Nicolai Hartmann und das Ende der Ontologie 9783110823905, 9783110001556

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Nicolai Hartmann und das Ende der Ontologie
 9783110823905, 9783110001556

Table of contents :
EINLEITUNG
Die Grundzüge der Ontologie Nicolai Hartmanns
HAUPTTEIL
A. Die Entdeckung des gnoseo-ontologischen Zirkels und dessen eigentliche Bedeutung
B. Die Verkennung der Bedeutung des Zirkels bei Hartmann und dessen Ausbruchsversuche
1. Der ungeschichtliche Ausbruchsversuch
2. Der geschichtlich getönte Ausbruchsversuch
C. Der gnoseo-ontologische Zirkel in Hartmanns Seinsdeutung selbst
1. Der Doppelhorizont der Argumente für den Realismus
2. Der Realismus und das Wesen der Erkenntnis
3. Der Realismus und das Wesen der emotionalen Akte
SCHLUSSTEIL
Die Überwindung der Ontologie und der Verweis auf ein wesentliches Seinsdenken
Verzeichnis der Anmerkungen

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Kanthatk / Nicolai Hartmann und das Ende der Ontologie

KATHARINA

KANTHACK

Nicolai Hartmann und das Ende der Ontologie

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. GösAen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Triibner — Veit & Comp. BERLIN

1962

Archiv-Nr. 42 67 62/1

© Copyright 1962 by Walter de Gruyter & Co. — vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J. Trübner — Veit & Comp. Alle Rechte des Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Übersetzung, der 'Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, audi auszugsweise, vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: Deutsche Zentraldrudcerei, Berlin SW61.

Vorwort Diese Schrift umkreist die Frage, was unter einer edit kritischen Haltung des Denkens verstanden werden muß, und was sich ergibt, wenn ein „Kritizismus" auf halbem Wege stehenbleibt. Die so aufgeworfene Problematik treibt in schwere Bedenken hinein. Sie veranlaßt zu der Besinnung, ob bestimmte gewohnte Bahnen des Philosophierens noch weiterhin beschritten werden können. Als letztes Beispiel für jene lange geläufige Weise des Denkens werden die Ausführungen angesehen, in denen Nicolai Hartmann seine Ontologie darlegt. Hartmann weist sich selber die Stellung eines Epigonen zu, eines Nachkömmlings, dem das Geschick des Geistes die Möglichkeit schenkt, gleichsam „Ernte halten" zu können und sich, mit dem Rückblick auf die abgelaufene Geschichte der Philosophie, wenigstens auf den Weg zu einer nicht mehr überbietbaren Deutung des Seins begeben zu können. Was uns vor allem veranlaßt, gerade Hartmann auf seinen Gedankengängen zu begleiten, ist die „Entdeckung", mit der dieser Denker der geläufigen „Erkenntnistheorie" entgegentritt, die in der Neuzeit mehr und mehr geglaubt hat, die Rolle einer autonomen, in sich selbst gegründeten Disziplin spielen zu können. E r handelt sich um die Feststellung Hartmanns, daß die Erkenntnis „Seiendes" sei und deshalb letztlich nur von einer ontologischen Theorie her verstanden werden könne. Wir möchten zeigen, daß die genannte „Entdeckung", so selbstverständlich sie zu sein scheint, sich als geradezu revolutionär erweisen kann, daß Hartmann aber nicht zu erkennen vermag, welchen Sprengstoff sie enthält. E r ist auch nicht imstande zu sehen, daß seine eigene, wie jede andere, „kritisch" sein wollende Ontologie von da aus aufgehoben wird.

Denn die Konstatierung, daß Erkenntnis selbst Seiendes ist, verwehrt, wenn sie recht verstanden wird, über das Wesen des Seins noch in herkömmlichem Sinne nachzudenken; sei es in der Weise der großen klassischen Metaphysiken und Erkenntnislehren, sei es in der Art des epigonalen Ontologen Nicolai Hartmann. Im Hinblick auf solche Verwehrung hätte ein neues Seinsdenken gewagt werden müssen, eine Besinnung, deren entscheidende Ansätze wir im Werk Martin Heideggers erblicken. Hartmann geht diesem Wagnis aus dem Wege. Es wird gezeigt werden müssen, daß diese Fluchtbewegung zu keinem Ausweg führt.

Inhalt EINLEITUNG Seite

Die Grundzüge der Ontologie Nicolai Hartmanns

1

HAUPTTEIL A. Die Entdeckung des gnoseo-ontologischen Zirkels und dessen eigentliche Bedeutung

22

B. Die Verkennung der Bedeutung des Zirkels bei Hartmann und dessen Ausbruchsversuche 1. Der ungeschichtliche Ausbruchsversuch 2. Der geschichtlich getönte Ausbruchsversuch

30 43 48

C. Der gnoseo-ontologische Zirkel in Hartmanns Seinsdeutung selbst

91

1. Der Doppelhorizont der Argumente für den Realismus · · · · 2. Der Realismus und das Wesen der Erkenntnis

91 93

a) b) c) d)

Die Phänomenbeschreibung 93 Das Problembewußtsein und der Erkenntnisprogress · · 101 Die Bedeutung des Irrationalen 110 Die Möglichkeit des ontologisdien Ganzheitsumgriffes · · 121

3. Der Realismus und das Wesen der emotionalen Akte a) Darlegung des Hartmannschen Ansatzes b) Auseinandersetzung mit diesem Ansatz

132 132 137

SCHLUSSTEIL Die Überwindung der Ontologie und der Verweis auf ein wesentliches Seinsdenken 162 Verzeichnis der Anmerkungen

176

EINLEITUNG

Die Grundzüge der Ontologie Nicolai Hartmanns Die Philosophie Nicolai Hartmanns kann als „realistisch" bezeichnet werden, wenn man von der in der traditionellen „Erkenntnistheorie" aufgeworfenen Frage ausgeht, ob die Außenwelt unabhängig vom menschlichen Erkennen bestehe oder ob sie nur bewußtseinsimmanent sei. Gerade von dieser Alternative her überwindet Hartmann bekanntlich den „erkenntnistheoretischen Idealismus" der neukantianischen Marburger Schule, der er zunächst zugewandt ist. Die Bezeichnung des Hartmannschen Denkens als eines realistischen erweist sich aber insofern als ungenau, als dieser Denker neben dem realen „Ansichsein", das für ihn das anorganische Seiende, aber auch die organischen, seelischen und geistigen Prozesse umfaßt, noch eine zweite Weise des „Ansichseins" kennt, nämlich die ideale. Auch dieses ideale Sein besteht unabhängig von seinem Erfaßtwerden durch den Menschen. So sind z. B. nach Hartmann die Sinngehalte der Mathematik nicht nur in menschlichen Denkvollzügen vorhanden. Das Denken kann sich ihrer wohl bemächtigen, aber sie selbst bestehen als unverrückbar in zeitloser Weise. Unsere mathematischen Urteile „transzendieren" sich selbst, sie sagen etwas über das Sein bestimmter Inhalte aus, so etwa „der Winkel über dem Halbmesser im Kreis ist ein Rechter". „Die Seinsweise also, um die es sich hier handelt, hat offenbar Selbständigkeit gegen Urteil und Meinung, gegen Erkanntsein und Nichterkanntsein, gegen Erkennbarkeit und Unerkennbarkeit. Sie hat diese Selbständigkeit, obgleich der Gegenstand, dem das Urteil sie zuspricht, kein realer und auch nicht als realer gemeint ist. Solche Selbständigkeit aber ist der genaue Sinn dessen, was die Erkenntnistheorie Ansichsein nennt: das vom Erkennen unabhängige Bestehen des Gegenstandes." 1 1 Kanthack, Hartmann

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Das geschilderte ideale Seiende darf nicht in metaphysischem Sinne substantialisiert werden. Aber es muß um seiner Selbständigkeit willen dem Realen nebengeordnet werden. Das Bewußtsein erfährt auch, wenn es sich der „Welt" des Mathematischen zuwendet, die „Unnachgiebigkeit der Sache, mit der es zu tun hat".2 Allerdings gibt sich das „ideale Seiende" dem Erkennenden nicht so selbstverständlich als „an-sich-seiend" wie das Reale. Es liegt vielmehr die Gefahr sehr nahe, daß man mathematische Zusammenhänge subjektiviert, sie rein als Denkvorgänge des Menschen faßt. Diese letztere Interpretationsmöglichkeit aber wird nach Hartmann grundsätzlich dadurch abgeschnitten, daß man das Verhältnis des idealen zum realen Sein ins Auge faßt. Es besteht das „Wunder", daß die mathematischen Seinszusammenhänge am Realen wiederkehren, hier eingesenkt sind und in Verhältnissen der dinglich-realen Welt aufzufinden sind. Von da aus zeigt sich, daß die mathematische Gesetzlichkeit unmöglich nur eine Gesetzlichkeit des Bewußtseins sein kann. Es heißt: „Durch das Ineinander-Verwobensein des idealen und des realen Seins tritt gleichsam das ganze Gewicht des realen Ansidiseins hinter die scheinbar schwebenden idealen Gebilde und zeigt diese in ihrer wahren ontischen Artung".3 Immerhin kann mit dem Hinweis auf die mathematischen Verhältnisse des Realen nur die Bewußtseinsunaibhängigkeit des Mathematischen erwiesen werden. Noch nicht aber ist damit sichergestellt, „daß es auch eine selbständige Gegebenheit der idealen Gebilde, unabhängig von deren Enthaltensein im Realen, gibt".4 Hartmann spricht davon, daß eine solche Sicherstellung nicht leicht wäre, weil eine eigentümliche „Unaufdringlichkeit" des mathematischen Gegenstandes' bestünde. Er gibt auch noch weitere Gründe an, warum die Selbständigkeit des idealen Seins so schwer verstanden werden kann. So weist er z. B. auf die seltsame „Nahstellung" hin, die das ideale Sein dem menschlichen Bewußtsein gegenüber hat. Es wird ja in „innerer Schau" erfaßt. Unter den Argumenten, mit denen Hartmann auch gegenüber solchen Schwierigkeiten das selbständige Sein des Mathematischen verteidigt, findet sich der Hinweis auf die Notwendigkeit und

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Allgemeinheit der mathematischen Zusammenhänge, eine Notwendigkeit, die unverständlich wäre, wenn mathematisdie Erkenntnis nichts anderes als empirische Realerkenntnis wäre. Es wird ferner der Unterschied zwischen „reiner" und „angewandter" Mathematik in die Sicht gehoben, und es wird weiter die Indifferenz des Mathematischen gegen den „realen Fall" betont. Wir geben die Hartmannsche Formulierung: „Die Seinsweise des Idealen ist durchaus keine vom Realen gelöste, wohl aber eine solche von relativer Selbständigkeit, deswegen auch von selbständiger Erfaßbarkeit. Die Stellung Idealen im Gefüge der Welt ist durch die des Allgemeinen in Mannigfaltigkeit der Fälle eindeutig charakterisiert.

abund des der

Das Allgemeine eben besteht keineswegs jenseits der Fälle (ante res) für sich, aber auch keineswegs nur in mente als von ihnen abstrahiertes (post rem), sondern durchaus in rebus. Aber es geht gleichwohl in der Besonderheit der Realfälle nicht auf, sondern umfaßt mehr. Deswegen kann man seine Seinsweise nicht ohne weiteres derjenigen des Gemeinsamen in den Realfällen gleichsetzen. Nur im Sinne dieses Hinausragens über die Realsphäre ist es berechtigt, von einer eigenen Seinsweise des Idealen zu sprechen. Das geschieht ohne Gefahr von Mißverständnissen, solange man aus dem schlichten Ansichseinscharakter, der nur den Unterschied vom Sein der Realfälle bezeichnet, nicht ein verselbständigtes oder gar substantialisiertes Für-sich-Bestehen macht." 5 Für das erwähnte „Hinausreichen" werden als bekannteste Beispiele die imaginären Zahlen und die nichteuklidischen Räume benannt. Es gibt nun über das Mathematische hinaus noch sehr viel anderes „ideales Sein". In Anlehnung an die Husserlsche Phänomenologie zeigt Hartmann, daß aus dem Realen dessen „Wesenhaftes" herausgehoben werden kann bei „Einklammerung" der Realgegebenheit. Die Seinsweise dieses jetzt gemeinten „Wesenhaften" ist einmal ein „Drinstecken" des Idealen im Realen, das ja auch als Möglichkeit des Mathematischen aufgewiesen wurde. Es heißt jedoch weiter: „Wohl aber läßt sich hier in Zweifel ziehen, ob es auch Sinn hat, das ideale Sein der Wesenheiten rein in sich zu betrachten, i·

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als ob es audi ohne Realfälle irgendwie „vorkäme". Ein solches Vorkommen gibt es bei gewissen Arten des Mathematischen sehr wohl. Aber ob sich das auf Wesenheiten konkreterer Art übertragen läßt, ist wenigstens aus der Art, wie man sie gewinnt, nicht zu ersehen." 8 Auch hier, bei den Wesenheiten, liegt jedenfalls das Phänomen vor, daß das Allgemein-Wesenhafte inhaltlich ungeschmälert im Besonderen und Einzelnen enthalten ist und daß es doch gleichgültig ist gegen die Anzahl der Realfälle, ja sich inhaltlich auch dann nicht ändert, wenn es keinen Realfall gibt. Zwischen dem Mathematischen und den übrigen Wesenheiten besteht allerdings insofern noch ein Unterschied, als der Mensch die „freie Idealität" des Mathematischen rein in sich erfassen kann und das hier waltende Wesenhafte durch die Versenkung in die Realität sogar nur getrübt und entstellt entgegennehmen kann, während er bei der Fülle der übrigen Wesenheiten an den Ausgang vom Realfall gebunden ist und nur von ihm her das Wesenhafte sichten kann. Dieser Unterschied des Zuganges aber tangiert nach Hartmann nicht die Seinsweise des Idealen. Hartmanns Lehre vom idealen Sein nimmt weiterhin einen Wertontologismus in sich auf. Auch die Werte besitzen ideales Sein, haben allerdings den Wesenheiten gegenüber eine Sonderstellung. Die letzteren nämlich verhalten sich zum Realen wie Gesetze, denen das Reale durchgehend unterworfen ist. Dieses tun die Werte nicht. Das Reale kann „wertwidrig" sein. Von hier aus erweist sich die Selbständigkeit des Werthaften als eine „höhere" gegenüber den Wesenheiten. Es heißt in bezug auf die sittlichen Werte: „Der wirklichen Handlung läßt sich nur abgewinnen, was in ihr enthalten (realisiert) ist. Ob aber der Wert in ihr realisiert ist, läßt sich nur erkennen, wenn man den Wert selbst schon erfaßt hat und ihn wie einen Maßstab an das Erfahrene anlegen kann." „Die Werterkenntnis ist in ganz anderem Maße auf sich selbst gestellt als anderweitige Wesenserkenntnis. Die Hinführung durch den erfahrbaren Realfall versagt an ihr, und durch bloße Einklammerung des Besonderen ist hier nichts zu gewinnen, Ontologisch aber folgt, daß hier ein gewisses „Schweben" des idealen 4

Seins über dem Realen sich zeigt: die Indifferenz ist nicht nur die der Werte gegen das Reale, sondern auch eine solche des Realen gegen die Werte." 7 Die idealseienden sittlichen Werte determinieren das Reale nicht direkt, sondern sie bedürfen eines Punktes, einer Stelle im Realen, von der her ihre Determination angenommen •wird. Diese Stelle ist der Mensch. Das mit dem Wesen der Werte verknüpfte „Sollen" „greift sich das Subjekt". Diesem ist es überlassen, „sich für die Realisation des Wertes einzusetzen oder nicht".8 „Das sittliche Subjekt ist der Verwalter des Sollens in der Welt des realen Seins." 9 Als solcher muß es „Person" genannt werden und kann insofern mit „den großen metaphysischen Mächten des Seins" gleichgestellt werden, als es sich der Determination durch die Werte nicht zu beugen braucht, sondern frei entscheiden kann, ob es sie annehmen will oder nicht, d. h., sie in finalen, zielgerichteten Akten verwirklicht oder nicht.10 In solchen Entscheidungen spricht das Phänomen mit, daß Werte selbst — und zwar als positive — in inhaltlichem Konflikt zueinander stehen können. Hier kann das Schöpfertum im Menschen sich zu seinen größten Möglichkeiten erheben. „Und das gerade dürfte mit zum höchsten moralischen Sinn vollen Menschentums und echter Freiheit gehören, daß es Sache der Person ist, die an sich nicht prinzipiell lösbaren Konflikte aus freiem Wertgefühl und schöpferischer Kraft Schritt für Schritt im Leben zu entscheiden." 11 Über das Verhältnis von idealem und realem Sein läßt sich folgendes Grundgesetz aufstellen: „Ideales Sein findet sich als Grundstruktur in allem Realen, aber weder ist alles ideale Sein deswegen schon von sich aus Realstruktur, noch besteht alle Realstruktur in idealem Sein. Das ideale Sein also geht darin, daß es Realstruktur sein kann und in weitem Maße ist, nicht auf." „Aber auch das Reale seinerseits ragt inhaltlich über die Grenzen des Idealen hinaus — mit allem Alogischen, das in ihm ist, allem real Widersprechenden (Realantinomien) und allem Wertwidrigen." 12 Wir werden auf diese letzteren Hinweise bei der Behandlung des realen Seins zurückkommen.

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Der Hartmannschen Ontologie zufolge ist alles Seiende kategoriendeterminiert. Dies bedeutet, daß das Seiende allgemeine „Bestimmungen" an sich trägt. Als das in diesem Sinne Tragende heißt das Seiende „Concretum". Niemals gibt es das Concretum ohne Kategorien, und niemals sind die Kategorien ohne Concretum da. Hier besteht die ontische Eigentümlichkeit einer wechselweisen Urverflochtenheit. Für das Wort „Kategorie" setzt Hartmann auch den Ausdruck „Prinzip" ein. Es ist also nicht daran zu denken, daß den Kategorien eine gesonderte Existenz zukäme, daß sie etwa die Rolle der platonischen „Idee" oder der scholastischen „Essentia" spielten. Allerdings erkennt Hartmann, wie wir ja wissen, „ideal AnsichSeiendes" an. Es ist aber nicht so, daß die Kategorien nun als solche ideales Sein besäßen. „ Katego rialität" übergreift vielmehr den Gegensatz von idealem und realem Sein. Das ideale Sein kennt nur Formen, Gesetzlichkeiten und Relationen. Kategorien aber erschöpfen sich darin nicht. Sie beziehen sich audi auf dimensionale und substrathafte Züge des realen Seienden, Züge, die es beim idealen Sein nicht gibt. Ferner gibt es auch im idealen Sein den Gegensatz von Prinzip und Concretum. Ein Dreieck, eine Ellipse etwa stehen unter Prinzipien, sind aber nicht mit ihnen identisch. Und schließlich fallen die Kategorien des realen Seins mit denen des idealen nicht durchweg zusammen. Eine radikale Scheidung zwischen dem Reich der idealen Wesenheiten und der Kategorien besteht von der Zeitlichkeit her, die reine Realkategorie ist und der unter den Idealkategorien nichts entspricht, was ihr irgend vergleichbar wäre.13 Als ein zweites ausschließliches Moment des Realen läßt sich die Individualität nennen. Alles ideale Sein ist allgemein, und alles reale ist individuell — und zwar in strengem Sinne individuell: einzig und einmalig. Es entsteht nach Abweisung der Gleichsetzung von Kategorie und Wesenheit weiter die Frage, wie eigentlich Kategorien ihr Concretum determinieren. Es geht um das schon vom Piatonismus her aufbrechende und nach Hartmann bisher in der Philosophie durchaus unbewältigte Phänomen der „Teilhabe" des Seienden am 6

Kategorialen. Unbewältigt muß diese Frage so lange bleiben, wie hier von der Trennung zweier Reiche die Rede ist. Es muß daher immer wieder betont werden, daß die Kategorien kein anderes Sein haben als das einer von ihnen ausgehenden, das Seiende betreffenden Determinationsweise. Hinsichtlich eben dieser Determinations weise wird von Hartmann unter anderem die Möglichkeit abgewiesen, daß die Kategorien in teleologischer oder normativer Weise „bestimmen", daß sie also, und zwar alle Kategorien, ihr Concretum einem Ziel- und Endzustand entgegenführen. Als Prototyp f ü r diese Verfehlung wird der Aristotelismus mit seiner Formenlehre benannt. Hier wird nach Hartmann nur eine einzige Kategoriengruppe als die maßgebende angeleuchtet, nämlich die von Zweck, Norm und Wert. Es findet also das statt, was Hartmann „kategoriale Grenzüberschreitung" nennt als den in der Geschichte der Ontologie immer wieder anzutreffenden Mißgriff, den Geltungsbereich einer Kategoriengruppe über das ihr wirklich untergeordnete Gebiet hinaus auszudehnen. Was die „Grenzüberschreitung" der teleologischen Kategorien anlangt, so ist diese nach Hartmann sehr schwer ausmerzbar. Es heißt wörtlich: „Die Expansionstendenz des teleologischen Denkens ist eine Art Erbsünde der Metaphysik, die zu bekämpfen um so schwieriger ist, als ihre im Gefühlsleben verborgenen Wurzeln nicht so sehr der argumentierenden Widerlegung als einer Umbildung der seelischen Haltung bedürfen. Solche Umbildung ist aber nur durch die Schaffung eines neuen Denkgeleises, sowie durch Gewinnung voller Bewegungsfreiheit in ihm zu erreichen. Und beides muß dem traditionellen Denkzwang der herrschenden Begriffe erst abgerungen werden." 14 Neben dem Vorurteil des „Teleologismus" bekämpft Hartmann nachdrücklich die Behauptung, daß die Kategorien „Begriffe" wären. Kategorien sind Prinzipien der Gegenstände und somit „in ihnen enthalten". „Und sofern Gegenstände als das, was sie wirklich sind, erfaßt werden, sind entsprechende Kategorien auch im Erkenntnisinhalt enthalten; in diesen also handelt es sich dann um Erkenntniskategorien. Aber weder in den einen noch in den anderen handelt es sich um „Begriffe" der Kategorien. Das erfassende Bewußtsein ist an seine Gegenstände hingegeben; es besteht neben 7

dem Gegenstandsbewußtsein nicht nodi in einem zweiten Bewußtsein, einem Kategorienbewußtsein. Denn es steht weder in der Macht der Dinge, anders zu sein, noch in der Macht des erkennenden Bewußtseins, sie anders aufzufassen, als die Kategorien es vorschreiben. Ob aber ein darüber hinausreichendes Denken sich auch von den Kategorien einen „Begriff" machen kann oder nicht, davon ist jenes Enthaltensein und Vorschreiben vollkommen unabhängig. Begriffe sind hier wie überall etwas Nachträgliches, ontologisch wie erkenntnistheoretisdi Sekundäres; dasjenige, dessen Begriffe sie sind, steht indifferent zu ihnen. Es kann von ihnen getroffen oder auch verfehlt werden, es selbst bleibt dabei, was es ist. Die Ontologie und die Erkenntnistheorie haben dieses gemeinsam, daß nicht Kategorienbegriffe, sondern die Kategorien selbst Gegenstand ihrer Untersuchung sind. Beide aber sind ihrerseits in der Lage, Kategorienbegriffe zu bilden, nämlich als ihre selbetgeschaffenen Werkzeuge, mit denen sie diesen ihren Gegenstand zu bewältigen suchen." 15 Hartmann versteht also unter einem „Begriff" das Mittel des menschlichen Denkens, die Kategorien zu fassen. Diese Fassung kann gelingen oder mißlingen, darum gibt es eine Geschichte der Kategorialbegriffe, einen Prozeß, der sich allerdings „für die Philosophie günstig als ein fortschreitender Adäquationsprozeß auffassen läßt." 16 Kategorien bestehen also, ohne erfaßt werden zu brauchen. Kategorienbegriffe aber können zunehmend ihnen angeglichen werden. Dies geschieht in der Geschichte der Ontologie, so daß die Ontologie schließlich weitgehend Adäquatheit ihrer Begriffe anbieten kann. Sie, die Ontologie Hartmanns, ist hierbei schon weit vorangeschritten, da sie bestimmte, nicht mehr verrückbare Grundstrukturen des Kategorialgefüges im Ganzen herausstellen kann. Der Unterschied zwischen Kategorie und Begriff ist also in dem Augenblick der Adäquation als inhaltlicher Unterschied aufgehoben, da aufgehoben, wo begriffliche Durchdringung des Seienden möglich ist. Solche Durchdringung kann nämlich nicht überall zustande kommen. Nach Hartmann gibt es Zonen, weite Gebiete des Seienden, die irrational sind, transintelligibel, logisch nicht durchdringbar. Kategorien können selbst einen Einschlag des Irrationalen haben. Sie determinieren nicht nur im Sinne des Formhaften, Ge8

setzmäßigen, Relationshaften am Seienden, im Sinne von Momenten also, die rational-logisch erfaßt und dargestellt werden können, sondern auch im Sinne des Substrathaften, das nie ins Licht des logischen Begreifens gehoben werden kann. Unfaßbar von allen Erklärungsversuchen der Ratio her bleibt ferner das schlechthin Einfache der niedersten Kategorien einerseits und das allzu Komplexe der höheren Kategorien andererseits. Undurchdringbar scheinen sehr viele Kategorien auch darum zu sein, weil sie Unendlichkeitsmomente enthalten und von diesen her sich Schwierigkeiten (Antinomien) ergeben, die unser Denken nicht zu lösen vermag. Die Tatsache, daß die Kategorialanalyse früher oder später auf Unerkennbares stößt, darf nach Hartmann den Denker nicht entmutigen. Zunächst werden dadurch, wie es heißt, ja nicht die Seinskategorien selbst betroffen, sondern es leidet nur unsere Erkenntnisbeziehung ihnen gegenüber. Hier muß allerdings der „Spekulation" ein Halt geboten werden. Von daher ergibt sich, daß das System der Kategorien, zu dem die Forschung bestenfalls gelangen kann, notwendig ein „Ausschnitt" bleiben muß und sich mit dem an sich bestehenden System der Seinsprinzipien „immer nur näherungsweise" decken kann.17 Von der Ontologie heißt es nun, daß sie das Ganze mit ihren Strukturen umgriffe. 18 „Ausschnitthaftigkeit" kann dann für Hartmann nur den Sinn haben, daß nicht alles zwischen den Strukturen, von denen her der Gesamtumgriff geleistet werden kann, durchleuchtbar, rational faßbar ist. Man ist bei Hartmann gezwungen, „Ausschnitthaftigkeit" im Sinn rationaler Durchdringbarkeit mit der Möglichkeit ontologischer Ganzheitsschau zusammenzudenken. Die Folge davon ist, daß auch das Irrationale, also die Mannigfaltigkeit des Undurchsichtigen, „Ausschnittcharakter" tragen muß. Hartmann hält es, obwohl er immer wieder vor zu schnellem Vorgehen warnt, letztlich doch für möglich und sogar für notwendig, zu einem „System" der Ontologie zu kommen. Wenn er nun trotzdem Irrationales in seinem Weltbild bestehen läßt, so muß er dieses, das Traneintelligible, gleichsam eingrenzen und ihm im „System" den Platz zuweisen. Wir werden uns erlauben, hier von einem „domestizierten" Irrationalen zu sprechen.

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Wir kehren zur Betrachtung des Kategorialen im allgemeinen zurück. Wir wiesen, daß nach Hartmann die Kategorien keineswegs etwas rein Subjektives sind. Daher kann man sie nicht auf nur „apriorischem" Wege erkennen, indem man sie als reine Erkenntnisse deduktiv aus einem evidenten Wissensurbesitz des Subjekts ableitet, wie dies etwa Descartes versucht hat. Kategorien können nicht jenseits aller Gegenstandsbezogenheit aufgewiesen werden. Die natürliche Erkenntnisrichtung ist hier vielmehr die zum Gegenstand hin. Hartmann nennt sie die intentio recta. Will die Erkenntnis ihre eigenen Kategorien untersuchen, so muß sie sich in einer sekundären „intentio obliqua" vom Gegenstand fortwenden und sich selber zukehren. Kategorienerkenntnis spielt sich also ab in der Weise der Analyse des Gegenständlichen. Im Zuge solcher analysierenden Durchdringung kann es zur „Evidenz" des echt Kategorialen kommen. Dieses kann sich so in einer einleuchtenden Weise als „prius" dem Concretum gegenüber erweisen, und von daher kann die ihm zugewandte Erkenntnis „apriori" genannt werden. Auch wenn das menschliche Erkennen nicht auf Irrationales stößt, sondern dem „Seinskategorialen" irgendwie „gewachsen" ist, so daß hier eine Deckung besteht, braucht diese letztere nicht total zu sein. Die Erkenntniskategorie kann der Seinskategorie gegenüber gewisse divergierende Züge zeigen, obgleich sich beide mit demselben Wort bezeichnen lassen. Hartmann benennt u. a. als Beispiel für ein solches Differieren die Kategorien „Raum", „Zeit", „Substanz". Der KategoriaJanalyse bleibt „nichts anderes übrig, als jede einzelne Kategorie gesondert als Seins- und als Erkenntniskategorie zu untersuchen." 19 Was nun die Frage nach dem Gesamtzusammenhang des Kategorialreiches anlangt, so betont Hartmann, daß man hier keine „punktuelle" Einheit ansetzen kann im Sinne eines Monismus, d. h., daß sich die Gesamtheit des Seienden nicht aus einem Urprinzip und der diesem entsprechenden Kategorie ableiten läßt. Einem Einfachen ließe sich das Komplexe niemals entringen. Auch ein Einheitsschema im Sinne des „harmonischen Ausgleichs kategorialer Gegensätzlichkeiten" wird als Deutung abgelehnt. Es soll hier wiederum ein spekulativer Ansatz vorliegen, ein Verfahren, dem gegenüber es heißt: 10

„Die wirkliche Einheit der Welt und ihres Kategoriensystems kann sich bestenfalls an der inneren Strukturgesetzlichkeit ergeben, die den Aufbau der realen Welt beherrscht, und die sich dann am Leitfaden der kategorialen Zusammenhänge wohl auch muß ermitteln lassen. Nur darf man sich dieses Ermitteln nicht wie ein geschwindes intuitives Erschauen vorstellen. Es muß den langen Weg der Kategorialanalyse durchlaufen, der sich nicht willkürlich abkürzen läßt. Daß ein Fortschreiten an diesem Leitfaden auf die Einheit eines Systems hinausführt — auf das natürliche System des Seienden, ausgeprägt in einem ebenso natürlichen System von Kategorien —, wird man wohl kaum bezweifeln können." Hartmann ist hier durchaus optimistisch und fährt fort: „Es liegt kein Grund vor. das natürliche System im Aufbau der realen Welt für unerkennbar zu halten. Ganz im Gegenteil, von jedem Problemstadium der Kategorienforschung aus ist ein gewisser Zugang zum Einheits- und Systemtypus des Ganzen gegeben, und in ihrem Fortschreiten wird dieser Zugang notwendig immer breiter. Daß dem so ist, davon legt gerade das heutige Stadium der Forschung Zeugnis ab. Der lückenhafte Überblick, den wir gewinnen können, genügt durchaus, um eine Anzahl kategorialer Zusammenhangsgesetze faßbar zu machen. Und in diesen liegt bereits der Hinweis, in welcher Richtung die Einheitsstruktur in der Mannigfaltigkeit zu suchen ist." 20 Es ist in diesen Worten von der „Einheit der Welt und ihres Kategoriensystems" die Rede. Und dann wird davon gesprochen, daß wir nur einen „lückenhaften Überblick" gewinnen können. Diese Ausführungen verweisen wiederum ganz klar auf die Tatsache, daß das Irrationale bei Hartmann die Gewinnung eines grundlegenden kategorialen Strukturgerüstes für das „Ganze" nicht verwehrt. Zu den Gegebenheiten und Ingredienzien der Sphäre des realen Seins gehört auch die menschliche Erkenntnis. „Das erkennende Subjekt" ist in die Weiten des Realen überhaupt eingebettet. Es hat nur die Besonderheit an sich, „daß es das Ganze dieses ReaJgefüges (einschließlich seiner selbst) noch einmal in sich darstellt, repräsentiert — oder, wie ein altes Bild sagt, .widerspiegelt'." 21 11

In dieser Weise sucht also Hartmann die Erkenntnis als seiende in seinem ontologischen Systemansatz unterzubringen. Sie ist eine bestimmte Relation im Gesamtzusammenhang der Seinsrelationen überhaupt. Wir zitieren: „Das erkennende Weltbewußtsein ist die Wiederkehr seiner selbst und aller Dinge in der Vorstellung, im Gedanken, in der Meinung und Beurteilung. Es ist zwar nur eine inhaltliche Wiederkehr im Ausschnitt, und auch das nur näherungsweise, aber dennoch eine Art Wiederkehr: eine zweite Welt als Darstellung der ersten im Subjekt, aber nicht neben der ersten, sondern in ihr. Denn das Subjekt ist von der ersten mit umfaßt. Die Relation zwischen Vorstellung und Gegenstand ist eine von vielen Beziehungen, die das seiende Subjekt mit anderem Seienden verbinden; wie denn Erkenntnis nur ein Spezialfall der transzendenten Akte (Erleben, Erfahren, Wollen, Handeln usw.) ist, und keineswegs der bevorzugte oder grundlegende unter ihnen . . . Das ganze Erkenntnisverhältnis ist eine Teilrelation des Seienden." 22 Die beiden im Vorhergehenden benutzten Worte „Repräsentation" und „Widerspiegelung" müssen im Sinne der Hartmannschen Erkenntnislehre und seiner Ontologie durch das Wort „Zuordnung" übergriffen werden. Das meint, daß das in der Erkenntnis entstehende „Spiegelbild" zwar keine inhaltliche Ähnlichkeit mit seinem Urbild aufzuweisen braucht, daß es aber immer feste Entsprechungen zu ihm haben muß. Die Art der Zuordnung differiert mit den „Stufen der Erkenntnis", deren Mannigfaltigkeit sich grundlegend auf den Unterschied von Wahrnehmen und Wissen als der Möglichkeit, das Allgemeine, also das Kategoriale am Seienden zu erkennen, zurückführen läßt. Die umfassende Leistung der Erkenntnis als einer Spiegelung des Seins in sich selber muß, wenn man den Gedankengängen Hartmanns folgt, im Entwurf einer Ontologie liegen. In ihr muß das Sein zu einer — wenn auch lückenhaften — Totalspiegelung seiner selbst kommen. Denkt man nun an die Geschichte der Ontologie, in der, wie Hartmann sagt, immer wieder „Grenzüberschreitungen" des Kategorialen vorgekommen sind, so muß sich das Sein hier jeweils in „Fehlspiegelungen" seiner selbst geworfen haben. In der Hartmannschen Ontologie aber muß es mindestens auf dem Wege

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sein, sich „zutreffend zu spiegeln", weil hier jene Grenzüberschreitungen ja nicht mehr auftreten sollen. Es ist nun zunächst zu zeigen, wie Hartmann sein Kategoriensystem entwirft. Er kennt hier so etwas wie eine horizontale Schichtung, die jedoch von vertikal übergreifenden Strukturen durchstoßen wird. Einmal bildet das Reale einen vierschichtigen Stufenbau. Hertmann hält es für notwendig, die Besonderheit des Anorganischen, des Organischen, des Psychischen und des Geistigen durchaus anzuerkennen. Es gibt gewisse Grundphänomene unüberbrückbarer Andersartigkeit im Stufenbau der Realgebilde, die sich durch keine Kontinuitätserwägungen hinwegdisputieren lassen. iSie, die Schichtten, „machen sich als augenfällige Einschnitte in der Abstufung selbst bemerkbar. Sie sind in ihrer Art unverkennbar dadurch, daß es mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis auf keine Weise gelingen will, die an den Grenzscheiden auftretenden Lücken im Continuum auszufüllen. Es ist, als risse hier die Kette der Seinsformen ab, um dann wieder in einem gewissen Höhenabstand neu zu beginnen." 28 Quer zu den Kategorialzusammenhängen der einzelnen Schichten stehen aber nun solche Prinzipien, die Hartmann als Fundamentalkategorien bezeichnet. Sie gehen durch alle Schichten hindurch und wandeln sich nur mit deren Eigenart ab. Hierher gehören einmal die Modalkategorien Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit. Sodann gibt es eine Anzahl von durchgehenden Elementarkategorien, die je als Gegensatzpaare auftreten, so u. a. Einheit und Mannigfaltigkeit, Form und Materie, Qualität und Quantität, Continuum und Diskretum. Und schließlich gibt es eine Mannigfaltigkeit von „kategorialen Gesetzen", die das Wesen des Prinzipseins, die Kohärenz der Kategorien innerhalb einer Schicht, die Überlagerung der Kategorienschichten und die innerhalb ihrer waltende Dependenz bestimmen. Die Fundamentalkategorien gelten überwiegend für das Teale und das ideale Sein. Nur dem realen Sein kommen allerdings die Kategorien der Zeitlichkeit und der Individualität, von denen wir oben sprachen, zu.24 Den fundamentalen Gegensatzkategorien widmet Hartmann lange Untersuchungen, obwohl er von vornherein zugibt, daß sich 13

vom heutigen Stand unseres Wissens her hier keine vollständige Tafel aufzeigen läßt. „Überhaupt muß in aller Klarheit ausgesprochen werden, 'daß alle Zusammenstellung im gegenwärtigen Forschungsstadium etwas Unsicheres und Tastendes behält. Und daraus muß die Konsequenz gezogen werden, daß jede Art von ,Kategorientafel' die sich aufstellen läßt, nur einen Versuch darstellt, wie er der gegebenen Problemlage entspricht, keineswegs aber den Anspruch erheben kann, ein System zu sein. Das hindert natürlich nicht, daß sich auch in einer so locker gefügten Zusammenstellung gewisse Züge eines Systems ankündigen." 25 Der Weg dahin wird aufgezeigt, indem zunächst von einem „rhapsodischen" Verfahren die Rede ist. Solche rhapsodische Erfassung vermag mit dem Blick auf die Geschichte der Philosophie eine „unverbindliche" Reihe von Seinsgegensätzen zusammenstellen. Dann läßt sich die Irreduzibilität dieser Gegensätze aufweisen und zugleich ihre durchgehende Kohärenz, ihre Bezogenheit aufeinander, zeigen. Darüber hinaus lassen sich besondere Zusammengehörigkeiten, „eigentliche Implikationen", unter den Gliedern der Gegensatztafeln herausstellen. Und schließlich läßt sidi die Vierschichtenlehre wiederum von der Abwandlung der fundamentalen Alternativkategorien in diesen Schichten her zusätzlich aufhellen.2« Man sieht also, es wird mit dem Verfahren eines Vergleiches von Allgemeinbestimmungen gearbeitet. Das dazu notwendige Material wird aus der Geschichte der Philosophie genommen, aus jenen Philosophien, die ihrerseits gewisse Grundgegensätzlichkeiten in einem Vergleichsverfahren exponiert hatten. Der „Spätgeborene" hat als Ontologe die Möglichkeit, auf jene Vorarbeit zurückzugreifen und kann nun einen neuen Ordnungsvorschlag machen. Irgendwie muß dieses Verfahren sich natürlich mit dem der möglichst exakten KategorialanaJyse am Gegenstand zusammenflechten lassen. Die Grundprinzipien eben seines „epigonalen" Vorschlags werden von Hartmann an vielen Stellen seines Werkes, insbesondere in Form der Polemik gegen andere Entwürfe, als unüberschreitbar und endgültig zutreffend herausgestellt. 14

Dabei wird die vorhin schon aufgeworfene Frage nach einer eventuellen Einheit des Kategoriensystems so beantwortet, daß von einem „Ineinanderstecken der Kategorien in der Weise eines Gefügezusammenhanges" die Rede ist. Die volle Meinung Hartmaniis erschließt sich von folgenden Worten her: „Das Gefüge der Kategorien ist als solches für die einzelne Kategorie der Inbegriff ihrer Außenverhältnisse, also im strengen Sinne ihr Äußeres. Was eine Kategorie in sich selbst ist, ihr Inneres, kann damit nicht zusammenfallen. Nun aber erweist es sich, daß nichtsdestoweniger eben dieses ihr Inneres an ihrem Äußeren faßbar wird. Das ist nur möglich, wenn es einen Zusammenhang des Inneren und Äußeren gibt, der eine Art Wiederkehr oder Spiegelung des einen im anderen ausmacht. Wenn dem aber so ist, so haben wir es mit einem sehr eigenartigen Typus von Determination im Gefüge der Kategorien zu tun, der nichts Geringeres besagen würde als die durchgehende Abhängigkeit des inneren Baues einer Kategorie von dem Gefüge der Verhältnisse, in denen sie steht." 27 In umfangreichen Darstellungen bemüht sich Hartmann, die „Abwandlung der Seinsgegensätze in den Sdiichten" zu zeigen. Mit dem Wort „Abwandlung" wird zum Ausdruck gebracht, daß im Grunde ein- und dieselbe Kategorie durch alles reale Seiende hindurchgeht, daß sie dabei aber je nach der Realschidit, in der sie sich zeigt, Varianten annimmt. Der Sinn von „Variabilität" wird dabei außerordentlich weit gefaßt. So erscheinen in der „Gefügeordnung", die Hartmann meint erarbeiten zu können, Gegensätze wie der von kausaler Notwendigkeit und Freiheit als „Varianten" einer Grundkategorie. Audi der ganz fundamentale Gegensatz „Prinzip — Concretum" kann nach Hartmann eine Radikalwandlung erfahren. Dies geschieht an der Stelle, wo das „ideale Sein" der Werte sich durch das menschliche Tun hindurch auf die reale Welt auswirkt. 88 Die Werte erscheinen in der Darstellung Hartmanns als Prinzipien, als Kategorien, von denen es nun heißt: „Ihr Concretum in der realen Welt ist der menschliche Wille, und mittelbar durch ihn hindurch die Handlung. Für Wille und Handlung ist es charakteristisch, daß sie von dem, was ,sein soll', nicht direkt determiniert werden, sondern ihm gegenüber die Freiheit der Ent15

Scheidung haben, ihm zu folgen oder nicht. Auf dieser Freiheit beruht ihre Fähigkeit, gut oder böse zu sein. . . Die Grundbedingung des Menschseins also liegt gerade in der Durchbrechung jener Unverbrüchlichkeit, die sonst das Verhältnis von Prinzip und Concretum auszeichnet." 29 Selbst dabei aber liegt nach Hartmann noch eine „Abwandlung" eines Kategoriengegensatzes vor. Der „Systemzwang", von dem man hier doch wohl sprechen kann, muß den Fundamentalkategorien natürlich angetan werden, damit die „Einheit der Gefügeordnung" herauskommt, die ja von der Schichtenlehre her als gefährdet erscheinen kann. Dieser Zwang läßt sich auch noch an anderen Stellen verspüren. So, wenn etwa unter das Gegensatzpaar „Einheit — Mannigfaltigkeit" sowohl rein physikalische Einheitsphänomene wie auch die „Einheit der Person" subsumiert werden.30 In ähnlicher Kühnheit des Übergriffs wird von der Durchgängiglteit des Gegensatzes „Substrat — Relation" gesprochen, einer Durchgängigkeit, die sich eben auch auf alle vier „Schichten" Hartmanns bezieht — selbst auf die Region des Seelischen und Geistigen. Hartmann spricht dabei allerdings etwas zögernd.81 Seine Ausführungen weisen überhaupt bei den erwähnten Totaldurchstößen immer wieder eine besondere Diktion auf. Er betont die Rätselhaftigkeit und Merkwürdigkeit, die aufleuchtet, wenn man sich die „Wandelbarkeit" einer Kategorie vergegenwärtigt. Aber er wird durch dieses „Erratische" nun nicht etwa zu der Frage getrieben, ob denn wirklich die „Immergültigkeit" einer Fundamentalkategorie durch alle Wandlungen hindurch festgehalten werden kann. Er gibt eben dem Begriff „Abwandlung" eine unerhörte Weite und spannt ihn hinweg über Phänomenbereiche, von deren Verschiedenheit her kaum mehr faßbar wird, was denn nun noch das „Verbindende" sein soll, jenes „Verbindende", das ja angenommen werden muß, wenn dieselbe Kategorie überall gelten soll. 32 Es ist aber festzustellen, daß Hartmann selbst immer dann von der besonderen Radikalität der Wandlung spricht, wenn es sich um den Übergang von den durch Räumlichkeit zu charakterisierenden Schichten, dem Anorganischen und Organischen, zu den „höheren" Schichten des Seelischen und Geistigen handelt. 16

An solchen Stellen zeigt sich sehr nachdrücklich, daß sich das Schema der vier Schichten einerseits und das der sie durchstoßenden und sich mit ihnen abwandelnden Fundamentalkategorien andererseits ständig in den Darlegungen Hartmanns wechselseitig tragen. Vom Ansatz der Schichtenlehre her wird eine bestimmte Abwandelbarkeit der Kategorien insinuiert. Und von der Durchgängigkeit der Kategorien her werden wieder Erklärungen dafür geliefert, daß der Schichtenbau nicht auseinanderbricht, sondern daß hier so etwas wie eine Staffelung, eine Hintereinanderschaltung angesetzt werden kann. Ein entscheidendes Kapitel der Hartmannschen Ontologie liegt schließlich noch in seiner Lehre von den kategorialen Gesetzen vor. In ihnen werden eine Reihe von ontologischen Grundlbehauptungen, die wir schon dargestellt haben, eben in der Weise von „Gesetzen" gefaßt. Betonenswert sind dabei besonders die Konstatierungen, die mit dem Phänomen der kategorialen „Kohärenz" zusammenhängen. Sie besagen, daß die Kategorien einer Seinsschicht das Concretum nicht isoliert (jede für sich), sondern nur gemeinsam, in Verbundenheit, determinieren und daß sie, diese Schichtenkategorien, in ihrer -wechselseitigen Verflechtung eine unlösliche Einheit bilden. Diese Einheit sei keine nur summative, sondern habe als Ganzheit das Prius vor ihren Elementen. Das vierte jener Kohärenzgesetze, das Gesetz der Implikation, möchten wir wörtlich geben: „Die Ganzheit der Schicht kehrt an jedem Gliede wieder. Jede einzelne Kategorie impliziert die übrigen Kategorien gleicher Schicht. Jede einzelne hat ihr Eigenwesen ebensowohl außer sich in den anderen Kategorien wie in sich; die Kohärenz der Schicht aber ist ebensowohl an jedem Gliede als auch am Ganzen vollständig vorhanden." 83 Das Phänomen der Kategorienimplikation hat zur Folge, daß alles philosophische Eindringen hier die Form „konspektiver Schau" haben muß. Da nun die Implikation der Kategorien wohl die Beziehung der Kategorien einer Schicht zueinander faßt, nicht aber das Verhältnis der Schichten zueinander einsichtig werden läßt, so müssen in 2 Kanthadc, Hartmann

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letzterer Hinsicht besondere Schichtungsgesetze aufgestellt werden. Wir geben diese wörtlich: „1. Das Gesetz der Wiederkehr. Niedere Kategorien kehren in den höheren Schichten als Teilmomente höherer Kategorien fortlaufend wieder. Es gibt Kategorien, die, einmal in einer Schicht aufgetaucht, nach oben zu nicht mehr verschwinden, sondern immer wieder auftauchen. Die Gesamtlinie solcher Wiederkehr hat die Form eines ununterbrochenen Hindurchgehens durch die höheren Schichten. Aber dieses Verhältnis kehrt sich nie um: die höheren Kategorien tauchen in den niederen Schichten nicht wieder auf. Die kategoriale Wiederkehr ist irreversibel. 2. Das Gesetz der Abwandlung. Die kategorialen Elemente wandeln sich bei ihrer Wiederkehr in den höheren Schichten mannigfaltig ab. Die besondere Stellung, die ihnen in der Kohärenz der höheren Schichten zufällt, gibt ihnen von Schicht zu Schicht neue Überformung. Was sich erhält, ist nur das Element selbst. An ihm als solchem ist die Abwandlung akzidentell. Im Aufbau der realen Welt aber ist sie ebenso wesentlich wie die Erhaltung. 3. Das Gesetz des Novums. Auf Grund der Wiederkehr ist jede höhere Kategorie aus einer Mannigfaltigkeit niederer Elemente zusammengesetzt. Aber sie geht niemals in deren Summe auf. Sie ist stets noch etwas darüber hinaus: sie enthält ein spezifisches Novum, d. h. ein kategoriales Moment, das mit ihr neu auftritt, das also weder in den niederen Elementen noch auch in deren Synthese enthalten ist und sich auch in sie nicht auflösen läßt. Schon die Eigenstruktur des Elementen-Verbandes in ihr ist ein Novum. Es können aber auch neue, eigenartige Elemente hinzutreten. Das Novum der höheren Kategorien ist es, was in der Wiederkehr der Elemente deren Hervor- und Zurücktreten, sowie ihre Abwandlung bestimmt. 4. Das Gesetz der Schichtendistanz. Wiederkehr und Abwandlung schreiten nicht kontinuierlich fort, sondern in Sprüngen. Diese Sprünge sind allein durchgehenden Linien kategorialer Wiederkehr und Abwandlung gemeinsam. Sie bilden an der Gesamtheit solcher Linien einheitliche Ein18

schnitte. Auf diese Weise ergibt sich eine einzige Vertikalgliederung für alle Abwandlung durch, die Höhendistanz der sich überlagernden Schichten. In diesem einheitlichen Stufenreich hat jede höhere Schicht der niederen gegenüber auch ein gemeinsames Novum: sie enthält die abgewandelte Schichtenkohärenz der niederen und taucht selbst mit der ihrigen abgewandelt in der nächst höheren auf. Sie erhält sich also — entsprechend den Kohärenzgesetzen — in ihrer Gesamtheit nicht anders als die einzelnen Kategorien." 34 Vom Phänomen der Wiederkehr von Kategorien her spielt eine besondere Rolle die Räumlichkeit. Sie tritt, nachdem sie ihre Bedeutung für das anorganische Sein entfaltet hat, nur noch im organischen auf und bricht dann ab. Seelisches und Geistiges sind unräumlich. Es zeigt sich dabei, daß der Einschnitt zwischen den Kategorien des anorganischen und des organischen Seins ein nicht so radikaler ist wie der zwischen den organischen und den psychischen Strukturen. In den beiden ersten Regionen zeigt sich ständig die Möglichkeit der „Überformung" eines Materiehaften. Der Gegensatz von Form und Materie kann dabei relativ sein: schon Geformtes kann sich als Substrat neuer Formung darbieten. An der Grenze zum Psychischen hin aber reißt, zugleich mit der Kategorie des Raumes, diese Möglichkeit ab. „Die räumlichen Formen und die raumzeitlichen Prozesse des Organischen gehen nicht als „Materie" in das Seelenleben ein, sie werden von den psychischen Akten und Inhalten nicht „überformt". Das Verhältnis ist hier ein anderes. Das seelische Sein erhebt sich zwar über dem organischen, aber nur wie ein ,Überbau', der das Material der niederen Stufe hinter sich läßt." 35 Zum seelischen Sein steht wiederum das geistige in einem Überbauungsverhältnis. Das hier gesichtete und als „Überbauung" bezeichnete Phänomen veranlaßt uns noch einmal zum Hinweis darauf, daß ja an dieser Stelle schon immer von besonderer Radikalität der Abwandlung" der Fundamentalkategorien die Rede war. Das Wort „Novum", das bei der Aufstellung der Kategorialgesetze bei Hartmann erscheint, gehört aufs engste zusammen mit dem Wort „Abwandlung". An den Schichtengrenzen treten bis dahin nicht vorhandene spezifische Züge auf — in besonderem Maße bei den „Überbauungsverhältnissen". 2·

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„Ohne das Einsetzen eines kategorialen Novums in jeder neuen Schicht ist der Formenreichtum der Abwandlung schlechterdings nicht zu verstehen . . . Wenn im Aufstieg von Schicht zu Schicht nicht bei jedem Sdiritt andere Kategorien einsetzten — und zwar urwüchsig andere, den niederen wirklich heterogene —, so müßte das höhere Concretum aus den Kategorien des niederen allein zu verstehen sein: der Organismus müßte aus Prinzipien des Materiellen, das Bewußtsein aus denen des Organischen u.s.f. verständlich sein. Denn die höheren Kategorien selbst könnten dann nichts anderes sein als Kombinationen der niederen. Das nun trifft offenbar nicht zu." 38 Die Lehre von den Nova gibt Hartmann die Möglichkeit, die Differenzierung und Distanz der Seins«chichten zum Ausdruck zu bringen und mit dem Gedanken der „Abwandlung" der Fundamentalkategorien zu verbinden. Grundsätzlich und trotz des Abbrediens von „niederen" Kategorien sollen sich so, in der Gesamtheit des realen Seienden, Gebilde von immer höherer Differenzierung und Komplexheit ergeben. Als letzte allgemein faßbare Beziehungen der Seinsschichten zueinander benennt Hartmann die „Dependenzgesetze". Dabei sieht er die Bedeutsamkeit seiner eigenen Lehre allen bisher entwickelten Ontologien gegenüber in der Verbindung von Abhängigkeit und Selbständigkeit. Sie spricht sich hauptsächlich aus in den Behauptungen, daß die niederen Schichten die stärkeren, die höheren die schwächeren wären (Gesetz der Stärke), daß die niederen aber indifferent wären gegen alles Höhere und von sich aus keine Tendenz zu ihm hin hätten und daß die höheren Schichten trotz ihres Schwächerseins den niederen gegenüber autonom wären (Gesetz der Freiheit). Die Theorie von der Autonomie, also Eigendetermination der „höheren" Prinzipien gegenüber den niederen gibt Hartmann die Möglichkeit, die Willensfreiheit des Menschen als einen „Spezialfall" von Autonomie überhaupt aufzufassen.37 Das Phänomen „Determination" wird den Schichten entsprechend differenziert. Es gibt eine Staffelung von Determinationstypen.

