zahl von Verwaltungsbeamten altpreußischer Herkunft weitgehend an die altpreußischen Verhältnisse angeglichen. Als ungleich schwieriger hatte sich dieses Unterfangen auf der Ebene der Justiz erwiesen. Der Widerstand der Rheinländer gegen das preußische Recht und die Entscheidung für die Erhaltung des rheinischen Rechtssystems hatten dazu geführt, daß der Gegensatz in einem zentralem Punkt aufrechterhalten wurde.

In dieser Situation mußte die Errichtung eines eigenen Obergerichts in diesen Provinzen auf Regierungsseite die Befürchtung wecken, damit tatsächlich einen Grundstein für das Entstehen eines rheinischen Staates im preußischen Staat zu legen. Mit der Verlegung der Obergerichtsbarkeit nach Berlin scheinen diese politischen Argumente gegen den Verbleib des Obergerichts in der Provinz den Sieg davon getragen zu haben. Dennoch ist es nicht möglich, die Verlegung nach Berlin ausschließlich als Opfer auf dem Altar der Integration zu deuten. In erster Linie steht dem die Errichtung des Revisions- und Kassationshofes als eigenständiges Obergericht entgegen. Dem Integrationsstreben hätte eine wie auch immer geartete Unterstellung unter das Obertribunal, die bis zuletzt diskutiert wurde, wesentlich eher entsprochen. Ein eigenständiger, wenn auch außerhalb der Rheinprovinzen angesiedelter Gerichtshof war hingegen immer noch geeignet, als Ausdruck des Sonderstatus dieser Provinzen angesehen zu werden. Schon diese abstrakten Überlegungen lassen erkennen, daß man es hier im Hinblick auf die letztendliche Entscheidung keineswegs mit einer eindimensionalen, allein auf Integration abzielenden Motivation zu tun hat. Eine nähere Untersuchung des Entscheidungsprozesses bestätigt diese These. Die ersten an die HK eingereichten Gutachten aus dem Jahr 1817 vertreten in der Frage der künftigen Organisationsform der rheinischen Obergerichtsbarkeit noch sehr unterschiedliche Konzepte l90 . Unter den Befürwortern eines Kassationsverfahrens im französisch-rechtlichen Sinne finden sich sowohl Stimmen für die Errichtung eines Obergerichts in den Rheinprovinzen als auch für ein Gericht in gebung sahen zeitgenössische rheinische lusristen als einen der gravierensten Unterschiede zwischen preußischer und französischer Rechtsordnung an, der nicht ohne Auswirkungen auf das künftige Schicksal des rheinischen Rechts bleiben konnte; vgl. Chistoph von Breuning: Ueber die Kassationsinstanz und das Rechtsmittel der Cassation in der Gesetzgebung der Rheinlande, Koblenz 1820, S. 14 ff.; 38 ff.; 48 ff.; 62 ff. 189 R. Schütz: Preußen und die Rheinlande, besonders S. 18 ff. 190 Diese Gutachten in HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53 und 65 . 6 Seynsche

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Berlin. Beide wurden offenbar als selbständige, nicht an andere Gerichte angegliederte Institutionen gedacht. Von seiten der Befürworter eines drittinstanzlichen Verfahrens nach preußischem oder gemeinrechtlichem Vorbild wurden alle denkbaren Modelle von einem eigenständigen Obergericht innerhalb der Rheinprovinzen - hier taucht der Vorschlag auf, den Gerichtshof in Köln, "im Mittelpunct" der Rheinprovinzen zu errichten l91 - , über eine Angliederung an ein rheinisches Appellationsgericht und ein eigenes in Berlin anzusiedelndes Gericht bis hin zur Angliederung an das preußische Obertribunal vertreten. Angesichts der 1817 noch ausstehenden Entscheidung über die Zukunft des rheinischen Rechts hatte die Frage des Standortes aber innerhalb dieser Gutachten noch kein großes Gewicht. Dementsprechend gering war der jeweilige Begründungsaufwand. Meist wurde der eigene Vorschlag schlicht als selbstverständlich hingestellt. Als Argumente gegen eine Verlegung nach Berlin wurden die große Entfernung und der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand, der im Geschäfts- und Partei verkehr mit einem solchen Gericht entstehen würde, sowie die mangelnde Kenntnis des französischen Rechts auf seiten der preußischen Richter angeführt. Die Gutachten gingen dabei davon aus, daß das französische Recht, auch wenn es abgeschafft werden sollte, zumindest für eine Übergangszeit noch von Bedeutung wäre. Dementsprechend verlangten auch die Befürworter der "Berliner Lösung", das Obertribunal mit einigen rheinischen Juristen zu verstärken l92 . Die IJK selbst plädierte dafür, für etwa zehn bis fünfzehn Jahre ein eigenständiges "Revisionsgericht" in den Rheinprovinzen zu etablieren 193. Zur Begründung ihrer Vorschläge führte die Kommission den großen inhaltlichen und systematischen Unterschied zwischen französischer und preußischer Rechtsordnung an und verwies darauf, daß das bisherige französische - intennediäre und napoleonische Recht ebenso wie auch das partikulare Recht des Ancien regime bis zur Einführung des preußischen Rechts und über die Altfälle noch für viele weitere Jahre eine große Relevanz behalten werde. Zur Beruhigung der Bevölkerung und zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Rechtssicherheit sei es daher unverzichtbar, das Obergericht aus Juristen zusammenzusetzen, die mit diesem in sich sehr vielgestaltigen Gesetzeskomplex vertraut seien. Erst wenn diese Bedürfnisse durch Zeitablauf und eine Verankerung der reformierten preußischen Gesetze in der Rheinprovinz behoben sein sollten, sah die IJK die Möglichkeit, die Rheinlande dem "Central-Revisionhof' in Berlin zu unterstellen 194. Gutachten des Notars Esser aus Neuss; HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. 54. Bspw. anonymes Gutachten; HStA Düsseldorf, IJK Nr. 53, fol. \0; Gutachten des Kreisgerichts Krefeld; ebd., fol. 59 ff. 193 "Einstweilen, solange die Verschiedenheit des Rechtszustandes es fordert, soll für die Rheinischen Provinzen ein eigener Revisionshof zu Cöln niedergesetzt werden; demnächst aber das Geheime Obertribunal zu Berlin als oberster Gerichtshof der Monarchie an dessen Stelle treten"; § 25 der Normalverordnung; zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 252. 194 Diese Argumentation ergibt sich aus den Resultaten, Abschnitt S. Instanzenzug und Revisionshof; E. Landsberg: Gutachten S. 239 f. 191

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In den anschließenden Konferenzen zur Beratung der Resultate der IJK wurde diese Linie im wesentlichen beibehalten. Die Teilnehmer der kleinen Konferenz hatten sich noch dafür ausgesprochen, die Verlagerung nach Berlin bis zum Abschluß der Revision der preußischen Gesetze aufzuschieben und für die Übergangszeit ein "Revisionsgericht" in der Rheinprovinzen am Sitz des Appellationsgerichtes und möglicherweise auch in organisatorischer Verbindung mit diesem zu errichten. Diese klare Bindung an den Abschluß der Revisionsarbeiten wurde aber in der großen Konferenz, bei der Befürworter einer unverzüglichen Anbindung an das Obertribunal mit den Verfechtern einer zumindest vorübergehenden rheinischen Lösung aufeinandertrafen, aufgegeben l95 . Die Vereinigung mit dem Obertribunal wurde von ersteren als eine "höchst wünschenswerthe und so schnell als möglich auszuführende Maßregel"196 angesehen, und man einigte sich letztlich darauf, dies höchstens noch "einstweilen" - eine genauere Zeitbestimmung wurde nicht getroffen - auszusetzen und dem Appellationshof eine Abteilung für Revisionssachen anzugliedern. Bedenken gegen eine Verlegung nach Berlin versuchten deren Befürworter mit dem Hinweis auf die Möglichkeit zu entkräften, auch rheinische Juristen am Obertribunal zu beschäftigen. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, daß die größere Entfernung nicht das entscheidende Hindernis sein könne, da schließlich die ebenfalls große Entfernung zum Pariser Kassationshof die rheinische Rechtspflege nicht gehemmt habe. Sehr deutlich trat die Entscheidung zugunsten Berlins und einer Angliederung an das Obertribunal dann in § 21 des von Beyme vorgelegten Instruktionsentwurfs vom 24. Juni 1818 hervor: "Ein besonderes Revisionsgericht soll für die Rheinischen Provinzen nicht errichtet, sondern die Einrichtung dahin getroffen werden, dass die Revisionssachen an Unser zu dem Ende angemessen zu verstärkendes Geheimes Obertribunal in Berlin, [ ... ], als Revisionsgericht gelangen. Ob einstweilen bei dem zu errichtenden Appellationsgericht eine besondere Abteilung für die Revisionssachen zu bestellen sein werde, bleibt der näheren Bestimmung bei der Ausführung vorbehalten,,197. Fragt man mit Blick auf die oben angestellten Überlegungen zur Justizpolitik als möglicher Ausprägung einer umfassenden Integrationspolitik nach den Motiven für dieses Votum zugunsten Berlins, erweisen sich die Konferenzprotokolle und der Instruktionsentwurf als wenig aussagekräftig. Die Notwendigkeit der Verlegung nach Berlin wurde offenbar selbstverständlich vorausgesetzt. Eindeutig nahm nur der preußische Innenminister Schuckmann Stellung. Gegen eine eigene rheinische Obergerichtsbarkeit führte er aus: "Dieses gänzliche Abschneiden jener Provinzen von dem Zusammenhange aller übrigen in letzter Instanz könnte nur anstö-

195 Siehe dazu die Protokolle der großen Konferenz, zur Sitzung vom 17. 6. 1818, in der dieser Punkt unter Bezug auf § 25 der NVO behandelt wurde; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 1, fol. 254 ff. (erstes Protokoll); fol. 280 ff. (zweites Protokoll). 196 Zitiert nach dem ersten über die große Konferenz aufgenommenen Protokoll; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 1, fol. 254. 197 Zitiert nach E. Landsberg: Gutachten, S. 270. 6*

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ßig erscheinen und geschähe es ac tempus, so schiene es, als sei man des festen Zusammenhangs mit der Monarchie noch nicht gewiß,,198. Festzuhalten bleibt: wären die Organisationspläne in diesem Stadium der Debatte bereits umgesetzt worden, wäre das rheinische Obergericht jedenfalls als unselbständige Abteilung einer anderen gerichtlichen Institution errichtet worden. Dabei wäre trotz aller Präferenzen für eine Angliederung an das Obertribunal auch eine vorläufige Errichtung in Köln nicht ausgeschlossen gewesen. Der Umschwung zugunsten eines eigenständigen Obergerichts in Berlin sollte erst im Gefolge des verzögernden Eingreifens Kircheisens stattfinden. Letztlich entscheidend wurde hier wie für die Frage des rheinischen Rechts insgesamt der Vortrag Beymes vor dem Staatsministerium im August 1818. Obwohl Beyme durchaus die justizpraktischen Vorteile einer Angliederung an den Appellationshof anerkannte, trat er für eine unverzügliche Verlegung des rheinischen Obergerichts nach Berlin ein. Als ausschlaggebend führte er an, daß es ihm ,juridisch und politisch wichtig schiene den Cassations und Revisions Hof für die Rheinprovinzen hier in Berlin zu errichten,,199. Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, diesen Gerichtshof als eigenständige Gerichtsbehörde einzurichten. Er regte also eine Lösung an, die bisher nur von den wenigsten Stimmen getragen wurde, die jedoch jetzt von den Staatsministern angenommen wurde und schließlich in die Kabinettsorder vom 19. November 1818 einging. Für diese Lösung lassen sich mehrere Motive ausmachen. Obwohl man unterstellen kann, daß der Minister Berlin als Gerichtssitz mit Blick auf die auch von ihm befürwortete Integration als "politisches" Ziel gewählt hatte, war sie keinesfalls das allein bestimmende Moment. Neben den Integrationsgedanken trat in den entscheidenden Passagen des Vortrags ein anderer Aspekt, der die "juridischen" Gründe als solche rechtspolitischer Natur erscheinen läßt. Beyme nahm Bezug auf seine Aufgabe als Gesetzrevisionsminister und rückte die Annäherung der Vertreter des preußischen und des rheinisch-französischen Rechts ins Zentrum seiner Ausführungen. Er plädierte dafür, das Personal des neuen Gerichts aus Juristen rheinischer und "altpreußischer,,2°O Herkunft zusammenzusetzen. Beyme bezeichnete die gemischte Besetzung als "das beste Mittel, die Vorurtheile für und gegen die Altpreußische und Rheinländische Justizverfassung zu berichtigen und die EntGStA PK Rep 84 a (2.5.1.), Nr. 650, fo!. 127. Zitiert nach dem Text dieses Vortrages; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fo!. 51. Die Worte "juridisch und" sind erst als Verbesserung, allerdings ebenfalls von Beyme selbst, eingefügt worden. 200 Diesen Begriff benutzte Beyme in seinem Staatsministriumsvortrag zur Abgrenzung gegenüber den aus den Rheinlanden nach Berlin zu versetzenden Beamten. Er plädierte dafür, "die Mitglieder desselben aus Altpreußischen und Rheinischen Iustizbedienten zusammen zu setzen"; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fo!. 51. Welche Kriterien der Einordnung der einzelnen Iuristen in die Gruppe der Altpreußen oder der Rheinländer zugrunde lagen, wird unten im Rahmen der Darstellung der Besetzung des Gerichtshofes näher erläutert; s. Kapitel CI 2, C III 2. 198 199

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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scheidung darüber sowohl der öffentlichen Meinung als der Regierung zu begründen. ,,20 1. Es ging ihm also darum, die gegenseitigen Vorurteile auf dem Weg über unmittelbaren persönlichen Kontakt zwischen rheinischen und altpreußischen Juristen abzubauen 202 und zugleich ein Urteil der preußischen Öffentlichkeit und eines Fachpublikums über die rheinische Rechtsordnung und Gerichtsverfassung zu ermöglichen. Altpreußische Juristen sollten praktisch mit dem rheinischen Recht arbeiten, das altpreußische Publikum sollte das rheinische Verfahren in den öffentlichen Sitzungen des neuen Gerichtshofes kennenlernen. Damit brachte er einen neuen Aspekt in die Debatte ein, nämlich den Austausch zwischen rheinisch-französischem und preußischem Recht gerade über das rheinische Obergericht, und den Nutzen, den ein solcher Austausch für die Entwicklung des preußischen Rechts haben konnte. Seinem Vorschlag wohnte eine gänzlich andere Symbolik inne als den bisherigen Überlegungen zur Angliederung des rheinischen Obergerichts an das Obertribunal. Die Angliederung an das Obertribunal hätte nämlich zum Ausdruck gebracht, daß hier ein fremdes Recht für die Übergangszeit bis zu seiner Ablösung mit einem provisorischen Obergericht versehen werden sollte; mit einem Obergericht, das schon als Spruchkörper des preußischen Obertribunals eingerichtet worden wäre. Demgegenüber deutete die Errichtung eines selbständigen rheinischen Gerichtshofes in Berlin an, daß dem rheinischen Recht, wenn es auch nicht auf lange Sicht beibehalten werden sollte, doch ein großer Stellenwert innerhalb der Reform des preußischen Rechts eingeräumt werden sollte. Die Einrichtung eines mit fachlich qualifizierten Juristen besetzten Gerichts sollte eine unbefangene Auseinandersetzung mit dem rheinischen Recht ermöglichen. Offenbar hatte Beyme erkannt, daß die Gesetzrevision, sollte sie erfolgreich sein, sich mit den neuen aus Frankreich kommenden Institutionen auf einer sachlichen Ebene auseinandersetzen mußte. Von daher erklärt sich auch, warum weder eine Angliederung an den rheinischen Appellationsgerichtshoe03 noch an das Obertribunal aus Beymes Sicht sinnvoll sein konnte. Zwar hätten auch am Appellationsgericht altpreußische Juristen angestellt werden können, durch die große räumliche Entfernung zu Berlin wäre aber der dauernde Kontakt zu anderen preußischen Juristen und zur Gesetzrevision erGStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. Eine ähnliche Argumentation findet sich bezogen auf den persönlichen Kontakt der Richter schon in seinem Votum zum Instruktionsentwurf vom 24. 6. 1818, wurde dort aber noch nicht weiter verfolgt; GStA PK Rep 84 I Nr. 121 , Bd. 1, fol. 377. 203 Eine Angliederung an den AGH hatte zuletzt Daniels in seinem Votum vom 14. 6. 1818 gefordert. Die Errichtung in Berlin ist einer der wenigen Punkte, in denen Beyme seinen Vorschlägen nicht gefolgt ist. Daniels hatte gegen eine Verlegung nach Berlin hauptsächlich die Schwierigkeit, geeignete Advokaten für dieses Gericht zu finden, angeführt. Er machte darauf aufmerksam, daß rheinische Anwälte bei dem zu erwartenden relativ geringen Prozeßaufkommen keinesfalls allein von den Revisionssachen in Berlin existieren konnten, daß sie an preußischen Gerichten wegen mangelnder Kenntnis des preußischen Rechts auch kaum reüssieren konnten und daß preußische Iustizkommissare weder über die nötigen Rechtskenntnisse verfügten, noch das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung besäßen. 201

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

schwert worden. Eine Berührung mit der altpreußischen Öffentlichkeit hätte gar nicht stattfinden können. Auch eine Angliederung an das Obertribunal ließ keinen positiven Effekt für die Gesetzrevision erwarten. Dies hatte der bereits erwähnte Obertribunalsrat Busse in einem an Beyme gerichteten Gutachten zur künftigen rheinischen Obergerichtsbarkeit 204 deutlich gemacht. Seinen Ausführungen zufolge eignete sich "gewiß kein Gerichtshof weniger dazu den Revisionshof zu ersetzen, als das geheime Obertribunal,,205. Er begründete dies zum einen mit der AItersstruktur des Tribunals, indem er darauf verwies, daß man den meisten Richtern die Einarbeitung in das französische Recht wegen ihres hohen Alters kaum noch zumuten könne. Zum anderen stützte er seine Einschätzung auf die erheblichen Vorurteile, die er unter den Tribunalsrichtern "gegen alle rheinischen und westfälischen Gesetze und Einrichtungen" bemerkt hatte. Durch die Zusammenführung rheinischer und altpreußischer Richter am Obertribunal konnte seiner Ansicht nach nur ein fruchtloser, die Arbeit des Gerichts behindernder Kampf der Meinungen provoziert werden. Angesichts dieser Beurteilung mußte die Errichtung eines eigenständigen rheinischen Obergerichts in Berlin als der einzig gangbare Weg erscheinen, auf dem von altpreußischer Seite bewegliche und für eine objektive Auseinandersetzung mit den Rheinländern und den Vor- und Nachteilen des rheinischen Rechts geeignete Juristen herangezogen werden konnten. Diese Lösung wurde am 5. August 1818 von den Ministern gebilligt und in die Kabinettsorder vom 19. November 1818 aufgenommen. Diese Kabinettsorder kündigte in § 11 die Einrichtung eines Revisionshofes in Berlin an Stelle der bisherigen rheinischen Kassationsgerichte an.

c) Zusammenfassung

Die Konflikte der Jahre 1816 folgende und die abschließende Kabinettsorder vom 19. November 1818 werden in der Forschung zum französischen Recht in den Rheinlanden mit den Stichworten des "Kampfes um das rheinische Recht" und dessen Beibehaltung umschrieben. Die Untersuchung der Obergerichtsfrage als Teil dieser Entwicklung hat gezeigt, daß schon in dieser frühen Phase der Geschichte des rheinischen Rechts ein über die Beibehaltung hinausgehender Aspekt Bedeutung gewann. Dem Modell der künftigen rheinischen Obergerichtsbarkeit lag eine rechtspolitische Konzeption zugrunde, die geprägt war durch die Bereitschaft, sich im Rahmen der Gesetzrevision mit den Anregungen des rheinisch-französischen Rechts auseinanderzusetzen und diese auch für die Reform des preußischen Rechts zu nutzen.

204 Dieses Gutachten ist den von Beymes Ministerium angelegten Akten zur Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes vorangeheftet; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, vor fol. 1. 205 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, Blatt 8 vorfol. 1.

11. Die Entscheidung für ein neues rheinisches Obergericht

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Beymes Intention ging dahin, mit dem Revisions- und Kassationshof in Berlin ein Forum für diese Auseinandersetzung mit dem rheinisch-französischen Recht zu schaffen. Das Aufeinandertreffen und die Zusammenarbeit rheinischer und altpreußischer Richter sollte diese zu einem Vergleich beider Rechtsordnungen anregen. Das Ergebnis dieses Vergleichs wollte Beyme für die Reform des preußischen Rechts nutzen.

3. Das neue Gericht, ein Revisions- und Kassationshof? Die Tatsache, daß der neue rheinischen Obergerichtshof im Juli 1819 schließlich als "Revisions- und Kassationshof' eröffnet wurde206 , stiftet nach allem, was bisher über das Rechtsmittelrecht des 19. Jahrhunderts und die ihm eigene Begrifflichkeit gesagt wurde, Verwirrung. Sollte hier an die preußische oder an die französische Benennung angeknüpft oder die Kombination beider Verfahren als Programm in der Namensgebung aufgenommen werden? Eine klare Begründung für diese Bezeichnung findet sich in den eingesehenen Quellen nirgends. In der gesamten Diskussion um die Ausgestaltung der Obergerichtsbarkeit fehlt eine einheitliche Begrifflichkeit. Allerdings scheint die Bezeichnung als Revisionsgericht - ungeachtet der verfahrensrechtlichen Abweichungen von der preußischen Revision - überwogen zu haben. Schon die IJK bezeichnete das Obergericht im Anschluß an ihr Konzept eines "eigenen remedium revisionis" als Revisionsgericht207 . Dies wurde so auch in die Kabinettsorder vom 19. November 1818 aufgenommen. Von einem Revisions- und Kassationshof dagegen sprach als erster wohl Beyme in seinem Staatsministeriumsvortrag vom August 1818 208 . Diese Bezeichnung konnte sich dann in der Folge - ohne daß diese Entwicklung im einzelnen nachvollziehbar wäre - durchsetzen und wurde in die Kabinettsorder zur Errichtung des Revisions- und Kassationshofes vom 21. Juni 1819209 und von da an in die offizielle Bezeichnung des Gerichts übernommen. Für diese Namenswahl sind mehrere Gründe denkbar. Zum einen könnte Beyme schlicht die Bezeichnungen der bei den Vorgängergerichte, des Revisionshofes in Koblenz und des Kassationshofes in Düsseldorf, zusammengezogen haben. Zum anderen könnte sich in der Aufnahme des Begriffs der Revision eine Intention wiProtokoll der Eröffnungsfeier in RhA Bd. 1 11, S. 1 ff. Punkt S der Resultate; E. Landsberg: Gutachten, S. 239. 208 GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 3, fol. 51. 209 Verordnung vom 21. 6. 1819 (Gesetzsammlung 1819, S. 162 f.), mittels derer die Gerichtshöfe in Koblenz und Düsseldorf aufgelöst wurden und die Errichtung des Revisionsund Kassationshofes in Berlin angeordnet wurde; Mathias Simon: Uebersicht der in den Rhein-Provinzen bei ihrer Vereinigung mit der Krone Preußens geltenden Gesetze; nebst der Geschichte ihrer Einführung und einer Nachweise der bisheran in denselben erfolgten Abänderungen, Köln 1824, Teil I, S. 118. 206 207

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B. Die Entstehung des Revisions- und Kassationshofes

derspiegeln, die oben schon in Zusammenhang mit der Ausgestaltung des Verfahrens vor dem rheinischen Obergericht eine Rolle gespielt hat: eine wenn auch nur äußerliche Annäherung an das preußische Verfahrensrecht. Insofern erscheint es denkbar, daß diese Lösung aus der Sicht Beymes den Vorteil bot, mit der Aufnahme der Kassation ein Zugeständnis an die Tradition der rheinisch-französischen Gerichtsverfassung zu machen, ohne zugleich auf eine Angleichung an die preußische und deutsche Terminologie verzichten zu müssen. Eine weitere Erklärung bietet sich mit Blick auf den Gerichtsbezirk des neuen Gerichts. Neben den bergischen und den linksrheinischen Territorien des französischen Rechts war es auch für den ostrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz zuständig, also für ein gemeinrechtliches Gebiet. In dieser Eigenschaft war es Revisionshof im gemeinrechtlichen Sinne2 \O.

210 Ein indirekter Hinweis darauf findet sich in einer offiziellen Quelle. In einem Aufsatz über die Kompetenzen des neuen Gerichtshofes, den der Präsident des Gerichtshofes für das Hof- und Staatshandbuch schrieb, führte er aus, daß der Revisions- und Kassationshof für die französisch-rechtlichen Gebiete als Kassationshof und für die gemein-rechtlichen Territorien als Revisionshof fungierte; Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1821, S. 420. Die Urheberschaft Sethes folgt aus den Entwürfen und der Begleitkorrespondenz zu diesem Aufsatz; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 31 f.

c. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Der Plan zur Errichtung des Revisions- und Kassationshofes in Berlin ließ bereits Ansätze einer rechtspolitischen Konzeption im Umgang mit diesem Gericht erkennen. In seiner Rede vor dem Staatsministerium im Sommer 1818 hatte Beyme deutlich gemacht, daß er über den Gerichtshof eine Auseinandersetzung mit dem französischen Recht fördern und diese Auseinandersetzung als Impulsgeber für die preußische Gesetzrevision nutzen wollte. Die Geschichte des Revisionsund Kassationshofes soll im folgenden darauf untersucht werden, wie diese Konzeption 1819 umgesetzt wurde und welchen Veränderungen sie in den folgenden Jahren unterworfen war. Die Kabinettsorder vom 19. November 1818 hatte den Streit um Beibehaltung oder Abschaffung des rheinischen Rechts nicht endgültig entschieden, sondern nur vorläufig beigelegt. Sie hat das Schicksal der rheinischen Rechtsordnung von Fortgang und Erfolg der Reform der preußischen Gesetzgebung abhängig gemacht. Dementsprechend kam es je nach Intensität und inhaltlicher Ausrichtung der Arbeiten an der Gesetzrevision immer wieder zu Konflikten um das rheinische Recht. Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, welche Bedeutung die Politik dem rheinischen Obergericht im Zuge dieser Auseinandersetzung beimaß. Zu diesem Zweck wird die Personalpolitik der preußischen Justizminister untersucht. Zuverlässiger als normative Regelungen oder programmatische politische Stellungnahmen erlauben personalpolitische Maßnahmen Rückschlüsse auf die Intentionen der Politik im Umgang mit einer Justizbehörde. Die Personalpolitik der Justizminister soll als Indikator für rechtspolitische Konzeptionen im Umgang mit dem Gerichtshof genutzt werden. Ausgehend von der Besetzungpraxis Beymes wird die Geschichte des RKH daher im Spiegel dieser Politik dargestellt. Die Untersuchung beschränkt sich auf die Anstellung der Richter und Prokuratoren. Auf die Zusammensetzung der Anwaltschaft geht sie nur am Rande ein, da diese in der Überlieferung nur geringen Raum einnimmtl. Gänzlich unberiihrt bleiben die Unterbeamten, also Schreiber und Gerichtsboten. Ihre Auswahl war keine politische Entscheidung, sondern oblag dem Gericht selbst 2. Gegliedert ist die DarI Die Masse der Akten zur Errichtung und Besetzung des RKH befaßt sich mit dem richterlichen Personal und den Beamten des öffentlichen Ministeriums, ohne weiter auf die Anwälte einzugehen. Nur im Bestand des Gerichtshofes selbst findet sich ein Aktenstück über die Anwälte des RKH; GStA PK Rep 97 BI A 5. Zeitlich umfaßt diese Akte die Jahre 1819 bis 1852. 2 Umfangreiches Material dazu v.a. in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

stellung in Anlehnung an die Amtszeiten der aufeinander folgenden Justizminister, da ein Ministerwechsel in der Regel eine Änderung der Rechts- und Justizpolitik mit sich brachte. Obwohl die Geschichte des Gerichtshofes bis 1852 skizziert wird, steht die Gegenüberstellung der Amtszeiten der Minister Beyme und Kamptz im Mittelpunkt. Beiden Ministern war die Zuständigkeit für die preußische Gesetzesrevision und für die rheinische Justizverwaltung als aus dem Justizressort ausgegliederter Bereich zugewiesen, so daß die Beschäftigung mit dem rheinischen Justizpersonal besonderes Gewicht erlangte. Zudem bietet ihre gegensätzliche politische Haltung, schlagwortartig angedeutet mit der Zugehörigkeit Beymes zum Kreis der Reformer des friihen 19. Jahrhunderts und der Profilierung Kamptz in der Zeit der Demagogenverfolgung, einen Anreiz zur näheren Auseinandersetzung mit ihrer Amtsführung. Dieser auf die politischen Extreme konzentrierte Vergleich erscheint besonders geeignet, Veränderungen und Entwicklung der preußischen Rechts- und Justizpolitik im Umgang mit dem rheinischen Obergericht herauszuarbeiten.

J. Die Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme

Der preußische Gesetzrevisionsminister Karl Friedrich von Beyme erhielt durch die Kabinettsorder vom 19. November 1818 die Funktion eines rheinpreußischen Justizministers 3 . Er war damit für Organisation und personelle Besetzung der rheinischen Justizbehörden zuständig und konnte selbst die Umsetzung seiner Pläne vom Sommer 1818 in Angriff nehmen. Seine rechtspolitische Konzeption für den Umgang mit dem rheinischen Obergericht hatte er bereits angedeutet. Die Richter, Prokuratoren und Anwälte des Revisions- und Kassationshofes sollten das französische Recht in praktischer Anwendung demonstrieren und so dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und im Rahmen der Gesetzrevision eine Auseinandersetzung mit diesem Recht zu ermöglichen. Ob der Gerichtshof tatsächlich die ihm zugedachte Funktion würde wahrnehmen können, hing also entscheidend von seiner personellen Besetzung ab. Dabei stellt sich nicht zuletzt auch die Frage, wieweit der Minister seine Vorstellungen überhaupt umsetzen konnte. Sie drängt sich angesichts der innenpolitischen Situation des preußischen Staates auf. Das politische Klima war 1819 gekennzeichnet durch eine zunehmende Abkehr von den Reformideen der unmittelbaren Kriegs- und Nachkriegsjahre4 • Die Restauration gewann deutlich an Boden. Die § 2 der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818; E. Landsberg: Gutachten, S. 368. Dazu und zum folgenden statt vieler Wolfgang Hartwig: Vormärz. Der monarchistische Staat und das Bürgertum (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart), 3. Aufl., München 1993, S. 33 ff., 39 ff. 3

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I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme

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Ennordung des Schriftstellers August von Kotzebue am 23. März 1819 durch den BurschenschaftIer Karl Ludwig von Sandt und eine Reihe weiterer politischer Attentate lieferte den Anlaß für ein verschärftes Vorgehen der deutschen Regierungen gegen nationale und liberale Kräfte. Im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse vom 20. September 1819 wurden die Burschenschaften verboten, eine staatliche Vorzensur eingeführt und Untersuchungskommissionen zur Aufdeckung revolutionärer Umtriebe und demagogischer Verbindungen eingesetzt. Die Demagogenverfolgung wurde besonders in Preußen mit ganzer Härte aufgenommen. Der Versuch Hardenbergs und Humboldts, 1819 eine Verfassung durchzusetzen, scheiterte. Angesichts dieser Ereignisse erscheint es fraglich, ob innerhalb der Regierung die Bereitschaft bestand, sich mit einem Recht auseinanderzusetzen, das rechtsstaatliche Ideen verkörperte, die die preußische Innenpolitik im Umfeld der Karlsbader Beschlüsse zurückzudrängen suchte. Zumal es sich um ein Recht handelte, das den Rheinländern selbst mehr und mehr zu einem Verfassungsersatz wurde und das die politische Diskussion innerhalb Preußens immer mehr bestimmte5 . Angesichts dieser Situation hätte ein rheinisches Obergericht in Berlin auch in die Gefahr geraten können, zu einer Zurückdrängung des französischen Rechts instrumentalisiert zu werden. In der Berufung einer großen Zahl von nichtrheinischen Richtern, wie in der Standortentscheidung für Berlin, war durchaus die Möglichkeit angelegt, das rheinische Recht von oben, auf dem Weg über das Obergericht auszuhöhlen.

1. Person und Politik Beymes6 1765 in Königsberg in der Neumark geboren, gelang dem Sohn bürgerlicher Eltern nach einem Rechtsstudium sehr schnell der Aufstieg in höchste Justiz- und Staatsämter. 1788 wurde er zum Assessor am Kammergericht ernannt und zu den Arbeiten an der Redaktion des Allgemeinen Landrechts zugezogen. 1791 erhielt er eine ordentliche Ratsstelle am selben Gericht. Offenbar erwarb er sich in dieser Position einen Ruf als hervorragender Jurist und zog so die Aufmerksamkeit des Kronprinzen, des späteren König Friedrich Wilhelm 111., auf sich? Erheblichen Dazu K.-G. Faber: Recht und Verfassung, S. 16 ff. Zu Person und Werdegang Beymes vgl. bspw. Caro: ADB, Bd. 2, S. 601 ff.; Hans Haussherr: NDB, Bd. 2, S. 208; Neuer Nekrolog der Deutschen, Jg. XVI, S. 942; A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, insbes. S. 340 ff.; Max Lenz: Geschichte der Königlichen FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1, Halle 1910, S. 24 ff.; Hans-Joachim Schoeps: Carl Friedrich von Beyme mit Proben aus seinem unveröffentlichten Briefwechsel, in: H.-J. Schoeps (Hrsg.): Neue Quellen zur Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert, Berlin 1968, S. 26 ff. m. w. N.; Hans Saring: Karl Friedrich von Beyme, in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, Jg. VII (1956), S. 35-46; Wemer von Beyme: Carl Friedrich von Beyme, (Preußische Köpfe), Berlin 1987. 7 Dieser Kontakt zum Kronprinzen war offenbar bei dessen Besuchen im Kammergericht hergestellt und später während des von Friedrich Wilhelm III. mit großer Energie betriebenen Verfahrens gegen die Gräfin Lichtenau vertieft worden, innerhalb dessen Beyme der speziell 5

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Einfluß auf die Staatsverwaltung konnte Beyme erlangen, als er 1798 als Kabinettsrat in das königliche KabinettS berufen wurde - jene Institution, die als "Büro des Königs,,9 die Aufgabe hatte, den Monarchen in allen Sachfragen zu beraten und Entscheidungen vorzubereiten. Diese Berufung brachte ihn, ohne daß er nach außen hin eigene Verantwortung getragen hätte, in eine Schlüsselstellung innerhalb des preußischen Staates. Er gewann sehr schnell das besondere Vertrauen des Königs und wurde zu einem wichtigen und einflußreichen Berater in Fragen der Innen- und Außenpolitik sowie der Justiz. Stölzel bezeichnet ihn als "diejenige Natur, zu welcher der König sich zweifellos aus seiner Umgebung am meisten hingezogen fühlte"lO. Nach der Niederlage Preußens gegen Frankreich blieb Beyme zunächst Mitglied des königlichen Kabinetts, wurde dann aber 1807 auf Drängen Steins und Hardenbergs entlassen. 1808 wurde er erneut ins Kabinett berufen und im November desselben Jahres unter dem alten Titel eines Großkanzlers mit dem Justizministerium betraut. Mit dem Scheitern der Regierung Dohna-Altenstein verlor 1810 auch Beyme sein Amt. Nach den Befreiungskriegen wurde er wieder in die Regierungsarbeit einbezogen. 1817 erhielt er zunächst das Ministerium für Gesetzrevision. Durch die Kabinettsorder vom 19.November 1818 schließlich übertrug ihm der König daneben das Justizressort für die Rheinprovinzen. Schon zum 31. Dezember 1819 wurde er wieder aus dem Ministeramt entlassen. Diese Entlassung ging zuriick auf den Protest gegen die Karlsbader Beschlüsse, an dem sich neben den Ministern Humboldt und Boyen auch Beyme beteiligt hatte. Auf Betreiben Hardenbergs, der damit den restaurativen Kräften innerhalb des Regierungsapparates nachgab, wurden die drei "liberalen" Minister aus der Regierung entferntlI. Eine für diesen Prozeß gebildeten Juristenkommission angehörte; Thomas Stamm-Kuhlmann: König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992, S. 130; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 324. 8 Allgemein zu Funktion und Stellung des königlichen Kabinetts Walther Hubatsch (Hrsg.): Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815-1945, Reihe A: Preußen, Bd. 12, S. 162 f. m. w. N.; Horst Thieme: Preußisches Geheimes Zivilkabinett - kapitalistische Epoche. Übersicht über einen Bestand im Deutschen Zentralarehiv, Historische Abteilung 11, Merseburg, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, XVIII. J g. (1970), Heft I, S. 90 ff. Speziell zur Tätigkeit des Kabinetts in den ersten Jahren der Regierung Friedrich Wilhelm III. A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 339 ff. 9 H. Thieme: Preußisches Geheimes Zivilkabinett, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, XVIII. Jg. (1970), Heft 1, S. 91. 10 A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 341. An anderer Stelle (Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 395) zitiert er ein an Beyme gerichtetes Schreiben des Königs von 1808, in dem es heißt: "Ihre Gegenwart ist von dem größten Nutzen, da Sie der Einzige von den Mich umgebenden Personen sind, der die Verbindung des Ganzen mit seinen einzelnen Theilen vor Augen hat, worauf jetzt soviel ankommt. Sie sind ein Mann, der sich Meines Vertrauens stets vollkommen würdig gezeigt hat, und Sie wissen, daß Ich Sie jederzeit ebenso geschätzt als geachtet habe". 11 Siehe zu diesen Vorgängen A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 457 f.; vgl. auch E. Landsberg: Gutachten, S. CXXII. Die Bekanntmachung Kircheisens und Beymes vom

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme

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seiner bisherigen Aufgaben blieb ihm dennoch übertragen: als "Revisionskommissar" sollte er die Revision der preußischen Gesetze fortführen 12. Das Urteil sowohl der Zeitgenossen als auch der späteren Literatur über Beyme bewegt sich stets zwischen dem Lob seiner Befähigung auf juristischem und verwaltungstechnischem Gebiet und dem Vorwurf einer kraftlosen und unentschlossenen Haltung in fast allen entscheidenden innen- und außenpolitischen Fragen, die ihn als den Anforderungen der Kriegs- sowie der Reformzeit nicht gewachsen erscheinen ließ. Wenn er auch nicht in der ersten Reihe der Reformer stand, gehörte er doch ausgehend von einer aufgeklärten Grundhaltung zu den energischen Verfechtern der Ideen der Reformzeit und nahm tätigen Anteil an ihrer Verwirklichung. Noch für die "Reformen vor der Reformzeit"13 war er sogar die treibende Kraft: sowohl die Entwürfe zur Befreiung der spannfähigen Bauern der Staatsdomänen ab 1799 als auch die ersten Pläne zur Gründung der Berliner Universität 14 sind auf ihn zurückzuführen. Darüber hinaus hat er entscheidenden Anteil an der Zuziehung von Politikern und Wissenschaftlern gehabt, die später die Reformbewegung maßgeblich beeinflussen sollten. So sind u. a. die erste Berufung Steins, die Berufung Wilhelm und Alexander von Humboldts, Fichtes und Hufelands auf seine Initiative zurückzuführen. Als Justizminister war er 1808 mit der Reorganisation und Reform der preußischen Justiz, insbesondere der Abschaffung der Patrimonialgerichtsbarkeit beauftragt worden, konnte auf diesem Gebiet aber keine Erfolge erringen. 1817 von Hardenberg zum Gesetzrevisionsminister vorgeschlagen und so erneut mit Fragen der Gesetzgebung und Justizorganisation befaßt, erkannte Beyme bald das Reformpotential des rheinisch-französischen Rechts und schien entschlossen, es für die Revision der preußischen Gesetzgebung zu nutzen 15. Im Gesetzrevisionsministerium wurden die "Einrichtungen französische Ursprungs" auf ihren Nutzen für die preußische Reform untersucht l6 . Darüber hinaus setzte Beyme ein 3. 1. 1820 über die Veränderungen im Justizministerium findet sich bei M. Simon: Uebersicht, Teil 1, S. 117 und in RhA 1 11., S. 99 f. 12 Zur Einrichtung dieser Position GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 6 foI32/33, 39-43, 50/ 51. 13 H.-J- Schoeps: Neue Quellen zur Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert, S. 26. 14 Zur Rolle Beymes bei der Gründung der Universität ausführlich M. Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 1, S. 24 ff., 71 ff.; W. v. Beyme: Carl Friedrich von Beyme, S. 107 ff.; Uwe Bake: Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, Kiel 1971, S. 77 ff.; vgl. auch Cornelie Butz: Die Juristenausbildung an den preußischen Universitäten Berlin und Bonn zwischen neuhumanistischem Bildungsideal und Praxisnähe, zug!. Univ. Diss. Berlin, Berlin 1992. 15 E. Landsberg: Gutachten, S. XLV f., CXXX; s.a. oben Kapitel B II 2 a) cc), 2 b). 16 Auch unter diesem Gesichtspunkt setzt sich das schon mehrfach zitierte Gutachten, das der Obertribunalsrat Busse für das Ministerium zur Frage der künftigen Obergerichtsbarkeit fertigte, mit der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit auseinander. Busse führt aus, daß ihm der von der HK vorgeschlagene "Revisionshof' "zu den Einrichtungen französischen Ur-

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

umfassend angelegtes Projekt der Rechtsvergleichung in Gang 17 • Die preußischen und französischen Gesetze sollten Paragraph für Paragraph, Artikel für Artikel verglichen werden. Welchen Institutionen des französischen Rechts dabei besondere Aufmerksamkeit zukommen sollte, stellte Beyme während der Vorarbeiten zu der im Sommer 1818 beschlossenen Reorganisation der rheinischen Justiz heraus. Eine Reise in die Rheinprovinz im Herbst 1818, hatte ihm Gelegenheit gegeben, den Sitzungen aller Kollegialgerichte einschließlich der Assisenhöfe sowie vieler Friedensgerichte beizuwohnen. In einem Bericht an den König, den er über die Ergebnisse seiner Inspektionsreise hat anfertigen lassen 18, lieferte Beyme ein sehr positives Bild der rheinisch-französischen Gerichtsverfassung. Im Vergleich mit der preußischen hob er die weitgehende Entlastung der rheinischen Richter von Aufgaben der Justizverwaltung und Vollstreckung, die striktere Trennung zwischen Judikative und Exekutive sowie die Entlastung der Gerichte von Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Einrichtung des öffentlichen Ministeriums hervor. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen in Zivil- und Strafsachen sowie das Geschworenengericht bezeichnete er als "lobenswerthe, den Geist des Volkes belebende und dem Bedürfnisse der Zeit entsprechende Institutionen,,19. Obwohl er die Übernahme dieser Institute für den gesamten Staat nicht ausdrücklich vorschlug, machte Beyme in seinem Bericht deutlich, daß er sie auch in Preußen dem "Bedürfnisse der Zeit" für angemessen erachtete. An einer Stelle nahm er unmittelbar Bezug auf die preußischen Reformen und bezeichnete das Institut der Friedensgerichtsbarkeit, das er als eines "der vorzüglichsten in der französischen Justizverfassung" kennengelernt habe, ausdrücklich als "nachahmenswerth,,2o. Für die Rheinlande selbst sprach er sich noch weitergehend für eine Ausweitung dieser Einrichtungen aus und plädierte dafür, nicht allein Verbrechen, sondern auch Vergehenstatbestände vor einem Geschworenengericht zu verhandeln sprungs zu gehören scheint, von denen wir uns Vortheile aneignen könnten", Begleitschreiben vom 23.6. 1818; GstA PK Rep 84 a (2.5.1.), vor fol. I. 17 Bericht Beymes über seine Arbeiten an Hardenberg vom 9.7. 1820; GStA PK Rep 74 R I Nr. 14, fol. 144 ff. Zu diesen Arbeiten E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 156; ders.: Gutachten, S. XLV, FN 3 und S. CXXX. 18 Der Entwurf dieses Berichts findet sich in GStA PK Rep 84 I Nr. 93, Bd. 2 (unfoliiert) gegen Ende eingeheftet. Es handelt sich dabei um ein Aktenstück aus dem Bestand des Gesetzrevisionsministeriums, das verschiedene Schriftstücke zur Vorbereitung der rheinischen Justizorganisation aus den Monaten September bis Dezember 1818 zusammenfaßt. Der Bericht ist als persönlicher Erfahrungsbericht des Ministers - allerdings von Schreiberhand nach Abschluß der Reise in die Rheinprovinz abgefaßt und an den König gerichtet. Da er weder Abzeichnung noch einen Absendungsvermerk trägt, sondern statt dessen mit einem Rückstellungsvermerk ("cessat") versehen ist und weitere Notizen zu seinem Schicksal fehlen, bleibt unklar, ob er den König tatsächlich in dieser Form erreicht hat. 19 GStA PK Rep 84 I Nr. 93, Bd. 2, 24. Seite des Berichts. 20 GStA PK Rep 84 I Nr. 93, Bd. 2, 34. Seite des Berichts.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme

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und dem Grundsatz der Unmittelbarkeit in der mündlichen Verhandlung im rheinischen Verfahren größere Geltung zu verschaffen 21 . Diese aufgeschlossene Haltung des Ministers, die sich schon während seiner Reise im Kontakt mit Juristen und weiten Kreisen der Bevölkerung gezeigt hatte, verfehlte ihren Eindruck in den Rheinlanden nicht: Fast zehn Jahre später wurde sie im Vergleich mit der aktuellen Politik noch lobend in Veröffentlichungen zur Frage der Rechtsangleichung erwähnt22 . Mit Bezug auf Beymes Bemühen, sich die "rheinische Rechtsverfassung in allen ihren Verzweigungen anzueignen" heißt es dort: "Hätten doch gewisse Schriftsteller ein Gleiches gethan, ehe sie sich zu Feinden der rheinischen Institute aufgeworfen!".

2. Die Auswahl des Gerichtspersonals Die Auswahl der Justizbeamten für den RKH traf Beyme selbst. Die beiden vortragenden Räte des Ministeriums waren an den Arbeiten zur Errichtung des RKH nicht beteiligt 23 . Hilfe erhielt Beyme allerdings seit etwa Ende 1818 durch die Mitarbeit August Heinrich Simons, des altpreußischen Mitglieds der IJK24 . Von seiner Hand stammen die meisten der Entwürfe für die Einrichtungskorrespondenz 25 . Darüber hinaus fehlt jedoch jeder ausdrückliche Hinweis auf eine auch inhaltlich bestimmende Einflußnahme dieses Beamten auf die Pläne und Personalvorschläge Beymes, etwa in dem Sinne, daß die dahinterstehende Konzeption auf Simon zuDurch Zurückdrängen des Schriftsatzbezuges und der Verlesung von Zeugenaussagen. Vgl. einen entsprechenden Artikel in der Sammlung: "Die Einführung der Preußischen Gesetzgebung in die Rheinprovinzen", Heft 2, Koblenz 1827, S. 70 ff. 23 Der eine war schon 1818 gestorben, und der andere griff zumindest nicht in den den RKH betreffenden Schriftverkehr ein. Zur Errichtung und Besetzung des Beymeschen Ministeriums GStA PK Rep 84 I Nr. 28 Bde. 1 und 2 (unfoliiert). Die Personal stärke des Ministeriums ergibt sich aus einem Personalverzeichnis vom Mai 1819 in Bd. 1 dieser Akten. Dort sind als ordentliche Räte nur der Geheime Oberjustizrat Emanuel Friedrich Hagemeister und Heinrich August Simon verzeichnet. Letzterer wurde aber erst im April 1819 zum Rat ernannt. In den Akten zur Errichtung des RKH finden sich keine ersichtlich von Hagemeister angefertigten Schriftstücke; vgl. GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646-649. Erst nach Abschluß der Personalauswahl für den RKH und kurz vor der Eröffnung des Gerichtshofes erhöhte sich die Zahl der Ministerialräte mit dem Eintritt eines weiteren Mitgliedes der IJK, des Aachener Tribunalspräsidenten Bartholomäus Fischenich, der vom 1. 7. 1819 an im Ministerium beschäftigt wurde; GStA PK Rep 84 I Nr. 28 Bd. 2 Schreiben Beymes an den König vom 29. 6.1819 und Abschrift der Bestallung vom 9. 7.1819. Korrespondenz zur geplanten Einstellung Fischenichs findet sich auch in Bd. 1 derselben Akte. 24 Simon arbeitete zunächst ohne eine feste Anstellung im Ministerium und wurde erst im April 1819 zum Rat ernannt. Antrag Beymes auf Bestallung Simons vom 31. 3. 1819 und Abschrift des Bestallungsschreibens vom 9. 4. 1819 in GStA PK Rep 84 I Nr. 28, Bd. 1 (unfoliiert). Zur Anstellung Simons im Ministerium auch E. Landsberg: Gutachten, S. CXXI, Fn. 1. 25 Dies läßt sich bspw. anhand der im Dezember 1818 einsetzenden Aktenführung speziell zu Errichtung des RKH nachweisen (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646 ff.). 21

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

rückginge und von Beyme nur genehmigt worden wäre. Obwohl also die Mitarbeit Simons sicher nicht ohne Einfluß geblieben ist, ist es gerechtfertigt, im folgenden von der Konzeption Beymes zu sprechen. Der Minister selbst hatte die erforderlichen Sachkenntnisse, insbesondere Rechts- und Personalkenntnisse, auf seiner Reise in die Rheinprovinz erworben und konnte viele der Anstellungen durch persönliche Kontaktaufnahme zu den Richtern noch während dieser Reise einleiten. Ein wichtiges Hilfsmittel für die Auswahl der rheinischen Juristen hatte ihm die HK mit einem ausführlichen Personal verzeichnis geliefert, das Auskunft über Leistung und fachliche Qualifikation der Beamten gab 26 . Dieser Aufstellung hatte die Kommission Verwendungsvorschläge für die einzelnen Juristen beigefügt und dort auch Kandidaten für den RKH bezeichnet. Dem folgte der Minister jedoch nicht durchgängig, so daß man auch hinsichtlich der rheinischen Beamten von der Eigenständigkeit des Beymeschen Konzepts ausgehen muß27 .

a) Die Zusammensetzung des ersten Kollegiums Das Gerichtspersonal sollte sich gemäß der Kabinettsorder vom 19. November 1819 aus einem Präsidenten, zehn hauptamtlichen Richtern und zwei Beamten des öffentlichen Ministeriums zusammensetzen 28 • Von diesen Vorgaben ging Beyme jedoch ab. Er vergrößerte den Kreis der anzustellenden Personen erheblich, indem er einige der Richter lediglich im Nebenamt unter Beibehaltung ihrer bisherigen 26 GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Dieses "General Verzeichnis sämtlicher bei den Gerichts Höfen und Gerichten in den Rhein Provintzen angestellter Justiz-Beamten mit Einschluß der Notarien" wurde von der IJK nach umfangreichen Vorarbeiten im Dezember 1818 fertiggestellt. Neben Angaben über Geburts-, Wohn- und Studienorte sowie den Familienstand und die bisherigen Amts- und Besoldungsverhältnisse der einzelnen Justizbeamten findet sich hier für die meisten Juristen auch eine kurze als "Charakteristik" bezeichnete Beurteilung der fachlichen Befähigung, der Dienstführung und des Lebenswandels. Vervollständigt wurden diese Angaben zumeist durch Vorschläge zur künftigen Verwendung der Beamten. Wesentliche Quelle dieses umfangreichen Personalverzeichnisses bildeten - neben den z. T. fundierten Personalkenntnissen der IJK Mitglieder, insbesondere Sethes - Personalberichte, die von den Staatsbehörden der Appellationsgerichte für die jeweiligen Gerichtsbezirke angefertigt worden waren; enthalten in GStA PK Rep 84 I Nr. 186 (unfoliiert). Das Personalverzeichnis der IJK ist später noch durch ergänzende Berichte der Kommission selbst (GStA PK Rep 84 I Nr. 186 (unfoliiert» und durch gesonderte, z.T. von der Kommission abweichende, Stellungnahmen des Präsidenten Sethe (GStA PK Rep 84 I Nr. 132) ergänzt worden. 27 Die Quellen, aus denen sich die Auswahlkriterien des Ministers am ehesten erschließen lassen, sind seine Personal berichte, insbesondere sein abschließender Immediatbericht an den König vom 31. 3. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. (Entwurf); Reinschrift des Berichts, (der vor der Weiterleitung an den König dem Staatskanzler zur Genehmigung vorgelegt wurde), in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Herangezogen wird aber auch die weitere Korrespondenz Beymes, in der er immer wieder die seinen Arbeiten zugrundeliegenden Absichten erläutert. Ergänzt wird dies durch den Blick auf die Viten der angestellten Beamten, ihre rechtspolitische Einordnung und ihre beruflichen Leistungen, aus denen die entscheidenden Einstellungskriterien deutlich abzulesen sind. 28 §§ 12, 13 der Kabinettsorder; E. Landsberg: Gutachten, S. 369.

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Ämter beschäftigte 29 . Von den zehn Richterstellen wurden sechs an hauptamtliche Richter vergeben, während die für die restlichen vier Stellen vorgesehenen Mittel so aufgeteilt wurden, daß zehn nebenamtliche Stellen geschaffen werden konnten. Letztlich blieben zwei Stellen dieser Kategorie unbesetzt, so daß das Personal des RKH bei der Eröffnung des Gerichtshofes neben dem Präsidenten, dem Generalprokurator und einem Generaladvokaten, aus 14 teils haupt- teils nebenamtlich angestellten Richtern bestand. Beyme besetzte das rheinische Obergericht nicht ausschließlich mit Rheinländern. Wie in seinem Vortrag vor dem Staatsministerium im Sommer 1818 angekündigt, zog er auch "altpreußische" Beamte heran. Da die Einordnung der Juristen als "Rheinländer" oder der "Altpreußen" sich so in den Quellen zur Arbeit Beymes und der nachfolgenden Justizminister findet, erscheint es sinnvoll, sie näher zu beleuchten. Der Begriff "Altpreuße"3o wurde in Abgrenzung zu den Bewohnern der nach den Befreiungskriegen neu erworbenen Provinzen verwandt. Für eine Zuordnung der am RKH eingestellten Beamten liefert diese Begrifflichkeit allein aber noch kein genügend scharfes Abgrenzungskriterium. Welcher Gruppe soll man beispielsweise den Präsidenten des Gerichts, Christoph Wilhe1m Heinrich Sethe 31 , zuordnen? Er war gebürtiger Rheinländer und hatte bis 1819 im Rheinland, also auch mit dem französischen Recht, gearbeitet, stammte aus dem rheinischen Kleve, das aber schon im 18. Jahrhundert preußische Besitzung gewesen war, und hatte seine praktische Ausbildung im preußischen Recht erhalten. Ganz ähnlich stellt sich diese Frage für zwei weitere Richter, die Räte Meusebach und Boelling. Sie hatten ebenfalls zur Zeit der französischen Herrschaft im Rheinland gearbeitet, stammten aber nicht aus den Rheinlanden, sondern aus anderen Territorien, Meusebach aus Sachsen und Boelling aus der preußischen Grafschaft Mark. Eine brauchbare Zuordnung läßt sich eher erreichen, wenn man neben der territorialen Herkunft auch die bisherige berufliche Bindung an das entsprechende Territorium und die individuellen Rechtskenntnisse der Juristen beriicksichtige 2 • Danach sind auch Sethe, Boelling und Meusebach als "rheinische" Juristen anzu29 Dieses Konzept findet sich abschließend zusammen ge faßt in dem Immediatbericht Beymes an den König vom 31. 3. 1819; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. 30 Dieser Begriff taucht so in den Quellen auf; vgl. nur die Andeutungen über die künftige Zusammensetzung des rheinischen Obergerichts im Staatsministeriumsvortrag vom 5. 8. 1819; aStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. In seinem Immediatbericht vom 31. 3. 1819 spricht Beyme in der Regel von Justizbeamten aus den "alten Provinzen"; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. Auch in späteren Quellen findet man den Begriff "Altpreußen" wiederholt, vgl. etwa einen Bericht Kamptz' über die künftige rheinische Rechtsverfassung aus dem Jahr 1831; aStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6166, fol. 25. 31 Zur Person Sethes vgl. seine Autobiographie sowie die ergänzenden biographischen Angaben bei A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt. Die hier edierte Autobiographie Sethes findet sich im Original in aStA PK Rep 92, Nachlaß Sethe. 32 Dies entsprach offenbar auch den Plänen Beymes. In seinem abschließenden Immediatbericht vom 31. 3. 1819 heißt es, zehn der 17 Beamten seien "der aeburt oder langjährigen Verhältnissen nach am Rheine heimisch"; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) fol. 194.

7 Seynsche

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sprechen, weil sie bereits vor 1819 lange Zeit mit dem französischen Recht gearbeitet hatten. Altpreußische Richter sind nach diesem Schema diejenigen Mitglieder des RKH, die mit dem französischen Recht oder zumindest mit seiner praktischen Anwendung bisher noch nicht in Beriihrung gekommen waren. Mit dieser Definition ist zugleich das Kriterium für eine schärfere Eingrenzung der Gruppe der "Altpreußen" gefunden. Wenn im folgenden von "den altpreußischen Beamten" die Rede ist, so sind damit neben den durch Geburt an Preußen gebundenen Beamten auch Richter gemeint, die zwar keine gebürtigen Preußen waren, aber einen großen Teil ihrer beruflichen Laufbahn im preußischen Staatsdienst zugebracht hatten 33 . Bezogen auf den Anteil der jeweiligen Gruppen am Gerichtspersonal, ergibt sich ein leichtes Übergewicht zugunsten der Rheinländer 34 . Zu dieser Gruppe sind nach der obigen Definition einschließlich der beiden Beamten des öffentlichen Ministeriums zehn Juristen zu zählen: die ehemaligen Mitglieder der HK - Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, Bartholomäus Franz Fischenich und Moritz Boelling -, der Appellationsrichter Bernhard Seyppel, die Präsidenten des Kölner und des Düsseldorfer Tribunals erster Instanz, Wilhelm Blanchard und Clemens Wilhelm Hardung, sowie der Verwaltungsjurist Carl Friedrich Ferdinand Ruppenthal und drei Mitglieder der Koblenzer Revisionshofes: Carl Hartwig Gregor von Meusebach, Lambert Joseph Krezzer und Ambrosius Hubert Eichhorn. Die sieben altpreußischen Beamten waren: der Obertribunalsrat Alexander Freiherr von Schilling und Canstadt, der Vizepräsident des Kammergerichts Friedrich Christoph von Triitzschler und Fa1ckenstein, der Oberlandesgerichtspräsident Ernst Wilhe1m Albrecht von Reibnitz, der Professor der Rechte Friedrich Carl von Savigny, der Oberlandesgerichtsrat August Heinrich Simon35 , der Direktor des Berliner Vormundschaftsgerichts Heinrich Gottlob Mühler und der bisherige Oberlandesgerichtsrat Carl Friedrich FricciuS36 .

33 Hierher gehört etwa Friedrich Carl von Savigny, der in Frankfurt am Main geboren worden war. Dasselbe gilt auch für den Obertribunalsrat Alexander Freiherr Schilling von Canstatt, der aus dem damals noch eigenständigen Ansbach-Bayreuth stammte; Neuer Nekrolog, 2. Jahrgang (1824), 2. Heft, Ilmenau 1826, S. 1080. 34 Beyme hatte allerdings ursprünglich ein ausgeglicheneres Verhältnis beider Gruppen angestrebt, auch zwei 1819 zunächst noch unbesetzt gebliebene Stellen hatte er mit altpreußischen Beamten besetzen wollen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. 35 Simon nimmt innerhalb der Gruppe der Altpreußen insofern eine Sonderrolle ein, als er zwar in Preußen geboren war und bis 1816 ausschließlich im preußischen Justizdienst gearbeitet hatte, sich aber über seine Mitgliedschaft in der HK zwischen 1816 und 1818 detaillierte Kenntnisse der rheinischen Rechts- und Gerichtsverfassung angeeignet hatte. 36 Die Schreibweise der Nachnamen und die Reihenfolge der Vornamen ist einer offiziellen, an den RKH gerichteten Personalaufstellung vorn 14. 8. 1819 entnommen, die Sethe für die Akten des Gerichts bei Beyme angefordert hatte; GStA PK Rep 97 B lAI gen., 18 ff. Diese Schreibweise stimmt auch mit persönlichen Schriftzeugnissen (Unterschriften etc.) der Beamten überein - bis auf den Namen Seyppels, den Beyme hier mit Seypel angibt. In einigen von Dritten angefertigten Schriftstücken finden sich teilweise andere Schreibweisen:

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme

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b) Auswahlgesichtspunkte

Die Besetzung obergerichtlicher Ämter innerhalb der preußischen Justiz folgte zumindest in der ersten Jahrhunderthälfte einem starren Schema37 . Entscheidende Faktoren für den Aufstieg eines Juristen waren sein Dienstalter und - in zweiter Linie - die Beurteilung seiner fachlichen Leistung durch seine Vorgesetzen. Die Personalauswahl für den RKH wich von diesem Schema ab. Hier läßt sich eine deutliche Verschiebung feststellen, die das Anciennitätssystem, unter dessen Einfluß sich an altpreußischen Gerichten ein Beförderungsautomatismus entwickelt hatte, in den Hintergrund drängte und Raum für ein Ineinandergreifen mehrerer Auswahlkriterien schuf. Anciennität und fachliche Leistung der Beamten blieben nicht gänzlich bedeutungslos, wurden aber durch eine Reihe von Kriterien ergänzt, die teils auf die besondere Stellung des künftigen Gerichts als rheinisches Obergericht, teils auf die Anforderungen der Gesetzrevision Rücksicht nahmen.

aal Beruflicher Werdegang

Beyme selbst äußerte die Absicht, das neue Gericht als ein dem Geheimen Obertribunal ebenbürtiges Obergericht auszugestalten, und stellte dieses Kriterium als Ausgangspunkt seiner Arbeiten dar38 . Vor diesem Hintergrund war es die bisherige berufliche Stellung, die für die meisten Anstellungen erhebliche Bedeutung erlangte. An erster Stelle ist hier die Anstellung der führenden Mitglieder der vormaligen HK, nämlich des Vorsitzenden Sethe sowie der Juristen Moritz Boelling, Bartholomäus Franz Fischenich und August Heinrich Simon zu nennen 39 . Mit Sethe, dem das Gerichtspräsidium übertragen werden sollte, hatte man den nach Daniels wohl führenden Juristen des Rheinlandes berufen. Er hatte zunächst in seiner Heimatstadt Kleve in preußischen Diensten gearbeitet und war nach der französischen Eroberung Kleves kurze Zeit in der Justiz des seit 1803 preußischen Münster tätig gewesen. 1808 schließlich wechselte er in die Dienste des Großherzogturns Berg. Er wurde Mitglied des Staatsrates und war in dieser Funktion an der Einführung des französischen Rechts in Berg beratend beteiligt. Ab 1811 übte er zusätzlich das Amt des Generalprokurators, also des leitenden Beamten des öffentetwa "Bölling" oder "Kretzer". Bei den Vornamen wurde durchgehend "earl" für das gelegentlich auch benutzte "Kari" eingesetzt. 37 Christina von Hodenberg: Die Partei der Unparteiischen. Der Liberalismus der preußischen Richterschaft 1815-1848/49 (Kritische Studien zur Rechtswissenschaft, Bd. 113), Göttingen 1996, S. 104 ff. (1l6). 38 So in seinem Bericht vom 31. 3.1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176. 39 Ein weiteres Mitglied der HK, der Trierer Appellationsgerichtsrat Peter Schwartz, war ebenfalls für den RKH in Erwägung gezogen worden, diese Überlegung wurden aber auf den sehr frühen Widerspruch von seiner Seite schon vor Beginn der eigentlichen Besetzungsarbeiten wieder aufgegeben; E. Landsberg: Gutachten, S. LV, CXXI; Personalnotizen aus dem Jahr 1816 in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 1 a, fol. 93 f. 7*

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

lichen Ministeriums, am neugegründeten Appellationshof in Düsse1dorf aus. Nach dem Krieg hatte er die Ämter eines Justizorganisationskommissars für die Rheinlande, des Oberlandesgerichtspräsidenten von Münster und zuletzt den Vorsitz der IJK inne4o . Der aus Schwelm in der Grafschaft Mark stammende Boelling hatte, wie Sethe, seine praktische Tätigkeit als Rat der vormaligen Regierung in Kleve begonnen, war dann, zusammen mit Sethe, für kurze Zeit in der münsterschen Justiz tätig gewesen, um später ebenfalls in das Großherzogtum Berg zu wechseln. Dort arbeitete er als Richter des Appellationshofes in Düsseldorf. Vor seinem Eintritt in die IJK war er von der provisorischen Verwaltung der Alliierten als Gouvernementskommissar nach Aachen berufen worden41 . Fischenich hatte erst in französischer Zeit endgültig von der Hochschul- in die Justizlaufbahn gewechselt. Nach Abschluß seines Studiums 1791 hatte er zunächst neben einer SchöffensteIle am weltlichen Gericht eine Professur für Natur- und Völkerrecht an der kurfürstlichen Universität in Bonn erhalten und 1800 an der Bonner Zentralschule einen Lehrstuhl übernommen. Nach der Auflösung dieser Institution 1802 wurde er Anklagevertreter (magistrat de siirete) am Bonner Zuchtpolizeigericht. 1811 erhielt er das Präsidium des Gerichts erster Instanz in Aachen42 • Anders als diese Männer war August Heinrich Simon aus der preußischen Justiz in die IJK berufen worden. Unmittelbar vor Antritt dieses Amtes war er zum Mitglied des Oberlandesgerichts in Glogau ernannt worden, nachdem er zunächst als Kammergerichtsassessor an der Redaktion der Materialien des ALR mitgewirkt und anschließend als Notar und Justizkommissar am Kammergericht gearbeitet hatte43 . Neben den Mitgliedern der Kommission waren es Angehörige der höchsten rheinischen und altpreußischen Gerichte, die wegen ihrer bisherigen beruflichen Stellung an den RKH berufen wurden. Zu nennen sind hier Präsident und Vizepräsident des Koblenzer Revisionshofes, earl Hartwig Gregor von Meusebach44 und 40 A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt; H. Hüffer: ADB, Bd. 34, S. 45 ff. E. Landsberg: Gutachten, S: XXX ff., LI ff. 41 Der berufliche Werdegang Boellings findet sich zum größten Teil in einem Personalbericht Sethes an Beyme vom 13. 12. 1818 wiedergegeben; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 6 f. Zu seiner Tätigkeit am Appellationshof Düsseldorf und seiner späteren Anstellung im öffentlichen Ministerium des 1819 neu errichteten Kölner Appellationshofes vgl. A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, in: J. Wolfframl A, Klein (Hrsg.): 150 Jahre DLG Köln, S. 125 f.; H. Lahausen: Zivilgerichte, S. 10,57. 42 Zu Fischenich vgl. die Biographie von Ulrike Teschner: Bartholomäus Fischenich. Ein rheinischer Philosoph und Jurist der Aufklärungszeit, Bonn 1968; sowie Paul Kaufrrumn: Staatsrat Bartholomäus Franz Fischenich. Ein rheinischer und deutscher Patriot, in: Kölnische Zeitung vom 30. 12. 1926 (Nr. 965) und vom 1. 1. 1927 ( Nr. 1); Varrentrapp, ADB, Bd. 7, S. 47 f. 43 Ein kurzer Lebenslauf Simons und Briefe von ihm finden sich in der Biographie seines gleichnamigen Neffen; Johann Jacoby: Heinrich Simon. Ein Gedenkbuch für das Deutsche Volk, 2. Aufl., Berlin 1865, S. 3 ff.; vgl. auch A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 422, 450; E. Landsberg: Gutachten, S. LII ff. 44 K. Schwartz: Hartwig Gregor von Meusebach. Lebensnachrichten, bearb. von F. DUo, in: Annalen des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Bd. 21

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Lambert Joseph Krezzer sowie der Generalprokurator desselben Gerichtshofes, Hubert Ambrosius Eichhorn. Krezzer war zugleich Vorsitzender der sogenannten schiedsrichterlichen Kommission. Diese Kommission sollte nach Maßgabe des ersten Pariser Friedens die noch aus der Zeit der französischen Verwaltung stammenden Forderungen der Einwohner der Rheinlande gegen den französischen Staat regulieren 45 . Eichhorn hatte bereits vor der Berufung an den Koblenzer Revisionshof hohe Ämter in der Justiz innegehabt46 . Bereits mit 21 Jahren war er 1792 als Praktikant am Reichskammergericht tätig gewesen und hatte dann ab 1793 verschiedene Positionen in seiner Heimatstadt Trier bekleidet, zuletzt als Richter des Appellationshofes 47 . Von 1811 an arbeitete er als Generalprokurator in Hamburg. In dieser Stellung war er am Aufbau einer geordneten Justiz beteiligt und erwarb sich großes Ansehen in der Bevölkerung48 . Nach dem Ende der französischen Herrschaft verließ er Hamburg und bewarb sich wieder um eine Anstellung in den

(1889), S. 43 ff., Bd. 22 (1890), S. I ff.; Peter Sprengel, NDB, Bd. 17, S. 271 f. In erster Linie auf die literarisch-wissenschaftliche Tätigkeit Meusebachs, der sich intensiv mit der deutschen Literaturgeschichte befaßte und eine berühmte Sammlung verschiedener Literaturgattungen, hauptsächlich aus der Zeit des Barock, angelegt hatte, beziehen sich Camillus Wendeler: Fischartstudien des Freiherrn von Meusebach, Halle 1879 und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Auswahl in drei Teilen, 3. Teil: Mein Leben, hrsg. von Augusta Weldler-Steinberg, Neudruck Hildesheim, New York, 1973, S. 91 ff. Der Nachlaß und die Bibliothek Meusebachs finden sich in den Beständen der Staatsbibliothek in Berlin. 45 Zu Krezzers Tätigkeit am Koblenzer Revisionshof G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 48 ff. Über die Mitgliedschaft Krezzers in der Kommission und zur Weiterführung seines Amtes in Koblenz findet sich ab Juli 1815 eine umfangreiche Korrespondenz in GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 629 (unfoliiert). Über die schiedsrichterliche Kommission vgl. F. Vollheim: Die provisorische Verwaltung, S. 40 ff. Den Vorsitz übernahm Krezzer, als die Kommission von Paris nach Berlin verlegt wurde. 46 Ein ausführlicher Nachruf auf Eichhorn ist enthalten im Neuen Nekrolog, 30. Jg. (1852), Teil 2, Weimar 1854, S. 797 ff. 1816 war auch erwogen worden, ihm eine der noch zu besetzenden Stellen in der IJK zu geben; vgl. die aus Anlaß der Besetzung der Kommission eingereichten Personalnotizen in GStA PK Rep 74 R IX Nr. I a, fol. 94 f. Letztlich ist diese Berufung von der Kommission selbst in einem Personalbericht abgelehnt worden. Gegen Eichhorn waren Klagen wegen zu großer Leidenschaftlichkeit erhoben worden, die der Kommission sein Ansehen in der rheinischen Öffentlichkeit fraglich erscheinen ließen; Bericht der IJK in GStA PK Rep 74 R IX Nr. I a, fol. 91 f. Zu Eichhorns Tätigkeit in der Trierer Justiz vgl. J. Dressler: Geschichte der Trierer Gerichte, insbes. S. 28 f., 39. 47 Zunächst hatte er eine Stelle am Schöffengericht in Trier erhalten, mußte unter der französischen Justizverwaltung diese Berufsrichterposition aber wegen zu geringen Alters abgeben und arbeitete dann als Gerichtsschreiber unter anderem am Trierer Revisionshof. Nach Auflösung des Revisionsgerichts wurde er Substitut des Generalprokurators am 1802 gegründeten Trierer Appellationsgericht und stieg später zum Richter dieses Gerichtshofes auf. 48 V gl. das Begleitschreiben der Senate der Hansestädte vom April 1814 zur Bewerbung Eichhorns um eine Anstellung in den Rheinlanden. Hier wird Eichhorn ein überaus positives Zeugnis nicht nur seiner fachlichen Fähigkeiten ausgestellt: Er habe es verstanden, das harte Regiment der Franzosen zu mildem und sei trotz langjähriger Tätigkeit unter den Franzosen "Deutscher geblieben"; LA Speyer, Bestand G 21 Nr. 199 (alte Nr. 160, Justizsachen Nr. 4; unfoliiert).

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Rheinlanden. Versehen mit einer Empfehlung Steins wurde er von Gruner an den Revisionshof nach Koblenz berufen49 . Aus den Reihen der altpreußischen Gerichtsbarkeit wurden der Obertribunalsrat Alexander Freiherr Schilling von Canstatt, der Vizepräsident des Kammergerichts, Friedrich Christoph von Triitzschler und Falckenstein 5o, und schließlich der vormalige Präsident des Oberlandesgerichts in Brieg, Ernst Wilhelm Albrecht von Reibnitz 51 , berufen. Die Berufung Friedrich Carl von Savignys schließlich ist sicher in erster Linie auf seine wissenschaftlichen Verdienste zuriickzuführen ist52 , dennoch dürften auch seine bisherigen Amtsverhältnisse in der Berliner Juristenfakultät und im Staatsrat53 eine Rolle gespielt haben. Weitaus geringere Bedeutung erlangte die berufliche Stellung für die Gruppe der noch verbleibenden Beamten. Obwohl es sich auch hier um Juristen aus der mittleren bis höheren Ebene handelte, besaßen sie noch keine so herausragenden Positionen wie die oben Genannten. Clemens Wilhelm Hardung und Wilhelm 49 Das Empfehlungsschreiben Steins, an den sich Eichhorn in Paris mit seinem Anliegen gewandt hatte, in LA Speyer, Bestand G 21 Nr. 199 (Schreiben vorn 28.4. 1814). 50 Über Schilling Neuer Nekrolog, 2. Jahrgang (1824), 2. Heft, IImenau 1826, S. 1080 f. Er stammte aus Ansbach und hatte seinen ersten praktischen Ämter auch in der dortigen Justiz erhalten. 1786 war er mit 20 Jahren zum Assessor des Hof-, Regierungs- und Justizratskollegiums, später zum Hof- und Regierungsrat in Ansbach ernannt worden. Nach der Vereinigung Ansbachs mit dem preußischen Staat 1792 wurde er zum königlichen Kammerherrn und 1795 zum ersten Direktor des Regierungssenats in Ansbach befördert. In das Obertribunal trat er 1798 ein. Zu Triitzschler neuer Nekrolog, 8. Jahrgang (1830), Teil 2, I1menau 1832, S. 875 ff. Nachdem Triitzschler, der schon als Referendar 1795 in das Kammergericht eingetreten war, nach seiner dritten Exarnenspriifung zunächst als Assessor der Regierung in Thorn gearbeitete hatte, wurde er schon 1799 als ordentliches Mitglied in das Kammergericht berufen, zu dessen Vizepräsident er 1810 aufstieg. Zur Tätigkeit Triitzschlers im Kammergericht, insbesondere zu seiner moderaten Haltung als Vorsitzender der Immediatuntersuchungskornrnission zur Ermittlung demagogischer Umtriebe; Friedrich Holtze: 500 Jahre Geschichte des Kammergerichts. Festschrift zur Feier seines Einzuges in das neue Heim arn Kleistpark, Berlin 1913, S. 195 ff., 200 ff.; Wolfram Siemann: Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung. Die Anfänge der politischen Polizei 1806-1866, Tübingen 1985, S. 184, 189 f.; dazu neuerdings auch C. v. Hodenberg: Die Partei der Unparteiischen, S. 246 ff. Danach versuchte Triitzschler 1821 erfolglos seine Entbindung von den Kornrnissionsarbeiten zu erreichen. Er wies darauf hin, daß er als Kriminalrichter "nur die That und nicht die Gesinnung strafen" könne und keine Maßregel ausführen werde, die er "als absolut unvereinbar mit dem Gesetz anerkannt" habe; zitiert nach C. v. Hodenberg, S. 247 aus einern Schreiben Triitzschlers an Justiz- und Innenminister vorn 4. 2. 1821; GStA PK Rep 77 Tit. 11 Nr. 2, fol. 50. 51 Einen kurzen Überblick über den beruflichen Werdegang Reibnitz', der im weiteren noch mehrfach beriihrt werden wird, gibt der Neue Nekrolog, 7. Jahrgang (1829), Teil 2, I1menau 1831, S. 971. Danach hatte auch Reibnitz seine Laufbahn als Kammergerichtsassesor begonnen, war dann nach Übernahme mehrerer Justizämter schließlich 1803 Regierungspräsident in Heiligenstadt und 1805 Präsident des Oberlandesgerichts in Brieg geworden. 52 Zur Berufung Savignys unten Kapitel C I 2 b) bb) und dd). 53 Dazu u. a. Wolfgang van Hall: Savigny als Praktiker. Die Staatsratsgutachten (18171842), Bremerhaven 1981,36 ff.; Friedrich Ebel: Savigny officialis, Berlin, New York 1987.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 103

Blanchard waren Präsidenten der Gerichte erster Instanz in Köln bzw. Düsseldorf, Bernhard Seyppel war Mitglied des Trierer Appellationsgerichts und Carl Friedrich Ferdinand Ruppenthal, der in den vierziger Jahren Leiter der rheinischen Abteilung des Justizministeriums werden sollte, hatte in französischer Zeit als Advokat in Trier und zuletzt als Rat bei der Regierung in Düsseldorf gearbeitet. Von altpreußischer Seite sind in diese Gruppe einzuordnen: der bisherige Glogauer Oberlandesgerichtsrat Carl Friedrich Friccius und der Direktor des Berliner Vormundschaftgerichts und Stadtgerichtsrat Heinrich Gottlob Mühler, der spätere Justizminister54 . Wenn aber der bisherige berufliche Werdegang für die meisten der Anstellungen ausschlaggebend war, fragt es sich, ob nicht auf diesem Weg auch Anciennitätsgesichtspunkte zur Geltung gekommen sind. Schließlich waren zumindest die Beamten altpreußischer Herkunft über das Dienstaltersprinzip in ihre bisherigen Ämter gelangt. Anzunehmen wäre also, daß mit den herausragenden Juristen einer Gerichtsbehörde zugleich die dienstältesten erfaßt wurden. Diese Gleichung geht jedoch nicht auf. Von einem Beförderungsautomatismus kann man nicht einmal bezogen auf die altpreußischen Richter sprechen. Keiner der Personalvorschläge wurde von Beyme mit dem Dienstalter der Beamten und einem daraus resultierenden Beförderungsanspruch begründet. Die Akten zur Besetzung des Gerichts lassen erkennen, daß die bloß nebenamtliche Anstellung der meisten altpreußischen Beamten eine Rücksichtnahme auf Anciennitätsgesichtspunkte entbehrlich machte. Eine Einordnung in das Anciennitätsschema wäre aber auch dadurch erschwert worden, daß mit der Einstellung rheinischer und altpreußischer Juristen zwei ungleichartige Beförderungssysteme aufeinandertrafen 55 und das französische Sy54 Zu den bisherigen Dienstverhältnissen dieser - wie auch aller übriger - Beamten zusammenfassend der Bericht Beymes vom 31. 3. 1819; GStA PK Rep 84 A (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. und für Blanchard, Hardung und Seyppel das nach Gerichten geordnete Generalverzeichnis aller rheinischen Justizbeamten; GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Für Hardung existieren zwei ausführliche Darstellungen seines Lebenslaufes und seiner beruflichen Werdeganges, die wohl als Entwürfe für einen Nachruf gedacht waren; GStA PK Rep 97 B lAI gen. fol. 86 ff., fol. 92. Danach war er, nach ersten richterlichen Ämtern in der Zeit des Ancien regime, in der Zeit des Großherzogturns Berg in verschiedenen Verwaltungsämtern u. a. für den öffentlichen Unterricht und verschiedene Verwaltungsorganisationsaufgaben zuständig. Zu Ruppenthal Neuer Nekrolog, 29. Jg. (1851), Weimar 1853, Teil 1, S. 383 ff. ; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 147 f.; A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke, in J. Wolfframl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, u. a. S. 141; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, S. 172; Friedrich Keinemann: Die Ernennung Ruppenthals zum Leiter der rheinischen Justizverwaltung im preußischen Justizministerium und ihr Echo in der rheinischen Bevölkerung, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, 1973. Zu Mühler Wippermann: ADB, Bd. 22, Leipzig 1885, S. 468 f. und A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2 S. 502 ff., 510 ff. Zur Anstellung Friccius' findet sich eine umfangreiche Korrespondenz in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646. 55 Diese Aspekte erwiesen sich auch bei der Aufstellung einer Rangfolge innerhalb des Personals des RKH als problematisch. Auf Anforderung Beymes ging der künftige Gerichtspräsident Sethe in einem Gutachten ausführlich auf alle in diesem Zusammenhang relevanten

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

stern keine derartig starren Laufbahngarantien kannte wie das preußische56 . Hinzu kamen Verwerfungen, die der Übergang von der französischen zur preußischen Herrschaft in den Rheinlanden hervorgerufen hatte: Die berufliche Laufbahn einiger der rheinischen Beamten hatte sich in dieser Zeit so entwickelt, daß man wohl von Ausnahmekarrieren sprechen muß. Hartwig Greogor von Meusebach hatte mit 33 Jahren als jüngster zur Auswahl stehender Richter das Präsidium des Revisionshofes in Koblenz erhalten, ohne von seinen Kenntnissen des französischen Rechts her zu einem solchen Amt besonders befähigt gewesen zu sein. Der Vizepräsident desselben Gerichtshofes, Krezzer, war in diese Stellung eingerückt, ohne zuvor überhaupt als Richter gearbeitet zu haben 57 . Ein weiterer Faktor, der die Auswahl der rheinischen Beamten vom Dienstalterssystem entfernte, waren die Mängel der Besetzung der bisherigen rheinischen Obergerichte. Da diese Gerichte zu einem großen Teil mit unzureichend qualifizierten oder überalterten Richtern besetzt waren 58 , konnte man auf diese Gruppe "altgedienter" Juristen für die Besetzung des RKH nicht zurückgreifen.

bb ) Fachliche Qualifikation

Großen Stellenwert räumte Beyme auch der fachlichen Qualifikation der Richter als Auswahlkriterium ein. Schon der Überblick über den bisherigen beruflichen Werdegang der Juristen hat erkennen lassen, daß ihre fachliche Qualifikation sich keinesfalls in der justizpraktischen Anwendung des französischen Rechts erschöpfte. Bei den rheinischen Beamten legte der Minister großen Wert darauf, solche Juristen zu berufen, die bereits mit den verschiedenen für die Rheinprovinzen relevanten Rechtsordnungen in Berührung gekommen waren. Die von ihm berufenen rheinischen Juristen besaßen detaillierte Kenntnisse der alten Partikularrechte, da die meisten von ihnen ihre erste praktische Tätigkeit noch in vorfranzösischer Probleme ein; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 141 ff. Daß der Anciennitätsgedanke bei der Aufstellung der Rangfolge der Richter zumindest eine gewisse Rolle gespielt hat, ergibt sich mit Blick auf Schilling, der selbst unter Hinweis auf seine lange Diensttätigkeit am Obertribunal eine herausgehobene Stellung beansprucht und dem Beyme in diesem Punkt entgegenkommt, indem er ihm den Rang des ersten, auf den Präsidenten folgenden Rates zuweist; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 35. 56 Hans Schill: Die Stellung des Richters in Frankreich. Eine rechtshistorische Darstellung unter Einbeziehung der Gerichtsverfassung, Bonn 1961, S. 116 ff. 57 Zu den Umständen der Anstellung dieser beiden Beamten am Koblenzer Revisionshof vgl. G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 45 ff. Krezzer hatte zuvor als Anwalt in Koblenz gearbeitet. 58 Zu diesen oben schon angesprochenen Mängeln sei hier nur noch einmal auf den Bericht Wilhelm Gottfried Daniels vom 14.7. 1818 verwiesen, der die dringende Notwendigkeit einer Reorganisation der rheinischen Justiz vor allem auf diese Zustände zurückführt; abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten S. 351 ff. Vgl. auch den oben zitierten Bericht Beymes an den König über seine Reise in die Rheinprovinz; GStA PK Rep 84 I Nr. 93 Bd. 2 (unfoliiert).

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 105

Zeit begonnen hatten. Die Beamten, die darüber hinaus von Anfang an auf dem linken Rheinufer gearbeitet hatten, verfügten zugleich über Kenntnisse des überaus komplexen intermediären Rechts, das durch die fünf napoleonischen Gesetzbücher nicht gänzlich beseitigt worden war. Ausgewiesene Kenner des linksrheinischen partikularen aber auch des intermediären französischen Rechts waren beispielsweise die Richter Fischenich und Blanchard 59. Mit den Mitgliedern der HK hatte Beyme überdies eine Gruppe von Richtern ausgewählt, die profunde Kenntnisse des rheinischen mit solchen des preußischen Rechts vereinbarte. Unter den Kommissionsmitgliedern hatten Sethe und Boelling beide Rechte in praktischer Anwendung kennengelernt, während Fischenich und Simon in der Kommissionsarbeit Gelegenheit erhalten hatten, sich mit dem jeweils fremden Recht gründlich auseinanderzusetzen. Später trat noch der Magdeburger Oberlandesgerichtsrat Johann Christian Goerdeler zu dieser Gruppe hinzu 6o . Er hatte die dreistufige preußische Juristenausbildung durchlaufen und das französische Recht unter anderem als Generalprokurator des Kriminalgerichtshofes in Magdeburg kennengelernt61 • Die fachliche Qualifikation der rheinischen Richter läßt sich bezogen auf das französische Recht über einen Vergleich des von der HK angelegten Generalverzeichnisses aller rheinischen Justizbeamten mit der Besetzungsliste des RKH ermitteln 62 . An den Revisions- und Kassationshof wurden aus weislich des Verzeichnisses, rheinische Juristen berufen, deren fachliche Leistung in der Justizpraxis und deren wissenschaftliche Kenntnisse die Kommission als herausragend einstufte. Beyme hat, soweit er nicht eigene Bewertungen einfließen ließ, zur Beurteilung der fachlichen Eignung der Rheinländer auf diese Liste zurück gegriffen.

59 Diese Qualitäten führt Sethe in seinen späteren Personalberichten immer wieder an; vgl. GStA PK Rep 97 B lAI gen. ,fo!. 124, 143. 60 Goerdeler erhielt die ursprünglich für Boelling vorgesehene Stelle, siehe Kapitel C I 3 a) und c). 61 Nach Auflösung des Königreiches Westfalen war er in den preußischen lustizdienst übernommen worden; Angaben zur Ausbildung und beruflichen Tätigkeit Goerdelers finden sich in einem Aktenexzerpt, das zur Vorbereitung seiner Berufung an den RKH angefertigt wurde; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo!. 227 ff.; vg!. auch Neuer Nekrolog: 5. Jg., Teil 1, 1827, S. 156 f. Goerdeler selbst hatte sich zunächst um eine Anstellung in der rheinischen Justiz beworben, eine angebotene Stelle am Appellationshof jedoch aus persönlichen Gründen abgelehnt; Schreiben Goerdelers an Beyme vom 2. 5. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo!. 37 f. Ursprünglich hatte man wohl beabsichtigt, ihn als Generalprokurator an den Appellationshof zu ziehen; Personalvorschläge in GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fo!. 133. 62 GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Obwohl nicht ausdrücklich in den Text der Beurteilungen aufgenommen, beziehen sie sich auf dem Umgang mit dem französischen Recht. Soweit auch Kenntnisse anderer Rechtsordnungen relevant werden, geht die Kommission darauf ausdrücklich ein. Ruppenthal, der als Verwaltungsbeamter in diesem Verzeichnis nicht auftaucht, wird in einem Artikel der Rheinischen Blätter Nr. 178 (8. 11. 1817) als "einer der ersten Advokaten des linken Rheinufers" angesprochen; zitiert nach K.-G. Faber: Rheinlande, S. 148, Fn. 160.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Aus diesem Bild fällt nur einer der rheinischen Richter heraus: der Koblenzer Revisionsgerichtspräsident Meusebach. Nach dem Urteil der HK war er "in der deutschen Jurisprudenz sehr bewandert, weniger in der französischen ,,63. Bei seiner Berufung an den RKH war er mit 37 Jahren der jüngste unter den Richtern und verfügte über die geringsten praktischen Erfahrungen im Umgang mit dem französischen Recht64• Er selbst hatte ungeachtet dessen um eine Anstellung als Generalprokurator des neuen Gerichtshofes nachgesucht. Die für dieses Amt erforderlichen tiefgehenden Rechtskenntnisse sprach Sethe ihm jedoch rundweg ab. Meusebach könne bei seinem Alter "wahrlich zufrieden seyn wenn ihm eine Rathsstelle in dem obersten Justizcollegio zu theil wird,,65. Beyme folgte dieser Einschätzung und übertrug die Generalprokuratur nicht an Meusebach. Er konnte aber nicht umhin, ihn zumindest als Richter an den RKH zu berufen; zumal Meusebach seine Anspriiche immer wieder mit äußerster Vehemenz geltend machte 66 . Urspriinglich hatte er sogar das Präsidium des RKH beansprucht und sich nur "für den Fall, daß meine jetzige Stelle bey dem neuen Revisionshofe [ ... ] dem Herrn Sethe bestimmt wäre,,67 mit dem Amt des Generalprokurators zufrieden geben wollen. Meusebach scheint also tatsächlich allein aufgrund seiner bisherigen beruflichen Stellung angestellt worden zu sein. Die Berufung Savignys zeigt, daß das Kriterium der fachlichen Qualifikation nicht auf den Bereich der Anwendung französischen oder preußischen Rechts in der Justiz beschränkt war. Der Minister zog hier den prominentesten Rechtswissenschaftler seiner Zeit an den RKH. Der Begriinder der historischen Rechtsschule sollte künftig am Gerichtshof praktisch mit dem französischen Recht arbeiten, als 63 Siehe die Eintragung im Generalverzeichnis der rheinischen Justizbeamten; GStA PK Rep 84 I Nr. 134, fol. 12 f. 64 Er hatte seine praktische Laufbahn in nassauisch-oranischen Diensten als Auditor der fürstlichen Justizkanzlei in Dillenburg begonnen, hatte vor 1814 erst knapp drei Jahre als Staatsprokurator des Gerichts erster Instanz in Dillenburg im ehemaligen Großherzogturn Berg mit französischem Recht gearbeitet und war dann von 1814 bis 1819 als Präsident des Koblenzer Revisionshofes mit dem französischen Recht in Berührung geblieben. Siehe K. Schwartz: Meusebach, in: Annalen des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Bd. 21 (1889), S. 43 ff., Bd. 22 (1890), S. 1 ff. 65 Zitiert nach dem Personalbericht Sethes vom 13. 12. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 7. 66 Er selbst sah sich durch eine Intrige Eichhorns aus seiner sicheren Position als künftiger Generalprokurator verdrängt und führte einen erbitterten Schriftwechsel mit Beyme, um doch noch eine bevorzugte Stellung am RKH zu erlangen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 88 f.; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 95 f. Trotz dieser Bemühungen und obwohl Beyme ihm wohl ursprünglich noch Hoffnungen auf eine solche Stellung gemacht hatte, erhielt er unter den Räten des RKH keinerlei herausragende Position. Er selbst hat dies als Zurücksetzung empfunden und nie völlig verwunden; K. Schwartz: Meusebach, Annalen des Vereins für nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Bd. 22, S. 13 ff., 52 ff.; vgl. auch die zur Pensionierung Meusebachs angelegte Akte; GStA PK Rep 97 B I Anhang Nr.4. 67 Zitiert aus einem Brief an Beyme vom 29.9. 1818; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 88 f.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 107

dessen Gegner er im Kodifikationsstreit aufgetreten war und dessen Beibehaltung in den Rheinlanden er in einigen Gutachten noch 1818 abgelehnt hatte 68 . Nach dem ursprünglichen Plan Beymes sollten auch andere wissenschaftliche Strömungen am RKH vertreten sein und Savigny nicht der einzige bedeutende Wissenschaftler unter den Richtern bleiben. Der Minister hatte eine Berufung des damaligen Göttinger Rechtslehrers Karl Friedrich Eichhorn, des Vertreters des germanistischen Zweiges der historischen Rechtsschule und Mitbegründers der "Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft", eingeleitet. Diesen Ruf lehnte Eichhorn jedoch ab, vorrangig wohl aus finanziellen Gründen69 . Eine wissenschaftliche Betätigung dürfte auch für die Anstellung von Fischenich und Blanchard eine Rolle gespielt haben. Beide hatten vor Beginn der französischen Herrschaft Professuren an den alten kurfürstlichen Universitäten des Rheinlandes, Fischenich in Bonn und Blanchard in Köln, inne 7o . Während über die wissenschaftliche Ausrichtung Blanchards wenig bekannt ist, ist die Tätigkeit Fischenichs bei Ulrike Teschner näher untersucht. Danach ist Fischenich als Vertreter des späten Naturrechts anzusehen, der sich in seiner Lehrtätigkeit intensiv mit der Philosophie Kants auseinandergesetzt hat7 ). Wesentlich spärlicher sind die Hinweise auf die der Berufung zugrundeliegende fachliche Qualifikationen für die meisten der altpreußischen Richter. Soweit ersichtlich, wurde hier eher als bei den rheinischen Richtern eine unmittelbare Beziehung zwischen bisheriger beruflicher Stellung und fachlicher Qualifikation hergestellt, so daß sich zumindest für einige die Begründung ihrer Berufung auf 68 Gutachten zum gemeinen und partikularen Zivilrecht abgedruckt bei Ernst von Meier: Savigny, das gemeine Recht und der Preußische Staat im Jahre 1818, in: ZRG germ. Abt. 30 (1909), S. 318 ff. Prozeßrechtliches Gutachten abgedruckt bei W Schubert: Savigny und die rheinisch-französische Gerichtsverfassung, in: ZRG germ. Abt. 95 (1978), S. 158 ff. Savignys Urteil über das französische materielle Recht beispielsweise bei Jacques Stern (Hrsg.): Thibaut und Savigny. Zum lOOjährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland. 1814 - 1914. Die Originalschriften in ursprünglicher Fassung mit Nachträgen, Urteilen der Zeitgenossen und einer Einleitung, Berlin 1914, S. 104, Neudruck Darmstadt 1959. 69 Eichhorn hatte in Berlin seit 1811 an der Universität gelehrt, nicht zuletzt aus politischen Gründen (Eichhorn war Mitglied des Tugendbundes ) hatte er Berlin allerdings 1817 verlassen. Der Lebenslauf Eichhorns ist ausführlich dargestellt bei E. Landsberg / R. Stinzig: Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt., 2. Hbd. S. 253 ff.; vgl. auch Karl Siegfried Bader; NDB, Bd. 4, S 378 f.; Friederike Dopke: Eichhorn als Rechtsgutachter, seine Gutachten für das Obertribunal und Private, Buxtehude 1992. Den Kontakt mit Eichhorn hatte Beyme nicht persönlich, sondern über den Kultusminister Altenstein und Savigny hergestellt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 98 f., 112, 193 f.; ebd. Nr. 648, fol. 58 ff. 70 Zu Fischenich siehe oben in diesem Kapitel C I 2 b) aa). Eine kurze Biographie Blanchards findet sich bei Burkhard Gehle: Unter Preußens Adler und Napoleons Gesetz. Das Landgericht Köln von den Anfangen bis zum Jahre 1879, in: A. Klein/G. Rennen (Hrsg.): Justitia Coloniensis, S. 9 ff. 71 Zu Lehrtätigkeit, rechtswissenschaftlicher Ausrichtung und auch rechtswissenschaftlieh-philosophischer Prägung seiner späteren Gutachten für Ministerien und den Staatsrat U. Teschner: Fischenich, insbes. S. 32 ff., 67 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

ihre bisherigen herausragenden Ämter beschränkt72 . Bei anderen scheint der schnelle Gang ihrer juristischen Karriere ausschlaggebend gewesen zu sein. Friccius, Mühler und Simon - sämtlich noch nicht 40 Jahre alt - waren schon in jungen Jahren in hohe Justizämter aufgestiegen. Mühler hatte zunächst als Rat beim Oberlandesgericht Brieg gearbeitet, war dann ans Kammergericht versetzt worden und 1818 zum Direktor des Berliner Vormundschaftsgerichts aufgestiegen 73. Friccius hatte bereits verschiedene Ämter in Militär und Justiz bekleidet. Beyme bezeichnete ihn als einen "im Justiz Fach und Kriegsdienst gleich ausgezeichneten Mann,,74. Unmittelbar vor seiner Berufung an den RKH war er als Rat in das höchste preußische Militärgericht, das Generalauditoriat, eingetreten. Simon schließlich war vom Kammergerichtsassessor zum Oberlandesgerichtsrat befördert und 1816 als Vertreter des preußischen Rechts in die HK entsandt worden. Was schließlich die theoretische und praktische Ausbildung der Juristen als Grundlage jeder fachlichen Qualifikation anbelangt, so trafen am RKH mit den Richtern der ersten Generation auch unterschiedliche Ausbildungssysteme zusammen. Alle für den RKH Vorgeschlagenen hatten ein wissenschaftliches juristisches Studium an deutschen Universitäten absolviert75 . Im Zentrum hatte dabei die Vermittlung des römischen Rechts in seiner Ausprägung als gemeines deutsches Recht gestanden 76. Keiner der Juristen hatte seine theoretische Ausbildung im französischen Recht erhalten77. Hinsichtlich ihrer praktischen Ausbildung läßt sich dage72 So verweist Beyme in seinem Bericht vom 31. 3. 1819 für Trützschler, Schilling und Savigny darauf, daß ihre vorzügliche Qualifikation hinlänglich aus den ausgezeichneten Steilungen hervorgehe, die sie bereits innehätten; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 187. 73 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 187. 74 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 188. Er hatte an den Feldzügen von 1807 und 1813 teilgenommen und war zum Oberstleutnant aufgestiegen. Seine juristischen Laufbahn begann er als Rat beim Oberlandesgericht Königsberg. 75 Für die rheinischen Richter lassen sich die Studienorte über das Generalverzeichnis der IJK erfassen; GStA PK Rep 84 I Nr. 134. 76 Gelehrt wurden vorwiegend Institutionen-, Pandekten- und Kirchenrecht sowie das Lehns-, Staats- und das Prozeßrecht; U. Bake: Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung, S. 17 mit Bezug auf der Beispiel der Vorlesungen Nettelbladts von 1750. Nur für diejenigen Juristen, die nach 1794 und an preußischen Universitäten studiert haben, hatte auch das ALR als Ausbildungsgegenstand eine Bedeutung. Für die Rolle von Staatsund Strafrecht und die nach 1794 wieder abnehmende Bedeutung des ALR im universitären Unterricht U. Bake, S. 17 ff., 49 ff., 54 ff., 90 ff., 94 ff.; C. Galdschmidt: Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1887, S. 68 ff. Zur geringen Bedeutung der Vermittlung der aktuellen Zivilrechtskodifikationen auch noch in der Zeit nach 1819 G. Rennen: Juristenausbildung im Rheinland - 1819 und 1994, in: D. Laum, A. Klein, D. Strauch (Hrsg.): Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart, Köln 1994, S. 423 ff.; Christian Wal/schläger: Friedrich Carl von Savigny. Landrechtsvorlesung 1824. Drei Nachschriften. 1. Hbd. (Ius Commune, Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 67) Frankfurt a.M. 1994, S. XXIV ff. 77 Auch unter den im nicht-preußischen Rheinland geborenen und ausgebildeten Personen hat keiner die Rechtsschule in Koblenz oder andere französische Ausbildungsstätten besucht, so daß die Sonderrolle dieser Institutionen hier nicht erörtert werden muß. Zur Koblenzer

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 109

gen keine einheitliche Struktur feststellen. Eine Gruppe 78 , der auch die "Rheinländer" Sethe und Boelling zuzurechnen sind, hatte das in Preußen seit 1781 praktizierte dreistufige Ausbildungsmodell durchlaufen 79. Für die zweite Gruppe, der die rheinischen Juristen, aber auch Schilling und Savigny angehören, ergibt sich kein ähnlich klares Modell. Soweit sich feststellen ließ, haben sie direkt nach Abschluß des Studiums, ohne eine vorgeschaltete Ausbildungsstation, ihre ersten besoldeten Ämter übemommen 8o . Die rheinischen Juristen hatte diese Ämter ganz überwiegend schon vor Einführung des französischen Rechts angetreten, so daß die wechselnden französischen Ausbildungsmodelle für sie keine Relevanz mehr erlangten 81 •

Rechtsschule Luitwin Mal/man: Französische Juristenausbildung im Rheinland 1794 bis 1814. Die Rechtsschule von Koblenz, Köln, Wien 1987. Zur französischen Juristenausbildung, insbesondere zur Wiederbelebung der akademischen Ausbildung unter Napoleon K. G. Bockenheimer: Geschichte der Stadt Mainz während der zweiten französischen Herrschaft (1798-1814),2. Aufl., Mainz 1891, S. 179; vgl. auch H. J. Schill: Die Stellung des Richters in Frankreich, S. ll2 ff. 78 Sethe, Boelling, Trützschler von Faickenstein, von Reibnitz, Simon, Mühler und Friccius. Für Mühler bspw. Wippermann, ADB, Bd. 22, Leipzig, 1885, S. 468 f. 79 Eingeführt worden war die mehrstufiger praktische Ausbildung zumindest in Teilen Preußens schon 1748. 1781 war sie im Zuge der Prozeßrechtsreform (Corpus Juris Fridericianum) auf alle Landesteile erstreckt worden. Auch nach dem Inkrafttreten der AGO änderte sich an der Struktur dieser Ausbildung nichts wesentliches. Sie bestand im einzelnen aus den jeweils mit einer Prüfung abschließenden Abschnitten Studium, Auskulatur und Referendariat; U. Bake: Die Entstehung des dualistischen Systems der Juristenausbildung in Preußen, S. 29/30; Hans Hattenhauer: Juristenausbildung - Geschichte und Probleme, JuS 1989, S. 513 ff.; Thomas Kolbeck: luristenschwemrne, Frankfurt a.M., Bern, Las Vegas, 1978; Ekkehard Geib: Die Ausbildung des Nachwuchses für den höheren Verwaltungsdienst, Archiv des Öffentlichen Rechts, Bd. 80 (1955/56), S. 307 ff. 80 Fischenich hat nach einem hauptsächlich in Bonn absolvierten Studium keine praktische Ausbildung i.S. des preußischen Modells durchlaufen, sondern eine Anstellung im Justizdienst erhalten. Er war ab Anfang 1790 Schöffe am hohen weltlichen Gericht in Kurköln und wurde Ende 1790 als Professor für die Universität Bonn vorgeschlagen; U. Teschner: Fischenich. S. 30 f. Ruppenthal übte seine erste praktische Tätigkeit als Advokat in Trier zur Franzosenzeit aus; K.G. Faber: Die Rheinlande zwischen Restauration und Revolution, S. 147 f. Krezzer hatte von 1793 bis 1798 bei der kaiserlichen Reichskriegskanzlei und anschließen als Advokat und Ergänzungsrichter in Koblenz mit dem französischen Recht gearbeitet; vgl. Personaltabelle des Koblenzer Revisionshofes in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert). Hardung hatte nach Abschluß seiner Studien eine Stelle als Richter in der freien bergischen Herrschaft Hardenberg angetreten, nachdem er zuvor von seinem Vater, der dort ebenfalls Richter war, in die Landesverfassung eingeführt worden war; Angaben aus dem Nachruf GStA PK Rep 97 B lAI gen. fol. 86. Schilling wurde unmittelbar nach seinem Studium 1786 zum Assessor des Hof-, Regierungs- und lustizrats-Collegii in Ansbach ernannt worden, Neuer Nekrolog der Deutschen, 2. Jg., 2. Heft, S. 1080. Savigny trat nach Abschluß seiner Studien die Lehrtätigkeit an und übernahm 1808 eine Professur in Landshut an; statt vieler F. Ebel: Savigny officialis, S. 11. 81 Einzig Ruppenthal scheint seine erste praktische Tatigkeit in französischer Zeit angetreten zu haben, allerdings ohne daß er zuvor eine spezielle praktische Ausbildung durchlaufen hätte. Zur wechselhaften Entwicklung der praktischen Ausbildung im französischen Recht

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Für die Berufung an den RKH spielte jedoch die Ausbildung der Richter keine gesonderte Rolle. So wurden in den Beurteilungen der HK zwar die jeweiligen Studienorte sowie kurze Hinweise auf "gründliche Kenntnisse in der Rechtswissenschaft" oder eine "vielseitige Bildung" aufgenommen, die Ausbildung und Examina als solche aber außen vor gelassen. Dieses Muster setzte sich in den Arbeiten Beymes fort 82 .

cc) Vertrauen der rheinischen Bevölkerung

Da der neue Gerichtshof nicht in den Rheinlanden selbst, sondern in Berlin errichtet wurde und auch altpreußische, mit dem rheinischen Recht nicht vertraute Juristen zu Richtern ernannt werden sollten, bestand das Risiko, daß er von den Rheinländern nicht als "ihr" Obergericht, sondern als eine den Einflüssen des preußischen Rechts ausgesetzte Institution und als Gefahr für den Bestand "ihres" Rechts angesehen würde. Eines der Motive der Einrichtung des RKH in Berlin war aber gerade die Integration der Rheinlande über die Identifikation mit dem Obergericht als Einrichtung des preußischen Staates gewesen. Diese Identifikation war nur zu erwarten, wenn das Obergericht in der Provinz anerkannt wurde. Vor diesem Hintergrund räumte Beyme dem Vertrauen der rheinischen Bevölkerung in die künftigen Richter einen hohen Stellenwert ein. Die rheinischen Richter des RKH sollten als Vertreter der Provinz angesehen werden. Hierfür sollte aus jedem der höheren Gerichte mindestens ein Richter hinzugezogen werden. Da sich am alten Kölner Appellationsgericht offenbar kein entsprechend befähigter Jurist fand, griff Beyme statt dessen auf die Präsidenten der erstinstanzlichen Gerichte - Blanchard und Fischenich - zurück 83 . Auf diese Weise waren alle Regionen des Rheinlandes im Richterkollegium vertreten. Neben der Rücksicht auf regionale Repräsentationsinteressen war damit auch ein fachliches Kriterium berührt: Mit diesen Richtern waren Kenner aller rheinischen Partikularrechte am RKH versammelt 84 . Dies F. J. Perrot: Verfassung Bd. 1, S. 46/47. Für die Richterlaufbahn auch H. J. Schill: Die Stellung des Richters in Frankreich, S. 114 ff. 82 Für die Beurteilungen der IJK vgl. das Generalverzeichnis der rheinischen Justizbeamten; GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Dieses Verzeichnis erwähnt die Ausbildung nur dann, wenn es festhält, das der betreffende Beamte seine Ausbildung "in der Schule der Preußischen Rechtsverfassung" erhalten habe; so für Boelling (Nr. 7 des Verzeichnisses). In Beymes Akten findet sich nur an einer Stelle ein ausführlicherer Hinweis auf den Gang der Ausbildung eines Richters: Für Christian Goerdeler fand sich ein Exzerpt seiner Personalakte, das auch Beurteilungen seiner Vorgesetzten aus der Zeit der Auskulatur und des Referendariats umfaßt; GStA PK Rep 84 a (2.5.l.) Nr. 647, fol. 227 f. Dieser Befund deckt sich mit den Verhältnissen innerhalb der altpreußischen Justiz. Auch dort war der Ausbildungserfolg, wie er sich in den Examina niederschlug, nur von untergeordneter Bedeutung; C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. ll6. 83 Der Revisionshof in Koblenz, der Kassationshof in Düsseldorf (Hardung) und die Appellhöfe in Trier (Seyppel) und Düsseldorf (Boelling, Sethe) hingegen waren über ihre ordentlichen Mitglieder vertreten.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 111

war im Hinblick auf das Vertrauen in die Juristen deshalb wichtig, weil diese Rechte über eine große Anzahl sogenannter Altfälle aus vorfranzösischer Zeit im Rechtsleben der Rheinprovinz noch immer erhebliche Bedeutung besaßen. Ergänzend begründete Beyme seine Auswahl mit dem im (Justiz-) Alltag zutage getretenen Vertrauen der rheinischen Bevölkerung zu einem Beamten. Hinweise auf ein solches individuelles Vertrauen ließen sich den Beurteilungen der IJK entnehmen. In seinem abschließenden Personal bericht zitierte Beyme beispielsweise das Zeugnis der IJK, wonach Blanchard "ein Mann von außerordentlichen Rechtskenntnissen, tiefen Einsichten richtiger Beurtheilungskraft, und geprüfter Rechtschaffenheit [sei], welcher in hohem Grade die Achtung u. das Zutrauen des Publikums besitzt,,85. Teilweise hatte der Minister sich aber auch bei persönlichen Gesprächen in der Rheinprovinzen einen Eindruck von der Wertschätzung machen können, die den Richtern entgegengebracht wurde 86 . Tatsächlich waren viele der rheinischen Beamten über ihre jeweiligen Justizämter hinaus einem größeren Publikum bekannt. An erster Stelle sind hier die Mitglieder der IJK zu nennen, die eine breite öffentliche Debatte über das französische Recht angeregt und über das "Niederrheinische Archiv" gefördert hatten 87 . Der Präsident der Kommission, Sethe, hatte bereits gegen Ende der französischen Herrschaft große Popularität erlangt: Als Generalprokurator des Düsseldorfer Appellationsgerichts war er nach den bergischen Unruhen 88 einer willkürlichen Bestrafung der (nicht zu überführenden) Verdächtigen entgegengetreten. Aufgrund dieses Verhaltens war er nach Paris vor den für das Großherzogturn Berg zuständigen Mini84 Fischenich, Blanchard und Seyppel repräsentierten die linksrheinischen Partikularrechte. Das gemeinrechtliche Gebiet des Justizsenats zu Ehrenbreitstein war durch Meusebach vertreten. Er hatte bereits in vorfranzösischer Zeit als Jurist in nassauischen Diensten gestanden; siehe Beymes Bericht in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 195. Das bergische Partikularrecht beherrschte neben Sethe und Boelling, die zumindest eine gewisse Zeit in Diensten des Großherzogturns Berg gearbeitet hatten, vor allem Hardung, der seit Beginn seiner Laufbahn in bergischen Diensten gestanden hatte; vgl. den Entwurf für einen Nachruf auf Hardung GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 86 ff. Sethe hatte sich darüber hinaus auf dem Gebiet des klev-märkischen Rechts durch schriftstellerische Tätigkeit hervorgetan; C. W H. Sethe: Urkundliche Entwicklung der Natur der Leibgewinnsgüter und Widerlegung der von dem Herrn Malinkrodt darüber im Westfälischen Anzeiger vorgetragenen irrigen Behauptungen, Düsseldorf 1810. 85 Personalbericht vom 31. 3.1819 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 183. In ähnlicher Weise greift Beyme in diesem Bericht auch bei Hardung und Ruppenthal auf das Urteil der IJK zurück. 86 Eine solche persönliche Einschätzung Beymes findet sich für Sethe und Fischenich; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 464 fol. 183 ff. 87 Zur Unterstützung, die das Niederrheinische Archiv von seiten der Kommission erfahren hat K.-G. Faber: Rheinlande, S. 133 ff. 88 Diese Unruhen brachen Anfang 1813 nach der Niederlage Napoleons in Rußland im Bergischen Land aus und wandten sich in erster Linie gegen die französischen Konskriptionen; bspw. Ursula Lewald: Vor hundertfünfzig Jahren, in: Walter Först (Hrsg.): Das Rheinland in preußischer Zeit, Köln, Berlin 1965, S. 31 f.

112

C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

ster Roederer zitiert worden, wo er seine Auffassung erfolgreich verteidigte 89 . Auf die Bemerkung Roederers hin, Sethe sei dem Kaiser als der gefährlichste Mann des Großherzogturns geschildert worden und der Kaiser könne ihn erschießen lassen, soll er gesagt haben: "Alors il faut auparavant fusiller la loi,,90. Diese Haltung war so bekannt, daß sie noch 1848 von der radikalen Presse dem Sohn Sethes, der als Staatsanwalt gegen Steuerverweigerer ermittelte, vorgehalten wurde 91 . Blanchard und Fischenich waren zumindest in Juristenkreisen durch ihre Vorlesungen an den ehemaligen Bonner und Kölner Universitäten bekannt. Die Vorlesungen Fischenichs erfreuten sich außerordentlicher Beliebtheit: ,,[ ... ] sein Vortrag, der durch Wärme und innige Begeisterung für seine Lehrsätze beseelt wurde, gewann ihm seine Zuhörer in einem Grade, dessen keiner seiner Kollegen sich zu erfreuen hatte"92. Blanchard hatte in Köln auch nach dem Ende der Franzosenherrschaft - im Zuge der Versuche, dort wieder eine Universität zu etablieren - Vorlesungen gehalten. Schließlich hatten Blanchard und Hardung Übersetzungen französischer Gesetzbücher veröffentlicht. Eine von Blanchard stammende Übersetzung des Code penal war offiziell zum dienstlichen Gebrauch in allen Behörden des deutschsprachigen Frankreich empfohlen worden93 .

dd) Eignung für die Gesetzrevision

Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt der Personalauswahl wurde die Absicht Beymes, alle Mitglieder des Gerichtshofes neben ihrer richterlichen Tätigkeit ständig an den Arbeiten zur Revision der preußischen Gesetze zu beteiligen94 . Im Staatsministerium hatte er 1818 den Nutzen des Revisions- und Kassationshofes für die Gesetzrevision dahin beschrieben, daß dieser das französische Recht preußischen Juristen und der preußischen Öffentlichkeit zur Anschauung bringen sollte. Im weiteren Verlauf entschied er sich, den Juristen des RKH eine aktivere Rolle 89 Dazu Sethes eigene Schilderung bei A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt; sowie die dort enthaltende begleitende Darstellung der Herausgeber, S. 47., siehe auch M. W Francksen: Staatsrat, S. 251. 90 Nach H. Hüffer, ADB, Bd. 34, S. 46. 91 A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt, S. 55. 92 So das Zeugnis seines Freundes und Schülers Eilender; zitiert nach U. Teschner: Bartholomäus Fischenich, S. 38. Fischenich selbst führte diesen Erfolg auf das Interesse an dem von ihm vermittelten Stoff, dem in der Philosophie Kants begründetem Recht, zurück. 93 B. Gehle: Unter Preußens Adler und Napoleons Gesetz, in: A. Klein/G. Rennen (Hrsg.): Justitia Coloniensis, S. 13. Hardung hatte die offizielle Übersetzung des Code de commerce für das Großherzogturn Berg verfaßt; Angabe aus einem Entwurf für einen ausführlichen Nachruf auf Hardung, der von Sethe angefertigt wurde; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 94. 94 Diese Absicht ergibt sich zum einen aus der Korrespondenz mit einzelnen der anzustellenden Beamten, zum anderen wird sie auch im Bericht vom 31. 3. 1819 noch einmal erläutert; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 185.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 113

einzuräumen. Sie sollten das fremde Recht nicht nur in seiner praktischen Anwendung demonstrieren, sondern ihre Erfahrungen auch unmittelbar in die Reform des preußischen Rechts einfließen lassen. Vor diesem Hintergrund waren für die Personalauswahl zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung: die Aufgeschlossenheit der einzelnen Juristen gegenüber einer Reform des Rechtswesens und ein breiter beruflicher Erfahrungshorizont der künftigen Richter. Was die Reformorientierung, betrifft, so konnte Beyme durch eine Berufung der Mitglieder der IJK Juristen gewinnen, die sich bereits intensiv mit einer Vergleichung beider Rechtsordnungen und mit den Möglichkeiten einer Kombination französischen und preußischen Rechts auf dem Gebiet des Gerichtsverfassungs-, des Prozeß- und des materiellen Rechts befaßt hatten. Viele der anderen rheinischen Juristen hatten sich an der publizistischen Auseinandersetzung um das rheinische Recht beteiligt und sich in diesem Rahmen vergleichend mit der deutschen und französischen Rechtsordnung auseinandergesetzt. Seyppel beispielsweise hatte - allerdings anonym - eine in der Öffentlichkeit vielbeachtete Schrift verfaßt, in der er zum öffentlichen und mündlichen Verfahren Stellung nahm und sowohl dessen Vorzüge vor dem schriftlichen Prozeß als auch dessen politischen Implikationen würdigte 95 . Ruppenthal hatte sich in mehreren anonym erschienenen Schriften im Sommer und Herbst 1817 für die Beibehaltung des französischen Rechts eingesetzt und unter anderem eine "Rechtfertigung des öffentlichen mündlichen Verfahrens im Civilprozeße und in peinlichen Sachen gegen seine Verfolger" verfaßt96 • Schließlich hatten auch die an den RKH berufenen Mitglieder des Koblenzer Revisionshofes ihrerseits in einem ausführlichen Gutachten für die IJK zur Frage der künftigen Gestalt der rheinischen "Rechtsverfassung" Stellung genommen 97 . In ihrer Mehrheit waren sie für eine Beibehaltung der rheinischen Institutionen eingetreten. Lediglich der Generalprokurator des Koblenzer Gerichts, Hubert Ambrosius Eichhorn, und der Präsident Meusebach hatten sich kritisch zu einzelnen Einrichtungen des französischen Prozesses geäußert. Eichhorn hatte sich im Anschluß an die Argumentation Feuerbachs strikt gegen das Geschworenengericht ausgesprochen 98 , Meusebach die Kassation abgelehnt99 . Diese 95 Letzteres u. a., indem er es als die beste Schule bezeichnete, um künftige landständische Vertreter wie in England und Frankreich auf ihre Aufgaben vorzubereiten; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 127. Gegenüber Freunden und der IJK gab Seyppel sich als Autor dieser Schrift zu erkennen. Beyme nahm in seinem Bericht vom 31. 3. 1819, wenn auch nicht ausdrücklich auf diese Schrift, so doch auf die bisherigen Schriften Seyppels Bezug, um dessen besondere Eignung für die Gesetzrevision zu begründen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 184. In einer anderen ebenfalls veröffentlichten Schrift sprach Seyppel sich zugunsten des französischen Notariats aus; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 134 f. Die Schrift über das Notariat wurde im Niederrheinischen Archiv; Bd. 1, Köln 1817, S. S. 312 ff. veröffentlicht. Korrespondenz zwischen Seyppel und der IJK zu diesem und anderen von Seyppel angekündigten Gutachten in HStA Düsseldorf Bestand IJK Nr. 44, fol. 47 f., 108, 149, 158 f. 96 Erschienen in DüsseIdorf (im November) 1817; dazu K.-G. Faber: Rheinlande, S. 147 ff., dort auch die Aufschlüsselung der Verfasserschaft Ruppenthals. 97 GStA PK Rep 97 B I L 3.

8 Seynsche

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Juristen deshalb aber, wie Faber das im Falle Eichhorns tut 100, als grundsätzliche Gegner des rheinischen Rechts einzuordnen, erscheint mir nicht richtig. Gerade Eichhorn befürwortete schon in seiner Rede zur Eröffnung des RKH die zentralen Institutionen des französischen Rechts, wie die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Unabhängigkeit der Richter und die Öffentlichkeit der Verhandlungen. Später trat er sowohl in Gutachten für den Revisions- und Kassationshof als auch in seiner Funktion als Mitglied des Staatsrates für den Erhalt des rheinischen Rechts ein 101. Bei der Auswahl der altpreußischen Richter griff Beyme auf eine Reihe von Richtern zurück, die sich schon mit der Refom des preußischen Rechts befaßt hatten. Der Oberlandesgerichtspräsident Reibnitz hatte 1815 seinen "Versuch über das Ideal einer Gerichtsordnung" veröffentlicht, in dem er sich für eine grundlegende Erneuerung der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung einsetzte lO2 • Geschrieben ist dieses Buch mit Blick auf die Veränderungen, die die Konfrontation mit dem französischen Modell auch für das reformbedürftige preußische Prozeßrecht bringen mußte 103. Ohne für eine Übernahme des französischen Rechts zu plädieren, setzte Reibnitz sich mit dessen Institutionen auseinander, diskutierte ihren Nutzen für die preußischen Verhältnisse und sprach sich zumindest in einigen Bereichen für eine modifizierte Übernahme aus. Er trat für eine wenn auch eingeschränkte Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Prozesse ein, für die Aufteilung von Richter- und Anklägerfunktionen und für die Trennung der freiwilligen von der streitigen Gerichtsbarkeit sowie für die Verdrängung der Inquisitionsmaxime aus 98 Separatvotum Eichhorns in HStA Düsseldorf, BK Nr. 14 Bd. II, fol. 112 ff. möglicherweise ursprünglich als Teil eines umfassenderen Gutachtens, dann aber von der BK abgetrennt; vgl. Schreiben Eichhorns ebd. Nr. 44, fol. 111. 99 GStA PK Rep 97 B I L 3. 100 K.-G. Faber: Rheinlande, S. 123 (Fn. 40), S. 153 101 Abdruck der Rede in RhA 1 II S. 9 ff. Zu seiner Rede unten Kapitel C I 4, zu seinen späteren Gutachten unten Kapitel D und E. 102 Ernst Wilhelm von Reibnitz: Versuch über das Ideal einer Gerichtsordnung, 2 Teile, Berlin 1815. Seine theoretischen Ausführungen ergänzte er mit einem kompletten Gesetzentwurf. Beyme zog diese schriftstellerischen Arbeiten Reibnitz' u. a. zur Begründung seiner Berufung heran; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 183. 103 Im Schlußwort seines Buches heißt es dazu: "Endlich hat der Verfasser während der Ausarbeitung des zweiten Teiles (des Gesetzentwurfes) noch einen amtlichen Beruf zu dieser Zusammenstellung erhalten [ ... ], indem er von seiner Regierung den ehrenvollen Auftrag erhalten hat, nebst einem kaiserlich österreichischen und einem kaiserlich russischen Gesandten, die neue Republik Krakau zu organisiren, die Autoritäten zu ernennen und die materiellen sowohl als die formellen Gesetzbücher zu entwerfen. Wenn der Wunsch zu kühn erscheinen dürfte, daß es einem deutschen Herrscher gefiele, bei der Umwälzung der Rechtspflege, welche die mutmaßliche Abschaffung des französischen Verfahrens verursachen wird, einen Versuch zu machen, ob die Erfahrung die Richtigkeit und die Güte der vom Verfasser aufgestellten Grundsätze bei deren Anwendung bewähren möchte, so darf er sich wenigstens schmeicheln, einige Ideen dadurch in Umlauf gebracht zu haben, deren Prüfung wenigstens teilweise zu den Resultaten führt, die er sich von einer von allen Alten und neuen Vorurtheilen gereinigten Rechtspflege verspricht"; Versuch über das Ideal einer Gerichtsordnung, Teil 2, S. 716 f.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 115

dem Zivilprozeß. Wahrend er die Institution des Friedensrichters als einen am Anfang des Prozesses notwendig unfruchtbaren Schlichtungsversuch ablehnte, befürwortete er die Geschworenengerichtsbarkeit als "einen der wesentlichsten Bestandteile einer guten Gerichtsverfassung"I04. Neben Reibnitz waren es Mühler und Simon, die Beyme durch "treffliche Arbeiten" zur Reform des preußischen Rechts aufgefallen waren 105. Mühler hatte sich mit einzelnen Aspekten der Reform der Gerichtsverfassung befaßt und war bereits mit konkreten Reformvorschlägen an Beyme herangetreten. Stölzel deutet an, daß er sich schon vor 1819 mit dem französischen Recht auseinandergesetzt habe und vermutet hier den Grund für seine Berufung an den RKH I06 . Simon hatte sich in seiner Zeit als Kammergerichtsassessor durch die wissenschaftliche Bearbeitung der Materialien des ALR hervorgetan 107 und war über die Arbeit in der HK mit dem französischen Recht in Berührung gekommen. Er war dort zum Befürworter zumindest der zentralen Einrichtungen der rheinischen Justiz geworden lO8 . In diesem Zusammenhang erstaunt die Berufung Savignys l09 aus zwei Gründen. Zum einen sollte hier der Gegner jeglicher Kodifizierung des Zivilrechts als Richter des RKH an der Reform der preußischen Kodifikation teilnehmen. Zum anderen hatte Savigny sich nicht nur in seiner wohl bekanntesten Äußerung zum Thema - im "Beruf' - als erklärter Gegner des materiellen französischen Rechts zu erkennen gegeben, sondern auch kurz vor seiner Berufung an den RKH in Gutachten für das Revisionsministerium und den Staatsrat ausdrücklich für eine Wiedereinführung des gemeinen und partikularen Rechts und für eine gemeinrechtlich geprägte Gerichtsverfassung in den Rheinlanden plädiert 11 0. Welche Motive hinter der Berufung Savignys standen, ergibt sich nicht unmittelbar aus den Quellen. Seine gemeinrechtliche Bildung konnte sicher der Bearbeitung von Prozessen aus dem Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein oder auch von linksrheinischen Sachen aus der Zeit vor 1794 zugute kommen. Aber dies dürfte nicht der entscheidende Dazu Versuch über das Ideal einer Gerichtsverfassung, Teil 1, S. 73 ff. So der Bericht Beymes von 31. 3.1819 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 187. 106 A. Stölzel: Rechtsverfassung, Teil 2, S. 503. 107 J. Jacoby: Heinrich Simon, S. 15. 108 Hierzu E. Landsberg: Gutachten S. LU ff. 109 Auf die Tätigkeit Savignys als Richter des RKH weist F. Ebel: Savigny officialis, Berlin, New York 1987, S. 15 ff. hin. Dort finden sich aber keine Angaben zu den Gründen seiner Berufung. 110 Gutachten zum gemeinen und partikularen Zivilrecht abgedruckt bei Ernst von Meier: Savigny, das gemeine Recht und der Preußische Staat im Jahre 1818, in: ZRG germ. Abt. 30 (1909), S. 318 ff. Prozeßrechtliches Gutachten abgedruckt bei W Schubert: Savigny und die rheinisch-französische Gerichtsverfassung, in: ZRG germ. Abt. 95 (1978), S. 158 ff. Savignys Urteil über das französische materielle Recht beispielsweise bei Jacques Stern (Hrsg.): Thibaut und Savigny. Zum lOOjährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland. 1814-1914. Die Originalschriften in ursprünglicher Fassung mit Nachträgen, Urteilen der Zeitgenossen und einer Einleitung, Berlin 1914, S. 104, Neudruck Darmstadt 1959. 104 105

8*

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Grund für die Berufung gewesen sein. Schon die rheinischen Richter verfügten über Kenntnisse des gemeinen Rechts und der rheinischen und nass au ischen Partikularrechte. Es liegt wesentlich näher anzunehmen, daß Beyme im Anschluß an seine Ankündigung im Staatsministerium von August 1818 111 ein im "Beruf', also an besonders prominenter Stelle, geäußertes "Vorurtheil,,112 über das französische Recht revidieren wollte. Der Kritiker des französischen Rechts sollte dieses Recht in der Gerichtspraxis kennen1emen und seine Erfahrung sollte Eingang in die Gesetzrevision finden. Das Besetzungskonzept insgesamt war darauf ausgerichtet, Vertreter eines reformorientierten aber breit gefächerten Meinungsspektrums an der Fachdiskussion zu beteiligen, die der Revision der preußischen Gesetze notwendig vorausgehen mußte. Der Gerichtshof sollte sich zu einern Zentrum dieser Diskussion entwikkein. Eben diesem Ziel diente auch die Zusammensetzung des Kollegiums aus Angehörigen verschiedenster juristischer Berufe ll3 . Neben den Juristen rheinischer und preußischer Gerichte unterschiedlicher Instanzstufen waren es vor allem Savigny als Vertreter der aktuellen Strömung der Rechtswissenschaft, Ruppenthal als Verwaltungsjurist und nicht zuletzt Friccius als Angehöriger der Militätgerichtsbarkeit, deren Berufung auf diesen Überlegungen beruhten. Auf diese Weise konnten Aspekte eines breiten praktischen Erfahrungshorizonts unmittelbar in die Reformarbeiten einfließen. Umgekehrt eröffnete Beyme, soweit es die altpreußischen Beamten betraf, einen Weg, auf dem die Kenntnis des französischen Rechts in verschiedene Zweige der altpreußischen Justiz, der Verwaltung und der Wissenschaft Eingang finden konnte. Das Interesse an einern intensiven Austausch zwischen Gerichtshof und Gesetzrevision war es nach seinen eigenen Ausführungen auch, das Beyme bewog, eine Ämterkombination zu etablieren, die im Hinblick auf die Unabhängigkeit des Gerichts problematisch war. Zwei der Richter, Fischenich und Simon, sollten zugleich in seinem Ministerium als Räte arbeiten. Die Beschäftigung eines Beamten in Judikative und Exekutive war zwar nach der preußischen Gerichtsverfassung zulässig, kollidierte aber nach französischem Recht, obwohl nicht ausdrücklich gesetzlich untersagt, mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte 114. Beyme erkannte 111 Im Vortrag vom 5.8.1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd 2, fol. 51; dazu oben Kapitel B 112 b). 112 Dieses Wort ist ebenfalls dem Vortrag vom 5. 8. 1818 entnommen; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd 2, fol. 51. 113 Vgl. GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 6464, fol. 195. 114 In den Akten finden sich zu dieser Frage je ein Gutachten Daniels, Sethes und Simons; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 35 ff. Daniels lehnte die Verbindung beider Ämter letztlich mit Blick auf die Unabhängigkeit der Richter ab. Obwohl in Frankreich selbst kein ausdrückliches Verbot bestehe, habe er kein einziges Beispiel einer derartigen Ämterhäufung gefunden. Vielmehr sei diese Frage 1814 in Frankreich ebenfalls diskutiert, aber letztlich gerade mit Hinweis auf das Interesse der Regierung an politischen Prozessen verneint worden. Sethe und Simon stützen sich darauf, daß die Kombination nach der gegenwärtigen französischen Gerichtsverassung nicht ausgeschlossen sei und sich sogar Argumente dafür finden

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 117

diese Problematik und holte mehrere Gutachten dazu ein. Da aber zwei der drei Gutachter zur Anerkennung der Doppelanstellungen neigten, wurde sie zumindest vorläufig realisiert 115. Die endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Ämterkombination sollte in der künftigen Verfahrensordnung für den RKH getroffen werden. Diese Verfahrensordnung ist nie erlassen worden und die Doppelanstellungen wurden zu einer dauernden Einrichtung. Ob sie neben der Intensivierung des Kontakts zwischen Gerichtshof und Gesetzrevision eine regierungsseitige Einflußnahme auf das Gericht und dessen Rechtsprechung ermöglichen sollten, läßt sich nicht feststellen. Entsprechende Intentionen klingen weder in der amtlichen Korrespondenz noch in den Arbeitsnotizen Beymes an. Diese Anstellungen waren aber zumindest geeignet, in den Rheinlanden Vermutungen über eine unmittelbare ministerielle Beeinflussung des Gerichts aufkommen zu lassen. Daniels hatte in seinem Gutachten davor gewarnt, daß ein Gericht, an dem Beamte des Ministeriums angestellt wären, das Vertrauen des Publikums verlieren könnte 116. Vorerst scheint dies aber nicht der Fall gewesen zu sein 117 • Mit Fischenich und Simon wurden Juristen in diese Stellungen berufen, die sich im Kampf um das rheinische Recht profiliert hatten, bereits für eine Beibehaltung der wesentlichen Grundsätze dieser Rechtsordnung eingetreten waren und so das Vertrauen des Publikums besaßen.

ee) Politische Haltung

Noch ein weiterer Auswahlgesichtspunkt klingt in Beymes abschließendem Personalbericht an: die politische Haltung der Beamten, speziell der rheinischen Juristen. Da 1819 eine Parteien bildung noch nicht eingesetzt hatte und das politische Spektrum noch wenig differenziert war, konzentrierte sich die politische Einordnung der rheinischen Juristen auf die zentrale Frage der "Anhänglichkeit an das preußische Gouvernement,,118. Angesichts des noch nicht abgeschlossenen Integraließen. Sethe zumindest läßt es aber - unter Hinweis auf zumindest einen problematischen Fall - offen, ob eine solche Lösung tatsächlich wünschenswert ist, während Simon sich positiv für eine Ämterhäufung ausspricht. 115 Notizen Beymes am Rand zweier der Gutachten; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 35, fol. 44. 116 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 38. 117 Erst im Verlauf der Verhandlungen des rheinischen Landtages über die Verlegung des RKH in die Provinz begegnet man dem Vorwurf der mangelnden Unabhängigkeit des Gerichts; in der Landtagssitzung vom 16. 12. 1833, in der über einen Verlegungsantrag beraten wurde, führte ein Abgeordneter die Doppelanstellungen als Gefährdung der Unabhängigkeit des Gerichts an und forderte deshalb die Verlegung in die Rheinlande; ALVR Nr. 272 fol. 357. Zur Verlegungsforderung allg. unten Kapitel D II 3. IIB Dieser Begriff aus einem Personalbericht Sethes vom 13. 12. 1818, in dem er sich Beyme gegenüber u. a. über die politische Zuverlässigkeit des Koblenzer Generalprokurators Eichhorn ausläßt; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 4. Beyme selbst umschreibt diese politische

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

tionsprozesses und vor dem Hintergrund der einsetzenden Restauration, erscheint es plausibel, daß politisches Gebaren und Staatstreue der Juristen für die Besetzung gerade des rheinischen Obergerichts von Bedeutung waren. Dennoch ist es bei näherem Hinsehen äußerst fraglich, ob der Stellenwert dieser politischen Einschätzung tatsächlich ausreicht, um hier ein Auswahlkriterium zu orten. Zum einen maß Beyme diesem Punkt in seinen eigenen Ausführungen wesentlich geringere Bedeutung bei als den übrigen Anstellungskritierien. Er beschränkte sich darauf, lediglich die Anhänglichkeit an den Staat zU erwähnen, ohne diesen Punkt konzeptionell zu untermauern 11 9. Zum anderen nahm er auch solche Beamten in seine Vorschlagsliste auf, bei denen gerade die politische Zuverlässigkeit nicht zweifelsfrei feststand, ja von deren Berufung die HK bzw. deren Präsident Sethe sogar abgeraten hatten. Zu ihnen gehörte der vormalige Koblenzer Generalprokurator Eichhorn. Dieser hatte sich zunächst auf den Posten des Generalprokurators am Appellationshof in Köln beworben. Sethe sprach sich in einem an Beyme gerichteten Personalbericht energisch gegen eine Einstellung Eichhorns in Köln aus und versuchte zugleich auch dessen Berufung nach Berlin zu verhindern 120. Eichhorn habe sich nicht nur im Dezember 1814 bei dem Leiter der österreichisch-bayerischen Landesadrninistrationskommission um eine Anstellung in bayerischen Diensten beworben, er habe sich auch in einem Brief, der durch Zufall in seine (Sethes) Hände gelangt sei, dahingehend geäußert, daß er dem preußischen Staat "weder mit dem ganzen Körper noch auch mit dem edleren Theile desselben, dem Herzen nehmlich, [ .. . ], dem bayerischen aber durchaus,,121 zugehören könne. Sethe sah darin eine auf "Widerwillen und Groll" beruhende Abneigung gegen Preußen. Die Beurteilung Sethes mag zwar dazu beigetragen haben, daß Eichhorn nicht die Stelle am Appellationshof erhielt, einer Berufung an den RKH hat diese Mitteilung aber nicht im Wege gestanden 122 . Deutlicher noch liegt der Fall des Koblenzer Vizepräsidenten Krezzer, der tatsächlich eine politische Karriere hinter sich hatte, die aus Sicht der preußischen Zuverlässigkeit in seinem Bericht vom 31. 3. 1819 als "Anhänglichkeit an Er. Königl. Majestät Thron"; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 178. 119 Vgl. seinem abschließenden Bericht vom 31. 3. 1819 über die Besetzung des RKH; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. 120 Vgl. den Personalbericht Sethes vom 13. 12. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 3 ff. Für das öffentliche Ministerium des RKH, heißt es in seinem Bericht, bedürfe es gar keines Generalprokurators. Statt dessen will er offenbar nur zwei Generaladvokaten beschäftigen und schlägt dafür Hardung und Ruppenthal vor; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 7 f. 121 GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 4. 122 Keine ersichtliche Rolle spielten derartige Überlegungen bei der Einstellung Ruppenthals. Dieser hatte - insofern vielleicht vergleichbar mit Eichhorn - sich als Präsident der Kriegsschuldenliquidationskommission in Kreuznach für eine Zuteilung der südlichen Rheinlande an Bayern ausgesprochen und wohl auch erwogen, in bayrische Dienste zu treten; vgl. die Hinweise bei K.-G. Faber: Rheinlande, S. 148. Sethe selbst spricht in demselben Bericht, in den er sich so vehement gegen Eichhorn wendet, auch die Anstellung Ruppenthals am RKH an, bringt hier aber keinerlei Einwände vor; GStA Rep 84 I Nr. 132, fol. 8.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 119

Regierung äußerst anrüchig hätte erscheinen können. Er hatte in der ersten revolutionären Phase der französischen Besetzung der Rheinlande exponierte politische Stellungen eingenommen, hatte sich zunächst in der cisrhenanischen Bewegung engagiert und war später zur Zeit des Überganges zur napoleonischen Herrschaft Präsident der patriotischen Koblenzer Munizipalität geworden. Nach Auseinandersetzungen sowohl mit der Bevölkerung als auch mit der gemäßigteren französischen Zentral verwaltung wurde die gesamte radikale Munizipalität ihres Amtes enthoben und einige ihrer Mitglieder, unter ihnen auch Krezzer, vorübergehend in Haft genommen J23 • Seiner weiteren Karriere hat diese politische Engagement allerdings nicht geschadet. Nachdem er zunächst als Anwalt in Koblenz gearbeitet hatte, ernannte Gruner ihn 1814 zum Gouvernementsrat, dann zum Richter am Koblenzer Revisionshof und wenig später - verbunden mit einer Gehaltsverdoppelung - zum Vizepräsidenten dieses Gerichtshofes 124. Die HK bescheinigte ihm vorzügliche juristische Kenntnisse, sah allerdings sein Ansehen in der Bevölkerung durch den "Ruf seines früheren Freiheitsschwindels, und die Hauptrolle, welche er in den ersten Zeiten der französischen Herrschaft gespielt hat" beschädigt 125 . Wesentlich härter fiel das Urteil Sethes aus, der sich auch später, noch einmal unter Anspielung auf die "anstößige Rolle" Krezzers in französischer Zeit, gegen dessen Berufung aussprach und den RKH nicht "mit einer solchen Anstellung [ ... ] befleckt sehen" wollte l26 . Obwohl Sethe dem noch massive Zweifel an der persönlichen Integrität des in einen Assisenprozeß verwickelten Krezzer hinzufügte, hielt Beyme an einer Anstellung in Berlin fest und betonte mehrmals seine Wertschätzung dieses Richters 127 . Die Berufung Eichhorns und Krezzers zeigt, daß der poli-

123 Krezzer war zwischen Mai und Juni 1799 in die Munizipalität eingetreten und übernahm am 23.7. 1799 das Präsidium. Dies leitete eine neue Phase der Koblenzer Stadtverwaltung ein, die Munizipalität bestand nun ausschließlich aus sogenannten "Patrioten". Durch rigide Maßnahmen der Munizipalität verstärkten sich die innerstädtischen Spannungen mit der Bürgerschaft immer mehr. Im Oktober 1799 setzte General Lavall die völlig isolierte Munizipalität ab, nachdem es anläßlich einer von den Patrioten abgehaltenen Siegesfeier zu Gewalttätigkeiten französischer Soldaten gekommen war, die sich durch Rufe wie "vivent les Jacobines" provoziert gefühlt hatten. Auslöser für die Verhaftung der Patrioten war deren Protest gegen eine antirevolutionäre Demonstration anläßlich ihrer Amtsenthebung, den sie bei der Zentralverwaltung eingelegt hatten; Jürgen Müller: Von der alten Stadt zur neuen Münizipalität. Die Auswirkungen der französischen Revolution in den linksrheinischen Städten Speyer und Koblenz, Koblenz 1990, S. 123 ff.; vg!. auch Axel Kuhn: Linksrheinische deutsche Jakobiner. Aufrufe, Reden, Protokolle, Briefe und Schriften, 1794 - 180 I, Stuttgart 1978, S. 280 ff. 124 Dazu G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), S. 50 ff. 125 GStA PK Rep 84 I Nr. 134, fo!. 13, Nr. 67 des Verzeichnisses der Justizbeamten. 126 Sethes Einschätzung der Person und der politischen Haltung Krezzers findet sich in einem Personalbericht vom 17. 3. 1819, in dem er sich eigentlich nur zu einem Problem der Rangfolge am RKH äußern sollte, den er aber zum Anlaß nimmt, sich gegen die Anstellung Krezzers zu verwenden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo!. 141 ff. (144). Dort finden sich auch Andeutungen zu dem Prozeß, in dem Krezzer zusammen mit seinem Bruder wohl als Zeuge eine - nach Sethe - überaus zweideutige Rolle spielte.

120

C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

tischen Beurteilung keine Auslesefunktion zuzumessen ist, daß sie im Geflecht der Anstellungskriterien keine Rolle gespielt hat.

c) Exkurs: Die Anwälte des Revisions- und Kassationshofes

Wie bereits eingangs bemerkt, lassen sich nur wenige konturierte Aussagen über die Auswahlkriterien und die einzelnen Anstellungsvorgänge machen. Die Zusammensetzung der Anwaltschaft weist insofern Parallelen zu derjenigen der Richterschaft auf, als auch unter den Anwälten Juristen rheinischer und altpreußischer Herkunft zusammentrafen 128. Die Sachwalter am RKH waren nicht freiberuflich tätig, sondern entsprechend ihrer bisherigen Tätigkeit als Justizkommissar oder rheinischer Anwalt 129 auch am RKH verbeamtet I3 o. Im Sommer 1819 wurden insgesamt sieben Anwälte bestellt: der Justizrat Ludwig Krause, die Justizkommissare Heinrich Wilhelm Reinhardt, Georg Karl Friedrich Kunowsky, Karl Eduard von Tempelhoff, Karl Heinrich Bode und Karl Wilhelm Marchand sowie der bisherige Advokat und Anwalt am Appellationsgerichtshof in Köln, Dr. Johann Baptist Haas I31. Als einheitliche Bezeichnung für diese Juristen begegnet nur die des Anwalts. Insofern scheint man sich am französischen Kassationshof orientiert zu haben: Auch dort war die für die französische Gerichtsverfassung typische Unterscheidung der Ämter des Anwalts und des Advokaten nicht übernommen worden I32 .

127 Aussagen Beymes zur Person Krezzers finden sich in einem Schreiben an Sethe vom 8.3. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 93 und in seinem abschließenden Personalbericht ebd. fol. 190 f. 128 An die lustizkommissare am Stadt- und am Kammergericht war die Aufforderung ergangen sich, wenn sie Interesse an einer Anstellung hätten, in Beymes Ministerium zu meIden; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 9 ff. 129 Als lustizkommissare wurden die preußischen Sachwalter bezeichnet. Im Gegensatz zur französisch-rechtlichen Zweiteilung in Advokaten und Anwälte handelte es sich hier um einen einheitlichen Berufsstand, dessen Mitglieder sämtlich verbeamtet und in ihrer Zulassung auf ein Gericht beschränkt waren (Teil III, Titel 7 § 5 der AGO). Nach dem ursprünglichen französischen Modell waren nur die Anwälte beamtet, während sich die Advokatur als freier Beruf erhalten hatte. In den Rheinlanden wurde diese Ordnung 1819/20 durch die Abschaffung des Anwaltsberufs und die Einführung des ebenfalls verbeamteten "Advokatanwalts" umgestaltet. Die Advokatur blieb erhalten, und jeder Advokatanwalt konnte zugleich als Advokat arbeiten; H. Hufmann: Rechtsanwaltschaft, S. 98 ff. 130 Bei der Eröffnung des RKH legten sie denselben Amtseid wie die Richter und Prokuratoren ab; RhA Bd. 1 11, S. 5. 131 Vgl. die offizielle Aufstellung des Personals des RKH vom 14.8. 1819; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 19. 132 Siehe dazu unten Kapitel D I 1 b) aa). Zur Unterscheidung zwischen Anwälten und Advokaten im französischen Prozeß und der weiteren Entwicklung in den Rheinlanden unter preußischer Herrschaft; H. Hufmann: Rechtsanwaltschaft, S. 90 ff.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 121

Ursprünglich hatte Beyme - mit Blick auf das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung - beabsichtigt, aus jedem der vormaligen Appellationsgerichtsbezirke einen Advokaten nach Berlin zu holen 133. Diese Pläne scheiterten allerdings. Die fachlich hervorragenden und vom Vertrauen der Mandantschaft getragenen Anwälte hatten in den Rheinlanden in der Regel auch ein herausragendes Einkommen 134. Ein Wechsel nach Berlin war für sie mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden: Das Prozeßaufkommen am RKH war nicht hoch genug, um allein einer größeren Zahl von rheinischen Anwälten ein Auskommen zu bieten. Die rheinischen Anwälte verfügten aber weder über ausreichende Rechtskenntnisse noch über das erforderliche Vertrauen des Publikums, um von Anfang an erfolgreich an anderen preußischen Gerichten tätig werden zu können. Aus diesem Grund war eine für die Übergangszeit gedachte finanzielle Hilfe für die rheinischen Anwälte Bestandteil aller Pläne des Ministers 135. Dennoch fanden sich nur sehr wenige bereit, unter diesen Umständen nach Berlin zu gehen. Aus der Aufstellung der im Sommer 1819 eingestellten Anwälte ergibt sich, daß nur einer aus den Rheinprovinzen stammte. Allerdings hatte zumindest einer der altpreußischen Anwälte, nämlich Reinhardt, zur Zeit des Königreichs Westfalen in Magdeburg mit dem französischen Recht gearbeitet l36 . Später wurde die Gruppe der rheinischen Anwälte verstärkt durch den Anwalt Molitor und im Oktober 1819 durch den Assessor von Sandt. Haas und Molitor wechselten jedoch bereits im Laufe der nächsten zwei Jahre wieder in die Rheinprovinz l37 • Ob und in welchem Maße die altpreußischen Anwälte schon über Kenntnisse des französischen Rechts verfügten, konnte anhand des eingesehenen Quellenmaterials nicht genau ermittelt werden. Es gibt aber Hinweise, daß bei der Auswahl zumindest gewisse Grundkenntnisse des ma133 Schreiben Beymes an den König vom 15. 6.1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 133. In seinem Staatsministeriumsvortrag vom 5. 8. 1818 hatte Beyme sogar noch von fünf bis sechs rheinischen Advokaten gesprochen; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 2, fol. 52. Im Februar 1819 hatte er sich Kircheisen gegenüber auf drei französisch-rechtlich geschulte Anwälte festgelegt und darunter zwei Rheinländer und einen Westfalen (nämlich Reinhardt) gefaßt; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 15. In dem O.g. Schreiben an den König vom Juni 1819 war dann wieder von drei rheinischen Anwälten die Rede. 134 Zu den Verdienstmöglichkeiten insbesondere der rheinischen Advokatanwälte ab 1819 die in Arbeit befindliche Dissertation von Cordula Müller-Hogrebe über den rheinischen Advokatanwalt und Professor der Universität Bonn, Johann Joseph Bauerband; Sauer: Die Rheinische Rechtsanwaltschaft, DJZ 1926, S. 1251. 135 Vgl. den Staatsministeriumsvortrag Beymes vom 5. 8. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 2, fol. 52; Schreiben Beymes an Hardenberg vom 21. 5. 1819; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Auf diese Schwierigkeiten hatte bereits Daniels in seinem Bericht an Beyme vom 14. 7. 1818 hingewiesen; abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 357. Kircheisen hingegen wies darauf hin, daß es an den Berliner Gerichten schon genügend Justizkommissare gebe, so daß die rheinischen Anwälte auch aus diesem Grund nicht auf eine große Praxis hoffen dürften; GStA Pk Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 12. 136 Zur Person Reinhardts K. W. Nörr: Reinhardt, S. 43 . 137 Molitor wechselte bereits im Sommer 1820, Haas im Sommer 1822 wieder in die Rheinlande, GStA PK Rep 97 B I A 5, fol. 12, 18. Zur Anstellung von Sandts; GStA PK Rep 84 a (D), Nr. 9711, fol. 4.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

teriellen Rechts vorausgesetzt wurden 138, was nicht gleichermaßen für das Prozeßrecht galt 139. Der Umstand, daß unter den Anwälten die Altpreußen deutlich in der Überzahl waren, dürfte das Vertrauen in die anwaltliehe Vertretung vor dem RKH nicht sehr erschüttert haben. Da nämlich die Parteien nur selten nach Berlin reisten, wurden die Prozesse in den Rheinlanden vorbereitet. Der Kontakt zu den Parteien lag also bei rheinischen Anwälten, die in ständiger Korrespondenz mit den Kassationsanwälten standen 140. Da sowohl die altpreußischen als auch die rheinischen Anwälte mit der Tätigkeit am RKH weder ausgelastet waren noch allein darin ihr finanzielles Auskommen 141 finden konnten, arbeiteten sie zugleich am Kammergericht oder am Berliner Stadtgericht als lustizkommisare. Darin ist der wohl wichtigste Aspekt der Auseinandersetzung mit der Anwaltschaft des RKH zu sehen: eine weitere Vertiefung des Kontakts der altpreußischen lustizpraxis zum rheinischen Recht. In die preußische Gesetzgebung war die Antipathie Friedrich Wilhelm I. und seines Sohnes gegen den Anwaltsstand eingeflossen. Die Einführung des Untersuchungsgrundsatzes in den preußischen Zivilprozeß hatte die Bedeutung der Anwälte für Parteien und Prozeß herabgesetzt l42 . Am RKH lernten die altpreußischen Sachwalter den hohen Stellenwert der Anwaltschaft in der französischen Gerichtsverfassung kennen. Sie arbeiteten mit dem öffentlichen und mündlichen Verfahren, mußten das öffentliche Plädieren lernen und erhielten so einen sehr unmittelbaren Eindruck von diesem Verfahren, den sie in ihr Berufsumfeld hineintragen konnten.

138 So begründete Beyme die Notwendigkeit zur Heranziehung rheinischer Juristen auch damit, daß in den Anfangsjahren noch keine genügend große Anzahl preußischer Justizkommissare mit dem französischen Recht vertraut sein würde; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, voI. 2, foI. 52. Das bedeutet aber auch, daß man zumindest auf einige wenige mit entsprechenden Rechtskenntnissen zurückgreifen konnte. Des weiteren ist auch die Anstellung Reinhardts als Hinweis auf die Relevanz französischer Rechtskenntnisse zu deuten. 139 VgI. Schreiben Beymes an den König vom 15. 6. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, foI. 133 ff. Des weiteren gibt es Schreiben des Gerichtshofes an die Anwaltschaft, in denen letztere über ihnen unbekannte Verfahrensneuheiten aufgeklärt werden; GStA PK Rep 97 B I A 5. 140 VgI. dazu das Aktenmaterial zur Beschleunigung des Verfahrens vor dem RKH unten Kapitel D I 2 b). 141 Zu Fragen der Entlohnung der Anwälte findet sich Material in GStA PK Rep 97 B I A5. 142 Dazu allgemein F. Bomsdorf: Prozeßmaximen, S. 66 ff. Zum Vergleich der rheinischen Anwaltschaft mit den preußischen Justizkommissaren auch H. Hufmann: Rechtsanwaltschaft, S. 103; vgI. auch Christian Grahl: Die Abschaffung der Advokatur unter Friedrich dem Großen. Prozeßbetrieb und Parteibeistand im preußischen Zivilgerichtsverfahren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Materialien zum Corpus Juris Fridericianum von 1781 (Quellen und Forschungen zum Recht und seiner Geschichte, Bd. 2), Göttingen 1994.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 123

d) Zusammenfassung

Beyme plante also, das Kollegium des Revisions- und Kassationshofes mit Juristen zu besetzen, die sich durch ihre berufliche Stellung, ihre fachliche Qualifikation, ihren Rückhalt in der rheinischen Bevölkerung und ihre Eignung für die Arbeiten an der Revision der Gesetzgebung auszeichneten. Neben dem Vertrauen der Rheinländer in den Gerichtshof war die Gesetzrevision der bestimmende Auswahlgesichtspunkt. Sowohl das Kriterium der beruflichen Stellung als auch das der fachlichen Qualifikation lassen sich in diesen Kontext einordnen. Über die Besetzung mit altpreußischen und rheinischen Richtern und Anwälten wollte Beyme nicht nur eine Kontaktaufnahme der Vertreter unterschiedlicher Rechtsordnungen innerhalb des Gerichtskollegiums erreichen, sondern zugleich eine Vielzahl von "Briicken" in die altpreußische Rechtspraxis schlagen, über die die Gedanken des französischen Rechts sich verbreiten konnten. Die Personalauswahl des Ministers erweist sich damit als konsequente Umsetzung des Programmes, das er in seinem Staatsministeriumsvortrag vom August 1818 dargelegt hatte. Er ging jetzt noch über dieses Konzept hinaus, indem er das Ziel der Auseinandersetzung mit dem französischen Recht deutlicher faßte. 1818 hatte er die Zusammenführung altpreußischer und rheinischer Beamter als Möglichkeit zur Beseitigung gegenseitiger Vorurteile und als Grundlage einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen Recht bezeichnet. Seine Personalvorschläge machen deutlich, daß das Ziel dieser Auseinandersetzung eine Aufnahme französischen Rechts in das preußische Recht war. Es ging dem Minister nicht mehr allein um eine Demonstration des "fremden" Rechts in Berlin. Die Beteiligung der Richter an den Arbeiten der Gesetzrevision sollte es ihnen ermöglichen, unmittelbar Einfluß auf den Inhalt der Gesetzentwürfe zu nehmen. Von den durch Beyme ausgewählten Juristen war eine Einflußnahme zugunsten französisch-rechtlicher Institutionen zu erwarten. Die Mitglieder der IJK hatten sich bereits mehrfach für das französische Verfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht ausgesprochen und sie hatten sich 1816 bereits mit den Möglichkeiten einer Verbindung preußischen und französischen Rechts befaßt. Auch die anderen rheinischen Mitglieder des Kollegiums hatten sich für die Erhaltung der französischen Institutionen ausgesprochen. Es stand zu erwarten, daß sie eine Übernahme in das preußische Recht befürworten würden. Bei der Auswahl der altpreußischen Juristen hatte Beyme Wert darauf gelegt, daß sie sich mit dem französischen Recht schon beschäftigt hatten oder doch zumindest einer Reform des preußischen Rechts aufgeschlossen gegenüberstanden. Da das Gesetzrevisionsministerium selbst nur über wenige Mitarbeiter verfügte, hätte die Beteiligung des gesamten Gerichtskollegiums an den Arbeiten des Ministeriums dem französischen Recht einen großen Einfluß auf die Gesetzrevision verschaffen können. In einem abschließenden Personalbericht Beymes an König und Staatskanzler heißt es: "Wenn nun der Revisionshof zum Theil aus Rheinischen Juristen, zum

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Theil aus Beamten der alten Provinzen zusammengesetzt wird, so wird diese Behörde offenbar vorzüglich geeignet seyn, die gegenseitigen Vorurtheile zu entfernen, eine Befreundung der Vertheidiger der verschiedenen Ansichten zu bewirken, und eine so glückliche Verschmelzung hervorzubringen, welche in den huldreichen Absichten Er. K. Majestät liegt, und welche auch bei der bevorstehenden Revision der Gesetzgebung ein genügendes Resultat mit allem Grunde hoffen läßt.,,143 Es ging Beyme also ausdriicklich darum, die Ergebnisse einer "Verschmelzung" beider Rechte am RKH in die Gesetzrevision einfließen zu lassen. Letztlich scheint er eine Aufnahme französischen Rechts bis hin zu einer Verbindung bei der Rechtsordnungen beabsichtigt zu haben.

3. Die Umsetzung der Besetzungspläne Bei Umsetzung der Besetzungspläne über die königliche Genehmigung und die Berufung der Richter bis hin zur Eröffnung des Gerichts mußte sich zeigen, ob diese Pläne innerhalb der Regierung und von den betroffenen Juristen akzeptiert wurden.

a) Die Aufnahme der Pläne in der Regierung Der Besetzungsplan insgesamt mußte von Staatskanzler und König genehmigt werden. Er war in seinen Einzelheiten aber auch von der Zustimmung derjenigen Minister abhängig, aus deren Ressort Beyme Beamte an den RKH ziehen wollte. Angesichts der engen Verbindung, die der Minister unter dem Stichwort der "Verschmelzung" zwischen der Besetzung des Gerichtshofes und der von ihm beabsichtigten Ausrichtung der künftigen Gesetzrevisionsarbeiten hergestellt hatte, hätte man erwarten können, daß die Kritiker dieser Ausrichtung, allen voran Kircheisen, diese Gelegenheit ergriffen hätten, über eine Einflußnahme auf die Besetzung des Gerichts die dahinter stehenden Revisionspläne anzugreifen. Tatsächlich regte sich solcher Widerspruch aber nur in verschwindend geringem Maße. Dies ist damit zu erklären, daß Beyme sich von Anfang der Zustimmung des Staatskanzlers versichert hatte. Bereits im Vorfeld der offiziellen Vorstellung der Besetzungspläne hatte er sein Personalkonzept in persönlichen Gesprächen mit Hardenberg abgestimmt. Der Staatskanzler billigte die Pläne, ohne seinerseits Abänderungen zu verlangen. In die Einstellungsentscheidungen mischte er sich - mit Ausnahme der Berufung des Oberlandesgerichtspräsidenten Reibnitz l44 - nicht ein l45 . Ein 143 Personalbericht vom 31. 3. 1819; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 185. 144

Dazu unten Kapitel C I 3 b).

145 Auf eine vorangegangene mündliche Absprache Beymes mit Hardenberg wird in den Akten mehrfach Bezug genommen; vgl. beispw. den Begleitbrief Beymes zu seinem Bericht

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 125

Indiz für das große Gewicht der Zustimmung des Staatskanzlers findet sich an anderer Stelle: Als Gegner des gesamten Planes nicht aus rechts- sondern finanzpolitischen Motiven erwies sich nämlich der Chef der Generalkontrolle, Graf Lottum. Er hielt insbesondere das Nebenamtskonzept und Gehaltszuschläge, die einzelnen Beamten gewährt werden sollten, für unzulässig. Diese Bedenken stellte er nur deshalb zurück, weil er glaubte, das bereits mündlich erteilte Einverständnis Hardenbergs nicht übergehen zu können 146. Grundlage der Zusammenarbeit zwischen Staatskanzler und Gesetzrevisionsminister war die von beiden verfolgte Politik der "Beamtentranslokation". Darunter wurde die Versetzung von Beamten aus den neuen in die alten Provinzen und umgekehrt verstanden l47 . Diese Politik war bereits in den Konferenzen des Sommers 1818 empfohlen worden und wurde sowohl im Staatskanzleramt als auch in Beymes Ministerium aufgenommen 148. Das Ziel dieser Maßnahmen war die Annäherung der Vertreter der unterschiedlichen Rechtsordnungen und die Beseitigung gegenseitiger Vorurteile l49 . Die gemischte Besetzung des RKH erschien als konsequente Umsetzung dieser Politik. Unter den Ministern war Kircheisen der einzige, der Widerstand leistete. Schon vor der endgültigen Genehmigung seiner Pläne durch Staatskanzler und König hatte Beyme die Zustimmung seiner Ministerkollegen für die Zuziehung der ihnen unterstehenden Beamten eingeholt 150. Faktisch kam der Zustimmung Kircheisens vom 31. 3. 1819 in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert) oder das Schreiben Lottums vom 14. 5. 1819 ebd. Den Hinweis auf die Zustimmung des Staatskanzlers stellte Beyme seinen Anträgen an die anderen Minister auf ÜbersteIlung der aus ihrem Ressort herangezogenen Beamten voran; siehe beispw. das Schreiben an Kircheisen vom 12. 3. 1819 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 114. 146 Schreiben Lottums an Hardenberg vom 15.4. 1819; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). 147 Dies geht aus einem späteren Schreiben Beymes hervor, in dem er auf eine Unterredung mit Kircheisen bezug nimmt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 107. 148 Vgl. Protokoll der "großen" Konferenz vom 15. 6. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. 1, fol. 254. Allerdings wandte Beyme sich angesichts der strikten Weigerung vieler rheinischer Juristen, sich in die alten Provinzen versetzen zu lassen, gegen eine zwangsweise Umsetzung dieser Politik; Schreiben an den Staatskanzler vom 27.9. 1819; GStA PK Rep 74 R IX Nr. 1, vol. 2, fol. 119. Zur Haltung des Staatskanzlers vgl. sein Schreiben an die Justizminister vom 20.10. 1819 (Entwurf mit Absendungsvermerk); ebd. fol. 121 f. 149 Protokoll der "großen" Konferenz vom 15. 6.1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, vol. I, fol. 254. 150 Entwürfe für Schreiben an die Minister Kircheisen, Altenstein, Schuckmann und Boyen vom 12.3. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 110 ff. Über die Abstimmung mit den unmittelbar betroffenen Ministerien hinaus sind die Pläne Beymes dem Staatsministerium vorgelegt worden. Dies geht aus einem Schreiben an Reibnitz vom I. 4. 1819 hervor, in dem Beyme auf die Ministerialkonferenz vom Vortag über die Besetzung des RKH Bezug nimmt, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 216 ff. Da diese Vorlage zeitgleich mit der Vorlage an den Staatskanzler bzw. den König erfolgte und lange nachdem Beyme die mündliche Zusage Hardenbergs erhalten hatte, war dem Ministergremium kein wirklicher Entscheidungsspielraum eröffnet, konnte es nur noch um ein formales "Absegnen" der Vor-

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

besonderes Gewicht zu, da sie die Voraussetzung für die Anstellung von immerhin sechs Richtern war. Wahrend die Minister Altenstein, Schuckmann und Boyen den ihr Ressort betreffenden Versetzungen ohne weiteres zustimmten, behielt Kircheisen sich zumindest gewisse Eingriffsmöglichkeiten vor. Vorbehaltlos stimmte er nur der Versetzung derjenigen Juristen zu, die gänzlich aus seinem Ressort ausscheiden sollten i51 . Für die verbleibenden drei Beamten, nämlich Trützschler, Schilling und Mühler, die am RKH lediglich ein Nebenamt übernahmen, behielt er sich eine Abberufung vor, falls ihre Hauptämter unter der Beschäftigung am RKH leiden sollten 152. Wenn er sich damit auch die Möglichkeit geschaffen hatte, die Zahl der Richter kurzfristig um drei zu verringern, so wandte er sich noch nicht ausdrücklich gegen die mit der Besetzung des Gerichts verfolgte Reformkonzeption Beymes. Grundlegende Kritik äußerte er später: Kurz vor der Eröffnung des Gerichtshofes ergab sich die Notwendigkeit, Ersatz für einen ausgeschiedenen Richter zu schaffen. Beyme beabsichtigte, einen weiteren Beamten aus Kircheisens Ressort, den westfalischen Richter Christian Goerdeler, auf diese Stelle zu berufen. Kircheisen erklärte jedoch, daß er seine Zustimmung zu einer solchen Versetzung so lange verweigern werde, bis er vom König ausdrücklich zur Genehmigung aufgefordert werde. Gleichzeitig nutzte er diese Gelegenheit, um sich gegen die Translokationspolitik Beymes und Hardenbergs auszusprechen. Er forderte von Beyme, die rheinischen Gerichte in Zukunft mit rheinischen Juristen zu besetzen und "keine weiter dem Justiz-Dienste in den alten oder wiedervereinigten Provinzen zu entziehen,,153. Dieser Widerstand blieb aber erfolglos. Goerdeler wurde mit königlicher Genehmigung an den RKH versetzt 154. Eine andere Initiative Kircheisens hatte zumindest teilweise Erfolg. Beyme hatte schon im März 1819 versucht den Einflußbereich des RKH zu vergrößern 155. Er hatte sich - eine Anregung aus dem Staatskanzleramt aufgreifend - dafür ausgesprochen, die französisch-rechtlichen Rechtssachen aus den wiedererworbenen schläge gehen. Die von Beyme vorgesehene Besetzungsliste wurde denn auch ohne Modifikationen gebilligt. 151 Das betraf Sethe, Simon und Friccius. 152 Schreiben Kircheisens an Beyme vom 24.3.1819; GStA PK Rep. 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol, 165. 153 Schreiben Kircheisens an Beyme vom 25.5. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 107. Mit einem Schreiben vom selben Tag hatte Beyme die Versetzung Goerde\ers bei Kircheisen beantragt; ebd. fol. 81 f. 154 Goerdeler wurde im September 1819 vom König zum Richter am RKH ernannt; Nachricht darüber von Beyme an Kircheisen vom 7.9. 1819 GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 67. 155 Reskripte des Staatskanzlers, Gutachten der lustizrninister und Stellungnahmen des Staatsministeriums in dieser Sache finden sich in GStA PK Rep 84 I Nr. 145 (unfoliiert); ebd. Nr. 60 (unfoliiert); Rep 84 a (D) Nr. 2512, fol. 305 ff. Vgl. zu diesen Vorgängen auch F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 191.

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(westfälischen und bergischen) Provinzen an den RKH zu überweisen i56 . Anlaß war ein offensichtlich auf mangelnder Kenntnis des französischen Rechts beruhendes Fehlurteil des Obertribunals. Bisher waren französisch-rechtliche Altfälle aus diesen Landesteilen zwar nach materiellem französischem Recht, aber in den Formen des altpreußischen Revisionsprozesses behandelt worden, d. h. in einem schriftlichen, geheimen Verfahren, von einer nach Höhe der Revisionssumme zwischen Oberlandesgerichten und Obertribunal aufgespaltenen Revisionsinstanz. Eine Verlagerung dieser Verfahren an den RKH hätte dessen Bedeutung als Gegenmodell zur preußischen Obergerichtsbarkeit erheblich gestärkt. Die Behandlung französischer Rechtssachen wäre an einem Gericht konzentriert worden und es wäre für Verfahren aus Landesteilen, in denen neu anhängige Prozesse bereits wieder nach preußischem Recht entschieden wurden, der öffentliche Kassationsprozeß wiederbelebt worden. Beyme konnte eine Überweisung dieser Prozesse an den Revisionshof im Staatsministerium nicht gegen den Widerstand Kircheisens durchsetzen i57 . Es gelang ihm aber die Auseinandersetzung dennoch im Sinne seiner rechtspolitischen Ziele zu beenden. Die Minister beschlossen auf seinen Antrag hin und diesmal gegen das Votum Kircheisens, die fünf hauptamtlichen rheinischen Richter des RKH künftig an allen französisch-rechtlichen Prozessen des Obertribunals zu beteiligen 158. Auf diese Weise war ein weiterer Berührungspunkt zwischen den rheinischen Praktikern des französischen Rechts und altpreußischen Juristen geschaffen. Es war eine weitere "Brücke" geschlagen, über die altpreußische Richter mit dem französischen Recht und seiner Anwendung in Berührung kamen. Der letztlich erfolglose Widerstand Kircheisens gegen die Zuziehung Goerdelers und die Verbindung von RKH und Obertribunal waren die einzigen Versuche eines Ministers, sich der Zusammenarbeit rheinischer, altpreußischer und westfälischer Juristen entgegenzustellen.

156 Im Anschluß an diesen Rechtsfall hatte der Staatskanzler die beiden Justizminister zum Gutachten über die Möglichkeiten einer Verweisung dieser französisch-rechtlichen Sachen an den RKH aufgefordert. Abschriften dieser Gutachten vom 25. 3. 1819 und einer ergänzenden Stellungnahme Kircheisens vom 7. 5. 1819 in GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 2512, fo!. 305 ff.; 318 ff. Der Staatskanzler schloß sich daraufhin in einer Stellungnahme vom 23.4. 1819 der Ansicht Beymes an und plädierte entschieden für eine Überweisung der französisch-rechtlichen Sachen aus den wiedererworbenen Gebieten an den RKH. Gleichzeitig wies er die Minister an, die Sache zur endgültigen Entscheidung dem Staatsministerium und anschließend dem König vorzulegen; GStA PK Rep 84 I Nr. 145 (unfoliiert). 157 Offenbar hatte sich die Mehrheit der Minister der ablehnenden Argumentation Kircheisens angeschlossen. Dieser sah das Obertribunal durchaus in der Lage, sich in das französische Recht einzuarbeiten, zumal es mit dem Obertribunalsrat Busse über ein bestens mit der französischen Gesetzgebung vertrautes Mitglied verfüge. Im übrigen befürchtete er Jurisdiktionskonflikte, sobald in einer Sache sowohl das französische als auch das preußische Recht in Betracht kämen, und hielt eine vorgezogene Vereinheitlichung der Revisionsinstanz allein für Sachen des französischen Rechts für wenig sinnvoll; GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 2512, fo!. 307 f., 319 ff.; vg!. auch Kircheisens Stellungnahme im Staatsministerium in der Sitzung vom 13. 10. 1819; Protokoll dieser Sitzung abschriftlich in GStA PK Rep 84 I Nr. 60 (unfoliiert).