Es sei, da unsere Darlegungen sich in der Hauptsache auf das Verhältnis von Erkenntnis und Sein beziehen, noch einmal daran 20

erinnert, wie die Erkenntnis in diesen Stufenbau des Realen eingeordnet ist. Sie gehört der Schicht des geistigen Seins, also der höchsten Schicht des Realen an, alles andere Seiende aber kann Gegenstand der Erkenntnis werdein. Diese ist also nicht der höchsten Seinsschicht allein zugeordnet, sondern allen Schichten. Die Relation ist nichts anderes als die Punktion des Repräsentierens. Vorstellung, Begriff und Urteil sind nicht sich selber zugeordnet, sondern einem anderen. Die Erkenntnis ist ein sich selbst transzendierender Akt. Sie schafft den Gegenstand nicht, sondern dieser steht ihr „ontisch-gleidirangig" oder „seinshomogen" als etwas „Zu-Erfassendes" gegenüber.

HAUPTTEIL

Α. Die Entdeckung des gnoseo-ontologischen Zirkels und dessen eigentliche Bedeutung Wir sehen es als die großartigste Leistung Nicolai Hartmanns an, das Phänomen der Erkenntnis wieder von dem Aspekt her betrachtet zu haben, von dem aus es allein angesehen werden kann, aber von einer ganzen Reihe von Erkenntnistheorien her nicht mehr erfaßt worden war, dem Aspekt ihres Seins. Erkenntnis ist Seiendes. Sie ist nicht vom Sein gelöst, sie „ruht" vielmehr in ihm wie alles, was „ist". Gewisse Lehren, die in der Erkenntnis eine richterliche Instänz metaphysischen Bemühungen gegenüber zu sehen geneigt waren, hatten von diesen ihren Tendenzen her das „Sein" der Erkenntnis als solches zu bedenken vernachlässigt, es jedenfalls nicht entscheidend akzentuiert. So konnte die Erkenntnis als etwas rätselhaft Freischwebendes, etwas um seiner kritischen Macht willen Isolierbares erscheinen. Ein zwar letztlich undurchdaditer und ungeklärter, aber mit einer eigentümlichen Nachdrücklichkeit sich entfaltender Sinn von Autonomie konnte mit dem „Erkennen" in Verbindung gebracht werden. Demgegenüber erklärt Hartmann in seiner „Metaphysik der Erkenntnis" mit Entschiedenheit, daß ein Buch wie dieses geschrieben werden müsse, weil das Erkenntnisproblem im Grunde ein metaphysisches Problem sei. Er beruft sich dabei auf die alte Philosophie, so etwa auf Leibniz. Er fügt aber sofort an, daß die Erkenntnis darum nicht unkritisch behandelt werden dürfe, daß vielmehr hinter ihr eine durchaus kritische Metaphysik stehen müsse. Es kommt zu der Formulierung: „Erkenntnistheorie setzt Metaphysik ebensosehr voraus, wie Metaphysik Erkenntnistheorie, sie bedingen einander gegenseitig." Weiter heißt es: „Und hier ist es, wo der alte Gedanke einer philosophia prima sive ontologia auftaucht, welche die metaphysischen Fundamente der Erkenntnistheorie hergeben muß." 38 22

Es muß an dieser Stelle sofort auf den Gebrauch der Worte „Metaphysik" und „Ontologie" bei Hartmann hingewiesen werden. Beide Termini beziehen sich auf das „Seiende als solches". Die Ontologie vermag nach Hartmann als „konspektive" Kategorialanalytik die Grundstrukturen des Seienden im Ganzen darzulegen. Sie hat jedoch zu beachten, daß es rational undurchdringbare Restbestände am Seienden gibt, und hat diese aufzuweisen und zu umreißen. Diese Irrationalzonen werden „metaphysisch" genannt. Die Schwierigkeit, wie denn die kritisch-rationale Ontologie über die „metaphysischen Rätselfragen" des Seins hinwegzugreifen vermöge, ist schon in unserer Einleitung angedeutet worden und soll uns weiterhin beschäftigen. Zunächst aber folgen wir Hartmann und kommen zurück auf die Kollaboration, die Verschränkung von Erkenntnislehre und Ontologie, die er fordert. Es erscheint uns dabei notwendig, ihn selbst ausführlich zu zitieren. Wir geben die entscheidende Partie aus dem dritten Teil der „Metaphysik der Erkenntnis". „Das Verhältnis zwischen Sein und Erkenntnis ist ein einfaches, nur durch künstliche Verschiebung verfehlbares. Nicht so einfach aber kann das Verhältnis zwischen Ontologie und Gnoseologie sein. Alles, was wir vom Sein wissen, stammt aus der Erkenntnis. Aber alles, was Erkenntnis gibt, gilt in erster Linie nicht ihr selbst, sondern dem Sein. Es ist eben Erkenntnis des Seienden, um die es sich handelt. Zielt somit alles auf das *

Seiende ab, innerhalb dessen Erkenntnis nur eines von vielen möglichen Verhältnissen bildet, so ist doch die Gültigkeit alles dessen, was wir vom Seienden wissen, einzig aus den Bedingungen der Erkenntnis zu verstehen. Steht auch das Sein unabhängig vom Erkennen da, so ist doch Seinserkenntnis deswegen nicht unabhängig von der Selbsterkenntnis der Erkenntnis. Das ontologische Problem führt daher, kaum aufgeworfen, unfehlbar auf das gnoseologische zurück. Es sucht seine Entscheidungen und Lösungen in ihm. Man kann Erkenntnistheorie nicht auf Seinstheorie gründen, ohne diese wiederum auf gewisse primäre erkenntnistheoretische Erwägungen zu stützen. Für den Gang der Untersuchung (προς ήμδς) ordnet sich daher das Erkenntnis23

problem dem Seinsproblem über. Und in diesem Sinne bleibt Ontotogie von Gnoseologie abhängig; es ist die Abhängigkeit der ratio cognoscendi. Es ist deswegen kein Widerspruch im gedanklichen Aufbau, wenn der ontologische Teil unserer Untersuchung von denselben erkenntnistheoretischen Erwägungen ausgeht, auf welche der von ihm abhängige gnoseologische Teil erst hinausführt. Aber wie immer die Abhängigkeit eines Erkenntnisganges auf einen tieferen Zusammenhang hinausführt, in welchem das Abhängigkeitsverhältnis ein ganz anderes ist, so audi hier. Hat das Erkenntnisproblem einmal den Zugang zum Sein geöffnet, so erweist sich diese Einführung als die sekundäre Abhängigkeit des Unbekannten vom Bekannten, die nur für den erkennenden Verstand besteht, während in Wahrheit das Unbekannte das Übergeordnete ist, von welchem das Bekannte abhängig ist. Der ratio cognoscendi tritt die ratio essendi als die zugrundeliegende gegenüber. Sie ist eben deswegen die schwerer faßbare, weil sie in größerer Tiefe liegt und nur nach dem Durchlaufen der ersteren zugänglich wird. Aber deswegen auch eröffnet sie, wenn sie erschaut wird, den weiteren Gesichtskreis, in welchem die προς ή μας bestehende Abhängigkeit des Erkenntnisganges ihrerseits als Folgeerscheinung verständlich wird. Auf dieser Stufe der Betrachtung ordnet sich die Ontologie der Gnoseologie über, indem sie die ganze Weite der Erkenntnisrelation in sich aufnimmt und in ihr eine unter vielen Seinsrelationen erkennt. Sie gibt den natürlichen höheren Gesichtspunkt der Betrachtung her. Sie erst kann bestenfalls standpunktbildend, systembildend sein. Ihre Entwicklung aus dem Erkenntnisproblem ist in ihr selbst aufgenommen und in eine Entwicklung des Seienden aufgehoben. Ohne es zu wollen, zeugen alle theoretischen Standpunkte von diesem Verhältnis. Auch sie liefern zur Aufnahme und Lösung des Erkenntnisproblems eine Seinstheorie." 89 Wir versuchen zu deuten, was" in diesen Worten eigentlich gesagt wird und was an verschwiegenen Voraussetzungen dabei vorliegt. Es werden zwei Disziplinen benannt, Gnoseologie und Ontologie, und beide werden auseinandergehalten. Es scheint jedoch, daß die eine, nämlich die Gnoseologie, in die andere, die Ontologie, einschaltbar ist, und zwar insofern, als die Gnoseologie eich 24

nur einer der vielen Seinsrelationen zuwendet, eben der Erkenntnisrelation, während die Ontologie das Gesamtgefüge der Seinsrelationen, soweit dieses überhaupt erkennbar ist, darlegt und die Erkenntnisrelation dort einblendet. Weiter aber wird behauptet, die Gnoseologie könne und müsse zunächst in einem nur ihr eigenen, also spezifischen Verfahren ermitteln, eine wie geartete Seinsrelation die Erkenntnis ist, um so den Zugang zur Ontologie als universaler Relationswissenschaft zu eröffnen. Beide Disziplinen teilen nun ein Wesensmerkmal, nämlich das des „Kritischen". Beide müssen also mit Kriterien umgehen, müssen um den Unterschied von wahr und falsch wissen. Dem nach Hartmann einzig möglichen Gang der Untersuchung zufolge setzen also zunächst die Bemühungen der Gnoseologie ein, d. h., das Wesen der Erkenntnis wird untersucht, und zwar soll es mit kritischer Sauberkeit untersucht werden. Die Durchleuchtung der Erkenntnis kann natürlich nur von der Erkenntnis selbst geleistet werden. Sie hat dabei zu sagen, was Wahrheit ist, wie Wahrheit gewonnen werden kann, welche vorzüglichen Möglichkeiten in ihr selber, der Erkenntnis, wurzeln, welche Kriterien für die Sicherung der Wahrheit bestehen, was überhaupt Einsichtigkeit und Unbezweifelbarkeit bedeuten. Die Erkenntnis kann hier keine andere Instanz zu Hilfe rufen. Sie muß ihr eigener Garant sein. Sie miuß kritisch vorgehen und dabei selber sagen, was ein Kriterium ist. Sie kann also nicht umhin, den Entwurf dessen zu leisten, was Evidenz ist, wenn sie sich über sich selber ausspricht. Nach Hartmann soll nun weiterhin auch die Ontologie „kritisch" betrieben werden. Was aber kritische Einstellung bedeutet, kann natürlich nur von der Gnoseologie gelernt werden. Die Selbstinterpretation der Erkenntnis zeichnet also zugleich verantwortlich für das saubere Vorgehen der Ontologie. Dieses Vorgehen führt zum Aufweis der Mannigfaltigkeit der erkennbaren Seipsrelationen und ihrer Stützpunkte. Eine dieser Relationen soll die Erkenntnis sein. Kritische, von der Gnoseologie her mit dem Wissen, was Evidenz ist, ausgestattete Ontologie sagt also, über welche Eigenart gerade die Erkenntnisrelation verfügt.

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Dieses kann die Ontologie aber nur tun, wenn sie über das Relationsgefüge im ganzen Bescheid weiß, denn sonst könnte sie niemals das Spezifische gerade der Erkenntnisrelation benennen. Die Ontologie muß also zu einer Vergleichung der Seinsrelationen imstande sein. Der Vorgang des Vergleichens setzt ein Wissen darum voraus, wann eine Deckung und wann ein Unterschied von Gegebenheiten vorliegt. Er, dieser Vorgang, ist also nur von dem Menschen vollziehbar, der über die entsprechenden kritischen Denkmittel verfügt. Wie diese Mittel beschaffen sind, kann die Ontologie nur von der Gnoseologie als Selbstdurchleuchtung der Erkenntnis lernen. Wenn also die Ontologie als kritische feststellt, daß die Erkenntnis eine bestimmte und besondere Relation unter allen anderen darstellt, und wenn sie, um dieses sagen zu können, den Kriterienentwurf der Gnoseologie benutzen muß, dann müßte schon dieser Entwurf die Möglichkeit einschließen, die Erkenntnis von den anderen Relationen abheben zu können. Bei der kritischen Selbstdurchleuchtuiig der Erkenntnis müßten also die übrigen Seinsrelationen schon „im Blick stehen". Es ist ja nach Hartmann „die Gültigkeit von allem, was wir vom Seienden wissen, einzig aus den Bedingungen der Erkenntnis zu verstehen." 40 Schließen nun die „Bedingungen der Erkenntnis" das Moment der Gültigkeit auch unseres ontologischen Wissens ein, und muß demnach jenes Gültigkeitsmoment auf die Relationalität des „Ganzen" Bezug nehmen, so folgt, daß die Gnoseologie immer schon Ontologie sein muß, wenn sie audi vielleicht vermeiden kann, dieses explizit zum Ausdruck zu bringen. Wenn die Erkenntnis diejenige Seinsrelation ist, die die „kritische" Denkmöglichkeit liefert, sie selbst zutreffend in das Gefüge der anderen Seinsrelationen einzubauen, dann kann sie sich selbst niemals ohne Berücksichtigung jener anderen Relationen wirklich „durchleuchten". Nach Hertmann soll aber die Ontologie als Sonderdisziplin über das Gesamtrelationsgefüge dös Seienden Aussagen machen und die Erkenntnis hier einordnen können. Ontologie kann dieses nicht ohne den Besitz eines Kriteriums leisten. Sollte die Gnoseologie ihr dieses Kriterium nicht liefern können, so müßte die Ontologie hier selber Kriterienstifterin sein. Sie müßte also von 26

sich aus entwerfen, was ein Kriterium ist, was also Erkenntnis ist, d. h. Ontotogie müßte Gnoseologie sein. Wenn eine Ontologie Lehre von den Seinsrelationen überhaupt ist und wenn Erkenntnis als eine von diesen aufgefaßt wird, so muß die Ontologie auch sagen, was die Erkenntnis ist. Wir werden hier in einem seltsamen Kreise umhergetrieben. Zwei Disziplinen sollen voneinander unterschieden werden, und doch zeigt sich, daß sie ineinanderströmen. Dieses bedeutet, daß im Grunde beide dasselbe sind, daß Gnoseo-Ontologie sich in einem Zug als Deutung dessen erweist, was die Erkenntnis ist und was das Seiende im Ganzen ist. Wenn demnach „kritische" Ontologie das Sein der Erkenntnis deuten will, so ist sie dabei unweigerlich schon ausgestattet mit dem Kriterium, das in der Selbstdeutung der Erkenntnis von dieser eingesetzt wird und bei dieser Einsetzung, wenn es wirklich zureichend sein soll, zugleich immer schon ontologische Aussage sein muß. Die aus den Hartmannschen Ansätzen zu ziehenden Folgerungen gehen dahin, daß eine Ontologie, die die Erkenntnis als eine Relation zwischen dem übrigen Seienden deutet, sich immer nur in einer Selbstsicherung ihrer „kritischen" Einstellung bewegen kann. Es entsteht auf diese Weise das, was wir den gnoseo-ontologischen Zirkel nennen möchten als Simultanentwurf von Seinsbegründung und Deutung dessen, was eine zuverlässige Begründung sei. Das Moment des „Kritischen" muß, wenn die Erkenntnis „seinsrelationalen" Charakter hat, in den ontologischen Gesamtbau "dieses bestimmt gearteten Stützpunkt-Relationsgefüges einbaubar sein. Die Einbaubarkeit aber hängt von der Besonderheit des Gefüges und seiner Möglichkeit ab, gleichsam für die „Einhängung" der Erkenntnisrelation Platz zu bieten, einer Einfügung, die immer anders aussehen muß, je nachdem, um was für eine Ontologie es sich handelt. In der Weise der Einhängung aber reflektiert das, was Erkenntnis je sein soll: totale oder irgendwie partielle Spiegelung des Seienden überhaupt durch ein bestimmtes Seiendes, nämlich den Menschen. Damit muß eine Aussage gemacht werden über die Ausstattung dieses Menschen, es muß 27

zu einer Akzentuierung gewisser Erkenntnismöglichkeiten an ihm kommen und zugleich zu einer Betonung der entsprechenden Züge am Seienden als der eigentlich wesentlichen. So kann, wenn etwa die rationale Faßbarkeit des Seienden in einer bestimmten Ontologie besonders zur Geltung kommen soll, ein „Universalienrealismus" vertreten werden. Ihm entsprechend aber kann die „Seele" des Menschen als Spiegelungsstützpunkt so gedacht werden, daß ihr von vornherein (apniori) ein den Universalien ensprechender Geistesbesitz (ideae innatae) zuerkannt wird. Oder es kann dieser Stelle zum mindesten die Möglichkeit vindiziert werden, aus dem durch die „Sinne" aufgefangenen Erkenntnisgut das Universale in besonders zuverlässiger Weise herausheben zu können (Gewinnung der species intelligibilis bei Thomas von Aquino; phänomenologische Intuition). Je nach dem „Einbauansatz" aber modifizieren sich die Angaben darüber, welche Leistung der Erkenntnis die entscheidende sein soll, d. h., es kommt zur Fassung des für die Ausbildung einer Ontologie oder Metaphysik maßgebenden „Erkenntnissensoriumsi". Es braucht wohl nicht betont zu werden, daß wir hier das Wort „Erkenntnis" in einem sehr weiten Sinne gebrauchen, es also keineswegs auf „rationales Erfassen" einengen. Dabei sei darauf hingewiesen, daß Rationalität im Sinne des „denkerisch Zwingenden" ja immer nur eingesetzt werden kann, wenn schon Ausgangsbebauptungen vorliegen. Sie ist nur als diskursive unantastbar. In diesem Sinne muß sie in jeder Ontologie irgendwie aufscheinen, wenn diese Ontologie sich ausbauen will, auch in der „mystischsten". Die Ausgangsbehajuptungen selbst sind nicht mehr von der Überzeugungskraft diskursiven Schreitens her zu stützen. Die Weise, wie sie aufleuchten und eine „Urevidenz" stiften, kann sehr verschieden geschildert werden: so als sensuell (wie etwa im Positivismus, der, wie noch gezeigt werden wird, auch metaphysische Prämissen hat), als rational-intuitiv (Descartes) oder als transrational-intuitiv (intellektuelle Anschauung etiwa Schellings). Mit dem Wort „Kriterienentwurf" wollen wir die jeweilige „Erfindung" solcher Urevidenzen benennen, die schon immer aus einem ontologischen Uransatz kommt. 28

Ist dem aber so, und zwar in jeglicher Ontologie, so ist Ontologie in dem Sinne „kritisch", daß sie Kriteriensetzerin ist, Setzerin der Prüfungsmittel, mit denen sie sidi selbst bestätigt. Anderen Ontologien gegenüber stehen ihr dann nur die von ihr selbst geprägten Prüfungsmittel zur Verfügung, so, wie sie selbst immer von jenen Denkansätzen her nur in deren Horizonten beurteilt werden kann. Es kann also keine Vergleichsmöglichkeit von Ontologien von einem neutralen, gleichsam transontologischen Standpunkt aus geben. Der gnoseo-ontologische Zirkel rundet sich jeweils nur in sich: Erkenntnis soll ja Seinsrelation innerhalb eines bestimmten Gesamtgefüges sein. Aus dem Ganzen ergibt sich natürlich die Frage, woher denn nun je die einzelnen Zirkel stammen. Und bei dem Versuch, darauf zu antworten, gerät man in einen rätselhaften Raum. Es scheint, daß dabei nur noch von rein willkürlichen Entwürfen gesprochen werden kann, von Zufallsansätzen, die dann ausgebaut werden.

Β. Die Verkennung der Bedeutung des Zirkels bei Hartmann und dessen Ausbruchsversuche Hartmann versucht, den gnoseo-ontologischen Zirkel so zu fassen, daß er unserem Bedenken, es möchte sich hier um einen nur durch sich selbst zu sichernden Gesamtansatz handeln, von vornherein aus dem Wege zu gehen trachtet. Er tut das in der Weise, daß er für die Selbstdurchleuchtung der Erkenntnis, die von der Disziplin „Gnoseologie" versucht wird, einen Rekurs auf die Ontologie als Gesamtumgriff für zunächst noch vermeidbar erklärt. Er unterstellt also, daß ein solches Vorgehen seine eigenen, nur ihm immanenten Prinzipien der Sicherung, des „Kritischen" also, habe. Wir erinnern dabei an unsere obigen Ausführungen, in denen erwähnt wurde, daß Erkenntnis bei der Aussage über sich selber immer Kriterienfinderin sein und festsetzen muß, was Evidenz sei. Hartmann will die Erkenntnis also zunächst einen Weg der Selbstdurchleuchtung gehen lassen und macht dabei die Voraussetzung, daß hier eine isolierte Betrachtung möglich sei, die zu einem eindeutigen Erfolg führen könne, d. h., daß die Erkenntnis im Grunde nur einen, und zwar den richtigen Evidenzvorschlag machen könne. Das ontologische Gesamtgefüge aber will er erst von der vorangetriebenen isolierten Selbsterkenntnis der Erkenntnis her fassen. Und diese Gesamtdeutung soll ihm zufolge eine zusätzliche und damit endgültige Sicherung dessen bringen, was Erkenntnis, Wahrheit und das „Kritische" eigentlich seien. Wenn er eine isolierende Betrachtung des „Erkenntnisproblems" für möglich hält, so handelt es sich dabei um eine Untersuchung innerhalb der Disziplin, die er die „Metaphysik der Probleme" nennt und als einen bedeutsamen philosophischen Vorschlag, als sein besonderes Verdienst, in Anspruch nimmt. 30

Er meint, daß bestimmte Ausschnitte des Seienden rein f ü r sich untersucht werden könnten, weil die hierher gehörenden Fragestellungen sich als ganz unvermeidbare in der geschichtlichen Entfaltung des philosophischen Denkens kundtäten und in edite Fortschritte hineintrieben. Man habe also „Metaphysik der Probleme" zu treiben, bevor man versuchen dürfe, zu „standpunktlichen" Festsetzungen im Sinne eines Gesamtentwurfs zu kommen, der dann eventuell „Systemcharakter" haben könne. Die von uns zu Beginn dieses Teiles zitierte Passage weist auf solches Vorgehen hin. Gnoseologie soll sich zunächst als bloß partielle Seinsuntersuchung betätigen, sie soll sich nur einer Seinsrelation bemächtigen. Wir werden der Hartmannschen „Metaphysik der Probleme" und den mit ihr zusammenhängenden methodischen Vorschlägen noch eine besondere Untersuchung widmen müssen. 41 Hier fühlen wir uns gezwungen zu behaupten, daß gerade das Problem der Erkenntnis auf keinen Fall als ein nur seinsregionales, d. h. ausschnitthaftes, behandelt werden kann. Wir lassen vorläufig dahingestellt, öb dies etwa mit dem Problem des Lebens oder der Freiheit oder noch anderen Fragestellungen geschehen kann. Unter keinen Umständen ist es aber möglich, die Erkenntnis als Teilrelation zu fassen, auch nicht von den Prämissen der Hartmannschen Ontologie her. Sie, die Erkenntnis, müßte, wenn sie schon als Relation gefaßt wird, immer nur eine ganzheitsbezogene „Totalrelation" genannt werden. Es muß ja alles Seiende „relational" von ihr berührt werden können, damit die Ontologie das „Ganze" je in die Hand nehmen kann. Ontologie ist Erkenntnis des Seienden im Ganzen; Erkenntnis muß also die gleiche Weite haben wie Ontologie selber. Hartmann geht dieser Einsicht mit dem Kunstgriff aus dem Wege, daß er als Gnoseologe die Erkenntnis „stigmatisch" untersucht, also den scheinbar zu isolierenden Einzelfall beleuchtet, in dem sich jeweils ein Subjekt und ein Objekt gegenüberstehen. Er sieht nicht, daß dieser Fall eine von den wirklichen Phänomenen abdrängende, rein fiktive Konstruktion ist, daß man so nur einen Torso, ein Rudiment dessen, was Erkenntnis ist, erfaßt. 31

Erkenntnis kann sich niemals nur einem Gegenstand in Isolation zuwenden, sondern sie kann jeden Gegenstand immer nur auf dem Hintergrund des „Ganzen" erblicken, wie deutlich oder undeutlich sich die einzelnen Partien dieses Hintergrundes nun auch abzeichnen mögen. Die nie abzustreifende Ganzheitsbezogenheit der menschlichen Erkenntnis ist deren grundlegender Wesenszug. Das Isolierte kann einfach als solches vom Menschen nicht aufgenommen werden, mag auch das Einzelne für die Aufmerksamkeit in den Vordergrund treten können. Der Mensch, der sich nur dem Einzelnen zuwenden könnte, wäre ein für uns unfaßbares Wesen, ein rätselhaft Verstümmelter, ein Unding. Erkenntnis geht immer mit „Fransen" um, mit dem den einzelnen Gegenstand umringenden „Anderen". Erkenntnis muß sich immer zugleich um Weiten von Gegenstandsfeldern kümmern, die sich an den „einen" Gegenstand anschließen. Man treibt ein unwahres und unkritisches Spiel, wenn man diejenigen Züge ausklammern will, die schon aus dem Phänomen rein als solchem nicht auszuklammern sind. Die Weiten von Gegenstandsfeldern, denen die Erkenntnis des Menschen immer zugewandt ist, können, was ihre Explizitmachung anlangt, für den schlichten Menschen weitgehend verdämmern. Dennoch werden dabei bestimmte Akzentuierungen bis ins „Schattenhafte" durchgetrieben. Der Ontologe, der den „kategorialisierenden" Gesamtumgriff wagt, will als ein Erkennender jene Gegenstandsfelder und ihre Prinzipien ausdrücklich benennen. Die Erkenntnisrelation muß also diejenige Weite haben, auf Grund deren eine Ontologie überhaupt entworfen werden kann. Sie muß alles überhaupt Erkennbare anrühren können und immer schon angerührt haben. Natürlich entsteht jetzt die Frage, wie denn die Erkenntnis, die ja den Gesamtumgriff leistet und damit, wenn sie schon Seinsrelation ist, Totalrelation sein muß, wie die Erkenntnis sich dann selber als bloße Teilrelation im Ganzen, als bloßes Ingrediens dieses Ganzen verstehen kann. Aus dem Gesagten geht hervor, daß das Wesen der Erkenntnis in einer ontologischen Konzeption wie der Hartmannsdien niemals angemessen gefaßt werden kann. Wird doch dabei immer 32

wieder vergessen, daß Erkenntnis zwar Seiendes ist, aber allem anderen Seienden, ja, audi sich selber in jener völlig unvergleichlichen Weise gegenübersteht, die man „verstehendes Offensein" für Seiendes nennen kann. Solches „Offenstehen" ist etwas völlig anderes als eine Relation irrt Seienden. Sie, die Erkenntnis, versteht als ontologische deutend das ganze Relationsgefüge. Sie ist also immer mehr als ein bloßes Ingrediens des Gefüges. Sie ist dies auch dann noch, wenn sie sich selbst, im Mißverstehen ihrer, nur als ein solches Ingrediens deutet. Die „Gefügehaftigkeit" des Seienden wird ja in verschiedenen Ontologien sehr verschieden gekennzeichnet mit Benennung je andersgearteter Stützpunkte. Damit faßt auch die Erkenntnis ihr Wesen je anders. Diese verschiedenen Fassungen aber gehen immer von ihr selber aus: sie bleibt dabei stets die Instanz, die den ontologischen Entwurf im Ganzen versteht. Sie kann also durch keinen jener ontologischen Entwürfe selbst total umgriffen und gleichsam ausgelotet werden. Sie bleibt immer der verstehende Rest. Das, was sich verstehend auf alle Relationalität richtet, kann nicht selber nur Relation sein. Hartmann verkennt die unikarische Seinsweise der Erkenntnis: deren geheimnisvolles „Schweben" über allem Seienden. Wenn er dies nun aber schon tut, so hätte er einsehen müssen, daß an dieser Stelle nicht „regional" gedacht werden kann. Mindestens hätte die Erkenntnis als „Relation" „totalisierend" gefaßt werden müssen. Dann aber wäre Gnoseologie von vornherein mit Ontologie zusammengefallen, und es hätte auch nicht der Schein entstehen können, als könne sie als stigmatisierendes Verfahren ein selbständiges und nicht schon von Anfang an von der Ontologie entworfenes Kriterium anbieten. Nicolai Hartmann sichtet den gnoseo-ontologischen Zirkel, ist aber nicht imstande, seine Bedeutung ganz zu durchdringen. Er sieht, daß Erkenntnis Seiendes ist. Er sieht aber nicht, daß, wenn alles „Seiende", also auch die Erkenntnis, im Sinne herkömmlicher Ontologie gefaßt wird, daß dann Gnoseo-Ontologie die gleichzeitige Ansetzung dessen ist, was das Seiende im Ganzen sowie die Erkenntnis' als Teil des Ganzen und damit das Kriterium für die Ganzheitskonzeption sind. Natürlich kann es bei der Errichtung eines solchen Denkgebäudes von der individuellen Geschichte des Konzipierenden ab3 Kanthack, Hartmann

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hängen, ob bei seinem Entwurf zunächst die Ausführungen über das Gesamtpanorama des Seienden in den Vordergrund treten, oder ob in der Weise von Regeln für die „Lenkung des Geistes" oder für die „Verbesserung des Verstandes" die Frage der Erkenntnis und ihrer Wege als primär wichtig angesehen wird. Das letztere Vorgehen konnte sich als besonders „kritische Haltung" anbieten und hat sich in der Philosophie der Neuzeit nachdrücklich so angeboten, weil der gnoseo-ontologische Zirkel nicht durchschaut wurde. Nur so war es schließlich möglich, daß „Erkenntnistheorie" als vermeintlich selbständige Disziplin auftreten konnte. Im Grunde bot auch sie, wie gerade Hartmann scharf herausstellt, immer eine Seinsdeutung im Ganzen an. Wir weisen auf einige geschichtliche Beispiele für die Gestaltungen des gnoseo-ontologischen Zirkels hin. Bei Leibniz, auf den sich Hartmann nachdrücklich bezieht als auf einen Denker, der die Erkenntnis als Seiendes seinem System eingefügt habe,42 wird die Wahrheit als bloß „repräsentierende" Zuordnung von sinnlicher Perzeption und an-sich-seiendem Gegenstand und als adäquate Zuordnung von Begriff und Gegenstand gefaßt. Diese Modi des Zutreffens sind nun aber nicht in eine ontische Relationalität eingehängt, bei der es den „ erkenn tnistheoretischen Kausalschluß" als den Zusammenhang von Affizierendem und Affiziertem gibt. Die Monaden als die „Substanzen" in diesem Weltbild sind ja autark und fensterlos. Relationalität zeigt sich hier vielmehr als ein von Anbeginn der Schöpfung her gesteuertes „Aufleuchten" von Repräsentationen im Innern jeder Monade. Bei der im begrifflichen Denken möglichen adäquaten Repräsentation liest die „Geistmonade" die entscheidenden Züge des Seienden aus ihrem eigenen Innern ab. Sie selbst liefert sich in der Reflektion auf sich selbst die Momente der Substantialität, Einheit, Tätigkeit usw. Es ist aber, wenn man andere Metaphysiken zum Vergleich heranzieht, gar kein Zweifel, daß die „Geistmonade Leibniz selbst" hier unter Evidenz, also Treffsicherheit des „Blickes" dafür, was denn nun eigentlich Substantialität, Einheitlichkeit, Aktivität u.s.w. bedeuten, eben die Unterstreichung ganz bestimmter Deutungsmöglichkeiten verstehen muß, nämlich jener, von denen her dann der ontologische Gesamtbau der Monadologie errichtet werden kann. 34

Die großen „Rationalisten" des 17. Jahrhunderts, ein Descartes, ein Spinoza, ein Leibniz, wollen von der Evidenz von „eingeborenen" Ideen und Axiomen her ihre metaphysischen Gebäude errichten. Der von ihnen angebotene, bei Spinoza in schärfstem Bemühen um Klarheit herausgestellte Bestand jenes „Evidenten" ist jedoch jeweils ein anderer und führt infolgedessen zu vollkommen verschiedenen ontologischen Systembildungen. Was dabei zugleich differiert, ist die Deutung dessen, was überhaupt „kritische" Einstellung ist. Denn keiner dieser Denker möchte sich unkritischen Vorgehens zeihen lassen. Als wieder andere Weise von Relationalst bietet sich die Erkenntnis etwa bei Berkeley oder bei Fichte dar. Bei Berkeley ist sie als unmittelbare Beziehung des Menschengeistes zu einem Gott „eingehängt", der noch als transzendent gedacht ist. Bei Fichte dagegen verstricken sich in der Erkenntnis absolutes Ich und Teilich in einer neuen Weise. Der Deutsche Idealismus liefert überhaupt besonders krasse Beispiele für die Gestaltung dee gnoseo-ontologischen Zirkels. Wird doch hier das Vermögen der „intellektuellen Anschauung" immer wieder so transformiert und „zurechtgezogen", daß stets andere metaphysische Strukturen mit ihm als grundlegende erschaut werden können. Und wird doch in diese Strukturen die jeweils modifizierte Anschauung immer an bestimmter Stelle eingeschaltet. Das Höchstmaß an Kriterienerfindung solcher Art liegt zweifellos im System und der dialektischen Methode Hegels vor. Der Gang der Methode und der Ablauf des übrigen metaphysischen Geschehens sind hier vollkommen aufeinander „zugeschnitten". Das Zu-Beweisende ist mit geradezu nachtwandlerischer Kühnheit schon vorausgesetzt. Man vermag die jähe und gleichsam blinde Spontaneität dieses Uransatzes kaum in Verbindung zu bringen mit der immensen Konstruktionskraft, mit der die Grunderfindung dann auseinandergefaltet wird. Die Verwirrung aber, die einen hier überfällt, ist deshalb so groß, weil man von Hegel nachdrücklich aufgefordert wird, die „Anstrengung des Begriffs" auf sich zu nehmen. Folgt man dieser Aufforderung, so kann man sehr leicht übersehen, daß man mit dem ersten Ansatz schon immer ein sacrificium intellectus gebracht hat. Dieses Opfer be3·

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steht darin, daß man an dem sich hier gestaltenden gnoseoontologischen Zirkel vorbeisieht. Wir sind bisher mit Theorien umgegangen, die sich offen als metaphysische bezeichnet haben. Ihnen gegenüber sind, so etwa im Positivismus und in neukantianischen Theorien, Lehren zutage getreten, die „rein erkenntnistheoretische" sein wollten. Sie glaubten, sich den Schlingen der Metaphysik oder Ontologie entziehen zu können. Im Grunde gelang dies, wie Hartmann selbst wiederholt und auch in dem Ausgangszitat dieses unseres Teiles betont, nicht. Die meisten dieser „Erkenntnistheorien" mußten, um die Phänomene der Gegebenheit, der Intersubjektivität, der Konstanz und Kontinuität des Seienden zu deuten, wieder zu Entwürfen kommen, die das Seiende im Ganzen übergriffen. Sie mußten ein überindividuelles Phänomen von „Ichhaftigkeit" oder „Geistigkeit" oder „Logoshaftigkeit" ansetzen, womit letztlich, so vorsichtig man sich hier auch auszudrücken versuchte, die Metaphysik wieder beschworen wurde. Und wo, wie beim extremen Positivismus, solche Annahmen perhorresziert wurden, konnte die Frage der Intersubjektivität nicht befriedigend gelöst werden. Einer zum mindesten „rumpfhaften" Metaphysik entging man darum doch nicht. Denn durch die Behauptung, jede Aussage müsse „sinnlich verifizierbar" sein, wurde am Menschen wie am übrigen Seienden das auf die „Sinne Bezügliche" als das Maßgebende und Entscheidende abgestempelt. Das Kriterium erfand sich selbst, und bei dieser Selbsterfindung wurde ein bestimmter Ausschnitt des Seienden besonders akzentuiert, in der gleichen Weise wie bei jeder anderen Metaphysik. Indem der Ausschnitt benannt wurde, war schon die Bezugnahme auf „das Ganze" vorhanden. Audi wenn man also den Ausbau jener Metaphysiken nicht für möglich hielt, so hatte man sich schon längst in einen metaphysischen Ansatz eingelassen. Es gibt demnach keine „Erkenntnistheorie", die nicht mindestens „ontologische Fransen" hätte. Und es gibt keine Metaphysik, die sich nicht durch Deutung dessen, was die Erkenntnis ist, zu rechtfertigen sucht. Sobald „kritische Erkenntnistheorie" oder „kritische Ontologie" auftreten, wird ein gnoseo-ontologischer Zirkel entworfen.

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Wir beabsichtigen jetzt, in immanenter Deutung die Folgerungen aus dem Hartmannschen Ansatz zu ziehen, und lassen dabei zunächst die Hinweise darauf, daß das Wesen der Erkenntnis durch ihn nicht in seinem ganzen Sinn verstanden worden sei, beiseite. Wir werden natürlich auf diese Andeutungen zurückkommen, können dies aber eben nur auf dem Wege tun, daß wir die Verlegenheiten aufdecken, in die die ganze Konzeption hineintreibt. Es ist dabei zunächst zu betonen, daß, wenn Gnoseologie und Ontologie „pari passu ambulant", der Versuch, Gnoseologie, wenn auch nur im Erstansatz, in Isolation zu betreiben, nicht gelingen kann. Wird dieser Versuch dennoch unternommen, so wird zu vermuten sein, daß petitionee principii dabei im Spiele sind. Diese Vermutung wird zur Gewißheit erhoben werden können durch den Nachweis, daß die gnoseologische Untersuchung sidi schon vorgängig im Rahmen eines ontologischen „standpunktlichen" Entwurfs bewegt, jene gnoseologische Untersuchung, die zunächst für sich durchführbar sein soll, also mit autonomen Sicherungsmaßnahmen arbeiten soll, um dann von ihren selbsterarbeiteten Prämissen her zu einer bestimmten Ontologie hinüberzuweisen. Daß eine solche standpunkliche Vorwegnahme bei Hartmann wirklich vom ersten Ansatz an vorliegt, wird sich ohne Schwierigkeiten nachweisen lassen. Vorläufig aber soll eine ganz grundsätzliche Problematik benannt werden, in die man gerät, wenn man sich in den gnoseoontologischen Zirkel hineinziehen läßt. Wir wissen, daß dabei — und so ist es in jeder Metaphysik wie in jeder Erkenntnistheorie — gleichsam in einem Zuge gesagt wird, was das Seiende im Ganzen und was die Erkenntnis sei. Wenn auf diese Weise die Metaphysik oder Ontologie Setzerin dessen ist, was das „Kritische" genannt werden kann, so eröffnet sie damit den Raum, in dem solches „Kritische" seine Seinsmöglichkeit hat, überhaupt erst von sich aus. Sie entzieht sich also, da es von ihr und ihr her allein so etwas wie Kriterien gibt, der Möglichkeit, selbst von einem „neutralen" Standpunkt her mit anderen Ontologien verglichen zu werden. Es muß ja doch auch jede von diesen letzteren selber erst sagen, was Kritik eigentlich bedeute, mit welchen Sicherungsmitteln sie arbeite und was als „Evidenz" anzusehen sei. Jede kann also die andere nur von 37

ihren Kriterien, von ihrer Deutung der Erkenntnis aus beurteilen. Wir betonen noch einmal, daß wir jetzt immer von dem Hartmannschen Standpunkt aus argumentieren, Erkenntnis sei eine Seinsrelation unter anderen und werde durch die Ontologie zwischen jene anderen „gehängt". Es ist unerfindlich, wie es dann noch eine Region geben soll, von der eine Ontologie als die durch ihre kritische Sauberkeit den anderen gegenüber ausgezeichnete benannt werden könnte. Man könnte sie alle in gleichem Maße höchstens darum als „kritisdi" bezeichnen, weil sie nicht rein utopische Entwürfe oder „Begriffsdichtungen" anbieten wollen, sondern ihre Vorschläge in der Weise von Begründungen einsichtig zu machen trachten. Wenn diese Schwierigkeiten ernst durchdacht würden, wenn der gnoseo-ontologische Zirkel, der sich in allen jenen Denkhaltungen auftut, wirklich durchschaut würde, dann müßte „kritische" Haltung darin bestehen, sich nicht wieder in einen neuen Zirkel hineinziehen zu lassen, sondern zu fragen: wie muß der Sinn von Sein gefaßt werden, damit die Entstehung jener Zirkel verstanden werden kann? Ist dies jemals möglich, wenn Sein so, wie bei Hartmann, als Relationsgefüge von Seiendem gedeutet wird, ein Relationsgefüge, das die Erkenntnis als Ingrediens umgreift? Wir haben in unseren Ausführungen an bestimmter Stelle gefragt, ob man nicht bei jedem gnoseo-ontologischen Ansatz, d. h., dem Versuch, den Zusammenhang des Seienden zu begründen und gleichzeitig zu sagen, was eine Begründung sei, ob man nicht bei jedem derartigen Versuch von Willkür sprechen müsse. Von der geläufigen Sprechweise der Philosophie her würden sich weiter die Worte „Dogmatismus" und „rein spekulative Entscheidung" anbieten. Im Grunde sind diese Termini nicht glücklich, denn sie übersehen das Phänomen, daß die Ontologie oder Metaphysik da, wo sie bedeutsam und wesentlich gewesen ist, ja selber sauber und redlich und hochkritisch vorgehen wollte. Für sie war je Evidenz vorhanden beim Blick auf ihre Grundprinzipien, und für sie konnte, an ihrer geschichtlichen Stelle, Evidenz nicht anders aufleuchten. D,er gnoseo-ontologische Zirkel konnte erst an einer Stelle gesichtet werden, von der her sich dem Rückblick eine aus38

reichende Mannigfaltigkeit ontologischer und „erkenntnistheoretischer" Angebote zeigte. In dein Augenblick aber, wo dies geschah, hätte die Deutung dessen, was Sein genannt werden kann, vertieft werden müssen. Es hätte in eine „transontologische" Tiefe geblickt werden müssen, von der her das jeweilige geschichtliche Auftaudien von Begründungsprinzipien und Kriterien verstanden werden kann, ohne daß nun für dieses Auftauchen wieder Begründungsprinzipien angegeben werden. Wir werden auf diese Fassung von „Sein" späterhin zurückkommen. Vorläufig sei nur gesagt, daß hinter allen Gnoseo-Ontologien eine Tiefe stehen muß, die wir „un-kritisch" nennen möchten. Der in dieser Bezeichnung gesetzte Bindestrich soll zum Ausdruck bringen, daß nicht ein im Bezirk möglicher Kritik verstehbarer Sinn von Leichtsinnigkeit und Gedankenlosigkeit gemeint ist, sondern daß in eine „Dimension" geblickt wird, in der es so etwas wie Kritik überhaupt nicht gibt, die aber alle ontologischen Weisen von Begründung erst ankommen läßt. Wir haben, nachdem wir mit Hartmann den gnoseo-ontologischen Zirkel in die Sicht gehoben haben, darauf hingewiesen, daß er, dieser Zirkel, sich immer wieder in der Geschichte der abendländischen Metaphysik und Erkenntnistheorie, hier allerdings oft in verschleierter Weise, gestaltet hat. Auch bei diesen Aufweisen konnten wir noch mit Hartmann konform gehen. Er selber sucht zu zeigen, daß jede Gnoseologie letztlich in einer Seinstheorie gründet. Nicht mehr auf Hartmanns „Spuren" gehen wir dagegen, wenn wir nun weiter behaupten, daß von der echten Bedeutung des gnoseo-ontologischen Zirkels her sich die Unmöglichkeit zeigt, eine Ontologie anderen gegenüber als in kritischem Sinne ausgezeichnete herauszustellen. Dieses muß sich, wenn der Zirkel durchschaut wird, verbieten. Hartmann insistiert dennoch darauf.

schlechthin

Wir stellen daher in einer Überschau mögliche Stellungnahmen eines Denkers heraus, der den „Zirkel" zunächst einmal tastend „in den Griff genommen" hat. Und zwar möchten wir zwei 39

Grundhaltungen unterscheiden: die konsequente, die aber der Skepsis verfällt, und die inkonsequent-spekulative. 1. Der gnoseo-ontologische Zirkel wird ernst genommen. Die Mannigfaltigkeit der Ontologien erscheint von der Frage „kritischer Ab wägbarkeit" her als ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Keine hat einen Vorzug der anderen gegenüber, denn jede sagt ja nur selber, worin so ein Vorzug überhaupt bestehen könnte. Es ist vielleicht noch „immanente Kritik" einer jeden gegenüber möglich und insoweit können jene Gedankengebäude „zersetzt" werden. Sie können sogar alle zersetzt werden. Damit aber ist kein Verständnis dafür gegeben, warum denn einem von jenen Ontologen diese und dem anderen jene Begründungszusammenhänge als evident erschienen sind, warum sie mit ihren und nur mit ihren Kriterien umgehen und das Wesen von Erkenntnis entsprechend fassen mußten. Der jene Denkversuche Überschauende kann nun seinerseits darauf verzichten, eine neue Gnoseo-Ontologie anzubieten. Er kann eine skeptische Haltung annehmen als Ontologe wie als Gnoseologe. Er kann es unterlassen, dem Rätsel jener Dimension, die wir die un-kritische nannten, näher zu treten, und kann resignieren gegenüber der Möglichkeit, das Wesen des Seins überhaupt zu verstehen. 2. Der gnoseo-ontologische Zirkel wird benannt, aber seine volle Bedeutung wird nicht durchschaut. Dann gibt es wiederum zwei Möglichkeiten, ihm auszuweichen. a) Der Kritiker versucht immer noch, Ontologien hinsichtlich ihrer „Evidenz" miteinander zu konfrontieren, indem er einen „transontologischen" Maßstab anbietet, an dem sie gemessen werden können. Dabei würde jedoch die Erkenntnis, die mit jenem Maßstab umgeht, wieder als das schwebende Etwas aufgefaßt werden, dessen Sein unberücksichtigt bleibt. Wir kennen Hartmamis Polemik gegen eine solche Deutung. Um so verwunderlicher erscheint es, daß er doch an bestimmten Stellen seines Werkes einen Maßstab in eben bezeichnetem Sinne benennt. 40

b) Während bei dem inkonsequenten Verfahren, mit dem wir eben umgegangen sind, ausgesprochen ungeschichtlich gedacht wird, ist nodi ein geschichtlich getönter Lösungsversuch denkbar. Man kann die eigene Gnoseo-Ontologie als im wesentlidien nicht mehr überschreitbare und darum eben ausgezeichnete Letztmöglichkeit herausstellen. Und wenn Erkenntnis Selbstspiegelung des Seins sein soll, wie Hartmann sagt, und ontologische Erkenntnis demnach umfassendste Selbstspiegelung ist, so muß man nun mit einer Gesdiidite der Fehlspiegelungen des Seins umgehen. Die eigene Deutung kann dabei aber nur unter der Bedingung als unüberschreitbar angesehen werden, daß eine Finalität in der Kette der Fehlspiegelungen aufgezeigt wird, ein Weg, der durch bestimmte Etappen hindurch auf die eigene Gnoseo-Ontologie hinführt. Man gewinnt auf diese Weise eine die vorhergehenden „Standpunkte" gleichsam aufschluckende End-Ontologie, die als höchste und letzte Möglichkeit gegenüber unzulänglichen und fehlerhaften Vorstadien in Ersdieinung tritt. Einen ähnlichen Weg ist Hegel gegangen, indem er .die seiner eigenen Seinsdeutung vorausgehenden Ontologien als an ihrer Stelle notwendige, aber nicht endgültige und darum von unzulänglichen Kriterien gesteuerte Entwürfe angesetzt hat. Dazu muß er das „Ganze" als Prozeß ansehen. Folglich muß er eine Seinsgeschichte erzählen und kann nur die letztetufige Selbstdurchdringung des Seins als die eigentlich angemessene betrachten, wenn auch die Wahrheit das „Ganze" ist. Im Endetadium ist jede andere „Wahrheit" aufgehoben. Will man eine solche „Geschichte" einsiditig machen, so muß man ein Agens, eine Triebkraft, eine durchstoßende Tendenz setzen, die die ganze Entfaltung trägt und am Ende »ich selber in ihrer Wesenhaftigkeit durchschaut. Es ist bekannt, daß Hegel hier den Weltgeist, die absolute Idee, benennt, die durch eine Mannigfaltigkeit von Gegenstandsspiegelungen zu sich selbst kommt. Die in dem Prozeß sich entfaltende Zielstrebigkeit kann ferner in der Weise ihrer Gerichtetheit nur dann näher be41

schrieben werden, wenn ein Prinzip der Phasen- und Etappenbildung angeboten wird, ein Gesetz des Werdens, das den Fortriß, von Stufe zu Stufe zu begreifen gestattet. Hegel stellt auch dieses zur Verfügung: die Selbsterfassung des Seins vollzieht sich im dialektisch gesteuerten Aufstieg in immer genauerer Weise. Letztlich vermag natürlich auch eine solche Konzeption das Rätsel des gnoseo-ontologischen Zirkels nicht zu lösen. Denn wenn für den ganzen Entwurf Wahrheit beansprucht wird, so wird von einer solchen Ontologie wiederum selbst ausgelegt, was die Wahrheit eigentlich sei und wie die Erkenntnis funktioniere. Wir stehen wiederum im Zirkel, nur daß diesmal das Phänomen der Geschichtlichkeit in eine Aufsauge-Ontologie miteingeblendet ist. Fragt man nun, welche der drei angedeuteten · Möglichkeiten Nicolai Hartmann selbst ergreift und in welchem Sinne er seinen Entwurf einen kritischen nennt, so wird man nur die beiden letzten — dem Zirkel ausweichenden — Vorschläge ins Auge fassen können.43 Ganz ohne Zweifel stellt er seine eigene Ontologie anderen gegenüber als eine ausgezeichnete hin. Und ihr Vorzug wird von der Warte „kritischer" Besinnung her angestrahlt. Allerdings erscheint der Grad von Stringenz und Sicherbarkeit, den Hartmann seinem ontologischen Entwurf zuerkennt, in einzelnen Partien des Gesamtwerkes als sehr verschieden. Mitunter wird nachdrücklich vom „versuchsweisen" und „hypothetischen" Charakter dieser Ontologie gesprochen. Inidem aber auch immer wieder das Wort „kritisch" auftaucht und allein für den eigenen Entwurf in Anspruch genommen wird, wird auf alle Fälle ein Maß beansprucht, an dem die Plausibilität der eigenen Ontologie gemessen werden kann. Würde so etwas nicht vorausgesetzt, so müßte Hartmann die Mannigfaltigkeit möglicher hypothetischer Entwürfe als gleichberechtigt nebeneinander dastehen lassen. In der Polemik gegen andere Formen ontologischen Denkens zeigt er sich jedoch zu soldier Anerkennung durchaus nicht bereit. Seine Sprache hat hier oft einen fast apodiktischen Tenor, und der eigene Standpunkt wird als siegreiche Überwindung von allem hingestellt, was bisher in der Geistesgeschichte angeboten wurde.