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische 1ustizpolitik

b) Die Berufung der Richter

Parallel zur Entwicklung des Besetzungsplanes begann Beyme bereits mit dessen Umsetzung l59 . Ausgangspunkt der meisten Berufungen war der persönliche Kontakt mit den späteren Richtern und Prokuratoren. Schon während seiner Reise in die Rheinprovinz im Herbst 1818 hatte Beyme sich über geeignete Juristen informiert und erste Kontakte geknüpft. Er sprach etliche der späteren Mitglieder des RKH auf eine Tatigkeit in Berlin an oder wurde von ihnen um eine Berufung gebeten 160. Einzelne Anstellungen leitete er schon zu diesem Zeitpunkt in die Wege. So erwirkte er 1818 während des Aufenthaltes des Königs in den Rheinlanden die vorläufige Genehmigung, Fischenich und Sethe an das rheinische Obergericht zu ziehen und stellte dem Koblenzer Revisionsgerichtspräsidenten Meusebach eine bevorzugte Stellung am neuen Gericht in Aussicht 161 . Faktisch griff Beyme hier in den Zuständigkeitsbereich Kircheisens ein. Alle Personalangelegenheiten der rheinischen Justiz waren bis zur Kabinettsorder vom 19. November 1818 noch der IJK übertragen und die Kommission war in dieser Hinsicht nach wie vor dem Justizminister untergeordnet l62 . Dieser Eingriff war aber gedeckt durch die Billigung des Staatskanzlers. Hardenberg hatte Beyme bereits im September 1818 vorab Kompetenzen zur Vorbereitung der Einrichtung des RKH übertragen 163 . Mit der Ernennung zum rheinpreußischen Justizminister

158 Sitzung vom 13. 10. 1819 GStA PK Rep 84 I Nr. 60 (unfoliiert). Der von allen Ministern unterzeichneten Entwurf für den abschließenden Bericht an den König vom 30. 11. 1819 findet sich in GStA PK Rep 84 I Nr. 145 (unfoliiert). 159 Bereits am 9.3. 1819 hatte Beyme dem künftigen Gerichtspräsidenten die vollständige Besetzungsliste mitgeteilt und die Personalaufstellung für beendet erklärt; GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 646, fol. 92 ff. 160 Auf solche vorangegangenen Kontakte wird in der Korrespondenz mit den rheinischen Richtern stets Bezug genommen; vgl. für Ruppenthal eine Notiz Beymes zu einer Personalliste für den RKH, in der er auf einen persönlichen Kontakt zu Ruppenthal während seiner Anwesenheit in der Rheinprovinz eingeht; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 116. 161 Für Sethe und Fischenich den Bericht vom 31. 3. 1819, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 177, 189. Für Meusebach K. Schwartz: Meusebach, in: Annalen, Bd. 22 (1890), S. 13 f. 162 Daran hatte auch die Ernennung Beymes zum Gesetzrevisionsminister und damit zum Leiter der gesetzgeberischen Arbeiten der Kommission nichts geändert. Die Zuständigkeit der Kommission folgt aus §§ 6 und 7 der Instruktion für die IJK vom 8. 6. 1816. In §§ 5 c) und 8 a) derselben Instruktion wird die IJK für Personalfragen - insbesondere die Bestallung des Richterpersonals - der Oberaufsicht des lustizministers unterstellt; vgl. Text der Instruktion bei E. Landsberg: Die Instruktion der Preußischen Immediat-1ustiz-Kommission für die Rheinlande von 1816, in: Zeitschrift für Politik, Bd. 6 (1913), S. 177. Vgl. auch die Kabinettsorder vom 3. 11. 1817, in der Beyme nur für Gesetzgebungsfragen der Kommission vorgesetzt worden ist, nicht aber in Personalangelegenheiten der 1ustiz; Gesetzsammlung 1817, S.290. 163 Er ermächtigte Beyme in einer in Köln abgehaltenen Konferenz vom 9. 9. 1818 zur Ausarbeitung von Organisationsplänen, aber auch zur Vorbereitung der Umsetzung dieser

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 129

in der Kabinettsorder vom 19. November 1818 ging diese Zuständigkeit offiziell auf Beyme über. Zu den altpreußischen Richtern nahm Beyme, soweit sich feststellen ließ, unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Berlin Ende 1818 Verbindung auf. Auch hier war der direkte Kontakt mit den Juristen, die ihm zumeist aus seiner Zeit als Großkanzler oder seit seiner Anstellung am Kammergericht persönlich bekannt waren, entscheidend 164. Neben den von Beyme eingeleiteten Berufungen spielten eigenständige Bewerbungen um eine Anstellung am RKH kaum eine Rolle l65 . Dem Minister lagen insgesamt nur vier Bewerbungen vor. Von diesen waren sogar nur zwei gezielt auf eine Stelle am RKH 166, die bei den anderen allgemein auf ein Amt in der höheren Justiz gerichtet l67 . Worauf die geringe Bewerberzahl zurückzuführen ist, läßt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Man kann allenfalls vermuten, daß mangelnde Kenntnis des französischen Rechts und die geringe Zahl der attraktiveren hauptamtlichen Stellen preußische Richter von einer Bewerbung abgehalten haben 168. Allerdings war auch die Bereitschaft des Ministers, auf diese Bewerbungen einzugehen nicht allzu groß. Es gab keinen allgemeinen Aufruf an die preußischen Juristen, sich an den RKH zu bewerben und von den vier Bewerbern waren letztlich nur zwei erfolgreich, nämlich Friccius und Reibnitz. Die bei den Abgewiesenen waren Oberlandesgerichtsräte aus dem ehemaligen Königreich Westfalen und hatPläne, insbesondere für die Einrichtung des RKH; Protokoll dieser Konferenz abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 364 ff. 164 Trützschler dürfte Beyme noch am Kammergericht kennenge1ernt haben. Für einige der altpreußischen Richter scheint bis auf eine abschließende schriftliche Mitteilung über die Genehmigung ihrer Berufung der Kontakt allein auf mündlichen Absprachen beruht zu haben; vgl. dazu ein Schreiben Beymes an Kircheisen vom 13. 3. 1819, in dem er auf seine Kontakte zu diesen Richtern Bezug nimmt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 112. 165 Dies geht deutlich aus der Besetzungsliste hervor, die Beyme, aufbauend auf diese Vorarbeiten, schon dreieinhalb Monate nach seiner Rückkehr aus den Rheinprovinzen mit seinem Bericht vom 31. 3. 1818 an Hardenberg einreichen konnte. 166 Der eine dieser Bewerber war Friccius; dazu GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 464, fol. 66 ff. Bei dem zweiten handelte es sich um den Oberlandesgerichtsrat von Voigts (genannt von König) aus Magdeburg; Bewerbungsschreiben vom 30. 11. 1818 in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 5. Voigts war seit 1816 Mitglieder schiedsrichterlichen Kommission und deutet an, daß er in dieser Eigenschaft - also möglicherweise über Krezzer - von der Errichtung des RKH erfahren habe. Seit die Kommission in Berlin tätig war, arbeitete er zugleich im Oberappellationssenat des Kammergerichts. 167 Diese Bewerbungen stammten von Reibnitz und von dem Oberlandesgerichtsrat Friedrich Heinrich von Strombeck aus Halberstadt. Strombeck hatte sich zunächst bei Kircheisen um eine Anstellung bemüht, diese Bewerbung war von Hardenberg an Beyme weitergeleitet worden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 15. Erst am 26.5. 1819, also nach Abschluß der Besetzungsarbeiten, bewarb sich Strombeck dann noch einmal direkt bei Beyme; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) 647, fol. 97. 168 Etwaige Bewerber wären gegenüber zumindestens den rheinischen Beamten auch zeitlich im Nachteil gewesen, da sie erst nach Bekanntwerden der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818 im Januar 1819 eine Bewerbung hätten einreichen können. 9 Seynsehe

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

ten sowohl mit dem preußischen als auch mit dem französischen Recht gearbeitet l69 . Dennoch ist ihre Anstellung nicht einmal erwogen worden. Zurückzuführen ist dies offenbar darauf, daß Beyme strikt an dem einmal entwickelten Besetzungskonzept festhielt. Alle vier Kandidaten hatten sich um eine hauptamtliche Anstellung bemüht. Diese Ämter sollten jedoch nach den Plänen des Ministers mit Rheinländern besetzt werden und waren Anfang 1819 als die Bewerbungen eingingen bereits bis auf eine vergeben 170. Die nebenamtlichen Stellen dagegen wollte Beyme überwiegend mit altpreußischen Beamten besetzen 171, so daß auch hier eine Anstellung der Westfalen nicht in Betracht kam. Der Aufnahme der beiden anderen Beamten, insbesondere der Besetzung einer hauptamtlichen Stelle mit dem Altpreußen Reibnitz, lagen ungewöhnliche Umstände zugrunde. Reibnitz mußte aufgrund früherer königlicher Zusagen eingestellt werden. Er hatte sich 1816 auf eine RegierungspräsidentensteIle beworben. Da die Regierung ihn aber nicht von seinen Organisationsaufgaben im Freistaat Krakau hatte entbinden wollen, war ihm damals eine angemessene Entschädigung für diese entgangene Beförderungsmöglichkeit zugesagt worden 172 . In Eingaben an den Staatskanzler drängte Reibnitz 1818 nach Abschluß der Arbeiten in Krakau auf die Einhaltung dieser Zusage, da er im Krieg den größten Teil seines Vermögens eingebüßt hatte und vollkommen überschuldet war 173 . Hardenberg wiederum verwandte sich bei Beyme dafür, daß Reibnitz die einzige noch freie hauptamtliche Stelle zugesprochen wurde l74 . Friccius, der sich ebenfalls um eine hauptamtliche Anstellung beworben hatte, besaß bereits eine Zusage Beymes, seine Anstellung bei erster sich bietender Gelegenheit vorzuschlagen. Da der Kriegsminister Boyen sich bereit erklärte, eine freie Stelle in der Militärjustiz an Friccius zu vergeben, dieser also 169 Es handelte sich um die Oberlandesgerichtsräte von Voigts (genannt von König) und von Strombeck, aus Magdeburg bzw. Halberstadt. 170 Vermutlich hatte sich die Vakanz bei den hauptamtlichen Stellen dadurch ergeben, daß Krezzer einen endgültigen Wechsel an den RKH abgelehnt hatte und nur vorläufig im Nebenamt angestellt wurde. 17l Vgl. den Bericht vom 31. 3. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. m Schreiben Hardenbergs vom 30. 12. 1818 und Anlagen, u. a. die Kabinettsorder vom 28.1. 1816; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 11 ff. m Dazu Korrespondenz zwischen Beyme und Reibnitz in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 214 ff. und Reibnitz ausführliche Darlegungen seiner finanziellen Verhältnisse ebd. fol. 273 ff. Im Staatsministerium wurden im Anschluß an die grundsätzliche Billigung der Pläne Beymes noch Bedenken gegen die Anstellung Reibnitz' laut. Da Reibnitz, der die letzten Jahre als Privatmann gelebt hatte, nicht nur in extremen Ausmaß verschuldet, sondern auch in den Verdacht der Gläubigerschädigung geraten war, hätte seiner Wiedereinstellung in den Staatsdienst möglicherweise an den gesetzliche Vorschriften der AGO über die Vergabe von Richterämtern (§ 6 Titel 3, Teil 3 AGO) scheitern können. Da es ihm jedoch gelang, den gegen ihn erhobenen Verdacht zu entkräften, fand auch seine Berufung die Zustimmung des Staatsministeriums; siehe dazu noch Notiz Beymes über die letztendliche Zustimmung des Staatsministeriums vom 13. 5.1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 40. 174 In einem Schreiben vom 7.3.1819 drängte Hardenberg erneut auf Einstellung und Gewährung einer Gehaltszulage für Reibnitz; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 98.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 131

nicht mehr auf eine hauptamtliche Stelle angewiesen war, bot Beyme ihm Anfang 1819 eines der Nebenämter am RKH an 175 .

c) Die Reaktion der rheinischen Juristen

Das Konzept Beymes für die Besetzung des RKH wurde in einer königlichen Kabinettsorder vom 29. April 1819 gebilligt. Im Anschluß daran benachrichtigte Beyme die künftigen Richter und Prokuratoren offiziell von ihrer Ernennung zu "Geheimen Ober-Revisionsräten" und forderte sie auf, sich sobald als möglich nach Berlin zu begeben 176. Obwohl er während seiner Reise in den Rheinlanden Kontakt zu ihnen aufgenommen hatte und einige bei dieser Gelegenheit bereits einer Versetzung zugestimmt hatten, erhob sich jetzt Widerspruch. Die Rheinländer wandten sich nicht gegen die Errichtungspläne oder das Besetzungskonzept als solches, sondern gegen die für sie daraus resultierenden Verwerfungen in ihren persönlichen Verhältnissen. Nur drei von ihnen scheinen dem Ruf nach Berlin vorbehaltlos gefolgt zu sein 177. Die übrigen stellten in zahlreichen Eingaben l78 den Wechsel als ein großes Wagnis nicht zuletzt finanzieller Art dar: So müßten sie den Umzug ihrer ganzen Familie über eine große Entfernung, aus den Rheinprovinzen nach Berlin, finanzieren. Zudem hätten sie in der Hauptstadt mit erheblich höheren Lebenshaltungskosten, insbesondere Aufwendung für Miete und Lebensunterhalt für ihre meist vielköpfigen Farnilien zu rechnen. Sethe etwa sprach von dem bevorstehenden Umzug als von der "Catastrophe" seines Lebens. Er rechnete vor, daß er in Münster ein Haus für seine große Familie - er hatte neun noch minderjährige Kinder - schon für 600 Taler mieten könne, während er in Berlin für eine vergleichbare Unterkunft mindestens 1.000 Taler aufwenden müsse l79 . Tat175 Vg1. dazu insbesondere ein Schreiben Beymes an Friccius vom 26. 2. 1819, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo1. 66 ff.; aber auch die folgende Korrespondenz ebd. fo1. 79 ff. Darüber hinaus wurde das Gesuch Friccius von seinem Vorgesetzten, dem Königsberger Oberlandesgerichtspräsidenten Schrötter, energisch unterstützt; GStA PK ebd. fo1. 79. Aus diesen Vorgängen kann man jedoch nicht ableiten, daß einer von dritter Seite gewährten Unterstützung der Anstellungsgesuche entscheidende Wirkung zukam, denn auch die beiden erfolglosen Bewerber - von Voigts und Strombeck - konnten sich auf die Fürsprache ihrer Vorgesetzten bzw. Hardenbergs stützen. Voigts Bewerbung liegt ein Empfehlungsschreiben des Magdeburger Oberlandesgerichtspräsidenten bei; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo1. 7 f. Das Gesuch Strombecks war, wenn auch nicht mit einer so nachdriicklichen Empfehlung wie im Falle Reibnitz, von Hardenberg an Beyme weitergeleitet worden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo1. 15. 176 Die Kabinettsorder sowie die Korrespondenz mit den berufenen Juristen in GstA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fo1. 1 ff. m Seypel, Hardung und Ruppentha1. 178 Die entsprechende Korrespondenz in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646 und 647. 179 Aus einem langen persönlichen Schreiben an Beyme vom 14. 3. 1819, in dem er seine Bedenken gegen den Wechsel, dem er bereits zugestimmt hatte, darlegt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo1. 283 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

sächlich brachte der Wechsel an den RKH für einige der Juristen nur eine geringe Gehaltsverbesserung mit sich, die von den drohenden Mehrausgaben leicht aufgezehrt werden konnte l80 . Die hauptamtlichen Richter sollten 2.500, die nebenamtlichen 1.000, der Generalprokurator 3.500 und der Präsident 5.000 Taler pro Jahr erhalten 181. Sethe beispielsweise hatte aber schon in seiner vorherigen Anstellung als Präsident des Oberlandesgerichts Münster eine Besoldung von ungefähr 4.000 Talern erhalten l82 , Meusebach war als Präsident des Koblenzer Revisionshofes mit 2.625 Talern besoldet worden und Krezzer als Vizepräsident mit 2.100 Talern 183. Neben finanziellen Erwägungen waren es emotionale und vielfältige persönliche Bindungen an die Rheinprovinz, die die Rheinländer gegen einen Wechsel nach Berlin vorbrachten. Als eine Art "Notbremse" setzten fast alle den Hinweis auf ihre angegriffene Gesundheit ein. Zwar waren sie bis auf Boelling und Meusebach sämtlich älter als 45 Jahre, so daß eine erhöhte gesundheitliche Anfälligkeit nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dennoch wurde dieser Hinderungsgrund in der Regel nicht näher erläutert. Es scheint sich eher um einen Hinweis auf die Belastungen gehandelt zu haben, die ihnen ihr Dienst schon bisher abverlangt hatte und denen sie sich nun in erhöhtem Maße ausgesetzt sahen. Möglicherweise spielte für das Widerstreben der Rheinländer die Ungewißheit über die Zukunft des rheinischen Rechts und eng damit verbunden über das Schicksal des rheinischen Obergerichts eine entscheidende Rolle. Sollte Beyme mit seinen Revisionsplänen scheitern und es doch noch zu einer vorgezogenen Einführung des preußischen Rechts kommen, wäre auch die berufliche Zukunft der rheinischen Richter in Berlin gefährdet gewesen. Derartige Bedenken werden zwar nirgendwo offen ausgesprochen, es gibt aber zumindest Hinweise für ihre Existenz. Sethe brachte in einem Schreiben an Beyme zum Ausdruck, daß das gesamte Gesetzrevisionsvorhaben und damit auch das Schicksal des in diese Arbeiten eingebundenen Gerichtshofes allein von der Person Beyrnes abhing l84 . Offenbar stellte 180 Vgl. auch die Korrespondenz Meusebachs mit Beyme GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646 und die Eingabe Blanchards GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 43. 181 Der Bericht vorn 31. 3. 1819 erläutert diese Gehaltstruktur näher und bringt sie mit derjenigen des Obertribunals, die etwas höher angesiedelt war, in Verbindung; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 176 ff. 182 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 283 ff. 183 Angaben aus dem Generalverzeichnis aller rheinischen lustizbeamten GStA PK Rep 84 I Nr. 134.; vgl. auch die Korrespondenz Meusebachs mit Beyme GstA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646. Für einige Beamte war der Wechsel nach Berlin aber auch mit deutlichen Einkommensverbesserungen verbunden, beispielsweise für Eichhorn, der als Generalprokurator des Koblenzer Revisionshofes nur 2.100 Taler erhalten hatte. Ähnliches dürfte auch für Hardung und Blanchard gelten, die als Präsidenten erstinstanzlicher Gerichte bisher 1.417 bzw. 1.312 Taler bezogen hatten. 184 Gegen Ende dieses sehr persönlich gehaltenen Schreibens heißt es: "Wohl möge der Himmel das große Werk segnen, was Er. Excellenz begonnen haben, und Ihnen dazu Gesundheit, Freudigkeit und Muth Schenken, um es zum Wohl des Vaterlandes durchzuführen. Ohne Sie wird es nicht vollendet."; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 290.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 133

er vor dem Hintergrund seiner genauen Kenntnisse der Auseinandersetzung um das rheinische Recht eine Verbindung zwischen dem politischen Überleben Beymes und dem Erfolg der Gesetzrevision her. Der Minister zeigte jedoch kaum Neigung, von dem einmal aufgestellten Personalkonzept abzugehen, schon um die bereits ausgearbeiteten Besetzungspläne für die anderen rheinischen Gerichte, mit denen es in enger Verbindung stand, nicht zu gefährden. Den Staatskanzler drängte er mehrfach, ebenso zu verfahren und Bittsteller, die sich an ihn persönlich wenden sollten, abzuweisen 185. Um so mehr erstaunt es, daß Beyme selbst dem Drängen zweier Richter nachgegeben hat. Boelling und Krezzer wurde tatsächlich ein Wechsel an den Kölner Appellationshof ermöglicht. Für Boelling dürfte die Fürsprache Sethes nicht unerheblich gewesen sein. Schon im Dezember 1818 hatte er ihn in einem Bericht an Beyme als Generalprokurator für den Appellationshof vorgeschlagen und seine besondere Qualifikation für dieses Amt hervorgehoben l86 . Beyme selbst hatte ihm von Anfang an die Wahl zwischen einer Anstellung in Berlin oder der Kölner Stelle gelassen. Nach anfänglichem Zögern nahm Boelling diese Wahl möglichkeit an und entschied sich, in Köln zu bleiben 187. Etwas anders lag der Fall des bisherigen Koblenzer Vizepräsidenten Krezzer. Er sollte, zumindest solange er durch seine Tätigkeit in der schiedsrichterlichen Kommission ohnehin an Berlin gebunden war, ein Nebenamt am RKH wahrnehmen, dann aber nach Abschluß der Kommissionsarbeiten in den Appellationshof eintreten können. Wo genau die Ursachen für dieses Entgegenkommen lagen, ist nicht auszumachen. Denkbar erscheint hier sowohl ein Einfluß der von Sethe gegen eine Einstellung Krezzers geäußerten Bedenken, als auch eine Intervention des Staatskanzlers zugunsten Krezzers. Einer solchen Unterstützung Hardenbergs hatte Krezzer sich in seiner beruflichen Laufbahn schon mehrmals versichern können 188. Diese beiden Fälle blieben jedoch die einzigen Veränderungen der einmal festgelegten Besetzungsliste. Wenn Beyme sich auch in der Folge bemühte, zumindest für die den Beamten entstehenden Umzugskosten einen gewissen Ausgleich zu schaffen, so beharrte er doch im übrigen unbedingt darauf, daß die noch verbleibenden Richter dem Ruf nach Berlin Folge leisteten 189. Die meisten von ihnen 185 Begleitschreiben zu seinem Bericht vom 31. 3. 1819 an Hardenberg; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Schreiben an Hardenberg vom 19.7. 1819 wegen der Weigerung Eichhorns nach Berlin zu kommen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 250 f. 186 Sethes Personalbericht vom 13. 12. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fol. 6 f. 187 Obwohl er noch in allen Besetzungslisten auftaucht, kam er gar nicht erst nach Berlin. An seine Stelle trat nach der Eröffnung des Gerichts der Oberlandesgerichtsrat Goerdeler. 188 Der Staatskanzler hatte ihn bereits 1815 in seinem Bestreben unterstützt, neben der Anstellung bei der Liquidationskommission seine Stelle und sein Vizepräsidentenamt zu erhalten; Korrespondenz dazu ab Juli 1815 in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert). 189 Die Richter sollten schon ab dem 1. 4. 1819 unter Anrechnung eventuell noch gezahlter anderweiter Gehälter besoldet werden. Darüber hinaus sollte an Reibnitz und Meusebach jeweils eine persönliche Gehaltszulage von 1.000 Taler ausgezahlt werden, um sie für die

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

taten das auch ohne noch weiter zu intervenieren. Der Koblenzer Generalprokurator Eichhorn und der Präsident des Tribunals erster Instanz in Köln, Blanchard, allerdings führten noch einen langen und intensiven Briefwechsel mit dem Ministerium und versuchten mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, den Wechsel zu vermeiden. Eichhorn hatte einen Ruf nach Berlin offenbar schon bei den ersten Gesprächen mit Beyme abgelehnt. Später erklärt er diese Ablehnung mit einem Versprechen, daß er dem Präsidenten des Koblenzer Revisionshofes Meusebach gegeben habe l90 . Dieser hatte sich Hoffnungen auf eine Anstellung als Präsident oder Generalprokurator des neuen Gerichts gemacht und sah sich durch die Berufung Eichhorns zuriickgesetzt. Scheinbar hatten beide vereinbart, daß Eichhorn die Stelle in Berlin ausschlagen sollte, damit sie dann von Meusebach erneut beansprucht werden konnte. Erst als Beyme auf diesen Einwand hin deutlich machte, daß derartige Privatabsprachen ihn in keiner Weise binden könnten und er sich dadurch nicht vor einer Berufung Eichhorns abhalten lassen werde, versuchte dieser, den Ruf unter Hinweis auf seine eigene äußerst angeschlagene Gesundheit und die ernstliche Krankheit seiner Frau, die keinesfalls in das rauhe Berliner Klima ziehen könne, abzuwenden. Obwohl Eichhorn die Krankheit seiner Frau durch ein Attest nachwies und auch Bitten seiner Trierer Verwandten bei Beyme eingingen, änderte dieser seine Entscheidung nicht mehr l91 . Letztlich blieb dem Generalprokurator nichts anderes übrig, als den Ruf anzunehmen, wollte er sich nicht offen gegen Minister und Staatskanzler stellen. Auch gegenüber Blanchard nahm Beyme dieselbe unnachgiebige Haltung ein l92 • Als Druckmittel setzte er den Hinweis auf die Verpflichtungen ein, die den Rheinländern aus dem Vertrauen ihrer Landsleute erwuchsen. So heißt es beispielsweise in einem Schreiben an Blanchard: "So ehrenvoll es für den erwählten Beamten ist, daß das Vertrauen Sr. Majestät ihnen zu Theil geworden, so ist doch diese Königliche Gnade gegen ihre Person, zugleich ein Act der Gerechtigkeit gegen Allerhöchst dero Rheinische Unterthanen. Wie würden die in den Revisionshof berufenen lustizoffizianten es gegen den König und gegen ihre Mitbürger verantEinkommensverluste zu entschädigen, die sie gegenüber ihren früheren Ämtern hatten hinnehmen müssen. Sethe sollte eine einmalige Zahlung von 2.000 Talern als Reise- und Umzugskostenentschädigung erhalten und Reibnitz, der unmittelbar zuvor ohne Anstellung war, sollte seine Besoldung bereits vom 1. 11. 1818 an erhalten; Kabinettsorder vom 29. 4. 1819 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fo1. 1 f.; vg1. auch den Bericht vom 31. 3. 1819 ebd. Nr. 646, fo1. 176 ff. 190 Schreiben vom 26. 1. 1819 an Beyme; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo1. 48 ff. 191 Nachdem er sein Vorgehen mit Hardenberg abgesprochen hatte (dessen Antwort vom 16. 8. 1819 in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fo1. 28), wies er Eichhorn im Schreiben vom 24. 5. 1819 endgültig an, seine Stelle in Berlin anzutreten; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fo1. 84 ff. 192 Eichhorns Annahme vom 2.6. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fo1. 122; die Korrespondenz mit B1anchard ebenfalls in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, er stimmte dem Wechsel nach Berlin schon am 25.5.1819 endgültig zu; ebd. fo1. 101 f.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 135

worten können wenn sie einigen vorübergehenden Unbequemlichkeiten ein entscheidendes Gewicht beilegen und denselben jene höheren auf das Wohl der Rhein Provinzen sich beziehenden Rücksichten nachsetzen wollten,,193.

d) Zusammenfassung Das Erstarken der Restauration in der preußischen Innenpolitik hat sich auf die Besetzung des RKH noch nicht ausgewirkt. Die politische Haltung der Richter stellte kein Auswahlkriterium dar. Grundlegende Kritik an der rechtspolitischen Konzeption Beymes gab es nicht. Stimmen, die sich aus innenpolitischen Erwägungen heraus gegen eine Aufnahme des französischen Rechts in das preußische Recht erhoben hätten, sind im Umfeld der Einrichtung des RKH nicht laut geworden. Es ist Beyme gelungen, sein anfängliches Besetzungskonzept sowohl gegenüber den politischen Instanzen als auch gegenüber den betroffenen Juristen weitgehend unbeschadet durchzusetzen. Ausschlaggebend war in beiden Bereichen die Unterstützung durch den Staatskanzler. Letztere gewann ihr besonderes Gewicht durch die persönliche Anteilnahme Hardenbergs. Anders als Landsberg dies für die Rechtspolitik der Jahre 1816 folgende festgestellt hat l94 , waren es hier nicht die Räte des Staatskanzleramts, die eine Politik trieben, in der sich eine persönliche Anteilnahme des Kanzlers kaum finden ließ, sondern es war der Staatskanzler selbst, der die Personalpolitik Beymes unterstützte. Berücksichtigt man, wie eng Beyme seine rechtspolitischen Zielsetzungen mit der Einrichtung und Besetzung des RKH verbunden hatte, so gewinnt diese Teilnahme Hardenbergs eine über die bloße personelle Besetzung des RKH hinausgehende Aussagekraft. Er scheint nicht nur das Besetzungskonzept, sondern das gesamte auf Nutzung der rheinischfranzösischen Institutionen ausgerichtete rechtspolitische Programm des Gesetzrevisionsministers mitgetragen zu haben l95 . Beide Politiker haben damit die institutionellen Grundlagen geschaffen für eine Vermittlung französischen Rechts in das preußische Recht.

193 Zitiert aus dem Entwurf eines Schreibens an Blanchard vom 18. 5. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 49. Ähnlich auch ein Schreiben an Eichhorn; ebd. fol. 84 ff. 194 V gl. beispw. E. Landsberg: Gutachten, S. XL ff. 195 Man könnte die Errichtung des RKH damit als Beleg für die von A. Klein aufgestellte These werten, Hardenberg habe das rheinischen Recht als Vorläufer einer Verfassung in der Zeit der einsetzenden Restauration konservieren wollen, es handele sich hier um seine ..letzte Reform"; A. Klein: Hardenbergs letzte Reform. Die Griindungsgeschichte des Rheinischen Appellationsgerichtshofes, in: D. Laum/ A. Klein/D. Strauch (Hrsg.): Rheinische Justiz. Geschichte und Gegenwart, Köln 1994, S. 9 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

4. Einrichtung und Eröffnung des Gerichtshofes Am 21. Juni 1819 erging die Verordnung, mittels derer die Gerichtshöfe in Koblenz und Düsseldorf aufgelöst und die Errichtung des RKH in Berlin offiziell angeordnet wurde l96 . Die feierliche "Installation des Revisions- und KassationsHofes für die königlichen Rheinprovinzen,,197 fand am 15. Juli um 12 Uhr mittags in einer öffentlichen Sitzung statt l98 . In seiner Eröffnungsrede bezeichnete Beyme den Gerichtshof angesichts der in vielen deutschen Staaten geforderten Reformen des Justizwesens und des Wunsches "nach Einrichtungen, jenen ähnlich, deren der Rheinländer sich erfreut", als ein "lebendiges Beispiel, der Beurtheilung eines jeden offen liegend,,199. Er machte damit noch einmal deutlich, daß er die Bedeutung des RKH auch in seiner "Publikumswirksarnkeit" begründet sah. Dies führt zu zwei Fragen: derjenigen nach dem äußeren Rahmen, in dem der Gerichtshof der Öffentlichkeit präsentiert wurde, und derjenigen, nach dem angesprochenen Publikum. Diese Fragen lassen sich mit Blick auf die Unterbringung des Gerichts, den Ablauf der Eröffnungsfeierlichkeit und die öffentlichen Bekanntmachungen zur Errichtung des RKH beantworten. Die Vorarbeiten für die Unterbringung des Gerichtshofes hatten bereits im Januar 1819 begonnen 2OO . Auch sie wurden wie die übrigen Einrichtungsarbeiten maßgeblich von Beyme selbst geleitet, der wiederum auf die Unterstützung und Billigung des Staatskanzlers zurückgreifen konnte 2ol . Aber auch Sethe als Präsident des künftigen Gerichtshofes wurde, noch bevor er selbst in Berlin angekommen war, in diese Arbeiten einbezogen 202 . Im Mittelpunkt stand zunächst die Suche nach einem geeigneten Gerichtslokal 203 , wesentliche Anforderung war die Abgedruckt u. a. bei M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 118 f. So der Titel des veröffentlichten Protokolls; siehe bspw. RhA Bd. 1 11, S. 1 ff. 198 Vorausgegangen war eine Verordnung vom 21. Juni 1819, mittels derer die Gerichtshöfe in Koblenz und Düsseldorf aufgelöst und die Errichtung des RKH in Berlin offiziell angeordnet wurde; abgedruckt u. a. bei M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 118 f. 199 Beide Zitate aus der Rede Beymes; RhA 1 11, S. 4. 200 Umfangreiches Material dazu in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9; vgl. auch GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 234 ff. und Nr. 647. Die weitere Geschichte der Gerichtsräumlichkeiten ab 1828 findet sich dokumentiert in GStA PK Rep 97 B I A 9. 201 Die Genehmigungen in allen Bauangelegenheiten hatte Hardenberg sich selbst vorbehalten. Alle Pläne und Zeichnungen gingen durch seine Hände. Über die grundsätzliche Genehmigung der von Beyme in Abstimmung mit Bau- und Finanzbehörden ausgearbeiteten Unterbringungspläne hinaus griff der Staatskanzler aber auch in Detailfragen ein, wie etwa die Ausstattung des Sitzungssaales mit Königsbildern; vgl. GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 88, 106 und weitere. 202 Von ihm stammten in erster Linie Aufstellungen über den Materialbedarf des Gerichtshofes, angefangen von Schreibutensilien und Brennholzvorräten bis hin zu den Details der Ausstattung der einzelnen Räumlichkeiten. Vgl. bspw. das ausführliche Gutachten vom 31. 3. 1819 in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 234 ff., aber auch weitere Berichte in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647 und 648. Sethe trat die Reise nach Berlin erst am 8.6. 1819 an; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 123. 196 197

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 137

Möglichkeit, einen den Bedürfnissen des Gerichtshofes angemessenen Sitzungssaal einzurichten. Offenbar rechnete man mit einem ganz erheblichen öffentlichen Interesse an den Gerichtsverhandlungen. Der Sitzungssaal sollte - nach Beymes Vorstellungen - so groß sein, daß er mindestens 400 Zuschauer bequem fassen konnte 204 . Die Auswahl der Räumlichkeiten fiel in das Ressort des Schatzministeriums, das vorschlug, den RKH in einer Etage des sogenannten königliche Lagerhausgebäudes unterzubringen. Da dieser Vorschlag auf die Zustimmung Beymes und des Staatskanzlers stieß, begannen noch im März die Umbauarbeiten. Das Lagerhausgebäude in der Klosterstraße 76 hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine wechselvolle Geschichte hinter sich 205 . Es handelte sich um den 1706 erbauten Nachfolgebau des an selber Stelle gelegenen "hohen" oder "grauen Hauses", des ersten Berliner Fürstenschlosses, das bis 1451 ständiger Sitz der Landesherren war und 1685 Amtswohnung des Gouverneurs von Berlin wurde. 1706 als Ritterakademie neu erbaut, beherbergte es später die Wollmanufaktur, das Proviantmagazin und das sogenannte spanische Webehaus. Wegen dieser Art der Nutzung hatte es im Volksmund die Bezeichnung Lagerhaus erhalten. Es handelte sich um einen großen dreigeschossigen Bau mit Hinterhäusern und mehreren Höfen und Hofgebäuden. 1819 waren in erster Linie eine Vielzahl städtischer und staatlicher Behörden - so etwa Materiallager des städtischen "Erleuchtungswesens", die Eichungskommission und das Adjustierungsamt, die königliche Generalmilitärkasse und die Gewerbesteuerdirektion -, aber auch zahlreiche Dienstwohnungen staatlicher Beamter, Atellierräume für den Hofbildhauer Rauch und Übungsräume des zweiten königlichen Garderegiments untergebracht. Letztere wurden während des jährlichen Wollmarktes zur Auslegung, Aufbewahrung und zum Abwiegen der Wolle genutzt. Einige der Räume waren an Privatpersonen vermietet; so etwa an einen Maskenfabrikanten Gropius, der dort "optische Vorstellungen" gab. Für den RKH sollte der größte Teil der ersten Etage des Haupthauses, insgesamt 15 Räume, geräumt und umgebaut werden 206 . Dazu v.a. GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Schreiben Beymes an den Direktor im Ministerium des Schatzes Rother vom 4. I. 1819; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Hinsichtlich dieser Größe hatte Beyme sich an der Größe des Audienzsaales des Appellationshofes in Köln orientiert. Zur Unterbringung des Appellationshofes vor Fertigstellung des neuen Appellhofgebäudes A. Klein: Rheinische Justiz und der Rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 152 f. 205 Zur Geschichte dieses Gebäudes vgl. Stadtarchiv Berlin (LA Berlin, Außen stelle Breite Straße), Fotosammlung, Nr. 61/2562 (Zeitungsausschnitt mit Abbildung von 1880). Seit 1873 war das Preußische Geheime Staatsarchiv in einem Teil dieses Gebäudes untergebracht. Abbildungen in Bildchronik des Geheimen Staatsarchivs; GStA PK IX Hauptabteilung IV Nr.18. 206 Offenbar konnte dies ohne größere Hindernisse durch eine Neuverteilung der Räumlichkeiten unter den bisherigen Nutzern des Gebäudekomplexes erreicht werden. Auskunft über die Benutzung des Gebäudes und die durch die Unterbringung des RKH erforderlich werdende neue Verteilung der Räume geben detaillierte Aufstellungen. die dem König zur Genehmigung vorgelegt worden waren; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 140 ff. (Ab203

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Der RKH wurde damit in einem dem Publikum bekannten und stets zugänglichen Gebäude untergebracht 207 . Dieses Gebäude bot dem Gerichtshof jedoch keinen repräsentativen Rahmen. Wahrend die preußische Regierung in den Rheinprovinzen französische Repräsentationstraditionen aufnahm und etwa zur gleichen Zeit auf die Errichtung eines würdigen Gerichtsgebäudes für den Appellationshof in Köln 208 drängte, sollte der höchste rheinische Gerichtshof, in einem vielfältig genutzten öffentlichem Gebäude als eine von vielen Behörden arbeiten. Diese Art der Unterbringung weist Parallelen nicht zur rheinischen, sondern zur preußischen Gerichtsbarkeit auf. Auch das höchsten Gericht Altpreußens, das Geheime Obertribunal, neben das der RKH treten sollte, war nicht in einem separaten Gerichtsgebäude untergebracht, sondern nutzte einige Räume des Kammergerichtsgebäudes 209 . Entscheidend dürfte letztlich ein auf finanzielle Erwägungen zurückgehender Grundsatz gewesen sein: Wo ein unmittelbarer Kontakt zwischen Gericht und Gerichtseingesessenen über den Parteiverkehr hinaus nicht zu erwarten war - und rheinisches Publikum war in Berlin nicht zu erwarten - wurden auch Repräsentationsmittel als Ausdruck der Gerichtsautorität entsprechend gering gehalten 21O • Dem Berliner Publikum wurde das rheinische Verfahren in einem schlichten Rahmen unter weitestgehendem Verzicht auf äußeren Repräsentationsaufwand vorgeführt. Das Herzstück der Gerichtsräume war der große, auf die Bedürfnisse der öffentlichen Verhandlungen ausgerichtete Sitzungs saal, der mehreren hundert Zuschauern Platz bieten konnte 211 • Umgeben war er von einem Beratungszimmer, dem schriften). Offenbar hat man damals, um einen genügend großen Sitzungssaal zu erhalten, mehrere Zwischenwände herausgebrochen, was sich in späteren Jahren als Problem für die Statik des Gebäudes erwies; dazu GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert). 207 In einer Kabinettsorder, mittels derer der König die neue Raumverteilung genehmigte, regt er sogar an, über die Höfe des Gebäudes einen Durchgang von der Klosterstraße zur Neuen Friedrichstraße "zur Bequemlichkeit des Publikums und der in diesen Gebäuden etablirten Behörden" zu eröffnen, was den Publikumsverkehr rund um das Gebäude noch einmal verstärkt hätte; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fo!. 144. 208 Dazu A. Klein: Die rheinischen Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke, in: J. Wolffram! A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 152 ff. 209 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal; F. W. Starke: Beiträge zur Kenntnis der bestehenden Gerichtsverfassung und der neuesten Resultate der Justizverwaltung in dem preußischen Staate, 4 Teile, Berlin 1839, Teil 2, 3. Beitrag, S. 106. 210 Dieser Grundsatz findet sich u. a. in der der Errichtung vorangegangenen Korrespondenz mit den Richtern an manchen Stellen. So rechtfertigt etwa Beyme die gemessen an der Besoldung der Oberlandesgerichtsmitglieder vergleichsweise wenig erhöhte Besoldung der RKH-Richter, damit, daß sie in ihrer persönlichen Lebensführung von der Pflicht zur Repräsentation (gegenüber den Gerichtseingesessenen) entbunden seien; bspw. Schreiben an Sethe vom 9.3.1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fo!. 99; vg!. auch Schreiben Beymes an Hardenberg vom 6.9. 1819 zur Besoldung Reibnitz'; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fo!. 61 ff. Zu den teils hohen Aufwendungen, die die preußischen Richter für eine standesgemäße Repräsentation, etwa eine angemessene Wohnung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, zu machen gehalten waren; vg!. F. C. Koch: Preußens Rechtsverfassung und wie sie zu reformiren sein möchte. Erste Fortsetzung, Breslau 1844, S. 89 ff.

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 139

Büro des Präsidenten und des Generalprokurators, einem Sekretariat, einem Advokatenzimmer und einem Gelaß für die Audienzhuissiers. Aufteilung und Ausstattung des Sitzungssaales lassen sich nach den Plänen Sethes rekonstruieren. An der Stirnseite des Saales befand sich die hufeisenförmige Richterbank, flankiert vom Tisch des Generalprokurators auf der einen und des Gerichtsschreibers auf der anderen Seite 212 . Unmittelbar vor der erhöhten Richterbank waren die Vortragspulte für die Advokaten angebracht, und über die ganze Breite des Raumes zog sich die Advokatenbank (barreau). Richterbank und barreau waren durch ein niedriges Eisengitter vom Publikum abgetrennt. Der Zuschauerraum selbst war mit feststehenden Holzbänken bestückt, die in der Mitte von einem Durchgang unterteilt wurden. Etwa in der Mitte des Saales waren Flügeltüren angebracht worden, mit denen der Saal bei nur geringem Publikumsandrang verkleinert werden konnte. Sethe erwartete nämlich, daß zwar bei den ersten Sitzungen, wegen der Neuigkeit der öffentlichen Verhandlungen sich ein großes Publikum einfinden würde, daß der Andrang aber später wegen der Abstraktheit der Prozesse abnehmen würde. Da sich die Umbauarbeiten länger als geplant hinzogen, mußte die ursprünglich für den 1. Juli angesetzte Eröffnung auf den 15. Juli verschoben werden 213 . Die Eröffnungsfeierlichkeiten wurden im Stil einer französischen audience solennelle abgehalten. Als Einführung hielt Beyme eine längere Rede, an die sich die feierliche Vereidigung des Gerichtspersonals anschloß. Daraufhin erklärte der Minister den Gerichtshof für eröffnet und der Generalprokurator, der Gerichtspräsident und ein Vertreter der Anwaltschaft, der Advokat Reinhardt, ergriffen nacheinander das Wort, um die Rede Beymes zu erwidern 214 . Der Advokat Reinhardt sah mit dem RKH die rheinischen Institutionen "wie zur vergleichenden Prüfung in die Hauptstadt des Reiches verpflanzt,.2l5. Diesen Vergleich wollte Beyme möglichst frei von gegenseitigen Ressentiments geführt wissen: "Prüfen wir frei und unbefangen, so wird das Wahre und Rechte sich unserm Blicke nicht entziehen. [ ... ] Wir alle streben nach demselben Ziele, es gilt nur die Mittel, die zweckmäßigsten ausfindig zu machen. Halten wir das Ziel unverrückt im Auge, so werden wir uns über die

211 Wieviel Zuschauer der Saal im Lagerhaus letztendlich tatsächlich fassen konnte geht aus der Korrespondenz nicht mehr ausdrücklich hervor. Die Vorgabe Beymes dürfte aber zumindest annähernd erfüllt und der Sitzungssaal für mehrere hundert Personen angelegt worden sein. Aus den Ausführungen Sethes geht hervor, daß etwa zwei Drittel seiner Grundfläche von den Publikumsbänken eingenommen wurden; vgl. GStA PK Rep 97 B I A 9. 212 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 234 ff. 213 Der ursprüngliche Eröffnungstermin aus dem Bericht Beymes vom 31. 1. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 196. Die Verschiebung ergibt sich u. a. aus einem Bericht der Berliner Regierung über den Abschluß der Bauarbeiten vom 11. 7. 1819; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). 214 Abgedruckt ist das Protokoll der Eröffnungssitzung vom 15. 7. 1819 unter vollständiger Wiedergabe der Redetexte u. a. in RhA 1 H, S. 2 ff.; vgl. auch M. Simon: Uebersicht, Teil 2, S. 290 ff. 215 Zitat aus der Rede Reinhardts; RhA 1 11, S. 20.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Mittel leicht vereinigen. Woher das Gute seinen Ursprung habe darf uns nicht kümmern.,,216 Ungeachtet der so eingeforderten Unbefangenheit im Umgang mit dem französischen Recht bemühte sich Sethe in seiner Rede, die Verbindung zur deutschen und preußischen Rechtsgeschichte aufzuzeigen. Die Errichtung des RKH barg für ihn in erster Linie die Möglichkeit, das öffentliche und mündliche Verfahren auch in Preußen zu etablieren. Dieses Vorhaben begründete er - wie damals in der Auseinandersetzung um das rheinische Recht durchaus gängig - damit, daß es sich um alte, verlorengegangene Elemente des deutschen oder germanischen Rechts handele. Darüber hinaus stellte ihre Wiedereinführung für ihn die konsequente Fortführung der friderizianischen Justizreformen dar. Bereits bei Anregung der Kodifizierung des Prozeßrechts habe Friedrich 11. eine Vereinfachung und Beschleunigung der Rechtspflege unter Einschluß auch der Herstellung der Mündlichkeit der Prozesse im Blick gehabt, so daß darin "die Ergänzung und der Schlußstein der von dem großen Könige begonnenen Justizverbesserung" zu sehen sei 217 . Stärker als die anderen Redner konzentrierte sich der Generalprokurator Eichhorn auf das Interesse der rheinischen Bevölkerung an der Errichtung des RKH. Er hob hervor, daß durch die Reorganisation der rheinischen Justiz, an deren Spitze der RKH stehe, alle Vorzüge der durch die Ungewißheiten der Übergangszeit geschwächten französischen Gerichtsverfassung sich wieder "in einem neuen Leben entwickeln,,218 könnten. Zugleich sah er darin die überzeugende Grundlage für einen Vergleich mit der preußischen Rechtsordnung gelegt. Ohne daß er sich ausdrücklich zur Gesetzrevision äußerte, vermittelt seine Rede den Eindruck, daß für ihn dieser Vergleich auf eine - wenn auch modifizierte - Übernahme der zentralen Institute des französischen Rechts hinauslaufen mußte 219 . In den Reden aller Beteiligten wurden also sämtliche Aspekte des mit der Errichtung des RKH verbundenen rechts politischen Programms noch einmal aufgegriffen und dem Publikum präsentiert. Die Eröffnungsfeier bildete den Ausgangspunkt für den Kontakt der altpreußischen Öffentlichkeit mit dem rheinisch-französischen Verfahren. Wie sich das Publikum der ersten Sitzung zusammensetzte läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Es lassen sich aber Aussagen dazu treffen, welches Publikum aus Sicht Beymes und der Regierung angesprochen werden sollte. In der altpreußischen Presse fanden alle RhA I 11 S. 5. Zitiert aus der Rede Sethes; RhA I 11, S. 18. 218 Zitiert aus der Rede Eichhorns; RhA I 11, S. 9. 219 Zwar stellt er das französische Recht unmittelbar nur dem alten gemeinrechtlichen Rechtszustand der späteren Rheinprovinzen gegenüber. Wenn er jedoch in die Reihe der Vorzüge auch Institute, wie die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Unabhängigkeit der Richter und schließlich die Öffentlichkeit der Verhandlungen aufnimmt, die auch in Preußen nicht oder nur teilweise umgesetzt waren, wird darin seine die aktuelle preußische Rechtsverfassung ablehnende Haltung deutlich. 216 217

I. Einrichtung des Revisions- und Kassationshofes durch Karl Friedrich von Beyme 141

mit dem RKH zusammenhängenden Nachrichten nur sehr zurückhaltende Verbreitung. Schon der Tennin der Eröffnungsfeier war nicht bekanntgegeben worden22o . In einer kurzen Mitteilung des Intelligenzblattes fand sich lediglich die Nachricht, daß demnächst das rheinische Obergericht eingerichtet werden sollte 221 , nicht aber wann das geschehen sollte. Da man den Termin aber auch nicht geheim gehalten hatte und ein großes Interesse an der Sache offenbar eine inoffizielle Verbreitung gefördert hatte, wurde die Eröffnungsfeier dennoch vor einer "zahlreichen Versammlung,,222 abgehalten. Wahrend in den Rheinprovinzen die gedruckten Protokolle der Eröffnungsfeier mit den Texten der Reden mehrfach veröffentlicht wurden, erfuhren Nachrichten über die Veranstaltung in Berlin selber eine eher zurückhaltende Verbreitung. Die Preußische Staatszeitung hat die Einführung in ihrer Ausgabe vom 17. Juli beschrieben und die Rede Beymes, in Folge dann auch die anderen Reden wiedergegeben 223 . In der Vossischen Zeitung erschien am 20. Juli eine wenige Zeilen umfassende Notiz über dieses Ereignis. Auch Struktur und Eigenarten des arn RKH geübten Verfahrens wurden in öffentlichen Bekanntmachungen nur skizziert. Die einzigen Mitteilungen zu diesen Themen waren eine Notiz im Adreßkalender der Stadt Berlin und ein kurzer von Sethe verfaßter Artikel im Hofund Staatshandbuch über die rheinische Gerichtsverfassung, innerhalb dessen das Verfahren des RKH etwa eine halbe Seite einnahm 224 . Noch größere Zurückhaltung gegen das Berliner Publikum wurde bei der Bekanntgabe der Sitzungs termine geübt. Sie wurden entgegen einer Anregung Sethes nicht über die Presse bekanntgegeben, sondern nur an den Türen des Sitzungssaales ausgehängt225 .

220 Vgl. das Schreiben Sethes an den Berliner Polizeiintendanten Rück vom 14.7. 1819, in dem er der Polizei Vorkehrungsmaßnahmen gegen die von einem möglichen Gedränge der Zuschauer zu erwartenden Störungen anheimstellt; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 4. Auch wenn es keine öffentliche Bekanntmachung gegeben habe, heißt es dort, sei wohl wegen der Neuheit des Verfahrens mit einem größeren Publikum zu rechnen. Die Verordnung vom 21. 6. 1819 (Gesetzsammlung 1819, S. 162 f.), in der zwar nicht der Termin einer Eröffnungssitzung angegeben, wohl aber schon der 15.7. als das Datum, von dem ab der RKH seine Tätigkeit beginnen werde, genannt ist (§ 5 der Verordnung), wurde erst Mitte Juli in der Gesetzsammlung veröffentlicht; Ankündigung des Intelligenzblattes vom 20. 7. 1819, Nr. 172, S. 3843. 221 Ausgabe vom I. 7. 1819; eingeheftet in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 211 f. 222 So die am 20. 7. 1819 erschienene Mitteilung der Vossischen Zeitung. 223 Staatszeitung vom 17.7. 1819, (57. Stück), die anderen Reden im 59., 60., 61. Stück. 224 Der Artikel selbst war schon im August 1819 von Sethe angefertigt und von Beyme an die Herausgeber des Staatshandbuches und des Adreßkalenders weitergeleitet worden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 31 f. Veröffentlicht wurde er jedoch erst im Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1821, S. 420: Uebersicht der GerichtsVerfassung in den Provinzen am Rhein. Im gleichen Jahr erschien dann in Kamptz' Jahrbüchern ein ausführlicherer Aufsatz über das Verfahren des RKH aus der Feder Ruppenthals; KaJb Bd. 17 (1821), S. 308 ff. Zur Entstehung dieses Aufsatzes GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 23 ff. 225 Korrespondenz Sethes mit Beyme zu dieser Frage in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 286 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

Insgesamt deutet dieses Vorgehen darauf hin, daß das rheinisch-französische Verfahren am RKH, zwar mit den Worten Beymes ,Jedem zu Beurtheilung offen stehen", aber zumindest nicht jeder auf diese Möglichkeit zur Beurteilung aufmerksam gemacht werden sollte. Das rheinische Verfahren sollte in erster Linie den Fachkreisen, also Juristen und Verwaltungsbeamten, bekannt gemacht werden, die auch ohne eine größere "Öffentlichkeitsarbeit" zu erreichen waren. Es ging darum, eine Fachdiskussion zur Vorbereitung der Gesetzrevision zu ermöglichen, zugleich aber eine breite, politisierte öffentliche Debatte zu vermeiden.

5. Der Beginn der Arbeiten Die erste Verhandlung fand knapp einen Monat nach der Eröffnung, am 13. August, statt226 . Zunächst gab es nur einen einzigen Sitzungstag in der Woche. In Absprache mit den nebenamtlichen Richtern, auf deren Hauptanstellung Rücksicht genommen werden mußte, hatte Sethe den Freitag als Audienztag festgelegt. Die Verhandlungen sollten jeweils von 10.00 bis 15.00 Uhr dauern. Der relativ späte Beginn - Sethe hätte wohl einen friiheren Zeitpunkt bevorzugt - war Resultat einer Abstimmung mit Savigny, der 1819 vor den Gerichtssitzungen noch Vorlesungen zu halten hatte 227 . Die Verteilung der Arbeiten war so organisiert, daß die anfallenden schriftlichen Arbeiten, insbesondere die vorbereitenden Relationen, den hauptamtlichen Richtern vorbehalten bleiben. Diese waren bis auf Reibnitz sämtlich rheinischer Herkunft. Die nebenamtlichen Richter also auch die Mehrheit der Altpreußen sollte lediglich an den Beratungen im Plenum beteiligt werden 228 . Viele der altpreußischen Richter waren gerade in der ersten Zeit auf die Anleitung ihrer rheinischen Kollegen angewiesen, da ihnen das Recht, das sie anwenden sollten, wenn nicht völlig unbekannt, so doch in seinen Einzelheiten und seiner praktischen Anwendung fremd war229 . Wahrend dem Präsidenten und den Beamten des öffentlichen Ministeriums Büroräume im Lagerhaus zur Verfügung standen, waren solche Zur Festsetzung des ersten Sitzungstages GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 290. Dazu GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 286 ff. 1821 wurden die Sitzungen wieder mit Rücksicht auf einen der nebenamtlichen Richter auf Mittwoch verlegt. Simon mußte Freitags im lustizministerium arbeiten; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 81 f. 228 Diese Art der Arbeitsverteilung deutet Beyme in seinem Bericht vom 31. 3. 1819 an; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 186. Sie ergibt sich aber auch aus späteren Personalberichten Sethes (enthalten in GStA PK Rep 97 B lAI gen., bspw. fol. 76 ff., 104 ff. 150 ff.) und den Referententabellen des RKH (ebd. Rep 97 B IA 7). 229 Keiner von ihnen hatte bereits als Richter mit dem französischen Rechts gearbeitet. Einige waren offenbar noch gar nicht mit diesem Recht in Berührung gekommen. Schilling weist in seinem Dankschreiben an Beyme darauf hin, daß ihm die Gesetze und Formen, mit denen er arbeiten solle, unbekannt seien und daß er auf schonende Behandlung und freundlich Belehrung durch die anderen Mitglieder des Gerichts hoffe; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 647, fol. 35. 226 227

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Räume für die Richter nicht vorgesehen. Anfallende schriftliche Arbeiten, also in erster Linie die Referate, mußten zu Hause angefertigt werden. Wichtiges Arbeitsmittel des Gerichtes war angesichts seiner gemischten Zusammensetzung und der weiten räumlichen Entfernung zu rheinischen Fachkollegen eine Bibliothek. Sie wurde 1820 unter Federführung Sethes eingerichtet und verfügte in erster Linie über französische und preußisch-rechtliche Literatur 23o . Das französische Recht war allerdings bis in die 40er Jahre hinein nur mit älteren, d. h. vor 1814 erschienenen Werken vertreten. Eine Aufnahme auch der jeweils zeitgenössischen französischen Literatur hatte Sethe angesichts der geplanten Gesetzrevision nicht für nötig gehaiten 231 . Der Prozeßbetrieb selbst lief schleppend an. Die ersten Sachen, die an den Gerichtshof gelangten, waren die, die bereits in Koblenz oder Düsseldorf anhängig gemacht und von Amts wegen an den RKH abgegeben worden waren. Gerade diese Sachen stockten in der Folge 232 . Sethe forderte noch Ende August 1819 den Präsidenten des Koblenzer Tribunals erster Instanz auf, die Zuständigkeit des Revisions- und Kassationshofes noch einmal bekannt zu machen, da zwar etliche Sachen aus Koblenz nach Beriin weitergeleitet seien, sich aber bisher noch kein Anwalt gemeldet habe.

230 Vg!. dazu die kurze Notiz in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fo!. 68 und die Berichte Sethes über die Ausstattung der Bibliothek in GStA PK Rep 97 B III Nr. 3 231 Diese Vorgänge, insbesondere die Rechtfertigung Sethes für die ursprüngliche Ausstattung der Bibliothek, finden sich in GStA PK Rep 97 B III Nr. 3, fo!. 1 ff. Ab 1843 ist dann offenbar u. a. auf eine Mahnung des Justizministers Müh1er hin schließlich aktuelle französische Literatur angeschafft worden. 1847 bemühte sich der Generalprokurator Jaehningen, die alleinige Zuständigkeit Sethes für die Anschaffung der Bücher zu beenden. Er schlug dem Präsidenten zu diesem Zweck die Bildung einer Kommission aus Mitgliedern des Gerichtshofes vor; GStA PK Rep 97 B III Nr. 3, fo!. 5. 232 Tatsächlich waren innerhalb des ersten Geschäftsjahrs, das von 15.7. 1819 bis 31. 10. 1820 gerechnet wurde und damit 3 Monate mehr umfaßte als die nachfolgenden, nur ebensoviele Sachen wie im Durchschnitt der folgenden Jahre, anhängig. Das Hauptgewicht der bis zum 31. Oktober 1820 angefallenen Sachen lag mit 91 von 174 Sachen auf Kriminalprozessen. Darüber hinaus wurden 51 Zivi1-, 31 Zuchtpolizei- und eine Polizei sache an den RKH gebracht; Angaben aus W. F. C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag, Berlin 1839, S. 115. Die Fortsetzung der bei dem Düsseldorfer oder Kob1enzer Vorgängergericht anhängigen Sachen in Berlin ist in §§ 7-9 der Verordnung vom 21. 6.1819 (Fesetzsammlung 1819, S. 162 f.) geregelt, abgedruckt bei M. Simon: Uebersicht, Tei11, S. 119. Das Schreiben Sethes an den Kob1enzer Tribunalspräsidenten vom 23. 8. 1819 in GStA PK Rep 97 B lAI gen., fo!. 22. Danach waren 45 Sachen aus dem linksrheinischen, französisch-rechtlichen Bezirk des Koblenzer Gerichts und noch eine größere Zahl von Sachen aus dem Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein an den RKH abgegeben worden.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern Kircheisen und Danekelman Schon wenige Monate nach der Eröffnung des Revisions- und Kassationshofes trat ein Wechsel in der Spitze der Justizverwaltung ein. Im Dezember 1819 verlor Beyme wegen seines Protestes gegen die Karlsbader Beschlüsse sein Ministeramt. Mit der Aufgabe, künftig die Gesetzrevision als "Gesetzrevisionskommissar" fortzusetzen, wurde er aus der Regierung entlassen 233 . Das Gesetzrevisionsministerium einschließlich der rheinpreußischen Justizabteilung wurde aufgelöst und die rheinische Justiz dem preußischen Justizministerium unterstellt 234 .

1. Die ersten Jahre (1820 -1825) Die Umbildung der Regierung Ende 1819 führte jedoch nicht zu einer ausschließlichen Kompetenz des Justizministers in rheinischen Justizangelegenheiten. Neben den Minister trat jetzt der Staatskanzler. Die Beendigung der noch nicht in allen Zweigen abgeschlossenen Justizorganisation in den Rheinlanden und den anderen neu erworbenen Provinzen sollte nicht Kircheisen, sondern eine dem Staatskanzler unterstellte Kommission 235 , die sogenannte Immediat-Justiz-Organisations-Kommission (IJOK), bewerkstelligen 236 . Die Umsetzung der von Beyme und 233 Zu diesen Vorgängen A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 457 f.; E. Landsberg: Gutachten, S. CXXII. Zur Einrichtung der Position des Gesetzrevisionskommissars GStA PK Rep. 74 XXXVI Nr. 6, fol. 32/33, 39-43, SO/SI. 234 Gegenüber dem vorherigen Abschnitt verschiebt sich die Quellengrundlage der folgenden Kapitels. Konnte für 1819 eine umfangreiche Aktenführung über den RKH aus den Beständen des Justizministeriums zugrundegelegt werden, so bricht diese nach dem Ausscheiden Beymes ab. Für die folgenden Jahre konnte nur noch eine speziell auf den RKH bezogene Akte des Ministeriums ausfindig gemacht werden, die einen sehr großen Zeitraum umfaßt (GStA PK Rep' 84 a (0) Nr. 9711). Die folgenden Ausführungen stützen sich daher in erster Linie auf die Uberlieferung aus den Beständen des RKH (Rep 97 B I) und des Staatskanzleramtes (Rep 74 R), bzw. später des königlichen Zivilkabinetts (Rep 89 (2.2.1.». 235 Kabinettsorder vom 31. 12. 1819, die den Geheimen Ober-Justizrat Diederichs beauftragt, unter Hardenbergs Leitung die Justizorganisation zu beenden, findet sich in GStA Rep 84a (2.5.1.) Nr. 27, fol. 1. Siehe auch die Benachrichtigung vom 3. 1. 1820 über die Veränderungen im Justizministerium an den Generaladvokaten des Appellationsgerichts; abgedruckt bei M. Siman: Uebersicht, Teil 1, S. 117 f. 236 Die Tatsache, daß die Arbeit der Kommission sich nicht auf die Rheinprovinzen beschränkte ergibt sich daraus, daß die Kabinettsordern zur Gründung der IJOK auf die Beendigung der 1817 angeordneten Justizorganisation Bezug nehmen. Diese Justizorganisation sollte sich entsprechend der allgemeinen Aufgabenstellung an Beyme in der Kabinettsorder vom 3. 11. 1817 auch auf die anderen Gebiete erstrecken. Des weiteren ergibt sich dies auch aus den Berichten der IJOK über ihren Aufgabenkreis und den Fortschritt der Arbeiten; z. B. in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, fol. 21 ff. (ausführliches Protokoll der ersten Sitzung der !JOK am 5. 1. 1820) oder fol. 80 ff.

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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Hardenberg ausgearbeiteten Organisationspläne blieb damit dem Justizminister entzogen. Nur dort, wo die Organisation der rheinischen Gerichte abgeschlossen war, sollte er die Arbeit der installierten Gerichte beaufsichtigen 237 . Bis etwa Mai 1821 befaßte sich die UOK immer wieder auch mit dem Revisions- und Kassationshof. Sie schaltete sich zu Fragen des Etats, der Veröffentlichung der Urteile, der Justizverwaltung 238 , aber auch des Personalwesens239 ein. Soweit jedoch Entscheidungen über Einstellung oder Ausscheiden von Richtern am RKH zu treffen waren, lagen diese allein bei Hardenberg. Die Kommissionen setzte die Entscheidungen des Staatskanzlers lediglich um, hatte aber auf ihr Zustandekommen keinen Einfluß 24o • Eine ausdrückliche Regelung oder Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Staatskanzler und Kommission auf der einen und Justizminister auf der anderen Seite gab es nicht241 • Die Personalveränderungen der Jahre 1820/21 lassen jedoch 237 Erst nach dem Tod Hardenbergs im November 1822 wurde die Kommission dem Justizministerium untergeordnet. Da sie ihre Aufgaben zu diesem Zeitpunkt schon größtenteils abgeschlossen hatte, wurde sie im März 1823 aufgelöst und ihre noch verbliebenen Funktionen auf das Ministerium übertragen; siehe u. a. die Mitteilung Kircheisens an die IJOK vom 7. 2. 1823 über die Auflösung der Kommission, die Verwendung ihrer Mitarbeiter und die Übernahme der Kommissionsgeschäfte durch das Ministerium zum 1. 3. 1823; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 525, fol. 59 f. 238 So korrespondierte sie beispielsweise mit Gerichtspräsident und Generalprokurator über die Veröffentlichung der Urteile des RKH (u. a. GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 67,92), forderte Gutachten des RKH zu einzelnen Fragen der Zwangsbefehle und der Beitreibung von Gebühren an (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 66) und berichtete über Fragen des Personaletats an Kircheisen (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 10 f.). 239 Neben den Fragen eventueller Personalveränderungen wurde die IJOK in die Erwägungen um Gewährung von Gehaltszulagen für zwei Beamte des RKH, Krezzer und Ruppenthal, miteinbezogen. Die zu diesen Fragen zwischen Staatskanzler, Justiz- bzw. Finanzminister, der IJOK und den Betroffenen geführte Korrespondenz findet sich zu Krezzer u. a. in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6 (unfoliiert) und zu Ruppenthal u. a. in Rep 84a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 58 ff. 240 Von seiner Entscheidung über das Gesuch Blanchards um Versetzung in die Rheinprovinz benachrichtigte der Staatskanzler die Kommission erst nachdem er sie Blanchard schon mitgeteilt hatte. Hinsichtlich Fischenichs, der ebenfalls in die Rheinlande zurückkehren wollte, veranlaßte er die IJOK nur, demselben seine (Hardenbergs) Entscheidung mitzuteilen; Schreiben Hardenbergs an die IJOK vom 20. 10. 1820 GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9. In den durchgesehenen Akten des Staatskanzleramts finden sich auch keine Personalberichte der IJOK an Hardenberg, in denen die Kommission etwa konkrete Empfehlungen in den betreffenden Angelegenheiten aussprechen würde. Zur Umsetzung durch die Kommission siehe bspw.: Auftrag Hardenbergs an die IJOK, Fischenich zu benachrichtigen, daß sein Verbleiben in Berlin noch nötig sei; Abschrift dieses Schreibens vom 20. 10. 1821 in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9. Für Blanchard bspw. Benachrichtigung der IJOK an Sethe und Eichhorn über die Ernennung Blanchards vom 22. 8. 1820 (GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 81) und die Anforderung eines Berichts über den Versetzungswunsch Blanchards (Schreiben der IJOK an Sethe vom 24.8. 1820 GStA PK Rep 97 B I Nr. L 16). 241 Die Kommission wies bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit darauf hin, daß die Einrichtung des RKH weitestgehend abgeschlossen sei und auch die Personalvorschläge für die übrigen rheinischen Gerichte schon fast vollständig vorlägen, ihre Arbeit sich also hauptsächlich auf

10 Seynsehe

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Iustizpolitik

eine faktische Kompetenzverteilung erkennen. Der Staatskanzler wurde dort tätig, wo die Personalangelegenheiten des RKH Bezug zur Organisation der übrigen rheinischen Gerichte aufwiesen 242 . Hier oblag ihm die alleinige Entscheidungsgewalt, Absprachen mit dem Justizminister fanden nicht statt. Fehlte der unmittelbare Bezug der Personalentscheidungen zur Organisation der rheinischen Gerichtsbarkeit, lag die Entscheidung beim Justizminister, der allerdings die allgemeine Genehmigung des Staatskanzlers benötigte. Dieses Nebeneinander endete mit dem Tod Hardenbergs im Jahr 1822243 . Da die Besetzung des RKH 1820 abgeschlossen war und Personalentscheidungen nur noch vereinzelt anfielen, trat in der Politik Hardenbergs und Kircheisens zwangsläufig eine eher verwaltende Tätigkeit an die Stelle der gestaltenden Personalpolitik Beymes. Es scheint es kaum möglich, überhaupt von einer Personalpolitik in einem mit 1819 vergleichbaren Sinne zu sprechen. Das führt zu der Frage nach dem Fortbestehen der unter Beyme begründeten und ursprünglich von Harden berg mitgetragenen Konzeption. Hier fällt zunächst auf, daß ein klarer Bruch ausblieb 244. Allerdings läßt sich die "Verwaltung" des RKH in den Jahren zwidie Besetzung der Notariats-, Advokats- und Gerichtsvollzieherämter beschränken werde; dazu der an Hardenberg gesandte Bericht der Kommission über ihre erste Sitzung, in der sie ihre Aufgaben umreißt und einen Geschäftsplan aufstellt; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6 fol. 21 ff. Etwa seit September 1820 äußerte sie dann Bedenken an ihrer Zuständigkeit für Belange speziell des RKH, was jedoch noch nicht zu einer Einstellung dieser Aktivitäten führte. Zuerst äußerte sie diese Bedenken hinsichtlich der Frage der Veröffentlichung der Urteile des RKH in einem offenbar nicht abgesandten Schreiben an den Iustizminister vom 29.9. 1820; GStA PK Rep 84a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 94 f. Im Oktober 1820 erklärte sich die IJOK angesichts der mittlerweile abgeschlossenen Organisation des RKH und des Appellationsgerichtshofes für unzuständig und verwies eine Anfrage Sethes wegen der für den RKH anzulegenden Bibliothek an Kircheisen; Abschrift eines Schreibens der IJOK vom 19. 10. 1820; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 68. 242 Das war beispielsweise der Fall, als Fischenich und Blanchard einen Wechsel in die Rheinprovinz beantragten und Krezzer die für ihn freigehaltene Stelle am Appellationsgericht antreten wollte. Eingeleitet worden waren diese PersonalangeJegenheiten noch von Beyme; für Blanchard siehe die Notizen unter Nr. 113 des Generalverzeichnisses aller rheinischen Iustizbeamten von 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Für Fischenich siehe U. Teschner: Fischenich, S. 89 und ein Schreiben Beymes an Hardenberg vom 14. 2. 1820 über die für die Gesetzesrevision benötigten Mitarbeiter, in dem er auch erwähnt, daß er Fischenich schon vor seiner Entlassung als Justizverwaltungsminister Ende 1819 für den Appellationsgerichtshof habe vorschlagen wollen; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, fol. 43. Ahnliches gilt auch für den vorzeitigen Wechsel Krezzers in die für ihn am Appellationshof frei gehaltene Ratsstelle, den Beyme schon bei Aufstellung seines Besetzungsplanes 1818/19 mitberücksichtigt hatte. 243 In den folgenden drei Iahren bis zum Tod Kircheisens im März 1825 fanden nur noch zwei Personalveränderungen statt - das Ausscheiden des Generaladvokaten Ruppenthal und der Tod SeyppeJs -, so daß auch diese Zeit in die Gesamtbewertung der Arbeiten Kircheisens zwischen 1820 und 1825 einbezogen werden kann. 244 Dies könnte - soweit es das Staatskanzleramt und die Kommission betrifft - durch einen relativ hohen Grad an personeller Kontinuität befördert worden sein. Im Staatskanzleramt war es der schon seit 1816 in diesem Ressort beschäftigte geheime Legationsrat Eich-

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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sehen 1820 und 1825 auch nicht als eine aktive Fortführung der 1819 begonnenen Arbeiten kennzeichnen. Die Gesetzrevisionsarbeiten lagen in dieser Zeit allein in den Händen Beymes, der sie weitgehend auf sich gestellt und ohne greifbare Erfolge betrieb. Die "Personalpolitik" Kircheisens und Hardenbergs weist kaum noch Verbindungen zu diesem Projekt auf, läßt aber auch keine eigenständige rechtspolitische Konzeption im Umgang mit dem rheinischen Recht erkennen. Prägende Merkmale der Personalentwicklung wurden ein langsamer Personalabbau und eine Zunahme der Nebenbeschäftigungen der Richter. Bereits im Februar 1821 schied der Obertribunalsrat Schilling aus dem Kollegium aus. Im September starb Hardung. Im November 1821 verließ auch Krezzer, dem von vornherein mit dem Ende seiner Beschäftigung bei der schiedsrichterlichen Kommission eine Stelle am Appellationshof zugesagt worden war, den Gerichtshof. Der Staatskanzler hatte seine vorzeitige Entlassung aus der Kommission und damit auch aus dem RKH genehmigt245 . Keine dieser drei Stellen wurde wieder besetzt. Die Gelder für die Stelle Hardungs wurden sogar gänzlich dem RKH entzogen und auf den Etat des Obertribunals übertragen 246 . Als Ruppenthal 1825 an den Appellationshof versetzt wurde, teilte Kircheisen dem Gerichtskollegium mit, daß die Stelle des Generaladvokaten am RKH künftig nicht mehr besetzt werden sollte 247 . Bis 1825 war das Personal des Kassationshofes damit um einen hauptamtlichen und zwei nebenamtliche Mitarbeiter sowie einen Beamten des öffentlichen Ministeriums verringert worden. Zur Besetzung der beiden 1819 noch frei gebliebenen nebenamtlichen RichtersteIlen wurden keinerlei Anstrengungen mehr unternommen.

horn, der die Politik des Staatskanzlers entscheidend prägte. Unter den hauptamtlichen Mitgliedern der IJOK waren mit Daniels und Diederichs zwei Beamten angestellt, die schon zuvor mit der Reorganisation der rheinischen Justiz befaßt waren. Hinzu kommt, daß die IJOK sich von Anfang an der Mitarbeit der bisher in Beymes Ministerium angestellten Räte Simon, Fischenich und Madihn versichert hatte; vg1. dazu den Bericht der Kommission an Hardenberg zur Aufnahme ihrer Arbeiten vom 5. 1. 1820; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, fol. 21 ff. 245 Korrespondenz vom Sommer (ab 24. 7. 1821) und Herbst 1821 GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Dort ein Schreiben Krezzers vom 24. 7. 1821 an Hardenberg, in dem er um Entlassung aus der schiedsrichterlichen Kommission bittet, da die Arbeit sich noch unabsehbar hinziehen werde, gleichzeitig aber keine wesentlich neuen Gesuche mehr zu bearbeiten seien, so daß seine Anwesenheit nicht mehr erforderlich sei. Unter dem 28. 9. 1821 wird dieses Gesuch von Hardenberg genehmigt und das am sei ben Ort zu findende Amtsübergabeschreiben Krezzers datiert vom 2. 10. 1821. Der Austritt Krezzers aus dem RKH ist dann scheinbar im November von Kircheisen genehmigt worden; GStA PK Rep 97 B I Al gen, fo1. 95. 246 GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 1 (unfoliiert), Schreiben Hardenbergs an Kircheisen vom 12. 9. 1821. 247 Zur Vertretung des Generalprokurators sollte dem RKH noch ein Etat von 800 Talern zur Verfügung stehen. Sethe und Eichhorn sollten Vorschläge für die Regelung dieser Stellvertretung machen. Schreiben Kircheisens an Sethe und Eichhorn vom 17. 1. 1825; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 104. 10'

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

Parallel zum Stellenabbau nahmen die Nebenbeschäftigungen der Richter zu. Bereits im Juni 1820 beschwerte sich Sethe darüber, daß "wegen anderer den Räthen zugewiesener Beschäftigung [ ... ] kein einziger derselben für voll gezählet und als dem Dienste des Revisions- und Cassationshofes allein gewidmet gerechnet werden" könne 248 . Sethe selbst erhielt 1820 einen Sitz im Staatsrat. Müh1er wurde noch 1821 zeitweise zu den Arbeiten der IJOK zugezogen, an denen Fischenich und Simon schon seit 1820 beteiligt waren. Simon war überdies in das Ministerium Kircheisens als Rat übernommen worden, und Ruppenthal arbeitete nebenher im Finanzministerium249 . Die noch von Beyme angeregte Bearbeitung westfälischer Sachen am Obertribunal durch Richter des RKH hatte die Mehrfachbeschäftigung auf die hauptamtlichen Richter ausgedehnt. Diese Entwicklung setzte sich fort. Zwei der hauptamtlichen Richter waren sogar gleich durch mehrere Nebenämter belastet. Goerde1er wurde als Aushilfe im Justizministerium beschäftigt, zu den westfalischen Sachen des Obertribunals zugezogen und sollte nach dem Ausscheiden des Generaladvokaten im Bedarfsfalle den Generalprokurator vertreten 250 . Reibnitz hatte bereits 1819, angesichts seiner außerordentlich prekären Finanzverhältnisse, ein Nebenamt beantragt und war als Rat in den Oberappellationssenat des Kammergerichts eingetreten. Ab Februar 1823 erhielt er zusätzlich noch eine Honorarprofessur an der Universitäe51 . Besondere Probleme bereitete es offenbar, die Tatigkeit der im Justizministerium beschäftigten Räte - Simon, Eimbeck und Goerde1er - mit ihrer Richtertätigkeit zu vereinbaren. Eimbeck, der erst im April 1822 in den RKH eingetreten war, mußte 1824 zumindest vorläufig von seiner Richtertätigkeit entbunden werden, da er von seinem Hauptamt im Justizministerium stark beansprucht war. Kircheisen verlangte von diesen Richtern, daß sie ihren Verpflichtungen im Ministerium vorrangig nachkamen. Er war nicht bereit, ihnen "wegen ihrer Nebenbedienungen beim Revisionshofe" Dispens von den Vortragssitzungen des Ministeriums zu erteilen 252 . Auf diese Weise wurde das von

Zitat aus dem Bericht Sethes vom 8. 6. 1820; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 78. Zu Sethe A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt, S. 228. Zu Mühler, Fischenich und Simon; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, insbes. fol. 94 ff.; ebd. Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 525, fol. 22. Zu Simon noch GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 19, fol. 180. Zu Ruppenthal Bericht Kircheisens vom 28. 11. 1821; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 1 (unfoliiert). 250 Zur Tätigkeit im lustizministerium GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 19, fol. 197 ff. Zur Vertretung des Generalprokurators Vorschlag Sethes und Eichhorns vom 12. 4. 1825; ebd. Rep 97 B lAI gen, fol. 108. 251 Zur Tätigkeit im Kammergericht GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 78; sein Bemühen um dieses Nebenamt und die letztliche Bewilligung in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 38, 128 ff. Zusätzlich scheint Reibnitz 1819 auch noch im Innenministerium als Aushilfe bei der Revisionskommission für die gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse beschäftigt gewesen zu sein; Korrespondenz Beymes mit dem Innenministerium GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 132 f. Bei seiner Bewerbung um eine Professur war er zunächst auf den Widerstand Savignys gestoßen, der die Pläne Reibnitz', die Lehrveranstaltungen als Repetitorien abzuhalten, entschieden anlehnte; M. Lenz: Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, S. 213 f. 248 249

II. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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Beyme ausgearbeitete System des Ineinandergreifens nebenamtlich beschäftigter und "ausschließlich dem Revisions- und Kassationshof gewidmeter" Richter aufgegeben. Gleichzeitig beförderte der Ausbau der nebenamtlichen Anstellungen die Konzeption Beymes aber auch. Der Kontakt der Richter zur altpreußischen Justiz und Verwaltung wurde noch intensiviert. Neben der Verringerung des Personals und der Ausdehnung der Nebenbeschäftigungen sind für die Zeit bis 1825 auch einige Maßnahmen zu beobachten, die darauf ausgerichtet scheinen, die Personalsituation des Gerichtshofes zumindest zu stabilisieren. 1820/21 bestand die Gefahr, daß Fischenich und Blanchard aus dem Kolegium ausschieden. Fischenich war zum Mitglied des Appellationshofes ernannt worden und Blanchard hatte man das Präsidium des Kölner Landgerichtes übertragen 253 . Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Konzeption Beymes lehnte es Hardenberg jedoch ab, sie von ihrer Tätigkeit in Berlin zu entbinden und ihnen den Wechsel nach Köln zu genehmigen 254 . Damit erhielt er dem Kollegium zwei rheinische Richter, auf die nach den Ausführungen des Gerichtspräsidenten ein Großteil der anfallenden Arbeiten delegiert war. Kircheisen seinerseits trug zur Stabilisierung bei, indem er die einzige NeueinsteIlung dieser Jahre einleitete, die Berufung des Oberjustizrates Karl Wilhelm Eimbeck auf die Stelle Mühlers. 1823 sprach auch er sich für den endgültigen Verbleib Blanchards in Berlin aus 255 . Letztlich hoben sich jedoch die wenigen Schritte zur Stabilisierung des RKH und der gleichzeitig zunehmende Personalabbau gegenseitig auf. Faßt man die Persona1entwicklung der ersten Jahre zusammen, so ist weder bei Hardenberg noch auf seiten des Justizministers ein eigenständiges personalpoliti252 Nur für Goerdeler, der im Hauptamt nicht beim Ministerium, sondern am RKH angestellt war, ließ er sich in Verhandlungen mit Sethe auf einen Komprorniß ein und stellte ihn von der Teilnahme an den Sitzungen frei; zum ganzen GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 19, 202 f. 253 Zu Fischenich, dem auch das Präsidium des zu errichtenden dritten Appellationssenats in Aussicht gestellt worden war; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6 fo1. 48 f.; ebd. Rep 97 B I A I gen. fo1. 66 (Schreiben Kircheisens an den RKH, in dem er den Gerichtshof von der Ernennung Fischenichs in einer Kabinettsorder vom 20. 4. 1820 in Kenntnis setzt); zu Blanchard GStA PK Rep 97 B I A I gen., fo1. 81; B. Gehle: Unter Preußens Adler und Napoleons Gesetz, in: A. Klein/G. Rennen (Hrsg.): Justitia Coloniensis, S. 11 ff. 254 Beyme hatte Hardenberg bereits 1819 darauf hingewiesen, daß es dringend notwendig sei, eine bestimmte Zahl von Rheinländern auch für eine längere Dauer am RKH zu beschäftigen. Dieser Notwendigkeit müsse bei der Besetzung des Gerichts der Vorrang vor den Bedenken einiger Beamten gegen einen Wechsel nach Berlin eingeräumt werden; bspw. GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9, Begleitschreiben zu seinem Personalbericht vom 31. 3. 1819. Dem gleichen Ziel diente auch die oben schon erwähnte Einschaltung des Staatskanzlers, um den späteren Generalprokurator Eichhorn zur Annahme des Berliner Postens zu bewegen; siehe GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 Schreiben Beymes an Hardenberg vom 19.7. 1819; Rep 84a (2.5.1.) Nr. 648 fo1. 28 Schreiben Hardenbergs an Beyme vom 16. 8.1819. 255 Mühler war 1822 zum Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Halberstadt ernannt worden; GStA PK Rep 97 B I A I gen, fo1. 96. Zu Blanchard Schreiben Kircheisens an Sethe vom 6. 1. 1823; GStA PK Rep 97 B I L 16 (unfoliiert). Benachrichtigung über den endgültigen Verbleib Blanchards von Kircheisen an Sethe; ebd. Rep 97 B I A I gen. fo1. 100.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

sches Konzept zu erkennen. Es ging nicht mehr darum, die Möglichkeiten einer Einwirkung auf den RKH zur Umsetzung bestimmter rechtspolitischer Vorstellungen zu nutzen. Hardenberg blieb in seiner Haltung unentschieden. Hatte er 1818/ 19 die Konzeption Beymes mitgetragen, so fand er jetzt nicht mehr zu einer klaren Fortsetzung dieser Politik. Die Zweideutigkeit der von ihm in die Wege geleiteten Maßnahmen zeigt sich beispielhaft an einer Initiative, die schon 1821 zu einer Vereinigung des RKH mit dem Obertribunal hätte führen können. Infolge eines Edikts vom 29. November 1819, das den Geschäftskreis des Obertribunals erweiterte, erging von seiten des Königs die Aufforderung an Hardenberg und Kircheisen, Vorschläge zur näheren Verbindung des Obertribunals mit dem RKH einzureichen 256 . Der daraufhin im Staatskanzleramt von dem Geheimen Legationsrat Eichhorn ausgearbeitete Vorschlag 257 sah eine Vereinigung der beiden Gerichte zu einem gemeinsamen obersten Gerichtshof mit einem rheinischen Senat vor258 . Die Einordnung dieses Vorschlages bereitet einige Schwierigkeiten. Wollte Hardenberg mit der Auflösung des eigenständigen rheinischen Revisionsgerichts den Kräften entgegenkommen, die sich schon 1818 gegen diese Eigenständigkeit ausgesprochen hatten? Ist das ganze demnach als erster Schritt zur Beseitigung des Sonderstatus des rheinischen Rechts zu sehen? Oder kann man umgekehrt davon ausgehen, daß hier ein Versuch unternommen wurde, durch Zusammenfassung der französisch-rechtlichen Prozesse aus Westfalen und dem Rheinland die Position des französischen Rechts innerhalb der preußischen Rechtsprechung zu stärken und auf diese Weise die Ausgangsposition der Gesetzrevision zu beeinflussen? Der Staatskanzler selbst erläuterte diesen Vorstoß nicht. Zieht man die Reaktion des Justizministers zur Interpretation des Vereinigungs vorschlags heran, so verliert sich die Perspektive eines gegen die rheinische Justizverfassung gerichteten Vorhabens. Kircheisen lehnte das Projekt entschieden ab 259 . In den von ihm vorgebrachten Argumenten findet sich eine deutlichen Parallele zu seinen Bemühungen von 1819, eine Konzentration der französisch-rechtlichen Sachen an einem Gericht zu verhindern 260• Er legte die Initiative, die er auf eine Idee Hardenbergs zuriickführte 261 , als einen Angriff nicht etwa auf die französische, sondern auf die preußi256 GStA PK Rep 84a Nr. 9711, fol. 79 enthält ein Extrakt aus dieser Kabinettsorder. Ein noch ausftihrlicheres Extrakt ist bei F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 197 mitgeteilt. 257 Entwurf Eichhorns vom 7.11. 1821; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 1 (unfoliiert). 258 Zur Bearbeitung der Sachen aus anderen Provinzen, in denen es noch auf französische Gesetze ankam, sollten die schon bisher am Obertribunal beschäftigten fünf hauptamtlichen Richter herangezogen werden. Zur Abänderung zweier konformer vorinstanzlicher Urteile sollten sich alle Mitglieder des neuen Gerichtshofes zu Plenumsentscheidungen versammeln. Die bisherigen Räte des RKH sollten als ordentliche Tribunalsmitglieder angesehen werden. 259 Dazu sein ausführlicher Bericht an Hardenberg vom 28. 11. 1821 in GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 1 (unfoliiert). 260 Zu diesen Bemühungen oben Kapitel C I 3 a). Kircheisen wehrte sich jetzt erneut gegen die am Nathusiusschen Rechtsfall festgemachte Kritik am Obertribunal, die der Bericht Hardenbergs aufgreift und die für Kircheisen einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Gerichte darstellt.

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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sche Justizverfassung aus. Eindrücklich warnte er Hardenberg vor der Wirkung, die diese Maßnahme in der Öffentlichkeit haben müsse, "da der Widerwille gegen die fremde legislation vorherrschend ist und das sachverständige Publikum dies als den ersten aber wichtigsten Schritt aufnehmen würde, die Justizverfassung zu durchlöchern,,262. Für Kircheisen stellte der Vereinigungsvorschlag einen Angriff auf die preußische Justizverfassung und insbesondere auf das Ansehen des Obertribunals dar. Er warf Hardenberg vor, dem Obertribunal zu unterstellen, es sei zur Bearbeitung französisch-rechtlicher Sachen nicht in der Lage und bedürfe daher der Verstärkung durch das rheinische Obergericht263 . In diesem Zusammenhang sprach er von einer "gefährlichen, das Tribunal in der öffentlichen Meinung herabwürdigenden Maßregel". Legt man diese Sichtweise zugrunde, so scheint es sich bei der Initiative des Staatskanzleramtes - in der Begrifflichkeit der Beymeschen Politik - um einen Schritt hin zur "Verschmelzung" der beiden Rechtsordnungen gehandelt zu haben. Möglicherweise ging es tatsächlich um eine Ausweitung des Einflusses des französischen Rechts. Dieser Effekt wäre noch verstärkt worden, wenn die parallel diskutierten Vorschläge zur Übertragung der drittinstanzlichen Verfahren aus dem Großherzogtum Posen an den RKH realisiert worden wären 264 . Damit wären nämlich die französischen Rechtssachen oder - soweit es die Posener 261 Tatsächlich geht zumindest der Plan einer Vereinigung über die von der Kabinettsorder geforderte nähere Verbindung "soviel die Verschiedenheit des gerichtlichen Verfahrens es gestattet" hinaus. Ob dieser Plan aber ursprünglich auf Hardenberg oder auf dessen Mitarbeiter Eichhorn, von dem die Urschrift des Berichts vom 8. 11. 1821 stammt, zurückgeht läßt sich nicht mehr feststellen. 262 Zitat aus dem Bericht Kircheisens an den Staatskanzler vom 28. 11. 1821; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. I (unfoliiert). 263 Einerseits hält er die als Motiv für diese Vorschläge mitgeteilte kostenneutrale Entlastung des Obertribunalspersonals sowie die angestrebte Verschmelzung bei der Gerichte für nicht praktikabel; eine Einschätzung, mit der er sich der Argumentation der betroffenen Gerichtspräsidenten Grolman und Sethe anschließt. In unmittelbarem Anschluß an die Kabinettsorder vom 4. 10. 1821, noch bevor die Vorschläge des Staatskanzlers ihn erreichten, hatte Kircheisen bei Grolman ein Gutachten in dieser Frage angefordert, das dieser nach Rücksprache mit Sethe am 18. 10. 1821 auch ablieferte; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. I (unfoliiert). Da die Vereinigungspläne Hardenbergs, die erst am 18.10. und 8. 11. 1821 an Kircheisen gelangten (Bericht Kircheisens vom 28. 11. 1821 GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. I (unfoliiert) hervor), dem noch nicht zugrunde lagen, befaßt es sich, wie von Kircheisen vorgegeben, hauptsächlich mit der Möglichkeit, die als hauptamtlich einzustufenden Richter des RKH auch fest am Obertribunal anzustellen. Grolman führt jedoch aus, daß dadurch die angestrebten Einsparungen und die Arbeitserieichterung nicht zu erreichen seinen, da nur zwei dieser Richter überhaupt noch zusätzlich beschäftigt werden könnten und diese beiden Meusebach und Blanchard - weder theoretische noch praktische Kenntnisse des preußischen Rechts besäßen, ihre Festanstellung also noch dazu zu einer Ansehensschädigung des Tribunals führen könnte. 264 Diese Pläne werden in der Debatte um die Vereinigung der beiden Gerichtshöfe mehrfach erwähnt; GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 1 (unfoliiert), Entwurf Eichhorns vom 7. 11. 1821; Bericht Kircheisens vom 28. 11. 1821. Damit wären auch die öffentlichen und mündlichen Verfahren aus Posen an den RKH bzw. nach einer Vereinigung an das Obertribunal gelangt.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Fälle betrifft - zumindest die öffentlichen Revisionsverfahren aus der ganzen Monarchie an einem Gericht konzentriert worden. Dies hätte dem "fremden" (Verfahrens-) Recht einen großen Stellenwert innerhalb der obergerichtlichen Rechtsprechung verschafft, aber auch seinen Einfluß auf die Gesetzrevision intensivieren können. Nach der Ablehnung durch den Justizminister verfolgte Hardenberg das Vereinigungsprojekt jedoch nicht weiter265 . Was die Politik Kircheisens betrifft, lassen schon die gerade geschilderten Vorgänge erkennen, daß seine früher so profilierte Haltung gegen die Beibehaltung des rheinischen Rechts einer Anerkennung der in den Jahre zuvor geschaffenen Tatsachen gewichen war. Der Justizminister beschränkte sich auch nach dem Tod Hardenbergs auf die reine Verwaltung des Status quo. Offenbar bezweifelte er angesichts einer zunehmenden Festigung des rheinischen Justizwesens, daß selbst nach einer Revision von ALR und AGO die rheinische Justizverfassung in einer gesamtpreußischen aufgehen würde. In seinem Gutachten zur Vereinigung der Gerichtshöfe heißt es: "Nach der Revision der Gerichts Ordnung und des Landrechts, wird es sich finden, ob es jetzt noch möglich sein wird, die Rheinische Justiz Verfassung mit den Grundsätzen der älteren, zu vereinigen,,266. In seinem letzten amtlichen Gutachten zur Frage des rheinischen Rechts sprach er sich 1825 in völliger Abkehr von seiner früheren Haltung sogar für die Beibehaltung dieses Rechts bis zum Abschluß der Revision der preußischen Gesetze aus 267 . Die wenig konturierte und unentschlossene Politik Hardenbergs und Kircheisens ließ Raum für andere Einflüsse. Bereits in den ersten Jahren zeichnete sich eine Beteiligung des Gerichtshofes an den Personalentscheidungen ab. Zu beinahe jeder im Raum stehenden Veränderung des Personalbestandes finden sich ausführliche Stellungnahmen des Präsidenten und des Generalprokurators 268 . In diesen Berich-

265 Vgl. auch F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 199. Es bleibt auch zweifelhaft, ob die Vereinigung der obersten Gerichte überhaupt zu realisieren gewesen wäre. Die Gerichtspräsidenten Grolmann und Sethe jedenfalls brachten erhebliche, praxisorientierte Einwände vor. Grolmans Bericht vom 18. 10. 1821 an Kircheisen weist insbesondere darauf hin, daß die meisten der Revisionsrichter, auch die sechs hauptamtlichen, schon durch weitere Nebenbeschäftigungen völlig ausgelastet seinen. Kircheisen fügt noch hinzu, daß sich dies noch verstärken würde, wenn der RKH tatsächlich auch für Posen als drittinstanzliches Gericht werde fungieren müssen, Bericht vom 28.11. 1821; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 1 (unfoliiert). 266 Zitiert nach einem Bericht Kircheisens an den Staatskanzler vom 28. 11. 1821; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 1 (unfoliiert). Derartige Zweifel erstaunen bei Kircheisen, der seit 1814 ständig dafür eingetreten war, das rheinisch-französische Recht durch das - auch noch unrevidierte - preußische zu ersetzen. 267 Dazu E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in : J. Hansen: Die Rheinprovinz, s. 158; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 492; das Votum Kircheisens für das Staatsministerium vom 11. 3.1825 in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6164, fol. 24 ff: 268 Die Entwürfe zu diesen Berichten finden sich in der Generalakte des Gerichtshofes (GStA PK Rep 97 B lAI gen.) sowie in Sethes Handakte (ebd. L16 (unfoliiert». Sie sind in

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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ten traten sie energisch für Erhalt und Ausbau des RKH ein. Immer wieder versuchten sie, die Personalauswahl wieder an das ursprüngliche Konzept Beymes zu binden und eine Aufstockung des Personalbestandes zu erreichen. Neben umständlichen Schilderungen der Personalentwicklung enthielten diese Berichte umfangreiche, belehrende Ausführungen über Stellung und Funktion des Kassationshofes nach der rheinisch-französischen Gerichtsverfassung und betonten den großen wissenschaftlichen Anspruch, mit dem die Arbeiten der Kassationsrichter verbunden seien. Hinter diesen Belehrungen stand das Bemühen, den relativ großen Personalbedarf des RKH zu rechtfertigen. Verglichen mit dem Obertribunal, dessen Personal erst 1821 auf 14 Räte aufgestockt wurde und dessen Gerichtsbezirk ungleich größer war, mußte der Personalbestand des rheinischen Obergerichts 1819 mit seinen sechs hauptamtlichen und acht nebenamtlichen Richtern üppig erscheinen. Dementsprechend hatte Kircheisen den langsamen Personalabbau der ersten Jahre ständig mit einer angeblichen Überbesetzung des RKH begründet 269 . Wenn Sethe und Eichhorn mit ihren Eingaben auch nicht immer erfolgreich waren, so gelang es dem Gericht auf diesem Wege doch, die rückläufige Tendenz der Personalentwicklung zumindest abzubremsen. Hardenbergs Entscheidung, Blanchard und Fischenich zunächst nicht nach Köln zurückkehren zu lassen, geht unmittelbar auf Berichte Sethes zurück27o . Ob auch die Entscheidung Kircheisens, zumindest einen Beamten neu an den RKH zu berufen, auf diese Personalberichte zurückzuführen ist, läßt sich zwar nicht mehr mit Gewißheit sagen, erscheint aber angesichts des beharrlichen Drängens, das Präsident und Generalprokurator in den vorangegangenen Berichten an den Tag gelegt hatten, durchaus wahrscheinlich. Insgesamt kann man die ersten Jahre des RKH trotz der Verringerung der Richterzahl als eine Phase weitgehender Stabilität charakterisieren, in der jedoch eine eigenständige rechtspolitische Konzeption im Umgang mit dem Gericht nicht zu erkennen ist. Das Beymesche Konzept blieb, soweit es 1820 schon umgesetzt war, erhalten. Die 1819 geschaffenen Fakten konnten ihre Wirkung entfalten, wenn auch in schwächerer Form als geplant. Eine aktive Teilnahme aller Richter an der Gesetzrevision blieb aus, da diese Arbeiten ins Stocken geraten waren. Eine Verbindung zur Gesetzgebung war allein über die Mitgliedschaft Savignys im Staatsrat und die Aufnahme Sethes in dieses Gremium 1820 hergestellt. Das Nebeneinander rheinischer und altpreußischer Beamter, die Kombination verschiedener juristischer Fachrichtungen und die Praxis des öffentlichen und mündlichen Verfahrens wurden aber unverändert fortgesetzt. Das Gericht war nach wie vor so besetzt, der Regel von Eichhorn nur mitunterzeichnet, gelegentlich findet sich aber auch ein Zusatz in seiner Handschrift. Verfaßt wurden die Berichte auf Anforderung des lustizministers. 269 Tatsächlich hatte der RKH im Vergleich zum Obertribunal, dessen Personal erst 1821 auf vierzehn Räte aufgestockt wurde, ursprünglich einen relativ großen Personalbestand; F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 196. 270 Mitteilung Hardenbergs an die !JOK vom 20. 10. 1820; GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 9 (unfoliiert). Bericht Sethes wegen Fischenich vom 8. 6. 1820 ebd. Rep 97 BI Algen. fol. 76 ff.; wegen Blanchard und Fischenich vom 26.9. 1820 ebd. Rep 97 L 16 (unfoliiert).

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

daß es zur Vennittlung rheinisch-französischer Rechtsgrundsätze in die altpreußische Justiz und Verwaltung beitragen konnte.

2. Der Niedergang des Revisions- und Kassationshofes (1825 -1830)271

Wahrend der Amtszeit des nachfolgenden Justizministers, des Grafen Danckelman 272 , war die Entwicklung des Gerichts wieder deutlich geprägt von einer aktuellen rechtspolitischen Richtungsentscheidung: dem erneuten Aufschwung der Gesetzrevision. Das Refonnprojekt war nie ganz eingestellt worden, hatte aber zwischen 1820 und 1825 kaum Früchte getragen. Es hatte nach wie vor in Beymes Händen gelegen. Da er diese Arbeiten aber ohne festen Mitarbeiterstab bewältigen sollte 273 und mit großer Gründlichkeit zu Werke ging, konnte er keinen Erfolg, im Sinne einer Fertigstellung umfassender Gesetzentwürfe, verzeichnen 274 . Im Sommer 1825 bat er schließlich um eine Entbindung von den Revisionsarbeiten. Daraufhin wurde die Gesetzrevision wieder in den Aufgabenbereich des Justizministeriums eingegliedert und von Danckelman mit großer Energie in Angriff genom271 Behandelt werden soll hier nur die Zeit bis zum Tod Danckelmans im November 1830. Die anschließende Phase der provisorischen Amtsführung durch von Kamptz soll im Zusammenhang mit der 1832 beginnenden Amtszeit Kamptz' als rheinpreußischer Justizminister dargestellt werden, da hier ein einheitliches Personalkonzept zu erwarten ist. 272 Über Danckelman A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 484 ff. Die Schreibweise des Namens variiert in den Quellen, die hier gewählte entspricht der von ihm selbst benutzten Schreibweise; vgl. bspw. seine Unterschrift in GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 6, 13. 273 Über die Arbeit Beymes als Revisionskommissar, die personelle Hilfe, die ihm für die Revisionsarbeiten zur Verfügung gestellt wurde und seine weit darüber hinausgehenden Anträge gibt GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, fol. 32/33, 39-43, SO/51 nähere Auskunft. In der diese Korrespondenz abschließenden Kabinettsorder vom 16. 3. 1820 (Entwurf Hardenbergs a. a. O. fol. 50 f.) wird ihm lediglich erlaubt, für einzelne Gutachten gegebenenfalls geeignete Beamten heranzuziehen, gleichzeitig betont die Kabinettsorder, daß man bei Erteilung des Revisionsauftrages in erster Linie auf Beymes eigene Fähigkeit und Tätigkeit gesetzt habe. Die von ihm beantragte dauernde Anstellung einer Gesetzesrevisionskommission unter seiner Leitung wird abgelehnt. 274 Die Arbeit Beymes in dieser Zeit wird sehr unterschiedlich bewertet. A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 458 vermutet, wohl v.a. an eine Darstellung Kamptz' (Kalb Bd. 60, S. 71.) anknüpfend, die Gesetzesrevision hätte Beyme nur ein Einkommen sichern sollen und sei insgesamt als die wenig motivierte Arbeit eines Pensionärs anzusehen. Demgegenüber stellt Landsberg den großen Fleiß und die Sorgfalt, mit denen Beyme zu Werke ging, heraus; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 156; ders.: Gutachten, S. XLV, FN 3 und S. CXXX. Er weist darauf hin, daß Beyme sich vorgenommen hatte, die preußischen und französischen Gesetze Paragraph für Paragraph, Artikel für Artikel zu vergleichen; dazu auch den Bericht Beymes über seine Arbeiten an Hardenberg vom 9. 7. 1820; GStA PK Rep 74 R I Nr. 14, fol. 144 ff. Zum Wandel in der Einschätzung der Person und Arbeit Beymes zu Beginn dieses Jahrhunderts siehe E. Landsberg: Gutachten, S. XLV f.

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den lustizministern

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men. Bereits am 1. Dezember 1825 legte er dem Staatsministerium einen Plan zur "Totalrevision,,275 des preußischen Rechts vor276 . Diesem Plan entsprechend wurde der gesamte Rechtsstoff aufgeteilt und einzelnen Revisionsdeputationen zur Bearbeitung überwiesen. Jede dieser Deputationen wurde von einem Revisor geleitet, dem eine Reihe von Korreferenten zur Seite stand. Die Arbeit der einzelnen Abteilungen wurde von einer sogenannten Gesetzrevisionskommission unter dem Vorsitz Danckelmans geleitet und koordiniert. Innerhalb dieser Kommission wurden auch die von den Deputationen vorgelegten Gesetzentwürfe oder Vorschläge beraten. Die Ausrichtung der Revisionsarbeiten wich von der bisherigen Linie, die Beyme auch nach 1820 weiterverfolgt hatte 277 , ab. Wenn auch ein Großteil der Revisionsarbeiten immer noch mit Blick auf das französische oder rheinische Modell geführt wurden, ging doch insgesamt die Bereitschaft zur Aufnahme rheinischer Institutionen zurück. Diese Tendenz dürfte zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Danckelman selbst zurückgehen. Wahrend einzelne Ausschüsse dem französischen Recht in ihren Entwürfen Raum gaben, drängte der Justizminister diese Einflüsse in der leitenden Gesetzrevisionskommission, in der ihm die entscheidende Stimme zukam, wieder zurück278 . Der gravierende Unterschied zu den Arbeiten der Jahre 1818/19 lag jedoch in der Behandlung des rheinischen Rechts. Danckelman rückte von dem Konzept ab, das rheinische Recht noch vorläufig bis zum Abschluß der Revision beizubehalten. Bereits in einer Kabinettsorder vom 9. Dezember 1824 hatte der König die Verbindung beider Fragen gelöst und eine vorgezogene Einführung auch des noch unrevidierten preußischen Rechts angeordnet. In dieser Order hieß es, daß "die Einführung der preußischen Gesetzgebung, besonders der Criminal-Gerichtsordnung in den Rheinprovinzen von dem Resultate der Revision des Landrechts und der Gerichtsordnung nicht länger abhängig zu machen [sei]"279. Dies eröffnete die Möglichkeit, von den Revisionsvorbehalten der Kabinettsorder vom 19. November 1818 abzugehen und das preußische Recht, lediglich versehen mit einigen unumgänglichen Modifikationen, in den Rheinprovinzen einzuführen. Während KircheiW. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVI. Die von Danekelman ausgearbeiteten Pläne zur Organisation und Durchführung der Revisionsarbeiten wurden vom König in Kabinettsordern vom 28. 1. 1826 und vom 24.7. 1826 genehmigt; W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. I, S. XVII. 277 Dazu GStA PK Rep 74 R I Nr. 14, ab fo1. 144 (Berichte Beymes über den Stand der Revisionsarbeiten); Rep 74 R XXXVI Nr. 6, ab fo1. 32. Beyme verfolgte in dieser Zeit in erster Linie die Revision der preußischen Gesetzbücher. Die 1818 vorgesehene Überarbeitung der rheinischen Gesetze scheint er nicht aufgenommen zu haben; vg1. auch einen Bericht Beymes an Kircheisen vom 9. 2. 1825, in dem er die Bearbeitung der rheinischen Gesetze gar nicht mehr zu seinen Pflichten zählt; GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 6164, fo1. 21. 278 Dazu K. W. Nörr: Reinhardt, S. 28; W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt. Bd. 1, S. XVI ff.; 2. Abt., Bd. 9, I. Hbd., S. XVI f. Zur Stellung Danckelmans innerhalb der Kommission K. A. v. Kamptz: Aktenmäßige Darstellung der Preußischen Gesetzrevision, Berlin 1842, S. 89. 279 Zitiert nach W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., 1. Band, S. XX. 275

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

sen und Beyme diese Anordnung nicht mehr umgesetzt hatten, griff ihr Nachfolger Danckelman sie auf und legte dem Staatsministerium bereits am 2. August 1825 ein Votum vor, in dem er die "Gesamteinführung des preußischen Rechts und die Gesamtaufhebung des französischen Rechts" skizzierte 28o . Parallel zu den Arbeiten an der Revision des preußischen Rechts sollte die Abschaffung der rheinischen Gesetzgebung in Gang gesetzt werden. 1827 wurde eine Kommission eingerichtet, die die Einführung des preußischen Rechts vorbereiten und die dabei zu beachtenden rheinischen Eigentümlichkeiten zusammenstellen sollte 281 . Diese Kommission sprach sich jedoch in ihrem Abschlußbericht gegen eine vorgezogene Abschaffung des rheinischen Rechts aus. Dies geschah unter maßgeblichem Einfluß zweier der insgesamt vier rheinischen Landtagsabgeordneten, die zur Mitarbeit in der Kommission bestimmt worden waren. Etwa gleichzeitig erwirkten diese beiden Abgeordneten eine Erklärung des Königs, in der er versicherte, die Rheinlande auch in Zukunft vor jeglichem schädlichen Provisorium bewahren zu wollen. Das bedeutete aber noch nicht, daß die Einführungspläne gänzlich aufgegeben worden wären. Noch im Januar 1828 wurde im Justizministerium ein Einführungspatent ausgearbeitet. Im weiteren Verlauf des Jahres 1828 beschloß man im Staatsministerium eine Art Kompromißlösung, die vorsah, die wichtigsten Gesetze wie die Prozeßordnung, die ersten Teile des ALR und das Straf- und Strafprozeßrecht vorerst nicht einzuführen. Man glaubte, ihre Revision ohnehin innerhalb zweier Jahre beenden zu können. Die übrige Gesetzgebung sollte jedoch noch unrevidiert eingeführt werden. Tatsächlich sind diese Pläne aber nicht mehr umgesetzt worden. Entgegen allen Ankündigungen wurden keine weiteren Schritte zur Einführung der preußischen Gesetze unternommen. Die Pläne zur vorgezogenen Abschaffung des rheinischen Rechts werfen jedoch ein Licht auf die Ausrichtung der allgemeinen Gesetzrevision. Ware das innerhalb Preußens geltende französische Recht erst einmal abgeschafft worden, so hätte auch die Forderung nach Übernahme der grundlegenden Rechtsinstitute dieses Rechts in das preußische an Gewicht verlieren müssen. Den Befürwortern einer solchen Übernahme wäre der Hinweis auf ein funktionierendes "lebendiges Beispiel" als Argument genommen worden. Damit ist der Hintergrund skizziert, vor dem die weitere personelle Entwicklung des RKH untersucht werden soll. Für diese Entwicklung wurde eine durchgängige Verschlechterung der Personalsituation prägend. Obwohl in den Jahren 1825 bis 1830 ausscheidende Richter zumeist ersetzt wurden, konnten diese Neuanstellungen unmöglich die erlittenen Verluste ausgleichen: Es handelte sich bei den Neuzugängen nämlich ausschließlich um nebenamtlich angestellte Richter, die oft be280 So E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 160; dort auch die Zitate aus dem Danckelmanschen Votum. 281 Zum folgenden insgesamt E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 160 f.; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 4093 f. Zusammensetzung und Arbeit dieser Kommission sind dokumentiert in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6164 und Nr. 6169 ff.

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Justizministern

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reits in ihren Hauptämtern völlig ausgelastet waren 282 . Die zwischen 1825 und 1830 ausgeschiedenen Juristen dagegen waren zumindest formal als hauptamtliche Mitglieder des RKH beschäftigt oder hatten in ihren Hauptämtern genügend Freiraum für die Tätigkeit am RKH 283 . Ungeachtet dieser Veränderung mußten die Arbeiten jetzt in vollem Umfang auch auf nebenamtliche Richter verteilt werden, da der Revisionshof nur noch über drei bzw. zuletzt zwei hauptamtliche Mitglieder verfügte 284 . Der RKH wurde hinsichtlich der Bearbeitung von Relationen und hinsichtlich der Sitzungstermine von der Verfügbarkeit eines jeden der nebenamtlichen Richter abhängig 285 . Da die Anforderungen aus dem Hauptämtern in jedem Falle vorgingen und Sethe bei der Verteilung der Arbeiten auf die Referenten keinen Überblick über deren Auslastung in den Hauptämtern hatte, mußte er die Arbeiten also "aufs Gerathewohl und nur blind,,286 verteilen. Das führte dazu, daß immer wieder Sitzungen verschoben werden mußten oder kurzfristig ausfielen, so daß die übrigen Richter und die Anwälte sich umsonst vorbereitet hatten. Gleichzeitig nahm die Arbeitsbelastung des Gerichts immer mehr ZU 287 . Das Überhandnehmen der nebenamtlichen Anstellungen rückte deutlich von der Konzeption Beymes ab. Das Hauptgewicht der Arbeiten lag jetzt nicht mehr auf den Schultern von Richtern, die ausschließlich am RKH angestellt waren, sondern 282 So stellt Sethe die Situation in einem Bericht vom 14. 12. 1830 in GStA PK Rep 97 B I Algen, fo1. 169 dar. 283 Dazu die Ausführungen Sethes im Bericht vom 20. 1l. 1829; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fo1. 141 ff. Fischenich und Friccius bezeichnet Sethe hier als diejenigen nebenamtlichen Richter, auf die er noch am ehesten Arbeiten hätte übertragen können. Anhand der angegebenen Akte läßt sich die gesamte Personalentwicklung dieser Jahre ablesen. Savigny wurde wegen einer Krankheit im November 1826 für fast zwei Jahre beurlaubt, Goerdeler starb im Februar 1827, ab April 1827 wurde Fischenich immer wieder für Arbeiten bei der Gesetzrevision und im Staatsrat dispensiert, Friccius wurde im Oktober 1829 versetzt. Mit dem Tod Reibnitz' im Dezember 1829 verlor der RKH einen weiteren hauptamtlichen Richter. 284 Diese beiden waren Blanchard und Meusebach. Eigentlich war auch von Reibnitz bis zu seinem Tod 1829 als hauptamtliches Mitglied angestellt, er hatte aber neben diesem Richteramt noch zwei weitere Ämter - am Kammergericht und an der Berliner Universität - angenommen, so daß Sethe ihn in seinen Berichten nicht mehr als voll zu beanspruchendes hauptamtliches Mitglied aufführt. 285 Die massiven Einschränkungen, die dies für die Arbeit des Gerichts mit sich brachte, schildern Sethe und Eichhorn sehr eindrücklich in einem Bericht aus dem Jahre 1829. Sie fordern dort die Anstellung zumindest eines neuen hauptamtlichen Richters, da einer der hinzugetretenen Richter schon von vornherein so ausgelastet war, daß auf ihn so gut wie keine Arbeiten übertragen werden konnten, und Sethe auf drei andere in einem Maße zurückgreifen mußte, das sie für jede Sitzung unentbehrlich machte; Bericht vom 20. 11. 1829 GStA PK Rep 97 B lAI gen, fo1. 140 ff. Angefordert worden war dieser Bericht vom Justizminister mit Schreiben vom 5. 10. 1829; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fo1. 138 f. 286 So Sethe in GStA PK Rep 97 B I A I gen, fo1. 144. 287 Auf Ansteigen der Belastung vor allem in Zivilsachen und durch Prozesse aus dem Bezirk des Justizsenats zu Ehrenbreitstein weist der Bericht Sethes und Eichhorns vom 20. Il. 1829 hin; GStA PK Rep 97 B I A I gen, fo1. 148. Einen vollständigen Überblick über die Entwicklung des Arbeitsvolumens des Gerichts geben die durchgängigen Prozeßtabellen in GStA PK Rep 97 B I A 7 gen., vg1. dazu das Ende des vorliegenden Kapitels C 11 2.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

wurde auf die nebenamtlichen Mitglieder verlagert. Ihre Tätigkeit war nicht mehr auf die bloße Teilnahme an den Sitzungen und der Entscheidungsfindung beschränkt, sondern umfaßte auch einen großen Teil der Relationen. Durch das Ausscheiden von Reibnitz und Friccius erreichte diese Entwicklung 1829/30 ihren Höhepunkt, dem RKH gingen ein weiterer hauptamtlicher Richter und ein Richter verloren, der zwar im Nebenamt angestellt war, aber viel Zeit für die Tätigkeit am Gerichtshof hatte aufwenden können 288 . Insgesamt war die Personalpolitik dieser Jahre unmittelbare Folge der Pläne zur vorgezogenen Einführung des preußischen Rechts. Wären diese Pläne Ende der zwanziger Jahre umgesetzt worden, hätte es keines eigenständigen rheinischen Obergerichts mehr bedurft. Alle Personalveränderungen, die das Justizministerium in diesen Jahren einleitete, standen daher unter dem Vorzeichen der nahe bevorstehenden Auflösung des Gerichts. Dementsprechend wurde keines der Richterämter mehr definitiv vergeben. Wo diese Situation die Arbeitsfähigkeit des Gerichts zu gefährden drohte, wurden sogenannte "Hilfsarbeiter,,289 zugezogen. Zwischen 1826 und 1830 wurden auf diese Weise insgesamt sieben Juristen beschäftigt: der Generaladvokat des Appellationshofes und ehemalige Kölner Landgerichtspräsident Wilhelm Oswald, der Obertribunalsrat Stelzer, der zunächst für mehrere Jahre den erkrankten Savigny vertrat und anschließend als Aushilfe weiterbeschäftigt wurde, dann der Oberlandesgerichtsrat Friedrich Ernst Scheller und der Kammergerichtsrat von Voigts. Noch 1830 traten der Obertribunalsrat Busse, der Rechtswissenschaftler Karl August Klenze und der Appellationsgerichtsrat Karl August Ferdinand Graun hinzu 290 . Einige dieser Richter wurden noch vorübergehend zu Vg!. Sethes im Bericht vom 20. 11. 1829; GStA PK Rep 97 B I A I gen, fo!. 141 ff. Dieser Begriff taucht sowohl in den Schreiben auf, mit denen der Gerichtshof über die Anstellung dieser Kräfte informiert wird, als auch in den von Präsident und Generalprokurator angefertigten Personalberichten. Interessant ist, daß Sethe diesen Begriff, möglicherweise aus taktischen Erwägungen heraus, zeitweilig in erweitertem Sinne und abweichend von der Sprachregelung des Justizministeriums gebrauchte, indem er darunter alle nebenamtlichen Richter des RKH, also auch die noch unter Beyme als ordentliche Mitglieder angestellten Richter, faßte. Der Terminus scheint gesetzlich nicht definiert gewesen zu sein, unter dem nachfolgenden Justizminister Kamptz entspann sich ein regelrechter Auslegungsstreit zwischen Gerichtshof und Minister um die Frage, welcher der Richter als Hilfsarbeiter und welcher als ordentliches Mitglied anzusehen sei; dazu GStA PK Rep 89 (2.1.2.) Nr. 17258, v.a. fo!. 78 ff., 80 ff., 84 ff. 290 Diese Anstellungen lassen sich anhand der Generalakte des RKH nachvollziehen; GStA PK Rep 97 B I A I gen. Zu Graun Neuer Nekrolog, Bd. 29, Teil 2, S. 1248, zu Oswald sein Lebenslauf in GStA PK Rep 8411 Tit. I, Nr. I, vo!. I, fo!. 212 (anläßlich seiner Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Breslau 1835 angefertigt). Eine ausführliche biographische Darstellung des Lebens und der juristischen Laufbahn Schellers in: Zum Gedächtnis an Fr. E. Scheller, Preußische Jahrbücher, Bd. 44 (1879), S. 577 ff. Zur Anstellung Stelzers und der langen Abwesenheit Savignys GStA PK Rep 97 B I A I gen., fo!. 113, 116 ff., 130, 133, 135. Savigny war für eine längere Erholungsreise im November 1826 beurlaubt worden. Diese Beurlaubung wurde im Mai 1827 und im Januar 1828 verlängert. Nach der Rückkehr Savignys baten Sethe und Eichhorn im November 1828 darum, den Auftrag Stelzers fortbestehen zu lassen. Zu Klenze Teichmann, ADB, Bd. 16, S. 162 und unten Kapitel 288

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11. Der Revisions- und Kassationshof unter den lustizministern

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(nebenamtlichen) Mitgliedern des Kollegiums ernannt, andere erlangten nicht einmal diesen Status. Sie leisteten Aushilfe, hätten aber vom lustizminister jederzeit wieder abberufen werden können. Ihre Bezahlung war wesentlich schlechter als die der ursprünglichen nebenamtlichen und die der noch vorübergehend angestellten Richter291 . Die Berufung in derartige "Hilfsarbeiterverhältnisse" verband der lustizrninister stets mit dem Hinweis, daß sie nur solange Bestand haben sollten, "solange der Revisionshof noch besteht,,292 und daß daraus keine Ansprüche auf Weiterbeschäftigung abgeleitet werden könnten. Das Phänomen des Hilfsarbeiterwesens war nicht auf den RKH begrenzt, sondern setzte etwa 1826 auch an anderen preußischen Gerichten ein 293 . Am Obertribunal sollten 1826 zehn Hilfsarbeiter zur Abarbeitung der unerledigten Prozesse der Vorjahre beschäftigt werden. Der entscheidende Unterschied bestand jedoch darin, daß die Hilfsrichter des Obertribunals neben die ordentlichen Mitglieder traten, während sie am RKH an deren Stelle eingesetzt wurden. Auf die Auswahl geeigneter Kandidaten für die HilfsarbeitersteIlen am RKH wurde wesentlich weniger Sorgfalt verwendet als auf die Auswahl der Richter 1818/ 19. Ein in sich schlüssiges Konzept bestimmter Auswahlkriterien läßt sich nicht ausmachen. Die entscheidende Rolle scheinen praktische Erwägungen geC.III.4. c). Bei Busse handelt es sich um den oben bereits mehrfach erwähnten aus Westfalen stammenden Obertribunalsrat; sein Lebenslauf und andere biographische Angaben in GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 8. Voigts, der "von König" genannt wurde, hatte sich bereits 1819 erfolglos bei Beyme um eine Anstellung an RKH beworben, GStA PK Rep 84 (2.5.1.) Nr. 646, fol. 5 (dort auch sein Lebenslauf). 291 Im Durchschnitt erhielten sie nur noch 500 Taler jährlich für diese Tätigkeit, während die ursprünglichen nebenamtlichen Stellen mit 1000 Talern dotiert waren. 292 Für Voigts findet sich dieser Vorbehalt u. a. in dem Schreiben, mit dem Danckelman auf seine Anstellung anträgt GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 5 f. Stelzer und Scheller werden bei ihrer Anstellung als Hilfsarbeiter und nur provisorisch herangezogene Richter bezeichnet; Schreiben Danckelmans, mit dem er Sethe über Zuziehung Schellers informiert GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 129; und Korrespondenz um die weitere Beschäftigung Stelzers in GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 135 ff. Für Graun, Busse und Klenze ergibt sich dieser Vorbehalt aus der ihre Anstellung genehmigenden Kabinettsorder vom 11. 2. 1830; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 14 f.; vgl. auch Anträge Danckelmans vom 27. 1. 1830; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 12. 293 Für das Obertribunal vgl. F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 209 ff. Offenbar dehnte sich das Hilfsarbeiterwesen aber auch allgemein in der preußischen Gerichtsbarkeit aus, vgl. die entsprechenden Akten zur Annahme und Besoldung von Hilfsarbeitern GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 3028 und 3029 und F. C. Koch: Der Preußische Civil-Prozeß, S. 87. Die Zu ziehung und Abberufung dieser Hilfsarbeiter lag allein im Belieben des lustizministers, der so seinen Einfluß auf die jeweilige Zusammensetzung der Kollegien erheblich ausdehnen konnte. Erst in den parlamentarischen Verhandlungen über das Gesetz zur Vereinigung der beiden obersten preußischen Gerichte wurde die Zuziehung von Hilfsarbeitern als Gefahrdung der Unabhängigkeit des Obergerichts kritisiert und letztlich auf den Kreis der ohnehin zur Beförderung ins Obertribunal anstehenden Beamten eingeschränkt; Anhang zum Bericht der Kommission für das lustizwesen der zweiten Kammer vom 19.2. 1852; GStA PK Rep 169 C, Abschnitt 34 B lustizsachen Nr. 17 (unfoliiert).

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

spielt zu haben. So griff der lustizminister auf solche mit dem französischen Recht vertraute Richter zurück, die ohnehin in Berlin anwesend waren: auf den Obertribunalsrat Busse und den - wie Busse aus Westfalen stammenden - Kammergerichtsrat Voigts, den Oberlandesgerichtsrat Scheller, der zwischen 1814 und 1819 in den Rheinprovinzen tätig gewesenen war und nun Mitarbeiter der Gesetzrevision in Berlin war, und den als Rat im Justizministerium fungierenden ehemaligen Kölner Landgerichtspräsidenten Oswald. Nur ein einziger der Richter, der Appellationsrat Karl August Ferdinand Graun, wurde direkt aus den Rheinlanden an den RKH berufen. Die fachliche Qualifikation der Richter verlor dementsprechend an Bedeutung. Insbesondere Kenntnisse des rheinischen Partikularrechts und des intennediären Rechts wurden nicht mehr verlangt. Die neuen Richter hatten überwiegend - bis auf Klenze und Stelzer - bereits mit dem französischen Recht gearbeitet, stammten aber entweder aus dem Königreich Westfalen oder waren erst nach 1814 in den Justizdienst der Rheinlande eingetreten, so daß bei ihnen keine oder keine profunden Kenntnisse dieser Rechte vorhanden waren. Einer der beiden nicht mit dem französischen Recht vertrauten Richter, der Berliner Professor August Klenze, hätte eigentlich nicht einmal als Friedensrichter fungieren dürfen. Ihm fehlten die beiden richterlichen Examina und damit die fonnelle Berechtigung, ein Richteramt auszuüben. Unter diesen Umständen konnte auch das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung in die Revisionsrichter keine entscheidende Rolle mehr spielen. Lediglich drei der sieben in diesen Jahren angestellten Richter hatten überhaupt schon in den Rheinlanden gearbeitet; der Oberlandesgerichtsrat Scheller allerdings nur etwa vier Jahre zwischen 1814 und 1819. Keiner dieser Beamten wäre darüber hinaus im Sinne des Beymeschen Konzeptes als "rheinischer" Richter anzusehen gewesen. Sie waren sämtlich keine gebürtigen Rheinländer, sondern Richter altpreußischer Herkunft und sie waren erst nach dem Ende der französischen Herrschaft mit dem rheinischen Recht in Kontakt gekommen. Graun und Oswald waren sogar erst nach 1819 in den rheinischen Justizdienst eingetreten. Die beiden westfälischen Beamten und erst recht die Altpreußen Klenze und Stelzer dürften in den Rheinlanden gänzlich unbekannt gewesen sein. Insgesamt rückte Danckelman bei der Besetzung der Richterstellen deutlich von den Kriterien Beymes ab, ohne eigene klare Auswahlgesichtspunkte zu definieren. Einzig prägendes Merkmal scheint das Phänomen der Hilfsarbeiter gewesen zu sein. Die Aufnahme der Gesetzrevisionsarbeiten führte aber nicht nur das Hilfsarbeiterwesen herbei, sie hatte noch einen wesentlich wichtigeren Effekt. Danckelman richtete zwar die Zusammensetzung des Kollegiums nicht mehr wie Beyme am Interesse der Gesetzrevision aus, die Richter des RKH wurden aber jetzt tatsächlich zur Revision des preußischen Rechts zugezogen. Die Tatsache, daß der RKH 1819 als zweites Obergericht des preußischen Staates in Berlin errichtet und mit Juristen besetzt worden war, die für eine Mitwirkung an der Refonn des preußischen

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den 1ustizministern

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Rechts besonders geeignet waren, führte dazu, daß man 1825 bei der Besetzung der Gesetzrevisionsgremien auf seine Mitglieder zurückgriff. Die Konzeption Beymes ist hier unabhängig von einer dem RKH gegenüber verfolgten Personalpolitik umgesetzt worden. Die Richter des RKH wurden als Korreferenten in den einzelnen Revisionsdeputationen oder in der Gesetzrevisionskommission eingesetzt. Sethe, Savigny, Reibnitz, Simon und Fischenich waren sowohl Mitglieder der Kommission als auch mehrerer Deputationen294 . Der als Hilfsarbeiter zugeteilte Scheller leitete zwei Deputationen als Revisor, die Anwälte Reinhardt und Bode je eine Deputation. Ungeachtet der veränderten Ausrichtung der Gesetzrevision und der geringen Bedeutung, die dem französischen Recht nach Ansicht des Justizministers dabei zukommen sollte, wirkte die von Beyme begründete Konzeption gerade in diese Gesetzrevisionsarbeiten hinein. Zum ersten Mal seit der Errichtung des Gerichtshofes wurden seine Richter tatsächlich an den Arbeiten der Gesetzrevision beteiligt. Es handelte sich dabei um Juristen, die überwiegend schon 1819 angestellt worden waren. Sie hatten über die Arbeit am Revisions- und Kassationshof, in der altpreußischen Justiz und im Staatsrat eine so prominente Stellung erreicht, daß man auf sie bei der Besetzung der Revisionsgremien zurückgriff295 . Darüber hinaus war Fischenich 1825 neben Savigny und Sethe als dritter Richter des RKH zum Mitglied der Justizabteilung des Staatsrates ernannt worden, so daß auch die Verbindung zu diesem Gesetzgebungsorgan 296 weiter ausgebaut wurde. Auf die Rechtsprechung des RKH allerdings wirkten sich diese Nebenämter nachteilig aus. Sie litt mehr und mehr unter den zahlreichen Aufgaben der Richter. Fischenich wurde schließlich wegen seiner regelmäßigen Teilnahme an den Staatsratssitzungen und seiner Belastung in der Gesetzrevision für längere Zeit von der Arbeit am RKH suspendiert297 . 1827 war Oswald neben seiner Arbeit im Justizministerium häufig auch durch seine Teilnahme in der Kommission zur Einführung des preußischen Rechts in den Rheinlanden verhindert 298 .

294 Übersicht über die Mitglieder der Deputationen und der Kommission bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, I. Abt., Bd. 1, S. XVII. 295 Die Gründe für ihre Berufung ließen sich im einzelnen nicht aus dem eingesehenen Quellenmaterial entnehmen. Auch bei W Schubert / J.Regge: Gesetzrevision, I. Abt. Bd. 1, S. XVII, wo die Zusammensetzung der Deputationen erläutert wird, findet sich nur der Hinweis, es seien prominente luristen der damaligen Zeit angestellt worden. 296 Zur Arbeit der Richter im Staatsrat näher Kapitel D III 1 c) aa). Zum preußischen Staatsrat und seiner Beteiligung an der Gesetzgebung Hans Schneider: Der preußische Staatsrat 1817-1918. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte Preußens, München 1952. 297 GStA PK Rep 97 B lAI gen., fo!. 121 ff. 298 Oswald war das einzige Mitglied des RKH in dieser Kommission. Ursprünglich hatte man im lustizministerium erwogen, Fischenich den Vorsitz zu übertragen, nahm dann aber wieder davon Abstand, GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6164, fo!. 241 ff. Landsberg führt das auf die Intention des lustizministeriums zurück, Fischenich aufgrund seiner "prorheinischen" Einstellung der Kommission fernzuhalten; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: 1. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 161.

11 Seynsche

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Auch eine Neuordnung der Staatsfinanzen wirkte sich negativ auf die Personalausstattung des RKH aus und dürfte die Entwicklung des exzessiven Hilfsarbeiterwesens befördert haben. Eine "Immediat-Kommission zur Revision des Staatshaushalts" hatte Einsparungsvorschläge für alle Zweige von Verwaltung und Justiz vorgelegt. Im Anschluß an diese Vorschläge erstellte Danckelman in Zusammenarbeit mit dem Finanzminister von Motz einen Normaletat für die Justizverwaltung, den er Anfang Februar 1827 an den König einreichte. Für den RKH sah dieser Etat vor, daß die Zahl der hauptamtlichen Mitglieder dauerhaft auf drei und die der nebenamtlichen auf sechs beschränkt werden und der Gerichtshof mit dem Obertribunal zusammengelegt werden sollte. Die Pläne zur Einführung des preußischen Rechts in den Rheinprovinzen bewogen den König allerdings dazu, den Normaletat nicht offiziell zu bestätigen, da die Einführung der preußischen Gerichtsverfassung "im Werke" sei und es deshalb nicht angemessen erscheinen würde, mittels des Etats die Fortdauer der bisherigen Einrichtungen auszusprechen 299 • Neueinstellungen sollten nur wenn unbedingt notwendig und auch nur von Fall zu Fall genehmigt werden. Die Verantwortung für die Personalpolitik lag in erster Linie beim Justizminister. Gleichzeitig beruhten ihre Grundlagen aber auf einem Konsens über rechtspolitische Zielsetzungen und die Ausrichtung der Gesetzrevisionsarbeiten, der zwischen dem Justizministerium, den übrigen Ministerien und dem König herrschte. Mit den Personalentscheidungen des Ministers war neben dem König, der die jeweilige Auswahl nach wie vor genehmigte, das königliche geheime Zivilkabinett befaßt. Es war, ähnlich wie das Staatskanzleramt zur Zeit Hardenbergs, die Instanz, die die Entscheidungen des Königs vorbereitete. Diese Behörde, die auf das alte, in der Reformzeit verdrängte, königliche Kabinett zurückging, hatte seit der Auflösung des Staatskanzleramtes zunehmend an Bedeutung gewonnen. 1822 war das Zivilkabinett in zwei Abteilungen aufgeteilt worden. Die politische Sektion übernahm die Aufgaben des Staatskanzleramtes, also unter anderem die Gesetzgebungsangelegenheiten, die Festlegung allgemeiner Grundsätze für Politik und Verwaltung und schließlich die Weiterleitung der Ministerialberichte 3OO • Personal berichte und Anträge Danckelmans zur Besetzung des RKH gingen, zumindest ab 1827 - erst für diese Zeit läßt sich eine Beteiligung des Kabinetts an den anstehenden Entscheidungen feststellen -, durch Vermittlung des Zivilkabinetts an den König. Im Kabinett wurden Stellungnahmen zu den Anträgen verfaßt 299 So der Entwurf der Kabinettsorder an Danckelman und Motz vom 20. 2. 1827; GStA PK Rep 89 (2.2.l.) Nr. 17258, fol. 2. 300 Diese Abteilung stand unter der Leitung des Grafen Lottum; H. Thieme: Preußisches Geheimes Zivilkabinett, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, XVIII Jg. (1970), S. 90 ff.; ans Branig: Die oberste Staatsverwaltung in Preußen zur Zeit des Todes von Hardenberg, in: Jb. für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 13/14 (1965), S. 192 ff.; Otto Hintz: Das preußische Staatsministerium im 19. Jahrhundert, in: Beiträge zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Festschrift zu Gustav Schmollers 70. Geburtstag, Leipzig 1908, S. 441 ff.

11. Der Revisions- und Kassationshof unter den Iustizministem

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und auch die königlichen Antwortschreiben und Kabinettsbefehle ausgearbeitet. Allerdings ist dieser Schriftverkehr nur von sehr begrenztem Umfang. Es existieren lediglich drei Berichte Danckelmans, in denen er sich mit der Personal situation des RKH befaßte und konkrete Vorschläge zur Besetzung der durch den Tod Goerdelers 1827 und durch das Ausscheiden Reibnitz' und Friccius' im Jahre 1829 frei gewordenen Richterstellen machte 30I . Die Vorschläge des Justizministers wurden jedoch im Zivilkabinett weder kritisiert noch inhaltlich abgeändert noch durch eigenständige Personalvorschläge ergänzt. Eine aktive Einflußnahme auf die Personalauswahl selbst ist nicht zu ersehen. Nur dort, wo es um die Einhaltung der allgemeinen Rahmenbedingung der Personalpolitik ging, machte das Kabinett seinen Einfluß geltend. So drängte es den Justizminister, seine Entscheidungen an den durch die Gesetzrevision und vor allem an den durch die Finanzpolitik vorgegebenen Bedingungen auszurichten 302 . Will man die personellen Maßnahmen Danckelmans im Hinblick auf seine rechtspolitischen Ziele charakterisieren, stellt man fest, daß es ein personalpolitisches Konzept nur im negativen Sinne gab. Dem Minister ging es nicht darum, mit der Besetzung des Gerichts ein bestimmtes, rechtspolitisches Ziel zu erreichen. Auch die Qualität der Rechtsprechung und das Ansehen des Gerichts in den Rheinlanden standen für ihn nicht im Vordergrund. Er hielt die Beschränkung des Personalbestandes und den Rückgriff auf Hilfsrichter altpreußischer Herkunft angesichts der bevorstehenden Veränderungen, der Auflösung des Gerichtshofes und der Abschaffung des französischen Rechts für vertretbar. Aus diesen Gründen setzte er auch den finanziellen Beschränkungen keinen Widerstand entgegen. Ihm kam es darauf an, das bloße Funktionieren der höchstinstanzlichen Rechtsprechung bis zur Auflösung des Gerichtshofes und zur Ablösung der von ihm repräsentierten Rechtsordnung zu gewährleisten. Ganz anders als Beyme wollte er keine Option für eine Entscheidung zugunsten des französischen Rechts offenhalten. Daher mußte er den RKH nicht mehr als ein dem Obertribunal ebenbürtiges Gericht und "lebendiges Beispiel'.303 bewahren. Für den RKH und die rheinische Rechtsprechung hatte die Personalpolitik Danckelmans katastrophale Folgen. Sethe und Eichhorn beklagten gerade gegen Ende der zwanziger Jahre immer wieder, daß die Kassationsrechtsprechung beinahe zum Erliegen komme, da der Gerichtshof die an ihn gestellten Anforderungen wegen der schlechten personellen Ausstattung kaum bewältigen könne 304 . Verschärft wur301 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 1c (2. 2. 1827); fol. 5 f. (19.4. 1827); fol. 10 ff. (27. 1. 1830). 302 Selbst wenn Dancke1man, was in seinen Berichten Z.T. anklingt, dem RKH einen größeren personellen Spielraum hätte eröffnen wollen, wäre ihm dies angesichts der von König und Kabinett aufgestellten Rahmenbedingungen nicht möglich gewesen. 303 Mit dieser Bezeichnung hatte Beyme den RKH in seiner Rede zur Eröffnung des Gerichtshofes am 15. 7. 1819 belegt; zitiert nach RhA 1 11 Abt., S. 4. 304 Vgl. insbesondere die Berichte vom 20.11. 1829 und vom 14. 12. 1830; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 140 ff., fol. 167 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

de die Situation durch einen schnellen Anstieg der Prozeßzahlen 305 . Wahrend man in Berlin an der Abschaffung der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit arbeitete, erfuhr diese einen großen Zulauf. Bis etwa zur Mitte der 20er Jahre war die Geschäftslast des RKH in Verfahren des französischen Rechts 306 nur langsam und keineswegs gradlinig angestiegen 307 . Ab 1826/27 nahmen die Prozeßzahlen dann jedoch stetig und in großen Schritten zu. 1828/29 war mit 374 neu anhängigen Prozessen zum französischen Recht beinahe das Doppelte der Eingänge des Justizjahres 1819/20 (197 Neueingänge) erreicht. In der Phase seiner schwächsten Besetzung hatte der RKH also die größte Geschäftslast seit seiner Errichtung zu bewältigen. Dies konnte nicht folgenlos bleiben. Die Rückstände, d. h. die aus dem VOIjahr unerledigt übernommenen Prozesse, erhöhten sich 1829/30 von 135 auf 216 Sachen, während sie bisher in nur kleinen Schritten von etwa 20 Sachen pro Jahr zugenommen hatten. Der RKH hätte im Justizjahr 1829/30 - die neu hinzukommenden Verfahren mitgerechnet - 558 französisch-rechtliche Sachen bearbeiten müssen. Tatsächlich konnte er nur 337 Verfahren erledigen.

3. Zusammenfassung Die Entwicklung des RKH in den ersten zehn Jahren verlief, obwohl durch den Ministerwechsel von 1825 abgestuft, insgesamt gleichförmig. Sie ist gekennzeichnet von einem allmählichen "Ausbluten" des Gerichts. In den ersten Jahren hatten Hardenberg und Kircheisen die Zahl der Richter verringert, insgesamt aber das von Beyme aufgestellte Konzept haupt- und nebenamtlicher Anstellungen weiter305 Die Zahlen lassen sich den Prozeßtabellen des Gerichtshofes entnehmen, die für den Zeitraum zwischen 1819 und 1852 komplett erhalten sind; GStA PK Rep 97 B I A 7 gen. (unfoliiert). Diese Tabellen wurden jeweils für ein Justizjahr, getrennt nach Verfahren aus dem ostrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz und solchen aus den westrheinischen und bergischen Gebieten, erstellt. Sie enthalten für die französisch-rechtlichen Sachen auch Angaben zu den aus dem Vorjahr übernommenen Rückständen, den Neueingängen und über die Zahl der erledigten bzw. noch unerledigten Sachen. Neben diesen jährlich angelegten Tabellen existiert am selben Ort für die Jahre 1819/20 bis 1840/41 eine Gesamtübersicht, die die Zahl der insgesamt erlassenen Urteile wiedergibt. Eingang gefunden hat sie einschließlich des Geschäftsjahres 1838/39 in die 1839 durch den Justizrat W. F. C. Starke herausgegebene offizielle Justizverwaltungsstatistik; W. F. C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag, S. 115. 306 Die Entwicklung der Rechtsprechung in Sachen aus dem ostrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz läßt sich der bei W. F. C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag S. 116 veröffentlichten Statistik für die Jahre 1819 bis 1837/38 entnehmen. Insgesamt sind wesentlich größere Schwankungen zu beobachten als bei den westrheinischen und bergischen Verfahren. Während die Zahl der Prozesse zunächst seit 1819/20 zurückging, stieg sie schon in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre wieder an und erreichte 1824/25 mit 377 Verfahren ihren Höchststand. Ab 1826/27 sank die Zahl der Verfahren dann wieder stetig, bis 1837/38 nur noch 57 Entscheidungen getroffen wurden. 307 In den Justizjahren 1819/20 und 1825/26 schwankte die Zahl der Neueingänge zwischen 189 (1820/21) und 239 (1824/25).

III. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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laufen lassen. Danckelman ging von diesem Konzept ab und stellte "solange der Revisionshof noch besteht,,308 Hilfsarbeiter ein. Weder Kircheisen noch Danckelman räumten der Besetzung des Gerichtshofes eine Rolle in ihrer Rechts- und Justizpolitik ein. Danckelman leitete die Auflösung des Gerichts in die Wege. In der passiven, nur auf die Aufrechterhaltung der Rechtsprechungstätigkeit ausgerichteten Besetzungspolitik spiegelt sich die Entwicklung der Gesetzrevision dieser Zeit. Solange die Reformarbeiten brach lagen, war die Personalentwicklung von einer zunehmenden Stagnation geprägt. Als unter Danckelman die Gesetzrevision in das erneute Bemühen um eine vorgezogene Abschaffung des "fremden Rechts" überging, war die Besetzung des RKH überschattet von der bevorstehenden Ablösung des französischen Rechtsordnung. Im November 1830 waren dem RKH von den 1819 angestellten sechs hauptamtlichen Richtern nur noch zwei, nämlich Meusebach und Blanchard, verblieben. Die Stelle des Generaladvokaten war dauerhaft unbesetzt, und auch die meisten der ursprünglichen nebenamtlichen Richter waren ausgeschieden. Obwohl es für die Letzten einige - teils nur zeitlich befristete - Neuanstellungen gegeben hatte, war die Zahl der nebenamtlichen Richter auf sechs abgesunken. Der RKH verfügte nur noch über die Hälfte ursprünglich vorgesehenen 16 richterlichen Mitglieder. Für die Besetzung der RichtersteIlen war damit die Konzeption Beymes aufgegeben. Dennoch wurde gerade 1825 ein Faktor realisiert, der 1819 die Zusammensetzung des Kollegiums bestimmt hatte. Zum ersten Mal wurden die Juristen des RKH tatsächlich aktiv an den Gesetzrevisionsarbeiten beteiligt. Die Einrichtung und Besetzung des RKH unter Beyme hatte die institutionellen Voraussetzungen geschaffen, die nun dazu führten, daß das rheinische Obergericht und seine prominenten Juristen bei der Zusammensetzung der Gesetzrevisionsgremien berücksichtigt wurden. 1819 war an diesem Gericht eine Juristenelite versammelt worden, deren Mitarbeit an der Gesetzrevision, sobald diese in Gang kam, selbstverständlich war.

111. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter dem Ministerium Kamptz Im Verlauf des Jahres 1830 übernahm Karl Albert von Kamptz die Amtsgeschäfte des erkrankten Justizministers Danckelman. Nach dessen Tod im November 1830 blieb eine Entscheidung über seine Nachfolge zunächst aus. Kamptz erhielt lediglich die kommissarische Leitung des Ministeriums. Erst im Februar 1832 wurde eine endgültige Regelung getroffen und das Justizressort wie schon 1817 auf zwei Minister aufgeteilt. Der Oberlandesgerichtsvizepräsident und ehemalige

308

Schreiben zur Anstellung Voigts; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 12.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Richter des RKH Heinrich Gottlob Mühler wurde zum Justizverwaltungsminister ernannt, während Kamptz mit dem Ministerium für die Revision der Gesetzgebung betraut wurde309 . Die rheinische Justizverwaltung blieb aus Mühlers Ressort ausgegrenzt. Sie wurde erneut mit der Gesetzrevision verbunden, so daß das Schicksal des rheinischen Obergerichts für die folgenden Jahre eng mit der Person und der Arbeit Kamptz' verknüpft war.

1. Der "Hasser aller rheinisch-liberalen Dinge"310 als rheinpreußischer Justizminister Bisher existiert keine umfassende biographische Darstellung über den Minister, der üblicherweise durch die Schlagworte vom "wilden Demagogenverfolger"311 und "Hasser aller rheinisch-liberalen Dinge" charakterisiert wird. Informationen über ihn liegen weitgestreut, beispielsweise in Werken zum rheinischen Recht, zur vormärzlichen Politik oder zur Gesetzrevision 312 . Daher soll sein beruflicher und politischer Werdegang, insbesondere seine Haltung zur Frage rheinischen Rechts, skizziert werden, um die Grundlage für eine Analyse seiner Personalpolitik zu schaffen 3J3 . Kamptz wurde 1769 in Schwerin in Mecklenburg-Strelitz geboren. Nach seinem Studium bekleidete er verschiedene Ämter in mecklenburgischen Justizkollegien und wurde 1804 am Reichskammergericht als kurbrandenburgischer Assessor präsentiert. Als Mitglied des Oberappellationssenates des Kammergerichts trat er in den preußischen Justizdienst. Entscheidend für seine weitere Laufbahn sollte aber ein Wechsel von der Justiz in den preußischen Verwaltungsapparat werden. 1812 trat er als vortragender Rat in das Polizei departement des Innenministeriums ein. In dieser Position wandte er sich den restaurativen, antireformerischen Kräften innerhalb der Regierung und der hohen Beamtenschaft zu und avancierte, nicht zuletzt auch durch seine publizistische Tatigkeit, schließlich zu einem ihrer "Haupt309 Zur Teilung des Justizministeriums vg1. GStA PK Rep 84 11 Tit. 1, Nr. 1, vo1. 1, fo1. 2 ff., fo1. 33 ff. 310 E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, S. 158. 311 E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, S. 158. 312 Über ihn Peter Baumgart: NDB, Bd. 11, S. 95 ff.; Wippermann: ADB, Bd. 15, S. 66 ff.; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 486 ff., 500 ff.; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 165 ff.; F. Holtze: 500 Jahre Geschichte des Kammergerichts, S. 193 ff.; Heinrich v. Treitschke: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, 5 Bde., 4. Aufl., Leipzig 1894, Bd. 4, S. 550 ff.; C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, bes. S. 245 ff. Speziell zur Verstrickung Kamptz' in die Demagogenverfolgung W. Siemann: Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, S. 174 ff. 313 Die aus der Literatur übernommenen Informationen werden hier zusammengefaßt und mit Informationen aus den Quellen ergänzt.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Karnptz

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exponenten,,314. Nach dem Wartburgfest und im Zuge der von Mettemich gegen die burschenschaftliche bzw. die gesamte national-konstitutionelle Bewegung eingeschlagenen Politik wurde Kamptz, der mittlerweile zum Direktor im neugegründeten preußischen Polizeiministerium aufgestiegen war, schnell zur Symbolfigur der "Demagogenverfolgung,,315. Nach dem Abflauen der ersten Verfolgungswelle wurde er 1824 ins Justizministerium versetzt und erhielt zugleich den Vorsitz der Justizabteilung des Staatsrates. Seit 1812 gab er auf Anregung Kircheisens die "Preußischen Jahrbücher für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung" heraus, die sich massiv zugunsten des preußischen Rechts in den publizistischen Kampf um das rheinische Recht einmischten 316 . Bei Wiederaufnahme der Gesetzrevision unter Danekelman wurde Kamptz unmittelbar mit diesen Arbeiten befaßt und kam so erneut mit der Frage des rheinischen Rechts in Berührung. Er wurde Mitglied der Gesetzrevisionskommission, die die Revisionsarbeiten leitete. Seit 1830 stand er an der Spitze des Justizministeriums und erhielt 1832 das Gesetzrevisionsministerium und die rheinischen Justizangelegenheiten übertragen. Seine Amtszeit als Gesetzrevisionsminister und rheinpreußischer Justizminister war geprägt durch stete Konflikte mit der rheinischen Justiz. Kamptz setzte hier eine Politik der Bespitzelung und Gesinnungskontrolle fort, die er schon in der Zeit als provisorischer Justizminister den preußischen Richtern gegenüber eingeschlagen hatte 317 . Darüber hinaus betrieb er eine offenbar systematische Herabsetzung der richterlichen Autorität, indem er die Urteilstätigkeit der rheinischen Strafgerichte durch rücksichtslosen Gebrauch des dem Justizminister zustehenden Rechts der Strafmilderung untergrub318 . Neben dieser Art der Amtsführung, die ihm die Gegnerschaft der Juristen eintrug, war es die inhaltliche Ausrichtung seiner Gesetzrevisionsarbeiten, die dafür sorgte, daß sich die ganze Provinz gegen ihren Justizminister stellte 319 . Die Ge314

P. Baumgart, ADB, Bd. 11, s. 96.

Später wurde er auch Mitglied der am 6. 12. 1819 gegründeten Ministerialkommission zur Verfolgung demagogischer Umtriebe. Die Kommission wurde das eigentliche Aktionszentrum der Demagogenverfolgung; W. Siemann: Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung, S. 186 ff. 316 P. Baumgart, ADB, Bd. 11, S. 96. Diese Einmischung hatte schon innerhalb der ersten Auseinandersetzungen 1815 - 1818 begonnen, hielt aber auch später an, siehe bspw. den Aufsatz "Aufhebung der Französischen Gesetzgeung in den Rhein-Provinzen", KaJb 1826, S. 167 ff. 317 Zu diesem Vorgehen Kamptz' C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 129 ff., insbes. S. 135 ff. und speziell für die Rheinlande E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: 1. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 168 f.; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 506 ff. 318 In einem Erlaß vom 13. 12. 1834 wies er die rheinischen Oberprokuratoren an, gegen alle Erkenntnisse der Polizeigerichte Berufung einzulegen, da man sich auf diese Gerichte nicht verlassen könne; nach H. v. Treitschke: Deutsche Geschichte, Teil 4, S. 551. Zum Problem des Milderungsrechtes des lustizministers und seiner überzogenen Inanspruchnahme durch Karnptz auch G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 159. 315

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

rüchte, er arbeite an einer Abschaffung des gesamten rheinischen Rechts und insbesondere der rheinischen Institutionen, verstummten nie 32o . In seiner publizistischen Tätigkeit und als Mitarbeiter seines Vorgängers Danekelman hatte er sich stets für eine Abschaffung des rheinischen Rechts eingesetzt. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Prozesse sowie das Geschworenenverfahren waren ihm "Reliquien der Kindheit der Rechtsverfassung", die er gleichzeitig als Ausflüsse des revolutionären Umsturzes scharf ablehnte. Bezeichnenderweise führte er "den berüchtigten Marat blutdürstigen Andenkens" als denjenigen an, der sie in Frankreich zuerst vorgeschlagen habe 321 . Schon in seinen ersten Arbeiten für das Ministerium Danekelman machte er deutlich, daß nach seiner Ansicht die französischen Gesetze, wie 1815 geplant, noch vor Abschluß der Revision im Ganzen abzuschaffen und durch die aktuelle preußische Gesetzgebung zu ersetzen seien 322 . Die Mängel der preußischen Gesetzgebung waren für ihn kein Anlaß, die in seinen Augen ebenso mangelhaften französischen Gesetze fortbestehen zu lassen. Als Gesetzrevisionsminister nahm Kamptz eine zweideutigere Haltung ein. Im Zentrum seiner Bemühungen stand das Projekt eines "rheinischen Provinzial319 C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 81. F. Keinemann: Die Ernennung Ruppenthals, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 175 (1973), S. 239, beschreibt den allgemeinen Beifall, den die Entlassung Kamptz als rheinpreußischer lustizminister in den Rheinlanden auslöste. 320 Diesen Vorwürfen, die auch im internen Behördenverkehr eine große Rolle spielten, trat er mit zunehmender Heftigkeit entgegen. Die Gerüchte seien "entweder aus [ ... ] Unwissenheit oder der hämischen, boshaften Absicht, Unzufriedenheit gegen die Regierung zu erregen, ersonnen worden und [hätten] daher nach Maßgabe der Verhältnisse Mitleiden oder Abscheu und rechtliche Strafe verdient"; aus einen Schreiben Kamptz' an den Aachener Oberprokurator (das er auch den übrigen rheinischen Landgerichtspräsidenten und Oberprokuratoren zugehen ließ) vom 19. 11. 1838, in dem er insbesondere bestritt, die Einführung der AGO vorzubereiten; Entwurf dieses Briefes in GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 6166, fol. 271 ff. Ähnliches hat sich nach Stölzel schon 1833 abgespielt: Kamptz hatte sich bei einem Aufenthalt in den Rheinprovinzen über die Möglichkeiten einer Ausdehnung des 1833 reformierten Verfahrens im Mandatsprozeß (Verordnung vom 1. 6. 1833 über den Mandats-, den summarischen und den Bagatellprozeß, Gesetzsammlung 1833, S. 37 ff.) informieren wollen, was sofort Gerüchte um eine bevorstehende Ablösung des rheinischen Rechts aufkommen ließ; A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 506. 321 Zitate nach A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 509. 322 A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 492, mit Verweis auf lustizministerialakten Besitznahme Nr. 8 vol. 2, fol. 63 ff., heute GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 6164, fol. 101 ff. Zu seinen ersten Arbeiten für das Ministerium gehörte eine Denkschrift, in der er Vorschläge für den weiteren Gang der Gesetzrevision unterbreitete. Hier gab er sich als Gegner des rheinisch-französischen Rechts zu erkennen. Entschieden wandte er sich gegen das letzte amtliche Votum Kircheisens, in dem dieser sich für eine Beibehaltung des rheinischen Rechts bis zum Abschluß der Gesetzrevision ausgesprochen hatte. Dazu E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: 1. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 158; A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 492; Votum Kircheisens für das Staatsministerium vom 11. 3. 1825; GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 6164, fo1. 24 ff.; das dagegen gerichtete Votum Kamptz' ebd. fol. 101 ff. Kamptz deutete dabei an, daß das letzte Votum Kircheisens ihm wohl nicht mehr persönlich zuzurechnen sei, sondern auf seine Räte zurückzuführen sei, deren Einfluß er so kurz vor seinem Tod nicht mehr habe entgegentreten können.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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rechts", neben dem das ALR, wie in den anderen Landesteilen auch, subsidiäre Geltung erlangen sollte323 . Obwohl der Minister stets versicherte, gerade das Provinzialrecht biete die Möglichkeit, auf rheinische Eigenarten und den Rheinländern liebgewordene Rechtsinstitute Rücksicht zu nehmen, ist die Zie1richtung des Projektes nicht klar auszumachen. Ausgangspunkt des Vorhabens war natürlich die Abschaffung der französischen Codes in ihrem gesetzgeberischen Zusammenhang, also die Ablösung des geschlossenen französischen Rechtssystems in den Rheinlanden. Was aber an ihre Stelle treten würde, wieviel von den französischen Vorschriften - auch den prozeßrechtlichen - erhalten werden sollte, blieb unklar. Auf jeden Fall mußte sich für Kamptz dieses Recht den allgemeinen, in der gesamten Monarchie geltenden Gesetzen unterordnen: Jeder inhaltliche Widerspruch zwischen dem Provinzialrecht und dem allgemeinen Recht mußte vermieden werden. Allgemeine Rechtsgrundsätze waren seiner Auffassung nach ausschließlich in der allgemeinen Gesetzgebung niederzulegen. Als Provinzialrecht ausgearbeitet und dem rheinischen Landtag vorgelegt wurde dann nur eine Zusammenstellung des alten, noch erhaltenen ostrheinischen Provinzialrechts und ein westrheinisches Provinzialrecht, das auf der Sammlung der wenigen neben dem Code civil angeblich noch lebendig gebliebenen Lokalrechte beruhte. Eine darüber hinausgehende Zusammenstellung der aus dem französischen Recht beizubehaltenden Normen wurde zwar stets angekündigt, aber weder dem rheinischen Provinziallandtag noch dem König je vorgelegt 324 . Inhaltlich stand hinter diesem Vorgehen des Ministers die endgültige Abkehr von dem Konzept der "Verschmelzung" beider Rechtsordnungen, das Beyme ins Leben gerufen hatte und das unter Danckelman, wenn auch in abgeschwächter Form, noch fortgewirkt hatte. Entschieden plädierte Kamptz dafür, die Revision der preußischen Gesetze endgültig von der Frage des Umgangs mit dem rheinischen Recht zu trennen. Das größte Hindernis für die Gesetzrevision stellte für ihn das Bemühen dar, "gewissermaßen eine Amalgamiation beider Gesetzgebungen" zu bewirken. Dies könne nur "ein weder den alten noch den neuen Provinzen zusa323 Allgemein zu diesem Provinzialrechtsprojekt A. Stälzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 500 ff.; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 165 ff.; K.-G. Faber: Rheinlande, S171 ff.; anonym: Kurze Uebersicht über die Revision der Gesetzgebung von 1831 bis 1841, Kalb Bd. 58 (1842), S. 341 ff.; Georg Beseler: Die Justizgesetzgebung unter Friedrich Wilhe1m III., in: Preußische Jahrbücher, 15 (1865), S. 163 ff. ; vgl. aber auch Kamptz' eigene Ausführungen zu diesem Projekt in zahlreichen Berichten an den König und das Staatsministerium, bspw. Bericht vom 27. 9. 1831 an das Staatsministerium und vom 9. 12. 1836 an den König; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8274, fol. 9 ff., 172 ff.; Bericht vom 12. 1. 1831 ebd. Rep 84 a (0), Nr. 6166, fol. 21 ff. und ders.: Aktenmäßige Darstellung der Preußischen Gesetzrevision, Berlin 1842, S. 150 ff. (diese Darstellung ist auch in Kalb, Bd. 60 (1842), S. 1 ff. abgedruckt). 324 Dem König gegenüber stellte er die baldige Einführung des ALR zusammen mit dem Provinzialrecht in Aussicht, ohne daß deutlich wird, wie in einer so kurzen Zeitspanne der französische Rechtsstoff noch in den Provinzialrechtsentwurf hätte eingearbeitet werden können; dazu K.-G. Faber: Rheinlande, S. 172; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 167 f.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

gendes Gesetzbuch" hervorbringen 325 . Statt dessen trat er dafür ein, das preußische Recht weitgehend ohne Rücksicht auf das französische zu reformieren und dann in den Rheinlanden gleichzeitig mit dem Provinzialrecht einzuführen. Auf dem Gebiet des Strafrechts hoffte er, schon das in einer reformierten Fassung vorliegende preußische Strafgesetzbuch einführen zu können. Für das Zivilrecht sah er einer Einführung der betreffenden Teile des ALR nach ihrer Revision keine Hindernisse entgegenstehen, da "es nur sehr wenige und für das Ganze unerhebliche Dispositionen des Code Napoleon seyn werden, deren Beibehaltung u. Aufnahme in das Rheinische Provinzial Recht" die Rheinländer wünschen würden 326 . Eine schonendere Gangart wollte er lediglich auf dem Gebiet des Prozeßrechts einschlagen. Hier sollte die Einführung der unreformierten preußischen Gesetze zunächst noch aufgeschoben werden. Die den Rheinländern so teuren Institutionen sollten, nicht zuletzt aus politischen Überlegungen heraus, vorerst erhalten bleiben 327 . Wie genau die zukünftige verfahrensrechtliche Ordnung jedoch aussehen sollte wird nicht deutlich. Ob sie die rheinisch-französischen Prozeßgesetze übernehmen würde oder ob lediglich, wie Kamptz wenig zuvor angedeutet hatte, dem Landtag Gelegenheit gegeben werden sollte, einige in das Provinzialrecht aufzunehmende prozeßrechtliche Ergänzungen der vorläufig noch ausgesetzten preußischen Verfahrensordnung vorzuschlagen, blieb offen328 . In der rheinischen Bevölkerung jedenfalls wurde dieses Vorgehen nicht als ein Entgegenkommen angesehen, das auf die Bewahrung der "Institutionen" gerichtet war. Daran änderte auch der Umstand nichts, daß Kamptz auf organisatorischem Gebiet eine Stabilisierung der rheinischen Rechtspflege vorantrieb und unter seiner Leitung endlich der lange angekündigte dritte Senat des Appellationshofes eingerichtet und zwei neue Landgerichte eröffnet wurden 329 . Seit 1819 hatte sich die Stimmung in der rheinischen Bevölkerung und der Justiz gewandelt. Wahrend die öffentliche Debatte der Jahre 1816 bis 1818 durch das Bemühen geprägt war, einige Institute des rheinischen 325 Votum Kamptz' für das Staatsministerium vom 27. 9. 1831 , abgefaßt nach einer Reise in die Rheinprovinz; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8274, fol. 9 ff. (Extrakt dieses Votums für die Akten des Justizministeriums). Ähnlich, aber noch nicht so klar, hatte Kamptz diese Gedanken schon in einem Bericht für die Gesetzrevision vom 12. 6. 1831 geäußert; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6166, fol. 21 (Extrakt aus den Akten der Gesetzrevision). 326 So der Bericht an das Staatsministerium vom 27.9. 1838; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8274, fol. 10. 327 So sprach er sich etwa nach einer Reise in die Rheinlande 1831 in einem Bericht für das Staatsministerium für die Beibehaltung der Geschworenengerichte aus: "Bei der entschiedensten Anhänglichkeit der Rheinländer an diesem Institut dürfte, wie mir scheint, die Aufhebung desselben in politischer Beziehung nicht rathsam seyn und auf die treffliche Stimmung der Rheinländer von nachtheiligem Einfluß seyn"; zitiert aus seinem Votum vom 27. 9. 1831; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8274, fol. 11. 328 Zur letzten Alternative Kamptz' Bericht vom 12. 1. 1831 ; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6166, fol. 21 ff. (bes. fol. 26.). 329 E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 167.

III. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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Rechts in das preußische zu retten und die UK schließlich sogar eine Verbindung beider Gesetzgebungen befürwortet hatte, hatte sich in den folgenden Jahren unter dem Eindruck der 1825 aufgenommenen Bemühungen um die Abschaffung des rheinischen Rechts die Ansicht etabliert, das rheinische Recht sei in seiner Gesamtheit und in seinem gesetzlichem Zusammenhang zu erhalten 33o . Diese Ansicht hatte sich bereits in den ersten Verhandlungen des rheinischen Landtages und vor allem in den Petitionen der rheinischen Städte an den Landtag deutlich gezeigt. Darüber hinaus hatten sich insbesondere die rheinischen Handelskammern zugunsten des französischen Rechts als Garant des wirtschaftlichen Wohlergehens der Provinz ausgesprochen 33l . Auch die öffentlichen Stellungnahmen zahlreicher rheinischer Juristen gingen in diese Richtung 332 . Unter den Befürwortern der Beibehaltung des gesamten rheinischen Rechts finden sich Beamte des Kölner Appellationshofes wie Karl Joseph von Mylius und Otto Heinrich Alexander von Oppen sowie der Aachener Landgerichtsrat Bernhard Freiherr Brewer von Fürth333 . In internen von der Regierung angeforderten Gutachten hatten sich auch Daniels und Ruppenthal für die Beibehaltung des rheinischen Rechts ausgesprochen334 . Nach Vorlage der Provinzialrechtsentwürfe im Landtag sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten schlicht dafür aus, die Codes in ihrem gesetzlichen Zusammenhang als rheinisches Provinzialrecht zu übernehmen. Die Abgeordneten nutzten also das Projekt des Ministers, um den Gesamtbestand des französischen Rechts zu sichern. Sie regten lediglich die Übersetzung der Gesetzbücher ins Deut330 Zu diesem Wandel der öffentlichen Meinung K.-G. Faber: Rheinlande, S. 165 ff.; ders.: Recht und Verfassung, S. 14, wo die rheinische Rechtsverfassung unter Berufung auf die Kölner Zeitung von 1842 als "politisches Glaubensbekenntnis" der Provinz bezeichnet wird. Vgl. auch F. Keinemann: Die Ernennung Ruppenthals, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 175 (1973), S. 241 f., wo dieser Wandel am Beispiel der zur Ernennung Ruppenthals gehaltenen öffentlichen Reden und der aus diesem Anlaß erschienenen Zeitungsartikel belegt ist. Schon die Vertreter des rheinischen Landtags in der Kommission zur Einführung des preußischen Rechts von 1827 hatten sich bemüht, das gesamte rheinisch-französische Recht als "provinzielle Besonderheit", auf die nach der Kabinettsorder vom 26. 10. 1826 Rücksicht genommen werden sollte, durchzusetzen; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 161. 33l E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinischen Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 162 f. 332 Zum ganzen K.-G. Faber: Rheinlande, S. 165 ff. 333 Brewer von Fürth: Bemerkungen über die in den Königl. Preußischen Rheinprovinzen noch bestehende Justizverfassung und Gesetzgebung, Aachen 1826; K. J. v Mylius [anonym; Autorenschaft nach K.-G. Faber: Rheinlande, S. 169]: Patriotische Gedanken über die den Königlich-Preußischen Rhein-Provinzen bevorstehenden Reformen in der Gesetzgebung nebst Andeutungen zu einer vergleichenden Kritik des preußischen und französischen Rechtes, Köln 1827; Otto Heinrich Alexander v. Oppen: Vergleichung der Französischen und Preußischen Gesetze, Heft 1-3; Köln 1827/28. Oppen wurde in den vierziger Jahren Mitglied des RKH. 334 E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinischen Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 162 f.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

sche an 335 . Dem kam der König im Landtagsabschied entgegen und genehmigte die Übersetzung und Überarbeitung der französischen Gesetzbücher. Damit war das Provinzialrechtsprojekt Kamptz' gescheitert. Von den neuen Aufgaben der Übersetzung und Überarbeitung der Gesetzbücher wurde Kamptz gegen seinen Protest ferngehalten. Diese Arbeiten wurden einer im Ministerium Mühlers angesiedelten Kommission unter Mitarbeit des neuen Direktors für die rheinischen Justizangelegenheiten, Ruppenthal, übertragen 336 . Zu einer endgültigen Überarbeitung oder auch nur Übersetzung der französischen Gesetzbücher ist es jedoch auch hier nie gekommen. Als Kamptz 1838 eine Reise in die Provinz unternahm, kamen erneut Geriichte auf, er plane die Einführung der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung. Die daraufhin entstehende Unruhe trug ganz entscheidend dazu bei, daß er noch im selben Jahr aus seinem Amt als rheinpreußischer Justizminister entlassen wurde 337 . Im Vergleich mit der Rechtspolitik der Jahre 1818/ 19 erscheint Kamptz geradezu als Antipode Beymes. Zwar arbeitete Beyme auf lange Sicht ebenfalls an der Abschaffung der französischen Gesetzbücher. Die Vorzeichen dieser Arbeiten hatten sich aber grundlegend gewandelt. Für Kamptz ging es nicht mehr um eine Aufnahme von Reformimpulsen des rheinisch-französischen Rechts in das zu reformierende preußische. Vielmehr sollte die französische Gesetzgebung aufgegeben und allenfalls in provinzialrechtlichen Überbleibseln marginalisiert, in ihrer Bedeutung für die preußische Rechtsentwicklung aber gänzlich zuriickgedrängt werden. Wenn Kamptz sich in seiner Amtszeit als Minister auch bei weitem nicht mehr so scharf wie friiher gegen die rheinischen Institutionen aussprach 338 , so ver335 E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: Hansen: Die Rheinprovinz, S. 161, 171; W Schubert: Der Rheinische Provinziallandtag und der Kampf um die Beibehaltung des französisch-rheinischen Rechts, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, S. 139; G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 158 f. 336 Zu dieser Kommission, ihrer Aufgabe und dem Protest Kamptz'; GStA PK Rep 84 11. 2. R Nr. 12, fol. I ff. 337 Vgl. die oben zitierte allgemeine Literatur zur Person Kamptz'. Ausführlich zu diesen Zusammenhängen auch F. Keinemann: Die Ernennung Ruppenthals, in: Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 175 (1973), S. 239 ff. Dort wird ein Votum des Prinzen Wilhelm (vom 30. 11. 1838) zitiert, in dem dieser sich nach einer Rheinreise dringend für die Entlassung Kamptz' aussprach, da dessen Doppelzüngigkeit und Mißwirtschaft in der Bevölkerung aber auch unter den Justizbeamten eine Opposition hervorgerufen habe, die, obwohl an sich sträflich, doch durchaus zu verstehen sei. FundsteIle dieses Votums nach Keinemann: Paul Alfred Merbach (Hrsg.): Wilhelms I. Briefe an seinen Vater, Berlin 1922, S. 132 ff. Speziell zu Gerüchten über Intrigen gegen Kamptz in dem offenbar anonym verfassten Aufsatz: Beleuchtung der Justizverwaltung vor und unter dem v. Kamptz'schen Ministerium. Eine Entgegenung auf die "Materialien", Würzburg 1839, S. 1 ff. 338 Nach einer Reise in die Rheinprovinz revidierte er in einem Bericht an das Staatsministerium 1831 seine vorherigen Urteile teilweise. Er erkannte zumindest die praktischen Vorteile des mündlichen Zivilverfahrens, der Handelsgerichtsbarkeit und des korrektionellen Strafverfahrens an und empfahl eine Beibehaltung für die Rheinlande, ohne jedoch einer

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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weigerte er doch bis zum Ende seiner Arbeit an der Gesetzrevision eine Aufnahme derartiger Institutionen in den preußischen Prozeß. Er versuchte stets, den Einfluß des französischen Rechts auf die preußische Gesetzrevision zurückzudrängen. Noch der 1841 von ihm vorgelegte revidierte Entwurf einer Strafprozeßordnung 339 setzte den geheimen schriftlichen Prozeß ohne Laienbeteiligung fort und hielt dementsprechend auch an gesetzlichen Beweisregeln fest. Unmittelbarkeit des Verfahrens und Trennung von Richter und Anklägerfunktionen blieben "nach dem Vorgange aller deutschen Gesetzgebungen" weiterhin außen vor340 . In den Motiven zu diesem Entwurf wird das mündliche Verfahren als ein der deutschen Zivilisation nicht mehr gerechtes Verfahren gekennzeichnet, das man nur noch "unter den auf der niedrigsten Kulturstufe stehenden Völkerschaften" 341 finde. Ganz ähnlich argumentieren die Motive angesichts der Forderung nach einem Anklageprozeß: "Die Wieder-Einführung des Anklage-Prozesses und eines öffentlichen Anklägers für Kriminal-Verbrechen würde ein so antinationales und so mißliches Unternehmen sein, daß man darauf bei der Revision der Strafprozeß-Ordnung überall nicht hat eingehen können. Aus der Geschichte des Anklage-Prozesses ist bekannt, daß derselbe unter allen Völkern im ersten Zustande der Zivilisation Statt fand, [ ... ]. Jemehr die Gerichtsverfassung und überhaupt die Verfassung und Verwaltung in Deutschland ausgebildet ward [ ... ], desto greller traten die Mängel und Gefahren des Anklageverfahrens hervor und desto mehr sprach auch die öffentliche Meinung sich immer mehr gegen dasselbe aus,,342. Einen nur scheinbaren Widerspruch dazu bildet die Tatsache, daß es Kamptz war, unter dessen Federführung im Zuge der sogenannten transitorischen Gesetzgebung 343 1833 mit der Verordnung über den Mandats-, den summarischen und den Bagatellprozeß vom 1. Juni 1833 344 Grundzüge eines mündlichen Verfahrens

Übernahme in das preußische Recht das Wort zu reden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.98274, fol. 9 ff. 339 Im Druck erschienen als "Revidirter Entwurf der Strafprozeß-Ordnung für die Preußischen Staaten", 2 Teile, Berlin 1841. Der zweite Teil enthält die Motive des Entwurfs. 340 So Kamptz in der Einleitung zu den Gesetzesmotiven. Außerordentlich ausführlich setzt sich die den Motiven vorangestellte Vorbemerkung mit den Argumenten für und wider die Einführung von Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Anklageprozeß auseinander und kommt zu einer Ablehnung dieser Institute. Nur in einigen Ausnahmefällen sollte eine mündliche, nicht öffentliche Schlußverhandlung stattfinden; Revidirter Entwurf, Teil 2 (Motive), S. XXVIII, in: W Schuben/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XXXVIII. 341 Revidirter Entwurf der Strafprozeß-Ordnung für die Preußischen Staaten, Teil 2, S. VII. In der Öffentlichkeit der Strafverfahren sah man die Gefahr, daß eine "Schule des Verbrechens eröffnet" werde, ebd. S. XXXIII. 342 Revidirter Entwurf der Strafprozeß-Ordnung für die Preußischen Staaten, S. LVIII f. 343 Angesichts der Langwierigkeit der Revisionsarbeiten und der geringen praktischen Resultate der Revision ging man unter Kamptz dazu über, den dringlichsten Mängeln der preußischen Rechtsverfassung auf dem Wege der Einzelgesetzgebung abzuhelfen; dazu W Schuben / J.Rege: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11, Teilbd. 1, S. XIX ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische lustizpolitik

in den preußischen Zivilprozeß eingeführt wurden. Mit diesem Verfahren wurde nämlich keinesfalls eine Angleichung an den rheinischen Prozeß erreicht. Abgesehen davon, daß es sich nur auf relativ einfache Rechtssachen erstreckte, bedeutete Mündlichkeit hier lediglich eine mündliche Schlußverhandlung, und von einer Öffentlichkeit dieser Prozesse im Sinne des rheinisch-französischen Verfahrens war keine Rede 345 . Mit der Verordnung blieb Kamptz nicht nur weit hinter dem französischen Recht zurück, sondern ebenso hinter den stark am französischen Recht orientierten Vorschlägen, die die zuständige Gesetzrevisionsdeputation 1827 für eine preußische Zivilprozeßordnung vorgelegt hatte346 .

2. Die Zusammensetzung des Gerichtspersonals Als Kamptz 1830 die Amtsgeschäfte des Justizministers übernahm war die Personalsituation am RKH noch deutlich durch die Politik der vorausgegangenen Jahre gekennzeichnet, die eine Auflösung des Gerichtshofes hatte vorbereiten sollen. Obwohl die Abschaffung des rheinischen Rechts Ende der 20er Jahre wieder in weitere Feme gerückt war, ist das Personal des rheinischen Obergerichts nicht mehr aufgestockt worden. Schon im Dezember 1830 verschlechterte sich die Situation noch weiter: mit Trützschler starb einer der festangestellten nebenamtlichen Richter, zwei der Hilfsrichter, die Räte Scheller und Stelzer, schieden aus dem Kollegium aus. Damit verfügte der RKH Ende 1830, den Präsidenten ausgenommen, nur noch über zwei hauptamtliche, vier festangestellte nebenamtliche Richter und fünf "Hilfsarbeiter,,347. Von den hauptamtlichen Richtern konnte aber Meusebach, "wegen seines schweren Gehörs an den Civilsachen keinen Theil nehmen", d. h. den mündlichen Verhandlungen nicht mehr fOlgen 348 . Die Inhaber der ordentlichen 344

Gesetzsammlung 1833, S. 37 ff. Allgemein zur Bedeutung dieser Verordnung vgl.

W. Schubert/ ].Rege: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11, Teilbd. I, S. XIX ff.

345 Die Verordnung führte lediglich die sogenannte Parteiöffentlichkeit, also eine auf die am Verfahren Beteiligten beschränkte Öffentlichkeitsvariante, ein. 346 Zu diesem Entwurf K. W. Nörr: Reinhardt. Vgl. auch W. Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9, 1. Hbd., S. XVI ff. 347 Oswald und Graun, die unter diesen Beamten mit einer relativ hohen Besoldung noch einen Sonderstatus einnahmen, dann Voigts, Busse und Klenze. 348 Zitiert aus einem Bericht Sethes an den lustizminister vom 14. 12. 1830; GStA PK Rep 97 B I A I gen., fol. 170. Die Schwerhörigkeit machte Meusebach bereits seit Beginn der zwanziger Jahre zu schaffen; A. H. Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben, in: A. Wedler-Steinberg: Hoffmann von Fallersleben. Auswahl in drei Teilen, Teil 3, S. 95. Wie Sethe in seinen Berichten (GStA PK Rep 97 B I A I gen.) wiederholt darlegte, konnte Meusebach nur noch Kriminalsachen bearbeiten, in erster Linie fertigte er die Aktenauszüge in den dem König zur Bestätigung einzureichenden Verurteilungen wegen Kapitalverbrechen an. Darüber hinaus konnte er nur dann in Kriminalsachen beschäftigt werden, wenn die Parteien nicht persönlich auftraten, die Verteidigung auf einen mündlichen Vortrag verzichtete und er selbst das Referat in dieser Sache hatte. In diesen Fällen wurde auch der Vortrag des Generalprokurators für Meusebach schriftlich ausgearbeitet, so daß es zu einer Art schriftlichem Verfahren

111. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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Nebenamtsstellen 349 waren sämtlich in ihren Hauptämtern so ausgelastet, daß Sethe sie immer wieder für längere Zeit von der Bearbeitung der Spruchsachen freistellen mußte. Schließlich verlor der Gerichtshof innerhalb des nächsten Jahres noch zwei Mitglieder der ersten Stunde: Bereits im Juni 1831 starb Fischenich und Blanchard folgte ihm im Januar 183235

°.

In dieser Situation sah Kamptz sich veraniaßt, dem "größesten Bedürfniß" und seiner "pflichtmäßigen Ueberzeugung" folgend, die Neu- oder Festanstellung einer größeren Zahl von Beamten vorzuschlagen 351 . Wenn seine Pläne auch nicht im vollen Umfang genehmigt wurden, so erreichte er doch, daß die Zahl der hauptamtlichen Stellen wieder auf sechs heraufgesetzt und das Hilfsarbeiterwesen eingedämmt wurde 352 . Dies bedeutete eine klare Abkehr von den ständigen Behelfslösungen, mit denen Danckelman operiert hatte, hin zu einer personellen Reorganisation des Gerichtshofes. Diese reicht zwar in ihrem Umfang nicht an die Errichtungsarbeiten Beymes heran, stellt sich aber doch gegenüber der unmittelbar vorangegangenen Zeit als eine "Anstellungswelle" dar. Nachdem der König im März 1831 der Aufstockung des Gerichtspersonals zugestimmt hatte, schlug Kamptz noch im Laufe desselben Jahres eine Gruppe von fünf Juristen zur Anstellung vor. Innerhalb der nächsten zweieinhalb Jahre veränderte sich der Personalbestand des RKH durch NeueinsteIlung von hauptamtlichen Richtern und einen Abbau der Hilfsarbeiterstellen grundlegend. Als Ausgangspunkt einer Untersuchung seiner Personalpolitik können Kamptz' eigene an den König gerichtete Anträge auf Reorganisation des RKH dienen 353 . Folgt man den Ausführungen des Ministers, so war seine Auswahl geprägt von drei wesentlichen Kriterien: der Herkunft der Richter - es sollten wieder "Rheinländer,,354 an den RKH gezogen werden -, dem Vertrauen der rheinischen Bevölkerung in diese Juristen und schließlich einer Zuziehung der Richter zu den Arbeiten kam; vgl. auch GStA PK Rep 97 B I Anhang Nr. 4 (unfoliiert; Akte zur Pensionierung Meusebachs), Eingabe des RKH vom 27. 3. 1843. 349 Savigny, Simon, Fischenich und Eimbeck. 350 GStA PK Rep 97 B I A I gen, fol. 175, 195. Blanchard war noch am 15. 11. 1831 zum Mitglied des Staatsrates ernannt worden; Hans Schneider: Der preußische Staatsrat 18171918, München 1952, S. 87 f. 351 Sein Bericht an den König vom 21. 1. 1831; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 16 ff. 352 In einer Kabinettsorder vom 8. 3. 1831 erklärte der König sich mit den Vorschlägen Kamptz, die vollen Ratsstellen wieder in urspriinglicher Zahl herzustellen und die Hilfsarbei terstellen abzubauen, grundsätzlich einverstanden, gleichzeitig lehnte er jedoch die von Kamptz beantragte Heraufsetzung des für das Gericht zur Verfügung gestellten Personal etats ab; Entwurf dieser Kabinettsorder GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 30. 353 Vor allem die Berichte vom 21.1., 15.4. und 18.6. 1831, in denen er eine Erhöhung der Richterzahl beantragte und konkrete Personalvorschläge machte; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 16 ff.; 32 f.; 40 f. 354 So beispielsweise im Bericht vom 21. 1. 1831; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 23.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

der Gesetzrevision. Der beruflichen Stellung und fachlichen Qualifikation gab er in seinen Berichten keinen Raum mehr, erwähnte sie nicht einmal. Immer wieder riickte er das Vertrauensargument in den Vordergrund, stellte es als den entscheidenden Auslöser der jetzt anstehenden Neubesetzung dar. In seiner bisherigen desolaten Verfassung habe der Gerichtshof weder die laufenden Geschäfte bestreiten noch den Beratungen die angemessene Sorgfalt widmen noch "das volle Vertrauen der Provinz zu ihrem obersten Gerichtshofe begriinden" können 355 . Sehr viel klarer als Beyme stellte Kamptz in seiner amtlichen Korrespondenz die politische Bedeutung dieses Vertrauens und damit das politische Gewicht des RKH heraus: Es sei höchst wichtig, "in den Bewohnern der Rheinprovinzen das Vertrauen und die Achtung für ihre Rechtspflege und insonderheit für ihren obersten Gerichtshof und dadurch zur Regierung überhaupt ungeschwächt zu erhalten und da jener mangelhafte Zustand offen vorliegt neu zu beleben,,356. Er stellte damit eine unmittelbare Beziehung her zwischen dem Vertrauen der Rheinländer in ihr Obergericht und dem Vertrauen auch in die preußische Regierung. Abgesehen von dieser Besonderheit, sind es im Grunde die Kriterien Beymes, die Kamptz - Z.T. bis in einzelne Formulierungen hinein identisch - für die Personalauswahl vorbrachte. Bis 1833 schlug er insgesamt sieben Richter zur Anstellung vor: den Appellationsgerichtsrat Karl August Ferdinand Graun und den Kölner Generaladvokaten Wilhelm Oswald, die schon zuvor aushilfsweise am RKH beschäftigt waren, den Landgerichtsrat Peter Esser, den ehemaligen Koblenzer Oberprokurator August Lombard, den friiheren Advokaten am RKH Heinrich Wilhelm Reinhardt sowie den Appellationsgerichtsrat Christoph von Breuning und den RechtswissenschaftIer August Wilhelm Heffter357 . In den folgenden Jahren wurden dann noch vier weitere Juristen angestellt: 1834 der Justizrat und spätere Finanzminister Franz Duesberg, 1835 der ehemalige Trierer Staatsprokurator Franz Ludwig Jaehnigen, 1836 der Direktor des Ehrenbreitsteiner Justizsenats Anselm Joseph Liel und schließlich 1838 der Jutizministerialrat Wilhelm von und zur Mühlen 358 . Bis auf So im Bericht vom 21. 1. 1831; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 18. GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 22. Weiter führt er hier aus, daß die Bemühungen um eine angemessene Besetzung der Gerichte in den alten Provinzen zu offenkundig seien, um in den Rheinlanden unbemerkt zu bleiben und die Verstärkung des rheinischen Obergerichts die "Dankbarkeit" der Rheinländer gegenüber dem König neu beleben könne. 357 Graun, Esser, Oswald, Lombard und Reinhardt wurden noch 1831 vorgeschlagen, Breuning 1832 und Heffter schließlich 1833; vgl. GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258. 358 Reinhardt, Heffter, Duesberg und von und zur Mühlen wurden als Hilfskräfte an den RKH gezogen. Allerdings wich ihre Stellung sowohl von der Besoldung als auch von der Bezeichnung her von deIjenigen der Hilfsarbeiter der vorangegangenen Jahre ab. Eine durchgängige Terminologie, die diese Stellen von den ordentlichen Ratsstellen abgrenzen würde, scheint nicht zu existieren. Reinhardt wurde mit einer Besoldung von 800 Talern als Hilfsarbeiter fest eingestellt, Heffter zunächst nur zur temporären Aushilfe herangezogen, Duesberg erhielt des Rang eines Geheimen Oberrevisionsrates. In einem Bericht Kamptz' heißt es dazu, eine einfache HilfsarbeitersteIle sei einem Mann wie Duesberg nicht zuzumuten (GStA PK Rep 84 II Tit. 1, Nr. I, vol. I, fol. 189 ff.), von und zur Mühlen wurde schließlich wieder kommissarisch zu Hilfsleistungen herangezogen. 355

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111. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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Duesberg und von und zur Mühlen hatten alle der von Kamptz vorgeschagenen Juristen bereits praktisch mit dem rheinischen Recht gearbeitet. Setzt man sich näher mit den neu hinzugekommenen Juristen auseinander, so stellt sich heraus, daß sich hinter der formellen Annäherung an die ursprünglichen Auswahlkriterien Beymes ein gänzlich anders geartetes rechtspolitisches Konzept verbarg. a) Die rheinische Herkunft der Richter

Das Kriterium der rheinische Herkunft konkretisierte der Minister dahin, daß es sich um Beamte handeln müsse, die sich bereits an rheinischen Gerichten ausgezeichnet und das volle Vertrauen der Bevölkerung erworben hätten 359 . Nur drei der insgesamt elf vorgeschlagenen Beamten waren gebürtige Rheinländer36o . Die anderen waren erst nach 1819 mit dem rheinischen Recht in Berührung gekommen, zum größten Teil stammten sie aus den alten Provinzen und hatten auch ihre praktische Ausbildung dort absolviert 361 . Es fragt sich, ob diese Beamten im Sinne der Bericht vom 15.4. 1831; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 33. Breuning stammte aus Bonn; siehe das "General verzeichnis" der IJK, das Breuning unter der Nr. 72 erfaßt; GStA PK Rep 84 I Nr. 134. Liel stammte aus Koblenz (Nr. 289 desselben Verzeichnisses), er war 1815 von nassauischer Seite zum Rat des Justizsenats vorgeschlagen worden; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 5. Esser stammte vermutlich ebenfalls aus den Rheinlanden. In den eingesehenen Quellen finden sich allerdings keine ausdriicklichen Angaben zu seiner Herkunft. Ein kurzer biographischer Hinweis auf ihn findet sich in Georg Christoph Hamberger/ Johann Georg Meusel: Das Gelehrte Teutschland oder Lexikon der jetzt lebenden teutschen Schriftsteller, 5. Ausgabe, Bd. XXII.2, Lemgo 1831, S. 87. Dort wird er allerdings ohne Angabe eines Geburtsortes als Landgerichtsrat aus Trier geführt. 36\ Zu Reinhardt K. W. Nörr: Reinhardt; W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd.9, I. Hbd. S. XXIV. Der bei Nörr nicht ermittelte Vorname Reinhardts ist hier einer Aufstellung der Anwälte des RKH entnommen; GStA PK Rep 97 B I A I gen, fol. 19. Zu Graun Neuer Nekrolog, Bd. 29, Teil 2, S. 1248, zu Oswald sein Lebenslauf in GStA PK Rep 84 II Tit. I, Nr. I, vol. I, fol. 212 (anläßlich seiner Ernennung zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Breslau 1835). Zu Lombard W. Weisweiler: Geschichte des rheinpreußischen Notariates, Bd. 2, S. 323 f.; M. Bär: Behördenverfassung, S. 447. Zu Heffter ein mit "L." gezeichneter Artikel in der ADB; Bd. 11, S. 250 ff.; E. Landsberg/R. Stinzig: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, 3. Abt. 2. Hbd. S, 298 ff. und 2. Hbd. (Noten), S. 132 f. Zu Duesberg, Jaehnigen und von und zur Mühlen s. das Verzeichnis der vortragenden Räte des Justizministeriums bei A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. I, S. XXXVIII f. Zu Duesberg und Jähnigen auch W. Schuben/ J. Regge: Gesetzrevision, I. Abt. Bd. 4, I. Hbd., S. XIV f. Duesberg, der schon vor seinem Eintritt ins Ministerium Kamptz' im Finanzressort gearbeitet hatte, war von 1846 bis 1848 preußischer Finanzminister; vgl. auch H. Hüffer: ADB, Bd. 5, S. 450 f. Über Jähnigen, der nach der Vereinigung von Obertribunal und RKH Vizepräsident des Obertribunals wurde, F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 451 f. Duesberg und von und zur Mühlen stammten zwar aus Westfalen, hatten dort aber nicht mehr praktisch mit dem französischen Recht gearbeitet. Duesberg hatte zumindest theoretische Kenntnisse dieses Rechts, die er möglicherweise über seine Mitarbeit bei der Gesetzrevision erworben hatte; Bericht Kamptz' und Mühlers an den König vom 13.11. 1834 GStA PK Rep 84 II Tit. I, Nr. I, vol. I, fol. 190. 359

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12 Seynsche

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

oben für die Darstellung der Beymeschen Arbeiten eingeführten Terminologie als "Rheinische" Juristen eingeordnet werden können. Auch dort wurde neben der territorialen Herkunft die bisherige berufliche Bindung an die Rheinlande als Zuordnungskriterium benutzt. Es wurden Personen als "rheinische Juristen" eingeordnet, die, wie der aus Sachsen stammende Meusebach, schon in den vorangegangenen Jahren mit den französischen Recht gearbeitet hatten 362 . Wenn man einmal von Reinhardt absieht, der noch gar nicht in den Rheinlanden, sondern nur in Berlin am RKH gearbeitet hatte 363 , so müßte man nach der oben verwandten Terminologie auch die von Kamptz angestellten Richter altpreußischer Herkunft als "rheinische" Juristen bezeichnen können. Dennoch weisen die Anstellungen der 30er Jahre Abweichungen gegenüber 1819 auf, die es erforderlich machen, mit einer veränderten Terminologie zu arbeiten. Die Anstellung von "rheinischen" Juristen, die nicht aus den Rheinlanden gebürtig waren, war unter Kamptz nicht mehr eine Ausnahme, sondern wurde zur Regel. Dariiber hinaus hatten die für 1819 den rheinischen Juristen zugeordneten Richter sämtlich schon unter französischer Herrschaft gearbeitet und das französische Recht in französischer Zeit angewandt. Dies traf auf die jetzt von Kamptz vorgeschlagenen Personen nicht zu, da sie erst nach 1819 in die Rheinlande versetzt worden waren. Es erscheint daher notwendig einen weiteren Begriff in die Terminologie einzuführen, den des "rheinischen" Juristen altpreußischer Herkunft. Im folgenden wird differenziert werden zwischen altpreußischen Beamten, "rheinischen" Beamten altpreußischer Herkunft und rheinischen Beamten, d. h. gebürtigen Rheinländern. Die Anstellung von sieben ,,rheinischen" Juristen altpreußischer Herkunft verschaffte einer Gruppe von Juristen am RKH ein großes Gewicht, die unter den Juristen des Rheinlandes selbst in der Minderheit war. Gerade die Geschlossenheit des französischen Rechtssystems hatte dazu geführt, daß der Justizapparat der Rheinprovinz nur zu einem geringen Prozentsatz mit Juristen aus anderen preußischen Provinzen durchsetzt war; er wurde von den Einheimischen dominiert. Wahrend sich die preußische Richterschaft insgesamt durch große Mobilität auszeichnete und zumindest Obergerichtslaufbahnen ständige Versetzungen mit sich brachten, blieben die rheinischen Richter zumeist im heimischen Justizdienst. Dementsprechend wenig Stellen konnten aber auch durch Beamte aus den alten Provinzen besetzt werden 364 . Indem Kamptz für die Besetzung des rheinischen Obergerichts Kapitel C I 2 a). Reinhardt stammte aus Westfalen, hatte zunächst als Richter im Königreich Westfalen gearbeitet und wurde 1819 als lustizkommissar an das Kammergericht versetzt. Im gleichen Jahr nahm er auch seine Tätigkeit als Anwalt am RKH auf. 364 Zur großen personellen Kontinuität innerhalb der rheinischen Justiz nach dem Ende der französischen Herrschaft K.-G. Faber: Verwaltungs- und lustizbeamte auf dem linken Rheinufer während der Franzosenherrschaft. Eine personalgeschichtliche Studie, in: Aus Geschichte und Landeskunde. Festschrift für Franz Steinbach, Bonn 1960, S. 381; J. Hansen: Gustav von Mevissen. Ein rheinisches Lebensbild. 1815 -1899, Bd. 1, Berlin 1906, S. 215. Zur Mobilität der preußischen Richter und zu den abweichenden Verhältnissen in der Rheinprovinz C. v. Hodenberg: Die Partei der Unparteiischen, S. 117 f. 362 363

111. Die ..Neugrundung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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gerade auf diese Juristen in so großem Umfang zurückgriff, verwässerte er das Herkunftskriterium vollends. b) Das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung

Das Vertrauensargument, dem Kamptz in seinen Berichten breiten Raum gab, erscheint ebenfalls fragwürdig. Wahrend 1819 solche Richter an den RKH gezogen worden waren, die noch unmittelbar vor ihrem Wechsel nach Berlin an rheinischen Gerichten gearbeitet und so bis zu ihrer Berufung in direktem Kontakt zur Bevölkerung gestanden hatten, war dies in den 30er Jahren lediglich bei drei Richtern der Fall. Nur Esser, Breuning und Liel - die Richter, die auch tatsächlich rheinischer Herkunft waren - wechselten aus einem rheinischen Gericht an den RKH. Die übrigen hatten schon seit mehreren Jahren nicht mehr in den Rheinlanden gearbeitet. Lombard beispielsweise war Ende der zwanziger Jahre zu den Gesetzrevisionsarbeiten zugezogen worden, und Heffter hatte überhaupt nur von 1820 bis 1823 an rheinischen Gerichten gearbeitee 65 . Oswald, Graun und Reinhardt, waren seit mehreren Jahren am RKH beschäftigt. Diese Tatigkeit war mangels unmittelbaren Kontakts zu den Gerichtseingesessenen aber wenig geeignet, persönliches Vertrauen aufrechtzuerhalten oder zu begründen. Hinzu kommt noch, daß drei der von Kamptz eingestellten Richter, nämlich Oswald, Lombard und schließlich Jaehnigen, aus dem öffentlichen Ministerium der Rheinlande stammten. Dies muß nicht zwangsläufig, kann aber das Vertrauen in diese Beamten beeinträchtigt haben. Das öffentliche Ministerium war das Organ der Regierung und unterstand unmittelbar dem Justizminister. Sehr viel eher und sehr viel früher als im Richterapparat achtete die Regierung auf die Anstellung politisch zuverlässiger Beamten in diesem Bereich. So wurden offenbar gerade hier bevorzugt Altpreußen und Beamte protestantischen Bekenntnisses angestelle 66 • 365 1820 war er nach einer Ausbildung im altpreußischen Justizdienst als Assessor in den Appellationsgerichtshof eingetreten, 1822 wurde er zum Rat des Düsseldorfer Landgerichts ernannt und schon 1823 erhielt er eine ordentliche Professur an der Universität Bonn und legte das Richteramt nieder. Auch Jaehnigen hatte vor seiner Berufung zuletzt nicht mehr an einem rheinischen Gericht, sondern als Regierungsrat gearbeitet; Schreiben des Königs an Kamptz und Mühler vom 29. 4.1835 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 1 c. 366 Eine Untersuchung der Stellenbesetzungspraxis der preußischen Regierung für das öffentliche Ministerium fehlt bisher. Allgemein zur rheinischen Staatsanwaltschaft Heinrich Schweichel: Vom .. ministere public" zur Staatsanwaltschaft, in: J. Wolffram/ A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 265, der aber diesen Punkt nicht berührt. Hinweise auf derartige Auswahlgesichtspunkte finden sich jedoch in den für die vorliegende Arbeit durchgesehenen Akten. Bereits 1819, bei der Besetzung der rheinischen Justizämter stellte der damalige Präsident der HK, Sethe, die politische Bedeutung des öffentlichen Ministeriums und insbesondere der Stelle des Generalprokurators am Appellationshof heraus: Sie könne ..nur einem Manne anvertraut werden, auf dessen Anhänglichkeit und Treue sich das Gouvernement fest verlassen und vertrauen darf'. Auf diese ..für das preußische Gouvernement so gefährliche Stelle" dürfe kein politisch unzuverlässiger Beamter gelangen. Weiter heißt es dort: ..ErstIich muß derselbe Protestant seyn, damit er im Geiste der preußischen Regierung 12*

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Der Rückgriff auf "rheinische" Juristen altpreußischer Herkunft hatte aber noch weitere Einschränkungen zur Folge: Der Gedanke einer gleichmäßigen Repräsentation der verschiedenen alten rheinischen Partikularrechte wurde aufgegeben und es wurde weitgehend auf die Kenntnis des komplexen Systems des intermediären französischen Rechts, verzichtet. Da jedoch beide Normgruppen auch in den 30er Jahren noch Aktualität besaßen, wird an diesem Punkt deutlich, daß die Einstellung "rheinischer" Beamten keineswegs mehr gleichzusetzen ist mit einem Eingehen auf die Bedürfnisse der rheinischen Rechtsprechung 367 . Mit Blick auf die Unabhängigkeit des Gerichtshofes ist noch ein weiterer Gesichtspunkt aufzugreifen: die Beschäftigung von Beamten, die zugleich in einem der beiden Justizministerien arbeiteten. Nachdem die Grundlage zu diesen DoppelansteIlungen bereits unter Beyme gelegt worden war, hatte man sie auch unter seinen Nachfolgern beibehalten. Kamptz weitete das Nebeneinander von Anstellungen in Judikative und Exekutive noch aus. In den 30er Jahren standen immer etwa die Hälfte aller Richter zugleich in dienstlichen Unterordnungsverhältnis zu den Ministern. Drei der sieben bis 1833 vorgeschlagenen Richter waren als Räte im Gesetzrevisionsministerium beschäftigt368 . Darüber hinaus waren von den etablierten Mitgliedern des RKH immer noch zwei, Simon und Eimbeck, hauptamtlich im Justizverwaltungsministerium tätig, und die vier ab 1834 angestellten Richter waren sogar sämtlich Mitarbeiter der Justizministerien 369 . Zu einer gesetzlichen Regelung der Zulässigkeit dieser Anstellungen, wie Beyme sie vorgesehen hatte, ist es nicht mehr gekommen. Die Arbeiten Kamptz' lassen keinerlei Problembewußtsein in dieser Hinsicht erkennen. Die Zulässigkeit solcher Anstellungen wurde vom Ministerium offenbar als selbstverständlich vorausgesetzt. In den Rheinlanin Beziehung auf die verschiedenen Confessionen handle, daß er zur gleichen Zeit zu geben und zu nehmen wisse, daß er immer vernünftige Toleranz übe, aber auf fanatische Regungen und hierarchische Anmassungen mit Kraft und Nachdruck begegne und die Rechte des Landesherm bewahre."; GStA PK Rep 84 I Nr. 132, fo!. 3 ff. Weitere allerdings zeitlich spätere Beispiele für eine besondere politische Kontrolle des öffentlichen Ministeriums sind die Fälle des Kölner Generalprokurators Berghaus (dazu unten Kapitel C IV 3) und des Koblenzer Oberprokurators Leue; dazu K.G. Faber: Rheinlande, S. 185. Leue wurde 1846 wegen seiner Schrift über das Geschworenengericht und seines öffentlichen Protestes gegen das Verbot dieser Schrift vom öffentlichen Ministerium in eine Ratsstelle am Appellationshof versetzt. Der Justizminister Uhden legte in einer internen Begründung dar, daß ein Mann, der eine so gemeingefährliche Schrift veröffentlicht habe, bewiesen habe, daß er sich nicht als Wachter des Gesetzes eigne. Zum Einsetzen einer politischen Gesinnungskontrolle gegenüber den Richtern nach den Karlsbader Beschlüssen, die jedoch erst in den 30er Jahren an Intensität zunahm, C. v. Hodenberg: Die Partei der Unparteiischen, S. 135 ff. Zur Berücksichtigung der Konfession bei der Stellenbesetzung innerhalb des Verwaltungsapparates H. Romeyk: Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, S. 28 f. 367 Sethe und Eichhorn forderten mit Blick auf die immer noch häufigen Fälle, in denen diese Rechte eine Rolle spielten, die Anstellung rheinischer, mit diesen Rechten vertrauter Beamter; vg!. v.a. den Bericht vom 14. 12. 1830; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fo!. 167 ff. 368 Os wald, Lombard und schließlich Heffter. 369 Duesberg, Jaehnigen, Liel und von und zur Mühlen.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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den dagegen war gerade die enge Verbindung des Gerichts zu den Ministerien ein Faktor, der das Vertrauen in den Gerichtshof nur schmälern konnte. Dies zeigen Äußerungen, rheinischer Landtagsabgeordneter in den 1833 einsetzenden Verhandlungen um eine Neuorganisation der rheinischen Justiz. Einer der Abgeordneten beantragte in der Sitzung vom 16. Dezember 1833, der Landtag möge wegen der zu großen Zahl von vier Ministerialbeamten unter den neun Richtern um Abhilfe bitten, da die Unabhängigkeit der Justiz hier gefährdet werde 37o . In dem Antrag des Trierer Bürgermeisters von Haw, der dieser Sitzung zugrunde lag, heißt es: "Der Grundsatz der Trennung der gesetzgebenden von der richterlichen Gewalt ist in der Rheinischen Legislation allenthalben durchgreiffend, er ist verletzt, wenn Beamte des Ministeriums, die als solche nicht ohne Theilnahme sind an der Confeetion [?] der Gesetze die practische Anwendung derselben, als richterliche Behörde, regulieren,,37!. Wie wenig Gewicht dem Vertrauensargument insgesamt zuzumessen ist, läßt sich auch anhand der publizistischen Stellungnahmen der Richter deutlich machen. Aus der Gruppe der bis 1833 Vorgeschlagenen hatten August Wilhelm Heffter und der Koblenzer Oberprokurator August Lombard Schriften zur Frage des rheinischen Rechts verfaßt 372 . Beide sprachen sich grundsätzlich für die Einführung des Allgemeinen Landrechts und des revidierten preußischen Strafgesetzbuches, also zugunsten der Übernahme des materiellen preußischen Rechts aus. Lombard rechtfertigte dabei unter anderem das gestaffelte Strafsystem der preußischen Gesetzentwürfe. Dieses Strafsystem beruhte auf der in den Rheinlanden seit langem abgeschafften Differenzierung der Strafarten nach der sozialen Herkunft der Delinquenten, brachte also insbesondere Instrumente wie Priigelstrafe und Festungshaft mit sich 373 . Dies konnte in den Rheinlanden angesichts der dort geltenden Rechtsgleichheit, die im Zusammenhang der Institutionen in beinahe verfassungsgleichen Rang erhoben worden war374 , kaum auf irgendwelche Sympathien stoßen375 . Für 370 Protokoll dieser Sitzung in ALVR, Nr. 272, fo1. 355 ff. Antrag Haws vorn 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521 (unfoliiert). 371 Antrag Haws vorn 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521 (unfoliiert). 372 August Lombard: Über die bevorstehende Veränderung der Gesetze in den Königlich Preußischen Rheinprovinzen; Koblenz Neujahr 1827. August Wilhelm Heffter: Gedanken über die Einführung der allgemeinen preußischen Gesetzgebung in den preußischen RheinProvinzen, Bonn 1827. 373 A. Lombard: Veränderung, S. 14 f. 374 K.-G. Faber: Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970. 375 Noch bis zum Ende der vierziger Jahre - lange nach Abschluß des eigentlichen Kampfes um das rheinische Recht - war es gerade das Projekt eines von diesem Grundmuster ausgehenden gemeinsamen Strafgesetzbuches, das erbitterten Widerstand hervorrief. Dieser äußerte sich auch innerhalb des rheinischen Landtags. Zur Auseinandersetzung um das Strafgesetzbuch, die sich gerade an den Fragen des gestaffelten Strafsystems entzündete, K.-G. Faber: Rheinlande, S. 175 ff. Zu den Arbeiten an einern Strafgesetzbuch in den dreißiger Jahren W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt. Bde. 3 und 4.; Gustav Croon: Der

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

das Prozeßrecht befürwortete Lombard allerdings die Aufnahme einiger der rheinischen Einrichtungen, wie der Mündlichkeit der Prozesse, der rheinischen Kassation und des öffentlichen Ministeriums in Zivil- und Strafsachen. Andererseits sprach er sich jedoch gegen die Geschworenengerichte aus und stellte die Öffentlichkeit der Prozesse als entbehrlich dar376 . Damit unterschied er sich inhaltlich zwar nicht so sehr von dem, was einer der 1819 angestellten Richter, nämlich Reibnitz, in seinem "Ideal einer Gerichtsordnung" 1815 geäußert hatte 377 , dennoch sind die beiden Schriften nicht gleichzusetzen. Lombard kannte, als er seine Schrift verfaßte, das rheinische Recht sehr viel besser als Reibnitz, der seine Ansicht später zugunsten des französischen Rechts revidierte 378 . Überdies sollte Lombard nach Kamptz' Konzept als Vertreter des rheinischen Rechts an den RKH gelangen, während Reibnitz als 1819 "Altpreuße" eingestellt worden war. Die Stellungnahme Heffters 379 war mehr noch als die Schrift Lombards politisch motiviert, sie räumte der staatlichen Rechtseinheit den unbedingten Vorrang vor der Erhaltung des rheinischen Rechts ein. Anders als Lombard befürwortete Heffter die vorgezogene Einführung auch schon des unrevidierten preußischen Rechts: "bis auf den Uebelstand, daß man in den hiesigen Provinzen in kurzer Zeit hintereinander vielleicht eine zweifache Redaction der Gesetzbücher sich anschaffen müßte, [kann] die noch unbeendigte Revision nur als ein kleines Hinderniß angesehen werden,,38o. Damit kam Heffter der Position Kamptz' sehr entgegen. Auch wenn er auf dem Gebiet des Prozeßrechts ganz ähnlich wie Lombard einige InstiRheinische Provinziallandtag, S. 160 ff.; W. Schuben: Der Rheinische Landtag und der Kampf um die Beibehaltung des französisch-rheinischen Rechts (1826-1845), in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 141 ff. 376 Dies betont er besonders für Strafsachen. In Zivilsachen hält er der Öffentlichkeit mit Blick auf eine ehrliches Geschäftsgebaren eine gewisse Abschreckungswirkung auf die um ihren Kredit besorgten Kaufleute zugute, bestreitet jedoch, daß von der Öffentlichkeit der Prozesse - wie so oft behauptet - eine wirksame Kontrolle der Gerichte ausgehen könne. Auf jeden Fall aber sei das Vorurteil gegen die Öffentlichkeit gerade der Zivilprozesse in den alten Provinzen so groß, daß die Rheinländer allenfalls hoffen könnten, sie als Provinzialrecht behalten zu dürfen; A. Lombard: Veränderungen, S. 21 ff. 377 Siehe oben Kapitel C I 2 b) dd). 378 So sprach er sich schon 1821 in einer kleinen Schrift für die Übernahme der Friedensgerichtsbarkeit aus, während er im "Ideal" noch - gestützt auf Erfahrungen aus dem ehemaligen Herzogtum Warschau - deren Abschaffung gefordert hatte. Diesen Wandel erklärt er selbst mit den positiven Eindrücken, die ihm aus dem Kontakt mit der rheinischen Variante der Friedensgerichte erwachsen seien; E. W. v. Reibnitz: Ueber Friedensgerichte in der Preußischen Monarchie, Berlin 1821, S. 3. In derselben Schrift spricht er sich auch für die Übernahme weiterer französischer Institute aus: Er befürwortet ausdrücklich mit Hinweis auf seine Erfahrungen in den Rheinlanden den Familienrat (S. 21), das öffentliche Ministerium und das öffentliche Gerichtsverfahren (S. 75 f.). 379 A. W. Heffter: Gedanken. 380 A. W. Heffter: Gedanken, S. 11.

111. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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tutionen, wie die Mündlichkeit, eine eingeschränkte Öffentlichkeit und eine modifizierte Geschworenengerichtsbarkeit, befürwortete, war seine Arbeit keinesfalls geeignet, die Sympathien der Rheinländer zu gewinnen. Er redete dem inquisitorischen preußischen Zivil verfahren der AGO das Wort, da nach diesem das Ziel des Zivilprozesses "eben so wohl und sogar in der Regel immer besser erreicht wird, als nach den Maximen des französischen Prozesses,,381. Darüber hinaus rechtfertigte er die im preußischen Strafrecht vorgesehene Möglichkeit einer Verdachtsstrafe und sprach sich ausdrücklich für ein politisches Strafrecht aus, das von dem "natürlichen", unpolitischen zu trennen sei 382 . Er befürwortete die gesonderte Verfolgung und Aburteilung politisch eingestufter Straftaten und rechtfertigte damit indirekt die - im Zuge der Karlsbader Beschlüsse erfolgte und später von Kamptz bestätigte - Ausschließung politischer Straftaten aus der Zuständigkeit der rheinischen Justiz 383 . Als ebenso prekär mußte für das rheinische Publikum seine spätere Beschäftigung mit der Revision des preußischen Strafrechts bzw. dem Entwurf eines gemeinsamen Strafrechts erscheinen 384 . Hatten 1819 die Publikationen der rheinischen Richter des RKH noch ganz überwiegend auf der Linie der öffentlichen Meinung gelegen, so kann man gerade dies mit Blick auf die Schriften Heffters und Lombards nicht mehr sagen. Die Stimmung in den Rheinlanden hatte sich spätestens seit 1825 mehr und mehr in Richtung einer Erhaltung nicht nur einzelner französisch-rechtlicher Einrichtungen, sondern des ganzen Systems der französischen Gesetzgebung entwickelt385 . Das bedeutet, daß Kamptz mit Lombard und Heffter die Exponenten einer Auffassung an den RKH berief, die in den Rheinlanden selbst in der Minderheit war, die aber mit seinen eigenen Absichten korrespondierte. Obwohl Kamptz im Gegensatz zu Beyme fast ausschließlich Juristen vorschlug, von denen er behauptete, daß sie das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung besäßen 386, verlor dieses Kriterium gegenüber der Arbeit Beymes stark an Gehalt. Es erscheint nur schwer vorstellbar, daß das Gericht in der Zusammensetzung der frühen dreißiger Jahre wesentlich zur Identifikation der Rheinländer mit dem preußischen Staat beitragen konnte. Eher dürften die Neubesetzungen geeignet gewesen sein, die Furcht vor einer baldigen Abschaffung der französischen Gesetze aufrechtzuerhalten.

381

A. W Heffter: Gedanken, S. 21.

382

A. W Heffter: Gedanken, S. 29, 31 ff.

Speziell dazu unten Kapitel E IV 2. Er war seit 1832 als Hilfsarbeiter im Gesetzrevisionsministerium angestellt und unter anderem mit der Revision des Strafgesetzbuches beschäftigt; Bericht Kamptz' an den König vorn 7. 8. 1834 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 132. Zu diesem Strafgesetzentwurf W Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 3. 385 Zu diesem Wandel der öffentlichen Meinung oben Kapitel C 111 1, m. w. N.; hier sei nur beispielhaft verwiesen auf K.-G. Faber: Rheinlande, S. 165 ff.; ders.: Recht und Verfassung, S. 14. 386 Nur zwei der Hilfsarbeiter hatten zuvor noch keinen Kontakt zur Praxis des rheinischen Rechts gehabt: Duesberg und der erst 1838 berufenen Justizrat von und zur Mühlen. 383

384

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

c) Die Mitarbeit an der Gesetzrevision

Die Tendenz zur Umkehrung der ursprünglich von Beyme aufgestellten Auswahlkriterien zeigt sich noch deutlicher anhand des Kriteriums der Eignung der Juristen zur Mitarbeit an der Gesetzrevision. Beyme hatte 1819 den gesamten Besetzungsplan wesentlich auf diese "legislative Tätigkeit" des Gerichtshofes ausgerichtet. Sie war für ihn der Beweggrund gewesen, neben den Rheinländern auch Altpreußen an den RKH zu ziehen. Durch die Arbeit mit dem für sie fremden Recht und den unmittelbaren Kontakt mit rheinischen Kollegen, sollten diese Juristen in den Stand gesetzt werden, Vor- und Nachteile des rheinisch-französischen Rechts zu beurteilen und den Vergleich zum preußischen Recht zu ziehen. Über ein komplexes System haupt- und nebenamtlicher Anstellungen sollte der Gerichtshof zur Verbreitung der französischen Rechtsgrundsätze in preußischen Justizkreisen beitragen. Diese Kontakte zu allen Zweigen der preußischen Gerichtsbarkeit, deren Bandbreite schon in der Zeit zwischen 1820 und 1830 gelitten hatte, schränkte Kamptz noch weiter ein. Mit den Räten Voigts und Busse wurden die letzten Richter entlassen, die im Hauptamt an anderen preußischen Gerichten beschäftigt waren 387 . Die anstehende Entlassung Busses nahm der Gerichtshof zum Anlaß, energisch gegen diese Personalpolitik zu protestieren. Sethe knüpfte dabei erneut an die ursprüngliche Konzeption Beymes an und setzte sich mit dem Hinweis zur Wehr, "daß es bei der Konstituierung des Kassationshofes die Tendenz gewesen war, eine mannigfache Intelligenz darin zu vereinigen und dadurch u. a. die Jurisprudenz des Geheimen Obertribunals mit der des Revisions- und Kassationshofes in Verbindung zu bringen ,,388. Der Kontakt zur Rechtswissenschaft wurde verringert, als 1833 der Professor Klenze entlassen wurde. Er war zugleich der letzte Richter, der die Praxis des französischen Rechts erst über seine Tätigkeit am RKH kennengelernt hatte. Die "Breitenwirkung" des am RKH praktizierten französischen Verfahrens wurde also erheblich eingeschränkt. Der Kontakt zu anderen juristischen Berufsfeldern konzentrierte sich - sieht man einmal von Savigny als noch verbliebenem Vertreter der Rechtswissenschaft ab - einzig auf die Verwaltungsjuristen, die Beamten des Justizministeriums. Anders als 1819 handelte es sich bei den neu hinzugekommenen Richtern dieser Kategorie jedoch um Juristen, die bereits zuvor praktisch mit dem rheinischen Recht gearbeitet hatten. Es ging also nicht mehr darum, altpreußische Juristen mit einem ihnen bisher unbekannten Recht vertraut zu machen und Vorurteile abzubauen. 387 Voigts wurde 1831, Busse 1833 entlassen. Später zog Kamptz nur noch ein einziges Mal für die kurze Zeit einer Bade- und Kursaison ein Mitglied des Obertribunals, den Rat Oppermann, zur Aushilfe heran. Er sollte nur dann einspringen, wenn die gesetzliche Mindestzahl von sieben Votanten nicht erreicht wurde; aStA PK Rep 97 B IA 3 (unfoliiert), Reskript Kamptz' an den RKH vom 16. 6.1834. 388 Bericht vom 16. 11. 1832; aStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 82.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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Die Richter, über die Kamptz die Verbindung zur Gesetzrevision aufrechterhalten wollte, hatten nicht nur praktisch mit dem rheinischen Recht gearbeitet, sondern waren auch seit mehreren Jahren in die Arbeiten der Gesetzrevision involviert. Er zog also nicht die Richter des Kassationshofes zu den Gesetzrevisionsarbeiten hinzu, sondern brachte umgekehrt Mitarbeiter der Gesetzrevision an den Gerichtshof. Zu diesen Juristen hatte er bereits zuvor persönlichen Kontakt gehabt, da er selbst seit 1825 ständig an den Revisionsarbeiten in leitender Stellung beteiligt war. Aus diesen Ämtern waren ihm sowohl die Mitglieder der einzelnen Gesetzrevisionsdeputationen als auch die Beamten der ehemaligen Kommission zur Einführung des preußischen Rechts in den Rheinlanden bekannt389 • So gelangte mit Reffter ein Mitglied der leitenden Gesetzrevisionskommission an den RKH, das zudem noch im Justizministerium an der Revision des preußischen Strafrechts mitarbeitete. Reinhardt und Duesberg hatten zur Zeit Danckelmans verschiedene Gesetzrevisionsdeputationen geleitee9o . Oswald und Lombard hatten bereits 1827 der Kommission angehört, die die Einführung des preußischen Rechts in die Rheinlande prüfen sollte, und waren auch nach Abschluß der Kommissionsarbeiten weiter an den Arbeiten der Gesetzrevision beteiligt worden 391 • Zwar hatte sich die Kommission, darunter auch Lombard 392 , 1827 gegen eine vorgezogene Einführung des unrevidierten preußischen Rechts ausgesprochen, dennoch befürwortete sie eine Reform des preußischen Rechts, die den Gedanken des französischen Rechts nur wenig Raum bot. Mit dem Direktor des Justizsenats Ehrenbreitstein, Lie1, stellte Kamptz schließlich einen Beamten ein, der an der Umsetzung seines Provinzialrechtsprojektes beteiligt war. Lie1 hatte an der Redaktion des ostrheinischen Provinzialrechts mitgearbeitet. Der Minister schätzte seine "Gesinnung und Geschicklichkeit" besonders 393 . Der RKR wurde also mit Richtern besetzt, die seit 389 Eine solche Bekanntschaft ließ sich aus dem eingesehenen Quellen material für die an der Revision nicht beteiligten Richter, Esser und Breuning, nicht belegen. Allerdings hat Kamptz ebenso wie Beyme während seiner Amtszeit verschiedene Reisen in die Rheinprovinz unternommen und dort auch den Kontakt zu Justizpraktikern gesucht, so daß ein vorangegangener Kontakt auch mit diesen Juristen möglich scheint. Zu den Reisen Kamptz' A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 500 ff. Ein Bericht Kamptz' über seine Erfahrungen während einer dieser Reisen in GStA PK Rep 84 (2.5.1.) Nr. 8274, fo!. 9 ff.; vg!. auch GStA PK Rep 84 11, Tit. 1, Nr. 1, vo!. I, fo!. 123 ff. 390 W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVII. 391 Vg!. E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 161. 392 Lombard geht in diesem Votum von einem baldigen Abschluß der Revisionsarbeiten aus und plädiert deshalb gegen eine vorgezogene Einführung des preußischen Rechts. Nicht unerheblichen Raum nehmen dabei auch die wirtschaftlichen Nachteile einer zweimaligen Umstellung des Rechtssystems für die Rheinlande ein; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6164, fo!. 351 ff. 393 Schreiben Kamptz' und Mühlers vom 10. 6. 1836; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fo!. 5. Das Zitat aus der Benachrichtigung an Liel; GStA P Rep 84 11 Tit. 1, Nr. 1, vo!. I, fo!. 174. Ähnliches findet sich auch zur Anstellung Jaehnigens; gemeinsamer Bericht der Justizminister an den König vom 15.4. 1835 ebd. fo!. 213 f.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

1827 an der Ablösung des rheinischen Rechts arbeiteten und von denen einige sich auch gegen die Aufnahme zentraler französischer Einrichtungen in die Gesetzrevision ausgesprochen hatten 394 . Insgesamt hatten sich unter dem Einfluß Kamptz' die Vorzeichen des ursprünglich Beymeschen Auswahlkriteriums der Eignung für die Gesetzrevision grundlegend gewandelt.

d) Zusammenfassung

Kamptz verwandte die 1819 aufgestellten Besetzungskriterien, verband damit aber eine vollkommen andere rechtspolitische Zielsetzung als Beyme. Das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung zu diesen Juristen wurde zu einem nur noch formalen Kriterium. Angesichts der oft lange zurückliegenden Tätigkeit in den Rheinlanden oder sogar einer öffentlichen Stellungnahme gegen das rheinische Recht, entbehrte es in den meisten Fällen jeder Berechtigung. Es ging Kamptz auch nicht mehr darum, über eine entsprechende Besetzung des Gerichtshofes die Kenntnis des französischen Rechts zu verbreiten und die Erfahrungen der Rechtspraktiker in die Gesetzrevision aufzunehmen. Stattdessen wurden Juristen am RKH beschäftigt, die ohnehin schon an den Gesetzrevisionsarbeiten beteiligt waren und die über die geänderte Ausrichtung dieser Arbeiten seit 1825 bereits an einer vorgezogenen Abschaffung des rheinischen Rechts arbeiteten. Der RKH sollte nicht mehr genutzt werden, um die Anschauung der Praxis des französischen Rechts zu verbreiten. Juristen altpreußischer Herkunft, die das französische Recht noch nicht kannten, stellte Kamptz nicht mehr ein. Zugleich verringerte er die Kontakte des RKH zur altpreußischen Justiz. Auch Kamptz richtete also sein Besetzungskonzept auf die Zwecke der Gesetzrevision aus. Ihm ging es dabei aber nicht um eine Aufnahme der Ideen des französischen Rechts, sondern um die Zurückdrängung gerade dieses Einflusses. Kamptz stellte Juristen ein, von denen er aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer bisherigen öffentlichen Äußerungen keinen Widerstand gegen seine Rechtsvereinheitlichungspläne erwartete. Die einzigen 1831 /32 angestellten gebürtigen Rheinländer, Breuning und Esser, beides Beamte, die die ersten Auseinandersetzungen um die Beibehaltung des rheinischen Rechts 1815 - 1818 miterlebt hatten, wurden wiederum zu den Gesetzgebungsarbeiten nicht herangezogen. Möglicherweise wollte Kamptz aber nicht nur die Brückenfunktion des RKH für das Eindringen französischen Rechts in den Reformprozeß beenden, sondern das 394 Verwiesen sei hier auf die oben dargestellten Vorstellungen zur Frage des rheinischen Rechts, die Lombard und Heffter publiziert hatten. Eine revidierte Prozeßgesetzgebung nach Lombard hätte beispielsweise nicht mehr unbedingte Öffentlichkeit der Prozesse mit sich gebracht und das Geschworenengericht abgeschafft. Eine Ausnahme stellte Reinhardt dar, der als Revisor der Zivilprozeßdeputation maßgeblich am Zustandekommen von Vorschlägen zur Revisions der AGO beteiligt war, denen der Einfluß des französischen Rechts deutlich anzumerken ist. Diese Vorschläge mußte er allerdings zu Beginn der dreißiger Jahre nach den Maßgaben Kamptz' zUTÜckrevidieren, dazu W. Schuhen/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 9, 1. Hbd., Einleitung.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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Gericht als eine Briicke in die umgekehrte Richtung nutzen. Vor dem Hintergrund der preußischen Gesetzgebungsgeschichte erscheint es denkbar, daß der Minister eine Aushöhlung des rheinischen Rechts auf dem Weg über das rheinische Obergericht beabsichtigte. Schon seit 1819 waren auf einzelnen Rechtsgebieten Normen des französischen Rechts durch preußisches Recht ersetzt worden. Vor allem für das politische Strafrecht und das übrige im heutigen Sinne öffentliche Recht waren zahlreiche Gesetze und Verordnungen ergangen, die Teile des ALR, der AGO oder der Kriminalordnung an die Stelle des französischen Rechts setzten. Intention der preußischen Justizverwaltung war es, die Anwendung dieser Gesetze und Verordnungen möglichst auszuweiten 395 • Der RKH hatte oft über die Anwendbarkeit dieser Normen und ihren Geltungsumfang zu entscheiden und er hatte das bisher im Sinne einer einschränkenden Auslegung dieser Gesetze getan 396 . Die große Zahl "rheinischer" Richter altpreußischer Herkunft und die Anstellung von Juristen, die sich wie Heffter schon für eine Ausgliederung des politischen Strafrechts ausgesprochen hatten, deutet also darauf hin, daß Kamptz die Rechtsprechung des RKH im Sinne einer ausweitenden Auslegung dieser Normen beeinflussen wollte. Von Richtern, die das rheinische Recht nur wenige Jahre angewandt hatten und die seit Jahren mit der Ablösung des geschlossenen französischen Rechtssystems in der Gesetzrevision befaßt waren, erwartete er wohl keinen Widerstand gegen das Eindringen preußischen Rechts in das Gefüge des französischen Rechts.

3. Erfolge der Reorganisation Die Reorganisationsarbeiten Kamptz' waren ungeachtet ihrer politischen Implikationen zunächst einmal geeignet, die äußerlichen Mängel der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit zu beheben und die Rechtssprechungstätigkeit des RKH wieder in Gang zu bringen. Frei werdende RichtersteIlen wurden regelmäßig neu besetzt. Die neuen Richter gehörten jeweils derselben Ämterkategorie an wie der ausgeschiedene Beamte. Die Ersetzung hauptamtlicher Richter durch nebenamtliche Richter oder bloße Hilfsarbeiter, wie sie in den vorangegangenen Jahren üblich war, wurde beendet. Das Hilfsarbeiterwesen insgesamt wurde, wenn auch nicht gänzlich beseitigt, so doch erheblich eingeschränkt. Reinhardt, Heffter, Duesberg und von und zur Mühlen wurden zwar noch als Hilfskräfte an den RKH gezogen, aber ihre Stellung wich sowohl hinsichtlich der Besoldung als auch von der Bezeichnung her von derjenigen der Hilfsarbeiter der vorangegangenen Jahre 395 Ausführlich dazu unten Kapitel E III 2 b) und E IV 2; zur Geltung preußischen Rechts im Rheinland R. Schulze: Preußisches Allgemeines Landrecht und rheinisch-französisches Recht, in: B. Dö1emeyer / H. Mohnhaupt (Hrsg.): 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Wirkungsgeschichte und internationaler Kontext, Frankfurt a.M. 1995; S. 397 ff. 396 Ausführlich dazu unten Kapitel E IV 2.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

ab 397 . Reinhardt wurde mit einer Besoldung von 800 Talern als Hilfsarbeiter fest eingestellt, Heffter zunächst nur zur temporären Aushilfe herangezogen, Duesberg erhielt des Rang eines Geheimen Oberrevisionsrates 398 , und von und zur Mühlen wurde schließlich wieder kommissarisch zu Hilfsleistungen herangezogen. Der RKH verfügte in dieser Zeit neben dem Präsidenten und dem Generalprokurator ständig über neun Richter, drei nebenamtliche und sechs hauptamtliche, und in der Regel über mindestens eine Hilfskraft. Zum ersten Mal seit Mitte der zwanziger Jahre war der Gerichtshof in der Lage, die anfallende Geschäftslast zumindest annähernd zu bewältigen. Zwar konnte es immer noch Engpässe geben, wenn ein oder mehrere Richter über längere Zeit abwesend oder krank waren 399 , an der Grundsituation änderte das aber nichts mehr. Die Zahl der Rückstände, die von 1828 bis 1831 mit etwas über 200 Sachen pro Geschäftsjahr ihren Höhepunkt erreicht hatte, bewegte sich in den folgenden Jahren nur noch zwischen 50 und 90 Fällen, obwohl die Zahl der neu anhängig gemachten Verfahren noch bis etwa 1835 anstieg4OO • Im Hinblick auf die Rechtsprechung des RKH haben die Maßnahmen Kamptz' einen Neuanfang bewirkt, der sich vor dem Hintergrund der desolaten Personalsituation der Jahre bis 1831 als "Neugriindung" des Gerichtshofes darstellt.

4. Aufnahme des Besetzungskonzeptes Ungeachtet des praktischen Erfolgs, den die Arbeiten Kamptz' nach sich zogen, war sein gesamtes Konzept so deutlich durch den Versuch geprägt, den Gerichtshof im Sinne seiner Rechtspolitik zu instrumentalisieren, daß sich die Frage nach den Reaktionen auf seiten der beteiligten Regierungsstellen und des Gerichtshofes stellt.

397 Eine durchgängige Terminologie, die diese Stellen von den ordentlichen Ratsstellen abgrenzt, scheint es nicht gegeben zu haben. 398 In einem Bericht Kamptz' heißt es dazu, eine einfache HilfsarbeitersteIle sei einem Mann wie Duesberg nicht zuzumuten; GStA PK Rep 8411 Tit. I, Nr. I, val. I, fol. 189 ff. 399 W:i.hrend des Jahres 1834 sind die Sitzungen, verursacht durch eine langanhaltende Krankheit Lombards und weitere Personalausfälle, sogar über mehrere Monate ausgefallen. Das geht aus einem Schreiben Kamptz' an den König vom 9. 2. 1835 hervor, mit dem er erneut um Zuziehung Heffters als Hilfsarbeiter zur Stellvertretung Lombards bat; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 5. Dasselbe Motiv spielte auch bei der Anstellung Duesbergs eine Rolle; vgl. Schreiben Kamptz' an Sethe und Eichhorn vom 1. 12. 1834 GStA PK Rep 97 BI Algen., fol. 227. 400 Diese Zahlen, die sich auf die Entwicklung der französisch-rechtlichen Prozesse beziehen, sind einer Auswertung der Geschäftstabellen des RKH entnommen; diese Tabellen in GStA PK Rep 97 B I A 7 gen.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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a) Das Zivilkabinett Ähnlich wie sein Vorgänger Danckelman blieb auch Kamptz von der Zustimmung des Zivilkabinetts abhängig. Das Hauptgewicht aller Einflußnahmen aus dieser Richtung lag weiterhin auf den finanziellen Grundlagen der Besetzungsarbeit. Eine umfassende Erhöhung des Personaletats, die Kamptz ursprünglich gefordert hatte, scheiterte an einem ablehnenden Votum der Kabinettsräte401 . Auf diese Weise verzögerten sich die von Kamptz im Januar 1831 vorgeschlagenen Maßnahmen. Im Juli 1831, nachdem durch den Tod Fischenichs und eine Umverteilung innerhalb des rheinischen Justizfonds Mittel freigeworden waren, befürwortete das Kabinett dann aber doch die Einstellung von vier hauptamtlichen Richtem402 . In der Folgezeit wurden die Maßnahmen Kamptz' zwar offenbar kritisch verfolgt, aber in der Regel unterstützt. Auch wo er die finanziellen Vorgaben umging oder vorsichtig ausweitete, trug das Kabinett und mit ihm der König seine Personalvorschläge403 . Ähnliches läßt sich auch mit Blick auf die rechtspolitischen Beweggründe der Personalauswahl feststellen. Die Fragwürdigkeit der von Kamptz präsentierten Auswahlkriterien wurde innerhalb des Kabinetts durchaus erkannt. So wies einer der Kabinettsräte angesichts des Vertrauenskriteriums darauf hin, daß kaum anzunehmen sei, daß Graun und Oswald noch vom Vertrauen der Rheinländer getragen seien, da sie bereits mehrere Jahre in Berlin arbeiteten. Diese Bedenken wurden jedoch zurückgestellt und die Vorschläge des Ministers genehmigt404 . Nur bei der Berufung Heffters setzte das Kabinett den Maßnahmen Kamptz' tatsächlich Widerspruch entgegen und verhinderte die Anstellung des Vorgeschlagenen 405 . Vergleicht man das Verhältnis Kamptz' zum Zivilkabinett mit den Voraussetzungen, unter denen Beyme hatte arbeiten können, so ergibt sich ein gravierender Unterschied. Wahrend Beyme in engem persönlichem Kontakt zum Staatskanzler stand und sein gesamtes Konzept mit ihm mündlich abgestimmt hat, war das Verhältnis Kamptz' zum Zivilkabinett - als der an die Stelle des Staatskanzlers getretenen Instanz - wesentlich distanzierter. Anzeichen für persönliche Kontakte außerhalb 401 Die Personalaufstockung, die man grundsätzlich befürwortete, sollte durch den Abbau der HilfsrichtersteIlen - wenn nötig langfristig - bewirkt werden, nicht aber durch eine Erhöhung des Etats. Der Etat sollte sich auch weiterhin in dem 1827 festgesetzten Rahmen bewegen, siehe die vom Kabinettsrat Pading erstellten Notizen vom 17. 2. 1831 und der von Lotturn abgezeichnete Entwurf der ablehnenden Kabinettsorder vom 8. 3. 1831 ; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 28 ff. 402 Die Berufung Grauns und Essers war schon zuvor genehmigt worden. Gegen die Einstellung Oswalds hatte es noch finanzielle Bedenken gegeben, und Lombard wurde überhaupt erst im Sommer 1831 vorgeschlagen. Notizen Padings vom Mai 1831 und Entwurf der Kabinettsorder vom 21. 7. 1831 , mit der die Anstellung aller vier Räte genehmigt wurde; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 37 ff., fol. 42 f. 403 Die entsprechende Korrespondenz in GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258. 404 Die Bedenken sind formuliert in einem vom Kabinettsrat Pading aufgestellten Entwurf einer Kabinettsorder, der jedoch zurückgestellt wurde; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 38 f. 405 Dazu GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, ab fol. 97 und oben Kapitel C III 4 a).

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

des amtlichen Schriftverkehrs ließen sich jedenfalls nicht finden. Von einer so unbedingten Zustimmung, wie sie Beyme hatte in Anspruch nehmen können, konnte im Verhältnis des Justizministers zu den Beratern des Königs nicht mehr die Rede sein. b) Die Zusammenarbeit mit Mühler

Aussagen zum Verhältnis der beiden Justizminister zueinander und einer eventuellen Einflußnahme Mühlers auf die Besetzung des RKH lassen sich aufgrund der schlechten Überlieferung aus dem Justizministerium nur schwer machen 406 . Festzuhalten bleibt zunächst, daß die erste Einstellungswelle von 1831 /32 noch vor der Teilung des Ministeriums abgeschlossen war und auch die Hilfsarbeiterangelegenheiten der ersten Jahre allein in die Zuständigkeit Kamptz' fielen. Erst in den darauf folgenden Jahren mußte Kamptz - mit Ausnahme des Zu- und Abgangs der Hilfsarbeiter - alle Personalvorschläge mit seinem Mitminister Mühler abstimmen407 . Ein Einfluß Mühlers käme also höchstens für die ab 1834 erfolgten Festeinstellungen in Frage. Obwohl ein enger persönlicher Kontakt beider Minister für diese Zeit nicht unwahrscheinlich scheint - beide Ministerien waren im sei ben Gebäude untergebracht408 - und die Berichte an den König immer von beiden unterzeichnet sind, fehlen aber weitergehende Hinweise auf eine tatsächliche Beteiligung Mühlers am Zustandekommen der dort geäußerten Vorschläge409 . Offenbar hatte es kurz nach der Teilung des Ministeriums Unstimmigkeiten zwischen den Ministern gegeben, die eine Zusammenarbeit in der ersten Zeit nicht befördert haben dürften 410 . Von seiten des Königs bzw. des Zivilkabinetts wurde Mühler, 406 Erhalten haben sich dagegen Akten des Gesetzrevisionsministeriums, aus denen sich die Vorgänge bei der Teilung des Ministeriums 1832 sowie bei der Übergabe der rheinischen JustizverwaItung an Mühler 1838 ablesen lassen; GStA PK Rep 84 11 Tit. I, Nr. I, vol I und 11. In diesen Akten sind auch Materialien zu den Mitarbeitern der beiden Ministerien zu finden. 407 Die gemeinsame Zuständigkeit der beiden Justizminister ist in der Kabinettsorder vom 9. 2. 1832 (Gesetzsammlung 1832, S. 15 f.) mit der Kamptz und Mühler nebeneinander eingesetzt wurden, festgelegt; Abschrift der Kabinettsorder GStA PK Rep 84 11 Tit. 1, Nr. I, vol. I, fol. 2. Eine ausdrückliche Regelung über die Zuständigkeit hinsichtlich der Hilfsarbeiter ist dort nicht getroffen, die alleinige Zuständigkeit Kamptz' ergibt sich jedoch aus der entsprechenden Korrespondenz mit dem Zivilkabinett. 408 So die Kabinettsorder vom 9.2. 1831, die die Teilung anordnete; GStA PK Rep 84 11 Tit. I, Nr. I, vol. I, fol. 2. 409 Den Schriftverkehr mit dem RKH und den zur Anstellung vorgeschlagenen Juristen führte Kamptz allein. In der Regel sind zwar die jeweiligen Anträge auf NeueinsteIlung eines Richters von beiden Ministern unterzeichnet, aber abweichende Berichte oder andere Zeugnisse einer eigenständigen Anteilnahme Mühlers lassen sich, weder in den Akten des Zivilkabinetts noch in denen des Revisionsministeriums finden. Die geringe Präsenz Mühlers mag auch zu einem gewissen Grade durch die schlechte Überiieferungssituation aus dem Justizministerium zu erklären sein. Eine Ausnahme stellt insoweit nur die Anteilnahme Mühlers an der 1838 erfolgten Anstellung des Justizrates von und zur Mühlen dar; GStA PK Rep 84 11 Tit. 2, Nr. I, vol. 11, fol. 50 ff.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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soweit ersichtlich, nur in zwei Fällen zu eigenständigen Berichten aufgefordert411 . Da diese Fälle zeitlich am Ende der Amtszeit Kamptz' als rheinpreußischer Justizminister angesiedelt sind, dürften sie wohl eher als Anzeichen der allmählichen Demontage Kamptz,412 denn als Ausdruck einer regelmäßigen Zusammenarbeit beider Minister zu deuten sein.

c) Das Verhältnis zum Gerichtshof

Wesentlich konfliktreicher als die Beziehungen innerhalb des Regierungsapparates gestaltete sich das Verhältnis Kamptz' zum Gerichtshof selber. Hier entwickelte sich ein zunehmend gereiztes Klima, das in offenes Gegeneinander mündete. In den ersten Monaten überwog allerdings noch das Einverständnis mit dem Minister. Mit den Neuanstellungen des Jahres 1831 war Kamptz einer Forderung Sethes und Eichhorns nachgekommen. Bereits unmittelbar nach dem Tode Danckelmans hatten sie sich mit der Bitte um eine effektive "Reorganisation" des RKH an ihn gewandt und dabei auf Anstellung mindestens dreier hauptamtlicher Richter gedrungen413 . Dem war Kamptz nachgekommen. Nicht erfüllt hatte der Minister dagegen 410 Hinweise auf dieses Zerwürfnis enthalten Schreiben Kamptz' und Mühlers vom April 1832; GStA PK Rep 84 11 Tit. 1, Nr. 1, vol. I, fol. 66 a ff. Kernpunkt des Streites war die Frage, welche Angelegenheiten von beiden Ministern gemeinsam zu erledigen seien und welche ausschließlich zur Kompetenz eines der Ministerien gehörten. Kamptz argwöhnte, es gäbe Personen, die sich bei Mühler direkt nach seinem Amtsantritt bemüht hätten, sie zu entzweien, und er macht diese Personen unter den "eifrigen Behinderern der Gesetzrevision" aus, die eingesehen hätten, daß die Revision "nicht nach ihrem System ausfallen dürfte". Namen nennt er jedoch nicht; GStA PK Rep 8411 Tit. I, Nr. I, vol. I, fol. 66 a. 411 Der erste dieser Fälle betrifft eine Beschwerde des Generalprokurators Eichhorn, der sich in seinen Rangverhältnissen zurückgesetzt sah. Hintergrund war, daß nach dem französischen Recht der Generalprokurator dem Gerichtspräsidenten gleichgestellt war. Dies hatte man wohl für den Appellationshof, nicht aber für den RKH beibehalten. Dementsprechend beantragte Eichhorn 1837 seine Gleichstellung mit dem Präsidenten des RKH. Dazu sollte auf Anregung des Zivilkabinetts auch Mühler gehört werden; dazu GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 27 ff. Wahrend Kamptz und Mühler diesen Antrag wohl noch einstimmig unterstützt hatten, gingen ihre Ansichten im zweiten Fall auseinander. Es handelte sich um die Berufung des Iustizministerialrates von und zur Mühlen an den RKH und die dabei strittige Frage, ob es zuvor einer erneuten Verleihung der Befugnis zur Führung eines richterlichen Amtes bedürfe. Mühler wurde hier 1838 sogar in die Berufung eines Hilfsarbeiters eingeschaltet; zum ganzen GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 35 (Zuziehung Mühlers) und ebd. Rep 8411 Tit. I, Nr. I, vol. 11, fol. 50 ff. (Voten der beiden Minister vom August und September 1838). 412 Zu seiner Amtsenthebung als Folge der Unruhe in den Rheinlanden und einer gegen ihn gerichteten Intrige aus den Kreisen der Regierung oder hohen Beamtenschaft vgl. den Aufsatz "Rheinpreußisches", S. 1 ff. und oben Kapitel C III I. 413 Bericht vom 14. 12. 1830 GStA PK Rep 97 B lAI gen. fol. 167 ff. Danach waren Graun und Oswald die einzigen unter den Hilfsarbeitern, die die ganze französische Gesetzgebung beherrschten. Für Sachen des intermediären Zivilrechts stünde sogar nur ein einziger Richter, nämlich Blanchard, zur Verfügung. Den äußeren Anlaß für diesen Bericht bot das

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

die implizite Forderung, den RKH durch solche Richter zu verstärken, die im Rheinland gebürtig waren oder bereits vor 1814 am Rhein gearbeitete hatten 414 . Dennoch regte sich zunächst kein Widerstand des Gerichtshofes415 . Als Kamptz dann aber 1832 die Entlassung zweier der bisher angestellten Hilfsarbeiter, des Obertribunalsrates Busse und des Professors Klenze, vorbereitete 416 , änderte sich die Stimmung. Sethe und Eichhorn nahmen diese Veränderungen zum Anlaß, das gesamte Besetzungskonzept Kamptz' zu kritisieren 417 . Ausgangspunkt des nun aufbrechenden Konfliktes zwischen Ministerium und Gerichtshof war die Beurteilung der Funktionstüchtigkeit des Gerichts. Wahrend der Minister die Entlassung der Hilfsarbeiter damit rechtfertigte, daß der Gerichtshof nun vollständig besetzt und den anfallenden Arbeiten gewachsen sei 418 , stellten Sethe und Eichhorn die Entlassung Busses und Klenzes in eine Reihe mit den "Anfechtungen [ ... ], welchen der Revisions- und Kassationshof früher ausgesetzt gewesen ist,,419. Ihren Worten nach war der RKH auf die Hilfsrichter angewiesen, da ohne sie nicht einmal die gesetzliche Mindestzahl von sieben Richtern garantiert werden konnte. Der Gerichtshof verfügte zu dieser Zeit, den Präsidenten ausgenommen, Ausscheiden Schellers, der zum Obertribunalsrat befördert worden war. Nach den Ausführungen des Berichts hatte er zumindest in der letzten Zeit die meisten der auf die Hilfsarbeiter entfallenden Arbeiten übernehmen können und dem RKH fast wie ein hauptamtliches Mitglied zur Verfügung gestanden, so daß sein Verlust nun besonders schmerzlich war. 414 Diese Forderung verbirgt sich hinter der von Sethe und Eichhorn mehrfach betonten unbedingten Notwendigkeit, Richter einzustellen, die mit dem rheinischen Recht durch und durch vertraut seien, die nicht nur die napoleonischen Gesetzbücher, sondern auch das komplexe System des gesamten intermediären Rechts und schließlich auch die verschiedenen älteren rheinischen Partikularrechte vollständig beherrschten. Sie bezogen sich dabei ausdrück1ich auch auf ihren letzten Bericht an Danckelman vom 20. 11. 1829 (GStA PK Rep 97 B I A 1 gen. fol. 140 ff.), in dem sie die Breite der für den RKH relevanten Rechte ausführlichst dargelegt hatten. 415 Sethe und Eichhorn war es nämlich wohl auch darum gegangen, die ihnen brauchbar erscheinenden, bisherigen Hilfsarbeiter an den RKH zu binden. So beantragten sie Ende 1830 die Festanstellung Oswalds, die der Minister auch veranlaßte; ergänzender Bericht des Präsidenten und Generalprokurators vom 22. 12. 1831; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 173. 416 Möglicherweise um dem Protest des Gerichts vorzugreifen, hatte Kamptz die Entlassung der beiden Richter beim König beantragt, ohne zuvor den Gerichtshof davon unterrichtet oder seine Stellungnahme eingeholt zu haben. Daraufhin hatte er bereits im Oktober die königliche Genehmigung zur Entlassung der beiden Hilfsrichter erlangt; Schreiben Kamptz' an den König vom 25. 9. 1832 und Entwurf der genehmigenden Kabinettsorder vom 8. 10. 1832; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 49, 50. 417 Ausführlicher Bericht vom 16. 11. 1832 an den Justizminister; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 80 ff. Als nun auch Busse und Klenze sich direkt beim König beschwerten (ebd. fol. 62 ff., 73 ff.) und Kamptz zur Stellungnahme aufgefordert wurde, leitete er diesen Bericht Sethes und Eichhorns nicht sofort, sondern erst auf ausdrückliche Nachfrage des Zivilkabinetts weiter; ebd. fol. 77. 418 In seinem Antwortschreiben an Sethe und Eichhorn vom 24. 11. 1832; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 84 ff. 419 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 80.

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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über zehn Richter. Wahrend nun Kamptz sieben davon als hauptamtliche Mitglieder einstufte und lediglich drei nebenamtliche Stellen veranschlagte 420, kehrte sich dieses Verhältnis aus Sicht des Präsidenten beinahe um: Von den sieben Hauptamtlichen waren insgesamt nur vier, nämlich Esser, Graun, Breuning und Reinhardt, in vollem Umfang zu beschäftigen. Meusebach konnte aufgrund seiner Schwerhörigkeit nicht an öffentlichen Verhandlungen teilnehmen, und die hauptamtlich angestellten Räte Oswald und Lombard arbeiteten zugleich als vortragende Räte in Kamptz' Ministerium. Überdies waren Esser, Graun und Breuning immer dann von der Teilnahme ausgeschlossen, wenn Sachen aus dem Appellationshof anhängig waren, an denen sie dort noch mitgearbeitet hatten. Sethe und Eichhorn kritisierten darüber hinaus die Diskrepanz zwischen der von Kamptz gelieferten Rechtfertigung für die Entlassungen und anderen gleichzeitig eingeleiteten Maßnahmen. Wahrend er sich nämlich für diese beiden Beamten auf ein angeblich königliches Gebot zur Entlassung aller Hilfsarbeiter stützte421 , hatte er erst kurz zuvor mit dem Advokaten Reinhardt einen neuen Hilfsarbeiter fest in den Gerichtshof aufgenommen. Überdies hatte er dem Gericht schon vor der Entlassung der beiden Hilfsarbeiter eine weitere Ergänzung des Personals in Aussicht gestellt, was die Entfernung der eingearbeiteten Hilfskräfte noch fragwürdiger werden ließ422 . Letztlich blieb der Protest des Gerichts jedoch erfolglos. Der König folgte der Argumentation des Justizministers und genehmigte die Entlassungen423 . Mehr Erfolg hatte Sethe auf einer zweiten Stufe der Auseinandersetzung, die sich an die geschilderten Vorgänge unmittelbar anschloß und deutlich von rechtspolitischen Motiven bestimmt war. Als Reinhardt im März 1833 aus dem Richteramt austrat, schlug Kamptz den oben schon erwähnten Professor Heffter als Nachfolger vor424 . Mit großer Energie versuchte er in der Folge gegen den Widerstand 420 Er zählte dabei auch den als Hilfsarbeiter festangestellten Reinhardt zu den Räten, die dem RKH ausschließlich zur Verfügung stünden, obwohl Reinhardt zur gleichen Zeit noch Arbeiten in der Gesetzrevision erledigte. 421 Dieses Gebot entnahm er der oben schon erwähnten Kabinettsorder vom 8. 3. 1831, die seine ersten Reorganisationsvorschläge für den RKH genehmigt und insbesondere einer Wiedereinstellung von sechs hauptamtlichen Richtern und dem Abbau der HilfsarbeitersteIlen zugestimmt hatte. Ob diese Order jedoch eine Verpflichtung zur Entlassung aller noch vorhandenen Hilfsarbeiter beinhaltete, wie Kamptz nun behauptete, oder ob damit nur ein Erlöschen nach und nach frei werdender HilfsarbeitersteIlen angeordnet worden war, wurde anläßlich der Entlassung Busses und Klenzes zu einem der Hauptstreitpunkte; vgl. GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258 Korrespondenz ab fol. 49 ff. 422 Auf diese Gegensätze weisen Klenze und Busse in ihren Eingaben an das Ministerium hin; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 62 ff., fol. 73 ff. 423 Entwurf für ein Schreiben an Kamptz vom 29. 1. 1834; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 89. Allerdings folgte er den Bedenken des Gerichtsvorstandes wenigstens insofern, als er Kamptz aufforderte, Oswald und Lombard in Zukunft nicht der ununterbrochenen Teilnahme an den Arbeiten des RKH zu entziehen. 424 Berichte Kamptz' an den König vom 1. 3. 1833 und vom 23.3. 1833; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 93, 97 f. Reinhardt wollte wieder "in die von ihm früher mit Beifall und Glück betriebene Advokatur" zurücktreten; so Kamptz im Bericht vom 1. 3.1833.

13 Seynsche

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

aus dem Zivilkabinett und dem Gerichtshof, diesen ihm politisch nahestehenden Beamten am RKH zu installieren. Zunächst wurden seine Anträge innerhalb des Zivilkabinetts mit Hinweis auf die gerade erst festgestellte vollständige Besetzung des RKH abgewiesen. Er erhielt lediglich die allgemein gehaltene Erlaubnis, von Zeit zu Zeit, sofern dies erforderlich sein sollte, dem RKH einen geeigneten Juristen als Hilfsarbeiter zuzuweisen 425 . Als der Minister dem Gerichtshof daraufhin mitteilte, er habe Heffter "ein für allemal" zu diesen Hilfsleistungen bestimmt426 , stieß er auf entschiedene Gegenwehr des Präsidenten. Der Konflikt zwischen Minister und Kassationshof eskalierte im Verlauf dieser Ereignisse so, daß eine sachliche Auseinandersetzung untereinander gar nicht mehr geführt wurde, sondern jede Seite sich direkt an den König und das königliche Kabinett wandte427 . Obwohl die Gründe dieses Widerstandes nicht ausdrücklich dargelegt werden, gewinnt man den Eindruck, daß eine Berufung Heffters - der sich ja in seinen Publikationen so unbedingt für die Rechtseinheit innerhalb Preußens eingesetzt hatte - für den Gerichtshof oder zumindest für den Präsidenten einen Angriff auf den unversehrten Bestand des rheinischen Rechts darstellte, den es abzuwehren galt. Gegen die Anstellung Heffters am RKH sprachen einige teils in der französischen, teils in der preußischen Justizverfassung liegende Gründe. Heffter hatte schon seit etwa zehn Jahren nicht mehr als Richter gearbeitet428 . Kamptz war jedoch nur autorisiert, einen "richterlich qualifizierten" Beamten zur Aushilfe heranzuziehen. Unter der richterlichen Qualifikation wurde dabei nicht die fachliche Eignung des Beamten, sondern seine - sowohl nach preußischem als auch nach rheinischem Recht - erst durch die Vereidigung begründete Berechtigung, ein Richteramt zu führen, verstanden. Daran knüpfte sich die Frage, ob diese Qualifikation - wie Sethe behauptete - durch eine langjährige Abwesenheit von jeglicher richterlichen Tätigkeit erlöschen könne. Heffter hätte dann, bevor er zu den Arbeiten des RKH hätte zugezogen werden können, erneut vom König vereidigt werden müssen. Andernfalls hätte seine Mitwirkung die Nichtigkeit der Entscheidungen zur Folge haben können. Das zweite Bedenken gegen seine Mitgliedschaft gründete sich darin, daß er mit Lombard, verschwägert war. Ein Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnis mit einem der Kollegiumsmitglieder stand nach französischem Recht der Anstellung eines Richters unbedingt entgegen 429 , solange 425 Entwurf einer Kabinettsorder vom 22. 4. 1833; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 101. Der ursprüngliche Antrag Kamptz' zielte auf die Anstellung eines rheinischen Richters oder zumindest eines Mitglieds eines rheinischen Gerichtshofes ab und war auch vom König genehmigt worden. Erst als Kamptz seinen Antrag konkretisierte und Heffter vorschlug, erhielt er den ablehnenden Bescheid; ebd. fol. 93, 96 ff. Zu dieser Angelegenheit auch ein späterer Bericht des Zivilkabinetts in GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 12 f. 426 Reskript vom 4. 10. 1833, GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 145. 427 Diese Vorgänge, die in der Überlieferung außerordentlich breiten Raum einnehmen, sind dokumentiert in GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 97 ff., Nr. 17259 und Rep 97 B IA 3 gen. 428 1823 hatte er aus dem Düsseldorfer Landgericht an die Universität gewechselt.

III. Die "Neugriindung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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nicht ein Dispens des Königs erteilt worden war. Selbst in diesem Fall hätten beide Richter aber nur eine Stimme gehabt, wäre die Anstellung Heffters als Ergänzungsrichter also sinnlos gewesen430 . Kamptz ließ sich darauf jedoch nicht ein431 . Mit Blick auf die Verwandtschaft zwischen Lombard und Heffter behauptete er sogar, es handele sich lediglich um eine französisch-rechtliche Dienstvorschrift, die sich in preußischen Gesetzen, auf die es allein ankomme, nicht finde und die daher unbeachtlich bleiben müsse432 . An diesem Punkt konterte Sethe mit einer kaum kaschierten Drohung, die geeignet war, Kamptz an einem sehr empfindlichen Punkt zu treffen. Im Bericht des Präsidenten heißt es: "Wenn dies richtig wäre, so müßten alle Dienstvorschriften, worauf die rheinische Gerichtsverfassung und lustizverwaltung beruhte, wegfallen, sobald sie in der Preußischen Gesetzgebung fehlen; es brauchten die rheinischen Gerichte, um nur einige solcher Dienstvorschriften zu berühren, z. B. nicht mehr die Namen der Richter in den Urtheilen aufzuführen, nicht das öffentliche Ministerium zu hören, nicht in öffentlicher Sitzung die Urtheile zu sprechen u.s.w. obgleich alles dieses sogar bei Strafe der Nichtigkeit verordnet ist,,433. Damit stellt er den Versuch, Heffter entgegen diesen rechtlichen Hindernissen einzustellen, als den ersten Schritt zur Abschaffung des öffentlichen Verfahrens und anderer Institutionen, letztlich als ersten Schritt auf dem Wege einer schleichenden Aushöhlung des gesamten rheinischen Rechts dar. Angesichts der ohnehin in den Rheinlanden schwelenden Gerüchte um eine unmittelbar bevorstehende Ablösung des französischen Rechts mußten die Äußerungen Sethes als Drohung erscheinen, diesen Gerüchten neue Nahrung zu geben. Dementsprechend scharf fiel die Reaktion des Ministers aus 434 . Er bestritt schlichtweg jedwede Berechtigung oder sachliche Begründung der von Sethe vorgebrachten Einwände. Durch Sethes Behauptung, die Ermächtigung an den lustizminister sei so offen formuliert, daß auch Unter429 Sethe spricht dieses Verbot in seinem Bericht an als "das gewiß weise, und eine unabhängige und unbefangene Rechtspflege sichernde Verbot, daß zu nahe Verwandte oder Verschwägerte nicht zusammen in einem Gerichtshofe sitzen sollen"; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 135/136. 430 Die Möglichkeit dieses Dispenses war in einem französischen Staatsrats gutachten vom 23. 4. 1807 festgelegt; so Sethes Bericht GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 136. Heffter hätte aber nur bei einem Ausfall von Lombard einspringen können. 431 Folgt man Sethe, so hatte Kamptz erste ihm gegenüber geäußerte Bedenken gar nicht beachtet, so daß Sethe sich nun veraniaßt sah, sich unmittelbar an den König zu wenden; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr., 17258, fol. 137. 432 Das geht ebenfalls aus dem Bericht Sethes hervor; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258 fol. 137. Die Auseinandersetzung um die ,,richterliche Qualifikation" fand ihre Fortsetzung, als Kamptz 1838 versuchte, einen weiteren seiner Beamten, den Justizrat von und zur Mühlen, an den RKH zu ziehen. Auch gegen diese Berufung sperrte der RKH sich solange die richterliche Qualifikation nicht erneuert war; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 31 ff. und ebd. Rep 84 11 Tit. 1, Nr. 1, vol. 11, fol. 50 ff. 433 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 137. 434 Kamptz' Bericht an den König vom 7. 8. 1834, in dem er zu der Beschwerde Sethes Stellung nimmt; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 130 ff.

13*

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richter an den RKH gelangen könnte, fühlte er sich persönlich angegriffen und entgegnete: ,,[ . .. ] der Präsident Sethe wird dem Justizministerium wohl die Einsicht über die Qualifikation eines Hülfsarbeiters im Kassationshofe zutrauen können,,435. Er deutete das Eingreifen des Gerichtspräsidenten als bloße Vergeltung dafür, daß dieser friiher mit seinen Anträgen auf eine Festeinstellung Klenzes nicht durchgedrungen sei. Immerhin verzichtete er aber darauf, das Verbot der Verwandtschaft unter den Richtern weiterhin als bloße Dienstvorschrift abzutun. Der Protest des RKH ging nicht von Sethe allein aus, sondern wurde in der Sache auch von den anderen Richtern mitgetragen. Um sich mit ihnen abzustimmen, hatte Sethe sie zur Stellungnahme aufgefordert. Die hierauf erfolgten Äußerungen des Kollegiums sind zugleich eine der seltenen Quellen, die einen Einblick in das Verhältnis zwischen rheinischen Richtern und ("rheinischen") Richtern altpreußischer Herkunft geben. Sethe stieß im Grunde auf Zustimmung, fand aber keine unbedingte Unterstützung für die Form seines Vorgehens. Eine urspriingliche Fassung der Beschwerde, die er im Kollegium hatte zirkulieren lassen, war den meisten Richtern - überwiegend altpreußische oder "rheinische" Richter altpreußischer Herkunft436 - zu harsch. Sie rieten zur Mäßigung und mahnten, den Konflikt mit dem Minister nicht noch zu schüren. Inhaltlich wollten sie die Bedenken gegen die Schwägerschaft mit Lombard in den Vordergrund, die richterliche Qualifikation jedoch in den Hintergrund riicken und betont wissen, daß sich die Bedenken keinesfalls gegen die Person Heffters richteten. Sethe schloß sich diesem Votum nicht an. Er sah durch ein so vorsichtiges Vorgehen den Standpunkt des Gerichtshofes verwischt. Auch ein weiteres rheinisches Mitglied des Kollegiums, der Revisionsrat Peter Esser, protestierte dagegen, daß hier erneut ein Nichtrheinländer an den RKH gelangen sollte. In seinem Bericht heißt es: "Ob aber der Professor Heffter aus dem Grunde, weil er ein Paar Jahre am Rheine fungirt habe, sich zum Kassationsrichter eigne, muß ich gerade zu bestreiten. Ich kann aus wichtigen [ .. . 37 Griinden nur bedauern, daß so wenige Rheinländer am Kassationshofe angestellt sind,,438. Sicher kann man aus diesen Vorgängen nicht auf ein grundsätzliches Gegeneinander der Richtergruppen schließen, da man sich in der Sache einig blieb. Dennoch zeigen diese Vorgänge, daß die rheinischen Richter bereit waren, die Sache des rheinischen Rechts energischer zu vertreten. Überdies beziehen sie sich direkter auf die rechtspolitischen Gegensätze zum Ministerium. Dies zeigen Sethes Drohung, den Einführungsgeriichten neue Nahrung zu geben, und Essers Klage über die große Zahl der nichtrheinischen Richter am RKH.

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Der Widerstand des Gerichtshofes hatte Erfolg. Das Zivilkabinett schloß sich Sethes Wertung an. Es sah in der Zuziehung Heffters einen Verstoß gegen die AnaStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 131 a. Unter ihnen auch die von Karnptz angestellten altpreußischen Richter, die zuvor in den Rheinlanden gearbeitete hatten. 437 Ware zu lesen: "auf unser Hand liegenden". 438 Zitiert nach der Stellungnahme Essers; aStA PK Rep 97 B IA 3 gen. (unfoliiert). 435

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III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

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ordnung, nur von Zeit zu Zeit einen Richter als Aushilfe zu beschäftigen, sah die richterliche Qualifikation Heffters als erloschen an und urteilte, zu einer erneuten Vereidigung Heffters bestünde angesichts des "unwesentlichen Zwecks, keine Veranlassung". Ferner räumten die Räte dem Verwandtschaftsverhältnis zu Lombard entscheidende Bedeutung ein. Kamptz wurde aufgefordert, auf Heffter zu verzichten 439 . In den folgenden Jahren ließ der Minister aber in seinem Bemühen, gerade diesen Beamten am RKH zu etablieren, kaum nach44o • Genehmigt wurden seine Anträge jeweils nur in dem Maße, in dem die Bedenken Sethes nach und nach wegfielen: Schon 1835 verwandte sich der Minister erneut für sein Protege, schlug ihn als Stellvertreter des erkrankten Lombard vor. Dies wurde genehmigt. Heffter durfte aber nur solange auftreten, wie Lombard tatsächlich verhindert war44 !. 1836 nach dem Tode Lombards bemühte sich Kamptz erfolglos um eine Ernennung Heffters zum Geheimen Oberrevisionsrat. Eine festere Bindung an den Gerichtshof kam erst zustande, als Heffter selbst anbot, dem RKH auch als außerordentliches Mitglied ohne Gehalt beizutreten. Dies wurde schließlich im Dezember 1836 genehmigt, er wurde als Stellvertreter für Savigny bestellt, der sich wegen der Fertigstellung eines wissenschaftlichen Werkes von der Bearbeitung französisch-rechtlicher Sachen hatte befreien lassen442 • Eine besoldete Stelle sollte Heffter erst 1841 erlangen 443 . In diesem Fall ist es also dem Gerichtshof gelungen, unmittelbar auf die Zusammensetzung des Richterkollegiums Einfluß zu nehmen. Über die Gegensätze zwischen Gerichtshof und Minister hinaus sind die Vorgänge um die Berufung Heffters auch geeignet, innenpolitische Motivationen der Kamptz'schen Personalpolitik zu beleuchten. Hier ist noch einmal an die Verstrikkung Kamptz' in die Demagogenverfolgung der zwanziger Jahre zu erinnern und sind zugleich die Ereignisse der friihen 30er Jahre, also die französische Juli-Revolution 1830444 und das Hambacher Fest 1832 zu beriicksichtigen. Vor diesem Hin439

Entwurf der Kabinettsorder vorn 16.9. 1834; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol.

148. 440 Das intensive Bemühen um eine Anstellung Heffters erscheint als die Fortsetzung einer schon länger währenden Unterstützung Kamptz' für diesen Beamten. Kamptz war es, der Heffter 1832 für eine Anstellung an der Universität in Berlin vorgeschlagen und sich bei AItenstein intensiv dafür eingesetzt hatte. Zugleich hatte er damals auch schon die Zuziehung Heffters zu den Arbeiten seines Ministeriums beantragt. Dazu die Korrespondenz mit Altenstein und Heffter in GStA PK Rep 84 11 Tit. 1, Nr. 1, vol. I, fol. 80 ff. 441 Diese Vorgänge in GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 3 ff., 6. Die genehmigende Kabinettsorder vorn 23. 2. 1835 folgte insofern den Bedenken Sethes, als Heffter hier ausdrücklich die richterliche Qualifikation erneut verliehen wurde. Auch wurde betont, Heffter dürfe nicht in anderen Sachen als ordentliches Mitglied des RKH betrachtet werden und eine Ernennung zum Revisionsrat abgelehnt. 442 GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 143 ff. 443 Antrag des lustizministers Mühler auf diese Anstellung vorn 2. 2. 1841; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 47. Entwurf für die genehmigende Kabinettsorder vorn 21. 2. 1841; ebd. fol. 55. Heffter sollte danach eine Besoldung von 500 Talern bekommen. 444 Die Auswirkungen dieser Ereignisse auf die Rheinprovinz fürchtete man in Berlin besonders, dazu bspw. J. Hansen: Mevissen, S. 217 ff.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

tergrund beansprucht die Entlassung Klenzes nur wenige Monate vor der Einstellung Heffters Interesse. Ursprünglich hatte Kamptz diese Entlassung allein mit dem 1831 angestrebten Abbau der HilfsrichtersteIlen und Klenzes fehlender formellen Qualifikation für das Richteramt gerechtfertigt. Er argumentierte, das Vertrauen der rheinischen Bevölkerung sei durch die Einstellung eines derartig unqualifizierten, nichtrheinischen Richters schwer erschüttert worden. Erst als sowohl Klenze als auch der Gerichtshof gegen die Entlassung protestierten, sah der Minister sich zumindest dem König gegenüber veraniaßt, weiterführende "in den übrigen Verhältnissen des Professors Klenze liegende Gründe" anzudeuten 445 . Als der König eine erneute Stellungnahme verlangte, wurde er noch deutlicher: "Der Professor Klenze hat überdem seit seinem ersten Auftritt auf der hiesigen Universität bis ganz neuerlich in seinen Universitäts- und Senats-Verhältnissen sich auf eine so mannigfaltig comprornittirende selbst actmäßig darliegende Art benommen, daß damit eine Stelle in einem obersten Gerichtshofe ganz unvereinbarlich sein dürfte,,446. Diese "in den übrigen Verhältnissen des Professors Klenze liegenden Gründe" lassen sich erahnen44?, wenn man sich mit dessen Vergangenheit befaßt448 . Er war schon 1819 ins Visier der Demagogenverfolgung geraten. Im Sommer 1819 hatte er er eine in der Bremer Zeitung veröffentliche Erklärung zugunsten des am 14. Juli 1819 verhafteten Jahn unterzeichnet, die die mit der Verfolgung demagogischer Umtriebe befaßte Untersuchungskommission immerhin zu einem Bericht an das Staatsministerium veranlaßte 449 . Auf diese Weise war Klenze "bei Schuckmann

445 So im Bericht an den König vom 13. 12. 1832; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 72. 446 Aus dem Bericht Kamptz' vom 5. 1. 1833; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 79. 447 Weder wird Kamptz selbst hier deutlicher, noch birgt die im Kultusministerium geführte Personalakte Klenzes (GStA PK Rep 76 V f, Lit. K, Nr. 6: "Acta betreffend den Privatdocenten Dr. Klenze, vom December 1822-1833, seit 1826 ordentlicher Professor" ) Hinweise auf sein Betragen als Lehrer der Universität. 448 Über Klenze allgemein Teichmann: ADB; Bd. 16, S. 162; Brockhaus Conversations Lexikon der Gegenwart, Bd. 3; Leipzig 1840, S. 68 f.; E. Landsberg/R. Stinzig: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. 3. Abt., 2. Hbd. Notizen, S. 123. In seinen wissenschaftlichen Arbeiten ist er der historischen Rechtsschule zuzurechnen. In seinem Bemühen um eine Professur in Berlin wurde er insbesondere von Savigny unterstützt. Neben seiner wissenschaftlichen und richterlichen Tatigkeit war er Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung und engagierte sich in der Stadtplanung. Die Gründung des Seebades Heringsdorf an der Ostsee geht auf seine Initiative zurück. Zu den im folgenden geschilderten Ereignissen M. Lenz: Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 2, 1. Hbd., S. 210 ff.; C. Butz: Juristenausbildung, S. 109, 124. 449 Die Beratungen über diesen Bericht finden sich in den Protokollen des Staatsministeriums; Sitzung vom 15.9. 1819 GStA PK Rep 90 a, Abt. B Tit. 3,2 b Nr. 6, Bd. 2. Dieses Protokoll läßt erkennen, daß man der Erklärung keine Beleidigung des Monarchen oder des preußischen Staates unterstellte und allenfalls eine nur geringe Schuld der Unterzeichner gegeben sah. Ursprünglich hatte man die Beschuldigten wohl von jeder Schuld freisprechen

III. Die "Neugründung" des Revisions- und Kassationshofes unter Kamptz

199

und Genossen,,450 in den Verdacht revolutionärer Gesinnung und in die Fänge des "Demagogenjägers" Kamptz geraten. Diese Verstrickung wirkte sich auf seine wissenschaftliche Karriere nachteilig aus und verzögerte seine Berufung auf eine Professur an der Berliner Universität um mehrere Jahre451 . Hier dürften die Gründe des fortdauernden Mißtrauens des Ministers gegen Klenze zu suchen sein. Mit diesen Ereignissen und der politischen Haltung Klenzes dürfte sich auch sein "compromittierendes" Auftreten an der Universität in Beziehung setzten lassen. Sieht man sich die anderen gegen seine Mitgliedschaft im RKH vorgebrachten Argumente an, so verlieren diese gegenüber den politischen Gründen erheblich an Zugkraft. Insbesondere das Vertrauensargument, das Kamptz gegen Klenze vorbringt, gerät ins Wanken, wenn man sieht, daß Kamptz nur knapp zwei Monate später den Professor Heffter vorschlug, der wohl kaum vom Vertrauen der rheinischen Bevölkerung getragen sein konnte. Die gesamte Angelegenheit hinterläßt den Eindruck, als hätte hier ein politisch verdächtiger Beamter durch einen dem Minister in seinen politischen Ansichten nahestehenden Juristen - erinnert sei hier nur an die Ausführungen Heffters über die Notwendigkeit eines politischen Strafrechts - ersetzt werden sollen 452 .

5. Zusammenfassung Die Personalpolitik Kamptz' läßt zum ersten Mal seit 1819 wieder ein eigenständiges Konzept im Umgang mit dem Gerichtshof erkennen. Wie Beyme, war sich auch Kamptz des politischen Gewichts des rheinischen Obergerichts bewußt und versuchte, den RKH zur Integration der Rheinlande in den preußischen Staat zu nutzen. Dies geschah allerdings vor dem Hintergrund ganz anderer rechtspolitischer Absichten und mit anderen Mitteln. Obwohl er sein Konzept unter beinahe denselben Vorzeichen ankündigte wie Beyme, verbarg sich dahinter ein erheblicher inhaltlicher Wandel. Beyme hatte sich bemüht, ein Gericht zu schaffen, das, gegründet auf das Vertrauen und die Zustimmung der rheinischen Bevölkerung, zur Identifikation der Gerichtseingesessenen mit den Einrichtungen des preußischen wollen, die entsprechende Passage des Protokolls ist jedoch offenbar auf ein Eingreifen Hardenbergs hin abgeändert worden. 450 M. Lenz: Geschichte der königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd. 2, 1. Hbd., S. 211. 451 1820 hatte Klenze promoviert und sich einer Anregung Savignys folgend dem akademischen Lehrberuf gewidmet. 1823 beantragte die Fakultät seine Aufnahme in den Lehrkörper, aber obwohl ein von Schuckrnann eingelegter Widerspruch zurückgenommen worden war, erhielt er keine definitive Anstellung, sondern wurde zunächst nur als außerordentlicher Professor bestellt. Erst 1826 wurde ihm eine ordentliche Professur übertragen. 452 Erst 1841 wurde Heffter tatsächlich als ordentliches Mitglied in den RKH aufgenommen. Karnptz war zu dieser Zeit lange schon nicht mehr Justizrninister, und Heffter hatte in seiner politischen Haltung zu einer wesentlich liberaleren Einstellung gefunden. Zu einern solchen Wandel Heffters Anfang der 40er Jahre K.-G. Faber: Rheinlande, S. 168.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

Staates beitragen sollte. Sehr viel stärker noch als Beyme betonte Kamptz die Integrationsfunktion des Gerichtshofes. Bei Aufstellung seines Besetzungskonzeptes rückte er die Wiederherstellung des Vertrauens der Rheinländer in den Gerichtshof als Motiv der Personalauswahl in den Vordergrund. Tatsächlich stellte er aber Personen ein, denen die rheinische Bevölkerung kaum Vertrauen entgegen bringen konnte: Juristen, die überwiegend keine gebürtigen Rheinländer waren, die kaum noch über Kenntnisse der Partikularrechte verfügten, die nur kurze Zeit in den Rheinlanden gearbeitet und sich teilweise sogar gegen die Institutionen des rheinischen Rechts ausgesprochen hatten. Es scheint, als hätte der Minister sich bemüht, Personen "seines Vertrauens" anzustellen, von denen er eine Integrationswirkung im Sinne einer Hinwendung des Gerichtshofes zu vermehrter Anwendung preußischen Rechts erwartete. Hinter diesen Anstellungen stand der Versuch, über die Zusammensetzung des Kollegiums eine Aushöhlung des rheinischen Rechts und damit eine Ausdehnung preußischen Rechts in den Rheinlanden zu fördern. Auch im Hinblick auf die Gesetzrevision verfolgten die Minister unterschiedliche Ziele. Beyme hatte bei der Besetzung des Gerichts durch die Heranziehung rheinischer und altpreußischer Richter sowie durch die Schaffung eines breiten und vielfältigen juristischen Erfahrungshintergrundes seine Auffassung von der Gesetzrevision als einer Annäherung beider Rechtsordnungen manifestiert. Das Gericht sollte nach dieser Konzeption zur Demonstration und Verbreitung der Grundsätze des französischen Rechts im preußischen Rechtsraum beitragen und über die Teilnahme an der Gesetzrevision die Reform des preußischen Rechts beeinflussen. Wahrend Beyme also Impulse der Gerichtspraxis in die Revision der preußischen Gesetze hatte lenken wollen, versuchte Kamptz, genau diese Impulsgebung zu beschränken. Nicht eine Verbreitung der Ideen des französischen Modells war hier beabsichtigt, sondern die Eindämmung der Wirkung dieser Ideen. Der Minister wollte ein Gericht schaffen, von dem er keinen nennenswerten Widerstand gegen seine Rechtsvereinheitlichungspläne zu befürchten hatte und das ihm die Option auf die endgültige Abschaffung der französischen Gesetzgebung und eine davon losgelöste Reform des preußischen Rechts offenhalten sollte. Der Personalpolitik beider Minister lag der Versuch zugrunde, den Gerichtshof im Sinne ihrer jeweiligen rechtspolitischen Zielsetzung zu instrumentalisieren. Während Beyme den RKH so ausgestaltete, daß er die Funktion eines Vermittlers französisch-rechtlicher Grundsätze in das preußische Recht einnehmen konnte, versuchte Kamptz, diese Funktion zu beschränken und sie durch die Schwächung der Position des rheinischen Rechts umzukehren.

IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852

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IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852 Der Kampf um das rheinische Recht endete mit der Entlassung Kamptz' aus dem Amt des rheinpreußischen Justizministers, spätestens mit seiner Entfernung auch aus dem Revisionsministerium 1842453 . An die Stelle der von ihm mit soviel Energie betriebenen Eindämmung des rheinischen Rechts trat nun eine allmähliche Übernahme grundlegender Institutionen dieses Rechts in die preußische Rechtsordnung, etwa auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung, des Strafverfahrens und des materiellen Strafrechts454 . Im Zuge dieser Entwicklung trat der RKH zunehmend aus dem Zentrum des rechtspolitischen Interesses hinaus und verlor nach und nach seine Funktion als Instrument zur Integration einer jetzt in ihren rechtspolitischen Forderungen anerkannten Provinz.

1. Die Besetzung des Gerichtshofes In diesen Jahren kam es nicht mehr zu einer Neuanstellungswelle 455 , vielmehr setzte sich der allmähliche Wechsel des richterlichen Personals, wie er schon unter Kamptz begonnen hatte, fort. Die personelle Zusammensetzung des Gerichtshofes stellt sich nicht mehr so deutlich wie 1819 und 1838 als Ausdruck eines bestimmten rechtspolitischen Konzepts im Umgang mit den rheinischen Recht dar. Die äußeren Bedingungen der Zusammensetzung des Spruchkörpers und der Funktionstüchtigkeit des Gerichts basierten weiterhin auf den Strukturen von 1831. Die überwiegende Zahl der Richter war im Hauptamt am RKH angestellt; das Hilfsarbeiterwesen lebte nicht mehr aut 56 . 1841 schließlich wurde die Stelle 453 Mit Kabinettsorder vom 28.2. 1842 (Gesetzsammlung 1842, S. 83) wurde die Gesetzrevision an Savigny übertragen und Kamptz auch von diesen Aufgaben entbunden; GStA PK Rep 84 11 Tit. I, Nr. 1, vol. 11, fol. 234. 454 Einen allgemeinen Überblick dazu gibt E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 174 ff.; weitere Literaturangaben unten Kapitel C IV 4. 455 Die Besetzungsvorgänge dieser Jahre lassen sich im einzelnen anhand folgender Akten rekonstruieren: GStA PK Rep 97 B lAI gen., ab fol. 257 ff.; ebd. Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, Nr. 17260, Nr. 17282. Mit Ausnahme des Jahres 1849 lassen sich jeweils nur ein oder zwei Veränderungen pro Jahr feststellen. 456 Die Stelle des ständigen Hilfsarbeiters wurde nach dem Ausscheiden von und zur Mühlens 1839 nicht erneut besetzt. Einzelne kranke oder ausgeschiedenen Richter wurden jedoch immer wieder durch temporäre Hilfskräfte vertreten. Darüber hinaus blieb Savigny weiterhin von der Bearbeitung der französisch-rechtlichen Sachen entbunden. Seine Stellvertretung in diesem Bereich wurde 1841 dem Geheimen Justizrat Tellermann übertragen; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 274. Als Savigny 1842 aus dem RKH ausschied, arbeitete Tellermann noch einige Monate in der vakanten Stelle. Er wurde aber im September 1842 in das Vize-

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

eines Generaladvokaten wieder besetzt 457 . Diese Funktion wurde Jaehnigen übertragen. Es handelte sich allerdings nicht um eine dauerhafte Einrichtung, eher wohl um eine angesichts des hohen Alters und der zunehmenden Kränklichkeit des Generalprokurators unerläßliche Überbrückungsmaßnahme. Nachdem Eichhorn 1847 aus dem Kollegium ausgeschieden war und Jaehnigen auf seinen Posten gewechselt hatte, wurde die Generaladvokatur nur noch einmal für kurze Zeit mit dem vormaligen Kölner Generalprokurator Berghaus besetzt458 . 1849 wurde schließlich das Nebenamtskonzept, das Kamptz mit der Festlegung dreier nebenamtlicher Stellen fortgeführt hatte, endgültig aufgegeben. Schon 1843 war eine dieser nebenamtlichen Stellen, diejenige Savignys, in eine hauptamtliche umgewandelt worden und mit dem Appellationsrat Alexander von Daniels 459 besetzt worden. 1848 schieden dann mit August Heinrich Simon und dem künftigen Justizminister Kisker, der 1846 auf die Stelle Heffters eingerückt war, die letzten bloß nebenamtlich beschäftigten Richter aus. An ihre Stelle trat ein weiterer hauptamtlicher Richter. Der RKH verfügte damit - den Präsidenten ausgenommen - über acht hauptamtliche Mitglieder, die allerdings ihrerseits teilweise neben diesem Hauptamt nebenamtlichen Beschäftigungen nachgingen. So hatte von Danie1s 1844 einen Ruf an die Universität Berlin angenommen, an der er Vorlesungen im französischen Recht hielt460 . Andere Richter wurden zeitweise zu Hilfsarbeiten im Justizministerium zugezogen461. Obwohl der Sitzungsbetrieb kaum noch von der Rücksichtnahme auf die Anforderungen der Hauptämter von nebenamtlichen Mitgliedern oder der Hilfsarbeitern gestört wurde, lief er auch in der Folge nicht ungehindert ab. Die gesetzliche Mindestzahl von sieben Votanten war stets gefahrdet. Schon 1848 konnte Sethe aufgrund seines hohen Alters und gesundheitlicher Beschwerden an den Sitzungen kaum noch teilnehmen und im Juni 1849 schied er auf seinen Wunsch hin endgültig aus dem RKH aus 462 . Das Amt des Präsidenten wurde daraufhin nicht neu bepräsidium des Oberlandesgerichts Stettin berufen und schied aus dem RKH aus; ebd. fol. 281 f. 457 Dies geschah wohl auf eine Anregung des Justizministers Mühler; Schreiben Mühlers an den König vom 13.4. 1840; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 44; genehmigende Kabinettsorder von 30. 4. 1841; ebd. fol. 58. 458 Berghaus gehörte dem RKH 1846/47 nur knapp zehn Monate an. Zu seiner Anstellung GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 91 ff. Zu den Gründen für seine Versetzung nach Berlin unten Kapitel C IV 3. 459 E. Ullmann: ADB, Bd. 4, S. 734 f. 460 Er hatte sich 1844 um eine außerordentliche Professur für rheinisches Recht beworben. Obwohl Sethe, Eichhorn und in ihrem Gefolge auch der Justizminister diesem Antrag ablehnend gegenübergetreten waren - Sethe sprach sich sogar gegen die Einrichtung eines solchen Lehrstuhles in Berlin aus -, erlangte Danie1s die Genehmigung des Königs. Bereits im Juli 1844 kündigte das Vorlesungsverzeichnis Veranstaltungen Daniels' an; zum ganzen Schriftwechsel zwischen dem Gerichtshof und Mühler GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 311 ff. 461 Einen Überblick über die Personalentwicklung gibt v.a. GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 257 ff.

IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852

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setzt, sondern nur stellvertretend von einem der Räte ausgeübt. Auch von den verbliebenen acht Richtern fielen immer wieder einzelne aufgrund von Krankheit oder Beurlaubung aus und mußten wieder durch temporäre Hilfsarbeiter ersetzt werden463 .

2. Die Personalauswahl Für die Personalauswahl als solche wurde die vorherige Tätigkeit an rheinischen Gerichten, die schon Kamptz weitgehend etabliert hatte, zu einen festen Kriterium. Mit dem rheinischen Verfahren gänzlich unbekannte altpreußische Beamte gelangten in diesen Jahren nicht mehr an den RKH. Man ging aber auch nicht soweit, nur noch gebürtige Rheinländer anzustellen oder die territoriale Herkunft oder gar die Konfession - wie vom Vorstand des Appellationshofes, aber auch von Sethe gefordert - auch nur als relevante Gesichtspunkte anzuerkennen 464 . Viele der Beamten waren nach wie vor im rheinischen Justizdienst tätige Richter altpreußischer Herkunft465 . Insofern maß man also dem Vertrauen der rheinischen Bevölkerung in die Richter kein größeres Gewicht zu als in den vorangegangenen Jahren. Etwas anders verhielt sich das hinsichtlich eines zweiten Punktes, der mit dem Vertrauen der Bevölkerung in Verbindung gebracht stand, nämlich mit der literarischen Tätigkeit der Richter. Unter Mühler wurden mit Otto Alexander Heinrich von Oppen GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 388 ff., 396. Seit 1850 erhöhte sich die Notwendigkeit, auf solche Hilfsarbeiter zurückzugreifen, noch einmal, da einzelne der in den letzten Jahren zugezogenen Richter, insbesondere die Revisionsräte Hennes, Broicher und Frech, an Prozessen, die jetzt anhängig wurden, in erster oder zweiter Instanz schon über ihre vorherigen Ämter beteiligt waren und daher von der Teilnahme an den Entscheidungen des RKH ausgeschlossen waren; dazu der Schriftverkehr der Gerichtsleitung mit dem Justizministerium aus den Jahren 1851 und 1852; GStA PK Rep 97 B lAI gen. fol. 428 ff., 436 ff. 464 Als 1843 nach dem Ausscheiden Meusebachs und Savignys aus dem Kollegium die bei den frei gewordenen Stellen besetzt werden sollten, wurden dazu Stellungnahmen des Kölner Appellationsgerichtspräsidenten Schwarz und des Generalprokurators Berghaus eingeholt. Beide stimmten darin überein, daß einer der heiden neuen Beamten katholischer Konfession sein sollte. Berghaus forderte zudem, beide Stellen mit gebürtigen Rheinländern zu besetzen und verband diese Forderung mit dem Vertrauens argument; Bericht des Generalprokurators vom 6. 2. 1843 und des Präsidenten vom 16. 2. 1843; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282 fol. 24 ff.; fol. 28 f. Eine Ausrichtung der Beförderungsentscheidung an diesen Gesichtspunkten wurde von Mühler strikt abgelehnt. In der Bevorzugung rheinischer Kandidaten sah er eine unangemessene Zurücksetzung der altpreußischen Beamten; Bericht vom 27. 3. 1843; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 20 ff. Auch Sethe hatte von Mühler gefordert, wieder gebürtige Rheinländer am RKH zu beschäftigen; Bericht vom 26. 1. 1843; ebd. Rep 97 B I L 16 (unfoliiert). 465 Über den Werdegang vieler dieser Juristen rheinischer und altpreußischer Herkunft gibt die Aktenführung des Justizministeriums und des Zivilkabinetts über den Appellationsgerichtshof Auskunft: bspw. GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 2791; Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17243 ff., Nr. 17254 f., Nr. 17264 f., Nr. 17284. 462 463

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und Bemhard Freiherr Brewer von Fürth zwei Juristen für eine Anstellung im RKH vorgeschlagen, die sich in den vorangegangenen Jahren energisch für eine Beibehaltung des gesamten rheinischen Rechts ausgesprochen hatten und von daher sicher eher vom Vertrauen der Bevölkerung getragen waren als die unter Kamptz angestellten Juristen 466 . Schließlich sind hier noch zwei weitere für die bisherige Besetzung prägende Merkmale anzusprechen: die Verbindung zum Justizministerium und zur Gesetzrevision. Was die Doppelbeschäftigungen in Ministerium und Gerichtshof betrifft, so blieb diese auch in den folgenden Jahren bestehen. Wiederholt wurden Richter schon bei ihrer Anstellung am RKH zu Hilfsarbeiten im Ministerium verpflichtet467 . Die Beteiligung der Richter an der Gesetzrevision, bzw. der reformierenden Einzelgesetzgebung veränderte sich dagegen stark. Die Umstrukturierung der Gesetzrevisionsprojektes unter Savigny als Gesetzrevisionsminister hatte dazu beigetragen, daß die Verbindung des Gerichtshofes zu den Revisionsarbeiten immer mehr abnahm. 1842/43 waren nur noch zwei Richter des RKH überhaupt daran beteiligt, nämlich Heffter und Sethe468 . Eine Eignung für die Mitarbeit an der Gesetzrevision verlor als Auswahlkriterium jede Bedeutung. Die Personalauswahl insgesamt war dariiber hinaus von einer Normalisierung, im Sinne einer zunehmenden Angleichung an die Beförderungsstrukturen innerhalb der altpreußischen Gerichtsbarkeit469 , gekennzeichnet. Mühler und seine Nachfolger gingen allmählich dazu über, den Appellationsgerichtshof zur Bestimmung geeigneter Juristen heranzuziehen 470. Die persönlichen Bekanntschaft der 466 Vgl. K.-G. Faber: Rheinlande, S. 165 ff. Eine Anstellung Brewer von Fürths wurde vom König genehmigt, aber Fürth selbst lehnte den Ruf nach Berlin letztlich ab; GStA PK Rep 89 (2.2.\.) Nr. 17282, fol. 45. 467 Dies war beispielsweise bei Oppen, der 1839 in die Stelle Breunings einrückte, und bei Schnaase, der 1848 die achte Ratsstelle erhielt der Fall; GStA PK Rep 89 (2.2.\.) Nr. 17282, fol. 12; ebd. Nr. 17260, fol. 5. Auch die Generaladvokaten Jaehnigen und Berghaus wurden zu Hilfsleistungen im Justizministerium herangezogen; GStA PK Rep 89 (2.2.\.) Nr. 17259, fol. 108; ebd. Nr. 17260, fol. 2. Eine wirkungsvolle Kritik an diesen Doppelanstellungen konnte sich erst in den Verfassungsentwürfen des Jahres 1848 Bahn brechen. Art. 83 des Verfassungsentwurfs der Nationalversammlung und die Verhandlungen zu diesem Artikel, abgedruckt bei Karl G. Rauer: Protokolle der von der Versammlung zur Vereinbarung der Preußischen Verfassung ernannt gewesenen Verfassungskommission, Berlin 1849, S. 92, 116. Text des Art. 83: "Das Richterarnt ist mit der gleichzeitigen Verwaltung eines anderen besoldeten Staatsamtes unvereinbar. Ausnahmen finden nur aufgrund eines Gesetzes statt." 468 A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 535 ff. Sethe wurde als Mitglied der von Savigny als zentrales Beratungsgremium neu errichteten Gesetzrevisionskommission berufen. Heffter, der ursprünglich wohl auch in das Ministerium hatte eintreten sollen, lieferte zumindest in einzelnen Materien Entwurfsmaterialien. Der Gesetzrevisionskommission gehörten mit Duesberg und Ruppenthal noch zwei ehemalige Mitglieder des RKH an. Vgl. auch W Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, \. Abt., Bd. 1, S. XXI; 2. Abt., Bd. 11, Teil 1, S. XXXVII ff.; Barbara Dölemeyer: Deutschland, in H. Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 2. Hbd., S. 1495 ff. 469 Dazu oben Kapitel C I 2 b).

IV. Ausblick: der Revisions- und Kassationshof zwischen 1838 und 1852

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Minister mit den anzustellenden Juristen, die unter Kamptz und Beyme eine wichtige Rolle gespielt hat, wurde durch die vom Präsidenten und Generalprokurator des Appellationshofes ausgesprochenen Empfehlungen ersetzt. Damit stand ein zweiter Aspekt in engem Zusammenhang: Wahrend das Zivilkabinett noch 1836 anläßlich einer ersten vergeblichen Bewerbung des nachherigen Revisionsrats Leist ausdriicklich erklärt hatte, ein Einriicken aus dem Appellationshof in den RKH nach der Anciennität finde nicht statt471 , gewann mit der Beriicksichtigung der Vorschläge des Appellationshofes, auch das Dienstalter an Gewicht472 . Was schließlich die Funktionsfähigkeit des Gerichts anbetrifft, so war es ungeachtet der immer noch auftretenden Personalengpässe insgesamt gesehen der Arbeitslast gewachsen. Die Zahl der pro Geschäftsjahr anfallenden Prozesse blieb letztlich bis zur Vereinigung mit dem Obertribunal einigermaßen konstant. Gegenüber dem durchschnittlichen Niveau der Jahre 1833 bis 1838 hatte sie zwar etwas nachgelassen, pendelte sich aber schließlich zwischen 243 und 330 Sachen pro Jahr ein. Noch 1850/51 wurden 334 Prozesse am RKH anhängig gemacht, 1851/ 52 waren es 254. Dagegen sank die Zahl der aus dem Vorjahr übernommenen unerledigt gebliebenen Verfahren beständig. Sie lag in den letzten fünf Jahren unter 20 Sachen pro Jahr473 .

470 Siehe zu diesen Besetzungsvorgängen; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, ab fol. 20.; Nr. 17259, ab fol. 59. Als ein erster Ansatz zu einer solchen Entwicklung ist in der Amtszeit Kamptz die Berufung des Appellationsrates Breuning zu sehen. Seine Anstellung ging auf einen Vorschlag des Vorstandes des Appellationshofes zurück; dazu Schreiben Kamptz' an den König vom 19. 1. 1832; GStA PK Rep 98 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 1. Zu Breunings vorherigen Ämtern G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819). 471 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) 17259, fol. 11. 472 So beispielsweise bei der Berufung der dienstältesten Appellationsräte Leist und Brewer von Fürth. In den vorangegangenen Berichten des Appellationshofes hatte der Generalprokurator gerade diesen beiden die fachliche Qualifikation für das Amt am RKH abgesprochen, der Präsident dagegen ihre Berufung befürwortet. Mühler hatte gegen ihre Anstellung, dem Generalprokurator folgend, ebenfalls Bedenken erhoben. Aus einer Arbeitsnotiz aus dem Zivilkabinett geht hervor, daß der König selbst in diesem Fall eine Entscheidung zugunsten der beiden Räte getroffen hatte, die entscheidend durch den Anciennitätsgrundsatz bestimmt war; Bericht Mühlers vom 27. 3. 1843 mit der entsprechenden Notiz versehen; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 20 f. Weitere Beispiele für eine Berücksichtigung des Dienstalters der Räte sind die Anstellung des Appellationsrates Brewer 1841 (Bericht des Justizministers Mühler an den König vom 19.6. 1841; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 61 f. und des Appellationsrates Nicolovius 1845 (Bericht des Justizministers Uhden an den König vom 30. 11. 1845 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 51 f.). 473 Diese Angaben sind der Auswertung der Geschäftstabellen des RKH entnommen, die in GStA PK Rep 97 B I A I gen. zusammengestellt sind.

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C. Der Revisions- und Kassationshof und die preußische Justizpolitik

3. 1848 bis 1852: die letzten Jahre des Revisionsund Kassationshofes vor dem Hintergrund von Revolution und einsetzender Reaktion Direkte Auswirkungen des politischen Geschehens auf das Schicksal des Gerichts waren in den Jahren nach 1838 kaum noch zu beobachten. Sie lassen sich erst wieder im Zusammenhang mit der Revolution von 1848 feststellen. Schon im Vorfeld der 48er Ereignisse sind hier zwei Fälle zu erwähnen: 1846 wurde im Gefolge der sogenannten "Kölner Unruhen" der Generalprokurator des Appellationshofes Franz Xaver Berghaus zwangsweise an den RKH versetzt. Berghaus war auf verschiedenen Versammlungen aufgebrachter Bürger und der "niederen Volksklassen,,474 aufgetreten und hatte sich bemüht, die erregten Gemüter zu beruhigen und weiteren bewaffneten Auseinandersetzungen vorzubeugen. Bei diesen Gelegenheiten hatte er eine Untersuchung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens aller an den Unruhen Beteiligter - also auch des Militärs - angekündigt475 . Diese Haltung, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines militärischen Einsatzes erkennen ließ, war es, die Berghaus zumindest in den Augen des Justizministers Uhden und des Finanzministers Duesberg als Vorsteher des öffentlichen Ministeriums in der Rheinprovinz untragbar machte. Als Berghaus selbst sein Verhalten rechtfertigte und um seinen Verbleib im Amt oder um eine vorzeitige Pensionierung antrug, wurde massiver Druck auf ihn ausgeübt. Für den Fall, daß er sich nicht entschließen könne, nach Berlin zu gehen, wurde ihm angedroht, ihn ohne Pension zu entlassen. Diesem Druck gab er schließlich nach. Am RKH erhielt er die Stelle des Generaladvokaten, die durch den Wechsel an der Spitze des öffentlichen Ministeriums frei geworden war. In Berlin, wo der unmittelbare Kontakt zwischen öffentlichem Ministerium und Gerichtseingesessenen abgeschnitten war, hielt man einen Mann wie Berghaus im öffentlichen Ministerium für ungefährlich. Der zweite Fall zeigt, daß aber auch das öffentliche Ministerium des RKH in seiner Arbeit nicht von allen politischen Einflußnahmen verschont blieb. Es geht dabei um die Umstände des Austritts Eichhorns aus seiner Stellung als Generalprokurator. Eichhorn hatte Ende 1846 sein Pensionsgesuch eingereicht. Zu diesem Schritt hatten ihn sein Alter, seine Kränklichkeit, aber auch Vorwürfe der Regierung gegen 474 Zur ganzen Angelegenheit Bericht des Justiz- und des Finanzministers an den König vom 17. 11. 1846, Eingabe Berghaus' an den König vom 30. 9. 1846, Stellungnahme Ruppenthals vom 25. 10. 1846; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 91 ff. Der Begriff "niedere Volksklassen" wird nur im Bericht der beiden Minister verwendet, nicht dagegen bei Berghaus, der in seiner Rechtfertigung durchweg von Volksrnassen oder Bürgern spricht. 475 In seiner öffentlichen Bekanntmachung heißt es: "Jedem guten Bürger wird mit mir daran gelegen sein, daß die Schuldigen, auf welcher Seite diese auch sein mögen, schleunigst ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden."; zitiert nach dem Bericht der Minister; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17259, fol. 91. Zur Person Berghaus' und seinem hier geschilderten Verhalten auch A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliehe Gedanke in Deutschland, in: J. Wolffram/ A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 161.

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seine Amtsführung bewegt. Diese Kritik knüpfte daran an, daß der RKH auf seinen Antrag hin 1846 das gegen den Freispruch des Koblenzer Oberprokurators Leue eingelegte Kassationsgesuch abgewiesen und den wegen des Versuchs eines Zensurvergehens verfolgten Leue476 endgültig einer Bestrafung entzogen hatte. Hatte sich hier noch die politische Entwicklung auf die Zusammensetzung des Gerichts ausgewirkt, so nahmen in den Jahren 1848/49 die Mitglieder der Gerichtskollegiums unmittelbar an der politischen Entwicklung teil und zwar als Abgeordnete der Parlamente. Esser und von Daniels wurden 1848 in die Nationalversammlung gewählt, und 1849 wurden Oppen und von Daniels in die erste Kammer des Parlaments berufen. Des weiteren ging das Justizministerium dazu über, die in dieser Zeit entstehenden Personalengpässe durch rheinische Juristen zu schließen, die als Abgeordnete der Kammern des preußischen Parlaments ohnehin in Berlin anwesend waren. Auf diese Weise wurde der Appellationsgerichtsrat von Ammon und der Landgerichtspräsident von Olfers, beides ebenfalls Abgeordnete der ersten Kammer, als Aushilfen an den RKH gezogen 477 . Die politische Haltung dieser und der anderen Richter kann im Rahmen dieses Ausblicks nicht näher untersucht werden, soll aber zumindest punktuell beleuchtet werden. Sie kann in das von Christina von Hodenberg aufgestellte Schema zur politischen Ausrichtung der preußischen Richterschaft in den Jahren 1848/49 eingeordnet werden478 . Danach hatte die Mehrheit der liberalen Richterschaft zunächst die Reformbewegung gestützt. Als die Revolution aber allmählich scheiterte bzw. nur noch durch Gewalt oder Umkehrung der gesetzlichen Ordnung hätte vorangebracht werden können, stellte sie sich auf die Seite der gesetzlichen Ordnung. Dies brachte sie unweigerlich in die Nähe der Gegenrevolution, die angetreten war, diese Ordnung wiederherzustellen. Dieser Wechsel vollzog sich, ohne daß sich die liberale, auf Rechtmäßigkeit aller Veränderungen beharrende Haltung der Richterschaft grundlegend gewandelt hätte. Die allen radikalen Äußerungen gegenüber 476 Zum Fall Leues K.-G. Faber: Rheinlande, S. 185 ff.; vgl. auch C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 81 mit Hinweisen auf die FundsteIlen der über diesen Fall angelegten Akten. 477 Zu Esser Uwe Lorenz Kötschau: Richterdisziplinierung in der preußischen Reaktionszeit. Verfahren gegen Waldeck und Temme, Univ. Diss. Kiel 1976, S. 18 f.; C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 301; zu Oppen GStA PK Rep 97 B I A I gen., fol. 364. Oppen hatte sich zwischenzeitlich auf die Stelle des Oberlandesgerichtspräsidenten in Halberstadt beworben und war wohl auch 1847/48 nicht in Berlin anwesend, von 1848 an arbeitete er dann aber bis 1852 wieder am RKH. Zu Danie1s, Olfers und Ammon der Bericht des lustizministers Rintelen an den König vom 2. 4. 1849; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17282, fol. 56 ff. Zu Ammon und Olfers auch GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 361, 372. Zum Niederschlag der 48er Ereignisse und der Wahlen in den Rheinlanden Konrad Repgen: Märzbewegung und Maiwahlen des Revolutionsjahres 1848 im Rheinland (Bonner Historische Forschungen, Bd. 4), Bonn 1955. 478 C. von Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 300 ff. Dort findet man auch eine Darstellung, welchen politischen Richtungen die preußischen Richter in den Parlamenten zuzuordnen waren.

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kritische Ausrichtung der Richter zeigte sich auch am RKH: Nur einer der Richter, der Revisionsrat Esser, hatte sich für die demokratische Bewegung engagiert479 . Dieses Engagement forderte den Protest seiner Kollegen heraus. Esser, der in der Nationalversammlung der linken, demokratisch ausgerichteten Gruppe von Abgeordneten angehörte, hatte nämlich öffentlich gegen die Regierung Stellung bezogen. Daraufhin forderten der Präsident und die übrigen Richter des RKH ihn in einem öffentlichen Brief zum Rücktritt auf. Esser wehrte sich in einer ebenfalls veröffentlichten Stellungnahme, indem er dem Kollegium jede Befugnis absprach, "einen politischen Gewissenszwang gegen seine Mitglieder auszuüben,,48o. Stellungnahmen aus der Richterschaft gegen Vertreter extremerer politischer Richtungen in ihren Reihen traten nach dem Scheitern der Revolution gehäuft auf; am Obertribunal beispielsweise gegen den Vorsitzenden des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung, Benedict Waldeck481 . Vereinzelt kam diese Haltung der Richter auch in der öffentlichen politischen Auseinandersetzung zum Ausdruck. Sethe beispielsweise wurde in die Steuerverweigerungskampagne 1848482 verwickelt. Einer seiner Söhne war als Staatsanwalt mit der Verfolgung der Verweigerer befaßt und wurde deshalb von der radikalen Presse angegriffen. Man hielt ihm das Beispiel seines Vaters vor, der 1813 anläßlich der bergischen Aufstände die Angeschuldigten den von der Regierung eingeforderten willkürlichen Strafaktionen entzogen hatte. Sethe selbst verwahrte sich in einer öffentlichen Erklärung gegen diese Gleichstellung, indem er darauf hinwies, daß er selbst damals - anders als jetzt die Steuerverweigerer - auf der Seite des Rechts gestanden habe 483 . Hier spiegelt sich die von Christina von Hodenberg beschriebene Kehrtwende wieder, die die Richterschaft gerade durch ihr Festhalten am Gesetzlichkeitsdogma vollziehen mußte. Hatte sie sich in den Jahren zuvor unter Berufung auf das Gesetz erfolgreich gegen die Regierung stellen können, mußte sie sich nun, da ein Abgehen vom Begriff der Gesetzlichkeit von der Mehrheit der Richter nicht vollzogen wurde, nach dem Scheitern der Verfassungsbemühungen von 1848 in die Nähe der Reaktion stellen.

479 Der Gruppe der konservativen Abgeordneten gehörte dagegen Alexander von Daniels an; siehe bspw. A. Ullmann: ADB, S. 735. 480 Die ganze Angelegenheit mitgeteilt bei U. L. Kötschau: Richterdisziplinierung in der preußischen Reaktionszeit, S. 18 f. Dort auch ausführliche Zitate aus der Augsburger Al1gemeinen Zeitung (1848, S. 5747; 1849, S. 146, S. 275), in der diese Auseinandersetzung veröffentlicht wurde. Tatsächlich wurde Esser zum 1. Januar 1850 mit Pension entlassen, Mitteilung des Justizministers Simons an den RKH vom 23. 11. 1849; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 399. 481 Dazu C. v. Hodenberg: Partei der Unparteiischen, S. 300 ff. 482 Zu dieser Kampagne E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 , Bd. 2: Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, 3. Aufl. Stuttgart, Berlin u. a. 1988, S. 755 f. 483 Diese Vorgänge werden mitgeteilt von A. Klein/ J. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt, S. 55. Zum Verhalten Sethes 1813 siehe oben Kapitel C I 2 b) ce).

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Soweit Berlin selbst Schauplatz revolutionärer Ereignisse und deren Folgeerscheinungen war, geriet die Arbeit des Gerichtshofes unmittelbar in den Einfluß dieser Ereignisse. Bei den Urwahlen zur Nationalversammlung am I. Mai 1848 und dann bei allen folgenden Wahlen wurde der große Sitzungssaal des RKH - wie andere öffentliche Räumlichkeiten auch - auf Anforderung des Magistrats der Stadt Berlin als Wahllokal zur Verfügung gestellt484 . Einen wesentlich direkteren Eingriff in den Sitzungs betrieb stellte jedoch ein singuläres Ereignis dar. Als im Zuge der Gegenrevolution im November 1848 das Militär in Berlin aufmarschierte und das Kriegsrecht verhängt wurde, fiel auch das Lokal des RKH "in den Belagerungsstand,,485. Nachdem die Räumlichkeiten schon in den Wochen zuvor mehrfach von seiten des Militärs inspiziert worden waren, wurde am Sonntag, den 12. November 1848, zunächst das Beratungszimmer zur Unterbringung einiger Offiziere beschlagnahmt. Am folgenden Tag wurden auch die Truppen, die bisher auf den Innenhöfen des Lagerhauses kampiert hatten, wegen der großen Kälte in den Audienzsaal des RKH, aus dem man die Sitzbänke "losgebrochen" hatte, einquartiert. Überdies eröffneten ein Militärschuster und ein Militärschneider ihre Werkstätten im Saal. An eine Fortführung des Sitzungsbetriebes war nicht zu denken486 . Erst nachdem der lustizminister eingegriffen hatte, konnten die Sitzungen zehn Tage später wieder aufgenommen werden 487 .

4. Die Vereinigung des Revisions- und Kassationshofes mit dem Obertribunal Mit dem Ende des Kampfes um das rheinische Recht und dem Beginn einer allmählichen Übernahme dessen, was so lange als "rheinische Institutionen" im Mittelpunkt des rechts- und innenpolitischen Schlagabtausches gestanden hatte, riickte die seit 1819 im Raum stehende Vereinigung der beiden obersten preußischen Gerichte in greifbare Nähe. Art. 92 der Verfassung von 1850 sah vor, daß es in Preußen künftig nur noch ein Obergericht geben solle - eine Bestimmung, die schließlich im Gesetz vom 17. März 1852 "Betreffend die Vereinigung der beiden obersten Gerichtshöfe" umgesetzt wurde488 . 484 Der entsprechende Schriftverkehr zwischen dem Magistrat und dem Präsidenten Sethe in GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert). 1849 gab der Präsident seine Zustimmung allerdings unter Hinweis auf die Schicklichkeit und Sauberkeit des Gerichtssaales, sowie auf die drohende Feuergefahr nur unter der Bedingung, daß das Rauchen im Wahllokal verboten würde; Schreiben vom 14. 1. 1849; GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert). 485 Beschwerde des Präsidenten Sethe an den lustizminister Rintelen vom 16.11. 1848; GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert). Dort sind auch die im folgenden geschilderten Vorgänge dokumentiert. 486 Bericht des Kastellans und des Obersekretärs der RKH vom 14. 11. 1848; GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert). 487 Bericht des Kriegsministers an Sethe vom 23. 11. 1848; GStA PK Rep 97 B I A 9 (unfoliiert).

14 Seynsche

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Konkrete Gestalt hatten die Pläne zur Vereinigung bereits 1848 angenommen. Doch verlief die Entwicklung der folgenden Jahre nicht völlig reibungslos. Sie wurde weiterhin stark von der Haltung der jeweiligen Regierungen, besonders der wechselnden Ministerien der Revolutionsjahre, zur Frage der künftigen Ausgestaltung der preußischen Rechtsordnung beeinflußt489 . Die Anstrengungen zur Vereinigung der beiden Gerichte wurden begünstigt durch die zunehmende Annäherung des preußischen an das rheinisch-französische Recht. Diese Annäherung wurde auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung durch die Neuorganisation des preußischen Gerichtsaufbaus 1849 und auf dem Gebiet des Strafverfahrens durch die Einführung eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens mit Anklagevertretern, das auf dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung beruhte, realisiert 49o • Ihre weitgehendste Umsetzung fand sie im preußischen Strafgesetzbuch von 1851 491 , das das friiher so umstrittene, nach sozialer Herkunft gestaffelte Strafsystem endgültig aufgegeben und sich in weiten Stücken an den Code penal angelehnt hatte. Anders verlief die Entwicklung für das Zivil- und Zivilprozeßrecht. Obwohl zumindest für das Verfahrensrecht 1848 eine ähnliche Entwicklung möglich erschien, kam es über die Einführung der Nichtigkeitsbeschwerde als eines kassationsähnlichen Rechtsmittels und die Aufnahme des mündlichen und öffentlichen Verfahrens hinaus bis 488 Text der Verfassung vom 31. 1. 1850 bei E. R. Huber: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I: Deutsche Verfassungsdokumente 1803-1850, s. 501 ff.. ; siehe auch Gesetzsammlung 1850, S. 17 ff. Art. 92 der Verfassung lautete: "Es soll in Preußen nur ein oberster Gerichtshof bestehen". Art. 116 bestimmte: "Die noch bestehenden beiden obersten Gerichtshöfe sollen zu einem einzigen vereinigt werden. Die Organisation erfolgt durch ein besonderes Gesetz". Das Gesetz vom 17. 3. 1852 ist abgedruckt in Gesetzsammlung 1852, S. 73 ff. 489 Zu den Ereignissen der Revolutionsjahre in Preußen und dem raschen, oft im Abstand von wenigen Monaten erfolgenden Wechsel der Regierungen 1848 vgl. statt vieler W. Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49 (Moderne Geschichte, Bd. 5), Frankfurt a.M. 1993; E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2, S. 572 ff. 490 Einen allgemeinen Überblick gibt E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: 1. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 174 ff. Einen Überblick über die Annäherungen auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts und des Strafrechts geben W. Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XXXIV ff. Für die Entwicklung auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung ebd. 2. Abt., Bd. 11, 1. Hbd., S. LIII. Ursprünglich hatte sogar - nach den von Christian Friedrich Koch ausgearbeiteten Plänen der lustizminister Bornemann und Maerker - die rheinisch-französische Gerichtsverfassung als solche auf die altpreußischen Landesteile übertragen werden sollen. Dies warf aber v.a. organisatorische Probleme auf, so daß der nachfolgende lustizminister Kisker sich für eine die preußischen Einrichtungen möglichst schonende Reform aussprach. Dennoch beinhaltete diese Reform (Verordnung vom 2. 1. 1849, Gesetzsammlung 1849, S. 1 ff.; Ergänzungsgesetz vom. 26.4. 1851) die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des exemierten Gerichtsstandes, die Einführung der Geschworenengerichte sowie einen gleichfönnigen Gerichtsaufbau und Instanzenzug mit kollegialischen Erstinstanzgerichten, Appellationsgerichten als zweiter und dem Obertribunal als dritter Instanz. Darüber hinaus sollten auch Hande1s- und Gewerbegerichte eingerichtet werden. 491 K.-G. Faber: Rheinlande, S. 175 ff.; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 180 f.

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zu den Reichsjustizgesetzen bzw. bis zur Einführung des BGB zu keiner weiteren Annäherung 492. Gerade an der fortbestehenden Uneinheitlichkeit auf dem Gebiet des Zivil- und Zivilprozeßrechts entzündeten sich die Konflikte um die Zusammenlegung der Obergerichte. Die Frage der Vereinigung von RKH und Obertribunal wurde 1848 in den Arbeiten an einer preußischen Verfassung aufgeworfen493 . Der von der Verfassungskommission der Nationalversammlung ausgearbeitete Verfassungsentwurf - die nach dem Vorsitzenden der Kommission, Benedict Waldeck, benannte "Charte Waldeck" - sah die Bildung eines obersten Gerichtshofes für die gesamte Monarchie im Anschluß an die Einführung einer gleichfönnigen Gerichtsverfahrens vor. Ausgangspunkt der geplanten Vereinheitlichung von Gerichtsverfassung und -verfahren war die Übernahme der in der Rheinprovinz erprobten Gerichtsverfassung. Dementsprechend kommt in den Verhandlungsprotokollen der Kommission zum Ausdruck, daß der oberste Gerichtshof als Kassationshof gedacht war494 . Obwohl die folgenden Regierungen und die oktroyierte Verfassung von 1848 von dieser Hinwendung zum rheinischen Zivilprozeß wieder abrückten49S , hielt man am Vereinigungsgedanken fest. Die Vereinigung sollte trotz der fortbestehenden Unterschiede durch eine Angliederung des RKH an das Obertribunal erfolgen496 . In ei492 Ein 1848 im Auftrag der Justizminister Bornemann und Maerker von Christian Friedrich Koch ausgearbeiteter Zivilprozeßentwurf, der in großem Umfang das französische Verfahren adaptierte, wurde nach dem Regierungswechsel vorn 21. September 1848 fallengelassen. Er wurde nicht mehr in offiziellem Auftrag, sondern nur noch von Koch in privater Herausgeberschaft veröffentlicht; C. F. Koch: Entwurf einer Civil-Prozeß-Ordnung für den Preußischen Staat, mit den Motiven nebst einern Anhange, Berlin 1848. Zum Wandel der zunächst am französischen Recht orientierten Refonnrichtung unter Kisker W. Schuben/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, 1. Hbd., S. XLIII; C. F. Koch, S. XXIX. 493 Dazu allgemein E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart, Berlin, u. a. 1988, S. 584 ff., 729 ff. 494 Verhandlungsprotokolle, Verfassungsentwurf und Motive bei Karl G. Rauer: Protokolle der von der Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Verfassung ernannt gewesenen Verfassungskornrnission, Berlin 1849, S. 93 ff. (Sitzung vorn 22. 7. 1848), S. 117 (Art. 88 des Verfassungsentwurfes: "Nach Einführung eines gleichförmigen Gerichts-Verfahrens werden die noch bestehenden obersten Gerichtshöfe zu einern einzigen vereinigt."), S. 132 f. ( Motive). Die geplante Übernahme der rheinischen Gerichtsverfassung folgt aus Art. 85 des Verfassungsentwurfes, in dem es hieß: "Es sollen im ganzen Umfange der Monarchie Einzelrichter, Landgerichte und Appellationsgerichte eingeführt werden. Die Organisation wird durch das Gesetz bestimmt, welches gegenwärtiger Verfassungs-Urkunde beigefügt wird". Die Motive erläutern dazu: "Der Art. 85 behält zwar die Justiz-Organisation einern besonderen, mit der Verfassungs-Urkunde gleichzeitig zu erlassenden Gesetze vor, sorgt aber durch die Eingangs-Bestimmungen für die Verallgemeinerung der in der Rhein-Provinz erprobten Ausübung der Rechtspflege durch Einzelrichter, kollegialische Gerichte erster und zweiter Instanz." Und weiter: "Im Art. 88 ist das erstrebenswerte Ziel einer Einheit in den Formen der Rechtspflege angedeutet und für diesen Fall die Verschmelzung der obersten Gerichtshöfe der Monarchie in Aussicht gestellt". 495 Art. 91 der oktroyierten Verfassung vorn 5. 12. 1848 bestimmte lapidar die Zusammenlegung der beiden obersten Gerichte, ohne sie von einer Vereinheitlichung auf rechtlicher Ebene abhängig zu machen, E. R. Huber: Dokumente, Bd. 1. 14*

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nem noch Ende 1848 ausgearbeiteten Gesetz über die anderweitige Organisation der Gerichte hieß es: "Bis dahin, wo die Gesetzgebung eine übereinstimmende geworden, sind die aus dem Bezirke des Appellationshofes zu Cöln an das Oberlandestribunal gelangenden Civilrechtssachen durch einen, mindestens aus sieben rheinischen Justizbeamten bestehenden Senat desselben, unter der Benennung: rheinischer Civilsenat zu eriedigen,,497. Eine Verordnung zur Umsetzung dieser Pläne war Ende 1848 bereits in Arbeit498 Dieses Vorhaben stieß jedoch auf den erbitterten Widerstand der rheinischen Justiz, an dessen Spitze sich der RKH stellte. In den Motiven des Gesetzes war der vorgeblich allgemeine, in den Rheinlanden geäußerte Wunsch nach einer Vereinigung der Gerichte als maßgebliche Begründung angeführt worden. Diese Begründung rückten die Richter des RKH in den Mittelpunkt ihrer Angriffe und verneinten entschieden die Existenz eines derartigen allgemeinen Wunsches. Ihr Hauptargument war, daß nicht einmal sie selbst, die Richter des obersten rheinischen Gerichts, in dieser Frage gehört worden seien. Inhaltlich wandten sie sich entschieden gegen jede vorgezogene Zusammenlegung und machten die Einführung eines gleichförmigen Gerichtsverfahrens - wie es die Charte Waldeck vorgesehen hatte - zur unabdingbaren Voraussetzung einer Vereinigung der beiden Gerichtshöfe. Die Gründung eines gemeinsamen Obergerichts müsse der "Schlußstein einer Einheit der Gesetzgebung sein" und dürfe nicht eine höchst unvollkommene, im Grunde gar nicht mögliche Verschmelzung der rheinischen und preußischen Gerichtsbarkeit über alle fortbestehenden Unterschiede hinweg versuchen. Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, wählten die Richter eine sehr deutliche Sprache: "Wären die unterzeichneten gefragt worden, so hätten sie sich dahin erklärt, [ ... ], daß es aber ein Mißgriff sey, wollte man die Vereinigung in dem mechanischen Zusammenkleben des Widersprechenden suchen, daß die Maßregel, wie sie jetzt projectirt wird, den Betrieb der Geschäfte, das Ansehen des Gerichts, die Wohlfahrt der Provinz, ja möglicherweise die Ruhe des Landes gefährdet. [ .. . ] Dennoch wagt der Entwurf die Behauptung, daß man die Verstümmelung des höchsten rheinischen Gerichtshofes, gleichsam die Enthauptung der rheinischen Justiz, allseits wünscht". Die in diesen Worten anklingende Drohung, mit einer Verbreitung der Vereinigungspläne in der Rheinprovinz Unruhe zu stiften, wird gegen Ende des Berichts wiederholt. Dort heißt es: "Wie würde es sich wohl vertheidigen lassen, in einer ohnehin erregten Zeit, gegen den ausgesprochenen Wunsch und gegen das Interesse des betreffenden Landestheiles selbst, das dort bestehende zu zerstören, auf Wag und Gewinn ein Project ins Leben treten zu lassen, das sich bis jetzt noch nicht bewähren konnte,,499. Dazu GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 13 ff. Diese Gesetzesstelle ist zitiert aus einem Bericht des RKH vom 30. 11. 1848; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 17. Die zitierte Stelle wurde als § 27 des Gesetzes auch im lustizministerialblatt vom 10. 11. 1848 veröffentlicht. 498 Das geht aus einer direkt an den König gerichteten Klage der Gerichtsmitglieder hervor; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 15 f. 4% 497

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Auf diesen Protest hin nahm das Staatsministerium vorübergehend Abstand von einer Zusammenlegung bei der Gerichtshöfe und ließ die Vereinigungsverordnung wieder fallen 5 °O. Damit war eine vorgezogene Zusammenlegung aber keineswegs abgewendet. Das Staatsministerium hatte sich eine endgültige Regelung der Vereinigung in einem noch auszuarbeitenden Gesetz vorbehalten. Auch innerhalb des Gerichtskollegiums wurde die Vereinigungsfrage diskutiert. Hier tat sich ein Gegensatz zwischen den Richtern und dem Präsidenten auf. Sethe war 1848 als einziger von Regierungsseite zur Stellungnahme aufgefordert worden, hatte diese wegen einer längeren Krankheit nicht abgeben können und war offenbar auch an der Protestnote des Gerichts nicht beteiligt 501 . Anfang 1849 - als die Vereinigung bereits abgewendet war - reichte er dann eine Stellungnahme nach, in der er sich, ganz anders als die Richter, für eine vorgezogenen Vereinigung der Gerichte aussprach. Daraufhin wurde er von einem Richter des RKH, dem Revisionsrat von Oppen, in der Presse scharf angegriffen, erhielt aber auch öffentlichen Widerspruch von anderen rheinischen Juristen 502 . Sethe hatte Vereinigung befürwortet, weil er glaubte, so könne eine konstante Personalstärke des Gerichts sichergestellt werden. Dies stellte von Oppen in seinem Artikel so dar, als habe Sethe die Leistungen der Richter des RKH geschmälert und dem Gerichtshof vorgeworfen, er könne seine Funktion nicht mehr erfüllen. Obwohl Sethe diese Vorwürfe als böswillige Verleumdungen abtat, war er gezwungen, sich öffentlich dagegen zur Wehr zu setzen. Die ganze Affäre zeigt, daß mit dem Erfolg gegen die erste Vereinigungsverordnung die Konflikte keinesfalls aus der Welt geschafft waren. Sie wurden unter den Richtern des RKH ausgetragen und erreichten über die Presse auch die rheinische Öffentlichkeit. Zugleich zeichnet sich hier ab, daß die Drohung der Richter von 1848, an die Öffentlichkeit zu gehen und Unruhe zu schüren, keine leere Floskel war. Auf längere Sicht war aber die Zusammenlegung von RKH und Obertribunal nicht mehr zu verhindern. 1850 wurde eine entsprechende Bestimmung gegen den Protest rheinischer Abgeordneter in Art. 92 der revidierten Verfassung aufgenommen, ohne die vorherige Herstellung einer gleichförmigen Gerichtsverfahrens zur Bedingung zu machen 503 . Die Vereinigung sollte jetzt jedoch auf Basis eines Ge499 Zitate aus einem Bericht des Gerichtshofes an das Staatsministerium vom 30. 11. 1848. Da sie auf diesen Bericht keinerlei Reaktion erfuhren, sandten sie ihn wenig später in einer Abschrift dem König ein; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 17 ff. 500 Bericht des Staatsministeriums vom 9. 2. 1849, GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 14. 501 Vgl. GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17260, fol. 14. 502 Diese Affäre ist anhand der Generalakte des RKH zu verfolgen; GStA PK Rep 97 B I Algen., fol. 388 ff. 503 Zum Protest der rheinischen Abgeordneten von Ammon und Reichensperger, die die Befürchtung äußerten, daß das rheinische Recht an einem einheitlichen obersten Gerichtshof zu sehr zurückgedrängt werden würde; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen: Die Rheinprovinz, S. 181 f.

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setzes erfolgen. Angesichts dieser Verfassungsbestimmung ließen die Konflikte um die Vereinigung der Obergerichte offenbar nach. Die Beratungen des Vereinigungsgesetzes verliefen sowohl in der ersten als auch der zweiten Kammer des Parlaments ohne größere Kontroversen 504. Dennoch hatte sich in der Sache die Kritik an einer Zusammenlegung der beiden Gerichte nicht völlig gelegt. Die Gegner, die jetzt nicht mehr allein unter den Rheinländern zu suchen waren, empfanden eine Vereinigung ohne Einheitlichkeit der Verfahrensart als einen bloß äußerlichen und formalen Akt505 . Die Kritik an dieser Zusammenlegung hielt sich noch etliche Jahre und wurde wohl auch in der Gerichtspraxis bestätigt. Noch 1868 wies Otto Bähr anläßlich der im Raume stehenden Frage nach einer Vereinigung des Oberappellationsgerichts für die 1866 eroberten norddeutschen Länder mit dem Obertribunal auf die schlechten Erfahrungen hin, die man mit der vorgezogenen Zusammenlegung von RKH und Obertribunal gemacht habe 506 . Die Vereinigung der beiden Obergerichte erfolgte in einem Festakt im Obertribunal in Anwesenheit des Justizministers am 3. Januar 1853507 • Alle Räte des RKH wurden in das Kollegium des Obertribunals aufgenommen. Der bisherige Generalprokurator Jähnigen wurde zum Vizepräsidenten ernannt. Die mangelnde Einheitlichkeit in Zivilverfahren wurde nach außen durch die Einrichtung eines "Rheinischen Zivilsenates" symbolisiert und dadurch unterstrichen, daß dieser Senat räumlich getrennt vom Obertribunal, in den bisherigen Räumen des RKH tagte.

504 Die entsprechenden Verhandlungen sind überliefert in GStA PK Rep 169 C Abschnitt 34 B, Justizsachen Nr. 17. 505 In den Verhandlungen der ersten Kanuner rückte der Abgeordnete August Wilhelm Heffter das mittlerweile durch die Nichtigkeitsbeschwerde geprägte Zivilverfahren vor dem Obertribunal in die Nähe des Kassationsverfahrens, wohl um ebensolchen Bedenken zu begegnen. Bericht des Abgeordneten Heffter als Berichterstatter der Kommission zur Beratung des Vereinigungsgesetzes in der Sitzung der ersten Kanuner vorn 30. 1. 1852; GStA PK Rep 169 C Abschnitt 34 B, Justizsachen Nr. 17 (unfoliiert). 506 Otto Bähr: Die Einheit des obersten Gerichtshofes in Preußen, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 22 (1868), S. 621 ff. Bähr erscheint als einer der heftigsten Kritiker dieser Vereinigung innerhalb der preußischen Rechtswissenschaft. 500 Das Protokoll dieser Sitzung einschließlich der aus diesem Anlaß gehaltenen Reden findet sich beispielsweise abgedruckt im Königlich Preußischen Staats-Anzeiger, 1853, Nr. 7, vorn 9. 1. 1853. Die die Vereinigung begleitenden praktischen Fragen sind dokumentiert in GStA PK Rep 97 B I J I, vol. 1 und 2.

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes Die Untersuchung der Personalpolitik der preußischen Justizminister hat gezeigt, wie insbesondere die Minister Beyme und Kamptz versucht haben, den Gerichtshof über die Zusammensetzung des Personals im Sinne ihrer rechtspolitischen Zielvorstellungen zu instrumentalisieren. Erfolg oder Mißerfolg dieser Konzeptionen mußte sich in der Praxis der Gesetzgebung und Rechtsprechung zeigen. Nahm der Revisions- und Kassationshof die ihm von Beyme zugedachte BTÜckenfunktion für ein Eindringen französischen Rechts in die Gesetzrevision wahr? Und wenn dies der Fall war, ist es dann Kamptz in den 30er Jahren gelungen, diese Funktion zu beschränken? Wurde der Gerichtshof zu einer BTÜcke, über die in umgekehrter Richtung Einflüsse des preußischen Rechts in das rheinische Recht gelangen konnten, über die das rheinische Recht durch zunehmende Anwendung preußischer Vorschriften ausgehöhlt werden konnte? Dies führt zu der Frage nach der Bedeutung des rheinischen Revisions- und Kassationshofes für die Entwicklung des preußischen Rechts auf der einen und für das Schicksal des rheinischen Rechts auf der anderen Seite. Im Rahmen der folgenden Betrachtungen soll zunächst nach dem Einfluß der mit dem französischen Recht arbeitenden Juristen des RKH auf die Entwicklung des preußischen Rechts gefragt werden. Die preußische Gesetzrevision wurde nie vollendet. Dennoch wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in allen Kerngebieten des Rechts - mit Ausnahme des materiellen Zivilrechts - Reformen auf den Weg gebracht '. Dies geschah über eine Einzelgesetzgebung, die sich auf Zivilprozeß-, Gerichtsverfassungs-, Strafprozeß- und materielles Strafrecht erstreckte. In vielen dieser Gesetze fanden Grundsätze Aufnahme, die dem französischen Recht entstammten 2 • Die wohl weitestgehende Adaption französischen Rechts stellte das preußische Strafgesetzbuch von 1851 dar, das z. T. Normen des Code penal bis in den Wortlaut hinein übernahm. Auf dem Gebiet der Prozeßgesetzgebung und Gerichtsverfassung setzten sich zenI Einen Überblick über diese Arbeiten geben W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVI ff. 2 W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVI ff. und bezogen auf die einzelnen von den Revisionsarbeiten erfaBten Rechtsgebiete in den Einleitungskapiteln aller Folgebände dieser Quellenedition; B. DöleTTUlyer: Deutschland, S. 1493 ff.; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2615 ff.; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinischenGerichtsverfassung, in J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, Bd. 1, S. 174 ff.; U. Drobnig I P. Dopffel: Die Nutzung der Rechtsvergleichung durch den deutschen Gesetzgeber, RabelsZ 46 (1982), S. 285 ff.

216

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

trale Gedanken des französischen Rechts durch. Eingeführt wurden ein öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren in Straf- und Zivilsachen, die Vertretung der Anklage durch eine eigene Behörde, das Prinzip der freien Beweiswürdigung und die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung vor dem erkennenden Gericht sowie eine einheitliche Gerichtsverfassung. In der wissenschaftlichen Debatte und der Gesetzgebung aller deutschen Staaten war im 19. Jahrhundert der Einfluß des französischen Rechts spürbar. Man setzte sich auf beiden Ebenen rechtsvergleichend mit diesem Modell auseinander3 . Dies konnte, mußte aber nicht zwangsläufig zu einer Aufnahme französischer Institute führen. Auch der Verlauf der preußischen Reformen ist beeinflußt worden von einer derartigen wissenschaftlich-theoretischen Auseinandersetzung mit dem französischen Recht. Da aber Preußen einer der deutschen Staaten war, in denen das französische Recht Geltung hatte, liegt es nahe, nach der Bedeutung gerade dieses "lebendigen Beispiels,,4, also der mit dem französischen Recht arbeitenden Praxis, für den Verlauf des Reformprozesses zu fragen; um so mehr als eines der rheinischen Gerichte in Berlin arbeitete. Die Beschäftigung mit dem RKH kann genutzt werden, um den Einfluß gerade der Praxis des französischen Rechts auf den Gesetzrevisionsprozeß zu beleuchten und zu klären, welchen Beitrag die Justizpraktiker zur Rechtsvergleichung innerhalb der Gesetzgebung geliefert haben. Die Untersuchung fragt nach den Mechanismen einer Vermittlung französischen oder auch spezifisch rheinischen Rechts über den RKH in die preußische Gesetzgebung. Sie wird sich, obwohl sie auch den Komplex der Gesetzrevision insgesamt in den Blick nimmt, auf den Einfluß des Kassationsverfahrens auf die Reform des preußischen obergerichtlichen Verfahrens konzentrieren. Damit kann sie zugleich die in der Forschung bisher nur umrissene Geschichte des preußischen und deutschen Rechtsmittelwesens in der ersten Jahrhunderthälfte in einigen Punkten ergänzen 5 . Die Reform des obergerichtlichen Verfahrens und des Rechtsmittelwesens war einer der Schwerpunkte der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland einsetzenden Diskussion um die Reform des Prozeßrechts 6 . Die Aus3 E. Wadle: Französisches Recht und deutsche Gesetzgebung im 19.Jahrhundert, in: R. Schulze (Hrsg.): Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 3), Berlin 1991, S. 201 ff.; K. W Nörr: Wissenschaft und Schrifttum zum deutschen Zivilprozeß im 19. Jahrhundert, Ius Comrnune Bd. X (1983), S. 181 ff.; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2615 ff. 4 Zitiert aus der schon mehrfach erwähnten Rede Beymes zur Eröffnung des RKH am 15.7. 1819; RhA I 11 S. 4. 5 Zum Stand dieser Forschungen oben Kapitel A 111. 6 K. W Nörr: Hauptthemen legislatorischer Zivilprozeßreform im 19. Jahrhundert., in: Zeitschrift für Zivilprozeß, 1974, S. 282. Zum großen Gewicht, das Gerichtsverfassung und Prozeßordnungen innerhalb der Kodifikationsdebatte des 19. Jahrhunderts einnahmen B. Dölemeyer: Deutschland, S. 1423; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2615; K. W Nörr: Hauptthemen. S. 277 ff. Vergleichende zeitgenössische Beiträge finden sich etwa bei C. J. A. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 134 ff.; Ad. Freiherr von Holzschuher: Der Rechts-

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

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einandersetzung kreiste um die Alternativen eines drei stufigen Instanzenzuges, mit einer Überprüfung sowohl der Rechts- als auch der Tatfrage bis in die dritte Instanz hinein, oder einer zweistufigen Instanzenfolge, die nach französischen Vorbild mit der Institution eines Kassationshofes verbunden sein sollte. Ziel war es, die Mängel des gemeinrechtlichen Rechtsmittelwesens, insbesondere die Vielfalt der Rechtsmittel und die Instanzenvermehrung - und die dadurch verursachte Verlängerung der Prozesse - abzustellen, bzw. in den Staaten, die wie Preußen schon während des 18. Jahrhunderts eine Reform des Prozeßrechts in Gang gebracht hatten, diese Reform zu vervollkommnen. Darüber hinaus war - besonders in den größeren Staaten - eine Vereinheitlichung der innerstaatlichen Rechtsprechung angestrebt? Gerade Preußen nahm in diesem Reformprozeß die Vorreiterrolle ein und versah als erster deutscher Staat sein Prozeßrecht mit einem kassationsähnlichen Rechtsmittel. Bereits Erich Schwinge hat eine Traditionslinie zwischen preußischem Recht und dem letztinstanzlichen Rechtsmittel der Zivilprozeßordnung von 1877, nämlich der Revision, wie wir sie heute kennen, geschlagen. Er weist aber für die Anfange dieser Entwicklung noch recht pauschal auf Einflüsse des in der Rheinprovinz geltenden französischen Rechts hin, ohne klar zwischen französischer und rheinischer Kassation zu trennen. Ferner setzt er den Beginn dieser Entwicklung erst 1826 an und geht nicht auf die Rolle des RKH in diesem Prozeß ein 8 . Um das obergerichtliche preußische Verfahren, wie es sich in der Gesetzrevision entwickelte, mit der französischen Kassation vergleichen und auf diesem Weg den über den RKH laufenden Vermittlungslinien nachspüren zu können, werden zunächst das französische Kassationsverfahren und im Anschluß daran die Modifikationen, die es nach dem Ende der französischen Herrschaft durch die Generalgouvernementsverordnungen von 1814 und durch richterliche Rechtsfortbildung erfahren hatte, dargestellt. Das so entwickelte Verfahren des Revisions- und Kassationsweg. Ein Versuch vergleichender Gesetzes-Kritik des französischen mündlichen und gemeinen deutschen schriftlichen Civil-Prozesses, mit Rücksicht auf die neueren legislativen Verbesserungen beider und auf die Mischungsversuche der neuesten Zeit. Nürnberg 1831; Bernhard Emminghaus: Zur Würdigung des deutschen Drei-Instanzen-Systems aus dem legislativen Gesichtspuncte, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 5 (1841) Leipzig, S. 92. 7 Die Festschreibung des Drei-Instanzenzuges in Art. 12 der deutschen Bundesakte hatte keine endgültige Lösung herbeigeführt. Diese gerichtsverfassungsrechtliche Vorgabe hatte weder die Vermehrung der Instanzen im Gefolge der immer noch präsenten tres-conformesLehre vollständig eindämmen noch die grundsätzlichen Zweifel an der Notwendigkeit von drei Instanzen zum Schweigen bringen können. Eine zusammenfassende Darstellung und Wertung der verschiedenen Phasen dieser Debatte findet man in der umfassenden Untersuchung von P. Calamandrei: La Cassazione civile, S. 578 ff. Dort auch ein sehr umfangreicher Überblick über die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts zu dieser Frage. 8 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 6 ff. Er verweist seinerseits auf Piero Calamandrei: La Cassazione civile, vol. 1, Storia e legislazioni, Mailand, Turin, Rom 1920, aber auch dort wird die Traditionslinie von rheinischem Kassationsverfahren zur preußischen Nichtigkeitsbeschwerde nur erwähnt, ihr aber nicht im einzelnen nachgegangen.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

hofes bildet den Ausgangspunkt, von dem aus der Frage einer Vermittlung französischen oder spezifisch rheinischen Rechts in die preußische Gesetzgebung nachgegangen werden soll.

I. Verfassung und Verfahren des Revisionsund Kassationshofes Die normativen Grundlagen des Verfahrens vor dem RKH lagen im französischen Kassationsrecht. § 6 der Verordnung vom 21. Juni 1819 hatte angeordnete, daß am Revisions- und Kassationshof in Berlin "vorläufig das Verfahren zu beobachten [sei], welches bei dem Revisionshof zu Koblenz Statt fand,,9. Für das Koblenzer Gericht wiederum hatte die Generalgouvemementsverordnung vom 6. Mai 1814 zwar einige Modifikationen der Kassation angeordnet, im übrigen aber das Verfahren des Kassationshofes in Paris beibehalten 10.

1. Das französische Kassationsverfahren Die Errichtung eines eigenständigen Kassationsgerichtes in Frankreich geht auf das von der Nationalversammlung erlassenen "Decret qui institue un Tribunal de cassation" vom 27. November /1. Dezember 1790 11 zurück und fällt damit in die erste Phase der Revolution. Die Kassation als solche war jedoch keine revolutionäre Neuschöpfung. Bereits im Ancien regime hatte die Möglichkeit bestanden, gegen letztinstanzliehe Urteile mit einem außerordentlichen Rechtsmittel, der Kassation, vorzugehen. Das revolutionäre und nachrevolutionäre Kassationsrecht knüpfte in vielem an dieses älteren Rechtsmittel an.

9 § 6 der Verordnung vorn 21. 6. 1819, abgedruckt in: Gesetzsammlung 1819, S. 162 f.; Sammlung von Gesetzen und Verordnungen für die Königlich Preußischen Rhein-Provinzen, Bd. 1, Koblenz 1827, S. 290 ff.; M. Sirrum: Uebersicht, Teil 1, S. 118 f. 10 § 8 dieser Verordnung; abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 100. 11 Abgedruckt bei J. Desenne: Code general fran~ais, Bd. 3, Paris 1818, S. 117 ff.; es war arn 27. 11 . von der Nationalversammlung verabschiedet und arn 1. 12. 1790 vorn König sanktioniert worden; vgl. Jean-Louis Halperin: Tribunal de cassation et les pouvoirs sous la Revolution (1790-1799), Paris 1987, S. 78.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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a) Geschichtliche Entwicklung aa) Anfänge der Kassationsgerichtsbarkeit

Die Gestalt, in der sich die Kassation im 18. Jahrhundert präsentierte 12, hatte sich seit dem Ende des 16. Jahrhunderts allmählich herausgebildet 13 • Wesentliches Motiv dieser Entwicklung war die Behauptung der königlichen Gesetzgebungsgewalt gegenüber den höchsten Gerichtshöfen des Landes, den Parlements. Dementsprechend stand die Schaffung einer Möglichkeit zur Kontrolle der Gesetzesanwendung im Vordergrund. Niedergeschlagen hat sich dieses Bestreben in der Prozeßgesetzgebung, so ordneten die Ordonnance de Blois vom Mai 1579 und die Ordonnance civile vom August 1667 14 die Nichtigkeit eines gegen königliche Ordonnanzen verstoßenden Urteils an l5 . In keinem dieser Gesetze findet sich je-

12 Zum Kassationsrecht des Ancien regime siehe R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation au XVIII. siec1e, in: Revue historique de droit francais et etranger (RHO), 4. Serie,47 (1969), S. 244 ff.; Roland Mousnier: Les Institutions de la France sous la Monarchie absolue 1598-1789, Bd. 2 (Les organes de l'Etat et la Societe), Paris 1980, S. 397 ff.; J.-L. Halperin: Le Tribunal de cassation, S. 23 ff.; Jean-Pierre Royer: Histoire de la justice en France de la monarchie absolue ala Republique, 2e ed., Paris 1996, S. 102 ff. 13 Sehr eingehend wird dieser EntwickiungsprozeB beleuchtet bei R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHO 47 (1969), S. 250. Siehe auch J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 24; F. Ferrand: Cassation fran~aise et Revision allemande, S. XVI. Zu den Anknüpfungspunkten, die das Kassationsinstitut mit der Justizverfassung des älteren französischen Rechts etwa seit dem 13. Jahrhundert verbinden, siehe die sehr differenzierte Darstellung bei R. Martinage-Barranger, S. 248 ff., wonach die Erscheinungsformen eines gegen gerichtliche Urteile offen stehenden Rekurses an den König, die insbesondere im 13. und 14. Jahrhundert entstanden waren ("supplication" der "Etablissements de saint Louis" aus dem 13. Jahrhundert; "lettres de grace de dire contre arret" gegen Entscheidungen des Parlement von Paris, Ordonnanz vom 23. 3. 1302), noch nicht als unmittelbare Vorläufer der Kassation anzusehen sind, da sie in erster Linie gegen die von den Gerichten vorgenommenen Tatsachenbewertung, nicht aber zur Kontrolle der Rechtsanwendung zur Verfügung standen. Erst mit der Herausbildung von Parlernents auch in den Provinzen kam es zu Problemen hinsichtlich der Zuständigkeit dieser Obergerichte oder anläBlich einander widersprechender Urteile, die der Entscheidung des Königs unterworfen wurden und erste Ansätze für eine Rechtsanwendungskontrolle, also eine kassationsähnliche Ausrichtung aufzeigen. Hinweise zum älteren französischen Recht finden sich auch bei J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 24, der die Verankerung der Kassation im älteren Recht hauptsächlich als ein nachträgliches Bemühen um historische Wurzeln für eine relativ neue Doktrin kennzeichnet, das bei den Rechtswissenschaftlern des 18. und den Historikern des 19. Jahrhunderts zu bemerken sei. Als Beispiele aus der älteren deutschen Literatur sei auf J. H. Schlink: Civil-ProzeB-Ordnung, Bd. I, S. 17 ff. und C. A. J. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 134 ff. hingewiesen, die tatsächlich eine gröBere Kontinuität der Entwicklung voraussetzen als die o.g. Autoren. 14 Die Ordonnance civile von 1667 war die erste umfassende ZivilprozeBordnung des französischen Rechts und behielt auch für das revolutionäre und nachrevolutionäre ProzeBrecht groBe Bedeutung. Eine Würdigung dieser Verfahrensordnung findet sich bspw. bei Alexander von Daniels: System und Geschichte des französischen und rheinischen Civilprozesses, Bd. I, Berlin 1849, S. 54 ff. Auszugsweise abgedruckt ist die Ordonnance civile bei K. Th. F. Bormann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. I, S. 6 ff.

220

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

doch eine nähere Beschreibung des Verfahrens zur Sanktionierung dieser Gesetzesverstöße l6 . Zur Kassation des 18. Jahrhunderts wurde das Verfahren weiterentwikkelt zum einen durch mehrere aufeinanderfolgende verfahrensrechtliche Reglements, die mit einem Reglement vom 28. Juni 1738 in eine umfassende Verfahrensordnung mündeten 17 , und zum anderen durch die Rechtswissenschaft 18 . Diese hatte eine Art "Kassationslehre" entwickelt, die die keineswegs abschließenden gesetzlichen Regelungen ergänzte l9 . Im Laufe des 18. Jahrhunderts hat sich der Charakter der Kassation als eines allein auf Rechtsfragen beschränkten Rekurses außerhalb des eigentlichen Instanzenzuges endgültig gefestigt. In erster Linie war dieses Rechtsmittel dem Interesse des Gesetzes gewidmet und sollte der Kontrolle und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung dienen. Demgegenüber trat das reine Parteiinteresse zurück2o : "On a toujours tenu pour principe au Conseil que la cassation a ete introduite plutöt pour le maintien des ordonnances que pour l'interet des justiciables" heißt es in einer vielzitierten Reformdenkschrift Joly de Fleurys von 176221 . Dennoch hatte gerade die Aufstellung detaillierter verfahrensrechtlicher Regelungen die Kassation von ihrer Funktion als rein politisches Instrument zur Aufrechterhaltung königlicher Gesetzgebungsautorität entfernt und einem Rechtsprechungscharakter zumindest 15 Art. 208 der Ordonnance de Blois, dessen Bestimmungen in Art. 8, 1 der Ordonnance civile wiederholt wurden; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 19 f.; C. J. A. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 136; J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 24. \6 Eine Tatsache, die die Parlements später in ihrer Auseinandersetzung mit dem König als Argument gegen eine dem König vorbehaltene Kassationsrechtsprechung benutzten; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 257. \7 Abgedruckt bei K. Th. F. Bormann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. I, S. 104 ff. \8 Auf das besondere Gewicht der Rechtslehre weist J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 24 ff. hin. \9 Da es bspw. keine abschließende gesetzliche Festlegung der Kassationsgründe gab, erfolgte eine solche und die mit ihr verbundene Definition und Eingrenzung des Instituts erst durch die Wissenschaft; R. Ma rtinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 245; J.-P. Royer: Histoire de lajustice, S. 102 f. sowie die detaillierte Darstellung bei J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 25 ff., der auch über dieses spezielle Problem hinaus das Ineinandergreifen von gesetzlicher Regelung und wissenschaftlicher Theorie innerhalb des Kassationsrechts des Ancien regime erläutert. 20 Die Kassation wurde nicht als Rechtsmittel im eigentlichen Sinne, sondern als "acte de surveillance ou si l' on veut de haute police" angesehen. Diese Charakterisierung findet sich in einer Reformdenkschrift von Joly de Fleury aus dem Jahre 1762; zitiert nach Roland Mousnier: Institutions, Bd. 2, Paris 1980, S. 389. Auszugweise und in einer deutschen Übersetzung findet sich diese Denkschrift de Fleurys auch bei Christoph von Breuning: Über die Cassationsinstanz und das Rechtsmittel der Cassation in der Gesetzgebung der Rheinlande, Koblenz 1820, S. 7 f. Eine vollständige Überlieferung ist bei Henri de Pansey: De I'autorite judiciaire dans les etats monarchiques, Paris 1810 zu finden. In wieweit das Verfahrensrecht im einzelnen noch Ausdruck einer Rücksichtnahme auf Individualinteressen war legt R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 269 ff. dar. 2\ So die oben erwähnte Denkschrift Joly de Fleurys, zitiert nach R. Mousnier: Institutions, Bd. 2, S. 398.

1. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

221

angenähert22 . Allerdings blieb auch diese "Rechtsprechung" - und das hebt sie von der Kassation der revolutionären und nachrevolutionären Zeit ab - der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorenthalten. Die Entscheidung über Kassationsgesuche war einer Abteilung des königlichen Staatsrates (Conseil du roi)23 übertragen, dem sogenannten Conseil des Parties oder Conseil prive 24 . Sie lag damit unmittelbar in der Hand des Monarchen, der dem Conseil vorstand 25 und in dessen Namen alle Entscheidungen ergingen 26. Stellte der Conseil des Parties eine Gesetzesverletzung fest, so vernichtete er das angegriffene Urteil und verwies die Sache in der Regel zur erneuten Entscheidung an die Gerichte zurück27 • Die Ausgestaltung der Kassation als einer unmittelbar dem König vorbehaltenen Rechtsprechung (justice retenue) hatte im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmende Kritik erfahren; immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen mit den gegen die Macht des Conseil protestierenden Parlements 28 . Wesentliche Kritikpunkte waren die politische oder persönliche Abhängigkeit der Mitglieder des Conseils des Parties von König und Hof 9 , die mangelnde Festlegung der Zusammensetzung des 22 Ausführlich belegt ist diese Entwicklung bei R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 269 ff. 23 Allgemein über diese Institution Roland Mousnier: Le Conseil du Roi de Louis XII a la Revolution, Paris 1970; J.-P. Royer: Histoire de lajustice, S. 97 ff. 24 Zum Ablauf des Verfahrens vor dem Conseil des Panies R. Mousnier: Institutions, Bd. 2, S. 397 ff. In Fällen, in denen die Kassation nicht von den Prozeßbeteiligten, sondern auf Initiative des Königs eingeleitet wurde ("cassation de propre mouvement du roi"), waren zwei andere Abteilungen des Staatsrates zuständig, R. Mousnier, S. 398. Zur Zusammensetzung des Conseil des Parties; R. Mousnier; S. 135 ff., 170. 25 In der Regel wurden die Sitzungen durch den Großkanzler geleitet, während der König selbst zumindest im 18. Jahrhundert kaum noch anwesend war; R. Mousnier: Institutions, Bd. 2, S. 170; ders.: Conseil du Roi, S. 9; J.-L- Halperin: Tribunal de cassation, S. 34; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 286. 26 R. Mousnier: Institutions, Bd. 2, S. 398; J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 32. 27 Diese Gerichte waren in ihrer Entscheidung nicht an die Ansicht des Conseils gebunden, gegen ihre Entscheidung konnte erneut um Kassation nachgesucht werden. Allerdings wurde der Verzicht auf die Sachentscheidung vom Conseil nicht immer strikt eingehalten, v.a. wenn spezifisch staatliche Interessen berührt waren, aber auch darüber hinaus konnte es immer wieder zu einer Anmaßung der Sachentscheidung kommen; zum ganzen J.-L. HaIperin: Tribunal de cassation, S. 31. Die grundsätzliche Ausschließung der Sachentscheidung findet sich im Reglement von 1738: "Ie röle normale du Conseil n'est pas d'entrer en cognoissance du fond des affaires des paniculiers"; zitiert nach J. -P. Royer: Histoire de la justice, S.103. 28 J. -L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 33 ff. 1767 hatte das Parlement von Paris seine Beschwerden als "Remonstrances sur les evocations, cassations et retentions contraires aux ordonnances" eingereicht. 29 Die Mitglieder des Conseil des Panies waren jederzeit absetzbar und so direkt von König und Hof abhängig. Sie hatten damit eine gänzlich andere Stellung als das Gros der Richter des Landes, denen der in Frankreich zumindest in der höheren Justiz übliche Ämterkauf zu einer weitgehend unabhängigen Stellung verhalf; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 17 ff.; G. Dahlmanns: Frankreich, in H. Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Rechtsgeschichte, 3. Bd., 1. Teilbd., München 1982,

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Spruchkörpers 30 und die fehlende Begründung der Entscheidungen des Conseils 3). Das Fehlen gesetzlich klar abgegrenzter Kassationsgründe führte dazu, daß zwischen Parlements und Conseil eine stete Konkurrenzsituation bestand und die Parlements letztlich eine generelle Kompetenz des Conseil des Parties zur Vernichtung aller gesetzwidrigen Urteile nicht anerkannten 32. Darüber hinaus beklagten die Parlements eine Machtüberschreitung des Conseils insofern, als er sich nicht immer auf das reine Kassieren ihrer Urteile beschränkte, sondern sich die Befugnisse eines drittinstanzlichen Gerichts anmaßte 33 . Angesichts dieser Beschwerden hatte man schon gegen Ende des Ancien regime Anstrengungen zu einer Reform unternommen, die auch Überlegungen zur Lösung der Kassation aus den Kompetenzen des Conseil du roi und zur Errichtung einer "Cour pleniere, depositaire des lois,,34 einschlossen, aber durch den Ausbruch der Revolution beendet wurden 35 .

bb) Ausgestaltung nach 1789 Es waren in erster Linie die Unzulänglichkeiten des bisherigen Kassationsinstituts, die 1790 mit der Errichtung des eigenständigen und unabhängigen "Tribunal de cassation,,36 beseitigt werden sollten. Nachdem noch 1789 der Bestand des

s. 2497 f.; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD, 47 (1969), S. 244 ff.; s.

a. J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 35. 30 So war nirgends festgelegt, wieviele Personen an den Sitzungen und Entscheidungen des Conseil des Parties teilnehmen mußten. Da die Namen der Mitwirkenden nie auftauchten, war die Zusammensetzung des Spruchkörpers für Außenstehende nicht nachvollziehbar; dazu G. Dahlmanns: Frankreich, S. 2497; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 286. 31 J.-L.- Halperin: Tribunal de cassation, S. 87. 32 Unter Ablehnung einer Trennung der Rechts- von den Tatfragen erkannten sie allein die requete civile als außerordentliches, vor die Parlernents gehöriges Rechtsmittel an; J.-L Halperin: Tribunal de cassation, S. 33 ff.; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 255 ff.; Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 6. Als Argument diente hier v.a. die Tatsache, daß ein Rechtsmittel der Kassation nirgendwo ausdrücklich angeordnet war und insbesondere Art. 8 der Ordonnance civile keine Aussage über die Art und Weise der Sanktionen gegen nichtige Urteile traf. Die Kassation zum Conseil des Parties sollte nur in den wenigen Fällen - wie etwa der Regelung von Kompetenzstreitigkeiten - offenstehen, in denen sie ausdrücklich vom Gesetz angeordnet wurde. Zur requete civile als Rechtsmittel gegen letztinstanzliche Urteile und ihr Verhältnis zur Kassation siehe unten Kapitel D 11 b) cc) (1). 33 J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 35; R. Martinage-Barranger: Les idees sur la casation, RHD 47 (1969), S. 288. 34 J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 39. 35 R. Martinage-Barranger: Les idees sur la casation, RHD 47 (1969), S. 244 ff. (289 f.); J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 33 ff. (39); G. Dahlmanns: Frankreich, S. 2497; auch die oben zitierte Refonndenkschrift Joly de Fleurys ist in diesen Zusammenhang zu stellen; Chr. von Breuning: Cassationsinstanz S. 6 ff. 36 Die Bezeichnung des Gerichts als "Cour de cassation" wurde erst durch Art. 136 des Gesetzes vom 28. Floreal des Jahres XII (18. 5. 1804) eingeführt.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

223

Conseil des Parties zumindest vorläufig zugesagt worden war37 , wurde durch das ..Decret qui institue un Tribunal de cassation" vom 27. November /1. Dezember 179038 die strikte Trennung von Verwaltung und Justiz39 auch für die oberste Justizeinrichtung umgesetzt40 . Die Kassation wurde einer mit den Garantien einer unabhängigen Rechtsprechung ausgestatteten eigenständigen Institution übertragen 41 • Im Mittelpunkt der Neufassung des Kassationswesens durch die Constituante stand eindeutig die organisatorische Ausgestaltung des Institutes. Für das Verfahren wurden im wesentlichen die bestehenden gesetzlichen Regelungen übernommen bzw. die von der Wissenschaft entwickelten Konstruktionen in Gesetzesform gebracht42 . Grundlage des Verfahrensrechts blieb das Reglement von 1738. In den folgenden Jahren wurde das Dekret vom 1. Dezember 1790 durch eine ganze Reihe von Einzelbestimmungen in organisatorischer und verfahrensrechtlicher Hinsicht ergänzt43 . Die 1790 festgelegten Wesenszüge des Kassationsverfahrens haben sich aber durchgehend erhalten. Die Kassation stand weiterhin als außerordentlicher Behelf gegen solche Entscheidungen zur Verfügung, gegen die kein anderes Rechtsmittel mehr gegeben war. Ziel dieses Rekurses blieb die Aufrechterhaltung der Gesetze und die Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Allerdings sollte dieses Ziel künftig nicht mehr auf dem Wege über eine dem König vorbehaltene Rechtsprechung, sondern im Namen des Gesetzes durch ein eigenständiges Gericht erreicht werden44 .

Dekret vorn 25. 10. 1789; G. Dahlmnnns: Frankreich, S. 2522; F. Ferrand: Cassation et Revision allemande, S. XVII. 38 Abgedruckt bei J. Desenne: Code general fran~ais, Bd. 3, Paris 1818, S. 117 ff.; es war am 27.11. von der Nationalversammlung verabschiedet und arn 1. 12. 1790 vorn König sanktioniert worden; vgl. Jean-Louis Halperin: Tribunal de cassation et les pouvoirs sous la Revolution (1790-1799), Paris 1987, S. 78. 39 Sie war bereits im Loi sur I' organisation judiciaire vom August 1790 angeordnet; abgedruckt bei K. Th. F. Bormnnni A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 268 ff. Auf das Zustandekommen dieses Gesetzes geht J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 64 ff. näher ein. 40 Seit März 1790 waren die Grundlagen einer Justizreform innerhalb der Constituante beraten worden. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage der zukünftigen Ausgestaltung der Kassation erörtert, J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 33 ff. ; F. Ferrand: Cassation fran~aise et Revision allemande, S. XVII. 41 Als Alternative zu dieser Konzeption eines einheitlichen, ständig in Paris tagenden obersten Gerichtshofes war in der Nationalversammlung das Modell eines ambulanten oder eines auf mehrere Städte verteilten Gerichtshofs diskutiert worden; J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 57 ff.; Jaques Godechot: Les Institutions de la France sous la Revolution et l'Empire, Paris 1968, S. 153; G. Dahlmnnns: Frankreich, S. 2521. 42 Art. 28 des Dekrets vom 1. 12. 1790, J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 123. Die in diesen älteren Gesetzen festgelegten Regelungen prägten das Kassationsverfahren auch in den folgenden Jahren und bis ins 20. Jahrhundert hinein; G. Dahlmanns: Frankreich, S. 2522. 43 Die Entwicklung des Kassationsinstitutes in den Jahren 1790 bis 1799 ist bei J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, umfassend dargestellt. 44 J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 53 ff. 37

fran~aise

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Das neue Kassationstribunal war zwar mit den Garantien einer unabhängigen Rechtsprechung ausgestattet worden, man kann es aber zumindest für die erste Zeit seiner Existenz noch nicht uneingeschränkt der Judikative zuordnen. Das Dekret von 1790 hatte das "Tribunal de cassation" nämlich "aupres du corps legislatif' angesiedelt45 . Das bedeutete in erster Linie, daß dem Kassationsgericht keine eigenständige Befugnis zu einer die Untergerichte bindenden Interpretation des Gesetzes eingeräumt wurde. Ein solches Recht blieb allein dem Gesetzgeber vorbehalten. Diese eigentümliche Stellung des Tribunals spiegelt zwei widerstreitende Auffassungen zur Stellung der Kassation im System der drei staatlichen Gewalten wider, die in der Constituante vertreten wurden: Die Einordnung der Kassation als ein Institut der rechtsprechenden Gewalt einerseits und ihre gänzliche Unterordnung unter die Legislative 46 andererseits 47 . Wahrend die erste dieser Konzeptionen das Kassationsgericht als höchstes Organ der rechtsprechenden Gewalt einordnete, waren Kassation und Gesetzinterpretation nach der entgegenstehenden Ansicht dem Gesetzgeber vorzubehalten 48 , da sie Ausdruck seines ureigensten Interesses an der Wahrung und Aufrechterhaltung der Gesetze waren. Keine dieser beiden Richtungen hat sich in ihrer Reinform durchgesetzt49 . Die Kassation des Gesetzes von 1790 erscheint insofern als Kompromiß, innerhalb dessen sowohl die Zuordnung zur Rechtsprechung als auch ein Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes Niederschlag gefunden haben, das keinen anderen Gesetzesinterpreten als den Gesetzgeber selbst anerkennen wollte und damit eine mechanistische Auffassung von der Rechtsanwendung durch den Richter, d. h. eine auf die bloße Anwendung klarer Gesetze bezogene Konzeption, verband. Das Kassationstribunal konnte lediglich die angefochtene Entscheidung bestätigen, also das Kassationsgesuch verwerfen oder aber das angefochtene Urteil vernichten (kassieren). Diese Beschränkung der Gerichtskompetenz war im Recht des Ancien regime angelegt 50 und wurde in der revolutionären Gesetzgebung - mit Art. 1 des Dekrets vom I. 12. 1790. Bspw. durch die Übertragung der Kassation an eine Kommission der Nationalversammlung; J. Godechot: Institutions, S. 153; G. Dahlmanns: Frankreich, S. 2521. 47 Herausragender Vertreter der ersten Ansicht war Merlin de Douai, während die zweite Richtung von Robespierre angeführt wurde; siehe die detaillierte Darstellung der einzelnen innerhalb der Constituante vertretenen Standpunkte bei J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 60 ff. 48 Allerdings ging auch Merlin nicht so weit, die in die Zukunft gerichtete, nicht riickwirkende Gesetzesinterpretation der Legislative zu entziehen und auf das Kassationsgericht zu übertragen. Seiner Ansicht nach war aber der Legislative eben nur dieses und nicht ein retroaktives auf den einzelnen streitigen Rechtsfall bezogenes Interpretationsrecht zuzubilligen; diese Konzeption Merlins findet sich näher erläutert bei J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 61. 49 Nach Ansicht vieler Abgeordneter sprach die Vorenthaltung der Sachentscheidungsbefugnis und die Unbeachtlichkeit des Parteiinteresses gegen die Zuordnung zur Rechtsprechung, während anderen die Übertragung der Kassation - mit ihren täglich anfallenden Arbeiten - auf ein Organ der gesetzgebenden Körperschaft schon von ihrer praktischen Durchführbarkeit her äußerst zweifelhaft erschien; J-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 60 ff. 45

46

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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Blick auf die Mißbräuche, die am Conseil des Parties aufgetreten waren, und auf die Machtfülle des künftig unabhängigen Kassationsgerichts - konsequenter ausgestaltet51 • Kassierte das Tribunal ein Urteil, mußte es die Sache zur erneuten Entscheidung an ein anderes, dem vorherigen gleichgestelltes Gericht verweisen 52 . Dieses war nicht an die Rechtsauffassung des Kassationshofes gebunden. Es konnte zu einer Entscheidung kommen, die mit derjenigen des ersten Gerichts identisch war. Diese Entscheidung konnte wiederum aus denselben Gründen mit der Kassation angefochten werden, so daß eine ganze Reihe von Kassationsgesuchen in ein und derselben Sache und zwischen denselben Parteien denkbar war. Um einer unendlichen Fortsetzung dieses Prozesses Grenzen 53 zu setzen, ordnete das Gesetz vom 1. Dezember 1790 an, daß bei Einlegung des dritten Kassationsgesuches die Sache einer endgültigen Klärung zugeführt werden müßte. Aber diese letztverbindliche Entscheidung war dem Kassationsgericht entzogen. Das Gericht mußte die streitige Rechtsfrage dem Corps legislatif zur Erlangung einer authentischen Gesetzesinterpretation vorlegen. An dem hier ergehenden "decret declaratoire de la loi" mußte das Kassationstribunal seine Entscheidung ausrichten 54 . Dem Tribunal selbst stand daneben nur das Recht zu, die Regierung auf solche Gesetzesstellen aufmerksam zu machen, die sich seiner Erfahrung nach als streitig oder problematisch erwiesen hatten 55. Obwohl diese Grenzziehung in den folgenden Jahren mehrfach modifiziert wurde56 , blieb sie dem Grunde nach erhalten. Mit einem Gesetz vom 16. September 1807 wurde eine Regel aufgestellt, die zumindest für die nächsten Jahrzehnte Bestand hatte. Danach konnte der Kassationshof schon vor dem zweiten Kassationsurteil eine "interpretation de la loi" einholen, mußte

50 R. Mousnier: Institutions, S. 399. Danach hatte der Conseil des Parties in einzelnen Fällen aber die Möglichkeit, die Sachentscheidung an sich zu ziehen. 51 Art. 3 der Gesetzes vom I. 12. 1790 untersagt die Sachentscheidung "sous aucun pretexte et aucun cas"; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 118 f. 52 Art. 3 des Gesetzes vom I. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 118 f. 53 Eine vergleichbare Lösung des "unendlichen" Gegeneinanders der Sprüche des Conseil des Parties und der Rechtsprechung Parlements, die ihrerseits nicht an die Auffassung des Conseils gebunden waren, kannte das Recht des Ancien regime nicht; J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 31. 54 Art. 21 des Gesetzes vom I. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122. 55 Art. 86 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII; J. Desenne: Les Cinq Codes, Paris 1819, S. 779. Eine vergleichbare Anordnung hatte schon Art. 24 des Gesetzes vom I. 12. 1790 enthalten; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122, allerdings mußte hier das Kassationstribunal dem corps legislatif unter Aufführung der betroffenen Gesetze über seine Urteile Bericht erstatten. Zur weiteren Entwicklung siehe die Hinweise bei J. Desenne: Code general, Anm. 3. 56 Teilweise war die Einholung der Gesetzinterpretation schon bei der zweiten Kassation möglich und das Gesetz vom 27. Ventose des Jahres VIII erwähnte den rMere legislatif gar nicht. Einen Kurzen Überblick über die jeweils relevanten Normen gibt J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122, Anm. 1; ausführlicher ist die Entwicklung bei Ernest Faye: La Cour de Cassation, Paris 1903, S. 312 f. dargestellt.

15 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

dies aber spätestens bei Einlegung des dritten Kassationsgesuches in derselben Sache tun 57 • Die im Dekret von 1790 begriindete Verbindung der Kassation mit der Legislative lockerte sich schon im Verlauf der nächsten Jahre 58 . Gegenüber dem Gedanken des Interpretationsvorbehalts des Gesetzgebers erlangten die Kontrolle der Rechtsanwendung und die Vereinheitlichung der Rechtsprechung als originäre Aufgaben höchstrichterlicher Rechtsprechung wieder größeres Gewicht59 . Nach Halperin 60 war diese Entwicklung zum einen bereits in der Gesetzgebung des Jahres 1790 nämlich in der Anordnung einer Begriindung und Veröffentlichung der Entscheidungen - angelegt, zum anderen ging sie von der Rechtsprechung des Kassationshofes selbst aus. Das Gericht war nämlich dazu übergegangen, die Eröffnungsgriinde des Kassationsverfahrens allmählich auszudehnen und sich, angesichts der Undurchführbarkeit einer streng mechanistischen Rechtsanwendung, größere Freiheit im interpretatorischen Umgang mit dem Gesetz zuzubilligen. All dies trug dazu bei, den Charakter des Kassationstribunals demjenigen eines Rechtsprechungsorgans mit eigener Interpretationsbefugnis anzunähern. Normativen Ausdruck fand diese Entwicklung im Gesetz vom 1. April 1837, das dem Kassationshof nach der zweiten Kassation in derselben Sache das Recht zur verbindlichen Entscheidung der Rechtsfrage, also eine Befugnis zur eigenständigen Gesetzesinterpretation, übertrug 61 und die authentische Interpretation seitens des Gesetzgebers abschaffte62 .

57 Die Gesetzeserläuterung, die ursprünglich in Fonn eines Gesetzes erfolgen mußte (Art. 21 des Gesetzes vom I. 12. 1790, Kapitel V, Art. 22 der Verfassung vom 1791 (decret) und Art. 256 der Verfassung des Jahres III (Ioi); J. Desenne: Code general; Bd. 3, S. 122, Anm. 1), wurde 1807 dem Staatsrat übertragen, der sie im Verordnungswege erlassen konnte; Art. 2 des Gesetzes vom 16.9. 1807; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 164. Art. 4 desselben Gesetzes sah vor, daß sofern der Kassationshof noch selbst über die zweite Kassation erkennen wollte, diese Entscheidung in einer Plenarsitzung unter dem Vorsitz des Justizministers (grand-juge) erfolgen mußte. Später wurde das Recht der authentischen Interpretation wieder der Gesetzgebung übertragen; Anselrn von Feuerbach: Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege, Bd. 2, Gießen 1825, S. 106. 58 Den gesamten Verlauf dieser Entwicklung stellt J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, dar, ein zusammenfassender Überblick findet sich auf S. 267 ff.; zu dieser Entwicklung auch R. Martinage-Barranger: Les idees sur la cassation, RHD 47 (1969), S. 246; J. Plassard: Les ouvertures communes a la cassation et a la requete civile, Paris 1924, S. 60 ff.; F. Ferrand: Cassation fran~aise et Revision allemande, S. XVIII. 59 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 43 ff.; J. Plassard: Ouvertures, S. 60 ff. 60 J. -L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 267 ff. 61 Art. 1,2, dieses Gesetzes; abgedruckt bei E. Faye: Cour de Cassation, S. 313 f. 62 Zu den Voraussetzungen dieser Entscheidungsbefugnis des Gerichtes, die zur Abgrenzung der Befugnisse der Untergerichte sehr eng gesteckt sind E. Faye: Cour de Cassation, S. 313 ff.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

227

b) Verfassung und Verfahren des französischen Kassationshofes

Das französische Kassationsrecht war nicht einheitlich, innerhalb einer zusammenhängenden Verfahrensordnung geregelt, sondern in einer Vielzahl von einander teils ablösenden teils ergänzenden Einzelgesetzen und Verfassungsnormen63 . Eine vollständige und detaillierte Darstellung der einzelnen Entwicklungsschritte ist hier nicht zu leisten. Statt dessen werden die folgenden Ausführungen sich an den Wesenszügen des Rechtsinstituts orientieren und die Gestalt, die das Verfahren am Ende der französischen Herrschaft über die Rheinlande angenommen hatte, aus einer Zusammenschau der bis 1813 ergangenen Regelungen entwickeln 64 .

aa) Verfassung

Die Zusammensetzung des Kassationshofes wurde in ihrer endgültigen Form durch die Konsularverfassung vom 22. Frimaire des Jahres VIII (13. Dezember 1799) und das Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventose des Jahres VIII (18. März 1800) bestimmt65 . Der Gerichtshof verfügte über 49 Richter, einschließlich des ersten Präsidenten und dreier Vizepräsidenten66 . Ursprünglich, d. h. nach 63 Zum Wandel des Kassationsinstitutes J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 267 ff. Eine recht umfangreiche, wenn auch nicht vollständige Zusammenstellungen der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen des Kassationsrechts findet sich bei J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 117 -169. Hier fehlen aber insbesondere die vorrevolutionäre Gesetzgebung und die auf die Kassation bezogenen Normen der Konsulatsverfassung und des Loi sur l'organisation des tribunaux des Jahres VIII (1799/1800). Diese können aber zum einen anhand einer weiteren Sammlung Desennes: Les Cinq Codes, Paris 1819 und zum anderen anhand des von K. Th. F. B017TUlnn und Alexander von Daniels zusammengestellten Handbuchs der für die Königlich Preußischen Rheinprovinzen verkündigten Gesetze, Verordnungen und Regierungsbeschlüsse aus der Zeit der Fremdherrschaft, Bd. 1, Köln 1833 ergänzt werden. In einem Anhang gibt auch Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 84 ff. einige der entscheidenden Gesetze ausschnittweise wieder. 64 Als eingehendere Darstellungen des Kassationsverfahrens seien hier nur genannt: aus der älteren Literatur: Philippe Antoine Merlin: Repertoire universei et raisonne de jurisprudence, Bd. 2, Paris 1807, S. 45 ff. (Stichwort: Cassation); J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 300-330; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, Bd. 2, S. 94-119; Franz von Lassaulx: Gesetzbuch über das Verfahren im bürgerlichem Prozeß, Koblenz 1808, S. 351 ff. und mit spezifischem Bezug auf das modifizierte Verfahren in nachfranzösischer Zeit Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz. Aus der neueren Literatur: E. Faye: Cour de Cassation; J. Godechot: Institutions, S. 153 f., 480, 629 ff.; J.-L. Halperin: Le Tribunal de cassation. Einen Überblick über die französische Literatur zum Kassationsverfahren findet man bei J.-L. Halperin a. a. 0., S. 283 ff. und bezogen auf die zwischen Ende des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erschienene Literatur bei J. Godechot a. a. 0., S. 147 Anm. 1. 65 Umfassend dargestellt bei E. Faye: Cour de Cassation, S. 17 ff. 66 Art. 58 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventose VIII; abgedruckt bei J. Desenne: Cinq Codes, S. 778. Hier war eine Zahl von 48 Richtern vorgesehen, durch die Einführung eines dritten Kammerpräsidiums mit Dekret vom 28. 1. 1811 erhöhte sich diese Zahl auf 49 Richter; E. Faye: Cour de Cassation, S. 18.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

der Konzeption von 1790 waren die Kassationsrichter für jeweils vier Jahre von den Vertretern der Departements gewählt worden 67 • Erst die Konsulatsverfassung des Jahres VIII führte das Richteramt auf Lebenszeit ein68 und legte fest, daß die Mitglieder des Kassationsgerichtes vom Senat ernannt wurden 69 . Die Aufgaben des öffentlichen Ministeriums am Kassationshof wurden von einem Generalprokurator und sechs Substituten70 versehen. Das öffentliche Ministerium der französischen Gerichtsverfassung war eine einheitliche, hierarchisch gegliederte Behörde. Höchster Beamter dieser Behörde war der Generalprokurator des Kassationshofes, ihm unterstanden die Prokuratoren aller übrigen französischen Gerichte, die als seine Stellvertreter anzusehen waren 71. Die Vertretung der Parteien war ausschließlich den am Kassationsgericht zugelassenen Anwälten übertragen. Sie nahmen innerhalb der französischen Anwaltschaft insofern eine Sonderrolle ein, als die Trennung von avoues und avocats, die 1804 wieder eingeführt worden warn, hier nicht durchgehalten wurde. Die avoues 67 Art. 1 ff. des Anhangs zum Dekret vorn 1. 12 1790 (Forme de I' election du Tribunal de cassation); J. Desenne: Code general, S. 123 f. Eine Wiederwahl der Richter war möglich. Die Länge dieser Wahlperioden hat sich in der Folgezeit noch mehrmals verschoben. So bestimmte Art. 100 der Verfassung von 1793, daß die Richter jedes Jahr von den assemblees electorales neu gewählt werden sollten. Die Verfassung des Jahres 111 verlängerte die Amtszeiten wieder auf diesmal jeweils fünf Jahre; vgl. die Übersicht bei J. Desenne: Code general, S. 124 Anm. 1. 68 Art. 68 der Verfassung des Jahres VIII; vgl. auch W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 522. 69 Art. 9, 19 der Verfassung des Jahres VIII. Zum vorhergehenden Ernennungsverfahren vgl. J. Godechot: Institutions, S. 630. Später wurde dem ersten Konsul ein Vorschlagsrecht eingeräumt, er konnte dem Senat je drei Kandidaten zur Auswahl nennen, Art. 85 des Gesetzes vorn 16. Therrnidor des Jahres X. Nach Art. 135 des Senatus Consults vorn 28. Floreal des Jahres XII erfolgte dann die Ernennung der Präsidenten des Gerichtshofes auf Lebenszeit durch den Kaiser; vgl. H. J. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 307; F. v. Lassaulx: Gesetzbuch über das Verfahren im bürgerlichen Prozeß, S. 351 f. Zuvor waren die Präsidenten von den Richtern des Kassationsgerichtes gewählt worden; J. H. Schlink: a. a. 0.; J. Godechor ebd. S. 629. 70 Art. 67 des Gesetzes vorn 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 778. Siehe auch Art. 23 des Gesetzes vorn 1. 12. 1790 und Art 261 der Verfassung des Jahres 111; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122, Anm. 2. 71 Zum öffentlichen Ministerium allgemein Heinrich Schweichel: Vorn "mini stere public" zur Staatsanwaltschaft, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 265 f.; W. Schuben: Französisches Recht in Deutschland, S. 547 ff.; E. Kern: Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 53. Aufbau und Aufgaben des öffentlichen Ministeriums sind im wesentlichen durch den Code d'instruction criminelle (Art. 22-47), das Loi sur l'ordre judiciaire et l'administration de la Justice vorn 20.4. 1810 und das Decret contenant Reglement sur I'organisation et le service des cours royales, des cours d' assises et des cours speciales vorn 6. 7. 1810 (beide abgedruckt bei J. Desenne: Cinq Codes, S. 796 ff.) geprägt worden. Soweit im folgenden auf eines der fünf napoleonischen Gesetzbücher Bezug genommen wird geschieht dies unter Zugrundelegung der Sammlung Johann (Hrsg.): Les cinq codes. Die fünf französischen Gesetzbücher, Koblenz 1854. 72 Die Aufteilung der Anwaltschaft in diese beiden Gruppen stammte aus der vorrevolutionären Zeit, 1790 hatte man den Advokatenstand aufgehoben und die avoues als alleinige

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

229

des Kassationshofes mußten ein Licentiat der Rechte erworben haben, eine Anforderung, die ansonsten nur an die Ausbildung der Advokaten gestellt wurde. Damit ebneten sich die Unterschiede zwischen beiden Berufsgruppen ein. 1806 erging schließlich ein Gesetz, das die Bezeichnung "avocat" einheitlich auf alle Partei vertreter am Kassationsgericht ausdehnte 73 . Als gerichtliche Hilfsbeamten waren dem Kassationshof ein Obergerichtsschreiber und vier Gerichtsschreiber (greffiers) sowie acht Gerichtsvollzieher (huissiers) zugeordnet 74 . Der Kassationshof war in drei Abteilungen oder Kammern unterteilt: section des requetes, section civile und section crirninelle75. Jede dieser Abteilungen setzte sich aus 16 Richtern (einschließlich der Präsidenten) zusammen, die nach einem Rotationsprinzip von einer Kammer in die andere wechselten 76. Geleitet wurden die Kammersitzungen jeweils von einem der Präsidenten. In bestimmten Fällen führte der Justizminister den Vorsitz bei den Verhandlungen des Kassationshofes 77 . Der section des requetes war als zentrale Aufgabe die Entscheidung über die ZuPartei vertreter zugelassen. 1793 hob man auch ihr Amt zugunsten einer freien Selbstvertretung der Parteien vor Gericht auf. Die avoues waren dann schon mit dem Loi sur L'organisation des tribunaux des Jahres VIII, die avocats durch ein Dekret vom 13. 3. 1804 wiedereingeführt worden; vgl. J.-P. Royer: Histoire de la Justice en France, S. 447 ff. m. w. N.; W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 550 ff.; A. Hiver de Beauvoir: Histoire critique des institutions judiciaires de la France de 1789 a 1848, Paris 1848, S. 539 ff. 73 H. Huffmann: Geschichte der rheinischen Rechtsanwaltschaft, S. 79 f.; J. Godechot: Institutions, S. 630; E. Faye: Cour de Cassation, S. 29, Anm. I. Abgedruckt ist das Gesetz vom 25. 6. 1806 bei K. Th. F. BormannlA. v. Daniels: Handbuch, Bd. 5, S. 98. Ernannt wurden die Advokaten - wie an allen Gerichten üblich - auf Vorschlag der Gerichte vom Staatsoberhaupt; W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 551. 74 Einen Überblick über Organisation und Aufgaben der greffiers und huissiers findet man bei W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 528 ff.; siehe auch E. Faye: Cour de Cassation, S. 26 ff. 75 Umfassend zu den Aufgaben der einzelnen Abteilungen E. Faye: Cour de Cassation, S. 33 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 308. Die Dreiteilung war erst mit dem Loi concernant l'organisation du Tribunal de cassation vom 2. Brumaire des Jahres IV eingeführt worden; abgedruckt bei J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 142. Zuvor teilte der Hof sich in lediglich zwei Abteilungen, das bureau des requetes und die section de cassation (Art. 6, 10 des Dekrets vom I. 12. 1790, siehe J. Desenne, ebd., S. 117 ff.). 76 Art. 60, 66 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventöse des Jahres VIII, abgedruckt bei J. Desenne: Cinq Codes, S. 778; E. Faye: Cour de Cassation, S. 21 f. Ursprünglich war der Kassationshof mit 42 Richtern und seit einem Gesetz vom 5. Vendemiaire des Jahres IV (27. 9. 1795, Art. I) mit 50 Richtern besetzt gewesen, vgl. J. Godechot: Institutions, S. 480. Dementsprechend hatte das Gesetz vom 2. Brumaire des Jahres IV noch die section des requetes mit 16 und die beiden anderen Abteilungen mit je 17 Richtern ausgestattet. Die ursprüngliche Zusammensetzung der einzelnen Kammern war durch Losentscheid festgesetzt worden. In der Folge wechselten die Richter nach einem Rotationssystem zwischen den Sektionen; J. Godechot: Institutions, S. 629 f.; vgl. Art. 2 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 142 und Art. 66 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S . 778. 77 Dazu im einzelnen F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 352 m. w. N.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

lassung oder Verwerfung der Kassationsgesuche in Zivilsachen übertragen. Erst wenn ein Kassationsgesuch hier angenommen worden war, wurde es an die section civile zur endgültigen Entscheidung überwiesen78 . Die section civile war in ihrer Entscheidung nicht an die Rechtsauffassung der section des requetes gebunden, konnte also sowohl das angegriffene Urteil kassieren als auch ihrerseits noch das Kassationsgesuch verwerfen 79 • Die section criminelle schließlich war ohne Vorschaltung einer gesonderten Zulassungsentscheidung für alle Kassationsgesuche in Strafsachen zuständig. Zur Entscheidung einiger gesetzlich bestimmter Materien waren gemeinsame Sitzungen aller drei Kammern des Gerichts in der sogenannten vereinigten Sektion (section reunie) vorgesehen 8o . bb) Zuständigkeit

(1) Kassation Die Zuständigkeit des Kassationshofes erstreckte sich über das gesamte französische Staatsgebiet. Alle Kassationsgesuche sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen gelangten an diesen höchsten Gerichtshof. Die Kassation konnte, unabhängig vom Streitgegenstand, gegen alle letztinstanzlichen Entscheidungen eingelegt werden, sofern gegen sie kein anderes Rechtsmittel mehr zulässig war8l und sofern eine Rechtsverletzung gerügt wurde. Obwohl der Zugang zur Kassation nicht von der Erreichung einer bestimmten Kassationssumme abhängig war, bestanden einige einschränkende Regelungen 82 . So waren zum einen bestimmte Arten richterlicher Entscheidungen von vornherein der Kassation entzogen: vorbereitende, der Instruktion des Prozesses dienende Urteile konnten erst nach Erlaß des Endurteils und nur mit diesem zusammen angegriffen werden 83 . Zum anderen konnte der Zugang nach der Art des erkennenden 78 Auch diese Aufteilung des Zivilverfahrens war bereits im Kassationsverfahren des Ancien regime vor dem Conseil du Roi angelegt; J.-P. Royer: Histoire de la Justice en France, S.103. 79 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 324. 80 Siehe dazu unten Kapitel D I 1 b) bb) (2). 81 Diese letzte Bedingung erwies sich allerdings im Verhältnis zur requete civile des französischen Zivilprozesses als problematisch, heide Rechtsmittel überschnitten sich teilweise von ihren Einleitungsgründen her, was immer wieder zu Abgrenzungsproblemen führte; dazu untenKapitel D 11 b) cc) (1). 82 Ausführlich Ph. A. Merlin: Cassation, S. 48 ff. 83 Art. 14 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 143 f., s.a. Art. 416 Code d'instruction criminelle und Art. 451 Code de procedure civile zur vergleichbaren Regelung im Appellationsverfahren; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 311; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, S. 100. Zur Streitfrage der Anwendung dieser Beschränkung auch auf interlokutorische Urteile s. E. Faye: Cour de Casssation, S. 63 f. und J. H. Sehlink, a. a. O.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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Gerichts beschränkt sein. Entscheidungen des Friedensrichters waren urspriinglich gar nicht 84 und später nur im Fall der Unzuständigkeit und vor allem der Machtüberschreitung anfechtbar 85 . Des weiteren waren grundsätzlich schiedsgerichtliche Entscheidungen und Kriminalurteile der Millitärgerichte86 - sofern es sich nicht um Fälle der Inkompetenz oder Machtüberschreitung handelte - der Nachpriifung durch das Kassationsgericht entzogen 87 .

(2) Außerordentliche Zuständigkeiten Über den Kernbereich der kassationsrichterlichen Aufgabe der Vernichtung gesetzwidriger richterlicher Akte hinaus war der Gerichtshof noch in einer Reihe weiterer Angelegenheiten zuständig, die ihm teils schon 1790, teils auch erst in den Nachfolgeregelungen übertragen worden waren 88 . Die Zuständigkeit für diese Verfahren war unter die einzelnen Sektionen des Gerichts verteilt, wobei der section des requetes eine gewichtige Rolle zukam 89 • Zumeist handelte es sich um Verfahrensarten, die durch den lustizminister eingeleitet wurden. Man kann diese Verfahren in drei Gruppen einteilen: Die erste und größte knüpft an Mängel oder Verfehlungen auf seiten des richterlichen Personals an. Hier sind zunächst Disziplinarverfahren zu nennen. Der Kassationshof übte ein allgemeines Aufsichtsrecht über alle Gerichte aus und konnte insbesondere gegen die Appellationsgerichte Verweise aussprechen9o . Ihm oblag aber auch die Entscheidung über die Verhängung von Disziplinarstrafen in besonders schweren Fällen. Drohte dem angeklagten Richter Suspendierung oder EntlasArt. 4 des Gesetzes vorn 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 119. Art. 27 des Gesetzes vorn 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 779, dazu aber Art. 454 des Code de procedure civile, wonach im Falle der Unzuständigkeit des Friedensrichters zunächst - auch bei eigentlich letztinstanzlichen Entscheidungen - eine Appellation zulässig ist. Die Kassation im Interesse des Gesetzes war auch gegen friedensrichterliche Urteile uneingeschränkt gestattet; F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 467 . 86 Art. 77 des Gesetzes vorn 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 779. Zu dieser und weiteren Ausnahmen Ph. A. Merlin: Cassation, S. 48 f. 87 Art. 1028 des Code de procedure civile; vgl. auch F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 647; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 311 auch zur entsprechenden gerichtlichen Praxis vor Erlaß der Zivilprozeßordnung. Zulässig war die Kassation allerdings gegen Entscheidungen, die den Schiedsgerichten aufgrund des Art. 51 des Handelsgesetzbuches zugewiesen worden waren, denn hier wurden alle Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern ausschließlich den Schiedsgerichten zugewiesen, so daß für die Gesellschafter gar kein anderes Gericht offen stand. 88 Einen Überblick über diese Verfahrensarten geben F. J: Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 269 f.; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, S. 95 f. Eine ausführliche Darstellung findet sich bei E. Faye: Cour de Cassation, S. 463 ff. 89 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 308 ff. 90 Art. 82 des Senatusconsults vorn 16. Thennidor des Jahres X; F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 93. 84 85

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

sung, mußte der Kassationshof auf Initiative des Justizministers und unter dessen Vorsitz entscheiden91 . Neben diesen Disziplinarsachen wurde der Kassationshof bei richterlichen Amtsverbrechen eingeschaltet. Als Amtsverbrechen war jedes Verbrechen anzusehen, das ein öffentlicher Beamter, in diesem Fall ein Richter, bei Ausübung seines Amtes beging92 . Wurde ein solches Amtsverbrechen einem ganzen Gericht erster Instanz, einem korrektionellen Gericht oder einem Handelsgericht oder einzelnen Mitgliedern eines Appellationshofes oder des öffentlichen Ministeriums zur Last gelegt, so hatte der Kassationshof, in der Regel auf Initiative des Justizministers 93 , die vorbereitenden Untersuchungen zu führen und das Anklageurteil gegen die Betreffenden auszusprechen 94 . Die zweite der oben angesprochenen Fallgruppen umfaßt solche Fälle, in denen der Kassationshof das zuständige Gericht bestimmen oder die Sache an ein anderes als das eigentlich zuständige Gericht verweisen konnte. Darunter fiel die Entscheidung in bestimmten Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichtsbehörden (reglement de juges)95 sowie die Bestimmung eines anderen Richters aufgrund eines 91 Der Kassationshof war nicht das einzige Gericht mit disziplinarischen Befugnissen, sondern nur in den wichtigsten Fällen zuständig. In diesen Fällen oblag die Entscheidung den vereinigten Sektionen. Zum gewöhnlichen Gang des Disziplinarverfahrens und zum Verfahren speziell vor dem Kassationshof F. J. Perrat: Verfassung, Bd. I, S. 92 ff., 279, 350. 92 So die allgemeine Definition in Art. 166 des Code penal. Siehe aber auch die folgenden Art. des Gesetzes. 93 Sofern die von dem Verbrechen betroffenen Parteien zugleich eine Regreßklage eingeleitet hatten oder das Verbrechen Inzidentpunkt in einer anderen Sachen war, konnten sie auch hinsichtlich des Amtsverbrechens selbst den Kassationshof anrufen, Art. 486 des Code d'instruction criminelle. 94 Dieses komplexe Verfahren, in das sowohl die section des requetes als auch die section civile eingeschaltet wurden, ist in Art. 485 - 503 des Code d'instruction criminelle geregelt. Darüber hinaus mußte der Kassationshof das untersuchende Gericht bestimmen, wenn einzelne Mitglieder eines Appellationsgerichtes oder des öffentlichen Ministeriums an diesem Gericht eines Vergehens oder Verbrechens außerhalb ihres Amtes beschuldigt wurden; Art. 481,482 des Code d'instruction criminelle. Die Anzeige einer solchen Straftat wurde beim Justizminister eingereicht, der sie an den Kassationshof weiterleitete. Im Gegensatz zu den Fällen der Amtsverbrechen hatte der Kassationshof hier nicht die Kompetenz, zugleich über die Versetzung in den Anklagestand zu entscheiden. 95 Art. 363-367 des Code de procedure civile und Art. 525-541 des Code d'instruction criminelle. Danach war der Kassationshof in Zivilsachen für Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichten zuständig, die keinem gemeinsamen Obergericht unterstanden und in Strafsachen, sofern die streitenden Gerichte nicht im Verhältnis von Über- oder Unterordnung standen. Diese Befugnis des Kassationshofes geht zurück auf eine Ordonnanz vom August 1737 "sur les instances en reglement de juges", abgedruckt bei K. Th. F. Barmann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 99 ff. Zur Ausgestaltung des Verfahrens nach 1790 vgl. die ausführliche Darstellung von E. Faye: Cour de Cassation, S. 463 ff. und auch F. J: Perrat: Verfassung, Bd. 1, S. 303 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 2, S. 177 ff. Ursprünglich hatten das Gesetz vom 1. 12. 1790 und die Verfassung des Jahres III dem Kassationshof die ausschließliche Zuständigkeit in allen Kompetenzstreitigkeiten zugewiesen, erst durch das Gesetz vom 27. Ventose des Jahres VIII und Art. 363 ff. des Code de procedure civile bzw. Art. 525 ff. Code d'instruction criminelle war dies im oben skizzierten Umfang eingeschränkt

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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"gesetzmäßigen Verdachts" (suspicion legitime) gegen einen Richter, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit96 oder im Falle der Verhinderung des gesetzlichen Richters 97. Die letzte Kategorie dieser "außerordentlichen" Zuständigkeiten des Kassationshofes bildet schließlich die strafprozessuale Revision des französischen Rechts. Es handelte sich dabei um eine Art der Wiederaufnahme des Verfahrens bei besonders gravierenden Fehlern eines bereits rechtskräftig gewordenen Strafurteils 98 . Wurden nach rechtskräftiger Verurteilung und Verwerfung eines etwaigen Kassationsgesuches Umstände bekannt, die das Urteil als offensichtlich falsch erscheinen ließen, konnte Revision eingelegt werden99 . Der Kassationshof hob in diesem Verfahren auf Initiative des lustizministers die fehlerhaften Urteile auf und verwies die Sache zur anderweiten Ermittlung und Entscheidung an ein anderes Gericht.

und so auf die Regeln von 1737 zurückgeführt worden. Strittig blieb allerdings, ob sich diese Beschränkung auch auf negative Kompetenzkonflikte (mehrere Gerichte erklären sich für unzuständig) erstrecken oder ob diese weiterhin der ausschließlichen Kompetenz des Kassationshofes unterfallen sollten. Der Kassationshof hatte zunächst letztere Ansicht vertreten (F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 306), da er in Art. 76 des Gesetzes von 27 Ventose VIII nur eine Regelung für positive Kompetenzkonflikte (mehrere Gerichte halten ihre Zuständigkeit für begründet) sah, offenbar hat er diese Rechtsprechung aber in den 30er Jahren geändert; E. Faye: Cour de Cassation, S. 471. 96 Die gesetzlichen Grundlagen bei der Möglichkeiten lagen in Art. 2 und 9 des Gesetzes vom 1. 12. 1790, Art. 254 der Verfassung des Jahres III, Art. 65 der Verfassung des Jahres VIII (vgl. J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 117 Anm. 2) und für Strafsachen in den Art 542 ff. des Code d'instruction criminelle. In Zivilsachen war der Umfang der Gründe eines "gesetzmäßigen Verdachts" strittig, da es keine gesetzliche Definition dieses Verdachtes gab; F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 296 f. Ders. nimmt die suspicion legitime in Zivilsachen ganz aus der Zuständigkeit des Kassationshofes aus, da er als einzigen Verdachts grund Verwandtschaft oder Schwägerschaft anerkennt und diese Fälle durch Art. 368 ff. des Code de procedure civile nicht an den Kassationshof gewiesen wurden. Eine Verweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit konnte nur auf Antrag des öffentlichen Ministeriums erfolgen, das öffentliche Ministerium seinerseits durfte nur im Auftrag des Justizministeriums tätig werden, siehe Art. 79 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII und Art 544 des Code d'instruction criminelle, der analog auch in Zivilsachen anzuwenden war. Zum ganzen E. Faye: Cour de Cassation, S. 475 f.; F. J. Perrot, ebd. S. 295 ff. Die Frage, wann eine Gefahrdung der öffentlichen Sicherheit gegeben war, war dabei allein der Einschätzung der Regierung überlassen, dem Kassationshof kam insoweit keine Entscheidungsbefugnis zu, er hatte auf den entsprechenden Antrag hin ohne weiteres die Verweisung auszusprechen. 97 Dazu E. Faye: Cour de Cassation, S. 477; F. J: Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 469, 295. 98 Art. 443 -447 Code d'instruction criminelle; s.a. H. Schweichel: Vom "ministere public" zur Staatsanwaltschaft, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 174. 99 Dies konnte in drei gesetzlich vorgesehenen Fällen eintreten: Wenn eine andere Person wegen desselben Verbrechens verurteilt wurde, wenn die Verurteilung auf falschen Zeugenaussagen beruhte oder wenn bei Tötungsdelikten Beweise auftauchen, die auf ein Weiterleben des angeblich Getöteten hinweisen. In der Praxis spielten solche Fälle wohl kaum eine Rolle; vgl. GStA PK Rep 97 B I 2 a gen. (unfoliiert), Gutachten Sethes zur Revisionsordnung, in dem er unter Titel XI vorschlägt, keine entsprechende Regelung in die künftige Revisionsordnung aufzunehmen, da ihm noch nie ein derartiger Fall bekannt geworden sei.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes ce) Verfahren

Das Kassationsverfahren hat auch in den napoleonischen Prozeßgesetzen keine einheitliche und umfassende Regelung gefunden. Die Zivilprozeßordnung nimmt nur in einzelnen Vorschriften Bezug auf den Kassationshof (bspw. Art. 363, 504 Code de procedure civile 1oo), während die Strafprozeßordnung zwar in einem eigenen Abschnitt (Art. 416 - 442 Code d' instruction criminelle) auf das Rechtsmittel der Kassation eingeht, das Verfahren dort aber keineswegs abschließend regelt 10 1• Hinsichtlich Einleitung und Ablauf des Verfahrens differieren zivil- und strafrechtliche Kassation in manchen Punkten. Die Kassationsgründe jedoch waren für Straf- und Zivilverfahren im wesentlichen die gleichen 102 und können daher in einem Überblick vorangestellt werden.

(1) Kassationsgründe Die Kassationsgründe haben ausgehend von dem Dekret vom 1. Dezember 1790 - im Gegensatz zum Recht des Ancien regime - eine ausdrückliche gesetzlich Regelung erfahren lO3 • In Art. 3 dieses Gesetzes heißt es: ,,11 [le tribunal de cassation] annullera toutes les procedures dans lesquelles les formes auront ete violees, et tout jugement, qui contiendra une contravention expresse au texte de la loi." Was den ersten dieser Kassationsgründe, die Verletzung von Förmlichkeiten, betrifft, so konnte sich dies auf Förmlichkeiten des Verfahrens und des Urteils selbst erstrekken. Eine Formverletzung eröffnete aber nicht in jedem Fall die Kassation, sondern nur sofern die Nichtbeachtung der entsprechenden Form mit der Strafe der Nich-

100 Soweit im folgenden auf eines der fünf napoleonischen Gesetzbücher Bezug genommen wird geschieht dies unter Zugrundelegung der Sammlung Johann (Hrsg.): Les cinq codes. Die fünffranzösischen Gesetzbücher, Koblenz 1854. 101 Einen guten Überblick über Einleitung und Ablauf des gesamten Kassationsverfahrens in der Form eines Leitfadens für die Praxis gibt A. C. Guichard: Instruction sommaire sur I' organisation, les fonctions et la Procedure du tribunal de cassation, Paris, 1800. Diese Schrift ist auch in den Akten des RKH eingeheftet, GStA PK Rep 97 B I, A 2a gen. Sehr detailliert stellt auch H. J. Schlink: Civil-Prozeß- Ordnung, Bd. 1, S. 301 ff. das Kassationsverfahren dar. Da hier auch die nach 1800 erfolgten Veränderungen berücksichtigt sind, ergänzt dies zugleich die Darstellung Guichards. Für das Verfahren in Zivilsachen ist aber auch die umfassende Darstellung bei E. Faye: Cour de Cassation, S. 49 ff. (207 ff.) heranzuziehen. 102 Für beide Verfahren gehen sie zurück auf das Gesetz vom 1. 12. 1790, für das strafrechtliche Verfahren ergeben sich jedoch oft weniger Probleme, da die wesentlichen Kassationsgründe in den Art. 408 ff. des Code d'instruction criminelle zusarnmengefaßt sind. Sofern hier Besonderheiten oder Unterschiede zur zivilrechtlichen Kassation zu bemerken sind, wird kurz darauf hingewiesen. 103 Entwickelt worden waren sie schon weitgehend durch den Conseil des Parties und die Rechtswissenschaft des Ancien regime; F. Ferrand: Cassation fran~aise et Revision allemande., S. XVII; J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, S. 25 ff.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

235

tigkeit bedroht war lO4 • Die Anwendung dieses Kassationsgrundes barg einige gravierende Probleme hinsichtlich der Abgrenzung zur requete civile des französischen Zivilprozesses 105. Darunter ist eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu verstehen, die ebenso wie die Kassation gegen rechtskräftige Urteile der letzten Instanz gegeben war, allerdings weder devolutive Wirkung hatte noch auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkt war lO6 • Die Einlegung der requete civile richtete sich nach Art. 480 des Code de procedure civile, Nr. 2 dieser Vorschrift stellte die requete für den Fall einer Verletzung von unter Strafe der Nichtigkeit vorgeschriebenen Formen zur Verfügung. Die Gesetze selbst bzw. der Gesetzestext (auch späterer Gesetze) trug nichts zur Lösung dieses Widerspruchs bei. Angesichts dieser Situation entwickelten Rechtsprechung und Wissenschaft verschiedene Lösungsmodelle lO7 • Obwohl eine gänzlich klare Abgrenzung auch auf 104 Diese Beschränkung war bereits in Art. 3 des Gesetzes von 1790 aufgenommen und wurde auch in den folgenden Gesetzen, insbesondere der Verfassung des Jahres III und in Art. 7 des Gesetzes vom 20. April 1810 (Loi sur l' ordre judiciaire et l' administration de la justice; J. Desenne: Cinq Codes, S. 796), beibehalten. Für Zivilsachen hatte auch Art. 4 des Gesetzes vom 4. Germinal des Jahres II (1. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 139) eine entsprechende Anordnung getroffen, zugleich aber festgesetzt, daß Nichtigkeit bei allen seit 1789 ergangenen Prozeßvorschriften als stillschweigend angeordnet anzusehen sei. Dem wurde später durch Art. 1030 des Code de procedure civile die Grundlage entzogen, der die Annahme einer Nichtigkeit nur noch bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung zuließ; zum ganzen k: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 313. In Strafsachen stellte Art. 408 Code d'instruction criminelle ebenfalls auf die ausdrückliche Anordnung der Nichtigkeit ab, machte davon aber für den Fall eine Ausnahme, daß über Anträge des Angeklagten oder des öffentlichen Ministeriums nicht entschieden worden war und diese Anträge den Gebrauch eines dem Angeklagten oder dem öffentlichen Ministerium zustehenden Rechtes bezweckten; Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 52 ff. (auch zum Streitstand vor Erlaß des Code d'instruction criminelle). Die Beachtung der Förmlichkeiten mußte sich aus dem Protokoll der Gerichtssitzung ergeben; Chr. v. Breuning, ebd. S. 55. Zur Verminderung der Nichtigkeitsanordnungen im Code d'instruction criminelle gegenüber den vorherigen Gesetzen und zum Umgang des Kassationshofes mit dieser Vorschrift Burkhard Burgmüller: Das Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung als Regulativ im Revisionsrecht, Berlin 1990, S. 56 f. 105 Bis in das 20. Jahrhundert hinein ist dieser Widerspruch nicht gelöst worden. Eine ausfühliche Behandlung dieser Problematik unter Einbeziehung einer historischen Herleitung und rechtsvergleichender Untersuchungen liefert die oben erwähnte Schrift J. Plassards: Les ouvertures communes a la cassation et a la requete civile von 1924, die sich als Vorstudie für eine Reform auf diesem Rechtsgebiet versteht. Siehe aber auch die abgrenzende Darstellung bei E. Faye: Cour de Cassation, S. 89 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 3, S. 491 f.; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, S. 101 ff. Im Zusammenhang der unten darzustellenden Arbeiten an einer Verfahrensordnung für den RKH wurde eine klarere gesetzliche Abgrenzung beider Rechtsinstitute stets thematisiert aber keineswegs einstimmig befürwortet. 106 Art. 480 ff. Code de procedure civile. Auch bei der requete civile handelte es sich um einen Rechtsbehe1f, dessen Ursprünge bis weit in das vorrevolutionäre Recht zurückreichten; vgl. nur J. Plassard: Ouvertures, S. 35 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 3, S. 481 ff. 107 Zusammenfassend dargestellt bei J. Plassard: Ouvertures, S. 79 ff. So sah eine Ansicht einen strikten Vorrang der requete gegeben, eine andere wollte die Kassation für Fälle, in denen die Nichtigkeit nicht ausdrücklich angeordnet war, eröffnen, wiederum eine andere befürwortete die Abgrenzung danach, ob der Irrtum des Richters, der der Formverletzung

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

diesem Wege nicht herbeigeführt wurde, kann man vereinfachend sagen, daß die requete civile in der Regel der vorrangige Behelf gegen Verletzungen der unter Strafe der Nichtigkeit angeordneten Förmlichkeiten war. Die Kassation war demnach nur gegeben, soweit die requete nicht eröffnet oder erfolglos geblieben war!08. Eine klarere Regelung traf allein Art. 7 eines Gesetzes vom 20. April 1810 für einen Teilbereich, indem er bestimmte besonders schwere Formverstöße eindeutig der Kassation zuordnete!09. Der zweite in Art. 3 des Gesetzes vom 1. Dezember 1790 eingeführte Kassationsgrund erforderte die Verletzung eines Gesetzes durch die angegriffene Entscheidung. Es mußte sich dabei um eine im Tenor des Urteils enthaltene Verletzung geschriebenen Rechtes handeln llO. Die Verletzung bloß gewohnheitsrechtlich anerkannter Normen reichte ebensowenig aus wie eine nur gegen die Urtei1sbegriindung gerichtete Klage zur Eröffnung der Kassation gegen ein ansonsten rechtmäßiges Urteil 1ll . Was war unter einer Gesetzesverletzung in diesem Sinne zu verstehen? Art. 3 des Gesetzes vom 1. Dezember 1790 hatte die Kassation nur zugelassen gegen eine "contravention expresse au texte de la loi". Diese Formulierung beschränkte die zugrunde lag durch die Parteien hervorgerufen worden war (Eröffnung der requete civile) oder nicht (Kassation), während schließlich eine vierte Richtung die requete nur gegen dem Richter unbewußt unterlaufene Nichtigkeiten und die Kassation bei bewußter Verletzung von Förmlichkeiten zu lassen wollte. 108 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 313. 109 J. Plassard: Ouvertures, S. 77 f.; E. Faye: Cour de Cassation, S. 95 ff., 106 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 3, S. 491 f. Obwohl sich das Gesetz vom 20. 4. 1810 seinem Gegenstand nach nur auf die Cours royales (diese Bezeichnung hatte Art. I des Gesetzes für die Appellationsgerichte eingeführt), bezog und auch Art. 7 nur die Nichtigkeit von Entscheidungen dieser Gerichtshöfe erfaBte, wurde die hier getroffenen Regelung auf die Entscheidungen auch aller übrigen Gerichtshöfe angewandt; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 313. Sofern nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl von Richtern an dem Urteil mitgewirkt hatte, das Erkenntnis von Richtern getroffen wurde, die nicht die gesamte Verhandlung miterlebt hatten, ein Urteil nicht öffentlich ergangen war oder aber überhaupt keine Begründung enthielt, war allein die Kassation eröffnet. Zu den Voraussetzungen dieser Nichtigkeitsgründe im einzelnen E. Faye: Cour de Cassation, S. 95 ff., 106 ff. Zu weiteren Streitfällen der Abgrenzung der requete civile von der Kassation, bei denen aber keine direkte Kollision des Art. 480 Code de procedure civile mit den Vorschriften des Kassationsrechts bestand, s. J. Plassard: Ouvertures, S. 111 f. Es handelte sich dabei um die in Art. 480 Nr. 3, 4, 5, 7, 8 erfaBten Gründe, wie beispielsweise das Zusprechen von mehr oder etwas anderem als der Kläger beantragt hatte oder einander widersprechende Verfügungen desselben Urteils, Fälle also, die ebenfalls eine gewisse thematische Nähe zur Kassation aufwiesen. 110 Zu beachten ist aber, daB der Tenor nur Resultat der Gründe war und selbst keine der angewandten Gesetze aufführte. Die Zulässigkeit einer Klage konnte nicht ohne Einbeziehung der Gründe festgestellt werden, aber ein Urteil konnte auch bei unrichtiger Begründung aufrecht erhalten werden, wenn sich andere Gründe zu seiner Rechtfertigung finden ließen; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 305. 111 E. Faye: Cour de Cassation, S. 120 ff. Hinsichtlich der Unmöglichkeit der Kassation bei Verletzung von Gewohnheitsrecht auch F. J. Perrat: Verfassung, Bd. I, S. 463.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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Kassation auf Fälle des Verstoßes gegen den Wortlaut eines Gesetzes. Sie stand nicht zu Verfügung bei falscher Auslegung, falscher Anwendung oder Nichtanwendung einer Norm. Die Formulierung von 1790 wurde später durch die Worte "contravention expresse a la 10i"l12 ersetzt. Wenn auch dies noch den relativ seltenen Fall der ausdrücklichen Gesetzesverletzung anspricht, so deutet sich hier doch schon eine Ausweitung an, die dieser Kassationsgrund durch Praxis und Wissenschaft erfahren hatte. Eine Beschränkung der Kassation auf Fälle ausdrücklicher Gesetzwidrigkeit hätte den Untergerichten einen erheblichen Spielraum hinsichtlich der Auslegung und Anwendung der Gesetze eingeräumt und der Ausprägung unterschiedlichster Strömungen der Rechtsprechung Vorschub geleistet. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, deren Herstellung und Erhalt der Kassationshof dienen sollte, wäre auf diesem Weg nicht zu erreichen gewesen. Daher setzte sich die Auffassung durch, daß die Kassation nicht allein eingreifen sollte "wenn der klare Buchstabe des Gesetzes, sondern auch wenn der Sinn und Geist des Gesetzes ausdrücklich verletzt ist"ll3. Die Kassaton wurde also ausgedehnt auf die falsche Auslegung oder Anwendung eines Gesetzes und die Nichtanwendung eines einschlägigen Gesetzes 114. Als weiterer Kassationsgrund ist die richterliche Machtüberschreitung (exces de pouvoir) zu nennen llS . Sie eröffnete die Möglichkeit, Kassation einzulegen, selbst wenn das Urteil keine materielle Gesetzesverletzung aufwies, sofern etwa der Richter ihn bindende gesetzliche Fristen mißachtet, von Amts wegen gehandelt hatte, wo dies nicht gestattet war, sich Befugnisse der Verwaltungs behörden angemaßt oder sich geweigert hatte, Recht zu sprechen (negative Machtüberschreitung) 116. Des weiteren konnte die Kassation gegen Urteile eines inkompetenten 112

Art. 66 der Verfassung des Jahres VIII, Art. 7 des Gesetzes vom 20. 4. 1810.

113

F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 463 .

114 E. Faye: Cour de Cassation, S. 126 ff.; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, S. 103. Siehe auch J.-L. Halperin: Tribunal de cassation, zusammenfassend S. 268; F. Ferrand: Cassation fran~aise et Revision allemande, S. XVIII; W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 529 f. 115 Dies geht aus Art. 80 und 88 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventöse des Jahres VIII (1. Desenne: Cinq Codes, S. 779) hervor, die die Kassation gegen Urteile anordnen, "par lesquels les juges auront excedes leurs pouvoirs" (Art. 80), ohne näher zu bestimmen, welche Fälle darunter zu fassen sind. 116 Zu diesen überwiegend durch die Rechtsprechung herausgebildeten Kassationsgründen ausführlich F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 468 f. Die Verfahren wegen richterlicher Machtüberschreitung wurden vor der section des requetes geführt, Art. 80 des Gesetzes vom 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 779; vgl. auch J. H. Schlink: CivilProzeß-Ordnung, Bd. I, S. 308. Wahrend die Privatparteien bei Einlegung eines Kassationsgesuches aus diesen Gründen an Kassationsfristen und das Erfordernis der Angreifbarkeit allein letztinstanzlicher Entscheidungen gebunden waren, konnte der Justizminister jegliche Machtüberschreitung jederzeit über den Generalprokurator beim Kassationshof anzeigen. Dies erfolgte dann im Interesse des Gesetzes und der öffentlichen Ordnung. In diesen Fällen blieb eine Vernichtung des Urteils ohne Wirkung zwischen den Parteien; Art. 80 des Gesetzes vom 27 Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 779.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Richters 117 oder gegen einander widersprechende Urteile verschiedener Gerichte zwischen denselben Parteien 118 eingelegt werden 119 • Die letzte Fallgruppe bildet schließlich die Kassation solcher Urteile, denen es überhaupt an einer gesetzlichen Grundlage mangelte 120, die nicht als richterliche Entscheidungen zu qualifizieren waren. Diese Fälle waren gekennzeichnet durch das Fehlen oder die mangelnde Nachvollziehbarkeit der rechtlichen Würdigung eines Tatbestandes.

(2) Das Verfahren in Zivilsachen Zur Einlegung des Kassationsgesuches in Zivilsachen war eine Frist von drei Monaten festgesetzt, die mit dem Tag der Zustellung des Urteils an den Kassationskläger begann und unter keinen Umständen verlängert werden konnte 121 • Schon die Strenge dieser Frist - die gleichermaßen gegen alle Personen, auch gegen Minderjährige und die Erben eines mittlerweile verstorbenen Kassationsberechtigten, lief 122 - aber auch die für die Einlegung des Gesuchs vorgeschriebenen Formalitäten unterschieden die Kassation deutlich von anderen Rechtsmitteln des 117 Inkompetenz des erkennenden Gerichts in Ansehung der Sache oder der Person des Klägers bzw. im Strafverfahren des Verurteilten erfaßt; E. Faye: Cour de Cassation, S. 129; A. v. Feuerbach: Betrachtungen, S. 101. Siehe auch Art. 408. 118 Art. 504 Code de procedure civile. Zu Zweifelsfällen der Abgrenzung zu Art. 480 Nr. 6 Code de procedure civile, der einander widersprechende Urteile desselben Gerichts erfaßt; J. Plassard: Ouvertures, S. 93 ff. 119 Die drei letztgenannten Kassationsgründe lassen sich auch als spezielle Fälle der Gesetzesverletzung fassen; siehe E. Faye: Cour de Cassation, S. 129 ff. 120 "Defaut de base legale; dazu E. Faye: Cour de Cassation, S. 133. 121 Art. 14 des Gesetzes vom 1. 12 1790 und Art. 15 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. I, S. 121, 144. Die Zustellung konnte dabei an den Kläger persönlich oder an seinem Wohnsitz erfolgen. Bei Kassation gegen ein Versäumnisurteil beginnt der Lauf der Frist mit dem Ablauf der Oppositionsfrist; vgl. Philipp Harras von Harrasowsky: Die Rechtsmittel im Civilprocesse nach dem gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung, Wien 1879, S. 25; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 312. Zur Berechnung der Frist i.e. A. C. Guichard: Instruction, S. 10. Verlängert werden konnte die Frist nur, wenn die Zustellung des Urteils fehlerhaft verlaufen war, J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung; Bd. I, S. 316 f. 122 Gerade zugunsten dieser Personengruppen traf das Appellationsverfahren abweichende Fristregelungen (Art. 444, 447 des Code de procedure civile). Darüber hinaus gab es bei der Kassation nicht die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei unverschuldeter Fristversäumung (s. für die Appellation Art. 448 Code de procedure civile). Die Strenge der Kassationsfristen muß wohl als Abgrenzung zum Verfahren vor dem Conseil des Parties gesehen werden, das zum einen hinsichtlich der Fristen personelle Unterscheidungen traf und zum anderen dem Conseil eine weitgehende Möglichkeit zur Gewährung von Fristverlängerungen einräumte; E. Faye: Cour de Cassation, S. 76. Allerdings galten für Personen, die sich außerhalb Kontinentalfrankreichs aufhielten, längere Fristen, zu dieser im einzelnen abgestuften Regelung; A. C. Guichard: Instructions, S. I, m. w. N.; Ph. A. Merlin: Cassation, S. 57 ff.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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französischen Prozesses 123 • Wahrend die Einleitung des ordentlichen Zivilprozesses ohne Einschaltung des Gerichts allein zwischen den Parteien bewerkstelligt wurde l24 , mußte sich der Kassationskläger zunächst an das Gericht wenden. Anders als im ordentlichen Prozeß mußte nicht der Gegner mittels Vorladung von der Klage in Kenntnis gesetzt und vor das Gericht geladen, sondern zunächst innerhalb der genannten Frist ein Kassationsgesuch im Sekretariat des Kassationshofes eingereicht werden 125. Die Kassationsschrift mußte eine kurze Darlegung der Kassationsgriinde enthalten 126 und von einem am Kassationshof zugelassenen Anwalt ausgefertigt und unterzeichnet sein, um überhaupt wirksam werden zu können 127 . Auch eine beurkundete Ausfertigung oder eine Kopie des angegriffenen Urteils und eventuelle Beweisstücke mußten beigefügt werden 128. Eine weitere wesentliche Voraussetzung der Kassationseinlegung war die Hinterlegung eines Buß- oder Strafgeldes, das im Falle des Klageerfolges zuriickgezahlt wurde und von allzu leichtfertigen Kassationsgesuchen abhalten sollte l29 . Die Kassation hatte in Zivilsachen in der 123 Auf diese Besonderheiten weist A. C. Guichard: Instruction, S. 2, 12 warnend hin. Zur besonderen Strenge der Fristen auch ehr: v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 66. 124 Art. 1 ff., 59 ff. des Code de procedure civile. Ausführlich zur Einleitung des Zivilprozesses J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 493 ff.; Bd. 2, S. 15 ff. Zur Nichtbeteiligung des Gerichts an der Einleitung des normalen Zivilprozesses W. Schubert: Französisches Recht in Deutschland, S. 572 f. Der vorbereitende Schriftwechsel der Parteien wurde lediglich mit Hilfe eines huissiers, aber noch ohne Einschaltung des Gerichtes selbst zugestellt; siehe auch J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 95 ff., 436 ff. 125 Erster Teil, Titel IV Art. 1 ff. des Reglements von 1738; K. Th. F. Barmann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 104, Art. 16 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 144. 126 Eine summarische Darstellung oder die Nennung der angeblich verletzten Normen reichte aus, der Klagegegenstand mußte lediglich ausreichend abgegrenzt sein; E. Faye: Cour de Cassation, S. 230. 127 Erster Teil, Titel IV, Art. 1, des Reglements von 1738; K. Th. F. Barmann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 104. Über Art. 28 des Gesetzes vom 1. 12. 1790 war diese Vorschrift weiterhin maßgeblich. Ein ohne Gründe eingereichtes Gesuch war nichtig; ehr: v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 68. In Zivilsachen hatte sich das Gericht in seiner Prüfung dann auch auf die vom Kläger angegebenen Kassationsgründe zu beschränken, selbst wenn das angegriffene Urteil noch weitere Fehler aufwies; ehr: v. Breuning, ebd. S. 67 f. Zur Möglichkeit, vor Fristablauf noch neue Kassationsgründe hinzuzufügen und nach Ablauf der Frist bis zur Verhandlung die ge1tendgemachten Gründe noch weiter zu rechtfertigen; E. Faye: Cour de Cassation, S. 230. 128 Erster Teil, Titel IV, Art. 4 des Reglements vom 28. 6. 1738; K. Th. F. Barmann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. I, S. 104, Art. 16 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV, J. Desenne: Code General, Bd. 3, S. 144; Ph. A. Merlin: Cassation, S. 56. 129 Die Zahlung eines solchen Strafgeldes geht auf die Verfahrensordnung von 1738 (Erster Teil, Tit. IV Art. 5; K. Th. F. Bannann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 104) zurück und ist im Gesetz vom 1. 12. 1790 (Art. 28) und den Folgegesetzen beibehalten worden (s. bspw. Titel 111, Art. 17 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 144, und Art. 420 des Code d'instruction criminelle). Eine Quittung über die Zahlung des Strafgeldes war dem Gesuch beizufügen. Die Höhe des Strafge1des betrug in

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Regel keinen Suspensiveffekt, das Kassationsgesuch stand also der Vollstreckung des letztinstanzlichen Urteils nicht entgegen 130. War die Kassation wirksam eingeleitet \31, begann das Zulassungsverfahren vor der seetion des requetes. Dieses war seinem Wesen nach kein kontradiktorisches Verfahren. An den öffentlichen Sitzungen dieser Abteilung waren lediglich das öffentliche Ministerium und die einlegende Partei mit ihrem Rechtsbeistand beteiligt, nicht aber die Gegenpartei 132. Ihr wurden Auftreten und Kostenaufwand vor der endgültigen Entscheidung über die Zulassung der Klage erspart. Das Urteil der section des requetes erging im Anschluß an den Vortrag eines Referenten und das Plädoyer des Vertreters des öffentlichen Ministeriums I33 . Erst wenn die Klage zugelassen war, wurde die Gegenpartei überhaupt in den Prozeß einbezogen 134. Der Kassationskläger mußte auf Anordnung der section des requetes innerhalb einer dreimonatigen Frist nach Erlaß des Zulassungsurteils die Kassationsschrift an die Gegenpartei zustellen 135, dieser Akt beinhaltete zugleich die Ladung der Gegenpartei vor den Kassationshof. Der Beleg über die erfolgte Zustellung war im Sekretariat des Kassationshofes niederzulegen 136. Auf die Mitkontradiktorischen Sachen 150 francs und bei Kassationseinlegung gegen ein Versäumnisurteil 75 francs. Wurde das Kassationsgesuch abgewiesen, verfiel der eingezahlte Betrag an den Fiskus. Wurde das Kassationsgesuch erst in der seetion civile verworfen, wurde der Kläger unter Anrechnung des bereits gezahlten Strafgeldes zu einer Geldbuße und einer Ersatzleistung an den Beklagten verurteilt. Die Geldbuße betrug 300 francs, bei VersäumnisurteiJen 150 francs und die Ersatzleistung an den Gegner belief sich ebenfalls auf 150 francs, Teil 1, Titel 4, Art. 35 der Verfahrensordnung von 1738; vgl. J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung; Bd. 1, S. 326. Unvennögende und der Fiskus als Kläger waren von der Zahlung dieses Betrages befreit, vgl. Art. 17 des Loi concernant I' organisation du Tribunal de cassation; J. Desenne: Code general, Bd. 1, S. 144. Zu Einschreibungsgebühren u.ä. (droit d'enregistrement, droit de greffe, etc.), die bei Anmeldung des Kassationsgesuches fällig wurden, siehe A. C. Guichard: Instruction, S. 11, der diese Gebühren mit einem Betrag von zusarnrnen etwa 50 francs angibt. 130 Art. 16 des Gesetzes vom 1. 12. 1790, Ausnahmen enthalten Art. 241 des Code de procedure civile und Art. 265 des Code civil. 131 Endgültig begründet wird diese Wirksamkeit durch die Aufnahme des Kassationsgesuches in das Register des Gerichtshofes; A. C. Guichard: Instruction, S. 13; E. Faye: Cour de Cassation, S. 233 f. 132 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 323. Titel IV, Art. 25 ff., 28 des Reglements vom 28. 6.1738; K. Th. F. Barmann/A. v. Daniels: Handbuch, Bd. I, S. 105. Art. 5-8 des Gesetzes vom 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 119 f. 133 Der Kläger oder sein Rechtsbeistand hatten vor dem Votum des öffentlichen Ministeriums Gelegenheit zur Stellungnahme; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 323 f. 134 Zum weiteren Ablauf des Prozesses, der weitestgehend noch dem Reglement von 1738 folgte; E. Faye: Cour de Cassation, S. 241 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 324 ff. und A. C. Guichard: Instruction, S. 13 ff. 135 Nach Ablauf dieser Frist trat der Verlust des Rechtsmittels ein; Ph. A. Merlin: Cassation, S. 69 f. 136 Erster Teil, Titel IV Art. 30 des Reglements vom 28. 6. 1738; K. rh. F. Barmann/ A. v. Daniels: Handbuch, Bd. I, S. 105. Daraufhin wurde die Sache auf die Rolle der seetion civile

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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teilung des Klägers über die geschehene Vorladung des Beklagten an die Kanzlei des Gerichtshofes wurde die Sache auf die Rolle gebracht und ein Berichterstatter ernannt 137 • Die Instruktion der Sache selbst, also die Entwicklung der Kassationsund Verteidigungsgründe sowie die Darlegung des bisherigen Prozeßganges, erfolgte unter den Parteien durch einen vorbereitenden Schriftwechsel, innerhalb dessen jeder Partei zwei Schriften - inklusive der Kassationsschrift - zustanden 138. Der Gegenseite war für die Aufnahme der Verteidigung und die Benennung eines Anwalts eine nach der jeweiligen räumlichen Entfernung vom Kassationshof gestaffelte Frist gesetzt I 39. War acht Tage nach Ablauf dieser Frist noch keine Verteidigungsschrift des Beklagten eingegangen, so konnte der Kläger sich diesen Umstand vom Sekretariat des Kassationshofes bescheinigen lassen und daraufhin ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten beantragen 140. War die Sache genügend vorbereitet und spruchreif, gelangte sie zur Verhandlung vor die section civile. Der Ablauf der öffentlichen Sitzung l41 sah so aus, daß zunächst der vom Präsidenten zuvor ernannte Referent seinen Sachvortrag hielt. Auf diesen Vortrag hin, der sich auf die Darstellung der Sachlage beschränken mußte und noch keine Entscheidungsvorschläge enthalten durfte l42 , hatten die Parteien bzw. ihre Vertreter Gelegenheit, die bereits in den Schriftsätzen niedergelegten Argumentationen noch einmal mündlich zu erläutern l43 • An die Parteivorstel-

geschrieben und ein Berichterstatter ernannt, der auch die Instruktion unter den Parteien zu leiten hatte; J. H: Schlink: Civil-Prozeß- Ordnung, Bd. 1. S. 325 f. Die Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts ergibt sich im einzelnen aus einem Reglement vom 4. Prairial des Jahres VIII; J. H. Schlink, a. a. 0., S. 317 ff. 137 Anordnungen über den Geschäftsbetrieb des Kassationshofes, d. h. die Aufnahme der einzelnen Sachen auf die Rolle der jeweiligen Abteilung, die Verteilung der Referate und ihre Vorbereitung durch die Richter, die Kommunikation mit dem öffentlichen Ministerium und die Tenninierung waren in einem in die Gesetzsammlung eingerückten Reglement vom 4. Prairial des Jahres VIII enthalten; abgedruckt bei J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S.317ff. 138 Art. 18 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 144. Zur Vorbereitung des Prozesses J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 325. 139 Diese auf das Reglement von 1738 zurückgehende Regelung findet sich bei A. C. Guichard: Instruction, S. 14 zusammengefaßt. 140 Gegen dieses Versäumnisurteil konnte der Beklagte seinerseits wieder mit der Restitution vorgehen. Solange noch kein Versäumnisurteil erlassen war, hatte der Beklagte noch die Möglichkeit eine Verteidigungsschrift einzureichen; E. Faye: Cour de Cassation, S. 249 ff., 268 ff.; A. C. Guichard: Instruction, S. 15; F. v. Lassaulx: Bürgerlicher Prozeß, S. 358. Dieses Versäumnisverfahren beruhte im wesentlichen auf den Vorschriften des 2. Teils des Reglements von 1738. Zu dieser Vorbereitung des Prozesses J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 325. 141 Zum Ablauf der Verhandlung E. Faye: Cour de Cassation, S. 256 ff.; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, S. 325 f. 142 Art. 13 des Gesetzes vom 1. 12. 1790. 143 Art. 12 des Gesetzes vom 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 120 f.; Art. 21 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne, ebd. S. 144. Zur Maßgeb16 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

lungen schloß sich das Plädoyer des Vertreters der Staatsbehörde an, das die öffentliche Verhandlung beendete. Die anschließende Beratung des Gerichts erfolgte unter Ausschluß der Öffentlichkeit l44 . Für eine wirksame Entscheidung, die von der absoluten Mehrheit der Stimmen getragen sein mußte, war die Mitwirkung von mindestens elf Richtern erforderlich 145. Bei Stimmengleichheit mußten fünf neue Richter, die bisher noch nicht mit der Sache befaßt waren, hinzugezogen werden l46 . War die Kassationsbeschwerde begründet, hob der Kassationshof das vorhergehende Urteil auf, kassierte es also, und verwies die Sache zur erneuten Ermittlung und Entscheidung an ein anderes Instanzgericht zurück. Eine Entscheidung in der Sache selbst war ihm verwehrt l47 . Die Urteile des Kassationshofes wurden mit Gründen ausgefertigt, den Parteien mitgeteilt und veröffentlicht 148. Ein kassierendes Urteil mußte darüber hinaus in das Register des Gerichtes eingetragen werden, dessen Entscheidung vernichtet worden war 149 .

(3) Das Verfahren in Strafsachen Das Verfahren in Strafsachen unterschied sich in wesentlichen Punkten von dem soeben skizzierten Vefahrensgang. Eingeleitet wurde es in der Regel durch die Einreichung eines Kassationsgesuches im Sekretariat desjenigen Gerichtes, das das angegriffene Urteil erlassen hatte. Diese Berechtigung stand dem Verurteilten 150, lichkeit des Schriftsatzinhaltes und der dadurch in Frage gestellten Mündlichkeit des Verfahrens siehe unten Kapitel D I I b) cc) (4). 144 Art. 13 des Gesetzes vom 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 120 f. Zu den verschiedenen Formen dieser Beratung - oft zogen die Richter sich gar nicht zurück, sondern bildeten in der Mitte des Sitzungs saales einen Kreis - Danie1s in einem an Sethe gerichteten Bericht vom 24.8. 1819 über das Pariser Verfahren; GStA Rep 97 B I A 2 a gen (unfoliiert). 145 Art. 63 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventöse des Jahres VIII. 146 Art. 64 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventöse des Jahres VIII. 147 Vgl. Art. 3 des Dekrets vom 1. 12. 1790; J Desenne: Code general, Bd. 3, S. 117. 148 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 326 zur Anfertigung der zu veröffentlichenden Urteilsnotizen durch den jeweiligen Referenten unter der Aufsicht des Präsidenten. Angeordnet worden war die Veröffentlichung schon in Art. 22 des Gesetzes vom 1.12. 1790; J. Desenne: Code general. Bd. 3, S. 122. Seit 1798 erfolgte die Veröffentlichung in einer amtlichen Sammlung dem Bulletin des arrets (I-V: des jugemens) de la Cour (I-VI: du Tribunal) de cassation rendues en matiere civile I criminelle publie sous la direction de M. Guerry de Champneuf, I-XXXIII, Paris an VII (1798)-1824; ab 1825 fortgesetzt als Bulletin des arrets de la Cour de cassation - chambres civiles I chambre criminelle. Daneben gab es aber auch eine ganze Reihe privat herausgegebener Entscheidungssammlungen, unter denen J. B. Sirey: Jurisprudence de Tribunal de cassation (später: de la Cour de cassation), Paris 1801 ff. und M. Dalloz: Journal des audiences de la Cour de cassation ou Receuil des principaux arrets rendues par cette cour en matiere civile et mixte (später: ... des arrets de cette cour en matiere civile et criminelle), Paris 1802 ff. die bekanntesten sein dürften. 149 Art. 22 des Gesetzes vom 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122; Art. 85 des Gesetzes vom 27. Ventöse des Jahres VIII; J. Desenne: Cinq Codes, S. 779.

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dem öffentlichen Ministerium, aber auch der am Verfahren beteiligten Zivilpartei (partie civile) zu, d. h. der Partei, die ihren Schadensersatzanspruch gegen den Angeklagten des vorangegangenen Prozesses innerhalb des Strafverfahrens geltend gemacht hatte (action ci vile) und auf die sich das Urteil ebenfalls erstreckte 151. Im Falle eines freisprechenden Urteils war jedoch die Möglichkeit der Kassationseinlegung (für das öffentliche Ministerium und die Zivilpartei) stark eingeschränkt 152 • Die Frist zur Einlegung des Kassationsgesuches betrug drei Tage von der Verkündung des Urteils an 153. Dementsprechend waren die formalen Anforderungen wesentlich geringer als in Zivilsachen. Das Gesuch konnte auch ohne Einschaltung eines Anwalts mündlich zu Protokoll des Gerichtsschreibers eingelegt werden I54 . Die Aufführung bestimmter Kassationsgriinde war weder für den Verurteilten noch für die Zivilpartei vorgeschrieben. Eine auf die Kassationsgriinde eingehende Denkschrift konnte - mußte aber nicht - innerhalb von zehn Tagen an dasselbe Gericht nachgereicht werden 155. Das völlige Ausbleiben einer derartigen Bittschrift hinderte den Ablauf des Kassationsverfahrens nicht. Das Gericht priifte in einem solchen Fall die möglichen Kassationsgriinde allein von Amts wegen. Anders als in Zivilsachen hatte die Einlegung der Kassation aufschiebende Wirkung l56 . Von 150 Der Verurteilte hatte auch die Möglichkeit, sich direkt an den Kassationshof zu wenden; Art. 424 Code d'instruction criminelle. 151 Zur Verbindung der Zivilklage mit dem Strafprozeß siehe die einleitenden Art. 1-4 des Code d'instruction criminelle. Die Berechtigung der Zivilpartei, Kassation einzulegen, ergibt sich aus Art. 177,216,413, 418 des Code d'instruction criminelle. Eingeschränkt wird die Berechtigung des Zivilpartei durch Art. 373 (im Falle einer Entscheidung des Geschworenengerichts) und Art. 412 Code d'instruction criminelle (Ausschluß der Klage gegen ein freisprechendes Urteil). Die Zivilklage des französischen Prozesses weist eine gewisse Ähnlichkeit zum Adhäsionsverfahren des heutigen deutschen Strafprozesses nach §§ 403 ff. StPO auf. Im Gegensatz zum französischen Recht stehen dem Verletzten aber nach der StPO keine weiteren Rechtsmittel zur Verfügung (§ 406 a IStPO). 152 Siehe H. J. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 315. Im Falle der Freisprechung von einem Verbrechen konnten weder das öffentliche Ministerium (Art. 409 des Code d'instruction criminelle) noch die Zivilpartei (Art. 412 des Code d'instruction criminelle) Kassation einlegen. Darüber hinaus war der Kassationsrekurs.!~egen ein freisprechendes Urteil auch in Zuchtpolizei- und Polizeisachen (Vergehen und Ubertretungen) dann ausgeschlossen, wenn er sich nur auf die Verletzung solcher Formvorschriften stützen konnte, die ausschließlich dem Interesse des Beschuldigten zu dienen bestimmt waren Art. 413 des Code d' instruction criminelle. 153 Ausdrücklich angeordnet wird diese Frist für die Kassation gegen Urteile der Geschworenengerichte in Art. 373 des Code d' instruction criminelle, der Pariser Kassationshof dehnte sie generell auf Kassationsgesuche in Strafsachen aus; vgl. J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 315 f. Eine um zwei Tage längere Frist ordnen die Art. 296, 299 für Kassation gegen ein Erkenntnis, das die Sache vor den Assisenhof verweist, an. 154 Art. 417, 418 des Code d'instruction criminelle. 155 Art. 422 des Code d'instruction criminelle. Nach Ablauf diese Frist konnte eine solche Denkschrift immer noch an den Kassationshof eingereicht oder aber die Kassationsgründe erst in der Verhandlung selbst entwickelt werden. 156 Art. 373 Code d' instruction criminelle; dazu J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 315. 16*

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

der Pflicht zur Zahlung eines Strafgeldes war der Verurteilte zumindest in peinlichen Sachen (d. h. bei Verurteilung wegen eines Verbrechens) befreit, während die Zivilpartei stets ein Strafgeld hinterlegen mußte 157 . Das öffentliche Ministerium des Gerichts, an dem das Gesuch eingereicht worden war, leitete die Sache nach Ablauf der Zehntagesfrist an den lustizminister weiter. Dieser reichte das Kassationsgesuch dann innerhalb von 24 Stunden an den Kassationshof weiter l58 . Da es kein gesondertes Zulassungsverfahren gab, lief der gesamte Prozeß als Einheit vor ein und derselben Abteilung des Kassationshofes, der section criminelle, ab. Anders als in zivilrechtlichen Fällen war der Kassationshof bei der Bearbeitung von Strafprozessen an eine Frist gebunden: Innerhalb eines Monats nach Ablauf der für Einlegung, Begründung und Weiterleitung des Gesuchs vorgesehenen Fristen mußte das Urteil gefällt werden i59 . An ein kassierendes Urteil schloß sich auch in Strafsachen die obligatorische Rückverweisung an 160.

Das Verfahren in der öffentlichen Sitzung wies in etwa denselben - in Vortrag des Referenten, Stellungnahme des Angeklagten und Antrag des öffentlichen Ministeriums gegliederten - Ablauf auf wie das vor der section civile. Eine schwerwiegenden Ausnahme bestand jedoch darin, daß aufgrund der Entbehrlichkeit eines ausführlich begründeten Kassationsgesuches die Entwicklung der Kassationsgründe oft erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte 161 . Im Vergleich zum zivilrechtlichen Verfahrensgang erscheint die Kassation in Strafsachen insgesamt als ein beschleunigtes, formal weniger streng gebundenes Verfahren, das - obwohl die Kassation ein Rechtsmittel im Interesse des Gesetzes bleibt - dem Schutz des Verurteilten und seinem Interesse an Abänderung des Urteils breiten Raum gibt.

(4) Besonderheiten des Kassationsverfahrens Das Kassationsverfahren - insbesondere das zivilrechtliche Verfahren - wich in wesentlichen Punkten von Verfahren vor den ordentlichen Gerichten ab. Auf die Fristenstrenge, die Verfahrenseinleitung unter Einschaltung des Gerichts, das gesonderte Zulassungsverfahren in Zivilsachen sowie die mangelnde SuspensivwirZur Strafge1dzahlung s. Art. 419, 420 des Code d'instruction crirninelle. Dazu und zum folgenden s. Art. 423, 424 und 425 des Code d'instruction crirninelle. 159 Art. 425 Code d'instruction crirninelle. 160 Art. 3 des Dekrets vom 1. 12. 1790; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 118. 161 Hinsichtlich der eigentlichen Entscheidung, ihrer Mitteilung an die Untergerichte und der Veröffentlichung ergeben sich keine Abweichungen vom Zivilverfahren. Nähere Bestimmungen zur Verweisung nach erfolgter Kassation enthalten die Art. 427 ff. Code d'instruction criminelle, wobei Art. 429 ff. Anweisungen für den Fall der Verweisung zur erneuten Entscheidung in Kriminalsachen regeln. 157 158

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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kung ist oben schon hingewiesen worden. Eine weitere Besonderheit stellte die Kassation im ausschließlichen Interesse des Gesetzes dar. Sie bot dem öffentlichen Ministerium die Möglichkeit, nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nachdem die Parteien die Fristen ungenutzt hatten verstreichen lassen, ein Kassationsgesuch wegen Verletzung prozessualer Formvorschriften oder materieller Gesetze einzulegen 162 . Die Kassation im Interesse des Gesetzes konnte sowohl im Zivil 163 _ als auch in Strafsachen ergriffen werden. In Strafsachen war sie die einzige Möglichkeit, gegen ein vom Vorwurf des Verbrechens freisprechendes Urteil vorzugehen. Eine "normale" Kassation war zuungunsten des Freigesprochenen gänzlich aus geschlossenl 64 . Das Urteil diente allein der Ausrichtung der künftigen Rechtsanwendung, ohne allerdings eine die Untergerichtsbarkeit bindende Wirkung zu entfalten 165 . In Zivilsachen fehlte ihm darüber hinaus jede Rechtswirkung unter den am Prozeß beteiligten Privatpersonen. Hier behielt das angegriffene Urteil die Wirkung eines Vergleichs. Die Kassation im Interesse des Gesetzes erscheint damit als eine Mißbilligung der vom vorhergehenden Richter angewandten Grundsätze. Des weiteren muß man hinsichtlich der Mündlichkeit des Kassationsverfahrens Einschränkungen machen. Obwohl Mündlichkeit und Öffentlichkeit seit dem Loi sur I' organisation judiciaire vom August 1790 sowohl im Straf- als auch im Zivilprozeß verankert waren - und dementsprechend die Entscheidung des Gerichts prinzipiell auf dem mündlichen Vorbringen in der Verhandlung beruhen sollte 166 -, und obwohl auch vor dem Kassationshof mündlich und öffentlich verhandelt wurde, war das zumindest das Kassationsverfahren in Zivilsachen von starken Zügen der Schriftlichkeit geprägt. Das Vorbringen neuer Tatsachen war ausgeschlossen, das Verfahren baute nur noch auf den vorangegangenen Verhandlungen auf, die Kassations- und Verteidigungs gründe sowie der bisherige Gang des Rechtsstreits wurden im Laufe des vorbereitenden Schriftwechsels dargelegt, und dieser Schrift162 Grundlegend: Art. 25 des Gesetzes vom I. 12. 1790, Art. 88 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII, Art. 442 des Code d'instruction criminelle; vgl. F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 462; C. J. A. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 138 f. sowie den entsprechenden Abschnitt des Berichts Ruppenthals über das Kassationsverfahren in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 72 ff. 163 Im Zivilprozeß war dem öffentliche Ministerium eine ..normale" Kassation verschlossen, bis auf diejenigen Fälle, in denen ihm vom Gesetz Parteienqualität beigelegt war; J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 314. 164 Art. 409 des Code d'instruction criminelle; s. a. H. J. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 315. 165 Die Sache wurde nicht an die Untergerichte zurückgewiesen, somit kam es nicht zu einer neuen Sachentscheidung. 166 Zu diesem Grundsatz und seinen Durchbrechungen im französischen Zivilprozeß H.-G. Kip: Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 26 f. Vgl. auch Elisabeth Koch: Zum Einfluß des französischen Code de procedure civile auf die deutsche Zivilprozeßrechtsreform, in: Reiner Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; Bd. 12), Berlin, 1994, S. 157 ff.; W. Schubert: Das Streben nach Prozeßbeschleunigung und Verfahrensgliederung im Zivilprozeßrecht des 19. Jahrhunderts, in: ZRG Germ. Abt., Bd. 85 (1968), S. 148 ff.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

verkehr wurde - anders als im gewöhnlichen Zivilverfahren - zur Kenntnis des Gerichts gebracht l67 . Da dariiber hinaus ein Vorbringen neuer Kassationsgründe in der mündlichen Verhandlung nicht gestattet war, beschränkte sich der mündliche Partei vortrag auf das Verlesen der Schriftsätze oder die ergänzende Erläuterung einzelner Punkte l68 . Der Vortrag konnte, wenn die Parteien keinen Wert darauf legten, auch ganz entfallen 169. Das zeigt, daß dem Partei vorbringen, wie es in den Schriftsätzen niedergelegt war, die entscheidende Bedeutung beikam. Nicht der Inhalt der mündlichen Verhandlung, sondern der Inhalt der Akten war maßgeblich 17o.

2. Das "rheinische" Kassationsverfahren Das Kassationsverfahren war während der französischen Herrschaft auch auf dem linken Rheinufer und im Großherzogturn Berg eingeführt worden l7l . 1814 errichteten die rheinischen Generalgouverneure zur "Ersetzung des Cassationshofes zu PariS.. I72 provisorische Obergerichte. Das Verfahren vor diesen Gerichten basierte auf dem Kassationsverfahren 173, wich aber in einigen Punkten vom französisehen Modell ab. Die weitreichendste dieser Veränderungen 174 war die Abschaf167 Nach Art. 75 ff. Code de procedure civile erfolgte der Schriftsatzwechsel im gewöhnlichen Prozeß allein unter den Parteien, ohne daß dieser Schriftwechsel in die Hände des Gerichts gelangte; W. Schubert: Das Streben nach Prozeßbeschleunigung, in: ZRG Germ. Abt., Bd. 85, S. 149. Das Gericht konnte die Einreichung der Schriftsätze allerdings nachträglich anordnen, um sie bei den Beratungen hinzuzuziehen, Art. 93 Code de procedure civile. 168 E. Faye: Cour de Cassation, S. 207, 238. In den bis 1813 maßgeblichen Gesetzen war die Maßgeblichkeit allein des Akteninhalts nicht ausdriicklich festgeschrieben, sie ergab sich aus dem Ablauf des Verfahrens. Erst in Art. 33, 36-38 einer Ordonnanz vom 15. 1. 1826 fand sich eine ausdrückliche Regelung. Danach mußte das Plädoyer sich auf ergänzende Bemerkungen zu den Schriftsätzen beschränken, ferner konnte auch der Verzicht auf ein in den Schriftsätzen angeführtes Kassationsmittel nur schriftlich erfolgen. 169 ehr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 71 ff.; H.-G. Kip: Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 26; F. v. Lassaulx: Gesetzbuch über das Verfahren im bürgerlichen Prozeß, S. 358 f. 170 Aufgelockert war diese "Schriftlichkeit" in Strafsachen, womit der dort anerkannten höheren Gewichtung des Individualinteresses Rechnung getragen wurde. 171 Dazu oben Kapitel B I 1. 172 So z. B. Verordnung des Generalgouvernements vom Mittelrhein vom 6. 5. 1814; F. A. Lottner: Sarnrnlung, Bd. I, S. 100. 173 Z. B. § 8 der Verordnung vom 6.5. 1814; F. A. Lottner: Sarnrnlung, Bd. I, S. 100 ff. 174 Diese verfahrensrechtlichen ModifIkationen sind weitgehend in den Griindungsverordnungen der Gerichtshöfe enthalten. Obwohl sich die einzelnen Verordnungen nicht völlig entsprechen, weisen sie keine größeren Abweichungen auf, so daß sie hier nicht gesondert dargestellt werden sollen. Soweit die Verordnungen in kleineren Punkten voneinander abweichen, ist die Darstellung dem Koblenzer Verfahren entnommen. Verordnung des Generalgouverneurs vom Mittelrhein vom 6. 5. 1814; abgedruckt bei F. A. Lottner: Sarnrnlung, Bd. I, S. 100 f.; Verordnungen des Generalgouverneurs von Berg vom 11./22.2. 1814, ebd. S. 16

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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fung der obligatorischen Rückverweisung und die Ausstattung der Gerichte mit dem Recht zur Entscheidung in der Sache selbst 175 . Dariiber hinaus wurde das gesonderte Zulassungsverfahren in Zivilsachen abgeschafft. Die Gerichtshöfe waren so organisiert, daß nur noch eine einzige, gleichermaßen für Zivil- und Strafsachen zuständige Kammer existierte 176 . Die Mindestzahl der für eine Entscheidung erforderlichen Stimmen wurde von elf auf sieben herabgesetzt und das Kassationsgesuch bei Stimmengleichheit verworfen 177 . Der Einführung der Sachentscheidungsbefugnis lag keine neue gerichtsverfassungsrechtliche Konzeption zugrunde 178 . Sie war lediglich bedingt durch die Veränderungen, die die Abtrennung von Frankreich und die alliierte Verwaltung mit sich gebracht hatten. Vor allem die geringe Ausdehnung der 1814 festgelegten Gerichtsbezirke ließ es möglich und auch zweckmäßig erscheinen, den Obergerichten die Sachentscheidung zu übertragen 179. Hinzu kam, daß die Generalgouverneure 1814 den Fortbestand der Obergerichtsbarkeit nur noch provisorisch, bis zur Abschaffung des französischen und Einführung des deutschen Rechts sichern wollten. Schon von daher bestand keine Veranlassung, die Kassationsgerichtsbarkeit in den eroberten Gebieten streng an den historisch-politischen Grundlagen des französischen Kassationsrechts auszurichten, auf denen die obligatorische Rückverweisung und das Interpretationsverbot beruhte l 80 . Auch die Übernahme des Aufbaus und der Organisation des französischen Kassationshofes unterblieb aus pragmatischen Gründen. An eine organisatorische Aufteilung oder auch nur die Bildung einer gesonderten Zulassungskammer innerhalb dieser kleinen Kassationsgerichte, deren Richterschaft zahlenmäßig so beschränkt war, daß sie ohne Ergänzung aus dem Personal der Appellationshöfe oder Gerichte erster Instanz nicht arbeiten konnten, war nicht zu denken. und des Generalgouverneurs vom Niederrhein zur Errichtung des Düsseldorfer und Lütticher Kassationshofes vom 28. 4. 1814, ebd. S. 122 ff.;Verordnung der österreichisch-bayrischen Landesadministrationskomrnission vom 20.10 1814 zur Einrichtung des Trierer Revisionshofes vom 20.10. 1814, ebd. S. 298 f. 175 § 5 der Verordnung vom 6. 5. 1814 zu Errichtung des Koblenzer Revisionshofes; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 100. 176 Dies folgt aus dem Gesamtzusammenhang der Verordnung vom 6.5. 1814. Der Wegfall der gesonderten Zulassungsentscheidung ist ausdrücklich in § 8 der Verordnung angeordnet. 177 Siehe §§ 3,4 der Verordnung vom 6. 5. 1814. Für den Revisionshof in Trier war davon abweichend die Mindestzahl der mitwirkenden Richter auf neun festgesetzt worden, vgl. § 2 der Verordnung vom 20. 10. 1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 298 f. Ferner gab es für Trier keine ausdrückliche Regelung für den Fall der Stimmengleichheit, so daß man annehmen muß, daß es insofern bei dem französischen Verfahren bleiben sollte. 178 Zum ganzen G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819), in R. Schulze (Hrsg.): Rheinisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte, S. 37 ff. und oben Kapitel

BI2. 179 Dazu auch Chr. von Breuning: Cassationsinstanz, S. 39. Der Autor war seIbst seit 1815 Richter am Revisionshof in Koblenz. 180 Vgl. auch Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 38 ff.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Das modifizierte Kassationsverfahren der Übergangszeit blieb auch nach 1819 Grundlage des rheinischen Kassationsverfahrens. Durch Verordnung vom 21. Juni 1819 wurde das Verfahren eines der Übergangsgerichte - des Koblenzer Revisionshofes - an den neuen rheinischen Revisions- und Kassationshof übernommen.

a) Verfassung des Revisions- und Kassationshofes Der RKH verfügte wie seine Vorläufer nur über einen einzigen Spruchkörper, der gleichermaßen für Zivil- und Strafsachen zuständig war. Das gesonderte Zulassungsverfahren wurde nicht wieder eingeführt. Die Zahl der Richter und sonstigen gerichtlichen Beamten war dementsprechend niedrig. Urspriinglich sollte sich der RKH aus zehn Richtern, einem Präsidenten, einem Generalprokurator, einem Generaladvokaten und einer nicht näher bestimmte Zahl von Anwälten sowie Unterbeamten zusammensetzen 181. Wie oben bereits erörtert, wurde die Richterzahl noch vor Eröffnung des Gerichts durch die Einführung nebenamtlicher Richterstellen auf 14 erhöht l82 , und es wurden letztlich sieben Anwälte eingestellt l83 .

b) Zuständigkeit Die Zuständigkeit des RKH erstreckte sich auf die gesamte Rheinprovinz l84 , also auf die linksrheinischen Gebiete, den größten Teil des Großherzogturns Berg l85 und die auf der rechten Rheinseite gelegenen Teile des Koblenzer Regierungsbezirks.

181 §§ 12, 13 der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818; abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S. 369. 182 Siehe dazu die ausführliche Darstellung des Besetzungskonzepts des Ministers Beyme. Die Verordnung vom 21. 6. 1819 hatte sogar 16 Richter vorgesehen. 183 Sechs dieser Anwälte arbeiteten zugleich als Justizkommissare an preußischen Gerichten; GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 19. 184 Einen knappen Überblick über die Zuständigkeit des Gerichtshofes findet man in einem Artikel ("Übersicht der Gerichts-Verfassung in den Provinzen am Rhein.) im Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1821, S. 420. Dieser Artikel war vom RKH selbst an Beyme eingereicht worden, sein Autor war vennutlich Sethe, GStA PK Rep. 84a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 31 f. (Text des Artikels und Begleitschreiben an Beyme). 185 Ausgenommen waren hier allerdings der rechtsrheinische Teil des Klever Regierungsbezirkes, die zum Düsseldorfer Regierungsbezirk gehörende Herrschaft Broich sowie die ehemaligen Abteien Essen und Werden, in denen 1815 wieder preußisches Recht eingeführt worden war.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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aa) Für die französisch-rechtlichen Gebiete

Der Gerichtshof fungierte für den größten, d. h. den französisch-rechtlichen Teil des Gebietes als Kassationsgericht LS. des modifizierten Verfahrensrechts der Generalgouvernementsverordnungen. Neben der Kassation erstreckte sich seine Zuständigkeit - ähnlich wie die des Pariser Gerichts - auch auf eine Reihe außerordentlicher Verfahren. Der RKH konnte sowohl in Disziplinarsachen als auch gegen richterliche Amtsverbrechen angerufen werden. Wie der Kassationshof war er für die strafrechtliche Revision des französischen Rechts zuständig l86 . Auf anderen Gebieten war seine Zuständigkeit - teils bedingt durch die Justizorganisation der Rheinlande, teils durch den Lauf der preußischen Gesetzgebung - weniger umfassend als die des Kassationshofes. Da alle rheinischen Gerichte seit 1819 einem einzigen Appellationshof unterstellt waren, kam eine Regelung von zivilgerichtlichen Kompetenzstreitigkeiten, im Sinne eines reglement des juges nicht mehr in Betracht l87 . Durch Kabinettsordern vom 6. März 1821 und 2. August 1834 wurde dem RKH auch die Zuständigkeit für richterliche Amtsverbrechen entzogen und das preußische Strafverfahren in allen richterlichen Dienstvergehen neben das (fortbestehende) Disziplinarverfahren des französischen Rechts gestellt l88 . Der RKH erhielt aber auch eine Reihe von Kompetenzen, die eine Ausweitung seiner Zuständigkeit mit sich brachten. Ihm wurde Entscheidung über sogenannte Regreßklagen, d. h. Entschädigungsklagen gegen Verfehlungen der Richter in Ausübung ihrer richterlichen Tatigkeit (prise a partie), übertragen. Diese Verfahren hatte der Code de prodedure civi1e dem Kassationshof entzogen l89 . Andere Zu186 Vgl. die Aufstellung in: Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat, 1821, S. 420 und den im Februar 1821 verfaßten Bericht Ruppenthal über das Verfahren vor dem RKH; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 73. 187 Vgl. Art. 363 Code de procedure civile, der Kompetenzkonflikte zwischen Zivilgerichten nur dann dem Kassationshof zuweist, wenn diese Gerichte verschiedenen Appellationsgerichtsbezirken angehören. Entsprechend der oben angeführten Rechtsprechung des Pariser Kassationshofes sollte sich Art. 363 aber nur auf positive Kompetenzkonflikte beziehen, für negative Konflikte (mehrere Gerichte bestreiten ihre Zuständigkeit) hätte demnach auch die Zuständigkeit des RKH begründet sein können. 188 Zur Kabinettsorder vom 6. 3. 1821 und ihrer strittigen Ausdehnung auf lustizbeamte, siehe unten Kapitel E IV 2. Zur Problematik des Nebeneinanders preußischer Straf- und französischer Disziplinarvorschriften F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 65 ff., 86 ff. Nach preußischem Recht konnten auch Richter im Wege eines Verwaltungs verfahrens entlassen werden, während das französische Recht eine Dienstentlassung nur auf ein vorheriges gerichtliches Urteil hin zuließ. Im Falle des Disziplinarverfahrens mußte dieses Urteil vom Kassationshof gefallt werden. Für die Beantwortung der Frage, wann das französische Disziplinarrecht noch anzuwenden war, nennt F. J. Perrot ebd., S. 86 ff. einige Maßstäbe. Zum Fortbestand des französischen Disziplinarverfahrens gegen Richter vgl. auch W Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, 1. Hbd., S. XXXI. 189 Art. 505 ff. Code de procedure civile. Eine Regreßklage konnte bei Vorwürfen des Betruges, der Arglist oder der Erpressung von seiten des Richters, bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung und bei Verweigerung der Rechtsprechung in Betracht kommen. Diese Verfahren hatten, soweit es sich um Klagen gegen einen ganzen Assisen- oder einen Appella-

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ständigkeiten kamen in den 20er und 30er Jahren hinzu. Eine Kabinettsorder vom 30. Juni 1828 übertrug ihm die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Verwaltungs- und Gerichtsbehörden innerhalb seines räumlichen Zuständigkeitsbereiches l9o , und seit 1834 konnte er für Streitigkeiten zwischen den deutschen Bundesstaaten zum Austrägalgericht bestimmt werden 191.

bb) Für den Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein

Der RKH war - wie vor ihm schon der Koblenzer Revisionshof - für Revisionsgesuche aus dem gemeinrechtlichen Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein 192 zuständig. Allerdings war diese Zuständigkeit auf Zivilsachen beschränkt. Für strafrechtliche Verfahren war das preußische Verfahrensrecht, die Kriminalordnung und für fiskalische Untersuchungssachen der 35. Titel des 1. Teils der AGO, eingeführt worden 193. Der RKH war für die zivilrechtlichen Sachen Revisions- bzw. Oberappellationsgericht im Sinne des gemeinen deutschen Prozesses l94 . Das Vertionshof - bzw. einen Senat derselben - handelte, ursprünglich die Zuständigkeit des Kassationshofes begründet, waren aber durch Art. 509 Code de procedure civile dem hohen kaiserlichen Gerichtshof übertragen worden. Zur Einrichtung und Kompetenz dieses Gerichtshofes F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 453 ff. Neben den Regreßklagen hatte er in erster Linie über Straftaten der kaiserlichen Familie oder hoher Beamter, Hoch- und Landesverrat, Majestätsbeleidigungen sowie über Anzeigen wegen willkürlicher Verhaftungen oder Verletzungen der Pressefreiheit zu urteilen. Seine Einrichtung war in Art. 101-133 des Senatuskonsults vom 28. Floreal XII (18. 5. 1804) mittels dessen das Kaisertum eingeführt wurde, angeordnet. Da es in der rhein preußischen Gerichtsverfassung keine vergleichbare Einrichtung gab, gelangten diese Verfahren wieder vor das Kassationsgericht; F. J. Perrot: Verfassung, Bd. 1, S. 278 f., 469. 190 F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 470, 223. Zur weiteren Entwicklung des preußischen Kompetenzkonfliktverfahrens W SchubertlJ. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11, I. Hbd., S. XLVIII ff. 191 Kabinettsorder vom 19. August 1834; F. A. Lottner: Sammlung, B. 4, S. 140; dazu F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 470. Die Bestimmung zum Austrägalgericht konnte von der Bundesversammlung vorgenommen werden oder von den Regierungen in freier Wahl festgesetzt werden. Allgemein zu Austrägalgerichtsbarkeit E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, S. 625 ff.; Hartmut Müller-Kinet: Die höchste Gerichtsbarkeit im deutschen Staatenbund 1806-1866, Bem, Frankfurt a.M. 1975, S. 60 ff. Zum Verfahren vor dem RKH GStA PK Rep 97 B I C 14. Aus dieser Akte ergibt sich, daß dieses Verfahren für den RKH kaum Relevanz erlangte. 192 Die Gerichtsbarkeit des Koblenzer Revisionshofes war mittels einer Verordnung vom 9.9. 1815 (F. A. Lottner: Sammlung, Bd. I, S. 227 f.) auf die von Preußen neu erworbenen ehemals nassauischen Landesteile auf dem rechten Rheinufer ausgedehnt worden. Zum Erwerb dieser Gebiete M. Bär: Behördenverfassung, S. 94 ff. Zur Gerichtsbarkeit des RKH über diese Gebiete existiert ein umfangreicher Aktenbestand: GStA PK Rep 97 B I D 1 - D 15. 193 F. Duesberg: Übersicht der Justizverfassung in den Preußischen Staaten, in: Kalb, 42 (1833), S. 72; J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess in Preußen, S. 71. Zur Gerichtsverfassung dieses Gebietes in der Zeit zwischen 1802 und 1814 M. Bär: Behördenverfassung, S. 59 ff.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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fahren war ein Revisionsverfahren im Sinne der als Oberappellation ausgestalteten Revisionsvariante des gemeinen Rechts l95 . Als Verfahrensordnung diente der nassauische Entwurf einer Oberappellationsgerichtsordnung l96 . Das bedeutete, daß der RKH in einem Appellationsverfahren sowohl über Rechts- als auch über Tatfragen entschied und zwar in einem schriftlichen und geheimen Prozeß l97 . Eine Mitwirkung des öffentlichen Ministeriums an diesen Sachen kam nicht in Betracht. Schließlich führte die nur subsidiäre Geltung des gemeinen Rechts zu einer erheblichen Relevanz von Lokal- und Provinzialrechten 198. Ungeachtet der geringen räumlichen Ausdehnung der ehemals nassauischen Gebiete war die Zahl der Rechtssachen, die von dort an den RKH gelangten, sehr groß: zwischen 1819 und 1838 ergingen 3015 Entscheidungen in nassauischen Sachen, denen 52133 Urteile in linksrheinischen oder bergischen Sachen gegenüber standen l99 .

194 Chr. W H. Sethe (anonym): Die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren in den Königlich-Preußischen Rhein-Provinzen, Berlin 1820, S. 4; ders. : Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat, 1821, pag. 420; F. Duesberg: Übersicht der Justizverfassung in den Preußischen Staaten, in: Kalb, 42 (1833), S. 72; J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess in Preußen, S. 71. 195 Zum gemeinrechtlichen Revisionsrecht oben Kapitel A IV 2 b). 196 Dieser Entwurf war schon 1815 (Verordnung vom 9. 9. 1815; F. A. Lottner: Sarnrnlung, Bd. 1, S. 227 f.) an den Koblenzer Revisionshof als Verfahrensordnung übernommenen worden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 182, Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8275; Christoph Ludwig Hertel: Über die Rechtsverfassung der zum Regierungsbezirke Koblenz gehörigen ostrheinischen Landesteile, in: Kamptz Jahrbücher, Bd. 26 (1825), S. 3 ff. Durch eine Verordnung vom 21. 7. 1849 wurde das Verfahren in Zivilsachen reformiert und an das inzwischen ebenfalls in Einzelgesetzen revidierte preußischen Verfahrensrecht angepaßt, in erster Linie an die preußische Verordnung über das Verfahren in Zivilprozessen vom 21. 7. 1846; J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess, S. 456 ff. Auf die Einzelheiten dieses Revisionsverfahrens kann hier nicht eingegangen werden. 197 Im Rahmen der Arbeiten an einer neuen Verfahrensordnung für den RKH sind Überlegungen angestellt worden, auch in ostrheinischen Sachen ein mündliches und öffentliches Verfahren einzuführen; Anregung Beymes dazu in einem Schreiben vom 18. 7. 1819 an Sethe und Eichhorn GStA PK Rep 84 a ( 2.5.1.) Nr. 8381, fol. 182, Gutachten Sethes zur Verfahrensordnung in GStA PK Rep 97 B 12 a gen. (unfoliiert), Titel 13 und 14 des Gutachtens. 198 Einen Überblick über die Masse der hier in Betracht kommenden Lokalrechte gibt der Koblenzer Justiz- und Landgerichtsrat Chr. L. Henel: Über die Rechtsverfassung der, zum Regierungsbezirke Koblenz gehörigen, ostrheinischen Landesteile, Kalb 26 (1825), S. 3 ff. Hertel war zwischen 1816 und 1819 kommissarisches Mitglied des Koblenzer Revisionshofes gewesen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 629 (unfoliiert), Schreiben vom 3.2., 9.2. und 9.3. 1816. 199 Angaben aus W F. C. Starke: Bey träge zur Kenntnis der bestehenden Gerichtsverfassung und der neuesten Resultate der Justizverwaltung in dem preußischen Staate. Teil 2, Berlin 1839, S. 115 f., die sich über den Zeitraum vom 15. 7.1819 bis zum Ende des Justizjahres 1837/38 (1.11.-31.10) erstrecken. Da die vorliegende Arbeit sich in ihrer Fragestellung auf das Kassationsverfahren und den RKH als Obergericht der französisch-rechtlichen Rheinlande konzentriert, ist ein Eingehen auf das Verfahren in gemeinrechtlichen Sachen nicht möglich.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

c) Verfahren

Das Verfahren vor dem RKH, das heißt das eigentliche Kassationsverfahren, war über weite Strecken identisch mit dem französischen. Es soll daher konzentriert auf die Abweichungen von diesem Ausgangsmodell dargestellt werden 2oo . aa) Verfahrenseinleitung

Die Kassationsgründe blieben dieselben. Verletzungen wesentlicher Förmlichkeiten oder materieller Gesetze eröffneten den Rekurs auch an das rheinische Obergericht. Geändert hatte sich jedoch die Einleitung des zivilrechtlichen Verfahrens. Die Abschaffung des gesonderten Zulassungsurteils hatte eine grundlegende Umgestaltung mit sich gebracht. Der Gang des rheinischen Kassationsverfahrens setzte in einem Stadium ein, das vergleichbar ist mit demjenigen, in dem das französische Verfahren sich nach der Zulassung des Kassationsgesuches durch die section des requetes befand. Der Kassationskläger mußte innerhalb von drei Monaten nach der Zustellung des vorinstanzlichen Zivilurteils Kassation einlegen 201 . Das Kassationsverfahren wurde jedoch nicht wie in Paris durch Einlegung des Gesuches bei Gericht eingeleitet, sondern - wie nach erfolgter Zulassung der Klage im französischen Recht - durch die Zustellung der Kassationsschrift an die Gegenpartei 202 . Diese Kassationsschrift mußte die Kassationsgründe, eine Vorladung vor 200 In der zeitgenössischen Prozeßrechtsliteratur hat das Verfahren speziell vor dem RKH nur recht wenig Beachtung gefunden. Ausführlichere Darstellungen finden sich bei Christoph Wilhelm Heinrich Sethe (offenbar anonym herausgegeben): Die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren in den Königlich Preußischen Rheinprovinzen. Aus authentischer Quelle, Berlin 1820, S. 19 ff.; Chr. von Breuning: Cassationsinstanz, S. 38 ff., der allerdings den Verfahrensgang nur punktuell zur Erläuterung dogmatischer Überlegungen beleuchtet; dann als zusammenfassende Darstellung in dem zur Veröffentlichung in den Kamptzschen Jahrbüchern bestimmten Bericht des Generaladvokaten Ruppenthal, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 68 ff., wo zwar der Gang des Verfahrens geschildert wird, ohne ihn jedoch auf seine normativen Grundlagen zu beziehen oder problematische Punkte näher zu erläutern. Noch knapper fällt die Darstellung in der Kommentar- und Lehrbuchliteratur aus: J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1, S. 300 ff. stellt zwar das französische Kassationsrecht sehr breit dar, streift aber das modifizierte rheinische Verfahren nur am Rande (a. a. O. S. 328 ff.); ähnlich kurz wird das RKH-Verfahren auch bei J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess in Preußen, S. 41- 43 dargestellt. Die mit der Gerichtsverfassung verbundenen Aspekte der Einrichtung und des Verfahrens des RKH finden sich dagegen sehr eingehend dargestellt bei F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, der im Gegensatz zu Schlink nicht das französische, sondern das geltende rheinische Recht im Vergleich mit der preußischen Rechtsverfassung in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt. Den ursprünglich als Band 3 geplanten verfahrensrechtlichen Teil dieses Werkes hat Perrot jedoch nicht mehr fertigstellen können; vgl. das Vorwort des Verlegers in Band 2 des Werkes, Trier 1844. 201 Zu diesem und zum folgenden s. den Bericht Ruppenthals, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 70 ff.; s.a. § 8 der Verordnung des Generalgouverneurs vom Mittelrhein vom 6.5. 1814; F. A. LoUner: Sammlung, Bd. 1, S. 100. 202 § 4 der Verordnung des Generalgouverneurs vom Nieder- und MitteIrhein vom 20.7. 1814; F. A. Louner: Sammlung, Bd. 1, S. 68.

1. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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den RKH und die Angabe des gewählten Anwalts enthalten 203 . Die Zustellung der Klageschrift selbst erfolgte durch einen Gerichtsboten (huissier), aber noch ohne das Kassationsgericht einzuschalten. Erst durch die Niederlegung der Bescheinigung über die Zustellung gelangte das Verfahren an den RKH. Instruiert wurde die Sache daraufhin ebenfalls ohne Mitwirkung des Gerichts unter den Parteien bzw. ihren Anwälten durch SchriftsatzwechseI 204 . Diese Schriftsätze und die Akten des Vorprozesses mußten auf dem Gerichtssekretariat eingereicht werden und wurden vom Gericht zur Vorbereitung der Verhandlung herangezogen 205 . Der grundsätzliche Unterschied zum französischen Verfahren bestand also darin, daß der RKH aus den ersten "Verfahrenshandlungen" der Parteien herausgehalten war. Damit wies das modifizierte Kassationsverfahren eine gewisse Nähe zum gewöhnlichen französischen Zivilprozeß auf, der ebenfalls nur die Verfahrenseinleitung unmittelbar unter den Parteien ohne Einschaltung des Gerichts kannte 206 . Allerdings gelangten die Schriftsätze anders als im französischen Verfahren erster und zweiter Instanz 207 vor der Verhandlung zur Kenntnis der Richter. War die Sache unter den Parteien durch Schriftwechsel genügend vorbereitet, so ernannte der Präsident auf Anrufen "der fleyßigeren Parthei,,208 einen Referenten und setzte den Verhandlungstermin fest. Im strafrechtlichen Verfahren war die Einleitung noch diejenige des französischen Rechts, d. h. die Kassation wurde entsprechend den Art. 417 ff. Code d'instruction criminelle i.d.R. bei dem Gericht eingereicht, gegen dessen Entscheidung

203 Weiterhin war auch das Verfahren vor dem RKH an die Zahlung eines Strafgeldes das als Sukkumbenzge1d bezeichnet wurde - gebunden. Eine Quittung über die Hinterlegung des Betrages mußte ebenfalls auf der Kanzlei eingereicht werden. Durch den Wegfall des Zulassungsverfahrens konnte es aber hier nicht mehr zu einer Verdoppelung des Strafgeldes kommen, wie sie das französische Recht für den Fall einer Klageabweisung erst in der eigentlichen Hauptverhandlung vor der seetion civile kannte. Umfangreiche Korrespondenz zu Höhe und Verwaltung der an den RKH einzuzahlenden Strafge1der findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646. 204 Die Beschränkung der Zahl der möglichen Schriftsätze bis zur Duplik war dabei erhalten geblieben. 205 § 4 der Verordnung des Generalgouverneurs vom Nieder- und Mittelrhein vom 20. 7. 1814. 206 Diese Art der Verfahrenseinleitung ist jedoch nicht lange beibehalten worden, schon in Koblenz war sie modifiziert worden. Am RKH ist sie zwar ursprünglich - ausweislieh des Berichts Ruppenthals (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fo1. 70) - eingeführt worden, wurde aber auch dort später durch eine Einleitung unter Mitwirkung des Gerichts abgelöst; dazu unten Kapitel D II 2 a) bb). 207 Nach Art. 75 ff. Code de procedure civile erfolgte der Schriftsatzwechsel im gewöhnlichen Prozeß allein unter den Parteien, ohne daß dieser Schriftwechsel in die Hände des Gerichts gelangte; W Schubert: Das Streben nach Prozeßbeschleunigung, in: ZRG Germ. Abt., Bd. 85, S. 149. Das Gericht konnte die Einreichung der Schriftsätze allerdings nachträglich anordnen, um sie bei den Beratungen hinzuzuziehen, Art. 93 Code de procedure civile. 208 Zitiert nach dem Bericht Ruppenthals über das Verfahren des RKH; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fo1. 70.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

man sich wandte. Es wurde dann über den lustizminister an den RKH weitergeleitet209 •

bb) Gang der Verhandlung

Der Ablauf der Verhandlungen selbst wies rein formal weder in Straf- noch in Zivilsachen große Abweichungen vom französischen Vorbild auf. Auch am RKH wurde öffentlich und mündlich unter Beteiligung sowohl der Parteien bzw. ihrer Vertreter als auch des öffentlichen Ministeriums verhandelt2IO • Die Entscheidungen des RKH wurden wie die Spriiche des Pariser Kassationshofes veröffentlicht2l1 . Aufgrund der geringeren Richterzahl waren die Abstimmungsmodalitäten leicht verändert. Der Gerichtshof war schon mit mindestens sieben Richtern beschlußfähig und bei Stimmengleichheit wurde das Kassationsgesuch abgewiesen 212 , da es keine weiteren, noch nicht mit der Sache befaßten Richter gab, die man hätte hinzuziehen können 2 \3. Gewichtige Unterschiede zum französischen Verfahren ergaben sich aus der Tatsache, daß der RKH die Befugnis zur Sachentscheidung besaß. Hatte der Gerichtshof ein Urteil wegen Verletzung materiellen Rechts aufgehoben und waren keine weiteren Ermittlungen mehr erforderlich, sprach er unmittelbar im Anschluß an die Kassation das Urteil in der Hauptsache. Waren unter dem veränderten materiellrechtlichen Gesichtspunkt noch neue Tatsachenermittlungen notwendig, die Sache also noch nicht zur Entscheidung reif, mußten diese Ermittlungen in einer neuen Verhandlung vor dem RKH erfolgen. War das vorherige Urteil wegen Ver209 Eine Einleitung über den lustizminister hatte zwischen 1814 und 1819 nicht stattfinden können; Sethes Gutachten in GStA PK Rep 97 B IA 2 a gen. (unfoliiert) zu § 75. Der preußische lustizminister Kircheisen bemühte sich 1821, die Einleitung über das lustizministerium abzuschaffen. Um eine schleunige Bearbeitung zu ermöglichen, hätte eigentlich wie in Frankreich eine eigene Abteilung des Ministeriums zur Bearbeitung dieser Sachen eingerichtet werden müssen; Bericht Kircheisens an den König vom 4. 10. 1821. Kircheisen hatte den Erlaß einer entsprechenden Kabinettsorder beantragt, war aber vom Staatskanzleramt auf den Weg über die formelle Gesetzgebung verwiesen worden. Die Initiative scheint dann nicht weiter verfolgt worden zu sein; zum ganzen GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 57 ff. 210 Auch das oben zur Maßgeblichkeit des Schriftsatzinhaltes im Zivilverfahren Gesagte galt so für den RKH; Ruppenthals Bericht GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 686, fol. 71 setzt das voraus, wenn er davon spricht, daß die Parteien nach dem Vortrag des Referenten "ihre, schon schriftlich vorgebrachten, Gründe noch näher entwickeln". 211 Sie wurden von 1819 an in der zweiten Abteilung des Rheinischen Archivs abgedruckt. 212 §§ 3, 4, der Verordnung des Generalgouverneurs vom Mittelrhein vom 6.5. 1814; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 100. m In Paris mußten bei Stimmengleichheit fünf Richter hinzugezogen werden, die noch nicht mit der Sache befaßt waren, Art. 64 des Loi sur l'organisation des tribunaux vom 27. Ventose des Jahres VIII.

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

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letzung von Prozeßfönnlichkeiten aufgehoben worden, mußte eine neue Verhandlung angesetzt werden, um den Parteien ebendiese prozessualen Rechte zugänglich zu machen. In diesen Fällen setzte der Hof gleichzeitig mit dem eigentlichen Kassationsurteil einen Tennin zur Verhandlung in der Hauptsache fest 214 . Eingeschränkt war die Sachentscheidungsbefugnis auf einem besonders sensiblen Gebiet: der Aufhebung von Urteilen der Geschworenengerichte. Die Entscheidung der Geschworenen konnte nicht durch eine Entscheidung des Revisionsund Kassationshofes ersetzt werden. Bezog sich die Kassation lediglich auf die Festsetzung des Strafmaßes, die allein den Berufsrichtern der Assisenhöfe oblag 215 , so konnte der RKH seine Entscheidung an die Stelle des untergerichtlichen Urteils setzen. Wenn er aber den Schuldspruch der Geschworenen vernichtet hatte, mußte die Sache an ein anderes Geschworenengericht zu erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Die Rechtsauffassung des RKH hatte für diese erneute Entscheidung keine präjudizierende Wirkung 216 • Neben dieser zwingenden Rückverweisungsanordnung, war dem Gerichtshof die Verweisung noch in einem anderen Fall freigestellt, nämlich dann, wenn er ein Urteil wegen Unzuständigkeit des erkennenden Gerichts aufgehoben hatte. Hier konnte er die Sache dem eigentlich zuständigen Richter übertragen 217 • Die Einführung der Sachentscheidungsbefugnis in das Kassationsverfahren führte zu einer - gesetzlich nirgendwo festgeschriebenen - faktischen Veränderung des Verhandlungs- und Entscheidungsprozesses 218 • Da der Gerichtshof zumindest bei einer Kassation wegen Verletzung materiellen Gesetzesrechts sofort im Anschluß an die Kassation die Sachentscheidung treffen konnte, ergab sich für die Parteien die Notwendigkeit, in ihre Schriftsätze schon solche Anträge und Vorbringen aufzunehmen, die für eine erneute Sachentscheidung von Bedeutung sein konnten. Die Schriftsätze gingen also über die Erörterung der streitigen Rechtsfragen hinaus und bezogen sich auch auf die Sachentscheidung. Innerhalb des gerichtlichen Entscheidungsprozesses konnten beide Elemente ebenfalls kaum getrennt werden. Es bestand immer die Möglichkeit, daß die Kassationsentscheidung schon mit Blick auf die spätere Sachentscheidung getroffen wurde und von Überlegungen beeinflußt war, die allein für die Sachenentscheidung relevant waren 219 •

§§ 1,2, der Verordnung vom 20.7. 1814; F A. Lottner: Sammlung, Bd. I, S. 67. Art. 362 ff. Code d'instruction criminelle. 216 § 5 der Verordnung vom 6.5. 1814; F A. Lottner: Sammlung, Bd. I, S. 100. 217 § 3 der Verordnung vom 20.7. 1814; F A. Lottner: Sammlung, Bd. I, S. 68. 218 Chr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 43 ff. und ders. in seinem - wohl im Umfeld der HK-Arbeiten oder der Gesetzrevisionsarbeiten unter Beyme entstandenen - Aufsatz .. Über Eintheilung und Form der Gerichtsbehörden sowie über den Instanzenzug"; GStA PK Rep 84 I Nr. 49, fol. 115 ff. 219 Darauf weist Breuning in seinem o.g. Gutachten mit Bezug auf seine eigene Tätigkeit arn Koblenzer Revisionshofhin; GStA PK Rep 84 I Nr. 49, fol. 115 ff. 214 2 15

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Weitere Probleme ergaben sich, wenn der RKH tatsächlich erneut verhandeln mußte. Obwohl der Kassationsrekurs selbst nach wie vor nur gegen Gesetzesverletzungen offenstand, konnte das Berliner Gericht ganz anders als sein französisches Pendant auf diesem Wege mit Tatfragen befaßt werden. Er trat insoweit in die Stellung des Instanzgerichtes, an das nach französischem Recht hätte zurückverwiesen werden müssen. Da die Generalgouvernementsverordnungen die Sachentscheidung nur angeordnet hatten, aber keinen verfahrensrechtlichen Rahmen für diese Entscheidung lieferten, gab es keine gesetzliche Regelung des mit einer Sachentscheidung verbundenen Kassationsverfahrens, bzw. des Verfahrens, das zur Sachentscheidung führte. Folglich mußte der RKH die Regeln des jeweiligen französischrechtlichen Instanzverfahrens mit denen des Kassationsverfahrens verbinden. Dies führte vor allem in den ersten Jahren zu großen Unsicherheiten 22o • Der Ablauf der Verhandlungen - zumindest in Zivilsachen - war wie im französischen Kassationsverfahren von der "Schriftsatzbindung" des Kassationsprozesses 221 geprägt. Der Streitstoff wurde anders als im französischen Verfahren vor den Instanzgerichten nicht erst in der Verhandlung ausgebreitet. Da die Parteien ihre Schriftsätze im Sekretariat des RKH einreichen mußten, gelangte er schon vor dem Termin zur Kenntnis der Richter. Der jeweilige Berichterstatter nutzte die Schriftsätze zur Vorbereitung seines Referats. In der Verhandlung selbst dürften sie wie beim Kassationshof in Paris dann nur noch verlesen und erläutert worden sein. Gelockert war diese Schriftsatzbindung entsprechend dem französischen Kassationsverfahren in Strafsachen. Eine Entwicklung der Kassationsgründe erfolgte wegen der Kürze der Fristen hier oft erst in der mündlichen Verhandlung 222 . Auch in den Fällen, in denen der RKH zur Vorbereitung der Entscheidung in der Sache selbst eine neue Verhandlung durchführen mußte und so an die Stelle der Instanzgerichte trat, dürfte der Parteivortrag in der Verhandlung selbst größeres Gewicht gehabt haben 223 . 220 Als Beispiel läßt sich ein Fall anführen, in dem der RKH falschlicherweise ein strafrechtliches Versäumnisurteil erlassen hatte. Gegen ein solches Urteil des Kassationsgerichts war nach französischen Recht die sogenannte Opposition als Rechtsmittel gegen Versäumnisurteile nicht mehr eröffnet. Dies konnte in Frankreich tragbar erscheinen, da die eigentliche Sachentscheidung ja erst nach Rückverweisung von einem Instanzgericht getroffen worden wäre und der Angeklagte sich in diesem Verfahren hätte verteidigen können. Als die Richter des RKH die Fehlerhaftigkeit ihres Urteils entdeckten, standen sie vor dem Problem, daß es für die Angeklagte eigentlich keine Rechtsbehelfsmöglichkeit mehr gab, da mit der Kassationsentscheidung auch die Hauptsache bereits entschieden worden war. Auf Anraten des Präsidenten entschied der Gerichtshof nun, der Verurteilten eine gesetzlich nicht vorgesehen Möglichkeit zur Opposition gegen das Urteil einzuräumen, um die Grundsätze des rechtlichen Gehörs und der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens auch innerhalb des modifizierten Kassationsverfahrens zu gewährleisten; dokumentiert in GStA PK Rep 97 B I L 12 (unfoliiert), Bericht des Gerichtspräsidenten vom 16. 9. 1821 und Protokoll einer Ratskammersitzung vom 26. 9. 1821. 221 Zur eingeschränkten Mündlichkeit des französischen Kassationsverfahrens s. Abschnitt D I 1 b) cc) (4). 222 Dazu oben Abschnitt D I 1 b) cc) (3).

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

257

d) Das Verfahren zwischen französischer Kassation und preußischer Revision Verfassung und Verfahren des RKH unterschieden sich von denjenigen des Pariser Kassationshofes hinsichtlich des Gerichtsaufbaus, der Zulassung in Zivilsachen und des Umgangs mit der Hauptsacheentscheidung. Die beiden erstgenannten Punkte sind noch als Ausdruck der territorialen und personellen Beschränkung des rheinischen Kassationsgerichts zu werten. Sie brachten in erster Linie Veränderungen im äußeren Ablauf des Verfahrens mit sich, beruhten aber nicht auf einem grundsätzlichen Wandel des Kassationsinstitutes. Es fragt sich jedoch, ob man auch die Einführung einer Sachentscheidungsbefugnis in diesen rein "technischen" Kontext stellen kann oder ob hier die Natur des Rechtsmittels der Kassation unmittelbar betroffen ist. Wurde der Kassationshof durch die Übertragung der Sachentscheidung und der Befugnis zur Gesetzesinterpretation zu einem Gericht dritter Instanz im Sinne des preußischen oder deutschen Rechts? Wurde die Kassation zu einem revisionsähnlichen - das meint einem der preußischen Revision ähnlichen - Rechtsmittel? Dieser Sichtweise begegnet man in zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Abhandlungen und in der prozeßrechtlichen Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts. So rückt etwa Mittermaier in seiner vergleichenden Darstellung des deutschen und französischen Zivilprozesses das in den Rheinlanden geltende Verfahren in die Nähe der preußischen Revision 224 • In seinem ebenfalls rechtsvergleichend angelegten Werk behauptet Harrasowsk y 225 einen nur noch quantitativen - durch den auf Rechtsfragen beschränkten Zugang bedingten -, nicht mehr aber einen qualitativen Unterschied zwischen der Kassation der rheinischen Gerichtsbarkeit und der preußischen Revision. Dieser Darstellung schloß sich Calamandrei noch 1920 an, indem er eine Umwandlung der französischen Kassation "in una revisio in iure, cioe in un secondo appello" konstatierte 226 • Eine etwas andere Einschätzung findet man bei Evelt 227 , der darauf abstellt, daß die Kassationsgerichte der nachfranzösischen Zeit nicht mehr bloße Kassationsgerichte, sondern zugleich auch Revisionshöfe waren. Er spielt damit auf die formale Zweiteilung des Verfahrens an und stellt Kassation und Revision als aufeinanderfolgende Arbeitsschritte dar. 223 Allerdings ging der RKH schon in den ersten Jahren seines Bestehens dazu über, in Fällen mangelnder Entscheidungsreife die Sache zur Ermittlung und Entscheidung an die Untergerichte zurückzuverweisen, siehe unten Abschnitt D 11 2 a) aa). Aussagen darüber, wie genau eine Verhandlung vor dem RKH in den Fällen, in denen er an die Stelle der Instanzgerichte trat, protokollarisch ablief, sind nicht überliefert. 224 C. J. A. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag, S. 139 f. 225 Ph. H. von Harrasowsky: Die Rechtsmittel im Civilprocesse, S. 339 226 Piero Calamandrei: La Cassazione civile, vol. 1, Storia e legislazioni, Milano, Torino, Roma 1920, S. 587 f. 227 J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozess in Preußen, S. 9 f., 41 f.; ähnlich auch F. Duesberg: Übersicht der Justiz-Verfassung in den Preußischen Staaten, in: Kamptz Jahrbücher, 42 (1833), S. 68.

17 Seynsche

258

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

In der neueren Literatur hat sich die Sicht des 19. Jahrhunderts nicht erhalten. Wo das Verfahren vor dem RKH überhaupt zur preußischen Revision in bezug gesetzt wird, spricht man vorsichtiger von einer rheinisch-französischen Kassation, allerdings ohne dies zu den Wesenszügen der Rechtsmittel in nähere Beziehung zu setzen 228 . Diese Einordnung ist meiner Ansicht nach die zutreffende. Die Charakterisierung als Unterart der deutschen Oberappellation oder der preußischen Revision ist zu fonnal, zu eng am Begriff des Revidierens orientiert. Gegen sie spricht zunächst, daß die nonnativen Grundlagen des Verfahrens nach wie vor im französischen Kassationsrecht zu suchen waren. Ferner entsprach diese Ansicht nicht dem Sprachgebrauch und dem Verständnis der Juristen, die am Revisions- und Kassationshof mit dem modifizierten Kassationsverfahren arbeiteten. Wenn sie die Institution des Gerichtshofes - beispielsweise seine personelle oder finanzielle Ausstattung - als solche ansprachen, bezeichneten sie das Gericht als "Revisions- und Kassationshof', wenn sie aber auf Aspekte des Verfahrensrechts oder der Stellung des Gerichtshofes innerhalb der rheinischen Justizhierarchie eingingen, sprachen sie in der Regel von dem "Kassationshof' und der "Kassation,,229. Innerhalb solcher verfahrenstechnischer Zusammenhänge behielten sie den Begriff der Revision dem nassauischen gemeinrechtlichen Verfahren VO~30. Obwohl der Umgang mit der Terminologie keinesfalls einheitlich war und der Begriff der Revision 1818/ 19 von seiten des Gesetzrevisionsministeriums noch häufig gebraucht wurde231 , ergeVgl. E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 9. Besonders deutlich tritt diese Art der Begriffsverwendung in den Personalberichten Sethes aus den Jahren zwischen 1821 und 1831 hervor; GStA Rep 97 B lAI gen., fol. 76 ff., fol. 104 ff., fol. 121 ff., fol. 150 ff. Diese Berichte setzen sich in der Regel aus zwei Teilen zusammen, einem einleitenden, in dem ein Überblick über die bisherige Personalentwicklung gegeben wird, und einem zweiten, in dem der besondere Personalbedarf des Gerichtshofes begründet wird. Diese Begründung erfolgt stets unter Hinweis auf die "hohe Stellung" des Gerichtshofes als "Kassationsgericht", die erhebliche Anforderungen an die wissenschaftliche Vor- und Fortbildung der Richter stelle. Parallel zu dieser Zweiteilung verwendet Sethe im Zusammenhang des ersten Teils immer den Ausdruck "Revisions- und Kassationshof' und geht dann im zweiten Teil dazu über, nur noch von dem "Kassationshof' und der "Kassation" zu sprechen. Ein vergleichbarer Sprachgebrauch läßt sich vereinzelt - im Zusammenhang mit Problemen des Verfahrensrechts - sogar in der Korrespondenz des Justizministeriums feststellen, vgl. den Bericht Kamptz' vom 19. Dezember 1833 zur Frage der Rückverweisung bei mangelnder Entscheidungsreife; GStA Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 104 ff. 230 Vgl. den von Sethe erstellten Artikel über den RKH im Handbuch für den preußischen Hof und Staat 1821, S. 420, wo es ausdrücklich heißt: "Als Revisionshof erkennt er in letzter Instanz in den Rechtssachen des auf dem rechten Rheinufer gelegenen Theils des Coblenzer Regierungs-Bezirks. Als Cassationshof für die übrigen seiner Jurisdiction unterworfenen Rheinlande spricht derselbe über die Cassationsgesuche sowohl in Ci vil- als Strafsachen ... ". 231 Die obigen Aussagen orientieren sich an dem überwiegenden Gebrauch. Eine andere Verwendung findet sich beispielsweise bei Savigny, der zumindest in seiner Privatkorrespondenz stets von seiner Arbeit am "Revisionshof' schreibt; vgl. nur Adolf Stall: Friedrich Karl von Savigny. Ein Bild seines Lebens mit einer Sammlung seiner Briefe. Bd. 2: Professorenjahre in Berlin 1810-1842, Berlin 1929, S. 252 Nr. 347 (5), S. 407 Nr. 432, S. 418 Nr. 441. Allerdings beziehen sich diese Äußerungen auf die Institution des Gerichtshofes und nicht auf verfahrensrechtsliche Aspekte. Die Verwendung des Begriffs in den Akten des Gesetz228 229

I. Verfassung und Verfahren des Revisions- und Kassationshofes

259

ben sich hier doch Verwendungsmuster, die Indizien für das unter den betroffenen Juristen vorherrschende Verständnis von der Natur des Rechtsmittels liefern. Die Juristen des Revisions- und Kassationshofes sahen das neue Rechtsmittel als eine Variante der Kassation 232 . Dies ähnelt einem Argumentationsmuster, das schon 1818 von der HK benutzt wurde: der Charakterisierung des modifizierten Verfahrens als ein Verfahren, das die Vorteile der Kassation aufgenommen hätte ohne zugleich ihren größten Nachteil, den erheblichen Zeit- und Kostenaufwand des durch Verweisung, Entscheidung des Instanzgerichtes und erneute Kassation in die Länge gezogenen Prozesses, zu übernehmen233 . Dieses Verständnis hat sich auch im Aufbau der Urteile des RKH niedergeschlagen 234 . Die eigentliche Kassation und die daran anschließende Sachentscheidung erscheinen dort nicht als Einheit im Sinne eines der preußischen Revision ähnlichen Rechtsmittels. Die eigentliche Entscheidung mündete - wenn die Beschwerde begründet befunden wurde - in die Kassation des vorherigen Urteils. Erst im Anschluß daran, äußerlich wie sprachlich getrennt, folgte die Entscheidung in der Sache selbst. Und diese wurde zumindest in den ersten Jahren mittels einer Formel eingeleitet, die das Außerordentliche der Entscheidungsbefugnis verdeutlichte, nämlich mit einem Hinweis auf die Vorschriften der Generalgouvernementsverordnungen, die zur Sachentscheidung ermächtigten235 . Die Veröffentlichung der Entscheidungen des RKH im Rheinischen Archiv beschränkte sich in vielen Fällen auf die Wiedergabe des kassierenden Teils, während die Sachentscheidung selbst nicht abgedruckt wurde. Dies alles zeigt, daß die Kassation weiterhin als Schwerpunkt des Verfahrens angesehen wurde, an den sich als ein Fremdkörper die Entscheidung in der Sache selbst anschloß. Bestätigt wird dieser Befund, wenn man das neue Rechtsmittel mit Blick auf seine Zielrichtung zur Kassation einerseits und zur preußischen Revision als dritter Tatsacheninstanz andererseits in Beziehung setzt. Die preußische Revision stellte mit einer Überprüfung der angegriffenen Entscheidung sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht ein drittinstanzliches Rechtsmittel im Sinne des gemeinrechtlichen Prozeßrechts dar. Im Vordergrund stand wie bei der gemeinrechtlichen Oberappellation das individuelle Interesse des Klagenden an einer richtigen Entscheidung seines Falles. Demgegenüber beschränkte sich das Verfahren vor revisionsministeriums ist wohl auf den Einfluß Beymes zurückzuführen, der preußisches und französisches Recht einander annähern wollte und das modifizierte Kassationsverfahren selbst in die Nähe zur preußischen Revision rückte. 232 Zum Verständnis der mit dem Verfahren befaßten Juristen siehe auch unten Kapitel D 11 1 e). 233 In diesem Sinne argumentierte die HK selbst in ihren Resultaten (Punkt S: "Instanzenzug und Revisionshof'; E. Landsberg: Gutachten, S. 239), aber auch Busse in seinem Gutachten für Beyme vorn Juni 1818; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) vor fo!. 1. 234 Die folgende Aussage trifft sowohl auf die wenigen noch erhaltenen Originalmaterialien als auch auf die im Rheinischen Archiv veröffentlichten Urteile zu. 235 Zum Aufbau der Urteile und ihrer Veröffentlichung näher unten Abschnitt E I und 11. 17*

260

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

dem RKH wie die französische Kassation nur auf solche Fälle, in denen das vorherige Urteil wegen Rechtsverletzung angegriffen worden war. Das führte notwendig dazu, daß die Kontrolle der Rechtsanwendung durch die Untergerichte und damit die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Regelungen, also das "Interesse des Gesetzes", im Mittelpunkt stand. Durch die Aufnahme der Sachentscheidung erlangte das Individualinteresse der Parteien an der Klärung ihres Rechtsstreites vor dem RKH zwar größeres Gewicht als vor dem französischen Kassationshof, es blieb aber durch die Ausschließung der Tatfragen weit hinter der Bedeutung zuriick, die ihm der preußische Prozeß zubilligte. Auch die Tatsache, daß der RKH im Rahmen der Sachentscheidung letztverbindlich über die Interpretation des Gesetzes entscheiden konnte, entfernte das Verfahren nicht von der Kassation. Der Ausschluß der verbindlichen Entscheidung über die Auslegung der Gesetze war kein Wesensmerkmal der französischen Kassation, sondern Ausdruck der strikten Umsetzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes durch den Gesetzgeber von 1789/90236 . In Frankreich selbst wurde der rMere legislatif durch das Gesetz vom 1. April 1837 abgeschafft und dem Kassationsgericht eine Befugnis zur verbindlichen Interpretation der Gesetze eingeräumt. In Preußen fehlte es seit dem Ende der französischen Herrschaft an einer dem rMere legislatif vergleichbaren Einrichtung 237 . Das französische Recht war zunächst nur für eine Übergangszeit beibehalten worden, einen Gesetzgeber gab es - bezogen auf den Kreis der übernommenen Gesetze - nicht mehr. Folglich konnte der RKH von Anfang an die französischen Normen verbindlich interpretieren, ohne diese Entscheidung an den Gesetzgeber zu verweisen. Insofern hat sich der Wandel des Kassationsinstitutes, der sich in Frankreich im Lauf der ersten lahrhunderthälfte durch eine Zuriickdrängung des Gewaltenteilungsgrundsatzes vollzogen hat, in den Rheinlanden aufgrund völlig andersgearteter innenpolitischer Bedingungen schneller und radikaler vollziehen können. Im Verfahren vor dem RKH haben sich aber mit der Rechtsanwendungskontrolle und der Möglichkeit zur Vereinheitlichung der untergerichtlichen Rechtsprechung die wesentlichen, von der Staatsverfassung unabhängigen Merkmale der Kassation erhalten. Von daher kann man dieDazu oben Abschnitt D I 1 a) bb). Für das preußische Recht hatte das ALR ursprünglich ebenfalls ein Interpretationsverbot vorgesehen. Eine Anrufung der sog. Gesetzkommission hatte einen annähernd vergleichbaren Rekurs an den Gesetzgeber eröffnet. Diese Möglichkeit einer noch vor der gerichtlichen Entscheidung zu treffenden Nachfrage und Entscheidung durch den Gesetzgeber war aber bereits Ende des 18. Jahrhunderts für das preußische Recht beseitigt bzw. umgewandelt worden. Die Gerichte sollten nun eigenständig die jeweiligen Fälle unter Auslegung der unklaren Stellen des Gesetzes entscheiden und die Angelegenheit erst danach der Gesetzkommission, nach deren Abschaffung dann dem Justizminister vorlegen und auf eine gesetzliche Regelung antragen; zur Gesetzkommission Hans Hattenhauer: Preußens Richter und das Gesetz (1786-1814), in: Hans Hattenhauer/Götz Landwehr (Hrsg.): Das nachfriderizianische Preußen, 1786-1806. Heidelberg 1988, S. 50 f., 53; ders.: Preußen auf dem Weg zum Rechtsstaat, in: Jörg Wolff (Hrsg.): Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, [Motive, Texte, Materialien, Bd. 70] Heidelberg 1995, S. 63 ff. 236

237

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

261

ses Verfahren als eine Unterart der Kassation behandeln und von einer eigenen Verfahrensvariante, der "rheinischen Kassation", sprechen.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof Die Übernahme des modifizierten Kassationsverfahrens sollte nach den Gesetzgebungsplänen Beymes nur ein Provisorium sein238 . Vorgesehen war, noch vor der allgemeinen Revision der preußischen Gesetze eine neue Verfahrensordnung, eine sogenannte "Revisions-Ordnung", für den RKH zu entwerfen 239 • Im Laufe der Jahre 1818/19 ließ Beyme mehrere Gesetzentwürfe ausarbeiten. Obwohl diese Entwürfe nicht umgesetzt wurden, erlangten sie Bedeutung für die Entwicklung des rheinischen Kassationsverfahrens. Sie erwiesen sich als Impulsgeber für eine richterrechtliche Fortbildung des Verfahrens.

1. Die Entwürfe der Jahre 1818/19 Die ersten ausführlichen Entwürfe für eine Verfahrensordnung wurden von der HK und vom Präsidenten des Kölner Appellationsgerichts Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels angefertigt 24o • Diese Entwürfe und die als Reaktionen darauf eingegangenen Gutachten werden im folgenden dargestellt. Es geht darum, Struktur und 238 In der Gründungsverordnung vom 21. Juni 1819 wurde sie nur noch vorläufig, "bis zur Bekanntmachung der Revisions-Ordnung" angeordnet. § 6 der Verordnung vom 21. 6. 1819, abgedruckt in: Gesetzsammlung 1819, S. 162 f.; Sammlung von Gesetzen und Verordnungen für die Königlich Preußischen Rhein-Provinzen, Bd. 1, Koblenz 1827, S. 290 ff. 239 § 46 der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818;: abgedruckt bei E. Landsberg: Gutachten, S.373. 240 Bereits im September 1818 hatte Eichhorn, der damals noch Generalprokurator des Koblenzer Revisionshofes war, anläßlich des Aufenthalts Beymes in Trier dem Minister einen "Entwurf für die Dienstverrichtungen des Revisionsgerichts" übergeben; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 2 ff. Es handelte sich dabei aber noch um eine sehr kurze, provisorische Regelung, die bei weitem nicht den Regelungsumfang und die Eigenständigkeit der anderen Entwürfe errreichte. Sie war von ihrer Struktur her an den Generalgouvernementsverordnungen zur Errichtung des Übergangsgerichtshöfe orientiert. Anders als nach modifiziertem Verfahren der Generalgouvernementsverordnungen vorgesehen, wollte Eichhorn die Rückverweisungsmöglichkeit in Strafsachen erweitern - das Revisionsgericht sollte nur noch im Fall falscher Strafanwendung in der Sache selbst entscheiden - und den Abstimmungsmodus bei Stimmengleichheit dahingehend verändern, daß das Gesuch nicht automatisch abgewiesen wurde, sondern bei einer erneuten Abstimmung der Stimme des Präsidenten das entscheidende Gewicht zukam. Auch fügte er einige Vorschläge hinsichtlich des Verfahrens in nassauischen Sachen an. Ob und inwieweit dieser Entwurf im weiteren Verlauf der Arbeiten Berücksichtigung gefunden hat, ist nicht ersichtlich.

262

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Charakter des jeweiligen Vorschlages zu umreißen und das Verhältnis der Entwürfe zum französischen Recht, zum modifizierten Verfahrensrecht der Übergangszeit und zum preußischen Recht zu klären. Dafür bot es sich an, den Umgang mit der Sachentscheidungsbefugnis, die Einleitung und den Ablauf des Verfahrens 241 sowie den Aufbau des Gerichtshofes als die Punkte zu untersuchen, an denen die Abweichungen zwischen französischem, rheinisch-französischem und preußischem Verfahren an deutlichsten zu tage treten.

a) Der Entwurf der Immediat-Justiz-Kommission

Nachdem im Sommer 1818 die Rahmenbedingungen für die Ausgestaltung des Instanzenzuges in rheinischen Sachen festgeschrieben worden waren 242 , legte die BK schon Anfang November 1818243 den Entwurf einer Verfahrensordnung für das rheinische Obergericht vor. Bezeichnet war er als Entwurf für eine "Revisionsordnung" und er bediente sich auch in der Fassung der einzelnen Paragraphen einer auf den Begriff der Revision ausgerichteten Terminologie. Dort wo die von ihm aufgenommenen Regelungen unmittelbar aus dem französischen Recht stammten, ersetzte er den Begriff der Kassation durch denjenigen der Revision 244 . Das Gericht selbst wurde durchgehend als Revisionshof bezeichnet. Damit nahm die Kommission den schon zuvor von ihr entwickelten Begriff des "eigenen remedium revisionis" auf, als das sie das Verfahren vor dem Obergericht verstanden wissen wollte. Abgefaßt worden war der Entwurf von Fischenich, der als Referent mit dieser Materie befaßt W~45. Das Regelwerk urnfaßte insgesamt 81 Paragraphen. Inhaltlich konzentrierte es sich auf den Ablauf des "Revisionsverfahrens". Im Mittelpunkt stand eine detaillierte Regelung des Zivilverfahrens, während für das Verfahren in Strafsachen im wesentlichen auf das bisherige Recht 246 verwiesen wurde. 241 Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenseinleitung sollen dabei zum einen die Umstände der Klageeinlegung, zum anderen aber auch die Frage eines Vorverfahrens zur Prüfung der Zulässigkeit der Klage untersucht werden. 242 Siehe dazu die Darstellung zur Frage der Einrichtung einer dritten Instanz und zur Standortwahl oben Kapitel B 11 2. 243 Das Begleitschreiben Sethes, mit dem dieser Entwurf übersandt worden ist, trägt das Datum vom 8. 11. 1818; GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 121. Der Entwurf selbst findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 6 ff. Später ist dieser Entwurf dann - wie auch andere Materialien zur Revisionsordnung - im Litographieverfahren vervielfältigt und an mehreren Stellen in die auf das Revisionsverfahren bezogenen Akten eingeheftet worden. Der Druck dieser Materialien erfolgte auf Anforderung des RKH, dazu u. a. GStA PK Rep 97 BI A 2 a gen. (unfoliiert), Schreiben Sethes vom 29. 7. 1819. 244 Zur Frage der Terminologie für das obergerichtliehe Verfahren und insbesondere der Aufnahme des Revisionsbegriffes durch Beyme Kapitel B 11 2. 245 Auf die Urheberschaft Fischenichs weist Beyme in einem Schreiben an Daniels vom 28. 11. 1818 hin; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 5. Von Fischenich stammen auch ausführliche Motive zu diesem Regelwerk, die ebenfalls bei den gedruckten Entwürfen zu finden sind; handschriftliche Fassung in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 21 ff.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

263

Das von der IJK vorgeschlagene Verfahren basierte auf dem französischen Recht und übernahm sowohl Vorschriften des vorrevolutionären als auch des nachrevolutionären Kassationsverfahrens. Es erweist sich über weite Strecken als eine Zusammenfassung der weitgestreuten Normen des französischen Kasationsrechts. Insbesondere die grundlegenden Vorschriften zur Zuständigkeit des Gerichts, zu den Einlegungsgriinden und dem Verlauf des Verfahrens selbst wurden hier aufgenommen. An einigen Punkten verließ der Entwurf diesen Rahmen, ohne sich jedoch völlig vom französischen Recht abzuwenden. So fügte die IJK auch solche Regelungen ein, die in Frankreich keine normative Fassung erhalten hatten, sondern erst in der Kassationspraxis herausgebildet worden waren 247 . An anderer Stelle wurden vermeintliche Regelungslücken unter einer - der französischen Praxis eher fremden - Heranziehung des Appellationsrechts oder der Vorschriften für das Verfahren vor den Untergerichten geschlossen 248 . Einige Vorschriften, die so im französischen Recht zumindest nicht gesetzlich fixiert waren, leitete Fischenich in den Motiven pauschal "aus dem Geist der ganzen [französischen] Gesetzgebung,,249 oder aus der Natur der Sache her25o . Vereinzelt gingen die Motive über das aktuelle französische Recht als Bezugspunkt hinaus und setzten sich vergleichend auch mit dem Kassationsrecht des Ancien Regime oder der Ausgestaltung des Instituts im 246 § 21 des Entwurfes trifft diese Anordnung hinsichtlich der Kompetenz des Gerichtes, § 71 hinsichtlich Einleitung und Ablauf des Verfahrens, wobei allerdings die §§ 72 ff. einige Ausnahmen von dieser Regel vorsehen, u. a. die Abschaffung der Strafgeldzahlungpflicht des Verurteilten in korrektinellen Strafsachen (§ 72 des Entwurfs). 247 Als Beispiel ist hier die Regelung des § 5 des Entwurfes zu nennen, wonach der Kläger sich nur dann auf die Verletzung von bei Strafe der Nichtigkeit vorgeschriebenen Förmlichkeiten berufen kann, wenn er diese auch schon in der vorherigen Instanz gerügt hat und dort auch darüber verhandelt wurde. Diese Regel war im französischen Kassationsrecht so nicht normiert, Fischenich führt sie aber in den Motiven auf eine ständige Rechtsprechung des Pariser Kassationshofs zurück und verweist auf § 173 des Code deprocedure civile, der eine ähnliche Regelung für das untergerrichtliche Verfahren trifft. Ein ähnlicher Verweis auf die Rechtsprechungspraxis findet sich auch zu § 7 des Entwurfes (Nichtbeachtlichkeit der in der Vorinstanz mit Stillschweigen übergangenen peremtorischen Einreden oder der Einreden gegen die Zulässigkeit einer Klage). Schließlich führt er auch die Fristbestimmung, die § 22 für den Fall zweier widersprechender Urteile aufstellt, auf die französische Rechtsprechungspraxis zurück, die diese Fristbindung entgegen der Fristbefreiung des Art. 2, Titel 6, Teil I des Reglements vom 28. 6. 1738 eingeführt hatte. 248 So führt er bei § 4 des Entwurfes kommentarlos die Art. 168, 170 und 424 des Code de procedure civile an. Ansonsten bezieht sich diese Aussage in erster Linie auf Fristberechnungen; s. bspw. die Motive zu § 24 des Entwurfs, die sich auf Art. 447 des Code de procedure civile beziehen, obwohl diese Vorschrift nur das Appellationsverfahren betrifft. Nach der Aussage Daniels in seinem Gutachten zum Entwurf der IJK ist diese Vorschrift in der französischen Praxis nie auf das Kassationsverfahren erstreckt worden, und auch Fischenich bezieht sich hier nicht auf die Praxis des Pariser Kassationshofes. 249 So in den Motiven zu § 8, ähnlich auch zu § 38. 250 Motive zu §§ 27 und 51 (betrifft den Zusatz, daß der Vortrag des Referenten nur die Tatsachen enthalten solle, die mit dem Revisionsgesuch in Verbindung stehen). Bei einigen Normen weist er meist ergänzend auf französische Schriftsteller oder die Rechtslehre hin, allerdings ohne nähere Namens- oder Titelangaben; Motive zu §§ 1 und 27.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ehemaligen Königreich Westfalen auseinander 251 . Aussagen über Sinn und Zweck des neugeregelten Verfahrens sind eher selten, dennoch geht aus den Motiven der klare Bezug auf die wesentlichen Kassationsziele hervor. So heißt es beispielsweise im Zusammenhang mit der Pflicht der Parteien zur präzisen Fassung ihres Gesuches 252 : "Die Erhaltung der Rechtseinheit und die Handhabung der Gesetze sind Haupt- und eigentliche Bestimmung des Cassationshofes, das Interesse der Partheien ist nur ein untergeordneter Zweck,,253. Obwohl der Entwurf das französische Recht teils zusammenfaßte, teils aufnahm und unter Heranziehung der beschriebenen Elemente modifizierte, stellte er noch keine eigenständige und abschließende Neuregelung des gesamten Verfahrens dar. Denn hinsichtlich der nicht zum engeren Kreis der Kassationsaufgaben gehörenden Zuständigkeiten des Gerichts, wie Jurisdiktionsstreitigkeiten und Disziplinarsaehen, hinsichtlich des Strafverfahrens und aller nicht in der Verordnung geregelten Materien verwies er auf "die bisherigen Gesetze über das Cassationsverfahren,,254, also im wesentlichen auf das französische Recht. Bei aller Nähe zum französischen Recht wich der Entwurf jedoch entsprechend den im Sommer 1818 entwickelten Vorgaben in wichtigen Punkten vom französischen Kassationsverfahren ab. Diese Punkte waren im wesentlichen dieselben, die sich schon in den Generalgouvernementsverordnungen fanden. Allerdings wurden die Regelungen der Verordnungen von 1814 keineswegs unverändert übernommen. Der gewichtigste Unterschied zum französischen Recht war die Befugnis zur Entscheidung in der Sache selbst, die in §§ 17 und 61-65 des Entwurfs ihren Niederschlag gefunden hat. Allerdings neigte die Kommission - die einzelnen Vorschriften sind sehr vage formuliert (§§ 17,65, Motive) - dazu, die Sachentscheidungsbefugnis einzuschränken und der Verweisung der Entscheidung an die Untergerichte wieder mehr Raum zu geben 255 . Der Gerichtshof sollte im Falle der Aufhebung eines Urteils zugleich "den Rechtspunkt,,256 entscheiden können (§ 17). Die Sache 251 Siehe beispielsweise die Motive zu § 34 des Entwurfs, d. h. zur fehlenden Suspensivwirkung des Kassationsgesuches in Zivilsachen. Westfalen und das vorrevolutionäre Frankreich, die Ausnahmeregelungen zur Wiederherstellung des Suspensiveffekts kannten, werden hier als Negativbeispiele angeführt. 252 § 28 des Entwurfes. 253 Motive zu § 28. 254 Die entsprechenden Verweisungen finden sich in §§ 19,21,71 und 81 des Entwurfes. Die Regelungsmaterien der auf das Kassationsverfahren bezogenen Generalgouvernementsverordnungen dürften hier als "bestehendes Recht" keine große Rolle mehr gespielt haben, da sie weitgehend durch die im Entwurf vorgesehenen Vorschriften erfaßt und soweit eben auch ersetzt worden waren. 255 Hinsichtlich des Strafverfahrens wird die Zweideutigkeit des Kommissionsentwurfes in erster Linie durch die knappe, verweisende Behandlung hervorgerufen. So ordnet § 75 des Entwurfes die Rückverweisung in allen von der Strafprozeßordnung vorgesehenen Fällen an, ohne zu klären, ob sich dies nur auf die Verweisung nach erfolgter endgültiger Rechtsfragenentscheidung durch den RKH bezieht oder ob eine solche völlig ausgeschlossen und dem Gericht die Sachentscheidung in Strafsachen gänzlich entzogen werden soll.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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mußte aber nicht unbedingt vor dem Obergericht zu Ende gebracht werden. Vielmehr sollte dieses in der Regel zur neuen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Gericht zurückverweisen 257 , das seinerseits hinsichtlich der streitigen Rechtsfrage an die Vorgabe des Revisionshofes gebunden sein sollte, so daß sein Urteil in der Regel nicht mehr erneut angegriffen werden konnte 258 . Insgesamt scheint diese Anordnung v.a. der größeren räumlichen Entfernung zwischen Gerichtseingesessenen und Obergericht Rechnung zu tragen. Wenn nur die Rechtsfragen in Berlin erörtert worden wären und bei erfolgter Aufhebung die eigentliche Verhandlung und weitere Beweisaufnahme wieder in den Rheinprovinzen stattgefunden hätte, wäre es den Parteien eher möglich gewesen, auf die zeit- und kostenaufwendige persönliche Anwesenheit in Berlin zu verzichten. Abweichend von den Vorschlägen Beymes und der Konferenzen von 1818, die eine Verweisungsmöglichkeit schon angedacht hatten, sollte die Verweisung nach den Vorstellungen der HK offenbar die Regel und eine eigene Sachentscheidung des Obergerichts die Ausnahme bilden. Vorgesehen war eine solche endgültige Entscheidung des Gerichtshofes nach § 65 Nr. 4 des Entwurfs nur noch für den Fall, "daß nach dem Revisionsurtheile unter den Partheien weiter nichts zu streiten übrig bleibe,,259. Die übrigen Abweichungen, die das von der HK entworfene Verfahren gegenüber der französisch-rechtlichen Vorlage aufwies, bezogen sich vorwiegend auf die Einleitung des Verfahrens, und zwar des Zivil verfahrens. Sie sollte wie auch schon bei den Vorläufergerichten ohne vorgeschaltetes gesondertes Zulassungsverfahren ablaufen. Dennoch wich der Entwurf in diesem Punkt von den Festsetzungen der Generalgouvernementsverordnungen ab und wandte sich wieder stärker dem französischen Recht zu: Wahrend die Verordnungen des bergischen Generalgouvernements vom 3. Juli 1814260 und des Generalgouverneurs vom Nieder- und MitteIrhein vom 20. Juli 1814261 eine Einleitung zunächst ohne Einschaltung des Gerichts durch Zustellung der Kassationsschrift direkt an den Gegner vorsahen, sollte die Klageschrift nach dem Entwurf der HK zunächst auf der Kanzlei des Revisionshofes eingereicht werden 262 . Damit nahm man das französische Procedere, wie es in Art. 16 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV (24. Oktober 1795)263

§ 17 des Entwurfs. Einzelheiten dieser Verweisungsanordnung und Ausnahmen sind in §§ 61-65 des Entwurfes geregelt. 258 Es sei denn, das Gericht hätte über eine neue, vom Revisionshof noch nicht entschiedene Rechtsfrage geurteilt oder sein Urteil nicht an den Vorgaben des Revisionshofes ausgerichtet. 259 Zitiert nach § 65 Nr. 4 des Entwurfs. 260 Abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 67 f. 261 Abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 149. Die entsprechende Regelung trifft Punkt 4 dieser Verordnung. 262 § 25 des Entwurfes. 256 257

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

festgelegt war, wieder auf. Die Benachrichtigung des Klagegegners sollte erst dann erfolgen, wenn die Klageschrift und alle weiteren erforderlichen Belege eingereicht waren und eine entsprechende Verordnung des Präsidenten des Revisionshofs ergangen war264 . Diese sogenannte Präsidialordonnanz trat damit formal an die Stelle des Zulassungsurteils der section des requetes des französischen Verfahrens, ohne allerdings eine Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsgesuches zu bieten 265 . Der vorbereitende Schriftsatzwechsel unter den Parteien sollte sowohl gegenüber dem französischen Verfahren als auch gegenüber der bisherigen rheinischen Praxis auf eine Denkschrift pro Partei abgekürzt werden 266 . Der weitere Ablauf des Verfahrens wies keine Besonderheiten auf. Nur für die Beratungs- und Abstimmungsmodalitäten behielt § 53 des Entwurfs den vereinfachten Modus bei, wie er an den Übergangsgerichten eingeführt worden war. Die für die Abstimmung erforderliche Mindestzahl von Votanten sollte also weiterhin auf sieben begrenzt bleiben und im Falle einer Stimmengleichheit das Gesuch abgewiesen werden 267 . b) Der Entwurf Daniels

Den Entwurf der IJK reichte Beyme an Daniels weiter, der als Mitglied der Justizabteilung des Staatsrates sein Votum dazu abgeben sollte268 . Obwohl er der 263 Abgedruckt bei J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 144. Eine entsprechende Regelung hatte bereits das Reglement von 1738 enthalten. 264 §§ 35 ff. des Entwurfes. 265 Diese Art der Verfahrenseinleitung, insbesondere die Zustellung der Klage auf Anordnung des Präsidenten, entsprach einer Praxis, die sich schon am Koblenzer Revisionshof, abweichend von den Generalgouvernementsverordnungen vom 3. und 20.7. 1814, herausgebildet hatte, vg!. die Motive zu §§ 35 ff. 266 § 42 des Entwurfes. Möglicherweise ist diese Verkürzung mit Blick auf den preußischen Revisionsprozeß, der den Parteien ebenfalls nur je eine Schrift zugestand (§ 6, 15. Titel, I. Teil der AGO), aufgenommen worden. Die Motive selbst schweigen allerdings in diesem Punkt. 267 Die mehrfach geäußerte Anregung, die Mindestzahl auf neun Mitglieder hochzusetzen und das Abstimmungsverfahren bei Stimmengleichheit zu verändern, wurde hier nicht mehr aufgenommen. Noch im Sommer 1818 hatte die BK selbst die Heraufsetzung der Votantenzahl und eine Abstimmung in unbedingt ungerader Stimmenzahl vorgeschlagen; s. § 66 eines Entwurfs für ein Reglement für die rheinische Gerichtsorganisation, der den Vorarbeiten zur Kabinettsorder vom 19. 11. 1818 zuzurechnen ist, GStA PK Rep 93 Bd. 2 (unfolliert und ohne Datum). Eichhorn hatte in seinen Vorschlägen für das Verfahren vor dem Revisionsgericht für den Fall der Stimmengleichheit der Stimme des Präsidenten entscheidendes Gewicht einräumen wollen; vg!. § 12 seines Entwurfes; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fo!. 3. In Notizen zum Entwurf der BK, die offensichtlich Beyme zu einigen der vorgeschlagenen Paragraphen angefertigt hat, klingt dann erneut zu § 53 des Kommissionsentwurfes die Möglichkeit an, daß auch die Mitwirkung von mindestens neun Richtern an einer Entscheidung vorgeschrieben werden könnte; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fo!. 44 f. 268 Konzept dieses Schreibens mit Absendungsvermerk in GStA PK Rep 84a (2.5.1.) Nr. 8381, fo!. 5. Zu den Arbeiten der BK an diesem Komplex war Daniels wohl nicht mehr zugezogen worden.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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Konzeption der UK im großen und ganzen zustimmte, schlug Daniels in einzelnen Punkten Abänderungen vor und faßte diese Vorschläge selbst in eine durchgängige Paragraphenfolge 269 . Später sind die von Daniels gelieferten Materialien in Beymes Ministerium zu einem eigenen Entwurf zusammengestellt worden. 27o • Ingesamt umfaßte dieser Entwurf 95 Paragraphen, von denen die ersten 21 eine eigene ausdriicklich von derjenigen der UK abweichende Konzeption zur Zuständigkeit des Gerichtshofes enthielten, während die restlichen Vorschriften sich an die von der BK vorgeschlagenen Regelungen anschlossen, ohne sie jedoch unmodifiziert zu übernehmen. Dem eigentlichen Entwurf ging ein Absatz über die Verfassung des Pariser Kassationshofes voraus, in dem Daniels detailliert Organisation und Rückverweisungspraxis des französischen Vorbilds darstellte 271 . Dariiber hinaus zog er vergleichend das Verfahren vor dem ehemaligen Reichskammergericht sowie die preußische Allgemeine Gerichtsordnung heran. Am Entwurf der UK kritisierte er eine oft zu umständliche oder zu unklare Regelung und bemühte sich, diese Mängel durch Weglassungen 272 oder klarere Fassung der entsprechenden Passagen zu beheben 273 . Er forderte, die Revision im In269 Dieses vom 30. 1. 1819 datierte Schriftstück, dem man in den einzelnen Akten zum Revisionsrecht bzw. zum Verfahrensrecht für den RKH mehrfach begegnet, ist u. a. enthalten in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 55 ff. (handschriftlich) und fol. 193 ff. (gedruckt). 270 Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 120 ff., 149 ff. und die Druckfassung ebd. fol. 211 ff. Daniels hatte in seinem Entwurf nicht die formale Trennung in Gesetzestext und Motive beibehalten, sondern letztere in den Entwurf eingefügt, indem er entweder den einzelnen Abschnitten einleitende Absätze voranstellte oder Anmerkungen zu einzelnen Vorschriften anfügte. Gerade diese Abschnitte beschränkten sich nicht wie die Motive der IJK auf eine Herleitung der entsprechenden Vorschriften aus französischen Gesetzen, der Rechtsprechung oder der Wissenschaft, sondern enthielten eine breite Auseindersetzung mit den Vorschlägen der IJK und grundlegende Ausführungen zu einzelnen Gebieten des Kassationsrechts. Anders als die Kommission, die es hinsichtlich der herangezogenen Literatur bei allgemeinen Hinweisen beließ, bezog sich Daniels in seinen Verweisen immer auf konkrete Werke einzelner Autoren. 271 Hier dürften sich Erfahrungen aus seiner eigenen Tatigkeit am Kassationshof in Paris niedergeschlagen haben. Er hatte von 1804 bis 1813 im öffentlichen Ministerium des Pariser Kassationshofes gearbeitet, zuletzt als Generalprokurator; S. Liermann: Heinrich Gottfried Wilhelm Daniels, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 57 ff. ; Gerd Kleinheyer / fan Schröder: Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 105 f. 272 Die §§ 22, 58, 62-65 des IJK-Entwurfs sind hiervon betroffen. 273 Dariiber hinaus wich er hinsichtlich der Fristberechnung in einzelnen Fällen von der Ansicht der IJK ab. Zumindest machte er darauf aufmerksam, daß die Kommission hier (bspw. §§ 23, 24) insofern vom französischen Verfahren abgegangen sei, als sie Vorschriften zur Fristberechnung herangezogen habe, die in Frankreich nie für die Kassation genutzt worden seien. Letztlich stellte er aber die Entscheidung zwischen den Vorschlägen der IJK und der ursprünglichen französischen Lösung dahin. Im Zusammenhang mit § 56 des Entwurfs der IJK finden sich bei Daniels noch interessante allgemeine Anregungen zu den Grundsätzen der Fristberechnung.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

teresse des Gesetzes sowie das Verfahren bei Jurisdiktionsstreitigkeiten als eigene Abschnitte in die Verfahrensordnung aufzunehmen und das Verfahren in Strafsachen noch einmal ausdriicklich zu regeln. Gerade letzteres sollte den Umgang mit dem Revisionsverfahren für Parteien und Sachwalter ohne spezifische Kenntnisse des französischen Rechts erleichtern. Diese Ausführlichkeit löste den Entwurf schon sehr weitgehend von der detaillierten Kenntnis des französischen Kassationsrechts als unerläßlicher Verständnisgrundlage ab und näherte ihn einer neuen eigenständigen Regelung an. Allerdings forderte er dem Anwender immer noch ein gewisses Maß an Vorkenntnissen ab, da er nicht völlig auf ergänzende Verweisungen und Bezüge zu den Regelungen des französische Rechts verzichtete 274 . In der Frage der Sachentscheidungsbefugnis ging auch Daniels zunächst nicht auf das französische Recht zuriick, sondern folgte weitgehend der HK, schlug aber eine wesentlich vereinfachte Fassung der von der Kommission aufgestellten Verweisungsregeln vor. So legte er ausdriicklich fest, daß der Gerichtshof in Zivilsachen immer nur auf die Entscheidung der Rechtsfrage beschränkt bleiben sollte275 • Er sollte nicht nur in den Fällen mangelnder Entscheidungsreife die Sache zur erneuten Verhandlung und Beratung zuriickverweisen, sondern auch in Fällen der Entscheidungsreife allein die Rechtsfrage entscheiden und die Sache an ein anderes Gericht verweisen. Dieses Gericht hatte nur noch das Urteil als solches im Sinne des Revisionshofes auszusprechen, ohne erneut zu verhandeln 276 . Einen etwas anderen Weg schlug Daniels für das Strafverfahren ein. Auch hier wollte er den Gerichtshof über die Rechtsfrage abschließend erkennen lassen277 , dariiber hinaus sollte aber keine weitere Verweisung stattfinden, "insofern die Hauptsache [ ... ] erschöpft,,278 war. Zumindest in diesen Fällen war die Entscheidung des Obergerichts als Endpunkt des Verfahrens vorgesehen 279 . Hinsichtlich der Einleitung des Verfahrens plädierte Daniels für die Wiederaufnahme des gesonderten Zulassungsverfahrens in Zivilsachen nach französischem Recht, an dessen Stelle die Kommission lediglich die Präsidialordonnanz zur Weiterleitung der Klage an den Beklagten gesetzt hatte. Als Argumente führte er vor 274 Ein Beispiel sind seine Ausführungen zu § 80 des Entwurfes, wo er sich mehrfach auf die Kassationsvorschriften der französischen Strafprozeßordnung bezieht. Darüber hinaus stellen seine ergänzenden Ausführungen stets den Bezug zum französischen Recht her. 275 § 61 seines Entwurfs. 276 D.h. eine dem § 65 Nr. 4 des HK-Entwurfs entsprechende Regelung nahm er nicht mehr auf. 277 Der HK-Entwurf dagegen wies auch hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis in Strafverfahren die oben angesprochene Zweideutigkeit auf. 278 § 80 des Entwurfes. Daniels benutzte in diesem Zusammenhang nicht den Begriff der Entscheidungsreife. 279 Als Beispiele für eine solche Erschöpfung der Hauptsache führte er die Verjährung oder die völlige Straffreiheit der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlung an. Diese Eingrenzung legt es nahe, das eine Erschöpfung der Sache in Sinne des Entwurfes nicht mit der von Beyme als Maßstab vorgesehenen Entscheidungsreife übereinstimmt.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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allem die enonne Entlastung sowohl des Gerichts als auch eventueller Klagegegner an, die das Admissionsverfahren mit sich bringen würde. Er wies darauf hin, daß in Frankreich bereits vier von fünf Kassationsgesuchen in der section des requetes abgewiesen würden und man so dem Beklagten einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand ersparen und das Gericht von überflüssigen kontradiktorischen Verhandlungen entlasten könnte 28o • Für den Ablauf des eigentlichen Verfahrens folgte Daniels weitgehend den Vorschlägen der HK. Allerdings näherte er sich für den Abstimmungsmodus innerhalb des Kollegiums dem französischen Verfahren an, indem er bei Stimmengleicheit das Gesuch nicht abweisen, sondern unter Heranziehung einiger bisher unbeteiligter Richter erneut vortragen und abstimmen lassen wollte 281 • Beim Aufbau des Gerichtes setzte er seine Annäherung an das französische Kassationsverfahren fort, indem er sich dafür aussprach, das Gericht wieder in mehrere Spruchkörper aufzuteilen, insbesondere einen Zivil- und einen Strafsenat zu errichten. Als wesentliche Argumente führte er prozeßökonomische Gesichtspunkte an, nämlich das Bedürfnis nach rascher und konzentrierter Erledigung des Strafsachen, dem nur innerhalb eines eigenen Strafsenats entsprochen werden könne. Dagegen tendierte er wegen der beschränkten Richterzahl des neuen Gerichts dahin, den Zulassungssenat nicht in seinem vollen Umfang aus dem französischen Recht zu übernehmen, sondern nur eine kleine, aus fünf Mitgliedern der anderen Senate zusammengesetzte Zulassungsabteilung zu bilden 282 • Es sind gerade die Forderungen nach Wiederaufnahme des gesonderten Zulassungsverfahrens und Aufteilung des Gerichtshofes in mehrere Spruchkörper, die den gegenüber den Vorschlägen der HK eigenständigen Charakter des Danielsschen Vorschlags begründen.