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Solche Diktion aber kann sich nur derjenige „leisten", der überzeugt ist, wirkliche Kriterien angeben zu können. Die gewisse Labilität des Evidenzanspruchs, die sich durch das Werk zieht, findet ihren letzten Grunid in der Urschwierigkeit, in die sich Hartmann verstrickt und die aufzuweisen die Hauptabsicht unserer Ausführungen ist. Jene Urschwierigkeit beruht darin, daß er, nachdem er zutreffend herausstellt, daß nur ein Seinsdenken die Frage, was die Erkenntnis sei, lösen kann, dieses Seinsdenken im Sinne eines herkömmlichen Ontologismus betreibt und so in unlösbare Irrungen gerät. Wird die Erkenntnis, wie alle geschichtlich zutagegetretene Metaphysik dies getan hat, als Relation zwischen bestimmten seienden Relata bezeichnet, welche Weise von Relationalität verschieden geschildert werden kann, so sagt eben jede Metaphysik von sich aus, was Erkenntnis sei. Dann aber kann Erkenntnis nicht mehr als etwas gefaßt werden, was zunschen verschiedenen Metaphysiken in kritischer Weise unterscheiden kann. Eben dieses letztere versucht Hartmann der Erkenntnis dennoch als Möglichkeit zu vindizieren. 1. Der ungeschichtliche

Ausbruchsversuch

Wir kehren zurück zu der Frage, in welcher Weise Hartmann das Wort „kritisch" zu rechtfertigen versucht, wenn er von daher die Möglichkeit sieht, ontologische Entwürfe gegeneinander abzuwägen und dem eigenen den Preis zuzuerkennen. Von einem bestimmten Gedankengang aus, der besonders in der „Metaphysik der Erkenntnis" in den Vordergrund tritt, scheint es nun, daß Hartmann die von uns erwähnte „unhistorische" Haltung einnimmt und damit aus dem gnoseo-ontologischen Zirkel herausspringt, um die Erkenntnis doch wieder „im leeren Raum" zu etablieren, sie als etwas Freischwebendes zu fassen. Er setzt nämlich ein Kriterium für den Vergleich verschiedener Ontologien an. Dieses Prüfungsmittel kann benannt werden als „Maß von Irrationalität". Dazu muß daran erinnert werden, daß nach Hartmann die Erkenntnis als Spiegelungsmöglichkeit im „Sein" Grenzen hat, daß sie auf Irrationales im Sinne des Transintelligiblen stößt.44 Das von der Ontologie zu fassende Seinsgefüge hat gleichsam weiße, unbewältigte Stellen. Hartmann rühmt es als einen Vorzug seiner 43

eigenen Ontologie, daß sie das Vorhandensein solcher irrationaler Zonen freimütig anerkenne, diese Zonen stehen ließe und keinen Versuch mache, verschleiernd über sie hinwegzuschreiten. Frühere Denkgebäude dagegen hätten zwar auch mit Einblendung solcher Irrationalzonen arbeiten müssen, hätten dieses aber verschwiegen und somit gleichsam die totale Durchschaubarkeit des Seienden unterstellt. Wir möchten an dieser Stelle noch nicht die Frage aufgreifen, wie denn überhaupt der Gesamtumgriff einer rationalen Ontologie Zustandekommen kann, wenn das Erkennen auf Undurchdringbares, Nichtfaßbares, Widersprüchliches stößt. Hatte doch für Kant gerade das Antinomienprofolem einen der Anstöße dafür gebildet, die Metaphysik als Kategorienlehre vom Seilenden im Ganzen als eine „Erschleichung der Vernunft" anzusehen. Wir weisen hier nur noch einmal zurück auf unsere Andeutung darüber, daß Hartmann in eigentümlicher Weise mit dem Irrationalen umgeht. Er räumt ihm einen Platz ein, von dem her es dem Gesamtumgriff nicht ins Gehege kommt. Er domestiziert es gewissermaßen und faßt sein Bestehen als etwas Insulares. 45 Zur Zeit interessiert uns, da wir ja ergründen wollen, welche Bedeutung das Wort „kritisch" für Hartmann hat, der Einsatz des „Irrationalen" als eines Prüfungsmittels für den Vorzug einer bestimmten Ontologie. Hier heißt es nun wiederholt, daß dasjenige ontologische Angebot zu bevorzugen sei, das das Wesen des Seienden unter Verwendung eines „Minimums von Irrationalem" zu deuten wisse. 48 In seiner „Metaphysik der Erkenntnis" stößt Hartmann auf seine eigene Gnoseo-Ontologie zu, indem er zunächst eine Reihe anderer Lösungsversuche des Erkenntnisproblems anführt und sich mit ihnen auseinandersetzt. Für die Unterscheidung jener Standpunkte ist ihm der Anhaltspunkt die Deutung der SubjektObjekt-Beziehung, durch die er selbst die Erkenntnisrelation grundsätzlich zu fassen sucht. Es möchte zunächst so scheinen, als ob es hier um eine „rein erkenntnistheoretische" Auseinandersetzung gehe. Aber wir wissen ja, daß es „Gnoseologie" ohne ontologische Hintergründe nach Nicolai Hartmann nicht gibt, und so handelt es sich bei der betreffenden Aufzählung durchweg um Gnoseo-Ontologien. 44

Wir erörtern dabei nicht weiter die Frage, inwieweit die Hartmannsche Zusammenstellung erschöpfend ist. Wir folgen vielmehr dem von ihm versuchten Aufweis, daß die Frage, wie eigentlich Subjekt und Objekt zusammenkommen können, letztlich immer von einem monistischen Grundansatz her beantwortet worden sei, d. h. so, daß man annahm, die genannten Partner würden von einer sie übergreifenden Einheit umspannt. Eine solche Einheit aber soll auf dreierlei Weise denkbar sein: „ l . D a s Objekt ist dem Subjekt übergeordnet und determiniert es direkt als sein Glied im Erkenntnisakt; die Relation ist dann eine innerobjektive. 2. Das Subjekt ist dem Objekt übergeordnet und bringt es im Erkenntnisakt hervor, ohne seinerseits etwas zu empfangen; die Relation ist dann eine inner-subjektive. 3. Subjekt und Objekt sind beide einem dritten untergeordnet, das nicht in die Erscheinung tritt, aber beide ursprünglich vereinigt. Dieses vermittelt dann die Relation zwischen ihnen; die Relation aber ist sowohl außer-subjektiv als außer-objektiv." 47

Referat wie Kritik der genannten Standpunkte, eine Kritik, bei der Hartmann seine eigene Ontologie in Abhebung und Konfrontierung als überlegen herauszustellen versucht, stehen nun im Zeichen des eigentümlichen Kriteriums „Maß von Irrationalität". Infolgedessen werden historisch tatsächlich zutage getretene oder von einer apriorischen Systematik her mögliche Gnoseo-Ontologien so zurückgewiesen, daß ihnen die Einblendung von „vielzuvielem" und darum „unnötig vielem" Irrationalem vorgeworfen wird. Die Stellen, an denen ein solches Irrationales in versteckter Weise eingesetzt worden sein soll, werden in einer fordernden Weise benannt. So etwa, wenn es heißt, beim Ausgehen von der Sphäre des Objektes müsse gezeigt werden, wie das Subjekt aus dem Objekt „hervorgehe", bei dem Ausgehen vom Subjekt müsse das Umgekehrte aufgewiesen werden, und beim Primärsatz eines das Subjekt und das Objekt von vornherein unterwandernden „Gemeinsamen" bestünde die Verpflichtung, zu erklären, wie denn beide Gegenglieder, das Subjekt und das Objekt, je aus diesem Grunde aufsteigen könnten. Hier würden jedoch keine Erklärungen geliefert, so daß faktisch Zonen des Irrationalen angesetzt würden, ohne daß dies von den Vertretern der betreffenden Standpunkte mit offenem Hinweis und klarer Betonung zugegeben würde. Solche Unredlichkeit möchte Hartmann nicht begehen. E r sei bereit einzuräumen, daß auch bei seiner eigenen Konzeption, 45

die ja eine wechselseitige Erhellung von Erkenntnistheorie und Ontologie durcheinander darstelle, Irrationales anerkannt würde, daß Stellen benannt würden, wo ein endgültiges „Halt" gegenüber allen Durchdringungsversuchen respektiert werden müsse. Nur sei es eben der Vorzug seiner eigenen Haltung, daß er hier nicht verschleiere und beschönige, sondern offen zugäbe. Er, Hartmann, heißt es dann, könne aber weiter seine eigene Ontologie als die geeignetste und richtigste darum anbieten, weil sie mit weit weniger „Irrationalem" arbeite als andere Seinsentwürfe. Wir weisen darauf hin, daß Hartmann ein solches „Minimum von Irrationalität" dann für garantiert hält, wenn weder eine Abhängigkeit des Subjekts vom Objekt, noch eine solche des Objekts vom Subjekt, noch eine solche beider Partner von einem sie gemeinsam tragenden und steuernden Grunde angenommen wird. Subjekt und Objekt müssen ihm zufolge vielmehr als „homogen" geartete Pole angesehen werden, zwischen denen die Erkenntnis als eine besondere, nicht als kausal zu denkende Seinerelation schwingt. Wie diese Beziehung sich eigentlich abspielt, wird auch von Hartmann als für die Erkenntnis selbst undurchdringbar, als transintelligibel und irrational bezeichnet. Aber das hier anzusetzende Maß von Irrationalität sei eben kleiner als bei den anderen benannten Vorschlägen.48 Diesem ganzen Absatz gegenüber sehen wir uns nun gezwungen, die Frage zu stellen: Lassen sich ontologische „Irrationalitäten" miteinander vergleichen? Läßt sich ausmessen, daß etwas prinzipiell vom Erkennen nicht zu Durchdringendes größer oder kleiner ist als ein anderes ebenfalls prinzipiell nicht zu Durchdringendes? Jeder Vergleich bedarf eines Bezugspunktes, von dem her sich die zu konfrontierenden Gegebenheiten erfassen lassen; er bedarf als ein rationaler — und nur als ein solcher kann er bei Hartmann gemeint sein — einer auf beide Partner anzuwendenden Begrifflichkeit — eines gemeinsamen Denkraums, in dem den Verglichenen ihr Ort zugewiesen werden kann. Wie aber eine solche Gemeinsamkeit für die jeweiligen „Gegebenheiten", die sich grundsätzlich dem Griff der Erkenntnis entziehen, aufgewiesen werden soll, bleibt im Dunkeln. 46

Hartmann sucht sich im Zusammenhang mit der IrrationalitätsProblematik, durch die er sich selbst in die Enge getrieben fühlt, an späterer Stelle der „Metaphysik der Erkenntnis" so zu helfen, daß er jene transintelligiblen Zonen als wenigstens „schwachrational" bezeichnet.49 Man wird aber jener „Aufweichung" der Irrationalität gegenüber daran festhalten müssen, daß ein Vergleich als Gestalt der Logik mit begrifflich streng fixierbaren Momenten umgehen muß. Wenn man in das Irrationale so etwas wie eine Gradhaftigkeit einführen will, so werden der Sinn von „Irrationalität" und der Sinn der „Gradhaftigkeit" als rationalem Vergleichsmedium in unsauberer Weise miteinander vermengt. Zum Problem einer kritisch zu sichernden Gnoseo-Ontologie zurückkehrend, fragen wir noch einmal: wie könnte hier mit einem „Maß von Irrationalität" umgegangen werden? Läßt sich irgendwie festlegen, irgendwie fassen, ob etwa das Nichtbegreifbare größer ist, wenn wir uns das Subjekt als aus dem Objekt entstanden denken, als wenn wir mit der umgekehrten Möglichkeit umgehen oder aber annehmen, beide, Subjekt und Objekt, höben sich aus einem Dritten, einem gemeinsamen tragenden Grunde? Und wenn die Erkenntnisrelation grundsätzlich irrationale Züge einschließt, warum sollte dieses Irrationale dann auf ein Minimum reduziert sein, wenn die Relata nicht in einem Über- und Unterordnungsverhältnis stehen, sondern ontisch gleichsam „auf der selben Ebene liegen"? Seinshomogenität und Seineinhomogenität in dem hier angezogenen Sinne müßten ja dabei quantitativ oder etwa in Bezug auf Intensität vergleichbar sein, während man doch wohl sagen muß, daß jene beiden Möglichkeiten gnoseo-ontologischen Denkens von ganz anderen Erwägungen ausgehen. Es ist also klar, daß schon die bloße Wortprägung „Minimum von Irrationalität" logisch mehr als bedenklich ist. Wir betonen dabei, daß der Hinweis darauf, wie die Mathematik mit ihren Irrationalitäten umzugehen vermag, für unsere Problematik nicht von Belang ist. Mathematische Erwägungen dieser Art stehen von vornherein im Horizont von Quantifizierbarkeit. Bei unserer Erörterung aber handelt es sich um Fragen der Seinsbeschaffenheit, die zum großen Teil mit Meßbarkeit nichts zu tun haben.

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2. Der geschichtlich getönte

Ausbruchsversuch

Wir haben die Frage gestellt, wie eine Gnoseo-Ontologie, ein Denkentwurf also, der zugleich Deutung des Seienden und Deutung der Erkenntnis und des Sinnes von Wahrheit ist, wie ein solcher Entwurf sich selber als einen ausgezeichneten anderen gegenüber ansehen und hierfür kritische Sicherbarkeit beanspruchen könne. Es schien uns, als wäre hier von einer traneontologischen Möglichkeit, „kritisch" zu sein, die Rede, und als habe man kein Recht, eine solche anzusetzen, wenn man den gnoseo-ontologischen Zirkel ernst nimmt. Tut man das letztere, so muß man, wie wir meinten, die Mannigfaltigkeit der ontologischen Entwürfe als eine Reihe von Erscheinungen hinnehmen, die nicht unter kritischen •Gesichtspunkten miteinander vergleichbar sind. Es könnte also keine ausgezeichnete und in besonderer Weise zu sichernde Ontologie geben. Wir erörterten, ob Hartmann bereit wäre, diese Konsequenz aus dem von ihm entdeckten gnoseo-ontologischen Zirkel zu ziehen, und fanden, daß dies nicht der Fall ist. Frühere Ontologien werden von ihm in scharfer und eindeutiger Weise kritisiert als Entwürfe, die überwunden werden müßten und deren Vorgehen fehlerhaft sei. Wir konnten bisher zeigen, daß er dabei einen Gedankengang vorträgt, mit dem er die gnoseo-ontologischen Zirkel zu zerbrechen und einen Horizont neutraler Beurteilungsmöglichkeit aufzureißen versucht. Dieser Horizont ließ sich bezeichnen als „Maß von Irrationalität". Daß dieser Ansatz ein höchst fragwürdiger ist, wurde von uns gezeigt. Als einen weiteren Versuch, den aufgezeigten Schwierigkeiten zu entgehen, benannten wir dann den, daß eine Ontologie eine Geschichte des Erkennens und Deutens konstruiert, eine Geschichte von Stufungen, in der sie selbst als das Endergebnis dasteht. Im Grunde handelt es sich dabei natürlich auch um die Ansetzung des eigenen Kriteriums als des bevorzugten anderen ontologischen Kriterien gegenüber, also um die „Vergewaltigung" gnoseo-ontologischer Zirkel durch einen neuen. Aber das Bewußtsein von

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einer solchen Vergewaltigung kann verwischt und überdeckt werden durch die Kühnheit, mit der eine solche „Aufsauge-Ontologie" sich aller ihrer Vorgängerinnen bemächtigt und sie aneinanderfügt als eine Kette, als deren Endglied sie sich selber hinstellt. Wir haben bereits auf Hegel als auf den Lieferanten einer solthen Aufsauge-Ontologie hingewiesen, einer Ontologie, die in ihrer Durchführung eine Leistung von ungeheurer Gewalt und Eindruckskraft darstellt, eines Stufenbaus, der mit einem Maximum von konstruktiver Fähigkeit durchgeführt worden ist, einer Schöpfung, die sich immer wieder aus großartigen Einzelinspirationen speist, die von uns hier aber als eine Radikalvergewaltigung aller Ontologien durch eine sich selber als Letztmöglichkeit erscheinende angesehen werden muß. Man wird nun sagen müssen, daß Nicolai Hartmann, wenn auch mit den bescheideneren geistigen Mitteln des Epigonen, einen ähnlichen Versuch macht. Es geht also um die Frage: wie läßt sich eine Geschichte der bisher zutage getretenen Ontologien konstruieren, als deren nicht mehr überschreitbares Fazit die eigene Ontologie erscheint? Wie kann man die Triebhaftigkeit fassen, die hinter einem solchen Prozeß steht, so wie Hegels Weltgeist Wille zum Zu-sich-selbst-Kommen ist? Was läßt sich eventuell als Prinzip für die Bildung von Stufenhaftigkeit, von Phasenhaftigkeit angeben, als jenes Prinzip, das bei Hegel mit der Dialektik ergriffen wird? Es mag zunächst merkwürdig erscheinen, wenn wir antworten, daß die in Frage stehende Konstruktion einer Geschichte der Ontologien mit dem zusammenhängt, was Nicolai Hartmann seine „Metaphysik der Probleme" nennt, wenn wir behaupten, daß eben diese „Metaphysik der Probleme" bei ihm die Stelle von Hegels Lehre vom absoluten Geist einnimmt und Werkzeug dafür wird, die Prädominanz und Auszeichnung des eigenen gnoseoontologischen Zirkels allen früheren gegenüber herauszustellen. Unsere Behauptung wird darum überraschend wirken müssen, weil Hartmann die „Metaphysik der Probleme" zunächst als ein Remedium einführen will, ein Schutzmittel gegenüber dem unkritisch-vorschnellen Einsatz einer „standpunktlichen", d.h., den Ganzheitsumgriff wagenden, ihn in der Weise der Systembildung wagenden, Ontologie.50 4 Kanthack, Hartmann

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Der genannte Ansatz Hartmanns kann nur mitvollzogen werden, wenn man von der Konzeption ausgeht, daß Ontologie so etwas wie eine Synthesis der „Ergebnisse auf Einzelgebieten" sein könne, wenn man das Gelingen einer solchen Synthesis abhängig sein läßt von der erfolgreichen Bearbeitung der Einzelgebiete und wenn man mit der Annahme umgeht, daß die Bearbeitung der Einzelgebiete gewissermaßen von sich aus dazu führen könnte, auch die „richtige" Verfugungsmöglichkeit ihrer zu gewährleisten, so daß damit der zutreffende ontologische Ganzheitsübergriff sich gleichsam automatisch und als ein „Mitergebnis" einstellen würde. Es läßt sich hier weiter die Frage aufwerfen, ob das Geschäft einer bloßen Problembehandlung in einem für die Ontologie relevanten Sinne auch durch die Wissenschaften besorgt werden könne. Es ist bekannt, daß so eine Hoffnung vorliegt, wenn Philosophie, wie dies oft genug geschehen ist, als diejenige Disziplin definiert wird, die eine „Synthesis" der von den Einzelwissenschaften erarbeiteten Prinzipien zu liefern habe. Die Hartmannsche Auffassung von der Philosophie liegt diesem Ansatz nicht fern. Eine Kooperation von Wissenschaft und Philosophie erscheint ihm als selbstverständlich, wenn Ontologie als Kategorialanalyse und schließlich auch ale Systemumgriff getrieben werden soll. Demgegenüber muß nachdrücklichst betont werden, daß die Wissenschaft zum Gelingen eines ontologiechen Gesamtuingriffs nicht die geringste Hilfe bieten kann. Neuzeitliche Wissenschaft geht so vor, daß sie eich ein bestimmtes Gebiet in den unermeßlichen Weiten des Seienden absteckt, einen Grundentwurf für die Gegenständlichkeit dieses Gebietes macht und zugleich einen Methodenentwurf hinsichtlich der Durchleuchtung jener Region anbietet. Wissenschaft kann also nur in den Horizonten einwandfrei arbeiten, die sie selbst umgrenzt hat.61 Die Methoden, die als je-gebietseigene entworfen sinid, können nicht in ihrer Gesamtheit zusammengerafft und miteinander verflochten werden. Jedenfalls bestünde hierfür keine wissenschaftliche Möglichkeit. Es müßte ja dabei ein Verfahren der Verflechtung als solches gefunden werden, und dieses könnte keine Stützung mehr von den immer speziellen Methoden, die allein als wissenschaftlich bezeichnet werden können, finden. 50

Die Aufgliederung der Disziplinen schreitet von Tag zu Tag fort. Und abgesehen davon, daß das erwähnte „VerfleAtungsverfahren" nicht von den Wissenschaften her gesichert werden könnte, wäre das ganze Unterfangen überhaupt nicht angehbar, weil die Kapazität eines Menschengehirne ihm nie gewachsen wäre. Diese Schwierigkeit aber verringert sich in der Zukunft nicht, sondern sie wächst. Ontologie als Gesamtumgriff kann also nie anders vorgehen als unwissenschaftlich. Sie muß ihre eigene Methode erfinden und rechtfertigen, was immer nur im gnoseo-ontologischen Zirkel gelingt. Dabei kann sie bestimmte Regionen des Seienden bevorzugen als diejenigen, von denen her alles andere Seiende zu erklären sei, und kann auch die f ü r diese Region entworfenen Wissenschaftsmethoden verabsolutieren, d. h., f ü r alles Seiende gelten lassen. Solcher Zugriff und solche Verabsolutierung aber beruhen immer auf einer Gewaltentscheidung. Die unüberbrückbare Spannung zwischen Wissenschaft und Ontologie zeigt sich vollkommen klar da, wo ontologische Phänomene benannt werden, die unter gar keinen Umständen Gegenstand der Wissenschaft sein können, so etwa die menschliche Willensfreiheit, die ja Hartmann seinem Systembau unbefangen eingliedert.

Wir sagten, die Metaphysiken älteren wie neueren Gepräges seien Entwürfe gewesen, bei denen man gewisse Bezirke des Seienden als diejenigen angesehen hätte, die die allgemeinsten Züge für alles Seiende zu „stellen" vermöchten, die also als Modellvorstellungen für alles andere geeignet seien. So konnte die Metaphysik etwa die Materie zum Deutungshorizont für alles Seiende erheben oder den Geist oder das Leben oder das Ideell- Wesenhafte oder eine besonders gefaßte Zeit. Metaphysik brauchte aber auch nicht zu nur einem dieser Phänomenbereiche hinüberzugreifen, sondern sie konnte zwei oder noch mehr nebeneinander bestehen lassen. Dann legte sie einen Schnitt durch die Ganzheit des Seienden und grenzte bestimmte Bezirke genau gegen die anderen ab. Auf der einen Seite gab es etwas, was es auf der anderen nicht gab und was niemals von 4'

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dieser anderen Seite her abzuleiten war. Es gab etwas, das als ©in Novum, angesehen werden mußte. Man konnte den Schnitt etwa zwischen das Materiell-Ausgedehnte einerseits und das Seelisch-Geistige andererseits legen und bot dann einen Dualismus an, wie er in klassischer und schroffer Form bei Descartes vorliegt. Man konnte den Schnitt aber auch zwischen das Anorganische und das Organische legen und bekam dann einen vitalistisch gefärbten Dualismus. Man konnte auch beide Schnitte bestehen lassen und sogar noch einen dritten einfügen, nämlich den zwischen Seele und Geist — und dann konnte sich das ergeben, was Nicolai Hartmann als seine kritische und ausgezeichnete Ontologie darbietet, eine Ontologie, die als Kategorialanalyse eine ausgezeichnete zu sein beansprucht. Es sei bei dieser Gelegenheit darauf verwiesen, daß Metaphysik oder Ontologie als wirklich ausgebaute von jeher Kategorienanalyse gewesen ist. Sie hat dabei allerdings in früheren Jahrhunderten in geringerem Umfange auf das von den Wissenschaften Erarbeitete zurückgreifen können. Sie hat sich deshalb schneller in Konetrukionen und Spekulationen werfen müssen. Aber es ist gar nicht daran zu denken, daß sie, wenn sie den Ganzheitsumgriff wagt, heute solcher Entscheidungen enthoben wäre. Daß die drei Schnitte, mit denen die Hartmannsche Schichtenlehre umgeht, wirklich Gültigkeit haben, ist nicht mit wissenschaftlichen Mitteln zu erweisen. Es gehen in den Ansatz der „Nova" Postulate ein, die jenseits aller Lösbarkeit durch die Wissenschaften liegen: so das Novum der biologischen Schicht und so erst recht das Novum „Freiheit" in der geistigen Schicht. Diese Nova werden mit dogmatischer Entscheidung von gewissen Phänomenalbefunden her angesetzt, ein Verfahren, das dadurch getarnt und verschleiert wird, daß es sich als besonders sorgfältige und exakte Kategorialanalyse benennt. Keine von den Phänomenen ausgehende rationale Analyse vermag eine Sicherung dafür zu bieten, daß das Novum wirklich ein Novum ist. Es ist nachdrücklich anzumerken, daß diese Frage auch niemals von der Wissenschaft her beantwortet werden kann. Zwischen den Wissenschaften vom Anorganischen und denen vom Organischen klaffen Sprünge. Und selbst wenn Organisches „aus Anorgani52

sdiem" hergestellt werden könnte oder wenn man konstatieren würde, daß es hier so etwas wie „Zwischenerscheinungen" gibt, würde sich nie von der Wissenschaft her entscheiden lassen, ob hier nur die geläufigen Wirkfaktoren des „Anorganischen" in hochkomplizierter Form am Werke sind oder ob ein neuartiger, etwa „ganzheitbewirkender" Faktor eingreift. Im Grunde ist die Schichtenlehre Hartmanns eine dogmatisierende Erhebung dessen, was sich in unserem „natürlichen Welterlebnis" an Besonderheiten aufdrängt, zu ontologischen prinzipiellen Scheidungen und Abgrenzungen. Die Methoden aber, durch die diese Erhebung erfolgt, sind insofern höchst verwirrend, als mitunter rein phänomenologische Hinweise erfolgen, dann wieder die Hilfe bestimmter wissenschaftlicher Theorien in Anspruch genommen wird und an anderen Stellen ältere Philosopheme als brauchbar eingefügt werden. Da hier Anschluß an die Unterscheidungen des „natürlichen Welterlebens" genommen wird und dabei immer wieder wissenschaftliche Verbrämungen versucht werden, kann dieses Denken auf denjenigen, der die echten Schwierigkeiten, die vorliegen, nicht sieht, recht bestechend wirken.

Zu den dabei vorgenommenen Verschleierungen gehört unter anderem die Behauptung, daß die vorgelegte Ontologie ein „offenes System" darstelle. Es muß hier nämlich dringlich geklärt werden, was „Offeinheit" bei Hartmann allein bedeuten kann. Ein „System", daß das „Ganze" des Seienden umgreift, muß doch wohl als ein Ordnungsgefüge angesehen werden, daß hinsichtlich der in ihm und mit ihm entworfenen Grundstrukturen fest und unveränderlich ist. Wäre dies nicht der Fall, würden sich also die entscheidenden und tragenden und damit die Besonderheit jenes Systems ausmachenden Gefügelinien ändern, so hätten wir nicht mehr „dieses" System, sondern ein anderes. „Offenheit" müßte in diesem Sinn dann also die Möglichkeit einer Ontologie bedeuten, sich unter Umständen in eine vollkommen andere zu verwandeln. Würde aber Nicolai Hartmann unter „Offenheit" einen solchen möglichen Radikalwandel verstehen, dann hätte er keinerlei Recht, den Vorzug seiner Kategorialordnungen so als einen Vorzug herauszustellen, wie er dieses im 53

Grunde tut, dann brauchte er seine Seinsunterscheidungen und Seinsschichtungen im Grunde gar nicht anzubieten. Oder er müßte, wenn er dies doch tut, betonen, daß er es an einem bestimmten geschichtlichen Ort tut, einem Ort, der in nodi nicht ersehbarer und angebbarer Weise überschritten werden kann, indem neue ontologische Vorschläge gemacht werden. Es ist aber, wenn der Tenor des Gesamtwerkes berücksichtigt wird, nichts davon zu erkennen, daß Hartmann geneigt wäre, seine eigene Ontologie in so radikaler Weise als durch andere „Systeme" ersetzbar anzusehen. Es werden zwar gelegentlich Andeutungen gemacht hinsichtlich der Möglichkeit eines Umdenkens;52 aber im ganzen erkennt Hartmann seinem System so etwas wie eine Endgültigkeit zu. Was allerdings noch späteren Denkern überlassen wird, ist der Ausbau, der von solchen Fundamenten her vorgenommen werden kann. Die Hinzufügungen aber müssen, wenn man die von Hartmann erhobenen Ansprüche auf die Unüberschreitbarkeit seines Grundentwurfes betrachtet, als „systemimmanent" betrachtet werden. Damit wird die „Offenheit" zu einer Offenheit „nach innen''. Sie erweist sich als die Bereitschaft des Denkers Nicolai Hartmann, neue von den Wissenschaften etwa getätigte Erkenntnisse dem skizzierten Rahmen einzufügen, wobei mit der stillschweigenden Gewißheit umgegangen wird, daß sie, diese neuen Erkenntnisse, grundsätzlich einfügbar sein werden und somit der Gesamtkonzeption nur mehr Ausfüllungen und damit höhere Eindruckskraft verleihen können. Es klafft jedenfalls ein weiter Unterschied zwischen dem Hartmannschen Gebrauch des Wortes „Offenheit" und der tieferen Bedeutung, die diesem Terminus gegeben werden kann und im heutigen Denken an vielen Stellen gegeben wird. Man versteht hier unter der echten Offenheit des Philosophierens das kritische Bewußtsein davon, daß unsere Zeit nichts „Systemhaftes" mehr anbieten kann, schon gar nicht mehr mit dem Hinblick auf die Leistungen der Wissenschaften, weil zwischen den immer partikular ausgerichteten Bemühungen der Einzeldisziplinen unüberbrückbare Lücken bestehen. „Offenheit" des Philosophierens in diesem Sinne würde also den grundsätzlichen Verzicht auf das in rationalen Strukturen anzubietende „System" bedeuten. Dieses letztere wäre von hier aus immer etwas Geschlossenes und wird dies wohl audi für jeden logisch Denkenden sein müssen. 54

Wir haben zu zeigen versucht, daß Nicolai Hartmann zu diesem Verzicht nicht bereit ist. Sein Zugriff ist eben gerade ein in rationalem Sinne festlegender und entscheidender. Die Ganzheit des Seienden wird objektivierend umspannt, die Zonen des Irrationalen werden überspielt. Offenheit bedeutet nicht die Einsicht, daß ein als ein Kategoriengefüge darstellbares System eine Unmöglichkeit ist, sondern Offenheit bedeutet nur die Bereitschaft, den eigenen Entwurf des Gefiiges für „nach innen hin" ergänzbar zu halten. Denn obgleich auf der einen Seite mit dem Hinblick auf das Irrationale des Seins behauptet wird, daß das, was wir an Kategorialzusammenhängen aufgreifen können, nur ein winziger Bruchteil des „Ganzen" sei, wird diesem Kategorialbesitz unseres Erkennens dennoch die Eignung zuerkannt, das „Ganze" irgendwie umspannen und ordnend umfassen, ja, letztlich sogar ein „System" begründen zu können.

Wir haben in unseren soeben vorgelegten Erörterungen bestritten, daß die Ontologie Nicolai Hartmanns, wenn sie sich auch auf präzise Kategorialanalysen stützen und „offenes System" bleiben will, etwas wesentlich anderes sei als frühere metaphysische Entwürfe. Es bedarf jedoch noch des Eingehens auf das Hilfs- und Sicherungsmittel, das Hartmann sehr nachdrücklich betont, um sein Seinsdenken als ein ausgezeichnetes zu legitimieren: die „Metaphysik der Probleme". In dieser „Metaphysik der Probleme" liegt im Grunde schon eine metaphysische Konzeption der Art vor, daß Tendenzen, die auf eine adäquate Selbstspiegelung des Seins hinführen, sich durch gewisse Schwankungen „standpunktlicher" ontologischer Stellungnahmen hindurch Bahn brechen sollen, um schließlich die richtige ontologische Grundlegung zu ermöglichen. Damit behaupten wir, daß gerade jenes Lehrstück, mit dem Hartmann als mit einem vor aller Dogmatik bewahrenden umgeht, nämlich die „Metaphysik der Probleme": daß gerade jenes Lehrstück Denkmittel einer rein dogmatischen Geschichtsontologie wird. Um dies zu erweisen, gehen wir hier hauptsächlich auf die Anfangskapitel der „Metaphysik der Erkenntnis" einerseits und 55

die Einleitung der Schrift „Der Aufbau der realen Welt" andererseits ein. In der „Metaphysik der Erkenntnis" unterscheidet Hartmann eine „Metaphysik der Standpunkte" von einer „Metaphysik der Probleme". Es heißt dabei nachdrücklich, die letztere könne und solle betrieben werden unter vorläufiger Vermeidung der ersteren.53 Aus weiteren Darlegungen läßt sich entnehmen, daß die „Metaphysik des Standpunkts" etwas ist, was sich auf die Ganzheit des Seienden bezieht, eben Deutungsentwurf dieses Ganzen ist, und als solcher schließlich den Charakter des „Systems" annehmen kann. Der Rückblick auf die Geschichte der Philosophie zeige nun, daß man immer wieder vorschnell versucht hat, „Standpunktsmetaphysik" zu treiben. Demgegenüber nimmt es Hartmann als seine besondere denkerische Leistung in Ansprach, die „Metaphysik der Probleme" in die Sicht gehoben zu haben. Die wesentliche Bedeutung dieser Leistung aber wird darin gesehen, daß von hier aus leichtsinnige Systemumgriffe verhindert werden und so Vorsichtsmaßnahmen eingebaut werden können gegen zu gering fundierte Spekulationsemsätze. Die „Metaphysik der Probleme" kann sich nach Hartmann je auf Teilausschnitte des Seienden richten, und zwar in isolierender Weise. Es ist dabei in der Beschaffenheit des Seienden selbst begründet, daß sich für das Erkennen des Menschen konstant bleibende Problemzusammenhänge ausfächern als „naturverwachsen, bodenständig, im Phänomen wurzelnd, unaufhebbar, unvermeidlich".54 An späterer Stelle werden dann unterschieden: Problemgehalt, Problemlage und Problemstellung. Und es heißt, daß die Problemstellung im Belieben des Menschen stünde und stattfinden oder auch unterlassen werden könnte, dieses allerdings nur auf der Basis der jeweiligen Problemlage, die sich geschichtlich verschieben könne. Solche Verschiebung aber hat nach Hartmann nur bestimmte Möglichkeiten. „Sie kann, wenn sie überhaupt ein wirkliches Fortschreiten und kein bloß spekulatives Spiel ist, sich nur auf den unabhängig von ihr bestehenden Inhalt des fraglichen Unverstandenen zu verschieben. Das aber heißt: der „Problemgehalt" selbst, die Beschaffenheit des Unerkannten, zeichnet ihm die Richtung vor."55 56

Es wird also behauptet, daß es für das ontologische Erkennen in der Entfaltung der Philosophie einen Fortschritt gäbe, und daß dieser Fortschritt von den Problemgehalten gesteuert würde: daß diese also gleichsam das Eindringen in sie selber und die Lösung ihrer selbst durch den Menschen hindurch in positivem Sinne beflügelten. Die „Metaphysik der Probleme" nun, wird weiter gesagt, beziehe sich allein auf jene „Problemgehalte". Und über den Problemgehalt sei der Mensch in keiner Weise Herr.66

Hartmann behauptet also, die Problemgehalte seien unabhängig vom Menschen vorhanden. Es will uns scheinen, daß diese Formulierung nicht allzu glücklich ist. Wenn von „Problemen" im Seienden oder gegenüber dem Seienden die Rede ist, so wird eben dieses Seiende unter dem Gesichtspunkt des „Befragtwerdens", der „Befragbarkeit" betrachtet. Fragen aber kann nur der Mensch. Er ist, wenn es um „Probleme" geht, niemals auszuklammern. Das „Problematische" ist also an das unabhängig vom Menschen bestehende Seiende als solches niemals anzuheften. Es ist vielmehr so, daß einzig und allein durch die Frageweise des Menschen hindurch ein Problem eben zu einem solchen gemacht werden kann, und daß es vom Seinsverständnis dieses Menschen abhängt, welche Seiten des Seienden ihm je als befragenswiirdige erscheinen. Soll nun demgegenüber nach Hartmann der Mensch in keiner Weise über die Problemgehalte Herr sein, so müßten diese als etwas gedacht werden, was zu dem fragenden Menschen in eine geheimnisvolle ontische Relation treten kann, was ihn hinsichtlich seiner Fragemöglichkeiten gewissermaßen an sich lockt, auf sich zieht und durch den einzelnen Fragenden hindurch den „Menschheitsgeist" in ein zunehmendes Gelingen einzuweisen imstande ist, ein Gelingen, daß sich den Weg durch die geschichtlich sich vollziehende Entbreitung von Problemlagen hindurch bahnt. Der Mensch hat nun allerdings noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen oder dieses zu unterlassen. Wenn er sie aber stellt, so wird er dabei durch den Sog bestimmter Ausschnitte des Seienden geleitet, Ausschnitte, die sich in ihrer Isolation als die Lei57

tenden und Einweisenden konstant durchhalten, deren Partialität dem Ganzen gegenüber ein für allemal festgelegt ist, und zwar durch die Beschaffenheit des Seins selber. Sie, diese Ausschnitte, „wollen" also mit zunehmender Adäquation erkannt werden. Man müßte sogar fragen, ob es dabei denn angängig sei, Menschen einer bestimmten Epoche (Problemlage) die Fragestellung als solche zu überlassen, wobei sie auch unterbleiben könnte. Wenn der „Fortschritt" wirklich zustande kommen soll, dann muß ja im Räume der geschichtlich sich verschiebenden Problemlagen wenigstens hier und da auch tatsächlich gefragt werden, weil sonst keine „Etappen" auf dem Wege zunehmenden Eindringens in den Problemgehalt realisiert würden. Jedenfalls erscheinen die von Hartmann gesetzten „Problemgehalte" als geheimnisvolle metaphysische Einweisungstendenzen. Sie sind Mächte, die sich als je-einzelne mit den menschlichen Erkenntniskräften verschränken. Sie ziehen diese Erkenntniskräfte auf sich, intensivieren sie und leiten dadurch die geschichtlichen Bewegungen des Geistes.57 Wenn es nun den Fortschritt der Erkenntnis geben soll, was von Hartmann immer wieder postuliert, ja, als sicher angenommen wird, und wenn von der fortschreitenden Erkenntnis das „Ganze" mehr und mehr in zutreffender Weise umspannt werden soll, dann können die Einweisungstendenzen der einzelnen Problemgehalte nicht völlig unabhängig voneinander „arbeiten". Sie müssen letztlich irgendwie kooperieren. Das Ziel des Fortschreitens der Erkenntnis muß ja so angesetzt werden, daß es einmal nicht mehr nur um Partialitäten geht, sondern um die Durchdringung des „Ganzen". Also müssen, damit dieses Ziel erreicht wird, jene über die Frageweisen des Menschen hinwegverfügenden Richtungsikräfte aufeinander zustoßen, und zwar in der Weise, daß sie schließlich ein Gesamtgefüge von Ausschnitterkenntnissen erkennen lassen, das als ein nun endgültig zutreffendes Nebeneinander die Ganzheit des Seienden spiegelt. Es muß sogar so sein, daß der ontologische Systemumriß, den Hartmann 'selbst in seiner Unterscheidung von realem und idealem Sein und seiner Schilderung des Schichtenbaus der realen Welt anbietet, daß dieser spezifische ontologische Umgriff eine letztentscheidende Etappe bei jenem Zusammenwirken darstellt. Diese Etappe muß so wesentlich sein, daß die hier gefundenen Grund58

strukturen der Semsordnung nicht mehr umzustoßen sind, wenn auch die Zwischenräume zwischen ihnen noch der Ausfüllung bedürfen, die sich in einem unendlichen Prozeß vollziehen und niemals ganz gelingen mag. Mit der „Metaphysik der Probleme" wird also ein eigentümlicher gesdiichtsontologischer Entwurf vorgelegt. Dieser Entwurf gestattet es Hartmann nicht nur, seine eigene Ontologie als eine bevorzugte, vom Sein als adäquate Spiegelung seiner selbst angestrebte anzusehen. Er ermöglicht es ihm auch, bisher in der Geschichte der Philosophie vorgelegte Ontologien als bloße Durchgangsphasen zu setzen, als Schwankungen und zeitgebundene Richtungsausschläge, die immer wieder im Sinne eindeutiger Zielstrebigkeit des Erkenntnisprozesses zurückgeholt und berichtigt werden. Die Eindeutigkeit jenes Ablaufs aber kann nur in der Weise einsichtig gemacht werden, daß die erwähnten Abweichungen von der eigentlich zutreffenden Systematik, die ja nach Hartmann eine Kategorialordming ist, als Verrückunigen und Entgleisungen nach einem gewissen Prinzip aufgereiht werden. Nur von der Darlegung eines Stufenweges, einer Phasenbildung her kann der Prozeß einer Höherentwicklung rational gefaßt werden. Hartmann bietet ein solches Schema tatsächlich an. Er tut dies in der Auseinandersetzung mit den Phänomenen der Denkformen und des objektiven Geistes. Wiir werden auf diese seine teleologische Geschichtsmetaphysik noch eingehen. Sehen wir doch, wie oben dargelegt wurde, in ihr den Rettungsring, mit dem Hartmann hofft, über die Abgründe des gnoseo-ontologischen Zirkels hinwegschwimmen zu können, wobei er sich, wie wohl schon jetzt ohne weiteres ersichtlich wird, in diesen Zirkel nur umso nachdrücklicher verstrickt. Denn die, wenn auch in einer vorsichtigen Sprache, so doch letztlich ganz unverkennbar gegebene Schilderung jener Etappenteleologie ist natürlich wiederum nur möglich, indem solche Ontologie sich ihre eigenen Kriterien ausarbeitet. Bevor wir die Fortschrittskonzeption Hartmanns weiter beleuchten, möchten wir jedoch noch einmal von geschichtlicher Sicht her 59

zu jenem Lehrstück Stellung nehmen, das er „Metaphysik der Probleme" nennt. Es geht uns dabei um die Frage, ob eine metaphysische Behandlung von Problemen in isolierender Weise, d. h. vor dem Gesamtumgriff und unabhängig von ihm betrieben werden kann. Denn nur wenn das der Fall ist, wenn also das „Problem" für sich und als abzulösendes vorgängig untersucht werden kann, nur dann kann ja das kritische Moment, das Hartmann mit der „Metaphysik der Probleme" aufzeigen möchte, zum Zuge kommen. Es wird dazu notwendig sein, sich klar zu machen, was die Metaphysik, die sich in so mannigfachen Formen im abendländischen Geistesleben manifestiert hat, eigentlich war, und ob von der geläufigen Bedeutung des Wortes her die Absicht Hartmanns, Untersuchungen von bloßen Ausschnitten des Seienden als isolierten vorzunehmen, überhaupt einen Sinn gewinnen kann. Hier wird nun nicht geleugnet werden können, daß Metaphysik so, wie sie in der großen Geschichte der Philosophie betrieben worden ist, stets nach den allgemeinsten Bestimmungen und dem einheitsstiftenden Grunde der Ganzheit des Seienden gefragt hat. Sie hat sich grundsätzlich und immer von Erkenntnisbemühungen um Partialausschnitte des Seienden durch ihren Gesamtumgriff unterschieden. Und wenn sie als „Gebietsmetaphysik" betrieben worden ist wie etwa in der „Psychologie, Kosmologie und Theologie" Christian Wolffs, dann ging solchen Gebietsmetaphysiken eine allgemeine und übergreifende Betrachtung (Ontologia sive metaphysica generalis) voraus. Hier, in der letzteren, ging es um die Bestimmungen alles Seienden als solchen, und nur von dieser Gesamterfassung her konnten sich die Gebietsmetaphysiken ausfächern und hinsichtlich ihrer Probleme zu Erörterung gelangen. Jede wirklich ausgearbeitete Metaphysik hat als Antwort auf ihre Frage nach den allgemeinsten Zügen des Seienden und dessen einheitsgebendem Grunde eine Kategorienlehre angeboten. Sie hat dies auch dann noch getan, wenn sie den Seinsgrund als etwas bezeichnete, das durch den menschlichen Verstand nicht gefaßt werden kann. Denn sie hat ihn, diesen Seinsgrund, dann noch immer von der Kategoriallehre her angeleuchtet: als das Nichtrationale, das Übergegensätzliche, die Identität, der Gegensätze usw. Immer wurde hier der Absprung vom kategorial Faßbaren 60

genommen und immer blieb damit die angebotene Bestimmung, das Übergegensätzliche etwa, an das Kategoriale angebunden und ihm somit verhaftet. In den von den Metaphysiken vorgelegten Kategorialordnungen wurden die allgemeinsten und grundlegenden Züge des Seienden benannt und von ihnen her wurde das übrige Seiende angeleuchtet und eingeordnet. Sie, die Metaphysik, hätte bei der Gewinnung eines solchen Denkgebäudes niemals bei einer Einzelfrage oder einem bloßen Ausschnitt des Seienden primär-isolierend verweilen können. Als die Besinnung, der es um das Seiende als solches, d. h., als Seiendes ging, konnte sie es nicht vermeiden, sich immer auf die Ganzheit dieses Seienden zu beziehen. Man hätte nicht sagen können, inwiefern sie sonst, als Meta-Physik, jene besondere Position allen Betrachtungen von Einzelnem gegenüber hätte durchhalten können, die sie in der Philosophie des Abendlandes immer wieder in Anspruch genommen hat. Ihre Bemühungen durften keineswegs etwas auslassen dabei, denn wie hätte sie anders die letzten Gründe und allgemeinsten Bestimmungen des Seienden überhaupt fassen können? Gewiß konnten ihr Blick und ihre Frage sich vorübergehend bei dem einen oder dem anderen Ausschnitt des Seienden einsenken und dort eine Zeitlang verweilen. Aber niemals konnte sie dabei die Bezirke des übrigen Seienden gänzlich vergessen. Sie mußte, im Gegenteil, gerade von der Weite alles Übrigen her immer wieder auf das besonders ins Auge Gefaßte zurückkommen, durfte niemals aufhören, verfugend, ordnend, gliedernd, artikulierend zu denken. Sie bewegte sich immer und unvermeidlich in der Weise des Vergleichens und mußte zusammenholen, was in den Vergleich einging, d. h., alles Seiende Überhaupt. Erst dann, wenn dieser Vergleich zustandegebracht war und wenn aus ihm ein Kategorialgeriist erwachsen war, erst dann und nur im Rahmen des Gesamtumgriffs konnte eine Zuwendung zu einzelnen „Gebieten" des Seienden erfolgen und eine genauere Behandlung ihrer. Auch dann noch aber schwang immer der Vergleich im geistigen Raum der Betrachtung, gingen von jenem Gebiet „Fransen" aus, Strahlen gleichsam, die bis in alle Winkel des Seienden hineinleuchteten. 61

Der Primat lag jedenfalls beim Gesamtumgriff, und von ihm her, bestimmt durch seine Eigenart, wurden die einzelnen Gebiete des Seienden erfaßt. Es war allerdings so, daß bestimmte Ausschnitte, Regionen, Gebiete des Seienden besondere artikuliert werden konnten als diejenigen Sphären, deren Eigenart die maßgebenden Züge für die Fassung alles Seienden hergaben. Solche Modelleistungen konnten bei der bloßen Materie, dem Lebendigen, dem Geist, dem Willen, der Zeit, dem werkmeisterlichen Schaffen des Menschen, den Wesensgestalten der Ideen, dem Kunstwerk, dem logisdien Denkgefüge, dem menschlichen Gewißheitserlebnis, dem Prozeß des Kreisens und vielen weiteren Phänomen im Seienden gesucht werden. Immer aber wurde das siegreiche Einzelne über alles Seiende hinübergezogen, immer lebte, webte und vibrierte der Gesamtumgriff, für den die „Modellschicht" die Fundamentalkategorien lieferte. Natürlich konnten auch zwei oder mehr Muster als nebeneinander gültig angesehen werden. Die Beschreibung des Modells erfolgte stets in der Analyse seiner kategorialen Bestimmungen. Was jeweils in einer metaphysischen Fragestellung zum Modell erhoben wurde, das wurde durch die Art und Weise bestimmt, wie ein geschichtliches Menschentum in seinen Fragen das Seiende akzentuierte und worum es ihm, diesem Menschentum, vorzugsweise ging. Die „Gebiete" des Seienden aber wurden, was ihre Isolierbarkeit und Selbständigkeit anlangt, von diesem Fragen her je und je umgezeichnet. Sie konnten sich als ausgrenzbare erhalten, sie konnten in dieser Hinsicht aber auch tödlich getroffen werden. In einer materialistischen Metaphysik rückten Leben und Geist so an das „Anorganische" heran, daß sie keine eigenen „Gebiete" mehr ausmachten. In einem „Panvitalismus" versanken sowohl die Materie wie das Göttliche in dem Abgrund des „Lebens". Man könnte demgegenüber vielleicht sagen, daß doch immer, wenn gefragt wurde, die Natur mit ihren toten und lebendigen Wesen da war, daß stets der Mensch mit seiner Besonderheit da war und daß dieser Mensch stets zugeben mußte, er habe sich 62

nicht selber geschaffen: daß diese Phänomene sich immer als das Zu-Befragende zeigten. Wir antworten, daß es dabei jedesmal um die Deutung der Ganzheit des Seienden ging und daß immer eine Modellwahl und Modellakzentuierung stattfand. Und wir antworten weiter, daß, weil Metaphysik sich in ihren Akzentuierungen immer gewandelt hat, von keinem Fortschritt hinsichtlich der Erkenntnis der Einzelprobleme gesprochen werden kann. In jeder Metaphysik gerät ein solches Problem in einen Fragehorizont bestimmter Art, innerhalb dessen es allein seine Bestimmungen empfangen kann. Und mit dem Wandel des Horizontes wandeln sich auch diese Bestimmungen. Die Frage der menschlichen Freiheit etwa läßt sich nur dann in einem sichernden Sinne angehen, wenn Metaphysik fragt, ob der Mensch nicht etwas durchaus anderes sei als das übrige Seiende. Sie, diese Frage, wird negativ beantwortet, ja bleibt sogar gewissermaßen ungestellt, wenn der Kausalismus als solcher zur Modellvorstellung für alles Seiende erhoben wird. Das „Problem" erhält also jeweils eine Deutung, im Rahmen einer Metaphysik als eines Gesamtumgriffs. Ist dieser letztere ein anderer, so wird auch das „Problem" als einzelnes anders gelöst. Ein „Fortschritt" in der Behandlung des Einzelproblems kann insofern gar nicht konstatiert werden, als sich die Lösung eines Problems von der einen metaphysischen Fragestellung her zu der Lösung von einer anderen Fragestellung her nicht in Vergleich bringen läßt. Die Lösungen sind exklusiv. Von hier aus ergibt sich die Sinnlosigkeit einer „Problemgeschichte". Ein radikaler Kausalismus, der sich irgendwann geschichtlich als Fragestellung durchsetzt, vernichtet alles, was andere Metaphysiken hinsiditlich der „Freiheit" erarbeitet haben. Auch der Hinweis, daß dodi im Verlaufe der Jahrhunderte mehr und mehr Züge am „Problemgehalt" entdeckt werden, vermag nichts daran zu ändern, daß alle solche Entdeckungen immer wieder „überrannt" werden durch die veränderte metaphysische Fragestellung und ihr je neues geschichtliches Wagnis. Der metaphysische Gesamtansatz ist aller Beobachtung von Einzelzügen gegenüber ein solcher Ausgriff, ein solches allesverschlingendes 63

Unterfangen, das über eine Unzahl von Lücken und Rissen des „Aufweisbaren" hinweggleitet, daß die erwähnten „Entdeckungen" demgegenüber nicht ins Gewicht fallen. Es hängt ja audi immer wieder von dem neuen metaphysischen Ansatz ab, ob der irgendwann einmal entdeckte Zug überhaupt weiterhin als beleuchtenswert erscheint, also festgehalten und denkerisch umkreist wird. Die von Hartmann angesetzten, gleichsam linearen Trakte der Wissensanreicherung hinsichtlich der Problemgehalte, Trakte, die schließlich in einer Parallelentfaltung in die eine richtige Systemontologie hineintreiben, diese Trakte sind also als metaphysische unvorstellbar. Das Wort Metaphysik müßte dabei seinen geschichtlich gewachsenen Sinn verlieren.

Es steht nun natürlich einem Denker frei, neue Deutungen alter Worte anzubieten. Die Frage ist nur, ob die damit, angebotene Sache sinnvoll ist. Dies aber scheint uns nach dem Dargelegten nicht der Fall zu sein. Isolierende Betrachtung „regionaler" Art ist denkbar als einzelwissenschaftliches Unterfangen. Ja, Wissenschaft kann überhaupt nur partikular vorgehen. Ob sie als Wissenschaft, d. h. für ihr je bestimmtes Gebiet, zu Fortschritten im Sinne letzter Kategorienfestlegungen — und um diese geht es Hartmann ja — führen kann, diese Frage scheint keineswegs eindeutig beantwortet werden zu können. Wir stehen heute vor dem Phänomen von: Grundlagenkrisen selbst innerhalb der exaktesten Wissenschaften. Solche Krisen kommen dann zustande, wenn denkerische Entwürfe, die eine Zeitlang die beherrschenden waren, in dieser ihrer souveränen Bedeutung zusammenbrechen und ganz neue Weisen, zu fragen, sich auftun. Geschieht dies, dann werden vorher nicht erahnte Katego rialzusammenhänge in die Sicht gehoben, neue Akzentuierungen und Verflechtungen. Von ihnen her kann die frühere Frageweise vielleicht noch eine partikulare Bedeutung behalten, tritt aber unter allen Umständen unter andere Vorzeichen und muß daher von neuen Kategorialhorizonten her benannt werden.