280 Im übrigen zog er gerade hinsichtlich des Zulassungs verfahrens das ehemalige Reichskammergerichtsverfahren und die preußische AGO heran, die dem Hauptverfahren ebenfalls eine Zulässigkeitsprüfung voranstellten. Allerdings beschränkte sich die Zulassungsprüfung im preußischen Revisionsverfahren nach § 5, 15. Titel, Teil 1 der AGO im wesentlichen darauf, zu prüfen, ob das Revisionsgesuch vollständig war. Für den Fall, daß man diesen Vorschlägen nicht folgen sollte, regte er an, die gesamte Verfahrenseinleitung, die sich dann auf den Schriftwechsel der Parteien konzentrieren würde, an das Gericht zu verlagern, das zuletzt in der Sache erkannt hatte und sich in größerer räumlicher Nähe zu den Parteien befand; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 198. 281 § 53 seines Entwurfs. 282 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 197 f. Obwohl er sich sehr dezidiert für die Übernahme sowohl der Aufteilung in mehrere Spruchkörper als auch des Zulassungsverfahrens aussprach, hat sich dies im normativen Teil seines Gutachtens noch nicht niedergeschlagen. Er deutet lediglich an, wo jeweils neue Vorschriften aufzunehmen wären, wenn man seinen Vorschlägen folgen würde. Offenbar sah er in dem an ihn ergangenen Auftrag noch keine Ermächtigung zur Einreichung so weit gehender Änderungsvorschläge.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

c) Reaktionen

Die Vorschläge Daniels zur organisatorischen Aufteilung des Gerichts und zur Einführung des Admissionsverfahrens stießen im Gesetzrevisionsministerium auf grundsätzliche Zustimmung 283 . Als Daniels aber begann, im Auftrag Beymes seinen Entwurf um die vorgeschlagenen organisatorischen Normen zu ergänzen, zeigte sich, daß seine Vorstellungen nicht mit denjenigen des Ministers zu vereinbaren waren 284 . Differenzen ergaben sich in erster Linie in der Frage des Personalbedarfs. Daniels hielt eine Umsetzung seiner organisatorischen Vorschläge nur dann für realisierbar, wenn zugleich der Personalbestand des Gerichthofes, der nach Beymes Konzept sechzehn Richtern umfaßte, noch einmal erheblich aufgestockt worden wäre 285 . Demgegenüber bot das vorhandene Besetzungskonzept in Beymes Augen schon die Gewähr für eine sinnvolle Umsetzung der Organisationspläne. Er erklärte, keinesfalls über diesen Rahmen hinausgehen zu wollen 286 . Über diese Auseinandersetzung ist die ganze Angelegenheit ins Stocken geraten. Die ursprünglichen Pläne des Ministers, die Revisionsordnung noch vor der Eröffnung des RKH in Gesetzesform bringen und in Kraft treten zu lassen 287 , konnten nicht mehr umgesetzt werden. Dennoch stellte die Eröffnung des RKH und seine Einrichtung im Sinne der einfacheren, aus Koblenz übernommenen Verfassung nicht den Endpunkt des Gesetzesprojektes dar. Noch vor der Aufnahme der rechtsprechenden Tlitigkeit legte der 283 Beyme, der einer Aufteilung des Gerichts ursprünglich ablehnend gegenüber gestanden und sich in seinem Votum für das Staatsministerium vom 5. 8. 1818 gegen die Einrichtung separater Spruchkörper ausgesprochen hatte (GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 52.), forderte Daniels nun auf, seinen Entwurf um die vorgeschlagenen organisatorischen Nonnen zu erweitern und damit die Aufteilung in Senate sowie auch das Admissionsverfahren aufzunehmen; Entwurf dieses Schreibens vom 13. 3. 1819 (mit Abzeichnung Beymes vom 18.3.) in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 113 ff. Im Zusammenhang mit der Frage des Zulassungsverfahrens werden hier fast durchgehend die französische Bezeichnung "section des requetes" oder erster Zivilsenat benutzt. 284 Im April 1819 reichte Daniels seine Ergänzungsvorschläge, versehen mit einem ausführlichen Begleitschreiben (datiert vom 10.4. 1819), an Beyme ein und trat damit in Widerspruch zu den von Beyme im Schreiben vom 13. 3. 1819 geäußerten Vorgaben; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 169 ff. (Abschrift; Original fol. 131 f.). 285 Dezidiert sprach er sich für die eine weitere Erhöhung der Richterzahl aus, da ansonsten schon der krankheitsbedingte Ausfall weniger Richter den Gerichtshof in seiner Yatigkeit lähmen könnte, die Überschneidungen zwischen den Senaten zu groß und das öffentliche Ministerium völlig überlastet wäre. 286 Ein weiterer Konflikt zeichnete sich hinsichtlich des Abstimrnungsverfahrens innerhalb der Zulassungsabteilung ab. Beyme setzte nämlich für die Abweisung eines Revisionsgesuches die einstimmige Entscheidung der Mitglieder der Abteilung voraus, wohingegen DanieJs diese Bedingung als zweckwidrig einstufte. Seiner Ansicht nach wäre auf diese Weise die Zahl der zu erwartenden Verwerfungen soweit herabgesetzt worden, daß das Zulassungsverfahren damit weitgehend seiner Filterfunktion beraubt worden wäre. 287 Das ergibt sich aus seinem Schreiben an DanieJs vom 13. 3. 1819; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 116.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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Minister dem Gerichtshof die bisher angefertigten Entwürfe vor und forderte das Kollegium zur Stellungnahme auf 88 . In seinem Schreiben an die Richter, das selbst den Umfang eines Gutachtens hatte, zog der Minister den Rahmen für die künftige Entwicklung. Noch einmal machte er seine Zustimmung zur Aufnahme des Admissionsverfahrens und der Errichtung verschiedener Senate deutlich. In der Frage der Sachentscheidungsbefugnis aber ging er wieder hinter die Vorschläge Daniels' und sogar hinter diejenigen der HK zuriick. Er lehnte eine Erweiterung der Verweisungsmöglichkeit und die Beschränkung des Gerichts auf die Entscheidung der Rechtsfrage ab. Die Ausdehnung der Verweisung stellte sich für ihn als ein Abgehen von der Annäherung an das preußische Revisionsverfahren dar, die in seinen Augen mit dem modifizierten Verfahren bereits erreicht war. Ferner nahm ihn der angeblich so bedeutende Zeit- und Kostenaufwand gegen ein solches Verfahren ein. An seiner urspriinglichen Konzeption einer Verweisung im Ausnahmefall mangelnder Entscheidungsreife hielt er dagegen weiterhin fest. Beyme führte damit die Vorgaben für eine Erörterung der Revisionsordnung durch den RKH hinsichtlich der Sachentscheidungs- und Verweisungsfrage wieder auf den Stand des Sommers 1818 zuriick. Für die Verfassung des Gerichts und die Verfahrenseinleitung bot er aber weiterhin die Möglichkeit einer erheblichen Erweiterung und Wiederannäherung an das französische Recht.

d) Die Begutachtung durch den Revisions- und Kassationshof Die Begutachtung der Entwürfe innerhalb des RKH erfolgte in zwei Schritten. Zunächst legten die Richter ihre Ansichten in Einzelgutachten dar289 . Daran anschließend berieten sie die Angelegenheit im Plenum29o . Die Einzelgutachten setz288 Entwurf des entsprechenden Schreibens vom 18. 7. 1819 (von Beyme am 19.7. abgezeichnet und am 23.7. abgesandt); GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 140 ff. Dieses Schreiben Beymes ist später auch in die gedruckte Materialiensammlung zur Revisionsordnung aufgenommen worden. Die Stellungnahme, die hier von den Richtern gefordert wurde, sollte sich nicht allein auf das obergerichtliche Verfahren in linksrheinischen und bergischen Sachen beschränken, sondern auch auf das Verfahren in Prozessen aus den ehemals nassauischen Landesteilen auf dem rechten Rheinufer eingehen. In diesem Zusammenhang erwartete Beyme vor allem Äußerungen zur Übernahme und möglichen Verbesserung der bisher schon angewandten nassauischen Oberappellationsordnung und stellte des weiteren die Einführung eines mündlichen und öffentlichen Verfahrens in diesen Sachen als wünschenswert heraus. 289 In der Akte GStA PK Rep 97 B I A 2 a gen. (unfoliiert) sind insgesamt fünf derartige Einzelgutachten in der folgenden Reihenfolge auszumachen: zunächst ein sehr langes Gutachten Sethes, dann eine kürzere Stellungnahme von Reibniz (datiert vom 23. 9. 1819), ein sehr langes, in mehrere Kapitel unterteiltes Gutachten Hardungs, eine Stellungnahme, die nach der Abzeichnung wohl von Goerdeler stammen müßte, sowie ein am Schluß der Akte eingeheftetes ebenfalls sehr ausführliche Gutachten, das der Schrift nach von Ruppenthal stammt. Die Gutachten Sethes, Hardungs und Ruppenthals weisen einen gegenüber den begutachteten Entwürfen eigenständigen Charakter auf und können beinahe ihrerseits schon als eigene Entwurfsfassungen gelten.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ten sich eingehend mit dem Charakter der künftigen Verfahrensordnung auseinander. Sollte sie lediglich eine systematische auf die französischen Gesetze verweisende Zusammenfassung des französischen Rechts in wenigen Regeln sein, oder war sie als eine abschließende Neuregelung anzulegen 291 ? Innerhalb des Kollegiums wurden beide Lösungen vertreten. Die Befürworter der ersten Variante setzten Kenntnisse der französischen Kassationsrechtes als selbstverständlich voraus und lehnten daher schon den Entwurf der IJK, der über weite Strecken nur die unmodifizierten Vorschriften des französischen Rechts wiederholte, als zu ausführlich ab. Man hielt eine kurze Zusammenstellung des Verfahrensrechts für ausreichend, die wohl in erster Linie die Aufgabe erfüllen sollte, die geplanten Modifikationen in den Zusammenhang des Kassationsverfahrens einzuordnen und das Kassationsverfahren ansonsten unverändert an den neuen Gerichtshof zu übertragen 292 . Demgegenüber waren es eher die altpreußischen Juristen, die zu einer abschließenden Neuregelung des Verfahrensrechts neigten. Deutlich wird dies im Gutachten Reibnitz,293. Er sah eine auf die Vorschläge Daniels' und der IJK zurückgehende Revisionsordnung als eigenständige abschließende Normierung des rheinischen Revisionsrechts an, die sich auch jedes ergänzenden Verweises auf französisches Recht enthalten könne, wenn man den Richtern zugestehen würde, eventuelle Lükken durch Analogieschlüsse zu füllen 294 . Von den rheinischen Richtern war es Sethe, der ebenfalls auf eine eigenständige abschließende Regelung ohne Verweisun290 Anfang September 1819 wurden die gedruckten Materialien unter die Mitglieder des RKH verteilt; Notiz Sethes vom 9.9. 1819, GStA PK Rep 97 B I, A 2 a gen. (unfoliiert). Die Gutachten einzelner Mitglieder finden sich dann in derselben Akte. Protokollnotizen über die gemeinschaftliche Beratung der Entwürfe in der Ratskammer sind ebenfalls erhalten. Sie erstrecken sich über einen Zeitraum vom (8).5.1820 (Datum schwer lesbar) bis zum 13. 9. 1820; GStA PK Rep 97 B I, L 8, fol. 18 ff. Diese Aufzeichnungen geben nicht die eigentliche Beratung oder den Austausch von Argumenten wieder, sondern nur das Ergebnis. Die in den einzelnen Gutachten zum Ausdruck kommende Meinungsvielfalt zu einzelnen Beratungspunkten legt es nahe, daß diese Ergebnisse nicht die einhellige Auffassung aller Teilnehmer widerspiegeln, sondern es sich um Abstimmungsergebnisse, d. h. um die Ansicht der Majorität handelt. Da die Beratungen sowohl auf die von Daniels als auch die von der IJK aufgestellten Vorschriften zurückgreifen und sie teils kombinieren oder ergänzen, liegt der Schluß nahe, daß es sich hierbei um die Abstimmung über einen eigenen vom Gericht selbst vorzulegenden Verordnungsentwurf handelt. Allerdings findet sich in den entsprechenden Akten kein darauf gestützter zusammenhängender Verordnungsentwurf des RKH. 291 Von den dem Gericht vorliegenden Entwürfen strebte derjenige der IJK mehr in die erstgenannte Richtung, während Daniels Entwurf zumindest zu einer geschlosseneren Regelung hin tendierte. Man darf ihm aber wohl nicht die Absicht einer eigenständigen Neuregelung unterstellen, da auch sein insgesamt vollständigerer Entwurf noch ergänzend auf das französische Recht verweist. 292 Vgl. die Einleitung zum Gutachten Ruppenthals am Ende der Akte. 293 GStA PK Rep 97 B I A 2 a gen. 294 Angesichts der Unvollständigkeit einer solchen Revisionsordnung wies er darauf hin, daß lediglich eine Übergangsregelung bis zu Vereinheitlichung des Revisionsrechtes im Rahmen der Gesetzrevision getroffen werden sollte und diese Abstriche daher hinzunehmen wären.

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gen drängte. Das Gericht traf jedoch in der Frage des Regelungsumfangs keine endgültige Entscheidung. In den Plenumsberatungen wurde sie nicht mehr aufgegriffen 295. Mit größerer Sicherheit kann die Position des Gerichtshofes in der Frage der Sachentscheidungsbefugnis bestimmt werden. Hier läßt sich eine Bewegung weg von den Vorschlägen der IJK und Daniels' und erst recht von den noch engeren Vorgaben Beymes beobachten. Schon in einigen der Einzelgutachten kam diese Tendenz zum Ausdruck. So lehnte beispielsweise Reibniz das eingeschränkte, die Verweisung nur bei mangelnder Entscheidungsreife zulassende Modell Beymes ausdrücklich ab und schloß sich den Vorschlägen Daniels' an 296 . Noch sehr viel weiter ging Ruppenthal, der sich dezidiert für Wiedereinführung der obligatorischen Rückverweisung nach französischem Vorbild aussprach 297 . Auch in den Plenumsberatungen des Gerichtshofes setzte sich diese Ansicht durch. So beschloß der Hof bereits im November 1819 - nicht einstimmig aber doch mit der Mehrheit seiner Mitglieder -, daß die französische Rückverweisungspraxis in ihren vollen Umfang, d. h. mit der Möglichkeit von insgesamt drei Kassationsgesuchen in derselben Sache, nach dem Vorbild des Gesetzes vom 16. September 1807 wieder aufzunehmen sei 298 . Bemerkenswert ist, daß die Richter sich in dieser entscheidenden Frage nicht - wie die IJK und Daniels - mit einer forma295 Hier orientierte man sich, soweit sich dies aus dem überlieferten Teil der Sitzungsprotokolle nachvollziehen läßt, an den einzelnen von der IJK oder Daniels entworfenen Vorschriften, ohne noch einmal auf die Frage des Charakters der angestrebten Regelung einzugehen. Es gibt aber durchaus Hinweise darauf, daß diese Beratungen schon vor Mai 1820 einsetzten und auch allgemeinere Fragen der Ausgestaltung des Verfahrens betrafen. So findet sich an anderer Stelle ein Protokoll einer Ratskammersitzung vom 13. 11. 1819, das bereits grundsätzliche Fragen der Verweisungspraxis behandelt. 296 Ähnliches findet man auch bei Sethe, der für die Aufnahme eines gesonderten Abschnitts über Verweisung in Zivil- und Strafsachen plädierte; siehe seine gutachtlichen Ausführungen zu Art. 61- 65 des IJK Entwurfs. 297 Er widerlegte in diesem Zusammenhang ausführlich die von Beyme aufgestellten Argumente für die Beibehaltung der Sachentscheidungsbefugnis. Er wies darauf hin, daß das KobIenzer und Düsseldorfer Verfahren lediglich ein für den beschränkten Gerichtssprengel dieser Höfe gerade noch tragbarer Notbehelf gewesen sei, also schon von daher nicht als Vorbild dienen könne. Des weiteren könne in diesem modifizierten Verfahren keine Annäherung an das preußische Recht gesehen werden, da es die grundlegenden Unterschiede beider Rechtsmittel nicht beseitigt hätte. Eine Modifikation des Kassationsrechts hätte auch dem beabsichtigten Vergleich beider Rechtsinstitute und allgemein beider Rechtsordnungen entgegengestanden, über den seiner Ansicht nach ermittelt werden sollte, welche Rechtsordnung den Vorzug verdiene. Hier bezog er sich offensichtlich auf eine Konzeption, die Beyme seinen eigenen Gesetzesrevisionsbemühungen zugrundegelegt hatte; vgl. E. Landsberg: Gutachten, S. CXXX und ders.: Rheinisches Recht und rheinische Gerichtsverfassung, S. 156. 298 Beschluß des RKH vom 13. 11. 1819, das Protokoll dieser Sitzung findet sich in GStA PK Rep 97 B lAI gen., fol. 48. Es war in diesem Zusammenhang sogar die Wiederaufnahme der authentischen Interpretation vorgesehen. Allerdings machten die Richter keine Aussage dazu, von welcher Stelle - etwa vom lustizminister - diese Interpretation hätte eingeholt werden sollen.

18 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

len Annäherung an das französische Recht begnügten, sondern die volle Wiederherstellung des ursprünglichen Rechtszustandes forderten 299 . Die Skepsis der Richter gegenüber der Sachentscheidungsbefugnis rührte von den Schwierigkeiten her, diese Befugnis in die Regeln des französischen Prozeßrechts, dem sie völlig fremd war, zu integrieren und ein einheitliches Verfahren zu gewährleisten. Da die Generalgouvernementsverordnungen die Sachentscheidung nur angeordnet hatten, aber keinen verfahrensrechtlichen Rahmen für diese Entscheidung lieferten, gab es keine gesetzliche Regelung des mit einer Sachentscheidung verbundenen Kassationsverfahrens. Folglich mußte der RKH die Regeln des jeweiligen französischrechtlichen Instanzverfahrens mit denen der Kassation verbinden 3OO • Hinsichtlich anderer Fragen zeigt sich dann wieder ein diffuseres Meinungsbild. Wahrend sich wohl die Mehrheit der Einzelgutachten für die Einrichtung eines Zivil- und Strafsenates aussprach 301 , waren die Ansichten hinsichtlich eines gesonderten Zulassungs senats und des damit zusammenhängenden Verfahrens geteilt. Als maßgebliches Problem sahen die Richter die beschränkte Personalausstattung des RKH. Nur ein Teil von ihnen glaubte, daß die Aufteilung in drei Senate mit nur 14 - im Idealfall 16 - Richtern und einem Präsidenten zu bewerkstelligen sei. Besondere Schwierigkeiten sah man bei dieser Konstellation in der Aufstellung eines gerechten Abstimmungsverfahrens, da der Admissionssenat nach der Mehrzahl der Vorschläge nur mit fünf Richtern besetzt werden sollte302 . Ruppenthal vermutete, daß ohne die Beschränkung der Richterzahl wohl die Majorität ein gesonder299 Die Möglichkeit einer Umsetzung dieser Beschlüsse scheinen die Richter allerdings eher skeptisch beurteilt zu haben, denn in späteren Protokollen findet sich der Zusatz: "Sollte [ ... ] nicht verfügt werden, daß die hiesige Stelle eine reine Cassationsbehörde sei, so schlägt der Hof vor, daß es ihm wenigstens überlassen werde, in den Fällen wo er es für nöthig findet, die Entscheidung der Hauptsache an ein anderes Gericht zu verweisen"; GStA PK Rep 97 B I L 8, fol. 19, Beratungen zu §§ 61-65 des IJK Entwurfs. Dieses andere Gericht sollte dann entsprechend der Beymeschen Vorgaben an die Entscheidung des Revisionshofes gebunden sein. 300 Dazu schon oben Kapitel D I 2 c) bb). 301 Allein Sethe wandte sich in seinem Gutachten gegen eine Aufteilung des Spruchkörpers, da er die ausschließliche Beschäftigung der auf die Senate aufgeteilten Richter mit Straf- oder Zivilsachen ablehnte und allein in einer sehr großen Zahl von Rechtssachen, wie sie in Paris angefallen sei, eine Rechtfertigung für eine derartige Aufteilung erblickte; vgl. sein Gutachten in GStA PK Rep 97 B I A 2a gen. Die Gutachten Reibniz', Ruppenthals und Hardungs sprachen sich grundsätzlich für die Aufteilung aus. Interessant ist hier der Vorschlag Hardungs, der zunächst alle Sachen im Plenum behandeln wollte, solange die Prozeßmasse noch nicht allzu groß war, und den Gerichtshof erst bei Anstieg der Prozeßzahlen, in Senate aufteilen wollte. Seiner Ansicht nach bot dieses Verfahren auch die Möglichkeit, einen Erfahrungs- und Kenntnisaustausch in allen relevanten Rechtsmaterien zwischen rheinischen und altpreußischen Richtern herbeizuführen. 302 Ruppenthal wies in seinem Gutachten darauf hin, daß durch einen solchen kleinen Admissionssenat der Grundsatz, daß in der höheren Instanz auch eine größere Zahl von Richtern entscheiden solle, verletzt werde. So könne eine unter den insgesamt in der Sache entscheidenden Richtern in der Minderheit befindliche Ansicht, sofern sie nur vom Admissionssenat geteilt werde, den Ausschlag geben.

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tes Zulassungsverfahren in Zivilsachen befürwortet hätte 303 . In den Plenumsberatungen scheint diese Frage nicht mehr gesondert angesprochen worden zu sein. Offenbar hat man sich hier der Konzeption des UK Entwurfs angeschlossen und auf das Zulassungsverfahren ebenso wie auf die Einrichtung mehrerer Spruchkörper verzichtet 304 . Faßt man die Stellungnahmen aus den Reihen des Gerichtshofes zusammen so zeigt sich, daß die Mehrheit der Beamten offenbar dem französischen Recht bzw. der französisch-rechtlichen Ausgestaltung des Verfahrens zugeneigt war und dies in wesentlich stärkerem Maße, als etwa die UK oder Daniels. Besonderer Ausdruck dieser Haltung ist das Votum für eine Aufnahme der obligatorischen Rückverweisung 305 . Symptomatisch erscheint aber auch der Sprachgebrauch der Gutachten. Anders als die UK und Daniels, die allein den Begriff der Revision für das künftige Verfahren - auch dort wo sie nur französisches Recht aufnahmen - verwendeten, operierten die Gutachten überwiegend mit dem Begriff der Kassation und dem Hinweis auf das Wesen oder die Natur des Kassationsverfahrens. Bei Reibniz findet sich in diesem Zusammenhang der eindringliche Appell zur klaren begrifflichen Trennung zwischen Revision und Kassation. Der Begriff der Revision sollte seiner Ansicht nach lediglich für das Verfahren in Sachen aus dem Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein Verwendung finden, während für das gesamte Verfahren in französisch-rechtlichen Sachen der Kassationsbegriff verwandt werden sollte.

303 Er selbst sprach sich allerdings unbedingt gegen ein solches Zulassungsverfahren aus, dessen Nutzen er nie habe einsehen können. Im Ergebnis wohl ebenfalls gegen die Admission, fiel auch die Stellungnahme Sethes aus. 304 Dies kommt in den Protokollen nur indirekt zum Ausdruck. In der Notiz zu § 25 des IJK-Entwurfs, der die Einlegung des Revisionsgesuches betrifft, heißt es lediglich, man befürworte die Beibehaltung des bisherigen Verfahrens, wolle aber die Präsidialordonnanz abschaffen. Der RKH wollte also nicht einmal mehr diesen formalen Ersatz des Zulassungsverfahrens aufnehmen und stattdessen wohl zur Verfahrenseinleitung direkt unter den Parteien im Sinne der Generalgouvernementsverordnung vom 20.7. 1814 zurückkehren. 305 Die Protokolle der Plenarberatungen lassen erkennen, daß der Gerichtshof auch über die Frage der Rückverweisung hinaus zum französischen Modell hin tendierte. So wollte man die Strafgeldzahlung in korrektionellen Strafsachen entgegen dem bspw. von Daniels in § 77 gemachten Vorschlag beibehalten und anders als die IJK das Abstimmungsverfahren bei Stimmengleichheit durch die Zuziehung neuer Richter - der RKH forderte zu diesem Zweck die Anstellung zusätzlicher "Hilfsrichter" (GStA PK Rep 97 B I, L8, fol. 19, Bemerkung zu § 53 des IJK-Entwurfs) - wieder an das französische Verfahren angleichen, was auch schon Daniels in § 53 gefordert hatte. Darüber hinaus bemühte sich der Gerichtshof, eine selbständigere Stellung zu erhalten. So plädierte er dafür, im Strafverfahren den von Daniels in §§ 75, 76 seines Entwurfs und auch in Art. 424 des Code d'instruction criminelle vorgesehenen Aktenverkehr über das Iustizministerium, dem Daniels eine Kontrollfunktion zugeschrieben hatte, zu beseitigen ( GStA PK Rep 97 B I, L8 , fol. 20). Des weiteren wollte der Gerichtshof die Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten, die Daniels in § 90 allein dem Appellationshof als gemeinsamen Obergericht aller rheinischen Gerichte, zugeschrieben hatte, wieder an sich ziehen (GStA a. a. 0 ., fol. 20) .

1S*

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

e) Zusammenfassung

In den Entwürfen der Jahre 1818/19 zeichnete sich ungeachtet aller Differenzen ein Verfahren ab, das sich dem französischen Kassationsverfahren wieder angenähert hätte. Selbst wenn sich die Forderungen der Richter nach einer Rekonstruktion des französischen Kassationsverfahrens nicht hätten durchsetzen lassen, bestand doch zumindest Einigkeit darüber, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts einzuschränken, zumindest bei mangelnder Entscheidungsreife an die Untergerichte zurückzuverweisen und den Gerichtshof von allen Tatsachenermittlungen fernzuhalten. Darüber hinaus hätte sich wohl auch eine Aufteilung des Gerichts in mehrere Senate sowie eine Wiedereinführung des Zulassungsverfahren durchsetzen lassen. Zugleich können die Entwürfe und Gutachten zur Verfahrensordnung aus heutiger Sicht dazu beitragen, die Einordnung des Verfahrens zwischen französischer Kassation und preußischer Revision voranzutreiben 306 • Die in der Prozeßrechtsliteratur des 19. Jahrhunderts vertretene Ansicht, es habe sich bei dem rheinischen Verfahren der Sache nach um ein Revisionsverfahren im Sinne des preußischen Verfahrensrechts gehandelt, wird hier nicht bestätigt. Schon in den Motiven zum IJK-Entwurf und den Ausführungen Daniels wurde das Rechtsmittel der sogenannten "Revision" immer wieder auf die Grundlagen des französischen Kassationsrechts zurückgeführt. Nur in ihrer Begrifflichkeit hafteten diese Materialien noch an der deutschen oder preußischen Revision, während sie materiell an das französische Verfahren anknüpften. Ganz offen stellten schließlich die Richter des RKH sowohl auf inhaltlicher als auch auf begrifflicher Ebene den Bezug zum französischen Recht her. Dies erscheint um so wichtiger, als es sich dabei um die Auffassung der Juristen handelte, die bereits mit dem Verfahren arbeiteten, und als diese Auffassung nicht allein von den rheinischen Richtern, sondern auch von altpreußischen Kollegiumsmitgliedern vertreten wurde.

f) Das vorläufige Ende der gesetzgeberischen Arbeiten

Obwohl alle Beteiligten sich 1819 über die Notwendigkeit einer Neufassung des Verfahrensrechts einig gewesen waren, geriet das Projekt einer eigenen Verfahrensordnung für den RKH schon 1820 ins Stocken und wurde schließlich 1821 zurückgestellt. Ursache waren die Kompetenzverschiebungen innerhalb des Justizressorts 307 . Die Ausarbeitung einer "Revisionsordnung" war zwar in den Beyme verbliebenen Aufgabenkreis der Gesetzrevision einzuordnen 308 , wies aber zugleich auch Berüh-

306

307

Zu dieser Einordnung oben Abschnitt D I 2 d). Vgl. dazu schon die Darstellung der Amtszeit Kircheisens.

H. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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rungspunkte zur Justizorganisation auf, die der Immediat-Justiz-OrganisationsKommission (IJOK) übertragen war. Ähnliche Überschneidungen gab es auch auf anderen Gebieten. Bevor die Gesetzgebungsarbeiten wieder aufgenommen wurden, sollte vorab die Kompetenzverteilung zwischen Beyme und der IJOK geklärt werden. Zu diesem Zweck arbeitete die Kommission einen Plan zur Umarbeitung der rheinischen Gesetzbücher aus 309 . Ende 1820 legte sie den Entwurf für eine "Instruction zur Revision der Rheinischen Gesetzbücher" vor31O • § 25 dieser Instruktion sah vor, die Verfahrensordnung für den RKH nicht mehr als eigenes Gesetz aufzustellen, sondern in die überarbeitete rheinische Prozeßordnung aufzunehmen. Gleichzeitig wurde hier die künftigen Gestalt des Rechtsmittels skizziert31l . Es sollte im wesentlichen bei den geltenden Bestimmungen, d. h. 308 Die Überarbeitung der rheinischen Gesetzbücher war angeordnet in § 5 der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818. In § 46 derselben Order war auch die vorab zu erledigende gesetzliche Neufassung einiger als besonders dringlich bezeichneter Materien - unter ihnen auch die Entwerfung einer Verfahrensordnung für das Obergericht - auf den Minister übertragen worden. Abdruck der Kabinettsorder bei E. Landsberg: Gutachten, S. 367 ff. Diese Aufgabenzuweisung ergibt sich jedenfalls aus den entsprechenden Darstellungen der IJOK zur Kompetenzfrage; GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 5 ff. Eine vollkommen klare Festlegung im Gesetzes- oder Verordnungsweg scheint es nicht gegeben zu haben. Unklar bleibt auch, inwieweit Beyme sich tatsächlich noch mit dem Komplex der Umarbeitung der rheinischen Gesetzbücher beschäftigt hat. Wahrend er 1821 in einen Bericht an Hardenberg über den Gang seiner Arbeiten noch dazu Stellung nahm (GStA PK Rep 74 R I Nr. 14, fol. 216), wies er 1825 gegenüber Kircheisen darauf hin, daß dieses Tätigkeitsfeld ihm schon seit Ende 1819 entzogen sei und er keine diesbezüglichen Arbeiten mehr angefertigt häbe; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 6164, fol. 21 Brief Beymes an Kircheisen vom 9.2. 1825. 309 Der diese Frage berührende Schriftverkehr zwischen der IJOK und dem Staatskanzleramt findet sich in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 1 ff. Innerhalb des Staatskanzleramtes ist diese Angelegenheit hauptsächlich von Hardenbergs Räten Eichhorn und Stägemann bearbeitet worden. Alle Konzepte sind von ihnen abgezeichnet und gehen möglicherweise auf Eichhorn zurück, dessen Handschrift hier vorherrscht. Da die entsprechenden Schreiben alle mit "Namens Seiner Durchlaucht" (meist findet sich das Kürzel N.S.D.) unterzeichnet sind und die Entwürfe keine Gegenzeichnung Hardenbergs aufweisen, hatte der Staatskanzler diese Arbeiten wohl weitgehend delegiert. 310 Der Text dieses Entwurfes finden sich in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 37 ff. Der Entwurf war entsprechend der Anregungen des ersten Mitglieds der IJOK, des Geheimen Oberjustizrates Diederichs, aufgestelt worden, hatte von seiten Daniels' , der ebenfalls als Mitglied der Kommission zu diesen Plänen Stellung genommen hatte, dann aber grundsätzlichen Wiederspruch erfahren, so daß das dritte Mitglied der Kommission, der Geheime Oberfinanzrat Rother, als Nichtjurist zögerte, den Ausschlag zu geben und die ganze Angelegenheit zur Entscheidung an den Staatskanzler weiterreichte. Das entsprechende Schreiben Rothers vom 31. 3. 1821 in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 14 ff.; das ablehnende Gutachten Daniels' vom 8. 3. 1821 ebd. fol. 18 ff. Zu diesen Vorgängen und insbesondere zum Wandel der Einstellung Daniels, der immerhin die betreffende Umarbeitung der rheinischen Gesetzbücher vorgeschlagen hatte, vgl. die Darstellung bei E. Landsberg: Gutachten, S. CXXVIIIff. 311 Bemerkenswerterweise spricht der Entwurf hier zwar von der Revisionsordnung aber gleichzeitig vom "Rechtsmittel der Cassation", der "Cassation des angegriffenen Urtheils" und dem "Cassations-Richter"; GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 43 f.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

dem aus Koblenz übernommenen Verfahren, bleiben. Nur in einem wichtigen Punkt sollte das Verfahren vom Koblenzer Verfahren abweichen: der Revisionsund Kassationshof sollte in Fällen mangelnder Entscheidungsreife zurückverweisen können. Von einer obligatorischen Rückverweisung oder einer Aufteilung in mehrere Spruchkörper war nicht mehr die Rede. Damit wäre hier ein Verfahrensrecht mit großer Ähnlichkeit zu der im Sommer 1818 von Beyme verfolgten Konzeption zu erwarten gewesen 312 . Dieses Verfahren wäre aber deutlich hinter den Möglichkeiten zurückgeblieben, die sich 1819 aufgetan hatten. Zu einer Umsetzung des von der IJOK vorgelegten Planes und damit auch der endgültigen Regelung des Revisionsverfahrens ist es aber nicht mehr gekommen. Schon innerhalb der Kommission war der gesamte Plan auf grundsätzlichen Widerspruch Daniels' gestoßen und daher dem Staatskanzler 1821 zur Entscheidung vorgelegt worden. Im Staatskanzleramt fand er jedoch keine weitere Bearbeitung 313 . Die ganze Angelegenheit verlief regelrecht im Sande. Nach dem Tode Hardenbergs und der Auflösung der IJOK ist sie bis in die 30er Jahre hinein nicht mehr aufgegriffen worden. Es waren letztlich mehrere Faktoren, die zum Scheitern der Gesetzgebungspläne geführt haben. Alle Pläne für eine Aufteilung des Gerichtshofes in mehrere Senate wurden bereits durch den ständigen Personalabbau der ersten Jahre ad absurdum geführt. Darüber hinaus verringerte sich der rechtspolitische Spielraum für die Entwicklung des Verfahrensrechts immer mehr. An ein Aufgreifen der Forderung der Richter nach Rekonstruktion der Kassation im französisch-rechtlichen Sinne war nach 1820 nicht mehr zu denken. Auch das Schicksal des rheinischen Rechts im weiteren Verlauf der zwanziger Jahren hat die Einstellung der Gesetzgebungsarbeiten befördert. Seit 1825 die Bemühungen um eine Einführung des preußischen Dazu oben Kapitel B II 2 a) bb) und cc). Als Reaktion auf den Entwurf der IJOK findet sich lediglich ein im Namen Hardenbergs verfaßtes Schreiben an die Kommission (vom 20. 6. 1821 mit Absendungsvermerk vom 23.6.), in dem es heißt: "Was die Umarbeitung der rheinischen Gesetzbücher betrifft, so hoffe ich, mich ehestens, in einem besonderen Schreiben gegen die K. Immediat Commission äußern zu können"; Abschrift in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 50; der von Eichhorn und Stägemann abgezeichnete Entwurf zu diesem Schreiben findet sich in GStA PK Rep 74 R XXXVI Nr. 6, fol. 89 f. Damit bricht die Aktenführung zur Revisionsordnung und zur Überarbeitung der rheinischen Gesetze insgesamt ab, das angekündigte Antwortschreiben scheint nicht verfaßt worden zu sein. Auf das Abbrechen der betreffenden Korrespondenz weist auch E. Landsberg: Gutachten, S. CXXIX hin, dessen Angaben sich bei eigenem Aktenstudium nur bestätigen ließen. Soweit ich sehe, findet sich der letzte Hinweis auf das Projekt der Revisionsordnung in einer Art Abschlußbericht der IJOK an den Staatskanzler vom 3. 6. 1821; GStA PK Rep 74 R XXIX Nr. 6, fol. 80 ff. Dort berichtet die Kommission, daß die Revisionsordnung dem RKH zur Beratung vorläge, gleichzeitig schlägt sie aber vor, die Angelegenheit so weiterzuführen wie sie selbst es im Instruktionsentwurf zur Revision der rheinischen Gesetzbücher vorgesehen hatte, d. h. die Revisionsvorschriften im Rahmen der Überarbeitung der Prozeßgesetze mitzubearbeiten. Wenn Hardenberg diesen Vorschlägen folgen wollte, so wäre es nach Ansicht der Kommission zweckmäßig, "einstweilen von einer Revisionsordnung zu abstrahiren", d. h. auf eine eigenständige Regelung zu verzichten. 312 313

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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Rechts erneut intensiviert wurden und sich im Zuge dieser Bemühungen die Auflösung des RKH ankündigte, konnten sämtliche Überlegungen zu einer Neufassung des Verfahrensrechts endgültig zurückgestellt werden.

2. Die Entwicklung des rheinischen Kassationsverfahrens a) Verfahrensrechtliche Neuordnung durch den Gerichtshof Da die 1821 zurückgestellten Gesetzgebungspläne nicht mehr aufgegriffen wurden, blieb das modifizierte rheinische Kassationsverfahren Grundlage der Rechtsprechung des RKH. Allerdings erwies sich dieses für die kleinen, provisorischen Kassationsgerichte der Generalgouvernementszeit entwickelte Verfahren in manchen Punkten als so unpraktikabel, daß ungeachtet des gesetzgeberischen Stillstandes eine allmähliche Umgestaltung durch die Praxis einsetzte. aa) Die Sachentscheidungsbefugnis

Besonders anschaulich wird diese Entwicklung, wenn man sich mit der Sachentscheidungsbefugnis des RKH auseinandersetze l4 • Die Befugnis der rheinischen Kassationsgerichte, nach Aufhebung des angegriffenen Urteils in der Sache selbst zu entscheiden, hatte bereits am Koblenzer Revisionshof mit seinem zuletzt sehr umfangreichen Gerichtssprengel erhebliche Probleme hervorgerufen 315 . Die Entscheidung für Berlin als Standort des rheinischen Obergerichts führte die praktischen Grenzen der Sachentscheidung endgültig vor Augen. Hatte der Revisions- und Kassationshof ein Urteil kassiert, mußte er im Anschluß daran die Hauptsache selbst entscheiden. Dies war unproblematisch, wenn die Tatsachengrundlage der neuen Entscheidung schon durch die Ermittlungen des vorherigen Richters genügend vorbereitet war. War die Sache jedoch noch nicht zur Entscheidung reif, mußte der RKH nach Maßgabe der Generalgouvernementsverordnungen einen neuen Termin zur Verhandlung und Entscheidung in der Hauptsache festsetzen und den für die Entscheidung erforderlichen Tatsachenstoff selbst ermitteln 316 . Die Richter konnten also in die Lage kommen, zur Vorberei314 Einen Überblick über diese Problematik liefern ein Bericht des Generalprokurator Eichhorn vom 3. 12. 1833 an den Iustizminister und ein Bericht des Ministers an das Zivilkabinett vom 19. 12. 1833; beide in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 7911, fol. 235 ff., 267 ff. und Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258 fol. 104 ff., 113 ff. 315 Dazu die o.g. Berichte Kamptz' und Eichhorns; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 107 ff.; 115 ff. und ehr. v. Breuning: Cassationsinstanz, S. 58. 316 Ausgenommen natürlich diejenigen Fälle, in denen er auch schon nach den Vorschriften der Generalgouvernementsverordnung zurückverweisen durfte: nämlich bei Aufhebung des Schuldspruchs der Geschworenen und bei Kassation wegen Inkompetenz des zuvor erkennenden Richters.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

tung der Hauptsacheentscheidung eine erneute Beweisaufnahme durchführen, insbesondere die Parteien persönlich hören, Zeugen vernehmen oder Beweistücke sichten zu müssen. Dies warf erhebliche Probleme auf: In der Regel blieben die Parteien wegen der Kosten und Beschwerlichkeiten der mehrtägigen Reise nach Berlin der eigentlichen Kassationsverhandlung fern und ließen sich durch ihre Anwälte vertreten 317 . Wurde nun ein eigener Termin zur Verhandlung in der Hauptsache festgesetzt, war im Zivilprozeß das persönliche Erscheinen der Parteien und im Strafprozeß des Kassationsklägers und eventueller Zeugen unumgänglich 318 . Dies bedeutete für alle Beteiligten einen erheblichen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwand 319 . Insbesondere die Reisekosten konnten für die Parteien so hoch werden, daß sie den Wert des Streitgegenstandes bei weitem überschritten 32o . In den ersten Monaten seiner Tätigkeit hat sich der RKH ungeachtet dieser Schwierigkeiten noch bemüht, den Generalgouvernementsverordnungen und ihrem Verweisungsverbot nachzukommen 321 . Schon in der zweiten Hälfte des Jahres 1820 ging er aber dazu über, zur erneuten Ermittlung, Verhandlung und Entscheidung an ein vorinstanzliches Gericht zuriickzuverweisen. Diese Praxis setzte zuerst in Zuchtpolizei- und Polizei sachen ein, die zum Teil mit einem erheblichen Ermittlungsaufwand verbunden waren 322 . Noch in der ersten Hälfte der 20er Jahre 317 Das geht noch einmal aus dem Bericht Kamptz' vorn 19. 12. 1833 hervor, in dem er mit Blick auf die Frage der Sachentscheidung betont, daß den Parteien in aller Regel eine Anwesenheit in Berlin wegen der hohen Kosten der Reise überhaupt nicht zugemutet werden könne; GStA PK Rep 89 (2.2.\.) Nr. 17258, fol. 107; Rep 84 a (0) Nr. 9711, fol. 274. Daraus ergibt sich, daß die Parteien in den gewöhnlichen Kasssationsprozessen, solange lediglich Rechtsfragen erörtert wurden, nicht in Berlin anwesend waren. 318 Die Ladung von Zeugen hatte vor allem Bedeutung für den Strafprozeß, da der französische Zivilprozeß bei großen räumlichen Entfernungen ohnehin mit dem mittelbaren Zeugenbeweis arbeitete (Art. 255 Code de procedure civile); dazu B. Dö[emeyer: Der Zeugenbeweis im deutschen Zivilprozeß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: A. Gouron, u. a. (Hrsg.): Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, Frankfurt a.M. 1993, S. 91 ff. 319 In den Rheinlanden selbst hatten sich schon angesichts der Größe der Landgerichtsbezirke immer wieder Klagen über die langen, ohne Benutzung der Postkutsche oft mehrere Tage währende, Anreise für unvermögende Zeugen und Parteien erhoben; A. Klein: Die rheinische Jutiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland. In: J. Wolffrarnl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 152. Nicht zuletzt aus diesen Gründen dürfte die Einführung einer zumindest eingeschränkten Rückverweisungsmöglichkeit für die Fälle mangelnder Entscheidungsreife fester Bestandteil aller bisherigen legislatorischen Bemühungen um eine Revisionsordnung gewesen sein. 320 Darauf wies Kamptz in seinem Bericht vorn 19. 12. 1833 hin, GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 108. 321 Entsprechende Urteile, in denen der RKH in Zivilsachen wegen noch nicht genügend ermittelter Tatsachengrundlage eine neue Verhandlung angesetzt und zugleich terminiert hat, finden sich etwa in RhA 1 11, S. 51 ff. (Urteil vorn 24.3. 1820) und S. 33 ff. (23. 6. 1820). Dieses Bemühen wird aber auch in einern Bericht des Generalprokurators Eichhorn an den Justizminister vorn 3. 12. 1833 deutlich; GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 9711, fol. 235 ff., insbes. fol. 248 f.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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dehnte der RKH die Verweisung aber auch auf Zivilsachen 323 aus. Die Entscheidung, ob eine Verweisung stattfinden sollte, wurde anscheinend ausgerichtet an dem zu erwartenden Ermittlungsaufwand. Bis in die 30er Jahre hinein finden sich Verweisungsentscheidungen und Entscheidungen, in denen der RKH noch eine erneute Verhandlung in Berlin festsetzte, nebeneinander324 . Zuriickverwiesen wurde an ein Gericht, das mit demjenigen, dessen Entscheidung zuvor kassiert worden war, auf gleicher Stufe stand. Im Falle der Aufhebung eines Appellationsurteils setzte sich die Verweisung an einen anderen Senat des Appellationshofes durch. Im Rahmen der Verweisungspraxis setzte der RKH - abweichend vom französischen Recht - eine Bindung der Untergerichte an seine im Kassationsurteil niedergelegte Rechtsauffassung voraus 325 . Insgesamt hatte der Gerichtshof damit die verfahrensrechtlichen Überlegungen der ersten Jahre zumindest in dem durch den Verordnungsentwurf der IJK gesetzten Rahmen aufgegriffen und aus einem praktischen Bedürfnis heraus umgesetzt. Die Verweisung der Sache bei mangelnder Entscheidungsreife wurde als "natürliche von selbst gegebene Grenze" der Sachentscheidungsbefugnis bezeichnee 26 .

322 Vgl. RhA 211, S. 86 ff. (21. 7. 1820), S. 114 ff. (8. 12. 1820), S. 149 ff. (26. 1. 1821); RhA 511, S. 64 ff. (20. 8. 1823); RhA 2111, S. 30 f. (21. 6. 1834); ebd. S. 62 ff. (20. 9. 1834). Für 1819 ergeben sich weder aus dem Rheinischen Archiv noch aus den Akten selbst Hinweise auf derartige Verweisungen. 323 Das erste Urteil dieser Art, das im RhA abgedruckt ist, stammt vorn 16. 4. 1823 (RhA 5 11, S. 36 f.), zwei weitere finden sich in RhA 6 11, S. 23 ff. (7. 1. 1824) und S. 126 ff. (1. 12. 1824); vgl. auch RhA 1611, S. 43 ff. (4. 2. 1832); 1911, S. 20 ff. (4. 1. 1834). Bei der Auswertung der im Rheinischen Archiv abgedruckten Urteile muß man allerdings beachten, daß die Wiedergabe der Urteile dort in vielen Fällen auf die eigentliche Kassation des vorangegangenen Urteils konzentriert ist, d. h. mit dem Hinweis auf die Kassation endet, ohne im Anschluß daran noch auszuführen, ob der Hof in der Sache selbst entschieden oder zurückverwiesen hat. Es ist aber zumindest anzunehmen, daß die verweisenden Urteile wegen der Erheblichkeit der entsprechenden Anordnungen bis zum Ende übernommen wurden und es sich bei den unvollständigen eher um solche handeln wird, in denen der RKH selbst die Entscheidung getroffen hat. Somit liegt es nahe, die hier genannten verweisenden Urteile tatsächlich als die ersten ihrer Art anzusehen. 324 In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit den Verweisungsentscheidungen ergingen in anderen Zivilprozessen Entscheidungen, in denen der RKH noch eine erneute Verhandlung in Berlin ansetzte, s. bspw. RhA 6 11, S. 65 ff. (28. 1. 1824); 16 11, S. 9.ff. (28.1. 1832); 1911, S. 15 f. (23.11. 1833). 325 Dies läßt sich den unten zitierten verweisenden Entscheidunen des RKH entnehmen. Siehe auch die Vorschläge Eichhorns für eine gesetzliche Sanktionierung dieses Verfahrens; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fo1.251; vgl. auch § 17 der BK-Entwurfs sowie § 61 des von Daniels 1819 vorgelegten Entwurfs. 326 Zitiert aus einern Briefentwurf des lustizministers von Kamptz vorn 16. 8. 1834; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 308. Ähnlich aber auch schon Eichhorn in seinem Bericht vorn 3. 12. 1833; ebd., fol. 250, der sich dahingehend äußerte, daß die Befugnis des Gerichts, in der Sache selbst zu entscheiden, ihre "natürliche Grenze" in der Stellung des Gerichts als Spruchbehörde fände und es sich von selbst verstünde, daß das Gericht bei mangelnder Entscheidungsreife zurückverweisen könne.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Wesentliches Motiv dieser Rechtsprechung war die Aufrechterhaltung tragender Prozeßrechtsgrundsätze 327 . Die großen praktischen Schwierigkeiten, auf die eine Wiederaufnahme der gerichtlichen Tatsachenermittlung in Berlin stieß, hätten in den Augen der Richter nämlich dazu geführt, daß auf lange Sicht Ermittlungen nur sinnvoll durchzuführen gewesen wären, wenn sie in den Rheinlanden durch kommissarische Richter erledigt worden wären. Der RKH hätte sich dann in seiner Sachentscheidung auf die bei dieser Gelegenheit aufgenommenen Protokolle stützen müssen. Durch eine solche Entwicklung sahen die Kassationsrichter Unmittelbarkeit und Mündlichkeit der Verhandlungen sowie den gesetzlich garantierten Instanzenzug gefährdet. Die Verweisungspraxis des RKH stellte der Sache nach eine Rechtsfortbildung contra legern, d. h. gegen die Anordnungen der Generalgouvernementsverordnungen, dar. Dennoch war sie sowohl von seiten des preußischen Justizministeriums als auch der rheinischen Justiz stillschweigend gebilligt worden. Erst 1833 stellte die rheinische Rechtsprechung, genauer der Appellationsgerichtshof in Köln diese Praxis in Frage. In mehreren Entscheidungen sprachen die Kölner Richter sich insbesondere gegen die Verweisung aufgehobener Appellationsurteile an einen anderen Senat des Appellationsgerichts aus. Die erste dieser Entscheidungen fällte der Appellationshof am 1. April 1833 328 • Inhaltlich ging es um eine Erbschaftsteilung unter Halbgeschwistern329 . Der RKH hatte eine Entscheidung des zweiten Senats 327 Diese Überlegungen können aus dem in dieser Angelegenheit vom Generalprokurator an den Iustizminister erstatteten Bericht vom 3. 12. 1833 entnommen werden; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 235 ff. und Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 113 ff. 328 Eine Abschrift des Urteil findet sich in den Akten des Geheimen Zivilkabinetts; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 118 ff. 329 Urteil vom 28. 7. 1832; RhA Bd. 17,2. Abt., S. 12 ff. Die Kläger, Kinder des Erblassers aus seiner ersten Ehe, hatten gegen die Kinder aus der zweiten Ehe auf Erbschaftsteilung nach Anweisung des Art. 745 des Code civil geklagt. Beide Ehen waren noch unter dem Recht des Ancien Regime unter der jülich-bergischen Rechtsordnung geschlossen worden, während zur Zeit des Todes des Erblassers 1826 schon das französische Zivilrecht in Geltung war. Die Beklagten beriefen sich nun darauf, daß die Kinder der ersten Ehe bereits im Ehevertrag zur zweiten Ehe mit dem Immobiliarvermögen der ersten Ehe abgefunden worden seien und die erbrechtliche Stellung der Kinder mehrerer Ehen nach Kapitel 74 und 94 der bergisch-jülischen Rechtsordnung maßgeblich durch den Ehevertrag der zweiten Ehe bestimmt werden könnte und dies hier im speziellen Fall durch den Ehevertrag auch tatsächlich geschehen sei. Während das Landgericht (Düsseldorf) und der zweite Senat des Appellationshofes dieser Argumentation gefolgt waren und die Klage der Kinder aus erster Ehe abgewiesen hatten (Urteil des Appellationsgerichtshofes (AGH) vom 20.8. 1829), legte der RKH den Ehevertrag nicht im Sinne einer abschließenden erbrechtlichen Regelung aus und stellte klar, daß auch nach den Vorschriften des alten Rechts ein Ehevertrag nur unter den Vertragsparteien, nicht aber gegenüber unbeteiligten Dritten, Bindungswirkung entfalten konnte und dementsprechend auch nach Kapitel 74 und 94 der jülich-bergischen Rechtsordnung eine weitere Auseinandersetzung des Erbes hätte stattfinden müssen. Diese Vorschriften bzw. das an ihre Stelle getretene französische Recht, insbesondere Art. 745 des Code civil, sah der RKH verletzt. Fragen des jülich-bergischen Erbrechts waren zu dieser Zeit allgemein von großer Relevanz, vgl. verschiedene Aufsätze und Entscheidungen in Bänden 16 und 17 des RhA.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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des Appellationshofes wegen Verletzung des Art. 745 Code civil kassiert. Mit Hinweis darauf, daß die für eine Erbteilung nach Art. 745 Code civil erforderliche Feststellungen noch nicht getroffen worden seien und es sich insofern um einen völlig neuen Streitgegenstand handele, hatte er die Sache anschließend an den ersten Senat des Appellationsgerichts zur weiteren Ermittlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der erste Senat erklärte sich jedoch für unbefugt, den vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden und überließ es den Parteien, "sich zum Zweck der Erledigung desselben an den competenten Richter zu wenden,,33o. In den Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem RKH rückte der Senat den Grundsatz des gesetzlichen Richters. Er berief sich darauf, daß der Appellationshof bereits das ursprüngliche Urteil des Landgerichts bestätigt habe und damit "der ganze Prozeß definitiv entschieden worden ist und der Königliche Appellations-Gerichtshof, welcher in seinen verschiedenen Abtheilungen nur ein und das nämliche Gericht bildet, durch diese von einem seiner Senate ausgegangene Entscheidung seine Amtsbefugnisse erschöpft hat, und ferner nicht mehr über denselben Gegenstand unter den nämlichen Partheien als Richter erkennen kann, indem es ein anerkannter und durch positive gesetzliche Bestimmung33 ! ausgesprochener Grundsatz ist, daß der Richter, welcher einmal sein Erkenntniss [ ... ] erlassen hat, sein Amt erfüllt, und sich jeder nochmaligen Entscheidung in der Sache zu enthalten hat,,332. Als weiteres Argument führten die Richter die Vorschriften der Generalgouvernementsverordnungen an, die über die Verordnung vom 21. Juni 1819 an den RKH tradiert worden seien und den RKH verpflichteten, in jedem Falle selbst die Sachentscheidung zu treffen. Damit ging der erste Senat deutlich hinter seine bisherige Praxis und hinter den Meinungsstand der legislatorischen Debatte der Jahre 1818/ 19 zurück. Diese Rechtsprechung bekräftigte der Senat noch im selben Monat in einem zweiten Urtei1 333 . Der zweite Senat schloß sich an 334 . 330 Eine ausdrückliche Bestimmung des kompetenten Richters, etwa i.S. einer Rückverweisung an den RKH findet sich hier nicht. Dieses Urteil vom 1. 4. 1833 ist in einer Abschrift in den Akten des Geheimen Zivilkabinetts zu finden; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fo1. 118 ff. Kamptz hatte diese Abschrift zusammen mit dem Bericht des Generalprokurators Eichhorn und seinem eigenen Bericht an den König eingereicht. 331 Diese Bestimmung wird im vorliegenden Urteil nicht näher bezeichnet. In einem entsprechenden Urteil des zweiten Senats (RhA Bd. 18, 1. Abt., S. 208 ff. (210)) werden Vorschriften des rezipierten römischen Rechts, nämlich "I. [=Iex] 55 und 1. 62 ff. de re judicata" als "bestimmte Vorschriften" und der Art. 480 des Code de procedure als eine Norm, aus der sich diese Regel indirekt ergebe, genannt. 332 Zitiert aus dem Urteil des AGH vom 1. 4. 1833; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fo1. 122. 333 Urteil vom 24. 4.1833, RhA Bd. 18, 1. Abt., S. 212 f. 334 RhA Bd. 18, 1. Abt., S. 208 ff., dieser Fall war allerdings insofern nicht ganz so eindeutig wie die anderen beiden, als es hier nicht ganz klar war, ob der RKH überhaupt zur neuen Entscheidung oder nur zur kommissarischen Tatsachenfesstellung zuriickverwiesen hatte. Auf diesen Umstand wiesen die Herausgeber des RhA in einer Anmerkung hin. Die im Urteil aufgenommene Schilderung des bisherigen Prozeßverlaufs trägt nicht zur Aufklärung bei.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Als die vom Appellationsgerichtshof in der ersten dieser Entscheidungen abgewiesenen Kläger erneut Kassation einlegten, nahm der Generalprokurator des RKH das zum Anlaß, bei Kamptz um die Sanktionierung der bisherigen Verweisungspraxis und um Disziplinierung der rheinischen Gerichte auf dem Wege einer königlichen Verordnung anzutragen 335 . Die Argumentation der Appellationsrichter verwarf er unter Hinweis darauf, daß auch am Kammergericht und in korrektionellen Sachen an den rheinischen Landgerichten eine Appellation von einem Senat an den anderen durchaus üblich sei. Daraus leitete er die Auffassung ab, daß jeder Senat eines Gerichts trotz der organisatorischen Zusammenfassung "ein für sich bestehendes, sich frei von den übrigen bewegendes Gericht [sei], an dessen Meinung, Entscheidung und Verantwortlichkeit diese durchaus keinen Anteil nehmen,,336. Indem der Appellationshof die Parteien mit seiner Entscheidung in einen "völlig rechtlosen Zustand"337 versetze, begehe er eine Rechtsverweigerung im Sinne des Art. 4 Code civil. Den Vorwurf, der RKH habe in seinen Entscheidungen contra legern geurteilt, entkräftete er mit dem Hinweis, die Generalgouvernementsverordnungen hätten rein provisorischen Charakter besessen und könnten nach den mittlerweile eingetretenen räumlichen Veränderungen keine feststehende Regel mehr bieten338. Im übrigen verwies er zur Rechtfertigung seiner Vorschläge darauf, daß auch das preußische Revisionsrecht in § 8 des 15. Titels des 1. Teils der AGO eine ähnliche Befugnis kannte 339 . Bei mangelnder Entscheidungsreife setzte das preußische Revisionsgericht in einem "Resolut" fest, über welchen Gegenstand und in welcher Art das Untergericht zu ermitteln habe, und verwies die Sache zur näheren Aufklärung des Sachverhalts an die Untergerichte. In ihrer verfahrensrechtlichen Stellung unterschied sich diese Verweisung der AGO allerdings deutlich von der am RKH entwickelten. Sie erfolgte nicht auf ein aufhebendes Urteil des Revisiongerichts hin, sondern bevor ein solches Urteil überhaupt zustande gekommen war340. 335 Bericht des Generalprokurators Eichhorn an den lustizminister Kamptz vom 3. 12. 1833; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 235 ff. Dieser Bericht enthält gegen Ende schon Vorschläge für eine eventuell zu treffende Anordnung zur Klärung hier aufgetretenen Fragen. 336 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 114. 337 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 113. 338 Zur Rechtfertigung führte er darüber hinaus eine bemerkenswerte Interpretation der ersten Generalgouvernementsverfügungen an. Danach hätten die Verordnungen vom 28.4. und 6. 5. 1814 eine Verweisung in Ausnahmefällen, wie der mangelnden Entscheidungsreife, wohl durchaus noch zugelassen. Erst durch die Verordnungen vom 3. und 20. 7. 1814, die eine Verweisung nur noch im Falle der Inkompetenz des vorherigen Gerichts zuließen, sei dies eingeschränkt worden. Zudem weist er darauf hin, daß diese Einschränkung eigentlich zunächst nur für den bergischen Zuständigkeitsbereich des Düsseldorfer Kassationshofes hätte gelten sollen, so daß schon ihre Übertragung auf den Koblenzer Revisionshof mit der Verordnung vom 20. 7. 1814 nicht unproblematisch gewesen sei, erst recht aber in Berlin unausführbar geworden wäre; vgl. den Bericht Eichhorns vom 3. 12. 1833 in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 243. 339 Eichhorn in seinem Bericht vom 3. 12. 1833, GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 241.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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Der Justizminister schloß sich dem Antrag Eichhorns auf gesetzliche Sanktionierung der bisherigen Verweisungspraxis des RKH an und leitete ihn an den König bzw. das königliche Zivilkabinett weiter341 . Da das Kabinett ebenfalls zustimmte, erging am 8. Juli 1834 eine Kabinettsorder, die im Kern der bisherigen Rechtsprechung des RKH entsprach342 . Die Verweisung zur näheren Ermittlung der Tatsachengrundlage im Falle mangelnder Entscheidungsreife wurde unter Aufhebung der bisher noch formal entgegenstehenden Vorschriften der Generalgouvernementsverordnungen gesetzlich fixiert. In diesem Zusammenhang wurde auch die Bindung des neuen Richters an die Rechtsauffassung des RKH ausdrücklich festgeschrieben 343 . Gegen das hier ergehende neue Urteil wurden wiederum die gesetzlichen Rechtsmittel zugelassen 344 . Damit war nach einer langen Phase gesetzgeberischen Stillstands ein kleiner Teil dessen, was 1818/ 19 noch selbstverständliche und unumstrittene Basis der Bemühungen um eine Revisionsordnung gewesen war, nach vorangegangener Rechtsfortbildung durch den Gerichtshof in Gesetzesform gebracht.

bb) Die Veifahrenseinleitung

Eine andere Umgestaltung des Verfahrensrechts durch den Gerichtshof wurde erst in den 40er Jahren gesetzlich sanktioniert. Diese Veränderung betraf die Modalitäten der Einlegung der Kassation. Schon in den ersten Jahren seiner Tätigkeit 340 Dementsprechend war die Frage der Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts im preußischen Recht nicht geregelt. Sie wurde erst in einem Gesetz vom 20. 3. 1854 (Gesetzsammlung 1854, S. 115 f., § 3 des Gesetzes) festgelegt; siehe F. C. Koch: Das Preußische Civil-Prozeß-Recht. Prozeß-Ordnung nach ihrer heutigen Geltung, Berlin 1864, S. 419. 341 GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 104 ff. Der Bericht Kamptz' trägt das Datum vom 19. 12. 1833, die Angelegenheit ist also seitens des Justizministeriums ohne größeren Aufschub an den König weitergeleitet worden. 342 Gesetzsammlung 1834, S. 89. 343 Obwohl gerade dieser Punkt den französisch-rechtlichen Grundlagen des Kassationsverfahrens widersprach, hatte er auch schon in der bisherigen Rückverweisungspraxis, die sich wesentlich an den Entwürfen der HK und Daniels' aus dem Jahre 1818 orientierte, Beachtung gefunden. Dies folgt schon aus dem Zusammenhang der oben angegebenen verweisenden Urteile des Gerichtshofes. 344 Für künftige gleichgelagerte Fälle enthielt diese Verordnung die ausdrückliche, gegen die rheinischen Gerichte gerichtete Androhung von Ordnungsstrafen und sogar die Drohung mit der für Fälle der Rechtsverweigerung vorgesehenen Strafe. Die in Art. 185 Code penal festgeschriebene Strafe der Rechtsverweigerung ist allerdings schon wenige Wochen später am 2. 8. 1834 allgemein, also auch für die mit der Kabinettsorder vom 8. 7. 1834 geregelten Fälle, aufgehoben worden; vgl. GStA PK Rep. 84 a (D) Nr. 9711, fol. 310. Die Androhung nicht näher spezifizierter ..Ordnungsstrafen" stieß in Reihen der rheinischen Justiz auf grundsätzliche Kritik, da das Verhältnis dieser Strafen zum Disziplinarrecht sowie die Kompetenz zur Verhängung derartiger Strafen ungeklärt blieben, vgl. massive Kritik, die der Präsident des Saarbrücker Landgerichtes 1839 gegenüber Mühler äußerte; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 9711, fol. 309 ff.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

hatte der RKH die Verfahrenseinleitung unter den Parteien, wie sie die Verordnung vom 20. Juli 1814 vorgesehen hatte, durch eine Einleitung unter Beteiligung des Gerichtshofes ersetzt345 . Dies entsprach den Vorschlägen der IJK von 1818 346 . Das Kassationsgesuch war auf der Kanzlei des RKH einzulegen und wurde erst auf Anordnung des Präsidenten an den Beklagten weitergeleitet. Damit näherte sich das rheinische Kassationsverfahren wieder einen Schritt an das französische Kassationsverfahren an 347 . Gleichzeitig brachte die Verfahrenseinleitung über das Gericht zumindest in formaler Hinsicht eine Annäherung auch an das preußische Verfahren. Auch die Revision der AGO wurde über ein Gericht eingeleitet. Allerdings wurde sie nicht unmittelbar beim Revisionsgericht, sondern bei dem vorinstanzlichen instruierenden Gericht eingelegt348 . Die Veränderung des Einleitungsverfahrens wurde sowohl von den rheinischen Gerichten als auch vom Justizministerium gebilligt. Erst im Rahmen einer Ende der 30er Jahre einsetzenden Debatte um eine Beschleunigung der Kassation in Zivilsachen wurde Kritik daran laut. Sie wurde aber dennoch gesetzlich festgeschrieben 349.

cc) Die Kompetenz des Gerichtshofes

Eine von seiten der Anwälte des RKH beförderte Initiative zur Reform des Verfahrensrechts hat sich dagegen nicht durchgesetzt. Es ging dabei um eine Erweiterung der Kompetenzen des Gerichtshofes. In einem an den Justizminister eingereichten Aufsatz hatte der Advokat von Sandt angeregt, die Befugnis des RKH zur Kassation eines Urteils auch auf diejenigen Fälle auszudehnen, in denen das Instanzgericht einen zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag oder sonst eine anerkannte Urkunde falsch ausgelegt hatte 35o . Er bezog sich damit auf einen Streit 345 Wann genau diese Umstellung in Berlin erfolgt ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Eine vergleichbare Praxis hatte sich wohl bereits in Koblenz herausgebildet. In einem zur Veröffentlichung in den Kamptzschen Jahrbüchern bestimmten Bericht, den Ruppenthal 1820 über das Verfahren vor dem RKH verfaßt hat, findet sich noch die Verfahrenseinleitung ohne Mitwirkung des Gerichtes; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 686, fol. 70; zur Anfertigung und Veröffentlichung dieses Berichts siehe die Korrespondenz zwischen Ruppenthal und dem Justizministerium ebd. fol. 8 ff. und fol. 75 ff. Allerdings ging Ruppenthal in seinem Bericht noch von einer baldigen Fertigstellung der Revisionsordnung aus, die das Einleitungsverfahren ja hätte abändern sollen. In den Reformarbeiten der 40er Jahre wurde die Einlegung des Kassationsgesuches auf der Kanzlei des Gerichtshofes als eine seit vielen Jahren bestehende Praxis behandelt; zu diesen Reformarbeiten GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382 und GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen (unfoliiert). 346 Zu den entsprechenden Vorschlägen der HK siehe oben Kapitel DIll a) aa). 347 Kapitel D I 1 b) cc) (2). 348 § 5,6, 15. Titel, 1. Teil der AGO. 349 Siehe dazu die Ausführungen unten Kapitel D 11 2 b). 350 Eine Anregung, die sich so auch bereits in den "Resultaten" der HK findet (E. Landsberg: Die Gutachten, S. 238), von der Kommission 1818 aber nicht in ihren Entwurf für die

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über die Trennung von Tat- und Rechtsfragen, der auch die französische Wissenschaft und Praxis beschäftigte351 • Zur Begründung der Kompetenzerweiterung wurde auch in Frankreich Art. 1134 des Code ci vii angeführt352 . Diese Vorschrift legte man als eine Gleichstellung ordnungsgemäß abgeschlossener Verträge mit gesetzlichen Vorschriften aus. Von daher unterstellte man eine Vertrags verletzung ebenso wie eine Gesetzesverletzung der Nachprüfung des Kassationsgerichts. Nach anderer Ansicht konnte Art. 1134 Code civillediglich den Zweck haben, einmal abgeschlossenen Verträgen im Verhältnis der Parteien untereinander dieselbe Autorität zu verleihen, wie sie das Gesetz beanspruchte. Danach wären die Gerichte nicht an diese Verträge gebunden gewesen und hätte der Kassationshof ihre Einhaltung nicht überprüfen können. Dieser Ansicht hatte sich sowohl der Pariser Kassationshof in der überwiegenden Zahl der Fälle als auch der RKH in ständiger Rechtssprechung angeschlossen 353 . Die Frage der Auslegung dieser Verträge wurde von den Richtern des RKH als reine Tatfrage eingestuft, die der Kompetenz des Kassationsgerichtes entzogen war und allein Individualinteressen berührte. Gegen diese Rechtsprechung wandten sich die Anwälte des RKH. Da ihre Initiative aber innerhalb des Richterkollegiums auf energischen Widerspruch stieß, blieb sie auf sich beruhen und wurde zunächst nicht weiter verfolgt354 . Erst 1840 kamen die Anwälte anläßlich einer erneuten Diskussion um Fragen des Verfahrensrechts auf diese Problematik zurück355 . Ihre Forderung nach kassationsrichterlicher Kontrolle Revisionsordnung aufgenommen worden ist. Der Aufsatz von Sandts ist vom 6. 12. 1831 datiert und trägt den Titel: "Darstellung der Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit eines etwa in Vorschlag zu bringenden Gesetzes, wodurch der Königliche Cassationshof in Berlin angewiesen würde, auch im Falle der irrigen Auslegung eines Vertrages oder sonstiger Urkunden die Urtheile der Instanzgerichte zu kassieren."; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen. Das Begleitschreiben, mit dem er den Aufsatz bei Kamptz eingereicht hat, findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8392, fol. 4 (12. 12. 1831); ebd. fol. 5 Schreiben Kamptz mit dem der Aufsatz an den RKH weitergeleitet wurde. 351 Siehe die ausführliche Darstellung dieses Problems bei F. J: Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 464 f. 352 Von entscheidender Bedeutung ist hier Art. 1134 Satz I: "Les conventions legalement formees tiennent lieu de loi a ceux qui les ont faites.", zitiert nach J. eramer (Hrsg.): Les cinq codes. Die fünf französischen Gesetzbücher, Koblenz 1854. 353 F. J. Perrot: Verfassung, Bd. I, S. 464 f. führt hier folgende Urteile des RKH an an: Urteil vom 6. 7. 1821, RhA 311, S. 53; Urteil vom 11. 9. 1822, RhA 4 11, S. 113. Zur Rechtsprechung des Pariser Kassationshofes vgl. F. J. Perrot, ebd. S. 464 und J. H. Schlink: CivilProzeß-Ordnung, Bd. I, S. 305, der darauf hinweist, daß eine ablehnende Haltung des Pariser Kassationshofes nach 1808 öfter als zuvor zum Ausdruck kam. 354 AnläBlich einer späteren ähnlichen Initiative wies er auf das frühere Scheitern seiner Anregungen hin, die zwar nie substanziiert widerlegt worden seien, aber innerhalb des Richterkollegiums energischen Widerstand erfahren hätten; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen., Bericht und Entwurf von Sandts vom 17. 3. 1840 zur Frage der Beschleunigung des Kassationsverfahrens in Zivilsachen. 355 Die entsprechenden Vorschläge finden sich im Anschluß an einen durch von Sandt mit Unterstützung zweier anderer Anwälte, dem Justizrat Kunowski und dem Justizkommissar Reusche, erarbeiteten Entwurf zur Beschleunigung des Kassationsverfahrens in Zivilsachen; GStA PK Rep 97 BI A 2 b gen. Bericht und Entwurf einer Verordnung vom 17. 3. 1840.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

der Vertragsauslegung war diesmal Bestandteil einer umfassenden Initiative zur Neufestiegung der Kompetenzen des RKH 356 . Aber auch diese weitreichenden Vorschläge, die bereits mit einem von den Anwälten verfaßten Gesetzentwurf versehen waren, scheiterten am Desinteresse des Richterkollegiums und des Justizministeriums. dd) Zusammenfassung

Das Scheitern der ursprünglichen Gesetzgebungspläne und die daraufhin eintretende gesetzgeberische Untätigkeit hatten die Rechtsprechung des RKH als alleinige Triebkraft für eine Fortentwicklung des Kassationsverfahrens im Raum stehen lassen. Ihr gegenüber konnten Initiativen von anderer Seite, etwa diejenigen der Anwälte oder des Appellationsgerichtes, keine Bedeutung erlangen. Soweit das Gericht in diesem Sinne tätig wurde, ist das Phänomen einer richterlichen Rechtsfortbildung contra legern zu beobachten, die von Regierungsseite gebilligt und im nachhinein legislativ umgesetzt wurde. Diese Rechtsfortbildung näherte das Verfahren dem französischen Kassationsverfahren weiter an. Sie knüpfte an die Pläne der Jahre 1818/ 19 an, setzte aber nur das um, was 1819 noch der kleinste gemeinsame Nenner aller Vorschläge gewesen war: eine Verweisung bei mangelnder Entscheidungsreife und eine Einleitung des Verfahrens über das Gericht. Die 1819 vollständige Rekonstruktion der Kassation im französischen Sinne, die die Mitglieder des RKH 1819 gefordert hatten, setzte sie nicht um. b) Die Beschleunigung des Kassationsverfahrens

Anfang der 1840er Jahre sollte das rheinische Kassationsverfahren noch einmal Gegenstand gesetzgeberischer Tätigkeit werden. Den Anlaß bildeten Klagen über die lange Dauer und eine oft mutwillige Verschleppung der Zivilprozesse 357 . Eine im Auftrag des Justizministeriums Ende 1839 aufgestellte Übersicht über die Zahl der insgesamt anhängigen Zivilsachen358 hatte gezeigt, daß Ursache für die lange 356 Ihre Vorschläge gingen dahin, die Kassation nur noch gegen definitive Endurteile und nicht mehr gegen bloße Zwischenentscheidungen zuzulassen, sie gegen friedensrichterliche Urteile auf Fälle der Inkompetenz zu beschränken - also diese Urteile nicht mehr wegen Machtüberschreitung zu kassieren - und schließlich der Kassationseinlegung (in Zivilsachen) für bestimmte Fälle suspensive Wirkung beizulegen. 357 Als Beispiel findet sich in den Akten die Beschwerde eines der Anwälte des RKH, des Justizrates Kunowski, der anhand eines ihm anvertrauten Rechtsfalles die Ursachen und nachteiligen Wirkungen der Prozeßverschleppung darlegt; GStA PK Rep 84 a (2.5.\.) Nr. 8382, fol. 5 f.; zugleich auch in den Akten des RKH GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen., Beschwerde vom 14. I\. 1839. 358 Ein Konzept dieser Aufstellung findet sich in den Akten des Gerichtshofes; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen (unfoliiert). Diese Tabelle reichte Eichhorn zusammen mit einem aus-

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Dauer des Prozesse nicht etwa eine schleppende Bearbeitung der Sachen innerhalb des Richterkollegiums war, sondern daß der bei weitem größte Teil der noch unerledigten Sachen gar nicht über das Stadium der Kassationseinlegung hinausgelangt war. Nach Einreichen des Kassationsgesuches auf der Kanzlei des RKH hatten die Parteien offensichtlich keine weiteren Schritte unternommen und die Sache auf sich beruhen lassen. Diese Rückstände reichten bis in die frühen 20er Jahre zurück. So war eines der 1839 anhängigen Verfahren bereits 1821, vier 1824 und sieben 1826 eingeleitet worden 359 . Aus dem Jahr 1829 waren 14 und aus 1830 noch 16 Sachen anhängig. Berücksichtigt man, daß in den Justizjahren 1828/29 und 1829/ 30 insgesamt nur 40 bzw. 63 Zivilsachen anhängig waren, schlugen die Rückstände mit etwa einem Viertel der anhängigen Zivilprozesse zu Buche 36o . Die Ursache der Verschleppung der Prozesse lag in den Vorschriften über die Einleitung des Zivilverfahrens begründet. Sie wiesen eine entscheidende Lücke auf. Zur Einlegung der Kassation genügte es nämlich, eine Denkschrift einzulegen, die lediglich den Antrag auf Kassation und eine Auflistung der angeblich verletzten Gesetze enthielt. Eine nähere Begründung des Gesuchs war gesetzlich nicht vorgeschrieben 361 . In vielen Fällen leiteten die Kläger die Akten so spät an ihre Kassationsanwälte weiter, daß sogar zur Anfertigung einer so einfachen Klageschrift kaum Zeit blieb. Es konnte vorkommen, daß ein Anwalt, nur um die Frist noch einhalten zu können, die durch das vorinstanzliche Urteil angeblich verletzten Vorschriften ohne nähere Prüfung, aufs Geratewohl hin angab 362 . Dem Beklagten bot diese Denkschrift oft so wenig Informationen über den Gehalt der Klage und mögliche Angriffsmittel des Klägers, daß ihm eine erfolgversprechende Verteidigung allein auf diese Schrift hin unverhältnismäßig erschwert wurde. Die Sache in diesem Stadium schon durch Einreichen einer Verteidigungsschrift von sich aus zur Verhandlung vor den RKH zu bringen363 , konnte für den Beklagten unkalführlichen eigenen Bericht vom 7. 12. 1839 und der Beschwerde Kunowskis an Mühler ein; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. I ff. 359 Diese Mißstände zeigten sich allein im Zivil verfahren, da die Einlegung des Kassationsgesuches in Strafverfahren an kurze Fristen gebunden und der weitere Betrieb des Verfahrens bei den Gerichten bzw. dem öffentlichen Ministerium lag; Art. 416 ff. des Code d'instruction criminelle. Art. 425 Code d'instruction criminelle normiert die Pflicht des Kassationshofes, über Strafsachen spätestens innerhalb eines Monat nach Ablauf der für die Einlegung des Kassationsgesuches maßgeblichen Fristen zu entscheiden. 360 Die Zahlen zu den insgesamt anhängigen Zivilprozessen aus F. C. W Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag, S. 115. Die Zahl der Rückstände aus der von Eichhorn eingereichten Tabelle; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen. (unfoliiert). Diese Angaben beziehen sich allerdings auf die jeweiligen Kalenderjahre, während die Zahlen Starkes auf den Justizjahren (I. November bis 31. Oktober) beruhen, wodurch sich noch eine geringfügige Verschiebung ergibt. 361 Siehe Teil 1, Tit. IV, Art. 1 des Reglements von 1738; K. Th. F. BonnannlA. v. Daniels: Handbuch, Bd. 1, S. 104; und Art. 16 des Gesetzes vom 2. Brumaire des Jahres IV; J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 144. 362 Dies geht aus dem Bericht Eichhorns hervor, der auch auf die mißliche Lage der Kassationsanwälte eingeht; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. I. 19 Seyo,ehe

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kulierbare Risiken bergen; zumal es in sehr umfangreichen und verwickelten Rechtssachen vorkommen konnte, daß die Klageschrift nicht einmal alle in Betracht kommenden Kassationsgründe erkennen ließ 364 . Der Betrieb des Verfahrens war damit weitgehend vom Gutdünken des Klägers abhängig. Hatte dieser kein Interesse an der Fortsetzung oder auch nur an einer beschleunigten Fortführung, blieb die Sache in diesem Stadium auf sich beruhen. Weder existierte für den Gegner, der sich oft über Jahre hinaus im Beklagtenstand befand, ohne absehen zu können, ob er nicht doch noch belangt würde, eine zumutbare Möglichkeit, diesen Zustand zu beenden, noch waren dem Gerichtshof Mittel an die Hand gegeben, den Fortgang des Prozesses zu befördern 365 . Für die Einreichung der zweiten, fakultativen Klägerdenkschrift, die allein dem Beklagten nähere Informationen liefern konnte, existierte keinerlei Fristbindung, und das Gericht konnte nur auf Anrufen einer der Partein weiter tätig werden. Reichte der Beklagte keine Verteidigungsschrift ein, erschien er also nicht vor Gericht, bestand zwar für den Kläger die Möglichkeit, nach Ablauf der Fristen ein Versäumnisurteil zu verlangen, tat er das aber nicht, blieb die Sache auf sich beruhen 366 . Dieser Mißstand war, obwohl im den Vorschriften des französischen Rechts angelegt, dem französischen Kassationsverfahren weitgehend unbekannt. Es handelte sich vielmehr um eine Folge der Abschaffung des gesonderten Admissionsverfahrens. Hatte nämlich die Notwendigkeit, zunächst die Angelegenheit der Vorprüfung durch die section des requetes zu unterziehen, den Kläger im französischen Verfahren zu einer näheren Begründung schon der ersten Denkschrift gezwungen, so fiel dieses Erfordernis in nachfranzösischer Zeit weg. Auf diese Weise hatten sich die Anforderungen an die erste Klageschrift erheblich reduziert, ohne daß die gesetzlichen Anforderungen explizit herabgesetzt worden wären. Es war eine Trennung zwischen der Klageeinlegung und ihrer Rechtfertigung eingetreten, die es so im französischen Recht nicht geben konnte 367 • Die Zulassungsordonnanz des Prä363 Die Verhandlungen wurden nach erfolgter Instruktion auf Betreiben deIjenigen Partei angesetzt, die sich zuerst darum bemühte, siehe oben Kapitel D I 2 c) aa). 364 Ein solches Beispiel führte Kunowski in seiner Beschwerde an. Hier hatte der gegnerische Anwalt, obwohl es sich um eine äußerst komplexe, weder von der französischen noch von der rheinischen Judikatur geklärte Rechtsfrage handelte, eine so dürftige Denkschrift eingelegt, daß Kunowski sich im Interesse seines Mandanten außer Stande sah, die Verteidigung aufzunehmen; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen., Beschwerde Kunowskis vom 14. 11. 1839. 365 Diesen Punkt hob Eichhorn in seinem Bericht an den Justizminister besonders hervor; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 1. 366 E. Faye: Cour de Cassation, S. 249 ff., 268 ff.; A. C. Guichard: Instruction, S. 15; F. v. Lassaulx: Bürgerlicher Prozeß, S. 358. Dieses Versäumnis verfahren beruhte im wesentlichen auf den Vorschriften des 2. Teils des Reglements von 1738. Zu dieser Vorbereitung des Prozesses J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 325. 367 Es gab zwar auch im französischen Recht zunächst keine Regelung darüber, was bei Untätigkeit der Parteien zu geschehen habe, aber dort hatte der Beklagte eher die Möglichkeit, die Sache bei Untätigkeit des Klägers von sich aus zur Verhandlung zu bringen, da ihm eine qualifiziertere Klageschrift vorlag.

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sidenten konnte dem Beklagten keinen Schutz gewähren. Sie war nur formal an die Stelle des Admissionsurteils getreten, beinhaltete aber keine vorgezogene Zulässigkeitsprüfung. Diesen Mangel nahm der lustizrninister Mühler 1840 zum Anlaß, eine Neuregelung des Kassationsverfahrens zu initiieren368 . Obwohl im Ministerium bereits erste Entwürfe einer gesetzlichen Regelung ausgearbeitet worden waren, legte er die Angelegenheit unter ausführlicher Darstellung seiner Reformziele dem RKH vor, der sich gutachtlich äußern und eine eigene Entwurfsfassung liefern sollte369 . Auf der Grundlage der vom Gericht eingereichten Materialien erstellten die Beamten des lustizrninisteriums dann einen endgültigen Gesetzentwurf370 . Dieser wurde sowohl vom Staatsrat als auch innerhalb des rheinischen Provinziallandtages gebilligt und schließlich am 13. Oktober 1843 als "Gesetz, das Kassationsverfahren in Zivilsachen bei dem Rheinischen Revisions- und Kassationshof betreffend,,371 er368 Schon Eichhorn hatte in seinem Bericht vom Dezember 1839 Vorschläge für eine diesen Mängeln abhelfende Regelung gemacht; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 2. In Mühlers Ministerium wurden diese Anregungen aufgenommen und durch den Justizrat Moeller in einen ersten Gesetzentwurf umgearbeitet; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 14 f. Dieselbe Akte gibt auch Auskunft über den weiteren Gang der Angelegenheit innerhalb des Justizministeriums. Dort findet sich u. a. ein Gutachten, in dem Jähnigen, der zu dieser Zeit sowohl Mitglied des RKH als auch Mitarbeiter des Justizministers war, in letzterer Eigenschaft zu dem Entwurf Moellers Stellung nimmt; a. a. O. fo!. 16 ff. 369 Mit Schreiben vom 13. 2. 1840; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 20 ff. (Entwurf; das Original findet sich in den Akten des RKH; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen). Den im Justizministerium bereits angefertigten Gesetzentwurf legte er allerdings noch nicht bei. Die Mitglieder des RKH konnten sich nicht in allen Punkten über den Inhalt der neuen Regelung einigen, und so legten sie dem Ministerium zwei Entwürfe vor. Der erste stammte von Oppen, der zuerst als Referent in dieser Angelegenheit ernannt worden war. Der von ihm vorgelegte Entwurf war dann von Jähnigen, Graun und Heffter noch einmal ausführlich begutachtet worden. Hintergrund dieses umständlichen Verfahrens war, daß man sich in der beratenden Sitzung des Kollegiums nicht auf Oppens Vorschläge hatte einigen können. Meinungsverschiedenheiten entzündeten sich vor allem an der Frage der Beibehaltung der Präsidialordonnanz und der Zulassung einer zweiten Denkschrift des Klägers; vg!. die in GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen. zusanunengestellten Gutachten und das Protokoll der Ratskanunersitzung vom 5. 6. 1840. Die beiden Gesetzentwürfe des RKH finden sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo1. 33 ff. Erst im Justizministerium wurden die beiden Entwürfe zu einem einheitlichen Entwurf umgearbeitet; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 39 ff. 370 Der Entwurf wurde ergänzt durch einen Bericht "betreffend den Erlaß gesetzlicher Bestimmungen über das Verfahren bei dem Rheinischen Revisions- und Kassationshofe". Beide in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 97 ff. (Ausschnitt aus einer Staatsratsdrucksache). Der Bericht Mühlers ist vom 10. 2. 1841 datiert. 371 Gesetzsanunlung 1843, S. 334 ff., Nr. 2384; s.a. GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 93 f. (Ausschnitt aus der Gesetzsarnrnlung); zu diesem Gesetz auch Rep 77 Tit 119, Nr. 8. Mühler hatte wohl urspriinglich angeregt, der Neuregelung nur die Form einer Kabinettsorder zu geben, die gestützt auf ein abgekürztes Beratungsverfahren ergehen konnte. Auf einen königlichen Befehl hin war dann aber "der gewöhnliche Weg durch den Staatsrath", mithin das ordentliche Gesetzgebungsverfahren der damaligen Zeit, angeordnet worden. Dies geht aus dem entsprechenden Gutachten der Justizabteilung des Staatsrates vom 17. 6. 1841 hervor; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fo!. 100 f. Allgemein zur Gesetzgebung im 19. Jahrhun-

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lassen. Einziger Regelungsgehalt war die Beschleunigung des zivilrechtlichen Verfahrens. Umfassendere Neuregelungen, wie sie von einigen Anwälten des RKH vorgeschlagen worden waren 372 , fanden keinen Eingang in das Gesetz 373 . Um dem Beklagten eine wirkungsvolle Verteidigung zu ermöglichen, wurden die inhaltlichen Anforderungen an die Klageschrift erhöht. Die bloße Angabe der angeblich verletzten Gesetze sollte in Zukunft nicht mehr ausreichen. Vielmehr mußten die einzelnen Kassationsmittel klar benannt und bei jedem der konkrete Bezug zu dem angegriffenen Urteil hergestellt werden. Der Kläger mußte also bei jedem Kassationsmittel unter Hinweis auf die in der Vorinstanz vorgekommenen Tatsachen anführen, worin die Gesetzesverletzung zu sehen sei (§ 1 des Gesetzes)374. Um auf Klägerseite einer Trennung zwischen Einlegung des Rekurses und seiner Rechtfertigung entgegenzuwirken, wurde jeder Partei nur noch eine Denkschrift zugestanden (§§ 2, 5)375. In der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger die Kassationsgründe näher ausführen und verteidigen. Die Einführung neuer Kassationsgründe in der Verhandlung wurde ihm in Übereinstimmung mit dem bisherigen Recht aber verwehrt (§ 6). Mit Rücksicht auf die erhöhten Anforderungen an das Kassationsgesuch wurde die Einlegungsfrist von bisher drei auf vier Monate nach Zustellung des angegrifdert und insbesondere zur Vielfalt der für gesetzliche Anordnungen verwandten Begriffe Wilhelm Ebel: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, 2. Aufl., Göttingen 1958, S. 79 ff. 372 Zu diesen Vorschlägen siehe schon Kapitel D H 2.a) cc). Oppen hatte vor Anfertigung seines Gutachtens eine Stellungnahme der Anwälte angeregt. Diese hatten dann einen sehr ausführlichen Entwurf zur Beschleunigung des Verfahrens und zugleich in einem Anhang noch einige Vorschriften zur näheren Bestimmung der Kompetenzen des RKH vorgelegt; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen., dort v.a. der Berichts Sandts vom 17.3. 1840. 373 Schon der RKH hatte sich den Vorschlägen der Anwälte nicht angeschlossen. Auf eine noch striktere Begrenzung des Regelungsumfangs war dann innerhalb des Iustizministeriums gedrungen worden; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 44 f. 374 Diese Vorschrift ging zwar auf die Vorschläge des RKH zurück, versuchte sie aber präziser zu fassen. Der Gerichtshof hatte nämlich in beiden Entwürfen gefordert, der Kläger solle die Kassationsgründe "entwickeln", ohne diese Anforderung näher zu erläutern. Kritisch zu dieser schwammigen Formulierung äußerte sich v.a. Ruppenthal, der als Direktor der rheinischen Abteilung des Iustizministeriums eines der Gutachten zu den Entwürfe des Gerichts angefertigt hatte, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 44 f. Aber auch die endgültige Formulierung des § I wird von Ruppenthal zu Recht als undeutlich kritisiert; GStA PK Rep 84 H, Tit. 2, R, Nr. 9, fol. 46. 375 Gerade die Zahl der möglichen Klägerdenkschriften war einer der Streitpunkte innerhalb der Beratungen des RKH gewesen. Ein Teil der Richter hatte sich dafür ausgesprochen, dem Kläger eine Nachfrist von einem Monat zur näheren Begründung seines Gesuchs zu gewähren. Demgegenüber hatten sich die anderen Richter schon für die Beschränkung auf je eine Schrift ausgesprochen, zum einen mit Hinweis auf den schleunigen Postlauf, zum anderen darauf, daß der Kläger sich eine Verzögerung auf seiten seiner Anwälte anrechnen lassen müsse und man nur so erneuter Mißbrauchsgefahr vorbeugen könne; zur Diskussion innerhalb des Kollegiums GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 28 ff. Der letztgenannten Argumentation ist man dann innerhalb des Iustizministeriums bei der Aufstellung des Gesetzentwurfs gefolgt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.), Nr. 8382, fol. 39 ff.

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fenen Urteils erhöhe 76 • Im Zusammenhang mit den Fristen wurde in einem Nebensatz auch die Präsidialordonnanz, also die Verfahrenseinleitung über den Gerichtshof zum erstenmal gesetzlich festgeschrieben. Damit wurde eine Praxis des RKH gebilligt, die im Vorfeld dieses Gesetzes auch innerhalb des Richterkollegiums noch einmal heftig diskutiert worden war377 • Ein den Anforderungen des § 1 des Gesetzes nicht entsprechendes Kassationsgesuch konnte der Gerichtshof auf Antrag des Beklagten als unannehmbar verwerfen (§ 2). Der Beklagte erhielt also die Möglichkeit, nach Zustellung der Klage, aber noch vor der eigentlichen Verhandlung, eine Art Zulässigkeitspriifung in Gang zu setzen. Eine vom Antrag des Beklagten unabhängige und gänzlich vorgezogene Zulässigkeitspriifung nach dem Vorbild des französischen Admissionsverfahrens war im Vorfeld vom RKH 378 angeregt worden. Sie findet sich auch in sehr viel konreterer Form in Gutachten, die Ruppenthal als Vertreter der Kölner Justiz 379 und Savigny als Gutachter des Staatsrates 380 abgegegben hatten. Im Justizministerium setzte sich das gesonderte Zulassungsverfahren aber nicht durch 381 . 376 Andererseits wurde aber die Frist zur Weiterleitung an den Beklagten um einen Monat auf jetzt zwei Monate herabgesetzt (§§ 1 und § 3). Die Verteidigungsfrist wurde einheitlich auf drei Monate begrenzt (§ 4). Zuvor hatte hier entsprechend dem französischen Verfahren eine nach Entfernung zum Kassationsgericht gestaffelte Regelung gegolten; vgl. A.C. Guichard: Instruction, S. 14. 371 Während ihre Befürworter sich auf die auf das Koblenzer Verfahren zurückgehenden Wurzeln dieses Institutes und seine Aufnahme in den Entwurf der IJK von 1818 beriefen und sie als eine sinnvolle Untergliederung des Einleitungsverfahrens verteidigten, erschien sie ihren Gegnern als eine unnütze und zeitraubende, den gesetzlichen Anordnungen, d. h. in diesem Falle den Generalgouvernementsverordnungen, zuwiderlaufende Formalität (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 28 ff.). Im Justizministerium bestritt man die Berechtigung dieser Vorwürfe nicht, entschloß sich aber die Ordonnanz wegen ihre verfahrensgliedernden Wirkung beizubehalten; siehe das Gutachten Moellers zu den Entwürfen des RKH; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 39 ff. 378 § 2 des ersten Entwurfs des RKH sah vor, ein den Begründungsanforderungen nicht entsprechendes Gesuch für unzulässig zu erklären; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 33 und § 1 des zweiten Entwurfes drohte pauschal mit der Strafe der Unannehmbarkeit; ebd. fol. 36. Beide Entwürfe krankten aber daran, daß sie keine näheren Anordnungen über die Ausgestaltung dieser Zulässigkeitsprüfung trafen. 379 In seinem Gutachten vom 1. 1. 1841 zu den Entwürfen des RKH nahm er sehr viel präziser als der Gerichtshof Bezug zum französischen Admissionsverfahren, das er für die Prüfung der Begründungsanforderungen übernehmen wollte; GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 8382, fol. 44 f. 380 Savigny war in dieser Sache Referent der Justizabteilung des Staatsrates; Gutachten vom 6. 5. 1841 GStA PK Rep 80 I Nr. 159 a, fol.8 ff. Zusammenfassung dieses Gutachtens bei Wolfgang van Hall: Savigny als Praktiker. Die Staatsratsgutachten (1817 - 1842), Bremerhaven 1981, S. 229 f. Gutachten der Justizabteilung vom 17.6. 1841; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 100 f. (Durckschrift). Auszug aus dem Protokoll der beratenden Staatsratssitzung vom 6.11. 1841; GStA PK Rep 84 a (2.5.1) Nr. 8382, fol. 64 ff. Sowohl Savigny als auch später der Staatsrat als ganzes wichen allerdings in der Frage der Modalitäten einer Verwerfung des Kassationsgesuchs wegen unzureichender Begründung vom Entwurf des Ministeriums ab. Wahrend das Ministerium eine Verwerfung des Gesuchs wegen Unzulässigkeit

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Nach Eingang der Verteidigungs schrift des Beklagten, konnte jede der Parteien die Sache zur Verhandlung befördern (§ 5)382. Dies hatte auch schon für das bisherige Verfahren gegolten und dort zur Verzögerung beigetragen. Die Tatsache, daß diese Vorschrift dennoch in das Gesetz aufgenommen wurde, ist mit Vorgängen während der Entwurfsarbeiten zu erklären. Da gerade der "Parteibetrieb" eine der Vorschriften des bisherigen Kassationsrechts war, der man die Verzögerungen im Verfahrensablauf zuschrieb, hatte das lustizrninisterium angeregt, dem Gerichtshof die Möglichkeit zu geben, die Sache von Amts wegen zur Verhandlung zu befördern, um der Gefahr einer Verschleppung des Verfahrens zwischen Schriftsatzwechsel und Verhandlung zu begegnen 383 . Dieser Vorschlag ging dahin, den Parteien über die für den Schriftsatzwechsel vorgesehenen Fristen hinaus noch eine vierzehntägige Frist vorzuschreiben, innerhalb derer sie alle für die Verhandlung erforderlichen Unterlagen auf der Kanzlei des Gerichtshofes niederlegen sollten. Im Anschluß daran sollte die Sache dann durch den Referenten und den Generalprokurator bearbeitet und nach Beendigung dieser Vorbereitung von Amts wegen zur Verhandlung gebracht werden.

nur auf Antrag des Beklagten zulassen wollte, lehnten Savigny und die Mehrheit des Staatsrates dies ab. Savignys Vorschlag ging dahin, die vorgezogene Zulässigkeitsprüfung von der Anordnung des Präsidenten abhängig zu machen, während der Staatsrat später eine zweite Denkschrift des Klägers zulassen wollte. Im Gegensatz dazu hatte sich die lustizabteilung des Staatsrates dem Vorschlag des Ministeriums angeschlossen und dem Gesetzentwurf inhaltlich - mit einigen formalen Änderungen - zugestimmt. Zur Beratung dieses Gesetzes im Rheinischen Provinziallandtag s. die Protokolle der Verhandlungen des vierten Landtags 1843, abgedruckt bei W. Schuhert: Die preußischen Provinziallandtage von 1841, 1843 und 1845, Abt. 1: Die Provinziallandtage der Rheinprovinz von 1841, 1843 und 1845, Bde. 1-6, Vaduz 1990, Bd. 4, S. 142 f. Der Gesetzentwurf und die Motive die dem Landtag vorgelegt wurden ebd. Bd. 3, S. 249 ff. 381 Aus den Materialien des lustizministeriums ergibt sich, daß eine mangelhafte Begründung des Gesuchs als Formmangel aufgefaßt wurde, der nicht von Amts wegen ("ex officio"), sondern nur auf Antrag sanktioniert werden sollte. Für den Fall, daß der Beklagte aber verhandeln wolle, sah man kein staatliches Interesse für eine Verwerfung gegeben; vgl. das Gutachten Moellers zu den Entwürfen des RKH; GStA PK Rep 84 a (2.5.1) Nr. 8382, fol. 39 ff.; ferner den Bericht des lustizministers zur Vorlage des Gesetzentwurfes an den Staatsrat ebd. fol. 98. 382 War innerhalb der gesetzlichen Frist keine Verteidigungsschrift eingegangen, so konnte der Kläger die Sache von sich aus zur Verhandlung bringen. § 8 eröffnete dem Beklagten dann allerdings die Möglichkeit, eine Verteidigungsschrift nachzureichen. Diese Möglichkeit bestand solange, bis ein Referent zum Vortrag der Sache in der Verhandlung ernannt war. Versäumte der Beklagte auch diese Frist, konnte der Kläger ein Versäumnisurteil beantragen. Das Rechtsbehelfsverfahren, das dem Beklagten gegen das Versäumnisurteil offenstand, wurde in §§ 9 - 11 geregelt, basierte aber weitgehend auf den Vorschriften des geltenden Rechts. 383 Der erste im Justizministerium von Moeller im Januar 1840 angefertigte Gesetzentwurf hatte noch die Beförderung durch die Parteien vorgesehen; § 7 dieses Entwurfes, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8382, fol. 14 f. Erst laehnigen sprach sich in seinem Gutachten zu diesem Entwurf Moellers für eine Einleitung von Amts wegen aus; ebd. fol. 17 f. Er nahm damit einen Vorschlag auf, den Eichhorn Ende 1839 in seinem Bericht an das lustizministerium gemacht hatte, ebd. fol. I ff.

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Dieser Versuch, den Parteien die (alleinige) Initiative zur Verhandlungseinleitung zu entziehen, scheiterte. Er wurde von den Richtern als Angriff auf die Verhandlungs maxi me des geltenden Verfahrensrechts und als tiefgehender Eingriff in das gesamte System der rheinisch-französischen Prozeßgrundsätze bewertee 84 . Sowohl in ihren Einzelgutachten als auch in der abschließenden Stellungnahme an den Justizminister lehnten sie eine derartige Vorschrift entschieden ab385 und schrieben statt dessen die Einleitung auf Antrag der Parteien fest. Scheinbar ohne die Einleitung von Amts wegen noch einmal aufzugreifen, nahm das Justizministerium diese Vorgabe des RKH in den abschließenden Gesetzentwurf auf. Damit war es dem Gerichtshof gelungen, einen Einbruch der Verhandlungsmaxime zu verhindern und den Parteibetrieb ausdrücklich im neuen Gesetz zu verankern. Das Gesetz von 1843 setzte die Tendenz der vorangegangenen Reformen fort: obwohl der gesamte Komplex der Verfahrenseinleitung neu strukturiert wurde, blieben tiefere Einschnitte in die Grundlagen des rheinischen Kassationsverfahrens aus. Die Veränderungen gingen auch diesmal nicht über den Rahmen dessen hinaus, worauf man sich bereits 1819 hätte einigen können. Sowohl die Pflicht zur sorgfältigen Begriindung als auch die Beschränkung auf nur einen Schriftsatz für jede Partei und die Übernahme der Präsidialordonnanz finden sich im Entwurf der HK von 1818 386 . Maßgebliche Bedeutung für das Zustandekommen der Verfahrensänderung kam wiederum dem Gerichtshof zu. Allerdings wurde er nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung, sondern im Rahmen eines förmlichen Gesetzgebungsverfahrens tätig. Hinsichtlich des Regelungsumfanges ergeben sich ebenfalls deutliche Parallelen zu den vorangegangenen Arbeiten, insbesondere zur Regelung der Kabinettsorder vom 8. Juli 1834. Auch hier ging es nicht um die Umsetzung der Gesetzgebungspläne von 1818/19 in ihrem urspriinglichen Umfang, sondern um die Beseitigung aktuell aufgetretener Probleme mittels einer ergänzenden gesetzlichen Regelung. In allen übrigen Bereichen bildeten weiterhin das französische Kassationsrecht mit seinen in die Zeit des Ancien Regime hineinreichenden Wurzeln und die 1814 eingeführten Modifikationen die Grundlagen des Verfahrens vor dem RKH.

384 Die Erörterungen dieses Punktes im lustizministerium geben keinen Hinweis darauf, daß es sich tatsächlich um einen gezielten Schlag gegen die Verhandlungsmaxime handelte. 385 Siehe hier v.a. die Gutachten Oppens und Grauns; GStA PK Rep 97 B I 97 A 2 b gen. Einzig laehnigen, der diese Initiative schon innerhalb des lustizministeriums in Gang gesetzt hatte, sprach sich auch in seinem Gutachten für den RKH für diese Form der Verfahrenseinleitung aus; GStA PK Rep 97 B I A 2 b gen. Im Abschlußbericht des RKH finden sich jedoch keine Hinweise auf eine Meinungsverschiedenheit der Richter in diesem Punkt. Die Aufrechterhaltung der Verhandlungsmaxime wird als Forderung des Gerichtshofes dargestellt, so daß sich wohl zumindest die überwiegende Zahl der Richter gegen laehnigen aussprach. 386 § 27 und § 42 des HK-Entwurfs.

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3. Das Kassationsverfahren als Gegenstand der Verhandlungen des rheinischen Provinziallandtages Die Kabinettsorder vorn 8. Juli 1834 und das Gesetz von 1843 blieben die einzigen greifbaren Resultate der 1818 aufgenommenen gesetzgeberischen Bemühungen um eine rheinische Revisionsordnung. Die Forderung nach einer Rekonstruktion des französischen Kassationsrechts verstummte jedoch nie gänzlich. Mit großer Vehemenz wurde sie vor allem innerhalb des rheinischen Provinziallandtages 387 erhoben, verbunden mit der Forderung, den RKH in die Rheinprovinz zu verlegen 388 . Obwohl der Landtag diese Forderungen nie in seine abschließenden Petitionen an den König aufgenommen hat, sollen sie hier untersucht werden. Sowohl die Beratungen als auch die Entscheidung gegen eine Aufnahme in die Petitionen lassen erkennen, welche Bedeutung die rheinische Politik dem Revisionsund Kassationshof zumaß. a) Die Landtage von 1833, 1841 und 1843

1833 wurde der Antrag auf Wiederherstellung der französischen Kassation und Verlegung des RKH vorn Abgeordneten der Stadt Trier und 1841 von den Vertretern der Städte Elberfeld, Koblenz, Düsseldorf und wiederum Trier389 gestellt, je387 Umfassend zur Verfassung und politischem Wirken des rheinischen Provinziallandtags noch immer G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag; die Verhandlungen des sechsten, siebten und achten Landtags bei W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage von 1841, 1843 und 1845, Bd. 1, S. XVIII ff. (dort speziell zur Geschäftsordnung des Landtages, Bd. 1, S. XXI f., XXXI ff.), zu den Anfangen des rheinischen Provinziallandtages Joachim Stephan: Der Rheinische Provinziallandtag 1826-1840. Eine Studie zur Repräsentation im frühen Vormärz, Köln 1991. Zur Entstehung, Funktion und Organisation der preußischen Provinziallandtage insgesamt Herbert Obenaus: Anfange des Parlamentarismus in Preußen bis 1848, Düsse1dorf 1984. Zur Haltung des Landtags in Fragen des rheinischen Rechts siehe G. Croon, a. a. 0 ., S. 151 ff.; W Schubert: Der Rheinische Provinziallandtag und der Kampf um die Beibehaltung des rheinisch-französischen Rechts (1826-1845), in: Reiner Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 123 ff. Die Originale der Protokolle des Landtages befinden sich im Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland (Archivberatungsstelle Rheinland) Abtei Brauweiler, Pulheim, (im folgenden abgekürzt ALVR). 388 Ein weiteres Beispiel findet sich in einer von Düsseldorfer Bürgern an den Stadtrat eingereichten Petition wegen anderweitiger Einrichtung der Gerichtsorganisation in den Rheinlanden, insbesondere der Einrichtung eines AGH-Senats in Düsseldorf; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 1047, fol. 88. Ein gedrucktes Exemplar dieser Petition findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 1047, fol. 88. 389 Es handelte sich um den Kommerzienrat August von der Heydt (Elberfeld); den Stadtrat Hermann Joseph Dietz (Koblenz), den Rentner Philipp Schöller (Düsseldorf) und den Kommerzienrat Georg Friedrich von Nell (Trier); vgl. das den Sitzungsprotokollen des sechsten rheinischen Provinziallandtags vorangestellte "Verzeichniß der zum sechsten Rheinischen Provizial-Landtage anwesenden Deputierten", abgedruckt bei W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 1.

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weils im Zusammenhang mit Anträgen auf Errichtung eines zweiten Appellationsgerichtshofes 39o . 1843 dagegen war die Verlegung nicht Gegenstand eines gesonderten Antrages an den Landtag, sondern wurde im Zusammenhang mit den Beratungen des Gesetzes zur Beschleunigung des Kassationsverfahrens aufgebracht 391 . Trotz unterschiedlicher Gewichtung 392 stimmten die Anträge von 1833 und 1841 in ihren wesentlichen Argumenten überein. Aus einer Kritik des bisherigen Verfahrens entwickelten sie die Forderung nach Wiederherstellung des Kassationshofes im französisch-rechtlichen Sinne. Der Trierer Oberbürgermeister Georg Wilhelm Nicolaus Haw 393 begründete seinen Antrag auf dem Landtag von 1833394 390 Anlaß dieser Anträge war eine schon gegen Ende der zwanziger Jahre deutlich werdende Zunahme der Prozeßdauer am AGH. Die für den Regelfall gesetzlich vorgeschriebene Abarbeitung innerhalb von drei Monaten war zum Ausnahmefall geworden. 1841 führte der Antrag des Abgeordneten von der Heydt eine sechsmonatige Prozeßdauer für den ersten und 15 bzw.18 Monate für den zweiten und dritten Senat an; Schriftfassung des Antrags vom 7. 6. 1841 ALVR Nr. 521 (unfoliiert). Obwohl die Zahl der neu angebrachten Prozesse nicht wesentlich angestiegen war, blieben die einzelnen Sachen immer länger anhängig, ausweislich der im RhA veröffentlichten Tabellen der verhandelten Zivilprozesse hatten sich erhebliche Rückstände angesammelt; siehe bspw. die Geschäftstabellen des AGH für 1832/33 bis 1835 / 36 jeweils auf den letzten Seiten des RhA Bde 19, 21, 24, 26. Auch die Errichtung des dritten Zivilsenates 1831 hatte nicht die erhoffte Erleichterung gebracht. Als Grund für diese Verzögerung führten die Anträge der Abgeordneten die Größe des Gerichtssprengels an. Dem trat zumindest 1841 der Generalprokurator des AGH in einer Stellungnahme für den Landtag entgegen, in dem er Krankheitsfälle und mangelnde Besetzung als maßgebliche Ursachen anführte und sich gegen eine Teilung des Gerichts aussprach. Die Errichtung eines zweiten AGH oder eine Teilung des Kölner Gerichts und die Errichtung eines Zivilsenats in Düsseldorf war nicht nur 1833 Gegenstand der Landtagsverhandlungen, sondern wurde auch auf den folgenden Landtagen immer wieder aufgenommen. Zu diesen Anträgen G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 164. Allgemein zur Entwicklung zivilrechtlicher, insbesondere vermögensrechtlicher Streitigkeiten im Rheinland in den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. Christian Wollschläger: Zivilprozeßstatistik und Wirtschaftswachstum im Rheinland von 1822 bis 1915, in: Klaus Luig/Detlef Liebs (Hrsg.): Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition, Ebelsbach am Main 1980, S. 371 ff. 391 Die Verlegung des RKH war hier nur als eine "fernere Bitte" an den Bericht des Ausschusses angeschlossen, dem die Begutachtung des Gesetzes zur Beschleunigung des Zivilverfahrens vor dem RKH übertragen war; Bericht des ersten Ausschusses vom 7. 6. 1843; ALVR Nr. 553 ( nicht foliiert). Erst in der Landtagsdebatte über den Ausschußbericht wurde wieder der Bezug zur Rekonstruktion des französischen Kassationsverfahrens hergestellt; Protokoll der 23. Sitzung des Landtages vom 21. 6. 1843; abgedruckt bei W. Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, S. 142 f. der Protokolle. 392 Im Antrag des Elberfelder Abgeordneten von 1841 traten die auf den Kassationshof bezogenen Forderungen gegenüber der Forderung nach einem zweiten Appellationshof zurück. In einer späteren Stellungnahme zu seinem Antrag nahm er die Verlegungsforderung sogar weitgehend zurück. So berichtigte er in der Landtagssitzung vom 11. 6. 1841, die ihm zugeschriebene Forderung nach einer Verlegung des RKH in die Rheinprovinz dahin, daß er diese nicht gefordert habe, sondern, im Falle einer entsprechenden Anordnung, Köln als Sitz des Gerichts vorgeschlagen haben würde; ALVR Nr. 280, fol. 72. 393 Im Landtag war Haw einer der führenden Vertreter des Liberalismus; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 45; H. Monz: Karl Marx und Trier. Verhältnisse - Beziehungen - Einflüsse, Trier 1964, S. 109 ff.

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damit, daß es "ein dringendes Bedürfnis [sei], daß das Rheinische Revisionsgericht als Cassationshof so gestellt werde, wie es der Zweck seiner Institution erheischt,,395. 1841 ging der Antrag des Abgeordneten der Stadt Elberfeld, des Bankiers von der Heydt, ebenfalls dahin, den RKH wieder "in die dem Geist unserer Gesetzgebung entsprechende Stellung,,396 zurückzuführen. Als unabdingbare Voraussetzungen einer Rekonstruktion des Kassationsverfahrens sah man die vollständige Beseitigung der Sachentscheidungsbefugnis und eine Verlegung des Gerichtshofes in die Rheinprovinz an. Gerade die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts wurde von seiten der Antragsteller als eine dem rheinischen Recht fremde Einrichtung und als "offenbarer Mißgriff.397 abgelehnt. Im Antrag Haws von 1833 hieß es: "Nach dem Geiste der Bestimmungen des Gesetzes, welches der Errichtung des Cassationshofes zum Grunde liegt ist dieses Ober-Gericht bloß mit der Handhabung der gesetzmäßigen Verwaltung der Justiz befaßt, und es ist ein großer Uebelstand, daß der bestehende Revisionshof, diesem Prinzip zuwider, wenn er [ ... ] die Cassation erkannt hat, an die Stelle des regulierenden Gerichts selbst trete und Recht spreche,,398. 1841 verglich der Koblenzer Abgeordnete, der Landrat Dietz, den RKH und das rheinische Recht in Berlin mit einer in fremden Klima verkümmernden Pflanze. Erst bei einer Rückführung in die Rheinprovinz könnten von dieser Pflanze "wahrhaft gute und dauernde Fürchte für die rheinischen Institutionen" erwartet werden und zwar um so mehr, wenn dieses Institut auf seine ursprüngliche Bestimmung zurückgeführt werde, wenn nämlich "der Cassations-Hof, nur Cassations- nicht aber auch Revisions-Hof sei,,399. Thematisch entfernte die Debatte sich damit von den Gesetzgebungsbemühungen der Jahre 1818/19, die mit Ausnahme der Gutachten des RKH die Sachentscheidungsbefugnis nie ernsthaft in Frage gestellt hatten und die zwar eine neue Verfahrensordnung zum Ziel gehabt hatten, keinesfalls aber eine Rekonstruktion des französischen Verfahrens. Im Zusammenhang mit den Forderungen nach Wiederherstellung der französischen Kassation, Verlegung des RKH und Errichtung eines zweiten Appellationsgerichts erlangten diejenigen Urteile des Kölner Appellationsgerichtshofes politische Bedeutung, die 1833 zum "Rechts stillstand" zwischen Appellationshof und RKH geführt hatten; also die Entscheidungen, in denen der Appellationshof sich 394 Schriftfassung des Antrags des Abgeordneten Haw vom 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521 (nicht foliiert). Haw stellte diesen Antrag in der Landtagssitzung vom 4. 12. 1833, dazu ALVR Nr. 272, fol. 189 ff. 395 Zitiert nach dem Antrag Haw vom 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521. 396 Zitiert nach der Schriftfassung des Antrags von der Heydts vom 7. 6. 1841; ALVR Nr.521. 397 Antrag Haws vom 28.11. 1833; ALVR Nr. 521. 398 Zitiert nach der Schriftfassung des Antrags Haws vom 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521. Haw stellte diesen Antrag in der Landtagssitzung vom 4. 12. 1833; Protololl dieser Sitzung in ALVR Nr. 272, fol. 189 ff. 399 Zitiert nach der Schriftfassung des Antrags Dietz' der vom 13. 6. 1841 datiert ist; ALVR Nr. 521.

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geweigert hatte, auf eine Rückverweisung des RKH erneut in der Sache zu entscheiden4°O. Haw griff nämlich 1833 den zu dieser Zeit noch schwelenden Konflikt auf, um die Notwendigkeit einer Rekonstruktion des Kassationsverfahrens und eines Ausbaus der rheinischen Justiz zu begründen. Ob hinter diesen Vorgängen ein bewußtes Zusammenspiel von rheinischer Justiz und Politik zur Erreichung eines gemeinsamen rechtspolitischen Zieles - nämlich der Stabilisierung der rheinischen Justiz - stand, wird man erst anhand eines vertieften Studiums der Akten des Provinziallandtages und - sofern vorhanden - der internen Geschäftsakten des Appellationshofes sagen können. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Weigerung des Appellationshofes, die Verweisungspraxis des RKH noch länger zu akzeptieren, und die inhaltlichen Bezugnahme der Anträge auf diese Rechtsprechung läßt eine dahingehende Vermutung zumindest plausibel erscheinen401 . Die Bedeutung, die die Anträge dem Institut der Kassation im Gefüge der rheinischen Rechtsordnung beimaßen, läßt sich anhand einer anderen Argumentation Haws verdeutlichen. Er räumte der Kassation eine Stellung ein, die aus der besonderen Situation des rheinischen Rechts als einer eigenständigen Rechtsordnung ohne weiterentwickelnden Gesetzgeber resultierte. Haw sah nämlich in der Auslegung und Entwicklung der "rheinischen Gesetzgebung" die vorrangige Aufgabe der obergerichtlichen Rechtsprechung. Diese Aufgabe bezeichnete er als "practische Doctrin,,402 und führte sie auf die Lehren Justus Mösers, eines aus Osnabriick stammenden Juristen, Staats manns und Historikers des 18. Jahrhunderts, zuriick403 . Dieser hatte eine Rechtslehre entwickelt, die den freien Richterspruch als maßgeb400 Schriftfassung des Antrags vom 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521. Haw weist ausdrücklich auf die in Band 18 des Rheinischen Archivs, erste Abteilung, S. 209 ff. abgedruckten Urteile des Kölner AGH, und damit auf die Entscheidungen hin, die zusammen mit der Entscheidung vom 1. 4. 1833 Anlaß für die Sanktionierung der Verweisungspraxis des RKH in der Kabinettsorder vom 8. 7. 1834 (Gesetzsammlung 1834, S. 89) werden sollten. 401 Dies um so mehr, wenn man sieht, daß auch 1834 die oben erwähnten Bittsteller aus Düsse1dorf wieder die nämlichen Urteile des AGH heranziehen, um ihrer Forderung nach Verlegung des RKH und der Errichtung eines zweiten AGH Nachdruck zu verleihen. An dieser Stelle wird die Sachentscheidungsbefugnis des RKH als eine den gesetzlichen Anordnungen zuwiderlaufende Befugnis bezeichnet, die sich auch in der Praxis nicht bewährt habe. Die Petition nimmt dabei ausdrücklich auf den Konflikt zwischen RKH und AGH von 1833 Bezug; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 1047, fol. 88. 402 Vgl. die Schriftfassung des Antrags Haws vom 28.11. 1833; ALVR Nr. 521. 403 Umfassend zur Staats- und Rechtslehre Mösers Jan Schröder: Justus Möser als Jurist. Zur Staats- und Rechtslehre in den Patriotischen Phantasien und in der Osnabrückischen Geschichte, (Osnabrücker rechts wissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 5), Köln, u. a. 1986. Dort S. 81 ff. auch zur Rezeption Mösers im 19. Jahrhundert und zur Einordnung als Vorläufer des Historismus und der historischen Rechtsschule. Zu letzerem s.a. Emst-Jürgen Trojan: Justus Möser, Johann Gottfried Herder und Gustav Hugo zur Grundlegung der historischen Rechtsschule, Diss. iur., Bonn 1971 und Karl H. L. Welker: Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Möser als Jurist und Staatsmann (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, Bd. 38) 2 Hlbde, Osnabrück 1996; G. Kleinheyer / J. Schröder: Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten. Eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft, 4. Aufl., Heidelberg 1996, S. 277.

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liche Rechtsquelle in den Mittelpunkt stellte und Rechtsentwicklung und -fortbildung idealiter allein oder doch fast ausschließlich dem Richterstand überlassen wollte 404 . Indem Haw an diese Lehre anknüpfte, billigte er der richterlichen Rechtsfortbildung eine Bedeutung zu, die weder dem französischen Kassationsrechts von 1790 noch dem preußischen Recht entsprach. Beide hatten vielmehr diese Art der Rechtsschöpfung zurückdrängen wollten. Durch die Rezeption der Lehre Mösers kam Haw dazu, dem rheinischen Obergericht eine gesetzgeberähnliche Funktion zuzuweisen. Da es keinen Gesetzgeber gab, der das rheinisch-französische Recht fortbildete, wäre die Rechtsprechung des RKH nach der Konzeption Haws nicht mehr eine von mehreren, sondern die einzige Rechtsquelle des rheinischen Rechts gewesen. Solle der Kassationshof diese Aufgabe effektiv wahrnehmen, müsse er "in der Mitte der Provinz seinen Sitz haben, deren Gerichte er leiten, deren Gesetze er in ihrer Anwendung und doctrinellen Entwicklung handhaben soll,,405. Abgesehen von dieser rechtstheoretischen Begründung der Verlegungsforderung stützen alle Antragsteller sich auf zwei Argumentationsmuster, die in der Auseinandersetzung um das rheinische Recht vielfach Verwendung gefunden haben: die Existenz eines eigenen "rheinischen Rechts,,406 und die Einordnung in den Kanon der rheinischen Institutionen. Die Abgeordneten bezogen sich zwar auf die Kassation nach französisch-rechtlichem Modell, stellten diese aber als Institut des rheinischen Rechts, des Rechts der Provinz oder, wie von der Heydt es formulierte, als Institution "im Geiste unserer Gesetze" dar. Hier scheint besonders deutlich die Instrumentalisierung des Begriffs des "rheinischen Rechts" aur07 : die stete Beschwörung eines "rheinischen Rechts", wo es inhaltlich um die Aufrechterhaltung oder Wiedererrichtung französisch-rechtlicher Institute ging. Den Gegnern einer Verlegung des Gerichts und einer damit einhergehenden Wiederherstellung der französisch-rechtlichen Kassation sollte mit der Berufung auf, wenn schon nicht preußisches, so doch auf das Recht einer preußischen Provinz, das Argument einer Orientierung an fremdstaatlichen Vorbildern genommen werden. 404 J. Schröder: Justus Möser als Jurist, S. 60 ff. Nach Mösers Vorstellungen sollte dies allerdings unter völlig anderen Bedingungen geschehen, als sie durch die französische Gesetzgebung des Rheinlandes geschaffen worden waren, nämlich unter Vermeidung jeder allgemeinen Gesetzgebung und unter Rückgriff allein auf eine ständisch gegliederte, nicht wissenschaftlich gebildete Richterschaft, die Standesgleichheit zwischen Richter und Parteien gewährleisten sollte. Der Staatslehre Mösers lag das Festhalten am Ständestaat zugrunde. Die Gleichberechtigung der Stände und die Gewährleistung der Freiheit des dritten Standes wollte er, abweichend von den gängigen Vorstellungen seiner Zeit, innerhalb dieses Systems erreichen und gewährleisten; J. Schröder: ebd., S. 10 ff. 405 Vgl. die Schriftfassung des Antrags Haws vom 28. 11. 1833; ALVR Nr. 521. 406 Zur Entwicklung dieses Begriffes und seiner Rolle innerhalb des Kampfes um das rheinisch-französische Recht vgl. Reiner Schulze: Französisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 29 f. 407 Dazu R. Schulze: Französisches Recht und Europäische Rechtsgeschichte im 19. Jahrhundert, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 29 f.

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In einem weiteren Schritt verbanden die Anträge die Verlegungs- und Rekonstruktionsforderung mit der Forderung nach Wahrung der Gesamtheit der rheinischen Institutionen. Der Koblenzer Abgeordnete berief sich beispielsweise 1841 zunächst auf die königliche Anerkennung eines Bestandes provinzieller Besonderheiten als Unterpfand für eine Anhänglichkeit der Provinzen an die Monarchie, um dann daraus abzuleiten, daß es auch in der Intention dieser Zusicherung liegen müsse, der Provinz alles das zu gewähren, "was zu deren Wohl und einer freien selbstständigen Entwicklung ihres Rechtszustandes erforderlich ist,,408. Daran schloß er die Forderung nach Verlegung und Rekonstruktion des Kassationsgerichtes als eine dem Wesen der rheinischen "Rechtsverfassung" entsprechende Institution an. Diesen Zusammenhang stellte auch Haw her, indem er sich auf die von allen "denkenden Männern der Rheinprovinz" gehegte Erwartung berief, der Landtag werde alles Geeignete unternehmen, um "das gedeihliche Fortbestehn der Rheinischen Justiz-Verwaltung zu fördern", und dazu gehöre eben auch die Verlegung des Revisionshofes in die Provinz. In ganz ähnlicher Weise bezeichnete auch der Antrag des Abgeordneten der Stadt Elberfeld die Errichtung eines zweiten Appellationshofes und die Verlegung des RKH als eine Möglichkeit, die rheinische Gerichtsverfassung wieder in ihrer Reinheit herzustellen 409 . Die rheinischen Abgeordneten instrumentalisierten also die Verlegungs- und Rekonstruktionsforderung als Forderung nach endgültiger Sicherung der rheinischen Institutionen. Die Anträge eröffnen in ihrer Gesamtheit einen Blick auf die Akzeptanz des Kassationsinstitutes in der rheinischen Öffentlichkeit, jedenfalls soweit man den Landtag als einen Spiegel dieser Öffentlichkeit ansehen kann. Vergleicht man diese Anträge mit den oben untersuchten Stellungnahmen rheinischer Juristen zur Frage des Instanzenzuges von 1817/184\0, fällt auf, daß die Kassation in den 30er und 40er Jahren als ein in den Rechtsanschauungen verwurzeltes Institut dargestellt und als ein Instrument zum Schutze des rheinischen Rechts begriffen wurde. Während oben festzustellen war, daß sich das Institut der Kassation in der Zeit der französischen Herrschaft nicht im Bewußtsein der Rheinländer verankert hatte, wurde es jetzt und zwar in seiner französischen Form in den Kanon der rheinischen Institutionen eingereiht411 .

408 Zitiert nach der Schriftfassung des Antrags des Abgeordneten der Stadt Koblenz vom 13.6. 1841; ALVR Nr. 521. 409 Schriftfassung dieses Antrags vom 7.6. 1841; ALVR Nr. 52!. 410 Kapitel B 11 2 a) aa). 411 Eingeschränkt wird die Vergleichbarkeit beider Aussagenkomplexe - der juristischen Gutachten von 1817/18 und der Stellungnahmen rheinischer Landtagsabgeordneter - natürlich dadurch, daß es sich bei letzteren nicht um fachjuristische, sondern um politische Stellungnahmen handelt.

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b) Die "Wünsche der Provinz" als Ursache des gesetzgeberischen Stillstands? Obwohl die Berechtigung der Verlegungsforderung im Hinblick auf die praktischen Bedürfnisse der rheinischen Justiz von den Landtagsabgeordneten nie in Zweifel gezogen wurde412 , ist keiner der Anträge angenommen und in Form einer Petition an den König gerichtet worden. 1841 wurde der Antrag auf Verlegung des RKH bereits innerhalb der Ausschußberatungen zurückgedrängt413 , 1833 und 1843 beriet noch die Gesamtheit der Abgeordneten über die Anträge, lehnte sie aber letztlich ebenfalls ab414 • Dennoch wirkten sich die Anträge der rheinischen Abgeordneten auf die Rechtspolitik der Regierung aus. Die 1833 erhoben Forderung nach einer Verlegung des RKH, führte zur endgültigen Einstellung jeglicher Arbeiten an einer umfassenden Verfahrensordnung für das Gericht. In direktem Anschluß an die Kabinettsorder vom 8. Juli 1834, also an die Sanktionerung der Verweisungspraxis des RKH, warf der König in einem Schreiben an Kamptz die Frage einer Neuregelung des rheinischen Kassationsverfahrens auf. Der Minister sollte sich dazu äußern, ob die Bekanntmachung der 1819 bereits angekündigten "Revisionsordnung" ohne Nachteil für das Rechtsverfahren in der Rheinprovinz noch länger aufgeschoben werden könne415 . Wieweit dieser Anfrage ein rechtspolitischer Wille zur Umsetzung der Gesetzgebungspläne zugrunde lag, läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen416 , jedenfalls scheint hier noch einmal eine wenn auch vage Möglichkeit zur Realisierung der Verfahrensordnung auf. 412 Vg!. das Protokoll der abschließenden Beratung des Antrages vom 16. 12. 1833; ALVR Nr. 272, fo!. 335. 413 In den Ausschußberatungen über die diesbezüglichen Anträge des Jahres 1841, wurden die Anträge von der Heydts, Dietz' und die aus den Städten Trier und Düsseldorf eingegeangenen Anträge im Zusammenhang behandelt und dabei als beinahe gleichlautend unter Voranstellung des Antrags von der Heydts zusammengefaßt. Dementsprechend wurde dann aber auch die Forderung nach einem zweiten Appellationshof in den Vordergund der Erörterungen gestellt, eine Verlegung des RKH wurde zwar noch als Antragsinhalt erwähnt, spielte aber sachlich keine Rolle mehr; ALVR Nr. 521 Bericht des vierten Ausschusses betreffend die Errichtung eines zweiten Appellhofes vom 22. 7. 1841. In seinem abschließenden Votum sprach sich der Ausschuß sogar nur dafür aus, den König um Abhilfe in "irgendeine Weise" zu bitten; Bericht des vierten Ausschusses a. E. ALVR Nr. 521. Dem schloß sich der Landtag an; ALVR Nr. 280, fo!. 1120, Sitzung vom 24.7.1841. Der Verlegungsantrag, der zumindest von Dietz noch sehr klar geäußert worden war, war also im Laufe der Beratungen 1841 völlig zurückgedrängt worden. Siehe auch von der Heydts "Klarstellung" in ALVR Nr. 280, fo!. 72. 414 Anträge an den Landtag wurden, nachdem sie im Plenum gestellt worden waren, zur näheren Beratung vom Landtagsmarschall an einen der Landtagsauschüsse verwiesen, der einen Entscheidungsvorschlag ausarbeitete. Über diesen Bericht mußte wiederum im Plenum endgültig beraten und abgestimmt werden; G. eroon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 56 ff. 415 GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 8381, fo!. 220. Diese Frage begegnet zuerst in den internen Aufzeichnungen des Zivilkabinetts und zwar in der Begutachtung des Kamptzschen Verordnungsentwurfs durch Stägemann, der auch den Entwurf für die Anfrage an Kamptz anfertigte; GStA PK Rep 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fo!. 125 f.

11. Das Projekt einer Verfahrensordnung für den Revisions- und Kassationshof

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Sie erlosch jedoch unmittelbar darauf wieder, denn der Minister, in dessen freies Ermessen die Angelegenheit gestellt worden war, sprach sich entschieden gegen eine Wiederaufnahme der ursprünglichen Pläne aus417 . Er plädierte statt dessen dafür, es bei der in der Kabinettsorder vom 8. Juli 1834 getroffenen Regelung zu belassen, sogar alle weiteren Arbeiten an der Revisionsordnung einzustellen. Als entscheidendes Argument hob Kamptz die Deutung hervor, die schon die bloße Wiederaufnahme der Arbeiten an der Revisionsordnung in den Rheinlanden erfahren würde. Unter Berufung auf seine "nähere Kenntniß der Stimmung der Rheinprovinz,,418 glaubte er als sicher annehmen zu müssen, daß der Provinziallandtag diese Gelegenheit benutzen würde, "die Verlegung des Revisions- und Kassationshofes in die Rheinprovinz von Neuem zu beantragen". Der Minister gab zu, daß dieser Forderung "Gründe der Billigkeit und der Zweckmäßigkeit zur Seite" standen. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, daß die Verlegung einer endgültigen Regulierung der Rechts- und Gerichtsverfassung der Rheinprovinz im Sinne einer Vereinheitlichung mit den altpreußischen Landesteilen im Wege stehen und den Sonderstatus der Rheinprovinz unterstreichen würde. Darüber hinaus verneinte er grundsätzlich die Notwendigkeit einer Neuregelung, da das bisherige Verfahren sich in den vielen Jahren seiner Anwendung - abgesehen von einigen "unbedeutenden" Zweifelsfragen, die "in irrigen Ansichten der Gerichtshöfe ihren Grund gehabt haben,,419 - bestens bewährt habe, so daß es keinen Grund geben könne, es erneut abzuwandeln. Diese Bedenken Kamptz' zeigten unmittelbare Wirkung. Schon am 19. August 1834 erging eine königliche Verfügung, die anordnete, daß "die Abfassung und Emanation der in der Verordnung vom 21. Juny 1819 vorbehaltenen Revisions-Ordnung auf sich beruhen bleiben" könne42o . 416 In den Aufzeichnungen des Zivilkabinetts (aStA PK Rept 89 (2.2.1.) Nr. 17258, fol. 125 ff.) sind dazu keine weiteren Anhaltspunkte zu finden. Denkbar ist auch, daß die Anfrage nur darauf abzielte, diese immer noch schwebende Angelegenheit auf irgendeine Weise zu Ende zu bringen. 417 Handschriftlicher Entwurf Karnptz' zu diesem Schreiben vom 4. 8. 1834 in aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 219. Die inhaltlich unveränderte Reinschrift dieses Entwurfs, datiert vom 6.8. 1834 ebd. fol. 221 f. 418 Dieses und die folgenden Zitate aus einer Reinschrift der Karnptzschen Stellungnahme; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 222. Die nähere Kenntnis der Stimmung in der Provinz könnte er zum einen auf seiner letzten Reise in die Rheinlande von August bis Oktober 1833 (A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 506) erworben haben, zum anderen war er als Mitglied des Staatsminsteriums sowohl über die Vorbereitung als auch über die Verhandlungen der Provinziallandtage unterrichtet. Der jeweilige Oberpräsident einer Provinz, der die Funktion eines Landtagskommissars einnahm, sandte die entsprechenden Berichte an das Staatsminsterium und den König ein; G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 52; H. Obenaus: Anfänge, S. 317. Zur Funktion des Landtagskommissars als Instrument zur indirekten Einflußnahme der Regierung auf den Landtag s. H. Obenaus, ebd. S. 311 ff.; J. Stephan: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 91 ff. 419 Das legt nahe, daß er die Probleme um die Rückverweisungspraxis des RKH, die zur Kabinettsorder vom 8. 7. 1834 geführt haben, als eine solche "unbedeutende" ZweifeIsfrage einstufte. 420 aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8381, fol. 223.

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Was den Minister zu seiner entschiedenen Reaktion veranlaßte, wird deutlich, wenn man sich die innenpolitische Lage in diesen Jahren vor Augen führt. Die französische Julirevolution von 1830 und die Ereignisse um das Hambacher Fest von 1832 hatten auch in Preußen zu einem Wiederaufleben der Reaktion geführt und eine erneute Verschärfung der Pressezensur sowie der polizeilichen Kontrolle von Unversitäten und anderen Zentren politischer Bewegung mit sich gebracht421 . In dieser Situation war nun, verursacht durch die besonders eifrige Spitzeltätigkeit eines der Zuträger Kamptz' , des Landrats Schnabel, der sogenannte "Weststaatverdacht" aufgekommen422 . Dieser besagte, daß eine Bewegung von rheinischen und westfälischen Landtagsabgeordneten eine Abspaltung beider Provinzen von der preußischen Monarchie und die Bildung eines zumindest in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht unabhängigen Generalgouvernements betreibe. Vor diesem Hintergrund war die Forderung nach einer Verlegung des rheinischen Obergerichts geeignet, der Furcht vor einer rheinischen Abspaltungsbewegung neue Nahrung zu geben. Der Verlegungsantrag von 1833 besaß aber auch über die Verbindung mit dieser in Wirklichkeit wohl nicht durchsetzungskräftigen Bewegung423 hinaus politische Sprengkraft: Er fügte sich in den zu Beginn der 30er Jahre erneut aufgeflammten Kampf um das rheinische Recht ein. Selbstverständlicher noch als 1818/ 19 mußte Berlin - allein aus politischen Gründen - Standort des RKH bleiben. Wenn man der Darstellung der Karnptz'schen Amtszeit und des Verhältnisses der Rheinländer zu ihrem Justizminister bei Stölzel424 folgt, sieht man wie schnell sich immer wieder Gerüchte um die Abschaffung des rheinischen Rechts verbreiteten und wie sich die rheinische Justiz bemühte, Äußerungen, die zugunsten eines Bestandes der 421 J. Hansen: Preußen und das Rheinland von 1815 bis 1915, S. 70; Wolfgang Hardtwig: Vormärz. Der monarchische Staat und das Bürgertum (Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart), 4. Aufl., München 1998, S. 46 ff. 422 K.-G. Faber: Rheinlande, S. 372 f.; J. Stephan: Der Rheinische Proviziallandtag, S. 98, Fn. 399 zum "Weststaatverdacht" gegen Salm-Dyk, im Zusammenhang mit dessen Verfassungsbestrebungen von 1831; dazu auch J. Hansen: Preußen und das Rheinland von 1815 bis 1915. Hundert Jahre politisches Leben am Rhein, Bonn 1918. Neudruck Köln 1990 mit Beiträgen von Everhard Kleinertz und Beate-Carola Padtberg, hrsg. von Georg Mölich, S. 70 ff.; ders.: Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830 - 1850, Bd. 1: 1830-1845, Neudruck der Ausgabe 1919, (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1), Osnabrück 1967, S. 29 ff.; zur Tatigkeit Schnabels besonders Fußnoten S. 107 ff.; Helene Nathan: Preußens Verfassung und Verwaltung im Urteile rheinischer Achtundvierziger, Bonn 1912, S. 29. 423 K.-G. Faber: Rheinlande, 373; J. Hansen: Preußen und Rheinland von 1815 bis 1915, S. 71. Tatsächlich verhielt es sich wohl so, daß zwar Gerüchte auf eine entsprechende Bewegung hindeuteten, daß diese aber in den Berichten Schnabels, entgegen anderslautenden Berichten anderer preußischer Regierungsbeamter, grundlos zu einer weitverbreiteten Abspaltungsbewegung aufgebauscht worden waren. 424 A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 486 ff. (506-510); zum Verhältnis der Rheinländer zu "ihrem" Justizminister ausführlich oben Abschnitt C III I, m. w. N.

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rheinischen Institutionen zu sprechen schienen, eine Garantiefunktion beizulegen425 . Hier wird deutlich, was genau Kamptz bei einer Wiederaufnahme der Gesetzgebungspläne zu fürchten hatte. Diese hätte als Stabilisierung des rheinischen Obergerichts und letztlich als eine weitere Garantie für den Fortbestand der rheinischen Rechtsordnung ausgelegt werden können. Offenbar hütete der Minister sich sorgfältig davor, den Rheinländern eine Möglickeit zu geben, die Verlegung ihres Obergerichts als Vollendung des Kampfes um die Bewahrung der rheinischen Institutionen zu instrumentalisieren. Dariiber hinaus hatte der Antrag Haws deutlich gemacht, daß bei einer Wiederaufnahme der Arbeiten an einer Revisionsordnung auch inhaltlich mit dem Widerspruch der Rheinländer zu rechnen war. Bisher hatten die in den Jahren 1818 folgende ausgearbeiteten Entwürfe, mit Ausnahme der Forderungen des RKH von 1819, die Modifikation des französischen Recht zu einer rheinischen Kassation beibehalten und zumindest in formaler Hinsicht auf das preußische Verfahrensrecht Rücksicht genommen. Demgegenüber hatten die Anträge an den Landtag deutlich gemacht, daß die Rheinländer eine Wiederherstellung der Kassation in ihrer ursprünglichen Form und "im Geiste ihrer Gesetze"426 fordern würden. Eine gesetzliche Kompromißlösung, wie sie die Entwürfe der Jahre 1818/19 trotz aller Annäherung an das französische Verfahren immer noch darstellten, hätte sich 1834 nicht mehr durchsetzen lassen. Schließlich hätte man die Rheinländer auf politischer Ebene - wenn auch in den Schranken des dem Landtag zustehenden Beratungsrechtes 427 - an den Gesetzgebungsarbeiten beteiligen müssen. Und der Landtag hatte, wenn er auch die Anträge im Ergebnis ablehnte, die Berechtigung der Rekonstruktions- und Verlegungsforderung aus juristisch-praktischer Sicht anerkannt428 . Dariiber hinaus hätte jeder Versuch, die Entwürfe der Jahre 1818/ 19, und nur um deren Umsetzung ging es in der Anfrage des Königs von 1834, mit großer Sicherheit im Landtag eine erneute Debatte um die Rekonstruktion des französischen Kassationsverfahrens, um Errichtung eines neuen Appellationsgerichts und um die Beibehaltung der rheinischen Institutionen in ihrem ganzen Umfang ausgelöst. Al425 Stölzel bezieht sich hier (Rechtsverfasung, Bd. 2, S. 506 f.) auf ein Schreiben Kamptz' an rheinische Iustizbehörden, in dem er 1833 aufgekommenen Gerüchten über die bevorstehende Einführung der AGO entgegentrat und ankündigte, daß die rheinische Rechts- und Gerichtsverfassung, namentlich die Friedensgerichte erhalten werden solle. Dieses Schreiben war - sehr zum Ärger des Ministers - sofort von einem rheinischen Landgerichtspräsidenten in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht worden. 426 Diese Formulierung stammt erst aus dem zeitlich späteren Antrag von der Heydts vom 7. 6. 1841 (ALVR Nr. 521), inhaltlich steckt dieser Gedanke aber auch hinter dem Antrag Haws von 1833. 427 Allgemein zu den Kompetenzen des Landtages angesichts von Gesetzgebungsvorhaben mit spezifischem Bezug zur Provinz G. eroon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 69 ff.; H. Obenaus: Anfange des Parlamentarismus, S. 189 ff. 428 Vgl. das Protokoll der abschließenden Beratung des Antrages vom 16. 12. 1833; ALVR Nr. 272, fol. 335.

20 Seynsehe

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lein die Tatsache, daß die Verfahrensordnung für den RKH Anlaß einer solchen Debatte sein konnte, war für Kamptz Grund genug, die Arbeiten an der "Revisionsordnung" endgültig zu beenden.

c) Die Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes aus Sicht der Landtagsabgeordneten Wenn über etwa zehn Jahre hin die Forderung nach einer Verlegung des RKH lebendig geblieben ist und ihre Zweckmäßigkeit für die praktische Arbeit der rheinischen Justiz nie bestritten wurde, sie sich sogar recht mühelos in den Kanon der "rheinischen Institutionen" hätte einfügen lassen, warum ist das dann nicht geschehen? Warum ist diese Forderung nicht ein einziges Mal offiziell von seiten des Landtages erhoben worden? Die Antwort auf diese Fragen erhält man, wenn man sich mit dem Abstimmungsverhalten auf den Landtagen von 1833 und 1843 befaßt, also mit den Versammlungen, bei denen das Plenum der Abgeordneten über die Verlegungsanträge zu entscheiden hatte. Die Protokolle der Landtagssitzungen lassen erkennen, daß es zwar Versuche der Gegner des rheinischen Rechts gab, das Abstimmungsergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen 429 , daß es aber letztlich die 429 So nahm der Landtagsmarschall August Fürst Wied-Neuwied, den eroon als Gegner des rheinischen Rechts oder zumindest seiner unveränderten Beibehaltung einordnet (G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 154), bereits unmitttelbar, nachdem Haw seinen Antrag in der Sitzung vom 4. Dezember 1833 vorgetragen hatte, dagegen Stellung; ALVR Nr. 272, fo1. 190 f. Des weiteren ergibt sich aus dem Protokoll der beschließenden Sitzung vom 16. Dezember 1833, daß das Gutachten des Ausschusses dem Plenum als Ablehnung des Verlegungsantrags präsentiert worden ist, während der Ausschuß tatsächlich den Antrag nur hatte auf sich beruhen lassen, nicht aber ausdrücklich ablehnen wollen. Da die Formulierung der Abstimmungsfragen zum Aufgabenbereich des Marschalls gehörte und diese Befugnis im Zusammenhang mit der mit diesem Amt verbundenen Geschäftsordnungsgewalt oftmals zur Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten ausgenutzt wurde, ist es wahrscheinlich, daß sich hinter dem Vorgehen Wieds ein Taktieren verbarg, das auf eine möglichst effektive Zurückweisung, nicht nur Vertagung des Antrags abzielte. Der Referent des Ausschusses, Freiherr von Mylius, machte in einer vom Protokollführer aber als verspätet gerügten Anmerkung auf diese Unstimmigkeit aufmerksam; Protokoll der Sitzung und die Anmerkungen Mylius' und des Protokollführers ALVR Nr. 272, fo1. 355 ff. Noch weitergehend wies der Abgeordnete Potthoff, der ebenfalls Mitglied des Ausschusses war, in derselben Landtagssitzung darauf hin, daß innerhalb des Ausschusses keinesfalls Einstimmigkeit geherrscht habe, man sich vielmehr nicht zugunsten aber auch nicht klar gegen die Vorschläge und Argumente des Referenten von Mylius habe entscheiden können und sogar erwogen habe, den Antrag ausdrücklich auf den nächsten Landtag zu vertagen; ALVR a. a. O. Umfassend zur Problematik des Marschallamtes, dem als "Verbindungsstelle" zwischen Krone und Landtag große politische Bedeutung zuzumessen ist, H. Obenaus: Anfänge, S. 327 ff., 353; W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. I, S. XXI; J. Stephan: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 97. Der Landtagsmarschall leitete als Vorsitzender des Landtages den Geschäftsgang. Nach den Geschäftsordnungsvorschriften des Gesetzes wegen Anordnung der Provinzialstände für die Rheinprovinz (abgedruckt bei W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. I, S. XXXI ff.) war er mit einer umfassenden Geschäftsordnungsgewalt ausgestattet. So stand ihm die Einrichtung und personelle Zusammensetzung der Ausschüsse,

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Anhänger der rheinischen Institutionen waren, die die Verlegungsanträge ablehnten. Die Einteilung der Abgeordneten als Gegner oder Befürworter des rheinischen Rechts läßt sich nicht an politischen Gruppen, sondern allein an der Haltung der Abgeordneten zum rheinischen Recht zu festmachen. Der Prozeß einer politischen Gruppenbildung war noch keineswegs so weit fortgeschritten, daß die Zuordnung zu einer solchen Gruppe eine bestimmte Haltung in allen herausragenden Abstimmungsfragen prädestiniert hätte43o. In groben Zügen sah die Stimmenverteilung so aus, daß der erste und zweite Stand als Gegner und der dritte und vierte Stand als Befürworter des rheinischen Rechts auftraten. Dieses Schema galt allerdings nicht ausnahmslos, denn auch unter den Vertretern der ersten Stände fanden sich prominente Verfechter der rheinischen Rechtsordnung, wie etwa der Kölner Appellationsgerichtsrat Freiherr von Mylius und der Fürst Salm_Dyk431 . Zahlenmäßig dürften insgesamt die Anhänger der rheinischen Institutionen überwogen haben 432 . Entscheindende Bedeutung für die Ablehnung der Anträge erhielt eine politische Argumentation, die auf den Schutz der rheinischen Institutionen abzielte und das rheinische Recht durch eine Verlegung des RKH in die Provinz eher gefährdet als gesichert sah. So heißt es im Protokoll der entscheidenden Landtagssitzung von 1833, daß "so wesentlich auch die von solchen Einrichtungen zu hoffenden Vortheile seien, eben so wichtige Nachtheile dadurch herbeigeführt werden könnten. Die Rheinprovinz werde dadurch ihre gewichtigsten Vertreter in Berlin verlieren, da Präsident und General-Prokurator in dem Staats Rathe sitzen. Deren Rechtsverfassung würde noch mehr als jetzt isolirt dastehen, und von ihren Gegnern433 mit größerem Erfolge direkt angegriffen oder allmählich untergraben werden köndie Festsetzung der Tagesordnung und der Reihenfolge der Beratungsgegenstände zu. Ernannt wurde der Landtagsmarschall auf Vorschlag der Oberpräsidenten vom König. 430 Anfange einer politischen Gruppenbildung innerhalb des rheinischen Landtages sind schon bei G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 66 ff. nachgewiesen. Er unterscheidet eine "gemäßigte", regierungsnahe "Partei", eine liberale Gruppierung und eine als automone oder "schroff-aristrokratische Partei" gekennzeichnete Gruppe; ihm folgend auch die Skizze der politischen Gruppierungen bei W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 1, S. XXII f. 431 Vgl. W. Schubert: Der Rheinische Provinziallandtag und der Kampf um die Beibehaltung des französisch-rheinischen Rechts. in: R. Schulze (Hg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, S. 123 ff.; G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 154 f.; Franz Rühl: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Friedrich Wilhelms III., vorzugsweise aus dem Nachlaß von F. A. von Stägemann, Bd. 3, Leipzig 1902, S. 294 f., Brief Benzenbergs an Stägemann vom 30. 12. 1826, in dem Benzenberg über den ersten Provinziallandtag und das Abstimmungsverhalten und die Mehrheitsverhältnisse zu verschiedenen Fragen des rheinischen Rechts berichtet. 432 Siehe dazu die von Benzenberg wiedergegebenen Abstimmungsergebnisse; F. Rühl: Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Friedrich Wilhelms III., Bd. 3, S. 294 f. 433 Der Ausdruck "Feinde", den der Ausschußbericht verwendete, wurde im Protokoll der entsprechenden Landtagsberatungen nachträglich in "Gegner" abgeschwächt; Protokoll der Landtagssitzung vom 16. 12. 1833; ALVR Nr. 272, fol. 356. 20'

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nen,,434. Diese Argumentation ging zurück auf ein von Mylius angefertigtes Referat für den Landtagssausschuß, das die Beratung über den Verlegungsantrag vorbereiten sollte435 . Damit stammt sie von einem Abgeordneten, der zu den exponiertesten Befürwortern des rheinischen Rechts zu zählen ist436 . Seiner Auffassung hatte sich schon der keinesfalls von den Gegnern dominierte Ausschuß, dem mit von Herwegh, Potthoff und Haw weitere prominente Befürworter des rheinischen Rechts angehörten 437 , nicht verschließen können. Innerhalb des Landtagsplenums mußte dieser Gedanke gerade 1833, angesichts der stets befürchteten Angriffe des Kamptzschen Ministeriums auf das rheinische Recht, überzeugen. In den Landtagsdebatten von 1843 438 wurde der Schutzgedanke erneut hervorgehoben, darüber hinaus wurde aber auch der Einwand vorgebracht, daß es "im Interesse des öffentlichen und mündlichen Verfahrens liegen dürfte, daß in dem Kassationshofe auch in Berlin die Vortheile des Rheinischen Verfahrens desto klarer zur Anschauung gebracht und gewürdigt werden möchten,,439. Die Abgeordneten sahen also den RKH als ein Instrument zur Demonstration der Vorteile des rheinischen Verfahrensrechts in Berlin. Diese Demonstration sollte "im Interesse des öffentlichen und mündlichen Verfahrens" liegen, also seine Aufnahme in das preußischen Prozeßrecht fördern. Die Abgeordneten schrieben dem rheinischen Obergericht damit eine Vermittlungsfunktion für das Eindringen französisch-rechtlicher Rechtsgedanken in das preußische Recht zu. Entgegen allen juristischen und justizpraktischen Argumenten, die für eine Rekonstruktion des französischen Verfahrens und die Verlegung des Gerichtes gesprochen hätten, kristallisieren sich die dem Gericht zugeschriebene Funktion als "Wachter für die Beibehaltung der Rheinischen Gesetzgebung"440 einerseits und Bericht des Ausschusses; ALVR Nr. 272, fol. 355 f. Die zitierte Stelle dort mit fast gleichem Wortlaut; ALVR Nr. 521 (unfoliiert) Bericht des Referenten des 13. Ausschusses vom 12. 12. 1833. 436 Zur Einordnung Mylius' G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 154 ff.; W. Schubert: Der Rheinische Provinziallandtag und der Kampf um die Beibehaltung des französisch-rheinischen Rechts. In: R. Schulze (Hg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, S. 133; A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliehe Gedanke in Deutschland, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 171 f. 437 Das Referat Mylius' ist von allen Mitgliedern des Ausschusses genehmigt worden. Zur Zusammensetzung des Ausschusses siehe die Unterschriften der Mitglieder unter dem Ausschußreferat vom 12. 12. 1833; ALVR Nr. 521. Innerhalb des Ausschusses scheinen Gegner und Befürworter des rheinischen Rechts zu etwa gleichen Teilen vertreten gewesen zu sein. Als Gegner sind hier die Abgeordneten von Hatzfeld, von Spee und Spieß zu Bullesheim zu nennen; dazu G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 154. 438 Bericht des 1. Ausschusses vom 7. 6. 1843; ALVR Nr. 553 (unfoliiert) und Protokoll der Landtagssitzung vom 21. 6. 1843 abgedruckt bei W. Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 4, S. 142 f. 439 Bericht des 1. Ausschusses vom 7.6. 1843; ALVR Nr. 553. Diese Argumentation ist in der Ausschußberatung angebracht worden, in der anschließenden Landtagssitzung hat ausweislich des bei Schubert abgedruckten Protokolls wieder das Schutzargument den Ausschlag gegeben. 434 435

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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eine ihm unterstellte Vermittlungsfunktion andererseits als Argumente gegen eine Verlegung heraus. Sowohl über die Einbindung des Gerichtspersonals in die Gesetzgebungsvorgänge als auch über eine schlichte Vorbildwirkung dieses in Berlin arbeitenden rheinischen Gerichts sahen die Abgeordneten die Möglichkeit gegeben, Grundgedanken und Institute des rheinischen Rechts zu erhalten und sie in das künftige gesamtpreußische Recht zu tradieren. Diese Argumentation fand die Zustimmung der Abgeordneten, die die Verlegungsanträge mit großer Mehrheit - 1833 sogar wohl einstimmig441 - ablehnten. Die Abgeordneten erkannten die praktischen Vorteile einer Rekonstruktion der französischen Kassation und einer Verlegung des RKH an. Sie ordneten die französische Kassation als eine der "rheinischen Institutionen" ein. Und dennoch sahen sie die politische Funktion, die der Revisions- und Kassationshof in Berlin als Vertreter des rheinischen Rechts und damit auch der rechtspolitischen Interessen der Provinz einnehmen konnte, als so wichtig an, daß sie glaubten, sie erhalten zu müssen.

111. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes für die Reform des preußischen Rechts am Beispiel des obergerichtlichen Verfahrens Die Aussagen der rheinischen Abgeordneten zur Funktion des Revisions- und Kassationshofes leiten über zu der Frage nach der Bedeutung des Gerichts innerhalb des Prozesses der preußischen Gesetzrevision und nach dem Einfluß der mit dem rheinischen Recht arbeitenden Juristen auf die Entwicklung des preußischen Rechts. Es war nicht möglich, dieser Frage für alle von den Reformen der ersten Jahrhunderthälfte erfaßten Rechtsmaterien nachzugehen 442 . Um dennoch ein möglichst klares Bild von der Rolle des Gerichts im Gefüge der Gesetzrevision bieten zu können, teilt sich die folgende Untersuchung in zwei Abschnitte. In einem Überblick werden zunächst die Ebenen dargestellt, auf denen eine Vermittlung stattfinden konnte, auf denen Einflüsse des rheinisch-französischen Rechts in den 20er und 30er Jahren über das rheinische Obergericht in die preußische Gesetzgebung gelangen konnten. Zugleich wird nach Indizien für eine solche Einflußnahme 440 Fonnulierung aus dem Protokoll der Landtagssitzung vom 21. 6. 1843; W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 4, S. 143 der Protokolle. 441 Jedenfalls vennerkt das Protokoll, daß sich gegen den zu einer Ablehnung ratenden Ausschußbericht kein Widerspruch erhoben habe; ALVR Nr. 272, fol. 357. 442 Ein solches Vorhaben wäre schon an der Masse der vorhandenen Quellenmaterialien gescheitert. Die gedruckten Quellen der Gesetzrevision sind teilweise veröffentlicht bei W Schubert / J. Regge: Gesetzrevision; darüber hinaus findet sich im GStA PK, in den Beständen des Justiz- und des Gesetzrevisionsministeriums, eine große Masse ungedruckter Materialien.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

gefragt. Auf diese Weise ist es möglich, der Vermittlerfunktion des Gerichtshofes für die ganze Breite des Gesetzrevisionsprojektes nachzugehen. In einem zweiten Schritt werden dann anhand eines einzelnen Gesetzgebungsvorhabens, und zwar der Reform des preußischen Revisionsverfahrens, die Mechanismen der Vermittlung französischen Rechts genauer untersucht. Es soll danach gefragt werden, in weIcher Weise das französische Modell innerhalb der Gesetzgebungsgremien präsentiert wurde und weIche Wirkung diese Präsentation auf den Verlauf eines Gesetzgebungsvorhabens haben konnte. Die Suche nach Vermittlungslinien aus dem rheinisch-französischen Recht in die preußische Gesetzgebung - sei es über die Justizpraxis oder über die Wissenschaft - wird dadurch erschwert, daß die an der Gesetzgebung Beteiligten sich nicht selten bemühten, diese Verbindung zu verschleiern. Die Forderung nach Übernahme französischer Institutionen in den deutschen oder preußischen Prozeß wurde im Laufe der 20er und 30er Jahre in zunehmendem Maße zum Politikum. Sie fand Eingang in den Forderungskatalog der liberalen Kräfte, rief aber zugleich die ebenso politisch motivierte Abneigung der innerhalb der preußischen Regierung erstarkenden Reaktion hervor443 . Viele Gesetzesinitiativen, die inhaltlich französisches Recht aufgriffen, lassen daher das Bemühen erkennen, den Gegnern dieser Vorschläge keine Angriffsfläche zu bieten. Nur selten nannten die Reformer das französische Recht als Vorbild. Der Sache nach französische Modelle wurden auf deutsches, meist auf germanisches Recht zurückgeführt. Der ausdrückliche Bezug auf das französische Vorbild wurde in den GesetzesmateriaIien auch dann sorgsam vermieden, wenn das französische Recht in den vorangegangenen Beratungen eine bestimmende Rolle gespielt hatte. Oft zitiertes Beispiel ist die Rückführung von Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtsprechung auf altdeutsche oder germanische Wurzeln444 • Anschaulicher noch wird diese Taktik anhand einer von Schneider445 mitgeteilten Auseinandersetzung im Staatsrat: In einem Gutachten zur Unabhängigkeit der Richter hatte Sethe mehrfach den Begriff "InamovabiIität" benutzt. Er rief damit den Widerspruch Savignys hervor, der aber die Vorschläge nicht etwa inhaltlich ablehnte, sondern sich nur gegen die Verwendung des fraglichen Begriffes aussprach. Er befand: "Dieses Wort ist an sich nicht gut formiert, klingt sehr widerlich und erweckt daneben durch die stete Erinnerung an seinen französischen Ursprung keine sonderliche Gunst für den dadurch bezeichneten Begriff,446. Einer ähnlichen Argumentation begegnet man innerhalb der Gesetzre443 Zu dieser Entwicklung statt vieler K.-G. Faber: Recht und Verfassung, S. 16 ff. Zur Politisierung der Debatte um die prozeßrechtlichen Institutionen; G. Dahlmanns: Strukturwandel, S. 28 ff. 444 Vgl. nur A. Klein: Die rheinische Justiz und der rechtsstaatliche Gedanke in Deutschland, in: J. Wolffram/ A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 141; Beyme in seiner Rede zur Eröffnung des RKH am 15. 7. 1819, RhA, Bd. 1,11. S. 3; G. Croon: Der Rheinische Provinziallandtag, S. 161. 445 H. Schneider: Staatsrat, S. 176 ff. 446 Zitiert nach H. Schneider: Staatsrat, S. 177.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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vision immer wieder. Für den Nachweis des französischen Einflusses verwendet die heutige Literatur zur Gesetzrevision daher den Hinweis auf das "ungenannte Beispiel des französischen Rechts ..447 • Auch für die Frage nach der Einflußnahme der Juristen des RKH erlangt - sofern es an ausdrücklichen Bezugnahmen auf das französische Recht fehlt - dieser Hinweis auf strukturelle Ähnlichkeiten Bedeutung.

1. Die Rolle des Revisions- und Kassationshofes innerhalb des Reformprozesses Die Möglichkeit der Vermittlung französisch-rechtlicher Gedanken über das rheinische Obergericht in die preußische Gesetzgebung bestand auf mehreren Ebenen.

a) Zusammenarbeit rheinischer und altpreußischer Juristen

Am RKH arbeiteten altpreußische Juristen mit dem französischen Recht. Sie hatten ständig Kontakt zu den rheinischen, im französischen Recht geschulten Mitgliedern des Kollegiums. Die gemischte Besetzung des Gerichtshofes war in der Konzeption Beymes auf eine Vermittlung des "fremden" Rechts angelegt. Vorurteile gegen dieses Recht sollten beseitigt und eine objektive Auseinandersetzung mit seinen Grundsätzen ermöglicht werden. Diese Art der Besetzung bestand, obwohl immer weiter eingeschränkt, auch im Verlaufe der 20er und 30er Jahre fort. Einzelne altpreußische Richter448 , die Beyme schon 1819 angestellt hatte, arbeiteten noch bis in die 40er Jahre hinein am RKH. Die Beschäftigung mit dem französischen Recht hat Früchte getragen. Sie hat die Akzeptanz der französischen Institute erhöht. Zumindest für zwei der 1819 eingestellten Richter läßt sich dies exemplarisch belegen. Es handelt sich um altpreußische Juristen, deren Einstellung zum französischen Recht - oder zu einzelnen französischen Instituten - aus der Zeit vor ihrer Beschäftigung am RKH bekannt ist. Der ehemalige Oberlandesgerichtsgerichtspräsident Reibnitz hatte noch 1815 449 - gestützt auf Erfahrungen aus dem Herzogtum Warschau - die gänzliche Abschaf447

K. W Nörr: Reinhardt, S. 15, 16. Vom Vorgehen her ähnlich auch W Schubert/

J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 9, 1. Hbd., S. XVII.

448 Zur Einordnung der Juristen als Altpreußen oben Kapitel C I 2 a). Dieses Kriterium knüpft nicht ausschließlich an die Herkunft der Richter an und erfaßt auch außerhalb Preußens geborene Juristen. 449 E. W v. Reibnitz: Versuch über das Ideal einer Gerichtsordnung.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

fung der Friedensgerichte gefordert. Bereits in einer 1821 erschienenen Schrift sprach er sich jedoch entschieden für die Einführung der Friedensgerichtsbarkeit in ganz Preußen aus. Diesen Wandel erklärte er selbst mit den positiven Eindrücken, die ihm aus dem Kontakt mit der rheinischen Variante der Friedensgerichte erwachsen seien 45o . Zugleich befürwortete er auch die Übernahme weiterer französischer Institute: nämlich - ausdrücklich mit Hinweis auf seine Erfahrungen mit dem rheinischen Recht - des Familienrats, des öffentlichen Ministeriums und des öffentlichen Gerichtsverfahrens. Auch der aus heutiger Sicht bekannteste Richter, Savigny, veränderte seine Haltung zum rheinischen Recht. Noch unmittelbar vor seiner Berufung hatte er sich 1818 gegen die Beibehaltung des französischen Rechts in den Rheinlanden und für eine grundlegende Umgestaltung der rheinischen Rechtsordnung auf Grundlage des gemeinen Rechts ausgesprochen. Er hatte damals für eine Wiedereinführung des gemeinen und partikularen Rechts und für eine grundlegende Veränderung des Prozeß- und Gerichtsverfassungsrechts votiert. Dabei war er insbesondere für die Zurückdrängung der Kollegialgerichte der ersten Instanz zugunsten umfassend zuständiger Einzelrichter, für eine Abschaffung des Friedensrichteramtes und eine partielle Aufhebung der Trennung von Verwaltung und Justiz eingetreten 451 . Hätte er sich mit diesen Vorschlägen durchgesetzt, wären 1818 das materielle französische Recht, aber auch zentrale Institutionen des französischen Verfahrens- und Gerichtsverfassungsrechts außer Kraft gesetzt worden. Nachdem er die rheinische Rechtsordnung aus eigener Anschauung als Richter am RKH kennenge1ernt hatte, nahm Savigny die Vorschläge von 1818 nicht mehr auf. Vielmehr sprach er sich in Gutachten und Stellungnahmen für den Staatsrat beispielsweise zugunsten der Unabhängigkeit der Richter aus und schlug ein der Kassation ähnliches Rechtsmittel zur Aufnahme in den preußischen Prozeß vor452 . Als Gesetzrevisionsminister leitete er den endgültigen Abschied von einer vorgezogenen Revision des rheinischen Rechts ein und förderte die Übernahme wichtiger rheinischer Institutionen. Unter seiner Regie wurden Gesetzentwürfe aufgestellt, die die Aufnahme von Mündlichkeit und Öffentlichkeit in den Zivil- und Strafprozeß ebenso vorsahen wie die Ein450

S. 3.

E. W. v. Reibnitz: Ueber Friedensgerichte in der Preußischen Monarchie, Berlin 1821,

451 Gutachten zum gemeinen und partikularen Zivilrecht abgedruckt bei Ernst von Meier: Savigny, das gemeine Recht und der Preußische Staat im Jahre 1818, in: ZRG germ. Abt. 30 (1909), S. 318 ff. Prozeßrechtliches Gutachten abgedruckt bei W. Schubert: Savigny und die rheinisch-französische Gerichtsverfassung, in: ZRG germ. Abt. 95 (1978), S. 158 ff. Savignys Urteil über das französische materielle Recht beispielsweise bei J. Stern (Hrsg.) : Thibaut und Savigny, S. 104. 452 Zu Savignys Unterstützung für ein Staatsratsgutachten zur Unabhängigkeit der Richter unten Kapitel D III I c) aa); zu seinem Gutachten zur Ausschließung von Tatfragen aus der Kompetenz des Obergerichtes unten Kapitel D III 3 b) aa). Dariiber hinaus sprach sich Savigny ausgehend von Forderungen der historischen Rechtsschule in mehreren Gutachten für Abfassung, Mitteilung und Veröffentlichung obergerichtlicher Entscheidungen aus, dazu unten Kapitel D III 3 a).

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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führung der Staatsanwaltschaft453 . In seinen Voten zum Strafprozeß und der Staatsanwaltschaft nahm er ausdrücklich auf das französische Recht als Vorbild Bezug454 . Auch im Rahmen der Zivilprozeßreform zog er das rheinische Verfahren zum Vergleich heran455 . Seine Ausführungen zur Mündlichkeit des Verfahrens in einer Denkschrift zum revidierten Entwurf der Zivilprozeßordnung vom 25. Februar 1844, beziehen sich, auch wenn er eine Übernahme der "Schlußverhandlungsmündlichkeit,,456 der preußischen Verordnung über "Mandats-, summarischen und Bagatellprozeß" vom 1. Juni 1833 empfiehlt, vielfach auf das französische Recht in den Rheinprovinzen 457 . Den Gegnern eines mündlichen Gerichtsverfahrens sprach er ein fundiertes Urteil über diesen Gegenstand ab, weil sie dieses Verfahren nie aus eigener Anschauung kennen gelernt hätten: "Es soll dabei nicht verschwiegen werden, daß auch höchst achtbare Geschäftsmänner sich gegen dieses Verfahren erklärt haben. Fast immer aber wird es sich finden, daß dieselben durch ihre höhere Stellung nicht mehr in der Lage waren, selbst an dem mündlichen Verfahren unmittelbar Theil zu nehmen, so daß ihr Widerspruch einen mehr theoretischen Charakter hat, und wenigstens nicht auf eigener persönlicher Anschauung beruht,,458. Obwohl sich diese Äußerung unmittelbar nur auf das mündliche Verfahren bezieht, wie es seit der Verordnung von 1833 vor preußischen Untergerichten praktiziert wurde, kann man ihr entnehmen, welches Gewicht für Savigny die praktische Arbeit am RKH459 erlangt hatte. Er selbst hatte das mündliche Verfah453 Darstellung der Amtszeit Savignys als Gesetzrevisionsminister bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, Teil 1, S. XIX ff.; B. Dölemeyer: Deutschland, S. 1495 und A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 535 ff. Nachweise zur Rolle Savignys bei der Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens unten am Beispiel des obergerichtlichen preußischen Verfahrens Kapitel D III 3 b) ee) (1). 454 Dazu ausführlich H. Schweichel: Vom "ministere public" zur Staatsanwaltschaft, in: J. Wolfframl A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 276 ff. mit Verweis auf Otto: Die preußische Staatsanwaltschaft, Berlin 1899, S. 17 ff. 455 Bspw. in seinem Votum zum revidierten Entwurf der Zivilprozeßordnung vom 25.2. 1844, abgedruckt bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, 1. Hlbd., S. 649 ff. 456 Das meint eine durch Schriftsätze der Parteien, die bei Gericht eingereicht werden, vorbereitete mündliche Schlußverhandlung im Gegensatz zum weiteren Mündlichkeitsbegriff des französischen Verfahrens vor den Instanzgerichten, bei dem der gesamte Streitstoff erst in der Verhandlung zur Kenntnis des Gerichts gelangt; vgl. oben Kapitel D I 1 b) cc) (4) und unten Kapitel D III 3 b) ee) (1). 457 Abgedruckt bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, 1. Hlbd., S. 649 ff. (vgl. bspw. S. 655,659). Zur Verordnung vom 1. 6. 1833 unten Kapitel D III 1 c) bb) und D III 3 b) ee) (1). 458 Zitiert nach der Denkschrift Savignys vom 25. 2. 1844, abgedruckt bei W Schubert/ J.Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11, 1. Hlbd. S. 651 f.; vgl. dazu auchA. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 554. 459 Briefe Savignys über seine richterliche Tätigkeit am RKH bei A. Stoll.· Ein Bild seines Lebens; Bd. 2, u. a. S. 257, 299, 424, 443, 522. Daraus geht hervor, daß er die richterliche Tätigkeit mit großer Freude betrieben hat, eine dezidierte Stellungnahme zum französischen oder rheinischen Recht findet sich hier jedoch nicht. Zum Kontakt mit anderen Kollegiums-

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ren nämlich ebenfalls nicht vor preußischen Untergerichten kennengelernt, sondern während seiner Arbeit am Revisionshot 6o . Sein Eintreten für ein mündliches Verfahren resultierte aus der "eigenen persönlichen Anschauung", die er als Richter des rheinischen Obergerichts gewonnen hatte. Es ist zu vermuten, daß die Arbeit am RKH und der Kontakt mit den rheinischen Juristen auch bei anderen altpreußischen Juristen die Akzeptanz des französischen Rechts oder doch zentraler Institute dieses Rechts erhöht hat. Dies dürfte auch auf die Richter des Obertribunals zutreffen. Seit 1819 bestand über die Mitgliedschaft von Tribunalsrichtern im RKH, die Teilnahme rheinischer Juristen an der Bearbeitung der westfälischen Sachen und über den wechselseitigen Austausch von Hilfsarbeitern eine kaum einmal unterbrochene personelle Verbindung zwischen den beiden Obergerichten. Zumindest dürfte der Kontakt mit dem französischen Recht dazu geführt haben, daß die 1818 von Busse beschriebenen krassen Vorurteile der Tribunalsrichter gegen das fremde Recht abgebaut wurden. Da die Richter des Obertribunals ebenfalls über den Staatsrat und die Gesetzrevisionsabteilungen in die Gesetzgebungsarbeiten der ersten Jahrhunderthälfte einbezogen waren, ist anzunehmen, daß auch auf dem Weg über diese Justizpraktiker Einflüsse des französischen Rechts in die preußische Gesetzgebung gelangt sind. Leider sind aber die Gutachten und Urteilsmaterialien des Obertribunals und seine Rolle im Prozeß der Gesetzrevision bisher noch nicht wissenschaftlich bearbeitet. Eine detaillierte Analyse würde eine umfangreiche Erschließung neuen Quellenmaterials erfordern, die hier nicht zu leisten war461 •

b) Öffentlichkeit der Verhandlungen

Da der RKH das erste Gericht war, das in den altpreußischen Provinzen mündlich und öffentlich verhandelte 462 , bestand für Praktiker und interessierte Laien die mitgliedern beispielhaft sein Briefwechsel mit Meusebach; A. Stall, S. 251 ff. Zur richterlichen Tätigkeit Savignys auch F. Ebel: Savigny officialis S. 15 ff., allerdings sind die Aussagen Ebels zur Arbeitsbelastung Savignys nicht ganz zutreffend. Er stützt sich allein auf die bei Volkrnar veröffentlichten Urteile (dazu unten E I 2 b); zur Prozeßstatistik E 11 5) und schließt daraus auf die Zahl der unter Mitwirkung Savignys entstandenen Urteile (etwa 2 pro Jahr). Tatsächlich sind jedoch bei weitem nicht alle Urteile des RKH in französischen Sachen bei Volkrnar abgedruckt. Überdies hat Savigny lange Zeit auch die gemeinrechtlichen Sachen aus dem Gebiet des Justizsenats Ehrenbreitstein bearbeitet. Seine Belastung durch die Arbeit am RKH war also wesentlich höher als von Ebel vorausgesetzt. 460 Zur großen Ähnlichkeit des Verfahrens vor dem rheinischen Kassationsgericht und dem mündlichen Verfahren, wie es in Preußen seit der Verordnung vorn 1833 praktiziert wurde, unten Kapitel D III 3 b) ee) (I). 461 Ein Anklang an das französische Vorbild findet sich in einern unten näher erörterten Gutachten des Obertribunals, in dem die Richter sich für eine Beschränkung der obersten Instanz auf die Rechtsfrage aussprachen (Bericht vorn 31. 10. 1832); GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 15, unten Kapitel D III 3 b) ce) (1).

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Möglichkeit, sich mit einem Verfahren bekannt zu machen, das sowohl die juristischen als auch die politischen Debatten der Vormärzzeit beherrschte und zu einer politischen Forderung des Liberalismus hochstilisiert worden war463 . Obwohl die Verhandlungen des RKH aufgrund ihrer Beschränkung auf Rechtsfragen einen hohen Grad an Abstraktheit aufwiesen und auf einem "fremden" Recht fußten, fanden sie Anklang. Durch die großzügige Gestaltung des Sitzungssaales konnten bis zu 400 Zuschauer gleichzeitig den Verhandlungen des Gerichts folgen. Wilhelm Schi~64 zitiert einen 1819 erschienenen Artikel aus der Hamburger Zeitung "Liste der Börsenhalle", der über den großen Publikumsandrang beim RKH berichtet und zugleich den hohen Anteil auch der juristischen Praktiker unter den Zuschauern hervorhebt. Danach haben sich gerade letztere positiv über das ihnen bisher fremde Verfahren geäußert. Auch die Öffentlichkeit der Verhandlungen dürfte also, wie von Beyme beabsichtigt, zur Beseitigung der innerhalb des preußischen Justizapparats existenten Vorurteile beigetragen haben. Der Gerichtshof hat bis auf wenige Ausnahmen mindestens einmal wöchentlich verhandelt. Alle an der Gesetzrevision beteiligten Juristen konnten sich so jederzeit durch den Besuch der Verhandlungen ein eigenes Bild von dem rheinisch-französischen Gerichtsverfahren, vom Ablauf eines mündlichen, öffentlichen Prozesses und auch von der Behandlung einzelner materiellrechtlicher Fragen machen. Allein die Existenz des Gerichts in Berlin hat also altpreußischen Juristen einen Rechtsvergleich ermöglicht, der sich auf die Anschauung der praktischen Arbeit mit dem französischen Recht stützen konnte.

c) Beteiligung der Richter an der Gesetzgebung

Die Mitgliedschaft der Beamten des RKH in den Gremien der Gesetzgebung und Gesetzrevision war die wichtigste Verbindungslinie, über die Einflüsse des französischen Rechts in das preußische Recht gelangen konnten.

aa) Mitgliedschaft im Staatsrat

Rheinische und mit dem rheinischen Recht arbeitende altpreußische Juristen waren bis in die 40er Jahre hinein Mitglieder des Staatsrats, genauer der Justizabteilung des Staatsrates. Parallel zu ihrer Tätigkeit am Gerichtshof gehörten Savigny, Sethe, Fischenich, Eichhorn, Duesberg, von und zur Mühlen und schließlich Jaeh462 Unter den preußisch-rechtlichen Gebieten kannte allein Posen, das zuvor zum französisch-rechtlichen Herzogtum Warschau gehört hatte, eine öffentliche und mündliche Verhandlung in Zivilsachen. 1816 waren dort das ALR und die AGO eingeführt, aber 1817 durch ein mündliches und öffentliches Verfahren ergänzt worden; s. dazu K. W. Nörr: Reinhardt, S. 3 ff. 463 Dazu u. a. G. Dahlmanns: Strukturwandel, S. 28 ff. 464 Wilhelm Schiff: Die Öffentlichkeit des Deutschen Rechtsverfahrens im 19. Jahrhundert, Offenbach a.M. 1912, S. 29 f.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ningen465 dem Staatsrat an466 . Einige Jahre nach ihrem Ausscheiden aus dem Gerichtskollegium wurden Ruppenthal, Mühler und Scheller berufen 467 . Als "Parlament des absoluten Beamtenstaates,,468 war dem Staatsrat die Beratung von Vorschlägen und Entwürfen zu neuen Gesetzen, zur Aufhebung, Abänderung oder authentischen Deklaration bestehender Gesetze und Einrichtungen übertragen469 . Obwohl der Staatsrat auf diese beratende Funktion ohne eigenes Gesetzesinitiativrecht beschränkt war, erlangten seine Stellungnahmen erhebliches Gewicht für die Resultate der Gesetzgebung. Kein Gesetz wurde gegen sein ausdriickliches Votum erlassen. Änderte er einen Gesetzentwurf ab, folgte der König dem zumeist47o . Die gemessen an ihrer Geschäftstätigkeit wichtigste der sieben Abteilungen des Staatsrates war die Justizabteilung 471 . In ihre Kompetenz fiel gut die Hälfte aller zwischen 1817 und 1848 überhaupt durch den Staatsrat bearbeite-

465 Weiterhin wurde im November 1831 noch der Oberrevisionsrat Blanchard in den Staatsart aufgenommen, H. Schneider: Staatsrat, S. 87. Er starb allerdings schon drei Monate später, so daß sein Einfluß nicht allzu groß gewesen sein kann. 466 Savigny gehörte dem Staatsrat seit seiner Gründung 1817 an; W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 36. Sethe wurde 1820 berufen; A. Klein/]. Bockemühl: Weltgeschichte am Rhein erlebt, S. 228. Fischenich war von 1825 bis 1831 Mitglied; U. Teschner: Fischenich, S. 90 ff. Eichhorn gehörte dem Staatsrat bis 1844 an; GStA PK Rep 80 IV 2 A Nr. 1, fol. 99. Duesberg war von 1836 bis 1842 Staatssekretär des Staatsrates und trat anschließend als ordentliches Mitglied in die Justizabteilung ein; H. Schneider: Staatsrat, S. 87 f., 94 ff., 144. Der Staatssekretär sollte den Präsidenten des Staatsrates bei der Leitung der laufenden Geschäfte unterstützen. Ihm oblag in erster Linie die Führung des Protokolls in den Sitzungen und die Kontrolle der Einhaltung der Geschäftsordnung, aber wohl auch die Abfassung von Gutachten; W van Hall, S. 19. Von und zur Mühlen wurde im Oktober 1839 und Jaehningen im Januar 1845 berufen; H. Schneider: ebd. S. 311. 467 Ruppenthal gehörte dem Staatsrat in seiner Eigenschaft als Direktor der rheinischen Abteilung des Justizministeriums an, Mühler als Justizminister und später als Präsident des Obertribunals; H. Schneider: Staatsrat, S. 111, 122, 170. Scheller wurde bereits im November 1833 aufgenmmen; H: Schneider, S. 310. 468 Friedrich Wilhelm Wehrstedt: Preußische Zentralbehörden, in: Walther Hubatsch (Hrsg.): Grundriß zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815 - 1945, Reihe A: Preußen, Bd. 12, Teil A, Marburg/Lahn 1978, S. 81. 469 Allgemein zum preußischen Staatsrat, zu seiner Entstehung, Zusammensetzung und Arbeitsweise H. Schneider: Staatsrat; Wvan Hall: Savigny als Praktiker, S. 13 ff.; F. W Wehrstedt: Preußische Zentralbehörden, S. 81 ff. 470 H. Schneider: Staatsrat, S. 153; F.W Wehrstedt: Preußische Zentralbehörden, S. 81; W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 20. Allerdings haben bei weitem nicht alle Gesetze den Staatsrat passiert, da die Möglichkeit eines sogenannten abgekürzten Gesetzgebungsverfahrens bestand, bei dem der Staatsrat entweder gar nicht oder nur eine Kommission des Staatsrates zugezogen wurde. 471 H. Schneider: Staatsrat, S. 155; W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 20, 24, 26. Der Staatsrat war eingeteilt in Abteilungen für auswärtige Angelegenheiten, Kriegswesen, Justiz, Finanzen, Handel und Gewerbe, Inneres sowie für Kultus und öffentliche Erziehung. Diese Einteilung war jedoch nicht abschließend, zum Ende eines Geschäftsjahres konnten die Abteilungen umgebildet werden; Kabinettsorder vom 8. 11. 1825 (Gesetzsammlung 1825, S.231).

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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ten Sachen. Innerhalb des Plenums stießen die Gutachten der Abteilung sehr häufig auf Zustimmung. Daher kann man die für die Gesetzgebung so maßgebliche Rolle des Staatsrates wesentlich auf die Justizabteilung zurückführen. Für die Abgeordneten des rheinischen Provinziallandtages war die Mitgliedschaft der Juristen des RKH im Staatsrat, wie die Landtagsverhandlungen der Jahre 1833 und 1843 zeigen, ein Faktor, mit dem sie die Erwartung auf eine Aufrechterhaltung ihrer Rechtsordnung und eine Übertragung der Grundgedanken dieser Rechtsordnung in die preußische Gesetzgebung verbanden. Da eine umfassende Darstellung der Arbeiten des Staatsrates bisher fehlt 472 , ist es kaum möglich, den Einfluß der Juristen des RKH auf die Gesetzgebungsarbeit insgesamt nachzuzeichnen. Ein Indiz für einen großen Einfluß gerade dieser Rechtspraktiker ist aber zumindest ihre zahlenmäßige Stärke. Unter den Staatsratsmitgliedem bildete der Richterstand insgesamt eine große Gruppe 473 . Innerhalb dieser Gruppe wiederum nahm der RKH eine herausgehobene Stellung ein. Er war genauso stark vertreten, wie das altpreußische Obergericht, das Geheime Obertribunal474 . Überdies lassen sich in einzelnen Gutachten der Justizabteilung immer wieder Einflüsse des rheinisch-französischen Rechts nachweisen, die auf Richter des Revisions- und Kassationshofes zurückgehen 475 . In den Beratungen zur Reform des preußischen Strafrechts trat der Präsident des RKH, Sethe, gegen die Aufnahme der körperlichen Züchtigung ein 476 . Er nahm damit einen Punkt auf, der auch in den Rheinlanden seIbst einen maßgeblichen Ansatz für die Kritik an den preußi472 H. Schneider: Staatsrat liefert lediglich Einblicke in einzelne Themengebiete, bietet aber keinen Überblick über die Gesamtheit der Arbeiten. Die Quellenmaterialien zu den Arbeiten des Staatsrates sind so umfangreich, daß sie im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend auf Einflüsse der rheinischen Richter ausgewertet werden konnten. 473 H. Schneider: Staatsrat, S. 123 legt dar, daß die Zahl der Richter im Laufe der Zeit immer stärker anstieg und schließlich in den einzelnen Abteilungen diejenige der Verwaltungsbeamten überstieg. Der Staatsrat bestand aus den königlichen Prinzen, aus Kraft ihres Amtes berufenen Mitgliedern, darunter waren in erster Linie die Staatsminister und die Leiter oberster Staatsbehörden aber auch die Oberpräsidenten und bestimmte hohe Offiziere zu verstehen, und ferner aus Mitgliedern, die aufgrund eines besonderen Vertrauens des Königs berufen worden waren. Voraussetzung für die Mitgliedschaft in dieser letzten Gruppe und größten Gruppe war die Eigenschaft als Staatsdiener; H. Schneider, S. 110 ff. 474 Nach dem Namensregister bei H. Schneider: Staatsrat, S. 329 ff. waren sieben Obertribunalsrichter für die erste Jahrhunderthälfte auszumachen, die Obertribunalsräte Scheffer, Zettwach, Ulrich, Götze und Müller und die Präsidenten Grolmann und Heinrich Gottlob Mühler. Da Schneider aber neben dem Namensregister einen vollständigen Überblick über die Mitglieder des Staatsrates nur für die Jahre 1817 und 1854 gibt, kann nicht ausgeschlossen werden, daß ihre Zahl noch etwas größer war. Eine Verbindung zum RKH bestand bei insgesamt zehn Mitgliedern, von denen sieben neben ihrer richterlichen Tatigkeit am RKH dem Staatsrat angehörten. Eine DoppelsteIlung karn dem ehemaligen Revisionsrat und späteren Justizminister und Tribunalspräsidenten Mühler zu. 475 Die folgenden Angaben stützen sich in erster Linie auf die bei Hans Schneider mitgeteilten Gutachten und Stellungnahmen. 476 H. Schneider: Staatsrat, S. 170 ff. (174).

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

schen Gesetzgebungsplänen bildete 477 . Die Züchtigungsstrafe des geplanten Gesetzes sollte nur gegen "Personen aus den unteren Volksklassen" Anwendung finden, ließ sich also nicht mit dem rheinisch-französischen Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in Übereinstimmung bringen. Des weiteren erstellte Sethe ein umfangreiches Korreferat zur Entlaßbarkeit der Richter, genauer zur Frage, ob Richter nur durch Richterspruch oder aber auch auf dem Verwaltungswege - aufgrund einer königlichen Verfügung - entlassen werden könnten. Er beantwortete diese Frage ganz im Sinne des im französischen Recht verankerten Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter durch Verwaltungsverfügung. Diesen Grundsatz leitete er nicht allein aus dem französischen, sondern auch aus dem germanisch-deutschen und sogar dem preußischen Recht her. In dieser Sache erhielt er die Unterstützung Savignys, der die vom Hauptreferat abweichenden Vorschläge Sethes befürwortete. Es gelang ihnen, mit dieser Argumentation die Mehrheit der Abteilungsmitglieder und schließlich der Mitglieder des Plenums gegen das Hauptreferat auf ihre Seite zu ziehen478 . Ein weiteres Beispiel für die Beriicksichtigung französisch-rechtlicher Gedanken ist ein Gutachten Fischenichs zur Frage der Legitimation nichtehelicher Kinder, mit dem er sich letztlich erfolgreich gegen die Aufnahme der - liberaleren - Grundsätze des ALR in das Recht der Rheinprovinz aussprach479 . Die Bedeutung der Juristen des RKH kann man nach diesem notwendig skizzenhaften Überblick dahin charakterisieren, daß sie schon allein durch die stetige Bezugnahme auf das französische Recht ein Reform- oder Modernisierungspotential in den Staatsrat brachten. Ferner waren sie aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke in der Lage, Entscheidungen der Justizabteilung maßgeblich zu beeinflussen. Die Voraussetzung für die Mitgliedschaft einer so großen und damit auch einflußreichen Gruppe rheinischer oder am rheinischen Recht geschulter Juristen innerhalb des Staatsrates war die Existenz eines rheinischen Gerichts in Berlin. Wäre das rheinische Obergericht in der Provinz errichtet worden, wäre die Zahl dieser Juristen innerhalb des Staatsrats wesentlich geringer gewesen. Es hätte keine altpreußischen Juristen in Berlin gegeben, die das rheinische Recht anwandten und rheinische Juristen wären wohl nur in seltenen Fällen in den Staatsrat gelangt. Allein die Mitgliedschaft in diesem Gremium hätte ihnen nämlich keine Existenz477 Trotz seiner oft kritisierten Härte kannte der Code penal keine derartige Strafbestimmung. Zum Widerstand der Rheinländer gegen die Vereinheitlichung des Strafrechts K.-G. Faber: Rheinlande, S. 175 ff. 478 Das Hauptreferat hatte Kamptz a~gefaßt. Savigny hatte das Gutachten Sethes unterstützt und lediglich einige auch formale Anderungen vorgeschlagen; H. Schneider: Staatsrat, S. 174 ff. Zu den von Savigny vorgeschlagenen Veränderungen v.a. der Tenninologie oben Kapitel D III (Einleitung). Ein weiteres Beispiel für die Berücksichtigung rheinisch-französischen Rechts in den Arbeiten des Staatsrates findet sich im Zusammenhang mit den Beratungen über die Selbstverwaltung ländlicher Gemeinden, wo Sethe sein Separatvotum wohl auf Gedanken des französischen Kommunalrechts stützte; H. Schneider, S. 83. 479 Fischenichs Vorschlag fand innerhalb der Justizabteilung, des Staatsrates und von seiten des Königs Zustimmung; U. Teschner: Fischenich, S. 91.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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grundlage bieten können, da sie nicht entgolten wurde48o . Es hätten also allenfalls solche rheinischen Juristen in den Staatsrat gelangen können, die ohnehin in Berlin oder nähergelegenen Provinzen eine Anstellung in der preußischen Justiz oder Verwaltung gehabt hätten. Da deren Zahl sehr niedrig war481 , wäre zwangsläufig auch der Anteil der rheinischen Juristen im Staatsrat kleiner ausgefallen. bb) Mitgliedschaft in den Gesetzrevisionsgremien

Über die Gesetzrevisionsgremien waren ebenfalls ständig Richter des RKH in legislative Arbeiten eingebunden 482 . Bereits seit 1819 und bis in die 40er Jahre nahmen sie an den Arbeiten der verschiedenen Revisionsgremien teil. In der ersten Phase der Gesetzrevision hätten - nach den Plänen Beymes - alle Richter zur Revision herangezogen werden sollen. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch, als das Gesetzrevisionsministerium Ende 1819 wieder aufgelöst wurde. Beyme sollte fortan die Revision allein weiterführen und nur von Fall zu Fall Juristen aus anderen Geschäftsbereichen zuziehen. Aus dem Kollegium des RKH wurden auf diese Weise nur die schon zuvor im Ministerium beschäftigten Juristen Fischenich, Simon und Ruppenthal sporadisch an der Revision beteiligt483 . Entsprechend der nur geringen Wirksamkeit dieser Refonnarbeiten war auch die nach außen tretende Wirksamkeit der genannten Juristen noch sehr gering. Die Vergleichung der französischen und preußischen Gesetzgebung stand im Mittelpunkt der Bemühungen Beymes, darüber hinausgehende legislatorische Resultate wurden kaum erzielt484 . Sehr viel größeres Gewicht erhielt dagegen die Mitarbeit der mit dem rheinischen Recht arbeitenden Juristen, als die gesamte Gesetzrevision unter Danckelmann 1825/26 neu strukturiert wurde. Juristen des RKH waren sowohl in der 480 H. Schneider: Staatsrat, S. 130. Wie schwer eine Mitgliedschaft im Staatsrat und ein Justizamt in den weit entfernt liegenden Rheinlanden zu kombinieren waren, hatte sich bei Daniels gezeigt, der 1817 in den Staatsrat berufen worden war, aber kaum an seinen Arbeiten teilnahm und bereitswenige Jahre später wieder ausgeschieden war. Ohne daß eine verbindliche Regelung bestanden hätte, bildete sich der Grundsatz aus, daß Mitglieder, die über längere Zeit nicht an den Sitzungen teilnehmen konnten, sich von der Mitgliedschaft in Staatsrat entbinden ließen; W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 34. 481 ehr. von Hodenberg: Die Partei der Unparteiischen, S. 117 f. 482 Einen Überblick über Ablauf und Organisation der Gesetzesrevision bis 1848 geben W Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVI ff., auf die sich die folgende Darstellung im wesentlichen stützt; vgl. aber auch die Darstellung der Amtszeiten der Minister Danckelmann, Kamptz und Savigny bei A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 484 ff., der ebenfalls ausführlich auf die Gesetzrevisionsarbeiten eingeht. 483 GStA PK Rep 74 XXXVI Nr. 6. 484 Daher bleiben diese Revisionsarbeiten auch weitgehend aus der unten folgenden detaillierten Betrachtung ausgeschlossen. Sie sind dokumentiert in umfangreichen, von Beyme angelegten Akten; GStA PK Rep 84 I.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

leitenden Gesetzrevisionskommission als auch in den einzelnen Revisionsdeputationen tätig485 . Hier erlangten sie in etwa die Stellung, die Beyme ihnen 1819 hatte zuweisen wollen. Die Gesetzrevisionskommission, die die Arbeiten insgesamt koordinieren und lenken sollte, setzte sich aus vierzehn Juristen zusammen, von denen fünf am RKH arbeiteten: Sethe, Savigny, Reibnitz, Fischenich und Simon486 . Als Revisoren, also als Leiter der jeweiligen Revisionsdeputationen, wurden die Advokaten Reinhardt und Bode sowie der Richter Friedrich Ernst Scheller487 beschäftigt. Unter den Mitgliedern der einzelnen Deputationen, den sogenannten Korreferenten, begegnet man wieder Sethe, Savigny, Simon, Fischenich und Reibnitz488 . Die Richter und Anwälte des RKH waren so, da die Korreferenten immer mehreren Deputationen zugleich angehörten, über die verschiedensten Fachrichtungen hin vertreten. Da die Zahl der Revisoren und Korreferenten bei insgesamt 24 lag, stellten die Juristen des RKH auch hier ein Drittel. Die Gesetzrevisionsarbeiten, die beim Tode Danckelmans 1830 noch nicht abgeschlossen waren, wurden von seinem Nachfolger Kamptz weitergeführt. Dabei blieb die Struktur der Aufteilung der Rechtsmaterien und ihre abgetrennte Bearbeitung in den einzelnen Deputationen erhalten, nur die Gesetzrevisionskommission wurde aufgelöst. An ihre Stelle trat das wieder eingerichtete Gesetzrevisionsministerium489 . Die Mehrzahl der im Ministerium angestellten Räte waren wiederum Richter des RKH490 . Angesichts der Langwierigkeit der Gesetzrevisionsarbeiten, deren Ende auch in den 30er Jahren noch nicht abzusehen war, ging man dazu über, den dringlichsten Übelständen über eine sogenannte "transitorische" Einzelfallgesetzgebung abzuhelfen. Im Zuge dieser Maßnahmen wurde mit der "Verordnung über den Mandats-, summarischen, und Bagatellprozeß" vom 1. Juni 1833 ein mündliches Verfahren für einfachere Sachen in den preußischen Zivilprozeß eingeführt und mit der Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwer485 Dazu bereits oben das Kapitel über die Besetzung des RKH unter dem Ministerium Danckelmann. 486 W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVI f. Neben den genannten gehörten noch der Justizminister und Kamptz, der zu dieser Zeit vortragender Rat im Justizministerium war, sowie sieben weitere Juristen dieser Kommission an. Es handelte sich um den Obertribunalsrat Köhler, den Geheimen Lagationsrat und ehemaligen Mitarbeiter Hardenbergs, Johann Albrecht Eichhorn, die vortragenden Räte im Justizministerium Friedrich Wilhelm Sack und Carl Christian Müller, den Obertribunalsrat Scheffer, den OLG-Präsidenten ScheibIer und den OLG-Präsidenten Bötticher; nähere biographische Hinweise zu diesen Personen finden sich bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision S. XVII, Anm. 22. 487 Schell er gelangte 1827 als Hilfsarbeiter an den RKH. 488 Siehe die Aufstellung bei W Schuber/J. Regge: Gesetzrevision, Abt. 1, Bd. 1, S. XVII. 489 B. Dö[emeyer: Deutschland, S: 1495. 490 Siehe dazu oben die Aussagen zur Überschneidung von Anstellungen im Ministerium und am RKH, Kapitel C III 2 b). Während der Amtszeit Kamptz' waren dies insgesamt sieben Beamte: Oswald, Lombard, Heffter, Duesberg, Jaehnigen, Liel, von und zur Mühlen.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

321

de vom 14. Dezember 1833 das obergerichtliche Verfahren reformiert. Auch in den Gremien, die innerhalb des Ministeriums und des Staatsrats mit diesen Angelegenheiten befaßt wurden, waren Mitglieder des RKH beteiligt. Die Initiative für die Verordnung über den Mandatsprozeß ging sogar von einem Advokaten des RKH, Marchand, aus. In der Ministerialkommission, die den ersten Entwurf zu dieser Verordnung verfaßte, waren neben Marchand auch die RKH-Advokaten Bode und Kunowsky vertreten 491 . Schon diese Umstände legen eine Beeinflussung der Vorschläge durch die Eindrücke, die diese Anwälte in ihrer Arbeit am RKH gesammelt hatten, nahe 492 . Zu einer wirklich zusammenhängenden Reform insbesondere des ALR ist es in der Folge nicht mehr gekommen. Unter Savigny, der die Nachfolge Kamptz' als Gesetzgebungsminister antrat, wurde die Organisation der Reformarbeiten grundlegend umgestaltet, eine Gesamtrevision des ALR zurückgestellt und die Reform auf einige Rechtsgebiete, wie Prozeßrecht, Straf- und Wechselrecht, konzentriert493 . Den Vorschlägen Savignys folgend wurde auch der Geschäftsgang der Revisionsarbeiten neu geordnet, d. h. die am ALR orientierte Danckelmansche Pensenaufteilung aufgegeben. Neben das Gesetzrevisionsministerium trat als selbständige Behörde eine Gesetzkommission, die mit durch Savigny ausgewählten Juristen besetzt war und unter seiner Leitung stand494 . Zu den Mitgliedern der Kommission gehörten aus dem Kreis der Juristen des RKH Sethe, Heffter, Ruppenthal und Duesberg. Darüber hinaus gehörten der Kommission der Präsident des Kammergerichts, von Grolmann, der Wirkliche Geheime Oberjustizrat Bötticher, der Obertribunalsrat Zettwach und schließlich der Professor Karl Friedrich Eichhorn an, der mittlerweile einen Ruf an die Berliner Universität angenommen hatte und nebenbei eine RichtersteIle am Obertribunal versah495 . Damit stellte der RKH die Hälfte der Mitglieder, nahm also erneut eine zahlenmäßig starke Position innerhalb eines Gesetzrevisionsgremiums ein. Schwerpunkte der Kommissionsarbeit bildeten das Ehescheidungsrecht, das Ehegerichtsverfahren und die Bearbeitung des Verfahrensrechts. Durch den Ausbruch der Revolution wurden diese Arbeiten beendet, ohne daß sie bis dahin ein greifbares Ergebnis gezeitigt hätten496 .

491 J. Fr. H. Abegg: Versuch einer Geschichte der Preußischen Civil-Prozeß-Gesetzgebung, Bres1au 1848, S. 226, al1gemein zur Entstehung der Verordnung ebd. S. 225 ff. 492 Für die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde sol1 der Einfluß des RKH unten im Rahmen der Einzelstudie zur Entwicklung des obergerichtlichen Verfahrens näher untersucht werden. 493 B. Dölemeyer: Deutschland, S. 1495; W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XXI. 494 Dazu und zum folgenden B. Dölemeyer: Deutschland, S. 1496 und ausführlicher A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 539 ff. Nach Stölzel erklärte Savigny nur solche Personen als zur Mitgliedschaft geeignet, von denen "vorzugsweise der Beitrag eigenthümlicher Ansichten und Kenntnisse, also auch die Vertretung der überhaupt in der Gegenwart vorkommenden entgegengesetzten Meinungen zu erwarten" stehe. 495 A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 539 f.

21 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Die Materialien der Gesetzrevision sind insgesamt zu umfangreich, als daß man für die einzelnen Rechtsgebiete jeweils detailliert der Wirksamkeit des "rheinischen Modells" nachgehen könnte497 . Daher kann auch hier nur auf die unten folgende Einzeluntersuchung der Reform des obergerichtlichen Verfahrens verwiesen werden. Anhand der vorhandenen Materialien läßt sich aber zumindest ein schematischer Überblick über den Einfluß oder besser die Intensität des Einflusses des französischen oder rheinischen Rechts auf den Prozeß der Gesetzrevision geben. In den eigentlichen Gesetzrevsionsarbeiten ab 1825 nahm das französische Recht als Vergleichsobjekt aber auch schon als Vorbild für einzelne Einrichtungen breiten Raum ein498 . Schubert führt das langsame Vorankommen der Reformen unter Danckelman sogar zurück auf die Uneinigkeit zwischen Revisoren und dem Justizminister darüber, wieweit französisches Recht herangezogen werden sollte499 . In den als Ergebnis dieser Arbeiten bis 1830 vorgelegten Gesetzentwürfen hat das französische Modell Niederschlag gefunden. Als Beispiele kann man die Materialien für eine Zivilprozeßordnung und ein Gerichtsverfassungsgesetz anführen. Die zivilprozessualen Arbeiten sind von dem zuständigen Revisor, dem Advokaten Reinhardt, in einem Bericht niedergelegt worden. Für die Gerichtsverfassung war Duesberg als Revisor zuständig. Beide Arbeiten übernahmen zwar nicht kritiklos das französische Modell, orientieren sich aber daran und verwendeten es als Quelle5OO • Das französische Recht war hier nicht einziges, aber wichtiges Vorbild für preußische Gesetzentwürfe. Die Einzelgesetzgebung unter Kamptz ging nicht so weit in Richtung des französischen Rechts. Die Autoren dieser Gesetze griffen zwar auf die bereits ausgearbeiteten Revisionsentwürfe zurück, das französische Recht gewann aber nicht mehr den Einfluß, den es in den Gesetzentwürfen Reinhardts und Duesbergs gehabt hatte. Insofern scheint die Rechtspolitik des Ministers Kamptz Erfolg gehabt zu haben. In der Verordnung von 1. Juni 1833 hat sich der Einfluß des französischen Rechts nur noch soweit erhalten, als damit beschränkt auf untergerichtliche Verfahren eine mündliche - keinesfalls eine öffentliche - Verhandlung in den preußischen Prozeß aufgenommen wurde 501 • Diese Aussage läßt sich aber nicht ohne weiteres auf den gesamten Komplex der Kamptzschen Einzelgesetzgebung über496 Dennoch sind die unter Savigny verfolgten Reformprojekte vielfach in die Gesetzgebung der zweiten lahrhunderthälfte aufgenommen worden; W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XXI. 497 Auch bei WSchubert/ J. Regge: Gesetzrevision sind nur die die gedruckten Materialien der Revision veröffentlicht, während die umfangreichen ungedruckten Materialien noch nicht zugänglich gemacht worden sind. 498 W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt, Bd. 1, S. XVI ff.; K. W Nörr: Reinhardt. 499 W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XIX. 500 W Schuben/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt, Bd. 1, S. XVI ff.; K. W Nörr: Reinhardt. 501 W Schuben/ J.Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11, Teilbd. 1 S. XIX ff. Das Verfahren kannte keine Öffentlichkeit im Sinne des französischen Zivilprozesses. Allein die Parteien selbst waren zu den Verhandlungen zugelassen.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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tragen. Es gab, wie das Beispiel des obergerichtlichen Verfahrens zeigen wird, auch entgegengesetzte, dem französischen Recht zuneigende Tendenzen. Nach dem Ende des Ministeriums Kamptz gewann das französische Recht wieder an Einfluß. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung stellten die Entwürfe der Revolutionsjahre dar. Letztlich blieb die Nähe der preußischen Entwürfe zum französischen Recht bis in die Vorarbeiten zur Reichsgesetzgebung hin erhalten502 . Auf den Lauf der Gesetzgebungsarbeiten insgesamt hat das Besetzungskonzept des Ministers Kamptz, das auf eine Zurückdrängung des französischen Einflusses am RKH und in der Gesetzrevision gerichtet war, keine durchgreifende Wirkung gehabt. Dies ist zurückzuführen vor allem auf eine trotz aller personal politischen Veränderungen große personelle Kontinuität gerade innerhalb der Gruppe der an der Gesetzgebung beteiligten Juristen des RKH. Sowohl innerhalb des Staatsrates als auch der einzelnen Deputationen der Gesetzrevision bestand der Kreis der RKH-Juristen zum überwiegenden Teil aus Mitgliedern, die schon 1819 an den Gerichtshof berufen worden waren. Zu ihnen sind Savigny, Sethe, Reibnitz, Reinhardt, Mühler und schließlich Eichhorn zu rechnen. Sie arbeiteten bis in die 30er Jahre hinein immer wieder in den unterschiedlichen Gesetzgebungsgremien. Demgegenüber war der Einfluß der speziell von Kamptz berufenen Richter auf die Gesetzgebung geringer. Weder gehörten sie in den 30er Jahren der Justizabteilung des Staatsrates an noch waren sie an den Arbeiten der fortbestehenden Gesetzrevisionsdeputationen beteiligt - mit Ausnahme Duesbergs. Ihre Mitarbeit an der Gesetzgebung vollzog sich in erster Linie über das Gesetzrevisionsministerium. Selbst innerhalb dieses Ministeriums war aber der französische Einfluß präsent, wie unten anhand der Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und Nichtigkeitsbeschwerde gezeigt werden kann. Demnach scheint das Konzept Kamptz' weder für den allgemeinen Gang der Gesetzrevision noch für die Arbeiten seines eigenen Ministeriums Erfolg gehabt zu haben. Selbst dort, wo sich auf seine Initiative konservative Entwürfe entwickelten, die nicht auf das französische Recht zurückgriffen, wie im Straf- und Strafprozeßrecht unter Mitarbeit Heffters, konnten diese sich auf Dauer nicht halten. Stattdessen setzten sich auch hier an das französische Beispiel angenäherte Entwürfe durch503 •

2. Das obergerichtliehe Verfahren in Preußen Am Beispiel der Reform des obergerichtliche Verfahrens sollen im folgenden die Mechanismen einer Vermittlung des französischen Rechts in das preußische 502 W Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt. Bd. 1, S. XXI; U. Drobnig/P. Dopffel: Die Nutzung der Rechtsvergleichung durch den deutschen Gesetzgeber, RabelsZ, 46 (1982), S. 285; B. Dölemeyer: Deutschland, S. 1491 ff. 503 Dazu W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XXXVI ff.; Bd. 3, S. XIII ff. und Bd. 4, S. XIII ff.

21*

324

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Recht untersucht werden. Es soll gefragt werden, ob und auf welche Weise die Juristen des RKH, dort wo sie in die Gesetzgebungsarbeiten einbezogen waren, Gedanken des französischen Rechts in den Reformprozeß brachten.

a) Das Revisionsverfahren der AGO

Das Revisionsverfahren war im 15. Titel des ersten Teils der AGO geregelt504 . Die Einlegungsgründe erstreckten sich wie bei der Appellation des preußischen Verfahrens auf Rechts- und Tatfragen. Um die Zahl der Revisionen zu begrenzen, war die Zulässigkeit an eine bestimmten Revisionssumme geknüpft, deren Höhe von der Art des erstinstanzlich zuständigen Gerichts und dem Ausgang der beiden vorinstanzlichen Entscheidungen abhängig war505 . Die Anmeldung der Revision mußte innerhalb von 10 Tagen bei dem Gericht erfolgen, das das Erkenntnis der ersten Instanz erlassen hatte 506 . Dazu forderte § 5, 15. Titel, Teil 1 AGO ein ausreichend bestimmtes Revisionsgesuch. Eine "bloß in allgemeinen Ausdrücken abgefaßte Angabe" mußte nicht zugelassen werden. Eine zugelassene Klage mußte unverzüglich an den Gegner weitergeleitet werden. Binnen einer weiteren, vom Gericht zu bestimmenden Frist wurde dem Kläger die Möglichkeit zu erläuternden schriftlichen Ausführungen gegeben, die dann ebenfalls an den Beklagten weitergeleitet wurden. Das Vorbringen von neuen Tatsachen, sogenannten Noven, war zwar dem Kläger nicht gänzlich verwehrt, wurde aber in §§ 10 ff. 15. Titel, 1. Teil AGO an einen bestimmten Katalog von Fällen gebunden. War der auf die Revisionseinlegung folgende Schriftsatzwechsel beendet oder die Fristen abgelaufen, wurde das Vorverfahren geschlossen, die Akten an das Revisionsgericht gesandt und die Sache von Amts wegen zum Spruch befördert507 .

504 Dazu Johann C. Merckel (Hrsg.): Neuer Commentar zur Allgemeinen Gerichts-, Deposital- und Hyppotheken-Ordnung. Nebst Bemerkungen zur Theorie von Potestationen. Bd. I, Breslau 1817, S. 172 ff.; C. F. Koch: Der Preußische Civil-Prozeß, 664 ff.; J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozeß in Preußen, S. 316. 505 §§ 1,2, 15. Titel, 1. Teil der AGO und § 129 des Anhangs zur AGO. Der erforderliche Streitwert belief sich auf 200 Taler, wenn das erstinstanzlich zuständige Gericht ein Untergericht war oder wenn es sich dabei zwar um ein Obergericht gehandelt hatte, die beiden vorinstanzlichen Entscheidungen aber nicht übereinstimmten. Handelte es sich dagegen bei dem Eingangsgericht um ein Obergericht und waren die beiden Vorentscheidungen übereinstimmend ausgefallen, so war der Streitwert auf mindestens 400 Taler erhöht. Für bestimmte Prozeßarten, wie Injurien-, Sponsalien- und Arrestsachen, war die Revision unabhängig vom Streitwert zulässig, vgl. § 129 des Anhangs a.E. und § 3, 15 Titel, 1. Teil der AGO. Zur Berechnung der Revisionssumme s. § 130 des Anhangs, der auf die Vorschriften § 3 des 14. und § 2 des 26 Titels der AGO verweist. 506 § 5, 15. Titel, 1. Teil der AGO. J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozeß in Preußen, S. 316. 507 § 6, 15. Titel, 1. Teil der AGO. J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozeß in Preußen, S. 319.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Das Hauptverfahren war ein schriftliches und geheimes. In der Regel mußten zwei Relationen angefertigt und innerhalb des Kollegiums beraten werden. Wenn die Referenten sich allerdings für die Aufhebung eines Erkenntnisses der zweiten Instanz ausprachen, das seinerseits das Urteil erster Instanz bestätigt hatte, mußten noch zwei weitere Relationen angefertigt werden 508 . Das Revisionserkenntnis erfolgte nach der Mehrheit der Stimmen in der Beratung. Die Entscheidungsgründe wurden nirgendwo schriftlich niedergelegt und weder den Parteien noch den Untergerichten mitgeteilt509 . Obwohl schon der preußische Zivilprozeß des 18. Jahrhunderts die Offenkundigkeit der Entscheidungsgründe, also ihre Mitteilung an die Parteien5\O, zwingend vorgesehen hatte 511 , blieb das Revisionverfahren von dieser Regel ausgenommen. Zurückgehend auf älteres Recht bestimmte § 22 15. Titel, 1. Teil AGO, daß es bei Revisionserkenntnissen der Beifügung von Entscheidungsgründen nicht bedürfe512 . Sinn dieser Regelung war es, den bereits durch drei Instanzen getragenen Rechtsstreit endgültig zu beenden und Rechtsfrieden herzustellen, insbesondere die "Gelegenheit zu zwecklosem Tadel und ebenso zwecklosen Beschwerden,,513 zu nehmen 514 . Stellte sich in den Beratungen des Revisionskollegiums heraus, daß ein schon in den Vorinstanzen vorgekommener erheblicher Umstand nicht genügend ermittelt worden war, mit anderen Worten die Sache noch nicht zur Entscheidung reif war, mußte das Gericht nach § 8, 15. Titel, 1. Teil AGO eine "Resolution" über die Art 508 § 7, 15. Titel, I. Teil der AGO. J. Evelt: Die Gerichtsverfassung und der Civil-Prozeß in Preußen, S. 320. 509 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 202. Die einzigen schriftlich fixierten Anhaltspunkte für die Beweggründe des Gerichts waren die Aufzeichnungen des Referenten, dessen Entscheidungsvorschlag aber nicht immer die tatsächlichen späteren Entscheidungsgründe des Kollegiums wiedergeben mußte, s. dazu das Gutachten der Justizabteilung des Staatsrates vom 12. 3. 1823; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 9 ff. 510 Den Begriff der Offenkundigkeit verwendet beispielsweise Hans Hattenhauer: Die Kritik des Zivilurteils, Frankfurt a.M., Berlin 1970, S. 20 ff. 5ll §§ 10, 16, 13. Titel, I. Teil des Corpus Juris Fridericianum (CJF). Zur unterschiedlichen Handhabung der Mitteilung der Entscheidungsgründe in den deutschen Staaten des 18./ 19. Jahrhunderts H. Hattenhauer: Kritik des Zivilurteils, S. 20 ff. 512 In § 14, 15. Titel, I. Teil des CJF hatte es sogar geheißen: "Den Revisions-Urteln dürfen keine Entscheidungsgründe beigefügt werden.", zit. nach dem Gutachten der Justizabteilung des Staatsrates vom 12. 6. 1823; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, Seite 9. Dasselbe Gutachten (a. a. 0.) führt diese Regel auf noch ältere Observanzen zurück. Offenbar hatte das Obertribunal seit seinen Anfängen 1703 niemal Urteilsgründe mitgeteilt. 513 Zit. nach dem Gutachten der Justizabteilung vom 12. 6. 1823; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, Seite 10. 514 Dies bezog sich auf Beschwerden außerhalb des Rechtsmittelkanons der AGO. Nichtigkeitsklagen gegen die Erkenntnisse der Revisionsinstanz wurden davon nicht berührt, da sie sich in der Regel auf verfahrensrechtliche Mängel stützten, die außerhalb der Urteilsbegründung zu suchen waren. Hinzu kam, daß Nichtigkeitsbeschwerden wegen Verletzung materiellen Rechts, bei denen auch die Urteilsbegründung hätte relevant werden können, gegen Revisionsurteile von vornherein ausgeschlossen waren (§ 2, Nr. 2, 16. Titel, I. Teil der AGO).

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

der noch vorzunehmenden Ennittlungen erlassen und die Sache zur weiteren Ermittlung und neuen Entscheidung an das Gericht derjenigen Instanz zurückverweisen, in der der fragliche Umstand zum ersten Mal Erwähnung gefunden hatte. Dieses Resolut enthielt noch keine Entscheidung über die Rechtsfrage und band auch das Untergericht in seiner Entscheidung nicht515 . Es ist daher nicht mit der Verweisungsbefugnis des RKH nach erfolgter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils zu vergleichen. Die AGO selbst traf keine Bestimmungen darüber, an welches Gericht die Revision zu bringen sei. Seit Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts die reichsgerichtliehe Zuständigkeit über privilegia de non appellando hatte ausschließen können 516 , hatte eine Vereinheitlichung des Prozeßrechts eingesetzt. Der Codex Fridericianus Marchicus von 1748 begründete die Beschränkung auf lediglich drei Instanzen, die auch in der Prozeßordnung von 1781 und der AGO beibehalten wurde. Oberstes Gericht dieses Instanzenzuges war ein 1703 gegründetes Oberappellationsgericht, das zwischen 1748 und 1782 als ein Senat des Kammergerichts arbeitete, 1782 aus dem Kammergericht ausgegliedert und unter der Bezeichnung Geheimes Obertribunal als selbständiger Gerichtshof eingerichtet wurde517 . Dieses Gericht bestand aus nur einem Spruchkörper und war mit einem Präsidenten und mehreren Räten besetzt, deren Anzahl nicht gesetzlich festgelegt war.

b) Mängel und Reformbedürfnisse

Größtes Manko der preußischen Revision war die Masse der Verfahren und die daraus resultierende Überlastung des Obertribunals. Die Zahl der Revisionen, die schon während des 18. Jahrhunderts ständig zugenommen hatte, stieg besonders nach den Neu- und Wiedereroberungen der Jahre 1813 und 1814 so stark an, daß sie von diesem einen Kollegium nicht mehr bewältigt werden konnte. Die jährlich neu eingehenden Revisionssachen hatten sich zwischen 1815 und 1821 mehr als verdoppelt 518 • Im gleichen Zeitraum wurden aber, soweit sich das bei Sonnenschrnidt nachverfolgen läßt, nur drei zusätzliche Richter eingestellt519 . 1821 verfügte das Obertribunal über 14 Richter. Ihre Zahl wurde auch in den folgenden Jahren nur noch geringfügig erhöht. Solange das Tribunal mit nur einem Spruchkörper arbeitete, hätte eine zu große Richterzahl der Effektivität der Beratungen im Wege gestanden 52o • Ziel der Justizpolitik war es daher, nicht die Zahl der Richter herauf-

515

J. C. Merckel: Neuer Commentar zur Allgemeinen Gerichts-Ordnung, S. 177 ff.

516

A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 5.

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F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal.

Von 719 auf 1442 Sachen; zur Entwicklung der Prozeßzahlen F. W. Starke: Beiträge, 3. Beitrag, S. 109 ff. 519 Die Einstellungen erfolgten 1818, 1820, 1821; F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 188, 192, 196. 518

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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zusetzen, sondern die Zahl der an das Obertribunal gelangenden Sachen zu verringern 521 . Um die Geschäftslast des Obertribunals einzudämmen, wurden verschiedene Strategien verfolgt. Die sicherlich einschneidendste war die Aufteilung der Revisionssachen auf mehrere Gerichte. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das Obertribunal nicht mehr in der Lage, die Aufgaben der Obergerichtsbarkeit für alle landrechtlichen Gebiete zu erfüllen. 1803 nahm man daher minderwichtige Revisionssachen aus der Kurmark und Pommern von seiner Zuständigkeit aus und verwies sie an den Oberappellationssenat des Kammergerichts 522 . Weitergeführt wurde diese Strategie nach 1814 in den wiedererworbenen westfälischen Gebieten. Auch dort nahm man die 1803 eingeschlagene Differenzierung nach der Bedeutung der jeweiligen Rechtssachen auf. Die Zuständigkeit des Obertribunals war nur eröffnet, sofern die Revisionssumme 2000 Taler überschritt. Ansonsten fungierten die Oberlandesgerichte in Münster, Magdeburg und Halberstadt als Revisionsgerichte523 . Von vornherein aus der Zuständigkeit des Tribunals ausgenommen wurden die Gebiete des gemeinen Rechts, die Preußen infolge des Wiener Kongresses erlangt hatte. Für Neuvorpommern und Rügen war das Oberappellationsgericht in Greifswald und für die ehemals nassauischen Gebiete des Justizsenats zu Ehrenbreitstein der RKH als Revisionsinstanzen zuständig. Als 1816 in Posen das ALR und die AG0524 wieder eingeführt wurden, wurde die ausschließliche Revisionskompetenz an ein Oberappellationsgericht in Posen übertragen. Preußen verfügte damit seit 1819 über insgesamt acht Revisionsgerichte: das Obertribunal, die Oberappellationsgerichte in Greifswald und Posen, den RKH sowie die drei westfälischen Oberlandesgerichte und den Oberappellationssenat des Kammergerichts. Um darüber hinaus die Zahl der insgesamt am Obertribunal eingehenden Revisionen zu verringern, wurde auch die Höhe der Revisionssumme immer wieder als Regelungsinstrument eingesetzt525 . Keine dieser Strategien brachte jedoch den erwünschten Erfolg. Die Zahl der unerledigten Sachen stieg während der 20er Jahre so stark an, daß die Prozesse immer mehr in die Länge gezogen wurden und ab 1826 eine gro520 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 208 ff. Erst durch eine Kabinettsorder vom 19. 7. 1832 wurde das Obertribunal in drei Senate aufgeteilt; Gesetzsammlung 1832, S. 192 f. 521 Dazu F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 199 ff. 522 1810 wurden die Sachen aus der Kurmark wieder an das Obertribunal gewiesen, die Pommerschen Sachen blieben jedoch ausgenommen; F.H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 170. Zur Aufteilung der Revisionsinstanz auch F. W Starke: Beiträge, 3. Beitrag, S. 106. 523 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 178 f. Diese Aufteilung ging zurück auf eine Kabinettsorder vom 6. 3. 1815 und Justizministerialreskripte vom 14. 3. 1815 und vom 11. 5.1816, F.H. Sonnenschmidt, S. 178 f. 524 Durch eine Verordnung vom 9.2. 1817 mit einem mündlichen (§§ 1,2) und öffentlichen (§ 5) Verfahren kombiniert; Gesetzsammlung 1817, S. 37. 525 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 200.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

ße Zahl von Hilfsarbeitern herangezogen werden mußte, um die liegengebliebenen Sachen abzuarbeiten 526 . Als ein weiteres Problem erwies sich im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts die Tatsache, daß die Revision allein darauf ausgerichtet war, den Streit unter den Parteien endgültig beizulegen. Gerade diese Befriedungsfunktion war der Grund dafür, daß die Entscheidungsgründe weder veröffentlicht noch den Parteien oder den Instanzgerichten mitgeteilt wurden. Dies war aber letztlich eine der Ursachen für die große Zahl der Rechtsmittelprozesse. Durch das völlige Fehlen einer gefestigten Rechtsprechungspraxis ließen sich nämlich über den Ausgang der Prozesse keine, folglich auch keine negativen Prognosen treffen, die eine Partei von der Klage hätte abhalten können. Durch die Nichtmitteilung der Entscheidungsgründe wurde zudem Rechtsprechung und Wissenschaft jeder Zugang zu einer Auseinandersetzung mit der Rechtspraxis der höchsten Gerichte verschlossen, für den eine Veröffentlichung, jedenfalls aber eine Abfassung der Entscheidungsgründe unabdingbare Voraussetzung gewesen wäre. Für die untergeordneten Gerichte gab es keine Möglichkeit, sich mit den Argumenten des Revisionsgerichts auseinanderzusetzen und die eigene Rechtsprechung an einer höchstrichterlichen Judikatur auszurichten. Überdies verhinderte die Aufteilung der Revisionsinstanz auf mehrere voneinander unabhängige Gerichte, die keinem gemeinsamen Obergericht mehr unterstellt waren, eine einheitliche Entwicklung der Revisionsrechtsprechung. Zugleich ging hier ein wichtiger Anreiz für eine in dieser Zeit auf die Wissenschaft des römischen Rechts konzentrierte Lehre, sich überhaupt dem preußischen Recht zu nähern, verloren 527 .

c) Reformimpulse des Kassationsrechts

Angesichts dieser Mängel drängte das Kassationsverfahren sich als ein möglicher Ausweg geradezu auf. Besonders vorteilhaft mußte zunächst die Effektivität des Verfahrens erscheinen. Der völlige Ausschluß von Tatfragen als Einlegungsgrund bedeutete zwangsläufig auch weniger Prozesse. Das Kassationsverfahren und die Existenz nur eines einzigen Obergerichts waren darüber hinaus bestens geeignet, eine wirksame Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten und zugleich die Rechtsprechung der Untergerichte zu vereinheitlichen. Denn diese richteten sich, schon um ihre Sprüche nicht der sicheren Kassation auszusetzen, an der höchstrichterlichen Judikatur aus, sofern diese von Einzelentscheidungen zur Ausbildung einer "gefestigten" Rechtsprechung überging528 . F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S 199 f., 208 ff. Dazu unten die Darstellung des Gutachtens Savignys zur Veröffentlichungsfrage; Kapitel D III 3 a). 528 Zur vereinheitlichenden Wirkung der Kassationsrechtsprechung in Frankreich siehe den Kommentar in RhA Bd. 1,2. Abt., S. 72. Der RKH konnte nicht in gleichem Umfang zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung beitragen, dazu unten Kapitel E IV 1. 526

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III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Mitteilung und Veröffentlichung der motivierten Entscheidungen des Kassationsgerichts machten es den Untergerichten möglich, schon bei ihren Entscheidungen die höchstrichterliche Judikatur zu beriicksichtigen oder sich doch zumindest mit ihr auseinanderzusetzen. Dariiber hinaus lieferten sie Ansatzpunkte für einen Austausch zwischen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft. So setzten sich die französischen und, soweit sie sich mit französischem Recht beschäftigten, auch die deutschen Schriftsteller stets mit den Entscheidungen des Pariser Kassationshofes auseinander529 . Diese wurden zur Kenntnis genommen, kritisch kommentiert oder als Beleg für die eigenen Ansichten zitiert. Damit war der Kassationshof - auch wenn seine Entscheidungen nicht nur ungeteilte Zustimmung erfuhren - auf praktischer und theoretischer Ebene in einen Prozeß der Entwicklung des Rechts und der Rechtswissenschaft einbezogen530 , aus dem das preußische Revisionsgericht von vornherein ausgeschlossen war.

3. Die Reformschritte Die Mängel des obergerichtlichen Verfahrens wurden in den Jahren zwischen 1823 und 1852 durch eine Reihe von Reformen weitgehend behoben. Bereits 1825 wurde eine beschränkte Pflicht des Obertribunals zur Mitteilung der Entscheidungsgriinde an die Parteien festgeschrieben. 1831/32 wurde diese Pflicht auf die Mitteilung aller Entscheidungen ausgedehnt. Die Veröffentlichung der Entscheidungen in einer amtlichen Sammlung wurde 1837 gesetzlich angeordnet. Die wichtigste Veränderung stellte aber eine Verordnung vom 14. Dezember 1833 dar, die mit der sogenannten Nichtigkeitsbeschwerde ein neues auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel in den preußischen Zivilprozeß einführte und das Verfahren am Obertribunal konzentrierte. Beginnend mit einem Gesetz von 1846 wurde dann das Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde auch auf das Strafverfahren ausgedehnt und letztlich ebenfalls dem Obertribunal übertragen. Öffentlichkeit und Mündlichkeit wurden schließlich 1847 am Obertribunal eingeführt.

529 Vgl. bspw. Karl H. NeufTUJyer: Die wissenschaftliche Behandlung des kodifizierten Privatrechtsstoffes im Großherzogturn Baden und auf dem linken Rheinufer bis zum Beginn der Vorarbeiten zum BGB (1874), in: Helmut Coing/Walter Wilhe1m (Hrsg.): Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19.Jahrhundert (Studien zur Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Bd. I), Frankfurt a.M., S. 200 ff. Siehe auch Ausführungen im Rechtssprechungskapitel E IV 1. 530 Auch die Entscheidungen des Berliner RKH waren, wenn auch nicht in einem mit denjenigen des Pariser Kassationshofes vergleichbaren Umfang, in einen ähnlichen Prozeß eingebunden. So fanden die Entscheidungen des RKH sowohl Eingang in die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte, als auch in die zunächst von Praktikern dominierte Aufsatzliteratur etwa des Rheinischen Archivs und später in die langsam entstehende wissenschaftliche Literatur zum rheinischen Rechts; vgl. dazu die Ausführungen im Rechtssprechungskapitel E IV 1.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

a) Abfassung, Mitteilung und Veröffentlichung

der Entscheidungsgründe

Die ersten Schritte der Reform des Verfahrens zielten darauf ab, die Griinde einer Revisionsentscheidung den Parteien und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, also Abfassung und Mitteilung der Entscheidungsgriinde sowie eine Veröffentlichung der Urteile in das Revisionsrecht einzuführen. Obwohl es sich um zwei eng miteinander verbundene Fragen handelt, soll zunächst das Problem der Abfassung und Mitteilung der Griinde als Voraussetzung einer Veröffentlichung der Rechtsspriiche dargestellt werden. aa) Abfassung und Mitteilung der Entscheidungsgründe

Schon im 18. Jahrhundert war umstritten, ob es zweckmäßig sei die Entscheidungsgriinde nicht mitzuteilen. 1799 hatten Beschwerden betroffener Parteien erste Modifikationen herbeigeführt: Eine Kabinettsorder vom 5. März 1799531 ordnete bei Abänderung zweier gleichlautender Urteile in der Revisionsinstanz die Abfassung von Entscheidungsgriinden an. Allerdings sollten die Griinde nicht den Parteien mitgeteilt, sondern versiegelt an das Justizressort eingereicht werden. Erst auf eine weitere Beschwerde hin konnte dieses nach eigenem Ermessen über eine Mitteilung entscheiden. Trotz wiederholter Anläufe für eine Reform blieb dies in den folgenden Jahren der einzige Weg für die Beteiligten, zu einer Erläuterung der Revisionserkenntnisse zu gelangen 532 . Eine Mitteilung der Erkenntnisgriinde unmittelbar an die Parteien scheiterte nicht zuletzt am energischen Widerstand des Geheimen Obertribunals, dessen Richter befürchteten, daß eine Pflicht zur schriftlichen Begriindung der Urteile ihre Arbeitslast erheblich erhöhen würde 533 . Erst im Januar 1823 gelang es dem Justizminister Kircheisen, die Grundlage für eine erste gesetzliche Normierung der Mitteilungspflicht zu legen534 . Sein Antrag hielt sich dabei noch insofern an die 1799 eingeschlagene Richtung, als er nur für den Fall einer Aufhebung zweier konformer Urteile eine Pflicht zur Abfassung und Mitteilung der Entscheidungsgriinde direkt an die Parteien vorsah. Dagegen forderte der Staatsrat, dem diese Initiative zur Beratung vorgelegt wurde, die Mitteilungspflicht für alle Revisionserkenntnisse festzuschreiben 535 . Damit konnte er 531 GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, (S. 7). Diese Regelung ist als § 133 des Anhangs in die AGO aufgenommen worden. 532 Einen Überblick über die im Zusammenhang mit der Forderung nach Mitteilung der Urteilsgründe aufgetretenen Probleme erhält man bei Durchsicht der eigens zu dieser Thematik angelegten Akte des Iustizrninisteriums; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222. 533 Dazu insbesondere ein Gutachten des Präsidenten des Obertribunals, Grolmann, für den Staatsrat; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 17 ff. 534 Dazu F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 203. Der an den König gerichtete Immediatbericht Kircheisens vorn 15. 1. 1823 findet sich u. a. in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 4 ff.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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sich jedoch nicht gegen den Minister durchsetzen 536 . Ein Gesetz vom 21. Juni 1825 nahm die Vorschläge Kircheisens auf und führte eine begrenzte Mitteilungspflicht ein. Da diese Reform nur eine relativ geringe Anzahl der obergerichtlichen Entscheidungen erfaßte, kam es in der Folge immer wieder zu Beschwerden betroffener Bürger. Überdies zeigte sich, daß die Nichtmitteilung sich nicht nur auf die Rechtspflege, sondern auch auf die Gesetzgebung lähmend auswirkte, da die Urteile zwar erkennen ließen, wo die Anwendung der Gesetze in der Praxis Probleme aufwarf, nicht aber, worin die Griinde dafür lagen. Die Staatsrats abteilungen für Inneres, Finanzen und Justiz nahmen das schließlich 1827 zum Anlaß, erneut die obligatorische Mitteilung der Entscheidungsgriinde aller Revisionserkenntnisse an staatliche Behörden und an die Parteien selbst zu fordern. Sie hatten ein legislatorisches Gutachten über die Aufhebung des Mühlenzwangs in Westpreußen abgeben sollen. In diesem Zusammenhang spielte die Einordnung eines bestimmten Erkenntnisses des Obertribunals eine entscheidende Rolle. Da jedoch die Griinde dieses Urteils völlig im Dunkeln lagen und nicht mehr mitgeteilt werden konnten, sahen die betreffenden Abteilungen sich außerstande ein Gutachten anzufertigen. In ihrer Stellungnahme forderten sie daher eine umfassende Mitteilungspflicht für die Revisionserkenntnisse537 . Tatsächlich eingeführt wurde die uneingeschränkte Mitteilungspflichtjedoch erst 1831/32538 . 535 Gutachten der Justizabteilung des Staatsrates vom 12. 6. 1823; GSTA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 9 ff. Der Gang der Ereignisse findet sich dargestellt bei F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 202 ff. Mit spezifischen Bezug zur Rolle des Staatsrates W. van Hall: Savigny als Praktiker, S. 151 ff. Dieser liefert auch Regesten der entsprechenden Gutachten Savignys für den Staatsrat, S. 204 f. 536 Dieses Scheitern dürfte wohl auf Kircheisens mehrfach geäußerte Ablehnung der weitergehenden Pläne zurückzuführen sein. Schon in seinem Immediatbericht vom 15. 1. 1823 sprach er sich gegen eine unbeschränkte Miteilung aus (GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 6) und hielt daran auch nach Eingang des Staatsratsgutachtens fest; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 125 f. (Schreiben an Altenstein vom 26. 6. 1823). Schließlich trat der König in einer Kabinettsorder vom 24. 7. 1823 ausdrücklich der Auffassung des Iustizrninisters bei und schrieb für das zu entwerfende Gesetz die Beschränkung auf eine Mitteilung nur bei Abänderung zweier gleichlautender Entscheidungen fest. Im Anschluß an diese Kabinettsorder gelangte die Sache erneut zur Begutachtung an den Staatsrat und dort wurde schließlich der endgültige Gesetzentwurf erstellt; vgl. dazu W. van Hall: Savigny als Praktiker, S. 155 f.; GStA PK Rep84 a (D) Nr. 4222, fol. 129. 537 Allerdings konnten sie das Plenum des Rates nicht zu einem offiziellen Antrag an den König, sondern nur zu einem unverbindlichen Vorschlag in dieser Sache bewegen. Zum Ganzen GStA PK Rep 80 I Iustizsachen, Nr. 56, ab fol. 77. 538 Dazu auch H. Kirchner: Stufen der Öffentlichkeit richterlicher Erkenntnisse, in: FS Fallner, München 1984, S. 512. Schon 1831 hatte das Iustizrninisterium die Begründungspflicht in Reskripten an das Tribunal festgeschrieben (Zirkularreskript vom 24. 5. 1831, KaJb 38, S. 331 ff.; Reskript vom 30. 11. 1831, GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 203 f.). Da das Obertribunal sich jedoch geweigert hatte, dem nachzukommen, wurde die Begründungspflicht in § 8 einer Kabinettsorder vom 19. 7. 1832 (Gesetzsarnrnlung 1832, S. 192 f.) noch gesetzlich verankert. Zu dieser Kabinettsorder, die den Geschäftsbetrieb und die gesamte

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Die Bemühungen um Offenkundigkeit der Entscheidungsgründe539 sind die ersten Schritte einer allmählichen Angleichung des preußischen Obergerichtsverfahrens an das rheinische Kassationsverfahren. Sie näherten beide Verfahren zumindest faktisch an, da das rheinische Verfahren die Offenkundigkeit aller Entscheidungen aus dem französischen Recht beibehalten hatte. Es stellt sich aber die Frage, inwieweit hier tatsächlich von einer Beeinflussung ausgegangen werden kann. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzuhalten, daß die Bemühungen um eine Lösung des Problems bereits bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen und nicht erst durch den Konakt mit dem französischen Recht in Gang gesetzt worden sind. Überdies gab es auch im deutschen und preußischen Recht einige Vorbilder für eine umfassendere Entscheidungsbegründung. So kannte das Prozeßrecht anderer deutscher Bundesstaaten eine Mitteilung der Entscheidungsgründe in letzter Instanz540 , und in Preußen selbst war die Offenkundigkeit zumindest für das drittinstanzliche Verfahren der ehemaligen Kameraljustiz eingeführt worden 541 . Seit 1815 schließlich verpflichtete das Verfahren der Austrägalgerichtsbarkeit des Deutschen Bundes das Obertribunal im Anrufungsfall zu einer Entscheidungsbegründung 542 . Dennoch war der RKH in den 20er Jahren faktisch das einzige Obergericht innerhalb Preußens, das seine Entscheidungen mit Gründen versah und diese den Parteien mitteilte. Die Kameraljustiz war wieder abgeschafft worden; Verfassung des Obertribunals umgestaltete und in erster Linie die Aufteilung des Obertribunals in drei Senate anordnete; F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 205, 217 ff. und GStA PK Rep 84 a(D) Nr. 4222, fol. 198 ff. 539 Allgemein zur Entwicklung der Offenkundigkeit von Gerichtsentscheidungen H. Hattenhauer: Kritik des Zivilurteils, S. 20. Dort wird auch der Begriff der Offenkundigkeit für die Mitteilung von Entscheidungsgründen verwandt. 540 Darauf wird in der Staatsratssitzung vom 18. 12. 1827 von den Befürwortern einer umfassenden Mitteilungspflicht hingewiesen; GStA PK Rep 80 I Justizsachen Nr. 56, fo1. 81. 541 Ein Justizressortreglement von 1749 hatte Gegenstände von im weitesten Sinne verwaltungstechnischem oder öffentlichrechtlichem Interesse der ordentlichen Gerichtsbarkeit entzogen und einer "Gerichtsbarkeit" der Kriegs- und Domänenkammern unterstellt. Untersuchung und Verfahren vor diesen Kammern, die man als einen Vorläufer der Verwaltungsgerichtsbarkeit kennzeichnen kann, wurden zunehmend dem ordentlichen Verfahren angeglichen. Bereits 1808 war aber diese Kammerjustiz durch die "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provincial-, Polizei- und Finanzbehörden ... " wieder aufgehoben worden; zum Ganzen s. bspw. Regina Ogorek: Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert (Rechtsprechung. Materialien und Studien, Bd. 1), Frankfurt a.M. 1986, S. 29 ff.; Wolfgang Rüfner: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, Bonn 1962 [Bonner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 52], S. 60 ff.; ders.: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Hans Uwe Erichsen/Werner Hoppe/Albert von Mutius: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger, Köln, Berlin, u. a. 1985, S. 7 f., 10 ff. Auf die Kameraljustiz hatte Kircheisen mit Blick auf seine eigenen Erfahrungen als Mitglied des für Kameraljustizsachen zuständigen Oberrevisionskolegiums, die ihm nie einen Nachteil dieses Verfahrens vor Augen geführt hätten, hingewiesen; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fo1. 127, S. 5 f. 542 Das folgt aus einem Bundesbeschluß betreffend das Verfahren bei Aufstellung von Austrägalinstanzen vom 5.8. 1820 (Art. 5); H. Hattenhauer: Die Kritik des Zivilurteils, S. 21.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Entscheidungen in Austrägalsachen konnten nicht als Vorbild dienen, da sie nur äußerst selten an die preußischen Obergerichte gelangten 543 . Der RKH war aber nicht nur das einzige mitteilende Gericht, es waren auch Mitglieder des RKH, die an entscheidender Stelle die Entwicklung vorantrieben. Die 1823 vom Staatsrat erhobene Forderung nach unbeschränkter Mitteilung der Entscheidungsgriinde ging zuriick auf ein Gutachten der Justizabteilung, und dieses Gutachten war von Savigny und Sethe vorbereitet worden 544 • Das Hauptreferat, auf dem das Abteilungsgutachten beruhte, stammte von Savigny. Er erwähnte zwar den RKH nicht ausdriicklich, dennoch scheint es kaum vorstellbar, daß er bei Aufstellung seiner Vorschläge völlig unbeeinflußt geblieben sein soll von dem Verfahren desjenigen Gerichts, an dem er selbst ständig mit der Praxis der Urteilsbegriindung und -mitteilung in Beriihrung W~45. Gerade der eigene Umgang mit der Abfassung und Mitteilung der Entscheidungsgriinde dürfte dazu geführt haben, daß die stets von seiten des Obertribunals vorgebrachten Griinde gegen eine Mitteilung, die sich zu einem wesentlichen Teil aus der dadurch verursachten Mehrarbeit herleiteten, ihm gegenüber nicht verfangen konnten. Savigny wies darauf hin, daß die entscheidende Arbeit nicht in der Abfassung, sondern im Auffinden der Entscheidungsgriinde liege und dem Obertribunal durch die zusätzliche schriftliche Fixierung kein wesentlicher Mehraufwand an Zeit und Arbeitskraft entstehen könne546 . Der ausdriickliche Hinweis auf die Arbeit des RKH und auf die positiven Erfahrungen, die man dort mit der Entscheidungsmitteilung gemacht habe, findet sich bei Sethe547 . Er nahm den Gegnern der Mitteilungspflicht ihr gewichtigstes Argument, nämlich den immer wieder vorgebrachten Einwand, daß eine Begriindung der Entscheidungen die Herstellung endgültigen Rechtsfriedens zwischen den Parteien verhindern würde. Denn, so führte er aus, ihm sei während seiner Tatigkeit als Präsident des Gerichts noch kein einziger Fall vorgekommen, in dem sich die

543 Zur geringen Relevanz der Austrägalsachen am RKH aber auch am Obertribunal GStA PK Rep 97 B I C 14; vgl. auch E. R. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I, S. 628, besonders Fn. 1, der unter Berufung auf von Leonhardi (Das Austrägalverfahren) auf 25 zwischen 1820 und 1845 vorgekommene Austrägalstreitfälle hinweist, von denen nur ein einziger in Preußen verhandelt worden sei. 544 GStA PK Rep 80 I lustizsachen Nr. 56 a, fol. 8 ff. Gutachten Savignys vom 7.3. 1823 und fol. 17 ff. Votum Sethes vom 27. 3. 1823. Darüber hinaus nahm an der entscheidenen Sitzung der lustizabteilung vom 12.6. 1823 als Vertreter des lustizministeriums ein weiteres Mitglied des RKH teil, der Geheime Oberjustizrat Eimbeck; siehe GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 123. 545 1823 war Savigny noch vollständig in die Arbeiten des Gerichts eingebunden und insbesondere noch an der Aburteilung auch der französisch-rechtlichen Sachen beteiligt. 546 GStA PK Rep 80 I lustizsachen Nr. 56 a, fol. 8 ff. Gutachten Savignys vom 7. 3. 1823. Im Anschluß an Savigny auch das Abteilungsgutachten; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 11. 547 GStA PK Rep 80 I lustizsachen Nr. 56 a, fol. 17 ff.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Mitteilung der Gründe als nachteilig erwiesen habe. Insbesondere hätte noch keine der Parteien sich veranlaßt gesehen, gegen ein solches Urteil erneut vorzugehen. Die anderen Mitglieder der Justizabteilung ließen sich von den Argumenten der beiden Gutachter überzeugen, verzichteten auf eigene Vorschläge und schlossen sich den Referenten in vollem Umfang an. Auch der Argumentation Sethes wurde hier nichts entgegengesetzt548 , der Verweis auf den RKH als Vorbild also nicht abgeschwächt. Die Tatsache, daß ein ausdrücklicher Hinweis dennoch in dem abschließenden Abteilungsgutachten fehlt 549 , entspricht Bemühen der Reformer, jeden Hinweis auf rheinisches Recht möglichst zu vermeiden, um nicht möglichen Gegnern ein wohlfeiles Argument gegen die Gesetzesinitiative zu liefern. Erst 1827 wurde der RKH im Rahmen der Beratungen über die erneute Forderung des Staatsrates nach unbeschränkter Mitteilung ausdrücklich als Vorbild benannt. Die Befürworter einer umfassenden Mitteilungspflicht wiesen darauf hin, daß "auch im preußischen Staate bei der vormaligen Kameral-Justiz-Verfassung jedesmal in dritter Instanz Entscheidungsgründe gegeben worden wären, und solches gegenwärtig noch von dem Ober-Revisionshofe geschehe,,55o. Die umfassende Mitteilungspflicht wurde dann 1831 ohne größere Debatte von seiten des Justizministeriums durchgesetzt551 . Dennoch hat die Argumentation des Abteilungsgutachtens von 1823 diesen Schritt noch maßgeblich beeinflußt. Ein Schreiben, mit dem Kamptz 1831 das Obertribunal über Sinn und Zweck der umfassenden Mitteilung instruierte, scheint über weite Strecken aus dem Gutachten von 1823 abgeschrieben zu sein. Es weist immer wieder Parallelen zur Argumentation der Justizabteilung auf; bis hin zu wörtlichen Übereinstimmungen 552 .

548 GStA PK Rep 80 I Justizsachen Nr. 56 a, fol. 28 ff. Die Justizabteilung war 1823 neben Savigny und Sethe mit dem Geheimen Legationsrat Eichhorn und den Justizräten Diederichs und Müller besetzt. Diederichs und Eichhorn - zwei ehemalige Mitarbeiter Hardenbergs schlossen sich in schriftlichen Stellungnahmen den von beiden Referenten vorgebrachten Argumenten an, Müller sollte nur noch in der Abteilungsberatung mündlich Stellung nehmen. 549 Das Abteilungsgutachten nimmt im wesentlichen die Argumente Savignys auf. 550 Zitiert nach einern Auszug aus den Protokollen der Sitzung des Staatsrates vorn 17. 3. 1828; GStA PK Rep 80 I Justiz-Sachen, Nr. 56, fol. 80 f. Obwohl die Bezeichnung Oberrevisionshof nicht entschlüsselt wird, muß man diese Äußerung auf den RKH beziehen. Die beiden anderen eigenständigen, nicht altpreußischen Obergerichte in Posen und Greifswald kommen nicht in Frage: Das Posener Gericht war in der Verordnung vorn 9. 2. 1817 als Oberappellationsgericht errichtet worden und ferner verwiesen §§ 54 ff. dieser Verordnung (Gesetzsammlung 1817, S. 37 ff.) für das Verfahren vor diesem Gericht auf das Revisionsverfahren der AGO und damit auch auf die Beschränkung der Mitteilungspflicht. (Nach § 56 der Verordnung ging die Anlehnung an die AGO sogar soweit, daß anders als vor den Untergerichten, vor dem Oberappellationsgericht auch nicht mündlich verhandelt wurde). Gegen die Ausrichtung auf Greifswald spricht die durchgängige Bezeichnung des neuvorpommerschen Obergerichts als Oberappellationsgericht und die Tatsache, daß dort die das preußische Recht und die AGO nicht galten. 551 Siehe auch W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 157.

111. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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bb) Veröffentlichung der Entscheidungen des Obertribunals

Ganz ähnliche Zusammenhänge lassen sich für die Veröffentlichung obergerichtlicher Entscheidungen feststellen. Die Veröffentlichung der Urteile des Obertribunals war durch die AGO nicht ausdrücklich verboten, sie war schlicht nicht sinnvoll und zumindest in geordneter und systematischer Form auch nicht möglich, solange es keine Urteilsbegründung gab. Bis in die I 820er Jahre hatte es lediglich vereinzelte Urteilsrnitteilungen etwa in "Hymmens Beiträgen zur juristischen Literatur" oder im "Jus controversum" von Friedrich Behmer gegeben, die die Entscheidungsgründe aber noch aus den Relationen hatten erschließen müssen553 . Den ersten Schritt zur Durchsetzung einer umfassenden Urteilsveröffentlichung unternahm wiederum der Staatsrat. Das auf Savigny zurückgehende Gutachten von 1823554 , in dem die Mitteilung an die Parteien gefordert worden war, beinhaltete auch die Forderung nach einer umfangreichen und systematischen Entscheidungssammlung, die anders als die älteren, eher zufälligen Mitteilungen, ständig für Wissenschaft und Praxis nutzbar sein sollte555 . Obwohl sich dies zunächst nicht im vollen Umfang durchsetzen ließ, wurde die Entwicklung nicht dauerhaft aufgehalten. Die enge Verzahnung mit dem Problem der Mitteilungspflicht blieb auch in der Folge bestehen. Eine Kabinettsorder vom 24. Juli 1823, die die weitergehenden Forderungen des Staatsrates ablehnte und die Mitteilung der Entscheidungsgründe nur bei Abänderung zweier gleichlautender Urteile anordnete, stellte die Frage, inwieweit diese 552 Entwurf eines Schreibens an das Obertribunal vom 30. 11. 1831, in das die Passagen, die Parallelen zum Gutachten von 1823 aufweisen, von Kamptz nachträglich eingefügt worden sind; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 203 ff. (204). 553 Darauf nimmt das Abteilungsgutachten vom 12. 6. 1823 ausdrücklich Bezug; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 13. Darüber hinaus hatte die Kabinettsorder vom 5. März 1799 angeordnet, daß der Großkanzler dafür Sorge zu tragen habe, "daß die von dem Revisions-Richter angenommenen, nicht in dem klaren Buchstaben des Gesetzes gegründeten Rechtsprinzipien gelegentlich bekanntgemacht oder den Gesetzen einverleibet werden"; zitiert nach der Wiedergabe dieser Kabinettsorder als Anhang zu dem Immediatbericht Kircheisens vom 15. 1. 1823; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 7. Zur Praxis der Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Heinrich Gehrke: Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands. Charakteristik und Bibliographie der Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Ius Commune, Sonderhefte, Texte und Monographien, Bd. 3), Frankfurt a.M.1974. 554 Offenbar hatte die Abteilung das vorbereitende Votum Savignys weitgehend unverändert übernommen. Das ergibt ein Vergleich des bei W van Hall: Savigny als Praktiker, S. 151 ff., 204 f. (s.a. GStA PK Rep 80 I Justizsachen, Nr. 56a fol. 8 ff.) mitgeteilten Inhalts des Savignyschen Gutachtens mit dem Gutachten der Justizabteilung in GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 9 ff. 555 Eine nur auf den individuellen Rechtsfall bezogene casuistische Sammlung, wie sie beispielsweise Justus Möser vorgeschlagen hatte, lehnte Savigny dagegen ab; Heinz Mohnhaupt: Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: Walter Wilhelm (Hrsg.): Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt a. M. 1972, S. 254.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Urteile veröffentlicht werden sollten, in das Ennessen des Justizministers. Kircheisen zeigte sich einer Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen nicht abgeneigt. 1824 unterstützte er offiziell eine Initiative August Heinrich Simons - also eines Juristen des RKH -, der eine Sammlung denkwürdiger Entscheidungen der preußischen Gerichte herausgeben wollte 556 . Endgültig realisiert wurde dieses Projekt 1828 als "Rechtssprüche der preußischen Gerichtshöfe", die von Simon in Zusammenarbeit mit dem Kammergerichtsrat Heinrich Leopold von Strampff herausgegeben wurden 557 . In diesem Rahmen gelangten auch Entscheidungen des Obertribunals zur Kenntnis der Öffentlichkeit, ohne daß die Sammlung sich auf diese Entscheidungen konzentrierte. Eine amtliche oder doch schwerpunktmäßig auf das Obertribunal festgelegte Entscheidungssammlung blieb weiterhin aus. Erst nach der endgültigen Festschreibung der Mitteilungspflicht 1832 rückte auch die Verwirklichung einer amtlichen Sammlung näher. Zurückgehend auf Vorschläge des Präsidenten und einiger Richter des Obertribunals wurde 1837 die Herausgabe der ersten amtlichen Veröffentlichung von Entscheidungen des Obertribunals den beiden Herausgebern der "Rechtssprüche" Simon und Strampff übertragen 558 . Erst 1837 wurden also die Vorschläge Savignys von 1823 in vollem Umfang umgesetzt. Zugleich wurde aber auch das preußische Verfahren dem rheinischen, das eine Urteilsveröffentlichung bereits seit 1819 kannte, ein weiteres Stück angenähert. Damit stellt sich wieder die Frage, inwieweit diese Annäherung durch das Beispiel des rheinischen Praxis gefördert worden ist. Zunächst ist festzuhalten, daß die systematische Veröffentlichung der Entscheidungen des höchsten Gerichtshofes Forderungen entsprach, die die Rechtswissenschaft, genauer die historische Rechtsschule, schon seit einiger Zeit stellte, und daß es gerade ihr Vorreiter Savigny war, der diese Forderung im Staatsrat aufbrachte. In welcher Weise er in seinem Gutachten von 1823 die Möglichkeit nutzte, die Umsetzung grundlegender Prämissen der Rechtsschule zu fördern, hat Wolfgang van Hall dargelegt 559 . In Preußen hatte die fehlende wissenschaftliche Bearbeitung des geltenden Rechts und die Konzentration der universitären Ausbildung auf das gemeine oder römische Recht zu einer Entfremdung von Praxis und Wissenschaft geführt. Der Überwindung 556 Simon hatte dieses Projekt schon im November 1823 Kircheisen vorgelegt und dessen grundsätzliche Zustimmung erhalten. Mit Schreiben vom 11. 7. 1824 stellte er dann offiziell den Antrag auf Genehmigung seiner Pläne. Schon am 16.7. 1824 erteilte das Justizministerium diese Genehmigung (Entwurf vom 16.7, abgesandt am 22.7.); GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4833, fol. 7 ff., fol. 13 f. 557 Rechtssprüche der preußischen Gerichtshöfe, mit Genehmigung Seiner Excellenz des Herrn Justiz-Ministers herausgegeben von A. H. Simon (geheimen Ober-Justiz und Revisions-Rathe) und H. L. v. Strampff (Kammer-Gerichts-Rathe), Bde. I - IV, Berlin 18281836. 558 Entscheidungen des Königlichen Geheimen Ober-Tribunals, herausgegeben im amtlichen Auftrage von August Heinrich Simon und Heinrich Leopold von Strampff, Bde. I-LXXXIII, Berlin 1837 - 1879. 559 W. van Hall: Savigny als Praktiker, S. 151 ff.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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dieses Abgrundes galt das besondere Augenmerk Savignys56o. Da es in Preußen an einer nennenswerten wissenschaftlichen Literatur zum geltenden Landrecht fehlte, "welche, als ein wohltätiges Band zwischen Theorie und Praxis, beide vor Einseitigkeit bewahrt,,561 , erlangte die Veröffentlichung der gerichtlichen Entscheidungen für Savigny um so größere Bedeutung562 . Sie sollte der "Belehrung der Richter" dienen und so eine Ausrichtung der Untergerichte an der obergerichtlichen Judikatur und gleichzeitig das wissenschaftliche Studium des preußischen Rechts befördern563 . Ziel war es, die "Theorie praktischer und die Praxis wissenschaftlicher,,564 zu machen. Dieses Bemühen um eine Annäherung von Wissenschaft und Praxis war letztlich Resultat der Rechtsquellentheorie Savignys und der historische Rechtsschule 565 . Ausgehend von der im "Beruf' niedergelegten Konzeption galt nicht mehr das positive Gesetz, sondern die gemeinsame Rechtsüberzeugung des Volkes als urspriingliche und alleinige Quelle des Rechts, eines Rechts, das ausgehend von dieser Basis begrifflich nicht ganz unproblematisch als Gewohnheitsrecht bezeichnet wurde566 . Repräsentant dieser Rechtsüberzeugung war der Jurist. Damit wurden die Urteile der Gerichte zur "reichhaltigsten und zuverlässigsten Quelle des Gewohnheitsrechts,,567. 560 Wenn dies auch nicht überall gelungen ist und die historische Rechtsschule im nachhinein betrachtet sogar eine weitere Vertiefung der Gegensätze befördert haben mag. 561 Zit nach dem Abteilungsgutachten vom 12.6. 1823; GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4222, fol. 127, S. 12. 562 Schon sein Gutachten für die Justizabteilung läßt dabei erkennen, daß es ihm um eine systematische und der wissenschaftlichen Bearbeitung zugängliche Aufarbeitung des Urteilsmaterials ging. Zu seiner Gegnerschaft gegen eine rein auf den individuellen Rechtsfall bezogenen casuistischen Sammlung wie sie bspw. Justus Möser vorgeschlagen hatte; H. Mohnhaupt: Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: W. Wilhelm (Hrsg.): Studien zur europäischen Rechtsgeschichte S. 254 f. 563 Explizit wurden diese Zielsetzungen wohl zuerst im Gutachten Savignys von 1823 genannt, von dem aus sie Eingang in die Stellungnahme der Justizabteilung und schließlich des Staatrates fanden. Diese Gesichtspunkte durchziehen die oben dargestellten Entwicklungsschritte ausgehend von den Gutachten des Jahres 1823 bis hin zu den Anträgen auf Herausgabe einer amtlichen Sammlung der Tribunalsentscheidungen 1835/36. 564 So Savigny zit. nach H. Mohnhaupt: Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in W. Wilhelm (Hrsg.): Studien zur europäischen Rechtsgeschichte S. 249. 565 Dazu bspw. H. Mohnhaupt: Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: Walter Wilhelm (Hrsg.): Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; R. Ogorek: Richterkönig, S. 170 ff.; Joachim Rückert: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Karl von Savigny, Ebelsbach 1984, S. 303 ff., der diese Rechtsquellentheorie auf die idealistische Denkhaltung Savignys zurückführt. 566 Vom Beruf unserer Zeit, J. Stern: Thibaut und Savigny, S. 105; F. K. v. Savigny: System des römischen Rechts, Bd. I, S. 45. 567 Dieses Zitat aus einem Staatsratsgutachten Savignys zum Bestehen einer bestimmten auf Kirchenbaulasten bezogenen Observanz vom 20. 1. 1834 findet sich bei H. Schneider: Staatsrat, S. 125, Anm. 1.; Friedrich Ebel: Savigny officialis, Berlin, New York 1987, S. 23, Anm. 79 gibt dafür als Quelle GStA PK Rep 80 I Justizsachen Nr. 102 a, fol. 41 an. Ein Teil der Lehre sprach in diesem Zusammenhang allerdings weniger von einer Rechts- als von einer Rechtserkenntnisquelle; Georg Friedrich Puchta: Das Gewohnheitsrecht, Bd. I, Erlan-

22 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Soweit die Zusammenhänge zwischen historischer Rechtsquellentheorie und der Forderung der Veröffentlichung der Gerichtsurteile in der Wissenschaft aufgearbeitet sind, wurde bei derartigen Untersuchungen aber bisher außer acht gelassen, daß Savigny, als er diese Forderungen im Staatsrat stellte, bereits vier Jahre am RKH gearbeitet und dort die Praxis der Entscheidungsveröffentlichung kennengelernt hatte. Savigny war mit einem Rechtskreis in Berührung gekommen, in dem - anders als in Preußen - bereits eine lebhafte Verbindung zwischen Rechtsprechung und Wissenschaft bestand. Die wissenschaftliche Literatur zum französischen Recht setzte sich intensiv mit der Rechtsprechung auseinander und fand ihrerseits Niederschlag in den Entscheidungen der Gerichte 568 . Diese Nähe setzte sich auch in der Arbeit des RKH mit dem rheinisch-französischen Recht fort. Schließlich mußte sich der Gerichtshof ständig mit französischem Recht beschäftigen und zog zu diesem Zweck auch die französische Literatur hinzu 569 . Darüber hinaus gab es für den engeren Bereich des rheinischen Rechts bereits Ansätze für eine wissenschaftliche Erschließung der Rechtsprechung. Seit 1819 wurden die Entscheidungen des Gerichts im "Rheinischen Archiv für Civil- und Criminalrecht" in einer Art und Weise veröffentlicht, die den Forderungen der Rechtsschule nach einer systematischen, für Praxis und Rechtslehre nutzbaren Entscheidungssammlung nahe kam 57o • Über die Veröffentlichung im Rheinischen Archiv waren die Urteile des RKH wissenschaftlicher Bearbeitung zumindest zugänglich, und es gehörte zum Konzept der Herausgeber, eine solche wissenschaftliche Erschließung auch durch die Aufnahme von Aufsätzen und Urteilsbesprechungen zu fördern. Mit anderen Worten: Am RKH und in der rheinischen Fachliteratur war das Programm bereits realisiert, das Savigny und die historische Rechtsschule bezogen auf das preußische Recht erst noch durchsetzen mußten. Ungeachtet dieses Hintergrundes verwies Savigny in seinem Gutachten für die Justizabteilung auf die Veröffentlichungspraxis einer ganzen Reihe anderer deutscher Staaten, ohne das naheliegenste Beispiel, die Veröffentlichung der RKH-Urgen 1828, S. 166. Demgegenüber weist jedoch R. Ogorek: Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 172 darauf hin, daß dieser Unterscheidung wohl keine Erklärungsfunktion beizumessen ist, da diese Lehre, indem sie den Juristen als maßgeblichen Repräsentanten des rechtserzeugenden Volkswillens einordnete, Rechtserzeugung und Rechtserkenntnis wieder in einer Hand zusarnmenfaßte. 568 Vgl. bspw. Kar! H. Neumayer: Die wissenschaftliche Behandlung des kodifizierten Privatrechtsstoffes im Großherzogturn Baden und auf dem linken Rheinufer bis zum Beginn der Vorarbeiten zum BGB (1874), in: Helmut Coing/Walter Wilhelm (Hrsg.): Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19.Jahrhundert (Studien zur Rechtswissenschaft des 19.Jahrhunderts, Bd. I), Frankfurt a.M., S. 200 ff.; D. Schumacher: Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts, bspw. S. 35 ff. Siehe auch Ausführungen im Rechtssprechungskapitel E IV I. 569 Vgl. dazu auch die Angaben über die Ausstattung der Gerichtsbibliothek mit französischer Rechtsliteratur in GStA PK Rep 97 B III Nr. 3. 570 Zu Umfang und Kriterien der Veröffentlichung der Urteile des RKH, die sich im Laufe der Jahre noch erweitereten, siehe unten die Ausführungen zur Rechtssprechung des RKH in Kapitel E 11.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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teile, überhaupt zu erwähnen. Das Gutachten läßt aber erkennen, daß er sich in der Beschränkung auf eine wissenschaftliche Begründung und andere deutsche Praxisbeispiele größeren Erfolg versprach, als bei Aufnahme eines Hinweises auf den RKH. Denn mit Bezug auf die vorangegangenen Erläuterungen über den Nutzen einer Urteilsveröffentlichung heißt es dort: "Vergleicht man diese Ansichten mit der oben erwähnten Tatsache, daß das hiesige Ober-Tribunal niemals Gründe mitgetheilt hat, so könnte man leicht zu der Meinung verleitet werden, als ob jene Ansichten der allerneuesten Zeit angehörten, wodurch bei vielen ein gewisses Vorurteil gegen dieselben entstehen könnte.,,571 Diese Vorurteile werden dann im folgenden durch den Hinweis auf die schon "seit sehr langer Zeit in mehreren deutschen Ländern" übliche Veröffentlichung der letztinstanzlichen Urteile widerlegt. Dieser Argumentation schlossen sich die Justizabteilung und das Staatsratsplenum an, indem sie das Gutachten Savignys übernahmen. Dennoch lag den Beratungen der Justizabteilung aber auch in diesem Fall der direkte Vergleich mit dem RKH oder dem rheinisch-französischen Recht zugrunde. Wiederum war es Sethe, der diesen Aspekt in die Beratungen einbrachte. Anders als Savigny betonte er nicht so sehr den Nutzen für die Ausbildung der Rechtswissenschaft als vielmehr die positiven Auswirkungen einer Entscheidungssammlung auf die juristische Praxis. Er hob die Vereinheitlichung der Rechtsprechung und die größere Rechtssicherheit als Folgen einer regelmäßigen Urteilsveröffentlichung hervor. Gleichzeitig wies er darauf hin, daß die Zahl der Prozesse erheblich abnehmen würde, wenn die Parteien sich über die Erfolgsaussichten einer Klage schon im voraus anhand der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung informieren könnten. Auf diese Weise gelangten die Erfahrungen, die Sethe mit der preußischen, französischen und rheinischen Gerichtsbarkeit gemacht hatte, in das Bewußtsein der Abteilungsmitglieder und trugen ebenso wie in der Mitteilungsfrage dazu bei, den praktischen Nutzen der Vorschläge Savignys zu belegen. Die weitere Entwicklung wurde ebenfalls maßgeblich von Juristen des RKH beeinflußt. Neben August Heinrich Simon als Herausgeber der ersten Veröffentlichungen ist hier auch der ehemalige Richter des RKH und spätere Justizminister Heinrich Gottlob Mühler zu nennen. Er unterstützte die Pläne zur Erstellung einer amtlichen Sammlung seit Mitte der dreißiger Jahre. Nachdem der Präsident des Obertribunals, Wilhelm Friedrich Sack, und ein weiterer Obertribunalsrat die Herausgabe einer solchen Sammlung 1834/35 angeregt hatten, schloß sich Mühler diesen Vorschlägen an und förderte die Ausarbeitung eines detaillierteren Planes, den Sack in Zusammenarbeit mit dem Kollegium - insbesondere dem Obertribunalsrat Busse, ebenfalls einem ehemaligen Mitglied des RKH - ausarbeiten sollte572 . 1838 stellte Mühler sich dann schützend vor die Herausgeber, als sein 571 Zit. nach dem Gutachten Justizabteilung vorn 12. 6. 1823; GStA PK Rep 84 a (0) Nr. 4222, fol. 127, S. 13. 572 Diese Beratungen zogen sich bis 1836 hin. Innerhalb des Kollegiums boten v.a. Fragen des Umfangs der Entscheidungswiedergabe, der Auswahl der Entscheidungen und des Cha-

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Mitminister Kamptz unter Hinweis auf die "nachteiligsten Strömungen und Verwirrungen", die die Veröffentlichung einiger von der bisherigen Rechtsprechung abweichender Urteile des Tribunals mit sich gebracht habe, vorschlug, die Auswahl der Urteile dem Justizministerium zu übertragen 573 . Mühler lehnte dieses Ansinnen entschieden ab und machte deutlich, daß er die Veröffentlichung gerade solcher Urteile für unverzichtbar hielt, da sie sowohl für die fachlich-juristische Debatte als auch für die Gesetzgebung, soweit diese normative Lücken schließen solle, vom großem Nutzen sei 574 .

ce) Zusammenfassung

Die Bedeutung des RKH für die Einführung der Mitteilungspflicht und der Veröffentlichung der Entscheidungen des Obertribunals läßt sich am besten erfassen, wenn man sie mit der Funktion eines Katalysators umschreibt. Die Existenz des Gerichts oder des französischen Rechts in Preußen bildete weder in der Frage der Entscheidungsmitteilung noch der Urteilsveröffentlichung den Ausgangspunkt der Diskussion. Auf beiden Gebieten wurde die Entwicklung angestoßen, ohne daß am Anfang der vergleichende Blick auf das rheinische oder französische Recht gestanden hätte. Die Existenz des RKH in Berlin hat aber die Ereignisse gleich auf mehrfache Weise beschleunigt: Das rheinische Kassationsverfahren war - auch wenn dies nicht offen ausgesprochen wurde - ein wichtiges, weil das einzige innerhalb Preußens noch praktizierte, Vorbild für ein Verfahren der Abfassung und Veröffentlichung obergerichtlicher Entscheidungen. Gleichzeitig war die Existenz des RKH Voraussetzung dafür, daß mit dem französischen Verfahren vertraute Juristen wie Sethe oder auch Simon ihre Erfahrungen in den Gesetzgebungsprozeß einfließen lassen konnten. Dariiber hinaus lieferte die Arbeit des Gerichtshofes aus der Sicht der historischen Rechtsschule den Beleg für die Umsetzbarkeit der von ihr zur Annäherung von Wissenschaft und Praxis aufgestellten Forderungen. rakters der Veröffentlichung - insbesondere die Frage, wie aus der Sammlung Simons und Strampffs eine Entscheidungssamrnlung amtlichen Charakters zu bilden sei - Anlaß zu Kontroversen. Schließlich einigte man sich darauf, die Urteile mit Tatbestand aber unter Weglassung aller für die Rechtsfrage uninteressanter Elemente nach einer durch den Präsidenten zu treffenden Auswahl von Simon und Strampff veröffentlichen zu lassen. Beide Herausgeber hatten sich zuvor mit der Beschränkung ihres Werkes auf die Sprüche des Obertribunals einverstanden erklärt; zum Ganzen GStA PK Rep 84 a (D) Nr. 4833, fol. 95 ff. und die als Anhang des letzten Bandes der Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals von den Herausgebern verfaßte "Geschichte der Herausgabe der Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals, nebst Plenarbeschlüssen und Präjudizien", in Bd. 82 (1879) der Entscheidungssamrnlung, S. 374 ff. 573 Schreiben vom 24. 2. 1838 an Mühler; GStA PK Rep 84 11 2 T Nr. 7, fol. 12. 574 Überdies wies er darauf hin, daß derartige Urteile, die ja auch in Privatmitteilungen oder Zeitschriften veröffentlicht werden konnten, sich nicht dauerhaft der Kenntnis des Publikums vorenthalten ließen; Schreiben an Kamptz vom 15. 5. 1838 GStA PK Rep 84 11 2 T Nr. 7, fol. 15 f.

IIl. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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b) Konzentration des letztinstanzlichen Verfahrens auf die Rechtsfrage Als Einfallstore für zentrale Gedanken des Kassationsrechts erwiesen sich die Bemühungen um eine Entlastung des Obertribunals, die in den zwanziger Jahren erneut einsetzten.

aa)Anjänge

Die Bestrebungen zur Entlastung des Obertribunals haben, wie oben bereits angedeutet, ihren Ursprung nicht erst in der Entwicklung der 1820er Jahre, sondern reichen weiter zuriick. Erst in den 20er Jahre zeigten sich aber Ansätze eines Abweichens von den bisher üblichen Lösungsstrategien. Im Februar 1824 legte das Staatsministerium einen Gesetzentwurf vor, der auf eine Konzentration der letztinstanzlichen Rechtsprechung beim Obertribunal abzielte. Danach sollte die gesonderte Revisionsgerichtsbarkeit zumindest der westfälischen Oberlandesgerichte beendet werden 575 . Dieser Entwurf wurde der Justizabteilung des Staatsrates vorgelegt und dort zunächst von Savigny begutachtet576 . Dieser verwarf jedoch die projektierte Regelung, die in seinen Augen weder eine Entlastung des Obertribunals noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gewährleisten konnte 577 , und machte einen völlig neuen Vorschlag. Savigny ging von der Prämisse aus, daß der Zugang zur dritten Instanz keinerlei streitwertabhängigen Beschränkungen unterworfen sein dürfe, wenn man tatsächlich das Obertribunal zur Wahrung der Einförmigkeit der Rechtsprechung befähigen wolle. Gleichzeitig aber "müßte dasselbe nicht bloß von der gegenwärtigen 575 Dennoch knüpfte der Entwurf auch noch an ältere Lösungen an, da er einmal mehr die Erhöhung der Eingangssumme forderte; GStA PK Rep 84 Ir 4 IV, Nr. 4, vol. 1, fol. la. Die Revision sollte künftig erst ab einer Summe von 1000 Talern zulässig sein. Revisionen aus den westfälischen Gebieten sollten in Zukunft ebenfalls erst ab einer Summe von 1000 Talern zugelassen sein und dann einheitlich an das Obertribunal gelangen. Die weitere Beratung dieses Entwurfes, wie sie im folgenden dargestellt wird, läßt sich anhand dieser Akte (fol. I ff.: Druckschrift, in der das Gutachten der Justizabteilung sowie einige Anlagen dazu enthalten sind,) und anhand der entsprechenden Akten des Staatsrates nachvollziehen; GStA PK Rep 80 I Justizsachen, Nr. 61, 61 a. 576 GStA PK Rep 80 I Justizsachen Nr. 61 a, fol. 8 ff.; dazu auch W. v. Hall: Savigny als Praktiker, S. 147 ff., Regest des Gutachtens ebd. S. 206 f. Dieses Gutachten wurde in das Gutachten der Justizabteilung übernommen, so daß im folgenden aus dem Gutachten der Abteilung in GStA PK Rep 84 11 4 IV, Nr. 4 vol. I, fo!. I ff. zitiert wird. 577 Die durch eine Erhöhung der allgemeinen Revisionssumme auf 1.000 Taler erreichte Entlastung wäre durch die vermehrte Zuweisung der westfälischen Sachen, die bisher erst ab einer Summe von 2.000 Taler an das Tribunal gelangten, wieder aufgehoben worden. Gleichzeitig hätte die Festsetzung der Summe auf 1.000 Taler für andere preußische Gebiete eine Erhöhung der Eingangssumme bedeutet und so zu einer Zunahme von Sachen geführt, für die die zweite zugleich die letzte Instanz darstellte. Somit wäre die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung noch gefördert worden.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Überhäufung mit Geschäften befreiet, sondern auch soweit erleichtert werden, um der Ausarbeitung und Diskussion einzelner Sachen mehr Zeit als gegenwärtig widmen zu können,,578. Daher regte er an, die notwendige Entlastung über eine Ausschließung aller Tatfragen und eine Umgestaltung der Revision zu einer reinen Rechtsanwendungskontrolle herbeizuführen. Damit wurde zum ersten Mal ein der Kassation ähnliches Rechtsmittel zur Lösung der Krise des preußischen Rechtsmittelwesens in die legislatorische Debatte eingeführt. Savigny selbst bestritt nicht, daß sein Vorschlag "einige Ähnlichkeit" mit dem französischen Kassationsverfahren habe, und er zog das französische Beispiel heran, um zu beweisen, daß das vorgeschlagene Verfahren geeignet war, zu Vereinheitlichung der Rechtsprechung eines großen Territorialstaates beizutragen. Als die Justizabteilung, der zu diesem Zeitpunkt Sethe, der Wirkliche Geheime Oberjustizrat Diederichs, der Geheime Legationsrat Eichhorn und der Justizrat Müller angehörten, über das Gutachten Savignys zu beraten hatte, herrschte zunächst keine Einigkeit: Während sich Sethe in seinem Korreferat den Vorschlägen Savignys - unter Hinweis auf seine eigenen praktischen Erfahrungen - anschloß579 , legten die anderen Mitglieder ursprünglich eigene Lösungsvorschläge vor, die an einer Aufteilung der Revisionsinstanz festhielten 58o . In der weiteren Debatte erkannten sie dann zwar an, daß die Vorschläge des Referenten wohl tatsächlich eine Reduzierung der Verfahren und eine Konzentration der Rechtsprechung herbeiführen würden. Sie bezweifelten aber, daß sich diese Vorschläge überhaupt würden umsetzen lassen, da sie eine Trennung von Tat- und Rechtsfragen und eine Beschränkung der Revisionsinstanz auf letztere für unmöglich hielten 581 . An diesem Punkt erlangte nun der RKH unmittelbare Bedeutung für den Gang der Angelegenheit. Sethe und Savigny machten nämlich in den Beratungen darauf aufmerksam, daß am rheinischen Obergericht diese Trennung bereits durchgeführt werde und der RKH allein über Rechtsfragen befinde582 . Sie belegten damit, daß den Vorschlägen ein Konzept zugrunde lag, dem die Praxis am RKH bereits entsprach und das dort mit großem Erfolg betrieben wurde. Es gelang ihnen damit, die Zweifel der Abteilungsmitglieder so wirksam zu zerstreuen, daß die Abteilung Zit. aus GStA PK Rep 84 11 4 IV, Nr. 4, vol. 1, fol. 1 n (Seite 28 der Druckschrift). GStA PK Rep 80 I Justizsachen, Nr. 61 a, fol. 27 f. 580 Das geht aus dem Abteilungsgutachten hervor. Sie sprachen sich dafür aus, alle Sachen unter 2000 bzw. unter 1000 Talern vom Obertribunal fernzuhalten und auf Oberlandesgerichte zu verteilen; GStA PK Rep 84 11 4 IV, Nr. 4, vol. 1, fol. 1 n (Seite 28 der Druckschrift). Eine ablehnende Stellungsnahme Diederichs findet sich darüber hinaus auch in GStA PK Rep 80 I Justizsachen, Nr. 61 a, fol. 29. 581 GstA PK Rep 84 11 4 IV, Nr. 4, vol. I, fol. 10 (Seite 30 f. der Druckschrift). 582 GStA PK Rep 84114 IV, Nr. 4, vol. 1, fol. 1 p (Seite 31 der Druckschrift). Dieser Bericht nennt Sethe und Savigny nicht namentlich. Er spricht von zwei Mitgliedern, "welche bei demhiesigen Revisionshofes angestellt sind". Gleichzeitig ist dem Bericht aber zu entnehmen, daß an der Sitzung der Justizabteilung nur zwei Mitglieder des RKH teilgenommen haben, Sethe und Savigny. 578

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III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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alle Bedenken aufgab und sich einstimmig dem Gutachten Savignys anschloß 583 . Insgesamt vermitteln diese Vorgänge einen Eindruck davon, wie die Mitglieder des RKH im Sinne des französischen Rechts auf die gesetzgeberische Debatte innerhalb des Staatsrates Einfluß nehmen konnten. Die Struktur der Vermittlungsfunktion des Gerichtshofes wird an diesem Beispiel besonders deutlich. Auf der einen Seite lag der Vergleich mit dem französischen Recht und daher der Kassationsgedanke dem Referentenentwurf zugrunde und wirkte unmittelbar auf die Ausgestaltung des Gesetzentwurfes ein. Auf der anderen Seite lieferte das in Berlin praktizierte Verfahren des RKH den Beweis für die Durchführbarkeit der Vorschläge. Diese Feststellungen haben auch dann noch Bestand, wenn man berücksichtigt, daß die Konzentration auf die Rechtsfrage, die Savigny hier anregte, zugleich in den Kontext seiner Forderungen nach einer Annäherung von Wissenschaft und Praxis einzuordnen ist584 . Denn mit dem französischen oder auch dem rheinischen Kassationshof bot sich ihm das Modell einer bereits praktizierten "wissenschaftlichen Rechtsprechung". Das Kassationsverfahren zeichnete wie in der Veröffentlichungsfrage den Weg vor, auf dem die von Savigny gewünschte wissenschaftliche Ausrichtung des Richteramtes umzusetzen war. Die Tatsachen, daß Savigny auf die Unterschiede zwischen dem Kassationsverfahren und seinen Vorschlägen verweist, schwächt die Bedeutung des französischen Vorbilds nicht ab. Denn die Betonung dieser Unterscheide diente letztlich wieder dem Schutz der Vorschläge, deren Ähnlichkeit zum französischen Recht sich nicht mehr leugnen ließ. So stellte Savigny besonders heraus, daß das von ihm vorgeschlagene Rechtsmittel im Falle der Verletzung materieller Gesetze nicht nur auf die Sanktion eines Verstoßes gegen ein klares Gesetz beschränkt sei - wie er es dem französischen Verfahren unterstellte - sondern auch dort greife, wo eine erst durch Auslegung zu ermittelnde Rechtsregel verletzt sei585 . Inhaltlich wurde diese Argumentation schon in den Abteilungsberatungen widerlegt. Sethe wies nämlich in seinem Korreferat darauf hin, daß zwar der Wortlaut der französischen Gesetze586 eine Beschränkung auf Zuwiderhandlungen gegen ein klares Gesetz nahelege, daß dies aber keinesfalls der französischen Praxis entspreche. Da die Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung - der der Kassationshof entgegentreten solle eben dort entstehe, wo es den Gesetzen an Klarheit mangele, und der Kassations583 GStA PK Rep 84 11 4 IV, Nr. 4, vol. I, fol. 1 p (Seite 31 der Druckschrift). Dazu auch Protokoll der Verhandlung des Gutachtens Savignys in der Justizabteilung vom 11. 11. 1824; GStA PK Rep 80 I Justizsachen, Nr. 61 a, fol. 30 f. 584 W v. Hall: Savigny als Praktiker, S. 149 f., ebenfalls unter Bezug auf dieses Gutachten, aber ohne dabei auf die Erfahrungen Savignys am RKH einzugehen. 585 Weitere Unterschiede sah er in der aufrechtzuerhaltenden Ausschließung aller Strafsachen von der dritten Instanz und der geringeren Relevanz der Verletzung von Prozeßförmlichkeiten innerhalb des preußischen Verfahrensrechts; GStA PK Rep 84 11 4, Nr. 4, vol. 1, fol. 10 (Seite 29 der Druckschrift). 586 Er bezieht sich hier auf die "contravention expresse au texte de la loi" des Gesetzes vom 1. 12. 1790.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

hof gerade dort sein Wachteramt wahrnehmen müsse, sei eine derartige Beschränkung im französischen Recht überhaupt nicht praktikabel. Was Savigny hier als Eigenart des französischen Kassationsverfahren darstellte, entsprach weder der Praxis der französischen Kassationsgerichtsbarkeit, die ihre Befugnisse schon Ende des 18. Jahrhunderts von einer strikten Bindung an des Gesetzeswortlaut gelöst hatte 587 , noch derjenigen des RKH. Da Savigny selbst seit fünf Jahren am RKH arbeitete und dort auch mit französisch-rechtlichen Prozessen befaßt war, müssen diese Umstände ihm bei Abfassung seines Gutachtens bekannt gewesen sein. Dies bestätigt die Vermutung, daß Savigny die Abgrenzung von der Kassation lediglich aufgenommen hat, um seine Vorschläge gegen eine auf der prinzipiellen Gegnerschaft zum französischen Recht beruhende Anfeindung abzusichern. Aus denselben Gründen dürfte diese Passage aus Savignys Gutachten dann trotz der KlarsteIlung Sethes in das abschließende Gutachten der Abteilung aufgenommen worden sein.

bb) Die Reform der Rechtsmittel als Gegenstand der Gesetzrevision

Obwohl damit schon 1824 und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf französisches Recht und den RKH ein Votum für ein kassationsähnliches Rechtsmittel abgegeben worden war, erzielten die Vorschläge zunächst keine unmittelbare Wirkung. Der Staatsrat hatte ursprünglich sein Gutachten zu einem gänzlich anderen Vorschlag des Staatsministeriums abgeben sollen. Da ihm selbst kein Gesetzesinitiativrecht zustand, konnte er die Vorschläge der Justizabteilung nicht in einen förmlichen Gesetzentwurf umarbeiten. Die Revisionsinstanz wurde also zunächst in ihrer bisherigen Form belassen. Das Problem der Überlastung des Obertribunals wurde weiter auf dem hergebrachten Weg angegangen. Erst innerhalb der 1825 neu einsetzenden Gesetzrevision begegnet man den Gedanken Savignys wieder. Die Reform des Rechtsmittelwesens des preußischen Zivilprozesses war Teil der Beratungen über eine umfassende Reform der AGO. Sie wurde in gemeinsamen Sitzungen mehrerer Deputationen unter dem Vorsitz des Revisiors der IV. Deputation, des Advokaten Reinhardt, beraten 588 . Beteiligt waren neben Reinhardt die RKH-Juristen Reibnitz und Simon, der Oberlandesgerichtspräsident Karl Wilhelm von Bötticher, der Oberlandesgerichtsrat Wilhelm Krausnick und der Oberlandesgerichtspräsident Fülleborn589 . Spätestens 1827 trat auch Mühler zu den BeratunDazu oben Kapitel D I I a) bb) und b) cc) (1). Speziell zu den zivilprozessualen Revisionsarbeiten K. W. Nörr: Reinhardt; vgl. aber auch W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. XVI ff., die die Druckfassung des Berichts der Deputation und des späteren Gesetzentwurfes wiedergeben, ebd. S. I ff.; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2650; J. Fr. H. Abegg: Versuch, S. 205 ff.; A. Stölzel: Rechtsverfassung, Bd. 2, S. 492 ff. 589 W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. 1, S. XVII. Kurzbiographien der drei letzten ebd. 2. Abt., Bd. 9,1, S. XXIII. 587

588

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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gen hinzu 59o . Die Ergebnisse dieser Arbeiten faßte Reinhardt 1827 in einem zweiteiligen Bericht zusammen, der der Gesetzrevisionskommission zur Beratung vorgelegt wurde. In diesen Beratungen wurde sehr schnell der Vorwurf erhoben, die Deputationen hätten eine revidierte französische Prozeßordnung entworfen 591 . Dieses Urteil wurde zwar von der Kommissionsmehrheit nicht geteilt, dennoch kam es unter maßgeblichem Einfluß des Justizministers Danckelmann zu bedeutsamen Abänderungen der Deputationsvorschläge592 . Auf Grundlage der diesen Verhandlungen erzielten Ergebnisse fertigte Reinhardt dann 1830-1832 den Entwurf eines entsprechenden Prozeßgesetzes an 593 . Die Behandlung des höchstgerichtlichen Verfahrens in diesen legislatorischen Arbeiten knüpfte an die Bemühungen des Jahres 1824 an. Ziel der gesetzgeberischen Arbeiten sollte es weiterhin sein, eine effektive Entlastung des Obertribunals und eine Vereinheitlichung der obergerichtlichen Rechtsprechung herbeizuführen. Man war sich innerhalb der Deputation insoweit einig, als man die dritte Instanz künftig ausschließlich dem Obertribunal zuweisen wollte und eine weitere Erhöhung der Revisionssumme zur Entlastung des Obertribunals ausschloß 594 . Die Frage allerdings, wie diese Ziele zu erreichen seien, wurde unterschiedlich beantwortet595 . Die Mehrheit der sieben Deputationsmitglieder, nämlich Reinhardt, Simon, Mühler und Bötticher, sprachen sich dafür aus, künftig nur noch zwei ordentliche Instanzen zu gestatten und an die Stelle der Revision ein außerordentliches, kassationsähnliches Rechtsmittel zu setzen. Bei der Benennung dieses Rechtsmittels schwankten sie noch zwischen der Verwendung des hergebrachten Begriffes der Revision und einer Bezeichnung als "Nichtigkeitsbeschwerde". Dieses neue Rechtsmittel sollte nur in drei Fällen zulässig sein: bei Inkompetenz des erkennenden Richters, bei Verletzung wesentlicher Förmlichkeiten, die der Richter begangen oder gutgeheißen hatte, und schließlich bei Gesetzesverletzungen, die auf falscher Anwendung oder unrichtiger Auslegung des Gesetzes beruhten. Damit wurde 590 Er wird bei Schubert / Regge nicht genannt, seine Mitarbeit geht aber aus dem Bericht Reinhardts hervor, der im zweiten Teil streckenweise die Namen der Deputationsmitglieder bei der Darstellung des Meinungsbildes wiedergibt; vgl. auch K. W. Nörr: Reinhardt, S. 22. Auch an den Beratungen über die Reform des Revisionsverfahrens hat Mühler teilgenommen. 59\ W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. XVII. 592 K. W. Nörr: Reinhardt, S. 28; W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1 , S. XVII; A. Kamptz: Aktenmäßige Darstellung, S. 89. 593 Ediert bei W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 307 ff. 594 Man sah darin "ein gewaltsames Mittel [ ... ] - nämlich eine Versagung der Rechtshülfe in vielen derjenigen Fälle, in welchen sie nach den bisherigen Grundsätzen gestattet und als notwendig angesehen worden"; zit. nach W. Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 253. 595 Dies und das folgende ist dem zweiten Teil des Berichts Reinhardts - erst dort (ab S. 92 des Berichts) geht er auf die Frage des letztinstanzlichen Verfahrens ein - entnommen; abgedruckt bei W. Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 234 ff.; vgl. auch die kurze Zusammenfassung bei K. W. Nörr: Reinhardt, S. 22 f.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

die Ausschließung aller Tatfragen von der Kontrolle durch das höchste Gericht aufgenommen und im Grunde diejenige Lösung umgesetzt, die Savigny und die lustizabteilung schon 1824 als den einzig effektiven Weg zur Entlastung des Tribunals angesehen hatten. Die drei anderen Mitglieder lehnten die Beschränkung auf einen nur noch zweigliedrigen Instanzenzug jedoch ab. Fülleborn wollte gegen konforme Urteile der Vorinstanzen keinerlei Rechtsmittel mehr zulassen, bei abweichenden Vorentscheidungen allerdings die Revision ohne jede Beschränkung als ordentliches Rechtsmittel beibehalten 596 . Reibnitz und Krausnik griffen französische Rechtsgedanken auf und plädierten dafür, neben der Revision noch ein weiteres Rechtsmittel zuzulassen, für das sie ebenfalls den Begriff der Nichtigkeitsbeschwerde verwandten 597 . Es sollte vor einem als "Kassationshof' bezeichneten Gremium verhandelt werden. Dieses Gremium sollte jedoch nicht als unabhängige richterliche Behörde ausgestaltet werden, sondern dem lustizministerium angeschlossen sein, dessen Räte "in dieser Hinsicht richterliche Qualität erhalten,,598 sollten. Diese Ansichten haben sich jedoch innerhalb der Deputation nicht durchsetzen können. Der Deputationsbericht folgte wieder der Mehrheitsansicht. In der Ausgestaltung des Rechtsmittels ist zumindest in einigen Punkten eine Annäherung an das französische Kassationsverfahren zu beobachten, etwa wenn die Einlegung unmittelbar beim judex a quem und eine dreimonatige Einlegungsfrist sowie die Zulässigkeit der Beschwerde gegen nicht appellable Urteile der ersten Instanz vorgeschlagen wurde599 . 596 Nach dieser Konzeption gab es also keine Nichtigkeitsbeschwerde oder -klage vor dem Obergericht mehr. Die Nichtigkeitsklage kam nur noch gegen nicht appellable Entscheidungen in Betracht und sollte dann von den Appellationsgerichten verhandelt werden; Bericht Reinhardt; W Schuhen!J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 95 . 597 Gedruckt als Anhang des Berichts Reinhardts; W Schuhen! J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 305 f. Nach diesem Votum sollte die Revision als ordentliches Rechtsmittel erhalten bleiben, allerdings nur noch im Fall zweier voneinander abweichender Vorentscheidungen offenstehen, die Revision gegen dua conformes dagegen künftig wegfallen. Nichtigkeitsgründe sollten durch verletzte Formen oder materielle Gesetzesverletzungen gesetzt werden. Allerdings hätte der Kassationhof nur im ersten Fall über die Klage entscheiden, während er bei Gesetzesverletzungen nur die Klage nach ihrer Zulassung an das Obertribunal zur Entscheidung über die Gesetzesverletzung verweisen sollte. Das hätte zur Folge gehabt, daß die Entscheidungen des Obertribunals selbst zwar nie wegen Verletzung materieller Gesetze, wohl aber wegen Formverstößen mit der Nichtigkeisbeschwerde hätten angefochten werden können. Fülleborn schloß sich diesen Vorschlägen unter Erweiterung der Revisionsgründe an. Er wollte die Revision nicht allein von der Difformität der vorinstanzlichen Urteile abhängig machen, sondern sie schon dann zulassen, wenn in der zweiten Instanz neue Tatsachen oder Beweismittel vorgekommen waren. 598 So Reibnitz in seinem Votum; zitiert nach W Schuhert! J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 306. 599 Im Mittelpunkt des Berichts standen andere Punkte: zum einen die Abgrenzung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Nichtigkeitsklage des bisherigen preußischen Rechts und zum anderen die Festlegung verfahrenstechnischer Einzelheiten.

IIl. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Obwohl die Deputationsmehrheit sich für die Einführung der Nichtigkeitsbeschwerde aussprach, so bestand Uneinigkeit hinsichtlich der Frage, ob das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Kassation des nichtigen Urteils beschränkt bleiben solle oder ob es mit der Entscheidung in der Sache selbst zu verbinden sei. Während Mühler und Reinhardt im Anschluß an das französische Recht die obligatorische Rückverweisung befürworteten, sprachen sich Simon, Bötticher und Füllebom entschieden dafür aus, dem kassierenden Gericht auch die Sachentscheidungsbefugnis zu übertragen 6OO • In der Gesetzrevisionskommission, in der die Stimme des Justizministers entscheidendes Gewicht hatte, wurde der Deputationsvorschlag grundlegend abgeändert: Hier fiel die Entscheidung gegen den zweigliedrigen Instanzenzug und für die Beibehaltung der Revision als ordentliches Rechtsmittel dritter Instanz601 . Dies bedeutete aber noch nicht die gänzliche Ablehnung der Nichtigkeitsbeschwerde. Sie wurde als außerordentliches Rechtsmittel neben der Revision in den Gesetzentwurf aufgenommen. In den Einzelheiten ihrer Ausgestaltung entsprach sie weitgehend den Vorstellungen der Deputation. Die Frage allerdings, ob die höchste Gerichtsbarkeit an einen einzigen Gerichtshof gelangen oder unter mehrere Gerichte aufgeteilt werden sollte, blieb offen602 . Insgesamt zeigen die Revisionsarbeiten, wie die Mitglieder des RKH auf die Gesetzgebungsarbeiten im Sinne des französischen Rechts Einfluß nehmen konnten. Das Ergebnis dieser Einflußnahme war die Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde und ihre Aufnahme in den abschließenden Gesetzentwurf, die maßgeblich auf die Juristen des RKH zurückzuführen ist. Allerdings teilte dieses neue Rechtsmittel zunächst das Schicksal aller Gesetzrevisionsprojekte. Da eine umfassende Reform der AGO ausblieb, wurde sie nicht verwirklicht. Erst 1833 wurden die Entwürfe im Rahmen der transitorischen Einzelgesetzgebung wieder aufgegriffen.

600 Die Bildung klarer Mehrheiten wurde dadurch behindert, daß Reibnitz und Krausnick an ihren Vorschlägen zur Nichtigkeitsbeschwerde an einem justizministerialem Kassationshof und der damit verbundenen Aufteilung der Sachentscheidungsbefugnis festhielten, so daß dieser Punkt ohne auch nur mehrheitliches Votum in die Beratungen der Gesetzrevisionskommission ging. 601 K. W Nörr: Reinhardt, S. 31; W Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. XVII. Die Tendenz dieser Festlegung ging sogar dahin, die Revision noch stärker als bisher einem ordentlichen Rechtsmittel anzugleichen und sie so weiter zu einer zweiten Appellation auszubauen, indem man das Vorbringen neuer Tatsachen - das nach bisherigem Recht nur in den Ausnahmefällen der §§ 10 ff. Titel 15, Teil Ider AGO möglich war - in erweitertem Rahmen zuließ; vgl. Entwurf Reinhardt bei W Schubert/ J. Regge, S. 656, 669, 672 ff. 602 Reinhardt selbst betonte in seinen Anmerkungen zum Entwurf von 1832 erneut die Notwendigkeit, nur einen einzigen Gerichtshof an die Spitze der Justiz zu setzen, er befürwortete noch einmal ausdrücklich die Einrichtung eines Kassationshofes; Entwurf Reinhardt; W Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9,1, S. 664 f.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

cc) Die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde vom 14. Dezember 1833

Trotz einer vorübergehenden Besserung - 1829 konnte der lustizminister die Befreiung des Obertribunals von "allen alten Resten,,603 anzeigen - war schon 1832 die Belastung des Tribunals wieder so angewachsen, daß der neue lustizminister Mühler sich gezwungen sah, erneut auf gesetzlichem Wege Abhilfe zu schaffen.

(1) Die Entstehung der Verordnung Der Reformplan, der dem Obertribunal zur Stellungnahme vorgelegt wurde, beschränkte sich auf die herkömmlichen Lösungswege einer Erhöhung der Revisionssumme für den Zugang zum Obertribunal und einer Umverteilung der Revisionslast auf die Oberiandesgerichte604 . In seiner Stellungnahme setzte sich das Tribunal zwar mit den Vorschlägen des Ministeriums auseinander, einige der Richter machten aber deutlich, daß sie die vorgeschlagenen Schritte als bloße Notbehelfe ansahen, die ihnen nicht geeignet schienen, die grundlegenden Mängel des preußische Rechtsmittelsystems zu beseitigen 60s . Sie schlugen statt dessen vor, die Revisionsinstanz künftig allein auf Rechtsfragen zu beschränken. Damit war die Einführung der Kassation oder eines kassationsähnlichen Rechtsmittels nicht länger nur eine Forderung der Rechtswissenschaft oder der Gesetzesrevisoren, sondern wurde auch von der Praxis, und zwar von Richtern eines altpreußischen Gerichts, offen ausgesprochen. Gerade das Obertribunal, das nach den Worten Busses 1819 noch von Vorurteilen gegen das französische Recht beherrscht gewesen war, sprach sich für eine dem französischen Recht nahestehende Lösung aus. Obwohl dies aus dem Bericht selbst nicht zu entnehmen ist, dürfte dieser Umschwung Ergebnis der Zusammenarbeit mit den Richtern des RKH und des ständigen vergleichenden Blicks auf das effektiver arbeitende rheinische Obergericht gewesen sein606 . Noch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem Bericht wurde im Gesetzrevisionsministerium der Entwurf einer Verordnung vorgelegt, der weit über die ursprünglichen Vorstellungen Mühlers hinausging und tatsächlich auf eine 603 Danekelmann in einem Reskript an das Obertribunal vom 15. 10. 1829; zit. nach F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 211. 604 F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 225 f. 605 Bericht des Obertribunals vom 31.10. 1832; GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 5 ff. (fol. 15). 606 In seinem Begleitschreiben zum Gutachten des Gerichtshofes erkannte auch der Präsident des Obertribunals (Sack) die grundsätzliche Eignung dieser Vorschläge an, hielt sie aber für einen Gegenstand, der allein der Kompetenz der Gesetzrevision unterfalle; GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 3 f. Schreiben Sacks vom 10. 11 . 1832 an Mühler.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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grundlegende Veränderung des preußischen Rechtsmittelsystems abzielte. Aufgegriffen wurden sowohl Elemente der Revisionsarbeiten der vereinigten Deputationen bzw. Reinhardts als auch die Anregung der Obertribunalsrichter. In den preußischen Prozeß sollte als außerordentliches Rechtsmittel die Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt werden. Der erste Entwurf des Revisionsministeriums war von dem Justizrat Scheller ausgearbeitet worden. Er stammte damit von einem Mann, der zu dieser Zeit sowohl vortragender Rat in Kamptz' Ministerium als auch Hilfsarbeiter am RKH war. Ab dem 10. Januar 1833 wurde der Entwurf innerhalb des Ministeriums in mehreren Sitzungen, an denen auch Mühler teilnahm, beraten 607 . Am 22. März 1833 konnte Mühler dann die endgültige Entwurfsfassung des Ministeriums an den König einreichen, der sie Ende März an eine Kommission des Staatsrates zur abschließenden Beratung überwies 608 • Die Beratungen dieser Kommission, die sich von Mai bis November 1833 hinzogen 609 , schlossen die Arbeiten an der Verordnung ab. Sie konnte am 14. Dezember 1833 als "Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde" vom König ausgefertigt werden. Am 1. März des folgenden Jahres trat sie in Kraft61O.

(2) Das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde Ähnlich wie dies bereits in den Arbeiten der Gesetzrevisionsdeputationen seit 1827 vorgesehen war, wurde mit dieser Verordnung die Nichtigkeitsbeschwerde als neues außerordentliches Rechtsmittel eingeführt. Das veränderte Rechtsmittelsystem des preußischen Prozesses nach 1833 deckte sich aber weder mit den Plänen von 1827 - die Nichtigkeitsbeschwerde ersetzte nicht die Revision, sondern trat neben sie - noch mit dem Entwurf, den Reinhardt 1832 nach den Vorgaben des Justizministers angefertigt hatte: Die Revision blieb zwar als ordentliches Rechts607 Die Protokolle dieser Sitzungen (10.1; 17. I; 19. 2.) finden sich in GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 21 ff. 60S GStA PK Rep 80 I Acta Commissionis Nr. 9, fol. I (Kabinettsorder vom 31. 3. 1833), fol. 2 ff. (Bericht Mühlers an den König von 22.3. 1833). Es handelte sich dabei um dieselbe Kommission, der auch die Beratung der Verordnung über den Mandats-, summarischen und Bagatellprozeß überwiesen war, die also bereits mit der - wenn auch sehr eng begrenzten Aufnahme der Mündlichkeit in den preußischen Prozeß befaßt gewesen war. 609 Protokolle dieser Beratungen (2.5; 30.5; 6.6.; 19.6; 27.6; 7.11; 14.11;) finden sich in GStA PK Rep 80 I Acta Commissionis, Nr. 9 und Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 64 ff. 610 Gesetzsammlung 1833, S. 302 ff. Zu diesem Gesetz entwickelte sich schon bald eine umfangreiche Kommentar und Aufsatzliteratur; bspw. L. Crelinger: Die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde vom 14. Dezember 1833, Breslau 1834; Karl Th. von Löwenberg: Die Verordnung vom 14. Dezember 1833, über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde, nebst sämlichen gesetzlichen und ministeriellen Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen, unter Benutzung der Akten des Hohen Justiz-Ministeriums, Berlin 1837. Einen Überblick über diese Literatur gibt F. H. Abegg: Versuch, S. 246 ff.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

mittel bestehen, ihr Anwendungsbereich wurde aber erheblich eingeschränkt. Für die große Masse der Rechtssachen, nämlich die vermögensrechtlichen Streitigkeiten, stand sie nur noch dann zur Verfügung, wenn zwei voneinander abweichende Entscheidungen vorausgegangen waren und die Revisionssumme mindestens 500 Taler betrug (§ 2 der Verordnung)611 . Die Nichtigkeitsbeschwerde stand nicht allein in Zivilsachen, sondern auch bei Steuervergehen und Dienstvergehen von Beamten zur Verfügung (§ 4 der Verordnung). Sie konnte von der beeinträchtigten Partei 612 oder durch die beteiligte staatliche Behörde gegen alle Erkenntnisse der Gerichte erster und zweiter Instanz eingelegt werden, gegen die kein anderes Rechtsmittel mehr offenstand. Nichtigkeitsgriinde waren die Verletzung oder falsche Anwendung eines ausdriicklichen oder aus Sinn und Zusammenhang des Gesetzes hervorgehenden Rechtsgrundsatzes oder die Verletzung einer wesentlichen Prozeßvorschrift (§ 4). Die Nichtigkeitsbeschwerde mußte beim Gericht erster Instanz innerhalb einer sechs wöchigen Frist (nach Zustellung des Urteils) angebracht werden 613 . An dieses Gericht war auch die Verteidigung des Beklagten zu richten (§§ 11 , 12, 13,21). Nach Beendigung des jeweils auf eine Schrift pro Seite begrenzten Schriftwechsels oder nach Ablauf der Verteidigungsfrist wurden die Akten an das Gericht dritter Instanz zum Spruch eingesandt (§ 15). Das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde hatte keinen Suspensiveffekt (§ 10), und die jeweils angeordneten Fristen waren streng, d. h. die Möglichkeit einer Fristverlängerung wurde explizit ausgeschlossen (§§ 13, 21). Die Entscheidung sowohl über die Revision als auch über alle Nichtigkeitsbeschwerden wurde ausschließlich dem Obertribunal in Berlin übertragen (§ 26). Sie erging auf den schriftlichen Vortrag zweier Referenten (§ 16). Wenn das Tribunal das angegriffene Urteil für nichtig erkannte, sollte es dasselbe aufheben und anschließend in der Sache selbst erkennen614 , sofern diese entscheidungsreif war. 611 Bei nichtvennögensrechtlichen Sachen war die Revision teils unbeschränkt zulässig (in Ehe-, Familien- und Standessachen, § I), teils ganz ausgeschlossen (bei Schwängerungsund Bausachen sowie bei Güterabtretung und in den Fällen, wo auch nach bisherigem Rechts der Weg an das Revisionsgericht verschlossen war, § 3). Eine weitere Besonderheit gegenüber dem Rechtsmittelwesen der Gesetzrevisionsarbeiten war das Weiterbestehen der alten Nichtigkeitsklage des 16. Titels der AGO neben Revision und Nichtigkeitsbeschwerde. Lediglich die Fälle des § 2 Nr. 2 und 6, 16. Titel, I. Teil der AGO waren durch die Nichtigkeitsbeschwerde verdrängt worden, während eine Klage nach § 2 Nr. 1,3,4 und 5 weiterhin offenstand. Zu diesem Nebeneinander und zur Abgrenzung der Nichtigkeitsbeschwerde von der Nichtigkeits- oder Nullitätsklage siehe L. Crelinger: Die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde, S. VI f. 612 § 4 der Verordnung. Nur derjenige, der sich durch die Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt glaubte, konnte die Beschwerde einlegen. Der - nicht beeinträchtigten - Gegenseite stand die Nichtigkeitsbeschwerde nicht offen; K. Th. Löwenberg: Das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde, S. 28, 2. Anm. 613 Wenn die Nichtigkeitsbeschwerde unvollständig eingereicht worden war, sollte eine maximal vierzehntägige Frist zur Vervollständigung (vor einem Deputierten des Gerichts erster Instanz) eingeräumt werden. Zu diesem ergänzenden Vorbringen war auch der Beklagte erneut zu hören; § 12 der Verordnung.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Nur im Fall mangelnder Entscheidungsreife sollte das Obertribunal die Sache im Anschluß an die aufhebende Entscheidung zur erneuten Ermittlung und Entscheidung in die Instanz zurückweisen, in der die zu ermittelnden Umstände zuerst vorgekommen waren (§ 17)615. Die Erkenntnisse des Obertribunals mußten in allen Fällen mit Gründen versehen und sowohl an das Gericht erster Instanz als auch an die Parteien übermittelt werden (§ 25). Die Nichtigkeitsbeschwerde wandte sich vom preußischen Verfahren ab und zum französischen Recht hin. Sie war wie die Kassation auf eine Rechtsanwendungskontrolle beschränkt, stand gegen alle Urteile offen, gegen die kein anderes Rechtsmittel mehr zur Verfügung stand, und war an einem einzigen Gericht konzentriert. Zusammen mit der 1832 angeordneten Mitteilung der Entscheidungsgründe waren damit die wesentlichen von der jeweiligen Staats verfassung unabhängigen Kassationsziele - nämlich Kontrolle und Vereinheitlichung der Rechtsanwendung - zumindest für den Zivilprozeß umgesetzt. Die Ähnlichkeit des Verfahrens wird besonders hinsichtlich des Einlegungsgrundes der Verletzung materiellen Rechts deutlich. Hier hat man den französisch-rechtlichen Gedanken unmittelbar übernommen und sogar die Klippe der "contravention expresse ala loi" umgangen. Die Möglichkeit falscher Anwendung oder Auslegung der Gesetze, die die französische Kassationsrechtsprechung erst als Kassationsgründe etablieren mußte, wurde unmittelbar in die gesetzliche Regelung aufgenommen. Hinsichtlich des zweiten Einlegungsgrundes, der Verletzung prozeßrechtlicher Vorschriften, erfolgte diese Annäherung sehr viel verhaltener. Was genau unter den allein relevanten "wesentlichen Prozeßvorschriften" zu verstehen war, wurde in § 5 der Verordnung ausdrücklich festgelegt. Anknüpfend an die oben bei der Kassation getroffene Unterscheidung zwischen Förmlichkeiten, die das Verfahren betreffen und solchen, die die Entscheidung selbst angehen, kann man feststellen, daß nach § 5 in erster Linie die zweite Gruppe, d. h. solche Verletzungen, die in der Entscheidung selbst begründet sind oder sich dort auswirken - die Nichtigkeitsbeschwerde eröffneten. Über den formalen Anklang an das französische Recht hinaus616 sind die Ursprünge dieser Regelung im gemeinen Prozeß zu verorten 617 . 614 Den Referenten war es freigestellt, wenn sie die angegriffene Entscheidung für nichtig hielten, dennoch zunächst nur einen auf die Nichtigkeit bezogenen Vortrag zu halten und erst nach der zustimmenden Entscheidung des Kollegiums Vorschläge zur Sachentscheidung vorzulegen, also ihren Vortrag in zwei Teile zu untergliedern, § 17 a.E. 615 In bestimmten Fällen einer auf Verletzung wesentlicher Prozeßvorschriften beruhender Nichtigkeitsbeschwerde konnte das Obertribunal auch vor der Entscheidung über die Nichtigkeit die Sache noch einmal zu näheren Instruktion oder Beweisaufnahme zurückverweisen. In diesen Fällen erließ das Obertribunl ein Resolut, in dem die erforderlichen Ermittlungen angeordnet waren, ernannte das Gericht, das diese Ermittlungen anstellen sollte, und bestimmte, daß die Sache demnächst wieder zur Entscheidung am Obertribunal vorzulegen sei. Es handelte sich hier also nicht um eine Verweisung zur anderweiten Entscheidung, sondern um eine solche zur vorbereitenden Ermittlung; § 17 Satz 2 der Verordnung. 616 Diese formale Angleichung ist zum einen in der Aufnahme dieses Einlegungsgrundes zu sehen, der geeignet erscheint, der mangelnden Formbindung des preußischen Prozesses

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Insgesamt wies das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde neben allen Anklängen an das französische Recht große Ähnlichkeit gerade zur rheinischen Variante der Kassation auf. Wie der RKH war das Obertribunal abweichend vom französischen Kassationsrecht für die Nichtigkeitsbeschwerde mit einer Sachentscheidungsbefugnis ausgestattet. Zugleich konnte es aber im Fall mangelnder Entscheidungsreife, nach Erlaß eines kassierenden Urteils, an das Gericht der vorherigen Instanz zur erneuten Ermittlung und Entscheidung zurückverweisen. So ist das richterrechtlich am RKH entwickelte Verweisungsverfahren, noch bevor es für die Rheinlande 1834 in Gesetzesform gebracht wurde, in die Gesetzgebung der preußischen Altlande eingegangen.

(3) Die Rolle des Revisions- und Kassationshofes und der rheinischen Kassation Schon Schwinge hat darauf aufmerksam gemacht, daß sich bei Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde "der Einfluß des in den Rheinprovinzen geltenden französischen Rechts" bemerkbar gemacht habe 618 • Er läßt diese Bemerkung aber im Raum stehen und legt weder dar, wo genau dieser Einfluß innerhalb des neuen Verfahrens zu verorten ist noch, wie sich diese Einflußnahme des rheinischen Rechts vollzogen hat. Diese Fragen lassen sich beantworten, wenn man sich mit den legislatorischen Arbeiten befaßt, die dem Erlaß der Verordnung vorausgegangen sind: dem Entwurf Schellers, den Beratungen im Gesetzrevisionsministerium und schließlich in der Staatsratskommission. Die Quellen lassen eine Entwicklung hin zunächst zum französischen und später zum rheinischen Modell des Kassationsverfahrens erkennen. Bereits in den Beratungen des Gesetzrevisionsministeriums, an denen außer Scheller selbst und dem Justizminister Mühler keine Juristen des RKH beteiligt waren 619 , wurde der Entwurf dem französischen Recht angenähert. Vorschläge Schellers, verfahrensrechtliche Fehler nicht zu berücksichtigen, die Nichtigkeitsbezumindest erste Grenzen zu setzen. Zum anderen ist aber auch die Einlegung der Kassation wegen Formverletzung nur in wenigen Fällen praktisch möglich, da sie nur bei solchen Förmlichkeiten relevant wird, die unter Strafe der Nichtigkeit angeordnet sind, und ihre Anwendung durch Art. 480 des Code de procedure civile stark eingeschränkt ist. 617 Insbesondere Schwinge führt dies auf eine Anknüpfung an den gemeinen Prozeß zurück, dort verortet er die Einwirkung der Verletzung auf die Entscheidung als maßgeblichen Faktor; E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 13. Für die Ansicht Schwinges spricht auch, daß die Kommission des Staatsrates, die die Nichtigkeitsgründe wegen Formmangels erarbeitet hat, ausweislich einer in den Akten überlieferten Liste der verwandten Literatur keine Materialien zum französischen Recht, sondern nur Literatur des gemeinen Prozeßrechts benutzt hat; GStA PK Rep 80 I Acta Commissionis, Nr. 9, fol. 67. 6\8 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 11. 6\9 Die Namen der Teilnehmer gehen aus den jeweiligen Sitzungsprotokollen hervor; bspw. Sitzung vom 17. I. 1833; GStA PK Rep 8411 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 34.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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schwerde also auf Verstöße gegen materielles Recht zu beschränken 620 und die Einlegung vom Erreichen einer bestimmten Beschwerdesumme abhängig zu machen, wurden verworfen 621 . Dies geschah allerdings noch ohne den ausdriicklichen Verweis auf das französische Recht. Ausdriickliche Bezugnahmen auf das rheinische und französische Vorbild finden sich aber zu einer zentralen Frage: der Sachentscheidungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts. Innerhalb der kontrovers geführten Debatte um diese Befugnis wurden die obligatorische Verweisung der französischen Kassation und die beschränkte Sachentscheidungsbefugnis des rheinischen Modells als Alternativen gegenübergestellt. Die Befürworter der rheinischen Kassation führten erneut den großen Zeitverlust an, den das französische Kassationsverfahren notwendig mit sich bringe. Sie argumentierten, daß die Praxis es "wünschenswerth [mache], daß der Cassationsrichter auch in der Sache selbst erkenne, weil dadurch die Sachen schneller entschieden würden". Als Beleg diente "die langjährige Praxis bei dem hiesigen Revisions- und Cassationshof,622, wo dieses Verfahren sich bewährt habe. Dort habe sich nur im Fall mangelnder Entscheidungsreife ein Nachteil ergeben, für den jedoch der Entwurf Schellers durch die Aufnahme einer Verweisungsmöglichkeit schon Vorsorge getroffen habe. Die Vertreter der entgegengesetzten Ansicht beharrten darauf, daß die Rechtsanwendungskontrolle einzige Aufgabe des Richters der Nichtigkeitsbeschwerde sein müsse. "Diesen von der Theorie vorgezeichneten Weg dürfe man auch in der Praxis nicht verlassen, wenn man sich nicht in Schwierigkeiten verwickeln wolle,,623. Sie hielten es gerade mit Hinweis auf die am RKH in der Verweisungsfrage entstandenen Probleme für wenig nützlich, den Gerichtshof als Beispiel heranzuziehen. Dariiber 620 § 2 des Verordnungsentwurfs; dieser Entwurf findet sich in GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 28 ff. Zugelassen werden sollte die Beschwerde jetzt gegen alle wesentlichen Prozeßvorschriften. Die Bestimmung, welche Vorschriften als wesentlich anzusehen seien, wollte man der Beurteilung des Obertribunals überlassen und ging davon aus, daß sich in kurzer Zeit eine "feste Jurisprudenz" zu dieser Frage bilden werde; GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 45; Sitzung vom 19. 1. 1833. Erst innerhalb der Beratungen im Staatsrat nahm man davon Abstand und erarbeitete eine gesetzliche Festlegung der für die Nichtigkeitsbeschwerde relevanten wesentlichen Prozeßvorschriften; GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 75, Protokoll der Sitzung der Staatsratskommission vom 30. 5. 1833; GStA PK Rep 80 I Acta Commissionis Nr. 9, fol. 65 ff.; Beilagen zum Beratungsprotokoll vom 13.6. 1833, das aber selbst nicht in dieser Akte enthalten ist. 621 § 2 des Entwurfs. Weitere Abweichungen zur endgültigen Verordnung betrafen die Fristenregelung und die Modalitäten der Einlegung der Beschwerde. So sollte nach § 6 des Entwurfs die Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb einer dreimonatigen Frist bei dem Gericht angebracht werden, das das angeriffene Erkenntnis erlassen hatte. Auch die Strenge der Frist wurde erst nachträglich aufgenommen, nach dem ursprünglichen Entwurf bestand noch die Möglichkeit, zumindest die Verteidigungs frist nach dem Ermessen des Gerichts zu verlängern (§ 9 des Entwurfs). Zur Abänderung im Ministerium GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 34,47 (Sitzungen vom 17.1 und 19. 1. 1833). 622 So wird diese Ansicht im Protokoll vom 17. 1. 1833 wiedergegeben; GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 38. 623 Ebenfalls nach dem Wortlaut des Protokolls vom 17. 1. 1833 zitiert; GStA PK Rep 84 II 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 38 f.

23 Seynsche

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

hinaus verwiesen sie darauf, daß die Sachentscheidungen beim Obertribunal zusätzlichen Arbeitsaufwand hervorrufen würde, der jegliche Anstrengungen zur Konzentration der dritten Instanz an einem Gerichtshof zunichte machen würde. Diese Ansicht setzte sich zunächst durch. Beide Justizminister schlossen sich ihr an. Wären die Gesetzespläne in diesem Stadium umgesetzt worden, wäre ein Rechtsmittel in den preußischen Prozeß aufgenommen worden, das dem französischen Modell sehr nahe kam. Neben der obligatorischen Rückverweisung wollte man auch eine erneute Nichtigkeitsbeschwerde aus denselben Gründen zulassen. Darüber hinaus sollte "wo das Geheime Ober Tribunal 624 sich nicht bewogen finde, von seiner früheren Meinung abzugehen, den Fall, vor definitiver Entscheidung, dem Justizminister zur Veranlassung einer gesetzlichen Interpretation vom Geheimen Ober Tribunal angezeigt werden,,625. Die am französischen und nicht am rheinischen Beispiel ausgerichtete Linie wurde jedoch schon in der nächsten Verhandlung des Ministeriums wieder aufgegeben. Dort konnten sich die Vertreter einer am rheinischen Kassationsverfahren orientierten Lösung durchsetzen 626 . Die Sachentscheidung des Gerichts der Nichtigkeitsbeschwerde wurde ausweislich der Beratungsprotokolle in Anlehnung an das rheinische Kassationsverfahren entwickelt. Das preußische Revisionsverfahren, das ebenfalls eine Sachentscheidung des Obergerichts kannte, wurde in diesem Zusammenhang überhaupt nicht mehr herangezogen. Auch die Verweisung im Falle mangelnder Entscheidungsreife wurde nicht mit Blick auf das "Resolut" des Revisionsverfahrens nach § 8, 1. Teil, 15. Titel der AGO entwickelt, sondern in Anlehnung an die Verweisungspraxis des RKH. Die Verweisung sollte wie am RKH erst nach Erlaß eines aufhebenden Urteils erfolgen und nicht wie nach der AGO bevor das Obergericht eine Entscheidung getroffen hatte. Insgesamt läßt die intensive Auseinandersetzung mit der rheinischen aber auch der französischen Kassation innerhalb des Gesetzrevisionsministeriums erkennen, daß eine Vermittlung rheinisch-französischen Rechts in den Gesetzgebungsprozeß auch dort funktionierte, wo der direkte, über das Beamtenpersonal vermittelte Kontakt zum RKH nur über wenige Personen - hier nur über Scheller und Mühler - hergestellt wurde. Möglicherweise, dies zeigt der Vergleich mit den Verhandlungen des Staatsrates, ließ eine solche Zusammensetzung sogar einen offeneren Umgang mit den französischen Modell zu, während die Beteiligung einer größeren Zahl von Beamten des RKH die Perspektive wieder auf das rheinische Verfahren ausrichtete. Innerhalb der Staatsratskommission, die den Entwurf anschließend beriet, war der Anteil der RKH-Juristen größer als im Ministerium. Vertreten war der RKH über die Mitglieder der Justizabteilung, Savigny, Sethe und den zwischenzeitlich 624 625 626

Im Original abgekürzt: Geh. Ob. Trib. Wortlaut des Protokolls vorn 17. 1. 1833; GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 39. Sitzung vorn 19. 1. 1833;GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 49.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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ebenfalls in die Abteilung aufgenommenen Generalprokurator Eichhorn. Des weiteren waren der Justizminister Mühler und der Justizrat Scheller, der ebenfalls am RKH arbeitete, an den Beratungen beteiligt. Da diese fünf Juristen ausweislieh der Protokolle an allen entscheidenden Sitzungen der Kommission teilgenommen haben und die Zahl der Sitzungsteilnehmer zwischen zehn und vierzehn schwankte, stellten sie zeitweise die Hälfte der Teilnehmer an den Kommissionsverhandlungen627 . Verglichen mit den Beratungen des Ministeriums rekurrierte der Staatsrat stärker gerade auf das rheinische - nicht so sehr auf das französische - Vorbild. Der Vorschlag, dem Obertribunal auch bei mangelnder Entscheidungsreife die Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnis zu geben, wurde mit dem Hinweis auf die negativen Erfahrungen verworfen, die man am RKH mit einem solchen Ermittlungsverfahren gemacht hatte. Die grundsätzliche Entscheidung zugunsten der Sachentscheidungsbefugnis wurde jedoch nicht mehr kritisiert. Der Vorschlag, eine obligatorische Verweisung nach französischem Vorbild in das Verfahren einzuführen, kam nicht mehr auf28 . Auf die Mitglieder des RKH dürften auch Bemühungen zurückgehen, die Nichtigkeitsbeschwerde zum alleinigen Rechtsmittel der letzten Instanz zu machen und die Revision endgültig zu beseitigen. Unter den Beteiligten war die Frage äußerst umstritten, welche Stellung der Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb des künftigen Rechtsmittelkanons überhaupt einzuräumen sei. Wahrend ein Teil der Kommissionsmitglieder dem Ministeriumsentwurf folgte, also ein Nebeneinander von Nichtigkeitsbeschwerde und Revision befürwortete, und eine andere Gruppe allein die Revision als einziges Rechtsmittel der letzten Instanz beibehalten wollte, gab es eine dritte - offenbar starke Gruppe 629 - die die Revision gänzlich abschaffen und die Nichtigkeitsbeschwerde als einziges Rechtsmittel etablieren wollte63o • Die Argumentation der Vertreter dieser Ansicht wies eine große Nähe zur Kassationsdoktrin auf, wobei in diesem Punkt keine Unterschiede zwischen einer französischen oder rheinischen Kassation gemacht wurden. Als Argumente dienten ihnen in erster Linie Elemente, die die Diskussion um den Instanzenzug schon seit 1817 beherrschten: die Effektivität einer auf die Nichtigkeitsbeschwerde beschränkten letzten Instanz im Hinblick auf die Vereinheitlichung der Rechtsprechung, die Vereinbarkeit einer solchen "dritten Instanz" mit Art. 12 der Deutschen Bundesakte und die größere Entfernung des Obergerichtes zu Zeugen und Parteien, die eine erVgl. GStA PK Rep 80 I Acta Commissionis Nr. 9. GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 88 f. 629 In den hier benutzten Protokollabschriften des Gesetzrevisionsministeriums werden die Namen der Vertreter der jeweiligen Ansicht und die Mehrheitsverhältnise nicht aufgeschlüsselt. In der letztendlichen Abstimmung über diese Fragen in der Sitzung vom 30. 5. 1833 jedoch wird wesentlich mehr an Argumentation und Zeit verwendet, um diese Ansicht zu widerlegen, als dies bei der anderen auf die Revision konzentrierten Initiative der Fall ist, so daß davon auszugehen ist, daß diese Ansicht von einer zahlenmäßig größeren Gruppe vertreten wurde; GStA PK Rep 84 11 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 77 f. 630 Siehe die Protokolle der Sitzungen der Kommission vom 2. 5. 1833 und vom 30.5. 1833; GStA PK Rep 8411 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 64 ff. 627

628

23*

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

neute Verhandlung der Tatsachenseite eher behindere und keine besseren, gerechteren Ergebnisse garantieren könne. Den immer noch bestehende Zweifeln an der Durchführbarkeit einer Trennung von Tat- und Rechtsfragen begegneten sie erneut mit dem Hinweis auf "die Erfahrung beim hiesigen Revisions- und Cassations-Hofe und bei dem französischen Cassations-Hofe,,63I. Wie schon zuvor diente der Verweis auf den RKH auch hier dazu, die grundlegenden Zweifel an der Praktikabilität des Gesetzentwurfes zu entkräften.

dd) Zusammenfassung

Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde hat weitere Mechanismen der Vermittlung rheinisch-französischen Rechts erkennen lassen. Die an der Gesetzgebung beteiligten Mitglieder des RKH nutzten das französische Kassationsrecht von Anfang an als Vorbild eines auf Rechtsfragen konzentrierten Verfahrens. Der Kassationsgedanke lag schon dem ersten Referentenentwurf Savignys von 1824 zugrunde. Er wurde in der Folge unter Mitwirkung der Richter und Advokaten des Revisions- und Kassationshofes in alle weiteren Gesetzentwürfe aufgenommen. Dariiber hinaus lieferten diese Juristen mit dem Verweis auf das Kassationsverfahren des RKH und ihre eigenen Erfahrungen mit diesem Verfahren den Beleg für die Durchführbarkeit ihrer Vorschläge. Sethe und Savigny überzeugten zum Beispiel 1824 auf diese Weise die anderen Mitglieder der Justizabteilung des Staatsrates von der Praktikabilität einer Trennung von Tat- und Rechtsfrage. Anders als noch in der Veröffentlichungsfrage hat der Hinweis auf das Verfahren des RKH die Entwicklung hier nicht nur gefördert, sondern überhaupt erst angestoßen. Sehr viel offener nahmen die Beteiligten jetzt Bezug auf Normen des französischen und des rheinischen Rechts. Das spezifisch rheinische Kassationsverfahren erlangte im Zuge der Gesetzgebungsarbeiten eine eigene Bedeutung neben dem französischen Vorbild. Damit hat die Untersuchung auch gezeigt, worin der von Schwinge festgestellte "Einfluß des in den Rheinprovinzen geltenden französischen Rechts,,632 bestand und wie er in die Gesetzgebung Eingang finden konnte. In den preußischen Prozeß wurde 1833 ein der Kassation ähnliches, auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel aufgenommen. Modell dieses Rechtsmittels war jedoch nicht die Kassation in ihrer französischen Form, sondern die rheinische Verfahrensvariante, die die Kassation mit einer Sachentscheidungsbefugnis verband. Das gesamte Gesetzgebungsverfahren von den ersten Anregungen des Staatsrates 1824 über die Gesetzrevisionsarbeiten von 1827 bis hin zur Verordnung von 1833 war durchgängig geprägt von der Einflußnahme der Juristen des RKH. Sie erhoben mit Hinweis auf das 631 Zit. nach dem Protokoll der Sitzung vom 2. 5. 1833; GStA PK Rep 8411 4 IV Nr. 4, vol. 3, fol. 70. 632 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 11.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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französische Verfahren die Forderung nach Konzentration auf die Rechtsfrage und gestalteten später das preußische Verfahren nach dem Vorbild der rheinischen Kassation.

ee) Fortführung der Reform des letztinstanzlichen Veifahrens

Obwohl die Verordnung vom 14. Dezember 1833 sich in ihrer Anwendung als nicht unproblematisch erwies und in den folgenden Jahren immer wieder Anstrengungen zur Erläuterung und Verbesserung unternommen wurden 633 , blieb sie dem Grunde nach erhalten und prägte die letzte Instanz des preußischen Prozesses bis zur Reichszivilprozeßordnung. Bezogen auf die praktische Bedeutung dieses Rechtsmittels muß man geradezu von einem Sieg der Nichtigkeitsbeschwerde über die Revision sprechen. Aus der von Starke zusammengetragenen Rechtsprechungsstatistik ergibt sich, daß sie die Revision schon bald nach ihrer Einführung zahlenmäßig zurückdrängte. Noch 1834 standen den 1506 an das Obertribunal eingereichten Revisionen nur 219 Nichtigkeitsbeschwerden gegenüber. Schon 1835 sank die Zahl der Revisionen um mehr als die Hälfte auf 762 und stieg diejenige der Nichtigkeitsbeschwerden auf 935. 1837 waren es 707 Revisionen und 1479 Nichtigkeitsbeschwerden 634. Die Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch nicht nur in der zivilistischen Rechtspraxis außerordentlich erfolgreich, sie wurde in den Folgejahren erneut durch die Gesetzgebung bearbeitet. Diese Reformen festigten im Ergebnis die kassationsähnliche Gestalt des neuen Rechtsmittels und führten die Annäherung zum rheinischen Obergerichtsverfahren fort. Allerdings findet sich in diesen Arbeiten anders als in den soeben geschilderten Debatten kaum noch eine direkte Bezugnahme auf den RKH. Die seltene Erwähnung des Gerichtshofes ist darauf zurückzuführen, daß es jetzt nicht mehr darum ging, ein vollkommen neues Modell in den preußischen Prozeß zu übernehmen, sondern ein bereits etabliertes Rechtsmittel zu reformieren. Überdies nahmen nach 1833 die wichtigsten Verbindungen zwischen Gesetzrevision und Gerichtshof, nämlich diejenigen auf personeller Ebene, ständig ab, so daß auch aus diesem Grund der RKH seine unmittelbare Vorbildstellung allmählich verlieren mußte. Dennoch ist auch die Entwicklung der folgenden Jahre noch als 633 Probleme ergaben sich insbesondere bei der Auslegung des Begriffes des "Rechtsgrundsatzes" in § 4 und im Umgang mit dem als zu eng empfundenen Katalog des § 5 (Fälle der Verletzung wesentlicher Prozeßvorschriften); E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 14. Zu den in diesem Zusammenhang ergriffenen Maßnahmen und den darauf ergangenen ergänzenden Verordnungen W. Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, I, S. XXV f. Am 1. 8. 1836 erging zur Erhaltung der Einheit der Rechtsgrundsätze in den richterlichen Entscheidungen eine Verordnung, die die einzelnen Senate verpflichtete, Präjudizienbücher zu führen und über besonders umstrittene Rechtsfragen Plenarverhandlungen anzuberaumen (Gesetzsammlung 1836,218). Diese Regelung wurde 1856 in das strafrechtliche Verfahren und 1877 in das GVG (§§ 137 ff.) übernommen; W. Schubert / J. Regge. S. LV. 634 Dieses Zahlenmaterial bei F. W. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag, S. 112.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Fortwirken der durch den RKH in der preußischen Justiz und Legislative verbreiteten Grundgedanken des französischen und des rheinischen Kassationsverfahrens zu verstehen. Sie soll daher in ihren Grundzügen bis zur Einführung der Reichsjustizgesetze wenigstens noch skizziert und auf den Einfluß des Kassationsrechts untersucht werden.

(1) Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens Der erste Schritt zu einer weiteren Annäherung an das Kassationsverfahren war die Aufnahme von Mündlichkeit und Öffentlichkeit in das Obertribunalsverfahren. Obwohl die Revisionsdeputationen bereits 1827 die Aufnahme der Mündlichkeit in den Zivilprozeß gefordert hatten 635 , wurde diese Forderung von der Gesetzgebung erst 1833 und beschränkt auf das untergerichtliche Verfahren aufgegriffen. Am 1. Juni 1833 erging die Verordnung über den Mandats-, summarischen und Bagatellprozeß636 , die zumindest für besonders einfache untergerichtliche Verfahrensarten Mündlichkeit und eine sehr begrenzte Öffentlichkeitsvariante, die Parteiöffentlichkeit, einführte. Nur den Parteien und ihren Sachwaltern war es gestattet, an den Verhandlungen und der Beweisaufnahme teilzunehmen. Die mündliche Verhandlung wurde von den Parteien durch einen Schriftsatzwechse1 vorbereitet, der zur Kenntnis des Gerichts gelangte. In den folgenden Jahren gab es dann etliche Bemühungen, diese Lockerungen zu einer unbeschränkten Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Prozesse auszuweiten. Treibende Kräfte innerhalb des Gesetzgebungsapparates waren die bei den Justizminister und ehemaligen RKH-Richter, Mühler und Savigny637. Beide mußten dabei immer noch gegen erhebliche Widerstände angehen, die zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der Justiz selbst karnen. Beispielhaft sei hier ein 1841 abgegebenes Votum einiger Obertribunalsrichter zur Frage der Einführung eines mündlichen und öffentlichen Verfahrens am Tribunal zitiert. Dort wird das Streben nach Öffentlichkeit und Mündlichkeit als Ausdruck "des Strebens nach Kontrolle, ob alles mit rechten Dingen zugehe und der Sucht der Zeit, sich in alle auch ganz fremde Dinge zu mischen" gewertet 638 . Bei einer anschließenden Abstimmung des 635 Dazu K. W. Nörr: Reinhardt. Diese Vorschläge hatten sogar in der Gesetzrevisionskommission die Zustimmung des lustizministers gefunden und sind in den von Reinhardt 1832 vorgelegten Gesetzentwurf aufgenommen worden. 636 Dazu m. w. N. W. Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, Abt. 2, Bd. 11 , I. Hbd., S. XXI ff. 637 Für Mühler folgt dies beispielhaft aus GStA PK Rep 84 II2 T Nr. 7, fol. 19 ff. Zur Rolle Savignys siehe z. B. die Übersicht über die Entwicklung der zivilprozessualen Gesetzgebung bei W. Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11,1, S. XXXVII ff. und zu seinem Eintreten für Öffentlichkeit und Mündlichkeit auch im Strafprozeß ebd.: I. Abt., Bd. I, S.

XLf. 638

GStA PK Rep 84 II Tit. 2, T, Nr. 7, fol. 24.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

359

Kollegiums über die Einführung der Öffentlichkeit konnten sich deren Befürworter nur mit knapper Mehrheit durchsetzen 639 . In der politisch brisanteren Öffentlichkeitsfrage, die zeitweise von der Mündlichkeitsproblematik abgekoppelt wurde, wurde weniger die Grundsatzfrage der Gewährung oder Nichtgewährung von Öffentlichkeit als vielmehr der zu gewährende Umfang der Öffentlichkeit diskutiert. Das Meinungssprektrum erstreckte sich hier zwischen der Parteiöffentlichkeit der Verordnung von 1833 und der unbeschränkten, aus dem französischen Recht entliehenen, Öffentlichkeit der Posener Verordnung vom 9. Februar 181764°. Beide Minister vertraten grundsätzlich die Einführung einer unbeschränkten Öffentlichkeit. Mühler hatte sich spätestens seit 1827 immer wieder für die Einführung von Öffentlichkeit und Mündlichkeit eingesetzt: zunächst als Mitglied der verschiedenen Gesetzrevisionsgremien, dann 1835/36 im Justizministerium, wo er sich um eine Ausweitung der Verordnung vom 1. Juni 1833 auf den gesamten Zivilprozeß und eine unbeschränkte Zulassung der Öffentlichkeit bemühte 64 ! und schließlich in einem Generalbericht für das Jahr 1838, der erneut die Übernahme der Verordnung von 1833 anregte 642 . Angesichts der immer noch existierenden Widerstände und um seinen Vorschlägen die Brisanz zu nehmen, trat er 1841 für eine vorgezogene Einführung von Öffentlichkeit und Mündlichkeit zumindest vor dem Obertribunal ein 643 . Dieser Weg versperrte sich schon 1842 wieder, da Savigny, der mittlerweile das Gesetzrevisionsministerium übernommen hatte, sich gegen eine gesonderte Reform des Obertribunalsverfahrens aussprach und die Angelegenheit mit Zu stimGStA PK Rep 8411 Tit. 2, T, Nr. 7, fol. 19 f. In diesem Punkt unterschieden sich allerdings die Positionen Mühlers und Savignys nicht wesentlich, sowohl Mühler als auch Savigny traten für die unbeschränkte Öffentlichkeit ein, letzterer hatte in seinen Prozeßordnungsentwurf von 1843 (§ 66) die Öffentlichkeit für jedermann vorgesehen; W. Schubert/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt. Bd. 11,1, S. XXXVIII. 641 Der Antrag Mühlers (vom 6.8. 1835) ging dahin, die Gerichtsverhandlungen allgemein für lustizbedienstete, aber auch für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Diese Initiative scheiterte aber im Staatsministerium, wo sich vor allem Kamptz gegen eine unbeschränkte Öffentlichkeit aussprach. Die übrigen Minister stimmten Mühler lediglich hinsichtlich der Fachöffentlichkeit der lustizbediensteten zu, hielten eine gesonderte Regelung aber für entbehrlich; W. Schuben/J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11,1. S. XXII. 642 W. Schuben/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9, 1. Hbd, S. XVIII. 643 Offenbar zuriickgehend auf seinen 1ahresbericht für 1839 erging am 12. 7. 1841 eine Kabinettsorder an Mühler, in der u. a. die Frage aufgeworfen wird, "ob nicht schon jetzt für die dritte Instanz ein mündliches und öffentliches Verfahren angeordnet werden könnte" (GStA PK Rep 84 11 2 T Nr. 7, fol. 19). Daraufhin wurde das Gutachten des Obertribunals zu dieser Frage eingeholt, das unter dem Datum des 30. 9. 1841 an Mühler gesandt und von diesem versehen mit einer eigenen Stellungnahme an den König unter dem 30. 11 . 1841 eingesandt wurde. Der gesamte Vorgang findet sich in den Akten des Gesetzrevisionsministeriums, an das diese Angelegenheit 1842 zur weiteren Beratung ging; GStA PK Rep 8411 2 T Nr. 7, fol. 18 ff. 639

640

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

mung des Königs auf die zu forcierende Revision der Prozeßordnung verwies. Obwohl Savigny die Arbeiten an der Prozeßordnung unmittelbar nach seinem Amtsantritt in Angriff nahm, blieben greifbare Ergebnisse zunächst aus. Eine vorgezogenen Reform des Obertribunalsverfahrens wurde 1845 für kurze Zeit wieder aufgenommen 644 , aber bereits 1846, möglicherweise mit Blick auf die konkurrierenden und daher beschleunigten Bemühungen Savignys und des neuen Justizverwaltungsministers Uhden um eine Prozeßrechtsnovelle, wieder zurückgestellt. Die auf Uhden zuriickgehende Verordnung über das Verfahren in Zivilprozessen vom 21. Juli 1846 dehnte die Regelung der Verordnung über den Mandats-, summarischen und Bagatellprozeß von 1833 auf den gesamten Zivilprozeß aus und brachte so die mündliche Schlußverhandlung auch an das Obertribunal 645 . Eine Verordnung vom 7. April 1847 führte die unbeschränkte Öffentlichkeit ein 646 . Damit waren Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlungen vor dem Obertribunal als Teil einer umfassenderen Reform des Zivilprozesses umgesetzt. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverhandlungen waren im Deutschland der Vormärzzeit zu einer allgemeinen politischen Forderung geworden. Sie bezog sich natürlich auf das Vorbild des französischen Rechts und speziell in Preußen auch auf die rheinische Gerichtsbarkeit. Dennoch hatte diese Forderung sich in der justizpolitischen Debatte so verselbständigt, daß es nur schwer möglich ist, über diese allgemeine Herkunftsbestimmung hinaus einzelne Züge der Verfahrensausgestaltung auf französische Muster zuriickzuführen. So orientierte sich beispielsweise die Prozeßmündlichkeit in ihrer Ausgestaltung nicht am Vorbild des französischen Prozesses vor den Instanzgerichten. Wahrend in Frankreich die Entwicklung des Streitstoffes im wesentlichen den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bildete und der Richter sein Urteil allein aufgrund des mündlichen Vorbringens fällen sollte, wollten die preußischen Entwürfe seit 1827 den gesamten der Verhandlung zugrundeliegenden Streitstoff innerhalb eines vorausgehenden und zur Kenntnis der Richter gelangenden Schriftwechsels feststellen und den Parteien in der Verhandlung lediglich Gelegenheit zur Erläuterung des schriftsätzlich Vorgebrachten geben 647 . Das bedeutete die Anschließung einer 644 Mittels einer Kabinettsorder vom 26. Februar 1845 wurden Mühler - der mittlerweile Präsident des Obertribunals geworden war -, Savigny und Uhden, Mühlers Nachfolger im Amt des Justizverwaltungsministers, aufgefordert, sich zur Einführung eines mündlichen Verfahrens zu äußern. Dies wurde allerdings ausdrücklich von der Anbindung an die Frage der Öffentlichkeit gelöst, die gänzlich außen vor bleiben sollte. Im Gesetzrevisionsministerium wurde daraufhin ein Entwurf für eine Verordnung zur Einführung des mündlichen Verfahrens am Obertribunal ausgearbeitet. 645 Dazu W Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11, Hbd. I, S. XXXVII ff., LV f. Text der Verordnung: Gesetzsammlung 1846, S. 291. 646 Verordnung betreffend die Oeffentlichkeit in Zivilprozessen; Gesetzsammlung 1847, S. 131. Dazu auch F. H. Sonnenschmidt: Obertribunal, S. 278; W Schubert / J. Regge: Gesetzrevision, 1. Abt., Bd. I, S. XL. 647 Mündlichkeit im Sinne einer Entwicklung des Streitstoffes in der mündlichen Verhandlung fand erst durch die hannoversche Bürgerliche Prozeß Ordnung (BPO) von 1850 Eingang

111. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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mündlichen Schlußverhandlung an ein ansonsten schriftliches Verfahren 648 . Dieser Mündlichkeitsbegriff blieb für die preußische Gesetzrevision in den folgenden Jahren bestimmend und wurde im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in vielen anderen deutschen Staaten eingeführt oder in Reformprojekte aufgenommen. Üblicherweise wird dieses Verfahren in der Literatur als eine eigenständige in Deutschland entwickelte Mündlichkeitsvariante bewertet, mit der die deutschen Gesetzgeber auf die aus dem französischen Recht kommenden Forderung nach Mündlichkeit der Prozesse reagiert hätten 649 . Diese eigenständige Variante sei dann erst in der Mitte des Jahrhunderts und, wie es bei Gerhard Dahlmanns heißt, auf "rheinischen Druck" durch das offenere Mündlichkeitsverfahren französischer Prägung - das meint das Verfahren vor den französischen Gerichten erster und zweiter Instanz - ersetzt worden. Dieses Verfahren habe sich bis in die ZPO hinein verfestigt und die ursprünglich eingeschlagene Richtung eines schriftlichen Verfahrens mit mündlicher Schlußverhandlung beseitigt65o . Diese Darstellung übersieht jedoch, daß es durchaus Verbindungslinien zwischen der beschränkten Mündlichkeit der älteren Gesetzentwürfe und dem französischen Recht gibt. Als Vorbild kommt nämlich die Mündlichkeit des französischen und rheinischen Kassationsverfahrens in Frage651 . Im Gegensatz zum Verfahren vor den französisch-rechtlichen Instanzgerichten wurde zumindest in Zivilsachen auch vor dem Kassationshof der Streitstoff in Schriftsätzen eingeführt und nicht erst in der mündlichen Verhandlung dargelegt. Dieses Schema entspricht demjenigen, das 1833 und 1846 in den preußischen Prozeß aufgenommen wurde. Den Vertretern der oben genannten Ansicht ist sicher zuzustimmen, daß diese Mündlichkeit sich für eine Einführung in Deutschland besonders gut eignete, da sie an den bestehenden schriftlichen Prozeß des gemeinen Rechts, wie er im Zuge der Gesetzrevision auch in Preußen eingeführt werden sollte652 , angeschlossen werden konnte, ohne den gesamten Gang in das deutsche Prozeßrecht. Zu dieser maßgeblich auf Adolph Leonhardt zurückgehenden Entwicklung und zur Aufnahme dieses weiteren Mündlichkeitsbegriffes in die ZPO G. Dahlmanns: Strukturwandel, S. 38 ff. Dieses von Leonhardt entwickelte Mündlichkeitsprinzip ging letztlich sogar über die Vorgaben des französischen Instanzverfahrens hinaus, das eine starke Stellung des Richters und ein formalisiertes Beweisverfahren als Sicherung gegen ein Zerfließen der mündlichen Verhandlung kannte; dazu G. Dahlmanns, S. 76. 648 Ein Verfahren allerdings, das mit der "Untersuchungsmaxime" der AGO gebrochen hatte und sich wieder am Parteibetrieb und der Eventualmaxime orientierte; K. W Nörr: Reinhardt, S. 14 ff. (19 f.). 649 G. Dahlmanns: Strukturwandel, S. 27 f.; ders.: Deutschland, S. 2652; K. W Nörr: Hauptthemen legislatorischer Zivilprozeßreform im 19. Jahrhundert, in: ZZP 1974, S. 279; Elisabeth Koch: Zum Einfluß des Code de procedure civile auf die deutsche Zivilprozeßrechtsreform, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts, Berlin 194, S. 170 f. 650 G. Dahlmanns: Strukturwandel, S. 28. 651 Zur eingeschränkten Mündlichkeit des französischen Kassationsverfahrens in Zivilsachen siehe oben Kapitel D I 1 b) cc) (4) und des rheinischen Verfahrens vor dem RKH Kapitel DI 2c) bb).