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Hartmann rückt diese Schwierigkeit allerdings weitgehend beiseite und sieht einen fraglosen Fortschritt in der Entfaltung der Wissenschaften, einen Fortschritt, der für ihn auch die zunehmende Sicherung grundlegender Kategorialstrukturen bedeutet. Hartmann sieht aber nicht nur über die erwähnte kategoriale Labilität in den Grundansätzen der Wissenschaften hinweg, sondern er hält auch die Klüfte zwischen den einzelnen Disziplinen für überwindbar und hält eine Zusammenarbeit zwischen den Wissenschaften und der Ontologie für möglich. Von da aus scheint es, als könne die Mannigfaltigkeit wissenschaftlicher Untersuchungen mit der Metaphysik der Probleme weitgehend zusammengedacht werden, eine Frage, die wir ja schon aufgeworfen haben.58 Es müßte hier wiederholt werden, daß diese „Probleme", wenn sie rein wissenschaftlichen Charakter trügen, niemals zu einer gesicherten Ontologie führen könnten, da diese immer nur in besonderen und zusätzlichen Denkanstrengungen erarbeitet werden könnte, in Bemühungen, das von den Wissenschaften Erarbeitete miteinander zu vergleichen und zu verfugen.59 Wären sie, die Probleme, aber von vornherein etwas spezifisch Metaphysisches, dann könnten sie nicht in Isolation von allem anderen in Angriff genommen werden. Jedenfalls scheinen sie von den Horizonten der Wissenschaft her allein nicht ausschöpfbar zu sein. Wir haben ja schon gefragt, ob denn etwa die Freiheit des Menschen jemals „wissenschaftlich ergründbar" wäre.60 Freiheit ist aber für Hartmann ein Problem, das im Bezirk seiner Kategorialontologie so weit gelöst werden kann, daß sich niicht nur das Bestehen der Freiheit, sondern ihre Konfrontierung und Vergleichung mit anderem „Vorgangshaften" und ihr Einbau in ein Gesaintkategorialgefüge durchführen läßt. Die Annäherung von Metaphysik, resp. Ontologie und Wissenschaft aneinander führt also, wie das bei allen ähnlichen Versuchen der Fall ist, ebensowohl zu einer Verkennung dessen, was Wissenschaft sein kann, wie auch zu der Versthleierung dessen, was Ontologie geschichtlidi immer gewesen ist und allein sein kann. Die „Metaphysik der Probleme" aber hat ihren Platz inmitten des Horizontes solcher Verkennung und Verschleierung. 5 Kanthack, Hartmann

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Wir sind bei unseren bisherigen Darlegungen immer wieder mit Hinweisen auf den geschichtlichen Wandel metaphysischer Konzeptionen umgegangen. Und es scheint so auszusehen, als wollten wir damit einen „Relativismus der Weltanschauungen" vertreten. Es scheint sogar, als wäre dies unser endgültiger Standpunkt, da wir ja gezeigt haben, daß ein „Aufreiheprinzip" den Metaphysiken gegenüber seinerseits wieder nur als „Erfindung" statuiert werden kann, so, wie etwa Hegel hier seine Dialektik ansetzt und in bestimmter Weise in der jeweiligen Einblendung des geschichtlich Gewesenen funktionieren läßt. Wir möchten jedoch im folgenden zeigen, daß ein Weltanschauungsrelativismus genau' so gut einen bestimmten Typiis von Metaphysik darstellt wie etwa die Hegeische eschatologische Seinsdialektik oder die Hartmannsche quasieschatologische Bewegung der „Probleme". Um solchen Metaphysiken überhaupt zu entgehen, wird es einer neuen Anstrengung des Denkens bedürfen, einer Anstrengung, die audi allein einsichtig zu machen vermag, was der gnoseo-ontologische Zirkel Hartmanns bedeutet. Was nun den „Weltanschauungsrelativismus" als solchen angeht, der ja zur Zeit der Entwicklung des Hartmannschen Denkens eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat, so muß sich Hartmann selbst mit ihm auseinandersetzen. Das muß jeder Denker tun, der kritische Ontologie treiben will und ein Werkzeug in der Hand zu haben glaubt, mit dem „falsche" Ontologie von „richtiger" zu unterscheiden ist. Hartmann geht auf die Problematik zu, indem er die Bedeutung des „objektiven Geistes" und der „Denkformen" zu eruieren sucht. Er muß ja versuchen, die genannten Phänomene so zu verstehen, daß sie mit seiner Behauptung zu verbinden sind, es gäbe ein unveränderliches Gerüst von Seinsbestimmumgen und es wäre möglich, die für einen denkerischen Gesamfcumgriff notwendigen Kategorien auch zu erfassen. Wahrheit wird dabei, wie wir wissen, im Sinne einer Übereinstimmung von Erkenntnis und Sache verstanden. Soll eine solche Ontologie als die einmal zu erreichende denkbar sein, dann müssen sich die Erscheinungen des „objektiven Geistes" und der „Denkformen" so aufreihen lassein, daß ein Er66

kenntnisfortschritt als durch sie hindurch zustandekommend aufgezeigt wird. Damit aber müssen „objektiver Geist" und „Denkform" für die Etappenbildung einer bestimmten Geschichtsontologie in Anspruch genommen werden können. Sie müssen also eine ähnliche Rolle wie bei Hegel spielen. Unterschiede können natürlich da sein. So kann der spiritualistische Rahmen der Hegeischen Ontologie abgewiesen werden. Dies geschieht bei Hartmann, der ja weder eine Ontologie „von unten her", also unter materialistischen Vorzeichen, noch eine solche „von oben her", von spiritualistischem Charakter also, treiben will, sondern seine vier Schichten des „Realen" als „homogen" ansetzt. Bei Hartmann treibt nicht der Weltgeist Ontologie in Etappen, sondern dies ist die Obliegenheit des „menschlichen Geistes" in seiner ganzen geschichtlichen Entfaltung. Dieser Menschengeist steht selbständig da, er ist nicht Ingrediens einer überindividuellen, metaphysisch primär existierenden „absoluten Idee". Weil Hartmann nicht wie Hegel den Primat des Geistes bestehen lassen will — bei solchem Ansatz hätte sein Denken nicht die atheistische Färbung haben können, die es tatsächlich aufweist — kann der den ganzen Bestand von „Geistigem" nun allein repräsentierende geschichtliche Menschengeist aber insofern letztlich nicht selbständig sein, als er sich in den Schichtenbau der Welt im Ganzen einzufügen hat. Er ist seinshomogen mit der Materie, dem Leben, der Seele. Er wird von diesen Schichten getragen, Schichten, von denen es ja nachdrücklich heißt, sie seien stärker als er (Kategoriales Gesetz der Stärke).61 Hier ergibt sich nun für die Ontologie Hartmanns eine seltsame Inkonsequenz, auf die wir schon an dieser Stelle hinweisen möchten, obwohl wir seine Geschichtsmetaphysik noch nicht voll dargestellt haben. Wenn es ein Fortschreiten des Menschengeistes geben und dieses sich in der Geschichte der Menschheit vollziehen soll, wenn aber andererseits das geistige Geschehen in das ganze große Seinsrelationsgefüge überhaupt eingebettet und dabei von niederen, aber stärkeren Schichten getragen sein soll, dann müssen diese Schichten in ihrem relationalen Zusammenwirken auf jenen Fortschritt ausgerichtet sein! 5·

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Über dem ganzen Geschehen der Welt, über der Zusammenarbeit der Seinsschicilten, ja, über dem Ineinandergreifen von realem und idealem Sein, muß jene Weisung stehen, auf Grund deren der Menschengeist in der Geschickte fortschreiten kann. Es wäre völlig unerfindlich, wie die Entwicklung anders zustande kommen könnte. Es wäre unausdenkbar, wie der Gang des Geistes als ein gerichteter und, wie wir sehen werden, bestimmter Epochalität unterworfener, als bloßes Zufallsergebnis jener Prozesse zustande kommen könnte, die selbst keine geistigen sind, aber als die starken und tragenden gleichsam die Schicksalsmächte des Geistes darstellen. Wenn Ontologie also in diesem Sinne getrieben wird, dann geht sie mit dem verkappten und getarnten Grundsatz eines geistig dirigierenden Prinzips um. Die Geschichte des Menschengedstes könnte dann wohl aufgefaßt werden als die Realisierung, die konkretisierende Ausführung jenes Planes, aber der Plan müßte als solcher einen ursprünglichen ontischen Ort haben. Wir kommen von hier aus wieder nahe an die Konzeption Hegels heran. Allerdings gibt es bei Hartmann die unabhängige „Realität der Außenwelt". Aber deren Relationalität wird ja ursprünglicher geistiger Weisung untergeordnet und ist somit nur Mittel zu dem „höheren Zweck". Jedenfalls muß das Hartmannsche Denken von hier aus als teleologisch bezeichnet werden.62 Und wenn von Inkonsequenzen bei dem ganzen ontologischen Ansatz die Rede ist, so muß eine weitere darin gesehen werden, daß Hartmann — etwa im Hinblick auf die Möglichkeit der Willensfreiheit — von einer gesamtteleologischen Steuerung des Seienden nichts wissen will, darum nichts wissen will, weil solche Teleologie irgendwie zur Theologie führen würde. 63 Es ist eben so, daß Hartmaims Ontologie, wenn sie nicht teleologisch wäre, keine Möglichkeit fände, sich selbst als eine ausgezeichnete zu rechtfertigen. Sie sieht sich aber als in kritischem Sinne überlegen an und lehnt dabei einen Seinsteleologismus im Ganzen ab. Sie versucht, den Ast herunterzuschlagen, auf dem sie selber sitzt. Noch eine weitere sehr merkwürdige Folgerung muß schließlich aus dem Dargelegten gezogen werden. 68

Wenn von einer Steuerung der menschlichen Erkenntnis in ihrem Gesamtgang die Rede ist, dann muß natürlich jeder einzelne Erkenntnisvorgang mit in diesen Trakt an gehöriger Stelle eingeblendet sein. Das ist aber, wenn die niederen Schichten die dem Geist gegenüber wirkungsmächtigeren sein sollen, nur dadurch möglich, -daß diese niederen Schichten den Geist gleichsam an bestimmter Stelle und in bestimmter Weise „auf sich ziehen". Das so unendlich komplizierte Seinsgefüge im Ganzen, ein Gefüge, in das der Geist ja als besondere Weise der Relationalität eingeordnet ist, muß auf das Werden des Geistes abgestellt sein, und zwar höchst real abgestellt sein, d. h., sich dem Geist bemerkbar machen. Wir werden später sehen, daß Hartmann immer wieder von Seinsrelationen spricht, die „in den Geist hineinragen" oder „an denen sich der Geist entlangtastet". Eine ganze Reihe von Aporien der Erkenntnis werden von hier aus „erledigt". An solchen Stellen wird ganz einsichtig, daß die Hartmannsche Ontologie „Zug- und Einweisungsmächte" benennt, die der Erkenntnis gegenüber wirksam sind.94 Dahin gehört eben auch die steuernde Madit der „Problemgehalte". Davon wird bald weiter die Rede sein. Wir haben in den voraufgehenden Abschnitten eine gewisse Konfrontierung Hartmanns miit Hegel vollzogen, und zwar hinsichtlich des Hartmannschen „Menschengeistes" und des Hegel schen „Weltgeistes". Wie weit sich Hartmann der großen Grundkonzeption der Hegelschen Dialektik nähert und in welcher Weise er mit der Hegelschen Auffassung des „objektiven Geistes" zurechtkommt, soll zur Darstellung gelangen, indem wir nun auf die Hartmannsche Fortschrittslehre näher eingehen. Ontologie ist nach Hartmann Kategorienlehre. Die Kategorien sind Bestimmungen des Seienden. Wenn Erkenntnis Spiegelung des Seienden sein soll, so muß auch sie mit kategorialen Möglichkeiten, die dem Allgemeinen am Seienden entsprechen, ausgestattet sein. Dabei ist es nicht notwendig, daß die Erkenntnis selber durchleuchtet, mit welchen Kategorien sie eigentlich arbeitet. „Was die Erkenntniskategorien im Bewußtsein zustandebringen, ist der breite apriorische Bestandteil aller naiven und wissenschaftlichen Erkenntnis. Diese aber besteht unabhängig von aller Kategorienerkenntnis und geht ihr zeitlich weit vorher. Der Kate69

goriengebrauch, den die Erkenntnis macht, kann nicht auf die Erkenntnistheorie warten, die allein imstande ist, ihr die Kategorien bewußt zu machen, von denen sie Gebrauch macht. Es ist damit ähnlich wie mit dem Gebrauch unserer Muskeln im leiblichen Leben, der auch nicht auf die Anatomie wartet, um von ihr zuvor Lage und Wesen der Muskeln zu erlernen. Hier wie dort geht der Gebrauch dem Wissen in aller Selbstverständlichkeit voraus. Wir 'brauchen eben die Kategorien gar nicht zu kennen, um sie in der Gegenstandserkenntnis anzuwenden." 85 Die Kategorien, die im allgemeinen in aller Erkenntnis durchaus unerkannt bleiben, können aber erkannt werden, und zwar im Rückschluß von den Sachbegebenheiten her, wenn hier auch eine unendliche Aufgabe vorliegt. Die festumrissene Gestalt, die so gewonnen wird, ist die des geprägten Begriffes. „Und der Anspruch, den solche Prinzipienbegriffe erheben, auf die Erkenntnisgegenstände zuzutreffen — d. h. also von ihnen als .Prädikate' aussagbar zu sein —, ist der unaufhebbar berechtigte Sinn des alten Terminus ,Kategorie'".M Kategorienlehre kann eich nun nadi Hartmann zunächst „in gewissen Grenzen diesseits der standpunktlichen Gegensätze" halten. Sie kann insbesondere getrieben werden, ohne daß eine Entscheidung für den Idealismus oder den Realismus fällt. Sie ist inhaltliche Analyse und „findet ihre Gegebenheiten auf allen Gebieten des Lebens und der Wissenschaft".67 So kann sich die Kategorienlehre als inhaltliche zunehmend entfalten und in ihrem Wissen anreichern. „Das Kategoriengut geht, einmal entdeckt, so gut wie unbehindert und in überraschender Kontinuität von einer Theorie in die andere über. Es durchwandert sie alle, als wären die kühnen Gedankenbauten bloß zeitweilige, unwesentliche Ausgestaltungen — gleichsam sein Beiwerk, das seinen sicheren Gang nicht berührt, — um schließlich aus dieser Kontinuität heraus dem Epigonen in schlicht inhaltlicher Sachlichkeit und Einheitlichkeit zuzufallen." ββ Dieser Abschnitt schlägt schon voll den Grundakkord der Hartmannschen Geschichtsontologie an. Die Erkenntnis der Kategorien soll sich als kontinuierlich wachsende, bewahrende und kumulierende durch alle großen metaphysischen Theorien durchhalten. 70

Es ist zulässig, ja unvermeidlich, diese Behauptung mit dem zusammenzurücken, was Hartmann an anderen Stellen über die „Metaphysik der Probleme" sagt. Kann doch die Stellung und Lösung des „Problems" nur erfolgen in der Ausarbeitung eines bestimmten Kategoriengefüges. Wenn also das „Kategoriengut" sich geschichtlich anreichert bei Bewahrung des früher Erkannten, so muß diese „p'hilosophia perennis" zugleich den Fortschritt in der Durchleuchtung der Probleme bedeuten. Und wie es von den „Problemen" heißt, daß sie sich gleichsam durch alle Systemumrahmungen hindurchstoßen und so ihre adäquate Erfaßbarkeit kontinuierlich weitertreiben, so ist hier von der unbeirrbaren Wanderung des Kategoriengutes die Rede. Vollziehen aber die „Probleme" und das „Kategoriengut" diese Eigenbewegung, einen Prozeß, dessen Phasen sich jeweils in die menschliche Erkenntnistätigkeit an bestimmten geschichtlichen Orten „einhängen", und hat dieser Prozeß ein Ziel, was in dem obigen Zitat durchaus angedeutet ist, so muß der „Letztbeauftragte" gleichsam die Ernte des Ganzen einheimsen können. Er braucht dazu nicht die schöpferische Größe der früheren genialen Systembildner zu besitzen, er kann sich bescheiden einen Epigonen nennen und auch wirklich ein solcher sein: ihm fällt zu, was durch den Menschheitsgeist hindurch zustande kommen will als eine interne Bewegung des Seins selber. Diese Bewegung ist allerdings von ungeheurer Bedeutung, denn sie treibt durch Verirrungen und Ausgleitungen, durch Selbstrestriktionen und „Entgleisungen" zu jener Selbstspiegelung des Seins, die als die adäquateste durch den „Menschheitsgeist" und seine Entwicklung hindurch überhaupt möglich ist. Zur Kritik der ganzen Konzeption verweisen wir auf unsere früheren Ausführungen. Wir haben die Behauptung von einem zunehmenden Gelingen der ontologischen Erkenntnis durch die Eigenstoßkraft der Probleme hindurch als eine rein spekulative bezeichnet, als einen teleologischen Geschichtsdogmatismus, der durch das, was Metaphysik bisher gewesen ist, nicht gerechtfertigt werden kann." Im folgenden wollen wir den Hartmannschen Entwurf ins Auge fassen hinsichtlich der Einwände, die audi von anderer Seite und unter anderen Gesichtspunkten gegen die ganze Konzeption ge71

macht werden könnten, Einwürfe, mit denen sich Hartmann selbst auseinandersetzt. Als seine Gegner faßt er dabei zunächst eine Reihe von Positivisten, Pragmatisten und Historisten zusammen, denen, wie es heißt, der Ausgang von der „Relativität der Denkformen", die man schließlich mit der Relativität der Kategorien überhaupt gleichgesetzt habe, gemeinsam sei.70 Hartmann meint nun, daß hinter solchem Relativismus wiederum eine bestimmte, für unsere Zeit charakteristische Denkform stände, nämlich die des „Typologismus" als der Tendenz, Anschauungs- und Denkweisen und so auch den Gebrauch bestimmter Kategoriensysteme als je bestimmten Menschentypen eigentümlich anzusehen. Gegen derartige Neigungen opponiert nun Hartmann nachdrücklich: „Treibt man diesen Typologismus auf die S p i t z e , . . . so führt das notwendig zum allgemeinen Relativismus des Seins und der Wahrheit. Man löst die eine Welt, in der alle Menschentypen leben, in ebensoviele Welten auf, als es Denktypen gibt. . . Wer .Kategorienlehre' in -diesem Sinne treiben wollte, käme in Wahrheit auf eine Psychologie der Denktypen hinaus. Er könnte nichts als die Mechanismen gegensätzlicher Subjektivität beschreiben und registrieren, um durch sie hindurch immer wieder andere Verzerrungen des Seienden zu sehen, immer andere „Welten", — als gäbe es gar nicht die seiende Welt selbst, in der alle diese erscheinenden Welten mitsamt ihren Trägern, den nach Typen verschiedenen Subjekten, koexistierten." 71 Wir geben noch die weitere Stelle: „Darüber hinaus aber beweist die Typologie der Denkformen gerade durch ihr eigenes Tun, daß die Erhebung über sie sehr wohl möglich ist. Sie beweist es mit der Tat, indem sie sich im Betrachten und Vergleichen faktisch über die Denkformen erhebt. Denn was sie über diese ausmacht, soll ja nicht in der Relativität einer Denkform, sondern schlechthin gelten. Ihr eigenes Faktum ist so die natürliche Grenze dessen, was sie behauptet. Sie ist, indem sie sich selbst über die Typen stellt, zugleich ihre Aufhebung. Ist sie das nämlich nicht, so fällt sie unter die Relativität, die sie behauptet, und ist eine ebenso bedingte Denkform wie die, von denen sie handelt. Damit aber fällt der Wahrheitsanspruch ihrer Fest72

Stellungen hin. Diese sind dann keine Feststellungen von Weltaspekten, sondern nur Aspekte von Aspekten." 72 Die Argumentationsweise Hartmanns ist in diesem Abschnitt wie in früheren Trakten sehr sonderbar. Um ihre Zweideutigkeit aufzudecken, muß man unterscheiden zwischen der allgemein-relativistischen These, es gäbe keine absolute Wahrheit, und zwischen den dezidierten Denkformenlehren, die die Untersuchung der Denkformen betreiben und zu konkreten Aussagen über deren Zahl und Eigenart kommen. Diese Unterscheidung ist notwendig, weil bei Hartmann beides durcheinander gerät. Es kann der ersten, allgemeinen Behauptung gegenüber mit der Argumentation gearbeitet werden, solcher Relativismus beanspruche Wahrheit für seine eigene These, also setze er zum mindesten diese These als wahr voraus und widerspräche sich damit. Man kann dies formal aussprechen, aber im Grunde ist damit nichts gewonnen. Denn die absolute Wahrheit der Behauptung, daß es keine absolute Wahrheit gäbe, hat ja nur einen negativen Sinn und vermag keinerlei Handhabe für irgendeine inhaltlichpositive weitere Aussage zu geben. Es handelt sich im Grunde um das uralte Argument gegen die Skepsis: der Wahrheitsanspruch ihrer eigenen These widerlege sie. Die „Wahrheit", die hier konstatiert werden soll, ist eine leere und unausfüllbare, und was sie an „Widerlegung" leisten kann, sichert keine wirkliche Überwindung des Relativismus. Dieses zu behaupten, wäre eine Sophistikation. Der Relativismus könnte nur wirklich überwunden werden durch die Aufzeigung sidierbarer inhaltlicher Wahrheit, durch den Gegenbeweis in positiver Weise. Es gibt zu dieser Frage eine außerordentlich klare Ausführung bei Leonard Nelson.78 Aber in der Denkformenlehre, die Hartmann im Auge hat, geht es nicht so sehr um die allgemeine und inhaltslose Relativismusthese, sondern es handelt sich jeweils um ganz bestimmte, inhaltlich festgelegte Typologisierungen, denen sich andere Versuche dieser Art entgegenstellen können. Und wenn man schon die allgemeine Relativismusthese als in einer Denkform 'begründet ansehen kann, der sich die des „Wahr73

heitsabsolutismus" gegenüberstellen ließe, so muß man doch erst recht berücksichtigen, daß es ja eine Mannigfaltigkeit von „Typologisierungen" von verschiedenen Gesichtspunkten her gegeben hat, eine Vielheit von „DenkformZe^rera" also. Sind diese nun alle selber keine Denkformen, sondern irgendwie gültige Seinsaussagen, so fragt sich, wie man ihre Diskrepanzen untereinander überwinden soll. Hartmann rührt in seinen Ausführungen an das Dilemma, in das ein „Weltanschauungstypologismus" hineingerät, sobald er sich über die Denkformen in der Weise erhebt, daß er sie sammelt, vergleicht und etwa behauptet, es gäbe nur ©ine bestimmte Zahl von ihnen, die audi für künftiges Menschentum immer wieder gelten müßte.

Wir möchten hier für eine kurze Zeit von den Gedankengängen Hartmanns fortblicken und jene Schwierigkeiten ein wenig beleuchten. In dem eben erwähnten Vorgehen wird ein metaphysisch-spekulativer Entwurf dessen, was der Menschengeist überhaupt und zu allen möglichen Zeiten an bestimmter Variabilität von Seinsdeutungen hergeben kann, vorgelegt, und zwar in einer abschließenden Fixierung oder mindestens als Hinweis auf solche Fixierbarkeit. Es leuchtet ein, daß solche Schemata sehr verschieden aussehen können, daß sie jeweils von der individuellen Sicht des „Typologen" abhängen, von der Art und Weise, wie das bisher Gedachte geordnet wird und wie nun jenen Ordnungen entsprechende Strukturen menschlicher Geistigkeit erdacht werden. Als besonders problematisch erweist sich eine solche Konzeption da, wo ein Denker die „Geschichtlichkeit" des Menschen mit „lebensphilosophischem" Akzent betont, wo also das geistig-geschichtliche Leben als ein schöpferisches angesetzt wird, als der Quellstrom immer neuer Leistungen des Geistes auf allen möglichen Gebieten der Kultur, also auch philosophischer Entwürfe. Der „Weltanschauungstypologe" muß, wenn er einen solchen Ansatz macht, einsehen, daß ihm selber ein bestimmter Platz in jener geschichtlich-schöpferischen Entfaltung zukommt, daß er gleichsam „ausgeworfen" wird als eine Welle dieses in immer 74

neue Länder sich ergießenden Stromes. Er müßte von hier aus die Möglichkeit sichten, daß weltanschauliche Haltungen völlig neuer Art aufbrechen können, Weltanschauungen, von denen er selbst eben um der geschichtlichen Stelle willen, an der er zu leben gezwungen ist, gar kein Verständnis halben kann. Damit aber müßte er einräumen, daß auch einmal „nichttypologisch" gedacht werden könnte. Und wenn er sich zu diesem Grad von Aufrichtigkeit nicht durchzuringen vermag, wenn der Typologismus seine intellektuelle Passion bleibt, dann müßte er wenigstens zugeben, daß die Typenschemata immer nur im Rückblick auf die bereits abgelaufene Geschichte konzipiert werden können und daß ein späterer Typologe auch als solcher zu anderen Ordnungen kommen müßte — um der Schöpferkraft des Lebens willen. In Verkennung dessen, was Geschichtlichkeit heißt, haben nun aber „Typologen" immer wieder vermeint, sich aus der Geschichte herauswerfen zu können und einen ihr transzendenten Punkt besetzen zu können, von dem aus sich der gesamte Geschichtsablauf, nicht nur der abgelaufene, sondern auch der zukünftige, anvisieren ließe. Dieser Ablauf wird in sedner Ganzheit umgriffen, wenn es heißt, diese oder jene typische Sicht des Seienden würde immer wiederkehren. Von solcher Usurpation kann selbst ein Denker von der Bedeutung Diltheys nicht freigesprochen werden. Ein Pathos in der Betrachtung der Schöpferkraft des Geisteslebens einzusetzen und dann dieser Schöpferkraft vorzuschreiben, daß sie stets nur wieder die drei „Weltanschauungstypen" des Positivismus, subjektiven und objektiven Idealismus zu verwirklichen habe: dies bedeutet einen tiefen inneren Widerspruch.74 Es bedeutet zugleich ein Fortsehen von dem, was benannt werden müßte, wenn die Spontaneität der geistigen Entwicklung ernst genommen wird: nämlich der Unvorhersehbarkeit und der Offenheit. Diese wird nicht „durchgestanden". Die den Gesamtverlauf umgreifende Antizipation wird gewagt, und damit wird die Enge der eigenen geschichtlichen Position geleugnet.

Auch Hartmann ist der Forderung nach solcher Offenheit nicht gewachsen. Er sieht, daß die Typologie sich über gewisse Denkformen stellt. Er will aber nicht zugeben, daß sie, diese Typologie, 75

selber wieder eine Denkform darstellt, daß der Typisierende wieder in eine „Typik" einzuhängen ist. Man könnte sagen, daß er, Hartmann, hier „mit der Faust auf den Tisch schlägt". „So kann es nicht sein, denn dann geraten wir in den unaufhebbaren Relativismus!" Also besteht der Wahrheitsanspruch der Typologie zu Recht, also kann sich der Typisierende selbst aus den Denkformen herauswinden, als der Richtende über ihnen stehen. Es läßt sich nun zeigen, daß Hartmann seinerseits eine „Denkformenlehre" voflegt, allerdings in einer Weise, die die Geschichtlichkeit stärker berücksichtigt als solche Theorien, die die gleichen weltanschaulichen Einstellungen zu allen Zeiten wiederkehren lassen. Er gerät damit wieder in die Nahe Hegels. Was er anbietet, ist eine Aufreihung bestimmter epochaler Seinsdeutungen, eine Aufreihung, die sich im Geschichtsverlauf konkretisieren soll als fortschreitendes Eindringen in die Erkenntnis des Seienden. Diese Geschichtsesdiatologie ist von uns bereits in ihren Grundprinzipien dargelegt worden. Im Augenblick soll nur darauf hingewiesen werden, daß eine solche Fortschrittkonzeption natürlich wiederum eine bestimmte Denkform 'darstellt. Sie wird in ihrer Besonderheit etwa bei Hans Leisegang in dessen Schrift „Denkformen" nachdrücklich benannt unter dem Gesichtspunkt der „Linearität" des Zeitdenkens.75 Hartmann versucht, diese Linearität etwas zu verschleiern, indem er so etwas wie „Ausschläge" und Abweichungen ihr gegenüber benennt. Aber da solche Eskapaden des Geistes in dessen Entfaltung immer wieder zurückgenommen werden in den eindeutigen Sog des Ganzen, so bleibt als das Dominierende die Linearität des Fortschrittes bestehen. Der „Menschheitsgeist" restringiert sich selber immer wieder in gebührender Weise, er muß also in diesen Restriktionen gesteuert sein. Insofern wird die von Hartmann betonte „Fragwürdigkeit" eines Endzweckes der Geschichte fortgewischt. Dies geschieht mindestens hinsichtlich des menschlichen Wissens. Und es gibt Andeutungen bei Hartmann, denen zufolge der Erkenntnisfortschritt einen noch allgemeineren Fortschritt des „Seins" nach sich zu ziehen die Macht hat.7® In die geschichtliche Aufreihung der Denkformen blendet Hartmann das Phänomen des „objektiven Geistes" ein als „ein schlichtes, aufweisbares Grundphänomen aller Geistesgesdiichte, weit 76

entfernt von Hegelscher Substanzmetaphysik . . . Gemeint ist mit ihm nichts als die gleichartige Geformtheit alles individuellen Denkens und Auffassens innerhalb eines Volkes (oder auch einer Völkergruppe) in geschichtlich gleidier Zeit." 77 Die Erscheinungen des objektiven Geistes wechseln geschichtlich, und mit ihnen wechseln die Denkformen, deren Geltung also relativ ist. Dazu heißt es nun: „Aber eben die Denkformen und ihre Voraussetzungen sind nicht identisch mit den Kategorien, und zwar weder mit denen der Erkenntnis noch mit denen des Seins. Die Kategorien wechseln nicht mit der geschichtlichen Denkform. Sie gehen durch viele sehr verschieden geartete Typen der Denkweise und des Weltbildes hindurch, sie sind das Verbindende in ihnen über den Gegensatz der Völker und Zeiten hinweg. Es können wohl je nach der Art der Denkform einzelne Kategorien (oder Gruppen von Kategorien) in ihr dominieren, während andere zurücktreten und gleichsam „verschwinden". Aber sie werden vom geschichtlichen Geiste weder geschaffen noch vernichtet, sondern nur ins Licht gerückt oder verdeckt." 78 In diesem Abschnitt Hartmanns wird von der Geschichtlichkeit des menschlichen Geistes gesprochen. Und es ist die Rede von einer Konstanz der Kategorien gegenüber den verschiedenen Weltbildern. Wir müssen auch hier wieder auf Darlegungen zurückweisen, die wir an früherer Stelle in diesem Buch gegeben haben. 79 Die entscheidende Besonderheit einer metaphysischen Deutung gegenüber einer anderen liegt in der Art und Weise, wie eine Seinsordnung im Reflex eines Kategorialgefüges erscheint. Das Schwergewicht liegt dabei auf dem Wort „Gefüge". Denn in der Weise solchen Gefüges, in der Dominanz, die bestimmten Kategoriengruppen zugesprochen oder abgesprochen wird, kommt die radikale Verschiedenheit der einzelnen Weltsichten zam Zuge. Kategorialdominanz kann den krassen Materialismus oder Spiritualismus bedeuten, die Leugnung oder Anerkennung der Freiheit, die Anerkennung oder Absetzung Gottes. Hartmann sieht immer wieder, wenn von der „Metaphysik der Probleme" die Rede ist, von der Tatsache ab, daß der grundlegende Denkvorgang in allen Meta77

physiken der des Vergleichs ist, von dem her sich allein eine Kategorialordnung entwerfen lassen kann. Es wird auch hier die Geschichtlichkeit des Geistes nicht ernst genommen. Denn wäre das der Fall, so müßte zugegeben werden, daß dem in bestimmter geschichtlicher Situation stehenden Denker ja immer nur das als Denkmöglichkeit zur Verfügung steht, was der Geschichtsgeist ine Lidit rückt oder verdeckt, gerade an dieser Stelle beleuchtet oder ins Dunkel verweist. Es ließe sich also von hier aus niemals die Durchgängigkeit, die Konstanz des Kategorialgutes sichern, denn es könnten ja zu einer bestimmten Zeit bestimmte Kategorien gerade untergesunken sein. Es können auch andere noch gar nicht aufgetaucht sein, noch niemals bis dahin aufgeschienen sein. Hartmann gibt selbst zu, daß im Laufe der Menschheitsgeschichte neue Kategorien entdeckt werden können. Auch Hartmann müßte demnach einräumen, daß er nur das zur Aussage bringen kann, was der Geschiditsgeist ihm, eben dem Denker Hartmann, an dieser Stelle anvertraut. Statt dessen hält er es prinzipiell für möglich, daß ein Philosophierender den Geschichtsverlauf im Ganzen überblicken kann und, wenn auch nur in Umrissen, so doch unzweideutig sagen kann, welche geistigen Bewegungen sich vollzogen haben und noch vollziehen werden und zu welchem Endergebnis das Ganze hintreibt. Er braucht sich dabei nicht weit auf das Risiko der Antizipation, das größte Risiko, das für eine Geschichtsmetaphysik besteht, einzulassen. Er braucht das darum nicht zu tun, weil er sich selber, wie schon erwähnt, die Stellung des „Epigonen" zuweist, der in der Lage ist, die volle Ernte einzuheimsen, dem sich die Durchschaubarkeit für die ganze abgelaufene Geschichte eröffnet und in dem sich die Tendenzen des Geistes so begegnen, daß hier ein nicht mehr überschreitbares Ordnungsgefüge erschaut werden kann. Natürlich gibt es noch die Möglichkeit, „nach innen" Ausfüllungen in präziserer Kategorialamalyse des Speziellen und Spezielleren vorzunehmen, aber der Rahmen des Ganzen erreicht in dem Epigonen Hartmann eine bemerkenswerte Stabilität und wird als der endgültige angesehen. ,.Epigonentum", in diesem Sinne bedeutet also nicht Zugehörigkeit zu unschöpferischen Geschichtsperdoden, auf die wieder große Aufschwünge folgen werden, sondern es meint die glückliche und einzigartige Situation desjenigen, in den Geistesbewegungen ein78

münden, ohne daß nun noch einmal radikale Wendlingen zu befürditen sind.

Hartmann arbeitet also wieder mit einer Denkformenlehre und zugleich mit der Konzeption einer Aufreihung der Denkformen. Da bei ihm Ontologie betont als Kategorialanalyse bezeichnet wird, muß er die Denkform von dem Kategorialsinn her fassen, der ihr beigelegt werden kann. Die Denkformen erscheinen also als Kategorien des geistigen Seins, jenes Gebietes, hinsichtlich dessen die Kategorialanalyse am spätesten und am schwierigsten durchzuführen sei, wie es heißt.80 Sie müssen damit zugleich als Kategorien der Geschieh tsfiewegung auftreten. Und damit bezieht Hartmann jenen an ausgezeichneter geschichtlicher Stelle befindlichen Platz des Epigonen, der diese Bewegung zwar noch nicht in allen Einzelheiten, aber doch im großen und ganzen zu überschauen vermag. Er ist damit imstande, die Phasenfolge der Denkeinstellungen als evolutionäre zu überschauen. Wir geben folgendes Zitat: „Bestehen die Denkformen nämlich wesentlich in der Vorherrschaft einzelner Kategorien oder Kategoriengruppen, so wird es unwahrscheinlich, daß sie in der Geschichte einem 'planlosen Wechsel ohne jeden Richtungssinn ausgeliefert sind. Wenn die relativistischen Interpretationen dieses Phänomens nichts weiter wollen als die Beschreibung geschichtlicher Erscheinungen, so ist gegen ihre Neutralität nicht viel einzuwenden. Wollen sie aber mehr sein — und wer könnte das verkennen —, so arbeiten sie gemeinsam an der Destruktion des geistigen Fortschrittes." 81 An dieser Stelle scheidet Hartmann klar seine eigene „historisierende" Denkformenlehre von „unhistorischen" Typisierungsversuchen. Dies bedingt, daß nun ein „Richtungssinn" der Geistesgeschichte aufgezeigt und ein Prinzip der Epochenbildung herausgestellt wird. Hartmann begibt sich an diese Aufgabe und löst sie auch. Seine Ausdrucksweise ist dabei vorsichtig. Gerade in den hierher gehörenden Partien tritt seine Neigung hervor, spekulative Vor79

schläge, die tragend für sein ganzes Denken sind und sich als unentbehrlich für dessen Durchführung erweisen, in einer Sprache darzulegen, durch die der Dogmatismus jener Thesen verschleiert wird. Es ist „ unwahrscheinlich", daß die Kategorialerkenntnis sich ohne Richtungssinn vollzieht, heißt es. Daß damit sofort ein bestimmter „Standpunkt" oder, in anderer Sprache, eine „Denkform", nämlich die einer eschatologischen Geschichtsmetaphysik akzeptiert wird: diese Tatsache muß man sich gegenüber der sachten Ankündigung erst nachdrücklich zum Bewußtsein bringen. Hartmann setzt sich weiterhin gegen die „Gewaltsamkeit" der Geschichtskonstruktionen des „Deutschen Idealismus" ab, besonders gegen die „optimistischen Schemata des Progresses". „Läßt man", heißt es dann, „aber zugleich mit diesen alles Fortschreiten überhaupt fallen, so sind alle Denk- und Auffassungsformen gleichwertig, und der reelle Sinn von Erkenntnis und Forschung hört radikal auf." 82 Hartmann glaubt nun, eine unzweideutige Sicherung seiner Fortschrittsthese durch pragmatistische Gedankengänge leisten zu können. Er geht davon aus, daß der Mensch zu allen Zeiten von einem Macht- und Beherrsdiungsdrang dem Seienden gegenüber erfüllt gewesen ist und auch weiterhin sein wird. „Das ist aber zugleich der Grund, warum das planlose Nebeneinander der Denkformen von vornherein unwahrscheinlich ist. Ein solches wäre denkbar nur bei vollkommener Gleichgültigkeit des Menschen gegen seine eigene Macht- oder Ohnmachtstellung in der Welt. Niemand wird solche Gleichgültigkeit im Ernst behaupten. Das Streben nach Erkenntniszuwachs als Macht- und Lebensfaktor, die Tendenz zum Eindringen und Beherrschenlernen, ist bei allem Wandel der Regsamkeit doch eine durchgehende Grundtatsache." 83 Im „Problem des geistigen Seins", in dem sonst die Erscheinungen des objektiven Geistes als etwas angesehen werden, das nicht in einen teleologischen Gesamtzug einzuordnen ist, wird die Wissenschaft, weil sie zu Akkumulationen gelangt, als ein Sonderphänomen bezeichnet. Wie auch der objektive Geist der Völker und Zeiten beschaffen sein möge, wie verschieden auch alle seine Ausprägungen sein mögen: hier, in der Wissenschaft, gehen die mannigfaltigen „objektiven Geister" eine Zusammenarbeit ein, 80

hier übernimmt der eine, was der andere geleistet hat, um die Aufgabe weiterzutreiben. Und da nach Hartmann die Grenze zwischen Ontologie und Wissenschaft fließend ist, so hat auch die Ontologie Anteil am „Fortschritt" des Ganzen. Man sieht, daß die sonst nicht teleologische Folge der Erscheinungen des objektiven Geistes sich in Gerichtetheit verwandeln muß, wenn es auf die Sicherung der Hartmannschen Ontologie selber ankommt. Übersehen ist dabei einmal, daß die fundamentalen Fragestellungen der Wissenschaft sich verwandeln können und daß selbst von der Akkumulation reinen Tatsachenwissens nur unter dem Vorbehalt gesprochen werden kann, daß immer die Theorie bestimmt, was den Rang und Wert einer Tatsache hat. Übersehen ist weiter natürlich auch hier, daß die Wissenschaften niemals zum Gelingen einer Ontologie als Gesamtumgriff beitragen können.84 Es wird dann gesagt, daß der Fortsdirittsprozeß in Wellen verliefe und Rückschläge aufwiese, daß sich hier auch keine Antithetik konstruieren ließe und daß scheinbar Indifferenzstadien da wären. Aber durch all dieses hindurch tauche doch „die unbeirrbare Tendenz des Erkenntnisprogresses und der Annäherung an das Reale auf". 8 5 Gleich darauf wird das Prinzip des Fortschrittes noch einmal von der Eigentümlichkeit der sich geschichtlich folgenden Denkformen her gesehen. Diese nehmen immer größere Kategoriengruppen auf. Dabei kommt es zugleich zu einem Abbau der Einseitigkeit, d. h. der Bevorzugung bestimmter Kategoriengruppen. Es ist deutlich ersichtlich, daß hier die Tendenzen des Geschichtsgeistes einem Ziele zuströmen, das dem Umriß der Hartmannschen Ontologie sehr nahe kommt. Die Ablehnung von Ontologien „von oben" und „von unten", die Zuerkennung der ontischen Gleichrangigkeit den einzelnen Seineschichten gegenüber: dies entspricht dem Kategorialausgleich, von dem eben die Rede war. Dann aber heißt es: „Verfälschen freilidi würde man diese Perspektive, wenn man sie auf andere Geistesgebiete und deren geschichtlichen Formenwechsel übertragen wollte. Das Gemeinschaftsleben mit seinen politischen und sozialen Formen folgt einem anderen Gesetz; ebenso 6 Kantback, Hartmann

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das ethische, rechtliche, bildungspädagogische und künstlerische Leben. Auf diesen Gebieten lernen die Völker und Zeiten nicht so leicht voneinander wie auf dem der Erkenntnis. Das praktische Leben steht auch in ganz anderem Maße vor immer wieder anderen, neu entstehenden Aufgaben. Je aktueller das Lebensgebiet, um so weniger läßt seine Geschichte den Aufstieg erkennen. Nur das Wissen steht anders da, und zwar eben deswegen, weil es die Tendenz hat, sich abseits zu halten vom Felde der Dringlichkeit und seine eigenen Wege im Hinschauen auf das Ganze der realen Welt zu gehen." 86 Seltsamerweise erscheint hier das Wissen, von dessen Progreß die Rede ist, als reines, während noch kurz vorher eben dieser Weg durchaus von der praktischen Anwendung her erklärt werden sollte. Das Macht- und Beherrschungsstreben des Menschen dem Seienden gegenüber wurde als Motor der Wissenevermehrung angesehen. Solches Tendieren nach dem äußeren Nutzerfolg aber kann ja wohl nicht als etwas angesehen werden, was sich „abseits hält vom Felde der Dringlichkeit". Wenn übrigens das Machtstreben als emotional-utilitäres als der treibende Faktor des „Fortschrittes" angesehen wird, dann müssen ihm alle die in dem letzten Zitate genannten Phänomene, etwa das Gemeinschaftsleben, das ethische, rechtliche, künstlerische Sein usw. subsumiert werden. Es wäre unerfindlich, wieso diese dann nicht auch fortschreiten sollten — allerdings nur unter dem Gesichtspunkt der Beherrschung des Seienden durch den Menschen. Hartmann überträgt hier eine Haltung und Einstellung, die für die Neuzeit charakteristisch ist, auf den Menschen in einem zeitlos übergeschichtlichen Sinne, und scheint dann davor zurückzuschrecken, nun sämtliche Verhaltensweisen des Menschen von dessen Machtstreiben her zu erklären. Wie dem aber auch sei: der Weg der Erkenntnis zu der richtigen Ontologie hin wird auf den Herrschaftsdrang des Menschen zurückgeführt. Wir gehen noch kurz auf das ein, was Hartmann als „Aufstiegsgesetzlichkeit" des Geistes bezeichnet, jenes Geistes, dessen Umhertasten mitunter als schwer einordenbar erscheinen, aber deswegen noch lange kein „regelloses Vagabundieren" sein soll, bei dem das Fortschreiten Zufallssache bliebe. Hier erscheint also in dieser Geschiehtsmetaphysik dieEpochalität. 82

Die Grundrichtung des Geistes soll daibei in Aristotelischem Sinne der Weg vom „für uns Früheren" zum „an sich Früheren" sein. Darum werden zunächst die Kategorien des „Lebensaktuellen" aktiviert, dessen, was für den Menschen hier wichtig ist. 87 So wechseln denn nach Hartmann von Anfang an zweierlei Typen von Metaphysik miteinander ab: die dingartiger Substanzen und die zwecktätig vorsehender Mächte. „Erst langsam treten in der Geschichte die Denkformen dieser beiden Typen zurück, und Kategoriengruppen von größerer Mannigfaltigkeit treten in Aktion." Von den beiden genannten Gebieten aus läuft nun der Gesamtprozeß des „menschlichen Weltbewußtseins" in vieT Richtungen weiter, von denen je zwei sich an die primäre Zweiteilung anschließen: jeweils ein zu höheren Formen des Seins hinaufführender und ein zu niedrigeren Formen hinabführender. Der ganze Prozeß „läuft vom seelisch Innerlichen zum geistig Objektiven hinauf, zugleich aber auch zum organisch Innerlichen hinab; und andererseits läuft er vom dinglich Mechanischen zum organisch Äußerlichen hinauf, zugleich aber auch zum kategorial Niedersten und Fundamentalsten hinab." „Und da es ein und derselbe erkennende Geist ist, der diese Prozesse durchläuft, so häufen sich die verschiedenartigsten Kategorien in ihm an — gleichsam von zwei Polen aus — und gruppieren sich um diese, greifen aber keineswegs sogleich harmonisch ineinander. Denn die Ordnungsfolge ihres Durchdringens ins Bewußtsein ist eine ganz andere als die ihres ontischen Zusammenhanges. Aber nach und nach fügen sie sich doch zusammen, um der Tendenz nach schließlich eine geschlossene Einheit zu bilden." Und so müssen die „heterogenen Weltaspekte zuletzt einander berühren und ein homogenes Ganzes ergeben." Es zeigt sich also völlig klar der Fortschrittsgedanke einer geschichtlichen Geistesmetaphysik, bei der „Standpunkte" oder „Denkformen" als je an bestimmter Stelle „eingehängt" erscheinen. Die eigene Ontologie Hartmanns bekommt eine ausgezeichnete Bedeutung dadurch, daß sie die endgültige Kategorialordnung mindestens inauguriert, ja hinsichtlich der wesentlichsten Strukturen schon in eindeutigem Sinn „fündig geworden" ist. Kehren wir zu dem Problem des gnoseo-ontologischen Zirkels und zu dem Phänomen zurück, daß eine Mannigfaltigkeit solcher Zirkel geschichtlich in Erscheinung getreten ist, so werden diese 6*

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hier einem umgreifenden subsumiert. Dem Gnoseologen und Ontologen Hartmann liefert die Erkenntnis die Kriterien, auf Grund deren Erkenntnis sich selbst als ein Seiendes deutet und alles übrige Seiende in diese Deutung einbezieht. Das Dargelegte erscheint als zwingend, erscheint als die plausible Lösung, muß so erscheinen, weil gleichzeitig festgelegt wird, was unter dem „Zwingenden" und unter einer „plausiblen Lösung" zu verstehen ist. Von den sich anbietenden Kriterien her erscheint die Frage als abweisbar, ob nicht auch die Geschichtsontologie, die Hartmann selbst anbietet, eine bestimmte Denkform unter anderen möglichen darstellt. Es unterbleibt weiter die Erwägung, ob nicht, selbst wenn der Fortschrittsgedanke akzeptiert wird, die Bewegung in ihrer Phasenfolge, in ihrer eventuellen Kumulierung oder Dialektik eine durchaus andere sein könnte. Zur Frage der Dialektik sei übrigens grundsätzlich erwähnt, daß in der Antithetik, mit der sie umgeht, etwas Letztwesentliches aufscheint: die „Verwobenheit" des Seine und des Nichts. Die Tiefe solcher Einsicht aber wird sofort vernichtet, wenn nun mit der Dialektik als einer Methode irgendwie gearbeitet wird. Dies ist nämlich nicht anders möglich, als daß metaphysische,,Geschichten" erzählt werden. Diese Geschichten können verschieden ausfallen, je nachdem, was als grundlegender Widerspruch im Seienden angesetzt wird, so etwa eine spirituelle oder materiell-ökonomische Antithetik. Die metaphysischen Erzählungen können weiter variieren hinsichtlich des Ansatzes entscheidender Phasenbildungen oder maßgebender Über- und Unterordnungsverhältnisse von Antithesen in deren Anheftung an bestimmtes Seiendes. Jeder derartige Vorschlag steht natürlich wiederum im gnoseoontologischen Zirkel.

Erkenntnis ist nach Hartmann Spiegelung, wenn auch nur „repräsentierende" Spiegelung des Seins in sich selber. Ontologische Erkenntnis wäre dann eine mindestens umrißhafte Totalspiegelung, wenn dabei auch die Lücken des „Irrationalen" bestehen blieben. Solche Totalspiegelungen seiner hat das Sein versucht,

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solange Metaphysik getrieben wurde. Es ist dabei wiederholt zu Fehlleistungen gelangt, hat aber durch die Kette dieser Fehlleistungen weitergedrängt — hin bis zu der Ontologie des Epigonen Hartmann, in der mindestens der Weg zu einer Überwindung jener Entgleisungen sich auftut. Die Selbstregulationen des Seins, die Zurücknahmen von Einseitigkeiten werden vorangetrieben durch die Kraft des Sich-zur-Geltung-Bringens der Kategorien und Kategorialkomplexe, durch die Triebmacht der „Probleme". Das ganze Geschehen vollzieht sich durch den „geschichtlichen Menschengeist" hindurch. Es greift also über den einzelnen Menschen hinweg und macht ihn zu seinem Beauftragten. Da der Geist aber von den übrigen Seinsschiditen getragen wird und in das gesamte Relationsgefüge des Seienden eingeordnet ist, so müssen sich die Schichten in kooperativem Wirken in den Dienst des Seins stellen, damit dieses im „Epigonen" zur angemessenen Spiegelung seiner selbst kommen kann. Wir haben schon die Frage aufgeworfen, ob bei solchem Ansatz nicht doch die Prädominanz des Geistes gegenüber den anderen Schichten Voraussetzung ist. Denn das Sein als Relationsgefüge „will" doch im Räume dieser Geschichtsontologie „zu sich" kommen, sich adäquat spiegeln und muß somit alle anderen Schichten in den Dienst dieser Absichten hineinziehen. Auf das hier benannte „Zug"-Phänomen sei mit höchstem Nachdruck hingewiesen. Wir begegneten ihm bereits bei der Erwähnung der „Metaphysik der Probleme". Hier erschienen eben diese Probleme als Einweisungsmächte dem menschlichen Erkennen gegenüber.88 Weiter war die Rede davon, daß die Kategorien sich zunehmend in solcher Weise „aktivieren", daß die Erkenntnis fortschreiten könnte. Dieses „Sichaktivieren" war keineswegs als ein irgendwie metaphorischer Ausdruck zu nehmen, sondern das Wort bezeidinete eine als höchst real gedachte geschichtliche Tendenzhaftigkeit. Man kann hier auch von einer Art Symbiose zwischen Problemen und Kategorien einerseits und Phänomenen des „objektiven Geistes" andererseits sprechen. Denn die Bevorzugung bestimmter Probleme gehört ja zur inhaltlichen Eigenart eines objektiven Geistes. Bei allen Distanzierungen Hartmanns gegenüber der Hegeischen Lehre vom objektiven Geist erscheint dieser bei ihm doch als eine 85

eminente geistige Einweisungskraft. Es ist immer wieder von seiner „Macht" dem personalen Geist gegenüber die Rede. Man könnte also sagen, daß der objektive Geist das dynamische Phänomen ist, dessen sich Probleme und Kategorien bedienen, um sich im Denken des Menschen sukzessiv in immer angemessener Weise zur Geltung zu bringen.89 Von den angegebenen Gedankengängen her rückt die Hartmannsche Geschiehtsontologie also doch wieder in eine große Nähe zu der Hegelschen Metaphysik. Wenn die dialektische Bewegung auch nicht in präziser Antithetik zur Geltung gelangt, so gibt es doch die Fortschrittsgetriebenheit des Geistes überhaupt. Es gibt auch, gerade der Erkenntnis gegenüber, so etwas wie eine „List der Idee": eben die Einweisungsgewalt der Kategorien oder Probleme im Dienst einer Tendenz des Seins, zur rechten Spiegelung seiner zu kommen, einer Spiegelung, die allerdings immer haltmachen muß vor Irrationalzonen. In völliger Durchsichtigkeit „gibt sich" das Sein durch den Menschengeist hindurch sich selber nicht. Dies zeigt sich auch darin, daß die „Spiegelung" seiner selbst, mit der das Sein hier umgeht, nicht klare Abbildlichkeit, sondern nur „Repräsentation" ist. So, wie wir an den Hegelschen Gedanken von der „List der Vernunft", erinnern konnten, wird man sich nun auch fragen müssen, wie mit der Geschichtseschatologie Hartmanns dessen Theorie von der Freiheit des Willens zu verbinden ist, wie es hier noch so etwas wie eine Eigendeterminationskraft dieses Willens geben kann. Hartmann weist auf die Schwierigkeiten hin, in die die Annahme der Freiheit gerät, wenn die Existenz Gottes angenommen wird, von dem ja eine teleologische Steuerung allen Geschehens ausgehen müßte. Freiheit des Geistes ist bei ihm wohl zu vereinen mit einem Kausalnexus des Geschehens, weil dieser das Eingreifen von Richtungstendenzen verträgt. Nicht aber könnte die Freiheit mit einer „Vorsehung", d. h. einer teleologischen Lenkung des Seinsgeschehens, verbunden werden.90 Es ist bekannt, daß Hartmann gerade an dieser Stelle ganz in den Denkstrukturen der alten Metaphysik hängt. Gott erscheint hier noch als gleichsam ebenbürtiger Partner dem Menschen gegenüber. Und weil sein Tun das freie Tun des Menschen belästigt, dieses freie Tun aber möglich sein soll, darum wird der Gott über 86

Bord geworfen. Hier ist ja auch Sartre noch Hartmann gefolgt. Ein solcher Atheismus ist für dieses Denken unvermeidbar, weil Ontologie nach Hartmann Kategorienlehre ist und auch sein mit „unlösbaren Schwierigkeiten behafteter" Gottesibegriff als hypothetisches Gebilde nur im Raum von Kategorienbestimmungen auftreten kann. D. h., der Gott, den Hartmann überhaupt zu denken vermag, ist objektiviert, ist vergegenständlicht und muß Eigenschaften haben, so die der Neigung, teleologisch zu steuern. Genauso widersinnig ist es natürlich im Grunde, wenn Hartmann die Freiheit in seine Kategorialzusammenhänge hineinzieht. Audi die Freiheit wird dabei objektiviert, und es wird nicht gesehen, daß es grundsätzlich unmöglich ist, sie so zu fassen, Man kommt dann unter allen Umständen in Widersprüche. Einer dieser Widersprüche liegt eben vor in der Abweisung Gottes bei Hartmann. Denn wenn auf die Freiheit des Menschen von ethischen Belangen her insistiert wird und wenn Freiheit unabtrennbar ist von Verantwortung und Schuld, dann wird immer schon eine Sphäre der Schuldlosigkeit, der Reinheit vorausgesetzt, eine Stelle, der gegenüber Rechenschaft abgelegt werden kann und die es im Bezirk des Menschlichen nicht gibt. Diese Stelle ist aber auch nicht zu ersetzen durch ein statisches Reich der Werte, wie Hartmann es zu etablieren versucht.