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

des Prozesses umstürzen zu müssen653 • Zudem entsprach sie auch der Mündlichkeit der Posener Verordnung von 1817654 • Dennoch scheint dieses Verfahren nicht allein aus "deutscher Gerichtspraxis" hervorgegangen zu sein. Es war gerade Preußen, das zusammen mit Baden und Bayern - als ebenfalls französisch-rechtlich beeinflußten Staaten - die Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Reforrnpläne übernahm655 • Schon von daher liegt eine Beeinflussung durch Gedanken des Kassationsrechts nahe. Noch deutlicher werden die Zusammenhänge, wenn man sich klar macht, daß das mündliche Verfahren dieser Ausprägung in Preußen in den Revisionsarbeiten der vereinigten Deputationen von 1827 entwickelt wurde und es gerade das Kassationsverfahren war, das den Revisoren 1827 (aber auch noch in den späteren Jahren) die unmittelbare Anschauung des mündlichen Verfahrens bieten konnte. Es wurde zum einen vermittelt durch diejenigen Revisoren, die zugleich am RKH arbeiteten und wie gezeigt ihre Erfahrungen mit diesem Gericht in die Gesetzrevision einfließen ließen. Zum anderen war es das Verfahren, das die mit dem französischen Recht und dem mündlichen Verfahren nicht vertrauten Reformer in eigener Anschauung durch einen Besuch der Verhandlungen des RKH kennenlernen konnten. An der ersten gesetzlichen Umsetzung dieses Verfahrens in der Verordnung über den summarischen Prozeß vom 1. Juni 1833 waren gerade die Advokaten des RKH maßgeblich beteiligt. Insofern kann man davon ausgehen, daß sich auch in der Frage der Mündlichkeit der Prozesse die Verrnittlungswirkung des RKH entsprechend dem oben dargelegten Muster ausgewirkt und zur Ausgestaltung des preußischen Verfahrens beigetragen hat. Diese Überlegungen führen dazu, von der These der eigenständig deutschen Entwicklung des mündlichen Verfahrens abzurücken und dem Kassationsverfahren für die Entwicklung der mündlichen Schlußverhandlung entscheidende Bedeutung zuzuweisen.

(2) Der Strafprozeß Die zweite wichtige Angleichung an das rheinisch-französische Recht stellte die Übernahme eines kassationsähnlichen Rechtsmittels in den Strafprozeß dar. In 652 Dazu die Arbeiten der vereinigten Deputationen von 1827; abgedruckt bei W Schubert/ J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 9, 1. Hbd., S. 120 ff. 653 Dieses Argument findet sich bei G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2652. 654 Diese Verordnung sah in § 30 einen mündlichen Vortrag vor, der auf zuvor eingereichte Schriftsätze Bezug nahm. Darauf weisen G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2650 und K. W Nörr: Reinhardt, S. 3 hin. 655 Das mündliche Verfahren wurde in Baden durch die Prozeßordnung von 1831 und in Preußen durch die Verordnung vom 1. Juni 1833 für einen bestimmten Kreis erstinstanzlicher Verfahren eingeführt und in Bayern zumindest in einen Prozeßordnungsentwurf von 1825 / 27 aufgenommen. Johann Christoph Schwartz: 400 Jahre deutscher Civilprocess-Gesetzgebung. Darstellung und Studien zur deutschen Rechtsgeschichte. Berlin 1898, S. 585 ff.; zum bayrisehen Entwurf Christoph Fellner: Die Reform der bayerischen Zivilrechtspflege von den ersten Anregungen des Landtages im Jahre 1819 bis zur Griindung des Deutschen Reiches, ~ünchen, 1986,S. 27ff.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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Preußen hatte es für Strafsachen bisher nur einen auf zwei Instanzen beschränkten Rechtszug gegeben. Die Revision stand gegen Erkenntnisse des Strafrichters nicht offen. Einzig in besonders schweren Fällen, d. h. bei Todesstrafe, zehnjähriger Gefängnisstrafe oder anderer härterer Strafe, war die Möglichkeit einer erneuten Kontrolle auf dem Weg über die königliche Bestätigung gegeben 656 . Dies blieb aber Einzelfallentscheidung, war der Justiz entzogen und konnte einer diffusen Entwicklung auf dem Gebiet der Strafjustiz naturgemäß keine Grenzen setzen. Maßstäbe für eine Vereinheitlichung der Rechtsprechungsgrundsätze existierten überhaupt nicht. Dennoch war auch auf diesem Gebiet das Bedürfnis nach einer solchen Vereinheitlichung und der damit einhergehenden Rechtssicherheit vorhanden. Mit der zunehmenden Bewährung der zivilprozessualen Nichtigkeitsbeschwerde wurde daher der Ruf nach ihrer Einführung in den Strafprozeß laut657 . Während der Prozeßordnungsentwurf von 1841 noch die Appellation als einziges Rechtsmittel anerkannt hatte, trat unter Savigny, der sich energisch für die Schaffung eines der Nichtigkeitsbeschwerde nachgebildeten Rechtsmittels einsetzte, schon bald eine Wende ein. Er legte 1844 den Plan für die Einführung eines in Anlehnung an die Verordnung vom 14. Dezember 1833 entwickelten Rechtsmittels vor und erlangte dazu die Zustimmung des Staatsrates. In den folgenden Jahren wurde das Vorhaben präzisiert und im Zusammenhang des durch den "Polenprozeß" hervorgebrachten Gesetzes über das Verfahren bei dem Kammergericht und dem Berliner Kriminalgericht vom 17. Juli 1846658 wurden diese Pläne dann erstmalig umgesetzt. Einem mit zehn Mitgliedern des Obertribunals besetztem Senat wurde ein als "Revision" bezeichnetes kassationsähnliches Rechtsmittel übertragen 659 . Zum ersten Mal wurde hier in der preußischen Gesetzgebung für ein kassationsähnliches Rechtsmittel der Begriff der Revision verwandt. Dieses Rechtsmittel wurde zweieinhalb Jahre später im Gesetz über die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen in Untersuchungssachen vom 3. Januar 1849 durch ein gleichartiges Rechtsmittel ersetzt, das direkt beim Obertribunal einzureichen war und als Nichtigkeitsbeschwerde bezeichnet wurde. Diese Regelung wurde ihrerseits 1852 in die endgültige Fassung des Gesetzes vom 3. Mai überführt. 656 ALR 2. Teil, 13. Titel § 8 und § 530 der Preußischen Kriminalordnung; Zum Bestätigungsrecht und der Mitwirkung des Justizministers an der Ausübung des dem König übertragenen Bestätigungsrechts Wolfgang Schütz: Einwirkungen des preußischen Justizministers auf die Rechtspflege. Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, Marburg 1970, S. 4 ff. 657 Zu dieser Entwicklung insgesamt E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 15 ff.; Burkhard Burgmüller: Das Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung als Regulativ im Revisionsrecht, Berlin 1990, S. 60 ff.; Herbert Behr: Die Rechtsittel gegen Strafurteile in der Reformdiskussion und der Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts, S. 75 ff. 658 Gesetzsammlung 1846, S. 267 ff. 659 Die Benennung des Rechtsmittels schwankte zunächst zwischen den Begriffen Revision und Nichtigkeitsbeschwerde; B. Burgmüller: Das Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung, S. 60 ff. Das Gesetz vom 17.7. 1846 war das erste Gesetz, das für ein kassationsähnliches Rechtmittei den Begriff der "Revision" verwandte (Gesetzsammlung 1846, S. 267 ff., §§ 87 ff.); E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 15.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Nichtigkeitsgründe waren die Verletzung oder unrichtige Anwendung eines Gesetzes oder eines Rechtsgrundsatzes oder wesentlicher Vorschriften des Verfahrens 660 . Im Gefolge schon des Gesetzes von 1849 wurde beim Obertribunal ein Kriminalsenat eingerichtet. In der Besetzung dieses Senat drückte sich noch einmal die Nähe des Verfahrens auch zum rheinischen Kassationsverfahren aus. Denn zu den Arbeiten dieses Spruchkörpers wurden vier Richter des RKH abgestellt, von denen abwechselnd immer zwei an den Sitzungen des Obertribunals teilnehmen sollten661 .

Jf) Ausblick

Obwohl das preußische Verfahrensrecht mit der Nichtigkeitsbeschwerde seit 1834 selbst über ein kassationsähnliches Rechtsmittel verfügte, blieb die Kassation als Alternative zum bestehenden Rechtsmittelverfahren in der preußischen Gesetzgebung bis hin zu den ersten Entwürfen für eine Reichszivilprozeßordnung lebendig 662 . Diskutiert wurde dabei nicht nur ein Ausbau der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde, sondern sogar die Übernahme des französischen Modells mit zwingender Rückverweisung. Erst in den letzten Entwürfen vor Erlaß der ZPO wandten sich die preußischen Vorschläge wieder einem letztinstanzlichen Verfahren zu, das insbesondere in der Frage der Sachentscheidungsbefugnis die Züge der über die Nichtigkeitsbeschwerde vermittelten rheinischen Kassation trug.

(I) Die Kassation in der preußischen Gesetzgebung

Die Verordnungen von 1833 und 1846 für den Zivi1- und das Gesetz von 1852 für den Strafprozeß bildeten bis zum Erlaß der Reichsjustizgesetze die normative Grundlage des Rechtsmittels der Nichtigkeitsbeschwerde und zugleich die Schluß660 Zu den Bemühungen von Rechtsprechung und Wissenschaft, den Begriff der Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zu bestimmen, B. Burgmüller: Das Beruhen des Urteils auf der Rechtsverletzung , S. 63 ff. 661 GStA PK Rep 97 B I Algen, fol. 401; Schreiben des Iustizministers Simons an das Obertribunal vom 8. 12. 1849. 662 Die folgende Darstellung beruht im wesentlichen auf der Untersuchung Schwinges und den von W. Schubert zusammengetragenen Materialien. Diese Darstellung durch eine detaillierte Geschichte der Entstehung der ZPO und ihres Rechtsmittelkanons zu vertiefen, kann diese Arbeit nicht leisten. Verwiesen sei daher nur auf die durch Wemer Schubert in einer umfassenden Edition zugänglich gemachten Quellen zur Entstehung der ZPO; W Schubert: Entstehung und Quellen der Civilprozeßordnung vom 1877, Ius Commune, Sonderhefte Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 34, Frankfurt a.M. 1987; ders.: Protokolle der Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung für die Staaten des Norddeutschen Bundes, Frankfurt a.M. 1985; G. Dahlmanns: Deutschland, S. 2672 ff.; August Hellweg: Geschichtlicher Rückblick über die Entstehung der deutschen CivilprozeßOrdnung, AcP 61 (1878), S. 78 ff.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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steine der gesetzlichen Regelung innerhalb Preußens. Dennoch brach weder die wissenschaftliche noch die legislatorische Debatte um die Ausgestaltung der höchsten Instanz ab. 1848 arbeitete der Richter und Wissenschaftler Christian Friedrich Koch663 im Auftrag der Justizminister Bornemann und Märker den Entwurf einer "Civil-Prozeß-Ordnung für den Preußischen Staat" aus. Dieser Entwurf, den Koch im Dezember 1848 nach einer Änderung der Reformrichtung unter dem folgenden Justizminister Kisker664 nicht mehr in offiziellen Auftrag, sondern unter eigenen Namen herausgab, lehnt sich eng an das Vorbild des französischen Prozesses an. Für Koch waren die Franzosen "in der Jurisprudenz die modemen Römer,,665. Er sprach sich dafür aus, die gerichtlichen und prozessualen Einrichtungen Frankreichs nicht schon aus dem Grund abzulehnen, "weil die Franzosen friiher als wir davon Gebrauch zu machen oder solche gegen Verdrängungen zu bewahren gewußt haben". In der Entwicklung des preußischen Prozesses seit der Verordnung vom 1. Juni 1833 sah er eine, wenn auch verhohlene, Aufnahme des französischen Modells, die man offen fortführen solle. Dementsprechend setzte er für das Rechtsmittelsystem die 1833 begonnene Annäherung an die Kassation fort, ohne jedoch völlige Identität anzustreben: Die Revision der AGO sollte gänzlich aufgegeben werden. Die Nichtigkeit wegen Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften sollte auf alle Fälle ausgedehnt werden, in denen eine Prozeßförmlichkeit unter Strafe der Nichtigkeit angeordnet war, im übrigen sah sein Entwurf eine detailliertere Aufschlüsselung möglicher Nichtigkeitsgriinde vor, die letztlich auf dem allgemeinen Einlegungsgrund der Gesetzesverletzung basierten 666 . Das Obertribunal, bei dem - wie schon bisher - alle Nichtigkeitsbeschwerden anzubringen waren, sollte jedoch nicht mehr in der Sache selbst entscheiden können. Die Einführung der obligatorischen Rückverweisung nach der Vernichtung eines Erkenntnisses stellte den größten Schritt dieses Entwurfes in Richtung auf das französische Kassationsverfahren dar. Dieser Entwurf hatte nach 1848 keine Einfluß auf den Gang der Gesetzgebung mehr. Erst 1860 wurden die Arbeiten an der Reform des höchstgerichtlichen Verfahren, getrennt von der allgemeinen Zivilprozeßreform, wieder aufgenommen. Im Mai 1860 legte das preußische Justizministerium den Entwurf zu einem Gesetz "über das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde in Civilsachen" vor667 , der für ADB, Bd. 16, S. 368 ff. Entgegen der zwischenzeitlich vorherrschenden am französischen Recht orientierten Reforrnrichtung des Jahres 1848 hatte Kisker sich wieder den Grundsätzen des preußischen Rechts zugewandt; W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11,1, S. XLIII. Auf diesen Wandel weist auch Koch selbst hin; F. C. Koch: Entwurf einer Civil-Prozeß-Ordnung für den Preußischen Staat, mit den Motiven, nebst einem Anhange, Berlin 1848, S. XXIX. 665 Dies und das folgende zit. nach der Einleitung seines Entwurfes, S. V. 666 § 564 Nr. 2, 4-16 seines Entwurfes. 667 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 17; W SchubrtlJ. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11,1, S. XXVI. 663

664

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

das Gebiet des preußischen Rechts (mit Ausschluß der rheinischrechtlichen Gebiete) die völlige Abschaffung der Revision, die Einführung der obligatorischen Rückverweisung und die Aufhebung der grundsätzlichen Trennung zwischen Verletzungen formellen und materiellen Rechts vorsah. Im Herbst desselben Jahres wurde dieser Entwurf allerdings nach Eingang kritischer Stellungnahmen vieler Gerichte wieder abgeändert und die Sachentscheidungsbefugnis erneut aufgenommen. Der Versuch, das letztinstanzliche Verfahren gesondert zu reformieren, wurde bald danach aufgegeben. Unter dem Vorsitz Bornemanns wurde eine Prozeßrechtskommission eingerichtet, die 1864 den Entwurf einer Zivilprozeßordnung vorlegte 668 . Hinsichtlich der Nichtigkeitsbeschwerde schloß sich dieser Entwurf an die Arbeiten von 1860 an. Die Revision sollte abgeschafft, dem Obertribunal die Sachentscheidungsbefugnis entzogen 669 und die Trennung zwischen materiellem und formellem Recht aufgehoben werden. Dieser Entwurf wurde jedoch ebenfalls nicht mehr umgesetzt. Er ging auf in den zwischenzeitlich eingesetzten Bemühungen zur Schaffung einer einheitlichen deutschen Zivilprozeßordnung.

(2) Die Kassation in den Arbeiten zur Reichszivilprozeßordnung In den Vorarbeiten zur Zivilprozeßordnung setzte sich die Debatte um die Ausgestaltung des letztinstanzlichen Rechtsmittels auf überstaatlicher Ebene innerhalb ganz Deutschlands fort. In besonderer Weise hat sich dies in den Verhandlungen des seit 1860 stattfindenden Deutschen Juristentages manifestiert 67o • Schon die ersten Veranstaltungen dieser Art, 1860 und 1861, sprachen sich mit Mehrheit für die Übernahme des Kassationsprinzips, d. h. für die Beschränkung der letzten Instanz auf die Rechtsfrage aus; eine Haltung, die sich auch in der Literatur immer mehr festigte. Und schließlich wurden auch die 1862 eingeleiteten gesetzgeberischen Bemühungen um eine einheitliche deutsche Prozeßordnung von diesem Gedanken geleitet 671 • Die aus diesen ohne die Beteiligung Preußens aufgenommenen Arbeiten hervorgegangenen Gesetzentwürfe, der Hannoversche Entwurf von 1866 und der Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den Norddeutschen Bund von 1870 sahen die Nichtigkeitsbeschwerde und dementsprechend die Beschränkung des letztinstanzlichen Rechtsmittels auf eine Rechtsanwendungskontrolle vor. Der norddeutsche Entwurf wurde im preußischen Justizministerium umgearbeitet und anschließend auch im Bundes- und Reichstag noch in 668 W Schubertl J. Regge: Gesetzrevision, 2. Abt., Bd. 11,1, S. XXVI f.; E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 18; Endemann: Betrachtungen über einige Hauptgrundsätze des preußischen Entwurfs einer Civilprozeßordnung, AcP 49 (1866), S. I ff. 669 Anders als in Frankreich sollte die Rechtsansicht des Obertribunals aber für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend sein, § 683 des Entwurfes. 670 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 18 f. 671 Zum folgenden E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 19 ff.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

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einzelnen Punkten kontrovers diskutiert. Die obligatorische Verweisung des preußischen Entwurfs von 1864 wurde hier nicht wieder aufgenommen, vielmehr etablierte sich endgültig die Sachentscheidungsbefugnis, die allein für Fälle mangelnder Entscheidungsreife ausgesetzt blieb.

In seinen Grundzügen veränderte sich das letztinstanzliche Rechtsmittel seit dem Bundesstaatenentwurf nicht mehr. Seine wesentlichen Merkmale waren eine Beschränkung der letzten Instanz auf Rechtsfragen und die Befugnis zur Entscheidung in der Sache selbst, verbunden mit einer Verweisung in Fällen mangelnder Entscheidungsreife. Des weiteren wurde in Ansehung der Einlegungsgründe die Trennung zwischen Verletzungen materiellen und formellen Rechts endgültig aufgegeben. Das neue Rechtsmittel konnte nur darauf gestützt werden, daß die Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruhte, und das Gesetz war als verletzt anzusehen, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden war672 • Während der Entwurf der Staaten des Norddeutschen Bundes noch mit dem Begriff der Nichtigkeitsbeschwerde operiert hatte, wählte man im Anschluß an preußische Vorschläge die Bezeichnung Revision673 . Dies geschah, um den Anklang an das französische Kassationsverfahren, den man im Begriff der Nichtigkeitsbeschwerde noch begründet sah, zu umgehen. Seither verschwand sowohl die Bezeichnung als Nichtigkeitsbeschwerde als aber auch das Modell der alten preußischen Revision, die ja ihrem Wesen nach eine zweite Appellation oder Oberappellation darstellte. Ungeachtet der Namensgebung gelangte 1871 ein der französischen Kassation verwandtes Verfahren über die Brücke der rheinischen Kassation und der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde in die Zivilprozeßordnung des Deutschen Reiches.

4. Zusammenfassung Die Vermittlung rheinischer oder französischer Rechtsgedanken über das rheinische Obergericht erfolgte auf verschiedenen Ebenen: über einen fachlichen Austausch zwischen rheinischen und altpreußischen Richtern, über die Demonstration des rheinisch-französischen Verfahrensrechts vor altpreußischem Publikum sowie über die Teilnahme der Richter an den Gesetzrevisions- und Gesetzgebungsarbeiten selbst. Die Arbeit am Revisions- und Kassationshof hat die Haltung altpreußischer Richter zum französischen Recht verändert. Die eigene Anschauung von der Praxis des "fremden" Rechts hat nicht nur die Akzeptanz dieses Rechts erhöht, sie hat altpreußische Richter auch zu Befürwortern der Institutionen des französischen

672 § 834 des norddeutschen Entwurfs und § 461 des preußischen Entwurfs von 1871; abgedruckt bei E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 20 f. 673 E. Schwinge: Grundlagen des Revisionsrechts, S. 20.

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D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

Rechts werden lassen. Sofern diese Juristen ihrerseits an der Gesetzrevision beteiligt waren, brachten sie ihre Erfahrungen in die Reformarbeiten ein. Die Möglichkeit einer Auseinandersetzung mit dem französischen Recht bestand nicht nur für die altpreußischen Juristen, die am RKH beschäftigt waren. Jeder an den Revisionsarbeiten beteiligte Jurist konnte sich in den öffentlichen Verhandlungen des Gerichtshofes über die in Wissenschaft und Gesetzgebung diskutierten Institutionen des französischen Rechts informieren. Vor allem aber hat die Existenz eines rheinischen Gerichtes in Berlin die Voraussetzung geschaffen für die Teilnahme rheinischer oder mit dem rheinischen Recht vertrauter altpreußischer Juristen an Gesetzrevision und Gesetzgebung. Mitglieder des Gerichtshofes waren sowohl im Staatsrat als auch in den Gesetzrevisionsdeputationen in großer Zahl vertreten. Mit dem ständigen Hinweis auf das französische Recht haben sie dieses immer wieder ins Bewußtsein der Revisioren geriickt und so den ständigen Vergleich mit preußischem oder deutschem Recht provoziert. Ergebnis dieses Vergleichs war in vielen Fällen eine Übernahme französisch-rechtlicher Regelungsmuster in die Gesetzentwürfe674 • Ein Beispiel für die Übernahme französischen bzw. rheinischen Rechts ist die Gesetzgebung zum obergerichtlichen Verfahren. Das Kassationsverfahren hielt Lösungen bereit, mit denen den Mängeln des preußischen Revisionsrechts begegnet werden konnte: die Abfassung, Mitteilung und Veröffentlichung der Entscheidungsgriinde des Obergerichts sowie die Beschränkung des letztinstanzlichen Rechtsmittels auf Rechtsfragen. Von 1823 an wurden diese Instrumente unter maßgeblicher Beteiligung der Juristen des RKH in den Gesetzgebungsgremien diskutiert. Die Entwicklung, die zur Einführung der Mitteilungspflicht und Veröffentlichung der Entscheidungen des Obertribunals geführt hat, wurde angestoßen, ohne daß am Anfang der vergleichende Blick auf das rheinische oder französische Recht gestanden hätte. Der Vergleich trat erst später hinzu und hat die Umsetzung dieser Ideen gefördert. Dabei kam dem Verfahren des rheinischen Kassationsgerichts besondere Bedeutung zu, weil in Preußen kein anderes Obergericht seine Entscheidungen begriindete und regelmäßig veröffentlichte. Dariiber hinaus konnte die historische Rechtsschule mit Blick auf dieses Verfahren belegen, daß die von ihr geforderte Veröffentlichung tatsächlich zu einer Annäherung von Wissenschaft und Praxis führte. Der Gesetzgebungprozeß selbst wurde dadurch beschleunigt, daß Sethe, Savigny, Simon und Mühler ihre Erfahrungen mit dem Verfahren der Entscheidungsabfassung und -veröffentlichung vermittelten. Sie nahmen in allen Beratungen auf das Verfahren des RKH Bezug und entkräfteten so die Bedenken der altpreußischen Justizpraktiker, vor allem der Richter des Obertribunals, gegen Abfassung und Veröffentlichung der Entscheidungen. 674 Siehe oben Kapitel D III 1 c). Verwiesen sei hier nur beispielhaft auf Zivi1prozeßordnungsentwurf des Advokaten Reinhardt von 1827.

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

369

Für die 1833 in den preußischen Prozeß eingeführte Nichtigkeitsbeschwerde, die eine auf Rechtsfragen beschränkte obergerichtliche Entscheidungskontrolle darstellte, diente das rheinische Kassationsverfahren unmittelbar als Vorbild. Savigny schlug 1824 die Beschränkung des obergerichtlichen Verfahrens auf Rechtsfragen vor. Sethe nahm diesen Vorschlag auf und unterstützte ihn. Gerade mit dem Hinweis auf ihre Erfahrungen am RKH konnten sie die anderen Mitglieder des Staatsrates überzeugen, daß eine Trennung von Tat- und Rechtsfragen praktikabel war. Der Verweis auf die Umsetzung des französischen Rechts in der Praxis des rheinischen Obergerichts erlangte für die Gesetzgebungsarbeiten insgesamt erhebliche Bedeutung. Immer wieder wurde die Skepsis der Reformer gegen die Ideen des französischen Rechts von den Mitgliedern des Revisions- und Kassationshofes mit dem Hinweis auf ihre eigenen Erfahrungen überwunden. 1827 wurde das von Savigny und Sethe vorgeschlagenen kassationsähnliche Rechtsmittel in die Arbeiten der Gesetzrevision unter Reinhardt aufgenommen. Hier wurde die Frage der Sachentscheidungsbefugnis des Kassationsgerichts thematisiert. Im Sinne des rheinischen Verfahrens entschieden wurde sie in den Gesetzgebungsarbeiten, die 1833 zum Erlaß der Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde führten. An die Vernichtung des vorinstanzlichen Urteils sollte sich die Entscheidung in der Sache selbst anschließen. Eine Rückverweisung war nur für Fällen mangelnder Entscheidungsreife vorgesehen. In der weiteren Entwicklung des obergerichtlichen Verfahrens bis hin zu den Arbeiten an einer reichseinheitlichen Zivilprozeßordnung 1871 blieb der Einfluß des rheinischen Kassationsrechts spürbar. Über die Briicke der preußischen Nichtigkeitsbeschwerde hat das rheinische Kassationsverfahren schließlich Eingang in das Rechtsmittelwesen der deutschen Zivilprozeßordnung gefunden. An der Gesetzgebungsgeschichte des preußischen obergerichtlichen Verfahrens lassen sich die Mechanismen der Vermittlung französischen oder auch spezifisch rheinischen Rechts verdeutlichen. Die Juristen des Revisions- und Kassationshofes haben die theoretischen Lösungen des französischen Rechts in den Gesetzgebungsprozeß eingebracht und so einen Rechtsvergleich gefördert. War die Gesetzgebung ohne den Blick auf das französische Recht angestoßen worden, wies sie inhaltlich aber Parallelen zu französischem Recht auf, befruchtete der Vergleich den Diskussionsprozeß. Gesetzgebungsvorhaben, wie diejenigen zur Entscheidungsabfassung und -veröffentlichung, wurden durch den Hinweis auf die Praxis des RKH vorangetrieben. Der Vergleich mit dem französischen Recht konnte aber auch den Anstoß zu einer Gesetzesinitiative bilden, das französische Recht als Vorbild herangezogen und schließlich französisches Recht übernommen werden. Insgesamt erwies sich der Hinweis der Richter auf ihre praktischen Erfahrungen als entscheidendes Moment. Gerade auf diese Weise gelang es ihnen, Bedenken gegen das französische Recht auszuräumen. Im Einzelfall konnte der Hinweis auf die Gerichtspraxis des RKH sogar dazu führen, daß statt des französischen, das spezifisch rheinische Recht sich in der Gesetzgebung durchsetzte. Unter dem Einfluß der Juristen des 24 Seynsche

370

D. Das Verfahrensrecht des Revisions- und Kassationshofes

rheinischen Obergerichts wurde bei Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde das von anderen Refonnern favorisierte französische Verfahren zurückgedrängt. Insgesamt lassen diese Mechanismen erkennen, daß der Rechtspraxis die entscheidende Rolle für das Eindringen des französischen Rechts in das preußische Recht zukam. Die Kenntnis des französischen Rechts wurde sowohl durch die Wissenschaft als auch durch die Juristen des RKH in den Gesetzrevisionsprozeß getragen, den Beleg für die Praktikabilität der Lösungen des französischen Rechts konnten aber nur die Rechtspraktiker liefern. Das Muster der Übertragung rheinisch-französischer Rechtsgedanken in das preußische Recht, das sich in der Gesetzgebung zum obergerichtlichen Verfahren zeigte, wird man auf die Refonn anderer Rechtsgebiete übertragen können. Dies gilt jedenfalls, soweit diese Refonnen bereits in den 20er bis 40er Jahren unter Beteiligung der RKH-Juristen angestoßen wurden, wie etwa die Refonn des Gerichtsverfassungs-, des Strafprozeß- und des allgemeinen Zivilprozeßrechts. In allen diesen Rechtsgebieten werden die Juristen des Revisions- und Kassationshofes den ständigen Vergleich mit dem französischen Recht geführt und auf eine Aufnahme französisch-rechtlicher Regelungsmuster gedrängt haben. Entsprechend den erläuterten Vermittlungsmechanismen dürfte auch hier dem Hinweis der Richter auf ihre eigenen praktischen Erfahrungen mit dem französischen Recht entscheidendes Gewicht zugekommen sein. Für die Entwicklung eines Zivilverfahrens mit mündlicher Schlußverhandlung zum Beispiel dürfte das rheinische Kassationsverfahren zumindest insofern von Bedeutung gewesen sein, als das Modell einer mündlichen Verhandlung im Anschluß an ein schriftliches Verfahren am RKH schon praktiziert wurde, lange bevor es 1833 mit der Verordnung über den summarischen Prozeß in das preußische Recht aufgenommen wurde. Der Kontakt mit dem rheinisch-französischen Recht, den der RKH auf den eingangs genannten Ebenen vennittelte, hat dazu geführt, daß innerhalb der preußischen Gesetzrevision ein Rechtsvergleich stattfinden konnte, der sich nicht allein auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen eines fremden Rechts beschränkte, sondern die praktische Anwendung dieses Rechts oder zumindest die unmittelbare Anschauung von seiner Anwendung einbezog. Gerade letzteres gab, wie die Untersuchung der Entwicklung des obergerichtlichen Verfahrens gezeigt hat, oft den Ausschlag zugunsten der französischrechtlichen Lösungen. Wenn unter den Revisoren die grundsätzliche Bereitschaft zu einer Auseinandersetzung mit dem französischen Recht bestand, konnten die Richter des RKH mit dem Hinweis auf ihre eigenen Erfahrungen die Zweifel an der Praktikabilität des französischen Verfahrens zerstreuen. Ihre Mitgliedschaft in den Gesetzrevisionsgremien führte überdies dazu, daß das venneintlich revolutionäre französische Recht, dem die politisch motivierte Abneigung der Restauration entgegenschlug, nicht als Recht eines fremden Staates, sondern als das Recht einer preußischen Provinz, das von einem preußischen Obergericht angewandt wurde, in den Gesetzrevisionsprozeß einging. Der Vergleich des deutschen mit dem französi-

III. Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes

371

schen Recht konnte so intensiver und praxisorientierter, aber auch ideologiefreier geführt werden. Der Gerichtshof hat letztlich die Vermittlerfunktion ausgefüllt, die ihm die rheinischen Landtagsabgeordneten zuschrieben. Er war eine "Brücke", über die das französische oder rheinische Recht Eingang in die preußische Gesetzgebung finden konnte. Insofern ist in der Gesetzrevision der ersten Jahrhunderthälfte das ursprüngliche Konzept Beymes aufgegangen, den RKH als ein "lebendiges Beispiel" der Rechtspraxis eines fremden Rechts in Berlin zu installieren, der "Beurtheilung eines jeden,,675 zugänglich zu machen und das Ergebnis dieser Beurteilung in den Gesetzrevisionsprozeß einfließen zu lassen. Die Entwicklung auf dem Gebiet des obergerichtlichen Verfahrens hat gezeigt, daß dieses Konzept auch noch fortwirkte, als der Gerichtshof durch Kamptz unter völlig anderen rechtspolitischen Vorzeichen besetzt worden war.

675

S.4. 24*

Zitiert aus der Rede Beymes zur Eröffnung des RKH am 15. 7. 1819, RhA Bd. 1 11,

E. Die Rechtsprechung des Revisionsund Kassationshofes Bei Einrichtung und Besetzung des Revisions- und Kassationshofes hatte 1819 das Interesse an der Entwicklung des preußischen und nicht des rheinischen Rechts im Vordergrund gestanden. Der Gerichtshof sollte nach der Vorstellung Beymes als Impulsgeber für die Reform der preußischen Gesetzgebung dienen. Mit Blick auf den Nutzen für die Gesetzrevision hatte der Minister justizpraktische Bedenken gegen eine Verlegung der rheinischen Obergerichtsbarkeit nach Berlin zurückgestellt 1. Ohnehin erwartete er, das französische Recht nach Abschluß der Revisionsarbeiten durch das reformierte preußische Recht ablösen zu können, so daß es dann auch keines eigenen Obergerichts für die Provinz mehr bedurft hätte. Anders als 1819 beabsichtigt, hat der Revisions- und Kassationshof dann aber über mehr als 30 Jahre mit dem französischen Recht gearbeitet. Dies leitet von der Frage nach seiner Bedeutung für die preußische Gesetzgebung über zu der Frage nach seiner Bedeutung für Bestand und Entwicklung des rheinischen Rechts. Der RKH stand als Kassationsgericht an der Spitze der rheinischen Justiz und wachte über die Anwendung französischen Rechts in den Rheinlanden. Daher soll untersucht werden, welchen Stellenwert seine Rechtsprechung für die Vereinheitlichung der untergerichtlichen Rechtsprechung erlangte. Da es für das französische Recht der Rheinprovinz keinen Gesetzgeber gab, soll weiter gefragt werden, ob der RKH diese Rolle ausgefüllt und über richterliche Rechtsfortbildung die Entwicklung des rheinischen Rechts vorangetrieben hat. Abschießend wird der Umgang der Richter mit dem rheinischen Recht als einem nicht unangefochten geltenden Recht thematisiert. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer Entwicklung, in deren Verlauf die Abschaffung des für die Rheinländer in den Rang eines "Verfassungsersatzes,,2 aufgerückten "rheinischen Rechts" nicht nur entferntes Ziel der Gesetzrevision war, sondern bereits einzelne Normen des französischen Rechts durch unrevidiertes preußisches Recht ersetzt wurden. Hier soll nach den Mechanismen gefragt werden, die die Rechtsprechung zur Bewältigung der Konflikte zwischen französischem und preußischem Recht entwickelte.

I In seinem Vortrag vor dem Staatsministerium am 5.8. 1818, GStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. 2 Vgl. K.-G. Faber: Rheinlande, S. 113; ders.: Recht und Verfassung; B. Dö[emeyer: Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, lus Commune, Bd. VII (1978), S. 192.

I. Materialien

373

Diese Fragen nach der Funktion des Gerichtshofes bedingen eine andere Vorgehensweise als sie in den bereits vorliegenden Arbeiten zur Rechtsprechung rheinischer Obergerichte gewählt wurde 3 . Methodische Gesichtspunkte der Rechtsprechung zu einzelnen zivilrechtlichen Rechtsmaterien, insbesondere die Frage der Entwicklung einer speziellen "rheinischen Methode" im Umgang mit dem französischen Recht, werden keine Rolle spielen. Stattdessen wird ein Überblick über die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes gegeben. Die Darstellung wird sich also nicht auf die Behandlung materiellrechtlicher Einzelfragen in der Entscheidungspraxis konzentrieren, sondern versuchen, die Rechtsprechung anhand übergreifender Strukturen zu charakterisieren. Zu diesem Zweck werden das überlieferte Entscheidungsmaterial und die thematischen Schwerpunkte der Rechtsprechung vorgestellt.

I. Materialien Der vorliegende Überblick über die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes ist zugleich der erste Zugriff auf diese Rechtsprechung 4 . Daher soll einleitend das überlieferte Entscheidungsmaterial vorgestellt werden. Die Originale der Urteilsmaterialien konnten nicht mehr aufgefunden werden, so daß die Analyse der Rechtsprechung sich in der Hauptsache auf veröffentlichte Entscheidungen stützen muß s. Dennoch ist eine Annäherung an das Originalmaterial möglich. In 3 D. Schumacher: Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis. E. Schneider: Spruchpraxis, in: J. Wolfframl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 307 ff. Schumacher vergleicht die Rechtsprechung verschiedener rheinischer Gerichte und der Reichsgerichts mit der französischen Praxis und erkennt in der Rechtsprechung der mit französischem Recht arbeitenden deutschen Gerichte eine eigene von der französischen abweichende "rheinische Methode". Damit umschreibt er im wesentlichen die Aufnahme gemeinrechtlicher Auslegungsregeln, die die gerichtliche Rechtsfindung von der engen Wortlautbindung der französischen Gerichte abgelöst und auf die Grundlage einer breiteren Palette von Erkenntnismitteln (Berücksichtigung französischer Literatur und Rechtsprechung, römischen Rechts) gestellt hat. Schneider hingegen, der ebenfalls unter methodischen Gesichtspunkten die Rechtsprechungspraxis des Kölner AGH für die ersten Jahre seiner Existenz untersucht hat, konstatiert noch eine größere Nähe zum französischen Modell. 4 Bisher hat die Rechtsprechung speziell des RKH in der Literatur zum rheinischen Recht oder zur Rechtsprechung deutscher Gerichte noch keine Beachtung gefunden. Lediglich D. Schumacher: Das rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts untersucht einzelne Aspekte der obergerichtlichen Rechtsprechung zum rheinischen Recht. Er greift dabei allerdings hauptsächlich auf Entscheidungen der rheinischen Senate von Obertribunal und Reichsgericht zurück. Entscheidungen des RKH - meist aus den letzten Jahren seiner Existenz - werden nur vereinzelt zitiert. Eine Analyse der Rechtsprechung des RKH findet nicht statt. S Weder im GStA noch in den Beständen des HStA Düsseldorf oder des LHA Koblenz finden sich Entscheidungssammlungen des RKH. Über den Verbleib dieser Materialien lassen sich kaum verläßliche Angaben machen. Die entsprechenden Akten können, soweit sie im

374

E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

einigen wenigen Fällen haben sich nämlich Abschriften der Entscheidungen erhalten. Es handelt sich dabei zumeist um den sogenannten "Auszug aus den Urschriften des Königlichen Revisions- und Kassationshofes zu Berlin,,6, der in den Protokollbänden der Untergerichte den kassierten Entscheidungen beigeheftet7 oder, bei besonderem Interesse des öffentlichen Ministeriums, dem Generalprokurator am RKH oder dem lustizministerium mitgeteilt wurde 8 . Diese Abschriften erlauben Rückschlüsse auf den Aufbau und Inhalt der Orginalentscheidungen 9 . Justizministerium aufbewahrt wurden, zum Teil in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vernichtet worden oder aber während des zweiten Weltkriegs im Justizministerium nach einem Bombenangriff zerstört oder nach einer Auslagerung verloren gegangen sein; dazu die Vorbemerkung in Bd. I des Findbuches zu Rep 84 a (Dahlemer Bestände zum Justizministerium), S. 13, die Auskunft über die Kriegsverluste und den vermutlichen Verbleib der Akten des Justizministeriums gibt, ohne ausdrücklich Akten des RKH zunennen. Dort findet sich auch der allgemeine Hinweis auf Vernichtung von Akten zu Einzelstrafsachen und Zivilsachen, so daß es möglich ist, daß hierbei Akten des RKH vernichtet worden sind. Ein größerer Teil der Urteilsmaterialien scheint im LHA Koblenz und zwar in den Beständen des OLG Köln verwahrt worden und dort Kriegseinwirkungen zum Opfer gefallen zu sein; vgl. zum Schicksal des später an das HStA Düsseldorf abgegebenen Bestandes Nr. 581 (OLG Köln) das Findbuch 222.02.1. OLG Köln (HStA Düsseldorf) S. 74 ff. Dort findet sich der Hinweis auf Assisen- und Kassationsentscheidungen, die offenbar in den Beständen des OLG gelagert worden waren und im Krieg vernichtet wurden. Hinweise auf den Verkauf von Kasssationsgerichtsakten (darunter auch Entscheidungen des Obertribunals in Zivilsachen) als Altpapier schon im 19. Jahrhundert liefert HStA Düsseldorf Bestand 222.02.1 Nr. 11 / 1244 (siehe dort v.a. Angaben zum Aktenverkauf vom 26. 3. 1877). Allgemein zur Überlieferung der rheinischen Rechtsprechung B. Strack: Ungedruckte Quellen, in: Rheinische Vierteljahresblätter, 60. Jg. (1996), S. 312 ff. 6 Wo sich diese Bezeichnung so nicht findet, sind die entsprechenden Materialien schlicht als Abschriften gekennzeichnet. 7 Dieses in preußischer Zeit sogenannte "Beischreiben" der Kassationsentscheidung an den Rand des kassierten Urteils geht zuriick auf Art. 22 des Gesetzes vom 1. 12. 1790 und Art. 85 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII. In der Praxis (des RKH) sah dies so aus, daß an den Rand des Audienzprotokolls der Sitzung, in der das aufgehobene Urteil gefällt worden war, eine kurze Notiz auf die Vernichtung dieser Entscheidung durch den RKH hinwies und im Anschluß an dieses Protokoll, gelegentlich auch am Ende des jeweiligen Protokollbandes, eine Abschrift der kassierenden Entscheidung eingeheftet wurde. 8 Diese Materialien erlauben jedoch keinesfalls die Aufstellung zeitlich zusammenhängender Untersuchungsreihen, vielmehr handelt es sich hier um Zufallsfunde, die vom Überlieferungszustand der Untergerichts- und Ministerialakten abhängig sind und bei denen insbesondere das Fehlen der Kölner Appellationsgerichtsentscheidungen seit 1819 (dazu: B. Strack: Ungedruckte Quellen, in: Rheinische Vierteljahresblätter, 60. Jg. (1996), S. 312 ff.) eine große Lücke reißt. Es handelt sich überwiegend um Urteile aus der Friihzeit der Tätigkeit des RKH. Sie finden sich beispielsweise in den Audienzprotokollen der Appellationsgerichtshöfe Trier und Düsseldorf; z. B.: LHA Koblenz (Urteile des AGH Trier) Best. 367,2 Nr. 4 (Urteil vom 23. 6. 1817 vernichtet durch Kassation vom 23.6. 1820); Best. 367,2 Nr. 6 (Urteil vom 11. 12. 1818 vernichtet durch Kassation vom 20. 12. 1834); HStA Düsseldorf (Urteile des AHG Düsseldorf) Rep 15 Nr. 16 (Urteil vom 27. 6. 1815 vernichtet durch Kassation vom 28. 7. 1820); Rep 15 Nr. 20 (Urteil vom 8. 6. 1819 vernichtet durch Kassation vom 18.2. 1820; Urteil vom 27. 7. 1819 kassiert am 25. 2. 1820; Urteil vom 31. 8. 1819 kassiert am 27. 4. 1821); Rep 11 Nr. 1501, fol. 84 f., 102 f., 488 f.; Rep 11 Nr. 1502, fol. 36 f., 454 f. Aus den Akten des Justizministeriums ist eine Entscheidungszusammenstellung zu steuer-

I. Materialien

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1. Urteilsmaterialien Die Entscheidungen des RKH waren nach folgendem Schema aufgebaut: Sie wurden eingeleitet durch ein Rubrum, das die Entscheidung als ein im Namen des preußischen Königs ergangenes Urteil kenntlich machte, den Tag der mündlichen Sitzung bezeichnete, die anwesenden Richter sowie den Vertreter des öffentlichen Ministeriums und schließlich die Parteien benannte, bzw. in Strafsachen kenntlich machte, von welcher Seite Kassation nachgesucht worden war. An dieses Rubrum schloß sich dann die Darstellung des Sachverhalts und die Prozeßgeschichte an. Grundlage der Darstellung dürften die Vorträge der Referenten gewesen sein, die bereits vor der Verhandlung erstellt wurden, um das Kollegium in den Sach- und Streitstand einzuführen. Die Darstellung der Prozeßgeschichte fiel in der Regel sehr ausführlich aus und schloß unter Umständen die teils wörtliche Wiedergabe von Parteianträgen und Passagen des untergerichtlichen Urteils ein. Gelegentlich wurden auch die Anträge des öffentlichen Ministeriums im Wortlaut wiedergegeben. Insbesondere war dies der Fall, wenn der Hof sich in seiner Entscheidung dem Vertreter des öffentlichen Ministeriums anschloß. Der Antrag trat hier sogar weitgehend an die Stelle der Entscheidungsbegriindung des Gerichts, das sich in seiner eigenen Begriindung lediglich auf den Antrag bezog. Den Abschluß dieser Tatbestandsschilderung bildete der Hinweis auf den Ablauf der Kassationsverhandlung. Hier wurde zunächst der Referent genannt, dann gesagt, welche Anwälte für welche Partei aufgetreten waren und schließlich noch angefügt, welcher Vertreter der Staatsbehörde den abschließenden Antrag gestellt hatte. Dies geschah, ohne auf den Inhalt dieser Ausführungen einzugehen, so daß diese Passage einen protokollarischen Hinweis auf den gesetzmäßigen Ablauf der Sitzung darstellt. Als nächstes folgte die als "Urteil" kenntlich gemachte und abgesetzte eigentliche Entscheidung, die ganz nach französischem Vorbild als ,jugement a une phrase" aufgebaut war: An die Nennung der eingesehenen entscheidungsrelevanten Normen schloß sich die durch die Satzelemente "In Erwägung, daß .... " gegliederte Entscheidungsbegriindung an, auf die wiederum die eigentliche Entscheidungsformel "aus diesen Gründen kassiert / verwirft der Revisions- und Kassationshof ... ." rechtlichen Sachen erhalten, die vier Entscheidungen zwischen 1823 und 1832 umfaßt; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8389. Darüber hinaus sind noch einige wenige Entscheidungswiedergaben in einer von dem Gerichtssekretär Mertens offenbar für seine eigene Arbeit zusammengestellten Sammlung zu finden; "Beiträge zur Kenntnis der Gesetzgebung, Gerichtsverfassung und Rechtsprechung in den königlich preußischen Staaten, und vorzüglich in den Rheinprovinzen" GStA PK Rep 97 B I L 14. 9 Allerdings geben sie ihn nicht immer vollständig wieder. Sie wurden tatsächlich als Auszüge gefertigt, die nur den dem jeweiligen Verwendungszweck angemessenen Umfang an Informationen enthalten. So ersparte man sich beispielsweise bei den zu den Entscheidungen der Untergerichte gehefteten Urteilen eine Wiedergabe des Tatbestandes oder der Prozeßgeschichte, da diese ja aus den Akten des jeweiligen Gerichts hervorgingen. Ähnliches gilt auch für andere Entscheidungsbestandteile, so daß sich ein ungefahres Bild der tatsächlichen Entscheidungsmaterialien nur zeichnen läßt, wenn man alle in den Auszügen vorkommenden Merkmale zusammenzieht.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

folgte. Unterschrieben wurde das Urteil vom Präsidenten und dem ersten Sekretär des Gerichtshofes. An ein kassierendes Urteil war die ebenfalls aus dem französischen Recht herriihrende Vollstreckungsklausel angehängt. Wie die anderen rheinischen Gerichte auch behielt der RKH den strengen formalen Rahmen der französischen Entscheidungen bei 10. Eine kassierende Entscheidung in einer entscheidungsreifen Sache war so aufgebaut, daß die Entscheidung in der Sache selbst formal und sprachlich von der Kassation gesondert dargestellt wurde. Dabei machte der Gerichtshof das Außerordentliche dieser Entscheidungsbefugnis deutlich: Für die Anfangszeit findet sich hier zumeist ein Hinweis auf die entsprechenden zur Sachentscheidung ermächtigenden Vorschriften der Generalgouvemementsverordnungen. In der Regel folgte darauf die Einleitung der Entscheidung mit einer den Appellationsentscheidungen entlehnten Formel: "Indem der Hof in die Stelle des Appellationsgerichts tritt und in der Sache selbst erkennt .... ". Dieser Hinweis wurde auch später beibehalten. Er findet sich nicht bei allen Sachentscheidungen, man begegnet ihm aber bis zum Ende der eigenständigen Tatigkeit des RKH, also bis 1852, und sogar in den ersten Entscheidungen des rheinischen Senats des Obertribunals 11. Schließt man dieses letzte Element aus der Betrachtung aus, so ergibt sich das Bild eines ganz dem Entscheidungsstil des französischen Kassationshofes 12 - wie er etwa aus den im amtlichen Bulletin des Kassationshofes abgedruckten Entscheidungen zu entnehmen ist - folgenden Entscheidungsaufbaus.

2. Gedruckte Materialien Die Entscheidungen des RKH fanden Aufnahme in eine Reihe von privaten Entscheidungssammlungen. Neben den spärlichen Originalmaterialien bilden diese Veröffentlichungen der Entscheidungen die wichtigste Quelle für eine Untersuchung der Rechtsprechung des Gerichtshofes.

a) Das Rheinische Archiv

Die erste Stelle unter diesen Veröffentlichungen nimmt das "Archiv für das Civil- und Criminalrecht der Königlich Preußischen Rhein-Provinzen" ein, das seit 1820 und bis in das 20. Jahrhundert die Rechtsprechung der rheinischen Oberge10 Andeutungen zum Entscheidungsstil des Kölner AGH bspw. bei E. Schneider: Spruchpraxis, S. 308. 11 Bspw. RhA 4811 S. 40, Urteil des rheinischen Senats des Obertribunals vom 11. I. 1853; RhA 49 II S. 83, Urteil vom 20. 12. 1853; RhA 50 II S. 27, Urteil vom 11. 7. 1854. 12 Dazu etwa Hein Kötz: Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen, in: RabelsZ, 37 (1973), S. 245 ff.

I. Materialien

377

richtsbarkeit begleitete. Der Titel der Zeitschrift wurde im Laufe dieser Jahre mehrmals geringfügig verändert. Im folgenden wird er mit der heute gebräuchlichen Kurzform "Rheinisches Archiv" wiedergegeben. Das Rheinische Archiv war keine amtliche, sondern eine private Entscheidungssammlung. Sie wurde herausgegeben zunächst gemeinsam von dem Kölner Generaladvokaten Gottfried von Sandt l3 und dem zweiten Prokurator am Appellationshof, F. J. Hanf, später dann von Gottfried von Sandt allein und schließlich nach seinem Tode von einem "Verein von Mitgliedern des öffentlichen Ministeriums und des Advokatenstandes beim Rheinischen Appellationsgerichtshofe zu Köln,,14. Das Archiv gliederte sich in zwei Abteilungen. In der ersten und umfangreicheren wurden ausschließlich die Urteile des Appellationshofes wiedergegeben, die Entscheidungen des RKH fanden sich in der zweiten Abteilung. Diese zweite Abteilung sollte neben den Urteilen des rheinischen Obergerichts auch ministerielle Verfügungen und literarische Beiträge zum rheinischen Recht sowie die interessantesten Landgerichtsentscheidungen aufnehmen, war also von ihrem Inhalt her eher als rechtswissenschaftliche Fachzeitschrift denn als reine Entscheidungssammlung konzipiert l5 . Die Entscheidungswiedergabe scheint in den ersten Jahren noch keinem bestimmten Muster gefolgt zu sein l6 , später bildete sich aber zumindest ein Schema heraus, das sehr häufig verwandt wurde und sich unter Verallgemeinerung der einzelnen im Laufe der Zeit leicht gewandelten Merkmale wie folgt skizzieren läßt: Den jeweiligen Entscheidungen waren stichwortartige Überschriften vorangestellt, aus denen sich Gegenstand und Rechtsgebiet der Entscheidung ersehen ließen. Daran schloß sich in der Regel ein in Frage- oder Aussageform gehaltener, von den Herausgebern verfaßter Leitsatz an l7 . Auf den Leitsatz folgte die Entscheidungswiedergabe. Sie nahm in ihrem Stil den Aufbau der Urteile auf. Die Darstellung wurde von einer Tatbestandsschilderung unter Einschluß der Prozeßge13 Über von Sandt W Weisweiler: Geschichte des rheinpreußischen Notariats, Teil 2, S. 167 f. 14 Bezeichnung der Herausgeber, die sich ab Band 29 (1840) findet. Umfangreiche Korrespondenz zur Fortführung des Archivs in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fo!. 152 ff. Der Generalprokurator des AGH hatte zunächst vorgeschlagen, das Archiv künftig als ein Organ des AGH durch dessen Richter herausgeben zu lassen. Dieses Ansinnen lehnten die Richter jedoch mehrheitlich ab, woraufhin sich Beamte des öffentlichen Ministeriums und einige Advokaten bereit erklärten, künftig die Herausgabe des Rheinischen Archivs zu übernehmen. 15 Zu dieser Aufteilung und den Einzelheiten der zur Aufnahme in die zweite Abteilung vorgesehenen Gegenständen vg!. das Vorwort zum ersten Band des Archivs. 16 Besonders in den ersten Bänden differieren die einzelnen Urteilswiedergaben hinsichtlich ihres Umfangs, teils werden nur kurze Zusammenfassungen der Entscheidungen gegeben, teils finden sich breitere Darstellungen offensichtlich unter Miteinbeziehung von Teilen der Originalentscheidung (als Zitat), teils wird die Entscheidung nur bis zur eigentlichen Kassation wiedergegeben und die Entscheidung in der Sache selbst ausgespart. 17 Gelegentlich sind auch die entscheidungsre1evanten Normen - insbesondere wenn sie nicht aus dem Zusammenhang der fünf französischen Gesetzbücher sondern aus dem französischen oder preußischen Verordnungsrecht stammen - schon direkt im Anschluß an den Leitsatz aufgeführt.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

schichte eingeleitet, die gelegentlich auch mit Zitaten aus Anträgen oder vorinstanzlichen Entscheidungen versehenen war. Darauf folgte der protokollarische Hinweis auf das Referat und den Referenten, auf die Advokaten und ihre Bemerkungen sowie auf den Antrag des öffentlichen Ministeriums 18. Daran schlossen sich Entscheidung und Urteilsformel unter Beibehaltung des aus dem Französischen übersetzten "attendue que"-Aufbaus und - von der Kassationsentscheidung abgehoben - die Entscheidung in der Sache selbst an. Allerdings beschränkten sich die Herausgeber gerade in den Anfangsjahren oft auch darauf, nur die Kassation und nicht die Entscheidung in der Sache wiederzugeben 19. Mitgeteilt wurden schließlich auch die Namen der Beteiligten 2o : des jeweiligen Referenten, des Vertreters des öffentlichen Ministeriums und der Parteien und ihrer Anwälte - soweit diese in der Sitzung aufgetreten waren. Die einzelnen Elemente der Entscheidungswiedergabe variieren mitunter erheblich in ihrem Umfang, was auf Kürzungen hindeutet. Diese Kürzungen dürften von den Herausgebern vorgenommen worden sein und zwar überwiegend in Tatbestandsdarstellung und Prozeßgeschichte21 , weniger bei der Entscheidungsbegriindung. Da auch die wenigen noch vorhandenen Originalurteilsabschriften des RKH in aller Regel eine recht knappe Begriindung liefern, kann man wohl bei der Wiedergabe der Entscheidungsgriinde im Rheinischen Archiv von einer hohen Authentizität ausgehen, selbst wenn nur wenige Argumente zu Herleitung einer Entscheidung aufgeführt sind22 . Neben den am Stil der Gerichtsentscheidungen haftenden ausführlichen Wiedergaben finden sich im Rheinischen Archiv auch einige nur als Rechtssatz aufgeführte Entscheidungen, die ihrem wesentlichen Inhalt und dem Entscheidungstenor nach in wenigen Sätzen zusarnmengefaßt wurden.

b) Volkmars ,,Jurisprudenz" 1848 erschien eine von dem Advokat-Anwalt am RKH, Volkmar, herausgegebene umfangreichere Sammlung, der "Jurisprudenz des Rheinischen Cassationshofes zu Berlin,,23. Der Titel deutet schon auf den grundlegenden Unterschied zu den 18 Oft werden gerade die Vorträge des öffentlichen Ministeriums ausführlich wiedergegeben; bspw. RhA 3 II S. 19 ff. (Urteil vom 11. 3.1821). 19 Die Wiedergabe endete in diesen Fällen mit der Formel: " .. . kassiert der Hof, usw.". 20 In einigen wenigen Fällen stößt man hinsichtlich der beteiligten Parteien aber auch auf anonymisierte Personen- und Ortsangaben. 21 Zum Teil werden diese Kürzungen durch Auslassungszeichen kenntlich gemacht. 22 Verstärkt wird der Eindruck der Authentizität noch dadurch, daß in vielen Entscheidungen die Gründe als Zitate - kenntlich gemacht durch Anführungszeichen - gedruckt worden sind. 23 L. Volkmar: Die Jurisprudenz des Rheinischen Cassationshofes zu Berlin, 1819-1846, Berlin 1848.

I. Materialien

379

Veröffentlichungen des Archivs hin, es handelte sich nicht um die mehr oder weniger vollständige den Gang des Prozesses und der Entscheidung vermittelnde Wiedergabe einzelner Urteile. Vielmehr ging es dem Autor darum, die "Jurisprudenz" des RKH darzustellen. Er knüpfte damit an den Begriff der ,jurisprudence" an, wie ihn die französische und die englische Rechtswissenschaft kannte, und machte einleitend deutlich, daß er einen gedrängten aber umfassenden Überblick über die Spruchpraxis des Gerichtshofes geben wollte. Aufgeteilt nach Zivil- und Strafrecht 24 finden sich hier die zu kurzen "Rechtssätzen" zusammengefaßten Entscheidungen des RKH, eingeordnet jeweils nach Themengebieten, die in alphabetischer Folge stehen. Meist ohne Hinweis auf den zugrundeliegenden Tatbestand wurden die Entscheidungen des Gerichtshofes unter Konzentration auf die entschiedene Rechtsfrage in ein bis zwei Sätzen abstrakt gefaßt. Wo eine Entscheidung eingehender dargestellt wurde, ist nicht der Tatbestand sondern die rechtliche Erwägung vor dem Leser ausgebreitet. In der Regel wurden auch die durch die Entscheidung berührten Normen genannt. Abschließend finden sich unter jedem der Rechtssätze die Namen der Parteien, bei Strafsachen die Angabe der Kassation einlegenden Seite, die Namen des Referenten und der Anwälte sowie des Datums der Sitzung und - sofern vorhanden - der Fundstelle im Rheinischen Archiv. Ziel dieser Sammlung war es, einen möglichst umfassenden Überblick über die Rechtsprechung des RKH zu geben. Dies zeigt sich an der Auswahl und Gewichtung der einzelnen Themengebiete und an der Aufnahme auch der verwerfenden Entscheidungen, auf die Volkmar besonderen Wert legte, da sie im Rheinischen Archiv trotz ihres großen Anteils an den tatsächlich ergangenen Entscheidungen weitgehend vernachlässigt worden seien25 .

c) Die "Annalen"

Schließlich finden sich einzelne Urteile des RKH noch in der ansonsten auf die landgerichtliche Praxis konzentrierten Sammlung der "Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung in den preußischen Rheinprovinzen,,26, die zwischen 1841 und 1847 von rheinischen Justizpraktikern herausgegeben wurde. Die Urteile wurden offenbar weitgehend ungekürzt und im Zusammenhang mit den vorinstanzlichen Entscheidungen wiedergegeben. Daneben finden sich auch viele die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte - und auch des RKH - kommentierende Aufsätze, die einen Blick auf die zwischen den Gerichten streitigen und von Praktikern diskutierten Themen zulassen und anhand derer man einen Eindruck von der Aufnah-

24 Zivil- und strafrechtliche Entscheidungen nehmen innerhalb der Sammlung in etwa denselben Raum ein. 25 So das Vorwort, das Volkmar seiner Sammlung voranstellte. 26 Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung in den preußischen Rheinprovinzen, herausgegeben von einem Vereine rheinischer Rechtsgelehrter, 6 Bände, Trier 1841 - 1847.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

me der Rechtsprechung des rheinischen Obergerichts in den Rheinlanden bekommt.

d) Weitere Sammlungen

Einige zivilrechtliche Entscheidungen des RKH findet man in einer 1845 erschienenen Sammlung des Juristen Friedrich Hadrian Joseph Thesmar27 . Der Verfasser war Advokatanwalt am AGH und stellte die Rechtsprechung dieses Gerichts in den Mittelpunkt. Eine weitere Quelle für Entscheidungen des rheinpreußischen Kassationsgerichts bietet die 1862 in Mainz erschienene, auf die zivilrechtliche Rechtsprechung konzentrierte Sammlung des dortigen Obergerichtsrates J. G. Gredy28. In der Artikelfolge des Code civil werden hier Entscheidungen aller Kassationshöfe der französisch-rechtlichen Gebiete zu bei den Seiten des Rheins wiedergegeben, darunter auch diejenigen des RKH; vorwiegend aus den 30er bis 50er Jahren. Die Zahl der Berliner Entscheidungen steht hier jedoch hinter denen der Kassationshöfe in Darmstadt und Mannheim zuriick. Die Entscheidungswiedergabe selbst fällt wesentlich ausführlicher aus als bei Volkmar29 . Ebenfalls auf zivilrechtliche Entscheidungen beschränkt war das erst gegen Ende des Jahrhunderts erschienene "Repertorium zur Rechtsprechung der Gerichte bei Anwendung des rheinischen bürgerlichen Gesetzbuches· ao . Dort sind Entscheidungen der höheren (rhein-)preußischen Gerichte zur Anwendung des Code civil zusammengestelleI. Diese Sammlung war als Nachschlagewerk konzipiert, nach den Worten des Herausgebers sollte sie nicht die Lektüre der Entscheidungen ersetzen, sondern das Auffinden der andernorts abgedruckten Urteile erleichtern. Hauptquelle der aufgeführten Entscheidungen scheint das Rheinische Archiv zu sein, neben das später die Entscheidungssammlung des Reichsgerichts und des Reichsoberhandelsgerichts sowie andere juristischen Zeitschriften treten. Hinsichtlich der Wiedergabe aus dem Rheinischen Archiv überwiegen insgesamt die Entscheidungen des Appellationshofes. Soweit die Kassationsrechtsprechung der ersten Jahrhunderthälfte wiedergegeben ist, beschränkt sich dies auf die letzten Jahre 27 Friedrich Hadrian Joseph Thesmar: Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, sowie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, insbesondere des Königlichen Rheinischen Appellstions-Gerichtshofes in Köln und des Revisions- und Kassationshofes in Berlin [ ... ], Band I, Zivilgesetzbuch, Elberfeld 1845. 28 J. G. Gredy: Zusammenstellung der Entscheidungen der Kassationshöfe zu Berlin, Brüssel, Darmstadt, München mit Zweibrücken, Paris und des Oberhofgerichts zu Mannheim über die Civilrechtsfragen [ ... ], ausgezogen und geordnet nach der Reihenfolge der einzelnen Gesetzbücher und Gesetze, Erster Theil: Bürgerliches Gesetzbuch, Mainz 1862. 29 Einzelne besonders wichtige Urteile werden sehr ausführlich behandelt. 30 Repertorium zur Rechtsprechung der Gerichte bei Anwendung des rheinischen bürgerlichen Gesetzbuches,!. Aufl., Trier 1885, (2. Aufl., Trier 1895). 31 Dies geschah ebenfalls in der Artikelfolge des Gesetzes.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

381

der Existenz des RKH und die Entscheidungen des rheinischen Senats des Obertribunals.

e) Zusammenfassung

Für den hier geplanten ersten Zugriff, der die Rechtsprechung des RKH in einem Überblick vorstellen und in erster Linie ihre inhaltlichen Strukturen erarbeiten will, eignen sich das Rheinische Archiv und die Sammlung Volkmars am besten, da sie sich auf den RKH konzentrieren und alle relevanten Rechtsgebiete erfassen. Während sich anhand der Sammlung Volkmars ein breites und repräsentatives Bild der angeschnittenen Themengebiete zeichnen läßt, ermöglicht die ausführliche Urteilswiedergabe im "Archiv" eine Auseinandersetzung mit der Argumentation des RKH zu einzelnen Fragen. Was die Aufnahme der Rechtsprechung des RKH in den Rheinlanden, also das Verhältnis des RKH zu rheinischen Justiz betrifft, so kann dieses Bild durch die Annalen ergänzt werden. Demgegenüber erscheinen die Werke Gredys und Thesmars sowie das Repertorium zur rheinischen Rechtsprechung sowohl wegen ihrer thematischen Beschränkung auf das materielle Zivilrecht als auch wegen der Aufnahme der Rechtsprechung verschiedenster Gerichte eher als Grundlage einer vergleichenden Untersuchung geeignet, die sich auf bestimmte Themen beschränkt, als für den hier angestrebten Gesamtüberblick über die Rechtsprechungstätigkeit des RKH.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit Da sich Aussagen über die Ausrichtung der Rechtsprechung des RKH nur noch anhand der gedruckten Urteilsmaterialien treffen lassen, sollen zunächst Geschichte und Bedingungen der Entscheidungsveröffentlichung in den preußischen Rheinlanden untersucht werden. In den Mittelpunkt muß dabei die Geschichte des Rheinischen Archivs treten, da es bis in die vierziger Jahre hinein das einzige Veröffentlichungsorgan blieb, das die Urteile des RKH zugänglich machte.

1. Französische Ursprünge Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit ist auf französische Wurzeln zuriickzuführen. In Frankreich selbst gab es mehrere Formen der Entscheidungsveröffentlichung 32 . Sie unterschieden sich zunächst nach der herausgebenden Instanz. Es gab offizielle und private Sammlungen. Die Ver-

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

vielfältigung und Verbreitung der Entscheidungen und damit eine amtliche Veröffentlichung war schon in Art. 22 des Gesetzes vom 1. Dezember 1790 vorgeschrieben: "Tout jugement du tribunal de cassation sera imprime, et inscrit sur les registres du tribunal dont la decision aura ete casse.· m Aus dem Zusammenhang mit der Pflicht zur Eintragung in die Register des "aufgehobenen" Gerichts folgt, daß die Veröffentlichungspflicht nur die kassierenden Entscheidungen erfaßte. Über die näheren Modalitäten dieser Veröffentlichung schwieg das Gesetz. In den ersten Jahren bildete sich die Praxis heraus, die Urteile jeweils in 200 Exemplaren drukken zu lassen. Die Hälfte wurde innerhalb der Stadt Paris als Plakate angeheftet, während die andere Hälfte am Tribunal verblieb 34 . Mit Beschluß des directoire executif vom 28. Vendemiaire des Jahres V (19. Oktober 1796)35 wurde diese Art der nur auf Paris beschränkten Bekanntmachung eingestellt und die Veröffentlichung der Urteile in einem dem Bulletin des Lois nachgebildeten offiziellen und vom Kassationshof herausgegebenen Organ beschlossen, das in einer straf- und zivilrechtlichen Abteilung erscheinen sollte36 . Mit einem weiteren Arrete des directoire executif vom 2. Ergänzungstag des Jahres VI (17. September 1798)37 wurden dann nähere Bestimmungen über Art und Weise der Entscheidungswiedergabe 38 und hinsichtlich der aufzunehmenden Entscheidungen getroffen. Auch verwerfende Urteile oder Entscheidungen, die eine Kompetenzbestimmung enthielten, sollten aufgenommen werden, wenn der Justizminister ihre Veröffentlichung als nützlich erachtete (Art. 3). Das Bulletin wurde den Zivil- und Strafgerichten der Departements direkt zugestellt (Art. 5 und 6 des Arrete vom 28. Vendemiaire des Jahres V), konnte aber auch von Privatleuten abonniert werden 39 . 32 Siehe dazu den Überblick bei Christoph Bergfeid: Frankreich, in: Filippo Ranieri (Hrsg.): Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), l. Hbd., Frankfurt a.M. 1992, S. 405 ff. 33 J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 122. 34 Diese Zahlen und Verwendungs zwecke sind dem Bericht entnommen, der dem Arrete vom 28. Venderniaire des Jahres V vorangestellt ist; abgedruckt bei J. Desenne: Code general, S. 15l. Abweichend davon gehen Georg Leistner: Über die Veröffentlichungspraxis oberster und höherer Gerichte in Westeuropa (Arbeitshefte der Arbeitsgemeinschaft für juristisches Bibliotheks- und Dokumentationswesen, Nr. 2), Tübingen 1975, S. 49 und C. Bergfeid: Frankreich, S. 407, letzterer ohne Angaben zu seinen Quellen, von der doppelten Anzahl gedruckter Exemplare aus (400: 200 als Plakate und 200 für Kassationshof, nach Bergfeld a. a. O. sollen diese letzten 200 Exemplare sogar an die Appellationsgerichte verteilt worden sein; Leistner bezieht seine Angaben offensichtlich aus einer von ihm beim Kassationshof eingeholten Auskunft). 35 Abgedruckt ebenfalls bei J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 151 f. 36 Bulletin des arrets (I-V: des jugemens) de la Cour (I-VI: du Tribunal) de cassation rendues en matiere civile / crirninelle publie sous la direction de M. Guerry de Champneuf, I-XXXIII, Paris an VII (1798)-1824; ab 1825 fortgesetzt als Bulletin des arrets de la Cour de cassation - chambres civiles / chambre crirninelle; siehe auch G. Leistner: Veröffentlichungspraxis, S. 50. 37 Abgedruckt bei J. Desenne: Code general, Bd. 3, S. 158 f. 38 Einer knappen, zusammenfassenden Sachverhaltsschilderung sollte die wörtliche Wiedergabe der eigentlichen Entscheidung folgen.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

383

Die Entscheidungswiedergabe war in der Regel an folgendem Schema orientiert: Eingeleitet wurde sie durch den Hinweis darauf, welche Entscheidung welchen Gerichts aufgehoben wurde, wer die Kassation eingelegt hatte und an welchem Tag das kassierende Urteil ergangen war. Daran schlossen sich dann "Notice et Motifs", die gedrängte Wiedergabe des Sachverhalts sowie der Prozeßgeschichte und - nach einem Hinweis auf den protokollarischen Verlauf der Verhandlung die begründete Entscheidung an. Die notice wurde von seiten des jeweiligen Referenten angefertigt und durch den Präsidenten der section kontrolliert40 , die Entscheidung selbst wurde im Wortlaut, d. h. auch unter Beibehaltung des Urteilsstils, wiedergegeben 41 . Vergleicht man dies mit dem oben skizzierten Entscheidungsaufbau des Rheinischen Archivs, liegt der Schluß nahe, daß das Bulletin des Kassationshofes den Herausgebern des Archivs als Vorbild gedient hat42 . Neben dieser amtlichen Urteilssammlung, deren Herausgabe Sache des Kassationshofes selbst war, fanden die Entscheidungen des Pariser Kassationshofes aber auch vielfach Aufnahme in private Sammlungen. Die bekanntesten dieser Sammlungen dürften von Sirey und Dalloz stammen43 • Ihrer Struktur nach repräsentieren sie die beiden gebräuchlichen Veröffentlichungsmuster damaliger Entscheidungszusammenstellungen. Wahrend bei Sirey die Urteile chronologisch geordnet und die Entscheidungen selbst in ihrem Wortlaut wiedergegeben werden44 , finden sich die Entscheidungen bei Dalloz stark zusammengefaßt - oft auf einen Leitsatz reduziert - und nach Rechtsmaterien geordnet. An das Werk Dalloz' scheint die Sammlung Volkmars in Aufbau und Inhalt anzuknüpfen.

2. Entscheidungspublikationen zwischen 1814 und 1819 Mit dem Ende der französischen Herrschaft in den Rheinlanden brach zunächst die Veröffentlichung obergerichtlicher Entscheidungen ab. Die Verunsicherung über die zukünftige Gestalt des rheinischen Rechtslebens und der provisorische Charakter gerade der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit wirkten sich auch auf das Schicksal der Entscheidungsveröffentlichung aus. Für den Koblenzer Revisionshof wurde zwar die Einrichtung einer amtlichen Sammlung geplant45 , jedoch G. Leistner: Veröffentlichungspraxis, S. 49. Art. 85 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII. 41 Vgl. C. Bergfeld: Frankreich, S. 407. 42 Nur die stichwortartige Gegenstandsumschreibung und die speziellen Leitsätze der rheinischen Publikation finden sich im Bulletin des französischen Kassationshofes so nicht. 43 J. B. Sirey: Jurisprudence de Tribunal de cassation (später: de la Cour de cassation), Paris 1801 ff. M. Dalloz: Journal des audiences de la Cour de cassation ou Receuil des principaux arrets rendues par cette cour en matiere civile et mixte (später: . .. des arrets de cette cour en matiere civile et criminelle), Paris 1802 ff. 44 Ein Muster dieser Veröffentlichungen, wie es sich etwa seit 1840 stabilisierte, zeigt C. Bergfeld: Frankreich, S. 410 f. 39

40

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

nie realisiert. Lediglich in einer privaten Sammlung des Koblenzer Anwalts Mathias Grebel wurden einige wenige Urteile des Revisionshofes veröffentlicht46 . Für Düsseldorf ergibt sich eine noch schlechtere Bilanz. Die Entscheidungen des Appellationshofes, bzw. der ihm angegliederten Kassationsabteilung wurden nie veröffentlicht47 . Nach alledem stellt sich das Erscheinen des Rheinischen Archivs und die Aufnahme der Entscheidungen des RKH in diese Sammlung als ein Neubeginn dar, der die seit 1818/ 19 zu beobachtende Stabilisierung der rheinischen Justiz widerspiegelt.

3. Die Pläne für eine amtliche Sammlung Da die weitergeltenden französischen Gesetze die Herausgabe einer amtlichen Veröffentlichung vorschrieben, stellte sich 1819, als der RKH seine Tätigkeit aufnahm, die Frage, wie mit dieser Anordnung umzugehen sei. Noch wenige Tage vor seiner Amtsentlassung leitete Beyme diese Frage an den RKH und machte dabei deutlich, daß er selbst den amtlichen Abdruck der Urteile als zum Wesen des Kassationsinstituts gehörende Einrichtung sah und im Grunde auch eine den französischen Gesetzen entsprechende Veröffentlichung billigte 48 . Der RKH schloß sich ohne jede Einschränkung der französischen Regelung an und sprach sich unter Hinweis auf das Arrete vom 2. Ergänzungstag des Jahres VI für den Abdruck seiner Entscheidungen in einem amtlichen, vom RKH selbst her45 Erwähnt wird dieses Vorhaben im Umfeld der Veröffentlichungsdebatte am RKH (Abschrift eines Schreibens Beymes an den RKH vom 27. 12. 1819, GStA PK Rep 97 B I A I gen, fol. 63). Der Revisionshof hatte bereits einzelne Entscheidungen mit einer ausdrücklichen Bestimmung zur Veröffentlichung versehen; Anmerkungen zu einigen der Urteilsentwürfe LHA Koblenz Best. 367, 3 Nr. 2 (unfoliiert). 46 Mathias Grebel: Entscheidungen der Revisionshöfe zu Koblenz und Trier, Trier 1815. Ungeachtet des Titels sind in diesem ersten Heft keine Entscheidungen des Trierer Revisionshofes aufgenommen. Geplante weitere Hefte, die auch breiter auf zivilrechtliche Entscheidungen eingehen sollten, sind nicht erschienen, siehe auch den entsprechenden Hinweis bei Heinz Mohnhaupt: Deutschland, in: Filippo Ranieri (Hrsg.): Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800-1945), 1. Hbd., S. 106. Näher zu den von Grebel mitgeteilten Entscheidungen des Koblenzer Gerichtshofes G. Seynsche: Der Revisionshof in Koblenz (1814-1819). 47 H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 94 f. Auch im Niederrheinischen Archiv für Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtspflege (hrsg. von G. von Sandt und C. Zum Bach, 4 Bde., Köln 1817 - 1819), der damals einzigen juristischen Zeitschrift der preußischen Rheinlande, finden sich keine Entscheidungsveröffentlichungen. 48 Einzig die geringere Masse der zu erwartenden Rechtsprechung sah er als eine mögliche Veranlassung für einzelne Modifikationen, wollte aber auch in diesem Punkt zunächst das Gutachten des RKH abwarten; Schreiben Beymes an den Generalprokurator des RKH vom 27. 12. 1819; GStA PK Rep 97 B lAI gen, fol. 63 (Abschrift); der (von Simon geschriebene) Entwurf dieses Schreibens vom 27. 12. 1819 (von Beyme am 30. 12. 1819 abgezeichnet) findet sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 142 f.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

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auszugebenden und an die Gerichte zu versendenden Bulletin aus49 . Diese Vorschläge wurden zwar sowohl von Kircheisen als auch von der mittlerweile eingesetzten IIOK gebilligt50, ihre Umsetzung wurde aber von keiner Seite in Angriff genommen. Selbst eine 1822 erlassene Anordnung des Justizministers, die die amtlichen Herausgabe der Entscheidungen durch den Generalprokurator des RKH oder einen der Räte genehmigte, brachte keine greifbaren Resultate 5l . Für das Scheitern des Projekts haben Faktoren eine Rolle gespielt, die aus der eigenartigen Organisation der Justizverwaltung in den Jahren 1820 bis 1822 herrühren: Zum einen brachten die ungeklärten Kompetenzverhältnisse zwischen IIOK und Justizministerium auch die Entscheidungsveröffentlichung ins Stocken, da jede Seite Zweifel an ihrer Zuständigkeit zu haben schien 52 . Zum anderen wurde die Veröffentlichungsfrage in den Kreis der Gegenstände aufgenommen, die in der geplanten Revisionsordnung eine endgültige Regelung finden sollten 53 • Insofern scheint das Scheitern des Verfahrensrechtsprojekts auch die Pläne für eine amtliche Entscheidungssammlung begraben zu haben. Darüber hinaus hat sicher die Tatsache, daß 1820 mit Sandt und Hanf private Herausgeber in die Bresche gesprungen waren, eine Rolle gespielt. Die Veröffentlichung der Urteile im Rheinischen Archiv dürfte aus Sicht des Justizministeriums und der IIOK den Handlungsbedarf noch verringert haben. Das Rheinische Archiv war jedoch ungeachtet der beruflichen Zugehörigkeit seiner Herausgeber zur rheinischen Justiz keine amtliche, sondern eine private EntBeschluß der Ratskammer vom 28.4. 1820; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 93. Die IJOK hatte mit Schreiben vom 10. 8. 1820 (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 67) den RKH aufgefordert, ein Gutachten in der Veröffentlichungsfrage abzugeben. Daraufhin sandte der Generalprokurator des RKH den O.g. Ratskammerbeschluß vom April 1820 an die Kommission ein, versehen mit der Bemerkung daß er diesen Beschluß bereits am 27. 5. 1820 an den lustizminister weitergeleitet habe, darauf aber keine Reaktion eingegangen sei; Schreiben vom 4. 9.1820; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 92. Die grundsätzliche Zustimmung Kircheisens zu diesem Projekt geht aus dem Material der IJOK hervor; Entwurf eines Schreibens an Kircheisen vom 29. 9. 1820; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 94 f. Um die Angelegenheit voranzubringen, hatte die IJOK Einsicht in die Akten des lustizministers genommen und dort von einem Reskript an den Kölner Generalprokurator (vom 2.6. 1820) Kenntnis erlangt, aus dem sich die Genehmigung der vom RKH gemachten Vorschläge ergab. 51 Verordnung des lustizministers vom 18. 2. 1822, auf die in einem späteren Gutachten zur Veröffentlichungsfrage hingewiesen wird; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 20. In dieser Verordnung hatte Kircheisen die Veröffentlichung der RKH-Urteile in einem eigenen Bulletin offenbar noch einmal ausdrücklich angeordnet. 52 Dazu den Entwurf des Schreiben der !JOK an den lustizminister vom 29.9. 1820 (GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 649, fol. 94 f.) und eine Stellungnahme Daniels, in der er der IJOK die Kompetenz in dieser Frage abspricht; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 144 (Schreiben vom 19. 1. 1820). 53 Siehe bspw. den entsprechenden Vorschlag Sethes in seinem Gutachten zur Frage der künftigen Verfahrensordnung; GStA PK Rep 97 B I A 2 a gen (unfoliiert), Titel III des von Sethe beigefügten Entwurfes. 49

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25 Seynsehe

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

scheidungs sammlung. Daher verstummte die Forderung nach einer Wiederaufnahme der 1822 gescheiterten Pläne für eine amtliche Entscheidungspublikation nicht gänzlich. Sie wurden 1832 von seiten des Justizministeriums, genauer vom neuen Gesetzrevisionsminister Kamptz, wieder aufgegriffen. Ausgangspunkt war auch hier das Bemühen, den von Kamptz seit seiner Amtsübernahme so oft beschworenen Aufschwung der rheinischen Justiz zu fördern 54 . Dabei ging es jedoch nicht um eine mehr oder weniger modifizierte Umsetzung der französischen Veröffentlichungskriterien. Kamptz sah in der Stagnation der letzten Jahre den Beleg für die praktische Undurchführbarkeit der gesetzlichen Anforderungen für eine Veröffentlichung und gab den Plan, ein eigenes Veröffentlichungsorgan des RKH einzurichten, endgültig auf55. Statt dessen schlug er die Veröffentlichung der Urteile innerhalb einer neuzugründenden Publikation zum rheinischen Recht vor, die sich in Aufbau und Inhalt am Vorbild der vom ihm selbst herausgegebenen "Preußischen Jahrbücher" orientieren sollte. Sein Hauptanliegen war dabei, neben der Rechtsprechung des RKH auch Gesetze, Verordnungen und Ministerialreskripte zu veröffentlichen und wissenschaftliche Beiträge zum französischen Recht, Nachrichten über die rheinische Rechtsverwaltung und die außerpreußische Gesetzgebung im Gebiet des französischen Rechts aufzunehmen 56 ; sämtlich Gegenstände, die er im Rheinischen Archiv vernachlässigt sah. Die neue Publikation sollte in Berlin im Auftrag des Ministers und von einem seiner Beamten herausgegeben werden. Sie hätte also unter der unmittelbaren Kontrolle des Justizministeriums gestanden. Für den Posten des Herausgebers versuchte Kamptz den ehemaligen Kölner Generaladvokaten Wilhelm Oswald zu gewinnen, der mittlerweile als Rat im Gesetzrevisionsministerium arbeitete und gleichzeitig eine Richterstelle am RKH innehatte 57 . Dieser lehnte es jedoch ab, eine solche Zeitschrift zu leiten. Möglicherweise aus Rücksicht auf seinen ehemaligen Kollegen Sandt sprach er sich grundsätzlich gegen die Schaffung einer weiteren juristischen Publikation aus. Er wies darauf hin, daß auch das Rheinische Archiv in seiner zweiten Abteilung zumindest der ursprünglichen Konzeption nach schon alle die Gegenstände umfasse, die Kamptz jetzt für die neue Zeitschrift ins Auge gefaßt habe. Ein Nebeneinander zweier Zeit54 So der Herausgeber im Vorwort zum 16. Band des RhA, S. III und Oswald in einem auf die Veröffentlichung bezogenen Schreiben an Kamptz vom 8. 12. 1831; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 3. 55 Als Gründe für die Undurchführbarkeit einer eigenen Sammlung gab er den beschränkten Umfang des Gerichtsbezirkes und die geringe Zahl der im Sinne des Gesetzes interessanten Entscheidungen an; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 1 f.; Schreiben Kamptz in Vertretung des Justizministers an Oswald vom 2. 12. 1831. S.a. RhA Bd. 16 Vorwort des Herausgebers, S. III. 56 Schreiben Kamptz an Oswald vom 2. 12. 1831; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 1 f. 57 Oswald, der zugleich im Justizministerium mit Angelegenheiten des rheinischen Rechts beschäftigt und seit Juli 1831 fest am RKH angestellt war, vertrat im Dezember 1831 den abwesenden Generalprokurator; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 3 und Rep 97 B I A 1 gen, fol. 224.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

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schriften mit annähernd identischem Inhalt, von denen die eine noch den Vorteil der Aufnahme der Appellationsrechtsprechung biete, hielt er für wirtschaftlich unmöglich. Als Alternative schlug er vor, das Sandtsche Archiv im Hinblick auf die genannten Gegenstände zu erweitern bzw. wieder auf die ursprüngliche Konzeption zurückzuführen und die ganze zweite Abteilung im öffentlichen Auftrag aber weiterhin durch Sandt herausgeben zu lassen 58 . Kamptz griff diesen Vorschlag auf und trug ihn an Sandt heran, der sich zur Umsetzung dieser Erweiterungspläne bereit erklärte59 . Damit besaßen die Veröffentlichungen der Entscheidungen des RKH ab 1832 mit dem 16. Band des Rheinischen Archivs "amtlichen Charakter". Obwohl das Archiv damit nach den Worten Kamptz' die Stelle des französischen Bulletins einnehmen sollte60 , handelte es sich nicht wie in Frankreich um eine amtliche Veröffentlichung des Gerichtshofes selbst, sondern, wie die Aufnahme der über die bloße Rechtsprechung hinausgehenden Materien deutlich macht, um eine amtliches Organ des Justizministeriums, das unter Zuhilfenahme von Privaten herausgegeben wurde.

4. Die Auswahl der veröffentlichten Entscheidungen Die große räumliche Entfernung von den Rheinlanden, die eine Teilnahme rheinischen Publikums an den öffentlichen Sitzungen des RKH faktisch unmöglich machte und den fachlichen Austausch mit anderen rheinischen Gerichten erschwerte, wirft die Frage nach den Bedingungen der Verbreitung der Rechtsprechung des rheinischen Obergerichts in der Provinz auf. Da im Rheinischen Archiv nicht alle Urteile des Gerichtshofes abgedruckt wurden, das Archiv aber bis in die vierziger Jahre die einzige Quelle darstellte, aus der Juristen und Laien sich über die Rechtsprechung des höchsten Gerichts informieren konnten, soll untersucht werden, durch wen und nach welchen Kriterien die veröffentlichten Entscheidungen ausgewählt wurden. Entsprechend dem privaten Charakter des Archivs lag die Auswahl der abzudruckenden Entscheidungen in der ersten Phase, d. h. der Zeit bis 1832, maßgeblich in den Händen der Herausgeber. Um eine solche Auswahl treffen zu können, waren sie aber auf die Mitteilung der Entscheidungen des RKH angewiesen. Im Vorwort zum ersten Band des Archivs heißt es dazu nur ganz allgemein, die Her58 Antwortschreiben Oswalds an Karnptz vom 8. 12. 1831; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 3 ff. Seiner Ansicht nach wäre die neue Zeitschrift entweder auf erhebliche öffentliche Zuschüsse angewiesen gewesen oder darauf, das privat finanzierte Archiv durch aggressivste Konkurrenz zu vernichten. 59 Schreiben Sandts an den lustizminister vom 27. 12. 1831 und vom 27.9. 1832; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr., 508, fol. 18 und 53 f. 60 RhA Bd. 16 S. VII, Sandt zitiert hier aus einem Reskript Kamptz' vom Dezember 1831; es handelt sich wohl um das Reskript vom 13. 12.1831; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 8 ff. als Entwurf (mit Absendevermerk).

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

ausgeber hätten "Verbindungen" aufgenommen, die auf einen befriedigenden Inhalt der Abteilung hoffen ließen. Je nach Charakter der Entscheidungen gab es verschiedene Übermittlungswege: Alle kassierenden zivilrechtlichen Entscheidungen mußten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben über die Beischreibung in die Register der Untergerichte dem öffentlichen Ministerium des Appellationsgerichtshofes mitgeteilt werden 61 . Auf diesem Wege dürften interessante Entscheidungen auch zur Kenntnis des Generaladvokaten Sandt gelangt sein. Jedes in Strafsachen ergangene Urteil mußte der RKH an das Justizministerium einreichen62 , von wo aus die Entscheidungen offenbar den Weg in das Rheinische Archiv gefunden haben. Inwieweit das Justizministerium oder der Kölner Generalprokurator als unmittelbarer Vorgesetzer Sandts eine verbindliche Voraus wahl getroffen haben, läßt sich nicht mehr aufklären, zumindest indirekte Einflußnahmen können aber gerade wegen der beruflichen Stellung des Herausgebers nicht gänzlich ausgeschlossen werden 63 . Auf eine Mitwirkung des RKH bei der Auswahl der Entscheidungen deutet die Tatsache hin, daß das Archiv gelegentlich verwerfende Urteile veröffentlichte, die nicht automatisch zur Kenntnis des öffentlichen Ministeriums des Appellationshofes gelangten und die, wenn es sich um Zivilsachen handelte, nicht einmal durch die Hände des Justizrninisters gingen. Die Auswahl und Anzeige dieser Urteile dürfte auf den RKH zuriickgehen, so daß dem Gerichtshof, dem die Entscheidung über den Abdruck ansonsten entzogen war, hier ein, wenn auch kleines, Einflußgebiet verblieb. Mit der Übertragung des amtlichen Charakters auf die zweite Abteilung des Archivs 1832 vergrößerte sich zwar die Möglichkeit einer direkten Einflußnahme des Justizministers auf den Herausgeber, der jetzt im Auftrag des Ministers tätig wurde. Es ist aber kaum nachzuverfolgen, ob Kamptz diese Möglichkeit auch genutzt hat. In den offiziellen Reskripten zur Erweiterung des Archivs wurde jedenfalls das Auswahlrecht des Herausgebers eher noch gestärkt. Festgelegt wurde, daß der Generalprokurator des Appellationsgerichts künftig nicht mehr nur die kassierenden zivilrechtlichen Entscheidungen, sondern auch alle aufhebenden Entscheidungen aus anderen Rechtsgebieten automatisch dem Herausgeber zuleiten mußte 64 • Damit vergrößerte sich die Masse der Urteile, unter denen der Herausgeber seine Auswahl treffen konnte65 . Anders verhielt es sich lediglich hinsichtlich der verwer61 Vgl. art. 85 des Gesetzes vom 27. Ventose des Jahres VIII. Der GeneralprokuratOf des AGH hatte die jeweiligen Urteile an die Gerichte oder Appellationssenate, deren Entscheidungen aufgehoben worden waren, weiterzuleiten; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 20 (Gutachten Oswalds zur Veröffentlichungsfrage). 62 Art. 439 Code d'instruction criminelle (für verwerfende Urteile); Gutachten Oswalds zur Veröffentlichungsfrage; GStA Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 20. 63 Als Beamter des öffentlichen Ministeriums in den Rheinlanden unterstand er direkt dem Justizministerium; H. Schweichel: Vom "mini stere public" zur Staatsanwaltschaft, in: J. Wolffram I A. Klein: 150 Jahre OLG Köln, S. 265 ff. 64 Reskript Kamptz' an Sandt vom 18. I. 1832; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 24, abgedruckt im Vorwort zum 16. Band des RhA, S. VIII.

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

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fenden Urteile, hier wurden die Möglichkeiten einer Vorauswahl durch das lustizministerium erweitert. Die verwerfenden Zivilurteile sollten künftig erst über das Ministerium an den Herausgeber gelangen. Diese Vorauswahl traf der lustizminister aber nicht selbst, sie wurde dem RKH übertragen. Präsident und Generalprokurator des Gerichtshofes sollten dem Ministerium aus der Masse der verwerfenden Entscheidungen die zum Abdruck geeigneten bezeichnen66 . Abgedruckt werden sollte nach einer Verfügung Kamptz 67 das vom RKH "ausgearbeitete Material". Demnach hat faktisch nicht der Einfluß des Ministeriums, sondern derjenige des RKH zugenommen. Will man allerdings feststellen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidungen zum Abdruck ausgewählt wurden, stößt man auf Schwierigkeiten. Die Veröffentlichung zielte mit den Worten der Herausgeber darauf ab, "eine kurze Übersicht der Urteilsspriiche, welche bei dem Revisionshofe zu Berlin ergehen werden", und eine "möglichst gedrängte Analyse der Rechtsentscheidungen des Revisions- und Kassationshofes" zu geben 68 . Der einzige und stereotyp wiederkehrende Hinweis auf mögliche Auswahlgesichtspunkte ist sowohl für die Zeit vor als auch nach 1832 die Zusage, daß die "merkwürdigsten" oder die für das "rheinische Recht merkwürdigen" Entscheidungen des RKH Aufnahme finden sollen 69 . Was aber die Einordnung einer Entscheidung als interessant oder "merkwürdig" bedingte, wurde weder vom Herausgeber noch vom lustizministerium festgelegt. Dennoch lassen sich - zumindest soweit es die Herausgeber anbetrifft - einige Auswahlgesichtspunkte mit Blick auf Zielgruppe und Zweck der Veröffentlichung definieren. Das Rheinische Archiv verstand sich als ein Organ zur "schnellen Verbreitung und Aufbewahrung" der bei den rheinischen Obergerichten ergangenen Entscheidungen. Es zielte also darauf ab, den Richtern die Kenntnisnahme der 65 Ursprünglich hatte Oswald entsprechend den Vorgaben des Gesetzes vom 2. Ergänzungstag des Jahres IV vorgeschlagen, unterschiedslos alle kassierenden Urteile und diejenigen verwerfenden, deren Abdruck der Justizminister für nützlich erachtete, zu veröffentlichen; sein Gutachten "das Sandtsche Archiv betreffend" GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 20 f. Dem Herausgeber hätte dann keine Auswahl mehr zugestanden. Mit diesem Vorschlag hat er sich aber nicht durchsetzen können. 66 In Strafsachen konnte das Ministerium, dem alle strafrechtlichen Entscheidungen ohne Unterschied eingereicht werden mußten, noch korrigierend tätig werden, im Sinne einer Aufnahme nicht empfohlener Entscheidungen. In Zivilsachen war diese Möglichkeit sehr viel stärker eingeschränkt, da das Ministerium hier überhaupt nur von den Entscheidungen Kenntnis erhielt, die der RKH ausgesucht hatte. 67 GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 9 (Entwurf Kamptz für eine Verfügung an Sandt vom 13. 12. 1831, auf dem Rand eines anderen Schreibens); abgedruckt als Teil des Vorwortes zum 16. Band des RhA, S. VII. 68 Das erste Zitat aus dem Vorwort der Herausgeber zum ersten Band des Archivs; das zweite aus dem Vorwort des Herausgebers zum siebten Band des RhA, S. 11. 69 Bspw. Vorwort zum 7. Band des RhA, S. 111; Reskript Kamptz' an Sandt vom 10. 12. 1831, abgedruckt im Vorwort zum 16. Band des RhA, S. VI; Schreiben Sandts an Kamptz vom 27.12. 1831, GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 18.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

obergerichtlichen Rechtsprechung - sei es nun des Appellationshofes oder des RKH - zu ermöglichen und so zu einer Ausrichtung an dieser Rechtsprechung und zu einer Vereinheitlichung und Sicherung der rheinischen Rechtspraxis beizutragen. Mit ganz ähnlichen Zielvorstellungen wandte sich das Archiv auch an andere Rechtspraktiker wie Anwälte, Notare und Gerichtsschreiber. Die in Altpreußen so lange diskutierte und bezweifelte prozeßverhindernde Wirkung der Entscheidungsveröffentlichung wurde dabei als selbstverständlich vorausgesetzt. Weiteres Ziel war es, die Öffentlichkeit der Rechtspflege zu intensivieren, indem man die Entscheidungen der Gerichte über die eigentliche Gerichtsöffentlichkeit hinaus einem interessierten Laienpublikum eröffnete. In erster Linie wandte das Archiv sich hier an die "Handel- und Gewerbetreibende Klasse,,70, denen die Kenntnis der rheinischen Rechtsprechung ein unentbehrliches Hilfsmittel bei der Gestaltung ihrer Geschäfte sein müsse71 und die ihnen darüber hinaus die Anwendung der neueren Gesetze - gedacht war an Steuerordnung, Stempelgesetz und Zollordnung - erläutern sollte72 • Nicht zuletzt ging es auch um die Möglichkeit, der Rechtswissenschaft Anregung für die Beschäftigung mit dem französisch-rheinischen Recht zu liefern und dem Gesetzgeber Auskunft über die Anwendbarkeit der Gesetze zu geben 73 . Entsprechend diesen Zielvorstellungen kann man annehmen, daß sich die Auswahl der Entscheidungen - soweit sie tatsächlich dem Herausgeber überlassen war - an ihrem jeweiligen Nutzen für die Praxis, aber auch für Wissenschaft und Private ausgerichtet hat, also ihr Hauptgewicht auf die Beobachtung der Herausbildung einer ständigen Rechtsprechung, eventueller rechtsfortbildender Tendenzen und der Rechtsanwendung auf dem Gebiet neuer Gesetze lag. Gestützt wird diese Annahme auch durch die Tatsache, daß die Herausgeber sich in den Anfangsjahren oft darauf beschränkten, nur die Kassation und nicht mehr die Entscheidung in der Sache wiederzugeben 74. Dies deutet darauf hin, daß es ihnen eher auf die Behandlung der zugrunde liegenden Rechtsfrage als auf die abschließende Entscheidung des Einzelfalles ankam.

s. Verhältnis veröffentlichtes -

unveröffentlichtes Material

Das Verhältnis der veröffentlichten zu den tatsächlich ergangenen Entscheidungen des Gerichtshofes läßt sich anhand der für den Zeitraum zwischen 1819 und 1852 überlieferten Prozeßtabellen ermitteln 75. Diese Tabellen wurden jeweils für RhA Vorrede zu Bd. 7, S. VIII. So Sandt in einem Schreiben vom 1. 12.1831 an Kamptz; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 9. 72 RhA Bd. 7, S. VIII. 73 Sandt in einem Schreiben vom 1. 12. 1831 an den lustizminister im Zusammenhang mit der Erweiterung seines Archivs; aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 508, fol. 9. 74 Die Wiedergabe endete in diesen Fällen mit der Formel: ..... kassiert der Hof, usw.". 70

7l

11. Die Veröffentlichung der Urteile der rheinischen Kassationsgerichtsbarkeit

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ein Justizjahr (1. November bis 31. Oktober des folgenden Jahres) angelegt, getrennt nach Verfahren aus dem ostrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz und solchen aus dem westrheinischen und bergischen Gebieten, also dem Gebiet des französischen Rechts. Sie enthalten für die französisch-rechtlichen Sachen Angaben zu den aus dem Vorjahr übernommenen Rückständen, den Neueingängen und zur Zahl der erledigten bzw. noch unerledigt gebliebenen Sachen76. Neben diesen jährlich angefertigten Tabellen existiert für die Jahre von 1819/20 bis 1840/ 41 eine Gesamtübersicht, die die Zahl der insgesamt erlassenen Urteile wiedergibt77. Sie hat bis einschließlich des Geschäftsjahres 1837/38 Eingang in die 1839 durch den Justizrat W. F. C. Starke herausgegebene offizielle Justizverwaltungsstatistik gefunden 78. Hier finden sich für das jeweilige Justizjahr, aufgeteilt nach Polizei-, Zuchtpolizei-, Kriminal- und Zivilsachen, Angaben über die Zahl der durch Kassation, Verwerfung oder Kompetenzentscheidung erledigten Verfahren nach französischem Recht79 sowie über die Zahl der definitiv entschiedenen Prozesse aus dem ostrheinischen Teil des Regierungsbezirks Koblenz 8o . Insgesamt ist weniger als die Hälfte aller Entscheidungen des RKH überhaupt veröffentlicht worden 8l . Das Rheinische Archiv hat von den insgesamt 9169 zwischen 1819 und 1852 ergangenen Entscheidungen gerade einmal etwas mehr als 11 % abgedruckt, nämlich 1052 Entscheidungen 82 , wobei es sich in der Mehrzahl um kassierende 75 GStA PK Rep 97 B I A 7 gen (unfoliiert). Neben den Geschäftstabellen der Jahre 1819 bis 1852, die hier komplett erhalten sind, finden sich die Referententabellen, die Auskunft über die Geschäftsverteilung unter den Richtern geben können sowie Korrespondenz mit dem Justizministerium zu Erstellung und Führung des Registermaterials. 76 Diese Tabellen sind so angelegt, daß sie auch Aussagen über den Anteil der verschiedenen Erledigungsarten, d. h. Erledigung durch Kassation, durch Verwerfung des Gesuchs, durch Kompetenzbestimmung und durch Verzicht oder Vergleich, zulassen. 77 Ebenfalls in GStA PK Rep 97 B I A 7 gen (unfoliiert); eingeheftet hinter die Prozeßtabelle für 1830/31. Ursprünglich erfaBte diese Gesamtübersicht auch nur die Jahre bis 1830/ 31, sie wurde aber später noch bis 1840/41 ergänzt (Nachträge mit Bleistift). 78 F.w. C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Beitrag, S. 113 ff. 79 Vergleicht man diese Aufstellung mit den aus einer Gesamtschau der einzelnen Prozeßtabellen gewonnenen Zahlen, so ergeben sich hinsichtlich der für jedes Jahr angegebenen Gesamtzahl von Entscheidungen leichte Abweichungen. Die Zahlen der lahrestabellen liegen immer etwas über denjenigen der Übersichtstabelle. Dies ist wohl damit zu erklären, daß die 1ahresregister alle überhaupt erledigten Sachen aufführen , also auch die Prozesse aufführen, die durch Verzicht oder Vergleich erledigt worden sind, in denen also keine Entscheidung des Gerichts ergangen ist, während das Übersichtsregister sich nur auf die eigentlichen Entscheidungen des Gerichtshofes konzentriert. 80 Wesentlich breiter und über die definitiven Entscheidungen hinausgehend sind Umfang und Aufteilung der Rechtsprechung für die nassauischen Gebiete bei Starke aufgeschlüsselt; F. W. C. Starke: Beiträge, Teil 2, S. 116. 81 Anders als Ebel (Savigny officialis, S. 17,34) dies annimmt, zeigt ein Blick auf die eingangs beschriebenen Prozeßtabellen, daß Volkmar in seiner Sanunlung keineswegs die gesamte Rechtsprechung des RKH erfaßt. Neben den gesamten Materialien zur Rechtsprechung in nassauischen Sachen fehlen hier auch beträchtliche Teile der Rechtsprechung zum französischen Recht.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Entscheidungen handelte. Bei Volkmar wurde etwa ein Drittel der zwischen 1819 und 1845 ergangenen Urteile veröffentlicht83 .

III. Die Rechtsprechung des Revisionsund Kassationshofes im Überblick 1. Rechtsquellen Grundlage der Rechtsprechung des RKH war selbstverständlich das französische Recht. Als Rechtsquellen kamen die fünf napoleonischen Gesetzbücher sowie die gesamte bis 1813 ergangene Gesetzgebung, also auch das vorrevolutionäre und das intermediäre Recht, in Betracht. Neben dem französischen erlangte nach und nach das preußische Recht immer größere Bedeutung, da es die französisch-rechtlichen Regelungen teils ersetzte, teils ergänzte. Als Beispiele für solche Regelungen sind zunächst die Generalgouvernementsverordnungen zu nennen, die, obwohl ursprünglich als provisorische Regelungen gedacht, zum größten Teil nach 1815 beibehalten und innerstaatlichem preußischem Recht gleichgesetzt wurden 84 . Darüber hinaus wurden immer wieder einzelne Verordnungen erlassen, die beispielsweise im Umfeld des politischen Strafrechts das französische Recht durch ALR, AGO bzw. die preußische Kriminalordnung ersetzten 85 . Hinzu kam schließlich noch eine Einzelgesetzgebung für Rechtsgebiete, die nach 1815 für die gesamte Monarchie gesetzlich geregelt wurden, wie beispielsweise das Steuerrecht86 . 82 Die Zahl von 1052 Entscheidungen ist das Ergebnis einer von der Verfasserin vorgenommenen Auszählung der in den Bänden 1-49 des RhA veröffentlichten Urteile. 83 Von den in der Zeit bis 1845 erlassenen 7480 Urteilen wurden bei Volkmar 2062 Entscheidungen abgedruckt, also etwas weniger als 28%. Die Angaben über den Umfang der bei Volkmar erfaßten Urteile stützen sich auf die von Ebel veröffentlichten Zahlen, die über eine Auszählung der bei Volkmar gesammelten Entscheidungen ermittelt wurden; F. Ebel: Savigny officialis, S. 17,34. Da Volkmar auch bereits im Rheinischen Archiv veröffentlichte Entscheidungen aufführt, läßt sich der Anteil der insgesamt veröffentlichten Urteile nicht durch einfache Addition der jeweiligen Anteile von Rheinischem Archiv und Volkmar ermitteln. Aufgrund der genannten Überschneidungen wird man also von einem unter 39% liegenden Gesamtanteil von Veröffentlichungen der Rechtsprechung des RKH ausgehen müssen. 84 F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 127; vgl. auch die bei L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 343 ff. unter der Rubrik Diebstahl abgedruckten Urteile. Hier werden noch in den 40er Jahren Verordnungen der Generalgouverneure (bspw. vom 13.10.,31.5., 16.2. 1814) angewandt, die offenbar Strafmilderungsmöglichkeiten enthielten. 85 Diese Problematik wird unten im Zusammenhang mit Fragen der Rechtsanwendung und der Rolle des RKH zwischen rheinischer Justiz und preußischer Justizverwaltung näher erläutert werden. 86 Einige Abschriften von Urteilen des RKH zur Anwendung preußischen Steuerrechts finden sich in GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 8389 ("Die von dem öffentlichen Ministerium

III. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick

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Das dritte für die Rechtsprechung des RKH relevante Recht war das Partikularrecht. Für den Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein war noch eine große Fülle lokaler Rechte in Geltung 8? Partikulares Recht war darüber hinaus für die linksrheinischen und bergischen Teile der Rheinprovinz bis in die 40er und 50er Jahre in sogenannten Altfällen anzuwenden, d. h. in Fällen, in denen das streitige Rechtsverhältnis in der Zeit des Ancien regime begründet worden war.

2. Inhalte Um die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes charakterisieren zu können und damit einen Grundstein für die Untersuchung der Bedeutung des Gerichtshofes für die rheinische Rechtspraxis zu legen, muß man zunächst nach den Inhalten und Schwerpunkten der Spruchtätigkeit fragen. Die überlieferten Justizstatistiken lassen Aussagen darüber zu, wie sich die praktische Tätigkeit zwischen zivil- und strafrechtlichen Entscheidungen aufteilte. Die von Starke vorgelegte Statistik zeigt, daß der weitaus größte Teil der Rechtsprechung des RKH auf Strafverfahren entfiel, während Zivilsachen nur weniger als 20% ausmachten 88 . Von den 5213 bis 1837/38 gefällten Entscheidungen in westrheinischen und bergischen Sachen ergingen 4304 in Strafsachen89 . Ihnen standen 909 Zivilentscheidungen in diesem Zeitraum gegenüber. Unter den strafrechtlichen Entscheidungen nahmen diejenigen in Kriminalsachen 90 mit 2453 Entscheidungen den größten Raum ein. in Civilprozessen eingelegten Cassationen"). Steuerrechtliche Urteile finden sich aber auch im RhA, bspw. RhA 2 11 S. 114 ff. Allgemein zum Rechtsschutz in Finanzangelegenheiten F. J. Perrot: Verfassung, Teil I, S. 202 f.; zum allmählichen Ausschluß des Rechtsweges auch in Steuersachen in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts W Rüfner: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Hans-Uwe Erichsen/Werner Hoppe I Albert von Mutius (Hrsg.): Festschrift Menger, S. 17. 87 Einen Überblick über die Fülle dieser Rechte gibt ehr. L. Hertel: Über die Rechtsverfassung der zum Regierungsbezirke Koblenz gehörigen ostrheinischen Landesteile, in KaJb, Bd. 26 (1825), S. 3 ff. 88 Da die Übersicht bei Starke bereits Aussagen über die Rechtsprechungstätigkeit bis zum Ende der 30er Jahre möglich macht und die hier erkennbaren Tendenzen durch die Gesamtstatistik aus den Akten des Gerichtshofes noch bis 1841 bestätigt werden, wurde auf eine gesonderte Auswertung der jährlichen Prozeßtabellen unter diesem Gesichtspunkt verzichtet. 89 Diesen 5213 Prozessen standen im selben Zeitraum 3015 Entscheidungen aus gemeinrechtlichen Bezirk des Justizsenats von Ehrenbreitstein gegenüber; F. W C. Starke: Beiträge, Teil 2, S. 116. Angesichts der geringen räumlichen Ausdehnung dieses Bezirks und der Beschränkung der gemeinrechtlichen Revision allein auf Zivilsachen erscheint diese Zahl erstaunlich hoch. Als Erklärung dieses Phänomens dürfte wohl in erster Linie die Tatsache dienen, daß die gemeinrechtliche Revision im Unterschied zur Kassation auch gegen Urteile offenstand, die nur in tatsächlicher Hinsicht angegriffen wurden. Sie diente also auch zur Klärung aller faktischen Fragen, so daß schon von daher die Prozeßzahlen deutlich über denen nach französischem Recht liegen mußten. 90 Der Code penal unterschied nach der Schwere der Straftaten zwischen Verbrechen (crimes), Vergehen (delits) und Übertretungen (contraventions de police). Diese Begriffe wurden

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Ihnen folgten die Entscheidungen über Urteile der Zuchtpolizeigerichte, die mit 1566 Sachen etwas mehr als ein Drittel der gesamten strafrechtlichen Entscheidungen ausmachten. Nur etwa 6,6% aller Strafsachen entfiel auf Entscheidungen in Polizei sachen, nämlich 285 von 4304. Das Verhältnis von kassierenden zu verwerfenden Entscheidungen gibt Starke mit durchschnittlich 1:5 an, es war jedoch im Laufe der Jahre starken Schwankungen ausgesetzt91 . Innerhalb der jeweiligen Rechtsgebiete sah die Verteilung zwischen kassierenden und verwerfenden Urteilen im Durchschnitt der Jahre bis 1837/38 so aus, daß in Zivil- und Zuchtpolizeisachen etwa 25% aller Urteile kassierende Entscheidungen waren, während Kassationen in Kriminalsachen weniger als 6,6% ausmachten. In Polizeisachen dagegen war das Verhältnis annähernd ausgeglichen 92 . Unter den veröffentlichten Urteilen sind die zivilrechtlichen Entscheidungen gemessen an ihrem mit 20% nur sehr kleinen Anteil an der Gesamtrechtsprechung überrepräsentiert; bei Volkmar machen sie sogar etwa die Hälfte der abgedruckten Entscheidungen aus 93 . Will man darüber hinaus festlegen, wo innerhalb der zivil- und strafrechtlichen Rechtsprechung die Schwerpunkte lagen und welches Gewicht verfahrensrechtlichen Fragestellungen zukam, läßt sich dies nur über eine Analyse des veröffentlichten Entscheidungsmaterials erreichen. Als Grundlage für eine derartige Analyse ist die Sammlung Volkmars eher geeignet als das Rheinische Archiv. Sie ist nicht auf kassierende Entscheidungen konzentriert und macht einen breiteren Ausschnitt aus der tatsächlichen Entscheidungsmasse zugänglich. Es ist daher anzunehmen, daß sie auch die Gewichtung der Rechtsprechungsthemen, d. h. den Anteil der einzelnen Rechtsgebiete an den insgesamt ergangenen Entscheidungen, genauer wiedergibt als das Rheinische Archiv 94. Der Überblick, den man anhand dieses Materials gewinnt, zeigt, daß die Schwerpunkte der Rechtsprechungstätigkeit des RKH auf dem Gebiet des Prozeßrechts und - bedingt durch das Aufeinandertreffen verschiedener Rechtsordnungen im Rheinland - der Bestimmung des jeweils anzuwendenden Rechts lagen. Demgegenüber nahmen Entscheidungen

nicht völlig einheitlich ins Deutsche übersetzt. Bei Starke finden sich die Bezeichnungen Kriminalsachen, Zuchtpolizeisachen (andere verwenden den Begriff korrektionelle Sachen) und Polizeisachen. 91 Die Zahlen schwanken hier zwischen einem Verhältnis von 1:2 und 1:8; F. W C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Abt., S. 115. 92 In der Summe der Jahre 1819/20 bis 1837/38 standen sich hier 138 kassierende und 134 verwerfende Urteile gegenüber; F. W C. Starke: Beiträge, Teil 2, 3. Abt., S. 115. 93 Innerhalb des Rheinischen Archivs setzt etwa zu Beginn der 30er lahre ein vermehrter Abdruck der zivilrechtlichen Entscheidungen ein. 94 Obwohl auch Volkmar auf zivilrechtliche Entscheidungen wesentlich größeren Wert legt als es ihrem statistischen Anteil an der Gesamtmasse der Urteile entspricht, lag es in seiner Intention einen Überblick über die gesamte Masse der Entscheidungen zu geben, während die Herausgeber des RhA sich eher auf aktuelle Entwicklungen der Rechtsprechung konzentrierten und die Urteile nicht nach dem Gesichtspunkt einer Repräsentation der gesamten Rechtsprechung des RKH zusammenstellten.

III. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick

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zum materiellen Zivil- oder Strafrecht nach Code civil und Code penal wesentlich geringeren Raum ein.

a) Prozeßrecht

Die Rechtsprechung des RKH zu prozeßrechtlichen Fragestellungen konzentrierte sich auf zentrale Institute des französisch-rechtlichen Verfahrens. Entscheidungen zu Fragen des Kassationsrechts, insbesondere zur Zulässigkeit des Kassationsgesuches und der Trennung von Tat- und Rechtsfrage sowie der Geschworenengerichtsbarkeit, lagen klar an der Spitze95 . Hinsichtlich der Geschworenengerichte ging es vor allem um die Aufstellung der Jury, die an die Geschworenen zu richtenden Fragen und die Bewertung ihrer Antworten 96 . Auffällig wenige Entscheidungen befaßten sich mit den Besonderheiten des modifizierten rheinischen Kassationsverfahrens. Dies mag ein Anzeichen für eine große Akzeptanz dieses Verfahrens sein. Ein weiteren Schwerpunkt bildete sowohl in Straf- als auch in Zivilsachen das Beweisrecht, wobei in Strafsachen Probleme des Zeugenbeweises im Vordergrund standen97 . Eine zentrale Frage, die man zunächst ebenfalls dem Verfahrensrecht zuordnen würde, leitet schon über zur Problematik der Rechtsanwendung: die Bestimmung des in der Hauptsache zuständigen Gerichts 98 . Obwohl derartige Kompetenzbestimmungen auch im französischen Kassationsrecht Bestandteil der Rechtsprechung waren, erlangten sie am RKH deshalb besonderes Gewicht, weil sie oft direkt mit Rechtsanwendungsfragen gekoppelt waren. Denn sobald in einer Rechtssache nicht das französische, sondern das preußische Verfahren einschlägig war, richtete sich in der Regel auch die Zuständigkeit der Gerichte nicht mehr nach französischem Recht. Meist waren in den Verordnungen, die preußische Normen einführten, eigenständige Regelungen über die Zuständigkeit der Gerichtsbehörden 95 Bei L. Volkmar: Jurisprudenz finden sich allein zum Geschworenenverfahren 69 und zum Kassationsverfahren 31 Sachen, dem gegenüber nehmen Fragen etwa der Gerichtsöffentlichkeit (eine Entscheidung) oder des Protokolls (13 Entscheidungen) relativ wenig Raum ein. 96 Diese Fragen scheinen vor allem in den ersten Jahren der Tlitigkeit des RKH von großer Bedeutung gewesen zu sein, von den vier in Band I des RhA veröffentlichten Urteilen des RKH befassen sich zwei mit den Einzelheiten des Geschworenenverfahrens (S. 71, 72); vgl. auch die Entscheidungen zu diesem Gegenstand in RhA Bd. 2 11 S. 48 ff.; 91 ff.; 101 ff.; 117 ff.; 158 ff.; Bd. 3 11 S. 30 f.; 169 ff. In den späteren Jahren nimmt die Zahl dieser Entscheidungen - soweit aus dem RhA ersichtlich - etwas ab, kommen aber immer noch regelmäßig vor. 97 In Strafsachen werden bei Volkmar allein 53 Prozesse zu Fragen des Zeugenbeweises aufgeführt. Dariiber hinaus scheinen in Zivilsachen Fragen des Interlokuts, der Ladung und der VeIjährung und in Strafsachen Fragen des Berufungsrechts von einiger Bedeutung gewesen zu sein. 98 Dazu die bei L. Volkmar: Jurisprudenz unter dem Stichwort Kompetenz mitgeteilten straf- und zivilrechtlichen Entscheidungen.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

enthalten. Diese übertrugen die Zuständigkeit teils auf preußische Gerichte, teils auf andere rheinische Gerichte. Meinugsverschiedenheiten der Gerichte erster und zweiter Instanz über das im konkreten Fall anzuwendende Recht und damit auch über die Bestimmung des zuständigen Gerichts gelangten als Kompetenzstreit vor denRKH.

b) Bestimmung des anzuwendenden Rechts Die Rechtsprechung des RKH zur Koordination der verschiedenen Rechtsordnungen läßt sich ihrerseits in mehrere Fallgruppen unterteilen. Die erste dieser Fallgruppen umfaßt Fragen des intranationalen Rechts. Damit sind solche Fälle gemeint, in denen innerhalb eines zivilrechtlichen Rechtsstreites oder als Teilnehmer einer Straftat Personen aus dem Gebiet des preußischen Rechts mit Einwohnern der Rheinprovinzen zusammentrafen99 . In diesen Fällen mußte zuerst geklärt werden, welches Recht anzuwenden war, beispielsweise auf einen zwischen einem Rheinländer und einem Altpreußen geschlossenen Vertrag oder gegen die altpreußischen Mittäter eines rheinischen Straftäters (bei einer im Rheinland verübten Tat). Weiterhin waren auch die Strafbarkeit einer von einem Rheinländer in Altpreußen und umgekehrt diejenige eines Altpreußen für eine im Rheinland begangene Tat erfaßt. Die zweite Fallgruppe der Rechtsprechung zur Koordination der verschiedenen Rechte bilden Entscheidungen, die im weitesten Sinne mit der Anwendung und dem Weiterwirken des Rechts des Ancien regime zu tun hatten. Sie ergingen in erster Linie auf Rechtsgebieten, auf denen man es mit Rechtsverhältnissen von langer Dauer zu tun hatte, wie etwa dem Familien- und Erbrecht. Hier ging es darum, festzustellen, wieweit Regelungen des vorrevolutionären französischen oder aber des alten deutschen Rechts durch das neuere französische Recht abgeschafft worden waren und wann - auch über reine Altfälle hinaus - das vorrevolutionäre Recht noch Geltung beanspruchen konnte. Ein Beispiel für letzteres ist die Anwendung alten partikularen Rechts über Verweisungen des Code civil selbst. Dort wo

99 Vgl. bspw. L. Volkmar: Jurisprudenz S. 387 f., Entscheidung vom 8. 10. 1830, in der der RKH feststellt, daß auf den ostrheinischen Komplizen eines Täters aus den linksrheinischen, französisch-rechtlichen Gebieten ebenfalls der Code penal Anwendung finden müsse. Bezeichnenderweise spricht Volkmar hier nicht von intranationalem, sondern vom internationalem Strafrecht. Ebd. S. 141, Entscheidungen vom 29. 3. 1834 (zugleich RhA 20 11 S. 17) und vom 31. 1. 1835, in denen der RKH auf Verträge zwischen rheinpreußischen und altpreußischen Parteien festlegt, daß das anzuwendende Recht nach dem Ort des Vertragsschlusses zu bestimmen sei und daß bei Verträgen, die unter Abwesenden durch Briefwechsel zustande gekommen sind, der Ort der Vertragsannahme entscheidend sei. Zum Vertrags schluß unter Abwesenden offenbar noch anders die bei L. Volkmar, S. 141 mitgeteilte Entscheidung vom 21. 9. 1831, wo der Gerichtshof auf den jeweils Beklagten das Recht anwenden will, das an dessen Gerichtsstand Geltung hat.

111. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick

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das Gesetzbuch ergänzend auf Gebräuche verwies, zog der RKH zur Feststellung dieser Gebräuche die alten lokalen Rechtsordnungen heran 100. Immer wieder relevant wurde die Frage der Abschaffung oder Weiterge1tung des älteren Rechts auch im Rentvertragsrecht. Der Begriff der Rente umfaßt eine Reihe von Schuldverhältnissen, bei denen der Schuldner aus unterschiedlichen Rechtsgriinden zu immer wiederkehrenden Leistungen verpflichtet ist. Da diese Rechtsverhältnisse typischerweise auf lange Dauer ausgelegt waren, gab es eine große Zahl von Fällen, in denen Rentverhältnisse in der Zeit des Ancien regime, etwa als Lehn-, Pacht- oder Grundrentverhältnisse, begriindet worden waren. Diese Rechte hatten durch das nachrevolutionäre Recht eine Reihe von Veränderungen erfahren. Zunächst beeinflußte die Abschaffung der gemeinrechtlichen Zweiteilung des Eigentums ihren Charakter, dann waren sie durch Art. 529,530 Code civil mobiliarisiert worden, d. h. sie hatten, soweit sie an Grundstücke gebunden waren, ihren gemeinrechtlichen Charakter als Immobiliarrechte verloren, und schließlich wurden auch immerwährende und mit Immobilien verbundene Renten ablösbar gestellt lO1 . Die Rentrechtsverhältnisse waren nach Art. 529, 530 Code civil sowie nach den Vorschriften über die Leibrente oder den Rentvertrag als Dariehnsderivat lO2 zu beurteilen. Gravierender als die Veränderungen dieser Art war jedoch die Tatsache, daß diese Rentrechte zu einem beträchtlichen Teil Ausfluß feudaler Rechtspositionen waren. Da die Feudalrechte jedoch mit Einführung des revolutionären Rechts im Rheinland - überwiegend entschädigungslos - aufgehoben worden waren, waren auch die mit ihnen verbundenen Rentberechtigungen entfallen. Von entscheidender Bedeutung für den Bestand gerichtlich geltend gemachter Rentanspriiche war damit die Frage, ob sie sich aus einem Rechtsgrund privat- oder feudalrechtlicher Natur herleiteten. Derartige Entscheidungen zum Rechtsnatur des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses gelangten bis in die 40er Jahre hinein in großer Zahl vor den RKH 103. 100 Siehe bspw. L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 51, Urteil vom 30. 5. 1835. Art. 674 Code civil verweist zur Feststellung des Umfangs der nachbarschaftlichen Nutzungsrechte an einer Mauer auf die "usages particuliers", und um diese Gebräuche zu bestimmen, greift der RKH auf die alten Partikularrechte (hier das Trierische Landrecht und Koblenzer Orts gebräuche ) zurück. Ähnlich auch der Fall in RhA 36 11 S. 11 ff. (L. Volkmar, S. 52, Urteil vom 19.6.1843; Gewohnheitsrecht der Stadt Aachen). 101 Gesetz vom 29. 12. 1790; Art. 530 Code civil. Siehe auch J. J. Bauerband: Institutionen des französischen, in den deutschen Landen des linken Rheinufers, insbesondere des im Bezirke des königlichen rheinischen Appellations-Gerichtshofes zu Cöln geltenden Civilrechtes, Bonn 1873, S. 97 ff. 102 Art. 1968 ff. und Art. 1909 ff. 103 J. G. Gredy: Entscheidungen der Cassationshöfe, Bd. I, Zusammenstellung der Urteile zu Art. 529, 530 Code civil; L. Volkmar: Jurisprudenz S. 213 ff. In den 30er Jahren gab es eine Gesetzesinitiative, die darauf abzielte, den Schuldnern, die bisher aus den Renten gezahlt und noch nicht den Einwand der Feudalität des Rentrechts erhoben hatten, diesen Einwand zu entziehen und auf diesem Wege die immer noch wirksamen Folgen der revolutionären Gesetzgebung zu beseitigen; GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 1047. Dieser Gegenstand wurde auch von Eichhorn begutachtet, der sich gegen eine sofortige Abschaffung der

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Weitere Problemfelder der Anwendbarkeit des alten Rechts waren das Erb- und das Eherecht. Auch hier hatte man es mit langfristigen Rechtsverhältnissen zu tun, deren Handhabung - etwa im Ehegüterrecht mit seinen erbrechtlichen Folgen, aber auch bei Fragen des Wohnsitzes, der kirchlichen Trauung sowie der Ehescheidung - ebenfalls die Handhabung des vorfranzösischen Rechts erforderte. Die dritte Fallgruppe bilden Fälle, in denen Anwendung und Geltungsumfang preußisch-rechtlicher Regelungen zu bestimmen waren. Das französische Recht war zwar 1819 in seinem Kern beibehalten worden, jedoch blieb dieser Bestand keinesfalls unangefochten. Immer wieder ergingen für bestimmte Einzelmaterien Verordnungen, die Teile des ALR, der AGO und der Kriminalordnung an die Stelle des französischen Rechts setzten. Die Anwendbarkeit des konkreten Gesetzes, aber auch die Reichweite der in den Einzelgesetzen enthaltenen weitergehenden Verweise auf das preußische Recht war stets Gegenstand der Rechtsprechung des RKH. Besonders häufig ergingen solche Verordnungen auf dem Gebiet, das man in heutiger Terminologie als öffentliches Recht bezeichnen würde. Auch das Strafrecht war dabei betroffen, soweit es um Straftaten ging, denen aus Sicht der von Demagogenfurcht und Reaktion beherrschten Staatsspitze ein staatsfeindlicher Charakter anhaftete. Öffentlichrechtliche Regelungsmaterien wurden geradezu als "Einfalltore" für das preußische Recht genutzt. Die Regierung knüpfte hier an eine Argumentation an, die aus der Zeit des Übergangs zur preußischen Herrschaft herrührte. Steten Versicherungen, die Eigenheiten der Provinz zu achten oder sogar den Kern des französischen Rechts unangetastet zu lassen, war von Anfang an die Selbstverständlichkeit eines einheitlichen "inneren Staatsrechts" gegenübergestellt worden, das in der gesamten Monarchie ohne Ausnahme Geltung beanspruchen müsse 104 . Im Gefolge dieses Satzes hatte man bereits 1814 mit der Auflösung der französischen Verwaltungs strukturen begonnen. Die Aufteilung der Rheinlande in Regierungsbezirke und die Einführung des Oberpräsidialsystems hatte 1816 die preußische Behördenstruktur auf oberer und mittlerer Ebene - die Kommunalverwaltung blieb weiterhin nach französischem Recht organisiert - auf die Rheinlande übertragen. In einem Ressortreglement vom 20. Juli 1818 105 hatte man die AufgaFeudalitätseinrede aussprach. Er forderte zwar im Interesse der Rechtssicherheit eine Begrenzung der Einredebefugnis, sprach sich aber für eine Beseitigung erst nach einer dreijährgen Ausschlußfrist aus. Während dieser Frist hätten die Rentschuldner also noch die Möglichkeit zur Einredeerhebung gehabt. 104 Reiner Schulze: Preußisches Allgemeines Landrecht und rheinisch-französisches Recht, in: Barbara Dölemeyer / Heinz Mohnhaupt: 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten. Wirkungsgeschichte und internationaler Kontext, Frankfurt a.M. 1995, S. 399 ff.; F. J. Perrot: Verfassung, Teil I, S. 126,200. 105 Abgedruckt bei M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 101 ff. Zu den Problemen mit denen sich die Rechtsprechung im Gefolge dieses Reglements auseinanderzusetzen hatte, insbesondere zur gerichtlichen Uberpriifung polizeilicher Verordnungsgebung, siehe unten Kapitel E IV 2 a).

111. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick

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benteilung zwischen Verwaltung und Justiz neu geregelt. Ferner waren Steuer-, Zoll- und Zensurgesetzgebung vereinheitlicht worden 106. Auch das Bestätigungsrecht des preußischen Königs für besonders schwere Straferkenntnisse lO7 ist als ein, aus den Grundsätzen des preußischen Staatsrechts abgeleitetes Recht anzusehen, das auch in den Rheinprovinzen Geltung beanspruchte und die Rechtskraft bzw. die Vollstreckung der Urteile der rheinischen Strafgerichte hemmte. Dariiber hinaus wurde der Satz von der Notwendigkeit eines einheitlichen Staatsrechts vor allem im Zuge der einsetzenden Reaktion genutzt, um politisch relevante Bereiche des Rechts, in erster Linie des Strafrechts, dem preußischen Recht zu unterstellen. Ein bekanntes Beispiele für dieses Vorgehen der preußischen Regierung dürften eine Kabinettsorder vom 6. März 1821 und die in ihrem Gefolge ergangenen Ergänzungsverordnungen und Erläuterungen sein 108. Diese Kabinettsorder führte für Dienstvergehen von Beamten sowie für Verbrechen und Vergehen gegen den Staat und das Staatsoberhaupt preußisches Straf- und Strafverfahrensrecht ein und veränderte die Zuständigkeitsregelungen innerhalb der rheinischen Strafjustiz 109. Rheinische Gerichte mußten in diesen Sachen fortan einen geheimen, schriftlichen Prozeß führen. Die Fragen, welches Vergehen als Dienstvergehen einzustufen, welche Straftat eine gegen den Staat gerichtete sei, welches Recht anzuwenden und 106 Vgl. das Zoll- und Verbrauchssteuergesetz vom 26. 5. 1818 und die Zensurverordnung vom 18. 10. 1819. Zu den Integrationsbestrebungen gerade im Verwaltungsbereich R. Schütz: Preußen und die Rheinlande.; E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in: J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, S. 151. 107 ALR 2. Teil, 13. Titel § 8: "Todesurtel, ingleichen solche, die eine Zehnjährige Gefangniß- oder noch längere oder härtere Strafe festsetzen, können ohne ausdrückliche Bestätigung des Oberhauptes im Staate nicht vollzogen werden"; zitiert nach H. Hattenhauer (Hrsg.): Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe, Frankfurt a.M., Berlin 1970, S. 589. Zum Bestätigungsrecht W Schütz: Einwirkungen des preußischen Justizministers auf die Rechtspflege. Ein Beitrag zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, Marburg 1970, S. 4 ff. Über die erhebliche Mehrarbeit, die dem RKH durch die Pflicht zur Vorlage derartiger Prozesse entstand, äußerte sich Sethe in seinen Personalberichten; GStA PK Rep 97 B lAI gen., bspw. fol. 78, 124. Zu den Anfangen der Einführung des Bestätigungsrechts in der Zeit der Generalgouvernements GStA PK Rep 97 B I L 2, Schreiben des Generalgouverneurs Sack vom 11. 11. 1815 an den Koblenzer Revisionshof, in dem Sack das Gericht auffordert, entsprechende Urteile ihm, dem Generalgouverneur, zur Bestätigung einzureichen. 108 Abgedruckt bei M. Simon: Uebersicht, Teil 1, S. 140 ff.; dort auch schon einige der Folgeverordnungen. Siehe auch R. Schütz: Preußen und die Rheinlande, S. 5.; K.-G. Faber: Rheinlande, S. 116. In dieser Kabinettsorder heißt es wörtlich, daß "in Meiner Monarchie nur Ein inneres Staatsrecht gelten könne"; M. Simon, S. 140. Weitere Folgeverordnungen sind aufgeführt in einem offenbar anonym verfaßten Aufsatz: Rheinpreußisches: Beleuchtung der Justizverwaltung vor und unter dem v. Kamptz'schen Ministerium. Eine Entgegenung auf die "Materialien", Würzburg 1839, S. 11 ff. Den Titel "Rheinpreußisches" für diesen im folgenden mehrfach zitierten Aufsatz führt K.-G. Faber: Rheinlande, S. 464 ein. 109 In einer bei M. Simon: Uebersicht, S. 142 abgedruckten Erläuterung dieser Verordnung durch den Justizminister wird die Zuständigkeit in erster Instanz einer mit fünf Richtern besetzten Appellationskarnmer der Landgerichte und in zweiter Instanz einem mit sieben Richtern besetzten Zivilsenat des AGH überwiesen. Nach Nr. 3 dieser Erläuterung sollte das öffentliche Ministerium an diesen Verfahren teil nehmen.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

welches Gericht demzufolge zuständig sei, wurden zwischen den Instanzgerichten bzw. zwischen Gerichten und öffentlichem Ministerium immer wieder streitig und gelangten so auf dem Wege der Kompetenzentscheidung vor den RKHl\o. Noch offener trat die politische Motivation des preußischen Gesetzgebers in einer Kabinettsorder vom 21. August 18191\1 hervor, der man den engen Zusammenhang mit den Karlsbader Beschlüssen anmerkt. Sie erweiterte die Befugnisse der Polizeibehörden weit in den Zuständigkeitsbereich der Justiz hinein, indem sie bei politischen Strafsachen Verhaftung und Einleitung der Ermittlungen gegen als "Demagogen" verdächtigte Personen allein der Polizei übertrug. Erst wenn diese die Angelegenheit an die Gerichte weiterleitete, sollte die Justiz überhaupt tätig werden können. Das bedeutete den Wegfall der Förmlichkeiten und Garantien, die das französische Recht für eine Verhaftung vorsah, insbesondere der Mitwirkung des Instruktionsrichters und einer richterlichen Anhörung des Verdächtigten innerhalb von 24 Stunden nach der Verhaftung. 1825 wurde die mit der Verordnung von 1819 begriindete Konkurrenzsituation von Polizei und Justiz noch verschärft und über den Bereich des politischen Strafrechts hinaus ausgedehnt. Die Polizeibehörden erhielten nämlich die Berechtigung, nach altpreußischen Gesetzen selbst Zwangsarbeit oder Gefängnisstrafen (von acht Tagen bis zu vier Wochen) zu verhängen, ohne die Justiz überhaupt einschalten zu müssen l12 . Dies blieben aber bei weitem nicht die einzigen politisch motivierten Einbriiche in den Bestand des französischen Rechts: Die Studenten der Universität Bonn wurden 1836 ebenfalls unter preußisches Straf- und Verfahrensrecht ll3 gestellt. Millitärangehörige wurden dem französischen Recht entzogen, indem beispielsweise Zeugenaussagen von Offizieren, auch in Verfahren gegen Zivilisten, nur von Angehörigen der Militärgerichtsbarkeit (Auditeuren) und nur nach den Regeln der preußischen Kriminalordnung aufgenommen, Offiziere also vor rheinischen Gerichten nicht mehr öffentlich als Zeugen gehört werden konnten l14 , indem die Vollstrekkung von Zivil urteilen gegen Landwehrangehörige ausgesetzt wurde ll5 oder indem man Militärangehörige altpreußischer Herkunft bei einer Eheschließung im 110 Der Gerichtshof blieb von der eigentlichen Anwendung der Kabinettsorder, die ja auf das preußische Verfahren verwies, ausgeschlossen, da es in diesen Sachen nach preußischem Recht keine Dritt- oder Kassationsinstanz mehr gab; vgl. auch ein Gutachten Sethes und Eichhorns zur Anwendung der Kabinettsorder vom 6. 3. 1821 vom 21. 7. 1834, in dem sie darlegen, daß die ihnen zur Begutachtung eingereichten Untersuchungsakten gegen einen Forstbeamten die ersten dieser Art seien, die sie zu sehen bekommen hätten; GStA PK Rep 97 B I G 14 (unfoliiert). 111 F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 591 f. Die Mitteilung in der halbamtlichen Sammlung Lottners 1834 scheint die erste Veröffentlichung dieser wichtigen, aber nicht fönnlich publizierten Verordnung zu sein. Zu dieser Verordnung auch Rheinpreußisches, S. 10 f.; E. Landsberg: Rheinisches Recht, in: J. Hansen: Rheinprovinz, S. 156. 112 Rheinpreußisches, S. 13. 113 Kabinettsorder vom 30. 11.1836; Rheinpreußisches, S. 29. 114 Kabinettsorder vom 2.8. 1822 (Gesetzsammlung 1822, S. 206); Rheinpreußisches S. 13. 115 F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 3, S. 377.

III. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes im Überblick

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Rheinland von der Pflicht zur Vorlage ihres Taufscheines oder einer Urkunde über den Tod ihrer Eltern befreite l16 . Ferner wurde es Militärpersonen gestattet, an den öffentlichen Sitzungen rheinischer Gerichte mit Seitengewehr und bedecktem Kopf teilzunehmen 117. Art. 5 - 7 des Code d'instruction criminelle, wurden abgeschafft und für Straftaten, die von Inländern im Ausland und von Fremden im Inland begangen wurden, die Grundsätze des ALR eingeführt 1l8 . Eine weitere bedeutende Gruppe von Entscheidungen zur Frage des anwendbaren Rechts findet sich im Umkreis des preußischen Polizeiverordnungsrechts. Der Begriff der Polizeiverordnungen umfaßt ordnungspolizeiliche Anordnungen aller Art, etwa bau- oder gesundheitspolizeiliche Regelungen, wie sie von Ministerien, einzelnen Regierungen und anderen Provinzialverwaltungsbehörden oder Lokalbehörden erlassen werden konnten. Da auch auf diesem Gebiet französische und preußische Regelungen konkurrierten, wurde immer wieder die Wirksamkeit bzw. die die Gerichte bindende Kraft dieser Verordnungen problematisiert. Dabei ging es insbesondere um Fragen der ordnungsgemäßen Veröffentlichung und der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage 1l9 . Die Aufweichung des französischen Rechtssystems beschränkte sich jedoch nicht allein auf diese öffentlichrechtlichen, größtenteils politisch geprägten Rechtsgebiete, sondern machte sich, wenn auch in abgeschwächter Form, auch im Zivilrecht bemerkbar. Beispiele für diese Art der "Rechtsangleichung" finden sich auf den Gebieten des Vormundschaftsrechts 120, des Erbrechts des Adels 121 und des Handelsrechts 122 . 116 Bestimmung vom 13. 4. 1824 (Gesetzsammlung 1824, S. 115); F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 479. 117 Verfügung des lustizministers Kircheisen vom 15. 12. 1823; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 3, S. 562. Ein weiteres Beispiel in diesem Zusammenhang ist eine Anordnung des Justizministers Kircheisen, nach der Beamte in Dienstsachen vor Gericht als Zeugen auftreten konnten, ohne zum Eid verpflichtet werden zu können, wobei auf sie die Vorschriften der preußischen Prozeßgesetze Anwendung finden sollten; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 136. Allerdings mußte der Iustizminister diese Verordnung wegen ihrer Undurchführbarkeit schon bald darauf wieder zurücknehmen; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 186,210. 118 Kabinettsorder vom 30. 6. 1820 (Gesetzsammlung 1820, S. 129); Rheinpreußisches, S. 1l. 119 Näheres dazu unten Kapitel E IV 2.a). 120 Hier führte eine Kabinettsorder vom 4. 7. 1834 Änderungen zur Form der Inventarien und zur Versteigerung der Mündelgüter ein; F. A: Lottner: Sammlung, Bd. 4, S: 129. Obwohl damit nur ein relativ geringer Ausschnitt der französischen Vormundschaftsrechts abgeändert wurde, erließ der Iustizminister zahlreiche erläuternde Reskripte zu dieser Kabinettsorder (F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 4, S. 162, 169; und vielfach in Bd. 5), in denen er u. a. die rheinischen Gerichte darüber belehrte, daß diese Neuerungen nicht im Sinne der rheinischen, sondern der preußischen Gesetzgebung auszulegen seien; vgl. auch Rheinpreußisches, S. 28. 121 Der Adel erhielt das Recht, die Erbfolge unter seinen Kindern autonom zu regeln; Rheinpreußisches, S. 27; im Vorfeld dieses Gesetzes äußerte sich auch der RKH gutachtlich zu dieser Problematik; GStA PK Rep 97 B I G 6, dazu näher unten Kapitel E IV 3. 122 Hierhin gehört beispielsweise die Änderung der Vorschriften über die Deckung eines Wechsels; Rheinpreußisches, S. 27. 26 Seynsche

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes c) Materielles Recht

Auf den ersten Blick fällt die geringe Zahl von Entscheidungen auf, die zentrale Themen des Zivil- oder des Strafrechts berühren. So finden sich innerhalb der Sammlung Volkmars kaum Entscheidungen zum Sachen- oder Schuldrecht, ebenso rar sind Urteile zu Kapitalverbrechen, Körperverletzungs- oder Sachbeschädigungsdelikten. Allein zwei Rechtsgebiete bilden von ihrem Anteil an den (bei Volkmar mitgeteilten) Entscheidungen her eine Ausnahme. Es handelt sich dabei zum einen um Entscheidungen aus dem Gebiet des Handelsrechts und zum anderen um das "klassische" Eigentumsdelikt des Diebstahls 123 . Die Schwerpunkte materiellrechtlicher Tätigkeit des RKH lagen jedoch auf Feldern, die sich mit den beiden vorgenannten Themenschwerpunkten überschnitten. In der Mehrzahl handelte es dabei um Entscheidungen zu Rechtsmaterien aus den Grenzbereichen der im Rheinland aufeinandertreffenden Rechtsordnungen. Hierzu zählten insbesondere das Ehe- und Erbrecht und die damit verbundenen Fragen der Relevanz des alten vorfranzösischen Rechts. Des weiteren sind Entscheidungen aus dem Bereich des Grundstückrechts, wie das Dienstbarkeits- oder das Hypothekenrecht, zu nennen, bei denen ebenfalls häufig in der vorfranzösischen Zeit begründete Rechtspositionen zur Beurteilung standen 124. Besondere Bedeutung erlangten solche Entscheidungen aber im Strafrecht. Entscheidungen etwa zu Steuerund Zollvergehen, zur Anwendung der zahlreichen durch die preußischen Behörden erlassenen Polizeiverordnungen oder zum Frevelrecht machten die Masse der Verfahren aus. Gerade die Zahl der Frevelentscheidungen, d. h. der Urteile zu Forst-, Feld-, Fischerei- und Jagdfreveln, nehmen neben den Entscheidungen zu Fragen der Polizei verordnungen den größten Raum ein 125. Behandelt wurden dabei in der Regel Fragen der Koordination und Reichweite der jeweiligen französischen und nachherigen preußischen Freve1gesetze. Eine Vielzahl von Entscheidungen bezog sich beispielsweise auf die Anwendung des grundsätzlich weitergeltenden französischen Forststrafgesetzbuches und der "allgemeinen" Vorschriften des Code 123 Im Zivilrecht stehen den bei Volkmar aufgeführten 52 Handelssachen beispielsweise nur elf Prozesse zu Fragen des Vertragsrechts, zwei Prozesse zu Eigentumsfragen, 21 zu Kauf- und zwölf zum Schadensrecht gegenüber. In Strafsachen ist das Ungleichgewicht noch deutlicher: einern Kindermord, einern Giftmord, sechs Tötungen, vier Brandstiftungen, fünf Hehlereien und 22 Fälschungen (Körperverletzungsdelikte werden gar nicht aufgeführt) treten 40 Diebstähle gegenüber. Im Mittelpunkt stehen dabei allerdings oft Fragen der Auslegung der Art. 379 ff. Code penal, insbesondere der Anwendung der zahlreichen Milderungs- und Erschwerungsvorschriften. Relativ breiten Raum nehmen noch Beleidigungsdelikte mit 43 Entscheidungen (20 einfache und 23 Beleidigungen gegen Beamte) ein. 124 Zum Erbrecht allgemein finden sich 16, zum Testarnentsrecht 24, zum Eherecht 34, zum Hypothekenrecht 28, zum Rentrecht 33 und zum Dienstbarkeitsrecht 14 Entscheidungen. Darüber hinaus liegt aber gerade der Schwerpunkt zivilrechtlicher Entscheidungen, wie oben schon angedeutet, klar im Bereich des Verfahrensrechts. Hier stehen Fragen des Beweisrechts mit 60 Entscheidungen an der Spitze. 125 An der Spitze stehen die Polizeiverordnungen mit 75 Entscheidungen. Zu den Freveltatbeständen finden sich 66, zu Steuervergehen 54, zu Zolldefraudationen 38 Urteile.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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penal, etwa zu Täterschaft und Teilnahme, im Verhältnis zum preußischen Holzdiebstahlsgesetz von 1821, das einen Teil der Forststraftaten neu geregelt hatte 126. Ein besonders eingängiges Beispiel für Überschneidungen des materiellrechtlichen Bereichs zum Prozeßrecht bilden die Entscheidungen zum Besitzrecht. Obwohl man es hier mit einem zentralen sachenrechtlichen Thema zu tun hat, geht es in der Masse der Entscheidungen allein darum, ob der geltend gemachte Anspruch petitorischer oder aber possesorischer Natur ist l27 • Es handelt sich dabei letztlich um eine Frage des Kompetenzrechts, genauer der Abgrenzung der Zuständigkeit der Friedensrichter, die nur im Fall einer possesorischen Klage, nicht aber bei petitorischen Ansprüchen angerufen werden konnten 128 • Nach alledem kann man festhalten, daß materiellrechtliche Fragen innerhalb der Rechtsprechung des RKH weniger als eigenständiger Problemkreis hervortraten, sondern sich in erster Linie an prozeßrechtliche Probleme oder Fragen der Rechtsanwendung anschlossen.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes für das rheinische Recht Die Bedeutung der Rechtsprechung des RKH für das rheinische Recht erschließt sich, wenn man diese Rechtsprechung in ihrer Auswirkung auf die Rechtsanwendung und -entwicklung in den Rheinlanden einerseits und in ihrer Reaktion auf Einbrüche der preußischen Gesetzgebung und Eingriffe der Justizverwaltung in das rheinische Recht andererseits untersucht.

1. Der Revisions- und Kassationshof und die rheinische Justiz Der RKH war das oberste rheinische Gericht, das Kassationsgericht der rheinisch-französischen Gerichtsverfassung. Die Frage nach der Bedeutung dieses Gerichts im Gefüge der rheinischen Justiz kann daher anknüpfen an die französische 126 "Gesetz wegen Untersuchung und Bestrafung des Holzdiebstahls" vom 7.6. 1821; abgedruckt bei M. Simon: Uebersicht, Teil 1, S. 128 ff.; Gesetzsammlung 1821, S. 89 ff. Urteile zur Anwendbarkeit französisch-rechtlicher Verfahrensvorschriften auf Verfahren nach diesem Gesetz in Annalen Bd. 2 (1842), S. 81 ff. (Urteil vom 7. 2. 1842); S. 113 ff. (Urteil ebenfalls vom 7.2. 1842). 127 Unter den übrigen Entscheidungen standen Fragen zu Nachweis und Umfang des Besitzrechts im Vordergrund. Insgesamt zählt man bei Volkmar 38 Entscheidungen zum Besitzrecht. 128 Diese Zuständigkeitsregelung war in Titel 3 des Decret sur I'organisation judiciaire vom 24. 8. 1790 festgelegt worden. Eine strikte Trennung von possesorischen und petitorischen Klagen verlangten Art. 23 ff. Code de procedure civile.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Konzeption der Kassationsgerichtsbarkeit l29 . Der französische Kassationsgerichtshof war ein Obergericht, das, ohne in den Instanzenzug eingegliedert zu sein, die Rechtsanwendung der Instanzgerichte überwachte und durch die Vernichtung gesetzwidriger Entscheidungen auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung hinwirkte. Des weiteren zeichnete er sich dadurch aus, daß er durch seine besondere Nähe zum Gesetzgeber auf eine gesetzliche Neufassung deIjenigen Regelungsmaterien hinwirken konnte, die sich in der juristischen Praxis als lücken- oder fehlerhaft erwiesen hatten. Durch die modifizierenden Regelungen der Generalgouvernementsverordnungen waren diese Funktionen für das rheinische Kassationsverfahren nicht beseitigt worden, hatten aber vor allem durch die Einführung der Sachentscheidungsbefugnis deutliche Veränderungen erfahren. Im Vergleich zum französischen Vorbild ist mit Blick auf das Verhältnis zur Untergerichtsbarkeit ein Autoritätsdefizit des rheinischen Obergerichts zu erkennen. Dies kam bereits in der zeitgenössischen Prozeßrechtsliteratur zum Ausdruck. Vor allem Beiträge zur Literatur des rheinischfranzösischen Verfahrensrechts, die dem unmittelbaren Kampf um das rheinische Recht - weil außerpreußisch 130 oder erst in den I 840er Jahren auftretend 13l - fernstanden, wiesen darauf hin, daß es dem RKH oder allgemeiner den rheinischen Kassationsgerichten 132 bei weitem nicht gelungen sei, innerhalb der rheinischen Justiz eine Stellung zu erreichen, die mit dem Ansehen des Pariser Kassationshofes verglichen werd6t könne. Dies wurde auf die dem französischen Recht fremde Sachentscheidungsbefugnis zurückgeführt. So heißt es etwa bei Schlink: ,,[ ... ] bisher vermochte er [der RKH] es noch nicht sich in der Rheinprovinz den Einfluß zu erwerben, welchen die Franzosen ihrem Kassationshofe zugestehen, woran die ihm gewährte Gewalt, nicht nur die Urtheile zu kassiren, sondern in der Sache selbst zu erkennen, viel Schuld sein dürfte,,133. Zwar wurde anerkannt, daß den rheinischen Kassationsgerichten in bezug auf den jeweiligen Einzelfall eine größere Machtfülle zukam als dies bei dem Pariser Gerichtshof jemals der Fall sein konnte, dennoch wurde die Autorität der rheinischen Obergerichte für die Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung wesentlich geringer eingeschätzt, da ihre Entscheidungen einer "Reprobation" durch die Appellationsgerichte nicht mehr unterlägen l34 • In Frankreich brachte es die obligatorische Rückverweisung mit sich, daß Dazu oben Kapitel D I. A. Feuerbach: Betrachtungen, Bd. 2; C. J. A. Mittermaier: Vergleichung, 3. Beitrag. 131 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. 1. 132 Feuerbach und Mitterrnaier beziehen ihre Ausführungen auch auf die Kassationsgerichte des nichtpreußischen Rheinlandes. 133 J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 303. In eine ähnliche Richtung gehen die Äußerungen Feuerbachs, dem die französischen Einrichtungen der Rheinlande "wie z. B. die Cassationshöfe, in ganz unkenntlicher Gestalt erscheinen" (Betrachtungen, Bd. 2, S. XIII) oder Mittermaier, der mit Blick auf die Sachentscheidungsbefugnis davon spricht, daß unter dem modifizierten Verfahrensrecht "kein eigentlicher Cassations- sondern nur ein Revisionshof vorkomme"; Vergleichung, 3. Beitrag, S. 140. 129

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IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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das Gericht, an das die Sache verwiesen wurde, sich in seiner Entscheidung mit der Argumentation des Kassationsgerichtes eingehend auseinandersetzen mußte; insbesondere wenn es der dort geäußerten Rechtsauffassung nicht folgen wollte. Die daran anschließende eigene zustimmende oder ablehnende Entscheidung konnte dann erneut vor den Kassationshof gelangen. In der preußischen Rheinprovinz hingegen fand in der überwiegenden Zahl der Fälle eine solche intensive instanzgerichtliche Auseinandersetzung mit der vom RKH vertretenen Rechtsansicht gar nicht statt. Mit der Sachentscheidung des Gerichts war der jeweilige Fall endgültig abgeschlossen, und die Instanzgerichte konnten die dort niedergelegte Argumentation allenfalls künftig bei Entscheidung eines gleich oder ähnlich gelagerten Falles heranziehen, waren dazu aber in keiner Weise verpflichtet 135. Die Sachentscheidungsbefugnis des RKH und das Fehlen des rMere legislatif konnten ferner dazu führen, daß eine Rechtsfrage auf Jahre hinaus zwischen dem RKH und den Untergerichten streitig blieb. Erneute Kassationen und die letztendliche Entscheidung des Streits durch den Gesetzgeber waren nicht mehr vorgesehen und dem Gegeneinander der Meinungen kein von außen vorgegebenes Ende gesetzt l36 . Problematisch wurde dies besonders im Verhältnis zum Appellationsgericht. Mehrfach nahm der Appellationshof Rechtsansichten, die der RKH zuvor ausdriicklich verworfen hatte, in späteren Entscheidungen wieder auf137 . Als Aus134 Hermann Theodor Schletter: Der öffentliche und mündliche Strafprozeß in Deutschland. Teil 1: Die rheinische Gerichtsverfassung und das rheinischen Strafverfahren. Studien und Reisebeobachtungen, mit besonderer Berücksichtigung der Criminalstatistik und der Jurisprudence, Altenburg 1847, S. 157 f. Letztlich dürfte wohl auch die oben erwähnte Kritik des rheinischen Provinziallandtages am Zustand des RKH und am modifizierten Verfahrensrecht sowie seine Forderung nach Rückverlegung des Gerichtshofes in die Rheinlande und Rekonstruktion des französischen Kassationsverfahrens, in diesen Zusammenhang einzuordnen sein. 135 Eine solche Auseinandersetzung war ihnen auch nur soweit möglich, wie die Urteile des RKH Eingang in das Rheinische Archiv gefunden hatten. Über diese Veröffentlichungen hinaus erlangten die Gerichte nur Kenntnis von den Urteilen des RKH und zwar nur den kassierenden, wenn ihre eigenen Entscheidungen aufgehoben worden waren. Etwas anders könnte der Informationsstand allenfalls am AGH ausgesehen haben, über dessen öffentliches Ministerium alle kassierenden Urteile gelangten, um von dort aus an die jeweils betroffenen Gerichte weitergeleitet zu werden. 136 Allenfalls konnte der RKH aus eigener Initiative, wie dies 1833 im Streit mit dem AGH um die Rückverweisungsbefugnis des RKH geschehen ist, beim Justizminister eine gesetzliche Klärung beantragen. 137 In RhA Bd. 7 II S. 38 findet sich eine kassierende Entscheidung des RKH (Urteil vom 28. 7. 1824), mit der er eine bereits früher gegen den AGH vertretene Ansicht wieder aufnimmt. Schon diese frühere Kassationsentscheidung hatte die Rechtsansicht des Appellationshofes verworfen, dieser hatte sie aber in zwei nachfolgenden Entscheidungen beibehalten (RhA Bd. 3 I S. 165 und Bd. 4 I S. 60). Die erste dieser Entscheidungen stand nun zur Kassation. Vgl. auch RhA 26 11 S. 3 ff.; RhA 3111 B S. 17 (Aufsatz, der ebenfalls eine solche Haltung des AGH gegen RKH aufzeigt. Inhaltlich ging es hier um die Frage, ob persönliche Forderungen nach den Gesetzen des Wohnorts des Schuldners oder nach denen des Ortes der Entstehung der Verbindlichkeit verjähren). Ein ähnlicher Streit entstand um die Frage, ob das innere Staatsrecht als Geltungsgrundlage für nicht publizierte preußische Gesetze herangezo-

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

druck dieser selbstbewußten Haltung des Appellationshofes läßt sich auch der schon mehrfach zitierte Streit um die Rückverweisungsbefugnis des RKH werten, innerhalb dessen der Appellationshof sich 1831 schließlich geweigert hatte, eine vom Revisions- und Kassationshof an ihn zur Tatsachenfeststellung und erneuter Entscheidung zurückgewiesene Sache zu entscheiden und so einen Rechtsprechungsstillstand provoziert hatte 138 • Dieses Manko der rheinischen Kassationsrechtsprechung spiegelte sich sowohl in der untergerichtliche Rechtsprechung als auch in den im Rheinischen Archiv veröffentlichten, offenbar von Praktikern stammenden Aufsätzen und Anmerkungen wieder, die in großem Umfang die Rechtsprechung des Pariser Kassationshofes berücksichtigten. Obwohl die Verbindung der rheinischen Justiz zum Kassationshof bereits 1814 beendet worden war, besaßen seine Rechtssprüche auch in der Folgezeit immer noch Autorität. Der RKH wurde als Nachfolgegericht des Kassationshofes gesehen und, soweit Gerichtsurteile oder Aufsätze sich mit der obergerichtlichen Rechtsprechung auseinandersetzten, zogen sie neben der Rechtsprechung des RKH auch diejenige des Kassationshofes heran. Dies galt auch für die nach 1814 ergangenen Entscheidungen des Pariser Kassationshofes l39 . Das Autoritätsdefizit des RKH wurde jedoch nicht allein durch die Sachentscheidungsbefugnis bedingt. Es beruhte ebenso auf einem Spezifikum der rheinischen Gerichtsverfassung, nämlich der Existenz nur eines einzigen Appellationsgerichtshofes l40 . Auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung der Appellationsgerichte, die in der französischen Gerichtsverfassung die herausragende Position des Kassationsgerichts sicherte, kam es in den Rheinlanden nicht mehr an, vielmehr wurde das eindeutige Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen Kassationsund Appellationsgericht zumindest für den Bereich der Zivilgerichtsbarkeit verwischt. Im Gegensatz zur Rechtsprechung des RKH lag der Schwerpunkt der apgen werden konnte. Dies wurde vom AGH angenommen (RhA 6 I s. 55), vom RKH verneint (RhA 10 11 S. 8) und vom AGH wiederum vertreten (RhA Bd. 27 B S. 23); dazu auch Martin Scherer: Das Rheinische Recht und die Reichs- und Landesgesetzgebung, 2 Bde. 2. Aufl. Mannheim 1889/1890, Bd. 1, S. 63. 138 Erst der Erlaß der Kabinettsorder vom 8. Juli 1834 hatte die Position des RKH gegen den AGH durchsetzen können; dazu oben Kapitel D 11 2 a) aa). 139 RhA 3 11 S. 181 ff., 47 11 B S. 8 ff. (Aufsätze); RhA I 11 S. 72 ff., Verweis auf die Pariser Rechtsprechung im Zusammenhang mit Urteilen der Gerichte erster Instanz; RhA 6 11 126 ff., 25 11 S. 65 f., 3411 S. 70 ff. und RhA 35 11 S. 72 ff., Anmerkungen der Herausgeber zu Entscheidungen des RKH, in denen sie auf Urteile des Pariser Gerichts aus den 20er und 30er Jahren hinweisen. 140 Wiedereinführung oder Erweiterung der Rückverweisung waren stets mit dem Hinweis gerade auf diese Tatsache abgelehnt worden. Auch die 1818 von der BK aufgestellte Forderung nach Errichtung zweier Appellationshöfe, die in den 30er Jahren von seiten des rheinischen Provinziallandtages wieder aufgenommen worden war, fällt in diesen Kontext. Dabei spielten hinsichtlich der Landtagsinitiative auch andere Motivationen, wie die Wünsche mehrere rheinischer Städte, Sitz eines Appellationsgerichts zu werden, und die Überlastung des Kölner Appellationshofes eine Rolle.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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pellationsgerichtlichen Rechtsprechung eindeutig auf zivilrechtlichem Gebiet. Im Strafrecht war dem Appellationshof - abgesehen von der Disziplinargerichtsbarkeit über gerichtliche Beamte - nur die Entscheidung über die Eröffnung der Prozesse vor den Geschworenengerichten geblieben 141 • Von ihrem Umfang her machten die Anklageentscheidungen nur etwa ein Viertel der gesamten Rechtsprechung des Appellationshofes aus, etwa drei Viertel der Urteile waren zivilrechtlicher Natur 142 . Wenn man in Rechnung stellt, daß zivilrechtliche Urteile dagegen am RKH nur 1/5 der gesamten Entscheidungstätigkeit ausmachten, wird die unterschiedliche Ausrichtung beider Gerichtshöfe deutlich. Noch weiter zugunsten des Appellationsgerichts verschiebt sich dieses Bild, wenn man sieht, daß der Schwerpunkt der Appellationserkenntnisse gerade im materiellen Recht lag l43 , während unter den wenigen zivilrechtlichen Entscheidungen des RKH die von verfahrensrechtlichen Fragestellungen geprägten Urteile überwogen. Dies deutet auf eine hohe Akzeptanz der zivilrechtlichen Rechtsprechung des Appellationsgerichtshofes hin. Die Kassation stand auch gegen zivilrechtliche Erkenntnisse des Appellationshofes unbeschränkt offen. Dennoch wurde sie von den Gerichtseingesessenen nur selten gegen diese Entscheidungen eingelegt, die Rechtsprechung des Appellationsgerichts also nur selten hinterfragt l44 . Zumindest für das materielle Zivilrecht scheint in den Augen der Rheinländer eher der Appellationshof als der RKH das "Obergericht der Provinz" gewesen zu sein. Die gewichtige Stellung des Appellationshofes 141 Zwar hatte der Code d'instruction criminelle die grundsätzliche Trennung zivil- und strafgerichtlicher Zuständigkeit auch für die Appellationsinstanz aufgehoben und die Berufung gegen zuchtpolizeiliche Urteile den Appellationshöfen zugewiesen. Diese Zuständigkeit, die sich von vornherein nur auf Berufungen gegen Urteile der im Departement der Appellationsgerichte ansässigen Gerichte bezogen hatte, war dem rheinischen Appellationsgericht jedoch in § 18 der Kabinettsorder vom 19. 11. 1818 entzogen und gänzlich auf sogenannte Zuchtpolizeiappellkammern der Gerichte erster Instanz übertragen worden. Vgl. zum ganzen A. Klein: Rheinische Justiz und rechtsstaatlicher Gedanke, in: J. Wolfframl A. Klein (Rrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 149; M. Bär: Behördenverfassung, S. 407; Art. 200 ff. Code d'instruction criminelle und § 18 der Kabinettsorder vom 19.11. 1818 bei E. Landsberg: Gutachten, S. 370. Die Entscheidungen über die Anklageerhebung waren einer dem AGR angegliederten Anklagekarnmer überwiesen worden. 142 Verdeutlichen läßt sich dies anhand der seit 1832 im Rheinischen Archiv veröffentlichten jährlichen Justizstatistiken für den Appellationshof und die rheinischen Untergerichte. Danach lag die Zahl der zivilrechtlichen Entscheidungen fast dreimal so hoch wie diejenige der Entscheidungen der Anklagekarnmer. So findet man beispielsweise im Durchschnitt der Justizjahre 1830/31 bis 1833/34 pro Jahr 591,5 vor der Anklagekarnmer anhängige Verfahren und 22 vor den Zivilsenaten anhängige Untersuchungssachen (wohl Disziplinarverfahren, für die der AGR zuständig war; vgl. A. Klein: Rheinische Justiz und rechtsstaatlicher Gedanke, in: J. Wolfframl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 149). Ihnen stehen im Schnitt 1415 Zivilsachen gegenüber; vgl. die jeweils am Ende der Bände 16, 17, 19 und 21 des Rheinischen Archivs abgedruckten Generaltabellen. 143 Das ergibt eine kursorische Durchsicht der Inhaltsverzeichnisse des Rheinischen Archivs und der Leitsätze der dort veröffentlichten Entscheidungen. 144 In wieweit auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt haben und die Parteien wegen des hohen Zeit- und Kostenaufwandes eines Kassationsverfahrens in Berlin auf das Rechtsmittel verzichtet haben, muß hier offen bleiben.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

auf zivilrechtlichem Gebiet kommt auch in rechtswissenschaftlichen Veröffentlichungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere Lehrbüchern zum rheinischen Zivilrecht, zum Ausdruck. Soweit dort auf die Rechtsprechung der rheinischen Gerichte zu bestimmten materiellrechtlichen Themen Bezug genommen wird, erfährt die Rechtsprechung des Appellationsgerichts die bei weitem größere Beachtung, während Urteile des RKH nur vereinzelt angesprochen werden l45 . Die Möglichkeiten des Revisions- und Kassationshofes, zur Vereinheitlichung der rheinischen Rechtsprechung beizutragen, waren also gegenüber dem französischen Vorbild stark eingeschränkt. Sie waren aber keinesfalls gänzlich beseitigt worden. Immerhin gelangten mit der großen Masse der strafrechtlichen Sachen und den Kassationsgesuchen gegen erstinstanzliche Zivilurteile die Entscheidungen verschiedener rheinischer Untergerichte vor den RKH. Somit waren zumindest auf strafrechtlichem Gebiet und hinsichtlich der zivilrechtlichen Rechtsprechung der Untergerichte die Voraussetzungen zur Entwicklung und Wahrung einheitlicher Rechtsprechungsgrundsätze durch den RKH gegeben 146. Seit Errichtung des dritten Zivil senats des Appellationshofes gelangten vermehrt Fragen an den RKH, in denen die Senate unterschiedliche Rechtsansichten entwickelt hatten l47 . Der Gerichtshof hätte über die Entwicklung einheitlicher Rechtsprechungsgrundsätze also auch auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung der Senate des Appellationshofes hinwirken können. 145 Dies ließ sich anhand einer Durchsicht der Anmerkungsapparate verschiedener Lehrbücher zum rheinischen Recht feststellen: J. J. Bauerband: Institutionen (unter den von ihm zitierten vor 1852 ergangenen Entscheidungen finden sich 17 des AGH und 8 des RKH); earl Salomo Zachariä von Lingenthal: Handbuch des Französischen Zivilrechts, 6. Aufl. Bde. 1 und 2, Heidelberg 1874175, hrsg. von Sigismund Puchelt (Bd. 1: 45 Entscheidungen des AGH und 12 des RKH, Bd. 2: 34 des AGH und fünf des RKH); M. Scherer: Das Rheinische Recht (zieht zwar die AGH-Rechtsprechung heran, aber nicht diejenige des RKH; erst aus der zweiten lahrhunderthälfte finden sich Entscheidungen des Obertribunals und des Reichsgerichts); [anonym]: Praktisches Handbuch des Rheinischen Civilrechts, enthaltend zugleich eine übersichtliche Darstellung der Gerichtsverfassung und der allgemeinen Grundsätze des gerichtlichen Verfahrens in Civil- und Strafsachen [ . .. ], 2. Aufl., Mülheim a.d. Ruhr 1893 (Hinweise auf Entscheidungen des AGH überwiegen klar und für beide lahrhunderthälften. Zu vielen Fragen werden mehrere, auch zeitlich weit auseinanderliegende Entscheidungen des AGH angegeben. Dagegen werden wesentlich weniger Urteile der Kassationsgerichtsbarkeit angegeben. Unter diesen nehmen zudem die Entscheidungen des Obertribunals und des Reichsgerichts den größeren Raum ein, während Urteile des RKH nur äußerst selten zu finden sind. Mehrfachzitate des RKH und Hinweise auf eine ständige Rechtsprechung fehlen.). Siehe auch das "Repertorium zur Rechtsprechung der Gerichte bei Anwendung des Rheinischen Bürgerlichen Gesetzbuchs", Trier 2. Auflage 1895, innerhalb dessen, soweit Entscheidungen aus der ersten lahrhunderthälfte herangezogen werden, diejenigen des AGH deutlich überwiegen. 146 Entscheidungen, die eine divergierende Rechtsprechung der Untergerichte vereinheitlichen sollten, finden sich etwa in RhA Bd. 2 II S. 81 ff. (Streit über die Befugnisse der Zollund Steuerverwaltung in Defraudationsprozessen vor den Zuchtpolizeigerichten); Bd. 31 II S.38. 147 Bspw. RhA 32 II S. 14 f.; 34 II S. 83 ff.; 35 II S. 69 ff.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Aus den veröffentlichten Entscheidungen des RKH geht hervor, daß es Ansätze einer solchen Entwicklung gab l48 . Allerdings waren diese nicht allzu beständig. Etwa ein Drittel 149 der vom Archiv als gleichartig gekennzeichneten Entscheidungen war in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang, in der Regel noch am sei ben Tag oder innerhalb eines Monats - oft auch in derselben Gerichtsbesetzung 150 - ergangen, bildete also noch keine "ständige Rechtsprechung" im Sinne der Herausbildung und Beibehaltung einer bestimmten Position über Jahre hinweg. Überdies wies die Rechtsprechung des RKH immer wieder erhebliche Schwankungen auf. Der Gerichtshof ging nicht selten innerhalb weniger Jahre, ja sogar weniger Monate wieder von einer einmal gebildeten Rechtsansicht ab und dürfte damit zur Verunsicherung der Untergerichte beigetragen haben, zumal er diesen Wechsel meist vollzog, ohne überhaupt darauf hinzuweisen oder ihn gar zu begriinden. Besonders deutlich wird dies in mehreren Urteilen aus dem Jahr 1820, in deren Mittelpunkt die Auslegung der Vorschrift über den sogenannten Hausdiebstahl (Art. 386 Code penal) als schwerer Fall des Diebstahls stand. In diesem Zusammenhang war strittig, ob der letzte der dort genannten Fälle der Diebstahl aus einem Hotel oder einer Herberge (hotellerie, auberge) auch Diebstähle in Schenken und Cafes (cabarets, cafes) erfaßte und damit auch ein in diesen Gasträumen verübter Diebstahl den erschwerten Tatbestand des Art. 386 Code penal erfüllte. Ausgehend von einer ständigen Rechtsprechung des Pariser Kassationshofes hatte der Anklagesenat des Appellationshofes diese Frage zunächst bejaht und mehrere entgegengesetzte Urteile des Kölner Kreisgerichts aufgehoben, sich dann aber letztlich doch dem Kreisgericht angeschlossen und eine Anwendung des Art. 386 Code penal in einer Entscheidung über einen in einer Schenke veriibten Diebstahl ebenfalls abgelehnt 151 . Diese letzte Entscheidung des Appellationshofes war auf das Kassationsgesuch des öffentlichen Ministeriums hin vom RKH, der sich in einer ausführlichen Argumentation der Meinung des Pariser Kassationshofes anschloß, aufgehoben worden. In gleichem Sinne entschied der Gerichtshof knapp einen Monat später einen zweiten Fall 152 • Drei Monate nach dieser Entscheidung gelangte dieselbe Frage erneut vor den Gerichtshof. Diesmal allerdings folgte er der gegenteiligen Ansicht und lehnte die Anwendung des Art. 386 ab, ohne diesen Wandel näher zu begriinden 153. 148 Von den Herausgebern des rheinischen Archivs wurden solche Entscheidungen gekennzeichnet und kommentiert. 149 Nach stichprobenartiger Auszählung der Bände: 1,2,4-7, 15, 16, 19,21,25,26,3033,36,38,41,45. 150 Soweit aus dem Rheinischen Archiv ersichtlich, wo sich zumindest Angaben über den jeweiligen Berichterstatter, den Vertreter des öffentlichen Ministeriums und die Advokaten finden. 151 RhA Bd. 1 I S. 187 ff. (Entscheidung des Anklagesenats vom 2. 5. 1820; die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung ist in einer einleitenden Anmerkung der Herausgeber dieser Entscheidung vorangestellt.). 152 RhA Bd. 2 11 S. 59 ff.; Entscheidungen vom 23. 6. 1820 und 21. 7. 1820. 153 RhA Bd. 211 S. 95 ff.; Entscheidung vom 8. 9. 1820.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Derartige einander widersprechenden Urteile waren bereits in den ersten Monaten der Gerichtstätigkeit erlassen worden. Schon im Dezember 1819 hatte Beyme die Richter davor gewarnt, auf diese Weise das Ansehen des Gerichtshofes in den Rheinprovinzen zu untergraben 154. Verfolgt man die Rechtsprechung des RKH über die nächsten Jahrzehnte hin, bemerkt man immer wieder ähnliche Fälle 155. Das Schwanken der Rechtsprechung war also nicht allein auf die Unsicherheit eines erst kurze Zeit arbeitenden Gerichts zuriickzuführen. Beispielhaft seien hier zwei Entscheidungen aus dem Jahr 1842 genannt: Dem Gerichtshof wurden zwei Urteile desselben Kölner Kreisgerichts zur Anwendbarkeit bestimmter städtischer Polizei verordnungen vorgelegt. Er mußte dariiber entscheiden, ob die gerichtliche Feststellung über die ordnungsgemäße Veröffentlichung einer Polizei verordnung eine tatsächliche und damit der Priifung durch das Kassationsgericht entzogene oder aber eine rechtliche Feststellung darstellte, die der Kontrolle des Kassationsgerichts unterlegen hätte. Wahrend der RKH im ersten Fall von einer rechtlichen Frage ausging und ausdriicklich die Kriterien für eine ordnungsgemäße Veröffentlichung festsetzte, schwenkte er nur drei Monate später im zweiten Fall zu der Ansicht über, daß es sich um eine rein tatsächliche, seiner Kompetenz entzogene Feststellung handele 156. Mit einer derartig schwankenden Rechtsprechung verzichtete der RKH darauf, eine Vereinheitlichung der untergerichtlichen Rechtsprechung über die Ausbildung einer ständigen höchstrichterlichen Judikatur zu fördern. Das

154 Schreiben vom 16. 12. 1819 (Entwurf mit Absendungsvermerk); GStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 648, fol. 134 ff. Die kritisierten Entscheidungen hatten Fragen der Strafge1dhinterlegung bei Einlegung des Kassationsgesuches zum Inhalt. 155 Vgl. Z. B. die in RhA Bd. 3011 S. 91 angeführten Entscheidungen. Es geht dort um die Frage, ob Jagdfrevelsachen, die nach französischen Recht ursprünglich als Zuchtpolizeisachen, also Vergehen, eingestuft waren, durch die inzwischen erfolgte Verweisung dieser Sachen an die Polzeigerichte (Verordnung vom 7. 6. 1821) ihren Charakter als Zuchtpolizeisachen verloren haben. Der RKH verneint diese Frage (Erkenntnis vom 21. 12. 1840). In einer Anmerkung weist der Herausgeber darauf hin, daß der RKH die dieser Entscheidung innewohnenden Grundsätze schon früher mehrfach anerkannt habe (RhA Bd. 6 11 S. 63 ff. Entscheidung vom 21. 4. 1824; Bd. 8 11 S. 33, 77, 88 - Entscheidungen vom 25.1., 12.4. und 26. 4. 1826), dann davon wieder abgegangen sei (RhA Bd. 17 11 S. 23 ff. - Entscheidung vom 15.9. 1832) und nun erneut zu ihr zurückkehre. Ähnlich auch der in RhA 38 11 S. 94 ff. (Entscheidung vom 23. 12. 1844) mitgeteilte Fall zur Verjährung im Bergwerksrecht; auch hier hatte der RKH eine friiher schon vertretene, zwischenzeitlich aufgegebene Ansicht wieder aufgenommen. 156 Das Kreisgericht hatte in beiden Fällen die Anwendung der entsprechenden Normen mangels ordnungsgemäßer Publikation der Polizeiverordnungen abgelehnt und die in der Tat erfolgten - nichtamtlichen Veröffentlichungen und die nur kurzfristigen amtlichen Anschläge der Verordnungen - nicht ausreichen lassen. Dem gegenüber bejahte der RKH im ersten Falle die Anwendbarkeit der Verordnung, indem er die erfolgten Publikationen unter Hinweis auf die tägliche Anwendung der entsprechenden Verordnungen und eine bereits gefestigte Auslegung der Verordnung durch die Gerichte als genügend ansah, während er im zweiten Fall zwar die Ansicht des Kreisgerichts mißbilligte, die Frage aber als "der Censur des Cassationshofes" nicht unterliegend abwies; RhA Bd. 34 11 S. 51 ff., Entscheidungen vom 13.6.1842 und vom 5. 9. 1842.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Gericht schränkte also seine im Vergleich zum Pariser Kassationshof ohnehin verringerten Möglichkeiten zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung weiter ein. Abschließend ist noch auf die Funktion der Kassationsgerichtsbarkeit einzugehen, die aus der besonderen Nähe der französischen Kassation zur Gesetzgebung resultiert: die Möglichkeit, auf eine Weiterentwicklung des Rechts hinzuwirken und Fehler und Lücken des Gesetzesrechts aufzudecken, die am Kassationshof als einer auf Rechtsfragen beschränkten zentralen Rechtsprechungsbehörde besonders augenfällig werden mußten. Im französischen Recht standen dem Kassationshof mehrere Wege zur Wahrnehmung dieser Funktion offen. Den wichtigsten stellte der rHere legislatif dar, da hier regelmäßig besonders problematische Fragen an den Gesetzgeber weitergeleitet wurden. Eher von der Initiative des Kassationshofes selbst hingen dagegen die beiden anderen Möglichkeiten ab: Zum einen konnte er in jährlichen Berichten an den Gesetzgeber auf die nach seiner Erfahrung unklaren Gesetzesstellen aufmerksam machen. Zum anderen konnte der Kassationshof wenn auch in sehr beschränktem Umfang - auf dem Weg über eine Gesetzesauslegung auf eine Rechtsfortbildung hinwirken 157 . Der rHere legislatif war im rheinischen Recht nach 1814 mit der Einführung der Sachentscheidungsbefugnis weggefallen. Ein vergleichbarer Ersatz ist nicht an seine Stelle getreten 158. Das französische Recht war innerhalb Preußen "fremdes Recht", es gab keine Gesetzgebung die auf eine Beibehaltung oder Weiterentwicklung dieses Rechts abzielte. Somit gab es keinen Gesetzgeber, den der RKH auf Mängel der französischen Gesetzgebung, sei es auf dem Weg über einen rHere legislatif oder über Jahresberichte, hätte aufmerksam machen können. Die Richter des RKH konnten allenfalls noch in Gutachten, die sie zur vorgezogenen Einfüh157 Eine Möglichkeit, die ihm nicht von Anfang an zugestanden hatte, die er sich aber nach und nach eröffnet hatte. Zum Wandel der Funktionen des Kassationsgerichts im französischen Rechtssystem, siehe oben Kapitel D I 1 a) bb) und b) cc) (1). 158 Zwar hatte es nach preußischem Recht mit der Möglichkeit der Anrufung des Gesetzkommission ursprünglich einen annähernd vergleichbaren Rekurs an den Gesetzgeber gegeben. Diese Möglichkeit einer noch vor der gerichtlichen Entscheidung zu treffenden Nachfrage und Entscheidung durch den Gesetzgeber war aber bereits Ende des 18. Jahrhunderts für das preußische Recht beseitigt bzw. umgewandelt worden. Die Gerichte sollten nun eigenständig die jeweiligen Fälle unter Auslegung der unklaren Stellen des Gesetzes entscheiden und die Angelegenheit erst danach der Gesetzkommission, nach deren Abschaffung dann dem Justizminister vorlegen und auf eine gesetzliche Regelung antragen; zur Gesetzkommission Hans Hattenhauer: Preußens Richter und das Gesetz (1786-1814), in: Hans Hattenhauer I Götz Landwehr (Hrsg.): Das nachfriderizianische Preußen, 1786- 1806. Heidelberg 1988, S. 50 f., 53; ders.: Preußen auf dem Weg zum Rechtsstaat, in: Jörg Wolff (Hrsg.): Das Preußische Allgemeine Landrecht. Politische, rechtliche und soziale Wechsel- und Fortwirkungen, [Motive, Texte, Materialien, Bd. 70] Heidelberg 1995, S. 63 ff. Diese Möglichkeit stand theoretisch auch dem RKH offen, scheint aber in seiner Arbeit kaum eine Rolle gespielt zu haben. Offenbar hat der RKH nur in besonders krassen Fällen darauf zurückgegriffen. Als Beispiel sei hier auf die Initiative des Gerichtshofes verwiesen, die letztlich die Kabinettsorder vom 8. Juli 1834 hervorgebracht hat. Hier war der Gegensatz zwischen RKH und AGH im Streit um die Rückverweisungsbefugnis ja bereits soweit gediehen, daß ein Rechtsprechungsstillstand drohte.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

rung preußischer Regelungen abzugeben hatten l59 , auf Mängel des Rechtszustandes aufmerksam machen. Diese Gutachten bezogen sich aber nicht auf die noch unangefochten geltenden französischen Normen, sondern auf die Unzulänglichkeiten, die die Richter durch die vorgezogene Einführung unrevidierten preußischen Rechts verursacht sahen. Vor diesem Hintergrund war Entwicklung des rheinisch-franösischen Rechts nur auf dem Wege über richterliche Rechtsfortbildung zu erwarten. Da es keinen Gesetzgeber für dieses Recht mehr gab und der strikte Gewaltenteilungsgrundsatz des französischer Prägung einer Rechtsfortbildung nicht mehr entgegenstand, hätte die Rechtsprechung des RKH in viel stärkerem Maße als die des französischen Kassationshofes zu einer solchen Entwicklung beitragen können. Es erweist sich als sehr schwer, Aussagen zu Art und Umfang einer Rechtsfortbildung durch den RKH zu treffen. Bisher fehlt es an Untersuchungen zu inhaltlichen Aspekten der rheinischen Rechtsprechung, an die eine solche Aussage anknüpfen könnte. Die Jurisprudenz des RKH ist bisher so gut wie gar nicht und diejenige des AGH nur punktuell analysiert worden, so daß hier auf eine detaillierte Vergleichung der Rechtsprechung beider Gerichte, die gesicherte Erkenntnisse über die Rechtsfortbildung erwarten ließe, verzichtet werden muß. Die Auseinandersetzung mit dem rheinischen Kassationsverfahren hat gezeigt, daß es eine Rechtsfortbildung durch des RKH gegeben hat. 160. Diese Rechtsfortbildung war aber scheinbar auf die Kerngebiete der Rechtsprechung des RKH das Prozeßrecht und Herausbildung von Regeln für das Aufeinandertreffen rheinischen und preußischen Rechts 161 beschränkt l62 • Für das materielle rheinische Recht findet man dagegen auch bei einer nur kursorischen Betrachtung einige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, daß die Rechtsprechung des RKH für die Fortbildung des materiellen rheinischen Rechts kaum eine Rolle gespielt hat. Ausweislich des bei Volkmar veröffentlichten Entscheidungsmaterials hat der Gerichtshof sich in seiner Rechtsprechung kaum mit den zentralen Themen des Zivil- oder Strafrechts befaßt. Seine Rechtsprechung bot daher eine denkbar schmale Basis für Rechtsfortbildung im Sinne einer Weiterentwicklung des materiellen Straf- und Zivilrechts. Darüber hinaus ist, soweit man die Herausbildung einer ständigen Rechtsprechung als Grundlage einer Rechtsfortbildung ansehen muß, ein solcher Prozeß durch das "Schwanken" der Rechtsprechung behindert worden. Diese Vermutungen werden Dazu unten Kapitel E IV 3. Die Einführung einer Verweisung bei mangelnder Entscheidungsreife in das durch die Generalgouvemementsverordnungen modifizierte rheinische Kassationsverfahren war ein Akt richterlicher Rechtsfortbildung; vgl. Kapitel D 11 2 a). 161 Siehe dazu unten Kapitel E IV 2. 162 Sie erstreckte sich auf Gebiete, in denen das Interesse an diesen Entscheidungen eher politischer als rechtswissenschaftlicher Art war. Eine an der politischen Funktion des RKH ausgerichtete Argumentation war es dann auch, die im Landtag ungeachtet aller anerkannten rechtswissenschaftlichen Bedürfnisse die Rückverlegungsforderung scheitern ließ; siehe oben Kapitel D 11 3 c). 159

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IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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bestätigt durch einen Blick auf die zeitgenössische Wahrnehmung des RKH in Wissenschaft und Politik. Weder in der Aufsatz- noch in der Lehrbuchliteratur zum rheinischen Recht wurde der Gerichtshof als Organ der Rechtsfortbildung wahrgenommen. Hier sei noch einmal auf die eingangs zitierte Literatur verwiesen, die die mangelnde Autorität des RKH kritisierte l63 . Die Aufsätze und Urteilsanmerkungen im Rheinischen Archiv wiesen zwar gelegentlich auf gleichartige Entscheidungen des RKH hin. Sie verbanden dies aber nicht mit einer Aussage zum rechtsfortbildenden Charakter dieser Entscheidungen. Vielmehr scheinen die Autoren bemüht gewesen zu sein, zunächst einmal überhaupt Anfänge einer ständigen Rechtsprechung aufzuzeigen. Aus Sicht der rheinischen Politiker war der RKH seiner Funktion als Organ der Rechtsfortbildung sogar gänzlich verlustig gegangen, dies hat die Debatte um die Rückverlegung des Gerichtshofes in die Provinz gezeigt. Die Abgeordneten verglichen den Revisionshof wegen seiner isolierten Stellung in Berlin mit einer in fremden Klima verkümmernden Pflanze von der "wahrhaft gute und dauernde Früchte für die rheinischen Institutionen" erst bei einer Rückführung in die Rheinprovinz zu erwarten seien 164. Sie verbanden ihre Forderung nach Rückverlegung des RKH ausdrücklich mit dem Hinweis, daß nur auf diese Weise die Fortentwicklung des materiellen rheinischen Rechts durch den Gerichtshof wieder in Gang gebracht werden könne l65 . Die Funktion des RKH im Gefüge der rheinischen Justiz konzentrierte sich damit auf die reine Rechtsanwendungskontrolle, d. h. auf eine einzelfallbezogene Kontrolle der untergerichtlichen Entscheidungen. Vereinheitlichung der Rechtsprechung und eine Fortentwicklung zumindest des materiellen Rechts spielten kaum noch eine Rolle. Im Hinblick auf die Rechtsanwendungskontrolle zeigte sich jedoch am RKH insoweit eine Stabilisierung der Kassationsrechtsprechung als der Gerichtshof eine Demontage dieser Funktion, die sich an einem seiner Vorgängergerichte gezeigt hatte, beendete. Der Kassationshof in Düsseldorf hatte, Lohausen zufolge, im Verhältnis zur Appellationsgerichtsbarkeit vollständig auf eine Kontrolle der Anwendung materiellen Rechts verzichtet. Obwohl Kassationsgesuche eingereicht wurden, hatte dieses Gericht offenbar eine uneingeschränkte Autorität des Appellationsgerichts anerkannt l66 . Am RKH wurden, sofern die Parteien um Kassation nachsuchten, wieder sowohl untergerichtliche als auch appellationsge163 Aus der Lehrbuchliteratur sei hier nur die äußerst knappe und kritische Darstellung des RKH bei J. H. Schlink: Civil-Prozeß-Ordnung, Bd. I, S. 303, 328 ff. genannt. 164 Zitiert nach der Schriftfassung des Antrages des Abgeordneten Dietz vom 13.6. 1841; ALVR Nr. 521 (unfoliert). 165 Antrag des Trierer Abgeordneten Haw vom 28. 11. 1833 auf Bildung eines zweiten Appellationsgerichts und Verlegung des RKH in die Rheinprovinz; ALVR Nr. 521. Haw hatte im Anschluß an die Lehre Justus Mösers die Funktion eines rheinischen Obergerichts in die Nähe eines Gesetzgebers geriickt und betont, daß der RKH verlegt werden müsse, um diese Funktion wahrnehmen zu können; vgl. oben Kapitel D II 3 a). 166 H. Lohausen: Zivilgerichte, S. 124 ff. Diese Aussage stützt sich aber auf ein nur noch in beschränktem Umfang vorhandenes Quellenmaterial, in erster Linie auf Entscheidungen aus dem Jahr 1814; am Ende des Kapitels B I 2.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

richtliche Urteile in fonneller wie materieller Hinsicht gleichennaßen überpriift und gegebenenfalls kassiert l67 .