Wir halben jetzt jedoch nicht die Absicht, uns mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Freiheit „kategorial", d. h. objektivierend gefaßt werden kann. Wir möchten rein immanente Kritik am Hartmannschen Denken üben. Und zwar möchten wir die Freiheit jetzt von daher ins Auge fassen, daß sie ja auch mit der Erkenntnis zu tun hat insofern, als sie hinter dem Wahrheitswillen des Menschen und damit hinter dem Einsatz seiner kritischen Redlichkeit steht. Wir wissen nun, daß es nach Hartmann einen teleologisch-prädesitinierten Gang der geschichtlichen Entfaltung des Menschengeistes gibt, einen Gang, der von einem vereinseitigenden und darum verfehlten Umgehen mit den Kategorien allmählich zu einem zutreffenden führt. Dieser Gang übergreift als Gesamttendenz das Individuum mit seinen je an bestimmter Stelle stattfindenden ontologischen Bemühungen. 87

Die Vereinseitigungen, von denen die Rede war, kommen dadurch zustande, daß gewisse Kategorien sich in den Vordergrund drängen, sich in einer hypertrophen Weise aktivieren. Wie dieses geschieht, ist durch die Fortschrittstendenz des Seins vorgeschrieben. Der Ontologe als reflektierender Philosoph ist nun die Stelle im Sein, an der die Schritte des geistigen Fortschreitens je durchsichtig, je luzide werden. Es heißt nun bed Hartmann, daß dieser Denker die Freiheit habe, die ihm durch den Gang der Geschichte „überreichte" Deutung weiter voranzutreiben, sie, diese Deutung, gerade um der Durchsichtigkeit willen, mit der sie sich jetzt in dem bedeutenden Binzeigeist auftut, auszubauen und auf sie zu insistieren oder sich ihr in kritischer Weise zu widersetzen und sie abzuändern. Hier muß nun wohl gefragt werden, wie sich diese freie Entscheidungsmöglichkeit dee Erkennenden mit dem über ihn hinweggleitenden Gang des Erkenntnisfortschrittes vereinigen lassen kann. Es gibt hier im Grunde ja nur eine Alternative: entweder ist der Raum der kritischen Entscheidungen des Menschen Ort wirklicher Freiheit, dann wird unverständlich, wie seine Entscheidungen in einen prädestinierten Gang hineinpassen können. Oder es gibt diesen Gang, und die Entscheidungen des Menschen sind in ihn eingefügt (gnoseo-ontologische „List der Vernunft"), dann aber kann wohl nicht mehr von Freiheit in Hartmannschem Sinne, nämlich als Selbstdetermination des Willens, gesprochen werden. Es ist dann auch im Grunde überflüssig, eine „kritische" Haltung zu fordern. Sie spielt sich ja von selbst ein, sie ist das Instrument, mit dem das Sein sich selbst immer wieder aus Fehlspiegelungen seiner herauswindet. Wir hoffen, genügend einsichtig gemacht zu haben, daß Hartmann, seine große Entdeckung des gnoseo-ontologischen Zirkels in ihren Konsequenzen nicht durchstehend, darauf beharrt, daß seine eigene Ontologie in kritischem Sinne „ausgezeichnet" sei, auszeichenbar allen anderen Ontologien gegenüber. Er versucht, diesen Vorzug zu begründen, indem er eine Fortschrittsmetaphysik anbietet, von der her frühere Ontologien als mißlingende Versuche erscheinen, denen gegenüber sein eigenes Denken einen entscheidenden Schritt zu der Wahrheit hin voll88

zieht, die durch den Mensdiengeist hindurch überhaupt erreichbar ist. Es ist selbstverständlich und unvermeidbar, daß er in dieser Weise wieder zu einer Ontologie kommt, die „von Gnaden ihrer eigenen Kriterien lebt". Es lassen sich ja mannigfache andere Fortschrittsontologien entwerfen. An die großen Vorgänger hinsichtlich eines solchen Verfahrens, die Denker des deutschen Idealismus, insbesondere Hegel, haben wir erinnert. Von „Denkformenlehren" und ihren Aufreihungen her sind eine Fülle von Varianten möglich, Epochalitätsschemata können in immer neuen Weisen angeboten werden, das Verhältnis des einzelnen Menschen zu den ihn tragenden Geschichtsmächten kann immer anders verrechnet werden. Der Denkform des Fortschrittes überhaupt gegenüber ist natürlich auch die des Rückschrittes möglich oder die der Neutralität, die dann mit einem ständigen „Relativismus" allen Erkennens umgehen könnte. Das vollkommene Dilemma der Denkformenproblematik tut sich auf. Sucht der den Relativismus Fürchtende den Übergriff und vollzieht er diesen wieder in gewohnter ontologischer Weise, so kann er dies nur tun, indem er sich in eine neue Denkform wirft. Immer muß dabei die Ontologie sagen, was Wahrheit ist und was unter kritischer Sauberkeit zu verstehen ist. Die ganze Schwierigkeit, die hier vorliegt, kann nur dann eine Beantwortung finden, wenn der Sinn des Seins anders gefaßt wird, als dies in einer Ontologie möglich ist. Ontologien haben immer, auch wenn sie dies nicht ausgesprochen haben, „begründen" wollen. Sie haben Begriffsgefüge entworfen, in denen das Fundierende und das in bestimmter Weise Abgeleitete aufschien. Auch eine Ontologie, die nicht apriorisch-deduzierend vorgehen will, sondern, wie die Hartmannsche, von der ganzen Breite des „Gegebenen" her Kategorialanalyse treiben will, muß schließlich in der Erarbeitung des „Gefüges", vom Ansatz bestimmter „allgemeinster" und „gründender" Prinzipien ausgehen. Von diesen her kann sie dann erst auf das „Speziellere" zustoßen. Von solchen Begründungstendenzen aus werden wir unerbittlich in die gnoseo-ontologischen Zirkel hineingezogen. Denn die 89

Auswahl des „Ausgangshaften" von seiten einer Ontologie rechtfertigt sich immer schon mit und in der Aussage darüber, was die Erkenntnis ist und wie ihr „Evidentes" aussieht. Von der Variabilität des „Evidenten" her, auf die hier hingewiesen werden muß, läßt sich die Frage aufwerfen: warum gibt es eindeutige und wirklich allgemeingültig-zwingende Evidenz nur in den diskursiven Denkbewegungen, die unter Annahme bestimmter Anfangssetzungen vollzogen werden könnten? Und warum gibt es diese Unerschütterlichkeit nicht bei den Ansätzen selber? Diese Frage allein sollte schon in das Verhältiiis des gnoseoontologischen Zirkels einweisen. Es sei angemerkt, daß diesem Ziel natürlich audi jede „philosophische Anthropologie" verfällt, die objektivierend vorgehen will. Daß hier kein wissenschaftliches Unterfangen vorliegt, ist selbstverständlich. Denn der Mensch soll dabei als Ganzes erfaßt werden, und das vermag partikulär vorgehende Wissenschaft nicht zu leisten, auch dann nicht, wenn man „einige" Disziplinen zusammenzuraffen versucht. Es wird dabei unter allen Umständen mit einer Kryptometaphysik oder Kryptoontologie umgegangen. Es wird mit einer Methode des Vergleichs gearbeitet, denn die Seineweise des Menschen soll von der Seinsweise des übrigen Seienden abgehoben werden. Damit steht „das Ganze" im Blick, und der Zirkel kann nicht vermieden werden. Wenn Ontologie „kritisch" sein will, und das muß sie sein, wenn sie begründen und ihre Begründungen als plausibel hinstellen will, dann kann sie ihre Kriterien immer nur selber gebären. Dann kann man nicht eine Ontologie mit einer anderen vergleichen, es sei denn, man hätte schon wieder eine neue. So eröffnet sich hinter allen Ontologien das, was wir den unkritischen Raum genannt haben. Es tut sich weiter die Frage auf, woher denn jedesmal, wenn eine Ontologie sich offen anbietet oder als der verschleierte Hintergrund eine Gnoseologie da ist, woher dabei der jeweils aufscheinende gnoseo-ontologische Zirkel gestiftet wird. Wenn wir den Bezirk dieses „Woher" nun „Sein" nennen, so werden wir dieses Sein nicht in der Weise der traditionellen Metaphysiken oder Ontologien fassen können. Wir werden ihnen gegenüber zu einem Wandel des Denkens bereit sein müssen. 90

C. Der gnoseo-ontologische Zirkel in Hartmanns Seinsdeutung selbst 1. Der Doppelhorizont

der Argumente für den

Realismus

Unter der Voraussetzung, daß man so etwas wiö eine „Metaphysik der Probleme" treiben kann und daß sich auch die Erkenntnis als Problem ansehen läßt, weil sie eine Relation im Gefüge des Seienden überhaupt ist, eröffnet nach Nicolai Hartmann die Gnoseologie den Zugang zur Ontotogie. Diese Gnoseologie soll insofern autonom vorgehen können, als sie sich im Besitze eigener Sicherungsmöglidikeiten und eigener kritischer Methoden weiß.91 Als solche Methode wird einmal die vor allen standpunktlichen Festlegungen, also auch vor der Entscheidung für Realismus und Idealismus möglich sein sollende „Phänomenbeschreibung" angeboten. Ihren Aufweisen soll sich eine „aporetische" Erörterung anschließen, d. h. eine Erwägung der Denkschwierigkeiten, die sich von der Phänomenbeschreibung her auftun. Diese Schwierigkeiten verlangen nach Hartmann eine Lösung, die nur ontologischen Charakter haben kann. Die eo in die Sicht zu hebende Ontologie soll kritisch sein, und zwar kritisch in dem Sinne, daß sie die bestmögliche Antwort auf die sich von der Beschreibung und Erörterung des Erkenntnisphänomens her ergebenden Fragen erteilt. Wir haben zu zeigen versucht, daß sich, wenn die Erkenntnis als in das Seinsrelationsgefüge im Ganzen mateingehende spezielle Relation gefaßt wird, Gesamtgefügeentwurf und Kriterienentwurf von demselben Ansatz her speisen müssen, also ein gnoseoontologischer Zirkel entstehen muß. Wenn dies der Fall ist, so muß auch ein sich scheinbar nur mit dem Erkenntnisproblem beschäftigender Ansatz im Grunde schon von einer bestimmten ontologischen Konzeption gesteuert sein. Dann aber kann die „Phänomenbeschreibung", die vorgelegt wird, keine voraussetzungslose sein. Die Behauptung, daß sie dies 91

sei, muß sich auf eine Selbsttäuschung des Denkers Hartmann zurückführen lassen. Es muß sich zeigen lassen, daß sich ständig ontologische Vorurteile bestimmter Art in die vermeintlich noch diesseits von „Idealismus und Realismus" liegende Schilderung einschleichen und auch im Ansatz dessen, was sich als „Aporie" zeigt, schon mitschwingen. Die Ontologie, zu der Nicolai Hartmann kommt, setzt die Bewußtseinstranszendenz der Erkenntnisgegenstände voraus. Sie sieht die Erkenntnis als etwas Reales, in einer alles Reale übergreifenden Zeit Liegendes an. Der eine Pol der Erkenntnisrelation gründet also in der Schicht des Geistigen, der andere wird durch die Gesamtheit der Schichten des Realen sowie durch das ideale Sein gebildet. Ontologie ist Spiegelung des Seins an einem bestimmten Ort seiner selbst, nämlich im Geiste. Sie zeichnet in Begriffen ein Kategorialgefüge des Seienden nach. Als Hauptgegner erscheint für diese Ontologie der gnoseoontologische Idealismus, jene Theorie, durch die der Erkenntnisgegenstand als „bewußtseinsimmanent" gesetzt wird. Die „Metaphysik der Erkenntnis" versucht nun, mit der Beschreibung des Erkenntniisphänomens und der sich anschließenden aporetischen Erörterung einen Weg zu finden, der zwingend zu einer realistischen Ontologie führt. Das geschieht in der Entwicklung einer Kette von Beweisgründen. Diese Argumente für die Transzendenz des Erkenntnisgegenstandes beruhen in der genannten Schrift in der Hauptsache auf einer Betrachtung des Erkenntnisvorganges als solchem. In der „Grundlegung der Ontologie" werden derartige Beweisversuche insgesamt als unzulänglich bezeichnet, und zwar darum, weil vom rein erkennenden Verhalten des Menschen her die Bewußtseinstranszendenz des Seienden nicht hinreichend gesichert werden könne.92 Eine eigentliche Hilfe bieten hier nach Hartmann vielmehr die emotionalen Funktionen, die eine nicht-erkenntnismäßige Bindung des Menschen an anderes Seiendes bedeuten und in ihrer Eigentümlichkeit stärker auf das Ansichsein des Realen verweisen sollen als die Akte des Erkennens. Jedenfalls muß man von hier aus die dem Wesen der Erkenntnisfunktion entnommenen Transzendenzargumente als zweitrangig ansehen. 92

Dennoch erscheint es uns wichtig, auch diese „Kriterien" nicht nur zu benennen, sondern die Art und Weise zu verfolgen, wie Hartmann mit ihnen umgeht, bis er dahin kommt, ihr Versagen selber bis zu einem gewissen Grade zu beleuchten. Es wird sich nun hinsichtlich beider Argumentationsreihen, der auf das Erkennen und der auf die Emotionalakte bezogenen, zeigen lassen, daß Hartmann von Anbeginn an im gnoseo-ontologischen Zirkel realistischer Färbung steht, d. h., daß seine eigenen Beweisgänge, so schon die Phänomenbeschreibung, bereits von realistischen Voraussetzungen durchtönt sind und ihm nur deshalb als zwingend erscheinen können und müssen, weil von seinem ontologischen Grundentwurf her festgelegt wird, was als „zwingende Einsicht" anzusehen ist. Wir behandeln also zunächst die Gedankengänge Hartmanns, die vom Wesen der Erkenntnis her auf eine realistische Ontologie zuzustoßen versuchen. 2. Der Realismus und das Wesen der a)

DIE

Erkenntnis

PHÄNOMENBESCHREIBUNG

Hartmann fordert als ersten Zugang zur Deutung der Erkenntnis eine Beschreibung dessen, was sich hier unmittelbar darbietet, eine Analyse, die „genau der natürlichen Einstellung des erkennenden Bewußtseins" folgt. Solche Vorarbeit soll nicht nur „diesseits aller standpunktlichen Fassung, aller Theorien und Lösungen, sondern auch diesseits aller eigentlichen Formulierung der Fragen selbst, diesseits tdler Problembildung, d. h. aller Aussonderung von Blickrichtungen und Interessenpunkten" stehen.93 Bei dem Versuch, eine noch völlig standpunktfreie „unverbogene" Schilderung des Erkenntnisphänomens zu geben, verstößt nun Hartman sofort gegen seine eigene Forderung. Er geht davon aus, daß sich in aller Erkenntnis ein Erkennendes und ein Erkanntes gegenüberstünden und daß diese Beziehung „den Charakter gegenseitiger Urgeschiedenheit oder Transzendenz" trüge."4 Man wird sagen müssen, daß mit dem Wort „Urgeschiedenheit" hier eine besonders affekthafte und dabei durchaus fragwürdige 93

Betonung der Getrenntheit der genannten Partner — Erkennendes und Erkanntes — vorliegt. Man könnte doch vielleicht mit besserem Recht von einem unvermeidlichen Zusammensein jener beiden Momente sprechen. Das „Gegenüber", das vorliegt, könnte als ein „Miteinander" angesehen werden. Demjenigen Blick, der das Phänomen in wirklich entdeckendem Sinne zu durchdringen imstande ist, müßte sich zeigen, daß die Konstatierung einer „Urgeschiedenheit" und eines Auseinanderfalls nur so erfolgen kann, daß ein ursprüngliches „Beieinander", von dem her jede Erkenntnis des Menschen erst anheben kann, von einer Tendenz des „Zerreißens" und „Abstandschaffens" her beleuchtet wird. Solche Beleuchtung ist immer erst nachträglich, sie setzt das „Zusammen" immer schon voraus. Sie kann sich selbst gar nicht anders „einschalten". Ob sie, diese Deutung der Erkenntnisbeziehung als „Urgeschiedenheit", sich als evident einspielt oder nicht, scheint davon abzuhängen, in welcher Weise sich der Deutende an das „Erkannte", das ihn überhaupt erst zum „Erkennenden" werden läßt, hingibt, wie er sich hier aufgerufen fühlt, welche innere Stellung er nimmt. Auch die bei Hartmann spontan erfolgende Bezeichnung der Erkenntnispartner als „Subjekt" und „Objekt", eine allerdinge in der neuzeitlichen Erkenntnistheorie geläufige Bezeichnung, verweist auf eine solche Stellungnahme. Das „Objekt" ist etwas, was als dem „Subjekt" „Entgegengeworfenes" aufgefaßt wird. In dieser Terminologie aber schwingt schon die Setzung eines Abstandes, einer Ferne und Fremdheit mit. Wie diese Deutung sich nun aber in der modernen Erkenntnistheorie überhaupt eingespielt haben möge — in den Ausführungen Hartmanns erweckt die einigermaßen emphatische Benennung des Wortes „Urgeschiedenheit" beim Leser die Überzeugung, daß hier sofort die Unabhängigkeit des „Erkannten" vom Erkennenden betont werden und daß damit schon der Hinweis auf das Ansichsein des Erkannten gegeben werden soll, d. h., daß von vornherein in die Richtung des Realismus gewiesen wird. Die gleiche Tendenz scheint vorzuliegen, wenn es anschließend heißt, zwischen Erkennendem und Erkanntem, Subjekt und Objekt, bestünde eine Korrelation, in der dem Subjekt immer die Funktion des „Erfassens", dem Objekt die Funktion des „Erfaßbarseins" zukäme. Vom Subjekt aus gesehen ließe sich das „Er-

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fassen" beschreiben als ein „Hinübergreifen" über seine eigene Sphäre und als ein „Einholen" von Objektbestimmungen in eben diese Sphäre. Dabei bliebe das Objekt unangetastet.95 Die Metaphern, die hier zur Geltung gelangen, können eigentlich nur „aus dem Boden gestampft" werden, wenn schon ein realistischer Denkansatz im Hintergrund besteht. Ein ganz wesentlicher Beleg für eine solche Voraussetzung aber ergibt sich von folgender Ausführung Hartmanns her: „Das Einholen des Erfaßten bedeutet nicht ein Einholen des Objekts in das Subjekt, sondern nur die Wiederkehr der Bestimmtheiten des Objekts an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem „Bilde" des Objekts. Der Gegenstand also verhält sich gleichgültig gegen das Subjekt, aber nicht dieses gegen ihn. Nur im Subjekt wird durch die Erkenntnisfunktion etwas verändert. Am Objekt entsteht nichts Neues, im Subjekt aber entsteht das Gegenstandsbewußtsein mit seinem Inhalt, dem „Bilde" des Objekts".96 Hartmann identifiziert eich so mit dem häufig in neuzeitlichen Erkenntnistheorien vorgetragenen Standpunkt, hinsichtlich dessen man von einer „Verdoppelung" des Objekts gesprochen hat. Es wird hier eine Trias von „Aufbaumomenten" für das Zustandekommen der Erkenntnis beansprucht: der bewußtseinstranszendente Gegenstand, das Subjekt und das bewußtseinsimmanente „Bild". Hinsichtlich der Spiegelungsfähigkeit des „Bildes" dem transzendenten Objekt gegenüber konnte man im Laufe der Entwicklung der „Erkenntnistheorie" alle möglichen Zuverlässigkeitsgrade in Erwägung ziehen. Die optimistischste der hier möglichen Deutungen, der zufolge vollständige „inhaltliche" Übereinstimmung von Bild und Objekt vorliegen würde, ist in der Neuzeit nur selten vertreten worden. Meist hat man Divergenzen zwischen Bild und „eigentlichem" Objekt anerkannt und sie auf die verwandelnde, fortlassende, hinzufügende oder irgendwie umändernde Erfassungstätigkeit des Subjekts zurückgeführt. Auch bei Hartmann wird, wie schon erwähnt, die Spiegelungsleistung des Subjekts als bloße „Repräsentation" bezeichne, also als eine Art von Übersetzertätigkeit angesehen, bei der mindestens Einiges immer durch das Gleiche wiedergegeben werden muß. Aber es geht uns jetzt nicht um die prinzipiell unbegrenzten Abschattungsmöglichkeiten des eben benannten erkenntnistheo95

retischen Schemas. Es geht um das Aufzeigen einer Trias von ausschlaggebenden Momenten, von denen her sich Erkenntnis ergeben soll, und vor allem um das „Bild" des Objekts im Subjekt. Es muß sofort betont werden, daß sich im reinen „Phänomen" der Erkenntnis so etwas wie das Auftreten eines Bildes im Bewußtsein keinesfalls zu erkennen gibt. Hartmann gibt dies zu. „Erkenntnis ist, soweit sie überhaupt Bewußtseinsphänomen ist, reines Gegenstandsbewußtsein, d. h. weder Subjekts- noch Akt- noch Bildbewußtsein: der Gegenstand allein wird „erfaßt", nicht außer ihm auch noch sein Erfaßtwerden; nicht also auch irgendeines der funktionalen oder inhaltlichen Momente, die dem Erfassen als solchem eigentümlich sind."97 Mit dieser Einräumung müßte zugleich zugegeben werden, daß die erwähnten metaphorischen Schilderungen des „Erkenntnisaktes" wie auch die Beanspruchung des „Bildes" durchaus schon „Theorie" sind, und daß deshalb die Phänomenbeschreibung, die Hartmann gibt, keinesfalls eine „vorstandpunktliche" ist. Hier aber weicht Hartmann in eigentümlicher und zweideutiger Weise aus. Er bejaht, daß das „Bild" erst bewußt werden kann, wenn in „irgendeiner Form Reflexion auf die Erkenntnis selbst einsetzt". Dieses geschehe aber schon überall in der Erfahrung des Alltags, und zwar da, „wo Irrtümer oder Täuschungen durchschaut werden".98 Hartmann unterstellt also eine Deutung von Täuschung, derzufolge diese den Besitz eines trügerischen Bildes bedeutet und somit als mögliche Unterschiebung des falschen Bildes die selbstverständliche Folgerung „erzwingt", daß immer, also auch bei der gelingenden Erkenntnis, ein solches Bild da sein muß. Diese Deutung wird nun aber nicht als ein bestimmter eigener Standpunkt, eine Theorie angeboten, sondern als eine jedem Menschen sich aufnötigende Gewißheit, die der Möglichkeit, daß Irrtümer berichtigt werden können, gleichsam unumgehbar anhängt. Hartmann glaubt also, die Bemerkbarkeit des „Bildes" so eng an das unmittelbare Phänomenbewußtsein heranziehen zu dürfen, daß sie gewissermaßen „phänomengleichrangig" wird. Diese methodische Unsauberkeit wird ganz offen benannt." Es ist nun jedoch sehr nachdrücklich zu fragen, ob sich so etwas wie ein „Bildbewußtsein" im Anschluß an die Möglichkeit der Täu96

schung tatsächlich bei jedem Menschen an das unmittelbare Phänomen der Erkenntnis „anhängt". Wenn das der Fall wäre, müßte es unmöglich sein, das Vorhandensein eines solchen Bildes zu leugnen, und jeder Mensch müßte gleichsam in diese Deutung „hineinfallen". Dazu ist zu sagen, daß man zwar in neuzeitlicher Gnoseo-Ontologie wiederholt in eine solche Theorie „hineingefallen" ist, daß diese geschichtliche Tatsache aber durchaus noch keine Sicherung der „Phänomenglekhrangigkeit" des „Bildes" zu bedeuten braucht. Die Ansetzung des „Bildes" kann sehr wohl von einer bestimmten — natürlich schon ontologischen — Deutung her erfolgen, in der der moderne Mensch das Seiende und sich selber grundsätzlich erfaßt. Dieser Mensch der Neuzeit — sein großer Wegweiser ist hier Descartes — rückt sich in seinen Seinsdeutungen selber ins Zentrum des Seienden und sieht sich als diejenige Stelle an, von der her alles andere Seiende erst in seinem Sein begründet werden kann. Alles Sedende „steht" also ihm, dem Menschen als Subjekt, „entgegen", ist objectum. Im Raum eines solchen Seinsentwurfes kann die Konzeption auftreten, daß das Seiende sich beim Menschen „vorstellen", d. h., in ihm ein Bild seiner selbst ablagern müsse. Die Setzung des — im Phänomen niemals aufweisbaren — Bildes hängt also mit einer Selbstbetonung des Menschen zusammen. Wenn aber auch die Bildtheorie ihre nachdrückliche Ausgestaltung an vielen Stellen im neuzeitlichen Denken finden konnte, wobei man vergaß, daß man mit einer auf keinen Fall verifizierbaren Setzung umging, so gibt es doch auch „erkenntnistheoretische" Ansätze, bei denen das Vorhandensein der „Bilder" entschieden geleugnet wird, so von der Phänomenologie her. Wir haben an dieser Stelle nicht die Absicht, auf eine hier zwischen Hartmann und den Phänomenologen tatsächlich durchgetragene Kontroverse einzugehen.100 Auch die von anderer Seite her in der Auseinandersetzung mit Hartmann erfolgte Verweisung auf scholastische Lehren kann hier nicht verfolgt werden. Es sei nur erwähnt, daß es dabei um die Frage geht, ob die Thomistische „Speciestheorie" im Sinne der Ansetzung eines bewußtseinsimmanenten „Bildes" verstanden werden müsse, oder ob sie nicht wesentlich anders zu deuten sei. Die „species", so wird 7 Kanthack, IHartmann

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von bestimmten Interpreten betont, sei, im Gegensatz zu Suarez etwa, bei Thomas nicht ein in der Seele vorhandenes Bild, „quod cognoscitur", sondern sie sei ein Mittel, „quo cognoscitur", eine Schaffung der Möglichkeit, daß die erkennende Seele zu dem äußeren Gegenstand überhaupt hinübergreifen kann.101 Wir weisen auf die erwähnten Gedankengänge nur deshalb hin, weil sich von ihnen her ergibt, daß die „Phänomenverlängerung", mit der Hartmann als einer zwingend sich ergebenden arbeitet, keineswegs für alle Denkendien „evident" ist, da es ja durchaus Philosophen gibt, die sie ablehnen. Der Ansatz des „Bildes" ist also ohne Zweifel schon Theorie. Der ganze Denktrakt bei Hartmann ist aber in Bezug auf seine Ausleigung von „Einisichtigkeit" oder „Evidenz" äußerst interessant. Es kann nun sein, daß jemand, dem die Bildtheorie gerade im Zusammenhang mit dem Phänomen der Täuschung als sehr bestechend erscheint, fragt: kann man denn überhaupt das Zustandekommen der Täuschung und die Möglichkeit von ihrer Berichtigung anders erklären als eben durch die Annahme des „Bildes"? Wir möchten hier nur andeutend a/uf eine solche Möglichkeit hinweisen. Dabei halten wir uns an ein Beispiel des Descartes. Ich kann, sagt Descartes, einen „in Wahrheit" viereckigen Turm von der Ferne aus als rund erblicken.102 Wir behaupten nun, daß sich im Denken eines Betrachters hier durchaus nicht notwendig und unerläßlich eine „phänomennahe" Folgerung anschließen muß, die etwa so lauten würde: ich habe zuerst ein falsches Bild von dem Turm in meinem Bewußtsein gehabt und habe dieses jetzt gegen ein richtiges vertauscht. Wir möchten hier vielmehr fragen, ob nicht ein Mensich gedacht werden könnte, dem angesichts jener Täuschung, der er unterlag, der Rekurs auf ein Bild, das er in sich trägt, gar nicht möglich wäre, der vielmehr sagen würde: ich habe zunächst „draußen" einen runden Turm gesehen und sehe jetzt einen viereckigen. Was ich sah, war beide Male ein mögliches Aufscheinen des Turmes. Der Irrtum und die Täuschung lagen nur darin, daß ich die eine dieser Erscheinungen eine Zeitlang für die einzig richtige gehalten habe und erst begreifen mußte, daß es auch noch andere Präsentationsmöglichkeiten seiner gibt. 98

Es ist ersichtlich, daß bei einer solchen Deutung des Erkenntnisvorganges das „Bild" durchaus entbehrlich ist, da die Täuschung hier vom Urteil des Menschen her erklärt wird. 103 Zu betonen ist noch, daß die hier aufgeworfene Frage, ob das Vorhandensein des „Bildes" im Subjekt denn unbedingt angenommen werden muß, nichts damit zu tun hat, daß, wenn das Erkennen Seiendem begegnet, eine physiologische Veränderung im Gehirn stattfinden muß. Das Erkennen als ein Modus des Seinsverstehens scheint immer auf in Verleiblichiung, in Inkarnation. Körperliche Organe mit bestimmter Beschaffenheit und bestimmten Modifikationsmöglichkeiten müssen vorhanden sein, damit Erkenntnis sich in bestimmter Weise vollziehen kann. Bei Hartmann aber ist das von der Gnoseologie auszusetzende Bild keinesfalls in physiologischem Sinne zu verstehen. Es ist ein „Ingrediens", eine Modifikation des „subjektiven Geistes", und hat als solche nichts mit räumlichen Zusammenhängen zu tun. Eine andere Frage ist die, ob nicht in der „Bildtheorie" Hartmanns — auch wenn sie sich nur auf den Geist und nicht auf den Körper bezieht —, doch noch verräumlichende Schemata mitschwingen. Wie verschämt und wie vorsichtig man nämlich dais „In" der Eingelagertheit des Bildes im Subjekt auch fassen möge unid wie sehr man sich hier — und das tut Hartmann — gegen eine „Kastenvorstellung" wenden möge, so ist doch jene „Inhaftigkeit" nicht gut anders zu deuten denn als eine Eigenlschaftsbehaftetheit des Subjekts. Es wird also eine Substanzvorstellung als, wenn auch noch so sublimiertes, so doch in seinen Grundzügen erhalten bleibendes Modell für das Verständnis dessen, was der „Geist" und die „Erkenntnis" sei, benutzt. Das „Bil'd" wird als Komplex von Merkmalswiederhohmg dem Gegenstand gegenüber gedacht und das wird es auch dann noch, wenn die Wiederholung gewissermaßen eine nur markierende, in Stellenwerten „repräsentierende" ist. Es fragt sich dabei, ob der Sinn von „Substanz", wie er von diesen Gedankengängen her zu erfassen ist, nicht doch noch vom Physisch-Substantiellen her eingefärbt ist. Auch die Tendenz Hartmanns, die „Prozeßhaftigkeit" als fundierendes Wesen des Seienden herauszustellen und der „Ding7·

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lichkeät" entgegenzusetzen, kann ja letzten Endes und vom Tenor seines Denkens überhaupt her gesehen, den Denkhorizont der „Substantiialität" nicht völlig durchbrechen.104 In dem Augenblick, wo behauptet wird, daß das Seiende feste und bleibende Bestimmungen habe — und ohne diesen Ansatz wäre die Hartmannsche Kategorialontologie niemals durchzuführen — in diesem Augenblick schwingt eine weitgefaßte Substanzvorstelking im Sinme des „Beharrend-Zugrundeliegenden" mit. In diesem Sinne ist auch der Prozeß „Substanz", wenn man annimmt, daß sich bleibende Bestimmungen an ihm durchhalten, die in der Kategorialanalyse erfaßt werden können.

Wir kehren zu dem „ bildtheoretischein" Ansatz der Hartmannschen Gnoseologie zurück. Zu Beginn dieses Kapitels betonten wir, es sei unsere Absicht zu zeigen, daß diese Erkenntnislehre von Anfang an von dem realistisch-ontoloigischen Grundentwurf Hartmanns her gesteuert sei. Wir hatten bereits die Nachdrücklichkeit, mit der sofort von der „Urgeschiedenheit" von Subjekt und Objekt die Rede ist, sowie den Gebrauch anderer Metaphern als Symptom dieser Steuerung aufgewiesen. Wir benannten jetzt als weitere Bestätigung die „Bildtixeorie" und den mit ihr verbundenen Hinweis auf die Trias: ObjektBild- Subjekt. Durch die Unterscheidung von eigentlichem Objekt und Repräsentationsgebilde, eine Unterscheidung, die Hartmann sehr entschieden betont, wird das „eigentliche" Objekt sofort an einen Ort verwiesen, der nur als Bewußtseinstranszendenz bezeichnet werden kann, d. h., in der ganzen Unterscheidung wird der Realismus schon vorausgesetzt. Es schwingt weiter schon die Vorstellung mit, wie Erkenntnis als Selbstspiegelung des Seins Zustandekommen kann: nämlich als Einprägung des Repräsentationsgebildes ins Subjekt. Es wird gesagt, daß dabei nur eine Veränderung im Subjekt, nicht aber im Objekt stattfände, und audi diese Behauptung von der „Untangierbarkeit" des Objektes verweist auf dessen in sich gegründetes Ansichsein.105 100

b)

DAS

PROBLEMBEWUSSTSEIN

UND

DER

ERKENNTNISPROGRESS

Hinsichtlich des bisher herausgestellten Gedankenganges gibt Hartmann zu, daß er noch nicht zwingend genug aiuf die völlige Bewußtseinsunabhängigkeit dee erkannten Seienden hinweise. Dieser Ansatz sei zwar schon von hoher Beweiskraft dafür, daß das erkannte Seiende nicht bewußtseinsimmanent wäre. Doch werde dieses Seiende hier immer noch so erfaßt, wie es eben im Erkenntnisvorgang selbst aufschiene. Das Ansichsein des Erkannten aber könne erst dann weiter gesichert werden, wenn das Erkenntnisphänomen Züge aufwiese, die „über es selbst hinauswiesen". Hartmann glaubt, solche Züge entdecken zu können. Immer bei seinem „Bildansatz" bleibend, führt er aus, daß, indem die Erkenntnis gleidisam durch das Bild hindurch den transzendenten Gegenstand meine, innerhalb ihrer das Bewußtsein lebe, daß das Bild (das Objizierte) nur einen Teil der Bestimmtheiten des transzendenten Objektes „repräsentiere" und daß dieses Objekt noch eine Unendlichkeit von Zügen besäße, die über den Inhalt des Bildes hinausgingen. (Bewußtsein der Inadäquatheit zwischen Bild und transzendentem Gegenstand als „Wissen des Nichtwissens"). Es wird dabei von einer „Objektion des Nichtobjizierten" gesprochen.106 Es heißt: „In diesem rätselhaften Bewußtsein der Ina^äquatheit besteht das Phänomen des Problems. In ihm findet ein Hinausgreifen des Subjekts über die Grenze der Objektion weg ins Transobjektive statt, ohne daß letzteres dabei objiziert würde. Problembewußtsein ist das positive Grenzbewußtsein der Objektion und zugleich das negative Inhaltsbewußtsein des Transobjektiven. Es ist nicht einfach die Antizipation des Jpnseitigen, sondern zugleich das Nichtfassenkönnen des Antizipierten als solchen." 107 Aus diesem Pro'blembewußtsein soll nun nach Hartmann die Tendenz zur Adäquation der Erkenntnis, der immer weiteren Erfassung von Zügen des transzendenten Objektes und damit der Erkenntnisprogreß resultieren. Beide Momente alber, Problembewußtsein und Erkenntnisprogreß, werden als Tatsachen bezeichnet, „die im Erkenntnisphänomen selbst den Begriff eines „Dinges an sich" (sei es nun scheinbar oder wirklich) involvieren". Sie zeigen, „daß die Erkenntnis101

relation ihren Schwerpunkt nicht nur außerhalb des Subjekts hat — das lehrte auch das Bewußtsein der Transzendenz — sondern auch außerhalb ihrer selbst." 108 „Damit verschiebt sich der ganze Begriff der Erkenntnisrelation; oder genauer, hinter ihr taucht eine tiefere, weiter ausgreifende und sie umspannende Seinsrelation auf. Die Relation von Subjekt und Objekt ist nur ein Teilaspekt der Relation von Subjekt und seiender Sache. . . . Die letztere ist das objiciendum in seiner ansichseienden Totalität, einschließlich des Transobjektiven." 109

Wir setzen uns zunächst mit der Behauptung Hartmanns auseinander, daß Züge im Erkenntnisphänomen „über sich selbst", d. h., über die Erkenntnis hinauswiiesen. Diese „Hinauswedsung" soll sich unmittelbar von der gegebenen Objektion her vollziehen und sich dem Subjekt zugleich mit dem „Meinen" der Bewußtseinistranszendenz jenes Objektes zwingend aufnötigen. Objektion als solche soll sich sofort als Aspekthaftigkedt geben, als Verweis auf weitere mögliche Objektionen desselben Gegenstandes. Ein Wiesen um Nicbtobjiziertes soll der jeweiligen Teilobjektion unmittelbar anhängen. Dieses Wissen wind „Problembewußbsedn" genannt und als „eminentes Ansichseinsphänomen" bezeichnet, als etwas, was gleichsam mit unwiderstehlicher Gewalt zu einer realistischen Ontologie hinüberzieht. Es ist zu fragen: kann jemals ein Bewußtsein von Objektionsmöglichkeiten eines Seienden entstehen, wenn sich dieses nicht tatsächlich der Erkenntnis schon in einer Mannigfaltigkeit von „Abschattungen" seiner selbst dargeboten hätte? Nach Hartmann muß die einzelne Abschattung als solche die Kraft haben, auf die Vielheit weiterer Abschattungen hinzuweisen, und zwar im Zusammenhang damit, daß die einzelne Objektion sofort die Transzendenz -des betreffenden Seienden verspüren läßt. Es bleibt die Frage offen, wie sich die eine gegebene Teilobjektion überhaupt als solche zu erkennen geben kann, ohne daß sich eine Mannigfaltigkeit von Aspekten des betreffenden Seienden gezeigt hätte. Es scheint, als ließe sich die Vorstellung eines „Seienden, das Abschattungen darbieten kann" überhaupt erst gewinnen, überhaupt erst integrieren von einer Vielheit aufgeschienener Aspekte her. 102

Ob aber selbst solche Integration zwingend von einem „Dualismus von Sein und Erscheinung" her verstanden werden müßte, und somit als beweiskräftig für die Existenz eines bewußtseinetranszendenten Ansicbseienden angesehen werden könnte, erscheint fraglich. Man könnte ja die Vorstellung von dem einen Objekt auch bilden von der Idee einer gesetzlichen Reihe des' „Erschednungshaften" her. Dieses Gesetz aber könnte als etwas angesehen werden, was sich immer schon als Gesetz gezeigt haben muß, und zwar je in spezifischer Weise, damit die Integration des Erscheinungshaften zum Objekt überhaupt vorgenommen werden kann. Gänzlich unmöglich scheint es uns aber weiter zu sein, das „Problembewußtsein" des Subjektes mit etwas „Nichtobjiziertem" in Verbindung zu bringen. Es wird dabei gesagt, an etwas Aufgeschienenes — eine Objektion — könne sich das Moment einer „Befragbarkeit von Nichtsichzeigendem" anhängen. Weil das aber der Fall wäre, präsentiere sich der Gegenstand sofort und eben von der einen Objektion her als su'bjektsunabhängig. Bei dieser Behauptung wird in einer fast unbegreiflichen Weise übersehen, was eigentlich eine Frage ist, eine Frage, die immer vorliegt, wenn ein „Problem" auftaucht. Als ein verstehender „Zugriff" des Menschen dem Seienden gegenüber kann die Frage überhaupt erst da sein, wenn das Seiende, auf das sie sich richtet, schon in irgendeiner Weise aufgeschienen ist. Eine Frage hat immer ihr „Befragtes". Sie richtet sich auf Seiendes, das sich schon gezeigt hat. Es ist unerfindlich, wie sie gleichsam im Nichts sich sollte entfalten können. „Befragbarkeit" bindet also immer das Seiende und den fragenden Menschen zusammen und kann darum gerade niemals ein Argument für die Transzendenz des Seienden im Sinne gänzlicher Bewußtseinsunabhängigkeit hergeben. Das Seiende muß aber nicht nur überhaupt aufgeschienen sein, damit es als „problematisch" erfaßt werden kann. Es muß sich auch dem Menschen schon als ein irgendwie Verstandenes gezeigt haben. Denn die Fragen des Menschen gehen stets in eine Richtung, sie wollen „etwas", und zwar in bestimmter Weise, erfragen. Und

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die Frage wäre gar nicht möglich., wenn sich das Seiende nicht bereits in gewissen Besonderheiten präsentiert hätte. Ein Problembewußtsein, das sich auf Nichtauf geschienenes, nadi Hartmann „Nichtoibjiziertes", richten würde, könnte überhaupt nicht in eine Richtung des Suchens eingewiesen werden. Es müßte „herumgeistern", niemals zu einer bestimmten Formulierung kommend. Man wird fragen müssen: wie kann Hartmann die von uns soeben aufgezeigten Phänomene übersehen und verschleiern? Was veranlaßt ihn zu dem seltsamen und künstlichen Ansatz einer Zugriffsmöglichkeit des fragenden Menschen auf ganz und gar nicht Objiziertes? Warum räumt er nicht einfach ein, daß das menschliche Erkennen die Tendenz hat, etwas schon „Objiziertes", also irgendwie „Gegebenes", weiter „aufzuschlüsseln", und zwar jeweils in bestimmter Richtung, und daß ausschließlich hierin das Problembewußtsein besteht? Warum exponiert er den Begriff eines „Fragenkönmens", das ins Leere stößt, das sich auf nichts Bestimmtes richtet, das nur zu kennzeichnen ist als eine merkwürdige Expansionsbewegung, gleichsam als ein das Erkennen immer begleitender Ungefährvorstoß? Seine Absicht ist, wie wir wiesen, ein Argument für die jenseits der Objektion liegende Realität, d. h., Bewußtsemsunabhängigkeit, des Seienden beizubringen. Dieses würde aber nicht gelingen, wenn er das „Problembewußtsein" so deuten würde, wie es wohl von jedem Einsichtigen verstanden werden müßte: als ein Eindringenwollen in schon aufgeschienenes, also nach Hartmann schon irgendwie „objiziertes" Seiendes. Denn bei einer solchen Deutung des „Problembewußtseins" müßte ja zugegeben werden, diaß das „Sichzedgende" schon immer in Verbindung mit dem Fragenden steht: daß man also vom Wesen der Frage her eben niemals eindeutig auf die „Transzendenz" des Seienden im Sinne eines „erkenntnistheoretisdien Realismus" geläufiger Prägung schließen kann. Es scheint also so zu sein, daß Hartmann, weil er die Bewußtseinstraaiszendenz des Seienden beweisen will, eine hierauf sdion zugeschnittene Deutung des „Problembewußtseins" gibt. 104

Dieses Problembewußtsein soll gleichsam etwas „wittern" können von Niichtöbjiziertem, und diese Möglichkeit soll Zeugnis ablegen dafür, daß sich das Seiende in seinen Objektionen nicht erschöpft, sondern auch jenseits davon „da" ist. Selbst wenn man hier einige Augenblicke mit Hartmarm mitgehen könnte und sich bemühen würde, so etwas wie eine „Aura" von Fragebewegungen um eine Objektion herum und von ihr hinweg zu konzipieren, so wäre auf diese Weise nie einsichtig zu machen, wie sich das Problembewußtsein auf etwas Bestimmtes richten und einen fixierten Weg einschlagen sollte, was doch tatsächlich immer der Fall ist und unablösbar zum Wesen der Frage gehört. Nur Aufgeschienenes, nur etwas, was sich gezeigt hat, kann inhaltlich bestimmte Fragen auslösen, den Horizont von solchen Befragungen darstellen, und keine „Beantwortung" kann sich anderswo ansiedeln als eben in dem Aufgeschienenen. Auch wenn etwa hypothetisch über das „Bisher-Gesichtete" das Dasein eines noch nicht in aller Schärfe objizierten Seienden erschlossen wird, muß der „Ort" und die „Umgebung" des Zu-Entdeckenden aufgeschienen sein, das Feld, auf dem überhaupt etwas entdeckt werden kann. Unld nur von daher kann die Frage einen Sinn bekommen, ob sich hier etwa bei einer Beobachtungsverschärfung Weiteres zeigen würde. Alles Gesuchte, alles Erfragte, alles von da aus Erwartete muß in dais „Sichgezeigthabende" einblendbar sein, von dessen Horizonten aus überhaupt ansprechbar wenden als in sie, diese Horizonte, hineingehörend. Das „Nichtobjizierte" kann keine Handhabe für irgendeine Frage hergeben, kann keinen Drang zum „tieferen Eindringen", genaueren „Durchfragen" auslösen. Hartmann braucht aber so ein „Nichtobjiziertes", um seinen „Transzendenzbeweis" durchführen zu können, und so wird das Problembewußtsein als das „Wissen des Nichtwissens" gedeutet. Es bleibt dabei immer wieder die Frage offen, wie nun verstanden werden bann, daß die Frage immer ihr bestimmtes „Wie" und „Wonach" hat. Wir können zu der Beantwortung dieses Problems, die Hartmann im Grunde zu geben versucht, auf einen Gedankengang zurückkommen, mit dem wir schon an früherer Stelle umgegangen sind. 105

Man muß auch hier wieder auf die seltsame Bedeutung hinweisen, die bei Hartmann die „Probleme" gewinnen. Wir sagten damals, diese „Probleme" seien vom fragenden Menschen unabhängige Pragerichtungen, metaphysische „Rufe" gleithsam, die sich in der und durch die Frageleistung des Menschen hindurch zur Geltung brächten und so zu dirigierenden Prozeßhaftigkßiten würden, in denen sich die Selbstspiegelung 'des Seins in geschichtlich fortschreitendem Gelingen vollzöge. Sie seien „Frageanweis'ungskräfte", die nicht immer zur faktischen Frage zu führen brauchten, die lange Zeit in der Luft hängen könnten, die sich aber durch alle Schwankungen und Irrtümer vorübergehenden menschlichen Fragens hindurchstießen. Diese seltsame Lehre von ungefragten, aber als fixierte eindeutige Möglichkeiten verharrenden Fragegehalten muß irgendwie mitsprechen, wenn eine sich dem Menschen nicht gende Seite des Seienden als das Befragbare hingestellt wird damit zum „Transzendenten" gestempelt wird.

und nun zeiund

Auch hier wird verkannt, daß nur der Mensch zu fragen vermag, daß „Befragbarkeit" als solche erst „da ist", wenn der Mensch sich dem Seienden zuwendet. Jenseits des Menschen ist das Seiende nicht „befragbar", es ist nicht „problematisch", man wüßte nicht, was dieses zu bedeuten hätte. Andererseits kann der Mensch nicht fragen, ohne daß sich ihm etwas als zu Befragendes gezeigt hat. Wenn die mcfoiaufgeschienenen Seiten des Objektes nach Hartmanm sich noch „bemerkbar" machen und das Subjekt zu sich hinziehen sollen, dann ist, um dieses verständlich zu madien, eine ontologiache Konzeption notwendig, von der her nicht nur solcher „Sog" als allgemeiner erklärt werden kann, sondern auch die Tatsache, daß der „Sog" stets in eine bestimmte Richtung zieht.110 Hartmann scheint auch hier die Zuflucht zur Annahme einer „Einweisungsmagie" zu nehmen, mit der das Seiende die Aufmerksamkeit des fragenden Menschen erzwingen kann. Die „Auslösungsmacht" muß dann noch weiter als eine sblciie angesehen werden, die in bestimmte Fragerichtungen, in ein bestimmtes „Wie" des Fragens hineintreibt. Nim ist nach Hartmann die Erkenntnis eine Seinsrelation. Sie ist eingeflochten in das Relationsgefüge „im Ganzen". Da sie eine 106

Selbstspiegelungsleistung dee Seins durch den Menschen hindurch ist, muß sie sich an den übrigen Relationen gleichsam „entlangtasten" können. Diese zunächst seltsam anmutende Punktionsweise der Erkenntnis wird, wie wir noch aufweisen werden, von Hartmann tatsädilich wörtlich gekennzeichnet. Es kann so bei ihm etwa zu der Formulierung kommen, idie Erkenntnis könne sich vom Rationalisierbaren in das Nichtrationalisierbare „hinüberbewegen", weil beide Arten des Seienden, eben das rational Erfaßbare und das Irrationale, ja durch Seinsrelationen miteinander verbunden seien und die Erkenntnis an diesen entlanggleiten könnte. 111 Dabei muß es aber so sein, daß das „Entlanggleiten" von Seiten der Erkenntnis nicht völlig spontan erfolgt und sich nicht in ganz beliebigen Richtungen bewegen kann, sondern daß die Erkenntnis aus der Relationalität des Ganzen heraus jeweils bestimmte Anweisungen erhält. Sonst könnte sich ja nicht jener „Fortschritt der Erkenntnis" einspielen, jener geschichtliche, durch die Triebkraft der Probleme bewirkte Fortschritt, von dem oben die Rede war. Nimmt aber Hartman das Bestehen einer solchen „Einweisungsmagie" an, und wir werden zeigen können, daß er sie voraussetzen muß, um den jetzt von uns behandelten wie auch später noch darzustellenden Denkbewegungen irgendeinen Sinn zu verleihen, dann muß er den „Realismus" schon unterstellen, um ihn mit Hilfe des „Problembewußtseins" beweisen zu können. Denn der von ihm angesetzte „Sog", die Anziehungskraft, die das Nichtobjizierte dem Objizierten gegenüber deshalb ausübt, weil beide in einer Seinsrelation stehen: diese Anziehungskraft setzt ja voraus, daß das Nichterkannte dem Erkennen gegenüber in unabhängiger Weise vorhanden ist, d. h. Ansichsein besitzt. Die Art und Weise, wie vom „Problembewußtsein" her die Bewußtseinsunabhängigkeit der Objekte „bewiesen" werden soll, kann überhaupt nur zum Zuge gelangen, wenn jene Bewußtseinsunabhängigkeit schon vorausgesetzt wird.

Wir wenden uns einem weiteren Argument Hartmanns zu, von dem her die Transzendenz der Objekte einsichtig gemacht werden soll. 107

Es heißt: „Wenn Probleme gelöst werden, so wird das Transobjektive in Objiziertes gewandelt. Das beweist, daß das Transobjektive nicht nichts war, sondern daß etwas da war, was sich möglicher Erkenntnis darbot. Der Progreß pflegt zwar inhaltlich so zu gehen, daß sich das Transobjektive im Maße fortschreitender Objektion als anders beschaffen erweist, als sich vorwegnehmen ließ; aber es erweist sich damit doch nicht als nichts. Das Ansichsein bestätigt sich." „Der Erkenntnisprozeß, als das einsetzende Wissen um die Bestimmtheit, ist die Bestätigung, daß wirklich in der verlängerten Objektrichtung — über die Objektionsgrenze hinaus — ein Ansichseiendes lag, etwas, was vor dem Eindrängen der Erkenntnis unid unabhängig von ihr schon bestand und sich im Problembewußtsein geltend machte." 112 Demgegenüber müßten wir selber sagen: Wenn Probleme gelöst werden, so wird etwas, was sich in einer vorrationalen Weise schon gezeigt hat und durch die Art, wie es sich zeigte, eine bestimmte Weise des Fragens auf sidi zog, von rationalen Aussagemöglichkeiten her beleuchtet und von ihnen durchdrungen. Das verweist darauf, daß schon immer etwas da war, was sich tatsächlichem Erfassen darbot. Die rationale „Aufschlüsselung" des bereits Erfaßten braucht zwar die ursprünglich gestellte Frage nicht voll zu bestätigen; aber auch diese „Nichtbestätigung" steht noch im Horizont der einmal aufgeworfenen Frage, hat mit ihr zu tun und wäre als Entdeckung des „Nichtbestätigenden" überhaupt nicht zu verstehen, wenn nicht jene bestimmte Frage voraufgegangen wäre. Der Erkenntnisprogreß, als die einsetzende rationale Fassung des Aufgeschienenen im Horizont einer bestimmten Fragestellung, ist die Bestätigung dafür, daß sich immer schon etwas Befragbares dem versehenden Menschen angeboten haben muß. Eben darum aber läßt sich von hier aus auf gar keinen Fall ein Ansichsein des Erkannten beweisen. Wir können im Grunde mit unserer Stellungnahme zu der jetzigen Hartmannschen Beweisführung auf das zurückgreifen, was wir schon hinsichtlich des „Problembewußtseins" gesagt haben: ein Erkenntnisfortschritt kann sich immer nur im Rahmen einer be108

stimmten Fragestellung einspielen. Alles, was wir über die Befragbarkeit des Seienden als solche gesagt haben und über die Unmöglichkeit, von ihr her das Ansichsein des Seienden zu sichern, muß hier also wiederholt werden. Aber es ist vielleicht noch notwendig, auf den Vorgang des „zunehmenden Eindringens in den Gegenstand" einzugehen, eine Möglichkeit, in der Hartmann eine Verstärkung des Argumentes für das Ansichsein der Gegenstände sieht. Daß iso ein Eindringen überhaupt stattfinden kann, liegt einmal an der Seinsart des fragenden Mensdien, der sich selbst immer „vorweg" ist. Der Erkenntnisprogreß vollzieht sich also im „Durchtreiben" einer bestimmten Fragestellung, ist gleichsam deren zunehmende Ausarbeitung. Damit eine solche Ausarbeitung aber vorgenommen werden kann, muß sich das Seiende immer wieder in besonderer Weise gezeigt haben. Es müssen „Feinstrukturen" aufgeschienen sein, die das Fragen weiter anregen. Ohne ein solches „Sichzeigen" würde der Erkenntnisprogreß sofort erlöschen, sofort abbrechen müssen. Man kann also von hier aus niemals in eindeutigem Sinne „beweisen", daß es ein Ansich-Seiendes außerhalb allen menschlichen Erfassens gäbe. Was im übrigen das Bestehen eines Erkernitnisprogresses im Ganzen angeht, so können wir hier auf unsere früheren Ausführungen verweisen. Wir haben gezeigt, daß Hartmann einen solchen Gesamtfortschritt annimmt und daß dies den Entwurf einer teleologischen Geschichtsontologie bedeutet. Der Realismus ist in diesen Entwurf eingeblendet.113 An jetziger Stelle aber kann, gerade von der Erörterung des „Problembewußtseins" und „Erkernitnisprogresses" her, noch einmal darauf hingewiesen weiden, daß jene geschichtliche Ontologie auf keinen Fall von seiten eines „Fortschrittes" der Wissenschaften gestützt werden kann, wenn solche Entfaltung die zunehmende Sicherung einer kategorialen Gefügeordnung bedeuten soll. Ein Fortschritt der Wissenschaft kann sich immer nur im Rahmen einer bestimmten Fragestellung einstellen, eines Grundentwurfes, der ausgearbeitet wird. 109

Zum Geschick der Wissenschaft gehört es nun aber, daß sie in „Grundlagenkrisen" geraten kann und daß damit neue „Weisen des Fragens" einsetzen können. Damit ändert sich der Entwurf dee Kategorialgefüges, das als Rahmen für die Denkprozesse in der betreffenden Wissenschaft angesetzt wird. Der alte Gang des „Fortschrittes" kann Teilmoment in dem neuen Gefügeentwurf werden. Wie er aber im Lichte der neuen Fragestellung eingeordnet wird, kann von ihm selbst her nie erschaut werden. Ebensowenig aber kann von der jetzt angesetzten Fragestellung und ihrer Weise des Sichvertiefens her vorausgesehen werden, wie späterhin gefragt werden und in welcher Weise der jetzige Ansatz eingeordnet werden wird, ja, ob er sich vielleicht überhaupt nicht mehr als wesentlich erweisen wird. „Bestätigung durch die Erfahrung" und „Prognostizierbarkeit des Seienden" von dem betreffenden Entwurf her vermögen keine Garantie dafür zu bieten, daß mit dem Entwurf nun je die letzte und unerschütterliche Kategorialordnung gefaßt ist. Was überhaupt als Tatsache angesprochen und als solche gesehen wird, steht immer schon im Horizont des Befragens. Bestätigt kann nur werden, was erfragt wird, und es wird immer nur solange bestätigt, wie eine Fragestellung sich durchhält. Außerhalb der Fragestellung von Bestätigung zu reden, ist sinnlos. Das Phänomen aber, daß das Seiende sich dabei zu Bestätigungen „hergibt", wird von anderen Horizonten als denen der Erkenntnistheorie her beantwortet werden müssen. Es kann jedenfalls nicht dazu beitragen, einen bestimmten Entwurf als den endgültigen zu sichern. Wenn man dieses annimmt, begibt man sich wieder in den gnoseo-ontologischen Zirkel einer Fortschrittsmetaphysik.

c)

DIE

BEDEUTUNG

DES

IRRATIONALEN

Wir kommen zum letzten der Argumente, mit denen Hartmann das Ansichsein der Gegenstände von einer Betrachtung des menschlichen Erkenntnisprozesses her einsichtig machen möchte. Es geht dabei um das Problem des „Irrationalen", d.h. um die Tatsache, daß unser Erkennen auf Züge des Seienden stößt, die nicht „erkannt" werden können. Dabei ist nachdrücklich die Rede davon, daß es sich um ein „gnoseologisches Irrationales" handle. Es soll nicht behauptet 110

werden, daß Seiendes an sich irgendwie „gegenstandsiunfähig" sein müßte. „Das aber heißt streng formuliert: es gibt kein an sich Unerkennbares." Es gibt aber das „für uns Unerkennbare". Es ist eine „subjektbedingte, aber für das Subjekt nicht verschiebbare Grenze der Erkennbarkeit gesetzt". 114 Daß diese Grenze besteht, betont Hartmann sehr scharf; audi gegenüber dem Einwand, daß es doch im Erkenntnisprogreß immer wieder gelinge, etwas, das sich eine Zeitlang als für die Ratio undurchdringlich zeigt, eines Tages dennoch zu durchschauen, und daß man infolgedessen nie mit Sicherheit wissen könne, ob es endgültig Irrationales für das menschliche Erkennen gäbe. Hartmann besteht hier auf der Aufweisbarkeit endgültiger Irrationalität und ermahnt, sich zu einem gewissen Pathos aufschwingend, zur Nüchternheit und Gefaßtheit. „Wem es hier an der selbstlosen Hingabe gebricht, wer hier der Hast und Sensationslüsternheit unserer Tage, dem vorwitzigen Haschen nach Resultaten, nicht entsagen kann, wer das dauernde Verharren im Ungewissen — denn schon das einzelne Problem erfordert eine Lebensarbeit — nicht erträgt und den „langen Atem" echter Forschung nicht aufbringt, dem ist hier nicht zu helfen, ihm lassen sich die Grenzen der Erkennbarkeit im Sein nicht aufzeigen. Sie sind um billigen Einsatz nicht zu haben." 115 Wir deuten hier nur kurz etwas von den Gedankengängen an, in denen Harfemann das Irrationale behandelt, und halten uns dabei an die Zusammenfassung in der „Grundlegung der Ontolo_ · « . lie gie Daß es Für-uns-Unerkenribares gibt, wird einmal von der menschlichen Sinnesorganisation her gezeigt. Was wir sinnlich erleben können, ist nur Ausschnitten aus dem Kontinuum von Wellenlängen zugeordnet. Weiter heißt es: „Ist es niun mit der nichtsinnlichen Erkenntnis — deim Verstehen, dem Begreifen, dem Schließen und Deuten — ebenso bestellt, so muß auch das Ganze der menschlichen Erkenntnisorganisation einem Gesamtausschnitt des Seienden angemessen sein, über dessen Grenze hinaus das Seiende unerkennbar ist." 111

Daß es mit dieser nichtsinnlichen Erkenntnis gleichfalls schlecht bestellt ist, wird dann im Hinblick auf die Wissenschaft herausgestellt, in deren „Praxis" wir allenthalben auf „sehr spürbare Grenzen" stoßen sollen. Es wird auf eine Reihe von „Grundproblemen" hingewiesen, die alle „metaphysischen" Charakter tragen sollen und damit einen „unaufhebbar irrationalen Einschlag enthalten". Benannt werden „das Rätsel des Lebendigen, der psychophysischen Einheit, der Freiheit, der ersten Ursache u.a.m." 117 Weiter heißt es: „Auch das Seiende hat seine Prinzipien (Seinskategorien). Unter ihnen aber gibt es solche, die grundsätzlich den Erkenntniskategorien unangemessen sind. In der Forschung drängen sie sich als Problempunkte auf, an denen jede Lösning einer Aporie neue Aporien sichtbar werden läßt. Von dieser Art sind die Unendlichkeit, das Kontinuum, die Substrate, die Individualität, die konkreten Totalitäten; also einerseits das Einfachste und Elementarste, andererseits das Komplexeste. Bei diesen kategorialen Momenten des Seienden ist es so, daß unsere Erkenntnis-Organisation fest an die entsprechenden Gegenkategorien gefesselt ist: an die Endlichkeit, die Diskrethedt, die Geformbheit, das Typenhafte, den Teilaspekt. Man kann hierher auch die Gebundenheit der Erkenntnis an die logischen Gesetze rechnen. Wie weit das Reale ihnen entspricht, läßt sich nicht mit Gewißheit angeben. Das Auftreten der Antinomien in gewissen Problemrichtungen macht es sehr unwahrscheinlich, daß sich das Seiende dem Gesetz des Widerspruchs restlos fügt. Enthält es aiber den Widerspruch in .sich — etwa in Form des realen Widerstreits —, so sind die Antinomien unlösbar; ja schon der Versuch, sie zu lösen, wäre ein Irrweg. Lösen lassen sich nur scheinbare Antinomien, die echten nicht. Worin sich denn deutlich eine Grenze des Zureichens unserer Erkenn tnisgeaetze für das Seiende zeigen dürfte." 118 Wir verzichten darauf, auf die problematischen Züge, die dieses Zitat enthält, näher einzugehen und stellen noch einmal nachdrücklich die Meinung Hartmanns heraus, daß man „das Unerkennbare im Hintergrund der Erkenntnisgegenstände sehr wohl mit zum Phänomenbestand der Erkenntnis rechnen" darf. 119 112

Von da aus wird nün folgende Argumentation vorgetragen: „Für die Gegebenheit des Ansichseienden hat das Auftreten des Irrationalen im Erkenntnisphänomen entscheidende Bedeutung. Aber sie liegt nicht darin, daß das Irrationale im höheren Sinne seiend wäre als das Rationale. Sie liegt vielmehr darin, daß das Ansichsein des ganzen Gegenstandsfeldes der Erkenntnis sich von hier aus weit schlagender aufdrängt. Es ist also verstärkt dieselbe Bedeutung wie die des Transobjektiven. Ginge nämlich der Erkenntnisgegenstand im erkennbaren Tramsobjektiven auf, so ließe sich immer noch glauben, daß er nichts anderes als mögliches Objekt des Subjekts (also „Gegenstand möglicher Erfahrung" im korrelativistischen Sinne) sei. Ragt er aber über die Grenze möglicher Objektion auch hinaus, ist er inhaltlich mehr, als wias unseren Kategorien faßbar ist, .so liegt die Sache anders. Es ist dann ein Widersinn in sich selbst, zu meinen, er könnte auch jenseits möglicher Gegenstellung noch in seinem Gegenstandsein aufgehen. Hier muß notwendig jede Abhängigkeit vom Subjekt, jede Relativität auf den Erkenntnisakt, jede Korrelafcivität wegfallen. Gibt es ein Unerkennbares, so muß dieses notwendig unabhängig vom Subjekt dastehen. Es muß Ansichsein haben." 120 Es fällt zunächst leicht, auch dieser Erörterung mit dem von uns schon wiederholt vorgetragenen Gedankengang entgegenzutreten, daß die Konstatierung von „Irrationalität" erst vorliegen kann, nachdem eine Frage aufgeworfen wurde, eine Frage, die sich als von den Denkmöglichkeiten des Menschen her unlösbar erweist. Auch diese Frage muß sich an ein Etwas in bestimmter Weise und in bestimmten Ausrichtungen wenden, und dazu muß dieses Etwas „bekannt" sein. Das betreffende Seiende muß sogar so weit „durchschaut" sein, daß eine je spezifisch ihm zugehörende Problematik erfaßt werden kann, mag sich diese nun als rational durchschaubar erweisen oder nicht. Es müßte also, wenn wir mit den Worten Hartmanns sprechen, irgendeine „Objektion" des betreffenden Seienden stattgefunden haben. Es fragt sich, wie Hartmann diese Folgerung zu umgehen sucht. Denn nur durch solche Umgehung kann er ja seine Behauptung aufrechterhalten, daß sich aus der Irrationalität eines Seienden dessen Ansichsein folgern ließe. 8 Kaatback, H a r t m a n a

113

Um jenen „ Umgehungsversuch" darzustellen, muß auf gewisse terminologische Ausführungen Hartmanne, in denen der Begriff des Irrationalen als solcher umkreist wird, hingewiesen werden. Es heißt einmal, mit dem gnoseologisch Irrationalen sei das „der Vernunft Unzugängliche, Unbegreifbare, Unerkennbare, das jenseits der Erkennbarkeitsgrenze Seiende, oder Transintelligible" gemeint.121 Sehr deutlich wird dieses Transintelligible vom Irrationalen der Mystik unterschieden. Von diesem heißt es, es sei, weil es erschaut, erlebt, empfunden würde, zwar alogisch, aber nicht unerkennbar, nicht transintelligibel. Das Irrationale der Ontologie aber liegt nach Hartmann jenseits aller Erkennbarkeit, also auch jenseits der Erlebbarkeit. 122 Von diesen Begriffsfassungen her scheint das, was wir das „Aufscheinen" oder „Sichzeigen" eines Befragbaren genannt haben, schlechthin „unter den Tisch" zu fallen. Es gibt f ü r Hartmann in der Zone des „eminent Irrationalen" nichts auch nur sinnlich sich Zeigendes, nichts „Erlebtes", was sich dann etwa als rational undurchdringbar erweisen könnte — es gibt eigentlich nur das Nichts. Von da aus erscheint es rätselhaft, wie die Erkenntnis überhaupt von dem Irrationalen berührt werden kann. Hartmann sieht sich daher gezwungen, den Begriff eines „absolut Irrationalen" zu formulieren und zugleich abzulehnen. Das „absolut Irrationale" müßte schlechthin bewußtseinsfremd sein. „Es würde die Erkenntnis ganz unberührt lassen". 123 Das Irrationale läßt sich aber nach Hartmann immerhin denken. „Denken läßt sich vieles, was nicht erkennbar ist." 124 Das „Denken", heißt es weiter, sei an die Formen der Ratio gebunden, es könnte nur logisch vorgehen. Der „irrationale Gegenstand" aber sei nicht als ein Fall des Denkens in die absolute Negation verstanden, „sondern gerade als bestimmter, in bestimmter Denkrichtung liegender, d. h. in bestimmter Angliederung an das Rationale". Gewisse positive Relationen zum Bekannten müssen in ihm gewahrt sein; in diesen muß eine gewisse Bestimmbarkeit für das Denken vorliegen. Und mit der Denkbarkeit wird auch die Erkennbarkeit wieder involviert. Damit aber islt die Irrationalität im strengen Sinn schon durchbrochen und durch einen gewissen Grad von Rationalität eingeschränkt." 115 114

Hartmann bezeichnet diesen Gedankengang zunächst als Darlegung einer Aporie, rät aber, sich hier keine künstlichen Schwierigkeiten zu machen. Es läge keine vollständige Disjunktion vor, wenn man mit der Alternative arbeiten würde, das Seiende sei entweder erkennbar oder unerkennbar. „Die Erkennbarkeit kann auch eine partiale sein. Sie kann unzählige Abstufungen haben." 129 So darf der Gegenstand der Naturerkenntnis nach Hartmann als „partial-rational" oder zum mindesten doch als „minimal-rational" gelten. Es ist dann von dem „unendlichen Rest" am NaturgegenstJand die Rede als einem „Rationalen niederer Ordnung", das der ratio in geringerem Maße zugänglich sei, etwa bloß in allgemeinen Antizipationen.127 Um seine Konzeption durchzuführen, muß also Hartmamn sein Irrationales gleichsam „aufweichen". Darum heißt es von dein irrationalen Gegenstand: er sei nicht als etwas völlig Undenkbares gemeint, sondern als etwas Bestimmtes, in bestimmter Denkrichtung Liegendes, an das Rationale Angegliedertes. Es heißt ferner, die Grenze zwischen Rationalem und Irrationalem sei verschwimmend. „Das Rationale geht in Abstufungen ins Irrationale über. So kann sich das vorgreifende Problembewußtsein immer einen Schritt weiter erstrecken als die Erkennbarkeit. Dadurch aber ist die Erkenntnis von vornherein ganz fest über das Erkennbare hinaus auf das Unerkennbare bezogen. Sie hat ein deutliches Bewußtsein seines Vorhandenseins. Denn im Sein als solchem ist die Grenze der Erkennbarkeit indifferent, sie besteht nur für die ratio, und alle ontologischen Beziehungen walten ungehindert über sie hinüber und herüber."128 Wir müssen den angeführten Zitaten gegenüber zunächst fragen, wie sich das „Schwachriationale" als Kennzeichen der Irrationalität zu der schlechthinnigen „Transintelligibilität" verhält, von der zunächst in den Hartmannschen Ausführungen über das Irrationale die Rede war. Es scheint, als ob man mit dem „schwach" oder „partial" Irrationalen niur den Sinn verbinden könnte, daß überhaupt Fragen hinsichtlich des Seienden gestellt werden können, und zwar bestimmte Fragen, die da anknüpfen können, wo das Seiende bereits zu einem Teil „rational bewältigt" ist. „Schwachrationalität" oder „Ebendenkbarkeit" wird auch weiterhin immer wieder mit 8·

115

Begriffen wie „Antizipation" oder „hypothetischer Vorgriff" verbunden, und zwar in soldier Weise, daß eine „Entscheidbarkeit" in irgendeinem Sinne, etwa der „VerifizieTbarkeit", dabei nicht berücksichtigt wird. Die Frage als solche wird schon als eine gewisse Lösungsmöglichkeit allgesehen. Wie dies etwa mit der prinzipiellen Unauflösbarkeit des Antinomialen zusammengedacht werden soll, bleibt unerfindlich. Das Antinomiale müßte nach Harfcmann schon ein Minimalrationales sein, weil es überhaupt benannt weiden kann. Im Vorgehen Hartmanns wird die Strenge und Sauberkeit des* wissenschaftlichen Denkens, das doch deutlich zwischen dem „NurHypo'thetischen" und dem „Bestätigten" zu unterscheiden vermag, überspielt und verschleiert. Für diese Verschleierung werden wir noch weitere Belege beibringen können. Hartmanns Hauptabsicht bei den Ausführungen über das' Irrationale ist ja nun aber die: die Bewußtseinstranszendenz des Objekts einsichtig zu machen, und zwar dadurch, daß das irrational Seiende jenseits jeder auch nur möglichen Objektion steht. Es hieß: „Hier muß notwendig jede Abhängigkeit vom Subjekt, jede Relativität auf den Erkenntnisakt, jede Korrelativität wegfallen. Gibt es ein Unerkennbares, so muß dieses notwendig unabhängig vom Subjekt dastehen. Es muß Ansichsein haben." 129 Es fällt reichlich schwer, diese Äußerungen noch in Einklang mit der inzwischen von uns benannten „schwachen Rationalität" oder „Denkbarkeit" in Verbindung zu bringen und sich vorzustellen, daß diese Momente ohne jede Relativität auf den Erkenntnisakt wären und sich ohne die leiseste „Objektion" des betreffenden Seienden geltend machen könnten. Der sich so immer stärker offenbarenden Schwierigkeit sucht nun Hartmann mit jener Konzeption zu begegnen, auf die wir schon anläßlich seiner Ausführungen über das „Problembewußtsein" hingewiesen haben: der Verweisung auf einen „Sog", den das Seiende auf den Erkennenden ausüben kann. Wir geben folgende Stelle: „Die Analyse des Erkenntnisphänomens . . . lehrt, daß das erkennende Bewußtsein selbst von der Voraussetzung ausgeht, daß ihr Schwerpunkt jenseits ihrer Grenzen, im problematischen 116

Teil des Gegenstandes liegt. Das Gewicht dieses Schwerpunktes zieht ihren Prozeß auf sich, zwingt sie auf ihn hin zu ponderieren. . . . Wenn also irgend etwas als gegeben gelten darf, so ist es diese Tatsache, daß Erkenntnis immerfort durch das Außenliegen ihres Schwergewichts über sich hinausgezogen wird und gleichsam in perennierendem Außersichsein begriffen islt. . . Sollte hiernach noch ein Zweifel am Vorhandensein eines real Ansichseienden bestehen, so wird er durch das Faktum der Ponderanz der Erkenntnis aus den Angeln gehoben." 180 In diesen Worten ist klar gesagt, daß die Erkenntnis von einem Etwas „gebogen" wird, das,, um „ziehen" zu können, bewußtseinstranszendente Selbständigkeit besitzen muß. Im Phänomen der Erkenntnis Söll solcher „Zug" aufleuchten, und zwar als ausgehend vom Unerkennbaren und auf das Transzendente verweisend. Man sieht in gar keiner Weise ein, daß eine solche „Anlokkung" vom schlechthin Transintelligiblen, „eminent Irrationalen", d. h. Nichtaufscheinenden her im Erkenntnisphänomen aufleuchten soll. Sagten wir doch wiederholt, daß alle „Unrast" der Erkenntnis, alles „Über-sich-Hin,austendieren" ihrer nur in der Weise des Fragens vor sich gehen könnte, und daß das, was 'befragt wird, sich zuvor gezeigt haben muß. Irrationalität kann immer nur logische Undurchdringbarkeit eines zunächst in prälogischer Weise Aufgeschienenen sein. Anstelle dieses Aufscheinenden setzt Hartmann das Gezogenwerden-Erlebnis und glaubt, mit ihm Transzendenz sichern zu können. Im Verfolg des betreffenden Denktraktes in der „Metaphysik der Erkenntnis" wird dieses „Zug-Phänomen" dann immer intensiver beleuchtet und schließlich in der umfassenden Seinsrelationalität verankert, von der in dieser Ontologie die Rede ist. D. h., das Zugphänomen wird als ein tatsächliches Angezogenwerden des Subjekts durch das Objekt interpretiert. Die Spiegelung des Seins in sich selbst erscheint als „eingehängt" in ein Netz von Verknüpfungen zwischen lauter realen Bezugspunkten, zu denen auch Subjekte und Objekte gehören. Und weil eben diese Spiegelung sich vollziehen will, d. h., eine erstrebte Weise des Mit-sichselbst-Umgehens des Seins ist, saugen die Objekte gleichsam die vordringende Tendenz der Erkenntnis an. 117

Erkenntnis hat also nach Hartmann etwas an sidi von einem „Halb zog sie ihn, halb sank er hin". Sie ist sowohl Aktivität des Ich und als solche „Eindringeaktivität" wie audi Aktivität der Objekte im Sinne eines „Spiegelung-auf-sich-Ziehens". Diese beiden Aktivitäten aber kooperieren miteinander, und aus dieser Kooperation soll sich so etwas wie ein Ersatz für das „Sichzeigen" des Seienden ergeben. Diese seltsame Lehre von der Ansaugekraft des Seienden der Erkenntnis gegenüber findet schließlich noch eine geradezu radikale Anwendung bei der Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit der Ontologie überhaupt.131 Es muß ja, wenn nach Hartmann die Erkenntnis auf das Irrationale stoßen soll, gefragt werden, wie dabei der rationale Ganzheitsumigriii einer Ontologie überhaupt möglich ist, wie die Abgrenzung von „Schichten" gegeneinander mit der von Hartmann durchaus an den Tag gelegten Bestimmtheit gesichert werden kann, da doch zwischen diesen Schichten vom Erkennen undurchdringbare Abgründe bestehen sollen und z. B. die LeibSeele-Beziehung irrational sein soll.182 Wir greifen hier auf bereits früher von uns erhobene Bedenken zurück. Wenn die Beziehungen zwischen den Schichten transintelligibel sind, wie kann dann mit Bestimmtheit gesagt werden, ob das in der „höheren" Schicht auftretende „Novum" wirklich ein echtes ist und sich nicht bloß phänomenal als ein soldies meldet? Wie können iSchnitte durch das Seiende gelegt werden, Schnitte, die mitten durch das Irrationale hindurchführen müssen und die doch als durch Kategorialanalyse einsichtig zu machende hingestellt werden? Die Schwierigkeit erscheint als eine immer größere, weil Hartmann geradezu eine Art von Irrationalitätspathos entwickelt. Das tatsächlich von uns zu Erkennende erweist sich ihm zufolge als ein Minimum auf der überwältigenden Weite eines un'durchdringbaren Hintergrundes. „Der Gesamteindruck, der aus dieser allgemeinen Pröblemlage heraus sich dem unparteiisch Philosophierenden aufdrängt, ist der einer gewaltigen, erdrückenden Überfülle (des Irrationalen), vor der schon allein als solcher, d. h. als allseitiger, vieldimen118

sionaler Unendlichkeit, die endliche Vernunft auf ihre Begrenztheit geradezu hingedrängt und gestoßen wird." 183 Der hier nun naheliegenden Haltung der Skepsis und der Resignation tritt Hartmann jedoch mit Beschwichtigungen gegenüber, die zunächst einmal den positiven Wissenschaften gelten. Es heißt, daß diesen Disziplinen innerhalb der Rationalitätsgrenze ihres Gegenstandes immer noch weit mehr zu erforschen bliebe, als sie in ihrem tatsächlichen Erkenntnisprogramm zu bewältigen vermögen. Wir geben noch einige Zitate: „Und selbst wenn, ontologisch betrachtet, das Irrationale in der Welt quantitativ das Übergewicht haben sollte, ja wenn alles Erkennbare überhaupt nur ein endlicher Ausschnitt inmitten eines unendlichen Unerkennbaren sein sollte (wie es allerdings nach manchen Anzeichen den Anschein hat), so ändert das doch nicht das geringste an der Sachlage für die Erkenntnis . . . Auch wird der Wert des Erkannten durch den ewigen Rest des Unerkennbaren ja nicht herabgesetzt. Im Gegenteil, da die ontologischen Zusammenhänge zwischen erkanntem und unerkanntem Sein ja ohnehin bestehen — und mit ihnen der über jede Erkenntnisgrenze prinzipiell übergreifende Problemzusammenhang alles Seienden —, so darf man wohl umgekehrt sagen, daß alles Erkannte, aiuch das scheinbar geringfügige, gerade durch die ontologische Erweiterung der Perspektive auf das allseitig umlagernde Irrationale, in ganz ungeahnter Weise an Gewicht und philosophischer Bedeutung zunimmt. Wie aktuell diese Bedeutung gerade für die philosophische Orientierung im Irrationalen ist, das erfordert noch eine besondere Untersuchung, in der die methodologische Kehrseite dieser ontologischen Erwägungen sich zeigen muß."134 Es wird hier auf spätere Ausführungen verwiesen, und diese späteren Ausführungen handeln davon, wie denn nun gegenüber dem Ozean des Irrationalen die Absteckungen einer ganzheitsumgreifenden Ontologie möglich sind. Die Prämissen für diese Möglichkeit aber sind in dem eben gebrachten Zitat durchaus schon angedeutet. Das entscheidende Wort ist dabei das von den ontologischen Zusammenhängen zwischen dem erkannten und unerkannten Sein. 119

Nur von der Voraussetzung her, daß solche ontologischen Zusammenhänge bestehen, nur von der oben genannten „Zugmöglichkeit" aus, kann Hartm&nn das Wagnis zu rechtfertigen versuchen, das sein die Ganzheit des Seienden umspannender ontologischer Ansatz darstellt.

Wir tragen, bevor wir Hartmann weiter folgen, zunächst ein Bedenken gegen die mit ihm zu denkende Verbindung von „Irrationalität" und „systematischem" Umgriff vor, sei dieser auch als ein nur „hypothetischer" gemeint. Dabei können wir auf früher Gesagtes zurückweisen, auf jene Ausführungen, in denen wir vom „domestizierten" Irrationalen Hartmianns sprachen.135 Da Hartmannis ontologische Konzeption ihre das Seiende aufteilenden Striche unbekümmert über das; Irrationale hinwegzieht, dieses Irrationale mit dezidierten Schnitten entzweischneidet und Unterscheidungsmarken hier festsetzt, so muß er mit der Möglichkeit umgehen, daß das Irrationale übergriffen und durchgriffen, also irgendwie eingeordnet und eingegrenzt werden kann. Eine solche Ortszuweisung und Einhegung dem Irrationalen gegenüber wird denn auch durchaus als Aufgabe der Ontologie hingestellt. Sie hat die Gefilde abzugrenzen, in die nicht eingedrungen werden kann. Sie muß also kategoriale Absteckungen des Irrationalen im „Ganzen" vornehmen können.13® Es fragt sich, ob sie damit in ihren Möglichkeiten nicht überfordert ist. Denn damit solche Eingrenzungen geleistet werden könnten, müßte jeweils diese Zone des Irrationalen rational ausschreitbar, umgreifbar, durchlaufbar, abmeßbar sein. Dies aber widerspricht der Irrationalität völlig. Treffen wir auf sie, und nehmen wir sie wirklich ernst, so kann nicht mehr von etwas „Einfriedbiarem" gesprochen werden. Es mag eine Einkreisemöglichkeit hypothetischer Art gegenüber einem „vorläufig noch" Irrationalen geben, ein An-sich-Halten im Erkenntnisprogreß. Gibt es aber das endgültig Transintelligible, und das gibt es nach Hartmann, dann kann keine Ontologie Einkreisungen unternehmen, Einkreisungen in der Weise, daß sie dabei den Umgriff um die Ganzheit des Seienden zu leisten vermag. 120

Die Unmöglichkeit zeigt sich noch krasser darin, cLaß Hartmann die Kategorien, um deren Analyse d. h. Bestimmung es der öntologie gehen muß, als selbst weitgehend irrational bezeichnet. Die Sicherung einer Gefügeordnung scheint von daher ausgeschlossen zu sein, und man sollte meinen, daß ein Denker, der solche Weiten von denkerischer Undurchdrrngbarkeit aufzeigt, sie mit einem gewissen Fanatismus aufweist, daß ein solcher Denker nur Eines tun könnte, nämlich auf das ontologisdie ganzheitsumgreifende Kategoriengerüst verzichten. d)

DIE

MÖGLICHKEIT

DES

ONTOLOGISCHEN

GANZHEITSUMGRIFFES

Es ist notwendig, daß wir uns noch näher mit der Frage befassein, wie Hartmann denn nun eigentlich den konkretein Ausbau einer Öntologie methodisch für möglich hält. Dazu muß jene von ihm vorgenommene „Aufweichung" berücksichtigt werden, die darin liegt, daß das Irrationale als ein wenigstens Schwachrationales bezeichnet wird. Solche „Schwachrationalität" wird von Hartmann auch eine Art von „Ebendenkbarkeit" genannt. Wir haben schon gefragt, was diese zum Zweck der Ermöglichung einer Öntologie benannte „Ebendenkbarkeit" etwa hinsichtlich des Phänomens der Antinomialität bedeuten soll, und gemeint, daß das Wort hier nichts anderes bezeichnen kann als das Aufleuchten einer Fragestellung als solcher, die sich dann als unlösbar erweist. Die Öntologie aber müßte als kategorialer Gesamtübergriff über das Seiende Entscheidbarkeit hinsichtlich aller von ihr benannten Zusammenhänge voraussetzen. Von einer „Ebendenkbarkeit" im Sinne des Aufleuchtens von Unentscheidbarkeit her könnte sie doch keine Spur von jenen positiven Entscheidungen gewinnen, deren sie unerläßlich bedarf, wenn ihr die Möglichkeit, systembildend zu sein, sei es auch unter noch so vielen Kautelen, doch immerhin zuerkannt wird. Wenn wir Hartmann folgen wollen, bleibt uns jedoch nidits anderes übrig, als seinen Begriff der „Ebendenkbarkeit" zunächst hinzunehmen und mit ihm zu jenem methodischen Vorschlag hinüberzublicken, den er als „projektive Begriffsbildung" der Öntologie bezeichnet.187 121

Im Einsatz des betreffenden Kapitels weist er darauf hin, daß im Grunde schon die Naturwissenschaft, ja jede Einzelwi&senschaft, „ein Stück Ontologie" betriebe. Es heißt dann: „Die ontologische Arbeit der Philosophie ist nur um vieles schwerer und ungewisser als die der positiven Wissenschaft, weil ihr Gegenstandspröblem viel weiter ausschaut und, statt sich auf Ausschnitte aus dem Sein zu beschränken, aufs Ganze geht, zugleich aber auch, weil ihr Gegenstand in noch ganz anderem Maße irrational ist und sich der Begriffsfassung, die als solche immer rational ist, weit schwerer fügt. Ihre Begriffsbildungen tragen daher in viel höherem Maße den Charakter des Versuchsweisen und Hypothetischen." 138 Wir betonen diesem Zitat, und zwar gerade seinen letzten Zeilen gegenüber noch einmal, daß ein Denker, der mit „Hypothesen" umgeht, zugleich die „mögliche Verifizierbarkeit" des versuchsweise Behaupteten voraussetzen muß. Das Wort „Hypothese" verlöre seinen Sinn, wenn solche Verifizierbarkeit überhaupt nicht beansprucht werden könnte. Verifizierbarkeit im wissenschaftlichen Sinne aber kann immer nur Aufzeigbarkeit am konkret Gegebenen bedeuten. Besteht diese nicht, so müssen an Stelle des Wortes „Hypothese" Ausdrücke wie „rein gedankliche Fiktion" oder „bloß spekulativer Entwurf" gesetzt werden. Weitere Kritik vorläufig noch verschiebend, folgen wir jetzt der Unterscheidung, die Hartmarai zwischen der Erkenntnis und dem Denken macht. Das letztere wird von ihm anscheinend als das spezifische Organ dessen, was er Hypothesenbildung nennt, bezeichnet. Es heißt: „Das Denken ist der eigentlichen Erkenntnis immer schon einen Schritt voraus: seine Begriffe fixieren vorläufig und problematisch immer schon das zu-Erkennende, sofern es unerkannt ist. Seine Begriffsbildung ist der schwerfälligeren Erkenntnis gegenüber immer Antizipation, Projektion." 139 Fragt man, wie sich das Denken von der „schwerfälligeren" Erkenntnis unterscheidet, so lautet die Antwort, daß beim Denken keine Objektion zustande käme. Hartmann zufolge gibt es nun eine „Denksphäre" für den Menschen, die über die „Zone der Objektion" nach allen Seiten noch ein Stüde hinausreicht. In diese Denksphäre reichen „Kontinuitäten, Reihen und Perspektiven" als an sich bestehende Seinsrelationen mit einigen 122

Gliedern hinein oder, „-sofern sie hindurchgehen, gehören sie ihr mit gewissen mittleren Gliedern an; letzteres z. B. buchstäblich bei der Zahlenreihe, der Zeit, den Raumdimensionen, der Kausalreihe usw." 140 „Denn das Seinssystem braucht ja nicht aus siich herauszutreten, um in seinen Relationen die Denksphäre zu durchziehen; es enthält sie als ihr Glied in sich. Das Denken aber wird gezwungen, über seine Sphäre hinauszugehen, wenn es in ihr Endglieder, resp. Durchgangsglieder solcher Relationen vorfindet, deren notwendige Gegenglieder oder Fortsatzglieder es nicht in sich enthält, aber um der Vollständigkeit der Relation willen genötigt ist hinzuzudenken. Solche gegebene End- und Durchgangsglieder weisen eben unwiderstehlich über sich, und damit über die Denksphäre, hinaus. Sie involvieren die ontologisch zugehörigen Gegenglieder, stellen einen Zusammenhang zwischen Bekanntem und Unbekanntem her und fordern das Denken zur Verfolgung desselben heraus, indem sie zugleich die Richtung angeben, in welcher die Gegenglieder zu suchen sind." 141 Indem das Denken den Richtungen folgt, in die es gewiesen wird, stößt es projizierend in das Unbekannte hinein. „Die ontologische Begriffsbestimmung, die sich an solchen SeinsTelationen anbahnt, ist eine durchaus 'projektive Begriffsbildung." 142 Es heißt nun, daß solche Vorstöße, wenn sie als isolierte unternommen werden, noch sehr ins Unbestimmte weisen. „Sobald aber sich ihrer zwei finden lassen, die auf einen gemeinsamen Seinspunkt hinauszielen, so gewinnt dieser schon ein viel bestimmteres Gepräge." Der fragliche „Seinspunkt" soll dann „gleichsam" durch den Schnittpunkt zweier Projektionslinien „indirekt" markiert werden.143 „Indem sich nun aber ganze Konstellationen solcher zusammengehöriger Projektionspunkte als Repräsentationen desselben Seinspunktes an der Genze der Den'ksphäre wie auf einer Projektionsebene disponieren, ergibt sich von vielen Seiten zugleich ein Projektionsbild des fraglichen Seienden, das als Gesamtbild schon Mannigfaltigkeit und Bestimmtheit zeigt. Die begriffliche Umreißung des an sich nur negativ Faßbaren gewinnt durch die Einheitsbeziehung einer solchen projektiven Vielheit verschiedenartiger Seinschiaraktere selbst einen positiven Charakter. 123

Die positiven Wissenschaften sind voll von Beispielen hypothetischer Begriffe, die in gleicher Weise gewonnen sind; man denke etwa an die Artbestimmung paläontologischer Lebewesen nach geringen Skelettresten, an die Fixierung von Bewegung, Atmosphäre unid Entwicklungszustand der Fixsterne nach Spektralanalyse, Parallaxe u.a.m. In demselben hypothetisch projektiven Vorgehen entstehen auch die allgemeinen ontologischen Begriffe, vor allem die der Seinskategorien. Die Methode ist in ihnen und in den naturwissenschaftlichen Begriffen im Grunde ein und dieselbe, weil die ontologische Einstellung dieselbe ist. Eine Methode verbindet hier Wissenschaft und Philosophie. Sie wandelt sich mannigfaltig ab, von den konkretesten, sog. „gesicherten" naturwissenschaftlichen Begriffen bis hinauf zu den höchsten und abstraktesten Systembegriffen, die kaum mehr negativ umreißbar sind, in denen die Rationalität zugleich mit der projektiven Bestimmbarkeit ihr äußerstes Minimum erreicht." 144 Wir sehen uns gezwungen zu behaupten, daß bei der eben vorgetragenen Gleichstellung von Wissenschaft unid Ontologie als umgreifender Seinsdeutung, einer Gleichstellung, die in methodischer Hinsicht erfolgt, durchgreifende Unterschiede in schlechthin unzulässiger Weise verwischt werden. 1. Verwischt wird einmal die unüberbrückbare Differenz zwischen „Disziplinen", die. wie es die Wissenschaften in modernem Sinne tun, sich ihre Gebiete im Bezirk des Seienden überhaupt in der Weise von Ausschnitten abstecken und ihre Frageweisen und Methoden in strenger Gewissenhaftigkeit für eben jenen Ausschnitt entwerfen, und der Ontologie, die die Ganzheit des Seienden umfassten will und somit kein Regulativ ihres Vorgehens besitzt, das durch die jeweilige Eigenart einer Gegenstandsregion dargeboten wird. Wollte eine solche Ontologie wirklich umfassend sein, so müßte sie eine Zusammenarbeit sämtlicher Wissenschaftsmethoden „in Gang bringen" können und dafür jetzt eine allen einzelnen Methoden gerecht werdende und sie alle dennoch übergreifende Gesamtmethodik entwickeln. Wie so ein Verfahren auesehen sollte, ein Verfahren, das deskriptive und kausal-analytische wie audi geisteswissenschaftliche Verfahrensweisen in sich schlösse und ihr Zusammenwirken in nun totaler methodisch-eindeutiger Weise steuern könnte, bleibt unerfindlich. Wollte solche Ontologie Hilfe 124

bei den Wissenschaften suchen, so würde sie nur eine jener wissenschaftlichen Verfahrensweisen verabsolutieren können und die übrigen Gebiete des Seienden damit vergewaltigen müsisen. Täte sie dies nicht, so wäre ihre Methode keine wissenschaftliche mehr, denn man wüßte nicht, auf welche Disziplin als auf die paradigmatische hingewiesen werden könnte. Hartmanns Vorgehen läßt deutlich erkennen, daß er selbst hier eine Bevorzugung unternehmen will, und zwar den Naturwissenschaften gegenüber. Die Vergleiche, die er zwischen der Verfahrensweise der Ontologie und der Wissenschaften durchzuführen versucht, werden fast durchgehend durch naturwissenschaftliche Beispiele illustriert. Das Verfahren, um das es ihm dabei nun gehen müßte, wäre das eines an bestimmten Gegebenheiten sich aufwerfenden Fragens (Hypothesenbildung), eines Fragens, das für die Wissenschaft dann Relevanz und Bedeutung gewinnt, wenn es durch Aufweis des Vermuteten am Seienden bestätigt wird. Wir wiederholen: es müßte Hartmann um dieses Verfahren als ein legitim-wissenschaftliches gehen. Tatsächlich aber unterschlägt er bei dem Vergleich zwischen Ontologie und Naturwissenschaft die entscheidende Wesensseite eben dieses Verfahrens. Und damit kommen wir zu der weiteren Verwischung und Verschleierung, die von ihm vorgenommen wird. 2. Es wird verkannt, daß ein gesichertes, naturwissenschaftliches Ergebnis als solches nur gestiftet wird durch das faktische Aufscheinen, Sichzeigen eines Vermuteten. Wohl kann auch hier eine vorläufige Nichtaufweisibarkeit eingeblendet werden. Es müssen dann aber Gründe für diese angegeben werden. Gegenüber prinzipieller und unüberwindbarer in der Sache selbst liegender Nichtnachwieiisbarkeit aiber könnte die Wissenschaft keine Bewegungen mehr vollziehen. Solche grundsätzliche Unmöglichkeit stellt sich aber sofort ein, wenn das Denken die Sphäre möglicher Objektion überschreitet und ins Transintelligible vorstößt. Unter diesem Gesichtspunkt muß der von Hartmann gemachte Vorschlag einer „projektiven Begriffsbildumg" der Ontologie jetzt kritisch beleuchtet werden. 125

Es heißt dabei, daß die Fixierung eines nicht zur Objektion gelangten Seinspunktes in einem Annäherungsverfahren dadurch möglich sei, daß sich in bestimmten Richtungen vom Denken vorgestoßene Antizipationen in ihm schnitten, daß möglichst viele solcher antizipierenden Vorstöße sich auf ihn als ein gemeinsames Ziel richteten. Hier aber kann doch nur in hohem Erstaunen gefragt werden: wie kann man wissen, ob und wo die Denkprojektionen, die Welten von Transintelligiblem irgendwie übergreifen müssen, sich jemals „in einem Punkte" schneiden? Wäre nicht die „Objektion" jenes geheimnisvollen Punktes die einzige Möglichkeit, von der her man konstatieren könnte, ob „antizipierende" Denkbewegungen wirklich in ihn einmünden und sich mit anderen Denkbewegungen treffen? Gibt es aber eine solche Objektion nicht: was enthebt dann die Ansprüche des Denkens, hier oder da sich mit seinen Bewegungen „wieder zu begegnen", der reinen und absoluten Willkür? Wie kann gesichert werden, daß zwei Projektionsrichtungen wirklich „auf einen gemeinsamen Seinspunkt hinauszielen", so daß dieser dadurch „schon ein viel bestimmteres Gepräge gewinnen könnte"? Wie kann verhindert werden, daß jeder Denker sich hier sein eigenes Schnittpunktsystem erfindet und so zu ontologischen „Grundlegungen" auf Grund eines rein spekulativen Verfahrens kommt, das mit wissenschaftlichem Denken nichts mehr zu tun hat? Hartmann möchte die Differenz zwischen der Naturwissenschaft und einer solchen Ontologie als eine nur graduelle sehen; in Wahrheit ist der Gegensatz unüberbrückbar. Der „projektive" Entwurf der Ontologie kennt, ins Transintelligible vorstoßend, keine sichernde Gegeninstanz, kann diese niemals kennen. Mit der These der projektiven und immer nur projektiv bleibenden Begriffsbildung gerät Hartmann auch in schärfsten Gegensatz zu der Kriterienlehre, die er selbst in ziemlich ausführlicher Weise in -der „Metaphysik der Erkenntnis" entwickelt.145 Wir wissen: im Rahmen der Hartmannschen Ontologie ist Wahrheit im transzendenten, d. h. entscheidenden Sinne Übereinstimmung des Erkenntnisgebildes im Subjekt mit der seienden Sache, welche Übereinstimmung nur den Charakter der „Repräsentation" zu haben braucht. Es gibt aber auch Unwahrheit, d. h. es gibt 126

Repräsentationsgebilde, die die Sache nidit angemessen im Subjekt repräsentieren. Das Sein kann in Fehlspiegelungen seiner selbst verfallen. Das Subjekt bedarf also eines Kriteriums der Wahrheit. Die Schwierigkeit, ein solches zu finden, iät bekanntlich an vielen Stellen der Philosophiegeschichte beleuchtet, an anderen wieder in erstaunlicher Weise vernachlässigt worden. Hartmann entwickelt die vorliegende denkerische Problematik im Lichte historisicher Reminiszenzen als „Aporie des Wahrheitskriteriums". Es heißt: „Ein Kriterium müßte die Vorstellung (das Bild) des Objekts irgendwie mit dem Objekt selbst vergleichbar machen. Vergleichung des immanenten Gebildes mit einem transzendenten ist aber selbst eine das Subjekt transzendierende Relation. Von hier aus läßt sich die Aporie in die Form einer Antinomie bringen. These: Das Kriterium müßte Vorstellung sein, um überhaupt Vergleichspunkt für das Subjekt zu sein; denn vergleichen kann dieses seine Objektsvorstellung nur mit etwas, was in seiner Sphäre liegt. Antithese: Das Kriterium darf nicht Vorstellung sein, wenn anders es gültiges Kriterium sein soll; denn ein Vergleich mit einer Vorstellung im Subjekt könnte keine Gewähr für Übereinstimmung mit dem Objekt außerhalb der Subjektsphäre leisten." 146 Die ganze Aporie gründet also in der Schwierigkeit, daß der Mensch keine Möglichkeit hat, Repräsentationsgebilde und an sich seiende Sache miteinander zu vergleichen. Die hier geforderte Prüfungsinstanz müßte zugleich bewußtseinsimmanent und bewußtseinstranszendent sein. Die Lösung, die Hartmann anbietet, besteht in dem Hinweis, daß beim Erkenntnis Vorgang zwei heterogene Transzendenzbeziehungen dem Gegenstand gegenüber vorliegen, eine aposteriorische und eine apriorische. In der ersteren gibt sich die schlechthinnige Einmaligkeit und Zufälligkeit des Gegenstände», in der letzteren das Gesetzlich-Allgemeine an ihm, das, was diesem Gegenstand mit anderem Seienden gemeinsam ist. Im Bewußtsein können nun die beiden Inhaltskomplexe miteinander zur Deckung gebracht werden. Da, wo dieses gelingt, wo 127

sich also die immanente Übereinstimmung zweier Transzendenzbeziehungen zu erkennen gibt, kann mit einer gewissen Sicherheit auf die Angemessenheit der Erkenntnis dem Seienden gegenüber geschlossen werden. Das „ Ζur-Deckung-Gelangen" von apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis vollzieht sich so, daß zunächst diese oder jene Weise der anderen vorauseilen kann. Die Fülle des Aposteriorischen kann sich weit entbreiten, während die apriorische Entschlüsselung noch nachhinkt, und andererseits kann die apriorischhypothetische Antizipation Gebiete des Seienden umreißen, für die noch keine Tatsachenerkenntnis vorliegt. Von hier aus wird von Hartmann verständlich gemacht, daß es das Problembewußtsein und den Erkenntnisprogreß gibt. Das Kriterium wird von Hartmann selbst als ein relatives bezeichnet. Es bildet eine Diallele. Man wird dies unterstreichen können. Im Grunde handelt es sich ja um die Schilderung des geläufigen wissenschaftlichen Vorgehens. Dieses Verfahren — wobei mit Hartmann immer in erster Linie an die Naturwissenschaften gedacht werden muß — kann sich als theoretische Prognostizierung und nachfolgende empirische Bestätigung oder, umgekehrt, als empirische Begegnung mit dem Material und nachfolgende Einordnung seiner entfalten. Eine Diallele liegt vor. Denn Prognostiziert) arkeit des Seienden besagt nicht, daß der theoretische Zusammenhang, innerhalb des-" sen sie möglich ist, der eigentlich wesentliche ist. Es wird eben von der Prognose her und zu deren Bestätigung immer schon eine Selektion des „Tatsachenmaterials" betrieben, d. h., bestimmt, was eigentlich als Tatsache anzusehen ist. Und umgekehrt schwingt bei jeder Beachtung von Tatsachen, wo sie Beachtung von wissenschaftlicher Bedeutung ist, immer schon die Konfrontierung mit bisherigen Theorien und der Ansatz zu überholenden Einordnungsvorschlägen mit. Die „Tatsache" ist also nie dem Gehege der Deutung entzogen und die Deutung „fabriziert" immer Tatsachen. Das Kriterium, mit dem Hartmann arbeitet, ist also kein absolutes. Hartmann gibt dies zu, meint aber, daß es der Absolutheit nahekommen könnte dadurch, daß das „Erkannte" in immer umfassendere theoretische Zusammenhänge eingeordnet werden könne, und zwar mit zunehmender Plaueibilität der Verzahnung.147 128

Es tritt also bei Hartmann neben das „Deckungs"kriterium noch dasjenige der Logizität der apriorischen Verknüpfungen. Man wird hier entgegenhalten können, daß die hypothetischen Denkausgriffe apriorischer Art sehr vielseitig sein können und sich dabei stets als logisch zwingende zu geben suchen. Es handelt sich ja im Grunde um die Erkämpfung von Grundprinzipien, Grundkategorien, von denen her das Begriffsgefüge einer Disziplin abgeleitet wird. Andere Grundansätze führen zu anderen Einordnungen, anderen Verzahnungen, die, wenn die „obersten" Kategorien einmal festliegen, von dorther „logisch zwingend" abgeleitet werden können. Hartmann ist sich über die Mannigfaltigkeit der Denkausgriffe, die möglich sind, klar. Er betont demgegenüber zunächst die Tatsache, daß es ein ausgezeichnetes Netz solcher Verknüpfungen ontisch gibt: den ideal bestehenden Nexus. 148 Von diesem Zusammenhange heißt es dann, daß er nicht durch das Bewußtsein erst hergestellt werden müßte. Es geht hier vielmehr „um ein festgefügtes Netz von Relationen, die ebenso ewig und unumstößlich sind, wie der Inhalt des Apriorischen s e l b s t . . . . Nicht um Konstruktion, sondern um ein Sein von Zusammenhängen handelt es sich, dem gegenüber dem Bewußtsein nur die Freiheit bleibt, ihm zu folgen oder nicht zu folgen." 149 Die bisher bedachte immanent-logische Implikation der Kategorien greift nun aber nach Hartmann aus der Ebene der Erkenntniskategorien in die der Seinskategorien hinüber. „Die immanente Implikation muß also in dieser Erweiterung der Beziehung notwendig zu einer transzendenten Implikation werden; das Sein der Dialektik, das zunächst einen bloß ideal logischen Charakter der Denk- und Erkenntniszusammenhänge betraf, muß sich als ein wenigstens teilweise zugleich on tisch reales Sein erweisen." „Die immanente Implikation, soweit sie sich inhaltlich auf Repräsentationen realler Gegenstände erstreckt, hat unmittelbar objektive Gültigkeit in bezug auf die letzteren."150 Es gibt das richtige Implikationsnetz der kategorialen Zusammenhänge. Dieses Netz ist als das eine und unverrückbare fixiert in idealer Seinsweise. Es ist aber weiter eben als das eine in das Realsein erhoben als die Kategorialstruktur und Kategorialordnung der Realschichten. 9 Kamthadc, Hartmann

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Im Grunde ist jedoch von diesen Annahmen her noch keinesfalls die Frage beantwortet, wie denn nun der erkennende Mensch gleichsam „in diese Implikationen hineingeraten kann", eich mit seinem Erkennen in sie einschalten kann. Wurde doch die Möglichkeit zugegeben, daß sehr verschiedene Entwürfe vorgelegt werden können. Von der Frage der Logizität der Verknüpfung her scheint also eine Sicherung für das Erkennen im Grunde nicht ableitbar zu sein. Es verbleibt der Rekurs auf das „Sichzeigen" des Seienden, die empirische Begegnung mit ihm. „Verifizieribarkeit" im Sinne „empirischer Aufweisbarkeit" kann bei dem Anspruch auch auf nur angenäherte Wahrheit niemals entbehrt werden, weil jeder rationale Entwurf sonst in der Luft hängen bleiben müßte. Man wird also sagen müssen, daß das Hartmannsche Wahrheitskriterium als Zweiinstanzenkriterium völlig versagen muß, wenn eine empirische Aufweisbarkeit überhaupt nicht besteht. Dieses letztere aber ist der Fall bei der „projektiven Begriffsbildung", durch die Ontologie nach Hartmann möglich sein soll, jener Begriffsbildung, bei der sich Denkketten in Gefilde hineintasten, in denen es keine Objektion gibt. Es war bei der Schilderung dieses Verfahrens die Rede davon, daß sich Denkrichtungen, und zwar möglichst viele von ihnen, in demselben Seinspunkte schneiden könnten und dessen Wesen dadurch zunehmend umrissen werden könnte. Wir haben schon die Frage aufgeworfen, wie diese „Selbigkeit" und „Schnittpunkthaftigkeit" irgendwie anders gesichert werden könnten als durch den empirischen Aufweis eines Seienden, das sich wirklich als das von jenen Bewegungen „Getroffene" erkennen läßt. Solcher Aufweis ist aber unmöglich, wenn wir in die Zone des niemals Objizierbaren hineinstoßen. Es kann also so kein Wahrheitskriterium im Sinne der Deckung zweier Erkenntnisinstanzen zum Zuge kommen. Es gibt demnach auch keinen „fließenden" Übergang von der Hypothesenbildung der Wissenschaften zu der Hypothesenbildung der Ontologie. Das Wort „Hypothese" bleibt kein wissenschaftlich 130

gültiges Wort mehr, wenn keinerlei Verifizierbarkeit angenommen werden kann. Was Hartmann hier noch „Hypothese" nennt, ist nichts anderes als spekulativer Denkentwurf. Der Unterschied vom ontologischen Systemdenken zum sauberen wissenschaftlichen Vorgehen ist nicht nur ein im Hinblick auf den Wahrheitsgehalt gradueller, sondern ein unüberbrückbarer. Jeder Überbrückungsversuch erweist sich als eine undurchdachte Verschleierung. Der ontologische Systementwurf, von dem es heißt, daß er sich erst „jenseits der Reichweite des Denkens schließt", ist trotz aller Bemühungen nicht an das Verfahren sauber vorgehender Wissenschaften „heranzuziehen". 151 Wenn nun Hartmann hier doch noch Möglichkeiten für den Ontologen sieht, und er muß das tun, weil sonst seine eigene Ontologie sich nicht mehr als bevorzugt ausweisen könnte, so muß er, und damit kommen wir wieder auf schon vorgetragene Gedankengänge zurück, mit einer Grundkonzeption umgehen, von der her sich alle Bedenken niederschlagen lassen und die ganze Not der Kriterienfrage überspielt wird. Der Ausweg, der angeboten wird, ist immer wieder der, daß die Erkenntnisrelationen des Menschen als in das Gefüge der Seinsrelationen einbezogen angesehen werden. Die Erkenntnis kann sich daher, wie es wiederholt hieß, an diesen Seinsrelationen „entlangtasten". Sie hat sich, trotz dieser Möglichkeit, bis zur Ontologie Hartmanns hin „falsch" getastet. Daß sie überhaupt in das rechte Tasten geraten kann, ist und bleibt nur so zu erklären, daß sie schließlich durch den Seinsprozeß selber „zurechtgezogen" wird, daß hier ontische Einweisungskräfte walten. Wenn der Mensch das Kunststück fertig bringen soll, einen zu rechtfertigenden Entwurf anzubieten, der sich „erst jenseits der Erkenntnisgrenze schließt", dann muß ihm der Seinsprozeß schon „unter die Arme greifen". Wird hier dann noch von „Offenheit" gesprochen, dann kann es nur eine „Offenheit nach innen" sein. Und das Irrationale braucht den Ganzheitsontologen nicht scheu zu machen, da der Sog des Seins selbst die hier bestehenden Klippen umschiffen hilft. Das Sein „hängt" den Menschen schließlich doch als den „richtig Spiegelnden" in seine Relationen ein. 9·

131

Die zu suchende und zu begründende Ontologie aber ist dabei schon längst vorausgesetzt. Es Liegt eine petitio principii vor, wie sie sich klassischer nicht denken läßt. Hinsichtlich der Frage nach, der Transzendenz des Erkeimtnisgegenstandes lautet sie: man kann jene Transzendenz dadurch beweisen, daß man die Erkenntnis, d. h., das Beweisenkönnen als etwas von Bewußtseinstranszendentem zu sich Hingezogenes deutet. Das aber ist der vollendete gnoseo-ontologische Zirkel.168 3. Der Realismus und das Wesen der emotionalen Akte a)

DARLEGUNG

DES

HARTMANNSCHEN

ANSATZES

Wir haben diejenigen Argumente für die Bewußtseinstranszendenz der Gegenstände verfolgt, die Hartmann aus dem Wesen der menschlichen Erkenntnis zu gewinnen sucht. Wir glaubten dies tun zu müssen, obgleich Hartmann selbst jene „Beweisgänge" als zweitrangig hinstellt und den wirklich maßgebenden Beleg für die „Realität der Außenwelt" von der Betrachtung der Emotionalakte des Menschen her glaubt liefern zu können. Immerhin hat er jene „zweitrangigen" Begründungsversuche in seinem Werk stehen lassen und muß ihnen daher noch Bedeutung zuerkannt haben. Jedenfalls Heß sich der Aufweis, daß Hartmann selbst in den gnoseo-ontologischen Zirkel verstrickt ist, von seinen Analysen der Erkenntnis her durchaus erbringen. Zur Ergänzung dieser Gedankengänge sei an jetziger Stelle noch die Stellungnahme Hartmanns zu dem sogenannten „Satz des Bewußtseins" erwähnt. Hier besteht ja eine Alternative, deren einander entgegengesetzte Thesen zu jeweils verschiedenen erkenntnistheoretischen Ansätzen benutzt worden sind. Man kann einmal sagen, daß alles Seiende, auf das sich der Mensch irgendwie beziehen kann, nur „in" seinem Beumßtsein anzutreffen ist und daß der Raum dieses Bewußtseins niemals überschritten werden kann. Aller Hinweis auf eine „Transzendenz" des Seienden könne also nur eine Bewußtseinssetzung sein.158 132

Die Gegenbehauptung dazu aber würde lauten: das Bewußtsein kann wesensmäßig „hinauslangen" zum An-sich-Seienden, geschehe dies unmittelbar oder mittelbar. Die letztere Möglichkeit erkennt Hartmann an. Es wird ihr sogar eine entscheidende Bedeutung für die Definition dessen, was Erkenntnis genannt werden kann, zugesprochen.164 In ähnlicher Weise kommt übrigens Jean-Paul Sartre zur Begründung des Realismus. Er geht vom Gedanken der Intentionalität aus und folgert: wenn Bewußtsein immer Bewußtsein „von Etwas" ist, dann ruht es diesem „Etwas" auf, und das ist nur möglich, wenn das Etwas an sich da ist (Ontologischer Beweis).155 Es leuchtet ein, daß die Antwort darauf, ob das Bewußtsein sich selber transzenidieren kann oder nicht, nur im gnoseo-ontologischen Zirkel gegeben werden kann. Auch die Immanenzlehre muß zu einer Ontologie kommen: sei es zur Annahme eines überindividuellen Bewußtseins, sei es zur Setzung einer Monadengemeinschaft.