2. Der Revisions- und Kassationshof und das rheinische Recht Für den RKH erlangte eine Aufgabe entscheidendes Gewicht, die sich so für den Pariser Kassationshof gar nicht hatte stellen können, sondern aus der eigentümlichen Position der rheinischen Rechtsordnung als eines fremden Rechts im preußischen Staat resultierte: der Umgang mit Nonnen, die das französische Recht ersetzen sollten. Obwohl der Plan einer umfassenden Ablösung des rheinisch-französischen Rechts durch ein refonniertes preußisches nie umgesetzt worden ist, wurde preußisches Recht in den Rheinlanden über eine gesetzliche Neufassung einzelner, meist strafrechtlicher oder prozessualer, Regelungen eingeführt. Die Justizverwaltung war bestrebt, diese nur punktuell greifenden Gesetze und Verordnungen als Einfalltore für das preußische Recht in das geschlossene System des rheinischfranzösischen Rechts zu nutzen. Sie drängte generell auf eine ausweitende Auslegung dieser Gesetze, nahm aber auch unmittelbar Einfluß auf einzelne rheinische Gerichte, um sie zur Anwendung preußischen Rechts zu bewegen. Der RKH wurde immer wieder mit den Problemen dieser allmählichen "Aushöhlung" konfrontiert. Seine Rechtsprechung läßt sich anhand dreier Themenschwerpunkte skizzieren: anhand der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Anwendbarkeit preußischen Rechts, der Rechtsprechung zur Reichweite einzelner preußischer Verordnungen und Gesetze sowie der Rechtsprechung als Reaktion auf Eingriffe der Justizverwaltung.

167 In den ersten Monaten nach der Errichtung des RKH handelt es sich dabei zunächst noch um Entscheidungen der älteren Appellationshöfe in Düsseldorf, Trier und Köln; bspw. RhA Bd. 2 11 S. 33 ff., 54 ff. gegen Entscheidungen des Trierer Appellationshofes; ebd. S. 51 ff. gegen eine Entscheidung des alten Kölner Appellationsgerichts; ebd. S. 67 ff. gegen eine prozeßrechtliche Entscheidung des Düsseldorfer Appellationshofes. Die Kontrolle der Anwendung materiellrechtlicher Vorschriften setzte sich aber auch gegenüber dem 1819 neu errichteten Kölner Appellationsgericht fort. So hob der RKH in einer Entscheidung vom 22. 12. 1820 (RhA Bd. 211 S. 156 ff.) das Urteil des Appellationshofes wegen Verstoßes gegen erbrechtliche Vorschriften über die Gültigkeit eines Testaments auf. Die entsprechende Vorschrift fand sich, da es sich um einen Altfall handelte, in einem kaiserlich niederländischen Edikt von 1753. In einer weiteren Entscheidung vom 6.7. 1821 (RhA Bd. 3 11 S. 53 ff.) wurde das Urteil des AGH wegen Verletzung erbrechtlicher Vorschriften des Intermediären Rechts (Nichtigkeit einer vertraglichen Erbeinsetzung) kassiert. Diese Beispiele lassen sich auch für die Folgezeit beliebig fortsetzen; verwiesen sei hier nur noch auf zwei spätere Urteile: am 31. 12. 1831 hob der RKH eine Entscheidung des AGH zum Recht der Dienstbarkeiten wegen Verletzung des Art. 691 Code civil auf (RhA Bd. 16 11 S. 25 ff.), und am 26. 10. 1840 kassierte er eine Entscheidung des Anklagesenats des AGH wegen falscher Anwendung der Vorschriften über Waldnutzung und Holzberechtigung (RhA 11 Bd. 30 S. 84 ff.). Vgl. weiter RhA Bd. 2 11 S. 161 ff.; Bd. 311 S. 24 f.; Bd. 1611 S. 9 ff.; Bd. 3611 S. 11 ff. und 24 ff.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Die Aufstellung von Regeln für das Aufeinandertreffen französischen und preußischen Rechts bildete den Schwerpunkt der Rechtsanwendungskontrolle, die der RKH den Untergerichten gegenüber ausübte. Denn auf untergerichtlicher Ebene hatten die Aushöhlungsversuche der Justizverwaltung oft tatsächlich Erfolg. Teils gaben die Gerichte der Einflußnahmen des Justizministers nach, teils beförderte eine durch die neuere Gesetz- und Verordnungsgebung hervorgerufene Rechtsunsicherheit den vermehrten Rückgriff auf preußisches Recht.

a) Anwendbarkeit des preußischen Rechts in den Rheinlanden

Besonders häufig hatte der RKH sich mit der Frage nach Geltungsanspruch und Verbindlichkeit deIjenigen preußischen Gesetze und Verordnungen zu befassen, die seit 1819 für die Rheinlande erlassen worden waren. Gesetze, Verordnungen und Verfügungen überregionaler, regionaler und lokaler Behörden mußten, um Geltung beanspruchen zu können, ordnungsgemäß publiziert worden sein. Im Grundsatz wurde dies bereits durch §§ 10-13 der Einleitung zum ALR festgelegt. Konkretisiert wurde diese Anordnung durch Gesetze vom 27. Oktober 1810 und 28. März 1811 168 , die für Gesetze und Verordnungen der Behörden - bis hinunter auf die Ebene der einzelnen Regierungen - eine Veröffentlichung im Gesetzblatt bzw. den Amtsblättern der jeweiligen Regierungen zwingend vorsahen. Mit einer Kabinettsorder vom 9. Juni 1819 wurde diese Regelung auf die Rheinprovinzen übertragen l69 . § 15 dieser Kabinettsorder ordnete an, daß nur die nach diesen Vorschriften in der Gesetzsammlung oder den Amtsblättern veröffentlichten Gesetze und Verordnungen Gültigkeit erlangen konnten 170. Ungeachtet dieser eindeutigen Rechtslage kam es immer wieder zu Verstößen gegen die Publizitätsanordnung l71 . Teils wurde in anderen als den gesetzlich zur Veröffentlichung vorgesehenen Organen publiziert, teils unterblieb die Veröffentlichung gänzlich, teils wurde sie aber auch ausdriicklich verboten 172. Den Gerichten

Dieses letzte Gesetz publiziert in der Gesetzsammlung 1811, S. 165. Die entsprechenden französischen Veröffentlichungsregeln wurde mit dieser Kabinettsorder außer Kraft gesetzt. Die Kabinettsorder ist abgedruckt bei M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 166 ff., siehe auch Gesetzsammlung 1819, S. 148. Für Verordnungen lokaler Polizeibehörden blieb dagegen das bisherige französische Recht in Kraft, nämlich das Gesetz vom 24.81790. 170 § 15: "Nur die in dem gegenwärtigen Gesetze vorgeschriebenen, oder bestätigten Arten der Publikationen von Gesetzen und Verordnungen haben öffentliche Gültigkeit". Vorgeschrieben wurde die Veröffentlichung in der Gesetzsammlung oder in Amtsblättern. In § 9 der Order heißt es: ,Jedermann im Staate ist schuldig, die in die Gesetzsammlung und in die Amtsblätter eingerückten Gesetze und Verfügungen zu befolgen, und sich danach zu achten, sobald er davon Kenntniß erhalten hat". 17l Rheinpreußisches, S. 9; Gutachten Sethes zur Publikationsfrage von 27. 6. 1837; GStA PK Rep 97 B I C 21 (unfoliiert). 168 169

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

wurden die entsprechenden gesetzlichen oder administrativen Anordnungen dann jeweils nur intern "zur Nachachtung" mitgeteilt 173 . Die Justizbehörden wurden auf diesem Wege meist unmittelbar durch das Justizministerium angehalten, die betreffenden Gesetze und Verordnungen zur Anwendung zu bringen. Immer wieder kam es zu Entscheidungen, die sich auf derartige Normen stützten. Da diese Regelungen aber den Betroffenen, den Parteien eines Zivilstreits oder dem verurteilten Straftäter, völlig unbekannt geblieben waren, rief ihre Anwendung eine große Zahl von Kassationsgesuchen hervor. In seinen Urteilen zu dieser Problematik drängte der RKH auf strikte Einhaltung der Grundsätze des Kabinettsorder vom 9. Juni 1819. Er hob Entscheidungen auf, die sich auf nicht ordnungsgemäß publizierte Gesetze stützten, und forderte in zweifelhaften Fällen von den Gerichten oder der Anklagebehörde den Nachweis der Publikation der betreffenden Gesetze und Verordnungen 174. Wie starr der Gerichtshof dabei am Publizitätsgrundsatz festhielt, zeigt folgender Fall, in dem das Instanzgericht, um dem Angeklagten eine allzu harte Strafe zu ersparen, preußische Strafvorschriften herangezogen hatte. Der Angeklagte war von den Geschworenen des Düsseldorfer Assisenhofes für schuldig befunden worden, in vier Fällen in betriigerischer Absicht falsche Kassenanweisungen im Wert von je einem Taler ausgegeben zu haben. Das Assisengericht hatte sein Urteil auf die entsprechenden preußischen Strafvorschriften gestützt und den Täter zu zehn Jahren Festungsarbeit und 50 Talern Geldbuße verurteilt. Das öffentliche Ministerium hatte dagegen auf die Anwendung des mit der Todesstrafe bewehrten Art. 139 des Code penal angetragen. Die Geltung des preußischen Rechts hatte der Assissenhof daraus hergeleitet, daß die entsprechenden Strafvorschriften des ALR auf den Kassenanweisungen aufgedruckt waren und die Verbreitung und Geltung der Anweisungen für die ganze Monarchie angeordnet war 175 . Auf das Kassationsgesuch des öffentlichen Ministeriums hin hob der RKH dieses Urteil auf. Die Veröffentlichung der preußischen Vorschriften auf den Kassenanweisungen lehnte er als den Anforderungen der Kabinettsorder vom 9. Juni 1819 nicht genügend ab. Sie sei bloß als Warnung und Hinweis zu verstehen, der nicht die Funktion haben 172 Ein solches Verbot enthält beispielsweise eine Verordnung Kircheisens vom 15. 12. 1823, die Militärangehörigen das Erscheinen mit bedecktem Kopf und Seitengewehr in den Gerichtsverhandlungen erlaubt; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 437. Dort hieß es abschließend: "Einer öffentlichen Bekanntgabe bedarf es nicht." 173 Rheinpreußisches, S. 17. Diese Formulierung findet sich beispielsweise in einer Verordnung Kamptz' vom 26. I. 1833; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 571. Ähnlich auch Begleitverfügung Beymes zur unveröffentlichten Kabinettsorder vom 21. 8. 1819; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 1, S. 591. 174 Vgl. L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 455 (Entscheidung vom 5. 10. 1821); S. 457 (Entscheidung vom 31. I. 1842; zugleich RhA 32 II S. 49 ff.); S. 447 (Entscheidung vom 13. 6. 1842); RhA 6 II 141 ff. (Entscheidung vom 25. 12. 1824); RhA 18 II S. 38 ff. (Entscheidung vom 13.7. 1833). 175 Ein Gesetz vom 21. 12. 1824 (Gesetzsammlung 1824, S. 238) ordnete die Einführung der Kassenanweisungen im gesamten Staat an.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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könne, die bestehenden rheinischen Strafgesetze aufzuheben. Entsprechend Art. 139 Code penal verurteilte RKH den Beschuldigten zum Tode 176. Die Veröffentlichung von Verordnungen der Lokal- oder Kreisbehörden wurden durch die Kabinettsorder vom 9. Juni 1819 nicht erfaßt. Für sie galten bis 1840 die französischen Vorschriften 177. Dennoch traten ähnliche Probleme auf. Feststehende Regelungen über die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Publikation, etwa in dem Sinne, daß ein bestimmtes Veröffentlichungsorgan vorgeschrieben worden wäre, scheinen nicht bzw. nicht in allen Städten und Gemeinden existiert zu haben. Gerichtliche Feststellungen zur Publikation von lokalen Verordnungen richteten sich daran aus, ob überhaupt eine Veröffentlichung erfolgt war und ob der von der Behörde gewählte Weg der Veröffentlichung - beispielsweise das Einrücken in eine Zeitung oder das Aushängen von Anschlägen an öffentlichen Plätzen - eine den Umständen entsprechende angemessene Publikation darstellte 178 • Angesichts dieser Rechtslage übte der RKH seine Kontrolle in zweierlei Hinsicht aus: Einerseits wachte er darüber, daß der Nachweis der ordnungsgemäßen Publikation örtlicher Verordnungen durch die Gerichte geführt wurde, andererseits prüfte er die Umstände der jeweiligen Veröffentlichung. So entschied er beispielsweise 1840, daß die Bekanntmachung einer polizeilichen Verordnung über Schuttabladung und die Benutzung von Fahrwegen durch Abdruck im Fremdenblatt der Stadt Köln, das niemand zu beziehen verpflichtet sei, dem Publizitätserfordemis nicht gerecht werde l79 . Zwar sei hinsichtlich der Lokalpolizeiverordnungen eine 176 RhA 21 11 S. 27 ff. (Entscheidung vom 19. 7. 1834). Die Todesstrafe ist jedoch durch eine Kabinettsorder vom 7.9. 1834 in zehnjährige Zwangsarbeit umgewandelt worden; Anm. der Herausgeber a. a. O. S. 29. 177 Die Veröffentlichung war geregelt in einem Gesetz vom 24. 8. 1790. Die Unanwendbarkeit der Kabinettsorder vom 6.9. 1819 ergab sich schon aus deren Wortlaut, wurde aber 1834 vom RKH in einer Entscheidung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Das Instanzgericht hatte die Anwendung einer Verordnung des Landrats unter Hinweis auf einen Verstoß gegen das Gesetz vom 28. 3. 1811 (Gesetzsammlung 1811, S. 165) und damit gegen die Veröffentlichungsbedingungen der Kabinettsorder vom 9. 6. 1819 (Gesetzsammlung 1819, S. 148) abgelehnt. Der RKH stellte demgegenüber noch einmal heraus, daß diese Gesetze lediglich auf Verfügungen der Landesbehörden Anwendung finden könnten; Entscheidung vom 6. 12. 1834; abgedruckt bei L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 449. Am 8. 2. 1840 erging eine Kabinettsorder, die den Regierungen die Befugnis zusprach, die Art der Veröffentlichung kreis- und lokalbehördlicher Verordnungen für den Regierungsbezirk verbindlich festzulegen; Gesetzsammlung 1840, S. 32. 178 Anzuwenden war eine Verordnung auch dann, wenn dem Bürger im jeweiligen Fall die Kenntnis der Regelung nachgewiesen werden konnte. 179 RhA 30 11 S. 12 f.; Entscheidung vom 2.3. 1840, unter Bestätigung des vorangegangenen Polizeigerichtsurteils und Verwerfung des Kassationsgesuchs des öffentlichen Ministeriums. In einer ähnlichen Entscheidung hatte der Gerichtshof bereits am 10. 10. 1835 festgestellt, daß die durch den Polizeidirektor der Stadt Köln bewirkte Bekanntmachung einer Verordnung über die Hundehaltung in der Kölner Zeitung keine ordnungsgemäße Publikation darstelle; L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 448, Vgl. auch die oben schon zitierte Entscheidung vom 13. 6. 1842; RhA 34 11 S. 52 f. Wenige Monate nach dieser Entscheidung erging allerdings ein Urteil des RKH in einer ähnlichen Sache, in dem der Gerichtshof die Beurteilung

27 Seynsche

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Bekanntmachung durch die Amtsblätter nicht unbedingt erforderlich und nicht immer möglich, dennoch müsse die Polizei behörde aber "eine solche Form der Bekanntmachung wählen [ ... ], welche die Gemeindemitglieder oder das Publikum überhaupt zur Kenntnisnahme verpflichtet"180. Als Beispiele einer in diesem Sinne genügenden Veröffentlichung führte er Warntafeln oder öffentliche Anschläge und Verkündigungen an. Im Hinblick auf Verordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden war aber deren ordnungsgemäße Publikation nicht der einzige Gegenstand richterlicher Kontrolle. In vielen Fällen war schon die Kompetenz der Verwaltung zum Erlaß derartiger Verordnungen fraglich. Relevanz erlangte dies vor allem für strafbewehrte Verwaltungsverordnungen, insbesondere auf dem weiten Feld der Polizeiverordnungen. Die Strafbestimmungen, die Zuwiderhandlungen gegen die Anordnungen der Exekutive sanktionierten, wurden nicht von der Verwaltung vollstreckt, sondern waren der Judikatur der Gerichte erster Instanz 181 übertragen. Als Strafbestimmungen kamen dabei entweder die in den Verordnungen selbst enthaltenen Strafnormen oder aber die allgemeine Regel des § 33 des Ressortreglements in Betracht, der für die Übertretung nicht gesondert pönalisierter Polizeigesetze und verordnungen die Verhängung einer Geldstrafe vorsah 182. Es entstand immer wieder Streit über die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltung zum Erlaß dieser Verordnungen befugt war; insbesondere, ob es dazu einer gesetzlichen Grundlage bedurfte. Vor den RKH gelangten diese Sachen, wenn entweder die Instanzgerichte die Anwendung polizeilicher Verordnungen mangels ausreichender Ermächtigung der Behörden abgelehnt hatten und das öffentliche Ministerium gegen diese Entscheidung Kassation einlegte oder wenn die Ermächtigung zwar vom Gericht angenommen worden war, aber vom Beschuldigten in Zweifel gezogen wurde. Festzuhalten ist zunächst, daß der RKH in diesen Fällen zwar über die Befugnisse der Verwaltung zum Erlaß von Verordnungen, insbesondere von derartigen Strafvorschriften, entschied, daß er aber keine im modernen Sinne verwaltungsgerichtliche Tatigkeit ausübte 183 . Eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des Verder ordnungsgemäßen Veröffentlichung von Polizeiverordnungen als rein tatsächliche Feststellung der Kontrolle des Kassationsgerichts entzog; RhA 34 11 S. 54 f. Urteil vorn 5.9. 1842, dazu oben Kapitel E IV I zum Schwanken der Rechtsprechung des RKH. 180 RhA 30 11 S. 13. 181 Das waren in der Regel die nach der französischen Gerichtsverfassung für Übertretungen zuständigen erstinstanzlichen Strafgerichte, die sogenannten Polizeigerichte. Wenn also im folgenden der Ausdruck Polizeigerichte auftaucht, sind darunter diese ordentlichen Gerichte und nicht etwa besondere für die Anwendung von Polizeiverordnungen zuständige "Verwaltungsgerichte" zu verstehen. 182 "Bei jeder Uebertretung eines Polizei-Gesetzes, das nicht besonders verpönt ist, soll von den Polizei-Gerichten auf eine Geldstrafe von I bis 5 Thalern erkannt werden", zitiert nach M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 113. 183 Zu Entwicklung und Formen des Rechtsschutzes gegen Verwaltungshandeln in Preußen Wolfgang Rüjner: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842 (Bonner rechtswissenschaftliche Abhandlungen, Bd. 53), Bonn 1962; ders.: Verwaltungsrechtsschutz

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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waltungshandelns, wie sie in Preußen in den ersten Jahrzehnten der 19. Jahrhunderts in beschränktem Umfang noch der ordentlichen Gerichtsbarkeit oblag, war für die Rheinprovinzen in § 19 des Ressortreglements vom 20. Juli 1818 ausgeschlossen worden l84 . Die Gerichte hatten sich nur noch bei Anwendung der genannten Strafbestimmungen mit der grundsätzlichen Frage der Ermächtigung des Verordnungsgebers zu befassen, da ihre eigene Bindung an die Strafbestimmungen von der Gültigkeit dieser Normen abhing. Problematisch war die Ermächtigungsfrage deshalb, weil Verwaltungshandeln im preußischen Recht grundsätzlich nicht unter einem Gesetzvorbehalt stand, das französische Recht einen solchen Vorbehalt aber kannte 185 . Festlegungen über die gerichtliche Kontrolle des Verwaltungshandelns in Preußen enthielt die Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808. Im Vorfeld dieser Verordnung war die Aufnahme eines ausdriicklichen Gesetzesvorbehalts diskutiert und von seiten des Justizministeriums unter Berufung auf § 87 der Einleitung zum ALR vehement vertreten worden. Dort war angeordnet, daß "Handlungen, welche weder durch natürliche, noch durch positive Gesetze verboten worden, erlaubt genannt" werden sollten 186 und damit eigentlich Handlungen nur durch Gesetze hätten verboten werden können. Demgegenüber hatte sich jedoch die Verwaltung durchsetzen können, die diese Vorschrift nicht im Sinne eines strikten Gesetzesvorbehalts auslegte 187. Die Gein Preußen, in: H.-U. Erichsen/W. Hoppe/ A. von Mutius (Hrsg.): Festschrift Menger, S. 3 ff. Sehr ausführlich zum Verhältnis der Gerichte zur Exekutive nach französischem, preußischem und rheinpreußischem Recht F.l. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 142 ff. Zum "schleichenden Entzug richterlicher Kompetenzen zugunsten der Exekutive" in Preußen neuestens C. v. Hodenberg: Partei, S. 100 ff. 184 Diese Vorschrift überführte die strikte Trennung von Justiz und Verwaltung und damit die Ausschließung aller Beschwerden gegen Verwaltungstätigkeit aus der Zuständigkeit der Gerichte vom französischen Recht in das öffentliche Recht der Rheinlande. Die entscheidende Passage lautete: "Da die Verwaltungsbehörden von den Gerichten, so wie diese von jenen in ihren Amtsverrichtungen unabhängig sind, so ist in Fällen, worin den Regierungen das Entscheidungsrecht oder die Exekution vorbehalten ist, dem durch ihre Verfügungen, oder durch das hierbei beobachtete Verfahren, angeblich beschwerten Theile der Rekours niemals an die Gerichte zugelassen"; zitiert nach M. Simon: Uebersicht, Teil 1, S. 108 f. In Frankreich hatte für derartige Beschwerden die "Rechtsprechung" der Präfekturräte, also eine Fonn der Verwaltungsgerichtsbarkeit, zur Verfügung gestanden. Dem Ressortreglement zufolge sollten derartige Beschwerden in den Rheinlanden künftig an die den Regierungen übergeordneten Verwaltungsbehörden eingereicht werden. Zur außerordentlich komplexen Frage des Verhältnisses von Exekutive und Judikative in den preußischen Rheinprovinzen, das maßgeblich durch das Ressortreglement vom 20. Juli 1818 bestimmt wurde und Elemente des französischen mit denen des preußischen Staatsrechts verband vgl. bspw. die ausführliche Darstellung bei F. l . Perrat: Verfassung, Teil I, S. 142 ff. 185 F. l . Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 118 ff. , 131 ff., 146 ff. 186 Zitiert nach H. Hattenhauer (HrSg.): Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, S. 54. 187 Dazu insgesamt Henning Schrimp!" Herrschaft, Individualinteresse und Richtennacht im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft. Studien zum Rechtsschutz gegenüber der Aus27*

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

schäftsordnung von 1808 räumte der Verwaltung eine ermächtigungslose Verordnungskompetenz ein und bestimmte lediglich, daß dem beschwerten Bürger eine "Anfechtungsklage" gegen das Verwaltungshandeln dann offenstehen solle, wenn die Polizeiverordnung nicht die Genehmigung der höheren Polizeibehörde erhalten hatte oder der Behörde eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Verletzung von Privatrechten vorgeworfen werden konnte l88 • Damit war es der Verwaltung in Preußen grundsätzlich möglich, auch ohne ausdriickliche gesetzliche Ermächtigung Verordnungen zu erlassen l89 . Bei Eingliederung der Rheinlande in den preußischen Staat und Übertragung des preußischen Verwaltungssystems auf die Rheinlande wurde zumindest für Verordnungen der Regierungen und anderer Provinzialverwaltungsbehörden die preußische Regelung übernommen l90 , d. h. auf diesem Gebiet sollte eine ermächtigungslose Verordnungsgebung unter der Voraussetzung einer Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörden zulässig sein. Dies wurde aus § 32 des Ressortreglements von 1818 hergeleitet, der die Verbindlichkeit der von den Regierungen erlassenen Polizeiverordnungen von "höherer Genehmigung" abhängig machte, worunter sowohl ministerielle als auch vom Staatsoberhaupt selbst ausgehende Genehmigungen zu verstehen waren l91 • Danach hätte es für Verordnungen der Staats- oder Provinzial verwaltung einschließlich der Regierungen keiner gesetzlichen Grundlage bedurft. Der RKH hielt in seiner Rechtsprechung zu diesen Verordnungen jedoch am Gesetzesvorbehalt fest. In einzelnen Fällen geschah dies schlicht unter Berufung auf den allgemeinen Satz, daß die entsprechende Verordnung sich an ein ausdriickliches gesetzliches Verbot anschließen müsse, um Geltung zu beanspruchen 192. In den meisten Fällen legte der Gerichtshof dazu aber den § 32 des Ressortreglements einschränkend aus, indem er allein eine ministerielle Genehmigung als Ermächtigungsgrundlage nicht ausreichen ließ, sondern zusätzlich eine gesetzlichen Erübung öffentlicher Gewalt in Preußen 1782-1821. München 1979, S. 399 ff.; Edgar Loening: Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen. Ein Beitrag zur Preußischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Halle a. d. Saale 1914, S. 136 ff.; F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 123 f.; W. Rüfner: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert, in: Festschrift Menger, S. 15 f. 188 § 40 der Verordnung vom 26. 12. 1808, dazu H. Schrimpl Herrschaft, S. 406. 189 Zu den Einzelheiten dieses Verordnungsrechts, insbesondere zur Abhängigkeit der von den Regierungen erlassenen Verordnungen von der Genehmigung der vorgesetzten Ministerialbehörde F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 122 ff. 190 F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 201. 191 F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 201. 192 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 456 (Urteil vom 30. 5. 1835), dort hatte die Regierung in Aachen Polizeistrafen für Minderjährige angeordnet, die vor Erreichen des gesetzlichen Mindestalters Handel trieben. Der RKH entschied, daß die entsprechenden Vorschriften des Handelsgesetzbuches ausschließlich privatrechtlichen Charakter hätten und mithin die Regierung nicht zur Verordnungsgebung ermächtigen könnten, so daß die betreffenden Verordnung keine Bindungswirkung entfalten könne.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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mächtigung forderte l93 . In einer Entscheidung, in der über ein von keiner gesetzlichen Anordnung gedecktes Verbot des Nachtigallenfangs zu entscheiden war, heißt es beispielsweise: "Daß es nun in Ansehung des Nachtigallenfangens an einem gesetzlich feststehenden Verbote mangelt; daß dagegen die in Rede stehende Verordnung der königlichen Regierung zu Aachen allgemeine, auf den ganzen Regierungsbezirk sich erstreckende Verbote und Strafbestimmungen enthält, ohne auch nur mit höherer Genehmigung versehen zu sein, und daß übrigens die Bestimmungen [ . .. ] des § 32 des Ressortreglements vom 20. Juli 1818, welch letzterer die Gerichte verpflichtet, auf die von den Regierungen mit höherer Genehmigung in Polizei-Angelegenheiten erlassenen Publicanda Rücksicht zu nehmen, nur auf Bekanntmachungen bezogen werden kann, die binnen den Grenzen der von dem Gesetze den Verwaltungsbehörden übertragenen Macht erlassen werden,,194. Ganz ähnlich stellte das Gericht in einer Entscheidung zum Erlaß einer Hundesteuer für den Kreis Elberfeld, darauf ab, daß diese Verordnung sich nicht an ältere Gesetze anlehne und nicht von den zuständigen Ministerien genehmigt worden sei 195. Eine Ausnahme machte es lediglich für solche Anordnungen, die unmittelbar auf eine Genehmigung des Landesherrn zuriickgingen l96 , was sich insofern erklärt, als nach preußischen Recht der Landesherr zugleich Gesetzgeber war, seinen Anordnungen also ohnehin Gesetzeskraft zukam 197. Anders als für überregionale Verordnungen galten auch nach 1815 für Verordnungen lokaler Behörden weiterhin die französischen Gesetze. Von Bedeutung waZu dieser Rechtsprechung des RKH auch F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 124 f. Entscheidung vom 15. 12. 1824, RhA 6 11 S. 141 ff. (143). In diesem Sinne auch Entscheidung vom 28. 5. 1823, RhA 5 11 S. 40. 195 Entscheidung vom 4. 3. 1829 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 4. 3. 1829 und RhA 13 11 S. 1 ff. Offener dann die Entscheidung vom 13. 7. 1833 (RhA 1811 S. 38 ff.), wo der RKH feststellt, daß es im aktuellen Fall an einem "seinem ganzen Inhalt nach publicirten Gesetze oder doch an der im § 32 des Rheinischen Ressort-Regulativs erforderten höheren Genehmigung fehlt" und daher die entsprechende Verordnung für nicht anwendbar erklärt. Wahrend diese Formulierung eher auf eine alternative Heranziehung von Gesetz oder Genehmigung schließen ließ, findet sich bei F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 125 dann aber wieder eine Entscheidung des RKH vom 29. 10. 1838 (RhA 27 11 S. 1 ff.) zitiert, in der der RKH auf eine ausdrückliche Ermächtigung abgestellt und eine bloße Genehmigung nicht hat ausreichen lassen. 196 Dies zeigt sich beispielsweise in einer in den Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung, Bd. 2, S. 171 ff. abgedruckten Entscheidung vom 20. 6. 1842. Dort erkannte der RKH die Zweifel des Instanzgerichtes hinsichtlich einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung zumindest an, wies aber gleichzeitig darauf hin, daß "dieser Zweifel sich notwendig da erledigen muß, wo der Landesherr selbst diese Verfügung der Verwaltungsbehörde gebilligt, und seine Ermächtigung zu derselben ausdrücklich erteilt hat"; zitiert nach Annalen, a. a. O. S.174. 197 F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 121; vgl. auch § 6 2. Teil, 13. Titel des ALR: "Das Recht, Gesetze und allgemeine Polizeyverordnungen zu geben, dieselben wieder aufzuheben, und Erklärungen darüber mit gesetzlicher Kraft zu ertheilen, ist ein Majestätsrecht", zitiert nach H. Hattenhauer (Hrsg.): Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, S.589. 193

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ren insbesondere Art. 3 Titel XI des Decret sur l' organisation judiciaire vom 24. August 1790, Art. 13 Titel 11 desselben Gesetzes und Art. 46 eines Gesetzes vom 2l. 7. 1791, die den Gemeindebehörden die Befugnis einräumten, für gewisse, genau bezeichnete Gegenstände allgemeinverbindliche Anordnungen zu treffen l98 . Dennoch erließen die Verwaltungsbehörden in preußischer Zeit immer wieder Verordnungen ohne gesetzliche Ermächtigung, und offenbar wurden diese Verordnungen in großer Zahl von den Gerichten angewandt, bzw. ihre Anwendung vom öffentlichen Ministerium eingefordert l99 . Auch dieser Praxis gegenüber hielt der RKH strikt am Gesetzesvorbehalt fest und kassierte die entsprechenden Entscheidungen bzw. verwarf die Kassationsgesuche der Staatsbehörde2OO . Gelangten Fälle zur Entscheidung des Gerichtshofes, in denen die fragliche Verordnung sich nicht auf einen der in den genannten französischen Gesetzen aufgeführten Gegenstände bezog, forderte er, daß die entsprechende Verordnung zumindest an ein anderweitiges ausdrückliches gesetzliches Verbot sich anschließen und der Vollstrekkung bestehender Gesetze dienen müsse20I . War auch dies nicht der Fall, sprach er den Verordnungen jegliche Bindungswirkung ab. So entschied er beispielsweise, daß ein Verstoß gegen einen Beschluß des Bürgermeisters von Kleve, der den Müllern die Benutzung öffentlicher "Wageanstalten" vorschrieb, vom Polizeigericht mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung nicht geahndet werden müsse, da "die Polizeigerichte nur ermächtigt sind, Uebertretungen solcher Beschlüsse und Verfügungen der Munizipal-Behörden zu strafen, welche über Polizei-Gegenstände erlassen sind, die das Gesetz vom 24. August 1790 im Art. 3 des Tit. XI ihrer Aufsicht und Gewalt anvertraut hat, oder welche sich an die Vollstreckung eines bestehenden [ ... ] Gesetzes anknüpfen"202. In den Zusarnrnenhang dieser Rechtsprechung gehört auch das Bemühen, den Instanzgerichten die so erreichte Kontrolle über die Verwaltung zu erhalten. Das öffentliche Ministerium oder die betroffenen Verwaltungsbehörden griffen nicht selten Urteile, in denen die Anwendung bestimmter Verordnungen abgelehnt worden war, mit Hinweis auf die den Gerichten entzogene Recht- und Zweckmäßig198 Die Weitergeltung des französischen Rechts auf diesem Gebiet des Verwaltungsrechts erklärt sich mit der insgesamt auf kommunaler Ebene zu beobachtenden Beibehaltung der französischen Organisationsformen; vgl. F. J. Perrot: Verfassung, Teil I, S. 119, 126, 201. Zur Anwendung der genannten französisch-rechtlichen Normen siehe auch die bei L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 446 ff. (Polizeiverordnungen) abgedruckten Entscheidungen des RKH. 199 Das zeigt sich schon allein an großen Zahl von Kassationsverfahren in dieser Sachen, vgl. die Sammlung Volkmars, in der die entsprechenden Verfahren (nach den Frevelsachen) den größten Raum einnehmen. 200 Vgl. nur die bei L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 446 ff. (Polizeiverordnungen) abgedruckten Urteile. 201 RhA 211 S. 121 ff. (Entscheidung vom 29. 9. 1820); RhA 6 11 S. 140 f. (Entscheidungen vom 15. und 25. 12. 1824); RhA 1811 S. 38 ff. (Entscheidung vom 13. 7. 1833); RhA 32 11 S. 49 ff. (Entscheidung vom 31. 1. 1842); L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 450 ff. (u. a. Entscheidungen vom 20. 10. 1845 und 29. 12. 1845). 202 Entscheidung vom 29.9. 1820, RhA 2 11 S. 122.

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keitskontrolle als Machtüberschreitungen der Instanzgerichte mit der Kassation an. Diese Versuche, den Gerichten die einzige Kontrollmöglichkeit über das Verwaltungshandeln zu entziehen, ließ der RKH stets scheitern, indem er darauf abstellte, daß den Gerichten die grundsätzliche Entscheidungsbefugnis über die Verbindlichkeit derjenigen Rechtssätze, die sie anwenden sollten, nicht entzogen werden könne 203 • Der RKH hielt also in ständiger Rechtsprechung am französischen Prinzip der Gesetzesbindung der Verwaltung fest, obwohl in den Rheinlanden die preußische Verwaltungsorganisation eingeführt worden war und für die preußische Verwaltung dieses Prinzip sich nicht hatte durchsetzen können. Zugleich ermöglichte er den Gerichten so, eine - wenn auch beschränkte - Kontrolle über das Verwaltungshandeln auszuüben.

b) Ablösung des französischen Rechts durch preußisches Recht In zahlreichen Entscheidungen setzte der RKH sich des weiteren mit der Frage nach Anwendungsbereich und Reichweite derjenigen preußischen Gesetze und Verordnungen auseinander, die nach den von ihm aufgestellten Grundsätzen anzuwenden waren, durch die also das französische Recht abgelöst worden war. Auf seiten der preußischen Justizverwaltung bestand die Tendenz zu einer ausdehnenden Auslegung dieser Vorschriften. In der Regel versuchte der RKH dieser Entwicklung durch eine restriktive Auslegung entgegenzuwirken. Anlaß für die Anrufung des RKH war die erhebliche - möglicherweise vom Gesetzgeber intendierte 204 - Rechtsunsicherheit, die diese Gesetze im Hinblick auf ihre Reichweite in der rheinischen Justiz hervorgerufen hatten. Als Beispiel bietet sich die schon mehrfach erwähnte Kabinettsorder vom 6. März 1821 an. Ihrem Wortlaut nach erstreckte sie die Anwendung preußischen Strafrechts auf Dienstvergehen der Verwaltungsbeamten sowie auf Verbrechen gegen den Staat und sein Oberhaupt. Schon bald entstand aber Unklarheit darüber, wie weit der Begriff des Verwaltungsbeamten zu fassen sei, speziell, ob auch Justizbeamte oder Geistliche darunter fielen. Eine andere Unklarheit ergab sich hinsichtlich der zweiten Zielrichtung der Kabinettsorder, denn obwohl nur von Verbrechen mit staatsfeindlicher Intention die Rede war, verwies sie in § 3 pauschal auf §§ 91 bis 213 Titel 20 Teil 2 des ALR. Dieser Abschnitt hatte aber bei weitem nicht nur gegen des Staat gerichtete Straftaten zum Gegenstand, sondern erfaßte beispielsweise auch Bettelei oder Landstreicherei 205 . Noch bevor diese Fragen an 203 RhA 6 11 141 (Entscheidung vom 25. 12. 1824); RhA 30 II S. 12 (Entscheidung vom 2.3. 1840); RhA 32 11 S. 49 (Entscheidung vom 31. 1. 1842); im Grundsatz auch RhA 21 11 S. 76 ff. (Entscheidung vom 21. 9. 1831). 204 Der Vorwurf, der Gesetzgeber habe die betreffenden Verordnungen bewußt offen formuliert, wird mehrfach in dem Aufsatz "Rheinpreußisches" geäußert.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

den RKH gelangten, waren sie vom öffentlichen Ministerium des Kölner Appellationshofes dem Justizminister vorgelegt worden. Dieser erließ daraufhin mehrere Reskripte, die die Kabinettsorder ausdehnend interpretierten und als Erläuterungen für die künftige Rechtsprechung der rheinischen Gerichte gedacht waren: Bereits am 16. April 1821 erklärte Kircheisen in einem Reskript an den ersten Generaladvokaten des Kölner Appellationshofes, daß die Kabinettsorder sich nicht nur auf Verwaltungsbeamte, sondern auf alle Staatsbeamten, namentlich auch auf die Justizbeamten bezöge206 . Am 7. August desselben Jahres erging eine weitere umfangreiche Erläuterung des Ministers dahin, daß die Kabinettsorder selbstverständlich auf den gesamten Straftatenkatalog der §§ 91 bis 213 des Titel 20, 2. Teil des ALR bezogen und auf alle Zivilbeamten anzuwenden wäre, da sich nach dem Sprachgebrauch der preußischen Gesetze die Begriffe Zivil- und Verwaltungsbeamte decken würden. Im übrigen lehnte er eine vom Generaladvokaten offenbar beantragte authentische Interpretation der Kabinettsorder als völlig unnötig ab, da sie in ihren Dispositionen so klar sei, "daß es der Einholung einer authentischen Deklaration in keiner einzigen Beziehung bedarf,207. Die Gerichtshöfe wurden angewiesen, sich nach diesen Erläuterungen zu richten "ohne durch eine Kritik der Gesetzgebung, zu der sie nicht berufen sind, sich irre führen zu lassen und sich in Betrachtungen zu verlieren, welche auf die Erfüllung ihrer richterlichen Funktion gar nicht influiren dürfen". Etwa zur gleichen Zeit gelangten diese Fragen auch vor den RKH. Die unterschiedliche Handhabung der Kabinettsorder durch die rheinische Justiz, namentlich durch die einzelne Senate des AGH und durch die Landgerichte, hatte zu zahlreichen Kassationsgesuchen geführt. In einer Entscheidung vom 13. Juli 1821 hatte der Gerichtshof über die Frage der Reichweite der Verweisung auf die §§ 91 bis 213 des ALR zu entscheiden 208 . Zwei Polizeioffiziere waren in eine Wirtshausschlägerei, die sie schlichten wollten, verwickelt und dabei verletzt worden. Der Anklagesenat des Appellationshofes hatte die Verweisung an den Assisenhof, also die Anwendung des französischen Strafrechts abgelehnt und die Kabinettsorder vom 6. März für anwendbar erklärt, da hier Straftaten nach den §§ 166, 207, 208 205 § 3 lautete: "Daß von nun an wegen dieser unter 2 gedachten Verbrechen und Vergehen lediglich die, im Allgemeinen Landrechte Theil 11, Tit. XX, § 91 bis § 213 und den darauf sich beziehenden Erläuterungen festgesetzten Strafen angewendet, jedoch frühere Fälle nach dem Gesetze, welches die mildere Strafe bestimmt, bestraft werden sollen"; zitiert nach M. Simon: Uebersicht, Teil I, S. 141. Der erwähnte § 2 der Kabinettsorder bezog sich allerdings ausdrücklich nur auf Verbrechen und Vergehen gegen den Staat oder dessen Oberhaupt. 206 F. A. Lottner: Sammlung:, Bd. 2, S. 103 f. 207 Dieses und das folgende Zitat aus der Erläuterung abgedruckt bei F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 165 ff. 208 Diese Entscheidung ist schon bei E. Landsberg: Das rheinische Recht und die rheinische Gerichtsverfassung, in J. Hansen (Hrsg.): Die Rheinprovinz, S. 157 erwähnt. Berichterstatter in dieser Frage war Savigny; vgl. auch R. Schulze: Preußisches Allgemeines Landrecht und rheinisch-französisches Recht, in: B. Dölemeyer / H. Mohnhaupt: 200 Jahre Allgemeines Landrecht, S. 400.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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und 209 des Titel 20, Teil 2 des ALR in Frage stünden. Gegen dieses Urteil reichte das öffentliche Ministerium die Kassation ein. In seiner Entscheidung vom 13. Juli 1821 - die Savigny als Berichterstatter vorbereitet hatte - verneinte der RKH die Anwendbarkeit der Kabinettsorder auf derartige Fälle, da es sich nicht um Straftaten gegen den Staat handele, auch wenn sie gegen Angehörige der Exekutive verübt worden seien. Zugleich sprach er sich für eine restriktive Auslegung der Kabinettsorder aus. Nach dieser Auslegung sollte die Order nur Umtriebe erfassen, durch die "die Majestät des Souverains und die innere Ruhe des Staates gefährdet werden,,209. Der Gerichtshof erteilte also der undifferenzierten Anwendung aller hier in Frage kommenden ALR-Nonnen eine Absage und stellte maßgeblich auf die der Tat zugrundeliegende Intention ab. Dieses Urteil zeigte Wirkung, obwohl nicht einmal einen Monat nach seinem Erlaß zunächst die ministerielle Erläuterung vom 7. August 1821 erging, die den Straftatenkatalog für komplett anwendbar erklärte. Es löste nämlich eine Kontroverse zwischen Innen- und Justizministerium aus, in deren Verlauf sich das Innenministerium unbedingt für eine gesetzliche Erläuterung der Kabinettsorder im ausdehnenden Sinne aussprach, während der Justizminister der Ansicht des RKH zunehmend näherrückte und eine erweiterte Auslegung schließlich ablehnte. Der Streit wurde Anfang 1822 dem Staatskanzler vorgelegt, von diesem aber offenbar nicht entschieden 21O . Ungeachtet des intenninisteriellen Auseinandersetzung hatte der Justizminister seinen Meinungswandel aber bereits im September 1821 manifestiert. Er war unter Aufhebung der entsprechenden Passage des Reskripts vom 7. August wieder von der ausdehnenden Auslegung abgegangen und hatte die rheinischen Gerichte angewiesen, sich in Zukunft nach den vom RKH in seinem Urteil vom 13. Juli 1821 aufgestellten Grundsätzen zu richten 211 . Auch für den zweiten oben skizzierten Streitpunkt, die Anwendung der Kabinettsorder auf Justizbeamte, sollte eine Entscheidung des RKH erhebliche Bedeutung erlangen. Sie brachte das Reskript vom 16. April 1821 zu Fall. Der Entscheidung des RKH lag ein Jurisdiktionskonflikt zwischen dem Koblenzer Landgericht und dem Appellationshof zugrunde. Ausgangspunkt war der Fall eines Kommunalkreisförsters, der als Hilfsbeamter der gerichtlichen Polizei einen Verdächtigen mißhandelt haben sollte. Das Verfahren wurde vor der Ratskammer des Landgerichts Koblenz als der nach der Kabinettsorder vom 6. März 1821 zuständigen Gerichtsbehörde eingeleitet. Da die Ratskammer jedoch die Anwendbarkeit der Kabinettsorder auf Justizbeamte und damit ihre Zuständigkeit verneinte, reichte RhA 3 11 S. 66/67. Siehe die Korrespondenz der Minister mit dem Staatskanzler in GStA PK Rep 74 R IX Nr. 6, fol. 63 ff. Der Staatskanzler riet den Ministern, falls sie sich nicht einigen konnten, das Staatsministerium zu Entscheidung anzurufen. Dies geschah offenbar nicht. Eine definitive Regelung wurde erst in der (unten noch zu erläuternden) Kabinettsorder vom 2. 8. 1834 (Gesetzsammlung 1834, S. 148) getroffen. 211 Diese Verfügung ist Im RhA 3 11 S. 72 im Anschluß an eine das Reskript vom 7. 8. 1821 umsetzende Verfügung des Kölner Generalprokurators abgedruckt. 209

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

das öffentliche Ministerium Beschwerde ein, woraufhin die Anklagekammer des AGH auf Anwendung der Kabinettsorder erkannte und das öffentliche Ministerium die Sache zur Entscheidung an die Appellationskammer des Koblenzer Landgerichts brachte. Da diese Kammer erneut im Sinne der Ratskammer entschied, gelangte die Sache auf Antrag des öffentlichen Ministeriums des AGH als Kompetenzkonflikt vor den RKH. In seiner Entscheidung vom 26. Juni 1822, die wie die Entscheidung vom 13. Juli 1821 durch ein Referat Savignys vorbereitet worden war, schloß sich der Gerichtshof dem Koblenzer Landgericht an und lehnte die Anwendung der Kabinettsorder auf Justizbeamte ab. Hauptargument war dabei zunächst die Zielsetzung des Kabinettsorder, in der das Gericht eine Maßnahme zur Herstellung eines einheitlichen Rechts der inneren Staatsverwaltung erblickte. Da aber diese Vereinheitlichung sich bisher allein auf den administrativen Bereich beschränkt habe und die rheinische Gerichtsverfassung unangetastet geblieben sei, gebe es hier einen grundsätzlichen Unterschied, der die Gleichstellung altpreußischer und rheinischer Justizbeamten verbiete212 . Offenbar unter Bezugnahme auf die Argumentation des Ministerialerlasses vom 7. August des VOIjahres, die alle Zivilbeamten als Verwaltungsbeamte eingestuft hatte, lehnte der RKH jede Gleichstellung der Begriffe Verwaltungs- und Justiz- oder Zivilbeamter ab: ,,[ ... ], daß unter der Terminologie Verwaltungsbeamten in den Rheinprovinzen, die in der Administration oder der Regierungs-Partie angestellten Beamten im Gegensatz gegen Justiz-Bediente, verstanden werden, ist eine notorische Sache. Wenn daher der Gesetzgeber in einer für die Rheinprovinzen erlassenen Verordnung sich dieser Terminologie bedient, so muß man derselben die dort damit verbundene Bedeutung um so mehr unterlegen, als sie der preußischen Gesetzgebung fremd ist, und nur in jenem Gegensatze einen Sinn und eine Bedeutung hat,,213. Auch die Grundsätze dieser Entscheidung wurden vom Justizministerium anerkannt und in einem Erlaß vom 15. Juli 1822 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das Urteil des RKH den rheinischen Gerichten mitgeteilt 214 . Die Tatsache, daß diese beiden Entscheidungen von Savigny vorbereitet worden waren, zeigt, daß auch die altpreußischen Mitglieder des Kollegiums an der Entwicklung einer Rechtsprechung mitwirkten, die ausgerichtet war auf den Erhalt des rheinischen Rechts und den Schutz dieses Rechts vor einer schleichenden Aushöhlung. Erst zwölf Jahre später änderte sich die Rechtslage grundlegend. Anders als Kircheisen versuchte der jetzt zuständige Justizminister Kamptz gar nicht erst, die Kabinettsorder auf dem Wege ministerieller Erlasse zu erweitern. Er erreichte vielmehr eine gesetzliche Neuregelung, die dann auch den RKH und die rheinischen 212 Des weiteren argumentierte der Hof, bei der in Frage stehenden Tat habe es sich nicht um eine Dienstvergehen, also nicht um die Verletzung einer dienstlichen Pflicht, sondern um eine gewöhnliche Straftat ohne besonderen amtlichen Bezug gehandelt. 213 Zitiert nach RhA 4 11 S. 18. Weiter verweist der Gerichtshof darauf, daß auch das Ressortreglement vom 20. 7. 1818 diese Unterscheidung von Justiz- und Verwaltungsbeamten treffe, sie also in der preußischen Gesetzgebung für die Rheinlande durchaus vorkomme. 214 F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 278 f.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Gerichte effektiver binden mußte. Eine Kabinettsorder vom 2. August 1834 bezog den gesamten Katalog der in §§ 91 bis 213 erfaßten Straftaten in die Anwendung der Kabinettsorder von 1821 ein und dehnte dieselbe auf alle Beamtenkategorien aus 215 • Jetzt erst mußten Dienstvergehen der Justizbeamten ebenso wie Betteleioder Hausierereidelikte nach preußischem Strafrecht und preußischem Verfahrensrecht abgeurteilt werden 216 • Dennoch gab der RKH seine ursprüngliche Skepsis gegen die Kabinettsorder vom 6. März 1821 nicht völlig auf. Die zu diesen Materien nach 1834/35 ergangenen Entscheidungen lassen immer noch das Bemühen um eine möglichst restriktive Auslegung erkennen. So entschied der Gerichtshof, daß es für eine im Sinne dieser Vorschriften zu strafende Beleidigung einer Militärperson nicht hinreiche, wenn der Beleidigte eine Uniform getragen, sich aber tatsächlich nicht in Ausübung seiner amtlichen Befugnisse befunden habe 217 • Ferner sollten die preußischen Vorschriften nicht angewandt werden, wenn die beleidigende Äußerung sich nur auf eine behauptete, tatsächlich gar nicht vorgenommene Amtshandlung bezog oder dem Amtsträger nicht in oder bei Ausübung seines Amtes zugefügt worden war218 • Insgesamt erweist sich damit die Problematik der Anwendung der Kabinettsorder vom 6. März 1821 als ein Gebiet, auf dem der RKH über einen langen Zeitraum hin eine Rechtsprechung vertrat, die eine möglichst restriktive Handhabung der das französische Recht einschränkenden Normen vorgab. Zwar war auch dieser Ausschnitt der Rechtsprechung des rheinischen Obergerichts nicht völlig frei von Schwankungen oder Unsicherheiten219 , seine Judikatur war hier aber sehr Teilweise abgedruckt in Rheinpreußisches, S. 31 f. Ausgeweitet wurde dies noch durch eine zweite am 25. Oktober 1835 ergangene Kabinettsorder; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 5, S. 246. 217 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 313 (Urteil vom l3. 8.1836). 218 Die gerichtlichen Entscheidungen zu diesem Fall finden sich ausführlich wiedergegeben in: Annalen, Bd. I, S. 97 ff. (Entscheidung vom 5. 6. 1840). 219 Sie zeigen sich etwa in Fragen der Einordnung der Geistlichen unter die Kabinettsorder vom 6. März 1821; vgl. dazu RhA 311 S. 60 f. (Entscheidung vom 4.2. 1824) und RhA 1611 S. 49 ff. (Entscheidung vom 12.5. 1832). Im ersten Fall hatte das Gericht die Kabinettsorder vom 6. 3. 1821 auf einen Geistlichen angewandt, obwohl es ausdrücklich anerkannte, daß Geistliche nicht als Verwaltungsbeamten anzusehen seien, die Verordnung also ihrem Wortlaut nach eigentlich nicht anzuwenden sei. Entscheidendes Argument war hier, daß die Kabinettsorder zumindest ihrem Geist nach auf diesen Fall Anwendung finden müsse. Im zweiten Fall stellte der Gerichtshof dagegen fest, daß es sich bei einem Geistlichen nicht um einen Verwaltungsbeamten im Sinne des französischen (Straf-) Rechts handeln könne und daß auch die Kabinettsorder vom 6. 3. 1821 daran nichts habe ändern können. Entscheidend für die Gleichstellung mit den Verwaltungsbeamten im ersten Fall könnte die Tatsache gewesen sein, daß es für den in Frage stehenden Fall - ein Pfarrer hatte sein Amt mißbraucht, um Kollegen in einer Predigt zu beleidigen - im französischen Recht an einer gesetzlichen Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit gänzlich fehlte. Eine entsprechende Gesetzesinitiative hatte bestanden, war aber nicht umgesetzt worden. Möglicherweise hat das Gericht also gemeint, eine offenbare Regelungslücke durch die Anwendung der Kabinettsorder als einschlägiger Kompetenzregelung schließen zu müssen. Unter Bezugnahme auf das erste Urteil erging am 27. 3. 1824 eine bestätigende Verordnung, die die rheinischen Gerichte anwies, die Kabi215

216

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

viel stabiler als auf dem Gebiet des materiellen Rechts. Der Gerichtshof entwikkelte eine Kontinutät, die es rechtfertigt von einer "ständigen Rechtsprechung" zu diesen Fragen zu sprechen. Das Bemühen des RKH, um eine Einschränkung der Verweisungen auf das preußische Recht reichte weit über die Problematik der Kabinettsorder vom 6. März 1821 hinaus. Es erstreckte sich auch auf die zahlreichen in das französische Recht eingreifenden Verordnungen des Zoll-, des Frevel-, des Zensur- oder des Militärstrafrechts. So entschied der Gerichtshof, daß die Zollordnung mit ihrem Verweis auf § 243 des Anhangs zur AGO diese Vorschrift nur für den Umfang der Steuersachen in Geltung gesetzt habe, ihre nach preußischem Recht mögliche Anwendung auch auf Zensursachen also in den Rheinprovinz ausgeschlossen sei 22o ; daß gegen rheinische Mitschuldige von eines Dienstvergehens beschuldigten Beamten allein die rheinischen Gesetze anwendbar seien 221 ; daß das Gesetz gegen den Holzdiebstahl vom 7. Juni 1821 die Anwendbarkeit der französischen Regeln über Mittäterschaft und Teilnahme nicht ausschließe 222 und daß die Kabinettsorder vom 6. März 1821 keine Neuregelung der Grundsätze des französischen Rechts über den Scheidungsgrund einer entehrenden Strafe habe setzen wollen 223 . In einem Prozeß, in dem die Anwendung des preußischen Strafrechts auf eine Kabinettsorder des preußischen Königs zurückging, der allein für diesen einen Fall die Anwendung des preußischen Strafrechts angeordnet hatte, erkannte der RKH zwar diese Anordnung an, legte aber auch sie wieder einschränkend aus. Er stellte fest, daß sie zwar das materielle Strafrecht, nicht aber die Verjährungsregeln erfasse. Die Verjährung sei als verfahrensrechtliche Frage einzuordnen und unterfalle daher dem französischen Recht224 . nettsorder vom 6. 3. 1821 ebenfaJls auf Geistliche anzuwenden; F. A. Lottner: Sammlung, Bd. 2, S. 470 f. 220 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 408 (Entscheidung vom 9. 6. 1832). 221 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 411 (Entscheidung vom 6. 3. 1822, gestützt auf eine Kabinettsorder vom 14. 10. 182, die das vorherige Gericht nicht beachtet hatte. Abdruck der Kabinettsorder bei M. Simon: Uebersicht, Teil 1, S. 143). 222 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 411 f. (Urteil vom 7.9. 1839). 223 L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 62 f. (Urteil vom 28. 2. 1827). In diesem FaJl war der Ehemann nach den Kabinettsordern vom 6.3. und 5.9. 1821 zu fünfjähriger Zuchthausstrafe verurteilt und seines Amtes enthoben worden. Das Zivilgericht hatte dann auf Antrag der Ehefrau die Scheidung gemäß Art. 227, 232 Code civil wegen Verhängung einer entehrenden Strafe gegen den Ehemann ausgesprochen. Der RKH hatte zu entscheiden, ob der Begriff der entehrenden Strafe bei einer Verurteilung nach preußischen Gesetzen aus dem ALR entnommen werden mußte, da im vorliegenden FaJl zwar nach französischem, nicht aber nach preußischem Recht eine entehrende Strafe vorlag. Der Gerichtshof steJlte sich auf den Standpunkt, daß eine so weitreichende Änderung des rheinischen Rechts bis in die Scheidungsvorschriften des Code civil hinein nicht Intention der Kabinettsorder vom 6.3. und 5.9. 1821 gewesen sei. 224 RhA 311 S. 31 ff. (Entscheidung vom 30.3.1821). Inhaltlich ging es hier um einen Fall von Bigamie. Da die erste Ehe in Altpreußen von einem evangelischen Pfarrer und die zweite im damals französischen Rheinland geschlossen worden war, hatte man im Justizministerium

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Der Gerichtshof begrenzte also die Anwendung preußischen Rechts in den Rheinlanden durch eine einschränkende Auslegung aller Normen, die eine solche Anwendung vorschrieben. Wenn er allerdings die von ihm aufgestellten Kriterien für die Anwendung des preußischen Rechts erfüllt sah, achtete er strikt auf die Anwendung auch dieser Rechtsnormen 225 . Urteile der rheinischen Gerichte, die sich über diese Grenze hinwegsetzten und zugunsten einer unveränderten Anwendung des rheinisch-französischen Rechts entschieden, wurden ebenso kassiert wie im entgegengesetzten Fall die Entscheidungen, die voreilig preußische Rechtsgrundsätze angenommen hatten. Die Beobachtung des formell gültigen Gesetzes- und Verordnungsrechts erweist sich als Grenze, über die hinaus der Gerichtshof seine Schutzfunktion zugunsten des rheinischen Rechts nicht ausdehnte.

c) Weisungen des Justizministers an die rheinischen Gerichte

Die Rechtsprechung des RKH entwickelte schließlich auch Schutzmechanismen gegen direkte Eingriffe der Justizverwaltung, insbesondere des Justizministers, in die Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte. Sofern diese Eingriffe einer gesetzlichen Grundlage entbehrten, die Instanzgerichte ihnen aber dennoch gefolgt waren, wurden die entsprechenden Entscheidungen kassiert. Beispielhaft kann ein Fall angeführt werden, in dem der Appellationsgerichtshof auf Anweisung des lustizministers die Öffentlichkeit von seinen Sitzungen ausgeschlossen hatte. Er berührt den berüchtigten Fall des wegen Mordes angeklagten Kaufmannes Fonk226 . Fonk hatte gegen den Präsident des Assisengerichts, Peter Schwarz, ein Befangenheitsgesuch eingereicht, da er ihn mit Blick auf eine frühere öffentliche Stellungnahme zu seinem Prozeß für voreingenommen hielt227 . Dieses Gesuch hatte er an den Präsidenten des Appellationshofes, aber auch an den Justizminister direkt gerichtet. Letzterer hatte nun den Appellationshof angewiesen, in einer Plenarsitzung über das Gesuch Fonks zu entscheiden. Die daraufhin ergangene ablehnende Entscheidung des Appellationshofes griff Fonk mit der Kassation an. Der RKH hob sie wegen befürchtet, die Geschworenen könnten die erste Ehe als ungültig ansehen und den Angeklagten freisprechen. Diese Überlegungen lagen der königlichen Anordnung zugrunde. 225 RhA 2 11 S. 81 ff. (zwei Entscheidungen vom 21. 7. 1820 zur Anwendung des Zollund Verbrauchssteuergesetzes vom 26.5.1818); ebd. S. 114 ff. (Entscheidung vom 8.12.1820 zum selben Gesetz). RhA 4 11 S. 42 ff. (Entscheidung vom 6. 11. 1822, die der Kabinettsorder vom 6.3. 1821 insofern rückwirkende Geltung beilegt, als es sich um prozessuale Anordnungen handelt) RhA 411 S. 68 ff. und RhA 26 11 S. 24 f. (Entscheidungen vom 6.11. 1822 und 12. 8. 1837, zum Begriff der Amtspflichten im Sinne der Kabinettsorder vom 6. 3. 1821). RhA 21 11 S. 71 ff. (Entscheidungen vom 22. 10. 1834 und vom 22. 11. 1834 zur Ausdehnenden Anwendung der Kabinettsorder vom 6. 3. 1821 nach Maßgabe der Kabinettsorder vom 2.8. 1834). 226 Ausführlich zu diesem berühmten Fall Th. v. Haupt (Hrsg.): Criminal-Procedur gegen den Kaufmann P. A. Fonk aus Cöln bei dem K. Assisenhofe zu Trier, Cöln 1822. 227 Zum ganzen siehe RhA 3 11 S. 157 ff. Bei dem fraglichen Artikel handelte es sich um eine Stellungnahme der IJK, deren Mitglied Schwarz gewesen war.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Verstoßes gegen Art. 7 des Gesetzes vom 20. April 1810 und Art. 394 des Code de procedure civile aue 28 . Danach war die Entscheidung des Appellationshofes nichtig, weil sie nach den Vorschriften über Rekusationsentscheidungen hätte öffentlich ergehen müssen. Der Appellationsgerichtshof hatte, da er die Verweisung des Justizministers an die Plenarversammlung für bindend hielt und das Plenum eines Appellationshofes niemals öffentlich verhandelte, die Öffentlichkeit ausgeschlossen 229 . Der RKH dagegen lehnte die Verbindlichkeit des Justizministerialreskripts ab, weil es einer gesetzlichen Anordnung und Änderung der französisch-rechtlichen Vorschriften bedurft hätte und die bloße Ministerialverfügung gesetzliche Verfahrensregeln nicht außer Kraft zu setzen konnte. In einem anderen Fall hatte der Justizminister Kircheisen einen Friedensrichter wegen fehlerhafter Rechtsanwendung getadelt und ihn gleichzeitig belehrt, wie er das Gesetz künftig anzuwenden habe 23o . Derartige Belehrungen von seiten des Ministeriums sah das rheinische Recht nicht vor. Die Korrektur der untergerichtlichen Rechtsprechung hätte allein über eine Kassation im Interesse des Gesetzes herbeigeführt werden können. Der RKH beharrte auf der Einhaltung dieser Regel und weigerte sich, die ihm zustehende Kontrolle über die Rechtsprechung dem Justizminister zu überlasen. Ein Beispiel dafür findet man bei Volkrnar: Noch vor Erlaß des Kassationsurteils war eine Verfügung des Justizministers Kamptz ergangen, in der mitgeteilt wurde, daß den Kassationsklägern, wegen Diebstahls von dem vorherigen Richter zu sechs Monaten Haft verurteilt, drei Monate ihrer Strafe im Gnadenwege erlassen werden würden. Der Justizminister wies daraufhin den RKH an, die Akten ohne weiteres Urteil an ihn zurückzusenden. Dies lehnte der Gerichtshof mit folgender Begründung ab: "Das Rechtsmittel ist eingelegt, und um so gewisser voranzugehen, als das Urtel cassirt werden, und die Cassationskläger dann ganz straflos ausgehen könnten,,231. Im Zusammenhang mit der oben dargestellten Publizitätsproblematik findet sich ein weiteres Beispiel für Eingriffe der Justizverwaltung in die Rechtsprechungstätigkeit. Es handelt sich um den Versuch des Ministers Kamptz, das vom RKH aufgestellte strenge Veröffentlichungserfordernis als Voraussetzung der Anwendbarkeit des preußischen Rechts auszuhebeln. Zwei Ministerialreskripte vom 13. Dezember 1834 und 6. Dezember 1835 sprachen den Polizeigerichten die Befugnis ab, Verordnungen der Polizeibehörden wegen angeblich ungenügender Publikation in Zweifel zu ziehen 232 . Bei Fortsetzung dieser Rechtsprechung drohte der Mini228 Rekusationsverfahren wurden auch in Strafsachen nach den Vorschriften des Code de procedure civile behandelt; siehe das betreffende Urteil vorn 19. 12. 1821; RhA Bd. 3 II S.160. 229 Das ergibt sich aus einer Anmerkung der Herausgeber zum Urteil des RKH; RhA Bd. 3 II S. 161 f. 230 In einern Reskript vorn 2.5. 1823, Rheinpreußisches, S. 15. 231 Zitiert nach L. Volkmar: Jurisprudenz, S. 395, Entscheidung des RKH vorn 24. 4. 1834. 232 So heißt es u. a. in dem Reskript vorn 13. 12. 1834 im Anschluß an einen allgemeineren Tadel des Umgangs der Gerichte mit den Polizei verordnungen: "Diese Unkenntnis der

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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ster offen mit einer Entziehung der gerichtlichen Zuständigkeit für Polizeisachen und einer Übertragung an die Verwaltung selbst. Der RKH maß auch dieser ministeriellen Anordnung keine die Gerichte bindende Wirkung zu. Vielmehr stellte er ausdriicklich fest, beide Verfügungen könnten den Strafrichter nicht von seiner Pflicht entbinden, die Anwendbarkeit des in Frage kommenden Strafgesetzes zu priifen und damit auch die Publikation als Bedingung der Anwendbarkeit der gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen 233 . Die Eingriffe in die Rechtsprechungstätigkeit durch ministerielle Weisungen waren seit 1819 zu beobachten, erreichten aber unter Kamptz eine besondere Intensität. Zum erstenmal richteten sie sich unmittelbar auch gegen den Revisions- und Kassationshof. So sprach Karnptz in einem Reskript dem RKH das Recht zu Auslegung der Gesetze ab - was ja seine Berechtigung noch in der urspriinglichen französisch-rechtlichen Konzeption des Kassationshofes hätte finden können -, nahm dieses Recht dann aber allein für sich, d. h. für den lustizminister in Anspruch 234 . Gegen Ende seiner Amtszeit als rheinpreußischer lustizminister ging er sogar noch sehr viel weiter. In einem Reskript an Präsident und Generalprokurator des Appellationshofes erklärte er: "Das dagegen so oft angeführte Argument, daß die preußischen Gesetze in der Rheinprovinz als exceptionelle Gesetze anzusehen, und daher der Kassationshof die Grenzen ihrer Anwendbarkeit zu bestimmen befugt sei, ist offenbar unbegriindet. [ ... ] Diese allgemeinen Gesetze des ganzen Staates sind hiernach keineswegs für exceptionelle Gesetze zu halten, die Gültigkeit der französischen Gesetze würden vielmehr exceptionelle Gesetze von jenen allgemeinen (preußischen) Gesetzen sein. [ ... ] Die Entscheidung über die Frage: ob die preußischen oder die französischen Gesetze Norm des Verfahrens und des Urtheils seien? gehört hiernach und nach der Verfassung lediglich zur Competenz des Chefs der lustiz· m5 . Ware dieser Grundsatz tatsächlich zur Anwendung gekommen, wäre der Gerichtshof einer seiner wichtigsten Aufgaben - der Koordination des Aufeinandertreffens von französischer und preußischer Rechtsordnung - beraubt worden. Wenn es dem lustizminister gelungen wäre, das öffentliche Ministerium des Appellationshofes von der Vorlage der Kompetenzkonflikte an den RKH abzuhalten, wäre dem Gericht diese Zuständigkeit entzogen worden, ohne daß es einer gesetzlichen Neuregelung des Verfahrensrechts oder auch nur eines gesonderten Reskriptes direkt an den RKH bedurft hätte. Nach der Entlassung Karnptz aus dem Ministerarnt wurde diese Initiative jedoch nicht fortgeführt. Dem Gesetze und diese Richtung, die so weit geht, daß ein Polizei-Gericht eine Lokal-Polizei-Vorschrift deshalb, weil sie nicht durch das Amtsblatt promulgirt worden, für ungültig erklärt hat, ist für die öffentliche Ordnung zu nachtheilig, um geduldet werden zu dürfen"; zitiert nach Rheinpreußisches, S. 24. 233 RhA 30 11 S. 12 ff. (Entscheidung vom 2. 3. 1840), siehe dazu auch RhA 32 11 . 49 ff. (Entscheidung vom 31. 1. 1842). 234 Rheinpreußisches, S. 21; vgl. auch das Reskript vom 17.5.1834, F. A. LoUner: Sammlung, Bd. IV, S. 71. 235 Zitiert aus KaJB, Bd. 51, S. 209 f., Reskript vom 22.2.1838.

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Gerichtshof blieb die Entscheidung über das im konkreten Fall anzuwendende Recht erhalten. Den skizzierten Eingriffen der Justizverwaltung war gemeinsam, daß sie sich auf Gegenstände des Verfahrensrechts, der Verfahrenseinleitung, der Zuständigkeit der Gerichte und der Zulässigkeit des Rechtsmittels der Kassation bezogen. Derartige Weisungen wären nach preußischem Recht als Ausdruck der Aufsichtsrechte des Justizministers zulässig gewesen. In Preußen oblag die Oberaufsicht über die Rechtspflege, wie in Frankreich auch, dem Justizminister236 . Wahrend dieser aber in Frankreich seine Aufsicht über die Anwendung formellen und materiellen Rechts nur über eine Anzeige ungesetzlicher Akte beim Kassationshof, d. h. über ein durch das öffentliche Ministerium einzureichendes Kassationsgesuch im Interesse der Gesetze, ausüben konnte, standen dem preußischen Justizminister umfassendere Kontrollbefugnisse zu. Zwar galt auch in Preußen der Satz, daß die Rechtspflege allein den Gerichten überlassen sei 237 . Die damit postulierte Unabhängigkeit der Gerichte wurde aber allein auf materielle Rechtsentscheidungen bezogen. Dagegen wurde "in allen Angelegenheiten, welche nicht zu den Entscheidungen durch Urtheil und Recht zu zählen," den preußischen Gerichten vorgeschrieben, "den Anordnungen des Chefs der Justiz nachzukommen und solche zu befolgen,ms. Daraus wurde die Befugnis des Justizministers abgeleitet, Entscheidungen der Gerichte abzuändern, sofern diese nicht das materielle Recht, sondern beispielsweise das Prozeßrecht und den Gang des Verfahrens betrafen. Der Minister konnte dementsprechend Einfluß nehmen auf die Einleitung des Prozesses, die Zuständigkeit der Gerichte und die Zulässigkeit der Rechtsmittel 239 . Vor diesem Hintergrund erscheinen die oben skizzierten Eingriffe als Versuche, die Rügebefugnisse, die das altpreußische Recht dem Justizminister zugestand, auch der rheinischen Justiz gegenüber zu etablieren und die von der französischen Rechtsordnung garantierte umfassende Unabhängigkeit der Gerichte in der Anwendung formellen und materiellen Rechts erheblich einzuschränken. Im Verhältnis zur Verwaltung wären die rheinischen Gerichte damit dem Zugriff des Justizministers im gleichen Umfang ausgesetzt gewesen wie die preußische Justiz. Ein Erfolg dieser Vorstöße hätte dazu geführt, daß der preußische Justizminister durch einfache Weisung in das Verfahren vor rheinischen Gerichten und in das Zuständigkeitsgefüge der rheinischen Justiz hätte eingreifen können. Er hätte letztlich Entscheidungen rheinischer Gerichte zur Fragen außerhalb des materiellen Rechts 236 Zu den Befugnissen des französischen und preußischen Justizministers F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 345 ff. (361 ff.), dort allgemein zum Verhältnis der Justiz zur Verwaltung S. 141 ff.; H. Schrimp!" Herrschaft, S. 428 f.; vgl. auch W Rüfner: Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749 bis 1842, S. 147. 237 Verordnung vom 27. 10. 1810, Gesetzsammlung 1810, S. 18; dazu F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 361. 238 Kabinettsorder vom 6.9. 1815; zitiert nach F. J. Perrot: Verfassung, Teil I, S. 362. 239 Darüber hinaus auch auf die Vollstreckung, die Legitimation und auf Vormundschafts-, Deposital- und Hypothekensachen; F. J. Perrot: Verfassung, Teil 1, S. 362.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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abändern können. Und es hätte - wie die Verfügungen Kamptz ' gezeigt haben die Möglichkeit bestanden, die Bestimmung des in der Rheinprovinz anzuwendenden preußischen Rechts gänzlich der Justiz zu entziehen. Der Versuch der Ausdehnung des Rügerechts stellte letztlich einen Angriff auf das rheinische Verfahrensund Gerichtsverfassungsrecht insgesamt dar. Er richtete sich damit gegen Einrichtungen, die im Zentrum der von den Rheinländern so intensiv verteidigten rheinischen Institutionen standen 24o . Eine Anerkennung der umfassenden Rügebefugnisse durch die rheinische Justiz und eine Umgehung der Kassationsgerichtsbarkeit, hätte die rheinische Rechtsordnung in ihrem Kern getroffen. Mit seiner Rechtsprechung, die sich dieser Politik entgegenstellte und den justizministeriellen Verfügungen eine die Gerichte bindende Wirkung absprach, wirkte der RKH einer Aushöhlung der rheinischen Institutionen entgegen.

d) Zusammenfassung

Der RKH hat seine Rechtsprechung über die Rechtsanwendungskontrolle zu einem Instrument zum Schutz des rheinischen Rechts entwickelt. Der Gerichtshof hat einer Ausweitung des preußischen Rechts in den Rheinlanden entgegengewirkt, indem er die Anwendbarkeit preußischer Gesetze und Verodnungen von einer ordnungsgemäßen Veröffentlichung und der Beachtung des Gesetzesvorbehaltes abhängig machte. Entsprachen die preußischen Regelungen diesen Bedingungen, legte der Gerichtshof sie im Hinblick auf ihren Anwendungsbereich restriktiv aus. Darüber hinaus verhinderte er eine Ausdehnung der preußisch-rechtlichen Rügebefugnisse des Justizministers auf das rheinische Recht. Er sicherte damit die Unabhängigkeit der Justiz und schützte zugleich Verfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht vor einer allmählichen Aushöhlung durch ministerielle Weisungen. Seiner Rechtsprechung lag das Bestreben zugrunde, das rheinische Recht in seiner Gesamtheit zu erhalten und Einbrüche in dieses Gefüge nach Möglichkeit zu begrenzen. Die unveränderte Fortführung dieser Linie in den 30er und 40er Jahren zeigt, daß die "Neubesetzung" des Gerichts durch den Minister Kamptz zu Beginn der 30er Jahre sich nicht auf die Ausrichtung der Rechtsprechung niederschlug. Kamptz konnte das rechtspolitische Konzept einer allmählichen Aushöhlung des rheinischen Rechts nicht durchsetzen, das er bei der Vergabe der Richterämter verfolgt hatte und das sich nach seiner Vorstellung über die Rechtsprechung des Obergerichts auf den Bestand des rheinischen Rechts auswirken sollte. Der RKH hat mit seiner Rechtsprechung die Funktion "als Wachter für die Beibehaltung der Rheinischen Gesetzgebung"241 ausgefüllt, die ihm die rheinischen 240 K. G. Faber: Rheinlande, 110 ff.; B. Dö[emeyer: Einflüsse von ALR, Code civil und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, in: Ius Cornrnune, Bd. VII (1978), S. 194.

28 Seynsche

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

Abgeordneten in den Debatten um die Verlegung in die Rheinlande zugeschrieben haben. Wenn man die politische Funktion des rheinischen Rechts als die eines Verfassungsersatzes umschreibt242 , so kann man den RKH als einen Gerichtshof zum Schutze dieser Verfassung, als eine Art "Verfassungsgerichtshof' charakterisieren. Dies soll nicht im Sinne modemen Verfassungsrechts verstanden werden. Die Bezeichnung als "Verfassungsgerichtshof' beschreibt nicht ein Organ zur Prüfung staatlichen Handeins am Maßstab einer Verfassung und zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit dieses Handeins, das insbesondere den Bürger in verfassungsmäßig garantierten Grundrechten vor staatlicher Gewalt schützt 243 . Der Begriff soll vielmehr ein Gericht charakterisieren, das als Rechtsmittelgericht die Aufgabe übernommen hatte, ein Recht, das die Regierung als ein "fremdes Recht" betrachtete und zu ersetzen bestrebt war, in seinem Bestand zu erhalten. Es reagierte in seiner Rechtsprechung sowohl auf Eingriffe in das System des rheinischen Rechts insgesamt als auch auf die Verletzung einzelner "rheinischer Institutionen", beispielsweise der Gleichheit aller vor dem Gesetz, der Unabhängigkeit der Justiz und des Gesetzesvorbehalts für Verwaltungshandeln. Damit erhielt der Gerichtshof den Rheinländern über die Jahre, in denen es keine Verfassung gab, die Garantien des französischen Rechts, die an die Stelle einer Verfassung getreten waren.

3. Exkurs: Die Gutachten des Gerichtshofes Die Rechtsprechungsanalyse kann durch einen Blick auf Gutachten ergänzt werden, die der Gerichtshof zu Fragen der Modifikation des rheinischen Rechts abgegeben hat. Die Anforderung legislatorischer Gutachten von Gerichtsbehörden war kein auf den RKH oder die rheinische Gerichtsbarkeit beschränkter Vorgang. Dieser Schritt gehörte zu den regelmäßigen Vorbereitungen eines Gesetzgebungsprojekts. Von allen preußischen Gerichten, soweit ein Bezug zu ihrer Tlitigkeit bestand, wurden derartige Gutachten eingeholt244 • In den Akten des RKH haben sich 241 Formulierung aus dem Protokoll der Landtagssitzung vom 21. 6. 1843; abgedruckt bei W. Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 4, S. 143 der Protokolle. Ähnlich schon die Argumentation, die die rheinischen Abgeordneten 1833 gegen eine Verlegung des RKH vorgebracht hatten, Bericht des mit der Verlegung befaßten Ausschusses, ALVR Nr. 272, fol 355 f. und oben Kapitel D 11 3 c). 242 K.-G. Faber: Recht und Verfassung. Die politische Funktion des rheinischen Rechts im 19. Jahrhundert, Köln 1970, S. 13 ff.; ders: Rheinlande, S. 113; vgl. auch B. Dö[emeyer: Einflüsse von ALR, Code ci vii und ABGB auf Kodifikationsdiskussionen und -projekte in Deutschland, in: lus Commune, Bd. VII (1978),192. 243 Horst Säcker: Das Bundesverfassungsgericht, 5. Aufl., Bonn 1999, S. 42. 244 Auf diese Gutachtentätigkeit preußischer Gerichte weist auch C. v. Hodenberg: Partei, S. 93 hin. Für das Obertribunal läßt sich die Gutachtentätigkeit anhand eines umfangreichen Aktenbestandes erschließen; dreizehn Aktenbände zu diesem Thema finden sich im Bestand GStA PK Rep 84 a (D) ("Generalakten des kgl. Geh. Obertribunals enthaltend, die von demselben erforderten Gutachten"), aufzufinden über das Findbuch dieses Bestandes Bd. 3, Nr. 324 der Übersicht.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

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Unterlagen zu 39 derartigen Gutachtenkomplexen erhalten. Unmittelbarer Auftraggeber der Gutachten war der Justizminister, soweit das Ministerium geteilt war, der rheinpreußische Justizminister. In der Regel wurde ein Hauptgutachten abgefaßt, zu dem jeweils eine Reihe von Korreferenten Stellungnahmen anfertigten. Der letztendlich an das Ministerium gesandte Text wurde meist als Gutachten des Gerichtshofes bezeichnet 245 . Die meisten dieser Gutachten bzw. der den Gutachten zugrundeliegenden Hauptreferate stammen entweder von Sethe oder sind von ihm und Eichhorn gemeinsam erstellt worden. Die gutachterliche Tatigkeit beider Beamten erstreckte sich beinahe über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1819 bis in die vierziger Jahre hinein. Die anderen Gutachten stammen überwiegend - soweit sich der Autor ermitteln ließ - von rheinischen Mitgliedern des Kollegiums, d. h. von gebürtigen Rheinländern. Die altpreußischen Richter waren aber nicht gänzlich von dieser Tatigkeit ausgeschlossen. Neben einigen Einzelgutachten findet sich ihre Stellungnahme auch immer dann, wenn in einer Sache ausdrücklich das Votum aller Mitglieder des Gerichts angefordert worden war246 . Die ThemensteIlungen der Gutachten sind breit gefachert und erfassen Fragen des Zivil-, des Straf- und des Prozeßrechts. Den Schwerpunkt bilden wiederum prozeßrechtliche Probleme. In vielen Fällen weisen die Gutachten Berührungspunkte mit der Rechtsprechung auf. So gibt es Gutachten zur Problematik der Anwendung der Kabinettsorder vom 6. März 1821, zur Frage ordnungsgemäßer Publikation gesetzlicher Vorschriften und zum Rentrecht. Der Gerichtshof nutzte hier die Möglichkeit, einerseits auf Probleme zu reagieren, die sich in der Rechtspraxis gezeigt hatten, und andererseits eigene Rechtsansichten aus der rechtsprechenden Tatigkeit auf die legislative Ebene zu transferieren. Nur selten wurden dabei Regelungen des rheinischen Rechts zugunsten des preußischen aufgegeben, in der Regel hielt der Gerichtshof am bestehenden Recht fest. Als Beispiel läßt sich ein Gutachten zum Gewährleistungsrecht beim Viehkauf nennen 247 . Auf eine Beschwerde der königlichen Regierung in Köln über eine angebliche Unsicherheit der Gerichte bei Anwendung der Gewährleistungsregeln für den Viehhandel hatte der Justizminister Kircheisen 1823 beim RKH angefragt, ob ein solcher Mangel bestehe und ob er schon vor der Gesetzrevision durch eine Heranziehung der Regeln des ALR beseitigt werden solle. Die Gutachter248 sprachen sich einstimmig gegen eine vorgezogene Einführung des preußischen Gewährleistungsrechts aus. Die vorgebliche Unsicherheit der Gerichte im Umgang 245

Gelegentlich sind den Gutachten auch eigene Gesetzentwürfe des Gerichtshofes beige-

fügt. 246 Der Begriff der altpreußischen Richter wird hier auch auf die ,,rheinischen" Juristen altpreußischer Herkunft, die Kamptz angestellt hatte ausgedehnt. Ein Beispiel für ihre Gutachtertätigkeit bietet das unten noch erwähnte Gutachten des Gerichtshofes zum Erbrecht des rheinischen Adels, das unter anderem von den altpreußischen Richtern Busse, Klenze und Eimbeck mitgetragen wurde; GStA PK Rep 97 B I G 6. 247 GStA PK Rep 97 B I G 10. 248 Sethe, Eichhorn und Fischenich. 28*

436

E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

mit Art. 1648 des Code civil, der für Viehmängel auf die älteren Partikularrechte verwies, konnten sie nicht bestätigen. Ferner verneinten sie ein dringendes Bedürfnis zur Neuregelung und Vereinheitlichung dieser Materie mit dem Hinweis darauf, daß auch nach preußischem Recht in diesen Fragen neben dem subsidiär geltenden ALR die alten Partikularrechte zur Anwendung kommen könnten, also auch die altpreußischen Gebieten in diesen Gewährleistungsfragen keiner einheitliche Regelung unterlägen. In ähnlicher Weise versuchten Sethe und Eichhorn einen Einbruch des preußischen Rechts im Gefolge der Kabinettsorder vom 6. März 1821 zu vermeiden. Diese Kabinettsorder hatte für Dienstvergehen von Beamten bereits das preußische Strafverfahren der Kriminalordnung eingeführt. 1834 trat nun die Frage auf, ob gegen diese Beamten auch in den Rheinlanden das sogenannte fiskalische Verfahren nach der AGO geführt werden könne. In Altpreußen bildete dieses Verfahren und nicht die strafrechtliche Verfolgung nach der Kriminalordnung die Regel des Vorgehens gegen Beamte, während man in den Rheinlanden wohl bisher entsprechende Taten nur auf strafrechtlichem Wege verfolgt hatte. Der Kölner Generalprokurator Biergans wollte nun auch die Vorschriften der AGO in den Rheinprovinzen anwenden 249 . Er stützte sich darauf, daß die Vorschriften der Kriminalordnung, auf die in der Kabinettsorder verwiesen sei, ihrerseits einen Verweis auf die Vorschriften der AGO enthielten. Diesem Versuch, preußisches Recht über den Weg einer Verweisung zu etablieren, erteilten Präsident und Geneneralprokurator des RKH eine Absage, indem sie feststellten: "In den Rheinprovinzen, wo die Einführung der allgemeinen Gerichtsordnung erst postuliert werden müßte, kann die Hinweisung des § 12 der Krim. Ordnung auf ein dort nicht geltendes Gesetz gar keine Bedeutung und Wirkung haben,,25o. In den wenigen Gutachten, in denen der Gerichtshof sich gegen eine Beibehaltung des bisherigen Rechts aussprach, befürwortete er keinen gänzlichen Verzicht auf die französisch-rechtlichen Gedanken, sondern einen Komprorniß. Ein Beispiel für dieses Vorgehen ist ein Gutachten zur Institution der Ergänzungsrichter bei den Friedensgerichten251 . Diese Ergänzungsrichter waren juristisch nicht gebildete Stellvertreter des Friedensrichters. Angesichts einer Erweiterung der Zuständigkeit des Friedensrichters gegenüber der französischen Zeit 252 stellte der lustizrninister

249 Das hätte auch bedeutet, daß solche fiskalischen Prozesse in letzter Instanz über die 1833 neu eingeführte Nichtigkeitsbeschwerde vor dem Obertribunal hätten abgeurteilt werden müssen. 250 Letztlich war ihre Initiative aber wohl nicht erfolgreich. In den Generalakten des lustizministeriums findet sich nämlich eine Erläuterung der lustizminister Mühler und Kamptz an das Obertribunal vom 16. 1. 1835, wonach der betreffenden Abschnitt der AGO auch für die Rheinlande Geltung habe und die Verfahren in letzter Instanz im Wege der Nichtigkeitsbeschwerde vom Obertribunal zu bearbeiten seien; GStA PK Rep 84 a (2.5 .1.) Nr. 1047, fol. 128 a f. 251 GStA PK Rep 97 B I C 6.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

437

die Frage, ob die richterlichen Funktionen auch weiterhin Laien übertragen werden könnten oder ob das Institut des Ergänzungsrichters abzuschaffen sei. Die Mehrheit der Richter sprach sich dafür aus, die Entscheidung in streitigen Zivilsachen künftig dem Ergänzungsrichter zu entziehen, wollte aber nicht gänzlich auf diesen Richter verzichten, sondern ihm den Sühneversuch als friedensrichterliche Aufgabe belassen 253 . Auch die Gutachten des RKH waren in ihrer Mehrzahl darauf ausgerichtet, das rheinische Recht in seinem Bestand zu erhalten und es nicht vor einer allgemeinen Revision der preußischen Gesetzgebung aufzugeben. Dies galt trotz der auch in den Rheinlanden kritisierten Härte des Code penal auch für das Strafrecht. In mehreren Gutachten lehnte der RKH eine vom lustizrninisterium vorgeschlagene Milderung einiger französisch-rechtlicher Strafvorschriften vor einer allgemeinen Reform des gesamtpreußischen Strafrechts ab254 . Hier läßt sich die Parallele zur Rechtsprechung des RKH ziehen, genauer zu der Entscheidung, in der die Richter die Anwendung der auf Kassenanweisungen abgedruckten preußischen Strafvorschriften abgelehnt und den Delinquenten nach französischen Recht zum Tode verurteilt hatten 255 . Insgesamt lag den Gutachten das Bemühen zugrunde, das noch vorhandene rheinische Recht als geschlossenes System möglichst lange zu bewahren. Dementsprechend wurde die Unvereinbarkeit mit der Struktur des rheinischen Rechtsordnung immer wieder zur Ablehnung von Gesetzesänderungen herangezogen. Gleichzeitig war man aber auch bemüht, die Angriffsfläche, die diese Gutachten durch ihr Ein252 Durch eine Verordnung vom 7. 6. 1821 war die Zuständigkeit in persönlichen und Mobiliarsachen auf Sachen mit einem Streitwert bis zu 300 Talern ausgedehnt worden (§ 1 dieser Verordnung; Gesetzsammlung 1821, S. 77). 253 Eine Mindermeinung unter den Beamten des RKH, der auch der Autor des Hauptgutachtens, Blanchard, zuzurechnen ist, wollte das Institut unter Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers und die bisherigen positiven Erfahrungen sogar unverändert bestehen lassen. 254 GStA PK Rep 97 B I G 13. 1831 hatte Kamptz insgesamt 36 Änderungsvorschläge eingereicht. Den wenigsten stimmte der RKH uneingeschränkt zu. In der Regel lehnte er sie ab oder machte zumindest eigene Vorschläge. Ein Beispiel ist der Vorschlag des Ministeriums den Art. 2 Code penal dahin abzuändern, daß der Versuch eines Verbrechens nicht mehr wie das Verbrechen, sondern nur noch mit deIjenigen der Gattung nach geringeren Strafe zu bedrohen, die der des vollendeten Verbrechens am nächsten kommt. Uneingeschränkt stimmte der RKH dem nur für den Fall einer mit Todesstrafe bedrohten vollendeten Tat zu. Weitergehend verschließen sich die Gutachten aber auch dem von seiten des lustizministeriums zur Rechtfertigung eines Reformprojekts vorgebrachten Einwand, daß die angestrebte Regelung selbst in Frankreich schon längst Gesetz geworden sei. 255 RhA 21 11 S. 27 ff. (Entscheidung vom 19.7. 1834). Ähnliches ist aber auch im Zivilrecht zu bemerken, beispielsweise in Gutachten des RKH aus dem Jahre 1847 zur Frage der Verwertung von Mündelgütern. Nach französischem Recht mußten sie öffentlich versteigert werden, während sie nach preußischem Recht freihändig verkauft werden konnten, was größere Gewinne erwarten ließ. Obwohl das preußische Recht also eine für die Betroffene günstigere Regelung bereit hielt, lehnte der RKH in seinem abschließenden Gutachten eine Anwendung des preußischen Rechts ab; GStA PK Rep 97 B I C 2 (abschließender Bericht Essers vom 4.5 . 1847).

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E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

treten für das französische Recht bieten konnten, zu verringern. Besonders deutlich wird dies, wenn die Argumentation sich auf allgemeine Rechtsgrundsätze stützt. Diese Grundsätze leiteten die Richter, ähnlich wie in ihren Staatsratsgutachten, nicht ausdrücklich aus dem französischen, sondern aus dem preußischen Recht her256 . Darüber hinaus nutzte der Gerichtshof auch die Möglichkeit, über die Gutachten auf Mißstände aufmerksam zu machen, die durch die Einführung preußisch-rechtlicher Normen bereits verursacht worden waren. So bezeichneten Präsident und Generalprokurator in ihrem Gutachten von 1834 zur Reichweite der Kabinettsorder vom 6. März 1821 diese Kabinettsorder als ein Gesetz, das eine "Kette von Anomalien, Verwickelungen und Rechtsungewißheiten" hervorgerufen habe 257 . Später fügten sie noch hinzu, die in dem Gutachten behandelte Problematik sei "nicht die einzige Unebenheit, welche aus derselben hervorgegangen ist,,258 und kritisierten dann vor allem die Ungleichbehandlung der beamteten Tater und ihrer nicht beamteten Komplizen durch die Kabinettsorder. Eine ähnliche Äußerung ist aus dem Jahr 1840 überliefert 259 : Auf vermehrte Klagen über die Einführung des preußischen Straf- und Strafverfahrensrechts260 hatte der neue Direktor der rheinischen Abteilung des Justizministeriums, der ehemalige Generaladvokat des RKH Ruppenthal, eine Kabinettsorder entworfen, mit der zumindest für künftige Untersuchungen in diesen Sachen die Anwendung des rheinischen Verfahrensrechts wieder eingeführt werden sollte. In einem Gutachten dazu forderten Sethe und Eichhorn die Wiederaufnahme des französischen Verfahrens auch auf bereits anhängige Verfahren auszudehnen und diese - soweit noch nicht abgeurteilt - in das französische Verfahren zu überweisen. Ferner sprachen sie sich dafür aus, die Rekonstruktion des rheinischen Rechts nicht auf das Verfahren zu beschränken, sondern auch im Bereich des materiellen Strafrechts die preußischen Normen wieder durch französisches Strafrecht zu ersetzen. Gelegentlich reichte die Kritik an Gesetzgebung oder Justizverwaltung über den unmittelbaren Bezug zum rheinischen Recht hinaus. So nutzte Sethe die Gelegenheit eines Berichts über den regelmäßigen Bezug der preußischen Gesetzsammlung durch die Richter, um über diese organisatorische Problematik hinaus die allgemeine Praxis der Gesetzes- und Verordnungspublikation im Gesamtstaat, insbesondere die häufige Umgehung der Gesetzsammlung, zu kritisieren und die Einhaltung der vorhandenen rechtsstaatlichen Regelungen des preußischen Rechts anzu256 So beispielsweise die Herleitung des Rückwirkungsverbots und des Schutzes wohIerworbener Rechte aus den Grundsätzen des preußischen Rechts in einem Gutachten des RKH über das Erbrecht des rheinischen Adels; GStA PK Rep 97 B I G 6 a.E. des Gutachtens vom 19.1. 1831. 257 So im Eingang des Gutachtens vom 21. 7. 1834; GStA PK Rep 97 B I G 14. 258 GStA PK Rep 97 BI G 14 gegen Ende desselben Gutachtens vom 21. 7. 1834. 259 GStA PK Rep 97 BI G 13 a. E. 260 Insbesondere wohl im Umfeld der Kabinettsordern vom 6.3. 1821 und 2. 8. 1834.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

439

mahnen 261 . In ähnlicher Weise verband der Gerichtshof die Gutachten an anderer Stelle mit kritischen Äußerungen über Zustand und künftige Gestalt der rheinischen Rechtsordnung. Solche Ausführungen finden sich beispielsweise in einem Gutachten zum Erbrecht des rheinischen Adels. Dieser hatte im Provinziallandtag ein Gesetz eingefordert, das ihm eine autonome Regelung der Erbfolge unter seinen Kindern erlauben sollte. Der RKH, dem diese Materie zur Stellungnahme vorgelegt worden war, lehnte, wie vor ihm alle übrigen rheinischen Gerichte, den Antrag entschieden ab262 . Das zentrale Argument des zweiten Standes, daß ihm nämlich ein solches Recht bereits nach dem älteren rheinischen Partikularrechten zugestanden habe, entkräftete der Gerichtshof in wenigen Zügen, indem er nachwies, daß ein Recht zur Regelung der Erbfolge in den älteren Statuten gar nicht enthalten gewesen sei und auf einer irrigen Auslegung der alten Rechte beruhe. Dennoch fügte der Gerichtshof dem Votum noch breite allgemeine Ausführungen an. Insbesondere warnte er davor, so bedeutende Teile des rheinischen Erbrechts zu verändern. Gerade das Erbrecht stelle einen wesentlichen Teil des rheinischen Rechts dar und wirke in viele andere Bereiche des Zivilrechts hinein. Würde nun dem Adel gestattet, seine Erbfolge nach "Gutbefinden" zu regeln, würde dadurch nicht nur das rheinische Erbrecht wesentlich verändert, sondern auch weite Teile des übrigen Zivilrechts in Mitleidenschaft gezogen. Wollte man den Zusammenhang der rheinischen Gesetzgebung auf diese Weise aufgeben, müsse daraus notwendig eine erhebliche Rechtsunsicherheit folgen. Mit einer eher politischen Begründung begegnete der RKH dem Argument, daß nur auf dem Weg über die angestrebte Erbrechtsänderung einer Zersplitterung der Ade1sgüter entgegengewirkt werden könne und nur so ein landtagsfähiger zweiter Stand an Rittergutsbesitzern erhalten werden könne. Hier wies er darauf hin, daß die Landtagsfähigkeit sich nicht an der adeligen Herkunft der Grundbesitzer, sondern an der Größe des Landbesitzes festmache und es bereits etliche nichtadelige Rittergutsbesitzer und Landtagsmitglieder gebe und der Gesetzgeber sogar die Aufnahme von früher nicht landtagsfähigen Gütern zugelassen habe263 . In der Gesamtschau kann man feststellen, daß der Gedanke des Schutzes der rheinischen Rechtsordnung auch die Gutachten prägt. Die kontinuierliche Ausrichtung an den Interessen einer möglichst unversehrten Beibehaltung des rheinischen Rechts über die einzelnen Stadien der Besetzung des RKH hinweg dürfte zu einem nicht unwesentlichen Teil auf den Einfluß Sethes und Eichhorns, die die Gutachtertätigkeit über beinahe drei Jahrzehnte hin beeinflussen konnten, zurückzuführen sein. 261 GStA PK Rep 97 B I C 21, vierter Punkt des sehr umfangreichen Gutachten Sethes vom 27.6. 1836. 262 Ein von allen Richtern befürwortetes Gutachten vom 19. 1. 1831; GStA PK Rep 97 B I G 6. Ungeachtet dieser einstimmigen Ablehnung durch die Justiz ist entsprechendes Gesetz erlassen worden; Rheinpreußisches, S. 27. 263 Das Gutachten beruft sich hier auf ein Gesetz von 27. 3. 1824; Gesetzsammlung 1824, S.102.

440

E. Die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes

4. Zusammenfassung Die Bedeutung des RKH für das rheinische Recht beruht auf seiner "Wachterfunktion". Der Gedanke des größtmöglichen Schutzes des rheinischen Rechts vor einer voreiligen Anwendung des preußischen Rechts, sei es auf ungeklärter gesetzlicher Grundlage oder aufgrund einfacher ministerieller Verfügungen, zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Rechtsprechung und Gutachtertätigkeit zwischen 1819 und 1852. Der Gerichtshof kontrollierte nicht allein die Anwendung des französischen Rechts durch die Untergerichte. Er nahm zugleich dieses Recht gegen Eingriffe des Staates in Schutz. Mit seiner Rechtsprechung zu den Grenzen der Anwendbarkeit des preußischen Rechts in den Rheinlanden, zum Geltungsanspruch der preußischen Gesetze, die französisches Recht abgelöst hatten, und mit seiner Reaktion auf die Weisungen des Justizministeriums verteidigte er den Fortbestand des rheinischen Rechts und die Unversehrheit der rheinischen Institutionen. Da der Gerichtshof ein Recht bewahrte, dessen politische Funktion sich auf diejenige eines Verfassungsersatzes konzentrierte, kann man diese Rechtsprechung als eine Art der Verfassungsrechtsprechung, den Gerichtshof als eine Art "Verfassungsgericht" charakterisieren 264. Stellung und Aufgaben des Revisions- und Kassationshofes im Gefüge der rheinischen Justiz wichen von denen des französischen Kassationsgerichtes ab. Typische Kassationsfunktionen wurden zwar nicht aufgehoben, aber in den Hintergrund gedrängt. Diese Verschiebung ging zuriick auf die politischen, verfahrens- und gerichtsverfassungsrechtlichen Veränderungen, denen das Kassationsinstitut in den Rheinlanden nach dem Ende der französischen Herrschaft unterworfen war. Die Bewältigung des Aufeinandertreffens von preußischer und französischer Rechtsordnung und eine vornehmlich auf das Strafrecht konzentrierte Rechtsprechung zu verfahrensrechtlichen Fragestellungen riickten ins Zentrum der Urteilstätigkeit. Demgegenüber traten die Vereinheitlichung der untergerichtlichen Rechtsprechung und eine Fortbildung des noch unangefochten geltenden materiellen Rechts 265 zuriick. Den Entscheidungen des Revisions- und Kassationshofes zum materiellen Recht fehlte die Autorität, die die Kassationsrechtsprechung in Frankreich für sich in Anspruch nehmen konnte. Die Einführung der Sachentscheidungsbefugnis hatte dazu geführt, daß die Untergerichte sich nicht mehr intensiv mit den obergerichtlichen Urteilen auseinandersetzten. Eine Ausrichtung der rheinischen Gerichte an den Entscheidungen des RKH wurde überdies durch die Unbeständigkeit seiner Rechtsprechung erschwert. Die Tatsache, daß es nur ein einziges Appellationsgericht in 264 Dazu oben Kapitel E IV 2 d). Zur politischen Funktion des rheinischen Rechts K.-G. Faber: Recht und Verfassung. 265 Dies meint insbesondere die Kemgebiete des Zivilrechts und - soweit von den preußischen Plänen für ein einheitliches Strafgesetzbuch noch nicht berührt - auch des Strafrechts.

IV. Die Bedeutung der Rechtsprechung für das rheinische Recht

441

den Rheinlanden gab, führte zu einer Konkurrenz zwischen Kassations- und Appellationsgericht. In Zivilsachen wurde der RKH von den Gerichtseingesessenen nur selten angerufen und war so von einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung und einer Fortbildung des Rechts ausgeschlossen. In Bezug auf das materielle Zivilrecht ist daher davon auszugehen, daß die Funktionen, die das "Obergericht der Provinz" hätte ausüben sollen, von dem "Obergericht in der Provinz", dem Appellationsgerichtshof in Köln, übernommen wurden.

F. Schluß Diese Arbeit hat den Blick auf das Gericht gelenkt, das von 1819 bis 1852 an der Spitze der rheinischen Justiz gestanden hat, das als Obergericht über die französische Rechtsordnung in den Rheinlanden gewacht und das diese Rechtsordnung in Berlin repräsentiert hat. Preußen war jedoch nicht der einzige deutsche Staat, in dem das "fremde" Recht galt). Im rechtsrheinischen Baden war der Code civil zur Rheinbundzeit als badisches Landrecht rezipiert worden 2 • In den rheinischen Landesteilen Bayerns und Hessen-Darmstadts, die im Gebiet des ehemaligen Departements Donnersberg lagen, war wie in den preußischen Rheinlanden das französische Recht beibehalten worden. An der Spitze der (rheinischen) Justiz standen auch in diesen Staaten Kassationsgerichte: der Revisions- und Kassationshof in Darmstadt für Rheinhessen, der Kassationshof in Zweibrücken für Rheinbayern 3 sowie das Oberhofgericht in Mannheim für Baden. Es würde sich anbieten, in einem zweiten Schritt diese Kassationsgerichtsbarkeit mit der preußischen zu vergleichen. Ausgehend von der Rechtsentwicklung in Preußen könnte gefragt werden, ob die Kassationsgerichte in Hessen und Bayern, wo ebenfalls ein Nebeneinander deutscher und französischer Rechtsordnungen herrschte, Einfluß auf die Gesetzgebung hatten, ob ihre Juristen an der Gesetzgebung beteiligt waren. Der Geschichte der Kassationsgerichtsbarkeit in diesen Staaten könnte die Entwicklung in Baden gegenübergestellt werden, wo zunächst nur das materielle französische Zivilrecht eingeführt worden war und der Zivilprozeß erst 1831 reformiert wurde. Eine solche Untersuchung kann Aufschluß gewähren über die Bedeutung der Kassationsgerichtsbarkeit als Obergerichtsbarkeit französisch geprägter Rechtsordnungen für die Rechtsentwicklung in Deutschland und für den Erhalt des französischen Rechts in deutschen Staaten. Es wäre danach zu fragen, ob es gemeinsame Strukturen gab im Umgang der Politik mit diesen Gerichten, in der Wirkung dieser I Zur Einführung des französischen Rechts W Schubert: Französisches Recht in Deutschland; zur Geltung französischen Rechts auch nach 1814 und zur Gerichtsorganisation nach dem Ende der französischen Herrschaft H. Conrad: Preußen und das französische Recht in den Rheinlanden, in: J. Wolfframl A. Klein (Hrsg.): 150 Jahre OLG Köln, S. 99 ff., 111 ff.; H.-I. Becker: Das rheinische Recht und seine Bedeutung für die Rechtsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: JuS 1985, S. 340 ff. 2 Das französische Verfahrensrecht hatte man jedoch nicht übernommen. Der Zivilprozeß wurde erst durch ein Gesetz von 1831 reformiert. Das badische Landrecht galt bis 1900; H.I. Becker: Das rheinische Recht und seine Bedeutung für die Rechtsentwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: JuS 1985, S. 340 ff. 3 Dieses Gericht wurde später nach München verlegt. Dazu demnächst die Dissertation von Britta Fiedler: Der rheinbayerische Kassationsgerichtshof von seiner Errichtung bis zur Verlegung an das Oberappellationsgericht in München.

F. Schluß

443

Gerichte auf die innerstaatliche Rechtsentwicklung und in der Bedeutung, die diese Gerichte für den Bestand des französischen Rechts in deutschen Staaten erlangen konnten. Für Preußen hat die vorliegende Untersuchung ergeben, daß der Revisions- und Kassationshof ein Gericht war, dessen politische Bedeutung als Forum für eine Auseinandersetzung der preußischen Gesetzgebung mit dem französischen Recht, als Symbol einer Anbindung der Rheinprovinz an den preußischen Staat und als Vertretung der rechtspolitischen Interessen der Rheinländer bei weitem seine Bedeutung für die Vereinheitlichung der rheinischen Rechtsprechung und die Fortbildung des rheinischen Rechts überwog. Für die Rechtspflege wäre ein Obergericht mit Sitz in der Rheinprovinz von größerem Nutzen gewesen als der Gerichtshof in Berlin. Schon 1818 hatte Beyme eine Angliederung des Kassationsgerichtes an den Appellationshof in Köln als der rheinischen Justiz "angemessen" bezeichnet4 . Dennoch wählte er unter Hinweis auf den Nutzen für die Gesetzrevision Berlin als Gerichtssitz. Kamptz hielt die Forderungen nach einer Verlegung des Gerichtshofes in die Rheinprovinz für berechtigt und zweckmäßig5 , fürchtete aber, ein Obergericht in der Provinz könne die Ablösung der Rheinlande von Preußen einleiten. Die Abgeordneten des rheinischen Landtages schließlich forderten die Verlegung im Interesse der Fortbildung des französischen Rechts. Sie ließen diese Forderung aber fallen 6 , da in ihren Augen die Präsenz einer rheinischen Gerichtsbehörde in Berlin für den Erhalt des rheinischen Rechts und eine Vermittlung seiner tragenden Gedanken in die Gesetzrevision bei weitem wichtiger war als die Förderung der Rechtspflege in den Rheinlanden selbst. Von der Diskussion des Jahres 1818 um Beibehaltung und Ausgestaltung der Kassationsgerichtsbarkeit bis zur Vereinigung mit dem preußischen Obertribunal 1852 spiegelt sich in der Geschichte des Gerichtshofes die preußische Rechtspolitik in ihrem Umgang mit dem rheinischen Recht. Der Revisions- und Kassationshof ist 1819 von Beyme eingerichtet worden, um die Auseinandersetzung mit dem französischen Recht in den Gesetzrevisionsprozeß hineinzutragen. Es ging dem Minister dabei vor allem darum, Elemente dieses Rechts in das preußische Recht aufzunehmen. Dementsprechend errichtete er den Gerichtshof in der preußischen Hauptstadt und besetzte ihn mit rheinischen und altpreußischen Juristen, von denen er einen Beitrag zur "Verschmelzung"? beider Rechtsordnungen erwartete. Er schuf so die institutionellen Voraussetzungen für die Beteiligung einer großen Zahl rheinischer und mit dem rheinischen Recht vertrauter altpreußischer Richter und 4 In seinem Vortrag vor dem Staatsministerium am 5. 8. 1818, aStA PK Rep 84 I Nr. 121, Bd. 2, fol. 51. 5 Siehe oben Kapitel D 11 3 b). 6 Siehe oben Kapitel D 11 3 a), c). 7 Dazu oben Kapitel C I 2 d). Von der "Verschmelzung" beider Rechtsordnungen hatte er in seinem Personalbericht an den König vom 31. 3. 1819 gesprochen, aStA PK Rep 84 a (2.5.1.) Nr. 646, fol. 185.

444

F. Schluß

Anwälte an der Refonn der preußischen Gesetzgebung: Bereits seit den frühen zwanziger Jahren waren Richter des RKH als Mitglieder des Staatsrates an der Gesetzgebung beteiligt. Die Existenz dieses zweiten preußischen Obergerichts in Berlin, das mit prominenten und fachlich hochqualifizierten Juristen besetzt war, führte aber auch dazu, daß 1825 bei Wiederaufnahme der Gesetzrevision die Richter des Revisions- und Kassationshofes in die Gesetzrevisionsgremien aufgenommen wurden. Die Mitwirkung dieser Juristen an der Gesetzgebung und die Ansiedlung des Revisions- und Kassationshofes in Berlin waren für das Eindringen französischen Rechts in das preußische Recht und für die Aufnahme der rheinischen Institutionen von entscheidender Bedeutung. Um sich mit der Praxis des französischen Rechts auseinanderzusetzen, mußten die altpreußischen Revisisoren nicht in die Rheinprovinz reisen, sie mußten keine rheinischen Juristen nach Berlin beordern. Sie konnten das französische Recht und den rheinisch-französischen Prozeß in Berlin in der fachlichen Auseinandersetzung mit den Richtern des Revisions- und Kassationshofes oder durch einen Besuch der Gerichtssitzungen kennenlernen. Richter und Anwälte des RKH haben in den Gesetzrevisions- und Gesetzgebungsgremien den Vergleich des preußischen mit dem französischen Recht gefördert und sie haben, was entscheidend war, ihre eigenen Erfahrungen mit dem französischen Recht in die Diskussion einfließen lassen. Mit dem Hinweis auf ihre Arbeit am Revisions- und Kassationshof und die Praktikabilität französisch-rechtlicher Lösungen haben sie Einfluß genommen auf die Entwicklung der Gesetzgebungsprojekte hin zum französischen Recht. In die Gesetzgebungsdebatte wurde das französische Recht sowohl auf dem Weg über die wissenschaftliche Literatur als auch durch die Juristen des RKH getragen, nur die Rechtspraktiker konnten aber den Beleg für die Durchführbarkeit französisch-rechtlicher Lösungen liefern. Die Existenz des RKH als rheinisches Obergericht in Berlin und der persönliche Kontakt der altpreußischen Revisoren mit den Richtern trugen dazu bei, daß das französische Recht nicht als Recht eines fremden Staates, sondern als das Recht einer preußischen Provinz, das von einem preußischen Obergericht angewandt wurde, in den Refonnprozeß einging. Der Vergleich des preußischen mit dem französischen Recht konnte so intensiver und praxis orientierter, aber auch ideologiefreier geführt werden. Niedergeschlagen hat sich der Einfluß der mit dem rheinischen Recht arbeitenden Juristen beispielsweise in der Refonn des preußischen obergerichtlichen Verfahrens. Die Richter des RKH haben die Aufnahme eines kassationsähnlichen Rechtsmittels in den preußischen Prozeß initiiert. Zugleich zeigt dieses Refonnprojekt, welches Gewicht den praktischen Erfahrungen der Juristen für den Gang der Gesetzgebung beizumessen ist. Das neue Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde wurde nicht unmittelbar in Anlehnung an die französische Kassation entwickelt, sondern dem Verfahren vor dem RKH nachgebildet. In die preußische Gesetzgebung ist damit ein Verfahren aufgenommen worden, das die Richter des Revisions- und Kassationshofes im Wege richterlicher Rechtsfortbildung aus der französischen Kassation entwickelt hatten.

F. Schluß

445

Die rechtspolitische Konzeption, die Beyme mit der Errichtung des Revisionsund Kassationshofes verfolgt hatte, beeinflußte die preußische Gesetzgebung bis in die zweite Jahrhunderthälfte hinein. Die Auseinandersetzung mit dem französischen Recht führte zur Aufnahme einer Vielzahl französisch-rechtlicher Institute in das preußische Recht. Bis in die vierziger Jahre waren Juristen des RKH unmittelbar an diesem Prozeß beteiligt. Viele von ihnen waren bereits 1819 von Beyme nach Berlin berufen worden. Die große personelle Kontinuität innerhalb der Gruppe der an der Gesetzgebung beteiligten Juristen führte dazu, daß die Personalpolitik, die die Nachfolger Beymes dem Revisions- und Kassationshof gegenüber einschlugen, sich nicht mehr unmittelbar auf die Gesetzrevision auswirkte. Selbst als der Minister Kamptz in den dreißiger Jahren versuchte, seine eigenen rechtspolitischen Vorstellungen über die Besetzung des Gerichtshofes umzusetzen und eine Marginalisierung des "französischen Einflusses" auf die legislativen Arbeiten anstrebte, war der Einfluß des französischen Rechts in der Gesetzgebung durch die 1819 eingestellten Richter bereits derart verankert, daß diese Versuche keinen Erfolg mehr haben konnten. Das Aufeinandertreffen französischen und preußischen Rechts hat sich schließlich auch in der Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes niedergeschlagen. Die politischen, verfahrens- und gerichtsverfassungsrechtlichen Veränderungen, denen das Kassationsinstitut in den Rheinlanden nach dem Ende der französischen Herrschaft unterworfen war, haben dazu geführt, daß die Kassationsrechtsprechung einen anderen Stellenwert erhielt als in Frankreich. Die Bestimmung des anzuwendenden Rechts und eine vornehmlich auf das Strafrecht konzentrierte Rechtsprechung zu verfahrensrechtlichen Fragestellungen riickten ins Zentrum der Urteilstätigkeit. Demgegenüber traten die Vereinheitlichung der untergerichtlichen Rechtsprechung und eine Fortbildung des noch unangefochten geltenden materiellen Rechts zuriick. Für das materielle Zivilrecht etablierte sich der Appellationshof in Köln als Obergericht der Provinz. Gegen seine Entscheidungen wurde nur noch selten Kassation eingelegt. Die Bedeutung, die die Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes für die Rheinlande und das rheinische Recht gewann, lag nicht so sehr auf juristischem, sondern auf politischem Gebiet. Der Gerichtshof wuchs seit 1819 in die Position eines "Wachters für die Beibehaltung der rheinischen Gesetzgebung"g hinein. Seine Rechtsprechung war konzentriert auf die Bewältigung des Aufeinandertreffens französischen und preußischen Rechts. Als Reaktion schon auf die ersten Einbriiche preußischer Normen in das rheinische Recht im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse entwickelte der Revisions- und Kassationshof Strategien, um den Einfluß preußischen Rechts auszuschließen oder zuriickzudrängen. Er band die Anwendung preußischen Gesetzes- oder Verordnungsrechts an das Publizitätserfordernis und den Gesetzesvorbehalt. Waren preußische Gesetze nach diesen Grund8 Fonnulierung aus dem Protokoll der Landtagssitzung vom 21. 6. 1843; abgedruckt bei W Schubert: Die Rheinischen Provinziallandtage, Bd. 4, S. 143 der Protokolle.

446

F. Schluß

sätzen anwendbar, bemühte der Gerichtshof sich, ihren Geltungsbereich über eine restriktive Auslegung einzuschränken. Mit ihrem Widerstand gegen eine Ausdehnung des Rügerechts des preußischen Justizministers verhinderten die Richter eine Einflußnahme der preußischen Justizverwaltung auf den Ablauf der rheinischen Gerichtsverfahren und den Inhalt gerichtlicher Entscheidungen. Dieser Rechtsprechung lag das Bestreben zugrunde, die rheinische Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit zu erhalten und Einbriiche in dieses Gefüge, wo sie nicht zu verhindern waren, zu begrenzen. Da das rheinische Recht für die Rheinländer die Funktion eines Verfassungsersatzes erlangt hatte, kann man die Bedeutung des Revisions- und Kassationshofes mit derjenigen eines Verfassungs gerichts vergleichen und ihn als ein Gericht beschreiben, das als Rechtsmittelgericht zum Schutze dieser "Verfassung" tätig wurde. Wahrend das Aufeinandertreffen französischen und preußischen Rechts in der Gesetzgebung zu einem Eindringen französisch-rechtlicher Gedanken geführt hat, bewirkte es in der Rechtsprechung des rheinischen Obergerichts eine Verteidigung des französischen Rechts gegen die Einführung unreformierten preußischen Rechts. Die Rolle der Gerichte für die Bewältigung des Nebeneinanders zweier Rechte in einem Staat kann in der Geschichte des Gerichtshofes nicht nur exemplarisch aufgezeigt werden, es hat sich vielmehr herausgestellt, daß der Revisionsund Kassationshof das Gericht war, dem die entscheidende Funktion in diesem Prozeß zukam. Es war weniger die rheinische Judikatur insgesamt als vielmehr das rheinische Obergericht, das einerseits die Aufnahme französischen Rechts in die preußische Gesetzgebung gefördert und andererseits Regeln für den Erhalt des rheinischen Rechts aufgestellt hat.

Quellen und Literatur I. Ungedruckte Quellen a) Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz I. Hauptabteilung Rep74

Staatskanzleramt

Rep77

Innenministerium

Rep 80 I, IV

Staatsrat

Rep 84 a (D)

Iustizministerium (Bestand Berlin-Dahlem)

Rep 84 a (2.5.1.)

Iustizministerium (Bestand Merseburg)

Rep 84 1,11

Ministerium zur Revision der Gesetze

Rep 89 (2.2.1.)

Geheimes Zivilkabinett

Rep 90 a I, III

Staatsministerium (Bestand Merseburg)

Rep92

Nachlaß Sethe

Rep 97 B I-I1I

Revisions- und Kassationshof

Bildchronik des Geheimen Staatsarchivs IX. Hauptabteilung IV Nr. 18 b) Stadtarchiv Berlin (LA Berlin, Außenstelle), Fotosammlung, Nr. 61/2562 c) Nordrhein-westfalisches Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, Zweigstelle SchloßKalkum Oberinstanzliche Gerichte 1798 - 1819

Rep 11

Oberlandes Gericht Köln

Rep 11

Kassationshof Düsseldorf

Rep 15

Immediat-Justiz-Kommission d) Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 367,2

Appellationsgericht Trier

Bestand 367,3

Revisionshof Koblenz

Bestand 368,4

Oberprokurator Koblenz

Bestand 402

Oberpräsidium Großherzogtum Niederrhein

Bestand 403

Oberpräsidium der Rheinprovinz

Bestand 403 A

Oberpräsident als Landtagskommissar

Bestand 581

OLG Köln

448

Quellen und Literatur

e) Archiv des Landschaftsverbandes Rheinland I. Altes Ständeverzeichnis

A. 3. Provinzialständische Verhandlungen B. 2. Justizwesen

f) Landesarchiv Speyer

Bestand G 21 , Übergangsbehörden Anmerkung: Orthographie und Zeichensetzung der zitierten Texte folgen dem Original, lediglich die Schreibweise des Buchstaben "y" als "y", die sich in den Quellen teilweise noch findet, wurde nicht übernommen.

Quellen und Literatur

449

11. Gedruckte Quellen

1. Zeitgenössische Literatur Abegg, J. Fr. H.: Versuch einer Geschichte der Preußischen Civil-Prozeß-Gesetzgebung, Breslau 1848 Anonym: Kurze Uebersicht über die Revision der Gesetzgebung von 1831 bis 1841, in: KaJb, Bd. 58 (1842), S. 341 ff. - Praktisches Handbuch des Rheinischen Civilrechts, enthaltend zugleich eine übersichtliche Darstellung der Gerichtsverfassung und der allgemeinen Grundsätze des gerichtlichen Verfahrens in Ci vil- und Strafsachen [ ... ], 2. Aufl., Mülheim a.d. Ruhr 1893 - Rheinpreußisches: Beleuchtung der Justizverwaltung vor und unter dem v. Kamptz'schen Ministerium. Eine Entgegnung auf die "Materialien", Würzburg 1839, S. I ff. - Sammlung: "Die Einführung der Preußischen Gesetzgebung in die Rheinprovinzen", Heft 2, Koblenz 1827 - Zum Gedächtnis an Fr. E. Scheller, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 44 (1879), S. 577 ff. - Geschichte der Herausgabe der Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals, nebst Plenarbeschlüssen und Präjudizien, in: Entscheidungen des Königlichen Ober-Tribunals, Bd. 82 (1879), S. 374 ff. Bähr, Otto: Die Einheit des obersten Gerichtshofes in Preußen, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 22 (1868), S. 621 ff. Bauerband, Johann Joseph: Institutionen des französischen, in den deutschen Landen des linken Rheinufers, insbesondere des im Bezirke des königlichen rheinischen AppellationsGerichtshofes zu Cöln geltenden Civilrechtes, Bonn 1873 Breuning, Christoph von: Ueber die Cassationsinstanz und das Rechtsmittel der Cassation in der Gesetzgebung der Rheinlande, Koblenz 1820 Buddeus: Instanz, in: Julius Weiske: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesamte Rechtswissenschaft, Bd. 5, Leipzig 1844, S. 498 ff. Crelinger, L.: Die Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde vom 14. Dezember 1833, Breslau 1834 Daniels, Alexander von: System und Geschichte des französischen und rheinischen Civilprozesses, Bd. I, Berlin 1849 Duesberg, Franz: Übersicht der Justizverfassung in den Preußischen Staaten von der Publication der Allgemeinen Gerichtsordnung bis auf die neueste Zeit, in: KaJb, Bd. 42 (1833), S. 3 ff. Emminghaus, Bernhard: Zur Würdigung des deutschen Drei-Instanzen-Systems aus dem legislativen Gesichtspuncte, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 5 (1841), Leipzig Endeman, Wilhelm: Betrachtungen über einige Hauptgrundsätze des preußischen Entwurfs einer Civilprozeßordnung, in: AcP, Bd. 49 (1866), S. I ff. - Das deutsche Civilprozeßrecht, Heidelberg 1868, Neudruck Aalen 1969 29 Seynsehe

450

Quellen und Literatur

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- Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung 1830 - 1850, Bd. 1: 1830-1845, Neudruck der Ausgabe 1919, (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, hrsg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1), Osnabrück 1967 Harrasowsky, Philipp Harras von: Die Rechtsmittel im Civilprocesse nach dem gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung, Wien 1879 Haupt, Th. v. (Hrsg.): Criminal-Procedur gegen den Kaufmann P. A. Fonk aus Cöln bei dem K. Assisenhofe zu Trier, Cöln 1822 Heffter, August Wilhelm: Gedanken über die Einführung der allgemeinen preußischen Gesetzgebung in den preußischen Rhein-Provinzen, Bonn 1827

- System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts, 2. Aufl., Bonn 1843 - Civil-Proceß oder das gerichtliche Verfahren bei bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Gebiete des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten. Ein Leitfaden zum Selbstunterricht, Berlin 1856 Heimbach, (sen.): Rechtsmittel, in: Julius Weiske: Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesamte Rechtswissenschaft, Bd. 9, Leipzig 1855, S. 246 ff. Hellweg, August: Geschichtlicher Rückblick über die Entstehung der deutschen CivilprozeßOrdnung, in: AcP 61 (1878), S. 78 ff. Hertel, Christoph Ludwig: Über die Rechtsverfassung der zum Regierungsbezirke Koblenz gehörigen, ostrheinischen Landesteile, in: KaJb, Bd. 26 (1825), S. 3 ff. Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Auswahl in drei Teilen, 3. Teil: Mein Leben, hrsg. von Augusta Weldler-Steinberg, Neudruck Hildesheim, New York 1973 Holzschuher, Ad. Freiherr von: Der Rechtsweg. Ein Versuch vergleichender Gesetzes-Kritik des französischen mündlichen und gemeinen deutschen schriftlichen Civil-Prozesses, mit Rücksicht auf die neueren legislativen Verbesserungen beider und auf die Mischungsversuche der neuesten Zeit, Nürnberg 1831

Quellen und Literatur

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Klüber; Johann Ludwig: Öffentliches Recht des Teutschen Bundes und der Bundesstaaten, 4. Aufl., Frankfurt a.M. 1840

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Löwenberg. Karl Th. von: Die Verordnung vom 14. Dezember 1833, über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde, nebst sämtlichen gesetzlichen und ministeriellen Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen, unter Benutzung der Akten des Hohen Justiz-Ministeriums, Berlin 1837

Merckel. Johann C. (Hrsg.): Neuer Comrnentar zur Allgemeinen Gerichts-, Deposital- und Hyppotheken-Ordnung. Nebst Bemerkungen zur Theorie von Protestationen, Bd. 1, Breslau 1817

Merlin. Philippe Antoine: Repertoire universei et raisonne de jurisprudence, Bd. 2, Paris 1807

Mittermaier; Carl Joseph Anton: Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß in Vergleichung mit dem preußischen und französischen Civilverfahren und mit den neuesten Fortschritten der Prozeßgesetzgebung, 1. Beitrag, 2. Aufl., Bonn 1822; 3. Beitrag, 2. Aufl., Bonn 1832

Mylius. Karl Joseph Freiherr von: [anonym; Autorenschaft nach K.-G. Faber: Rheinlande, S. 169]: Patriotische Gedanken über die den Königlich-Preußischen Rhein-Provinzen bevorstehenden Reformen in der Gesetzgebung nebst Andeutungen zu einer vergleichenden Kritik des preußischen und französischen Rechtes, Köln 1827

Neigebauer; J. F.: Darstellung der provisorischen Verwaltung am Rhein vom Jahre 1813 bis 1819, Köln 1821

Oppen. Otto Heinrich Alexander v.: Vergleichung der Französischen und Preußischen Gesetze, Heft 1-3, Köln 1827/28

Pansey. Henri de: De l'autorite judiciaire dans les etats monarchiques, Paris 1810 29*

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Quellen und Literatur

Perrot, F. J.: Verfassung, Zuständigkeit und Verfahren der Gerichte der preußischen Rheinprovinzen in bürgerlichen Rechtssachen, Teil I: Verfassung und Zuständigkeit, Trier 1842; Teil 2: Verfahren, Trier 1844 Puchta, Georg Friedrich: Das Gewohnheitsrecht, Bd. I, Erlangen 1828 Rauer, Karl G.: Protokolle der von der Versammlung zur Vereinbarung der Preußischen Verfassung ernannt gewesenen Verfassungskommission, Berlin 1849 Reibnitz, Ernst Wilhelm von: Versuch über das Ideal einer Gerichtsordnung, 2 Teile, Berlin 1815

- Ueber Friedensgerichte in der Preußischen Monarchie, Berlin 1821 Savigny, Friedrich Karl von: System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1 - 8, Berlin 1840-1849 Scherer, Martin: Das Rheinische Recht und die Reichs- und Landesgesetzgebung, 2 Bde. 2. Auf!., Mannheim 1889/1890 Schletter, Hennann Theodor: Der öffentliche und mündliche Strafprozeß in Deutschland. Teil I: Die rheinische Gerichtsverfassung und das rheinischen Strafverfahren. Studien und Reisebeobachtungen, mit besonderer Beriicksichtigung der Criminalstatistik und der Jurisprudence, Altenburg 1847 Schlink, Johann Heinrich: Commentar über die französische Civil-Prozeß-Ordnung, mit Vorausschickung einer Abhandlung über die Organisation, Competenz und Disziplin der Gerichte, so wie der dazugehörigen Nebenpersonen, 4 Bde., Koblenz 1843/45 Sethe, Christoph Wilhelm Heinrich: Urkundliche Entwicklung der Natur der Leibgewinnsgüter und Widerlegung der von dem Herrn Malinkrodt darüber im Westfälischen Anzeiger vorgetragenen irrigen Behauptungen, Düsseldorf 1810

- [anonym herausgegeben]: Die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren in den Königlich-Preußischen Rhein-Provinzen. Aus authentischer Quelle, Berlin 1820 - Uebersicht der Gerichts-Verfassung in den Provinzen am Rhein, in: Handbuch für den Königlich Preußischen Hof und Staat für das Jahr 1821, S. 420 Simon, Mathias: Uebersicht der in den Rhein-Provinzen bei ihrer Vereinigung mit der Krone Preußens geltenden Gesetze; nebst der Geschichte ihrer Einführung und einer Nachweise der bisheran in denselben erfolgten Abänderungen, Köln 1824 Starke, F. W. c.: Beiträge zur Kenntnis der bestehenden Gerichtsverfassung und der neuesten Resultate der Justizverwaltung in dem preußischen Staate, 4 Teile, Berlin 1839 Stern, Jacques (Hrsg.): Thibaut und Savigny. Zum l00jährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland. 1814-1914. Die Original schriften in urspriinglicher Fassung mit Nachträgen, Urteilen der Zeitgenossen und einer Einleitung, Berlin 1914, Neudruck Darmstadt 1959 Thesmar; Friedrich Hadrian Joseph: Die fünf französischen Gesetzbücher in ihrer Fortbildung durch die neuere Gesetzgebung, sowie durch die Jurisprudenz der Rheinischen Gerichtshöfe, insbesondere des Königlichen Rheinischen Appellations-Gerichtshofes in Köln und des Revisions- und Kassationshofes in Berlin, Band I, Zivilgesetzbuch, Elberfeld 1845

Quellen und Literatur

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- Les Cinq Codes, Paris 1819 - Gesetzsammlung für die Königlich Preußischen Staaten, Berlin 1810 ff. Grebel, Mathias: Entscheidungen der Revisionshöfe zu Koblenz und Trier, Trier 1815 Gredy, J. G. : Zusammenstellung der Entscheidungen der Kassationshöfe zu Berlin, Brüssel, Darmstadt, München mit Zweibrücken, Paris und des Oberhofgerichts zu Mannheim über die Civilrechtsfragen [ ... ], ausgezogen und geordnet nach der Reihenfolge der einzelnen Gesetzbücher und Gesetze, Erster Theil: Bürgerliches Gesetzbuch, Mainz 1862

- Handbuch über den Königlich-Preußischen Hof und Staat, Berlin 1794 ff. - Intelligenzblatt, Berliner Intelligenzblatt zum Nutzen und Besten des Publici, Berlin 1730 ff. - Königlich Preußischer Staats-Anzeiger, Berlin 1853 - Jahrbücher für die Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung. Im Auftrage des Königlichen Justiz-Ministeriums herausgegeben von Karl Albert von Kamptz, 66 Bde., Berlin 1812-1845. (Kamptz Jahrbücher) - Les cinq codes. Die fünf französischen Gesetzbücher, hrsg von Johann Cramer, Koblenz 1854

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Quellen und Literatur

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Volkmar, L.: Die Jurisprudenz des Rheinischen Cassationshofes zu Berlin, 1819-1846, Berlin 1848 - Vossische Zeitung, Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Berlin 1751 ff.

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- Deutschland, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., 2. Hbd., München 1982, S. 2645 ff. - Frankreich, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 3. Bd., 1. Hbd., München 1982, S. 2497 f. Dölemeyer; Barbara: Deutschland, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, 2. Hbd., München 1982, S. 1495 ff.

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- Die kaiserlichen privilegia de non appellando (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im alten Reich, Bd. 7) Köln, Wien 1980 Erkens, Markus: Die französische Friedensgerichtsbarkeit 1789-1814 unter besonderer Be-

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Helmut Berding, Kurt Düwell, u. a. (Hrsg.): Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder, München, Wien 1978, S. 197 ff. - Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoleon in den Rheinbundstaaten (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 13), Gießen Univ. Habil.-Schr. 1972173; 3. Aufl., Göttingen 1983 Fellner; Christoph: Die Reform der bayerischen Zivilrechtspflege von den ersten Anregungen

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- Rechtsmittel im Zivilprozeß aus juristischer Sicht. Kurzüberblick über Entwicklung, Stand und Reformanliegen der Rechtsmitteldiskussion in Theorie, Praxis und Politik, in: ders., u. a. (Hrsg.): Rechtsmittel im Zivilprozeß - unter besonderer Beriicksichtigung der Berufung (Rechtstatsachenforschung), Köln 1985, S. 11 ff. - Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik. Vorstudie zur Analyse und Reform der Rechtsmittel in der Zivilgerichtsbarkeit. Beiträge zur Strukturanalyse der Rechtsmittel (Rechtstatsachenforschung), Köln 1992 Glöckner, Hans Peter: Die Rechtsprechung des Reichsgerichts: Thema mit Variationen, in: lus Commune XXV (1998), S. 391 ff. Godechot, Jaques: Les Institutions de la France sous la Revolution et I'Empire, Paris 1968 Goldschmidt, C.: Rechtsstudium und Priifungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1887 Gouron, Andre, u. a. (Hrsg.): Subjektivierung des justitiellen Beweisverfahrens. Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (Ius Commune, Sonderheft 64), Frankfurt a.M.1994 Grahl, Christian: Die Abschaffung der Advokatur unter Friedrich dem Großen. Prozeßbetrieb und Parteibeistand im preußischen Zivilgerichtsverfahren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts unter besonderer Beriicksichtigung der Materialien zum Corpus Juris Fridericianum von 1781 (Quellen und Forschungen zum Recht und seiner Geschichte, Bd. 2), Göttingen 1994 Graumann, Sabine: Französische Verwaltung am Niederrhein: Das Roer-Departement 17981814, Essen 1990 Grilli, Antonio: Das linksrheinische Partikularrecht und das römische Recht in der Rechtsprechung der Cour d' Appel/Cour Imperiale de Treve nach 1804, in: R. Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Bd. 12), Berlin 1994, S. 67 ff.

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Quellen und Literatur

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30'

Personenverzeichnis Ziffern verweisen auf Seitenzahlen, Ziffern in Klammem auf Fußnoten Ammon, von 207 Bähr, Otto 214 Berghaus, Franz Xaver 202, 206 Beyme, Karl Friedrich von 20 f., 61 ff., 74ff., 77, 79, 83ff., 89ff., 95ff., 123ff., 136ff., 139f., 146, 154f., 261 ff., 270f. , 384,410,443 Biergans 436 Blanchard, Wilhelm 98, \03, \07, 1\ I f., 134f., 149, 175 Bode, Karl Heinrich 120, 161, 320f. Boelling, Moritz 61, 97 f., 98 ff., 133, Bornemann 365 Böttcher, Karl Wilhe\m von 344 Breuning, Christoph von 70 (148), 176 ff., 186, Brewer von Fürth, Bernhard Freiherr 171 , 204 Broicher 203 (463) Busse 76, 86,158,160,184, 192ff., 339

Fischenich, Bartholomäus Franz 61, 98 ff., \07, \09 (80),1\2,149,175, 262ff., 315, 318,319ff. Fonk429 Frech 203 (463) Friccius, Carl Friedrich 98, \03, \08, 130 f., Friedrich Wilhelm III 91 ff. Fülleborn 344, 346 Goerdeler, Johann Christoph \05, 126, 148, Graun, Karl August Ferdinand 158, 160, 176ff. Gredy, J.G. 380 Gruner, Justus 46f., 50, 54 Haas, Johann Baptist 120 Hagemeister, Emanuel Friedrich 95 (23) Hanf, F. J. 377 Hardenberg, Karl August Fürst von 59f., 61, 124 f., 128, 130, 133, 135, 145 f., 150, 277f. Hardung, Clemens Wilhe\m 98, \02, 109 (80), 147, Haw, Georg Wilhe\m Nicolaus 297 ff., 308 Heffter, August, Wilhelm 176 ff., 181 f., 185,189, 193ff., 204, 321 f. Hermes 203 (463) Herwegh, von 308 Heydt, August von der 298 ff.

Danckelman, Graf von 154ff., 319f., 345 Daniels, Alexander von 202, 207 Daniels, Heinrich Gottfried Wilhelm 61 ff., 261,266ff. Diederichs 342 Dietz, Hermann Joseph 298 Duesberg, Franz 176 ff., 185, 204 (468), 206, 315, 321 f.

Jaehnigen, Franz Ludwig 176ff., 202, 214, 316

Eichhorn, Hubert Ambrosius 42 (20), 98, \01 f. , 1\3 f., 118, 134, 139 f., 152f., 191ff., 202, 206, 261 (240), 284f., 315, 355,435 ff. Eichhorn, Karl Friedrich \07,321 Eichorn, Johann Albrecht Friedrich 59, 150, 342 Eimbeck 148 f. Esser, Peter 176 ff., 186, 196, 207 f.,

Kamptz, Karl Albert von 21,90, 154 (271), 165 ff., 302 ff., 320 ff., 340, 386, 426, 430ff., 443 Kircheisen, Leopold von 58, 61, 64, 125ff., 146 ff., 330 f., 336, 424, 430 Kisker 202 Klenze, Karl August 158, 184, 192 ff. Koch, Christian Friedrich 365 ff. Kotzebue, August von 91

Personenverzeichnis Krause, Ludwig 120 Krausnick, Wilhelm 344, 346 Krezzer, Lambert Joseph 53 f., 98, 101, 104, 109 (80), 118 f., 133, 147 (242 ff.), 147, Kunowsky, Georg Karl Friedrich 120,321 Leist 205 Leue 207 Liel, Anselm Joseph 176 ff., 185 Lombard, August 176f., 181 f., 185 Lottum, Graf 125 Marchand, Karl Wilhelm 120,321 Märker 365 Meusebach, Carl, Hartwig, Gregor von 97 f., 98, l00f. 104, 106, 113, 134, 174 Molitor 121 Möser, Justus 299 ff. Mühlen, Wilhelm von und zur 1176ff., 315 Mühler, Heinrich Gottlob 98, 103, 108, 115, 148, 166, 190f., 291, 316, 339f., 344, 348 ff. 354, 358 ff. Murat, Joachim 44 Mylius, Karl Joseph Freiherr von 171, 307 f. Napoleon Bonaparte 44 Nell, Maximilian von 54 (79) Olfers, von 207 Oppen, Otto Heinrich Alexander von 171, 203,207,213 Oswald, Wilhelm 158, 160, 176ff., 185,386 Potthoff 308 Reibnitz, Ernst Wilhelm Albrecht von 98, 102, 114f., 124, 130, 148, 182, 272f., 311 f., 320, 344, 346 Reinhardt, Heinrich Wilhelm 120 f., 139 f., 161, 176 ff., 185, 320 ff., 344 ff. Roederer 112 Rudler, Franz Joseph 40 f. Ruppenthal, Carl Friedrich Ferdinand 98, 103, 105 (62), 109 (80, 81), 113, 147,204 (468), 273f., 293, 316, 319, 321, 438

469

Sack, Johann August von 47 ff., 50 (63), 51 Sack, Wilhelm Friedrich 339 Salm-Dyk, Fürst 307 Sandt, Gottfried von 121,286,377 Sandt, Karl Ludwig von 91 Savigny, Friedrich, Carl von 98 (33), 98; 106f.,102, 109 (80)115f., 293, 310, 312 ff., 315 ff., 320 ff., 333 ff., 338 f., 341 ff., 354, 358 ff., 425 f. Scheller, Friedrich Ernst 158, 174, 316, 320, 349 ff., 354 ff. Schilling und Canstatt, Alexander Freiherr von 98 (33), 98, 102, 109 (80), 147, Schnaase 204 (467) Schnabel 304 Schuckmann 76, 83 Schwartz, Peter 99 (39) Sethe, Christoph Wilhelm Heinrich 58, 61, 97f., 98ff., lllf., 13lf., 140f., 148ff., 191 f., 202, 204, 208, 213, 272, 310, 315 ff., 320 f., 333 ff., 339, 342 ff., 354, 435 ff. Seyppel, Bernhard 98, 103, 113, Simon, August Heinrich 61, 74, 95f., 98ff., 108, 115, 148,202, 319ff., 336f., 339f., 344 Solms-Lich, Prinz Alexander zu 47 Stägemann, Friedrich August von 60 Stelzer 158, 174 Strampff, Heinrich Leopold von 336f. Strombeck, Friedrich Heinrich von 129 (167) Tellerrnann 201 (456), Tempelhoff, Karl Eduard von 120 Thesmar, Friedrich Hadrian Joseph 380 Trützschler und Falckenstein, Friedrich Christoph von 98, 102, 172 Uhden 206, 360 f. Vincke, Ludwig 48 Voigts, von (genannt von König) 129 (166), 158, 160, 184, Volkmar 377 f. Waldeck, Benedict 208

Sachwortverzeichnis Ziffern verweisen auf Seitenzahlen, Ziffern in Klammem auf Fußnoten Abgeordnete 207 Abstimmungsmodalitäten 266 Abstimmungsmodus 269 Abstimmungsverfahren 274 Advokatanwälte 120 (129) Allgemeine Gerichtsordnung (AGO) 32, 69 (144) Altpreußen 97 ff. Ämterkombination 116 f. Amtsverbrechen, richterliche 232, 249 Anciennität 205 Anciennitätensystem 99 Ankiageprozeß 173 Annalen für Rechtspflege und Gesetzgebung 379f. Anwälte 120 ff., 228 f. Anwälte des RKH 286 ff. Anwälte, rheinische 120 ff. Anwendbarkeit preußischen Rechts 414ff., 423 ff. Appellation 33 ff. Appellationsgerichtshof 282 ff. Appellationsgerichtshof (Lüttich) 48 Appellationshof 298 ff., 405 ff. Appellationshof (Düsseldorf) 45 f. Arbeitsbelastung des RKH 157 Arbeitslast 205 audience solenelle 1391 Audienzsaal des RKH 209 Aufbau des Gerichts 269 Aufsatz- und Lehrbuchliteratur 413 Aufsichtsrecht des Iustizrninisters 432 f., Ausbildung, theoretische und praktische lOSf. Auslegung der Gesetze 431 f. Austrägalgerichtsbarkeit 332 Auswahl der Entscheidungen 397 ff.

Beförderungsautomatismus 99 Beschleunigung des Kassationsverfahrens 288 ff. Besitznahmepatente 57 (92) Besitzrecht 403 Besoldung 132 Bestätigungsrecht 399 Bestimmung des anzuwendenden Rechts 394,396ff. Beweisaufnahme 280 Beweisrecht 395 Bibliothek 143 Brückenfunktion des RKH 186 Büroräume l42f.

Baden 442 Bayern 442 Beamtentranslokation 125

Ehe- und Farnilienrecht 402 Eigenständigkeit des rheinischen Obergerichts 79 ff.

Charte Waldeck 211 f. Cisrhenanische Bewegung 39 (8) Civilsenat, rheinischer 212 Conseil du roi 221 Constituante 224 decret dec\aratoire de la loi 225 Decret qui institue un Tribunal de cassation 223 Demagogenverfolgung 91 , 167, 197f. Departements, rheinische 40 f. Departementstribunale 40 Deutsche Bundesakte von 181577 Diebstahl 402 Dienstvergehen 399 Dienstvergehen von Verwaltungsbeamten 423 ff. Dienstvorschriften 195 Disziplinarsachen 249 Disziplinarverfahren 231 Doctrin, praktische 299 ff.

Sachwortverzeichnis Einführung des preußischen Rechts 57 ff., 155 ff. Eingriffe in die Justizverwaltung 414 ff. Einlegung der Kassation 289 ff. Einlegungsfrist 292 f. Entlastung des Obertribunals 341 ff., 345 ff. Entscheidung in der Sache selbst 242, 264 f., 376,378 Entscheidungsaufbau 383 Entscheidungsgründe 325, 328 Entscheidungsgründe, Abfassung und Mitteilung der 330 ff. Entscheidungsmaterialien 373 ff. Entscheidungsreife 351 Entscheidungssammlungen 376 ff. Entscheidungsveröffentlichung 381 ff. Erbrecht 439 Erbschaftsteilung 282 f. Ergänzungsrichter 436 f. Ermittlungsaufwand 281 Eröffnung des RKH 136ff., 139 ff. Eröffnungsreden 136, 139 ff. Eventualmaxime 31 exces du pouvoire 237 f.

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Geschäftslast 188 Geschworenengerichte 94, 255 Gesetz vom 13. Oktober 1843 Gesetzesinterpretation 257, 260 Gesetzesverletzung 236 f. Gesetzesvorbehalt 419 ff. Gesetzgebung 315 ff. Gesetzrevision 18, 20, 23, 61, 85 f., 89 ff., 112ff., 123, 154ff., 160ff., 184ff., 204, 215ff., 309ff., 319ff., 344ff. Gesetzrevisionskommissar 144 Gesetzrevisionskommission 155, 320 ff. Gesetzrevisionsminister 168 f. Gesetzrevisionsministerium 167,320,354 Gewährleistungsrecht (Viehkauf) 435 f. Großherzogturn Berg 44 ff. Großherzogturn Posen 80, 151 Grundsatz des gesetzlichen Richters 283 Grundstücksrecht 402 Gruppenbildung, politische 307 Gutachten der Richter 411 f. Gutachten des Gerichtshofes 434 ff.

Feudalrechte 397 Formverstöße 235 f. Forschungsstand 21 ff. Forststrafgesetzbuch 402 Französisches Recht 216 f. Frevelrecht 402 Friedensgericht 40 Friedensgerichtsbarkeit 94

Hambacher Fest 304 Handelsrecht 402 Hauptverfahren 325 ff. Hausdiebstahl 409 Herkunft, altpreußische 178 Herkunft, rheinische 177 f. Hessen-Darmstadt 442 Hilfsarbeiter 158 ff., 193 ff. Historische Rechtsschule 336 f. Holzdiebstahlsgesetz 403

Geheimes Obertribunal 326 Gemeines Recht 67 Gemeinrechtlicher Prozeß 32 Generaldirektionen 39 Generalgouvernement Berg 46 f. Generalgouvernement Mittelrhein 46 f. Generalgouvernement Nieder- und MitteIrhein 52 Generalgouvernement Niederrhein 46 f. Generalprokurator 99 Generalverzeichnis aller rheinischen Justizbeamten 105 Gerichtslokal 136 ff. Gerichtsorganisation, bergische 45 f. Gerichtspersonal 95 ff., 174 ff. Gerichtsverfassung 210 ff.

DK, Gutachten der 62 ff., 65 ff. Immediat-Justiz-Kommission (UK) 61 ff., 66,71,96,262 ff. Immediat-Justiz-Organisations-Commission (UOK) 144 ff., 277 f. Inneres Staatsrecht 398 Inquisitionsmaxime 31 Instanzenzug 66 ff., 71 ff. Instanzenzug des französischen Rechts 30 f. Instanzenzug, dreigliedriger 32, 77 ff. Institutionen 170 ff. Institutionen des französischen Rechts 19 Institutionen, rheinische 19 (8), 300 f., 305 ff., 434, 209 Integration 110, 117 f., 199 Integrationsbestreben 80 ff.

472

Sachwortverzeichnis

Integrationspolitik, preußische 19 Intermediäres Recht 40, 105, 180 interpretation de la loi 225 jugement 11 une phrase 375 Julirevolution 304 Juristen, altpreußische 84 ff., 97 ff. Juristen, rheinische 84 ff., 97 ff. justice retenue 221 Justizabteilung 316 ff., 333 ff., 339 ff. Justizkommissare 120, 122 Justizminister, rheinpreußischer 167, 172 Justizpolitik, preußische 89 Justizsenat Ehrenbreitstein 250 f., 327 Justizverwaltungsstatistik 391 Kabinett, königliches 92 Kabinettsorder vom 19. November 181865, 84,86,89,90 Kabinettsorder vom 21. Juni 181987 Kabinettsorder vom 28. August 1819400 Kabinettsorder vom 29. April 1819 131 Kabinettsorder vom 6. März 1821 399 ff., 423 ff., 436, 438 ff. Kabinettsorder vom 8. Juli 1834285 Kameraljustiz 332 Kampf um das rheinische Recht 18, 57, 304f., Karlsbader Beschlüsse 91 Kassation 30 f., 67 ff., 71 ff., 73 ff., 275, 305, 364ff. Kassation im Interesse des Gesetzes 245 Kassation, rheinische 352 ff. Kassation, rheinisch-französische 258 Kassation, Widerherstellung der 296 Kassationsgerichtsbarkeit 404 Kassationsgerichtsbarkeit, rheinische 37 Kassationsgriinde 234 ff. Kassationshof (Düsseldorf) 47, 52 f., 54 f. Kassationshof (Zweibriicken) 442 Kassationslehre 220 f. Kassationsrecht 328 ff. Kassationsschrift 252 f. Kassationsverfahren 234 ff. Kassationsverfahren, französisches 218 ff. Kassationsverfahren, modifiziertes 70, 75, 261 f., 279 ff. Kassationsverfahren, rheinisches 246 ff. Klageschrift 289 ff.

Koblenzer Munizipalität 119 Kompetenz 286 f. Kompetenzbestimmung 395 f. Kompetenzentscheidung 400 Kompetenzkonflikte 250, 431 Kompetenzstreitigkeiten 232 Kriminalsachen 393 Lagerhausgebäude, königliches 137 ff. Landesadministrationskommission 48 f. Landrecht, badisches 442 Landtag, rheinischer 171 Landtagsabgeordnete, rheinische 306 ff. linksrheinische Gebiete 38 ff. Loi sur I' organisation des tribunaux, 27 Ventöse VIII 227, 43 Militärangehörige 400 f. Mittlerfunktion des rheinischen Rechts 23 Mündlichkeit der Verhandlung 282 Mündlichkeit des Kassationsverfahrens 245f. Mündlichkeit und Öffentlichkeit 358 ff. Nationalversammlung 207 Nichtigkeitsbeschwerde 345 ff., 349 ff., 357 ff., 364 ff. Nichtigkeitsbeschwerde, strafprozessuale 363 ff. Nichtigkeitsklage 68 f., 74 Niederrheinisches Archiv 62 ff. Normalverordnung 73 Normdurchsetzung 25 Novenrecht 35 (70) Oberappellation 33 ff., 35 Oberappellationsgericht Greifswald 80, 327 Oberappellationsgericht Posen 80, 327 Oberappellationssenat des Kammergerichts 327 Obergerichtsbarkeit, rheinische 65 Oberhofgericht Mannheim 442 Obertribunal 76, 83f., 86, 127, 150f., 159, 348 ff. Offenkundigkeit der Entscheidungsgriinde 332 Öffentliches Ministerium 179,228 Öffentlichkeit der Verhandlungen 94, 314 f. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Prozesse 168

Sachwortverzeichnis Oktroyierte Verfassung 211 Ordonnance civile 219 Parlement 219 ff. Partei betrieb 294 f. Partikularrecht 393 Partikularrechte, rheinische 104f., llO f., 180 Personalbestand 152 Polizeisachen 394 Polizeiverordnungsrecht, preußisches 401 Präsidialordonnanz 266, 293 Preußische Jahrbücher 386 privilegia de non appellando 32 f. Provinz Kleve-Berg 58 Provinz Westfalen 58 Provinziallandtag, rheinischer 296 ff. Prozeßbetrieb 143 Prozeßordnung von 1781 31 Prozeßrecht 216ff., 394ff. Prozeßtabellen 390 f. Prozeßzahlen 164 Publizistische Stellungnahmen 181 f. Publizitätsanordnung 415 ff. Qualifikation, richterliche 194 Quellen 20 f. Reaktion 304 Recht, französisches 322 ff. Recht, intranationales 396 Recht, materielles 402, f. Recht, öffentliches 398 ff. Recht, preußisches 414 ff. Recht, vorrevolutionsäres 396 Rechts- und Gerichtsverfassung der Rheinprovinzen 60 Rechtsanwendungskontrolle 342 ff., 351, 414ff. Rechtsbehelf 27 Rechtsfortbildung 282, 288, 410 Rechtsfortbildung, richterliche 300 f. Rechtsfrage 341 ff. Rechtsmittel 27 ff. Rechtsmittel, außerordentliche 29 Rechtsmittelautonomie 32 Rechtsmittelbegriff 27 ff., 27 (30) Rechtsmittelbegriff, französischer 28 f. Rechtsmittelbegriff, gemeinrechtlicher 28 f. Rechtsmittelbegriff, preußischer 28 f.

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Rechtsmittellehre, gemeinrechtliche 67 Rechtsmittelwesen 216 f. Rechtsprechung 372 ff. Rechtsprechung des Revisions- und Kassationshofes 20, 403 ff. Rechtsprechung, bergische 56 Rechtsquellen 392 ff. Rechtssprechung des RKH 392 ff. Rechtsvergleich 19 f., 94, 216 ff. Rechtsverweigerung 284 rHere legislatif 411 Reform der Rechtsmittel 344 ff. Reform des preußischen Rechts 309 ff. reglement des juges 232 Regreßklagen 249 Reichskammergerichtsordnung 33 Reichszivilprozeßordnung 366 f. Reisekosten 280 Relationen 142 Rentvertragsrechte 397 Reorganisation 175 Reorganisation der Kasationsgerichtsbarkeit 187f. Repertorium 380 requete civile 235 ff. Ressortreglement vom 20. Juli 1818 398f., 418 ff. Restauration 90 f. Resultate 71 ff., 83 Revision 29, 31 ff., 71 ff., 262ff., 275, 367 Revision, gemeinrechtliche 34 f. Revision, preußische 67 ff., 257 ff. Revision, preußischrechtliche 35 f. Revision, strafprozessuale 233 Revision, strafrechtliche 249 Revisions Ordnung 261 ff. Revisions- und Kassationshof 87 f., 89 ff. Revisions- und Kassationshof (Darmstadt) 442 Revisionsdeputationen 155, 161, 320 ff. Revisionsgründe 73 Revisionshof 262 ff. Revisionshof (Koblenz) 47 ff., 50 ff. Revisionskommissar 93 Revisionsrecht, deutsches 24 Revisionsrecht, preußisches 284 Revisionsrichter 54 Revisionssumme 324, 327 Revisionsverfahren 251

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Sachwortverzeichnis

Revisionsverfahren, preußisches 24, 76 f., 324ff. Revolution von 1848 206 ff. Rheinische Justizverfassung 152 Rheinische Rechtsprechung 26 Rheinisches Archiv 338, 376 ff.,384 ff. Rheinisches Provinzialrecht 169 f. Rheinisches Recht 17, 21 ff., 170 ff., 300 f. Rheinisches Recht, politische Funktion 434 Rheinlande 18 Rheinpreußische Justiz 23 Rheinprovinzen 57 Richter im Justizministerium 180 f. Richter, altpreußische 97 ff. Richter, rheinische 97 ff., 178 RichtersteIlen im Hauptamt 97 RichtersteIlen im Nebenamt 97 RKH20 Rubrum 375 Rückverweisung 255, 278, 365 Rückverweisung, obligatorische 49 Rügerecht des Justizministers 432 Sachentscheidung 49, 254 ff. Sachentscheidungsbefugnis 72, 74, 268, 271, 273f., 279ff., 298, 353ff., 404ff. Schlußverhandlung, mündliche 361 ff. Schriftsatzbindung 256 Section civile 229 f. Section criminelle 229 f. Section des requetes 229 f., 269 Sitzungsbetrieb 209 Sitzungssaal 138 f. Sitzungstage 142 Staatsfinanzen 162 Staatsministerium 63 ff. Staatsministeriumsvortrag vom 5. 8. 1818 64,66,77,84,87 Staatsrat 153 Staatsrat, bergischer 45 Staatsrat, preußischer 315 ff. Ständige Rechtsprechung 409 ff., 428 Standort des rheinischen Obergerichts 79 ff. Steuergesetzgebung 399 Strafgesetzbuch, preußisches 210 Strafgesetzbuch, revidiertes 181 Strafprozeß 362 ff. Strafrecht, politisches 183, 392, 400 Strafverfahren 210, 393

Supplikation 34 suspicion legitime 233 Tatfragen 256 Transitorische Gesetzgebung 173 Trennung von Verwaltung und Justiz 223 ff. Tres-conformes-Lehre 33 (55) Tribunal de cassation 222 f. Tribunal de revision (Trier) 41 ff. Überlastung des geheimen Obertribunals 326 ff. Unabhängigkeit der Gerichte 432 Unmittelbarkeit der Verhandlung 282 Urteilssarnmlung amtliche 382 ff. Urteilssarnmlung, private 383 f. Urwahlen zur Nationalversammlung 209 Verdachtsstrafe 183 Vereinheitlichung der Rechtsprechung 372ff.,406ff. Vereinigung der obersten preußischen Gerichte 209 ff. Vereinigungsgesetz 214 Verfahren des Revisions- und Kassationshofes 252 ff. Verfahren, außerordentliche 249 f. Verfahren, obergerichtliches 323 ff. Verfahren, Strafsachen 242 ff. Verfahren, Zivilsachen 238 ff. Verfahrenseinleitung 253, 285 Verfahrensordnung 276, 302 f. Verfahrensrecht 66ff., 215ff. Verfassung 18 Verfassung des französischen Kassationshofes 227 ff. Verfassung des Revisions- und Kassationshofes 248 ff. Verfassung, preußische 211 f. Verfassung, revidierte 213 Verfassungsersatz 91, 434, 440 Verfassungsgerichtshof 434, 440 Verhandlung 241, 254 ff. Verhandlungsmaxime 295 Verlegung des RKH 296 ff., 302 ff. Verrnittlungsfunktion 308, 310 ff. Veröffentlichung der Entscheidungen 335 ff. Veröffentlichung der Entscheidungsgründe 328f. Veröffentlichungserfordernis 430 f.

Sachwortverzeichnis Verordnung über das Rechtsmittel der Revision und der Nichtigkeitsbeschwerde vom 14. Dezember 1833 320ff., 348ff. Verordnung über den Mandats-, summarischen und Bagatellprozeß vom 1. Juni 1833 173, 320, 358 Verordnung vom 21. Juni 1819 136 Verschleppung der Prozesse 289 ff. Vertrags verletzung 287 Vertrauen der rheinischen Bevölkerung 175f., 179ff., 189, 203f. Verwaltungsstrukturen 398 Verweisung 264 f., 268, 273 f., 280 ff., 284 f. Verweisungsbefugnis 326 Verweisungsmöglichkeit 353 f. Vollstreckungsklausel 376 Vorverfahren 324 Wachterfunktion des RKH 440 f. Wahllokal 209

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Weisungen des Justizministers 429 ff. Weststaatverdacht 304 Zensurgesetzgebung 399 Zi vilkabinett 162, 189 Zi vilprozeß, gemeinrechtlicher 31 f. Zivilprozeßordnung 27 Zivilsachen 288 ff., 393 Zivilsenat, rheinischer 214 Zollgesetzgebung 399 Zuchtpolizeigerichte 394 Zulässigkeitsprüfung 291, 293 Zulassungssenat 274 Zulassungsverfahren 240, 265, 268 f. Zuständigkeit des Gerichtshofes 267 Zuständigkeit des Kassationshofes 230ff. Zuständigkeit des Revisions- und Kassationshofes 248 ff.