Wenn wir jetzt auf die Bedeutung eingehen, die die Emotionalakte für Hartmann haben, so wird unsere Stellungnahme nicht mehr den Charakter einer immanenten Kritik haben, wie wir sie bisher vorgetragen haben. Wir werden dabei vielmehr auf einen Modus von „ Ansichsein" hinweisen müssen, der etwas ganz anderes ist als die Hartmannsche Realität, der aber in seiner Besonderheit eben dann aufleuchtet, wenn es sich um die „emotionale Transzendenz" des Menschen handelt. Gerade die Tatsache aber, daß Hartmann diese Weise von Ansichsein überhaupt nicht zu erblicken vermag, verweist, wenn auch jetzt von neuen Gesichtspunkten her, darauf, wie unbedingt er in „seinem" gnoseo-ontologischen Zirkel „hängt", so unbedingt, daß er auch die Emotionalakte in ihn hineinreißt.

Wir interpretieren zunächst die hierher gehörenden Gedankengänge Hartmanns und halten uns dabei an seine Darstellung in der „Grundlegung der Ontologie".156 133

E s heißt dort, daß die Erkenntnisvorgänge hinsichtlich ihrer Möglichkeit der Realitätsverbürgung zweitrangig wären gegenüber solchen Akten, die tiefer im Lebenszusammenhang verwurzelt wären und dabei auch den Vorzug hätten, „transzendente" Akte zu sein. Von diesen Akten wird nun gesagt, sie hätten alle „einen Einschlag von Aktivität, Energie, Ringen, Einsatz, Wagnis, Leiden, Betroffensein". Darin bestünde ihr emotionaler Charakter. „Aller Umgang mit Personen, alles Schalten mit Dingen, alles Erleben, Erstreben, Begehren, Tun, Handeln, Wollen, Gesinntsein gehört hierher; desgleichen alles Gelingen und Mißlingen, Erleiden, Ertragen, aber auch Erwarten, Erhoffen, Befürchten. J a , schon die innere Stellungnahme, die Wertreaktion, die Wertantwort zählt zu diesem Aktzusammenhang." 1 5 7 Alle diese Verhaltungsmöglichkeiten sollen nun dem Widerstand des Seienden begegnen und damit in unübertrefflicher Weise Zeugnis für die Realität dieses Seienden, f ü r dessen Ansichsein aiblegen. E s ist dann die Rede von der Besonderheit der Aktstruktur im Bereich des Emotionalen. „In der Erkenntnisrelation bleibt der Gegenstand untangiert, unverändert; und das Subjekt wird wenigstens nicht in seinem Lebenshabitus betroffen, sondern nur dem Bewußtseinsinhalt nach modifiziert." 1 5 8 Dies ändert sich in den emotional-transzendenten Akten. Sind diese nämlich „spontan", so verwandeln sie irgend etwas am Gegenstand. Sind sie aber „rezeptiv", so wird das Subjekt in seinem lebendigen Kern von ihnen bewegt. Die hier angedeutete Alternative „spontan-rezeptiv" wird in den weiteren Ausführungen ein Stück weit durchgetragen. Zunächst werden die emotional-rezeptiven Akte behandelt, in denen der Gegebenheitsmodus des realen Seins am stärksten zum Ausdruck gelangen soll, und zwar auf Grund der „Betroffenheit" des Subjektes von etwas, was ihm „widerfährt". Hier gibt es eine „Aufdringlichkeit des Zustoßens". Allerdings kann die Realität des Geschehens „mehr oder weniger schlagend" gegeben sein. 15 * Während, wie es weiter heißt, die Erkenntnis in gewissen Grenzen aufgehalten werden kann, ist dieses dem Widerfahrnis gegenüber höchstens insoweit möglich, als durdi ausweichendes Handeln ein neues Widerfahrnis heraufbeschworen wird. 134

Hartmann spricht hier von „Schicksalbaftigkeit", ein Wort, welches nicht metaphysisch-fatalistisch verstanden weiden, soll. Es soll nur das unvermeidliche Hineinigestelltsein des Menschen in den Realzusammenhang mit seiner „Härte" bezeichnen. Hier ist „eine eminente, unimittelbare Gewißheit des Ansichseins".160 In diesen Zusammenhängen entwickelt Hartmann dann den Begriff einer „Erfahrung", die nicht erkennend ist, sondern mit dem Betroffensein vom Widerfahrenden her zusammenhängt. Dieses Erfahren wird in nachdrücklichen Gegensatz zum Erfassen (des Erkennens) gebracht. „Beide können demselben realen Geschehen gelten, und dann ist in beiden dem Inhalt nach ein und dasselbe zur Gegebenheit gebracht. Grundverschieden aber bleibt auch dann die Art der Gegebenheit: im Erfahren ein Erfaßtsein des Menschen vom Geschehen, ein Über-ihn-Kommen des Unabwendbaren, im Erfassen ein Gegenüberbleiben, gleichsam ohne sein Berührtsein, oder doch unabhängig davon." 161 Als den bisher geschilderten Emotionalphänomenen verwandt wird dann das „Widerstandebewußtsein der gehemmten Aktivität" herausgestellt, wobei allerdings nicht mehr bloße Rezeptivität des Menschen, sondern „zuvor eingesetzte Spontaneität" vorliegen soll. Im weiteren wird dann aber überhaupt die Unterscheidung „rezeptiv-spontan" als gewissermaßen überflüssig bezeichnet. „In allem Erfahren und Erleben sind bereits Rückschläge auf die Eigentendenz der Person enthalten und machen sich als Wesensmomente in der Form des Betroffenseins geltend."162 Obwohl alle emotionale Begegnung mit dem Seienden nach Hartmann dessen Realität verbürgen soll und nicht nur, entsprechend der Behauptung Schelens, die voluntativ-spontane, so betont auch Hertmann, daß in den „Momenten des Wideretanderfahrens" die „Gegebenheit von Realität eine eigentümlich verdichtete Form annimmt". Zur Erläuterung des eingesetzten Realitätsbegriffs heißt ee dann, daß hier ebenso das materielle wie das geistige Sein als „reales" gemeint sein soll. Als ontologischer Rahmen und umgreifendes Seiendes wird die einzige Realzeit genannt, in der sowohl physische wie geistige „Realitäten" entstehen und vergehen.168 Noch einmal wird betont, daß das Erkennen den Emotionalakten gegenüber „ontisch sekundär" sei, daß es erst „nachhinke". 135

Emotional-rezeptiven, auf die Gegenwart bezogenen Akten stellt Hartmann dann emotional-antizipierende (prospektive), also in die Zukunft hineinweisende Akte gegenüber. Auch das bei den letzteren vorliegend« „Rechnen mit dem Kommenden" sei Beleg für eine „echte Realitätsgewißheit", ein „Vorbetroffensedn" von dem Realen. Der in der Realzeit stehende Mensch vermöge sich eben in die Zukunft zu werfen. Und er sei vollkommen überzeugt davon, daß in der Zukunft die Quelle von neu auf ihn Zukommendem liegt, möge auch sein Wissen um die besondere Beschaffenheit des anrückenden Realen höchst „lückenhaft" sein und möge er auch um diese seine Unzulänglichkeit wissen. Es liegt nach Hartmann gerade im „prospektiven Akt der E r w a r t u n g . . . . ein Realitätszeugnis von ganz eigenartiger Gewichtigkeit". Dies hängt in seiner tiefsten Beweiskraft damit zusammen, daß der Mensch angesichts dessen, was er fürchtet, seine vollkommene Ohnmacht verspürt. 164 Hartmann spricht vom Erlebnis der „ontischen Gleichgültigkeit des Anrückenden", der ein Gefaßtsein im Vorbetroffensein entgegengesetzt werden kann, die aber auch zur Realisierung eines anderen hohen Lebenswertes treiben kann, der optimistiskäien Hoffnung.1®5 Zu den emotional-prospektiven Akten zählen weiter solche, bei denen der Mensch den aktiven Vorgriff in die Zukunft νοτnimmt: die Spontanakte. Sie sind „die Grenze des Ausgeliefertseins und der Schicksalhaftigkeit; sie sind Macht, die der Mensch von sich aus der eigenen Ohnmacht entgegensetzt. Sie sind recht eigentlich das Wunder des Menschenwesens: sie bewegen das Anrückende schon im Herankommen, gleichsam aus der Ferne; und in den Grenzen menschlicher Vorsehung und menschlicher Machtmittel meistern sie es". 1 " Auch diese Akte also sind transzendent, wenn auch die Transzendenz hier von besonderer Art ist, weil sie nicht in der Gegebenheit des Realen, sondern in der Tendenz besteht, es erst hervorzubringen. Sie ist aber eben darum noch schwerwiegender als die Transzendenz aller rezeptiven Akte, und das Bewußtsein von der einen, realen Welt wird hier „noch einmal in neuartiger Gewichtigkeit zur Gegebenheit gebracht". 1 ' 7 Hartmann sieht das „zweite Realobjekt der Handlung, des Wollens, ja schon der Gesinnung" in der fremden Person. Hier gibt es das Phänomen einer sittlich getönten „Rückbetroffenheit" 136

des Menschen von den Handlungen her, die er anderen Menschen gegenüber ausübt. Darum gibt es hier „ein Realitätsgewicht, das sich ins Ungeheure steigern und jede äußere Härte des Realen übertreffen kann." 188 Wir verfolgen die Hartmannschen Gedankengänge, die sich an dieser Stelle auf die Fremdpersonen beziehen, nicht weiter, weil Realität dieser Art eines Beweises nicht zu bedürfen scheint. Sagt doch Hartmann selbst, daß „keine skeptische oder idealistische Theorie den Personen in gleicher Weise die Realität abzusprechen gewagt hat wie den Dingen".169 Bei der Alternative „Realismus — Idealismus", eo, wie sie überwiegend in der Geschichte der Philosophie herausgestellt worden ist, geht es ja auch immer um die „Bewußtseinsimmanenz" resp. „Bewußtseinstranszendenz" der physischen Welt. Und auch die Hartmannschen „Beweise" beziehen sich überwiegend auf das nichtpersonale Seiende. b)

AUSEINANDERSETZUNG

MIT

DIESEM

ANSATZ

Wir begeben uns in die Auseinandersetzung mit den kurz dargelegten Gedankengängen, in denen Hartmann die „Realität" des nichtsubjektiven Seienden von den Emotionalfunktionen des Menschen her sichern will. Dabei muß zunächst darauf hingewiesen werden, daß das Seiende, das durch Emotionaltendenzen des Menschen getroffen werden kann, immer im Horizont dessen steht, was Hartmann „Wertbehaftetheit" oder „Wertdurchtränktheit" nennen könnte. Wertfreies Seiendes wäre von emotionalen Verhaltungsweisen her niicht zu erfassen. Emotionalakte sind stets, in positivem oder negativem Sinne, interefssenehmende Akte. Und Seiendes kann ihnen nur begegnen als etwas, das Interesse erweckt: dem man sich nähern oder das man fliehen möchte, das man fürchten kann oder erhoffen kann, dem gegenüber man sich anhänglich oder treulos, herrschsüchtig oder hingebend verhalten kann. Es muß gefragt werden, was es bedeutet, daß die „Wertdurchdrungenheit" des Seienden bei der Emotionalbegegnung mit ihm nie fartzuwisehen ist. Und es muß weiter bedacht werden, daß der „Seinsraum", der sich so erschließt, immer ein Raum ist, in dem man sich nur in der Weise des Entscheidens bewegen kann. 137

Entscheidungen, zu denen der Mensch hier also genötigt ist, gründen unabdingbar in „ethischen" Stellungnahmen. Kein Tun, auch das scheinbar „ungeistigste", kann jemals aus dieser Sphäre des „Ethischen" herausgleiten. Alles handelnde Umgehen mit dein Seienden kündet von Grundentscheidungen des Menschen über den Sinn des Seins und seiner selbst, und diese Grundentscheidungen fallen als „sittliche". Die Weise, wie sich Mensch und Seiendes im emotionalen, immer auch „ethischen" Raum begegnen können, läßt den Menschen sein eigenes Sein und das des übrigen Seienden mit einem ursprünglichen, unvergleichlichen und übermächtigen „Gewißheitserlebnis" verspüren. Wäre der Mensch nicht imstande, etwas zu erhoffen, etwas zu fürchten, an etwas zu scheitern, über etwas in Seligkeit zu geraten oder zu verzweifeln, so eröffnete sich ihm nichts von der Tiefe seines Seins und damit auch des übrigen Seienden. Die „Überzeugungskraft" als seinserschließende, von der wir sprechen, ist also etwas, was nur von dem „wertdurchdrungenen" Seienden her zum Zuge kommen kann. In der Seinsweise dieses Seienden muß es also beschlossen sein, daß es in solcher Weise in Begegnung eingehen kann, daß es die „Anheftemöglichkeit" für so etwas wie „Furcht", „Hoffnung", „Planung" oder „Beiseitelassen" hergibt. Das hocherregte Meer muß den Wesenszug an sich tragen können, als das „Bedrohliche" aufzuscheinen, und gerade von da aus seine tiefste Seinsmacht zu entfalten. Die Möglichkeit des Menschen also, in interessenehmendem und Entscheidungen fällendem Verhalten mit dem Seienden umgehen zu können, verschränkt sich mit der am Seienden haftenden Möglichkeit, „brauchbar" oder „unbrauchbar" sein zu können. Das in den emotionalen Verhaltungsweisen begegnende Seiende ist also gekennzeichnet durch die Verwendbarkeit, die Bewandtnis, die es damit im Hinblick auf unser Interesse hat. Martin Heidegger hat von hier aus die ursprünglich sich für uns auftuende Seinsweise des Seienden „Zuhandensein" genannt.170 Ihm zufolge hat allerdings der Mensch die Möglichkeit, sich des Interessenehmens weitgehend zu begeben und sich überwiegend erkennend zu verhalten. Das Erkennen trachtet danach, das Seien138

de neutralisierend anzuschauen. Neutralität meint hier, daß das Erkennen nicht auf die Verwendbarkeit des Seienden achtet, sondern nur darauf, wie dieses „sachlich" beschaffen ist. Das Erkennen ist nach Heidegger ein „fundierter Modus" des menschlichen Verhaltens — fundiert deshalb, weil der Mensch, sowie er „da" ist, immer schon und in der Frühe seines Daseins Zuhandenseiendem begegnet ist, und weil sein Erkennen sich nur von diesem ursprünglichen Auftreffen auf das Seiende her entfalten kann. Indem es sich aber entfaltet, werden die Zuhandenheitszüge des Seienden fast ganz zum Erlöschen gebracht. Das Seiende wird als ein Vorhandenes angesehen, kann vom Erkennen nur so verstanden werden. Natürlich kann das Vorhandene wieder in die Verwendbarkeit zurückgerissen werden. Aber das ist nur möglich, wenn sich ihm von neuem besondere emotionale Verhaltungsweisen des Menschen zuwenden. Das „reine Erkennen" ist nicht imstande, das Zuhandensein als an Entscheidung appellierendes Sein überhaupt zu fassen. Hartmann betont nun, und zwar in einer Auseinandersetzung mit den von ihm allerdings mißverstandenen Unterscheidungen Heideggers, daß es doch „dasselbe" Seiende sei, das in den Emotionalfunktionen konstatiert werden und das dann auch vom Erkennen untersucht werden kann.171 Er will ja einen Realitätsbeweis von den Emotionalfunktionen her liefern. Realität aber wird dabei von ihm als vom erkennenden Menschen unabhängiges, mit festen kategorialen Wesenezügen anisgestattetes An-sich-Sein im Sinne des herkömmlichen Realismus verstanden. Somit ist nach Hartmann das, was durch die Emotionalfunktionen erschlossen wird, die bloße Vorhandenheit. Es muß dazu wiederholt werden, daß das Seiende auch als solches Vorhandene verstanden werden kann und daß es sich dem „wertfreien" Erkennen als Anheftstelle „neutraler" Bestimmungen darzubieten vermag. Von daher leuchtet jedoch nicht mehr jene „von Realität überzeugende" Urgewalt auf, die dem emotional begegnenden Seienden eigen ist. Der die „sittliche" Entscheidung herausfordernde „Ruf" dee Seienden an den Menschen, der in den Horizonten der emotionalen Betroffenheit erklingt und der dem Menschen den eigentlichen 139

Sinn und die eigentliche Schwere seines Seinmüssens verkündet: dieser Ruf verhallt und wird unvernehmbar für das bloße Erkennen des Menschen, das die Bestimmungen des Seienden nur anzuschauen trachtet. Wir sprachen von der Schwere des menschlichen Seinmüssens. Sie, diese Schwere, ist zu verstehen von den Anforderungen des Seienden her und damit zugleich von dessen Möglichkeit aus, sich als das Zu-Überwindende zeigen und entsprechend „an sich halten" zu können. In diesem Sinne kann das Zuhandensein ein An-sichsein genannt werden. Dieser Modus von An-sich-eein wird von der geläufigen erkenntnistheoretischen Alternative „Realismus-Idealismus" überhaupt nicht getroffen. Von jenem „Ansichsein" wird man nun allerdings zugleich sagen müsisen, daß es nur Sinn haben kann, wenn auch der Mensch da ist. Hartmann spricht davon, daß in den Emotionalprozessen des „Erfahrene", „Erlebens", „Erleidens" dem Mensdien etwas „widerfahre" und daß sich so unabweisbar die Realität des Widerfahrnisses in der Betroffenheit ankündige. Man wird antworten müssen, daß diese Widerfahrnisse nicht verständlich sind ohne den Menschen, auf den sie zustoßen können. Gibt es kein Wesen, das „betroffen" werden bann, weil es gar nicht die „Auffangmöglichkeit" dafür hat, so wüßte man nicht, warum das Seiende mit der Möglichkeit ausgestattet sein sollte, zu „betreffen". „Betroffenheit" ist sicherlich etwas, was „zustößt". Was aber solches Zustoßen bedeutet, ist nur von daher zu verstehen, daß der Mensch standhalten oder versagen kann. Und das „Von-außen-Kommen" dieses Zustoßens dürfte nur als die hier an den Menschen herantretende Aufforderung, als dieser Ruf verstanden werden. Solche Aufforderung kann nicht ohne das Seiende zum Zuge kommen. Sie erhält nur dann einen Sinn, wenn der Mensch und das Seiende einander begegnen. Insofern dringt sie „von außen" auf den Mensichen ein. Andererseits hat die „Zudringlichkeit" des „Außen" keinen Sinn, wenn nicht der Mensch als „Zu-Bedrängender" da ist. 140

Das An-sich-sein als Zuhandensein ist also „unabhängig" vom Menschen, aber es kann nur als „mit ihm zusammenseiend" gedacht werden. Es hat die Unabhängigkeit eines für die Entscheidungen des Menschen entbreiteten Feldes. Martin Heidegger hat, wie erwähnt, die Seinsweise des Seienden, derzufolge der Mensch in interessenehmendem Verhalten mit ihm umgehen kann, Zuhandensein genannt. Dieses Wort erscheint in dem Werk „Sein und Zeit" zunächst weitgehend bei Hinweisen auf Fälle des praktisch-konkreten Hantierens. Im Verfolg erweist sich jedoch „Sein und Zeit" im Hinweis auf die mögliche Eigentlichkeit und Unedgentlithkeit des menschlichen Daseins, in der Tiefe seiner Schuld — und Gewissensanalysen, in der Deutung des menschlichen Seins als eines „Seins zum Tode", in der Darlegung der Existentialien Sorge, Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit als ein Werk, in dem die Frage nach dem Sinn von Sein in weitestem Sinne von „ethischen" Horizonten her beantwortet wird.172 Diese Horizonte sind so maßgebend, daß Heidegger später im „Humanismusbrief" die Beantwortung der Frage „Warum schreiben sie keine Ethik?" als überflüssig bezeichnen konnte.173 Heideggers Sein ist Ruf an den Menschen, Freigabe seiner in die Freiheit des Sich-Entscheidenkönnens, des Sich-zu-sich-selbstVerhaltens, Das Sein läßt in seiner Geschichte, in seinem „Geschick" wechselnde Felder von Weltsinn frei, die dem Menschen zur „Hut" anbefohlen werden. Das Zuhandensein erweist sich von hier aus als diejenige Seinsweise des Seienden, in der dieses sich in ursprünglicher Weise als das Zu-Hütende zeigt. Heidegger hat mit tiefster Eindringlichkeit gezeigt, daß das nurerkennende Denken des Menschen für jene ursprüngliche Ausgesetztheit in die Felder der Entscheidung kein Verständnis mehr hat, daß es nur noch betrachten, „anstarren", kann. Er hat ebenso gezeigt, daß die vom Erkennen her allein verstehbare Sednsweise des Seienden die des Vorhandenseins ist, bei dem eine auf das „Umgehen-mit" bezügliche Entscheidung keine wesentliche Rolle mehr spielt. Solches durch neutrale Bestimmungen zu charakterisierende Vorhandensein aber kann der Mensch immer erst nachträglich, niemale „ursprünglich" verstehen. Er ist schon längst in die Weiten des Zuhandenseins eingewiesen, ehe er Seiendes als Vorhandenes „begreifen" kann. 141

Die Deutung dessen, was wesentliche „Realität" sei, ob Zuhandensein oder Vorhandensein, ist selbst der Entscheidung des Menschein anheimgegeben, und diese Entscheidung ist zugleich eine solche des Menschen über sich selbst. Er kann das Sein des Seienden als ein Zuhandeneein, ein Anvertrautsein verstehen und alle Ausgriffe zum bloßen Vorhandensein hin immer wieder zum Zuhandensein als dem Ursprünglichen zurückwenden. Er kann aber auch, in einem Versagen, vom Zuhandensein als Anvertraiutsein fortblicken und das Vorhandensein als das Wesentliche gelten lassen. In diesem Falle werden die besonderen Züge des Anvertrautseins der Tiefe ihrer Bedeutsamkeit entkleidet. Eine Ahnung von dieser Bedeutsamkeit kann dann Philosophierende dazu treiben, „Werte" als an-sich-seiende Entitäten, als eine Sphäre von besonders geartetem Vorhandenseiendem, zu setzen. Wir werden auf diesen Ausweg, den auch Hartmann ergreift, und der ihn in neue Wirrnisse geraten läßt, noch zurückkommen müssen. Die Neigung jedenfalls, das Verstehen des Anvertrautseins dem Verständnis des Vorhandenseins als solchem gleichzusetzen, bekundet ein Ausweichen des Denkenden, ein Fortsehen von dem, was den tiefsten Sinn seines eigenen Daseins ausmacht. Harfcmann hat, wie die Auseinandersetzungen in der „Grundlegung der Ontologie" zeigen, kein Verständnis dafür, daß das Seinedenken Heideggers grundlegend ein ethizistisches ist, ja eigentlich ein „überethizistisches". Denn das Wort „Ethik", insbesondere im Sinne einer „systematischen Teildisziplin" der Philosophie, wird von Heidegger als zu eng und zu ungenügend angesehen, als zu sehr belastet durch den Gebrauch, den die bisherige Philosophie davon gemacht hat. Eben jene Fehlverwendung aber hängt damit zusammen, daß man stets trachtete, das „Ethische" als etwas Besonderes neben dem „Ontologischen" zu benennen, wobei immer wieder der Primat des Vorhandenseins angenommen und gesetzt wurde. Weil Sein und „Ethos" als ein „Wohnenkönnen beim Sein" nicht voneinander zu trennen sind, weil sie dasselbe sind, darum ist ea unsinnig und gefahrvoll, von beiden in voneinander abgesetzten Disziplinen, ja überhaupt „in Disziplinen" zu sprechen.174 142

Jene Weise von „An-sich-sein", die mit dem Ruf am den Menschen zu tun hat, mit der Einsetzung seiner als desjenigen, der entscheiden muß, ist, wie wir sagten, niemals in neutralem Erkennen zu verstehen. Wenn Hartmann sagt, „Realität" erschließt sich nur den Emotionalfunktionen, so vergißt er zu betonen, daß dieses „Sicherschließen" eine einzigartige und von keiner erkennenden Deutung des Seins her zu fassende An-sich-seins-VerÄiindj/ngr bedeutet. Im Räume dieser Seinsverkündung ist der Mensch ganz und gar erfüllt, ja benommen von seinem Tunmüssen und den damit verbundenen Entscheidungen über sich selbst. Nicht, daß er hier nicht auch eine „Sicht" für das Seiende hätte:. aber diese Sicht ist völlig anders geartet als das Nur-Betrachten des erkennenden Verhaltens. Sie ist „überspielt", „überrannt" von der Notwendigkeit des Sichentscheidens, die sich für den Menschen im Umgehen mit dem Seienden auftut. Sie verspürt sich im Grunde gar nicht als Sicht, sondern als umfangen von etwas anderem und Wesentlicherem. Hartmann erwähnt bei seinem Versuch, von den Emotionalfunktionen her die Realität im Sinne der Vorhandenheit zu „beweisen", die „ontisdie Gleichgültigkeit des Anrückenden", der der strebende, wollende, hoffende Mensch begegnet. Es muß gesagt werden, daß gerade das Verspüren solcher „Gleichgültigkeit" ein tiefer Wesenszug im Verstehen des Zuhandenseins ist. Es liegt in ihm die Aufforderung zum „Fertigwerden-müssen-mit". Ja, die Gleichgültigkeit kann als solche überhaupt nur verspürt und als quälend empfunden werden von Verhaltungsweisen des Menschen her, die mit dem Seienden umzugehen trachten. Das Erkennen kann auf solche Gleichgültigkeit gar nicht als auf etwas Erwähnenswertes stoßen, weil es sie in seiner rein-betrachtenden Kühle schon immer als selbstverständlich gesetzt hat. Das hier aufleuchtende „Vorhandensein" ist dem Bezirk jener Entscheidungen entzogen, von denen her die „Gleichgültigkeit" als solche überhaupt bemerkt werden kann.

E.s wäre im übrigen zu eng, wenn man ein Phänomen wie die „Gleichgültigkeit" des Seienden nur von seiten seiner Härte und seines Lastcharakters her sehen würde. 143

Im Verstehen des Zuhandenseins entbreitet sich die Innigkeit eines unvergleichlichen Aufeinaniderangewiesenseinsi, das den Menschen und das Zuhandene übergreift. In dieser Innigkeit kann es den „unreflektierten" Dank für die Würde geben, die dem Menschen dadurch zuerteilt ist, daß ihm etwas zur Hut anbefohlen wurde. Es kann das Verständnis dafür aufbrechen, daß das Zuhandene im Grunde immer das Helfende ist, auch dann noch, wenn der Mensch im Lebenskampfe herbe betroffen wird. Daß er überhaupt betroffen werden kann und damit die Möglichkeit des Standhalten® hat, daß es dieses gibt: dieses allein gibt dem Menschen auch die Möglichkeit, über die Weise seines eigenen Seins entscheiden zu können. Im bloßen Erkennen erlischt das Verspüren dieser Momente, erlischt eine ursprüngliche Seinsgewißheit, erlischt die Innigkeit der Verbundenheit von Mensch und Seiendem. Versteht der Mensch das Seiende nur als Vorhandenes, durch feste Bestimmungen theoretisch Fixierbares, so wird an dem Urband zwischen ihm und dem Seienden gezerrt, ja, dieses Urband kann dann völlig weggeleugnet, übersehen werden. Und erst wenn das geschieht, kann von einer „unüberwindlichen Transzendenz" zwischen beiden Seiten gesprochen werden: von einer Fremdheit, Ferne, Spannung, Geschiedenheit, wie Hartmann es tut, wenn er die Phänomenbeschreibung der „Erkenntnis" liefert. Damit aber überhaupt mit Betonung solche „Geschiedenheit" konstatiert werden kann, muß schon ein ursprüngliches „Beieinander" von Mensch und Seiendem dagewesen sein. Wir haben die „Subjekt-Objekt-Spaltung" geschildert, die vom Erkennen vollzogen werden kann, und haben auf die Notwendigkeit ihrer „Unterwanderung" hingewiesen. Auch Hartmann spricht allerdings von dieser Notwendigkeit. Er sucht sie als Ontologe zu erfüllen, indem er von der gemeinsamen Umgriffenheit von Subjekt und Objekt durch das „Sein" spricht. Dieses Sein ist für ihn ein unendliches Gefüge von Stützpunkten, zwischen denen Relationen ausgespannt sind. In alledem wird nur mit „Vorhandenseiendem", Kategorial-Bestimmbarem, operiert. Man wird sagen müssen, daß in diesem Sinne die SubjektObjeikt-Spaltung in jedem gnoseo-ontologisdien Zirkel unterwan144

dert worden ist. Immer mußten ja beide Partner der „Erkenntnisrelation" im Sein untergebracht werden. Keine Kategorialontologie aber vermochte jene Urbindung zu benennen, die aller SubjektObjekt-Unterscheidung vorausliegt und in der der Mensch mit dem Zuhandenen gemeinsam und ursprünglich eingewiesen ist in den Raum der „sittlichen" Entscheidung. Was hier ist, kann nicht mehr kategorialisierend beschrieben werden, sondern muß in der Sorge um das eigene Sein anerkannt oder verworfen werden. Es geht hier auch nicht mehr um ein theoretisierendes Umgehen mit Modalkategorien, wie es Hartmann so ausführlich in seiner Schrift „Möglichkeit und Wirklichkeit" betreibt. Daß Hartmann sich solchem Kategorialdenken nicht entwinden kann, zeigt deutlich eine Bemerkung, die er zu Martin Heideggers „Existential" der Möglichkeit macht.175 Harfemann versteht „Möglichkeit" ohne weiteres als Kategorie, während dieses Wort bei Heidegger im Bezirk der „Sorge" steht und tief „ethizietisch" eingefärbt ist.176 Es ist im Grunde kaum faßbar, daß Hartmann immer wieder darauf insistiert, die Weise von „Ansichsein", die ihm zufolge durch die Emotionalfunktiooen und damit die Entscheidungen des Menschen „entdeckt" werden kann, einfach identisch zu setzen mit bloß „Vorhandenem". Er versteht in dieser Identifizierung und in seiner Aueeinandersetzung mit Heidegger überhaupt nicht, worauf es Heidegger ankommt: darauf nämlich, das An-sich-sein des Seienden von jener Seite her zu packen, von der her es den Menschen mit ganzer Gewalt und höchster Mächtigkeit anspricht. Daß er, Hartmann, dieses nicht versteht, ist letzten Enldes nicht ein theoretisches Unvermögen, sondern, wie wir schon angedeutet haben, eine „ethische" Entscheidung. In der Anerkennung des Zuhandenseins liegt ein Bekenntnis zum wesentlichen Sinn des Seins vor. An einer ganzen Reihe von Stellen seines Werkes führt Hartmann die Überzeugung des „natürlichen" Menschen und seines gesunden Verstandes als Beleg und „verwissenschaftlichen Beweis" für seinen Realismus an. 10 Kanthack., Haitmann

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Audi hier wird gesagt werden müssen, daß der „erkenntnistheoretisch nicht belastete" Mensch die Realität des Seins in ursprünglicher Weise darin verspürt, daß er sich schlicht und vorreflektiv den Rufen, Forderungen und Nötigungen des Seienden ausgesetzt fühlt. Die theoretische Alternative „Realismus — Idealismus" als gnoseologische Fragestellung, von der her Hartmann den „natürlichen Realisten" als Verbündeten in Anspruch nimmt, kommt gar nicht in das Blickfeld jenes Harmlosen. Und wenn ein solcher Mensch zugibt, daß der Berg, auf den er von seinem Hause aus schaut, auch dann da ist, „wenn kein Mensch ihn vorstellt", so wird diese Einräumung immer durchtönt sein von der Erwägung, daß „dann nicht in der Weise des Sichfreiuens oder Verärgertseins, des Bezwingens oder Versagens mit dem Berge umgegangen werden kann". D. h., der Berg bleibt für den natürlichen Realisten immer bezogen auf den Horizont menschlichen Tuns; seine „unabhängige Realität" wird von hier aus gesichtet. Sobald jener Mensch aber die „realistische These" in bewußtem Gegensatz zur „idealistischen" ausspricht, ist er kein „natürlicher" Realist mehr. Es sei noch eingegangen auf jene Argumentation, die Hartmann von der Tatsache her vorträgt, daß es ja emotional-prospektive Tendenzen gibt und daß, seiner Meinung nach, derartige Akte in besonderer Weise Reales »als An^sich-Seiendes entdecken. Sie sollen die Konstanz, den Weiterbestand des Seienden außerhalb der Begegnung mit dem Menschen mit höchstem Nachdruck „aufleuchten" lassen.177 I

Hier miuß gesagt werden, daß „prospektive" Tendenzen, sobald sie emotional getönt sind, nur sinnvoll sein können in Bezug auf das Umgehen mit dem Seienden, d. h. im Raum des Zuhandenseins. Ja, das Zuhandensein ist immer, um überhaupt verstanden werden zu können, an die Prospektion des Menschen verwiesen, an sein „Sich-vorweg-sein-können". Nicht die primitivste Handlung kann ihrer Seinsstruktur nach anders als mit Hilfe und auf die Weise von Prospektionen vollzogen werden. Denn das „Woraufhin" einer Handlung allein ist es, was das Zustandekommen der Handlung ermöglicht. Die Überzeugung vom „Wiederauftreffenkönnen" auf das in die prospektiven Akte eingebundene Sedende ist ein integrierendes Moment bei allem „Umgehen-müssen-mit". 146

Bei den Emotionalakten des Menschen, die immer prospektiv sind, schwingt allerdings eines ständig mit: das Verständnis davon, daß Seiendes für ihn einmal nicht mehr zuhanden sein wird, weil er, dieser einzelne Mensch, sterben muß. Dennoch kann der Mensch im ursprünglichen Raum seiner Begegnung mit Zuhandenem dessen Sinn als einen über seinen eigenen Tod hinaus wesentlichen sichten, dieses aber immer nur in Bezug auf den Mitmenschen. „Ich will diese Kirche bauen, damit zukünftige Geschlechter von ihr her zu Gott gerufen werden können!" „Ich will mein Geld sicher anlegen, damit noch meine Erben davon Vorteil haben mögen!" Hier sieht der Mensch das Zuhandene als etwas an, mit dem andere Menschen umgehen können. Liebe und Haß zu diesen Menschen sind in die eigenen Entscheidungen eingeflochten. Das Seiende ist also auch in dieser über den Tod des Einzelnen hinausweisenden Sorge immer und unabweisbar mit dem Menschen verbunden gedacht. Nicht sein An-sich-sein als bloßes Vorhandensein interessiert, sondern sein Sein für den Menschen, den späteren Menschen, sein Sein als Zuhandensein. Die über den eigenen Tod hinausweisenden und in diesem besonderen Sinne „prospektiven" Tendenzen würden ins Wesenlose versinken, würden jeden Zugriff auf das Seiende unmöglich werden lassen, wenn nicht das eigene Tun als ein „Tun-für-Andere" da sein könnte. Was für einen Sinn hätte es für den letzten Menschen als den nur noch auf Leichname Blickenden, das Seiende prospektiv zu ändern? Er, dieser Letzte, zwischen Gräbern Stehende, müßte tatenlos erlöschen. Seine einzig mögliche Handlung wäre vermutlich ein Freitod in eisiger Einsamkeit. Eine Weiterfrietung des Lebens wäre nur dann verständlich, wenn in diesem Einsamen doch noch die Hoffnung da ist, einmal auf einen weiteren Übriggebliebenen zu stoßen. Auch derjenige, der „für Jahrtausende" schaffen möchte, denkt an das Seiende nur unter dem Gesichtspunkt, daß „spätere Generationen" mit ihm zu tun haben können. Gerade ein solcher Schaffender ist ja von einem tiefen, seinsbejahenden Affekt getragen, einem Affekt, in dessen Wärme das Seiende „seiender" werden soll, leuchtender und heller. Er möchte nichts anderes, als daß der Aufschwung, der ihn selber trägt, auch andere Menschen hinaufreiße zu großem ehrfürchtigen Staunen. 10·

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Emotional-prospektive Tendenzen treffen das Seiende also immer nur als Zuhandenes. Und als solches „verkoppeln" sie es stets mit dem Menschen. Was das Seiende jenseits von soldier Verkoppelung ist, bleibt dabei wesenlos. Der Hinweis auf die „Verkoppelung" aber bedeutet, um das noch einmal nachdrücklich zu betonen, unter keinen Umständen die „erkenntnistheoretische" Aussage, das Seiende sei nur „vorgestellt", existiere nur „bewußtseinsimmanent". Die Verkoppelung, von der die Rede ist, wenn es um das Zuhandensein geht, ist neutral gegenüber der alten Alternative „Realismus — Idealismus". Vielleicht ist es noch einmal notwendig, unsere Unterscheidung des Zuhandenseins und des Vorhandenseins und die Zurückweisung der Hartmannechen Mißverständnisse gegen den Vorwurf zu verteidigen, es handle sich dabei um eine Glorifizierung der menschlichen Subjektivität, ja, der Mensch werde bei dieser Deutung viel zu sehr in den Vordergrund des Seins gehoben. Es gibt ein Pathos gewisser Naturalisten, bei dem immer wieder aufgefordert wird, der Mensch möge seine „unendliche Kleinheit" im Verhältnis zur „Größe des Alls" anerkennen und demütig hinnehmen, daß er ein Nichts ist gegenüber den Weiten des Kosmos, von denen her seine Erscheinung nur eben als eine ephemere im Raum gewisser klimatischer Möglichkeiten zugelassen worden wäre. Er, dieser nur „en passant" entstandene Mensch, über den neue Eiszeiten oder Wärmevermehrungen hereinbrechen können, um ihn vollständig zu vernichten, möge sich nicht aufspreizen und zu wichtig nehmen. Wir weisen dem Subjektivismuis-Einwand gegenüber darauf hin, daß man ja wohl auch das „Übergriffenwerden" des Menschen und des übrigen Seienden durch das, was wir den Ruf genannt haben, als etwas deuten kann, das es nicht um willen des Menschen, sondern um willen des Seins gibt. Reinheit, Andacht, Mut, Liebe, Verantwortungsbereitschaft könnten nicht zum Sein gelangen, wenn es nicht die Verflechtung des Menschen mit dem Zuhandenseienden gäbe. Im übrigen ist es nicht einmal dem Naturalisten, dessen Appell wir soeben erwähnt haben, möglich, den Gefilden des Zuhandenseins zu entgehen. 148

Jener Appell will irgendwie ein „sittlicher" sein. Der Mensch soll zugeben, wie erbärmlich er in seiner Seinsausstattung beschaffen ist. E r soll dieses nicht nur rational erkennen, sondern aus dieser Erkenntnis die sittliche Folgerung ziehen, daß er sich zu beugen habe in einer Art von „Demut". Diese Forderung aber ist ein in die Seinsdeutung des Naturalisten einschießendes Einsprengsel, das hier durchaus nicht hinpaßt und höchstens als eine Ahnung von ganz anderen Verständnisinöglichkeiten aufgefaßt werden kann. In den Horizonten der naturalistischen Metaphysik kann alles „Ethos" dee Menschen nur im Zusammenhang mit dessen Selbsterhaltungsstreben verstanden werden, und es ist nicht recht ersichtlich, wieso der geforderte Seinsaffekt des Sichbeugens hier von Belang sein soll. Wenn Hartmann seine Lanze für den Realismus der „Außenwelt" bricht, so sieht er dabei als seinen Widerpart hauptsächlich den „erkenntnistheoretiechen Idealismus" an, der die Außensenwelt „bewußtseiasimmanent" sein läßt. Hartmann setzt also seinen eigenen, realistisch getönten gnoseo-ontologischen Zirkel gegen den andersgearteten des Idealismus in der Meinung, es könnte hier die Beweisbarkeit für die Richtigkeit seines eigenen Standpunktes geben. Daß dabei nicht nur zwei Gnoseologien, sondern auch zwei Ontologien gegeneinander stehen, erkennt er selber an. Steht doch ihm zufolge jede „Erkenntnistheorie" immer schon im Horizont einer umgreifenden Seinsdeutung.178 Er bemüht sich nun also, den Beweis für die Realität der „physischen" Außenwelt — denn die Entscheidung geht um diese, da die Realität der anderen Menschen vom Idealismus nicht bezweifelt wird — von den Emotionalfunktionen her zu führen. Und hier kann man nun sagen, daß sein Argument auch von geläufigen philosophischen Fragestelltingen her, Fragestellungen, bei denen das „Zuhandensein" nicht ausdrücklich benannt worden ist, in gar keiner Weise zwingend ist. Wenn es zwingend wäre, dann hätte die Sphäre, in der die Entscheidungen des Menschen ursprünglich angefordert werden, überhaupt nicht mit dem „Idealismus" zusammengedacht werden können. Die ganze Konzeption hätte sich von hier aus als sinnlos erweisen müssen. 149

Dieses ist aber durchaus nicht der Fall gewesen. Auch der Idealismus hat immer wieder betont, daß die Wirklichkeit, in der „gehandelt werden muß", für den Menschen eine Überzeugungsgewalt hat, der er sich nicht entziehen kann und darf. Der Idealismus hat immer Vorkehr getroffen, daß das „natürliche Realitätserlebnis" auch von seinen Aspekten her erhalten blieb. Er mußte zu diesem Zwecke über das „nur individuelle und vereinzelte menschliche Subjekt oder Ich" hinausgehen und eine übergreifende Instanz ansetzen, die transindividuell war und als der Lieferant der „Empfindungen" diente, handle es sich hier um den Gott Berkeleys oder etwa um das absolute Ich Fichtes. Es konnte so erklärt werden, warum für das individuelle Ich die Gegebenheiten der Außenwelt eben „von außen" zu kommen scheinen. Alles, was Nicolai Hartmann von den Widerständen, auf die die Emotionalfunktionen des Menschen treffen, her als Argument für seinen Realismus beizubringen sucht, kann genau so von den erwähnten Formen des Idealismus aus erklärt werden. Ja, ein Idealismus wie der Fichtesche, der die Welt das „verwirklichte Material der Pflicht" nennt, kommt sicher näher an das ursprüngliche Ansichsein als Zuhandensein heran als Hartmann mit all seinem realistischen Pathos. Es ist sogar von tiefster Eindruckskraft, daß sich das — wenn auch noch nicht benannte — Zuhandensein mit jeder möglichen Gnoseo-Ontologie zusammendenken ließ. Wir fassen zusammen: die Weise des Ansichseins, zu dem die Emotionalfunktionen als Entdeckungsinstanzen führen können, ist das Zuhandensein. In seinem Umkreis vollzieht sich die ursprüngliche und letztwesentliche Begegnung des Menschen mit dem Seienden. In ihr steht der Mensch immer schon, bevor er sich des Seienden erkennend bemächtigen kann. Tut er dieses letztere, und beschränkt er sich nun auf ein Verstehen des Seins, bei dem dessen eigentliche Seinsmacht nicht mehr verspürt werden kann, sieht er im Seienden nur noch das Vorhandene, so kann er in „theoretischen Erwägungen" diesem Vorhandensein einen „realistischen" oder „idealistischen" Sinn geben. Für die Wahrheit einer dieser Deutungen kann niemals von den Emotionalfunktionen her ein Beweis gefunden werden. Im Gegenteil: wenn der Sinn des Zuhandenseins und dessen Ursprüng150

lichkeit recht verstanden wird, dann muß gesehen werden, daß jene theoretische Frage überhaupt nicht entscheidunigsdefinit in kritischem Sinne ist, daß sie immer nur im gnoseo-ontologischen Zirkel beantwortet werden kann.

Wir haben bei unseren letzten Auseinandersetzungen mit der Hartmannschen Gnoseo-Ontologie von der Seinsweise des „Zuhandenen" gesprochen, und wir haben die Möglichkeit des Menschen aufgezeigt, sich dieser Seinsweise ganz und gar zu erschließen oder sich von ihr fortzustehlen, hin zu der Erkenntnis des Seienden als Vorhandenem. Die Zuwendung oder Vernachlässigung, von der so die Rede war, wird von dem Menschen, der sein konkretes Leben lebt, nur Selten nachdrücklich bedacht. Zumeist vollzieht er jene Bewegungen einfach durch sein Verhalten. Das Seiende kann für ihn in weitestem Sinne Zuhandenes sein. Er kann entschlossen sein, sich hier zu „engagieren". Das Seiende kann aber für ihn auch mehr und mehr zum Nur-Vorhandenen werden, er kann sich fatft rein intellektuellen Verhaltungsweisen hingeben. Der Denkende wird aber die Seinsweisen, die der Mensch dem Seienden zuweisen kann, ausdrücklich benennen müssen. Dieses geschah hier, indem auf die Unterscheidungen Heideggers eingegangen wurde. Nun hat auch Hartmann gesehen, daß die Sphäre, in Bezug auf die Gewiesensentscheidungen des Menschen vollzogen werden müssen, eine Berücksichtigung ihrer Eigenart im Raum eines Seinsdenkens verlangt. Das, was wir den „Ruf" dee Zuhandenen genannt haben, was mit dessen „Anvertrautheit" zu tun hat, was Aufforderung zur Entscheidung ist, sucht er in der Weise zu packen, daß er vom „idealen Ansichsein" der sittlichen Werte spricht. Er ist von seiner philosophiegeschichtlichen Herkunft aus, besonders durch seine Beziehung zu Max Scheler, in diese Lösung schon eingewiesen. Der „Wertabsolutismus", jener mit seinen Wurzeln weit zurückreichende ontologische Einfall, der in gewissen Jahrzehnten des vorigen und noch unseres Jahrhunderts Verbreitung fand, stellt den Versuch dar, die Aufforderung, in die das Zuhandene den Menschen hineinziehen kann, vom Seienden und seiner Konkretion 151

und vom Menschen selbst loszulösen und in eine Sphäre idealen Seins hineinzuprojizieren. Diese Sphäre kann dann als eine in ihren kategorialen Strukturen erfaßbare erscheinen. Und es läßt sich begreifen, daß es dem Schöpfer einer objektivierenden Ontologie als attraktiv erscheinen kann, seine Untersuchungen auch noch auf die genannte Region mit ihren inhaltlichen Bestimmungen auszudehnen. Man konnte dabei allerdings in merkwürdige Wirrnisse geraten. Einerseits war man nämlich — und hier ist der Name Schelers von höchster Bedeutung — zu der Einsicht gekommen, die Werte könnten nur im Fühlen des Menschen erfaßt werden. Es ist bekannt, daß Scheler der „logique du coeur" Pascals die Bedeutung eines solchen Fühlorgans zuerkannt hat. Andererseits aber versuchte man wieder, „das Reich der Werte" und seine Ordnungen in einer rationalisierenden Weise zu ergründen. Man mußte dieses tun, wenn man das Wertreich „kategorialanalytisch" behandeln wollte. Man vergaß aber von Anfang an, ®ich zu fragen, ob eine „logique du coeur" die Übersetzung in ein rationales Verfahren überhaupt zuließe und vertrüge. Man sah nicht, daß das unvergleichliche Wesen des „Fordernden" vollkommen verfälscht wurde, indem man ihm gegenständlich zu fassende, mit festen Bestimmungen ausgestattete „Entitäten", eben die Werte, unterschob. Jedenfalls tritt die Künstlichkeit und Gewaltsamkeit des ganzen Ansatzes sehr schnell in Erscheinung, wenn man sich die Schwierigkeiten und Widersprüche vergegenwärtigt, in die gerade der Hartmannsche Ansatz hineintreibt. Eis wird gesagt, daß es eine von allem menschlichen Wertfühlen unabhängige Zone der Werte gäbe, eine Zone, die auch nicht mit dem Realen als solchem zusammenfiele, sondern eine eigene Seinsweise besäße. Das, was wir den „Ruf" des „realen" Seienden als des Zuhandenen genannt haben, wird also gewissermaßen aufgespalten und zu einem Teil vom Realen losgelöst. Das „Reale" wird nur als die Gelegenheitsursache angesehen, als der Anstoß, der den Menschen zur Zone der ansichseienden Werte hinüberweist und der Determinationskraft jener „Entitäten" unterstellt. Denn von den Werten heißt es, sie könnten determinieren, sie strahlten gleichsam ein Sollen, also auch so etwas wie einen Ruf, 152

aus. Solcher Ruf soll allerdings keine zwingende Gewalt über den Menschen haben, sondern es soll in dessen Freiheit stehen, der Aufforderung Folge zu leisten oder nicht. Immerhin können die Werte nur dann rufen, wenn sie irgendwie gefühlt werden. Und hier gibt sich nach Hartmann das Wertreich dem immer in der Geschichte stehenden Menschen niemals in seiner ganzen Weite und seinem ganzen Reichtum als ein „Fühlbares". Hartmann sieht sich vielmehr, auch hier wieder im Anschluß an Scheler, gezwungen, von der „Wanderung des menschlichen Wertblickes" in der Geschichte zu sprechen, von der „Enge des Wertbewußtseins" und von dem Phänomen partieller „Wertblindheit" des Menschen.179 In den einzelnen Perioden des geistesgeschichtlichen Prozesses vermag der Mensch nur je bestimmte Ausschnitte des Wertreiches zu erfassen. Es ist auch nicht so, daß im Verlauf dieses Geschehens eine Anreicherung, eine Kumulierung stattfände in dem Sinne, daß immer weitere Partien des Wertreiches überschaut und nun mit den früher erfaßten zusammengenommen werden könnten. Die „Enge des Wertbewußtseins" verschuldet vielmehr, daß das, was nach der einen Seite hin gewonnen wird, auf der anderen verloren geht. Es treten zwar stets neue Werte in das Bewußtsein des Menschengeistes ein, aJber die Fühlfähigkeit für das in früheren Perioden Ergriffene stirbt ab. Und es ist nicht ersichtlich, welcher Gesetzmäßigkeit der wandernde Werbblick dabei folgt: ob er etwa immer weiter „in die Höhe" schaut oder sich wieder „Tieferem" zuwendet. Hartmann meint, die geschichtliche Bewegung des Wertblickes mache eher den Eindruck eines „planlosen Umherirrens". 180 Man muß von diesen Behauptungen her jedenfalls annehmen, daß jeweils die „Determinationskraft" gewaltiger und unübersehbarer Bereiche der ganzen Wertsphäre „in der Luft hängt". Was solches „In-der-Luft-Hängen" aber bedeutet, bleibt rätselhaft; um so mehr, als ja Hartmann es ablehnt, eine souveräne geistiggöttliche Instanz zu setzen, bei der das Wertreich eine Verankerung finden könnte. Man kann von dem Dargelegten aus nun zunächst fragen, wie denn überhaupt je ein Überblick über das gesamte Wertreich gewonnen werden könnte, wie, wenn man bescheidener wird, wenig153

tens das an Grundstrukturen hier durchschaut werden könnte, was eine Kategorialontologie doch wenigstens erfassen müßte, wenn sie ihr Geschäft irgendwie sinnvoll betreiben wollte. Hartmann, der nach solchen Strukturen Ausschau hält, ist dabei auffallend vorsichtig. Sein Zögern erklärt sich sicher daraus, daß er schon auf Versuche anderer Denker zurückblicken kann und muß. Diese früheren Beetreibungen aber hatten zu sehr verschiedenen Ansätzen geführt. Es lag demnach etwas wie ein „Skandal" der „Wertforschung" vor. Hartmann weist also darauf hin, daß die Frage, ob der Bau des ganzen Wertreiches ein- oder mehrgipflig sei, nicht beantwortet werden könne. Er läßt offen, welche Werte an die Spitze gerückt werden müßten. Er widmet der „Antinomik" der Werte breite Erörterungen, nämlich dem Phänomen einer Konfliktbeziehung zwischen positiven Werten als solchen.181 Es dürfte ja aber, wenn mit der Annahme einer „geschichtlichen Wanderung des Wertblickes" ernst gemacht wird, überhaupt gar nicht der Anspruch erhoben werden, auch nur gewisse Grundstrukturen des Wertreiches erkennen zu wollen. Hartmann fühlt das letztlich selber. Er spricht zwar von der „sekundären Wertschau" des Philosophen, die in ihrem Zusammenraffungen des historisch in Erscheinung Getretenen weniger an die „Enge des Wertblickes" gebunden sei als die „primäre" Blickweise und also einen größeren Aktionsradius habe. Aber er gibt zu, daß auch solche Versuche sich nur in den Grenzen dessen bewegen können, was der primären Wertsicht überhaupt aufgeschienen ist.182 Man wird hier noch mit Nachdruck ergänzen müssen, daß ja jeder Ordnungsversuch der zurückblickenden „sekundären Wertschau" immer nur vom Horizont der jeweils vorhandenen „aktuellen" Wertsicht vorgenommen werden kann und daß sich so viele Ordmmgsschemata ergeben müssen, wie es geschichtliche Haltepunkte für den vielleicht „planlos umherirrenden" Wertblick gibt. Die ontische Einweisung in eine zunehmend „richtiger" werdende Wertschau, eine Einweisung, die eine Parallele bilden würde zu dem in die richtige Gesamtontologie hineintreibenden Geschichtsfortschritt, von dem wir gesprochen haben, kann hier ja nicht angenommen werden. 154

Werte determinieren ihr Concretum nicht zwingend, sie können also auch den menschlichen Willen nicht mit zunehmendem Gelingen dazu treiben, sie selber und ihre Staffelung zu erkennen. Wenn folgerichtig gedacht wird, so müßte die Lehre vom möglicherweise planlos umherirrenden Wertblick jede Bemühung als sinnlos erscheinen lassen, sich überhaupt mit den Strukturen des einen Wertreiches zu befassen. Es fragt sich, warum der Ontologe Hartmann, der hier dennoch von Möglichkeiten der Erforschung spricht, noch auf Einsichten der Zukunft rechnet, warum er nicht zugeben will, daß von seinem Ansatz her der Relativismus der Wertschau nicht zu überwinden ist. Die Insistenz Hartmanns erscheint noch erstaunlicher, weil er die Entscheidung des Menschen und damit dessen Freiheit gegenüber dem Werthaften nachdrücklich zur Geltung gelangen läßt. Die Werte können ihm zufolge wohl „determinieren", aber ihre Determinationskraft ist so geartet, daß ein Mensch in freiem Entschluß bereit sein muß, sich ihr zu fügen, sie anzunehmen. Der Mensch entscheidet also, welcher der determinierenden Werte in das reale Sein hineingetragen wird und welcher nicht. Besonders nachdrücklich angefordert ist diese Entscheidung da, wo Wertantinomien vorliegen, wo sich Werte von je positivem Gehalt als einander ausschließend gegenüberstehen. Hier erscheint die wählend-schöpferische Tätigkeit des Menschen als' so autonom, so durchaus unabhängig von einer eventuellen an-sich-bestehenden Ordnung des Wertreichs, daß es unverständlich wird, wie eg noch möglich sein soll, diese Ordnung als eine konstante, vom Menschen unabhängige, jemals zu treffen. Man fragt sich an solchen Stellen immer wieder, warum die Lehre vom idealen An-sich-sein der Werte nicht fällt und stattdessen die Bedeutung des „realen" Seienden als des Zuhandenen aufleuchtet. Sieht Hartmann doch, daß der Mensch seine Entscheidungen immer in geschichtlicher Situation fällen muß, im Sturmwirbel der Bedrängtheit durch das Seiende. Und spricht er doch selbst davon, daß sich von hier aus die „Realitätsgewalt" des Seienden mit einzigartigem Nachdruck aufdränge. Der sich in echter Weise entscheidende Mensch tut das, was ihm in der jeweiligen Begegnung mit dem Seienden als das Not155

wendige, eigentlich. Wesentliche, erscheint. Er tut es — auch nach Hartmann — fast nie in bewußter Reflektion auf den „Wert" seiner Handlung. Er ist vielmehr ganz und gar hingegeben an das, was sein Gewissen ihm zuruft. Er ist benommen, ist gleichsam angefüllt von dem, was getan werden muß. E r löscht sich selber dabei aus und gewinnt sich dabei erst selber: in dieser, vom Verstand nicht zu erfassenden, in jedem reinen Leben aber durchgestandenen Paradoxie liegt das Geheimnis alles eigentlichen Tuns. Gewiß könnte der Sinn der Handlung, zu der er sich verpflichtet fühlt, ganz im groben als eine „Wertbevorzugung" bestimmter Art beschrieben und dargestellt werden. Aber in einer solchen Airnagelung von „Wertentitäten" würde nidits mehr reflektieren von der Not des Gewissens, aus der heraus der Mensch in seiner geschichtlichen Lage ohne Stütze und Hilfe jene „Wertordnung" sich aufbauen muß, von jeder neuen Lage her neu aufbauen muß. Denn was als das „Wertvolle" erspürt wird und wie es anderem „Wertvollen" gegenüber „eingeordnet" wird: dies vermag ein Mensch innerhalb seines Lebens nie anders zu sehen als in immer erneutem Ringen von der immer erneuten Situation her. Unendlichkeiten von Nuancierungen sind hierbei jedesmal erfordert, Nuancierungen, die zu benennen keine Wortsprache jemals hinreichen kann, denen gegenüber der Versuch, „Strukturen" geben zu wollen, als eine wahrhaft „terrible Simplifikation" erscheint, eine Simplifikation, die schlechthin überflüssig ist, da sie niemals den einzelnen Fall treffen kann und der Mensch andererseits immer in der unikarischen Situation steht. Die Neigung, „Wertreiche" als absolute ansetzen und ihre Ordnung aufdecken zu wollen, kündet der Haltung dessen gegenüber, der sich wirklich „angefordert" fühlt, von einem „ Sich-selberwichtig-Nehmen". Der sich ganz hingebende, ganz dem Gebot des „Augenblicks" Ergebene ist viel zu sehr eingehüllt in das Klima der Entscheidung, die er fällen muß, um sich Erwägungen über die „Rangordnung der Werte" hinzugeben. Und auch als Philosoph wird er eine Scheu gegenüber den immer unzulänglichen Fixationen einer „sekundären Wertschau" haben, dem Versuche eines Schauens, das doch nie zum Ziele gelangen kann. Er, dieser wirkliche Philosoph, wird spüren, daß die „wissenschaftlichen Bedürfnisse", hier noch „Strukturen" angeben zu wollen, nur zerstören und Unwahrhaftigkeit erzeugen können. 156

Hartmann spricht an anderer Stelle davon, daß die Wissenschaft und die Philosophie deswegen zu einem Gelingen kommen könnten, weil der Mensch die Tendenz hat, die Natur zu beherrschen, un,d weil er das nur kann, wenn er vom „ Ganzen" mehr und mehr kennen lernt.183 Hartmann setzt damit die Deutung, die neuzeitliches Menschentum vom Sinn des Menschen gibt, als schlechthin gültig an. Es fehlt ihm der Blick dafür, daß, sowohl in abgelaufenen Jahrhunderten der abendländischen Geschichte wie in den Weiten und Tiefen der Geistesregionen Asiens etwa der Mensch sich durchaus nicht als ein Wesen angesehen hat, dessen Grundsinn der Angriff auf das übrige Seiende, die Erlangung der Macht darüber, ist. Wenn sich aber der Mensch selbst als Macht- und Herrschaftswesen sieht, und zwar so weitgehend, daß, wie bei Hartmann, der Horizont des Göttlichen nicht nur als antinomial angesehen, sondern im Grunde fortgewischt wird, dann kann der Entwurf von Wertreichen nichts anderes bedeuten als die Vergegenwärtigung der Ziele des eigenen Machtwillens. Bei Hartmann ist diese Haltung in schroffstem Sinne verwirklicht. Ein Reich ewiger Werte, für das es keine transzendente Stützung gibt, kann nur dann gesetzt werden, wenn der Mensch sich mit seinem Handeln so wichtig nimmt, daß er überzeitliche Normen dieses Handelns für sich, einzig und allein für sich, ohne die Ahnung eines tieferen Seinsgrundes, zu beanspruchen wagt.

Wir tragen noch einen weiteren Einwand gegen die Deutung des menschlichen Ethos vor, die bei Hartmann vorliegt. Unser Bedenken hängt damit zusammen, daß die in sittlicher Unbedingtheit vollzogene Handlung immer und zu jeder geschichtlichen Zeit gleich wesentlich ist. Der Mensch, wie ihn Hartmann sich vorstellt, müßte nun aber an seinem geschichtlichen Ort je in einen bestimmten partiellen Werthorizont ausgesetzt sein. Sein Pflichterlebnis muß dabei so erklärt werden, daß er in dem ihm je vergönnten Sektor der Wertwelt das „Höhere" dem „Niedrigeren" vorzuziehen entschlossen ist. Jenseits von ihm, und niemals von ihm vernehmbar, gäbe es die ansichseiende Determinationsikraft ungeahnter „ Wertreichausskhnitte". 157

Die sittliche gute Entscheidung kann sich dann — unter Berücksichtigung der Enge des Wertbewußtseins — vom Wertreich her immer nur als Entscheidung für den „höheren" Wert innerhalb des Ausschnittes, der sich überhaupt zeigt, ablesen lassen. Jedenfalls gibt es objektiv noch wertvollere Handlungen. Es leuchtet nach Hartmann ein, „daß die geschichtlich und individuell variierende Auffassung der Rangordnung, bzw. ihre subjektive Relativität, keineswegs ihrer objektiven Absolutheit vnderspricht. Die Begrenzung bringt es nämlich mit sich, daß auch die Höhenverhältnisse immer nur im Ausschnitt geschaut werden, und daß jeweilig derjenige Wert als! höchster gilt, der innerhalb des erschauten Ausschnittes als höchster erfaßt ist. In weiteren Wertzusammenhängen kann er sich deswegen sehr wohl als untergeordnet erweisen." „Darum ist die Rangordnung der Werte selbst etwas absolut Invariables, während die VorzugsregeLn in der Geschichte noch prinzipiell variabel sind." 184 Es gibt demnach Handlungen und Entscheidungen des Menschen von objektiv größerem oder geringerem Wert, wofür der Mensch allerdings „nichts kann". E s ist sein Schicksal, sein geschichtliches Schicksal, welche Werte er anderen Menschen gegenüber überhaupt realisieren kann oder nicht. Wir kommen auf die Frage zurück, ob eine solche Konzeption mit dem Phänomen zu verbinden ist, daß die reine „sittliche" Handlung und Haltung uns als das zu allen Zeiten „Gleiche" erscheint, als das, was keinesfalls von Relativierungen betroffen werden kann. Hartmann will mit seiner Lehre vom „wandernden Wertblick" her die Geschichtlichkeit des menschlichen Wertfühlens treffen. Diese läßt sich aber niemals vom Gesichtspunkt der „Ausschnitthaftigkeit" des Wertbereiches her benennen. Hier müßte ein ganz anderes Seinsdenken einsetzen. Es liegt weiter bei der Konzeption Hartmanns eine eigentümliche, sagen wir „ontologische" Sorglosigkeit hinsichtlich der Entscheidung des Menschen und ihrer Bedeutung vor. Ob der Mensch diese oder jene Entscheidung trifft: das Sein der Werte wird davon nicht berührt, nicht verändert, nicht erschüttert. Es besteht in sakrosankter, in unantastbarer Reinheit und Unbetroffenheit. Es gibt die objektive Ordnung der Werte; und weil es sie 158

gibt, ist die Entscheidung des Menschen relativ unwesentlich, ist sie etwas Nur-Sekundäres. Solcher Loslösung des „Ethischen" von den Entscheidungen des Menschen, solcher „Bewahrung" von Verbindlichkeiten jenseits des menschlichen Einsatzes — und zwar der Rangordnung jener Verbindlichkeiten — entspricht ein anderer Gedankengang Hartrnanns, der mit seiner Theorie vom „objektiven Geist" zusammenhängt.185 Der objektive Geist ist für dieses Denken ein überindividuelles Wirkphänomen, ein ontisiches Prinzip, das mit einer von Hartmann sehr nachdrücklich betonten Dominanz in das Geistessein der Individuen bestimmend hineingreift. Es scheint nun zunächst so zu sein, daß das Individuum dem, was der objektive Geist in ihm steuert, mit sedner freien Entscheidungskraft entgegenzutreten und eich so mit den angebotenen Gehalten auseinanderzusetzen vermag. Dann aber ist bei Hartmann von einer „Unechtheit" des objektiven Geistes selbst die Rede, von „Schäden" dieses Geistes, von Trivialitäten und Unsauberkeiten, die eben in ihm, dem objektiven Geist selber, ruhen können.186 Es wird also von einer sittlichen Makelhaftigkeit jenes objektiven Geistes als solchem und fern von den Entscheidungen der Individuen gesprochen. Diese letzteren werden mit einer hintergründigen Seinsgewalt in Verfehlungen hineingesteuert. Es kommt dabei nicht auf sie selber an; so etwas wie „Entscheidung" spielt hier überhaupt nicht mehr mit. Man muß statt dessen von „sittlich negativer" ontischer Prägung der objektiven Geister sprechen, wobei die Seinslehre Hartmanns völlig offen läßt, woher solche Prägungen kommen. Der sittliche Aspekt jener Prägungen verweist im Grunde auf die Ansetzung eines ethisch gefärbten Seinsgrundes. Diesen aber gibt es bei Hartmann nicht. Es gibt nur das ideale Sein der Werte, und diese vermögen nicht das zu leisten, wasi hier Voraussetzung wäre: nämlich den objektiven Geist in seiner Geschichtlichkeit je mit Gehalten und mit einem höheren oder geringeren Grad von Makelhaftigkeit auszustatten. Hartmann glaubt nun, seine These von den „Unechtheiten" des objektiven Geistes mit dem von Heidegger so intensiv herausgestellten Phänomen des „Man" in Verbindung bringen zu kön-

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Dazu ist zu sagen, daß das Seinsdenken, das hinter Heideggers Struktur des „Man" steht, gänzlich verschieden ist von dem· ontologischen Denken Hartmanns. Die Entscheidung, ob der seinsverstehende Mensch „eigentlich." oder „uneigentlich" zu existieren vermag, ob er also in das „Man" zergleitet oder sich aus solchen „Verdeckungen" und „Beirrungen" zu befreien vermag: diese Entscheidung ist rein in die Hand des Menschen selbst gegeben und hängt von seiner Freiheit ab. Gewiß wird nach Heidegger der Mensch geschichtlich in wechselnde „Felder" dfes Seinsverständnisses eingewiesen. Gewiß birgt auch jedes dieser Felder Gefahren, denn es muß ja die Anforderung zur Bewährung an den Menschen herantragen. Aber hier liegt etwas ganz anderes vor, als Hartmann meint, wenn er sagt, der „unechte" objektive Geist steure die Individuen der Periode, für die er maßgebend ist, und habe schon immer über ihre Entscheidungen verfügt. An dieser Stelle zeigt sich sehr schön der Unterschied, der zwischen einer theoretisierenden Kategorialontologie und einem Denken, das die Metaphysik überwunden hat, besteht! Der Kategorialontologe muß in der Erscheinung des „objektiven" Geistes ein Wirkphänomen sehen und kann nun nicht umhin, bestimmte Verhaltensweisen als der Entscheidung des Individuums enthoben anzusetzen. Bis zu einem gewissen Grade ist das Individuum hier vergewaltigt. Für ein Denken dagegen, das! Sein und Ethos in eine letzte Nähe zueinander bringt, ist jede Entbreitung von Sinndeutungen, mögen diese auch Epochen und damit viele Menschen umgreifen, immer nur Ruf an den Menschen, Aufforderung seiner, Appell an seine Entscheidung. Man kann von der „Freigabe" des Menschen in ein Wdtverständnis sprechen, demgegenüber er sich jetzt in freien Entscheidungen zu bewähren hat. Jene Freigabe ist niemals und in keiner Weise Vergewaltigung in dem Sinne, daß der Mensch an irgendeiner Stelle der Entscheidung enthoben wäre. Er wird allerdings eingewiesen. Diese „Einweisung" a-ber ist nicht Getragenheit von übergreifender Dynamik, ist nicht als eine letzten Endes doch metaphysisch gedachte Prozessualität zu verstehen, sondern sie ist die Entbreitung eines Feldes, das zu hüten ist. Als diese aber ist sie kein „Prozeß". 160

Von einem solchen Denken her muß also die „reale" Welt und nur sie im Sinne des Zuhandenseins verstanden werden. Wird hier aber recht verstanden, so muß der Verstehende sich verpflichtet fühlen, sich dieser Welt zuzuwenden in der Weise eines verantwortlichen Tuns. Er muß anerkennen, daß das Seiende als das Zuhandene vor dem Menschen entbreitet ist als die Stätte und die einzige Stätte, das einzige Feld, auf dem das Sittliche „geleistet" werden kann. Eine solche Gewißheit aJber dürfte ein schlichteres und tieferes Verstehen dessen, was ist, bedeuten, als das höchst spekulative Umgehen mit „idealen" Seinsbereichen. Mit dem Rekurs auf solche objektivierenden Visionen wird die Strenge und Unbedingtheit der menschlichen Entscheidung in ihrer schöpferischen Bedeutung gleichsam paralysiert. Der ganze spekulative Entwurf kann dazu verführen, daß ein Denker theoretisierend im Reiche der Werte umherschweift, dieses Reich abtastet, über seine Ordnung meditiert. Dadurch braucht aber nicht verhindert zu werden, daß eben dieser Denker im lebendigen Leben und bei den hier notwendigen Entscheidungen weitgehend versagt.

Hartmann sieht den Sinn des Zuhandenseins nicht „richtig", da er es für gleichsetzbar mit dem Vorhandenen hält. Er kann aber weiter auch keinen zwingenden Beweis dafür liefern, daß das Sein, auf das die Emotionalakte verweisen, ein Sein im Sinne des herkömmlichen Realismus ist. Auch die idealistische These kann das in den Emotionalfunktionen Begegnende durchaus mit einblenden. Hartmann sieht hier so etwas wie „Beweiskraft" nur deshalb, weil er schon von vornherein im gnoseo-ontologischen Zirkel eines Vorhandenheits-Realismus steht.

11 Kanthack, Hartmann

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SCHLUSSTEIL

Die Uberwindung der Ontologie und der Verweis auf ein wesentliches Seinsdenken Unstere Besinnungen über die Hartmannsche Ontologie führten uns — zunächst mit Unterstützung Hartmanns — zum Verständnis des gnoseo-ontologischen Zirkels als einer Entdeckung, die wir als unerhört bedeutungsvoll ansahen. Sie, diese Entdeckung, läßt, im Rückblick auf die langen Geistesbemühungen des Abendlandes, wenn deren eigentliche Bedeutung gesehen wird, voll verstehen, was Ontologie und Gnoseologie sind und wie sie aufeinander bezogen sind. Diese Einsicht konnte erst an bestimmter geschichtlicher Stelle da sein. Sie konnte nicht antizipiert werden, ehe nicht Ontologie wie Gnoseologie mannigfaltige Denkbewegungen vollführt hatten.

Die abendländische Geschichte hat in mehr als zwei Jahrtausenden großartige Versuche metaphysischen Denkens vorgelegt. Die Schöpfer solcher Metaphysiken mußten, je an ihrer Stelle, ihre Entwürfe als sicherbar und als in diesem Sinne begründbar ansehen. Der Entwerfende legte dabei in seinem Entwurf jeweils fest, was das Seiende im Ganzen sei, was also auch der Mensch sei und wie die Erkenntnis des Menschen gefaßt werden müsse. Er konnte aber übersehen, daß sein Grundentwurf alle diese Entscheidungen immer schon mit umgriff. Seltsamerweise fühlte sich nun der Menschengeist immer wieder getrieben, über solche zeitweilig aufgeschienenen Metaphysiken zu neuen Seinsdeutungen und dabei neuen Begründunigsversuchen weiterzuschreiten. So ergab sich eine Mannigfaltigkeit metaphysischer Vorschläge. 162

Es konnte sich dann mit dem Beginn der Neuzeit eine metaphysische Grundstellung „einspielen", bei der es dem Menschen mit höchstem Nachdruck um die „Begründbarkeit" des Seienden ging, mit einer Inständigkeit, die frühere Metaphysiken an dieser Stelle nicht gekannt hatten. Die Metaphysik der Neuzeit sieht im Menschen die Bezugsmitte alles Seienden überhaupt. Sie deutet ihn, wie dies auch Hartmann tut, als das Wesen, dem alles andere Seiende als das Zu-Beherrschende in die Hand gegeben ist. Der sich so verstehende Mensch muß auf Selbstsicherung gegenüber den Naturgewalten, die er entfesselt, aus sein. Er muß sich auch seiner selbst und seiner Erkenntnisleistungen immer wieder versichern. So gibt es seit dem 17. Jahrhundert den „Schrei" nach dem rechten Denkverfahren, der rechten Erkenntnis weise. „Erkenntnistheorien" etablieren sich. In solchen Lehren mußte die Erkenntnis nun zunächst selbst sagen, was sie sei und mit welchen Sicherungsmitteln sie umginge. Damit gab sie eine „Theorie" der Wahrheit und einen Entwurf dessen, was „Evidenz" sei. Erkenntnistheorie konnte sich nun, das Wesen der Erkenntnis je festsetzend, da sie ja immer nur „sich selbst" hatte, als die Instanz anbieten, die zu beurteilen habe, ob die Metaphysik ein legitimes Unterfangen sei und unter welchen Vorsichtsmaßnahmen sie, wenn überhaupt, betrieben werden könne. Die Erkenntnistheorie vergaß dabei, daß sie ja immer nur selbst sagen konnte, was die Erkenntnis sei, und daß sie dieses nie sagen konnte, ohne gewisse metaphysische Ausisagen zu machen; denn sie, die Erkenntnis, hatte ja auch ein Sein. Sagte sie also, was sie sei, so sagte sie damit Entscheidendes darüber, was der Mensch sei, durch den hindurch sie sich ja allein vollziehen konnte. Sie siagte aber nicht nur, was der Mensch sei, sondern sie verteilte den Anteil an ihrem, der Erkenntnis, eigenen Zustandekommen zwischen dem Menschen und dem Gegebenen. Damit akzentuierte sie, welche Züge an jenem Gegebenen die entscheidenden seien. Sie war zugleich Erkenntnisentwurf und Seinsentwurf. 11

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Sie, die Erkenntnistheorie, konnte auch gewisse Formen der Metaphysik, ja, vermeintlich sogar die Metaphysik im Ganzen, verwerfen. Sie konnte dies aber nur tun, indem sie bestimmte Weisen des Erkennens ablehnte, nachdem sie in Selbstdeutung gesagt hatte, wie die Erkenntnis sich „eigentlich" vollziehen müsste und auf welche Möglichkeiten des Menschen sie sich wesentlich zu gründen halbe. Je an bestimmten geschichtlichen Stellen ist es ihr zum Beispiel als kritischer und sauberer erschienen, die Aussagen des Verstandes oder der Vernunft zurückzudrängen und sich nur auf das „Sinnlich-Gegebene" zu beschränken. Zu anderen Zeiten dagegen hat sie sich um „apodiktischer Erkenntnisse" willen selbst wesentlich als apriorisch ausgestattete Vernunft gefaßt. Sie konnte auch — so bei Kant — den Apriorismus nur als einen „formalen" bezeichnen und ihn entscheidend beim Zustandekommen der Gegenstandswelt wirksam sein lassen. Niemals konnte sie es dabei vermeiden, wenigstens Rumpfmetaphysiken, Andeutungsmetaphysiken zu entwerfen. Sie mußte ja bei ihren Aussagen immer „das Ganze" im Griff haben, so wie es der metaphysischein Fragestellung entspridit. Jede Akzentuierung von Phänomenen, die für die Erkenntnis besonders beachtenswürdig sein sollten, so etwa der „Empfindungen": jede solche Akzentuierung vollzog sich schon immer in der Weise eines Ausgriffs zum „Ganzen". Nur so konnten andere erkenntnistheoretische Vorschläge abgewiesen werden. Die Empfindungen seien maßgebend, sagte man, und konnte dabei gar nicht vermeiden, ergänzend zu meinen, sie seien das Entscheidende „an dem Ganzen". Man mochte noch so sehr darauf bestehen, daß die Frage nach dem „Sein im Ganzen" sinnlos sei, man hatte ihr im Grunde längst einen Sinn gegeben. Es gab also, sei es von der Metaphysik, sei es von der Erkenntnistheorie her, immer den gnoseo-ontologischen Zirkel. Die Erkenntnistheorie aber konnte dies vergessen, und audi dieses Vergessen hing damit zusammen, daß der Mensch der Neuzeit glaubte, sich selber und damit seine Fähigkeit des Erkennens besonders intensiv bewerten zu müssen. So glaubte die Erkenntnis, gewissermaßen über sich selber stehen zu können. Sie verheimlichte sich, daß sie selbst immer und in je wechselnder Weise die Erfinderin der Aussagen über 164

sich selber war und mit diesen Aussagen apokryph immer in die Metaphysik geriet. Sie glaubte, sich in einem leeren Raum entfalten und eindeutige Sicherungsinstanzen ihrer selbst vorweisen zu können. Es war das „Herumtappen" der Metaphysik, demgegenüber sie, die Erkenntnistheorie oder Gnoseologie, glaubte, Position beziehen zu können, das Phänomen, daß eine Mannigfaltigkeit metaphysischer Deutungen im Laufe der Jahrhunderte in Erscheinung getreten war. Der so entstandenen Wirrnis wollte man ein „Halt" entgegensetzen. Nun aber geriet die Gnoseologie insofern in sehr verwandte Schwierigkeiten, als sie wiederum eine Musterkarte möglicher Interpretationen dessen, was die Erkenntnis sei, zur Verfügung stellte. Sie konnte mannigfaltige Verteilungen des „Subjektiven" und des „Objektiven" vorschlagen, Verteilungen, die selbst in positivistische Deutungen noch tief hineinstießen, indem hier Kontroversen darüber entstanden, was denn nun eigentlich, als das schlechthin „Gegebene" anzusehen sei: die Mannigfaltigkeit einzelner Empfindungen oder das bereits „irgendwie Gestalthafte". Die Selbsttäuschung der Gnoseologie lag nun darin, zu übersehen, daß die je zu Tage tretenden Vorschläge nicht in einem Räume gemacht werden konnten, in dem es Entscheidbarkeit gab. Dieses Dilemma trat stärker und stärker ins Bewußtsein der Denkenden. Und da, wo es nicht wiederum in „dogmatische" Lösungen trieb, sah man keinen anderen Ausweg als den des Verharrens in der „Aporetik". Man vermeinte, sich mit einem „Erwägen" der Schwierigkeiten begnügen zu müssen und zu sollen. Damit aber wurde die Philosophie nicht mehr ernst genommen, sie wurde zu einem bloßen Spiel des Intellekts. Das aporetische Verhalten in rationalem Sinne kann eindrucksvoll sein, solange noch der Horizont von Entscheidbarkeit für einen Denker da ist. Ist aber einmal verstanden, daß es diesen Horizont unter „kritischen" Auspizien nicht gibt, d.h., ist das Wesen des gnoseo-ontologischen Zirkels durchschaut, dann wird die Aporetik zu einem wesenlosen Wirbel. Sie als letzte denkerische Möglichkeit anzubieten, insbesondere jungen Menschen anzubieten: das hieße doch wohl, Steine an Stelle von Brot hinüberzureichen! 165

Nicolai Hartmann hat das Wesen des gnoseo-ontologischen Zirkels erblickt, aber er hat seine Entdeckung nicht durchgestanden. So hat er versucht, seine eigene Ontologie -wiederum „kritisch" als eine bevorzugte zu sichern, obgleich er selber den Wahn, es gäbe einen transontischen kritischen Raum, in den Zusammenbruch getrieben hat. Um in der Haltung wahrhaften denkerischen Ernstes zu verharren, hätte er öich jetzt auftun müssen für die Frage: Woher stammt je die unlösbare Verschränkung, die Gnoseologie und Ontologie aneinander bindet? Was ist die Wurzel dieser Partnerschaft? Was bedeutet es, daß bei dem Versuch, ein Kriterium der Kriterien und eine ausgezeichnete Ontologie zu finden, nur immer eine neue auftaucht, die wiederum keinen endgültigen Beweis für ihre Besonderheit erbringen kann, weil sie nur immer selber sagt, waä Beweiskraft ist? Wir fragen, wie der Grund verstanden werden muß, aus dem alle Gnoseo-Ontologien sich gehoben haben. Damit nähern wir uns dem Raum, den wir einmal als den unkritischen benannt haben. Wir können ihn auch, den überkritischen nennen, weil alle Kriterienstiftung aus ihm wächst. Indem wir nun nach diesem Räume näher fragen, wird es notwendig sein, Worte, die wir selbst wiederholt gebraucht haben, zu revidieren. Wir haben von „Kriterienerfindung", von „spekulativen Setzungen", von „Dogmatismus" und „Willkür" gesprochen. Diese Ausdrucksweise war zulässig, solange polemisch vorgegangen werden mußte und scharf zu beleuchten war, daß es ein Widersinn ist, eine Gnoseo-Ontologie der anderen gegenüber als ausgezeichnet herauszustellen, als etwas, was in „kritischem" Sinne „bevorzugt" werden könnte. Jetzt aber muß bedacht werden, daß ja jene überragenden Geister, die oft Jahrtausende überdauernde Bauten der Metaphysik errichtet haben, an ihrer geschichtlichen Stelle überzeugt waren, den richtigen Weg zu gehen. Sie haben gerungen — fem von jedem Leichtsinn. Sie mußten sich dem fügen, was ihnen als evident erschien. 166

Damit steht gewesene Metaphysik im Lichte der Legitimität. Aber die Legitimierung ist unter keinen Umständen mehr möglidi, wenn einmal der gnoseo-ontologische Zirkel durchschaut ist. Jetzt kann der Grund, aus dem alle Gnoseo-Ontologien sidi heben, nicht mehr in der Weise kritisch sein wollender Begründung angegangen werden. Jetzt muß gesehen werden, daß alle solche Versuche auf metaphysischen Voraussetzungen beruhen, die immer schon die Hintergründe jeder Kriteriensetzung sind. Die Metaphysik oder Ontologie als „Gesamtumgriff" bedenkt nur die Gesamtsphäre des Seienden. Und die Begründung, die hier jedesmal gegeben wird, kommt zustande, indem bestimmte Wesenszüge des Seienden als die Fundamente gesetzt werden, von denen her alles andere Seiende abgeleitet wird, von denen her es begründet wird. Für die Kategorialordnung, die in jeder Metaphysik gestiftet wird, bilden die Wesenezüge jener auserkorenen Regionen des Seienden die obersten Bestimmungen. Und jede Metaphysik kann nun, weil sie begründen will, axiomatisiert werden, d. h. jede kann von Fundamentalaussagen her in Deduktionen aufgebaut werden. In der Fassung der „Axiome" aber reflektiert immer schon die Deutung von „Evidenz", d. h. die Selbstinterpretation der Erkenntnis. Auch dann, wenn eine Metaphysik den Seinsgrund als das Überkategoriale zu treffen sucht, muß sie, wenn sie die Strukturen des Seienden von jenem Grunde her ableiten will, von einem bestimmten Punkt an in die Axiomatisierung gehen, ein Vorgang, der sich nicht in jener logischen Offenheit zu vollziehen braucht wie bei den „rationalen Metaphysiken" des 17. Jahrhunderts etwa, der sich aber immer von den Denkansätzen und Denkbewegungen der betreffenden Philosophen her durchführen lassen muß. Soll also der gnoseo-ontologisiche Zirkel durchbrochen werden, so dürfte für den „Grund", mit dem ein neues Fragen jetzt eine völlig neue Weise von „ Grundhaf tigkeit" überhaupt sichtet, nicht wieder eine Begründung angeboten werden. Der Βegrünidungswille, der in aller Metaphysik liegt, müßte zurücktreten. 167

Es müßte eine andere Art von Bereitschaft da sein, wenn gefragt wird, woher denn alle gnoseo-ontologischen Begründungsversuche mit ihren jeweiligen immanenten Kriterien stammen. Fassen wir diesen Grund als Sein, so müßten wir die Differenz sehen zwischen ihm, dem Sein, und allem Seienden, an welches die Metaphysik sich immer nur gehalten hat. Sein müßte die Tiefe sein, aus der sidi alles Seiende hebt: das Nichtmenschliche und der verstehende Mensch. Das Verstehen des! Menschen aber müßte als die Stelle gedacht werden, an der das Sein die Deutungen des Seienden „ankommen" lassen kann und in der abendländischen Geistesentiwicklung die gnoseo-ontologischen Zirkel hat ankommen lassen. Der Grund der Tiefe aber müßte dabei als etwas gedacht werden, das zuließ, daß es selber vergessen wurde. Wir sagten, daß in einem echten Seinsdenken der Begründungswille überschritten werden müßte, aufgegeben werden müßte zu Gunsten einer Einsenkung in das, was alle Gründe erst „übergibt" und ihnen gegenüber gleichsam ein „Ab-igrund" ist, der allen Kriterien das Dasein schenkt, wobei die Schenkung epochal sein, d. h., sich auf die Zugehörigen eines bestimmten geschichtlichen Menschentums beziehen kann. Solche Einsenkung aber kann dann nidit mehr in der Weise eines rein rationalen Erkennens vollzogen werden, sondern in einer Bereitschaft der Hingabe und Entgegennahme. Hierzu ist also eine andere Entscheidung erforderlich, als sie im Raum logischen Denkens möglich ist. Immerhin kann der Mensch in logischen Denkbewegungen hingeführt werden an den Punkt, wo er die Notwendigkeit der translogischen Entscheidung sieht. Dies ließ sich durchführen an Hand der Entdeckung des gnoseoontologischen Zirkels bei Hartmann, einer Entdeckung, deren Bedeutung Hartmann nicht gesehen hat, nicht sehen konnte, weil er trotz aller aporetischen Ansätze und trotz aller vorsüditigen Verwahrungen zutiefst von ontologischem Begründungswillen erfüllt war. Wird der gnoseo-ontologische Zirkel ernst genommen, so muß ein Phänomen gesehen werden, was man vielleicht die „Gleichwertigkeit" aller Metaphysiken vom Standpunkt der kritischen 168

Begründbarkeit her nennen kann. Dieser Gleichwertigkeit entspricht dann eine solche der „Erkenntnistheorien". Heute, wo sieb nicht nur die Mannigfaltigkeit der Metaphysiken überschauen läßt, sondern wo auch die Gnoseologie in jenes „unsichere Herum tappen" geraten ist, in dem sie Überangebote von Entwürfen gemacht hat, heute sollte das Zugeständnis von jener Gleichwertigkeit im Grunde nicht mehr zu vermeiden sein. Zum mindesten müßte der ernsthaft Denkende zugeben, daß die Philosophie hier in eine rätselhafte Lage geraten ist. Natürlich hat nun dieser Philosophierende die Möglichkeit, in Entscheidungslosiigkeit zu verharren. ET wird dann zum Skeptiker und nimmt eine Haltung ein, die zwar von einer gewissen denkerischen Überlegenheit kündet, aber auch von einer Vermessenheit spricht. Es ist noch immer der Begründungswille des Menschen, der hier „nein" sagt, nur „nein" sagt, ohne zu bedenken, daß er sein Dasein als das Dasein des Neinsagenden ebensowenig sich selber verdankt wie einer, der sich in einen der gnoseo-ontologischen Zirkel hineinziehen läßt. Nennen wir das, dem sich der Mensch verdankt und dein sich alles Seiende verdankt, insofern es „ist", nennen wir dieses Stiftende und Schenkende „Sein", so müssen aus diesem unvergleichbaren Grund alle gleichwertigen Begründungen und ebenso alle Begründungsverzichte in logischem Sinne sich heben. Nicolai Hartmann hätte aus dem von ihm aufgedeckten gnoseoontologischen Zirkel Folgerungen ziehen müssen, die einen ganz neuen Denkraum eröffnet hätten. Er hätte das Sein nicht mehr als vorhandenseiendes Relationsgefüge zwischen bestimmten Stützpunkten fassen dürfen. Solche Seinsdeutung ist auf jeden Fall noch metaphysisch. Er hätte das Sein weiterhin nicht als kategoriendurchwaltet ansetzen dürfen, denn eben an diesen Kategorien orientiert sich der metaphysische Begründungswille in herkömmlicher Weise. Was er vielleicht ahnt mit seiner Betonung des Irrationalen, also des Bereiches, der sich der Begründbarkeit entzieht, wird nicht soweit durchgetrieben, daß seine Gnoseo-Ontologie zerbricht und das eigentlich „Unbegründbare" angerührt wird: nämlich der Raum der Verborgenheit, aus dem alles je Wissbare sich hebt. 169

Keinesfalls hätte er weiter die Erkenntnis, das Seins Verständnis des Menschen also, noch als Relationalität bestimmter Art „im" Gesamtsein bezeichnen können, wie es faktisch geschieht, wenn er sie als „homogenen" Partner gegenüber den anderen „Seineschichten", die bei ihm Schichten des Seienden sind, benennt. Die Aussage, daß es ein so und so geartetes Gesamtsein überhaupt gäbe und daß die Erkenntnis in einer besonderen Weise in das Ganze eingeordnet sei: diese Aussage ist ja wiederum eine solche der Erkenntnis, des Seinsverständnisses, das auch andere Aussagen über das Ganze und sich selber als Ingrediens des Ganzen machen konnte — in anderen gnoseo-ontologisehen Zirkeln. In allen metaphysischen Deutungen der Erkenntnis wurde eines vergessen: jener immer übrigbleibende Rest des Deutungsursprunges. Erkenntnis, Seinsverständnis kann sich zwar in metaphysischen Selbstdeutungen gleichsam „sekundär" in die Zusammenhänge des Seienden einbauen, ist aber grundsätzlich solchem „In" enthoben und damit einer entsprechenden Relationalität enthoben, weil sie nur selber dem, was das „In" und was die „Relationalität" bedeutet, einen Sinn zu geben vermag. Indem sie sich als das „in Relationen Verstrickte" versteht, „schaltet sie sdch gleich" mit dem übrigen Seienden als einem Vorhandenen. Indem sie s&lbst aber auch das Sich-Gleidischaltende ist, ist sie etwas gänzlich anderes als jedes sonstige Vorhandene. Sie ist Verständnis des1 Ganzen. Sie ist dies auch noch bei jeder metaphysischen oder ontologischen Deutung. Sie, die Erkenntnis, mißversteht in solchen Deutungen nur grundsätzlich die Besonderheit ihrer Seinsweise. Als Seinsverständnis des Ontologen Nicolai Hartmann sieht sich die Erkenntnis als eine der Beziehungen in dem Beziehungsgefüge von homogenen Partnern an. Als 'Seinsverständnis des Idealisten Fichte faßt sie sich so, daß ihr, der ein reales' geistiges Sein zukommt, alles „Physische" in inhomogener Weise als das Bloß-Vorgestellte gegenübersteht. Als Seinsverständnis eines Materialisten sieht sich die Erkenntnis wieder von seiten einer „Inhomogenität" her an. Diese Inhomogenität ist vom Primat der Materie her angesetzt, und die Erkenntnis versteht sich hier als ein bloßes Derivat des Physi-

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sehen. Sie ist, als Semsverständnis, nichtsdestoweniger auch, hier das, wovon dieser ganze metaphysische Entwurf getragen wird. Im übrigen durchgeistert auch die Hartmannsche Ontologie eine Ahnung von der Besonderheit des geistigen Seins und damit der Erkenntnis. Diese Ahnung tut sich da kund, wo von dem „Aufruhen" des Geistes als einer besonderen Beziehung zu den „niederen" Schichten die Rede ist. Aber es bleibt das Wort „Relationalität" als das entscheidende bestehen. Ebenso erscheint „Prozessualität" als gleicherweise alles Seiende umfassend. Von den Folgerungen her, die wir selber aus dem gnoseo-ontologischen Zirkel gezogen haben, könnte dem Worte Inhomogenität ein tieferer, aus der Metaphysik herausführender Sinn gegeben werden. Das Wort könnte dann die völlige Andersartigkeit der Seinsweise des verstehenden Menschen gegenüber der Seinsweise alles anderen Seienden bezeichnen. In ihrer jeweiligen Besonderheit tauchen das menschliche Seinsverständnis und das übrige Seiende aus dem Grunde des Seins selbst auf. Und ist dasi Seinsverständnis metaphysisch, so wird ihm vom Grunde her je die Weise der Begründung übergeben, in der das Seiende in der Weise von kategorialen Ordnungsgefügen gedeutet wird. Wo« so aufscheint, ist niemals zu antizipieren und niemals zu überblicken. Jeder Versuch, so etwas zu tun, würde wiederum zu einer metaphysizierenden Deutung des Begründungen übergebenden Grundes führen, zu der Vision einer rational festzulegenden Seinisgestdiichte wie etwa derjenigen Hegels. In der Zuwendung zu der „neuen Grundhaftigkeit", von der wir sprechen, können die gnoseo-ontologischen Zirkel überwunden oder unterwandert werden. Die gewesenen Metaphysiken würden von daher unter neue Vorzeichen treten. Sie würden als dem Menschen je an bestimmter seinsgeschichtlicher Stelle übereignete Deutungen erscheinen. Die Insistenz des metaphysisch verstehenden Menschen auf eine irgendwann einmal mögliche rationale Begründbarkeit des „Ganzen" müßte dabei allerdings erlöschen. Der Denkende müßte sich aufschließen für eine andere Grundstimmung. Er müßte jenes Seinsdenken vollziehen können, das im Schaffen Martin Heideggers aufleuchtet. 171

Hier kommen einmal alle jene „kritischen" Bewegungen zum Zuge, die wir selber durchgeführt haben. Es heißt, daß die Metaphysik als Kategorienlehre eine Auslegung des Seienden im Ganzen und dabei zugleich eine Auslegung dessen gäbe, was Wahrheit sei.188 Da eine Deutung der Wahrheit mit einer Angabe dessen, was die Erkenntnis sei, zusammengehen muß, so wird das Wesen der Metaphysik als das Aufscheinen des gnoseo-ontologischen Zirkels verstanden. Sein aber ist das, was jene Zirkel hat aufscheinen lassen. Ein Seinsdenken solcher Art kann nicht mehr ontologisch oder metaphysisch genannt werden. Martin Heidegger hat das Wort „Ontologie" zu Beginn seines Schaffens in dem Werke „Sein und Zeit" zunächst noch beibehalten. Die Unterwanderung früheren metaphysisch-ontologischen Denkens kündigt sich aber auch hier schon an, denn es wird von Fundamentalontologie gesprochen. Die Vordergründigkeit der Metaphysik wird im weiteren Werk Heideggers immer deutlicher in die Sicht gehoben. Was dabei das Verhältnis der Worte „Ontologie" und „Metaphysik" zueinander betrifft, so wird die Metaphysik eine Ontologie genannt, insofern sie nach den allgemeinsten Bestimmungen des Seienden fragt. Weil sie aber auch immer die Frage nach einem letzten seienden Grunde stellt, kann sie Theologie genannt werden, möge sie nun diesen Grund (Gott der Metaphysik) anerkennen oder leugnen. Und weil beide Fragestellungen sich in der Geschichte in wechselnden Akzentuierungen miteinander verwoben haben, läßt sich Metaphysik als Onto-Theologie bezeichnen.189 Auf alle Fälle ist Onto-Theologie oder Metaphysik die Bemühung, Seiendes nur von Seiendem her begründend abzuleiten. Beide Worte können also nicht mehr zur Verwendung gelangen, um ein Denken zu bezeichnen, daß den Sinn von Sein in tieferer Weise fassen will. Sie, diese Worte, werden abgewiesen.

denn auch endgültig von Heidegger

Hinsichtlich des Wortes „Ontologie" heißt es, daß es in der Schrift „Sein und Zeit" noch die Anstrengung bezeichne, das Sein in echter Weise anzugehen. 172

Dann sagt Heidegger: „Da aber diese Frage bisher weder Anklang noch gar Widerklang gefunden hat, sondern durch die verschiedenen Kreise der schiulmäßigen Philosophiegelehrsamkeit sogar ausdrücklich abgelehnt wird, die eine ,Ontologie' im überlieferten Sinne anstrebt, mag es gut sein, künftig auf den Gebrauch des Titels ,Ontologie', .ontologisch' zu verzichten. Was in der Art des Fragens, wie sich jetzt erst deutlicher herausstellt, durch eine ganze Welt getrennt ist, soll auch nicht den gleichen Namen tragen." 190 Das Wort „Metaphysik" aber wird, was die Möglichkeit heutigen Denkens anlangt, scharf zurückgewiesen. Wir geben den Satz: „Allein die Frage nach dem Wesen des Seins stirbt ab, wenn sie die Sprache der Metaphysik nicht aufgibt, weil das metaphysische Vorstellen es verwehrt, die Frage nach dem Wesen des Seins zu denken."191 Es ist für den Menschen unserer Zeit nicht leicht, zu verstehen, wie jetzt noch gedacht werden kann, wenn die Skepsis nicht das letzte Wort haben soll. Der heutige Mensch, der im Horizont einer Metaphysik des Machtwillens steht und der vermeint, alles Seiende als Bestand f ü r grenzenlose Umschalt/ungs vorgänge benutzen zu dürfen, schaut in fast manischer Weise nach Begründungen aus. Er muß das tun, weil er nur mit einem „Kausaldenken" die von ihm entfesselten Mächte des Seienden beherrschen kann. So kommt es denn, daß das Denken Heideggers in immer erneuten Mißverständnissen selbst als metaphysisch angesehen wird oder daß versucht wird, es in metaphysizierender Weise „ weiter "zudenken. Es wird aber auch gelegentlich aus der Ohnmacht gegenüber den ernsteren Forderungen, die sich jetzt auftun, gesagt, es „ginge überhaupt nicht weiter." Es gibt hier eine Art von Blindheit für die Möglichkeiten eines tieferen Seinsdenkens. Man weist darauf hin, daß doch Worte gebraucht werden müssen — wir selber haben ja von dem „Grund des Seins" gesprochen —, die nur vom Seienden her, also metaphysisch, verstanden werden können. Man versteht nicht, daß das menschliche Denken eine nachdrückliche Gegenbewegung gegen jenen geläufigen Sinn vollziehen kann. Diese Gegenbewegung aber darf nun nicht wieder als dialektische Verneinung mißverstanden werden. Es ist vielmehr eine Bewe173

gung, in der Position und Negation im Seienden gemeinsam unterwandert werden, indem man nicht mehr beim Seienden verweilt. Wir möchten noch etwas zu den Möglichkeiten dieses Denkens sagen. Wenn aus dem Grunde des Seins sich Deutungen heben, wenn Sein sich so „lichtet", so kann jetzt nur noch die Weise des Ereignisses bedacht werden, das hier geschieht. Vor allem muß verstanden werden, wie der Mensch nun vollziehen kann, was sich ihm „zuspricht". Über die Weise dieses Vollzugs vermag ein „rein-rationales" Denken nichts mehr zu sagen. Hier muß das, was jetzt noch Denken genannt werden kann, vielmehr getragen werden durch eine Entscheidung, die Hinnahme ist, Hinnahme und Entschlossenheit, das, was je aufscheint, zu hüten. Denn bei allem Aufscheinen von Seinsdeutungen sind Sein und Schein miteinander verwoben. Wahrheit kann immer nur gewonnen werden aus der Irrnis, aus der je-besonderen Irrnis, die für jeden Menschen da ist. Das hinnehmende und zur Hut entschlossene Denken hat weite Möglichkeiten vor sich. In seinen Bereich fällt das hinein, was in diesem Buch über den „Primat des Zuhandenseins" gesagt wurde. Wir wiesen bei diesen Ausführungen darauf hin, daß die Anerkennung dieses Primats selbst eine „sittliche" Entscheidung sei. Wenn es also bei dem Seinsdenken, mit dem wir umgehen, um so etwas wie „Kriterien" geht, so sind diese ihrem tiefsten Sinne nach nicht mehr logischer Natur, sondern sie hängen zusammen mit der Möglichkeit des Menschen, sich beauftragt zu wiesen. Sie, diese Gedankengänge, überschreiten dabei jedoch das, was eine herkömmliche „Ethik" aussagen könnte, bei weitem, wenn ihnen zufolge auch die rechte Hinnahme dee Auftrags immer mit der Gewissensentscheidung des Menschen zu tun hat. Es ist möglich, die Wesenszüge des beauftragenden Seins bis in eine gewisse Tiefe hinein anzugehen, ohne dabei metaphysisch zu sprechen. Wir versuchen, dafür ein Beispiel zu geben. Wenn der Mensch und das nichtmenschliche Seiende miteinander aufscheinen, so kann dies ein Auftauchen des Seienden in die Unverborgenheit genannt werden. Im „Rücken" dieses Ereignisses ist „Verborgenheit". 174

Das Aufscheinen aber ist Ausgrenzung des Seienden aus der Verborgenheit. Das Wort „Grenze", das hier auftaucht, ist etwas, zu dem es kein Analogon im Seienden gibt. Hier kennen wir nur eine Grenze „gegen etwas hin". Die Ausgrenzring als Entbergimg aber, von der wir sprechen, ist Grenze „gegen nichts hin" — und nur von daher ertönt die Macht ihrer Aufforderung an den Menschen, mit dem sie erscheint. Nur im Vollzug des Rufes kann verstanden und zugleich „durchgestanden" werden, was jene Ausgrenzung bedeutet als die Entbreitung eines Feldes; über das hinweg der Mensch zu seinen höchsten Möglichkeiten gelangen kainn. Von hier aus muß jener „Raum", den wir von den gnoseo-ontologischen Zirkeln her als den un-kritischen oder überkritis